GTB Gütersloher Taschenbücher 517
Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament Band 17/1 Herausgegeben von Er...
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GTB Gütersloher Taschenbücher 517
Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament Band 17/1 Herausgegeben von Erich Gräßer und Karl Kertelge
Hubert Frankemölle
Der Brief des Jakobus Kapitel 1
Gütersloher Verlagshaus Echter Verlag
Originalausgabe
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament/ hrsg. von Erich Grässer und Karl Kertelge. - Orig.-Ausg. Gütersloh : Gütersloher Verl.-Haus ; Würzburg : Echter-Verl. (Gütersloher Taschenbücher;...) NE: Grässer, Erich [Hrsg.] Orig.-Ausg. Bd. 17, Frankemölle, Hubert: Der Brief des Jakobus. - Orig.Ausg. 1. Kapitel 1 . - 1 9 9 4 Frankemölle, Hubert: Der Brief des Jakobus/Hubert Frankemölle. - Orig.-Ausg. Gütersloh : Gütersloher Verl.-Haus ; Würzburg : Echter-Verl. (Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament; Bd. 17) Orig.-Ausg. 1. Kapitel 1.-1994 (Gütersloher Taschenbücher; 517) ISBN 3-579-00517-0 NE: GT
ISBN 3-579-00517-0 © Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh und Echter Verlag, Würzburg 1994 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbe sondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Rehder, Kelmis/Belgien Satz: ICS Communikations-Service GmbH, Bergisch Gladbach Druck und Bindearbeiten: Clausen & Bosse, Leck Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Werkdruckpapier Printed in Germany
Vorbemerkung zu diesem Band Dieser Kommentar ist in seinem Umfang über das ursprünglich geplante Maß hinausgewachsen. Verlag und Herausgeber sind sich dieser Tatsache bewußt. Die Herausgeber wollen das Erscheinen des vorliegenden Jakobus brief-Kommentars nicht länger aufhalten. Sie legen aber Wert auf die Feststellung, daß dieser Kommentar ohne ihr Einverständnis zweibändig statt einbändig geworden ist, daß er vor dem Um bruchabzug ihnen nicht zur Entscheidung über die Annahme vorgelegen hat und daß der Autor zu Kürzungen nicht bereit war. Verlag und
Herausgeber
Vorwort der Herausgeber Das Taschenbuch als literarisches Hilfsmittel hat im heutigen Wis senschaftsbetrieb längst seinen festen Platz. Mit dem vorliegenden Band, der eine neue Kommentarreihe zum Neuen Testament fort setzt, soll nun auch für diesen wichtigen Zweig exegetischer Arbeit das Taschenbuch zur Veröffentlichung und Verbreitung genutzt werden. Wir hoffen, daß wir damit einer wachsenden Nachfrage von Studenten, Lehrern, Pfarrern und interessierten Laien entge genkommen, die sich über den heutigen Stand wissenschaftlicher Exegese des Neuen Testaments in zuverlässiger Weise und in faßlicher und leicht zugänglicher Form informieren wollen. Bisher hatten Studenten, Lehrer und Pfarrer eigentlich nur zu wählen zwischen einem großen Kommentarwerk mit sehr detaillierten Ausführungen, das kostspielig war, und einer allgemeinverständli chen Auslegung mit zu knappen Textanalysen, die dafür dann preiswerter war. In diesem neuen Kommentarwerk wird ange strebt, die modernen exegetischen Erkenntnisse zu den einzelnen Schriften des Neuen Testamentes auf der Grundlage historisch kritischer Auslegung so zur Darstellung zu bringen, daß das Zuviel und das Zuwenig gleicherweise vermieden werden.
6
Vorwort der Herausgeber
Eine alte Tradition ist auch insofern durchbrochen, als die Mitar beiter micht mehr nur aus einem konfessionellen Lager kommen. Zu diesem Kommentarwerk haben sich Exegeten evangelischen und katholischen Bekenntnisses zusammengefunden, weil sie über zeugt sind, daß es neben dem Glauben an den gemeinsamen Herrn der Kirche vor allem die Heilige Schrift ist, die sie verbindet. Allzu lange hat die Bibel des Alten und Neuen Testamentes eher zur konfessionellen Abgrenzung und Selbstbestätigung herhalten müs sen, als daß sie als verbindendes Element zwischen den Kirchen, christlichen Gruppen und theologischen Schulen empfunden wurde. Natürlich dürfen auch die konfessionell gebundenen Ausle gungstraditionen in der heutigen Exegese nicht übersehen und überspielt werden. Vielmehr gilt es, die aus der Kirchengeschichte bekannten Kontroversfragen hinsichtlich der Auslegung der Heili gen Schrift heute neu zu bedenken und — vielleicht — in einer entspannteren, gelasseneren und daher sachlicheren Form einer exegetisch verantwortlichen Lösung näherzubringen. Zu besonders relevanten Texten oder Schriften sollen diese Fragen daher in kurzen Erklärungen oder in Exkursen dargestellt und diskutiert werden. Dabei geht es darum, nicht den Schrifttext und die Lehr tradition gegeneinander auszuspielen, sondern die Probleme der Lehrtradition im Lichte der Schrifttexte zu erhellen und im exegeti schen Gehorsam gegenüber der Schrift Verstehensschwierigkeiten, die sich oft aus einer zu starren Handhabung der Lehrtradition ergeben, zu überwinden. Hierdurch besonders, aber grundsätzlich auch schon durch die methodisch sachgerechte Auslegung der neutestamentlichen Schriften hoffen wir, einen Dienst für die Verständigung von Christen verschiedener Bekenntnisse unterein ander und für das allen Christen aufgegebene Werk ökumenischer Vermittlung und Einheitsfindung leisten zu können. Die
Herausgeber
Den jüdischen und evangelischen Freunden Im besonderen Gedenken an Jakob J . Petuchowski Professor für jüdische Theologie und Liturgie in Cincinnati, USA, und ersten Rabbiner auf einem Lehrstuhl für jüdisch-christliche Studien, einen der großen jüdischen Gelehrten der Gegenwart und Förderer des jüdisch-christlichen Dialoges 30.7.1925-12.11.1991
Inhalt
Vorwort
15
Literatur
20
1. 2. 3. 4. 4.1 4.2 4.3 5. 6. 7. 8.
20 21 23 23 23 25 25 26 29 30 34
Textausgaben Allgemeinere Literatur Forschungsüberblicke Kommentare Zum Jakobusbrief Zur Weisheitsliteratur Zu sonstigen Schriften Literatur zu Weisheitstraditionen und zu Philo Literatur zu Ethik, Glauben u. a Literatur zum Jakobusbrief Sonstige (abgekürzt zitierte) Literatur
Einleitung
39
1.
Was will dieser Kommentar?
39
2.
Der Jakobusbrief als innovatorische Sprachhandlung .
43
2.1 Wer? (Absender/Schreiber) 2.2 Wem? (Empfänger/Adressaten) 2.3 Wann? Unter welchen Bedingungen? (Zeit und Situation der Adressaten) 2.4 Mit welchen Zeichen? (Zur Gattung, textlichen Einheit und zum Stil) a) Zur literarischen Gattung b) Zur Einheit des Briefes c) Zur Sprache des Briefes d) Zur Textgestaltung in Stichen e) Jakobus und die jüdische und christliche Weisheits literatur 2.5 Was? Wozu? (Thema und Intention)
45 54 57 62 64 71 73 79 80 88
2.6 Mit welchen Konsequenzen? (Zur Rezeption des Briefes) a) Die Rezeption durch die ursprünglichen Adressaten . h) Der Jakobusbrief in der Rezeptionsgeschichte bis Augustinus c) Zur Rezeptions-und Auslegungsgeschichte bis Beda . d) Zur reformatorischen Rezeptions- und Auslegungs geschichte e) Das Verhältnis von Jakobus und Paulus in der Rezeptionsgeschichte f) Rezeptionsvariationen heute
110 114
3.
119
Zur bleibenden Aktualität des Jakobusbriefes
Der Text und seine Auslegung
93 93 94 101 106
121
A Das Präskript Verfasser, Empfänger und Eingangsgruß (1,1)
121
B Der Prolog Von Prüfungen und ihren anthropologischen und theo-logischen Aspekten (1,2-18)
133
I . Form, Thema und briefliche Funktion von 1,2-18 . .
135
1. 2.
Zur Einheit der Verse Zur Form des Textes
I I . Von der christlichen Existenz in Prüfungen (1,2-4) . 1. 2.
3. 4.
Von der Bewährung des Glaubens in Prüfungen/ Versuchungen (intertextuell) Von der Bewährung des Glaubens in Prüfungen/ Versuchungen (die rezipierte Tradition und die jakobeische Redaktion) Einzeltraditionen in 1,2-4 und die jakobeische Redaktion Kompositionskritische Zusammenfassung (zur Einheit von synchronischer und diachroni scher Betrachtung)
135 139 181 183
189 198
209
III. Die Prüfungen/Versuchungen (l,5-6a.6b-8.9-ll) . . 1. 2. 3.
Die erste Prüfung/Versuchung: Mangel an Weisheit (l,5-6a) Die zweite Prüfung/Versuchung: Mangel an Glauben (l,6b-8) Die dritte Prüfung/Versuchung: Mangel an der richtigen Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen (1,9-11)
211 211 231
240
IV. Die Seligpreisung der standhaften Christen (1,12) . .
259
V. Kompositionskritische Zusammenfassung zu 1,2-12.
268
VI. Gott und die Prüfungen/Versuchungen (1,13-18) . .
276
1. 2. 3.
Woher kommen Versuchungen? (1,13-15) Warnung vor Selbsttäuschung (1,16) Gott als Geber alles Guten (1,17-18)
C Das Briefkorpus (1,19-5,6) I. Vom Hören, Reden und Zorn und ihrem Gegenteil (1,19-27) 1. 2. 3. 4.
Vom Hören, Reden und Zorn (1,19) Von Zorn und Sanftmut (1,20-21) Vom Hören und Tun (1,22-25) Von Frömmigkeit und richtigem Tun (1,26-27) . .
II. Vom Ansehen der Personen und vom christlichen Glauben (2,1-13) 1. 2. 3. 4. 5.
Der Glaube an Jesus Christus und das Ansehen von Personen (2,1) Vom falschen Verhalten gegen Arme und Reiche (2,2-4) Gottes Option für die Armen (2,5-7) Vom Ansehen der Personen und vom Gesetz (2,8-11) ' Von Barmherzigkeit und Gericht (2,12-13) . . . .
277 288 290 321
321 325 327 335 358
367 372 387 390 399 411
III. Vom Glauben ohne Werke und vom Glauben mit Werken (2,14-26) 1. 2. 3.
Vom werklosen Glauben (2,14-17) 429 Werke als Zeichen des Glaubens (2,18-20) 437 Vom schriftgemäßen Glauben und Werk (2,21-26) . 448
IV. Von der Macht der Zunge (3,1-12) 1. 2. 3. 4.
Von der Gefährdung der Lehrer (3,1 -2a) Von der positiven Macht der Zunge (3,2b-5b) . . . Von der negativen Macht der Zunge (3,5c-8). . . . Gegen den Zwiespalt der Zunge (3,9-12)
V. Von der wahren Weisheit (3,13-18) 1. 2. 3. 4. 5.
Werke als Zeichen der Weisheit (3,13) Von der falschen Grundorientierung (3,14) . . . . Von der gottlosen Weisheit (3,15) Von den Werken der Lüge (3,16) . Von der Weisheit und ihren Werken (3,17-18). . .
VI. Vom Unfrieden in der Gemeinde und seinen Ursachen (4,1-12) 1. 2. 3. 4.
Von den anthropologischen Ursachen der Konflikte in der Gemeinde (4,1-3) Die Gemeinde zwischen Welt und Gott (4,4-6) . . Von der richtigen Haltung vor Gott (4,7-10). . . . Anthropologische als theologische Fehlhaltungen (4,11-12)
VII. Von der trügerischen Autonomie der reichen Christen (4,13-5,6) 1. 2. 3.
420
Vom selbstherrlichen Umgang mit der Zeit (4,13-16) Die christliche Schizophrenie (4,17) Vom vergänglichen und unsolidarischen Reichtum (5,1-6)
478 487 490 499 513 521 528 533 536 547 548
571 580 596 607 618
629 636 644 645
D Der Epilog Von der christlichen Ausdauer (5,7-20)
667
1. 2.
In Erwartung der Parusie des Herrn (5,7-8) . . . . Vom unchristlichen, gerichtsnotorischen Verhal ten im Wort (5,9-12) 3. Von der positiven Wirkkraft verbalen Tuns (5,13-20) 3.1 Von der Macht des Gebetes bei der Heilung von Kranken (5,13-15) 3.2 Von der Macht des Gebetes bei der Rettung von Sündern (5,16-20)
676 685 704 705 719
Verzeichnis der Exkurse 1. 1,2-18 als Prolog/Exordium und 5,17-20 als Epilog/Peroratio a) Der Prolog als Lieferant der Stichworte und der Struktur des Briefes . . . b) 5,7-20 als Epilog und der Bezug von Prolog und Epilog c) Das semantische Netz des Jakobusbriefes (Matrix) 2. Glaube nach Jakobus 3. Die soziale Situation der Adressaten 4. Eschatologie und Ethik 5. Anthropologie und Theo-logie 6. Das »Gesetz der Freiheit« 7. Die Christologie des Jakobus 8. Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus 9. »Vollkommen« nach Jakobus 10. Weisheitstheologie nach Jakobus 11. Vom Beten 12. »Welt« bei Jakobus 13. Heilung von Krankheiten und Sünden 14. Die theologische Leistung des Jakobus
152 153
. .
165 175 222 251 272 305 344 376 461 495 561 591 599 729 743
Vorwort Ihr sollt auf meine Satzungen und meine Vorschriften achten. Wer sie einhält, wird durch sie leben (Lev 18,5). Ihr sollt auf die Gesetze achten und sollt sie halten. Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker (Dtn 4,6). Alle Weisheit ist Furcht des Herrn, und in aller Weisheit geht es um das Tun des Gesetzes (Sir 19,20). Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel tut (Mt 7,21). Nicht die Hörer des Gesetzes sind vor Gott gerecht, sondern die Täter des Gesetzes (Rom 2,13). Nicht das Studieren ist die Hauptsache, sondern das Tun (Abot 1,17). Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer (Jak 1,22).
Dem Verfasser des vorliegenden Kommentars erging es in den jahrelangen Bemühungen um eine sachgerechte Auslegung des Jakobusbriefes wie dem Enkel von Ben Sira aus Jerusalem, der dessen weisheitliche Sentenzen und Lehrreden um 180 v.Chr. aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzte. O b der Verfasser dieses Kommentars — wie jener im Vorwort zur Übersetzung schreibt — »mit rastlosem Eifer und mit Sachkenntnis das Werk abgeschlossen« hat, sei dahingestellt, letzteres dem Urteil des Lesers überlassen, ansonsten bittet aber auch er: »So seid nun gebeten, das Folgende mit aufmerksamem Wohlwollen zu lesen und in all den Fällen Nachsicht zu üben, wo wir — trotz all dem Fleiß, den wir auf die Übersetzung verwendet haben — manchen Ausdrücken vielleicht nicht ganz gerecht geworden sind. Denn, was ursprünglich auf Hebräisch ausgedrückt ist, behält nicht unbe dingt den gleichen Sinn, wenn es in eine andere Sprache übersetzt
wird. Dies gilt nicht nur für dieses Buch«, sondern auch für den Jakobusbrief und seine Auslegungen durch die Jahrhunderte hin durch, da - besonders im deutschen Sprachraum aufgrund der konfessionellen Vorbedingungen — im ökumenischen Gespräch gegenwärtig zu Recht bei gleichen Begriffen von verschiedener »Sprache« geredet wird (vgl. den Exkurs nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus). Der Jakobusbrief hat es bei seiner Rezeption in den christlichen Kirchen bis heute schwer, da er oft einseitig im Schatten und im Einfluß des Paulus gesehen wird. Hier findet seit Jahren eine Veränderung statt, die auch vor allem dadurch bedingt ist, daß beim frühen Paulus und vor allem bei Jakobus die weisheitliche Grundorientierung der Theologie immer stärker beachtet wird. Die Diskussion darüber (an der für den Jakobusbrief der Verfasser dieses Kommentars seit Jahren beteiligt ist) ist noch in vollem Gang, für eine weitere Verzögerung der Veröffentlichung der eigenen weisheitlichen Deutung des Jakobusbriefes gibt es keine stichhaltigen Gründe. Es bleibt zu hoffen, daß das vielzitierte »Rätsel des Jakobusbriefes« nicht um ein weiteres vermehrt wurde. Die Antwort, die in diesem Kommentar gegeben wird, ergab sich aus der Auslegung, auch die dezidierte These, daß der Verfasser des Jakobusbriefes im Horizont weisheitlicher Theologie nicht nur lebte und schrieb, sondern auch das Buch Jesus Sirach literarisch rezipierte. Mit der Charakterisierung des Jakobusbriefes als neutestamentliche Weisheitsschrift ist auch eine Antwort impliziert nach der bislang oft verleugneten Theologie. O b der Jakobusbrief eine Theologie enthält, kann nur von seinem eigenen Vorverständnis und paralle ler weisheitlicher Literatur beantwortet werden. Die These in diesem Kommentar lautet: Der Jakobusbrief ist ein theozentrisches Schreiben mit einer im Neuen Testament singulären, sehr durch dachten theologischen Konzeption. Auf der Basis der Theozentrik liegt Jakobus wie den jüdischen Weisheitslehrern alles daran, den Lesern Weisungen für ein gelingendes Leben zu geben — in und trotz aller Ambivalenzen und Konflikte mit sich selbst und den Mitchristen. Jakobus setzt hier eine Identität von jüdischer und christlicher Weltdeutung voraus und plädiert - der Glaube an den erhöhten Jesus Christus ändert daran nichts — für eine identische Ethik. Wie jüdische Theologen fordert er die praktische Bewäh rung des Glaubens und das Ungespaltensein von Hören und Tun, Glaube und Werk, Weisheit und solidarischer Ethik. Unter diesem Aspekt bleibt der Jakobusbrief nicht nur eine ständige Herausfor-
derung an alle Christen, sondern auch für deren Verhältnis zu den jüdischen Gläubigen, da Jakobus Verstöße gegen die Geschwister lichkeit der Geschöpfe Gottes grundsätzlich für theologisch rele vant und für entscheidend im Gericht Gottes hält. Der Jakobus brief könnte gleichsam ein »Spiegel« für die Frage nach »der Herkunft« der Christen sein (1,23c); Christen, die nur flüchtig in diesen Spiegel hineinschauen, vergessen, wie sie »beschaffen« sind, die sich aber in diesen Brief vertiefen, sollen »selig sein im Tun« (1,24f.). Möge dieser Kommentar — dies ist auch das Ziel des Übersetzers des Buches Jesus Sirach am Ende seines Vorwortes — all jene erreichen, »die sich auch in der Fremde weiterbilden wollen und sich vorgenommen haben, einen dem Gesetz gemäßen Lebens wandel zu führen«. Zur Anlage des Kommentars seien einige Hinweise gestattet: Um Nachsicht bittet der Verfasser hinsichtlich des Umfangs der Auslegung. Folgende Faktoren bedingten ihn: 1. Die komposi tionskritische Interpretation, die auf die Einheit des Textes zielt und die in der hier gebotenen Weise zum ersten Mal in einem Jakobus-Kommentar durchgeführt wird, mußte hinreichend am Text und seiner syntaktischen und semantischen Struktur begrün det werden. 2. Dies gilt auch für die weisheitstheologische Deu tung des Jakobusbriefes in der Rezeption von Jesus Sirach und Philo von Alexandrien. 3. Mit der weisheitstheologischen Deutung hängt eng zusammen der Ansatz bei einer handlungsorientierten, pragmatischen Exegese, die keineswegs den Jakobusbrief als theo zentrisches Dokument ersten Ranges übersieht. 4. Letztlich waren auch aufgrund der Rezeptionsgeschichte des Jakobusbriefes ständig bei der Auslegung konfessionelle Vorbedingungen hermeneutisch zu befragen. 5. Schließlich sollte die theologische Konzeption des Jakobus zusammenhängend in den Exkursen dargestellt werden. — All dies ließ den Umfang des Kommentars mehr als geplant anwachsen. Um Nachsicht bittet der Verfasser auch hinsichtlich der Literatur auswahl; die anfängliche Absicht, alle Veröffentlichungen zu ver arbeiten, erwies sich — nicht nur wegen der Methode des Zitierens in dieser Reihe — als nicht durchführbar. Ohne die Vorarbeit vieler, besonders in den letzten 20 Jahren und im 19. Jahrhundert, hätte dieser Kommentar nicht geschrieben werden können; doch reproduziert er nicht nur, sondern ist auch ein Gespräch mit der vorhandenen Literatur (auch wenn dies nicht an jeder Stelle aus drücklich belegt wird), vor allem mit der von evangelischen Theo logen. Bedingt ist dies durch das bekannte Rezeptionsschicksal des
Jakobusbriefes durch Luther im 16. Jahrhundert. Daher war es besonders reizvoll, gerade diese angeblich »stroherne Epistel« für die Reihe »Ökumenischer Taschenbuch-Kommentar zum N T « auszulegen. Vor allem aber versteht sich der Kommentar als ein Gespräch mit dem Jakobusbrief, als Annäherungsversuch an jene theo-logisch weisheitliche Konzeption, die sich nach der Intention seines Verfassers in diesem Brief zeigt. Da sich die literarische Qualität des Jakobus nur am griechischen Text nachweisen läßt und entsprechend Gewicht auf rhetorische Bearbeitung gelegt wird, wird mit griechischen Begriffen gearbei tet. Sie werden transkribiert, damit die Leser die Argumente des Verfassers nachvollziehen können. Der Begrenztheit des Compu ters ist es zuzuschreiben, daß Doppelakzente nicht geschrieben werden konnten, ebenso skandinavische Umlaute nicht. Die Angabe von Versen in der laufenden Auslegung bezieht sich immer auf den engeren Kontext, sonst wird das Kapitel mitangegeben. Fettgedruckte Wörter und Wendungen sind bei der Auslegung Zitate aus dem Jakobusbrief, in anderen Abschnitten bilden sie Leitworte für den Leser. Da Jakobus — wie die übrigen neutestamentlichen Theologen — die griechische Bibel gelesen hat, sei daran erinnert, daß Stellen aus der Schrift — dies ist vor allem für Jesus Sirach wichtig — nach der Septuaginta zitiert werden (also: 2 Kön = 2 Sam; 4 Kön = 2 Kön; die Zählung von Ps 11-147 bleibt gegenüber dem hebräischen Text um eine Einheit zurück). Die Schreibung Theo-logie, theo-logisch wird dort verwendet, wo die Theozentrik für den Leser bewußt gemacht werden soll. Die Exkurse sind so angelegt, daß sie die Theologie des Jakobus im Kontext jüdischer und urchristlicher Theologien enthalten. Da sich die Ausarbeitung dieses Kommentars über Jahre hingezo gen hat (wovon die Aufsätze zum Jakobusbrief und andere dring lichere Veröffentlichungen zeugen), habe ich vielen studentischen und wissenschaftlichen Mitarbeitern zu danken; stellvertretend für manche andere nenne ich für die Endphase nur Anke Schüttfort und Volker Garske, denen ich auch manche Anregungen inhaltli cher Art verdanke. Dies gilt auch für Matthias Karsten, meinen Assistenten bis Juli 1992, der einen Großteil des Manuskripts vor der Veröffentlichung kritisch gegenlas. Meine Sekretärin, Frau Magdalene Schmits, hat wie immer in gewohnter Sorgfalt am Computer das Manuskript erstellt, wobei sie beim Formatieren für den Umbruch von Herrn E . Hilbig vom Rechenzentrum der Uni versität Paderborn unterstützt wurde. Den Mitarbeitern der Aka demischen Bibliothek und der Universitätsbibliothek in Paderborn
danke ich für die große Geduld, die ich allzu oft überstrapaziert habe. Für freundliche Auskünfte in bibliographischen, altphilologischen, judaistischen, text- und formkritischen sowie inhaltlichen Fragen danke ich u. a. den Kolleginnen und Kollegen Barbara Aland, Ernst Baasland, Peter H. Davids, Bernhard Lang, Ulrich Luck, Jakob J . Petuchowski, Wiard Popkes, Rudolf Schröter, Phillip Sigal und Günter Stemberger. Ihre Namen sind ein Zeichen nicht nur internationaler, sondern auch interdisziplinärer und jüdisch christlicher, inklusiv evangelisch-katholischer Zusammenarbeit. Gewidmet ist dieses Buch den evangelischen und jüdischen Freun den aus der fachwissenschaftlichen Arbeit und aus der Arbeit der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Insbeson dere ist diese Auslegung J . J . Petuchowski gewidmet, einem Mann, der mir im Verlauf des schwierigen Gespräches zwischen Christen und Juden, bei dem er den »Dialog« nie im Sinne einer nivellieren den Harmonie verstand, in langen Jahren zum Freund wurde — fachwissenschaftlich durch seine Methodik des playful learning und der im besten Sinne narrativen Theologie, indem er die schwie rigsten theologischen Fragen immer wieder durch Geschichten aus dem Midrasch und Talmud erhellte. Er wollte das Manuskript zu diesem Kommentar vor der Veröffentlichung lesen, wurde aber durch seinen unerwarteten, allzu frühen Tod daran gehindert. Ihm, der seit jeher unter dem Vorbehalt der jakobeischen Klausel (4,15) lebte, sei diese Auslegung gewidmet — in der Zuversicht, daß er die Vollendung, die der Herr an Ijob bewirkte (5,11), erfahren hat. Paderborn,
im Juni 1992
Hubert
Frankemölle
Ich bedauere, daß sich die Veröffentlichung verzögert hat. Einen Manuskriptabzug hatte ich dem für mich zuständigen Hrsg. zweimal angeboten. Der Verlag sandte den Hrsg. wie heute üblich sofort einen formatierten Diskettenabzug zu. Der ev. Hrsg. sah sich nicht in der Lage, diesem Vorgehen ohne obige Vorbemerkung zuzustimmen. Die Unklarheiten in der Kommunikation zwischen den Hrsg. und zwischen ihnen und dem Verlag können nicht mir angelastet werden. Die von den Hrsg. verlangte Kürzung hätte zu einem Torso geführt. Der Jak hatte es in den vergangenen Jh.n schwer (s. u. 2.6), er hat es auch heute noch — aus welchen Gründen auch immer. Paderborn,
im August 1993
H.F.
Literatur Die hier zusammengestellte Literaturauswahl berücksichtigt nur solche Werke, die häufiger benutzt werden. Ausgewählte Spezialliteratur wird jeweils an Ort und Stelle angegeben. Zu theologischen Aspekten und Sachthemen vgl. auch die Literatur bei den Exkursen. Die allgemeinen Abkürzungen sowie die für die biblischen Bücher, für außerkanonische, rabbinische, urchristliche, lateinische und griechische Schriften, für Zeit schriften, Reihen und Sammelwerke sowie die Umschrift für hebräische und griechische Begriffe richten sich nach dem TRE-Abkürzungsverzeichnis. Die biblischen Bücher werden nach den Loccumer Richtlinien, Stutt gart 1981, zitiert. Auch wenn die Zitierung der Titel der biblischen Bücher nach den Loccumer Richtlinien durchgeführt wird, sei darauf hingewiesen, daß nach der Septuaginta gezählt wird. Zusätzliche Abkürzungen finden sich in: Neues Bibel-Lexikon I, Zürich 1991, 7-15. Kommentare zum Jakobusbrief werden nur mit Verfassernamen und Seitenzahl zitiert; dies gilt bei Eindeutigkeit auch für die sonstige Literatur. 2
1. Textausgaben Becker, J., Die Testamente der zwölf Patriarchen (JSHRZ III/l), Gütersloh 1974. Berger, K. — Colpe, C. (Hrsg.), Religionsgeschichtliches Textbuch zum Neuen Testament, Göttingen—Zürich 1987.
Cohn, L. - Wendland, P. — Reiter, S. (Hrsg.), Philo von Alexandrien. Opera Omnia 1-6, Berlin 1896-1915 (Neudruck 1962-63).
Cohn, L. — Heinemann, I. — Adler, M. — Theiler, W. (Hrsg.), Philo von Alex andria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Breslau—Berlin 1909-64. Billerbeck, P. (— Strack, H. L.), Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch I-IV, München 1922-28. Fiebig, P., Pirque 'aboth. Ubersetzung mit Anmerkungen, Tübingen 1906. Fischer, ]. A. — w engst, K.> Schriften des Urchristentums I-II. Eingeleitet, hrsg., übertragen u. erläutert, Darmstadt 1963/84. Georgi, D., Weisheit Salomos (JSHRZ III/4), Gütersloh 1980. Horst, P. W. van der, The Sentences of Pseudo-Phocylides. With Introduction and Commentary, Leiden 1978. Jonge, M. de (Hrsg.), Testamenta XII Patriarcharum, Leiden 1964. Klauck, HJ., 4. Makkabäerbuch (JSHRZ III/6), Gütersloh 1989. Lohse, E. (Hrsg.), Die Texte aus Qumran. Hebräisch und deutsch, Darm stadt 1964. Nestle, E. — Aland, K. (Hrsg.), Novum Testamentum Graece, Stuttgart 1986. Rahlfs, A. (ed.), Septuaginta I-II, Stuttgart 1965. Riessler, P., Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel, übersetzt und erläutert, Augsburg 1928 ( = Darmstadt 1966). 7
26
8
2
Sauer, G., Jesus Sirach (Ben Sira) (JSHRZ III/5), Gütersloh 1981. Schenkt, H. (ed.), Epicteti dissertationes ab Arriano digestae, Leipzig 1916. Walter, N., Pseudo-Phokylides (JSHRZ IV/3), Gütersloh 1983. Ziegler, J. (Hrsg.), Sapientia Iesu Filii Sirach, Göttingen 1965. Ders. (Hrsg.), Sapientia Salomonis, Göttingen 1962. 2
2. Allgemeinere Literatur Zur Linguistik. Außerdem: Einleitungen, Konkordanzen, Wörterbücher. Zur Literatur der Gattung Brief vgl. Einleitung 2.4, zur Rezeption vgl. Einleitung 2.6 sowie zur Methode der handlungsorientierten Auslegung in diesem Kommentar vgl. Einleitung 1 und 2. Aland, K. (Hrsg.), Vollständige Konkordanz zum griechischen Neuen Testament I-II, Berlin 1983.. Baird, J. A. — Thompson, J. D., A Critical Concordance to the Letter of James (Revised), Wooster 1988. Balz, H. — Schneider, G. (Hrsg.), Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament I-III, Stuttgart 1980-83.
Bauer W. — Aland, K. u. B., Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin 1988. 6
Blass, F. — Debrunner, A. — Rehkopf, F., Grammatik des neutestamentli16
chen Griechisch, Göttingen 1984. Classen, C.J., Paulus und die antike Rhetorik, in: Z N W 82 (1991) 1-33. Denis, A. M., Concordance Grecque des Pseudepigraphes d'Ancien Testa ment, Louvain 1987. Egger, W., Methodenlehre zum Neuen Testament. Einführung in linguisti sche und historisch-kritische Methoden, Freiburg 1990. Frisk, H., Griechisch etymologisches Wörterbuch I-III, Heidelberg 196072. Geckeier, H., Strukturelle Semantik und Wortfeldtheorie, München 1971. Görg, M. - Lang, B. (Hrsg.), Neues Bibel-Lexikon I, Zürich 1991. 2
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4. Kommentare 4.1 Neuere Kommentare zum Jakobusbrief in Auswahl Zu älteren Auslegungen vgl. Dibelius 83 f. und Mußner X I f.; zur exegesegeschichtlichen Bedeutung und zu einer textkritischen Ausgabe des Kommentars zu Jakobus durch Beda Venerabiiis von ca. 710 vgl. Einleitung 2.6c. Adamson, ]. ß., The Epistle of James, Grand Rapids 1976. Barclay, W., The Letters of James and Peter, Philadelphia 1976. 2
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6. Allgemeinere Literatur zur Ethik, zum Glauben, zur Schöpfung u. a. Zu Spezialliteratur zu den Bereichen: Eschatologie, Ethik, Glaube, Anthropologie und Theo-logie, Gesetz, Christologie, Rechtfertigung, voll kommen, Weisheit, Beten, Welt, Heilung von Krankheiten und Sünden vgl. die Exkurse. Berger, K., Historische Psychologie des Neuen Testaments, Stuttgart 1991. Dobbeler, A. v., Glaube als Teilhabe. Historische und semantische Grund lagen der paulinischen Theologie und Ekklesiologie des Glaubens, Tübingen 1987. Doli, P., Menschenschöpfung und Weltschöpfung in der alttestamentlichen Weisheit, Stuttgart 1985. Fascher, E., Das Menschenbild in biblischer Sicht, Berlin 1962. Heiligenthal, R., Werke als Zeichen. Untersuchungen zur Bedeutung der menschlichen Taten im Frühjudentum, Neuen Testament und Frühchri stentum, Tübingen 1983.
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Aufgabe eines Kommentars ist selbstverständlich die Auslegung des zu kommentierenden Textes. Kommentar meint nicht wie im umgangssprachlichen Sinn (etwa in der Publizistik) eine subjektiv wertende Meinungsaussage, sondern seit altersher, spätestens seit dem Cicero-Kommentar des Ausonius aus dem 1. Jh. n.Chr., der in der hohen Kaiserzeit, erst recht im 4. Jahrhundert, besonders bei Grammatikern und Kirchenschriftstellern zahlreiche Nachfolger fand, eine fortlaufende Erläuterung eines Textes. Schwerpunkte konnten grammatische, stilistische oder sachliche Erläuterungen sein; ohne daß die Schwerpunktbildung reflektiert wurde, dürfte sie jeweils in der Vorliebe des Verfassers oder in seinem Aktionsziel begründet gewesen sein. Reflektiert wird diese Frage erst in neue rer Zeit (vgl. Frühwald für die Germanistik, Stock, Lohfink, Kieffer, Schenk für die Exegese des N T ) . Dabei ist die Frage: Was ist ein Kommentar? auch abhängig von der Frage: Was ist Exegese? bzw. Was ist historisch-kritische Exegese?
Ziel des vorliegenden Kommentars ist zunächst die Erschließung dessen, was vorliegt. Auslegung wird als historische Aufgabe ver standen zur Beantwortung der Frage: Kann man herausfinden, was Jakobus seinen Adressaten sagen wollte? Ein solcher methodischer Ansatz setzt eine konkrete Kommunikationssituation voraus, in der Jakobus in bestimmter Weise wirken will. Der Text ist Teil dieses sprachlichen Handelns. Er ist daher mit allen Regeln der Kunst zu erschließen: — Syntaktisch sind Verbindungen und Trennungen im Text darzu stellen und der Text als geschlossene literarische Einheit — so das Ergebnis dieses Kommentars — zu werten, falls Jakobus ihn so verstanden hat (was bekanntlich in der Literatur sehr umstrit ten ist, da man bis heute — auch unter semantischen Aspek ten - in der Regel von einer Ansammlung unterschiedlichster, untereinander unverbundener Sprüche ohne klare Gedankenab folge und Strukturierung ausgeht). Die Syntax allein aber kann die Frage nach der literarischen Einheit nicht beantworten. — Semantisch ist der Sinnzusammenhang von einzelnen Sätzen, Satzgruppen und der gesamten literarischen Einheit zu analysie ren. Hier geht es um den Sinn des Textes, der nirgendwo anders denn im Text selbst zu finden ist. Hier gilt das Wort des Augustinus: »Jeder Mann, der in den heiligen Schriften einen anderen Sinn findet, als die Verfasser beabsichtigt haben, der befindet sich in einem Irrtum« (De doctrina christiana I 37,41). Ist dieser Sinn des Jakobusbriefes ethisch-paränetisch zu um schreiben oder als im strengen Sinn theologisch? Die These dieses Kommentars lautet: Der Jakobusbrief als Text über die schöpfungsmäßig begründete Beschaffenheit der Chri sten und der christlichen Gemeinde mit allen zu konstatieren den Widersprüchlichkeiten ist von seinem weisheitlichen Denk horizont her nicht nur ein theozentrisches Schriftdokument, sondern auch eine weisheitliche Schrift mit viel praktischer Lebensweisheit (entsprechend den biblischen Vorbildern). Nur wenn man auch diesen Text »radikal historisch« {Kasper 518) auslegt, gelangt man zur theologischen Auslegung. »Histori sche« Auslegung ist aber nicht nur im streng synchronischen Sinn zu verstehen, sondern — wie die vorausgehenden Bemer kungen andeuten - so, daß die Endgestalt des Textes »nur im Sinne der Bewahrung eines vielgestaltigen Traditionsgutes« {Gese 258) interpretiert wird, wenn der Verfasser seinen Text so angelegt hat, was bei Jakobus als Weisheitsschrift aufgrund der Rezeption des Buches Jesus Sirach (vgl. Frankemölle, Thema)
und von Jesus-Traditionen nachweislich zutrifft. Dabei ist der Verfasser »als Tradent« nicht gegen den Verfasser »als theologi scher Lehrer« auszuspielen (gegen Gese ebd.), vielmehr läßt sich seine ureigene Konzeption von Theologie in der Aktualisierung der Tradition und der Transformierung der rezipierten Texte nachweisen. Gerade der Jakobusbrief als ein traditionsgesättig ter Text bestätigt mit seiner variierenden Kontinuität zu Jesus Sirach und in Weiterführung von urchristlichen Jesus-Traditio nen eine im Grunde identische, weisheitlich orientierte Welt deutung (vgl. Luck, Welterfahrung). Nicht zuletzt zeigt sich darin eine (heute in der heidenchristlichen Kirche so nicht mehr anzutreffende) Identifikation mit der Theologie-, Glaubens und Gottesgeschichte im Ersten Testament. Wenn ein Text heute so zu verstehen ist, wie er vom Autor semantisch verstan den sein will, hat ein Ausleger ihn heute in seinem theo logischen Anspruch zu interpretieren. Gefragt ist eine wie immer geartete »geistliche« bzw. »geistige« Schriftauslegung (vgl. Pietron). — Textpragmatisch ist schließlich noch über den Text hinaus die mit dem Text vom Autor intendierte sprachliche Handlung in die und auf die Situation der Adressaten hin zu analysieren. Wird doch vom Verfasser des Jakobusbriefes nicht nur eine abstrakte Anthropologie und Ekklesiologie bzw. ein bestimm tes Weltverständnis entfaltet, vielmehr ist dieses als Sprachhand lung angelegt, in deren Rezeption die Adressaten, wenn es nach dem Autor geht, sich zu verändern haben. Im Grunde genom men überschreitet dieser Aspekt der Auslegung jede textbezo gene Analyse, geht es hier doch im Akt der Rezeption um ein Verstehen der Sache des Textes und um ein Sich-Aneignen dieser Sache. »Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen, >wie es denn eigentlich gewesen ist<. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt« (Benjamin, W ., zitiert bei Stock 87). Dem hat ein handlungsorientierter Kommentar zu entsprechen. Worin liegt die bleibende Aktualität des historisch vorgegebenen Jako busbriefes? Da in diesem Prozeß, Historisches zu artikulieren, der Rezipient, der Ausleger und Kommentarleser eine wichtige Rolle spielen, sind vor allem in einer Reihe, die sich »Ökumeni scher Kommentar« nennt, die eigenen Rezeptionsbedingungen aufgrund der Reformation zu reflektieren. Nicht die vielfach gebrochene, oft gegen die Textintention verlaufene sogenannte »Wirkungsgeschichte« (zur Kritik an diesem Begriff vgl. Fran7
kemölle) ist darzustellen, vielmehr sind ausgesuchte Beispiele der Rezeptionsgeschichte zu benennen, wie man auf den Jako busbrief bei unterschiedlichsten Voraussetzungen in verschiede nen Zeiten reagiert hat und wie man heute den Jakobusbrief als neutestamentliche Weisheitsschrift auslegen könnte. Ziel des Kommentars ist es nicht, die Frage zu beantworten, ob Jakobus heutigen Christen direkt etwas zu sagen hat, wohl geht es aber darum, ob das, was Jakobus seinen Adressaten sagen wollte, und ob die Handlungsanweisungen für die Leser seines Briefes eine Anrede auch für gegenwärtige Leser und Handlungsmodelle für sie werden können. Wie der Ausleger, der davon überzeugt ist, so sind auch die Leser des Kommentars in einen Prozeß hineingenommen. Da es Jakobus um letzte Fragen, die über Tod und Leben entschei den, geht (vgl. 1,14-18), seine Intention als existential-pragmatisch zu werten ist, die unbeirrbar vom Handeln Gottes als der grundle genden Voraussetzung allen menschlichen Handelns ausgeht (vgl. 1,5 und die entsprechenden Amplifikationen im weiteren Brief), hat eine Auslegung dem zu entsprechen. Bei einem solchen Ansatz ist dann die geforderte historisch-kritische Exegese zugleich eine theologische Exegese, die aus dem Sein und Handeln Gottes das Sein und Handeln der Christen erschließt und somit die bisherigen Überlegungen zur Erneuerung einer geistlichen Schriftauslegung (vgl. Kasper, Pietron 303-352) um den handlungsorientierten Im puls erweitert. Die vorgenannten Aspekte (syntaktisch-semantisch-pragmatisch) bedingen einander und sind als Methode das Ergebnis der Ausle gung des ganzen Briefes. Dies gilt auch für die Übersetzung; sie ist Teil des Kommentars und Ergebnis der Auslegung — auch wenn sie aus Informationsgründen für den Leser jeweils am Anfang geboten wird. Daß sie nicht - wie in anderen Kommentaren heute üblich — als Prosatext, sondern — wie in der Weisheitsliteratur üblich - in Stichen geboten wird (s. u. zu 2.4d), ist Ergebnis formkriti scher Untersuchungen, aber auch subtiler traditionsgeschichtlicher und formgeschichtlicher Vergleiche. Ergebnis der Auslegung ins gesamt ist auch die folgende Einleitung, die von der Entstehung des Kommentars her den Abschluß, der Tradition gemäß jedoch den Anfang bildet.
2. Der Jakobusbrief als innovatorische Sprachhandlung Literatur: Egger, W., Methodenlehre zum Neuen Testament. Einführung in linguistische und historisch-kritische Methoden, Freiburg 1990, 3440.133-146. — Frankemölle, H., Biblische Handlungsanweisungen. Bei spiele pragmatischer Exegese, Mainz 1983. — ders., Gespalten oder ganz. Zur Pragmatik der theologischen Anthropologie des Jakobusbriefes, in: H. U. v. Brachel — N. Mette (Hrsg.), Kommunikation und Solidarität, Freiburg-Münster 1985, 160-178. - Fuchs, O. (Hrsg.), Theologie und Handeln. Beiträge zur Fundierung der Praktischen Theologie als Hand lungstheorie, Düsseldorf 1984. - Kessler, H., Der Begriff des Handelns Gottes. Überlegungen zu einer unverzichtbaren theologischen Kategorie, in: Brachel — Mette (Hrsg.), Kommunikation 117-130. - Peukert, H., Wissenschaftstheorie — Handlungstheorie — Fundamentale Theologie. Analysen zu Ansatz und Status theologischer Theoriebildung, Düsseldorf 1976. 2
Wer jemandem schreibt — erst recht unter den beschwerlichen Bedingungen der Antike —, will mit seinem Text die Hörer bzw. Leser beeinflussen — erst recht mit einem Text wie dem Jakobus brief, der durchgehend von Imperativen und Hinwendungen zu den Adressaten, aber auch durch Naturmetaphern und durch Verweise auf biblische Vorbilder geprägt ist. Wer so schreibt, will bei den Adressaten etwas bewirken, sie zu einer Meinungs- bzw. Glaubensänderung führen, sie zu neuer Glaubenspraxis motivie ren. Mit allen zu Gebote stehenden rhetorischen Mitteln (s. u. 2.4c) entfaltet der Verfasser eine Strategie zur Lenkung der Adres saten; er will, daß sie auf seinen Text reagieren. Diese Aspekte sind innerhalb einer allgemeinen Kommunikations- und Handlungs theorie Gegenstand der Pragmatik (zur exegetischen Begründung vgl. Frankemölle, Handlungsanweisungen). Sie »beschäftigt sich mit der dynamischen Funktion von Texten: also der Handlungsan weisung und Leserlenkung durch Texte« {Egger 134). Textpragma tik wird sie genannt, sofern davon auszugehen ist, daß der Verfas ser seinen Text (wie beim Jakobusbrief) als Einheit verstanden hat und mit dem Gesamttext auf die Adressaten einwirken wollte, um ihre theologische Einstellung und ihr Verhalten zu ändern. Der Text wird bei diesem Verständnis als Element einer einmaligen, vergangenen Kommunikation und Interaktion verstanden — aller dings mit bleibender Aktualität, worauf nicht nur seine Aufnahme in den Kanon hinweist, sondern auch die bis heute andauernde
Rezeptionsgeschichte. Da die Einwirkung des Autors auf die Adressaten über den Text geschieht, der Text Medium des kommu nikativen Handelns ist, hat gerade pragmatische Exegese den Text, näherhin seine formalen und intentionalen Aspekte, ganz ernst zu nehmen, da nur mit Hilfe des Textes der Verfasser die auch theologisch begründete Wirklichkeit der Adressaten und ihre Pra xis in Frage stellen und neu orientieren konnte. Setzt man mit der gesamten Bibel und der Theologie den Glauben, daß Gott in und an der Welt handelt, als Grundüberzeugung voraus (zum Begriff des Handelns Gottes vgl. Kessler) und versteht man Handeln im weitesten Sinn so, daß dadurch intentional eine Veränderung bewirkt wird, ist göttliches und menschliches Han deln in gleicher Weise zu betrachten. Dies gilt für Jakobus um so mehr, da nach ihm Gottes kommunikatives Handeln (vgl. u. a. 1,5.7.12.17-18) die Ermöglichung der christlichen Existenz über haupt bildet, dann aber auch den Grund und die Ermöglichung für das innovatorische, kommunikative Handeln der Christen liefert. Gerade im Prolog (1,2-18) erschließt Jakobus mit wenigen Worten die Struktur des christlichen Seins und Handelns aus dem Sein und Handeln Gottes selbst. Wenn irgendwo im N T , so wird hier der »Zusammenhang von kommunikativem Handeln und Wirklichkeit Gottes« bestimmt (Peukert 297 Anm. 18). Mit dem Hinweis auf Gottes Sein und Handeln deckt Jakobus Verhaltensmuster bei seinen Adressaten auf und stellt sie in Frage, gleichzeitig erschließt er aber durch die Art seiner Sprachhandlung den Adressaten neue Handlungsmöglichkeiten. Und: Wenn es gilt, daß er das kommu nikative Handeln der Christen an das Handeln Gottes bindet, gilt auch umgekehrt: »Der Streit um eine bestimmte Weise kommuni kativen Handelns ist zugleich ein Streit um die Wirklichkeit Got tes« (ebd. 298). Dies macht die ethisch-appellative Sprachhandlung des Jakobus so existentiell und zugleich theo-logisch. Will man den Jakobusbrief unter solchen textpragmatischen Gesichtspunkten, die theologisch — wie angedeutet — wohl keine höhere Dignität haben können, interpretieren, sind die folgenden im hexametrischen Merkspruch des Matthieu de Vendöme aus dem 12. Jahrhundert formulierten Fragen Quis?, Quid?, Ubi?, Quibus auxiliis?, Cur?, Quomodo?, Quando? (vgl. Plett, Textanalyse 12) zu beantworten oder auch die in der Soziolinguistik bekannten Wer-Fragen: »Wer spricht was und wie mit wem in welcher Sprache und unter welchen sozialen Umständen mit welchen Absichten und Konsequenzen?« (StammerJohann, Handbuch 389). Die folgende Gliederung entspricht diesen Fragen.
