GTB Gütersloher Taschenbücher 518
Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament Band 17/2 Herausgegeben von Er...
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GTB Gütersloher Taschenbücher 518
Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament Band 17/2 Herausgegeben von Erich Gräßer und Karl Kertelge
Hubert Frankemölle
Der Brief des Jakobus Kapitel 2 - 5
Gütersloher Verlagshaus Echter Verlag
Originalausgabe
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament/ hrsg. von Erich Grässer und Karl Kertelge. - Orig.-Ausg. Gütersloh : Gütersloher Verl.-Haus ; Würzburg : Echter-Verl. (Gütersloher Taschenbücher;...) N E : Grässer, Erich [Hrsg.] Orig.-Ausg. Bd. 17, Frankemölle, Hubert: Der Brief des Jakobus. - Orig.Ausg. 2. Kapitel 2 . - 5 . - 1 9 9 4 Frankemölle, Hubert: Der Brief des Jakobus/Hubert Frankemölle. - Orig.-Ausg. Gütersloh : Gütersloher Verl.-Haus ; Würzburg : Echter-Verl. (Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament ; Bd. 17) Orig.-Ausg. 2. Kapitel 2 . - 5 . - 1 9 9 4 (Gütersloher Taschenbücher; 518) ISBN 3-579-00518-9 N E : GT
ISBN 3-579-00518-9 © Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh und Echter Verlag, Würzburg 1994 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbe sondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Rehder, Kelmis/Belgien Satz: ICS Communikations-Service GmbH, Bergisch Gladbach Druck und Bindearbeiten: Clausen & Bosse, Leck Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Werkdruckpapier Printed in Germany
Inhalt
Vorwort
15
Literatur
20
1. 2. 3. 4. 4.1 4.2 4.3 5. 6. 7. 8.
20 21 23 23 23 25 25 26 29 30 34
Textausgaben Allgemeinere Literatur Forschungsüberblicke Kommentare Zum Jakobusbrief Zur Weisheitsliteratur Zu sonstigen Schriften Literatur zu Weisheitstraditionen und zu Philo Literatur zu Ethik, Glauben u. a Literatur zum Jakobusbrief Sonstige (abgekürzt zitierte) Literatur
Einleitung
39
1.
Was will dieser Kommentar?
39
2.
Der Jakobusbrief als innovatorische Sprachhandlung .
43
2.1 Wer? (Absender/Schreiber) 2.2 Wem? (Empfänger/Adressaten) 2.3 Wann? Unter welchen Bedingungen? (Zeit und Situation der Adressaten) 2.4 Mit welchen Zeichen? (Zur Gattung, textlichen Einheit und zum Stil) a) Zur literarischen Gattung h) Zur Einheit des Briefes c) Zur Sprache des Briefes d) Zur Textgestaltung in Stichen e) Jakobus und die jüdische und christliche Weisheits literatur 2.5 Was? Wozu? (Thema und Intention)
45 54 57 62 64 71 73 79 80 88
2.6 Mit welchen Konsequenzen? (Zur Rezeption des Briefes) a) Die Rezeption durch die ursprünglichen Adressaten . b) Der Jakobusbrief in der Rezeptionsgeschichte bis Augustinus c) Zur Rezeptions-und Auslegungsgeschichte bis Beda . d) Zur reformatorischen Rezeptions- und Auslegungs geschichte e) Das Verhältnis von Jakobus und Paulus in der Rezeptionsgeschichte f) Rezeptionsvariationen heute 3.
Zur bleibenden Aktualität des Jakobusbriefes
Der Text und seine Auslegung
93 930 94 101 106 110 114 119 121
A Das Präskript Verfasser, Empfänger und Eingangsgruß (1,1)
121
B Der Prolog Von Prüfungen und ihren anthropologischen und theo-logischen Aspekten (1,2-18)
133
I. Form, Thema und briefliche Funktion von 1,2-18 . .
135
1. 2.
Zur Einheit der Verse Zur Form des Textes
IL Von der christlichen Existenz in Prüfungen (1,2-4) . 1. 2.
3. 4.
Von der Bewährung des Glaubens in Prüfungen/ Versuchungen (intertextuell) Von der Bewährung des Glaubens in Prüfungen/ Versuchungen (die rezipierte Tradition und die jakobeische Redaktion) Einzeltraditionen in 1,2-4 und die jakobeische Redaktion Kompositionskritische Zusammenfassung (zur Einheit von synchronischer und diachroni scher Betrachtung)
135 139 181 183
189 198
209
1. 2. 3.
Die erste Prüfung/Versuchung: Mangel an Weisheit (l,5-6a) Die zweite Prüfung/Versuchung: Mangel an Glauben (l,6b-8) Die dritte Prüfung/Versuchung: Mangel an der richtigen Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen (1,9-11)
211 231
240
IV. Die Seligpreisung der standhaften Christen (1,12) . .
259
V. Kompositionskritische Zusammenfassung zu 1,2-12.
268
VI. Gott und die Prüfungen/Versuchungen (1,13-18) . .
276
1. 2. 3.
Woher kommen Versuchungen? (1,13-15) Warnung vor Selbsttäuschung (1,16) Gott als Geber alles Guten (1,17-18)
C Das Briefkorpus (1,19-5,6) I. Vom Hören, Reden und Zorn und ihrem Gegenteil (1,19-27) 1. 2. 3. 4.
Vom Hören, Reden und Zorn (1,19) Von Zorn und Sanftmut (1,20-21) Vom Hören und Tun (1,22-25) Von Frömmigkeit und richtigem Tun (1,26-27) . .
II. Vom Ansehen der Personen und vom christlichen Glauben (2,1-13) 1. 2. 3. 4. 5.
Der Glaube an Jesus Christus und das Ansehen von Personen (2,1) Vom falschen Verhalten gegen Arme und Reiche (2,2-4) Gottes Option für die Armen (2,5-7) Vom Ansehen der Personen und vom Gesetz (2,8-11) Von Barmherzigkeit und Gericht (2,12-13) . . . .
277 288 290 321
321 325 327 335 358
367 372 387 390 399 411
III. Vom Glauben ohne Werke und vom Glauben mit Werken (2,14-26) 1. 2. 3.
Vom werklosen Glauben (2,14-17) 429 Werke als Zeichen des Glaubens (2,18-20) 437 Vom schriftgemäßen Glauben und Werk (2,21-26) . 448
IV. Von der Macht der Zunge (3,1-12) 1. 2. 3. 4.
Von der Gefährdung der Lehrer (3,1-2a) Von der positiven Macht der Zunge (3,2b-5b) . . . Von der negativen Macht der Zunge (3,5c-8). . . . Gegen den Zwiespalt der Zunge (3,9-12)
V. Von der wahren Weisheit (3,13-18) 1. 2. 3. 4. 5.
Werke als Zeichen der Weisheit (3,13) Von der falschen Grundorientierung (3,14) . . . . Von der gottlosen Weisheit (3,15) Von den Werken der Lüge (3,16) Von der Weisheit und ihren Werken (3,17-18). . .
VI. Vom Unfrieden in der Gemeinde und seinen Ursachen (4,1-12) 1. 2. 3. 4.
Von den anthropologischen Ursachen der Konflikte in der Gemeinde (4,1-3) Die Gemeinde zwischen Welt und Gott (4,4-6) . . Von der richtigen Haltung vor Gott (4,7-10). . . . Anthropologische als theologische Fehlhaltungen (4,11-12)
VII. Von der trügerischen Autonomie der reichen Christen (4,13-5,6) 1. 2. 3.
420
Vom selbstherrlichen Umgang mit der Zeit (4,13-16) Die christliche Schizophrenie (4,17) Vom vergänglichen und unsolidarischen Reichtum (5,1-6)
478 487 490 499 513 521 528 533 536 547 548
571 580 596 607 618
629 636 644 645
D Der Epilog Von der christlichen Ausdauer (5,7-20) 1. 2.
In Erwartung der Parusie des Herrn (5,7-8) . . . . Vom unchristlichen, gerichtsnotorischen Verhal ten im Wort (5,9-12) 3. Von der positiven Wirkkraft verbalen Tuns (5,13-20) 3.1 Von der Macht des Gebetes bei der Heilung von Kranken (5,13-15) 3.2 Von der Macht des Gebetes bei der Rettung von Sündern (5,16-20)
667 676 685 704 705 719
Verzeichnis der Exkurse 1. 1,2-18 als Prolog/Exordium und 5,17-20 als Epilog/Peroratio a) Der Prolog als Lieferant der Stichworte und der Struktur des Briefes b) 5,7-20 als Epilog und der Bezug von Prolog und Epilog c) Das semantische Netz des Jakobusbriefes (Matrix) . . 2. Glaube nach Jakobus 3. Die soziale Situation der Adressaten 4. Eschatologie und Ethik 5. Anthropologie und Theo-Iogie 6. Das »Gesetz der Freiheit« 7. Die Christologie des Jakobus 8. Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus 9. »Vollkommen« nach Jakobus 10. Weisheitstheologie nach Jakobus 11. Vom Beten 12. »Welt« bei Jakobus 13. Heilung von Krankheiten und Sünden 14. Die theologische Leistung des Jakobus
152 153 165 175 222 251 272 305 344 376 461 495 561 591 599 729 743
II. Vom Ansehen der Personen und vom christlichen Glauben (2,1-13) 1 a b c 2 a b c d 3 a b c d 4 a b 5 a b c d 6 a b c 7 a b 8 a b c d 9 a b c 10 a b c 11 a b c d
Meine Brüder: Nicht mit Ansehen von Personen habt den Glauben an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit. Denn wenn in eure Versammlung ein Mann kommt, goldberingt in prächtigem Gewand, es kommt aber auch ein armer Mann in unsauberem Gewand, und ihr blickt auf den, der das prächtige Gewand trägt, und sagt: >Du, setze dich hier bequem hin!<, und zu dem Armen sprecht ihr: >Du, stell dich dorthin!< oder: >Setze dich unten an meine Fußbankh, habt ihr da nicht bei euch selbst Unterscheidungen gemacht und wurdet Richter aufgrund schlechter Überlegungen? Hört, meine geliebten Brüder! Hat Gott nicht die vor der Welt Armen als Reiche im Glauben und als Erben (seines) Königtums erwählt, das er denen verheißen hat, die ihn lieben? Ihr habt den Armen entehrt. SindesnichtdieReichen, dieeuchgewalttätig behandeln, sind es nicht sie, die euch vor Gericht schleppen? Sind nicht sie es, die den guten Namen lästern, der über euch ausgerufen wurde? Wenn ihr wirklich das königliche Gesetz erfüllt gemäß der Schrift: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, handelt ihr gut. Wenn ihr aber nach dem Ansehen von Personen geht, tut ihr eine Sünde und werdet vom Gesetz als Übertreter überführt. Denn wer das ganze Gesetz hält, sich aber in einem einzigen verfehlt, der wurde gegen alle schuldig. Denn der da sprach: Du sollst nicht ehebrechen!, hat auch gesagt: Du sollst nicht töten! Wenn du zwar die Ehe nicht brichst, tötest aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes geworden.
12 a So redet und so handelt, b da Ihr durch das Gesetz der Freiheit werdet gerichtet werden. 13 a Denn das Gericht ist unbarmherzig gegen den, b der nicht Barmherzigkeit tat. c Erbarmen triumphiert über das Gericht. Literatur: Cladder, Anlage. — Felder, C. H., Partiality and God's Law: An Exegesis of James 2:1-13, in: JRTh 39(1982) 51-69. - Held, HJ., Glauben ohne »Ansehen der Person«. Zu Jakobus 2,1-13, zugleich ein biblischer Beitrag zum Thema Diskriminierung, in: Zukunft aus dem Wort. FS H. Claß, Stuttgart 1978, 209-225. - Hoppe, Hintergrund 72-99.
— Maynard-Reid, Poverty 48-67. — Orbiso, Tb. ab, Contra acceptionem personarum (Iac. 2,1-13), in: VD 19(1939) 22-32. - Soucek, Zu den Problemen. — Trocme, E., Les Eglises pauliniennes vues du dehors: Jacques 2,1 ä 3,13, in: StEv 2(1964) 660-669.
Keineswegs »unvermittelt« (so Mußner 114) kommt Jakobus auf »ein neues Thema« zu sprechen, denn die Verse 2,1 ff. sind mit 1,27 nicht nur traditionsgeschichtlich Element eines einzigen Motivfel des aus Sirach (vgl. oben), sondern sind insgesamt auch als erwei ternde Amplifikation des Motives »Mangel an richtiger Selbstein schätzung bei Armen und Reichen« aus 1,9-11 zu verstehen, jetzt aber nicht aus der Perspektive der Armen bzw. Reichen formuliert, sondern aus der Sicht der Gemeinde. Sie verhält sich unterschied lich gegen beide Gruppen (2-4); dies entspricht nicht dem Verhal ten Gottes (5), wohingegen spezifisch die Reichen — sie haben es wohl nötig! — eigens an ihr falsches Verhalten gegen die armen Mitchristen erinnert werden (6-7). Allen jedoch gelten der überschriftartige Appell in 2,1 sowie die Ausführungen in 2,8-13. Daß Jakobus von 2,1 ff. an verstärkt sozialethische und ekklesiale Pro bleme thematisiert, zeigt sich auch am Verbum diakrino: unter scheiden/entscheiden/zweifeln. Bezog Jakobus im Prolog das Verbum in l,6a.b im Sinne von »zweifeln« auf den einzelnen Christen als Subjekt der Handlung des Glaubens und Betens, so wendet er in 2,4a den Gedanken, da er das Verbum sozialethisch versteht. Sowohl im subjektiven wie im intersubjektiven Bereich ist die Haltung der Gespaltenheit zu bekämpfen. Glaube kann es nur ungespalten in der Ganzheit des Seins (l,4b.c.8) und in der Kon kretisierung des Glaubens durch das Werk (1,4a) geben. Kontextuell greift das Stichwort »Glaube« in 2,1b.5c auf den Begriff in l,3b.6a zurück. Die ungewöhnliche Wendung »Glauben
haben« (statt verbal »glauben«) korrespondiert der Wendung »ein vollkommenes Werk haben« in 1,4, wie auch die Rezeption beider Wendungen und ihre Korrelation in 2,14b.c.l7a, vor allem ihre direkte antithetische Parallelisierung in 2,18b belegt. Schon hier in 2,1 wie in 1,3 f. geht es Jakobus um den Erweis des Glaubens durch Werke, also muß man Glauben wie Werke zeigen, »haben«. Der Verzicht auf das Verbum »glauben« ist kontextuell an diesen Stellen (zum Verbum in 2,19.23 s. u.) sehr wohl überlegt. Die Verse 2,8d.l2a.l3b verbalisieren das Substantiv »Werk« in 1,4a — verbunden mit den Wortfeldern »erfüllen/vollkommen« in 2,8a und »ganz« in 2,10a in Rückgriff auf I,4a.b.l5b.l7a. Der Satz in 2,5d »das er denen verheißen hat, die ihn lieben« ist eine wörtliche Wiederholung von 1,12, die Vorstellung von den »Erben des Königtums« Gottes in 2,5c eine Variation zu der Wendung »Kranz des Lebens« in 1,12. Die Wendungen »das königliche Gesetz« in 8a und »das Gesetz der Freiheit« in 12b rekapitulieren deutlich die Wendung »das vollkommene Gesetz der Freiheit« in 1,25a. Des halb ist das Thema »Gesetz« in 2,8a.9c.l0a.lld.l2b zwar nicht vom Prolog, wohl jedoch von der ersten kleinen Texteinheit (1,1927) thematisch vorbereitet. Hingegen wird das Thema »Sünde« in 2,9b nicht nur stichwortmäßig in l,15a.b, sondern auch inhaltlich in der kleinen Digressio in 1,13-17 breit vorbereitet. Der Gedanke, Gott zu lieben (2,5d), aber gleichzeitig auch (mit dem Dekalog) den Nächsten zu lieben (2,8b), entspricht der Einheit von Gottes bild und Menschenbild im Prolog und im gesamten Jakobusbrief (vgl. den Exkurs nach 1,18). Dazu paßt der Gedanke des Gerichtes in der kleinen Einheit 2,1-13; wird er in 2,4b und 6c zwischen menschlich-weltlich verstanden, so in 2,12b und 13a.c eschatologisch-theozentrisch. Gerade der abschließende Vers bindet unübersehbar Gottes- und Nächstenliebe aneinander. Auch dieser letzte Vers steht daher nicht »ohne jeden sachlichen Zusammen hang« (Dibelius 158), vielmehr entspricht der Vers von seiner Funktion her formal exakt dem Vers 1,12 im Prolog, zum anderen macht er deutlich, daß Jakobus sozialethische Fragen coram deo versteht. Da Jakobus auch in diesen Versen christliche Existenz als Existenz im »Werden« versteht (zum Stichwort vgl. 2,4b. 10c.lld), ist als Abschluß der Hinweis auf das Gericht nur konsequent. Insgesamt erweisen sich die Verse »als ein relativ geschlossener Block« (Trocme 668). Daß dieser eschatologische Ausblick auch in der griechischen, nicht in der hebräischen Ausgabe von Jesus Sirach gut belegt ist (vgl. Di Lella 145f.; Fang Che-Yong 37-54), bestärkt nur noch die
These von der Kongruenz der vorgetragenen Gedanken. Im übri gen ist die theozentrische und christologische Perspektive in 2,1-13 unbestritten. In 2,5b wird »Gott« direkt als Subjekt genannt, im übrigen wird er in 2,5c.d.8b.lla.b.l2b.l3a als Handelnder, näm lich als Gesetzgeber und Richter, vorausgesetzt, wobei auch das Stichwort »Gesetz« im biblischen Verständnis eine theozentrische Substruktur hat. Der Begriff kyrios: Herr in 2,1c nimmt 1,1a auf; dies gilt auch für das christologische Bekenntnis »Jesus Christus« (ebd.). In jeder Beziehung sind die Verse 2,1-13 kontextuell auf grund vielfacher anaphorischer Elemente eingebunden, bilden jedoch deutlich in sich eine kleine literarische Einheit. Formkritisch sind die Verse wie der ganze Jakobusbrief vom antithetischen Parallelismus geprägt. Wie in 1,19 steht auch hier im ersten Vers überschriftartig die Hauptopposition: Ansehen von Personen-christlicher Glaube, menschliches Ansehen—Herrlich keit Jesu Christi. Der Appell »meine Brüder« markiert wie häufig im Brief den Beginn einer kleinen Einheit und eines neuen Themas (1,2.19; 2,14; 3,1; 5,7). Die ganze Gemeinde ist angesprochen. In den folgenden Versen wird sie gruppenspezifisch differenziert. Geht es in 2-4 um das unsachgemäße Verhalten von ärmeren zu reicheren Christen, so in 5-7 um die umgekehrte Perspektive. Ab Vers 8 sind wiederum alle als solidarische Gruppe angesprochen — unter der Autorität der Schrift (8c) und in Erwartung des Gerichtes (13): Unbarmherziges Verhalten und Ansehen von Per sonen, ob dies nun arme oder reiche Christen praktizieren, sind gerichtsrelevant. Durch die Wiederaufnahme der Stichworte »Glauben« in Vers 5 und »Ansehen von Personen« in Vers 9 erweist sich der Text thematisch als Einheit, wobei hier wie dort weitere Oppositionen angereichert werden, so daß insgesamt unter semantischen Aspek ten ein antithetisch gegliedertes, reich strukturiertes Wortfeld ent steht. Die Hauptbegriffe von Vers 1 werden näherhin entfaltet durch die Opposition: reicher-armer Mann (2-4.5-7), die — unter Voraussetzung des christlichen Glaubens — antithetisch gewendet wird (5: vor der Welt Arme-Reiche im Glauben). Weitere Oppo sitionen — um nur die thematisch wichtigen zu nennen — sind in 9f.: Gesetz übertreten-Gesetz halten, in 10f.: das ganze Gesetz halten-sich in einem Gesetz verfehlen, in 12 (als Rückgriff auf die Hauptopposition aus 1,19ff.): Reden-Handeln, in 13: erbar mungsloses Gericht-Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Zu überlegen ist auch, ob nicht der Begriff doxa: Anse hen/Ehre/Machtglanz/Herrlichkeit in 2,1c als christologisches
Würdeprädikat, das durchaus auch im N T im nichtreligiösen Sinn belegt ist und in der Umwelt generell im Sinne von »Ansehen, Geltung, Ehre« eines Menschen verstanden wurde, nicht nur in Opposition steht zum Ansehen Jesu Christi als Herrn in seiner Herrlichkeit, sondern auch zu der Aussage in 2,6a, wonach die reicheren Christen durch ihr unsolidarisches Unterscheiden von Personen aufgrund deren äußeren Ansehens den Armen ihre an sich von Gottes Ordnung zukommende »Ehre« genommen haben, sie entehrt haben. In lb.c liegt aber die weitergehende Antithese mit theo-logischer Brisanz vor. Danach ist ein innerchristliches, gemeindliches Fehlverhalten der Reichen zu den Armen und der Armen zu den Reichen ein Widerspruch in sich, da dadurch der christliche Glaube pervertiert wird und letztlich Jesu Christi »Herrlichkeit/Ansehen/Ehre« geleugnet wird. Wenn alle in glei chem Maße von Gott gewollt sind (1,18), er alle »durch das Wort der Wahrheit geboren hat« (1,18) und ihnen das Wort eingepflanzt hat (1,21), alle Gottes Ebenbild sind (3,9), darf es bei den Adressa ten keine »Bevorzugung« aufgrund weltlicher Güter oder gar von Kleidung geben. Dies ist für Jakobus kein Problem, das nur alltägliche Gepflogenheiten betrifft, er sieht darin — und das ist typisch für ihn — ein Defizit im christologischen und theozentrischen Glauben. Bewußt wird Jakobus offene Begriffe gewählt haben, jedoch ist eindeutig, daß das kritisierte angeblich christliche Verhalten mit dem Sein Jesu Christi und dem Verhalten Gottes nicht übereinstimmt (vgl. die Verweise auf die Schrift). Wie im Prolog leitet Jakobus auch hier das Sein und Handeln der Christen aus dem Sein und Handeln Gottes ab (s. u. zu 5b-d). Der Text ist also formal klar gegliedert: Nach dem antithetisch formulierten Thema in 2,1 folgen wie in 1,5ff. in 2,2-3 und 2,5-7 zwei Beispiele aus dem konkreten Gemeindeleben für die Unsin nigkeit einer vielleicht für möglich gehaltenen Synthese von Vers 1. Den Abschluß bildet in Vers 4 eine rhetorisch wirkungsvolle Frage. In 2,5 wird die bisherige Perspektive der Armen theozentrisch transformiert zur Perspektive der Reichen. Dieser Vers ist wie derum als rhetorische Frage formuliert. Daraus ist zu schließen, daß Jakobus bei den Adressaten katechetisches Grundwissen (zu weiteren fraglosen Glaubenskenntnissen der Adressaten s. u. zu 5,7-20) voraussetzt (was gegen eine Charakterisierung des gesam ten Jakobusbriefes als Neophyten-Belehrung — so Popkes — spricht ebenso ist daraus zu schließen, daß die Reichen als reiche Christen anzunehmen sind, da denen, die die Armen entehrt haben (6a), nur dann die schriftgelehrte Argumentation der Verse
8-11 einleuchtet, wenn sie grundsätzlich mit den Anforderungen der Schrift übereinstimmen und danach leben wollen. Konsequen terweise steht in 12a der Imperativ zu einem ganzheitlichen, unge spaltenen Reden und Handeln; die Ernsthaftigkeit wird in 13a begründet (»denn«) mit dem Hinweis auf das Gericht. Aufgrund der semantisch oppositionellen Struktur dieser Verse kann das Thema nicht — wie oft angenommen — lauten: Bevorzu gung und Ansehen von Reichen bzw. Personenkult, vielmehr geht es grundsätzlich um das Ansehen von Personen (Arme und Reiche in der Gemeinde). Wie in 1,9-10 der arme und der reiche Mitchrist angesprochen waren hinsichtlich einer nichtvorhandenen sachge rechten Selbsteinschätzung, so geht es auch in 2,1-13 um eine grundsätzliche falsche Haltung der Gemeinde und der reichen und armen Christen in der Gemeinde, die aufgrund falscher Rück«sieht«, aufgrund ihres Urteils nach dem Äußeren der Gemeinde mitglieder zu falschen Konsequenzen in der Einstellung und im Handeln gelangen. Jakobus plädiert für eine geschwisterliche Soli dargemeinschaft.
1. Der Glaube an Jesus Christus und das Ansehen von Personen (2,1) Literatur: S. o. beim Exkurs nach 1,6a. Zur Christologie des Jakobus insgesamt vgl. die Literatur beim Exkurs nach 2,1. Außerdem: Berger, K., prosopolempsia parteiliche Bevorzugung, in: E W N T 3(1983) 433-435.
- Brinktrine, J., Zu Jak 2,1, in: Bibl 35(1954) 40-42. - Brockington, LH., The Septuagintal Background of the New Testament Use of doxa, in: Studies in the Gospels. In Memory of R. H. Lightfoot, Oxford 1955, 1-8. - Hegermann, H., doxa Ansehen, Ehre; Machtglanz, Herrlichkeit, in: E W N T 1(1980) 832-841. - Held, HJ., Glaube ohne »Ansehen der Person«. Zu Jakobus 2,1-13, zugleich ein biblischer Beitrag zum Thema Diskriminierung, in: Zukunft aus dem Wort. FS H. Class, Stuttgart 1978, 209-226. - Lohse, E., prosopon u.a., in: T h W N T 6(1959) 769-781.
- Weinfeld, M., kabod, in: ThWAT 4(1984) 23-40. - Westermann, C., 3
kbd schwer sein, in: ThHWAT 1( 1978) 794-812.
lb: Beachtet man das gesamte semantische Feld in 2,1-13, so läßt sich der Begriff prosopolempsia in l b in Verbindung mit dem Gerichtsgedanken in 4b und 12b.l3a.c durchaus mit parteiliche Bevorzugung übersetzen. Das Gericht als genuiner »Sitz im Leben« für diese Wendung bestätigt auch der Vers 9c (»als Über treter überführt werden«). Auch der Hinweis ebd. auf das Gesetz
gibt den traditionsgeschichtlichen Ort exakt an. Verlangt doch die Tora in Lev 19,15: »Ihr sollt in der Rechtsprechung kein Unrecht tun. Du sollst weder das Ansehen des Armen (lempse prosopon ptochou) beachten noch das Ansehen eines Mächtigen bewundern; in Gerechtigkeit sollst du deinen Nächsten richten.« Unparteilich keit und Unbestechlichkeit fordert die Tora von jedem menschli chen Richter. Diese Stelle ist traditionsgeschichtlich von um so größerer Bedeutung, da Jakobus in 2,8b Lev 19,18 zitiert (»Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«). Hier läßt sich noch nachempfinden, wie Jakobus den theozentrisch formulierten Gedanken aus Sir 35,12-18 (vgl. oben zu 1,27) aufgrund von Lev 19,15 anthropozentrisch transformierte. Daß der Text aus Sirach mit seinen übrigen Versen für Jak 2,1-13 als Tradition prägend war, ist im einzelnen nachzuweisen: 35,11 Suche den Herrn nicht zu bestechen, denn er nimmt<s nicht an, und stütze dich nicht auf ein ungerechtes Opfer. 12 Denn der Herr ist Richter (kyrios krites), und bei ihm gilt kein Ansehen (doxa) der Person (prosopou). 13 Nicht nimmt er Partei (prosopon) gegen den Armen (ptochou), und das Gebet dessen erhört er, dem Unrecht geschah. 14 Nicht übersieht er das Flehen der Waise (orphanou) und die Witwe (cheran), wenn sie ihre Klage vor ihm ausschüttet. 15 Strömen nicht die Tränen der Witwe über ihre Wange, und wendet sich ihr Hilferuf nicht wider den, der sie verursacht? 16 Wer dem Herrn dient, wie's ihm wohlgefällt, wird ange nommen, und sein Gebet dringt bis zu den Wolken empor. 17 Das Gebet des Elenden dringt durch die Wolken, und eh es nicht ans Ziel kommt, läßt er sich nicht trösten. 18 Und er läßt nicht davon ab, bis der Höchste dreinsieht und den Gerechten Recht schafft (krinei) und Gericht (krisin) h ä l t . . . , 22 bis er dem Menschen nach seinem Tun vergilt und die Werke der Menschen nach ihren Absichten heimzahlt;
23 bis er richtet (krine) und Recht schafft (krisin) seinem Volk und sie erfreut durch sein Erbarmen (eleei). 24 Lieblich ist sein Erbarmen (eleos) zur Zeit der Not, wie Regenwolken in der Zeit der Dürre. Daß Gott nicht nach dem Ansehen von Personen richtet, ist ein in der Bibel vielfach belegter Gedanke (vgl. Dtn 10,17; 2 Chr 19,7; Sir 32,17); er wird in der weiteren jüdischen (vgl. Jub 5,16; 21,4; 33,18; PsSal 2,18; äthHen 63,6; syrBar 13,8; 44,4; Testljob 4,8; 43,13; AntBibl 20,4; Ab 4,22) und christlichen Literatur (Gal 2,6; Eph 6,9; Kol 3,25; Apg 10,34; 1 Petr 1,17; Polyk 2 Phil 6,1; Barn 4,12; zu weiteren Stellen dieses Wortfeldes vgl. Berger 433 f.) sehr breit rezipiert. Allerdings begegnet das Substantiv prosopolempsia erst im Neuen Testament (Rom 2,11; Eph 6,9; Kol 3,25; Jak 2,1), wobei nur Jakobus den Begriff vom menschlichen Verhalten aus sagt, während alle anderen Stellen die Unparteilichkeit Gottes betonen. Dies dürfte mit dem redaktionellen Interesse des Jakobus zusammenhängen, das Handeln der Christen in Korrelation zum Handeln Gottes zu setzen; hier dürfte auch das Motiv liegen, die theozentrische Aussage in Sir 35,12-18 mit Lev 19,15 anthropolo gisch zu wenden. Erst im abschließenden Vers 13 lenkt Jakobus zur göttlichen Perspektive zurück. Die Grundthese in l b ist klar: Der Glaube, so wie ihn Jakobus nach 1,3.6 als christliche Grundhaltung versteht, schließt die — bei den Adressaten wohl praktizierte — Haltung des unterschiedlichen Ansehens der Personen je nach ihrem Stand aus. Weder dürfen Reiche bevorzugt, noch Arme benachteiligt werden. Wo Waisen und Witwen letzteres geschieht (s. o. zu 1,27b), ist nach Sir 35,12-18 Gott selbst derjenige, der sich für diese Armen parteilich engagiert. Was dort theozentrisch begründet wird, formuliert Jakobus in 2,1c christologisch; wird dort in 35,12 grundsätzlich betont, daß es bei Gott »nicht die doxa: Ehre/Ansehen des Gesichts gibt«, womit aufgrund der Antithese im nächsten Vers (»Er nimmt nicht Partei gegen den Armen«) Ansehen und Ehre des Reichen gemeint ist, knüpft Jakobus in 2c bewußt an die theologi sche Neufüllung des Begriffes in der Septuaginta an, die entspre chend dem hebräischen kabod »göttliche Herrlichkeit/göttlicher Machtglanz« bedeutet (zur Begründung vgl. Hegermann 833 f.). l c : Beachtet man diesen biblischen Kontext, so wird mit der Wendung »Herr der Herrlichkeit« ein Gottesprädikat (vor allem in äth Henoch belegt: 22,14; 40,3; 63,2f.; vgl. Sputa 4 und IV) auf
»unseren Herrn«, der für die Adressaten gemäß des Präskriptes in 1,1 der »Herr Jesus Christus« ist, übertragen. Demnach wird das Herrsein Jesu Christi durch den genetivus qualitatis »der Herrlich keit« theozentrisch qualifiziert, da die Herrlichkeits-Prädikation Gottes (die im übrigen auch durchgehend im N T belegt ist: Lk 2,14; 19,38; Offb 4,9) auf Christus übertragen wird (vgl. Hebr 13,21; 1 Petr 4,11; Offb 5,12f.). Formuliert Lukas in Apg 7,2 »Gott der Herrlichkeit«, so Paulus und Jakobus »Herrn der Herr lichkeit«, womit aber Jesus Christus gemeint ist (1 Kor 2,8; Jak 2,1). Um diese Identität unzweifelhaft festzuhalten, nimmt Jako bus den in der Tat von Genetiven überladenen Vers 2,1c in Kauf. Aus dogmatischen Gründen deswegen eine christliche Interpola tion anzunehmen (so Sputa, Massebieau, Meyer, Windisch u. a.; vgl. Dibelius 158-161), ist abzulehnen, zumal damit sowohl die These einer ursprünglichen, rein jüdischen Abhandlung verbunden ist wie die andere, daß dem Jak grundsätzlich die theologische Ausrichtung fehlt. Beide Auslegungen lassen sich bei einer Deutung des Jakobusbrie fes als weisheitlich orientiertes und strukturiertes christliches Schreiben nicht durchhalten. Der nachfolgende Exkurs zur Chri stologie des Jakobusbriefes wird seinen glaubensgeschichtlichen Ort im Kontext von Stellen wie 1 Kor 2,8; Tit 2,13; Joh 1,14; 13,31 f.; 17,4; 1 Petr 4,13 und 5,1 näher skizzieren. Fragt man nach der kontextuellen Funktion dieser Bekenntnisaussage in 2,1c, ist an die semantische Opposition »Herrlichkeit Jesu Christi« — das übliche weltliche Ansehen der Reichen (s. o.) zu erinnern. Auch an dieser Stelle bestätigen sich das Prinzip der funktionellen Opposi tionen und die Inhaltsanalyse in unterscheidende Züge als konstitu tiv für das Thema im gesamten Jak, dem die formale Gestaltung dient (zur Begründung s. Einleitung 2.4b). Wie in 1,19-27 die »reine und unbefleckte Frömmigkeit« (27a) nicht kultisch, sondern sozialethisch interpretiert wurde, so wird auch in 2,1-4 ein wirklich christologisches Bekenntnis daran gemessen, ob es außer dem einen »Herrn der Herrlichkeit« in der Gemeinde noch andere »Herren« gibt. Wenn Gott und Jesus Christus allein die »Ehre« gebührt (vgl. die Verpflichtung zum Monotheismus im ersten Gebot des Deka logs und den Verweis darauf in Jak 2,19 und 4,12), sind alle anderen »heiligen Herrschaften/Hierarchien«, etwa von »PfarrHerren«, aber auch politische und kirchliche wie auch theologisch wissenschaftliche nicht akzeptabel. Sicherlich richtet Jakobus sich auch gegen die »Herrlichkeit« der Reichen, die sich selbst oder die andere auf den Sockel setzen, gibt es doch immer wieder Menschen
(Jakobus kritisiert auch dies), die solche Herren meinen haben zu müssen und sie dazu machen. »Frömmigkeit« im Sinne des Jakobus (s. o. 1,27) erkennt nicht nur die Ehre Gottes und Jesu Christi an, vielmehr muß diesem Bekenntnis (dies ist nicht nur die Folgerung in 2,19 mit Kontext) ein entsprechender Gottesdienst im zwischen menschlichen Verhalten (1,19-27) entsprechen. Der sozialethisch orientierte Gottesdienst des Jakobus schließt — im Namen Got tes — jegliche qualitative Unterscheidung bei denen, »die nach Gottes Bild geworden sind« (3,9c), aus. Diesen theologischen Lehrsatz illustrieren die Beispiele in den Versen 2-4 und 5-7 überdeutlich, wobei das erste aus der Perspektive der Armen (sie verhalten sich gegenüber den reichen Christen falsch), das zweite aus der Perspektive der Reichen (sie verhalten sich gegenüber den armen Christen falsch) formuliert ist.
Exkurs 7: Die Christologie des Jakobus Literatur: Vgl. oben bei 2,1; außerdem: Burchard, Chr., Zu einigen christologischen Stellen des Jakobusbriefes, in: Anfänge der Christologie. FS F. Hahn, Göttingen 1991, 353-368. - Fitzmyer,]. A., kyrios Besitzer, Herr, in: E W N T 2(1981) 811-820 (Literatur). - Karrer, M., Christus der Herr und die Welt als Stätte der Prüfung. Zur Theologie des Jakobusbriefs, in: KerDog 35(1989) 166-187. - Mußner, Jakobusbrief 250-254. - Schräge, W., Der erste Brief an die Korinther I, Zürich u . a . 1991. - Thüsing, W., Gott und Christus in der paulinischen Soteriologie. I. Per Christum in Deum. Das Verhältnis der Christozentrik zur Theozentrik, Münster 1986. Zum Verhältnis des Jakobusbriefes zu frühen Jesus-Traditionen: Mayor L X X X V - X C . - Mußner 47-53. - Außerdem: Davids, P. H, James and Jesus, in: Wenham D. (ed.), Gospel perspectives 5. The Jesus Tradition outside the Gospels, Sheffield 1985, 63-84. — Eleder, F., Jakobusbrief und Bergpredigt, masch. schriftl. Diss. Wien 1964, 42-188. - Gryglewicz, F., Le'Epitre de St. Jacques et le'Evangile de St. Matthieu, in: Roczniki Theologiczno-Kanoniczne 8(1961) 33-55. - Hartin, P.J., James and the Q Sayings of Jesus, Sheffield 1991. - Hoppe, Hintergrund 119-145. - Kittel, G., Der geschichtliche Ort des Jakobusbriefes, in: Z N W 41(1942) 71-105. — Moulton,]. H., The Epistle of James and the Sayings of Jesus, in: Expositor 7(1907) 45-55. - Popkes, Adressaten 136-188. - Shepherd, M. H., The Epistle of James and the Gospel of Matthew, in: J B L 75(1956) 40-51. - Tulling, W., Die Wahrheit von Jesus-Worten in der Interpretation neutestamentlicher Autoren, in: Ders., Studien zur Jesusüberlieferung, Stuttgart 1988, 141-164 (die Festschrift für Trilling »Christus bezeugen«, hrsg. v. K. Kertelge u. a., Leipzig 1989, führt in verschiedenen Aufsätzen 3
diesen hermeneutischen Ansatz weiter; vgl. ebd. 193-207 vor allem den Beitrag von / . D. G Dünn, Paul's Knowledge of the Jesus-Tradition. The Evidence of Romans). — S. u. zu 5,12 auch die Literatur zum Schwurver bot mit der Parallele in Mt 5,33-37 sowie die Literatur zum Exkurs 6 nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit«. Seit Luthers »Vorrede auff die Episteln S.Jacobi vnd Jude« in der Septem berbibel von 1522 ist das Urteil protestantischer Theologen über die angeblich fehlende Christologie im Jakobusbrief bis heute vorgeprägt. Seine Worte zum Unterschied des Jakobusbriefes und den übrigen Schriften des NT (»Vnd darinne stimmen alle rechtschaffene heilige Bücher vber eins, das sie alle sampt Christum predigen vnd treiben. Auch ist das der rechte Prüfestein alle Bücher zu taddeln, wenn man sihet, ob sie Christum treiben oder nicht«) wurden und werden nicht nur oft zitiert, sondern auch zum Maßstab genommen (zu Luther und den übrigen Reformatoren s. o. die Einleitung 2.6d und e). Zudem: Wer Jakobus überhaupt keine Theologie zubilligt (wie etwa Dibelius 36-39), oder nur gewisse »Anzeichen christli chen Glaubens« (ebd. 39) im Licht der paulinischen Soteriologie betrachtet, muß den Jakobusbrief »aufgrund seines schweren christologischen Defi zits« (so Hengel, Jakobusbrief 278 Anm. 104) in seiner Eigenständigkeit abwerten und mißverstehen. Doch auch bei den Autoren, die den Jakobus brief als Mahnschreiben aus weisheitlich-theologischer Sicht verstehen (s. o. den Exkurs 5 nach 1,18: Anthropologie und Theo-logie), impliziert diese theozentrische Perspektive die These, daß »eine Christologie fast völlig ausscheidet« (Schnackenburg, Botschaft II 198) oder die christlichen Aspekte nur auf den der Annahme der Taufe auf den Namen Jesu reduziert werden, wobei die Eigenart der Theologie des Jakobus nicht als Indikativ, sondern als Imperativ verstanden wird (Luck, Theologie 16-18). Erst in neuerer Zeit wurden auf katholischer (Mußner) und evangelischer Seite (Burchard, Karrer) die bisherigen konfessionellen Vorgaben hermeneutisch reflektiert, kritisiert und korrigiert, so daß Burchard Karrer darin zustimmt, »daß Jakobus eine profilierte Christologie. hat und daß sie wichtig ist« (367), wobei aber in der Deutung keine Ubereinstimmung festzustellen ist. Während diese Autoren primär bei den Titeln in 1,1 und 2,1 ansetzen, versteht Mußner den Jakobusbrief auch als Zeugnis einer »indirekten« Christologie, da sein Verfasser wie andere frühe Jesustraditio nen (etwa in der Logienquelle) »in einer ganz besonderen Weise die ethischen Forderungen Jesu zur Geltung bringt« und »dadurch in Wahrheit >Christum treibet<« (46f.; vgl. 250-254). Wie läßt sich aufgrund der eigenen Beschäftigung mit dem Jakobusbrief seine christologische Konzeption umschreiben? Vorab sei auch in diesem Exkurs daran erinnert, was für die theo-logische Konzeption des Jakobus schon entscheidend war (s. o. den Exkurs nach 1,18) und parallel zum umstrittenen theologischen Ort der Weisheit Israels im AT (vgl. dazu Lux, Ort der Weisheit 533-535) gilt: Jede Glaubenskon zeption — aus welcher Zeit und welcher Situation sie auch immer stammt —
ist zunächst in sich zu würdigen, bevor sie mit anderen verglichen werden kann. Dabei kann ein solcher Vergleich nicht zum hermeneutischen und inhaltlichen Maßstab für andere hochstilisiert werden. Was für die Weis heitsliteratur im Verhältnis zu den Geschichtsbüchern gilt, gilt auch für Jakobus im Verhältnis zu Paulus oder für Paulus im Verhältnis zu Jesus: »Häufig wird so vorgegangen, daß zunächst einmal kurz resümiert wird, wovon die Weisheit nicht redet, um auf diesem Hintergrund ihr dann das Wort zu erteilen ... Wer solch einen Defizitkatalog an den Anfang einer Untersuchung stellt, präjudiziert damit in ganz bestimmter Weise das Verständnis des Gegenstandes seiner Untersuchung. Er erweckt den Ein druck, daß von all dem eigentlich die Rede sein müsse. Und so wird die Weisheit ihren entscheidenden Mangel eben nicht mehr los« (Lux 533). Noch deutlicher sind die Worte, die W. G. Kümmel zum paulinischen Vorurteil in der Literatur hinsichtlich der Deutung Jesu macht: »Den Paulus ... zum Maßstab für die Botschaft Jesu zu machen, ist nicht nur historisch und theologisch grotesk, sondern das Ende jeder christlichen Theologie« (in: ThR 41, 1976, 295-363, ebd. 347f.). Dies bedenkend sei die Christologie des Jakobus positiv entfaltet. Vom ersten Vers an ist der Jakobusbrief ein theozentrisches und christologisches Schreiben. Die Wendung »Jakobus, Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« ist hermeneutisch die Leseanleitung für den ganzen Brief und in dieser Funktion entsprechend zu würdigen. Wie für die Theo-Iogie (s. o. den Exkurs nach 1,18) gilt dies auch für die Christo-logie, d. h. die christologische Aussage ist ganz in ihrer Hinordnung auf die theozentrische Aussage zu verstehen, da die grammatisch mögliche, theologiegeschichtlich sich nicht nahelegende und von der Gesamtstruktur des Briefes auszuschlie ßende Deutung, auch die Gottes-Prädikation würde sich auf Jesus Christus beziehen (so als Ausnahme Vouga 31.36), abzulehnen ist. Nicht zuletzt der strenge Monotheismus, den Jakobus vertritt und als einziger im Neuen Testament (so mit Recht Karrer 170) in 2,19 mit der Glaubensformel einleitet (»Du glaubst: >Es gibt einen einzigen Gott«<), woran er in 4,12a (»ein einziger ist Gesetzgeber und Richter«) rückerinnert, wie auch die Syntagmen von »Gott und Vater« (1,27a), »Herrn und Vater« (3,9), »von oben vom Vater« (1,17) und die damit rezipierten schöpfungstheologi schen und geschichtstheologischen Aussagen bestätigen, daß Jakobus beim Begriff »Gott« (vgl. 1,5.13.20.27; 2,5.19.23; 3,9; 4,4.6.7.8) nicht an Jesus Christus, sondern im strengen bibeltheologischen Sinn an den einen Gott denkt. Dies entspricht auch dem Gesetz der Amplifikation im gesamten Jakobusbrief, wonach Begriffe aus dem Prolog im Verlauf des Briefes aufgegriffen und differenziert werden. Für die Christologie bedeutet dies: Wenn Jakobus sich im Präskript als »Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« versteht (was in dieser Verbindung nur hier im N T belegt ist), bindet das endbetonte Nomen »Knecht«, wodurch der Verfasser sein Selbstverständnis und seine Autori tät umschreibt (zur traditionellen Motivik s. o. bei 1,1), die Auftraggeber ganz eng zusammen - bei Wahrung der Differenz. Jesus Christus als
»Herr« gehört ganz zu Gott, mehr noch: In ihm hat sich Gott als der in der Schrift geglaubte Herr geoffenbart; und: Jesus Christus gehört als Jesus ganz auf die Seite der Menschen. Damit knüpft Jakobus im ersten Vers seines Briefes an elementare urchristliche Glaubenstraditionen an, ohne diese zu explizieren. Dies setzt voraus: Jakobus weiß, wovon er redet, er weiß aber auch, was er bei den Adressaten voraussetzen kann: nicht nur die in allen Schriften des N T belegte Kurzformel des christlichen Glaubens »Jesus Christus«, son dern auch den überall im N T (außer Tit und 1-3 Joh) belegten Titel »Herr« für Jesus Christus; Stellen erübrigen sich (vgl. Fitzmyer 817f.). Ähnlich wie beim Gottesbild kann Jakobus auch in der Christologie die Adressaten abholen, da der Glaube daran, daß Gott in Jesus Christus gewirkt und an ihm gehandelt hat, bei Christen unumstritten war, wie immer man im einzelnen diesen Glauben konkretisierte. In monotheistisch glaubenden, aramäisch und griechisch orientierten jüdischen und judenchristlichen Gemeinden war darüber anders zu sprechen als in polytheistisch orientier ten, heidenchristlichen Gemeinden. Auch wenn Jakobus die Zuordnung von Gott und dem Herrn Jesus Christus nicht weiter inhaltlich entfaltet, ist schon ihre unaufhebbare Beziehung zueinander in 1,1, sind dann aber die weiteren Stellen zu ihren parallelen Funktionen (s. u.) ein Zeichen dafür, daß Jakobus — wie Paulus — den strengen Jahwe-Monotheismus (vgl. Jak 2,19; 4,12a mit 1 Kor 8.4.6; Rom 3,30) mit seinem Christusglauben, näherhin mit dem Glauben daran, daß auch Jesus Christus der »Herr« ist, verbindet. Ob er — analog zu Paulus — bemüht ist, hinsichtlich Theozen trik und Christozentrik »die Spannung wieder >aufzuladen«< (Thüsing X X X I V ) , sei dahingestellt. Auf jeden Fall bezeichnet der Titel »Herr« bei Jakobus den auferstandenen Christus, er »impliziert, daß der erhöhte Jesus Gott/Jahwe gleichgestellt ist« (Fitzmyer 817). Bleibt im Präskript (primär wohl wegen der Knappheit der Formulierung) nicht nur die Frage nach dem näheren Inhalt des Herrseins Jesu und seiner Beziehung zu Gott als Herrn offen, so wird diese Leerstelle ansatzweise im Epilog (5,7-20) gefüllt. Dies entspricht der grundsätzlichen Anlage des Briefes, daß zu Beginn anklingende Gedanken später amplifiziert werden (vgl. auch das Verhältnis vom niedriggestellten und reichen Christen in 1,9; s. o. den den Exkurs nach 1,11). Wie sehr Jakobus das Sein Gottes als »Herr« mit dem Sein Jesu Christi als »Herr« zusammendenken kann, zeigt die weitere theozentrische Verwendung dieses Begriffes in 1,7; 3,9; 4,10.15; 5,4.10.11a.b sowie die christozentrische Verwendung neben 1,1 in 2,1; 5,7.8.14.15 (zur Begründung vgl. die Auslegung an den einzelnen Stellen). Mag Jakobus auch an der einen oder anderen Stelle die Bedeutung in der Schwebe lassen (so schon in 1,7, wo aufgrund der Rezeption weisheitlicher Traditionen aber wohl theozentrisch gedacht wird), so dürfte hier ein bewußtes Vorgehen vorliegen. Er wehrt für seine Adressaten eine falsche Alternative ab, die sich später in der Christentumsgeschichte aufgrund einer christologisch verengten Entwicklung oft aufdrängte. Gerade Jakobus hält am strengen Monotheismus fest (s. o.), seine Theologie ist zudem primär
weisheitlich geprägte Theo-Iogie; alle Aussagen christologischer Art sind seinem Bekenntnis zu Gott als »Vater« (1,17.27; 3,9) einzuordnen. Wie Jakobus sich dieses gedacht hat, muß offenbleiben. Wesensspekulationen sind ihm fremd. Dennoch zeigt gerade die Verwendung des Titels »Herr« im weiteren Brief die »Unaufteilbarkeit des Herrn«, da Jakobus »nicht gleichermaßen als Diener zweier Herren, sondern Knecht Gottes als Knecht Jesu Christi« (Burchard 360) ist. Sicherlich, dies sind Versuche der Annäherung an das, was Jakobus gemeint haben könnte. Daß ein solcher theologischer Spitzensatz im Präskript literarkritisch getilgt (so Spitta 8 ff. und Meyer 123) oder in seiner Bedeutung fast ganz verschwiegen wird (so Dihelius 93), verkennt in jedem Fall das Anliegen des Jakobus grundlegend. Dies gilt auch für die Rekapitulation und Explikation des christologischen Glaubens in 2,1, wo die Adressaten erneut aufgrund ihres Glaubens als christliche Bruderschaft (zum Begriff »Brüder« vgl. auch 1,2.9.16.19) angesprochen werden und wo der Glaube »an unseren Herrn, Jesus Chri stus« als konstituierende Basis dieser Gemeinschaft bestimmt wird. Der Vers 2,1c ist jedoch nicht nur eine um das Personalpronomen erweiterte Wiederholung von 1,1b, Jakobus verdeutlicht in seiner Amplifikation auch das dortige Bekenntnis zum »Herrn Jesus Christus«, das er wahrscheinlich als Einheit versteht, um den Begriff »der Herrlichkeit«. Dadurch wirkt der Satz — wie oft festgestellt wurde — von Genetiven überladen, da syntak tisch-grammatisch der letzte Genetiv sowohl auf den Begriff »Glaube« (»Glaube an unseres Herrn Jesu Christi Herrlichkeit«) wie als Apposition zu »Herrn« zu verstehen ist (»Glaube an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit«). Syntaktisch sind verschiedene Deutungen möglich (vgl.
den Überblick bei Mayor, Dihelius u. a.; zuletzt: Burchard 354-359). Aus semantischen, formkritischen und kontextuellen Gründen dürfte die letz tere Deutung am ehesten zutreffen: Jakobus hat das Bekenntnis aus 1,1 aufgenommen und ergänzt mit dem Ziel, eine deutliche Antithese zum christlichen Fehlverhalten in 2,1 zu formulieren, wobei er aber — wie überall im Brief — ein zwischenmenschliches Fehlverhalten als Fehlverhal ten vor Gott, hier vor Jesus Christus entlarvt. »Ansehen von Personen«, das im AT und N T in der verneinten Formulierung immer von Gott aus gesagt wird (Gott richtet nicht nach dem Ansehen von Personen), das Jakobus aber als Fehlverhalten bei seinen Adressaten kritisiert, kontrastiert er zum christlichen Bekenntnis zur doxa, »zum Ansehen/zur Ehre/zur Herrlichkeit« des erhöhten Christus. Dabei wendet Jakobus — umge kehrt — diesen Begriff, der etwa durchgehend sehr häufig bei Jesus Sirach anthropologisch verwendet wird, christozentrisch. Dies ist bemerkenswert, da Jakobus im Kontext des christlichen Glaubens auch weisheitliche Vor stellungen durchbrechen kann, womit er aber durchaus an Aussagen zur kabod/doxa: Ehre Gottes im AT und N T (s. o. zu 2,1) anknüpft. Der Glaube an Jesus Christus, den Erhöhten, an sein »Ansehen/an seine Herrlichkeit« widerspricht dem in der Gemeinde praktizierten Ansehen von Menschen aufgrund äußerer »Herrlichkeit/Ehre« durch Reichtum und sozialen Status.
Auch traditionsgeschichtlich legt sich dieses gedankliche Vorgehen des Jakobus nahe (Rezeption weisheitlicher Traditionen und deren Transfor mierung durch das theozentrische und christozentrische Bekenntnis), wenn man Sir 35,11-18 als Vorlage annimmt: 12 Denn der Herr (kyrios) ist Richter (vgl. Jak 4,12), und bei ihm ist kein Ansehen (doxa) der Person (prosopou). 13 Nicht nimmt er Partei (prosopon) gegen den Armen (ptochou; vgl. Jak 2,2.3.5.6), und das Gebet dessen erhört er, dem Unrecht geschah. 14 Nicht übersieht er das Flehen der Waise und die Witwe (vgl. Jak 1,27b), wenn sie ihre Klage vor ihm ausschüttet. Wenn Jakobus hier wie im Epilog beim Begriff »Herr« (s. o.) die theozen trische (ab 2,5 ff.) und die christozentrische Perspektive ineinanderfließen läßt, ist dies für die Christologie nicht ohne Bedeutung, betont diese Stelle doch noch einmal die enge Verbindung von Christologie und Theo-logie. Fragt man im übrigen nach der näheren Bedeutung von »Herrn der Herrlichkeit«, so eröffnet sich semantisch ein weites Feld von Assoziatio nen, die in möglichen Parallelen ähnlich offen sind wie in 2,1. Im übrigen sind dort die möglichen Traditionen nicht weniger umstritten als bei Jakobus. So werden in der nächsten Parallele in 1 Kor 2,8 »Denn wenn sie (die Herrscher dieses Äons) sie (die Weisheit Gottes) erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt« Apokalyptik, Weisheit und Gnosis als möglicher religionsgeschichtlicher Hintergrund angegeben (vgl. Schräge 242-247, der ebd. 255 die Wendung »Herr der Herrlichkeit« knapp als »apokalyptisches Gottesprädikat« definiert unter Hinweis auf äthHen 22,14 und 25,3; vgl. außerdem ebd. 27,3.5; 36,4; 75,3; 83,8). Kann dies für Jakobus Tradition sein? Hinweise dafür gibt es nicht, so daß die bei der Auslegung angedeutete redaktionelle Entstehung näherliegt, wodurch außerdem die theologische Intention des Jakobus deutlich würde. »Um eine formelhafte, >doxologische< Wendung aus dem urkirchlichen Gottesdienst« {Mußner 251) dürfte es sich nicht handeln (eine solche Formel ist textlich schlichtweg nicht belegt), wohl jedoch dürfte der urchristliche Glaube, daß Jesus als erhöhter Kyrios in der göttlichen Herrlichkeit lebt und an ihr partizipiert, der allgemeine urchristliche Hintergrund sein (vgl. Mußner ebd. unter Hinweis auf Mt 19,28; 25,31; Lk 24,26; Joh 16,14; Apg 3,13; 7,55; 22,11; 1 Kor 2,8; 2 Kor 3,18; 4,4; 2 Thess 1,9; 2,14; 1 Tim 3,16; Tit 2,13; 1 Petr 1,11.21; 4,13; Offb 5,12f.). Wie an diesen Stellen, so dürften auch in Jak 2,1 die Eschatologie nicht futurisch und der Glaube nicht als »Vertrauen und Hoffnung« zu verstehen sein (so Burchard 358f.364), sondern — parallel zum gegenwärtig wirkenden Gott - sind auch das »Herrsein« in 1,1 und die »Herrlichkeit« des erhöhten Jesus präsentisch zu verstehen, ohne daß Jakobus diesen Gedanken christologisch weiter entfal tet. Gerade in der Integration und Hinordnung der Christologie auf die Theo-logie ist die Christologie gesichert. Dies macht die Eigentümlichkeit
der Christologie des Jakobus aus: »Der jüdisch-strenge Monotheismus wird aufrecht erhalten — Gott ist einer und läßt keinen anderen Gott neben sich zu —, Christus aber wird in die Herrlichkeit des einen Gottes hineinge zogen. Nicht durch Subordination, sondern durch Übertragung göttlicher Hoheit auf Jesus, den Gesalbten, den Herrn, wird Gottes Einheit in einem Glauben gewahrt, der sich an Gott und Jesus bindet« (Karrer 172). Festzu halten bleibt dabei, daß diese Gedanken weder systematisch entfaltet werden, noch differenziert zu Ende gedacht sind, vielmehr im paränetischen Kontext stehen (wie der Glaube an Gott in der Weisheit; vgl. Strotmann 94.140), indem Jakobus ein falsches innergemeindliches Verhal ten, das nach äußerlicher Ehre und Ansehen geht, kritisiert. Da sich auch der niedriggestellte Mitchrist seiner Hoheit rühmen soll (1,9), alle ohne Ausnahme von Gott gewollt wurden (1,18), gerade die Armen von Gott erwählt wurden (2,5), alle Ebenbild Gottes sind (3,9), widerspricht jede Art von herabsetzendem oder heraufsetzendem Ansehen nach der »Ehre« von Personen in der Gemeinde diesem Handeln Gottes und »der Herrlichkeit/ dem Ansehen« des erhöhten Jesus Christus. Diese Funktionalisierung von Theo-Iogie und Christologie für die Ermahnungen, wenn man das Vorge hen des Jakobus so benennen darf, ist auch wohl der Grund, warum Jakobus nicht von Tod und Auferweckung Jesu redet. Die Anbindung der Christologie an die Theo-Iogie erfordert ihren Preis, was durch die weis heitstheologisch geprägte Grundkonzeption noch verstärkt wurde, die die Nachahmung Gottes (s. o. in Exkurs nach 1,18) in den Mittelpunkt stellte. Daraus entwickelt sich bei Jakobus aber keine »Weisheitschristologie«, in der Jesus Christus »als Weisheit Gottes« (so Hoppe, Hintergrund 98; Hartin 241) geglaubt wird. Jakobus ist hier offener. So sagt er auch nicht, daß Jesus Christus der ist, »der durch das Leiden zur Vollkommenheit gekommen ist und so Teil hat an der doxa« (Luck, Jakobusbrief 174). Ist die Zuordnung von Gott als Herr (1,7; 3,9; 4,10.15; 5,4.10.11c.d) und Jesus Christus als Herr (1,1; 5,7.8.14.15) sowie als »Herr der Herrlichkeit« (2,1) zutreffend, stellt sich die Frage, ob aufgrund der Verbindung von Prolog und Epilog das gehäufte Vorkommen der Stellen im Epilog weitere Auskünfte über eine Christologie als Partizipation an der Theo-Iogie gibt. Dies ist in der Tat der Fall. Gerade hier ist die Zuordnung von Theo-Iogie und Christo-logie sehr stark. Der genauere Modus der Zuordnung bleibt auch hier in der Schwebe, wenn auch im einzelnen die Akzente eindeutig gesetzt werden können. So ist vom Kontext (vgl. auch 3,9: Herr und Vater; 4,10.15; 5,4e: »der Herr Zebaoth«) unbestritten, daß in 5,10 die Propheten im Namen Gottes, »des Herrn« gesprochen haben; dies gilt auch für »die Vollendung, die der Herr« an Ijob bewirkte in 5,11. Demgegenüber dürften an allen anderen Stellen des Epiloges (so etwa bei der Wendung »Ankunft des Herrn« in 5,7.8 sowie bei der Salbung von Kranken »im Namen des Herrn« in 7,14) weitverbreitete und früh belegte christologische Traditio nen eingewirkt haben, so auch wohl in 5,15 (»und aufrichten wird ihn der Herr«), auch wenn selbstverständlich biblische Traditionen (vgl. etwa Jes 38,1-20 L X X ) Vorlage gewesen sein können; solche Vorlagen sprechen
nicht gegen eine christologische Deutung (so Lautenschlager 171). Urchristliche Theologen haben ständig solche Transformierungen vorge nommen; ohne sie wäre Christologie gar nicht zu denken. Dies gilt auch für den am Ende des Briefes aus rhetorischen und pragmatischen Gründen einer verstärkten Einwirkung auf die Adressaten betonten Parusie- und Gerichtsgedanken, der aber weder hier noch sonst im Jakobusbrief die ganze Thematik beherrscht (so die Grundthese von Lautenschlager, der in Antithese zur Negation einer Theologie bei Jakobus durch Dibelius aus ihm gleichsam einen systematischen Theologen macht; zur Sache vgl. den Exkurs »Eschatologie und Ethik« nach 1,12). Ohne Zweifel gehört der Parusie-Christus, »der als Richter vor der Tür steht« (5,9c) zur Christolo gie des Jakobus, aber aufgrund des unsystematischen und aufgrund des in den weisheitlich orientierten Sentenzen additiven Stils des Jakobus ist Jesus Christus, der Herr, in 1,1 nicht der »Lehrer der Tora, der das Gesetz ... eingeschärft hat«, noch zielt der »Glaube an unseren Herrn Jesus Christus der Herrlichkeit« in 2,1 darauf, »daß Christus bei seiner Parusie im Namen und im Auftrag Gottes das eschatologische Gericht nach dem Maßstab der alttestamentlichen Tora durchführen wird« (Lautenschlager 169.171). Eine durchgehend ausgeprägte, judenchristliche »Herr-Gott-Hoheitschristologie«, die Jesus Christus als Gott und Richter sieht (so auch Vouga 31 f.36.71), findet sich bei Jakobus nicht; die weisheitlich begründete stark theozentrische Ausrichtung seiner Theologie (vgl. den Exkurs nach 1,1 S. Anthropologie und Theo-logie) spricht dagegen. Jakobus ist kein Vertreter einer Verdrängung der theozentrischen Grundorientierung (was bei aller Betonung der Christologie nicht einmal Paulus ist; vgl. etwa Rom 3,30). Jakobus ordnet deutlich die Christologie auf die Theo-logie hin, ohne daß er es für nötig hält, die genauere Zuordnung beider deutlicher zu machen. Im Kontext der Betonung seiner Herrlichkeits-Christologie war dies wohl auch sprachlich zu seiner Zeit noch nicht möglich. Die feststellbare Schwebe dürfte bewußte Intention verraten. Dies bestätigt ein Blick auf die Wendung »auf den Namen des Herrn« in 5,10 und 5,14, die dort theozentrisch, hier christologisch gemeint ist. Auch die dritte Stelle in 2,7 (»die den guten Namen lästern, der über euch ausgerufen wurde«) bestätigt aufgrund der traditionsgeschichtlichen Paral lelen (s. u. zu 2,7) nicht »ausdrücklich die onoma-Christologie« des Jako bus (Mußner 251). Dasselbe gilt für die vieldiskutierte tauf theologische Deutung sowohl dieser Stelle wie von 1,18 (»Er [der Vater der Lichter, also Gott] wollte uns und hat uns geboren durch das Wort der Wahrheit«) und von 1,21 (»Mit Sanftmut nehmt das eingepflanzte Wort an«). Es bleibt die Frage, ob in diesen Wendungen »typische Topoi der apostolischen Mahn rede, näherhin der urchristlichen Taufparänese begegnen« (Mußner 101) oder ob Jakobus nicht die traditionsgeschichtlich theozentrisch belegten Vorstellungen weitertradiert, wobei diese schöpfungstheologisch, wohl aber nicht toratheologisch im verengten Sinn (so Lautensch/ager 167.172; zur Verbindung von »Wort der Wahrheit« und »das eingepflanzte Wort« mit dem »Gesetz der Freiheit« s. o. den Exkurs nach 1,25) zu verstehen
sind. Dabei ist durchaus möglich, daß in der Rezeption durch die Adressa ten auch deren christliche Grunderfahrungen anklingen, ohne daß Jakobus auf Taufermahnungen zurückgreift, wofür es in dieser Form keine Belege gibt. Für den Verfasser dürfte die weisheitlich theozentrische Denkstruktur die primäre sein. Die theozentrische, weisheitlich — lebenspraktisch geprägte Konzeption bedingt nicht nur die Unbestimmtheit im Verhältnis der Christologie und Theo-Iogie, sondern auch den Bezug beider Größen zur ethischen Grundaus richtung des Jakobusbriefes. Dieses gegenseitige Verhältnis von Christologie und Ethik nahm vor allem Mußner zum Anlaß, nach einer »indirekten« Christologie zu fragen (252-254). Aufgrund der zahlreichen Parallelen zwischen dem Jakobusbrief und »der Lehre Jesu, wie sie uns vor allem in der
Bergpredigt überliefert ist« formuliert er: »Auf Jak boren heißt darum auf Jesus hören! Beiden geht es um die Verwirklichung des Wortes! So gehört gerade der Jak-Brief zu jenen Schriften im NT, die in besonderer Weise Christum treiben und lehren« (52f.; ähnlich 236; Ders., Motivation 423). So berechtigt die Auseinandersetzung mit Martin Luthers Urteil über die angeblich fehlende Christologie im Jakobusbrief ist (s. o.), so gilt es doch schon sprachlich zu differenzieren. Da Luther die Wendung »Christum treiben« unzweideutig gemäß der Vorrede für das September-Testament von 1522 als Maßstab für einen neutestamentlichen Verfasser versteht, ob »er von Christus leiden vnd aufferstehung vnd Ampt predige«, hinsichtlich des Jakobusbriefes jedoch feststellen muß, daß in ihm wohl Christen angespro chen sind, er aber trotz seiner Länge »gedenckt nicht ein mal in solcher langer lere des leidens, der aufferstehung, des geistes Christi«, ist ebenso unzweideu tig festzuhalten, daß der Jakobusbrief in diesem Sinne nicht »Christum treibet« (s. o.). Dies besagt aber nicht, daß er keine Christologie hat (s. o. zum Bekenntnis zu Jesus Christus als »dem Herrn« in 1,1 und »dem Herrn der Herrlichkeit« in 2,1). Darüberhinaus bleibt zu fragen, ob Jakobus mit frühen Jesus-Traditionen eine indirekte Christologie gemeinsam hat, in denen - ohne ausdrückliche soteriologische und erhöhungstheologische Aussagen - in der Art des Sprechens (und Tuns) ein theologischer Anspruch greifbar wird. Dies ist vor allem in weisheitlichen Mahnsprüchen der frühen Jesustra
dition (vgl. Zeller, Grundmann, von Lips 197-266) der Fall. Wie in der Jesustradition die Ethik nicht reine Paränese und innerweltliche Ethik ist, vielmehr Jesus seine Ethik und Verkündigung, sein gesamtes sprachliches und nichtsprachliches Handeln als »Konsequenz und Implikation seiner eschatologischen Botschaft« von der schon hier und jetzt erfahrbaren, in Vollgestalt aber noch bevorstehenden Gottesherrschaft her verstanden hat (grundlegend: Merklein, Gottesherrschaft als Handlungsprinzip; zum Zitat ebd. 15 u.ö.; vgl. auch Schnackenburg, Botschaft 131-67; Schräge, Ethik 23-45), so wären auch in der Konzeption des Jakobus die christologischen Akzente in der Ethik (s. o. den Exkurs nach 1,12) herauszuarbeiten. Der heute unumstrittene Tatbestand in der Literatur über die Jesustraditionen wäre für das Verständnis des Jakobusbriefes vor allem dann von höchster Stringenz, wenn feststeht, daß Jakobus nachweislich Jesustraditionen rezipiert hat.
Dies ist unbestritten (vgl. z. B. die tabellarischen Zusammenstellungen von
Mayor L X X X V - X C , Eleder 54-58, Schlatter 9-19, Kittel, Ort 84-94, Mußner 47-52, Popkes, Adressaten 156f.). Vergleicht man diese Überblicke im einzelnen und die jeweils angegebenen Parallelen (nach Kittel 26, nach Mußner 27, nach Davids, Discussion 3638 36 Stellen), weichen die Autoren hinsichtlich der Zahl der Parallelen wie auch hinsichtlich der Übereinstim mung außerordentlich voneinander ab (so werden etwa bei Kittel und Mußner nur 12 Stellen gemeinsam angegeben), zumal damit oft die Frage verbunden ist, ob der Herrenbruder Jakobus der Verfasser ist und wie früh er seine Schrift geschrieben hat. Dies ist ein abgeleitetes Problem, das nicht zur petitio principii gemacht werden darf, vielmehr ist der Text hier und dort einziger Maßstab. Hier stellt sich die Frage nach den Kriterien für mögliche Abhängigkeit bzw. für gemeinsame Traditionen. Intuitive Ent scheidungen oder das Vorkommen gleicher Begriffe hier und dort können nicht entscheidend sein. Bereits Dibelius (45) differenzierte und gab die eventuelle Verwandtschaft mit Worten Jesu in dreifacher Weise an: Eine »rein formale« sah er in den mehr oder weniger verbundenen Spruchsamm lungen in Jak 1 und 5 und in den Evangelien des Matthäus und Lukas. Außerdem sah er hier und dort eine »Ähnlichkeit des Stiles« (kurze zugespitzte Imperative) und »gewisser Bilderkreise« (vom Acker und von Pflanzen in 3,12 und 5,7, von Motten und Rost in 5,2 f., im Bild vom Warten und Wachen in 5,9). Was für ihn noch wichtiger war: »Endlich aber besteht zwischen Evangelium und Jak eine Gemeinsamkeit der Gesinnun gen.« In dem Wissen wohl, daß solche Ahnungen zu vage sind, begnügte sich Dibelius (ebd. 45-47) mit allgemeinen Hinweisen, ohne die Verwandt schaft in Abrede zu stellen, während er dies bei der Frage nach der literarischen Abhängigkeit des Jakobusbriefes von einem Evangelium zu Recht tut. Die Frage nach der literarischen Abhängigkeit verbot sich ihm bereits »aus dem Wesen der Paränese« (45 f. Anm. 1), die in starkem Maße nach ihm lediglich Traditionen weitergibt. Über eine terminologische und rein formale Betrachtung hinaus geht vor allem Hoppe, indem er »einigen zentralen theologischen Sachverhalten« nachgeht, »die sich für die Frage nach dem Verhältnis von Jak und Jesusüberlieferung aufdrängen« (Hintergrund 123). Hier wie dort stellt er als wesentlichen theologischen Gesichtspunkt »das im Liebesgebot konzen trierte Gesetz als Weg zur Vollkommenheit« fest (144) und »eine gemein same Prägung von der frühjüdischen Weisheit.... Gemeinsam ist beiden Überlieferungen der Gedanke der Vollkommenheit durch Erfüllung des Gesetzes und Bewährung im Leiden sowie der tragende theologische Gesichtspunkt der Weisheit Gottes, deren Träger in der matthäischen Überlieferung Jesus ist« (145). Matthäus und Jakobus scheinen beide in der gleichen Tradition der frühjüdischen Weisheitstheologie zu stehen (vgl. 147 f.), was der Frage der literarischen Abhängigkeit beider Autoren von einander ihren richtigen traditionsgeschichtlichen Stellenwert gäbe. Ulrich Luck hat die traditionsgeschichtlichen Untersuchungen insofern weiterge führt, daß er den weisheitlichen Horizont und damit die theozentrische
Struktur des Briefes betonte (vgl. etwa Ders., Jakobusbrief 179: »Der Jakobusbrief bleibt mit seiner Theologie ganz im Rahmen des ihm vorgege benen weisheitlichen Horizontes«), wo hingegen die weisheitlich-christologischen Aspekte und damit die urchristlichen Traditionen zu wenig heraus gestellt werden (vgl. die kurzen Bemerkungen ebd. 174 zum »Herrn der Herrlichkeit« in 2,1 als »weisheits-theologische Prädikation«). Seine jün gere These, »daß die Weisheit in Jak eben nicht über die Christologie ins Spiel kommt, sondern über die Paränese« (Theologie 23 Anm. 80), bestä tigt die Ausblendung einer grundlegenden christologischen Dimension des Briefes. Warum das eine auf Kosten des anderen betonen? Kritisch gegen solche weisheitlich-traditionsgeschichtliche Untersuchungen ist Wiard Popkes (Adressaten 31), der seinerseits die traditionsgeschichtli che Frage — auch nach frühjüdischer Weisheit, vor allem aber nach urchristlicher »Anfechtungsthematik« (129-136) — mit der soziologischen Frage nach dem »Sitz im Leben« solcher Traditionen in urchristlicher Zeit verbindet und sie identifiziert mit der »Neophyten-Unterweisung« und mit Tauf-Traditionen (vgl. 136-156). Die unbestritten von Jakobus rezipierten vorsynoptischen Bergpredigt-Traditionen (vgl. 156-176) werden formal wie inhaltlich der Neophyten-Unterweisung eingeordnet (174 f.). Die Frage nach einer indirekten Christologie stellt sich in diesem Ansatz und bei diesen Ergebnissen (die mir allzu hypothetisch erscheinen) nicht, ein Grund, warum die Christologie in dem soliden Forschungsüberblick von Popkes viel zu knapp vorkommt. Diese Hinweise zeigen: Die jeweilige Fragestellung impliziert Grenzen. Eine indirekte Christologie wird nur dann sichtbar, wenn 1. im Jakobusbrief über die theozentrischen Begründungen hinaus (s. o. den Exkurs nach 1,18) die damit implizierten christologischen Begründungen in der Ethik gesehen werden und wenn 2. parallele, thematisch verwandte oder identi sche theozentrisch-christologisch-ethische Themenkreise in der vorsynop tischen Tradition nachweisbar sind und wenn 3. die Konzeptionen hier wie dort auf gemeinsame Entwicklungslinien von Jesus in verschiedene urchristliche Theologien hinnein anzunehmen sind. Eine literarkritisch ver engte Frage nach der Tradierung von Jesus-Worten wäre zu ersetzen bzw. zu erweitern nach der lebendigen Aktualisierung der ipsissima intentio Jesu (W. Thüsing). »Anderes und mehr ist die vox als verbum! Sollten wir die vox nicht auch dort vernehmen, wo wir kein verbum zu sichern vermö gen?« (Trilling 155) Beachtet man diese Existenz urchristlicher Theologen im Horizont des sprachlichen und nichtsprachlichen Handelns Jesu von der Gottesherrschaft, dann enthalten die Uberlieferungen des Matthäus in Kap. 5-9 nicht weniger eine Christologie wie die ethischen Perikopen in den paulinischen Briefen oder der Jakobusbrief oder die Briefe des Ignatius von Antiochien oder die Didache. Sie alle treiben Christologie — auch dort, wo keine wortwörtlichen Zitate vorliegen. Daneben gilt es, den anderen Typos der Christologie im Urchristentum zu sehen, der über Tod und Auferwekkung Jesu reflektiert wie über sein »Wesen« (etwa mit Hilfe von Hoheitsti teln, mit Hypostasen-Vorstellungen, von Präexistenz-Aussagen u. a.).
Jakobus ist ein Vertreter der einen wie der anderen Christologie, auch wenn die theozentrisch-christologische Begründung der Ethik bei ihm im Vor dergrund steht. Direkte und indirekte Christologie ergänzen einander, beide stehen aber — vor allem als Begründung für die Ethik — im theozentrischen Horizont.
2. Vom falschen Verhalten gegen Arme und Reiche (2,2-4) Literatur: FelderPartiality. — Frankemölle H., Synagoge Versammlung, Versammlungsplatz, Synagoge(ngebäude), Gemeinde, in: E W N T 3(1983) 702-710. — Rost, L., Archäologische Bemerkungen zu einer Stelle des Jakobusbriefes (Jak. 2,2f..), in: Palästinajahrbuch 29(1933) 53-66. - Ward, R. B.y Partiality in the Assembly: James 2,2-4, in: HThR 62(1969) 87-97. y
2-4: Das von Jakobus geschilderte erste Beispiel belegt die These von der Unvereinbarkeit von christlichem Glauben und Ansehen von Personen anhand des falschen Verhaltens der armen gegenüber reichen Christen. Der dargestellte Fall spricht für sich, ob er nun in der Gemeinde des Jakobus vorkam oder nur fiktives Beispiel ist. Wie in der Weisheitsliteratur, aber auch in der antiken Rhetorik (vgl. Lausberg 410-426) dienen solche Exempla nicht nur zum Schmuck, sondern sind auch Beweismittel für die Richtigkeit einer These. Allerdings sollte dabei beachtet werden, daß die Beispiele der Lebenswelt der Adressaten entsprechen sollen, um wirksam werden zu können. Dies bedeutet: Auch wenn nicht an einen konkreten Fall aus der Gemeinde des Jakobus gedacht ist, läßt sich — wie in 1,5-11 — dennoch daraus auf die Struktur der Gemeinde des Jakobus schließen. Dies nicht nur in einer pragmatischen, handlungsorientierten Exegese. Jakobus selbst gibt Hinweise, daß er das Beispiel mit der Situation der Adressaten verbindet, wenn er in 2a von »eurer Versammlung« spricht und in 3d von »unten an meiner Fußbank«. Nur im Hinblick auf die Akzeptanz durch die Leser gewinnt das Beispiel Überzeugungskraft. Jedoch sollte man Texte nicht überinterpretieren. So sind alle Hinweise darauf, ob der Reiche nicht zur Gemeinde gehört, reine Spekulation, gespeist aus dogmatischen und sonstigen Vorurteilen, wenn die gleiche Überlegung bei den Armen nicht angestellt wird. Nirgendwo gibt Jakobus auch einen Hinweis, daß er die alte Jerusalemer Selbstbe zeichnung der Christen als »die Armen« aufnimmt; ließe sich dies nachweisen, wären »die Reichen« in der Tat reiche und ungläubige
Juden (so Mußner 81 f.). Auch für die andere Meinung, Reicher wie Armer in Vers 2 seien Ungläubige (so Ropes in Aufnahme älterer Literatur), gibt der Text keine Begründung. Sieht man 2,2-3 als Amplifikation von 1,9-11, sind wie dort auch hier die Figuren im Beispiel Mitglieder der Gemeinde, so daß Jakobus einen sozial geschichteten Adressatenkreis voraussetzt. Auch in 2,15-16 geht es um arme Mitchristen, denen reichere Mitchristen Kleidung und Nahrung verwehren (zur sozialen Situation der Adressaten vgl. weiter den Exkurs nach 1,11). Der Begriff synagoge: Versammlung/Versammlungsplatz/Syn agoge/Synagogengebäude/Gemeinde in 2a wird nicht nur durch das Possessivpronomen »eure« als eindeutig christlich ausgewiesen, vielmehr setzt auch die geschilderte Handlung voraus, daß die Christen in dieser Versammlung Verfügungsrecht haben. In der Regel wird der Begriff im N T in der technischen Bedeutung (Synagoge als Versammlungsraum von Juden) benutzt; nur Apg 13,43 belegt die Verwendung im Sinne von »jüdischer Versamm lung«, nur Jak 2,2 die Verwendung im Sinne von christlicher Versammlung. Auch in nachneutestamentlicher Zeit bleibt solche Offenheit erstaunlicherweise erhalten, da auch hier christliche Got tesdienstgebäude vereinzelt »Synagoge« genannt werden können und »Synagoge« hier und da als christliche Selbstbezeichnung belegt ist. Die Metonymie Versammlung — Versammlungsstätte — Gebäude ist auch bei anderen Begriffen aus diesem Wortfeld belegt, während das Faktum, daß Christen jüdische Begriffe zur Selbstbezeichnung verwenden konnten, belegt, daß nicht überall und immer das Christentum in aktueller Auseinandersetzung mit dem Judentum stand; wo dies der Fall war, läßt sich eine grund sätzliche Wahl etwa der Jerusalemer Urgemeinde und der Helleni sten gegen »Synagoge« und für »Ekklesia: Volksversammlung/ Gemeindeversammlung/Gemeinde/Kirche« feststellen (zum Befund insgesamt vgl. Frankemölle). Jakobus gebraucht beide Begriffe unpolemisch (zu ekklesia vgl. 5,14). Der Jakobusbrief ist ein Beleg für die Kontinuität jüdischer und christlicher Lebens und Begriffsgeschichte. Die ungebrochene Rezeption weisheitli chen Denkens im gesamten Brief bestätigt diesen Tatbestand. Der griechische Begriff synagoge ist unspezifisch als »Versamm lung« zu übersetzen. Eine Einengung auf »Versammlungsgebäude« legt sich unter Hinweis auf 3d, wonach der Arme sich unten an die Fußbank des Sprechenden setzen soll, nicht nahe, da einzelne Sitzgelegenheiten bzw. Sessel mit Fußbänken selbst in jüdischen Synagogen aus den ersten Jahrhunderten nach Christus nicht belegt
sind, während für christliche Versammlungsräume jegliche Belege fehlen. Archäologische Bemerkungen zu Jak 2,2f. verbieten sich also (so jedoch Rost). Jakobus bleibt in der Metaphorik des Bei spiels; danach wollte er wohl nicht nur die Opposition zu dem Angebot an den Reichen, sich zu setzen, und an den Armen, sich hinzustellen, betonen, wobei durch die Wendungen »hier« und »dort« die soziale Kluft angegeben ist. Jakobus intensiviert die Opposition auch noch durch die Wiederholung des Imperativs »setze dich«, pervertiert das Angebot beim Armen jedoch dadurch, daß dieser sich nicht schön/bequem setzen darf, sondern unten an der Fußbank. Nicht »auf« der Fußbank bietet der Sprecher dem Armen einen Platz an, sondern schlicht auf dem Fußboden. Der Metaphorik entsprach die antike Realität in vielfacher Weise, ob man nun ein Privathaus, ein öffentliches Gebäude der Stadt oder ein Versammlungshaus der Christen oder der Juden voraussetzt. Wenn Jakobus in diesem Zusammenhang dennoch den Begriff Synagoge: Versammlung/Versammlungsplatz/Synagoge/ Gemeinde benutzt, dürfte dies im Kontext der umschriebenen Kluft zwischen armen und reichen Christen erklärbar sein. Ange zielt ist in 2a wie beim Verbum synagesthai: sich versammeln/ zusammenkommen eine wirkliche Zusammenkunft, in der im Mit einander sich die Einheit der Gemeinde dokumentiert — analog zum Begriff »Brüder«. An solchen Stellen spürt man die Sensibili tät des Jakobus im Umgang mit Worten und in der Wahl der Metapher. Formal zeigt sich auch an dieser Stelle, wie stark Jako bus mit dem Prinzip der funktionellen Oppositionen auf seine Hörer einwirken will. In 4a.b zieht Jakobus aus diesem pervertierten Verhalten die Folge rung. Die rhetorische Frage kann im Griechischen von den Adres saten nur mit »Du hast recht, Jakobus« beantwortet werden. Mit der geschilderten Praxis haben sie bei sich selbst, also in ihrer Gemeinde (dies spricht noch einmal für die These, daß der Arme und Reiche im Beispiel von 2-3 Mitglieder der Gemeinde sind), angesichts der Ordnung Gottes nichtakzeptable Unterscheidun gen gemacht. Während nach Jakobus einzig und allein Gott Gesetzgeber und Richter ist (4,12; nach 5,9 ist der erhöhte Christus Richter), werfen sich die hier kritisierten Christen wie in 4,11 selbst zum Richter über Gottes Gesetz auf, wie durch die schöne Paronomasie, d. h. durch das Zusammenstellen gleichlautender Wörter, in 4a und b (diekrithete — kritai) und durch die kontextuelle Verwendung von »Richter« (vgl. 4,11-12; 5,9) impliziert ist. Wie die theozentrische Ausrichtung in Vers 5 belegt, zielt auch das
kritisierte zwischenmenschliche Fehlverhalten in 2,2-4 und der Anspruch der angeredeten Christen, selbst Richter sein zu können, nicht nur auf ein sozialethisches Fehlverhalten, sondern auf das dieses Fehlverhalten begründende falsche Gottes Verständnis. Nimmt man Vers 5 hinzu, wird auch deutlich, daß es Jakobus keineswegs um eine unparteiliche bzw. überparteiliche Haltung geht, vielmehr fordert er seine christlichen Adressaten auf, wie Gott die Partei für die Armen als Unterdrückte und Ausgebeutete (vgl. bes. 5,1-6, aber auch 1,27; 2,15-26) zu ergreifen. Beachtet man diesen Kontext und die im Prolog angesprochene Gespalten heit des Menschen, dann ist die Wendung in euch selbst/bei euch selbst in 4a von Jakobus sorgfältig gewählt. Mag er diese Wendung mehr im Sinne von »in eurem Herzen« oder mehr im Sinne von »in eurer Gemeinschaft« verstehen, in jedem Fall plädiert er wie im Prolog und in der Propositio dafür, daß Sein und Handeln der Adressaten übereinstimmen müssen. Das Innere des Menschen offenbart sich in seinem Handeln, und das Handeln bestätigt das menschliche Sein. So ist es auch bei Gott (vgl. I,5c.d.l3c.l7a-d).
3. Gottes Option für die Armen (2,5-7) Literatur: Zu den Armen und Reichen vgl. die Literaturangaben beim Exkurs nach 1,11 sowie (zu 2,5d) bei 1,12c. Außerdem: Felder, C. H., Partiality and God's Law: An Exegesis of James 2,1-13, in: The Journal of Religious Thought 39(1982) 51-69. — Frankemölle, Taufverständnis 41-53. — Friedrich, J. H., kleronomeo (be-)erben, als Besitz empfangen u. a., in: E W N T 2(1981) 736-739. - Galling, K., Die Ausrufung des Namens als Rechtsakt in Israel, in: ThLZ 81(1956) 65-70. - Schmidt, K. L., epikaleo,
in: ThWNT 3(1938) 498-501. - Schrenk, G. - Quell, G., eklegomai, in: ThWNT 4(1942) 147-181.
5a-d: Die Anrede meine geliebten Brüder - verbunden mit dem Imperativ hört! — hat wie in 1,16 etwas drängend Beschwörendes. Dieser Appell an die Hörer beim Lesen des Briefes leitet im Rahmen der kleinen Einheit in 2,1-13 einen wichtigen Gedanken ein (während er in der Regel am Beginn einer kleinen Einheit steht; vgl. die Matrix zum Jakobusbrief am Ende von Exkurs 1). Handlungsorientiert verstanden werben eine solche Hinwendung an den Hörer und die in ihr behauptete Gemeinschaft zwischen Schreiber und Hörer um Einverständnis mit der folgenden These, zumal diese wie ein Appell an das Wissen und die Erfahrungen der
Adressaten formuliert ist. Dies deswegen, da Jakobus im Griechi schen die Vergangenheitsform des Aorists (gnomischer Aorist) wählt und die rhetorische Frage so formuliert, daß die Adressaten sie wiederum (vgl. 4a.b) unbedingt mit J a zu beantworten haben. In der Tat: Der Glaubenssatz, daß Gott gerade die im Ansehen der Welt als Arme Geltenden erwählt hat und sie Reiche im Glauben sind, ist im Alten Testament und im Frühjudentum vor allem in den Psalmen (vgl. 9,19; 40,18; 86,1; 109,22; 140,13) und in der Weisheitsliteratur (vgl. Spr 3,21; 23,4f.; 24,19; Sir 10,27; l l , 1 8 f . 2 1 ; 20,21; 34,5; Koh 5,12ff.), aber auch im Neuen Testa ment von der Verkündigung Jesu angefangen (vgl. Lk 6,20 par Mt 5,3; Lk 7,22 par Mt 11,5; 1 Kor 1,26-28) so breit belegt (vgl. T h W N T 4, 147-181), daß Jakobus ihn wirklich als gültigen Glau benssatz zitieren kann, der unerschütterlich durch die Jahrhun derte hindurch im jüdischen und christlichen Bereich feststand. Durch eine solche Überzeugung wird die Reichtum-Armut-Pro blematik nicht relativiert. Glaubens- und Alltagserfahrungen wer den vesprachlicht, das sozialethisch-gesellschaftliche Problem der Neuzeit steht nicht zur Debatte. D. h.: Gott erwählt Arme nicht, weil sie arm sind, sondern weil sie fromm sind! Aufgrund und trotz ihrer Armut erwarten und erfahren sie Gott als Helfer; solche Erfahrungen sind — in der Regel — Reichen nicht möglich. Um eine Glorifizierung der Armut um der Armut willen geht es Jakobus ebensowenig wie den anderen biblischen Autoren. Voraussetzung für die Logik eines solchen Satzes ist die Erfahrung der Stimmigkeit der jüdischen und christlichen Weltsicht; hätte er keinen Grund in konkreten Erfahrungen, wäre er wohl nur zynisch zu nennen. Gott-lose können einem solchen Satz nicht zustimmen. Voraussetzung ist, daß glaubende Menschen ihren Glauben wirk lich als Bereicherung und Sinnerfüllung ihres Lebens verstehen - trotz realer Armut (parallel zur Freude trotz Erprobungen/ Prüfungen; s. o. zu 1,2). Da sie sich von Gott haben erwählen lassen (die ganze Aktivität liegt allein bei Gott — wie in 1,18), erfahren sie sich im gegenwärtigen Leben als von Gott beschenkte Reiche — in der Hoffnung, das in Aussicht gestellte Erbe von Gottes Königtum (5c) zukünftig antreten zu können, wie Jakobus in Variation vom »Kranz des Lebens« in 1,12b formuliert. Die Wiederaufnahme der dort geäußerten eschatologischen Hoffnung bestätigt sich auch durch die wortwörtliche Wiederholung von 1,12c in 2,5d (zur Auslegung s. o. zu 1,12). Dieser Nebensatz ist - dies macht die wörtliche Aufnahme unzweideutig klar — Jako bus wichtig: Wie im Kontext von 1,12 wird auch hier neben dem
Gedanken, daß Gott allein aus Gnade ohne Vorbedingungen (1,5c) Menschen erwählt, in unaufhebbarer Interdependenz dazu der andere Gedanke formuliert, daß diese Verheißung jenen gilt, die ihn (Gott) lieben. Um dieses Zusammenwirken (zum Stichwort Synergismus vgl. 2,22) von Gott und Mensch, von Glauben und Tun geht es Jakobus in seinem ganzen Brief. Wer sind die Armen? Ist »mit aller Sicherheit« anzunehmen, daß für Jakobus Armsein und Christsein zusammenfallen« (Dibelius 65)? Diese These dürfte weder für 1,9-11, noch für 2,15 f., noch für 2,5 f., schon gar nicht für 4,13-5,6 zutreffen. Zur Gemeinde des Jakobus gehören Arme und Reiche. Vom näheren Kontext her hätten letztere die Möglichkeit, bedürftige Mitchristen mit Klei dung und Nahrung zu versorgen (2,15; zur sozialen Struktur der Adressaten vgl. im übrigen den Exkurs nach 1,11). Auch in 2,5 f. differenziert Jakobus wie folgt: Nach 6a haben die »geliebten Brüder« von 5a »dem Armen die Ehre genommen«, sind also nicht mit ihnen identisch, aber dennoch von einem solchen Sozialstatus, daß ihre Interaktion den Armen gegenüber getadelt werden muß. Zum anderen unterscheidet Jakobus in 6b davon »die Reichen, die euch« — womit wiederum die »geliebten Brüder« von 5a gemeint sind - »gewalttätig behandeln« und »vor Gericht schleppen«. Jakobus setzt also einen sozial geschichteten Adressatenkreis vor aus, der wiederum wohl als soziale Minderheit in nichtchristlicher Umwelt durch reiche Mitbürger (auch Christen?) drangsaliert wird (ähnlich den Adressaten von 1 Petr; vgl. zu ihrer Situation Franke mölle, 1 Petr 11-17). O b die Reichen außerhalb der Gemeinde anzusetzen oder Teil der Gemeinde sind (s. u. zu 4,13-5,6), ist umstritten. Im letzteren Fall ist Jakobus diplomatisch genug, nicht schon hier die Reichen direkt zu attackieren (anders verhält er sich am Ende des Briefes durchge hend in allen Versen in 4,13-16 und 5,1-6). Hier spricht er allge mein über das gewalttätige Verhalten von Reichen wie Abwesen den (diese Erfahrung mußten die Adressaten des Jakobus sicherlich auch machen), was — gleichsam wie in einer Parabel — solches Verhalten in der Gemeinde (etwa analog zu 1 Kor 6,1-11) nicht ausschließen muß. Bei diesem Verständnis kritisiert Jakobus dann in 7a.b, daß die reichen Christen die Akzeptanz der armen Chri sten nicht nachvollziehen und vor allem in Solidarität nicht prakti zieren. Der bereits in 1,9-11 kritisierte Mangel an der richtigen Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen wird hier in 2,5-7 im Hinblick auf beide Gruppen amplifiziert. Geht es im Hinblick auf die Armen noch um ein Selbstbewußtsein (dessen sozialethischen
Aspekt hatte Jakobus bereits in 2,1-4 behandelt), so auf Seiten der Reichen um das zwischenmenschliche Verhalten. Über ihre Motive der theologischen Verachtung der Armen sagt Jakobus nichts. Berufen jene Reiche sich auf den weisheitlichen Grundsatz im TunErgehen-Zusammenhang, wonach Armut Zeichen von fehlendem Wohlwollen Gottes ist? Vom weisheitlichen Denkhorizont des Jakobus her ist dies zu vermuten, wir wissen es aber nicht. Nimmt man außerhalb der Gemeinde lebende, nichtchristliche Reiche an (was möglich ist), bleibt eine Deutung aber ausgeschlos sen: Für Verfolgungen durch nichtchristusgläubige Juden (dies hält Mußner 121 für möglich) gibt es keinen Hinweis. Diese Zeit dürfte wohl weit zurückliegen, ebenso auch die Zeit der Urgemeinde, in der Christen die Selbstbezeichnung »die Armen« in Aufnahme atl Terminologie für sich wählten. Im Jakobusbrief gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Adressatenkreis sich vornehmlich nur aus unteren sozialen Schichten zusammensetzt. Für Jakobus war das solidarische Zusammenleben von ärmeren und reicheren Christen und deren jeweiliges Selbstverständnis (vgl. oben zu 1,911) ein Grundproblem, darüberhinaus aber auch das Verhältnis einer so geschichteten Gemeinde zur Umwelt. 5c nimmt 1,9 (»Es rühme sich aber der Bruder: der niedriggestellte seiner Hoheit«) auf und wendet den dort geäußerten Gedanken (Selbstbewußtsein des sozial niedriggestellten Mitchristen) neu. In 2,5c geht es um die Anerkennung der »Hoheit« dieser Niedrigge stellten durch die gesamte Gemeinde (5a). Sie soll die Armen und Niedriggestellten in ihrer Mitte — in Aufnahme einer breit belegten atl Tradition (s. o.) — in theozentrischer Perspektive sehen. Die dabei verwendeten Begriffe Reiche und Erben sind — dies machen die Wortverbindungen Reiche im Glauben und Erben des König tums/der Herrschaft Gottes deutlich - übertragen gebraucht. War der Begriff »Erbe« im A T auch ursprünglich konkret auf die Verheißung des Landbesitzes bezogen (vgl. Ex 32,13; Num 26,5256 u.ö.), so wird in der nachexilischen Literatur des A T und im Frühjudentum der Begriff vielfach übertragen gebraucht und sein Inhalt eschatologisch verstanden. Ntl Theologen nehmen diesen eschatologischen und universalen Sprachgebrauch auf und verbin den das Wort »Erben« u. a. mit den Begriffen »zukünftiger Äon« oder »Reich Gottes« (zum letzteren vgl. Mt 25,34; 1 Kor 6,9f.; 15,50; Gal 5,21; zum sonstigen übertragenen Gebrauch vgl. bes. den Makarismus in Lk 6,20 par M t 5 , 5 : »das Land erben«; zu einem Überblick zum A T und N T vgl. Friedrich 736-739). Ob Jakobus hier auf die Seligpreisung der Armen in der Jesustradition
zurückgreift, wie vielfach angenommen wird, oder einen weitver breiteten urchristlichen theologischen Sprachgebrauch aufgenom men hat, wird angesichts der Quellenlage offenbleiben müssen, da die älteste Jesustradition wohl die beiden Begriffe isoliert verwen det, jedoch nicht als Syntagma belegt. Eine literarische Abhängig keit von Herrenworten (so Mayor L X X V ; vgl. insgesamt Kittel) ist an dieser Stelle nicht nachzuweisen. Aber es ist deutlich, daß Jakobus urchristliche Begriffe und Wendungen nicht nur selbst rezipiert, sondern — so entspricht es pragmatischem Textverständ nis — deren Verständnis auch bei den Adressaten als bekannt voraussetzt. Nicht weniger als mit der Weisheitsliteratur ist Jako bus mit urchristlichen Traditionen vertraut. 6a: In scharfem Kontrast zum Handeln Gottes steht das Han deln der Adressaten des Briefes: Ihr aber. Hat Gott die Armen erwählt und sie in besonderem Maße geehrt, so haben die Adres saten den Armen die ihnen von Gott zustehende Ehre genom men. Die Ent-Ehrung der Armen ist demnach im Grunde genommen eine Ent-Ehrung Gottes selbst. Wie im Prolog sollen Christen im Selbstverständnis und im Handeln dem Sein und Handeln Gottes entsprechen (vgl. den Exkurs »Anthropologie und Theo-logie« nach 1,18). Jakobus dürfte mit 6a auf das Beispiel in 2-4 zurücklenken, viel leicht aber auch das grundsätzliche unsolidarische Verhalten der Adressaten kritisieren. So entspricht es generell der Weisheitslitera tur (vgl. Spr 14,21.31). Auch Jesus Sirach kritisiert die Verachtung von älteren und ärmeren Menschen (vgl. 3,13; 8,4.6; 9,6; 10,23.29; 11,6; 22,5). So heißt es hinsichtlich der Armen: 10,23 Es Ist nicht gerecht, den weisen Armen die Ehre zu nehmen, und es ziemt sich nicht, einen Sünder zu ehren. 6b-7b: Die bislang in Kapitel 2 eindeutig vorherrschende binnen kirchliche Perspektive wird in weisheitlichem Stil (diese Sprech weise ist jedoch auch in der prophetischen Literatur sowie in der Testamentsliteratur belegt) durchbrochen bzw. verbunden mit generischen Aussagen über »die Reichen«, die demnach sowohl innerhalb wie außerhalb der Gemeinde gedacht werden können. Die unausgesprochene These lautet: Reiche verhalten sich leider statusspezifisch — ob außerhalb der Gemeinde oder innerhalb der Gemeinde. Mit zwei rhetorischen Fragen, die wiederum mit J a zu beantworten sind, erinnert Jakobus die Adressaten an Diskriminie-
rungen (7a) und Repressalien (6b.c), die Christen von Menschen mit einem höheren Sozialstatus erleiden müssen. Im Spiegelbild sollen sie sich selbst erkennen. Wie sie — selbstverständlich! — das im Beispiel skizzierte Verhalten ablehnen, so sollen auch die ange sprochenen reicheren Christen ihr unsolidarisches Verhalten auf grund des Ansehens von Personen, konkret: ihr unterschiedliches Verhalten zu Armen und Reichen in der Gemeinde (2,2 ff.) able gen. Didaktisch geschickt fängt Jakobus seine Adressaten wie mit einer Parabel, da sie in der fremden Geschichte ein Urteil über sich selbst fällen und ihr eigenes Verhalten entlarven. 6b.c: Angesprochen sind mit »euch« nicht nur die Armen, viel mehr die ganze Gemeinde (5a). Da 6b.c und 7a im Präsens formu liert sind, geht es nicht um einmalige Erfahrungen, sondern um andauernde. Dies dürfte nur so zu verstehen sein, daß die Kon flikte wirklich statusbedingt und strukturell sind. Das Verbum gewalttätig behandeln/unterdrücken ist im sozialethischen Sinn im N T nur hier belegt (nach Apg 10,38 werden Menschen vom Teufel »unterdrückt«), während das Verbum in den geschichtli chen Erzählungen des AT, in der Weisheitsliteratur, besonders aber in den prophetischen Büchern auch in der Verbindung mit Armen gut belegt ist (Weish 2,10; Am 4 , 1 ; 8,4; Sach 7,10; Mich 2,2; Mal 3,5; Ez 18,12; 22,7 u.ö.). Der Kontext gibt jeweils an, worin die ganz unterschiedlichen Gewalttätigkeiten bestehen. Die Ursache wird von Jakobus nicht genannt; ob sie in der Kritik der prophetisch und weisheitlich orientierten Christen am Reichtum überhaupt oder an unsolidarischen Reichen begründet ist (vgl. etwa Apg 5,1-11; 16,19; 19,24), kann nur vermutet werden. Mehr als heute kam es zur Steigerung des Reichtums zur Zeit des N T nur auf Kosten der Arbeitskraft anderer oder auch aufgrund deren Aus beutung (vgl. Jak 5,4-6). Das Reichwerden ist strukturell oft mit Gewalttätigkeit gegen andere verbunden. Auch das Prozessieren vor Gericht in 6c dürfte so begründet sein, da erst in 7 ein religiöses Motiv genannt wird. Worin die Ursachen der Prozesse der reichen Christen gegen die ärmeren Christen liegen, wird ebenfalls nicht gesagt. Jakobus kommt es für seine Argumentation generell nur auf das Faktum an sich an. Außerdem wissen die Adressaten aus eigener Erfahrung, welcher Grund Anlaß für einen Prozeß bot. Daß solche Prozesse für die Armeren unter Zwang durchgeführt wurden, zeigt die in der griechischen Literatur offenbar geläufige Wendung (vgl. Aland-Bauer 507f.) vor Gericht/in den Prozeß schleppen. Dies ist das Handeln von Mächtigen an Ohnmächtigen. Daß hier an Erfahrungen von Ver-
folgungen »speziell von jüdischer Seite« (Mußner 122) erinnert werden soll, ist durch nichts zu belegen, im Gegenteil: Das Stich wort »Gericht« deutet eher auf Repressalien durch die Reichen mittels staatlicher, d. h. römischer Instanzen. 7a.b: Durch die Anapher in 6c und 7a: Sind nicht sie es? ist die Identität derer, die die Gemeinde und die Ärmeren in ihr bedrän gen und sie lästern, behauptet. Zwischen beiden Gruppen gibt es keine Gemeinsamkeiten, d. h. die Kritisierten sind im Grunde gottlos (selbst wenn sie Christen sind), schon jetzt sind sie dem Gericht verfallen (vgl. 2,13; 4,11 f.; 5,1-6). Sie lästern/schmähen/ verleumden die ärmeren Christen, näherhin den guten Namen, der über euch ausgerufen wurde. Ist damit ohne weiteres und zweifelsfrei die Nennung des Namens Jesu Christi bei der Taufe belegt? Die durchgängig in den Kommentaren gezeigte Problemlosigkeit einer solchen These ist zu befragen, will man nicht den (christlich-liturgischen) Wunsch zum Vater des Gedankens machen. Vorsicht ist angesagt, da die in Vers 7b vorliegende Wendung im passivischen Partizip Aorist im N T nur hier belegt ist und Jakobus — wollte er eine Taufformel anklingen lassen — leicht hätte formulieren können »auf den ihr getauft worden seid«. Eine vorschnelle Identifizierung der hier vorausgesetzten Namens ausrufung mit der Taufe legt sich aus folgenden Gründen nicht nahe: Kontextuell bietet Jakobus ein differenziertes Bild. »Name des Herrn« wird in 5,10 theozentrisch verstanden, wenn formuliert wird, daß »die Propheten im Namen des Herrn gesprochen haben«. Im unmittelbaren Kontext wird in 5,14 gesagt, daß die Ältesten der Gemeinde einen Kranken »mit Öl salben sollen im Namen des Herrn«, womit Krankensalbungen in der Kraft und Nachfolge Jesu Christi als Herrn gemeint sind. Diese beiden Aussagen entsprechen der generellen Parallelisierung von Gott als Kyrios in 5,10.1 lc.d und Christus als Kyrios in 5,7.8.14.15, aber auch der Parallelisierung im Präskript in 1,1. Diese Zuordnung entspricht grundsätzlich der Konzeption von Christologie und Theo-logie im gesamten Brief (vgl. den Exkurs nach 2,1). Auf grund dieser Konzeption empfiehlt sich auch in 2,7 keine christologische Engführung. Traditionsgeschichtlich wird dieser Hinweis bestätigt, wie Apg 15,17b (»alle Völker, über denen mein Name ausgerufen ist«) seinerseits mit der wörtlichen Zitierung der griechischen Fassung von Am 9,12 belegen kann. Lukas hätte hier auch die gleiche Wendung aus 2 Chr 7,14 zitieren können. Hier wie dort steht das Verbum »ausgerufen werden« im Passiv in Verbindung mit dem
Begriff »Namen« als geprägte Wendung in der »Ausdrucks- und Vorstellungsweise, daß der Name Gottes über einen Menschen genannt wird, der auf diese Weise Gottes Eigentum ist, weil sich Gott an ihm offenbart und erkannt wird ... Die Formel ... ent stammt der profan-juristischen Sphäre u bedeutet ein Eigentums verhältnis uU damit auch ein Schutzverhältnis« (Schmidt 499; insgesamt Galling). Weil der Name Jahwes über Israel ausgerufen wurde, wurde es sein Volk (so in Dtn 28,10; 2 Kön 6,2; 3 Kön 8,43; Jer 7,30; 14,9; 2 Chr 6,33; 7,14; Jes 43,7; 2 Makk 8,15; Bar 2,15; Dan 9,19). Dieser Sprachgebrauch hat sich nicht nur in der zwischentestamentarischen jüdischen Literatur durchgehalten (vgl. 4 Esra 4,25; Ps Sal 9,18), sondern auch in der jüdisch orientierten urchristlichen Literatur (vgl. Hermas 72,4: »Der Name des Herrn, der über sie genannt wurde«; ebd. 91,3: »über allen die mit seinem Namen Benannten« — wohl in Rückgriff auf Jes 43,7). Auch dort, wo nicht unmittelbare atl Zitate vorliegen, ist die Sprech- und Denkweise deutlich atl verankert. Demnach liegt eine theozentri sche Aussage vor, schon allein um die Kontinuität der Heilsge schichte herauszustellen. Auch Jak 2,7 steht primär in der Rezep tion dieser atl-theozentrischen Redeweise. Daneben partizipiert er mit dem sonstigen urchristlichen Sprach gebrauch etwa bei der Wendung »den Namen Gottes lästern« (vgl. Rom 2,24 mit einem Zitat aus Jes 52,5; 1 Tim 6,1; Offb 13,6; 16,9) durchaus an Sprachformen, die im Urchristentum aufgrund vielfa cher Verwendungen (wie: den Namen Gottes anrufen, loben, lieben u. a.) auch auf Jesus als den Herrn übertragen werden konnten (vgl. Apg 2,21 mit einem Zitat aus Joel 3,5; 9,14.21; 22,16; 1 Kor 1,2, wo jeweils die Wendung »den Namen Jesu (Christi) anrufen« belegt ist). In diesem Zusammenhang ist eine Ausweitung auf die Taufe »auf den Namen des Herrn Jesus (Chri stus)« (Apg 2,38; 8,16; 10,48; 19,5; Mt 28,19; vgl. auch 1 Kor 1,13.15) naheliegend, was jedoch nicht impliziert, daß an allen übrigen Stellen, an denen von einer Namens-Ausrufung gespro chen wird, Tauftheologie vorauszusetzen ist. Im übrigen ist es auffällig, daß Paulus dort, wo er unmittelbar von der christlichen Taufe spricht (vgl. Gal 3,27; 1 Kor 12,13; Rom 6,3) nicht die Wendung »auf den Namen Jesu Christi getauft werden« benutzt. Dies dürfte wohl damit zusammenhängen, daß die Wendung »auf den Namen« irgendeines anderen in seiner Umwelt als terminus technicus des hellenistischen Zahlungsverkehrs im Sinne von »auf das Konto« belegt ist, Paulus jedoch heilsgeschichtliche Aspekte betonen möchte (vgl. Frankemölle, Taufverständnis 41-50).
Nirgendwo im N T kann unzweideutig die Wendung »der Name jemandes wird über jemanden ausgerufen« nur tauftheologisch verstanden werden. Auch das Syntagma schöner/guter Name ist im N T weder im tauftheologischen Kontext noch sonstwo belegt. Die Verwendung in Jak 2,7 dürfte redaktionell sein, da der Hin weis auf einen pompejanischen Graffito, in dem der Liebhaber von »dem schönen Namen« der Geliebten spricht (Bauer — Aland 813), kaum Tradition für Jakobus gewesen sein dürfte, es sei denn, man wollte annehmen, er sei weitgereist. Eher könnte man auf die singulare Stelle im A T in Spr 22,1 hinweisen (»Ein guter/schöner Name ist kostbarer als großer Reichtum«), doch ist auch hier keine Rezeption durch Jakobus festzustellen. Daher dürfte sich eine redaktionelle Bildung nahelegen, deren Motiv die Vorliebe für sprachlich ausgesuchte Wendungen ist, in diesem Fall für die Alliteration gemäß dem phonetischen Extensionstyp (7a: kalon: gut, 7b: epikleten von epikaleo: anrufen; zur Figur vgl. Plett 39). Zusammenfassend läßt sich zu der vieldiskutierten und in der Regel eindeutig beantworteten Frage, ob Jakobus in 2,7 auf die christli che Taufe anspielt, festhalten: Wie in 1,18 und 1,21 formuliert Jakobus terminologisch deutlich atl-theozentrisch, wobei aber für die Adressaten eine tauftheologische Deutung nicht ausgeschlossen werden kann. Eine solche Deutung würde sich noch näherlegen, wenn mit den hier genannten Gegnern der christlichen Gemeinde Juden gemeint sind (was oben ausgeschlossen wurde); setzt man reichere, polytheistisch glaubende Heiden voraus (s. o.), dürfte wohl eher das Bekenntnis zum Monotheismus und der Gedanke des Gottes-Volkes — jedenfalls von Jakobus — assoziiert worden sein. Der Text ist für eine tauftheologische Deutung offen, mehr nicht. Bleibt man stärker textorientiert, ergibt sich zusammen mit 1,18 und 1,21 ein in sich stimmiges Wort- und Motivfeld: Gott »wollte uns und hat uns geboren durch das Wort der Wahrheit« (18a), Christen haben das von Gott »eingepflanzte Wort« anzuneh men (21b). In 2,7 wird die Vermittlung durch urchristliche Ver kündiger angesprochen, wobei der Gedanke der grundsätzlichen Erwählung durch das Ausrufen des Namens Gottes (und/oder Jesu Christi) thematisiert ist. Nicht nur die ärmeren Christen werden geschmäht, sondern der sie erwählende Gott. Insofern verhalten sich die nichtchristlichen Reichen genauso grundsätzlich falsch wie die reicheren Christen ihren ärmeren Mitchristen gegenüber (6a) und wie die christliche Gemeinde grundsätzlich Armen und Reichen gegenüber (2-4). Da Gott Juden wie Christen mit seinem Namen auch seinen Willen
mitgeteilt hat, sind auch Christen auf die Ordnung Gottes, auf die von Gott ge-setzte Tora, auf das »Gesetz« (8 ff.) verpflichtet. Die Struktur der gesamten kleinen Einheit in 2,1-13 zeigt, daß die kleine Digressio in 6b-7b nicht direkt gegen die Reichen gerichtet ist; vielmehr machen diese Verse nur deutlich, daß die Adressaten ohne jeden Grund Reiche bevorzugen; ihre eigenen Erfahrungen müßten dagegensprechen, nicht nur das Gesetz. Auf diese Verbin dung jedoch hebt Jakobus in 2,8-11 ab.
4. Vom Ansehen der Personen und vom Gesetz (2,8-11) Literatur: Berger, Gesetzesauslegung 56-257. - Boyle, M.O. R., The Stoic Paradox of James 2.10, in: NTS 31(1985) 611-617. - Burchard, Chr., Das doppelte Liebesgebot in der frühen Überlieferung, in: Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde. FS J . Jeremias, Göttingen 1970, 39-62. — Ders., Nächstenliebegebot, Dekalog und Gesetz in Jak 2,8-11, in: Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. FS R. Rendtorff, Neukirchen 1990, 517-533. - Johnson, L. T., The Use of Leviticus 19 in the Letter of James, in: J B L 101(1982) 391-401. - Kilpatrick, G. D., Übertreter des Gesetzes, Jak 2,11, in: B Z 23(1967) 433. - Nissen, Gott und der Nächste 192-219.429-465. - Schmidt, K.L., basileia u. a., in: T h W N T 1(1933) 573592. - Schneider, J., parabates, in: T h W N T 5(1954) 733-741.
Zur kontextuellen Einbindung der Verse und zur formalen Gestal tung vgl. die Ausführungen zu Beginn der Verse 2,1-13. Zu den formkritischen Hinweisen folge noch eine Ergänzung, die für das Verständnis der Verse 8 und 9, das von jeher umstritten ist, nicht unwesentlich ist (vgl. Belser 110.113 f.). Zu einer sachgerechten Erklärung ist vielleicht am ehesten mit 9a einzusetzen: Wenn ihr aber: ei de nach dem Ansehen von Personen geht (womit das Thema von 2,1b deutlich wieder aufgenommen wird) enthält einen Gegensatz. Der adversativen Konjunktion de: aber korreliert in 8a - ebenfalls verbunden mit einem Konditionalsatz — nicht die übliche Konjunktion men: zwar, sondern das versichernde men in der Bedeutung von »in der Tat/gewiß« in der verstärkten Form von mentoi mit der lexikalischen Bedeutung von »allerdings/in der Tat/ freilich« (Bauer — Aland 1020): Wenn ihr wirklich/in der T a t . . . Mit dieser kleinen Änderung hat Jakobus einerseits die Eigenstän digkeit des Gedankens in Vers 8 zu Vers 9 betont, zugleich aber auch den Gegensatz festgehalten. Dieser steht noch nicht in Vers 8a (wie üblich angenommen wird), sondern erst in 9a. In Vers 8 for muliert Jakobus aus dem kritisierten falschen Verhalten der armen
gegen die reichen Christen (2-4) und der reichen gegen die armen Christen (5-7) die schriftgemäße Gegenthese. Hier steht im Unter schied zur negativen Formulierung in 2,1b positiv, wann der Christ gut handelt (8d), nämlich dann, wenn jede soziale Schicht bei den Adressaten sich gemäß dem Schriftwort verhält: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (8c in Rezeption von Lev 19,18). Der Gegensatz zu dieser gottgemäßen Sozialordnung, den Jakobus in 2-4 und 5-7 an Beispielen illustriert hatte, wird in 9a zusammen fassend wieder aufgegriffen und in schriftgelehrter Argumentation als solcher entlarvt. Mittels zweier Dekaloggebote in l l a . b macht Jakobus klar, daß Christen das ganze Gesetz der Freiheit (12b) einzuhalten haben, was auf das Thema der kleinen Einheit in 2,1-13 übertragen bedeutet: Wer nach dem Ansehen von Personen geht, wer meint mit Bevorzugungen von Personen den Glauben haben zu können (2b.9a), verfehlt sich nicht nur gegen ein viel leicht nicht für wichtig erachtetes Gebot, sondern gegen das ganze Gesetz. Die richtige Haltung im zwischenmenschlichen Verhalten, die gerichtsentscheidend ist, umschreibt Jakobus mit dem Begriff eleos: Mitleid/Erbarmen/Barmherzigkeit (13b.c) und dürfte damit primär die reichen Christen im Visier haben (s. u.). 8a: Die Wendung das königliche Gesetz: nomon basilikon ist in der Deutung hinsichtlich des Adjektivs stark umstritten. Geht man vom Wortgebrauch des Jakobus aus, legt sich kontextuell ein Verständnis von 2,5c nahe, wonach Gott »die vor der Welt Armen als Reiche im Glauben und als Erben (seines) Königtums (basileia) erwählt hat«. Das Gesetz, die Tora bzw. der nomos wäre demnach »königlich«, weil Gottes Gesetzgebung sowie seine Herrschaft grundsätzlich als »Königtum« verstanden wird. Dieses Verständnis ist auch traditionsgeschichtlich möglich, ohne daß man mit A.Deißmann auf eine Inschrift in Pergamon mit der Wendung »Er hat das königliche Gesetz aus eigenen Mitteln aufgestellt« hinwei sen müßte (Schnider 63), was nicht nur voraussetzen würde, daß diese in der Zeit Trajans eingemeißelte Inschrift aus vorchristlicher Zeit stammen müßte, sondern Jakobus noch einmal (s. o. zu 7a) zu einem weitgereisten Weltbürger machen würde. Traut man Jako bus eine sprachliche Neuschöpfung aufgrund des Kontextes in 2,5c nicht zu, werden als motivgeschichtliche Parallelen immer wieder die unten stehenden Wendungen genannt, wobei zu fragen bleibt, ob eine Rezeption nachzuweisen ist. Was an sogenannten Paralle len (etwa von Dibelius 178), herangezogen wird, besagt nichts, zumal wenn sie aus nachneutestamentlichen Schriften stammen. Doch auch die Hinweise auf Philo tragen nichts aus, denn Wen-
düngen wie, daß die Astronomie »die Königin der Wissenschaften« ist oder die Frömmigkeit »die Königin der Tugenden«, belegen nur, daß im hellenistischen Judentum die Begriffe »König(in)« und »königlich« in übertragenem Sinn belegt sind. Um den göttlichen Ursprung und die göttliche Autorität des »königlichen Gesetzes« zu begründen, ist jedoch der Hinweis auf die Vorstellung von Jahwes »Königtum/Königsherrschaft« im hel lenistischen Judentum und besonders im N T ausreichend (vgl. Schmidt 573-592; seine Auskunft ebd. 593, wonach »der Ausdruck nomos basilikos ... eine vor allem in der antiken Philosophie öfters vorkommende literarische Wendung ist (zB bei Philo passim)«, ist - da er keinen Beleg bietet — wenig hilfreich). Auch der sich öfters findende Hinweis auf Weish 6,20 (»Begierde nach Weisheit führt zur Königsherrschaft«) ist für das Verständnis unserer Stelle nicht weiterführend. Ahnlich steht es um 2 Makk 3,13 (»Heliodor berief sich auf die königlichen Befehle :basilikas entolas und bestand darauf, alles für die königliche ibasilikon Schatzkammer zu beschlagnahmen«), da hier von einzelnen Gesetzen des Königs die Rede ist, nicht jedoch vom königlichen Gesetz, der Tora Gottes (zum Unterschied von Gesetz — Einzelgeboten s. u.). Wie um 2 Makk 3,13 steht es auch um 1 Esr 8,24 (beide Stellen dienen Schräge 28 und ders., Ethik 292 zum Beleg). Dort heißt es: »Und alle, die das Gesetz :nomon Gottes und das königliche Gesetz :ton basilikon namon nicht befolgen, sollen streng bestraft werden«. Zwar ist hier die Wendung ton basilikon durch nomon zu ergän zen, aber auch hier ist nicht das von Gott geoffenbarte Gesetz als königlich verstanden, es wird im Gegenteil davon abgesetzt. Ahn lich steht es um den Vorschlag (Fabris 126-130), Ex 19,6 (»Ihr sollt mir eine königliche Priesterschaft sein und ein heiliges Volk«) als traditionsgeschichtliche Vorlage für Jak 2,8 anzunehmen mit der Begründung, dies sei Israel dadurch geworden, daß Gott ihm das Gesetz gab. Mag dies in der rabbinischen Rezeption oft so gedeutet worden sein (ebd.), Jakobus gibt keinen Hinweis darauf, daß er ebenfalls diese Tradition rezipiert hat. Da sich keine traditionsgeschichtlichen Vorlagen nachweisen lassen und aufgrund der fernliegenden Anklänge zum Syntagma »königli ches Gesetz« die These, »daß er [Jakobus] es [das Prädikat >königlich<] nicht neu geschaffen hat« (Dihelius 178), sich noch weniger begründen läßt, legt es sich aus methodologischen und themati schen Überlegungen nahe, Jakobus primär aus dem Jakobusbrief, konkret aus dem näheren Kontext zu interpretieren. Eine redak tionskritische Lektüre sieht zum einen die Verbindung zur Wen-
dung »Gesetz der Freiheit« in 1,25, zumal diese von Jakobus wohl sehr bewußt in 2,12b wiederaufgenommen wird samt den damit gegebenen Gesetzes-Vorstellungen (vgl. den Exkurs nach 1,25: »Das Gesetz der Freiheit«), zum anderen aber die Aufnahme des Stichwortes basileias: Königtum aus 5c durch das Adjektiv könig lich: basilikon in 8a. Dieser Rückgriff dürfte wohl auch deswegen für die Auslegung entscheidend sein, da das atl Zitat in 8c mit der Forderung deinen Nächsten wie dich selbst zu lieben deutlich als Ergänzung zu 5d (mit der wörtlichen Wiederholung aus 1,12c) zu verstehen ist mit der Aufforderung, Gott zu lieben. Ohne Zweifel hat Jakobus das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe hier deutlich im Visier. Dann aber ist aufgrund dieser doppelten Rückbindung von Vers 8 an Vers 5 »königlich« im Sinne von »göttlich« zu verstehen. Dies entspricht in vorzüglicher Weise den Vorstellungen, die mit der Wendung »Gesetz der Freiheit« im Sinne des Jakobus verbunden sind. Damit stimmt überein, daß in beiden Fällen Gott der Urheber dieser von ihm (in der deutschen Sprache auch etymologisch festgehaltenen) ge-setzten Ordnung ist. Und weiter bestätigt sich diese Deutung dadurch, daß Jakobus insgesamt vom Gesetz: nomos spricht, nicht jedoch vom »Gesetz: entöle« im Sinne von Einzelgesetz/Gebot. Wäre dies der Fall, bezöge sich »königlich« auf die Vor- und Uberordnung des zitierten Gebotes zur Nächstenliebe gegenüber allen anderen Geboten (so dezidiert Mußner 124.242f.; Hoppe, Hintergrund 88f.92; Schnak kenburg, Botschaft 211 f.) - eine Frage, die aus der synoptischen Tradition und aus der paulinischen Literatur durchaus bekannt ist (vgl. Mk 12,28-34 parr; Rom 13,8-10; 1 Kor 13,1-13). An dieser Diskussion beteiligt sich Jakobus nicht. Ihm geht es nicht darum, dem Gebot von Lev 19,18 »königlichen« Rang unter den anderen Geboten zu geben, vielmehr ist das Gesetz/die Tora insgesamt »königlich«, während — im Kontext seiner sozialethischen Pro bleme — das Gebot der Nächstenliebe für die Adressaten nicht nur die Lesehilfe ist für das sachgerechte Verstehen des Gesetzes, vielmehr auch der Maßstab, ob sie gemäß den Weisungen Gottes leben, das Gesetz also »erfüllen«. Jakobus denkt wie auch sonst in 2,8 theozentrisch, so daß sich auch eine christologische Deutung von »königlich« (so Laws 110) nicht nahelegt; Gott ist es, der im Gesetz spricht (lla.b), so daß der Leser in 8a gleichsam vor das Gesetz seines Königs gestellt ist, da nur »ein einziger Gesetzgeber und Richter ist« (4,12). Gerade wenn man die Verbindung zwischen Vers 8a und 5c sieht, ist auch der richterlich-eschatologische Aspekt — der zudem in 12-13 expliziert wird — in 8a mit angesprochen.
Diese grundsätzlich theozentrisch-eschatologische Perspektive bestätigt die Wahl des Verbums in 8a. Wenn Jakobus nicht wie in 10a die übliche Wendung »das Gesetz halten/befolgen: terein« heranzieht, sondern die Wendung das Gesetz erfüllen/vollenden: telein, dann dürfte nicht nur die Lust an der Variation motivierend gewesen sein für diese Vokabel, sondern jenes feste Motivfeld eingewirkt haben, das im Jak mit dem Begriff »vollkommen« (l,4a.b. 17.25; 3,2) und den partiellen Synonymen »ganz: holokleros« (1,4b) und »einfach: haplos« (1,5) umschrieben wird. Die Wendung, das Gesetz »vollenden/verwirklichen«, ist nicht nur quantitativ stärker als die Wendung das Gesetz »halten/befolgen«, sondern meint eine neue Qualität. Wenn wirklich Ziel aller erlitte nen Erprobungen »ein vollkommenes Werk« (1,4a) ist, damit die Adressaten selbst »vollkommen und ganz« sind (1,4b) und als so Bewährte »den Kranz des Lebens empfangen, den er (Gott) denen verheißen hat, die ihn lieben« (l,12b.c), wenn wirklich die so Charakterisierten als »Reiche im Glauben und Erben (von Gottes) Königtum erwählt« sind, »das er denen verheißen hat, die ihn lieben« (2,5c.d), dann zielt Jakobus in 2,8a als Antwort des Men schen auf die von Gott gegebenen Weisungen auf die eingeforderte Grundhaltung (im Griechischen steht das Präsens) der Vollkom menheit. Was in 2,8a verbal und anthropozentrisch formuliert ist (»das königliche Gesetz vollenden/erfüllen«), wird in 1,25a — sachlich damit identisch, was im Griechischen für das vom gleichen Stamm abgeleitete Adjektiv teleios: vollständig/vollkommen unübersehbar ist — vom Gesetz selbst gesagt (»Wer sich aber vertieft in das vollkommene Gesetz der Freiheit und dabei verharrt«). Dem Gesetz Gottes gegenüber soll der Christ nach Jakobus »ungespal ten« sein (1,8a), d. h. ganz und einfach, also vollkommen. Die Assoziationen beim Verbum »erfüllen« bestätigen demnach die bewußte Wahl dieses Begriffes in 8a. War bereits in 1,4a »ein vollkommenes Werk« Zeichen des wahren Glaubens und der Ungespaltenheit (was von Jakobus besonders in 2,14-26 weiter ausgeführt wird), so betont er auch in 8c.d ohne weitere Begrün dung, daß der, der wirklich generell seinen Nächsten wie sich selbst liebt, gut handelt. Im Kontext von 2,1-9 kann der Christ seinen Nächsten nicht aussuchen, er kann nicht »nach dem Anse hen von Personen« gehen (9a; vgl. l b ) . Konkret bedeutet dies: Arme wie reiche Mitchristen sind nach den gleichen Maßstäben zu behandeln. Dabei ist der Maßstab der Eigenliebe (vgl. die Wen dung wie dich selbst) wohl bereits im A T eine aus langen Erfahrun-
gen erwachsene Grundnorm, die nicht nur die Selbstliebe als positive Voraussetzung betont, sondern diese dann auch als Richt schnur für solidarisches Handeln sehen kann. Daß dabei die Bru derliebe in einigen jüdischen Kreisen auf den eigenen Glaubens und Volksgenossen beschränkt wurde, ist genauso nüchtern und kritisch zu sehen wie die sich im N T abzeichnende immer stärkere Konzentrierung der Nächstenliebe auf die Bruderliebe innerhalb der eigenen Gruppe — nicht nur in den johanneischen Gemeinden. Von der grenzüberschreitenden Offenheit der Konzeption Jesu hinsichtlich der Feindes- und Nächstenliebe sind die einen wie die anderen gleich weit entfernt. Christliche Gruppen haben hier jüdischen Gruppen zur Zeit des N T nichts voraus, wobei man nüchtern die Beschränkung der Nächstenliebe auf die eigene Gruppe aufgrund der Situation als Minderheit in andersgläubiger Umgebung beachten muß. Die Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe, wie Jakobus sie in 2,5d (in Aufnahme von 1,12) und 2,5.8a.c betont (anders Schräge, Ethik 293), steht in einer festen Auslegungstradition (Berger, Gesetzesauslegung 362-395). Das Gebot in Lev 19,18: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst im Kontext von Lev 19,15 (»Ihr sollt in der Rechtsprechung kein Unrecht tun. Du sollst weder für einen Armen noch für einen Mächtigen Partei nehmen: lempse prosopon; in Gerechtigkeit sollst du deinen Nächsten richten«) ist nur ein Beleg unter vielen (Johnson sieht nicht nur in 2,8 einen direkten Rückgriff auf Lev 19,18b, sondern geht auch in 2,1.9; 4,11; 5,4.9.12.20 von einer Rezeption von Motiven aus Lev 19,12-18 aus; die breitbelegten und festgeprägten Traditionen im Frühjudentum und Urchristentum erschweren den Nachweis einer solchen These; s. u. zu den einzelnen Stellen). Zur Geschichte des Wortfeldes die ihn lieben s. o. die Auslegung zu 1,12. Hier ist noch einmal daran zu erinnern, daß Jakobus hinsichtlich der Verbindung von Gottesliebe und Halten seiner Gebote in 1,2-4.12 Sir 2,15f. rezipierte:
15 Die den Herrn fürchten, werden nicht ungehorsam sein seinen Worten, und die ihn lieben, werden beachten seine Wege. 16 Die den Herrn fürchten, werden sein Wohlgefallen suchen, und die ihn lieben, werden ganz in sich aufnehmen das Gesetz.
Gottesliebe und Nächstenliebe, die Liebe zu Jahwe und das Halten seiner Gebote stehen — wie im Frühjudentum — auch bei Jakobus in Einheit und Korrelation zueinander (zum Frühjudentum vgl. Nissen 161-167.219-244). Dem christlichen Glauben tut es keinen Abbruch festzustellen, daß die Verbindung des Gebotes der Got tesliebe (vgl. Dtn 6,4 f.) mit dem der Nächstenliebe (vgl. Lev 19,18) nicht erst von Jesus formuliert wurde, wie man lange meinte annehmen zu müssen. In der Ethik und Moraltheologie der christ lichen Kirchen dauerte es bis in die zweite Hälfte dieses Jahrhun derts, wie die Diskussion um das spezifisch Christliche in der Ethik Jesu und um »das Proprium christlicher Moral« (vgl. Schnacken burg, Botschaft I 25-27) zeigt, die Erkenntnis zu akzeptieren, daß es material-inhaltlich kein spezifisch christliches Ethos gibt (sieht man von der christologischen Begründung ab). Auch die Verbin dung von Gottes- und Nächstenliebe geht schon auf das vorchrist liche, vor allem hellenistische Judentum zurück (vgl. Burchard und Berger 56-257), was auch die synoptische Tradition voraussetzt. Nach Mk 12,30 f. zitiert zwar Jesus selbst die beiden Gebote, jedoch läßt Markus einen Kommentar des jüdischen Schriftgelehr ten folgen: »Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt ...« (12,32). Nach Lk 10,27 ist es sogar der jüdische Gesetzeslehrer selbst, der die beiden Stellen aus dem A T zitiert, während Jesus den Kommentar liefert: »Du hast richtig geantwortet. Handle danach, und du wirst leben« (10,28). Überall wird wie in Jak 2,5d und 2,8c die Liebe zu Gott und zum Nächsten, also Glaube und soziales Tun miteinander verbunden. Glaube schließt für Jakobus immer die Glaubenspraxis ein (zum Verhältnis von Glaube und Werk vgl. besonders 2,14-26). Legen Christen ein solches Tatzeugnis ab, kann Jakobus dem wirklich mit handelt ihr gut zustimmen. 9a-c: Formal (s. o.) und inhaltlich ist die Antithese klar: Wer »Ansehen von Personen« praktiziert, tut/wirkt auch ein Werk, aber die Sünde. Daß Jakobus nicht einfach »sündigt« schreibt, ist zum einen darin begründet, daß ihm am Parallelismus zu 8c liegt (»handelt ihr gut«), vor allem aber wohl deshalb, weil er im gesamten Brief den in Werken wirksam werdenden Glauben beto nen möchte und deshalb die Substantive »Werk« sowie »Täter« und »Tun«, dann aber auch das Verbum »tun« durchgehend betont (vgl. oben die Matrix am Ende von Exkurs 1). Wie nach 1,20 »der Zorn eines Mannes nicht die Gerechtigkeit Gottes erwirkt«, da dies nicht »ein vollkommenes Werk« (1,4a) ist, so ist auch Parteilichkeit gegen Arme und Reiche deswegen eine Sünde, weil sie dem Gesetz widerspricht. Wurde in 8c solidarisches Verhalten vom Gesetz/
von der Tora als Zeuge bestätigt, so wird das kritisierte unsolidar ische Verhalten in der Gemeinde von der Schrift als Anklägerin überführt. Von der theozentrischen Grundstruktur des Jak her ist dies eine bildliche Redeweise; wie Gott der Gesetzgeber ist, so ist auch er selbst der Richter (vgl. 4,12). Wer sich also parteiisch verhält, sündigt gegen Gott. Von diesem theozentrischen Ansatz her wird deutlich, daß Unsolidarität nicht gegen eines von vielen Geboten verstößt, sondern gegen das gesamte Gesetz (ein Grund mehr, warum Jakobus in diesen Versen durchgehend den Begriff »Gesetz« verwendet, nicht jedoch den Begriff »Gebot/Einzelge setz«). Dem entspricht, daß beim Begriff parabates: Übertreter/ Gesetzesbrecher in 9c im Anschluß an den jüdisch-hellenistischen Sprachgebrauch (vgl. Schneider 734) im N T immer der Übertreter gegen Gottes Gebot und Ordnungen gemeint ist. In der Septua ginta meint Übertretung Sünde gegen Gott (vgl. Jes 66,24; 3 Makk 7,10; Num 14,41; Dtn 1,43; Sir 39,31 u. a.). Auch für Jak 2,9 gilt: »Weil alle Gebote auf einen Urheber zurückgehen, trifft die Über tretung eines Gebotes Gott genauso, wie die Mißachtung aller Gebote« (Schneider 738). Der Begriff »Übertreter« »kennt keine Abstufungen. Wenn sie es sind, sind sie es eben ganz« (Hauch 109). Damit dieser Gedanke absolut unmißverständlich die Leser erreicht, fügt Jakobus ihn explizit zur Begründung (vgl. »denn«) in Vers 10 an. Aufgrund der Stichwortverbindung »Ansehen von Personen« in 2,1b und 2,9a sei daran erinnert, daß die Widersprüchlichkeit einer solchen Haltung dem Gesetz gegenüber in gleichem Maße auch dem christlichen Glauben gegenüber (2,lb.c) gilt. Dies schließt ein, daß die von Gott Israel gegebene jüdische Tora auch für Christen unbedingt gültig ist. Jakobus gibt keinerlei Hinweise, daß er ein spezifisch »christliches Gesetz« meint, das sich obendrein vom jüdischen dadurch unterscheidet, daß es »nicht durch Peinlichkeit in den kleinen Dingen, sondern durch die Erfüllung des großen Liebesgebotes befolgt« wird (so in Verkennung der literarischen Quellenlage Dibelius 179). Auch jüdischer Ethik geht es neben den Aspekten des Alltags in ihnen und darüber hinaus immer um die Erfüllung des großen Liebesgebotes, wie man von den großen Propheten Arnos und Hosea im 8. Jh. bis zu den Liebespharisäern in der Zeit des Neuen Testamentes in vielen Texten mit Fremdund Selbstkritik belegen kann (vgl. Frankemölle, Handlungsanwei sungen 147-153). Daß es in Praxis und Theorie des jüdischen Gesetzes-Verständnisses auch Legalismus und Leistungsfrömmig keit gegeben hat, dafür dürften gerade katholische Christen ange-
sichts des Codex des kanonischen Rechtes sensibel sein (oder sollten es!), ebenso aber auch evangelische Christen trotz der »Freiheit eines Christenmenschen«. Rigoristen, Fundamentalisten und Buchstaben-Eiferer gab und gibt es in allen Religionen. Gerade uns als Christen in Deutschland steht es nicht an, nach Mt 7,1-5 den Splitter aus dem jüdischen Auge zu ziehen und den Balken im eigenen Auge zu übersehen. lOa-c: Dieser Vers weitet die These von Vers 9 (Verfehlungen gegen das Gesetz durch Ansehen von Personen) ins Grundsätzliche aus; er begründet (10a: denn) von einem bestimmten Tora-Ver ständnis her die These von Vers 9 und radikalisiert sie umfassend. Das Prinzip ist unmißverständlich: Auch wer das ganze Gesetz hält und alle Gebote erfüllt, sich aber in einem einzigen (etwa dem Liebesgebot zur Solidarität gegenüber Reichen und Armen) ver fehlt, verfehlt sich gegen alle, da er sich damit gegen die Tora insgesamt als Sozialordnung Gottes und damit gegen Gott selbst verfehlt. Wäre eine solche Gesetzesmaxime nicht eingerahmt vom »Gesetz der Freiheit« (l,25a.b und 2,12b), könnte man Jakobus in der Tat »Nomismus« (Schräge 29) oder sogar »nomistischen Positi vismus« (Lüdemann, Paulus der Heidenapostel II 2 0 1 ; Walker, Allein 177) vorwerfen, da dann die kleinste rituelle Vorschrift genauso wichtig wäre wie die Gebote der Gottes- und Nächsten liebe. Wie immer man das Gesetzes-Verständnis des Jakobus umschreibt (s. o. den Exkurs nach 1,25), es sei deutlich gesagt: Der nicht nur vom Wort her (wie alle Begriffe auf -ismus), sondern auch ökumenisch belastete Begriff »Nomismus« trifft die ToraFrömmigkeit des Jakobus nicht. Dies deswegen nicht, da Jakobus wie die Verfasser des Hebräerbriefes und des Johannesevangeliums Repräsentant für »die Zeit nach dem Kampf um das Gesetz« ist (so W.Gutbrod, nomos, in: T h W N T 4,1942, 1016.1071-1077). Jako bus hat bei »Gesetz« nicht mehr die Assoziationen des Paulus, der im Kampf um das Gesetz steht. Weil Jakobus bei »Gesetz« über haupt nicht mehr an rituelle Vorschriften wie Beschneidung u. a. denkt sondern nur noch an anthropologische und sozialethische Aspekte — und dies auch wohl bei seinen Adressaten voraus setzt —, kann er eine weitverbreitete jüdische Gesetzesmaxime übernehmen. Christen sollen aus dem Gesetz nicht auswählen, nach eigener Lebenssituation (bedingt durch Armut oder Reich tum) wichtigere und weniger wichtigere Gebote auswählen, viel mehr das ganze Gesetz als von Gott ge-setzte Sozialordnung akzeptieren und erfüllen. Darin stimmt Jakobus im übrigen mit dem Verfasser des MtEv überein (vgl. Mt 5,18-20; 28,20 u. a.), der
jedoch damit die Vorrangigkeit der Gottes- und Nächstenliebe als oberstes Gebot (vgl. Mt 9,13; 12,7; 22,38f.) verbindet. So deutlich wird bei Jakobus weder die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe (doch vgl. in Rückgriff auf 1,12 die Wendung die ihn lieben in 2,5d mit der Wendung du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst in 8c), noch die Vorrangstellung dieser Gebote. Letztere dürfte für ihn hinsichtlich der Gottesliebe unfraglich sein, hinsichtlich der Nächstenliebe aufgrund der formalen Struktur von 2,1-13 und der Stellung von Vers 8 als zusammenfassende These ebenso unbestrit ten sein. Ansonsten stimmen Matthäus (zum matthäischen Gesetzes-Verständnis vgl. Frankemölle, Jahwe-Bund 273-307) und Jako bus (s. o. den Exkurs nach 1,25) im Grundansatz überein (so auch Mußner 243 f.). Die von Jakobus rezipierte Gesetzesmaxime, daß das ganze Gesetz und damit auch die in ihm enthaltenen Gebote alle prinzipiell theologisch gleichwertig und damit alle zu erfüllen sind, belegt neben Matthäus (zu 3,15; 23,5 und 28,20 vgl. Frankemölle 91-105) auch Paulus (vgl. Gal 3,10; 5,3), der sie jedoch polemisch ablehnt. Auch in Qumran wird oft von »Gerechtsein in allem« gesprochen (vgl. etwa 1 QS 1,2ff..8; 8,1; 9,13). Qumran, Jakobus, Paulus und Matthäus gehen zusammen auf eine gemeinsame Wurzel zurück: das alttestamentliche Toradenken. Wendungen wie »alle die Worte dieses Gesetzes tun« (vgl. Dtn 29,29; 31,12; 32,46; vgl. auch Num 5,30; 9,3; Est 1,13) und »alles zu halten, was ich [Moses bzw. in der Regel Jahwe als Subjekt] euch aufgetragen habe« (vgl. Jos 22,2; Ex 7,2; 29,35; 34,32; 2 Kön 21,8; 2 Chr 33,8 u.ö.) finden sich durchgehend in den geschichtlichen Büchern der Septuaginta, wer den aber geradezu formelhaft im Dtn gebraucht (1,3.18; 4,lf.5.14.40; 5,1; 6,1.17.20.24f.; 7,11; 8,1.6; 10,12f.; 11,1.22.32; 12,1.11.14 u.ö.). Der ganze Wille Gottes soll verwirklicht werden. Dabei werden gerade vom Deuteronomisten die Einzelweisungen theologisch im Begriff nomos/Gesetz, der »das Ganze der heilsa men Willenszuwendungen Jahwes an Israel« meint (v. Rad, Theo logie I 235; vgl. ausführlicher ebd. 203-216.232-244), vereinheit licht. Nichts anderes tun auch Jakobus und Matthäus. Wie stark dieses Gesetzesprinzip der Totalität nachgewirkt hat, läßt sich nicht nur an der rabbinischen Literatur nachweisen (vgl. Billerbeck III 755 zu Jak 2,10 und IV 7f..22 zum MtEv), auch Philo wie auch sonstiges zwischentestamentarisches Schrifttum rezipieren solche Vorstellungen. An Beispielen seien zitiert: »Denn kleine und große Sünden sind gleich ernst, wird doch in beiden Fällen das Gesetz gewissermaßen gleich mißachtet« (4 Makk 5,20).