2.1 Wer? (Absender/Schreiber) Literatur: Adamson, J. B., James. The Man and His Message, Grand Rapids 1989, 3-52 (vgl. meine Rezension in: BZ 34, 1990, 285-287, auch zu
Hengel: s. u.). — Aland, K., Der Herrenbruder Jakobus und der Jakobus brief (1944), in: ders., Neutestamentliche Entwürfe, München 1979, 233245. - D m . , Jakobus. Jakobusbrief, in: RGG 3( 1959) 525-528. - Hengel, M., Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik, in: Tradition and Inter pretation in the New Testament. FS E . E . Ellis, Tübingen 1987, 248-278. - Kittel, G., Der geschichtliche Ort des Jakobusbriefes, in: Z N W 41(1942) 71-105. — Löning, K., Der Stephanuskreis und seine Mission, in: J.Becker u. a., Die Anfänge des Christentums, Stuttgart u. a. 1987, 80-101. - Lüde mann, G., Paulus, der Heidenapostel. Bd. I: Studien zur Chronologie, Göttingen 1980. — Meinertz, M., Der Jakobusbrief und sein Verfasser in Schrift und Uberlieferung, Freiburg 1905, 6-54. — Niederwimmer, K., Iakobos Jakobus, in: E W N T 2(1981) 411-415. - Oberlinner, L., Jakobus, in: N B L 2(1992) 274-277. - Pratscber, W., Der Herrenbruder Jakobus und die Jakobustradition, Göttingen 1987. — ders., Der Standort des Herren bruders Jakobus im theologischen Spektrum der frühen Kirche, in: StANTU 15(1990) 41-59. - Ruckstuhl, R., Jakobus (Herrenbruder), in: T R E 16(1987) 485-488. - Strecker, G., Jakobusbrief, in: E K L 2( 1989) 794795. - Ward, R.B., James of Jerusalem, in: R Q 16(1973) 174-190. 3
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Die Antwort auf die Frage »Wer ist der Verfasser?« (vgl. auch bei 1,1 und 5,6) sei als These (sie ist wiederum das Fazit der gesamten Auslegung) vorangestellt: Wer sich als Verfasser unter dem Namen »Jakobus« (1,1) verbirgt, wissen wir nicht. Wo und wann der Brief geschrieben wurde, wissen wir ebenfalls nicht. Am Ende einer jahrhundertelangen Auseinandersetzung bleibt nüchtern zu kon statieren: Der Jakobusbrief ist ein weisheitlich geprägter Text, der nicht genau zu datieren, zu lokalisieren und einem bekannten Autor zuzuweisen ist. Für eine Weisheitsschrift ist dies nicht ungewöhnlich. So variieren etwa die Angaben hinsichtlich der Entstehungszeit und des Entste hungsortes für das Buch der Weisheit von 80—30. v. Chr. und Ägypten (so die Regel) bis hin zum 1. Jh. n.Chr. und Syrien (so Preuß, Einführung 148; vgl. auch Georgi, Weisheit 396, der für den »Rest der jüdischen Diaspora im Mittelmeergebiet ... mit Syrien als Hauptkandidat« plädiert und für das späte 2. Jh. v. Chr. als Entstehungszeit). Bedingt ist diese Offenheit durch den Anspruch der Verfasser der Weisheitsschriften, eine grundsätzlich als tragfähig erkannte und erfahrene Ordnung (in der Natur, im
Ablauf von Welt, Geschichte und Leben eines Volkes bzw. in der Schöpfungsordnung und in der Geschichte Israels) weiterzugeben. Auch wenn der internationale Charakter der Weisheit in den jüngeren Weisheitsschriften durch die Bindung an die Tora (Jesus Sirach) oder an die Geschichte Israels (Weisheit) israelitisiert wurde, bei Jakobus noch einmal christianisiert, haben die Verfasser bewußt den Adressatenkreis (zum Jakobusbrief s. u. 2.2) offenge halten, ebenso auch die historische und geographische Identität ihrer Schrift. Dies heißt nicht, daß die Weisheitsschriften über haupt nichts zur näheren Situation der Adressaten sagen (zum Jak s. u. 2.3). Jedoch: Die Vielzahl der Antworten zum Jakobusbrief etwa bei der Frage nach dem Abfassungsort (Galiläa, Palästina, Antiochien in Syrien bzw. Syrien generell, Rom, Alexandrien in Ägypten) belegt, daß jede genauere Angabe nichts als eine Hypo these ist. Wirkliche Argumente für den einen oder anderen Ort als lebensgeschichtlichen Kontext des Verfassers gibt es nicht. Zurück haltung ist also geboten. Ein Vergleich zwischen zwei neueren englischen Kommentaren kann diese Entscheidung verdeutlichen. Nach S. Laws ist der Name »Jakobus« als Pseudonym zu werten, der Brief aufgrund der Ähnlichkeit mit anderer Literatur wie die Briefe 1 Petr, 1 Clem und der Brief des Hermas in Rom zu lokalisieren und zeitlich zwischen 70 und 130 n. Chr. anzusetzen (6-26). Hingegen ist nach P. H. Davids, Jakobus, der Bruder des Herrn, der Verfasser des Briefes, den vielleicht ein Unbekannter etwas später redigierte; nach Davids stammt der Brief aus Palästina und dürfte in der Zeit zwischen 40 und dem Konzil von Jerusalem im Jahre 48 geschrieben worden sein (nach Adamson 488 ist der Jak der »erste Brief an die Chri sten«), während die Überarbeitung aus den Jahren 55-65 oder 7585 stammt {Davids 22; zu einer Liste von Früh- und Spätdatierun gen vgl. ebd. 4 sowie ders., Discussion 3622-3625). Wo liegen die Grenzen für eine Identifizierung unseres Jakobus mit einer anderen neutestamentlichen Person dieses Namens? Von den im N T unter dem Namen Jakobus bekannten Personen scheiden Jakobus, der Sohn des Alphäus, der zu den Zwölfen gehört (Mk3,18), wie Jakobus, der Kleine, der Sohn einer Maria (Mk 15,40; 16,1), und Jakobus, der Vater des Apostels Judas (Lk 6,16; Apg 1,13), aus, da wir von ihnen nur den Namen wissen, auch wenn im Hinblick auf die Wendung im Jak 1,1 »Die zwölf Stämme in der Zerstreuung« festzuhalten ist, daß sie zum Zwölfer kreis gehörten. Etwas mehr weiß man von Jakobus, dem Sohn des Zebedäus und Bruder des Johannes, der ebenfalls zur Gruppe der
Zwölf gehörte (Mk 1,19f.; 3,17 mit den Parallelen). Mit Petrus und Johannes spielt dieser Jakobus in der Geschichte des irdischen Jesus eine wichtige Rolle (vgl. Mk 5,37; 9,2; 13,3; 14,33). Von seinen theologischen Anschauungen ist nichts bekannt. Nach einer kurzen Notiz in Apg 12,2 ließ König Herodes (etwa im Jahre 44) ihn mit dem Schwert hinrichten. Falls ein »Apostel Jakobus« der Verfasser unseres Briefes war, warum verzichtet er — im Unter schied zu Paulus und Petrus — auf diesen Titel? Am bekanntesten und wichtigsten für die urchristliche Glaubens geschichte ist Jakobus der »Bruder des Herrn«, und zwar der älteste von vier Brüdern (vgl. Mk 6,3). Erst durch eine Christophanie (1 Kor 15,7) schließt er sich der urchristlichen Gemeinde an. Bereits um 44, als der Zebedäussohn Jakobus hingerichtet und Petrus eingekerkert wird, ihm aber anschließend die Flucht gelingt, wird Jakobus als der namhafteste Mitchrist in der Leitung der Gemeinde in Jerusalem vorausgesetzt (Apg 12,17). Um 48 beim Apostelkonzil bilden »Jakobus, Kephas und Johannes, die als die Säulen Ansehen genießen« (Gal 2,9), eine Dreiergruppe in der Leitung der Jerusalemer Gemeinde. O b Jakobus in dieser Zeit bereits, wie Apg 15,13-22 andeuten könnte, aufgrund seiner ver mittelnden theologischen Position die Hauptrolle spielte, ist umstritten. Nach dem Weggang des Petrus aus Jerusalem nach Antiochien (Gal 2,11-14) scheint dies der Fall zu sein. Daß sein Einfluß nicht auf Jerusalem beschränkt blieb, sondern bis nach Antiochien reichte, belegt Gal 2,12f.; deswegen muß man ihn nicht mit dem Epitheton »der erste >Papst<« belegen {Adamson 52; Henget). Als Paulus im Jahre 57/58 die Kollekte der heidenchristli chen Gemeinden nach Jerusalem bringt, trifft er nur noch Jakobus an (so Apg 21,18). Von seinem Tod wissen wir durch Josephus (Ant X X 199f.); danach ließ der Hohepriester Ananos II. in einer Vakanz der römischen Herrschaft in Judäa (der Statthalter Festus war gestorben, sein Nachfolger Albinus noch nicht eingetroffen) Jakobus um 61/62 steinigen. Ist er der Verfasser des Jakobusbriefes (alle anderen Namen scheiden aufgrund der mangelnden Quellen lage aus), wäre damit ein terminus ad quem für die Abfassungszeit gegeben. Wie steht es um die theologische Konzeption hier und dort? Jakobus, der Herrenbruder, ist ein Tora-Theologe; dies läßt sich bei aller Spärlichkeit der Quellen eindeutig sagen (seine Deutung als »der Gerechte« in der nachneutestamentlichen, judenchristli chen Literatur bestätigt dies; s. u. zu 5,6). Die Frage ist, in welchem Sinn er dies ist, da die Tora auch im Jakobusbrief ein
wichtiges Thema ist. Nach Gal 2,1-10 schloß er, Kephas und Johannes, die als Dreierkollegium die Gemeinde in Jerusalem vertraten, mit Paulus, Barnabas und Titus, die die heidenchristli chen Gemeinden Kleinasiens vertraten, ein Abkommen über die Gleichberechtigung von Judenmission und Heidenmission, von jüdisch gelebtem Christsein und »heidnisch« gelebtem Christsein. Nach Apg 15,13 ff. hatte Jakobus bei dieser gegenseitigen Anerken nung eine aktive Rolle, bestätigt aber auch dort seine grundsätzli che Ubereinstimmung mit Petrus (vgl. Apg 15,6-12). Nach Lukas und Paulus ist klar: »Die Jerusalemer Autoritäten waren keine >Judaisten<, auch Jfakobus] nicht. Sie haben mit der Agitation der >Falschbrüder< (Gal 2,4) nichts zu tun« (Niederwimmer 412). Die gegenseitige Anerkennung schloß ein, daß den Heidenmissionaren und den Heidenchristen die Forderung von einigen, »die aus dem Kreis der Pharisäer gläubig geworden waren, und die sagten: Man muß sie beschneiden« (Apg 15,5) nicht zur Auflage gemacht wor den war (vgl. Gal 2,3-6; Apg 15,6-19). Die folgenden »Jakobus klauseln« in Apg 15,20-21 (vgl. auch 15,29; 21,25) werden — bei aller Diskussion um ihre Entstehung und Geltung — heute in aller Regel als »Reaktion des Jakobus und der mit ihm verbundenen Judenchristen auf die antiochenische Krise«, die nach dem Apostel konzil anzusetzen ist (vgl. Gal 2,11-21), verstanden und »als eine Schutzbestimmung für die in gemischten Gemeinden lebenden Judenchristen« interpretiert, »indem sie deren kultische Verunrei nigung verhindern sollten« (Roloff, Apostelgeschichte 227; vgl. auch die Kommentare von Haenchen 454; Mußner 94; Weiser 3673
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Das Dekret des Jakobus, das von Heidenchristen das Einhalten einiger ritueller Minimalforderungen der Tora verlangt, nämlich den Verzicht auf »Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht«, das nach Apg 21,25 dem Paulus — da es ihm bislang unbekannt war — von Jakobus genannt wird, war die Antwort auf ein Problem, das sich in den heidenchristlichen Gemeinden des Paulus nicht stellte, wohl aber von Jakobus im Hinblick auf das Zusammenleben von Judenchristen und Heidenchristen in ge mischten Gemeinden gelöst werden mußte. Dieses Problem war bei der Übereinkunft in Jerusalem beim Apostelkonzil nicht the matisiert worden. Jakobus — so darf man unterstellen — geht es bei der Frage des praktischen Zusammenlebens von Judenchristen und Heidenchristen darum, daß Judenchristen ihre jüdische Identität wahren konnten, die sie — so Gal 2,12-14 — aufgaben, wenn sie ohne Beachtung von Minimalforderungen der Tora das gemein-
same Essen mit Heidenchristen pflegten. Gaben Judenchristen nicht etwas auf, was Heidenchristen für sich beanspruchten? Und: Wurde die gegenseitige Anerkennung des jeweiligen Christseins durch das Apostelkonzil nicht desavouiert, wenn Judenchristen sich beim gemeinsamen Essen mit Heidenchristen über Vorschrif ten hinwegsetzten, die auch von den Vertretern der Heidenmission Paulus, Barnabas und Titus für Judenchristen anerkannt worden waren? Nur dehnt Jakobus sie — um des praktischen Zusammenle bens gemischter Gemeinden willen — als Minimalforderungen an Heidenchristen in solchen gemischten Gemeinden aus. Der Sache nach kann er sich dabei auf »Moses« berufen (Apg 15,21), näherhin auf Weisungen in Lev 17,10-14 und 18,6-18.26 sowie auf die sogenannten noachitischen Gebote in Gen 9,4-6, die für »den Fremden«, der als »Heide« in Israel lebt, gelten und nach rabbinischer Auffassung (Sanh 56b) alle Menschen betreffen. Die Forderungen des Jakobus an Heidenchristen mit dem Ziel, daß nach der Tora lebende Judenchristen bei Tischgemeinschaft mit ihnen nicht verunreinigt werden, betreffen (dies ist für den Jako busbrief wesentlich) kultisch-rituelle Fragen: »1. Verbot der >Befleckung durch Götzens womit der Genuß von heidnisch-kultisch geschlachtetem Fleisch (V.29) und, darüber hinaus, die Teilnahme an heidnischen kultischen Mahlzeiten (1. Kor 10,20ff.) gemeint ist. 2. Verbot der >Unzucht<, d. h. von Heiraten in für Juden verbote nen Verwandtschaftsgraden (3. Mose 18,6-18; vgl. Bill II 728). 3. Gebot der Enthaltung von >Ersticktem<, d. h. von Fleisch, das im Blut erstickt ist. Gemeint ist damit alles Fleisch, aus dem nicht, wie bei der jüdisch-rituellen Schlachtung (Schächtung), das Blut entfernt worden ist. — 4. Verbot des Blutgenusses, d. h. des Verzehrs von Speisen, in denen Blut enthalten ist (3. Mose 17,10.12ff.)« (Roloff 232f.). Hätten Heidenchristen, was in der Folge in der paulinischen Mission nicht der Fall war, diese Minimalforderungen anerkannt, wäre die bleibende Verbundenheit der heidenchristlichen Kirche mit Israel in der kirchlichen Lebenspraxis deutlicher geblieben. Eine Israelvergessenheit bei Heidenchristen (vgl. Rom 9-11) schon im 1. Jh. (für das 2. Jh. vgl. die radikale Lösung von Markion) hätte es dann nicht gegeben. Nach dem Apostelkonzil ist eine rein
heidenchristliche Kirche mangelhaft (an dieses Defizit erinnern die Jakobusklauseln in Apg 15,20.29; 21,25). Der Gang der Kirchen geschichte war bekanntlich anders. Ist mit diesen Hinweisen »der Standort des Herrenbruders Jakobus im theologischen Spektrum der frühen Kirche« (Pratscher; aus führlicher ders., Herrenbruder 49-102) bei aller Spärlichkeit der Quellen einigermaßen zutreffend wiedergegeben, dann vertritt er eine vermittelnde Position zwischen den heidenchristlichen Missio naren und den judaisierenden »Falschbrüdern« (Gal 2,4), »denen wir (die Apostel in Jerusalem) keinen Auftrag erteilt haben« (Apg 15,24), die also ihre theologische Position in Antiochien ohne Jerusalemer Autorität vertraten. Die mittlere Position des Jakobus innerhalb der Vielfalt der theologischen Meinungen im Urchristen tum läßt sich damit so umschreiben: Jakobus »unterschied sich sowohl von den Judaisten und vermutlich auch den strengen Torarigoristen auf der einen, sowie Petrus, Paulus und dessen enthusiastischen Gegnern auf der anderen Seite. Sein Festhalten an der Tora für sich selbst bzw. für die Judenchristen und seine Mitwirkung an der Verpflichtung der Heidenchristen auf einige kultische Bestimmungen waren zwar in der konkreten Situation des damaligen Palästina, realpolitisch gesehen, richtig, das unge klärte Verhältnis der Heilsbedeutung von Tod und Auferstehung Jesu und der weiteren Geltung der Tora war aber auf lange Sicht unhaltbar« (Pratscher, Standort 58). O b Letzteres — wohl geprägt vom »protestantischen« Vorverständnis — in dieser exklusiven Formulierung zutrifft, ist fraglich. Zumindest in der Evangelienli teratur kann Matthäus sowohl die soteriologische Bedeutung des Todes Jesu exklusiv vertreten wie die weitere Gültigkeit der Tora (vgl. Frankemölle, Jahwe-Bund 257-307 mit 8-83 und 211-220). Die mit diesen Hinweisen gegebene Skizzierung des historischen Jakobus als Tora-Theologe würde nuancierter, Jakobus konservati ver dargestellt, wenn man die Abfolge der Ereignisse primär aus der paulinischen Perspektive rekonstruiert (vgl. Lüdemann 58-151; Löning 96-100). Danach ist der Apg 15,1 f. genannte Streit zwi schen den »Leuten aus Judäa« mit Paulus und Barnabas über die Notwendigkeit der Beschneidung nicht der Anlaß zum Apostel konvent (so Lukas), vielmehr mit dem antiochenischen Zwischen fall (vgl. Gal 2,11-14) identisch. Danach stellt sich die Frage, »ob eine Missionsabsprache, die auch durch judaistische Einwände zustande gekommen ist, das Problem gemischter Gemeinden über gehen konnte; denn gerade hier lagen doch die Gefahren für
Judenchristen. Die herkömmliche Exegese unterstellt den damali gen Verhandlungspartnern einen Stumpfsinn, so daß am Ende der Zwischenfall von Antiochien durch die Konferenzergebnisse sozu sagen erst provoziert wurde« (Lüdemann 104 Anm. 102), da der Apostelkonvent die Frage nach der Heidenmission nur grundsätz lich geregelt hätte, die praktischen Konsequenzen wie die Tischge meinschaft aber vergessen hätte. Wie dem auch sei: Praktiziert Petrus in Antiochien nach Gal 2,12 die gesetzesfreie Tischgemein schaft zwischen Judenchristen und Heidenchristen, sieht er sich zu einer Änderung seiner Einstellung gezwungen, als »Leute aus dem Kreis um Jakobus eintrafen«. Während Lukas in Apg 15,24 sie als inkompetent und nichtautorisiert darstellt (s. o.), zeigt sich am Nachgeben des Petrus in Gal 2,12 aufgrund der Vorwürfe der »Leute aus dem Kreis um Jakobus«: »Sie scheinen in der stärkeren Position zu sein. Jakobus kontrolliert Petrus« (Löning 98). Der Grund: »Nicht an der Praxis der Heidenmission als solcher — Taufe ohne Beschneidung — entzündet sich der Streit, sondern an der Verletzung der traditionellen Reinheitsvorstellungen« (ebd.). Auch wenn man die anfangs skizzierte chronologische Abfolge der Ereignisse als angemessener akzeptiert, gibt es »wenig Veranlas sung, daran zu zweifeln, daß Jakobus selbst hinter den >Männern von Jakobus< stand.« Auch dann bleibt der Abbruch der Tischge meinschaft des Petrus mit den Heidenchristen. »Diese abrupte Verhaltensänderung muß seine Reaktion auf Forderungen von seiten der >Männer von Jakobus< gewesen sein« (Betz 203 f.). So oder so: Jakobus, der Herrenbruder, zeigt als Leiter der Gemeinde in Jerusalem im kultischen Bereich eine strengere Gesetzesobservanz, die vom Verfasser des Jakobusbriefes mit seiner These vom »Gesetz der Freiheit« (1,25) und der Konzentration der Tora auf die Solidarethik nicht gedeckt wird. Der historische Jakobus setzte — darauf sei abschließend hingewie sen — mit seiner vermittelnden Position eine sehr breite und immer weiter ausufernde Rezeption in judenchristlichen und gnostischen Richtungen in Gang (vgl. Niederwimmer 413f.; ausführlich Prat scher, Herrenbruder 102-260). In diese Rezeptionsgeschichte gehört auch der Jakobusbrief; in ihm liegt »eine sekundäre Herren brudertradition vor, die sich primär nicht an dessen Vorstellungen, sondern an dessen Ruhm orientiert« (Pratscher, ebd. 221). Anders formuliert: Der unbekannte Verfasser des Jakobusbriefes richtet sein Schreiben unter dem Pseudonym und in der Autorität des Jakobus, dem bei den Adressaten wohlbekannten ehemaligen Lei ter der Jerusalemer Gemeinde, »an die zwölf Stämme in der
Diaspora« (1,1). Für diese Nichtidentität zwischen dem Verfasser des Jakobusbriefes und dem historischen Jakobus seien zusammen fassend die Wahrscheinlichkeitsgründe genannt — unter der Bedin gung, daß man von einer relativen Konstanz und Kontinuität im Denkansatz und in der theologischen Position bei Theologen aus geht. Wie groß die Spannbreite bei ein und demselben Verfasser, aber bei unterschiedlichen Adressaten sein kann, läßt sich beim Thema »Israel und Kirche« oder »Gesetz« in den paulinischen Briefen studieren (vgl. Schnelle 49-90). Da ein solcher Adressaten wechsel vom historischen Jakobus zum Verfasser des Jakobusbrie fes nicht festzustellen ist, ist die Wahrscheinlichkeit größer, von verschiedenen Verfassern auszugehen als von identischen. Zwar können nach Mußner »keine überzeugenden Gründe genannt wer den, die gegen eine Verfasserschaft des Briefes durch den Herren bruder Jakobus sprechen« (240), doch spricht die geschichtliche Wahrscheinlichkeit eher für verschiedene Personen, da unter schiedliche theologische Denkansätze und Konzepte beim histori schen Jakobus und beim Verfasser des Jakobusbriefes vorliegen. Überzeugende Gründe für eine Identität beider Verfasser gibt es schon gar nicht. Es sei denn, man ist grundsätzlich bereit, eine große sprachliche und thematische Wandlungsfähigkeit neutestamentlicher Autoren (aus welchen Motiven?) vorauszusetzen. Dies hätte dann aber notwendigerweise die Folge, daß auch die Frage gestellt werden muß, ob die deuteropaulinischen Briefe oder der Hebräerbrief nicht doch authentische Briefe des Paulus sind oder worin denn das methodisch gesicherte Urteil begründet ist, warum das erste und zweite Evangelium von zwei verschiedenen Verfas sern geschrieben wurde. Sprachliche und thematische Aspekte sind und bleiben die einzigen Kriterien für die Behauptung von unter schiedlichen Verfassern. Natürlich trifft zu: »Über die sprachliche Kompetenz des Herren bruders Jakobus wissen wir schlechthin nichts. Jerusalem war zur Zeit Jesu längst dreisprachig« (Mußner 237). Der allgemeine Hin weis auf Jerusalem vernebelt allerdings das Problem, da die Her renbrüder Jakobus, Joses, Judas und Simon (Mk 6,3) wie Jesus aus keineswegs dreisprachigem dörflichem Milieu Galiläas stammen und von Hause aus wohl - wie Jesus — nur aramäisch gesprochen haben. Welche griechische Sprachkompetenz Jakobus sich im Laufe des Lebens erworben hat, bleibt völlig unklar. Die Frage jedoch, ob Griechisch seine Muttersprache gewesen ist, dürfte zu verneinen sein. Auch ist daran zu erinnern, daß es selbst in Jerusalem innerhalb der christlichen Gemeinde die Richtung der
Aramäisch sprechenden Judenchristen und die der Griechisch spre chenden Judenchristen nach Apg 6,1 gegeben hat. Das Bild der Urgemeinde ist vielfach bunter, als man sich bislang eingestehen wollte (differenziert: Schenke 66-80). Der Aspekt jedoch, ob im Jakobusbrief Übersetzungsgriechisch vorliegt, ist keineswegs unwichtig und wohl eindeutig negativ zu beantworten (s. u. 2.4). Nimmt man den weisheitlich geprägten und rhetorisch glänzenden Stil des Jakobusbriefes wirklich ernst (dies ist ein Anliegen dieses Kommentars), dann ist die im Hinblick auf die Zweisprachigkeit Jerusalems vorgetragene und neuerdings vielfach rezipierte These: »In der Tat ist die griechische Sprache des Jak das schwächste Argument gegen seine Echtheit« (Lindemann 241 Anm. 57), nicht mehr stichhaltig. Vor allem die Autoren, die den Herrenbruder Jakobus als Verfasser annehmen möchten und hinsichtlich der literarischen Qualität des Jakobusbriefes die These vom Sekretär, der im Auftrag des Jakobus den Brief stilistisch überarbeitet habe (vgl. Mußner 8.13.18f.237-240; Martin 22; Popkes 188; Hengel, Jakobusbrief 251 f.264 f.), vertreten, bestätigen mit ihrer Verlegen heitslösung, für die es keinerlei literarische oder textgeschichtliche Begründung gibt, daß die literarische Qualität des Jakobusbriefes sehr wohl ein wichtiges Argument liefert bei der Frage, ob der Herrenbruder Jakobus Verfasser des Briefes sein könnte. Auch die Annahme, daß am Beginn des Briefes eine Sammlung katecheti schen Materials aus einer Schule, die in Verbindung mit Jakobus stand, aber später nach Art der Weisheitsüberlieferung überarbeitet wurde (Halson 312 f.), oder die These, daß sich im Jakobusbrief verschiedene redaktionelle Überarbeitungsschichten nachweisen ließen (Davids 12f.22 u. ö.), scheitert an der sprachlichen und literarischen Einheit des Jakobusbriefes. Gerade die Sekretär hypothese ist indirekt das beste Argument dafür, daß der Herren bruder nicht Verfasser des Briefes ist. Die »Gewandtheit im Umgang mit der griechischen Sprache deutet auf einen Verfasser mit griechischer Muttersprache hin«, dessen sprachliche Qualität unbestritten ist, »wenn man daneben das merklich einfachere Grie chisch des Diasporajuden Paulus stellt« (Pratscher, Herrenbruder 211). Da auf das spezifische Thema des Jakobusbriefes ausführlicher weiter unten eingegangen wird (2.5), hernach auch erst nach den Adressaten (2.2) und ihrer im Brief skizzierten Situation gefragt wird (2.3) wie auch die Frage nach der Rezeption des Jakobusbrie fes (2.6) sowie die nach seiner eventuellen antipaulinischen Ten denz (2.6e) thematisiert wird, sei zum Unterschied der theologi-
sehen Position des Herrenbruders Jakobus und des Verfassers unseres Briefes als Zusammenfassung der Hinweise zum histori schen Jakobus soviel gesagt: Jakobus, der Herrenbruder, ist ein Tora-Theologe, der im Hinblick auf das schwierige Problem des Zusammenlebens von Judenchristen und Heidenchristen in ge mischten Gemeinden auch von Heidenchristen das Einhalten bestimmter ritueller Vorschriften verlangt, die er aber nicht für heilsnotwendig hält. Jakobus, der Verfasser des Jakobusbriefes, ist ein Weisheits-Theologe, der formal, sprachlich und inhaltlich im Rahmen eines bestimmten Gottesbildes in der Rezeption vor allem von Jesus Sirach und Philo eine hochinteressante und in sich und im gesamten Brief konsistente Anthropologie und Ekklesiologie entwirft (s. u. 2.5). Rituelle Begriffe (s. u. zu 1,27; 3,17; 4,8 u. ö.) transformiert er sozialethisch. Wie immer man sich einen möglichen Wandel und eine Entwick lung vom Herrenbruder Jakobus zum Verfasser des Jakobusbriefes als Hypothese vorstellen mag, literarisch und thematisch spricht vieles dagegen, nichts dafür.
2.2 Wem? (Empfänger/Adressaten) Literatur: Frankemölle, Gespalten oder ganz. — Röpkes, Adressaten 53124 (mit ausführlichem Überblick über die gesamte Literatur). Außerdem:
Arowele, A.P.J.,
Diaspora-Concept in the New Testament, masch.-
schriftl. Diss. Würzburg 1977, 302-346. - Elliot, J.H., A Home for the Homeless. A Sociological Exegesis of 1 Peter. Its Situation and Strategy, Philadelphia 1981. — Kampling, R., Fremde und Fremdsein in Aussagen des Neuen Testaments, in: O. Fuchs (Hrsg.), Die Fremden, Düsseldorf 1988, 215-239. - Knocb, Ch., Jakobus und die Einheit mit Israel, in: Ch. Link u. a., Sie aber hielten fest an der Gemeinschaft ... Einheit der Kirche als Prozeß im Neuen Testament und heute, Zürich u. a. 1988, 79-82.
Mit der Frage nach dem Verfasser des Briefes hängt eng die Frage nach seinen Empfängern zusammen, wie auch deren Bestimmung Rückwirkungen auf das Selbstverständnis des Verfassers als »Jako bus« hat. Die Wendung »die zwölf Stämme in der Diaspora« (1,1) ist im N T singulär. Sie bezeichnet Christen, da der Verfasser die Adressaten als »meine Brüder« (1,2) und sich selbst als »Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« (1,1) benennt. Daß Christen angesprochen
sind, belegt im übrigen die durchgehende Theozentrik und Christozentrik im gesamten Brief (s. u. den Exkurs nach 2,1). Wie Jesus Sirach und das Buch der Weisheit die Weisheitstheologie an die Tora bzw. die Geschichte Israels banden, so bindet Jakobus seine weisheitliche Theologie an das Bekenntnis der christlichen Gemeinde. Diese wird — und zwar zum ersten Mal in der christlichen Litera tur — mit den »zwölf Stämmen in der Diaspora« identifiziert, d. h. Jakobus sieht seine Adressaten als soziale Minderheit verstreut leben in der damals bekannten bewohnten Welt. Als Christen lebten sie — ob in einer Haus- oder Stadtgemeinde — als religiöse Minderheit inmitten einer sie kritisch beargwöhnenden Mehrheit von Heiden (und Juden). Eine rein metaphorische Deutung (vgl. Arowele) ist dabei ebenso abzulehnen wie das Verständnis von »Zerstreuung« zur Beschreibung der realen sozialen Situation und eines rechtlichen Fremdenstatus (vgl. Elliot). Angesichts der meta phorischen Verwendung von »Diaspora« bereits in der Septuaginta und bei Philo (vgl. Elliot 28.31), dürfte sowohl die bildsprachliche wie die sozialgeschichtliche Deutung je für sich einseitig sein, die Lösung vielmehr in der Mitte liegen. Aufgrund ihres Glaubens verändern Christen vor allem im kultischen und ethischen Bereich ihr Verhalten und werden dadurch »ihrer Umwelt zu Fremden. Damit ist zweifelsohne das Problem treffend gekennzeichnet; das, was notwendig zur Identität der Christen hinzugehört, führt zu einer Abgrenzung, die durch gesellschaftliche Isolierung sanktio niert wird« (Kampling 235). Auch wenn Jakobus in 1,1 die »zwölf Stämme« nennt, ist damit kein spezifisch christlich-jüdischer Kon flikt thematisiert. Da Jakobus nicht als Jude an Juden schreibt (so Meyer, Rätsel 298 f.) oder als Herrenbruder an die jüdische Dia spora (so Schlatter 1.93-95), ist von zwei theologiegeschichtlichen Entwicklungen als Voraussetzung auszugehen: 1. Auch andere neutestamentliche Texte kennen die Rede vom »Zwölf-StämmeVolk« (Apg 26,7) und von den zwölf Jakobssöhnen als den »Stammvätern« (Apg 7,8; vgl. auch Offb 7,4-8; 12,1; 14,1). 2. Da aufgrund des Untergangs des Nordreiches neun Stämme ganz und der Stamm Levi halb verschollen sind (vgl. Testjos 19,1 f.; 4 Esr 13,40; syrApkBar 78,1), zielt die Metaphorik auf die eschatologischen Hoffnungen (vgl. Jer 30f.; Bill IV 902-909) und konnte so im übertragenen Sinn von der Jesusbewegung (vgl. die Einrichtung der Zwölf) adaptiert werden. Eine Verbindung des Herrenbruders Jakobus mit den zwölf Jakobssöhnen bzw. dem Zwölf-Stämme-Verband findet sich
jedoch im N T nicht. Auch dies spricht gegen eine Verfasserschaft durch den Herrenbruder Jakobus. Geht man hingegen von einer schriftgelehrten Pseudepigraphie aus, dann verbindet der unbe kannte, weisheitlich orientierte Verfasser des Jakobusbriefes in 1,1 die Tradition von Jakobus, dem Herrenbruder, als »Knecht Gottes und Jesu Christi« mit Jakob/Jakobus, dem Stammvater der zwölf Stämme Israels (vgl. Gen 25-49) als »Knecht Gottes«. Die Konse quenz für die Adressaten daraus lautet: Die von diesem Jakobus angesprochenen Christen versteht er in Kontinuität zum ZwölfStämme-Volk als Volk Gottes, das als Minorität in andersgläubiger Umwelt leben muß. Die so charakterisierten Adressaten verlangen nach einem so verstandenen »Jakobus« und umgekehrt: Wer an die im N T nur in Jak 1,1 belegten »zwölf Stämme in der Diaspora« schreibt, ist Jakobus. Daraus folgt für sein Kirchenverständnis: Jakobus versteht Kirche nicht als Kirche für Israel oder als Kirche ohne Israel, sondern: »Einheit der Kirche ist also nur als Einheit i n Israel möglich« (Knoch 82); dagegen spiegelt sich nach F.Muß ner »im Jakobusbrief ganz deutlich die Trennung der Kirche von Israel« (in: ders., Die Kraft der Wurzel, Freiburg 1987, 169); das Gegenteil ist der Fall. Nicht nur die ekklesiologische Thematik (auch in Weiterführung der Sammlungsbewegung des irdischen Jesus) begründet eine christlich-jüdische Identität, auch der Verfas ser und die Adressaten tun es. Auch ihre Grunderfahrungen im anthropologischen und ekklesialen Bereich (Erfahrungen der Ambivalenz und Gespaltenheit) stimmen überein — so charakteri stisch im einzelnen auch die je spezifische Lebenssituation ist (dazu im folgenden). So sehr die weisheitlich geprägte Weltsicht, so sehr die einzelnen Themen und die schriftgelehrte Angabe hinsichtlich des Verfassers und der Adressaten von jüdischen Voraussetzungen her lebt, nichts deutet darauf hin, daß der Brief sich nur an Judenchristen wendet (Mußner 20 Anm. 4). Eine Frontstellung gar gegen Juden und Judaisten (so durchgehend Mußner\ vgl. etwa 111 f. 122.169.188f.; ebenso Schlatter 257-261) findet sich nicht. Auch Fragen des Zusammenlebens der Judenchristen mit den im 1. Jh. immer zahl reicher werdenden Heidenchristen, die für das Wirken des Herren bruders Jakobus typisch waren (s. o. 2.1), lassen sich nicht nach weisen. Jakobus geht es nicht um »konfessionelle« Probleme, vielmehr verhandelt er grundlegende Erfahrungen von über die Welt zerstreuten Christen mit sich selbst und ihrer Gemeinde, wobei diese Erfahrungen vor allem denen im Buch Jesus Sirach parallel sind. Wo es um solche existentiellen Grunderfahrungen
geht wie Gespaltenheit und Ganzheit in der Anthropologie und der Gemeinde, verblassen »konfessionsspezifische« Fragen. Sind sie deswegen weniger konkret und situativ?
2.3 Wann? Unter welchen Bedingungen? (Zeit und Situation der Adressaten) Literatur: Röpkes, Adressaten 31-41.53-124 (mit einem differenzierten Überblick zu den in der Literatur vertretenen Positionen). — An neuerer Literatur vgl. Davids, P. H., The Epistle of James in Modern Discussion, in: A N R W II 25.5 (1988) 3622-3645, ebd. 3625-3627. - Geyser, A. S., The Letter of James and the Social Condition of his Adresses, in: Neotestamentica 9(1975) 25-33. — Ruegg, U., A la recherche du temps de Jacques, in: D. Marguerat — J.Zumstein (Ed.), La memoire et le temps. Melanges offerts ä P. Bonnard, Geneve 1991, 235-257.
Die Gegenthese zur hier im Kommentar vertretenen These formu lierte Dibelius wie folgt: »Die bei den Paulusbriefen oft und glänzend bewährte Methode, aus Mahnungen und Warnungen wirkliche Zustände zu erschließen, führt hier zu keinem Erfolg; denn wenn man sie wirklich ernsthaft durchführt, erhält man statt eines lebensvollen Bildes von bestimmter Prägung ein seltsames und unwahrscheinliches Gemisch von ursprünglicher Bewegtheit und zweifellosem Verfall« (7). Bedingt ist diese dezidierte Meinung durch die Gattung der Paränese, die Dibelius voraussetzt (dazu s. u. 2.4a), woraus folgt, daß die Mahnungen des Jak »nicht alle das gleiche Publikum und dieselben Verhältnisse angehen; sie fallen aus dem Rahmen einer bestimmten Situation heraus« (23; ähnlich Mußner, Motivation 421). Eine solche hermeneutisch und metho disch vorausgesetzte Prämisse wurde zu Recht mit dem Begriff »Situationsverbot« umschrieben (Röpkes 52 u. ö.) — analog zum »Kontextverbot« (s. u. 2.4b), das Dibelius ebenfalls bei seiner Auslegung voraussetzte, da er die Verse als mehr oder weniger isolierte kleine Einheiten eines zusammenhanglosen Briefes inter pretierte. Sowohl das bis in jüngste Kommentare hinein vorherrschende Kontext- als auch das Situationsverbot werden in jüngster Zeit (wieder) vermehrt in Frage gestellt, auch wenn es nur wenige sozialgeschichtliche Studien zum Jak gibt. Dennoch kann man bei einer handlungsorientierten Exegese (s. o. 2) auch neutestamentlicher Texte in ihrer Einheit (s. u. 2.4b) an Erkenntnisse von Exege-
ten um die Jahrhundertwende anknüpfen (vgl. etwa Zahn, Einlei tung 59-72; ders., Die soziale Frage). Versteht man von diesem Ansatz her Texte in ihrer Einheit (s. u. 2.4b) als Wirkmittel eines konkreten Verfassers auf die Situation seiner Adressaten, deren Selbstverständnis und Lebenspraxis er verändern möchte, dann läßt sich bei allem Vorbehalt und bei aller Bindung des Verfassers an rezipierte Traditionen (!) aus dem Text eine bestimmte Situation rekonstruieren. Dabei ist die Einheit eines Textes nicht nur syntak tisch garantiert, sondern oft weit höher — vor allem in der Spruch literatur — semantisch und pragmatisch: Die Identität in der theo logischen Thematik und im gleichbleibenden Handlungsziel garan tiert auch die syntaktisch-literarische Einheit des Textes. Im A T ist der Jakobusbrief mit Weisheitsschriften, im N T mit der Logienquelle zu vergleichen. Auch die Logien in Q setzen eine bestimmte Situation bei den Adressaten voraus. Bei aller Vorläufigkeit ist dies auch bei weisheitlichen Texten möglich, auch wenn sie sich mit ihren für universal erachteten Lebensregeln an ein möglichst breites Publikum richten. Hinsicht lich der rezipierten Traditionen ist zu sagen, daß unter pragmati schen Aspekten auch die Auswahl von Traditionen adressatenbe zogen erfolgt. Wenn Jakobus daher — analog zur Weisheitslitera tur — schon in 1,2 ff. bei den Erfahrungen der Adressaten einsetzt und dies in Rezeption vorgegebener Motive aus Jesus Sirach tut (s. u.), bleibt auffällig, was er rezipiert und was nicht. So behandelt er z. B . nicht die Ehrfurcht gegen die Eltern (vgl. Sir 3,1-16; auch die folgenden Stellen stammen aus Sir), die Freundschaft (6,5-17), das rechte Verhalten im häuslichen Kreis (7,18-28), den rechten Umgang mit Frauen und zwischen Männern (9,1-18), den weisen Herrscher (10,1-18), die Erwählung Israels (17,11-23), die kluge Wahl des Vertrauten (36,23-37,26), die Aufgabe und Stellung der Schriftgelehrten (38,24-39,11), das Betteln (40,28-30), den Lob preis Gottes in Natur und Geschichte (42,15-50,24). ... Gerade die Vielfalt weisheitlicher Ermahnungen und Lebensregeln in Jesus Sirach, im Buch der Sprüche oder im Buch der Weisheit bestätigt die Konzentration des Jakobus auf wenige Themen, die sich dann noch einmal als Entfaltungen des Grundthemas von der psychi schen und sozialen und glaubensmäßigen Gespaltenheit seiner Adressaten, wie er sie im Prolog anspricht, erweist. Im Hinblick auf die neutestamentliche Haustafeltradition fehlt z. B . die Behandlung häuslicher Probleme wie Mann-Frau- bzw. ElternKind-Verhältnis oder des Verhaltens der Sklaven ihren Herren gegenüber; auch das Verhältnis der Christen zur staatlichen Obrig-
keit wird nicht thematisiert. Nicht nur bei einer handlungsorientierten Exegese ist die Konzentration und Auswahl von der Situa tion der Adressaten in einer gemischten Gemeinde in nichtchristli cher Umgebung auffällig (zur weiteren Begründung s. u. den Exkurs »Die soziale Situation der Adressaten« nach 1,9). Der ganze Brief setzt eine bildungsmäßig und sozial geschichtete Adressatengruppe voraus. Es leben in ihr Arme und Reiche, Tage löhner, Kaufleute und Grundbesitzer (4,13-17; 5,1-6), Christen, die Weisheit nicht haben (1,5), und solche die sie besitzen (3,13), denen es aber an der Verwirklichung der Weisheit im konkreten Leben fehlt (im Reden und Tun, hinsichtlich der Solidarität gegen über anderen Gruppen). Jakobus ist »ein Vertreter des praktischen Christenthums« (Zahn, Soziale Frage 296), die Geschwisterlich keit, das solidarische Miteinander ist »das ethische Materialprinzip des Jakobusbriefes« (Burchard, Gemeinde 322, der jedoch ebd. 323 bei den Reichen in 2,1-5 an »Besucher von auswärts« denkt). Jakobus behandelt spezifische innergemeindliche Probleme, die er auf ihre anthropologischen Ursachen (die Gespaltenheit des Men schen) zurückführt. Hier liegt die sozialgeschichtliche Aktualität seines Briefes, in dem auch literarische Topoi vom Verfasser handlungsorientiert auf die Adressaten hin eingesetzt werden (ohne daß alle theologischen und ethischen Sentenzen direkt sozialgeschicht lich auszuwerten sind: so Ruegg, der den Jakobusbrief literarisch ziemlich nahe bei der lukanischen Sonderquelle und bei der Jerusa lemer Gemeinde sieht: 256). Insgesamt entsteht so das typische Bild einer hellenistischen Gemeinde (in der Regel aus der Spätzeit des N T ; doch vgl. 1 Kor 7,21 ff.; 11,3-16), die — im Gegensatz zur radikalen Ethik der ältesten synoptischen Tradition — das Ethos der urchristlichen Brüderlichkeit bzw. der geschwisterlichen Soli darität vertritt (besonders in den Deuteropaulinen und in den Pastoralbriefen belegt). Dazu paßt die Erwähnung von Lehrern (3,1) und Presbytern (5,14). Die Zeit der Apostel ist vorbei, auch die des Paulus (s. u. 2.6e), nicht weniger die des Herrenbruders Jakobus. Jahrzehnte dürften zwischen ihnen und dem Verfasser liegen. »Sehr wichtig« hinsichtlich der Frage nach der Situation der Adressaten, ihren Lebensbedingungen und ihrer zeitgeschichtli chen Einordnung ist das immer wieder festgestellte »Fehlen jedes Bezugs auf das Ritualgesetz« (Pratscher, Herrenbruder 211). Ritu elle Begriffe (s. u. zu 1,27; 3,17 und 4,8) interpretiert Jakobus ethisch (s. u. den Exkurs nach 1,25). Es legt sich nahe, daß das Ubergehen ritueller Aspekte damit zusammenhängt, daß der Tem pel nicht mehr existiert. Ein zeitlich früher Ansatz (Flucht und
Zerstreuung der Adressaten aus Jerusalem nach Antiochien ent sprechend Apg 11,19-30; so Geyser 28) legt sich nicht nahe; weder der Begriff »Diaspora« in 1,1 noch die Prüfungen/Erprobungen in 1,2 lassen sich zeitgeschichtlich so einengen. Auffällig ist in diesem Kontext die die menschliche Zukunft im Gericht definitiv bestim mende Haltung der »Barmherzigkeit« (2,13; vgl. 3,17). Sie muß aber nicht als den Tempel negierende These, als absolute Antithese zu ihm verstanden werden. Zu erinnern ist an Jochanan ben Zakkaj, den geistigen Führer des Judentums nach der Tempelzer störung im Jahre 70, den Gründer des Lehrhauses in Jabne, der auf die These des Rabbi Schimeon des Gerechten (um 300 v.Chr.): »Auf drei Dingen steht die Welt: auf der Tora, dem Opferdienst und den Liebeserweisungen« (Abot 1,2) erwidert: »Wir haben eine Sühne, die völlig gleichwertig ist: die Werke der Barmherzigkeit. Denn es heißt in der Schrift: >Barmherzigkeit will ich und keine Opfer<« (Abot R N 4 als Zitat von Hos 6,6; zu weiteren rabbinischen Sprüchen dieser Art vgl. Bill I 500). Auch wenn der Tempel nicht mehr existiert, lehnt Jochanan — wie Hosea — den Opfer dienst nicht ab, bewertet die Barmherzigkeit aber — nochmals wie Hosea - höher. Ähnliches könnte auch für Jakobus gelten, zumal sich im Matthäusevangelium (um 80/90 geschrieben) in der zwei maligen Zitation von Hos 6,6 in 9,13 und 12,7 eine parallele theologische Lösung findet (vgl. Lux I 71 f.; II 44 zu den Berüh rungen zwischen Matthäus und Jochanan ben Zakkaj und Hosea). Ähnlich wie Jakobus ruft Matthäus nach der Tempelzerstörung seine Adressaten zum Handeln und zu einem praktischen Chri stentum der Tat auf (zur Begründung vgl. Frankemölle, JahweBund 257-307; zustimmend Mußner 243f.). Solche zeitgeschichtlichen Parallelen, die die Aufarbeitung ähnli cher oder gleicher Erfahrungen voraussetzen, finden sich in weite ren Schriften aus dem letzten Viertel des 1. Jh. bzw. aus dem Anfang des 2.Jh, ohne daß literarische Abhängigkeit behauptet wird (zum ähnlichen Denkansatz in 1 Petr, dem Hirten des Her mas, dem 1. Klemensbrief und dem Judas-Brief vgl. Dibelius 48-53 oder Mußner 33-38). Der Versuch, geographisch die Situation der Adressaten anhand der verwendeten Metaphern aus dem menschlichen Leben und der Natur näher zu umschreiben, wobei näherhin Palästina (vgl. Hadidian; so auch schon Zahn, Einleitung I 64.71) oder Ägypten (Schnider 18) genannt werden, dürfte kaum von Erfolg gekrönt sein. Warum sollte die Neigung des Verfassers für das Meer (1,6), für mächtige Schiffe (3,4) und für reisende Kaufleute (4,13-17) für
Alexandria in Ägypten sprechen oder wachsendes Gras (1,10 f.), der Glutwind (1,11), Feigen, Oliven, Weinstock (3,12), Quellen (3,5-12) und wiederum die reisenden Kaufleute und die Grundbe sitzer (4,13-5,6), Getreideanbau (5,4.7) sowie die frühen und spä ten Früchte bzw. der frühe und späte Regen (5,7) für Palästina? Dieser Ansatz erweist sich um so hypothetischer, als die Meta phern motivgeschichtlich z. T. in der Tradition vorgegeben sind (s. u. die Einzelauslegung). Es ist daran zu erinnern, daß Jesus Sirach aus Jerusalem stammt, oder daran, daß Josephus und Plutarch, die sich intensiv mit ägyptischen Themen beschäftigt haben, ihre Werke nicht in Ägypten verfaßten; die Kenntnis der Schriften Philos, die auch in diesem Kommentar vertreten wird, spricht daher nicht für eine Abfassung in Ägypten (so Kennedy 52). Auch der Hinweis auf den von Jakobus verwendeten Stil der »Diatribe« (s. u. 2.4c und umfassend Schmeller) führt bei der Frage nach den Adressaten und ihrer spezifischen Situation nicht viel weiter. Will man ganz zurückhaltend sozialethisch formulieren, läßt sich mit Schmeller hinsichtlich der dialogischen Elemente, die in Analogie zur >Diatribe< sich im Jakobusbrief deutlich finden, die Frage, ob diese lediglich fiktive Argumentationsmittel ohne realen Hintergrund sind, wie folgt antworten: »Schon bei >Diatriben< von Wanderpredigern, noch mehr bei Schul->Diatriben< ist bezüglich der D E [ = dialogische Elemente] kaum je eindeutig zu ermitteln, ob es sich um aktuelle oder potentielle Reaktionen des gegenwärti gen oder eines früheren Publikums oder um rein argumentierende Mittel handelt. Jeder nicht ganz ungeschickte >Diatriben<-Autor wird vermeiden, Probleme oder Einwände zu formulieren, die seine Hörer nicht betreffen und nicht u.U. auch von diesen selbst formuliert werden könnten. Wie weit ein D E ... auf einen realen Hintergrund verweist, ist deshalb im Einzelfall zu prüfen« (436). Abschließend zu diesem Punkt ist auch im Hinblick auf die Frage nach dem Absender festzuhalten: Da, wie es das handlungsorientierte Textverständnis betont, die Situation der Adressaten mitbe stimmend ist für die Art und Weise, wie der Absender seine Gedanken formuliert, ist mit den vorstehenden Hinweisen zur Datierung des Jakobusbriefes und zur Situation der Adressaten auch entschieden, daß der Herrenbruder Jakobus nicht der Verfas ser dieses Briefes gewesen sein kann. Der Jakobusbrief ist eine pseudepigraphische Schrift, die wie die gesamte judenchristliche, gnostische und pseudepigraphische Jakobus-Literatur (vgl. dazu Pratscher 102-228) in der Autorität des Herrenbruders Jakobus wohl um die Jahrhundertwende geschrieben wurde. Handlungs-
orientiert läßt sich formulieren: Jakobus schreibt an einen bestimmten Adressatenkreis, dessen Probleme er jedoch für so typisch hält, daß er einen Rundbrief mit universalem Anspruch schreibt. Er kann dabei an eine urkirchliche Praxis anknüpfen, nach der Briefe nicht nur im ursprünglichen Adressatenkreis vorge lesen wurden, sondern auch die Christen im Umland erreichen sollten (so richtet sich 2 Kor nicht nur an die Gemeinde in K o rinth, sondern »an alle Heiligen in ganz Achaia«: 1,1) oder unter den Gemeinden ausgetauscht wurden (vgl. Kol 4,16: Kolossä und Laodizea). Ähnlich ist auch der Brief an die Gemeinden in Galatien eine Art »Rundbrief« und setzt doch eine sehr konkrete Situation der Adressaten voraus. Briefe dieser Art haben lokalgeschichtli chen Bezug und erheben doch exemplarischen, umfassenden Anspruch. So auch der Jakobusbrief. Wer wollte - sonst — behaupten, Jakobus wäre über die spezifische Situation aller christlichen Gemeinden (von Damaskus bis Rom und von Kyrene oder Alexandrien bis Ankyra oder Neocäsarea) am Ende des 1. J h . informiert gewesen? Jedenfalls reagiert er mit seinem Schreiben auf eine seiner Meinung nach spezielle, aber gleichzeitig typische Kon fliktsituation der Adressaten und versucht, mit seinem Brief auf deren Selbstverständnis und — damit verbunden — deren prakti ziertem Christentum energisch einzuwirken. Beim Versuch dieser Einwirkung ist das sprachliche Mittel entscheidend.
2.4 Mit welchen Zeichen? (Zur Gattung, textlichen Einheit und zum Stil) Literatur
zur Forschungsgeschichte: Baasland, Form
3648-3659. -
Davids, Discussion 3627-3631. — Popkes, Adressaten 10-18. — Zu den literarischen Gattungen der Weisheitsliteratur s. u. 2.4e. — Zu den literari schen Gattungen der Antike, vor allem des Briefes: Berger, K., Hellenisti sche Gattungen im Neuen Testament, in: A N R W II 25.2 (1984) 1031-1432 (zur Diatribe ebd. 1124-1132, zum Brief ebd. 1132-1138.1326-1363, zur
Paränese ebd. 1075-1077). — ders., Formgeschichte. — Classen, C.J., Paulus und die antike Rhetorik, in: Z N W 82(1991) 1-33 (bes. zum Gal). — Doty, W. G., Letters in Primitive Christianity, Philadelphia 1973. - Exter, F. X. ]., The Form of the Ancient Greek Letter. A Study in Greek Epistolography, Washington 1923. — Francis, F. O., The Form and Func tion of the Opening und Closing Paragraphs of James and I John, in: Z N W 61(1970) 110-126. - Fry, E., The Testing of Faith. A Study of the Structure of the Book of James, in: BiTr 29(1978) 427-435. - Gerbard, G. A., Untersuchungen zur Geschichte des griechischen Briefes. I Die Anfangs-
formel, Tübingen 1903. — Hereber, R., Epistolographi Graeci, Paris 1873. — Hübner, H., Der Galaterbrief und das Verhältnis von antiker Rhetorik und Epistolographie, in: ThLZ 109(1984) 241-250. - Koskenniemi, H., Studien zur Idee und Phraseologie des griechischen Briefes bis 400 n. Chr., Helsinki 1956. — Malherbe, A.J., Ancient Epistolography Theorists, Atlanta 1988. - Probst, M., Paulus und der Brief. Die Rhetorik des antiken Briefes als Form der paulinischen Korintherkorrespondenz (1 Kor 8- 10), Tübingen 1991, 55-107. — Schmeller, Tb., Paulus und die »Diatribe«. Eine vergleichende Stilinterpretation, Münster 1987. — Schneider, ]., Brief, in:
R A C 2(1954) 564-585. - Schnider, F. - Stenger, W., Studien zum neutesta mentlichen Briefformular, Leiden u. a. 1987 (behandelt werden nur Brief anfang und Briefschluß der paulinischen Briefe sowie von Hebr, Jud, 1-2 Petr). — Strecker, G., Literaturgeschichte des Neuen Testaments, Göttin gen 1992, 56-95. — Taatz, I., Frühjüdische Briefe. Die paulinischen Briefe im Rahmen der offiziellen religiösen Briefe des Frühjudentums, Freiburg— Göttingen 1991. — Thraede, K., Grundzüge griechisch-römischer Brieftopik, München 1970. — Wehofer, T. M., Untersuchungen zur altchristlichen Epistolographie, Wien 1901. — White, J. L., Light from Ancient Letters, Philadelphia 1986. — Ders., New Testament Epistolary Literatur in the Framework of Ancient Epistolography, in: A N R W II 25.2 (1984) 17301756.