»Hinsichtlich der Tugenden soll man sagen: Wer eine hat, hat alle« (Philo VitMos II 7; vgl. ders. Virt 216). »Wer ein Gebot hält, ist wie einer, der die ganze Tora gehalten« (Midr Spr 1,10). »Wenn Rabban Gamaliel an diese Schriftstelle [Ez 18,5-9] kam, weinte er und sprach: >Wer dies alles tut, der soll leben, durch eins von ihnen nicht<... Wer eins von ihnen ... tut, ist, als ob er sie alle getan« (Sanh 81a; zu weiteren Stellen vgl. Nissen, Gott und der Nächste 335-342; die Interpretation von 2,10 als »stoisches Paradox«, wie Boyle 615 vorschlägt, ist nicht zwingend). Selbstverständlich kann eine solche Haltung in Formalismus, Lega lismus und Leistungsfrömmigkeit umschlagen, indem das kleinste Gebot zum größten gemacht wird, was sich bekanntlich in jeder Religion feststellen läßt. Damit ist man jedoch weit vom positiven Verständnis solcher Grundsätze entfernt, die sich durchaus auch in der antiken Philosophie finden, um die Ganzheit und Einheit des menschlichen Seins und Tuns zu umschreiben. »Wer eine einzige (Tugend) hat, hat alle« (Diog Laert VII 125). Diese philosophische Maxime des Zeno findet sich fast wörtlich auch bei Cicero: »Wer eine habe, habe alle Tugenden« (De officiis II 10; vgl. auch Plut Mor 1046f.). Wie weit die zeitgenössische hellenistische Ethik auf Jakobus eingewirkt hat, muß offenbleiben (s. o. zu 1,4f.), wäh rend der Einfluß der atl Traditionen aufgrund der Zitate in 8c und l l b . c offen zutage liegt. Jakobus versteht die einzelnen Gebote als Bausteine einer übergreifenden Ordnung, die »als ineinandergrei fende Glieder einer erst in der Gesamtheit aller Gebote vollkom menen Ordnung gleicherweise an deren Vollkommenheit beteiligt sind« (Nissen 337). Dieser Logik entspricht auch Vers 11. l l a - d : Auch dieser Vers steht im Kontext der Frage nach dem Ansehen von Personen (2,lb.9a), näherhin zielt er für die Verse 2-4.6a.6b-7a.9b.c auf das Fehlverhalten und erläutert zudem an konkreten Beispielen aus dem Dekalog die These von Vers 10. Da er die Gebote aus dem Dekalog wörtlich zitiert (vgl. Ex 20,13f.; Dtn 5,17f.), ist ein Einfluß von Sir 34,26f. (»Den Nächsten mordet, wer ihm den Unterhalt nimmt, Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält«), wo vom Morden im übertragenen Sinne gesprochen wird — was ohne Zweifel in Jak 4,1 f. und 5,5 f. rezipiert wurde —, in 2,11 abzulehnen. Beide Gebote sind konkret sozialethisch zu verstehen; sie sind so konkret, wie das kritisierte unchristliche Verhalten in der gesamten kleinen Einheit 2,1-13. Hier geht es weder um »Gesinnungsethik« (Dihelius 182), noch um »eine Art von (geistigem) >Ehebruch<« (Mußner 126). Auch machen die Ausführungen des Jakobus in 2,10 f. im Vergleich zu
Paulus nicht »einen so harmlosen und untheologischen Eindruck« (Dibelius ebd.), vielmehr ist Jakobus sehr viel fordernder und theologisch praktischer orientiert. Wollte man Jakobus mit Paulus an dieser Stelle vergleichen, wären nicht Stellen aus den lehrhaften, sondern aus den paränetischen Teilen der paulinischen Briefe her anzuziehen (zur näheren Begründung vgl. Felder 62ff.). Jakobus behandelt deutlich die Frage nach der Rechtfertigung vor dem Gesetz (9c.lld) im Kontext sozialer Spannungen bei den Adressa ten. Daß Jakobus hier das sechste Gebot vor dem fünften zitiert, entspricht einer beachtlichen Reihe von hebräischen Handschriften in Ex 20,13 ff. und von griechischen Handschriften in Dtn 5,17f., was im N T von Lk 18,20; Rom 13,9 und einem Teil der Hand schriften in Mk 10,19 bestätigt wird. Auch Philo setzt diese Rei henfolge in seinem Werk über den Dekalog voraus (Decal 51.121.168-170; vgl. auch SpecLeg III 8). Man sieht, der hebräi sche und griechische Wortlaut des Dekalogs war noch nicht absolut fixiert. Wichtiger als dies ist in l l a . b die formal und inhaltlich betonte Identität des Gesetzgebers der einzelnen Gebote; diese werden als Aspekte der einen Willensgebung des die Weisungen offenbaren den Gottes verstanden. Jakobus nimmt hier gleichsam das Grund bekenntnis Israels aus 2,19a (»Es gibt einen einzigen Gott«) vor aus — übertragen auf das Gesetz, was explizit in 4,12 geschieht (»Ein einziger ist Gesetzgeber und Richter«). Damit hat sich die theozentrische Interpretation von Vers 8a und die These von der Einheitlichkeit des Gesetzes in 9c.l0a-c bestätigt. Für den, der es gleichsam immer noch nicht verstanden hat, entfaltet Jakobus diesen Gedanken in 11 c d . Was in lOa-c allgemein formuliert wurde, wird in 11 c d konkreti siert. Wie dort die grundsätzliche theologische These in jüdischer Literatur gut belegt war, so finden sich auch hier entsprechende Parallelen (vgl. Billerbeck III 755; IV 22), ohne daß eine Abhängig keit nachzuweisen ist. So heißt es zum Verhältnis des Zinsverbotes zu den anderen Verboten: »Komm und sieh. Wer auf Zins leiht, übertritt alle Übertretungen, die es in der Tora gibt« (ExR 31,92c). »Ein anderer stiehlt, tut Unrecht, raubt, betrügt, hat aber Mitleid mit dem Armen, so hat auch dies zwei Seiten; das ganze ist ein übel Ding. Wer seinen Nächsten übervorteilt, Gott erzürnt und falsch beim Höchsten schwört, mit Bettlern aber Mitleid hat, dem Lehrer des Gesetzes aber keine Achtung zollt und ihn erzürnt, dabei erquickt er Arme, und er befleckt die Seele, den Körper aber macht
er glänzen, der viele tötet, mit wenigen Erbarmen hat, so hat auch dies zwei Seiten; das ganze aber ist ein übel Ding. Ein anderer treibt Ehebruch und Buhlerei; dabei enthält er sich der Speisen; solang er fastet, tut er Böses, stößt durch Gewalt und Reichtum viele weg; trotz riesengroßer Bosheit hält er aber die Gebote, so hat auch dies zwei Seiten; das ganze aber ist ein übel Ding. Derartige sind Schweine, die, rein, weil sie gespaltene Klauen haben, und doch in Wahrheit unrein sind. Das sagt Gott auf den Tafeln des Gesetzes ebenso« (Test Ass 2,5-10). »Glaube ja nicht, der Genuß unreiner Speisen sei für uns eine kleine Sünde! Denn kleine und große Sünden sind gleich ernst, wird doch in beiden Fällen das Gesetz gewissermaßen gleich mißachtet« (4 Makk 5,19-21). Wohl jede Religion, die unterschiedlich gewichtige Gebote kennt, kommt in dieses hier sichtbar werdende Dilemma, auch die kleinsten theologisch zu legitimieren und ihr Verhältnis zu den großen Geboten zu bestimmen. Dieses Dilemma kennt Jakobus nicht, da er im ganzen Brief keine Kult-, Reinheits- oder Speisevorschriften anspricht, vielmehr das gesamte Ritualgesetz übergeht und in der Konzeption des Sozialgesetzes die einzelnen Gebote als Element des einen Gesetzes interpretiert (vgl. lOa-c). All dies im Horizont seiner These vom Verständnis des Gesetzes als »vollkommenem Gesetz der Freiheit« (1,25; 2,12b). Sieht man diese Geschlossenheit, dann ist es logisch, daß bereits in 9c und l l d der Gerichtsgedanke angesprochen wurde. Ausführlich geschieht dies jedoch erst in 12-13.
5. Von Barmherzigkeit und Gericht (2,12-13) Literatur: Bücbsel, F. - Herntrich, V , krino u. a., in: ThWNT 3(1938) 920-955. - Heiligenthal, R., Werke der Barmherzigkeit oder Almosen? Zur Bedeutung von eleemosyne, in: N T 25(1983) 289-301. - Johnson, B., mispat, in: ThWAT 5(1986) 93-107. - Kamiah, £ . , Barmherzigkeit. II NT, in: T R E 5(1980) 224-228. - Preuß, H. D. Barmherzigkeit. I AT, in: ebd. 215-224. y
12 a So redet und so handelt, b da ihr durch das Gesetz der Freiheit werdet gerichtet werden. 13 a Denn das Gericht ist unbarmherzig gegen den, b der nicht Barmherzigkeit tat. c Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.
12a-13c: Wie die kleine Einheit bisher durch Konjunktionen for mal und inhaltlich außerordentlich stark vom Verfasser als einheit licher Text gestaltet wurde, so auch in den beiden abschließenden Versen. Zunächst scheint Jakobus in 12a den im vorhergehenden entwickelten Gedanken allgemein zusammenzufassen mit dem zweimaligen »So«: So redet und so handelt! — gemäß der in den vorhergehenden Versen genannten schriftgemäßen Norm der Nächstenliebe (8c) oder der Grundorientierung durch Gottes königliches Gesetz generell (8a). Die Wendung in 12a »So handelt« nimmt demnach die Wendung »handelt ihr gut« in 8d wieder auf. Die Wendung »So redet« zielt auf das kritisierte falsche sprachliche Verhalten in Vers 3 und Vers 7, dem aber ein falsches nichtsprachli ches Verhalten in der konkreten Sozialethik entspricht. Reden und Tun sind für Jakobus nur zwei Seiten einer Medaille gemäß der in der Propositio (1,19-27) angegebenen Thematik. Mit Hilfe der beiden Imperative wird hier in Kurzfassung der Imperativ von 1,22 (»Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer«) aufgenom men. Wie stark Jakobus diesen Rückbezug zur Propositio sieht, zeigt die Wendung das Gesetz der Freiheit in 12b mit deutlichem Rückbezug auf 1,25a (»das vollkommene Gesetz, das der Frei heit«). Dieses ist auch nach 1,25 Maßstab dafür, ob der Christ in Ubereinstimmung von Wort und Tat »selig sein wird in seinem Tun« (l,25d). Die Einheit von Reden und Tun — das große Anliegen des gesamten Briefes! — wird rückschauend noch einmal in 2,12a in unnachahmlicher Kürze auf den Punkt gebracht. Der Vers 12a wie auch das doppelte »So« blicken jedoch nicht nur zurück, vielmehr auch voraus, da gemäß der Themenangabe in 1,19 Jakobus das Thema »Nur-Hörer und Täter des Wortes« ausdrück lich in 2,14-26 entfaltet, die Stichworte »Reden« (1,19c) und »Zunge« (1,26b) entgegen in 3,1-12. Beachtet man diesen übergrei fenden Kontext, dann ist der Vers 12a als Scharniertext zu interpre tieren, der an diese große Disposition erinnert, wobei jedoch die angesprochenen Aspekte — wie in 1,19 — wiederum chiastisch entfaltet werden: Zuerst behandelt Jakobus das Handeln/Tun in 2,14-26, dann das Reden/Sprechen in 3,1-11. Vers 12 (und 13; s. u.) kündigen demnach auch zukünftige Textab schnitte an. Das zweimalige So bezieht sich dann auf das Folgende, dem das Wie/Da am Beginn von 12b entspricht. Demnach wäre paraphrasierend zu übersetzen: »So redet und so handelt wie solche, die im Bewußtsein leben, gerichtet zu werden«. Bei dieser Interpretation ist das Gericht das grundlegende Motiv zum richti gen Handeln im Sinne des Jakobus, während in der ersteren
Deutung die Sozialordnung Gottes in der Tora die Begründung liefert. Grammatisch sind beide Deutungen möglich, inhaltlich kontextuell ebenso (zu beiden Aspekten sprachlich sehr sensibel Belser 117f.). Dies sind keine Gegensätze, da Jakobus auch bislang schon den Hinweis auf das Gericht keineswegs hat vermissen lassen (l,12a-c.20b.21c). Die Praxis der Welt (l,20a.21a.26b) führt — daran ließ Jakobus schon bislang keinen Zweifel — nicht zur »Gerechtigkeit Gottes« (1,20b), mit ihr kann man nicht »den Kranz des Lebens« (1,12b) und Gottes »Königtum« (2,5c) erwer ben. Schon bisher ging es Jakobus um Tod und Leben innerhalb seiner Konzeption von den zwei Wegen. Jakobus hat von Anfang an die Ethik unter eschatologischer Perspektive gesehen (s. o. den Exkurs nach 1,12), so daß auch der Gerichtsgedanke in 2,12b für den Leser nicht unvorbereitet kommt. Zudem tauchen die Begriffe »Richter« (2,4b) und »Gericht« (2,6c) gleichsam vorbereitend im näheren Kontext im weltlichen Sinne auf. Die Wendung Gesetz der Freiheit in 12b qualifiziert hier das Gericht theologisch, was traditionsgeschichtlich (s. u.) bestätigt wird. Dies wird im Verlauf des Briefes besonders in 4,11-12 ganz eindeutig, wo ausgehend vom Gedanken, daß es nur einen einzigen Gesetzgeber und Richter gibt, das zwischenmenschliche Richten, das dieser Ordnung widerspricht, abgelehnt wird (vgl. auch 5,6). Daß der Gerichtsgedanke nach einem kurzen Zwischenhinweis in 3,1 erst im Epilog in thematischer Entfaltung amplifiziert wird (5,7-12), gehört zur Strategie des Briefes. Die These selbst ist epigrammartig in 2,12f. vorweggenommen; dies gilt auch für den Gedanken, wonach die Barmherzigkeit über das Gericht trium phiert (13c), da Jakobus mit einem ähnlichen Gedanken in 5,20 den Brief ausklingen läßt: »Wer einen Sünder zurückbringt von der Irre seines Weges, wird seine Seele aus dem Tode retten und eine Mengen von Sünden zudecken.« Diese Hinweise zum größeren Kontext zeigen, wie überlegt Jako bus relativ früh im Brief in aller Klarheit den eschatologischen Ausblick im Hinblick auf das konkrete Problem des Ansehens von Personen in der Gemeinde (2,1 ff.) formuliert hat. Seine These lautet: Das Ansehen von Personen ist eine Sünde, die vom Gesetz als solche aufgedeckt wird (9); mit ihr kann der Christ nicht vor dem Gesetz als von Gott gesetz-ter Sozialordnung bestehen (10-11), was nach traditionellem Verständnis im Gericht offenbar wird (12b. 13). Dabei wird das Verständnis von Gericht jedoch bei Jakobus (vgl. das begründende »denn« in 13a) eindeutig interpre tiert. Wie immer man das Gericht und die Maßstäbe des Gerichtes
zu seiner Zeit verstanden haben mag, er interpretiert das Gericht durch und bindet es an »das Gesetz der Freiheit« (12b). Dies ist seine ureigene redaktionelle Intention, womit auch deutlich ist, daß Barmherzigkeit/Erbarmen kontextuell, d. h. im Sinne der Näch stenliebe zu interpretieren ist. Das Gebot Gottes »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (8c) ist in der Intention von Vers 5 primär als Barmherzigkeit gegen die Armen zu verstehen. Dies bestätigen auch die folgenden Verse 2,14ff., w o ebenfalls der Gedanke der Solidarität mit dem Gerichtsgedanken in 14d (»Kann ihn etwa der Glaube retten?«) verbunden wird. Aufgrund der redaktionellen Intention erscheint es unbegründet, daß in Vers 13 »ein isolierter Spruch« (Dibelius 183) vorliegt, der nach Form und Gehalt den Eindruck »einer ziemlich festgeprägten Sentenz« (Muß ner 126) macht. Auch die beiden Imperative in 12a beruhen auf grund der kontextuellen Einbindung kaum »auf katechetischer Gewöhnung« (Dibelius ebd.). Welche Traditionen wirkten auf Jakobus hier ein? Zum Syntagma das Gesetz der Freiheit (s. o. zu 1,25) sei daran erinnert, daß diese Wendung vor Jakobus nicht belegt ist. Auch wenn er Elemente der stoischen Freiheitsphilosophie — eventuell in der Vermittlung durch Philo - rezipiert hat, war es Jakobus mit seiner sprachschöpferischen Kraft, dem eine neue, treffliche Wort verbindung gelungen ist. Auch der Gedanke des Gerichtes durch ein so verstandenes Gesetz kann demnach als redaktionell bezeich net werden, da die Wendung durch das Gesetz gerichtet werden sonst nicht belegt ist, während Aussagen, daß Gott den einzelnen, Israel bzw. die ganze Welt richtet, häufig belegt sind (z. T. auch im theologischen Passiv ohne Nennung Gottes; vgl. etwa Mt 7,lb.2b; Lk 6,37b). Dadurch bestätigt sich noch einmal, daß Jakobus in 2,5-13 verstärkt theozentrisch denkt — um des Begriffes »Gesetz« willen, von dem der Abschnitt geprägt ist (8a.9c.10a.12a sowie die Zitate und Anspielungen aus der Tora), jedoch auch die anthropo logische Perspektive, d. h. die Verantwortung des Menschen ange sichts der vorliegenden Tora betonen möchte. Dies entspricht seiner Intention, mit allen formalen und inhaltlichen Mitteln auf die Adressaten einzuwirken. Im übrigen kann Jakobus bei der Verbindung von »Gericht« und »Gesetz« auf den Sprachgebrauch der Bibel zurückgreifen, da in der hebräischen Bibel mispat beide Bedeutungen umfaßt (ThWAT 5, 95 f.), zumal die Septuaginta die betreffenden hebräischen Wörter für »Recht/Gerechtigkeit/ Gesetz/Vorschrift« und hier vor allem mispat mit krima: Urteil/ Strafgericht oder krisis: Gericht wiedergibt (ebd. 106). Weil dem so
ist, sollen Richter nach den Geboten Gottes richten (vgl. Num 35,24; Ez 44,24; 2 Chr 19,10; vgl. ebd. 103). Ein Einfluß auf Jakobus ist nicht nachzuweisen, zumal an den genannten Stellen verbale Formulierungen vorliegen. Unabhängig voneinander drängten sich solche gedanklichen Verbindungen wohl auf, was auch für den folgenden Vers gilt. In 13a-c fügt Jakobus mit dem Begriff eleos: Mitleid/Erbarmen/ Barmherzigkeit ebenfalls nicht einen absolut neuen Gedanken an (anders Dihelius 183: »Ein isolierter Spruch«; ähnlich Mußner 126). Daß Gottes »Rechtsprechung/Gericht/Recht/Gesetz« wahr (Ps 19,10), gut (Ps 119,39), richtig (Ps 119,137) und gerecht (Ps 119,75; vgl. auch Ps 119,7.106; Jes 58,2), aber auch barmherzig (vgl. Jes 30,18 f.) ist, belegt, daß im biblischen Kontext die Abfolge von Vers 12b zu 13a.c nicht ungewöhnlich ist (zur biblischen Entwicklung vgl. T h W N T 3, 929f.). Diese nichtjuridische Bedeu tung kommt bereits in Dtn 10,17f. vor — auffälligerweise in der Verbindung, daß Jahwe kein Ansehen gelten läßt (vgl. Jak 2,1b und 2,9a) und Waisen und Witwen (vgl. Jak 1,27b) ihr Recht verschafft: »Er läßt kein Ansehen: prosopon gelten und nimmt kein Geschenk an, er verschafft/tut Recht: poion krisin dem Proselyten, der Waisen und Witwe«. Ähnlich heißt es vom ganzen Volk in Jes 30,18f.: »Und wiederum wartet der Herr darauf, sich eurer zu erbarmen: oiktiresai, darum wird er sich erheben, um sich eurer zu erbarmen: eleesai. Denn der Herr euer Gott ist ein Richter: krites ... . Deswegen: das heilige Volk in Sion und im Bezirk Jerusa lem rief: >Erbarme dich: eleeson meinen. Er wird sich deiner erbarmen: eleesei.« Den hier und an anderen Stellen aufgrund der kontextuellen Wortverbindungen innerhalb des semantischen Fel des belegten Bedeutungswandel von »Gericht« zu »Gnade« und »Barmherzigkeit« bestätigt auch Jakobus, wendet ihn aufgrund seiner paränetischen Intention aber neu. Die Qualität des Gerichtes bindet er an die Praxis der Adressaten. Mit welch sprachschöpferischer Kraft er dabei vorgeht, zeigt die Neuschöpfung des Wortes aneleos: erbarmungslos/unbarmherzig in 13a. Das als Gegenbegriff zum Substantiv eleos: Barmher zigkeit/Erbarmen in 13b.c gebildete Adjektiv steht auch syntak tisch antithetisch. Es ist weder im N T , noch in der Septuaginta, noch außerhalb der Bibel belegt, weswegen sich einige Handschrif ten aufgrund der Ungebräuchlichkeit des Wortes zu Korrekturen veranlaßt sahen; dafür liegt kein Anlaß vor. Damit dürfte auch Vers 13 als Begründung (13a: »denn ...«) für Vers 12 über die formale Stichwortverbindung hinaus (12b. 13a:
»Ihr werdet gerichtet werden, denn das Gericht...«) zur Pointe in 12b, näherhin zu der Wendung »Gesetz der Freiheit« stimmig sein. Da diese Wendung wie in 1,25 Gottes für die Adressaten lebensstif tende Sozialordnung meint, die ein Ansehen von Personen aus schließt, ist die in 13a-c geforderte Barmherzigkeit nicht nur — wie traditionell vorgegeben — auf Waisen und Witwen (vgl. 1,27b) und auf hungernde und nackte Mitchristen (2,15a.b) zu beziehen, sondern auch auf die von den Reichen verachteten Armen (2,2ff.). Auch die Sünder gehören nach Sir 3,30 zur Gruppe jener, denen man mit Erbarmen zu begegnen hat, der Lohn stellt sich entspre chend ein: Lodernd Feuer löscht Wasser aus, und Mitleid sühnt Sünden. Dieser Gedanke war Jakobus so wichtig, daß er ihn im Epilog des Briefes, näherhin im letzten Vers — also an semantisch nicht mehr zu steigernder exponierter Stelle — in 5,20 aufgreift. Daß das Gericht Gottes dem Verhalten der Menschen gemäß ist, betont Jakobus nicht anders wie Jesus Sirach: 28,1 2
3 4
Wer sich rächt, findet Strafe vom Herrn, und er wird seine Sünden behalten. Vergib deinem Nächsten das Unrecht, sodann werden auf dein Bitten die Sünden (auch) dir verziehen. Ein Mensch behält gegen den andern den Zorn und sucht beim Herrn Heilung? Gegen seinesgleichen hat er kein Erbarmen, und seiner eigenen Sünden wegen betet er?
Barmherziges Handeln als Handeln gemäß den Geboten Gottes kann sich auch nach Sir 3,30 und 29,9.11 f. des Lohnes Gottes sicher sein: 3,30 Mildtätigkeit/Mitleid tilgt Sünden. 29,9 Des Gebots wegen nimm dich des Armen an und laß ihn in seiner Dürftigkeit nicht leer ausgehen. 11 Lege deinen Schatz an nach den Geboten des Aller höchsten, und er wird dir mehr nützen als Gold. 12 Wohltaten schließe in deine Schatzkammern, und sie werden dich aus allem Unglück retten.
Beim »Erbarmen« sind nicht Almosen, Gaben an die Armen gemeint (so dezidiert Kamiah 225), sondern in umfassendem Sinn Werke der Barmherzigkeit (so Heiligenthal), was von Jakobus auch dadurch unterstrichen wird, daß er nicht eleemosyne »als Oberbegriff für Werke der Barmherzigkeit« (Heiligenthal 290) verwendet, sondern den Begriff eleos: Mitleid/Erbarmen/Barm herzigkeit, wodurch eine Grundhaltung des Menschen umschrie ben wird. Diese sich durchtragende grundlegende Haltung des Menschen — von Jakobus zwischenmenschlich als Solidarität vor allem mit den Armen und der nüchternen Einstellung gegenüber den Rei chen verstanden — entscheidet über das göttliche Gericht. Mit diesem Tun-Ergehen-Zusammenhang steht Jakobus in einer brei ten Tradition des A T und N T . Hinzuweisen ist etwa auf Spr 17,5 (»Wer den Armen verspottet, schmäht dessen Schöpfer, wer sich über ein Unglück freut, bleibt nicht ungestraft«) sowie auf zahlreiche Parallelen aus der frühjüdischen Literatur (vgl. Biller beck I 203-205). Auch die ntl Theologen bestätigen dieses Motiv der Entsprechung göttlichen und menschlichen Verhaltens sowie das Gericht nach den Werken, vor allem denen der Barmherzig keit (vgl. bes. Mt 7,7: »Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen«; vgl. außerdem Mt 18,29.34; 25,45f.; Rom 2,6-16 mit einem Zitat in Vers 6 aus Ps 62,13: »Er wird jedem vergelten, wie es seine Taten verdienen«). Innerhalb der jüdisch-weisheitlichen Paränesen ist es vor allem Jesus Sirach (vgl. die Konkordanzen), der die praktizierte Solidarität im zwi schenmenschlichen Bereich als bestimmendes Motiv für das Ver halten Gottes im Gericht herausstellt (40mal belegt); daß dieser Motivzusammenhang deutlich auch in dem den Prolog des Jako bus bestimmenden Text 2,1-18 ausgesprochen wird, bleibt fest zuhalten. Beispiele: 2,7
Die ihr den Herrn fürchtet, harret auf sein Erbarmen und biegt nicht ab, damit ihr nicht fallet. 9 Die ihr den Herrn fürchtet, hoffet auf Gutes und auf ewige Freude und Erbarmen. 18 Denn wie seine Größe, so ist auch seine Barmherzig keit. 5,6 Sage nicht: Seine Barmherzigkeit ist groß, meine vielen Sünden wird er verzeihen. Denn Barmherzigkeit und Zorn ist bei ihm, und auf den Sündern ruht sein Grimm.
16,11 Und wäre auch nur einer halsstarrig, es wäre ein Wunder, wenn er straflos bliebe. Denn Erbarmen und Zorn sind bei ihm (Gott); er ist mächtig, zu versöhnen und Zorn auszuschütten. 12 Soviel Erbarmen bei ihm ist, soviel auch Züchtigung: Er richtet jeden nach seinen Werken. 13 Nicht entrinnen wird der Sünder mit seinem Raube, und nicht zu kurz kommen wird der Fromme mit seiner Standhaftigkeit. 14 Jeglichem Erbarmen wird er Platz geben; jeder wird nach seinen Werken (Lohn) finden. 28,3f Ein Mensch behält gegen den andern den Zorn und sucht beim Herrn Heilung? Gegen seinesgleichen hat er kein Erbarmen, und seiner eigenen Sünden wegen betet er? Bei diesen und anderen Stellen ist allerdings zwischen der hebräi schen und griechischen Ausgabe von Jesus Sirach zu unterschei den (s. o. zu 1,12; dort auch die Literatur). Wird für die hebräi sche Ausgabe auch bei Stellen wie Sir 15,6; 16,12 und 43,13 in der Regel eine postmortale Retribution ausgeschlossen (vgl. Hamp, Dommershausen 42 f. und di Lella 83 f.), so betonen die gleichen Autoren für die griechische Fassung den Gedanken der jenseitigen Vergeltung (vgl. di Lella 145f. und Fang Che-Yong 37-54). Zum Beleg sei verwiesen auf Sir 7,17. Dort lautet der hebräische Text: »Gar sehr, gar sehr erniedrige den Ubermut, denn was den Men schen erwartet, ist Gewürm« in der griechischen Ubersetzung in 17b: »denn die Strafe für den Frevler ist Feuer und Wurm.« Die lateinische Übersetzung greift den Gedanken der Höllenpein auf, wendet ihn aber für die Guten positiv (»erhofft euch ewige Freude und Erbarmen«), was von der syrischen Überlieferung (»ewige Freude und Vergeltung«) bestätigt wird (vgl. Dommershausen 43; er verweist außerdem auf Sir 17,13; 19,17.19 und Weish 15,3, Hamp 95 außerdem auf 1,13 und 2,9). Daß der traditionsge schichtliche Übergang vom frühweisheitlichen Zusammenhang von Tat und Ergehen im innerweltlichen Sinn zum eschatologischen, göttlichen Gerichtshandeln auch in einer einzigen Schrift belegt ist, zeigt das aus dem 3. Jh. v. Chr. stammende Buch Tobit (an Stellen vgl. etwa Tob 4,5-11; 12,7-10 mit 14,8-11; dazu: Heiligenthal 298 f.), wobei es an allen Stellen um das Tun barm herziger Werke geht. Auch bei Jakobus entscheiden die Stichworte »den Nächsten lie-
ben« und »tun« in Vers 8 sowie die parallelen Begriffe »tun« und »barmherzig handeln/tun« in 12f. über das Gericht. Dabei setzt er auch in diesen Versen auf Seiten der Menschen keine statische, invariante Anthropologie voraus, vielmehr betont er wie im ganzen Brief (vgl. den Exkurs nach 1,18) das menschliche »Werden« (2,4b.l0c.lld). Daß der für heutige Christen oft problematische Gedanke des Gerichtes und des Zornes Gottes mit ihren anthropomorphen Metaphern für den Glauben nicht aufgegeben werden darf, kann gerade auch im Kontext der Anthropologie des Jakobus und der von ihm herausgestellten menschlichen Willensfreiheit (s. o. zu 1,13-16) verdeutlicht werden. Gerade wenn Theologen den Men schen ganz ernstnehmen, wie Jakobus ein Plädoyer für das wahre Humanum ablegen und das jetzige Leben »eschatologisches« Gewicht erhält, muß der Gedanke einer Verantwortung am Ende des Lebens bzw. nach dem Tode dem notwendigerweise korrelie ren. Der Gedanke vom Gericht und vom Zorn Gottes nimmt den Menschen ganz ernst. Jakobus vertritt in diesem Punkt keine andere Position als Paulus; hier wie dort geht es um menschliche Grunderfahrungen und um das Verantwortungsbewußtsein des Menschen; der Gerichtsgedanke steht hier wie dort im Dienst der Paränese (zu Paulus vgl. Ortkemper 112-119). 2,1-13 sind — wenn man diese Verse zusammenfassend in ihrer Funktion für den ganzen Brief betrachtet — so etwas wie die Summe der Ausführungen des Jakobus. Dies vor allem deswegen, weil Jakobus hier — und nur hier — seine auch an den anderen Stellen weisheitlich orientierte Theologie an den christlichen Glau ben bindet (2,1). Der christologisch verstandene Glaube ist nur dann wahrer Glaube (womit Jakobus die Grundthese von 2,14-26 vorwegnimmt), wenn die gemäß der Sozialordnung Gottes (vgl. die Schriftzitate in 8 und 11) von Jakobus geforderte Ethik von den Christen verwirklicht wird, da Christen nur so vor der Schrift, vor dem Gericht — und damit vor Gott selbst und vor sich selbst — bestehen können. Die deutlich vorhandene Klimax (zwischen menschliches Verhalten — Verhalten gemäß der Schrift - Verant wortung im Gericht — Verhalten Gottes) bestätigt den innigen Zusammenhang von Anthropologie und Theo-logie (s. o. den Exkurs nach 1,18) im gesamten Brief, wobei Jakobus anders als bei den sonst üblichen Steigerungen in seinen Aussagen über das Verhalten der Menschen dieses hier direkt mit dem Verhalten Gottes korrelliert.
III. Vom Glauben ohne Werke und vom Glauben mit Werken (2,14-26) 14 a b c d 15 a b 16 a b c d 17 a b 18 a b c d 19 a b c 20 a b 21 a b 22 a b 23 a b c d 24 a b 25 a b c d
Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, aber keine Werke hat? Kann ihn etwa der Glaube retten? Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt sind und Mangel an täglicher Nahrung leiden, einer aber von euch zu ihnen sagen würde: >Geht hin in Frieden, wärmt und sättigt euch!<, und ihr gäbt ihnen nicht das, wessen der Leib bedarf, was nützt es? So ist auch der Glaube, wenn er keine Werke hat, für sich allein tot. Aber es wird einer sagen: >Du hast Glauben?< Ich aber habe Werke, Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, ich aber werde dir zeigen aus meinen Werken den Glau ben. Du glaubst: >Es gibt einen einzigen Gott«, Du handelst gut. Auch die Dämonen glauben (das) und zittern. Willst du wohl erkennen, du unvernünftiger Mensch, daß der Glaube ohne die Werke nutzlos ist?! Ist nicht Abraham, unser Vater, aus Werken gerechtfer tigt worden, als er Isaak, seinen Sohn, auf den Alter brachte? Du siehst: Der Glaube wirkte mit seinen Werken zusam men, und aus den Werken wurde der Glaube vollendet, und die Schrift wurde erfüllt, die da sagt: Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet, und er wurde Freund Gottes genannt. Ihr seht: Aus Werken wird der Mensch gerechtfertigt und nicht aus Glauben allein. Ebenso: Auch die Dirne Rahab, ist sie nicht aus Werken gerechtfertigt worden, als sie die Boten aufnahm und auf einem anderen Weg herausließ?
26 a Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, b so ist auch der Glaube ohne Werke tot. Literatur zu 2,14-26 insgesamt, besonders zur Formkritik; im übrigen vgl. die Literatur zu 2,14-17; 2,18-20 und 2,21-26 sowie zu den Exkursen nach 1,6a: Glaube nach Jakobus und nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus. - Burchard, Ch., Zu Jakobus 2,14-26, in: Z N W 71(1980) 2745. — Bürge, G. M., »And threw them thus on paper«. Recovering the Poetic Form of James 2,14-26, in: StBibTh 7(1977) 31-45. - Donker, C. E., Der Verfasser des Jak und sein Gegner. Zum Problem des Einwandes in Jak 2,18-19, in: Z N W 72(1981) 227-240. - Hoppe, Hintergrund 100-118. — Lautenschlager, M., Der Gegenstand des Glaubens im Jakobusbrief, in: ZThK 87(1990) 163-184. - Lorenzen, Th., Faith without Works does not count before God! James 2,14-26, in: E T 84(1978) 231-235. - McKnight, S., James 2:18a: The Unidentifiable Interlocutor, in: WThJ 52(1990) 355364. — Neitzel, H., Eine alte crux interpretum im Jakobusbrief 2,18, in: Z N W 73(1982) 286-293. - Walker, R., Allein aus Werken. Zur Auslegung von Jakobus 2,14-26, in: ZThK 61(1964) 155-192. - Westhuizen, ]. D. N. van der, Stylistic Techniques and their Functions in James 2: 14-26, in: Neotestamentica 25(1991) 89-107. - Zmijewski, Vollkommenheit 56-68.
So sehr die formale und inhaltliche Einheitlichkeit der Verse 2,1426 (zu Recht) angenommen wird (s. u.), wird in der Regel die Verbindung der Verse zu ihrem Kontext verneint. Hier wirkt bis heute das »Kontextverbot«, wie Burchard die wissenschaftsge schichtlich fast normativ gewordene These von Martin Dibelius, »daß der Jak auf weite Strecken hin des gedanklichen Zusammen hangs völlig entbehrt« (Dibelius 21), trefflich gekennzeichnet hat (Jakobus 27). So heißt es zu 2,14-26 bei Dibelius lapidar: »Ein Zusammenhang mit der vorigen Abhandlung ist nicht zu behaup ten« (184). Nach Schräge hat »das Hauptthema von 2,14-26 nur indirekt etwas mit dem zentralen Problem des vorangehenden Abschnitts zu tun« (30; ähnlich Wuellner 50 f.), da thematisch 2,14 ff. viel besser zu 1,19-27 passe (wo jedoch vom Glauben nicht die Rede war). Immerhin ist mit solchen Hinweisen das Kontextverbot prinzipiell außer Kraft gesetzt, auch wenn dadurch die syntaktisch und semantisch enge Verbindung dieser Verse keineswegs adäquat umschrieben ist. Eine kompositionskritische, synchron-kontextuelle Sicht wird nicht zuletzt durch die Annahme erschwert, wonach 2,14-26 »sachliche Mitte des ganzen Briefes«, »Herzstück des Briefes« bzw. »Zentrum des Briefes« sein soll (zu Vertretern vgl. Popkes 42 f.). Auch wenn behauptet wird, daß dies »nicht nur der
Eindruck eines durch die Problemstellung der Reformation geschärften Blickes« ist (Schräge 30), sind derartige konfessionelle Vorgaben bei der Auslegung des Jakobusbriefes, aber auch Verän derungen bei denselben durchaus nüchtern festzustellen (zu Ver tretern vgl. Frankemölle, Gesetz 189-196 und oben Einleitung 2.6e.f). Im Bewußtsein der normativen Kraft solch hermeneuti schen Vorverständnisses auch konfessioneller Art ist um so präzi ser auf die formalen und inhaltlichen Verbindungen zum Prolog und zum gesamten Kontext des Briefes zu achten (vgl. zusammen fassend oben den Exkurs 1 zum semantischen Netz des Jak). Kontextuell signalisiert bereits die Frage »Was nützt es ...?« in 14a »Fortsetzung, nicht Neuanfang«, denn »die bekannte Diatribefrage nach dem (natürlich unvorhandenen) Nutzen führt kein Thema ein, sondern ein Argument« (Burchard 27f.). In der Tat: Die theologische These, die Jakobus in 2,14 ff. begründet, ist in aller Deutlichkeit bereits in den vorhergehenden kleinen Einheiten for muliert worden (vgl. Ward 284), wenn auch mit anderen Worten, vor allem ohne den Begriff der Rechtfertigung (allerdings berech tigt der letztere nicht, die Verse zum isolierten Zentrum des Briefes zu machen, wie es vor allem Walker und Schulz 281-291 in extremer Weise tun). Daß Verbindungen bestehen, wurde seit jeher festgestellt, doch ist die thematisch-theologische Intensität der einheitlichen Thematik stärker herauszustellen. Anzusetzen ist bei der Suche nach kontextuellen Verbindungen von 2,14-26 bei der These, daß die Verse 1,2-18 als Exordium bzw. Prolog jene Stichworte liefern, die im Verlauf des Briefes aufgegrif fen und differenzierend entfaltet werden. Bereits der Prolog ist durch oppositionelle Beziehungen und semantische Dissoziatio nen, die dennoch ein inhaltliches Feld strukturieren, in ähnlicher Weise stark geprägt wie die Verse 2,14-26 (s. u.). Bereits im Prolog taucht die Opposition »vollkommenes Werk« (1,4a) und Mangel an Glauben/Zweifel (1,6-8) sehr pointiert auf, womit Jakobus auch dort bereits den Gedanken des Mangels der richtigen Selbstein schätzung bei Armen und Reichen ebenso verbindet (1,9-11) wie den Gedanken der Rechtfertigung durch Gott, der unschwer hinter dem Bild steht, wonach der seinen Glauben im vollkommenen Werk bewährende Christ »den Kranz des Lebens (von Gott) empfangen wird« (1,12b). Alle genannten Begriffe finden sich in Variation und mit neuen Akzenten versehen in den folgenden kleinen Einheiten wieder. So ist in 1,19-27 die Opposition »Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer« (22) mit dem nicht nur wortstatistisch zu
belegenden Schwerpunkt der Betonung des Tuns (22.23.25a.b; vgl. auch die Wendung »Täter des Werkes« in 25c) unschwer zu erkennen. Ebenso ist deutlich, daß Jakobus bei den Nur-Hörern (22a) und bei denen, die eine unsolidarische Frömmigkeit für sich pflegen (26), ein falsches Glaubensverständnis kritisiert. Und auch dies ist deutlich: Eine mit Waisen und Witwen solidarische Fröm migkeit (vgl. 2,2-4 und 2,15-17) qualifiziert einen solchen Christen vor Gott, da er sich »makellos bewahrt vor der Welt« (27c). Der eschatologische Gedanke ist ein bestimmendes und durchgängiges Element im Jakobusbrief. Wie mit den Wendungen »der Täter wird selig sein in seinem Tun« (25c.d) und »das eingepflanzte Wort vermag eure Seelen zu retten« (21b.c) positiv das richtige Tun in der Perspektive Gottes umschrieben wird, so geschieht dies negativ in der Wendung der »nichtigen Frömmigkeit« (26d). Unsolidar ische Frömmigkeit sowie Zorn und Zuchtlosigkeit der Zunge (26b; vgl. die Entfaltung in 3,1-12), all dies »erwirkt nicht die Gerechtig keit Gottes« (20b). Damit ist bereits hier der in der Regel erst für 2,14-27 festgestellte theologisch gewichtige Begriff »Gerechtigkeit/ Rechtfertigung« eingeführt. Der Kontext macht dabei deutlich, daß dieser bis heute ökume nisch belastete und für viele Leser heute abstrakte Begriff »Recht fertigung« nach Jakobus parallel zu den anderen Begriffen der Rettung und des Heiles steht. Die Aufnahme dieses Wortfeldes in 2,14-27 (zum Substantiv »Gerechtigkeit/Rechtfertigung« vgl. 2,18, zum Verbum »gerechtfertigt werden« vgl. 2,21.24.25) kommt also nicht unvorbereitet; auch die eschatologische Konsequenz aus dem oppositionellen Wortfeld »Nur-Hörer und Täter des Wortes« wird in 1,19-27 nicht weniger klar ausgesprochen als in 2,14-26. Die kontextuelle Verbindung von 2,14-27 ist noch stärker zur direkt vorausgehenden Einheit in 2,1-13. Wie bereits zu 2,1 festge stellt wurde, hat Jakobus die substantivierte Wendung »Glauben haben« in 2,1 statt der einfacheren verbalen Formulierung »glau ben« auf 2,14 hin formuliert. Eben dies läßt sich auch bei der Wendung »Werke haben« in 1,4 im Hinblick auf 2,14.17.18 ver muten, zumal diese Wendungen im weiteren Brief nicht mehr belegt sind. Trifft dies zu, dann ist nicht nur 2,1 (»nicht mit Ansehen von Personen habt den Glauben an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit«) formal fast wie eine Überschrift auch zu 2,14-26 zu verstehen, vielmehr ist auch der Begriff »Glaube« in 2,14 ff. von 2,1 her christologisch zu interpretieren. Geht es Jako bus in 2,2-13 um ein Einzelproblem (Ansehen von Personen, Ungleichheit von Armen und Reichen in der Gemeinde), so wen-
det er diesen Einzelfall in 2,14-26 ins grundsätzlich Theologische, indem er die im Judentum und Christentum etwas abstrakte Dis kussion über die Rechtfertigung des Menschen vor Gott nicht nur mit dem üblichen »systematisch« zu verstehenden Begriff »Recht fertigung«, sondern auch mit Beispielen aus der Schrift (Abraham, Rahab) argumentativ begründet. Und auch dies ist deutlich: Die Opposition Glaube allein-Glaube mit Werken, von der die Verse 2,14-26 äußerst intensiv geprägt sind, bestimmt auch die Verse 2,1-13. Neben der Hauptopposition in 2,1 (Bevorzugungen von Personen-christlicher Glaube) ist auf die Wiederaufnahme des Stichwortes »Glauben« in Vers 5 und von »Ansehen von Personen« in Vers 9 hinzuweisen sowie auf die epigrammartige Opposition in 12a »so redet und so handelt«. Nur dann, wenn die Angeredeten »gut handeln« (8d), was konkret bedeutet »Barmherzigkeit getan haben« (13a; auch hier steht ver mutlich bewußt die substantivische Wortverbindung), sind sie vor Gott gerecht, was in 2,12-13 im Bild des Gerichtes ausdrücklich thematisiert wird. Diese Metapher ist deutlich eine Variation zu dem Begriff »retten« in 2,14d wie auch zu den Wendungen in 1,12.21.25.27. Wie stark Jakobus die Gedankengänge von 2,1-13 und 2,14-26 parallelisiert, zeigt auch die Anlage der Gesamtstruktur der Verse; in beiden kleinen Einheiten folgt auf ein konkretes Beispiel aus dem Alltag der Adressaten (vgl. 2,2-4 mit 2,15-17) die Argumentation aus der Schrift (vgl. 2,8-11 mit 2,21-25), jeweils abgeschlossen mit Folgerungen und einer zusammenfassenden grundsätzlichen These (vgl. 2,13 mit 2,26). Wie in 2,1-13 die Liebe zu Gott sich im Halten der Gebote konkretisiert, so in 2,14-26 der Glaube in den Werken. Was dort theozentrisch formuliert wurde, wird hier anthropozentrisch-ekklesial gesagt. Entsprechend dieser Perspektive steht auch in 2,1 ff. die Tora als »Gesetz der Freiheit« (1,25; 2,12) im Vorder grund, hier jedoch die grundsätzlichen Prinzipien menschlichen Handelns. Die Bewegung der Gedanken des Jakobus und seine Denkstruktur, mal diesen mal jenen Aspekt seines grundlegenden Themas vom Ungespaltensein und von der Ganzheit menschlichen Seins und Handelns im Einzelleben und im Leben der Gemeinde in den Vordergrund zu stellen, wird überdeutlich. Durch die wiederholte Betrachtung seiner Grundaussage unter verschiedenen Gesichts punkten (Bürge 34 spricht von einem »Stufenparallelismus«) und durch die ausführliche Ausmalung unterschiedlicher Aspekte (zu dieser rhetorischen Figur der Amplifikation, von der der gesamte
Jakobusbrief geprägt ist, s. o. Einleitung 2.4a) wird nicht nur thematisch das Problem, um das es dem Verfasser geht, immer klarer erfaßt, vielmehr zeigt Jakobus hierin auch seine rhetorischen Fähigkeiten. Diese rhetorische Struktur der Amplifikation prägt nicht nur die bisherigen kleinen Einheiten im Jak, vielmehr auch die Verse 2,1426. Die Kunst in der großen Anlage beweist Jakobus auch in der Gestaltung der kleinen Einheit, so daß die Verse 2,14-26 als Amplifikation die Funktion erfüllen, die in 1,3-4 noch nicht genannten Argumente zu liefern. Formal ist der Abschnitt 2,14-26 nicht weniger überlegt struktu riert und formvollendet sowie rhetorisch wirkungsvoll gestaltet wie die bisherigen kleinen Einheiten (zu den rhetorischen Figuren im einzelnen vgl. v. d. Westhuizen, ohne ihre Funktion im Kontext zu erarbeiten), wozu nicht zuletzt seine antithetische Struktur bei trägt. Der Text offenbart »eine präzise poetisch/literarische Form« (Bürge 31). Zwei dezidierte Positionen stoßen aufeinander, sprach lich auf engstem Raum in 18b formuliert (»Du hast Glauben. Ich aber habe Werke«), was im griechischen Text durch die betonte Stellung der Personalpronomen Du — Ich hervorgehoben wird (so mit Recht Neitzel 288 gegen Dibelius 192 und Schräge 32, die den Sachverhalt neutral mit »der eine hat Glauben, der andere Werke« meinen wiedergeben zu können). Wie immer man Vers 18, eine »der schwierigsten neutestamentlichen Stellen überhaupt« (Dibe lius 190), interpretiert, sein Sinn ist nicht isoliert, sondern von seiner Funktion im Kontext zu erheben (so auch McKnight 360362). Eine kontextuelle Lektüre bestätigt aber den klaren Gesamt sinn der kleinen Einheit 2,14-26, der mit der Grundaussage in 2,113 übereinstimmt. In beiden Abschnitten geht es um den christlichen Glauben (2,1); im ersten wird damit das in der Gemeinde praktizierte Ansehen von Personen (Bevorzugung der Reichen, Verachtung der Armen) konfrontiert; wer so gegen das königliche Gesetz der Nächsten liebe handelt (2,8), Reiche bevorzugt, Arme und Bedürftige ver achtet, kann vor Gott (2,5-6) und in seinem Gericht (2,13) nicht bestehen. Im zweiten Abschnitt bleibt Jakobus bei eben diesem Thema des christlichen Glaubens in seinem Verhältnis zur christli chen Praxis, umkreist es neu, verdeutlicht es durch neue Details (etwa durch die Beispiele aus der Schrift in 2,21-23 und 2,25) und bringt es mit einem Vergleich aus der Anthropologie auf den abschließenden Punkt: »Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot« (2,26). Dies ist die Grundthese:
Wie es nach biblischer Anthropologie keinen geistlosen Leib geben kann (der Mensch ist entweder als vom Geist Gottes Durchwirkter eine psychosomatische Einheit oder Staub der Erde), so kann es nach Jakobus auch keinen werklosen Glauben geben, da »Glaube ohne Werke wirkungslos ist« (2,20b). Rhetorisch vollendeter und wirkungsvoller als in dieser Paronomasie hätte Jakobus die Proble matik nicht gestalten können. Im Wortspiel der Zusammenstellung ähnlich lautender Wörter von verschiedener Bedeutung (choris ton ergon — arge) wird das Problem nicht nur sachlich prägnant, sondern auch formal elegant formuliert. Dem entsprechen andere rhetorische Merkmale dieser Verse. Stark textkohärent wirken die Inklusionen von 14a mit 16d (»Was nützt es?«), von 14b mit 18a (»Wenn einer sagt« — »Es wird einer sagen«) von 14b.c mit 24 b und 26b (»Glauben, aber keine Werke« — »Glauben allein« — »Glaube ohne Werke«) und 17b und 26a.b (»Glaube, wenn er keine Werke hat, ist für sich allein tot« - »Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot«). In 2,19 findet sich eine Wiederaufnahme von 2,8 (»Du handelst gut« — »Ihr handelt gut«). Rhetorische Mittel der Diatribe sind die Elemente des fingierten Dialogs als da sind: Die rhetorischen Fragen in 14 und 16, die direkte Anrede in 14.19.20.22 und 24. Vor allem ist auf die dialogischen Elemente hinzuweisen, die auf die Einwände von wirklichen oder angenom menen Hörern eingehen (vgl. 18.19). Auch die »Ironie des falschen Rates« (Plett 65) in Vers 16 als Aufforderung zu einer Handlung, die dem Willen des Schreibers entschieden widerspricht, ist hier zu nennen. Hinzuweisen ist ferner auf das Scheltwort in 20 wie auch auf die Zitate und die Exempla der Schrift, die gleichsam als theologisch anerkannte Autoritäten die strittige Frage entscheiden sollen. Alle diese Elemente geben dem Text eine starke handlungsorientierte, appellative Wirkungsintention, was nicht nur durch die rhetorischen Mittel, sondern auch durch die Form der Sentenz in den einzelnen Versen unterstrichen wird. Der sorgfältigen Wahl der rhetorischen Mittel entspricht der wohl durchdachte Aufbau des gesamten Textes. Zwei Fragen (14a.d) fordern von Anfang an die Adressaten zur Stellungnahme auf. Auch in dem Fallbeispiel zur nicht vorhandenen Solidarität in der Gemeinde (15-16) werden die Adressaten einbezogen (16a: »Einer aber von euch würde zu ihnen sagen ...«). Vers 17 enthält die Folgerung (17a: »So ...«) aus den bisherigen Versen: »Glaube, wenn er keine Werke hat, ist für sich allein tot«. Damit ist die erste kleine Einheit in sich abgerundet und abgeschlossen. Wie Reden
und Tun (vgl. 1,18-27; 2,12) sowie Glaube und Mitmenschlichkeit (vgl. 1,27 und 2,1-13) sich unbedingt entsprechen müssen, so gehört zum christlich verstandenen Glauben nach Jakobus das Werk (vgl. 1,3-4). »Der Täter des Werkes ... wird selig sein in seinem Tun« (1,25). Alles andere ist ein Widerspruch in sich. Warum dann der Einwurf eines neuen »Gegners« (in Weiterfüh rung von 14b) in 18a? Er ermöglicht Jakobus, eine für ihn an sich klare theologische Frage zu variieren und zu erweitern sowie vor allem die theologische, vielleicht noch für möglich gehaltene Posi tion des Gegners ad absurdum zu führen, indem er dessen Über zeugung mit dem Sch ma, dem Grundgebet Israels, nach Dtn 6,4: »Höre Israel: der Herr, unser Gott, ist ein einziger Herr«, in 19a sowie mit wichtigen Gestalten der Glaubensgeschichte Israels (Abraham und Rahab in 21-25) konfrontiert. Die Schlußfolgerung aus der Anthropologie entspricht der in 17 aus der Ekklesiologie. Daß es in diesem Text nach Jakobus um Tod und Leben geht, um zwei sich ausschließende Konzepte von Christsein, belegt auch die Antithese in 18a (»Du hast Glauben« — »Ich habe Werke«), noch mehr der sprachlich wohlgeformte Chiasmus in 18c und d (vgl. dazu Donker 233): e
18 c Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, 18 d Ich aber werde dir zeigen aus meinen Werken den Glau ben. Auch wenn man mit Donker nicht die Verse 18 und 19 insgesamt als Einwand eines Gegners des Verfassers verstehen möchte, der selbst erst in Vers 20 mit der Gegenrede anfängt, ist die Abfolge der Verse 18a-19c mit Donker als »ein Musterbeispiel der ... konzentri schen Symmetrie« (Donker 235) zu verstehen, wobei der wieder holte Gegensatz Du — Ich aber bzw. Ich aber — Du »das Gerippe der konzentrischen Struktur« (236) darstellt, so daß die Verteilung auf Du und Ich keineswegs »Nebensache« (so Dibelius 192) ist. Die Struktur der beiden Verse ist also wie folgt: 18 a Aber es wird einer sagen: b A »Du hast Glauben«? B Ich aber habe Werke, c C Zeige mir deinen Glauben ohne Werke! d B' Ich aber werde dir zeigen aus meinen Werkenden Glauben. 19 a A' Du glaubst: »Es gibt einen einzigen Gott«.
b c
Du handelst gut. Auch die Dämonen glauben (das) und zittern.
So sehr mit diesen rhetorischen Beobachtungen wichtige Erkennt nisse zur Struktur des Textes gesammelt wurden, der wichtigste Aspekt ist damit noch nicht erfaßt. Wie im gesamten Brief ist auch hier grundlegend das Prinzip der funktionellen Oppositionen, die aufgrund ihrer unterscheidenden und antithetischen Züge als Wortfeld für das Thema konstitutiv sind. Die Hauptopposition steht in der Uberschrift in 14: Glauben haben-Werke haben, wobei das Stichwort »Glaube/glauben« 14mal, das Stichwort »Werk« 12mal aufgenommen wird (was schon immer gesehen wurde). Die intensive Kohärenz des Abschnittes wird dadurch bestätigt. Aller dings hat Jakobus (was nicht immer gesehen wurde) das Leitwort »Glaube« nie absolut, sondern durchaus mit Variation im Aus druck verstanden, wie die folgenden, nicht aufzulösenden Syntagmen zeigen: 17 20 22 24 26
a.b b a b b
Glaube Glaube Glaube Glaube Glaube
... für sich allein ohne Werke mit Werken allein ohne Werke
Die Opposition lautet hier also nicht, wie konfessionell vorbelastet man bis heute meint, betonen zu müssen (vgl. den Exkurs 8 nach 2,24), Glaube — Werke, sondern Glaube allein-Glaube mit Wer ken. Anthropologisch entspricht dem die Opposition in 26 »Leib ohne Geist«-Leib mit Geist. Die Losung »allein durch Werke« bzw. geistloser Leib findet sich in diesen Versen nicht. Jakobus geht es einzig und allein um die Opposition taten-loser — tat kräftiger Glaube, werk-loser — wirk-mächtiger Glaube. Glaube muß nach Jakobus »tat-sächlich« im Leben, in der Gemeinde konkret werden, er muß in Werken aufweisbar sein. Ein werkloser Glaube ist, da er wirkungslos ist, nicht nur antisolidarisch, er ist auch wirkungslos bei Gott, da ein solcher Glaube nicht zu retten vermag (14d). »Retten« meint wie in 1,21 und 4,12 die Rettung im Gericht, so daß — zudem im Kontext von 2,12 f. — die Frage »was nützt es?« in 2,14a.l6d eschatologisch verstanden werden muß. Jakobus steht auch in diesen Versen bei seinem Thema, das er im Prolog entworfen hat: Es geht ihm um den vor Gott ungeteilten ganzen Menschen, der nicht nur in sich ungespalten, sondern auch
in seinem Werk-Glauben ein integrierter Mensch sein soll. Auch in diesem Text bedingen Individual- und Sozialethik einander; letzt endlich geht es Jakobus also um ein bestimmtes Menschenbild.
1. Vom werklosen Glauben (2,14-17) Literatur: Burchard, Chr., Zu Jakobus 2,14-26, in: Z N W 71(1980) 27-45. - Eichholz, G., Glaube und Werk bei Paulus und Jakobus, München 1961.
- Heiligenthal, R., Werke als Zeichen, Tübingen 1983, 26-52. - Hoppe, Hintergrund 100-118. — Marxsen, W., Glaube und Werke, in: ders., Der »Frühkatholizismus« im Neuen Testament, Neukirchen 1958, 22-38. - Nicol, W., Faith and Works in the Letter of James, in: Neotestamentica 9(1975) 7-24. - Walker, R., Allein aus Werken. Zur Auslegung von Jakobus 2,14-26, in: ZThK 61(1964) 155-192.
14-17: Die Inklusion »Was nützt es?« in 14a und 16d macht die Verse zu einer Ringkomposition. 17a.b bilden die Antwort auf die These des Jemand in 14b.c, »er habe Glauben, aber keine Werke«; die Antwort ist eindeutig: Wenn das so ist, der Glaube keine Werke hat, dann ist er »für sich allein tot« (17b). 14a: Die Frage »Was nützt es?« ist als rhetorische Figur hörerbezo gen und fordert den Hörer/Leser zu einer Stellungnahme heraus. Sie ist also nicht nur ein Mittel, einen Text zu gliedern, sondern primär ein Mittel der Pragmatik. Diese Appellfigur wird unter stützt durch die Wendung »meine Brüder«, die als Affektfigur bezeichnet werden kann. Hier wird Gemeinschaft behauptet, die im Hinblick auf die Frage eine gemeinsame Argumentationsbasis erhofft. Begründet ist sie im gemeinsamen Glauben an Jesus Chri stus (vgl. 2,1) und darin, daß der, der »in das vollkommene Gesetz der Freiheit« nicht nur hineingeschaut hat, sondern auch dabei verharrt und so »Täter des Werkes wurde, selig sein wird in seinem Tun« (1,25). Die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Tun radikalisiert Jakobus in 14a, da die Frage »Was nützt es?« nicht nur rhetorisch gemeint ist, sondern in eschatologischer Perspektive gestellt ist (vgl. die Rückbindung an 2,13). Was nützt ein NurGlaube vor Gott und in seinem Gericht? 14b.c: Jakobus setzt voraus, daß einer guten Glaubens behauptet, Glauben im Sinne von 2,1 »an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit« zu haben (wobei dieser auch dort schon mit unsoli darischem Verhalten verbunden wurde). »Eine Karikatur des Glau bens« (Eichholz 46) anzunehmen, verstößt gegen das Kontextprin-
zip, ebenso die These »auffallend ist das nackte >der Glaube<, das als sterotype Prägung immer wiederkehrt« (Walker 165). Von 1,3 f. und 2,1.5 her wird deutlich, daß auch in 2,14 Glaube nicht Scheinglauben, Unglauben, Heuchelglauben, eine Karikatur des Glaubens oder einen unchristlichen Glauben meint, sondern: Jako bus führt einen Christen ein, der in voller Überzeugung von sich sagt, daß er einen »orthodox« geprägten christologisch strukturier ten Glauben an Jesus als den erhöhten Herrn hat. Gerade in der traditionell katholischen Form des christlichen Glau bens dürfte dies ein durchaus übliches Glaubensverständnis sein — etwa verkürzt auf die Frage »Glauben Sie an Jesus Christus als Sohn Gottes?« Auch heute steht das Verhältnis von Orthodoxie und Orthopraxie (auch in der evangelischen Theologie) zur Lösung an. Daß man über das schwierige Problem der Rechtfertigung allein aus Glauben und der Bedeutung der Werke für diesen Glauben in der Gegenwart einig geworden ist, wird man bei aller ökumenischen Übereinstimmung (vgl. Lehmann-Pannenberg) nicht sagen können. Die immer noch verschiedene Identität des unterschiedlichen Christseins wird in einer postchristlichen Gesell schaft im Interesse der Wahrung des Besitzstandes wohl immer noch allzu hochgespielt. Wer wollte aber im Ernstfall wie der Gegner des Jakobus einen werklosen Glauben vertreten? O b man nun die Werke als Frucht des Glaubens oder als Begleitmittel des Glaubens, nicht als Voraussetzung des Glaubens (was auch Jako bus nicht tut) versteht, mag dahingestellt bleiben. Traditionsgeschichtlich ist die immer wieder behauptete Abhän gigkeit des Jakobus in diesem Text, näherhin auch bei der Frage »Was nützt es?« von häufigen Formeln in der Diatribe zu relativie ren. Das zurückhaltende Ergebnis von Thomas Schmeller zu »Pau lus und die >Diatribe«< (neben Jak 2,14a. 16d kommt die Frage »Was nützt es?« im N T nur noch in der Variation in 1 Kor 15,32 »Was nützt es mir?« vor) gilt auch für Jakobus: »Der >Diatribenstil< ist ein sehr weit verbreitetes Phänomen, das in den verschiedensten kulturellen Kontexten auftreten kann und nicht einmal immer ein Vorbild benötigt. Wie weit Paulus diesen Stil tatsächlich gelernt und woher er ihn übernommen hat, ist nicht zu klären« (435). Dialogische Elemente finden sich nicht nur bei den kynisch-stoischen Wanderrednern und Moralphilosophen und ihren Schriften, für Jakobus ist auch auf didaktische Elemente der Weisheitslitera tur hinzuweisen (vgl. v. Rad, Weisheit 53-71, bes. 60-62). Dabei wollen deren Verfasser hier wie dort die Adressaten gewinnen — auch in der Bekämpfung potentieller Gegner, mögen diese real
vorhanden sein oder fiktiv angenommen werden. »Die dialogische Form ist das gegebene Mittel zur Entfaltung eines Problems« (v. Rad 60). So ist für Jakobus wohl weniger auf den Stoiker Epiktet (vgl. Mußner 129/1) hinzuweisen als auf Stellen aus Jesus Sirach, als da sind: 20,30 Verborgene Weisheit und ein versteckter Schatz, was nützen sie beide? Diese Wendung findet sich fast wörtlich noch einmal in Sir 41,14. Zur Sorge, von der man keinen Nutzen hat, vgl. auch 30,23, zu Worten, die nichts nützen, vgl. Ijob 15,3 (als Frage). Jakobus als rhetorisch gebildeter Literat brauchte solche Vorlagen nicht, deren Rezeption ohnehin nicht nachweisbar ist. Für ihn ergibt sich diese Frage konsequent aus dem vorhergehenden Kon text, vor allem dann, wenn auch in 2,1 eine Frage zu lesen wäre, was grammatisch möglich ist: »Meine Brüder, habt ihr bei Rück sicht auf Personen wirklich den Glauben an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit?« In diesem Kontext wird die Frage bzw. das Problem nicht nur neu aufgenommen, sondern aus der ekklesiologischen Perspektive auch eschatologisch zugespitzt und auf die Opposition »Nur-Glauben — Werke« konkretisiert. Jako bus umkreist die Frage nicht nur konzentrisch und flächig — wie an vielen anderen Stellen —, vielmehr zeigt sich in 2,14-26 auch ein linearer Fortschritt zu einer abschließenden These (vgl. 2,17.26). Dies zeigt sich auch in der Opposition Glauben haben — keine Werke haben in 14b.c. Was hier noch als Alternative erscheint (aufgrund der Verse 2,1-13 jedoch nicht so verstanden werden kann), wird im folgenden (vgl. 17a) ineinander gesehen (»Der Glaube, wenn er keine Werke hat«). Die Formulierung in 14b ist dadurch bedingt, daß nicht Jakobus seine eigene Position formu liert, vielmehr die eines Gesprächspartners, der behauptet, Glau ben zu haben, worauf Jakobus selbst in 14c eine Bemerkung hinzufügt, so daß der ganze Satz des Jakobus lautet: »Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand ... keine Werke hat?« Dies ist das Thema der Verse 2,14-26. Die Gegenthese des Gesprächspartners lautet hingegen: »Ich habe Glauben«, was im Sinne des Jakobus zu interpretieren ist mit »Ich habe Nur-Glauben — ohne Werke« (14c). Die Frage in 14d, ob ein solcher Glaube im Gericht (2,13) retten kann, ist für Jakobus absurd, wie auch das folgende Beispiel, wenn man sich so verhielte, zynisch wäre. 15-16: Für die in der Überschrift (14) aufgestellte These bietet
Jakobus zur Begründung eine Fallanalyse aus dem alltäglichen Leben (vgl. das Stichwort »tägliche Nahrung«). Rhetorisch und pragmatisch hat dieses Beispiel für die Adressaten die gleiche Funktion wie das Beispiel in 2,2-4. An einen konkreten Fall muß nicht gedacht sein, jedoch wird die Bildhälfte so gewählt sein, daß die Adressaten sich darin wiederfinden. Das Beispiel ist affektiv stark besetzt; Jakobus dürfte also — nicht nur bei uns — jene Wirkung erreicht haben, die er intendierte. Die Begriffe »Bruder« und »Schwester« weisen darauf hin, daß ein binnenkirchliches Problem ansteht. Es geht um christliche Sozialethik. Worum geht es sachlich? Ohne daß die Stichworte »Praxis« und »Werke« angegeben sind, werden sie illustriert. Es geht um ihre Notwendigkeit. Erst im nachhinein in Vers 17, wenn die Notwen digkeit der Werke für solidarisches Leben innerhalb der christlichen Gemeinde erwiesen ist, nennt Jakobus den Begriff »Werke« wieder ausdrücklich, verbindet ihn aber — Vers 14 verdeutlichend — mit dem Begriff »Glaube«. In 15 f. sind nach Jakobus Werke notwendig im Sinne des Not-Wendens. Darum geht es Jakobus auch nicht um ein x-beliebiges Beispiel für werklosen Glauben, vielmehr um eine Argumentation aus der eigenen Erfahrung der Adressaten, damit die Nutzlosigkeit eines Glaubens ohne Werke jedem unzweideutig einleuchtet. Daher spricht Jakobus im Irrealis (»Wenn einer sagen würde«), da eine solche Glaubens-Haltung für Jakobus in sich widersinnig, unmenschlich und unchristlich ist. Für ihn wäre das blanker Zynismus; genauso sollen es auch die Adressaten sehen. Dies wird noch dadurch gesteigert, daß Jakobus den (aus der Liturgie) zu seiner Zeit als jüdischen Abschieds- und Geleitwunsch bekannten Gruß Gehet hin in Frieden! einführt (vgl. Ri 18,6; 1 Sam 1,17; 20,42; 29,7; 2 Sam 15,9; Jdt 8,35; Jubil 18,6; Mk 5,34; Apg 16,36). Wenn Dibelius meint, dieser Wunsch sei »kein Aus druck des Glaubens, sondern vielmehr einer gewissen freund schaftlichen Gesinnung« (188), und er sei mit »laßt es euch wohl ergehen« zu paraphrasieren (189), ist ein solches Verständnis nur möglich aufgrund einer absolut isolierten Vers-für-Vers-Ausle gung, die dem Kontext, näherhin der Inklusion von 14 zu 17 überhaupt keine Bedeutung zuspricht. Auch wird damit nur ein Aspekt zum Friedensbegriff der jüdischen und christlichen Bibel angesprochen, während schalom/eirene nicht nur das integre Heilsein des einzelnen Menschen, sein Wohlergehen im psychi schen und körperlichen Bereich, sondern auch sein Heilsein hin sichtlich seines sozialen Eingebundenseins meint, was insgesamt sein Heilsein in der Sozialordnung Gottes bedeutet.
Den Wunsch Geht hin in Frieden! zu sagen, ist natürlich nicht in sich schon Zynismus, dies ist es nur dann, wenn die Tat den Worten nicht folgt. Jakobus geht es um die Integration von religiö sen Heilswünschen in das Alltagsleben, um die Verbindung von Friedenswunsch und Caritas. Versöhnung und Solidarität müssen Hand in Hand gehen. Der Friedenswunsch ist — biblisch verstan den — nie in sich theologisch stimmig, sondern nur im handlungsorientierten und adressatenbezogenen Ansatz. Betrachtet man die Verse 15f. isoliert, ist unbestritten: Die Frage in 16d: Was nützt es? meint zunächst den Nutzen für den nackten und hungernden Mitchristen. Als Argumentation für die Fragen in 14c.d hat dieser zwischenmenschliche Aspekt jedoch dienende Funktion für die Frage nach der Integrität des Christen in der Sozialordnung Gottes, bei dem der darbende Mitchrist nicht ausge schlossen werden kann. Hier wird nicht nur gegen »freundliche, wohlmeinende Worte« polemisiert, sondern auch »gegen salbungs volle Phrasen und fromme Redensarten« (anders Schräge 31). Wie in 2,14 spricht auch in 2,16b ein Christ in der vollen Überzeugung, daß er sich orthodox richtig verhält. Für den, der von den beiden elementaren Lebenssorgen existentiell bedrängt wird, dem muß ein solches Glaubensbekenntnis und der Friedenswunsch wie Hohn in den Ohren klingen, wenn der Frie denswunsch nicht durch den, der ihn formuliert, praktiziert wird. Der Konflikt, um den es geht, ist nach Jakobus nicht nur sozial ethischer Art, sondern grundsätzlich theo-logischer Art. Der Friede Gottes ist in Gefahr, der rechte Glaube steht auf dem Spiel. Der Gerichts-Gedanke (2,13.14d) bestätigt die Ernsthaftigkeit, wonach Jakobus sozialethische Fragen sub specie aeternitatis sieht. Europäische Theologen, vor allem die in der etwas einseitigen Rezeption paulinischer Theologie stehenden, bedürfen in Sachen Theologie vielleicht der Entwicklungshilfe durch die Theologie der Befreiung in Südamerika. Bischof P.Rettler aus Bacabal in Nord ost-Brasilien nannte als das schwierigste pastoralpraktische Pro blem für seine Arbeit »die Eucharistie — wenn ich sie ehrlich und aufrichtig mit den Ärmsten der Armen feiern will. Wie sollen denn die Leute aus ganzem Herzen mitbeten: >Es ist würdig und recht, dir, Herr, immer und überall zu danken?< Wie kann ich ihnen sagen: Gehet hin in Frieden?« (vgl. H. Frankemölle (Hrsg.), Kir che von unten. Alternative Gemeinden. Modelle — Erfahrungen — Reflexionen, München—Mainz 1981, 235). Ähnlich lautet die Antwort von Gustavo Gutierrez aus Peru; auch für ihn ist das schwierigste Problem »den Armen zu sagen: Gott liebt dich«.
Gerade in einem ökumenischen Kommentar gilt es zu betonen, daß auch Jakobus die Einheit von Glauben und Tun unaufhörlich betont, mag auch die Zuordnung beider Größen für europäisches, systematisches Denken letztlich unbefriedigend bleiben. Das Den ken des Jakobus ist - wie das gesamte weisheitliche Denken — additiv und akkumulativ; hier werden die Fragen assoziativ und »mehr flächig umkreist« — jedoch mit dem Erfolg, »daß gerade auf diese Weise eine Tiefe und Breite der Problematik beschworen wird .... Vielleicht ist diese Denkbewegung mehr fremdartig als mangelhaft« (v. Rad 61). Wer berechtigt uns, systematische Trak tate zum allein seligmachenden Maßstab fremden Denkens zu machen? Aufgrund dieses weisheitlichen Denkansatzes trifft es nicht zu, daß Jakobus in 2,15f. das »Gebiet des Glaubens« verläßt (Hauck 120). Auch die These: »Jenes Bekenntnis zum Glauben von 2,14a ist mit keiner Silbe berührt. Nirgends eine Anspielung auf den Glauben« (so Walker 166) verabsolutiert das Kontextverbot von Dibelius aufgrund eines überzogenen protestantischen Vorverständnisses, das darauf bedacht ist, das sola fide aus der polemischen Situation des 16. Jahrhunderts auch in ruhigeren, ökumenisch offeneren Zeiten um jeden Preis durchzuhalten. Jakobus steht mit seiner Konzeption zusammen mit der JesusTradition (vgl. Mt 6,11.25-34; 10,10-14; 25,31-46; Lk 10,25-37) fest verwurzelt im jüdischen Glaubensbewußtsein des Doppelge botes der Liebe. Was in 2,8-11 ausdrücklich zitiert wurde, kann Jakobus nicht schon wieder in 2,14-17 abgesprochen werden. Wie stark Jakobus handlungsorientiert Glauben versteht, wird nicht erst in 2,21-25 an der Rezeption der Geschichten von Abraham und Rahab deutlich, vielmehr auch schon in 2,14-17. Den bibli schen Begriff Glaube: emuna/pistis kann Jakobus sich wie alle Juden (einschließlich Paulus; vgl. dazu unten den Exkurs nach 2,24) nicht ohne die Verwirklichung der Weisungen Gottes nach der Tora als Sozialordnung Gottes vorstellen. Daß er hierin auch mit der Weisheitsliteratur übereinstimmt, näherhin auch mit Jesus Sirach, erstaunt nicht (allein hier wird das Substantiv »Glauben/ Vertrauen/Treue« lOmal im sozialethischen Kontext belegt, das Verbum 12mal). Im Zusammenhang der Wirkungsgeschichte von Sir 2,1-18 und 15,11-20 für den Prolog des Jak sind vor allem folgende Stellen zu nennen:
2,6
Glaube ihm, und er wird sich deiner annehmen. Mache gerade deine Wege und hoffe auf ihn. 8 Die ihr den Herrn fürchtet, vertraut auf ihn, und euer Lohn wird nicht verlorengehen. 10 Schaut auf die früheren Geschlechter und sehet zu: Wer vertraute auf den Herrn und wurde zuschanden? 13 Wehe dem verzagten Herzen, weil es nicht glaubt, darum wird es nicht beschützt werden. 15,15 Wenn du willst, kannst du die Gebote erfüllen, und Glauben (entsprechend seinem) Wohlgefallen tun. Auch im Vergleich zu den anderen Stellen, an denen in Jesus Sirach das Substantiv »Glauben/Vertrauen/Treue« belegt ist, fällt die singulare Wendung in 15,15 »Glauben tun/Treue üben« im Hin blick auf Jak 2,1 und 2,14 ff. auf. Wie stark im Buch Jesus Siraclj Glaube praxisorientiert verstanden wird, wie sie für den einzelnen und für die Gemeinschaft in der Tora, der Sozialordnung Gottes grundgelegt wurde, zeigt die Stelle 32,24-33,3: 24 Wer dem Gesetz glaubt, hält sich an die Gebote, und wer auf den Herrn vertraut, wird nicht Schaden leiden. 1 Wer den Herrn fürchtet, dem wird kein Übel zustoßen, sondern in der Versuchung wird er auch wieder gerettet. 2 Ein weiser Mann haßt nicht das Gesetz, wer aber ihm gegenüber heuchelt, ist wie ein Schiff im Orkan. 3 Ein verständiger Mensch setzt sein Vertrauen auf das Gesetz, und das Gesetz ist für ihn zuverlässig (wie eine Frage an die Urim/Orakel). Mit Recht wendet sich Lührmann (39) gegen die Kategorien der »Werkgerechtigkeit« und des »Leistungsdenkens« (wie oft formu liert wird), da sich in beiden Begriffen »eher antikatholische Affekte (zeigen), die rückprojiziert werden in die Darstellung des Judentums«. Demgemäß betont er zu Recht (44), »daß Glaube im Judentum einer der Begriffe ist, die das richtige Verhalten des Menschen benennen« — orientiert an der Tora (vgl. weiter oben den Exkurs nach 1,6a). Jakobus übernimmt die neuen Akzente, die sich im Buch Jesus Sirach und im Buch der Weisheit finden.
17: Die Folgerung (17a: »So ...«) aus dem von Jakobus angeführten Beispiel absoluten Versagens der Hilfsbereitschaft innerhalb der Gemeinde stellt die beiden den Abschnitt prägenden Oppositions begriffe Glaube — Werke, die in 14b.c noch nebeneinander stan den, in Verbindung. Ein Glaube ohne Werke der Nächstenliebe (vgl. 15-16) ist »für sich allein tot«. Der Satz bedürfte keines weiteren Kommentars, weil er in sich stimmig und die Metapher unzweideutig ist, wenn nicht die lange Auslegungsgeschichte es erfordern würde. Darum noch dies: Von Werken des Gesetzes (etwa im Sinne des Paulus) spricht Jakobus nicht. Jeder Leser des Briefes, der die Wendung »das vollkommene Gesetz der Freiheit« in 1,25 und seine Hinordnung auf die Not der Waisen und Witwen in 1,27 sowie die Wendung vom »königlichen Gesetz« in 2,8 mit dem ausdrücklichen Schriftzitat »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« gelesen hat, sollte Jakobus an sich nicht paulinisch mißverstehen (weiter dazu s. o. den Exkurs nach 1,6a »Glaube bei Jakobus«). Im übrigen ist die These von Vers 17 für den Jakobusbrief nicht neu. Gemäß dem Prinzip der Amplifikation, wonach Jakobus seinen Brief aufbaut, findet sich der Kausalzusammenhang von Glaube und Werk bereits im Prolog, näherhin in 1,2-4: »Die vielfachen Prüfungen«, die die christlichen Adressaten durchleiden müssen (2b), bewirken »Standhaftigkeit des Glaubens« (3b), wobei das angestrebte Ziel lautet: »Die Standhaftigkeit aber soll ein vollkommenes Werk bewirken, damit ihr (selbst) vollkommen und ganz seid« (4a.b). Von Anfang an zielt der Glaube auf das »voll kommene Werk« der Nächstenliebe, wie Jakobus es im gesamten Brief entfaltet. Der Glaube zielt nicht auf das Werk schlechthin, schon gar nicht auf Gesetzeswerke oder auf Verhaltensweisen, die im 16. Jahrhundert zu Recht als »Werkerei« abgelehnt wurden. So polemisiert Luther: »Gute Werk nennen sie, die Gott nicht gebo ten hat, als da sind: Wallfahrt, Fasten den Heiligen zu Ehren, Kirchen bauen und schmücken, Meß, Vigilien stiften, Rosenkränze beten, viel plappern und plärren in den Kirchen, Mönch, Nonne, Pfaffen werden, sonderlich Speis, Kleider und Statt brauchen, und wer mag sie alle herzählen, die greulichen Greuel und Verführung, das ist des Papstes Regiment und Heiligkeit« (WA 10 I 2,38f.). Werke als praktische Folgerung aus dem Glauben betont auch Luther: »Solche Werke sind ein gewiß Zeichen des Glaubens, der an Christo erlangt alle Sünd und Todesüberwindung. Denn es ist nicht möglich, daß der nicht lieben sollt und Guts tun, der Chri stum hält für seinen rechtfertigen Heiland. Tut er aber nicht Gutes
oder liebt nicht, so ists gewiß, daß der Glaube nicht da ist« (WA 10 I 2,44). Werke als Zeichen des Glaubens — dies ist auch die These des Jakobus, der zudem die Ermöglichung zu diesem Werk einzig und allein von Gott erbittet, aber auf das menschliche Mittun vom Prolog an nicht verzichtet (vgl. 1,4-8). Nicht anders steht es um die Weisheit, die Christen von Gott, so es an ihr mangelt, erbitten sollen (l,5a.b); auch sie verwirklicht sich nach 3,13-18 im Tun. Und auch hier verbindet Jakobus direkt den Begriff Weisheit mit dem Begriff der Werke: »Wer ist weise und wohlunterrichtet unter euch? Er erweise aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit« (3,13). Nur so gelangt der Christ zur »Frucht der Gerechtigkeit« (3,18a). Der Jakobusbrief belegt ein konstantes Motiv- und Wortfeld. In 2,14-26 anderes herauslesen zu wollen, ist Eis-, nicht Exegese, Pflege von Vorurtei len, nicht Auslegung.
2. Werke als Zeichen des Glaubens (2,18-20) Literatur: Zur formalen Struktur u. a. s. o. zu 2,14ff. - Betz, H. D., heis u. a., in: E W N T 1(1980) 969-971. - Beumer, ]., »Et daemones credunt« (Jac 2,19). Ein Beitrag zur positiven Bewertung der fides informis, in: Gr
22(1941) 231-251. - Heiligenthal, Werke als Zeichen. - Lührmann, D., Glaube im frühen Christentum, Gütersloh 1976. — Neitzel, H., Eine alte crux interpretum im Jakobusbrief 2,18, in: Z N W 73(1982) 286-293. — Peterson, E., Der Monotheismus als politisches Problem, in: ders., Theologische Traktate, München 1951, 45-147. — Ders., Heis Theos, Göttingen 1926. - Schnackenburg, Die sittliche Botschaft II 215-225.
Die Überschrift gibt die Antwort des Jakobus zu einem Aspekt des Verhältnisses von Glauben und Werken an, wie es in 18d formu liert ist: »Ich werde dir zeigen aus meinen Werken den Glauben«, womit auch gleichzeitig der glaubensgeschichtliche Hintergrund genannt wird. Diesen hat Roman Heiligenthal in seinem Buch »Werke als Zeichen. Untersuchungen zur Bedeutung der menschli chen Taten im Frühjudentum, Neuen Testament und Urchristen tum« aufgearbeitet. Damit hat er auch die Konzeption des Jakobus neu gewürdigt. Jakobus geht es vom Briefanfang an »um die enge Zusammengehörigkeit von Glaube und Werken, und zwar in dem Sinne, daß der Glaube durch die Werke im mitmenschlichen Bereich aufweisbar wird daß Wort und Tat eine notwendige Einheit bilden müssen« (34). Wie Hören ohne Tun (s. o. zu
1,19-27) und Reden ohne Tun (s. u. zu 3,1-12), so ist auch das Verhältnis von Glauben allein ohne Werke zum Glauben mit Werken zu bestimmen. Die Nächstenliebe bildet den Maßstab des Gerichts (s. o. zu 1,27; 2,12 f.). »Der Rückbezug auf das Gericht hat darin seinen Sinn, daß ein Glaube ohne Werke in einem Gericht, das ja gerade barmherzige Werke fordert, nutzlos wäre« (34). Glaube ohne Werke ist nicht nur asozial, er ist auch unchrist lich und gegen die göttliche Sozialordnung. Gott will die ungeteilte Hingabe des nichtgespaltenen (s. o. zu 1,8) Menschen (s. o. zu 1,4b. 12c; 2,5d). Ohne die Verwirklichung des Glaubens im Tun der Liebe zum Nächsten (2,8c) als Erfüllung des »Gesetzes der Freiheit« (1,25) und des »königlichen Gesetzes« (2,8) sind die angeredeten Christen nicht »vollkommen und ganz« (1,4b). Nur dann, wenn der Glaube »ein vollkommenes Werk bewirkt« (1,4a), bestätigt sich der Christ »als eine Art Erstlingsfrucht« (1,18b) von Gottes Geschöpfen — »geboren durch das Wort der Wahrheit« (1,18a). Daß eine Trennung von Glauben und Werken nach dem Verständ nis des Jakobus absolut unmöglich ist, ist auch Thema des vieldis kutierten und umstrittenen Verses 18. Wie immer man 18b versteht — als Frage bzw. Aussage — (in den griechischen Handschriften fehlt jegliche Interpunktion, so daß moderne Herausgeber, auch deutsche Ubersetzungen hier nachhelfen müssen), bei einem kontextuellen Lesen von Vers 18 dürfte dieser in jedem Fall als Einwand zu verstehen sein. Da pointiert zwei Überzeugungen in 18b einander gegenübergestellt werden (Du hast — Ich habe), geht es um die Alternative, ob Glaube und Werke auf die zwei Sprecher verteilt werden können — unter der Voraussetzung, daß Glaube und Werke etwa als zwei Begabungen/Charismen zu verstehen sind, die wie andere Charismen in der Gemeinde auf verschiedene Gemeindemitglieder verteilt gedacht werden können. Da Jakobus bislang die unabdingbare Verbindung der Verwirklichung des Glaubens durch Werke vertreten hat, ist er von der zweiten Vershälfte in 18b »Ich aber habe Werke ...« der Sprecher, da er Werke als Werke des Glaubens (vgl. 14b.c.l7a.b) versteht. Formal ist 18b als Antithese zu 18a am ehesten als Ellipse zu verstehen, die folgendermaßen aufzulösen ist (vgl. Neitzel 290):
Aber es wird einer sagen: »Du hast Glauben?« Und ich (werde sagen): »Ich habe Werke (der Liebe).«
Versteht man 18a.b als Ellipse (zu dieser rhetorischen Figur bei Verben des Sagens vgl. BlDebrReh 480,6 - allerdings ohne Hin weis auf Jak 2,18) sowie 18c.d als Position des Jakobus, die mit der Grundthese in 14-17 und 20.26 übereinstimmt, bleibt als Problem das viel erörterte und fast ebenso oft unterschiedlich beantwortete Verständnis von 18b. Jeder Auslegungsversuch enthält wenn nicht syntaktische, so doch semantische und pragmatische Schwierigkei ten. Dies gilt auch für den in neueren Veröffentlichungen (vgl. Schnider 70f.; Schnackenburg 217; Hoppe, Jakobusbrief 64) stark rezipierten Vorschlag von Neitzel, in 18b eine andere Interpunk tion als in den üblichen Ubersetzungen anzunehmen. Er versteht die erste Hälfte von 18b als Frage des fingierten Gegners, wobei er zu Recht das Personalpronomen, das beim griechischen Verb nicht notwendig ist, stark betont sieht. Er übersetzt: »Hast du Glau ben?« Diese Lesart wurde noch in der 25. Auflage von NestleAland als mögliches Verständnis angegeben, was jedoch in der 26. Auflage gestrichen wurde. Neitzel (289) paraphrasiert diesen ernst zunehmenden Einwand wie folgt: »Du, der du so gegen den >reinen< Glauben zu Felde ziehst?« Der Gegner kann unter dieser Voraussetzung seine Position in 18b in Abbreviatur (um der Anti these willen) nur kurz ansprechen — als Einwand gegen die Aus führungen des Verfassers in Vers 17 vom Totsein des Glaubens ohne Werke. Jakobus läßt ihn mithin eigentlich gar nicht zu Wort kommen und umschreibt selbst in Vers 19 den gegnerischen Glau ben als einen, der zwar die Einzigkeit Gottes bekennt, aber auf Taten der Nächstenliebe meint verzichten zu können. So klar in diesem Vorschlag der Bezug zu den Versen 19 und 20 ist, so problematisch ist er im Hinblick auf Vers 17, da vorausgesetzt werden muß, daß der Gegner Jakobus im Sinne eines »allein aus Werken« mißverstanden hat. Oder geht es Jakobus gar um die Provozierung dieses (im Text nicht zu belegenden) Mißverständ nisses, das in der Tat in 14b.c (»er habe Glauben, aber keine Werke«) liegt, da die Zuordnung dieser beiden Begriffe ungeklärt ist? Denn worin sonst bestände die Logik einer Gegenthese zu der von Jakobus vertretenen Sinnlosigkeit eines behaupteten Glaubens ohne Werke (14b.c)? Textgemäßer wäre die Frage, welche Bezie hung Glaube und Werke haben, ob Werke Vorbedingung des Glaubens sind oder Frucht des Glaubens usw. Da in 18b durch die zwei Sprecher der reine Glaube und das Vorzeigen von Werken einander gegenüberstehen (vgl. auch McKnight), Jakobus weder das eine noch das andere im engeren Kontext noch im ganzen Brief vertritt, vermag auch die Frage »Du
hast Glauben?« als Einwand auf die Position des Jakobus nicht recht überzeugen. Klar ist, daß Jakobus gegen jede Isolierung des Glaubens als reinen Bekenntnisglauben polemisiert und ihn als Existenzform christlichen Glaubens nicht akzeptieren will. Dann können aber beide extremen Positionen in 18b nicht die Überzeu gung des Jakobus wiedergeben, sie jedoch auch nicht in Frage stellen. Versteht man 18b (erste Hälfte) als Frage, muß sie sich kontextuell auf die vorhergehenden Verse beziehen, was aber inhaltlich nicht stringent ist. Zudem müßte man in 18b (zweite Hälfte) ergänzen: »Ich habe Werke des Glaubens/der Nächsten liebe«. So wenig die gesamten Verse kontextuell mißverstanden werden können, um so schwieriger ist die glatte Einordnung von Vers 18b. Vielleicht sollte man diesen Vers inhaltlich-systematisch nicht zu sehr befrachten. Für den Ablauf der Gedanken genügen fiktive Stichwortlieferan ten, die dem Verfasser die Möglichkeit geben, auf die Verbindung der Begriffe Glauben und Werke eingehen zu können. Daher erscheint eine fiktional-rhetorische Interpretation von 18a.b am sinnvollsten zu sein. Danach nimmt Jakobus eine dritte Position ein, die er bereits in Vers 17 formuliert hatte. 18a.b enthält einen referierten Dialog um Glaube und Werke. Jakobus selbst macht die Unterschiede deutlich und formuliert als seine Position die These vom Glauben, der, wenn er keine Werke hat, für sich allein tot ist. Die Position des Jakobus ist also eine vermittelnde. Daraus folgt: Der mit den Mitteln der Diatribe formulierte Einwand ist ein Doppeleinwand. Beide Aspekte zwingen Jakobus zu einer Ant wort, wobei er im Grunde genommen aber die Antwort auf die These, daß jemand Nur-Glauben hat, ab 2,14 ff. bereits beantwor tet hat, so daß vermutet werden kann, daß es ihm im folgenden primär um die Bedeutung der Werke bzw. näherhin um ihr Ver hältnis zum Glauben geht. Die Ausleger haben sich zu sehr am Begriff »Gegner« festgebissen. Wenn, dann werden beide extremen Positionen von literarisch fiktiven Gegnern vertreten, die der Autor — zur weiteren Entfal tung seiner Theologie — auftreten läßt. Wie immer man diesen Vers auch erklären mag: Auf jeden Fall ist zu gewährleisten, daß dieser Vers im Rahmen der kleinen Einheit 2,14-26 eine untergeordnete Funktion hat und nicht die gesamte Konzeption des Jakobus davon abhängig gemacht wird. Das unverbundene und isolierte Vorkom men beider Begriffe wird im eigenen Verständnis in Funktion für die Frage nach dem Zusammenwirken von Glaube und Werken (vgl. 22a) verstanden. Nicht mehr und nicht weniger will Vers 18a
leisten. Verständlich ist er eher als gedachte Möglichkeit denn als gelebte Realität christlichen Glaubens, die es konkret zu bekämp fen gilt. Hinweise darauf, daß es sich bei dem, der in 14b und 18a.b spricht, um einen »Neuchristen« handelt (so Burchard 33), gibt es nicht. So sehr 18a.b rhetorisch funktional für den weiteren Gesprächsab lauf zu interpretieren ist, so dürfte die mit Vers 19 umschriebene Position nicht nur heute sondern auch bei den Adressaten des Jakobus konkret gelebter Glaube gewesen sein. Versteht man 18b (erste Hälfte) von dorther, ist 18b (erste Hälfte) in sich stimmig, allerdings fehlt dann die Entsprechung zu 18b (zweite Hälfte). Wer vertritt — absolut genommen — eine solche These? Jakobus kann es ganz und gar nicht sein, es sei denn, es ist das »vollkommene Werk« aus 1,4 gemeint, es sei denn, hier spricht der »Täter des Werkes«, der »das vollkommene Gesetz der Freiheit« (1,25) und »das königliche Gesetz« (2,8) erfüllt. Warum setzt Jakobus kein Adjektiv hinzu? Ihm kam es wohl nur auf entgegengesetzte, sich ausschließende Stichworte an. Daher wird ein Gegner nicht den ganzen Vers 18b formuliert haben (u. a. Dibelius 191), schon gar nicht steht hier Christentum gegen Judentum (so Schlatter 192194). Auch die Einführung eines Gesinnungsgenossen bzw. Sekun danten des Jakobus, der von Vers 18 bis 23 Jakobus zur Seite springt (vor allem von Mußner 136-145 vertreten), kann kontextu ell im Hinblick auf 18c.d nicht überzeugen. »Hat denn jemand den Sekundanten aufgefordert, seinen Glauben zu zeigen? Hat jemand an seinem Glauben gezweifelt?« (Neitzel 288). Es bleiben Fragen. Da Sentenzen um so offener sind, je kürzer sie sind, sollten sie — sofern sie einen Kontext haben — von dorther erklärt werden. Dies gilt auch für 18a.b, für die sich eine primäre rhetorische Funktion am ehesten nahelegt ohne allzu gewichtige inhaltliche Systematik. Der Vers soll in seiner Antithetik nichts anderes leisten, als daß der Verfasser im folgenden zu dieser Antithetik Stellung nehmen kann. Ohne Zweifel wird dies in 18c.d getan. 18c.d: Die beiden antithetisch formulierten Sentenzen bieten die Lesehilfe für den umstrittenen Vers in 18a.b. Demnach sind die dort gebrauchten absoluten Begriffe »Glauben« und »Werke« auf zulösen als »Glauben ohne Werke« (18c) mit der Gegenposition »aus meinen Werken den Glauben zu zeigen« (18d). Die rhetorisch wirksame Brachylogie von Vers 18b findet somit ihre notwendige inhaltliche Erklärung. Kontextuell wird bestätigt, daß 18d und damit auch 18b (zweite Hälfte) die im gesamten Brief belegte durchgehende These des Jakobus bieten, wonach Werke Zeichen
für den Glauben sind. Als Parallele ist vor allem auf 3,13 hinzuwei sen: »Wer ist weise und wohlunterrichtet unter euch? Er zeige aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit«. Dage gen ist ein »Glaube ohne Werke« (18c) wie in 2,14b.c und 2,17 für Jakobus eine contradictio in adiecto: Einen Glaube ohne Werke kann man nicht zeigen/vor Augen bringen/dartun/nachweisen. Traditionsgeschichtlich rezipiert Jakobus nach dem evangelischen Theologen Heiligenthal »eine in der hellenistischen Rhetorik gebräuchliche Beweisführung« (35), die im Frühjudentum und im Neuen Testament breit belegt ist. Dieser Vorstellung liegt die These zugrunde, »daß Werke ... vor allem Zeichencharakter besit zen: Sie offenbaren das Innere des Menschen gegenüber anderen Menschen und vor Gott. In dieser Funktion werden sie im Neuen Testament positiver beurteilt als eine tief in protestantischer Tradi tion verwurzelte Ablehnung von >Werkgerechtigkeit< vermuten läßt« (ebd. V im Vorwort). Jakobus stimmt hierin mit Matthäus überein (vgl. Mt 5,13-16; 7,15-23), aber auch mit Paulus (vgl. Gal 5,19-26; 1 Kor 3,5-17; 2 Kor 5,2-10; Rom 2,12-4,8; 13,1-7) und mit den Verfassern des Johannesevangeliums und der Pastoral briefe, wie Heiligenthal im einzelnen nachgewiesen hat. Demnach spricht Jakobus »von den erga als den empirisch faßbaren Zeichen des Glaubens« (50), so daß also »die Tat für Jakobus fester Bestandteil des Glaubens ist« (36 Anm. 40). Dies hat weitreichende Konsequenzen für die umstrittene Frage des Verhältnisses von Jakobus zu Paulus und dem Verständnis der Rechtfertigung hier und dort (vgl. den Exkurs nach 2,24). Ebenso eröffnet die These, daß Werke Zeichen für andere sind, sie also ipso facto einen sozialen Bezug haben, die handlungsorientierte Lesart biblischer Texte. Fraglich bleibt jedoch, ob Jakobus bei seiner These, daß Glauben »wesenhaft Sein und Tat umschließt« (40), einer Vorstellung vom Glauben verhaftet bleibt, »die ihren Hintergrund in einem häufig in der kynisch-stoischen Diatribe verwendeten Tugendbegriff hat« (35; ähnlich 40 f.). Die dezidierte These, daß Jakobus »die pistis als eine Sein und Tat umfassende Tugend« versteht (36), ist fraglich. Eher dürfte er das griechisch-römische Tugendideal stärker biblisch, näherhin von Jesus Sirach theologisch interpretieren (s. o. den Exkurs nach 1,6a »Glaube bei Jakobus«). Gerade der gleiche Zusammenhang in 3,13-18 (der Weise erweise aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit) zeigt, daß Jakobus zum einen ein Vertreter der These von den Werken als Zeichen des Glaubens ist, ihm zum anderen aber nicht eine Tugend»lehre«
vorschwebt, sondern ein Entwurf einer umfassenden anthropologi schen und ekklesiologischen Sozialordnung, wonach nicht nur der einzelne ganz und vollkommen, weise und solidarisch sein soll, sondern auch die Gemeinde. Die Basis für dieses Konzept lautet: Gott ist Geber alles Guten (vgl. 1,5.6f.. 17), auch der Ermögli chung des Handelns. Bereits im Prolog formulierte er die These, daß eine Trennung von Glauben und Werken nicht nur eine innere Spaltung des Menschen andeutet, sondern auch die Spaltung in der Gemeinde belegt. Wie stark Orthodoxie für Jakobus Orthopraxie in Einheit von Glaube und Tun meint, zeigt nach diesem Hinweis auf die Zeichenfunktion der Werke sein zweites Argument im folgenden Vers 19 aus dem Bereich der Gotteslehre. 19a.b: Die bisherige Attacke des Jakobus gegen einen Glauben, »der sich begnügt, Glaube zu sein, und den Schritt zum Handeln verweigert« (Eichholz 43), wird forciert mit dem Hinweis auf das Grundbekenntnis Israels zum einen Gott, das fromme Juden seit dem Altertum zweimal am Tag, im Morgen- und Abendgebet, bekennen gemäß Dtn 6,4: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig«. Das Sch ma Israel, wonach neben, über oder unter dem einen Gott es keine anderen gibt, war gerade für das hellenistische Judentum in einer polytheistischen Umwelt ein unerhörter Anspruch, weil in ihm die schlechthinnige Negation der Existenz von Götzen und Göttern ausgesprochen wurde. Dieser Glaube, daß Gott (nicht nur im Sinne der Monolatrie) ein Einziger ist, enthielt und enthält ein politisches Programm (vgl. Peterson, Monotheismus). Dieser Glaube an den universalen Monotheismus war seit der Exilszeit (vgl. AT. Lohfink-J. Bergmann: T h W A T l , 1973,210-218) unbestritten: »Gott als einen Einzigen anzuerkennen, ist allen Hebräern gemeinsam« Qosephus Flavius Ant V 1,27). Dies ist auch das Grundverständnis der sonstigen Stellen aus dem Frühjudentum (vgl. Peterson, Heis Theos 195-299). Es erstaunt daher nicht, daß sowohl die Jesustradition (vgl. Mk 12,29.32) wie Paulus (vgl. Gal 3,20; 1 Kor 8,4.6; Rom 3,30) u. a. ebenfalls dieses Grundbekenntnis anerkennen. Für einen christlich-jüdischen Dialog ist dies eine oft noch nicht beherzigte wichtige Grundlage wie auch für das Gespräch zwischen Juden, Christen und Muslime (vgl. Sure 29,46: »Unser und euer Gott ist einer«; zur Einladung zum Dialog von muslimischer Seite vgl. Sure 3,64 und 16,125 mit der Begründung, daß zwischen den monotheistischen Religionen vor Gott eine Einheit besteht; vgl. 2,62 und 22,17. Zur Problematik und zur Literatur vgl. Frankemölle, Dialog und H. Zirker, »Sag nicht Drei!« Zur Faszination der Einzigkeit Gottes im Islam, in: StZ 209, 1991, 199-212). e
Was meint im jüdischen Verständnis und im Sinne des Jakobus Glauben an den einen, einzigen Gott? Wird Glaube in Vers 19 »zur bloßen weltanschaulichen Theorie und Doktrin degradiert«, ist er »intellektualistisch heruntergekommen« (Schräge, Ethik 289)? Mit Recht bemerkt Burchard aus rein logischen Gründen gegen eine solche extreme Position: »Ein Glaube, der sich an den Einen Gott richtet, ist zumindest nicht total ausgehöhlt, und wenn er die Dämonen zittern läßt, nicht intellektualistisch; sie zittern doch nicht vor der Aufklärung« (39). Versteht Jakobus Glauben nur als Akt der fides quae, »nur in einem theoretischen Bekenntnis zu dem einen Gott« (Schnackenburg, Ethik II, 219)? Gegen einsei tige protestantische und katholische Mißverständnisse ist vom jüdi schen Glaubensverständnis her zu beachten: So sehr der Begriff »Glauben« auch Mißverständnissen und Verzerrungen ausgesetzt war und ist, bereits die hebräischen Ausdrücke wie aman: fest/ sicher, batah: trauen, kiwwah: hoffen, hikkah: harren, hasah: sich bergen umschreiben eine anthropologische Grundhaltung, die nie intellektualistisch verkürzt werden kann. Demnach meint Glaube umfassend die Existenzform des auf Jahwe hin orientierten Men schen, modern gesprochen: den jüdischen way of life. Hierin stimmt Jakobus im übrigen mit Paulus überein (vgl. Burchard 38 f. Anm. 54), der ebenfalls das Bekenntnis zum einen Gott mit einer konkreten Sozialethik verbindet (vgl. 1 Thess 1,9 mit 4,1-12) und dies mit der Wendung »dienen« bereits in der rezipierten Glau bensformel thematisiert: »Denn man erzählt sich überall,... wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen.« Die authentische Lebensform ist der gelebte Glaube im Verwirklichen der Sozialordnung Gottes, der Tora, dem das Bekenntnis integral entstammt. Nach jüdischem Glauben gelingt menschliche Existenz nur als Fest-stehen in dieser Ordnung (vgl. Jes 7,9; 2 Chr 20,20; Hab 2,4). Wie die prophetische Kritik belegt, ist mit einem solchen Grund verständnis nicht auch schon der real existierende Glaube beschrie ben. Insofern kann Jakobus in 2,19 ebenso Judenchristen anspre chen wie gerade neukonvertierte Heidenchristen, die »alles Heil« vom »frischgewonnenen Monotheismus« (so Mußner 139) erwar ten. Gruppen lassen sich — wie auch sonst im Brief zu diesem Thema — nicht unterscheiden. Jakobus geht es hier um das Grund sätzliche. Und da gilt: Das Bekenntnis, daß es einen einzigen Gott gibt, verdient voll und ganz Zustimmung, ohne jeglichen ironi schen Unterton: Du handelst gut (19b). Jakobus wertet das Bekennen als Rede grundsätzlich nicht ab, wie auch aus 1,19-27
und 2,1-13 hervorgeht (vgl. 2,12: »So redet und so handelt ...«). Wohl wendet er sich gegen die Auflösung einer integralen Bezie hung beider Begriffe zueinander, in 2,14-26 nicht anders wie in den vorhergehenden kleinen Einheiten (vgl. 1,22: »Werdet aber Täter des Wortes!«). Ständig geht es Jakobus vom Prolog an um das Ungespaltensein des Menschen im Inneren, in seinem Herzen sowie um die Übereinstimmung von Glauben und Handeln im äußeren, sozialen Verhalten (vgl. bes. 2,1 ff.). Der Mensch ist zugleich ens individuale und sociale. Jakobus fordert nicht dazu auf, das eine durch das andere zu ersetzen, sondern es zu komplet tieren; nur so können der einzelne Mensch und die Gemeinschaft integral, »vollkommen« und »ganz« werden (s. o. zu 1,4). Zwei Aspekte seien zum so verstandenen Glauben an den einen Gott noch benannt. Zum einen: Wie immer man die schwierige Stelle der Namens offenbarung in Ex 3,14f. versteht, der Hinweis auf die Geschichte Jahwes mit Abraham, Isaak und Jakob legt ein Verständnis des »Ich-bin-da« als »Gott für Welt und Mensch« nahe. So versteht es auch die jüdische Interpretation: »Der Heilige, gelobt sei er, sagte zu Mose: Meinen Namen willst du wissen? Entsprechend meinen Taten werde ich benannt« (Shem R zu Ex 3,14; Mekh Y zu Ex 20,2). Zum anderen: Im Hinblick auf den Kontext des Jakobus, speziell im Hinblick auf den christologisch formulierten Glauben in 2,lb.c ist darauf hinzuweisen, daß sich nach jüdischen Voraussetzungen eine Zuordnung wie in 1,1 »Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« wenigstens im Rahmen des hellenistischen Judentums mit den Vorstellungen der Hypostasen/Wirkweisen Jahwes verbinden läßt. Auch wenn griechisch denkende und redende Juden den Glauben an eine lebenslange Hypostase Gottes in Jesus von Nazareth nicht nachvollziehen können (ohne Christen zu werden), ist dieser Gedanke dem griechischen Judentum an sich nicht fremd (vgl. Frankemölle, Christologien 113-116). Wenn Jakobus in 2,19a und b das Bekenntnis zum einen einzigen Gott formuliert, steht dem das Bekenntnis vom einen, einzigen Gott in Jesus von Nazareth grundsätzlich nicht entgegen. Auch wenn Jakobus wie andere neutestamentliche Theologen dieses Grundbekenntnis nicht christologisch erweitert, was er in 4,12 (»Ein Einziger ist Gesetzgeber und Richter, der retten und verder ben kann«) hätte tun können (zu sonstigen Stellen im Neuen Testament wie 1 Kor 8,6; 1 Tim 2,5; Mt 23,8-10 zum »einen Kyrios Jesus« u. a. vgl. Betz), hat er dennoch eine Parallelisierung
der Funktionen Gottes und Jesu Christi durchgeführt (s. o. zu 1,1 und den Exkurs nach 2,1: Die Christologie des Jakobus). Liest man die einzelne Stelle im Brief kontextuell, sind die unterschiedlichen Aspekte mitzudenken. Es bleibt: Das Grundbekenntnis des jüdisch-christlichen Mono theismus bestätigt Jakobus als richtig und notwendig, bei einem verkürzten Verständnis jedoch als erweiterungsbedürftig. Im nähe ren Kontext der These von den Werken als Zeichen des Glaubens wäre eine Reduzierung des gesamten Glaubens im oben angedeute ten Verständnis auf den Bekenntnisakt unvollständig. Der Hinweis auf das Bekenntnis zum Monotheismus soll ein Argument für diese Auseinandersetzung liefern. Das kann es aber nur, wenn das verengte Verständnis entlarvt wird. Dies geschieht in 19c. 19c: Mit dem gesamten Neuen Testament (vgl. O. Böcher, daimon u. a., in: E W N T 1, 1980, 649-657) geht Jakobus von der Existenz der Dämonen aus; darin stimmen alle Theologen im N T mit den frühjüdischen Vorstellungen überein. Und auch dies ist ihnen gemeinsam, daß die Dämonen an den Monotheismus glauben, wie ihnen auch in der neutestamentlichen Literatur die göttliche Tie fendimension Jesu und seine wahre Identität bekannt ist (vgl. etwa Mk 1,24; 3,11; 5,7 u. a.). Mit dem nur hier im Neuen Testament belegten Verbum phrissein: schaudern/erbeben/zittern ist kon textuell eine Haltung angegeben, die passiv bleibt, da die Dämonen trotz des Glaubens an den einen Gott seine Gebote nicht erfüllen. Damit hat Jakobus vom zentralen Glaubensinhalt her die These von Vers 17, daß »der Glaube, wenn er keine Werke hat, für sich allein tot« ist, bestätigt. Von 19c her gewinnt 19b einen ironischen Unterton. Wer nur dies glaubt, dem nützt dieser reine Bekenntnis glaube nichts (vgl. 14a.l6d), da er »für sich allein tot« ist (17b). Traditionsgeschichtlich greift Jakobus mit dem Hinweis auf das Zittern der Dämonen »auf eine Vorstellung jüdischer Volksfröm migkeit zurück, die sich besonders in den sogn. Zauberpapyri findet« (Heiligenthal 37). Das Zittern der Dämonen »ist in der Literatur, die sich mit Exorzismen befaßt, ein beliebter Gegenstand der Erwähnung« (Peterson, Heis Theos 296; zu den Belegen ebd. 296-299). Die Gründe für das Zittern, über die Jakobus nicht spricht, können verschiedene sein: Entweder zittern die Dämonen allgemein vor der Macht Gottes oder die Wendung »ein Einziger ist Gott« gehört zur exorzistischen Beschwörungspraxis bei der Ent machtung der Dämonen. Heiligenthal (38) sieht in den Paulusakten (Ende des 1./Anfang des 2. Jh.) »zweifelsfrei« dieselbe Tradition wie bei Jakobus: Die Dämonen »sind trotz ihres Glaubens an Gott
wertlos, weil sie dessen Gebot nicht tun. Sie glauben zwar, daß der Herr Gott ist, aber sie ziehen daraus nicht die Konsequenz: Sie tun nicht den Willen Gottes, der sich nach der Epistle of Pelagia in sozial ausgerichteten Geboten äußert.« Da keine Tradition für Jakobus vorliegen dürfte, bestätigt diese intertextuelle Parallele nur das, was sich kontextuell erweisen läßt: Für Jakobus sind die Dämonen ein Beispiel für Christen, bei denen Glaube und Werke auseinanderfal len. Während — wie in der gesamten jüdischen Dämonologie — an der Überzeugung der Dämonen nichts geändert werden kann, formuliert Jakobus wie im gesamten Brief den dämonischen Glau ben als Opposition zu einem integralen Glauben, in dem Bekenntnis und solidarische Praxis eine Einheit bilden. 20: Dieser Vers steht zu Vers 17 parallel, wie der Nebensatz zeigt. Aber: Die Sprachform ist eine andere. Hatte Jakobus in Vers 17 schlußfolgernd argumentiert, so appelliert er in Vers 20 in einer stark affektiv besetzten Figur eines Ausrufes bzw. einer Scheltrede. Dies ist ein typisches Dialogelement, wie es auch in der Diatribe belegt ist: Im fiktiven Dialog wird der Adressat direkt angespro chen, in die Argumentation verstrickt; so soll er zu einer neuen Glaubenshaltung geführt werden. Wer aus der Fallanalyse zwi schenmenschlichen Fehlverhaltens in 2,15-16, aus dem eschatologisch orientierten Rahmen in 2,14.17 sowie aus dem theozentri schen Grundbekenntnis in 2,19 immer noch nicht im Sinne des Jakobus die richtige Schlußfolgerung gezogen hat, ist ein »leerer«, d. h. unvernünftiger Mensch — ohne Vernunft und Einsicht. Im Sinne der Bibel ist er ein »Tor« (vgl. M. Lattke, kenos, in: E W N T 2, 1981, 695). Wer nur einen Funken Verstand hat, muß erkennen, »daß der Glaube ohne Werke wirkungslos ist«, wie Jakobus mit dem Stilmittel der Paronomasie, der Zusammenstellung lautlich gleicher Worte, die zudem etymologisch in Verbindung stehen, in 20b effektvoll formuliert (ergon — arge; das Adjektiv argos: untätig/unwirksam/wirkungslos/nutzlos ist gebildet durch die Kontraktion aus dem a-privativum und dem Substantiv ergon/ Werk, so daß es wörtlich übersetzt heißt »ohne Werk«; vgl. Frisk 133). Wie wenig Jakobus ernsthaft an die Einsichtskraft und an den Willen des fiktiven Gesprächspartners appelliert — wie meist auf grund der Einleitung von 20a angenommen wird —, belegt die Tatsache, daß mit Vers 20 die Abweisung des falschen Glaubens verständnisses nicht abgeschlossen ist, Jakobus sich vielmehr bemüßigt fühlt, in den folgenden Versen seine These vom integra len Werk-Glauben noch aus der Schrift zu begründen. Nach dem
Schriftbeweis in 21b appelliert Jakobus erneut in 22a an den fiktiven Gesprächspartner, diesmal in positiver Formulierung (»Du siehst«). Kontextuell hat der Vers 20 eine überleitende Funktion, was im Griechischen durch die sehr unbestimmte Partikel de: und/ also/wohl/aber belegt wird, häufig gesetzt als bloße Übergangspartikel ohne einen irgendwie bemerkbaren Gegensatz. Dieser neue Anlauf zur Begründung aus der Schrift zeigt, wie wichtig Jakobus das anliegende Problem nimmt und daß seiner Meinung nach noch nicht alle Aspekte des Verhältnisses der beiden Hauptbegriffe »Glaube — Werke« geklärt sind. Da es ihm um die theologische Grundsatzfrage, um das Heil vor Gott und im Gericht geht (2,13.14.17), ist auch das Adjektiv »wirkungslos/ nutzlos« in 20b in diesem Sinn zu interpretieren. Die Rettung des Menschen, sein Angenommensein von Gott steht auf dem Spiel. Wenn Jakobus in 20b nicht formuliert »Glaube ohne Werke«, sondern »Glaube ohne die Werke«, wird er den Artikel, der ursprünglich ein Demonstrativpronomen war (BIDebrReh 249) bewußt gesetzt haben. Jakobus »setzt ... den Artikel, der herausfühlen läßt, daß es die Werke sind, welche jeder in der Gemeinde kennt« (Hauck 131), oder innertextlich formuliert: Es sind die bekannten (vgl. BIDebrReh 252) Werke der Barmherzigkeit, auf die Jakobus zuletzt in den Versen 15-16 hingewiesen hat. Zudem sind es die — und dies lenkt zu den folgenden Versen über — bekannten Werke aus der jüdischen Tradition, wie sie von Abraham und Rahab erzählt wurden.
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21: Zunächst ist sprachlich im Hinblick auf das vieldiskutierte Problem des Verhältnisses von Glauben — Werk — Rechtfertigung darauf hinzuweisen, daß in 21b Jakobus wohl bewußt (vgl. die parallele Konstruktion in 25c bei Rahab) im Griechischen ein Partizip setzt. Damit kann eine Begründung gemeint sein, dies ist aber nicht zwingend; die partizipiale Konstruktion kann auch relativisch aufgelöst werden (Abraham, der ... legte) oder auch temporal und modal. Jakobus läßt hier eine Unbestimmtheitsstelle bzw. Leerstelle, die erst in 22a im Ansatz aufgehoben wird. Daher sind weitreichende Schlußfolgerungen hinsichtlich der Rechtferti gungstheologie in diesem Vers nicht zu ziehen. Jakobus behauptet nicht: »Das Werk des Abraham ist also der Grund seiner Rechtfer tigung« (Schräge 33). Eine solche Position ist (aus konfessionellen Gründen?) zumindest undifferenziert. Weder in 21b noch in 25c gilt, daß das Partizip »zweifellos den Grund der Rechtfertigung angibt« (Dibelius 200). Versteht man die Partizipien, die von der griechischen Grammatik her jede Art von Nebensätzen vertreten können, nur kausal, dann ist man schnell bei der These, daß nur das Werk allein rechtfertigt, nicht aber das im Glauben begründete und vom Glauben her erst motivierte und freigesetzte Werk als sichtbares Zeichen des Glaubens. Syntaktisch, kontextuell läßt sich auch ein anderes Problem lösen, nämlich das der Werkgerechtigkeit, das entsteht, wenn man Vers 21 isoliert liest. Im Sinne des Jakobus jedoch ist 21a »Abraham ... ist aus Werken gerechtfertigt worden« kontextuell zu lesen mit 2,12 und mit der Hauptaussage in 24, so daß Vers 21a durch 22a (»Der Glaube wirkte mit seinen Werken zusammen«) und 23b (»Abraham aber glaubte Gott«) sowie 24a.b (»Aus Werken wird der Mensch gerechtfertigt und nicht aus Glauben allein«) interpre tiert wird. Jakobus lehnt sowohl eine »Aus-Glauben-allein«- wie eine »Aus-Werken-allein«-Position ab. Nur wer den einzelnen Vers absolut isoliert, kann zu einem anderen Ergebnis kommen. So
formuliert Walker zu 2,21: »Jakobus predigt die Rechtfertigung aus Werken . . . . Stünde der Begriff des Glaubens bei Jakobus in irgendeinem inneren Zusammenhang zum Begriff der Werke, so müßte er hier, in Sachen der Rechtfertigung, an den Tag kom men . . . . Die Werke der Gesetzeserfüllung allein entscheiden die Rechtfertigung; was der Mensch etwa >sonst noch< hat, ist für die Rechtfertigung belanglos« (175f.). »Der Glaube qua Glaube« bewirkt nach Walker »nichts für das Heil ... und ... nichts zur Rechtfertigung« (179; vgl. ähnlich Schuh 285f.). Solch extreme protestantische Positionen werden zu Recht auch von evangeli schen Auslegern kritisiert (vgl. Marxsen, Frühkatholizismus 3 1 ; Burchard 32). Dies läßt ökumenisch hoffen. Jakobus greift in diesen Versen nicht auf konkrete Gemeindeerfah rungen noch auf Beispiele aus der Natur zurück, sondern vielmehr wird die Schrift als anerkannte Autorität bemüht, um das in Vers 18 genannte Problem endgültig zu klären. Kein Geringerer als »Abraham, unser Vater«, wie Juden, Judenchristen und Heiden christen (vgl. Pirke Abot 5,19; 1 Kor 10,1; Gal 3,7.29; Rom 4,1.12.16f.; 1 Klem 31,2) Abraham nennen, dient als Beispiel für den Schriftbeweis. Neben dem Beispiel des Mannes fällt das Bei spiel der Frau in 25 etwas dürftig aus; dennoch ist die Nebenord nung in der Beweisführung auffällig. Liest man Vers 21 kontextuell, ist auch das Problem klar, auf das er antwortet: Die These steht in 20b: »Glaube ohne die Werke ist nutzlos« (vgl. schon 2,12; dazu Ward 289). Die Folgerung aus Vers 21 steht in 22a und 23a: Der Glaube wirkte mit den Werken Abrahams zusammen und aus den Werken wurde der Glaube vollendet und so wurde die Schrift erfüllt. Traditionsgeschichtlich steht Jakobus mit diesem Beispiel in einer breiten und langen jüdischen Abrahams-Tradition, was für Paulus nicht zutrifft (vgl. die Kommentare zu Gal 3,6ff. und Rom 4,1 ff.; z. B . H. D. Betz, Der Galaterbrief, München 1988, 250-277 und Roloff zur »Kühnheit der paulinischen Interpretation der bibli schen Abrahamsaussagen«: 248, der aber der jakobeischen Kon zeption insgesamt mit einer halben Seite Darstellung nicht gerecht wird). Paulus setzt aufgrund seines Glaubens an das eschatologi sche Handeln Gottes in Tod und Auferweckung Jesu auch schon für die Schrift voraus, daß die Begriffe »Glaube« und »Gesetz/ Werk« Gegensätze sind; dies war nach damaliger Schrift«Methode« (nicht nach unserem historischen, kritischen Verständ nis) aufgrund von Begriffs- und Zitatkombinationen möglich. Dagegen steht Jakobus nicht nur in einem breiten Traditionsstrom
des Frühjudentums (vgl. Berger, Jacobs, Soards 21 u. a.), sondern auch dem heutigen, modernen Verständnis sehr nahe. Hervorra gender Zeuge der Abraham-Rezeption der jüdischen Tradition für Jakobus ist Jesus Sirach. Dort heißt es in 44,19-21 im »Lob der Väter der Vorzeit« (44,1-50,29) von Abraham: 19 Abraham, der Vater einer Menge von Völkern, niemand ward ihm an Ehre gleich erfunden. 20 Er, der das Gesetz des Höchsten hielt und in einen Bund mit ihm trat. An seinem Fleisch bestätigte er den Bund, und in der Versuchung wurde er treu erfunden. Das »Lob der Väter« endet in 50,28f. mit den Worten: 28 Selig, der über sie nachdenkt, und wer sich's zu Herzen nimmt, wird weise werden. 29 Denn wer das tut, wird in allem stark sein, weil das Licht des Herrn seine Spur ist. Im Buch der Jubiläen heißt es nach dem Tode Abrahams in 23,10: Abraham war dem Herrn gegenüber in all seinem Tun vollkommen und alle seine Lebenstage in Gerechtigkeit wohlgefällig. Weil dies so ist, segnet nach Abrahams Tod Gott Isaak und verpflichtet ihn in 24,11, wie Abaraham zu leben: Und in deinem Stamme sollen alle Erdenvölker gesegnet werden dafür, daß dein Vater auf mein Wort gehört und meine Weisung, meine Gebote und Gesetze, meine Ordnung und meinen Bund beobachtet hat. Jetzt aber höre auch du auf mein Wort. Ähnlich wie in Sir 44,19 f. dient das Verhalten der Vorfahren auch in 1 Makk 2,51 f. als Beispiel für das eigene Verhalten, wobei an erster Stelle wiederum Abraham genannt wird:
51 Denkt an die Taten, die unsere Väter zu ihren Zeiten vollbrachten; erwerbt euch großen Ruhm und einen ewigen Namen! 52 Wurde Abraham nicht für treu befunden in der Erprobung, und wurde ihm das nicht als Gerechtigkeit angerechnet? Auch hier steht am Ende der Todesrede des Mattatias in 1,67: Schart um euch alle Täter des Gesetzes! In wörtlicher Übereinstimmung charakterisieren Sir 44,20 und 1 Makk 2,52 Abraham als denjenigen, der »in der Erprobung pistos: gläubig/vertrauend/treu (von Gott) erfunden wurde«. Nach Jub 19,8 und Abot 5,4 hatte Abraham zehn Erprobungen zu bestehen, deren zehnte und schwerste die Opferung Isaaks war. Jak 2,20-24 schließt eng an diese Tradition der »Bewährung des Glaubens durch Versuchungen an«, wobei die genannten Parallelen hinsichtlich des Begriffes »Werk« in 21a deutlich zeigen, »daß es bei diesem >Werk< um nichts anderes geht als um den Erweis der fides« (Berger 374; ausführlicher: Dibelius 206-214). Der Topos vom Erweis des Glaubens und der Bewährung des Glaubens in Erprobungen ist bei Jakobus jedoch bereits Thema in 1,2-4. Allerdings wurde dort nicht die Abrahams-Tradition rezipiert, sondern Jesus Sirach 2,1-18 (s. o.). In 2,21a weist Jakobus nicht nur allgemein auf Abraham und seine Rechtfertigung vor Gott »aus Werken« hin, vielmehr fügt er in 21b paradigmatisch als Erweis für diese grundsätzliche Haltung in Rückgriff auf Gen 22,2.9 die schwerste Erprobung als wortwörtli ches Zitat hinzu. Bei dieser Rezeption erweist Jakobus sich als eleganter Eklektiker, da er aus Gen 22,9 die Wendung »Isaak, seinen Sohn, auf den Altar« verbindet mit der dort zweimal belegten Wendung aus 22,2.13 »hinaufbringen« — möglicherweise deswegen, um an die verschiedenen Stadien seiner Erprobung, an sein Gottvertrauen in verschiedenen Handlungen dieser Geschichte zu erinnern. Hierin könnte der Plural »aus Werken« in 21a begrün det sein. Da Abraham in 21a »unser Vater«, d. h. Vater auch der gläubigen Christen genannt wird, sollte die argumentative Funktion dieses Verses im Kontext sein Ziel erreicht haben. Seine Aufgabe war es, die These zu verdeutlichen, daß der Glaube ohne Werke nutzlos ist. Noch einmal: Es geht Jakobus nicht um das Problem »Werke allein«, sondern um das Problem »Glaube ohne Werke« oder wie
der Vers 17 sagt »Glaube, wenn er keine Werke hat, ist für sich allein tot«. Alle Verse des Kontextes zeigen, daß das Syntagma, um das es Jakobus geht, lautet »Glaube ohne Werke«. Genau dieser Widerlegung eines Glaubens ohne Werke dient das Abrahambei spiel. Positiv heißt das: Abraham dient als Beispiel einer Rechtferti gung aus Werken im Kontext des Glaubens, wie die Verse 22 und 23 (letzterer mit einem erneuten Zitat aus Gen 15,6) belegen. Daß Jakobus Glauben immer als Werk-Glauben versteht, zeigt aber nicht nur das erneute Schriftzitat als Autorität, vielmehr ist dies auch die Folgerung in 22. Dies bestätigt noch einmal, daß seine These, Abraham sei allein aus Werken gerechtfertigt worden, für Jakobus widersinnig ist. Schon in 1,20.22 hieß es: Denn nicht der Zorn eines Mannes erwirkt die Gerechtigkeit Gottes ... Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer, die sich selbst betrügen. Diese Verse implizieren die Konsequenz, daß nach 1,27a »reine und unbefleckte Frömmigkeit vor Gott und dem Vater darin besteht«, Werke der Barmherzigkeit zu tun, nach 1,27b näherhin »Waisen und Witwen in ihrer Bedrängnis aufzusuchen«. Nichts anderes sagt Jakobus auch in 2,14-26 — allerdings mit dem Versuch verbunden, das Verhältnis von »Glaube« und »Werk« näher zu bestimmen und von der Schrift her zu begründen. 22: Anders als in der Scheltrede in 20a (»Willst du wohl erkennen, du unvernünftiger/leerer Mensch«) möchte Jakobus in 22a mit dem Indikativ »Du siehst« erreichen, daß der fiktive Gesprächspartner seine vorgetragene Argumentation als logisch ansehen soll. Eben falls setzt er bei jenem voraus, daß die in 21 genannten Werke Abrahams Zeichen seines Glaubens an den einen, einzigen Gott (vgl. 2,19a) waren. Anders als die Dämonen (19c) handelte Abra ham aber danach. Darum geht es Jakobus: um einen in Werken wirksam sich zeigenden Glauben. Glaube schließt für Jakobus immer die Glaubenspraxis mit ein. In 22a geht Jakobus aber über diese Grundthese noch hinaus, indem er den Zusammenhang von Glauben und Werken angibt. Dies in zweifacher Hinsicht, in 23a um eine weitere Einsicht vermehrt: 1. »Der Glaube wirkte mit seinen Werken zusammen« (22a), 2. »Aus den Werken wurde der Glaube vollendet« (22b), 3. »Die Schrift wurde erfüllt« (23a). Alle drei Aussagen über das Verhältnis von Glauben und Werken
sind im Sinne des Jakobus als Folgerung aus dem Schriftbeispiel in Vers 21 zu verstehen. Dabei ist nicht nur der fiktive Gesprächspart ner als einzelner gemeint (22a: »Du siehst«), sondern in der literari schen Funktion die Adressaten des Jakobus, wie die Folgerung in Vers 24 (»Ihr seht«) zeigt. Der Wechsel bei den dialogischen Elementen bei gleichbleibendem Thema bestätigt die Fiktionalität. Aus diesen drei Folgerungen, stilistisch verbunden durch das koor dinierende »und«, zwei »in sich vollkommen« abgerundete Sätze zu machen (Dibelius 201), ist unzutreffend. Dies gilt auch für die an sich berechtigte Erkenntnis, »daß beide Vershälften in stilisti scher Korrespondenz zueinander stehen« (ebd. 200). Die These, daß beide Sätze dasselbe meinen in dem Sinn, daß der Glaube Abrahams seinen Werken half und die Werke daher seinen Glau ben vollendeten, ist eine Verengung des Textsinnes. 22a: Die Frage, inwieweit Glaube und Werke untrennbar zusam mengehören, wird in einer ersten Folgerung so umschrieben, daß beide »zusammenwirken«. Was heißt das? Will Jakobus dadurch »den Glauben herunterspielen« (so Burchard 42)? Oder soll man Jakobus so verstehen, daß nach ihm »der Glaube seinen Werken hilfreich zur Seite trat« (Bauer — Aland 1570)? In evangelischer Literatur wird diese Meinung oft wiederholt. Läßt man jegliches Vorverständnis beiseite, legt sich die Grundbedeutung des Ver bums synergein: mitwirken nahe, zumal diese Bedeutung dem üblichen Sprachgebrauch entspricht. Warum eine Ausnahme machen? Jakobus bringt hier nichts anderes auf den Begriff als das, was er bislang von Anfang des Briefes an immer wieder betont hat: die nicht aufzulösende Zusammengehörigkeit von Glauben und Werken. Jakobus geht es demnach »um eine lebendige und über zeugende Synthese aus Glauben und Werken« (Mußner 142). Der Gedanke einer Über- oder Unterordnung des einen oder anderen Begriffes ist dabei ausgeschlossen, so daß wie in Test X 11 Rub 3,6; Gad 4,5.7a.b auch hier anzunehmen ist, »daß synergeo das Zusam menwirken gleichrangiger Größen meint« (Heiligenthal 41 Anm. 69). Wenn Jakobus für viele Interpreten etwas unvermittelt in 22a das Stichwort »der Glaube« einführt, wird die Parallelität dieses Verses zu 20b.l8c.d.l7a.b und 14b.c übersehen und Jakobus allzusehr aus paulinischer Perspektive interpretiert. Da Jakobus bei dem Begriff »Werke« immer Glaubenswerke versteht, sie Zeichen für den Glauben sind, ist die Zusammenbindung von Glauben und Werken in 22a kontextuell logisch. Im übrigen entspricht dies nicht nur 23b, sondern auch der jüdischen Tradition, die Jakobus rezipiert
(zu 1 Makk 2,52; Jubil 18,16 s. o.). Werke als Zeichen des Glau bens sind nun einmal für das jüdische Verständnis ohne Glauben nicht zu denken. Dies stellt Jakobus betont heraus, indem er den Begriff »der Glaube« sowohl in 22a wie in 22b als Subjekt syntak tisch und semantisch betont. Dennoch geht daraus nicht, wie 22b zeigt, eine sachliche Priorität des Glaubens voraus, eher schon eine zeitliche. Mit dem Versuch, die unauflösbare, dynamische Zusammengehö rigkeit von Glauben und Werken durch das Verbum synergei: wirkte zusammen zu umschreiben, lieferte Jakobus den in der Gnadentheologie durch Jahrhunderte heftigst umstrittenen Begriff Synergismus. Er meint das Zusammenwirken der göttlichen Gnade und des menschlichen Tuns zum christlichen Heil. Bereits Augustinus trat in der Auseinandersetzung mit den Pelagianern gegen den Synergismus auf, später besonders die Reformatoren gegen die in der Scholastik in der Regel vertretene Gnadenlehre. Doch wie der Synergistenstreit seit 1557 in der evangelischen Theologie zeigt, beendet die Ablehnung der Werkgerechtigkeit den Streit nicht, denn: Noch der rudimentäre, anfängliche menschliche Willensakt der Zustimmung zum Heilshandeln Gottes kann zwar rechtgläubig als Synergismus verstanden, aber ebenso pelagianisch oder semipelagianisch mißverstanden werden. Das Problem bleibt offen. Heutige ökumenische Theologie (vgl. Lehmann-Pannen berg 35-75) sieht deutlich die situative Begrenztheit dogmatischer Formulierungen im 16. Jahrhundert (oft vor allem gegen die Lehre des Nominalismus gerichtet, wonach der Mensch »aus rein natürli chen Kräften« Gott über alles lieben kann). Überträgt man die Problematik in die heutige Sprache, »dann entspricht einerseits die reformatorische Rede von der Rechtfertigung durch den Glauben der katholischen Rede von der Rechtfertigung durch die Gnade, und dann begreift andererseits die reformatorische Lehre unter dem einen Wort >Glaube< der Sache nach, was die katholische Lehre im Anschluß an 1 Kor 13,13 in der Dreiheit von >Glaube, Hoffnung und Liebe< zusammenfaßt. Dann aber können die gegen seitigen Verwerfungen in dieser Frage heute als nicht mehr treffend erachtet werden« (ebd. 59). Als Ergebnis neuerer Exegese wird festgehalten: »Das neutestamentliche Zeugnis stützt nicht nur die Eigenart des rechtfertigenden Glaubens, sondern auch die theolo gische Einheit von Glaube und Liebe, da insbesondere die Verkün digung des Apostels Paulus das Verhältnis von >Glaube<, >Bekenntnis< (Rom 10,9), Liebe zu Gott (1 Kor 8,3) und Auswirkung des Glaubens in der Liebe zum Nächsten (Gal 5,6) nicht exklusiv,
sondern inklusiv bestimmt. In diesem Sinne ist auch die Anmahnung der Werke der Liebe in Jak 2,14-26 nicht als materialer Widerspruch gegen das paulinische Glaubensverständnis zu verste hen, sondern als dessen paränetische Ergänzung« (ebd. 57). Ergänzt man diese Aussage noch um ihre theo-logische Perspek tive, ist sie angemessen (s. u. zu 24). Selbstverständlich hat Jakobus diesen Streit um den Synergismus zwischen Gott und Mensch nicht provoziert, da er das Problem deutlich auf der anthropologischen Ebene ansiedelt. Auch hier ist es noch schwierig genug. Zudem bleibt zu fragen, wie theologisch aufgeladen Jakobus die Wendung versteht. Oder hat Jakobus als rhetorisch gebildeter und für gewählte Formulierungen sensibler Literat den Begriff »möglicherweise ... vorwiegend unter stilisti schen Gesichtspunkten« (Hoppe 115) gebildet? Dabei schließt eine solche Paronomasie (syn-ergei — ergois) die Funktion eines sol chen Verses als theologischer Spitzensatz nicht aus (s. o. zu 2,20: ergon — arge). 22b: In der zweiten Aussage über das Verhältnis von Glauben und Werken steht »aus den Werken« betont voran. So entspricht es bereits der Thema-Rhema-Struktur des Basissatzes im Prolog in 1,2-4: Erprobungen bewirken »Standhaftigkeit des Glaubens. Die Standhaftigkeit aber soll ein vollkommenes Werk bewirken« (3b.4a). Was dort beim Verbum noch offen blieb, hat Jakobus in 2,22a gemäß der rhetorischen Struktur der Amplifikation erläutert. Wurde dort die Standhaftigkeit des Glaubens als Wirkvorausset zung für ein vollkommenes Werk genannt, so hier ein vollkomme ner Glaube, der aus den Werken vollendet wird. Die Akzentverla gerung ist darin motiviert, daß es Jakobus in 2,14ff. um den Erweis des Glaubens geht und um die Werke als Zeichen des Glaubens. Da in 22a Glaube und Werke als Zweigespann vorgestellt wurden, geht es auch in 22b nicht um eine Ergänzung, sondern um eine Vollendung des Glaubens. Bewirkte nach 1,3 f. die Standhaftigkeit des Glaubens »ein vollkommenes Werk«, so wird nach 22b »aus den Werken der Glaube vollendet«. Beide — »für sich allein« (17b) — sind tot, unvollendet und daher »nutzlos« (20b). Da es Jakobus vor allem um den Nur-Glauben geht, ist darauf auch seine Argumentation gerichtet: Nur aufgrund der Werke wird Glaube wirklich Glaube, erreicht er wirklich die Rechtfertigung (vgl. 23b) und in diesem Sinne die Vollendung (22b). Jakobus kommt es hier wohl weniger auf einen Prozeß an (von einem weniger vollkomme nen zu einem vollkommenen Glauben), vielmehr faßt er das grund sätzliche Problem der Zusammengehörigkeit ins Auge.
Ob Jakobus dabei Glauben »als eine Sein und Tat umfassende Tugend, die von den Menschen nur an den Werken erkannt werden kann« (Heiligenthal 36; vgl. 40 f.) versteht, ist vor allem im Kon text der Schriftzitate und der jüdischen Glaubenstradition zu Abra ham und Rahab zu bezweifeln. Auch ist bei Jakobus die Vorstel lung frühjüdischer Ausleger, wonach der Glaube ein Werk neben anderen ist, in 2,22 deutlich aufgehoben; Jakobus »will ja nicht beweisen, daß der Glaube ein Werk ist, sondern daß Glaube und Werke zusammenwirken« (Dibelius 214). Hier unterscheidet sich Jakobus von anderen jüdischen Auslegungstraditionen. Glaube ist bei Jakobus deutlich eine umfassende Grundhaltung, die nur im Zusammen-Wirken mit den Werken »vollendet« wird, d. h. nicht »zwiespältig« (1,8a), sondern »vollkommen und ganz« (1,4b) ist. Sein und Handeln sollen sich nach Jakobus entsprechen, in ihrer Struktur sollen sie sein wie Sein und Handeln Gottes (s. o. den Exkurs »Anthropologie und Theo-Iogie« nach 1,18). So wie Tun und Hören (vgl. 1,19-27), so wie Glaube an den verherrlichten Christus und solidarische Praxis (vgl. 2,1-13) und so wie Leib und Seele (vgl. 2,26) zusammengehören, so auch Glaube und Werke. Ständig variiert Jakobus die Integrität und die Ganzheit des Men schen in Orthodoxie und Orthopraxie in immer neuen Anläufen. Nicht nur die theologische Logik nimmt er zu Hilfe, sondern auch den Rekurs auf die Schrift, wie 23a zeigt. 23a: Mit einem zweiten »Und« zieht Jakobus seine dritte Folgerung für den gedachten Gesprächspartner in 22a, abhängig von »du siehst«: »Und die Schrift wurde erfüllt, die da sagt: Abraham glaubte Gott« (23a.b). Sie wurde deswegen erfüllt, weil der Glaube Abrahams sich in einer Vielzahl von »Werken« (21a) zeigte, vornehmlich aber in seinem absoluten Vertrauen auf Gott, »als er Isaak, seinen Sohn, auf den Altar brachte« (21b). Das wörtliche Zitat aus Gen 15,6a ist der Horizont, in dem 21a und b, vor allem aber das wörtliche Zitat aus Gen 22,2.9 in 21b zu verstehen sind. Damit zeigt sich auch die rhetorische Strategie des Jakobus, der auf das mögliche falsche Verständnis seiner Adressaten einwirken will. Er will sie in der Autorität der Schrift, die von niemandem im Adressatenkreis bestritten wird, verstricken und fangen. Nur dies kann der Grund sein, daß er Gen 15,6 nach 22,2.9 zitiert. Wie Rahab in Vers 25, so dient auch Abraham als Exemplum für einen tätigen Glauben. Aus der zeitlichen Priorität von Gen 15 gegenüber Gen 22 zieht Jakobus seine Folgerung und versteht damit das Erfüllen im Sinne der Vollendung bzw. im Sinne des Zusammenwirkens von Glauben »mit« den Werken (22a) und der Rechtfertigung »aus« Werken (21a).
In 23c und d werden zwei Folgerungen — wiederum aus der Schrift! — gezogen. Beide entfalten die grundsätzliche These von der Rechtfertigung durch den werk-tätigen und wirk-mächtigen Glauben Abrahams. Worauf es Jakobus mit dem wörtlichen Zitat aus Gen 15,6b (»und es wurde ihm zur Gerechtigkeit ange rechnet«) ankommt, ist folgendes: Jakobus kann sein Glaubens verständnis aus der Schrift mit einem Gottesurteil über Abraham belegen, wie das »göttliche Passiv« als Umschreibung des Wir kens Gottes bestätigt (nach R. Mosis 254-257 hätte es bereits in der jüngsten Stufe der hebräischen Textüberlieferung vorgelegen, was für die Fassung der Septuaginta unbestritten ist; nur letztere lag Paulus und Jakobus vor). Dies ist ein ähnlicher theo-logischer Spitzensatz wie in Vers 14: Es geht um das Angenommen sein vor Gott, um Rettung, um Rechtfertigung. Damit bestätigt Jakobus die Rezeption der Abraham-Tradition aus 1 Makk 2,52: »Wurde Abraham nicht für treu befunden in der Erprobung, und wurde ihm das nicht als Gerechtigkeit angerechnet?« Das Durchhalten in Erprobungen soll — dies ist das Thema des Jako bus von 1,2 an — »Standhaftigkeit des Glaubens« bewirken (3b) und diese Standhaftigkeit »soll ein vollkommenes Werk haben« (4a). Schon in 1,3-4 ging es um Werke als Zeichen und Erweis des Glaubens. Was dort als These formuliert wurde, wird in 2,14-26 entfaltet. Gerade bei solchen ungewöhnlichen Wendungen wie »ein voll kommenes Werk haben« (1,4a), »den Glauben nicht mit Ansehen von Personen haben« (2,1) zeigt sich, wie Jakobus das Stilmittel der Amplifikation vorbereitet, indem er die Wendung »den Glauben haben« in 2,14 mit der Wendung »Werke haben« in 2,14.17.18 verschränkt. Nur so wird Glaube und Werk je für sich vollendet und vollkommen, der Mensch selbst ebenfalls »vollkommen und ganz« (1,4b). Ein solcher Mensch ist nicht nur anthropologisch integer und integral, er ist es auch in göttlicher Perspektive. Da Jakobus die Individual- und Sozialethik durchgehend in seinem Brief coram deo sieht, betont er diesen Gedanken auch hier. In 23d wird diese theozentrische Konsequenz als zweite Schlußfol gerung zu 23b wiederum als Zitat der Schrift eingeführt. Für die Wendung Freund Gottes werden als biblische Zitate Jes 41,8; 51,3; 2 Chr 20,7; Dan 3,35 u. a. genannt. In der Septuaginta jedoch ist der Titel nur einmal in Weish 7,27 belegt. Dort heißt es von der Weisheit: Sie »rüstet Gottes Freunde und Propheten aus«. In Variation dazu heißt es in Weish 7,14, daß die, die den Schatz der Weisheit »erworben haben, Freundschaft für Gott zustande brin-
gen«. An den oben genannten biblischen Stellen hingegen steht jeweils mit Variationen das Verbum »er liebte ihn«. Der sprachliche Hintergrund für Jakobus dürfte demnach woan ders liegen, der bereits vom Buch der Weisheit angegeben wird. Seit Plato (Leg 716 C D ) war die Gottesfreundschaft ein wichtiges Motiv, das von Kynismus und Stoa aufgenommen wurde (vgl. Peterson und Treu). Frühjüdische Autoren interpretierten mit die ser Vorstellung u. a. vornehmlich auch die Abrahams-Gestalt. Nach dem Buch der Jubiläen wird z. B . der Tod Sarahs als zehnte Versuchung verstanden, wobei sein Verhalten wie folgt kommen tiert wird: »Denn er ward als gläubig erfunden und als Freund Gottes auf die himmlischen Tafeln geschrieben« (Jubil 19,9). Auch Philo interpretiert Abraham als »Freund Gottes« (vgl. Abr 273; VitMos 156; Her 2 1 ; Sobr 55). Auch nachneutestamentliche christ liche Literatur (vgl. 1 Clem 10,1; 17,2 und Iren AdvHaer IV 16,2) steht in dieser Tradititon. Dies wurde seit langem gesehen (vgl. zu den Stellen Peterson, Gottesfreund 175-178 und G. Stählin, in: T h W N T 9, 1973, 165 f.), wobei die Beschränkung auf Abraham jedoch auf alle Propheten (Philo VitMos 1,28) und auf alle Weisen, die »sich mit dem Gesetz um seinetwillen beschäftigen« (Abot 6,1), ausgedehnt werden kann. In erster Linie aber ist der Ehrentitel in frühjüdischen Schriften an Abraham gebunden (vgl. Apk Abr 9,6; 10,6; Jub 19,9; 30,20; Test Abr 13,1.6), was auch in Qumran belegt ist ( C D 3,2). Alle Stellen belegen mehr oder weniger, daß der Glaube Abrahams sich in der Standhaftigkeit und der Bewährung des Glaubens im Tun vollendet und ihm erst so der Ehrentitel von Gott zu Recht zugesprochen wird. Demnach dürfte nicht primär ein emotionales Moment den Hauptunterschied zwischen dem biblisch geprägten und dem philosophisch geprägten Begriff »Freund Gottes« ausmachen, da das Verständnis des Jakobus mit der biblischen Tradition deutlich praxisorientiert ist, die Einzigkeit Gottes (vgl. 2,19) mitzudenken ist und aufgrund dieses Monotheis mus die Antithese entsteht, die er in 4,4 formuliert:
Wißt ihr nicht, daß die Liebe zur Welt Feindschaft gegen Gott bedeutet? Wer also immer ein Freund der Welt sein will, als ein Feind Gottes erweist er sich.