Der Jakobusbrief als textliches Zeichensystem zielt auf soziale Kommunikation. Gemäß allgemeiner linguistischer Anschauung ist dabei das sprachliche Zeichen eine Einheit von Ausdruck und Bedeutung, von Form und Inhalt und zielt so auf unterschiedliche Adressaten. Entsprechend läßt sich der Text in unterschiedlichen Betrachtungsweisen darstellen. Die Syntaktik erforscht die gram matisch-syntaktische Dimension des Textes, d. h. die Beziehung der Zeichen untereinander, die Semantik die semantische Dimen sion, d. h. die Beziehung der Zeichen zum Bezeichneten (auch etwa in Wortfeldern und im Kontext, wobei auch das unterschied liche »Vorwissen« der Leser/Hörer zu beachten ist; s. u. 2.4c), und die Pragmatik die pragmatische Dimension, also die Beziehung der Zeichen zu den Adressaten. An dieser Stelle der Einleitung geht es um die beiden ersten Aspekte (zur handlungsorientierten Betrach tungsweise s. o. 2.1 und 2.2). Die Einheit eines Textes kann durch alle drei Dimensionen garantiert sein oder mehr oder weniger durch die eine oder andere, ist aber nicht allein durch die formale, grammatisch-syntaktische Dimension (wie vielfach stillschweigend angenommen wird) bestimmt. Auch das handlungsorientierte Aktionsziel des Verfassers vermag — bei Fehlen einer strengen Disposition und der logischen Abfolge von Themen — die Einheit lichkeit eines Textes zu wahren, wie etwa die Reaktion des Paulus
auf verschiedene Mißstände in 1 Kor belegt. »Daß dieselben sich damals in Korinth vorfanden, darin liegt die Einheit des Briefes« (Cladder, Anlage 41). Dies gilt auch für den Jakobusbrief, der sich ebenfalls weniger auf der formalen-syntaktischen Ebene als Einheit präsentiert, hingegen verstärkt durch das semantische Netz ein einheitlicher Text ist (s. u.). Doch fehlen formale, gattungsmäßig bedingte Elemente zur Einheit keineswegs. Auch Cicero behandelt in seinen Briefen oft mehrere Themen, was entweder pragmatisch oder auch von der Intention des Schreibers her begründet werden muß; formale Einheitlichkeit wird in der antiken Epistolographie (s. u. a) nicht gefordert.
a) Zur literarischen Gattung Von allen vorgeschlagenen Lösungen zur Gattung des Jakobusbrie fes hat die nachhaltigste Wirkung die These von M. Dibelius gehabt. Nach ihm ist der Text »in allen seinen Teilen als Paränese« zu bezeichnen (13-23, ebd. 16) mit der Konsequenz, daß der Text im breiten Strom der paränetischen Uberlieferung steht, daher der »Anteil des Verf. an der Gedankenbildung nicht zu überschätzen« ist (19) und der Brief aufgrund seiner Gattung als Paränese »auf weite Strecken hin des gedanklichen Zusammenhangs völlig ent behrt« (21). Auch wenn die Folgerungen in der einen oder anderen Weise differenziert wurden, blieb die Bestimmung des Briefes als Paränese vorherrschend (vgl. Schräge, Mußner, Schnider, Paulsen, Jakobusbrief 489, Hoppe, Hintergrund 146, der aber energisch die These der Situationslosigkeit und der fehlenden Theologie ablehnt; noch deutlicher ders., Jakobusbrief 9f.; Perdue, Kürzdörfer 87-95, der allerdings von Paraklese spricht; Berger, Gattungen 1076: »Paränese in Briefform«, ders., Formgeschichte 147: »Jak ist eine symbuleutische Komposition, aber keine Paränese«; Strecker 72: »Traktat mit paränetischer Abzweckung«; ähnlich 108). Ohne Zweifel hat der Jakobusbrief auch paränetischen Charakter, ob er jedoch in seinen einzelnen Teilen und insgesamt als »paränetische Lehrschrift« gattungsmäßig angemessen umschrieben ist, muß bezweifelt werden. Bereits Kürzdörfer hatte in seiner Auseinander setzung mit Dibelius (87-125) festgestellt: »>Paränese< als Gattungs bezeichnung des Jak befriedigt schon deshalb so wenig, weil der Terminus ... in der gesamten neutestamentlichen und urchristli chen Literatur nicht ein einziges Mal vorkommt ... Außerdem ist der Terminus Paränese heute so vieldeutig, daß man ihn in Zukunft
wegen seiner begrifflichen Unscharfe vorübergehend vermeiden sollte« (121; zur Kritik am Paränese-Begriff vgl. auch Thomas, Anfechtung 190 f.), steht er doch »für Trost, imperativische Aus führungen, Spruchgruppen bzw. Spruchreihen, paränetische Brief teile, didaktische Anwendung und Ausrichtung von Gleichnissen, Abschiedsreden etc.« (ebd. 121 Anm. 6). An dieser Kritik hat sich bis heute nichts geändert, da der Begriff »Paränese« primär seman tisch und kaum formal-gattungsmäßig umschrieben werden kann. Als Gattungsbezeichnung für den ganzen Jakobusbrief sollte er entfallen. Aber auch für die einzelnen Teile ist er nicht zutreffend. Wie immer man die Verse 1,2-18 gattungsmäßig umschreibt (wie hier als Prolog oder nicht), sie enthalten keine Paränese. Von einem »abstrakten Paränesebegriff« (Baasland, Form 3650) lassen sich auch nicht die kasuistischen und apodiktischen Verbote, Bußrufe und prophetische Weisungen, die Invektiven gegen die gespaltene Gemeinde und die Reichen, aber auch nicht die schriftgelehrte Argumentation in 2,14-26 über den Nur-Glauben ohne Werke oder das Lehrgedicht über die falsche und wahre Weisheit in 3,1318 gattungsmäßig angemessen beschreiben. Selbst die Ausführun gen in 3,1-12 über die Macht der Zunge ist »so in einer Paränese nicht denkbar« (Berger, Formgeschichte 147). Die Folgerung: »Von Dibelius' These bleibt daher nicht viel übrig« (ebd.). Doch auch die von Berger ebd. zur Paränese antithetisch angegebene Bestimmung des ganzen Jak als »symbuleutische Komposition« kann als Gattungsbezeichnung nicht überzeugen, da er das Adjek tiv zu Recht handlungsorientiert versteht und entsprechend sym buleutische Texte darauf abzielen, »den Hörer zum Handeln oder Unterlassen zu bewegen« (18; vgl. ebd. 117-220 einen entsprechen den Überblick über symbuleutische Gattungen). In kritischer Reaktion auf die These von Dibelius, der Jakobusbrief sei Paränese und deshalb eine Sammlung von unverbundenen Sprü chen, gab es zahlreiche Gegenthesen (vgl. die Forschungsberichte). An Gattungen wurden vorgeschlagen: Urchristlicher Katechismus (Carrington, Selwyn) oder noch enger tannaitischer Proselytenkatechismus (Daube), homiletischer Midrasch (Borgen), Epistel als Sammlung von katechetischem Material aus einer Schule von Kate cheten (Halson) oder aus einem Lehrerkollektiv {Wanke), Hand büchlein christlicher Ethik (Lohse), Traktat über die Ungespaltenheit des Glaubens (Schule) oder über weises Verhalten in Prüfungs situationen (Rivera), Testament des Patriarchen Jakob an seine zwölf Söhne (Meyer), midraschartige Homilie über Hos 10,2 und 12,1-5 (Gertner) oder über das Ijob-Buch (Blenker), Ordnung
analog zur sogenannten Sektenregel in Qumran (Beck), Hortatio bzw. weisheitliche Lehrrede (Baasland), publizistischer Ge brauchstext (Wuellner) oder Neophytenbelehrung (Popkes). Zu erinnern ist auch an die Bestimmung des Briefes als antignostische Kampfschrift aus der Mitte des 2. Jh. (Schwegler, Pf leiderer, Wei ne l und bes. Schammberger). Zwar wurde sie seit der Monographie des letzteren im Jahre 1936 bis heute durchgehend radikal abge lehnt, da man bei diesem Ansatz den Jak als Schreiben »gegen einen radikalen gnostischen Paulinismus« (Schammberger 89) und jede Aussage im Jak als Gegenthese gegen gnostischen Libertinismus verstehen wollte — und in gnostischer Literatur, vor allem in den antipaulinischen Pseudoclementinen in der Tat entsprechende Sätze fand, was aber bereits aus methodischen und literaturge schichtlichen Gründen abzulehnen ist. Dennoch sollte man das Körnchen Wahrheit nicht übersehen. »In einer Zeit, da die landläu figen Vorstellungen vom Christsein von einer fortschreitenden Verinnerlichung, Individualisierung und auch Theoretisierung bestimmt wurden, versuchte dieser Brief die Lebenssolidarität der Gemeinde festzuhalten«. Jakobus erreicht dies durch die betonte »Frontstellung gegen die bloße Verinnerlichung und den Indivi dualismus, der sich auch in dem Pochen auf persönliche Moralität auswirken konnte« (Soucek, Zu den Problemen 466), womit in der Tat frühe gnostisierende und spiritualistische Fehlentwicklungen in Frage gestellt werden. Der Jakobusbrief als christliche Halacha (Sigal, Obermüller), als Anleitung zu einem praktizierten Chri stentum, muß jedenfalls inhaltlich als radikaler Gegenentwurf gegen jede Art von verinnerlichtem, individualistischem und spiritualistischem Christentum verstanden werden. Die Frage nach der Gattung ist damit jedoch nicht vorentschieden. Hinsichtlich dieser zerstrittenen Frage wird hier eine sehr einfache Lösung als These vorgelegt. Sie ist jedoch naheliegend und daher vielleicht zutreffend. Sie geht von der Frage aus, wie denn der Verfasser selbst sein Schreiben verstehen wollte und ob er deutlich genug macht, wie seine Adressaten es verstehen sollten. Unzwei deutig will Jakobus, daß sein Schreiben als Brief an konkrete Adressaten, darüber hinaus aufgrund seiner Bedeutung als Rund brief an alle Christen verstanden werden soll. Wenn er dabei im Unterschied zu allen anderen neutestamentlichen Briefschreibern das Präskript nicht nach orientalischem, sondern nach griechi schem Muster formuliert (in einem einzigen Satz werden in der dritten Person der Absender, die Adressaten und ein Gruß formu liert), dann setzt er bei seinen Adressaten in hellenistischer Umge-
bung die Kenntnis dieser Praxis voraus. 1,1 enthält ein ganz eindeutiges Eröffnungssignal für die literarische Gattung Brief, an das die Erstleser im Sinne des Autors gebunden waren. Sie mußten das Schreiben als Brief verstehen. Ein Eröffnungssignal ist — auch gemäß antiker Rhetorik — weder thematisch noch handlungsorientiert noch gattungsmäßig herunterzuspielen, wie es in der Literatur in der Regel unter Hinweis auf die angeblich fehlende Topik am Briefende (dazu unten) geschieht. Die antike Rhetorik auch der hellenistischen Zeit sah die Eröffungs- und Schlußabschnitte in Reden und Briefen formal und inhaltlich als die wichtigsten Ele mente an (vgl. Lausberg, Handbuch §§ 150 ff.236 ff.), was sich in der Bestimmung der Verse 1,2-18 als Prolog (s. u. den Exkurs nach 1,4) mit den entsprechenden Amplifizierungen der im Prolog genannten Stichworte im Verlauf des Briefes bestätigte. Das Schreiben des Jakobus ist vom hellenistischen Briefformular her zu interpretieren (vgl. Francis und White in Rezeption der jahrzehntelangen Forschungsergebnisse zur griechischen Epistolo graphie; zu einem soliden Uberblick zur Epistolographie und zur Rhetorik vgl. Strecker 81-95). Ein Ergebnis der vielen Studien zu den antiken Briefen lautet, daß der antike Brief keine einheitliche formale Struktur besaß (so kannte Pseudo-Demetrius 21 verschie dene Grundstrukturen, Pseudo-Libanius 4 1 ; vgl. Her eher 6-13 und ausführlich Maiherbe). Ohne Zweifel wollen alle Briefe Kommuni kation zwischen Schreiber und Empfänger herstellen, auch wenn die Absicht des Verfassers sehr unterschiedlich sein kann (Informa tionen, Lehrmeinungen, Mahnungen u. a.). Die handlungsorientierte Intention ist nicht mit der Gattung identisch. In der Antike, auch im Judentum, konnte jegliche Mitteilung als Brief formuliert werden, so daß nicht der Privatbrief (wie bei Paulus) ein angebliches Standardmuster abgibt, an dem alle anderen Briefe zu messen sind. O b 1-2 Petr, 1-3 Joh, Eph, Kol, Offb und Jak Briefe sind, entscheidet nicht die paulinische Verwendung des Briefformulars, es sei denn, man wolle nicht nur im thematisch theologischen Bereich, sondern auch unter gattungsmäßigen Aspekten Paulus — aus welchen Gründen auch immer — zum Maßstab machen. Paulus schreibt Privatbriefe (bis auf Rom) — bedingt durch die persönliche Bekanntschaft des Paulus mit den Adressaten. Die in der Antike üblichen Brieftypen waren die Folge von unterschiedlichsten Kommunikationssituationen. Ein Uber blick über hellenistische Briefe (zur Sammlung vgl. Hercher; zu einem Forschungsüberblick vgl. Malherbe und White sowie zum gattungskritischen Uberblick vgl. Berger, Gattungen 1326-1363)
und über jüdische Briefe (Jer 29; Bar 6; 1 Makk 5,10-13; 12,6-12; 2 Makk 1,1-2,19; zu diesen Briefen und zu den Briefen von Bar Kochba sowie zu rabbinischen Briefen vgl. Taatz) zeigt, daß die gesamte Antike, die jüdische eingeschlossen, keine verbindlichen Regeln für die Abfassung eines Briefes kennt. Die Vielfalt des Inhalts und die pragmatische Intention (Geschäftsbrief, Privat brief, politischer oder philosophischer Brief — letztere in der Regel zur Veröffentlichung vorgesehen) bestimmen seine Form. Auch die Aufnahme von brieffernen Gattungen (Sprichwörter, Beispiele aus Natur und Geschichte usw.) wird in Reflexionen über das Brief schreiben sogar empfohlen (so z. B . durch Demetrius, Philostrat, Cicero, Quintilian). Im Inneren des Briefes braucht der Adressat keineswegs immer direkt angesprochen zu werden (was Jakobus tut), da die gewählten Gattungen und Traditionen mit ihren Inhal ten vom Verfasser auf die konkrete Lebenssituation der Adressaten hin ausgewählt wurden. Diese Offenheit der brieflichen Form ist in der Altphilologie eine Binsenwahrheit: »Darin spiegelt sich unmittelbar der wichtigste Zug des antiken Verständnisses vom Wesen des Briefes, ein Zug, den der moderne Interpret nicht vergessen sollte, nämlich daß der Brief nicht eine einheitliche Grundstruktur besitzt, die nur größe ren oder geringeren Schwankungen unterworfen ist, sondern daß sie eine Vielfalt von Gestalten und Formen annehmen kann, denen allein das Element des Ubermitteins vom Absender zum Empfän ger gemeinsam ist und die sich sonst in kaum vorstellbarer Mannig faltigkeit voneinander unterscheiden. Stärker als alle anderen For men menschlichen Redens oder Schreibens unterliegt der Brief in seiner Gestaltung den individuellen Gegebenheiten, vor allem den Absichten und dem Gestaltungswillen des Schreibenden, der den oder die Empfänger zu berücksichtigen hat« (Classen 8). Setzt man diese Offenheit voraus, dann ist der Jakobusbrief eine neutesta mentliche Weisheitsschrift in Briefform (zur weisheitlichen The matik s. u. 2.4e); das Schreiben gehört aufgrund des in 1,1 genann ten Adressatenkreises zur Gattung der litterae publicae. Allerdings ist deutlich zu betonen, daß Jakobus nicht nach einer antiken Brieftheorie sein Schreiben entwirft, vielmehr die damals üblichen Formen aufgrund seines Anliegens und im Hinblick auf sein Aktionsziel bei den Adressaten variiert. Die Gattung des Jakobus briefes ergibt sich nicht aus einer antiken Brief-Theorie, sondern aus der Form des Schreibens selbst. Wie andere antike Autoren ist auch Jakobus beim literarischen Aufbau seines Briefes »nicht an ein bestimmtes Schema gebunden« und hinsichtlich der Einheitlichkeit
seines Themas gilt ebenso die Erkenntnis der antiken Briefe, daß sie »keineswegs immer nur ein Thema erörtern« (Classen 29). Wenn letzteres dennoch vorliegt (s. u. 2.5), spricht dies um so mehr für die Einheitlichkeit des Jakobusbriefes. Zur Gattung Brief in der Antike gehören durchaus auch dialogi sche, diatribenartige Elemente (vgl. etwa die fingierten Einwände in 1,13; 2,14.18; die rhetorischen Fragen in 2,6f.l4; 3,11 ff.; 4,1.5 und die rhetorischen Anreden wie in 2,19; 4,13; 5,1 u. a.). War man bisher geneigt, die Diatribe als »antike Literaturgattung« (v. Wilpert 170) zu sehen, in Vers oder Prosa abgefaßte Moralpre digt, deren Fortsetzung sich im Dialog und in der Briefliteratur etwa Senecas, aber auch in der neutestamentlichen Briefliteratur findet, lautet die gegenwärtige, zutreffende Erkenntnis: »Die >Diatribe< ist... im eigentlichen Sinn keine Gattung« (Schmeller 54; zur Gattungsproblematik vgl. ebd. 33-54) — mit der Begründung, daß sie Kennzeichen für »Texte aller Gattungen« ist (Berger, Gattun gen 1048; zur Begründung ebd. 1124-1132 und unten bei 2,14-17). Demnach sind solche dialogischen Elemente auch kein Argument dafür, daß der Jakobusbrief »Predigt-Charakter« hat (Baasland, Form 3650). »Was gemeinhin als >Diatribe< bezeichnet wird, ist als Predigt schlechterdings nicht erweisbar« (Berger 1365). Einige wenige Predigten machen noch keine Gattung aus, zumal auch hier — wie bei der Gattung Brief — gilt, daß die Variation der literari schen Form nach antiken Regeln die Qualität des Verfassers aus macht. Eine »Duden-Rhetorik« gab es nicht. Hinsichtlich des Briefschlusses (5,7-20) ist im Kontext der »Regel losigkeit« der antiken Epistolographie der immer wieder zu lesende Hinweis, der Jakobusbrief sei deswegen kein Brief, weil am Ende der angeblich typische Gruß des Absenders fehlt, wie er in den Privatbriefen des Paulus üblich ist, zu revidieren. Jakobus, der nicht das im N T übliche orientalische, sondern das hellenistische Formular beim Präskript benutzte, ist auch im Briefschluß primär mit hellenistischen, weniger mit anderen neutestamentlichen Brie fen in der äußeren formalen Gestaltung zu vergleichen. Wie in der Theologie, so geht er auch in der formalen Gestaltung als Weis heitstheologe seinen eigenen Weg. Dennoch gibt es hinsichtlich des Briefschlusses erstaunliche Über einstimmungen mit neutestamentlichen, mehr jedoch noch mit hellenistischen Briefen. So ist der eschatologische Ausblick charak teristisch für den Schlußabschnitt im neutestamentlichen Brieffor mular (vgl. 1 Thess 5,23; 1 Kor 16,22; 1 Petr 5,1; 2 Petr 3,12-14; Jud 18.21; 1 Joh 5,17), ebenfalls ist gattungsmäßig bedingt das
Vorkommen der Begriffe »Eid« und »Gesundheit der Adressaten« in den Schlußformeln hellenistischer Briefe (der eigentliche gat tungstypische Wunsch fehlt allerdings), dem der Hinweis auf das »Gebet« in neutestamentlichen Briefen (1 Thess 5,17; 2 Kor 9,14; 13,7; Phil 4,6; Kol 4,2f.; Philem 22; Eph 6,18-19; Hebr 13,18f.; 1 Joh 5,14-17; Jud 20) entspricht. Wie der Briefeingang im Prä skript 1,1 typisch griechisch ist (alle anderen Briefe im N T bevor zugen die orientalische Form), ebenso das Stichwort »Freude« in 1,2, so sind im Briefschluß ebenfalls die Wendung »vor allem« (5,12) und die Krankheitsthematik (vgl. 5,13 ff.) im griechischen Brief phraseologisch belegt (Francis; Exler 127-132; Koskenniemi 9ff.). Typisch für Jakobus ist es aber, daß bis zum letzten Vers nicht die Gattung, sondern das Thema vorherrschend ist; diese gattungsmäßige Leerstelle ist um des angezielten Handlungszieles willen sicherlich gewollt. So steht am Ende kein formelhafter Gruß, sondern ein gewaltiger thematischer Schlußakkord, ein Auf ruf an die Adressaten, mit dem Handeln Gottes mitzuwirken (zur ökumenischen Problematik s. u. bei 5,20). Wie der differenzierte Überblick von K. Berger (Gattungen 13251363) insgesamt, über die verschiedenen Arten von Briefen (13271329) und vor allem über die Vielfalt von Brief Schlüssen und ihren Motiven (Imperative, Gebetswünsche, Sentenzen, Ketzerschluß, Drohungen u. a.) insbesondere (1348-1350) bestätigt, kann das für Paulus typische Formular nicht zum Maßstab für andere Briefty pen im N T (Hebr, 1 Joh, Eph, Kol, Jak) gemacht werden (1333 f.). Als Topoi, die Jak mit paganen Briefen gemeinsam hat, notiert Berger allerdings nur Gebetswünsche und -paränese in 5,13-18 und den Hinweis auf die richtige Behandlung von Sündern in 5,19 f. (genauer: White 1755 f.). Solche Übereinstimmungen sind auffällig, wobei eine konkrete literarische Abhängigkeit nicht postuliert werden muß, da semanti sche Felder auch mit der typischen Situation des Kommunikations geschehens zwischen Schreiber und Adressaten zu tun haben. Insgesamt genügt als Voraussetzung die in der Antike übliche allgemeine rhetorische Ausbildung bzw. Kenntnis, die sich ein Autor - je nach Begabung — auch beim Lesen angeeignet haben kann (vgl. Frankemölle, Netz 165-168; zu Paulus vgl. Classen). Aus allem folgt: Sowohl nach der Intention des Verfassers wie nach den Voraussetzungen der Rezipienten war das Schreiben des Jako bus nicht nur als Diasporabrief gewollt, sondern mußte auch als Brief verstanden werden, was durch die formale und thematische (2.5) Einheit bestätigt wird.
b) Zur Einheit des Briefes Die Meinung Martin Luthers zum Jakobusbrief, er sei eine »stro herne Epistel«, ist bis heute ohne Zweifel prägend. In der »Vorrede auff die Episteln S. Jacobi und Jude« von 1522 erhebt Luther nicht nur theologisch-inhaltliche (aufgrund des angenommenen Wider spruches zu Paulus; s. u. 2.6e), sondern auch formale Einwände. Luther kritisiert, daß Jakobus »wirfft so vnordig eyns yns ander«, so daß »kein ordo noch methodus« zu erkennen sei (WA 7,386f. und 5,157). In dieser Tradition steht Dibelius mit seinem seit 1920 oft aufgelegten Kommentar, wenn er feststellt: »Ich hoffe ... gezeigt zu haben, daß der Jak auf weite Strecken hin des gedankli chen Zusammenhangs völlig entbehrt« (21). Ahnlich lapidar lautet noch 1987 auch das Urteil auf katholischer Seite: »Im vorliegenden Kommentar ist keine gedankliche Einheit des Briefes gesucht, aus der Uberzeugung heraus, daß es keine gibt« (Mußner 58f.; ähnlich Schnider 12f.; zu neuen Positionen Mußners vgl. ders., Motivation 422). Der Verfasser des vorliegenden Kommentars kam im Zuge der Auslegung nicht nur zur These einer formalen, sondern auch gedanklichen Einheit (zur Begründung und zum Ergebnis s. u. den Exkurs »1,2-18 als Prolog/Exordium und 5,17-20 als Epilog/Peroratio«). An dieser Stelle ist nicht das Ergebnis, wohl aber der methodische Ansatz zu begründen. Wie bei der literarischen Gattung war auch hier der Ansatzpunkt nicht eine antike Theorie, vielmehr die subtile Beobachtung des Textes unter sprachlich-syntaktischen, semantischen und handlungsorientiert-pragmatischen Aspekten, wobei viele Erkenntnisse der Exegeten bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts aufgegriffen werden konnten (vgl. bereits die die Forschung zusammenfassenden Erkenntnisse von Kern, Wilke, Gans, Beyschlag, Mayor, Cladder; vgl. dazu Frankemölle, Netz 195-197). Originalität heute ist oft mangelnde Belesenheit. Die angebliche Neuentdeckung der Kategorien der antiken Rhetorik ist lediglich Rückkehr zu exegetischen Erkenntnissen, die über Augu stinus bis zu den Reformatoren und darüber hinaus gang und gäbe waren (vgl. Classen 1-7). Die im Verlauf der Arbeit am Jakobusbrief gewonnenen Einsichten seien vorab genannt:
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Die Verse 1,2-18 erwiesen sich als Prolog. Hier werden Stich worte genannt, die erst im Verlauf des Briefes aufgenommen und entfaltet werden — auch in Variationen, damit für den Leser keine Langeweile entsteht. - Entsprechend zum Prolog können die Verse 5,7-20 als Epilog bzw. Peroratio umschrieben werden. In diesen Versen wird das Aktionsziel des Jakobus, um das es ihm mit seinem Schreiben geht, noch einmal intensiviert, wobei sich viele Rückbeziehungen formaler und inhaltlicher Art zum Prolog, aber auch zum Briefkorpus ergeben (vgl. die Skizze zum semantischen Netz im ersten Exkurs). - Stärker als durch formale Elemente ist der Jakobusbrief durch die Einheitlichkeit des Handlungsziels, noch mehr in der semantischen Dimension eine Einheit. Besonders das semanti sche Netz (vgl. dazu Lewandowski 770 f.) macht den Jakobus brief zu einem kohärenten, einheitlichen Text — und garantiert damit auch ein einheitliches Thema. Die semantische Analyse (vgl. Egger 92-133) mit der Frage nach den inhaltlichen Bezie hungen der einzelnen Begriffe zueinander, von Wendungen und Wortfeldern erwies sich als erfolgreichster Zugang zum Jako busbrief. Spezifisch für Jakobus ist, daß er dabei ganz stark mit Opposi tionen und Antithesen arbeitet und diese in funktionelle Bezie hung zueinander setzt, so daß sie einander bedingen (zur Methode vgl. Geckeier, Strukturelle Semantik). Letztlich ist in dieser Struktur die Tragfähigkeit des formalen und semanti schen Netzes des Jakobusbriefes begründet, wie die Auslegung ständig zeigt. Nicht nur Gott und Mensch stehen einander gegenüber, sondern in der Gemeinde auch Arme und Reiche, von Gott Geprüfte auf dem Weg zur Vollkommenheit und Sünder/Ehebrecher, aber auch der einzelne Mensch sich selbst in der Erfahrung seiner Gespaltenheit. - Ebenso typisch für die Gesamtanlage des Jakobusbriefes und seine formale wie thematische Einheit ist die rhetorische Figur der Amplifikation. So schlägt Jakobus im Prolog verschiedene Themen an, die in den nachfolgenden Ausführungen entfaltet werden — mal ausgedehnter, mal kürzer. Unterscheidet man mit Plett (44-56) bei den Figuren der Ampli fikation zwischen der zergliedernden und häufenden Amplifika tion, so liegt im Prolog (1,2-18) im Verhältnis zum Briefkorpus die zergliedernde Amplifikation vor (zu Beginn werden die Themen genannt, die in den nachfolgenden Ausführungen ent-
faltet werden), während in den kleinen Einheiten des Briefkor pus verstärkt die häufende Amplifikation belegt ist. Ihren Figu ren ist gemeinsam, »daß ein Thema durch eine mehr oder minder geregelte Häufung von Details umspielt bzw. einge kreist wird« (49). Näherhin kann ein Thema in der Figur der Accumulatio so behandelt werden, »daß eine Durchführung gleichsam >auf der Stelle tritt<«, oder der Verfasser beharrt mit der Figur der Commoratio »auf ein und demselben Thema zum Zweck der Verdeutlichung« (49f.). Die eine wie die andere Amplifikation kann verbunden werden mit der rhetorischen Figur der Antithese, mit deren Hilfe die »sprachliche Aufgliede rung eines (in der Regel verschwiegenen) Oberbegriffs (Themas) in seine gegensätzlichen Komponenten« (47) durchgeführt wird. Die dadurch bedingte Dichotomie erzeugt nicht nur eine starke innertextliche Einheit, vielmehr ist sie — rezipientenorientiert — auch stark wirkungsvoll und appellativ. Jakobus erweist sich als Meister in der Anwendung dieser rhetorischen Figur, wodurch die formale und thematische Einheit des ganzen Briefes, aber auch die Konstanz seines Aktionsziels garantiert ist.
c) Zur Sprache des Briefes Literatur: Neben Lausberg, Handbuch, Kayser, Kunstwerk und Plett, Einführung vgl. Cladder, H.J., Die Anlage des Jakobusbriefes, in: ZKTh 28(1904) 37-57. - Geckeier, H., Strukturelle Semantik und Wortfeldtheo rie, München 1971. — Gemünden, P., Vegetationsmetaphorik im Neuen Testament und seiner Umwelt, Diss. Heidelberg 1989. — Hardt, M., Das Bild in der Dichtung. Studien zu Funktionsweisen von Bildern und Bildrei hen in der Literatur, München 1966. — Harnisch, W., Die Sprachkraft der Analogie, in: ders. (Hrsg.), Gleichnisse Jesu, Darmstadt 1982, 390-413, 2
bes. 408 ff. — Kennedy, Hellenistic Atmosphere. — Kertelge, K. (Hrsg.), Metaphorik und Mythos im Neuen Testament, Freiburg 1990 (ebd. 135140: Impulse aus der Theoriediskussion von O. Schwankl und 278-290: Aspekte zur Bildersprache der Johannesoffenbarung von P. Trümmer). — Küchler, C. G., De rhetorica epistolae Iacobi indole, Leipzig 1818.
— Kurz, G., Metapher, Allegorie, Symbol, Göttingen 1982. — Perelman, Ch., Das Reich der Rhetorik. Rhetorik und Argumentation, München 1980. — Podlewski, R., Rhetorik als pragmatisches System, Hildesheim— New York 1982, 61-172 zu einer pragmatischen Rhetorik-Theorie. — Vries, E. de, De Brief van Jakobus: Dispositie en Theologie, Kampen 1991, 33-78. — Wilke, Ch. G, Die neutestamentliche Rhetorik, Dresden-Leipzig 1843, bes. 484-486.
Die Ergebnisse der formkritischen Untersuchungen jeweils zu Beginn der Einzelauslegung lassen die literarisch-stilistische Quali tät des Stils des Verfassers deutlich hervortreten. Sie ist unbestritten und oft dargestellt worden (vgl. die Zusammenstellung bei Major CLII-CCIV; Dibelius 53-57; Mußner 26-33; Baasland, Form 3659-3661 und vor allem Gieger, Figures). »Sprache und Stil des Jak haben fast literarisches Niveau, sind besser als die des Diaspo rajuden Paulus und im N T nur mit denen des Hebr zu vergleichen« (Vielbauer, Geschichte 568). Fast ohne Einschränkung erkennt man heute im Brief »einen literarischen Gestaltungswillen, den man zuweilen fast raffiniert nennen könnte und der mit vielfältigen Stilmitteln arbeitet«; der Verfasser verbindet »in einer für das frühe Christentum einzigartigen Weise die überkommene jüdische Form des Weisheitsspruchs bzw. des Lehrgedichts mit einer zuweilen fast gesucht erscheinenden rhetorisch-literarischen Kunst. Diese Einsichten sind nicht neu, sie waren nur geraume Zeit verschüttet« (Hengel, Jakobusbrief 249). Schon Cladder weiß 1904 um die Erkenntnisse von Cornely, Pfeiffer, Tielemann, Reuß, Jülicher, Gans, Holtzmann, Weizsäcker, v. Soden, Burger u. a. und stellt zum Stil des Jakobusbriefes fest: »Tatsächlich ist der Schreibart des Briefes oft das Lob gesungen worden und auch an eigentlicher Kunstübung in Einzelheiten fehlt es Jakobus keineswegs«, so daß »in stilistischer Beziehung dem Jakobusbrief unter den neutesta mentlichen Schriften die Palme gebührt« (Anlage 42 f.). Ähnlich bestätigt 1911 Kennedy die Arbeit von Siegfried und Schneckenburger zum sprachlichen Verhältnis von Jakobus und Philo von Alexandrien und setzt durchgehend im Jakobusbrief eine u. a. philonisch geprägte hellenistische Sprachatmosphäre voraus. Be reits 1843 stellt Ch. G. Wilke fest: Der Jakobusbrief trägt an sich »die Merkmale einer gut griechischen und oratorischen Diktion« (484). Diese grundsätzlichen Einsichten sind nach heutigen Erkenntnissen nur zu differenzieren. Allgemein ist auch auf den Schmuck/ornatus der Verse hinzuweisen, der in einer Argumenta tion, wie sie im Jakobusbrief vorliegt, nicht nur ästhetischer und affektischer Art ist, vielmehr aufgrund ihrer Einsichtigkeit und Klarheit auch zur thematischen Begründung dient (vgl. Perelman 111-129). So kommt es bei der Argumentation durch Beispiele »darauf an, daß dem gewählten Beispiel nicht widersprochen wer den kann, da die Wirklichkeit des im Beispiel Angeführten als Basis für die Begründung dient« (112). Demgegenüber dienen Analogie und Metapher der »Erklärung eines unbekannten Zusammenhan ges durch einen anderen, vertrauteren der ... allgemeine
Zustimmung findet« (121). Hinweise dieser Art im Hinblick auf den Stil des Jakobus besagen nicht, ihn zu einem geschulten Rhetoriker zu machen, da über die Herkunft seiner literarischen Qualität, an der nicht zu zweifeln ist, nichts gesagt wird. Schon gar nicht ist er mit moderner Rhetorik zu vergleichen (zur Überein stimmung der Ansichten Perelmans in oben genannten Punkten zur antiken Rhetorik vgl. jedoch Lausberg 558-564). Es geht hier nicht um eine rhetorische Ableitung des Briefes aus der (antiken) Rhetorik, wohl jedoch um Feststellungen am Brief, die mit Regeln antiker Rhetorik, woher Jakobus sie immer gewonnen hat, über einstimmen. Auch hier dürfte die Weisheitsliteratur, allen voran Jesus Sirach, den stärksten Einfluß auf ihn geübt haben. Bei den Stilmitteln legt es sich nahe, mit Plett (Textwissenschaft 147-300; vgl. Wuellner, Jakobusbrief 62f.) Lautfiguren von Wort-, Satz-, Sinn-, Schrift- und Appellfiguren zu unterscheiden. An lautlichen bzw. phonologischen Figuren sind zu nennen: Die Alliteration (gleicher Anlaut) und Assonanz (Gleichklang nur der Vokale; vgl. 1,2; 3,2.5.6.8.17; 4,1) und den Reim (1,6.14; 2,18; 3,17; 4,8), aber auch prosodische Figuren wie Metrum und Rhyth mus (vgl. 1,2.13.20; 2,8.9.15.18; 3,3.5.8.14; 4,4; 5,10f. und beson ders den fast vollendeten Hexameter in 1,17). Als Wortfiguren bzw. morphologische Figuren ist vor allem die für Jakobus typi sche Anadiplosis, d. h. die Wiederholung des letzten Wortes eines Verses am Anfang der folgenden Zeile zu notieren (1,3f.; 1,4f.; l,6a.b; l,13b.c; l,15a.b; l,19f.; 1,26f. usw.; vgl. die Zusammen stellung bei Baasland, Form 3661), dann aber auch Anapher (4,11; 5,7-8), Epipher (4,11.14; 3,7-8), Klimax oder Gradatio (1,2-4; 1,15), Wortspiel und Paronomasie (1,1-2; 2,4.13.20; 3,17.18; 4,14) und Parechese (1,24). Für einen an der Textsyntax und Textsemantik interessierten Kom mentar ist die bei Plett genannte dritte Gruppe der syntaktischen Figuren wichtiger, die Einzelwort und Einzelsatz übergreifen (Dibelius 21f.97f. nennt diese Merkmale »Kettenreihen«, versteht sie aber als rein äußerliche, jeden gedanklichen Zusammenhang verneinende, künstliche Stich Wortverbindung). Zu nennen sind folgende Figuren: Parallelismus (3,6-7; 5,2-3; 5,5), Chiasmus (1,19-21.22-25; 3,13-18; 5,7-8), Inclusio (1,2-4 mit 12; 1,17 mit 27; 2,14-26), die zahlreich belegte Figur des Asyndeton, der Aneinan derreihung von unverbundenen Sätzen (Schlatter zählt 79) und der Antithesen (1,4; 1,5-8.9-11.13-15.26-27 usw.). Auch bei der Gruppe der semantischen Figuren interessieren im vorliegenden Ansatz weniger die auf Einzelwendungen bezogenen
wie Pleonasmus (3,7) und Synonyme (1,5; 1,25; 3,15; 4,9), Bei spiele (2,2-4; 3,7; 5,7) und Vergleiche (1,6.10-11.23-24; 3,3-4) oder Metaphern (3,2.6) als vielmehr das satzübergreifende Phänomen der Dissoziation und Oppositionen (vgl. etwa 1,4-8: glauben/ zweifeln, zwiespältig, unbeständig/vollkommen, ganz, vorbehalt los; 1,9-11: arm/reich; 1,1 Ob-12: Hinfälligkeit alles Lebendigen/ Kranz des (ewigen) Lebens; 1,13-18: nicht von Gott versucht/ versucht von eigener Begierde; menschliches Handeln/göttliches Handeln; 1,2-12.13-18: äußere/innere Versuchungen, Erprobun gen usw.). Gerade diese satzübergreifenden, syntagmatischen Oppositionen ergeben das semantische und damit thematische Netz der Kohärenz des Briefes. Diesem formalen und inhaltlichen Duktus hat die graphische Anordnung des Textes zu entsprechen (s. u. d). In einer handlungsorientierten Exegese ist die pragmatische Betrachtung des Textes noch wichtiger, im Kleinen also die Beach tung der Appellfiguren bzw. pragmatischen Figuren (vgl. Plett, Einführung 23-108; Egger 133-146). Solche Formen der Redeprag matik, die ganz auf Wirkung bei den Hörern bzw. Lesern abge stimmt waren, haben ihren Ursprung vermutlich in der populärphilosophischen Propaganda von Kynikern und Stoikern; ein Mei ster eines solchen diatribenartigen Stils war bereits im 3. Jh. v. Chr. Bion von Borysthenes (vgl. Schmeller 29-33.100.124), ist aber auch in Ansätzen in der prophetischen Literatur belegt und wurde bewußt von den Verfassern der Weisheitsliteratur rezipiert. Zu dieser Gruppe der direkten pragmatischen Figuren zählen die insgesamt 23 oder 24 im Jak belegten rhetorischen Fragen (je nach Auflösung), der fingierte Dialog (2,18), Ausrufe (3,10b) und die auffällig hohe Zahl von 47 Imperativen, wobei 3,14b (2mal) als Fragesatz verstanden wird (seit Jülicher, Einleitung 170, wird stereotyp die Zahl von 54 Imperativen angegeben). Mitzuzählen sind auch 9 weiterführende Partizipien bei Imperativen, zusätzlich die Zitate aus dem Dekalog in 2,8.11 a.b. Mit zu berücksichtigen sind auch die zur Interjektion erstarrten Imperative »siehe« (6mal, zusätzlich als varia lectio in 3,3a) und »auf!« (2mal). Wichtiger als die Statistik ist die Verteilung im Brief. Die prozentuale, übliche Umverteilung auf alle Kapitel des Briefes ergibt ein falsches Bild. Vor allem der Prolog mit 8 Belegen und der Epilog mit 12 Belegen (dazu weitere 11 Belege in 4,7-12) sind von Imperativen geprägt. Die Publikumszugewandtheit am Beginn und Ende sind handgreif lich zu spüren, während das Briefkorpus viel stärker argumentativ als imperativisch ist.
Als pragmatische Figuren sind auch die 17 Anreden an die Adressa ten mit »(meine) (geliebten) Brüder« wie auch die dazu kontrastie rende Anrede »Ehebrecher« (4,3 f.), »Sünder« (4,8) und »Reiche« (5,1) zu werten. Neben diesen direkten Appellfiguren sind bei einer pragmatischen Betrachtungsweise von Texten aber auch Lautfiguren wie auch semantische Figuren im Hinblick auf ihre Wirkung auf die Erst adressaten (und auf gegenwärtige Leser) auszuwerten. Die Sinnhaftigkeit, aber auch die Schwierigkeit sei an der Verwendung von Metaphern, mit denen der Jakobusbrief reichlich geschmückt ist, verdeutlicht. Zu nennen sind nautische Metaphern, Körperteilme taphern, Naturmetaphern sowie anthropologische Metaphern, die das Sein und Handeln Gottes bezeichnen und nach Quintilian als »kühne Metaphern« (Plett, Einführung 83.88) zu bezeichnen sind. In der Abfolge des Textes sind folgende Metaphern zu nennen: Gott, der ohne zu nörgeln gibt (1,5), vom Wind gepeitschte und hin und her getriebene Meereswoge (l,6b.c), Blumen, Gras und Heu (1,10-11), Kranz (1,12), anlocken und ködern (1,14b), die Begierde wird schwanger, sie gebiert die Sünde, die Sünde gebiert den Tod (1,15), voll ausreifen (1,15b), Gott als Vater der Lichter (1,17c), Gott ohne Verfinsterung bzw. ohne Schatten der Wende wie bei der Stellung von Gestirnen (1,17d), Gott als Gebärer (1,18a), Menschen als Erstlinge d. h. Erstgeborene bzw. Erstlings frucht bzw. Erstlingsopfer der Geschöpfe (1,18b), Gott als Pflan zer (1,21b), Spiegelmetaphorik (1,23 f.), Zunge im Zaum halten (1,26b), toter Glaube (2,17.26), den ganzen Leib wie Pferde im Zaum halten (3,2-3), Schiffe und Steuermann (3,4), Feuer im Wald (3,5c), die Zunge als Feuer (3,6a-b), Rad des Werdens (3,6d), Landtiere, Vögel, Kriechtiere und Seegetier (3,7), Zunge als tödli ches Gift (3,8), süßes und bitteres Quellwasser (3,11), gattungs fremde Früchte vom Feigenbaum und Weinstock (3,12a.b), die Wirkungen von Salz auf Wasser (3,12c), gute Früchte und Weisheit (3,17c), Gott als Sämann der Früchte (3,18a), Kriege und Kämpfe in der Gemeinde (4,1), Christen als Mörder und Kriegsführer (4,2), Gottes Eifersucht (4,5), menschliche Existenz als Dampf (4,14), Reichtum vermodert (5,2a), Motten zerfressen Kleider (5,2b), Gold und Silber verrosten (5,3a), Rost frißt menschliches Fleisch wie Feuer (5,3c), das Beispiel des Bauern, der sich geduldig der Ordnung der Natur einfügt (5,7), Dürre und Regen als Erfüllung menschlichen Betens (5,17f.), der Weg des Irrtums (5,20a), Sünden zudecken (5,20c). Die Sprache des Jakobus ist ohne Zweifel — dies zeigt die Anzahl
der verwendeten Bilder — stark metaphorisch geprägt, auch wenn auffällig ist, daß er sie nicht gleichmäßig über den ganzen Brief verteilt, sondern gezielt, vor allem am Anfang, einsetzt. Der Leser wird nicht gelangweilt, und Jakobus selbst zeigt alle Fähigkeiten, die er als gnomischer Dichter hat. Er ist fähig, mit jeder Art von Stilfiguren und Tropen, des sprachlichen Schmucks und der sprachlichen Bilder, sein Anliegen den Adressaten zu vermitteln. Fragt man nach der Funktion und der Wirkkraft solch analogischen Redens, wie sie auch für die weisheitliche Literatur üblich ist (vgl. v. Rad, Weisheit 153-165), dann dient sie nach antiker Rhetorik nicht nur zum Schmuck (ornatus), um den Leser zu erfreuen (delectare), vielmehr ist die Metapher »eines der wirksamsten Mittel, den Bedeutungsraum zu weiten und den Aufnehmenden in Bewegung zu setzen« (Kayser 125). Der Leser mit seinen eigenen Erfahrungen und seiner Einsicht in die analogische Kraft der Sprache entscheidet im »Akt des Lesens« (her) darüber, ob die Einsichtigkeit und Prägnanz der Bildworte ihre vom Verfasser intendierte Wirkung erreichen. »Die Wirkung der Metapher hängt... davon ab, ob sich der Gesprächspartner auf die sprachli che Zumutung einläßt und die Bewegung mitvollzieht, zu der die Analogie auffordert« (Harnisch 409), wobei das Einverständnis der Adressaten vor allem bei den »kühnen Metaphern«, die Gottes Sein und Handeln betreffen (vgl. etwa in 1,5), nicht nur von deren Offenheit für analogisches Reden, sondern auch vom biblischweisheitlichen »Weltbild« abhängt, bei der das schöpferische Wir ken Gottes in Kosmos und Geschichte impliziert ist. Nur unter dieser glaubensmäßigen Voraussetzung wirken Metaphern glaub haft, nur so können sie im Sinne des Autors die Adressaten belehren (docere) und vor allem handlungsorientiert wirken, bewe gen (movere). Kriterien für solche Wirkungen »sind die Geläufig keit, die Motivation und die Angemessenheit der Metapher« (Plett, Einführung 88). »Denn die semantischen Merkmale eines Wortes sind keine statischen Größen. Vielmehr legen Sprecher und Hörer erst fest, welche Merkmale in der Äußerung und im Verstehen überhaupt wirksam werden sollen« (Kurz 16; vgl. auch Perelman 141-147). Liegt die Einsichtigkeit der bildlichen Sentenzen aus dem Naturbereich aufgrund der alltäglichen Erfahrung auf der Hand, so wirken die aus dem zwischenmenschlichen Bereich — vor allem in ihrer Übertragung auf Gott — gerade aufgrund der metaphorischen Verfremdung (zum Antimodell vgl. Perelman 115-118). Das vom Verfasser angestrebte Handlungsziel der Adressaten soll sich vom Antimodell abheben.
Kurzum: Auch bei Jakobus will die Überfülle an bildlicher Redeweise nicht zusätzliche Argumente liefern, vielmehr wird der Adressat durch die Einsichtigkeit und Prägnanz durch die analogische Kraft der Sprache selbst und aufgrund der eigenen Erfahrungen in Bewegung gebracht und zwar dorthin, wo das Aktionsziel des Verfassers ihn haben möchte. Daß Jakobus darüber hinaus auch der argumentativen Kraft der Sprache vertraut, haben wir gesehen. Ahnlich wie die bildlichen Vergleiche wären auch die biblischen Exempla wie Abraham, Rahab, Ijob und Elias darauf hin zu befragen, welche affektive Wirkung Jakobus mit ihrer Nennung auf die Adressaten erreichen wollte und ob diese im offenen Rezeptionsprozeß das rezipierten, was der Autor bewirken wollte. Auf jeden Fall ist anzunehmen, daß Jakobus Adressaten voraussetzt, die über biblische Kenntnisse hinsichtlich der genannten Personen verfügen. Nur so sind sie »Argument« für die von ihm initiierte Glaubenspraxis.
d) Zur Textgestaltung in Stichen Literatur: Baasland, £ . , Jakobsbrevets Struktur, masch.schriftl. Ms. Oslo 1981. — Cladder, H.J., Der formale Aufbau des Jakobusbriefes, in: ZKTh 28(1904) 295-330. — Schlatter, Jakobus; zur knappen Begründung ebd. 84 f. — Schütz, R., Der Jakobusbrief nach Sinnzeilen ins Deutsche übertragen, Leipzig 1922. — Zahn, Rh., Zur biblische Stichometrie, in: ders., Geschichte des Neutestamentlichen Kanons, Bd. 2, Erlangen—Leipzig 1890 ( = Hildesheim 1975) 384-408.
Entgegen der heute üblichen Textwiedergabe des Jakobusbriefes in prosaischer Form wird der Text in diesem Kommentar — analog zur Weisheitsliteratur — in Sentenzen und Stichen gedruckt. Letzteres war um die Jahrhundertwende noch die Regel (vgl. Schütz und vor allem Cladder mit älterer Literatur). Schon 1835 notiert H. Kern: »Im Briefe Jakobi findet sich eine Reihe von Aussprüchen, die eine unverkennbare Beziehung auf Apokryphen des A. T. haben, vorzugsweise auf das Buch der Weisheit und das Buch Sirach«, woraus er schließt, daß diese Bücher »dem Verfasser so bestimmt vor Augen (waren), daß nicht selten Gedanke und Ausdruck von dorther stammt« (91). Ähnlich 1874 W. Beyschlag: »Keine neutestamentliche Lehrschrift ist in so quellfrischer Weise die unmittelbare Fortsetzung der alttestamentlichen Weisheit und
Weissagung« (142). Zusammenfassend schreibt 1904 Cladder, daß der Jakobusbrief »ein Werk bewußter Kunstübung« ist, das nach formalem Aufbau (Strophen, Stichen) und Thematik der jüdischen »Weisheitsliteratur ... angehört« (305f.). »Erkenntnisbindende Formen« (v. Rad, Weisheit 39-73) der weisheitlichen Literatur finden sich durchgehend auch im Jakobusbrief. Dem hat die gra phemische Darstellung (zur Schriftfigur vgl. Plett, Textwissen schaft 283-301) in Stichen zu entsprechen. Die antike Kolometrie, die Aufteilung nicht nur lyrischer Texte in Strophen und in Vers zeilen entspricht auch der weisheitlich-poetischen Struktur des Jakobusbriefes. Synonymer und antithetischer Parallelismus, chiastische Anordnung, Wortstellung und Rhythmus bei den einzelnen Sentenzen können dies belegen.
e) Jakobus und die jüdische und christliche Weisheits literatur Literatur: Baasland, E., Der Jakobusbrief als Neutestamentliche Weis heitsschrift, in: Studia Theologica 36(1982) 119-139. - Carpenter, W. B., The Wisdom of James the Just, London 1903. - Edwards, R. A., A Theology of Q. Eschatology, Prophecy and Wisdom, Philadelphia 1976. - Frankemölle, H., Der Jakobusbrief als Weisheitsschrift im Kontext frühjüdischer Weisheit, in: rhs 33(1990) 305-313. — Ders., Zum Thema des Jakobusbriefes im Kontext der Rezeption von Sir 2,1-18 und 15,11- 20, in: BN 48(1989) 21-49. - Grundmann, W., Weisheit im Horizont des Reiches Gottes. Erwägungen zur Christusbotschaft und zum Christusverständnis im Lichte der Weisheit in Israel, Stuttgart 1988. — Ders., Weisheit im Horizont des Reiches Gottes, in: Die Kirche des Anfangs. FS H . Schür mann, Freiburg u. a. 1978, 175-199. - Halson, B. R., The Epistle of James: »Christian Wisdom?<, in: Studia Evangelica Bd. 4, Berlin 1968, 308-314. - Hartin, P.J., James and the Q Sayings of Jesus, Sheffield 1991. — Hentschel, G. — Zenger, E. (Hrsg.), Lehrerin der Gerechtigkeit. Studien zum Buch der Weisheit, Leipzig 1991. - Hoppe, R., Der theologische Hinter grund des Jakobusbriefes, Würzburg 1985, 18-71. - Kirk, J.A., The Meaning of Wisdom in James: Examination of a Hypothesis, in: NTS 16(1969/70), 24-38. - Kloppenborg,]. S., The Formation of Q. Trajectories in Ancient Wisdom Collections, Philadelphia 1987. — Küchler, Frühjüdi sche Weisheitstraditionen. — v. Lips, H., Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, Neukirchen 1990, 409-437. - Luck, U., Die Theologie des Jakobusbriefes, in: ZThK 81(1984) 1-30. - Ders., Weisheit und Leiden. Zum Problem Paulus und Jakobus, in: ThLZ 92(1967) 253-258. - Ders., Welterfahrung und Glaube als Grundproblem biblischer Theolo gie, München 1976. — MacGorman, J. W., A Comparison of the book of 2
James with the Jewish Wisdom Literature, masch.schriftl. Diss. Fort
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Im folgenden geht es nicht um die heute anerkannte Tatsache (vgl. bes. den Exkurs 7 nach 2 , 1 : Die Christologie des Jakobus), daß Jakobus ein durch und durch christlicher Theologe ist, von dessen Schrift Gerhard Kittel 1942 zutreffend sagen konnte: »Es gibt keine Schrift des N T außer den Evangelien, die so mit Anklängen an Herrnworte gespickt ist wie er« (Der geschichtliche Ort 84), sondern es geht um die Frage, ob Jakobus sich in seinem theologi schen Denkansatz zusätzlich oder primär von anderen urchristli chen und frühjüdischen Theologien bestimmen ließ und wie er sie rezipierte. Wichtig war für ihn die heute wieder neu entdeckte Weisheitstheologie, ohne daß seine jüdische Wurzel sich darauf beschränken ließe (zur Rezeption etwa der Traditionen von Abra ham, Rahab, Ijob und Elias vgl. Davids, Tradition). Der rhetorisch ausgefeilte und weisheitlich geprägte Charakter des Jakobusbriefes war im 18. und 19. Jh. unbestritten (s. o. sowie den Kommentar von Carpenter), in den vergangenen Jahren wird er neu entdeckt (zur Forschungsgeschichte vgl. Röpkes, Adressaten 23-27, allerdings kritisch gegen eine direkte traditionsgeschichtli che Herleitung) und als »Mahnschreiben aus weisheitlich-theologi scher Sicht« auch für eine Ethik des N T ausgewertet (vgl. Schnak kenburg, Botschaft II 194f.). So lautet das Ergebnis von Hoppe: »Der Jak steht religionsgeschichtlich fest in der Tradition der frühjüdischen Weisheitstheologie« (147), womit er die bahnbre chenden Arbeiten von Luck bestätigt (vgl. ders., Jakobusbrief 179: »Fassen wir zusammen: Der Jakobusbrief bleibt mit seiner Theolo gie ganz im Rahmen des ihm vorgegebenen weisheitlichen Hori zontes«). Die Frage bleibt, wie dieser weisheitliche Horizont näher zu charakterisieren und ob die Rezeption bestimmter weisheitlicher
Schriften textlich nachzuweisen ist, und vor allem, ob die weisheit liche Theologie der Schlüssel für das Gesamtverständnis des Jako busbriefes abgibt. Damit verbunden ist die Frage, ob andere Schriften, und wenn ja, welche in den Traditionsstrom der früh jüdischen Weisheitsliteratur gehören und ob es eine literarische Abhängigkeit zwischen dem Jakobusbrief und diesen Weisheitstra ditionen gibt. Die Ergebnisse, die sich bei den traditionsgeschicht lichen Probebohrungen im Verlauf der Kommentierung einstellten, seien zusammenfassend vorausgeschickt: 1. Nach Luch ist der weisheitliche Horizont, von dem auch der Jakobusbrief geprägt ist, ursprünglich der Lebenshorizont des Menschen schlechthin. In Literatur, die davon geprägt ist — und dieser weisheitliche Horizont ist umfassender als Weisheitstradi tion und Weisheitsliteratur —, »spricht sich ein ursprüngliches Weltvertrauen aus, auf das menschliches Leben immer angewiesen ist« (Welterfahrung 26 Anm. 50). Es geht um gelingendes Leben, für dessen Gelingen man nicht nur auf gemachte Erfahrungen zurückgreifen kann. Ein Satz wie Sir 7,1: »Tue nichts Böses, so wird dir nichts Böses widerfahren, stehe ab vom Unrechten, so wird es von dir weichen« »ist nicht dem Leben abgelauscht. Alle Weisheitssprüche sprechen deshalb eher einen Wunsch, eine Erwartung aus, die der Mensch dem Leben und der Welt gegen über haben muß, wenn er wirklich >leben< will. Die Möglichkeit zur Verifikation dieser Sentenzen dürfte kaum höher als 5 0 : 5 0 sein. So sind die Weisheitssprüche eher Zeugnisse des Weltvertrau ens als Schlüsse aus dem beobachteten Tat-Folge-Zusammenhang. Die Erwartung, daß der Zusammenhang von Tat und Folge durch Gerechtigkeit bestimmt ist, so daß es jedem Menschen nach seinem Tun ergeht, ist ein mit dem Leben selbst gegebenes Vor-Urteil, aus dem heraus die Zuwendung des Menschen zur Welt, in die hinein er geboren ist, überhaupt erst möglich wird« (ebd. 28). Weisheitsli teratur hat demnach appellativen Charakter — primär im zwischen menschlichen Bereich, während im Naturbereich die dort gewon nenen Erkenntnisse Regelmäßigkeit erhoffen lassen. Schöpfungs theologie hat hier ihren Ort, während Geschichtstheologie, Kult theologie, Tora-Theologie und Apokalyptik oft in Spannung zu ihr stehen. Ohne Zweifel ist Jakobus in seiner Denkstruktur und Argumentationsform diesem weisheitlichen Denken verpflichtet und von Grund auf geprägt. Dies schließt andere frühjüdische und urchristliche Einflüsse nicht aus, die sich aber der weisheitlichen Logik ein- und zuordnen. Deutlich wird dies etwa an der Zuord nung von Nur-Glauben ohne Werke und Werken ohne Glaube in
2,14-26 (etwa im Vergleich zum Glauben als eschatologisches Ereignis bei Johannes und Paulus), in der Charakterisierung der Tora, der Christologie und Theo-logie. Die grundlegende Perspek tive für Jakobus lautet: »Weisheit ist die wirklichkeitsgerechte Einsicht und das dieser Einsicht entsprechende Verhalten in einem von Gott gestifteten Kosmos« (Küchler 18). 2. Entgegen der Todesanzeige von H. H. Schmid (Wesen), wonach die biblische Weisheit in der nachexilischen Zeit starb, gibt es ohne Zweifel eine Fülle von Schriften im Frühjudentum und Urchristentum, die mehr oder weniger eine so charakterisierte weisheitliche Welterfahrung und Sozialethik zur Voraussetzung haben. Sie reichen vom Buch der Sprüche über Kohelet, Buch der Weisheit und Jesus Sirach, das Buch Ijob, zahlreiche Psalmen und Qumran-Hodajoth, Pirque Abot bis zu den weisheitlich geprägten Stücken der Apokalypsen und der Qumranliteratur über die alexandrinischen Religionsphilosophen Aristobul und Philo zu den frühjüdischen »Exegeten, Historikern, Romanciers und Poeten« (Küchler 115) Demetrios, Eupolemos, Pseudo-Eupolemos, Artapanos, Theophilos, Kleodemos Malchas, Pseudo-Heketaios I und II und Philo dem Älteren, die ausgehend von Dtn 4,6-8 und Psalm 119,97-100 Israel als die Mutter aller Weisheit, Kultur und Zivilisa tion interpretieren, bis hin zu Logiensammlungen in den pharisäisch-rabbinischen Traktaten Abot, Abot de Rabbi Nathan und zu den Gesetzesapologien bei Josephus, zu den Sentenzensammlun gen des Pseudophokylides und des Pseudomenander sowie zu weisheitlich geprägten Mahngedichten und Lehrtexten in den Testamenten der zwölf Patriarchen, aber auch bis hin zu den weisheitlichen Logien in der urchristlichen Tradition, wie sie sich vor allem in der Sammlung der Herrenworte Jesu in Q (vgl. dazu Robinson und Edwards), )2L selbst bei Paulus finden (Theis), dann aber auch im Jakobusbrief, in der Didache, im Barnabasbrief, im Pastor Hermae u. a. Die Rezeptionsgeschichte und die weitere Entwicklung der in der griechischen Bibel vorliegenden Weisheits literatur (vgl. dazu einführend v. Rad und Preuß) wurde umfassend und vorbildlich von Max Küchler (Frühjüdische Weisheitstraditio nen) dargestellt und von der Forschung als im Grundansatz zutref fend rezipiert. Eine »einheitliche weisheitliche Theologie« (wie sie v. Lips 437 Anm. 216 als Voraussetzung für die Kennzeichnung des Jakobusbriefes als Weisheitstheologie postuliert), liegt wie bei anderen über Jahrhunderte hin aktualisierten theologischen Kon zeptionen nicht vor. Die Kritik gegen eine weisheitstheologische Deutung des Jakobusbriefes mit dem Hinweis, ob eine für den Jak
vorausgesetzte Weisheitstheologie »nicht nur ein Konstrukt aus verschiedenen Weisheitsschriften ist« (ebd. 437), verkennt die Geschichtlichkeit auch der weisheitstheologischen Konzeptionen und die damit gegebenen Variationsmöglichkeiten ihrer Verfasser im formalen und thematischen Bereich (vgl. auch Doli, Menschen schöpfung 7f.). Ohne Zweifel gibt es bei allen weisheitstheologisch geprägten Schriften im Unterschied zur prophetischen, apokalyptischen oder rein paränetischen Literatur eine spezifisch gemeinsame Grund struktur, den Einzelmenschen, Gesellschaft, Geschichte und Kos mos verstehen zu wollen und daraus Handlungsanweisungen abzu leiten. Daß es erst gegen Ende unseres Jahrhunderts zu einer Neuentdeckung der Weisheitsliteratur gekommen ist, hat viele Gründe (vgl. Frankemölle, Jakobusbrief 305f.): Zu erinnern ist an die Normativität des hebräischen Alten Testamentes bei den Refor matoren, in den evangelischen Kirchen und in der wissenschaftli chen Theologie; an die Abwertung der letzten Jahrhunderte vor Christi Geburt als »Spätjudentum«, also als Abfall und Dekadenz; in der neutestamentlichen Wissenschaft die Konzentrierung auf die »eigentliche« Theologie, deren Maßstab Paulus mit seiner Theolo gie von Tod und Auferweckung Jesu lieferte; eine philosophisch geprägte, esoterische Theologie in der protestantischen und katho lischen Orthodoxie und Neuscholastik, die nicht von der menschli chen Erfahrungswelt, sondern von Lehrsystemen ausging; Skepsis gegen eine erfahrungsgesättigte, lebensgeschichtlich orientierte und argumentative Theologie zugunsten einer offenbarungsgeschicht lich orientierten, die vom Lehramt in »Hirtenbriefen« unverkürzt und sicher weiterzugeben ist, usw. Die Wiederentdeckung der Weisheitsliteratur steht erst am Anfang, vor allem im urchristlichen Bereich sind die weisheitlichen Tradi tionsströme noch nicht ausreichend erarbeitet, geschweige denn ihre Bedeutung für ein Gesamtkonzept von Theologie hermeneutisch reflektiert. Für eine bessere Erfassung der weisheitlichen Konzeption des Jakobusbriefes dienlich wäre vor allem eine umfassende Darstel lung des weisheitlichen Materials im Spruchgut der Bergpredigt und der Boteninstruktion in der Logienquelle (vgl. Mt 10,5-42 par Lk) unter formalen und thematischen Aspekten (vgl. dazu Edwards, Zeller, Grundmann und Hartin), aber auch des Stellen wertes dieser Theologie im Verhältnis zur prophetischen und apo kalyptischen. Vordergründige Textauflistungen von Parallelen zwischen Jakobus und den Evangelien (vgl. etwa Mayor L X X X II-
L X X X I V ; Sputa 155-183, Mußner 47-52; auch die Dissertation von Eleder 59-185 verharrt in diesem methodischen Ansatz) sind eine Hilfe, führen aber letztlich nicht weiter, zumal man eine literarische Abhängigkeit nicht voraussetzt (anders Kittel, Ort 8494). Beim Schwurverbot in 5,12 dürfte Jakobus sogar eine ältere Version belegen als die synoptische Tradition in Mt 5,34-37 (s. u.). Jakobus wie die weisheitlichen Träger der Logientradition von Q (vgl. Hartin), dann aber auch Matthäus sowie die Verfasser vom Hirten des Hermas und des 1. Klemensbriefes stehen in einem gemeinsamen weisheitlichen Milieu. Die Aufarbeitung der (gemeinsamen?) Vorgeschichte der Bergpredigt-/Feldrede-Tradition und des Jakobusbriefes sowie der Didache fordern zu Recht Hoppe, (Hintergrund 119-148) und Popkes (156-176), ohne die Forderung schon einlösen zu können, letzterer verbindet sie sogar mit einer allen gemeinsam vorliegenden Tradition der »Grundein weisung für Neugetaufte« (155) und Neophyten-Unterweisung (ebd. 146-156.175f.); gerade aufgrund der von Jakobus rezipierten Anfechtungstradition dürfte dies nicht zutreffen (s. u. zu 1,2ff.). Dies schließt die Frage nach bestimmten, von Jakobus rezipierten weisheitlichen Traditionen aus dem Urchristentum nicht aus. 3. Jakobus steht nicht nur in dem breiten Strom mündlicher und schriftlicher Weisheitstraditionen des Judentums, Christentums und der antiken Umwelt (da Weisheit sich um menschliche Grund erfahrungen und der Bewältigung menschlichen Lebens bemüht, ist sie im Grundansatz international), er ist nicht nur von einem weisheitlichen Horizont geprägt, sondern rezipiert auch — dies ist das Ergebnis traditionsgeschichtlicher Probebohrungen bei der Auslegung einzelner Verse — außer dem Buch der Sprüche in seiner griechischen Ausgabe (vgl. die Zitate von Spr 3,34 in 4,6 und vielleicht von Spr 10,12 in 5,20) in erster Linie das Buch Jesus Sirach. An vielen Stellen, besonders im Prolog, läßt sich eine literarische Abhängigkeit nachweisen. Der Jakobusbrief präsentiert sich als eine relecture von Jesus Sirach — im Hinblick auf die spezifische Situation seiner Adressaten, durch welche die Auswahl der rezipierten Traditionen bestimmt wird (zahlreiche bei Sirach behandelte Lebensbereiche tauchen bei Jakobus nicht auf, ebenfalls auch nicht der Gedanke der hypostasierten Weisheit), aber auch die Behandlung von Themen, die dort nicht vorgegeben waren (vgl. etwa die Abhandlung über das Verhältnis vom Nur-Glauben zu den Werken und zum Glauben in 2,14-26, während der eschatologische Ausblick in der griechischen Ausgabe von Jesus Sirach durchaus belegt ist; s. u. zu 1,12; 2,12f.; anders Baasland, Weis-
heitsschrift 124; v. Lips 432.434). Um diese literarische Abhängig keit dem Leser des Kommentars zu verdeutlichen, werden die von Jakobus rezipierten Traditionen, die vor allem motivgeschichtlich durch Wortfelduntersuchungen festzumachen sind, ausgedruckt. Wie stark Jakobus insgesamt von weisheitlicher Literatur abhängig ist, zeigt das auffällige Faktum der Hapaxlegomena im Jak. Nach Halson stammen von den 67 Vorkommen in Jak 52 aus der Septuaginta, näherhin 34 aus der Weisheitsliteratur ( = 6 5 % ) , außerdem finden sich von den 21 Belegen, die außerhalb des Jak nur in einer weiteren Schrift im N T belegt sind, ebenfalls 19 ( = 9 0 % ) in der Weisheitsliteratur (Wisdom 308f.). Wie immer man die Statistik beurteilt, sie belegt sehr deutlich die geistige und sprachliche Heimat des Verfassers. Ein literarisches Abhängigkeitsverhältnis aufgrund von rezipierten Traditionen liegt auch zwischen Jakobus und Philon von Alexan drien vor. So kann das Menschen- und Gottesbild des Prologes bei Jakobus kaum ohne philonische Aussagen zur Einfachheit und Einzigkeit Gottes oder zur Affektenlehre gedacht und formuliert sein. Bereits 1832 wurden die Parallelen aus Philo von Schneckenburger fast vollständig und sehr sorgfältig zusammengestellt, was 1875 durch Siegfried bestätigt wurde (Philo 310-314). Ist auch nicht immer zu entscheiden, was bei Philo alttestamentliche Vorstellung und was kynisch-stoisches Gedankengut ist, und ob Jakobus bestimmte Bilder sowie anthropologische und theo-logische Vor stellungen direkt von Philo oder aus der Popularphilosophie seiner Umwelt übernommen hat, so entscheidet sich die Frage der Abhän gigkeit nicht an einzelnen Wendungen, sondern an der grundsätzli chen Konzeption der Anthropologie und Theo-logie. Da Jakobus in diesen Punkten über Jesus Sirach hinausgeht, ist eine Beeinflussung durch Philo anzunehmen (vgl. auch A N R W II 20.1,5), zumal die Texte der kynisch-stoischen Ethik jüngeren Datums sind. In seiner Hermeneutik und Methodik verfährt Jakobus im übrigen wie Jesus Sirach. Er studiert wie jener die Überlieferungen der Alten, um in der eigenen — vom Urchristentum geprägten — Situa tion neue Antworten geben zu können. 8,8 9
Laß dir das Gespräch mit Weisen nicht entgehen, sondern beschäftige dich mit ihren Sprüchen ... Geh dem Gespräch der Alten nicht aus dem Wege; denn auch sie haben von ihren Vätern gelernt. Denn von ihnen wirst du Klugheit lernen und wie man Antwort gibt, wo es nötig ist.
21,15 Hört der Verständige ein weises Wort, lobt er es und fügt (ein eigenes) hinzu. 39,1 Die Weisheit aller Alten erforscht er, und in den Weisungen studiert er eifrig. 6 Wenn der Herr, der Allmächtige, es will, wird er mit dem Geist der Einsicht erfüllt, und er selbst läßt Worte der Weisheit hervorsprudeln ... 4. Eine Weisheitschristologie vertritt Jakobus nicht (s. u. die Exkurse nach 2 , 1 : Die Christologie des Jakobus und nach 3,18: Weisheitstheologie nach Jakobus), auch findet sich bei ihm keine Identifizierung von Weisheit und Geist Gottes, mag sie auch bei Matthäus, Lukas und Paulus vorliegen (Kirk 27). Jakobus denkt Weisheit ganz anthropologisch-theozentrisch (zu dieser Dialektik vgl. den Exkurs nach 3,18: Weisheitstheologie nach Jakobus). 5. Es bleibt die Frage, ob der Jakobusbrief als Weisheitsschrift bezeichnet werden kann. Auch wenn es bis in jüngste Zeit kritische Gegenstimmen gibt (vgl. Mußner 248-250; Popkes 25-27; v. Lips 434), vermögen semantische Bestimmungen wie Paränese (s. o. 2.4a), Neophyten- bzw. Anfänger- Unterweisung (Popkes 11.17.146 ff. 176 ff.) oder paränetischer Traktat (v. Lips 434) nicht zu überzeugen. Gattungsmäßig ist in der Intention des Autors sein Schreiben als Brief zu verstehen, von seiner Denkstruktur und Argumentationsweise her als Weisheitsschrift. Kurzum: Der Jako busbrief ist eine neutestamentliche Weisheitsschrift in Briefform. Gerade die formale und thematische Offenheit der frühjüdischen und urchristlichen Weisheitsschriften (s. o.) bringt es mit sich, daß sich keine Gattung »Weisheitsschrift« im engeren Sinn entwickelt hat, vielmehr kann sich die weisheitliche Weltdeutung mit unter schiedlichen Gattungen (kurze Sprüche, breite Dichtungen, Bild worte, Gleichnisse, Klagen, Testamentsliteratur, hymnische Lie der, Kirchenordnungen u. a.) verbinden (vgl. auch Doli 7 Anm. 4). Von einer »klaren Begriffsbestimmung« (v. Lips 434) ist nicht auszugehen, da es sie gattungsmäßig nicht gibt. Jakobus versteht sich als Bewahrer der weisheitlichen Tradition, zugleich aber auch als Schöpfer neuer Spruchweisheit (analog zu Mt 13,52) in Briefform (zur Gattung Brief s. o. 2.4a). Daß die frühjüdische Weisheitsliteratur in christlicher Perspektive durchaus als eigene christliche Literatur verstanden werden konnte, belegt der Kanon Muratori aus dem Ende des 2. J h . n. Chr. aus Rom, in dem zwar der Jakobusbrief mit anderen katholischen Briefen fehlt, die Weis heit Salomos aber zu den neutestamentlichen Schriften gezählt
wird. Dies ist kaum »nur als grobes Versehen zu verstehen« (Wikenhanser — Schmid 41), sondern bestätigt die Identität jüdi scher und christlicher Welterfahrung in weisheitstheologischer Deutung.
2.5 Was? Wozu? (Thema und Intention) Literatur: Adamson, J. B., James. The Man and his Message, Grand Rapids 1989 (zur Rezension vom Verf. vgl. BZ 34, 1990, 285-287). Bieder, W., Christliche Existenz nach dem Zeugnis des Jakobusbriefes, in: ThZ 5(1949) 93-113. - Ders., Gottesdienst in der Welt (Jak 1,9-17), in: EMM 111(1967) 2-11. - Blondel, ]. L., Le fondement theologique de la parenese dans l'epitre des Jacques, in: RThBh 11(1979) 141-152. — Franke mölle, Gespalten oder ganz. Zur Pragmatik der theologischen Anthropolo gie des Jakobusbriefes. — Ders., Zum Thema des Jakobusbriefes im Kon text der Rezeption von Sirach 2,1-18 und 15,11-20. - Goppelt, L., Theolo gie des Neuen Testaments IL Vielfalt und Einheit des apostolischen Chri stuszeugnisses, hrsg. v. J . Roloff, Göttingen 1976, 529-542. — Heiligen thal, R., Werke als Zeichen. Untersuchungen zur Bedeutung der menschli chen Taten im Frühjudentum, Neuen Testament und Urchristentum, Tübingen 1983, 26-52. - Hiebert, D. E., The Unifying Theme of the Epistle of James, in: BiblSacr 135(1978) 221-231. - Kistemaker, S.J., The Theological Message of James, in: JETS 29(1986) 55-61. - Luck, U., Die Theologie des Jakobusbriefes, in: ZThK 81(1984) 1-30. - Marxsen, W., »Christliche« und christliche Ethik im Neuen Testament, Gütersloh 1989, 226-229. - Mußner, F., Die ethische Motivation im Jakobusbrief, in: Neues Testament und Ethik. FS R. Schnackenburg, Freiburg 1989, 416423. - Reese, J. M., The Exegete as Sage: Hearing the Message of James, in: BThB 12(1982) 82-85. - Rustler, M.K., Thema und Disposition des Jakobusbriefes. Eine formkritische Studie, masch.schriftl. Diss. Wien 1952. — Sato, M., Wozu wurde der Jakobusbrief geschrieben? — eine mutmaßliche Rekonstruktion - , in: AJBI 17(1991) 55-76. - Schäle, G., Wider die Gespaltenheit des Glaubens — Beobachtungen am Jakobusbrief, in: TheolVers 9(1977) 71-89. - Schnackenburg, R., Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments II, Freiburg 1988, 193-225. - Schräge, W., Ethik des Neuen Testaments, Göttingen 1989. - Soucek, J. B., Zu den Proble men des Jakobusbriefes, in: EvTh 18(1958) 460-468. - Vries, E. de, De Brief van Jakobus: Dispositie en Theologie, Kampen 1991, 153-173. - Wall, R. B., James as Apocalyptic Paraenesis, in: R Q 32(1990) 11-22. — Zahn, Th., Die soziale Frage und die Innere Mission nach dem Brief des Jakobus, in: Z K W L 10(1889) 295-307. 2
Ohne die ausführlichen Begründungen im Exkurs nach 1,2 zur literarischen und thematischen Einheit des Jakobusbriefes an dieser Stelle vorauszunehmen (vgl. auch Frankemölle, Gespalten oder ganz, und ders., Thema), sei hier das Ergebnis kurz skizziert: Wie in der Weisheitsliteratur üblich, setzt Jakobus in 1,2 ff. bei den vielfachen Erfahrungen seiner Adressaten an und versucht, ihnen in seiner weisheitstheologisch begründeten Welt- und Wirklichkeits deutung die ihnen zukommende Funktion zu geben. Interpretieren die Adressaten ihre Erfahrungen wohl negativ als »Anfechtung/ Erprobung/Prüfung/Versuchung« (1,2b), so wirbt Jakobus mit dem Imperativ zur Freude (1,2a) darum, diese Erfahrungen positiv zu sehen, da sie nach weisheitlichem Verständnis in zweifacher Hinsicht als Hilfe gesehen werden können: als Hilfe für »ein vollkommenes Werk« (1,4a) und dafür, daß die Adressaten selbst »vollkommen und ganz« werden (1,4b). Damit hat Jakobus in anthropologischer riinsicht in wenigen Sentenzen sein Thema erreicht, das er in den folgenden Versen an einigen Fallbeispielen konkretisiert: Die angesprochenen Christen sind Mangel-Wesen. Sie haben Mangel an Weisheit (1,5), Mangel an Glauben (1,6a), als Zweifelnde werden sie wie eine Meereswoge »vom Winde gepeitscht und umher getrieben« (1,6b), sie sind seelisch »gespal ten« und daher »unbeständig/wankelmütig« (1,8). Sowohl der »niedriggestellte/arme« Christ wie der »reiche« Christ (1,9) hat ein gestörtes Selbstbewußtsein, dem — dies zeigen die vielfachen Amplifikationen im Verlauf des Briefes - ein gestörtes ekklesiales Sozialbewußtsein entspricht (nur an die leitenden Menschen aus der aufkommenden Mittelschicht der Kirche sieht Sato den Jako busbrief adressiert; dagegen spricht selbst die Struktur von 3,1 ff.; s. u.). Schon in 1,2 ff. zeigt sich in der anthropologischen Perspek tive: Synonyme und Antonyme/Oppositionen ergeben ein in sich stimmiges Wortfeld und ein klares Thema: Die angeredeten Chri sten sollen nicht gespalten/unbeständig sein, sondern vollkommen/ ganz. Dies ist jedoch nur die eine Seite der Thematik des Jakobus. Bliebe er bei diesem Ansatz stehen, böte er in der Tat »keine >christliche< Ethik« (Marxsen 229 mit der Begründung ebd.: »Weil eine Christologie völlig fehlt, fehlt den aufgenommenen Imperativen der Indikativ«; zur Christologie vgl. 1,1 und 2,1). Zwar sieht man — auch in evangelischer Theologie — wieder verstärkt, daß die Ethik des Jakobusbriefes »oft zu Unrecht in den Schatten« anderer neutestamentlicher Konzeptionen gestellt wurde und daß »der eindringliche Ruf zur tathaften Verwirklichung und gehorsamen
Bewährung christlicher Existenz ohne jedes Wenn und Aber« zum christlichen Glauben gehört, betont aber in gleichem Atemzug: »Freilich bleibt auch bei Einsicht in die primärethische Ausrich tung dieser lehrhaften Mahnschrift die defizitäre Begründung und Motivierung ihrer Ethik bedenklich«, denn: »Der Imperativ steht vielmehr ziemlich selbständig und unbegründet da« (Schräge 286.287.288). Dies trifft nicht zu, wie die spezifische Form der ethischen Motivation wie im Prolog, sodann auch im gesamten Brief zeigt (vgl. den Exkurs nach 1,18). Zwar begründet Jakobus die weisheitlich orientierte Ethik nicht primär christologisch, wohl jedoch theo-logisch, theozentrisch, wie es der Weisheitstheologie entspricht. Gemäß der Glaubensüberzeugung von Jesus Sirach »alle Weisheit kommt vom Herrn« (1,1) heißt es auch bei Jakobus am Briefanfang: »Mangelt es aber einem von euch an Weisheit, so erbitte er sie von Gott, ... und sie wird ihm gegeben werden« (1,5). Formuliert Jakobus 1,2-4 noch ganz anthropologisch und bleibt die Frage offen, wer die Ermöglichung zum vollkommenen Werk und zum ungespaltenen Sein des Menschen gibt, so wird dies gemäß der Thema-Rhema-Struktur (s. u. zur Formkritik) erst ab Vers 5 thematisiert, hier aber in aller Klarheit und Unzweideutigkeit. Vor allem der theozentrische Satz in 1,5c zum Handeln Gottes (»der allen einfach/vorbehaltlos und ohne zu nörgeln gibt«), der in 12-18 durch Aussagen über das Sein und Handeln Gottes vertieft wird, bestimmt auch das indirekte Sprechen über Gott in l,5d und 1,7b. Betet einer zu Gott, so wird das Erbetene »ihm gegeben werden« (5d), während der zweifelnde Mensch sich nicht täuschen soll, »etwas vom Herrn zu empfangen« (7b). Auf Gott ist Verlaß. Ganz sicher wird er dem Menschen, der sich bewährt hat, »den Kranz des Lebens« geben (1,12). Dem Handeln Gottes entspricht sein Sein; er handelt nicht nur »einfach/vorbe haltlos« (1,5c), bei ihm gibt es auch »keine Veränderung oder eines Wechsels Verschattung« (17d). Wie Gott selbst »vom Bösen unversuchbar ist, versucht er auch selbst niemanden« (13c.d). In unein geschränktem Sinn gilt von seinem Handeln: »Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk« (17a) — also auch das »vollkom mene Werk«, das der Mensch nach 4a anstreben soll — kommt von Gott. Er ist der Schöpfer allen Seins, der »Vater der Lichter« (17c) und der Menschen (18). Nur weil Gott an den Menschen gehandelt hat, ihre Existenz ermöglichte, können Menschen aus diesem Ermöglichungsgrund heraus handeln und sollen es tun! Dabei gilt festzuhalten: Während die Versuchung zur Sünde aus der Wil lensfreiheit des Menschen stammt (13-15), führt Jakobus — und
dies bereits im Prolog! — die Ermöglichung menschlicher Existenz überhaupt, dann aber auch zu allem guten Handeln auf die Gaben Gottes zurück. Die anthropologischen Aussagen über das Handeln und Sein des Menschen (4a.b) werden erst von diesem theozentrischen Grund in ihrer eigentlichen Dimension erschlossen. Nur wer seine Herkunft »durch das Wort der Wahrheit« Gottes (18a) im Glauben akzeptiert, auf dieses von Gott zugesagte Wort hört, aber es auch tut (1,19-27), nichts aus eigener Kraft erwartet, sondern alles von Gott erbittet (1,5), ist nach Jakobus »in Ordnung«, nämlich in der Schöpfungs-Ordnung Gottes als »eine Art Erstling/Erstlings frucht seiner Geschöpfe« (1,18b) und als »Gottes Ebenbild« (3,9c). Von Anfang an korrelieren im Brief des Jakobus Anthropologie und Theo-logie (zur Ausführung im weiteren Brief s. u. im Exkurs nach 1,2 zum semantischen Netz). Ohne Gottes Sein und Handeln an Mensch und Welt als unaufgebbare Voraussetzungen sind für Jakobus anthropologische und ekklesiologische Aussagen undenk bar. Nur weil »der Geist, den Gott in uns wohnen ließ« (4,5), Christen beseelt, sie »die Weisheit, die von oben« stammt (3,17a), empfangen haben, können sie »Werke in Sanftmut der Weisheit« (3,13c) zeigen, sie müssen es aber auch. Aus all dem folgt: Die ethischen Appelle des Jakobus haben ihren Grund in der Theo-logie, im Sein und im Handeln Gottes. Erst in diesem Kontext sind die anthropologischen Aussagen über das Sein und Handeln der Christen stimmig, ebenso die gesamte Thematik des Jakobusbriefes (Frankemölle, Gespalten 165f.; zustimmend Mußner, Motivation 423 und Schnackenburg II 196f.). Gottes Sein und kommunikatives Handeln bilden den Grund und die Ermögli chung für das von Jakobus intendierte innovatorische, kommuni kative Handeln der Christen. Ist dies zutreffend, gilt auch umge kehrt: »Der Streit um eine bestimmte Weise kommunikativen Handelns ist zugleich ein Streit um die Wirklichkeit Gottes« (Peukert 298). Gerade deswegen nimmt Jakobus die von ihm festgestellte Krise menschlichen Verhaltens und die Krise der christlichen Gemeinde so ernst, da es nicht nur um ein ethisches, sondern um ein im strengen Sinn theo-logisches Problem geht (Hiebert betont als das den ganzen Brief zusammenhaltende Thema mit 1,3 die »Prüfungen eines lebendigen Glaubens«: 231). Erst wenn die theozentrische Basis erkannt ist, hat man das Thema und die Intention des Verfassers. Die Eschatologie (s. u. zu 1,12; 2,13; 4,12; 5,7.8) verbindet die Theo-logie mit der Anthropologie, da der Preis der Willensfreiheit (s. u. zu 1,14-16) die Verantwortung des Menschen vor Gott ist.
Die theo-logische Grundlage der Ethik — zwar ohne das kommu nikative Handlungsmodell — wurde in einem beachtenswerten Aufsatz von Jan-Lnc Blondel herausgearbeitet. Er sieht die ganze anthropologische Frage von Jakobus »coram deo« behandelt (144 f.), wonach die Eschatologie die gesamte Ethik und Anthropo logie des Briefes prägt, so daß das alltägliche Verhalten eschatologisch qualifiziert ist (1,21; 2,12f.l4). Nach ihm ist die Ethik des Jakobus, »keineswegs« — wie bislang durchgehend behauptet wird — »der Ausdruck eines theologischen Mangels, sondern wohl eher eine Darlegung der notwendigen Wechselbeziehungen zwischen einem authentischen Glauben und einem konsequenten Handeln. ... Die Auffassung, die Jakobus von Gott hat, ähnelt der Grund lage des jüdischen Glaubens, welcher auf der Einheit Gottes basiert, er ist der Herr, der die >Weisheit< schenkt (1,5; 3,17). Diese Gabe ist kein Vorwand, um Passivität zu rechtfertigen, sondern ein Imperativ, der zur Vollkommenheit drängt (1,4.22), denn derje nige, der das >Gesetz der Freiheit^ (1,25) schenkt, ist auch der eschatologische Richter (2,22). Dieser Gott ist dennoch nicht ein strenger Richter (vgl. Wall), sondern ein mitfühlender Herr (5,11), der den Armen, die keinen anderen Reichtum als ihn haben, Gnade zukommen läßt (2,5)« (144f.; Schräge, Ethik 267-271 und Popkes 41 f. machen aus der »konsequenten Ethik« eine »konsekutive Ethik«; dies ist eine Verkennung). Nimmt man den Prolog als Ganzes und beachtet seine Gedankenführung, läßt sich formulie ren (was vom Epilog bestätigt wird): »Weil Gott ungespalten ist (haplos), sollte der Glaube nicht gespalten erscheinen (dipsychos)« (Schule 77); nach Jakobus gewinnt dieser Satz aber erst dadurch seine Relevanz, daß dadurch die Ermöglichung für ein bestimmtes ethisches Handeln freigesetzt wird, da das Handeln Zeichen der richtigen Grundorientierung, des ungespaltenen Seins ist. Die kon sequente Ethik des Jakobus gründet im schöpfungstheologischen Handeln Gottes. Mit Recht hat Blondel, auch wenn er statt der Schöpfungstheologie die Eschatologie betont, gezeigt, »daß Jako bus kein einfacher Moralist ist, sondern daß er seine Ethik auf eine präzise Theologie gründet« (150; ein ähnliches Konzept der Begründung der Ethik des Jakobus in der eschatologischen Ver kündigung Jesu vertritt auch Reese 82). Diese Theozentrik ist für Jakobus die Basis, von der er die Weisheit der Christen nicht nur in ihrer Herkunft, sondern auch als praktische Lebensweisheit ver steht. Jakobus ist kein geringerer Theologe als die Verfasser der frühjüdischen Weisheitsliteratur; mit ihrer Theologie ist seine Theologie zu vergleichen. Sein nächster »Verwandter« im Neuen
Testament ist der synoptische Jesus etwa nach der BergpredigtTradition des Matthäus (vgl. Hoppe, Hintergrund 119-148, und Popkes, Adressaten 156-176), während Paulus mit seinem systema tisierenden Ansatz der Reflexion über die soteriologische Bedeu tung des Todes und der Auferweckung Jesu einen anderen Typ theologischen Schreibens vertritt (für Unabhängigkeit von Jakobus und Paulus plädiert auch Kistemaker 59 f.), wenn auch bei ihm noch sehr deutlich die Soteriologie weisheitlich geprägt ist, so etwa in 1 Kor 1-4 und Rom 1,18-3,20 (vgl. Baasland, Weisheitsschrift 128-131; zu Paulus v g l . / . Theis, Paulus als Weisheitslehrer. Der Gekreuzigte und die Weisheit Gottes in 1 Kor 1-4, Regensburg 1991, 283-521). Beide Denkrichtungen haben ihre Existenzberech tigung im Kanon, wie auch die keineswegs spannungslose Rezep tionsgeschichte grundsätzlich belegt.
2.6 Mit welchen Konsequenzen? (Zur Rezeption des Briefes) Literatur: Zur ungenauen Verwendung des in der exegetischen Literatur üblichen Begriffs »Wirkungsgeschichte« vgl. oben 1 und Frankemölle, Evangelium und Wirkungsgeschichte 62-84. — Zur Theorie der Rezeption durch unterschiedliche Leser: Egger, Methodenlehre 38-45. — Grimm, G, Rezeptionsgeschichte. Grundlegung einer Theorie, München 1977. — her, W., Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 1976. — Link, H., Rezeptionsforschung. Eine Einführung in Methoden und Probleme, Stuttgart 1975. - Warning, R. (Hrsg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München 1975. — Weinrieb, H., Literatur für Leser, Stuttgart 1971.
a) Die Rezeption durch die ursprünglichen Adressaten Die Grundthese der Textpragmatik, daß ein Text wie der Jakobus brief bei den Adressaten etwas bewirken wollte, enthält die andere Frage, welche Wirkung denn der Autor mit seinem Text erzielte. O b Jakobus das Selbstverständnis und die Glaubenspraxis der Erstrezipienten gemäß seinem Aktionsziel verändern konnte, wis sen wir nicht. Für das Textmodell, bei dem der Text als Element einer einmaligen Kommunikation zwischen Verfasser und Adressa ten zu werten ist, ist nur der Brief als Reaktion des Verfassers auf die Situation der Adressaten vorhanden, so daß wir gleichsam nur
ein halbiertes Gespräch besitzen. Diese Erkenntnis ist nicht neu; schon die Schrift »Uber den Stil«, die zu Unrecht Demetrios von Phaleron (4. Jh. v. Chr.) zugeschrieben wurde, aber aus hellenisti scher Zeit, wohl aus dem älteren Peripatos stammt, bezeichnete den Brief als »die eine Hälfte des Dialoges« (Peri hermeneias 223; zitiert bei Thraede, Grundzüge 17). Dieses Verständnis von Texten als Elemente des kommunikativen Handelns zwischen Autor und Adressaten setzt nicht in jedem Fall die Vorlage von »Partnerbrie fen« oder die Verarbeitung wörtlich aufgenommener Gegenargu mente der am »Dialog« Beteiligten voraus (gegen Probst 99f.). Weder Demetrios noch andere antike Literatur-Theoretiker gingen von einem solch engen Verständnis aus. Ihnen ging es um die Einsicht, daß die Verfasser von Briefen die konkrete lebensge schichtliche Situation ihrer Adressaten als Maßstab dessen, was und wie sie etwas formulierten, verstanden. So auch Jakobus. O b er das erreicht hat, was er mit seinen Worten erreichen wollte, wissen wir nicht. So sehr Jakobus auf eine bestimmte Situation (s. o. 2.3) einwirken wollte, über Reaktionen der Rezeption fehlen jegliche Quellen — und dies nicht nur im 1. und 2. Jahrhundert.
b) Der Jakobusbrief in der Rezeptionsgeschichte bis Augustinus Literatur: Aland, B., Kurzgefaßte Liste der griechischen Handschriften
des Neuen Testaments I, Berlin 1963. — Dies. — Jucket, A., Das Neue Testament in syrischer Übersetzung. I. Die großen katholischen Briefe, Berlin u. a. 1986. — Aland, K. (Hrsg.), Text und Textwert der griechischen Handschriften des Neuen Testaments. I. Die Katholischen Briefe Bd. 1-3, Berlin—New York 1987. — Bergauer, P., Der Jakobusbrief bei Augustinus und die damit verbundenen Probleme der Rechtfertigungslehre, Wien 1962. — Cramer,]. A., (Ed.), Catenae Graecorum Patrum in Novum Testamentum VIII. Catena in epistolas catholicas accesserunt oecumenii et arethae commentarii in Apocalypsin, Hildesheim 1967 ( = Oxford 1840), 1-40.
— Dibelius, Brief 74-81. - Edwards, R. A., A Theology of Q. Eschatology, Prophecy and Wisdom, Philadelphia 1976 — Friesenhan, H., Zur Geschichte der Überlieferung und Exegese des Textes bei Jak V.14f., in: BZ 24(1938/39) 185-190. - Grunewald, W., Das Neue Testament auf Papyrus. I. Die Katholischen Briefe, Berlin—New York 1986. — Junack, K, Zu den griechischen Lektionaren und ihrer Überlieferung der katholi schen Briefe, in: K. Aland (Hrsg.), Die alten Übersetzungen des Neuen Testaments, die Kirchenväterzitate und Lektionare, Berlin 1972, 498-591. — Kittel, G., Der Jakobusbrief und die Apostolischen Väter, in: Z N W
43(1950/51) 54-112. - Köster, H., Synoptische Überlieferung bei den Apostolischen Vätern, Berlin 1957. - Meinem, M., Der Jakobusbrief in Schrift und Überlieferung, Freiburg 1905, 55-192. - Meyer, Rätsel 8-108. — Mink, G., Die koptischen Versionen des Neuen Testaments, in: Aland, K. (Hrsg.), Übersetzungen 160-299. - Mußner, Jakobusbrief 38-42. — Staub, K., Die griechischen Katenenkommentare zu den katholischen Briefen, in: Bibl 5(1924) 296-353. - Thiele, W., Augustinus zum lateini schen Text des Jakobusbriefes, in: Z N W 46(1955) 255-258. - Ders. (Hrsg.), Epistulae Catholicae (Vetus Latina 26/1), Freiburg 1956-1969, 58-
67.5-66. — Wikenhauser — Schmid, Einleitung 565-571.
Während um die Jahrhundertwende die literarischen Beziehungen des Jakobusbriefes zur sonstigen neutestamentlichen und urchrist lich, nachapostolischen Literatur intensiv behandelt wurden (zu einem Überblick über den damaligen Forschungsstand vgl. etwa Feine 100-139), ebenso auch Fragen der Kanon- und Textge schichte im griechischen sowie syrischen Osten und im lateinischen Westen, ist es um diese Fragen heute still geworden. Bedingt war dies vor allem durch die Thesen von Mayor und Dibelius, wonach der Jakobusbrief im breiten Strom der mündlichen paränetischen Traditionen schwimmt — zusammen mit frühjüdischen, urchristli chen und paganen Schriften. Unter der neuen Perspektive des Fortgangs weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens (zur Literatur vgl. Küchler, der wohl bewußt die Frage nach literarischen Abhängigkeiten nicht stellt, vielmehr de skriptiv intertextuell weisheitliche Texte bis in das frühe Christen tum hinein untersucht) wären die Texte neu zu sichten — unter Einbezug der ethischen Literatur der griechischen und römischen Umwelt. Hierbei wären neutestamentliche Texte (aus der Logienquelle, paulinische Briefe und der Jakobusbrief) auf gemeinsame, unterschiedlich rezipierte weisheitliche Traditionen zu befragen. Dies kann hier nur als Desiderat angemeldet werden. Gerade aufgrund der Internationalität des weisheitlichen und ethischen Denkens stellt sich vehement die Frage nach der Kriteriologie, rezipierte Traditionen wirklich feststellen zu können (zum Pro blem vgl. Frankemölle, Handlungsanweisungen 50 ff. 133 ff. 199 ff.). Hinsichtlich der äußeren Bezeugung des Jakobusbriefes (zu den spärlichen Belegen aus den Katenen-Fragmenten, die zwar jünge ren Datums sind — wohl Ende des 7. Jh. —, aber für die katholi schen Briefe die einzigen Belege in der griechischen Ursprache bieten, vgl. Gramer 1-40; zur Datierung vgl. Staab 345 f.) war man am Beginn des Jahrhunderts sehr optimistisch. Nach Meinem
kann man »trotz der geringen Zahl von christlichen Schriften aus der ältesten Zeit nachweisen, dass der Brief noch im ersten Jahr hundert und um die Wende dieses Jahrhunderts einen bedeutenden Einfluss ausgeübt hat«. Danach findet sich »die erste sichere Ver wertung« in 1 Petr; wie hier so ist auch für 1 Klem und für den Hirten des Hermas »literarische Abhängigkeit anzunehmen« (Jakobusbrief 54f.; ausführlicher ders., Schrift und Uberlieferung, zusammenfassend ebd. 129). Auch Meyer (Rätsel 59-108) setzt für den 1 Petr und den Hirten des Hermas eine umfassende Benutzung voraus, womit aber — falls diese Texte in Rom zu lokalisieren sind - das neue Rätsel entsteht, warum der Jakobusbrief gerade im lateinischen Westen textlich ganz spärlich belegt ist (einen »westli chen« Text gibt es nicht) und erst allmählich unter östlichem Einfluß benutzt und kanonische Geltung erlangte (s. u.). Als Lösung für dieses textliche und historische Dilemma bot Meinertz an: »Nun ist freilich zuzugeben, dass im Laufe der Zeit der Jak in manchen Gegenden seine kanonische Geltung eingebüsst hat« (ebd. 55). Für dieses postulierte frühe kanonische Ansehen im 1. und 2. J h . gibt es nach heutiger Erkenntnis keine Belege, nicht einmal für eine Benutzung, die keineswegs mit Kanonisierung identisch ist (s. im folgenden). Selbstverständlich hat Jakobus als Bibel die Septuaginta benutzt, schwerpunktmäßig Weisheitsliteratur (vgl. die Zitate in 2,23; 4,6; 5,20) und in besonderer Weise das Buch Jesus Sirach (s. o. 2.4e), ebenso zweifellos dürfte aber die Frage nach literari schen Beziehungen zu anderen christlichen Texten wie zur Logienquelle, zu den vier Evangelien, zu den Paulusbriefen, zum 1 Petr und zum Hirten des Hermas trotz vereinzelt positiver Meinungen dazu negativ zu beantworten sein (vgl. die Überblicke von Dibelius 43-53 sowie Mußner 33-38.47-52, der noch an der Abhängigkeit des 1 Klem vom Jak festhält; ebd. 35-36.38). Alle behaupteten Parallelen gehen über motivgeschichtliche Anklänge nicht hinaus, die sich wiederum — bei aller Ähnlichkeit auch in der Wortfolge — zudem auf gemeinsame weisheitliche bzw. ethische Traditionen des Frühjudentums und der Umweltethik zurückführen lassen. Wer mit entsprechender methodischer »Skepsis, die auf diesem Gebiet besonders notwendig ist, an die Prüfung der literarischen Bezie hungen des Jak herantritt, dem erweisen sich die angeblichen Zeugnisse des 1. und 2. Jahrhunderts als trügerisch« (Dibelius 74; vgl. jetzt auch Thiele, Epistulae 58*). Die Text- und Kanongeschichte des Jakobusbriefes ist ein Spiegel bild dieser nicht vorhandenen Rezeption in der Frühzeit. Vor
Origenes (185-253/254) wurde der Jakobusbrief — soweit Quellen vorhanden sind — nicht zitiert (vgl. Staab 307-312) und auch diese Rezeption ist »für das 3. Jh. singulär« (Pauken 493), zumal nur Jak 1,3 und 4,4 kurz und fragmentarisch rezipiert werden (Staab 312 f.). Zudem zählt Origenes den Jakobusbrief bei seiner Eintei lung der neutestamentlichen Schriften (aufgrund ihrer Rezeption in den verschiedenen Gemeinden) in »unwidersprochene, angezwei felte, falsche« (vgl. Eus., K G VI,25,3ff.) zur mittleren Gruppe, auch wenn er ihn selbst als kanonisch betrachtet (zu den Stellen vgl. Meinem, Schrift 109). Dies ist aber auch nur eine Auskunft über die Situation in Ägypten; bestätigt wird diese Rezeption durch das älteste Papyrus-Fragment mit Jak 2,19-3,2 aus dem 3. Jh., das ebenfalls aus Ägypten stammt (zu P vgl. Grunewald 10-12). Die Einteilung des Origenes übernimmt noch Eusebius von Caesarea in seiner Kirchengeschichte (um 303; an Stellen vgl. K G II 23,25; II 25,3), auch wenn er die mittlere Gruppe als Antilegomena benennt, wobei er hier noch einmal abstuft und den Jakobus zu jenen Gruppen zählt, »die nun aber doch von der Mehrzahl anerkannt sind« ( K G III 25). Nach ihm ist der Herrenbruder Jakobus der als von vielen anerkannte Verfasser. Hinsichtlich der Frage nach einer frühen Rezeption des Jakobusbriefes ist auffällig, daß Eusebius die um 180 geschriebenen Hypomnemata des antihä retischen Kirchenschriftstellers Hegesipp lOmal zitiert, wobei an 2 Stellen (II 23,4ff.; IV 22,4) auch ausführlich vom Herrenbruder Jakobus erzählt wird (vgl. Pratscher 103-121). Da Hegesipp ver mutlich auf eine griechische judenchristliche Quelle zurückgeht, die zwischen 80 und 140 n. Chr. zu datieren ist (vgl. ebd. 120 f.), ist um so auffälliger, daß bei den vielfältigen Nachrichten über den Herrenbruder Jakobus der Hinweis auf ihn als Verfasser einer Schrift fehlt. Auch im Hinblick auf den Jakobusbrief als pseudepigraphisches Schreiben ist dieses kanongeschichtliche Argument zu beachten. 20
Vom 1. bis zum Beginn des 3. Jh. — dies ist das nüchterne Faktum — findet sich im Osten keine deutliche Rezeption des Jakobusbrie fes (zur über 100 Jahre späteren Rezeption im Westen s. u.). Neben der textgeschichtlichen Bezeugung im Papyrus P aus Ägypten läge die früheste einwandfreie Zitierung von Jak 3,1 f. im 3. Jh. in den pseudoklementinischen Briefen »Ad virgines« aus Syrien oder Palästina vor (so Dibelius 75; Kümmel, Einleitung 357), falls diese beiden Briefe gegen das außereheliche Zusammen wohnen geistlicher Frauen und Männer nicht jüngeren Datums sind, zumal eine koptische Übersetzung Athanasius (295-373) als 20
Verfasser nennt, damit also wiederum die ägyptische Tradition — und zwar nach Origenes — belegt ist. Erst durch den 39. Osterfestbrief des Athanasius im Jahre 367 gehört der Jakobusbrief für Ägypten eindeutig zum Kanon. Durch den Einfluß des Athana sius und seit der Synode von Laodicea von 360 wird er auch in der griechischen Kirche allgemein anerkannt. In der syrischen Kirche hingegen wird der Jakobusbrief mit den anderen Katholischen Briefen noch um 400 nicht ins Kanonverzeichnis aufgenommen, ebenso lehnt ihn Theodor von Mopsuestia (gest. 428) ab. Erst in der Peschitta aus dem Anfang des 5. Jh., der am meisten verbreite ten syrischen Ubersetzung, ist der Jakobusbrief neben 1 Petr und 1 Joh belegt (vgl. Aland — Jucke127'-32). Bei den alten Übersetzun gen handelt es sich hinsichtlich der Rezeption demnach weniger um ein spezifisches Problem des Jakobusbriefes als um ein Problem der Katholischen Briefe insgesamt. Dies belegen auch deren Überset zung ins Sahidische erst im 4. Jh. (Mink 181-187) und deren Zitierung in griechisch-koptischen Lektionaren im 4. Jh. (Junack 506.513), wobei hier wie dort wiederum Ägypten Ursprungsland ist. Zur Begründung für die fehlende Rezeption der katholischen Briefe, mithin auch des Jakobusbriefes in der östlichen und westli chen Literatur schreibt Staab in bildkräftiger Metaphorik: »Der Grund war ... nicht etwa ein Zweifel an der Kanonizität der Briefe, sondern die Tatsache, dass sie eben an Bedeutung hinter vielen anderen biblischen Büchern ... zurückstehen. Es hatten die kath. Briefe in der alten Exegese das gleiche Schicksal wie so manches stille Blümlein, das verborgen im Grase blüht, während Rose und Lilie von allen bewundert werden« (353). Wie schwer sich der Jakobusbrief in der gesamten Kirche durchge setzt hat - bei aller unterschiedlichen Rezeption auf örtlicher Ebene —, belegt auch sein Schicksal in der lateinischen Kirche, wo die Rezeption des Jakobusbriefes erst ca. 150 Jahre später als im Osten beginnt. Weder Tertullian (gest. nach 220) noch Cyprian (gest. 258) noch die Donatisten rezipieren Jakobus. Einige Anklänge (vgl. Thiele 58*) könnten sich bei Lactantius (um 317) finden. Im übrigen jedoch ist der Jakobusbrief weder in der Kirche von Rom noch von Afrika belegt, fehlt demnach im wichtigen Kanon Muratori aus dem Ende des 2. Jh., der von den »Katholi schen« Briefen nur den Jud und 1 und 2 Joh nennt, ebenso fehlt Jak auch in dem um 359 in Afrika entstandenen Mommsenschen Kanon. Bis zu Hilarius von Poitiers (gest. 367), Hieronymus (347- 419) und Augustinus (354-430) herrscht demnach fast völliges Schwei-
gen; wo sich Anklänge finden, wie bei den Apostolischen Vätern (vgl. Köster 68f. 134.173.235.247.254), liegen gemeinsame Tradi tionen vor, was um so naheliegender ist, da es um weitverbreitete weisheitliche und ethische Vorstellungen geht. Kanonische Akzep tanz gewann der Jakobusbrief nicht aus eigenen lateinischen Quel len. »Erst unter dem Einfluß des selbst unter östlichem Einfluß stehenden Hilarius sowie des Hieronymus und Augustinus, welch letzterer selbst wieder unter dem Einfluß des Hieronymus stand, hat sich der Brief sowohl in der gallischen wie in der italischen und afrikanischen Kirche als kanonische Schrift durchgesetzt« (Wikenhauser — Schmid 567). Durch die römische Synode von 382 (Kanon des Papstes Damasus) sowie durch die afrikanischen Syn oden von Hippo Regius (393) und Karthago (397) gelangte der Brief zu kanonischem Ansehen. Dabei dürfte Hieronymus (347419/20) — nach Studien im Osten vom Papst mit der Revision lateinischer Bibeltexte beauftragt — bei der Erarbeitung der Vulgata die altlateinische Ubersetzung des gesamten Jakobusbriefes benutzt haben; diese war im Codex 66, der um 830 in Corbie geschrieben wurde (vgl. Fischer, Bibeltext 188 und Thiele 16*), enthalten. Hieronymus waren die jahrhundertelangen Zweifel an der Kanonizität des Jakobusbriefes bekannt (vgl. De vir. inl. 2), an ihn knüpfen im 7. J h . Isidor von Sevilla und im 16. Jh. in zurückhal tender Weise Erasmus, in scharfer Weise Luther an. Auch für Augustinus (354-430) steht die Verfasserschaft des Brie fes durch den Apostel und Herrenbruder Jakobus, der Bischof von Jerusalem war, und schon deswegen die Kanonizität des Briefes außer Zweifel (vgl. Bergauer 25-30). Eine Expositio epistulae Iacobi, sie enthält aber wohl mehr Bemerkungen zu einzelnen Stellen als eine Auslegung der ganzen Schrift (vgl. Bergauer 16 f.), ging verloren, wird aber von Augustinus selbst bestätigt (Retr II, 58), aber auch von Possidius und Cassiodor (vgl. Thiele 51*). Im übrigen kommt aber Augustinus in verschiedenen Schriften (Ep 167; Enarratio in Ps X X X I ; De fide et operibus u. a.; vgl. Bergauer 15-21) auf Fragen des Jakobusbriefes zu sprechen, primär auf das Verhältnis von Glaube und Werke, in deren Beziehung er keine Differenz zwischen Paulus und Jakobus sieht (s. u. und Bergauer 45-85). Die Antwort auf die Frage, warum der Jakobusbrief erst im Verlauf des 3. J h . kanonisches Ansehen gewinnt, wird unterschiedlich beantwortet. Dibelius sieht »des Rätsels Lösung« darin, daß der Jak »ein rein paränetischer Text« sei (77). Mußner sieht den Grund in der »>Beschlagnahme< des Jak durch das häretische Judenchri-
stentum« (42). Letzteres dürfte kaum zutreffen, da die Rezeption der Gestalt des Herrenbruders Jakobus (den Mußner als Verfasser annimmt; s. o. 2.1) in der Großkirche durchaus intensiv und die Haltung ihm gegenüber durchaus positiv war (vgl. dazu Pratscher, Herrenbruder 178-208). Unter der Voraussetzung, daß »das häreti sche Judenchristentum den Herrenbruder Jakobus zu seinem Papst erhob« (Mußner 20 Anm. 4), »wäre der Brief wohl überhaupt nicht in den Kanon gekommen« (Pratscher 212). Mithin ist auch die kanongeschichtliche Entwicklung ein gewichtiges Argument für die These, daß der Jakobusbrief ein pseudepigraphisches Schreiben ist. Zusammenfassend läßt sich zur Rezeptionsgeschichte des Jakobus briefes sagen: Die Textüberlieferung des Jakobusbriefes in den großen griechischen Handschriften entspricht dem der anderen neutestamentlichen Schriften; die Handschriften stammen aus dem 4. (Vaticanus und Sinaiticus) oder 5. Jh. (Alexandrinus). In den Papyri ist der Brief in P , P , P und P bezeugt, wovon P und P ins 3. Jh. zu datieren sind (vgl. Grunewald 10-14). Daß die ersten drei aus der mittelägyptischen Stadt Oxyrhynchos stammen, während der Fundort von P , der fast den ganzen Jakobusbrief enthält, unbekannt ist, die Schrift jedoch den koptischen Buchsta bentyp belegt, zwar aus dem 6. oder 7. Jh. stammt, jedoch die ägyptische Tradition bezeugt (vgl. Thiele 25-28), überrascht ange sichts der Bedeutung des Origenes für die Textgeschichte nicht. Hinsichtlich der altlateinischen Übersetzungen stellt Thiele in aller Nüchternheit fest: »Frühe lateinische Zeugen zu Jac fehlen voll ständig« (58*). Aufgrund von Zitationen erarbeitet Thiele in der Ausgabe der Beuroner Vetus Latina verschiedene Texttypen, wobei er für die Katholischen Briefe als ältesten Text einen Typ annimmt, der von Cyprian von Karthago um die Mitte des 3. J h . vertreten wurde; der Jakobusbrief findet sich hier jedoch nicht (vgl. Thiele 58*-67 "). Die Handschrift 66, die um 830 in Corbie geschrieben wurde, enthält den vollständigen Text in enger Anleh nung an die griechischen Handschriften; sie wurde zwar schon im ersten Jahrzehnt des 5. Jh. zitiert, bleibt aber ansonsten außerhalb der Textgeschichte, geschaffen wurde sie wohl gegen Ende des 4. Jh. in Italien (vgl. Thiele 61f.*.67*). Der Vulgatatext ist nach Thiele entgegen früheren Annahmen eine Revision einer einzigen altlateinischen Übersetzung — in Anlehnung an den Text des Alexandrinus (66f.*). 20
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Überblickt man die ganze textgeschichtliche Bezeugung des Jako busbriefes, so gilt auch heute noch: »Die Textgeschichte des Briefes
ist kaum mehr völlig aufzuhellen« (Mußner 55). Die ungesicherte kanonische Geltung und die im Vergleich zu den Evangelien und Paulusbriefen wenigen handschriftlichen Überlieferungen und Zitationen sind für die Auslegung aber nicht nur negativ zu werten, da sich aufgrund der fehlenden kirchlichen Rezeption prozentual gesehen wenige wichtige Textvarianten finden. Die in der Literatur diskutierten Stellen 1,17; 2,1.18; 3,6.12; 4,2b.e.5; 5,11 (vgl. Dibe lius 90 f.) lassen sich im Sinne der Regel von der schwierigeren Lesart kontextuell oder auch traditionsgeschichtlich beantworten, so daß sich Konjekturen hinsichtlich der 26. Auflage von NestleAland erübrigen (s. u. etwa zu 1,17); auch die im Entstehen begriffene Editio critica maior zum Jakobusbrief dürfte nach Aus kunft von Barbara Aland den Text wohl unverändert bieten (vgl. auch den Bericht der Hermann Kunst-Stiftung zur Förderung der Neutestamentlichen Textforschung für die Jahre 1988 bis 1991, Münster 1992, 30-47 und 88-93 mit einem Verzeichnis der Text stellen-Lesarten zum Jakobusbrief).