Die gleiche Hoffnung hatte Jakobus mit anderen Worten bereits auch schon in 1,12 und in wörtlicher Wiederaufnahme in 2,5 mit den Worten umschrieben »die ihn (Gott) lieben«. Abraham gilt exemplarisch die Verheißung: »Selig der Mann, der in der Erpro bung standhält, da er bewährt wurde, wird er den Kranz des Lebens empfangen« (l,12a.b). Abraham ist exemplarisch der »Rei che im Glauben und Erbe des Königtums (Gottes)« (2,5c). Was dort als Verheißung für alle Christen formuliert wurde, bestätigt die Schrift als Autorität in der Rückschau auf Abraham. Daß diese abrahamitische Glaubenshaltung jedoch für alle die Voraussetzung für die Annahme durch Gott ist, bestätigt Vers 24. 24: Im zuletzt angedeuteten Kontext ist der Appell an die Adressa ten, mit dem der Vers anhebt (»ihr seht«) so zu verstehen, daß sie a) im Hinblick auf Abraham die entsprechenden Konsequenzen für sich zu ziehen haben und b) daß diese Folgerung für jeden Men schen schlechthin (es fehlt der Artikel) zu allen Zeiten (Jakobus formuliert im Präsens!) gilt. Vers 24 ist ein erneuter theologischer Spitzensatz. Die epigrammartige Kürze und theologisch-sachliche Antithese ist nicht mehr zu übertreffen. Wie die Verse 17 und 20 sowie der abschließende Vers 26 ist auch Vers 24 kontextuell die zusammenfassende Folgerung aus den vorhergehenden Versen. Der Sache nach enthält er nichts Neues, bringt diese jedoch auf den antithetischen Begriff. Die Sentenz Aus Werken wird der Mensch gerechtfertigt und nicht aus Glauben allein kann daher im Sinne des Jakobus nur wie folgt paraphrasiert werden: Aus (Glaubens-)Werken wird der Mensch gerechtfertigt und nicht aus Glauben allein. Wohin der werklose Nur-Glaube führt, hat Jakobus in 2,14-17 entfaltet. Daß Werke Zeichen und Erweis des Glaubens sind, war Gegenstand der Verse 2,18-20, wobei die tat-kräftige Glaubenshal tung sich als schriftgemäß erwies. Nur wenn der Mensch Werke als Zeichen des Glaubens vorzuweisen hat, kann er nach Jakobus gerechtfertigt werden. Wer dieses »Nur« aus den bisherigen Versen akzeptiert, kann sich am »Allein« in 24b nicht stoßen. Da das reformatorische Problem sich zwar an 2,24 entzündet hat (»nicht aus Glauben allein«), von Jakobus jedoch im Verlauf seines
gesamten Briefes entfaltet wird, sei die Problematik auf die Einheit des Briefes hin dargestellt.
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Matthäus oder Jakobus u. a. (vgl. Kertelge, dikaiosyne), im ökumenischen Dialog verstehen Lutheraner den Begriff anders als Katholiken, was auch für die Begriffe Glauben, Gnade und Liebe zutrifft. Bei aller ökumenischen Annäherung im katholischen und evangelischen Bereich in Fragen der Rechtfertigung, die nicht hoch genug einzuschätzen ist (vgl. Kasper), wird — und damit sollen die Schwierigkeiten lediglich angedeutet werden — kon statiert: »Abgesehen von der Vergebung der Sünden verstehen die Katholi ken Rechtfertigung als das Geschehen, in dem die Gnade um Christi willen Glaube, Hoffnung und Liebe im Herzen wirkt und so den Menschen innerlich gerecht macht. Die Lutheraner meinen, daß die im Evangelium um Christi willen zugeeignete Vergebung der Sünden und Annahme als Gottes Kind geglaubt wird und dieser Glaube, bei aller Liebe, die er wirkt, allein ausreicht. Eine Zusammenführung von Glaube und Liebe, forensi scher und effektiver Rechtfertigung, Gerechtsprechung und Gerechtmachung ohne zu klären, was das jeweils für die ins Heil versetzende Gerech tigkeit vor Gott bedeutet und was nicht, ist nicht genug« (Hoffmann 89f.; vgl. auch die kritischen Anfragen bei Baur und Lange). Mit diesen Worten wird das für die Rechtfertigung zentrale Problem angesprochen, das auch von katholischer Seite deutlich artikuliert wird. Auch nach Walter Kasper ist letztlich die Frage zu stellen, »ob die Alleswirksamkeit Gottes auch dessen Alleinwirksamkeit bedeutet, oder ob sie eine instrumental zu verste hende Mitwirkung (cooperatio) des Menschen bzw. der Kirche erlaubt. Selbstverständlich darf solche cooperatio nicht synergistisch nach Art eines Teamworks verstanden werden, in dem teils Gott und teils der Mensch handelt. Gott wirkt >alles in allem<; der Mensch wirkt nur als von Gottes Gnade dazu ermächtigter, getragener und freigesetzter. In diesem Sinn ist die Frage der Vermittlung die zentrale Frage unseres Dialogs« (197). Die Frage nach der cooperatio bzw. nach der Art des Synergismus ist auch das zentrale Problem des Jakobüs in Kap. 2,14-26. Auch wenn — sicherlich berechtigte — Fragen der wissenschaftlichen Theologen bleiben (vgl. bes. Baur, z. T. protestantisch überzogen: Lange), bleibt bestehen, daß die am Dialog beteiligten Theologen der größeren christlichen Kirchen in den vergangenen Jahrzehnten zu einer gemeinsamen Sprache gefunden haben sowie zu einer Sensibilität, das Glaubensverständ nis des je anderen verstehen zu wollen und zu achten. So formuliert der Katholische Erwachsenenkatechismus, 1985 von der Deutschen Bischofs konferenz veröffentlicht, unter Hinweis auf den Evangelischen Erwachsen enkatechismus, hrsg. im Auftrag der Katechismuskommission der V E L K D , Gütersloh 1975, 431 f.: »So hat die ökumenische Diskussion der letzten Jahrzehnte in der Rechtfertigungslehre zu großen Fortschritten geführt. Viele katholische und evangelische Theologen sind heute der Meinung, daß die Rechtfertigungslehre als solche die beiden Kirchen nicht mehr zu trennen brauche, sondern daß eine Einigung in dieser Frage möglich sei. In der Rechtfertigungslehre muß man ja jeweils zwei Gesichts punkte zusammendenken: die Gnade Gottes und das von ihr ermöglichte Mittun des Menschen im Glauben und im Tun« (München 1985, 246).
Einen ähnlich starken kirchenamtlichen Charakter hat die Erklärung des Ökumenischen Arbeitskreises, zusammengesetzt aus Vertretern der Deut schen Bischofskonferenz, des Vatikanischen Sekretariats für die Einheit der Christen und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema: »Lehrverurteilungen — kirchentrennend?« (Lehmann — Pannen berg), in der die in der Reformationszeit ausgesprochenen gegenseitigen Verwerfungen zur Rechtfertigung, zu den Sakramenten und zum Amt überprüft wurden mit dem Ergebnis: »Diese sogenannten Verwerfungen treffen nach allgemeiner Überzeugung nicht mehr den heutigen Partner. Das darf jedoch nicht nur private Überzeugung bleiben, sondern muß von den Kirchen verbindlich festgestellt werden« (179). Die hier getroffenen Ergebnisse und Sprachregelungen wären aber auch von Exegeten zu rezi pieren. Dies hätte für die Diskussion um »Gerechtigkeit« und »Rechtferti gung«, das Verhältnis von Glaube und Werken bei Jakobus sowie bei Paulus und deren Verhältnis zueinander entschiedene Konsequenzen. Zur Rechtfertigung im Neuen Testament und zum unterschiedlichen Ent wurf von Paulus und Jakobus wird — nur darauf sei hier hingewiesen — festgestellt: »Das neutestamentliche Zeugnis stützt nicht nur die Eigenart des rechtfertigenden Glaubens, sondern auch die theologische Einheit von Glaube und Liebe, da insbesondere die Verkündigung des Apostels Paulus das Verhältnis von >Glaube<, >Bekenntnis< (Rom 10,9), Liebe zu Gott (1 Kor 8,3) und Auswirkung des Glaubens in der Liebe zum Nächsten (5,6) nicht exklusiv, sondern inklusiv bestimmt. In diesem Sinne ist auch die Anmahnung der Werke der Liebe in Jak 2,14-26 nicht als materialer Widerspruch gegen das paulinische Glaubensverständnis zu verstehen, sondern als dessen paränetische Ergänzung. Das Entscheidende im refor matorischen Glaubensverständnis, das unbedingte Vertrauen auf den barm herzigen Gott hier und im Endgericht, ist für die heutige katholische Theologie kein Problem mehr« (57). »Auch wenn nach reformatorischer Auffassung die Rechtfertigung allein durch den Glauben geschieht, so ist der rechtfertigende Glaube selbst kein bloßer nackter Glaube. Wenn Luther die Redeweise von der Rechtfertigung aufgrund des >durch die Liebe geformten Glaubens< (>fides caritate formata<) ablehnt, dann nicht aus Geringschätzung der Gottesliebe, sondern deshalb, weil er angesichts der Lehre des Nominalismus, daß der Mensch >aus rein natürlichen Kräften< (>ex puris naturalibus<) Gott über alles lieben kann, Sorge hat, daß etwas Ethisch-Menschliches entscheidend wird im Heilsprozeß. Noch im Galaterbrief-Kommentar von 1531 sagt er: >Ja, wenn sie unter gestaltetem Glauben den wahren, den theologischen Glauben verstünden oder, wie Paulus sagt, den ungeheuchelten Glauben, den Gott Glauben nennt, dann würde mich ihre Auslegung nicht stören. Dann würde der Glaube nämlich nicht gegen die Liebe abgehoben, sondern stünde im Gegensatz gegen eine leere Glaubensmeinung<« (58 mit einem Zitat aus W A 40 I 421). Die Erklärung weist daher darauf hin, »daß das Wort >Glaube< im Sinne Luthers keinesfalls weder die Werke noch die Liebe oder auch die Hoffnung ausschließen will. Man kann mit gutem Recht sagen, daß Luthers Glau-
bensbegriff, wenn man ihn vollnimmt, auch wohl nichts anderes bedeutet als das, was wir in der katholischen Kirche mit Liebe bezeichnen« (58 f.). Angesprochen wird hier das Problem unterschiedlicher Sprache, wie es im Kontext der Pneumatologie etwa zwischen den orthodoxen Kirchen auf der einen und der römisch-katholischen und den evangelischen Kirchen auf der anderen Seite existiert. Nicht anders — so die Erklärung — liegt die Sache bei der reformatorischen Lehre von der Rechtfertigung »allein durch Glau ben« (hier wird ein weiter Glaubensbegriff vorausgesetzt) und der römisch katholischen Lehre von der Rechtfertigung durch Gnade. »Übersetzt man von einer Sprache in die andere, dann entspricht einerseits die reformatori sche Rede von der Rechtfertigung durch den Glauben der katholischen Rede von der Rechtfertigung durch die Gnade, und dann begreift anderer seits die reformatorische Lehre unter dem einen Wort >Glaube< der Sache nach, was die katholische Lehre im Anschluß an 1 Kor 13,13 in der Dreiheit von >Glaube, Hoffnung und Liebe< zusammenfaßt« (59). 2. Genug der Hinweise auf den gegenwärtigen Stand der evangelisch katholischen Gespräche über »Rechtfertigung«. Hier geht es weder darum nachzuprüfen, ob die Gemeinsame Ökumenische Kommission die gegen seitigen Verwerfungen im 16. Jh. sachgerecht aufgearbeitet hat, noch um die Frage, ob sie das evangelische und katholische Selbstverständnis in der Gegenwart angemessen wiedergibt — was in Stellungnahmen theologischer Fakultäten (vgl. Lange) und einzelner Theologen (vgl. etwa Baur, Hoff mann) z. T. dezidiert »protestantisch« bestritten wird, noch um die Frage, ob etwa die neutestamentliche Problematik sachgerecht erfaßt ist (so etwa die Position des Jakobus als »paränetische Ergänzung« zu Paulus). Der Sinn der Hinweise auf die gegenwärtige ökumenische Gesprächssituation liegt darin, aufzuzeigen, daß die Grundfrage des Jakobus nach der Rechtferti gung aus Nur-Glauben (ohne Werke) und aus Glauben mit Werken nicht gelöst ist. Vor allem erscheint der Hinweis wichtig, daß unter semantischen Aspekten »Rechtfertigung« nicht »Rechtfertigung«, »Glaube« nicht »Glaube« ist. Sowohl im 16. Jh. wie im N T ist nicht nur der jeweilige Kontext (im textlichen Sinn) zu beachten, sondern auch der jeweilige lebensgeschichtliche Kontext — und dies sowohl im Hinblick auf den Verfasser wie im Hinblick auf die Adressaten. Theologische Äußerungen sind situativ; dem hat eine (handlungsorientierte und pragmatische) Exegese zu entsprechen (s. o. Einleitung 1 und 2). Was Jakobus und Paulus angeht, sei betont: In der Rechtfertigungs-«Lehre« (eine solche gibt es als systema tischen Entwurf auch bei Paulus nicht) zeigen sich nicht nur überaus deutlich »Polemik« und eine »apologetische Tendenz« (so schon K.Kertelge, »Rechtfertigung« bei Paulus, Münster 1967, 286; Ders., Grundthe men 111-147), vielmehr auch eine deutliche Entwicklung, auch wenn dies in der Literatur (im Gegensatz etwa zur Eschatologie, zum Gesetz und zur Israel-Problematik) bislang kaum gesehen wird (vgl. Schnelle, Wandlungen 88-90; zur Problematik vgl. Thüsing X V I - X X X V ) . Für Paulus ist immer hin auffällig, daß der charakteristische paulinische Rechtfertigungsbegriff sich zum ersten Mal im polemischen Brief an die Galater (2,16) findet,
Paulus aber das, was er mit dem Begriff »Rechtfertigung« sagen will, durchaus auch mit anderen Begriffen in 1 Thess sowie in 1-2 Kor reflektie ren kann (vgl. dazu W. Thüsing, Rechtfertigungsgedanke und Christologie in den Korintherbriefen, in: Neues Testament und Kirche. FS R.Schnakkenburg, Freiburg 1974, 301-324; Th. Söding, Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre. Zur Verbindung von Christologie und Soteriologie im Ersten Korintherbrief und Galaterbrief, in: Cath 47, 1992, 31-60). Darauf ist hier im einzelnen nicht einzugehen, zumal das Problem im Hinblick auf den Jakobusbrief dadurch nicht gelöst wird. Hier liegt bereits ein innerpaulinisches Problem vor, das noch nicht zur Genüge aufgearbeitet ist. Wie ist etwa im Hinblick auf das Mitwirken des Menschen mit Gottes Gnade und der Rechtfertigung durch Gott zu verstehen, daß Paulus von sich und seinen Mitmissionaren als »Mitarbeiter Gottes« (1 Kor 3,9; 2 Kor 6,1) spricht? Wie versteht Paulus es, wenn er in 1 Kor 15,10 formuliert, daß »die Gnade Gottes zusammen mit mir« wirkt? Im Hinblick auf Jakobus ist zu fragen, ob nicht bei Paulus und Jakobus streng theo-logisch das Tun des Menschen schon jeweils als geschenkte Ermöglichung durch Gott gedacht wird und somit das Werk des Menschen nicht selbstgerechtes Werk, sondern ein Geschenk der Gnade ist. Alles liegt an der theo-logischen Begründung — bei Paulus und Jakobus, am Verhältnis vom Indikativ und Imperativ, da auch Paulus nicht nur in den Paränesen (vgl. Ortkemper, Merk) zum Handeln auffordert, sondern auch in den stärker »dogmatischen« Teilen seiner Briefe (vgl. etwa Rom 6,19: »Stellt jetzt eure Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit, so daß ihr heilig werdet«). Das Problem des Verhältnisses von Glaube und Werken, von Rechtfertigung des Menschen durch Gott allein aufgrund des Glaubens und dem Gericht nach den Werken ist nicht nur eine Frage des Wandels in der paulinischen Theologie in der Abfolge seiner Briefe, sondern auch das Kernproblem in seinem letzten Text, dem Römerbrief. Auch hier zeigt sich das in Jak 2,14-26 reflektierte Problem von »Nur«-Glauben und Glauben mit Werken in voller Schärfe, wie Baasland zu Recht feststellt: »Das kontroversielle Problem >Jk und Paulus< ist ebenso sehr ein Problem innerhalb des Römerbriefs als solchem. Das Verhältnis zwischen Rom 2,6.13 und Rom 3,28 ist ein genauso akutes Problem wie die >Doctorfrage< nach der Relation zwischen Jk 2,24 und Rom 3,28« (Weisheitsschrift 130). Dies wird heute auch in der protestantischen Exegese zusehends gesehen (vgl. Wilckens I 250-257), wenn auch unterschiedlich beantwortet. »Das paulinische Evangelium ist in seinem Kern keineswegs Werk-feindlich. Der Glaube, den Paulus verkündigt und zu dem er ruft, enthält keineswegs eine ursprüngliche, tiefwirksame Verneinung aller Aktivität des Menschen . . . . Das Evangelium fordert keinen Verzicht auf eigenes Handeln« (Wilckens I 145; vgl. ebd. II 4: »Alles hängt daran, daß die zur Gnade gewordene Gerechtigkeit Gottes wirklich Gerechtigkeit ist, das heißt aber: Gerechtig keit Gottes, die in der Gerechtigkeit der ihr zugehörigen Menschen ihre Tat- Entsprechung findet«). In diesem Sinne kennt auch Paulus einen Synergismus, da das Gericht nach den Werken geschieht (zu einer katholi-
sehen Deutung vgl. Kertelge, Grundthemen 130-147, der sich ebd. 139 - wohl aus ökumenischen Gründen — gegen den Begriff Synergismus ausspricht, was bei einem rechtverstandenen »sola fide« und »sola gratia« hinfällig ist). Nicht die Betonung des Handelns an sich darf eine Theologie suspekt machen, auch nicht der Gedanke einer wie immer gearteten coope ratio bzw. eines Synergismus darf dies, entscheidend ist, welchen Stellen wert ein solcher Gedanke im Konzept einer Theo-Iogie hat. Da der Jakobusbrief ohne Zweifel ein theozentrisches Dokument ist, in dem alle anthropologischen und ekklesiologischen Aussagen, demnach alle Aussa gen über die Ethik grundgelegt sind im Sein und Handeln Gottes (s. o. den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo-Iogie) und Jakobus zudem einen sehr differenzierten Glaubens-Begriff kennt (s. o. den Exkurs nach 1,6a: Glaube nach Jakobus), ist das von ihm stark herausgestellte Christen tum der Tat weder untheologisch noch defizitär. Anders als Paulus, aber doch in ähnlicher Weise kennt auch Jakobus den Gedanken einer neuen Schöpfung — allerdings ohne den christologischen Aspekt (vgl. Jak 1,18 mit 2 Kor 5,17; Gal 6,15); vor dieser schöpfungstheologischen Glaubensaus sage versagt jeder Gedanke einer nur zugesprochenen, forensischen Recht fertigung. Weder Paulus noch Jakobus sind zu systematisieren. Dazu gehört auch, die Zentrierung aller Aspekte eines möglichen Zusammenwir kens von Gott und Mensch im Begriff der »Rechtfertigung« bei Paulus aufzubrechen und das gesamte Wortfeld in allen Briefen zu beachten, das Paulus zu Gebote stand. Hinzuweisen ist auf die Begriffe »Rettung, retten« (Rom 1,16; 10,10; 13,11 u.a.), »Versöhnung mit Gott« (2 Kor 5,18-20; Rom 5,10-11; 11,15), »Sohnschaft« (Gal 4,5; Rom 8,15.23), »Freiheit« (Gal 5,1.13; Rom 8,lf..21), »Verwandlung« (2 Kor 3,18; Rom 8,29; 12,20), »Verherrlichung« (2 Kor 3,10; Rom 8,30). Erst bei Beachtung des gesamten Wortfeldes könnten nicht nur die damit verbundenen nicht-forensischen Vorstellungen, »die mehr eine personale und >korporative< Neugestaltung des Menschen anzeigen« (Kertelge, Grundthemen 145), nicht nur eingefah rene Interpretationen im Hinblick auf Paulus aufweichen, sondern auch die Konzeption des Jakobus besser verstehen lassen, zumal auch er nicht in einem einzigen Begriff, sondern in einem Wortfeld denkt (s. u.). 3. Ebenso wäre die Reflexion über das Verhältnis von Glaube und Werken nicht nur als Bestimmung des Verhältnisses von Paulus und Jakobus durchzuführen, nicht nur als Vergleich zwischen Äußerungen des früheren und des späteren Paulus, sondern im Gespräch auch mit anderen neutesta^ mentlichen Konzeptionen, die ebenfalls (wie der frühe Paulus) keine »Angst vor Synergismus« hatten (so Schräge zu 1 Kor 3,9, der beim Begriff »Mitarbeiter Gottes« in der protestantischen Auslegung solche Ängste notiert). Hinzuweisen in diesem Kontext ist vor allem auf die Ausführun gen des Matthäus über Heilszusage und Heilsbewährung (vgl. Frankemölle, Jahwe-Bund 257-307), dessen Konzept eine erstaunliche Parallele zum Konzept des Jakobus ist, da beide die in der Tora von Gott gesetz-te soziale Ordnung auf das Liebesgebot zurückführen (vgl. auch Mußner 243). Die Betonung des Tuns und des Mitwirkens des Menschen zu seinem Heil kann
heute auch von protestantischer Exegese formuliert werden: »Der Weg der Bergpredigt ist der Weg, auf den alle Christen gerufen werden, nicht nur eine Minorität von Vollendeten, die sich einen besonders schweren Weg ausgesucht haben. Das Heil hängt an diesem Weg, nicht nur an der Taufe und auch nicht nur am Hören auf die Gnade. Das ist die matthäische Gestalt des >Synergismus<. Die Bergpredigt aber gibt für das Handeln den Anstoß und die Richtung. Darum ist sie Gnade« (Luz 399). »Das Krite rium« für die Wahrheit von Propheten und die Echtheit von Charismati kern im Gericht »ist ihre Praxis«, da für Matthäus gilt: »Für den christli chen Glauben fordert er den Tatbeweis« (407). Darin stimmt Matthäus nicht nur mit der Didache überein (11,10: »Und jeder Prophet, der die Wahrheit lehrt — wenn er nicht tut, was er lehrt, ist er ein Lügenprophet«), sondern auch mit Jakobus hinsichtlich der Lehrer und Weisen (vgl. 3,1.13). Auch der Verfasser von 1 Joh bindet christlichen Glauben an das Liebesge bot und umgekehrt (vgl. bes. 2,3-6 und 3,23 f.). Zwar ist aufgrund der Auslegungsgeschichte durch die Reformatoren die konfessionelle Belastung im Hinblick auf 1 Joh nicht so stark (vgl. etwa die wirklich ökumenische Auslegung von Wengst), aber dennoch vorhanden (vgl. etwa Klauck 115 f.344-347). Auch dieser Theologe bindet den Glauben von begüterten Christen angesichts von notleidenden Mitchristen (3,17) an den Glauben »in Tat und Wahrheit« (3,18). Auch er setzt einer Liebe nur mit Wort und Zunge (3,18a) den »Appell zur tatkräftigen Liebe entgegen« (Klauck 216), da Mitchristen nur an der Tat-Liebe »erkennen, daß wir aus der Wahrheit sind« (3,19; vgl. Joh 18,37). Wer sich nicht so verhält, wird vom eigenen Herzen verurteilt und kann nur noch auf die größere Gnade Gottes rechnen (3,20-22). Der Verfasser von 1 Joh kämpft gegen »Unbrüderlichkeit, die materielle Not für theologisch belanglos hält«. Nach ihm sind »Orthodoxie und Orthopraxie ... unlösbar miteinander verbunden. Daß ein >richtiges< Bekenntnis auch zu Recht gesprochen wird, erweist sich in seiner prakti schen Bewährung« (Wengst 11 f.). Diese Hinweise zeigen, daß das Einfor dern von konkretem Tun durchgehend von neutestamentlichen Theologen (wie auch von alttestamentlichen) gefordert wird, ohne daß jeweils in extenso und ausdrücklich das vorauslaufende Handeln Gottes thematisiert wird. Nicht nur Jakobus vertritt einen Synergismus, auch andere Theolo gen im N T tun dies, letztlich auch Paulus, für den das Problem keineswegs systematisch geklärt ist (wie oft vorausgesetzt wird), wenn er formuliert: »Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe« (1 Kor 13,13). Bevor in Zukunft weiterhin in Engführung über das Verhältnis von Paulus und Jakobus geschrieben wird, wären die unterschiedlichsten Konzeptio nen von Synergismus, von Gottes Handeln und menschlicher Mitwirkung im N T im jeweiligen geschichtlichen Kontext und in unterschiedlicher Sprache darzustellen. Bis dahin gilt (s. o. Einleitung 2.6e): Das Verhältnis von Jakobus und Paulus ist primär ein Problem der Rezeptionsgeschichte (zu den Reformatoren s. o. Einleitung 2.6d). Jakobus ist demnach als selbständiger Theologe neben Paulus und Paulus als selbständiger Theologe
neben Jakobus zu werten, da niemand von einer literarischen Abhängigkeit des einen vom anderen ausgeht. Intertextuelle Vergleiche sind nützlich, bei denen aber auch andere Konzeptionen (Matthäus, Johannes, Pastoralbriefe) einzubeziehen wären. Ein direkter Vergleich Jakobus — Paulus legt sich nicht nahe, da sowohl Paulus wie Jakobus unter »Glaube«, »Gesetz« und »gerechtfertigt werden« anderes verstehen. Ein Vergleich von Begriffen führt zu nichts, schon gar nicht dann, wenn man den einen zum Maßstab für den anderen nimmt. Wenn daher Paulus etwa den Begriff »Glauben« versteht als Glaube an das Handeln Gottes in und durch Jesus Christus und durch seinen sühnenden Kreuzestod und die Rechtfertigung an die glau bende Annahme dieses Geschehens bindet und von daher die Tora als Heilsweg meint negieren zu müssen, dann ist dies eine in sich geschlossene Konzeption, wo hingegen etwa Matthäus durchaus die soteriologische Funktion Jesu mit der Betonung der Tora (vgl. 5,17f.) verbinden kann. Jakobus vertritt weder das eine noch das andere, er geht seinen eigenen Weg, auch wenn er dabei mit Paulus auf gemeinsame Traditionen (etwa die Abrahamsgestalt und auf Gen 15,6) zurückgreift. Es ist mit Augustin und Melanchthon daran zu erinnern, daß Paulus und Jakobus zwar gleiche Begriffe gebrauchen, aber über Verschiedenes spre chen — etwa derart, daß Paulus von den Taten spricht, quae fidem praecedunt, Jakobus aber von den Taten, quae fidem sequuntur (s. o. Einleitung 2.6b). In einem handlungsorientierten Textverständnis ist zudem mit Beda Venerabiiis (s. o. Einleitung 2.6c) davon auszugehen, daß beide sich auch an unterschiedliche Adressatenkreise mit unterschiedlichen Problemen wenden, worauf jeder für sich dann unterschiedlich akzentuiert reagiert. Jakobus hatte — analog zu Matthäus — mit Christen zu tun, die meinten, wirklich Christen sein zu können, wenn sie sich zum einen Gott (2,19) und zum auferweckten Herrn (1,1; 2,1) bekennen, dieses Bekenntnis aber keine Auswirkungen auf ihren Alltag hat. Es geht ihm um die Verwirklichung christlichen Glaubens in solidarischer Ethik, um ein TatChristentum. Müssen die Adressaten deswegen »hellenistische Antinomisten« (Barth, Gesetzesverständnis 150-154) sein? Auch für Matthäus (so Luz I 402 f.) ist dies nicht zwingend. Eine Anti-Stellung ist keineswegs erforderlich. Wer kennt heute nicht genügend Christen, die meinen, in »gutem Glauben« wie die Adressaten des Matthäus und Jakobus ihren Glauben leben zu können? Diese pastoralpraktische Frage ist das Grund problem zumal des Jakobus, während Matthäus in seinem um vieles größeren Werk auch verstärkt theozentrische und christologische, aber auch heilsgeschichtliche (Verhältnis Israel — Kirche) und andere Probleme ansprechen kann. Man sollte von einem kurzen Schreiben nicht zuviel verlangen! Schon gar nicht einen systematischen Entwurf, den selbst Kon vergenzerklärungen christlicher Kirchen nach mehrjähriger Arbeit vieler Fachleute nicht verwirklicht haben (vgl. Lehmann — Pannenberg). Die Offenheit bei der Frage, wie denn die Mitwirkung des Menschen mit dem Handeln Gottes zu denken sei, hat diese Erklärung mit der Konzeption des Jakobus gemeinsam.
4. Unzweideutig gilt für Jakobus: Der Mensch verdankt seine Existenz und die Ermöglichung zu allem Tun dem schöpfungstheologischen Handeln Gottes (1,18), ihm verdankt er alle Weisheit und jede gute Gabe (1,17; 3,17f.). Nur weil Gott »uns gewollt hat und uns geboren hat durch das Wort der Wahrheit«, können die Adressaten »das eingepflanzte Wort« annehmen (1,21). Sie müssen es aber auch, da ohne ihre Mitwirkung Gottes Wirken nicht an sein Ziel kommt. Der Primat des Handelns Gottes, der Indikativ der Heilszusage ist für Jakobus die Basis aller Aufforderungen zum menschlichen Handeln, das er nur als Re-aktion verstehen kann. Jakobus geht sogar noch weiter, wie wir gesehen haben (s. o. den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo-logie): Jakobus erschließt die Struktur des christlichen Seins und Handelns aus dem Sein und Handeln Gottes selbst. Stärker kann die Begründung des Imperativs im Indikativ nicht sein. Selbstverständlich bleibt die Frage der geschöpflichen Mitwirkung nicht nur für reformatorische Theologie ein Grundproblem; vielleicht sollte auch katholische Theologie dies stärker artikulieren, zumindest zu der Offenheit des Jakobus zurückfinden. Wie sieht sie aus? Das Thema »Glaube und Werke« stellt sich nicht erst im vielverhandelten Text 2,14-26, sondern vom Beginn des Briefes an — entsprechend dem grundsätzlichen literarischen Vorgehen des Jakobus, wonach er im Prolog Themen anspricht, die er im Verlauf des Briefes amplifiziert (s. o. den Exkurs 1 nach 1,4). Bereits der Beginn des Prologs in Zusammenhang mit dem Präskript zeigt eindeutig, worüber Jakobus schreiben will und wo rüber nicht, was schon Adolf Schlatter 1882 klar erkannte: »Der Brief ist nicht zu dem Zweck geschrieben, um im Leser das Glauben zu begründen. Wem er glaube, warum er glaube, was er durch sein Glauben empfange, nicht diese Fragen bilden jetzt das Anliegen, dem Jakobus bei diesem Anlaß und in diesem Brief mit seiner Lehrarbeit dient. Er richtet unseren Blick auf uns selbst, auf das, was wir anzustreben und zu vollbringen haben«, warum auch »eine Vergleichung mit Paulus, ehe Jakobus verstanden ist, ... natür lich ... keinen Sinn« habe (419). Jakobus setzt den theozentrischen und christologischen Glauben (1,1) als bekannt voraus, denkt weisheitlich und versteht so die von den Adressaten erfahrenen Prüfungen/Versuchungen/ Erprobungen als Möglichkeit der Glaubensbewährung und Glaubensstär kung. Ohne diesen weisheitlichen Horizont ist Jakobus nicht zu denken. Die Rezeption von Sir 2,1-17 und von 15,1-20 im Prolog des Jakobus (s. o. B II.2-3) zeigt aber auch, daß Jakobus von Anfang an Glauben nie theoretisch oder isoliert, sondern immer in Einheit mit dem Tun versteht; daher formuliert er bewußt, daß »die Standhaftigkeit ein vollkommenes Werk haben soll« (1,4a), während vielfach Ausleger hier mit »bewirken/ zielen auf« übersetzen. Damit stimmt überein, daß nach 2,1 als Überschrift zu 2,1-13 für die Christen gilt: »Nicht mit Ansehen von Personen habt den Glauben«. Dies zeigt: Eine Formulierung wie »ein Glaube, der nicht zur Tat wird, ist für Jakobus eine Unbegreiflichkeit« (Eichholz, Glaube 44) ist noch zu ungenau, da es Jakobus nicht um ein Werden, sondern von vornherein um eine Verschränkung, um »die Verklammerung von Glaube
und Werk«, um »die unumgängliche Einheit von Glaube und Werk« geht (ebd. 42.43). In gleicher Weise versteht Jakobus auch den Begriff »Weis heit« (1,5a) praxisorientiert. Vom weisheitlichen Horizont her garantiert dies nicht nur den Indikativ der Heilsgabe durch Gott (l,5b-d), sondern auch die Notwendigkeit, diese Weisheit in solidarischer Ethik lebendig werden zu lassen, wie vor allem die Amplifikation dieses Themas in 3,13-18 verdeutlicht, was ebenfalls wieder in der »Überschrift« unmißverständlich formuliert wird: »Wer ist weise und wohlunterrichtet unter euch? Er zeige aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit«. Jakobus geht in seinem theologischen Konzept noch weiter, indem er diese Korrela tion von Glauben und Tun sowie ihre unaufgebbare Integrität nicht nur in der Anthropologie gründet (Sein und Handeln der Menschen sollen über einstimmen; vgl. l,4a.b), sondern die Anthropologie noch einmal gründet im Sein und Handeln Gottes selbst, wie bereits der überraschende Hinweis in 1,5c (»so erbitte er sie [die Weisheit] von Gott, der allen einfach/ vorbehaltlos und ohne zu nörgeln gibt«) andeutet (zur weiteren Begrün dung s. o. den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo-Iogie). Gemäß dem weisheitlichen Denkhorizont versteht Jakobus nicht nur die Einheit von Glauben und Tun, sondern auch das Ergehen im Gericht, worauf im Prolog bereits deutlich in 1,12 hingewiesen wird (»Selig der Mann, der in der Prüfung/Erprobung standhält; da er bewährt wurde, wird er den Kranz des Lebens empfangen, den er [Gott] denen verheißen hat, die ihn lieben«), wobei Jakobus mit der formelhaften Wendung »die ihn lieben« (die er in 2,5d wiederholt) auch den Aspekt der Tora, des Gesetzes anklingen läßt (s. o. zu 1,12c). Wie stark weisheitlich Jakobus im Tun-Ergehen-Zusam menhang sowohl hinsichtlich des Glaubens und der Weisheit wie hinsicht lich des Gerichtes denkt, belegen einige Stellen aus Jesus Sirach: 2,1 4 14 15 16 15,1 6 16,11 12 14
Mein Sohn, wenn du dich anschickst, dem Herrn zu dienen, so mache dich auf Anfechtung gefaßt ... Alles, was dir widerfährt, das nimm hin und trage mit Geduld die Wechselfälle der Trübsal ... Weh euch, die ihr die Ausdauer verloren habt! Was werdet ihr tun, wenn euch der Herr heimsuchen wird? Die den Herrn fürchten, sind seinen Worten nicht ungehorsam, und die ihn lieben, halten seine Wege. Die den Herrn fürchten, suchen sein Wohlgefallen, und die ihn lieben, erfüllen das Gesetz. Wer den Herrn fürchtet, der tut also, und wer sich an das Gesetz hält, wird sie (die Weisheit) erlangen. Freude und einen Kranz des Frohlockens wird er finden ... Denn beides, Erbarmen und Zorn, ist bei ihm (Gott), beides steht in seiner Macht, versühnen und Zorn ausschütten. Wie viel bei ihm Erbarmen ist, so viel auch Züchtigung: er richtet jeden nach seinen Werken. Jeglichem Erbarmen wird er Raum geben; jeder wird nach seinen Werken empfangen.
Dies ist der weisheitliche Denkhorizont und die literarisch vorgegebene Tradition, die Jakobus rezipierte, wie sich im Verlauf der Auslegung bestätigte. Dieses theologische Konzept ist bereits im Prolog voll ausgebil det und in sich stimmig, wobei Glaube und Tun, Weisheit und Solidar ethik, aber auch menschliches Handeln und menschliches Sein wie göttli ches Handeln und göttliches Sein einander bedingen. Etwas anderes kann Jakobus nicht denken. Wer diese Einheit auseinanderreißt, verfehlt Jako bus. Um nichts anderes als diese Einheit geht es ihm auch im vieldiskutier ten Text 2,14-26, wie der wichtige Schlußvers mit seiner für jeden Men schen auf der Hand liegenden Evidenz (dies dürfte die handlungsorientierte Intention des Jakobus sein) umschreibt: »Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot« (2,26), womit die These von 2,17 (»so ist auch der Glaube, wenn er keine Werke hat, für sich allein tot«) argumentativ bestätigt wird. Um die Einheit von zwei Größen geht es ihm, um nichts anderes. Das Thema des Jakobus ist der heilsnotwendige Synergismus von Glauben und Werken, not-wendig für bettelarme Christen (2,15 f.), aber auch — dies ist die andere Seite der Medaille - für den, der Hilfe leisten könnte, da Christen nur so vor Gott bestehen können. Für dieses Bestehen vor Gott kennt Jakobus unterschiedliche Begriffe; er konzentriert keineswegs (auch Paulus tut dies nicht; s. o.) alles im Begriff der »Gerechtigkeit Gottes« (1,20; zur »Gerechtigkeit« vgl. 2,23; 3,18) oder im von der Tradition vorgegebenen Verbum »gerechtfertigt werden« (2,21.24.25). Daneben finden sich allein in 2,14-26 die Wendungen »retten« (14d), »nützen« (16d), »vollenden« (22b) und »Freund Gottes« (23d). Aus dem engeren Kontext ist auch an die Effektivität menschlichen Erbarmens im Gericht zu erinnern (2,13c: »Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht«) oder auch an den weisheitlichen Gedanken in 3,2: »Wenn einer sich im Wort nicht verfehlt, ist dieser ein vollkommener Mann«, was ebenfalls gerichtsrelevant ist (3,1). Wie immer Jakobus das Zusammenwir ken von Glauben und Werken verstanden hat (was in dieser Formulierung für ihn schon ein Unding ist, da er Glaube nur als wirk-sam, als tat sächlichen Glauben versteht, er keine zwei Größen voraussetzt, wie 2,22 zeigt: »Der Glaube wirkte mit seinen Werken zusammen«): Jakobus sieht in ihnen nicht zwei Größen, sondern eine Grunddimension menschlichen Lebens, wobei die Werke Zeichen des Glaubens sind und Glaube wirkkräf tig (im Tun) verstanden wird. Die Differenzierung liegt im Bereich der Betrachtungsweise, nicht im Bereich systematischer Größen. Nur ein wirk kräftiger und ein durch Tun be-glaubigter Glaube ist nach Jakobus wahrer Glaube. Abraham und Rahab als biblische Beispiele bestätigen diese Grundthese ebenso wie das Argument aus der Anthropologie in 2,26 und die skizzierte Unmöglichkeit eines angeblich christlichen Verhaltens in 2,15 f. Glaube ist nach Jakobus nicht (wie hier und da im Frühjudentum) ein Werk neben anderen, vielmehr eine umfassende Grundhaltung der Integrität hinsichtlich des Seins und Handelns unter Christen. Daher stehen bei ihm nicht Glaube und Werk als zwei Größen einander gegenüber, schon
gar nicht Glaube und Gesetzeswerke (dies ist ein Begriff, den Jakobus ohnehin nicht kennt), vielmehr geht es ihm um den für ihn unvorstellbaren »Glauben ... für sich allein« (17a.b), um »Glauben ohne Werke« (20b), »Glauben mit Werken« (22a), um »Glauben allein« (24b) und um »Glauben ohne Werke« (26b). All dies ist toratheologisch und weisheitstheologisch gedacht (vgl. Zenger; Preuß, Einführung 142-145), mit Problemen des Paulus hat dies nichts zu tun. Da dessen Engführung auf die soteriologische universale Bedeutung des Kreuzes Jesu Christi fehlt, kann Jakobus ganz im weis heitlich-anthropologischen und theozentrischen Ansatz seine Probleme reflektieren. Dies entspricht ganz seiner handlungsorientierten Intention, auf die Adressaten mit allen rhetorischen Mitteln einzuwirken. Dies ist ihm, wie die zwar späte, aber bis heute intensiv andauernde Rezeptions geschichte zeigt, gelungen. Für ein sachgemäßes Verständnis hängt dabei alles daran, die von Jakobus behauptete Einheit von Glauben und Wer ken nicht wieder aufzulösen, bei ihm keine Antwort auf eine nicht vor handene Frage (etwa dem Zusammenwirken von zwei unabhängig von einander existierenden Größen) zu finden, was immer Theologen im Ver laufe der christlichen Glaubensgeschichte zu diesem Problem gedacht haben. Sie taten dies nicht unter den Voraussetzungen des Jakobus. Er ist in sich zu würdigen, seine spezifische Antwort auf das, was christlich »Glauben« meint, zu sehen. Unter dieser Perspektive ist er ein wahrhaft großer Brückenbauer im ökumenischen Gespräch zum Judentum wie zwischen evangelischer, katholischer und orthodoxer Theologie. Auf die Stimme des Jakobus zu verzichten, hieße, die zwischenmenschliche, gesellschaftliche und politische Dimension des Glaubens auszublenden. Wenn Jakobus diesen nicht nur als Wirkung und Frucht des Glaubens an die Bedeutsamkeit des Kreuzes (wie Paulus und in seiner Nachfolge die reformatorische Theologie) versteht, vielmehr als integratives Element des Glaubens selbst, dann vermag seine Konzeption die über Jahrhun derte in der christlichen Theologie vorherrschende Gefahr der Innerlich keit und des reinen Bekenntnis-Glaubens schon im Ansatz vermeiden helfen. Daß man die Akzente auch anders setzen kann, ist unbestritten. Dies spricht aber nicht gegen Jakobus, der seine Konzeption weder direkt in Auseinandersetzung mit Paulus entwickelt hat noch mit einem mißverstan denen Paulus, sondern in der Logik weisheitlicher Theologie von Glauben und Weisheit im praktischen Lebensvollzug. Dies zeigt, »daß dem Urchri stentum nicht ein einheitlicher Glaubensbegriff zur Verfügung stand, so wenig wie eine einheitliche Fassung des durch Jesus gekommenen Heils« (Lübrmann, Glaube 83), es zeigt aber auch, daß verschiedene Theologen (Paulus, Matthäus, Jakobus) das Verhältnis von Christologie und Ethik, von Glauben und Werken in Rezeption unterschiedlicher oder derselben Traditionen im Hinblick auf verschiedene Hörerkreise und deren spezifi sche Probleme je anders umschreiben konnten. Die Frontstellung bedingt dabei nicht nur die Auswahl des Themas, sondern auch seine Durchfüh-
rung. Wenn daher Paulus von »Werken des Gesetzes« spricht, Jakobus aber vom »Gesetz der Freiheit« und von Werken der Liebe, dann macht dies sehr wohl einen Unterschied, da Jakobus eben nicht »Werke des Gesetzes« formulieren wollte (gegen Burchard, 2M Jakobus 43 Anm. 77). Denn: Paulus verwendet mit diesen Begriffen eine alternative und grundsätzliche Diskussion über mögliche Heilswege, während Jakobus für die Verwirkli chung christlichen Glaubens im Tun streitet. Jakobus behandelt in aller Ausführlichkeit — wenn man so will — nur jene Problematik, die Paulus in seinem paränetischen Teil der Briefe behandelt oder im vielzitierten Satz, daß es christlich darauf ankommt, »den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist« (Gal 5,6). Die Verwirklichung des Glaubens im Tun, die Bewährung des Glaubens in menschlichen Grenzsituationen (wie bei Abra ham und Rahab), aber auch im Alltag (wie vielfach in der Weisheitsliteratur reflektiert) ist das Thema des Jakobus. Diese Weisheitstraditionen, nicht Rom 4 (wie vielfach angenommen wird) ist die Tradition für Jakobus (s. o. und Heüigenthal 50-52). Beim Nachdenken über die Integrität des Glau bens als Einheit von Bekenntnis und Ethik gelingen dabei Jakobus Spitzen sätze, wie sie sich parallel (jedoch in anderem Sinn!) bei Paulus finden. Das Neue Testament präsentiert eine Vielzahl theologischer und ethischer Konzeptionen. Auch das Verhältnis von Glauben und Tun sowie der Gedanke der Rechtfertigung wird in unterschiedlicher Weise reflektiert. »Gelöst« für alle Zeiten hat im Neuen Testament kein Theologe dieses Problem, auch in der nachneutestamentlichen Zeit nicht, wie der mittelal terliche Streit über die Gnadentheologie, aber auch die gegenwärtigen ökumenischen Gespräche über die Rechtfertigung (s. o.) belegen.
2 5 : Wie der symmetrische Aufbau dieses Verses zu Vers 21 zeigt (im Griechischen ein Fragesatz, der unbedingt mit ja beantwortet werden muß, inhaltlich gefüllt mit einer narrativen Erläuterung aus der Bibel), greift Jakobus mit ebenso auf Vers 21 zurück. Dem männlichen, folgt ein weibliches Beispiel. Wie bereits 2,15 zeigte (»Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt sind«), besteht die Gedankenwelt des Jakobus nicht nur aus dem männlichen Geschlecht — trotz der unübersehbaren patriarchalischen Orientie rung (vgl. die Anreden, falls Schwestern nicht überall stillschwei gend mitgemeint sind). Gerade das in 2,15 f. genannte Beispiel vom nackten Bruder und von der nackten Schwester dürfte Jakobus motiviert haben, das erste Beispiel der Rechtfertigung eines Glau benden aufgrund seiner Taten (Opferung Isaaks durch Abraham) durch ein weiteres Schriftbeispiel zu ergänzen, in dem Werke der Barmherzigkeit thematisiert werden. Erst mit diesem Aspekt schließt die kleine Einheit in 2,14-26 mit Vers 26 formal und inhaltlich wirkungsvoll gerundet ab.
Die Geschichte dieser Frau mit zweifelhaftem Ruf, als Einwohne rin des kanaanäischen Jericho eine Heidin (vgl. Mt 1,5), findet sich in Jos 2. Von ihren Werken (im Plural) rezipiert Jakobus zwei: Zum einen nimmt sie die fremden Kundschafter gastfreundlich in ihrem Haus auf und versteckt sie auf dem Dach (Jos 2,4.6), zum anderen aber schützt sie diese vor der Verfolgung durch die Ein wohner Jerichos, indem sie die Verfolgten mit einem Seil vom Dach herunterläßt und ihnen so die Flucht ermöglicht (Jos 2,15). Nach Jakobus wird sie aufgrund dieses Werkes bzw. aus (25b) diesem Werk wie Abraham (von Gott) gerechtfertigt (theologisches Passiv). Dieses Verhalten fyahabs ist kontextuell in Jos 2,8-11 von ihrem Glauben an Jahwe begründet: »Ich weiß, daß der Herr euch das Land gegeben hat... Denn wir haben gehört, wie der Herr das Wasser des Schilfmeeres euretwegen austrocknen ließ, als ihr aus Ägypten ausgezogen seid ... Denn der Herr, euer Gott, ist Gott droben im Himmel und hier unten auf der Erde.« Wie bei der Abraham-Geschichte liest Jakobus auch die RahabEpisode aus rezeptionsgeschichtlicher Situation. Dies bedeutet: Die Zusammenstellung von Exempla aus der jüdischen Glaubens geschichte unter bestimmten Leitworten gehört zur weisheitlichen und lehrhaften Literatur vor allem im hellenistischen Frühjuden tum (vgl. Sir 44-50; Weish 10; 4 Makk 16,16-23; PhiloVirt 198ff.; Praem lff.; 4 Esra 7,105 ff.). Auch in der urchristlichen Literatur finden sich ähnliche exemplarische Reihen (vgl. Apg 7,1-53; Hebr 11,1-12,3). Aus der nachneutestamentlichen Literatur ist vor allem auf die ausführlichen Beispielsammlungen in 1 Clem 4,7ff.; 7,5ff.; 9,2ff.; 10,7ff.; 17,1 ff.; 31,1 ff.; 45,2ff.; 55,3ff. hinzuweisen. Die Funktion der Beispiele im Kontext ist jeweils unterschiedlich, auffallend jedoch ist die rezeptionsgeschichtlich bedingte Abzwekkung der Beispiele vom ursprünglichen biblischen Text. Dies gilt vor allem für die Gestalt der Dirne Rahab. Entsprechend der Uberschrift in Hebr 11,1 (»Glaube aber ist: Feststehen zu dem, was erhofft wird, Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht«) gehört Rahab (vgl. 11,31) in eine Reihe mit den Großen des Alten Testamentes, deren Glaubensfestigkeit mit »auf grund des Glaubens« im Hebr litaneiartig eingeleitet wird. Ähnlich heißt es in 1 Clem 12,1: »Wegen des Glaubens und der Gastfreund schaft wurde Rahab, die Dirne, gerettet.« Auch steht sie hier - mit Lot — neben dem ausführlich behandelten Abraham in 10,1-7. Stärker als Abraham wurde jedoch ihre Gestalt im Verlauf der jüdischen Tradition mit immer größeren Ehrenbezeichnungen umgeben, wovon die spätere rabbinische Literatur ein beredtes
Zeugnis ablegt (vgl. Billerbeck I 20-23): Rahab ist Proselytin, Werkzeug des Geistes Gottes, Gattin Josuas und Stammutter zahlreicher Priester und Propheten (vgl. auch G. Kittel, in: T h W N T 3, 1938, 1-3). Rahab ist Vorbild wahrer Reue (Manns). Jakobus scheint solche Auslegungen zu kennen (ohne sie zu nen nen), verbindet sie jedoch mit konkreten Erzählzügen aus der alttestamentlichen Geschichte. Im Kontext von Vers 24 ist Rahab ihm wohl ein Beispiel dafür, daß wirklich jeder Mensch in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus Werken des Glaubens und »nicht aus Glauben allein« (24b), aus Nur-Glauben gerechtfertigt wird. Gerade unter diesem Aspekt war sie Jakobus wirklich ein Beispiel, da Rahab in der jüdischen Exegese nicht - paulinisch gedacht - als gerechtfertigte Sünderin, sondern aufgrund ihres Tuns wirklich als gerecht von Gott aner kannt wurde. Gerade ihre Werke waren für die jüdische Exegese — und sind für Jakobus — Zeichen des Glaubens. Genau um diese Zeichenhaftigkeit geht es auch Jakobus ab 2,14 ff. in seiner Argu mentation, nicht jedoch um eine Auslegung der ganzen Beispiele und eine moralische Bewertung der Geschichten. Allerdings ist die Ausweitung in Vers 25 dabei wohl zu beachten. Vers 25 sagt von der Dirne Rahab nicht dasselbe wie Vers 21 von Abraham, dem »Freund Gottes«, er sagt anderes und mehr, auch wenn er struk turell mit jenem identisch ist. Auch die Werke dieser Frau konnten ihren Glauben aufweisen. Daß ihre Werke der Barmherzigkeit ohne ihren Glauben in der jüdischen Exegese und im Sinne des Jakobus nicht gedacht werden können, zeigt für Jakobus der abschließende Vers 26. 26: Dieser Vers ist das Ziel der gesamten Argumentation in 2,14 ff. und damit Höhepunkt der Ausführungen. Als Begründung (26a: denn) aus dem anthropologischen Bereich beendet er die Argu mentation des Jakobus ebenso wirkungsvoll für die Adressaten, wie es das Beispiel aus dem sozial-ekklesiologischen Bereich in Vers 16 tat. Seine Argumentation ist aufgrund der Einfachheit ebenso entwaffnend wie stark affektiv. Wer die These des Jakobus von der lebendigen Einheit von Glauben und Werken immer noch nicht akzeptiert hat, kann an dieser Stelle nicht anders, als ihm zustimmen. 26b ist eine epigrammartige Verkürzung von 17a.b. Die beiden Verse stehen in einem ähnlichen Verhältnis wie 14a. 16d (»Was nützt es?«) zu 20b (»nutzlos«). Durch die doppelte Verschränkung dieser Verse sind sie ein starkes Bindemittel formaler und inhaltli cher Art für den Abschnitt 2,14-26.
»Daß der vorliegende Text sinnlos ist« (Spitta 88), legt sich nur dann nahe, wenn man versucht, die genannten Substantive einan der zuzuordnen (wonach »Werke« dem »Geist« entsprechen müß ten). Der gesamte Kontext spricht gegen ein solches Verständnis. Springender Punkt für Jakobus ist das in 26a und b genannte Totsein von Einzelelementen aus an sich lebendigen Synthesen. Mit dem Bild von Vers 22 geht es Jakobus auch hier um einen Synergismus, um ein Zusammenwirken von Glauben und Werken analog zum Zusammenwirken von Leib und Geist. Hat man diesen springenden Punkt beim Vergleich erkannt, ist - parallel zu Vers 22 — jede Spekulation hinsichtlich der Über- oder Unterordnung der einen oder anderen Größe abzulehnen. Dies ist nicht das Thema. Selbstverständlich wird auch Jakobus die Aussa gen der Schrift kennen, wonach »Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden formte und in seine Nase den Lebensatem/ Geist blies« (Gen 2,7; vgl. 6,17; 7,15 u. a.). Doch liefert Jakobus hier nicht eine schöpfungstheologische Argumentation, vielmehr konzentriert er die Beweiskraft aus der alltäglichen Erfahrung. Dabei ist von der anthropologischen These »Der Leib ohne Geist ist tot« von der vulgären dichotomischen Anschauung auszugehen, wonach der Mensch zweigeteilt ist, er also erst lebendig wird durch die Einheit beider. Die trichometrische Anschauung, wonach der Mensch Leib-Seele-Geist-Einheit ist, klingt nicht an. Wichtiger ist, daß man sich vor einer platonischen Interpretation hütet, wonach der Geist als Idee für sich allein existieren könne und nur der Leib tot wäre. Der philosophisch-platonische Gedanke, wonach der Leib Gefängnis der Seele ist (soma sema) und demnach eine deutliche Über- bzw. Unterordnung vorauszusetzen ist, liegt Jakobus fern. Daher spricht er hier (vgl. dagegen 1,21 und 5,20) wohl bewußt nicht von »Seele«. Jakobus denkt hier nicht philosophisch, sondern biblisch- schöpfungstheologisch (vgl. 3,9). Worum es ihm geht, ist der Todeszustand des Leibes ohne Geist — entsprechend seinem theologischen Syntagma »Glaube ohne Werke«. Nach Jakobus muß Glaube so konkret, leibhaftig, vorzeigbar und wirksam werden, daß umgekehrt das konkrete Verhalten das belebende und vergeisti gende Element des Glaubens ist. Ihm geht es um einen leibhaftigen und tat-kräftigen Glauben. Von einer Losung »allein durch Werke« ist auch hier in Vers 26 nicht die Rede, von Gesetzes-Werken ohnehin nicht, da alle Aussagen in der Leserperspektive von 1,25 und 2,12 gelesen werden wollen. Nicht um die Alternative »Glaube - Werke« geht es Jakobus, sondern um die Alternative »Glaube für sich allein« (ohne Werke) — »Glaube mit Werken«.
Mit dieser These steht Jakobus in einer breiten Tradition frühjüdi scher Theologie, primär der Weisheitsliteratur und hier vor allem in der Tradition von Jesus Sirach, wie sich in der unbestritten weisheitlich geprägten kleinen Einheit in 3,13-18 zum Thema »Wer ist weise und wohlunterrichtet unter euch?« (3,13a) bestätigen wird. Da auch dort wie in 2,18 die direkte Antwort lautet »Er zeige aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit« (3,13b.c), Jakobus aber bereits in 2,14-26 die Notwendigkeit des Wandels zum Thema macht, sei schon hier zusammenfassend darauf hingewiesen. Wie für Jakobus Glaube und Werke, Bekennt nis und Ethik zusammengehören, so für Jesus Sirach Glaube und Gesetz, Weisheit und Tun (s. u. die Exkurse 9: »Vollkommen« und 10: »Weisheitstheologie nach Jakobus«).
IV. Von der Macht der Zunge (3,1-12) 1 a Werdet nicht so zahlreich Lehrer, meine Brüder! b Ihr wißt doch, daß wir ein strengeres Gericht empfangen werden, 2 a denn in vielem verfehlen wir uns alle. b Wenn einer sich im Wort nicht verfehlt, c ist dieser ein vollkommener Mann, d fähig, im Zaum zu halten auch den ganzen Leib. 3 a Wenn wir den Pferden den Zaum in die Mäuler legen, b damit sie uns gehorchen, c lenken wir auch ihren ganzen Leib. 4 a Siehe, auch die Schiffe, so groß sie auch sind b und von heftigen Winden getrieben, c werden von einem ganz kleinen Steuer gelenkt, d wohin die Absicht des Steuermanns will. 5 a So ist auch die Zunge ein kleines Glied b und rühmt sich großer Dinge. c Siehe, ein kleines Feuer steckt einen großen Wald in Brand. 6 a Auch die Zunge ist ein Feuer, die Welt der Ungerechtig keit. b Die Zunge steht da unter unseren Gliedern, c sie beschmutzt den ganzen Leib
d e 7 a b c 8 a b 9 a b c 10 a b 11 a b 12 a b c
und setzt das Rad des Werdens in Brand und wird (selbst) in Brand gesetzt von der Hölle. Jede Art von Raubtieren nämlich und Vögeln, von Kriechtieren und Tieren des Meeres wird gezähmt und wurde gezähmt durch die menschliche Art, die Zunge aber kann niemand zähmen von den Men schen. Ein unbeständiges Übel (ist sie), voll von todbringendem Gift. Mit ihr preisen wir den Herrn und Vater, und mit ihr verfluchen wir die Menschen, die nach Gottes Ebenbild geworden sind. Aus demselben Mund gehen Preis und Fluch hervor, Nicht darf, meine Brüder, das so geschehen. Läßt etwa eine Quelle aus derselben Öffnung Süßes und Bitteres herausströmen? Kann etwa, meine Brüder, ein Feigenbaum Oliven brin gen oder ein Weinstock Feigen? Und Salziges kann Wasser nicht süß machen.
Literatur: Behm, / . , glossa, in: ThWNT 1(1933) 719-726. - Böcher, O., geenna Gehenna, Hölle, in: E W N T 1(1980) 574-576. - Bücbsel, F., Das Rad des Lebens Jk 3,6, in: T h W N T 1(1933 = 1957) 682f.. - Dautzenberg, G , glossa Zunge, Sprache, in: E W N T 1(1980) 604-614. - Dohmen, C , Ebenbild, in: N B L 1 (1990) 453-455. - Herrmann, 5., Steuerruder, Waage, Herz und Zunge in ägyptischen Bildreden, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 79(1954) 106-115. — Lichtenberger, H., pyr Feuer, in: E W N T 3(1983) 477-484. - Scharbert, / . , Der Mensch als Ebenbild Gottes in der neueren Auslegung von Gen 1,26, in: Weisheit Gottes - Weisheit der Welt. FS J . Ratzinger, Band I, St. Ottilien 1987, 241-258. — Wanke, / . , Die urchristlichen Lehrer nach dem Zeugnis des Jakobusbriefes, in: Die Kirche des Anfangs. FS H.Schürmann, Freiburg 1978,489-511. Kontextuell ist auch dieser Text entgegen anderslautenden Mei nungen (vgl. etwa Schräge 38; Schnider 82; von Dibelius 222 gar nicht zu sprechen) syntaktisch und semantisch wie auch in der konstanten pragmatischen Wirkabsicht nach hinten und vorn stark verbunden. Mit der Frage in 3,13a »Wer ist weise und wohlunter richtet unter euch?« wird die Thematik der Lehrer aufgenommen und um das Stichwort »Weisheit« in 3,13.15.17 erweitert, das im Sinne des Jakobus von Anfang an mit der Vollkommenheit (vgl.
1,4-5) verbunden war, so daß 3,13 ff. auch stichwortmäßig 3,2c (»dieser ist ein vollkommener Mann«) weiterführt; obendrein ist auf die hier und dort sich findenden Antithesen (s. u.) hinzuwei sen. Die Verknüpfung zu den vorausgehenden Abschnitten ist nicht weniger eng. »Werdet nicht ...« signalisiert die Fortsetzung eines Gedankens, nicht einen Neuanfang. Der Imperativ enthält implizit primär eine Folgerung, so daß zu paraphrasiereaist: Werdet, weil dies so ist, konkret: weil Unvollkommenheit und Gespaltenheit grundsätzlich beim Menschen festzustellen sind (vgl. 1,5 ff.), weil die Adressaten diese Zwiespältigkeit im Hören, Reden und in den seelischen Grundhaltungen zeigen (vgl. 1,19-26), dies aber auch im zwischenmenschlichen Verhalten im unterschiedlichen Ansehen von Personen dokumentieren (2,1-13), was mit dem biblischen Verständnis des Zusammenhangs von Glauben und Werken nicht übereinstimmt (2,14-26), werdet, weil dies so ist, aus all diesen Gründen nicht so viele Lehrer und ergreift nicht so zahlreich eine Aufgabe, die es traditionell qua Funktion nur mit dem Wort zu tun hat! Gerade weil Jakobus bei den Adressaten kein Glaubensbe kenntnis und keine Theologie vermißt, wohl jedoch eine theologi sche Praxis und Werke als Zeichen des Glaubens, stehen Lehrer pointiert in der Gefahr, zu jener Gruppe zu gehören, die die Möglichkeit des Nur-Redens (1,19-27) und eines Nur-Glaubens (vgl. 2,14-26) vertreten. Hat Jakobus aus der Überschrift der Propositio in 1,19 in 1,19-27 die Antithese vom Nur-Hörer und Täter des Wortes abgehandelt, in 2,14-26 die These vom Nur-Glaubenden und Täter des Glau bens, so blieb konsequenterweise als weitere Thematik für 3,1-18 die Antithetik vom Nur-Redner und der Verwirklichung des Wor tes im anthropologischen Bereich (3,1-12) sowie im zwischenmenschlich-ekklesialen Bereich (3,13-18) übrig. Kapitel 3 ist also als weitere Amplifikation einer in den ersten Kapiteln des Briefes vorgegebenen Thematik zu verstehen. Die Leitworte zur anthropologisch orientierten (3,1-12) und ekklesial ausgerichteten (3,13-18) Amplifikation finden sich in 1,19c (»langsam zum Reden«) und der Erweiterung dieses Verses in 1,26 (»Wenn jemand meint, er sei fromm, obwohl er seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt, dessen Frömmigkeit ist nichtig«). Vor allem die Metapher »seine Zunge nicht im Zaume halten« in 1,26b dürfte im Hinblick auf ihre anthropologische und metaphorische Entfaltung in 3,2-3 und 3,6ff. antizipierend formu liert worden sein. Dabei ist die Thematik von 1,19.26 bereits im
Prolog 1,2-18 als Stichwortlieferant vorgegeben. Gerade das Thema der Gespaltenheit und Vollkommenheit des Menschen im individuellen und sozialen Bereich als das grund-legende Thema des ganzen Jakobusbriefes und die Antwort auf diese Dialektik, sie mit Hilfe der Weisheit »von Gott« (l,5a.b) und »von oben« (1,17b) zu überwinden, bestätigt die erweiternde Wiederaufnahme dieser Thematik in 3,1-12 und 3,13-18. Gemäß antiker Rhetorik wurde diese Thematik in der Propositio 1,19-27 in einem ersten Schritt (bei aller Kürze und Prägnanz dennoch inhaltlich vollständig) schon etwas gefüllt, während die eigentliche argumentative Entfal tung den weiteren Kapiteln vorbehalten ist. Somit steht 3,2 in formaler und thematischer Hinsicht in direkter Verbindung nicht nur zu 1,19.26, sondern auch zum Prolog in l,4a.b.l7. Immer wieder zeigt sich, daß der Gesamtentwurf des Jakobus formal und inhaltlich in sich stimmig ist. Auch wenn der Wechsel zu einer neuen ausgeführten Thematik und die erneute Anrede »meine Brüder« in 3,1a Hinweise für eine neue kleine Einheit sind, wird die kontextuelle Eingebundenheit von 3,1-18 auch bestätigt durch den etwas überraschend auftreten den Gedanken in 3,1b vom Gericht, wonach Lehrer »ein strengeres Gericht« zu erwarten haben. Ältere Ausleger (vgl. Mayor 265; Beiser 138; Kürzdörfer 100) betonen zu Recht die Verbindung zu 2,12 f. als Abschluß von 2,1-13 und als Überleitung zu 2,14-26. Die gesamte weisheitlich orientierte Argumentation des Jakobus steht zudem von Anfang an (vgl. den Exkurs »Eschatologie und Ethik« nach 1,12) unter eschatologischem Aspekt. Das gesamte Sein und Handeln des Menschen sieht Jakobus in jedem Kapitel coram deo. Immer und überall argumentiert er gegen das Gespaltensein und die UnVollkommenheit im Sein und Handeln. Wie im Prolog und in den bisherigen Abschnitten sind auch die Verse 3,1-12 vom Prinzip der funktionellen Oppositionen geprägt, wodurch Jakobus auch hier ein Wortfeld entwickelt und damit ein in sich abgerundetes Thema konstituiert. Mit der leitenden Oppo sition für die Verse 3,1-18 und mit den Worten von Vers 2 lautet es: Sich im Wort nicht verfehlen, vollkommen sein-sich verfehlen. Mit unterschiedlichen Metaphern wird dieses Thema durchbuchstabiert in den Oppositionen: ganzer Leib-Mund, Maul (2d.3a-c), woraus sich die weitere Opposition klein-groß in den Versen 4-7 ergibt. Im einzelnen wird sie in verschiedenen Bildern variiert: kleines Steuer große Schiffe (4), kleines Feuer-großer Wald (5), Zunge als kleines Glied-rühmt sich großer Dinge (5). Als weitere Oppositionen sind zu notieren: den ganzen Leib zähmen, Tiere zähmen-die Zunge
nicht zähmen (2d.7-8), preisen-verfluchen und Preis-Fluch (9-10) sowie die geologischen und botanischen Antithesen in 11-12. In handlungsorientierter Betrachtung enthält der Vers 10b (»Nicht darf, meine Brüder, das so geschehen«) in Aufnahme von 2b und 3a-5b die von Jakobus angezielte Kontrastethik zur kraftvoll ausge malten zerstörerischen Macht der Zunge in 5c-8b. Wie im einzelnen, so ist auch der Text insgesamt antithetisch formuliert. Umschreiben die Verse 5c-8b die negativen Möglich keiten der Zunge, ihre dämonische Macht und ihre Gefährlichkeit, so die Verse 3a-5b ihre positiven Möglichkeiten, ihre lenkende und den ganzen Menschen bestimmende Kraft (diese Aussagen werden von Dautzenberg nicht gesehen). Demgegenüber enthalten die rahmenden Verse 2 und 10 (mit den illustrativen naturwidrigen Beispielen in 11-12) die antithetische Struktur je in sich. Die Gesamtstruktur des Textes ist also wohldurchdacht, sie ist durch gehend vom Prinzip der funktionellen Oppositionen einheitlich geprägt. Der Text ist nicht nur thematisch antithetisch strukturiert, sondern auch hinsichtlich der Adressaten, womit die seit jeher umstrittene Funktion (vgl. Belser 138 f.) von Vers 1 angesprochen ist. Der gesamten Adressatengemeinde als Bruderschaft (zur Bezeichnung aller Adressaten als »meine Brüder« in la vgl. 1,2.16.19; 2,1.5.14; 4,11; 5,7.9.10.12.19) steht wie an anderen Stellen des Briefes ein Teil dieser Gemeinde gegenüber. Hier sind es nicht die Armen und Waisen, die Armen und Niedriggestellten, die Verachteten, Hun gernden und Nackten, vielmehr im vorgegebenen Ansatz der Pro positio von 1,19 (»Seid langsam zum Reden«) in der noch zu leistenden Amplifikation diejenigen Gemeindemitglieder, die es vornehmlich mit dem Sprechen und Reden zu tun haben. In welcher Weise die Aufforderung »Werdet nicht so zahlreich/ viele Lehrer« in Antithese zu »meine Brüder« steht, zeigt Vers 2a. Die Wendung »denn in vielem verfehlen wir uns alle« zeigt, daß die »Lehrer« von Jakobus exemplarisch verstanden werden. Die Leh rer stehen pars pro toto. Mit dieser rhetorischen Figur der Synek doche hat Jakobus am Beginn dieser Texteinheit nicht nur seman tisch pointiert einen engeren statt des umfassenden Begriffes gewählt und mit dem Besonderen das Allgemeine illustriert (zur Figur vgl. v. Wilpert 809), vielmehr hat er auch adressatenbezogen am Beispiel von Repräsentanten in der Gemeinde damals wie heute gespannte Aufmerksamkeit bei den Hörern und Lesern erweckt. Diese werden jedoch sofort in ihrer Zustimmung zur Aussage in lb, wonach die Lehrer »ein strengeres Gericht empfangen wer-
den«, verstrickt. Ab Vers 2a wird der semantisch engere Ausdruck unmißverständlich handlungsorientiert durch den weiteren Aus druck ersetzt. »Das Besondere steht für das Allgemeine, das Allge meine für das Besondere ein« (Plett 72). Daß es Jakobus um den Teil eines Ganzen geht, zeigen die Vergleiche aus den verschiede nen Lebensbereichen ab 2d (siehe vor allem das Stichwort »den ganzen Leib« in 2d und 3c). Daher entsprechen sich die Wendun gen »nicht viele« zu »meine Brüder« in la wie »in vielem« (im Griechischen steht der Plural) zu »alle« in 2a. Diese Antithese wird im Vers 2 im übrigen von Jakobus chiastisch weitergeführt: 2 a In vielem verfehlen wir uns alle. b Wenn einer sich im Wort nicht verfehlt... Aufgrund dieser formalen Anordnung bezieht sich das in der Auslegung vieldiskutierte »viele« in la als Adjektiv auf »meine Brüder«. Es kann daher weder adverbial verstanden werden als Warnung, daß die Lehrer »nicht bei jeder Gelegenheit als solche auftreten« (so Mußner 159), noch klingen Motive an, wonach »die Lehrer in den Gemeinden großes Ansehen genossen ... und/oder mit finanziellen Leistungen rechnen konnten« (Schnider 83); auch an »eine allgemeine, gnostisch motivierte Hochschätzung der Erkenntnis« (Schräge 39) denkt Jakobus nicht. Der Sache nach geht es ihm bei denen, die den Lehrerberuf anstreben, um eine ernst hafte Prüfung im Angesichte Gottes und des Gerichtes ( l b ) , ob sie denn überhaupt jenen Grad der »Vollkommenheit« fähig sind zu erlangen, der von den Christen gefordert wird (zu 3,2c vgl. 1,4 und 1,22.26; 2,12 usw.). Durch den Kontext wird deutlich, daß Jako bus Lehrer nicht überschätzt, sondern relativiert — entgegen der oft feststellbaren Selbstüberheblichkeit der Lehrer. Ihre spezifi schen Probleme sieht er in gleichem Atemzug (vgl. 2bff) als allge mein christliche. Wenn schon jeder Christ sich nicht im Wort verfehlen darf (2b), um wieviel mehr die berufsmäßigen Lehrer nicht! Vielleicht war es bei den Adressaten des Jakobus so, daß die Lehrer sich anmaßten zu wissen, was zu tun ist, und meinten, anderen etwas vorauszuhaben und sich deshalb — selbsternannt - befähigt glaubten, anderen den Weg weisen zu können. Da nicht deutlich wird, daß Jakobus Lehrer als ausdrückliches Lehramt versteht (ein Amt in unserem Sinne gab es zu damaliger Zeit in den christlichen Gemeinden noch nicht; vgl. Frankemölle, Amt), geht es ihm eher um lehrerhaftes Gebaren und um die Warnung vor lehrhaftem Hochmut. Auch für die Lehrer gilt — wie für jeden
Christen — die Stimmigkeit des Verhältnisses von Wort und Tat. Allein aufgrund des Wissens handelt man noch nicht besser. Aber: Wissen ist Voraussetzung, und aus ihm entsteht die Verpflichtung, das Wissen in die Tat umzusetzen! Ein strengeres Gericht für Lehrer (lb) ist daher nur logisch. Vollkommen sein (2c) und weise sein (13) ist mit dem Lehrersein nicht automatisch identisch. Jeder ist vollkommen, wenn er sich im Wort nicht verfehlt (2b), jeder ist weise und wohlunterrichtet der aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit zeigt (13a-c). Der Perso nenwechsel von 3,1 zu 3,2ff. ist im Sinne des Jakobus nur konse quent. Daß sich in der Gemeinde des Jakobus Christen in zu großer Zahl zur Aufgabe des Lehrers drängen, sollte aufgrund der rhetorischen Figur der Synekdoche und des Chiasmus nicht überinterpretiert werden, zumal Jakobus es in la darüberhinaus auch noch gelungen ist, den Vers rhetorisch wirkungsvoll durch Binnenreim bzw. durch die Figur des Homoioteleuton zu schmücken (polloi didaskaloi ... adelphoi) ähnlich wie in 1,6.14; 2,12.16; 4,8.14 und 5,5. Der Vers ist demnach sozialgeschichtlich nicht allzu sehr zu befrachten. Selbstverständlich sind Lehrer vorauszusetzen. Worauf es Jakobus aber ankommt, ist, daß die bei seinen Adressaten bekannte Funktion der Lehrer, zu denen er sich selber zählt (lb), als besonders qualifiziertes Exemplum für eine allgemeine, alle Christen betreffende Problematik dient. Um nicht mehr und weni ger geht es ihm. Die Aufforderung an alle aus 1,22 »Werdet aber Täter des Wortes« und die Warnung aus 1,26b davor, »seine Zunge nicht im Zaum« halten zu können (vgl. die Stich Wortverbindung in 3,2d), sowie der Imperativ in 2,12a »so redet und so handelt« werden jetzt an der Gruppe derer in der Gemeinde, die ständig das Wort im Munde führen (müssen), exemplifiziert. Vom Prolog an sieht Jakobus den einzelnen nie vereinzelt, sondern immer als ens individuale et sociale, mag er verstärkt den Aspekt des Tuns wie in 2,1 ff.; 2,13ff.; 3,13ff. oder den Aspekt des Wortes wie in 3,1 ff. behandeln. Immer geht es ihm bei seinen Reflexionen um Indivi dualität oder Sozialität um das Ungespaltensein, positiv gesprochen um Einheit und Ganzheit der ganzen Gemeinde und einzelner in ihr (s. o. den Exkurs »Anthropologie und Theo-logie« nach 1,18). Dies entspricht seiner Glaubensüberzeugung, wonach die Men schen »nach Gottes Ebenbild geschaffen sind« (3,9). Auch in 3,1 ff. entsprechen sich Anthropologie und Theo-logie. Da die kontrastreichen Vergleiche aus Nautik und Botanik, Anthropologie und Zoologie für sich sprechen, sie von entwaff-
nender Argumentationskraft sind, verbietet sich jedes paraphrasierende Wort der Auslegung. Zu beachten ist aber: Gerade weil die Vergleiche so lebendig sind, dürfen sie weder gepreßt noch aus schweifend ausgelegt werden. Sie sind auf den Punkt hin zu befragen, auf den hin Jakobus sie auswählt, sonst hinken sie leicht. Handlungsorientiert verstanden, deuten die überzogenen Formu lierungen auf Mißstände in der Gemeinde, will man nicht die Lust an der Rhetorik zum Maßstab machen. Zur Begründung der Gliederung sei abschließend noch einmal an die antithetische Denkstruktur des Jakobus und an das Prinzip der funktionellen Oppositionen, mit denen er insgesamt seinen Brief gliedert, erinnert sowie an seine Anthropologie, die vom Prolog an den »zwiespältigen/schizophrenen« (1,8; 4,8) und »unbeständi gen« (1,8; vgl. 3,8, wo die Zunge »ein unruhiges/unbeständiges Übel« genannt wird) Menschen im Blick hat, aber auch den »vollkommenen und ganzen« (1,4) Menschen und den, der sich bei allen Anfechtungen »bewährt« (1,12). Zudem soll auch vorweg bereits an dieser Stelle traditionsgeschichtlich festgehalten wer den, daß Jakobus dieses antithetische Denken im Hinblick auf die positiven und negativen Kräfte der Zunge in Jesus Sirach vorgefun den hat. Auch wenn sonst im Kommentar zunächst die Auslegung synchron betrieben wird, mag das hinter 3,1-12 stehende antithe tisch strukturierte Denkmodell vorab genannt werden. Hinsicht lich der Zwiespältigkeit der Zunge fand er es bereits in seiner Tradition vor. Lassen die älteren Sprichwörter das Thema nur einmal nebenbei anklingen (Spr 11,13: »Ein zwiespältiger Mann verrät Geheimnisse der Versammlung«), macht Jesus Sirach es zu einem konstanten Thema, wie folgende Stellen, die auf Jakobus eingewirkt haben, belegen: 5,9
10 11 12 13
Worfle nicht bei jedem Wind, und wandle nicht auf jedem Pfad; so macht es der doppelzüngige Sünder. Sei gefestigt in deiner Gesinnung, und eins sei dein Wort. Sei schnell zum Hören, und in Langmut gib eine Antwort. Hast du die nötige Einsicht, so antworte dem Nächsten; wo nicht, so lege die Hand auf deinen Mund. Ehre und Unehre ist im Reden, und die Zunge des Menschen (kann) ihn zu Fall (brin gen).
14 Laß dich nicht einen Ohrenbläser nennen, und lege mit deiner Zunge keinen Hinterhalt. Denn für den Dieb ist Schmach bestimmt und schlimme Verachtung für den Doppelzüngigen. 15 Im Großen und Kleinen verfehle dich nicht, und aus einem Freunde werde kein Feind; denn ein solcher gewinnt einen schlechten Ruf, Schande und Schmach. Ebenso der doppelzüngige Sünder. 19,16 Mancher verfehlt sich (in Worten), aber nicht von Her zen; wer hätte sich noch nicht mit der Zunge versündigt?! 22,27 Gäbe mir doch jemand ein Schloß vor meinen Mund und auf meine Lippen ein kluges Siegel, damit ich durch dieselben nicht zu Fall komme und meine Zunge mich nicht ins Verderben stürze! 28,11 Ungestümer Streit facht ein Feuer an, und ungestümer Kampf läßt Blut fließen. 12 Wenn du einen Funken anbläst, entflammt er, und wenn du darauf spuckst, verlöscht er und beides geht aus deinem Munde! 13 Den Ohrenbläser und den Doppelzüngigen verfluche; denn viele, die im Frieden lebten, hat er zugrunde gerichtet. 17 Der Schlag einer Geißel hinterläßt Striemen, aber der Schlag der Zunge zerschmettert die Gebeine. 18 Viele sind durch die Schärfe des Schwerts gefallen, aber nicht so viele wie durch die Zunge. 19 Wohl dem, der vor ihr bewahrt bleibt, der ihren Ingrimm nicht erleiden muß, der ihr Joch nicht ziehen muß und mit ihren Fesseln nicht gebunden ist! 20 Denn ihr Joch ist ein eisernes Joch, und ihre Fesseln sind eherne Fesseln. 21 Ein böser Tod ist ihr Tod, und besser, bei den Toten zu sein, als ihr zum Opfer fallen. 22 Über die Frommen bekommt sie keine Gewalt, und sie werden von ihrer Flamme nicht in Brand gesteckt. 23 Die den Herrn verlassen, fallen ihr anheim, und wie ein Panther zerfleischt sie sie.
24 Sieh zu, umzäune dein Grundstück mit Dornen, und verwahre sorgsam dein Silber und Gold! 25 Verwende bei deinen Worten Waage und Gewicht, und bringe an deinem Munde Tür und Riegel an! 26 Hab acht, daß du nicht durch sie zu Fall kommst und nicht hinfällst vor dem, der darauf lauert! Wie Jakobus in 1,19 (»Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden«) Sir 5,11 rezipierte, so den dortigen Kontext in 3,1-12. Zwar bestimmt die Tradition nicht den Text des Jakobus, wohl wird dieser im Licht der rezipierten Tradition thematisch und strukturell noch deutlicher. Der Mensch kann dort wie hier mit der Zunge bald zum Guten, bald zum Schlechten handeln.
1. Von der Gefährdung der Lehrer (3,1-2a) l a : Aufgrund der formkritischen Analyse ist die adverbiale Über setzung im Sinne von »Seid nicht so oft Lehrer/tretet nicht bei jeder Gelegenheit als Lehrer auf« auszuschließen (zu Vertretern vgl. Wanke 491 Anm. 11). »Viele« ist demnach auf »Lehrer« zu bezie hen, so daß der Appell des Jakobus an die Gemeinde lautet: »Nicht viele sollen Lehrer werden«. Der ausdrückliche Grund für diese Warnung steht in l b , thematisch ist er durch den bisherigen Briefinhalt gegeben, traditionsgeschichtlich vielleicht durch Abot 1,1: »Stellt euch viele Schüler auf!« Jakobus setzt in 3,1 rhetorisch wirksam und stark adressatenbezo gen mit dem Appell an die Lehrer in der Gemeinde ein. Sie sind aufgrund ihrer Aufgabe die personifizierten Repräsentanten für das Thema »Positive und negative Macht der Zunge«, das er in 3,1-12 durchbuchstabiert. In 3,13-18 steht dann das Thema »Von der wahren Weisheit« an. Beachtet man dieses semantische Wortfeld, dann ist 3,1 wie 1,2f.; 1,19; 2,1 und 2,14 als Überschrift zu verstehen, mit der Jakobus wie üblich (mit einem Imperativ- oder Fragesatz) medias in res geht. Rhetorisch gebildete Exegeten haben dies schon frühzeitig erkannt (vgl. bes. Cladder, Aufbau 296f.; vgl. auch Baasland, Form 3656 f.). Mehr als das Faktum, daß es bei den Adressaten »Lehrer« gibt, erfahren wir nicht; etwas näher umschreibt Jakobus die Aufgaben der »Altesten der Gemeinde« in 5,14. Von »Amtspersonen« bzw. »Amt« sollte nicht gesprochen werden, da das gesamte N T eine
institutionell mit Macht und Aufgaben ausgestattete, rechtlich klar festgelegte Position im Rahmen gemeindlicher Strukturen noch nicht kennt (vgl. Frankemölle, Amt). Dennoch sagt Vers la (»wir«) etwas über das Selbstbewußtsein des Jakobus, der sich nach l b zum Kreis der Lehrer zählt. Jakobus, der sich im gesamten Brief als rhetorisch und weisheitlich gebildeter Lehrer dokumentiert, umschreibt mit der Aufgabe »Lehrer« zugleich das Ziel aller weis heitlichen Sentenzen und Gnomen, praktische Lebensweisheit zu vermitteln und Hilfe zur Bewältigung des Alltagslebens des einzel nen und der Gemeinde zu bieten. Insofern spiegelt sich in Vers 3,la.b nicht nur das literarische Ideal des Verfassers wider, sondern auch wohl seine eigene pastoralpraktische Wirklichkeit, die das Bewußtsein der eigenen Grenzen einschließt. Vermißt Jakobus diese Einsicht bei »vielen Lehrern«? Unterscheidet er deswegen zwischen Lehrersein und Weiser sein (3,13-18)? Nennt er sie daher nur »Lehrer« und nicht »Weisheitslehrer«? So sehr Lehrer aufgrund ihrer Funktion der Gemeinde gegenüber stehen, gerade Jakobus macht mit 3,1b-18 deutlich, daß sie nicht weniger Teil der Gemeinde sind. Dies gilt auch für ihn selbst als »Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« (1,1). Auch wenn sich im Präskript seine theologische Identität, sein Selbstbewußtsein und sein Selbstwertgefühl andeuten, er sich als besonders legiti mierter Lehrer versteht, zeigen gerade in Kapitel 3 die Appelle an die eigene Einsicht und Erfahrungen der Adressaten und das ausdrückliche gemeindliche Selbstverständnis seiner kirchlichen Identität, wie weit Jakobus vom heute üblichen Amtsverständnis entfernt ist. Dies hat mit dem weisheitlichen Ansatz zu tun, der »Erfahrung aus der Empirie« ist (Preuß, Erwägungen 394), den noch nicht weniger in der frühjüdischen Weisheitsliteratur wie bei Jakobus keine Möglichkeit darstellt, »a-theistisch von Gott zu reden« (ebd.), da dieses Denken bei Jakobus Teil der Schöpfungs theologie, Eschatologie, Theo-Iogie und Christologie ist. l b : Die Erinnerung daran, daß Lehrer »ein strengeres Gericht empfangen werden«, ist konsequent. Dies ist gleichsam ihr »Berufsrisiko«. Heißt es doch in 1,26 von allen: Wenn jemand meint, er sei fromm, obwohl er seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt, dessen Frömmigkeit ist nichtig. Wenn schon alle das Gericht erwarten (vgl. 1,12; 2,12f.; 2,14d.l6d), wobei die Integralität von Wort und Tat, von Glau-
bensbekenntnis und Glaubenspraxis entscheidend ist, so gilt die ser Maßstab erst recht für diejenigen, die von ihrer Funktion her ständig reden müssen. Krina: Urteil/Gericht meint nicht nur »härtere Strafen« (Dibelius 223), sondern das richtende und verur teilende Handeln Gottes. Wohl enthält das Nomen einen stärker aktiven, theozentrischen Aspekt, bildet aber mit dem Begriff krisis: Gericht in 2,13 und 5,12 wie auch mit dem Verbum krinein: richten/urteilen in 2,12; 4,11.12 und 5,9 ein in sich stimmiges Wortfeld. Wie alle Christen wird auch der Redner/Lehrer an seinem Tun gemessen, konsequenterweise in höherem Maße als andere, zumal dann, wenn sie von Vollkommenheit, Ganzheit und von der Weisheit reden, »die von oben kommt« (3,15). Konkrete Gegner und (gnostisierende?) Irrlehrer (so Wanke 492) sind nicht anzunehmen. Daß auch bei Lehrern oft mehr Schein als Sein ist, ist eine allgemeine Erfahrung. Selbstverständlich sind Lehrer auch Menschen mit allen denkbaren Schwächen. Dürfen sie nur dann von Idealen reden, wenn sie sie auch erfüllen? Darf nur der die Maxime »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« einfordern, der sie im Leben verwirklicht? Darf nur der von anderen Vollkommenheit (vgl. 1,4.17.25; 3,2) einfordern, der vollkommen ist? Jakobus ist kein Vertreter, der für einen Ver zicht, von Idealen zu reden, plädiert. Er sieht Ideale, Utopien, ethische Maximen als notwendig an, auch wenn er sich selbst darüber im klaren ist (vgl. 3,2a), sie nicht einlösen zu können. Dennoch bleiben Ideale für ein bestimmtes soziales Verhalten notwendig. Auf menschlicher Seite muß das Bemühen um sie spürbar bleiben, dann werden auch Fehler akzeptabel. Überstei gerte Erwartungen auf Seiten der Gemeinde oder sogar ein Rich ten über nichteingelöste Ideale lehnt Jakobus radikal ab (vgl. 4,11 f.), da das Richten allein Gott zusteht. Viele maßen sich an, anderen den Weg weisen zu können — in der Überzeugung, Erkenntnis und Weisheit zu haben; für sie formuliert Jakobus in 3,13-18 einen strengen Maßstab. Jede selbstgemachte, irdische Weisheit kritisiert er; darin bestätigt er die Polemik Jesu gegen die Schriftgelehrten in Mk 12,37b-40 par Lk 20,45-47 und Mt 23,1-7. Solche Menschen »werden ein um so härteres Gericht erfahren« (Mk 12,40 parr). Ähnlich formuliert Matthäus 12,36 f. in einem Sondergut-Logion: »Ich sage euch aber: Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tage des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen; denn aufgrund deiner Worte wirst du freigesprochen, und aufgrund deiner Worte wirst du verurteilt werden« (zu rabbinischen Parallelen vgl. Billerbeck I 639f.).
2a: Dieser Vers liefert nicht nur die Begründung für Vers la und b, vielmehr nimmt Jakobus in der rhetorischen Figur der Synekdoche/Pars pro toto den Teil für das Ganze, während er inhaltlich gleichsam einen Schluß vom Größeren zum Kleineren zieht (will man hierarchisch denken): Wie alle — so die Lehrer, wenn schon alle - dann erst recht die Lehrer. Der Vers hat deutlich eine Scharnierfunktion; zwar begründet er den Vers 1, doch hat er noch mehr die folgenden Verse schon im Blick (s. o. zur Formkritik). Trotz dieser dienenden Funktion, ist er mit dem Mittel der Allite ration (polla ... ptaiomen) im Griechischen sorgfältig formuliert, was die deutsche Übersetzung sich in vielem verfehlen nachahmen kann. Im übrigen kann ptaio auch die konkrete Bedeutung strau cheln/einen Fehltritt tun haben, wird aber an allen 5 Stellen im NT, wo das Verb vorkommt (vgl. auch Jak 2,10), in übertragenem Sinn verstanden. Aufgrund der bislang entfalteten Ambivalenz in der Anthropologie des Jakobus (vgl. den Exkurs »Anthropologie und Theo-Iogie« nach 1,18) ist die lakonische Auskunft des Jako bus, daß die Lehrer wie alle Gemeindemitglieder keineswegs feh lerlos sind, nur konsequent. O b Jakobus hier an Sir 19,16 denkt (»Wer hätte sich nicht mit seiner Zunge versündigt?«), bleibe dahingestellt. Eher ist von der allgemeinen Erfahrung der jüdischen und griechischen Menschen von ihrer Unvollkommenheit auszuge hen. Der Gedanke, daß der Mensch ein Sünder ist, ist auch für das Neue Testament ein solcher Gemeinplatz, daß er nicht belegt werden braucht; ohne diese Voraussetzung verlöre jede Rede von der Erlösung des Menschen durch Tod und Aufweckung Jesu oder der Gedanke einer besonderen Erwählung des Menschen durch Gott (vgl. 1,18; 2,5) ihren Sinn. Hier für Jakobus über Sirach hinaus im einzelnen rezipierte Traditionen nachweisen zu wollen, ist aufgrund der Verbreitung dieser Gedanken in der Schrift und im sonstigen Frühjudentum wie auch in der antiken und urchristlichen Literatur unmöglich.
2. Von der positiven Macht der Zunge (3,2b-5b) Bereits in 1,26 formuliert Jakobus in Rückgriff auf den Themavers in 1,19 die These, daß die Beherrschung der Zunge »als die entscheidende sittliche Aufgabe« (Dautzenberg 607) gedacht wird:
Wenn jemand meint, er sei fromm, obwohl er seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt, dessen Frömmigkeit ist nichtig. Was dort thetisch formuliert wird, wird in 3,2b ff. begründend amplifiziert, zunächst positiv (3,2b-5b), dann negativ (3,5c-8b). Die Gegenüberstellung ist nicht nur antithetisch, sondern auch extrem asyndetisch (was aber dem bisherigen Denken des Jakobus entspricht). Diese adversative Denkform war bereits in der Weis heitsliteratur formal und inhaltlich vorgegeben, wie Sir 37,16-18 belegt. 16 Der Anfang eines jeden Werks ist das Wort, und vor allem Handeln ist die Beratung. 17 Die Wurzel der Pläne ist das Herz, vier Zweige sprossen (daraus) hervor: 18 Gutes und Böses, Leben und Tod; was vollständig über sie gebietet, ist die Zunge. Da nach Jesus Sirach (vgl. 15,17) und Jakobus (vgl. 1,13 ff.) das menschliche Herz Quelle des Guten und Bösen ist, kommt im Bereich des sprachlichen Handelns der Zunge eine beherrschende Stellung zu (vgl. Sir 5,12-6,5; 20,18-26; 22,27-23,6; 28,17-26). Bei der Sentenz, daß sich in der »Zunge« Heil bzw. Unheil des Menschen entscheidet, konnte Sirach bereits auf Spr 18,21 zurück greifen (vgl. auch 13,3 und 21,23): Tod und Leben stehen in der Gewalt der Zunge. Gemäß dieser Alternative behandelt Jakobus zunächst den Aspekt des Lebens, dann den des Todes, um abschließend beide Möglich keiten der ambivalenten Zunge — wohl gemäß der eigenen Erfah rungen in der Gemeinde — zusammenzufassen, wobei jedoch sein pragmatischer Impuls eindeutig ist. Gemäß seiner Anthropologie ist Jakobus optimistisch, daß trotz aller Ambivalenz und aller Mangelzustände (vgl. l,5-6a) die Adressaten die von Gott geschenkte Möglichkeit zur Vollkommenheit haben. Dieser posi tive Ansatz entspricht dem von Jakobus in Form und Thematik rezipierten Text in Sir 28,13-26, näherhin den Versen 18 f. und 21 f.:
18 Viele sind durch die Schärfe des Schwertes gefallen, doch nicht so viele, wie durch die Zunge zu Fall gekom men sind. 19 Glücklich ist der, der vor ihr bewahrt blieb, der nicht hineingeriet in ihren Zorn, der nicht zieht ihr Joch und mit ihren Banden nicht gebunden ist. 21 Ein schlimmer Tod ist der, den sie bewirkt, und besser ist die Unterwelt als sie. 22 Nicht herrscht sie über Fromme, und in ihrer Flamme werden sie nicht verzehrt. Wie die Texte von Jesus Sirach sind auch die Verse des Jakobus bild- und traditionsgesättigt. Ohne einen Bildvergleich steht ledig lich am Anfang die Hauptthese: Wer sich im Wort nicht verfehlt, ist vollkommen. Könnte dieser Satz als einzelne Sentenz mißver ständlich, d. h. rein individualistisch verstanden werden, so hatte der bisherige Kontext durch die Thesen »Werdet Täter des Wortes« (1,22) und »So redet und so handelt« (2,12) gemäß dem »Gesetz der Freiheit«, in dem das rechte Glaubensbekenntnis durch die rechte Glaubenspraxis erwiesen wird (2,14-26), diese Vorstellung sozialethisch und handlungsorientiert interpretiert. Ähnlich ein deutig ist auch eine philosophisch-stoische Vorstellung von »voll kommen« von Anfang des Jakobusbriefes an ausgeschlossen, da es Jakobus um eine »von Gott« geschenkte Vollkommenheit und Weisheit geht (vgl. 1,4.5.17 mit 3,15). Wie nach 2,10 die Erfüllung des ganzen Gesetzes an der Erfüllung eines Gebotes hängt, so erweist sich die Integrität des einen, »ganzen und vollkommenen« Menschen (1,4) in der Beherrschung des Wortes und der Zunge. Ob jemand ein beherrschter, im Herzen aufrichtiger Mensch ist, erweist sich in der kontrollierten und gezähmten Zunge. Wie in 2,14-26 Werke Zeichen des Glaubens sind, das Innere des Men schen offenbaren, so hat nach Jakobus auch die Zunge Zeichencha rakter für das Herz des Menschen. So jemand an einem Punkt — etwa im Wort — nicht vollkommen wäre, wäre er es gar nicht (zur Logik s. o. zu 2,10 f.). Dieser etwas abstrakte Gedanke wird in 2d — ohne Zweifel im Hinblick auf die folgenden Vergleiche in 3 ff. — schon in einem Bild umschrieben, dessen Elemente ganz aus Vers 3 entnommen sind. Denn es entsprechen sich aus 2d die Wendungen im Zaum
halten (vgl. 1,26) und den ganzen Leib mit den Wendungen in 3a den Pferden den Zaum in die Mäuler legen und in 3c den ganzen
Leib (der Pferde). Wie stark 2d auf die sprachschöpferische Kraft des Jakobus zurückgeht, zeigt auch die Tatsache, daß das Verbum »im Zaume halten« im N T ansonsten nicht belegt ist. Dies bestätigt die Vermutung, daß bereits Verbum und Bild in 1,26 auf 3,3 hin formuliert wurden. Ein isoliertes Lesen der Verse im Jakobusbrief verbietet sich. Übereinstimmend ist auch die Art der Argumenta tion: In 2d wie in 3-4 verwendet Jakobus das Schluß verfahren a minore ad maius: Der Leser ist gefordert, der Logik zu folgen. Jakobus will nicht nur mahnen (dann wäre sein Brief eine Parä nese), vielmehr will er mit vernünftigen Gründen und einleuchten den Argumenten begründen, warum die Erfüllung seiner Appelle zu einem sinnvollen Leben in der Gemeinschaft notwendig ist. Daß daneben theo-logische Gründe nicht fehlen (vgl. 3,9), sei ausdrück lich bemerkt. 3-4: Der erste Vergleich stammt aus der alltäglichen Erfahrung der Adressaten; daher redet Jakobus von »wir« (anders Vers 4: nicht jeder ist Steuermann eines großen Schiffes). Die Sache, um die es im ersten und zweiten Vergleich geht, wird im gemeinsamen Verbum metagein: lenken/in eine andere Richtung lenken fest gehalten. Da auch dieses Verbum im N T für Jakobus singulär ist, deutet sich in dieser redaktionellen Zusammenbindung die sachli che Parallelität der Verse 3-4 an. Wie die Zügel bei den Pferden, so lenkt ein ganz kleines Steuer ... Schiffe, so groß sie auch sind und würden sie von noch so heftigen Winden hin- und hergetrieben. Daß es letztlich nicht die Zügel und das kleine Steuer sind, die all dies bewirken, sondern der Wille des Menschen, macht Jakobus durch eine schöne Inklusion zwischen 3a und 4d deutlich, da hier wie dort die Aktivität und der Wille des Menschen als letzte Ursache betont werden. Sieht man diese Parallelität und den Kon text, dann kann in 4d das seltene Substantiv horme: Absicht/ Trachten/Eifer/Begier (im N T sonst nur in Apg 14,5 belegt) nicht negativ und pessimistisch als »Willkür« (so T h W N T 5, 1954, 471), sondern nur positiv als »Absicht des Steuernden« (so Bauer-Aland 1178) verstanden werden. Der Schluß für den Leser kann nur lauten: Wer die Macht über die vergleichsweise sehr kleinen Steue rungsmittel hat, sie beherrscht, beherrscht auch große Dinge. Nicht anders steht es um die Zunge im Vergleich zum ganzen Menschen (zur Tradition der Bilder s. u. zu 5a.b). 5a-b: Akzeptiert man den bisherigen Gedankengang, dann ist die Folgerung in 5a So ist auch ... als Inklusion zu 2b-d unmißver ständlich: Wie in den Vergleichen vermag auch im anthropologi schen Kosmos die kleine Zunge den »großen und ganzen« (3c.4a)
Leib beherrschen. Da 5b parallel zu 2d zu interpretieren ist, sollte auch das Verbum in 5b auchein: rühmen (im N T wiederum nur hier belegt) positiv verstanden werden, während es in der antiken Literatur auch den negativen Akzent im Sinne von »prahlen« haben kann. Wie bewußt Jakobus formuliert, zeigen die Alliteration und das schöne Wortspiel zwischen 5a und b: melos: Glied — megala: Großes. Wie Zaumzeug und Steuer vermag auch die Zunge — bei entsprechender Beherrschung — wirklich Großes. Daran läßt Jako bus keinen Zweifel, wie auch 3,9a belegt: »Mit ihr preisen wir den Herrn und Vater«. Traditionsgeschichtlich ist zu bemerken: Mit dieser positiven Deutung von Zunge, Zaumzeug und Steuerruder stimmt Jakobus mit einer breiten ägyptischen (vgl. Herrmann), jüdischen und griechischen Tradition überein (letztere wurde umfassend von Dibelius in Zusammenfassung und Weiterführung der Arbeiten von Wettstein, Spitta, Major und Geffcken zusammengestellt: 227233). Vor allem die Bilder von den Pferden und von den Schiffen sind Gemeinplätze des allgemeinen Bildungsgutes, so daß eine bestimmte Tradition für Jakobus kaum nachzuweisen ist, während er für den Gedanken in 2b-d sowie für die antithetische Gesamt konzeption u. a. Sir 28,13-26 rezipiert haben dürfte. Alle antiken Parallelen verstehen die Vergleiche vom Zaumzeug und vom Schiffssteuer positiv, wie auch Dibelius (227) anerkennt. Dennoch interpretieren er und seine Nachfolger (vgl. etwa Mußner 161; Schräge 39f.; Schnider 84; Hoppe 77 u. a.; vgl. auch T h W N T 5, 1954, 471 f.) die Verse 3,2b-5b von den Ausführungen in 5c-8b her. Methodisch verläßt Dibelius erstaunlicherweise seine isolierte Vers-für-Vers-Auslegung und präsentiert sich als ein Vertreter der Kontext-Interpretation, ohne allerdings das semantische Prinzip der funktionellen Oppositionen im Jakobusbrief zu sehen. Sieht man diese antithetische Denkstruktur, dann gilt: Jakobus biegt die Tradition nicht um, akzentuiert sie semantisch nicht ins Gegenteil, vielmehr argumentiert er ganz von der Uberzeugung her, daß ein »vollkommener« Mensch (3c) dann, wenn er die Zunge im Zaum halten kann, auch den ganzen Leib im Zaum hält. So entspricht es seiner Anthropologie, auch wenn er durchaus die Augen vor der Wirklichkeit (s. u. zu 3,8) nicht schließt. Dennoch ist er der Uberzeugung, daß ein Mensch, der seine Affekte beherrscht, wie ein Reiter und Steuermann Pferde und Schiffe in die Richtung lenken kann, die er möchte. Mit 10b könnte man seine Gesamtin tention so umschreiben, daß das Gegenteil — so lautet die These des Jakobus - meine Brüder, nicht geschehen darf. Von Anfang
seines Briefes an sieht er zwar die »mannigfachen Prüfungen« der Christen (1,2b). Diese sollen aber nicht zur Resignation führen, vielmehr »Standhaftigkeit des Glaubens« bewirken (1,3b), diese wiederum »ein vollkommenes Werk« (1,4a) mit dem Ziel, »damit ihr (selbst) vollkommen und ganz seid« (1,4b). Integrität, Voll kommenheit und Ganzheit sind die individuellen und sozialen Grundvollzüge, von denen Jakobus möchte, daß seine Adressaten sie verwirklichen. Entsprechend der oft überraschenden eigenen Erfahrung formu liert Jakobus rhetorisch gekonnt formal und inhaltlich die gegentei lige Erfahrung in einer abrupten und asyndetischen Weise, die nicht mehr zu übertreffen ist. Bevor darauf eingegangen wird, sei - bei aller Antithetik des Jakobus — das anthropologische und ekklesiologische Ziel, das er mit seinem Brief anstrebt, umschrie ben; dies läßt sich nicht besser als mit dem Begriff »vollkommen« angeben.
Exkurs 9: »Vollkommen« nach Jakobus Literatur: S. o. die Literatur zum Exkurs nach 1,6a: Glaube, zum Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo-logie, zum Exkurs nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit« sowie zum Exkurs nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus. Außerdem: Blondel, J. L., Le fondement theologique de la parenese dans l'Epitre de Jacques, in: RThPh 111(1979) 141-152. - Delling, G., teleios u. a., in: T h W N T 8(1969) 68-85. - Frankemölle, Gespalten oder ganz. — Hoppe, Hintergrund 26-33. — Hübner, H., teleios vollständig, vollkommen, erwachsen, in: E W N T 3(1983) 821-824. - Ders., teleioo vollenden, in: ebd. 825-828. - Luck, U., Die Vollkommenheitsfor derung der Bergpredigt, München 1968. — Obermüller, R., Hermeneuti sche Themen im Jakobusbrief, in: Bibl 53(1972) 234-244. - Plessis, P. J. du, Teleios. The Idea of Perfection in the New Testament, Kampen 1959. - Prümm, K., Das neutestamentliche Sprach- und Begriffsproblem der Vollkommenheit, in: Bibl 44(1963) 76-92. - Schneider, G., Imitatio Dei als Motiv der »Ethik Jesu«, in: Neues Testament und Ethik. FS R. Schnacken burg, Freiburg 1989, 71-83. — Winter, M., Pneumatiker und Psychiker in Korinth. Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund von 1. Kor. 2,63,4, Marburg 1975. — 2mijewski,J., Christliche »Vollkommenheit«. Erwä gungen zur Theologie des Jakobusbriefes, in: A. Fuchs (Hrsg.), Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt (A 5), Linz 1980, 50-78. Notiert man zunächst jene Wörter und Wortverbindungen, die einer etymologischen Wurzel angehören, sind — unter Beachtung des Kontextes und von Syntagmen — an Adjektiven zu nennen: »Die Standhaftigkeit soll
ein vollkommenes Werk haben, damit ihr (selbst) vollkommen und ganz seid« (l,4a.b). »Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk ist von oben, es kommt herab vom Vater der Lichter« (l,17a-c). »Wer aber hineingeschaut hat in das vollkommene Gesetz der Freiheit und dabei verharrt, wird ... selig sein in seinem Tun« (l,25a-d). »Wenn einer sich im Wort nicht verfehlt, ist dieser ein vollkommener Mann« (3,2b-c). An weiteren wichtigen Begriffen der Wortfamilie sind Verben zu nennen: »Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt/vollendet gemäß dem Schriftwort: >Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst<, handelt ihr gut« (2,8). Im Hinblick auf das den Glauben offenbarende Tun des Abraham heißt es: »Der Glaube wirkte mit seinen Werken zusammen, und aus den Werken wurde der Glaube vollendet« (2,23). In negativem Sinn ist ein Verbum compositum in 1,15b belegt: »Die Sünde aber, voll ausgereift/vollendet, gebiert den Tod«. Ob das Substantiv telos: Vollendung/Ziel, oft mit »Ende« übersetzt, in 5,11 (»und die Vollendung, die der Herr bewirkte, habt ihr gesehen«, ausgesagt von Ijob), in diesen Kontext gehört, ist in der Literatur zwar umstritten (s. u. zu 5,11), vom dortigen Kontext und von der gesamten Wortverwendung im Jakobusbrief her jedoch angemessen. Auch die theozentrische Grundstruktur des Jakobusbriefes - nicht nur im Prolog und Epilog (vgl. bes. 1,17 mit 5,11) mit der These: Gott ist es, von dem die Ermöglichung allen Handelns der Christen ausgeht — bestätigt eine solche Deutung (zur Theozentrik s. o. den Exkurs nach 1,18: Anthropolo gie und Theo-Iogie). Bereits dieser Überblick über die Wortfamilie gibt deutliche Akzente in der Konzeption des Jakobus an. Die Vorstellung von der Vollkommenheit Gottes, die vor allem in der paganen griechischen Literatur breit belegt ist (vgl. Delling 69-71), und die dort damit verbundene Forderung, Gott nachzuahmen und sich ihm anzugleichen, die in der Bibel des Alten Testaments fehlt (vgl. Schneider 74), rezipiert Jakobus nicht. E r versteht den Begriff »vollkommen« anthropozentrisch wie in der Bibel und vor allem in Qumran (vgl. Delling 73 f.) — aber mit eigenen Akzenten. Er bindet die Wortfamilie an die Ethik (1,4a), an die Nächstenliebe (2,8), an die Wahrhaftigkeit im Wort (3,2), aber auch an das Sein des Menschen (1,4b) und an die Tora (1,25), die wie »jede gute Gabe und jedes vollkom mene Geschenk« (1,17) dem Menschen von Gott angeboten wurde (damit dürfte die von Gott bewirkte Vollendung des Lebens Ijobs in 5,11 überein stimmen). Jakobus verbindet also die Wortfamilie »vollkommen« mit den wichtigsten theologischen Begriffen seines Briefes wie Werk/tun (1,4; 2,22), Glaube (2,22), Gesetz (1,25; 2,8), wobei es ihm in jedem Fall in dem Sinne um den Gedanken der Vollkommenheit geht, daß zwei Größen »ungespalten«, integral gesehen werden (hören und tun, Glaube und Werk, Bekenntnis und Ethik). Aber nicht nur hier darf es keinen Zwiespalt, sondern muß es im Gegenteil Ganzheit und Ungeteiltheit geben. Jakobus verbindet — und dies ist elementar für seine theologische Konzeption — die Wortfamilie »vollkommen« auch mit der Anthropologie (1,4b; 3,2c) und mit der Basis seines Entwurfes, der Theozentrik (1,17; 5,11). Nach Jakobus
kommt wirklich »jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben« (l,17a.b), also von Gott, als da sind: die Existenz des Kosmos mit den Gestirnen (1,17c), die Existenz der Menschen und aller Geschöpfe (1,18), das den Menschen eingepflanzte Wort (l,18a.21b), das mit dem vollkommenen Gesetz der Freiheit identisch ist (1,25a), aber auch die Weisheit (1,5) und die Vollendung menschlichen Lebens und Anrechnung eines Glaubens, der in Werken be-glaubigt wird (2,22.23.25; 3,13-18; 5,11 u. a.). Gott ist in seinem Wirken zuverlässig und treu, er wirkt, worum er gebeten wird (1,5; 4,2-3; 5,17-18), er »gibt allen vorbehaltlos/einfach und ohne zu nörgeln« (1,5c) — so entspricht es seinem unwandelbaren Wesen (l,13c.l7d). »Gott ist Einer, und der Mensch ist auch Einer (2,19). Körper und Geist sind Ein lebendiges Wesen, es ist sinnlos, sie zu unterscheiden (2,26; 3,9). Die Bestimmung des Menschen ist, ein Ganzes zu sein, ein Gezieltes, ein Vollständiges (1,4). Wollte man nur zur Hälfte ein Christ sein, also in der Gemeinde mit einer Hälfte, in der Welt mit einer andern, kann man nicht einmal mehr beten (1,6-8) und bleibt auf halbem Wege stehen. So wird der Mensch von seiner Zielvorstellung her bestimmt und entsteht die teleologische Anthropologie des Jakobus, als Korrelation sei
ner Eschatologie« (Obermüller 238). Bereits diese kurzen Hinweise zeigen: Die Korrelation von Anthropologie und Theo-logie (vgl. weiter den Exkurs nach 1,18) wird prismatisch im Begriff »vollkommen« gebündelt. Gott schenkt den Glaubenden die Ermöglichung zur Vollkommenheit, die Glaubenden haben in und trotz aller ambivalenten Erfahrungen (vgl. 1,2-10 und die Amplifikationen im Brief) das Geschenk Gottes nicht nur anzunehmen — analog dem von Gott »eingepflanzten Wort« in 1,21 —, sondern es auch im Tun zu verwirkli chen. Sie können dies, weil Gott die Ermöglichung dazu gibt. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch das gesamte Wortfeld, also die Gruppe von Wörtern inhaltlicher Zusammengehörigkeit, die mit ihren Bedeutun gen den Begriff »vollkommen« begrenzen und überlappen. Durch ein solches Wortfeld, das im einzelnen von Synonymen und Antonymen geprägt ist, wird die Anthropologie und Theo-logie des Jakobus auch in ihrer Antithetik entscheidend strukturiert. Dies sei wenigstens am Prolog angedeutet (zu den Amplifikationen vgl. den Exkurs 1 nach 1,4). Christen erfahren »mannigfache Prüfungen/Versuchungen/Erprobungen« (1,2). Einige haben Mangel an Weisheit (1,5), Mangel an Glauben (1,6a), sie werden als Zweifelnde wie eine »Meereswoge vom Winde gepeitscht und umhergetrieben« (1,6b), sie sind »zwiespältig und unbeständig« (1,8), sowohl der »niedriggestellte/arme« Christ (1,9) wie der »reiche« Christ (1,10-11) haben ein gestörtes Selbstbewußtsein, was im Verlaufe des Briefes elementare negative Auswirkungen auf das zwischenmenschliche Verhalten freisetzt. Die Gegenthese zu dieser ambivalenten, existentiellen und ekklesiologischen Grunderfahrung lautet: Seid als Christen und als christliche Gemeinde vollkommen und ganz und handelt ebenso, indem ihr den Glauben in Werken und das Bekenntnis in Solidarethik verwirklicht, euch als wirkliche Geschöpfe Gottes ohne gespaltene Zungen erweist — und wie
immer Jakobus das Thema im Verlaufe des Briefes variiert. Bei allem zeigt sich, daß er nicht abstrakt über »Vollkommenheit« als Tugend reflektiert, sondern über »vollkommen« als anthropologische Grunddimension in der individuellen und sozialen Existenz des Menschen. Dies ist für Jakobus keine statische Angelegenheit, vielmehr versteht er in seinem Konzept vom Menschen als Existenz im Werden auch »vollkommen« dynamisch. Indem der Mensch Gott um die Gabe der Weisheit bittet, kann er und soll er »aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit« (3,13) vor den Menschen und vor Gott zeigen. Jakobus setzt also deutlich Lernprozesse sowie ein Voranschreiten der Adressaten voraus. Der Begriff der Bewäh rung (1,12b) und der Begriff »vollkommen« sind wichtige Elemente dieses dynamischen Menschenbildes. Versteht man den Begriff »vollkommen« in der angedeuteten Weise umfassend in seinem theozentrischen, anthropologisch-existentiellen und anthropologisch wie ekklesiologisch handlungsorientierten Sinn, dann ist der Begriff ein »>Schlüsselwort<, wenn nicht sogar das >Schlüsselwort< überhaupt« für den Jakobusbrief (Zmijewski 52; zustimmend Hübner 824). Diese Verwendung kennzeichnet Jakobus vor allen anderen Auto ren im Neuen Testament. Dies vor allem deswegen, weil er alle Aspekte seines theologischen Konzeptes mit diesem Wortfeld verbindet (zur Begründung vgl. vor allem Zmijewski), es aber auch zur Basis seiner Anthropologie, Theo-Iogie und Ethik macht. Schon der Gedanke, daß der Mangel an Weisheit nur von Gott aufgehoben werden kann (1,5) und der Erweis der Weisheit und des Glaubens durch Werke als Zeichen vor Gott und den Menschen offenbar wird (vgl. bes. 3,13-18; zu dieser Grundstruktur neutestamentlicher Theologien, auch des Paulus, vgl. Heiligenthal, Werke als Zeichen), bestätigt, daß die Konzeption des Jakobus weder gnostisch (zu Vertretern vgl. Dibelius 40 f.) noch stoisch (s. o. zu 1,4) noch nomistisch (wie in einigen protestantischen Deutun gen; s. o. den Exkurs nach 2,24), sondern nur weisheitstheologisch zu verstehen ist. Durch die Konzentration auf die Tora in der Perspektive des Liebesgebotes und der königlichen/basileiagemäßen Tora (2,5.8) rezi piert Jakobus aber auch — analog zu Matthäus — älteste Jesustraditionen, die mit genuinen prophetischen und weisheitlichen Überzeugungen des Judentums konvergieren. Im Anspruch an menschlichen Glauben und menschliches Handeln ist Jakobus radikal wie Jesus; dabei ist auch bei Jakobus die Ethik »keineswegs der Ausdruck eines theologischen Mangels, sondern wohl eher eine Darle gung der notwendigen Wechselbeziehungen zwischen einem authentischen Glauben und einem konsequenten Handeln. ... Die Auffassung, die Jako bus von Gott hat, ähnelt der Grundlage des jüdischen Glaubens, welcher auf der Einheit Gottes basiert, er ist der Herr, der die >Weisheit< schenkt (1,5; 3,17). Diese Gabe ist kein Vorwand, um Passivität zu rechtfertigen, sondern ein Imperativ, der zur Vollkommenheit drängt (1,4.22), denn derjenige, der das >Gesetz der Freiheit (1,25) schenkt, ist auch der eschato logische Richter (2,22). Dieser Gott ist dennoch nicht ein strenger Richter,
sondern ein mitfühlender Herr (5,11), der den Armen, die keinen anderen Reichtum als ihn haben, Gnade zukommen läßt (2,5)« (Blondel 144 f.). Hier wird im Ansatz deutlich gesehen, daß der Appell zur Vollkommenheit im Glauben an Gottes Sein und Handeln gründet, von dem die ganze Konzeption des Jakobusbriefes getragen ist, da durchgehend das unvoll kommene christliche und kirchliche Sein und Handeln deutlich in Korrela tion steht zum vollkommenen Sein und Handeln Gottes (zu dieser Opposi tion und zum dadurch strukturierten semantischen Netz des Jakobusbriefes s. o. den Exkurs 1). Ziel des Jakobus ist ein vollkommenes Christsein im individuellen und im zwischenmenschlich-ekklesiologischen Bereich. Der inneren Gespaltenheit, der Schizophrenie, geht ein unwürdiges, zwischen menschliches Gespaltensein (vor allem zwischen Armen und Reichen) parallel. Die Aufhebung der verschiedenen Dimensionen des Gespalten seins ist das durchgehende Aktionsziel des Jakobus, positiv formuliert: Ihm geht es im ganzen Brief um Vollkommenheit: im Verhältnis des Menschen zu Gott, in seiner anthropologischen Struktur und im Verhältnis der Adressaten zu den Mitmenschen und zur Welt (s. u. auch die Exkurse nach 4,3: Vom Beten sowie nach 4,4: »Welt« bei Jakobus). Hatte Jakobus in Kapitel 1 betont, daß der »Hörer des Wortes« und der »Täter des Wortes« bzw. der »Täter des Werkes« zusammengehören (1,22 f.25), ebenso in Kapitel 2, daß er sich weder einen »Glauben ohne Werke« (2,14) noch »Werke ohne Glauben« (2,18) denken kann, so steht in Kapitel 3 die Integrität und Ganzheitlichkeit des in der weisheitlichen Literatur vielverhandelten Themas der leider doppelzüngigen Zunge an. Wie der Mensch insgesamt seelisch nicht »zwiespältig: dipsychos« sein soll (1,8; 4,8d), so sollte er auch nicht »doppelzüngig: diglossos« (Sir 5,9.14; 6,1; 28,13) sein, wie Jakobus in Rezeption von Sirach — speziell im Hinblick auf den Lehrerstand in der Kirche (woraufhin Beda Venerabiiis den gesamten Jakobusbrief im Hinblick auf seine Mönchsgemeinde auslegt; s. o. Einleitung 2.6c) betont. Die negativen Erfahrungen (3,5c-8), die sich für die Adressaten vielleicht als übermächtig erweisen, dürfen es und brauchen es jedoch nicht zu sein, da dem der Glaube an die schöpfungsge mäße Verfaßtheit des Menschen entgegensteht (3,9-12). Sie impliziert nach Jakobus die Fähigkeit des Menschen zur Vervollkommnung im individuel len Sein und in dem nach außen gerichteten Tun. Weil Jakobus ganz theozentrisch in seinem Denken orientiert ist, denkt er optimistisch über den Menschen, mögen auch die Erfahrungen, wie nicht nur die folgenden Verse 3,5c-8 zeigen, sehr ambivalent oder sogar negativ sein.
3. Von der negativen Macht der Zunge (3,5c-8) Literatur: Van den Bergh — van Eysinga, De Tong ... en Erger! Proeve van Verklaring van Jakobus 3, vs. 6, in: Nieuw Theologisch Tijdschrift 20 (1931) 303-320. - Elliott-Binns, E. I . , The Meaning of hyle in Jas. III.5, in: NTS 2(1955/56) 48-50. - Kittel, G., Ton trochon tes geneseos (Jak 3,6),
in: ders., Die Probleme des palästinischen Spätjudentums und des Urchri stentums, Stuttgart 1926, 141-168.
5c: Wie in 4a wird durch siehe ein neues Beispiel für die These von der großen Wirkung kleiner Dinge gebracht, diesmal jedoch für verheerende Wirkungen. Rhetorisch erzeugt eine solche asynde tisch angeschlossene Antithese eine starke Spannung, die jedoch der anthropologischen Grunderfahrung des Menschen entspricht, wie die Verse 6 und 8, vor allem jedoch 9 und 10 belegen. Der Sache nach geht es beim Argument e contrario durchaus um das bislang behandelte Thema. Der Vergleich der Wirkung eines kleinen Feuers für einen großen Wald ist so einleuchtend (was auch die Partikel »siehe« andeuten mag; vielleicht appelliert sie auch an die persönlichen Erfahrungen der Adressaten), daß sich jedes Wort der Auslegung erübrigt. 6a-e: Die bildsprachliche Dimension dieser Sentenzen lebt wie die der vorherigen und nachfolgenden ganz aus der hellenistischen Popularethik wie auch aus jüdisch-weisheitlichen Traditionen. Mit Recht charakterisiert Windisch die Verse 3,1-12 als »eine jüdische Weisheit und griechische Diatribe verbindende kleine Abhand lung« (21). 6a: Doch zunächst zur synchronen Lektüre des Verses, womit durchaus die Sprechintention des Jakobus deutlich wird. Im Gegensatz zur bisherigen Aussage von der positiven Macht der Zunge, mit ihr den ganzen Menschen beherrschen zu können wie ein Pferd durch Zügel und ein Schiff durch das Steuer, kann die Zunge ebenso hinsichtlich des ganzen Leibes (vgl. die Wiederauf nahme dieser Wendung aus 2d und 3c in 6c) einem Feuer vergleich bar den ganzen Menschen entflammen — und zwar im zerstöreri schen Sinn. Diese bedrohliche, den ganzen Menschen negativ beherrschende Macht der Zunge wird auch in den weiteren Verstei len 6c-e formal in vielfacher bildlicher Variation, thematisch in großer Eindeutigkeit beschrieben. Dies ist unzweifelhaft, mag auch die einzelne Wendung in sich nur schwer verständlich sein. Auch der Blick auf traditionsgeschichtliche Vorlagen für Jakobus hilft nur bedingt zum besseren Verständnis einzelner Wendungen wei ter. Daß die Zunge ein Feuer ist, also nicht nur in ihrer Wirkung damit verglichen wird, daß sie vielmehr aktiv den Menschen verbrennt/ ansteckt, hat Jakobus in seiner Vorlage Sir 28,13-26 vorgefunden, wo die Zunge durchgehend als handelndes Subjekt auftritt:
22 Nicht herrscht sie (die Zunge) über Fromme, und in ihrer Flamme werden sie nicht verzehrt. 23 Die den Herrn verlassen, verfallen ihr und sie brennt in ihnen und erlischt nicht. Einige Zeilen vorher heißt es in 28,8-12: 8 Halte dich fern vom Streit, so wirst du die Sünde verrin gern; denn ein jähzorniger Mensch zündet Streit an, 9 und ein Mann, der Sünder ist, bringt Freunde durcheinan der, und mitten zwischen Friedfertige wirft er Verleumdung. 10 Je nach dem Holz, das man ins Feuer wirft, brennt es, und je nach der Stärke des Streits brennt e r . . . 11 Ungestümer Hader facht ein Feuer an, und ein ungestümer Streit führt zu Blutvergießen. 12 Wenn du einen Funken anbläst, wird eine Flamme daraus, und wenn du darauf spuckst, so verlöscht er und beides kommt aus deinem Munde! Während Jakobus den Gedanken, daß aus demselben Mund so unterschiedliche Wirkungen kommen können, erst in 3,10 rezi piert, er das Thema »Streit« erst in 4,1 ff. entfaltet, geht es ihm in 6a und d zunächst um die verheerende Feuersglut, die die Zunge im Menschen entfachen kann. Deutlich herrscht die inneranthropolo gische Perspektive vor. Jakobus reflektiert hier noch nicht die Außenwirkungen zum Mitmenschen, sondern die katastrophalen Auswirkungen im Menschen als einer Welt im kleinen. Was Jesus Sirach von der Leidenschaft sagt (23,17) Hitzige Begierde brennt wie Feuer, sie erlischt nicht, bis ihre Seele völlig aufgezehrt ist. Der Mensch, der am Leibe seines Fleisches Unzucht treibt, hört nicht auf, bis das Feuer ausgebrannt ist, überträgt Jakobus auf die Unbeherrschtheit der Zunge, auf »ihre zerstörerische Gewalt und schwer zu zügelnde Vernichtung« (v. Gemünden 35). Eine ähnliche Identifizierung der Zunge mit dem Feuer findet sich in den Psalmen Salomos (etwa 63-30 v. Chr.), wo es in 12,2f. heißt:
2 Die Worte auf der Zunge eines Frevlers sind vielgewandt, wie in dem Brand das Feuer seine Glut entfacht. 3 Er setzt in Brand mit lügnerischer Zunge Häuser, so ist der Schrecken, den er macht, und zündet grüne Bäume an, bringt sie zu Fall aus Lust am Bösen, verwickelt Häuser frevlerisch in Krieg durch giftige Reden. Solche weisheitlichen Traditionen (vgl. auch Spr 16,27; 26,21) scheinen für Jakobus die bildsprachlichen Spendertexte gewesen zu sein, während philosophisch-theologische Texte mit dem Vergleich zwischen den Leidenschaften und dem Feuer als Tradition für Jakobus wohl nicht in Frage kommen, zumal wenn sie jüngeren Datums sind. Jakobus bleibt ganz im bildsprachlichen Bereich der Metapher »Feuer« (wie sie bei Jesus Sirach vorgegeben ist), wäh rend eine nochmalige Allegorisierung von Feuer als Bild für Lei denschaften nicht angedeutet ist. Diese ist im übrigen in der gesamten Antike (vgl. Dibelius 233 f.) und auch in der rabbinischen Literatur belegt (vgl. Billerbeck III 756). Auffällig ist die Abfolge der Bilder von Wagenlenker, Steuermann und Feuersbrunst bei Philo (All III 223 f.), allerdings sind die Bilder anders gewendet. Demnach beherrscht der Geist die Sinn lichkeit im Menschen wie Wagenlenker und Steuermann; gewinnt dennoch die Sinnlichkeit die Herrschaft, entsteht ein Feuer, das den Geist verbrennt. Die ca. 15 Belege bei Philo von Alexandrien hinsichtlich der Zusammenstellung von Steuermann und Wagen lenker/Reiter wie auch die einmalige Zusammenstellung von Wagenlenker, Steuermann und Feuersbrunst ist sicherlich auffällig, ebenso die Funktion dieser Bilder mit ihrem speziellen Vergleichs punkt (Kleinheit des Steuers und der Zügel und ihrer entsprechen den großen Wirkungen), dennoch gilt festzuhalten: »Unerklärt blieb aber mit all den griechischen Parallelen die Gleichsetzung von Steuerruder und Zunge« (Herrmann 115). Doch ist nicht, wie Herrmann annimmt, dies »die ägyptische Komponente der Jako busstelle« (ebd.), vielmehr die jüdisch-weisheitliche (mag auch dort wieder Rezeption ägyptischer Vorlagen anzunehmen sein). Ahnli ches gilt auch für die von Herrmann angenommene pessimistische Einschätzung der Zunge aus der späten ägyptischen Weisheitslite ratur. Sie ist Jakobus nicht »durch die ägyptische Tradition vorge geben« (ebd.), vielmehr — wenn schon — durch die jüdisch hellenistische Tradition vermittelt. Im Rahmen seines Themas von der Gespaltenheit des Menschen
(s. o. zu 1,4-12) rezipiert Jakobus nach der Darstellung der positi ven Macht der Zunge in 3,3b-5b in 3,5c-6e gezielt Traditionen, die von der negativen Macht der Zunge reden. Dabei verbindet er hinsichtlich der negativen Macht der Zunge verschiedene Aussagen als da sind: 1. Auch die Zunge ist ein Feuer. 2. Sie ist die Welt der Ungerechtigkeit. 3. Sie beschmutzt den ganzen Leib. 4. Sie setzt das Rad des Werdens in Brand. Bei aller Bemühung um diachrone, traditionsgeschichtliche Herlei tung der einzelnen Wendungen, wichtiger ist — nicht nur im Hinblick auf die Erstrezipienten des Jakobusbriefes — die Frage, worin das tertium comparationis dieser Metaphern liegt. Hat Jako bus sie wirklich »ziemlich sinnlos verwertet«, und ist der Vers 6 »mit seiner wirren Fülle von Bildern« nur »sehr schwer verständ lich«, »fällt die Darstellung ganz aus dem Zusammenhang« (so van den Bergh 307 in Zustimmung zu Hollmann-Bousset)} Da Jakobus sich bislang von seinem Denken her stark kontextuell-semantisch orientiert gezeigt hat, legt es sich auch hier nahe, die Stimmigkeit der unterschiedlichen Bilder nicht primär in ihrer traditionsge schichtlichen Herkunft zu suchen, vielmehr in ihrer semantischen Funktion im Kontext der Aussage des Jakobus. Hier sind sie dann durchaus stimmig in der allen gemeinsamen Bildsprache, wobei zu beachten ist, daß Jakobus nicht alle Aspekte des jeweiligen Bildes aus der Tradition mitübernommen hat. Insofern ist das jeweilige traditionsgeschichtlich zu erarbeitende Inventar des einzelnen Bil des keineswegs ein Kommentar zu unserer Stelle, wohl jedoch können mögliche Parallelen zur Verdeutlichung des synchronen Sinnes beitragen. Wie bei der Metapher von der Zunge als Feuer (s. o. zu 5c.6a) gilt dies auch für die Vorstellung, daß die Zunge die Welt der Unge rechtigkeit sein kann, wie Jakobus als zweite Apposition hinzu fügt, um die mögliche negative Wirkung der Zunge weiter zu verdeutlichen. Im Kontext des Jakobusbriefes mit seiner Vorliebe für substantivierte Wendungen ist es möglich, die Wendung Welt der Ungerechtigkeit im Sinne des Welt-Verständnisses von 1,27; 2,5 und 4,4 anthropologisch so zu verstehen, daß die so negativ skizzierte Zunge Element der christlichen Gegenwelt ist. Der Mensch wird als Mikrokosmos verstanden (vgl. weiter den Exklurs nach 4,4: »Welt« bei Jakobus). Vor diesem unchristlichen Kosmos haben Christen sich nicht nur nach 3,10b, sondern auch nach 1,27 zu bewahren. Tut ein Christ dies nicht, d. h. will er »ein Freund
der Welt sein«, dann ist er automatisch »ein Feind Gottes« (4,4d.e). Traditionsgeschichtlich werden für diese im Neuen Testament singulare Wendung zwei Vorstellungskreise genannt. Zum einen wird üblicherweise hingewiesen auf diese Wendung im äthiopi schen Henochbuch (1. Jh. v. Chr.), wo es in 48,7 von den Gerech ten heißt: »Denn diese haßten und verachteten diese Welt der Ungerechtigkeit«. Da eine Rezeption kaum nachweisbar ist, legt sich — nimmt man die hier vertretene Lösung des freien Assoziie rens von semantischen Aspekten an — als weitere Tradition der Gedanke vom Weltenbrand nahe, worauf das Stichwort »Feuer« hindeuten könnte. Diese Vorstellung ist in apokalyptischen wie hellenistischen Überlieferungen breit belegt, die Vorläufer in der immer wiederkehrenden Weltverbrennung der Stoa, im Platonismus (vgl. Plato Timaios 22c) und in Persien sowie in Babylonien haben. In der Bibel findet sich diese Vorstellung explizit nur in 2 Petr 3,7.10.12. Es ist äußerst fraglich, ob sie in Jak 3,6a anklingt, zumal sie von Jakobus anthropologisch verwendet wird, da es ihm um die negative Macht der Zunge im Menschen geht. Bewußt greift er diesen Gedanken in 3,9 erneut auf. Geht es ihm hier um die Ursache der Welt der Ungerechtigkeit, so dort um die ekklesialen und sozialethischen Folgerungen. 6b: Die Wendung die Zunge steht da/zeigt sich unter unseren Gliedern nimmt das Stichwort sowie die Logik (kleine Ursache große Wirkung) aus 3,5 (»so ist auch die Zunge ein kleines Glied«) auf. Jakobus will nicht, wie die zweite Hälfte von 6a nahelegen könnte, kosmologisch argumentieren, sondern anthropologisch. In der Welt des einen, »ganzen Leibes« (6c) des Menschen gibt es nach Jakobus Ambivalenzen und Konflikte. Dies ist auch die These von 4,1: Woher stammen die Kriege und woher die Kämpfe in/bei euch? Nicht von daher, von euren Lüsten, die in euren Gliedern streiten? Stiefmütterlich bei den Auslegern wird das Verbum in 6b die Zunge steht da behandelt. Nimmt man 4,4d-e (»Wer also immer ein Freund der Welt sein will, als ein Feind Gottes steht er da«) mit seiner antithetischen Struktur als Erklärungshilfe an, wäre das Verbum hier wie dort als Medium zu verstehen, ein theologisches Passiv (»sie wurde von Gott unter unseren Gliedern eingesetzt«) ist
aber wohl auszuschließen (vgl. 1,13-16.18). Im letzteren Fall wäre der Kontrast noch größer, aber auch im Hinblick auf Vers 9c (»die nach Gottes Bild geworden sind«) unangemessen. Ansonsten wäre 6b eine schöpfungstheologische Aussage mit dem Inhalt (wobei das Prä sens als dauergültiges Tempus zu beachten ist): Trotz der Erfahrun gen mit der ambivalenten Macht der Zunge ist sie eingesetzt/bestellt/ steht fest unter unseren Gliedern. Eine Textverderbnis (so Bauer - Aland 792) ist nicht anzunehmen. Dies schon deswegen nicht, da Jakobus diese Aussage bereits im Hinblick auf 8b formuliert haben dürfte, wo er die grundsätzliche Aussage von der Unverrückbarkeit der Zunge (kathistatai) hinsichtlich ihrer Erfahrung in einem schönen Wortspiel (8b: akatastaton: unbeständig/unruhig) wie folgt umschreibt: Die Zunge ist ein »unbeständiges Übel« (wobei dieser Vers wiederum in Rückgriff auf 1,8 zu verstehen ist; s. u.). Beide Aussagen stehen in deutlichem und kräftigem Kontrast zueinander (so zu Recht Schlatter 218 f.). Die ganze Ambivalenz, von der die Verse 3,1-12 geprägt sind, bündelt sich in diesem Bild. 6c-d: Mit zwei wohl als Begründung zu verstehenden Partizipien im Griechischen sie beschmutzt ... und setzt in Brand ... werden die beiden Aussagen in Vers 6a erläutert, während das im griechi schen Text in 6e stehende Partizip, ebenfalls angeschlossen durch »und«, den nicht zu löschenden Urgrund für das alles versengende Feuer der Zunge in 6d angibt. Traditionsgeschichtliche Vorlagen können für 6c nicht angegeben werden, es sei denn, man nimmt — ähnlich wie in Jud 23, wo der Begriff neben Jak 3,6 ein zweites Mal im N T belegt ist — allgemein einen frühgnostischen Hintergrund an. Von der kontextuellen Denkstruktur des Jakobus her drängt sich von 3,15 ein solcher Horizont als mögliche Deutung der eigenen Lebenswirklichkeit sogar auf. Danach wird der Leib als das mit Unsittlichkeit beschmutzte Gewand der Seele und als Teil der materiellen Welt verstanden. So finden sich in späteren gnostischen Schriften die Bilder für den Leib als »fehlerhaften Rock« (Ginza 496,13), als »schmutziges und unreines Kleid« (Thomas-Akten 111), als »zer schlissene Fetzen« (Ev der Wahrheit 20,31; Corp Herrn 7,2 f.). Ansätze zu einem solch negativen Verständnis des Fleisches und des Psychischen finden sich durchaus auch schon in der helleni stisch-jüdischen Weisheit und bei Philo von Alexandrien (s. u. zu 3,15). So läßt sich der Vers 6c zum einen als Vorgriff auf 3,15b verstehen, gleichzeitig aber auch (wobei das eine das andere nicht ausschließt) als deutliche Gegenthese zu 1,27, wo das Synonym amiantos: unbefleckt/rein belegt ist:
Reine und unbefleckte Frömmigkeit vor Gott und dem Vater besteht darin: Waisen und Witwen in ihrer Bedrängnis aufzusuchen (und) sich selbst makellos zu bewahren vor der Welt. Auch dort lautete gemäß der Devise »kleines Mittel — große Wirkung« und ihrer negativen Ausprägung die These des Jakobus mit Variationen: 20 Denn der Zorn eines Mannes erwirkt nicht die Gerechtig keit Gottes. 21 Deshalb: Legt ab allen Schmutz und die Fülle der Bosheit, mit Sanftmut nehmt das eingepflanzte Wort an, das eure Seelen zu retten vermag. 26 Wenn jemand meint, er sei fromm, obwohl er seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt, dessen Frömmigkeit ist nichtig. Die Denkfigur dort und hier ist konstant, ebenso auch das semanti sche Inventar: Wer auch nur einen einzigen Affekt nicht beherrscht, ihn hingegen zum Beherrscher über sich werden läßt, der kann vor Gott nicht bestehen. Dies ist ein Gedanke, der im Hinblick auf das Gesetz/auf die Sozialordnung Gottes in 2,1-13 übertragen wird (vgl. bes. 10f.): 10 Denn wer das ganze Gesetz hält, sich aber in einem einzigen verfehlt, der hat sich gegen alle verschuldet. Es bestätigt sich in 3,6c, daß Jakobus — wie üblich — in immer neuen Variationen und von verschiedenen Traditionen her äußerst perspektivenreich, bildsprachlich variabel und dadurch sehr diffe renziert sein Thema behandelt. Auch als Eklektiker ist er kein Plagiator (zudem man diese Kategorie in der Antike nicht mora lisch wertete). Wenn Jakobus jüdische und hellenistische bis hin zu gnostischen Traditionen verbindet, erweist sich seine Synthese aufgrund des Kontextes als innovativ und kreativ: entsteht doch durch diese Art der Komposition durchaus etwas Neues, das quantitativ mehr und anders ist als die einzelnen Elemente. 6d-e: Im freien Assoziieren unterschiedlicher Aspekte und ver schiedener Traditionen fügt Jakobus ein weiteres Bild an, indem er das Substantiv »Feuer« aus 5c und 6a verbal variiert. Das Verbum
phlogizein: in Brand setzen/entflammen ist nur hier im N T belegt, wird jedoch, wenn auch spärlich, in der Septuaginta benutzt (neben Sir 3,30 vgl. Ex 9,24; Num 21,14; Ps 96,3; 1 Makk 3,5; vgl. auch Test J o b 16,3), während das Substantiv dort und im N T häufiger belegt ist (Bauer — Aland 1719). Woher Jakobus auch immer den Begriff rezipierte, als literarisch gewählter Begriff ent spricht er seiner qualitätsvollen Sprache und inhaltlich dem hier gewählten Bild vom Feuer. Zweifaches wird vom Feuer ausgesagt, ein aktiver und ein passiver Aspekt. 6e: Zum Letzteren: Blieb in 1,14 bei der Frage: »Woher kommen die Versuchungen?« und bei dem Hinweis auf die eigenen Begier den als Ursache letztlich die Frage nach dem Woher offen, so wird sie im Verlauf des Briefes traditionell beantwortet. Wie Jakobus in 4,7 die Adressaten dazu aufruft »Widersteht dem Teufel!«, assozi iert er ebenso unproblematisch in 3,6e die schon prophetisch (vgl. Jes 66,24), dann aber vor allem apokalyptisch breit belegte Vorstel lung vom Feuer in der Gehenna, das zunächst zwar ein topographi scher Eigenname war, dann aber mit der Hölle und dem in ihr wütenden Feuer identifiziert wurde. Die Vorstellung ist im N T und Judentum so verbreitet, daß Belege sich erübrigen (vgl. Böcher). Die Vorstellung jedoch, daß die Zunge ständig von der Hölle in Brand gesetzt wird (da dies ein bleibendes anthropologi sches Grundproblem ist), ist in Jak 3,6e singulär. Diese Wendung verdankt sich wohl dem Vergleich der Zunge mit dem Feuer in 6a, so daß nach 6e die Zunge gleichsam die höllische Feuersglut an den Leib weitergibt. Ein ähnliches Bild liegt auch in 5,3 vor: Der Rost von Gold und Silber »wird euer Fleisch auffres sen«. Wenn es darum geht, auf die Adressaten einzuwirken, schreckt Jakobus vor drastischen Bildern und Metaphern nicht zurück, wobei ihm keineswegs in einem modernen systematischen Ansatz an einem Ausgleich zum Monotheismus gelegen ist (s. o. den Exkurs nach 1,18 »Anthropologie und Theo-logie«), Man verkennt weisheitliches Denken, wollte man ihn für sein additives Denken tadeln. 6d: Für Jakobus wichtiger dürfte ein anderer Gedanke gewesen sein, der in der Wendung das Rad des Werdens angesprochen wird. Bewegten sich die bisherigen Assoziationen mehr im stati schen und feststellenden Bereich (6a.b.e), was auch in 6c trotz der aktiven Aussage noch mitschwingt, so ist 6d ganz dynamisch formuliert — sowohl im Verbum wie in der Metapher. Ihre Her kunft ist bis heute umstritten (zur Literatur vgl. Bauer — Aland
1650 f.). In der Regel führt man die Wendung auf die orphische Vorstellung vom Kreislauf des Werdens und Vergehens bei der Seelenwanderung zurück. Mag die Vorstellung auch weit verbreitet gewesen sein: Nur an einer einzigen Stelle steht statt des üblichen kyklos: Kreis/Kreislauf/Rad das Substantiv trochos: Rad (und dies noch in einer anderen syntaktischen Konstruktion; vgl. Dibe lius 239 Anm. 1). Eine sprachliche Tradition ist also in diesem Kontext nicht nachzuweisen. Und vor allem: »Es besteht zwischen dem orphischen trochos und dem von Jak 3,6 ein bedeutsamer Unterschied: Dieser wird in Brand gesetzt, jener rollt, aber hat mit Feuer nichts zu tun« (Büchsei 682). Was für die orphische Ablei tung gilt, gilt auch für die aus rabbinischen Texten, wo ebenfalls nur an einer einzigen Stelle die Unbeständigkeit menschlicher Glücksumstände durch die Wendung »Es ist ein Rad in der Welt« (Billerbeck I 820) umschrieben wird. Etwas häufiger sind sprich wörtliche Wendungen mit dem Bild des Rades und partiellen Synonymen in der griechischen Literatur belegt (vgl. Büchsei 682). Von Tradition für Jakobus im Sinne der Rezeption kann hier jedoch auch nicht geredet werden, zumal im A T auch in Eccl 12,6 der Tod des Menschen so umschrieben wird (»das Rad zerbrochen in die Grube fällt«). Näher liegt Sir 33,5, wo die innere Unbestän digkeit des Toren mit einem sich im Kreis drehenden Wagenrad/ trochos verglichen wird (»Ein Wagenrad ist das Herz des Toren und wie eine Achse, die sich dreht, sein Denken«). Da ähnliche Vorstellungen und Metaphern in der hellenistisch geprägten jüdi schen Schrift Phokylides 27 (»Für alle gibt es gleiche Leiden. Das Leben ist ein Rad, unbeständig das Glück«) und bei Philo von Alexandrien, Som 11,44 (»Kreis und Rad des Schicksals«) belegt sind, ist nicht von einer traditionsgeschichtlich näher fixierten Überlieferung auszugehen, sondern von einer weit verbreiteten Metapher für das menschliche Leben. Denn daß es nicht um die Sonne bzw. die Natur geht (so Schlatter 219-224), bestätigt der eindeutige anthropologische Kontext. Dieser Kontext im Jak dürfte überhaupt diese für unterschiedlich ste Zusammenhänge brauchbare Metapher näher erklären. Allein von Gott kann Jakobus sagen, daß es bei ihm »keine Veränderung oder eines Wechsels Verschattung gibt« (1,17d), während beim Menschen nicht nur die Zunge »ein unbeständiges Übel ist« (3,8b) und »Unbeständigkeit« insgesamt das Zusammenleben der Men schen prägt (3,16b). Vielmehr ist der Mensch selbst »zwiespältig und unbeständig« (1,8a). Während Gott der »Einzige« (2,19; 4,12), der »Einfache« (1,5c) und »Unversuchbare« (1,13c) ist und auch so
handelt (l,5c-d), fordert Jakobus die Adressaten auf, »vollkom men« zu werden (l,4a.b; 3,2), »Ebenbild Gottes« (3,9) zu sein. Ist Gott das ewige und unveränderliche Seiende, so ist der Mensch Existenz im Werden, der erst am Ende seines Lebens im Tod sein Ziel erreicht (1,12.22.25; 2,4.10.11; 3,1.9.10). Dies gilt auch für den Lehrer (3,1 f.); auch er ist ein Suchender, eine Existenz im Werden — dementsprechend sollte er sich so verstehen und der Außenwelt vermitteln. Als Existenz im Werden birgt sie wie bei allen Christen die Vollkommenheit potentiell in sich. Es entsteht nur dann ein Gegensatz, wenn das »Vollkommensein« nicht mehr als Prozeß verstanden wird; wie im Prolog (1,2-4.12) steht der Lohn durch Gott für die Bewährung erst am Ende. Die wechselsei tige gedankliche Beeinflussung von Gottes- und Menschenbild bestimmt auch die Sentenz in 3,6d. Vor allem ist für diese Deutung hinzuweisen auf 1,23-24 mit der Wendung to prosopon tes geneseos: das Angesicht/Aussehen seines Werdens/seiner Herkunft: 23 a b c 24 a b
Denn wenn einer Hörer des Wortes ist und kein Täter, so gleicht dieser einem Mann, der das Aussehen seines Werdens im Spiegel betrachtet; denn er betrachtete sich, ging weg, und sofort vergaß er, wie er beschaffen war.