c) Zur Rezeptions- und Auslegungsgeschichte bis Beda Literatur: Die Hinweise auf die Literatur zu Beda, auf seine Bedeutung für die Auslegungsgeschichte des Jakobusbriefes und wichtige Erkenntnisse bei der Auslegung verdanke ich meinem jetzigen Assistenten Matthias Karsten; im Kontext einer Dissertation erstellte er auch erstmals eine textkritische, deutsche Übersetzung zu Bedas Kommentar zum Jakobusbrief. Literatur zu Beda Venerabiiis: Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländi sche Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart u. a. 1990. - Brunhölzl, F., Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters. Erster Band. Von Cassiodor bis zum Ausklang der karolingischen Erneuerung, München 1975, 207-228. - Fischer, B., Bibeltext und Bibelreform unter Karl dem Großen, in: B. Bischoff (Hrsg.), Karl der Große. Lebenswerk und Nachle ben II, Düsseldorf 1965, 156-216. — Hurst, D. (Ed.), Bedae in Epistolas Septem Catholicas (Corpus Christianorum, Series Latina 121) Turnhout 1983. - Ders., (Transl.), Bede the Venerable, Kalamazoo 1985. - Fischer, B., Das Neue Testament in lateinischer Sprache. Der gegenwärtige Stand seiner Erforschung und seine Bedeutung für die griechische Textgeschichte, in: ders., Beiträge zur Geschichte der lateinischen Bibeltexte, Freiburg 1986, 156-274. - Kottje, R., Beda Venerabiiis, in: M. Greschat (Hrsg.), Mittelalter I (Gestalten der Kirchengeschichte Bd. 3), Stuttgart u. a. 1983, 58- 68. — Riedlinger, H., Bibel, B. Bibel in der christlichen Theologie, I. Lateinischer Westen (2) Geschichte der Auslegung, a)-e), in: Lexikon des Mittelalters 2(1983). - Willmes, A., Bedas Bibelauslegung, in: Archiv für Kulturgeschichte 44(1962) 281-314.
Wie schwer sich auch der Jakobusbrief in der Kanongeschichte der ersten Jahrhunderte durchgesetzt hat, mit der Autorität von Hila rius, Hieronymus und vor allem von Augustinus sowie der Syn oden von Rom und Karthago ist die spätantike und frühmittelalter liche Rezeptionsgeschichte (zu Zitaten vgl. Thiele 50*-57*) bestimmt. Durchlaufende Auslegungen finden sich nicht, inhaltli che Aspekte bestimmen die Auswahl. J e jünger die Auslegungen sind, um so mehr liest man Jakobus mittels Zitaten u. a. von Hieronymus, Augustinus, Eucherius, Gregor dem Großen. Erst Beda Venerabiiis (672/3-735) macht in seinem Kommentar zu den katholischen Briefen etwa von 710 eine Ausnahme, da er bis auf wenige Verse eigenständig den ganzen Jakobusbrief streng philolo gisch auslegt und nur an 7 Stellen die Ep 167 des Augustinus zitiert (zu einer kritischen Ausgabe vgl. Hurst). Im übrigen ist Beda ein Vertreter der neuerdings vieldiskutierten »kanonischen« Ausle gung (s. o. 1), indem er unter thematischen Aspekten Jakobus von anderen Bibelstellen des A T und N T her auslegt — gemäß dem Prinzip etwa des Origenes, wonach die ganze Schrift ein einziges Buch sei (In loh 5). Auch Beda setzt (dies ist im Hinblick auf die atomistische Einzelversauslegung in diesem Jahrhundert zu beto nen) die Einheit des Jak voraus und interpretiert Einzelverse von anderen Versen des Jak (vgl. etwa zu 1,9.12.19.21; 2,14; 3,3.5.17; 4,1.4.11; 5,5f. [3mal]; 5,19f.). Damit stimmt überein, daß es nach Beda im ganzen Jakobusbrief um ein einziges Thema geht: die Lehrer (dies wird die Grundthese der Dissertation meines Assisten ten, M. Karsten, sein). Während sie im Jak nur in 3,1 erwähnt werden, rekapituliert sie Beda in 3,13; 4,17 und 5,20 (vgl. auch die Variation in 3,17 durch »Prediger«). Im Kommentar zu 4,17 lautet nach Beda die Intention des gesamten Briefes so: »Durch den ganzen Text des Briefes hat der selige Jakobus gezeigt, daß die, denen er geschrieben hat, das Wissen, Gutes zu tun, hatten und zugleich den rechten Glauben gelernt hatten, so daß sie wagten/ sich herausnahmen, auch für andere Lehrer zu werden, (daß) sie aber dennoch bisher nicht die Vollendung der Werke noch die Demut des Charakters noch die Zügelung (ihrer) Rede erreicht hatten. Von daher erschreckt er jene eben unter anderen Worten der Warnung und Mahnung nicht gerade wenig damit, daß der, der Gutes zu tun weiß und nicht tut, was er kennt, größere Schuld habe, als jener, der es unwissend außer acht gelassen hat, wenn auch jener, der unwissend geirrt hat, durchaus nicht von Schuld frei sein kann, da ja schon die Unkenntnis des Guten kein geringes Übel ist.« Auch wenn diese Adressatenangabe für den Jakobusbrief
nicht zutrifft, so zeigt diese zeit- und adressatenorientierte Formu lierung, wie stark Beda Jakobus auch als Lehrer und Ermahner für seine Mönche und Lehrer des Klosters von Wearmouth versteht (vgl. auch den bei der Auslegung eines historischen Textes unge wöhnlichen Konjunktiv Präsens in 4,14: Illud autem beatus Iacobus intulit ut doceat ...). Aufgrund dieser thematischen Geschlos senheit, aufgrund dieser Eigenzitate und aufgrund der (fast) voll ständigen Auslegung aller Verse des Briefes (einsichtige Gründe für die Auslassung einiger Verse lassen sich noch nicht angeben) kann man Beda einen Vertreter der kompositionellen Auslegung des Textes als literarische und thematische Einheit nennen. Daß Beda selbst bei seinem Verständnis der ganzen Schrift als Einheit durch aus Spannungen sieht, bleibt festzuhalten; im Hinblick auf das Verhältnis von Jakobus und Paulus und die hier und dort unter schiedlich akzentuierte These von der Rechtfertigung durch Glau ben bzw. durch Werke ist schon hier (ausführlicher s. u. e) auf seine adressatenorientierte Lösung hinzuweisen, die vor ihm noch nie jemand so vertreten hatte. Für die Rezeptionsgeschichte des Jakobusbriefes von Augustinus zu Beda Venerabiiis stellt Staab mit Recht lakonisch fest: »Von Augustinus ist kein Name mehr zu nennen bis Beda« (Katenenkommentare 353). Wie Chrysostomus im Osten, so war im Westen Augustinus der von allen anerkannte maßgebliche Interpret. Als Autorität erkennt ihn auch Beda noch an, wie die genannten Zitate zeigen; doch während in den übrigen Kommentaren Augustinus nicht anders wie Hieronymus oder Gregor der Große zitiert wird, also eine Autorität unter anderen ist, zitiert Beda im Kommentar zum Jakobusbrief nur Augustinus. Auch in der Methodik geht Beda eigene Wege, da er bei der Auslegung des Jakobusbriefes nicht die alexandrinisch-allegorische, sondern die antiochenischphilologische Auslegung betreibt (zu diesem Ansatz bei Beda vgl. Willmes 290-305). Zwar ist Beda »wohlorientiert in den Werken der Kirchenväter«, aber dennoch in Methodik und Textverständnis bei der Auslegung des Jakobusbriefes sehr selbständig, die keines wegs von »vielen allegorischen und moralischen Deutungen« (so Beiser 27; ähnlich global noch Brunhölzl 222) geprägt ist; letzteres trifft wohl für die Auslegung der alttestamentlichen Texte und der Evangelien zu, für seine gesamte Bibelerklärung aber gilt: »Sie unterscheidet sich von den meisten Werken der lateinischen Kir chenväter, die ihm als Quellen dienen konnten, durch eine über wiegend nüchterne, klare Sprache und durch sein Bemühen, den Text vor allem sachlich zu erklären (ad litteras), nicht nur geistlich
zu deuten« (Kottje 64). Allegorische Deutungen finden sich in der Auslegung des Jakobusbriefes nur zu 3,12; 4,4 und 5,7, wo sich zudem ein metaphorisches Verständnis nahelegt, wobei jedoch auffällt, daß Beda fast widerwillig dieser Spur folgt (vgl. etwa zu 3,12: »Aber wenn einer will, daß dies tiefergehend erörtert wird, kann in dem Feigenbaum ...«). Hier und da führt Beda einen Vergleich verschiedener handschriftlichen Überlieferungen durch und erwähnt als Gegenmeinung »gewisse Codices« (vgl. etwa zu 3,3.5 [2mal]; 4,5; 5,19f.; zum Gesamtbefund vgl. Thiele 56*), vergleicht aber auch den lateinischen Text mit dem der griechischen (so in 5,20) oder sogar mit der hebräischen Überlieferung (so in 4,6 und spricht in 3,15 von der Graeca auctoritas). Da Beda Altes und Neues Testament als kanonische Einheit ver steht, wechseln aufgrund semantischer Assoziationen Zitate aus dem A T und N T mit fast gleich großem Anteil ab; ca. 33 Zitate (gemäß den Anmerkungen bei Hurst, bei dem die Zahl schwankt, je nachdem, ob ein wörtliches Zitat oder nur eine Anspielung vorliegt) stammen aus der Weisheitsliteratur (Spr, Ijob, Ekkl, Weish und Sir). Dennoch interpretiert Beda den Jakobusbrief nicht weisheitstheologisch, auch wenn er bereits zu 1,5 Sir 1,1 (»Alle Weisheit ist von Gott dem Herrn und bei ihm ist sie immer gewesen«) anführt und dabei Sirach wie Jakobus als theologische Autoritäten gegen die zu seiner Zeit vielleicht besonders lebendigen Vorstellungen von der mönchischen Vollkommenheit anführt (»Niemand vermag durch freien Willen ohne die Hilfe der göttli chen Gnade, mögen auch die Pelagianer viel darüber streiten, Einsicht gewinnen und weise sein«). Dieser Hieb gegen die Pelagia ner mag damit zusammenhängen, daß nach den Experten für die altlateinischen Übersetzungen für die katholischen Briefe »eine einzige UrÜbersetzung anzunehmen« ist und daß es »beachtliche Argumente dafür« gibt, den »Autor mit Rufinus dem Syrer zu identifizieren« (Fischer, Der gegenwärtige Stand 191 f.), da Hiero nymus nur die Evangelien übersetzte (ebd. 220.260). Rufin der Syrer, »Schüler des Hieronymus und >Vater des Pelagianismus<« (ebd. 252) habe nach seiner Ankunft in Rom 399/400 einen lateini schen Text der katholischen Briefe, den er von Betlehem mitge bracht habe, in Anlehnung an den griechischen Text des Alexandri nus herausgegeben (zur Literatur vgl. Fischer 261 mit Anm. 254). Papst Innocentius I. und Chromatius von Aquileja hätten diesen Text schon benutzt (ebd. 192). Was die theologiegeschichtliche Bedeutung von Bedas Werk betrifft, vermutet Kottje wohl mit Recht, daß die »sprachlich klare
und sachlich informierende Art« von Bedas Bibelkommentierung dazu beigetragen hat, »daß die meisten Bibelkommentare Bedas aus der Zeit bis zum Aufkommen des Buchdrucks in zahlreichen Abschriften von vielen Stätten West-, Mittel- und Südeuropas überliefert sind, am häufigsten seine Erklärungen der Proverbia, des Markus- und des Lukasevangeliums sowie der katholischen Briefe. Obendrein begegnen Abschnitte und Zitate aus diesen Werken in vielen Bibelerklärungen, theologischen Darlegungen und Predigtsammlungen seit karolingischer Zeit. Diese Zeugnisse der Rezeption Bedas belegen zusammen mit der großen Zahl erhaltener Abschriften seiner exegetischen Opera, daß er jedenfalls über lange Zeiten und weite Räume hin einer der angesehendsten Interpreten der Hl. Schrift in der lateinischen Kirche gewesen ist« (Kottje 64). »Sicherlich wollten Alkuin und die übrigen Kompilato ren patristischer Texte sich nach Beda ausrichten; doch blieben sie um ein beträchtliches hinter ihm zurück. Von den bedeutenderen Gestalten der karolingischen Zeit stehen Rhabanus Maurus, Paschasius Radbertus, Hinkmar von Reims und Notker der Dich ter deutlich unter seinem Einfluß. In den Klöstern des Reiches genoß er allgemein hohes Ansehen: seine Werke gehörten wenig stens im frühen 9. Jahrhundert zu den wesentlichen Bestandteilen jeder bedeutenderen ihrer Bibliotheken« (Willmes 308 f.). Nach Riedlinger war Beda im Frühmittelalter sogar »der im ganzen bedeutendste Bibelausleger« (49), nach Angenendt »einer der meistgelesenen Autoren des Mittelalters« (228) und nach Brunbölzl »einer der größten Gelehrten des Mittelalters« (207), den man — da er »der größte Schriftausleger der abendländischen Kirche seit der Väterzeit« war — »als Autorität wie einen der Kirchenväter ... zitierte« (220). Für den Jakobusbrief ist die Bedeutung Bedas um so größer, da nur er im gesamten Mittelalter einen lateinischen Kom mentar zum Jakobusbrief und zu den katholischen Briefen geschrieben hat (vgl. Brunbölzl 221). Bei all diesen Hinweisen auf die lateinische Textgeschichte (auch des Jakobusbriefes) ist zu bedenken, daß sie die gesamte Theologie und das Geistesleben des Abendlandes prägte, von den lateinischen Kirchenvätern bis zu den Reformatoren (vgl. Fischer, aaO. 159). Die Auslegung des Jakobusbriefes war dabei — wenn nicht alles täuscht — für Beda methodisch und hermeneutisch eine Wende. Daher verdiente Beda eine Rehabilitierung bezüglich seiner Bedeu tung für die Auslegungsgeschichte — nicht nur des Jakobusbrie fes —, da er die bisherige Lücke zwischen Augustinus und den Reformatoren zu schließen vermag.
d) Zur reformatorischen Rezeptions- und Auslegungs geschichte Literatur: Eichholz, G., Jakobus und Paulus. Ein Beitrag zum Problem des Kanons, München 1953. - Frankemölle, Gesetz 177-180.189-198. — Heinz, H., Jakobus 2,14-26 in der Sicht Martin Luthers, in: Andrews University Seminary Studies 19(1981) 141-146. - Iserloh, E., Luther und die Reformation. Beiträge zu einem ökumenischen Lutherverständnis, Aschaffenburg 1974. - Kawerau, G., Die Schicksale des Jakobusbriefes im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft und kirchliches Leben 10(1889) 359-370. — Lackmann, M., Sola fide. Eine exegetische Studie über Jakobus 2 zur reformatorischen Rechtfertigungslehre, Güters loh 1949. - Lüdemann, G., Paulus der Heidenapostel. II Antipaulinismus im frühen Christentum, Göttingen 1983. Luther, M., Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516. Lateinisch-deutsche Ausgabe I, Darmstadt 1960. — Meinem, M., Der Jakobusbrief und sein Verfasser in Schrift und Überlieferung, Freiburg 1905, 216-289. - Ders., Luthers Kritik am Jakobusbriefe nach dem Urteile seiner Anhänger, in: BZ 3(1905) 273-286. — Schmidt-Clausing, F., Die unterschiedliche Stellung Luthers und Zwinglis zum Jakobusbrief, in: Reformatio 18(1969) 568-585. - Schräge, W., Zur Frage nach der Einheit und Mitte neutestamentlicher Ethik, in: Die Mitte des Neuen Testaments. FS E . Schweizer, Göttingen 1983, 238-253. — Wal ker, R., Allein aus Werken. Zur Auslegung von Jakobus 2,14-26, in: ZThK 61(1964) 155-192.
Bei den Reformatoren ist hinsichtlich der Rezeption des Jakobus briefes nicht nur zwischen Luther und den übrigen Reformatoren (Karlstadt, Zwingli, Calvin, Bullinger, Illyricus und Ambrosius Reuden) zu unterscheiden (vgl. Kawerau, Meinem, Luthers Kri tik, sowie Schmidt-Clausing), vielmehr auch noch einmal zwischen der Auslegung und dem Verständnis des Jakobusbriefes durch Luther vor 1519 und nach seiner reformatorischen Wende. Dies zeigt - gerade bei einer handlungsorientierten Auslegung bibli scher Texte —, daß Rezeption nicht nur von sprachlichen, kulturel len und kirchenpolitischen Voraussetzungen abhängig ist, sondern auch von Grundentscheidungen des Glaubens, die selbstverständ lich lebensgeschichtlich strukturiert sind. Bei Luther ist neben seiner Persönlichkeitsstruktur vor allem hinzuweisen auf die theo logische Bildung durch den Ockhamismus und auf den dort vertre tenen strengen und gerechten Gott auf der einen und den sündigen und verdorbenen Menschen, dessen Sünde in der Rechtfertigung nur zugedeckt wird, auf der anderen Seite. Nach der reformatori schen Wende mit der Erkenntnis Luthers, daß gemäß Rom 1,17 »im Evangelium die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart wird aus
Glauben zum Glauben, wie es in der Schrift heißt: Der aus Glauben Gerechte wird leben«, war es historisch vor allem die gegnerische Polemik von Eck und Cochläus (diese Sprechsituation betont zu Recht Heinz 142), die — von der Ganzheit der Schrift ausgehend — mit Jak 2,14-26 Luthers Rechtfertigungslehre ad absurdum führen wollten. Diese Polemik, mag sie auch übertrie ben gewesen sein, reagierte auf Luthers reformatorische Grundent scheidung, das paulinische, christologisch gefüllte Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen und Sünders allein aufgrund der Gnade und des Glaubens (vgl. Rom 1,17; 3,28) zum kritischen Maßstab für die Akzeptanz biblischer Schriften zu nehmen. Dies ist eine existentielle Glaubensentscheidung, über die nicht zu dis kutieren ist, zumal nicht vor dem desolaten Hintergrund der ausgebliebenen Erneuerungen der katholischen Kirche an Haupt und Gliedern im 16. Jh., deren Grenzen aber — auch im Hinblick auf Paulus — anzugeben sind. Aus allem ergibt sich, daß Luther den Jakobusbrief nicht aus grundsätzlichen, inhaltlichen Bedenken gegen den Brief selbst ablehnt, »sondern aus rein dogmatischen« (Bergauer 47; fast wörtlich ders. 88; vgl. auch Meinertz, Jakobus brief 219f.). Dabei ist allerdings »dogmatisch« im Sinne von »paulinisch- christologisch« in Verbindung mit einer verkürzten Gna dentheologie zu verstehen; diese christologisch begründete Recht fertigungslehre kann nicht anders denn aus der lebensgeschichtli chen Situation Luthers verstanden werden. Worum es Luther ging, umschreibt er in der Wartburgpostille von 1521/22 so: »Gute Werke nennen sie, die Gott nicht geboten hat, als da sind: Wallfahrt, Fasten den Heiligen zu Ehren, Kirchen bauen und schmücken, Messvigilien stiften, Rosenkränze beten, viel plappern und plärren in den Kirchen, Mönch, Nonne, Pfaffen werden, sonderlich Speis, Kleider und Statt brauchen, und wer mag sie alle herzählen, die greulichen Greuel und Verführung, das ist des Papstes Regiment und Heiligkeit... Sie unterstehen sich, das zu tun aus sich selbst, das allein Christus getan hat und tun könnt, von welchem sie es auch gewarten sollten, durch den Glauben« (WA 10 I, 2,38 f.43). Im Kontext einer solchermaßen falschverstan denen Frömmigkeitshaltung, des Mißbrauchs der Sakramente ein schließlich der sogenannten letzten Ölung (s. u. zu 5,14) und der Überbetonung der Werke zur Heilsermöglichung war es vor allem die Art und Weise, wie Luthers Gegner den Jakobusbrief interpre tierten; so Johannes Eck als Vertreter des Papstes im Sommer 1519 in der Leipziger Disputation (vgl. Kawerau 361 f.) und Luthers Doktorvater Karlstadt (vgl. Schmidt-Clausing 572, der in Karl-
Stacks Umgang mit dem Jakobusbrief »die prima causa für Luthers Abwertung des Jak.« sieht). Nicht zu vergessen sind Luthers strenge Erziehung im Elternhaus und Kloster, seine theologische Ausbildung, die stark vom unsakramentalen Ockhamismus geprägt war, sowie seine unsystematische, primär bekenntnishafte Form des Redens und Schreibens (vgl. Iserloh, Luther 26-61). Kurzum: Luthers Theologie ist eine durch und durch situative Theologie, die aus ihrer biographisch geprägten Sprechsituation handlungsorientiert auszulegen wäre. Beachtet man dies, nimmt es nicht wunder, daß sich auch nach 1519 Stellen finden, in denen Luther sich positiv zum Jakobusbrief äußert (zu Stellen vgl. Heinz). So ist Jak 2,17, wonach der Glaube ohne Werke tot ist, nach Luthers Meinung in einer Tischrede von 1533 durchaus richtig, wenn man ihn vom »äusserlichen Wandel... nach den zehen Geboten« versteht (TR 3, 37, 10-38). Auch nach Luther müssen dem Glauben »äußerliche Werke« folgen (WA 30 II, 664, 24-28). Das Verhältnis von Werke zum Glauben ver steht er in konsekutivem Sinn als »preysung, bewerung, zaychen, sigel, volgen, frucht und beweysung« (WA 10 III, 225, 18-226,8). Auch in zwei Predigten aus dem Jahre 1522 »deutet Luther Jak. 2 ganz im Sinne der Sukzession von heilswirkendem Glauben und heilsbezeugendem Werk. Diese Heilsbezeugung kommt im Zei chen- und Frucht-Prinzip zum Ausdruck: Das meynet S. Jacobus yn seyner Epistel, da er spricht: >Der glawb on werck ist todt.< Das ist, weyll die werck nicht folgen, ist's eyn tzeychen, das keyn glaub da sey, szondern eyn todter gedancke und trawm, den sie falschlich glawben nennen« (Heinz 145 mit Zitat aus WA 10 III, 288,3 ff.). Daneben finden sich, dies ist nicht zu leugnen, auch weiterhin abfällige Bemerkungen (zu Stellen vgl. Bergauer 89 f.), so daß Luther nicht, wie Lutheraner im 17. Jh. meinten (vgl. Kawerau 367f.), nach 1526 die theologische Relativierung des Jakobusbriefes im Verhältnis zu Paulus stillschweigend zurückgezogen hat (vgl. TR 5,157.382.414), auch wenn die unten folgenden kritischen Äußerungen aus der Zeit der polemischen Auseinandersetzungen, wie sie sich in der Vorrede zum N T und in der speziellen Vorrede zum Jakobusbrief von 1522 in der Ausgabe des N T von 1546 finden, nicht mehr belegt sind. Nach den vielzitierten Sätzen aus der allgemeinen Vorrede zur Septemberbibel von 1522 sieht Luther im Jakobusbrief »eyn rechte stroern Epistel gegen sie QohEv, Rom, Gal, Eph und 1 Petr], denn sie doch keyn Euangelisch art an yhr hat« (WA, D B 6,10). In der speziellen Vorrede zum Jak heißt es zwar zunächst etwas doppel-
deutig: »Die Epistel Sanct Jacobi ... lobe ich vnd halt sie doch für gutt, darumb, das sie gar keyn menschen lere setzt vnd Gottis gesetz hart treybt«, was jedoch im reformatorischen Sinn negativ zu interpretieren ist, da »sie stracks widder Sanct Paulon vnnd alle ander schrifft den wercken die rechtfertigung gibt«. Der Jak kann somit keine Schrift eines Apostels sein, denn im Vergleich zu allen anderen Schriften, die »alle sampt Christum predigen vnd treyben«, stellt Luther zum Jak fest: »Aber diser Jacobus thutt nicht mehr, denn treybt zu dem gesetz vnnd um synen wercken« (WA, D B 7, 384f.). Ohne Zweifel bleibt das paulinische Evangelium Norm aller Theo logie für Luther (WA 12, 259), die Christologie des Paulus der Maßstab für ihre Dignität im Kanon. Bekanntlich hat Luther den Jakobusbrief aber nie zu einer deuterokanonischen Schrift erklärt, die Stellung der Schriften im Kanon aber davon abhängig gemacht, ob sie »Christum predigen vnd treyben. Auch ist das der rechte prufesteyn alle bucher zu taddelln, wenn man sihet, ob sie Chris tum treyben, odder nit ... Was Christum nicht leret, das ist nicht Apostolisch« (Vorrede zum Jakobusbrief). Da dies ein grundlegen des Problem in der katholischen und evangelischen Theologie ist, sei das Verhältnis von Jakobus und Paulus im folgenden Unter punkt eigens kurz skizziert. Zuvor sei aber abschließend nochmals daran erinnert, daß der biographische Kontext, wie die ähnliche kirchenpolitische Situa tion bei Zwingli und Calvin mit einer anderen Lesart des Jakobus briefes zeigt, Teil der Theologie ist, so daß die jakobuskritischen Äußerungen Luthers nicht systematisch überinterpretiert werden dürfen (dieser Gefahr erliegt Mußner 42-45). Es ist sowohl an Luthers Sermon von den guten Werken wie auch an seinen Kleinen und Großen Katechismus zu erinnern, aber auch an das Augsbur ger Bekenntnis von 1530 (vgl. Art. 20: »Den Unseren wird zu Unrecht nachgesagt, daß sie gute Werke verbieten ...«). Zu erin nern ist auch an Luthers Vorlesung zum Römerbrief von 1515/16 oder zum Galaterbrief von 1516/17, in denen er durchaus Paulus und Jakobus — mit der Tradition — harmonisieren konnte (s. u.). Mit diesen Hinweisen soll die fundamentale reformatorische Grundentscheidung Luthers keineswegs nivelliert werden, jedoch sollte an das Postulat einer historisch-kritischen Aufarbeitung auch der spannungsvollen theologischen Aussage Luthers und der ande ren Reformatoren erinnert werden, bei dem — parallel zur paulini schen Theologie — der Glaubensentwurf weder systematisiert noch auf Vorreden zu Bibelausgaben reduziert werden sollte. Dies
schmälert keineswegs die theologiegeschichtliche Bedeutung des einen oder anderen. Katholisches und reformatorisches Glaubens-, Menschen- und Wirklichkeitsverständnis sind weiter. Im Hinblick auf Luther bestätigt dies die weitere Rezeption des Jakobusbriefes nicht nur etwa bei Zwingli (vgl. dazu SchmidtClausing 575-580) und bei Calvin in seinem Jakobuskommentar von 1550 (»Es gibt auch heute Leute, die behaupten, dieser Brief entbehre der rechten Autorität. Ich für meine Person, der ich keine gerechte Ursache des Tadels an ihm finde, benutze ihn gern und ohne eine Kontroverse«; Zitat nach Schmidt-Clausing 581), son dern auch in der weiteren Rezeption im 16. J h . (vgl. Kawerau), aber auch in der Folgezeit (vgl. Meinem, Luthers Kritik; ausführ licher ders., Jakobusbrief). Daß vom 19. Jh. an im Zuge der historisch-kritischen Exegese die dogmatischen Urteile nicht auf hörten, aber — letztlich erst in unserem Jahrhundert (vgl. Franke mölle, Gesetz 192-198) — immer mehr durch historische und sprachliche Gründe verdrängt wurden, sei abschließend positiv erwähnt. Auch in der Einleitung dieses Kommentars (s. o. 2.1) wird die These vertreten, daß nicht der Apostel Jakobus der Verfasser sein kann, aber dennoch der Jakobusbrief durchaus kanonisch ist. Ebenso bestätigt die traditionsgeschichtliche Einbin dung des Jakobusbriefes, daß der Brief sehr wohl eine (weisheitli che) Theologie enthält, ebenso bestätigt der handlungsorientierte Ansatz, daß die Theologie des Jakobus durchaus nicht nur neben dem paulinischen Evangelium bestehen kann, sondern sogar unver zichtbar ist für die neutestamentliche Verkündigung.
e) Das Verhältnis von Jakobus und Paulus in der Rezeptionsgeschichte Literatur: s. o. zu b) und c). Außerdem: Bartmann, B., St. Paulus und St. Jacobus über die Rechtfertigung, Freiburg 1897. — Zu weisheitlichen Aspekten und Traditionen in den paulinischen Briefen vgl. Schräge, W., Der erste Brief an die Korinther. 1. Teilband, Zürich u. a. 1991, 127-165 (ebd. 127 Literatur!). - Theis,]., Paulus als Weisheitslehrer. Der Gekreu zigte und die Weisheit Gottes in 1 Kor 1-4, Regensburg 1991. — Wilckens, U., Der Brief an die Römer. 1. Teilband, Zürich u. a. 1978, 127- 146.250257.
Das Verhältnis Jakobus—Paulus ist ein Problem der Rezeptionsge schichte, vor allem nach der reformatorischen Wende bei Luther (s. o.); daher wird es hier in der Einleitung behandelt (zur Recht fertigung s. u. den Exkurs 8). Dies heißt nicht, daß Paulus und Jakobus keine unterschiedlichen theologischen Entwürfe vertreten haben, woraus aber sachlich kein Widerspruch konstruiert werden darf (zur Begründung vgl. schon Bartmann 140-151; aus neuester Zeit vgl. MacArthur, Faith, bes. 33 f.). Bevor die Frage einer Abhängigkeit des einen vom anderen zur Stelle oder gar der Polemik des Jakobus gegen Paulus (so wieder dezidiert Hengel, Jakobusbrief) zu behaupten ist, sind die verschiedenen Briefe in rhetorischer und handlungsorientierter Exegese zu würdigen. Von dieser Voraussetzung her stellt man wohl unterschiedliche themati sche Positionen fest, die aber als Reaktion auf verschiedene Adres satenkreise zu interpretieren sind. Diese Einsicht ist nicht neu (s. u.), auch wenn Theologen die Unterschiede zwischen Paulus und Jakobus in der Regel nur thematisch erklärten — unter der stillschweigenden Voraussetzung der Einheit des Kanons. Maßgebend für die Rezeptionsgeschichte der westlichen Kirche wurde die Deutung von Augustinus, der als erster von den Kir chenvätern des öfteren auf die unterschiedlichen Aussagen des Paulus und Jakobus eingeht (zu den Stellen vgl. Bergauer 51- 53). Augustinus unterscheidet zwischen den opera quae fidem praecedunt, womit sich Paulus beschäftige, und den opera quae fidem sequuntur, um die es Jakobus gehe (Bergauer 83.87). Im griechi schen Osten unterscheidet — unabhängig von Augustinus — Johannes Chrysostomus (gest. 407) den Glauben vor der Taufe, von dem Paulus spreche, und den Glauben nach der Taufe, um den es Jakobus gehe (Bergauer 83 f.). Wie Chrysostomus im Osten, so wurde Augustinus im Westen für die Verhältnisbestimmung von Paulus und Jakobus maßgebend. Nach beiden wird Abraham nach Paulus durch den Glauben ohne Gesetzeswerke gerechtfertigt, während Jakobus betont, daß aus dem Glauben Abrahams die guten Werke notwendig folgen, so daß Jakobus demonstriert, wie Paulus logischerweise zu verstehen ist (PL 40,88). Eine Ausnahme in dieser Deutung bis zum Mittelalter macht lediglich der eigenständige Bibelinterpret Beda, der in dieser Frage Jakobus gleichsam handlungsorientiert und adressatenorientiert interpretiert, während er im übrigen den Auslegungen Augustins folgt. Zunächst betont Beda in der Auslegung von Jak 2,15-17, »daß nur wahrhaft glaubt, wer durch Tun ausübt, was er glaubt«, dem er Paulus mit einem Zitat aus Gal 5,6 zustimmen läßt
(»Glaube, der durch die Liebe wirksam wird«). Hinsichtlich des Abraham-Beispieles in 2,20 f. und in Rom 3,28 geht Beda von Anfang an von den Rezeptionsmöglichkeiten der Hörer aus (non bene intellectus est ab eis qui sie dictum aeeeperunt, ...) und betont, daß Paulus sich gegen Juden wendet, die »sagten, sie seien durch die Verdienste der guten Werke, die im Gesetz stehen, zur evangelischen Gnade gelangt«. Jakobus »provoziert freilich ebenso jene, die von den Juden geglaubt hatten, daß sie gleichsam wie gute Nachkommen den Taten ihres ersten und großen Stammvaters folgten... und daß sie ihren Glauben durch Werke bestätigen sollten«. Daraus folgt für Beda, daß sowohl Paulus wie Jakobus davon überzeugt waren, daß Abraham ebenso im Glauben wie in den Werken vollkommen war, auch wenn sie unterschiedliche Akzente herausstellten, so wie sie es im Hinblick auf ihre Adressaten meinten tun zu müssen: »In ein und derselben Tat des seligen Abraham lobte nämlich Jakobus die Großartigkeit von seinen Werken (des Abraham), Paulus die Bestän digkeit seines Glaubens. Dennoch hat Paulus nicht eine von Jakobus verschiedene und abweichende Auffassung vertreten. Beide wußten nämlich, daß Abraham sowohl durch Glauben als auch durch Werke vollkommen war, und deswegen hat jeder von ihnen jene Tugend dort mehr hervorgehoben, wo er sah, daß seine Hörer mehr Bedarf haben. Weil nämlich Jakobus jenen schrieb, die einen ohne Werke nutzlosen Glauben vertraten ...« Dort, wo Beda zu 2,22 f. die Wendung »aus Werken wurde der Glaube vollendet« auslegt, interpretiert er den Glauben ganz in der Tradition Augustins und sieht beide in Übereinstimmung mit Paulus, der »sehr entschieden« und »handfest« den Römern gelehrt habe, »daß die Tugend des Glaubens so groß ist, daß sie sogleich nach dem Empfang seiner Geheimnisse aus einem ruchlosen einen gerechten Menschen machen kann« (vgl. Rom 4,5). Durch Werke wurde der Glaube Abrahams »geprüft, wie vollkommen er in seinem Herz sei.« Adressatenorientiert stellt Beda klar: »Wenn einer in der gegenwärtigen Zeit kürzlich zum Glauben gekommen ist, die Taufe empfangen hat und sich vorgenommen hat, mit ganzem Herzen den Geboten Gottes zu dienen, bald (aber) aus diesem Licht geschieden ist, ist er durchaus durch Glauben ohne Werke gerechtfertigt geschieden, weil er die Zeit zum Handeln, in der er den Glauben beweisen könnte, nicht gehabt hat, weil Gott selbst, an den er geglaubt hat, es so eingeteilt hat; aber denen, die nach Empfang der Sakramente lange Zeit weiterleben, und sich nicht darum bemühen, gute Werke eifrig zu betreiben, denen muß eingeschärft werden, was der selige Jakobus, nachdem er das
Beispiel des Glaubens und zugleich der Werke Abrahams vorgelegt hatte, anfügt ... Wenn er (Jakobus) sagt >aus Werken<, meint er aus Werken des Glaubens« (ebd. zu 2,22 f.24). Abgesehen von der adressatenorientierten Lösung beim AbrahamBeispiel folgt die gesamte mittelalterliche Exegese bei der Verhält nisbestimmung von Paulus und Jakobus den von Hieronymus und Augustinus vorgetragenen Lösungen. Auch Luther tut dies bis zu seiner religiösen, an Paulus orientierten Grunderkenntnis. So refe riert er in der Vorlesung über den Gal von 1519 (von der Vorlesung von 1516/17 ist nur eine ziemlich mangelhafte Nachschrift eines Studenten überliefert) etwa zu Gal 1,19 und 2,9.11 f. die Anschau ungen des Hieronymus und Augustinus, ohne jedoch den Jakobus brief zu erwähnen. Dies stimmt mit seiner Römerbriefvorlesung von 1515/16 überein, in der er ausdrücklich des öfteren (vgl. 95.185.213.233.291.365) Stellen aus dem Jakobsbrief zitiert als Erklärungshilfen für paulinische Stellen. Wie in Übereinstimmung mit der Tradition Luther das Verhältnis von Paulus und Jakobus sieht, zeigt folgende Stelle: »Wenn also Jakobus und der Apostel sagen, der Mensch werde aus den Werken gerechtfertigt, dann streiten sie wider das falsche Verständnis derer, die meinten, es genüge ein Glauben ohne seine Werke, obschon der Apostel nicht sagt, daß der Glaube ohne die ihm eigenen Werke ist (denn dann wär's kein Glaube mehr, da >die Tätigkeit beweist, daß eine Form vorhanden ist<, wie die Philosophen sagen), sondern daß er ohne des Gesetzes Werke rechtfertigt. Die Rechtfertigung erfordert also nicht die Werke des Gesetzes, sondern den lebendigen Glauben, der seine Werke wirkt. Wenn aber der Glaube mit seinen Werken, doch ohne des Gesetzes Werke rechtfertigt, ...« (ebd. 213). Hier findet sich die bekannte Differenzierung im Werk-Begriff, wonach Paulus von den opera legis, Jakobus von den opera fidei spricht (vgl. Augustins Unterscheidung von opera quae fidem praecedunt und den opera quae fidem sequuntur). Dies ist eine textgerechte Auslegung, die sich zu recht bei den übrigen Reformatoren (s. o.) findet und vor allem durch Melanchthon vertieft wurde (vgl. Kawerau 364f.). Melanchthon kommt das Verdienst zu, bei Paulus und Jakobus einen je verschiedenen Glaubensbegriff erarbeitet zu haben, dem eine unterschiedliche Vorstellung von Rechtfertigung entspricht: Paulus rede von der Rechtfertigung der Sünder vor Gott (ex impio iustum effici), Jakobus von dem Tun der Gerecht fertigten vor den Menschen (usu forensi iustum pronuntiari). Auch dies ist eine textgerechte Interpretation, an die gegenwärtige Exegeten anknüpfen können (vgl. etwa Wilckens 143-146).
Ein anderer Weg, Jakobus und Paulus mit ihren je unterschiedlichen Akzenten zu versöhnen, besteht darin, die bei beiden sich findenden Weisheitstraditionen zu erarbeiten (zu Paulus vgl. Schräge 55f.60-62; von Lips 290-409; umfassend: Theis) und ihre Funktion im Hinblick auf die sonstigen theologischen Schwerpunkte (Gottesbild, Christologie, Ethik) zu bestimmen. Hier liegen gute Vorarbeiten vor. Es dürfte mit der jeweiligen Glaubensüberzeugung auch der Adressaten zu tun haben, auch mit deren einseitiger Akzentuierung, daß etwa Paulus bei der Explikation des Verhältnisses von Weisheitstheologie und Kreuzestheologie die letztere zur leitenden Perspektive macht (vgl. etwa Theis 147-150), die Bedeutung der Weisheit für die christliche Existenz aber keineswegs ausblendet (ebd. 496-504), während Jakobus — ebenfalls adressatenorientiert — die Defizite im christlichen Glauben nicht im systematisch-christologischen Bereich, wohl aber im theozentrisch-sozialethischen Bereich sieht. Paulus wie Jakobus setzen die vorgegebene hellenistisch-jüdische Weisheitstheologie voraus und entwerfen in ihrem Horizont ihr je eigenes theologisches Konzept. Nicht anders der bzw. die Verfasser der vorsynoptischen weisheitlichen Traditionen der Bergpredigt, die, wie schon gesagt, die nächsten Parallelen im N T zum weisheitlich-ethischen Konzept des Jakobusbriefes bieten (vgl. bes. Popkes). Jede Konzeption sollte für sich theologisch gewürdigt, keine Maßstab für die andere sein. Gerade im Hinblick auf ökumenische Theologie heute ist hier noch manche Forschungsarbeit zu leisten. Für die Kirchen heute ist die Theologie des Jakobus nicht weniger aktuell (s. u. 3) wie die der Bergpredigt oder die des Paulus.
f) Rezeptionsvariationen heute Literatur: Vgl. die Literatur zu Jak 2,14-26 sowie zu den Exkursen »Rechtfertigung« nach 2,24 und »Glaube« nach 2,26; außerdem: Baasland, £., Der Jakobusbrief als Neutestamentliche Weisheitsschrift, in: StTh 36(1982) 119-139, ebd. 127-133. - Eichholz, G., Glaube und Werke bei Paulus und Jakobus, München 1961. — Goppelt, Z,., Theologie des Neuen Testaments. II Vielfalt und Einheit des apostolischen Christuszeugnisses, Göttingen 1976, 529-542. — Heiligenthal, R., Werke als Zeichen. Untersuchungen zur Bedeutung der menschlichen Taten im Frühjudentum, Neuen Testament und Urchristentum, Tübingen 1983, 26-52.165-234. — Hengel, M., Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik, in: Tradition and Interpretation in the New Testament. FS E . E . Ellis, Tübingen 1987, 248-278.
- Jeremias, /., Paul and James, in: ET 66(1954/55) 368-371. - Kasper, W.,
Lehrverurteilungen — kirchentrennend?. Überlegungen zu der Studie des Ökumenischen Arbeitskreises, in: Wissenschaft und Kirche. FS E . Lohse, Bielefeld 1989, 189-203. - Lange, D. (Hrsg.), Überholte Verurteilungen?,
Göttingen 1991. — Lehmann, K. — Pannenberg, W. (Hrsg.), Lehrverurtei lungen — kirchentrennend? I Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute, Freiburg u. a. 1988, 19- 75. — Lodge, J. G., James and Paul at Cross-Purposes? James 2,22, in: Bibl 62(1981) 195213. — Luck, U., Weisheit und Leiden. Zum Problem Paulus und Jakobus, in: ThLZ 92(1967) 253-258. - Ders., Der Jakobusbrief und die Theologie des Paulus, in: ThGl 61(1971) 161-179. - Pesch, O. H., Gerechtfertigt aus Glauben. Luthers Frage an die Kirche, Freiburg 1982, 13-55. — Schulz, S., Die Mitte der Schrift, Stuttgart - Berlin 1976, 281-291. - Smend, R. - Luz, U., Gesetz, Stuttgart u.a. 1981, 89-112.134f. - Travis, A.E., James and Paul. A Comparative Study, in: Southwestern Journal of Theology 12(1969) 57-70. 3
Die Auslegung des Jakobusbriefes hängt nicht zuletzt auch von der Bestimmung des Verhältnisses von Paulus zu Jakobus ab. Daß dabei bis heute — auch unter evangelischen Theologen — die ganze Bandbreite möglicher Positionen vertreten wird, ist aufgrund des kurzen Überblicks über die unterschiedliche Rezeption des Jako busbriefes bei den Reformatoren und ihren Anhängern nicht erstaunlich (von »protestantischen« Positionen, wie sie etwa Schulz, Walker, Hengel vertreten, über »reformatorische«, wie sie etwa Schräge, Luck vertreten, bis hin zu »evangelischen« etwa von Schlatter, Goppelt, Jeremias, Travis und Wilckens, wobei die letz teren die unterschiedlichen Adressaten, Begrifflichkeit und Sprech intention hier und dort beachten). In der Regel wird das Verhältnis literarkritisch bearbeitet als Frage nach der Abhängigkeit des einen vom anderen, kaum jedoch traditionsgeschichtlich als Frage nach möglichen, von beiden Theologen rezipierten Traditionen (vgl. jedoch den Ansatz von Baasland und Luck). Das hermeneutische Vorverständnis wird in der Regel — leider — nicht thematisiert. Wie schwierig eine sachgerechte Würdigung des Jak mit der Grundorientierung evangelischer Theologie zu verbinden ist, betont z. B . Luck, wonach »natürlich konfessionelle Vorgaben nach wie vor auch den wissenschaftlichen Umgang mit dem Jako busbrief bestimmen. Dies kann auch gar nicht anders sein, solange die evangelische Theologie in der reformatorischen Interpretation der paulinischen Rechtfertigungslehre die Mitte der Schrift und den articulus stantis et cadentis ecclesiae sieht« (Theologie 1). Deutet sich hier eine Änderung an (»solange ...«), so wird diese noch in der Einleitung ausdrücklich verneint, da es »selbstverständlich« ist,
daß »die protestantische Forschung, für die Theologie immer durch die reformatorische Grunderkenntnis bestimmt ist«, diesen bleibenden Rückbezug hat (aaO. 2). Gerade der weisheitliche Ansatz von Luck zeigt aber, wie man zu einer sachgerechten Würdigung des Jakobusbriefes kommen kann, ohne daß kontro verstheologische Prämissen diese präjudizieren. Seine These: »Eine positive Würdigung des Jakobusbriefes unter theologischem Gesichtspunkt scheint in der protestantischen Forschung auch nur möglich zu sein, wenn es gelingt, Paulus und Jakobus auseinander zurücken, um sie dann kirchengeschichtlich und theologiege schichtlich komplementär zuzuordnen« (3), wird im Ansatz von Baasland eingelöst. Er plädiert dafür, die je unterschiedlich rezi pierten Weisheitstraditionen in 1 Kor 1-4, Rom 2,1-3,20 und im Jakobusbrief zu erarbeiten und auf die analoge »argumentative Situation« zu achten, innerhalb derer etwa die Thematik in »1 Kor 1-4 mit jener korrespondiert, die wir in J k 3,13-5,6 vorfinden, während sowohl die Thematik als auch die argumentative Situation in Rom 2,1-3,20 an J k 1,19-3,12 erinnern« (Jakobusbrief 128f.). Jakobus und Paulus rezipieren gleiche Traditionen, die aber Paulus — ohne Zweifel — stärker seinem christologischen Kerygma inte griert, während Jakobus der Intention der Weisheitsliteratur treu bleibt. Umfang und Funktionen der weisheitlichen Theologie in den Briefen des Paulus wären im Hinblick auf sein theologisches Gesamtkonzept zu erarbeiten, darauf kann hier nur hingewiesen werden. Das gleiche gilt für die Rezeption von Jesustradition im 1 Kor sowie in Rom 2,1-3,20 (zu Stellen vgl. Baasland 130), da hier Jakobus und Paulus ebenfalls gemeinsame Traditionen unter schiedlich rezipieren. Und noch einmal: Im Unterschied zu Jako bus durchbricht Paulus ab Rom 3,21 ff. im »jetzt aber« den bis dahin vorherrschenden, weisheitlichen Tun-Ergehen-Zusammen hang, der nicht vom Gesetz (dies ist seine christologische Voraus setzung) entbunden werden konnte (Rom 2,17ff.; 3,19f.), sondern nur im christologischen Heilsgeschehen. Die kontrovers belastete Frage nach dem Verhältnis Jakobus—Paulus wäre zunächst inner halb der paulinischen Theologie selbst zu klären: »Denn das kontroversielle Problem >Jk und Paulus< ist ebenso sehr ein Problem innerhalb des Römerbriefs als solchem. Das Verhältnis zwischen Rom 2,6.13 und Rom 3,28 ist ein genauso akutes Problem wie die >Doctorfrage< nach der Relation zwischen J k 2,24 und Römer 3,28« (Baasland 130). Die evangelische Römerbrief-Auslegung bestätigt, wie schwierig
dieses innerpaulinische Problem ist (vgl. etwa Wilckens 143146.250-257). »Wenn Paulus« hinsichtlich der »Relevanz der Ethik für die Beurteilung des Glaubens ... eine Grundstruktur jüdischen Glaubens durchhält, so geht es m. E. um mehr als ein Relikt, sondern um ein Zentrum auch des christlichen Glaubens« (Smend — Lux 97). Jüdische Autoren betonen die Verbindung von Glau be—Werk als notwendiges »desideratum« zu Recht, bei aller unter schiedlichen Zuordnung der Begriffe (Sigal, Halakhah 338). Die These einer (keineswegs ungebrochenen) Kontinuität des Jakobus briefes zur jüdischen Weisheitstheologie (Theozentrik und Christologie im Jakobusbrief verhindern dies, ebenfalls seine Konzep tion vom »vollkommenen Gesetz der Freiheit« mit der Konzentra tion auf Sozialethik und dem Verzicht auf rituelle Torafrömmig keit) bedeutet nicht, daß Jakobus keine Theologie verkündet. Eine christliche Theologie vertritt Jakobus wie Paulus, die aber jeder für sich in unterschiedlicher Rezeption gemeinsamer Traditionen zu würdigen sind. Hier stimmt Jakobus weit mehr mit der Theologie der vormatthäischen Bergpredigt-Tradition überein als mit Paulus (s. o. 2.4e). Beachtet man, daß wichtige theologische Begriffe wie Glaube, Werke, Rechtfertigung, Gesetz bei Paulus und Jakobus semantisch unterschiedlich strukturiert sind und beide es mit unterschiedlichen Adressaten zu tun haben, wobei diese Sprechsituation auch deren Wirkabsicht bestimmt, erweist sich die vielverhandelte Frage von der Abhängigkeit des Jakobus von Paulus bzw. von einem mißver standenen Paulinismus (ohne direkte literarische Abhängigkeit) als falsch gestellt. Auch die immer wieder zu lesende Behauptung, die Opposition Glaube—Werke sei im Frühjudentum noch nicht vor geprägt und setze die sprachliche und theologische Vorarbeit des Paulus voraus (vgl. Lohse, Glaube und Werke 291; Hoppe, Hinter grund 100; Burchard, Jakobus 43 f.) trifft zwar für die paulinische christologische Interpretation, nicht jedoch für die weisheitliche Konzeption des Jakobus zu. Er redet bekanntlich nicht von den »Werken des Gesetzes«, setzt aber — und dies ist sowohl biblisch durchgehend wie auch frühjüdisch belegt — den Erweis des Glau bens durch Werke als notwendig an, wie dies in anderer Weise auch Paulus tut (vgl. Heiligenthal). »Während Paulus eine grundsätzli che Diskussion um den Heilsweg führt, ... bekämpft« Jakobus »eine bestimmte christliche Haltung ... Damit besteht, was den Gegensatz von Glauben und Werken betrifft, keine funktionale Identität, die die Annahme rechtfertigt, daß sich Jakobus mit paulinischem Denken kritisch oder weiterführend auseinander-
setzt« (Heiligenthal 50). Entsprechend ist auch das AbrahamBeispiel bei Paulus und Jakobus funktionell unterschiedlich, zumal Jakobus auch hier in der weisheitlich geprägten VersuchungsTradition zur Erprobung des Gerechten steht (s. u. zu 2,14 ff.), Paulus jedoch nicht (vgl. Berger, Abraham 364 ff.). Die gegenwärtige katholische und reformatorische Theologie nimmt auch in offiziellen Verlautbarungen etwa der Gemeinsamen Ökumenischen Kommission, die durch die Deutsche Bischofskon ferenz und den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eingesetzt war, die unterschiedliche Sprechintention bei Paulus und Jakobus im Hinblick auf Rechtfertigung, Glaube, gute Werke usw. ernst, wenn betont wird: »Das neutestamentliche Zeugnis stützt nicht nur die Eigenart des rechtfertigenden Glaubens, sondern auch die theologische Einheit von Glaube und Liebe, da insbeson dere die Verkündigung des Apostels Paulus das Verhältnis von >Glaube<, >Bekenntnis< (Rom 10,9), Liebe zu Gott (1 Kor 8,3) und Auswirkung des Glaubens in der Liebe zum Nächsten (Gal 5,6) nicht exklusiv, sondern inklusiv bestimmt. In diesem Sinne ist auch die Anmahnung der Werke der Liebe in Jak 2,14-26 nicht als materialer Widerspruch gegen das paulinische Glaubensverständnis zu verstehen, sondern als dessen paränetische Ergänzung« (Leh mann— Pannenberg 57; zur Rezeption dieser Erklärung vgl. Kasper und stark protestantisierend Lange 44-46), auch wenn — traditio nell vorgeprägt — die Intention des Jakobus allzu sehr auf Ermah nung eingeengt wird und sein theologisches Konzept der Weis heitstheologie mit seinem starken Indikativ der Heilszusage zu kurz kommt. Luthers zugespitzte Auslegung und die gegenseitigen Verwerfungen hinsichtlich der Rechtfertigungs-Lehre im 16. J h . (vgl. Lehmann—Pannenberg 48-63) treffen den christlichen Part ner auch kirchenoffiziell heute nicht mehr. Damit steht auch einer Rehabilitierung des Jakobusbriefes nichts mehr im Wege. Ebenso kann auch über das Verhältnis von Paulus und Jakobus ohne konfessionelles Präjudiz neu nachgedacht werden — zumal dann, wenn bewußt ist, daß Christen auf gleiche Fragen nicht immer gleiche Antworten geben müssen. Gerade der weisheitliche Ansatz (anders wohl einer, der sich auf Offenbarungen beruft) eröffnet und erfordert eigenes Nachdenken.
3. Zur bleibenden Aktualität des Jakobus briefes Versteht man den Jakobusbrief im Kontext der frühjüdischen Weisheitsliteratur als neutestamentliche Weisheitsschrift und gibt ihm so seinen theologiegeschichtlichen Ort wieder, vermag er als innovatorische Sprachhandlung (s. o. 2) für gegenwärtiges Christ sein wichtige Impulse zu liefern — jenseits aller berechtigten, aufgrund der eigenen kirchlichen und biographischen Traditions bedingungen unterschiedlichen Auslegungen: — Der Jakobusbrief könnte ein Prüfstein dafür sein, wie ökume nisch offen evangelische und katholische Bibelausleger (beide sind gefordert!) diese Schrift verstehen und aktualisieren. — Dieser Brief könnte zudem ein Prüfstein sein, wie ernst es Christen mit der jüdisch-christlichen Identität nehmen, da die ser Brief ganz aus frühjüdisch-hellenistisch geprägter Frömmig keit lebt, ohne den Glauben an Gott in Jesus Christus zu verleugnen (zur Christologie vgl. den Exkurs nach 2,1). Gerade der Jakobusbrief ist ein gutes Beispiel dafür, daß christliche Identität in Glauben und Ethik nicht auf Kosten jüdischer Identität gehen muß (vgl. Frankemölle, Dialog). — Höchste Aktualität gewinnt die weisheitliche Begründung der Ethik in der vorsynoptischen Jesustradition, mit der die Kon zeption des Jakobusbriefes übereinstimmt (s. o. 2.4e), in der katholischerseits andauernden und ausufernden Diskussion um die Begründung von ethischen Normen. Welche Funktionen haben die Konzeptionen der biblischen Ethik, welche Funktion hat eine vernunftbegründete-weisheitliche Ethik der »autono men Moral«, welche die einer »Offenbarungs-Moral«, welche Aufgabe hat das kirchliche Lehramt? Für die evangelische Theo logie ist nach dem Stellenwert einer »natürlichen Theologie« in ihrem Verhältnis zur Rechtfertigung durch Jesus Christus zu fragen (zum Problem vgl. Kertelge, Grundthemen 148-160). Das Problem einer vor der Vernunft zu verantwortenden Ethik ist der Bibel keineswegs unbekannt, wie der Jakobusbrief zeigt; neben der jüngeren Weisheitsliteratur ist im N T auch auf die weisheitli chen Traditionen in der ethischen Verkündigung Jesu (vgl. Grund mann, v. Lips 193-257; Zeller), aber auch auf Paulus (vgl. etwa Rom 1,17-3,20) hinzuweisen. Wer wollte bestreiten, daß eine
solche weisheitlich orientierte, erfahrungsgesättigte und argumen tative Theologie heute nicht aktuell ist? Da sie Heimatrecht im Kanon hat, sollte sie es auch in den theologischen Entwürfen der Wissenschaft und in den Kirchen haben — nicht nur in der Befrei ungstheologie (vgl. Mesters I 27-71). Bei aller Notwendigkeit der systematisch-theologischen Reflexion, überzeugen kann nur ein Christentum der Tat, »ein Glaube, der durch die Liebe wirksam wird« (Gal 5,6), der Werke vorzuweisen hat (Jak 2,18), »Christen, die nicht nur Hörer, sondern Täter des Wortes« sind (Jak 1,22). Für die notleidenden Mitmenschen — dies ist sicherlich unbestrit ten — ist allein dies wichtig; nichts anderes will Jakobus sagen (vgl. zu 2,14-26).
Der Text und seine Auslegung
A Das Präskript Verfasser, Empfänger und Eingangs gruß (1,1) a b c d
Jakobus, Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht, den zwölf Stämmen in der Zerstreuung freudigen Gruß.
Literatur: Zu Jakobus vgl. Einleitung 2.1, zur Gattung Brief vgl. ebd. 2.4a. Außerdem: Berger, K., Hellenistische Gattungen im Neuen Testa ment, in: A N R W II 25.2 (1984) 1132-1138.1326-1363. - Grabbe, L. L, Etymology in Early Jewish Interpretation. The Hebrew Names in Philo, Atlanta 1988. - Sänger, D., diaspora Zerstreuung, in: E W N T 1(1980) 749-
751. — Schnider — Stenger, Briefformular 3-41 (zu PI). — Taatz, Briefe 106 f. (zu frühjüdischen Briefen). — White, ]. L., New Testament Epistolary Literature in the Framework of Ancient Epistolography, in: A N R W II 25.2 (1984) 1730-1756.
Vom ersten Vers seines Briefes an beweist Jakobus Eigenständig keit, gepaart mit rhetorischem Geschick. Als einziger von den neutestamentlichen Briefschreibern verwendet er die griechische Form des Präskriptes. In einem einzigen Satz werden in der dritten Person der Absender, die Adressaten und ein Gruß formuliert — angereichert mit Erweiterungen. Die anderen neutestamentlichen Briefschreiber greifen auf das Präskript des orientalischen Briefschemas zurück, das aus zwei Sätzen bestand. Im ersten wurden Absender und Adressaten genannt, im zweiten ein Gruß bzw. Segenswunsch formuliert — natürlich mit vielfachen Variationen, wie die Paulusbriefe belegen (vgl. z. B . 1 Kor 1,1-3: »Paulus ... an die Gemeinde in Korinth. Gnade sei mit euch und Friede von Gott ...«). Das griechische Schema ist außer in Jak 1,1 nur noch bei dem hellenistisch gebilde ten Lukas in einem Briefzitat der Jerusalemer Gemeinde an die in
Antiochia (Apg 15,23) sowie in einem Brief des Oberst Klaudius Lysias an den Statthalter Felix (Apg 23,26) belegt, also nicht am Anfang eines brieflichen Textes, sondern in der laufenden Erzäh lung. Auch aus der Zeit des Bar Kochba-Aufstandes sind zwei griechische Briefe seiner Beamten überliefert mit griechischem Präskript. Sie wurden in der Wüste Juda gefunden — ein Zeichen der Hellenisierung auch dieser Gegend. In der Aufnahme des griechischen Briefschemas bestätigt Jakobus literarisch die Unabhängigkeit von Paulus, dem Schöpfer der apostolischen Brieftradition. Außerdem bestätigt er mit der grie chischen Form des Präskripts, daß er an die Lesegewohnheiten seiner Adressaten anknüpfen dürfte, bei ihnen also griechische Bildung vorauszusetzen ist. Daß der Stil des Briefes keineswegs »barbarisch« ist, belegt auch der im Griechischen vorangestellte doppelte Genetiv, wodurch die hervorgehoben sind, denen Jako bus »Knecht« ist. Außerdem haben die beiden Langzeilen im Griechischen jeweils 13 Silben mit vielen Diphthongen, die dem Eingang rhythmische Feierlichkeit verleihen. Die Strukturierung der Gedanken in fast gleichlangen Stichen kennzeichnet den gesam ten Brief. Jakobus ist aber nicht einseitig griechisch orientiert. Formal knüpft er auch an die jüdische Tradition der Diasporabriefe an die Ver bannten in Babylon an, wie sie für die Propheten Jeremia (29,1-23) und Baruch (6,1-72) überliefert ist. Aufgrund der durchgehenden Rezeption von Texten aus dem Buch Jesus Sirach noch näherlie gender dürfte für Jakobus der Prolog des griechischen Ubersetzers, eines Enkels des Ben Sira sein, der am Ende (Zeile 34) darauf hinweist, daß seine Übersetzung für alle diejenigen ist, »die auch in der Fremde/en te paroikia lernen wollen«. Alle Briefe im N T ohne konkrete Adressaten (1 Petr; 2 Petr; Eph; 1 Joh; Jud; Hebr) dürften dieses Selbstverständnis der christlichen Gemeinden paral lel zu den jüdischen als »Diaspora« voraussetzen, so daß der Brief jenes Mittel ist, »die räumlich voneinander Getrennten an einer einheitlichen Verkündigung teilhaben zu lassen. Diese Briefe sind daher eine Entsprechung zum Wanderapostolat mit anderen Mit teln« (Berger, Formgeschichte 366). Die Briefe des A T aus helleni stischer Zeit (1 Makk 12,5-23; 2 Makk 1,1-2,18) halten sich formal ebenfalls an das griechische Briefformular. Formal und inhaltlich verbindet Jakobus griechische und jüdische Tradition. Dies ist nicht nur ein Kennzeichen seines Präskriptes. Schon der erste Vers deutet auf den weiten und differenzierten Denkhorizont seines Verfassers hin. Formkritisch und gattungsmäßig ist der Vers in sich
eine kleine Einheit (anders Wuellner 36 f.), er ist nicht anders denn als Briefpräskript zu interpretieren. Entsprechend seiner Funktion als Uberschrift erwartet der Leser im folgenden nichts anderes als einen Brief. Hier wird ihm gleichsam die richtige Lesebrille aufge setzt. Dies auch deswegen, weil in der gesamten Antike der Ein gang einer Schrift formal und inhaltlich besonders sorgfältig gestal tet wurde (Lausberg 150ff.236ff.). Besonders auffällig ist es, daß innerhalb des N T nur in Jak 1,1 die Bindung eines beauftragten Knechtes an Gott mit der Bindung an Jesus Christus parallelisiert wird, ebenso ist die Wendung »die zwölf Stämme in der Diaspora« singulär. Von Anfang an betont Jakobus die theozentrische und christozentrische Perspektive in ihrer unauflöslichen Beziehung zueinander und zugleich seine Auf gabe als Knecht Gottes und Jesu Christi in ihrer unaufgebbaren jüdisch-christlichen Identität. Assoziativ wird mit wenigen Worten für biblisch orientierte Leser unendlich viel freigesetzt. Da Jakobus (auch im Verlauf des Briefes) keine Erläuterungen gibt, können die von ihm angesprochenen Assoziationen bei seinen Lesern voraus gesetzt werden, für heutige Leser seien sie entfaltet, la: Der Verfasser stellt sich den Lesern als der ihnen wohlbekannte Jakobus vor. Innerhalb der christlichen Tradition kann dies, wie wir sahen (vgl. Einleitung 2.1), nur der hochangesehene Herren bruder gewesen sein, in dessen Namen und Autorität der unbe kannte, hellenistisch orientierte Christ pseudepigraphisch seinen Brief verfaßt. Allerdings übernahm er nicht (dies ist die salomoni sche Lösung von Pratscher 221) das für den historischen Jakobus spezifische Toraverständnis, schon gar nicht das im rituellen Bereich, so daß zwischen dessen Vorstellungen (s. o.) und seinem Ruhm, woran der Verfasser sich orientiert, eine Spannung entsteht. Hier liefert das Präskript vielleicht einen Hinweis zu einer Lösung. Die Wendung »die zwölf Stämme in der Zerstreuung« gibt den Fingerzeig dazu, wodurch diese und »Jakobus« verbunden wer den, was für den Herrenbruder Jakobus nicht belegt ist. Wohl gilt dies für den biblischen Jakob, latinisiert Jakobus. Der wichtigste biblische Träger des Namens Jakob ist der bekannte Erzvater (vgl. Gen 25-49), der als Stammvater der zwölf Stämme Israels angesehen wird. Nur über ihn sind alle Israeliten genealo gisch auch mit den Erzvätern Abraham und Isaak verbunden. Dem Erzvater Jakob gebührt in dieser genealogischen Tradition aller dings eindeutig der Vorrang. Erst mit ihm beginnt das eigentliche Bundesvolk Israel, während nicht alle Nachkommen Abrahams oder Isaaks Israel sind. Die Vorstellung von Gesamt- Israel ist beim
Namen Jakob jedoch traditionsgeschichtlich impliziert. Möglicher weise wirkte hier aus dem Lob der Väter (Sir 44,1-50,29) der Preis auf Jakob ein (44,23): Den Segen für alle Menschen und den Bund ließ er ruhen auf dem Haupte Jakobs. Er zeichnete ihn aus durch seinen Segen und gab ihm das Land zum Erbteil und teilte seine Gebiete auf; unter zwölf Stämme verteilte er sie. Jakob und die »zwölf Stämme in der Zerstreuung« gehören motiv geschichtlich zusammen (ThWNT 3, 192). Bei aller theologischen Bedeutung Abrahams für die jüdische Geschichte bleibt festzuhal ten: Unter nationalem Aspekt ist Jakob in der Frühzeit wichtiger, auch wenn in jüngeren Schichten die religiöse Bedeutung (Jakob = Gesamt-Israel) die nationale überwiegt oder ganz verdrängt (ThWAT 3, 774). Nimmt man einen solchen biblischen, traditionsgeschichtlichen Kontext für den Namen Jakob/Jakobus an, dann erklärt sich auch am ungezwungendsten der singulare Beleg »die zwölf Stämme in der Diaspora«. Wer sich an die zwölf Stämme wendet, kann nur Jakob/Jakobus sein. O b die Leser dieses ebenso verstanden haben, muß offen bleiben; für die Intention des Autors, der durchgehend primär jüdische mit wenigen spezifisch christlichen Traditionen verbunden hat, legt sich dieses Verständnis nahe. Nicht nachweisbar ist ein Einluß Philos auf den Namen »Jakobus« als Verfasser einer neutestamentlichen Weisheitsschrift. Doch ist immerhin auffällig, daß Philo die Umbenennung (vgl. Gen 32,29; 35,10) »Jakobs« (Fersenhalter) in »Israel« (der Gott Schauende) einige Male erwähnt (Mut 81; All III 15; Sacr 120; Fug 208; Som II 173; Abr 57; QaestGen III 49; IV 163.233) und »Jakob« als Paradigma des sich ständig um Tugend bemühenden Menschen darstellt, der immer wieder »zur alten Art zurückkehrt«. Dies ist nach Philo der Grund, warum »Jakob« — anders als Abraham — auch nach der Umbenennung durch Gott »nichtsdestoweniger wiederum meist Jakob genannt wird«, der aber »durchkämpfend sich den Wettübungen der Seele hingibt« und am Ende (vgl. Jak 1,12) den »Kranz aus dem heiligen Kampf« erhält (Mut 8 1 ; zur Etymologie vgl. Grabbe 126-128, 166.172 f.). Dieser Hinweis auf den philonischen Jakob, der »Tugend übt« (Mut 81,12), zeigt immerhin, daß eine etymologisch motivierte Wahl des Namens
»Jakob« im Kontext pädagogischer und weisheitlicher Literatur nicht ausgeschlossen war, ohne daß eine solche Deutung für den Verfasser des Jakobusbriefes schon behauptet werden kann. Anders steht es um den Einfluß von Sir 44,23. Verbindet man die christliche mit der jüdischen Tradition, dann erweist sich die Kombination von Verfasser und Adressatengruppe auch als schriftgelehrte Pseudepigraphie in Rezeption von Jesus Sirach. Der Herrenbruder bliebe dann für den Verfasser des Briefes als pseudepigraphische Autorität wichtig, gleichzeitig würde aber das Selbstverständnis des Verfassers als Jakob/Jakobus deutlich wie auch seine Vorstellungen von seinen christlichen Adressaten. Ihm ginge es dann um die grundsätzliche, unaufhebbare jüdisch-christ liche Identität. Auch sein Verständnis von den Adressaten stimmt damit überein. Bevor auf das Selbstverständnis des Verfassers als Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht (s. u.) näher eingegan gen wird, sei die Interdependenz vom hier so gedeuteten Jakob/ Jakobus und den Adressaten als zwölf Stämme interpretiert, lc: Wie versteht der Verfasser die Adressaten als die zwölf Stämme in der Diaspora? Leben die angesprochenen Christen im uneigent lichen Sinn in der Diaspora (Dibelius 94 f.), weil ihre wahre Heimat im Himmel ist und sie folglich auf Erden als Fremde leben (vgl. Gal 4,26; Phil 3,20; 1 Petr 1,1; 2,1)? Darf man die Wendung »die zwölf Stämme in der Diaspora« trennen und Diaspora geographisch, die zwölf Stämme jedoch übertragen interpretieren (Mußner 61 f.)? Zunächst ist die Wortverbindung als Syntagma, d. h. als ein einzi ger Ausdruck zu verstehen. In der griechischen Bibel bezeichnet Diaspora an allen zwölf Stellen wie die »Fremde« im Prolog von Sir das Faktum des Zerstreutseins der Juden unter allen Völkern, ohne daß an die assyrische und babylonische Deportation im 8. und 6. Jahrhundert gedacht ist (vgl. Dtn 28,25; 30,4; Jer 34,17; Jes 49,6; Dan 12,2). Die Gründe für die Existenz außerhalb der jüdischen Grenzen sind — den Jahrhunderten entsprechend — vielfach: Nomadentum, mehr oder weniger freiwillige Auswanderungen (aufgrund von Geburtenüberschuß, von Arbeitsmangel, von Ernährungsschwierigkeiten im Lande), Handel mit anderen Län dern, Ubertritte zum Judentum (Proselyten), dann auch Deporta tionen. Diaspora meint das Vorkommen einer jüdischen Minder heit überall in einer andersgläubigen Welt, ohne daß eo ipso dieses Zerstreutsein unter den Völkern theologisch negativ gewertet oder übertragen gedeutet würde. Im Gegenteil: In der Zerstreuung sah man — vornehmlich in hellenistischer Zeit — auch positive Mög lichkeiten für die Verbreitung des Wortes Gottes (PsSal 9,2). Schon
Josephus Flavius stellt in Anlehnung an Strabo lakonisch fest: Die Juden »sind schon in jeder Stadt verbreitet und es ist kaum ein Ort in der Ökumene zu finden, der dieses Volk nicht beherbergt« (Ant 14, 115). Dieses Zerstreutsein hatte mit der literarisch vorgegebenen Vorstel lung vom Zwölf-Stämme-Verband, der so nie existiert hatte und stets eine ideale Größe war, wenig zu tun. Doch hatte man die Hoffnung auch auf die Wiederkehr der im 8. Jh. deportierten Nordstämme nie aufgegeben (vgl. schon Jes 11,11; Jer 31,8; Bar 2,30.34). Auch wenn die zehn Stämme jenseits des Euphrat fak tisch untergegangen waren, lebte im deuterokanonischen Buch Tobias, in den Testamenten der zwölf Patriarchen wie in 4 Esra (vgl. 13,12f.39-49), aber auch bei Josephus Flavius (Ant 11, 133) die Vorstellung weiter, daß jene »in nicht zu schätzender Zahl bis auf den heutigen Tag« (Josephus) dort existierten. Die Hoffnung blieb lebendig, daß »Gott an jenem Tag« Nord- und Südreich wieder zusammenführen werde (Jer 3,18; Hos 2,2; Sir 36,13 hebr. Text; Ez 37,19-24; PsSal 11,7; 17,26.28.44.50). »Selig, wer in jenen Tagen leben wird und wer in der von Gott gewirkten Vereinigung der Stämme das Heil Israels schauen darf« (PsSal 17,50; weitere Stellen: Billerbeck IV, 902-909). In exilischer Zeit erwartete man durch Dt jes (Jes 49,6) wie in nachexilischer Zeit in der Priester schrift die Restituierung der zwölf Stämme (Num 1-2; 10,12-28; 13,2-16; 26,5-51). Diese Zukunftshoffnung auf Sammlung ganz Israels ist auch in der Qumran-Gemeinde gut bezeugt (1 Q M 2,2f.; 3,14f.; 5,1; 1 QSa 1,15.29; vgl. auch 1 Q M 3,12f.). Ähnliche Vorstellungen finden sich im Neuen Testament. Neben Mt 19,28 und der Parallele in Lk 22,30 findet sich neben Jak 1,1 nur noch in Offb 21,12 die Wendung »die zwölf Stämme«, ebd. in 7,4-8 auch die Variation »alle Stämme Israels« (vgl. auch die 12 Sterne in Offb 12,1 und die Zahl der Versiegelten ebd. 7,4-8). Für Jakobus kennzeichnend ist jedoch die nur bei ihm sich findende Wendung »die zwölf Stämme in der Diaspora« sowie die Verbindung mit Jakob/Jakobus. Hier zeigt sich sein redaktionelles Interesse und seine sprachschöpferische Kraft, auch wenn allgemein die urchrist liche Tradition von den Zwölfen bzw. den zwölf Aposteln und ihrer Funktion für das erneuerte Gottesvolk (vgl. E W N T 879) als Vorlage für Jakobus vorauszusetzen ist. In der Variation zeigt sich seine Redaktion. Jakobus geht von der These aus, daß die christlichen Gemeinden in ihrer Gesamtheit Israel sind, d. h., daß die erhoffte Zukunft der Existenz und der Einheit aller Stämme, wie sie in Israel immer
lebendig war, eschatologisch-qualifizierte Gegenwart geworden ist. Dies erhofft Jakobus aber nicht in der restaurativen Form der Wiedererrichtung des davidischen Doppelreiches Israel-Juda (Ez 37,15-28; Jer 31,18ff.; 33,14-18; Jes ll,10ff.; Hos 2,2), auch spricht er nicht von einem zukünftigen Messias, vielmehr versteht er die Adressaten als soziologische Minderheit in der Zerstreuung (analog zu »in der Fremde« am Ende der Sirach-Vorrede). Diaspora ist also primär eine soziale, nicht eine theologische Kategorie, wie in 1 Petr 1,1 (vgl. Frankemölle, Petrusbrief 13-15 und vor allem Elliott, Home 21-58). Im Unterschied zu 1 Petr wendet Jakobus sich aber nicht »an die Auserwählten«, an die Christen (vgl. 1 Petr 1,1-2), er betont nicht das Erlösungsblut Jesu, die Soteriologie, sondern — ökumenisch orientiert — das gemeinsame Fundament zwischen Juden und Christen sowie die gemeinsame Herkunft. Von diesen Voraussetzungen her wird christliche Gemeinde als Israel gesehen, nicht als Rest Israels oder als Weiterentwicklung Israels, sie ist — dies ist die These des Präskriptes — Israel in seiner heilsgeschichtlich vorgegebenen Vollgestalt der zwölf Stämme — aber, wie seit je her, in der Diaspora (F.Mußner, Die Kraft der Wurzel, Freiburg 1987, 169, behauptet, daß sich »im Jakobusbrief ganz deutlich die Trennung der Kirche von Israel« spiegelt). Jako bus wendet sich mit seinem Schreiben an die über die damals bekannte Welt verstreuten Christen, wobei er diese Christen als Volk Gottes versteht. Eine Unterscheidung von Judenchristen und Heidenchristen wird nirgendwo sichtbar, die Totalität der Wen dung »die zwölf Stämme in der Zerstreuung« spricht im Gegenteil gegen jede innerchristliche Differenzierung. Die angesprochenen Christen leben als Minorität in andersgläubiger Umwelt. Ebenfalls deutet nichts darauf hin, daß die Angeredeten sich als »Fremde und Gäste in dieser Welt« (1 Petr 2,11) verstehen sollen, die »in der Fremde ... ein Leben in Gottesfurcht zu führen« haben (1 Petr 1,17; anders Dibelius). Die Grundtendenz aller Aufforderungen im Brief zielt in die entgegengesetzte Richtung: Christen sollen - dies ist gut jüdisch gedacht — das Heil im konkreten Alltag bezeugen, primär in der Bewältigung anthropologischer und ekklesialer Kon flikte. Gerade die »Welt« ist Ort der Bewährung (vgl. den Exkurs nach 4,4); hier zeigt sich wahres Glauben nach Jakobus. Auf diese Innerweltlichkeit sollen die Augen gerichtet sein, nicht auf die Heimat im Himmel. Diese ambivalente Wirklichkeitserfahrung und die Diaspora als Ort der Bewährung umschreibt Jakobus mit der heilsgeschichtlich und eschatologisch qualifizierten, nur hier belegten Wendung »die
zwölf Stämme in der Diaspora«. Das Motiv für diese Assoziation scheint einzig im Namen Jakob/Jakobus und in den Vorlagen bei Jesus Sirach (Prolog Zeile 34 und 44,23) zu liegen (s. o.), da die Vorstellung von den zwölf Stämmen — selbst in der Zerstreuung — ipso facto im Namen Jakob traditionsgeschichtlich vorgegeben war. Ihn versteht der Verfasser aber nicht nur jüdisch, sondern auch christlich, wie die Apposition Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht in l b klarstellt. lb: Angesichts der Wertschätzung persönlicher Freiheit empfan den Leser im griechischen Raum wie heutige Leser den Begriff doulos: Sklave/Knecht, der allgemein soziologisch den Sklaven im Gegensatz zum Freien bezeichnet (vgl. Gal 3,28; 1 Kor 7,21; 12,13), nur verächtlich. Demgegenüber hatte der Begriff im Bereich des hebräisch-alttestamentlichen Judentums eine religiöse Eigenbedeutung gewonnen (ThWNT 5, 653-676). Auch in der griechischen Bibel wird das Wort religiös verstanden, um die Abhängigkeit und die Indienstnahme des Menschen durch Gott zu umschreiben. Da Gott absoluter Herr (kyrios) ist, verstehen sich sowohl die großen Gestalten der frühen jüdischen Geschichte wie Abraham, Jakob und Josua, vor allem aber fast formelhaft Moses und David wie auch die Propheten in der deuteronomistischen Tradition als »Knechte/Sklaven« (doulos). Mit dem Begriff ist immer — auch in Jak 1,1 — die besondere Aufgabe des mit dem Begriff Bezeichneten für Gott angesprochen. Immer redet und handelt der so Bezeichnete nicht im eigenen Auftrag, sondern im Dienst Jahwes, so daß die Wendung in der Bibel gerade wegen dieser Bindung eine Ehrenbezeichnung wird. Die wahre Freiheit erwächst aus der Indienstnahme durch Gott (vgl. auch die Wendung »Gesetz der Freiheit« in Jak 1,25 und 2,12 sowie den Exkurs nach 1,25). Gleichzeitig enthält die Wendung eine Kritik gegen jegliche Herr schaft von Menschen über Menschen. Gerade griechische Ohren mußten sensibel sein für diese Umkehr praktizierter Normen. Parallel zur weiten Verbreitung im A T ist die Wendung »Sklave Gottes« auch im N T in den unterschiedlichsten Traditionslinien belegt (vgl. L k 2 , 2 9 ; Apg 2,18; 4,29; 16,17; 1 Petr 2,16; Offb 7,3 u. a.). Der atl Ehrentitel dürfte auch für Jakobus maßgeblich gewesen sein. Daneben findet sich im N T eine weitere Aussage reihe. Gemäß der christologischen Neuakzentuierung und ange sichts der historisch vorgegebenen Sendung durch Jesus Christus findet sich auch die Indienstnahme von Menschen durch und für Jesus Christus (vgl. Gal 1,10; Phil 1,1; 1 Kor 7,22b; Rom 1,1; Kol 4,12; Eph 6,6; 2 Tim 2,24; 2 Petr 1,1; Jud 1; Offb 1,1; 2,20).
Jedoch: Nur Jakobus parallelisiert die Bindung an Gott mit der Bindung an Jesus Christus. Dies gilt es zu erklären. Vor allem deswegen, weil der sonst in Präskripten sich findende Hinweis auf die Sendung zum Apostel durch Jesus Christus — neben der Erwählung durch Gott — fehlt. Die binitarische Form Gott—Jesus Christus findet sich in Tit 1,1 (Knecht Gottes und Apostel Jesu Christi) oder eine christozentrische Mischform in 2 Petr 1,1 (Knecht und Apostel Jesu Christi). Auch in den paulinischen Briefen wird entweder bereits bei der Vorstellung des Absenders oder spätestens in der abschließenden Segensformel des Präskriptes Gott und Jesus Christus binitarisch verbunden (vgl. Gal 1,1; 1 Kor 1,1.3; 2 Kor 1,1 f.; Rom 1,1.7b u.a.). Da der Jakobustradition bekannt war, daß der Herrenbruder Jakobus nicht Apostel gewe sen war, entfiel diese literarische Möglichkeit, so daß sich lediglich eine christologisch erweiterte, atl vorgegebene Vorstellung anbot. Gerade aufgrund dieser Traditionsgeschichte und aufgrund der parallelen Genetivkonstruktion in l b enthält die Wendung des Herrn Jesu Christi höchste Christologie (vgl. weiter den Exkurs nach 2,1). Es ist ein christologisches Bekenntnis par excellence und dies an semantisch nicht mehr zu überbietender betonter Stelle zu Beginn des Briefes! Wird doch die christliche Lesehaltung dadurch von Anfang an vorgegeben und zugleich unmißverständlich deut lich, daß Christen angesprochen sind. Da Jakobus die Bekenntnisformel nicht erklärt, setzt er Erstleser voraus, denen einzelne Begriffe bekannt sind. Jakobus ist nicht außen-, sondern ekklesial binnenorientiert. Er spricht Eingeweihte an, für die mit einem einzelnen Begriff der ganze christliche Glaube thematisiert und assoziiert wird. Der Verfasser weiß, daß der Leser weiß, wovon die Rede ist. Theologen brauchen nicht immer alles zu sagen, sie müssen nicht bei jeder Gelegenheit katechumenales Grundwissen vermitteln (vgl. auch den bewußten Verzicht in Hebr 6,1-3). Aus Kommunikationsgründen dürfen und müssen Verfasser sich auf das konzentrieren, was für die Adressaten notwendig ist. Die Situation der Adressaten bestimmt das zu Sagende; umgekehrt läßt das Gesagte die Situation der Adressaten erschließen. Gemäß dieser allgemeinen Prämisse der Kommunikationstheorie wirbt Jakobus nicht missionarisch für den christlichen Glauben, sondern setzt ihn von Anfang an ungefragt voraus. Nicht das Das des Glaubens wird im Jakobusbrief reflektiert, sondern das Wie, d. h. eine bestimmte Form der Verwirklichung des christlichen Glaubens. Nicht eine Christolo gie will Jakobus verändern, wohl jedoch einen falsch praktizierten Glauben an Jesus Christus (vgl. 2,1).
Zwar können die beiden Genetive grammatisch Apposition zu Jesus sein (Knecht Jesu Christi, des Gottes und Herrn), doch widerspricht eine solche Deutung (Vouga 31.36) nicht nur der eindeutigen Theozentrik des Prologes, sondern auch der eindeuti gen Unterordnung des Kyrios Jesus unter Gott, da er nicht »Herr und Vater« ist (3,9), auch nicht der »Herr Zebaoth« (5,4). So sehr Jakobus auch in 2,1 eine Erhöhungs- und Herrlichkeitschristologie betont, im gesamten Brief zeigt sich eine deutliche Unterordnung in der Relation zwischen Gott (theos) und dem Herrn (kyrios) Jesus Christus. (Vgl. weiter dazu den Exkurs nach 2,1: Die Christologie des Jakobus sowie zur Theozentrik den Exkurs nach 1,18.) Hinsichtlich des Präskriptes bleibt die betonte Zuordnung von Theozentrik und Christozentrik, die sich auch im Schlußteil des Briefes findet (vgl. 5,7b.8c. 14), zu beachten, vor allem ist die Funktion des Präskriptes als Leseanleitung für den ganzen Brief bedenkenswert. Die vielfach zu lesende Klage, der Jakobusbrief entbehre der Christologie — die in dieser Allgemeinheit ohnehin unzutreffend ist —, trifft von Anfang an nicht zu, wenn nur, was in den Kommentaren fast ausnahmslos unterlassen wird, das christologische Bekenntnis in 1,1 entsprechend mit biblischem Vorver ständnis gelesen und das Präskript nicht nur als bloße formale Zutat gewertet wird. Wie der Jakobusbrief von Anfang an ein genuin theozentrisches Dokument ist, so auch ein christozentrisches. Bleibt die Bestimmung des Verhältnisses beider zueinander zunächst noch offen (falls Jakobus dies für seine Leser überhaupt erklären mußte), wird sie im Verlauf des Briefes geliefert. Gerade vom Brief ganzen her erweist sich das Präskript in Vers 1 auch in theologischer Hinsicht bedeutungsschwer. Für wissende und glaubende Leser, die Jakobus voraussetzt, ist mit Vers 1 die Lesehaltung für den ganzen Brief vorgegeben (wie der Brief wiederum in seiner übergreifenden Einheit die Bedeutung der einzelnen Begriffe im Präskript festlegt; methodologisch liegt hier ein Zirkel vor). Was aufgrund der typi schen Knappheit des Präskriptes in der Schwebe bleiben muß, setzt für christliche Leser dennoch eine Fülle von Assoziationen frei, die allerdings nur z. T. im Verlauf des Briefes eingelöst werden, da weder die Theo-logie noch die Christologie intendiertes Thema des Jakobus ist. Beide Aspekte werden nur nebenher und in vorauslaufender Begründung erwähnt, bilden jedoch durch und durch eine tragfähige theologische Basis. la-c: Die nähere Charakterisierung des Verfassers durch »Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi« wie die der Adressaten durch »die zwölf Stämme in der Zerstreuung«, erst recht die pseudepigra-
phisch und schriftgelehrt motivierte Verbindung der zwölf Stämme in der Zerstreuung mit dem Erzvater Jakob zeigt den geistig theologischen Horizont des Verfassers, auch wenn er für Christen in der Autorität des ehemaligen Leiters der Jerusalemer Urgemeinde zu schreiben vorgibt: Nicht nur in den unterschiedlichen Traditionen, sondern auch im Namen Jakob/Jakobus zeigt sich für den Verfasser die Einheit von Juden und Judenchristen, Juden und Heidenchristen. In der Selektion der verschiedenen Traditionen und ihrer Vereinigung in der Komposition des Präskriptes zeigt sich die Intention des Schreibers und seine pragmatische Wirkab sicht auf die Adressaten. Dies alles in der gebildeten griechischen Form des Präskriptes und in rhythmisch wohlgesetzten Zeilen. Sein Ziel ist: Die angeredeten Christen sollen sich als die zwölf Stämme in der Zerstreuung und als Söhne Jakobs und damit als Erben der Verheißung verstehen. Von Anfang an erweist sich der Verfasser nicht nur als belesener und literarisch gebildeter, sondern auch als ökumenisch orientierter Theologe par excellence. Er steht am Schnittpunkt von Judentum und Christentum, von griechischer Kultur und jüdisch-christlichem Glauben. Da dies so ist, ist seine jüdisch und christlich orientierte Denkart stark traditionsgebun den, auch wenn er — dies war für seine Leser ausreichend — bestimmte Begriffe nur nennt, sie aber nicht erklärt. Für uns sind sie traditionsgeschichtlich aufzuarbeiten, da sie Voraussetzung sind für ein synchrones Verstehen des vorliegenden Textes; ohne sie bliebe der Brief vielfach für moderne Leser stumm. Erst als Äuße rungen eines Christen, der mit allen Fasern tief in der jüdischen Glaubenstradition und in der Ethik seiner Umwelt verwurzelt ist, belegen alle Verse des Jakobusbriefes vom Präskript an, in welch hohem Maße der Verfasser theologisch denkt. Dies ist gegen alle »untheologischen« Deutungen des Briefes von Luther bis zu Dibe lius (36.69) zu sagen. Von Anfang an ist der Brief ein durch und durch theozentrisches Dokument (Popkes 199; Baasland, Form 3667); hierin stimmt das Präskript mit allen Kapiteln des Briefes überein, was zu zeigen ist. Und auch dies wird sich zeigen, daß diese für das N T außergewöhnliche Betonung der Theozentrik die Christozentrik nicht aus-, wohl aber einschließt; hierin stimmt Jakobus am ehesten mit der frühen Jesustradition (etwa der Logienquelle) überein. ld: Wie eng der Verfasser nicht nur thematisch den Zusammen hang zwischen 1,1 und 1,2-18 gesehen hat — dies spricht gegen alle Interpolationshypothesen von 1,1 —, sondern auch formal, zeigt die Stichwortverbindung chairein: einen freudigen Gruß senden
(zu dieser elliptisch in Briefeingängen belegten Wendung: Bauer - Aland 1744; Taatz 106 f.) und chara: Freude in 2a. Ebenso wird diese Einheit bestätigt durch die Identität der zwölf Stämme, d. h. aller Christen von Vers 1 mit meine Brüder in 2a und durch die Thematik der mannigfachen Erprobungen in 1,2ff., die mit der soziologisch bedingten Minderheiten-Situation der Adressaten in der Diaspora zu tun haben dürften. Da es für die sicherlich beabsichtigte Stichwortverbindung keine Vorlagen für den Verfas ser gab (Wuellner 40 verweist auf eine angebliche Parallele in einem Privatbrief im Papyrus Giessen 21; Mußner 63 Anm. 1 verweist auf den Eingangsgruß in IgnEph 1,1: in untadeliger Freude grüßen: chara chairein; vgl. auch IgnPhld 10,1), ist dieses stilistische Mittel nicht als »auch sonst beliebte Stichwortverbindung« (Mußner 62) zu werten, sondern als singulär redaktionell zu verstehen. Jakobus schafft bewußt eine äußerst enge, nicht mehr zu überbietende Verzahnung zwischen Präskript und Briefinhalt (was er nochmals betont durch die unerwartete Voranstellung des Objektes charan an den Anfang von Vers 2 vor dem Verbum). Der gleichbleibende Rhythmus und die gleichlangen Stichen unterstreichen noch diesen Eindruck. Der Verfasser des Briefes hat demnach sehr wohl über legt redaktionell das Präskript und seine Verbindung zum Brief korpus formuliert, wie es griechischer Brieftopik entsprach (vgl. auch Einleitung 2.4a).
B Der Prolog Von Prüfungen und ihren anthro pologischen und theo-logischen Aspekten (1,2-18)
2 a b 3 a b 4 a
5
6
7 8
b c a b c d a b c a b a b
9 10 a b 11 a b c d 12 a b c
Für lauter Freude haltet es, meine Brüder, wenn ihr in mannigfache Prüfungen geraten seid. Wißt! Dieses euer Prüfungsmittel bewirkt Standhaftigkeit des Glaubens. Die Standhaftigkeit aber soll ein vollkommenes Werk haben, damit ihr (selbst) vollkommen und ganz seid, und es euch an nichts mangelt. Mangelt es aber einem von euch an Weisheit, so erbitte er sie von Gott, der allen vorbehaltlos und ohne zu nörgeln gibt, und sie wird ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben, indem er in nichts zweifelt, Denn wer zweifelt, gleicht einer Meereswoge, die vom Winde gepeitscht und umhergetrieben wird. Ein solcher Mensch meine nur ja nicht, er werde etwas vom Herrn empfangen. (Er ist) ein Mann, zwiespältig und unbeständig auf all seinen Wegen. Es rühme sich aber der Bruder: der niedriggestellte seiner Hoheit, der reiche dagegen seiner Niedrigkeit, denn wie eine Blume des Grases wird er vergehen. Denn: Es geht die Sonne auf mit Hitze, und das Gras verdorrt, seine Blume fällt ab, und die Schönheit ihres Aussehens ist dahin, So wird auch der Reiche auf seinen Geschäftsreisen dahinwelken. Selig der Mann, der in der Prüfung standhält; da er bewährt wurde, wird er den Kranz des Lebens empfangen, den er (Gott) denen verheißen hat, die ihn lieben.
134 13 a b c d 14 a b 15 a b 16 17 a b c d 18 a b
Der Prolog
(1,2-18)
Keiner, der versucht wird, soll sagen: >Von Gott werde ich versuchte denn Gott, der vom Bösen unversuchbar ist, versucht auch selbst niemanden. Jeder wird vielmehr versucht von seiner eigenen Begierde, indem er von ihr angelockt und geködert wird. Dann wird die Begierde schwanger und gebiert die Sünde, die Sünde aber, voll ausgereift, gebiert den Tod. Geht nicht in die Irre, meine geliebten Brüder! Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk ist von oben, kommt herab vom Vater der Lichter, bei dem es keine Veränderung gibt oder eines Wechsels Verschattung. Er wollte uns und hat uns geboren durch das Wort der Wahrheit, damit wir eine Art Erstling seiner Geschöpfe seien.