Wie dort erläutert auch hier der Genetiv das Substantiv im Nomi nativ. Wie dort geht es auch hier um eine Qualifizierung des Menschen bzw. des menschlichen Lebens in der Entwicklung. Dies ist es wohl, worum es Jakobus in Übereinstimmung zu den übrigen Metaphern in 6d geht: Wird die Zunge in ihrer negativen Macht nicht beherrscht, vernichtet sie nicht nur »den ganzen Leib« (6c), sondern den gesamten Verlauf des menschlichen Lebens in seiner Entwicklung (6d). Am Ende kann dann nur — pointiert gesetzt — die Hölle stehen, womit wie in einer Ringkomposition der Gedanke des Gerichtes aus 3,1b aufgenommen wird. Daß dies wohl der Intention des Jakobus entsprechen dürfte, zeigt sich auch daran, daß er in Vers 7 zum Gedanken von der positiven Macht der Zunge aus 3,2b-5c zurückkehrt. Nur pessimistisch (so Dibelius und Dautzenberg 607 f.) ist Jakobus keineswegs in dieser kleinen Einheit. Entgegen der Tendenz der Ausleger ist festzustellen: Schon allein quantitativ behandeln mehr Zeilen die positive Macht der Zunge, zumal auch die übrigen in ihrer Qualität (vgl. bes. 9-12) einen Appell zur Beherrschung des Wortes und der Zunge, insge-
samt einen Appell zur Vollkommenheit enthalten. Dies ist die Strategie des Jakobus, woran Vers 7 erinnert. Daß die Zunge heillos, mit Todesgiften wirken kann, wird im gleichen Satz in Vers 8 betont. Dies ist für ihn kein Paradox, sondern beruht auf alltäglichen Erfahrungen. Als Weisheitslehrer begnügt er sich jedoch nicht mit philosophischen Beschreibungen, sondern schreibt handlungsorientiert (vgl. 9-12), damit sich nicht die zerstörerischen Kräfte der Zunge und des Wortes durchsetzen (vgl. 10b). An diese Grundstruktur im jakobeischen Denken sei hier erinnert. 7-8: Beide Verse bilden nicht nur syntaktisch, sondern auch semantisch eine Einheit. Begründet ist dies in ihrer antithetischen Struktur. Es stehen sich nicht nur jede Art/Gattung (die Wendung steht betont am Satzanfang in 7a) der verschiedenen Tiersorten und die menschliche Art/Gattung (diese Wendung steht endbetont in 7c) gegenüber, vielmehr auch die zweifach betonte Begabung des Menschen, in der Vergangenheit und Gegenwart alle Tiere zu zähmen, während er die eigene Zunge nicht zu zähmen vermag (7b.c-8a). Verstärkt wird dieser Eindruck durch die chiastische Wortstellung in 7a-8a. Es entsprechen sich nicht nur »jede« in 7a und »niemand« in 8a, vielmehr steht auch die betont am Satzanfang stehende »Zunge« in 8a in ihrer Kleinheit allen Tieren in 7a.b gegenüber. Der wirkungs vollen Gedankenführung entspricht die gepflegte Wortwahl: Auf fällig sind die Alliterationen. In 7b: erpeton ... enalion, wobei der letztere Begriff nur hier im N T belegt ist und zum Meer gehörig bedeutet, womit der übliche Begriff »Fische« ersetzt wird. In 8a: oudeis damasai dynatai. In 8b: akatastaton kakon, wobei das erste Wort mit dem a-privativum das Verbum aus 6b kathistatai als Stichwort aufgreift. In 8b ist nicht nur das Adjektiv akatastaton: unbeständig/haltlos singulär für Jakobus (in Wiederaufnahme aus dem Prolog in 1,8), auch die abschließende Wendung thanatephoros: todbringend ist im N T nur hier belegt. Hinzuweisen ist auch auf das schöne Wortspiel zwischen 6b und 8b; demnach »sitzt: kathistatai die Zunge unter unseren Gliedern« (6b), jedoch keines wegs untätig, sondern als »unbeständiges/unruhiges: akatastaton Übel« (8b), wobei auch das Substantiv »Übel: kakon« aus 8b das Stichwort »Ungerechtigkeit« aus 6a aufgreifen dürfte. Die Verse 7 und 8 erweisen sich demnach als hochpoetische Sentenzen. Vom Stil und von der Sache her könnten sie — auch aufgrund des asyndetischen Anschlusses von Vers 7 an Vers 6 — den Wider spruch, den Jakobus aufdecken möchte, nicht schärfer herausstel len.
Traditionsgeschichtlich bestätigt sich auch in diesen Versen der Eindruck des freien Assoziierens aus unterschiedlichen Traditionen im Hinblick auf das von Jakobus gewählte Thema. Wenn Jakobus bei den Tiergattungen neben den Vögeln, Kriech- und Seetieren am Beginn allgemein Tiere nennt und ihre Beherrschung durch den Menschen voraussetzt, rezipiert er Gen 1,26 und 9,2. Da es um Zähmung geht, dürfte der erste Ausdruck »Tiere« vielleicht wie in der Regel als »Wildtiere/Raubtiere« oder in diesem Kontext eher allgemein als »Landtiere« verstanden werden. Diese Einteilung der Tiere nach vier Arten und der Rückgriff auf die Schöpfungstheolo gie ist in der jüdischen und christlichen Literatur gut belegt (vgl. Philo, SpecLeg IV 110-116; Op 83-86; äthHen 7,5; Apg 10,12; 11,6). Auch in der stoischen Philosophie wird der Gedanke der Bändigung der Tierwelt durch den Menschen oft traktiert (vgl. Cicero, Nat Deor II, 151.158; Seneca, Benef 2,29; Epiktet IV, 1,21 ff.). Eine gegenseitige Beeinflussung ist durchaus möglich. Wenn in Jak 3,7 die Kriechtiere auch eigens von den Raub-/ Landtieren (wie in Apg 11,6) unterschieden werden, mag dies für Jakobus in 8b die Assoziation von todbringendem Gift freigesetzt haben, das primär durch Schlangen Menschen gefährdet. Jakobus überträgt dieses Wissen auf die tödliche Macht der Zunge, was in Ps 139,4 bereits von ruchlosen und ungerechten Menschen gesagt wird: »Wie die Schlangen haben sie scharfe Zungen und hinter den Lippen Gift wie die Nattern« (vgl. auch 1 Q H V,26-28; Sib Proömium 71). Bei der Wendung physis: Natur/Wesen/Gattung der Tiere und der Menschen (7a.c) dürfte Jakobus auf den sehr breit belegten Sprachgebrauch der hellenistischen Philosophie zurückgreifen, wobei seine Flexibilität zu notieren ist. Wird der Begriff in 7a wohl numerisch verstanden, so dürfte bei der menschlichen Gattung in 7c der Aspekt der Qualität und des Wesens, wodurch der Mensch den Tieren übergeordnet ist und sie beherrscht, anklingen. Dies ist es, worum es Jakobus geht: Alle Tiere kann der Mensch aufgrund seines Wesens zähmen, die verheerende Wirkung der Zunge jedoch nicht. Diese These wird mit Vers 7f. nochmals mit einem neuen Bild begründet (7a: denn/nämlich ...). 8a: Wie ist die Sentenz Die Zunge aber kann niemand zähmen von den Menschen zu verstehen? Würde man eine isolierte Vers für-Vers-Exegese vertreten, wäre die Auffassung über den Men schen in der Tat außerordentlich pessimistisch und absolut. Dabei hätte man jedoch sowohl das kontextuelle und antithetische Den ken des Jakobus wie weisheitliche Sprachformen übersehen. In den
weisheitlichen Sentenzen wird »nicht die Schärfe des Begriffes ... angestrebt, sondern die Schärfe in der Nachzeichnung der gemein ten Sache, und zwar möglichst in ihrer ganzen Breite . . . . Vielleicht ist diese Denkbewegung mehr fremdartig als mangelhaft; denn das ist immerhin auch uns noch erkennbar, daß hier Fragen mehr flächig umkreist werden und daß gerade auf diese Weise eine Tiefe und Breite der Problematik beschworen wird, die auf dem Wege einer linearen Fortbewegung auf eine Lösung hin so nicht zur Anschauung käme. Uberhaupt die Anschauung! Um sie geht es viel mehr, als um den Gewinn einer begrifflich formulierbaren Erkenntnis, die sich dann in einem Satz aussprechen ließe. Und was diese Anschauung betrifft, geht der Dichter immer auf eine Totalität aus« (v. Rad, Weisheit 43.61). Sentenzen dieser Art sind nicht »als Lehrsatz eines Systems zu behandeln« (Spina 101). Auch die für Jakobus in diesem Kontext grundlegende Tradition in Sir 28,13-26 u. a. (s. o.) ist in diesem Sinne unsystematisch, auch dort wird Metapher an Metapher gereiht, um die negative Macht der Zunge zu umschreiben. Nichts ist von der Schärfe des einzelnen Bildes zurückzunehmen, auch nicht in Jak 3,8. Eine vom Men schen nicht beherrschte Zunge ist nicht nur unbeständig/haltlos und todbringend — beide Adjektive sind nur hier im N T belegt - , eine solche Zunge ist auch voll von todbringendem Gift, wobei das Substantiv ios: Gift/Rost im N T außer Jak 3,8 und 5,3 nur in Rom 3,13 (als Zitat aus Ps 139,4) belegt ist. Ein solches Gift wirkt nicht nur dann und wann, vielmehr ist es von seinem Wesen her immer tödlich. Nicht anders eine ungezähmte Zunge! Zum Kontext des Verses in der kleinen Einheit 3,1-12 ist die Spannung zu Vers 2b-d (»Wenn einer sich im Wort nicht verfehlt, ist dieser ein vollkommener Mann, fähig, im Zaum zu halten auch den ganzen Leib«) deutlich zu betonen wie auch der handlungsorientierte Impuls der Verse 9-12, durch den die Adressaten aufge fordert werden, die Gespaltenheit in der Zunge zu überwinden. Steht hier lediglich der Appell und ist von der rhetorischen Argu mentationsstruktur hier noch eine Leerstelle auszumachen, da die Frage, wie dies möglich sein sollte, nicht beantwortet wird, findet sich in den sofort anschließenden Versen 3,13-18 jene Antwort, die Jakobus vom Beginn seines Briefes an gibt: »Bittere Eifersucht und Streitsucht in euren Herzen« (ähnlich in 16a) sind Ursache für »Unbeständigkeit und böse Taten jeder Art« (16b). »Friedfertig, gütig, willig, voll von Erbarmen und guten Früchten, unparteiisch und ohne Heuchelei« (17b-d), insgesamt »weise und wohlunter richtet« (13a) ist jener Mensch, der sich durch »die Weisheit, die
von oben kommt« (15a), bestimmen läßt. Dies ist bereits die These des Jakobus in l,5a.b; 17a.b. Wer sich von der »menschlichen Art/ Natur« (3,7c) und »von seiner eigenen Begierde« (1,14a) bestim men läßt, ist nicht in der Lage — so könnte man den Vers 3,8a paraphrasieren — von sich aus »die Zunge zu zähmen«. Anthropo logie und Theo-Iogie sind auch in 3,8a zusammenzudenken. Da Gott ein Einziger, d. h. ungespalten ist, er »einfach/vorbehaltlos und ohne zu nörgeln gibt« (1,5c), sollen auch die Menschen, »die nach Gottes Ebenbild geschaffen sind« (3,9c), so sein und handeln: ungespalten, ganz, vollkommen . . . . Trotz aller widersprüchlichen Erfahrungen, die Jakobus aus den Traditionen übernehmen kann, die sicherlich durch eigenes Erleben bestätigt werden, ist seine realistisch-nüchterne Anthropologie deswegen optimistisch, weil sie in der Theo-Iogie und Schöpfungstheologie gründet. Eine andere Anthropologie wäre nach Jakobus nicht nur theologisch (vgl. 3,9c) widersinnig, sondern auch naturwidrig, wie in den folgenden Versen 11-12 erläutert wird. Wenn wirklich nicht in den bisherigen Versen seine Sprachintention gegen die Gespaltenheit der Zunge und im Reden deutlich wurde, so machen die Verse 3,912 seine Intention unmißverständlich.
4. Gegen den Zwiespalt der Zunge (3,9-12) Wiederum (vgl. 5c) stark asyndetisch — wohl zur Hervorhebung der Antithese — fügt Jakobus Vers 9 an Vers 8. Jedoch sind die Verse semantisch verbunden zum einen durch das doppelte Prono men mit ihr (9a.b) zum anderen durch die Weiterführung des Gedankens der negativen Macht der Zunge in 9b. Der Widerspruch zwischen Vers 8b und 9a wird noch durch den Wortgebrauch preisen in 9a verstärkt, was auch in liturgischem Kontext belegt ist. Die Identität der Pronomen in 9a.b macht die Widersinnigkeit und Widersprüchlichkeit so unterschiedlicher verbaler Äußerungen wie Preis und Fluch aus ein und demselben Ursprung deutlich. Eben dies betont Jakobus auch mit der Anapher aus demselben Mund in 10a und aus derselben Öffnung in I I a . Als Stilmittel des rhetori schen Pathos zum Zwecke stärkerer Eindringlichkeit ist wohl die Anapher meine Brüder in 10b und 12a zu verstehen. Eine ähnliche Funktion hat wohl die wiederholende Variation von Preis und Fluch in 10a (zu den Verben vgl. 9a.b). An Satzfiguren ist auf den antithetischen Parallelismus in 9a.b hinzuweisen: Mit ihr preisen wir den Herrn und Vater, und mit
ihr verfluchen wir die Menschen. Ein dreifacher synonymer Parallelismus findet sich in den abschließenden Versen 11-12, die durch die einleitende Frage von den Adressaten die eindeutige Antwort verlangen: »Nein, das ist unmöglich«. Damit hat Jakobus durch die anschaulichen Beispiele aus der Natur den Hörer dort, wo er ihn haben will. Ähnlich schloß er auch die kleine Einheit in 2,14-26 argumentativ überzeugend ab: »Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot«. Solche Sprüche sind in sich einsichtig, nachträgliche rationale Deutungen verbieten sich (vgl. Lausberg 558). Jakobus appelliert an Einsicht, Vernunft und Alltagswissen. Wie Metaphern so dürften auch Ver gleiche »eines der wirksamsten Mittel, den Bedeutungsraum zu weiten und den Aufnehmenden in Bewegung zu setzen« (Kayser 125), sein, auch wenn im Unterschied zur Metapher die Beispiele dem Adressaten keinen Spielraum eröffnen, sondern ihn durch ihre Einsichtigkeit überzeugen, wenn er denn kein »leerer/unvernünftiger Mensch« (2,20a) sein will. Mit seinem Beispiel will der Verfas ser bisherige Überzeugungen verändern und eingeschliffene Hand lungsmuster austauschen — im Kontext vor allem im Hinblick auf die Doppelzüngigkeit. Um diese handlungsorientierte Intention zu erreichen, werden von Jakobus theo-logische Argumente (vgl. 9c), Beispiele aus der Natur und die menschliche Logik argumentativ eingesetzt. Wie in den bisherigen Versen in 3,1-12, so sagen auch die folgenden einleuchtenden Argumente dem Adressaten: So ist es bzw. Nicht darf das, meine Brüder, so sein/werden (10b). 9a.b: Die Sprache und Gedankenwelt sind ganz biblisch geprägt, wobei dem Buch Jesus Sirach wiederum hinsichtlich der Lieferung von Motiven und Wendungen der Vorrang gebührt. Für die Got tesbezeichnung Herr und Vater finden sich entsprechende Paralle len im Kontext der Abhandlung über die Gefahr, die von zuchtlo sen Lippen droht, in Sir 22,27-23,15, wobei Jesus Sirach dieser Gedanke so wichtig war, daß er ihn im nachträglichen Anhang in 51,1-12 erneut aufgreift: 22,27 Wer wird mir ein Schloß vor meinen Mund geben und auf meine Lippen ein kunstvolles Siegel, damit ich durch dieselben nicht zu Fall komme und meine Zunge mich nicht vernichtet. 23,1 Herr, Vater und Gebieter meines Lebens, laß mich durch ihren Rat nicht fallen, laß mich durch sie nicht zu Fall kommen. 2 Wer wird mir Geißeln geben für mein Denken
5
und die Zucht der Weisheit für mein Herz? ... Herr, Vater und Gott meines Lebens, Hochmut der Augen gib mir nicht und die Begierde halte fern von mir.
Im Anhang zu seinem Weisheitsbuch dankt Jesus Sirach für das, was Jakobus für seine Adressaten noch erhofft: Errettung durch Gott vor verleumderischen Zungen, durch deren unzüchtige Lip pen und lügnerische Reden er fast wie durch Feuer erstickt wäre (vgl. Jak 3,5): 51,2
Du hast mich errettet... von der Geißel der verleumderischen Zunge und vor den Lippen derer, die Lügen ersinnen ... 3 Aus vielen Nöten hast du mich errettet, 4 aus dem Ersticken im Feuer, das mich umringte, und mitten aus der Feuersglut, die ich nicht entfachte; 5 aus der Tiefe des Schoßes der Unterwelt, von den unzüchtigen Lippen und lügnerischen Reden. 6 Beim König hat die ruchlose Zunge mich verleumdet, nahe dem Tode war meine Seele, und mein Leben war nahe der Unterwelt... 9 Und ich erhob von der Erde mein Flehen und bat um Errettung vom Tode. 10 Ich rief an den Herrn, den Vater meines Herrn, daß er mich nicht verlasse in den Tagen der Drangsal.
Auch wenn das Syntagma »Herr und Vater« noch in 1 Chr 29,10 und Jes 63,16 belegt ist (vgl. auch Josephus Ant V 93), zeigt die kontextuelle Einbindung, welchen Text Jakobus rezipierte. Und auch dies hat er mit Jesus Sirach gemeinsam: Beide schließen sich nicht bei der Warnung vor der Gefährlichkeit der Zunge aus, da sie realistisch genug sind (9a.b: wir preisen wir verfluchen). Wie in 3,2, so handelt es sich auch hier nicht allgemein um Volks Weis heit oder um einen »Gemeinplatz« (Dibelius 244) — schon gar nicht in dem Sinne, daß der Appell in 10b »eine Kritik an jüdischen Sitten« (ebd. 246) ist. Antijüdisch ist Jakobus ganz und gar nicht zu interpretieren, da Jakobus nicht nur mit Jesus Sirach, sondern mit der gesamten Weisheitsliteratur das Problem der Doppelzüngigkeit nicht auf Glaubende und Unglaubende verteilt, vielmehr als Pro blem des glaubenden Menschen selbst sieht. Auch Jesus Sirach sieht Sinn und Herz (23,1), also die eigenen Begierden, als Ort
dieser Doppelzüngigkeit wie Jakobus (vgl. 1,14) . Daher geht es hier und dort nicht nur darum, verleumderische Worte zu ver schweigen, vielmehr fassen beide Theologen das Problem an der Wurzel (vgl. Lamparter 106). Dabei geht Jakobus bei der Rezep tion dieser Tradition sogar so weit, daß er das Schwören überhaupt verbietet (s. u. zu 5,12), während Jesus Sirach dieses Thema als Element der Belehrung über die Gefahr, die von der Zunge ausge hen kann, dahingehend interpretiert, daß er vor leichtfertigem und unrechtmäßigem Schwören dringend warnt (23,7-11). Auch die Antithese von Preis und Fluch (10a) und der Verben preisen und fluchen/verfluchen (9a.b) sind im Kontext der Abhandlungen über die Doppelzüngigkeit des Menschen in Jesus Sirach (vgl. bes. 5,9-6,4; 22,27-23,6 und 28,13-26; zu den Texten s. o. bei der Formkritik) und der nüchternen anthropologischen Erkenntnis von 19,16 (»Wer hätte sich nicht mit seiner Zunge versündigt?«) außerordentlich breit vorgegeben. Wie »Ehre und Schmach in der Macht des Redenden stehen« (Sir 5,13), so auch Preisen und Fluchen, was in dieser Zusammenstellung nicht nur von Menschen (vgl. 3,8 f.), sondern auch sogar von Gott, der jedem sein Los bestimmt, ausgesagt werden kann (33,12). Diesen Gedanken der göttlichen Vorherbestimmung zum Guten oder Bösen, zum Leben oder Tod übernimmt Jakobus nicht, er begnügt sich mit der Rezeption von Sir 15,11-20 zur Freiheit und Verant wortlichkeit des Menschen (vgl. Jak 1,13-16). Im übrigen kennt Jesus Sirach auch einen berechtigten Fluch, wie 4,5f. zeigt: 5 Von den Bedürftigen wende das Auge nicht ab, und gib keinem Menschen Anlaß, dir zu fluchen. 6 Denn wenn er dir flucht in seiner Erbitterung, wird sein Schöpfer seine Bitte erhören. Das Objekt des eulogein: loben/rühmen/preisen/segnen ist in der Mehrzahl der Fälle Gott als der Spender von Heilsgütern. Im übrigen ist jedoch dieser Sprachgebrauch allgemein biblisch, wie auch der Gegensatz von Segen und Fluch vielfach belegt ist (vgl. T h W N T 1, 1933, 449f.; 2, 1935, 752-759; N B L 1, 1991, 683-685). In allen Schriften und Traditionen findet sich das polare Denken, so daß die Rezeption einer bestimmten Tradition kaum nachweis bar ist. Der Text ist synchron absolut verständlich. Eigentümlich ist der spezifisch christliche Sprachgebrauch, den Fluch durch Segen zu ersetzen (vgl. Lk 6,28: »Segnet die, die euch verfluchen« mit der Variation in Mt 5,44 sowie Rom 12,14: »Segnet eure
Verfolger; segnet sie, verflucht sie nicht!«). Da es Jakobus jedoch nicht um diese Ersetzung geht, fällt die spezifisch christliche Tradition als Vorlage aus; Jakobus bleibt hier ganz bei seiner weisheitlichen Anthropologie. 9c: Die traditionsgeschichtliche Vorgabe in dieser Sentenz läßt sich eindeutig angeben. Den Glauben an die schöpferische Tätigkeit Gottes sowie an die Gottebenbildlichkeit des Menschen und die dadurch begründete Herrschaft des Menschen über die sonstige Kreatur (vgl. Jak 3,7) fand Jakobus in Sir 17,3 f. formuliert (zur gesamten Ordnung des Schöpfers vgl. ebd. 16,30-17,14): 3 Gemäß ihm (Gott) selbst hat er sie mit Stärke bekleidet und nach seinem Bilde (kaf eikona) hat er sie gemacht. 4 Er legte die Furcht vor dem Menschen auf alles Fleisch und setzte ihn zum Herrscher über Tiere und Vögel. Jakobus geht jedoch mit Jesus Sirach auf die Schöpfungstheologie in Gen 1,26 f. zurück, wie die Ubereinstimmung im griechischen Wortlaut zeigt; die Wendung nach seinem (Gottes) Ebenbild findet sich nur dort: »Und es sprach Gott: Laßt uns den Menschen machen nach unserem Bild und Abbild (kat* homoiosin). Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land« (vgl. die identische Einteilung in Jak 3,7a.b). Mag man in der Exegese dieser und anderer alttestamentlicher Stellen (vgl. Ps 8) darüber streiten, ob nach dieser Glaubensaussage der Mensch eher als Teilhaber an der Herrschermacht Gottes oder als Reprä sentant Gottes auf Erden angesehen wird gegenüber der anderen Schöpfung oder als Person, die Gott als personhaftes Du gegen übersteht, oder als Partner Gottes (vgl. Scharbert sowie Dohmen; beide beachten Jak 3,9 nicht). Vom engeren Kontext im Jak her dürfte so zum einen der Gedanke des Herrschens über alle anderen Geschöpfe betont sein, dann aber auch im Hinblick auf die existen tielle Integrität die Unmöglichkeit einer gespaltenen Zunge (vgl. den Exkurs nach 1,18 zur Anthropologie). Der erste Aspekt weist auf Vers 7 zurück, der zweite Aspekt auf Vers 10 ff. voraus. Vom Wort homoiosis: Ähnlichkeit/Entsprechung steht primär die menschliche Qualität, seine anthropologische Beschaffenheit im Vordergrund. Wenn dies so ist (so lautet die implizite These in Vers 9), ist Doppelzüngigkeit widergöttlich. 10: Der Ersatz der Verben preisen und verfluchen durch die Substantive in 10a bewirkt nicht nur Variation, sondern themati-
sehe Verstärkung der gottwidrigen Doppelzüngigkeit. Jakobus resigniert nicht vor solchen ambivalenten Erfahrungen, wie die gesamte handlungsorientierte Intention seines Briefes von Anfang an zeigt (vgl. bes. zur Thema-Rhema-Struktur in 1,2-4). Die Doppelzüngigkeit ist nicht nur — so der Vers 9c — widergöttlich, sie ist nicht nur — so die Verse 11-12 — naturwidrig, die Doppel züngigkeit ist auch — dies ist die Wirkintention von Vers 10 — widersinnig. In aller Nüchternheit jedoch sieht Jakobus, daß die negativen und positiven Möglichkeiten der Zunge nicht nur im Alltag der Gemeinde bestätigt, sondern auch bereits in der von ihm rezipierten Tradition überliefert werden, wie Sir 28,12 zeigt: Wenn du einen Funken anbläst, wird eine Flamme daraus, und wenn du darauf spuckst, so verlöscht er und beides geht aus deinem Munde! Diese Antithetik prägt die Struktur der kleinen Einheit 3,1-12 mit ihren Aussagen über die positive (3,2b-5b) und negative Macht der Zunge (3,5c-8). Entsprechend lautet gemäß dem weisheitlich begründeten pädagogischen Konzept des Jakobus sein Appell in 10b. Die Wendung ou ehre: es ist nicht nötig/es muß nicht sein ist nur hier im N T belegt (dies betrifft auch die positive Form), kommt in der Septuaginta nur Spr 25,27 und 4 Makk 8,26 A vor. Sie umschreibt nicht nur das Geziemende oder das Nützliche, wie in der Regel angenommen wird, vielmehr meint dieses im helleni stischen Griechisch seltene Imperfekt die »Notwendigkeit, Schul digkeit, Pflicht, Möglichkeit daß etwas tatsächlich notwendig usw. ist« (BlDebrReh 358). In Verbindung mit dem Verbum in 10b werden/geschehen betont Jakobus zweierlei: Zum einen sieht er den Menschen nicht als unveränderliche Existenz, sondern als ein Wesen in Entwicklung, zum anderen verbindet er damit den Gedanken, daß er aufgrund der Gottebenbildlichkeit des Menschen hinsichtlich der Doppel züngigkeit der Zunge nicht einem Verhängnis ausgeliefert ist. Darin stimmt er ganz mit dem pädagogischen Konzept von Jesus Sirach überein (vgl. Sir 5,14; 28,12 u. a.). Dabei bleibt Jakobus sich selbst treu, da ein solches Verständnis mit der Aussage in 3,2 übereinstimmt, aber auch mit 1,5 und 3,17, wonach sich die Adressaten eine solche Vollkommenheit und Weisheit nicht aus eigenen Kräften erarbeiten können, sondern sie sich »von Gott« (1,5b) und »von oben« (1,17b; 3,17a) schenken lassen müssen. Nur wer die Bewahrung vor der Doppelzüngigkeit von Gott erbittet
r
(Sir 22,27 ; 21,1 ff.), sich wirklich »alle Weisheit... vom Herrn« (Sir 1,1) erhofft, wird vor der negativen Macht der Zunge bewahrt (Sir 22,27; 25,8). Eben dies ist auch die Korrektur der hellenistischen Pädagogik, die Jakobus vertritt (s. o. zu 1,5). Auch die Verse 3,1318 zeigen, daß Jakobus in 3,10b nicht beim moralischen Appell stehenbleibt, sondern den Grund der Unnötigkeit und der Widersinnigkeit hinsichtlich der doppelzüngigen Praxis der Menschen anprangert. Die Menschen sollten in ihrem Verhalten so eindeutig sein, wie die Vergleiche aus der Natur in 11-12 demonstrieren. 11-12: Die Parallelität im Aufbau von 10a (»aus demselben Mund«) und in I I a (»aus derselben Öffnung«) belegt im übereinstimmen den Bild des Hervorgehens aus dem Mund bzw. des Hervorspru deins aus der Quelle, daß die Verse 11-12 die Unvereinbarkeit in 10a illustrieren, so daß auch Preis und Fluch in 10a aus demselben Mund sich ausschließen. Allerdings variiert Jakobus die Verglei che. Wird in 10a und I I a betont, daß aus demselben Medium nicht das eine und das andere zugleich hervorkommen kann (aus einer Solequelle kommt nur Salziges!), so betont 12a, daß die eine Gattung nicht die Früchte einer anderen Gattung bringen/machen kann. Gattungsfremde Früchte kann es nicht geben, das leuchtet jedem ein. Vers 12c nimmt aus jedem vorhergehenden Vers ein Stichwort auf: aus I I a süß, aus 12a bringen/machen. Trotz dieser Stichwortverbindungen variiert Jakobus die Sentenz formal und inhaltlich. Stehen in 11 und 12a.b Fragesätze, die eindeutig zu verneinen sind, so leitet oute: und nicht einen Aussagesatz ein (BIDebrReh 445). Inhaltlich wiederholt 12c nicht l l a . b (unter Ergänzung des Substantivs »Quelle« gemäß jüngeren Handschrif ten), vielmehr bringt Jakobus ein neues Bild aus dem Lebensbe reich des Menschen, wobei er gleichzeitig durch das Stichwort machen/tun den Übergang zu 3,13 ff. (vgl. bes. 3,18) findet. Das Adjektiv halykos: salzig ist daher nicht durch »Quelle« aus I I a zu ergänzen und bedeutet daher nicht, wie in der Regel angenommen wird, eine Solequelle, die kein Süßwasser geben kann (alle hand schriftlichen Überlieferungen, die diesen Vers so deuten, gleichen ihn im Bild an l l a . b an), vielmehr betont Jakobus, daß der Mensch aus eins nicht das andere, konkret: aus Salzigem kein Süßwasser machen kann. Wie literarisch gewählt Jakobus arbeitet, zeigt sich daran, daß er das sonst weder im N T noch in der Septuaginta belegte Adjektiv und insgesamt sehr seltene Wort salzig als Gegen begriff zu süß, den er aus I I b repitiert, hier einführt. Mit dem Stichwort machen/tun und der implizit vorausgesetzten Aktivität des Menschen bereitet er das Thema »Werke in Sanftmut der
Weisheit zeigen« und »Frieden machen« in 18b elegant und zugleich eindeutig vor. Dies konnten die anderen Bilder aus der Natur in 11 und 12a nicht leisten. Eine solche Deutung dürfte keineswegs »eine gar zu platte Selbstverständlichkeit« sein (Dibe lius 248, der den Verfasser ebd. 248 f. ohnehin zu einem unsensi blen Flickschuster macht und mögliche Überarbeitungen lieber wie in 3,6 einem anderen Autor als Jakobus zubilligt). Die These des Jakobus in 11-12 lautet: In der Natur gibt es nur Eindeutigkeit. Folglich sollte es auch für die menschliche Natur: physis anthropine (7c) nur Eindeutigkeit geben. Dies zum einen deswegen, weil die Menschen jede Art/jede Natur: physis aller Tiere des Landes, der Luft und des Meeres zu bändigen wissen (3ac.7a-c), und zum anderen, da sie nach Gottes Ebenbild geschaffen sind (9c). Das Verhalten, das Jakobus anprangert, ist also naturwi drig, ergo absurd und widergöttlich. Gemäß göttlicher Ordnung und natürlicher Erfahrung soll der Mensch auch im Hinblick auf sich selbst ein-deutig sein, nicht »zwiespältig und unbeständig« (1,8a; vgl. 3,8b), sondern »vollkommen« (1,4b; 3,2c) und »ganz« (1,4b). Dies kann er aber nur sein, wenn diese existentielle Integri tät handlungsorientiert verstanden wird, d. h. die »Standhaftigkeit ein vollkommenes Werk hat« (1,4a) — ein Gedanke, der in 3,13-18 aus dem Prolog amplifiziert wird. Traditionsgeschichtlich nach Vorlagen bei den Bildern aus der Natur zu fragen, erübrigt sich. Sowohl das Alte Testament wie die rabbinische Literatur (vgl. Billerbeck I 466f..638f.), aber auch Philo von Alexandrien und die philosophische Tradition der Stoa etwa bei Epiktet, Plutarch, Seneca, Marc Aurel belegen in ihren Spruchtraditionen diese und ähnliche Metaphern. Auch die Jesus tradition (vgl. Lk 6,43-45 par Mt 7,16-20 mit der Variation in Mt 12,33-35; EvTh 45) bestätigt lediglich die weite Verbreitung solch bekannter Bilder (vgl. v. Gemünden 123 f.). Zudem bestätigt sie, daß diese Bilder zum einen auf Taten (so Mt 7,16-21), zum andern auf Worte (so Lk 6,43-45 par Mt 12,33-35) zielen. Jakobus betont das eine wie das andere, den Erweis des Glaubens und der Weisheit im Tun in 2,14-26 bzw. 3,13-18, während im Mittelteil in 3,1-12 die Unmöglichkeit einer vollendeten Harmonie im Men schen selbst in einem solchen Entwurf aufgewiesen wird. Sucht man angesichts der Betonung des Wortes in 3,1-12 nach einer möglichen Tradition, so dürfte auch hier Jesus Sirach eingewirkt haben; neben den genannten Stellen vor allem 27,5-7:
5 Des Töpfers Gefäße erprobt der Ofen, und die Erprobung des Menschen (geschieht) in seiner Rede. 6 Die Pflege eines Baumes bringt seine Frucht an den Tag, so das Wort, das ein Mensch in seinem Herzen erwogen hat. 7 Vor der Rede lobe keinen Mann, denn sie ist die Erprobung der Menschen.
Nach Jakobus gilt diese anthropologische Grundaussage in exem plarischer Weise für die Lehrer (3,1)- Daß er diese Funktionsträger in der Gemeinde nie aus dem Auge verloren hat, beweist der Eingangsvers der nächsten kleinen Einheit in 3,13: »Wer ist weise und wohlunterrichtet unter euch?« Allerdings »demokratisiert«, verallgemeinert er die Frage, da er jeden Christen im Auge hat.
V. Von der wahren Weisheit (3,13-18) 13 a b c 14 a b 15 a b 16 a b 17 a b c d 18 a b
Wer ist weise und verständig unter euch? Er zeige aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit. Wenn ihr aber bittere Eifersucht und Streitsucht in euren Herzen habt, überhebt ihr euch (dann) nicht, und lügt ihr nicht gegen die Wahrheit? Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern eine irdische, psychische, dämonische; denn wo Eifersucht und Streitsucht (herrschen), da sind auch Unbeständigkeit und jegliche böse Tat. Die Weisheit aber, die von oben (stammt), ist erstens lauter, dann friedfertig, gütig, willig, voll von Erbarmen und guten Früchten, unparteiisch, ungeheuchelt. Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird in Frieden denen gesät, die Frieden stiften.
Literatur: Vgl. insgesamt oben in der Einleitung 2.4e sowie zu 1,2-4; 2,1426 und 3,1-12. Außerdem Baasland, E., Der Jakobusbrief als neutestament liche Weisheitsschrift, in: StTh 36(1982) 119-139. - Fohrer, G. - Wilckens, U., sophia, in: ThWNT 7(1964) 465-529. - Halson, B. R., The Epistle of James: >Christian Wisdom?<, in: Studia Evangelica IV, Berlin 1968, 308314. - Hegermann, H., sophia Weisheit, in: E W N T 3(1983) 616-624. - Ders., sophos weise, kundig, in: ebd. 624-626. — Hengel, Judentum und
Hellenismus 241-275. — Hoppe, Hintergrund 44-71. — Johnson, L. T., James 3:13-4:10 and the Topos peri phthonou, in: N T 25(1983) 327-347. — Kirk,J. A., The meaning of wisdom in James: Examination of a hypothesis, in: NTS 16(1969/70) 24-38. - Luck, U., Die Theologie des Jakobus briefes, in: ZThK 81(1984) 1-30. — Marconi, G., La »sapienza« nell<esegesi di Gc 3:13-18, in: RBiblt 36(1988) 239-254. - Perkins, Ph., James 3,16-4,3, in: Interp 36(1982) 283-287. - Preuß, H. D., Deuteronomium, Darmstadt 1982. - von Rad, Weisheit 309-336. — Schweizer, E., psychikos, in: ThWNT 9(1973) 662-664. - ders., choikos, in: ebd. 460-468. - Sellin, G, Der Streit um die Auferstehung der Toten. Eine religionsgeschichtliche und exegetische Untersuchung von 1 Korinther 15, Göttingen 1986, 72-189
(zum religionsgeschichtlichen Hintergrund von 1 Kor 15,45 f.). — Smend, R., Die Weisheit des Jesus Sirach, Berlin 1906.
Neben dem Prolog in 1,2-10 zeigt sich an keiner anderen Stelle im Jakobusbrief so deutlich wie in 3,13-18, daß der Verfasser seine Schrift wie die Verfasser der alttestamentlichen Weisheitsliteratur als »Lebenshilfe«, als »Kunst, das Leben zu steuern«, als »Hilfe zur Bewältigung des Alltagslebens« versteht (Preuß, Erwägungen 393). Wie die alttestamentliche Weisheitsliteratur will auch der Jakobus brief »dazu behilflich sein, die rechte Handlung zur rechten Zeit zu vollbringen« (Schmid 34). Wie die Verfasser dort wendet sich auch Jakobus an Einsicht und Erfahrung, wie die bisherigen Kapitel, nicht zuletzt auch etwa die Naturmetaphern in 3,1-12 belegten. Doch bevor nach rezipierten Einzeltraditionen in 3,13-18 gefragt wird, soll auch hier der Text zunächst primär synchron und kompositionell analysiert werden — der Gesamtanlage des Kom mentars entsprechend. Auch in dieser Perspektive ist er für Leser/ Hörer, die in den Weisheitstraditionen nicht beheimatet sind, durchaus verständlich. Ohne Zweifel gewinnen jedoch auch diese Verse sodann vom weisheitlich-jüdischen Horizont her stärkeres theologisches Profil und Eindeutigkeit. Vor allem ist es auffällig, daß Jakobus typisch weisheitliche Themen wie: die Wirkkraft des Gebetes (1,5 ff.), die Freiheit des Menschen und die Herkunft der Versuchungen (1,13 ff.), die Einheit von Hören, Reden und Tun (1,19 ff.), die Fürsorge für Witwen und Waisen (1,27), das Ansehen
von Personen (2,1 ff.), die Einheit von Glauben und Tun (2,14 ff.), die positive und negative Macht der Zunge (3,1 ff.) behandelt. Alle diese Themen werden im N T nicht oder nur ansatzweise, aber nie in dieser Dichte entfaltet. Dieser innerneutestamentliche Vergleich wie auch die Stellung der Verse 3,13-18 nach den bisherigen weisheitlich orientierten Themen ist außerordentlich auffällig, zumal Jakobus hier explizit die Weisheit selbst zum eigentlichen Thema macht. Handelt es sich hier doch — analog zu Spr 8,229,12, zu Ekkl 4,17-5,6 und Sir 24 — um die Mitte des Jakobusbrie fes. Dabei verfährt Jakobus nicht ganz so sklavisch wie seine biblischen Vorbilder, da rein formal der Text 3,13-18 nur dann die exakte Mitte des ganzen Briefes angeben würde, wenn man das ganze Kapitel 1 gleichsam als Einleitung bzw. Prolog ansehen könnte; dann gingen diesem Kapitel 38 Verse voraus und es folgten 37 Verse. Mit der Gestaltung von Präskript (1,1) und Prolog (1,218) und der ersten kleinen Einheit des Briefkorpus zum Thema »Vom Hören, Reden und Zorn und ihrem Gegenteil« (1,19-27) verfährt Jakobus dynamischer. Dennoch bilden die Verse 3,13-18 formal und thematisch eine Wende im Brief, da die Publikumszugewandtheit in den abschließenden Einheiten drängender und die ekklesiologischen Aspekte (statt der individuellen) noch stärker im Vordergrund stehen als im ersten Teil des Briefes. Trotz der offenen Gestaltung des gesamten Briefes dürften somit die Verse 3,13-18 formal das Zentrum und inhaltlich das Summarium des gesamten Briefes bilden. Dabei sind die Verse wie der Prolog in epigrammartiger Kürze formuliert, da die Sache, um die es Jakobus geht, in den bisherigen Kapiteln und in den ebenfalls weisheitlich geprägten weiteren Kapiteln amplifiziert wird. Demnach lassen sich viele Querverbindungen gerade dieser Verse nach vorn und hinten feststellen, was auch das Vorkommen der leitenden Begriffe »Weisheit/weise« und ihrer Synonyme wie »verständig« sowie der Gegenbegriffe »Eifersucht und Streitsucht« (3,14) sowie »Eifer sucht/Neid« (4,5) einschließt (vom Gegenbegriff »Neid« struktu riert Johnson 3,13-4,10 als rhetorische Einheit, gründend auf dem griechisch-hellenistischen Topos des »Neides«, womit er einen untergeordneten Aspekt zum dominierenden macht. Jakobus geht es positiv um die Weisheit). Nicht von ungefähr wurde »Weisheit« als grundlegender Begriff und Verständnishorizont des Jakobus im Prolog eingeführt (s. o. zu 1,5), wurde aber aufgrund des Kon struktionsprinzips der antiken Rhetorik und der weisheitlichen Redepragmatik dort nicht ausgeführt. Die Unbestimmtheitsstelle in 1,5 (Was ist Weisheit?) wurde ab 1,19 ff. in immer neuen
Anläufen inhaltlich umschrieben und kann jetzt in 3,13 ff. in thesenhafter Form zusammengefaßt werden. Dabei bildet 3,15 von der Struktur her die Mitte des Summariums 3,13-18. Formkritisch betrachtet, zeigen die Verse höchstes gestalterisches Können, dem die thematische Geschlossenheit des gesamten Jak entspricht. Beobachtungen zu den rhetorischen Elementen, zum Wortschatz und Stil belegen die Mittelpunktstellung dieser Verse. Dies sei zunächst an den Versen isoliert, dann kontextuell aufge wiesen. Entsprechend dem in den anderen kleinen Einheiten vorliegenden Prinzip der funktionellen Oppositionen ist dieser Text nach dem Prinzip der antithetischen Symmetrie der Verse angeordnet, wobei die einander kontrastierenden Elemente konstitutiv für die Thema tik sind. Die Hauptopposition steht in 15a.b: Weisheit von oben irdische, sinnliche bzw. psychische und dämonische Weisheit. Da dieser Vers negativ formuliert ist (»Das ist nicht die Weisheit...«), enthält das Zentrum nicht nur auf weltlicher Ebene eine Philoso phiekritik (wie in Sirach; s. u.), sondern religiös auch eine Reli gionskritik. Natürlich ist auch für Jakobus eine Philosophie nur dann als dämonisch abzulehnen, wenn sie gegen den Glauben steht und alles Heil von ihr erwartet wird; dagegen beginnt Sirach sein Buch: »Alle Weisheit kommt vom Herrn« (1,1). Gerahmt wird die Hauptopposition durch die negativen Verse 14 und 16, wobei deren Parallelität in 14a und 16a durch die Begriffe »Eifersucht« und »Streitsucht« verstärkt wird. In antithetischem Parallelismus dürften auch die Verse 14b »gegen die Wahrheit« und 16b »jegliche böse Tat« stehen, dem die Innen- bzw. Außenorientierung der Verse entspricht (14a: »In euren Herzen«, während die böse Tat in 16b sozialethisch orientiert ist). Auch 14a und 16a sind Variationen dieser Binnen- bzw. Außensicht. Bestätigt wird diese Deutung durch die rahmenden Verse in 13 und 17-18. Sie enthalten nicht nur die positive These als Kontrast zu 14 und 16, vielmehr haben sie beide auch eine Scharnierfunktion für den Kontext. Konnte die kleine Abhandlung über die Macht der Zunge des Menschen, speziell der Lehrer als berufliche Redner, in 3,1-12 zu sehr als innermenschliches-anthropologisches Problem verstanden werden, so bindet Jakobus in 3,13 die Qualität des »weisen und wohlunterrichteten« Christen an der aus 2,14-26 bekannten und dort breit entfalteten Vorstellung vom Erweis des Glaubens durch Werke — hier in 3,13 variiert zur Vorstellung des Erweises der Werke der Weisheit aus dem guten Wandel. Wie dort Glauben nicht auf die menschliche Grundhaltung in seinem Ver-
hältnis zu Gott reduziert werden kann, sondern handlungsorientiert verstanden wurde, so ist nach Jakobus in 3,13 Weisheit und schulische Bildung ebenso handlungsorientiert zu verstehen. Formuliert Jakobus in Vers 13 die handlungsorientierte Grunddi mension auch der Weisheit grundsätzlich, so entfaltet er in Vers 17 diese Grundthese zunächst ebenso grundsätzlich in einem in sich geschlossenem Spruch mit 4 Stichen auf das Wesen der göttlichen Weisheit (in Antithese zu Vers 15), zu deren Charakteristik aber die auf die Menschen zielende Dynamik gehört, diese zu erziehen und ihnen so ein gelingendes Leben zu ermöglichen. Da die Qualität der Weisheit somit handlungsorientiert ist, klingt die sozialethische Dimension immer mit an und wird in 18b in der Wendung von den »Friedensstiftern« vollends explizit (im übrigen vgl. zum semantischen Netz die Begriffe Wandel in 13b, Werke in 13c, Tat in 16b und tun in 18b; dazu s. u.). Dieses sozialethische Engagement in der Gemeinde und in der Gesellschaft wiederum steht in deutlichem Kontrast zur Antithese, die als Frage in 4,1 lautet: »Woher (stammen) die Kriege und woher die Kämpfe bei euch?« Zugleich ergänzt dieser allgemein anthropologische Aspekt in 4,1 den innermenschlichen Aspekt in 3,14, wo es um »Eifersucht und Streitsucht in euren Herzen« geht. Wie bisher in seinem Brief, sieht Jakobus individualethische und sozialethische Grundhaltun gen als Einheit. Insgesamt präsentieren sich damit die Verse 3,13-18 als wohlgeord nete Ringkomposition: Es entsprechen sich als Rahmen 13 und 1718, die zugleich den handlungsorientierten Impuls enthalten. Die Rahmenverse schließen die das innere und äußere Fehlverhalten skizzierenden Verse 14 und 16 ein, während als Mitte in Vers 15 die theologische Hauptopposition formuliert wird. Nicht nur die Gesamtanlage dieser Verse zeigt höchstes gestalteri sches Können, vielmehr belegt dies auch die formale Gestaltung im einzelnen. Stark adressatenbezogen beginnt Jakobus die kleine Einheit in 3,13 — wie in 2,14 und 4,1 — mit einer Frage, durch die die Adressaten in die Argumentation verstrickt und gleichsam Gesprächspartner des Verfassers werden. Neben der rhetorischen fällt auch die inhaltliche Parallelität zu 2,14.18c.d am stärksten auf: 14 a b c d 18 c
Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, aber keine Werke hat? Kann ihn etwa der Glaube retten? Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke,
d ich aber werde dir zeigen aus meinen Werken den Glauben. Wie in 2,18c steht auch in 3,13 neben der Frage als weitere Appellfigur der indirekte Imperativ (»er zeige«). Wie in 3,2ff. ist nicht ein bestimmter Stand (Lehrer, Weisheitslehrer) in der Gemeinde angesprochen, vielmehr sind es alle. Jakobus geht es gleichsam um eine Demokratisierung der Weisheit. Greifen die Stichwörter »Weisheit/weise« auf 1,5 zurück, so ist der Begriff epistemon: wohlunterrichtet/verständig nur hier im N T belegt. Außerordentlich gewählt formuliert ist die substantivische Formu lierung in 13c (»Werke in Sanftmut der Weisheit«), wodurch das Substantiv »Sanftmut« (anstelle eines üblichen Adjektivs) einen starken Ton trägt. Nach Jakobus sollen die Christen nicht nur »mit Sanftmut das (von Gott) eingepflanzte Wort« annehmen (1,21b), sondern auch diese Grundhaltung durch »Werke in Sanftmut der Weisheit« öffentlich zeigen (vgl. auch l,4-5a). Das treffliche Bild von der »bitteren Eifersucht« formuliert Jakobus in Rückgriff auf 3,11a, wonach keine Quelle gleichzeitig Süßes und Bitteres hervor sprudeln lassen kann. In gleicher Weise widersprechen sich »die Sanftmut der Weisheit« und Eifersucht und Streitsucht im Herzen (13c.l4a). Im Nachklang zum Bild in 3,11 kann praytes: Freund lichkeit/Bescheidenheit/Milde/Sanftmut geradezu als Antonym zu Bitterkeit verstanden werden. Im theologischen Bereich ist dies ein Widerspruch gegen die Geburt »durch das Wort der Wahrheit« Gottes (1,18a; vgl. 5,19a). Versteht man 14b als Frage, enthält dieser Vers einen erneuten Appell an die Erfahrung der Adressaten. Im Griechischen auffällig ist in 15a die umschreibende Formulierung mit einem Partizip (»Dies ist nicht die Weisheit von oben kommend«), auffällig vor allem deswegen, weil sie nur hier und in der formal und inhaltlich hochstilisierten Parallele in 1,17 belegt ist (»Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk ist von oben herabkommend«). Hier wie dort geht es um theologische Spitzenaussagen. 15b bildet zu 15a einen starken Kontrast, der durch die Asyndeta unterstrichen wird. In gleicher Weise unverbunden, quantitativ fast verdreifacht, stehen in 17b.c.d die Kennzeichen der wahren Weisheit. O b Jako bus die Trias in 15b parallel zur Trias in 1,26.27 formuliert hat (Cladder, Anlage 45), mag dahingestellt sein. Die Wiederholungs figur in 16a in Aufnahme von 14a intensiviert die Thematik (verbal weitergeführt in 4,2b), als Begründung (16a: denn) gibt sie die Folgerung solcher innerseelischen Widersprüche in 16b frei und
zwar in zweifacher Richtung: Anthropologisch, innerseelisch wird ein solcher Zustand mit »Unbeständigkeit« umschrieben, wobei Jakobus mit dem Adjektiv »unbeständig« in 1,8 und 3,8 das Grundübel fehlender Integrität und fehlender Vollkommenheit umschreibt. Das Innere des Menschen jedoch wird offenbar gegen über anderen Menschen und vor Gott durch böse Taten jeder Art (wobei im Griechischen pan pragma durch Alliteration und Asso nanz sowie durch den generalisierenden Singular stilistisch geprägt ist). Inhaltlich nimmt das Stichwort »Tat« die Wendung »Wandel« von 13b und »Werke« von 13c auf, was verbal in 18b durch das Adjektiv »tun/schaffen« variiert wird. Mit diesen Begriffen wird insgesamt das die Verse 3,13-18 bestimmende Wortfeld angegeben. Standen in 3,1-12 das Wort und die Zunge (analog zu 1,19-27) im Vordergrund, so in 3,13-18 (analog zu 2,14-26) das Tun. Dies ist für die Bestimmung der Weisheit in der Intention des Jakobus von ausschlaggebender Bedeutung, da er sie kontextuell als praktische Lebensweisheit unter individualen und sozialen Aspekten versteht. Wie er in 2,14-26 nicht nach dem behaupteten Glauben, sondern nach dem gelebten Glauben fragt, so geht es in 3,13-18 nicht um die Verbalisierung von Weisheit, sondern um ihre Konkretisierung im Tun. Die beiden abschließenden positiven Verse sind stilistisch besonders präzise formuliert. Auf die Asyndeta in 17b.c.d wurde bereits oben hingewiesen. Des weiteren sind als Hapaxlegomena zu notieren in 17b eupeithes: willig sowie in 17d adiakritos: unparteiisch. Die im griechischen Text vierfache Alliteration in 17b (epeita eirenike epieikes eupeithes) ist ebenso auffällig wie in 17d die mit dem aprivativum gebildeten Adjektive (im Deutschen durch un- wieder gegeben), die zudem als Homoioteleuten noch durch Assonanz in gleichlautender Endsilbe gekennzeichnet sind (adiakritos, anhypokritos). War in 3,8b die unbeständige Zunge »voll von tödlichem Gift«, so ist die von Gott stammende Weisheit im Gegensatz dazu in 17c »voll von Erbarmen und guter Früchte«, wobei das Adjektiv »gut« in Antithese zu »böse/übel« in 16b steht. In Vers 18 bestätigt Jakobus nicht nur die Kunst der vielfachen Verschränkung (zu »Frucht« vgl. 18a mit 17c, zu »Frieden« in 18a.b vgl. 17b und die Gegenbegriffe »Kampf und Streit« in 4,1a in Rückgriff auf 3,14a. 16a), vielmehr sind die beiden Stichen auch getragen feierlich formuliert, da im griechischen Text Diphthonge und lange Silben vorherrschen — im Gegensatz zum folgenden Vers in 4,1. Wie am Ende von 3,1-12 an semantisch exponierter
Stelle zweimal, in 12c anthropologisch, gewendet (s. o.) das Stich wort »tun« auftaucht, so auch hier in 18b. Wenn Jakobus damit den Begriff der Weisheit durch den der Gerechtigkeit konkretisiert, steht dies in logischer Stringenz und thematisch in engster Verbin dung (gegen Dibelius 249 f.) zur handlungsorientierten Aussage der kleinen Einheit in 3,13-18. Von Anfang an (vgl. 1,4f.) hat Jakobus Vollkommenheit und Weisheit zusammengesehen (vgl. Hoppe, Hintergrund 9), beide aber auch mit der existentiellen Integrität des Menschen und dem Erweis dieser Ganzheit im vollkommenen Werk (1,4) verbunden. Was im Prolog stichwortmäßig und thetisch angesprochen wurde, wird hier gemäß der Gesamtanlage des Briefes amplifiziert (zur Begründung s. o. Einleitung 2.4b). Nur »scheinbar verschwindet die >Weisheit< aus den Gedankengängen des Jakobus ebenso plötzlich wieder, als sie aufgetreten ist« (Clad der, Anlage 44 zu 1,5), was jedoch seinem grundsätzlichen Prinzip der Amplifikation von Stichworten des Prologes entspricht. Seine Pragmatik dort und hier stimmt vollkommen überein, was auch durch die formale und inhaltliche Parallelität zwischen 2,14-26 und 3,13-18 (s. o. sowie Schräge 41 und Schnider 90) belegt wird. Nur dort und hier geht es nicht nur grundsätzlich um das Werk, sondern pluralisch um Werke; dort als Erweis des Glaubens, hier als Erweis der Weisheit. So dürften in der Tat in diesen beiden Abschnitten »die beiden für den ganzen Brief maßgeblichen Grundfragen aufgeworfen werden, die Frage nach der rechten Weisheit und die Frage nach dem rettenden Glauben« (Hoppe, Hintergrund 9).
1. Werke als Zeichen der Weisheit (3,13) Die Adressaten werden durch die dialogische Struktur, näherhin durch die rhetorische Frage in 13a zu Partnern des Gespräches gemacht. Wie in 3,1 ff. ist auch hier nicht eine besondere Gruppe der Christen oder nur allein die Lehrer (so Ropes, Mußner, Davids, Vouga, Wanke) angesprochen, vielmehr bindet Jakobus die Quali tät weise und wohlunterrichtet/verständig in 13-18 an die christ liche Existenzweise überhaupt. Alle sind angesprochen. Wenn Jakobus dabei — wie in antiken Diatriben üblich — nicht über eine theologische bzw. sozialethische Frage an sich spricht, sondern sie im Hinblick auf die lebensgeschichtliche Wirklichkeit seiner Adressaten formuliert, zeigt dies sein rhetorisches Einfühlungsver mögen, ohne daß er hier konkrete Vorbilder rezipiert haben muß
(vgl. analog zu Paulus: Schmeller 433-435). Was die Wortwahl betrifft, hatte Jakobus gemäß dem Strukturprinzip des ganzen Briefes das Stichwort Weisheit bereits im Prolog in 1,5 eingeführt, um es hier zu amplifizieren, während sich die Wendung wohlun terrichtet assoziativ zum Stichwort »Lehrer« in 3,1 ergab (s. o. zur Formkritik). Daß das Adjektiv wohlunterrichtet nur hier im N T belegt ist, ist daher kein »Zufall« (so Dibelius 251). Dies auch deswegen nicht, da Jakobus die Wendung aus seinen Vorlagen rezipiert haben dürfte. Traditionsgeschichtlich ist auffällig, daß das auch in der Septua ginta seltene Adjektiv außer 4mal im Buch Dtn (s. u.) 5mal in Sirach belegt ist (Prolog 4 ; 10,25; 21,15; 40,29; 47,12). Aufschluß reich ist vor allem die Wortverbindung von »weise und wohlunter richtet/einsichtig/verständig« in 10,25 und 21,15: 10,25 Einem Sklaven, der weise ist, leisten Freie ihre Dienste, und ein verständiger Mann beschwert sich darüber nicht. 21,15 Wenn der Einsichtige ein weises Wort hört, so lobt er es und fügt noch eines hinzu. Auch die sich dort findende Antithese zwischen dem Verständigen und Toren sowie Schwelger (21,14.15b-16) kennzeichnet nicht nur das Denken des Jakobus, sondern das der gesamten Weisheitslite ratur. Ähnlich steht es um die Verbindung »Weisheit und Wissen/ Einsicht« (vgl. Sir 1,24 und 19,22; s. u. zu 13b). Auch wenn in der zeitgenössischen Popularphilosophie vor allem der Stoa (vgl. Wilkkens 473 f.) der Zusammenhang von Weisheit und Einsicht stark reflektiert und Weisheit als »verwirklichtes Wissen« (473) verstan den wird, dürfte für Jakobus die eigentliche Tradition in der Schrift vorgelegen haben. Dabei entfaltet Jesus Sirach bereits ein weisheit lich geprägtes Gesetzesverständnis, wie es im Deuteronomium vorliegt (Preuß, Deuteronomium 84-90). Da anders als in Jesus Sir ach die Verbindung der Adjektive weise und wohlunterrichtet/ verständig beinahe formelhaft belegt ist (vgl. Dtn 1,13.15; 4,6; sonst nur noch Dan 5,12), dürften damit die Jakobus beeinflussen den Traditionen benannt sein. Da es Jakobus vor allem um eine Weisheit geht, die sich im Halten der Sozialordnung Gottes nach außen hin für andere zeigt, dürfte im Kontext seiner Vorstellung von den Werken als Zeichen der Weisheit Dtn 4,5 f. L X X einge wirkt haben:
Seht, ich lehre euch Gesetze und Rechtsvorschriften, wie sie mir der Herr aufgetragen hat, zu tun in jenem Lande, in das ihrhineinzieht, um es in Besitz zu nehmen. Ihr sollt auf sie achtenund sie tun. Denn darin besteht eure Weisheit: sophia und eure Einsicht/Klugheit: synesis vor allen Völkern. Wenn sie diese Rechtsvorschriften kennenlernen, werden sie sagen: Siehe, diese große Nation ist ein weises: sophos und verstän diges/gebildetes: epistemon Volk. Ob an dieser und anderen Stellen im Dtn (vgl. 29,29; 30,11-14) erstmals in der jüdischen Theologie ein Bezug zwischen Tora und Weisheit behauptet wurde (vgl. v. Lips 56), trägt für den Jak nichts aus. Er wie andere jüdisch-christliche Theologen lasen die Schrift als dogmatische und glaubensmäßige Einheit, die traditions geschichtlich nicht differenziert wurde. Zudem dürfte Jakobus was die Verbindung von Weisheit und Tun des Gesetzes angeht primär wiederum von Jesus Sirach abhängen (vgl. 15,1; 23,27; 37,12 u. a.). 13b.c: Die These von den Werken als Zeichen der Weisheit steht in Parallele zur These von den Werken als Zeichen des Glaubens in 2,14-26. Bereits aufgrund dieser formalen Parallelität zeigt sich, daß Glaube und Weisheit wie Glaube/Weisheit und Werke nach Jakobus in unauflöslicher Verbindung stehen. Glaube und Weis heit sind von der Tradition vorgegebene Variationen über parallele grundlegende theologische Probleme. Bereits die Formkritik bestä tigt, daß Glaube gegenüber der Weisheit keineswegs »nur eine Vorstufe« (Lührmann, Glaube 79) ist. Mag diese Frage von Jako bus her nicht zu entscheiden sein, wichtiger ist: Weder Glaube noch Weisheit können nach Jakobus in sich selbst bestimmt wer den, sondern nur durch den Erweis bestimmter Werke. Dabei umschreibt Weisheit primär den theozentrischen Aspekt. Sie ist eine Gabe Gottes (vgl. 1,5; 3,17), Glaube hingegen den anthropo logischen Aspekt (vgl. 1,3.6; 2,1.5; 2,14-26; 5,15). Wie Jakobus in 2,14-26 bei der Verhältnisbestimmung von Glau ben und Werken vom Tun auf die innere Haltung zurückschließt, demnach »eine in der hellenistischen Rhetorik gebräuchliche Beweisführung« anwendet (Heiligenthal 35 als Zusammenfassung von 1-25), ebenso rezipiert er in 3,13-18 bei der Verhältnisbestim mung von Weisheit und Werken und für seine These, daß erst ein entsprechendes Handeln die dem Menschen von Gott gegebene Weisheit offenbart, die Konzeption von Jesus Sirach. Gehört die Mahnung für eine im Leben verwirklichte Weisheit generell zur
weisheitlichen Tradition (vgl. Halson; Hoppe, Hintergrund 33-39), so bietet Jesus Sirach die nächsten terminologischen wie sachlichen Parallelen. Als wichtigste sind zu nennen, die auch die auffällige Wendung in Sanftmut der Weisheit erklären: 3,17 Mein Sohn, in Sanftmut vollführe deine Werke, so wirst du von einem jeden geliebt werden, der (Gott) gefällt. Neben diesem Aufruf zur Demut in 3,17-31, dessen Vers 30 (»Brennendes Feuer löscht Wasser aus, und Mildtätigkeit tilgt Sünden«) Jakobus im letzten Vers seines Briefes rezipiert, wirkte auf 3,13b.c vor allem die Stelle ein, die Jakobus bereits in 3,1-12 verarbeitete (Sir 19,16: »Wer hätte sich noch nicht mit der Zunge versündigt?«). Innerhalb der Warnung vor Klatschsucht (19,4-12) schaltet Sir ab 19,18 eine kleine Ausführung über die wahre Weis heit ein, deren wichtigste Verse von Jakobus verarbeitet werden (wobei allerdings die Verse 18 und 19 nicht in allen griechischen Handschriften bezeugt sind): 18 Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Einsicht, die Weisheit, die von ihm kommt, verleiht Liebe. 19 Die Kenntnis der Gebote des Herrn ist eine Erziehung zum Leben. Die, die das, was ihm gefällig ist, tun, werden am Baum der Unsterblichkeit ernten. 20 Alle Weisheit ist Furcht des Herrn, und in aller Weisheit (geht es um) das Tun des Gesetzes. 21 Ein Hausbewohner, der zu seinem Herrn sagt: >Was wohl gefällt, werde ich nicht tun<. Wenn er dies danach tun wird, wird er den, der ihn ernährt, erzürnen. 22 Nicht besteht Weisheit in der Einsicht des Schlechten, und der Rat der Sünder ist keine Klugheit. 23 Es gibt Schlechtigkeit, und dies ist ein Greuel, so ist auch der Tor, dem es mangelt an Weisheit. 24 Besser der Einsicht ermangelnd und doch gottesfürchtig, als überfließend an Klugheit und ein Übertreter des Geset zes.
Auch wenn Jakobus dieses »Hauptanliegen Sirachs Weisheit und Gesetz miteinander zu verbinden« (Preuß, Weisheitsliteratur 142), hinsichtlich des Gesetzes nicht ohne weiteres rezipieren kann, da der Begriff »Gesetz« immer mißverständlich sein muß (zur Konzeption des Jakobus vgl. den Exkurs nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit«), ist es für ihn unzweifelhaft, daß er den Verständnisschlüssel des Buches Jesus Sirach, wonach die ganze Weisheit im Tun der von Jahwe gesetzten Sozialordnung besteht (19,20), für sich rezipiert und im Hinblick auf seine Adressaten interpretiert. Wie Jesus Sirach weisheitliche Lehrtraditionen und Tora-Traditionen miteinander verbindet (vgl. Blenkinsopp, Wisdom und Schnabel, Law 69-92), so auch Jakobus (zu Zitationen des Gesetzes vgl. 2,8.11 und 2,21.23). Wie bei Sirach die vieldeutige Weisheit durch die Tora inhaltlich bestimmt wird, so auch bei Jakobus in aller Kürze durch das Stichwort Sanftmut in 3,13c und ausführlicher durch die katalogartige Näherbestimmung der Weis heit in 17-18. Dieses Stichwort fand er nicht nur in der für ihn als Schlüsselsatz fungierenden Stelle Sir 3,17 (s. o.) vor, sondern auch in Sir 1,26f.: 26 Begehrst du Weisheit, so halte die Gebote, und der Herr wird sie dir gewähren. 27 Denn Weisheit und Bildung ist die Furcht des Herrn und sein Wohlgefallen Treue und Sanftmut. Wie Jakobus das oft negativ verstandene Wort Sanftmut versteht, dürfte zum einen durch die Antithesen in 14 und 16, dann aber auch durch die positiven Umschreibungen des Wesens und der Werke der wahren Weisheit in 17 und 18 deutlich werden. Als Antithese zur Eifersucht/Mißgunst/Neid und Streitsucht/Eigen nutz in 14a. 16a legt sich Gelassenheit/Milde/Freundlichkeit/ Bescheidenheit nahe. Dem entspricht das Verständnis in 1,21, wonach die Christen »mit Sanftmut das eingepflanzte Wort anneh men sollen« - in Rückgriff auf 1,18: »Er (Gott) wollte uns und hat uns geboren durch das Wort der Wahrheit«. Die kritisierte Grund haltung wird dort als »Zorn eines Mannes, der nicht die Gerechtig keit Gottes erwirkt« (1,20) umschrieben. Anders als die zerstöreri schen Affekte des Zornes in 1,20 und des Neides und Streites in 3,14.16 umschreibt Sanftmut im jüdischen und griechischen Bereich deren Beherrschung (vgl. T h W N T 6, 1959, 645-649). Jakobus formuliert in 3,13c wie in 1,21b substantivisch (üblich wäre: mit sanfter Weisheit oder: sanfte Werke der Weisheit;
dadurch erhält Sanftmut den Hauptakzent, der genaue Bezug bleibt aber schwebend), drängt dann aber auch zur inhaltlichen Konkretisierung, die er in 3,17-18 liefert. Außerdem dürfte er wie in 1,21 das Substantiv deswegen bevorzugen, um eine andauernde Grundbefindlichkeit zu umschreiben, aus der die einzelnen Hal tungen und Handlungen (s. u. zu 3,17f.) folgen. Die These, die Jakobus in Vers 13 formuliert, wird — entsprechend der vorliegen den Ringkomposition (s. o.) — erst in den Versen 17-18 konkreti siert. Dort findet sich auch analog zu 1,21c (»das eure Seelen zu retten vermag«) ebenfalls im Tun- Ergehen-Modell ein eschatologischer Ausblick. Seine Verheißung gilt denen, »die Frieden schaf fen« (18b). Das Tun als Maßstab für eine gelingende Zukunft formuliert Jakobus entsprechend offen gemäß der Funktion von Vers 13 mit aus dem guten Wandel, der die böse Tat als Antonym in 16b entspricht. Eine biblisch orientierte Lebensart (anastrophe: Wandel/Lebensführung), der christliche »way of life«, jüdisch gesprochen die Halacha ist — dies ist die konstante These des Jakobus im ganzen Brief — Maßstab für Rettung, Heil, Bestehen im Gericht. Auch jüdische Theologen erkennen bei Jakobus diese Verbindung von Glauben und Werken als notwendiges »desideratum« an (Sigal, Halakhah 338). Sigal sieht zu Recht sowohl Jesus wie Jakobus in der Tradition von Deuteronomium und Weisheitsli teratur mit der emphatischen Betonung der Tora für das Glaubens leben, so daß es keinen Grund gibt, das christliche vom jüdischen Gesetzes Verständnis unter dieser Perspektive zu trennen (342). Da Jakobus nicht vom christlichen Evangelium her, sondern aus jüdi schen Voraussetzungen zu verstehen sei (343), sollte das Beharren des Jakobus auf vorzeigbare Werke auch für protestantische Exegese vor diesem Hintergrund neu diskutabel sein, vor allem auch dann, wenn man als christlicher Theologe im Bereich der internationalen Weisheit und Ethik zwischen christlichem Evange lium und jüdischem Evangelium keine unnötige Antithetik sieht (vgl. Frankemölle, Gesetz 177-198), da nicht überall und ipso facto im N T der Begriff »Evangelium« paulinisch, d. h. kreuzessoteriologisch geprägt ist (vgl. Frankemölle, Evangelium 69-80.130-161).
2. Von der falschen Grundorientierung (3,14) Wie die Formkritik zeigte, geht es in 14a.b um ein anthropologi sches und nicht wie in Vers 16 um ein sozialethisches Problem. Die oft übersehene Wendung in euren Herzen bestimmt daher auch
die von der Begriffsgeschichte her offene und daher bei den Ausle gern umstrittene Bedeutungsstruktur der Wendungen bittere Eifersucht und Streitsucht. Jakobus geht es insgesamt zwar um die unauflösbare Interdependenz von Sein und Handeln der Chri sten, er stellt jedoch vom Prolog an (vgl. 1,3.4b.5-8 mit 1,4a) mal diesen, mal jenen Aspekt in den Vordergrund. Es sei daran erin nert, daß die Verse 3,13-18 eine Schnittstelle bedeuten, da bislang von Kap. 1-3,12 stärker das Sein des Menschen (mit seinen gesell schaftlichen Konsequenzen) im Vordergrund stand, während in 4,1-5,20 umgekehrt primär sozial-ekklesiale Aspekte (natürlich auf der Grundlage menschlichen Seins) behandelt werden (zur weite ren Begründung s. o. Einleitung 2.4b). Gemäß dieser grundsätzli chen Anlage behandelt 14a den kardialen Zwiespalt des Menschen. Noch geht es Jakobus nicht um eine falsche Einstellung zum Mitmenschen oder sogar zu »judaistischen Fanatikern« (so Mußner 171). Jakobus geht es zunächst um eine Grundorientierung des Herzens, um die grund-legende Haltung und Gesinnung. Diese inhaltlich falsche Grundorientierung nennt Jakobus in Antithese zur »Sanftmut der Weisheit« in 13c zunächst mit dem an sich offenen Wort zelos: Eifer, das jedoch durch die Wiederaufnahme des Adjektivs bitter aus 3,11 im pejorativen Sinn Eifersucht/Neid/ Mißgunst meint. Diese negative Bedeutung wird nicht nur durch Vers 14b, sondern noch mehr durch die Zusammenstellung der Verben »ermorden und eifern« in 4,2b garantiert. Solche Haltung stammt nicht »von oben« (3,15), sondern »von unten«, d. h. »von euren Leidenschaften, die in euren Gliedern streiten« (4b.c). Wie bitteres Wasser aus einer süßen Quelle widerspruchsvoll ist, so widerspricht bitterer Eifer in sich den Menschen, »die nach Gottes Ebenbild geschaffen sind« (3,9c) bzw. die Gott »geboren hat durch das Wort der Wahrheit« (1,18a). Gegen diese schöpfungstheologi sche Wahrheit (14b) verstößt die falsche Grundorientierung des Menschen. Traditionsgeschichtlich bestätigt Jakobus mit diesem übertrage nen Gebrauch von bitter eine breit belegte Verwendung in der Septuaginta und bei Philo (vgl. T h W N T 6, 1959, 122-123). Eine direkte Tradition ist jedoch nicht nachzuweisen. Zum genannten anthropologischen Kontext (Ganzheit und Gespal tenheit des Menschen in seinem Sein) paßt auch der ebenfalls von seiner sprachlichen Verwendung her offene Begriff eritheia: Eigennutz/Selbstsucht/Streitsucht, der in vorneutestamentlicher Zeit nur einmal belegt ist; die Bedeutung des Wortes in christlicher Literatur »kann nur vermutet werden« (Bauer — Aland 626).
Daher dürfte im einzelnen Fall der Kontext ausschlaggebend sein, bei Jakobus demnach 4,1-2. Wie immer in der griechischen Phi losophie und in frühjüdischen Schriften die Verbindung von Eifer und Neid gebraucht wurde (vgl. Johnson, Topos und den Exkurs bei Schnider 95 f.), Jakobus geht es bei der Eifersucht nicht um eine Trauer darüber, daß ein anderer etwas besitzt, was man selbst nicht hat, vielmehr geht es ihm um den Widerspruch des Menschen in sich, um den Kampf unterschiedlicher Affekte, die dann selbstver ständlich auch falsche gesellschaftliche Handlungsweisen (s. u. zu 4,1 ff.) freisetzen. Traditionsgeschichtlich formuliert Jakobus hier grundsätzlich - auch ohne eine direkte Rezeption — in Übereinstimmung mit Jesus Sirach und seiner Anthropologie. Beendet jener in 39,35 mit den Worten: Und jetzt lobsinget mit ganzem Herzen und mit dem Munde, und preiset den Namen des Herrn den Lobpreis auf den Herrn der Schöpfung, so redet er ebenso asyndetisch und antithetisch wie Jakobus sofort anschließend von der Ambivalenz anthropologischer Grunderfahrungen: 40,1 Große Mühsal ist jedem Menschen bestimmt, und ein schweres Joch liegt auf den Söhnen Adams. Mühsal und Angst begleiten den Menschen nach Jesus Sirach von der Wiege bis zur Bahre. Alle sind davon betroffen, Reiche und Arme, Untergebene und Könige. Alle werden sie besonders von den seelischen Affekten bedrängt: 40,4 b Zorn, Eifersucht (zelos), Verwirrung und Unruhe, Todesfurcht sowie Zank und Streit (eris). 9 Tod und Blut sowie Streit und Schwert, Kriege und Hunger, Verheerung und Plage. Dem alt- wie dem neutestamentlichen Weisheitslehrer geht es um die nüchterne Tatsache, die Grundsituation des Menschen aufzu decken und zu beschreiben, was um so eindrucksvoller ist, wenn man damit vergleicht, was Jesus Sirach in 17,1-14 »über die hohe Bestimmung und Würde des Menschen zu sagen wußte« (Lamparter 175) und was Jakobus ebenfalls positiv in 3,1-12 in Rezeption dieser Stelle formulierte (vgl. Jak 3,7 mit Sir 17,2; Jak 3,9c mit Sir 17,3b usw.).
14b: Während das Verbum ihr lügt als Gegenbegriff zur Wahrheit semantisch in sich klar ist, zumal die von Gott kommende Wahr heit (vgl. 1,18; 3,15) der dämonischen (3,15b) entgegensteht, ist das erste Verbum ihr überhebt euch — auch im Jakobusbrief - sehr viel offener. Wird es (als Verbum simplex, was aber den Sinn nicht verändert) in 1,9 (»Es rühme sich aber der Bruder ...«) sowie in 2,13c als Compositum (»Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht«) durchaus positiv verstanden, so wird das Verbum und das Substantiv in 4,16a.b negativ gebraucht (»Jetzt aber rühmt ihr euch in euren Prahlereien; jeder derartige Ruhm ist schlecht«). Auch der Kontext in 3,14 legt die Bedeutung sich überheben nahe. Rhetorisch dürfte 14b nicht als Aussagesatz, sondern als Fragesatz zu verstehen sein (vgl. Belser 155), da die Fragepartikel bei negier ten Verben eine bejahende Antwort voraussetzen kann (BIDebr Reh 427.2). Doch auch der Imperativ (So überhebt euch nicht und lügt nicht gegen die Wahrheit!) gibt einen durchaus angemessenen Sinn. Allerdings ist dann weder die Frage in Vers 13a nur rheto risch noch der Imperativ in 14b nur hypothetisch zu verstehen (vgl. Cladder, Aufbau 324). In jedem Fall geht es darum, daß die Adressaten in Widerspruch geraten zur Wahrheit, die bei Jakobus schöpfungstheologisch verstanden wird (vgl. 1,18), dann aber auch weisheitlich als Weg der Wahrheit (5,19a), also sozialethisch, ein Aspekt, den Jakobus in 3,16ff. stärker entfaltet. Zuvor jedoch charakterisiert er in epigrammartiger Kürze jene falsche Weisheit, die Voraussetzung für die falsche Grundorientierung ist.
3. Von der gottlosen Weisheit (3,15) Vers 15 ist das Zentrum der kleinen Abhandlung 3,13-18 (s. o. zur Formkritik). Mit seiner antithetischen, chiastischen Struktur bildet er die Mitte, um die sich die negativen Aussagen in 14 und 16 und als Rahmen die positiven Aussagen in 13 und 17-18 herumgruppie ren. Versteht man mit Cladder (Anlage 44) die kleine Einheit 3,1318 zugleich als Zentrum des gesamten Briefes, wofür einiges spricht (vgl. oben zur Formkritik), dann ist Vers 15 zugleich das Herz stück des ganzen Jakobusbriefes. Zugleich würden die asyndetisch nebeneinandergestellten Begriffe in 15b, auch das nur hier im NT belegte Adjektiv dämonisch, kontextuell zu verstehen sein. Dies schließt eine diachrone, traditionsgeschichtliche Lesart nicht aus, da die traditionsgesättigte Sprache des Jakobus von ihren Vorlagen her noch deutlichere Konturen erhält. Doch ist auch der Text des
Jakobus als Kommunikationselement in einer ganz bestimmten lebensgeschichtlichen Kommunikationssituation zu verstehen. Betrachtet man den Text vom Leser aus, auf den Jakobus hand lungsorientiert und bewußtseinsändernd einwirken will, muß vor ausgesetzt werden, daß sie auch die von Jakobus rezipierten Tradi tionen in seinem Sinne verstanden haben. Dafür aber ist der Text des Briefes der primäre Sinnträger. Also ist bei der Auslegung wieder synchron anzusetzen. Bei aller Vorliebe für asyndetische Formulierung, Vers 15 ist für den, der bisher den Jakobusbrief gelesen hat, mit seiner Antithese nicht überraschend. In aller Deutlichkeit formuliert Jakobus bereits im Prolog, daß die Adressaten im Hinblick auf ihr unvoll kommenes Sein und Handeln (1,4) die fehlende wahre Weisheit von G o t t erbitten sollen (l,5a.b). Schon hier zielt die Weisheit darauf, »daß ihr vollkommen und ganz seid, und es euch an nichts mangelt« (l,4b.c), also auf Integrität und Ungespaltensein des Menschen. Daß dem existentiellen Sein das Haben und Handeln entsprechen muß, wird dort (vgl. 1,4) wie in 3,16-18 deutlich gesehen. Wer versucht wird, soll nicht sagen: »Von Gott werde ich versucht« (1,13b), da jeder — wie in 4,1 — »vielmehr versucht wird von seiner eigenen Begierde« (1,14a). Die Gegenthese steht in l,17a-c: Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk ist von oben, kommt herab vom Vater der Lichter. Der Kontext macht deutlich, daß von oben für Jakobus für von Gott steht. Oder im Hinblick auf 3,17 formuliert, wo ein Verbum fehlt: Von oben ist ein Wechselbegriff zu göttlich. Das Verbum in 3,15a und 1,17b macht jedoch deutlich, wo der Ursprung der Weisheit liegt: bei Gott. Damit sind die Verse in 3,13-18 in gleichem Maße theozentrisch orientiert und begründet wie der gesamte Prolog in 1,2-18. Dies hat Rückwirkungen auf das Ver ständnis von Weisheit. Dieses kontextuelle Verständnis bestätigt sich traditionsgeschicht lich. Daß die wahre Weisheit von oben kommt, d. h. von Gott, und nicht nur wie in der altorientalischen und paganen Weisheit eine von Menschen erworbene Größe ist, teilt Jakobus mit der biblischen Weisheitsliteratur (vgl. etwa Weish 7,7; 8,21; 9,4; Sir 1,1.9; 39,6). Vor allem die programmatische Einleitung des Buches Jesus Sirach:
1,1 Alle Weisheit kommt vom Herrn, und bei ihm ist sie in Ewigkeit dürfte mit ihrem exklusiven Anspruch und mit ihrer andere Weis heiten kritisch bewertenden Überzeugung auf Jakobus eingewirkt haben (s. o. zu 1,5). Wie jener gegen hellenistische, innerweltliche schulmäßige, philosophische Uberzeugungen polemisiert (vgl. Hengel, Judentum 252 ff.), so Jakobus in noch radikalerer Form gegen »Gegner«, da er den Gegensatz theologisiert (15a) bzw. dämonisiert (15b). Band schon Sirach durch die Identifizierung von Weisheit und Tora die Weisheit als Gabe Gottes exklusiv an Israel, so sah Jakobus sich genötigt, diese Tora noch einmal in seinem Sinne zu interpretieren (s. u. zu 3,17 und den Exkurs nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit« im Jak). Die positive Umschreibung dessen, was denn wahre Weisheit ist, steht in Vers 15 noch nicht an, sein Thema ist die widergöttliche Weisheit. Dies betont Jakobus in zweifacher Weise: Der Wendung von oben in 15a steht das Adjektiv irdisch in 15b entgegen. Versteht man im Sinne des Jakobus die Wendung von oben in 15a als »von Gott her« (1,5b. 13b. 17a-c), lautet jedoch auch die Anti these in 15b dämonisch. Jakobus nutzt die offene Metapher von oben in ihrer geographischen und übertragenen Bedeutung in 15b gekonnt antithetisch aus. Zugleich dürfte er mit der Charakterisie rung der dämonischen Weisheit, die er in Vers 14 als innere Zerrissenheit des Menschen und in Vers 16 als jede zwischen menschliche Ethik zerstörende Haltung umschreibt, an den NurGlauben in 2,14-26 erinnern im Kontext des Verständnisses der Werke als Zeichen des Glaubens parallel zu den Werken als Zei chen der Weisheit in 3,13: 2,18 Aber es wird einer sagen: »Du hast Glauben.« Ich aber habe Werke. Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, ich aber werde dir zeigen aus meinen Werken den Glau ben. 19 Du glaubst: »Es gibt einen einzigen Gott«. Du handelst gut. Auch die Dämonen glauben (das) und zittern. Wie der Glaube nach Art der Dämonen keinerlei Hilfe für die Bewältigung der Lebenswirklichkeit ist, ebenso trägt dämonische Weisheit angesichts aller Ambivalenz der Erfahrungen nichts zu
deren anthropologischer und gesellschaftlicher Bewältigung bei. Nichts spricht dagegen, daß Jakobus das im N T nur hier belegte Adjektiv dämonisch kontextuell, konkret im Blick auf Vers 3,15, aber auch auf 2,19 hin gebildet hat. Somit erübrigen sich alle gelehrten intertextuellen Hilfen (etwa aus Hermas Mand I X 11). Wie 3,6e und 4,7 belegen, setzt Jakobus wie alle Verfasser neutestamentlicher Schriften die Vorstellung von der Hölle und vom Teufel, wie sie in der frühjüdischen Dämonologie vorgegeben waren, für seine handlungsorientierten Impulse voraus. Er thema tisiert und entfaltet sie jedoch nicht eigens, geht also wohl davon aus, daß die Leser ihn verstanden und daß Erfahrungen dämoni scher Art ihnen bekannt waren. Theo-logisch war die Existenz der Dämonen für Jakobus kein wichtiges Thema, ebenso ist er kein Vertreter einer Dämonologie, da er in 4,7 dazu aufruft, dem Teufel zu widerstehen, und in 4,1-2 keineswegs — wie üblich — »Krieg, Streit und Blutvergießen« ( T h W N T 2, 1935, 15) auf das Wirken von Dämonen zurückführt, sondern — analog zu den Versuchun gen in 1,13-18 — auf den Menschen mit seinen Begierden und seiner Freiheit. O b diese Freiheit für Jakobus Ansatzpunkt des Wirkens der Dämonen ist, bleibt ungesagt. Auch wenn die Freiheit Wirkraum der Dämonen wäre, macht eben dies die menschliche Freiheit aus, ob der Mensch sich darauf einläßt, welche Konse quenzen der Mensch daraus zieht, wie die Dämonen zu zittern (vgl. 2,19) oder — dies ist das Aktionsziel des Jakobus — nach dem Gesetz der Freiheit für die Mitmenschen solidarethisch zu handeln. Ein pietistischer und quietistischer Glaube in Zittern und Furcht ist nach Jakobus kein Glaube (vgl. oben zu 2,1-13 und 2,14-26). In 15b werden die Prädikate der gottwidrigen Weisheit von Jako bus gesteigert, von irdisch bis zu dämonisch (Dibelius 253). Dabei meint die Wendung »irdische Weisheit« im Gegensatz zur göttli chen Weisheit wohl menschliche Philosophie überhaupt (Bauer — Aland 589), ob mit »dem Beigeschmack der Schwäche« (ebd.) sei dahingestellt. Eher umschreibt der Begriff epigeios: irdisch/erd haft, der in der Septuaginta nicht belegt ist, in Antithese zu 15a zunächst wohl nur die Herkunft dieser Weisheit im Unterschied zur himmlischen. Ein Dualismus, etwa gar ein gnostisch orientier ter, läßt sich daraus nicht erschließen. O b der Sprachgebrauch von Philo, näherhin seine Unterscheidung vom irdischen und himmli schen Menschen eingewirkt hat (einen Einfluß auf das Neue Testa ment nimmt Hoppe, Hintergrund 60 an), mag dahingestellt sein, da die Wendung »irdische Weisheit« in All I 43 als Abbild der himmlischen Weisheit durchaus positiv verstanden wird und sich
im Index lediglich eine Stelle (Abr 71,23) findet, in der die irdische Weisheit der himmlischen entgegensteht. Um eine solche Antithese mit starker apodiktischer Struktur geht es aber Jakobus, da es ihm nicht um die positive Funktion der menschlichen und irdischen Weisheit etwa in der Philosophie geht; er steht in polemischer Auseinandersetzung wie Sirach (vgl. Sir 1,1), sie läßt keine Nuan cierungen zu. Eine systematische Lehre läßt sich aus solchen Stellen nicht formulieren. Da im übrigen Himmel und Erde, Gott und Welt/Mensch eine durch und durch übliche Denkkategorie der gesamten Antike ist, lassen sich aus einzelnen Belegen keine allzu weitreichenden Schlüsse ziehen. Auch der scharfe Kontrast in Jak 4,4d.e (»Wer also immer ein Freund der Welt sein will, als ein Feind Gottes steht er da«) enthält zwar eine ausschließende Anti these, wohl jedoch nicht einen Seins-Dualismus. Will man am Begriff Dualismus festhalten, legt sich schon eher der Begriff Entscheidungs-Dualismus nahe. Auch wenn irdisch in 15b eindeu tig negativ verstanden ist, ist die Menschenwelt nach Jakobus als Schöpfung Gottes nicht schlechthin widergöttlich (vgl. 1,18; 3,9c sowie den Exkurs nach 4,4: »Welt« bei Jakobus). Eine nicht aufzuhebende Antithese zwischen der Weisheit von oben und der irdischen Weisheit bleibt, wie vor allem ihre perso nale Charakterisierung als dämonisch im Gegensatz zur in 15a vorauszusetzenden göttlichen Weisheit verdeutlicht. Was besagt in diesem Kontext das dritte Prädikat der Weisheit als psychike: psychische/seelische/sinnliche? Zunächst gilt es auch hier kontex tuell zu fragen. Das Substantiv »Seele« wird in 1,21c (»das eure Seelen zu retten vermag«) ganz im biblischen Sprachgebrauch positiv verstanden und kann mit »Leben/Mensch«, im Kontext mit »euch« übersetzt werden. Die Bedeutung in 5,20b (»wird seine Seele aus dem Tode retten«) ist ebenso zu verstehen. Der Mensch hat nicht nur eine Seele, er ist Seele. Davon unterscheidet Jakobus in 5,3 das »Fleisch« des (reichen) Menschen, das der Rost wie Feuer auffressen wird. In 2,26 hingegen lautet seine These, daß »der Leib ohne Geist tot ist«. Ähnlich formuliert er (als nicht zu identifizierendes Schriftzitat) in 4,5: »Eifersüchtig verlangt er (Gott) nach dem Geist, den er in uns wohnen ließ«. Diese Hinweise zur Anthropologie zeigen, daß Jakobus nicht mehr die griechische Zweiteilung des Menschen in Leib und Seele ver tritt, vielmehr eine dreigestufte anthropologische Struktur voraus setzt: Leib — Seele - Geist. Diese versteht Jakobus aber nicht gnostisch, sondern weisheitlich (s. u.). Diese trichotomische Anthropologie wurde zwar nicht von Jakobus, wohl aber vor allem
in der Gnosis in der Weise entfaltet, daß in einem scharfen Dualis mus der von Gott gegebene Geist seiner weltlichen Existenz, dem psychischen und fleischlichen Sein entgegengesetzt wird. Eine Auseinandersetzung mit einer solch gnostischen, dualistischen Anthropologie sieht man nicht nur in Jak 3,15 (vgl. bes. Schammberger und Hoppe, Hintergrund 61-66), sondern auch in 1 Kor 2,14; 15,44f. und Jud 19. O b diese Stellen sich mit einem gnosti schen Menschenverständnis auseinandersetzen, ist jeweils in der Literatur umstritten (zu 1 Kor vgl. Schräge 239-247.263 f., zu Jud vgl. Frankemölle 124-127.141). Nicht umstritten ist, daß die spätere christliche Literatur in der zweiten Hälfte des 2. Jh. in der Auseinandersetzung mit den Valentinianern und Markosiern in dieser Auseinandersetzung steht (vgl. auch Iren Haer I 7,1). Die Annahme, daß Jakobus mit dem Begriff psychisch/sinnlich ein bekanntes gnostisches Schlagwort übernommen hat analog zum Begriff »Rad des Werdens« in 3,6c aus orphischen Vorstellungen (wobei sich auch dort jedoch eine andere Herleitung nahelegte), kann natürlich nicht einfach verneint werden. Jedoch bleibt auffäl lig, daß Jakobus in 3,15b dieses Prädikat der nichtgöttlichen Weis heit bei den Adressaten unfraglich als bekannt voraussetzt. Zudem: Die Logik des Jakobus ist sowohl hier wie im gesamten Brief spezifisch ungnostisch. Im Gegenteil: Die trichotomische Beschaf fenheit des Menschen wird gerade nicht aus seinem Wesen begrün det, sondern aufgrund der Schöpfungstheologie (neben 4,5 vgl. auch 3,9c). Der gesamte Mensch ist »nach Gottes Ebenbild geschaffen worden« (3,9c), »er (Gott) wollte uns damit wir ...« (1,18). Dem entspricht, daß nicht nur das Pneuma/der Geist Heil, Rettung usw. erfährt, vielmehr der ganze Mensch, wobei an vielen Stellen keineswegs nur an das Gericht gedacht ist, sondern auch an innerweltliche, individuelle und zwischenmenschliche Erfahrungen des gelingenden Lebens, die von Gott geschenkt werden. Dies alles ist weisheitlich gedacht. Es bleibt daher die Frage, ob auch psychikos: psychisch/seelisch/sinnlich in Jak 3,15 »eindeutig in die jüd Weisheit als Ort dieses Sprachgebrauchs« (so Schweizer 662) weist. Traditionsgeschichtlich läßt sich in der Tat in der jüdischen Schöpfungstheologie und Anthropologie ein Kontext nachweisen, in dem Jak 3,15 gut verstehbar ist, mag er auch für unser Empfin den zunächst befremdlich erscheinen. Da Jakobus die Begriffe ohne weitere Erklärung einführt und als bekannt bei seinen Adres saten voraussetzt, nimmt Schweizer aufgrund dieses technischen Gebrauchs als präzise Vorlage Spekulationen an, die frühjüdische Exegese über die Entstehung des Menschen anstellte. Danach
bezog sich Gen 1,27 (vgl. die Rezeption in Jak 3,9c) auf den pneumatischen, Gen 2,7 nur auf den psychischen und sarkischen/ fleischlichen Menschen. Doch auch Gen 2,7 enthält das Nebenein ander von göttlichem Lebensatem (pnoen zoes); erst in der Verbin dung von diesem und der Erde entsteht der Mensch als »lebendige psyehe/lebendiges Wesen«. Aus diesen Stellen zog die jüdische Exegese weitreichende Folgerungen, da die Seele/psyche »in gewis sem Sinne zum Fleisch gehört« (ThWNT 7, 1964, 121). Vor allem Philo (vgl. Schweizer, choikos 462-465 und Sellin, Auferstehung 101-114.181-189) entwickelt aus Gen 2,7 eine differenzierte Anthropologie mit der Vorstellung von zwei oder drei Menschen klassen, wobei bei der zweiten Gruppe Philo von einer Mittelstel lung der Seele und ihren Möglichkeiten zum Guten oder Bösen ausgeht. »Zwei Arten von Menschen gibt es: der eine ist der himmlische, der andere der irdische. Der himmlische ist im Eben bilde Gottes geschaffen und deshalb ohne Anteil an allem Vergäng lichen und Erdhaften überhaupt; der irdische ist aus einem ausein-andergestreuten Stoffe, den die Schrift Staub nennt, gestaltet wor den« (All 131). Letzterer braucht die Einhauchung des Geistes, um erlöst zu werden (vgl. Sellin, Auferstehung 105 f.). Die ganze Vorstellung wird auch beeinflußt von einer schon duali stisch geprägten Weisheits-Tradition, von der »die schroffe Gegen überstellung der zwei Menschenklassen« stammt: »Der erste Mensch von Gen 1,26 f. ist dann platonisch gesprochen die Idee Mensch, jüdisch die Weisheit oder der Logos oder der Geist Gottes, bzw der ganz von ihm geprägte pneumatische Mensch. Der zweite Mensch von Gen 2,7 ist dann der irdische, zur psyche gewordene« (Schweizer 465). Beachtet man diese traditionsgeschichtlichen Zusammenhänge, mit denen auch Paulus sich in 1 Kor 15,46 auseinandersetzt, der im Unterschied zu Philo in 15,45 das Substantiv psyche wie Jakobus das Adjektiv negativ im Sinn von unpneumatisches, irdisches Lebe wesen versteht (vgl. Sellin 72-189), ist das dreigestufte anthropolo gische Modell, das auch hinter Jak 3,15b stehen dürfte, keineswegs von vornherein gnostisch. Ebenso ist Weisheit in 3,17 nicht gleich bedeutend mit »Geist« (so Kirk 27 aufgrund einer angeblichen Parallele mit dem Stichwort »Frucht« in Gal 5,22; ähnlich Hengel, Jakobusbrief 259). Selbst wenn Jakobus mit dem Adjektiv psychike: seelisch/sinnlich eine frühgnostische Terminologie aufge griffen hätte, hätte er sie ganz schöpfungstheologisch und weisheit lich verstanden (zur zunehmenden weisheitlichen Deutung von 1 Kor 15,45 f. und von Philos Exegese von Gen 2,7 vgl. Sellin 97
Anm. 75). Wenn Jakobus in 3,15 neben »psychisch« das Adjektiv »dämonisch« ergänzt, könnte die griechische Identifikation der Dämonen mit den Seelen möglicherweise eingewirkt haben (so Schweizer 463f. Anm. 29; 664 Anm. 14); genaueres läßt sich jedoch zum Verständnis des Jakobus nicht sagen, auch wenn der religionsgeschichtliche Hintergrund nachweisbar ist. Doch auch hier würde ein Zusammenhang mit Philo eine gnostische Deutung ausschließen. Eine Rezeption gnostischer Termini und Vorstellun gen ist auch deswegen schwierig, da gnostische Quellen und ihre Einwirkung auf neutestamentliche Schriftsteller im 1. Jh. außeror dentlich strittig sind. Und außerdem: Was sagen schon Begriffe? Auch Bischof Irenaus von Lyon (Ende 2. Jh.) sieht die Gefährlich keit der Gnostiker zu Recht darin, daß sie »so ähnlich reden« wie wir, aber doch »ganz Verschiedenes meinen« (Vorwort zu Adversus Haereses). Nicht Begriffe machen also schon eine gnostische Theologie aus, sondern das mit den Begriffen Gemeinte; daraus ergeben sich natürlicherweise Auslegungsprobleme. Bei allen Diskussionen um den durchaus vorhandenen Dualismus in 3,15 bleibt festzuhalten: Gott — Mensch, Gott — Dämonen, Himmel — Erde, oben — unten usw. sind ebenso kategoriale kosmologische Grundkonstanten im Denken der Menschen, wie Leib — Seele usw. existentiale Grundkonstanten im Denken der Menschen sind, ohne ipso facto dualistisch oder gnostisch zu sein. Wie innerhalb der jüdischen Schöpfungstheologie das Bekenntnis zu Gott ihn als Schöpfer von Himmel und Erde und damit des Alls umschreibt, so ist an jeder Stelle vom Kontext her zu fragen, welche Denkstruktur anklingt. Schöpfungsaussagen, wie sie im Jak auch im näheren Kontext von 3,15 (vgl. 3,9c) belegt sind, schließen zu dieser Zeit einen gnostischen Dualismus aus. Ein weisheitlicher Dualismus hingegen ist überdeutlich. Deutlich stehen in Jak 3,15.17 zwei Weisheitskonzeptionen einan der gegenüber, wie vor allem das Demonstrativpronomen in 15a diese (Weisheit) auch formal deutlich macht. Die traditionsge schichtliche Vorlage für eine solche Gegenüberstellung mit einer negativen Charakterisierung von Weisheit liegt nicht in äth Hen 32,3 ff. in Rezeption der Sündenfallgeschichte von Gen 3 vor (zumal der Begriff Weisheit fehlt) noch in der Rezeption der Geschichte von den gefallenen Engeln in Gen 6 durch äth Hen 69,8, zumal auch hier wiederum der Begriff »dämonische Weis heit« fehlt (gegen v. Lips 435 f.). Für die Antithese des Jakobus genügt auch in diesem Fall als Vorlage die Konzeption von Jesus Sirach, der mit seinem Buch »das geschichtliche Selbstbewußtsein
der Juden gegenüber der griechischen Allerwelts-Religion und Allerwelts- Philosophie auf einen zutreffenden und in sich berech tigten Ausdruck« bringt (Smend X X I V ) . Indem er im ersten Satz seines Werkes die von Gott kommende Weisheit gegen jegliche profane Weisheit stellt, steigert Sirach »den Satz von Prv. 1,7.9,10, daß die Furcht des Herrn der Anfang, d. h. das innerste Wesen, der Weisheit sei, nach J o b 28 dahin, daß alle Weisheit von dem Herrn kommt, und daß sie von Ewigkeit her bei ihm gewesen ist. In diesen Worten, die er an die Spitze seines Buches stellt, formu liert er die Kriegserklärung des Judentums gegen den Hellenismus« (ebd. X X I I I ) . Irdische Weisheit steht gegen die von Gott kom mende Weisheit. Wie Jakobus verweigert Sirach der irdischen Weisheit gerade das von ihr in Anspruch genommene Weisheits prädikat, wie folgende Stellen zeigen: 19,20 Alle Weisheit ist Furcht des Herrn, und in aller Weisheit geht es um das Tun des Gesetzes. 22 Dies ist keine Weisheit: die Kenntnis der Schlechtigkeit, und keinesfalls ist Klugheit: der Ratschlag der Sünder. Über die oben genannten Stellen hinaus ist auch auf die antitheti sche Charakterisierung der verschiedenen Weisen in Sir 37,19-26 hinzuweisen und an die Einleitung in 37,16-18 zu erinnern, die Jakobus in 3,1-12 rezipiert haben dürfte: 16 Der Anfang allen Tuns (ist) das Wort, und vor allem Handeln (stehe) die Beratung. 17 Die Wurzel der Pläne ist das Herz, viererlei tritt dabei zutage: 18 Gutes und Böses, Leben und Tod, und stets herrscht über sie die Zunge. 19 Es gibt manch klugen Mann, Lehrmeister für viele, für die eigene Seele sind sie unnütz. 20 Mancher, der sich in Worten weise dünkt, ist verhaßt, ein solcher wird aller Nahrung ermangeln. 21 Denn es ward ihm vom Herrn keine Huld erwiesen, weil er aller Weisheit entbehrt. 22 Mancher ist nur für sich selbst weise, die Früchte seiner Einsicht sind nur in seinem Munde wahr. 23 Ein weiser Mann unterrichtet sein Volk, die Früchte seines Wissens sind ihm beständig.
24 Ein weiser Mann wird mit Segen gesättigt, und es preisen ihn glücklich alle, die ihn sehen. 25 Das Leben eines Mannes währt eine Anzahl Tage, aber Israels Tage kann man nicht zählen. 26 Wer für sein Volk weise ist, findet Glauben und sein Name lebt fort ewiglich. 27 Mein Sohn, in deinem Leben prüfe deine Seele. Während der falsche Weise nur an sich denkt, die Lebensfreuden genießt, sorgt der wahre Weise nicht für sich, sondern ist tätig als Erzieher seines Volkes und erntet so unvergänglichen Ruhm (vgl. Peters 307). Mit dem traditionellen Motivvokabular der Weisheits literatur charakterisiert Jesus Sirach die Gegner der wahren Weis heit weiterhin als »Toren« (4,27; 8,17; 20,13; 21,22; 42,8; 50,26), als »Spötter« (3,28; 8,11; 13,1; 15,8 u.ö.), als »Frevler« (5,6; 8,10; 11,9; 12,6 u.ö.) sowie als »Gewalttätige«, »Grausame« und »von Gott Entfremdete« (8,15; 10,23; 13,12; 16,6; 32,22; 35,18; 41,10 u.ö.; zu diesen und weiteren Stellen vgl. Hengel, Judentum 270f.). Da Sirach Weisheit und Gesetz identisch sieht (was Jakobus so nicht übernimmt), gebührt dem, der — selbst als Armer — die Gebote Gottes hält, die höchste Ehre und Weisheit, wie in der kleinen Abhandlung 10,19-11,6 deutlich wird:
19 Welches Geschlecht steht in Ehren? Das Menschen geschlecht. Welches Geschlecht steht in Ehren? Die den Herrn fürch ten. Welches Geschlecht steht in Unehren? Das Menschen geschlecht. Welches Geschlecht steht in Unehren? Die die Gebote übertreten. 23 Ob einer reich ist und angesehen oder arm ihr Ruhm ist die Furcht des Herrn. 25 Einem Sklaven, der weise ist, leisten Freie ihre Dienste, und ein verständiger Mann klagt nicht darüber. 26 Mein Sohn, in Sanftmut ehre deine Seele, und zolle ihr Achtung, wie es ihr gebührt. 30 Ein Armer wird geehrt um seiner Klugheit willen, und ein Reicher wird geehrt um seines Reichtums willen. 1 Die Weisheit des Niedrigen erhöht sein Haupt, und inmitten der Großen verschafft sie ihm einen Sitz.
Dies ist die Grundüberzeugung von Jesus Sirach, daß Weisheit an die Erfüllung der Gebote Gottes gebunden ist. Gegen die anderen, die sich selbst als weise dünken, aber in Wahrheit gottlos sind, ergeht nach 41,8 die prophetische Weherede: Wehe euch, ihr gottlosen Männer, die ihr das Gesetz Gottes, des Höchsten, verlassen habt. Es bleibt die Frage, ob Jakobus mit der Antithese von der Weis heit, die nicht von oben kommt (15a) und Weisheit, die von oben stammt (17a), sich mit konkreten Gegnern auseinandersetzt, wie es für Sirach anzunehmen ist. Hengel vermutet wohl zu Recht, daß Sirach bei den traditionellen Topoi der Toren, Spötter, Frevler usw. »nicht nur Formeln wiederholt, sondern ihnen in seiner exponierten Situation eine konkrete Richtung gibt. Zwar hat er gewiß nicht bei jeder Nennung des >Toren< oder >Spötters< bestimmte Menschen im Auge, aber in einzelnen Fällen wird man doch einen polemischen Bezug annehmen dürfen« (Judentum 271). O b man die Gegner des Jakobus so konkret umschreiben kann, wie Hengel dies für Jesus Sirach angibt (er richte »seine Polemik gegen die in ihrer religiösen Überzeugung laxe, reiche Aristokratie«: 258; vgl. 250), sei im Hinblick auf 3,13-18 dahingestellt, da sich diese Frage eher in Kapitel 4 und 5 stellt. In 3,13-18 formuliert Jakobus eher traditionell topisch, ohne daß deswegen der lebensgeschichtli che Kontext und der handlungsorientierte Impuls übersehen wer den darf. Dennoch könnten dialogische Elemente, die sich in Analogie zur »Diatribe« (vgl. dazu Einleitung 2.4c) in 3,13-18 deutlich finden, auf die konkrete Situation der Adressaten zielen. Nimmt man die Verse 14 und 16 in ihrer vorausweisenden Funk tion auf die Kapitel 4 und 5 ernst, wird man bereits in diesem hochtheologischen und sehr komprimierten Summarium 3,13-18 nicht nur eine rhetorisch gekonnte, hochstilisierte innertheologi sche, antithetisch formulierte Abhandlung sehen wollen, sondern eine Rückführung auf das Grundsätzliche, durch die die Gegner des Jakobus in ihrem Selbstbewußtsein und Selbstanspruch getrof fen und widerlegt werden. Jakobus sieht keineswegs »nur auf das, was praktisch-moralisch« bei seiner Weisheits-Konzeption »her auskommt« und er stellt nicht nur gegen die »gnostische Sophia lehre einfach eine anständige sittliche Lebensführung« (Wilckens 526). Auch wenn »die >dualistische< Terminologie ... bei Jak nicht metaphysisch verstanden (ist) wie in der Gnosis« (Mußner 171), muß eine solche wichtige Erkenntnis nicht alternativ auf die rein
ethische »Haltung, Gesinnung und Qualität« verkürzt werden. Jakobus ist von Beginn seines Briefes an ein Verfechter einer Ethik, die ganz theozentrisch begründet und abgeleitet ist (s. o. den Exkurs »Eschatologie und Ethik« nach 1,12; an Literatur vgl. bes. Blondel). »Die Ethik, die Jakobus uns vorstellt, ist keineswegs der Ausdruck eines theologischen Mangels, sondern wohl eher eine Darlegung der notwendigen Wechselbeziehungen zwischen einem authentischen Glauben und einem konsequenten Handeln« (Blon del 144). Jakobus ist ein Vertreter einer »konsequenten Ethik«, der »kein einfacher Moralist ist, sondern seine Ethik auf eine präzise Theologie gründet« (ebd. 150). Diese Theozentrik ist für Jakobus die Basis, von der er die Weisheit nicht nur in ihrer Herkunft, sondern auch als praktische Lebensweisheit versteht. Im Vergleich zu ihr ist alle andere Weisheit gottlos, folglich irdisch, psychisch, dämonisch. Hier gibt es keinen Kompromiß, sondern nur Alterna tiven. Daher kann Jakobus in der Mitte der kleinen Abhandlung 3,13-18 und in der Mitte seines Briefes nur apodiktisch formulie ren.
4. Von den Werken der Lüge (3,16) 16a ist nicht nur eine Wiederholung von 14a, vielmehr eine begrün dende (denn) und weiterführende, im Hinblick auf die Adressaten intensivierende Aussage. Es geht Jakobus nicht nur um die Störung von »Ruhe und Ordnung« (Schräge 42 f.), vielmehr sieht er in seinem handlungsorientierten Ansatz die sozialethische Folgerung aus der individualethischen These in Vers 14 und leitet damit über zu den Versen 17-18 sowie 4,1 ff. Demnach sind Eifersucht und Streitsucht nicht nur innerseelische Deformationen (14a: »in euren Herzen«), vielmehr haben diese quasi innerseelischen Krankheiten leibliche und pragmatische Außenwirkungen, wie die Konsequenz in 16b lautet: denn wo da sind ... 16b: Der sozialethischen Perspektive entsprechen die beiden Sub stantive. Das Wort akatastasia: Unbeständigkeit/Unordnung/ Verwirrung/Aufstand ist neben Jak 3,16 4mal im N T belegt (in Lk21,9 als Synonym zu Krieg, in 1 Kor 14,33 als Antonym zu Frieden, in 2 Kor 6,5 und 12,20 steht der Begriff jeweils in einem Katalog von negativen Erfahrungen). Der jeweilige Kontext ist für die nähere Bedeutung bestimmend. Demnach ist Unbeständigkeit semantisch mit dem Begriff Eifersucht und Streitsucht (14a. 16a) verwandt und dürfte damit mit diesen Begriffen in Antithese stehen
zu den Begriffen friedfertig (17b) und Frieden (18a.b). Diesen Wortsinn bestätigt auch das im N T sonst nicht belegte Adjektiv »unruhig« in 3,8b (die Zunge ist »ein unbeständiges Übel, voll von tödlichem Gift«) und in 1,8a (der Zweifler ist »zwiespältig und unbeständig«). Wie nach 3,8 eine gespaltene Zunge tödliches Gift in der zwischenmenschlichen Kommunikation verbreitet, so ist der Zweifler nach 1,8 bei allem, was er tut, unbeständig, wankelmütig und ruhelos. Solche Menschen übertragen die »Streitsucht« ihrer Herzen in den zwischenkirchlichen Raum; dadurch entstehen Streitigkeiten und eine widergöttliche Unordnung. Gegen eine heilsame Unruhe hätte Jakobus wohl nichts einzuwenden; ihn aufgrund von Vers 16 zu einem Verzichtstheologen »auf regere geistige Betätigung« und zu einem Vertreter einer ruhigen Ethik »des Durchschnittsmenschen« zu machen (so Dibelius 254 f.), geht an der Intention des Jakobus vorbei. Noch stärker handlungsorientiert ist die Wendung jegliche böse Tat. Das Adjektiv phaulos: schlimm/übel dürfte beim weisheitli chen Ansatz des Jakobus nicht nur im moralischen Sinn wie sonst im N T zu verstehen sein, sondern ist in der Tradition der Stoa und bei Philon der Gegenbegriff zu »weise« und meint »töricht/ unfromm/böse« (vgl. T h W N T 3, 1938, 258.442; ebd. 7, 1964, 474; ebd. 9, 1973, 173). Gerade die verallgemeinernde Formulierung in 16b stellt demnach alle Nichtweisen und ihr törichtes Handeln schroff dem Handeln der Weisen entgegen. Dieses Tun steht »gegen die Wahrheit« (14b), gegen die »Werke in Sanftmut der Weisheit« (13c) und gegen die Weisheit, die »voll guter Früchte« ist (17c).
5. Von der Weisheit und ihren Werken (3,17-18) In Anknüpfung an den positiv gestimmten Vers 13 erreicht Jakobus in den Versen 17-18 jene Aussage, um die es ihm primär geht. Hier steht die inhaltlich gefüllte Antithese zu den Grundhaltungen und Handlungsweisen, die er in 14-16 abgelehnt und deren Schädlich keit und Widersprüchlichkeit er dort vorgeführt hat. Die Wendung in 17a die Weisheit von oben steht formal und inhaltlich in Antithese zur Wendung in 15a diese ist nicht die Weisheit, die von oben kommt. Kompromißlos schließt Jakobus jede Alternative aus. Zur allgemeinen Grundüberzeugung der frühjüdischen Weisheit, daß die wahre Weisheit von Gott/von oben/vom Himmel stammt,
s. o. zu 3,15 (vgl. auch Ziener 109-113 und Schnabel 2 1 ; über die oben genannten Stellen hinaus vgl. zum A T ferner Ps 50,8; Jer 9,11; Spr 2,6; 8,31-36; Weish 7,15-22; 9,13-18; Ijob 28,20-23; Ekkl 2,26; Dan 2,20-23 u. a.; vgl. auch 1 Q S IV,3f.; 1 Q H XI,7-10; XIV,8). Aus der prägenden Tradition für Jakobus, Jesus Sirach, ist besonders auf die programmatische Überschrift in 1,1 und auf die auf den Menschen gewendete Aussage in 1,14 hinzuweisen: 1 Alle Weisheit kommt vom Herrn, und bei ihm ist sie in Ewigkeit. 9 Er selbst erschuf sie, sah sie und zählte sie und schüttete sie aus über all seine Werke. 14 Der Anfang der Weisheit ist es, Gott zu fürchten, den Getreuen ist sie angeboren vom Mutterleib. »Das großartige Lehrgedicht in Sir 24« (v. Rad 316) läßt die Weisheit, die eine Ruhestätte auf der Erde sucht, von sich sagen: 3 Ich ging aus dem Mund des Höchsten hervor und bedeckte wie Nebel die Erde. 4 Ich schlug meinen Wohnsitz in der Höhe auf, und mein Thron ruhte auf einer Wolkensäule. Des Himmels Wölbung durchmaß ich allein, und in der Tiefe der Abgründe wandelte ich. 6 In den Fluten des Meeres und auf der ganzen Erde und in jedem Volk und Stamm suchte ich mich niederzu lassen. 7 Bei diesen allen suchte ich Ruhe und in wessen Besitz ich weilen könnte. 8 Da gebot mir der Schöpfer des Weltalls, und mein Erschaffer ließ mein Zelt zur Ruhe kommen und sprach: In Jakob schlage dein Zelt auf und in Israel nimm dein Erbteil zu eigen. Gemäß der üblichen alttestamentlichen Vorstellung, daß das Wort Gottes aus seinem Munde hervorkommt (vgl. T h W N T 7, 1964, 696) geht nach Sir 24,3a auch die Weisheit aus dem Mund des Höchsten hervor. Gott ist ihr Ursprung und ihr Geber (vgl. 1,10.26; 17,11; 38,6; 43,33; 45,26; 50,23).
1,26 Begehrst du Weisheit, so halte die Gebote, und der Herr wird sie dir gewähren. 43,33 Denn alles hat der Herr erschaffen, und den Frommen hat er Weisheit verliehen. Diese und andere Stellen (s. o. zu 3,15) zeigen den weisheitlichen Horizont des Jakobus, aus dem auch er heraus denkt und alle individuelle und soziale Lebenswirklichkeit deutet. Jakobus faßt das Glaubensgeschehen nicht (wie z. B . Paulus) als eschatologisches Ereignis, vielmehr bleibt er auch als christlicher Theologe in der Struktur und Logik weisheitlichen Denkens und rezipiert daher die frühjüdische Weisheit in konkreten Texten und im grundsätzli chen Ansatz. Dies betrifft auch den Weisheits-Katalog in 17a-d, in dem die der göttlichen Weisheit spezifischen Qualitäten — rhetorisch prägnant formuliert (s. o.) — umschrieben werden, wobei Jakobus hand lungsorientiert sicherlich schon die menschlichen Träger dieser Weisheit vor Augen hat. Diese Auslegung ad hominem entspricht ganz der Frage in 3,13a: »Wer ist weise und wohlunterrichtet unter euch?« Wer diese Weisheit besitzt, ist »ein vollkommener Mann« (3,2). Auch nach 1,5.17 ist die Weisheit, die man von Gott erbitten soll, die einzig wirklich »gute Gabe und ein vollkommenes Geschenk von oben«. Gerade die Weisheitsliteratur (vgl. vor allem oben das Zitat aus dem Preislied auf die Weisheit in 24,1-34) bestätigt, daß weisheitlich orientierte Theologen nie über die Weis heit an sich spekulierten, sondern sie immer in ihrer Auswirkung als Gabe Gottes an die Menschen durchdachten. Daher gilt: Was Jakobus als Charakteristika der Weisheit in 17a-d angibt, soll gemäß Vers 13 der Weise »aus dem guten Wandel seiner Werke« bestätigen. Insofern ist das literarisch sorgfältig gestaltete kleine Preislied des Jakobus auf die Weisheit in 17a-d auch sozialethisch zu verstehen. 17a: Die einzelnen Begriffe in Vers 17 sind z. T. eindeutig, z. T. semantisch offen, ergeben aber insgesamt ein in sich stimmiges Wortfeld, zumal dieses auch von den Antonymen im Kontext bestimmt wird. Die positiven Eigenschaften stehen in Antithese zu den Begriffen »bittere Eifersucht und Streitsucht« in 14a und 16a wie zur Überheblichkeit und Lüge gegen die Wahrheit in 14b, dann aber auch zur Unbeständigkeit und zum schlechten/weisheitslosen Tun in 16b. Auch der sonstige Sprachgebrauch des Jakobus ist zu beachten. Das allen vor- und übergeordnete (vgl. erstens dann) Charakteristikum lautet hagnos: rein/lauter/keusch. Im Sinne von »reinigen/läutern« steht das Verbum in Jak 4,8:
Reinigt eure Hände, Sünder, und heiligt/macht lauter die Herzen, ihr Zwiespältigen. Sieht man den Zwiespalt der Herzen in 4,8 in Parallele zur Eifer sucht und Streitsucht in den Herzen in 3,14, dann hat Jakobus sehr bewußt dieses Adjektiv an den Anfang gestellt, da es als Gegenbe griff zum gespaltenen, mit sich im Streit liegenden, von Eifersucht umhergetriebenen Herzen und der dieses bewirkenden Weisheit steht. Da es als weisheitliches Prädikat auch Gott selbst zukommt, ist es nah verwandt mit der Charakterisierung Gottes im Prolog in 1,5, wonach Gott »allen haplos: vorbehaltlos/einfach und ohne zu nörgeln gibt«. Wie Gott nicht von Affekten bestimmt wird, so ist auch die göttliche Weisheit lauter/rein. Kultische Assoziationen sind fernzuhalten. Von den wenigen Belegen in der Septuaginta kommen dem Sprachgebrauch in Jak 3,17 am nächsten Ps 11,7 (»Die Worte des Herrn sind lautere Worte, Silber, geschmolzen im Ofen, von Schlacken geschieden, geläutert siebenfach«) und Spr 21,8 (»Den Lügnerischen sendet Gott lügnerische Wege, denn seine [Gottes] Werke sind lauter und gerade«). Von diesem Kon text her dürfte mit dem Adjektiv nicht nur das Wesen der Weisheit bezeichnet sein (so Sputa 107), vielmehr enthält das Wesen die Ermöglichung für die Tat. Nicht zufällig dürfte auch in der Stoa der Weise hagnos genannt werden (vgl. Hoppe, Hintergrund 52 Anm. 5). 17b: Weisheit ist für Jakobus primär eine Gabe Gottes, nicht nur »ein sittlich anständiger Wandel« (Wilckens 526), auch wenn die Orthopraxie auf menschlicher Seite dem Sein der Weisheit zu entsprechen hat, wie gerade 17b deutlich machen kann. Dennoch formuliert Jakobus die Adjektive nicht anthropologisch, sondern als Modalitäten der Weisheit. So entspricht es der These im Prolog (vgl. zu 1,4 f.). Wohl als stärker sozialethisch orientierte Charakte ristika der Weisheit folgen aus ihrer Grundhaltung, ihrer Lauter keit und Integrität in 17a, drei Wesens- und Handlungseigenschaf ten, die Jakobus mit friedfertig, gütig, willig angibt. Wie immer man die Begriffsinhalte im einzelnen umschreibt, alle drei Adjek tive dürften in Antithese zu Bitterkeit, Eifersucht, Streitsucht, Rechthaberei und Zwietracht in 14a und 16a zu verstehen sein. Gemeinsam ist ihnen, daß sie alle auf Ausgleich und Ganzheit ausgerichtet sind. Im einzelnen meint das viel mißhandelte Sub stantiv Frieden (s. u. zu 18a.b) und das Adjektiv eirenikos: fried fertig/friedlich im Sinne des Jakobus keinen reinen Seelenfrieden bzw. Frieden nur mit Gott. Ein solcher Friede wäre für Jakobus
absurd, da es ohne zwischenmenschlichen Frieden keinen wirklichen Frieden mit Gott gibt. Wer den liturgischen Wunsch »Gehet hin in Frieden« (2,16) nur »fromm/religiös« versteht, den hält Jakobus für zynisch (s. o.). Tatkräftige Hilfe fordert Jakobus, im Gegensatz zu einer auch unter Christen oft leider nur proklamierten Solidarität (vgl. etwa den Nord-Süd-Konflikt oder die Situation einer reichen Kirche in sozial äußerst geschichteten Nationen), bei der Schwestern und Brüder nackt sind und weiter Mangel an täglicher Nahrung leiden (s. o. zu 2,15). Die heuchlerische, sich fromm dünkende Haltung motiviert Jakobus zu sarkastischer und prophetischer (vgl. 4,2 ff.) Kritik. Theologische Leerformeln sind ihm ein Greuel. Darüberhin aus macht Jakobus deutlich, daß Frieden — sozialethisch verstanden - keineswegs nur dem Engagement der Menschen zu verdanken ist, vielmehr »von oben« (3,17a) ermöglicht wird. Die theozentrische Perspektive — eine friedliche Weisheit als Gabe Gottes — steht vor aller menschlichen Aktivität (s. u. zu 18b). Traditionsgeschichtlich ist der Gedanke, daß Gott ein Gott des Friedens ist, so breit belegt (vgl. Hoppe, Hintergrund 53 f.), daß sich Belege erübrigen, während der Gedanke, daß die Weisheit friedfertig und friedensstiftend ist, nicht belegt ist. Sirach bestätigt den allgemeinen Sprachgebrauch. Nach 50,23 (»und lasse Frieden walten in unseren Tagen«) wird der Friede als Gabe Gottes verstanden. Im Kontext der Wendung »Werke in Sanftmut der Weisheit« in 13c sei hingewiesen auf Sir 4,8: Neige zu dem Armen dein Ohr, und antworte ihm Friedliches in Sanftmut. Lediglich Philo gebraucht das Adjektiv »vom Leben des Weisen, der den Seelenfrieden hat« (ThWNT 2, 1935, 417 unter Hinweis auf SpecLeg I 224 und II 45). Das zweite, asyndetisch angeschlossene Adjektiv epieikes: mild/ gütig/nachgiebig umschreibt in der jüngeren Literatur der Septua ginta primär das Verhalten Gottes als Herrscher, dann aber auch das des Königs und anderer Menschen (vgl. T h W N T 2, 1935, 585). Von diesem Kontext her kann Jak 3,17 so verstanden werden, daß hier »die Weisheit als himmlisches Wesen mit allerlei Herrschertu genden geschildert« wird (ebd. 586). Philo und Josephus bestätigen diesen Sprachgebrauch. Daß diese Eigenschaft auch im N T parallel zur zeitgenössischen, vor allem stoischen Ethik auch rein zwi schenmenschlich verstanden werden kann, ist unstrittig (zu den Belegen Hoppe 54 f.), verkennt jedoch die weisheitstheologische und theozentrische Dimension in Jak 3,17b.
Die dritte Modalität der Weisheit von oben wird mit eupeithes: willig/nachgiebig/gehorsam/folgsam/fügsam usw. umschrieben. Im N T ist das Wort nur hier belegt. Die genannten vielfachen Ubersetzungsvarianten der Wörterbücher und Kommentare bele gen die Schwierigkeit einer exakten Inhaltsbestimmung. Worum es Jakobus geht, ist vom Kontext her zu erahnen. Formal dürfte ihn nicht nur die Alliteration (s. o.), sondern bei den beiden letzten Adjektiven epieikes - eupeithes auch der gleiche Rhythmus und die Wiederkehr der gleichlautenden Endsilben (Homoioteleuton) zur Formulierung bewogen haben. Thematisch dürfte Jakobus an seine im Prolog entfaltete Anthropologie anknüpfen und die dort rezipierte Tradition hier repetieren. Demnach steht das bei Philon belegte Gottes- und Menschenbild im Hintergrund, näherhin die Vorstellung von Gott als dem unveränderlich und vollkommen Seienden (vgl. Montes-Peral 121-147). Ihr entspricht auf menschli cher Seite bei Philo und den Stoikern eine seelische Grundhaltung, die von den eupatheiai: guten Stimmungen, nicht jedoch von den pathe: Affekten bestimmt wird (zur weiteren Begründung vgl. T h W N T 9, 1973, 352 und 356). Daß in diesem Zusammenhang auch die chara: Freude (s. o. zu 1,2) eine eupatheia: gute Stim mung, an einigen Stellen sogar als die höchste dieser Stimmungen bezeichnet werden kann, dürfte auch im Hinblick auf das Ver ständnis des Adjektivs in 3,17b nicht zufällig sein. Wie Philo »alle Einzelheiten der philosophischen Affektenlehre vertraut« sind (ThWNT 9, 1973, 633 Anm. 106), so auch wohl Jakobus (s. o. den Exkurs »Anthropologie und Theo-Iogie« nach 1,18). Da das Adjektiv als Hinweis auf Gottes Sein bzw. auf das Sein der Weisheit bislang fehlt, dürfte Jakobus an dieser Stelle bereits den handlungsorientierten Aspekt von 17c und 18b anklingen lassen. Im Kontext der stoischen und philonischen Psychologie wäre das Adjektiv eupeithes negativ am ehesten vielleicht mit ohne Affekte/ ungespalten oder positiv mit wohlausgewogen/einfach/ruhig (vgl. den Begriff tranquillitas animi in der stoischen Literatur der Lateiner) zu umschreiben. Auf das Gottesbild übertragen klingt noch einmal der Gedanke der Einzigkeit Gottes (2,19; 4,12), seiner Ganzheit und seines ungespaltenen Gebens (1,5) an. Insofern kann Jakobus diese Aussage auch von der göttlichen Weisheit machen. 17c: Im Hymnus auf die Weisheit folgen zwei Bestimmungen, die ganz bibeltheologisch orientiert sind. Im Kontext der hinter Vers 17 stehenden Affektenlehre bezüglich des Gottes- und Menschen bildes ist die Charakteristik der Weisheit als voll von eleos: Erbarmen/Barmherzigkeit/Güte nur von der hebräischen und
griechischen Schrift her zu verstehen, da »dieser Gedanke als Tugend für die zeitgenössische Ethik undenkbar« ist (Hoppe, Hintergrund 55). Im Griechischen meint nämlich eleos einen Affekt der Rührung, ein Pathos, das z. B . in der Stoa »unter die Krankheiten der Seele gerechnet wird«, die als solche »des Weisen nicht würdig« ist (R. Ruitmann, in: T h W N T 2, 1935, 475; ebd. 474 f. reichliche Belege). Da auch Philo bei der Betonung der göttlichen Transzendenz Gott als affektlos versteht (vgl. MontesPeral 125), ist das Erbarmen nicht als Affekt, sondern als Bestand teil des göttlichen Seins zu interpretieren (ebd. 127; vgl. auch 134147). Da im Gegensatz dazu eleos und das entsprechende hebräi sche Wort chaesaed für Gottes Sein und Handeln in der hebräi schen und griechischen Schrift breit belegt sind, braucht es keine Belege (vgl. ThWAT 3, 1982, 48-71, bes. 63 f.). Prägend waren vor allem zwei liturgische Formeln in Ex 34,6 (»Jahwe ist ein barmher ziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Güte und Treue«) und in Jer 33,11 (»Der Herr ist gütig, denn seine Güte währt ewig«), die im AT vielfach rezipiert und variiert wurden (ebd.). Jakobus steht ganz in dieser Tradition (er reflektiert demnach nicht wie Paulus Gottes Erbarmen als heilsgeschichtlich-eschatologisches Tun in Jesus Christus). Ganz unphilosophisch und unstoisch kann Jakobus mit dem Gedanken des Erbarmens Gottes auch den Gedanken des Gerich tes (und implizit den des Zornes Gottes) verbinden, wie die Rezeption von Sir 5,6; 16,11 f. und 28,3f. u. a. in 2,13 belegt, wo auch die Forderung nach der menschlichen Barmherzigkeit unter Hinweis auf Gottes Barmherzigkeit formuliert ist: 13 Denn das Gericht ist unbarmherzig gegen den, der nicht Barmherzigkeit tut. Erbarmen triumphiert über das Gericht. Wie Jesus Sirach innerhalb der jüdisch-weisheitlichen Schriften jener Theologe ist, der am stärksten die praktizierte Solidarität im zwischenmenschlichen Bereich als bestimmendes Motiv für das Verhalten Gottes im Gericht herausstellt, ebenso grundlegend ist dieser Motivzusammenhang bei Jakobus, wie auch in 3,18a.b erneut deutlich wird. Im Gegensatz zur unbeständigen Zunge, die nach 3,8b »voll von tödlichem Gift« ist, ist die göttliche Weisheit nicht nur »voll von Erbarmen«, sondern auch voll guter Früchte. Wie die übrigen Charakteristika ist auch diese Wendung nicht sofort — wie üblich
— auf menschliches Verhalten hin zu interpretieren, sondern als Qualität der göttlichen Weisheit zu verstehen. Der Spendertext solcher Vorstellungen ist für Jakobus wieder das Buch Jesus Sirach, wo an folgenden Stellen von den Früchten der Weisheit gesprochen wird (zu sonstigen Stellen für »Frucht« als traditionelle Metapher vgl. T h W N T 3, 1938, 617; Billerbeck I 466f.): 1,16 Die Fülle der Weisheit ist es, den Herrn zu fürchten, und sie macht sie trunken von ihren Früchten. 6,18 Mein Sohn, von Jugend an lege Wert auf Erziehung, und du wirst bis zum Alter finden die Weisheit. 19 Wie der Pflüger und der Sämann nahe dich ihr und harre auf ihre herrlichen Früchte. Wirst du nur ein wenig dich mühen, ihrer zu pflegen, wirst du schon bald von ihren Früchten essen. Im Lob der Weisheit in Kap. 24, in der Mitte des gesamten Buches, sagt die Weisheit von sich selbst: 17 Wie ein Weinstock sproßte ich Lieblichkeit, und meine Blüten brachten Frucht, prächtig und reichlich. 19 Kommet her zu mir, die ihr nach mir verlangt, und von meinen Früchten sättigt euch. Neben Stellen, an denen im eigentlichen Sinn von Früchten gespro chen wird, findet sich der übertragene Gebrauch im Sinn von »Früchte der Einsicht« noch in 37,22.23 und 50,10. Auch Jakobus belegt neben der uneigentlichen auch die eigentliche Verwendung in 5,7.18. Wie bei Jakobus bleiben auch in Jesus Sirach die Früchte der Weisheit im jeweiligen Bild ungesagt, werden jedoch wie bei Jakobus im gesamten Buch in allen Bereichen des Lebens themati siert. Hier zeigt sich dann auch, daß hier wie dort die Gabe der Weisheit vom Menschen nicht nur angenommen wird, sondern er die Aufgabe hat, »aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit zu zeigen« (3,13b.c). In Vers 17 steht dies nicht im Vordergrund; hier reflektiert Jakobus über das Wesen und die Qualität der göttlichen Weisheit im Gegensatz zur nichtgöttlichen Weisheit in Vers 15. 17d: Formal (s. o.) ist die Zeile ebenso asyndetisch wie die vorher gehenden, stilistisch zudem geprägt durch a-Privativum und durch die Assonanz der gleichlautenden Endsilben. Außerdem ist adiakritos: unparteiisch/nicht zweifelnd im N T nur hier belegt, was
das Verständnis nicht gerade erleichtert, da das Adjektiv im grie chischen Bereich mancherlei Bedeutungen haben kann, in der Septuaginta jedoch nur in Spr 25,1 belegt ist (vgl. T h W N T 3, 1938, 951 f.). Also ist zunächst der Kontext des Jakobus zu befragen. (Das von Dibelius 257 auch hier aufgestellte Kontextverbot, wofür jedoch als wichtigere Belege Parallelen aus den Briefen des Ignatius geboten werden, so daß er für die Bedeutung »einfältig/einmütig« plädiert, ist methodisch nicht zu begründen.) Untersucht man das Vorkommen des Verbums diakrinein im Jakobusbrief in 1,6 und 2,4, dann ergibt sich keineswegs ein unterschiedlicher Sprachge brauch. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, die in diesem Kommentar durchgehend gemacht wird, daß es Jakobus immer um individualethische und sozialethische Grundhaltungen als Einheit geht. Sein Aktionsziel lautet hier wie dort: die Gespal tenheit des Menschen und die Zerrissenheit der Gemeinden ist zu überwinden. Was an Mangel in 3,17d in der Weise der negativen Theologie von der göttlichen Weisheit ausgeschlossen wird, muß Jakobus auf menschlicher Ebene in aller Nüchternheit feststellen, sowohl im Sein des einzelnen wie im zwischenmenschlichen Ver halten in der Gemeinde. Vom einzelnen heißt es in l,5a.b-6:
5 a Mangelt es aber einem von euch an Weisheit, so erbitte er sie von Gott... 6 a Er bitte aber im Glauben, in dem er in nichts zweifelt. Denn wer zweifelt, gleicht einer Meereswoge, die vom Winde gepeitscht und umhergetrieben wird.
Da der Mensch, der nicht in voller Glaubensüberzeugung Gott um die Weisheit bittet, in 1,8 als »zwiespältig und unbeständig« näher beschrieben wird, meint das in 1,6 in Antithese zum Glauben stehende »Zweifeln« den Aspekt des Zwiespältigen, Unsicheren, Schwankenden, Halbherzigen usw. (vgl. auch Hoppe, Hintergrund 57). Überträgt man diese Grundhaltung auf den sozialethischen, zwischenmenschlichen Bereich, meint das gleiche Verbum jene falsche Grundhaltung, die Personen nach ihrem Äußeren nicht nur beurteilt, sondern auch bei ihrem Auftreten in der Gemeinde behandelt. Im Hinblick auf eine solche Praxis fragt Jakobus in 2,4:
Habt ihr nicht bei euch selbst Unterscheidungen gemacht und wurdet Richter aufgrund schlechter Überlegungen?
Der menschlichen Gespaltenheit im Bereich des Seins und Han delns setzte Jakobus vom Prolog an die Ungespaltenheit und Einfachheit Gottes gegenüber, da er Gottes Sein und Handeln als unaufgebbare Voraussetzungen für alle anthropologischen und ekklesialen Aussagen ansieht. Da Theo-Iogie und Anthropologie von Anfang des Briefes an korrelieren, kann Jakobus im Hymnus auf die Weisheit in 17d eben diese Qualität der göttlichen Weisheit als unparteiisch/nicht zweifelnd umschreiben. Als Hapaxlegomenon im N T geht diese Wendung demnach wohl auf Jakobus selbst zurück. Diese Modalität entspricht den Aussagen im Prolog, wonach Gott »einfach/vorbehaltlos: haplos« gibt und es bei ihm »keine Veränderung gibt oder eines Wechsels Verschattung« (l,17d). Schließlich nennt Jakobus die göttliche Weisheit noch anhypokritos: ungeheuchelt/echt. Da alle Belege aus der profanen griechi schen Literatur aus nachneutestamentlicher Zeit stammen (vgl. T h W N T 8, 1969, 569), in der Septuaginta das Adjektiv nur 2mal belegt ist (Weisheit 5,18; 18,15), ohne daß eine Einwirkung auf Jakobus anzunehmen ist, im Neuen Testament der Begriff als Beiwort zur christlichen Liebe (vgl. Rom 12,9; 2 Kor 6,6; 1 Petr 1,22) oder Glaube (2 Tim 1,5) steht, jedoch weder mit der mensch lichen noch göttlichen Weisheit verbunden wird, dürfte wiederum redaktionelle Bildung des Jakobus zu vermuten sein. Da die seman tische Bedeutung im Sinne des »ungeheuchelt« unstrittig ist, klingt in dieser Qualität der göttlichen Weisheit die Übereinstimmung im Sein, Sagen und Handeln an. Die göttliche Weisheit ist so, wie sie sich gibt, und sie gibt sich so, wie sie ist. Dabei legt es sich nahe, daß Jakobus an die positive und negative Macht der Zunge in 3,112 erinnern will oder auch an die Funktion der Werke als Zeichen des Glaubens in 2,14-26 bzw. an die Werke als Zeichen der Weisheit in 3,13. Immer soll das Handeln dem Sein entsprechen. Sucht man nach möglichen Parallelen für einen solchen weisheitli chen Hymnus, wird in der Literatur zu Recht immer wieder auf den Weisheitshymnus in Weish 7,22-8,1 hingewiesen, in dem vor allem die beiden ersten Verse in gleicher Weise asyndetisch formu liert sind wie in Jak 3,17. Eine Rezeption durch Jakobus ist nicht nachzuweisen. Der Text lautet (in der Übersetzung von Schmitt, Weisheit 43): 22 In ihr ist ein Geist gedankenvoll, heilig, einzigartig, mannigfaltig, zart,
beweglich, durchdringend, unbefleckt, klar, unverletzlich, das Gute liebend, scharf, 23 nicht zu hemmen, wohltätig, menschenfreundlich, fest, sicher, ohne Sorge, alles vermögend, alles überwachend, und alle Geister durchdringend, die denkenden, reinen und zartesten. 24 Denn die Weisheit ist beweglicher als alle Bewegung; in ihrer Reinheit durchdringt und erfüllt sie alles. 25 Sie ist ein Hauch der Kraft Gottes und reiner Ausfluß der Herrlichkeit des Allherrschers. 18a: Mit einem getragen feierlich stilisierten Vers (s. o. zur Form kritik) schließt Jakobus seine Abhandlung von der wahren Weis heit (3,13-18) und seinen Hymnus auf das Wesen der Weisheit (3,17) wirkungsvoll ab. Dies entspricht seinem literarischen Gestal tungswillen auch am Ende anderer kleiner Abhandlungen (vgl. 1,12; 1,26-27; 2,13; 2,26; 4,12; 4,17; 5,20; ähnlich Hoppe, Hinter grund 68). Und ein weiteres ist für Jakobus charakteristisch: Die eschatologische Ausrichtung aller dieser Schlußverse, besonders deutlich in der ganzen Peroratio in 5,7-20. Dabei kann »eschatologisch« sowohl zeitlich futurisch mit dem Gedanken des Gerichtes verbunden werden, aber auch weisheitlich im Tun-ErgehenZusammenhang präsentisch-eschatologisch, also innerweltlich ver standen werden (vgl. im einzelnen den Exkurs »Eschatologie und Ethik« nach 1,12). So sehr mit Hoppe (67-70) gegen die übliche Auslegung Vers 18 als eschatologischer Zuspruch verstanden wer den kann, seine weisheitliche Prägung ist nicht zu übersehen. Die Unbedingtheit der Zusage für Jakobus läßt sich dabei weder aus den Mahnreden des äthHen erschließen, noch aus neutestamentli chen Parallelen wie Phil 1,10 f. (»Rein und untadelhaft sollt ihr sein für den Tag Christi, erfüllt von der Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus kommt, zum Preis und Lobe Gottes«) noch von Hebr 12,11 (»die friedvolle Frucht der Gerechtigkeit« als Lohn für erlittene Züchtigung). Jakobus ist aus seinem Kontext wie aus den von ihm rezipierten Traditionen zu erklären. Der Vers ist kontextuell formal und semantisch wie alle Stichen in 3,13-18 stark eingebunden (zum Stichwort Frucht vgl. 17c, zum Stichwort Friede in 18a und b vgl. 17b, zum Stichwort Tun vgl. 3,12c). Das Stichwort Gerechtigkeit in 18a läßt die gesamte Wort familie »Gerechtigkeit, gerecht, gerecht sprechen« des Briefes anklingen, wobei Jakobus die Begriffe einmal anthropologisch,
dann theozentrisch verwendet (vgl. 1,20; 2,21.23.24.25; 5,6.16; zur Deutung vgl. den Exkurs nach 2,24). Vorherrschend ist an allen Stellen in der bisherigen Abfolge des Briefes der theozentri sche Aspekt, während erst im stärker sozialethisch orientierten Teil ab 4,1 in 5,6 und 5,16 das Substantiv »der Gerechte« eindeutig eine anthropologische Bedeutung hat. Die theozentrische Bedeutungs struktur beim Verbum und Abstractum Gerechtigkeit dürfte dem nach auch für Vers 18 anzunehmen sein. Der Spender der Frucht der Gerechtigkeit in 18a ist also Gott selbst oder die göttliche Weisheit, die im Hymnus in 17 gepriesen wurde. Die Passivwen dung wird gesät in 18a ist also als passivum divinum zu verstehen (vgl. Hoppe, Hintergrund 68) — in Übereinstimmung mit anderen Stellen im Jakobusbrief, in denen der Verfasser zwar sehr deutlich, aber in der üblichen verhüllenden Redeweise von Gottes Handeln spricht (vgl. zu 1,5.12.25; 2,21.23.24.25; 5,15.16 und den Exkurs nach 1,18 »Anthropologie und Theo-Iogie«). 3,18 ist ein weiterer Beleg für die spezifisch jakobeische Konzeption des Synergismus, der These vom Zusammenwirken der Heilszusage durch Gott und der Heilsverwirklichung durch den Menschen (vgl. weiter zu 1,12; 1,22-25; 2,18-26; 5,20 sowie den Exkurs nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus). Im übrigen sind Wendungen mit der Metapher Frucht nicht nur im N T (Frucht des Geistes, des Flei sches, des Lichtes, aber auch Frucht der Gerechtigkeit: Phil 1,11), sondern noch reichlicher im A T (vgl. T h W N T 3, 1938, 617f.) belegt. Neben der Vorstellung von den Früchten der Weisheit (s. o. zu 17c) ist das Syntagma Frucht der Gerechtigkeit in der Septuaginta (z. T. im Unterschied zum hebräischen Text) in Am 6,12; Spr 11,30 und 13,2 belegt. Im Kontext der vorgegebenen traditionellen Wendungen sind zwei Akzente bei Jakobus festzu halten: Die Gerechtigkeit als eine der in Vers 17 genannten Fülle von guten Früchten ist an die Akzeptanz der Menschen gebunden (vgl. 18b) und: Jakobus drückt mit diesem Bild aus der Natur »ein prozeßhaftes Geschehen« (Schnider 95) aus. Letzteres entspricht seiner Vorstellung von der Anthropologie des Werdens (vgl. zu 1,12.22.25; 2,4.10.11; 3,1.9.10 und den Exkurs nach 1,18). Die Gaben der göttlichen Weisheit können sich nur dort beim Men schen verwirklichen, wo diese sie im Glauben annehmen, wobei im Glauben für Jakobus bedeutet: im handlungsorientierten Glauben zwischen Einzelmenschen, aber auch in der Gemeinde (4,1 ff.). Da für Vers 18 eine direkte Rezeption der Wendungen für Jakobus nicht nachweisbar ist, dürfte Jakobus in seiner Vorliebe für Natur metaphern das Bild aus seinem Kontext heraus entwickelt haben.