Literatur zum Prolog insgesamt: Amphoux, C. B., Une relecture du chapitre 1 dePEpitre de Jacques, in: Bib 59 (1978) 554-561. — Baasland, E., Literarische Form 3654-3661. — Ders., Jakobsbrevets struktur (Manuskript von 1981) 29 S. — Ders., Jakobusbrief 122f. — Danes, F., Zur linguistischen Analyse der Textstruktur, in: Folia Linguistica 4(1970) 72-78. — Francis, F. O., The Form and Function of the Opening and Closing Paragraphs of James and I John, in: Z N W 61(1970) 110-126. - Frankemölle, FL., Gespal ten oder ganz 161-168. — Ders., Zum Thema des Jakobusbriefes 21-33. - Ders., Das semantische Netz. — Geckeier, H., Strukturelle Semantik und Wortfeldtheorie, München 1971. - Hoppe, Hintergrund 18-32. - Plett, H. F., Einführung in die rhetorische Textanalyse, Hamburg 1979. — Pop kes, Adressaten 18-23. - De Vries, Brief 45-78. 2
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I. Form, Thema und briefliche Funktion von 1,2-18 1. Zur Einheit der Verse Literarkritisch sei zunächst nach der Einheitlichkeit der Verse 1,2-18 gefragt, ob diese Verse überhaupt als mehr oder weniger geschlossener Text bezeichnet werden können, eine Frage, die in der Auslegung des Jakobusbriefes bekanntlich außerordentlich umstritten ist. Die in diesem Kommentar vertretene These lautet: Der Text ist sehr wohl vom Verfasser als literarische Einheit gestaltet worden und hat zudem — als Prolog — für den ganzen Brief eine fundamentale Funktion. Wenn diese Verse wirklich ein Prolog sind, dann enthalten sie in nuce bereits das bzw. die Themen der folgenden Schrift. Daher steht und fällt eine Ausle gung des Jak mit der Auslegung der Anfangssätze des Briefes. Auch die Situation der Adressaten, auf die der Verfasser mit seiner Schrift einwirken möchte, wird sich in Grundzügen hier finden. Da es — dies dürfte deutlich sein — am Beginn bereits um die Grundkonzeption der Auslegung geht, sei die Begründung für die eigene These zur literarischen Konzeption des Jakobus etwas aus führlicher dargestellt. Dies auch deswegen, weil in der antiken Rhetorik die Einleitung eines Textes formal und thematisch sehr bewußt gestaltet wurde. Zeigt sich doch die schriftstellerische und thematische Größe eines Verfassers nicht nur am Inhalt, sondern auch an der formalen Qualität. Auch im Jakobusbrief korreliert mit der Größe der Gedanken die Kunst der literarischen Gestaltung. In beider Hinsicht ist die angeblich »stroern Epistel« (Luther) zu rehabilitieren. Nicht ein konfessionelles Vorverständnis kann dies leisten, sondern allein die Bemühung am Text selbst. Da in der antiken Rhetorik die Einlei tung eines Textes thematisch und formal sehr bewußt gestaltet wurde, um — so etwa Quintilian — den Leser benevolum (wohl wollend), docilem (lernbereit) und attentum (gespannt) zu machen, der Textanfang also das Interesse der Leser wecken sollte (vgl. Lausberg 150-160), hat der Ausleger heute diese Intention zu beachten. Die Frage, ob diese Verse in sich eine Einheit bilden, wird von den Kommentaren entsprechend ihrer Grundtendenz unterschiedlich beantwortet. Selbst Dibelius, der lauter paränetische Einzeltradi tionen annimmt, muß bei seinem atomistischen Ansatz in 1,2-18
»einen in gewisser Beziehung gerundeten Abschnitt« (97) feststel len, dessen Einheit durch Stichwortverbindungen jedoch sehr for mal und »nur äußerlich« ist. Außerdem gebe es einen »Gedanken sprung« vor 1,9: »Wer 1,2 unbefangen ansieht, denkt etwa an Christen Verfolgungen oder an ähnliche Erprobungen wer 1,13 ff. ebenso unbefangen liest, an Versuchung zur Sünde, wo die >Begierde< >reizt und lockt<. Eine Exegese, die dem Augenschein zum Trotz beide Sprüche auf einen Generalnenner bringen will, geht von der Voraussetzung aus, daß sie es mit einer Diatribe oder sonst einer kleinen Abhandlung zu tun habe, wie sie zu jener Zeit sowohl in größeren Lehrschriften (Philo) als auch in wirklichen Briefen (Paulus) zu finden sind. Die Richtigkeit dieser Vorausset zung ist mit aller Entschiedenheit zu bestreiten, da die Untersu chung der einzelnen Sprüche ein anderes Resultat ergibt.« (97) Dem ist ausgehend vom Prinzip der funktionellen Oppositionen, von denen der ganze Brief des Jak geprägt ist (s. u.), eindeutig zu widersprechen. Dies gilt auch der Auflösung der Verse in verschie dene kleine Einheiten durch andere Ausleger sowie der These, daß sie nur »ein einigermaßen zusammengehöriges Ganzes erkennen« lassen (Mußner 62). Anders als bei der Frage nach der Kontextualität der Verse ist Anfang und Ende der Texteinheit weniger umstrit ten. Sie werden einerseits durch das Präskript, andererseits durch die direkte Anrede an die Leser/Hörer in 19 markiert, womit in 19 auch ein Themenwechsel verbunden ist (19-27: Vom schnellen bzw. langsamen Hören und Tun des Wortes Gottes und vom Zorn des Menschen). Entsprechend sehen die meisten Kommentare (vgl. Kürzdörfer 87, Popkes 18-23) und neuere Monographien nach 18 einen Einschnitt, ohne allerdings die Verse 2-18 als Einheit zu verstehen. Für die Frage nach der Einheitlichkeit in 1,2-18 ist entscheidend die in 2b im griechischen Text ungewöhnliche Sperrung von Sub stantiv Prüfungen/Erprobungen/Anfechtungen und Adjektiv mannigfache/mannigfaltige durch das Verbum: Wenn in Prü fungen ihr geraten seid, (in) verschiedenartige. Dadurch wird das am Satzende stehende Adjektiv außerordentlich stark betont (vgl. BIDebrReh 473.477). Die deutsche Sprache kann das Hyperbaton, die Abweichung von der natürlichen Wortstellung, nur schwer nachvollziehen. •Die Hervorhebung der Vielgestaltigkeit der Erprobungen steigert Jakobus noch durch das Stilmittel der Alliteration; auch diese bewußte Klangfigur mit dem gleichen Anlaut der Konsonanten (peirasmois peripesete poikilois) ist in der deutschen Übersetzung
ebenfalls nicht nachzuahmen. Das betont gestellte Adjektiv »man nigfache/vielgestaltige« zielt nicht — wie etwa der Begriff »viele« — auf Quantität, sondern auf qualitative Differenzierung, d. h. auf sachliche Unterschiede. Gerade darauf kommt es Jakobus an. Unterschiedliche Erprobungen/Versuchungen werden zunächst in 1,2-11 entfaltet, so daß sich folgende Gliederung nahelegt, die in der Form- und Gattungskritik näher begründet werden kann: 1,2-4:
1,5: 1,6-8: 1,9-11: 1,12:
(Grundthese bzw. umfassende Themaangabe): Freude über und Bewährung in mancherlei Prüfungen; sie bewirken Standhaftigkeit des Glaubens, deren Ziel wie derum Vollkommenheit ist im Handeln und im Sein. (erste Prüfung): Mangel an Weisheit (zweite Prüfung): Mangel an Glauben (dritte Prüfung): Mangel an richtiger Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen (formal und thematisch ein deutlicher Rückgriff auf 1,4): der eschatologische Lohn der Bewährung.
Zunächst werden in den Versen 5-11 in kurzen, holzschnittartigen Thesen unterschiedliche, für die Situation der Adressaten wohl kennzeichnende Anfechtungen/Erprobungen benannt. Erst danach greift der Verfasser in den Versen 13 ff. die Frage nach ihrer Ursache auf. Der Frage: »Von welcher Art sind die Anfechtun gen?« korrespondiert die nach ihrem »Woher«. Mit quales und unde ist die einheitliche Denkperspektive des Jakobus zu Beginn des Schreibens angegeben, ohne daß er sich auf den Anfang beschränkt (vgl. vor allem die Neuaufnahme der Frage: »Woher kommen die Kriege und woher die Kämpfe bei euch?« in 4,1). Die Intention des Verfassers bedingt es, daß der semantisch vielge staltige Begriff peirasmos einmal Erprobung/Anfechtung/Prü fung und einmal Versuchung meint. Um äußere und innere Erprobungen/Versuchungen geht es. Verschiedene Aspekte menschlicher Erfahrungen stehen an, nicht verschiedene Themen. Jakobus betont immer Innen und Außen, Glaube und Werk, Wort und Tun, Weisheit und Ethik, Sünde und Krankheit als Einheit. Das in den Kommentaren vielverhandelte Problem einer Spannung beim angeblich unterschiedlich verstandenen Begriff peirasmos und der daraus gefolgerten unbedingt gedanklichen Trennung der Verse 1,2-12.13-18 ist textsemantisch beim Ansatz des Prinzips der funk tionellen Oppositionen genau umgekehrt zu beantworten: Das eine Stichwort verbindet beide kleinen gedanklichen Einheiten, da wie
in 1,4a Außenseite (»vollkommenes Werk«) und in 1,4b Innenseite (»damit ihr selbst vollkommen und ganz seid«) menschlicher Exi stenz reflektiert wird. Dies ist eine typische Denkform des Jakobus (vgl. 2,14-26 und 3,13-18). Deshalb ist nicht die Trennung zu betonen, sondern die oppositionelle Verbindung, die durch den ganzen Brief bestätigt wird. Bewußte thematische und formale Gestaltung läßt sich bereits unter literarkritischen Aspekten auch in den folgenden Versen nachweisen. Nach den knappen Hinweisen zur Theodizee-Problematik in 13-15 (Kommt das Böse von Gott?) folgt als erneuter Appell an die Adressaten in 16 die Warnung vor Selbsttäuschung: »Geht nicht in die Irre!« Dies ist eine berechtigte Aufforderung aufgrund der in 14 formulierten These, wonach die Versuchungen allein aus der menschlichen Begierde kommen. Es folgt in 17 die positive Aussage (in Korrespondenz zur negativen in 1,13-15, wonach Versuchungen nicht von Gott kommen), daß »jede gute Gabe« Gott zum Urheber hat. Dies wurde aber bereits in den Versen 5.7 und 12 vorausgesetzt. Als weitere Gliederungspunkte ergeben sich also: 1,13-15: Woher kommen Versuchungen? 1,16: Warnung vor Selbsttäuschung 1,17-18: Alles Gute kommt einzig und allein von Gott. Zusammenfassend läßt sich zur Einheitlichkeit von 2-18 sagen: Die Verse lassen sich bereits synchron (ohne Zuhilfenahme von tradi tionsgeschichtlichen Vorlagen) formal und inhaltlich als Komposi tion verstehen. Sie ist insgesamt stark kohärent. Unvereinbare Spannungen und Widersprüche existieren nicht. Auch in der Satz verknüpfung ist der Text stimmig. Dies bestätigt auch die struktu relle semantische Untersuchung (s. u.): Eine gegenseitige Unver träglichkeit der verwendeten Begriffe und Wortfelder ist nicht festzustellen, im Gegenteil: Der ganze Gedankengang kreist um das Thema »Versuchungen/Erprobungen«, näherhin um ihre ver schiedenen Formen im konkreten Leben des einzelnen und der Gemeinde, aber vor allem um die Fragen: Welcher Art sind und wozu dienen Erprobungen/Versuchungen und woher kommen sie? Die Fragen quales und unde und die Fragen nach dem Warum und Wozu will Jakobus im ersten Anlauf beantworten.
2. Zur Form des Textes Literatur: Amphoux, C. B., A propos de Jacques 1,17, in: RHPhR 50(1970)
127-136. - Baasland, Form 3659-3661. - Cladder, H.J., Die Anlage des Jakobusbriefes, in: ZKTh 28(1904) 37-57. - Ders., Der formale Aufbau des
Jakobusbriefes, in: ebd. 295-330. — Frankemölle, Thema 27-33. — Ders., Das semantische Netz. — Gieger, L. G, Figures of Speech in the Epistle of James: A Rhetorical and Exegetical Analysis, Fort Worth 1981. — Greeven, / / . J e d e Gabe ist gut, Jak 1,17, in: ThZ 14(1958) 1-13. - WolmaransJ. L. P.,Making sense out of suffering: James 1:2-4, in: HTS 47(1991) 1109-1121.
Der Text 1,2-18 hat sich literarkritisch als einheitliche Größe, nach vorn und hinten abgrenzbar, erwiesen. Dennoch haben sich inner halb des Textes noch sinnvolle kleinere Untereinheiten herausge stellt (1,2-4.5.6-8.9-11.12.13-15.16.17-18). Jakobus hat es kompo sitionstechnisch aber verstanden, trotz der unterschiedlichen the matischen Aspekte den Text formal und inhaltlich zu einer Einheit zu machen. Dies kann durch die Formkritik begründet werden. Deshalb ist es angebracht, die Verse in ihrer übergreifenden Gestalt formkritisch zu untersuchen. Auch wenn für den Leser des Kom mentars die Lektüre zum einzelnen Vers dadurch nicht erleichtert wird, so wird er aber mit der Erkenntnis der redaktionellen Inten tion des Jakobus belohnt. Die Frage nach der Kohärenz des Textes ist also — nicht nur im Hinblick auf die Erstadressaten — primär. Spannungen und Gliederungsmerkmale dienen, wie sich zeigt, zunächst der Komposition (vgl. Berger, Exegese 11-32) und der theologischen Aussage, die in ihrer Einheit auf das Selbstverständ nis und das Handeln der Leser zielt. In der Formkritik versucht man, sozusagen das persönliche Gesicht eines Textes zu beschreiben. Daher seien die wichtigsten Eigentümlichkeiten des griechischen Textes festgehalten, wobei die Erkenntnisse sich leicht auf die deutsche Ubersetzung übertragen lassen. Mag im Einzelfall zweifelhaft sein, ob bewußte Gestaltung oder ein Zufall vorliegt: Das gehäufte Vorkommen rhetorischer Stilmittel im Jak (im Vergleich zu anderen neutestamentlichen Schriften) zeigt, daß der Verfasser ein Meister der rhetorischen Kunst ist. Dies gilt auch dann, wenn man die Grundsätze der antiken Rhetorik (vgl. Norden, Lausberg), der römisch-griechi schen Brieftopik (vgl. Hereber, Exler, Thraede, Gerhard, Koskenniemi, White) oder der hellenistisch-jüdischen, weisheitlichen Lehrrede (vgl. von Rad, MacGorman, Zeller 15-32, Küchler 157175) als Maßstab nimmt.
Einem Exordium gemäß (vgl. den Exkurs: 1,2-18 als Prolog) sind die Verse 2-4 syntaktisch und rhythmisch, rhetorisch und sprach lich sehr dicht und ausgefeilt, geht es doch in ihnen um die programmatische Zielangabe des Schreibens. Die Zahl der Worte und sogar der Silben der einzelnen Verse entsprechen sich mög lichst (wie bei allen Versen des Jak; dies ist der Grund, die oft rhythmisch geformten Stichen auch durch den Druck optisch sichtbar werden zu lassen: vgl. Einleitung 2.4d). Inhaltlich wichtig wird dies z. B . in 3a.b. Geht man im griechischen Text von der intendierten Gleichzahl der Worte aus, dann steht in 3a »euer« entgegen den üblichen Übersetzungen betont am Stichenende als Ergänzung zu »Prüfungsmittel« und nicht zu »Glaube« in 3b. Es geht um die spezifischen Prüfungsmittel des Glaubens der Adressa ten, die in 5.6-8.9-11 entfaltet werden. Am Anfang von 2 : für lauter Freude haltet es geht das (betonte) Objekt dem Verbum voran (so auch in 4a). Damit wird die Grundstimmung der »Freude« trotz aller ambivalenten Erfahrun gen — wovon der ganze Jak spricht - als Ziel thematisiert. Die eschatologische Gewißheit aus Vers 12 ist dabei bereits impliziert (mit dem Gedanken der Rettung von Krankheit und vor dem Tod endet im übrigen der Jak in 5,15.20). Der Gewichtigkeit des Satzes gemäß ragt 2 stilistisch hervor: in 2a durch das Stilmittel der Assonanz auf a (pasan charan hegesaste, adelphoi), in 2b durch das der Alliteration auf p (peirasmois peripesete poikilois). Nicht nur des besseren Rhythmus wegen wird das Attribut vom Nomen getrennt, dies geschieht auch, um 2b sachlich endbetont hervorzu heben. Hier steht das Problem, das in 5-11 entfaltet wird. Daß dies so ist, läßt sich auch formkritisch begründen. Wortfolge und Gedankenfolge bedingen einander; die syntaktische Struktur impliziert semantische Inhalte. Nach einem Terminus der Prager linguistischen Schule enthält jeder Satz das Thema als etwas Bekanntes und Vorausgesetztes, worüber etwas mitgeteilt wird, und das Rhema: das, was zum Thema neu mitgeteilt wird (Danes, Stammer Johann 155-157; Schweizer 101-106). Die neue Informa tion, das Rhema, bewirkt im Text die fortschreitende Bewegung, gibt ihm seine »thematische Progression« (Danes 74); diese stellt das Gerüst des Textaufbaus dar. Das heißt für den Jak konkret: Thema in 2 ist das (bekannte) Faktum von Anfechtungen/Ver suchungen, die neue Information, das Rhema für die Adressaten im Sinne des Verfassers ist ihre Mannigfaltigkeit und Verschiedenar tigkeit. Die dadurch freigesetzten ergänzenden Fragen (konkret: Von welcher Art sind die Versuchungen? Wozu dienen sie? Woher
kommen sie?) ergeben jeweils das Rhema (3b.4.13ff.). Ähnlich verhält es sich bei den Wendungen »vollkommen« und »an nichts mangeln« in Vers 4. Der Vers ist ganz anthropologisch formuliert, könnte reformatorisch absolut mißverstanden werden, da nicht gesagt wird, woher die Vollkommenheit kommt und die Ermögli chung, Mangelzustände im Menschen aufzuheben. Erst aus diesen Fragen entwickelt sich die Gedankenfolge des Textes (als Syllogis mus, d. h. als Vernunftschluß vom Allgemeinen auf das Besondere bezeichnet Wolmarans die Struktur in 1,2-4; abgesehen von der Beschränkung auf 1,2-4 wird zwar der fortschreitende Charakter gut erkannt, der aber mit nur logischen Kategorien nicht umfas send zu beschreiben ist). Rhetorisch bilden die von Jakobus angeführten Beispiele in den Versen 5-11 eine digressio (Lausberg 340-342), eine komplemen täre und erläuternde Erweiterung, wobei ein solcher Exkurs auch im Exordium stehen kann (Lausberg 288). Mit 12 kehrt der Verfas ser zum eigentlichen Thema zurück. Das Thema von 12 ist jedoch mit der Zielangabe in Vers 4b identisch, so daß sich aufgrund der Thema-Rhema-Struktur der Verse 2-12 als intendierte Wirkabsicht des Jakobus bis jetzt ergibt: Kommt zur Einsicht (3a) und werdet als Christen und als christliche Gemeinde (vgl. das ekklesiale »Brüder« in 2.16) trotz und gerade wegen der mannigfachen Prü fungen/Erprobungen des Glaubens »vollkommen und ganz/unge teilt/vollständig« (1,4b)! Damit hat Jakobus bereits am Ende des Exordiums (4c hat deutlich zu 5a überleitenden und verknüpfenden Charakter) in semantischer und pragmatischer Perspektive das Thema seines Briefes gefunden, das allerdings in den folgenden Versen noch stärker theozentrisch begründet wird (s. u.). Bevor diese theozentrische Basis des Prologes inhaltlich näher als begrün dende Voraussetzung für christliches Sein und Handeln umschrie ben wird, seien — lediglich auswahlweise — einige weitere formkri tische Hinweise gegeben, wobei vor allem versübergreifende Aspekte benannt seien. Zurück also zu weiteren Beobachtungen thematischer Progres sion, die kennzeichnend ist für die gesamten Verse. Während in 5 ff. verschiedene thematische Aspekte aus 2b abgeleitet werden, findet sich eine einfache lineare Progression, bei der das Rhema der vorausgehenden Aussage zum Thema der folgenden wird, im Übergang von 3b zu 4a (bewirkt Geduld, die Geduld aber ...), von 4c zu 5a (an nichts mangelt, mangelt es aber ...) wie von 6a zu 6b (ohne zu zweifeln, denn wer zweifelt ...) und von 15a zu 15b (gebiert eine Sünde, die Sünde aber . . . ) . Die Anadiplose oder
reduplicatio, d. h. Wiederholung des letzten Wortes eines Satzes als erstes Wort des folgenden Satzes (u. a. von Dibelius 125-129 ungenau Kettenreihe genannt), dient wie üblich so auch hier neben der Einheit des Gedankenfortschritts in der Antike auch zur pathe tischen Ausdruckssteigerung (Lausberg 314). Eine einfache lineare Progression mit Wortwechsel findet sich außerdem im Ubergang von 12a zu 12b, von 12b zu 12c und 14a zu 14b. Die Progression mit einem durchlaufenden Thema, bei dem eine Reihe von Aussagen dasselbe Thema enthält, zu dem jeweils ein neues Rhema hinzutritt, findet sich hingegen in I I a bis lld. In der Regel ist das Rhema unbestimmt (z. B . durch das Fehlen eines Artikels oder durch das Adjektiv; vgl. 2: mancherlei Erprobun gen), wodurch es den Bezug auf die Adressaten (und deren Neu gier) verstärkt. In der Prager linguistischen Schule spricht man zu Recht von der größeren »kommunikativen Dynamik« des Rhemas. Wichtig ist, daß formkritisch nicht nur textinterne Gliederungs aspekte erkannt, sondern handlungsorientiert auch unterschiedli che sachlich-intentionale Bezüge zu den Rezipienten gesehen wer den. Da diese angesprochenen Regeln generell für alle Sprachen gelten, dürften auch die Adressaten des Jakobus diese Sätze so verstanden haben. Beim Verbum in 2 wendet sich der Verfasser mit dem Tempus des Aorists (in den folgenden Versen dominiert das Präsens) an gemachte Erfahrungen der Adressaten (»Wenn ... ihr geraten seid«). Die Konjunktion hotan im Griechischen leitet nicht eine zukünftige Möglichkeit (falls, wenn), sondern eine öfters wieder kehrende Handlung ein: dann/wann/so oft als/jedesmal wenn. Das heißt: Jakobus knüpft an die häufig gemachten Erfahrungen der Adressaten an, ihre alltägliche Situation wird angesprochen, nicht ein theoretisch-theologisches Problem. Jakobus entfaltet eine situative Erfahrungs-Theologie. Die erste direkte Anrede an die Rezipienten (meine Brüder) in 2a betont ebenfalls diese adressatenbezogene Thematik, schließt aber auch durch das Possessivpronomen meine den Verfasser ein. Die Anrede zeigt seine Solidarität und Übereinstimmung an (vgl. auch 3,1). Die häufige Anrede an die Adressaten ist nicht nur (wie oft einseitig geäußert wird) charakteristisch für den sogenannten Diatribenstil (zu ihrer dialogischen Struktur vgl. Schmeller 215-222), sondern auch für die alttestamentliche Weisheitslehre (vgl. von Rad, Weisheit 60-62). Ebendort ist die Anrede »mein Sohn« bzw. »mein Kind«, »meine Kinder« oft belegt (vgl. etwa Spr 1,8.10.15; 2,1.2.16; Sir 2 , 1 ; 3,1.12.17; 4 , 1 ; 7,3 u. ö.), wobei Jakobus die
Anrede aus der Weisheitsschule jedoch auf die kirchliche Situation überträgt. Auch der Appell an die eigene Einsicht und an die eigene Erfahrung (vgl. 1,2.3a) findet sich in der Weisheitsliteratur ständig. Mit der Anrede »meine Brüder« in 1,2 (so oder ähnlich noch 17mal im Verlauf des Briefes bei nur 5 Kapiteln belegt!) schließt Jakobus sich nicht aus, sondern betont gemeinsame Gruppenmerkmale. Dem dienen auch die zahlreichen kommunikativen Formulierun gen mit »ihr« in der zweiten Person Plural (in der ersten Person Plural sind wesentlich weniger belegt; gehäuft jedoch in Kap. 3 über den Lehrerstand). Dies zeigt: Als Mitbruder hat der Autor der angesprochenen Gruppe etwas zu sagen, jedoch nicht als »autoritätsbewußter« Theologe (Mußner 33), denn dann brauchte er nicht so ausführlich und intensiv mit alttestamentlichen Vorbil dern, mit Vergleichen aus der Natur usw. zu werben und zu argumentieren und durch die zahlreichen Imperative (allein im Exordium finden sich 8) die Adressaten zur eigenen Stellungnahme zu provozieren (vgl. bes. 1,3a. 16). Insgesamt kann der Verfasser aber durch die Anrede »meine Brüder« in 1,2 die Spannung von Aufforderung/Zuspruch und Einbeziehung seiner Person nicht ganz ausgleichen; vielleicht will er es auch nicht. Als »Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« (1,1) steht er der Gruppe auch gegenüber, drängt auf Entscheidungen, fordert zu einem neuen Selbstverständnis und zu einem korrigierten Verhalten. Die gleich zeitige Betonung der Bruderschaft (sie setzt eine solidarische Gemeinschaft voraus) in 1,2 und der besonderen Indienstnahme des Verfassers als »Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht« gibt die unaufhebbare Spannung jedes theo-logischen und pro-phetischen Sprechens an. Dies gilt auch heute noch. Lautlich eindrucksvoll im griechischen Text ist die Verwendung von Begriffen des gleichen Stammes (3b.4a: katergazethai — ergon, be-wirken — Werk) und die Häufung gleichlautender Endsilben (Homoioteleuton) in 4b.c (teleioi ... holokleroi ... leipomenoi), 6c (anemizomeno — ripizomeno) und 14 (exhelkomenos — deleazomenos). Hierhin gehört auch die Beobachtung, daß der Verfasser aus rhythmischen Gründen die übliche Wortstellung verändert (zu 2b s. o.). Ahnlich setzt er in 13c die Kopula zwischen Adjektiv und zugehörigem Genetiv und erreicht damit einen durch betonte und unbetonte Silben wohlgegliederten Rhythmus (ho gär theös apeirastös estin kakön/peiräzei de autös oudena). Dies wiederholt sich in 17a, wo einige Ausleger (vgl. Greeven, Amphoux) vermuten, Jakobus habe hier einen Hexameter selbst formuliert oder zitiert — letzteres ist nicht zu klären, da ein Beleg fehlt (päsa dosis agathe kai
pän dorema teleion). Auch wenn der wohl erst seit 1749 als Hexameter angesehene Vers im zweiten Fuß gestört ist (Tribrachys), was zu kleinen Korrekturen angeregt hat (dosis t'agathe: BIDebrReh 488), ist das rhythmisch geformte Sprechen des Verfas sers im Exordium überdeutlich. Da auch in der synoptischen Tradition, selbst bei der Überarbeitung durch einen Seitenreferen ten (vgl. Mk 8,19.20 mit Mt 16,9.10), von den Verfassern rhythmi sche und metrische Aspekte beachtet werden, sollte Jak 1,13c. 17a nicht als Ausnahmefall gelten, zumal auch in der paulinischen Literatur des öfteren ähnliches festzustellen ist. Auch für Jakobus gilt, daß er Spitzensätze seines Briefes entsprechend rhetorisch zu gestalten weiß. Es bleibt auffällig, daß zwei inhaltlich die Verse 1318 tragende Zeilen rhythmisch und metrisch exakt strukturiert sind. Ein Zufall dürfte ausgeschlossen sein. Inhaltlich eindrucksvoll ist in allen Versen die pleophore Varia tion der Begriffe (4: vollkommen und ganz/ungeteilt; 5c: vorbe haltlos und ohne zu nörgeln; 6c: gepeitscht und umhergetrieben; 14b: angelockt und geködert; 17a: gute Gabe — vollkommenes Geschenk; 17a.b: ist von oben — kommt herab; 17c.d: Verände rung - Verfinsterung). Der hier feststellbare starke Gebrauch von Adjektiven, von der die Sprache des Jakobus insgesamt geprägt ist, ist nur vergleichbar mit der Sprache der Weisheitssprüche im AT. Auch die Illustration einer Aussage durch Vergleiche aus der Nautik (6b.c), Botanik (lOb.lla-c) und Anthropologie (15a.b) zeigt eine der Thematik kongeniale Beherrschung des sprachlichen Ausdrucks. Solche Logien sind von Einsicht, Prägnanz und Schön heit geprägt. Nicht begriffliche Schärfe wird vom Verfasser ange zielt, vielmehr werden Assoziationen freigesetzt im Interesse des Themas. Dem hat die Interpretation solcher Spruchweisheit zu entsprechen: »Man muß Verstand haben, ihren Verstand zu fassen, und Gefühl haben, die Schönheit ihres Ausdrucks zu fühlen!« (/. G. Herder, zitiert bei von Rad, Weisheit 49). Dies gilt auch für die bildlichen Redewendungen wie »zwiespältiges Herz« (8a), »Kranz des Lebens« (12b), von der Begierde angelockt und geködert werden (14b), »die Begierde wird schwanger und gebiert die Sünde« (15a), »die Sünde ... gebiert den Tod« (15b), Gott als »Vater der Lichter« (17b), »gebären durch das Wort der Wahrheit« (18a), Christen als »Erstlinge seiner Geschöpfe« (18b). Ebenfalls ist auf die Vergäng lichkeitsmetapher in lOb-lld (Mensch) im Kontrast zur Unveränderlichkeits-Metaphorik (Gott) in 17a-d hinzuweisen. Diese Bilder zeigen in ihrer Metaphorik die dichterisch-lyrische Dimension der
Sprache des Jakobus. Dies belegt auch die Personifikation der Begierde in V 15. Der Gehalt der Worte wird in Bildern erfaßt, die deutlich nicht nur Illustration sind, sondern für die Sache selbst stehen. Jakobus pflegt eine Sprache in Bildern. In der Bildhaftigkeit entfaltet sich das Thema in lebendiger Fülle in immer neuen Dimensionen. Bilder illustrieren auf anderer Ebene die Worte, sie stehen demnach für die Sache selbst. Die Bildhaftigkeit ist nicht äußerliche Zutat, da sich erst durch Bilder und in ihnen Realität lebendig entfaltet. Das Bild, »schon als sprachliches Gebilde von stärkster Gefühlseinprägsamkeit, Anschaulichkeit und Gehaltsver dichtung, ist wichtigstes Mittel dieser Eigenschöpfung. Es ersetzt die nüchtern-sachliche Aussage durch e. eigene, eindringliche Gegenstandswelt, die durch ihre Gefühlshaltigkeit und Beseelung über der kalten Dingwelt steht« (v. Wilpert 93). »Mehr als Worte sagt ein Lied«, heißt es in einem Kirchenlied, ein Bild ist nicht von geringerer intensiver Wirkung. Nur in der bildsprachlichen Dimension des Textes wird die theologische Sache, um die es geht, angemessen zur Sprache gebracht. Bei der Auslegung geht es nicht zuletzt auch um diese bildsprachliche Dimension des Textes, durch die Wirklichkeit erschlossen wird. Daher erarbeitet die formkriti sche Untersuchung eines Textes nicht nur belanglose Äußerlichkei ten, sie nähert sich vielmehr der Sache selbst an bzw. ist bei ihr. Form und Inhalt bedingen einander. Die formale und thematische Einheit in allen Versen 1,2-18 spricht bereits jetzt gegen jede atomistische Auslegung von Einzelversen. Dies bestätigt auch der parallelisieren.de Stil, durch den das Thema in zwei oder mehr Zeilen additiv zerlegt wird. Vorherrschend ist dabei der antithetische Parallelismus, bei dem zwei Zeilen thema tisch in Kontrast zueinander stehen: »damit ihr vollkommen und ganz/ungeteilt seid, und es euch an nichts mangelt« (4b — 4c); »es rühme sich aber der niedriggestellte Bruder seiner Hoheit, der reiche (Bruder) dagegen seiner Niedrigkeit« (9 f.). Die Spannung wird hier noch verstärkt durch die sachlich-antithetische Aussage im jeweiligen Vers (niedriggestellter Bruder — Hoheit, reicher Bruder — Niedrigkeit). Vom antithetischen Duktus und vom Prinzip der funktionellen Oppositionen (Geckeier, Strukturelle Semantik 178), die gerade aufgrund ihrer unterscheidenden Züge konstitutiv sind für das semantische Netz des Jakobusbriefes (Frankemölle, Netz 3), leben auch die Verse 1,2-18. Dies belegen folgende Wendungen: vollkommen/ganz — mangelhaft (4b — 5a), Weisheit von Gott — nicht von den Menschen, wobei letzteres hier impliziert, aber in
3,13-18 ausdrücklich formuliert ist (5a.b), vertrauensvolles Gebet (5b) — zweifelndes Gebet (6a.b), glauben — zweifeln (6), erhal ten — nicht empfangen — empfangen (5d — 7b — 12b), Gott gibt vorbehaltlos, ohne zu nörgeln — der Mensch ist zwiespältig, unbeständig (5c — 8a), Schönheit — verdorren ( l l b - l l c ) , Gott ist unversuchbar — Menschen werden ständig versucht (2b.l3c-13d), Versuchungen kommen nicht von Gott — sie kommen vom Men schen — von Gott kommt nur Gutes (13-15.17), Vater der Lich ter - Verfinsterung (17b - 17d), den Tod gebären - durch das Wort der Wahrheit gebären (15b - 18a), Leben (12) - Tod (15). Auch das Kontrastmotiv der zwei Wege (vgl. 1,8.11; 5,20), von dem der Anfang des Briefes wie das Ende deutlich geprägt ist (Wuellner 33; Baasland, Form 3652), ist hier zu nennen. Bei aller Ambivalenz des Menschen als Mangelwesen (5-11: Mangel an Weisheit, Glauben und richtiger Selbsteinschätzung) zeigt Jakobus den Weg zum Leben, der bereits in 2-4 deutlich als Klimax (s. u.) entworfen ist. Der Appell in 16: »Geht nicht in die Irre!« (oft zu rationalistisch mit »Irrt euch nicht!« übersetzt) bestätigt das WegMotiv. Vom antithetischen Duktus ist nicht nur das Menschenbild, sondern auch seine Beziehung zum Gottesbild geprägt: Gott gibt vorbehaltlos, ohne zu nörgeln — der Mensch ist zwiespältig, unbeständig (5c — 8a); Gott ist unversuchbar — die Menschen werden ständig versucht (2b. 13c — 13d); Versuchungen kommen nicht von Gott - sie kommen vom Menschen — von Gott kommt nur Gutes (13 — 15.17). Im Gegensatz zum unbeständigen, unru higen und zwiespältigen (8a), zweifelnden (6b), hin- und hergeris senen (6c), dahinwelkenden (10b. 11), versuchlichen (2b. 12.13) Menschen steht die Aussage von Gottes Unwandelbarkeit (17c.d) und von seiner unveränderlichen Treue und Vorbehaltlosigkeit im Geben (5c.d). Gott ist nicht launenhaft wie antike Götter. In diesen Kontext gehört auch die rhythmisch hervorgehobene mono lithische Aussage, daß Gott »unversuchbar« (apeirastos) ist (13c). Dieses in der gesamten griechischen Literatur sonst bislang nicht nachgewiesene Adjektiv ist nicht nur außergewöhnlich, es kenn zeichnet auch im Kontext von Vers 17 mit seiner theologia negativa das Gottesbild und die Anthropologie des Jakobus; davon ist nicht nur der Text 1,2-18 geprägt (vgl. den Exkurs nach 1,18: Anthropo logie und Theo-logie). Was sich im Exkurs nach 1,4 für den gesamten Brief ergibt, sei hier bereits für das Proömium betont (gerade weil es in der Literatur in der Regel nicht gesehen oder bestritten wird): Die Verse 1,2-18
sind durch und durch theozentrisch orientiert. Auf der Ebene der grammatischen Struktur ist Gott Subjekt. Er wird als Handelnder angegeben in 5cd.12c.13d.17a-d.18a. Doch auch dort, wo Gott auf der Oberflächenstruktur der Grammatik nicht als Subjekt eigens benannt wird, wird er als primär Handelnder aus menschli cher Perspektive vorausgesetzt, da der Mensch in seiner Mangelexi stenz (Mangel an Weisheit, an Glauben, an richtiger Selbsteinschät zung) die Veränderung seines Zustandes einem Handeln Gottes verdankt, wenn der Mensch darum bittet (4b.5b.6a.7b). Doch auch die biblischen Zitate aus Jes 40,6-8 in 10b und I I b setzen im biblischen Verständnis als Wort Gottes Gott als schöpferische Macht und Hüter der geschöpflichen Wirklichkeit — auch in ihrer Hinfälligkeit — voraus. Schließlich wird auch im Präskript die Identität des Jakobus als Briefschreiber durch Gottes (und Jesu Christi) Herr-Sein umschrieben. Eine stärkere theozentrische Aus richtung in wenigen Versen bietet kaum ein anderer Text im N T ! Kennzeichnend für Jakobus ist es darüber hinaus, daß Gottesbild und Menschenbild einander antithetisch zugeordnet sind. Diese Antithese und alle anderen Oppositionen verstärken die Einheitlichkeit des Textes, zumal da sie obendrein in der Regel versübergreifend entfaltet werden. Ähnliches wird auch bewirkt durch die direkte Aufnahme und Wiederholung von Begriffen (zur redditio vgl. Lausberg 317f.) oder durch ihre Variation: vollkommen (4.17), gegeben werden — empfangen — Gabe (5d.7b.12b.17), Freude - glücklich (2.12). In die gleiche Richtung zielt die vorliegende Klimax in den Versen 2-4 (Versuchung zielt auf Geduld, Geduld zielt auf Vollendung), der die antithetische Klimax in den Versen 14-15 (Versuchung bewirkt Sünde, Sünde bewirkt Tod) entspricht. Dies jedoch ist nicht das letzte Wort, vielmehr wendet Jakobus diese Antiklimax noch einmal ins Posi tive durch die Vorstellung von der Geburt der Christen »durch das Wort der Wahrheit« (18a), wobei die beiden letzten Aussagereihen durch das Stichwort »Geburt/gebären« zusammengehalten werden (15a.b.l8a). Trotz aller scheinbar negativen Erfahrungen sind die Christen »Erstling/Erstlingsfrucht seiner (Gottes) Geschöpfe« (18b), da der Mensch wie in 18a.b nach 3,9 (wiederum mit einem Gotteswort als Zitat aus Gen 1,27) generell »als Abbild Gottes« erschaffen ist. An jeder Stelle des Prologes zielen die Aussagen auf Kohärenz. So bildet auch Vers 2 mit Vers 12a eine Inklusion (Stichworte: Ver suchung/Erprobung, Freude — glücklich), ebenso Vers 3 (dokimion: Prüfungsmittel/Echtheit/Bewährtheit) mit Vers 12b (doki-
mos: bewährt/echt). Der gestalterische Wille zur formalen und thematischen Einheit — in der Literatur immer wieder bestritten - ist überdeutlich. Dennoch wäre mit diesen Beobachtungen die Struktur des Textes in seiner übergreifenden Einheit noch nicht vollständig erfaßt. Anzuknüpfen ist an die Ausführungen zur Thema-Rhema-Struktur (s. o.). Die eigentliche progressive Dynamik und kohärente Struk tur erfährt dieser Text durch den versübergreifenden Aufbau mit folgenden Elementen: Imperativ, Anrede, Begründung, Absicht, Bedingung bzw. Digression (Exkurs, kasuistische Erweiterung), Zitat, Exempel, Folgerung (vgl. etwas ungenauer Kürzdörfer 89 f. mit Parallelen zu dieser »Aufbaustruktur von Paränesen«, die es als feste Gattung jedoch nicht gibt; vgl. dazu die Einleitung 2.4a. Auch sind seine Strukturuntersuchungen zum ganzen Jak ebd. 9095 viel zu knapp und insgesamt unzureichend). Dennoch deutet die Struktur in 1,2-12 (sowie die parallelen Strukturen in 2,1-13 und 3,1-12) auf ein gemeinsames Schema hin. Vorlagen dafür gibt es in der vielfältigen weisheitlich geprägten Literatur des Frühjudentums und der paganen Literatur (s. u. zur Gattung). Uber die bisherigen formalen Beobachtungen hinaus läßt sich übergreifend textsyntak tisch festhalten: 2-4: Imperativ der zweiten Person Plural (2a). Begründung mit thematischer Progression (3). Sie zeigt sich im aufgenommenen Stichwort »Geduld«, im adversativen Gliederungspartikel »aber« (de), im Imperativ der dritten Person (4a) sowie im Finalsatz (4b), ergänzt um eine überleitende Partizipialkonstruktion (4c). 5a-6a: Kontrastierende Digression/Konditionalsatz zur These in 4 (5a). Imperativ der dritten Person (5b) — wieder aufgenommen in 6a aufgrund des Anakoluths in 5c.d. Die kleine Einheit wird durch die Identität des Subjekts gesichert. 6b-8b: Konditionaler Relativsatz/kontrastierende Digression (6b) mit neuem Subjekt und mit einem weiteren Exempel (6b.c). Impe rativ der dritten Person mit Begründung (7a) und anschließendem Inhaltssatz und Exempel (8). 9a-lld: Imperativ der dritten Person (9.10a) mit Exempel als Begründung (10b — 11c) und Folgerung ( l l d ) . 12a: Makarismus mit Begründung (12b). In l,13a-18b fehlt diese Struktur. Dies ist auffällig, auch wenn 13a mit dem Imperativ der dritten Person mit anschließender Begrün dung beginnt und sich ebenso in 16 ein Imperativ als Warnspruch mit Anrede findet. Jedoch: Alle Verse ab 13 sind ausladender, sie sind weniger von obigen stilistischen Merkmalen als von der rhyth-
mischen und von der inhaltlichen Thematik bestimmt. Letztere ergibt sich aus der Thema-Rhema-Struktur: Nach der Feststellung des Faktums der Erprobungen/Versuchungen in Vers 2 und nach dem Aufweis einiger (für die Adressaten wohl besonders wichtiger) exemplarischer Beispiele in 5-11 folgt ab 13 die Frage nach ihrem Woher. Diese Frage blieb in der These in Vers 2 sowie in den folgenden Differenzierungen noch unbeantwortet. Die Thematik und daher auch die formale Struktur ist in den Versen 13-18 antithetisch angeordnet. Sie ist geprägt vom Prinzip der funktionellen Oppositionen wie: versucht von der eigenen Begierde — nicht von Gott versucht werden — Gott ist unversuch bar — er versucht niemanden (13-14a); Tod (15b) — geboren zum Leben (18); Begierde und Sünde aus dem Inneren des Menschen (14-15) — jede gute Gabe von Gott (17). Wie die sich ergänzenden funktionellen Oppositionen zeigen, ist dieser Abschnitt stärker theozentrisch orientiert (während die in 2-12 skizzierte auf der Oberflächenstruktur des Textes vorherrschende anthropologische Perspektive in der folgenden Einheit 19-27 wieder aufgenommen und weiter entfaltet wird). Die theozentrischen Aussagen lauten: Nicht Gott ist Grund der Versuchungen, sondern die menschliche Begierde; Gott gibt nur Gutes, außerdem unterliegt er keiner Veränderung und Verfinsterung. Formal und thematisch liegt also zwischen Vers 12 und Vers 13 der Haupteinschnitt der kleinen Einheit 1,2-18. Dieses Verständnis wird durch alte armenische, georgische und jerusalemische Lektio nare aus dem 4. Jahrhundert bestätigt (Ampboux, Relecture 560 f.). Allerdings kommt die ab Vers 13 immer deutlicher werdende theozentrische Perspektive nicht unvorbereitet, da sie durch 5b.c.7b und 12b innerhalb der anthropologischen Grundorientie rung bereits anklang. Umgekehrt gilt: Auch in 13-18 verdrängt die theozentrische Perspektive die anthropologische nicht; auch hier stehen beide Aspekte in gegenseitiger Verschränkung. Auch in 13-18 bleibt Jakobus paränetisch orientiert, eigentlich lehrhaft wird er auch in diesen Versen nicht. Der ganze Text 1,2-18 ist vom Prinzip der funktionellen Opposi tionen geprägt. Deutlich holt Jakobus den Leser bei seinen Erfah rungen ab (vgl. 2-4.5-11), verschränkt diese jedoch mit der theo zentrischen Perspektive als Begründung für die anthropologische Ambivalenz. Formuliert Jakobus in 13 negativ (Gott ist unversuch bar, er versucht niemanden), so in 17f. positiv (jede gute Gabe etc. kommt von Gott, er hat die Christen »geboren durch das Wort der Wahrheit«). Wie in 5c.d das Sein und Verhalten Gottes zu dem der
Menschen kontrastiert, so auch parallel dazu in 13 f. (der ver suchbare/versuchte Mensch — der unversuchbare/unversuchte Gott). Menschliche »Ganzheit« und »Vollkommenheit« kann es — dies hatte Jakobus bereits in 4 f. klargestellt — nur als erbetene Gabe Gottes geben (5b.d.7b). Eben dieselbe theologische Grund aussage formuliert er in theozentrischer Perspektive in 17. Parallel zur finalen Rhema-Aussage in 4b.c (»damit ihr vollkommen und ganz seid«) steht die finale Rhema-Struktur in 18b (»damit wir« — der Verfasser schließt sich ein, geht es doch um eine grundsätzli che, alle Christen betreffende Aussage — »eine Art Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien«). Der Vollkommenheits- und Ganzheits-Appell wird also mit einem neuen Motiv am Ende wiederholt. Er schließt thematisch wir kungsvoll die erste kleine Einheit ab, formal garantiert er die vorherrschende anthropologische Perspektive der weisheitlichen Mahnsprüche — durchbrochen von theozentrischen Kernsätzen. Die Verschränkung von Anthropologie und Theo-logie (zur Schreibung vgl. Einleitung 2.5) macht daher insgesamt die Eigenart des Denkens und der Theologie des Jakobus nicht nur in 1,2-18 aus (s. u. den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo-logie). Formal bleibt die Konstanz des Imperativs in allen kleinen Einhei ten festzuhalten, ebenso aber der Wechsel zwischen dem Imperativ der zweiten Person (2.16) und dem viel häufigeren Imperativ der dritten Person (4.5.6.7.9.13). Letzteres ist gattungsmäßig im weis heitlichen Mahnspruch (s. u.) nicht vorgegeben (Zeller 3 1 ; Küchler 163), wohl jedoch in der auch in 1,12 zugrundeliegenden weisheit lichen Lehrrede (s. u.), jedoch ohne Imperative. Hier zeigt sich wohl die Intention des Jakobus. Der Verfasser wechselt hier vom direkten Appell an die Hörer zur traditionell lehrhaften Demon stration, ohne ihr jedoch den appellativen Charakter (daher die Imperative) zu nehmen. Mit den genannten Beobachtungen — auch bezüglich der tradi tionsgeschichtlichen Vorlagen — stimmt überein, daß das sich in diesen Versen findende semantische Feld (dazu Berger, Exegese 137-159) insgesamt auf einen traditionellen Topos zurückgreift (s. u.). Die einzelnen Elemente, die natürlich auch variieren kön nen, lauten: erprobt/versucht/angefochten werden — Freude — nicht von Gott versucht werden — glauben — als Gläubige/treu erfunden werden — das Wort annehmen (vgl. Berger 143). Aller dings erweitert Jakobus dieses Wortfeld anthropologisch und theo logisch um die funktionellen Oppositionen: Christen als gespal tene, unbeständige Mangelwesen in dauernder Versuchung und
Veränderung — Gott als unversuchbar, Geber alles Guten, und zwar vorbehaltlos und ohne zu nörgeln (zum Motiv s. u.). Jakobus vermochte gerade durch diese kontrastive Verbindung von Anthro pologie und Theo-logie die Kohärenz der ersten kleinen Einheit in 1,2-18 umfassend zu begründen. Textsemantisch bewirken Oppo sitionen auch hier kein neues Thema, wohl wirken sie auf die Rezipienten als Kontrastsignal, indem sie deren Aufmerksamkeit aus der Perspektive der Behandlung negativer Verhaltensweisen auf das eigentliche Thema lenken. Additiv und akkumulativ ergibt sich das in sich geschlossene Thema des Jakobus erst in 1,2-18. Es lautet: Weil Gott ganz ist und ungeteilt handelt, sollen auch die Christen individuell und sozial-ekklesiologisch nicht gespalten, sondern vollkommen sein und entsprechend handeln! O b die Leser dies auch so sahen und die Verse so verstanden, muß natürlich offen bleiben. Der Text sagt nichts über die Rezeption, wohl jedoch offenbart er die Intention des Jakobus. Es ist erstaunlich, mit welcher Konsequenz und inhaltlichen Stringenz Jakobus in wenigen Versen und mit wenigen Worten die Struktur des christ lichen Seins und Handelns aus dem Sein und Handeln Gottes selbst erschließt. Erst im Bezug beider Aussagen zueinander ist die semantisch-theologische Einheit von 1,2-18 begründet. Nicht zuletzt diese Beobachtung übersteigt die kleineren Einheiten 2-4. 5-6a.6b-8.9-l 1.12.13-18, so daß die Kohärenz von 1,2-18 insge samt gesichert sein dürfte. Verstärkt wird dies durch Überlegungen zur Gattung der Verse 2-18 wie auch zu ihrer Bestimmung als Prolog bzw. Exordium für den ganzen Brief des Jakobus (s. u. den Exkurs). Da es sich empfiehlt, vor allen traditionsgeschichtlichen, diachronischen Untersuchungen des Textes ihn soweit wie möglich synchronisch, auf der vorliegenden Ebene der Texteinheit zu lesen, ist es angemessen, an dieser Stelle zunächst einen Exkurs einzufü gen, um die Frage zu klären, ob die Verse 1,2-18 vielleicht als Einheit eine Funktion für den ganzen Brief haben. Dies ist zu bejahen. Zusammenfassend bleibt zur Formkritik und zur Einheit des Tex tes zu sagen: An jeder Stelle des Prologs zielen die Aussagen syntaktisch und semantisch auf die Kohärenz des Textes. Wie immer man die traditionsgeschichtliche Abhängigkeit dieses Textes beurteilt, die Einheit ist im Jak syntaktisch und semantisch, formal und inhaltlich in sich vom Verfasser gegeben. Allerdings: Ohne Kenntnis der Traditionen wie auch der weiteren Kapitel des Briefes können die Aussagen des Jakobus in Kap. 1 inhaltlich-theologisch noch nicht ausgelotet werden. Die Assoziationen des Lesers wären
noch zu frei vagabundierend. Durch die weiteren Kapitel, aber auch durch den Nachweis von rezipierten Traditionen, die die Erstleser nicht kennen mußten, werden für die Intention des Verfassers wie für heutige Leser die Grenzen enger gezogen und mögliche Mißverständnisse ausgeschlossen. Vor allem der weitere Kontext des ganzen Briefes gibt wichtige Hinweise. Denn wie das Gewebe eines Textils (textum = das Gewebte) als Geflecht von unterschiedlichen Farben, Fäden und eventuell Materialen in sich stimmig ist (vgl. R. Barthes, S/Z, Paris 1970, 166), ohne daß Herkunft und Bestandteil der Einzelelemente geklärt sind, so erweist sich auch der Eingangstext des Jak als einheitliche Kompo sition. Und: Akzeptiert man die Funktion von 1,2-18 als Prolog, wird auch das semantische Netz des ganzen Briefes so engmaschig, daß es sich auch insgesamt formal als kohärent erweist. Dem entspricht die Einheitlichkeit des Themas. Der Ausblick auf den gesamten Brief erweist sich somit an dieser Stelle für sein richtiges Verständnis als unbedingt erforderlich.
Exkurs 1 : 1,2-18 als Prolog/Exordium und 5,7-20 als Epilog/Peroratio Literatur: Baasland, Jakobusbrief. - Ders., Struktur. — Ders., Form 3654-3659. - Francis, Form. - Frankemölle, Das semantische Netz. — Zu einem Forschungsüberblick vgl. Popkes, Adressaten 18-23.