18b: Lag schon in 18a auf der Wendung in Frieden aufgrund der Satzstellung die Betonung, so macht Jakobus diesen Gedanken — pointiert anthropozentrisch gewendet — im Abschluß der klei nen Einheit und als Uberleitung zur nächsten kleinen Einheit in Kap. 4 zum eigentlichen Thema. So sehr er mit der biblischen Tradition in 18a den Frieden als Gabe der göttlichen Weisheit bzw. als Gabe Gottes formuliert (zu Stellen der Schrift vgl. T h W N T 2, 1935, 401 f.), ebenso versteht er es mit der prophetischen Verkün digung (ebd. 402-405), aber auch mit vielen rabbinischen Stellen (ebd. 407f.) als menschliche Aufgabe, Frieden zu schaffen/ machen. Vor allem die rabbinische Wendung »Frieden machen« ist breit belegt (vgl. Billerbeck I 215-218), aber auch die weisheitliche Literatur belegt die Wendung (vgl. Ijob 25,2; Spr 10,10; Ps 34,15; vgl. Jes 9,5; 45,7; 52,7). Die Frieden stiftende Tat, nicht die Frieden liebende Gesinnung steht in der Weisheitsliteratur sehr viel öfter an, als diese Stellen belegen. So dürfte auch in diesem Fall die von Jakobus kontextuell betonte Tat (vgl. 2,8.12.13.19; 3,12c; 4,17 zum Verbum und 1,22.23.25 und 4,11 zum Substantiv) jenen weisheitlichen Denkhorizont angeben, den er z. B . mit Mt 5,9 (»Selig, die Frieden schaffen«) gemeinsam hat. Hier wie dort ist auch der Tun-Ergehen- Zusammenhang handgreiflich. Beide ver treten ein Christentum des Tat-Glaubens, Jakobus darüber hinaus noch sehr viel stärker den Gedanken einer Tat-Weisheit, d. h. den Gedanken der praktischen, im Tun konkretisierten und verifizier ten Lebensweisheit. Den gleichen Gedanken kann Jakobus auch in der parallelen Wendung im Gedanken von der Erwählung durch Gott für diejenigen, »die ihn lieben« (1,12; 2,5) umschreiben. Global hatte Jakobus diesen Gedanken bereits im Beginn des Prologes formuliert: 1,4 Die Standhaftigkeit aber soll ein vollkommenes Werk haben, damit ihr (selbst) vollkommen und ganz seid, und es euch an nichts mangelt. 5 Mangelt es aber einem von euch an Weisheit, so erbitte er sie von G o t t . . . , und sie wird ihm gegeben werden. Mit diesem Ausblick auf die Orthopraxie der Christen in 18b kehrt Jakobus im Rahmen seiner Ringkomposition zum Gedanken von Vers 13 zurück, wonach das weise und wohlunterrichtete Gemein demitglied »aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der
Weisheit zeigen soll«. Prolog und kleine Abhandlung stimmen thematisch überein, was auch durch die hier und dort belegte Antithetik bestätigt wird, wobei im Prolog mehr allgemein von einem dreifachen Mangel (Mangel an Weisheit in l,5-6a, Mangel an Glauben in l,6b-8 sowie Mangel an der rechten Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen in 1,9-11) gesprochen wird, während hier die Gegenethik bzw. Gegenweisheit dezidiert besprochen und angegriffen wird. Doch auch wenn formal in Vers 15 die nichtgöttliche Weisheit im Mittelpunkt steht, zielt die handlungsorientierte Intention des Jakobus im Hymnus auf die wahre Weisheit sowie auf die von der wahren Weisheit ermöglichte Praxis der Christen. Wie realistisch und nüchtern Jakobus diese innergemeindliche Praxis sieht, zeigt auch die folgende kleine Texteinheit in 4,1-12 zum Thema Frieden und Unfrieden in der Gemeinde und ihren Motiven. Wie eng dies mit seinem Verständnis von Weisheitstheologie zusammenhängt, sei zunächst zusammenfassend dargestellt.
Exkurs 10: Weisheitstheologie nach Jakobus Literatur: S. o. zu 3,13-18 sowie zur Einleitung 2.4e: Jakobus und die jüdische und christliche Weisheitsliteratur. Außerdem: Gerstenberger, £., Zur alttestamentlichen Weisheit, in: VuF 14(1969) 28-44. - Hoppe, Hintergrund 44-71. — Küchler, Weisheitstraditionen 33-62. — Luck, Theologie. — Lux, R., »Die ungepredigte Bibel«. Überlegungen zum theologischen Ort der Weisheit Israels in der christlichen Verkündigung, in: PastTh 79(1990) 524-544. - Marböck, ]., Sir. 38,24-39,11: Der schriftgelehrte Weise, in: M. Gilbert (Hrsg.), La Sagesse de kAncien Testament, Leuven 1979, 293-316. - Preuß, Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur 172-198. — Ders., Erwägungen zum theologischen Ort alttestamentlicher Weisheitsliteratur, in: EvTh 30(1970) 393-417. - Reventlow, H. Graf, Hauptprobleme der alttestamentlichen Theologie im 20. Jahrhundert, Darmstadt 1982, 183-202. - Schräge, W., Der erste Brief an die Korinther I, Neukirchen 1991. — Schwankl, O., Die Metaphorik von Licht und Finsternis im johanneischen Schrifttum, in: K. Kertelge (Hrsg.), Metaphorik und Mythos im Neuen Testament, Freiburg 1990, 135-167, bes. 135140: Impulse aus der Theoriediskussion zur Metaphorik. — Theis, ]., Paulus als Weisheitslehrer. Der Gekreuzigte und die Weisheit Gottes in 1 Kor 1-4, Regensburg 1991. — Theißen, G., Weisheit als Mittel sozialer Abgrenzung und Öffnung. Beobachtungen zur sozialen Funktion frühjüdischer und urchristlicher Weisheit, in: A. Assmann (Hrsg.), Weisheit. Archäologie der literarischen Kommunikation III, München 1990, 193204. — Zimmerli, W., Ort und Grenze der Weisheit im Rahmen der alttestamentlichen Theologie, in: ders., Gottes Offenbarung. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament, München 1963, 300-315.
Ging es in der Einleitung (vgl. 2.4e) um den theologiegeschichtlichen Ort des Jakobusbriefes innerhalb der jüdischen und christlichen Weisheitslitera tur, so soll in diesem Exkurs als Zusammenfassung der Auslegung von 3,13-18 weiterführend folgenden Fragen nachgegangen werden: 1. Läßt sich der Text des Jakobusbriefes nicht nur als »Mahnschreiben aus weisheit lich-theologischer Sicht« (Schnackenburg II 194 ff.), sondern auch als Weis heitstheologie verstehen? Da Verfasser diese Frage, wie der gesamte Kom mentar belegt, mit Ja beantwortet, folgt daraus 2. die Frage: Von welcher Art Theologie ist diese Weisheitstheologie des Jakobus? Sodann ist 3. im Hinblick auf 3,13-18 zu fragen, welche Art von Dualismus Jakobus vertritt (3,15a. 17a: »Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt« — »die Weisheit aber, die von oben«). 1. Entgegen unterschiedlicher Akzentsetzungen innerhalb der Forschung zur alttestamentlichen Weisheitsliteratur (vgl. Reventlow 186-202; Preuß, Einführung 177-183), die »mit den Schlagworten individualistisch, utilitari stisch, eudaimonistisch, profan, rationalistisch usw.« in ihren einseitigen Mißinterpretationen umschrieben werden können, wird hier mit Küchler Weisheit umfassend verstanden als »die wirklichkeitsgerechte Einsicht und das dieser Einsicht entsprechende Verhalten in einem von Gott gestifteten Kosmos« (17f.). Daß so oder anders umschriebene theologische Konzep tionen in geschichtstheologischen und prophetischen sowie apokalypti schen Entwürfen im AT vorliegen, ist unbestritten. Davon unberührt jedoch ist die nüchterne Feststellung zur Forschungsgeschichte von 1982, die auch 10 Jahre später ihre Gültigkeit nicht verloren hat: »Die Einord nung der Weisheit in die alttestamentliche Theologie bleibt eine noch ungelöste Aufgabe für die Zukunft« (Reventlow 201). Die Gründe für diese Forschungssituation sind vielfältiger Art (vgl. Frankemölle, Jakobusbrief 305 f.), nicht zuletzt auch neutestamentlich motiviert, was erstaunt. Am deutlichsten nennt den hermeneutischen Maßstab Preuß, wenn er beim Versuch einer Wertung der alttestamentlichen und frühjüdischen Weis heitstheologie seine kritische Sicht wie folgt formuliert: »Wenn folglich die Weisheitsliteratur des Alten Testaments hier auch kritisch gesehen wird, dann wird damit Kritik an Teilen der Schrift von anderen Teilen der Schrift her geübt. Wenn das Alte Testament eine Mitte haben sollte oder gar hat, wenn die Schrift außerdem insgesamt auf das hin und von dem her zu befragen ist, was in ihr >Christum treibt< (M.Luther), dann wird es möglich sein müssen und zuweilen auch notwendig sein, bestimmten biblischen Texten und Schriften einen legitimen Ort in christlicher Theologie zu verweigern« (Einführung 193). Gegen die dezidierte These von E. Gerstenberger, der eine »theologische Gleichberechtigung« der Weisheitsliteratur im Konzert der theologischen Entwürfe im A T fordert (29), formuliert Preuß: »Predigt weisheitlicher Texte muß sich nach ihrer Christologie fragen lassen« (Erwägungen 417; zur grundsätzlichen Kritik einer solchen christologischen Engführung des AT vgl. Zenger, Das Erste Testament 86184). Den gleichen eklektizistischen Wertungsmaßstab legt Preuß auch aus alttestamentlicher Perspektive an, wenn er zum Buch der Sprüche ausführt:
»Es geht zunächst einmal nirgends um Israel als Volk und Gemeinde J H W H s . Vom Bund und von der Verpflichtung dieses Volkes durch seinen Volksgott ist nicht die Rede. Der Auszug aus Ägypten als grundlegende Heilstat dieses Gottes wird nicht erwähnt. Von Abraham, Isaak und Jakob wird geschwiegen wie auch vom Sinaigeschehen, der Führung durch die Wüste, der Landeroberung, von Josua, den Richtern, von Saul und David, von den Propheten und vom Zion. ... Das, was die Propheten dem Volk als neues Handeln J H W H s androhen oder verheißen, worauf die Psalmen lobend oder klagend antworten oder was auch sie erzählend preisen, fehlt hier« (Einführung 34f.). Was sich in reformatorischer Theologie beim Thema »Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus« (s. o. den Exkurs nach 2,24) fast unausrottbar einge bürgert hat (nämlich Paulus als einzigen Maßstab zu sehen), geschieht in einem solchen Denkansatz noch einmal inneralttestamentlich. Die kritisch hermeneutische Anmerkung von R. Lux gilt zu Recht: »Wer solch einen Defizitkatalog an den Anfang einer Untersuchung stellt, präjudiziert damit in ganz bestimmter Weise das Verständnis des Gegenstandes seiner Unter suchung. Er erweckt den Eindruck, daß von all dem eigentlich die Rede sein müsse. Und so wird die Weisheit ihren entscheidenden Mangel eben nicht mehr los, ihr vermeintliches Geschichtsvakuum disqualifiziert sie« (533). Was für das Verhältnis Paulus — Jakobus gilt, gilt auch für die unterschiedlichen biblischen Konzeptionen: Jede einzelne ist zunächst in ihrer eigenen Intention zu verstehen, bevor sie mit anderen verglichen werden kann, die aber nicht zum Maßstab werden dürfen. A. Schlatter hatte dies bereits 1932 klar gesehen: »Natürlich hat auch eine Vergleichung mit Paulus, ehe Jakobus verstanden ist, keinen Sinn« (Glaube 419). Daß auch inhaltlich die von Preuß formulierten, angeblichen Defizite nicht zutreffen (wie etwa die fehlende Schöpfungstheologie oder das Gericht Gottes), ist entweder zurückzuführen auf eine Verkürzung (zur integralen Beziehung von Schöpfungstheologie und Weisheit vgl. Doli sowie Lux 535f.; zur Schöpfungstheologie des Jakobus s. o. zu 1,17f.) oder ist begründet in der Beschränkung auf das hebräische Alte Testament (zum Gerichtsgedanken und zur Eschatologie in der Septuaginta und im Jakobusbrief s. o. den Exkurs nach 1,12: Eschatologie und Ethik). Für Jakobus bedeutet dies: Das, was mit »Rechtfertigung« und »Weisheit« gemeint ist, kann nicht von Paulus her bestimmt werden, wonach überall im N T die soteriologische Bedeutung von Tod und Auferweckung Zentrum zu sein hat. Unter dieser Voraussetzung enthielte nicht nur die Predigt Jesu keine Theologie, wäre keine Rede und Verkündigung von Gott und seinem Wirken, dies träfe auch auf die Logienquelle usw. zu. Die nichtpaulinischen Konzeptionen vertreten innerhalb der unterschiedlichen Entwicklungslinien in der Welt des frühen Christentums (vgl. Köster — Robinson) eigenständige Glaubens modelle, von Gott und seiner Wirklichkeit zu sprechen. Dies ist auch hermeneutisch die Voraussetzung für den weisheitstheologischen Entwurf des Jakobus, wobei erfreulicherweise festzustellen ist (s. o. Einleitung 2.4e), daß auch für Paulus seine Einbindung in Weisheitstraditionen in den
letzten Jahren verstärkt erarbeitet wird (vgl. Theis und Schräge, 1 Kor 55f..238-278). Damit eröffnet sich ein weites Feld der Forschung, da nunmehr die vielverhandelte Frage des Verhältnisses von Jakobus zu Paulus und umgekehrt etwa dahingehend zu differenzieren ist, ob es traditionsge schichtliche Beziehungen etwa zwischen Jakobus und der Logienquelle (vgl. Hartin) oder Paulus und der Logienquelle gibt (vgl. dazu etwa C. M. Tücken, 1 Corinthians and Q, in: J B L 102, 1983, 607-619), so daß nach möglichen gemeinsamen Traditionen, die Paulus und Jakobus je für sich rezipiert hätten, zu fragen wäre. Dasselbe wäre auch zum Verhältnis Jakobus — vormatthäische Traditionen zu sagen (vgl. dazu bes. Popkes, Adressaten 156-176 u.ö.). Diese Problematik kann nur als Forschungsdesi derat angemeldet werden. Hier geht es lediglich um die These, daß Weis heitstheologie genuine Theologie ist, so daß auch der Jakobusbrief als eine in sich zu wertende theologische Konzeption verstanden werden muß. 2. Die seit einigen Jahren aufgestellte These (vgl. vor allem die Arbeiten
von Luck, Baasland, Hoppe, Halson, Kirk u. a.), der Jakobusbrief sei eine Weisheitsschrift bzw. nur vom weisheitlichen Horizont her zu verstehen, ist nicht ganz so neu, wie ihre Vertreter vorgeben, wobei dieser Ansatz der Deutung außerdem Widerspruch fand (vgl. Mußner 248-250; Popkes 23-27, der anstelle einer direkten Rezeption das Modell eines weisheitlich-paulinischen Zwischenstadiums, von dem Jakobus abhängig sei, bevorzugt). Monographien und Kommentare kurz vor und nach der Jahrhundertwende
(vgl. / . B. Mayor, F. Spitta, E. Gräfe u. a.) hatten jüdische Weisheitsüber lieferungen als Traditionen für Jakobus herausgestellt (hier ist der Kom mentar von Mayor von 1892 paradigmatisch; vgl. ebd. in der Einleitung die Seiten L X X X V — C X X V I I , was von Dibelius in seinem einflußreichen Kommentar durch die Einordnung des Jakobusbriefes in den breiten parä netischen Strom der Antike konsequent weitergeführt wurde). Die Frage nach rezipierten Traditionen wurde aber nicht differenziert genug gestellt. Dagegen waren die Autoren im Verlauf des letzten Jahrhunderts schon dort, wo die Vertreter einer weisheitlichen Deutung des Jakobusbriefes (auch der Verfasser des vorliegenden Kommentars) nach mühsamen tradi tionsgeschichtlichen Arbeiten heute wieder stehen. Daß jene mit ihren Erkenntnissen die These vom Herrenbruder Jakobus als Verfasser verban den (s. o. Einleitung 2.1), sei dahingestellt. Schon H. Kern, ein Vertreter der Tübinger Schule, formulierte 1835 als Ergebnis eines langen Aufsatzes zum Thema »Der Charakter und Ursprung des Briefs Jakobi«: »Im Briefe Jakobi findet sich eine Reihe von Aussprüchen, die eine unverkennbare Beziehung auf Apokryphen des A.T. haben, vorzugsweise auf das Buch der Weisheit und auf das Buch Sirach; so zwar, daß sich sagen ließ: >Die alttestamentlichen Apokryphen waren dem Verfasser so bestimmt vor Augen, daß nicht selten Gedanke und Ausdruck von dort her stammt«< (91 mit einem Zitat aus der Einleitung ins N T von S. Schneckenburger von 1832 und dem Hinweis auf die vollständige Sammlung der vergleichbaren Stellen im Kommentar zum Jakobusbrief von Theile von 1833). Noch umfassender bestimmt W.Beyschlag 1874 die weisheitlichen Traditionen des Jakobus-
briefes: »Keine neutestamentliche Lehrschrift ist in so quellfrischer Weise die unmittelbare Fortsetzung der alttestamentlichen Weisheit und Weissa gung, und keine berührt sich so vielfach und durchgreifend mit der Lehrweise Jesu selbst« (142). Im Jahre 1893 resümiert?. Feine (139-149) die Forschungsergebnisse des 17. und 18. Jh. zum Jakobusbrief und stellt fest: »Die Darstellungsweise ist frisch und lebendig, der Verfasser greift oft zur Frage, gebraucht oft Bilder, und wenn er in lebhaften Schwung gerät, so steigert sich seine Sprache und Darstellung zu poetischer Schönheit und erinnert an die Sprache der alten Propheten« (140f.). Da Jakobus nicht das hebräische, sondern das griechische A T benutzt hat, ist ihm »die Kenntnis der alttestamentlichen Apokryphen vermittelt worden. Namentlich der alttestamentlichen Spruch Weisheit zeigt sich Jakobus verwandt«, wobei vor allem »die mannigfache Verwandtschaft mit Sirach und dem Buch der Weisheit zugestanden werden« muß (141 f.). Zur im 18. und 19. Jh. ver stärkt behaupteten Kenntnis der Theologie Philos von Alexandrien (zur Literatur vgl. ebd. 142-146) ist Feine skeptischer. Er setzt in der Regel bei Jakobus eine »selbständige Anwendung« von Gedanken und Bildern voraus (144), da diese oft auch schon im Buch Jesus Sirach zu finden seien, was in der Regel zutrifft (die Ausnahme von der Regel dürfte der Gedanke der Einheit/Einfachheit Gottes sein; dazu vgl. ebd. 144f.). Noch 1908 formu liert C. F. G. Heinrici zum Jakobusbrief zusammenfassend: »Der Brief verhält sich zu den alttestamentlichen Spruchbüchern ebenso wie die Offenbarung des Johannes zu der Apokalyptik des Spätjudentums« (75). Auch der Jesuit H.J. Cladder sieht im Jahre 1904 unter Hinweis auf zahlreiche ältere Literatur deutlich: »Wir haben im Jakobusbriefe ein Werk bewußter Kunstübung vor uns. Inhalt und Form zeigen unabhängig von einander diese Kunst an der Arbeit; was der Inhalt sagt, dasselbe sagt auch die Form; und so stützen sie sich gegenseitig« (305), woraus folgt, daß der Jakobusbrief nach formalem Aufbau (Strophen, Stichen) und Thematik der jüdischen »Weisheitsliteratur ... angehört« (306). Im weiteren Verlauf des 20. Jh. ist A. Schlatter ein Vertreter dieser Richtung, der bereits formal den Text des Jakobusbriefes in Stichen präsentiert (ohne dies zu begründen), die Verfasserschaft durch den Herrenbruder Jakobus und seine Nähe zu Jesus betont, aber dennoch unter Hinweis auf Mt 11,25 feststellt: »Ein Weiser spricht in diesem Brief in rhythmisch geformten Sprüchen. ... Der Brief sagt, daß Jakobus die Zuversicht hatte, sich vor die ganze Judenschaft zu stellen mit dem Anspruch, sie höre von ihm, wie die göttliche Weisheit sie in das Leben führe« (9). Die enge Verbindung der Theologie des Jakobus zur Verkündigung Jesu hatte Schlatter bereits in seiner Arbeit zum Glauben im Neuen Testament aus dem Jahre 1882 betont, wobei allerdings »Der Anschluß des Jakobus an Jesus« (so die Überschrift im Kommentar 9) oft auf Kosten jüdischer Identität geht, da er im jüdischen Glauben primär die Werkgerechtigkeit sieht (vgl. etwa 60), wogegen Jakobus sich mit seiner Polemik und mit seiner Abhandlung über die Einheit von Glauben und Werken wende. Dies ist hier nicht Gegenstand der Ausführungen. Daß der Jakobusbrief als neutestamentliche Weisheitsschrift zu verstehen
ist, setzte sich erst in den beiden letzten Jahrzehnten in der Forschung wieder langsam durch, wobei es nicht nur darum ging, weisheitliche Traditionen neben anderen zu betonen, sondern diese als Schlüssel zum Verständnis des ganzen Briefes mit seiner Ethik (vgl. Carpenter, Simon,
Felder) und vor allem Theologie (Luck, Hoppe) zu werten. So betont Luck: »Der Jakobusbrief bleibt mit seiner Theologie ganz im Rahmen des ihm vorgegebenen weisheitlichen Horizontes. Seine Aussagen schließen sich erst, wenn man sie in diesem Rahmen versteht. Das vorausgesetzte Ver ständnis von Gott, Welt und Mensch ist durch die vermittelnde Weisheit gekennzeichnet« (Jakobusbrief 179), verbindet aber damit eine Kritik von Paulus her (ebd. 178). Auch bei Hoppe heißt es zusammenfassend: »Der Jak steht religionsgeschichtlich fest in der Tradition der frühjüdischen Weis heitstheologie. ... Unser Brief gibt aber nicht nur traditionelles Spruchgut weiter ohne eigene theologische Konzeption, sondern korrigiert die Über lieferung und stellt seine Mahnungen unter einen einheitlichen Gesichts punkt: im Glauben teilt sich die verborgene Weisheit Gottes mit, die dem Menschen eschatologische Verheißung zuspricht, im Glauben muß der Mensch die Weisheit, welche er empfangen hat, aufgreifen und je neu verwirklichen« (147; Baasland, Weisheitsschrift 136 Anm. 21 kritisiert die zu weit gehende »Parallelisierung von Glauben und Weisheit« bei Luck und Hoppe). Bevor auf die spezifische Konzeption der Weisheitstheologie des Jakobus, die auch dieser Kommentar durchgehend vertritt, zusammenfas send eingegangen wird, sei noch einmal die Eigenständigkeit der jakobeischen Konzeption sowie die auch bei Paulus sich findende WeisheitsTheologie betont und unter ökumenischen Aspekten darauf hingewiesen, daß das damit sich stellende Problem einer »natürlichen Theologie« in ihrer Spannung zur Rechtfertigung aus dem Glauben bei Paulus heute sehr viel entspannter gesehen wird als einige konfessionell bestimmte Stimmen ver muten lassen (vgl. Kertelge, Grundthemen 148-160). 3. Auch wenn die Überzeugung, daß hinter dem Jakobusbrief nicht nur eine theologische, sondern auch weisheitstheologische Konzeption steht, sich immer mehr durchsetzt, sind die Antworten auf ihre konkrete Physio gnomie noch sehr unterschiedlich. An den beiden zuletzt genannten Theo logen sei dies kurz verdeutlicht. U. Luck betont zwar die Bedeutung der Taufe für den Jakobusbrief (Theologie 16-18, worin ihm der vorliegende Kommentar nicht folgt), kommt aber zu dem Ergebnis: »Damit ist die Taufe ... ein Geschehen, das den Menschen unter den Indikativ stellt: Ihr seid gerettet! Im Jakobusbrief kommt es darauf an, das eingepflanzte Wort aufzunehmen, das die dynamis hat, die Seelen zu retten! Wenn ich recht sehe, wird hier beim Verständnis der Taufe bereits die Eigenart der Theolo gie des Jakobusbriefes sichtbar: Sie kommt über den Imperativ nicht hinaus, sie gelangt nicht bis zum Indikativ des christologischen und soteriologischen Bekenntnisses. Wenn man bedenkt, daß die urchristliche Chri stologie und Soteriologie ihren Sitz im Leben im Taufbekenntnis haben, und hier bei Jakobus sieht, daß dieser Brief auch bei der Taufe unter dem Imperativ der jüdischen Weisheitstheologie stehenbleibt, dann ist damit
schon verständlich, warum es hier nicht zu klaren christologischen Sätzen kommen kann, wie wir sie bei Paulus finden« (18). Mit der Bestimmung der Taufe als »Teilhabe am Christusgeschehen« (17) bleibt Paulus Maßstab für Jakobus (vgl. auch die hermeneutische Prämisse ebd. 1). Ganz abgesehen davon, ob die Taufe bei Jakobus die ihr hier zugeschriebene Rolle spielt (s. o. zu 1,18.21; 2,8), wird durch die Ausblendung der Theozentrik (s. o. den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo-Iogie) das Verhältnis von Indikativ und Imperativ auf den Kopf gestellt. Die theozentrische Struktur impliziert dabei durchaus, daß Jakobus mehr als andere neutestamentliche Theologen — mit Ausnahme von Matthäus — die Heilszusage und die Heilsbewährung ineinander verschränkt. Jakobus ist ein Vertreter einer Korrelation (s. o. den Exkurs 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus), wobei das Sein von Gott her Voraussetzung für die Re-aktion des Menschen ist. Daher ist der Satz: »Der Mensch ist das, was er tut. Das ergazesthai [Tun] macht das Sein des Menschen aus« (22) weder für den Jakobusbrief zutreffend noch für die übrige jüdische Weisheitstheologie. Mit Recht lautet daher der ebd. von W. Schräge aus der 11. Auflage seines Kommentars zum Jakobusbrief zitierte Satz: »Das Tun konstituiert das Sein des Menschen« (15) in der 12. Auflage wie folgt: »Das Tun und Wirken konstituiert das Vollkommensein des Menschen« (15). Darüber läßt sich reden, falls nicht doch das Verhältnis von Glaube und Rechtferti gung paulinisch verstanden wird, so daß die Rechtfertigung »synergistisch korrumpiert« wird (Schräge 37; vgl. auch 59). Damit wird die Funktion der Werke als Zeichen für den Glauben und für das Innere des Menschen gegenüber anderen Menschen und vor Gott verkannt (vgl. Heiligenthal, Werke als Zeichen, sowie den Exkurs nach 2,24). Für den Leser kommt alles darauf an, daß er Gottes Sein und Handeln als unaufgebbare Voraus setzungen für die anthropologischen und ekklesiologischen Aussagen als Basis des Jakobusbriefes erkennt und theologisch gewichtet (s. o. den Exkurs nach 1,18). Ohne Zweifel verbindet Jakobus Glaube und Weisheit mit deren Verwirklichung im Tun, löst aber die Bindung der Weisheit an das Gesetz — dies ist das Hauptanliegen des Buches Jesus Sirach (vgl. Blenkinsopp und Schnabel) — in Aufnahme von Jesustraditionen auf, indem er Glauben und Weisheit unter das »Gesetz der Freiheit« stellt (1,25; 2,12; s. o. den Exkurs nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit«). Wie hinsichtlich der Position von U. Luck sei auch anhand einer These von R. Hoppe der Entwurf der weisheitlichen Theologie des Jakobus verdeut licht. Mit Recht betont Hoppe (72-99) die Verbindung des Glaubens an Jesus Christus und das Gesetz in Jak 2,1-13, versteht aber »den Glauben an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit« in 2,1 im Sinne der Weisheitschristologie, so daß für ihn Jakobus »Jesus Christus als Weisheit Gottes« versteht (98 als Überschrift; vgl. auch ebd. 175 das Nachwort zur 2. Auflage und ders., Jakobusbrief 52). Ohne Zweifel vertritt Jakobus eine Christologie (s. o. den Exkurs nach 2,1: Die Christologie des Jakobus), wie in den vergangenen Jahren immer deutlicher gesehen wird (vor allem von Mußner, Burchard, Karrer). Sie ist aber nicht mit der »Weisheit von oben«
(3,15.17) zu verbinden, da diese — wie der gesamte Jakobusbrief — primär theozentrisch strukturiert ist (vgl. auch die Kritik an Hoppe von Luck, Theologie 23 Anm. 80). Pointiert gesprochen: Jakobus ist nicht ein Vertre ter einer Weisheitschristologie, sondern einer Weisheitstheo-logie. Daran hängt die gesamte Konzeption des Jakobus, ohne die in der Tat nur von Ethik, Gesetz und vom Tun geredet wird und der gesamte Brief — wie bis heute vielfach angenommen — nur aus Paränesen und Imperativen besteht. Sieht man jedoch die theo-logische Dimension gemäß der Umschreibung von Küchler (s. o.): »Weisheit ist die wirklichkeitsgerechte Einsicht und das dieser Einsicht entsprechende Verhalten in einem von Gott gestifteten Kosmos« (18), dann ist grundlegend der Glaube an das Sein und Handeln Gottes am Menschen und an der Welt, da nach Jakobus Sein und Handeln der Menschen dieser theozentrischen Struktur zu korrelieren haben. Die »wirklichkeitsgerechte Einsicht« glaubt an Gott als Schöpfer der Welt am Anfang und als Schöpfer jedes einzelnen Menschen, der sie »will« und sie »geboren hat« (1,18), ihnen das »Wort« einpflanzt (1,21b), sie glaubt an Gott als den einzigen (2,19; 4,12), sie glaubt an Gott als den Geber der Tora (2,12 sowie die Schriftzitate in 2,8.11.21.23; 4,6 u. a.), an Gott, der die Armen erwählt (2,5), an Gott, der auch Richter ist (2,13; 4,12), wobei aber menschliche »Barmherzigkeit über das Gericht trium phiert« (2,13c). Der Mensch hat sich (dies ist in der Tat die Botschaft des Jakobus) gemäß dieser Glaubenseinsicht zu verhalten, da ein solches Kon kretisieren des Glaubens an die von Gott gesetz-te Ordnung, an den von ihm gestifteten Kosmos — vor allem in der Verwirklichung solidarischer Ethik (vgl. 3,13-18) — schöpfungsgemäß ist und den Menschen wahrhaft frei macht. Ein solches Konzept impliziert, daß Jakobus anders als Sirach (zum schriftgelehrten Weisen, seinem Selbstverständnis und seiner Vor rangstellung etwa vor den Handwerkern in Sir 38,24-39,11 vgl. Marböck) die Weisheit nicht an einen Stand bindet, an Lehrer oder Schulen, vielmehr vor dem Lehrerstand warnt (s. o. zu 3,1), die Weisheit demokratisiert (vgl. die Auslegung oben zu 3,13-18) und die Frage »Wer ist weise und wohlun terrichtet unter euch?« (3,13a) lediglich bindet an die Antwort: »Er zeige aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit« (3,13b.c; vgl. auch 3,17a-18b). Daher stellt er sich auch nicht wie Jesus Sirach (vgl. 50,27 und 51,13-22) als Weisheitslehrer, sondern als »Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« (1,1) den Adressaten vor. Zwar ist die Adressatengruppe sozial geschichtet (s. o. den Exkurs nach 1,11: Die soziale Situation der Adressaten sowie Einleitung 2.2), aber der Jakobusbrief ist nicht wie Jesus Sirach »ein eindeutiges Zeugnis für den Oberschichtcharakter der Weisheit« (Theißen 197). Die Arbeit hindert nach Jakobus nicht am Weise-werden (anders Sir 38,24: »Wer wenig Arbeit hat, wird weise werden«), vielmehr sollen sich gerade die Niedriggestellten ihrer »Hoheit« rühmen (1,9), da Gott »die vor der Welt Armen als Reiche im Glauben und als Erben (seines) Königtums erwählt hat« (2,5). Mit der sonstigen jüdischen und mit der christlichen Tradition (vgl. bes. Mt 11,25-26; vgl. zu den impliziten Geg nern dieses Spruches Frankemölle, Handlungsanweisungen 80-108) vertritt
Jakobus die These: »Jüdische und christliche Weisheit wendet sich an jedermann«, denn: »Im biblischen Traditionsbereich verliert die Weisheit mit ihrer Transformation von Erfahrungs- zur Offenbarungsweisheit ihre Statusbindung, die bei Jesus Sirach noch deutlich vorhanden ist« (Theißen 202). Ob mit dem Begriff »Erfahrungsweisheit« die weisheitliche Konzep tion von Jesus Sirach zutreffend wiedergegeben ist (vgl. 1,1: »Alle Weisheit kommt vom Herrn«), sei dahingestellt, jedenfalls ist die weisheitliche Perspektive »von unten« bei Jakobus deutlich, ebenso auch seine These, daß er »Weisheit« nicht als allgemein menschliches Phänomen, nicht als philosophische Erkenntnis, sondern einzig und allein als Gabe Gottes versteht (s. o. zu 1,5.17; 3,13-18). Jakobus steht zwar überdeutlich in der literarischen Rezeption des Buches Jesus Sirach, verhält sich aber wie jener kritisch und produktiv zur Tradition (vgl. Sir 21,15: »Wenn der Verstän dige ein weises Wort hört, lobt er es und fügt [eigene] hinzu«). In dem einen Punkt stimmt er ganz und gar mit ihm überein: »Alle Weisheit ist Furcht des Herrn, und in aller Weisheit geht es um das Tun des Gesetzes« (19,20) — jedenfalls so wie Jakobus »Gesetz« als »Gesetz der Freiheit« versteht (s. o. den Exkurs nach 1,25). Zur Charakterisierung der spezifischen Art der Weisheitstheologie des Jakobus sei als Zusammenfassung der Auslegung von 3,13-18 die Frage aufgenommen, ob Jakobus ein dualistisches Konzept von Weisheit vertritt, wie die scharfen Antithesen in 3,13-18 nahelegen. Dies ist nicht ganz einfach zu beantworten. Zunächst ist auf die grundlegende antithetische Struktur des gesamten Schreibens hinzuweisen, in dem das semantisch thematische Netz von Oppositionen gefertigt ist (s. o. den Exkurs 1: Zum semantischen Netz des Jakobusbriefes). Sodann ist über die traditionsge schichtlichen, bei der Einzelauslegung zu 3,13-18 notierten Vorlagen hin aus auf das grundlegende Problem der Metaphorik hinzuweisen, wodurch die oben vertretene These, daß die Verse 3,13-18 nicht ipso facto im Sinne eines gnostischen Dualismus zu verstehen sind, bestärkt wird. Danach sind metaphorische, antithetisch strukturierte Syntagmen räumlicher Art wie oben/unten, innen/außen oder auch solche wie Licht/Finsternis als »Arche typen« oder »Wurzelmetaphern« bzw. »Orientierungsmetaphern«, von denen die menschlich gedeutete Wirklichkeit strukturiert ist, zu verstehen (zu den Begriffen und zur Literatur vgl. Schwankt 138 f.). Im Kontext der glaubenden Deutung der Wirklichkeit dürften auch Begriffspaare wie Gott/ Mensch oder Gott/Teufel als solche verstanden werden, ohne die - wie die gesamte Bibel belegt — religiöse Sprache nicht funktioniert. Mit Dualismus oder gar einem gnostischen Dualismus hat eine solche Metaphorik zunächst nichts zu tun. Dieselben Begriffe können sehr Unterschiedliches meinen, wie bereits Bischof Irenaus von Lyon (Ende 2. Jh.) deutlich formuliert, wenn er die Gefährlichkeit der Gnostiker darin sieht, daß sie »so ähnlich reden« wie wir, aber doch »ganz Verschiedenes meinen« (Vorwort zu Adversus Haereses). Nicht Begriffe machen also schon eine gnostische Konzeption aus, sondern das mit den Begriffen Gemeinte, wofür der Kontext maßgebend ist. Dieser ist bei Jakobus nicht gnostisch, sondern
weisheitstheologisch zu bestimmen. Auch in der Weisheitsliteratur ist das metaphorische Gespann Gott/Mensch kaum mit dem Begriff »Dualismus« in gnostischem Sinn zu umschreiben, da der glaubende Mensch kaum anders als in binär strukturierten Begriffen von der einen Wirklichkeit, indem Gott und Menschen handeln, sprechen kann. Ohne Zweifel hat Jakobus diese binäre Struktur antithetisch verstärkt, konnte dabei aber auf weisheitlich vorgegebene Denkmuster zurückgreifen (s. o. zu 3,15b). Zusammenfassend läßt sich sagen: Jakobus steht mit anderen neutestament lichen Theologen (so auch Paulus) in einem breiten Strom weisheitlicher Theologie, die auch die frühe Jesustradition (faßbar in der Logienquelle), aber auch deren jüngere Deutung (etwa durch Matthäus) stark prägte. Diese weisheitliche Theologie ist in ihrem genuinen Ansatz sowohl im A T wie im N T zu würdigen. Dabei ist eine Reduzierung der Weisheitstheologie auf eine Erfahrungsweisheit (wie sie in den früheren Traditionen des Buches der Sprüche vorliegt) schon für die jüngere Weisheitstheologie der Schrift unangemessen, da dort verstärkt schöpfungstheologisch und eschatologisch argumentiert wird. In dieser jüngeren Tradition steht Jakobus, wobei er die Personifizierung bzw. Hypostasierung der Weisheit (vgl. Spr 8-9; Weish 6-9; Sir 24) nicht übernimmt; hätte er dies getan (wie andere Theologen im NT; zur Christologie der Logienquelle vgl. Christ, Jesus Sophia), wäre auch Jakobus ein Vertreter der Weisheitschristologie geworden, was nicht der Fall ist. Jakobus bleibt — aus welchen Motiven auch immer — beim streng theozentrischen Ansatz der Weisheitstheologie, der er seinen Glau ben an den erhöhten Christus (vgl. 1,1; 2,1) zu- und einordnet (s. o. den Exkurs nach 2,1: Die Christologie des Jakobus). Die Konzentration des Jakobus, die er mit der frühen Jesustradition vom Verkündigen und Ver wirklichen der Gottesherrschaft durch und in Jesus teilt, dürfte mit seinem Aktionsziel zu tun haben, das umfassend nur von einer handlungsorientierten Exegese zu würdigen ist. Der Entschluß des Jakobus, auf die Adressa ten in der Art, wie er es durchführt, einzuwirken, impliziert nicht nur die Wahl der rhetorischen Mittel, sondern auch die thematischen Akzente. Insofern bestimmt letztlich die glaubensmäßige und soziale Situation der Adressaten (s. o. den Exkurs nach 1,11) die Strategie des Jakobus. Da ihm alles an einem gelingenden Leben des einzelnen und der Christen unterein ander in der Gemeinde liegt, er ihnen seine Sicht vom Sein und Handeln der Christen gemäß dem Sein und Handeln Gottes aufschließen möchte, ent hielt die schöpfungstheologisch orientierte Weisheitstheologie der Schrift jenes Modell, das Jakobus für sein Aktionsziel am geeignetsten erschien. Wenn er dabei die kultische Orientierung von Jesus Sirach und dessen Bindung der Weisheit an einen bestimmten Stand durchbricht, zeigt dies nicht nur die Freiheit des Jakobus im Umgang mit Traditionen, sondern auch seine Bindung als »Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« (1,1) an den Lebensentwurf Jesu. In diesem Sinne ist er wirklich ein Bruder Jesu (darin mag die Zuschreibung des Jakobusbriefes an den Herrenbruder letztlich begründet sein; s. o. Einleitung 2.1), worauf die vielfache Benen nung der Bergpredigt gerade von evangelischer Seite als »Gesetz der
Freiheit« hindeuten mag (zu den Belegen vgl. den Exkurs 6 nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit«). Der Jakobusbrief vertritt eine ebenso dezidierte Theologie wie die Bergpredigt. Jakobus ist nicht weniger theozentrisch wie Matthäus, entscheidet sich aber, die weisheitstheologische Konzeption als grundlegend für sein ganzes Schreiben festzuhalten, um auf diesem literari schen Weg auf seine Adressaten einzuwirken. Wie die gesamte Weisheits theologie setzt auch Jakobus das Handeln Gottes in der Schöpfung, an den Menschen und im Gericht voraus; erst auf dieser Basis der Heilszusage sind alle Aufrufe zur Heilsbewährung in sich stimmig (s. o. die Exkurse nach 1,12; 1,18 und 2,24). Da Jakobus mit dieser Konzeption zudem in Konti nuität zu jüdischen Konzeptionen steht, könnte seine weisheitstheologische Stimme nicht nur im evangelisch-katholischen Gespräch, sondern auch im christlich-jüdischen Gespräch jene Brücke andeuten, die auch in der größe ren Ökumene immer noch besteht. Allerdings müssen Christen, daran läßt Jakobus keinen Zweifel, ihren Glauben gerade auch gegenüber den jüdi schen Gläubigen durch Taten der Nächstenliebe und durch Solidarethik beweisen. Nicht nur für das Verhältnis der Christen untereinander, auch für das schwer belastete Verhältnis christlicher Kirchen zum jüdischen Volk Gottes bleibt Jakobus mit seiner Theo-Iogie ein Stachel im Fleisch.
VI. Vom Unfrieden in der Gemeinde und seinen Ursachen (4,1-12) 1 a Woher (kommen) die Kriege und woher die Kämpfe bei euch? b Nicht von innen her, von euren Lüsten, c die in euren Gliedern streiten? 2 a Ihr begehrt und habt nicht; b ihr mordet und eifert c und könnt nicht erlangen; d ihr kämpft und führt Kriege. e Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet; 3 a ihr bittet und empfangt nicht, b weil ihr schlecht bittet, c um es in euren Lüsten zu verschwenden. 4 a Ihr Ehebrecher, wißt ihr nicht, b daß die Freundschaft zur Welt c Feindschaft gegen Gott bedeutet? d Wer also immer ein Freund der Welt sein will, e als ein Feind Gottes steht er da.
5 a b c 6 a b c 7 a b c 8 a b c d 9 a b c 10 a b 11 a b c c e 12 a b c
Oder meint ihr, umsonst sage die Schrift: eifersüchtig verlangt er (Gott) nach dem Geist, den er in uns wohnen ließ? Noch größere Gunst aber gibt er; deshalb sagt sie (die Schrift): »Gott widersteht den Hochmütigen, den Niedriggestellten aber gibt er Gunst.« Unterwerft euch also Gott! Widersteht aber dem Teufel und fliehen wird er von euch; naht euch Gott, und nahen wird er sich euch. Reinigt eure Hände, Sünder, und macht lauter die Herzen, ihr Zwiespältigen. Wehklagt und trauert und weint! Euer Lachen soll sich in Trauer verwandeln und die Freude in Niedergeschlagenheit. Erniedrigt euch vor dem Herrn, und erhöhen wird er euch. Verleumdet nicht einander, Brüder! Wer einen Bruder verleumdet oder seinen Bruder rich tet, verleumdet das Gesetz und richtet das Gesetz. Wenn du aber das Gesetz richtest, bist du nicht ein Täter des Gesetzes, sondern ein Richter. Ein einziger ist Gesetzgeber und Richter: (er), der retten und verderben kann. Du aber, wer bist du, der du richtest deinen Nächsten?
Literatur: Alonso-Schökel, L. James 5,6 and 4,6, in: Bibl 54(1973) 73-76. - Jeremias, / . , Jac 4,5: epipothei, in: Z N W 50(1959) 137-138. - Johnson, L. T. James 3:13-4:10 and the Topos peri phthonou, in: N T 25(1983) 327347. — Laws S. Does Scripture speak in Vain? A Reconsideration of James IV.5, in: NTS 20(1973/74) 210-215. - Michl, J. Der Spruch Jakobusbrief 4,5, in: Neutestamentliche Aufsätze. FS J. Schmid, Regensburg 1963, 167174. - Orbiso, Th. ab, Increpatio cupiditatis (Iac 4,1-12), in: VD 22(1942) 204-212.246-250. - Prockter, L.J., James 4.4-6: Midrash on Noah, in: NTS 35(1989) 625-627. - Schmitt, J. J, You Adulteresses! The Images in James 4:4, in: N T 28(1986) 327-337. - Schweizer, E., Die Sünde in den Gliedern, in: Abraham unser Vater. FS für O.Michel, Leiden — Köln 1963, 437-439. - Stählin, G. hedone u. a., in: ThWNT 2(1935 = 1960) 911-928. — Townsend, M.J. James 4,1-4: A warning against Zealotry? in: ET 87(1976) 211-213. y
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Kontextuell hat Jakobus die Verse 4,1-12 syntaktisch und seman tisch, aber auch gemäß seiner konstanten handlungsorientierten Wirkabsicht stark mit dem Gesamtbrief verbunden, gemäß seinem Prinzip der Amplifikation von Thesen und Aspekten aus dem Prolog vor allem mit den Versen 1,2-18. Hauptthema sind gemäß der Hinwendung zu Fragen des Zusammenlebens in der Gemeinde ab Kap. 4 deren Erprobungen/Prüfungen (vgl. I,2.12.13a.b.l4a), ihr Gespaltensein (vgl. 1,8) und vor allem die Frage nach den Ursachen dafür (vgl. 1,13-16). Die ekklesialen Probleme verdrän gen zwar nicht die primär anthropologischen Aspekte des Prologes (wie auch dort ekklesiale Aspekte durchaus thematisiert wurden: 1,9-10), werden aber von Jakobus ab 4,1 zur leitenden Perspektive gemacht. Dabei werden Gemeindeprobleme nicht nur an der Oberfläche thematisiert, sondern auf ihre grund-legenden Ursa chen zurückgeführt. Besonders aufschlußreich ist, daß Jakobus hier wie dort das Sein und Handeln der Menschen und der Gemeinde zum Sein und Handeln Gottes kontrastiert. Gerade die theozentrische Perspektive läßt alle rein paränetischen Interpretat ionen nicht nur dieser Verse als verkürzt erscheinen. Wie im Prolog (vgl. I,5.7.13b.c.l7c.l8) Gott/Herr/Vater direkt eingeführt wird oder auch (vgl. 1,12) als Subjekt vorausgesetzt wird, so auch in den Versen 4,4c.e.5b.6b.7a.8a.b.l0a. Außerdem ist der Rekurs auf die Schrift als Offenbarung Gottes in 4,5a und 6b zu bedenken. Auch das Stichwort Tora/Gesetz im Sinne der Sozialordnung Gottes ist ohne Gott als Gesetzgeber nicht zu denken. Außerdem wird diese theozentrische Perspektive wiederum durch den Gedanken des Gerichtes (der wie üblich auch hier von Jakobus wiederum an das Ende der kleinen Abhandlung gesetzt wird) und durch die Zitation des Sch ma Israel (12: ein Einziger ...) an semantisch exponierter Stelle höchst eindrucksvoll unterstrichen. e
Wie stark die Parallelität in der Argumentation im Prolog und hier in der amplifizierenden Entfaltung ist, bestätigt auch die Begrün dung für die Fehlhaltungen im anthropologischen und ekklesialen Bereich durch die falsche Art zu beten (vgl. 4,2 f. mit 1,6). Der Unfriede in der Gemeinde, den Jakobus mit sehr kräftigen Worten skizziert, ist letztlich hier und dort darin begründet, daß die Christen Zwiespältige (vgl. 4,8d mit 1,8) und Sünder (vgl. 4,8c mit l,15a.b) sind. Das Stichwort Liebe in 4,4b setzt sogar die Anrede Ehebrecher frei (zum Bild s. u.). Das unangemessene Selbstver ständnis und das daraus resultierende falsche Verhalten untereinan der von niedriggestellten und reichen Christen (vgl. 1,9.10a) wird mit den Stichworten Hochmütige/Niedriggestellte in 4,6b.c wie-
deraufgenommen. Niedrigkeit (1,10a) soll die erstrebte Grundhal tung der Christen (da es Jakobus um einen Prozeß geht, formuliert er verbal) nach 4,10a sein. Der Hoheit in 1,9 entspricht die verbale Aussage in 4,10b, wo Gott als der Spender der Erhöhung genannt wird. Wie so oft im Brief füllt auch Jakobus in der kleinen Abhandlung in 4,1-12 die Unbestimmtheitsstellen des Prologes inhaltlich auf. In sehr dichter Weise bestätigt sich, daß das Exor dium in 1,2-18 als Stichwortlieferant für die kleinen Abhandlungen dient und umgekehrt bestätigt sich von den kleinen Abhandlungen her, daß die erste kleine Einheit in 1,2-18 angemessen als Prolog bzw. Exordium verstanden werden kann. Als weitere Querverbindungen zu bisherigen Abhandlungen sind zu notieren: zum Motiv die Liebe zur Welt in 4,4b und zum Verbum reinigen in 4,8c vgl. l,27a.c; zur Wendung macht lauter in 4,8d vgl. 3,17; zum Streit in den Gliedern in 4,1c vgl. 3,5.6, wo in der gesamten Abhandlung die Zunge als das entscheidende Organ unter allen Gliedern verstanden wird. Wie sie »unter unse ren Gliedern als Feuer und als Welt der Ungerechtigkeit eingesetzt ist/da steht«, ebenso formuliert Jakobus nach 4,4e, daß der »Freund der Welt ... als ein Feind Gottes da steht/sich erweist«. Auch hinter dem Motiv der Verleumdung in 4,11 klingen deutlich die Zungen-Sünden von 3,1-12 erneut an (vgl. bes. 3,9b), auch wenn dort die zwischenmenschlichen Aspekte nicht im Vorder grund standen, da es Jakobus primär um die anthropologische Begründung ging. Die Verbindung zwischen 4,1-12 und 3,17-18 ist - wenn auch kontrastiv - so stark, daß selbst Dibelius ausnahms weise den isolierten Ansatz preisgibt und betont, daß 4,1 »sachlich zum vorhergehenden paßt« (250), für ihn ein Grund, die Verse 3,13-4,12 insgesamt als Einheit zu sehen, womit er jedoch vor allem den Weisheitshymnus in 3,17 gattungsmäßig verkennt. Die starke Einbindung von 4,1-12 in den Kontext, primär die Hinord nung auf den Prolog garantiert nicht nur formal stichwortmäßig die Einheit des Briefes, sondern auch die einheitliche Thematik in 4,112. Literarkritisch und formkritisch läßt sich zeigen, daß der Abschnitt keineswegs »uneinheitlich und ohne erkennbaren Gedankenfortschritt oder ein Grundthema« (Schräge 44) ist. Auch diese Verse sind aufgrund der oppositionellen Beziehungen und semantischen Dissoziationen stark kohärent. Wie bisher struk turieren auch hier Antithesen deutlich ein Feld. Folgende seman tisch-thematische Oppositionen lassen sich festhalten: Zwietracht und Rivalitäten in der Gemeinde — in exklusivem Gegensatz zum
Frieden in 3,18 und analog zum Verhältnis von göttlicher und nichtgöttlicher Weisheit in 3,15-17 — sind begründet in einem falschen Verhältnis zu Gott. Die Grundopposition wird in Vers lOa.b auf den Punkt gebracht: Erniedrigt euch vor dem Herrn, und erhöhen wird er euch. Die Wirklichkeit der Gemeinde ist keineswegs von Demut geprägt, sondern von Kriegen und Kämp fen (la). Liebe zur Welt/Feindschaft gegen Gott (4) schließen einander aus, denn Gott widersteht den Hochmütigen/den Demütigen gibt er Gnade (6). Gott allein wird retten/verderben (12b), er allein ist Gesetzgeber und Richter/Menschen haben über Menschen und über die Tora nicht zu Gericht zu sitzen (llb.l2a.c). Gott und Teufel stehen einander gegenüber (7a.b). Im anthropologisch-ekklesialen Bereich widerstreiten die aus der eige nen Begierde kommenden falschen Verhaltensweisen den gottge mäßen, wie in fast allen Versen dieser kleinen Abhandlung deutlich wird, was Jakobus in 3,13-18 grundgelegt hatte. Wie im Prolog entstand aber auch hier aus der weisheitlich orien tierten Grundlegung ein eminent schwieriges Problem: »Die Cha rakterisierung der streitsüchtigen Pseudoweisheit als dämonisch (3,15) ist dem Verfasser wahrscheinlich zu mythologisch-metaphy sisch, ja gefährlich (vgl. 1,13 ff.), denn es ließe dem Streitenden die Möglichkeit, die Verantwortung von sich abzuschieben« (Schräge 44). Wie im Prolog das Verhältnis von Gott und den Versuchungen (s. o. zu 1,13-18) geklärt werden mußte, so in dieser kleinen Abhandlung das Verhältnis von Gott als dem Schöpfer aller Men schen (3,9c), Gesetzgeber und Richter (4,12) zum Zwiespalt und Unfrieden in der Gemeinde. Die Ursache für diese Opposition sieht Jakobus wie in 1,13 ff. nicht in Gott, sondern in den Gemein demitgliedern selbst. Allerdings formuliert er auch deutlich, wie diese Opposition aufgehoben werden kann: durch Gottes Geist, den er in uns wohnen ließ (5b.c). Da dieses Wort als Schriftzitat eingeführt wird, argumentiert Jakobus wie in 3,9c mit der Autori tät Gottes selbst. Lassen sich Christen auf diesen Geist Gottes ein, werden die anthropologisch-ekklesialen Oppositionen verändert: Naht euch Gott/nahen wird er sich euch (8a.b), erniedrigt euch vor dem Herrn/erhöhen wird er euch (lOa.b), denn Gott wider steht den Hochmütigen/den Niedriggestellten aber gibt er Gnade (6b.c). Wie im Prolog (vgl. 1,5-11) wird jeder Mangel im anthropologischen und ekklesialen Bereich durch ein unerschütter liches Gebet (vgl. 1,5-6 mit 4,2a.b.3a.b) von Gott, dem solus deus (12; vgl. 2,19), sola gratia (6) aufgehoben. Gegen jede irdische Weisheit (3,15) ist das Niedrigwerden und die Demut vor dem
Herrn der wahre Weg zur Weisheit. Da die Adressaten all dies nicht anerkennen, letztlich Gottes Gottsein und Einzigkeit in Frage stellen, nicht ohne Zwiespalt, in Sanftmut und Demut alles von Gott erwarten und nicht von sich (2e.3a.b), ist ihre Lage so ambivalent, wie sie von Jakobus beschrieben wird. Die Ursachen dieses Unfriedens in der Gemeinde werden von Jakobus mit allen Registern der Rhetorik schonungslos offengelegt. Dies ist sein eigentliches Thema, woraus sich als Aktionsziel die Integrität und der soziale Friede in der Gemeinde ergeben soll. Die Verse 4,1-12 sind nicht nur vom Prinzip der funktionellen Oppositionen und dem dadurch konstituierten Wortfeld geprägt, sondern auch sonst stilistisch wie üblich im Brief kunstvoll gestal tet. Dieser literarische Gestaltungswille begründet die weitere Unterteilung der Verse. Der Haupteinschnitt liegt zwischen Vers 6 und 7. Der erste Teil wird geprägt von rhetorischen Fragen und Anklagen, während im zweiten Teil die Überfülle an Imperativen auf andere Art die pragmatische Wirkabsicht des Autors umschreiben. Hinsichtlich des Sprachduktus ähneln die Verse 7a.l0a.b den Versen 5-6, wäh rend Vers 9 in seiner apodiktischen Schärfe eher Vers 4 entspricht. Ohne Zweifel sollen die rhetorischen Wechselbäder den Adressa ten aufrütteln, zur Besinnung und zum Denken und schließlich zu einer neuen Glaubenspraxis bewegen. Diese Zweiteilung läßt sich noch einmal unterteilen, da Jakobus in den Versen 1-3 eine wirkungsvolle Inklusion geschaffen hat. Nach dem in la mit einer rhetorischen Frage' (wie in 3,13; 2,14 in Variation zu den sonst üblichen Imperativen) das Thema eingeführt ist und die Adressaten zur Antwort aufgefordert sind, gibt der Verfasser wie auch sonst seine Antwort: Die Ursachen der innerge meindlichen Auseinandersetzungen (s. u.) kommen nicht von außen, lassen sich nicht auf unterschiedliche soziale Schichten in der Gemeinde zurückführen und schon gar nicht auf Gott, viel mehr kommt die Ursache von euren Lüsten/Leidenschaften (lc). Sie sind aber nicht nur Ausgang und Ursache der Konflikte in der Gemeinde, vielmehr gibt Jakobus sie auch als Ziel aller menschli chen Aktivität am Ende der ersten kleinen Einheit mit einem Finalsatz an damit ihr das in 3a und b angeblich von Gott Erbetene in euren Lüsten/Leidenschaften verschwendet (3 c). Wie in 1,13 ff. lehnt Jakobus ohne Wenn und Aber eine Herleitung der Ambivalenz im Menschen und in der Gemeinde von Gott her ab, im Kontext der dämonischen Weisheit (3,15b) aber auch jede irgendwie geartete Prädestination, auch wenn es nicht zu einem
vollen Ausgleich zu den traditionellen Vorstellungen der Einwir kung durch die Hölle (3,6e) kommt, eine Vorstellung, die auch 4,7b prägen dürfte; denn wenn Christen dem Teufel widerstehen sollen, wird sein Einwirken auf die Menschen vorausgesetzt. Die Verse 4-6 werden ebenfalls mit einer rhetorischen Frage einge leitet, die an das Glaubens wissen der Adressaten appelliert (4a). Die selbstgegebene Antwort des Verfassers in 4d.e wird in den Versen 5-6 mit zwei Schriftzitaten begründet, wobei Vers 5 wie derum als Frage formuliert ist. Die dialogische Struktur der Verse 4,1-6 ist überdeutlich. Auch die Verse 7-12 lassen sich noch einmal zweiteilen, auch wenn sie durchgehend von Imperativen geprägt sind. Der erste Teil 7-10 ist wiederum sorgfältig als Inklusion formuliert. Dem Halbvers unterwerft euch also Gott (7a) als Folgerung aus den Schriftzita ten entspricht der Halbvers erniedrigt euch vor dem Herrn (10a). Die antithetische Struktur der vorhergehenden Verse wird noch dadurch unterstrichen, daß Jakobus als Kontrast den prophetisch orientierten Vers 9 einbringt, der weniger zu den direkt benachbar ten Versen, wohl aber zur ausschließlichen Antithetik in Vers 4 paßt. 4,9 weist zudem auf denselben Sprachduktus und auf die identische Thematik in 4,13 und 5,1 voraus (»Wohlan jetzt, ihr Reichen, weinet und klaget!«). Indem Jakobus neben den Zwie spältigen in 4,8 auch die Reichen in 4,13 und 5,1 anspricht, greift er die Fragestellung aus dem Prolog in 1,8-10 in amplifizierender Weise erneut auf. Die Verse 11-12 sind in der Anredeform konzilianter ( I I a : Brü der), in der Sache jedoch keineswegs. Waren die Verse 7-10 individuell orientiert, so die Verse 11-12 zwischenmenschlich. Individualethik und Sozialethik sind für Jakobus zwei Seiten einer Medaille. Zwischenmenschliches Fehlverhalten ist Fehlverhalten gegen Gott. Wer seinen Bruder richtet ( I I b ) , richtet das Gesetz (11c), wird aber — da er die von Gott gesetz-te Ordnung perver tiert — selbst »zum gerichteten Richter« (Wuellner 53). In Auf nahme des Dekaloggebotes aus Lev 19,16 in Jak 2,8c (»Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«) setzt Jakobus das Stich wort Nächster in 12c im Griechischen ans Ende des Verses. Diese Schlußposition belegt noch einmal die zwischenmenschliche Per spektive aller Verse, gleichzeitig aber entscheidet sich am Verhalten zum Nächsten die Frage, wer der einzelne ist: Du aber, wer bist du, der du richtest deinen Nächsten? (12c) Gerade der engere Kontext in Vers 12 zeigt, daß dies weder eine nur individuelle, noch eine nur soziale, sondern eine eminent theozentrische Frage
ist (12a: Ein einziger ist Gesetzgeber und Richter). Sein Selbst verständnis und die richtige Selbsteinschätzung gewinnt der ein zelne Christ und die christliche Gemeinde nur in ihrem Bestimmt sein von Gott her. Eben dies gilt auch für die Praxis der Christen und der christlichen Gemeinde, an die Jakobus im Kontext von 4,1-12 mit dem Stichwort Täter des Gesetzes ( l l e ) lediglich rück erinnern braucht, da er diese Thematik bereits ausführlich behan delt hatte (vgl. bes. zu 1,19-27; 2,1-13; 2,14-26 sowie 3,18). Im Großen wie im Kleinen sind die Verse 4,1-12 sorgfältig und literarisch gekonnt, lebendig und zugleich stark hörerbezogen formuliert. Die literarisch-stilistische Qualität zeigt sich nicht nur in der antithetischen Struktur, sondern auch in sonstigen rhetori schen Figuren. Hier ist die parataktische, lediglich durch und verbundene, aber dennoch asyndetische Anordnung der 8 Impera tive in 7-8 zu nennen sowie der durchgehend belegte antithetische Parallelismus membrorum. Auch der Verzicht auf Konditional sätze in den Versen 7.8 und 10 bestätigt die bewußt gesuchte literarische Qualität. Sie wird auch durch die rezipierten Traditio nen keineswegs vermindert. Wie im Prolog steht auch hinter diesen Versen das durch Philo vermittelte Menschenbild, näherhin die Affektenlehre, die jedoch eindeutig vom biblischen Schöpfungs glauben her uminterpretiert ist. Außerdem rezipiert Jakobus aus Jesus Sirach die kleine Abhandlung über die Warnung vor Rach sucht, Streitsucht und Verleumdung (27,30-28,26). Während er in Jak 3,1-12 die Verse über die Macht der Zunge aus Sir 28,13-26 verarbeitete und er daraus den Gedanken der Verleumdung in 4,11 erneut aufgreift, rezipiert er das Mittelstück in 28,8-11 an unserer Stelle. Die Verse seien vorab zitiert: 8 Halte dich fern vom Streit/Kampf, so wirst du weniger sündigen; denn ein jähzorniger Mensch zündet Streit/Kampf an, 9 und ein Mann, der Sünder ist, bringt Freunde durcheinan der, und mitten zwischen Friedfertige wirft er Verleumdung. 10 Je nach dem Holz, das man ins Feuer wirft, brennt es, und je nach der Stärke des Streits/Kampfes brennt er. Je nach der Macht, die ein Mensch hat, steigert sich sein Grimm, und je größer sein Reichtum, um so mehr schwillt sein Zorn. 11 Ungestümer Hader facht ein Feuer an, und ein ungestümer Streit/Kampf führt zu Blutvergießen.
Um die Radikalität der sprachlichen Ausgestaltung durch Jakobus richtig einordnen zu können, ist — auch im Vorgriff auf die zugespitzten Formulierungen in 5,1-6 gegen die Reichen — weiter auf Sir 34,19-22 hinzuweisen: 19 Kein Gefallen hat der Höchste an den Opfern der Gottlosen und vergibt nicht Sünden um der Menge der Opfer willen. 20 Wie einer, der den Sohn vor den Augen des Vaters schlachtet, ist der, der Opfer darbringt vom Vermögen der Armen. 21 Am Brot hängt das Leben der Armen, die seiner bedürfen, wer es ihnen raubt, ist ein Blutsmensch. 22 Den Nächsten mordet, wer ihm den Lebensunterhalt raubt, und Blut vergießt, wer dem Taglöhner den Lohn vorent hält. Die Lektüre dieser Verse wurde für den Dominikaner Bartolome de las Casas zum Schlüsselerlebnis seines Lebens, als er im Jahre 1514 sich auf die Pfingstpredigt vorbereitete. Der Text Sir 34,21-27 läßt ihn zum »Apostel« und Anwalt der Indianer werden sowie zum energischen Kritiker der spanischen Kolonialpolitik. Auch von Jak 4,1-12 hätte ein solcher Impuls ausgehen können. Im Hinblick auf den Abschluß der Verse 4,1-12 ist zudem auf das zwar anthropologisch gewendete, in Sir 34,21 f. 4mal belegte heis: ein Einziger/einer hinzuweisen wie auch auf Sir 35,12-14: 12 Der Herr ist Richter, und bei ihm gilt kein Ansehen der Person. 13 Nicht nimmt er Partei gegen den Armen, und das Flehen des Bedrückten erhört er. 14 Er achtet nicht gering das Flehen der Waise, und die Witwe, wenn sie ihre Klage ausschüttet. Gerade diese Abhandlung des Jesus Sirach über die Opfer, die Gott mißfallen und Wohlgefallen, wirkt nicht nur auf das vorliegende Kapitel des Jakobus und auf 1,26 f. ein, vielmehr stimmt die sich in 35,1 findende Grundthese Wer das Gesetz hält, bringt reichlich Opfer, Dankopfer bringt, wer auf die Gebote achtet
vollkommen mit der Grundposition des Jakobus überein (s. o. zu 1,26-27; 2,1-9). Weder für Jesus Sirach noch für Jakobus gibt es vor Gott ein Ansehen von Personen und parteiische Bevorzugun gen. Wer sich dennoch so verhält und die Armen verachtet (vgl. Jak 2,2-7), wer sich sein eigenes Gesetz des Handelns gibt, wird durch das Gesetz der nicht praktizierten Barmherzigkeit (vgl. 2,12-13), letztlich durch Gott selbst (4,12) gerichtet. Durchgehend ist diese praktizierte Nächstenliebe für Jakobus bekanntlich die Vorausset zung dafür, von Gott gerettet zu werden (vgl. auch 2,14-26).
1. Von den anthropologischen Ursachen der Konflikte in der Gemeinde (4,1-3) Wie im Prolog, näherhin in 1,2 ff. und 1,13 ff. Jakobus das Faktum von Mangelerscheinungen beim einzelnen und in der Gemeinde voraussetzt, so auch in 4,1a. Ausgehend von den Erfahrungen der Adressaten kann er seinen fiktiven Dialog mit ihnen direkt mit der Frage nach der Herkunft und Ursachen der Konflikte beginnen. Im Unterschied zum Prolog geht es hier jedoch nicht um den Mangel an Weisheit (l,5-6a), um den Mangel an Glauben (l,6b-8) oder um den Mangel an der richtigen Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen (1,9-11), sondern um konkrete Deformationen christli chen Verhaltens, die aus solchen Mangelzuständen erwachsen. Im näheren Kontext ist das von Jakobus kritisierte Verhalten begrün det im Fehlen der wahren, göttlichen Weisheit (s. o. zu 3,13-18), während sich bei den Adressaten »eine irdische, psychische, dämo nische Weisheit« und deren negative Verhaltensweisen zeigen. Nicht zufällig greift Jakobus mit dem Stichwort ihr eifert in 2b einen der Hauptbegriffe der widergöttlichen Weisheit, nämlich Eifersucht aus 3,14a. 16a wieder auf. 4,1-12 ist demnach im Sinne des Jakobus als die weiter ausgeführte Negativfolie des Hymnus über die wahre, von Gott kommende Weisheit in 3,17 zu lesen. Jetzt skizziert er nicht den guten Wandel (3,13b) der Christen, wohl zielt er ihn an. Gegenstand der Kritik ist jetzt der aus der falschen Weisheit kommende schlechte Wandel. In scharfer Antithese zur Friedenspraxis in der Gemeinde (3,18a) als Erweis der friedfertigen Weisheit Gottes (3,17a.b) charakteri siert Jakobus die Situation in der Gemeinde mit den Begriffen Kriege und Kämpfe. Deutlich stehen alternative Existenzweisen zur Debatte. Sieht man sie im Kontext der Frage nach Gott, dann ist das Ringen um eine bestimmte Weise kommunikativen Han-
delns im Sinne des Jakobus immer auch ein Ringen um die Wirk lichkeit Gottes an sich (vgl. den Exkurs »Anthropologie und Theo logie« nach 1,18). Da es um die Grund-legung des christlichen Glaubens und der christlichen Praxis geht, ist die Sprache kompro mißlos, bedingt durch den Konflikt. Die Begriffe polemos: Krieg/ Schlacht/Streit und mache: Kampf/Streit/Zwist und das zu dem damit eröffneten Wortfeld passende Verbum ihr mordet in 2b sind in der griechischen und jüdischen wie auch in der neutestamentlichen Literatur im militärpolitischen und »strafrechtlichen« Sinn breit belegt. Setzte man dies voraus, dann richtete sich la gegen nationalistische Zeloten in der Gemeinde (so Townsend, Adamson 334 und Schlatter 240 f.), die in 5,7-8 ebenfalls mit der Wendung »Harret also geduldig aus« kritisiert würden. Da eine solche antizelotische Argumentation im gesamten Brief fehlt, legt es sich nahe, die bildgesättigte Sprache von Vers 1 im Kontext der bisher deut lich werdenden Anthropologie des Jakobus zu verstehen. Trifft dies zu, dann ist weder ein militärisches Verständnis (so durchge hend auch T h W N T 6, 1959, 501-515, ebd. 515 zu Jak 4,2) ange messen noch eine apokalyptische Deutung der Kriege als Konflikte der Endzeit (so E W N T 3, 1983, 307), noch ist der Kampf im Sinne des Jakobus in uneigentlicher Bedeutung des »Wortstreits« zu verstehen (so T h W N T 4, 1942, 533 f. und E W N T 2, 1981, 981), nur weil an den drei anderen Vorkommen im Neuen Testament das Wort so verstanden wird. Eher dürfte Jakobus die Begriffe im uneigentlichen Sinn verstehen. Dafür spricht der Kontext, da die Begriffe Kriege und Kämpfe/ Streitigkeiten sowie die verbalen Formulierungen kämpft und führt Kriege in 2d die Gegenbegriffe zu der Wendung Werke in Sanftmut der Weisheit (3,13c) und der Weisheit, die lauter, friedfertig, gütig, willig (3,17a.b) sind, vor allem aber als Gegen begriffe zum Frieden in 3,18 verstanden werden müssen. Ein solcher uneigentlicher Sinn wäre vor allem dann gesichert, wenn die Schlußwendung en: in/bei euch am Ende von la eindeutig innerseelisch und individual zu verstehen wäre — analog zu 3,14a: Wenn ihr aber bittere Eifersucht und Streitsucht in euren Herzen h a b t . . . . Sieht man jedoch eine Parallele zum Beginn der kleinen Einheit in 3,13-18: Wer ist weise und wohlunterrichtet bei/unter euch?, legt sich eine eindeutig soziale und gesellschaftli che Deutung nahe, die aber nicht gegen den. uneigentlichen Gebrauch der Begriffe Kriege und Kämpfe spricht. Bei in/bei euch läßt Jakobus wohl bewußt eine Leerstelle, da er vom Beginn des Briefes an (s. o. zu 1,2-4) das Sein der Christen und das Sein
der christlichen Gemeinde wie auch ihr jeweiliges Handeln, also Sein und Individualethik bzw. Sozialethik als sich gegenseitig bedingend versteht. Wie so oft im Brief wendet Jakobus die anthropologische Problematik auch in 4,1 ff. in die gesellschaftlichekklesiale Dimension. In jedem Seinsbereich ist demnach von Kriegen und Kämpfen die Rede, die nicht mit wirklichen, militäri schen Waffen ausgefochten werden (so Bauer — Aland 1006.1374). Traditionsgeschichtlich gesehen (zu den rezipierten Texten s. o.) dürfte diese Deutung zur Gewißheit werden. Wichtiger als der übertragene Gebrauch bei Sophokles, Pythagoras und Plato (vgl. ebd.) sind neben der rezipierten Stelle aus Sir 34,25-27 Belege bei Philo (s. u. zu lb.c) sowie in rabbinischer Literatur. Von Rabbi Eliezer (um 90) ist überliefert: »Wer seinen Nächsten haßt, siehe, der gehört zu den Blutvergießern« (Billerbeck I 282, der diese Vorstellung als »geläufig« für die alte Synagoge bezeichnet). Mat thäus 5,21 f. bestätigt dieses Verständnis von Zorn und Haß: Schon das Zürnen fällt unter das Tötungsverbot des Dekalogs. Auch 1 Joh 3,15 (»Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Menschenmörder, und ihr wißt, daß kein Mörder ewiges Leben bleibend in sich hat«) bestätigt diese Tradition (vgl. auch Joh 8,44). Der Gedanke vom schlechten und todbringenden Haß ist vor allem belegt in der Testamentsliteratur (vgl. Testjob 4,4) und findet sich als breit ausgeführtes Thema in TestGad 3,1-5,5 (vgl. Küchler 469-478, wobei die weisheitlich orientierten Paränesen von Küchler in enger Verbindung zu den weisheitlichen Partien in Jesus Sirach interpre tiert und ihre Entstehung um die Zeitenwende in Palästina ange setzt wird; ebd. 439f.). Vor allem die antithetische Struktur in 4,1-7 (Haß erzeugt Tod, Liebe erzeugt Leben) ist aufschlußreich: »Denn, wie die Liebe selbst die Toten will lebendig machen und die dem Tod Geweihten will zurückbehalten, so will der Haß die Lebenden erschlagen und auch die kleinen Sünder nicht am Leben lassen« (4,6). Haß führt demnach zum Tod, da er — wie die Kriege und Kämpfe bei Jakobus — als ein Grundübel der menschliche Seele und Person wie in der Stoa gedacht wird. Eine solche Unordnung zerstört nach Jakobus deswegen Leben, weil die innere Schizophrenie des Menschen ihn heil-los macht, aber auch sein Tun (vgl. 4,2 und 3,5c-8). lb-c: Die Frage nach dem Woher der Konflikte in euch/bei euch beantwortet Jakobus mit einem feinen Wortspiel (la: pothen ... en hymin, l b : enteuthen) zunächst mit einem adverbialen allgemeinen Hinweis mit von innen her (vgl. BIDebrReh 104). Wie Jakobus das Adverb versteht, nämlich anthropologisch, wird in der zweiten
Vershälfte klar, wenn als Ausgang der Konflikte angegeben wird: aus/von euren Lüsten, die in euren Gliedern streiten. Im Grie chischen ist die Frage so formuliert, daß sie nur mit ja beantwortet werden kann. Jakobus appelliert also an eine den Adressaten bekannte Vorstellung. Dies hatte er bereits im Prolog klargestellt, daß niemand von Gott, jeder aber wohl »von seiner eigenen Begierde versucht wird« (1,14a). Wenn Jakobus dort von epithymia: Begierde spricht, hier jedoch von hedone: Lust/Vergnügen/ Genuß, dann zeigt das Verbum in 2a epithymeite: ihr begehrt (in Wiederaufnahme des Substantivs in 1,14 f.), daß Jakobus zu diffe renzieren versucht. Das Begehren wie die übrigen Verben in Vers 2 sind Äußerungen der zugrundeliegenden bösen Lust, die Aus gang (vgl. von/aus) der falschen Haltungen und des falschen Verhaltens ist. Dieses zielt aber wieder (3c: um es/damit ihr es in euren Lüsten ...) auf die gottwidrige anthropologische Grund struktur. Traditionsgeschichtlich knüpft Jakobus entgegen der hellenisti schen These von der Verderbnis und Verwerflichkeit des ganzen Leibes an jüdische Vorstellungen an, wonach nicht nur die Sünde in den Gliedern ist (vgl. Schweizer und Rom 6,13.19; 7,5.23; Kol 3,5), sondern auch die ungeordneten untereinander widerstreiten den Affekte der Lust. Jakobus geht es mit der in 1,14 rezipierten Tradition von den negativ verstandenen Begierden in Sir 18,30 f. u. a. letztlich um die Ganzheit und um das Ungespaltensein des Menschen, um innere Harmonie, Eintracht und Frieden. All dies kann erreicht werden durch die Bitte an Gott (vgl. 4,2e.3a-b mit 1,5) sowie durch ein Leben nach dem »Gesetz der Freiheit« (s. o. zu 1,25 und 2,12). Daß die Integrität des Frommen, der im Tun seinen Glauben erweist, anthropologisch durch die Lüste gefährdet ist, ist nicht nur breit in der jüdischen Literatur belegt, vielmehr wird die Integrität und Einfachheit des Menschen überhaupt sowie die Verwirrungen durch Leidenschaften auch in der paganen Lite ratur von Plato bis Cicero sehr breit und kontrovers erörtert (vgl. den ausführlichen, aber wenig rezipierten Artikel von Stählin, in: ThWNT 2, 1935, 913-918). Unterschieden Sokrates, Plato und Aristoteles noch zwischen der lebensnotwendigen guten und der lebenszerstörenden schlechten Lust, verstehen die ihnen folgenden Schulen die Lust in der Regel als Übel. Die Ausnahme bildeten die Hedonisten und Epikureer. Negativ eingestellt waren vor allem die Schulen der Kyniker und Stoiker, die einen großen Einfluß auf die spätere Popularphilosophie hatten. »Aus den Leidenschaften entstehen Haß, Spaltung,
Streit, Aufstand und Krieg« (Cicero Fin I 44). Während der Begriff hedone in der Septuaginta als anthropologischer Affekt keine Rolle spielt, bestätigt 4 Makk 1,25 die stoische Bedeutung, wonach die Lust »als Sitz aller bösen Triebe beschrieben« wird (ebd. 918). Die Vernunft — durchaus religiös verstanden — soll Herrin der Affekte und besonders der Lüste sein (1,30ff.; 5,23; 6,35). Weitaus aus führlicher hat Philo die menschliche Anthropologie und Ethik durchreflektiert. Nach ihm ist das Verlangen nach Lust Ursprung vieler böser Dinge, vor allem der Kriege (Decal 151 ff.). Sie ist die Grundsünde des zehnten Gebotes (ebd. 143). Da sie zur Übertre tung der Gebote Gottes anreizt, ist sie vom Charakter her wider göttlich. Zum Logos steht sie »in einem ausschließenden Gegen satz« (vgl. All III 116). Diese stoisch verstandene und zugleich religiös-biblisch interpre tierte sinnliche Lust bei Philo (ebd. 918f. und Völker, Fortschritt 83 ff.) dürfte — zumal in der Verbindung von Theo-logie und Anthropologie im Prolog (s. o. den Exkurs nach 1,18) — auch hier in 4,1 ff. von Jakobus rezipiert worden sein. Dies auch deswegen, weil der Konflikt der verschiedenen Affekte auch bei Philo mit den Begriffen »Kampf/kämpfen« (vgl. All I 86; III 21.116) bzw. »Krieg/bekriegen« (vgl. Praem 88-91.94; Gig 51; Det 174; Ebr 75; Jos 56) beschrieben wird. Mit Recht hat G. Stählin (vgl. aaO. 921928) u. a. auch die entsprechenden Stellen im Jakobusbrief von den Gliedern (3,5.6; 4,1) wie vom Kampf der Leidenschaften in ihnen (4,1.3) von dem skizzierten Denkhorizont her interpretiert. Dem nach ist die Lust »eine Größe, die gegen Gott steht« mit der Konsequenz: »Die Hingabe an die hedonai ... ist Treubruch gegen Gott« (aaO. 922); dies ist der Grund, warum Jakobus in 4,4 solche Menschen mit Ehebrecher anspricht und ihr Verhalten in gleichem Atemzug als Liebe/Freundschaft zur Welt ist Feindschaft gegen Gott umschreibt, was in Vers 7 religiös als exklusive Wahl entwe der für Gott oder für den Teufel interpretiert wird. Daß eine solche Lust widergöttlich ist, zeigt sich auch darin, daß die »Begierde« nach 1,14-17 nicht von Gott kommt, da Gott nur Gutes gibt. Da die »Lüste« (4,1.3) widergöttlich sind, kann das Gebet (4,3) in einer solch disharmonischen Grundhaltung sein Ziel nicht errei chen. Ein solcher Mensch lebt nicht im Frieden (3,18), vielmehr herrscht in ihm »ein beständiger Kriegszustand« (Stählin 924). Da Jakobus in l c bei Kämpfen im Gegensatz zur Feindschaft gegen Gott in 4c sowie zur Feindschaft untereinander in la kein Objekt nennt, dürfte er bereits diesen Tatbestand des mit sich im Wider streit lebenden Menschen an sich schon als gottwidrig verstanden
haben. »Die >hedonische< Lebenshaltung bedeutet ein Nie-zurRuhe-Kommen, einen beständigen Kriegszustand im Sinne von Js 57,20f.; 48,22: Die Gottlosen haben keinen Frieden« (ebd.). Stäh lin betont zu Recht abschließend die verschiedenen, einander sich ergänzenden Aspekte, wenn er schreibt: »Für den Jakobusbrief liegt übrigens der Nachdruck fast noch mehr als auf dem inneren Kriegszustand im Menschen auf seinen Auswirkungen, den Strei tigkeiten mit andern; denn die hedonai verderben nicht nur das Verhältnis zu Gott und die eirene des Menschen, sondern auch seine Beziehungen zu den Mitmenschen. Die hedonai sind, wie Bengel zSt sagt, prima sedes belli und alles dessen, was daraus folgt« (925). Wie sehr die in Vers 1 benannten Leidenschaften Leiden schaffen, weiß nicht nur Jakobus in Vers 2-3 zu entfalten, vielmehr konnte er sich auch hier wiederum auf ein langes Erfah rungswissen, das in die jüdische Anthropologie eingegangen war, berufen. 2-3: Das Schachtelprinzip, das sich bei Vers 1 im Hinblick auf die folgenden Verse als formales und inhaltliches Gestaltungsprinzip des Jakobus zeigte (vgl. la mit 2d und l b mit 3c), prägt auch die hinsichtlich der formalen Gestaltung umstrittenen Verse 2-3: Die Wendung ihr habt nicht am Anfang von 2e nimmt die gleiche Wendung ihr habt nicht am Ende von 2a wieder auf. Dadurch entsteht zugleich ein fester schematischer Aufbau, der jedoch nicht in allen Versen exakt durchgehalten wird. Dies würde nicht nur dem formalen Bemühen des Jakobus nach rhetorischem Schmuck seiner Stichen widersprechen, vielmehr zeigt sich auch in der Durchbrechung einer allzu schematischen Anordnung die themati sche Akzentsetzung. Setzt man die sorgfältige Gestaltung der Verse voraus, dann liegt in der These vom Nichthaben (als Begründung für die in Vers 1 angegebenen Konflikte) die Hauptaussage des Jakobus. Diese Aussage steht jeweils am Anfang von zwei Vierzei lern. Die erste Strophe ist vom Tun-Ergehen-Zusammenhang geprägt — mit einer deutlichen Steigerung, was formal bereits quantitativ durch eine höhere Wortzahl angedeutet wird. Sie schließt mit der wohl wirklichkeitsgerechten Einsicht in 2d. Die zweite Strophe basiert zwar auch auf dem Schema: Tun — Mißer folg (vgl. 3a), zeigt aber aufgrund des zweifachen Begründungssat zes (2e.3b) und des Finalsatzes (3c) eine andere Wirkabsicht und Argumentationsform an. Diese Verse entsprechen am ehesten dem Mahnwort, das Zeller in Spr 10-29 erarbeitete, wo ebenfalls Impe rative verbunden werden mit Begründungen (vgl. 21-32). Die Begründung liefert jeweils wie bei Jakobus das einsichtige Argu-
ment für die behauptete These. Der schematische Aufbau der Verse 2-3 ist also wie folgt: 2 a Ihr begehrt b ihr mordet und eifert c d ihr kämpft und führt Kriege.
und habt nicht; und könnt nicht erlangen;
2 e Nicht habt ihr, weil ihr nicht bittet; 3 a ihr bittet und empfangt nicht, b weil ihr schlecht bittet, c um es in euren Lüsten zu verschwenden. Setzt man diese Struktur als textgerecht voraus, ist die Ergänzung des Partikels »und« am Beginn von 2e und das Verständnis von 2d-e als ein Satz parallel zu 2a und 2b-c hinfällig. Das Bemühen einiger Handschriften sowie von Dibelius (261 f.), u. a. durch das Einfügen von »und« in den Versen 2-3 ein klares Viererschema zu erlangen, scheitert an der Inklusion von 2a zu 2e sowie an der Spannung zwischen 2d und 2e. Es liegt näher, daß Jakobus in einer zweiten Strophe die Hauptthese von 2a wiederaufnimmt — weiter geführt mit der Begründung weil ihr nicht bittet; ebenso nimmt er die These von 2c ihr könnt nicht erlangen in Variation in 3a wieder auf: und empfangt nicht — ebenfalls verbunden mit einer Begründung: weil ihr schlecht bittet. Nicht nur die Gattung Spruch und Mahnwort (s. o.) legen demnach eine Aufteilung in zwei Strophen nahe, sondern auch der Inhalt. Geht es Jakobus in der ersten Strophe um die Fragen »welche?« und »woher?«, so in der zweiten Strophe um die Frage »warum nicht?«. Auch der Prolog in 1,2-18 zeigte eine ähnliche Doppelstruktur: der Frage nach dem »wozu« der Prüfungen und ihrer Beschaffenheit (quales) folgte in 1,13 ff. die Frage nach ihrem Woher (1,13 ff.). Eine andere crux interpretum ist traditionsgeschichtlich zu lösen. Wie kann Jakobus in 2b behaupten, daß seine christlichen Adressa ten morden? Spricht er wirklich Mörder an? Was meint Jakobus? Wegen ihrer Schärfe wurde die Wendung in 2b ihr mordet seit Erasmus als anstößig empfunden. Seit dem 16. Jahrhundert gibt es viele Vertreter einer Konjektur von phoneuete: ihr mordet in phthoneite: ihr neidet/beneidet (vgl. etwa Spitta, Windisch, Beiser, Dibelius, Marty, Hoppe, Hintergrund 10.93; Johnson 330). Die Begründung: »Aber nirgends sonst im Urchristentum begegnet
phoneuein schlankweg als stehende Metapher für liebloses Verhal ten, als technischer Ausdruck, der ohne jeden erklärenden Zusatz zu verstehen gewesen wäre« (Dibelius 182 Anm. 2), kann für Jakobus nicht maßgebend sein, da die von ihm rezipierte Tradition Sir 34,25-27 (zum Text s. o.) ist. Auch in Sir 28,17.21 wird, wie die Rezeption dieser Stelle in Jak 3,8b bestätigte, das negative Wirken der Zunge als Zerstümmelung und Ermordung verstanden. Daß Neid und Eifer in der jüdischen und urchristlichen Literatur häufi ger gepaart belegt ist (vgl. 1 Makk 8,16; Test X I I Sim 4,5; Benj 4,4; Gal 5,20f.; 1 Klem 3,2; 4,7; 4,13; 5,2), besagt für Jakobus wenig, zumal auch Paulus in Rom 1,29 Neid und Mord im gleichen Atemzug nennen kann. Jakobus ist primär synchronisch und sekundär von der von ihm rezipierten Weisheitsliteratur her zu verstehen. Kontextuell würde durch eine Konjektur obendrein »die Radikalität des Bildes durch eine Rationalisierung ersetzt« (Balz, in: E W N T 3, 1983, 1043) die übersieht, daß Jakobus in 4,1a und 4,2d von Kriegen und Kämpfen redet. 2a: Das Verbum epithymeite: ihr begehrt nimmt das Substantiv aus dem Prolog in 1,14.15 auf. Während dort in der Abfolge Begierde — Sünde — Tod durchaus ein Haben die Folge war, wenn auch ein absolut negatives, zielt Jakobus hier im handlungsorientierten Kontext auf die Erfolglosigkeit menschlichen Strebens. Die Ursache dieses erfolglosen Strebens wurde als mit sich im Streit liegende Lust in 4,lb.c verstanden. Das Nichthaben dürfte — auch im Kontext von 3,17b.l8a.b — als Friedlosigkeit verstanden wer den. Die anthropologisch-individuelle Perspektive herrscht noch vor. Anders in 2b. 2b zielt auf gemeinschaftszerstörende Grundhaltungen. Beim Ver bum zeloute: ihr eifert greift Jakobus seine Aussagen aus 3,14a und 3,16a auf. Schon dort war diese kardiale Zerrissenheit gerichtet gegen die Wahrheit (3,14b) mit der Konsequenz, daß das Sein solcher Menschen von Unbeständigkeit (3,16b) geprägt ist und unter handlungsorientiertem Aspekt »jegliche böse Tat« (3,16b) sich einstellt. Über den Eifer als menschlichen Affekt hat die frühjüdische Theologie intensiver nachgedacht, so auch Sirach: 30,24 Eifer und Groll verkürzen die Tage, und Sorge macht alt vor der Zeit. 40,4 Von dem, der den Purpur und die Krone trägt, bis zu dem, der in grobe Leinwand sich hüllt: Groll, Eifersucht, Verwirrung und Unruhe, Todesfurcht, Zank und Streit.
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Bei allem Fleisch vom Menschen bis zum Vieh, und bei den Sündern siebenfach dazu sind: 9 Tod und Blut, Streit und Schwert, Vergewaltigung, Hunger, Verwüstung und Plage. 10 Für die Gottlosen ist das alles erschaffen. Hier und an anderen Stellen (Spr 27,4; Ijob 5,2) hat das Wort die Bedeutung »feindliche, zerstörende Leidenschaft«, wobei die Grie chisch sprechenden Juden Eifer in der Bedeutung als »eine die menschliche Gemeinschaft vergiftende Leidenschaft (Stumpf/, in: T h W N T 2, 1935, 880) bereits vorfanden. Wie Jakobus, so belegen auch neutestamentliche Lasterkataloge (vgl. Gal 5,20; 2 Kor 12,20; Rom 13,13) den Begriff in dieser Bedeutung. Wie sehr ungebändigte Eifersucht auch das Leben des anderen nicht mehr als Schranke kennt, belegt Sir 45,18 unter Hinweis auf Aaron: Fremde rotteten sich wider ihn zusammen und wurden eifersüchtig auf ihn in der Wüste, die Männer um Dathan und Abiram, und die Rotte des Korah in ihrem heftigen Zorn. Eifersucht im Sinne des Jakobus zerstört nicht nur die Ruhe der Seele und der Herzen (3,14a), vielmehr trägt sie ihren Streit nach außen hin im tödlichen Gift der Zunge (vgl. 3,1-12), aber auch in menschenzerstörerischer Einstellung in der Gesellschaft. Auch wenn Jakobus im folgenden (s. u. zu 5,6) dies als besonderes Grundübel der Reichen ansieht, die »über Leichen gehen«, hat er in 2,11 dennoch das Dekaloggebot »Du sollst nicht töten/morden« als für alle maßgeblich interpretiert. Das Leben (im weitesten Sinne) des Mitmenschen kann auf vielfache Weise vernichtet wer den. So sehr in der gesamten Bibel das eifrige Streben nach gottge mäßer Praxis gutgeheißen wird, in Jak 3,14a. 16a und 4,2b geht es (vgl. auch 1 Kor 13,4) um ein Verhalten, das die Ganzheit und Einheit der menschlichen Psyche und der Gemeinde zerstört. Im Kontext der Kritik an die Reichen legt sich in der Tat die Überset zung nahe »Mit mißgünstiger Gier streben (sc nach dem Besitz des Nächsten)« (Stumpf] 890). 2c: Das Verbum epitychein: erlangen bestätigt dieses Verständnis, ohne daß ein näheres Objekt angegeben ist. Von der Sache her ist das Verbum eine Aufnahme der Wendung aus 2a ihr habt nicht, gleichzeitig auch eine Weiterführung: Das Haben wird nicht sta tisch, vielmehr dynamisch verstanden. Menschliches Leben ist
nach Jakobus ein prozessuales Geschehen, ein Werden (vgl. den Exkurs nach 1,18). O b diese Anthropologie des Jakobus »viel harmloser« als die des Paulus ist (so Hübner, in: E W N T 2, 1981, 71), sei dahingestellt. Die fehlende Soteriologie des Jakobus wird man sicherlich nicht zum Maßstab machen dürfen. 2d ist eine verbale Variation zu den substantivischen Aussagen in 4a. Die Verben bestätigen aber noch einmal, daß Kriege und Kämpfe nicht durch Unheilsmächte ermöglicht werden, vielmehr geht es Jakobus um das eigenverantwortliche Tun, um die mensch liche Aktivität. Insofern ist die Inklusion nicht nur ein formales Element, um einen in sich geschlossenen Abschnitt zu schaffen, vielmehr nutzt Jakobus dieses formale Stilelement auch dazu, neue Akzente zu setzen. Überblickt man die erste Strophe 2a-d, so präsentiert sie sich inhaltlich als Parallele zur zweiten Prüfung im Prolog (l,6b-8), in der Jakobus in bildgesättigter Sprache Zeichen für den Mangel an Glauben thematisiert. 6 b c 8 a b
Denn wer zweifelt, gleicht einer Meereswoge, die vom Winde gepeitscht und umhergetrieben wird. (Er ist) ein Mann, zwiespältig und unbeständig auf all seinen Wegen.
Hier wie in 4,2a-d bestätigt Jakobus Vorstellungen der helleni stisch-jüdischen Anthropologie (s. o. zur Affekten-Lehre), wie sie vor allem von Philo bekannt sind. Neben den zu l,6b-8 zitierten Stellen liest sich auch die folgende Auslegung Philos zum zehnten Gebot »Du sollst nicht begehren ...« wie eine Paraphrase zum in sich zerstrittenen und zur Kommunikation und zwischenmenschli chen Praxis unfähigen, ständig gierig suchenden, aber nie etwas erlangenden, kurzum: in sich gespaltenen Menschen. Philo ent wirft in seiner aktualisierenden, von stoischen Vorstellungen beein flußten Deutung in Decal 146-151 geradezu eine Phänomenologie des Begehrens. Daher sei sie ausführlicher zitiert, da von solchen Vorstellungen die Anthropologie des Jakobus insgesamt geprägt ist: »Wenn einer den Gedanken an ein Glück gefaßt hat, das noch nicht da ist, und den starken Wunsch hat es zu erlangen, da treibt er die Seele zu weit entferntem Ziele an, und in seinem heftigen Verlangen, das Ersehnte (Glück) zu fassen, wird er wie auf die Folter gespannt, weil er eifrig bemüht ist, es zu greifen, und doch nicht imstande es zu erreichen, und so etwa dasselbe erfährt wie die, welche die Zurückweichenden wohl mit unüberwindlichem
Eifer, aber nicht mit zureichender Schnelligkeit verfolgen . . . . Die Folge davon ist, daß das unbefriedigte und erfolglose Verlangen ... nur noch größer wird und die Begierde Tantalusqualen verursacht; so oft dieser nämlich etwas greifen wollte, wonach er verlangte, tat er einen Fehlgriff; ebenso wird jeder, der von einer Begierde beherrscht wird und stets nach Dingen dürstet, die nicht da sind, niemals Befriedigung finden und immer in eitlem Verlangen sich winden. Und wie die schleichenden Krankheiten, wenn ihre Aus breitung nicht durch Schneiden oder Brennen aufgehalten wird, schnell den Körper in seinem ganzen Umfange erfassen und nichts heil an ihm lassen, so wird sich auch, wenn nicht die durch Philosophie gestärkte Vernunft gleich einem guten Arzte die Begierde in ihrem Laufe hemmt, alles im Leben notwendig entge gengesetzt dem natürlichen Verlaufe bewegen. Denn es gibt nichts, was von dieser Leidenschaft verschont bleibt und ihr entgeht; denn sobald sie einmal die volle Macht über einen hat, verbreitet sie sich über alles und jedes und richtet überall Schaden an. Es ist vielleicht töricht, lange zu reden von Dingen, die so offenkundig sind; denn wo gibt es eine Person oder eine Gesamtheit, die diese Dinge nicht kennt, da sie nicht nur jeden Tag, sondern so zu sagen jede Stunde deutliche Beweise von sich geben?« Nicht prosaisch, sondern in wenigen Stichen formuliert Jakobus eben diesen Seelenzustand. Dies dürfte auch der Grund sein, warum weder in 2c bei der Wendung ihr könnt nicht erlangen noch in 2d bei der Wendung ihr kämpft ein Objekt steht. Alle Überlegungen in diese Richtung sind daher fehl am Platze (vgl. ThWNT 2, 1935, 924). Jakobus geht es um den Kampf der unbeherrschten Affekte untereinander, der für den einzelnen und die Gemeinschaft zu nichts führt, es sei denn zu Mord und Totschlag. Insofern bleibt Jakobus nicht wie Philo bei der Beschreibung der inneren Seelenlage stehen, sondern bezieht im handlungsorientierten Ansatz gemäß seiner Korrelation von Sein und Tun die dem Sein analoge Praxis mit ein. 2e: Mit diesem Vers beginnt die zweite Strophe (s. o.). Zunächst wird von Jakobus das Faktum des Nichthabens intensivierend wiederholt (in Aufnahme von 2a) — verbunden mit der Frage nach dem Warum dieses Zustandes. Beim Nichthaben fehlt wie bei allen Verben in 2a-d das Objekt, während im übrigen Neuen Testament durchaus unterschiedlichste Objekte genannt werden. Das Chri stentum »eine Religion des Habens« zu nennen (H. Hanse, in: T h W N T 2, 1935, 826), wird Jakobus nicht gerecht. Der Grund für das Nichthaben ist das fehlende Gebet. Dies klingt sehr apodik-
tisch, wird aber im folgenden differenziert, da das, was die Adres saten für ein Gebet halten, ein Nicht-Gebet ist. 3a-b: Der Grund des Nichthabens und des Nichtempfangens liegt nicht im Gebet an sich, vielmehr adverbial formuliert, weil die kritisierten Christen schlecht beten. Wie gutes, also vorbehaltloses und ungeteiltes Beten aussieht, hatte Jakobus im Prolog in l,5-6a und l,6b-8 ausgeführt. Daher verzichtet er hier wie auch in der großen Gebetsparänese in 5,13-18 auf eine Begründung und for muliert in 3c das zielgerichtete Streben des schlechten Gebetes. (Im übrigen vgl. im folgenden den Exkurs »Vom Beten«). 3c: Wie nach l b die mit sich im Streit liegenden innerseelischen Lüste/Leidenschaften/Affekte Ursache für die innergemeindli chen Konflikte sind, so sind nach 3c Ziel des schlecht begründeten und wohl auch inhaltlich schlecht formulierten Gebetes wiederum die Lüste/Leidenschaften, aber handlungsorientiert gewendet, wie das Verbum ausgeben/aufwenden vermuten läßt, das in der Regel ein Objekt aus dem materiellen Bereich bei sich hat. Die innerseeli sche Ursache und das angestrebte sozialethische Verhalten sind gottwidrig (vgl. Vers 4). »Die Begierde verhindert das Gebet zwar nicht, verdirbt es aber« (Schräge 45). Die freiwillige und zielgerich tete Hingabe an die Begierden — und dies selbst im Gebet —, die der Finalsatz in 3c angibt, pervertiert die von Gott geschaffene Sozialordnung. Diese Perversion umschreibt Jakobus in der fol genden kleinen Einheit (4a) als Ehebruch im Treueverhältnis derer, die nach seinem Ebenbild geschaffen worden sind (vgl. 1,18; 3,9). Der Ordnung gemäß wäre ein im Sein und Handeln Gottes begründetes Gebet.
Exkurs 11: Vom Beten Literatur: Balz, H., proseuchomai beten (er)bitten, in: E W N T 3(1983) 396-409. - Cooper, R. M., Prayer: A Study in Matthew and James, in: Encounter 29(1968) 268-277. - Berger, K., Gebet IV, in: T R E 12(1984) 47-60. — Ders., Historische Psychologie des Neuen Testaments, Stuttgart
1991, 253-259. - Gerstenberger, E. S. - Müller, P. G., Gebet, in: NBL 1(1991) 739-746. - Greshake, G. - Lohfink, G., Bittgebet, Testfall des Glaubens, Mainz 1978. - Pesch, O. H., Sprechender Glaube, Mainz 1970. - Robertson, A. T., Studies in the Epistel of James, Nashville 1969, 177199 (zu 5,7-20). — Schütz, Ch., Gebet, in: ders. (Hrsg.), Praktisches Lexikon der Spiritualität, Freiburg 1988, 435-448. — Ulrich, F., Gebet als geschöpflicher Grundakt, Einsiedeln 1973. - Teller, Mahnsprüche 127131.
Ein Blick in die Matrix zur formalen und thematischen Einheit des Jakobusbriefes am Ende von Exkurs 1 nach 1,4 zeigt, daß die eigentlichen Gebetsparänesen im Prolog (1,5-8) und Epilog (5,13-18) stehen. Dies heißt nicht, daß Jakobus die Thematik des Gebetes im eigentlichen Briefkorpus nicht anklingen läßt (vgl. 3,9.10; 4,2.3; 5,3.4). Die Gebetsparänesen würden sich im Prolog und Epilog noch erweitern, wenn man in 1,9 »Es rühme sich aber der Bruder: der niedriggestellte seiner Hoheit, der reiche dagegen seiner Niedrigkeit« als ein Rühmen vor Gott versteht, wobei dann der Denn-Satz in 1,10b als »Inhalt des Bekenntnisses dessen, der sich demütigt«, verstan den werden könnte (so Berger, Psychologie 255 Anm. 6). Auch wenn man hier nicht annimmt, daß Jakobus dem Reichen gewissermaßen ein vorfor muliertes Gebet in den Mund legt (zur Funktion als Begründungssatz s. o. zu 1,10b), so dürfte Jakobus das »sich Rühmen« als ein »sich vor Gott Rühmen« verstehen, wie er auch den Schwur »beim Himmel oder bei der Erde« in 5,12 als feierliche Anrufung Gottes versteht (s. u.). Dies zeigt, daß die Paränese zum Gebet nicht auf das Stichwort selbst beschränkt ist. Terminologisch verwendet Jakobus im übrigen die auch sonst in der Schrift, in der jüdischen Liturgie und im Neuen Testament vorgegebene Vielfalt von Begriffen (vgl. die Lexika), wobei die Bedeutungsnuancen fließend sind. So findet sich das Verbum aiteo mit der Bedeutung »fordern, bitten« in 1,5b.6a und in 4,2e.3a.b, wo der Beter im Kontext schöpfungs theologischer Aussagen (vgl. 1,10b.lla-d.14-15.17-18 und 4,5) gleichsam um etwas bittet, das ihm schöpfungsmäßig zusteht. Semantische Untersu chungen zur Verwendung des Verbums in der Grundbedeutung »verlan gen« hätten dies weiter zu begründen (vgl. E W N T 1, 1980, 102 f.). Im Epilog sind belegt das Substantiv »Gebet« (als Simplex euche in 5,15, als Compositum proseuche in 5,17) und vor allem das Verbum »beten, bitten, erbitten«: proseuchesthai in 5,13a. 14c. 16b. 17b. 18a. Daneben finden sich die Variationen deesis: Bitte, Gebet in 5,16d und psallo: singen, lobsingen in 5,13b. Klingt in 5,13 der Aspekt des Lob- und Dankgebetes an, so kennt Jakobus in 5,4 auch das Klagegebet (»Siehe, der Lohn der Arbeiter, ... der von euch vorenthalten wurde, schreit, und die Rufe der Erntearbeiter sind zu den Ohren des Herrn Zebaoth gedrungen«) mit dem Verbum krazein: schreien, rufen, wobei durchaus auch schon in 4c als Objekt Gott aus 4e mitgedacht werden kann, zumal Jakobus mit dem Substantiv boe: Schrei, Ruf den Gedanken anthropologisch wendet. Aspekte des Lobgebetes klin gen in 3,9.10 an (»mit ihr [der Zunge] preisen wir den Herrn und Vater«), wobei in 9a das Verbum eulogeo: loben, rühmen, preisen, segnen, in 10a das Substantiv eulogia: Preis, Lob, Segen verwendet werden. Der Überblick zeigt: Mit seiner jüdischen und christlichen Umgebung kennt Jakobus die verschiedensten Aspekte des Betens als Rufen, als Loben, als Klagen, wobei aber — im Kontext seiner weisheitlichen Mahn sprüche - das Beten als Bitten thematisch im Vordergrund steht. Davon ist vor allem der Prolog und Epilog geprägt, wobei im Epilog die Aussagen auch rhetorisch (zur Figura etymologica und zur Alliteration in 5,17b vgl. die Auslegung, ebenso zur Personifikation des Gebetes in 5,15a) sowie
thematisch sehr bewußt gestaltet sind (vgl. etwa die Wendung »das Gebet des Glaubens« in 5,15a). Gerade dieser Hinweis auf den Gebetsglauben in Rezeption der Wendung »er bitte aber im Glauben« aus dem Prolog in 1,6a (s. o. den Exkurs nach 1,6a: Glaube nach Jakobus) belegt, daß die Hin weise des Jakobus zum Beten ohne die theozentrische Voraussetzung nicht zu denken sind, da an allen Stellen Jakobus theozentrisch formuliert (im Unterschied zu anderen jüngeren Schriften des NT; vgl. die Lexika). Darin stimmt Jakobus mit der Weisheitsliteratur, aber auch mit den frühen Jesustraditionen überein. Ebenso wird deutlich, daß die Ausführungen zum Gebet ohne die vorausgesetzte Anthropologie undenkbar sind, da Jakobus an allen Stellen von der Ambivalenz des Menschen (sie wird vor allem in 4,2 f. deutlich) ausgeht. Das Gebet ist demnach bei ihm ein Aspekt der Anthropologie und Theo-logie und kann auch nach Jakobus als »sprechen der Glaube« (Pesch) interpretiert werden. Das Gebet ist zudem auch in der jakobeischen Theologie »als geschöpflicher Grundakt (Ulrich) zu charakte risieren, als Versenkung in die Ermöglichung allen Seins: der Schöpfung insgesamt und der Menschen insbesondere (1,17f.). In ihm erkennt der Beter seine Grunderfahrung als Geschöpf Gottes und demnach Gott als Schöpfer (1,18) an, aber auch als Erhalter seiner Geschöpfe in und trotz aller ambivalenten Erfahrungen im individuell-psychologischen und im sozialpsychologischen Bereich: bei Mangel an Weisheit und Glauben, beim Gespaltensein des Herzens, bei Sünde, bei Krankheit und bei ausbeuteri scher Unterdrückung. Letztlich geht es im Gebet auch nach Jakobus um die Anerkennung der Ordnung Gottes, wonach sich der Mensch als »Ebenbild Gottes« (3,9) zu erweisen hätte, der die ihm von Gott geschenkte Weisheit (vgl. 3,13-18) in Werken zu erweisen hat. Letztlich zielt auch das Gebet als Bittgebet auf .die Vollkommenheit der Beter, da es im Gebet um die Aufhebung von jedem Mangel durch Gott geht (zur Vollkommenheit nach Jakobus vgl. den Exkurs nach 3,5b). Jakobus vertritt als Theologe die Einheit von Kontemplation und Aktion. Ein solcher Ansatz hat Auswirkungen auf die Anthropologie und Theo logie. Daß Gott »das Gebet des Glaubens« (5,15a) und das Gebet der Gerechten, das nicht wie bei den Adressaten in schlechter Absicht (4,2 f.) formuliert wird, erhört, versteht sich im Kontext jüdischen und christlichen Glaubens von selbst (zu Stellen s. o. zu l,5b.d). Auch in Sir 2,1-17 (Verse, die Jakobus in 1,2-12 literarisch verarbeitete) wird dies fraglos vorausge setzt: 6 Glaube Ihm und er wird sich deiner annehmen, gehe auf geradem Pfade und hoffe auf ihn. 8 Die ihr den Herrn fürchtet, vertraut auf ihn, und euer Lohn wird nicht ausbleiben. 10 Richtet den Blick auf die früheren Geschlechter und sehet: Wer vertraute je auf den Herrn und wurde zuschanden? Oder wer blieb in seiner Furcht und wurde verlassen? Oder wer rief ihn an und er übersah ihn?
Jakobus teilt mit solcher Überzeugung den Glauben an die Treue und Verläßlichkeit Gottes als Schöpfer und Erhalter seiner Geschöpfe, was Jakobus an den einzelnen Gebets-Stellen auf die im Kontext angesproche nen anthropologischen und ekklesiologischen Probleme variieren kann (zur Begründung siehe dort). Die Überzeugung, daß Gott die Bitten des Beters erhört, impliziert für die Anthropologie folgende Aspekte: 1. Christen dürfen nicht in falscher Absicht bitten (4,2-3) und nicht mit zwiespältigem Herzen (1,6-8). »Wer zweifelt, ... meine nur ja nicht, er werde etwas vom Herrn empfangen« (l,6b.7a-b). Auch Jakobus geht es gleichsam um den Berge versetzenden Gebetsglauben (vgl. Mk 11,22-25), was die absolute Anerkennung von Gottes »Herr«-Sein voraussetzt, was das Selbstverständnis vom Menschen als »Knecht Gottes« impliziert (vgl. 1,1 mit 1,10-11). »Den Hochmütigen widersteht Gott, den Niedriggestellten aber gibt er Gnade/Gunst« (4,6b.c). »Der niedriggestellte (Christ) rühme sich seiner Hoheit« (1,9), da »Gott die vor der Welt Armen als Reiche im Glauben und als Erben (seines) König tums erwählt hat« (2,5b-c). Wer diese Ordnung Gottes anerkennt, zeigt in seinem Bittgebet um deren Verwirklichung im einzelnen Menschen und in der Gemeinde, daß er sich umfassend von Gott getragen weiß. Auch nach Jakobus ist das Bittgebet »Testfall des Glaubens« (Greshake — Lohfink). Wie das Lob-, Dank- und Klagegebet zeigt auch das Bittgebet, daß der so Betende alles von Gott und nichts von sich erwartet. Dies entspricht der theozentrischen Basis des Jakobusbriefes (s. o. den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo-Iogie). 2. Christlicher Gebetsglaube heißt nach Jakobus nicht, daß Gott dem einzelnen Christen und der Gemeinde Sünde und Krankheiten, Zwiespältigkeiten und soziale Konflikte erspart, indem er vordergründig jede Bitte erfüllt. Auch kennt Jakobus Christen, die nicht bitten (4,2e) oder schlecht bitten (4,3b). Dies sieht Jakobus aber nicht als (bequemen) Ausweg dafür an, daß der Mensch so ist, wie er ist, und christliche Gemeinde ebenso. Seine Lösung ist der von Jesus Sirach parallel, da er wie jener am Anfang des Schreibens die Leser auf ihre ambivalenten Erfahrungen in Anfechtungen und Versuchungen hinweist, die nicht aufge hoben werden, wohl aber hier und dort analog gedeutet werden (vgl. Sir 2,1-18 mit Jak 1,2-12; zur Rezeption s. o.).
1 Mein Sohn, wenn du dich anschickst, dem Herrn zu dienen, so mache dich auf Anfechtung gefaßt. 2 Wappne dein Herz und sei standhaft, und sei nicht voreilig zur Zeit der Bedrängnis. 4 Alles was dir widerfährt, das nimm hin und trage mit Geduld die Wechselfälle der Trübsal. 5 Denn im Feuer wird das Gold bewährt, und Menschen, die Gott gefallen, im Ofen des Elends.
Wenn Jakobus mit Jesus Sirach die bleibenden Prüfungen und Versuchun gen als »euer Prüfungsmittel« interpretiert, das »Standhaftigkeit des Glau bens bewirkt«, die wiederum auf »ein vollkommenes Werk« zielt, damit die Christen selbst »vollkommen und ganz« sein sollen (1,3-4), zeigt sich eine deutliche Reflexion. Wenn Jakobus der Uberzeugung ist, daß erst in solchen Bewährungen am Ende der Christ »den Kranz des Lebens empfan gen wird, den er (Gott) denen verheißen hat, die ihn lieben« (1,12), wird deutlich, daß er im Gebetsglauben nicht einen allmächtigen, alle Übel im Menschen und in der Welt aufhebenden Gott anspricht, sondern — wie die weisheitlichen Mahnungen des gesamten Briefes zeigen — die Mitwirkung des Menschen impliziert. Der Mensch soll sich in der Zeit der Geduld (1,3.4.12; vgl. auch 5,7-11) wie die Propheten und Ijob bewähren. 3. Damit klingt als letzter Aspekt jener an, der im bekannten Spruch ora et labora das schwierige Verhältnis des Glaubens an die alleinige Wirksamkeit Gottes und der menschlichen Mitwirkung umschreibt, das Jakobus in 2,22 (»der Glaube wirkte mit seinen Werken zusammen«) begrifflich themati sierte, wenn auch für die (nicht nur reformatorische) Theologiegeschichte nicht löste. Da der Glaube nach Jakobus ein Gebetsglaube ist, bricht an dieser Stelle die ganze Problematik der Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Werke im Jakobusbrief auf (vgl. dazu ausführlich den Exkurs nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus). Was für das Beten allgemein gilt, gilt auch für Jakobus: »Dem Vorwurf der Weltflucht gegen über hat christliches Beten auf seinem welthaften und tief menschlichen Charakter zu bestehen. Die bekannte Devise >Bete und arbeite !< ist nicht im Sinn einer Alternative, sondern einer Spannungseinheit zu verstehen« (Schütz 446). Diese Spannungseinheit vertritt nicht nur Paulus, sondern auch Johannes, Matthäus und Jakobus, wobei im Grundansatz Jakobus Matthäus am nächsten steht. Das »zweifellos ... weisheitliche Mahnwort« (Zeller 128) in Mt 7,7f.: »Bittet, so wird euch gegeben werden! ... Denn jeder, der bittet, empfängt« kommentiert U. Luz im Kontext der Theologie des Matthäus so: »Gebetsglaube ist für ihn [ = Matthäus] nicht Ersatz für eigenes menschliches Handeln, sondern gehört mit ihm zusammen. Ganz bewußt spricht er am Ende des Hauptteils der Bergpredigt nochmals, wie in ihrem Zentrum 6,6-15, vom Gebet zum Vater. Ebenso bewußt wird er später von der Gegenwart des Herrn Jesus bei dem, der den Glauben wagt und die Gebote hält, sprechen (vgl. 14,28-31; 28,19f.). Gebetsglaube bedeutet Einbindung eines aktiven christlichen Lebens ins Gebet zum liebenden Vater. Das zeigt, wie wenig das matthäische Verständnis von Gerechtigkeit mit Werkgerechtigkeit im paulinischen Sinn gemeinsam hat.« (I 386) Nicht nur letzteres trifft auch für Jakobus zu, darüberhinaus ermöglicht auch nach ihm erst die im Gebetsglauben ausgesprochene »Gottesgewißheit« (Popkes 199 als Überschrift) und Verläßlichkeit Gottes den Menschen in seiner Eigenverantwortlichkeit (s. o. zu 1,13-16) zu schöpferischem Handeln und zu tat-kräftigem Glauben (zur weiteren Begründung s. o. den Exkurs nach 1,6a: Glaube nach Jakobus sowie nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus). Der Christ soll sich nach
Jakobus aus einem Gebetsglauben definieren und dann aktiv werden; daher spricht der Prolog primär von der contemplatio und erst dann der gesamte Brief von der actio, nicht umgekehrt. Der Gebetsglaube schließt ein, daß nach Jakobus die Beter »Täter des Wortes und nicht nur Hörer« sind (1,22), was mit »Täter des Gesetzes« (4,1 le) identisch ist. Wenn der Beter sich dieser in der Tora geoffenbarten Ordnung Gottes unterstellt, anerkennt er auch deren Verpflichtung zur Gottes- und Nächstenliebe (vgl. 1,12c; 2,5d.8-13). Der Nur-Beter verfehlt die Ordnung Gottes ebenso wie der, der das Bekenntnis zum einen Gott (2,19) nur ausspricht, oder wie der Nur-Hörer des Wortes Gottes (1,22a). Dies ist nicht nur Selbstbetrug (1,22c), sondern ein Richten der Tora als Ordnung Gottes (4,11). Das Gebet muß nicht nur von abgrundtiefem Vertrauen zu Gott geprägt sein, ihm muß auch die Glaubenspraxis entsprechen. Hier ist Jakobus so eindeu tig wie die Weisheitslehrer der Schrift (vgl. Dtn 4,5-8; Sir 2,1-17; 7,10: »Sei nicht kleinmütig in deinem Gebet«; 15,15: »Den Glauben tun nach seinem [Gottes] Wohlgefallen«). Leider sind — auch nach Jakobus — jüdische und christliche Glaubende nicht so ungespalten, wie auch der Kontext in 4,1-12 belegt.
2. Die Gemeinde zwischen Welt und Gott (4,4-6) Die ekklesiologischen Fehlhaltungen in 4,1 sowie die innerseeli schen und daraus folgenden zwischenmenschlichen Fehlhaltungen in 4,2-3 sind - dies ist die Grundthese in den Versen 4-6 — darin begründet, daß die »Begierden/Leidenschaften« (4,lb.3c) letztlich von Jakobus wie im Prolog in theozentrischer Perspektive gesehen werden. Diese implizite Denkvoraussetzung, die die gesamte Theologie des Briefes prägt, macht Jakobus wie in allen Kapiteln so auch hier explizit und damit unübersehbar. 4a-e: Mit einer nur mit ja zu beantwortenden Frage bezieht Jakobus die Adressaten in seinen fiktiven Dialog ein, verprellt sie aber gleichzeitig mit dem scharfen prophetischen Tadel und der verfremdenden Anrede als Ehebrecher. Kontextuell greift Jakobus mit dieser Anrede auf das Dekalogge bot in 2,11a zurück, wie er das dort in 2,11b weitere wortwörtliche Zitat aus dem Dekalog in umgekehrter Reihenfolge (eine schöne chiastische Variation wie in der Entfaltung von 1,19) bereits in 4,2b rekapitulierte. Ehebruch und Mord scheinen für Jakobus exem plarisch gemeinschaftszerstörende Fehlhaltungen falschen Begeh rens zu sein. Dies ist vielleicht auch darin begründet, daß beide in der Septuaginta, die auch Philo zitierte, abweichend vom hebräi schen Urtext am Anfang der zweiten Tafel stehen (zu Philo vgl.
Decal 51.121). Wie immer: Nach Jakobus zerstören beide Haltun gen das Leben des einzelnen, das Leben der Gemeinschaft, das Leben mit Gott. Letzteres umschreibt Jakobus mit dem breitbeleg ten, übertragen verstandenen Bild der Ehe zwischen Gott und seinem Volk, deren Störung ebensooft als Ehebruch verstanden wird (vgl. Hos 3,1; Jes 1,21; 57,3; Jer 2,20ff.; 3,8f.; 9,1; Ez 16,32ff., bes. 16,38). In der adjektivischen Verbindung vom »ehebrecherischen und sündigen Geschlecht« ist die Vorstellung auch in Mk 8,38; Mt 12,39 und 16,4 als bekannt vorausgesetzt (zum Überblick vgl. Schmitt). Mag das Substantiv von Hause aus nur in der femininen Bedeutung »Ehebrecherin« vorkommen (so dezidiert die Elberfelder Bibelübersetzung und E W N T 2, 1981, 1073-1079) und mögen jüngere Handschriften durch eine Erweite rung um »Ehebrecher und Ehebrecherinnen« schon in frühester Zeit die Problematik nicht auf Frauen einengen wollen, Jakobus attackiert mit seiner Anrede beide Geschlechter — im Gegensatz zur damals üblichen Praxis, wonach eheliche Treue nur von der verheirateten Frau verlangt wurde. Daß Jakobus beide Geschlech ter anspricht, wenn nicht primär den Mann, wird in 4d durch die maskuline Formulierung bestätigt wer also immer ein Freund . . . . Im übrigen gibt es bereits auch schon in der jüdischen Literatur die berühmte Ausnahme von der Regel, wenn Adam mit diesem femininen Wort als »Ehebrecher und Frevler« bezeichnet wird (ApkSed 6,4). Auch wenn keine Tradition als Vorlage nachgewie sen werden kann, bleibt zu vermuten, daß Jakobus literarisch frei formuliert hat. Die Auskunft, Jakobus würde die feminine Form deshalb wählen, »weil Gott ja als der Eheherr angesehen wird« (F. Hauck, in: T h W N T 4, 1942, 743), ist für das atl Motiv (ebd. 738f.) zutreffend, nicht jedoch für Jakobus, da die Metapher von Gott als Ehemann nicht anklingt. Vom kontextuellen Wortfeld her ist auch möglich, daß sich assoziativ zum Begriff philia: Freund schaft/Liebe, der nur hier im N T belegt ist, für Jakobus eine sexuelle Nuance mitklingt, wie sie in der Septuaginta durchaus vorkommt (vgl. T h W N T 9, 1973, 147f.). Mehr als eine Möglich keit ist dies nicht. Kontextuell stärker eingewirkt haben dürfte die von Anfang des Briefes an belegte antithetische Struktur, wonach Gott lieben (1,12; 2,5) und der nur hier im N T belegte Ehrentitel für Abraham Freund Gottes (2,23) eingewirkt hat wie auch die exklusive Antithese in 3,15 zwischen der göttlichen und irdischen Weisheit. Im übrigen wurde das Lied auf die wahre Freundschaft nicht nur in der griechischen und römischen Literatur der Antike oft gesungen
(vgl. ebd. 149-151), sondern auch vor allem in der jüdischen Weisheitsliteratur und hier wiederum allen voran durch Jesus Sirach (vgl. bes. die kleine Abhandlung in 6,5-17 sowie 9,14f.; 22,25ff.; 25,12; 27,17ff.; 31,7ff.). Dort ist im zwischenmenschli chen Bereich auch die Warnung gut belegt, wie schnell Freund schaft in Feindschaft umschlagen kann (vgl. 5,15; 37,2). Ebenfalls findet sich dort wie in anderen Weisheitsbüchern Freundschaft in seiner femininen Form. Was noch wichtiger ist, ist der Gedanke, daß nur die Gottesfürchtigen zu wahrer Freundschaft fähig sind und sie auch allein nur wahre Freunde finden, wie Sir 6,16 f. am Ende der Abhandlung über die Erfahrung mit Freunden belegt: 16 Ein treuer Freund ist Arznei fürs Leben, und die den Herrn fürchten, werden ihn finden. 17 Wer den Herrn fürchtet, macht seine Freundschaft gerade, denn wie er, so ist auch sein Freund. Begründet Sirach bereits wahre Freundschaft theozentrisch, so radikalisiert Jakobus die Antithese, indem er sein dualistisches Konzept auf das Verhältnis der Menschen zur Welt und zu Gott überträgt. Davon sind die Stichen dieses Verses geprägt. Wenn Jakobus deutlich die Wendungen Freundschaft zur Welt (4b) zu Freund der Welt (4d) sowie Feindschaft gegen Gott (4c) und Feind Gottes (4e) parallelisiert, liegt die Begründung wohl nicht darin, daß Jakobus in 4a.b »ein Zitat« (Sputa 117) oder im gesam ten Vers eine »Anspielung auf bekannte Sätze aus der Paränese« (Dibelius 264) anklingen läßt, da hier wie dort die vermuteten Traditionen überhaupt nicht angegeben werden können. Der Gedankenfortschritt liegt wohl darin, daß aus den Abstrakta in 4b.c in 4d.e konkrete Menschen werden, die selber aktiv werden. Dies ist es, worum es Jakobus von Anfang an geht (vgl. 1,13-17; 3,13-16; 4,1-3): In der ihm von Gott gegebenen Freiheit boulethe: will der Mensch anders als Gott wollte. Gott wollte die Adressaten und hat sie geboren durch das Wort der Wahrheit (1,18); sie sind nach Gottes Ebenbild geworden (3,9) — und als solche wären sie wie der Steuermann eines ganz großen Schiffes in der Lage, ihre Affekte und Leidenschaften analog zum Steuermann dorthin zu lenken, wohin der Antrieb des Steuernden will (3,4d). O b die hier sich findende Assoziation »darauf bestehen/gebieten« in 4,4d noch nachklingt, sei dahingestellt. Daß Jakobus sehr sorgfältig formuliert, zeigt sich auch an der Wendung in 4e kathistatai: er steht da/er erweist sich, da nur hier und in 3,6b dieses Verbum im
Brief vorkommt. Was die Zunge im menschlichen Leib als Kosmos ist, das ist der Mensch insgesamt im universalen Kosmos. Hier wie dort geht es Jakobus nicht um einen gnostisch gedachten, vom Menschen hinzunehmenden Seins-Dualismus, vielmehr um einen Entscheidungs-Dualismus. Gerade weil Jakobus in den Versen 2-3 das unruhige und unbeständige, nicht auf Gottes Weisung zielge richtete, in sich selbst kreisende Streben der Menschen kräftig kritisierte, steht das Verbum in 4e in deutlichem Kontrast dazu parallel zu dem schönen Wortspiel in 3,6b und 8b. Die egoistische ruhelose Sucht steht auch in 4,1-4 in einem im Präsens formulier ten, also dauernd gültigen Erkenntnissatz, daß ein solcher Mensch - selbstverschuldet — ein Feind Gottes ist. Feindschaft gegen Gott schließt Freundschaft mit der Welt ein, wie Freundschaft mit Gott Feindschaft gegen die Welt einschließt.
Exkurs 12: »Welt« bei Jakobus Literatur: Vgl. den Exkurs bei Scbnider 104-105: Der Bereich Gottes und der Bereich des Teufels bei Jak und in den Test X I I . — Außerdem: Balz, H., kosmos Welt, Weltall; Schmuck; Gesamtheit, in: E W N T 2(1981) 765773. — Bruce, C.J., The Definition of >Pure Religion< in James 1,27 reconsidered, in: E T 84(1973) 118-119. - Roberts, D.J., The Definition of >Pure Religion< in James 1,27, in: E T 83(1972) 215-216. - Sasse, H., kosmeo, kosmos u. a., in: T h W N T 3(1938) 867-898. - Schnackenburg, Botschaft II 275-278. Die Antithetik in 4,4 »Freundschaft zur Welt« (4b) — »Feindschaft gegen Gott« (4c) und »Freund der Welt« (4d) — »Feind Gottes« (4e) ist eindeutig, aber nur sachgemäß in der gesamten antithetischen Anlage des Briefes als Einheit zu verstehen, auf die hin die einzelnen Aussagen eine bestimmte Funktion haben. Auch ist auf die inhaltlichen Schwankungen bei der Verwendung einzelner Begriffe im Verlauf des Briefes zu achten. Dies gilt auch für den »Welt«-Begriff. Nach 1,27 soll der im Alltag praktizierte Gottesdienst der Christen darin bestehen, »Waisen und Witwen in ihrer Bedrängnis aufzusuchen und sich selbst makellos zu bewahren vor der Welt«. Nach 2,5 »hat Gott die vor der Welt Armen als Reiche im Glauben und als Erben (seines) Königtums erwählt«. In der kleinen Abhandlung über die aufgrund der Schöpfungs theologie an sich ungespaltene Zunge spricht Jakobus in einer kühnen Metapher davon, daß »die Zunge ein Feuer ist, die Welt der Ungerechtig keit« (3,6a). Vom näheren Kontext her dürfte damit der Begriff »Welt« in 1,27c und 4,4b.d global als Gegenbegriff zu »Gott und Vater« in 1,27a und »Gott« in 4,4c.e zu verstehen sein, während die Wendung »die vor der Welt
Armen« in 2,5b im Sinne von Menschenwelt zu verstehen ist, hingegen die »Welt der Ungerechtigkeit« als Metapher für eine zwiespältige und Verder ben bringende Zunge in 3,6a anthropologische Konnotationen freisetzt, da der Mensch selbst als Mikrokosmos verstanden wird. Weder dürfte »Welt« in 1,27 von 2,5 her im sozialen Sinn als »Menschheit im allgemeinen« zu verstehen sein (so Roberts mit der Lesart, Witwen und Waisen in ihren Leiden in der Welt zu beschützen), noch dürfte »Welt« in 1,27 und 4,4 von 3,6 her als »weitverbreitete Veranlagung und Macht zum Bösen, die der Menschheit innewohnt«, zu verstehen sein (so Jobanson; s. o. zu 1,26f.), noch von der allgemeinen Opposition Bereich Gottes — Bereich des Teufels in der Testamentsliteratur her (so Schnider 104 f.). Auch in den wenigen Belegen des Jakobusbriefes zeigt sich, daß Jakobus den Begriff »Welt« polysemantisch versteht, der Begriff also in seiner facettenreichen Weite zu interpretieren ist. Diese Verwendung teilt er im übrigen mit anderen neutestamentlichen Autoren, auch mit jenen, wo mit deutlichem Schwerge wicht der Begriff »Welt« (etwa bei Johannes und Paulus) belegt ist (vgl. den Überblick bei Balz). Wohl zeigt sich bei Jakobus — aber darin ist er nicht singulär (zu erinnern ist vor allem an die Antithese von Christen — Welt in der johanneischen Literatur) — eine durchgehende Opposition der Christen zur Umwelt (2,5), Gottes zur Welt (1,27; 4,4), was Jakobus aber - darin zeigt sich seine redaktionelle Intention — mit einer anthropologischen Grundbefindlichkeit, nämlich der Erfahrung der Gefährlichkeit der Zunge verbindet (3,6). Die positive Aussage, daß die »Welt« Gottes gute Schöp fung ist, fehlt bei ihm, wenn sie auch inhaltlich bereits im Prolog sehr deutlich ausgesprochen wurde. Wenn Gott der Erschaffer der Welt (1,17) und der Menschen ist, sie »eine Art Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe/seiner Schöpfung« sind (1,18), bleibt die Frage, wie der durchgehend negative Welt-Begriff von Jakobus verstanden wurde. Gerade die Ausführungen in 4,1-12 zum Thema »Vom Unfrieden in der Gemeinde und seinen Ursachen« geben deutlich Hinweise auf das Ver ständnis des Jakobus. Hier stehen sich zwar Gott und Welt (4,4) wie Gott und Teufel (4,7) antithetisch gegenüber, doch Jakobus zielt mit aller Energie darauf, die Adressaten als »Ehebrecher« (4,4a) sowie als »Sünder« und »Zwiespältige« (4,8c.d) auf die Seite Gottes zu bringen. Das gesamte Argumentationsziel des Jakobus belegt, daß die Adressaten Teil der »Welt« sind, wie im übrigen die gesamten Ausführungen zur Anthropologie im Brief belegen, die durchgehend die Ambivalenzen und Antagonismen im Menschen bloßlegen. Die Adressaten haben teil an der »Welt«, ihr Sein ist welthaft, wie die Rückführung der Konflikte in der Gemeinde auf anthro pologische Ursachen in 4,1-3 belegen. Die Folge davon ist, daß auch die Gemeinde noch von der »Welt« ist. Dies zeigt, daß Jakobus nicht einen dualistisch-kosmologischen und apokalyptisch-ontologischen Welt-Begriff hat, sondern einen anthropologischen und ethischen. Sein Argumentations ziel richtet sich vom Beginn des Briefes an darauf, das Gespaltensein in der Existenz, im Glauben, im Bekennen und Tun, d. h. in Anthropologie und Ekklesiologie zu überwinden. Welthafte Konflikte in seinem sozial
geschichteten Adressatenkreis (s. o. Exkurs 3 nach 1,11: Die soziale Situation der Adressaten) dürfte es, wenn Christen sich wirklich als »Gottes Ebenbild« (3,9c) verhielten, nicht geben! Entsprechend der — biblisch vorgegebenen - Basisopposition von Gott und Welt, von Gott und Teufel müßte es auch eine solche Basisopposition zwischen Christen und Welt geben mit der Konsequenz, daß welthafte Einstellungen (vgl. 2,5) und welthaftes Verhalten (wovon der Brief voll ist) nicht zu beklagen wären. Die grundsätzliche Gegenüberstellung von Christen — Welt ist schöpfungstheologisch begrün det, aber Jakobus ist so nüchtern, daß er aufgrund der negativen Erfahrungen weder für einen Rückzug in die Innerlichkeit plädiert noch für ein Verständnis von Kirche als Kontrastgesellschaft zur Welt. Er sieht Christen und Kirche auf dem Weg (vgl. 1,8.11.16; 5,20), in ständiger Erprobung, aber auch mit der Möglichkeit der Bewährung und des ständigen Voranschreitens im immer vollkommeneren Sein und Tun. Der von Jakobus vorausgesetzten Wil lensfreiheit (s. o. zu 1,13-16) und seinem Glauben, daß den Menschen von Gott die Möglichkeiten zur Entscheidung für Gott gegeben sind, entspricht die Logik der vielen Imperative im Jakobusbrief, mit der von Gott gegebenen Weisheit (3,13-18) mitzuwirken (zu dem damit gegebenen schwierigen Problem der Mitwirkung bei der Rechtfertigung s. o. den Exkurs nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus). Nach Jakobus liegt Gott alles daran, daß der Mensch aktiv wird (vgl. 4,5: »Oder meint ihr, umsonst sage die Schrift: Eifersüchtig verlangt er (Gott) nach dem Geist, den er in uns wohnen ließ«), da alles von der Aktivität des Menschen abhängt (vgl. 4,7-8: »Unterwerft euch also Gott! Widersteht aber dem Teufel...! Naht euch Gott, und nahen wird er sich euch«). Ohne die theozentrische Basis (vgl. 4,5-6.12; zur Konzeption vgl. den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo-logie) wären die Imperative theologische Vermessenheit. Weil der Jakobusbrief aber ein durch und durch theozentrisches Schreiben ist, steht nach Jakobus für die Adressaten alles auf dem Spiel, sich zwischen Welt und Gott zu entscheiden sowie welthaftes Sein und Handeln beim einzelnen Christen und in der christlichen Gemeinde zu überwinden. Jakobus vertritt einen EntscheidungsDualismus, da von der richtigen Entscheidung ein gelingendes Leben für die Adressaten gegenwärtig und zukünftig vor Gott abhängt (vgl. den Exkurs nach 1,12: Eschatologie und Ethik). Gerade in Kapitel 4,1-12 verschärft Jakobus diese Entscheidungs-Situation seiner Adressaten. Mit allen Mitteln rhetorischer Kunst sowie mit Erinnerung an Glaubensüberzeugungen ver sucht er hier, auf die Adressaten einzuwirken, damit sie sich gegen die Welt und für Gott entscheiden.
Wie ein Freund Gottes (2,23d) in Sein und Handeln, im GlaubenHaben und im Werke-Haben beschaffen sein soll, wissen die Adressaten des Jakobusbriefes aus 2,14-26. Wie dort wird auch hier das schriftgemäße Haben durch die Autorität der Schrift gestützt, wie Jakobus in 4,5-6 mit zwei Schriftzitaten den Adressa ten erneut klar macht.
5a-c: In Weiterführung der rhetorischen Frage in 4a Wißt ihr nicht? bezieht Jakobus mit oder meint ihr? den gedachten Hörer erneut in das Gespräch ein. Wie in der Regel, redet er nicht nur über einen x-beliebigen Gegenstand, sondern formuliert ihn adres satenbezogen oder in diesem Fall noch grundsätzlicher im Hinblick auf die christliche Existenz überhaupt, wie das Personalpronomen uns in 5c belegt. Wenn Jakobus die Schrift als Autorität argumen tativ einführt, kann die Frage nur mit »selbstverständlich« beant wortet werden. Da die Schrift nur mittelbar, unmittelbar jedoch Gott sagt (wie in 2 , l l a . b ; 2,23a), kann dieses Wort Gottes auch keineswegs kenos: hohl/leer/grundlos/umsonst sein. Dies schon deswegen nicht, weil nach 2,20 mit diesem Adjektiv der durch und durch unvernünftige Gesprächspartner des Jakobus gemeint ist. Während das Adjektiv in der Septuaginta wie im N T durchaus häufig belegt ist, findet sich das Adverb nur hier, wobei die adverbiale Kennzeichnung bezeichnend ist, da damit eine vielleicht mögliche gegnerische Position, die mit der in 2,20 parallel geht, karikierend bloßgestellt wird. Dies unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß die Schrift als Wort Gottes Maßstab für jüdi sche und christliche Gläubige ist. Wie sonst sollte man mit ihr argumentieren können? O b Gott Subjekt in 5b ist, ist seit altersher bei den Auslegern umstritten. Eine andere mögliche Übersetzung könnte lauten: »Der Geist begehrt nach Neid«, womit in Fortführung der Erörte rung über die Begierden in den Versen 1-3 auch hier noch vom menschlichen Geist geredet würde (so Michl 168-172 und Laws, Scripture). Nimmt man den Kontext als Verständnisschlüssel, ergibt sich: Während in 4c und 4e die menschlichen Fehlhaltungen gegen Gott formal und thematisch betont wurden, ist Gott nicht nur aufgrund des in 5a betonten Sprechens handelndes Subjekt, vielmehr wird er explizit in 6b im Schriftzitat als solches eingeführt und in 6a demnach vorausgesetzt. Sollten das Gottesbild des Jakobus oder seine Traditionen dem thematisch nicht widerspre chen, ist er auch jenes Subjekt, von dem Jakobus sagt: Eifersüchtig verlangt er nach dem Geist. Zu solchen Auslassungen bei Gott als handelndes Subjekt vgl. auch 1,12c und 2,11 a.b. Eine ähnliche Auslassung in 5b.c legt sich vor allem dann nahe, wenn aus rhythmischen Gründen und im Hinblick auf die Länge der Stichen in 5b.c ein Hexameter vorliegt (Windisch 27; Michl 172f., der allerdings ein Zitat annimmt), was beim Vorlesen des Briefes oder auch für rhetorisch gebildete Leser aufgrund der Kontraktionen der Vokale im Griechischen wie in l,13c.d und 1,17a möglich ist
(prös phthonon epipothei to pneüm< ho katökis' en hemin). Die prägnante rhetorische Kunst des Jakobus deutet sich auf jeden Fall ebenso an wie die theozentrische Perspektive durchsichtig wird. Letzteres gilt auch dann noch, wenn das durch die Zitierformel (vgl. Koch 25-32) die Schrift sagt in 5a eingeführte Zitat in der gesamten kanonischen wie auch außerkanonischen Literatur als Schriftstelle bislang nicht belegt ist (was von Prockter mit seiner These, 4,4-6 sei ein Midrasch zur Noach-Geschichte mit der Sintflut in Gen 6-9 nicht falsifiziert wurde, auch nicht von Laws, die als Vorlage Ps 41,2 L X X annimmt). Möglicherweise zitiert Jakobus eine verlorengegangene Schrift, wie dies auch für 1 Kor 2,9; Eph 5,14; Joh 7,38; 1 Klem 23,3; 46,2 und 2 Klem 11,2 in der Regel angenommen wird. Die These, daß jene Stellen, die sich mit der Thematik des Gespaltenseins beschäftigen (Jak 4,8; 1 Klem 23,3; 2 Klem 11,2) aus einem bekannten römischen Handbuch stammen sollen (so schon Ropes 89), bleibt reine Vermutung, ebenso die weiterführende These, daß auch die dieses Buch rezipie renden Schriften alle dort zu lokalisieren seien (Marshall 348-351; s. o. l,6b-8). Dies deswegen, weil die Gespaltenheit des Menschen ein breitbelegtes Thema ist (s. o. zu 1,8). In höherem Maße bedenkenswert wie der Hinweis auf eine unbe kannte Quelle ist jedoch das Schriftverständnis in der urchristli chen Theologie. Allzusehr wird dies auf das wortwörtliche Zitieren eingeengt. Dies ist aber etwa dem Verständnis des Paulus, wonach Tod, Begräbnis und Auferweckung Jesu »gemäß den Schriften« (1 Kor 15,3-5) zu verstehen sind, nicht angemessen, da auch hier keine Schriftbelege nachweisbar sind. Ähnliches gilt für die Wen dung »Mußte Christus nicht alles leiden ...« (vgl. vor allem Lk 9,22; 17,25; 24,7.26; Apg 3,21; 17,3; vgl. aber auch Mt 26,54), wonach Jesus Christus all die bekannten Leiden auf sich nahm und nur so »die Schriften in Erfüllung gehen« (Mt 26,54). Demnach zielt das Verständnis neutestamentlicher Autoren von der Schrift nicht auf einzelne Verse, sondern auf das umfassende Zeugnis vom geschichtlichen Handeln Gottes, wie es nicht nur in den später kanonisierten Büchern überliefert wurde. Ein solches Schriftver ständnis ist für die urchristliche Christologie von elementarer hermeneutischer Bedeutung. Die Schrift gibt die perspektivische, normierende Grundhaltung und Sichtweise an (vgl. Frankemölle Christologien 261-264). Warum sollte ein solches Verständnis Jakobus fernliegen? Damit ist die Frage nach möglichen Motiven in traditionsgeschichtlichen Vorlagen gestellt. 5b.c: Da Gott als das handelnde Subjekt in 5c unbestritten ist, sei
zunächst an die hinter diesem Vers stehende Tradition erinnert. Nach Jak 3,9c in Rezeption von Sir 17,3f. und Gen 1,26f. ist der Mensch nicht nur Gottes Ebenbild, vielmehr hat Jakobus diesen systematisch abstrakten Glaubensatz von seinem Gottesbild her noch dahingehend akzentuiert, daß er die Aktivität Gottes im schöpferischen Prozeß (s. o. zu 1,18) betont. Wenn der Mensch sein Geschöpf ist und wenn »der Leib ohne Geist tot ist« (2,26a), dann ist Gott nicht nur der Geber der Weisheit (1,5; 3,15), sondern auch der Geber des Geistes, den er in uns wohnen ließ (5c). Wenn Gott nach 3,12a.b »Richter ist, der retten und verderben kann«, dann wollte Gott nicht nur grundsätzlich unsere Geburt (1,18a), sondern er wollte uns, »damit wir eine Art Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien« (1,18b), was ein Leben gemäß der Sozialordnung Gottes und gemäß der Vorstellung vom Sein des Menschen als Gottes Ebenbild (3,9c) einschließt. Gott ist nach Jakobus voller Engagement für die Menschen, er ist ständig auf dem Weg zu ihnen (4,8b: »Nahen wird er sich euch«), er ist als Schöpfer und Richter aufgrund der den Menschen gegebenen Willensfreiheit (1,13-16; 4,1-3) ein Gott, der konsequent eifersüchtig nach dem Geist verlangt, den er in uns wohnen ließ (5b.c). Gerade weil Jakobus in 4,2-3 das unstete und in sich selbst gekrümmte Verlangen und Begehren der Menschen gegeißelt hat und damit gleichsam den menschlichen Geist (vgl. Laws 212), betont er auf der Basis seines Gottesbildes (vgl. auch den Exkurs nach 1,18) das eifersüchtige Verlangen Gottes nach dem von ihm den Menschen geschenkten guten Geist. Gott verlangt und ist eifersüchtig, aber anders als die Menschen. Traditionsgeschichtlich ist der Gedanke, daß Gott eifersüchtig darüber wacht, daß der von ihm gegebene Geist unversehrt zu ihm zurückkehrt oder — falls er gefehlt hat — gereinigt wird, jüdisch (Qumran, Test X I I ) und christlich (Hermas) belegt (vgl. T h W N T 6, 1959, 389f.). Auch wenn das Verbum epipothein: verlangen/ Sehnsucht haben in der Bibel nur hier belegt ist, entspricht es der oben skizzierten engagierten Aktivität Gottes, während Jer 13,14 L X X ein solches Begehren bei Gott gerade ausschließt. Dagegen findet sich (vgl. Jeremias) in der Übersetzung von Ijob 14,15b durch Theodotion (Ende des 2 . J h . n.Chr., der jedoch ältere Übersetzungen revidierte) dieses Verbum auf Gott übertragen. Und auch das nach Jeremias alte Fragmenten-Targum zu Gen 2,2 lautet: »Und Jahwes Memra begehrte am 7. Tage nach seinem Werk, das er geschaffen hatte«. Außerdem verweist Jeremias auf »die zahlreichen Aussagen, die davon handeln, daß die Seele (bzw.
der Geist) ein von Gott dem Menschen anvertrautes Gut ist, das er unversehrt zurückfordert« (138). Wie diese Stellen so handelt auch Jak 4,5 »vom Geist als dem Depositum, das Gott dem Menschen anvertraut hat« (ebd.). Schließlich ist auch — wie in den Kommentaren üblich — allgemein auf Gottes Eifersucht im Alten Testament hinzuweisen (vgl. Ex 20,5; 34,14; Dtn 6,15; 32,16.19ff.; Jes 63,8ff.; Sach 8,2), allerdings ist mit Dibelius (264) festzuhalten, daß zwischen einer Aussage wie Ex 20,5 »Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott« und Jak 4,5b pros phthonon: neidisch/eifersüchtig ein Unterschied besteht. Allerdings läßt sich die Wortwahl bei Jakobus kontextuell erklären. Hier wirkt jene breit belegte, für Jak 4,2b abgelehnte Tradition ein, wonach Neid und Eifer häufig als Syntagma erschei nen (vgl. 1 Makk 8,16; Test Sim 2,7; 4,5.7; 1 Klem 3,2; 4,7.13; 5,2; vgl. auch Gal 5,20 f.). Daß Jakobus nicht das Adverb, sondern einen adverbialen Ausdruck bevorzugt, ist nicht nur klassisch belegt (Belser 164), dies dürfte auch mit seinem ästhetischen Emp finden zu tun haben, da er 5b nicht nur rhythmisch formt, sondern auch die Alliteration auf p — beim zweiten Wort verändert in die Aspirata — verwendet (pros phthonon epipotei to pneuma). Tradi tionsgeschichtliche und kontextuelle Überlegungen legen also nahe, daß Vers 5 durchaus stimmig ist und keiner Korrektur bedarf. Auch die von Dibelius im Exkurs zu Jak 4,5 (266-268) herangezogenen Stellen aus dem Hirten des Hermas (Mand 111,1; V 2,5; X 2,6; 3,2) mit in der Tat erstaunlichen Parallelen (vgl. etwa Mand 111,1: »Der Geist, den Gott in diesem Fleisch wohnen ließ«) bestätigen nur, wie übereinstimmend aus einem gemeinsamen weisheitlichen Milieu heraus Theologen unabhängig voneinander unter Rezeption vorgegebener Motive zu parallelen Aussagen gelangen, es sei denn, Hermas ist von Jakobus abhängig, was Dibelius jedoch verneint (49-51). 6a-c: Formal sind diese drei Stichen eine Ringkomposition, da sich 6a und 6c deutlich entsprechen, 6c jedoch keine Wiederholung ist. Worum es Jakobus geht, wird zudem im antithetischen Parallelis mus von 6b zu 6c deutlich: Gott widersteht den Hochmütigen/ den Niedriggestellten aber gibt er Gnade. Alles ist aus theozentrischer Perspektive formuliert, was durch den Rückgriff auf ein wortwörtliches Schriftzitat als Autorität Gottes noch intensiviert wird. Formuliert 6a eher allgemein-systematisch, so 6c hand lungsorientiert, sozialethisch ad hominem. Der überleitende Vers 6a ist aus dem Schriftzitat heraus gestaltet und ist folglich von ihm her zu erklären, wie die Begründung
deshalb am Anfang von 6b deutlich macht. Dies gilt auch für den nur hier im Jak belegten Begriff Gnade in 6a. Das Schriftzitat aus der griechischen Übersetzung von Spr 3,34 (vgl. dazu AlonsoScbökel) wird außer in Jak 4,6 in der urchristlichen Literatur noch in 1 Petr 5,5; 1 Klem 30,2 und Ign Eph 5,3 rezipiert. Nur Jakobus bleibt der theozentrischen biblischen Intention treu. 1 Petr und 1 Klem »verzwecken« das Zitat zur »Aufforderung zur gegenseiti gen Demut in der Gemeinde« (Hoppe, Jak 92). Bischof Ignatius macht daraus sogar eine Aufforderung zur Unterordnung unter den Bischof, der die irdische Autorität Gottes verkörpert: »Denn es steht geschrieben: Gott stellt sich den Hochmütigen entgegen. Darum wollen wir bestrebt sein, uns nicht dem Bischof entgegen zustellen, damit wir Gott unterstellt seien.« Ohne Zweifel hätte Jakobus im Kontext von 3,1-12 und 3,13-18 mit dem dort vertrete nen Ansatz einer »Theologie von unten« und »Theologie des Volkes« gegen eine solche Inanspruchnahme göttlicher Autorität für die Dienstfunktionen in der Kirche radikalkritische Worte gefunden. Beim antithetisch formulierten biblischen Spruch ist sowohl im Kontext des Buches der Sprichwörter wie für die gesamte Septuaginta - gerade im Hinblick auf den theologisch hoch aufgeladenen Begriff charis: Gnade im N T — festzuhalten: »charis wird in der L X X nicht zum theologischen Begriff« ( T W N T 9, 1973, 379). In Spr 3,34 L X X ist die Bedeutung erwiesene Gunst anzunehmen. Diese vorgegebene Bedeutung ist auch für das Verständnis von Jak 4,6 ausreichend. Vor allem die theozentrische Struktur dort und hier zeigt, daß auch Jakobus zunächst im Kontext von 2,5 an die besondere Erwählung der Armen durch Gott, denen Gott seine besondere Gunst erweist, denkt (zur weiteren Begründung und zu den vorgegebenen Traditionen s. o. zu 2,5). Über die in 4,5 anklingende schöpfungstheologische Aussage kann dann die grö ßere Gunst in 6a nur darin bestehen, daß Gott in besonderer Weise Menschen erwählt. Dies ist nach Jakobus eine dauernde Erfahrung (darum setzt er in 6a als Tempus das Präsens, während in 5c beim einmaligen Akt der Schöpfung zu Recht das Vergangen heitstempus des Aorists steht). Aus dem Schriftzitat übernimmt Jakobus auch einen seine gesamte Konzeption bestimmenden Gedanken, der sich auch bereits im Prolog findet, was durch die Wiederaufnahme des Begriffes tapeinos: niedriggestellt/demütig in 6c aus 1,9 (»Es rühme sich aber der Bruder: der Niedriggestellte seiner Hoheit«) bestätigt wird. Gemeint ist das Verhältnis des Zusammenwirkens vom Handeln Gottes und der Menschen (wobei
dieser Synergismus theologisch nicht weniger schwierig ist als der von Glauben und Werken in 2,14-26). Wie derjenige, dem es an Weisheit mangelt, diese allein von Gott erbitten soll (1,5) und er dieses Bitten in einem vorbehaltlosen Glauben an die Gewährung der Gaben durch Gott tun soll (1,6), der reiche Mitchrist wegen seiner sozialen Stellung nicht überheblich sein soll, wie der niedrig gestellte Mitchrist ebenso wegen seiner Stellung kein entsprechen des falsches Selbstbewußtsein haben soll (1,9.10), da »Gott die vor der Welt Armen als Reiche im Glauben und als Erben (seines) Königtums erwählt hat« (2,5b.c), ebenso skizziert Jakobus mit Hilfe des Schriftzitates in 4,6 das Verhältnis von Gott und Mensch. Dem theozentrischen Aspekt in 6a entspricht der anthropologische Aspekt in 6c. Was spätere Theologie mit »vorauslaufender Gnade« Gottes und mit Gottes zuvorkommendem Handeln umschreibt, da die Gunst Gottes nur als gratia gratis data gedacht werden darf, bleibt hier offen. Im Prolog (s. o. zu 1,2-12) hatte Jakobus deutli cher die Aufhebung des Mangels an der richtigen Selbsteinschät zung bei Armen und Reichen als Voraussetzung für das Wirksam werden von Gottes Handeln benannt. Dies ist hier mitzubedenken. An der Annahme dieser Gunst und Gnade hängt das Heil des Menschen. Dies war nicht nur die Alternative, von der die kleine Einheit 4,4-6 geprägt ist, auch in 4,7-10 macht Jakobus den Adres saten dieses Entweder-Oder deutlich. Nur wer alles von Gott erwartet und in diesem Sinn demütig ist, empfängt die größere Gunst (6a) der besonderen Erwählung durch Gott. Da dieses Selbstbewußtsein bei seinen Adressaten gestört gewesen sein dürfte, versucht Jakobus in den folgenden Versen, weitere Ele mente einer richtigen Selbsteinschätzung zu benennen.
3. Von der richtigen Haltung vor Gott (4,7-10) Wie die Partikel also in 7a zeigt, zieht Jakobus in den folgenden Versen eine Folgerung, näherhin zu der Frage: Was meint niedrig gestellt/demütig (6c) vor Gott? Daß es Jakobus um dieses Thema geht, zeigt die schöne Inklusion von Vers 7a zu 10a: Erniedrigt euch vor Gott — wobei gemäß der theozentrischen Grundorien tierung die Akzentverschiebung von Vers 7 zu Vers 10 festzuhalten ist. Geht es in Vers 7b.c um ein Freiwerden vom Teufel, so in 10b um eine Erhöhung durch Gott. Die exklusive Alternative: entwe der Liebe zu Gott oder Liebe zur Welt wird in diesen Versen gleichsam auf höherer, mythologischer Ebene in der Antithese
Gott oder Teufel variiert, aber auch theo-logisch radikalisiert. Dem entspricht der weitere antithetische Parallelismus in 7c und fliehen wird er (der Teufel) von euch zu 8 b und nahen wird er (Gott) sich euch. Zur sonstigen antithetischen Struktur und zur formalen und thematischen Einbindung der Verse in den Kontext durch Aufnahme von anthropologischen und sozialethischen Stichworten s. o. zur Formkritik. 7a-8b: Mit einem Imperativ fordert Jakobus die Adressaten auf, aus den beiden Schriftzitaten in 5 und 6 die Folgerung zu ziehen. Was das Adjektiv niedriggestellt/demütig in 6c vielleicht etwas statisch umschreibt, formuliert Jakobus in 7a handlungsorientiert: Unterwerft euch also G o t t ! Dies ist die von den Christen gefor derte Grundhaltung, die in 7b.c und 8a.b in parallelen Sätzen zunächst negativ, dann positiv entfaltet wird — jeweils verbunden mit einer Folgerung. 7b.c Widersteht aber dem Teufel, und fliehen wird er von euch. 8a.b Naht euch Gott, und nahen wird er sich euch. Jakobus entnimmt dem Zitat aus dem Buch der Sprüche 3,34 (s. o. zu 6b.c), das vom Handeln Gottes spricht, einen Handlungsimpuls für seine Adressaten, verarbeitet aber die dort vorliegenden Begriffe. Wie Gott den Hochmütigen widersteht, so gilt für die Adressaten analog: Widersteht aber dem Teufel (7b). Aufgrund seines theozentrischen Ansatzes widersagt es sich Jakobus aber, aus dem göttlich-satanischen Konflikt einen innergemeindlich-hierar chischen zu machen, wie 1 Petr 5,5, 1 Klem 30,2 und Bischof Ignatius in Eph 5,3 es tun (s. o.). Inwiefern die theologisch befrachtete Aufforderung »dem Bischof nicht zu widerstehen, damit wir Gott unterstellt seien« (Ign Eph 5,3) »origineller« ver wendet ist (Dibelius 269), ist nur dann schlüssig, wenn man ein solches hierarchisch strukturiertes und ideologisch begründetes Amtsverständnis zugrundelegt. Hier ist Jakobus sehr viel theologi scher als alle anderen, da er alle in der Gemeinde (vgl. 3,1-2; 3,13) - sich selbst eingeschlossen (1,1) — »ausnahmslos Gott unterge ordnet wissen will« (Hoppe, Jak 93). Für eine Unterordnung unter ein kirchliches Amt kann man sich auf Jakobus nicht berufen. Hinsichtlich des antithetischen Dualismus Gott — Teufel über nimmt Jakobus mit den anderen neutestamentlichen Theologen wie beim Begriff der Dämonen (vgl. 2,19; 3,15) und der Hölle (3,6) die damals üblichen, frühjüdischen Vorstellungen. Dies betrifft auch
alle anderen Motiven, die sich in diesen Versen finden, sie sind alle sowohl christlich wie jüdisch belegt. Daher dürfte Vers 7 kaum mit der Initiation durch die Taufe zusammenhängen (so Berger, in: E W N T 3, 1983, 1100), wogegen schon die aus Spr 3,34 rezipierte Tradition spricht. Wenn Gott und Teufel sich einander ausschlie ßen, bringt die Hinwendung zu Gott konsequent (in 7c.8b ließe sich das und am besten paraphrasieren mit und so/folglich) die Flucht vor dem Teufel mit sich (zum Widerstand gegen den Teufel vgl. Eph 6,11; 1 Petr 5,8f.; zur Flucht vor dem Teufel vgl. TestDan 5,1; TestNaph 8,4; TestSim 3,5; Testlss 7,7 u. a.). Wie interessiert Theologen in der frühjüdischen Zeit am Widerstand des Menschen gegen die bösen Geister waren, ist reichlich belegt (vgl. den Exkurs bei Schnider 104-105). Jakobus führt ihn allerdings auf die zwei Grundprinzipien Gott und Teufel zurück. Im anthropologischen Bereich war der sozialethische Dualismus vorgegeben im Motiv von den zwei Wegen, wie es zum ersten Mal in der jüdischen Literatur in Sir 2,12 formuliert wurde und von dort von Jakobus in 1,8 rezipiert wurde. Da diese Vorstellung auch die hier zu bespre chenden Verse geprägt und vor allem sprachlich auf Vers 10 (vgl. Sir 2,17) eingewirkt hat, seien die wichtigsten Stellen notiert. Sie machen deutlich, daß es schon Jesus Sirach nicht um einen Seins-, sondern um einen Entscheidungs-Dualismus geht. 2,12 Weh dem furchtsamen Herzen und den schlaffen Händen und dem Sünder, der auf zwei Wegen wandelt. 14 Weh euch, die ihr die Ausdauer verloren habt! Was werdet ihr tun, wenn euch der Herr heimsucht? 15 Die den Herrn fürchten, sind seinen Worten nicht ungehorsam, und die ihn lieben, halten seine Wege ein. 16 Die den Herrn fürchten, suchen sein Wohlgefallen, und die ihn lieben, erfüllen das Gesetz. 17 Die den Herrn fürchten, bereiten ihre Herzen und demütigen vor ihm ihre Seelen. 3,1 Auf mich, den Vater hört, ihr Kinder, und handelt so, daß ihr gerettet werdet. Demut (vgl. Sir 2,17 mit Jak 1,9; 4,6c. 10a) führt zum Heil. Als von Gott gewollt (1,18) und als Ebenbild Gottes (3,9c) hat der Mensch jenem Geist gemäß sich zu verhalten, der ihm von Gott einge haucht wurde (4,5c). Dies ist der Grund, warum der Mensch
gemäß diesen Voraussetzungen Gott lieben muß und kann (vgl. 1,12c; 2,5d). Wie Sirach (vgl. 2,16) bringt auch Jakobus beim Stichwort Liebe zu Gott nicht nur hier (vgl. 2,5.18-13) auch den Hinweis auf das Gesetz und das Gericht ins Spiel, radikalisiert aber alles noch einmal, indem er den menschlichen Kampf als einen Entscheid zwischen Gott und Teufel dramatisiert. Wie stark solch antithetisches Denken theologisches Sprechen prägt, ohne daß Traditionen vorliegen müssen, zeigt die 1934 entstandene theologi sche Erklärung von Barmen in der zweiten These: »Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als gäbe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären.« 8a.b.: Formal als Antithese zu 7b ist 8a: naht euch Gott seman tisch ein schönes Antibild zu 7c: und fliehen wird er von euch. Während Jakobus in 5,8c das Verbum auf die Wiederkunft des Herrn, die nahe gekommen ist/nahe ist traditionell urchristlich gebraucht (vgl. Mk 1,15 par; M t 3 , 2 ; 10,7; Lk 10,9.11 u.a.), verwendet er das Verbum hier wohl in uneigentlichem, übertrage nem Sinn. Im Kontext von 8c.d (vgl. auch 1,26-27) kann ein kultkritischer Sinn auch schon hier mitschwingen, da das Verbum im A T so verstanden werden kann (vgl. Ex 3,5; 19,21 f.), aber nicht muß (vgl. Hos 12,7: »Und du wende dich deinem Gott zu. Barmherzigkeit und Recht beachte und nahe deinem Gott in allem«). Auch das dem menschlichen Verhalten reziproke Verhal ten Gottes ist der alttestamentlichen Prophetie bekannt (vgl. die identische Formulierung in Sach 1,3 und Mal 3,7: »Kehrt um zu mir und ich werde umkehren zu euch«). Wie in diesen Stellen, so versteht Jakobus das menschliche Sich-Gott-Nahen in der Einheit von Glauben und sozialethischem Tun. Die esoterische, rein mystische Verwendung des Verbums im Sinne der Begegnung mit Gott, wie sie bei Philo belegt ist (All II 57; Imm 161), liegt Jakobus fern. Er ist ein Vertreter einer mystisch-politischen Theologie (vgl. /. B. Metz, Zeit der Orden? Zur Mystik und Politik der Nachfolge, Freiburg 1977; vgl. auch die Festschrift für J . B . Metz: Mystik und Politik. Theologie im Ringen um Geschichte und Gesellschaft, Mainz 1988). Nach Jakobus müssen Glaube und Mystik immer zur sozialen Perspektive führen; er sieht die innere und äußere Per spektive als Einheit, wie der gesamte Brief belegt. Die durch
Jahrhunderte feststellbare »Innerlichkeit« des Christentums würde auch er als Fehlform und Defizit verstehen. In der Verbindung von Mystik und Politik ist Jakobus im besten Sinne prophetisch, zumal auch bei den Propheten der Glaube an die örtliche und zeitliche große Nähe Gottes vor allem in der Septuaginta (vgl. T h W N T 2, 1935, 330) deutlich betont wird. Die von Jakobus in 8b betonte Hinneigung Gottes entspricht seiner Sympathie in 5b und 6b.c. Dem hat die menschliche Gegenbewegung in Glauben und Tun zu entsprechen. 8c-9c: Auch die zweite Strophe (zur Formkritik s. o.) ist weisheit lich-prophetisch geprägt. Die von Jakobus rezipierten Traditionen aus Sirach (vgl. insgesamt auch 22,27-23,15) lauten: 21,20 Der Tor läßt beim Lachen seine Stimme laut erschallen; ein gescheiter Mann aber lächelt kaum leise. 27,13 Das Gespräch der Toren ist ein Greuel, und ihr Lachen (ist begründet) in sündhafter Schwelge rei. 38,10 Fliehe Vergehen und richte gerade (deine) Hände und von allen Sünden reinige das Herz. Wie die Rezeption des letzten Halbverses aus 27,13 in Jak 5,5 im Strafwort über die Reichen zeigt, sind mit diesen Stellen Jakobus jene Stichworte vorgegeben, die er vor allem in seiner Kritik an die Reichen (4,13-17; 5,1-6) amplifiziert, jedoch auch schon in diesen Versen anklingen läßt. Auch wenn die kleine Einheit, formal durch die beiden endbetonten Anreden deutlich markiert, im Ton nicht mehr argumentativ, sondern verfremdend provokativ (wie in Vers 4) ist, bleibt der Ton des Schreibens weiterhin weisheitlich. Dies bestätigt auch der Kontext. 8c.d: Die christlichen Adressaten, die Jakobus in der Regel als Gemeinschaft, zu der auch er gehört (vgl. 1,18; 2,1.21; 4,5; 5,17 und besonders 3,1-12) als »Brüder« bzw. intensivierend als »meine (geliebten) Brüder« anredet, werden in der vorliegenden kleinen Einheit 4,1-12, in der es um den Kampf der Affekte im einzelnen und um dessen Auswirkungen in der Gemeinde geht, angemessen als Sünder (8c) und Zwiespältige (8d) angesprochen - wie im kontextuellen Bild der Ehe in 4a als Ehebrecher. Die Sünde ist nach 1,15 eine Folge der Begierde und Grund für den Tod des Menschen. Nach 2,9 zeigte sie sich in der widergöttlichen Praxis, in der Gemeinde Arme und Reiche unterschiedlich zu behandeln. Nach 4,17 zeigt sie sich darin, daß man »weiß, Gutes zu tun und es
doch nicht tut«. Sie ist demnach eine Form von Gespaltenheit. Dieses Thema ist Jakobus so wichtig, daß er es neben dem Gedan ken des Gerichtes — parallel zu unserer Stelle in 4,11-12 — im Epilog seines Briefes in einer kleinen Abhandlung eigens themati siert und mit diesem Vers seinen Brief beendet (vgl. 5,15.16.20). Wie das Stichwort Hände in 8c im Unterschied zum Stichwort Herzen in 8d zeigt, sieht Jakobus Sünde sozialethisch (vgl. 2,1-13; 2,14-26). Daher versteht Jakobus auch die Mahnung reinigt eure Hände, die sowohl im N T (vgl. etwa Mk 7,3 f.) wie im A T (vgl. etwa Ex 30,17-21) kultisch verstanden werden kann, wie in 1,27 eindeutig sozialethisch (s. dort auch zu den Traditionen): 1,26 Wenn jemand meint, er diene Gott, obwohl er seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt, dessen Gottesdienst ist nichtig. 27 Reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Vater besteht darin: Waisen und Witwen in ihrer Bedrängnis aufzusuchen (und) sich selbst makellos zu bewahren vor der Welt. In 8d greift die Wendung macht lauter/tadellos auf die allen vorangestellte und übergeordnete Charakterisierung der göttlichen Weisheit in 3,17 zurück. Wie die Weisheit selbst, so sollen — dies ist die These des Jakobus — auch die Töchter und Söhne der Weisheit sein; wie sie nach 3,17d »unparteiisch und ungeheuchelt« ist, so sollen - ganz konsequent dazu — die Zwiespältigen ihre kardiale Orientierung neu richten. Auch das Verbum macht lau ter/tadellos versteht Jakobus nicht kultisch, was möglich wäre (vgl. Ex 19,10; Num 19,12), sondern sozialethisch, was in bibli scher Tradition ebenfalls möglich ist (zu den Traditionen s. o. zu 3,17 sowie Ps 24,4; 73,12; Jes 1,16; im N T vgl. 1 Petr 1,22; 1 Joh 3,3). Wer Lauterkeit und Reinheit der Gesinnung hat, der ist nicht mehr zwiespältig (s. o. zu 1,8), sondern »vollkommen und ganz« (1,4b) und »gerecht« (5,6.16 mit 1,20; 2,21.23.24.25; 3,18). Das Äußere des Menschen (4,8c) entspricht seinem Inneren (4,8d). Die innere Gespaltenheit des Menschen ist nur die eine Seite menschli cher Schizophrenie, deren äußere Seite a-soziales, unwürdiges zwischenmenschliches Verhalten ist (vgl. Frankemölle, Gespalten oder ganz). In seinem Denkansatz erweist sich Jakobus als sehr konsistent. 9a-c: Im Vorgriff auf seine Kritik an die Reichen (5,1: »Wohlan
jetzt, ihr Reichen, weinet und klaget«) formuliert Jakobus den Vers 9 grundsätzlich im Hinblick auf alle Christen. Wer ist nämlich nicht vom Vorwurf, Sünder und Zwiespältiger zu sein (8c.d) betroffen? Der Bußruf gehört als Antwort auf die ständige Erfah rung der ambivalenten Grundsituation des Menschen dazu. Als rhetorisch gebildeter Weisheitslehrer zieht Jakobus wie seine bibli schen Vorgänger alle Register sprachlichen Könnens, um auf seine Adressaten einzuwirken hinsichtlich eines neuen christlichen Selbstbewußtseins und einer neuen solidarischen Praxis. Die drei Imperative wehklagt und trauert und weint sind feste Bestand teile der prophetischen Bußpredigt (vgl. Jes 32,11-12; Jer 4,8; Joel 1,8-11; Am 5,16f.; Mi 1,8; 2,4; Sach 11,1 f.). Das erste Verbum, das nur hier im N T belegt ist, zielt mit seiner Grundbedeutung bedrücktsein/sich elend fühlen bei der wechselseitigen Betonung von innen und außen durch Jakobus wohl eher auf die innere Einstellung, während die beiden anderen Verben betonen, daß äußere Zeichen mit dem Inneren koinzidieren. Auffällig ist, daß Jakobus nicht den Imperativ Präsens als Aufforderung zu einer dauernden Grundhaltung betont, vielmehr mit dem Imperativ Aorist die Einmaligkeit eines Vorgangs ins Auge faßt. Ihm geht es um die Ernsthaftigkeit einer einmaligen, den Menschen in seiner Grundorientierung auf Gott wirklich veränderten Wende. O b Jakobus mit dieser eindringlichen und stark emotionalen Wirkung auf die Adressaten ein Vertreter der Einmaligkeit der Umkehr ist, die im N T (vgl. Hebr 12,17 und bes. 6,4-6) schon dezidiert vertreten wurde und in der Glaubensgeschichte der Christen in den frühen Jahrhunderten eine außerordentlich große Rolle gespielt hat, ist wohl nicht zu entscheiden. Ähnlich wie in Hebr 10,26-31 warnt Jakobus vor dem Abfall und plädiert für die Ernsthaftigkeit der Umkehr. Dabei ist — was den Gedanken der Einmaligkeit betrifft — Jakobus hier nicht weniger radikal als etwa in 2,10 (»denn wer das ganze Gesetz hält, sich aber in einem einzigen verfehlt, der hat sich gegen alle verschuldet«). In seinem jeweiligen Tun entscheidet der Mensch über Heil und Unheil, Tod und Leben. 9b.c: Wie die von Jakobus rezipierte Tradition (s. o.) aus Sir 21,20 und 27,13 zeigt (vgl. auch Spr 10,23), meint das Lachen, das als Substantiv nur hier im N T belegt ist, das Lachen der gottlosen Toren, die Jakobus in 4,1-4 polemisch attackiert hatte. Euer Lachen, nämlich das der Sünder und Zwiespältigen (8c.d), ist nach Jakobus nicht nur ein Lachen gegen die von Gott gesetz-te Sozial ordnung, sondern auch ein Lachen gegen das Sein Gottes, da
Anthropologie und Theo-Iogie vom Prolog an korrelieren und Jakobus ohne Gottes Sein und Handeln als unaufgebbare Voraus setzungen anthropologische und ekklesiologische Aussagen nicht macht. Natürlich gibt es auch für Christen ein befreiendes Lachen; dies steht jedoch — wie der ganze Kontext zeigt — nicht zur Debatte. Rhetorisch bringt Jakobus mit dem Lachen Dramatik in die Sprache, thematisch Dramatik in das menschliche Selbstver ständnis hinsichtlich seines Selbstbewußtseins — ohne Gott. Gottes Gottsein steht mit dem Anspruch menschlicher Autonomie in der Pose des aufklärerischen Lachens in Frage, wie Umberto Eco, im bekannten Roman »Der Name der Rose« meisterhaft fabuliert, in dem Behüter dieser göttlichen Macht vor Mord und Totschlag nicht zurückschrecken. Dafür gibt der greise und blinde Bibliothe kar Jorge von Burgos in seinem verbissenen Kampf, die Wahrheit des Aristoteles über das Lachen in der Komödie geheimzuhalten, das beste Beispiel, wenn er zwar das Lachen der Bauern und einfachen Menschen anerkennt, das Lachen der Philosophen und Theologen jedoch als hybride Artikulation versteht, die die Furcht vor Gott vertreibt: »Aus diesem Buch könnte leicht der luziferische Funke aufspringen, der die ganze Welt in einen neuen Brand stecken würde, und dann würde das Lachen zu einer neuen Kunst, die selbst dem Prometheus unbekannt war: zur Kunst der Vernich tung von Angst! Der lachende Bauer fürchtet sich nicht vor dem Tod, solange er lacht, doch sobald die Ausschweifung vorüber ist, auferlegt ihm die Liturgie wieder nach dem göttlichen Plan die Angst vor dem Tod. Aus diesem Buch aber könnte das neue und destruktive Trachten nach Uberwindung des Todes durch Befrei ung von Angst entstehen« (Der Name der Rose, München — Wien 1982, 604). Auch beim Lachen der Toren in der Bibel geht es nicht um die Freiheit des einfachen Volkes in einer Art Kurzweil, auch durch das biblische Lachen versucht der Mensch, im Lachen sein Geschöpfsein aufzuhe ben. Nicht anders Jakobus. Auch Jakobus geht es im Kontext von 4,9b um ein theozentrisches Problem, wie der Gedanke des einen einzigen Gesetzgebers und Richters am Ende der kleinen Abhand lung in 4,11-12 sowie die Ausführungen über die trügerische Autonomie der reichen Christen hinsichtlich der Zeit und des Besitzes in 4,13-5,6 belegen. Damit steht das von Beginn des Briefes an schwierige Problem menschlicher Freiheit erneut an, das nicht nur im AT, sondern auch in der spätapostolischen und nachapostolischen Zeit in unterschiedlichen Kreisen diskutiert und theoretisch und praktisch unterschiedlich beantwortet wurde.
Für die Popularphilosophie sei stellvertretend die Auseinanderset zung des Platonikers Plutarch (45-120 n. Chr.) in seiner Schrift De Sera Numinis Vindicta mit den Epikureern genannt. Eine analoge Diskussion ist zwischen Pharisäern und Sadduzäern (letztere als Leugner der Auferweckung) überliefert. Derartige Diskussionen bestimmen auch den zweiten Petrusbrief (1,13; 2,22 und 3,8f.; vgl. dazu Frankemölle, Petrusbrief). Die Ablehnung der zukünftigen Parusie (vgl. Jak 5,7) und des Gerichtes sowie die Frage »Wo ist denn euer Gott?«, d. h. wo bleibt seine Herrschaft, die sich gegen das Gelächter der Spötter durchsetzt, ist aber auch die häufig belegte Frage der libertinistischen Spötter, die in der Sicht der Schrift die »Toren« genannt werden. Sie behaupten, daß Gott sich in seiner absoluten Transzendenz nicht nur von der Welt zurückge zogen hat, sondern auch ohnmächtig ist; daher lassen es sich die Toren (zu den Reichen in Jak s. u. 5,1-6) gutgehen — auch auf Kosten der Frommen —, da sie kein Gericht und keine Strafe erwarten (vgl. Ps 9,22-39, bes. 9,25.27.32.34; 13,1-5; Jer 2,6.8; 5,12; Joel 2,17 und viele andere). Dem blasphemischen Lachen und dem ironischen Spott der Gegner »Gott straft nicht. Es gibt keinen Gott« (Ps 9,25) und ihrem praktizierten Atheismus steht die Frage der Frommen »wie lange noch?« hilflos gegenüber. Jesus Sirach hat diese Vorstellungen übernommen, wie 27,13b (»Ihr Gelächter hat seinen Grund darin, daß sie in Sünde schwelgen«) und 27,15 (»Ihre Lästerreden anhören ist widerwärtig«) belegen. Das gotteslästerli che und emanzipierte Gelächter der Toren läßt dem Gottesfürchtigen die Haare sträuben (7,13 f.). Wie Jakobus in 3,13-18 den Gegensatz zwischen dem Verhalten des Weisen und des Toren analog zu Sir 21,11-28 begründet, so exemplifiziert er in 5,1-6 (vgl. 5,1: »Wohlan jetzt, ihr Reichen, weinet und klaget!«) wie Jesus Sirach (vgl. etwa 13,5-14,10 und 31,1-11) an der Gruppe der Reichen bei den Adressaten nicht nur die Gefahr der falschen Selbstsicherheit (vgl. Jak 4,13-17 mit Sir 5,1-8), vielmehr auch ihr gottwidriges Lachen wegen und trotz ihres unsolidarischen Verhal tens gegen die Armen und ihres Reichtums auf Kosten der Armen. Im Kontext dieser Deutung von Wirklichkeit widerspricht das Lachen von 9b keineswegs der von Jakobus im Prolog geforderten Freude in und trotz der mannigfachen Prüfungen (1,2), zumal Jakobus sich auch bei dieser Vorstellung auf Jesus Sirach berufen konnte (Sir 1,12; 2,9; 30,16). Freude, befreiendes Lachen, Humor - in Übereinstimmung mit Gottes Ordnung — lehnt Jakobus keineswegs ab, eine solche befreiende Haltung ist Element seiner Anthropologie. Wie bei den Stoikern (vgl. T h W N T 9, 1973, 352)
und bei Philo (ebd. 356) gehört die so verstandene Freude nicht zu den Affekten und Leiden der Seele, vielmehr gehört sie zu den eupatheiai, den guten Stimmungen, nach Philo sogar zu deren höchster (Praem 32,52). Ganz anders steht es um das gotteslästerli che Lachen in Jak 4,9b und um die sich im Leben der Gottlosen verwirklichende Freude in 9c — kontextuell wohl eines Menschen, der Freund der Welt sein will (4d), was Feindschaft gegen Gott (4c) impliziert. Hier kann Jakobus mit seiner heiligen Schrift nur eine radikal veränderte Selbstbestimmung und ein neues Verhalten fordern. Wie sehr er im Hinblick auf diesen Gedanken im N T singulär ist, zeigt nicht nur das hier im N T belegte Lachen, auch das Substantiv Trauer (außer Offb 18,7.8; 21,4) und das Verbum verwandeln sind nur hier im N T belegt, während das Substantiv katepheia: Kummer/Niedergeschlagenheit sogar in der gesamten Bibel nur hier belegt ist. Dagegen ist die Androhung der Umkeh rung der Verhältnisse ein traditioneller prophetischer Topos, wie in der Aufnahme der gleichen Tradition im N T besonders klar etwa Lk 6,25 belegt (»Wehe euch, die ihr jetzt satt seid, denn ihr werdet hungern. Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet klagen und weinen«). Gegen Reiche, Satte und Lachende richtet sich eine breit belegte, prophetisch verstandene Kritik mit der Androhung einer Umwertung (vgl. Jes 3,14f.; 5,8-22; Hab 2,5ff. u. a.). Jako bus hat diese Tradition nicht ungebrochen übernommen, vielmehr anthropologisch gewendet, indem er in 9a den Gedanken als Aufforderung formuliert, während 9b.c als Prophezeiung zu ver stehen ist. Formuliert werden konnte ein solcher Gedanke jedoch nur vor dem bekannten Topos von der Umkehrung der Verhält nisse durch Gott. Die Hoffnung bzw. der Glaube an vollzogene Umwertung durch Gott ist biblisch ebenfalls breit belegt (vgl. 1 Sam 2,5-10; Ijob 5,11-16; 12,17-25; 36,5-7; Ps 74,8; 88,11; 106,33-41; 112,7ff.; 146,6; Ez 21,26.31), aber auch im Frühjuden tum wohlbekannt (vgl.Hen 46,4; zu rabbinischen Parallelen vgl. Billerbeck II 106). Auch Sirach hat selbstverständlich diesen Gedanken rezipiert und setzt ihn als Argument bei seinen Weis heitsregeln für Vorgesetzte (9,17-11,9) ein: 10,14 Die Throne der Stolzen stürzte Gott um und setzte Sanftmütige an ihre Stelle. 15 Völker rottet er mit der Wurzel aus und pflanzt Demütige an ihren Platz. 18 Nicht anerschaffen ist dem Menschen die Hoffart noch der grimmige Zorn den vom Weibe Geborenen.
Könnten Weisheitslehrer nur abstrakt auf den Tun-ErgehenZusammenhang verweisen und nicht mit konkreten Erfahrungen ihrer Adressaten argumentieren, geriete weisheitliche Theologie wohl in eine noch grundlegendere Krise, als sie es von ihrem optimistischen pädagogischen Ansatz her ohnehin tat (vgl. die Bücher Ijob und Prediger sowie den Versuch der Überwindung der Krise durch die Bücher Jesus Sirach und Weisheit Salomos). Da Jakobus in der Rezeption von Jesus Sirach Weisheit und Tora sowie Weisheit und prophetische Kritik einander angleicht, gilt auch für seine theologische Konsequenz der Satz aus Jesus Sirach 1,26: »Begehrst du Weisheit, so halte die Gebote, und der Herr wird sie dir reichlich geben.« Ebenso gilt aber auch das Gegenteil, wie die Verse 4,1-6 zeigen. Wer sich nicht nach Gottes Geboten (vgl. Vers 5 und 6) hält, hat ein bitteres Schicksal zu erwarten, das in 5,1- 6 breit entfaltet wird. Allerdings beendet Jakobus die kleine Einheit in 4,7-10 wie üblich nicht negativ, sondern bewußt — wie die Akzentverlagerung in der Inklusion zu Vers 7 zeigt, positiv. lOa.b: Jakobus versteht diesen Vers wohl als Zusammenfassung und als intensivierende Wiederholung. Der Appell erniedrigt euch vor dem Herrn (10a) variiert Formulierungen aus 6b.c, die daraus logische Verheißung und erhöhen wird er euch (10b) variiert als Gabe Gottes das Stichwort Gunst in 6c. Im übrigen entfaltet Jakobus jedoch Begriffe aus dem Prolog (zu »niedriggestellt/sich erniedrigen« vgl. 1,9) und zum Gedanken des Lohnes vgl. 1,12 das Bild vom »Kranz des Lebens«; vgl. auch 2,5). Zur Gruppe der Erniedrigten und Demütigen zählt sich im übrigen der Verfasser auch selbst, wie die Kennzeichnung als »Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« im Präskript (1,1) bestätigt (vgl. aber auch 3,2ff.). Das in lOa.b vorliegende Denkschema ist in der Schrift u. a. durch Jesus Sirach belegt: 2.17 Die den Herrn fürchten, bereiten ihre Herzen und demütigen vor ihm ihre Seelen. 3.18 Je größer du bist, desto mehr demütige dich, und du wirst beim Herrn Gunst finden. Als bekannter Topos findet sich der Gedanke u. a. auch in Ijob 5,11; 22,29; Spr 3,34; 29,25; Ez 17,24; 21,31. Es verwundert daher nicht, daß diese Hoffnung auf Vergeltung durch Gott ebenso in der frühjüdischen Literatur (vgl. Testjos X , 3 ; X V I I I , 1 ; 1 Q H 111,20; XV,16f.), aber auch im N T gut belegt ist (Mt 18,4; 23,12; Lk 14,11; 18,14), wobei besonders 1 Petr 5,5-6 hervorgehoben sei,
da dort wie in Jak 4,6 aus dem Zitat Spr 3,34 ein ähnlicher Gedankengang wie in Jak 4,6.10 entwickelt wird. Da literarische Unabhängigkeit voneinander vorliegt, rezipieren alle jüngeren Ver fasser das toposartige Schema der Schrift. Dabei plaziert Jakobus es an semantisch exponierter Stellung am Ende der Verse und zudem noch als Inklusion, wodurch nicht der Mensch, sondern Gott das letzte Wort behält und die letzte Tat vollzieht.
4. Anthropologische als theologische Fehlhaltungen (4,11-12) Literatur: S. o. beim Exkurs nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit« nach Jakobus; außerdem: Delling, G., Geprägte partizipiale Gottesaussa gen in der urchristlichen Verkündigung, in: ders., Studien zum N T und zum hellenistischen Judentum, Göttingen 1970, 401-416. Formkritisch sind die Verse klar strukturiert. Der Imperativ in I I a Verleumdet einander nicht! steht parallel zu den Imperativen der Verse 7-10. Da diese dort jedoch nicht negativ formuliert sind, deutet der negative Imperativ wie in 2 , 1 ; 3,1 und 5,9.12 den Beginn einer neuen kleinen Einheit und eines neuen Gedankens an, was durch die Anrede Brüder unterstrichen wird. Letzteres deswegen, weil die Anreden Ehebrecher in 4a, Sünder und Zwiespältige in 8c.d alles andere als auf Stiftung von Gemeinschaft orientiert waren. Oder wenn ja, dann aufgrund der von Jakobus geforderten Neubesinnung und Umkehr. Dem Appell in I I a folgen in IIb-12c ausführliche Begründungen bzw. ein »Kommentar« (Dibelius 250), wohin eine solche verleum derische Praxis in der Gemeinde führt: ins eigene Verderben (12b). Die formale Gestaltung entspricht der Thema-Rhema-Struktur in 1,2-4 (zur formalen Anlage s. o.). Sie ist gekennzeichnet von einem fortschreitenden Parallelismus, bei dem aus dem Gedanken am Versende jeweils im folgenden Vers ein neuer Gedanke entwickelt wird, zum Teil ausweitend, zum Teil verengend, zum Teil rekapi tulierend, zum Teil vorausweisend auf eine weitere Amplifikation (zum Stichwort Gericht vgl. etwa 5,9-12). Diese Struktur wird bereits an der Oberfläche der Verse deutlich: 11 b Wer einen Bruder verleumdet oder seinen Bruder richtet, c verleumdet das Gesetz und richtet das Gesetz.
d Wenn du aber das Gesetz richtest, e bist du nicht ein Täter des Gesetzes, sondern ein Richter. 12 a Ein einziger ist Gesetzgeber und Richter. Die theozentrische Ausrichtung ist demnach noch stärker als das Grundbekenntnis zum Monotheismus in 2,19. Es ist Ziel und Grund aller sozialethischen Aussagen des Jakobus. Nicht nur das Gericht am Ende, auch das Angebot der Tora am Beginn ist einzig und allein Gottes Werk. Ihr zufolge sollen die Menschen eine geschwisterliche Gemeinde sein. Das dreifache Bruder in l l a . b und das reziproke einander in I I a (vgl. auch 5,9a.l6a.b) setzt nicht nur die allen gemeinsame, von Jakobus in Ubereinstimmung mit der Schrift geforderte Niedrigkeit (6b.c.l0a) voraus, also eine ganzheitliche Grundorientierung, vielmehr verlangt eine solche Charakterisierung auch die solidarische Gegenseitigkeit als uner setzbaren Erweis für die richtige Grundhaltung. Was sich entgegen der frühkirchlichen Tradition zu Vers 6 zeigte, bestätigt sich hier und beim gegenseitigen Sündenbekenntnis in 5,16: Jakobus kennt keine heilige Hierarchie, wohl sieht er einzelne Funktionen wie etwa die Lehrer (3,1), an die er jedoch strengere Maßstäbe des Gerichtes Gottes anlegt (3,2ff.). Wirklich weise und wohlunter richtet sind alle Christen, die »aus dem guten Wandel Werke in Sanftmut der Weisheit zeigen« (3,13). Täter des Gesetzes (4,1 le) sind Christen nur in der Einheit von Anerkennung der Herrschaft Gottes und verwirklichtem, solidarischem zwischenmenschlichem Verhalten (vgl. auch 5,1-6). Dies entscheidet nach 12b über Heil und Unheil. Kontextuell sind damit Gedanken angesprochen, die im Brief schon mehr oder weniger breit thematisiert wurden. Das Stichwort »Verleumdung« in I I a greift auf und faßt zusammen, was Jakobus in 3,1-12 über die negative Macht der Zunge in Amplifikation der These aus 1,26 (»obwohl er seine Zunge nicht im Zaum hält«) entfaltet hatte. Außerdem dürfte die Warnung in I I a auf die die Gemeinschaft der Gemeinde in Frage stellenden Kriege und Kämpfe in 4,1 und 3,14.16 zurückgreifen und sie in einem neuen Bild zusammenfassen. Zum Stichwort Gesetz, das hier nicht mehr näher erläutert wird, ist auf 1,25 und 2,8-12 hinzuweisen, zum Terminus Täter des Gesetzes vor allem auf die Ausführungen in 1,19-25 (besonders 1,22.23.25) sowie auf die Abhandlung zum Werk-Glauben in 2,14-26 (vgl. den Exkurs nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit«).
Der Gedanke des Gerichtes ist explizit (vgl. 2,12-13; 3,1) oder implizit (vgl. 1,12.21; 2,14.16) die leitende Perspektive des ganzen Briefes (vgl. im Epilog die Verse 5,9-12). Setzt man beim zusam menfassenden Appell verleumdet nicht ein böswilliges und ehrab schneiderisches Reden voraus, ist auch an die Antithese zur göttli chen Weisheit in 3,17d zu erinnern, die »unparteiisch und ungeheuchelt« ist. Letztlich geht es Jakobus in den abschließenden Versen der kleinen Abhandlung in 4,1-12 zum Thema: Vom Unfrieden in der Gemeinde und seinen Ursachen im Kontext seiner Anthropologie um jene Haltung der Geradlinigkeit, des Ungespaltenseins, der Einfalt und der Sanftmut, die er im gesamten Brief nicht nur anthropologisch durchbuchstabiert, sondern auch als sozialethische Grundhaltung versteht, wobei zu betonen ist, daß beide zusammen erst die rechte Haltung gegenüber Gott ausma chen. Und noch einmal vertieft: Dies ist so, weil Jakobus das Sein und Handeln Gottes als Ermöglichung menschlichen und innerge meindlichen Seins und Handelns versteht. Wie in einem Prisma wird diese gegenseitige Verschränkung in den Versen 2,11-12 gebündelt. Wohl sehr bewußt variiert Jakobus die Anrede Brüder in I I a — eine Kennzeichnung, die durch das kritisierte Fehlverhal ten in I I b aufgehoben wird - durch den Begriff deinen Nächsten in 12c. Mit der Wendung der du deinen Nächsten richtest in 12c schafft Jakobus eine nicht nur im griechischen Text exakte parallele Ringkomposition zu I I b (jeweils mit dem Partizip), vielmehr erregt auch der Begriff Nächster in 12c aufgrund seiner Schlußpo sition Aufmerksamkeit. Lautete die gottgemäße ethische Praxis mit einem wörtlichen Zitat aus Lev 19,18 in 2,8 doch so: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! mit dem Kommentar des Jakobus: Wenn ihr nach dem Wort der Schrift... das königliche Gesetz erfüllt, dann handelt ihr gut. Wer sich anders verhält, wer die Aktivität und Dynamik Gottes (12b) und sein Gericht in seiner Deutung der Wirklichkeit nicht einkalkuliert, verhält sich wie der gottlose Lacher in 4,9b. Wer so seine Autonomie ohne Gott und ohne den Mitmenschen bzw. auf dessen Kosten ausleben will (vgl. das Stichwort »Begierde« in 4,1-3), dem ist sein Ende sicher. IIa: Daß Jakobus mit Verleumdet nicht! eine Wortsünde als Zusammenfassung an den Schluß stellt, überrascht nach 1,19-20 und 3,1-12 nicht. Das Substantiv »Verleumdung/üble Nachrede« kommt in urchristlicher Literatur nur in Lasterkatalogen vor (vgl. 2 Kor 12,20; 1 Petr 2,1; 1 Klem 30,1), ebenso das Adjektiv (Rom 1,30; Herrn s 6,5,5). Das Verbum ist neben Jak 4,11a nur in 1 Petr
2,12 und 3,16 belegt, meint dort aber die Verleumdung durch die nichtchristliche Umwelt. Mit dem Begriff und seinem Wortfeld sind an sich triviale, sehr verbreitete, alltägliche menschliche Fehl haltungen umschrieben, die aber aufgrund ihrer Lieblosigkeit und Gespaltenheit jüdischem und christlichem Gebot widersprechen. Die Vokabelgruppe ist in der hebräischen und griechischen Bibel wenig, bei Josephus gar nicht und bei Philo nur 2mal belegt (vgl. T h W N T 4, 1942, 3-4). Von einer Verleumdung gegen den Näch sten sprechen Ps 49,20; 100,5 und Spr 20,13. Erwähnenswert ist aus den Psalmen Salomos, die zwischen 60-30 v. Chr. entstanden sind, vor allem Ps 12, ein Bittpsalm um Schutz vor Verleumdung: 1 Herr, rette meine Seele vor dem Sünder und dem Frevler, vor gottloser, verleumderischer Zunge, vor Lug und Trug! 2 Die Worte auf der Zunge eines Frevlers sind vielgewandt, wie in dem Brand des Feuers seine Glut entfacht. 3 Er setzt in Brand mit lügnerischer Zunge Häuser. Wie die Überschrift »Über des Gottlosen Zunge« andeutet, ist die unter dem Stichwort Verleumdung behandelte Problematik nicht daran gebunden, wie nicht nur die jüngere rabbinische Literatur in breiter Fülle belegt (vgl. Billerbeck I 226-231), sondern auch die Behandlung in der älteren Testamentsliteratur bestätigt (Test G 5,4; Iss 3,4). Klebt man nicht am Wort, sondern stellt die Thematik in den Vordergrund, dann ist bei Jesus Sirach auf all jene Stellen hinzuweisen, in denen vor der Gefahr, die von zuchtlosen Lippen und von doppelzüngigen Menschen droht, gewarnt wird (vgl. 5,9-6,4; 7,12-17; 20,18-31; 22,27-23,15), wobei vor allem an die Lügen gegen den Bruder zu erinnern ist (7,12-17). Auch auf Lev 19,16 ist hinzuweisen (»Du sollst deinen Stammesgenossen nicht verleumden und dich nicht hinstellen und das Leben deines Nächsten fordern. Ich bin der Herr«), auch wenn die Vokabel nicht benutzt wird. Diese Stelle ist deswegen für Jakobus relevant, da er Lev 19,18 wortwörtlich in 2,8 zitiert und Lev 19,15 (»Ihr sollt in der Rechtsprechung kein Unrecht tun. Du sollst weder für einen Armen noch für einen Mächtigen Partei nehmen; in Gerechtigkeit sollst du deinen Nächsten richten«) in 2,1 ff. rezipiert haben dürfte. Aufgrund der unmittelbaren Nähe der Mahnung zur Unparteilich keit zum Gebot der Nächstenliebe in 2,1-8 wie auch der Warnung vor Verleumdung gegen den Bruder legt es sich nahe, daß sich an
dieser und an anderen Stellen der jüdischen Literatur eine feste Auslegungstradition niedergeschlagen hat (vgl. Heiligenthal 31). So werden in Test Is 3,4 Verleumdung mit Geradheit/Einfachheit, in Herrn Sim VIII 7,2 die Verleumder mit den seelisch Gespaltenen zusammen genannt (vgl. Dibelius 272 f.). Die Hinweise machen deutlich, daß es Jakobus in Vers I I a nicht um eine weitere »spe zielle Warnung« (Dibelius 272) geht, vielmehr assoziiert er mit der Aufforderung verleumdet einander nicht, Brüder das grundle gende Problem der Gespaltenheit in der Gemeinde wie in 4,1. Wie sehr ein solches Fehlverhalten fundamental gegen die von Gott gegebene Sozialordnung steht, zeigt die ausführliche Begründung in llb-12c. Traditionsgeschichtlich war dieser Gedanke Jakobus nicht nur in Sir 23,12 (»Es gibt eine Art des Redens, die mit dem Tode verstrickt ist«) vorgegeben, sondern etwa auch in Weish 1,11: Hütet euch also vor dem unnützen Gemurre und bewahrt die Zunge vor Verleumdung; denn heimliches Reden bleibt nicht ohne Folgen, und ein Mund, der lügt, vernichtet die Seele. llb-e: Wie Lev 19,15-18 zeigt, gehören verleumden und richten zusammen. Wie das oder zeigt, versteht Jakobus beide Fehlhaltun gen durchaus als zwei verschiedene; daher ist Richten nicht schon bei Verleumden impliziert, in dem Sinne, daß dadurch jemand fälschlicherweise verurteilt wird. Jakobus dürfte richten mög licherweise in I I b (im Unterschied zur Ausweitung in den folgen den Versen) ganz konkret im Sinne von 2,6 verstehen, wo er die reichen Christen kritisiert, die die armen, geliebten Brüder (2,5a) gewalttätig behandeln und vor Gericht schleppen (2,6b.c). Warum sollte für den Adressatenkreis des Jakobus nicht angenom men werden dürfen, was in der Gemeinde von Korinth sich als so schwerwiegendes Problem darstellte, daß Paulus sich genötigt sah, ausführlich darauf einzugehen (vgl. 1 Kor 6,1-8)? Will man diese konkrete Problematik in Jak 4,11b in Aufnahme von 2,6 nicht gelten lassen und richten unjuristisch verstehen, ist im Sinne des Jakobus die Andersartigkeit des Fehlverhaltens den noch zu betonen. Im Unterschied zum ehrabschneiderischen und verleumderischen Reden meint krino: richten das selbstgerechte und besserwisserische Aburteilen seines Nächsten. Zielt das erste Verbum mehr auf eine böswillige Entlarvung des Nächsten, so entlarvt das zweite Verbum den Handelnden selbst. Die anthropologisch-ekklesiale Problematik überträgt Jakobus auf
das Verhalten zum Gesetz, indem er formal parallelisiert einen Bruder verleumden mit Gesetz verleumden bzw. einen Bruder richten mit das Gesetz richten. Diese Wendungen sind unge wöhnlich, jedoch erklärt sich die Anwendung der Verben auf das Gesetz aus der Aussage- und Wirkabsicht des Jakobus. Die anthro pologisch-ethische, ekklesiale Perspektive bestimmt die Tora-Ter minologie. Der Sinn der fortschreitenden Logik ist klar: Ein Christ, der so handelt, setzt die Tora in ihrer Normativität für zwischenmenschliches Handeln außer Kraft. Wenn Jakobus am Ende von I I b einen Genetiv setzt, dürfte diese Unbestimmtheits stelle nicht nur aufgrund der Verslänge begründet sein, sondern um der angezielten Aussage willen. Ein solcher Christ ist nicht nur nach l l e ein Richter des Gesetzes, er ist auch nach I I b ein Richter seines Bruders und schließlich in Vorgriff auf 12a macht er sich zum Richter über Gott selbst, was mit dem Lachen der gott-losen Toren in 9b übereinstimmen würde. Wer den Bruder verleumdet und aburteilt, setzt sich demnach an die Stelle Gottes selbst. Anthropologische und ekklesiale Fehlhaltungen werden als theolo gische entlarvt. Der Mensch hat nach prophetischer und weisheitli cher Tradition keine andere Bestimmung, als Gottes Gebot zu tun. Gerade das Hauptanliegen Jesus Sirachs war es, Weisheit und Tora miteinander zu verbinden (zur Begründung vgl. Blenkinsopp und Schnabel). 1,26 Wenn du Weisheit begehrst, so halte die Gebote, und der Herr wird sie dir reichlich geben. 19,20 Alle Weisheit ist Furcht des Herrn, und in aller Weisheit geht es um das Tun des Gesetzes. Jakobus steht beim Versuch, die Tora der Weisheit zu integrieren (zu Sirach vgl. auch Preuss, Weisheitsliteratur 142-145) seinem Vorbild nicht nach, wie der Prolog in 1,2-5 sowie der Hymnus auf die wahre Weisheit in 3,17 zeigen, aber auch die Wortverbindun gen Täter des Wortes (1,22) und Täter des Werkes (1,25) neben Täter des Gesetzes hier in 4,11 bestätigen — ganz abgesehen von seinen Abhandlungen über den Werk-Glauben (2,14-26) oder über den Erweis der wahren Weisheit in Sanftmut der Weisheit (3,1318). Nicht der Hörer des Wortes Gottes, sondern der Erfüller des Gesetzes der Freiheit und der Täter des Werkes wird selig sein in seinem Tun (1,25). Nur wer so im Glauben handelt, wird wie Abraham, unser Vater, aus Werken gerechtfertigt werden (2,21). Glaube und Werke, Reden und Handeln sind zu integrie-
ren, nur so kann man beim Gericht durch das Gesetz der Freiheit bestehen (2,12 mit 13). Als Mensch die Tora selbst richten zu wollen, ist für Jakobus eine theologische Absurdität, obwohl - dies sei nicht verschwiegen — Jakobus selbst aus Gottes Sozia lordnung die kultisch-rituellen Vorschriften (wie z. B . Beschnei dung, Einhaltung des Sabbats und rituelle Vorschriften) in seinem ganzen Brief übergeht. Aber damit steht er ganz auf dem Boden der prophetischen und weisheitlichen Deutung der Tora und Jesu (zur Begründung s. o. zu 1,26f. und 4,8). 12a-c: Daß es im vorhergehenden Vers nicht um Einzelgesetze, sondern um die Tora insgesamt ging, bestätigt nicht nur die Variation des Stichwortes Bruder aus 11 a in 12c durch den Begriff Nächster (in Aufnahme des Gedankenkontextes aus 2,8 mit dem wörtlichen ToraGebot aus Lev 19,18). Noch wichtiger ist das Bekenntnis in 12a. Auch hier ist eindeutig die ganze Tora gemeint, wie die ausdrücklich formulierte und an das »Höre Israel« anknüpfende (vgl. 2,19: »Ein Einziger ist Gott«) theozentrische Begründung bestätigt. Sie steht in der logischen Konsequenz der Dynamik Gottes und seiner in der Schrift offenbarten Worte in den Versen 5 und 6. Was dort von Gott eingefordert wird, nämlich solidarisches Verhalten der Christen untereinander und ein entsprechendes demütiges Selbstverständnis, erfährt in 12a seine grundsätzlich theo-logische Begründung in dem Glaubenssatz, daß die Tora ureigene Offenbarung Gottes ist. Da der Begriff nomothetes: Gesetzgeber nur hier im N T belegt ist, bestätigt er die Bedeutsamkeit der grundlegenden, die Anthropologie und Ekklesiologie ermöglichenden Theozentrik. Hätten die an Paulus orientierten Ausleger vieler Jahrhunderte diese theozentrische Grundaussage bei allen Gesetzes-Stellen im Jakobusbrief mitgehört, hätten manche ökumenischen Verkrustungen frühzeitiger überwun den werden können. Und weiter Jakobus hätte ein Beispiel dafür sein können, daß die durchaus vorhandene Christologie (s. o. den Exkurs nach 2,1) nicht den Monotheismus korrumpiert. Jakobus könnte nicht nur im evangelisch-katholischen Dialog, sondern auch im großen ökumenischen Gespräch zwischen Christen und Juden enggeführte Einseitigkeiten eines Christozentrismus (s. o. den Exkurs nach 2,1) auflösen helfen. 4,12a ist ein weiterer theologischer Spitzensatz des Jakobus, der auf der Basis des jüdischen Bekenntnis ses zum einen und einzigen Gott (vgl. Dtn 6,4; vgl. ThWAT, 1973, 210-218; Billerbeck II 28-30) angeregt vom Kontext redaktionell gebildet worden sein dürfte. Ist doch der Begriff Gesetzgeber in der Septuaginta nur in Ps 9,21 belegt, bei Philo ebenfalls nur einmal (Sacr 131).
Ähnlich steht es um das Bekenntnis, daß der eine und einzige Gott als Gesetzgeber auch krites: Richter ist. Üblicherweise meint wie in Jak 2,4 und 4,11 der Begriff den menschlichen Richter als Amtsperson oder in Amtsanmaßung; von Gott als Richter wird außer in Jak 4,12 und 5,9 nur in 2 Tim 4,8 und Hebr 12,23 gesprochen. Im Kontext der allgemeinen Gerichtserwartung durch Gott fanden unabhängig voneinander verschiedene Theologen zur substantivischen Formulierung, zumal bei Jakobus in der Abfolge von Vers 11 zu Vers 12 auch der Übergang von der menschlichen auf die göttliche Ebene deutlich wird. Daß Gott Richter ist, ist im A T eine »alte, gemeinsemitische Vorstellung« ( T h W N T 3, 1938, 923), aber auch im Griechentum gut belegt (933f.; die Darstellung zum Judentum und N T , ebd. 935 ff., ist arg verzerrend). Daß Gott das Epiteton Richter gegeben wird, ist dennoch nicht so häufig belegt, wie christliche Autoren glauben. Hinzuweisen ist jedoch etwa auf Ps 74,8 (»Gott ist Richter, diesen erniedrigt er, jenen erhöht er«) und für Jakobus besonders auf die kleine Abhandlung vom unbestechlichen Gott und die ihm wohlgefälligen Opfer in Sir 34,18-35,24 (zur Rezep tion in Jak 1,26 f. s. o.):
35,11 Suche den Herrn nicht zu bestechen, denn er nimmt es nicht an, und stütze dich nicht auf ein ungerechtes Opfer. 12 Denn der Herr ist Richter und bei ihm gilt kein Ansehen der Person. 13 Nicht nimmt er Partei gegen den Armen, und das Gebet dessen erhört er, dem Unrecht geschah. 14 Nicht übersieht er das Flehen der Waise, und die Witwe, wenn sie ihre Klage vor ihm ausschüttet. 17 Das Gebet des Elenden dringt durch die Wolken und ehe es nicht ans Ziel kommt, läßt er sich nicht trösten. 18 Und er läßt nicht davon ab, bis der Höchste dreinsieht, und den Gerechten Recht schafft und Gericht hält. 22 Bis er dem Menschen nach seinem Tun vergilt und die Werke der Menschen nach ihren Anschlägen heimzahlt; 23 bis er richtet und Recht schafft seinem Volk und sie erfreut durch sein Erbarmen.
Der Gerichtsgedanke, den heutige Christen oft als belastend und anstößig empfinden, gehört bei Jakobus wie bei all jenen Theolo gen der Schrift unaufgebbar zu ihrer Botschaft dazu, welche die freie Willensentscheidung des Menschen zum Guten oder Bösen betonen. Das Gericht ist gleichsam der Preis der menschlichen Freiheit, da es die wirkliche Verantwortung des Menschen betont, der sich in Freiheit auch verfehlen kann. Wie bei anderen Theolo gen so hat auch bei Jakobus der Hinweis auf das Gericht seine Funktion im Dienst der handlungsorientierten Impulse. Jakobus will die Adressaten daran erinnern, daß sie noch Menschen im Werden sind, sich für den einen oder anderen Weg zu entscheiden haben, wobei diese Entscheidung jedoch von eschatologischer Unwiderruflichkeit ist (vgl. weiter den Exkurs nach 1,12: Eschato logie und Ethik). Daß auch Gott nicht deterministisch festliegt, zeigt die partizipiale Gottesprädikation ho dynamenos: er kann/er hat Macht (vgl. Delling 403.413). Über Philo hinaus, bei dem die »Kraft« eine Hypostase Gottes wird (vgl. T h W N T 2, 1935, 299), greift Jakobus hier auf alttestamentliche, schöpfungstheologisch begründete Got tesvorstellungen zurück. Gott ist nicht nur der jenseitig Transzen dente, sondern der auch dynamisch im Einzelleben, in der Geschichte von Völkern, in der Welt, als Geber der Tora und als Richter wirksam Tätige (vgl. auch oben zu 4,9b sowie zum neidi schen Verlangen Gottes in 4,5b und zu Gottes Widerstand gegen die Hochmütigen in 4,6b). Um nichts anderes geht es auch Jakobus im Hinblick auf die Zukunft der Adressaten, wie die Verben retten und verderben andeuten. Daß Gott retten und vernichten kann, töten und lebendig machen kann, ist Grundüberzeugung der jüdi schen und christlichen Literatur (vgl. Dtn 32,39; 1 Kön 2,6; 4 Kön 5,7; Mt 10,28 par Lk 12,5; Hebr 5,7; 1 Klem 59,3; Herrn Mand X I I 6,3). Auch nach Jakobus ist Gott ein mächtiger Gott, der jedoch offen ist für die Freiheit des menschlichen Tuns. Daß Gott Menschen verdirbt, sagt Jakobus hier nicht, Gott läßt aber die Verderbnis zu, wie Jakobus in 2,13 betont, indem er den TunErgehen-Zusammenhang aus der anthropologischen in die eschato logische und theozentrische Perspektive erhebt (»denn das Gericht ist unbarmherzig gegen den, der nicht Barmherzigkeit tat«). An Gottes Macht und Souveränität — dies ist das handlungsorientierte Ziel von 12b — sollte der Mensch nicht zweifeln. Wie gesagt: das Gericht ist der Preis der menschlichen Freiheit, die Gott respek tiert. Dies hat nichts mit der Vermittlung eines Gottes der Furcht und
des Zornes zu tun, vielmehr wird die menschliche Freiheit und Verantwortung ganz ernstgenommen. Dies steht nicht im Wider spruch zu 12c. Jedoch wird die sich nicht nur in der damaligen hellenistischen Anthropologie und Sozialontologie findende Vor stellung von der Autarkie und Autonomie des Menschen mit dem Glauben an sein Geschaffensein durch Gott konfrontiert. Zwar ist der Mensch nach Jakobus von Gott gewollt (1,18) und Gottes Ebenbild (3,9), jedoch hat er eben diesen Glauben, Geschöpf und nicht Erschaffer zu sein, nicht nur in seiner Erkenntnis zu akzep tieren, sondern auch in seinem Tun zu praktizieren. Dies ist nach Jakobus kein Zusatz, sondern gehört integrativ zum richtigen Hören (1,19 ff.) und richtigen Glauben (2,14 ff.). Die Frage von Ps 8,5 »Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst?« wird von Jakobus gleichsam im Kontext seines sozialethischen Aktionsziels umgeformt. Unsolidarisches Verhalten in der Gemeinde, wie es sich im Richten und Aburteilen des Nächsten allzu oft zeigt, ist nach Jakobus nicht nur unsozial, ein zwischenmenschliches Fehl verhalten (und steht damit im Widerspruch zur Tora Gottes), vielmehr stellt es auch Gottes Gottsein und seine Souveränität in Frage. Eine fundamentalere theo-logische Begründung für das sozialethische Verhalten der Christens ist nicht denkbar. Enger können Anthropologie und Theo-logie nicht miteinander verbun den werden, als es hier geschieht (vgl. auch 1,2-12; 1,18 mit 1,19 ff.). Gottesfurcht ist gefordert und die Orientierung an Gottes Weisungen. Wer Gott in seinem Herr-Sein anerkennt (4,10a), den wird Gott im eschatologischen Gericht erhöhen (10b) und retten (12b). Wer sich — als Armer gegenüber den Reichen bzw. als Reicher gegenüber den Armen (1,9; 2,1-7; 4,13-5,6) — unsolidar isch verhält, den wird Gott als Gesetzgeber u n d Richter (12a) verderben (12b). Dieser Tun-Ergehen-Zusammenhang nicht nur in menschlicher, sondern auch in theozentrischer Perspektive ist in der Weisheitsli teratur außerordentlich stark verbreitet. So wie der Mensch sich seinen Mitmenschen gegenüber verhält, so wird Gott sich ihm gegenüber verhalten. Neben Strukturparallelen in der synoptischen Tradition (vgl. etwa Mt 10,32f. par; Mk 8,38 sowie Mt 6,5-14 par; 25,31-46) ist etwa aus dem Buch Jesus Sirach auf folgende Stellen hinzuweisen: 28,1 2
Wer sich rächt, wird vom Herrn Rache erfahren, und seine Sünden wird er ihm sicher bewahren. Vergib das Unrecht deinem Nächsten;
3
35,12 13 17
18 19 20 23
dann werden dir, wenn du bittest, deine Sünden auch erlassen. Ein Mensch hält gegen einen anderen an seinem Zorn fest, und dabei begehrt er vom Herrn Verzeihung? Denn der Herr ist Richter und bei ihm gilt kein Ansehen der Person. Nicht nimmt er Partei gegen den Armen, und das Gebet dessen erhört er, dem Unrecht geschah. Das Gebet des Elenden dringt durch die Wolken und ehe es nicht ans Ziel kommt, läßt er sich nicht trösten. Und er läßt nicht davon ab, bis der Höchste dreinsieht und den Gerechten Recht schafft und Gericht hält. Und der Herr wird nicht säumen, noch Langmut üben an ihnen, bis er die Hüften der Unbarmherzigen zerschmettert und an den Heiden Vergeltung geübt. bis er richtet und Recht schafft seinem Volk und sie erfreut durch sein Erbarmen.
Die Kapitel 28 und 34 f. sind für den Zusammenhang bei Jakobus auch deswegen traditionsgeschichtlich wichtig, weil Verse aus die sen Kapiteln in 4,1 f. (vgl. Sir 28,11 f.), in 3,10 (vgl. Sir 28,12), in 4,2 (vgl. Sir 34,21), in 5,6 (vgl. Sir 34,22) sowie in 5,20 (vgl. Sir 28,2.8) rezipiert und verarbeitet werden. Auch wenn der Gedanke selbst breiter belegt ist, dürften für Jakobus an den genannten Stellen die vorgegebenen Traditionen liegen. Immer geht es um die Souveränität Gottes, um das Tun des Menschen und seine Verant wortung vor Gott. Diese theozentrische Perspektive gibt dem menschlichen Tun eschatologische Qualität, relativiert aber auch den menschlichen Selbstanspruch. So auch bei Jakobus. Die Frage in 12c Du aber, wer bist du, der du deinen Nächsten richtest? entlarvt eine falsche Autonomie und Autarkie des einzel nen und fordert Unterordnung unter Gottes Gottsein. Der Mensch ist nicht Herr seiner selbst und Herr über andere (vgl. 4,11 und 5,1-6), sondern hat wie Jakobus »Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi« (1,1) zu sein. Was hier grundsätzlich anthropologisch formuliert wird, wird in 4,13 ff. hinsichtlich der trügerischen Autonomie, über die Zeit bestimmen zu können, entfaltet. So hoch Jakobus vom Menschen denkt, so deutlich betont er — um des Menschen willen — im
Rahmen seines Gottesbildes auch die menschlichen Grenzen. So führt er insgesamt seine Abhandlung vom Unfrieden in der Gemeinde und seinen Ursachen in 4,1-12 letztlich auf die These zurück, daß die Konflikte begründet sind im falschen menschlichen Selbstverständnis und im Autonomiestreben, das dem Verlangen Gottes (5b), letztlich Gottes Souveränität insgesamt widerspricht. Vers 12 ist demnach ein äußerst stimmiges Bekenntnis, womit der Abschnitt formal und thematisch wirkungsvoll und zugleich offen für die Lebenswelt der Adressaten abschließt.
VII. Von der trügerischen Autonomie der reichen Christen (4,13-5,6) 4,13 a Wohlan jetzt, die ihr sagt: b >Heute oder morgen werden wir in die und die Stadt reisen c und dort ein Jahr schaffen d und Handel treiben und Gewinne machen.< 14 a Ihr, die ihr nicht wißt, was morgen sein wird, b wie es mit eurem Leben (steht). c Dampf nämlich seid ihr, der eine kurze Weile erscheint d und dann verschwindet. 15 a Statt dessen sollt ihr sagen: b >Wenn der Herr will, c so werden wir leben und dieses oder jenes schaffen^ 16 a Jetzt aber rühmt ihr euch in euren Prahlereien, b Jedes derartige Rühmen ist schlecht. 17 a Wer also Gutes zu tun weiß und es nicht tut, b Sünde ist es für ihn. 5,1
a b 2 a b 3 a b c d
Wohlan jetzt, ihr Reichen, weinet und klaget über das Unheil, das über euch kommt. Euer Reichtum ist vermodert, und eure Kleider wurden von Motten zerfressen, euer Gold und das Silber sind verrostet, und ihr Rost wird zum Zeugnis gegen euch sein und euer Fleisch wie Feuer auffressen. Schätze habt ihr gesammelt in den letzten Tagen.
4 a b c d e 5 a b 6 a
Siehe, der Lohn der Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben, der von euch vorenthalten wurde, schreit, und die Rufe der Erntearbeiter sind zu den Ohren des Herrn Zebaoth gedrungen. Geschwelgt habt ihr auf Erden und gepraßt, habt eure Herzen gemästet am Schlachttag. Zugrundegerichtet habt ihr, habt gemordet den Gerechten, b Nicht widersteht er euch.
Literatur: Alonso-Scbökel, L., James 5,6 and 4,6, in: Bibl 54(1973) 73-76. - Delling, G., chronos, in: ThWNT 9(1973) 576-589. - Grill, 5., Der Schlachttag Jahwes, in: BZ 2 (1958) 278-283. - Keck, L. The Poor among the Saints in the New Testament, in: ZNW 56(1965) 100-129. — Klauck, H.J., Brudermord und Bruderliebe. Ethische Paradigmen in 1 Joh 3,11-17, in: Neues Testament und Ethik. FS R. Schnackenburg, Freiburg 1989, 151-169. - Maynard-Reid, Poverty 68-98. - MayordomoMarin, M., Jak 5,2.3a: Zukünftiges Gericht oder gegenwärtiger Zustand?, in: ZNW 83(1992) 132-137. - Noack, B., Jakobus wider die Reichen, in: ST 18(1964) 10-25. — Rydbeck, L., Fachprosa, vermeintliche Volkssprache und Neues Testament, Uppsala 1967, 88-97. Ob die Verse 4,13-17 mit 5,1-6 zusammen eine kleine Texteinheit bilden oder nicht, ist in der Literatur umstritten, wie die Gliede rungen auch in neueren Kommentaren belegen. Betont man die unterschiedliche Sprachform, die sich in 4,13-17 als prophetische Anklage, in 5,1-6 als apokalyptische Gerichtsdrohung bestimmen läßt, und bestärkt dies mit der Feststellung, unterschiedliche Adressatengruppen seien angesprochen (zuerst weltlich gesinnte Kaufleute, dann reiche Grundbesitzer), legt sich eine deutliche Trennung in zwei kleine Einheiten scheinbar nahe. Dagegen spricht jedoch die formale und semantische Struktur des Textes. Formal wird übereinstimmend auf die identische Partikel zur Einleitung wohlan jetzt in 4,13a und 5,1a hingewiesen; zum einen trennt die Partikel im semantischen Bereich und betont, daß etwas Neues beginnt, durch die Wiederholung bindet sie aber formal und semantisch beide Teile zusammen. Selbst Dibelius (274 f.) stellt fest: Der Autor stellte beide Abschnitte »mit ihren lebhaften Apostrophen bewußt zusammen«, so daß nicht Einzelsprüche vorliegen, sondern eine Spruchgruppe, »die infolge von Form gleichheit des Anfangs und Parallelität der Gedanken einheitlich wirkt«. In der Tat: Im Griechischen dient der erstarrte Imperativ
age: wohlan/vorwärts/los, verstärkt durch das lebhafte jetzt/ nun, nicht nur zur Belebung der Rede (BIDebrReh 107), sondern auch zur direkten Anrede der Adressaten mit dem rhetorischen Ziel, eindringlicher auf sie einwirken zu können, was in Vers 13 und 15 durch die wörtliche Rede noch gesteigert wird. Parallel zu 2,14.16.18.19 muß aber nicht die rhetorische Figur der Apostro phe, das Wegwenden des Verfassers von seinem Publikum und die Anrede meist abwesender Personen vorliegen. Vor allem empfiehlt sich nicht, einmal in 4,13 ff. dem Verfasser die Skizzierung einer konkreten Situation zuzubilligen, dann in 5,1 ff. diese wiederum abzusprechen, hier an Handel treibende Christen, dort an reiche Christenfeinde zu denken (Dibelius 279.286). Läßt sich die in der Tat scharfe und sarkastische Kritik in 5,1 ff. nicht mehr christlich denken? Gerade aufgrund der Traditionsgebundenheit an biblische Vorlagen läßt sich diese Frage durchaus bejahen (s. u.). Die Frage, ob Jakobus den Text 4,13-17 und 5,1-6 als Einheit gewollt hat, hängt grammatisch und formal davon ab, wo parallel zu 5,1 Wohlan jetzt, ihr Reichen, weinet und klaget in 4,13-17 das Verbum steht. Auffälligerweise fehlt dies. Da beim unbestritten gewählten rhetorischen Stil des Jakobus keine Nachlässigkeit in der stilistischen Durcharbeitung anzunehmen ist, empfiehlt es sich, den Anakoluth als bewußtes Stilmittel zu werten, zumal die einlei tende Interjektion in 13a und la nur hier im N T belegt ist. Wozu die Adressaten aufgefordert werden, steht in 5,1, wer sie sind, steht in 4,13 ff., wobei ihre Worte bzw. die nichtgesagten Worte in 15a (dieser Vers ist im Griechischen grammatisch abhängig von 13a) ihr Wesen offenbart. Thematisch geht es Jakobus in 4,13-17 — parallel zu 3,1-12 — um die menschliches Fehlverhalten entlarvende Funk tion der Worte, wobei Jakobus in 17a — wiederum in Parallele zu 3,13-18 - das Wissen an das Tun bindet. Dem Sagen in 13a bzw. dem Nichtsagen der Kritisierten in 15a entspricht das Tun bzw. Nichttun des Guten in 17a. Das zweifache Verbum poiein: tun/ schaffen schafft eine Stichwortverbindung nach hinten, da es wört lich das wir werden schaffen/tun aus 13c wiederholt und ebenso - in semantischer Sicht — die das Tun konkretisierenden Verben Handel treiben und Gewinne machen aus 13d. Während diese Verben dem Nichttun in 17a entsprechen, parallelisiert Jakobus das dieses oder jenes tun in 15c zur positiven Grundorientierung des Gutes tun in 17a. Wie im Bereich des Tuns, so steht es auch im Bereich des Wissens: der negativen Aussage in 14a ihr, die ihr nicht wißt, entspricht die positive Aussage in 17a wer also weiß. In der wechselnden Abfolge der Verse (13: positiv, 14: negativ,
15f.: negativ, 17: positiv) mit dem Bezug von Vers 13 auf Vers 15 und Vers 14 auf Vers 17 schuf Jakobus einen kunstvollen Chias mus. Sein Thema: Die Einheit von Wissen, Reden und Tun (zum letzteren vgl. 1,19-27) wird deutlich betont. Im übrigen wird das Nichttun des Guten aus 5,17a in 5,1-6 expressis verbis entfaltet. Die Amplifikation aber ist ein Stilelement des Jakobus vom Beginn des Briefes an (vgl. den Exkurs nach 1,4). Vom Gedankenduktus her hat demnach Vers 17 eine Scharnierfunktion, da es auf der Textoberfläche in 4,13-16 um das Sprechen geht, das aber ein Tun bzw. Nichttun zum Inhalt hat. Aus der formalen und semantischen Struktur folgt: 4,13-17 und 5,1-6 sind nicht zwei parallele Spruchgruppen, vielmehr liegt der zweite Teil »in der Verlängerung des ersten« (Noack 12). Erst in 5,1 steht die Aufforderung zum Tun, ebenso werden erst hier die bislang namenlosen Sprecher, die allein durch ihre Worte charakte risiert wurden, mit dem Subjekt die Reichen benannt. Im Sinne des Jakobus sind demnach die reisenden Geschäftsleute in 4,13-17 und die Grundbesitzer mit ihren Lohnarbeitern in 5,1-6 identisch, auch wenn unterschiedliche Aspekte ihres gottlosen Tuns thematisiert werden. Geht es in den Versen 4,13-17 um die Entlarvung der falschen Autonomie hinsichtlich der Zeit, deren Herr einzig und allein Gott ist (15a), so in 5,1-6 um die falsche Autonomie im Erwerben von Reichtum auf Kosten anderer entgegen der Ord nung Gottes (5,4), wobei jedoch der Aspekt der Hinfälligkeit des Reichtums im Verlauf der Zeit (5,2-3) nicht übersehen werden sollte. Hier gibt es deutliche thematische Verschränkungen, zumal auch die profitorientierte Gewinnmaximierung auf Kosten anderer in 4,13d durchaus anklingt, im Ablauf der Verse jedoch unterge ordnet bleibt. Thema der Verse 4,13-17 ist primär die von Gott gewährte und gestundete Zeit. Mit der doppelten Anapher wohlan jetzt in 4,13 und 5,1 entfaltet Jakobus also ein einziges Thema, indem er Wissen, Worte und Taten anklagend beschreibt. Die gemeinsame Basisisotopie ist Prahlerei und Überheblichkeit/Rühmen in 16a.b sowie die Schi zophrenie, um das Gute zu wissen und es doch nicht zu tun in 17a. Die widergöttliche Selbstsicherheit, über die von Gott bestimmte Zeit verfügen (15) und die angebliche UnVergänglichkeit des Reich tums genießen zu können (1-3), der auf Kosten anderer erworben wurde (4), ist das Grundthema. Die Opposition in der Tiefenstruk tur dieser Sätze lautet: Wer die Vergänglichkeit der Zeit und der irdischen Güter verneint, stellt sich in Überheblichkeit der von Gott geschaffenen Ordnung entgegen. Selbstvertrauen in der nega-
tiven Form der Selbstüberheblichkeit steht gegen Gottvertrauen (wie Demut gegen Hochmut in 4,7-12), der unabweisliche Tod (4,13-15; 5,1-6) steht gegen das von Gott geschenkte Leben (4,15; 5,15.20). Nicht nur im Großen, auch im Kleinen sind die Verse stilistisch wohlgeformt. Entgegen einer isolierten Vers-für-Vers-Auslegung seien besonders Verschränkungen notiert. Die Wendung »wir wer den leben und ... schaffen« in 15c verbindet deutlich das Verbum »schaffen« aus 13c und das Substantiv »Leben« in 14b. Zum Verbum »schaffen/tun« vgl. 13d.l5c mit 17a (2mal). »Jetzt aber« in 16a steht in deutlichem Gegensatz zu Vers 15, so wie dieser die Antithese zu Vers 13 bildet. Ebenso wird nicht nur in Vers 17a ein Gegensatz formuliert, der in 17b in theo-logischer Perspektive als »Sünde« qualifiziert wird, vielmehr steht auch »kalos: schön/gut« in 17a in Antithese zu »poneros: schlecht/böse« in 16b. Die Partikel »also« in 17a zieht die Schlußfolgerung aus dem bisher Dargelegten, was seine Scharnierfunktion erneut unterstreicht; die ser Vers dürfte von Jakobus redaktionell (wenn auch mit traditio nellen Motiven) auf den Kontext hin gebildet worden sein, zumal weisheitlich geprägte allgemeine Sentenzen (Vers 17 steht in der dritten Person Singular) für ihn typisch sind (vgl. 2,13; 3,18). Im Hinblick auf die Metapher »Dampf« für die Vergänglichkeit menschlichen Lebens in 14c ist auf die konstant belegte Vorliebe für metaphorisches Reden hinzuweisen (vgl. 1,6.10 f.23 f.; 3,3 f.5.7.11 f.; 5,7), hinsichtlich der Qualität seines rhetorischen Stils sodann auf das Faktum, daß dieser bildliche Ausdruck nur hier im N T belegt ist (in Apg 2,19 als Zitat von Joel 3,3 ist das Wort neben Blut und Feuer dinglich gemeint). Sehr schön ist im Griechi schen die damit verbundene Paronomasie in 14c.d: phainomene aphanizomene, die als etymologische Figur und als Homoioteleuton mit ihren gleichlautenden Endsilben die poetische Kraft des Verfassers — der Metapher gemäß — belegt. Formal sind die Verse 5,1-6 nicht weniger klar durchstrukturiert. Mit der Anapher »Wohlan jetzt« in Rückgriff auf 4,13 und mit der Benennung der Adressaten als »die Reichen« als Subjekt wird eine grammatische Leerstelle besetzt und der Anakoluth aus 4,13 ff. im Sinne des Jakobus als bewußtes Stilmittel dokumentiert. Wie in 4,14 findet sich auch in 5,5 Paronomasie mit Homoioteleuta. Wie an anderen Stellen des Briefes (vgl. 1,15; 2,13; 4,1) wird in Vers 5 ein Abstraktum personifiziert (»der Lohn der Arbeiter ... schreit«), zugleich verstärkt Jakobus durch den Parallelismus membrorum in 4d (»die Rufe der Erntearbeiter ...«) den zu beklagenden Skandal.
Überhaupt ist die rhetorische Figur der Klimax prägend für den Einzelvers (la: weinet und klaget; 6a: verurteilt habt ihr, habt gemordet), aber auch für die Versabfolge (vgl. 2a-3c und 5a-c). In semantischer Perspektive darf auch als Klimax gewertet werden, daß in 4,13c. 15b, aber auch noch in 4,17 (2mal) allgemein vom Tun bzw. Nichttun gesprochen wird, während dieses — adressatenbe zogen — ab 5,1 sehr drastisch inhaltlich gefüllt wird. Blieb vor allem beim Tun in 3,13c. 15b eine Unbestimmtheitsstelle, da es Jakobus primär um den eigenmächtigen und selbstherrlichen Umgang mit der Zeit ging, so wird diese Unbestimmtheitsstelle in 5,1-6 beim Thema des unrechtmäßig erworbenen Reichtums und der trügerischen Selbstsicherheit der Menschen aufgrund dieses Reichtums eindeutig negativ gefüllt. Dabei ist auffällig, daß die Aussagen über die Reichen im Tempus der Vergangenheit stehen, während in der Metapher in 4a-c und vor allem im Schlußvers in 6b, der asyndetisch zu 6a kontrastiert wird, präsentisch formuliert ist. Wie in 4,17 wird Jakobus in 5,6b damit wohl eine allgemeine, durch Alltagserfahrung immer wieder bestätigte Sentenz formuliert haben. Auch die Wortwahl ist sehr gewählt; es finden sich acht Hapaxlegomena (la: laut schreien; 2a: vermodern; 2b: von Motten zerfres sen; 3a: verrosten; 4b: abmähen; 4c: vorenthalten; 4d: Rufe; 5a: schwelgen). Dies ist um so auffälliger, da Jakobus diese Worte wählt selbst im Hinblick auf alltägliche Handlungen, für die durch aus gebräuchliche Verben zur Verfügung standen. So etwa in 5,4b.c, da abmähen und vorenthalten nicht nur für das N T singulär sind, sondern das erste Verbum in der L X X nur 5mal belegt ist (Lev 25,11; Dtn 24,19; Mi 6,13; Jes 17,5; 37,30), das zweite sogar nur 2mal — außer Neh 9,20 jedoch in der von Jakobus rezipierten Stelle Sir 14,14 (s. u. zu 5,2a-3d; anders Mußner 27). Selbst das Demonstrativpronomen die oder die: tende in 4,13 stammt nicht, wie Grammatiken bisher anmerkten, aus der Volks sprache, sondern entspricht der Sprache wissenschaftlicher Texte, wenn es um hypothetische Erwägungen geht (Rydbeck 97.181; vgl. jetzt auch BIDebrReh 289.4). Kontextuell stehen die Verse 4,13-5,6 keineswegs isoliert, vor allem dann nicht, wenn man neben den Stichwortverbindungen auch semantische Wortfelder beachtet, die — wie sich herausstellte (s. o. den Exkurs zur semantisch-oppositionellen Struktur des Briefkorpus nach 1,4) — für die Kohärenz des gesamten Briefes bestimmend sind. Allgemein ist auf die theozentrische Grund struktur auch dieser Verse hinzuweisen (vgl. 3,15; 5,4 mit 1,1.7).
Auf anthropologischer Ebene präsentiert sich das Thema des Rei chen auf seinen Geschäftsreisen, der sich nicht seines Reichtums, sondern seiner Niedrigkeit vor Gott rühmen soll, als Amplifikation des im Prolog vorgegebenen Themas: 1,9 10 a b 11 a b c d
Es rühme sich aber der Bruder: der niedriggestellte seiner Hoheit, der reiche dagegen seiner Niedrigkeit, denn »wie eine Blume des Grases« wird er vergehen. Denn: Es geht die Sonne auf mit Hitze, »und das Gras verdorrt, seine Blume fällt ab«, und die Schönheit ihres Aussehens ist dahin, So wird auch der Reiche auf seinen Geschäftsreisen dahinwelken.
Wird in 4,13-5,6 deutlich die Vergänglichkeits-Metaphorik in Variation wieder aufgenommen sowie das unrechtmäßige Sammeln von Reichtümern auf Kosten der Arbeiter eingeklagt, so hatte Jakobus demnach das Thema Solidarität zwischen Reichen und Armen keineswegs für die Schlußabschnitte seines Briefes aufge spart (vgl. 2,1-13 und 2,15-16; zu sonstigen sprachlichen Bezie hungen vgl. die Skizze zur formalen und thematischen Einheit). Allgemein ist auf die Schizophrenie bei den Adressaten zwischen Wissen (3,14.17) und Tun (3,13.15.17) parallel zur Schizophrenie zwischen Glauben und Tun (vgl. bes. 2,14-26) hinzuweisen. Auch zum näheren Kontext sind die Verbindungen nicht zu über sehen. Im Lehrgedicht von der falschen und wahren Weisheit in 3,13-18 wurden anthropologisch und sozial falsche und richtige Grundorientierungen kurz benannt. Entfaltete Jakobus in 4,1-12 die anthropologischen Ursachen für den Unfrieden in der Gemeinde, so stehen jetzt in 4,13-5,6 soziale Ursachen für innerge meindliche Konflikte an. Da Jakobus in seiner Anthropologie (vgl. den Exkurs nach 1,18) Sein und Tun in Interdependenz und Identität sieht, entfaltet er in 4,13-17 primär das falsche Selbstbe wußtsein, in 5,1-6 primär das falsche Tun. Insofern lassen sich die Verse 4,13-5,6 auch als Amplifikation der Verse 3,16-17 lesen, liegen doch die Ursachen für Streitsucht, Unbeständigkeit und jegliche böse Tat sowohl in der menschlichen Existenz selbst wie in den sozialen Gegebenheiten. Das Lehrgedicht auf die wahre Weis heit in 3,17 ist gleichsam ein Spiegel für die in 4,13-5,6 Attackier ten. Dabei lehnt Jakobus Handel und Reichtum (vgl. 1,27; 2,15f.) keineswegs rundherum ab, er ist kein Vertreter »einer weitverbrei-
teten Einstellung gegen den Reichtum und gegen den Handel« (Noack 25). Nicht nur der Kontext, auch die Einzelauslegung werden die offene Haltung des Jakobus bestätigen. Jakobus bekämpft eine hybride menschliche Autonomie (die Gottes Herr sein nicht wahrhaben will), er polemisiert gegen schmarotzende Reiche (auf Kosten ihrer Mitmenschen). Wie beim Lachen in 4,9 geht es Jakobus letztlich nicht um eine Bagatelle, vielmehr wird bei beiden Grundhaltungen die Schöpfertätigkeit und das Herrsein Gottes in Frage gestellt.
1. Vom selbstherrlichen Umgang mit der Zeit (4,13-16) 13-16 können zusammen ausgelegt werden, da die Aussage in sich stimmig und die Struktur (s. o. zur Formkritik) durchsichtig ist. Im exakten Sinn des Wortes geht es Jakobus um Selbst-Herr lichkeit des Menschen, um Prahlereien (16a), um Selbstruhm (16b). Eine solche fehlgeleitete Grundorientierung will das Herr sein Gottes (15b) verdrängen. Am Thema der Einstellung zur Zeit wird die falschverstandene menschliche Autonomie entlarvt. Deut lich sind 13a und 16a aufeinander bezogen, wie die Einleitungen zeigen: Wohlan jetzt... jetzt aber . . . . Die von Jakobus geforderte demütige Haltung in Vers 15 wird negativ umrahmt. Vers 14a.b ist weiterführende Appositio, ein Kommentar des Verfassers, um die Grundlosigkeit menschlichen Anspruches zu entlarven, was ihm in 14c.d im metaphorischen Vergleich mit dem Dampf/Rauch auch einleuchtend gelingt. Bereits in 4,12c wurde die Frage formuliert: »Du aber, wer bist du«, der du deinen Nächsten anstelle Gottes richten willst? Bezogen auf die zeitliche Existenz folgt in 4,14 die lapidare Antwort: Dampf seid ihr. Die Kurzlebigkeit und Hinfäl ligkeit des Daseins überhaupt, dann vor allem aber derer, die im Vertrauen auf irdische Güter und den angeblichen Besitz der Zeit glauben leben zu können, kann kaum plastischer umschrieben werden. Dies steht in deutlichem Kontrast zu Selbstbewußtsein und Selbstsicherheit der Kritisierten. Jakobus versteht die kriti sierte Seinsweise als Antithese. Er wendet handlungsorientiert die allgemeine Dampf-Metaphorik auf die Adressaten, die wissen sol len: Gott ist der Herr der Zeit, Zeit ist also ein Geschenk von Gott, dem Menschen nicht verfügbar. 13a-d: Durch ihre Worte werden die Sprecher charakterisiert, die ansonsten noch anonym bleiben; erst in 5,1a werden sie als »ihr Reichen« identifiziert. Nach Vers 13 sind es reisende Geschäfts-
leute, die nicht nur den heutigen oder morgigen Tag verplanen, sondern auch ein ganzes Jahr. Wie der weitere Kontext zeigt, ist der Hinweis in 13d, wonach sie Handel treiben und Gewinne machen wollen, bereits im Hinblick auf 5,1 ff. formuliert, wäh rend in 4,13-17 das selbstsichere Verfügen selbst über eine größere Zeitspanne thematisiert wird. »Handel treiben« in der intransitiven Bedeutung kommt nur hier im N T vor (transitiv ist das Verbum sonst nur noch in 2 Petr 2,3 belegt). Nichts deutet darauf hin, daß Jakobus Handeltreiben und Gewinne machen negativ wertet. Aber: Dieses Zugeständnis zum Handeltreiben gilt nur unter der Voraussetzung eines bestimmten Seinsverständnisses und Selbstbe wußtseins (vgl. 15). Über die Größe der Geschäfte wird nichts gesagt, so daß nicht ohne weiteres an Großhändler zu denken ist. Auch kleine Kaufleute haben, wie antike Quellen reichlich belegen, für damalige Zeiten riesige Entfernungen überwunden, um Arbeit zu finden und Gewinne zu machen. Die Existenz von Juden in Ägypten und Syrien, in der Zyrenaika und in Kleinasien, in Griechenland und Italien, in Babylon sowie in Gallien und Spanien bestätigen die Angaben des griechischen Historikers und Geogra phen Strabo zur Zeit des Augustus (zitiert bei Josephus, Jüdische Altertümer X I V , 115), daß in der gesamten bewohnten Welt Juden lebten, die als Händler tätig waren. Der Zwang zum Handel war oft ein Grund zur Emigration. Angesichts der eifrig betriebenen Weltmission schon der ersten Christen (vgl. Mt 10,23; 28,19; R o m 10,18; Offb 7,9) läßt sich Ähnliches für die christlichen Gemeinden am Ende des 1. Jh. n. Chr. sagen. Über die Lokalisation der Adressaten des Jakobus sagt daher der Vers 13 nichts aus, soziolo gisch nur soviel, als daß es auch reisende und geschäftemachende Mitglieder der Gemeinde gab. Um ihr Geschichts- und Zeitver ständnis geht es Jakobus, ihm geht es um die Frage, ob sie die für Kaufleute vielleicht notwendige Selbstsicherheit auf ihr grundsätz liches Weltverständnis übertragen, indem sie meinen, eigenmächtig Herr ihrer Zeit sein zu können. Da dieser kritische Akzent in Vers 13 noch nicht recht deutlich wird, dürfte hier der Grund liegen, warum Jakobus die syntaktische Konstruktion des Satzes nicht folgerichtig mit einem Aufruf (wie in 5,1) an die Reichen beendet, vielmehr es für notwendig hält, in Vers 14 die Einstellung der Adressaten näher zu charakterisieren. 14a-d enthält den Kommentar des Jakobus auf die vorgegebene Selbstsicherheit sowie unerschütterliche Zeit- und Zukunftspla nung der reisenden Kaufleute aus Vers 13. Von seinem weisheitli chen Ansatz her argumentiert Jakobus mit menschlicher Alltagser-
fahrung: Wer von euch weiß schon, was morgen sein wird, wie es mit eurem Leben (dann steht)? Was Jakobus hier artikuliert, ist eine international verbreitete Lebensweisheit. »Rühme dich nicht des morgigen Tages, denn du weißt nicht, was der Tag gebiert« (Spr 27,1; vgl. auch Sir l l , 1 8 f . ; Lk 12,16-21; Mt 6,27; Philo LegGai III 226-227). Biblische Theologen teilen diese Einsicht mit antiken Schriftstellern, wie z. B . Seneca (Ep 101,4) präzise formu liert: »Torheit ist, über ein ganzes Leben zu verfügen, ohne auch nur Herr des morgigen Tages zu sein.« Solche Sentenzen sind ebenso allgemein wie einsichtig. Hier nach Traditionen für Jakobus zu suchen, erübrigt sich. Anders steht es um die Metapher Dampf/Rauch in 14c als Bild des Vergänglichen, das nur hier im N T belegt ist. Neben Jakobus ist es nur noch in alttestamentlich-jüdischer Literatur nachgewiesen; allerdings findet sich nur an einer einzigen Stelle der von Jakobus benutzte Begriff atmis: »Darum sollen sie (die Sünder) werden wie die Wolken am Morgen und wie der Tau, der bald vergeht, wie die Spreu, die aus der Tenne stiebt, und wie der Dampf, der aus der Luke zieht« (Hos 13,3). An allen übrigen Stellen im A T wird das Wort nicht metaphorisch, sondern dinglich verstanden. Des öfte ren belegt ist das verwandte Bild vom Rauch (kapnos: Ps 36,20; 67,3; 101,4; Jes 51,6; Weish 5,14). Auch der Begriff Hauch (pneuma) kann als Metapher eingesetzt werden (Ijob 7,7). Auch in der zwischentestamentarischen Literatur (vgl. 4 Esr 4,24; 1 Q M 15,10; 1 QMyst 1,6) ist der Rauch als Bild für Vergänglichkeit des menschlichen Lebens oder menschlicher Kraft bekannt. Die Voka bel atmis, die Jakobus verwendet, findet sich jedoch nicht, sie ist erstmalig wieder in 1 Clem 17,6 im Rahmen einer Zitatensammlung belegt, wobei das Zitat mit unserer Metapher jedoch unbekannter Herkunft ist (vgl. Bauer — Aland 241). Nach allem läßt sich sagen: Das Bildmotiv Dampf, Rauch, Windhauch (zum letzteren vgl. bes. das gesamte Buch Ekklesiastes/Kohelet mit seinem Motto »Wind hauch, Windhauch ...« in 1,2 und der Inklusion in 12,8, wobei der griechische Begriff der Septuaginta mataiotes von Aquila mit atmis übersetzt wird) ist im alttestamentlich- jüdischen Bereich als Motiv für die Vergänglichkeit des Menschen, für seine Kurzlebigkeit und für die Vergeblichkeit seiner Anstrengungen wohlbekannt, so daß die Verwendung des selteneren Begriffes atmis: Dampf durch Jakobus in 4,14c wohl auf ihn selbst zurückgehen dürfte, da eine Tradition nicht nachweisbar ist. Die sprachschöpferische Tätigkeit des Jakobus legt sich auch des wegen nahe, weil diese Metapher aufgrund der generellen Anlage
des Briefes als Amplifikation von Motiven aus dem Prolog eine Variation zum Bild vom verdorrenden Gras und von der verwel kenden Blume in 1,10-11 ist, dort jedoch die alttestamentlichen Vorlagen unbestritten sind (s. o.). Auch die Spiegel-Metapher in 1,23 f. zielte wie die Metapher Dampf in 4,14c auf die Kurzfristig keit und rasche Vergänglichkeit. Eine Lebenseinstellung, als lebe man ewig und habe das Leben in eigener Hand, lehnt Jakobus schon allein aus anthropologischen Überlegungen ab. Jeder, der nachdenkt, macht gegenteilige alltägliche Erfahrungen. Daß eine solche Lebenseinsicht nicht unbedingt zum Glauben an Gott als den Herrn der Zeit führen muß, belegt Weish 2,2-9, wo das Lebensmotto lautet: »Auf, laßt uns die Güter des Lebens genießen« (2,6), während Ekklesiastes/Kohelet auch den Genuß des Glückes für Windhauch hält (vgl. 2,1-11). Jakobus verfällt angesichts einer solchen Welt- und Zeiterfahrung weder einem Hedonismus (auch der Verfasser von Weish tut dies nicht; vgl. 2,21-23) noch der resignativen weisheitlichen Einstellung von Kohelet/Ekklesiastes, vielmehr sind solche Lebenseinstellungen seiner Adressaten für ihn Voraussetzung, an den elementaren Grundsatz biblischer Theologie rückzuerinnern (vgl. auch 2,19; 4,12), daß es nur einen einzigen Herrn der Zeiten gibt. Auf diese theozentrische Grundaussage in 4,15b zielten die bisherigen Verse 13-14, ihr sind sie kontextuell unter- und zugeordnet. 15a-c: Die Antithese des Jakobus zur kritisierten Zeit- und Lebenseinstellung ist als sogenannte conditio Iacobaea bekannt. Sie nennt jene Bedingung und Voraussetzung, unter der auch der Christ nach Jakobus durchaus planen darf und wohl auch muß. Erst wenn die theozentrische Maxime wenn der Herr will nicht nur theoretisch anerkannt wird (vgl. 2,19c), sondern auch im praktischen Lebensvollzug als Voraussetzung dient, ist auch nach Jakobus die Ordnung der Welt in ihrem Lot. Ohne Gottes Souver änität über die Zeit (zum Gericht am Ende der Zeit vgl. 4,12) und ohne seine die menschliche Anthropologie bestimmende Schöpfer tätigkeit zu Beginn menschlicher Existenz (vgl. oben zu 1,18) und hier im Verlauf menschlichen Werdens wären die Sentenzen des Jakobus als theologische Schrift in der Tat »eyn rechte stroern Epistel gegen sie [im Vergleich zum JohEv und zum R o m , Gal, Eph und 1 Petr], denn sie doch keyn Euangelisch art an yhr hat« (M. Luther in der allgemeinen Vorrede zur Septemberbibel von 1522, in: W A , D B 6,10). Jedoch: Auch 4,15b zeigt mit aller Deutlichkeit, daß der Jakobusbrief ein theozentrisches Schreiben ist, Jakobus alle Aspekte menschlichen Lebens (die Herkunft des
Menschen, seine psychische Ganzheit, alle ethischen Aspekte im individuellen und sozialen Bereich, seine Verantwortung im Gericht) in ihrer Verwiesenheit auf Gottes Sein und Handeln interpretiert. Nicht anders und ebenso radikal sieht er die selbst herrliche Einstellung von christlichen Gruppen zur Zeit, die er als praktiziertes Verleugnen des Herrseins Gottes interpretiert. Traditionsgeschichtlich ist zwar die konsequente theozentrische Perspektive in einer Weisheitsschrift für die Anthropologie und Ethik originär, der Gedanke, daß Gott (er ist hier mit kyrios: Herr gemeint) Herr der Zeit und der menschlichen Geschichte ist, ist dagegen keineswegs originell. Vor allem die Weisheitsschriften, die Regeln und Ordnungen im menschlichen Leben und im Weltge schehen voraussetzen, belegen diesen Gedanken vielfach. Dabei gehört es zu den Grenzen der Weisheit, die uneingeschränkte Verfügungsfreiheit Gottes auch im Hinblick auf die Zeit und das menschliche Planen anzuerkennen (vgl. v. Rad, Weisheit 131-148). Schon die frühen Sprichwörter betonen dies. Etwa: »Der Herr lenkt die Schritte eines jeden Menschen. Wie kann ein Mensch seinen Weg verstehen?« (Spr 20,24) »Des Menschen Herz plant seinen Weg, doch der Herr lenkt seinen Schritt« (Spr 16,9). »Viele Pläne sind in eines Mannes Herzen, doch nur der Ratschluß des Herrn hat Bestand« (Spr 19,21). »Rühme dich nicht des morgigen Tages, du weiß ja nicht, was ein Tag gebären kann« (Spr 27,1). Die Antwort des Weisheitslehrers lautet: »Wer auf sich selbst vertraut, ist ein Tor, aber wer in Weisheit wandelt, der entrinnt« (Spr 28,26), oder: »Von ganzem Herzen vertraue auf Jahwe, aber stütze dich nicht auf deine Klugheit« (Spr 3,5). Ob — dies gilt auch für Jak 4,15 — in solchen Antithesen die Verfasser die Antinomie menschlicher Grunderfahrungen zum Ausdruck bringen oder eine »einfältige« Frömmigkeit (im Sinne von 1,5 ist dies durchaus positiv gemeint) fordern, bleibt offen. Die Sentenz »der Mensch denkt, Gott lenkt« kann auch resignativ oder fatalistisch mißverstanden werden. Dies wäre dann der Fall, würde man in den Versen 13-14 eine grundsätzliche Kritik gegen menschliches Planen und Handeltreiben finden. Damit hätte man aber wohl die Intention des Jakobus verfehlt, der im gesamten Brief die Aktivität des Menschen einfordert. Letzteren Aspekt hat Luther zu Recht gesehen (vgl. die Vorrede zum Jakobusbrief: »Diese Epistel S. Jacobi wiewol sie von den Alten verworffen ist, lobe ich vnd halte sie doch für gut. Darumb, das sie gar kein Menschen Lere setzt vnd Gottes gesetz hart treibet«), aber mißdeutet, da er die theozentrische Begründung menschlichen Tuns durch Jakobus übersah.
Wie verbreitet der Gedanke des Herrseins Gottes über die Zeit und über die menschliche Zukunft ist, zeigen die z. T. wortwörtlichen Parallelen aus dem N T (vgl. etwa 1 Kor 4,19; 16,7; Apg 18,21; Hebr 6,3), aus dem sonstigen Frühjudentum (vgl. 1 QS X I , 10f.; Abot II, 12c; Philo, Post C 14; Sacr A C 76) und frühen Christen tum (vgl. Ign Eph 20,1), aber auch aus der klassisch griechischen Literatur, wobei vor allem Schriften Piatons zu erwähnen sind (vgl. Phaed 80d; Theaet 155d; La 201c; Hi I 286c und bes. Alcib I 31,135d), daneben stoische Literatur (PsPhokyl 116; Seneca, Ep 101,4). Wie immer das Verhältnis Gottes als Herr der Geschichte in diesen Texten verstanden wird, auf jeden Fall ist er nach biblischem Verständnis im Gegensatz zum Menschen Herr der Zeit deswegen, weil er auch Herr der Geschichte ist (vgl. Ps 105; Jes 41,2-4; 45,1-7; Esr 1,1 f.). Daß auch Jesus Sirach über die Vergänglichkeit des Menschen nachdenkt (vgl. 11,14-19; 14,11-19) und vor falscher Sicherheit warnt (vgl. 5,1-8), ja sogar mit dem ca. 60mal belegten Begriff »Zeit« ein Schwerpunktthema gefunden hat (v. Rad, Weisheit 322 f.), braucht nicht verwundern, da die Lebenserfahrungen, die bei ihm reflektiert werden, nicht nur uralt, sondern auch interna tional belegt sind. Allerdings »begnügt sich Sirach nicht mit der einfachen Erfahrung des Wandels der Zeiten und der Aufgaben, die daraus erwachsen, sondern er stellt die Erkenntnis zugleich in anspruchsvolle theologische Zusammenhänge. Gott ist es, der den Menschen >seine Zeit< zuteilt. Auch im Politischen setzt er die Herrscher >für die Zeit< ein (10,4). Am Ausführlichsten verbreitet sich Sirach darüber in einer großen Lehrdichtung«, nämlich in 39,16-35 (v. Rad 323). So sehr das Thema bei Jesus Sirach im Mittelpunkt steht, eine literarische Abhängigkeit des Jakobus von ihm ist nicht nachzuweisen; dafür ist die Warnung vor selbstherrli chem Umgang des Menschen mit der Zeit und das Wissen um gegenteilige Erfahrungen, eigenmächtig über die Zeit und die Zukunft verfügen zu können, international zu sehr verbreitet. Im Kontext des Glaubens an Gottes schöpferische Macht verweist Jakobus die Adressaten in ihrer falschen Lebenseinstellung auf eben diesen Glauben, von dem das konkrete Leben, auch das Geschäftsleben, geprägt sein soll. Die Wirklichkeit sieht anders aus, wie Vers 16 zeigt. 16: In Antithese zu 15 steht die Grundorientierung der Adressaten, wie die adversative Einleitung jetzt aber in 16a in Aufnahme von 13a wohlan jetzt zeigt. Die Meinung, daß Vers 16 im Vergleich zu Vers 13 »nichts Neues« bringt (Dibelius 279), trifft nicht zu. Im
Gegenteil. Die allgemeine und wertneutrale Aussage von Vers 13, die über die grundsätzliche Einstellung der Adressaten bei all ihrem Tun noch nichts sagt, wird in 16a.b im Kontext von 15 eindeutig negativ interpretiert. Erst hier wird das Reden der Geschäftsleute von 13a mit in euren Prahlereien eindeutig charakterisiert. Der Begriff alazoneia: Prahlerei ist im N T selten; neben Jak 4,16 ist er nur noch in 1 Joh 2,16 belegt, das Substantiv »Prahler« findet sich in R o m 1,30 und 2 Tim 3,2. Wie die beiden Halbverse 16a und b zeigen, setzt der Begriff bei Jakobus ein Wortfeld frei, da das Verbum kauchasthe: ihr rühmt euch in 16a und das Substantiv kauchesis: Rühmen in 16b zwar etwas in der negativen Bedeutung zurückgenommen werden, aber durch die Feststellung jedes derar tige Rühmen ist schlecht eindeutig pejorativ verstanden werden. Mit dem Begriff »sich rühmen«, den Jakobus durchaus im positi ven Sinn versteht, greift er einen Begriff aus dem Prolog, näherhin aus 1,9-10 auf: »Es rühme sich aber der Bruder: der niedriggestellte seiner Hoheit, der reiche dagegen seiner Niedrigkeit.« Dagegen ist das Kompositum katakauchasthai: sich rühmen/sich überheben/ triumphieren je nach Kontext mal positiv (2,13c), mal negativ besetzt (3,14b). Positiv verstanden wird von Jakobus auch das weitere Verbum des Wortfeldes aucheo: sich rühmen in 3,5b, da es in 3,2b-5b um die positive Macht der Zunge geht. Dieser Uberblick zeigt: Das Sich-Rühmen versteht Jakobus durchaus positiv, erst durch den Kontext, hier durch das Substantiv »Prahle rei«, kommt ihm die Bedeutungsnuance des Selbstrühmens im abwertenden Sinn zu. Darin stimmt Jakobus mit dem sonstigen N T überein (vgl. E W N T 2, 1981, 681). Im Gegensatz zum Begriff rühmen ist der Begriff Prahlerei auch traditionsgeschichtlich eindeutig bestimmt. Vor allem sein Vor kommen in Lasterkatalogen in der urchristlichen Literatur bestätigt dies (vgl. 2 Tim 3,2-4; 1 Klem 13,1; 21,5; 35,5; vgl. ebd. 14,1; 16,2). Doch ist mit den Begriffen Zorn, Übermütigkeit, Aufgebla senheit, Unbesonnenheit, Habsucht, Schlechtigkeit, Streitsucht, Bosheit, Hinterlist, Ohrenbläserei, Überheblichkeit u. a. mit ihrer anthropologischen Grundbedeutung die Aussageintention des Jakobus in 4,16 bei weitem noch nicht erreicht. In der Antithese zu Vers 15 geht es ihm bei der menschlichen Prahlerei um eine widergöttliche Grundhaltung. Diese antigöttliche Nuance bei Prahlerei findet sich im AT, auffäl ligerweise auch bei Reflexionen über die Zeit. So in Spr 27,1: »Rühme dich nicht des morgigen Tages; denn du weißt nicht, was ein Tag gebiert.« Auch nach Spr 21,24 (»Der Freche und Stolze,
einen Prahler nennt man ihn, er handelt in maßlosem Übermut«) beinhaltet eine solche Haltung den Weg zum Tode. Beachtet man im A T — wie im Jakobusbrief — das mit dem Begriff Prahlerei im Kontext von Zeit-Aussagen eröffnete Wortfeld, dann stellen sich Begriffe ein wie Spötter, Sünder, Gottloser, Übermütiger. Dabei ist vor allem darauf hinzuweisen, daß ein besonderes Problem der Zeit die Parusie, der Tag Gottes und sein Gericht bilden. Die häufig belegte Frage libertinistischer Spötter, die es sich angesichts der behaupteten Ohnmacht Gottes und seines Rückzuges aus der Zeit in jeder Weise gutgehen lassen und dafür keine Strafe erwarten (vgl. Ps 9,22-39, bes. 9,25.27.32.34; 13,1-5; Jer 2,6.8; 5,12; Joel 2,7 und viele andere) lautet: »Gott straft nicht. Es gibt keinen Gott« (Ps 9,25). Dem praktizierten Atheismus der in der Sicht der Schrift genannten »Toren« steht die Frage der Frommen »wie lange noch?« hilflos gegenüber. Nicht so Jakobus. Er ist durch und durch von der schöpferischen Tätigkeit Gottes auch in der Gegen wart, die kein Vakuum, sondern Zeit für Gottes Handeln ist, überzeugt. Wie Gott Gesetzgeber am Beginn der Geschichte Isra els war und Richter sein wird (4,12a), so ist er Lenker der Zeit. Sieht man diese unterschiedlichen Zeitperspektiven, dann kommt Jakobus gerade im Kontext dieses Wortfeldes nicht unerwartet beim Thema Gericht in 4,12 auf die Haltung von christlichen Kaufleuten, die meinen, von sich aus über die Gegenwart und Zukunft verfügen zu können, die doch allein Gottes Sache sind. Erst auf diesem traditionsgeschichtlichen Hintergrund wird die radikal theozentrische Theologie des Jakobus stimmig und zugleich erweist sich jedes menschliche Prahlen nicht nur unter sozialethi schen Aspekten als schlecht, so daß dieses Adjektiv als gott-los zu interpretieren ist. Beachtet man, wie Jakobus das Problem der Einstellung zur Zeit thematisiert, dürfte deutlich sein, daß seine Adressaten keine gno stische Theologie vertreten (so Pßeiderer, Gräfe, Weinel, Schamm berger, Schoeps). Da die Gnostiker die Präsenz des Heiles vertre ten, ist für sie der Glaube an Gottes Handeln auch in der Zukunft wie auch die Erwartung der kommenden Parusie kein Thema. Ganz anders bei Jakobus, der die einzelnen kleinen Einheiten jeweils eschatologisch abschließt (vgl. den Exkurs nach 1,12).
2. Die christliche Schizophrenie (4,17) Der Vers wird hier trotz seiner Scharnierfunktion im strukturellen Aufbau in der kleinen Einheit 4,13-5,6 (s. o. zur Formkritik) gesondert ausgelegt. Mag er als abschließende Sentenz ähnlich wie die Sentenzen in 2,13 und 3,18 im Hinblick auf seine grundsätzli che Aussage bei einer Betrachtung der Oberflächenstruktur des Textes zunächst isoliert erscheinen, enthält er jedoch genügend semantische Hinweise nach vorn und nach hinten (s. o.). Mit dem Terminus wissen rekapituliert Jakobus in Antithese und in Stich wortaufnahme von 14a die Grundthematik der Verse 4,13-16, mit dem Terminus tun und nichttun wird nicht nur auf die Praxis der reisenden Geschäftsleute zurück-, sondern auch auf die menschen verachtende Praxis der reichen Grundbesitzer voraus gegriffen. Die einen wie die anderen sind schizophren. Gutes unterlassen ist ebenso Sünde, wie Schlechtes tun, was Christen nicht immer so gesehen haben. Als Christen sollten sie wissen, daß Gott allein der Herr der Zeit ist und daß lebensverachtende Ausbeutung der Mitmenschen gegen die Sozialordnung Gottes verstößt. Die Wen dung Wer also weiß mit ihrer schlußfolgernden Intention bezieht sich demnach auf katechetisches Grundwissen der christlichen Adressaten. Die Wendung Gutes tun in 17a steht antithetisch zur schlechten und gottlosen Grundüberzeugung in 4,13-17 ebenso wie zur schlechten und gottlosen Praxis in 5,1-6. Wenn Jakobus in 17b das Bewußtsein und das Tun als Sünde, also theologisch qualifiziert umschreibt, setzt dies noch einmal voraus, daß die Adressaten dies auch wissen. Aufgrund dieser seiner Scharnierfunktion dürfte Vers 17 redaktio nell von Jakobus im Hinblick auf den umgebenden Kontext formu liert worden sein, zumal jedes traditionsgeschichtliche Suchen bis lang ohne Erfolg war. Für Redaktion spricht auch die Art und Weise, wie Jakobus von Sünde redet. Sünde kommt wie im Prolog in 1,13-16 aus dem Menschen selbst (vgl. auch 4,1-3), aus der Schizophrenie, daß er nicht das in die Praxis umsetzt, was er vom christlichen Glauben als richtig erkannt hat. Werke als Zeichen des Glaubens (s. o. zu 2,18-20) sowie Werke als Zeichen der Weisheit (3,13) können allein die vom Menschen bewirkte Schizophrenie aufheben. Nur so wird nach Jakobus der Mensch ganz, heil und vollkommen (1,4). Wer diese sündhafte Schizophrenie offen ein sieht und ausspricht (5,15.16), wer einen solchen Sünder zur Umkehr bewegt (5,20a.b), wird ihn und sich selbst in der Tat »aus dem Tode retten« (5,20b).
3. Vom vergänglichen und unsolidarischen Reichtum (5,1-6) Der Abschnitt ist deutlich zweigeteilt, was die Überschrift andeuten soll. Im Kontext der weisheitlichen Ermahnung über die Einstellung zur Zeit wird zunächst in 5,1-3 Reichtum unter der Zeitperspektive betrachtet, in 5,4-6 unter dem Aspekt der Solidarethik. Mit siehe in 4a wird der neue thematische Aspekt deutlich eingeführt, was auch durch den Wechsel der Subjekte und des Themas verstärkt wird. Beachtet man, daß der Vers 1 den Anakoluth aus 4,13-17 (s. o. zur Formkritik) einlöst und noch allgemein über die Zukunft der Reichen redet, legt es sich nahe, diesen Vers in deutlicher Anlehnung an die vorhergehenden Verse für sich zu interpretieren, ohne seine Funk tion für die folgenden zu übersehen. Deutlich wird die in l b angesprochene Zeit am Ende der kleinen Einheit 2-3 in 3d beantwor tet mit in den letzten Tagen, am Ende der kleinen Einheit 4-5 in 5b mit am Schlachttag. Beachtet man diese Inklusion, legt es sich nahe, Vers 6 wiederum als allgemeinere, grundsätzliche Sentenz zu verste hen, die jedoch in enger thematischer Einheit zu den Versen 4-5 zu denken ist. Zum einen dürfte Jakobus stereotype rhetorische Figuren wenig lieben, zum anderen jedoch — und dies dürfte wichtiger sein - wird er mit der Einführung des Gerechten einen Übergang schaffen wollen zu den Ausführungen in 5,7 ff., er darum in 7a bewußt mit also ebenfalls diese thematische Verbindung betont, la-b: Der Text als appellative Redehandlung an konkrete Adressa ten wird im Ton drängender und in der Sache dringlicher. Von nun an steht alles — mehr als bisher — nicht nur unter der Perspektive der vergehenden Zeit, sondern auch unter der zu Ende gehenden Zeit (3d.5b). Der Denkansatz des Jakobus bleibt zwar weiterhin weisheitlich geprägt, da er hinsichtlich der eschatologischen Per spektive durchaus auch Jesus Sirach rezipieren kann (s. o. zu 1,12 und 2,12-13), die Lebensregeln für den einzelnen und für die Gemeinschaft erhalten jedoch ihre drängende Intention zusehends aus prophetischer Tradition. Nicht nur das Ende des Briefes naht (als rhetorisch gebildeter Schreiber verstärkt Jakobus daher seine sprachlichen Wirkmittel), auch die den Adressaten, sowohl den kritisierten Reichen wie den zu tröstenden sonstigen Christen (5,7ff.), verbleibende Zeit geht zu Ende, weil die Ankunft des Herrn nahegekommen ist (5,8c). Diese Perspektive bestimmt semantisch die zunächst offenbleibende Bedeutung des Zeitadverbs jetzt in la (wie in 4,13a. 16a). Wie sehr diese endgültige Perspektive die Aussage bestimmt, zeigt sich im Vergleich zu 4,9f.:
Wehklagt und trauert und weint! Euer Lachen soll sich in Trauer verwandeln und die Freude in Niedergeschlagenheit. Erniedrigt euch vor dem Herrn, und erhöhen wird er euch. Zielt die Intention des Verfassers in 4,9 f. mit der Forderung nach Klagen und Bußetun auf eine Gesinnungsänderung der Adressaten, da bei einer demütigen Haltung ihnen Rettung sicher ist, setzt Jakobus in 5,1 ff. bei seinem Bemühen, auf die Adressaten einzu wirken, ganz auf die rhetorische Wirkung prophetischer Unheils predigt. Unheil/Drangsal/Elend/Not: talaiporia (zum Verbum vgl. 9a) ist unausweichlich, bestimmt schon jetzt das Schicksal der Reichen, nicht irgendwann erst in der Zukunft. Mit Bedacht dürfte Jakobus in l b im Nebensatz präsentisch formuliert haben, wie er in 2a.b und 3a im prophetischen Stil das zukünftige Schicksal im Perfekt, als bereits die Gegenwart bestimmend umschreibt. Die Konsequenzen werden dann in 3b.c als Folgerung futurisch formu liert, während die Begründung in 3d im Vergangenheitstempus des Aorists umschrieben ist. So oder so: Auch wenn die Reichen das schreckliche Ende der zuverläßigen Basis ihrer Existenz noch nicht eingesehen haben, es kommt. Traditionsgeschichtlich ist bei den Imperativen weinet und klaget in la an die Unheilspredigt frühjüdischer Propheten zu erinnern (vgl. Jes 13,6; 14,31; 15,3; 23,1.6.14; Jer 31,20; Ez 21,17; Sach 11,2; Am 8,9 u. a.; zum zweiten Verbum vgl. T h W N T 5, 1954, 174) — oft verbunden mit dem Gedanken an den Tag Jahwes bzw. an den Tag des Gerichts. »Klaget, denn der Tag des Herrn ist nahe« (Jes 13,6). Demgegenüber ist das erste Verbum weinet sowohl im N T (vgl. etwa aus den Seligpreisungen und Weherufen Lk 6,21.25) wie im AT semantisch offener, gewinnt aber dort, wo es von der Zukunft gebraucht wird, wie das zweite Verbum Eindeutigkeit (vgl. T h W N T 3, 1938, 722f.). Dort, wo das selbstherrliche Lachen des Menschen (vgl. Jak 4,9b) ins Weinen umschlägt, erkennt der Mensch die Haltlosigkeit und Tragunfähigkeit aller bisherigen Lebenswerte (vgl. 2 Kön 20,3; Jes 38,3; Hos 12,5; Ps 126,5f.). Jakobus geht es beim Weinen nicht wie in griechischen Tragödien um unermeßlichen Schmerz über das menschliche Schicksal (mag dies auch an der Oberfläche in 2-3 zunächst so erscheinen), vom Kontext her (4,15; 5,4c) ist 5,1 in der theozentrischen Perspektive zu lesen. Wie in 4,9-10 und 5,15 zielt Jakobus darauf, daß die Adressaten letztlich das Herrsein Gottes anerkennen, was die Anerkennung ihrer eigenen Geschöpflichkeit und Unzulänglich-
keit implizieren müßte. Jakobus geht es also um das spezielle Schicksal der Menschen, die sich von Gott abgesetzt und gleichsam emanzipiert haben. Sie fordert Jakobus zur Besinnung auf, wollen sie ihrem sicheren Schicksal entgehen. Beklagenswert ist nach ihm nur der Mensch, der das menschliche Leben im Alleingang — ohne Gott und ohne Mitmenschen — zu leben versucht. Erst durch das aus der prophetischen Unheilspredigt stammende Verbum klagen erhält auch das offenere Verbum weinen seine sprachliche Eindeu tigkeit. In diesem Kontext dürfte auch das Substantiv Unheil/Elend in l b nicht nur den Verlust des Reichtums meinen, vielmehr assoziiert der Begriff traditionsgeschichtlich Gericht und Untergang denen, die vom gottlosen und selbstherrlichen Weg des Vertrauens auf Reichtum nicht ablassen (vgl. Jes 13,6; Jer 5,26ff.; Am 5,7ff.; Mich 2,4; äthHen 94,8f.; 97,8ff.; vgl. auch Offb 3,17). Dieser theozen trische Aspekt ist auch weisheitlicher Literatur bekannt, wie Weish 13,10 belegt: Doch elend sind die, die auf tote Dinge, auf Werk von Menschenhand ihr Hoffen stellen und rufen Gold und Silber, Holz und Stein, von Künstlerhand geformt, als Götter an. Jakobus dürfte wie in 4,1-12 anthropologische und sozialethische Deformationen auch in 5,1 als theologische Fehlhaltungen verstan den haben. 2a-3d: Thematisierte Jakobus in den Versen 4,13-16 die Vergäng lichkeit des Menschen, so reflektiert er über das Thema Zeit in 5,2-3 im Hinblick auf angebliche sichere und Zeit überdauernde menschliche Güter. Auch unter diesem semantischen Aspekt erweist sich der Vers 5,1 mit dem generellen Hinweis auf die veränderte Lebenssituation der Reichen ebenso als Scharniervers wie 4,17a im Hinblick auf 5,4-6 (die verpaßten Möglichkeiten, mit dem erworbenen Reichtum Gutes zu tun). Von daher ist es logisch, in den Versen 2-3 unter dem Aspekt der Zeit die Vergänglichkeit des Reichtums den Adressaten zu verdeutlichen, in den Versen 4-6 hingegen die solidarethischen Aspekte der Erwerbung des Reich tums (vgl. 4a-e) und des Umgangs mit dem Reichtum (5) zu thematisieren, während Vers 6 mit dem Begriff »Gerechter« zum Epilog in 5,7ff. überleitet — allerdings noch in der Perspektive derer formuliert, unter denen der Gerechte leidet, während er ab 5,7ff. selbst Subjekt ist.
Das Thema Vergänglichkeit des Reichtums hat Jakobus mit gro ßer sprachlicher Kraft formuliert, der sich auch der heutige Leser nicht entziehen kann. Dies wird noch dadurch gesteigert, daß Jakobus nicht von einem Irgend-Wann-Einmal spricht, vielmehr im Tempus der Gegenwart (s. o. zu lb) mit prophetischer und weisheitlicher Sicherheit das zukünftige Geschick als die Gegen wart bestimmend umschreibt (entgegen der vielfachen Deutung als »futurisches Perfekt«; vertreten etwa von Dibelius 2 8 1 ; Hoppe, Hintergrund 13; E W N T 2, 1981, 675 u. a.; vgl. MayordomoMarin 133 Anm. 5, der selbst für ein gegenwärtiges Verständnis plädiert). Die beißende und bittere Ironie der gewählten Meta phern dürfte auch damals bei den Adressaten die intendierte Wir kung erreicht haben, zumal die Bilder trotz und wegen ihres Sarkasmus unzweideutig und einleuchtend sind. Die traditionsgeschichtlichen Vorlagen des Jakobus lassen sich unschwer festmachen, mögen auch einzelne Motive in der prophe tischen und weisheitlichen wie auch in der synoptischen Tradition vielfach belegt sein. So ist etwa bei der Vorstellung, daß Motten Kleider zerfressen, auf Jes 50,9; 51,8; Ps 38,12; Spr 25,20 und Ijob 13,28 hinzuweisen. Da die Wendung himatia setobrota: von Motten zerfressene Kleider im N T singulär ist, in der Septuaginta ebenfalls nur in Ijob 13,28 (im Singular) belegt ist, im übrigen erst in der griechischen Literatur ab dem 2 . J h . n.Chr. vorkommt, dürfte Ijob 13,28 als Tradition für Jak 5,2b feststehen (Hainthaler 300.336; s. u. 5,9-12), falls Jakobus — da dort und hier das Bild anders verwendet wird (Ijob bzw. der Mensch wird alt wie ein von Motten zerfressenes Kleid) — nicht sprachschöpferisch aus eigener Intention das Bild in 5,2 formuliert hat; eine weitere thematische Rezeption über diese Wendung hinaus läßt sich hier jedenfalls nicht nachweisen. Mit einem anderen griechischen Wort jedoch kommt Motte auch in Mt 6,19 f. vor. Ebendort findet sich auch das allgemein auf Schätze bezogene Bild vom Verrosten, das Jakobus in 3a auf Gold und Silber bezieht, die als Edelmetalle an sich nicht rosten können, wie in der Antike sehr wohl bekannt war (vgl. etwa Philo, Her 217). Wie dies eine Unmöglichkeit ist, so müßte auch das unsolidarische Verhalten reicher Christen gegen ärmere »widernatürlich« sein. Neben dem Substantiv Motte und dem Verbum rosten gibt außerdem das Verbum vermodern/verfaulen/ dahinschwinden, das ebenfalls nur hier im N T belegt ist, deutliche Hinweise darauf, welche Tradition Jakobus rezipierte. Wie sonst im Brief, näherhin auch zum Thema Vergänglichkeit des Menschen in 4,13 ff., exzerpiert er auch zum Thema Vergänglichkeit des
Reichtums und bei der Polemik gegen das unrechtmäßige Erwerben und gegen den unsolidarischen Besitz des Reichtums Jesus Sirach. Die Stellen seien hier zusammenfassend präsentiert und zwar so, daß in Klammern beim Sirach-Text wortwörtliche Rezeption durch Jakobus festgehalten wird, während im Kommentar seine aus prophetischer Tradition stammende Steigerung der rhetorischen Mittel sowie seine redaktionelle Intention entfaltet werden. Auch wenn im folgenden nicht alle Texte im Zusammenhang gedruckt werden können, sei allgemein auf die Warnung vor falscher Sicher heit (5,1-8) hingewiesen wie auf die Zusammenstellung sehr unter schiedlicher, aber immer wieder mit Hinweisen zu Armut und Reichtum und zur Vergänglichkeit des Lebens durchsetzten Ermah nungen in 6,18-14,19, die — parallel zu Jakobus - »mit einem eindringlichen Memento mori« schließen (Lamparter 71). 5.1 2 3 7
7,32 36 8.2 9,11 10,10 11 11,4 14 17
Verlaß dich nicht auf deinen Reichtum und sprich nicht: »Ich habe genug«. Folge nicht deinem Begehren und deinem Vermögen, indem du nach den Gelüsten deines Herzens wandelst, und sprich nicht: »Wer hat Macht über mich?« denn der Herr (4,15), der Richter (4,12) wird richten. Zögere nicht, dich zum Herrn zu wenden, und schiebe es nicht auf von Tag zu Tag. Denn plötzlich wird der Zorn des Herrn kommen, und am Tage der Vergeltung wirst du zugrundegehen. Auch dem Armen reiche deine Hand, damit dein Segen vollkommen sei. Bei allen deinen Werken bedenke das Ende. Denn viele hat das Gold zugrundegerichtet, und es hat das Herz von Königen irregeleitet. Ereifere dich nicht über die Ehre des Sünders, denn du weißt nicht, wie seine Katastrophe sein wird. Eine leichte Krankheit - scherzt der Arzt, doch der heute noch König war, ist morgen schon tot. Wenn der Mensch stirbt, sind sein Erbteil Maden, Geschmeiß und Gewürm. Der Kleider, die du anziehst, rühme dich nicht, und am Tage des Glanzes überhebe dich nicht. Glück und Unglück, Leben und Tod, Armut und Reichtum kommt vom Herrn. Die Gabe des Herrn bleibt erhalten den Gottesf ü rchtigen, und sein Wohlgefallen wird stets zum Glück gereichen.
18 Da ist einer, der reich wird, weil er sparsam und knicke rig ist, und dies ist der Lohn, den er davon hat: 19 Wenn er sagt: »Ich habe Ruhe gefunden und jetzt will ich essen von meinen Gütern.« Nicht weiß er, wieviel Zeit noch vergeht, bis er sie anderen hinterläßt und stirbt. 14,12 Gedenke daran, daß der Tod nicht säumt und daß die Frist, die dir bestimmt, dir nicht gezeigt ist. 13 Bevor du stirbst, tue dem Nächsten Gutes, und soviel du kannst, schenke ihm. 17 Alles Fleisch veraltet wie ein Kleid; denn das uralte Gesetz lautet: Du wirst sterben. 18 Wie die grünen Blätter am dichtbelaubten Baum, die einen fallen ab, die anderen wachsen, so ist es auch mit dem Geschlecht von Fleisch und Blut: Das eine stirbt, das andere wird geboren. 19 Jedes Werk vermodert (5,2a) und schwindet dahin, und der es vollbringt, folgt ihm nach. 29,9 Um des Gebotes willen unterstütze den Armen und angesichts seiner Bedürftigkeit laß ihn nicht leer ausgehen. 10 Verliere lieber Geld um eines Bruders und Freundes willen, als daß du es unter einem Stein rosten läßt (5,3a), bis es verdirbt. 11 Sammle dir einen Schatz nach den Geboten des Höch sten; das wird dir mehr nützen als Gold. 12 Wohltaten schließe in deine Schatzkammern, und sie werden dich aus allem Unglück retten. 42,12 Bei keinem Menschen sieh auf Schönheit... 13 denn aus den Kleidern kommt die Motte (5,2b). Mit Jesus Sirach ist Jakobus der Überzeugung, daß die Zeit dem Menschen von Gott gewährt und gestundet wird (4,13-17), womit impliziert ist, daß der Mensch selbst als Existenz im Werden (vgl. den Exkurs nach 1,18) eine Existenz zum Tode hin ist und daß dieses Todes-Gesetz auch für alle jene Güter gilt (Reichtum, Kleider, Gold und Silber), die angeblich zeitlos Lebenssinn schen ken können. In zweifacher Hinsicht jedoch unterscheidet sich Jakobus von Jesus Sirach. Zum einen plädiert jener aufgrund dieser
Vergänglichkeit des Lebens durchaus dafür, sich auch selbst jeden Tag etwas Gutes zu gönnen, allerdings in ausgewogener Balance, auch dem Herrn Gaben zu bringen (vgl. auch 2,3; 9,11; 11,26-28; 18,24; 51,30): 14,11 Mein Sohn, wenn du hast, tue dir etwas Gutes, aber bringe dem Herrn Gabe, wie es dir geziemt. 14 Laß dich nicht abhalten (5,4c) vom Guten des Tages, und dein Teil an guter Lust laß nicht verfallen. Wie Jakobus sich hinsichtlich dieser die Diesseitigkeit durchaus betonenden Einstellung des Jesus Sirach, die mit Materialismus nichts zu tun hat, unterscheidet, so auch zum anderen in der dringlichen Betonung der eschatologischen und gerichtlichen Per spektive (zur Eschatologie bei Jesus Sirach s. o. zu 2,12-13). Die Unerbittlichkeit des Gerichtes wird dabei mit allen Mitteln rheto rischer Kunst vor allem in den Verben angezielt. Dies dürfte auch die Intention der semantischen Ungenauigkeit im Bild vom verro steten Gold und Silber bewirken wollen (3a). Wie 3c belegt und euer Fleisch wie Feuer auffressen/verzehren, will der Sarkasmus als eine — wie das griechische Wort es meint — ins Fleisch schneidende, äußerst bittere Ironie die Adressaten zur Besinnung bewegen. Sarkastisch ist auch für reiche Christen der Gedanke, daß nach 2a der Reichtum verfault/vermodert, noch sarkasti scher wäre in 3a.b die mögliche Übersetzung, daß Gold und Silber vergiftet sind: katiotai, da das Nomen ios: Gift/Rost in 3,8 in der Bedeutung Gift von Jakobus gebraucht wird. Eine exakte Entscheidung ist nicht zu fällen, da Jakobus durchaus mit dem ganzen semantischen Repertoire der Metaphern spielen kann. Wie stilistisch qualifiziert Jakobus formuliert, zeigt sich auch in der Personifizierung von Gift/Rost in 3b.c. Wie die Begierde in 1,15 als handelnde Person die menschliche Existenz bestimmt, so tritt hier Rost bzw. Gift von Gold und Silber zum Zeugnis gegen euch (die Adressaten) auf und als feuriger Vernichter allen Flei sches. Daß Jakobus hier von der direkt bevorstehenden Ankunft des Herrn her denkt (vgl. 7b.8c) sowie vom Gericht (9c), bestätigt nicht nur die gesamte Peroratio in 5,7-20, vielmehr wird diese Deutung auch durch die Todes-Metapher in 3c, durch die EndzeitMetapher in den letzten Tagen in 3d sowie durch die ebenfalls sarkastisch zu verstehende Metapher Schlachttag in 5b bestätigt. Diese Perspektive sprengt den weisheitlichen Denkhorizont des
Jesus Sirach. Von ihm jedoch hat Jakobus den Gedanken der unbedingten Solidarität zwischen Reichen und Armen (s. o. zu 1,9-11; 2,2-4; 2,5-12; 2,15.16) sowie den Gedanken, daß Geld »nicht unter einem Stein rosten darf, bis es verdirbt« (vgl. Sir 29,10). Jakobus erhebt keine Forderung nach Besitzverzicht wie die älteste Jesustradition (vgl. Mk 10,28; L k 5 , l l u.a.), wohl jedoch nach sozial verpflichtetem Reichtum (s. o. zu 1,27; 2,1517). Wo Christen Reichtum anhäufen und ihn vermodern lassen, bezeugt dieses Verhalten nicht nur eine unsoziale NichtSolidarität, es ist auch bestimmend für ein unausweichliches, schreckliches Ende. Statt den Reichtum für Waisen und Witwen einzusetzen und wirklich fromm zu sein (s. o. zu 1,27), statt barmherzig zu handeln und dadurch über das Gericht zu triumphieren (s. o. zu 2,13), statt Früchte der Gerechtigkeit in Güte und voll von Erbarmen zu bringen (s. o. zu 3,17-18), führt egoistisch genossener Reichtum, der nur gesammelt (3d) wird, unweigerlich in die Katastrophe. Das Aufhäufen irdischer Schätze kann von Jakobus nur attackiert werden. Eine solche Kritik teilt er im übrigen wie mit rabbinischer (vgl. Billerbeck I 430 f.) so auch mit apokalyptischer Literatur (äthHen 94,7-10; 97,8-10), aber auch mit der synoptischen Jesu stradition (vgl. etwa bes. Lk 6,34-36; 12,13-21). Mit Recht heißt es auch im Sündenbekenntnis der katholischen Kirche: »... was wir Gutes unterlassen und Böses getan haben«. Vers 3d steht zwar auch unter dem Aspekt der Zeit, ja sogar unter dem Aspekt der Endzeit, wendet jedoch den Gedanken der Ver gänglichkeit menschlichen Reichtums zur Anklage gegen die, die diesen gesammelt haben. Dieser Gedanke wird im folgenden Vers konkretisiert insofern, daß hier als Subjekte Grundbesitzer einge führt werden. Die Wendung in den letzten Tagen ist biblisch traditionell, ohne daß eine bestimmte Rezeption nachzuweisen ist (vgl. Gen 49,1; Dtn 31,29; Jes 2,2; Ez 38,1; Mi 4,1). Besonders apokalyptische Literatur spricht von den letzten Tagen, vom Ende der Tage (Dan 2,28; 10,14; 1 QSa 1,1; 1 QpHab 2,5-6), vom Tag des Gerichts und von den Tagen des Menschensohnes. Diese Variationen und Ver bindungen zeigen, daß die »letzten Tage« nicht nur Heilszeit beginnen lassen (Apg 2,17), sondern auch Tage der Bedrängnis und des Gerichtes (vgl. Mk 13,17.19; 2 Tim 3,1; 1 Joh 2,18). Letzteres ist auch in Jak 5,3d eindeutig gemeint. 4a-e: Wie in 4,13-17 Jakobus nicht grundsätzlich reisende Kauf leute und das Schmieden von Plänen kritisiert, so verurteilt er parallel dazu auch in 5,4 Grundbesitzer nicht grundsätzlich (gegen
Noack). Hier wie dort kritisiert er und polemisiert er gegen eine falsch verstandene und praktizierte Autonomie der genann ten Gruppen. Die Solidarität der Grundbesitzer mit ihren Arbeitern ist für ihn Prüfstein für christlichen Glauben; wie sozial verträglich diese Solidarität zu sein hat, sagt er nicht. Er wendet nur den bereits in 5,2-3 geäußerten Gedanken von der Vergänglichkeit des Reichtums und von der Sozialpflicht des Reichtums in Vers 4 dahin, daß der den Feldarbeitern zuste hende Lohn nicht vorenthalten werden darf (4c). Wie der Rost bzw. das Gift des nicht genutzten Reichtums für die Solidarität mit Armen in 3a-c personifiziert handelnd gegen die attackier ten Reichen auftritt, so schreit... der Lohn der Arbeiter in 4a.c. Der eigentliche Skandal ist auch hier, was Christen an Gutem unterlassen haben. Die Unterlassungssünden wiegen oft mehr als die böse Tat. Hier ist es die fehlende menschliche Solidarität und die fehlende Anerkennung der geleisteten Arbeit, da der Reichtum der Reichen auf die unmenschliche Ausbeu tung der Armen zurückgeht und damit gegen die Sozialordnung Gottes, die Tora verstößt. Was vordergründig als soziale Anklage verstanden werden könnte, sieht Jakobus als theozen trisch begründete Anklage gegen die Selbst-herr-lichkeit des Menschen, die das Herr-Sein Gottes, des Herrn Zebaoth (4e) aufzuheben versucht. Eine von Menschen gemachte Ordnung steht gegen Gottes Ordnung. So entspricht es der theo-logischen Verschränkung vom Sein des Menschen und vom Sein Gottes bzw. von der Sozialethik des Menschen und der »Sozia lethik« Gottes von Anfang an (vgl. den Exkurs nach 1,18). Formal beginnt Jakobus die Sentenz mit dem AufmerksamkeitsPartikel siehe in 4a. Zudem erneuert er nicht nur die rhetorische Figur der Personifikation in Aufnahme von 3b.c, vielmehr variiert er diese auch, indem er wohl zur handlungsorientierten Intensivie rung einen schönen synthetischen Parallelismus in 4a-c und 4d-e formuliert, da die Rufe der Erntearbeiter der verbalen Aussage in 4a.c der Lohn der Arbeiter ... schreit exakt entspricht. Ist bereits das Vorenthalten des den Arbeitern zustehenden Lohnes himmel schreiend, so sind es erst recht die Rufe der von Reichen Drangs alierten, die sich an Gott als den Liebhaber der Armen (s. o. zu 2,5) richten. Traditionsgeschichtlich sind die verwendeten Motive wie auch der Redestil im Judentum wie Urchristentum vielfach belegt. Daß dem Tagelöhner am Ende eines jeden Tages der lebensnotwendige Lohn zu entrichten ist, wurde vielfach von Theologen eingeklagt (vgl.
Dtn 24,14f.; Lev 19,13; Jer 22,13; Mal 3,5; Tob 4,14). Sucht man nach personifizierten Gegenständen, die zu Gott schreien, ist an das vergossene Blut Abels in Gen 4,10 (vgl. auch äthHen 22,5 ff.) zu erinnern. Doch dürfte auch hier als Tradition im engeren Sinn Jesus Sirach eingewirkt haben, zudem sich in 4e noch ein Zitat aus Jes 5,9 findet (»Gehört wurde dies bis hin zu den Ohren des Herrn Zebaoth«; neben Jak 5,4e findet sich im N T nur noch Zebaoth in der griechischen Transkription als Zitat von Jes 1,9 in R o m 9,29. Zur Begründung vgl. T H A T 2, 1984, 506 f.). An Stellen aus Sirach, die Jakobus in 5,4-6 rezipierte und verarbeitete, sind zu nennen (wobei die Stellen in Klammern wiederum Rezeptionen durch Jakobus angeben): 27,13 Die Rede des Toren ist ein Greuel, und ihr Lachen (4,9) (erschallt) bei sündhafter Schwelgerei (5,5a). 15 Blutvergießen bringt der Streit der Übermütigen, und ihre Lästerreden anhören ist widerwärtig. 34,20 Den Sohn schlachtet vor den Augen des Vaters, wer ein Opfer bringt vom Vermögen des Armen. 21 Am Brot hängt das Leben der Armen, die seiner bedürfen, wer es ihnen raubt, ist ein Blutmensch. 22 Den Nächsten mordet (6a), wer ihm den Unterhalt raubt, und Blut vergießt, wer den Taglöhner um seinen Lohn bringt. 24 Der eine betet und der andere flucht. Wessen Stimme soll der Allmächtige hören? 35,3 Des Herrn Wohlgefallen ist: vom Bösen lassen, und ein rechtes Sühnopfer ist: sich von Ungerechtigkeit fernhalten. 12 Denn der Herr ist Richter (4,12) und bei ihm gilt kein Ansehen der Person (2,1). 13 Nicht nimmt er Partei gegen den Armen (2,5), und das Gebet dessen erhört er, dem Unrecht geschah. 14 Nicht übersieht er das Flehen der Waise, und die Witwe, wenn sie ihre Klage vor ihm ausschüttet. 15 Strömen nicht die Tränen der Witwe über ihre Wange und wendet sich ihr Hilferuf nicht wider den, der sie verursacht? Wer dem Herrn dient, wie<s ihm wohlgefällt, wird ange nommen,
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und sein Gebet dringt bis zu den Wolken empor (vgl. 5,4). Das Gebet des Elenden dringt durch die Wolken und eh es nicht ans Ziel kommt, läßt er sich nicht trösten. Und er läßt nicht davon ab, bis der Höchste dreinsieht und den Gerechten (5,6a) Recht schafft und Gericht hält (4,12). Und der Herr wird nicht säumen und mit ihnen nicht ausharren (5,7f.), bis daß er die Hüfte der Unbarmherzigen zerschmettert und an den Heiden Vergeltung geübt hat; bis er die Menge der Gewalttätigen vertilgt und das Szepter der Ungerechten zerbricht; bis er dem Menschen nach seinem Handeln vergolten und dem Tun der Menschen nach ihren Absichten; bis er richtet und Recht schafft seinem Volk und es erfreut durch sein Erbarmen (2,13; 3,17). Lieblich ist sein Erbarmen zur Zeit der Bedrängnis, wie Regenwolken in der Zeit der Dürre (vgl. 5,17f.).
Da Jakobus menschliches Sein und Handeln zum Sein und Han deln Gottes antithetisch versteht, ist auch auf Sir 21,5 hinzuweisen; dort erreicht das Flehen der Armen nicht das Herz der Reichen, weswegen sie aufgrund dieser Hartherzigkeit ein innerweltliches Strafgericht (etwa durch Pfändung) oder Gottes Strafgericht trifft (vgl. Lamparter 96): Das Flehen aus des Armen Mund dringt nur bis zu seinen Ohren, aber sein Gericht kommt eilends. Wie die Parallelen bei Jesus Sirach zeigen, sind auch die Formulie rungen bei Jakobus metaphorisch zu verstehen. Wenn er jedoch die sarkastische und drastische Sprache aus 5,2 f. weiterführt und sogar noch steigert, offenbart die Härte der Sprache wohl die Härte des Konfliktes, den Jakobus bloßlegen will. An blutige Auseinander setzungen zwischen reichen Christen und Armen ist nicht zu denken. Er versteht das unsolidarische Verhalten der Reichen — in Aufnahme von Sir 34,22 — als morden (6a) und schlachten (5b). Ahnlich identifiziert 1 Joh 3,11-13 die Nichtliebe mit hassen und töten (vgl. auch Joh 8,44). »Daß Haßgefühle oft heimliche Mord-
gelüste nach sich ziehen und manchmal auch die mörderische Tat (vgl. Dtn 19,11), ist eine psychologische Binsenweisheit, die auch der Antike nicht verborgen blieb . . . . Auch die erste Antithese der Bergpredigt baut darauf auf: Schon das Zürnen gegenüber dem Bruder fällt unter das Tötungsverbot des Dekalogs (Mt 5,21-22)« (Klauck, 162). Dies ist auch die Vorstellungswelt, in der Jakobus lebt. Wer sich so zu seinem Mitmenschen und Mitchristen verhält, bei dem fehlt jede Basis für Geschwisterlichkeit. Nicht von unge fähr dürfte 4,13-5,6 die einzige größere Texteinheit der weisheitli chen Paränesen des Jakobus sein, in der die Bruder-Anrede fehlt. (Das Fehlen der Bruder-Anrede in 3,13-18 im weisheitlichen Hym nus ist gattungsspezifisch und thematisch bedingt). 5a-b: Entsprechend der rhetorischen Wirkabsicht des Jakobus, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Stilmitteln auf die Adressaten einzuwirken, legt es sich nahe, in der deutschen Übersetzung wie in 3c (statt verzehren: auffressen) auch hier den pathetischen und drastischen Sprachstil nachzuahmen. Demgemäß ist in 5a üppig gelebt eher mit ihr habt gepraßt, in 5b gefüttert eher mit ihr habt gemästet zu übersetzen und ebenso in 6a verurteilt eher mit ihr habt zugrundegerichtet. Parallel zu 3d werden in 5a die Adressaten mit ihrem mörderischen Tun wieder direkt als Subjekt eingeführt und ebenso direkt attakkiert. Wie sehr ihr Verhalten zu dem Gottes in Antithese steht, zeigt sich nicht nur in 6a (in Aufnahme von 4,11-12), sondern auch in der an sich überflüssigen geographischen Angabe auf Erden in 5a, die deutlich dem Wohnen Gottes im Himmel, zu dem die Rufe der Erntearbeiter dringen, in 4d.e korrespondiert. Im himmlischen Gericht wird die Umkehrung der Verhältnisse um so drastischer ausfallen. Ist das Schwelgen und Prassen auf Kosten der ausgebeuteten Arbeiter in 5a (in Rückgriff auf Sirach 27,13) wie auch das Mästen der Herzen (auch heute gibt es nicht nur eine medizinisch feststell bare Herzverfettung, sondern auch eine Verfettung sozial-psycho logischer Art des Herzens im zwischenmenschlichen Bereich) als egoistischer Lebensgenuß eindeutig, so vielfältig sind die Deutun gen der Wendung am Schlachttag in 5b. Es stellt sich die Frage, ob damit jener Tag gemeint ist, an dem die Reichen ihr Mastvieh schlachten und sich an einer großen Völlerei vergnügen, während die Armen hungern. Andernfalls gälte die These, daß Jakobus in der Tradition der prophetischen und apokalyptischen Vorstellung vom Schlachttag Jahwes gegen Frevler und Gottlose steht (nach Grill, belegt in Jes 34,5-8; Jer 46,10; 50,26f.; Ez 39,17; Soph 1,7;
Offb 19,17-21; Andeutungen findet er in Jes 30,33; Ps 22,30; 37,20; 49,15; Klgl 2,21 f. und in Jak 5,5). Letztere Interpretation läßt sich vom Text nicht halten, auch wenn folgende Argumente dafür beigebracht werden, so daß nicht die unserem Gottesbild diametral entgegenstehende Gottesvorstellung entscheidend ist: Jüdische Theologen versuchen durchaus, ihre Aggressionen gegen feindliche Völker theozentrisch zu überhöhen und mit der genannten Metapher zu verarbeiten. Ein Beispiel ist die Ankündigung des Gerichts über Edom in Jes 34,2-8: »Der Herr ist über alle Völker erzürnt, er ist zornig auf all ihre Ehre. Er hat sie dem Untergang geweiht und zum Schlachtopfer bestimmt ... Am Himmel erscheint das Schwert des Herrn. Seht her, es fährt auf Edom herab, auf das Volk, das der Herr im Gericht dem Unter gang weiht. Das Schwert des Herrn ist voll Blut, es trieft von Fett, vom Blut der Lämmer und Böcke, vom Nierenfett der Widder; denn der Herr hält in Bozra ein Opferfest ab, ein großes Schlacht fest in Edom. Da fallen die Büffel und Kälber, die Stiere und Ochsen. Ihr Land wird betrunken vom Blut, ihr Erdreich ist getränkt von Fett. Denn der Herr hat einen Tag der Rache bestimmt, ein Jahr der Vergeltung für den Streit um Zion.« Auch in der Literatur von Qumran sind solche Vorstellungen gut belegt (vgl. 1 Q H X V , 17; 1 QS X , 19; 1 Q M I, 9-12; X I I I , 14; Damask X I X , 15.19). Kann »angesichts dieser Texte ... kein Zweifel mehr sein, daß mit dem >Schlachttag< in Jak 5,5 der große Gerichtstag gemeint ist, an dem Gott über die Gottlosen und unsozialen Reichen ein vernichtendes Gericht halten wird« (so Mußner 197f.)? Gegen eine solche Eindeutigkeit erheben sich traditionsge schichtliche und textliche Bedenken, wenn auch Jakobus in 3d sowie ab 5,7ff. die eschatologische Perspektive immer deutlicher in den Vordergrund stellt. Ohne Zweifel. Kann aber Jakobus als christlicher Theologe noch so denken und paßt dies zu seinem bisher im Text vermittelten Gottesbild? Ganz und gar nicht. Außerdem wäre eine solche Vorstellung auch im gesamten N T singulär. Folgende Hinweise bietet der Text zu einem möglicherweise sach gerechten Verständnis: Zunächst ist auf die von Jakobus rezipierte weisheitliche Tradition aus Sir 34,20-22 hinzuweisen, die gegen futurisch-apokalyptische Deutungen spricht. Sodann: Jakobus selbst formuliert in 5b im Tempus der Vergangenheit, der Einma ligkeit; im Griechischen steht der Aorist: Ihr habt geschwelgt ... und gepraßt ... und gemästet. Der gemeinte Tag liegt also zurück. Deswegen kann auch nicht vom Gericht über die Reichen die Rede
sein, das zwar in 3c mit dem drastischen Bild, das deren Fleisch wie Feuer aufgefressen wird, umschrieben wird, allerdings futurisch. Dies alles ist in sich stimmig, wenn man den synonymen und weiterführenden Parallelismus zwischen 5b und 6a beachtet. 6a: Der Schlachttag ist der Tag der Ermordung des Gerechten, da Schlachten und Morden zum gleichen semantischen Feld gehören. Blieb am Ende von 5b semantisch noch eine Leerstelle, so füllt Jakobus sie in 6a, wobei natürlich die Frage bleibt, ob die Adressa ten den Gerechten zu identifizieren wußten. Zunächst gilt es jedoch zu sehen, daß Jakobus beim Verbum morden auf 4,2b zurückgreift, den allgemeinen Unfrieden in der Gemeinde und seine Ursachen in 4,13-17 und 5,1-6 auf die Reichen hin formuliert, während die Wendung verurteilt habt ihr/zugrundegerichtet in 6a den Gedanken des gegenseitigen Richtens aus 4,11-12, der ebenfalls dort allgemein gefaßt war, hier ebenso exemplarisch auf den Gerechten verengt. Ist er eine konkrete Person? Warum wird nicht im Plural gesprochen? 6b dürfte mit seiner präsentischen, allgemeingültigen, sentenzhaf ten Formulierung nicht widersteht er euch zunächst dagegen sprechen. Auch ist in der weisheitlichen und liturgischen Tradition etwa der Psalmen durchaus der generische Singular belegt. Der Gerechte bzw. Arme ist als Typos gemeint, mit dem sich viele identifizieren können und sollen. Mit dem Hinweis auf »den Gerechten« schafft Jakobus sich im übrigen von der sarkastischen Invektive einen guten Übergang zur Mahn- und Trostrede an die geschwisterliche Gemeinde, in der ein Gebet eines Gerechten viel zu bewirken vermag (5,16d; zum weiteren Wortfeld vgl. auch 1,20; 2,21.23.24.25; 3,18; vgl. oben den Exkurs nach 4,3). Gerechte sind also Mitglieder der Gemeinde, bei denen das richtige Verhältnis von Glaube und Werk, die Beherrschung der Zunge und die richtige Haltung im Gebet vorhanden sind. Es sind die Niedrig gestellten und Demütigen, die Sanften und Einfältigen, die alles von Gott erwarten, der als Gesetzgeber und Richter retten und verderben kann (4,12). Gericht und Rache sind nicht Sache des Menschen (vgl. Sir 28,1: »Wer sich rächt, wird vom Herrn Rache erfahren«; zu rabbinischen Stellen vgl. Billerbeck I 369f.; vgl. auch sl Hen 50,4; 1QS 10,17f.). Wie seine jüdischen Vorbilder begrün det Jakobus den Verzicht auf menschliches Richten und Rache von Gottes Handeln her. Dies gilt auch für den Verzicht auf Wider stand in 6b. Mit der Autorität der Schrift - in Rezeption von Spr 3,34 L X X (vgl. dazu Alonso-Schökel) - hatte Jakobus in 4,6 festgestellt:
Deshalb sagt sie (die Schrift): »Gott widersteht den Hochmüti gen, den Niedriggestellten/Demütigen aber gibt er Gunst/Gnade«. Diese theozentrische Perspektive und Motivierung gilt es — im Unterschied etwa zur matthäischen Antithese in 5,39 (»Leistet dem Bösen keinen Widerstand!«) mit seiner anthropologischen Per spektive — deutlich zu sehen. Jakobus rezipiert nicht die in der Antike weit verbreitete Mahnung zum Unrechtleiden, was schon durch die Adressaten in 4,13 ff. und 5,1 ff. ausgeschlossen ist. Noch wichtiger: Jakobus denkt theozentrisch. Wenn dies so ist, Gott selbst den Hochmütigen widersteht, ist es nicht Sache der Gerech ten und Demütigen, ausbeuterischen und brutalen Reichen zu widerstehen. Allerdings: Bei einem solchen Satz ist darauf zu achten, daß Jakobus die Reichen an das Schicksal der Armen erinnert. Reiche sind angesprochen, nicht Arme. Vers 6b ist dem nach keine Handlungsanweisung für unterdrückte Arme! Warum der Gerechte nicht widersteht, wird daher an dieser Stelle nicht gesagt. Aus 4,6 ist die Motivation zu erschließen: Der Gerechte hat es nicht nötig, seine Stärke zu beweisen, weil Gott sein Helfer ist und gegen Hochmütige Widerstand leistet. Auch wenn man diesen Kontext und den Sprachduktus in 6b beachtet, bleibt ein Unbehagen. Nicht erst Ijob und der Psalmist brauchen dem neutestamentlich Glaubenden die Krise jenes weis heitlichen Vertrauens vorzuführen, daß hier kein automatischer Tun-Ergehen-Zusammenhang vorliegt, wonach Gott dem Gerech ten hier und jetzt beisteht. Gerade weil die Ausbeutung von Christen durch Christen von hoher Aktualität ist, können Worte der Schriftauslegung Opium der Vertröstung auf eine utopische heilvolle Zukunft oder auf einen jenseitigen Himmel sein. Natür lich ist es zunächst für Jakobus und Jesus Sirach eine nüchterne, vielleicht sogar resignative Lebenserfahrung, daß es zwischen Rei chen und Armen eine tiefe Kluft gibt (Sir 13,15-24) und daß es nicht gut ist für den Armen, Umgang mit den Mächtigen zu suchen (Sir 13,1-13): 13,1
2
Wer Pech angreift, besudelt sich, und wer mit dem Hochmütigen umgeht, wird ihm ähn lich. Eine Last, die über deine Kraft geht, lade dir nicht auf, und mit einem Stärkeren und Reicheren als du gehe nicht um.
15 16 17 18 19
20 24
Was hat der Topf mit dem Kessel zu tun? Dieser stößt an und jener zerbricht. Jedes Tier liebt seinesgleichen und jeder Mensch seinen Nächsten. Jedes Geschöpf gesellt sich zu seiner Art, und seinesgleichen schließt der Mann sich an. Was hat der Wolf mit dem Lamm gemein? Genau so wenig der Sünder mit dem Frommen. Welche Eintracht gibt es zwischen Hyäne und Hund und welchen Frieden zwischen Reich und Arm? Die Jagdbeute der Löwen sind die Wildesel in der Steppe; ebenso sind die Weide der Reichen die Armen. Ein Greuel ist dem Übermütigen die Demut, desgleichen einem Reichen der Arme. Gut ist der Reichtum, wenn an ihm keine Sünde klebt, und schlimm ist die Armut nur im Urteil des Gottlosen.
Wie Jakobus mit Jesus Sirach darin übereinstimmt, daß Reichsein an sich weder eine Tugend noch eine Sünde ist (dies werden reiche Christen heute problemlos akzeptieren), so stimmt er auch in dem anderen Gedanken mit ihm überein, daß nur Gottlose die Armut als Schande empfinden, während Gläubige dies nicht so sehen (dem werden arme Christen heute keineswegs zustimmen). Das fatalisti sche Hinnehmen ausbeuterischer Systeme und der strukturellen, gesellschaftlich und wirtschaftlich bedingten Sünde ist auch nach offiziellen Lehrerklärungen der christlichen Kirchen unter den Bedingungen unserer Zeit keineswegs christlich. Die Sozialenzy klika Paul VI. »Über den Fortschritt der Völker« von 1967 etwa spricht hier eine deutliche Sprache — auch im Hinblick auf einen revolutionären Aufstand »im Fall der eindeutigen und lange dau ernden Gewaltherrschaft, die die Grundrechte der Person schwer verletzt und dem Gemeinwohl des Landes schwer schadet« (Nr.31). Auch Jakobus führt eine Situation an, »deren Ungerech tigkeit zum Himmel schreit« (Nr.30). Ein solcher Satz impliziert, daß der Jakobusbrief in der gegenwärtigen Zeit kritisch zu lesen ist. Auch wenn man nüchtern feststellen muß, daß auch der soziale Ausgleich in christlichen Gemeinden wenig greift, lautet die Maxime für die Solidarethik in der Jesusnachfolge nach den synop tischen Evangelien nicht, daß jeder nur seinesgleichen lieben braucht, sondern die Verachteten und Armen, die Ausgestoßenen und Sünder, ja sogar seine Feinde.
Christen haben den sozialkritischen Stachel der großen Schriftpro pheten wie Arnos und Hosea, aber auch Jesu von Nazareth für die eigene Zeit zu konkretisieren. — Eine kritische Einstellung weis heitlichen Traditionen gegenüber kann also nicht schaden, die Weisheit bildet allzu oft gern den Gegenpol zum Idealismus. Weisheit und weisheitliche Theologie verstehen sich mit Recht als reiche Lebenserfahrung und appellieren daher an den gesunden Menschenverstand; dagegen ist Idealismus der unwiderstehliche Wille bzw. der Glaube daran, eine bessere, sozial gerechtere Zukunft gestalten zu können. Natürlich ist nüchtern zu sehen: Die Weisheit versucht über Menschen zu sprechen, wie sie wirklich sind, der Idealismus sieht sie so, wie sie sein sollten. Bereits Jesus Sirach und Jesus von Nazareth, aber auch Jakobus bestätigen mit ihren Misch-Konzeptionen, daß es hier nicht um eine Alternative zwischen zwei Lebenseinstellungen geht. Eschatologische und pro phetische Motive sind mit zu beachten, »die Weisheit als Garant richtigen Handelns« (so Pratscher 216 in der Überschrift) verkürzt die Konzeption des Jakobus. Zurück zum historischen Verständnis von 5,6. Läßt sich über die generelle Identifizierung der Gerechten mit den Armen, die keinen Widerstand leisten, möglicherweise dem Text noch eine weitere Deutung entlocken? Immerhin ist auffällig, daß der Hinweis auf den Gerechten am Ende der weisheitlichen Mahnsprüche vor dem Epilog (5,7-20) an semantisch exponierter Stelle für den Leser scheinbar völlig unvorbereitet steht. In seinem Schicksal zeigt sich exemplarisch die menschenverachtende und existenzvernichtende Moral der Reichen, die durch blutsaugende Profitgier (5,2-5), aber auch durch die Unterdrückung durch gerichtliche Prozesse den niedriggestellten Christen das Leben schwermachen. Insofern mag Jakobus mit der Wendung in 6a verurteilt/zugrundegerichtet die Leser nicht nur an seine Überzeugung von Gott als dem einzigen Richter (2,11-12) rückerinnern, sondern auch an die dort implizit genannte (vgl. I I b : »Wer einen Bruder verleumdet oder seinen Bruder richtet«), bereits in 2,6 deutlich kritisierte Alltagserfah rung: Sind es nicht die Reichen, die euch gewalttägig behandeln, sind es nicht sie, die euch vor Gericht schleppen? Zu erinnern ist auch an den thematischen Grundakkord im Prolog, in dem es u. a. um die Standhaftigkeit in und trotz mannigfacher Prüfungen geht (1,2 ff.). Sie wurden dort noch nicht näher inhalt-
lieh gefüllt, hatten aber auch bereits dort mit dem Mangel an der richtigen Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen und primär mit der falschverstandenen Autonomie von reichen Christen zu tun (1,9-11). Jeder Mangel daran ist ein Mangel an Weisheit (s. o. zu 1,5), der von Gott behoben werden kann; die von oben stammende Weisheit ist bekanntlich »lauter, friedfertig, gütig, willig, voll von Erbarmen und guter Früchte, unparteiisch, ungeheuchelt« (3,17). Jakobus lenkt also bereits mit 5,6 auf das Grundthema des Prologes und damit seines Briefes zurück. Eine solche Grundhaltung entspricht der jüdischen Weisheitslitera tur, wie sie etwa im Buch der Weisheit im Konflikt zwischen gottvertrauenden Armen und gottlosen Reichen thematisiert wird: 2,10 Laßt uns Gewalttat üben am armen Gerechten und auch die Witwe laßt uns nicht verschonen. 12 Laßt uns auf Lauer liegen den Gerechten. 13 Er nimmt für sich in Anspruch, Gott zu kennen und nennt sich selber einen Knecht des Herrn. 19 Laßt uns mit Hohn und Pein ihn foltern, auf daß wir seine Sanftmut kennenlernen und seine Langmut auf die Probe stellen! Zu erinnern ist auch an die für das Neue Testament theologiege schichtlich wichtige Tradition des vierten Liedes vom Gottes knecht, der ohne Klagen und Widerstand sein Schicksal akzeptiert (vgl. Jes 53,1-12): 7 Er wurde mißhandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf. 11 Er, der Gerechte, macht die vielen gerecht. Ohne Zweifel bilden diese und andere breit belegten Traditionen, die im N T vielfach rezipiert wurden, für eine Reihe von Kirchennvä tern wie auch für einige Exegeten in unserem Jahrhundert (vgl. Mußner 198, Anm. 3) Anlaß dafür, bei diesem Gerechten an Jesus zu denken, dem in der Tat in der neutestamentlichen Tradition der Titel Gerechter beigelegt wurde (vgl. Mt 27,19; Lk 23,47; Apg 3,14; 7,52; 22,14; 1 Petr 3,18; 1 Joh 2,1). Bei einem solchen Verständnis entstehen Fragen, da im Gegensatz zu 1,1 und 2,1 die
christologische Deutung hier absolut ungesichert und zudem mit dem historischen Wissen um die Verantwortlichen bei der Passion Jesu, bei der Reiche nirgendwo eine Rolle spielen, in Spannung steht. Will man die kollektive Deutung individualisieren und die allge meinen Erfahrungen der Christen in der Figur eines Gerechten (in 6a steht immerhin der Singular mit dem ursprünglich demonstrativ gemeinten Artikel) verdichtet sehen, dürften in diesem Vers nicht nur eigene Erfahrungen des Verfassers mitschwingen, sondern noch eher die des pseudepigraphischen Verfassers als »Jakobus«. Versteht er den Verfasser des Briefes doch im Präskript (s. o. zu 1,1) als Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht, was in dieser Verbindung für das N T immerhin singulär ist (Phil 1,1 und R o m 1,1 sprechen von Paulus nur als »Knecht Christi Jesu«; im übrigen legt Paulus alles Gewicht auf den Titel »Apostel«). Der Verfasser unseres Briefes hingegen schreibt in der Autorität des Jakobus, der sich ganz aus christlicher und jüdischer Knechts-Tradition ver steht, wobei der jüdische Aspekt noch durch die Wendung an die zwölf Stämme in der Zerstreuung unterstrichen wird (vgl. oben Einleitung 2.1 und 1,1). Diesem biblischen Verständnis von Knecht Gottes entspricht für Jakobus zwar nicht in der neutestamentlichen Literatur, in der er in der Regel »Bruder des Herrn« genannt wird, wohl jedoch in der nachneutestamentlichen Literatur der Titel Jakobus der Gerechte (vgl. RuckstuhU Jakobus 487; ausführlicher Pratscher 114-118). Nach Niederwimmer (in: E W N T 2, 1981, 413) finden sich fol gende Stellen in der judenchristlichen Uberlieferung: Hegesippus Hypomnemata V bei Eus HistEccl II 23,4.7 u.ö.; IV 22,4; CIAI Hypotyposes VI bei Eus HistEccl II 1,3; Hypotyposes VII bei Eus HistEccl II 1,4f.; HebrEv 7; Pseud-Jos bei Eus HistEccl II 23,20. Nach ihm bezeugen die weite Verbreitung dieser Tradition auch die folgenden gnostischen Texte: EvThom 11(12); I.Apoc. Jac ( N H C V 3) 32,2f.; vgl. 6f.; II. Apoc. Jac ( N H C V 4) 44,13f.l8; 59,22 (?); 60,12; 61,14. Nach Pratscher ist Jakobus in dieser Tradition »der exemplarische Gerechte« (115). In ihm verdichtet sich die jahrhundertelange Uberlieferung vom Gerechten (vgl. nur Jes 3,10; 53,11; 57,1; 60,21; Ps l,5f.; 5,13; 7,10; Spr 2,20; 4,18; 10,3ff.; M k 2 , 1 7 parr; Mt 5,45; 10,41 u.ö.). Er ist für diesen Uberlieferungskreis gleichsam die Gerechtigkeit in Person. Eine säuberliche Trennung zwischen individuellen und kollektiven Zügen legt sich nicht nahe. Dies dürfte auch für Jak 5,6 zutreffen. Daß der Verfasser des Jakobusbriefes die paradigmatische Funk-
tion des Gerechten in 6a möglicherweise so gedacht haben dürfte, bestätigt seine Denkstruktur im Epilog des Briefes, wo neben dem Bauern und den Propheten (5,7c. 10b) auch Ijob als Vorbild aller standhaft Gebliebenen (lla.b) sowie Elias als Vorbild für alle christlichen Beter (17a.b) genannt werden. Von dort her legt es sich nahe, auch in 6a.b individuelle und kollektive Assoziationen — soweit diese für die Adressaten möglich waren — nicht reinlich zu trennen, vielmehr dem semantischen Vorgehen des Jakobus gemäß keinen von beiden Aspekten auszuschließen. Für judenchristliche-hellenistische Traditionen würde eine Asso ziation beim Gerechten auf Jakobus den Gerechten noch näherlie gen, wenn damit ein weiterer Ehrentitel verbunden wird. Dadurch würde die Analogie zum leidenden Gottesknecht im A T noch deutlicher werden, die eventuell auch in Jak 1,1 anklingen könnte. Gemeint ist damit der neben »der Gerechte« bei Hegesipp sich findende zweite Ehrentitel oblias. Dieser ist zwar in der Deutung außerordentlich umstritten, ist aber wohl als Verschreibung für obdias zu verstehen, womit der Verfasser des kleinsten Buches innerhalb des Zwölfprophetenbuches Obadja gemeint ist. Trifft dies zu (zur Begründung vgl. Pratscber 116-118), dann wird unter Verweis auf Obd 1,1 L X X Jakobus als Gottesknecht, der stellver tretend für andere leidet, verstanden. Die Parallelität des Herren bruders zum Schicksal Jesu, die auch sonst festzustellen ist (vgl. Pratscher 118 f.), stimmt damit überein, so daß auch nachträglich noch die Deutung des verurteilten Gerechten, der nach Jak 5,6 keinen Widerstand leistet, auf Jesus durch die Kirchenväter ver ständlich wird. Allerdings ist in dieser Tradition nicht Jesus gemeint, sondern Jakobus der Gerechte. Eine Einengung auf eine individuelle, historische Person ist damit ebensowenig gemeint wie die vorbildhafte Darstellung Jesu und des Stephanus im lukanischen Werk. Jakobus der Gerechte ist in dieser Tradition ein exemplarisch gedachter Vollkommener in der Nachfolge Jesu. Bei diesem Verständnis in Jak 5,6 ist der Tod des Herrenbruders Jakobus durch den Hohenpriester Ananos (vgl. Jos Ant X X 200) etwa im Jahre 62 n.Chr. vorauszusetzen. Täte man dies nicht, entbehrte der Vers einer geschichtlichen Logik. Auf jeden Fall spiegelt er — auch wenn man ihn exemplarisch versteht — die Auseinandersetzung von ärmeren, niedriggestellten und ausgebeu teten Christen mit reichen Christen wider. Eine solche sozialge schichtliche Situation ist am Ende des 1. Jh. durchaus üblich (vgl. den Exkurs nach 1,9: »Die soziale Situation der Adressaten«). Mit solchen Assoziationen an das Schicksal des ehemaligen Führers
der Kirche von Jerusalem, in dessen Autorität der anonyme Verfas ser den Jakobusbrief schreibt, wäre der Vers 5,6 für das ganze Schreiben des Jakobus von beachtlicher Bedeutung, er böte gleich sam die indirekte Unterschrift zum Brief. Zum einen leitet er zur Peroratio, zum Epilog des Briefes in 5,7-20 über. Hier zeigen die exemplarischen Figuren des Bauern und der Propheten, aber auch Ijob und Elias, wie man nach Ansicht des Verfassers in der Tradition des Jakobus des Gerechten Christsein in der Hoffnung auf das baldige Kommen des Endes leben kann. Aber auch dann, wenn hier nicht an den Tod Jakobus des Gerechten erinnert wird, dadurch nicht belegt ist, daß die spätere Würdebezeichnung »der Gerechte« schon zur Zeit des N T bekannt ist, schließt Jakobus in jedem Fall hochmetaphorisch die letzte kleine Einheit des Briefkor pus ab. Wohl schon im Hinblick auf das Ende — nicht nur des Briefes, sondern auch der Zeit — geht es dem Verfasser hier um das Thema der Vergänglichkeit des Menschen und all seines Planens (4,13-17) und seiner Güter wie auch all seines raffgierigen und ausbeuterischen Schaffens auf Kosten der Mitmenschen (5,1-6). Auch wenn der Text deutlich zweigeteilt ist, geht es in beiden Teilen um die trügerische und begrenzte menschliche Autono mie — dargestellt am gefährlichen Leben der reichen Christen. Im exakten Sinn des Wortes geht es Jakobus in beiden Teilen um die Selbst- Herr-lichkeit des Menschen, die das Herr-Sein Gottes vergessen oder bewußt verdrängen will. Damit verbindet Jakobus auch in dieser letzten kleinen Texteinheit des Briefkorpus Anthro pologie und Ekklesiologie mit der Theozentrik. Gegen die ver meintliche Selbstverfügung reicher Christen im Hinblick auf die Zeit und im Hinblick auf die von ihnen eigenmächtig verfügten »sozialen« Ordnungen polemisiert Jakobus mit allen Registern seiner rhetorischen Kunst. Denn die Kritisierten verhalten sich nicht nur so, als ob es kein Ende der Zeit für sie gäbe, als ob die Mitmenschen nur für sie und ihren Reichtum zu leben hätten, sondern Jakobus interpretiert dieses selbst-herr-liche Verhalten theozentrisch, indem er ihnen vorhält, daß sie leben, als wenn es Gott nicht gäbe. Wenn der Herr will in 4,15a und der Herr Zebaoth in 5,4e bilden den Schlüssel zum richtigen Verständnis. Jakobus geht es um das Gottsein Gottes, das das Wissen der Menschen um ihr Geschöpfsein freisetzen muß. Konkret impliziert ein solcher Glaube an das Herrsein Gottes das Wissen um die gewährte und gestundete Zeit, das Wissen um eine solidarische Sozialordnung bis hin zum Wissen darum, daß Gott den reichen Hochmütigen und den hochmütigen Reichen widersteht, so daß
der Arme sich ganz auf die Hilfe Gottes verlassen kann. Nur weil Jakobus theozentrisch formuliert, die Reichen als Adressaten zu einer solidarischen Ethik mit den Armen aufruft, kann aus den Versen 4,13-17 und 5,1-6 nicht eine »lammfromme« und passive Einstellung der Armen gefolgert werden. Beachtet man den Sprachduktus und den theozentrischen Kontext nicht, drängen sich Mißverständnisse auf. Doch Jakobus geht es um Gott als den Herrn der Zeit (4,13-17) und den Retter der Armen (5,1-6). Dies sollen die Reichen einsehen, anerkennen; täten sie es, müßte sich auch ihr Verhalten zu den sozial armen Christen ändern.
D Der Epilog Von der christlichen Ausdauer (5,7-20)
7 a b c d e f 8 a b c 9 a b c 10 a b c 11a b c d 12 a b c d e 13 a b 14 a b c d 15 a b c
Harret also geduldig aus, Brüder, bis zur Ankunft des Herrn! Siehe, der Bauer wartet auf die köstliche Frucht der Erde, geduldig harrt er auf sie, bis er empfängt frühe und späte (Frucht). (So) harret auch ihr geduldig aus, festigt eure Herzen, weil die Ankunft des Herrn nahe ist. Murret nicht, Brüder, gegeneinander, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür. Als Vorbild nehmt, Brüder, für Leidenertragen und Geduld die Propheten, die gesprochen haben im Namen des Herrn. Siehe, wir preisen selig die Standhaftgebliebenen, Von der Standhaftigkeit des Ijob habt ihr gehört, und die Vollendung, die der Herr (bewirkte), habt ihr gesehen, weil der Herr erbarmungsreich ist und barmherzig. Vor allem aber, meine Brüder, schwört nicht, weder beim Himmel noch bei der Erde, noch irgendeinen anderen Eid. Es sei vielmehr euer Ja ein Ja und das Nein ein Nein, damit ihr nicht unter das Gericht fallt. Erträgt einer ein Leid bei euch, bete er, ist einer wohlgemut, singe er. Ist einer krank bei euch, rufe er die Ältesten der Gemeinde, und sie sollen über ihn beten, indem sie ihn mit Öl salben im Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten, und aufrichten wird ihn der Herr. Und wenn er Sünden begangen hat,
d 16 a b c d 17 a b c d 18 a b c 19 a b 20 a b c
wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander die Sünden, und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet. Viel vermag das inständige Gebet eines Gerechten. Elias war (auch nur) ein Mensch, uns gleichgeartet, und er betete inständig, daß es nicht regne. Und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate. Und wiederum betete er, und der Himmel gab Regen, und die Erde ließ ihre Frucht hervorsprießen. Meine Brüder, wenn einer bei euch abgeirrt ist von der Wahrheit und einer ihn zurückgebracht hat, der soll wissen: Wer einen Sünder zurückgebracht hat vom Irrtum seines Weges, wird seine Seele vom Tode retten und zudecken eine Menge Sünden.
Literatur zum Epilog und zum Briefschluß: s. o. in der Einleitung 2.4a zur literarischen Gattung und zum Exkurs 1: 1,2-18 als Prolog/Exordium und 5,7-20 als Epilog/Peroratio. Außerdem: Genuyt, F., Epitre de Saint Jacques (5,7-20), in: Semiotique et Bible 24(1981) 28-36. Kontextuell und zur Einheit dieser Verse sei zuvor an die grundle gende These im Exkurs »1,2-18 als Prolog/Exordium und 5,7-20 als Epilog/Peroratio« nach 1,4 erinnert. Nachdem Jakobus die Themen, die im Prolog/Exordium angeschlagen wurden, im Brief korpus quantitativ und qualitativ unterschiedlich amplifiziert und variiert hat, faßt er — gemäß antiker Rhetorik — in der Peroratio/ im Epilog die Hauptgedanken zusammen, erinnert aber nicht nur an sie, vielmehr setzt er in der Wiederholung nochmals neue Akzente. Dies nicht nur thematisch, vielmehr geschieht dies auch in einer verstärkten Hinwendung an die Adressaten, deren Zustim mung erreicht werden soll. All dies steht in Übereinstimmung mit antiker Rhetorik und Epistolographie (vgl. Lausberg 431-442; Volkmann 262-293). Wie bei der Rede vor Gericht das Gedächtnis des Richters am Ende aufgefrischt wird (Quint InstOrat 6,1,1: »Anschaulich ... und in gedrängter Kürze«) und dies mit allen zur Verfügung stehenden rhetorischen Mitteln (ders. 6,1,51: »Es ist erlaubt, alle Schleusen der Beredsamkeit zu öffnen«), so versuchen
auch die Briefschreiber in gleicher Weise handlungsorientiert zu verfahren (vgl. Exler, Koskenniemi, Thraede und zusammenfas send White 1733-1736, zum Jak 1756). Da all dies im genannten Exkurs sowie in der Einleitung (vgl. ebd. zur Gattung Brief 2.4a) begründet wurde, ist an dieser Stelle lediglich daran zu erinnern. So ist der eschatologische Ausblick und der Hinweis auf Abweichler/ Sünder charakteristisch für den Schlußabschnitt im neutestamentlichen Briefformular. Gattungsmäßig bedingt ist das Vorkommen von Eid (12) und Gesundheit der Adressaten in den Schlußformeln hellenistischer Briefe (auch wenn der topische Gesundheitswunsch fehlt), was durch den Hinweis auf das Gebet bei Krankheit in neutestamentlichen Briefen spezifiziert wird. Auch die Wendung »vor allem« (12a) ist im griechischen Brief phraseologisch belegt (vgl. Francis). Hier wird also die These vorausgesetzt, daß die abschließenden Verse 5,7-20 hinsichtlich ihrer Funktion für den Brief als Peroratio bzw. Epilog zu verstehen sind; dies nicht nur unter syntaktischen Aspekten, sondern weit mehr noch aufgrund des semantischen Netzes des ganzen Briefes (s. o. die Matrix zum Jak im ersten Exkurs). An dieser Stelle der Auslegung geht es darum, zum einen die Einheit der abschließenden Verse unter syntaktischen und semanti schen Aspekten weiter zu begründen, zum anderen aber unter handlungsorientiertem Aspekt die von Jakobus eingesetzten Affektmittel zu bestimmen. Dies geschieht — wie üblich in diesem Kommentar — in einem ersten Schritt, während die Einzelausle gung stärker traditionsgeschichtlich orientiert ist. Formal werden die Verse in den Kommentaren nicht als Einheit gewertet, lediglich Dibelius faßt sie zusammen unter dem Titel »Spruchreihe mit wechselndem Thema« (287), was sich jedoch als Verlegenheitslösung erweist, da er seinem Kontextverbot treu bleibt und die Verse je für sich isoliert auslegt. So wundert es nicht, daß 5,12 ein »völlig isolierter Spruch« (287) sein soll, und daß »statt des Spruches 5,19f. ... ebenso gut eine andere von den Mahnungen des Jak am Ende stehen« könnte (15). Gegen die letztere These spricht die Erkenntnis, daß nirgendwo sonst im Jak sich so viele Querverbindungen finden wie im Prolog und Epilog seines Schrei bens (zur ausführlichen Begründung vgl. oben den Exkurs nach 1,4). Von den neueren Kommentaren betont allein Davids (22-29) die einheitliche Form des Briefes und versteht konsequent 5,7-20 als abschließende Aussage. Rhetorisch orientierte Untersuchungen (Wuellner 37.42-45; Baasland, Form 3659) hatten für die Bestim mung von 5,7-20 als Peroratio die Begründungen geliefert, die sich
jedoch auch schon um die Jahrhundertwende (die Forschung des letzten Jahrhunderts zusammenfassend) darstellen ließen (vgl. Cladder, Aufbau). Zur Form des Textes: Er ist grundsätzlich nicht anders gegliedert als die übrigen Kapitel des Briefes. Das Prinzip der funktionellen Oppositionen drängt sich auch hier als hervorstechendes Merkmal auf, auch wenn auf den ersten Blick die Sammlung der Sentenzen willkürlich erscheinen mag. Parallel zur Struktur des Prologes (s. o. den Exkurs nach 1,4), die von Oppositionen und Antithesen geprägt ist, erweisen sich auch hier im Epilog bei einer Inhaltsana lyse in unterscheidende Züge die literarischen Hinweise an der Oberfläche des Textes als konstitutiv für das Themenfeld, das von Jakobus in dieser abschließenden Texteinheit behandelt wird. Erst auf dieser Ebene zeigt sich seine Fähigkeit als gnomischer Dichter. Zugleich wird die Funktion dieser Verse in ihrer Integration in den Gesamtbrief deutlich. Auffällig ist im Hinblick auf den Gesamt brief, wieviel christliches Gedankengut im Verhältnis zu den son stigen Sentenzen vorausgesetzt wird (Philo dagegen wird hier nicht rezipiert). Auch dieser inhaltliche Aspekt ist eine Form der Publikumszugewandheit des Schreibens. Insofern dürfte Jakobus in 5,720 als Epilog des Briefes seinen handlungsorientierten Bestim mungszweck des Briefes am deutlichsten formulieren. Wie gelingt ihm dies? Bereits das erste Wort der kleinen Einheit makrothymein: Geduld haben/geduldig harren/langmütig sein erweist sich (im Rückgriff auf den Prolog s. u.) als Leitwort der folgenden thematischen Abhandlung, wird es doch im Beispiel vom Bauern in 7e und in der Schlußfolgerung wortwörtlich in 8a wiederholt. Diese Anordnung ergibt eine schöne Ringkomposition. Vor allem die Anapher von 7a in 8a als Imperativ zeigt zugleich die handlungs- und adressaten orientierte Intention des Jakobus. Das Substantiv makrothymia: Standhaftigkeit/Ausdauer/Geduld in 10b bestätigt das aufgenom mene Thema, wobei diesmal mit dem Hinweis auf die Propheten ein Beispiel aus der Geschichte Israels gewählt wird. Verstärkt wird der Appell zur christlichen Ausdauer durch weitere Begriffe aus eben diesem Wortfeld. Dabei knüpft das Verbum hypomenein: standhalten/durchhalten/aushalten in I I a an 1,12 an, während das Substantiv hypomone: Ausharren/Ausdauer/Standhaftigkeit/Geduld in 11c diesen Begriff aus 1,3.4 wieder aufnimmt. Somit hat Jakobus nicht nur Prolog und Epilog miteinander ver bunden (s. o. den Exkurs nach 1,4), vielmehr auch in der Variation der Begriffe — um den Leser als gebildeter Literat zu überraschen
oder ihn nicht zu langweilen — zur pragmatischen Intention und zum handlungsorientierten Impuls des gesamten Briefes zurückge funden. Stark gemeindeorientiert buchstabiert er zum letzten Mal das Thema Anfechtungen (vgl. 1,2 ff.) unter verschiedenen Aspek ten durch: unter dem Aspekt der Zeit (vgl. in 7-8 das zweimalige Stichwort Ankunft des Herrn), unter dem Aspekt möglicher Wortsünden in 9-12 (vgl. das Murren gegeneinander in 9 sowie die Problematik des Schwörens und des wahrheitgemäßen Redens in 12), unter dem Aspekt der Krankheit (vgl. 13-15b), unter dem Aspekt der Sünde (vgl. 15c-16c), unter dem Aspekt des nichtzweifelnden Gebetes (vgl. 16d-18) und abschließend unter dem zusam menfassenden Aspekt des Weg-Motivs mit der Aufforderung, Irrende und Sünder vom Todesweg zu retten. All diese Sentenzen sind so angelegt, daß es vielfache versübergrei fende Verschränkungen gibt, der Leser ständig neu angeregt und vor allem zu einem bestimmten Handeln aufgefordert wird, wie die vielen Imperative zeigen. Falsche Verhaltensweisen (vgl. 9-12) stehen dem richtigen Verhalten (vgl. 13-20) gegenüber. Daraus wird deutlich, daß Jakobus auf Korrektur zielt und daß er seine weisheitlich begründeten Einsichten als Beratung und Aufforde rung weitergibt. Die 14 Imperative im Epilog, verstärkt durch das dreifache siehe (7c.9c.lla), bestätigen diese pragmatische Inten tion, wobei es Jakobus durch den Wechsel vom Imperativ in der zweiten Person zum Imperativ in der dritten Person (12d.l3a.b.l4a.c.20a) gelingt, jede Art von Stereotypie und Lange weile zu vertreiben. Gerade die Fülle der Imperative im Epilog zeigt die rhetorisch-pragmatische Wirkabsicht des Verfassers. Das angedeutete, unter semantischen Aspekten gewonnene stim mige Aussageziel des Epiloges bestätigt sich bei der Betrachtung der einzelnen kleinen Einheiten. 7a-8c werden formal und thema tisch von der Inklusion Parusie des Herrn in 7a und 8c bestimmt. Deutlich wird das Leitthema »Ausdauer« — verstärkt durch das Beispiel des Bauern — unter der Perspektive der Zeit gesehen: Das Ende der Menschen und der Geschichte ist so sicher wie im natürlichen Ablauf des Jahres die Zeit der Früchte. Dem Wachs tumsmotiv aus der Welt des Ackerbaus entspricht das Reifemotiv aus der Welt des Lebens, das Jakobus in 5,20 mit dem Wegmotiv variiert. Jakobus sieht vom Anfang des Briefes bis zu seinem Ende den Menschen als Existenz im Werden (vgl. den Exkurs nach 1,18). Damit knüpft Jakobus deutlich an das Thema von der Vergänglich keit des Menschen und seiner Güter in 4,13-17; 5,1-6 an. Auch findet sich hier eine Ausweitung des Schicksals des Gerechten, der
den Reichen nicht widersteht (5,6), auf alle Christen wie auch eine mögliche Motivation für ein solches Verhalten: die Ankunft des Herrn ist nahe (8c). Wie bei den kritisierten Händlern und Grund besitzern in 4,13-5,6, so liegt auch bei den Christen die Zeit in Gottes Hand. Dem wenn der Herr will in 4,15a entspricht hier die Ankunft des Herrn, die allein er bestimmt. Eine Verknüpfung stellt auch die Folgerungspartikel also in 7a her. Doch woraus wird etwas geschlußfolgert? Bezogen auf 5,6b würde man hier eher ein »auch« erwarten: Wie der Gerechte, so haltet auch ihr geduldig aus. Auch in bezug auf 4,13-5,6 erweist sich die Partikel also/folglich als sperrig. Es legt sich daher nahe, daß mit der schlußfolgernden Konjunktion die Schlußparänese anfängt — paral lel zu anderen neutestamentlichen Briefen (vgl. die Konjunktion »daher« in 1 Kor 15,58 und Phil 4,1 sowie die adversative Partikel »aber« in 1 Tim 6,11 und Jud 20). Auch wenn die Folgerungspartikel »also« im Jak des öfteren belegt ist, bleibt doch auffällig, daß sie erst nach den Ausführungen über die falsche und wahre Weisheit in 3,13-18 vorkommt (4,4.7.17; 5,7.16). Die theologische Vorausset zung, aus der heraus die Adressaten wieder mit Brüder (seit 4,12 zum erstenmal) angesprochen werden, dürfte das Herrsein Gottes über Zeit und Geschichte sein, worum es in der Tiefenstruktur in 4,13-5,6, aber auch im Lehrgedicht über die falsche und wahre Weisheit in 3,13-18 ging. Daher stehen in allen Versen, in denen Jakobus seine Folgerungen zieht, einander sich ausschließende Entwürfe zur Wirklichkeit antithetisch gegenüber: Die Liebe zu Gott schließt die Liebe zur Welt aus (4,4), Gott und Teufel stehen einander gegenüber (4,7), das Wissen, Gutes zu tun und es doch nicht zu tun (4,17), was nach 2,19 dämonisch ist. Ebenso steht in 4,7 das selbstherrliche Umgehen der Händler und Reichen mit der Zeit und den Reichtümern (4,13-5,6) dem eschatologisch orientierten Glauben der Christen gegenüber, um den es Jakobus im Epilog analog zum Prolog zentral geht. Bereits die formale Struktur mit der Inklusion in 7b.8c bestätigt diese thematische Ausrichtung. 9a-12e erweisen sich ebenfalls mit dem Stilmittel der Inklusion als kleine Texteinheit, wie die Verse 9b damit ihr nicht gerichtet werdet und 12e damit ihr nicht unter das Gericht fallt belegen. Negative Verhaltensweisen der Adressaten, worauf das vierfache me: nicht und das dreifache mete: und nicht/weder-noch hinwei sen, werden in den Rahmenversen 9 und 12 attackiert, während die Binnenverse 10 und 11 dem die positiven Beispiele der Propheten und des Ijob entgegenstellen. Der Gedanke des Gerichtes variiert den Gedanken der Ankunft des Herrn.
In schöner Verschränkung mit der These in 5,7-8 sind die Prophe ten und Ijob positive Beispiele für Ausdauer und Standhaftigkeit, die Propheten näherhin im Leidertragen (10b). Dieses Schicksal ist bedingt dadurch, daß sie gesprochen haben im Namen des Herrn (10c). Die Macht des Wortes und der Zunge, der Jakobus bereits eine ganze Abhandlung (s. o. zu 3,1-12) gewidmet hat, wird erneut thematisiert. Sowohl das gegenseitige Murren/Seufzen/Klagen in 9a wie das Schwören in 12 als Fehlformen menschlicher Rede verfallen dem Gericht, wenn nur und allein damit wahrhaftiges Sprechen verbunden wird. Die Verse 13-20 bieten mit dem vorhergehenden Kontext zunächst wiederum schöne Verschränkungen (vgl. im Namen des Herrn in 10c und 14d; in 13a verweist die Wendung erträgt einer ein Leid zurück auf das Substantiv Leidertragen in 1 Ob; vgl. 17-18 mit Elias als weiterem vorbildhaften Beispiel aus der Glaubensgeschichte). Im Unterschied zur Texteinheit der Verse 9-12, die zwar auch antithe tisch, im Rahmen jedoch negativ formuliert waren, sind die Verse 1320 insgesamt positiv ausgerichtet. Dies allerdings in der Weise, daß Jakobus in diesen Versen von negativen Erfahrungen ausgeht, diese jedoch nicht die Ganzheit der Gemeinde betreffen, sondern nur einzelne (vgl. das dreifache einer bei/unter euch in 13a. 14a. 19a). Einzelne Christen haben in der Gemeinde Leiden zu ertragen (13a) wie die Propheten (vgl. 10b), einige sind krank (14a) wie Ijob (vgl. I I b ) , was stillschweigend vorausgesetzt wird, einige haben Sünden begangen (16.19-20), dem kann jedoch die Gemeinde durch das Gebet des Glaubens (15a; vgl. 13a.l6d mit Elias als amplifizierendes Exemplum in 17-18) entsprechend begegnen. Jakobus ist von der Kraft des Gebetes überzeugt und möchte die Adressaten davon überzeugen. Dies ist der große Schlußakkord seines Briefes, daß durch die Kraft des Gebetes in Krankheit (13-15b) und angesichts der Sünde (15c-16.19-20) allein durch Gott diese Mängel behoben werden können. Damit greift er das große Thema des Prologes wieder auf, wonach ebenfalls der dort thematisierte Mangel an Weisheit (1,56a), der Mangel an Glauben (l,6b-8) und der Mangel an der richtigen Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen (1,9-11) im unerschütter lichen und nichtzweifelnden Gebet von Gott behoben werden können. Wurde dort stärker individuell innerseelisch argumentiert, so hier sozial-ekklesial. Ist der einzelne Christ in Ordnung, in der Ordnung Gottes, so auch die ganze Gemeinde. Individueller wie ekklesialer Mangel kann behoben werden, wenn Christen sich voller Vertrauen — so wie Elias — an Gott wenden. Der Brief endet so theozentrisch, wie er begonnen hat.
Wie die Theozentrik im Prolog unzweifelhaft die bestimmende Perspektive ist (vgl. I,5b-d.7b.l2c.l3b-d.l7a-d.l8a-b), so auch im Epilog, wobei Jakobus hier die sich im Präskript findende Zuord nung von Theozentrik und Christozentrik außerordentlich kräftig rekapituliert. Die Parallelisierung von Gott als kyrios: Herr in 5,10c.llc.d.l5b und Christus als Kyrios in 5,7b.8c.l4d (falls in 14d nicht aufgrund der Parallele zu 10c auch Gott gemeint ist), entspricht der Parallelisierung beider im Präskript in 1,1. Mehr als im Prolog (vgl. l,5d) findet sich im Epilog das theologische Passiv, bei dem das Handeln Gottes vorausgesetzt wird (5,9b. 15d. 16c). Da nach 4,12 »ein einziger Gesetzgeber und Richter ist«, ist auch die Wendung der Richter steht vor der T ü r in 9c theozentrisch zu verstehen, ähnlich der Hinweis auf das Gericht in 12e. Daß der Epilog in 19-20 nicht theozentrisch endet, sondern anthropolo gisch, entspricht dem handlungsorientierten Impuls des ganzen Briefes, wonach Sein und Handeln des einzelnen Christen und der christlichen Gemeinden nicht nur dem Sein und Handeln Gottes zu entsprechen haben, sondern auch von dort her erst ihre Ermögli chung erhalten. Konsequent betont Jakobus darum in l l d , daß der Herr erbarmungsreich und mitleidig ist und daß er auf das inständige und unerschütterliche Gebet von Menschen (15-18) entsprechend reagiert. Sähe man dies nicht so, dann enthielte Vers 20 wohl eine Blasphemie. Welcher Theologe könnte wohl wie Jakobus formulieren: Wer einen Sünder zurückgebracht hat vom Irrtum seines Weges, wird seine Seele vom Tode retten und zudecken eine Menge Sünden. Jakobus endet mit einem gewaltigen Akkord zum Synergismus, dem Zusammenwirken von menschlichem und göttlichem Handeln (s. o. zu 2,14-26). Rhetorisch wirksamer und stärker handlungso rientiert kann kein Text enden. Wenn es so um die Möglichkeiten der Christen bestellt ist, muß man handeln ... Wurde mit den vorstehenden Ausführungen mit Hilfe von lexikali schen Implikationen sowie von oppositionellen Beziehungen funktionell-inhaltlicher Art auf semantischer Basis die Intention des vorliegenden Textes erfaßt, seien abschließend zusammenfassend noch weitere rhetorische Elemente notiert, die die im gesamten Brief dokumentierte literarische Qualität des Verfassers auch im Epilog bestätigen. Dies geschieht auch gemäß der antiken Rheto-
rik, wonach neben den Eröffnungs- auch die Schlußabschnitte in Reden und Briefen formal und inhaltlich als die wichtigsten Ele mente angesehen (vgl. Lausberg 150 ff.236 ff.) und entsprechend besonders sorgfältig gestaltet wurden. Wie der Anfang auf seine Weise alles Folgende bestimmt, so faßt der Schluß das Ganze noch einmal zusammen. Dem sorgfältig erarbeiteten Thema entspricht dabei die sorgfältige formale Gestaltung. Am Anfang der Verse 7a. 8a findet sich eine Anapher, in leichter Variation auch zu Beginn der Verse 13a und 14a, stets eingesetzt als Stilmittel zur pathetischen Ausdruckssteigerung. Die Epipher als umgekehrtes Stilmittel am Satzende findet sich in 10c und 14d. Typisch für Sentenzen ist die oft asyndetische Form der Sätze, in denen Jakobus auf übliche Konjunktionen verzichtet (vgl. 8.12.13.14.16d). Rhythmisch geprägt aufgrund der Stellung der Worte erweisen sich die Verse 10-11. Typisch für Jakobus ist die Anadiplosis, die Wiederholung des letzten Wortes eines Verses am Anfang des folgenden Satzes, aus ästhetischen Gründen mit leich ter Variation in 9b.c (richten — Richter) und in lla.b (Standhaftgebliebene/Standhaftigkeit) sowie in 17b.c (nicht regnen — regnen). Während der Vergleich aus dem Leben des Bauern auf die Alltags erfahrung der Adressaten zielt, setzt Jakobus bei den Beispielen aus der Geschichte (Propheten, Ijob, Elias) das Wissen der Hörer voraus ( I I b : ihr habt gehört; 11c: ihr habt gesehen). Rhetorisch liegt in 11 und 17 eine Ellipse vor, wobei die Auslassung das Mitdenken und die Reaktion der Adressaten erfordert. Biblisch geprägt sind die Wendungen »im Namen« in 10c und 14d wie auch die Wendung »der Himmel gab Regen« in 18b; das gleiche gilt für den Begriff »Seele retten« in 20b. Eine Personifikation findet sich in 15a, da »das Gebet« als handelndes Subjekt eingeführt wird; auffällig ist im gleichen Vers die substantivierte Wendung »das Gebet des Glaubens« mit der Konsequenz, daß statt des unterge ordneten Adjektivs »gläubig« jetzt das Substantiv die Betonung trägt. Ahnlich steht aus Betonungsgründen das Personalpronomen »euer Ja« in 12d, das im Griechischen sonst immer nach dem Nomen steht, voran. Sprachlich hervorgehoben ist die kleine Digression in 17-18, da alle Sätze parataktisch geordnet sind, auch wenn man aus logischen Gründen kausale oder temporale Neben sätze erwartet. Unter semantischen Gesichtspunkten bleibt festzuhalten: Die Sprache ist eindeutig metaphorisch geprägt, es ist eine christliche in-group-Sprache, da die Leser wissen, was Parusie bzw. Parusie des Herrn, was das Stehen des Richters vor der Tür, was Himmel,
was Seele usw. bedeuten. Auch das zeichenhafte Handeln des Betens über einen Kranken sowie die Salbung mit Ol sind ihnen bekannt. Nirgendwo sonst im Brief finden sich so viele Metony mien wie hier; auch die Wendung »der Himmel gab Regen« in 18b gehört dazu. Die Vielzahl der Hapaxlegomena, die bei der Einzel auslegung notiert sind, kennzeichnet den Text ebenso. O b die Rezeption eines Herrenwortes in 12a-e zur Praxis des NichtSchwörens, möglicherweise auch in 9b zum Gericht, nur zur pathetischen Ausdruckssteigerung und Affekterregung dient, mag dahingestellt bleiben; immerhin ist die Sentenz über das NichtSchwören in 12 jener Vers, der unstrittig aus der Jesustradition stammt, was bei allen anderen angenommenen »Parallelen« (vgl. Mußner 48-50) keineswegs gesichert ist. Mag sein, daß Jakobus mit dem Zitat eines Herrenwortes als unangreifbare Autorität seine übrigen Sentenzen davon abheben möchte. Bedenkt man abschließend bei dieser sprachlich-syntaktischen Analyse dieser Verse deren enge Korrespondenz zum Prolog (s. o. den Exkurs nach 1,4 und die dortige Matrix), dann und erst dann wird die literarisch-stilistische Qualität auch des Epiloges annä hernd erfaßt. Mag Jakobus auch in den abschließenden Versen die von ihm rezipierte jüdische Form des Weisheitsspruches stärker ins Paränetische abgewandelt haben, so erreicht er auch hier mit seinen rhetorischen Stilmitteln literarisches Niveau. Da er außerdem in diesem Epilog sowohl die topischen Elemente hellenistischer Briefe beachtet (Eid, Gesundheit der Adressaten) als auch die des neute stamentlichen Briefformulars (eschatologischer Ausblick, Gebet; vgl. dazu die Einleitung 2.4a), kann die literarische Qualität wie auch seine sprachschöpferische Kraft im Bemühen, die Adressaten zu einem neuen Seins- und Wirklichkeits-Verständnis sowie zu einer neuen christlichen Praxis zu motivieren, nicht hoch genug veranschlagt werden. Und da als Tradition auch in diesem Teil Jesus Sirach keineswegs ausgeblendet wurde (s. u. bei der Einzel auslegung), erweist sich auch der Epilog trotz aller Aktualisierung und Transformierung auf die christlichen Adressaten des Jakobus hin durch und durch als weisheitlich geprägter Text.
1. In Erwartung der Parusie des Herrn (5,7-8) Literatur: Dormeyer, D. eggizo sich nähern, in: E W N T 1(1980) 894-896. - Gnilka, / . , Apokalyptik und Ethik. Die Kategorie der Zukunft als Anweisung für sittliches Handeln, in: Neues Testament und Ethik. FS R. y
Schnackenburg, Freiburg 1989, 464-481. — Hahn, F., Jakobus 5,7-11, in: GPM 18(1963/64) 376-386. - Nelis, J., Parusie, in: B L 1968, 1304-1312. 2
- Oepke, A , parousia u. a., in: ThWNT 5(1954) 856-869. - Radi, W., parousia Anwesenheit, Ankunft, in: E W N T 3(1983) 102-105. - Schnak-
kenburg, Botschaft 176-187. — Strobel, A., Untersuchungen zum eschatologischen Verzögerungsproblem auf Grund der spätjüdisch-urchristlichen Geschichte von Habakuk 2,2 F F . , Leiden - Köln 1961, 254-264.
Die Verse 7-8 sind nicht nur als Beginn des Epiloges bzw. der Peroratio eine Folgerung für das individuelle und sozialethische Verhalten der Adressaten aus den Gedankenführungen des gesam ten Briefes (zu also in 7a s. o. zur Formkritik), sie stehen auch — gemäß dem formalen und inhaltlichen Grundprinzip des Jako bus — in semantischer Opposition zu ihrem näheren Kontext. Die Hinwendung an die Brüder, intensivierend erneuert in 9a. 10a und 12a, kontrastiert als Schlußfolgerung zu den Reichen in 5,1a. Dem entspricht ihr gegensätzliches Verhalten. Während die Reichen »in den letzten Tagen« (3d) und »am Schlachttag« (5b) gleichsam jeden Tag und jede Stunde ausgekostet haben, fordert Jakobus die Adres saten auf: makrothymesate: harret geduldig aus/seid langmütig! Beim griechischen Wort geht es dabei um die Gesinnung und um die Grundhaltung, wie sie sich in zeitlicher Erstreckung erweisen. Der deutsche Begriff Langmut in seiner ursprünglichen Bedeutung kommt dem Gemeinten sehr nahe. Als Assoziationen schwingen »Abwarten, Ausdauer, Beharrlichkeit« mit. Die Grundorientie rung des Menschen, sein Charakter, die Beherrschung seines Zorns (dies ist die Grundbedeutung des Simplex: vgl. E W N T 2, 1981, 396f..936) ist gemeint. Dies kann sowohl von Gott (vgl. Sir 18,11; 35,19; s. o. zu 5,4) wie — so in der Weisheitsliteratur - vom Menschen ausgesagt werden. Vor allem dann, wenn bei der Grund haltung der reichen Kaufleute und Großgrundbesitzer in 4,13-17 und 5,1-6 Jakobus an die Haltung der biblischen Spötter gedacht hat (s. o.), dürfte Jakobus auch für die Verse 5,7ff. erneut Motive aufgenommen haben, die in Jesus Sirach vorgegeben waren. Hin zuweisen ist vor allem auf den bereits im Prolog rezipierten Text 2,1-18:
4 Alles, was dir widerfährt, das nimm hin, und die Wechselfälle der Erniedrigung (1,9) trage mit Geduld (5,7f.).
Hinzuweisen ist sodann auf die Warnung vor falscher Sicherheit in Kapitel 5. (Bei der Ubersetzung werden wiederum die parallelen Stellen aus dem Jakobusbrief in Klammern angegeben): 1 Verlaß dich nicht auf deine Güter und spricht nicht: »Ich habe genug«. 2 Folge nicht deinem Begehren und deinem Vermögen, nach den Gelüsten deines Herzens zu wandeln, 3 und sprich nicht: »Wer will mir<s wehren?« denn der Herr, der Richter (4,12; 5,9.12), wird<s rächen. 4 Sprich nicht: »Ich habe gesündigt, und was ist mir geschehen?« Denn der Herr ist langmütig (5,7). 7 Säume nicht, dich zum Herrn zu wenden, und schiebe es nicht auf von Tag zu Tag. Denn plötzlich wird der Zorn des Herrn kommen, und zur Zeit der Rache wird dich das Verderben ereilen. 8 denn am Tag der Heimsuchung nützt es dir nichts. 9 Worfle nicht bei jedem Wind, und wandle nicht auf jedem Pfad; so macht es der doppelzüngige Sünder (5,15ff.). 10 Sei gefestigt (5,8b) in deiner Gesinnung, ein einziges sei dein Wort (5,12d). 11 Sei schnell zum Hören, und in Langmut (5,7.10b) gebe deine Antwort (1,19b.c). 12 Hast du die nötige Einsicht, so antworte dem Nächsten, wo nicht, so lege die Hand auf deinen Mund. 13 Ehre und Unehre trägt das Reden ein, und eines Menschen Zunge kann ihn zu Fall bringen (3,2-12). Mit der biblischen, der frühjüdischen und neutestamentlichen Lite ratur (vgl. Rom 2,4; 9,22; 1 Petr 3,20; 2 Petr 3,9.15) geht Jakobus davon aus, daß Gott sein Einschreiten gegen gottlose und men schenverachtende Reiche noch zurückhält. Er setzt aber alle rheto rischen Mittel dazu ein, diesen Menschen ihre Galgenfrist deutlich zu machen, damit sie sich besinnen und bekehren. So sicher, wie Gott Gesetzgeber war, so sicher wird er auch allein Richter sein, »der retten und verderben kann« (4,12). Formulierte Jakobus bislang diesen eschatologischen Gedanken bereits sehr deutlich (vgl. 1,12; 2,12-13; 3,1; 4,11-12), ohne den Zeitfaktor zu reflektie ren, so rückt dieser jetzt ins Zentrum der Ausführungen. Was beim
dreifach betonten Verbum geduldig ausharren in 7a.e.8a bereits anklingt (so zu Recht Strobel 255 Anm. 2), wird durch die Wen dung in 7b bis zur Ankunft des Herrn bestätigt. Jakobus geht es um das Problem der Zeitdimension in einer sich hinstreckenden Geschichte, in der sich die reichen Händler und Grundbesitzer als Herren der Zeit und der Gesellschaft aufspielen und damit Gottes Herr-Sein in Frage stellen. 7a.b ist die Antwort des Jakobus — exakt parallel zu 1,2-4.12 im Prolog — auf die ambivalenten Erfahrungen der Adressaten mit sich selbst und ihrer Unweit und dem dadurch verunsicherten Glauben. Dabei baut Jakobus in 7b — sicherlich nicht nur aus rhetorischen Gründen — eine Spannung auf, die er erst in 8c weil die Ankunft des Herrn nahe ist auflöst. In 7b wird die Nähe der Parusie des Herrn noch nicht angegeben, ist demnach auch nicht mitzudenken, vielmehr wird hier die Zeit als Erstreckungszeit mit einem offenen Ende verstanden. Unter diesen Bedingungen hat der Christ auszuharren. 7b: Der Genetiv im Syntagma Ankunft des Herrn kann zunächst kontextuell auf Gott bezogen werden, da nach 5,4e die Rufe der Erntearbeiter »zu den Ohren des Herrn Zebaoth gedrungen sind«, dort aber von keiner Reaktion Gottes die Rede ist, die jedoch nach biblischem Glauben absolut sicher ist (s. o. zu 5,4). Dies ergibt einen guten Sinn, da parousia: Ankunft/Anwesenheit des Herrn in der biblischen Literatur mit »Tag des Herrn« identisch ist (TH AT 11971, 707-726). Allerdings findet sich als terminus technicus nicht der Begriff der »Parusie« (vgl. Radi 103). Auch wenn Jakobus im Kontext durchaus sehr eindeutig von Gott als kyrios: Herr in 5,10c. 11 c d . 15b spricht, kann er ebenso eindeutig vom Präskript an (1,1; vgl. 2,1) auch Jesus Christus als Herr titulieren. Dieses Nebeneinander ist für die urchristliche Tradition »nichts Ungewöhnliches« (Hahn 379 unter Verweis auf Lk 1-2 und die neutestamentlichen Paränesen). Da im Unterschied zur frühjüdischen Literatur Parusie des Herrn dort, wo die Wendung im N T eschatologisch verstanden wird, terminus technicus für das Kommen Jesu Christi am Ende der Zeit ist, dürfte Jakobus — analog zur Parallelisierung von Gott als Kyrios und Christus als Kyrios im Präskript — auch hier im Epilog diese Parallelisierung erneut in Rezeption der urchristlich verbreiteten Verwendung aufgegriffen haben. Gerade weil Jakobus so stark theozentrisch denkt, spricht er hier nicht vom »Tag des Herrn« (im N T übrigens nur bei Paulus und in seiner Schule belegt: 1 Kor 1,8; 5,5; 2 Thess 2,2 u. a.), sondern gezielt von der semantisch christozentrisch zu verstehenden Wendung Parusie des Herrn.
Parallel dazu dürfte er in 8c beim Verbum ist nahe/ist nahe gekommen auf urchristliche, aus der Jesustradition kommende Formelsprache zurückgegriffen haben. Insgesamt zeigt sich an dieser Stelle, wie in der urchristlichen Tradition die Verkündigung Jesu von der »Herrschaft Gottes« bei aller Betonung der Einzigar tigkeit Gottes — gerade auch bei Jakobus (s. o. zu 2,19; 3,12) — christozentrisch differenziert gedacht werden konnte. Vorausset zung ist, daß sich in Jesus Christus kein anderer als Gott ereignet und offenbart hat. Alles andere wäre Vielgötterei. Von daher ist die in der Literatur übliche, eindeutig christozentrische Interpretation in 5,7b.8c (bei gleichzeitiger eindeutiger Ablehnung theozentrischer Aspekte) zu undifferenziert und zu kurz gedacht. Da es Jakobus analog zu 4,13-17 in 5,7-8 nicht primär auf einen handlungsorientierten Aspekt ankommt, schon gar nicht auf eine Sozialethik, sind diese Verse in ihrer Funktion zu bestimmen als Aufklärung über das richtige anthropologische Selbstverständnis. Dem entspricht auch die Passivität des Bauern im anschließenden Vergleich. 7c-f: Kontextuell steht der Bauer mit seiner Grundhaltung der Ausdauer in semantischer Opposition zu den reichen Händlern und Grundbesitzern und ihrer rastlosen Aktivität in 4,13-5,6. Der mit dem Aufmerksamkeits-Partikel siehe in 7c beginnende Ver gleich endet — geht man von alten Textzeugen aus — am Ende etwas unklar; schon alte Handschriften ergänzen die substantivier ten Adjektive proimos: frühes und opsimos: spätes — beide Worte sind nur hier im N T belegt — durch Früh- bzw. Spätregen oder Früh- bzw. Spätfrucht. Da traditionsgeschichtlich beide Wen dungen belegt sind, hat die Logik des Textes zu entscheiden, wobei die bislang übliche Deutung auf Regen (Dibelius, Schräge, Muß ner, Schnider u. a.) durch die auf Früchte (Davids, Vouga) zu ersetzen ist. Wäre dem nicht so, müßte die Abfolge: zunächst die Frucht der Erde (7d), dann Früh- und Spätregen (7f.) erklärt werden. Dies entspricht nicht gerade der Erzähllogik. Die rhetori sche Figur des Hysteron proteron, bei der das Spätere als Früheres benannt wird, ergibt bei einem Naturvergleich keinen, erst recht keinen tieferen Sinn. Demgegenüber ist bei einem Verständnis von 7f. als differenzierender Extension nicht nur eine logisch-integrative, sondern auch eine erweiternde und intensivierende Aussage erreicht: der Bauer wartet nicht nur allgemein auf die köstliche Frucht der Erde (7c.d), vielmehr harrt er geduldig auf sie, bis er empfängt frühe und späte (Frucht) (7e.f; vgl. Vouga 135). Genau in dieser Aussage liegt das pragmatische Aktionsziel des Jakobus
für seine Adressaten (vgl. 8a: auch ihr). Die Gelassenheit (7c) und zugleich gespannte Geduld (7e) des Bauern, der aufgrund jahrhun dertelanger, von Generation zu Generation weitergegebener Erfah rungen der Vorfahren weiß, wie es im Ablauf des Jahres bestellt ist, soll Ermutigung und Trost sowie Leitbild der Adressaten sein. Die Saat-Ernte-Metaphorik macht deutlich, »daß a) der Wachstums prozeß seine Zeit braucht und nicht abgekürzt werden kann, daß ihm dann aber b) als notwendige, unaufhaltsam-sichere Konse quenz die Ernte folgt« (v. Gemünden 162; vgl. ebd. 243-247; zur Funktion der Metaphern im Brief vgl. Einleitung 2.4c). Resigna tion und Verbitterung über die ungerechten Zustände in der Welt wie über das Ausbleiben des Eingreifens Gottes ist nach Jakobus keine christliche Grundhaltung. Nimmt man diesen Gedankenfortschritt mit Intensivierung an, so entspricht dem zweifachen Hinweis auf den geduldig wartenden Bauern die zweifache Mahnung an die Adressaten in 7a und 8a. Im übrigen belegt auch 5,18b.c (»und der Himmel gab Regen, und die Erde ließ ihre Frucht hervorsprießen«), daß Jakobus botanische Vorgänge treffend wiederzugeben weiß. Traditionsgeschichtlich sind Vegetations-Metaphern im AT und N T (vgl. etwa Mt 3,10; Lk 13,6ff.; Mk 11,12ff.; Joh 15,2ff.; 1 Kor 9,7) wie auch in der griechischen Literatur weitverbreitet. Eine bestimmte Rezeption ist im einzelnen schwer nachzuweisen. »Sprichwortartig« dürfte Jak 5,7 (so E W N T 2, 1981, 620) dennoch nicht sein. Eher schon ist — auch aufgrund der Verbindung der Vorstellung in 8b, die Herzen zu festigen — neben Sir 3,1-17 (vgl. dazu zu 1,2-4) auf Sir 6,18ff. hinzuweisen: 18 19
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Mein Sohn, von Jugend auf lege Wert auf Erziehung, so wirst du, bis du grau bist, Weisheit gewinnen. Wie der Pflüger und der Sämann gehe sie an und erwarte, daß sie ihre guten Früchte bringt. Wirst du nur ein wenig dich mühen, ihrer zu pflegen, wirst du schon bald von ihren Früchten essen. Sinne nach über die Befehle des Herrn, und seine Gebote betrachte alle Zeit. Er selbst wird dein Herz festmachen, und dein Verlangen nach Weisheit wird gestillt werden.
Geht die Festigung des Herzens hier auf Gott selbst zurück, so kennt Sirach wie Jakobus durchaus auch das dementsprechende Handeln des Menschen, was mit dem gleichen Verbum umschrieben wird:
22,16 Hölzernes Gebälk, das beim Hausbau verwendet wurde, wird bei einem Erdbeben nicht aus den Fugen gerissen. So auch ein Herz, das durch wohlbedachten Entschluß gefestigt ist: Zur Zeit (der Gefahr) verzagt es nicht. 17 Ein Herz, das durch verständige Überlegung gefestigt ist, ist wie ein Verputz mit Sand an glatter Wand. 8a-c: Gemäß der Vorlage in Sirach und in Weiterführung seiner Aussage in Vers 7 geht Jakobus in Vers 8 in zweifacher Weise über die Aufforderung in Vers 7 hinaus: Anders als der Bauer sollen die Adressaten aktiv werden. Denen, die ein ungefestigtes, zweifeln des, unbeständiges und gespaltenes Herz haben (s. o. zu 1,5-8), die ihr Herz betrügen mit gestörter Gottesbeziehung (1,26c), die in ihrem Herzen bittere Eifersucht und Streitsucht haben (3,14a), die ihre Herzen gemästet haben (5,5b), gilt die Aufforderung: Festigt eure Herzen (8b). Die genannten Stellen machen deutlich, woge gen Christen nach Jakobus ihre Herzen festigen sollen, der Brief macht insgesamt aber ebenso deutlich, was das Ziel einer solchen Festigung sein soll: Die Ganzheit und Einfachheit sowie die Stand haftigkeit »soll ein vollkommenes Werk haben, damit ihr (selbst) vollkommen und ganz seid und ihr an nichts mangelt« (1,4). Inneres und Äußeres sollen in Übereinstimmung gebracht werden sowie der einzelne Mensch zu seinem Mitmenschen. Schon in der kleinen Abhandlung über den Unfrieden in der Gemeinde und seine Ursachen, die aus dem eigenen Herzen stammen, lautete an solche Christen die Aufforderung: »Reinigt eure Hände, Sünder, und macht lauter die Herzen, ihr Zwiespältigen« (4,8c.d). Jakobus sieht die Adressaten auch hier, dies bestätigt die Konstanz in seiner Anthropologie, als Menschen im Werden, die noch eine Zukunft haben und eine Zeit, sich zu vervollkommnen. Ist die kardiale Mitte des Menschen defizitär, dann ist es der ganze Mensch und sein Handeln, ist sie ganz, einfach und vollkommen (s. o. zu 1,4b.5c), steht der Mensch fest im Glauben an Gott, so ist er wie die Propheten, wie Ijob und Elias (5,10b.IIb. 17a), dann ist der Mensch »in Ordnung«, d. h. in der Ordnung Gottes. Bekannter maßen bedeutet Tora in umfassendem Sinn die Sozialordnung Gottes. Neben dem Aufruf zur Aktivität, der das Bild aus dem Landleben neu akzentuiert, erhält auch der Hinweis auf die »Parusie des Herrn« in 8c eine neue Funktion, da sie erst hier als Begründung
für das von Jakobus geforderte Verhalten der Adressaten fungiert. Näherhin ist es ihre Nähe, die den Christen Trost und Ermutigung für Ausdauer geben soll, während sie für die Händler und Grund besitzer nur Schrecken und Verlust ihres Lebenssinns bewirken kann. Wie in 7b so argumentiert Jakobus auch in 8c mit bekannten christlichen Glaubensinhalten; würde er sie nicht bei den Adressa ten voraussetzen, wären sie zu erklären gewesen. Demnach werden die Adressaten nicht nur in 7a an die Parusie des Herrn rückerin nert, vielmehr in 8c auch daran, daß nach christlichem Glauben die Ankunft des Herrn nahe ist/sich genähert hat. Diese Wendung ist im N T singulär. In verschiedenen Schriften ist zwar belegt, daß sich explizit theologische Größen nähern können wie das Reich Gottes ( M k l , 1 5 par; Mt 3,2; 10,7; Lk 10,9.11), die Erlösung (Lk 21,28), die Zeit der Verheißung (Apg 7,17), das Ende aller Dinge (1 Petr 4,7; zum Uberblick vgl. Dormeyer 895 f.), aber die Ankunft des Herrn findet sich nur 2mal bei Jakobus (7b.8c). Der Gedanke, daß Gott sich den Menschen nähert, und Menschen aufgefordert sind, sich Gott zu nähern, formulierte er im Kontext seines dynamischen Gottes- und Menschenbildes bereits in 4,8: Naht euch Gott, und nahen wird er sich euch. Ist dort die Aktion Gottes als Reaktion auf das Handeln der Menschen umschrieben und zukünftig gedacht, so formuliert Jakobus in 5,8c perfektisch, womit ein vergangener Vorgang als die Gegenwart bestimmend verstanden wird. Wendungen wie »die Stunde/der Tag ist gekommen/ist da« ( R o m 13,12; Mt 26,45; vgl. ebd. Vers 46) bestätigen dieses Verständnis. In diesem präsentischen Sinn wird von der Parusie des Herrn im N T mit Ausnahme von Jak 5,8c nie gesprochen. Demnach zeigt sich hier die redaktionelle Intention des Jakobus, die sonst apokalyptisch verstandene Ankunft des Herrn (wohl im Kontext von 4,8) als eine die Gegenwart der Adressaten bestimmende Wirklichkeit zu interpretieren. Da er dies im Kontext seines Gottesbildes (s. o. zu 4,8) tut, ist davon auszugehen, daß Jakobus an die synoptische Jesus-Tradition mit der geprägten Redeweise »die Gottesherrschaft ist gekommen/ ist da« ( M t 3 , 2 ; 4,17; 10,7 u.a.) anknüpft. Mit diesem Hinweis wird das Verständnis von 8c keineswegs einfacher, da das, was mit Nähe der Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu gemeint ist, außerordentlich umstritten ist. So wird die »Nähe« bald schon gegenwärtig, als sehr nahe oder auch als unmittelbar bevorstehend interpretiert (vgl. Schnackenburg 31-42.178-183). Wie immer man die synoptische Tradition interpretieren mag (vgl. vor allem die Kommentare zu Mk 1,15 parr und Frankemölle, Evangelium 138-
149), für Jakobus dürfte deutlich sein, daß er den apokalyptisch geprägten Ausdruck in 7b durch die Wendung in 8c an die Gegen wart der Adressaten bindet, er die Nähe jedoch so versteht, daß sie von jenen, die daran glauben, von jetzt an erfahren werden kann. Jakobus versteht sie, wie wir sahen, ja als Begründung für die Möglichkeit, daß die Adressaten ihre Herzen festigen können. Demnach ist nach Jakobus Parusie nicht futurisch-apokalyptisch, sondern anthropologisch zu verstehen. Dies belegt auch der Ver gleich mit dem geduldig ausharrenden Bauern, dem nicht zu ent nehmen ist, »was die Parusie bringt« (Burchard, Christologische Stellen 361), sondern der die Funktion hat, parallel zum Bauern den Christen die Haltung der Gelassenheit und der gespannten Geduld zu vermitteln. Jakobus geht es um das anthropologische Problem der Grundorientierung, nicht um Inhalte der Parusie. Anders als sonst im N T enthalten die Verse 7-8 auch keinen Hinweis zum vieldiskutierten Verhältnis von Ethik und Apokalyptik/Eschatologie, sie haben somit nicht im engeren Sinn ein prag matisches, handlungsorientiertes Aktionsziel (zur Parusieerwartung als Faktor urchristlicher Lebensgestaltung vgl. Schnackenburg 176-178). Jakobus geht es hier in Weiterführung von 4,13-17 um das Zeitverständnis und um die Existenz des Menschen als Sein in der Zeit. Die Ethik folgt daraus, wie Vers 9 als Resultat aus 7-8 zeigt. Was aber meint, daß die Zeit eschatologisch qualifiziert, parusiehaft ist? Die mit »Parusie« verbundene Erwartung der Ankunft Jesu Christi als Herr ist heute nicht leichter zu verstehen als im 1. Jahrhundert. Grundsätzlich wird damit festgehalten, daß das Heil auch nach christlichem Glauben noch auf uns zukommt. Auch wenn man so das mit »Parusie« Gemeinte nur als Metapher gelten ließe, hätte der Gedanke selbst in apokalyptischem Sinn eine wichtige Funktion für den christlichen Glauben, da er die Hoff nungsdimension und die Ausständigkeit des christlichen Lebens betont, woraus starke Impulse für das sittliche Handeln freigesetzt würden. »Das Prinzip Verantwortung« (so ein Buchtitel von H.Jonas, Frankfurt 1984) als Gegenentwurf zum »Prinzip Hoff nung« (so ein Buchtitel von E. Bloch, Frankfurt 1969) versteht Zukunft radikal handlungsorientiert in der ethischen Verantwor tung der Menschen (vgl. Gnilka, Apokalyptik und Ethik). Dies ist nicht die Konzeption des Jakobus, der — wohl von seinem weis heitlichen, stark innerweltlich orientierten Ansatz — die apokalyp tische Dimension als die Gegenwart bestimmend versteht. Er ist kein Vertreter einer Nächsterwartung (so Schräge, Ethik 290.299).
Er sieht die Zeit als Erstreckungszeit, wie der Vergleich aus dem Landleben — ohne ihn auf Monate zu pressen — bestätigt. Jakobus kommt es auf die eschatologisch motivierte Geduld an. Bei der Spätdatierung des Jakobusbriefes, die in diesem Kommentar ver treten wird, ist dies auffällig, die Lösung des Jakobus dann aber auch verständlich. Er sieht die Gegenwart seiner Adressaten escha tologisch qualifiziert, ohne die Zukunft auszublenden. Für Jako bus dürften demnach der präsentische und futurische Aspekt gleichwertig sein. Christen sollen ihr Leben ganz aus dieser so qualifizierten Zeit heraus verstehen. Sieht man dies, dann hat die ursprünglich apokalyptisch-futurische Aussage bei Jakobus eine ähnliche Intention erhalten wie die weisheitstheologische in 3,17, wobei dort die Gabe der Weisheit Voraussetzung für sittliches Handeln ist. Dies ist in 5,8 dann implizit anzunehmen, wenn man die folgenden Verse 5,9 ff. von dieser Kategorie bestimmt sein läßt, was aber nicht angedeutet wird. So bleibt der Topos von der Ankunft des Herrn ein Motiv, mit dessen Hilfe Jakobus Ermutigung und Trost in allen und trotz aller ambivalenten Erfahrungen zuspricht. Er bleibt wie in 4,8 ganz weisheitlich und prophetisch. Sozialethische Probleme stehen in der Tat in der nächsten kleinen Einheit 5,9-12 an, sind jedoch bestimmt vom Motiv des Gerichtes, wobei Ankunft des Herrn und Gericht bei Jakobus keineswegs identisch sind (s. u.).
2. Vom unchristlichen, gerichtsnotorischen Verhalten im Wort (5,9-12) Literatur: Carr, A., The Patience of Job (St James V . l l ) , in: Exp 13(1913) 511-517. — Dautzenberg, G., Ist das Schwurgebot Mt 5,33-37; Jak 5,12 ein Beispiel für die Torakritik Jesu?, in: BZ 25(1981) 47-66 - Ders., Eid IV. Neues Testament, in: T R E 9(1982) 379-382. - EbachJ., Hiob/Hiobbuch, in: T R E 15(1986) 360-380. - Genuyt, F., Epitre de Saint Jacques (5,7-20), in: Semiotique et Bible 24(1981) 28-36. - Gordon, R. P., Kai to telos kyriou eidete (Jas 5,11), in: JTS 26(1975) 91-95. - Hainthaler, Tb., »Von der Ausdauer Ijobs habt ihr gehört« (Jak 5,11). Zur Bedeutung des Buches Ijob im Neuen Testament, Frankfurt u. a. 1988, 311-338. - Kutsch, E., »Eure Rede aber sei ja ja, nein nein«, in: EvTh 20(1960) 206-218. - Luz, U., Das Evangelium nach Matthäus I, Zürich u. a. 1985, 279-290. — Minear, P., Yes or N o : The Demand For Honesty in the Early Church, in: N T 13(1971) 1-13. — Stählin, G., Zum Gebrauch von Beteuerungsfor meln im Neuen Testament, in: N T 5(1962) 115-143. — Strecker, G., Die Bergpredigt. Ein exegetischer Kommentar, Göttingen 1984, 80-84.
9-12 sind wie 7-8 als Ringkomposition geformt, aber dennoch anders strukturiert. Durch das vierfache me: nicht (9a.b.l2a.e) und das dreifache mete: und nicht/weder-noch (12b.c) umschrei ben die Verse das gegensätzliche Verhalten zu dem in den Versen 7-8, stehen aber nicht nur zu ihnen in semantischer Opposition, vielmehr gilt dies auch für die Inklusion in 9.12 im Verhältnis zu 10.11. Ähnlich steht es um die Funktion der Beispiele, die rheto risch als zergliedernde Amplifikation (vgl. Plett 44ff.; vgl. Einlei tung 2.4b) zu verstehen sind. Bestätigt das Beispiel vom Bauern die Grundthese positiv, so kontrastiert das Beispiel der Propheten und des Ijob zum Verhalten der Christen, wobei diese Antithese eine starke Spannung erzeugt (Plett 47). Mit diesen unterschiedlichen Extensionen zeigt Jakobus nicht nur sein literarisches Können, vielmehr sorgt er auch für Abwechslung beim Lesen. Handlungso rientiert zielt er gerade mit der Antithese auf Provokation und Korrektur bei den Adressaten. Bei allem rhetorischen Glanz ver liert er sein Thema »Vom Sprechen und seinen Wirkungen« nicht aus dem Auge; entfaltet er doch die Wirkung des Wortes im Hinblick auf die Gemeinschaft (9), seine Wirkung im Hinblick auf den Sprecher (10) sowie im Hinblick auf Gott (12). 9a-c: Asyndetisch fügt Jakobus einen weiteren Imperativ an; der neue Appell an die Brüder bestätigt einen neuen Gedankengang. Eine textübergreifende, variierende semantische Verbindung findet sich in 9c. Dieser Vers, wiederum mit dem AufmerksamkeitsPartikel siehe, der im Unterschied zu 7c und I I a hier wohl auch begründenden Charakter hat, nimmt deutlich 8c auf, so daß sich entsprechen: der Richter steht vor der T ü r — die Ankunft des Herrn ist nahe. Läßt sich semantisch auch eine Kohärenz für den einleitenden Imperativ in 9a stenazete: seufzet/stöhnet nachwei sen? Das Wort selbst ist im N T nur 6mal belegt und meint »über einen unerwünschten Zustand stöhnen« oder »bei sich stöhnen«; nur in Jak 5,9 findet es sich in der Bedeutung gegen jemanden seufzen bzw. stöhnen und umschreibt, wie 9b damit ihr nicht gerichtet werdet zeigt, ein gerichtsnotorisches Fehlverhalten und ist demnach kontextuell wohl eher mit murren/klagen zu überset zen. Da es ein gemeinschaftszerstörendes Fehlverhalten ist, kann weder ein Seufzen über die Parusieverzögerung gemeint sein, noch ein nur »inneres Klagen« ( E W N T 3, 1983, 652; Dibelius 290). Der Hinweis auf das Gericht eröffnet zugleich ein semantisches Wort feld im Jakobusbrief, in dem durch ähnliche Verben das hier kritisierte gemeinschaftszerstörende und daher gerichtsnotorische Fehlverhalten bekämpft wird. Zu nennen sind:
2.13 3,9b 3.14 4,2
4,11
12
Das Gericht ist unbarmherzig gegen den, der nicht Barmherzigkeit tat. Mit ihr (der Zunge) verfluchen wir die Menschen. Wenn ihr aber bittere Eifersucht und Streitsucht in euren Herzen habt. Ihr begehrt und habt nicht; ihr mordet und eifert und könnt nicht erlangen. Verleumdet nicht einander, Brüder! Wer einen Bruder verleumdet oder seinen Bruder rich tet, verleumdet das Gesetz und richtet das Gesetz. Du aber, wer bist du, der du richtest deinen Nächsten?
Vor allem die kleine Abhandlung über den Unfrieden in der Gemeinde und seine Ursachen (4,1-12) — primär sind hier Wort vergehen zu nennen — und die ebenfalls negativ formulierte abschließende Aufforderung, sich gegenseitig nicht zu verleumden, erweisen 9a als in sich stimmige Variation innerhalb dieses Wortfel des. Außerdem: Interpretiert man, wie es in diesem Kommentar geschieht, die Verse 4,13-17 und 5,1-6 als innergemeindliche Pro bleme, dann ist 9a im Epilog eine zusammengefaßte Konklusion zum schwierigen Verhältnis der Armen und Reichen in der Gemeinde (ähnlich Genuyt 30 gegen die üblichen Auslegungen). Geht man zudem davon aus, daß im Prolog 1,2-18 die wichtigsten Stichworte des Briefes anklingen, die dann im Brief entfaltet wer den, so ließe sich auch eine Verbindung von 5,9a zu 1,9-11 herstellen. Geht es Jakobus dort um den Mangel in der richtigen Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen, wobei aber jeder für sich angesprochen ist, wird hier dieses Individualproblem zum Sozialproblem, indem die Individualität und soziale Stellung des jeweils anderen öffentlich in Frage gestellt wird. Damit hätte Jakobus im Epilog die Ausführungen über das Verhältnis von Armen und Reichen in der Gemeinde in 2,1-13; 2,15-16; 5,1-6 zusammengefaßt und intensiviert. Daß dieses Modell auf Dauer nicht unbedingt eine sozial verträgliche Lösung sein muß — auch wenn sie in der Tendenz mit der Aussage in 5,6b übereinstimmt wurde ebendort bereits kritisch angemerkt. Traditionsgeschichtlich ist kaum zu entscheiden, ob die Wendung redaktionell auf das Konto des Jakobus geht oder ob er das Verbum übernommen hat. Zwar ist es in Sirach 3mal belegt (16,3 vi; 30,20; 36,25), jedoch wurde der dortige Kontext nicht rezipiert; dies gilt
auch für das sonstige Vorkommen in der Septuaginta (insgesamt 30mal), wo sich jedoch das menschliche Klagen nie gegen die Mitmenschen richtet und die Gemeinschaft zerstört. Von daher legt es sich nahe, daß Jakobus 9a in Aufnahme von 4,11a redaktio nell geprägt hat. Wie es ihm hier und in 4,11 um gemeinschaftszer setzendes Verhalten geht, so in 5,16a, wo sich ebenfalls das rezi proke einander findet, um gemeinschaftsbildendes bzw. -fördern des Verhalten. 9b: Das in 9a kritisierte zwischenmenschliche Fehlverhalten inter pretiert Jakobus typisch weisheitlich im Tun-Ergehen-Modell analog zu Mt 7,1: »Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet wer det!« (vgl. Zeller 113-117). Deutlich formuliert Jakobus hinsicht lich der Entsprechung zwischen Vetitiv in 9a und der Ankündigung des göttlichen Tuns in 9b, wo das Passiv verhüllt vom Tun Gottes spricht, eine Talion, die Vergeltung von Gleichem mit Gleichem. Von daher ist zu erschließen, daß das Murren gegeneinander in 9a im Sinne des Jakobus semantisch ein falsches Richten ist. Dies richtet sich - ähnlich wie das Verleumden in der Gemeinde in 4,11 - gegen die Tora, noch mehr gegen Gott selbst: Ein einziger ist Gesetzgeber und Richter (4,12a). 9c: Wenn nach 4,12a Gott allein Gesetzgeber und Richter ist, so ist diese Sentenz theozentrisch zu lesen, wobei im Kontext von 8c auch 9c die Frage nach dem Wann des Richtens Gottes nicht mehr apokalyptisch interpretiert wird, sondern als unmittelbar bevorste hend. Diese eschatologische Entsprechung sprengt die weisheitli che Dimension nicht, wie Jesus Sirach in seinem griechischen Text gegenüber der hebräischen Vorlage zeigt (s. o. zu 1,12). O b der Gedanke des Richters, der vor der Tür steht, aus urchristlicher Motivik stammt, ist möglich, aber nicht sicher (zum »Ende«, das vor der Tür steht, vgl. Mk 13,29 parr; Mt 24,33; zum Ich des Sprechers vgl. Offb 3,20). »Die Verwendung des räumlichen Bildes als Zeitangabe ist hellenistisch« (ThWNT 3, 1938, 174), die theo zentrische Akzentuierung bei Jakobus ist redaktionell, so daß 9c mit der Betonung der unmittelbar zeitlichen Nähe 8c entspricht und sich damit als Variation erweist. Traditionsgeschichtlich ist der Gedanke, daß menschliches Ver halten durch eine entsprechende Vergeltung Gottes geahndet wird, weit verbreitet (Zeller 115 f.), für Jakobus dürfte aber auch hier Sirach die Vorlage gebildet haben. Hinzuweisen ist vor allem auf Sir 7,1, zumal im vorhergehenden Vers 6,37 davon die Rede ist, daß »Gott selbst dein Herz festmachen wird«, was Jakobus in 8b rezipiert haben dürfte.
7,1 Tue nichts Böses, so wird dir nichts Böses widerfahren. 28,1 Wer sich rächt, wird vom Herrn Rache erfahren, und seine Sünden wird er ihm sicher bewahren. 2 Vergib das Unrecht deinem Nächsten; dann werden dir, wenn du bittest, deine Sünden auch erlas sen. 3 Ein Mensch hält gegen einen anderen an seinem Zorn fest, und dabei begehrt er vom Herrn Verzeihung? 4 Mit seinesgleichen hat er kein Erbarmen, und für seine eigenen Sünden bittet er (um Gnade)? 5 Er selbst, der doch Fleisch ist, hält fest am Groll, wer wird ihm da seine Sünden sühnen? Die Lehre des Jesus Sirach in Kap. 28 über die Macht der Zunge, die von Jakobus bereits in 3,1-12 rezipiert wurde, stellt am Anfang den Grundsatz auf, daß auf menschlicher und göttlicher Ebene nicht nach zweierlei Maß zu messen ist. Zu erinnern ist auch an Sir 35,3-24 (s. o. zu 5,4); dort wird die Frage nach einer möglichen Verzögerung des Gerichtes Gottes ebenfalls mit der Talion verbun den: 19 Und der Herr wird nicht säumen, ... 22 bis er dem Menschen nach seinem Handeln vergolten und dem Tun der Menschen nach ihren Absichten. Abschließend zu diesem Vers ist noch auf die Differenz zwischen Parusie und Gericht hinzuweisen. Wie sich in der Bibel allgemein Gott am »Tag des Herrn« als Helfer für die Armen, Witwen, Waisen und Gerechten erweist, so auch bei Jakobus. Das Gericht impliziert jeweils Bestrafung, es trifft aber nur die Gottlosen und Sünder, wie vor allem 2,13 bestätigt: Denn das Gericht ist unbarmherzig gegen den, der nicht Barmherzigkeit tat. Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Diese Grundanschauung bestätigt der Vetitiv in 9a.b sowie in 12a.e. Ohne Zweifel verfällt der Christ, der das kritisierte Fehlver halten nicht praktiziert, nicht dem Gericht. Christliches Reden und Handeln wird nach 2,12 »durch das Gesetz der Freiheit gerichtet«. Erstaunliche, aber auch tröstliche Gedanken, da Christen die Zukunft nicht mit apokalyptischem Schrecken zu erwarten brau-
chen; allerdings hat die Gegenwart einen die Zukunft bestimmen den Charakter. Dies ist der Preis und die Chance der Freiheit (s. o. zu 1,13-16). 10-11: In zweifacher Weise verschränkt Jakobus die beiden Verse mit dem Kontext. Zum einen wird in einem zunächst etwas locker angehängt erscheinenden Relativsatz in 10c die Wirkung propheti schen Sprechens im Namen des Herrn auf ihre eigene Person formuliert: Dieses Sprechen provozierte Konflikte mit den von den Propheten Kritisierten, was bei den Propheten aber nicht eine Zurücknahme von Gottes Worten, sondern kakopathia: Leider tragen/standhaftes Ertragen von Leiden und makrothymia: Langmut/Geduld bewirkte. Beide Aspekte gehören zusammen, da sie von Jakobus kontextuell in Verschränkung gesehen werden. So steht das gottgemäße Sprechen 10c in semantischer Opposition zu dem gottwidrigen Murren in 9a und dem Schwören in 12a. Bewirkt das Murren ein gestörtes Miteinander, was ein Fall für das göttliche Gericht ist, so zerstört erst recht ein feierlicher Eid, wenn nur daran die Wahrheit gebunden wird, jede Beziehung zu Gott und den Menschen. Dazu kontrastiert das Sprechen der Propheten in 10c. Gerade dieses Sprechen wird ihnen jedoch Anlaß zur Prüfung (vgl. 1,2b), da die Leser wissen (vgl. 5,llb.c), daß bei den Propheten und bei Ijob solches Prüfungsmittel Standhaftigkeit des Glaubens bewirkt (1,3b). Deutlich greift Jakobus Stichworte und das Thema aus dem Prolog auf, was auch die Parallele zwi schen 5,11a Wir preisen selig die Standhaftgebliebenen zu 1,12 Selig der Mann, der in der Prüfung standhält belegt. Da in 1 la im Plural gesprochen wird, ist diese Sentenz in ihrer Scharnierfunk tion zu verstehen; sie schließt sowohl kommentarhaft die bekannte Geduld der Propheten ab wie sie auch die sprichwörtliche Geduld des Ijob einschließt. Logik und Funktion der biblischen Beispiele sind zwar im Kontext des Jakobusbriefes stimmig, gewinnen jedoch ihre Prägnanz erst in einem Vergleich mit der für Jakobus primär vorgegebenen Tradi tion: Jesus Sirach. Zwar werden im Briefkorpus in 2,21-25 Abra ham und Rahab als Vorbilder eingeführt, detfrlinweis auf die Propheten (10), Ijob (11) und Elias (17-18) im^Epilog ist jedoch auffällig. Er hat seine Parallele im Preislied auf die großen Männer der Geschichte Israels in Sir 44-50 — ebenfalls am Ende des Buches. In diesem Preislied haben die Propheten (vgl. 46,13.15; 49.7.10), vor allem aber Elias als Prophet (vgl. 48,1-12.22) eine hervorra gende Bedeutung, während Ijob nur in 49,9 im hebräischen Text belegt ist (zu den Gründen s. u.). Und zudem: Das bei Jakobus in
10a betont am Anfang stehende als Vorbild steht auch bei Sirach betont am Anfang der langen Reihe von berühmten Zeitgenossen (und nur hier): 44,16 Henoch gefiel dem Herrn und wurde entrückt, ein Vorbild der Buße für seine Zeitgenossen. Diese Rezeption ist um so auffälliger, da Vorbild/Beispiel: hypodeigma in der Septuaginta insgesamt nur 5mal, im N T in dieser Bedeutung vom Vorbild Jesu nur in Joh 13,15, vom Vorbild der Propheten aber allein in Jak 5,10 belegt ist. Wie im Vergleich in 7 der Bauer nicht nur ein Beispiel zur Illustration ist, so auch nicht die Propheten in 10; wie der Bauer (vgl. 8a) so haben auch sie zusätzliche Vorbild-Funktion für die Christen. 10b: Wie in 13a (»erträgt einer ein Leid«) umschreibt auch das erste Substantiv in 10b Ertragen von Leiden/Leidertragen lediglich das Faktum, während das zweite Substantiv Langmut/Geduld die Gesinnung und die bewußte Einstellung zum Leiden meint. Wie in 1,2 geht es Jakobus auch in 5,10b nicht darum, »mutig die Verfol gungsleiden« auszuhalten (so Mußner 201 Anm. 1), noch verarbei tet er die deuteronomistische Tradition vom gewaltsamen Geschick der Propheten (vgl. dazu O. H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, Neukirchen 1967, zu Jakobus ebd. 262). Für letzteres ist das Sprechen des Jakobus zu allgemein. Er liest das Schicksal deutlich exemplarisch im Hinblick auf die Situation der Adressaten (zu 10b vgl. die Verschränkung in 13a und 7a.c.8a). lla.b bestätigt dieses literarisch-semantische Vorgehen, wobei die hier sich findenden, zum semantischen Wortfeld »Standhaftigkeit« gehörenden Begriffe hypomeno: standhalten/ausharren in I I a und hypomone: Ausharren/Geduld/Standhaftigkeit in I I b das entsprechende Verbum (vgl. 1,12) und Substantiv (vgl. 1,3.4) aus dem Prolog rezipieren. Gilt dort der Makarismus in 1,12 in futuri scher Perspektive jedem Christen, der sich bewährt, so hier in der Rückschau dem standhaft gebliebenen Ijob. Wenn Ijob, der nur hier im N T vorkommt, ein Beispiel für Langmut und geduldiges Ertragen von Leiden wäre (so Ebach 371), dann hätte Jakobus das biblische Ijob-Buch für seine Argumenta tion gründlich mißverstanden. Worin dieses Mißverständnis begründet wäre, sei vor der eigenen Auslegung kurz angedeutet. Zwar mag Ijob vom Ausgang seiner Lebensgeschichte her als Prototyp des leidenden Gerechten verstanden werden, so kann sein Ausharren in den Prüfungen und trotz der Prüfungen doch wohl
eher nur als trotziges Ringen mit Gott interpretiert werden. Er ist nicht Dulder, sondern Rebell, der sich gegen das ihn treffende Unrecht auflehnt und mit Jahwe hadert. E. Bloch, der große marxi stische Philosoph (Atheismus im Christentum, Frankfurt 1977, 118-134), dürfte die Klagen und den Rechtsstreit, den Ijob mit Gott führt, sehr viel zutreffender als in der christlichen Literatur üblich erkannt haben. Daher seine Uberschrift »Hiob kündigt auf« (118). Zwar überzieht er, wenn er die Flucht Ijobs als »Exodus nicht in, sondern aus der Jahwevorstellung selber« (ebd.) interpre tiert, da auch er zugestehen muß, daß Ijob sich mit seinen Klagen an Gott selbst wendet (vgl. auch Preuß, Einführung 112). Dennoch hebt Bloch das Murren und die Rebellion Ijobs gegen Gott und das mit Gott verbundene traditionelle Vergeltungsdogma von Schuld und Sühne, von Tun und Ergehen zu Recht hervor, sieht jedoch ebenso deutlich, daß bereits im frühen Judentum, Christentum und Islam Ijob zum Muster der Geduld uminterpretiert wurde. Dies entspricht nicht nur der Tendenz der wohl nachexilischen Rahmen erzählung (1,1-2,13; 42,7-17: vgl. Preuß 83), sondern auch der noch älteren Überlieferung in Ez 14,14.20, wo Ijob in Verbindung mit Noach und einem archaischen Daniel als exemplarischer Gerechter der Vorzeit genannt wird. Die Rezeption des Ijobbuches im Judentum zeigt sich nicht nur in der Überarbeitung in der Septuaginta, im aramäischen Ijobtargum aus Qumran, sondern auch im Testament des Ijob, das nach 100 n.Chr. im hellenisti schen Judentum entstand (Preuß 71 und bes. B.Schaller, Das Testament Hiobs 312.325 f.). Vor allem im letzteren Buch wird Ijob als geduldig Leidender dargestellt: »Ich halte bis zum Tode aus« (5,1; vgl. auch 4,6). »Laßt uns geduldig sein, bis daß der Herr sich rühren läßt und unser wieder sich erbarmt« (26,5). Auch in der urchristlichen, nachneutestamentlichen Literatur bleibt vom IjobBild nur dies: »Ijob aber war gerecht und untadelig, aufrichtig, gottesfürchtig und mied alles Böse« (1 Klem 17,3; vgl. auch 26,3). Diese quietistische Tradition bestätigt auch der Koran: »Es gibt keine Zuflucht von Gott fort als zu ihm hin« (Sure 9; zur IjobRezeption vgl. H. P. Müller, Das Ijobproblem, Darmstadt 1978, zur jüdischen ebd. 31-36; Ehach 370-373). 2
In der Forschung geht man in der Regel davon aus, daß Jakobus in dieser Tradition steht. Man vermutet sogar, daß Jakobus an »die alte volkstümliche Sage von Ijob« (literarkritisch motiviert?) anknüpft, wie sie sich in der Rahmenerzählung findet (so Dihelius 292). Es findet sich auch die These, daß Jakobus in 5,11 das ganze kanonische Ijob-Buch anklingen lassen will (Hainthaler 327), da
sich dort »die Bewahrung des reinen Glaubens an Gott« aus 1,21 im ganzen Ijob-Buch in allen Krisen durchträgt (ebd. 324). Auch wenn derartige, die Tendenz des ganzen Ijob-Buches ver harmlosende Aktualisierungen als mögliche Vorlage für Jakobus nicht ausgeschlossen werden können, ist eine Rezeption dennoch nicht nachzuweisen, zumal hypomone im Buch Ijob nicht belegt ist. Versteht Jakobus Ijob als geduldigen, nicht klagenden From men — etwa in Weiterführung zum Vorbild des Gerechten in 5,6, der keinen Widerstand leistet? Versteht Jakobus hypomone: Ausdauer/Standhaftigkeit/Aushalten/Geduld als »Lammsgeduld« oder eher als »Starrsinn«, als aktive, kämpferische Geduld und als trotziges, wider-sprüch-liches Aushalten (vgl. Carr 512)? Die Ant wort fällt nicht leicht, zudem sie auch abhängig ist vom Verständ nis des Verses 11c (»und die Vollendung/das Ende, die/das der Herr [bewirkte], habt ihr gesehen«), näherhin der Wendung telos: Ende/Vollendung. Erinnert Jakobus beim Begriff Ende lediglich an den Ausgang der Ijob-Erzählung, wonach in 42,10-17 dem gerechten Rebell die doppelte Erstattung des Verlustes an Familie, Hab und Gut, Ehre und Ansehen zuteil wird, oder greift der Begriff Vollendung sehr bewußt auf das im Prolog 1,2-12 aus Sir 2,1-18 rezipierte und entfaltete Wortfeld zurück? An Stellen sind zu nennen: 1,3 Wißt! Dieses euer Prüfungsmittel bewirkt Standhaftigkeit: hypomone des Glaubens. 4 Die Standhaftigkeit: hypomone aber soll ein vollkomme nes: teleion Werk haben, damit ihr (selbst) vollkommen: teleioi und ganz seid. Neben weiteren Stellen aus Sirach (16,13; 17,24; 38,27; 41,2) ist vor allem an 2,14 zu erinnern (s. o. zu 1,3f.): Weh euch, die ihr die Ausdauer verloren habt! Was werdet ihr tun, wenn euch der Herr heimsuchen wird? 11c: Die Begriffe Standhaftigkeit/Ausdauer und vollkommen sind deutlich aufeinander bezogen. Der anthropozentrischen Aus sage entspricht die theozentrische in 1,17, wo der Wendung voll kommenes Geschenk in 17a der Hinweis auf die Unveränderlich keit Gottes in 17d korreliert. Ebenso entspricht in 1,25 die Wen dung vollkommenes Gesetz der Freiheit dem Gedanken, daß nur der selig in seinem Tun ist, der bei diesem Gesetz verharrt. Nach
3,2 ist jener ein vollkommener Mann, der sich auch im Wort nicht verfehlt. Der Gedanke der Standhaftigkeit, der Ausdauer, der Beständigkeit schwingt an allen Stellen mit. Verläßlichkeit wird auch bei den Verben teleo in 2,8 assoziiert (»Wenn ihr wirklich das königliche Gesetz erfüllt gemäß der Schrift«) sowie teleio in 2,22 (»Der Glaube wirkte mit seinen Werken zusammen, und aus den Werken wurde der Glaube vollendet«). Sieht man den deutlichen Bezug von Prolog und Epilog auch in 5,11c, dann meint telos, das nur hier im Jak belegt ist, weniger das biographische Ende als das Ende im positiven Sinn der »Vollendung«. Wie Elias — dies wird in 17a sehr viel deutlicher gesagt — Prototyp der Christen für das richtige Beten ist, so dürfte Ijob Prototyp der Christen in mannig fachen Prüfungen und trotz dieser Prüfungen (1,2b; vgl. 3a) sein. Christen sollen wie Ijob trotz aller Prüfungen bzw. in allen Prü fungen (s. o. 1,2-4) Beständigkeit, Beharrlichkeit, Ausdauer ent wickeln. Geht es bei diesem Begriff bereits in der paganen griechi schen Literatur nicht um ein passives Hinnehmen und um das Erleiden des unabänderlichen Schicksals, wird bereits hier der Aspekt des aktiven Widerstehens mit dem Ziel auf Erfolg assoziiert (Carr 514), so erst recht bei Jakobus im Prolog und Epilog. Setzt doch die Hinwendung zu Gott im Gebet und die unerschütterliche Gewißheit, daß er allen Mangel (s. o. zu 1,5-11) aufrieben kann, in hohem Maße Aktivität voraus. Auch die Wendung in 1,12 »die Erprobung durchstehen/ihr standhalten« bestätigt diese menschli che Aktivität ebenso wie die sorgfältige Unterscheidung von hypomone und makrothymia mit Verbum (5,7a.e.8a.l0b); für den Gott anklagenden Ijob in 5,11b steht bewußt hypomone {Major 163 f.), ebenso für alle Christen in I I a (in Rezeption von 1,12) in der Nachfolge der Propheten. O b man nun bei telos mehr den Aspekt des biographischen Endes oder den der Vollendung betont, in jedem Fall legt es sich von der Tradition und vom Kontext in l l d weil erbarmungsreich ist der Herr und mitleidig nahe, auch die Wendung telos kyriou: Vollen dung/Ende des Herrn als Genetivus subjektivus zu interpretieren mit der Übersetzung: das Ende/die Vollendung, die der Herr (bewirkte). Wie beim Mangel an Weisheit, an Glauben und an der falschen Selbsteinschätzung in 1,5-11 dieser allein von Gott beho ben werden kann, der Mensch aber dies von Gott zu erbitten hat, so dürfte auch 5,11c als eine weitere Antwort des Jakobus auf das Problem des Synergismus (s. o. zu 2,18-26) verstanden werden. Letzlich als ein Problem der Theodizee (s. o. zu 1,13-16), wobei Jakobus radikal wie das Ijob-Buch ist. Auch Jakobus übt Kritik am
überlieferten und allzu schematisch verstandenen Tun-ErgehenZusammenhang und am überlieferten Gott des Rechtes. Hält man die gedankliche Spannung aus, dann ist er durchaus ein Vertreter der sola gratia (s. o. zu 1,17f.), der jedoch ohne Wenn und Aber das Tun des Menschen, wovon der ganze Brief spricht, einklagt und voraussetzt. Nur so ist auch im Epilog das Verhältnis des Tuns der Christen zum Gericht Gottes in 9a-c und 12a-e zu verstehen. Wer hier auf den Gedanken käme, jetzt läge alles am Menschen, wird durch l l d korrigiert. Aufgrund der vorgetragenen Überlegungen dürfte es schwierig sein, die Wendung Ende des Herrn mit Kirchenvätern (Augusti nus, Beda) auf den Tod Jesu zu beziehen oder sogar, wogegen das Verbum in der Vergangenheitsform spricht, auf Jesu Parusie (Stro he! 259; Gordon 91-95). Dagegen spricht vor allem der gesamte theozentrische Kontext und das biblische Beispiel, l l d : Jakobus schließt die Sentenz mit einem etwas nachlappenden Nebensatz (parallel zu 10c), der hier als Begründung (weil) ange fügt ist. Mit zwei erstaunlichen Adjektiven umschreibt er Gottes Wesen. Erstaunlich deswegen, weil polysplagchnos: erbarmungsvoll/erbarmungsreich in der jüdischen und griechischen Literatur hier zum ersten Mal belegt ist, oiktirmgn: mitleidig/barmherzig im N T außer Lk 6,36 (im Unterschiedzur Parallele bei Matthäus) ebenfalls nur hier vorkommt, aber riur hier zur Charakteristik Gottes dient. Traditionsgeschichtlich wird für das zweite Adjek tiv seit je her (vgl. T h W N T 5, 1954, 163) auf Ps 102,8 und 110,4 hingewiesen und die Formulierung des Jakobus als Variation dieser Stellen verstanden: 8 Der Herr ist barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Güte. 4 Er hat ein Gedächtnis an seine Wunder gestiftet, der Herr ist gnädig und barmherzig. Näher liegen dürfte jedoch im Kontext der das Thema des Jakobus im Prolog prägenden Tradition aus Sir 2,1-18 (vgl. Frankemölle, Thema) das dortige Gottesbild, wie folgende Stellen zeigen (in Klammern stehen die Parallelen bei Jakobus): 7 Die ihr den Herrn fürchtet, hofft auf sein Erbarmen und weichet nicht, damit ihr nicht fallet. 8 Die den Herrn fürchtet, vertraut auf ihn, und euer Lohn wird nicht ausbleiben.
10 Richtet den Blick auf die früheren Geschlechter und sehet (11c): Wer vertraute je auf den Herrn und wurde zuschanden? Oder wer blieb in seiner Furcht und wurde verlassen! Oder wer rief ihn an und er übersah ihn? 11 Denn barmherzig (11 d) und gnädig ist der Herr (11d): Er vergibt Sünden (16ff.) und rettet zur Zeit der Trübsal. 14 Weh euch, die ihr die Ausdauer verloren habt! Was werdet ihr tun, wenn euch der Herr heimsuchen wird? 15 Die den Herrn fürchten, sind seinen Worten nicht ungehor sam, und die ihn lieben, halten seine Wege (20). 16 Die den Herrn fürchten, suchen sein Wohlgefallen, und die ihn lieben, erfüllen das Gesetz. 17 Die den Herrn fürchten, bereiten ihre Herzen und demütigen vor ihm ihre Seelen (20b): 18 »Wir wollen in des Herrn Hände fallen und nicht in der Menschen Hände. Denn wie seine Größe, so ist sein Erbarmen« (11 d) Es sei dahingestellt, ob das Substantiv megalosyne: Größe im letzten Vers Jakobus zur Neubildung des ersten Adjektivs in l l d angeregt hat. Deutlich dürfte sein, wie stark er nicht nur im Prolog (s. o.), sondern auch im Gottesbild des Epilogs von diesem Text geprägt ist, wenn er die für die christliche Literatur neuen Gottesprädikate einführt. Die nächsten Belege finden sich erst wieder bei Hermas als Substantiv und Adjektiv sowie bei Justin (vgl. T h W N T 7, 1964, 558 f.). Hinsichtlich des Substantivs läßt sich feststellen, daß bereits in den Testamenten der zwölf Patriarchen »der ursprünglich etwas derbe Begriff ... auf Gott selbst angewandt werden kann« und damit ein neuer Sprachgebrauch beginnt (ebd. 551), wodurch übliche Septuaginta-Begriffe verdrängt werden. Nähme man hier eine Tradition für Jakobus an, dann hätte er in l l d die frühjüdische Testamentsliteratur mit der Septuaginta wie der verbunden. Auf jeden Fall schließt Jakobus in l l d eine Leerstelle des Prologes, da dort über die Motivation des Handelns Gottes an den Menschen (s. o. zu 1,5.17.18) noch nichts gesagt wurde, lediglich das dem Handeln vorgegebene Sein (s. o. zu 1,5c) angesprochen wird. Hier im Epilog interpretiert Jakobus das Sein und Handeln Gottes als Sym-pathie Gottes mit dem Pathos, dem Leiden der Menschen. Dies entspricht ganz den Aussagen von 4,5, wonach Gott neidisch
nach dem Geist verlangt, den er in uns wohnen ließ und 4,6, wonach Gott den Hochmütigen widersteht. Nach 4,8b ist Gott wirklich ein Gott, der sich den Menschen naht. Nahen diese sich ihm und erniedrigen sie sich vor ihm, ist auf Gott Verlaß, denn erhöhen wird er euch (4,10b). Das Gottesbild des Jakobus ist voller schöpferischer Dynamik, d. h. Gott ist ein Gott, der sich den Menschen ganz zuwendet, wie es in den biblischen Schriften durchgehend belegt ist. Die pragmatische Wirkabsicht des Jakobus ist es, daß Menschen dem entsprechen. Daß sie nicht so verläßlich sind, stellt Jakobus in aller Nüchternheit in 12 fest, wenn er in einer Art Ringkomposition zu Vers 9 noch einmal ein Verhalten der Adressaten kritisiert, das nicht gott-gemäß ist. V 12a-e: Daß 5,12 nicht unvermittelt und zusammenhanglos an dieser Stelle auftaucht, wurde bei der Behandlung des Kontextes bei Vers 10 belegt. Hinsichtlich der Einleitungswendung vor allem in 12a bleibt noch zu bemerken, daß Jakobus hier in Verbindung mit Vers 9 eine für ihn durchaus wichtigere Aussage anschließt. Dann aber ist eine solche Wendung topisch zu verstehen, da sie neben den Themen Gebet, Eid, Gesundheit der Rezipienten for melhaft den Briefschluß in griechischen, aber auch in neutesta mentlichen Briefen einleitet (Francis 125). Im N T ist außer Jak 5,12a hinzuweisen auf 1 Petr 4,8, auch dort im Kontext der Parusie (4,7a) und des Gebetes (4,7b) sowie des Hinweises, unter Rezep tion von Spr 10,12, daß »die Liebe die Menge der Sünden zudeckt«. Hier wie dort wird ein traditionelles Schema der Gemeindeparänese aufgenommen, das aus griechischen Briefen stammt, wo vor allem als Phrase mit Wünschen für die Gesundheit vorkommt (vgl. Exler 114) und auch der Eid ebenfalls zu typischen Schlußformeln von Briefen gehört (vgl. Exler 127-132). Unabhän gig von 1 Petr rezipiert Jakobus demnach Schlußformeln des hellenistischen Briefstils (vgl. Francis 125). Wenn Jakobus die sonst im N T belegte übliche Formel to loipon: zuletzt/schließlich/im übrigen (vgl. Phil 3,1; 4,8; 2 Kor 13,11; 1 Thess 4 , 1 ; 2 Thess 3,1; Gal 6,17; Eph 6,10; vgl. auch 2 Petr 3,3: proton: vor allem/ besonders) zur Einleitung des abschließenden Gedankens eines Briefes — immer verbunden mit der Anrede »meine Brüder« — variiert unter Rückgriff auf hellenistisch-paganes Briefformular, dann entspricht dies seiner bewußten literarischen Intention, die sich bereits im für das N T singulären, hellenistisch-paganen Briefpräskript in 1,1 zeigte. Dem phraseologischen Gebrauch am Ende des Briefes steht nicht die Rezeption sonstiger, biblischer Traditionen entgegen. Auf-
grund des absoluten Verbotes von jeglichem Schwur ist nicht auf die biblischen und zwischentestamentarischen Versuche, falsches und leichtfertiges Schwören einzudämmen, einzugehen (vgl. etwa Lev 19,12; Num 30,3; Jes 48,1; Jer 5,2; 12,16; Mal 3,5; zu Stellen aus der rabbinischen Literatur vgl. Billerbeck I 328-334; insgesamt vgl. den Überblick im Artikel »Eid«, in: T R E 9, 1982, 376-379). Mit solchen Ermahnungen zur Eindämmung des häufigen Schwö rens ist das radikale Eid- und Schwurverbot des Jakobus nicht zu vergleichen. Eher schon radikalisiert er die grundsätzliche Einsicht des Philo: »Am besten, heilsamsten und vernunftgemäßesten wäre es ja, gar nicht zu schwören, wenn der Mensch bei jeder Aussage so wahr zu sein lernte, daß die Worte als Eide gelten könnten. >Die zweitbeste Fahrt< aber, wie man zu sagen pflegt, ist wahr schwö ren; denn der Schwörende steht gleich im Verdacht, als ob man ihm nicht trauen dürfe. Darum soll man (im Schwören) zögern und langsam sein, denn vielleicht ist es doch möglich, durch Aufschub den Eid ganz zu vermeiden. Zwingt aber eine gewisse Notwendig keit dazu, dann muß alles, was dabei in Betracht kommt, sorgfältig und nicht oberflächlich erwogen werden; es ist doch keine kleine wenn auch aus Gewohnheit geringschätzig behandelte Sache. Denn ein Zeugnis Gottes in angezweifelten Dingen ist der Eid; Gott aber zum Zeugen anzurufen für eine Lüge, ist durchaus frevelhaft« (Decal 84-86; vgl. ders., bes. SpecLeg II, 2-38). Wichtig bei dieser Argumentation des Philo ist, daß er die oft im Zwischenmenschli chen verbleibende Argumentation durchbricht und die Frage nach dem Schwur — wie Jakobus — zu einer Frage nach dem Gottsein Gottes macht, auch wenn er an anderen Stellen durchaus auch rein anthropologische Motive kennt. Ein Einfluß auf Jakobus ist auf grund der weiten Verbreitung der Gedanken zur Kritik am Eid — wie im gesamten Epilog — nicht nachzuweisen. Näher liegt aufgrund des Wortfeldes schwören — Sünde (zur Sünde vgl. Jak 5,15-20) ein Einfluß von Sirach, dessen Warnungen bei allen Ausführungen des Jakobus zu den positiven und negativen Mög lichkeiten des Redens und der Zunge (vgl. 1,19-20.26; 3,1-12; 4,11-12) im Hintergrund standen. Zwei Stellen dürften dabei von besonderer Bedeutung sein, wobei daran zu erinnern ist, daß 27,11-15 von Jakobus bereits in 4,9 und 5,5 (s. o.) rezipiert wur den. 23,9
Ans Schwören gewöhne nicht deinen Mund, und den Namen des Heiligen zu nennen, gewöhne dir nicht an!
10 Denn wie ein Sklave, den man dauernd züchtigt, die Striemen nie los wird, so wird, wer dauernd schwört und (den Namen Gottes) anruft, von Sünden nicht frei sein. 11 Ein Mann, der viel schwört, wird voll von Gesetzesverachtung, und von seinem Hause wird die Geißel nicht weichen. Vergeht er sich, so ist seine Sünde auf ihm, und wenn er nicht (darauf) achtet, sündigt er doppelt. Und wenn er falsch schwört, wird er nicht für gerecht erklärt, denn sein Haus ist voll von Heimsuchungen. 12 Es gibt eine Art des Redens, das mit dem Tode verstrickt ist, möge es im Erbe Jakobs sich nicht finden! Denn von Gottesfürchtigen ist dies alles fern, und in den Sünden verstricken sie sich nicht. 27,11 Die Rede eines Frommen ist allezeit Weisheit, der Tor aber wechselt wie der Mond. 13 Die Rede der Toren ist ein Greuel, und ihr Gelächter erschallt in der Schwelgerei der Sünde. 14 Das Geschwätz dessen, der viel schwört, ist haarsträubend, und sein Streit wirkt ohrenverstopfend. 15 Mit Blutvergießen endet der Streit der Übermütigen, und ihre Lästerreden anhören ist widerwärtig. Auch wenn einige Ausleger (Mußner 213; Hoppe 110) diese Verse als grundsätzliche Warnung vor dem Schwören interpretieren, dürfte Sirach, wie das zweimalige, nur hier im A T belegte Wort »Vielschwörer« in 23,11 und 27,14, aber auch der zweimalige Appell an die Gefahr der Gewöhnung in 23,9 zeigen, sich wie im Judentum üblich gegen leichtfertiges und gewohnheitsmäßiges Schwören sowie gegen eine Ausuferung der Eidpraxis richten. Jakobus ist überzeugt: Ein lauterer, ungeteilter Mensch sagt die Wahrheit, immer, er bedarf daher des Schwures nie. Worte sollen das sein, was sie meinen. Gegen die Wahrheit verstößt man nicht nur in der Lüge, sondern auch im unlauteren Fehlverhalten und im Sein. Wie Jesus Sirach so geht es auch Jakobus in der Anthropolo gie nicht nur um das Nicht-Aussprechen von Meineiden, um ihr
Unterlassen, sondern um das seelische Ungeteiltsein, um Einfach heit und Lauterkeit, wie der Beginn der kleinen Einheit in Sir 22,27-23,15 belegt: 22,27 Gäbe mir doch jemand ein Schloß vor meinen Mund und auf meine Lippen ein kluges Siegel. 23,1 Herr! Vater und Gebieter meines Lebens! 2 Gäbe mir doch jemand Geißeln für meinen Sinn und Zucht der Weisheit für mein Herz. So sehr diese Vorstellungen auch motivgeschichtlich auf Jakobus eingewirkt haben, im strengen Sinn formale und inhaltliche Paralle len sind diese Stellen nicht. Eine solche findet sich exklusiv nur in Mt 5,33-37, ohne daß diese Parallele für die Intention des Jakobus allein bestimmend sein kann: 33
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Wiederum habt ihr gehört, daß zu den Alten gesagt wurde: »Du sollst keinen Meineid schwören, du sollst vielmehr dem Herrn deine Eide leisten«. Ich aber sage euch: weder beim Himmel, denn er ist der Thron Gottes, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel für seine Füße, noch bei Jerusalem, denn es ist die Stadt des großen Königs; auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören, denn du kannst kein einziges Haar weiß oder schwarz machen. Eure Rede soll sein: Ja, ja, nein, nein; was darüber ist, ist vom Bösen.
Die in Kommentaren zu unserem Brief, zum Matthäusevangelium und in Monographien zur Bergpredigt vielverhandelte Frage nach dem literarischen Verhältnis beider Stellen, läßt sich gegenwärtig wohl so beantworten, daß es ein solches nicht gibt. Vor allem die deutlichen sekundären Erweiterungen des Matthäus, wozu nach heutiger Kenntnis auch die antithetische Sprachform zu rechnen ist, die bei Jakobus fehlt, erschweren die traditionsgeschichtliche Frage nach einer möglichen gemeinsamen Vorlage, die unabhängig voneinander Jakobus und Matthäus rezipierten. Sie habe ein kate gorisches Schwurverbot enthalten und sei als doppelgliedriger
Mahnspruch in der zweiten Person Plural mit Verbot und Befehl formuliert gewesen, der sich in Jak 5,12a.d findet (vgl. Luz 280f.). Da der Spruch - wie in der Weisheitsliteratur üblich - von Anfang an eine Begründung hatte, Mt 5,37b jedoch redaktionell ist (vgl. Strecker 84), dürfte diese Begründung »am ehesten noch bei Jak erhalten« sein (Zeller 125) - falls man Jak 5,12e nicht kontextuell zu 5,9c ebenfalls als redaktionelle Klammer annehmen möchte. Der so rekonstruierte weisheitliche Mahnspruch — im Vordersatz mit dem Vetitiv der zweiten Person Plural, im Nachsatz mit einem antithetischen Jussiv — identifiziert man in der Regel mit einem Wort des historischen Jesus, wobei Jak 12b (»weder beim Himmel noch bei der Erde«) parallel zu Mt 5,34c.35a mit der Ablehnung einer Ersatzform des Schwörens bereits eine nachjesuanische Tra ditionsschicht andeutet. Was bleibt, ist ein kategorisches Schwur verbot, das — da es keine Ausnahmen zuläßt und für die jüdische Literatur singulär ist — in der Regel auf Jesus selbst zurückgeführt wird. Diese beeindruckende Lösung ist nicht ganz unproblematisch. Zwar richten sich beide Sprüche gegen eine im antiken Judentum und Griechentum allgemeine Praxis (vgl. auch T h W N T 5, 1954, 177- 185.458-467), aber auch gegen eine wohl im Urchristenturri übliche, nicht kritisch reflektierte Eid-Praxis, wie sie bereits bei Paulus belegt ist (vgl. 1 Thess 2,5.10; 2 Kor 1,23; 11,31; R o m 1,9; 9,1; Phil 1,8). Zudem: Weder gibt es in der sonstigen Jesusüberlie ferung für das Schwurverbot einen Anhalt, noch hält Matthäus selbst sich an das Schwurverbot Jesu, würde er es absolut verstehen (vgl. Mt 23,16-22; 26,72.74 sowie indirekt auch in 26,64; zu den christlichen Adressaten in Kap.23 vgl. Frankemölle, »Pharisäismus«). Außerdem: Zur Bestimmung der ältesten, eventuell jesuanischen Sprachform ist auf das nichtresponsorische »Amen« zur einleitenden Bekräftigung von Worten Jesu sowie auf diese noch verstärkende schwurartige Elemente hinzuweisen (vgl. Stählin sowie Dautzenberg, Schwurgebot 57-69; ders., Eid 379f.). Letzte rer schließt aus den Spannungen wie auch daraus, daß diese Wei sung Jesu »im Urchristentum weithin unbekannt« war, für das Logion: »Sein Ursprung ist eher in strengeren (hellenistisch?)judenchristlichen Kreisen zu suchen« (Dautzenberg 65), in einem Judenchristentum, »welches die Eideskritik eines weisheitlich und apokalyptisch bestimmten (Diaspora-?)Judentums aufnahm und weiterführte« (ders., 381). Und ein letztes Argument, das die Beantwortung der traditionsge schichtlichen Rückführung bis auf Jesus schwierig macht: Während
Jakobus in 5,12d prädikativ formuliert es sei vielmehr das J a von euch ein J a und das Nein ein Nein steht bei Matthäus ein doppeltes Ja bzw. Nein (»Eure Rede sei ja, ja, nein, nein«). Auch wenn es in der jüdischen Tradition bislang nur zwei Belege für das doppelte Ja als Schwurersatz gibt (wobei slHen 49,1 als christlicher Zusatz verdächtig ist, bSchebu 36a in der vorliegenden Form aus dem 4. Jahrhundert stammt; vgl. dazu Luz 280 Anm. 2; 285 Anm. 44), mögliche Parallelen also nicht den Ausschlag geben können, bleibt die Formulierung des Matthäus auf jeden Fall auffällig und legt den Verdacht nahe, daß zumindest Matthäus hier keine Eides-, sondern eine Beteuerungsformel sieht (zu den Vertre tern vgl. Luz 285 Anm. 45 sowie Strecker 84). Daß der Matthäus text zumindest mißverständlich ist, zeigt auch die altkirchliche Rezeption; sie bezeugt die prädikative Formulierung des Jako bus - auch dort, wo eindeutig Mt 5,37 rezipiert wird (zu den Belegen vgl. Luz 281 Anm. 7, der jedoch die Deutung der Beteue rungsformel ablehnt, ebd. 285 f., demnach die urchristliche Rezep tion anders wertet). Der grundsätzliche Ansatz von Luz, neutesta mentliche Texte wirkungsgeschichtlich auszulegen, führt auch bei Mt 5,33-37 in eine Aporie, da es im Sinne des Textes keine Wirkungsgeschichte gibt (zur Kritik am wirkungsgeschichtlichen Konzept vgl. Frankemölle, Evangelium und Wirkungsgeschichte 63-84). Noch ein abschließender Gedanke, der die Reichweite des Verbots des Schwörens betrifft, da der Inhalt in der Regel als kategorisch oder absolut verstanden wird: Liegt in der Tradition des Jakobus wie des Matthäus in der vorliegenden wie auch ursprünglichen Form ein weisheitlicher Mahnspruch vor, woran nicht zu zweifeln ist, dann geht es beiden Verfassern primär darum, den Adressaten für den Alltag Lebensregeln an die Hand zu geben. Wenn Weisheit in erster Linie die Fähigkeit ist, im alltäglichen Leben einer Gemeinschaft zurechtzukommen, muß sie nicht immer und überall Extremfälle vor Augen haben. So kann Jakobus durchaus in 2,6 und 4,11b die Situation von Christen vor dem Gericht (ohne Eid?) voraussetzen. Dies zeigt, daß das in der Tat absolute Schwurverbot in 5,12c wohl primär den binnenkirchlichen Raum betrifft. Nach Dibelius »tritt die Frage nach dem Recht des Eides in sozialen Zusammenhängen, etwa vor Gericht, völlig zurück. Denn an eine Christianisierung dieser sozialen Zusammenhänge ist vorläufig noch nicht zu denken« (296). Trifft diese binnenkirchliche Per spektive für Jakobus und Matthäus zu, dann entfällt der Hinweis auf die Singularität im Judentum. Denn nach Josephus galt für die
Essener: »Alles, was sie sagen, ist gewisser als ein Eid; zu schwören aber lehnen sie ab, da sie es für schlimmer halten als den Meineid. Denn es sei schon verurteilt, wer unglaubwürdig ist, auch ohne Anrufung Gottes« (Bell II 135; vgl. auch 141). Wie stark dies »binnenkirchlich«, auf die eigene Glaubens-Gemeinschaft bezogen ist, zeigen die nächsten Paragraphen, in denen deutlich wird, daß die Essener »sich der neu Eintretenden mit Eiden versichern« (142), da der, der nach langjähriger Probezeit aufgenommen wer den will, »ihnen furchtbare Eide schwört« (139), die den Mono theismus betreffen, und zudem »schwört, niemandem die Satzun gen anders mitzuteilen, als wie er selbst sie empfing« (142). Da dieser Eid beim Eintritt in die Glaubensrichtung auch in der Literatur in Qumran belegt ist (vgl. 1 QS 5,8-11), dort der private Eid, nicht jedoch der Eid vor Gericht verboten ist (CD 9,8-12; 15,3f.; vgl. auch 1 Q S 11,1-18; V , 8 - l l ) , ist deutlich in Qumran und bei den Essenern zwischen binnengerichtetem und außengerichte tem Verhalten zu unterscheiden. In dieser Eindeutigkeit wird jedoch der Adressatenkreis weder bei Matthäus noch bei Jakobus benannt (er ist aber vorauszusetzen), so daß man weiter über ein uneingeschränktes und grundsätzliches Verständnis nicht nur für innerchristliches Verhalten, sondern auch für das Verhalten der Christen gegenüber staatlichen Instanzen wird streiten wollen. Wichtiger als alle traditionsgeschichtlichen Bemühungen um die Herkunft des Spruches ist seine redaktionelle Intention, wobei der Anteil von Tradition und Rezeption in 12a-e nochmals offenblei ben muß. Deutlich ist, daß Jakobus in 12b wie Matthäus in 5,34c.35a wohl in wörtlicher Zitation von Jes 66,1 (»So spricht der Herr: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße«) auch jede damals im Judentum übliche Ersatzform für das Schwören bei Gott ablehnt; ihm geht es, wie 12c belegt, um das Verbot jeglichen Schwörens. Wahrheit kann nach Jakobus nicht als in juristischen Formeln institutionalisiert gedacht werden. Ja menschliche Wahrhaftigkeit kann nicht einmal nur zwischen menschlich verstanden werden. So sehr es ihm darum geht, daß der Christ immer und überall wahrhaftig und glaubwürdig ist, christli che Rede unbedingt wahr sein muß, so gilt dies in der theologi schen Konzeption des Jakobus jedoch nicht wie in der antiken Philosophie und vielfach im Judentum nur unter anthropologi schen Voraussetzungen, sondern — dies macht seine eigentliche Sprachintention aus — unter theozentrischen. Der Hinweis in 12e: damit ihr nicht unter das Gericht fallt kann sich in der griechischen wie in der deutschen Satzkonstruktion
entweder auf 12d beziehen (dann verfällt die Unwahrhaftigkeit und Lüge dem Gericht Gottes), sie kann aber auch auf jegliches Schwö ren in 12a-c zielen. In diesem Fall wäre jedes Schwören gottwidrig, da »ein einziger Gesetzgeber und Richter ist« (4,12a): Gott. Wer bei Gott schwört, gibt vor, ihn für sich verfügbar machen zu können. Aber man kann Gott weder verfügbar machen hinsichtlich der Zeit (s. o. zu 4,13-17) noch im Hinblick auf die Unvergänglichkeit des Reichtums (s. o. zu 5,1-6) noch im Hinblick auf das Kommen der Parusie (s. o. zu 5,7-8). Gott — dies ist die Botschaft des Jakobus — kann von keinem in Anspruch genommen werden, auch nicht durch einen noch so frommen Eid. Wie das Verhältnis des Menschen zu Gott ist, entfaltet Jakobus in semantischer Opposition zu Vers 12 in der abschließenden kleinen Abhandlung über die Kraft des Gebetes bei der Heilung von Kranken (5,13-15b) und bei der Rettung von Sündern (5,15c-20). Gott kann man nicht im Schwur »als Garanten der Wahrheit verfügbar machen« (Zeller 126), die Wahrheit coram deo kann nicht durch menschliches Handeln vorweggenommen oder mani puliert werden, sie kann nach Jakobus nur von Gott selbst im Gericht geoffenbart werden. Alles andere wäre menschliche Hybris. Wie im Prolog, so geht es Jakobus auch im Epilog primär um das richtige Verhältnis des Menschen zu Gott, wobei er — wie die folgenden Verse zeigen — das Mittun des Menschen durchaus nicht unterbewertet, solange es im richtigen theozentrischen Koordina tensystem angesiedelt ist. Im gewichtigen Schlußabschnitt 5,13-20 steht damit erneut das Problem des Synergismus zur Debatte, das beim Thema Gebet zwar bereits im Prolog (s. o. zu 1,5-8) kurz und grundsätzlich anklang, jetzt im Epilog aber im Hinblick auf konkrete Gemeindesituationen amplifiziert wird.
3. Von der positiven Wirkkraft verbalen Tuns (5,13-20) Die kleine Abhandlung über das Sprechen und seine Wirkungen auf die Gemeinschaft (9), auf die Sprecher (10) und vor Gott (12) wird von Jakobus in Konzentration auf besondere Formen christli chen Sprechens weitergeführt. Formal geschieht dies in semantisch schöner Verschränkung zu den positiven Beispielen der Bibel in 1011, während semantisch das kritisierte Verhalten in den Rahmen versen 9 und 12 in Opposition steht zu dem, was Jakobus in 13-20 als Aktionsziel erreichen möchte. Daß er diese Verschränkung so sieht, zeigt sich an Elias als weiterem paradigmatischen Beter.
Hinsichtlich der Einbindung von Vers 12 auch in diesen Kontext sei darauf hingewiesen, daß ein Eid bei Gott immer als feierlicher, gesteigerter Anruf Gottes zu verstehen ist, so daß dieser Vers im Hinblick auf das Thema Gebet in 13-20 als rhetorisch bewußte Steigerung der Affekte — wenn auch negativ — zu werten ist. Selbstverständlich folgen dem erst die positiven Ausführungen in 5,13-20. Untersucht man den Text semantisch nach Wortfeldern, legt sich eine Zweiteilung nahe, da Jakobus im ersten Teil (13-15) um das Thema Leid (13a), Kranksein (14a), Gebet (13a.14c.15a), Ölsalbung (14d) und Heilung (15a.b) kreist. Im zweiten Teil (16-20) geht es zwar auch um das Thema Kraft des Gebetes, jetzt aber verbunden mit dem Stichwort Sünde (15c.l6a.20a.c). Bezogen sich Heilen und Retten in den ersten Versen auf Krankheit (15a.b), so in den abschließenden Versen auf das Befreitwerden von Sünde (16c.20b). Aufgrund der syntaktischen Konstruktion gehört 15c.d als Bindeglied zwar zu den vorhergehenden Versen, in semantischer Hinsicht jedoch zu den folgenden. Wie so oft im Jakobusbrief erfüllt auch hier ein Vers (15c.d) eine Scharnierfunktion.
3.1 Von der Macht des. Gebetes bei der Heilung von Kranken (5,13-15) Literatur: Altham, P., »Bekenne einer dem anderen seine Sünden.« Zur Geschichte von Jak. 5,16 seit Augustin, in: Festgabe für Th.Zahn, Leipzig 1928, 165-194. — Bottini, G. C., Confessione e intercessione in Giacomo 5,16, in: FrancLA 33(1983) 193-226. - Condon, K., The Sacrament of Healing (Jas. 5: 14-15), in: Scripture 11(1959) 33-42. - Cothenet, £ . , La guerison comme signe du Royaume et honction des malades (Je 5,13-16), in: Esprit et Vie 84(1974) 561-570. - Frankemölle, H., Heilung(swunder), in: N B L 2(1992) 109-111. - Ders., Krankensalbungen im Neuen Testament. Biblische Korrekturen zur sogenannten »Letzten Ölung«, in: Probst - Richter (s. u.) 28-38. — Friesenhahn, H., Zur Geschichte der Überlieferung und Exegese des Textes bei Jak V, 14f.., in: B Z 24(1938) 185-190. - Gerstenberger, E. S., Der bittende Mensch, Neukirchen 1980, 163-169. - Hayden, D. R., Calling the Eiders to Pray, in: BS 138(1981) 258-266. - Lengeling, E.J., Todesweihe oder Krankensalbung, in: LitJ 21(1971) 193-213. — Luff, S. G. A., The Sacrament of the Sick, in: Clergy Review 52(1967) 56-60. - Lys, D., Le >Onction dans la Bible, Montpellier 1954. - Mayer, B., Jak 5,13-18 — ein Plädoyer für das Bittgebet in der Kirche, in: Der Dienst für den Menschen in Theologie und Verkündigung. FS A. Brems, Regensburg 1981, 165-178. - Meinem, M., Die Krankensal-
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Die ununterbrochene Flut der Literatur — nur eine Auswahl wurde erfaßt — zeigt das ununterbrochene Interesse der Kirchen und der Theologen an 5,13-15. Dies nicht zu Unrecht, belegt diese Stelle doch zum ersten Mal die Verbindung von Krankensalbung mit Gebet durch Presbyter und Sündenvergebung. Man achte auf die Aussage! Die Verse handeln nicht von einem Sündenbekenntnis vor den Presbytern und der Vergebung durch jene. Aufgabe der Presbyter ist es nach 14c.d nur, über den Kranken zu beten und ihn zu salben. Das Sündenbekenntnis wird nach 16a vor einander abgelegt. Beachtet man diese Differenzierung, nimmt es nicht wunder, daß zur Begründung des Sakramentes der Letzten Ölung bzw. der Krankensalbung Jak 5,14f. von den Kirchenvätern nicht zitiert wurde (vgl. Poschmann 126f.). Erst seit dem frühen Mittel alter, frühestens bei Gregor dem Großen, sicher bei Alkuin, galt die Stelle bei der Suche nach der Begründung der sieben Sakra mente als Schriftzeugnis für das Bekenntnis der Sünden vor dem Priester. Führende Theologen im 16. Jahrhundert wie Erasmus, Cajetan und Luther setzten sich wieder für die textgemäße, schon von Augustinus vorgetragene Deutung ein (vgl. Lengeling). In der gegenwärtigen Zeit sind die Kirchen bemüht, die mittelalterlichen Verengungen auch bei diesem Sakrament zu überwinden und zu einem ganzheitlichen, biblisch begründeten Verständnis von Heils sorge für die Kranken zurückzufinden (vgl. Probst — Richter). Das ist hier nicht das Thema. Eine große Rolle dabei spielt jedoch die sachgerechte Auslegung von Jak 5,14-15, wo von »starb — verse hen mit den Tröstungen unserer Mutter Kirche«, wie früher in Todesanzeigen stereotyp zu lesen war, keine Rede ist. Geht es Jakobus doch um die Gesundung des Kranken (vgl. 15a.b.l6c).
Kontextuell sind die Verse (s. o. zur Formkritik) durch schöne Verschränkungen mit dem vorhergehenden wie dem folgenden Text gut verbunden, was bei einigen Autoren (vgl. Cothenet, Vouga, Mayer) wegen der Stichworte »Gebet/beten« in 14c.l5a.l6b.d. 17b. 18a dazu verleitet, die Verse 13-18 als kleine Einheit zu verstehen, wobei nicht berücksichtigt wird, daß die Verse 17-18 als kleine Digressio zur Wirkmacht des Gebetes dienen und die Verse 19-20 ebenfalls noch von der Wirkkraft, die vom inständigen Gebet eines Gerechten (16d) ausgeht, sprechen, wenn auch in allgemeinerer Form. In dieser Funktion stehen jedoch die Verse 19-20 parallel zu der allgemeinen Aussage in 13a.b, während Jakobus in den Binnenversen das Prinzip der zergliedernden Amplifikation verwendet. Zu Beginn der jeweiligen kleinen Einheit in 13-15 und 16-20 nennt er das Thema, das die nachfolgende Ausführung entfaltet. 13a: Beten im Leid/in Krankheit; 16d: Viel vermag das inständige Gebet eines Gerechten —, selbst bei der Rettung von Sündern. Formal sind die Verse 13-15 unterschiedlich geprägt. Die ersten drei Sentenzen sind beherrscht von der Strategie der Kürze, da in 13a.b und 14a eine angenommene Situation jeweils asyndetisch mit dem Imperativ der dritten Person beantwortet wird: E r bete — er singe — er rufe. Die Aufmerksamkeit der Rezipienten wird dadurch auf das Wesentliche konzentriert, möglicherweise liegt die Wirkung der Asyndeta auch in einer »pathetisch-vereindringlichenden Steigerung« (Lausberg 709). Mag auch 13a zu den vorher gehenden Versen asyndetisch erscheinen, so hat Jakobus das Thema Erträgt einer ein Leid bei euch dennoch durchaus vorbe-t reitet durch das Stichwort Leid ertragen in 10b. Auch sei daran erinnert, daß im biblischen Verständnis der Schwur beim Himmel in Vers 12 als besondere Form des Gebetes verstanden werden muß, so daß auch das Stichwort er bete in 13a sowohl nach rückwärts wie nach vorwärts verweist. Von 13 zu 14 ist deutlich eine zergliedernde Amplifikation, inhalt lich eine Verengung festzustellen. Vers 13a.b nennt im Vordersatz ganz allgemein das Unwohlsein bzw. Wohlsein von gewissen Gemeindemitgliedern, 14a hingegen interpretiert das Unwohlsein als Krankheit. Diese Situation erfordert eine Handlung, um die es Jakobus geht: der Kranke soll die Presbyter der Gemeinde rufen. Findet sich vorher ein Asyndeton mit drei Gliedern, so jetzt ein Polysyndeton mit drei Gliedern (vgl. das und in 14c.l5a.b), was durch den Konditionalsatz in 15c, der mit und wenn eingeleitet wird, verstärkt wird. Wenn nicht alles täuscht, erreicht Jakobus
mit diesem Stilmittel bei den Hörern den Eindruck einer gewissen Würde und die Uberzeugung, daß die Verheißungen entsprechend konsequent eintreten als da sind: Und das Gebet wird den Kran ken retten (15a) - und aufrichten wird ihn der Herr (15b) - und es wird ihm vergeben werden (15d). Auffällig ist — und dies sei betont —, wie stark theozentrisch Jakobus auch diese kleine Ein heit abschließt, wenn er in 15b Gott als kyrios: Herr direkt nennt, in 15d beim theologischen Passiv Gottes Handeln voraussetzt, ebenso aber auch als Adressat der Gebete und Gesänge in 13a und b. Die Theozentrik bildet demnach semantisch eine schöne Inklu sion von 13 und 15. 13a.b: Allein schon wegen der Stichwortaufnahme von kakopathei: erträgt einer ein Leid des Substantivs kakopatheia: Leider tragen in 10b ist das Verbum wie das Substantiv sehr allgemein und offen zu verstehen. Krankheit kann mitgemeint sein, jedoch ist — analog zu den Erfahrungen der Propheten in 10b — daran zu erinnern, daß die Erfahrung von Leiden/Drangsal nicht nur seeli sche, nicht nur körperliche, sondern auch gesellschaftliche, bis hin zu kirchlichen Ursachen haben kann. Dies ist heute nicht anders. Die Handlungsanweisung des Jakobus in einer solchen Situation lautet nicht anders als in der gesamten Bibel (vgl. E W N T 3, 1983, 402-404): Im Glauben an die erfahrene Nähe Gottes und im Angewiesensein auf Gott wende man sich in bösen (13a) wie in guten (13b) Tagen im Gebet an Gott. Dies steht in deutlicher Antithese zu 12a-e; dort hatte Jakobus das Schwören beim Him mel, also bei Gott, verboten. Was der Beter in 13a von Gott erwartet, bleibt offen. Ebenso offen ist die Wendung in 13b psalleto: er singe als Varia tion zum sprechenden Gebet zu verstehen. Die Funktion des Gebetes ist - wie der Hinweis auf die kult- und gesellschaftskriti schen Propheten in lOb.c, auf den Rebell Ijob in I I b sowie auf die Beseitigung der Krankheit als Ziel des Gebetes in den Versen 14-15 zeigen — demnach auch in 13a nicht nur in seiner Trost-Funktion zu sehen, auf daß der Leidende die Kraft erhält, seine Situation zu ertragen. Dies alles bleibt hier noch offen. Jakobus geht es darum: Ob so oder so, in jeder Lebenslage soll der Christ um Gottes gnädige Führung glaubend wissen und im Klagen und Bitten sowie im Loben und Danken in Wort und Lied seinen Glauben an Gottes gegenwärtige schöpferische Dynamik verkünden. Auch aufgrund dieser offenen Formulierung erweist sich Vers 13a.b erneut als Scharniervers zwischen 9-12 und 14-20. Lehnte Jakobus in 12a den im Judentum üblichen Schwur gegenüber Gott
(vgl. Num 30,3; Ps 132,2; Jos 2,12f.; 1 Sam 20,42) als besondere Form des Gebetes ab, so erkennt er das ebenfalls im Judentum als besondere Form des Gebetes bekannte Sündenbekenntnis (vgl. Jos 7,19; 2 Sam 24,10; Dan 9,3 ff.) in den folgenden Versen sehr wohl an. Nach 13a.b soll christliche Existenz nach Jakobus betende Existenz sein (vgl. den Exkurs nach 4,3: »Vom Beten«). Traditionsgeschichtlich ist auch im Vorgriff auf die Funktion der Ältesten in der Gemeinde bei Krankenheilungen bereits hier auf Sir 38,1-15 hinzuweisen: 38,9 Mein Sohn, in deiner Krankheit säume nicht, bete zum Herrn, und er wird dich gesund machen. In ähnlicher Weise hatte Jesus Sirach in seiner Abhandlung über die begrenzte Lebensdauer des Menschen (vgl. 17,25-18,14) festge stellt, daß die Zeit des Lobens in der Totenwelt beendet ist, dagegen heißt es in 28b: Wer lebt und gesund ist, soll den Herrn loben. 14a-15b: Mit der rhetorischen Figur der zergliedernden Amplifika tion (s. o.) geht Jakobus von der allgemeinen Erfahrung von Leid und Drangsal (13a) auf konkretes Kranksein über, wobei die Erscheinungsform (körperlich, seelisch) wiederum offen bleibt. An eine allgemeine Schwäche, diese Bedeutung ist vom griechischen Verb her möglich, ist jedoch nicht zu denken, da in 14b-d der Kranke wohl als bettlägerig gedacht wird, sonst könnte er selbst zu den Presbytern gehen. 14b: Die Wendung die Ältesten der Gemeinde/der Kirche bietet sich natürlich für jede Art konfessionellen Vorverständnisses an. Wenn auch in wissenschaftlichen Kommentaren die etymologische Identifizierung von presbyteros: Ältester mit Priester (vgl. Kluge 565) nicht festzustellen ist, so um so mehr ihre Charakterisierung als »Amtspersonen« (Mußner 219), »institutionalisierte Amtsträ ger« (Schnider 133) oder auch als »beamtete Älteste«, deren Heil kraft »mit ihrem Beamtencharakter« zusammenhängen muß (Dibe lius 300). Konfessionelle Unterschiede finden sich nicht. Da das gesamte N T den Begriff »Amt« im heutigen Sinn als institutionell mit Macht und Aufgaben ausgestattete, rechtlich klar festgelegte Position im Rahmen einer Institution nicht kennt (vgl. Frankemölle, Amt), die in der antiken Umwelt üblichen Tätigkeitsbe schreibungen liturgischer, städtischer und staatlicher Art gerade
fehlen (vgl. R A C 3, 351-401) und die Kirchen in der Gegenwart wieder mit Luther die im N T belegten Aufgaben als »Dienst« verstehen, sollte der Begriff »Amt« für das N T obsolet sein. Selbstverständlich kennt das N T zahlreiche zeitlich wie örtlich verschiedene Aufgaben in den Gemeinden wie etwa Apostel, Pro pheten, Lehrer, Evangelisten, Hirten, Vorsteher, Presbyter, Episkopen, Diakone, Führer, Wundertäter, Zungenredner, Verwalter, Interpreten, Helfer, Fürsorger, Tröster, Ermahner, Jünger, die Zwölf, die Sieben u. a. Von Jakobus werden in 3,1 die Lehrer und hier in 5,14 die Altesten benannt, ohne daß man darauf auf eine bestimmte soziologische Struktur der Gemeinde schließen kann. Auffällig ist jedoch, daß die Fähigkeit zu heilen nicht mehr wie in den paulinischen Briefen (vgl. 1 Kor 12,9.28.30) als eigenes Cha risma erscheint. Es stellt sich die Frage, ob man zur Zeit des Jakobus u. a. solch charismatisch Begabte in das kollegiale Lei tungsgremium der Gemeinde gewählt hat. Auf jeden Fall setzt Jakobus wie der Verfasser von 1 Petr ein kollegiales Leitungsgre mium voraus, wobei 1 Petr im Dienst der Episkopen als Hirten und Aufseher/Episkopen/»Bischöfe« keinen Widerspruch zur cha rismatischen Gemeindestruktur sieht (vgl. 1 Petr 4,10-11 mit 5,1-2; vgl. Frankemölle, 1 Petr 63 f.66 f.). Die Gemeindevorstellung des Jakobus ist noch offener. Auf jeden Fall wirkte auch bei ihm die griechische Gerusia bzw. der jüdische Orts- und Synagogenvor stand als Modell einer kollegial-patriarchalen Presbyterordnung ein, wie sie auch für Jerusalem und die Missionskonzeption der dortigen Gemeinde bekannt ist (vgl. Apg 11,30; 14,23; 20,17ff. u. a.). Während das episkopale Konzept, das im griechisch-helleni stischen Raum beheimatet ist, zunächst auch kollegial strukturiert war (vgl. Phil 1,1; 1 Tim 3,2; Tit 1,5.7), sich jedoch um die Jahrhundertwende immer stärker zum monarchischen Episkopat entwickelt (vgl. Ign R o m 9,1; Eph 1,3; Magn 2; Trall 1,1), doku mentieren 1 Petr und Jak zu dieser Zeit die presbyteriale Form, wobei insgesamt verheiratete Männer (vgl. 1 Tim 3,2; Tit 1,6) Leitungsaufgaben in der Gemeinde übernehmen. Daß dazu auch bestimmte charismatische Dienste wie Mittlerfunktionen bei Hei lungen von Krankheiten gehören, belegt Jak 5,14c.d. 14c-d: Richteten sich die Anweisungen in 13a.b und 14a an ein zelne aus der Gemeinde, so in 14c und d an eine Gruppe, wobei in 14d das im griechischen Text sich findende Partizip auch modal übersetzt werden kann: indem sie ihn salben. Im letzteren Fall würde deutlich betont, daß die Salbung unter Gebet erfolgt. Dies ist keineswegs nebensächlich, da das Salben mit Ol als natürliches
Heilmittel neben Essig und Wein in der gesamten Antike, aber auch im Judentum (vgl. Billerbeck I 426 ff.) zur Linderung bei Hüftleiden, Hautausschlag, Leibschmerzen, Kopfschmerzen, Wunden u. a. bekannt war (vgl. Frankemölle 29 f.). Jak 5,14 initiiert demnach keine neue Praxis, sondern bestätigt eine weithin bekannte, differenziert diese jedoch, indem er die Ölsalbung hypo taktisch dem Gebet unterordnet. Daß dies seine theologische Sicht weise ist, wird in 15a ausdrücklich gegen jegliches Mißverständnis betont. Bereits in 14d war eben dieser Gedanken auch in der Wendung im Namen des Herrn enthalten. Dies war aber Jakobus wohl noch nicht deutlich genug gesagt zur Absicherung gegen ein magisches Mißverständnis der Salbung als nur therapeutisches Mittel oder zur Abwendung der (vielleicht wirklich vorhandenen) Überzeugung der Presbyter als Heiler (vgl. 15b). Wer ist der Herr? Sieht man die durchaus vorhandene Verschränkung zu Vers lOb.c: Die Prophe ten, die gesprochen haben im Namen des Herrn, womit nur Gott gemeint sein kann (gegen E W N T 2, 1981, 1274), sowie die theo zentrische Bedeutung bei Herr in 15b, legt sich auch für 14d Gott als der, in dessen Namen die Ölsalbung geschieht, zunächst nahe. Von der biblischen Sprachgeschichte ist dies ohne weiteres mög lich, da die Wendung im Namen des Herrn im Sinne von »unter Anrufung des Namens Gottes« bzw. »in seinem Auftrage« breit belegt ist (vgl. T h W N T 5, 1954, 260f.; differenzierter: ThHAT 2, 1984, 951 f.). Die Wendung fehlt jedoch, soweit feststellbar, in den ohnehin spärlichen Wundergeschichten, während die Wendung in rabbinischen Wundergeschichten belegt ist (vgl. T h W N T 267). Für Letzteres finden sich auch zahlreiche Belege in den Heilungs geschichten, die von den Jüngern in der Nachfolge Jesu erzählt werden (vgl. M k 9 , 3 8 f . ; Lk 10,17; Apg 3,6.16; 4,7.10; 9,34). Exorzismen und Heilungen werden »im Namen« Jesu Christi, d. h. entweder in seinem Auftrag und in seiner Bevollmächtigung oder auch unter Anrufung des Namens Jesu Christi vollzogen. Von einer Salbung mit Öl in Krankheit sprechen jedoch nur Mk 6,13 und Jak 5,14 f., an letzterer Stelle noch erweitert durch den Gedan ken der Sündenvergebung. Täuscht nicht alles, dann wird in beiden Stellen die biblisch vielfach belegte Wendung »im Namen Gottes« in der Bedeutung von »in seinem Auftrag/in seiner Kraft/in seiner Autorität/unter Anrufung seines Namens« verbunden mit der aus dem Urchristentum bekannten Heiltätigkeit Jesu und der im grie chischen und jüdischen Bereich bekannten Salbung mit Öl. Daß die Jünger Jesu den Auftrag hatten, wie Jesus Kranke zu heilen, ist 3
gemeinsynoptische Überlieferung (vgl. etwa die Aussendungsrede in Lk 9,2.10; 10,17-20 mit Parallelen) und die Praxis der Jünger in der Apostelgeschichte (vgl. Apg 6,8; 8,5-11; 10,38; 13,9-12; 14,812; 15,12; 19,11-16) und in den Paulusbriefen (vgl. 1 Kor 12,9.28.30; 2 Kor 12,12). Bei der Frage, ob bei der Wendung im Namen des Herrn der Herr Gott oder Jesus Christus ist, gilt es, eine falsche Alternative aufgrund einer christologisch verengten Glaubensgeschichte der christlichen Kirchen zu vermeiden. Wie ohne Ausnahme die syn optischen Wundergeschichten belegen, aber auch noch die Wun dergeschichten der Apostelgeschichte aus nachösterlicher Zeit, in denen von Heilungen »im Namen Jesu Christi, des Nazoräers« (Apg 3,6) gesprochen wird, wird die Theozentrik durch die Christozentrik nicht verdrängt. Am Ende dieser Geschichten steht nämlich nicht ein Bekenntnis zu Jesus, sondern ein Lob auf das Handeln Gottes (vgl. Apg 3,8.9.13.26; 4,21). Die unaufhebbare Funktion Jesu für die Heilungen läßt Jesus nicht in Konkurrenz zu Gott treten. Seine Heilsbedeutsamkeit verdeckt nicht den Blick auf Gott, sondern bestätigt das schöpferische Wirken Gottes, die Beziehung Gottes als Vater zu seinem Knecht Jesus Christus (vgl. Jak 1,1; Apg 3,13) und das Wirken Gottes durch und in Jesus Christus. Mag christliche Frömmigkeitsgeschichte die Akzente zum Teil anders gesetzt und die eindeutigen Aussagen des Neuen Testamentes verdunkelt haben, das Neue Testament — und damit auch Jakobus — ist hier eindeutig (vgl. Phil 2,11; Gal 1,4; 1 Kor 11,3; Rom 6,11 u. a.; umfassend zu Paulus vgl. Thüsing, Gott und Christus). Auch wenn die Zuordnung von Christologie und Theo logie bei Jakobus im Sinne einer Hinordnung von Jesus Christus auf Gott nicht so deutlich wie bei Paulus wird — bedingt ist dies auch durch die Spärlichkeit der christologischen Belege —, ist gerade Jakobus mit seinem weisheitlichen und theozentrischen Ansatz grundsätzlich nicht anders zu interpretieren als die anderen Theologen im Neuen Testament. Eine Konkurrenz zwischen dem Handeln Gottes etwa zu einem Handeln Jesu läßt sich nicht feststellen, da wohl sehr viel von der schöpferischen Aktivität Gottes — auch im Epilog — gesprochen wird, in dieser Weise aber nicht vom Handeln Jesu, sondern nur vom Handeln der Ältesten der Gemeinde »im Namen des Herrn«, Jesus Christus. Selbst und gerade diese Wendung bestätigt den theozentrischen Zug und macht die Beziehung Jesu zu Gott deutlich. Dieses Verständnis ist auch ein wichtiges Indiz für die offene Verhältnisbestimmung im Präskript in 1,1.
Überhaupt: Die Frage, ob bei Herr in 14d Gott oder Jesus Christus gemeint ist, wird von Jakobus nicht thematisiert, da es ihm um andere Aspekte geht. Demnach reflektiert Jakobus den im N T stark entfalteten Gedanken zeichenhaften Handelns an Kran ken unter Gebet und Ölsalbung und der Möglichkeit der Sünden vergebung im Auftrag bzw. unter Anrufung des Namens Jesu bzw. Gottes. Daß Jakobus auch den christologischen Aspekt hier durch aus mit dem theozentrischen verbinden konnte, bestätigt das ein deutige christologische Verständnis der Wendung »Ankunft des Herrn« in 7b.8c (s. o.). Wie im Prolog so betont Jakobus auch im Epilog die Parallelisierung von Gott als Herr und Christus als Herr, wobei jedoch die Theozentrik hier wie dort unzweifelhaft die bestimmende Perspektive bleibt, wie Vers 15 belegt. Auch bei einer christologischen Deutung sollte hier zumindest nicht ohne weitere Erklärungen von »sakramentalem« Brauch bzw. von »sakramentaler« Bedeutung gesprochen werden, wie dies in älterer Literatur der Fall ist, da eine Terminologie des 12. Jh. mit allen Implikationen der Theologie und der christlichen Praxis allzu leicht zurückprojiziert würde. Ebenso verengt ist eine rein reli gionswissenschaftliche Betrachtung, die feststellt: »Das Ganze ist ein Exorzismus; wie bei solchen Wunderkuren oft populär-medizi nische Mittel verwendet werden, so geschieht es hier« (Dibelius 300). Eine von der Bibel her erneuerte systematische und pastoral praktische Sakramententheologie, wie sie erfreulicherweise in den vergangenen Jahren in allen großen Kirchen feststellbar ist (vgl. weiter den Exurs 13 nach 5,16: »Heilung von Krankheiten und Sünden«), wird die eine wie die andere Engführung vermeiden können, wozu auch die weiteren Differenzierungen des Jakobus anleiten können. 15a-b: Wie wenig die zeichenhafte Handlung aus 14c.d als Todes weihe — so seit dem frühen Mittelalter (vgl. Lengeling) — verstan den werden kann, zeigt diese Sentenz eindeutig, so daß auch die Bezeichnung »Letzte Ölung« spätestens mit dem Zweiten Vatika nischen Konzil auch für die katholische Kirche überfällig war. So ( hatte entgegen der allgemein verengten Sicht seit dem Mittelalter die Kirche dennoch in ungebrochener Überlieferung immer daran festgehalten, daß »Christen, die, ohne krank zu sein, vor dem sicheren Tod stehen (z. B . durch Hinrichtung, bei einer Schiffska tastrophe), die Krankensalbung nicht empfangen können« (Lengeling 200). Ebenso auffällig ist, daß die »proleptische Totensalbung« (so T h W N T 1, 1933, 230) Jesu vor der Passion in Betanien (Mk 14,8; Mt 26,12) dogmengeschichtlich beim theologischen und
liturgischen Weg in die Sackgasse nicht herangezogen wurde. Dies zeigt nur, wie Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte, losgelöst von ihrer biblischen Grundlage — grenzenlos wuchern kann. Der Beliebigkeit ist dann Tür und Tor geöffnet. Mit der Konzeption des Jakobus hat all dies nichts zu tun, werden doch die Ältesten nicht zu einem Sterbenden, sondern zu einem Kranken gerufen. Jakobus zielt bei seiner Argumentation auf ein anderes Problem, wenn er in 15a das Gebet und in 15b die Aktivität Gottes unter streicht. Wie in 2,14-26 geht es Jakobus um einen Synergismus, ein Zusammenwirken von Mensch und Gott. Jakobus geht dabei von der Gewißheit aus — parallel zum Prolog in l,5-6a —, daß der Mensch jene Gabe, die er von Gott im Glauben, ohne im gering sten zu zweifeln (1,6a), erbittet, auch erhält. Jakobus denkt dort wie hier ganz weisheitlich (vgl. auch l,5b.d: »so erbitte er sie (die Weisheit) von Gott, ... und sie wird ihm gegeben werden«). Die seit dem frühen Mittelalter im Rahmen der Krankensalbung als Todesweihe notwendigerweise eschatologische Interpretation der futurischen Formen in 15a.b und 15d (heute noch vertreten von Cothenet, Vouga) ist durch das Verständnis der Formen als logi sches Futur zu ersetzen. Die Parallelen im Prolog wie auch der gesamte weisheitliche Denkansatz des Jakobus machen dies zwin gend, aber auch der Kontext. Zeigt sich doch die Macht des Gebetes bei Elias (17-18) in konkreter Erfahrung. Parallel dazu soll auch der Sünder in 19-20 für ein weiteres, gottgefälliges Leben gewonnen werden. Wie wenig es Jakobus um den magisch mißdeutbaren Ritus der Olsalbung geht, zeigt nicht nur die syntaktische Konstruktion in 14c.d (der Hauptgedanke steht im Hauptsatz in 14c, der unterge ordnete Gedanke im Nebensatz in 14d), sondern auch das Syntagma Gebet des Glaubens in 15a, das in diesem Satz als abstraktes Subjekt fungiert, bei dem zudem der Genetiv als Substantiv noch den Ton angibt. Wie im Prolog so lautet das Aktionsziel des Jakobus auch hier: Wer wirklich im Glauben betet und alles Gott anheimstellt (1,5b), wer auf jedes selbstsüchtige und eigennützige Beten verzichtet (s. o. zu 4,2e-3c), kann sicher sein, daß der Geber aller guten Gaben (1,17) ihm die Bitte erfüllt. Jakobus ist in diesem Punkt so optimistisch wie seine weisheitliche Vorlage Jesus Sirach (s. u.). Eine solche Gebetshaltung, ein solcher unerschütterlicher Glaube hat weder in 1,6 noch in 5,15 mit »Vertrauen zu dem Wundertäter« (so Dibelius 216 Anm. 1) etwas zu tun, da von Wundertätern überhaupt nicht geredet wird, die Ältesten in 5,15 jedoch eine eindeutig untergeordnete Funktion erhalten. Retten
wird ton kamnonta: den Kranken allein das Glaubensgebet (das Verbum kann auch ermüden, ermatten bedeuten, ist hier aber als Variation und Aufnahme von 14a zu verstehen, worauf der Artikel hinweist). Bei den Verben sozein: retten in 15a und egeirein: aufrichten in 15b rezipiert Jakobus die Terminologie der urchristlichen Hei lungsgeschichten (zu »retten« vgl. M t 9 , 2 1 f . ; 14,30; Mk 10,25; 15,31 u. a., zu »aufrichten«, das sonst im N T im Sinne der österlichen Auferweckung belegt ist, vgl. M k l , 3 1 ; 9,27; Mt 9,5.6.7.25; Apg 3,7 u. a.). Deswegen »müssen« beide Verben »die in derartigen Verbindungen technischen Bedeutungen haben ... Sie sind also nicht ... auf Rettung zum Heil und Auferstehung zu beziehen« (Dibelius 302). Weder hat das Verbum »retten« wie in 1,21 und 2,14; 4,12; anders in 5,20, eschatologische Bedeutung als Rettung vor dem Gericht und ewigem Tod (so Condon 35), noch ist der Kranke in 15a ein psychisch und moralisch Kranker (so Friesenhahn 190). Folglich meint »aufrichten« auch nicht »die seelische >Aufrichtung< des Kranken durch den Herrn« (so Mußner 223). Solche Deutungen, die sich durchaus auf beachtliche Stimmen aus der Auslegungsgeschichte zu Jak 5,14 f. und aus der Liturgiegeschichte des Sakramentes der Krankensalbung berufen können, bestätigen ihrerseits lediglich den beklagenswerten Trend zu einer immer größeren Spiritualisierung, die das leibhaftige Heil übersieht und die Heiltätigkeit Jesu und die der Urkirche verdrängt hat. Bei einem solchen Verständnis wird Glaube aus dem alltägli chen Leben in einen Sonderbereich oder in Sonderzeiten der Spiri tualität verdrängt, wobei das ganzheitliche, die Gesamtwirklichkeit anthropologischer Existenz betreffende Verständnis verneint wird. Wie die Geschichte von der Heilung des Gelähmten in Mk 2,1-12 belegt, nimmt die Jesustradition nicht nur eine unfehlbare Wirk samkeit bei der Sündenvergebung an. 15c-d: Auch diese Sentenz, wenn man auf die Art der syntaktischen Konstruktion achtet, widerspricht der liturgiegeschichtlichen Ent wicklung, bei der der Empfängerkreis nicht nur auf Sterbenskranke eingeengt wurde, sondern die Wirkung des Sakramentes auch allein auf die Vergebung der Sünden und Sündenstrafen. Jakobus entkop pelt — entgegen der sonstigen jüdischen Tradition, auch entgegen seiner Vorlage in Jesus Sirach (s. u.) — mit der Jesus-Tradition dfin kausalen Zusammenhang von Sünde und Krankheit, wenn er kondi tional formuliert: wenn er Sünden begangen hat. Diese Art der Differenzierung ist ein weiterer theologischer Grund, die Verse 13-15 und 16-20 formal und inhaltlich zu trennen.
Jakobus hebt den in der Weisheitsliteratur vorgegebenen TunErgehen-Zusammenhang (vgl. v. Rad, Weisheit 170-181.252 f.), wonach der, der sündigt, von Gott bestraft wird, auf. Dennoch ist Krankheit für ihn wie für Israel und für die christliche Urgemeinde nicht nur ein medizinisches, sondern immer auch ein religiöses, Gottes Schöpfertätigkeit (1,18) und den Menschen als Ebenbild Gottes (4,9) betreffendes Phänomen. Wie Jesus lehnt er aber ein automatisches Vergeltungsdenken ab (vgl. Lk 13,1-5; Joh 9,1-3; 11,4). Dies ist eine weittragende theologische These, deren Akzep tanz auch in den Neuentwürfen zur gegenwärtigen Erneuerung des Sakramentes der Krankensalbung keineswegs verwirklicht ist. Auch die Apostolische Konstitution Pauls VI. von 1972, die dem gegen wärtigen Ritual vorangestellt ist, bezieht sich zwar in der Terminolo gie auf Jak 5,15, ohne jedoch die Entkoppelung zu beachten: »Der Herr, der dich von den Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf«. Zwar weiß auch Jakobus aus Erfahrung, daß die Adressaten und er selbst sich in vielem verfehlen (3,2a), wobei die Folgen jedoch nicht Krankheiten sind, sondern Streitigkeiten und sozialer Unfriede in der Gemeinde (4,l-12;4,13-17;5,l-6). In 15d ist das Verb wird vergeben werden als theologisches Passiv zu werten, als Umschreibung des Handelns Gottes. Nicht um Pneumatiker und ihre Wunderkuren geht es Jakobus (so in völliger Verkennung Dibelius 300-303), sondern um das schöpferische Handeln Gottes (vgl. 1,17f.; 2,5 u. a.) auch in der Gegenwart am Sünder. Nicht um die traditionelle Verbindung von Sünde und Krankheit fortzuschreiben, greift Jakobus das bereits im Prolog angesprochene Thema der Sünde wieder auf (vgl. 1,13-15), viel mehr führt er den traditionellen Topos in kritischer Neufassung ein, um das ihm wichtig erscheinende Thema »Sünde« am Schluß seines Briefes zu amplifizieren. Außerdem war es ihm in seiner Vorlage Sir 38,1-15 in der traditionellen Verbindung von Sünde und Krankheit vorgegeben. Gerade in der Rezeption dieses Textes werden die redaktionellen Akzente des Jakobus in Weiterführung der Jesustradition durchsichtig. 1 Ehre den Arzt, bevor du ihn nötig hast, in gebührender Weise; denn auch ihn hat der Herr erschaffen. 2 Denn vom Höchsten ist (dem Arzt) Heilung, und vom König erhält er Geschenke. 3 Seine ärztliche Kunst erhöht sein Haupt, und angesichts der Großen wird er bewundert.
4 Der Herr bringt aus der Erde die Heilmittel hervor, und der einsichtige Mann verachtet sie nicht. 6 Ja, Er hat den Menschen die Kenntnis verliehen, sich Ehre zu schaffen durch seine Wunderkräfte. 9 Mein Sohn, in deiner Krankheit säume nicht, bete zum Herrn, und er wird dich heilen. 10 Fliehe Vergehen und richte gerade die Hände und von allen Sünden reinige das Herz. 12 Und dem Arzt gewähre Zutritt, denn auch ihn hat der Herr erschaffen, er soll dir nicht fernbleiben, denn auch er ist nötig. 13 Es gibt eine Zeit, da das Gelingen in ihrer Hand liegt, 14 denn auch sie selbst werden zum Herrn beten, daß er es ihnen gelingen lasse, Linderung zu schaffen, und Heilung zur Erhaltung des Lebens. 15 Wer sich versündigt vor dem, der ihn erschaffen hat, soll dem Arzt in die Hände fallen! Abgesehen vom ironischen, vielleicht auch sarkastisch gemeinten Schlußvers, da ärztliche Behandlung keineswegs zu den Annehm lichkeiten des Lebens zählt, der Arzt fast als Strafe Gottes verstan den werden kann, enthalten die Verse zum einen den Aufruf, die Arzte und die ärztliche Kunst, auch dann, wenn man sie nicht benötigt, hochzuschätzen, sodann jedoch die Erkenntnis, daß die Kunst des Arztes allein nichts ausrichtet. Wie der Kranke (9) beten auch die Arzte (14) um die Hilfe dessen, der die Heilkräuter wachsen läßt und dem Menschen das Wissen um deren heilende Kraft geschenkt hat. Gesund kann aber nur der werden, der von seinen Sünden abläßt. Innerhalb des A T ist Jesus Sirach ein moder ner Theologe, da er versucht, die wissenschaftliche Medizin seiner Zeit mit der traditionellen Konzeption von Sünde und Krankheit und vom allein heilenden Gott (vgl. Gen 20,17f.; Dtn 32,39; 2 Kön 20,5; Ijob 5,18; Ps 6,3; 30,3; 41,5; 103,3; 107,20) zu integrieren. Daß sich damit unmittelbar das Theodizee-Problem stellte, wurde deutlich gesehen, wie vor allem das Buch Ijob eindringlich bestä tigt. Solange Krankheit ein religiöses Problem war, es in der Gottesrede heißt »Ich bin Jahwe, dein Arzt« (Ex 15,26; vgl. Jer 3,22; Hos 14,5; Jes 6,10; 57,18), er selbst sein Volk »heilt« und »verbindet« (zu den Stellen vgl. N B L 1, 1991, 178), bedurfte es auch nicht der Berufsgruppe der Ärzte, wohl jedoch der charisma tisch begabten Propheten (vgl. Gen 20,17; 1 Kön 13,6; 2 Kön 5,1-14; 20,1-11). Jesus Sirach lebte in einer neuen Zeit, sieht jedoch
das wissenschaftliche Bemühen des Arztes und des Salbenkochs, also des Apothekers (vgl. 38,7), als Teil der göttlichen Schöpfungs ordnung. Sie verdanken Gott ihre Weisheit (2), wenn sie beten, wird Gott ihnen Diagnose und Therapie gelingen lassen (13 f.). Wenn Jakobus auch aufgrund der eigenen kirchengeschichtlichen Entwicklung (oder in Rückgriff auf alte Glaubensüberzeugungen der Bibel) seine Handlungsanweisungen nicht am Beruf des Arztes exemplifiziert, sondern an dem der Gemeindeleiter, sind die Über einstimmungen und Differenzen zu Jesus Sirach offenkundig, wenn man die Relation Kranker — Arzt — Gott, Medizin — Gebet, Arzt — Gott bedenkt: 1. Der eigentliche Heiler ist Gott selbst. 2. Krankheit wird keineswegs stoisch als Verhängnis verstanden. Auf menschlicher Seite muß sowohl der Kranke wie der Arzt/Presbyter beten. 3. Die Kausalität von Krankheit und Sünde übernimmt Jakobus nicht, setzt aber wohl voraus, daß das gemeinsame Gebet auch bei einem Kranken, falls er gesündigt hat, wie bei allen anderen (s. u. zu 16a-c) zur Vergebung der Sünden durch Gott führt. 4. Anders als die alttestamentlichen Propheten, die allein durch das Gebet heilen, setzt Jakobus zwar nicht wie der Arzt bei Jesus Sirach Salben ein, nimmt jedoch das Ol als sichtbares Symbol (14d) aus der Jesustradition auf. Jakobus ist kein Vertreter einer reinen Wort-Theologie; der ganze Brief spricht dagegen. Wie er den wahren Glauben an das wahre Tun bindet, so zielt das Gebet nicht nur auf die Vergebung der Sünden, sondern auch auf die körperliche Heilung. Jakobus geht es um den heilen Menschen insgesamt. Als »Apostel der Persönlichkeitsintegration« ist eines seiner Hauptanliegen, »daß der Christ innerlich nicht gespalten und mit sich selbst uneins sein soll« (Barkman 38), sodann betont Jakobus aber: Der Weise »kann nach außen hin sein, was er in seinem Innern ist« (ebd. 117), so daß er insgesamt »Vorschläge für ein erfülltes christliches Leben« macht (ebd. 172). Der Appell an das ungeteilte und ungespaltene Beten (s. o. den Exkurs nach 4,3: Vom Beten) gehört in diesen Kontext. Gegenstand des Gebetes ist dabei nicht nur die Heilung von Krankheit (5,13-15), sondern auch die Rettung der Sünder (5,16-20).
3.2 Von der Macht des Gebetes bei der Rettung von Sündern (5,16-20) Literatur: Althaus, P., »Bekenne einer dem andern seine Sünden.« Zur Geschichte von Jak. 5,16 seit Augustin, in: FS Th.Zahn, Leipzig 1928, 165194. - Balz, H., proseuchomai beten (er)bitten, in: E W N T 3(1983) 3963
409. - Bauer, J. B. - Zimmermann, H., Fürbitte, in: BthWB 1( 1967) 442450. - Böcher, O., planao irreführen, verführen, in: E W N T 3(1983) 233238. — Bottini, G. C , Correzione fraterna e salvezza in Giaccomo 5,19-20, in: FrancLA 35(1985) 131-162. - Clark, H. W., The Meaning of energeo and katargeo in the New Testament, in: J B L 54(1935) 93-101. - Fiedler, P., hamartia Sünde, in: E W N T 1(1980) 157-165. - Herrmann, J. - Greeven, H. euchomai u. a., in: T h W N T 2(1935) 774-808. - Thyen, H., Studien zur Sündenvergebung im Neuen Testament und seinen alttestamentlichen und jüdischen Voraussetzungen, Göttingen 1970. — Zorn, R., Die Fürbitte im Spätjudentum und im Neuen Testament, masch. Diss. Göttingen 1957. y
Kontextuell zeigen die Verse 16-20 nicht nur zum Prolog (s. o. den Exkurs nach 1,4) sondern auch zum näheren Kontext 5,7-15 mittels Stichworte zahlreiche Verschränkungen; diese sind nicht nur rein äußerlich, formal zu interpretieren (Dibelius 288), viel mehr wird durch sie ein semantisches Netz geknüpft, das die Einheit des Themas garantiert. Im Gegensatz zur negativen Aus sage im Hinblick auf die Adressaten in 9-12, beginnt jetzt in 16 die zweite Entfaltung der positiven Aussage. Stand in der ersten positi ven Entfaltung das Thema von der Macht des Gebetes bei Heilun gen von Kranken im Mittelpunkt (13-15), so ab Vers 16 das Thema von der Macht des Gebetes bei der Rettung von Sündern. Dabei garantiert nicht nur das durchgehende Thema »Gebet« die über greifende Einheit aller Verse, auch sonstige Verschränkungen — wie im gesamten Brief üblich — verstärken diese (s. o. zur Formkritik). Gemäß seinem literarischen Stil der Thema-RhemaStruktur (s. o. zu 1,2-4) taucht daher das Stichwort »Sünde« in 16a nicht unvermittelt auf, sondern wurde bereits am Ende der voran gehenden kleinen Einheit in 15c.d angesprochen, so daß es jetzt weiter amplifiziert werden kann und den Schlußgedanken enthält (16a.20a.c — in sich wiederum eine Inklusion). Ähnlich steht es mit dem Thema »Gebet«, das Jakobus vom Prolog an für so wichtig hält, daß er es nicht nur im Epilog wieder aufnimmt (13a.b.l4c.l5a), sondern es ebenfalls noch amplifiziert (16b.d.l7b.l8a) — verstärkt durch Elias als schriftgemäßes Vor bild. Lautet in 16d die grundsätzliche Sentenz bereits »Das instän dige Gebet eines Gerechten vermag viel«, so wird Elias als uner-
schütterlicher Beter eingeführt, der in Kontrast steht zu dem im Prolog kritisierten Beten der Adressaten: 1,5 Mangelt es aber einem von euch an Weisheit, so erbitte er sie von Gott, der allen vorbehaltlos und ohne zu nörgeln gibt, und sie wird ihm gegeben werden. 6 Er bitte aber im Glauben, indem er in nichts zweifelt. Denn wer zweifelt, gleicht einer Meereswoge, die vom Winde gepeitscht und umhergetrieben wird. 7 Ein solcher Mensch meine nur ja nicht, er werde etwas vom Herrn empfangen. 8 (Er ist) ein Mann, zwiespältig und unbeständig auf all seinen Wegen. Sieht man den Bezug von Prolog und Epilog und das im Prolog vorgegebene Gottes- und Menschenbild, dann ist die Formulierung des Jakobus in 17a, wonach Elias nicht nur ein Mensch war, sondern uns gleichgesinnt/gleichgeartet: homoiopathes, sehr bewußt gewählt. Dieses Adjektiv, das nur hier und in Apg 14,15 im NT, im A T nur in Weish 7,3 und 4 Makk 12,13 belegt ist, betont nicht, daß Elias besondere übermenschliche Fähigkeiten und Kräfte besessen hat, sondern stellt ihn nach Jakobus in eine Reihe mit den Propheten, deren kakopatheia: Leidertragen in 10b her ausgestellt wird, und mit den Kranken in der Gemeinde (vgl. 14a: kakopathei). Jakobus denkt demnach sehr wohl an das Ertragen von Konflikten und von körperlichen Schwächen (gegen T h W N T 5,1954, 939), und — nimmt man den Prolog hinzu — Jakobus sieht Elias auch in Solidarität mit den zweifelnden, zwiespältigen und unbeständigen Christen unter den Adressaten, deren Gebetshal tung mit einer vom Wind gepeitschten und umhergetriebenen Meeres woge verglichen werden kann. Gerade weil Elias unter gleichen Vorbedingungen (vgl. die parallele Argumentation zu Salomo in Weish 7,3), aber vertrauensvoller als alle anderen Men schen betet, kann er wirklich deren Vorbild sein. Mit literarischer Sensibilität hat Jakobus diesen Gedanken in der Verknüpfung von 17a mit 10b und 13a formuliert. Eine ähnliche sprachliche Sensibilität zeigt sich in 16c. Mit der Wendung damit ihr geheilt werdet nimmt Jakobus ohne Zweifel den Gedanken der Heilung von Krankheiten aus 15a.b wieder auf. Auffällig ist jedoch, daß mit iaomai: heilen/gesund machen jener Terminus technicus steht, den man in 15a und b erwartet hätte.
Semantisch offen wie dort formuliert Jakobus auch in 16c; verstand er dort metaphorische Begriffe konkret, so hier einen konkreten Begriff metaphorisch. Dies ist seine Art, beim Thema zu bleiben. Inhaltlich bedeutet dies: Im Beten füreinander (16b) und dadurch, daß die Adressaten einander (16a) die Sünden bekennen, sieht Jakobus die Möglichkeit zur Heilung einer zerstrittenen und gespaltenen Gemeinde, wie er sie in 4,1-12 und 4,13-5,6 zum Teil sehr drastisch skizziert hatte. Wo die in 16a und b genannten Gemeinschaftsformen wirklich möglich sind, hat man sich gegen seitig angenommen — auch in seinen Schwächen — und in aller Öffentlichkeit den Frieden proklamiert. Diese ganzheitliche Sicht entspricht genau dem, was Jakobus in 15a-d vom Bezug der Krankheit zum Gebet und dem möglichen Vorhandensein von Sünden gesagt hatte. Gerade weil er die Kausalität von Sünde und Krankheit aufbricht, kann er um seiner ganzheitlichen Sicht willen den Aspekt der Sünde dennoch einbeziehen, da es ihm vom Prolog an immer um den Menschen als Ganzen geht in seiner Beziehung zu Gott, in seiner Beziehung zu sich selbst und in seiner Beziehung zu anderen. Zu beachten bleibt dabei nur gegen modernistische Mißverständnisse, daß Sünde bei Jakobus alle drei genannten Aspekte umfaßt und er gerade unsoziales Handeln als Sünde demaskiert. Dem entspricht positiv der Begriff der Wahrheit (19a) und der Gerechtigkeit (vgl. den Begriff Gerechter in 16d). Der Wendung in 15c und wenn er Sünden begangen hat entspricht die Wendung in 19a wenn jemand bei euch abgeirrt ist von der Wahrheit. Auch dies wird als Möglichkeit formuliert, was die häufige Realität nicht ausschließt. Handlungsorientiert hat dem nach 19a die gleiche Funktion wie der Aufruf im Prolog in 1,16 Geht nicht in die Irre!, was Jakobus dort noch emphatischer und werbender mit der Anrede meine geliebten Brüder verbindet, während das Adjektiv hier aufgrund der Verslänge wohl wegfällt. Eine weitere parallele Form der Hinwendung zu seinem Publikum findet sich in 20a. Der Imperativ der soll wissen, nämlich derje nige, der einen irrenden Bruder zur Wahrheit zurückgebracht hat, entspricht der Aufforderung an alle Christen im Prolog in 1,3 Wißt! Wie im Prolog die Christen vorgestellt werden als Men schen, die auf dem Weg sind (vgl. 1,8), so auch im Epilog in 20a, wobei Weg nur hier und dort metonymisch gebraucht wird. Der Mensch, seine Seele (1,21; 5,20) hat nur in der Wahrheit Bestand, ansonsten bliebe er irdisch, psychisch, dämonisch (3,15) und dipsychos: gespalten (1,8; 4,8). Jakobus geht es um eine echte Alternative: um Leben oder Tod, um Sünde oder Wahrheit; nicht
von ungefähr findet sich das Stichwort Sünde aus 5,15.16.20 auch in l,15a.b - ebenfalls im Kontext des Stichwortes Tod. Ist damit die semantische Tiefenstruktur des Textes — aufgrund der formalen und inhaltlichen Verbindungen zum näheren Kontext wie zum Prolog als dem Gegenstück des Epiloges — annähernd sachge recht umschrieben, können weitere rhetorische Elemente, von denen die Verse geprägt sind, die sprachliche Schönheit und gestal terische Kraft bestätigen. Formal versteht Jakobus die Verse 16 ff. deutlich als Folgerung (vgl. 16a: also) aus der in 14-15 formulierten ganzheitlichen Sicht von Krankheit und Heilung, von Sünde und der Macht des Gebetes und dem Wirken Gottes in beiden Fällen. Wurden die Verse 13-15, was die Personen der Handlung anbelangt, deutlich von einer Steigerung geprägt (13a. 14a: einer bei euch, 14c.d: die Gruppe der Ältesten, 15b.d: Gott), so sind die Verse 16-20 geprägt von der Praxis des »Miteinander« und »Füreinander« (16a-d.l9a-20c). Im nachhinein bestätigt diese Perspektive der Gegenseitigkeit das Ver ständnis von 15c. d (s. o.), auch in seiner Scharnierfunktion. Das Reziprokpronomen einander in 16a.b trennt nicht nur im nachhin ein noch einmal die sonst übliche Verbindung von Krankheit und Sünden, sondern verwehrt auch die heute vorherrschende Verbin dung von Bekenntnis der Sünden und Presbyter. Gerade weil Jakobus 16a als Folgerung aus dem Vorhergehenden versteht, sieht er auch dort die Praxis des Sündenbekennens als innergemeindliche Praxis, die nicht an ein bestimmtes Amt gebunden ist. Nur von der brüderlichen Gemeinschaft redet Jakobus, vom Bekenntnis vor den »Heiligen und Gottesfürchtigen«, wie noch Augustin (Sermo 253; vgl. auch 254) deutlich sieht. Erst mit dem Kampf der angelsächsi schen Theologen um die Einzelbeichte vor dem Priester wird Jak 5,16 (frühester Vertreter ist Beda zu Beginn des 8. Jh.) als bibli scher Beleg für die Notwendigkeit, die schweren Sünden vor dem Priester zu beichten, verstanden. Neben den Reformatoren lehnten vor allem Duns Skotus (um 1300) und Erasmus (im 16. Jh.) die seit Beda vorgenommene Unterscheidung der leichteren und schwere ren Sünden ab, wodurch aber die seit dem Mittelalter vorherr schende Verwendung von Jak 5,16 als Begründung der Priester beichte im katholischen Bereich keineswegs ihr Ende fand, wie die weitere Auslegungsgeschichte (vgl. insgesamt den informativen Überblick zur Auslegungsgeschichte von Althaus, zu katholischen Exegeten um 1900 vgl. ebd. 189) belegt. Dies ändert sich auch für die katholische Theologie in zunehmendem Maße erst mit dem Verzicht auf dogmatische Bibelauslegung und der Anerkennung
der historisch- kritischen Exegese (zu frühen Vertretern vgl. Muß ner 226 f. Anm. 7). Bereits das Konzil von Trient verzichtete auf einen Hinweis auf Jak 5,16 zur Begründung der Ohrenbeichte vor dem Priester. In der Tat läßt sich die dogmengeschichtliche Ent wicklung mit Jak 5,16 nicht begründen. Jakobus setzt wohl eine Verbindung von Presbytern und Kranken salbung, nicht jedoch eine Verbindung von Presbytern und Sün denbekenntnis bzw. Sündennachlassung voraus; letztere dürfte er aufgrund der Folgerungspartikel also einander in 16a sogar aus schließen. Nach Jakobus wird das Sündenbekenntnis weder »vor dem Priester« abgelegt (so Poschmann 58) noch »in Anwesenheit der Presbyter« (Michl 195). Auch stillschweigend sind die Presby ter als besondere Gruppe nicht anzunehmen, wohl jedoch als vor Gott gleiche, d. h. sündige Glieder der Gemeinde; nur bei diesem Verständnis ist die Folgerung in 16a logisch (zu anderen Deutun gen vgl. Mayer 170f.). Wie Elias in 17f. uns gleichgeartet war, so sind es auch die Presbyter, aber nicht qua Amt erreicht ihr Gebet die Heilung des Kranken, vielmehr vermag dies nur das Gebet des Glaubens (15a). Gerade darin besteht die Gleichheit zur Gemein de — gegen jede Amtsanmaßung betreffs Gebet und Segen. Die Presbyter sind also für Jakobus nur Beispiel für ein bittendes Gebet bei der Heilung von Krankheit; insofern entsprechen sich syntak tisch und semantisch 14a.l5a mit 16b.c und 15a mit 16d. Ein konkretes Verständnis von 16c verlangt keineswegs, anzunehmen, »daß die ganze Gemeinde von einer allgemeinen Epidemie befallen ist« (Mußner 227). Wohl jedoch ist zu sehen, daß Jakobus in seinem ekklesiologischen Konzept des Miteinander und Füreinan der sowohl Elias (17-18) wie die Presbyter der Gemeinde (14) bewußt ekklesial einordnet. Gerade aufgrund dieses Verständnisses kann er an die Adresse jedes Christen einen starken handlungsorientierten Impuls für das Ende seines Briefes formulieren, indem er dem, der einen Sünder zurückbringt von der Irre seines Weges (20a), die Zusage Gottes verheißt (20c), daß ihm selbst eine Menge von Sünden zugedeckt werden. Dies bedeutet: Auch die Verse 19a-20b und 20c sind vom reziproken Einander in 16a.b zu interpretieren; ein Christ, der sich so, wie Jakobus es beschreibt, verhält, den sündigenden Mitchristen zurechtweist, correctio fraterna übt (vgl. Bottini), deckt seine und des Mitchristen Sünden zu, wobei klar ist, daß Gott sie ihnen vergibt (s. o. zu 15c.d). Würde man 20c anders deuten, nämlich nur auf den Sünder hin, würde der Brief nach dem Gedanken der Rettung der Seele eines Sünders aus dem Tode in 20b
rhetorisch verunglückt enden, da er nicht mit einer weiteren, für den Leser unerwarteten Steigerung schließen würde, sondern mit einer »Abschwächung«. Dies sieht Schräge sehr klar, sieht aber auch im Appell an das Engagement des Christen im heilsmittlerischen Prozeß protestantische Grundpositionen in Frage gestellt: »An dieser Aussage, die dem eigenen Verhalten sündentilgende Kraft zuschreibt, wird am Ende noch einmal die ganze Problematik deutlich, die der Brief bei aller Eindringlichkeit seines Rufes zum Gehorsam der Tat an diesem heilsentscheidenden Punkt einer am sola gratia orientierten Theologie bereitet« (59). Nivellierend ver steht dagegen Thyen die Aussage des Jakobus: »Dieses menschliche Einander-Verzeihen hat zunächst nichts mit >Sündenvergebung< im spezifischen Sinn zu tun« (243 Anm. 4), — womit im Nebenherein der Grund benannt wird, warum Jak 5,20 in einer Monographie über Sündenvergebung unbehandelt bleibt. Ruft Jakobus »nur zur zwischenmenschlichen Vergebungsbereitschaft« (ebd.) auf? Hat sie nicht theozentrische Konsequenzen? Dagegen gilt zu betonen: Jakobus bleibt mit seiner theozentrisch-anthropologischen Grund konzeption gegen jede Art von Relativierung ein Stachel einer einseitig protestantischen wie katholischen Theologie (zum letzte ren vgl. oben die Bemerkungen zur Funktion der Presbyter in 14-16). Formal endet der Brief in 20c mit einem offenen Schluß (was er mit zahlreichen Gleichnissen gemeinsam hat): Die Fortset zung der im Brief entworfenen christlichen Praxis ist im Leben der Adressaten zu »schreiben« ... Neben dieser handlungsorientierten Intention und der reziproken ekklesiologischen Grundorientierung (zu ihrer negativen Charak terisierung vgl. 4,11; 5,9), die auch von den zahlreichen Anreden der Adressaten mit Brüder gerade im Epilog (7a.9a.10a.12a.19a) deutlich artikuliert wird, hat Jakobus auch die abschließenden Verse seines Briefes weiterhin rhetorisch wohlüberlegt gestaltet. Zusammenfassend ist auf die Inklusion 16a — 20a.c sowie auf den synthetischen Parallelismus in 16a.b und auf den asyndetischen Anschluß in 16d hinzuweisen. Ferner auf die Vorliebe für Exempla in 17f. (vgl. 2,21-26; 4,10f.; 5,10.11). Nicht nur als Element der Diatribe bzw. als rhetorische Verlebendigung dürfte — wie im gesamten Brief (vgl. 1,5.23.26; 2,14.16; 3,2 u. a.) — die Hinwen dung zum einzelnen in der Gemeinde in 19a wenn jemand bei euch ... (vgl. 13a. 14a) zu verstehen sein, vielmehr nimmt Jakobus von Beginn seines Briefes an die Individualität des einzelnen in der Gemeinde sehr ernst, da er nur so differenziert über das solidar ische Miteinander der Gemeinde reden kann. Antithetisch geprägt
ist die Abfolge der Verse 17-18; hier stehen sich Himmel und Erde (18b.c) wie auch »regnen« und »nicht regnen« (17b.c.l8b) einander gegenüber. Die im Griechischen in 17b sich findende Wendung »flehte im Gebet« ist für deutsches Sprachempfinden ein tautologischer Pleonasmus und daher zu umschreiben. Wie die Verse 13-15 das gemeinsame Handeln von Menschen (13-15a) und von Gott (15b.d) festhalten, die theozentrische Aussage dabei den Schluß bildet, so sind auch die Verse 16-20 deutlich anthropologisch (16ab.d.l7-18a.l9-20) und theozentrisch (16c.l8b) formuliert, wobei hier in einer Art Klimax die anthropologische Aussage nicht nur die Verse, sondern den ganzen Brief beendet. Da diese zudem an den einzelnen in der Gemeinde gerichtet ist, erweist sich das Ende stark pragmatisch und gemeindeorientiert. Stand im Prolog primär der einzelne in seinem Sein und Handeln im Vordergrund (s. o. zu 1,2-12), so im Epilog die Gemeinde und der einzelne in ihr. Daß dies zwei Seiten einer Medaille sind, zeigt das Verständnis der einzelnen Begriffe. 16a: Da in der Auslegung zu 15c der Gedanke im Vordergrund stand, daß Jakobus den Tun-Ergehen-Zusammenhang von Sünde und Krankheit aufgehoben hat, sei hier die Frage gestellt, was denn Sünden im Sinne des Jakobus sind. Global läßt sich antworten: In diesem Begriff lassen sich alle Aspekte der Themen des Jakobus briefes zusammenfassen. In diesem Begriff ist das Grundthema des ganzen Schreibens enthalten, auch wenn der Begriff nur in l,15a.b; 2,9; 4,8c. 17 sowie in den abschließenden Versen im Epilog in 15c.l6a.20a.c belegt ist. Ist der Begriff im Prolog und Epilog semantisch offen, wird er im Sinne des Jakobus an den anderen Stellen klar strukturiert: 2,9
Wenn ihr aber nach dem Ansehen von Personen geht, tut ihr eine Sünde und werdet vom Gesetz als Übertreter überführt. 4,8 Reinigt eure Hände, Sünder, und macht lauter die Herzen, ihr Zwiespältigen. 4,17 Wer also weiß, Gutes zu tun und es nicht tut, Sünde ist es für ihn. Sünde verortet Jakobus demnach im Sein und Handeln des einzel nen und der Gemeinde, er sieht sie sowohl im Gespaltensein wie in der fehlenden Solidarität, er ortet sie im Tun wie im Nichttun. Daß auch Unterlassungen, fehlendes Engagement Sünde ist, haben christliche Kirchen mühsam gelernt, sehen dies jetzt aber deutlich:
»Wir haben gegen dich gesündigt in Gedanken, Worten und Wer ken durch das, was wir getan, und durch das, was wir unterlassen haben. Wir haben dich nicht von ganzem Herzen geliebt, wir haben unseren Nächsten nicht wie uns selbst geliebt« (Die Eucharistische Liturgie von Lima). Sieht man nicht nur Stich Wortverbin dungen, sondern das semantische Netz, das durch Wortfelder geknüpft wird, dann erweisen sich alle Ausführungen zum Gespal tensein, zum Zorn, zur fehlenden Weisheit, zu den Zungensünden, aber auch unsolidarisches Verhalten zwischen Armen und Reichen als Grundelemente zum Thema Sünde. Die Grundthemen des Prologes als da sind: Mangel an vollkommenem Werk und Mangel an vollkommenem Sein (1,4), Mangel an Weisheit (1,5), Mangel an Glauben (1,6-8) und Mangel an der richtigen Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen (1,9-11), die in den einzelnen kleinen Abhandlungen im Brief amplifiziert werden (s. o. die Skizze im Exkurs nach 1,4), illustrieren das, was Jakobus mit Sünde meint. Da alle Menschen davon geprägt sind, kann demnach eine Gruppe in der Gemeinde wie die Presbyter (5,14b) nicht ausgenommen werden, wenn es darum geht, die richtige Selbsteinschätzung zu finden und die ihr entsprechende ekklesiologische Praxis auch konkret zu leben. Hier kann es nach Jakobus nur ein Einander geben, was die frühmittelalterliche Verengung auf die Priester beichte (s. o.) ausschließt. Gerade deswegen ist der Appell an das Miteinander am Schluß seines Briefes so stark (s. o. zur Formkri tik), da Jakobus hier eine ekklesiologische Grundorientierung sieht. Konkret wird sie in der Praxis des Betens füreinander (16b) und der gegenseitigen Zurechtweisung (19-20). 16b-c: Wie das Sündenbekenntnis im Judentum selbstverständlich war (vgl. Num 5,7; Lev 5,5; Ps 37,4-6.19; 39,13; 41,5; 50,5-8; Spr 20,9; 28,13; 1 QS I, 23 bis II, 1; Dam X X , 28ff.; für Jakobus vgl. bes. Sir 4,26: »Schäme dich nicht, deine Sünden zu bekennen«), so auch das stellvertretende Fürbittgebet (vgl. Bauer-Zimmermann). Neben Abraham (vgl. Gen 18,22-32) leisten die großen Bundes mittler Moses (vgl. Ex 17,11 f.; 32,10-23), Josua (Jos 7,6-9), Samuel (1 Sam 7,6-9; 12,19-23), der König (1 Kön 8,22-53) und Propheten (1 Kön 17,20f.; 2 Kön 4,18-35; Jer 37,3; 42,1-4; Am 7,2.5) Fürbitte. In jüngerer Zeit sind auch himmlische Fürbitter, zu Gott entrückte Fromme, bekannt (vgl. 2 Makk 15,12-16; Ijob 33,23-26; Sach 1,12). Auch die Verbindung mit rituellen oder sühnenden Handlungen eines Priesters (vgl. Num 17,12f.; 25,6-15) ist belegt. Im Unterschied zu diesen biblischen Traditionen (vgl. auch: N B L 1, 1991, 712f.) verzichtet Jakobus auf Mittler, er »demokratisiert«
gleichsam die fürbittende Gebetspraxis, betont jedoch auch die Grenzen einer solchen allgemeinen Aussage (s. u. zu 16d). Zunächst wird noch in 16e das Ziel des Gebetes füreinander angegeben: die Heilung. Das Verbum iaomai: heilen/gesundma chen kann in übertragenem und konkretem Sinn verstanden wer den, parallel zu den Verben retten in 15a und aufrichten in 15b. Gemäß der traditionsgeschichtlichen Vorlage in Sir 38,9 und der kontextuellen und formkritischen Beobachtungen (s. o.) ist das Ziel des Gebetes damit ihr geheilt werdet in 16c konkret zu verstehen. Auch wenn Jakobus die Kausalität von Sünde und Krankheit sehr gezielt auflöst (s. o. zu 15a-d), zielt auch nach ihm das Gebet auf die Beseitigung von Krankheit (14a-15b) und auf die Beseitigung von Sünden (15c-16c). Daß solches Bitten erhört wird, ist für Jakobus (s. o. zu 1,5) ebenso gewiß wie der gesamten jüdischen und urchristlichen Literatur (vgl. Mt 6,6; 7,7-11; 18,19; 21,22; J o h 14,13f.; 15,7.16; 16,23f.; 1 Joh 3,22; 5,14f.). Jakobus steht hier ganz in der Tradition Jesu. Wie bei Jesus soll nach Jakobus die Heilssorge einer christlichen Gemeinde den ganzen Menschen umfassen (vgl. Frankemölle). Eine Beschränkung auf nur körperliche Heilung offenbart allzu modernes Denken, umfaßte doch Gesundung damals neben dem körperlichen Aspekt auch die soziale und religiöse Integration. Entgegen einer langen Auslegungstradition kann Heil auch nach Jakobus nie und nimmer spiritualistisch oder nur innerlich verkürzt werden. Gerade die Kombination der Verben retten (15a), aufrichten (15b) und heilen (16c) bestätigt, daß Jakobus noch mehr als andere neutestamentli che Theologen (vgl. dazu Schräge 57f.) Sein und Handeln des Menschen unter individuellen und sozialen Aspekten theozentrisch versteht. Daß Heil und Heilung umfassend den einen Menschen meinen, bedeutet nach Jakobus nicht, daß sie identisch sind und er — so sehr er an die Erhörungsgewißheit des Gebetes glaubt (vgl. den Exkurs nach 4,3: Vom Beten) — einen Automatismus vertritt, der in 15a.b und 16b.c sich durchaus nahelegen könnte. Die asyndetisch angeschlossene Sentenz in 16d widerspricht in aller Klarheit einem solchen Mißverständnis. 16d: Der Vers enthält zwei Interpretationsschwierigkeiten, wobei die erste kontextuell geklärt werden kann. Daran, was das polyse mantische Wort dikaios: gerecht/Gerechter bedeutet, dürfte nach Jakobus am Schluß seines Briefes kein Zweifel mehr bestehen. Gemäß dem Wortfeld (zum Adjektiv vgl. 5,6; zum Substantiv »Gerechtigkeit« vgl. 1,20; 2,23; 3,18; zum Verbum »gerechtma chen/gerechtfertigt werden« vgl. 2,21.24.25) ist ein Mensch
gemeint, dessen Sein und Handeln, Glauben und Tun gemäß dem Willen Gottes übereinstimmt. Leider ist dies bei den Adressaten und beim Verfasser selbst (vgl. 3,2a) nicht der Fall; wäre dem so, hätte er seinen Brief nicht schreiben brauchen. Schwieriger zu verstehen ist die im griechischen Text sich findende Partizipialkonstruktion, wonach das Gebet energoumene: wirk sam/sich als wirksam erweist/wirksam gemacht wird. Das Ver bum kann sowohl als Passiv wie als Medium verstanden werden, wobei das Medium wiederum reflexiv gedeutet werden kann oder auch das intensive Beteiligtsein des Handelnden umschreibt. Die Ubersetzung: viel vermag ein »wirksames Gebet« (Bauer-Aland 535) ist in der Tat »eine Tautologie. Ein Gebet, das viel vermag, ist selbstverständlich wirksam« (Mayer 171). Daß es vom Geist Gottes bewirkt wird (Wilkinson 330), legt der Text nicht nahe. Daß es erst dann, wenn es »bei Gott ankommt und von ihm erhört wird«, wirksam wird (Mußner 228), käme der eigenen theozentrischen Deutung zwar entgegen, doch auch dafür gibt es keine textlichen Hinweise. Ebenso nicht dafür, daß das Gebet durch die Liebe Gottes selbst bewirkt wird (Vouga 144). Am nächstliegenden dürfte ein Verständnis sein, das sowohl jede Tautologie ausschließt als auch möglichst wenig einträgt, d. h. dem anthropologischen Kontext menschlichen Bittens, insbesondere jedoch dem Beten des Gerechten entgegenkommt. Dadurch ergibt sich eine weitere, in sich stimmige semantische Opposition zum Prolog. Dort wird der, der Mangel an Weisheit hat, aufgefordert im Glauben zu bitten, indem er in nichts zweifelt (1,6a). Ein Zweifler gleicht einer vom Winde hin und her getriebenen und gepeitschten Meereswoge (6b.c), er ist zwiespäl tig, unruhig und unbeständig (8a). Ähnlich charakterisiert Jakobus in 4,1-3 den Menschen, der von seinen eigenen Trieben hin und her gerissen wird, mit sich selbst Krieg führt, so: 2 e Nicht habt ihr, weil ihr nicht bittet; 3 a ihr bittet und empfangt nicht, b weil ihr schlecht bittet, c um es in euren Lüsten zu verschwenden. Mit diesen Gründen für ein wirkungsloses Gebet ist das Sein und Handeln Gottes, der allen einfach und ohne zu nörgeln gibt (1,5c), zu vergleichen, da sich die Struktur des christlichen Seins und Handelns nach Jakobus aus dem Sein und Handeln Gottes erschließt (s. o. den Exkurs nach 1,18). Sieht man diesen Kontext,
dann ist das Partizip weder intransitiv-medial noch passivisch zu interpretieren, sondern medial-intensiv und am ehesten wie ein Adjektiv zu übersetzen: das inständige Gebet des Gerechten. Da die Wendung semantisch das Gebet des Glaubens in 15a variiert, jedoch stärker die Aktivität des Beters betont, bietet sich zur Übersetzung auch das dem griechischen Partizip entnommene Lehnwort an: Jakobus geht es um ein energisches Gebet. Der Gedanke des Betens mit Energie ist dem N T keineswegs fremd (vgl. M k 7 , 2 5 f . par Mt 15,22f.; Lk l l , 5 f . ; 18,lf.). Der Gedanke dürfte bei Jakobus vom Wortfeld her all jene Assoziationen freiset zen, die sich vom Prolog an mit dem Stichwort ergon: Werk und vollkommenes Werk (1,4) verbinden (vgl. 1,25; 2,14.17.18.20.21.22.24.25.26; 3,13). Wie nach Jakobus Glaube und Werk in Korrelation zueinander stehen müssen, so bewirkt das Gebet des Glaubens (5,15a) das, was es anzielt: Gesundung an Leib und Seele. Ebenso gilt: Wer in der Standhaftigkeit des Glaubens (1,3b) inständig (5,16d) ohne Wenn und Aber bittet — und dies ist Kennzeichen eines Gerechten (16d) und eines Christen, der vollkommen und ganz (1,4b) ist —, bewirkt das, worum er bittet. Mit Bedacht dürfte Jakobus den Gedanken des wirkenden und inständigen Betens nach den breiten Ausführungen zum wirkenden Glauben in den Schlußversen seines Briefes betont haben. Daß eine solche Gebetshaltung von ihm nicht als über menschliche Begabung angesehen wird, macht das Beispiel des Elias, als kleine Digressio bedeutsam an den Schluß des Briefes plaziert, deutlich. Bevor auf diesen exemplarisch Betenden einge gangen wird, sei zuvor nach der Funktion der Hinweise auf die Heilung von Krankheiten und Sünden für den gesamten Brief und für die gegenwärtige Theologie gefragt.
Exkurs 13: Heilung von Krankheiten und Sünden Literatur: Außer der zu 5,13-15 genannten vgl. die Exkurse bei Scbnider
135-136 und Schräge 57-58. Außerdem: Ganoczy, A., Sakrament, in: NHthG 5 ( 1991) 7-16. - Gerstenberger, E. - Schräge, W., Leiden, 2
Stuttgart 1977. — Lehmann-Pannenberg, Lehrverurteilungen 77-88.133140. - Lohfink, N., »Ich bin Jahwe, dein Arzt« (Ex 15,26). Gott, Gesell schaft und menschliche Gesundheit in der Theologie einer nachexilischen Pentateuchbearbeitung (Ex 15,25b.26), in: ders. u. a., »Ich will euer Gott werden«. Beispiele biblischen Redens von Gott, Stuttgart 1982, 11-73. 2
- Seybold, K. - Müller, U.B., Krankheit und Heilung, Stuttgart 1978.
Über die Einzelauslegung und die dort gegebenen Hinweise zur unter schiedlichen Rezeption in der Liturgiegeschichte der Kirchen hinaus sei in diesem Exkurs an die grundsätzliche Konzeption des Jakobus erinnert, für die seine abschließenden Hinweise auf das Gebet für Kranke und Sünder einen wichtigen Aspekt liefern. Insofern ist dieser letzte Exkurs mit dem Exkurs nach 1,6a: Glaube nach Jakobus, zusammenzulesen, aber auch mit dem Exkurs nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus, und dem nach 3,18: Weisheitstheologie nach Jakobus. Wie Glaube und Weisheit im Sinne des Jakobus kein Glaube und keine Weisheit sind, wenn sie nicht im Werk und im Tun der Nächstenliebe konkret werden, so zielt auch das Gebet (vgl. auch oben den Exkurs nach 4,3: Vom Beten) nicht auf einen Bereich der Innerlichkeit, auch ist es nicht für heilige Zeiten und Tage reserviert, vielmehr soll es das ganze Leben bestimmen. Mit der Tradition der Schrift von Jahwe als Arzt (vgl. Lohfink) und der Jesustradition (vgl. Seybold — Müller) betont Jakobus die Einheit von Sündenvergebung und Heilung, von Wort und Tat, kurzum den Menschen in seiner ganzheitli chen, psychosomatischen Einheit. Zusätzlich fügt Jakobus noch einen weiteren ganzheitlichen, ekklesiologischen Gedanken ein, wenn er in 4,14b.c.l5a das fürbittende Gebet durch Gemeindemitglieder betont. Demnach betreffen Sünden und Krankheiten nicht nur den einzelnen Menschen, sie sind nicht nur Ausdruck einer gestörten Gottesbeziehung, vielmehr stören sie auch die Gemeinschaft der Glaubenden in der tieferen Bedeutung, da Krankheiten und Sünden Zeichen für eine nicht gottgemäße Existenzweise der Gemeinde sind. Gott will nicht nur den ganzheitlichen Menschen, sondern auch die ganzheitliche Gemeinde. Im Hinblick auf die ökumenische Situation und hinsichtlich der gegenseiti gen Lehrverurteilungen im 16. Jh. bezüglich der evangelischen und katholi schen Sakramentenlehre (vgl. Lehmann-Pannenberg 77-156) sei im Kontext von Jak 5,13-16 die gegenseitige Zuordnung von Wort und Handeln, von Gebet und Salben betont. Demnach interpretiert das Wort das symbolhafte Handeln, und das semantisch vieldeutige Handeln wird durch das Wort im Gebet auf seine Symbolhaftigkeit hin ausgelegt. Auf jeden Fall ist bei den Adressaten Sensibilität für das Zeichen wie für das Wort Voraussetzung, damit Wort und Zeichen Wirklichkeit erschließen können, und so das bewirken können, was sie anzeigen. Für ein erneuertes Grundverständnis der Sakramente unter ökumenischer Perspektive seien vor allem drei Aspekte betont: 1. Für die katholische Kirche der Aspekt der Theozentrik: »Die Sakramente sind Handlungen, in denen Gott dem Menschen begegnet« (Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Schwerpunkte heutiger Sakramentenpastoral A, Freiburg 1976, 241). Vor allem das Stichwort Begegnung macht deutlich, daß nicht etwas vermittelt wird, sondern Beziehung hergestellt wird: »Der unsichtbare Gott wendet sich im sichtbaren Zeichen des Sakra mentes dem Menschen zu, um sich ihm zu schenken und bietet ihm so das Heil an. Der glaubende Mensch nimmt dieses Geschenk in Freiheit und Dankbarkeit entgegen. Beides muß zusammenkommen: das machtvolle
Wirken Gottes und die Bereitschaft des Menschen« (ebd.). 2. Evangelischerseits gilt es zu sehen, daß es nach Jakobus zwar primär das Wort, das Gebet ist, das Wirklichkeit schafft, dieses aber unaufhebbar begleitet wird von einer symbolhaften Geste. Mit Recht stellt der Ökumenische Arbeits kreis evangelischer und katholischer Theologen zu diesem Problem fest: »Grundsätzlich betonen beide Seitenn die konstitutive Bedeutung des Wor tes im Sakrament und demgemäß die Verbindung von Wort und nichtver balen Zeichen in der sakramentalen Handlung. Auch wenn die reformatori schen Kirchen die sakramentale Handlung als Verkündigung verstehen, haben sie ... betont, daß der Verheißungscharakter der Sakramente sich nicht nur im Wort ... ausdrückt, sondern sich auch im nichtverbalen Geschehen durch den Bezug auf die Leiblichkeit und damit auf rational nicht voll erschließbare Tiefenschichten kundtut, weil die verheißende Applikation ... dem ganzen Menschen gilt« (Lehmann-Pannenberg 80). 3. Auch in der bei den Reformatoren umstrittenen Frage einer unmittelba ren und direkten Stiftung und Einsetzung auch der Krankensalbung durch Jesus Christus selbst, die Luther mit Recht ablehnte (vgl. WA 6, 567ff.), wird im Konsenspapier festgehalten: »Das mittelalterliche Verständnis von Einsetzung (institutio) durch Jesus Christus ist weiter gefaßt als das moderne, durch historisches Denken geprägte; es meint, daß die Sakra mente durch das Heilswerk Christi in Kreuz, Auferstehung, Geistmittei lung und Sendung der Apostel in Kraft gesetzt worden seien. >Institutio< in diesem Sinn schließt also die nachösterliche Entwicklung des sakramentalen Lebens in der Kirche ein« (ebd. 78). Beachtet man, daß Jakobus in 5,14d mit der Wendung »im Namen des Herrn« theozentrische und christozentri sche Aspekte miteinander verbindet, nach 2,1 »Jesus Christus, Herr der Herrlichkeit« genannt wird, dürfte die Rückbindung des zeichenhaften Tuns im gesamten Handeln Gottes durch und in Jesus Christus deutlich als Voraussetzung angegeben sein. Aus allem folgt: Jakobus 5,14f. braucht mit dem hier belegten verbalen und nonverbalen Tun nicht länger Stein des Anstoßes zwischen evangelischer und katholischer Kirche sein, da »auch die evangelischen Kirchen der festen Überzeugung (sind), daß ... auch der unter Gebet vollzogene pastorale Zuspruch, der mit sichtbaren Segenszei chen verbunden werden kann und tatsächlich vielfach verbunden wird (Handauflegung/Kreuzeszeichen), dem Kranken die vertrauensvolle Gewißheit des Glaubens wirksam zu vermitteln vermag, daß Gott, der Herr über Krankheit und Tod, in Jesus Christus uns einen Arzt gegeben hat, der selbst das Leben ist... und dessen lebendigmachender Geist uns an Leib und Seele gesund machen kann« (ebd. 138 f.). Jakobus ist ein Vertreter einer ganzheitlichen Heilssorge für die Kranken. Er betont das zeichenhafte Handeln (worauf die katholische Kirche durch Jahrhunderte den Akzent legte) nicht weniger als das Handeln im Wort (was evangelische Kirchen betonten). Wie für ihn die Werke Zeichencha rakter besitzen, da sie das Innere des Menschen gegenüber anderen Men schen und vor Gott offenbaren (s. o. den Exkurs nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus), so betont Jakobus auch den kommunikativen,
zeichenhaften Charakter des leiblichen Tuns im Gebet. Neuere sakramententheologische Entwürfe (vgl. den Überblick von Ganoczy) versuchen, die unterschiedlichen Aspekte neu zu sehen und zu integrieren. Dazu gehört nach Jakobus auch, daß der Geheilte und der zur Wahrheit zurückge brachte Sünder (5,19) ihre Antwort zu geben haben in tätiger Liebe. Wie das Gebet und das »sakramentale« Handeln ungeteilt sein sollen (nur so gibt Gott das, worum der Beter bittet; vgl. 1,5 und den Exkurs nach 4,3), so zielt auch die Gesundung der Kranken und Sünder (zu letzteren vgl. 4,1-12) auf eine integrative Haltung und eben solches Handeln im individu ellen und sozialen Bereich. Diesen Gedanken variierte Jakobus im gesamten Brief ständig, im Kontext der Verse 5,7-20 liegt ihm primär daran, die Adressaten von der Macht des Gebetes bei der Heilung von Kranken (5,13-15) als Topos für BriefSchlüsse (vgl. Einleitung 2.4a) und bei der Rettung von Sündern (5,16-20) zu überzeugen. Dem dient auch Elias als exemplarischer Beter der Schrift, wobei darauf hinzuweisen ist, daß sein Gebet auf ökonomische Sachverhalte zielte; immerhin geht es um Dürre über »drei Jahre und sechs Monate« (17d) und Regen mit entsprechender Ernte. Jakobus denkt wirklich ganzheitlich.
17-18: Mit Elias als Beispiel für das Gebet eines Gerechten — an der semantisch höchst bedeutsamen Schlußposition des Briefes gesetzt — kehrt Jakobus im Epilog zum Grundgedanken des Prologes in 1,5-12 zurück. Der Hauptakzent liegt dabei auf der Wendung ein Mensch, uns gleichgeartet (17a). Nur so kann Elias mit seinem Gebet als Sprachhandlung Vorbild für die Adressaten des Jakobus sein. »Nicht übernatürliche Ausrüstung nämlich ver dankte Elias seine Himmel und Erde umspannende (5,17f.) Gebetsmacht; vielmehr war er >Mensch wie wir< (5,17), und sein Gebet war deshalb wirksam, weil er ein dikaios ... war (Jk 5,16)« (J.Jeremias, in: T h W N T 2, 1935, 937). Wie stark anthropologisch Jakobus hier denkt, zeigt nicht nur das für das N T auffällige Adjektiv, sondern noch mehr die kontextuelle semantische Ver knüpfung von gleichgeartet zu 10b und 13a (s. o.). Was soll der asyndetisch angeschlossene Vers 17f. argumentativ begründen? Jakobus versteht Elias nicht — wie im Frühjudentum üblich (vgl. Billerbeck IV 768 f.) — als himmlischen Fürbitter, er sieht in ihm nicht den bei der Parusie erwarteten Vorläufer des Messias (vgl. Mk9,13 par Mt 11,10.14; Lk l,16f..76), er hat kein Interesse an seiner Entrückung (vgl. 4 Kön 2,1-18) und seiner Wiederkunft vor dem Tag des Herrn (Mal 3,23 f.). Gerade der letzte Gedanke hätte sich im Kontext der Parusie des Herrn im Epilog (vgl. 7b.8c) nahegelegt, wobei sich Jakobus durchaus ein Text aus Jesus Sirach (vgl. 48,9-10) zur Rezeption angeboten hätte. Diese eschatologi-
sehe Bedeutung des Propheten Elias interessiert Jakobus vom Zusammenhang her nicht, auch wenn ihn die ausladende Preisung gerade des Elias im abschließenden Lob der Väter (vgl. Sir 48,1-11) insgesamt dazu angeregt haben mag, gerade im Epilog an drei Stellen (vgl. 10.11.17-18) erneut alttestamentliche Beispiele einzu führen (zu Abraham und Rahab s. o. zu 2,21-26). Jakobus interes siert sich für das wirkmächtige Wort des Elias, das er kontextuell durch das Gebet spezifiziert. Vom wirkmächtigen Wort las Jako bus jedoch in Sir 48,1-4: 1 Und Elias stand auf als Prophet wie Feuer, und sein Wort brannte wie eine Fackel. 2 Er führte eine Hungersnot über sie herauf, und ließ sie zu wenigen werden in seinem Eifer. 3 Durch das Wort des Herrn verschloß er den Himmel, ebenso ließ er dreimal Feuer niederfahren. 4 Wie herrlich wurdest du, Elias, durch deine Wundertaten. Wer ist dir gleich, sich zu rühmen? Um seiner pragmatischen Wirkabsicht willen übernimmt Jakobus die Unvergleichlichkeit des Elias nicht, im übrigen könnte er auch über Sirach hinaus auf dessen Tradition in 3 Kön 17-18 zurückge griffen haben, wo Elias noch menschenähnlicher verstanden wird. Dort geschieht das Regenwunder sehr viel ausdrücklicher auf das Wort des Elias hin gegen König Achab von Israel: »So wahr der Herr, der Gott Israels, lebt, in dessen Dienst ich stehe: In diesen Jahren soll weder Tau noch Regen fallen, es sei denn auf mein Wort hin« (17,1). Erst im dritten Jahr ergeht endlich die Verheißung des Herrn an Elia, daß er Regen auf die Erde senden will (18,1). Auf das Gebet des Elia hin, so dürfte wohl die Symbolhandlung in 18,42 zu interpretieren sein (»Elia stieg zur Höhe des Karmel empor, beugte sich zur Erde nieder und legte seinen Kopf zwischen die Knie«) — und dies geschieht siebenmal — heißt es: »Da verfinsterte sich der Himmel durch Sturm und Wolken; und es fiel ein starker Regen« (18,45). Jakobus scheint beide Traditionen miteinander zu verbinden, da er aus Sir 48,3 entnehmen konnte, daß Elias »auf das Wort des Herrn hin den Himmel verschloß« (was in 3 Kön 17,1 nur als Möglichkeit angedeutet wird), während vom Regenwunder nur in 3 Kön 18,45 erzählt wird. Der Umgang mit der Tradition deutet nicht nur die Freiheit des Jakobus an, sondern auch seine theologische und sprachschöpferische Kraft, um seines Themas willen die Schrift als Argument einzusetzen.
Warum Jakobus aus der Wendung »im dritten Jahr« (3 Kön 18,1) die Wendung drei Jahre und sechs Monate (17d) macht, ist umstritten. Da sich die gleiche Wendung in der Elias-Rezeption in Lk 4,25 findet, ist wohl eine mündliche Tradition anzunehmen. Dabei meint die Zeit von dreieinhalb Jahren kontextuell nicht eine symbolische Unglückszahl (unter Hinweis auf Dan 7,25; 12,7; Offb 11,2; 12,6.14 wird dies oft angenommen), vielmehr ist sie im Sinne des jüdischen Erzählens, wo sie »häufig« und in »verschie denartigen Zusammenhängen« belegt ist (Billerbeck III 761), als »gut drei Jahre«, also als runde Zahl zu verstehen. Jakobus lag an einer Zeitangabe, da es ihm um das inständige und dauerhafte Gebet geht, wie insgesamt das Thema Zeit in den kleinen Abhand lungen 4,13-17; 5,1-6 und 5,7-20 reflektiert wird. Jakobus geht es um die Standhaftigkeit und die Macht des Gebetes auf Dauer, allein dieser Aspekt wird illustriert mit einem berühmten Beispiel aus der Tradition. Dabei kommt Jakobus redaktionell alles darauf an, daß Elias auch nur ein Mensch war, uns gleichgeartet (17a). Was helfen uns himmlische Vorbilder? 19-20: Hinsichtlich seines Aktionsziels beendet Jakobus sein Schreiben mit einem gewaltigen, das Grundthema des Briefes zusammenfassenden Schlußakkord (19a-20b) und mit einer trö stenden Verheißung (20c), wobei er sich einleitend emphatisch zum letzten Mal den Adressaten mit meine Brüder (19a) zuwendet. Die beiden Verse sind nicht nur stark adressatenbezogen, sondern fassen auch die semantische Opposition von Sünde und Wahrheit, von Rettung/Heil und Tod komprimiert zusammen, vor allem erinnern sie noch einmal die Adressaten an ihre Chancen und Aufgaben innergemeindlicher Art. Durch die Anrede meine Brüder in 19a deutet Jakobus an, daß noch ein neuer Gedanke folgt, der sich als zergliedernde Amplifi kation erweist (Plett 44). Ging es in den Versen 16-17 darum, daß die Christen einander (16a.b) die Sünden bekennen, so geht es jetzt um den Spezialfall, daß ein Christ einen von der Wahrheit abgeirr ten Sünder sieht und ihn zurückbringt. Thematisch-syntaktisch steht nicht der Sünder im Vordergrund, vielmehr bildet er nur die Voraussetzung (19a: wenn jemand bei euch abgeirrt ist . . . ) , handelndes Subjekt ist der, der rettet, um sein Tun geht es. Bei allem hat Jakobus eine innergemeindliche Perspektive (19a: einer bei euch; vgl. 13a.b.l4a), mithin ist der Sünder ein Gemeindemit glied, sein Retter ohnehin. Wem solches gelingt, der soll wissen (20a; der singularische Imperativ statt Plural in Angleichung an die Anrede in 19a wird mit neueren Kommentaren jetzt auch in der 26.
Auflage von Nestle-Aland geboten). Es geht um ein christliches Selbstbewußtsein bei dem, der in konkreter Situation handelt, sowie um die Auswirkungen dieses Tuns auf den sündigen Mitchri sten (20b) und auf den Handelnden selbst (20c). Die Deutung der Personalpronomina ist zwar nicht unumstritten, ihr Gebrauch jedoch einsichtig. In 20a erweist sich die Wendung von der Irre seines Weges als antithetischer Parallelismus zu 19a: Wenn jemand bei euch abgeirrt ist von der Wahrheit, was wiederum eine deutliche Rekapitulation von 15c: und wenn er Sünden begangen hat ist. Gemäß der bei Jakobus üblichen Thema-Rhema-Struktur (s. o. zu 1,2-4) werden Subjekt und Verb von 19b und einer ihn zurückgebracht hat in 20a wieder aufgenommen: wer einen Sün der zurückbringt. Es ist nur logisch und konsequent, wenn sich die Wendung von der Irre des Weges nicht nur in 20a aufgrund des Parallelismus auf den Sünder bezieht, sondern auch in 20b die Wendung seine Seele retten. Auffällig bleibt dann nur, daß in 20c bei Sünden das Personalpronomen, das stehen könnte, nicht steht. Dies ist jedoch nicht nur traditionsgeschichtlich zu begründen, sondern auch in der Abfolge der Verse. Jakobus endet bewußt mit einer allgemeinen, offenen weisheitlichen Sentenz. Diese kann nicht mehr allein auf den Sünder bezogen werden, denn »dann hinkt der Satz unerträglich nach; der schon endgültig >vom Tode< Errettete bedarf keiner Sündentilgung mehr« (Dibelius 307). Diese Deutung entspricht dem Gesamtduktus der Verse 16-20, die insgesamt von der Praxis des Miteinander (16a.b) geprägt sind; dies wird im Indefinitivpronomen einer in 19a und 19b wieder aufgenommen. Steht in 16 die Praxis des Miteinander, des gegen seitigen Sündenbekenntnisses im Vordergrund, so in 19-20 die Praxis der gegenseitigen Zurechtweisung. Wie dort die »Frucht« des gegenseitigen Handelns für alle Beteiligten genannt wird (16c: damit ihr geheilt werdet), so dürfte am Ende der parallel aufge bauten letzten Amplifikation schon bei einer redaktionskritischen Auslegung des Textes in 20c mit der Wendung er wird eine Menge Sünden zudecken dies nicht nur den Bekehrten betreffen, sondern auch den Bekehrenden. Wie in 2,14-26 ist das Tun des einzelnen für den anderen, aber auch für sich selbst und sein eigenes Heil von entscheidender Bedeutung. Für den, der den Jakobusbrief gelesen und verstanden hat, endet Jakobus mit der theologischen These des Synergismus (s. o. zu 2,14-26). Auch andere Texte billigen dem gottgemäßen Tun des Menschen solche vor dem Tod rettende Kraft zu, womit Jakobus durchaus auf der Linie der Jesustradition (vgl. Mt 5,7; 9,8; 16,19; 18,15-18; Lk 7,47) liegt:
2,12 So redet und handelt, da ihr durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werdet. 13 Denn das Gericht ist unbarmherzig gegen den, der nicht Barmherzigkeit tat. Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. 3,18 Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird in Frieden gesät denen, die Frieden schaffen. 4,17 Wer also weiß, Gutes zu tun und es nicht tut, Sünde ist es für ihn. Auch sonst hat Jakobus die beiden abschließenden Verse kontex tuell stark eingebunden, wobei sich die meisten Beziehungen zum Prolog feststellen ließen (s. o.). Dies betrifft die Begriffe Weg, Irrtum, Wahrheit, Tod, Seele, Sünde, Sünder, irren, retten (vgl. die Skizze zur formalen und thematischen Einheit nach 1,4). Wie im Prolog, so sieht Jakobus auch im Epilog den Menschen als ein Wesen im Werden, auf dem Weg. Wie dort (s. o. 1,15: »dann wird die Begierde schwanger und gebiert die Sünde, die Sünde aber, voll ausgereift, gebiert den Tod«), sieht er auch hier das Abirren von der Wahrheit (19a) und den sündigen Irrtum (20a) als Weg zum Tode (20b). Auch am Ende des Briefes geht es um Tod oder Leben. Ist diese so beschaffene Inklusion zum gesamten Brief in ihrer Art auch originell, das Thema selbst ist es am Briefschluß nicht, da es in Abwandlungen auch im Neuen Testament sowie in der sonstigen urchristlichen Literatur vielfach auftaucht. So finden sich Warnun gen und Mahnungen vor Irrlehrern, mögen sie aus der Gemeinde hervorgegangen oder in sie eingedrungen sein, in den Schlußab schnitten in Gal 6,llff.; 1 Kor 16,22; R o m 16,17-20; 2 Thess 3,612; Jud 17ff.; 2 Petr 3,2ff.; Did 16,3-5. Jakobus rezipiert hier deutlich urchristliche Brieftopik, wie er in den vorhergehenden Versen ebenso deutlich hellenistische Brieftopik aufnahm (s. o. zum Eid und zur Gesundheit der Adressaten sowie zur Wendung »vor allem« in 12a). Jedoch: Wie er beim Präskript in 1,1 anders als die übrigen neutestamentlichen Briefschreiber der griechischen Briefkonvention folgte, diese jedoch inhaltlich ganz christlich füllte, so präsentiert sich Jakobus auch am Ende seines Briefes ganz als christlicher Theologe, der jedoch mit allen Fasern seiner Glau bensüberzeugungen in der jüdischen Tradition verwurzelt ist. 19a.20a: Von Beginn seines Briefes an versteht Jakobus den Men schen als Existenz im Werden auf dem Weg (s. o. zu 1,8 sowie den Exkurs nach 1,18). Die Metapher vom Weg, auf dem man wan deln, von dem man abirren und zu dem man zurückfinden kann,
überrascht am Ende des Briefes demnach nicht. Fast alle jüdischen Theologen verstanden die Geschichte Israels als Unterwegssein auf den Wegen Gottes, von denen Israel immer wieder abwich (vgl. Dtn 11,28). Der ständige Ruf der Propheten lautete: »Bekehret euch von euren schlimmen Wegen!« (4 Kön 17,13) Ebenso ist es das Anliegen der Weisheitslehrer, vor den falschen Wegen zu warnen und auf den rechten Weg zu führen, da der eine zum Tod, der andere zum Leben führt (Spr 12,28; Sir 15,17; Ps 1). Erinnert sei in diesem Zusammenhang vor allem an die für das gesamte Thema des Jakobusbriefes, wie es im Prolog thetisch formuliert wird, wichtige Rezeption von Sir 2,1-18 und 15,11-20 (vgl. Fran kemölle, Thema), wovon auch die beiden Schlußverse bestimmt werden: 2,6 7 11 12
15,16 17
Glaube ihm, und er wird sich deiner annehmen, mache gerade deine Wege und hoffe auf ihn. Die ihr den Herrn fürchtet, hofft auf sein Erbarmen und weichet nicht ab, damit ihr nicht fallet. Fürwahr barmherzig und gnädig ist der Herr, er vergibt Sünden und rettet zur Zeit der Trübsal. Wehe den furchtsamen Herzen und den schlaffen Händen und dem Sünder, der auf zwei Wegen wandelt. Feuer und Wasser hat er dir vorgelegt, wonach du willst, strecke deine Hand aus. Vor dem Menschen (sind) Leben und Tod, was ihm gefällt, wird ihm gegeben werden.
Auch wenn der bildliche Sprachgebrauch vom Weg, den der an den Gott Israels Glaubende zu gehen hat, sowie die jüngere Überliefe rung von den zwei Wegen ebenso wie die mit diesen Metaphern in übertragenem Sinn zu verstehenden Verben in der jüdischen Lite ratur sehr breit belegt sind (vgl. T h W N T 5, 1954, 47-65), ebenfalls in der urchristlichen Literatur (ebd. 88-101), dürfte gerade Jesus Sirach — aufgrund der Rezeption des in Sir 2,1-18 und 15,11-20 prägenden Wortfeldes für den Prolog des Jakobus in 1,2-18 — auch in 5,19 f. von entscheidender Bedeutung gewesen sein. Dies schließt die Einwirkung anderer Traditionen nicht aus. Fragt man kontextuell, worin irren (19a) und Irre/Irrtum (20a) besteht, bzw. abstrakt, worin die Sünden (20c) eines Sünders (20a) bestehen, dann ist auf den individual- und sozialethischen Gesamtentwurf des Jakobusbriefes sowie auf die in ihm enthaltenen Auseinander-
Setzungen des Jakobus mit falschem christlichen Selbst-, Gottesund Weltverständnis in allen kleinen Abhandlungen hinzuweisen. So semantisch offen Jakobus im Prolog formulierte, so semantisch offen formuliert er hier. Dies betrifft auch den Begriff der Wahr heit in 19a. So gewiß die griechische Bedeutung im Sinne der vernunftgemäßen Wahrheit als Bildungsziel fernliegt, ebenso die gnostische Bedeutung im Sinne einer Rückerinnerung an den im Gnostiker ruhenden göttlichen Funken, so sicher knüpft Jakobus an das biblische Wahrheits-Verständnis an, wonach Gott allein dem Menschen die Wahrheit unverfügbar anbietet und ihm auf grund seiner Selbsterschließung überhaupt erst die Existenz ermög licht (s. o. zu 1,18.21; 3,14). Die Wahrheit nach Jakobus ist, daß der Mensch »nach Gottes Abbild geworden« ist (3,9), Gott »uns wollte und uns geboren hat durch das Wort der Wahrheit« (1,18). Der ganze Brief redet davon, daß der Christ »Täter des Wortes und nicht nur Hörer« dieses Wortes sein soll (1,22). Auffällig bleibt aber, daß Jakobus die im AT vielfach variierte Wendung wie »Weise mir, Herr, deinen Weg, und ich werde wandeln in deiner Wahrheit« (vgl. Ps 85,11; zu weiteren Stellen vgl. Mußner 231 Anm. 1) nicht übernimmt, obwohl sie nahe lag. Dies zeigt, daß er beim Begriff Wahrheit nicht nur an das prakti sche Verhalten denkt, da er dafür gezielt Begriffe wie »tun, Täter, Tat, Werk« und deren Wortfelder einsetzen kann. Jakobus ist mehr Theologe, als manche Ausleger ihm zubilligen! Wahrheit ist bei Jakobus nicht sozialethisch zu verkürzen, auch wenn ihm alles daran liegt, daß sich Menschen nach der von Gott angebotenen Wahrheit im praktischen Leben zu orientieren haben. Wenn Sün der und Zwiespältige nach 4,8 identisch sind, Zwiespältige nach 1,8 nicht in der richtigen Haltung den Mangel von Gott beheben lassen, dann ist Wahrheit der Gegenbegriff zur Schizophrenie des Glaubens, wobei man hier den theozentrischen, dort den anthro pologischen Aspekt jedoch mitzuberücksichtigen hat. Wahrheit zielt nach Jakobus auf Gottes Sein und Handeln, dem der Mensch zu entsprechen hat. Tut er dies nicht, findet er sich »in der Irre des Weges« (vgl. Weish 12,24), dann ist er »abgeirrt vom Weg der Wahrheit« (Weish 5,6). 19b.20a: Die Pflicht, den irrenden Mitmenschen epistrephein: umzukehren/zurückzubringen/zu bekehren im aktiven und transitiven Sinn (im N T so nur Jak 5,19 f. belegt), ist im A T (vgl. T h W N T 7, 1964, 723 f.) der Sache nach gut belegt - ausgehend von Lev 19,17 (»Weise deinen Stammesgenossen zurecht, so wirst du seinetwegen keine Schuld auf dich laden«), und auch dem
sonstigen Judentum durchaus bekannt (vgl. Billerbeck I 787-790; zu Qumran vgl. 1QS 6,1; C D 7,2f.; 9,2ff.). So findet sich am Ende des Traktates Joma der Mischna, der vom Versöhnungstag handelt, die Maxime: »Sünden zwischen Menschen und Gott sühnt der Versöhnungstag; Sünden zwischen dem Menschen und seinem Nächsten sühnt der Versöhnungstag nicht — bis der Mensch seinen Nächsten versöhnt hat.« Der Sache nach, wenn auch mit anderen Begriffen, wird dies auch von Mitchristen erwartet (vgl. Gal 6,1; Mt 18,15 par Lk 17,3); nicht zuletzt ist an die vielen Paränesen der neutestamentlichen BriefSchreiber zu erinnern. Ähnlich umschreibt Cato die Aufgabe der Philosophen: »Fehlen sei allen Menschen gemein: aber was dadurch verdorben worden, wieder in Ordnung zu bringen, sei das Werk eines Gottes oder eines gottähn lichen Sterblichen« (Plutarch, Cato Minor 65,5). Identisch damit ist auch die Aufgabe der biblischen Weisheitslehrer, dem Menschen auch in der Form Lebensregeln an die Hand zu geben, indem bestimmte Verhaltensweisen kritisiert werden. So findet sich selbstverständlich das in 19b.20a benutzte Verbum auch in Sirach: 5,7 Säume nicht, dich zum Herrn zu wenden. 17,25 Wende dich zum Herrn und laß ab von Sünden. 29 Wie groß ist das Erbarmen des Herrn und die Versöhnung für die, die sich zu ihm wenden. 18,13 Das Erbarmen des Herrn gilt allem Fleisch. Er weist zurecht und erzieht und belehrt und bringt das Verirrte zurück wie ein Hirt seine Herde. Sollte Jakobus, was angesichts der breitbelegten Tradition der Bekehrung im A T nicht sicher ist, diese Stellen im Sinne gehabt haben, dann hätte er sie aktivisch umgewandelt. So oder so: Ihm liegt alles am Mittun der christlichen Gemeindemitglieder; ständen nicht vorher die eindeutig theozentrischen Aussagen (s. o. zu 15b.d.l6c), könnte es scheinen, als ob allein der Mensch die Bekehrung des Sünders bewirken könnte. Nichts hindert jedoch, in 19b.20a auch den Gedanken des Gebetes (15-18) weiter mitzu hören. 20b: Mit Seele ist wie in 1,21 der Mensch in seiner Ganzheit gemeint. Wie »die Sünde den Tod gebiert« (1,15b), wenn ihre Macht nicht durch Gottes schöpferisches »Wort der Wahrheit« (1,18a) grundsätzlich aufgehoben wäre, so ist es von diesem Glau bensbewußtsein her in die Hand des Menschen gelegt, »mit Sanft mut das eingepflanzte Wort, das eure Seelen zu retten vermag«,
anzunehmen (l,21b.c). Eben diesen Gedanken überträgt Jakobus handlungsorientiert am Schluß auf die Adressaten, die diese Chance nicht nur im Hinblick auf sich selbst, sondern auch auf den Mitchristen haben. O b Spr 10,2 (»Gerechtigkeit rettet vor dem Tod«) eingewirkt hat, wird nicht zu entscheiden sein, da Jakobus, wie 2,13c (»Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht«) belegt, einen solchen Gedanken durchaus metaphorisch variieren kann. 20c: Mit dem Begriff Sünde am Ende seines Briefes hat Jakobus nicht nur eine Inklusion zu 16a, also innerhalb der kleinen Einheit geschaffen, vielmehr auch zum Prolog (s. o. zu l,15a.b). Der letzte Begriff des Briefes könnte geradezu als hermeneutischer Schlüssel verstanden werden, da sich in ihm die von Jakobus breit entfaltete Schizophrenie im individuellen und sozialen Bereich zu bündeln scheint. Dann wäre auch von diesem Begriff her, wie sich oben nahelegte, die Frage, wer denn das Objekt des Zudeckens der Sünden ist, der Irrende oder derjenige, der ihn zurückbringt, offenzuhalten (vgl. auch Bottini). Die kommunikative Praxis mit ihrer heilenden Kraft hätte Konsequenzen für jeden der daran Beteiligten. Fragt man nach den von Jakobus rezipierten Traditionen, wird in der Regel Spr 10,12 angegeben (»Haß weckt Streit, Liebe deckt alle Vergehen zu«). Dieser Satz wäre auch von 1 Petr 4,8; 1 Klem 49,5 und 2 Klem 16,4 rezipiert worden. Eine direkte Rezeption dürfte aber nicht nachzuweisen sein, nicht nur weil plethos: die Menge und Sünden nicht im Bibeltext stehen, außerdem steht dort das Verb im Futur, sondern vor allem deswegen, weil in 1 Petr und Jak immer die Septuaginta zitiert wird, diese aber in Spr 10,12 einen ganz anderen Gedanken formuliert. Wie immer die Abhängigkeit der genannten Stellen sein mag, deutlich ist die Konstanz im Wortlaut, so daß auf eine vom hebräischen Text Spr 10,12 ausge hende Tradition zu schließen ist, wobei dieses Wort später schein bar sogar zum Herrenwort wurde (vgl. Dibelius 307), was aber durch die parallele Zitationsformel »der Herr sagt« in derselben Schrift (Didask II 3 mit Zitaten von Spr 15,1 und 12,10) sich als irrig erweist. Wie in Jak 5,20 bleibt auch in Spr 10,12 wie 1 Petr 4,8 u. a. die Frage, ob der Liebende die eigenen oder die fremden Sünden zudeckt, offen. Daß die eigenen Sünden durch Werke der Barmherzigkeit zugedeckt, vergeben und verziehen werden bzw. das eigene positive Tun positive Wirkungen für den Handelnden selbst eröffnet, ist biblisch und urchristlich gut belegt (vgl. Ps 32,1; 85,3; Ez 3,18-21; Dan 4,24; Tob 4,10; 12,9; 14,10f.; Mt 5,7; Lk 7,47; 1 Klem 50,5; Did 4,6; Barn 19,10; Pol 10,2). Mit all dem
mag ein allgemein verbreiteter Topos für Jakobus benannt sein, den er jedoch von der von ihm durchgehend rezipierten Tradition, Jesus Sirach, variierte. Bei ihm findet sich auch das Syntagma Menge der Sünden — dies in Kontexten, die Jakobus bisher schon rezipierte (vgl. Sir 5,1-8 mit Jak 4,12; 5,7.8 sowie Sir 34,19-22 mit Jak 4,2; 5,6), wobei diese Wendung außer Ez 28,17.18 in der Septuaginta nur in Sirach belegt ist. 5,6
Sprich nicht: »Sein Erbarmen ist groß, er wird mir die Menge meiner Sünden schon verzei hen.« Denn bei ihm ist beides, Erbarmen und Zorn, und auf den Sündern lastet sein Grimm. 7,1 Tue nichts Böses, so wird dir nichts Böses widerfahren. 7 Sündige nicht gegen die Menge der Stadt. 8 Unterschlage nicht zweimal eine Sünde, denn schon das erstemal wirst du nicht straflos ausge hen. 9 Sprich nicht: Die Menge meiner Opfer wird er ansehen, wenn ich sie dem Höchsten darbringe, wird er sie annehmen. 11 Verlache nicht einen Menschen in der Bitterkeit seiner Seele, denn da ist einer, der erniedrigt und der erhöht. 14 Sei nicht geschwätzig in der Menge der Alten, und sag ein Wort nicht zweimal in deinem Gebet. 16 Zähle dich nicht selbst hinzu zur Menge der Sünder; sei dessen eingedenk, daß der Zorn (des Höchsten) nicht verzieht. 28,1 Wer sich rächt, wird vom Herrn Rache erfahren, und seine Sünden wird er ihm sicher bewahren. 2 Vergib das Unrecht deinem Nächsten, dann werden dir, wenn du bittest, deine Sünden auch erlassen. 8 Halte dich fern vom Streit, so wirst du die Sünden verringern. In diesem Zusammenhang ist vor allem auf Sir 3,30 hinzuweisen, dessen Kontext (3,17-31) Jakobus bereits in 3,13-18 (s. o.) rezi pierte:
30
Brennendes Feuer löscht das Wasser aus, und Mildtätigkeit tilgt Sünden.
Jakobus endet nicht wie Sirach in 7,1-17 mit einer Warnung vor dem Bösen, er setzt nicht wie in Sir 7,9 und 34,19 auf »die Menge der Opfer« — hat er sie doch im gesamten Brief durch Solidarethik ersetzt (s. o. zu 1,26-27) —, er warnt nicht wie Sirach in 5,6 vor einer falschen Sicherheit, die den Nachlaß der »Menge der Sünden« von Gott erwartet — verbunden mit einem Appell, sich umgehend »zum Herrn zu wenden« (Sir 5,7). Sondern: Der Schlußappell des Jakobus lautet, was aber kein Widerspruch dazu ist: Wende dich zum Mitchristen! Sein Motto lautet nicht wie im Konzept früherer Volksmission »Rette deine Seele!«, sondern: »Rette seine Seele/ihn aus dem Tode!« (vgl. 5,20b). Hier wird in der Tat »dem eigenen Verhalten sündentilgende Kraft« zugeschrieben (Schräge 59), was jedoch nicht paulinisch, sondern weisheitlich (vgl. auch Tob 4,5-11; 12,9 sowie Heiligenthal, Werke der Barmherzigkeit) zu interpretieren ist. Auch an Luther und den Reformatoren orientierte Theologie sollte heute den von Jakobus behaupteten Synergismus zwischen Mensch und Gott (s. o. zu 2,14-26) akzeptieren können — sieht man die weisheitlich begründete These des Jakobus vom Tun-ErgehenZusammenhang. Dabei ist ihm wie seinem Vorbild Jesus Sirach vom Prolog an klar: »Alle Weisheit kommt vom Herrn« (Sir 1,1). »Mangelt es einem von euch an Weisheit, so erbitte er sie von Gott« (Jak 1,5; vgl. 3,13-18). Dies ist dort und hier die unaufhebbare theozentrische Grundvoraussetzung weisheitlichen Denkens (vgl. die Exkurse nach 1,18 und 3,5b). Nur unter dieser Vorausset zung, die Jakobus nirgends aufhebt, kann dort und hier Weisheit sozialpraktisch verstanden werden als Fähigkeit, in und trotz aller Anfechtungen und Mängel der eigenen Existenz und bei allen Spannungen in der Gemeinde das Leben im Alltag zu meistern. Wer nach den Regeln und Ordnungen, die Jakobus im gesamten Brief entfaltet, lebt, ist ein Weiser. Wie es Torheit ist, Böses gegen den Nächsten zu tun, das sich gleichzeitig auch gegen Gott richtet, so vermeidet der Weise das eigene Sündigen, ist aber auch »voll von Erbarmen« (3,17c; vgl. Sir 5,6) gegen Sünder, dies jedoch nicht in Untätigkeit, im Abwarten, sondern mit Engagement. Damit endet der Weisheitslehrer Jakobus (s. o. zu 3,1.13-18) wie sein großes Vorbild Jesus Sirach mit einem handlungsorientierten Appell an die Adressaten:
51,30 Wecket euer Werk, solange ihr noch Zeit habt, und Er wird es euch belohnen zu seiner Zeit! Das Werk, das Jakobus selbst zu tun hatte, aus dem Schatz der weisheitlichen Erkenntnis zu schöpfen und aus dieser Erkenntnis den Adressaten hilfreichen Rat zur Bewältigung individueller und sozialer Probleme weiterzugeben, ist damit vollendet (vgl. die Selbstbeschreibung von Jesus Sirach in Sir 38,33-39,11). Jetzt ist es an dem Leser — auch heute —, den Erkenntnissen und dem Rat des Weisheitslehrers Jakobus unter je neuen Lebensbedingungen zu folgen, sie im Tun zu verwirklichen. Sicherlich, einer - einseitig — an der »sola gratia orientierten Theologie« macht (so die Abschlußworte im Kommentar von Schräge 59) ein solcher Aufruf, der »dem eigenen Verhalten sündentilgende Kraft zuschreibt«, noch einmal »die ganze Problematik« des theologischen Entwurfes des Jakobus deutlich. Aber wie anders als im Tun, in ungespaltener solidarischer Praxis im Alltag der Welt einer Gemeinde und in der Ungespaltenheit von Glauben und Praxis im einzelnen Christen soll die Wirklichkeit der Rechtfertigung vor Gott und den Men schen sichtbar werden? Vielleicht lehrt die Not der Welt heute weisheitliche Theologie (vgl. zur Rezeption der Weisheitsschriften im theologischen Denken der Befreiungstheologie Tamez und Mesters, Leben I 27-71) wie auch die Theologie des Jakobus — jenseits aller konfessionellen Vorgaben — besser verstehen, hilft sie eher rezipieren und in der eigenen Wirklichkeit konkretisieren. Wie immer im Neuen Testament das Tun der Christen theologisch begründet wird (Jakobus begründet die Ermöglichung theozen trisch als Gabe Gottes: 1,5.17f.; 3,13-18), überzeugen als Zeichen für rechten Glauben vermag nur ein Christentum der Tat.
Exkurs 14: Die theologische Leistung des Jakobus Im Anschluß an die gesamte Auslegung und an den Versuch, in den Exkursen die grundlegenden thematischen Aspekte der theozentrischen, weisheitlichen Konzeption des Jakobus zusammenzufassen, sei abschlie ßend in methodischer und thematischer Hinsicht die Quintessenz — wenig stens in einigen Aspekten — benannt. 1. Da Theologie immer sprachlich vermittelt ist, zeigt sich die theologische Leistung eines Autors an der Art und Weise, wie er seinen Text syntaktisch, semantisch und pragmatisch strukturiert. In jeder Hinsicht erweist sich Jakobus als Meister — beeinflußt von der weisheitlichen Literatur des
frühen Judentums und frühen Christentums. Das syntaktische und seman tische Netz des Jakobusbriefes ist dabei vor allem geprägt vom Prinzip der funktionellen Oppositionen, da Jakobus das von ihm intendierte Sein und Handeln der Christen und der christlichen Gemeinde deutlich einem von ihm kritisierten Sein und Handeln der Adressaten gegenüberstellt. Diese Opposition hält den Brief zusammen (vgl. auch Weiß und Schule). Aller dings zeigt sie sich nicht nur auf der anthropologischen Ebene, vielmehr sehr viel grundlegender in der Korrelation von Anthropologie und Theo logie (vgl. den Exkurs nach 1,18). Ohne diese Zuordnung vom Sein und Handeln Gottes zum Sein und Handeln der Adressaten verlöre der Brief seine theozentrische Basis und damit sein eigentliches Thema. Ohne Gottes Sein und Handeln als unaufgebbare Voraussetzungen sind für Jakobus anthropologische und ekklesiologische Aussagen undenkbar. Dies macht nicht nur seine Theo-Iogie aus, vielmehr ist diese Thematik die Basis der sprachlichen Struktur und des Gesamtthemas des Jakobusbriefes (und umgekehrt). Dieser theozentrischen Grundstruktur und ihrer traditionsge schichtlichen Vorlage (s. u.) ist in Zukunft vermehrt Aufmerksamkeit zu widmen, will man die Theologie des Jakobus angemessen beschreiben. Ausgangspunkt hat dabei der vorliegende Text zu sein, bei dem sich formale Gestaltung und Thematik entsprechen. Erst in einer solchen Zusammenschau dürfte der Jakobusbrief in Zukunft weiter rehabilitiert werden und den ihm zustehenden Ort auch innerhalb urchristlicher Theo logie finden. Noch im 18. und 19. Jh. war die rhetorische Kunst des Jakobusbriefes deutlich gesehen worden (zu Vertretern vgl. Frankemölle, Netz 195-197). Diese Erkenntnisse sind heute aufgrund der Forschungen zur Rhetorik griechischer Briefe, zur Weisheitsliteratur und auf der Basis linguistischer Theorien besonders zur Frage der Einheitlichkeit von Texten aufgrund von oppositionellen Wortfeldern lediglich zu differenzieren. Danach (zur Begründung s. o. den Exkurs 1) besteht der Jakobusbrief aus Prolog (1,2-18) und Epilog (5,7-20), während Jakobus im eigentlichen Briefkorpus (1,19-5,6) Thesen des Prologes in unterschiedlicher Weise amplifiziert und Leerstellen konkretisiert. Am Verständnis des Prologes entscheidet sich das Verständnis des gesamten Briefes wie auch umgekehrt das Briefkorpus die Thematik des Prologes modifiziert. Daß dabei Prolog und Epilog im Unterschied zum Briefkorpus quantitativ und qualitativ stärker von theo zentrischen und christologischen Aussagen und Traditionen geprägt sind als die Binnenteile, macht noch einmal die planvolle Themenfindung und -durchführung des Jakobus deutlich (zum antiken Aspekt dieses literari schen Schrittes vgl. Lausberg 260-442) und den Reiz dieses Briefes aus, bestätigt aber auch die Funktion von Prolog und Epilog für den ganzen Text. Der gesamte Jakobusbrief bezeugt einen literarischen Gestaltungswillen, der im Kleinen bei der Erarbeitung der einzelnen Stichen wie im Großen bei der Gesamtanlage des Briefes mit allen zu Gebote stehenden literarischen und rhetorischen Mitteln arbeitet, so daß ein einheitlicher Text mit einem in
sich stimmigen und konsistenten Thema und Handlungsziel entsteht. Jeder Vers und der Brief insgesamt ist von rhetorisch-literarischer Kunst geprägt. 2. Die theologische Leistung des Autors in stilistischer und thematischer Hinsicht zeigt sich nicht nur in synchroner, sondern auch in diachroner Betrachtung. Die kompositions- und redaktionskritische Auslegung ist mit der traditions- und religionsgeschichtlichen zu verbinden. Allerdings: Dabei ist nicht nur intertextuell der internationale Charakter der vorder orientalischen — inklusive der jüdischen und christlichen — Weisheits- und Ethikliteratur herauszustellen (dies ist das große Verdienst der Kommen
tare von Joseph Mayor und ihm folgend von Martin Dibelius), sondern auch nach rezipierten Traditionen zu fragen. Zu Jakobus sind als solche nach qualitativem und quantitativem Maßstab zu nennen:
— die frühjüdische Weisheitsliteratur insgesamt, speziell aber das Buch Jesus Sirach. Der Jakobusbrief ist ganz von der Struktur und Logik weisheitlichen Denkens geprägt und entwickelt seine Theologie in die sem weisheitlichen Horizont. Ohne ihn ist sein Konzept nicht zu denken. Dies betrifft vor allem auch das Verhältnis von Gott und Mensch, Weisheit und Tun usw. An diesem Punkt entscheidet sich die oft beklagte, angeblich fehlende theo-logische Grundlage der Paränese im Jakobusbrief (soweit festzustellen war, setzte als erster Jan Luc Blondel 1979 das Verhältnis von Theologie und Ethik in eine sachge rechte Zuordnung, indem er die Ethik als konsequente Ethik aus dem Handeln Gottes, der die Weisheit und das Gesetz schenkt, bestimmte). — Neben den frühjüdischen Weisheitstraditionen ist sodann auf die vor synoptischen, ebenfalls weisheitlich geprägten Jesustraditionen hinzu weisen, in deren Zusammenhang auch die vorpaulinischen und paulini schen Weisheits-Traditionen einzubeziehen wären. Hinsichtlich des Verhältnisses Jakobusbrief — Logienquelle bzw. vormatthäische Tradi tionen wären die Arbeiten auf mehr wortstatistischer Basis {Kittel, Eleder, Mußner) zu ergänzen durch traditionsgeschichtliche Arbeiten (Suche nach gemeinsamen weisheitlichen Traditionen; vgl. Hoppe, Har un) und formgeschichtliche Arbeiten mit der Suche nach einem (gemein samen?) Sitz im Leben (vgl. bes. Popkes mit seiner These, daß der Jakobusbrief im Einflußbereich der Tradition »Anfechtung und Taufe« zu verstehen sei, zu der auch die Bergpredigt-Tradition gehöre). In all dem deuten sich richtige Ansätze an, wenn auch das letzte Wort noch nicht gesprochen sein dürfte. Daß frühe Jesustraditionen und die weis heitlichen Traditionen im Jakobusbrief zusammengehören, ist unzwei felhaft, daß Jakobus die Weisheitstraditionen erst als urchristliche ken nengelernt hat (so Popkes), kann vom vorliegenden Kommentar nicht bestätigt werden. Ein weites Feld für die Forschung eröffnet sich im Hinblick auf die Frage der weisheitlichen Theologie bei Paulus und der von Jakobus rezipierten. Wenn man, wie es hier geschieht (vgl. Einlei tung 2.6e), das Verhältnis von Jakobus und Paulus nicht primär als urchristliches, sondern als Problem der reformatorisch geprägten
Rezeptionsgeschichte versteht, stellt sich das Verhältnis von Weisheits theologie bei Paulus und Jakobus neu. Denn daß die soteriologische Konzeption der Rechtfertigung des Sünders allein durch das rechtferti gende Handeln Gottes im Kreuz Jesu in der paulinischen Deutung (mit allen Konsequenzen für die Bedeutung von Glaube, Weisheit, Werke) und die jakobeische Weisheits-Theologie mit ihren ebenfalls soteriologischen Aspekten (vgl. zu 1,5.18.21; 4,5) nicht ohne weiteres miteinander zu vergleichen sind, sollte unbestritten sein. Paulus und Jakobus reprä sentieren zwei unterschiedliche urchristliche theologische Konzeptionen innerhalb der Entwicklungslinien des Urchristentums. Beide haben ihre Berechtigung - unabhängig von ihrem Schicksal in der Rezeptionsge schichte des Christentums. Anders steht es um das Verhältnis des Jakobus zu Matthäus und der vormatthäischen Jesustradition. Gerhard Kittel brachte den jesuanischen Charakter des Jakobusbriefes 1942 prä gnant auf den Punkt: »Es gibt keine Schrift des N T außer den Evange lien, die so mit Anklängen an Herrnworte gespickt ist wie er« (Der geschichtliche Ort 84). Entgegen Luthers Ansicht (vgl. Einleitung 2.6d) hat folglich der Jakobusbrief eine durch und durch »evangelische Art«, da er durchaus eine direkte und indirekte Christologie enthält (s. o. den Exkurs nach 2,1: Die Christologie des Jakobus). Die Anklänge und Berührungen in traditionellen Topoi zwischen Jakobus und der matthäischen Bergpredigt sind unübersehbar (vgl. Popkes, Adressaten 156-176; David, James and Jesus; Hartin, James 140-198). Diese theologiege schichtliche Nähe zeigt, daß der Jakobusbrief nicht am Rand des Chri stentums anzusiedeln ist, sondern ins Zentrum neutestamentlicher Theologie gehört. Mehr noch als Matthäus repräsentiert er ein hellenisti sches Judenchristentum, das trotz christologischer Neuakzentuierung des monotheistischen Glaubens die Kontinuität zum biblischen Glauben betonte. Darin stimmt der Jakobusbrief mit der Didache, dem 1. Petrusbrief, dem Hirten des Hermas, dem 1. Klemensbrief und dem Judasbrief überein, während als verwandte weisheitlich geprägte Lebensregeln aus dem jüdischen Bereich neben den deuterokanonischen Büchern der Schrift die Testamente der Zwölf Patriarchen und die Sprüche der Väter in erster Linie zu nennen sind (zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens vgl. Küchler). Was die Art des Umgangs mit der synoptischen Tradition angeht, ist Jakobus mit dem Verfasser der Didache und mit Ignatius von Antiochien verwandt (Shepherd 48; Köster, Überlieferung 134.173.235.247). Hier wie dort dürften die Verfasser auf ähnliche Probleme der Adressaten reagieren, wobei sie für ihre Handlungsanwei sungen aus gleichen Traditionen schöpften. Bei der Frage, worin Jako bus im einzelnen mit der weisheitlichen Tradition Jesu übereinstimmt, ist Zurückhaltung geboten, da in einer jesuanischen Engführung allzu schnell der gemeinsame jüdische Weisheitshorizont ausgeblendet wird. Abgesehen vom Verbot des Schwörens (s. o. zu 5,12) ist es mehr die Fülle der sachlichen Übereinstimmungen und ihre Akoluthie und gegen-
seitige Zuordnung sowie die Auswahl der weisheitlichen Lebensregeln aus dem vielfältigen Angebot der Weisheitsliteratur, die überzeugt, als der einzelne Spruch (zu »vollkommen« vgl. etwa Jak 1,4 mit Mt 5,48, zum Gebetsglauben in 1,5-7 vgl. den Exkurs nach 4,3, zum Tun der Worte in Jak 1,22 f. vgl. M t 5 , 1 9 , 7,24-27, zum Halten des ganzen Gesetzes in Jak 2,10 vgl. Mt 5,18, zu den Werken der Liebe in Jak 2,15 vgl. Mt 25,35f., zum Richten in Jak 4,11 vgl. M t 7 , l f . usw.). So deutlich sich hier Parallelen zeigen, so deutlich lassen sich im einzelnen die hier und dort belegten Vorstellungen auf gemeinsame Traditionen zurückführen (vgl. oben bei der Einzelauslegung), was nicht gegen eine gemeinsame Jesustradition für Matthäus und Jakobus spricht. Wie frei Jakobus im übrigen über Matthäus hinaus Jesus-Traditionen rezipieren kann, zeigt seine explizite Christologie, die er mit der kerygmatischen Entwicklungslinie des Urchristentums gemeinsam hat (zu den Wendun gen »Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« in 1,1 und »Glauben an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit« in 2,1 siehe dort und im Exkurs nach 2,1: Die Christologie des Jakobus). — Die theo-logische Leistung des Jakobus im engeren Sinn zeigt sich in seinem Umgang mit der Tradition Philos von Alexandrien (s. o. zu 1,5 mit der Aussage von der »Einfachheit« Gottes sowie den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo-logie). Eine monographische Behand lung steht allerdings noch aus. Im Grunde genommen ist man über die Stellensammlung von Matthias Schneckenburger, Annotatio ad Epistolam Iacobi perpetua, Stuttgart 1832 und die kurze Zusammenfassung von Carl Siegfried, Philo von Alexandria als Ausleger des Alten Testa ments, Jena 1875, 310-314, noch nicht hinausgekommen (vgl. die Zusammenfassung von Kennedy, Hellenistic Atmosphere, aus dem Jahre 1911). In dieser forschungsgeschichtlichen Situation mögen die eigenen Hinweise bei der Auslegung genügen, ohne daß die Frage geklärt ist, auf welchem Wege Jakobus Kenntnis erhalten hat vom philonischen Gottesbild. Ohne diese Vorstellungen jedoch sind die Verse 1,13-18 und das Gottesbild des Jakobus insgesamt nicht zu verstehen, so sehr Jakobus im übrigen auch aus der biblischen Tradition die Vorstellung von Gott als dem Schöpfer, dem Geber des Gesetzes, dem Erwähler des Volkes und der Armen und dem Richter rezipierte, auf die — da sie unbestritten sind — hier nur zusammenfassend hinge wiesen sei (im übrigen s. o. zu 1,17f.; 2,5-13; 4,11 f. u. a.).
Die philonischen Traditionen würden noch besondere Bedeutung für die Frage nach spezifischen Akzenten der Theologie des Jakobus dann gewin nen, wenn — wie in diesem Kommentar angenommen wird — das jakobei sche Menschenbild und die Vorstellung der weisheitlich-dualistischen Weisheit (s. o. zu 3,9 und 3,15) philonisch strukturiert sind. Dies hätte die Folge, daß die vielfach beklagte, angeblich fehlende Soteriologie weisheit lich zu bestimmen wäre. Wenn der Mangel an Weisheit (1,5) oder die falsche »irdische, psychische, dämonische« Weisheit (3,15b) nur von Gott
— aufgrund des menschlichen Gebetes - aufgehoben werden können, der Mensch das von Gott »eingepflanzte Wort« anzunehmen hat (1,21), Gott »eifersüchtig nach dem Geist verlangt, den er in uns wohnen ließ« (4,5), dann setzt Jakobus voraus, daß die von ihm im gesamten Brief skizzierte menschliche »Natur« zwar ambivalent und irdisch ist, aber durch Gottes »Weisheit«, »Wort« und »Geist« umgestaltet, also erlöst werden kann. Wenn bei Philo in seiner Auslegung von Gen 2,7 (s. o. zu 3,15) erst »die Pneuma-Inspiration ... den Erdmenschen (Typ des Sterblichen) zum Him melsmenschen (Typ des Untersterblichen)« macht (Sellin, Auferstehung 106), so wird Gen 2,7 »zu einer Art urzeitlichen Modells, zu einem Paradigma der Erlösung« (ebd. 105). »Das heißt: Adams nous ist von Natur her irdisch, kann aber durch Inspiration himmlisch werden. Kurz: Es handelt sich eigentlich gar nicht um eine Schöpfungsaussage, sondern um eine soteriologische Aussage von der erlösenden Inspiration durch das Pneuma oder die Sophia. Der menschliche nous kann himmlisch werden, oder er bleibt irdisch. Diese Inspirations-Soteriologie stammt in dieser Form (vor allem mit ihrer Anbindung an Gen 2,7) aus der alexandrischjüdischen Weisheit (zu vgl. wäre z. B. SapSal 6-9)« (Sellin, Gotteserkennt nis 27f.). Wenn nicht alles täuscht, vertritt auch Jakobus eine Spielart dieser Weisheit-Logos- und Pneuma-Soteriologie, deren genauere Konturen im Vergleich zu parallelen Konzeptionen näher zu bestimmen wären. Dies ist ein Forschungsdesiderat. Es bleibt: Jakobus vertritt nicht nur im Kontext biblischer Schöpfungstheologie ein philonisch geprägtes Gottesbild (s. o. zu 1,5.13-18), sondern durchaus auch eine Soteriologie, in der auch das menschliche Mittun einen wichtigen Stellenwert hat (s. o. den Exkurs nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus). Daß Jakobus im Kontext dieser vielfältigen Traditionen eine neutestament liche Weisheitsschrift in der Gattung Brief schrieb, wofür es keine Paralle len gibt, ist eine theologische Leistung ersten Ranges. Dies vor allem auch deswegen, weil ihm nicht nur eine schöpferische Aneignung der verschiede nen Traditionen gelungen ist, sondern er sie sprachlich und thematisch in sein eigenes Konzept integriert hat. Dies sei an weiteren Aspekten verdeut licht. 3. Innerhalb der antithetischen Grundstruktur des Jakobusbriefes lautet die Basisthese: Das von Jakobus angezielte Sein und Handeln des einzelnen und der christlichen Gemeinde soll dem Sein und Handeln Gottes entspre chen und erhält von ihm die Ermöglichung dazu. Von Anfang des Briefes an korrelieren Anthropologie und Theo-Iogie. Bereits der Prolog (1,2-18) enthält das Thema, das im Verlauf des Briefes entfaltet wird. Es wird geprägt durch ein in sich stimmiges Wortfeld von Synonymen und Antonymen/Oppositionen und lautet: Die angeredeten Christen sollen nicht gespalten/unbeständig/doppelzüngig sein, sondern vollkommen/ganz und ebenso handeln als einzelne und als Gemeinschaft. Diese anthropologischen und ekklesiologischen Aussagen sind — dies sie noch einmal betont — ohne Gottes Sein und Handeln als unaufgebbare Voraussetzungen für Jakobus undenkbar. Jakobus verbindet die Aussagen zur dynamischen Aktivität
Gottes (1,5: Geber der Weisheit und Erfüller aller Gebete; 1,12: Geber des eschatologischen Lohnes; 1,17-18: Schöpfer der Gestirne und der Men schen) mit den Aussagen zur Einfachheit, Unveränderbarkeit und Unversuchbarkeit Gottes (I,5c.l3c.l7d), wobei er Vorstellungen Philos von Alexandrien aufnimmt, wohl deswegen, weil das Menschenbild in antitheti scher Korrelation zum Gottesbild steht (zur weiteren Entfaltung dieses Bezuges von Anthropologie und Theo-logie im gesamten Brief vgl. den Exkurs 5 nach 1,18). Diese Korrelation macht die Theologie des Jakobusbriefes aus, so daß die eigentliche Kohärenz und Einheitlichkeit des Briefes im semantisch-thematischen Bereich liegt, was durch syntaktische Mittel bestärkt wird und pragmatisch — im Blick auf die Probleme der Adressa ten — begründet ist. 4. Diese Konzeption hat innerhalb des weisheitlichen Grundverständnisses für die Anthropologie weitreichende Folgen, da es Jakobus um ein Mitwir ken des Menschen mit Gottes Angebot geht (zur Mitwirkung s. o. 2,22; 5,20). Weisheit ist nach Jakobus auf menschliche Bitten (1,5) hin geschenkte Gabe und Gnade/Gunst (4,6c), damit sich der Mensch in seiner Willensfreiheit (1,13) nicht von seinen Begierden (l,14f.), sondern von dem von Gott eingepflanzten Wort (1,18.21) leiten läßt auf dem Weg (1,8.1 ld; 5,20) zum vollkommenen Werk (1,4a mit den Amplifikationen im Brief) und zum vollkommenen Sein (1,4b mit den Amplifikationen im Brief) - als Einzelmensch und in brüderlicher, geschwisterlicher Gemeinschaft (1,9-11 mit den Amplifikationen im Brief). Nach Jakobus ist der Christ eine Existenz im Werden: zwischen Geburt aufgrund des Willens Gottes (1,18) und Gericht (1,12; 2,13; 4,12). Die Zwischenzeit ist eine Zeit voll von Ambivalenzerfahrungen mit allen Chancen des Gelingens, wenn Christen alles von Gott erwarten (1,5; 4,1-3; vgl. den Exkurs nach 4,3: Vom Beten). Jakobus vertritt keine naive Anthropologie oder Ethik, wie vielfach behauptet wird, wohl aber nimmt er den Menschen ganz ernst, überfordert ihn jedoch nicht, da der Mensch sich ganz auf Gottes Gnade (systematisch gesprochen) verlassen kann. Daher ist die Aufforderung, vollkommen zu sein (vgl. den Exkurs nach 3,5b) nicht eine Drohung oder Überforderung, wohl aber die Aufforderung zur Erkenntnis, daß die von Gott geschenkte Weisheit (1,5), der von ihm den Menschen eingepflanzte Logos (1,18.21) und der eingehauchte Geist (4,5) sich durch Werke der Weisheit be glaubigen müssen (3,13-18). Weisheit und Glaube an Gott und den Herrn Jesus Christus gibt es nach Jakobus nur als durch Taten be-glaubigte Nachfolge. Der Christ hat sich in seiner eigenen Existenz als ungespaltenes Wesen zu bewähren, ebenso hat sich die christliche Gemeinde trotz sozialer Unterschiede (vgl. den Exkurs nach 1,11) ungespalten, positiv gesprochen: solidarisch in der Ethik des »Miteinander« (4,11; 5,9.16) zu bewähren. Wo die Wurzeln der Mißstände liegen, wie sie konkret aussehen und wie sie überwunden werden können, darüber gibt der Brief in detaillierter Weise Auskunft. Die Adressaten sollen nicht resignieren, sondern die »mannigfa chen Prüfungen/Erprobungen voll Freude« (1,2) als Hilfen ansehen, sich anthropologisch in ihrem Sein und ethisch in ihrem Tun zu vervollkomm-
nen und voranzuschreiten. Ohne die Mitwirkung des Menschen — davon ist Jakobus überzeugt — können die von Gott gegebenen Gaben (Weisheit, Wort, Geist) nichts bewirken. Wie immer man das Verhältnis von Heilszu sage und Heilsbewährung differenziert, Jakobus ist ein Vertreter des Syner gismus, des Zusammenwirkens von Gott und Mensch. Dies ist seine Variation des Gebotes von Gottes- (1,12c; 2,5d) und Menschenliebe (2,8-13 u. a.). Jakobus sieht sie als Einheit. 5. Weisheit meint nach Jakobus keine spekulative Weisheit und nicht nur altorientalisch gedachte Erfahrungsweisheit, vielmehr die von Gott gege bene Ermöglichung zur praktischen Lebensbewältigung bei der Uberwin dung individueller und sozialer Gespaltenheit (vgl. bes. 3,13-18). Dies war auch Gegenstand der Tora, der von Jahwe gesetz-ten Individual- und Sozialordnung Israels. Nicht von ungefähr verbindet Jakobus den Gedan ken der Weisheit mit dem des Gesetzes und den der Gottesliebe mit der Aufforderung, seine Gebote zu halten, was für jeden frommen Schriftgläu bigen in der Wendung »die ihn lieben« (1,12c; 2,5d) impliziert war, da die stereotyp belegte, vollständige Wendung lautet: »die Gott lieben und seine Gebote halten« (vgl. E x 20,6; Dtn 5,10; 7,9; Sir 1,10; 2,15.16; 34,16 u. a.; s. o. zu 1,12). Daß Jakobus in der ihm eigenen Konzeption vom »Gesetz der Freiheit« (s. o. den Exkurs nach 1,25) die kultischen und tempelorien tierten Weisungen (zur Beschneidung, zum Sabbat, zum Tempel, zur rituellen Reinheit, zum Anrichten und Verzehren von Speisen) stillschwei gend übergeht, dürfte ebenso mit der Situation seiner Adressaten zu tun haben wie die Tatsache, daß er durchgehend gegen eine Verinnerlichung und Spiritualisierung des Glaubens und gegen jede Art von enthusiastischer Frömmigkeit argumentiert und polemisiert. Heute könnte man Jakobus einen Verfechter der Einheit von Mystik und Politik nennen (vgl. D.Mieth, in: NHthG 3, 1991, 407-418), denn: »Christliche Mystik ist nicht esote risch (oder doch nur in einem relativen Sinne); ob sie im Sinne der besonderen ekstatischen Schau >da< ist, erweist nicht die Intensität der Empfindung, auch nicht die visionäre Größenordnung oder andere Formen phänomenaler Außerordentlichkeit, sondern die Änderung des praktischen Lebens: ohne praktische Umkehr keine christl. Mystik« (ebd. 409). Jakobus kämpft gegen eine Berufung auf die Geschöpflichkeit (1,18), auf das Bekenntnis zum einen Gott und Gesetzgeber (2,19; 4,12), auf den Menschen als Ebenbild Gottes (3,9), auf Weisheit in den Augen der Welt (3,13-18), auf Ansehen (2,1-7) und Reichtümer (5,1-6), auf Verfügbarkeit der Zeit (4,13-17) — wenn dem allen nicht ein Christentum der Tat entspricht. Jakobus verficht die Konvergenz von Bekenntnis und Praxis, für ihn haben die Werke Zeichencharakter für den richtigen Glauben (Heiligenthal). Jakobus plädiert — dies ist auch als Wort an Christen heute zu lesen — für eine jüdisch-christliche Identität im Menschen- und Gottes bild. Sein »Brief enthält ... sehr viel Theologie, ein in die Tiefe dringendes Erkennen« (Schlatter, Glaube 418). Nach eigenem Verständnis besteht diese Tiefe darin, daß die Leser die Korrelation von Sein und Handeln der Christen mit dem Sein und Handeln Gottes verstehen, sich verändern/ 2
erlösen lassen und sich entsprechend verhalten. Dies ist das lebensnotwen dige Wort des Jakobus an alle Christen »in der Zerstreuung« (1,1), die in nichtchristlicher Umwelt — sei sie polytheistisch oder religiös indifferent — leben müssen. Mit seinem Appell: »Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer« (1,22) steht Jakobus, wie die Schriftzitate am Beginn des Vorwortes andeuten sollen, in einer kontinuierlichen jüdisch-christlichen Tradition. Es bleibt zu wünschen, daß die bleibende Aktualität des Jako busbriefes (vgl. Einleitung 3) gesehen und verwirklicht wird gemäß dem Motto, das Sören Kierkegaard seinen biblischen Betrachtungen voranstellte (Randbemerkungen zum Evangelium, München 1956, 9): »>Denn so jemand ist ein Hörer des Worts und nicht ein Täter, der ist gleich einem Mann, der sein leiblich Angesicht im Spiegel beschaut< [Jak 1,23].« Kurzum: Für Christen gilt: »Handelt nach dem Wort!«