Wurde bislang in der Literar- und Formkritik die formale und thematische Einheitlichkeit von 1,2-18 bestätigt, bleibt als letzte literarkritische Frage (zur Begründung dieses Ansatzes vgl. die Methodenbücher von Berger, Fohrer u. a.), ob einzelne Elemente auf einen übergreifenden Zusammen hang, d. h. auf Kap. 1-5 verweisen, und ob von daher dann näherhin die Funktion der Verse 1,2-18 im spezifischen Sinn als Prolog bzw. Exordium verstanden werden können oder lediglich als erste kleine Einheit unter mehreren anderen. Wie beim Prolog stellen sich ähnliche Fragen auch beim Epilog. Konkret ist hier zu fragen, ob die These von Dibelius (15) zutrifft: »Statt des Spruches 5,19 f. könnte ebensogut eine andere von den Mahnungen des Jak am Ende stehen«, da der ganze Brief keine thematische Einheit ist und darum auch keine durchgehende Theologie enthält, vielmehr nur locker miteinander verbundene Einzelparänesen (vgl. Dibelius 13-23). Beide Aspekte sollen zusammen bearbeitet werden, da sie sich gegenseitig bedingen und ergänzen. Formal und thematisch — dies ist die These — besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Eröffnungs- und Schluß-
abschnitt des Briefes, was bereits von / . A. Bengel, 1773 deutlich gesehen wurde (so Baasland, Form 3656). Daß die antike Rhetorik für Reden und Briefe die Beachtung eben jener Regeln vorschreibt, die im Jakobusbrief am Anfang und Ende nachweisbar sind, bestätigt die eigenen Ergebnisse. Zunächst (a) soll gezeigt werden, daß die Verse 1,2-18 in der Tat als Prolog verstanden werden können und daß diese Verse die Stichworte liefern, die im Verlauf des Briefes aufgenommen werden. Dann (b) sollen die Verse 5,7-20 als Epilog befragt werden und es soll der Bezug von Prolog (1,2-18) und Epilog (5,7-20) verdeutlicht werden. Am Ende (c) findet sich eine Skizze zum semantischen Netz, das formal und inhaltlich die Einheit des Jak garantiert.
a) Der Prolog als Lieferant der Stichworte und der Struktur des Briefes Daß sich die stilistische Qualität des Jakobus in den einleitenden Versen 1,2-18 feststellen läßt, haben wir gesehen. Sprachgeschichtlich ist dies darin begründet, daß in der antiken Rhetorik die Einleitung eines Textes formal und thematisch besonders überlegt gestaltet wurde (vgl. Volkmann, Rheto rik 127-148; Lausberg, Handbuch 150-163; Martin, Rhetorik 60-75). Der Textanfang soll auch heute das Interesse der Leser wecken, er soll den Leser nach Quintilian benevolum (wohlwollend), docilem (lernbereit) und attentum (gespannt) machen (InstOrat IV 1.5). Dies galt besonders dann, wenn die Einleitung nicht nur als Ornament gedacht war, sondern im strengen Wortsinn als Prolog. Dieser wurde aufgrund seiner Funktion vom Verfas ser schon immer im Hinblick auf den ganzen Text geschrieben. Dies gilt auch für die Einleitung zum Jakobusbrief. Die Verse 1,2-18 sind ein Abschnitt, der formal und sachlich untrennbar zum Jak dazugehört. Entge gen der besonders von Dibelius vertretenen These, »daß der Jak auf weite Strecken hin des gedanklichen Zusammenhangs völlig entbehrt« (14.15.21; vgl. Ropes 14), mithin ein Kontextverbot aufgestellt wurde, wird in diesem Kommentar versucht, die Kontextualität des ganzen Briefes herauszuarbei ten. Das Faktum vielfach rezipierter Traditionen — wie man um 1900 meinte (vgl. die Kommentare u. a. von Major, Dibelius) — ändert nichts an der These, daß der Jak formal eine Einheit ist und er thematisch ebenso ein zusammenhängendes Thema hat, denn der Verfasser wählte seine Traditio nen bewußt auf sein Thema hin aus. Die These und der Nachweis einer bewußten Redaktionsarbeit steht der bis heute in den Kommentaren übli chen Ansicht entgegen. Diese lautet auch nach Mußner am Ende eines kurzen Überblickes zu Entwürfen betreffs der Gliederung des Briefes: »Im vorliegenden Kommentar ist keine gedankliche Einheit des Briefes gesucht, aus der Überzeugung heraus, daß es keine gibt« (58 f.). Der Versuch, gegen diese vorherrschende Meinung das Gegenteil nachzu weisen, setzt beim Leser des Kommentars einen langen Atem voraus. Denn es sind vor jeder Einzelkommentierung folgende Fragen zu stellen und zu
beantworten: Gibt es keine formale und gedankliche Einheit? Läßt sich der Jak nicht kompositions- und redaktionskritisch in seiner übergreifenden Gestalt interpretieren? Werden die oben formkritisch festgestellten inhaltli chen Leerstellen (her) bzw. Unbestimmtheitsstellen (Ingarden) im Verlauf des Briefes nicht gefüllt? Welcher Art sind die bislang noch unbestimmt bleibenden »mannigfachen Prüfungen« in 2b? Was meint »Glauben« (3b) und wie ist die erstaunliche Wendung »ein Werk haben« (4a) zu verstehen, zumal Jakobus auch in 2,1.14 reichlich ungewöhnlich vom »Glauben haben« spricht? Wird das Verhältnis beider, konfessionell umstrittener Größen im Brief näher erläutert und wie? Warum redet Jakobus nicht verbal von »glauben« und »tun«? Finden sich die knappen Hinweise auf die Existenz der Christen als Mangel-Wesen (5-11) inhaltlich ausgeführt im Verlauf des Briefes wieder? Und umgekehrt: Läßt sich der Appell der Verse 2-4: »Seid als Christen und als christliche Gemeinde/Bruderschaft ganz/ ungespalten und vollkommen!«, da Gott ganz und vollkommen ist, ebenso in den folgenden Kapiteln wiederfinden? Inhaltlich bleibt zu fragen: Wo wird (in der Abfolge der Verse 4-18) das Thema »Mangel an vollkomme nem Werk« (4a), »Mangel an vollkommenem Sein« (4b), »Mangel an Weisheit« (5a), »Mangel an Glauben« (6-8), »Mangel an richtiger Selbstein schätzung bei Armen und Reichen« (9-11) aufgenommen und deren Ver hältnis zueinander entfaltet? Wo wird der Gedanke der Versuchung durch die eigene Begierde (13-15) wieder thematisiert? Ist der Gedanke, Gott als Ermöglichungsgrund christlicher Existenz zu glauben (17-18), auf diese Verse begrenzt oder erweist er sich sogar als (theozentrische) Grundstruk tur aller Kapitel? Und: Wird der Gedanke von der Standhaftigkeit des Glaubens als Ziel (3) noch einmal bestimmend innerhalb der weiteren Ausführungen? Insgesamt: Wird dieses durch positive und negative Aspekte formulierte einheitliche Thema — zusammengehalten durch ein in sich stimmiges Wortfeld mit Synonymen und Antonymen/Oppositionen, geprägt vom Prinzip der funktionellen Oppositionen (s. o.) —, wird - inhaltlich gesprochen - das Thema »Die angeredeten Christen sollen individuell und sozial-ekklesial nicht gespalten/unbeständig, sondern voll kommen und ganz sein!« in den folgenden Kapiteln aufgenommen und entfaltet? Dies alles, weil Gott vollkommen und unversuchbar ist und »einfach/vorbehaltlos und ohne zu nörgeln gibt« (5c)? All diese Fragen nach der Einheit des Briefes, die in den Eingangsversen 1,2-18 grundgelegt ist, lassen sich unzweideutig positiv beantworten. Bei einem Durchgang durch den Brief bestätigt sich zum einen die für den Briefeingang typische semantisch-oppositionelle Struktur, vor allem aber erweisen sich auch die Verse 2-18 als Stich wortlieferant für den ganzen Brief. Beide Aspekte greifen ineinander, werden aber zunächst getrennt skizziert. Insgesamt dürften sich in diesen Aspekten die kräftigsten Fäden des semantischen Netzes zur formalen und thematischen Einheit des Jako busbriefes präsentieren. Diese oppositionell-antithetische Struktur ist — dies sei im folgenden begründet - ein Grundzug des gesamten Jakobusbrie fes. Fragt man nach der Begründung, so ist sicherlich zunächst darauf
hinzuweisen, daß Jakobus ein sehr realistischer Theologe ist, der die ganze Ambivalenz christlicher Existenz nicht nur selbst erfährt (vgl. 3,1 ff.), sondern auch bei seinen Adressaten sieht; dies entspricht durch und durch weisheitlichem Denken. Dann aber nennt Jakobus die negativen Aspekte beim einzelnen Christen und bei der christlichen Gemeinde nicht nur als reines Faktum, vielmehr nennt Jakobus die Oppositionen mit dem Ziel, daß sie abgebaut werden und integriert werden, so daß der einzelne und die Gruppe »vollkommen und ganz« sind, es ihnen »an nichts mangelt« (4b.c), wobei zum Erweis des rechten Glaubens das »vollkommene Werk« (4a) dient, da Werke Zeichen des Glaubens sind und ihn vor Gott und den Menschen offenbaren (s. u. zu 2,14-26). Zur semantisch-oppositionellen Struktur des Briefkorpus lassen sich in der Abfolge des Textes deutlich folgende semantisch-thematische Opposi tionen festhalten, die auch die literarisch kleinen Texteinheiten (zur weite ren Begründung s. u. die Einzelauslegung) bestätigen: 1,19-27: schnell/langsam (19b.c), hören/reden, Zorn (19b.c). Wie vor allem Cladder, Anlage 50-52 im Anschluß an Pfeiffer, Zusammenhang 167ff. betont hat, werden die drei Begriffe hören, reden, Zorn nicht nur in der kleinen Einheit 1,19-27 in chiastischer Folge entfaltet (zum Zorn vgl. 20f., zum Hören vgl. 22-25, zum Reden/zur Zunge vgl. 26 f.), sie setzen auch selbst wieder oppositionell strukturierte semantische Felder frei (s. u. zu 1,19 ff.). Hinzuweisen ist in Vers 20 auf Zorn eines Mannes/Gerechtigkeit Gottes, in 21 auf Schmutz und Fülle der Bosheit/Sanftmut, in 22 f. auf Täter des Wortes/Hörer des Wortes, sein Angesicht sehen/es vergessen, in 26 f. auf wertlose Frömmigkeit/reine und unbefleckte Frömmigkeit, in 27 auf vor Gott/vor der Welt. 2,1-13: Ähnlich wie in 1,19 steht auch hier im ersten Vers überschriftartig die Hauptopposition: Bevorzugungen von Personen/christlicher Glaube. Diese Hauptbegriffe werden wieder entfaltet durch die Oppositionen rei cher/armer Mann (2-4) und antithetisch gewendet (Vers 5: vor der Welt Arme/Reiche im Glauben). Durch die Wiederaufnahme des Stichwortes »Glauben« in Vers 5 und »Ansehen von Personen« in Vers 9 erweist sich der Text als einheitlich. Weitere Oppositionen — um nur die wichtigsten zu nennen — finden sich in 9f.: Gesetz übertreten/Gesetz halten, in 10f.: das ganze Gesetz halten/sich in einem Gesetz verfehlen, in 12 (als Rückgriff auf die Hauptopposition aus 1,19-27): reden/handeln (Jakobus fordert die Einheit!), in 13: erbarmungsloses Gericht/Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. 2,14-26: Die Hauptopposition steht wiederum in der Uberschrift in Vers 14: Glauben haben/Werke haben, wobei das Stichwort »Glaube/glauben« 14mal, das Stichwort »Werk« 12mal aufgenommen wird, was schon die intensive Kohärenz dieses Abschnittes bestätigt und schon immer gesehen wurde. Allerdings hat Jakobus — was dagegen nicht immer gesehen wur de — das Leitwort »Glaube« durchaus differenziert verstanden, wie die Syntagmen in Vers 17: »Glaube für sich allein«, 18c: »Glaube ohne Werke«, in 20b: »Glaube ohne Werke«, in 24: »Glaube allein« und in 26b:
»Glaube ohne Werke« belegen. Die Opposition lautet hier also nicht — wie man konfessionell vorbelastet bis heute meint betonen zu müssen (vgl. auch die Überschrift in der Einheitsübersetzung »Glaube und Tat«) — Glaube/ Werke, sondern Glaube allein/Glaube mit Werken. Anthropologisch ent spricht dem die Opposition in 26 »Leib ohne Geist«/Leib mit Geist. Die Losung »allein durch Werke« bzw. »geistloser Leib« findet sich in diesen Versen nicht. Jakobus geht es einzig und allein um die Opposition tatenloser/tat-kräftiger Glaube. Die bekannte paulinische Opposition (wenn man einmal die Paränesen in der zweiten Hälfte seiner Briefe übersehen wollte oder Rom 2 im Verhältnis zu Rom 3) wird also nicht behandelt (vgl. auch den Exkurs »Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus« nach 2,26). 3,1-12: Nahmen die Abschnitte 2,1-13 und 2,14-26 primär den Aspekt des Tuns aus 1,19-27 auf, so 3,1-12 — ebenfalls in Rückgriff auf 1,19 ff. — den Aspekt des Wortes. Daraus ergibt sich die leitende Opposition in Vers 2: sich im Wort nicht verfehlen, vollkommen sein/sich verfehlen. Im bildli chen Bereich wird dieses Thema durchbuchstabiert in den Oppositionen: ganzer Leib, ganzer Körper/Mund, Maul (2d.3a-c), woraus sich die Oppo sition klein/groß in den Versen 4-7 ergibt, variiert in verschiedenen Bildern: kleines Steuer/große Schiffe, heftige Winde (4), kleines Feuer/großer Wald (5), Zunge als kleines Glied/rühmt sich großer Dinge (5). Als weitere Oppositionen sind zu notieren: den ganzen Leib zähmen, Tiere zähmen/die Zunge nicht zähmen (2d.7-8), preisen/verfluchen und Preis/Fluch, Herr, Vater/Menschen (9-10) sowie die geologischen und botanischen Antithesen in 11-12. Jakobus baut eine Unlogik auf, die er — übertragen auf sein Thema - als widersinnig und absurd charakterisiert. Nicht nur an dieser Stelle wird deutlich, daß Oppositionen rhetorische Mittel mit pragmati scher Intention sind und keinen Wert in sich haben. Jakobus geht es — wie überall im Brief — um die gottgemäße Ordnung: wie in der Natur so auch beim einzelnen Menschen und in der Gemeinde. Das Stichwort »Lehrer« in 3,1 wirkt reichlich gekünstelt hinsichtlich des genannten Oppositions-Feldes, da es nur einen untergeordneten Aspekt der positiven und negativen Macht der Zunge angibt, alle anderen Verse zudem alle Adressaten betreffen. Selbstverständlich gilt das, was von allen gesagt wird, vom Lehrer aufgrund seiner Tätigkeit in besonders hohem Maße. Dennoch behandelt diese kleine Einheit nicht »die Krise des Lehrerstandes«
{Hoppe, Jak 73). 3,13-18: Die Hauptopposition steht in 15a: Weisheit von oben/irdische, psychische und dämonische Weisheit. Alle anderen Begriffe lassen sich dieser Dichotomie zuordnen, wobei vor allem der handlungsorientierte Aspekt der wahren Weisheit von Jakobus betont wird (vgl. 13b.c; 17a-d; 18a-b). Da dieser für den Verfasser im Vordergrund steht, umrahmt der positive Gedanke (vgl. 13 mit 17f.) die negativen Aspekte (14 mit 16), woraus sich die Antithese in 15a.b ergibt. 4,1-12: Zwietracht und Rivalitäten in der Gemeinde — in krassem Gegen satz zum Frieden in 3,18 - sind motiviert in einem falschen Verhältnis zu Gott. Diese Opposition wird in der Mitte der Verse (4-6) mit der Autorität
der Schrift auf den Punkt gebracht: »Gott widersteht den Hochmütigen, den Niedriggestellten/Demütigen aber gibt er Gunst/Gnade« (vgl. 1,9). Diese Opposition wird in lOa.b wiederholt: »Demütigt euch vor dem Herrn/und erhöhen wird er euch.« Die Wirklichkeit der Gemeinde ist keineswegs von »Demut« geprägt, sondern von Kriegen und Kämpfen (la). »Liebe zur Welt/Feindschaft gegen Gott« (4) schließen einander aus, denn »Gott widersteht den Hochmütigen/den Demütigen gibt er Gnade/Gunst« (6). Die anthropologischen Aussagen stehen in Spannung zu den theozentrischen, menschliche Haltungen und menschliches Handeln stimmen mit dem göttlichen Sein und Handeln nicht überein. Bedingt ist dies im semantischen Feld der Verse 1-12: Statt niedriggestellt/demütig sind die Menschen hochmütig/stolz (6), wie es die Verse 1 ff. belegen. Ihren Mangel wollen die Christen nicht im Gebet von Gott beheben lassen (3), sie wollen sich nicht Gott unterwerfen und dem Teufel Widerstand leisten (7a.b). Eigenmächtig wollen sie nach eigenen Vorstellungen ihr Heil erwirken. Gott allein aber wird »retten/verderben« (12b), er allein ist Gesetzgeber und Richter/Menschen haben über Menschen nicht zu Gericht zu sitzen (llb.l2a.c). Gott und Teufel stehen einander gegenüber (7a.b). Im anthropologisch-ekklesialen Bereich werden parallel dazu die aus der eigenen Begierde kommenden falschen Verhaltensweisen in fast allen Versen thema tisiert, während das gottgemäße Verhalten aus den bisherigen Kapiteln vorausgesetzt wird. Allerdings wird der Ermöglichungsgrund für letzteres deutlich formuliert: Er ist der »Geist, den er (Gott) in uns wohnen ließ« (5b.c). In solchem Geist »naht euch Gott/nahen wird er sich euch« (8a.b), naht euch im Geist der Demut, denn den Demütigen/Niedriggestellten gibt er noch größere Gnade (6a.c). Sola gratia (6) und solus deus (12; vgl. 2,19) lautet die Grundthese des Jakobus. Da beides im Gebet nicht anerkannt wird (2e.3a.b), ist die Lage der Adressaten nach Jakobus so ambivalent und negativ, wie sie ist. Christen sind selbst schuld, wenn sie Gott vergessen, wenn sie gottvergessen leben. 4,13-5,6 (zur Einheit der Verse s. u. bei der Einzelauslegung): Mit der doppelten Anapher »wohlan jetzt« in 4,13 und 5,1 werden zwei Gruppen von Reichen angesprochen, die ihren Wohlstand zum einen als reisende Geschäftsleute, zum anderen als ausbeutende Arbeitgeber erlangt haben. Der gemeinsame Nenner ist die »Prahlerei« (16a.b), über die von Gott bestimmte Zeit verfügen (15) und die angebliche Unvergänglichkeit des Reichtums genießen zu können (1-3), der auf Kosten anderer erworben wurde (4). Die Opposition in der Tiefenstruktur dieser Sätze lautet: Wer die Vergänglichkeit der Zeit und der irdischen Güter verneint, stellt sich in Überheblichkeit der von Gott geschaffenen Ordnung entgegen. Selbstver trauen in der übersteigerten Form der Selbstüberheblichkeit steht gegen Gottvertrauen (wie Demut gegen Hochmut in 4,7-12). Der unabweisliche Tod (4,13-15; 5,1-6) steht gegen das von Gott geschenkte Leben (4,15; 5,15.20). In der Oberflächenstruktur dieser Verse sind folgende Antithesen zu notieren: Heute/morgen (13a.l4a), ihr sagt/anstatt daß ihr sagt (13a.l5a),
rühmen als Prahlerei/Ruhm (16a.b), tun/nicht tun (17a), Gutes/Sünde (17a.b), Reiche, die ihren Reichtum genießen/Reiche, die weinen und klagen (5,1). Hinzuweisen ist auch insgesamt auf die VergänglichkeitsMetaphern und auf die drastischen Bilder in 5,2 ff., die jeweils das Gegenteil der üblichen Erwartungen an Reichtum, Gold und Silber sowie an normale menschliche Lebenspraxis umschreiben. Eine falsch verstandene Autono mie der Menschen mit der entsprechenden falschen Einstellung zur Zeit und zu den Gütern des Lebens steht der Autonomie Gottes entgegen. Dieser knappe Überblick über die semantisch-oppositionelle Struktur der einzelnen kleinen Einheiten zeigt: Wie die einleitenden Verse des Prologes 1,2-18 ist auch das eigentliche Briefkorpus gerade aufgrund der oppositio nellen Beziehungen und semantischen Dissoziationen, die dennoch auf grund ihrer unterscheidenden, sich aber ergänzenden Züge ein Feld struk turieren, stark kohärent. Gerade das Prinzip der funktionellen Oppositio nen und die Inhaltsanalyse in unterscheidende Züge erweisen sich für das semantische Netz des Jakobusbriefes als konstitutiv. Grundsätzlich wichtig dabei ist, daß Wortfelder nicht weniger stark durch Synonyme als durch Antonyme bzw. Oppositionen geprägt werden. Dies bedeutet konkret: Nicht allein ein einziger Begriff wie z. B. »vollkommen« ist das »Schlüssel wort« für den Jak (so Zmijewski und Hübner, in: E W N T 3, 824). Erst das ganze spannungsreiche Wortfeld mit seinen Oppositionen gibt das Thema frei. Will man einige wichtige Leitwörter des Prologs nennen, sind dies die folgenden: »vollkommen« (teleios) ist im ganzen Jak 5mal belegt (l,4a.b. 17.25; 3,2), vermehrt um den Verbstamm (teleo: 2,8; teleioo: 2,22) und um das Substantiv »Vollendung/Ziel« (telos: 5,11). Das synonyme Adjektiv »ganz/vollständig« (holos) findet sich 4mal (2,10; 3,2.3.6; in 3,2 direkt parallel zu »vollkommen«), lmal belegt ist als Synonym in 1,4 »ganz/unversehrt« (holokleros). Der Gegenbegriff »zwiespältig/mit zwei Seelen« (dipsychos) ist im N T nur 2mal im Jak belegt (1,8; 4,8). Auch der Begriff »ruhelos/wankelmütig/unbeständig« (akatastatos) findet sich im N T nur im Jak (1,8; 3,8), vermehrt um das Substantiv in 3,16. Wie diese Begriffe inhaltlich zu füllen sind, wird im Brief entfaltet. Ebenso im Exordium inhaltlich noch offen und daher einer Erläuterung bedürftig sind die Stichworte »Glaube« von 1,3 und »Werke« von 1,4, die vorausweisend als wichtige Leitworte weiterer Entfaltung bedürfen (vgl. bes. 1,19-27; 2,113; 2,14-26 u. a.). Zum Leitwort Weisheit in 1,5 vgl. 3,13-18, zum Begriff »vollkommen« vgl. 1,19-27 und 3,1-12, zu den Stichworten niedriggestellt/ arm — reich in 1,9.10a vgl. 2,1-13 und 5,1-6. Zum Gerichtsgedanken in 1,12 vgl. 2,12f.; 3,1; 4,11 f.; 5,9 und 5,12. Die im Exordium genannten Begriffe werden zwar eingeführt, als »Stich«-Worte benannt, aber erst im Verlauf des Schreibens durch längere Ausführungen abgesichert und entfal
tet {Francis 111.118 ff.). Von dieser Art der Durchführung der angesprochenen Themen wird der einleitende Teil 1,2-18 vom Hauptteil des Briefes her literarisch und pragmatisch näher charakterisiert. Daß Christen für sich und im Hinblick auf die Gemeinde nicht gespalten, sondern ganz sein sollen, daß Vollkom-
menheit gefordert ist und nicht »Schizophrenie«, konkretisiert der Verfas ser vor allem an Wortverbindungen, in denen die genannten Begriffe vorkommen (Zmijewski 52ff.; Schule). Pragmatisches Ziel ist ein »vollkom menes Werk« (1,4), da »aus den Werken der Glaube vollendet wurde« (2,22), wie auch der »ein vollkommener Mann ist, der im Reden nicht sündigt« (3,2). Ziel sind »vollkommene und ganze« Christen (1,4). Ziel ist mithin »der paradiesische Zustand« (Baasland, Jakobusbrief 122) »der Erstlinge/Erstlingsfrüchte seiner Schöpfung« (1,18). Der Verfasser möchte bei den Adressaten erreichen, daß »es euch an nichts mangelt« (1,4): kein Mangel an Weisheit (1,5) und kein Zweifel im Glauben (1,6), der »mit seinen Werken zusammenwirkt« (2,22). Nur wer das »ganze (holos) Gesetz« (2,10) hält, »erfüllt (teleite) das königliche Gesetz« (2,8) und erfährt »das vollkommene (teleion) Gesetz der Freiheit« (1,25). Damit sind die tragenden Begriffe des ganzen Briefes genannt, wobei deren theozentrische Grundstruktur zu beachten ist. Sie alle werden bereits im Proömium direkt als Stichworte thematisiert, jedoch erst im Verlauf des Briefes aufgenommen und ausgeführt. Die z. T. übliche Lesart des Jak vom Begriff »Gesetz« her (diese verengte Leseperspektive ist deutlich paulinisch und reformatorisch vorgeprägt) wird durch die formalen und inhaltlichen Beobachtungen nicht bestätigt, auch wenn der Begriff Gesetz in Kap. 2 (vgl. 2,8.9.10.11.12) thematisch eine wichtige Stellung einnimmt (vgl. auch 1,25 und 4,11). Doch bleibt festzuhalten, daß »Gesetz« als Leitwort im Prolog nicht auftaucht, so daß nach der spezifischen Funktion der Tora im Denken des Jakobus zu fragen ist, näherhin danach, in welcher Verbindung weisheitliche Lehrtraditionen und Tora-Traditionen bei ihm stehen (vgl. den Exkurs: Das »Gesetz der Freiheit« nach 1,25). Die seit langem festgestellten Spruchreihen und kleineren Abhandlungen, die sich im Verlauf des Briefes finden, tauchen jedoch nicht unvorbereitet und vom übergreifenden Kontext isoliert auf, vielmehr stehen sie im semantischen Netz des Jakobusbriefes in sehr engem thematischen Zusam menhang mit den einleitenden Versen in 1,2-18, die formal und sachlich untrennbar mit den Ausführungen zusammenhängen und daher im stren gen Wortsinn als Prolog bzw. Exordium zu verstehen sind. Dabei meint der lateinische Begriff Exordium der Sache nach dasselbe wie der griechi sche Begriff Prolog, dies gilt auch für die Bezeichnungen Peroratio bzw. Epilog für den Briefschluß, wie antike Rhetorik-Lehrbücher belegen. Vor allem der Briefeingang ist — wie wir sahen — stark anaphorisch, aber auch im Briefschluß (5,7-20) lassen sich — wie wir sehen werden — deutlich kataphorische Elemente finden. Dabei geht es nicht nur um Wiederauf nahme von isolierten Begriffen, weitaus wichtiger ist die nachweisbare Struktur der funktionellen Oppositionen und die bei der Inhaltsanalyse sich findenden unterscheidenden Züge, die sich als konstant im gesamten Brief erwiesen haben. Prägend für den Text als Einheit ist in erster Linie der Prolog in 1,2-18 mit den dort vorkommenden Begriffen, Wortfeldern einschließlich der funktio nellen Oppositionsbegriffe. Versucht man die Matrix zum gesamten Jako-
busbrief (s. u. c) unter dieser Perspektive auszuwerten und aus der antiken Rhetorik eine dementsprechende Figur zu benennen, dann enthält der Prolog eine »verhüllte oder offene Vorwegnahme gewisser ... Teile des Gedankengangs« einer Rede oder Schrift und ist »im Grunde nur eine praeparatio auf die Gesamtrede« bzw. auf den gesamten Text {Lausberg, Handbuch 424; vgl. ebd. 150). Im Hinblick auf die kleinen Abhandlungen im laufenden Text, die die im Prolog enthaltenen Stichworte entfalten, handelt es sich um eine Amplifikation; in ihr geht es um eine mehr oder weniger ausführliche Durchführung der im Prolog angeschlagenen Themen (zur rhetorischen, antiken Literatur vgl. Lausberg 145 f.220-227; Plett 44 f.). In der antiken Rhetorik wird die zergliedernde Amplifikation in der Regel als eine Affekt-Erscheinung interpretiert, um auf die Leser einzuwir ken. Unter semantischer Perspektive bestätigt sie jedoch auch die Kohärenz des Textes und ein konstantes Aktionsziel auf die Adressaten hin (zur Figur der Amplifikation vgl. auch Einleitung 2.4b). In Weiterführung der oben genannten Amplifikationen des Exordiums, das von Jakobus gemäß antiken Regeln von allen Einheiten des Briefes stili stisch am kunstvollsten nach Form und Thematik gestaltet ist, lautet das Gesamtthema des Jakobusbriefes nicht »Freude im Leiden« (Nauck),
Prüfungen und Bewährung (Fry; Hiebert; Wuellner 37), »Christliche Vollkommenheit« (Zmijewski), »Wider die Gespaltenheit des Glaubens« (Schule), »Vollkommenheit und Weisheit als ethisches Ziel« (Hoppe, Hintergrund 18.147), »Weisheit und Leiden« (Luck, Weisheit); Armenfrömmigkeit bzw. das Verhältnis von Armen und Reichen (Dibelius
58-66; Schnider 15), Sittliche Weisungen für Neubekehrte bzw. Neophythen-Unterweisung (Popkes, Adressaten 17.146-156), Werke und Glaube (Walker; Schulz, Mitte 281-291; zu weiteren Stimmen, die Jak 2,14-26 als »Zentrum des Briefes« verstehen, vgl. Popkes 42 f.). Selbstverständlich haben die einzelnen Ansätze (vgl. auch den Überblick bei Baasland, Form 3663 f.) durchaus richtige Aspekte des Jakobusbriefes herausgearbeitet, sie schließen sich also keineswegs gegenseitig aus. Jedoch ergibt nicht der einzelne Aspekt das umfassende Thema, wohl gehören die einzelnen Aspekte als Sinnfäden zum Gewebe (textum bzw. textus) des semantischen Netzes des Jakobusbriefes. Aber: Diese Einzelaspekte erge ben auch in der Zusammenfassung noch nicht das Thema des Briefes, denn es fehlt bei allen Konzeptionen die grund-legende theozentrische Perspek tive des Briefes, wovon auch der Prolog entscheidend geprägt ist (s. o. zur Formkritik sowie unten den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo logie sowie den Exkurs nach 1,12: Eschatologie und Ethik). Bleibt man zunächst verengt auf der anthropologisch-ekklesialen Ebene, ist
schon hier das in 1,2-18 eröffnete semantische Feld mit der negativen Kontrastierung in den Versen 5-11.14-15 in sich nicht nur stimmig, äquiva lent und bildet daher eine Isotopieebene, vielmehr garantiert dieses Feld textintern nicht nur die Einheit dieser Verse, sondern die Einheit des gesamten Jakobusbriefes. Gleichzeitig garantiert sie textextern eine kon stante, vom Verfasser bewußt intendierte Wirkung auf die Leser. Die Einheit des gesamten Schreibens entspricht der redaktionellen Intention des Verfassers. Diese formale und thematische Einheit bestätigt sich in der diachronen-traditionsgeschichtlichen Betrachtung des Prologes (s. u.) und der kleinen Einheiten im Brief. Danach ist der ganze Jakobusbrief in all seinen Aspekten als christliche Weisheitsschrift in der deutlichen Rezeption von Jesus Sirach zu verstehen. Durch die Zuordnung von Synchronie und Diachronie (kein Aspekt darf ausgeblendet werden!) wird der Text als Element der Geschichte, wird sein Wechselverhältnis von textlich geronne ner Gestalt in der vorliegenden Form und Genese zu dieser Form deutlich. Gerade bei einem pragmatischen Textmodell, in dem die Geschichtlichkeit und Intentionalität der Texte mit ihrem Handlungsziel auf konkrete Adres saten hin ernstgenommen wird, ist auch die eigene genetische Geschicht lichkeit des Textes ebenfalls ernstzunehmen, da dadurch die Physiognomie des Textes und seine Aussage noch deutlichere Konturen gewinnt. Der Primat der Synchronie, der Ausgang der Exegese von der vorliegenden Gestalt des überlieferten Textes, wie er in diesem Kommentar vertreten wird, bleibt sachgemäß, zumal seine Stimmigkeit sich auch bei der Ausle gung des Jakobusbriefes bislang erwiesen hat. Hat man das Prinzip der funktionellen Oppositionen und die Inhaltsana lyse in unterscheidende Züge als konstitutiv für das Wortfeld im Prolog und im gesamten Jakobusbrief erkannt, können die in der Forschung durchaus anerkannten anthropologischen und ekklesiologischen Teilbereiche inte griert werden. Was Jakobus additiv und akkumulativ in den einzelnen kleinen Einheiten durch Aufnahme und Amplifikation der Stichworte aus dem Exordium thematisiert, sind jene Fäden, durch die formal und thema tisch die Einheit des Briefes garantiert wird. Im einzelnen sind sie aus der Matrix (s. u. c) zu erschließen, wobei zu beachten ist, daß nicht nur die direkte Aufnahme von Begriffen sich als wichtig erweist, sondern auch die Amplifikation eines Begriffes durch thematisch partiell synonyme Begriffe und Wortfelder, wodurch kleine, in sich kohärente Abhandlungen zu einzelnen Stichworten des Prologes entstehen. Will man vorab die wichtig sten anthropologisch-ekklesiologischen Amplifikationen des Briefes in einer Skizze angeben, könnte diese — unter Hervorhebung des jeweiligen Handlungsziels des Verfassers — wie folgt aussehen, wobei auch bereits — was noch zu zeigen ist — 5,7-20 als Epilog verstanden wird:
1,2: Vielfalt der Anfechtungen 1,3: •
Standhaftigkeit des '—• Glaubens als Ziel
U-1,4:
•
Grundthese Mangel an vollkommenem Werk Mangel an vollkommenem Sein Mangel an Weisheit
^—•1,5:
Ziel:
• ^ •
I 1,19-27 |: | 3,1-12 ]: | 3,13-18 1:
^ vollkommenes Werk vollkommener Mensch vollkommene Weisheit
•
| 2,14-26 |:
wahrer Glaube
•
1 2,1-13 ]: | 4,13-5,6]:
Solidarität zwischen Armen und Reichen
•
[4,1-12 |:
durch Gebet von Gott aufgehoben • — • 1,6-8: '
Mangel an Glauben
• 1,9-11:
—•1,12:
Mangel an richtiger Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen
•
Der Lohn der Bewährung am Ende
Demut vor Gott
1,13-15: Versucht von der eigenen Begierde 1,16-18: Gott als Ermöglichungsgrund christlicher Existenz •
j 5 _2o—I' 7
2
/ / .
Von der christlichen Ausdauer und der Macht des Gebetes
^
^
/
theozentrische Grundstruktur aller Kapitel
1621,2-18 als Prolog/Exordium und 5,7-20 als Epilog/Peroratio
1,1: Präskript
Vergleicht man diese Skizze mit der Matrix (s. u. c), bleibt festzuhalten, daß in den genannten Amplifikationen der Skizze zwar die oppositionell strukturierten Themen des Prologs mit verstärkter Kohärenz behandelt werden, diese jedoch auch mit vielen Fäden zum näheren Kontext verbun den sind. Jakobus arbeitet mit Vorgriffen und Rückblenden (vgl. zur Begründung jeweils den ersten Punkt der Auslegung zur kontextuellen Einbindung der jeweiligen kleinen Einheit), so daß in der Tat beim Gewebe dieses »Textes« ein »Teppich-Muster« entsteht, bei dem er sich jedoch nicht auf die Mittel der Wiederholung und Steigerung beschränkt (so Baasland, Form 3658). Begründet wird dieses Teppich-Muster vor allem durch den rhetorischen Stil der zergliedernden Amplifikationen, bei denen ein wieder aufgenommenes Thema mal ausgedehnt, mal kurz dargestellt, dann wieder variiert wird. Auf die Herausarbeitung dieser Amplifikationen und ihrer Verbindungen nicht nur zum Exordium, sondern auch zum übrigen Text legte Jakobus größten Wert. Die Konsequenz lautet: Die eigentliche Kohä renz des Briefes liegt bei gleichbleibendem Aktionsziel im semantisch thematischen Bereich, wird jedoch durch syntaktische Mittel erheblich verstärkt und ist adressatenbezogen, pragmatisch motiviert. Ausgehend von der ambivalenten Situation bei den Adressaten und ihren Mangel-Zuständen (Mangel an Weisheit, Mangel an Glauben, Mangel an richtiger Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen) interpretiert Jakobus diese Mangelzustände primär aufgrund einer anthropologischen Grunddif ferenz in der Existenz der Adressaten. Entsprechend fordert er sie auf, »vollkommen und ganz« zu sein (4b), nicht zu zweifeln und sich nicht wie eine vom Wind gepeitschte Meereswoge umhertreiben zu lassen (6), nicht zwiespältig/gespalten und unbeständig zu sein (8) und aufgrund des sozia len Status (Armut, Reichtum) keine (vor Gott) falsche Selbsteinschätzung zu leben. Formuliert man sein Aktionsziel positiv, dann verbalisiert Jako bus die entsprechenden Aspekte nicht anthropologisch, sondern theozentrisch: Gott gibt »einfach/vorbehaltlos und ohne zu nörgeln« (5c). Betet einer zu ihm, so wird das Erbetene »ihm (von Gott) gegeben werden« (5d). Ganz sicher wird Gott dem Menschen, der sich bewährt hat, »den Kranz des Lebens« geben (12b). Auf Gott ist Verlaß, er bleibt sich ständig identisch, den Menschen gegenüber treu. Gott »versucht niemanden« (13d), »jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk« (17a) — etwa das »vollkommene Werk«, das der Mensch nach 4a anstreben soll — kommt von Gott, »ist von oben« (17b), »vom Vater der Lichter« (17c) und Schöpfer (18). Da Gott »einfach« (5c) ist, »gibt es bei ihm keine Verände rung oder eines Wechsels Verschattung« (17d). Die von Jakobus angezielte Anthropozentrik erhält ihre Struktur ganz aus der Theozentrik. Christli ches Sein und Handeln erschließt Jakobus ganz aus dem Sein und Handeln Gottes. Und: Gottes kommunikatives Handeln (vgl. 5.18) bildet den Grund und die Ermöglichung für das innovatorische, kommunikative Handeln der Christen, wie es Jakobus bei seinen Adressaten initiieren möchte. Vom Anfang des Briefes an ist die Theozentrik eine unverzichtbare theologische Kategorie, sie ist Grund der pragmatischen Intentionalität des
Jakobus. Und umgekehrt gilt: Das Streiten des Jakobus um ein bestimmtes anthropologisches Seins- und Wirklichkeitsverständnis läßt sich auch als Streit um das Sein und Handeln Gottes verstehen. Jakobus entwirft in den Versen 1,2-18 eine ethisch-appellative Redehandlung, mit der er versucht, die Situation seiner Adressaten, ihre Glaubenskrisen und Konflikte zu überwinden, ihnen eine neue Erfahrungsdimension zu eröffnen, indem er ein Einverständnis über gemeinsame Grundorientierungen im Glauben an Gottes Sein und Wirken voraussetzt. So ungefähr etwa könnte das Thema des Jakobusbriefes umschrieben werden, wenn man die semantisch-oppositionelle Struktur nicht nur des Prologes, sondern auch des gesamten Briefkorpus anzuerkennen bereit ist. Allerdings bleibt zu beachten, daß er die Amplifikationen der im Prolog enthaltenen Stichworte nicht zum sturen Prinzip erhebt, sondern durchaus auch mit Variationen arbeitet. Zum einen, um den Leser vielleicht nicht zu langweilen, dann aber auch durchaus im rhetorischen Vorgehen der Anlage des Prologes, da die dort genannten Stichworte bewußt noch unbestimmt waren (s. o. die Bemerkungen zum rhetorischen Prinzip der Leerstellen bzw. Unbestimmtheitsstellen). Uber die üblichen Differenzierungen bei Amplifikationen hinaus lassen sich vor allem in zwei thematischen Bereichen auch deutliche Akzentverschie bungen feststellen, die für das Gesamtthema des Jakobusbriefes nicht unwichtig sind und die Jakobus als einen raffinierten Taktiker erscheinen lassen. Deutlich ist diese Verschiebung vor allem in der Amplifikation der Verse 1,9-11 zum Thema: Mangel an richtiger Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen. Die Perspektive der sozial Armen wird in 2,1-13, die Perspektive der Reichen in 4,13-5,6 entfaltet. In beiden kleinen Einheiten geht es jedoch nicht mehr nur um die richtige Selbsteinschätzung (das auch noch), sondern jetzt geht es um die richtige Solidarität und ein angemesse nes Verhalten zwischen den genannten Gruppen. Angelegt ist diese dop pelte Entfaltung jedoch schon in 1,9. Werden dort doch beide Gruppen adjektivisch (»der niedriggestellte der reiche ...«) dem übergeordneten Substantiv »Bruder« eingeordnet. Im noch unbestimmten Bruder-Begriff ist — wenn man ihn richtig versteht — die geschwisterliche Solidarität der Christen impliziert. Die für 1,9-11 festgestellte primäre Benennung des einzelnen (als Teil einer Gruppe) ist ein Charakteristikum des gesamten Prologes. Zwar werden die Adressaten als Gruppe angesprochen (vgl. in 2a die Anrede »meine Brüder« und in 16 »meine geliebten Brüder« sowie die im Plural stehenden Verben 2-4 und das zweimal belegte Personalpronomen »uns« in 18a.b), vorherr schend ist aber die individuelle Perspektive (vgl. von 5a: »einem von euch« sowie die durchgehend vorkommenden Verbformen in der dritten Person). Ohne Zweifel steht im Prolog der Christ in seiner Individualität im Vordergrund, ohne daß seine Gruppenzugehörigkeit zu den Christen unbeachtet bliebe. Parallel zu 1,9-11 erfolgt jedoch auch in der Anthropo logie eine variierende Amplifikation, indem durchgehend von der ersten bis zur letzten kleinen Einheit im Briefkorpus (vgl. von 1,19-27 bis 4,13-5,6)
die christliche Geschwisterlichkeit als Perspektive vorherrschend ist. So betet in 1,5.6a der einzelne für sich, in 5,13-20 beten die Christen für andere. Konsequent wird in diesem Ansatz Frömmigkeit mit Solidarethik verbunden (1,26-27), ebenso der Glaube (2,1-26), das Gebet (5,13-20), das Reden (3,1-12), die Weisheit (3,13-18) sowie das grundsätzliche falsche christliche Selbstverständnis (4,1-12), speziell das der reichen Christen (4,13-5,6). Was im Prolog noch unbestimmt angelegt war, entfaltet Jakobus sehr differenziert und ausführlich in den einzelnen Einheiten des Briefes. Versteht sich die angesprochene Gruppe wirklich als »Brüder« (1,2.16), kann damit nach Jakobus nicht nur ein bestimmtes Selbstverständnis ver bunden sein, vielmehr impliziert der Ehrenname unabwendbar auch ein Gruppenverständnis, das wiederum eine bestimmte solidarische Praxis erfordert. Wie beim Glauben (s. u. zu 2,14-26) und bei der Weisheit (s. u. zu 3,13-18) offenbart auch bei den Christen als geschwisterliche Bruder schaft die Solidarethik den behaupteten Anspruch. Zwar ist aufgrund der Verschiebung der Schwerpunkte von der Individualität zur Sozialität nicht von einer Korrektur des Prologes durch den Brief zu sprechen, wohl jedoch von deutlicher Akzentverschiebung. Adressatenorientiert formu liert: Jakobus als pädagogisch versierter Theologe holt die Leser beim eigenen Selbstverständnis ab, um sie im Verlauf des Briefes zu einem neuen Wir-Verständnis und zu einer neuen Gruppenethik zu führen. Unter rhetorischen Gesichtspunkten ließe sich von einer variierenden Amplifika tion von Stichworten im Briefkorpus sprechen. Bevor die Ergebnisse der semantischen Untersuchung in einer Skizze ausgewertet werden (s. u. c), seien im Vorgriff die Verse 5,7-20 unter der Fragestellung untersucht, ob sie als Epilog bzw. Peroratio verstanden werden können und wie der Bezug von Prolog und Epilog ist.
b) 5,7-20 als Epilog und der Bezug von Prolog und Epilog Nicht nur die Eröffnungsabschnitte in Reden und Briefen werden in der antiken Rhetorik der hellenistischen Zeit formal und inhaltlich als wichtig stes Element angesehen, gleiches gilt auch für deren Schlußabschnitte (Lausberg 150ff..236ff.). »Prologe und Epiloge wurden daher besonders sorgfältig gestaltet. Denn der Anfang bestimmt auf eigentümliche Weise alles Folgende, und der Schluß das Ganze ... Denn die Gestaltung dieser Passagen erklärt sich von der intendierten Wirkung auf den Leser her« (Berger, Exegese 19). Entsprechend hat die Exegese verstärktes Augenmerk neben dem Anfang auch auf den Schluß neutestamentlicher Texte zu richten. Darin ist der Versuch, dies für heutige Leser auch für den Schluß abschnitt in 5,7-20 in aller Ausführlichkeit zu tun, begründet. Formal und inhaltlich bemerkenswert ist vor allem das, was am Ende der
Schrift als Wiederholung und als Appell an die Affekte (vgl. Lausberg 236240) wortwörtlich aufgenommen oder begrifflich variiert wird. Appell funktionen haben auch die 12 Imperative im Epilog, vorbereitet durch 11
Belege in 4,7-12; rhetorisch-pragmatische Gründe sind handgreiflich zu spüren. Was in der semantisch wichtigen Schlußeinheit steht, ist nach Meinung des Verfassers für die Adressaten vorrangig wichtig. So wird das Stichwort Geduld aus l,3b.4a sowohl mit Verb wie mit Substantiv in 5,11 aufgenom men und durch das Synonym makrothymia mit Verb (Geduld, Langmut) noch intensiviert (5,7a.b.8.10). Gesteigert wird der Handlungsimpuls durch das sprichwörtliche Exempel für Geduld, den Prototyp Jjob (5,11bd). Die Feststellung in 5,11a: »Siehe, wir preisen glücklich diejenigen, die geduldig blieben« nimmt den Makarismus von 1,12 deutlich auf: »Glück lich der Mann, der in der Erprobung geduldig ist«. Die Fortsetzung der Seligpreisung am Beginn des Briefes in 12b: »Da er sich bewährte, wird er empfangen ...« ist für Jjob bereits eingetreten (11c: »Das Ende ... habt ihr gesehen«). Nur an diesen beiden Stellen des Briefes taucht die Wortfamilie »Geduld/aushalten« auf. Das Wort telos in 5,11 meint aber nicht nur »Ende«, sondern ist auch belegt in der Bedeutung Ziel/Vollendung und nimmt damit Bezug auf wichtige Stichworte aus dem Beginn des Briefes in l,4a.b: »Die Standhaftigkeit/ Geduld aber soll ein vollendetes/vollkommenes Werk bewirken, damit ihr vollkommen ... seid«. Was zu Beginn des Briefes als erwünschtes Ziel erhofft wird, ist — wenigstens für Jjob — bereits Wirklichkeit. Anders als er erfahren sich die Adressaten in all ihrer Ambivalenz, sie sind zu Beginn des Briefes (1,8) und am Ende (5,20) auf dem »Weg« (nur hier metonymisch gebraucht). Die Christen stehen noch in der Spannung zwischen »Leben« (1,12) und »Tod« (1,15; 5,20), — mit der Möglichkeit (wie die partiellen Synonyme zu »leben« in 5,15.20 entfalten), daß das Gebet des Glaubens den Kranken »retten wird«, und der Herr ihn »aufrichten wird«, ja, daß sogar auch der Mensch selbst, der einen Sünder zurückbringt, »seine Seele aus dem Tode retten wird« (5,20c). Das Stichwort »Sünde« aus 5,15.16.20 findet sich auch in l,15a.b — ebenfalls im Kontext des Stichwortes »Tod«. Mit dieser eschatologisch unumkehrbaren Situation stimmt überein, daß »retten« hier in 5,20 wie in 1,21; 2,14 und 4,12 ständig diesen eschatologischen Klang hat. Der Mensch, seine »Seele« (1,21; 5,20) hat nur in dieser Rettung Bestand, ansonsten bliebe er »psychisch, irdisch, dämonisch« (3,15) und »gespalten« (dipsychos: 1,8; 4,8) (zum Sinn der Begriffe s. u. die Einzelauslegung). Da nach 1,14 f. Sünde und eventueller Tod der Preis der menschlichen Freiheit sind (die Versuchung durch Gott lehnt Jakobus in 1,13 energisch ab), ist im Tun-Ergehen-Zusammenhang der Preis der Bewährung nach 1,12 der »Kranz des Lebens«. Klingt hier der Gedanke des Endgerichts nur indirekt, aber unüberhörbar an, so wird er in 5,7-12 ausdrücklich zum Thema (der Begriff »Gericht« findet sich in 5,12, »richten« in 5,9b, »Richter« in 5,9c). Zwar ist der Christ nach 1,18a »geboren durch das Wort der Wahrheit«, kann aber doch »von der Wahrheit« abirren (5,19a). Der Aufruf »Geht nicht in die Irre!« (1,16) ist nur zu berechtigt. Die Möglich keit »Wenn jemand unter euch abgeirrt ist von der Wahrheit« (5,19a) oder
in »der Irre seines Weges« beharrt (5,20b), dürfte nur zu häufig Realität gewesen sein. Auch wenn die Konsequenzen des Handelns (im Gericht) den Christen von der Grundkatechese her bekannt sein müßten, ist der gleichlautende Appell »wisset« (1,3a; 5,20a) ein Appell an die Eigenverant wortlichkeit der Adressaten. Das Partizip in 1,3a kann grammatisch natür lich auch mit »ihr wißt ja« aufgelöst werden. Aber wozu dann der Brief? Allerdings hat die Eigenverantwortlichkeit ihre Grenzen, da es für Jakobus von Grund auf klar ist, daß der Mensch nicht aus eigener Kraft seinen Weg gehen kann. Wie seine biblischen Vorbilder (vgl. Jesus Sirach 1,1: »Alle Weisheit stammt vom Herrn«) richtet sich auch Jakobus gegen hellenistische, innerweltliche, schulmäßige Überzeugungen, da auch er die Aufhebung des Mangels an Weisheit nur von Gott erwartet: »Mangelt es aber einem von euch an Weisheit, so erbitte er sie von Gott,... und sie wird ihm gegeben werden« (1,5). Wer zweifelt, »meine nur ja nicht, er werde etwas vom Herrn empfangen« (1,7). Das Stichwort »empfangen« (aus 1,7.12) — vermehrt um das Substantiv »Gabe« in 1,15 — findet seine Reminiszenz in 5,7.10. Nicht von ungefähr wird das Stichwort »das Gebet des Glaubens« (5,15) — um etliche positive Beispiele erweitert (5,13-18) — geradezu als Kontrast zur negativen Aussage von 1,6.7 wieder aufgenom men. Allerdings ist die positive Wendung »Gebet des Glaubens« (5,15a) wohl auch als Kontrast zum scheinbar notwendigen, aber von Jakobus für die Christen nicht akzeptierten Schwur »beim Himmel oder bei der Erde« (5,12) zu verstehen. Da ein Eid bei Gott immer auch als gesteigerte, feierliche Anrufung Gottes zu verstehen ist, erweist sich dieser traditionell synoptische Topos (vgl. Mt 5,34-37) im Kontext nicht als Fremdkörper und »völlig isolierter Spruch« (so Dibelius 287), vielmehr als bewußte Steigerung der Affekte zum Thema Gebet. Im Kontext einer strukturellen Wortfeldsemantik steht das positive Exem pel des geduldig wartenden Landmannes in 5,7 in Opposition zum negati ven Beispiel des zweifelnden Beters, der einer vom Wind hin- und herge triebenen, ruhelosen Welle gleicht (1,6), wie auch zum »gespaltenen« und »unbeständigen« Mann von 1,8 und zum unsteten Reichen von 1,11. Dies ist die ungeschminkte, realistische Sicht des Jakobus bezüglich des einzel nen und der Gemeinde; sie prägt den Gesamtduktus des Briefes. Das »Herz« des wahren Christen soll »gefestigt« sein (5,8), er »betrügt« sein Herz nicht (1,26 mit 1,13-16; vgl. auch 3,14; 4,8; 5,5). Die Ermöglichung ist ein unerschütterlicher Glaube, wofür das »Gebet des Glaubens« (5,15) Zeichen ist, denn: Wer Mangel an Weisheit hat, »bitte im Glauben, ohne im geringsten zu zweifeln« (1,6a). Nur so kann die gegenwärtige Bewährungs situation »Standhaftigkeit des Glaubens« bewirken (1,3b). Wie auf das flehentliche Gebet des Elias hin »der Himmel Regen gab« (5,18b), so kann der Beter von unerschütterlicher Gewißheit sein, daß die Weisheit, die er von Gott erbittet, »ihm gegeben werden wird« (l,5d) von Gott, »der allen vorbehaltlos und ohne zu nörgeln gibt« (1,5c). Der Grund: »Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk ist von oben, es kommt herab vom Vater der Lichter« (l,17a-c). Gottes Sein
erweist sich in seinem Handeln. Gott ist nicht nur Objekt der Reflexion, vielmehr auch syntaktisch Subjekt der Sätze, also der eigentlich Handelnde, wie Exordium und Peroratio belegen. »Gott« ist es, »der allen vorbehaltlos und ohne zu nörgeln gibt« (l,5b.c). Verfehlt sich ein Mensch in seiner Ambivalenz, wird er nicht »von Gott« versucht (1,13b), »denn Gott, der vom Bösen unversuchbar ist, versucht auch selbst niemanden« (l,13c.d). Er ist schöpfungstheologisch »der Vater der Lichter, bei dem es keine Verän derung gibt oder eines Wechsels Verschattung« (l,17c.d). Seine Verheißun gen sind verläßlich: Wer sich bewährt, »wird den Kranz des Lebens empfangen, den er [Gott] denen verheißen hat, die ihn lieben« (l,12b.c). Vom Beginn des Briefes an hängt alles am Wesen und am Handeln Gottes, auch das Selbstverständnis des Briefschreibers. Kein Wunder, daß er sich als »Knecht Gottes« laut Präskript (1,1) versteht. Daß in der Peroratio der Blick des Lesers nachdrücklich auf das »erbarmungsvolle und mitleidende« (5,11) Wesen Gottes zurückgelenkt wird (wegen der beim Leser zu erzie lenden Affekte verstärkt auch durch das Bild des Richters), ist nicht verwunderlich. Wie Jakobus haben die Propheten gesprochen »im Namen des Herrn« (5,10c). »Der Herr« bestätigte Ijob in seiner Ausdauer trotz aller Prüfungen (5,11c), weil »der Herr erbarmungsreich und mitleidig ist« (5,1 ld). Im Vertrauen auf diese Beispiele aus der Geschichte kann auch der Kranke darauf hoffen, daß »der Herr« ihn aufrichten wird und ihm die Sünden vergeben wird (5,15). Für den, der murrt, erweist sich der Herr als »Richter«, der schon vor der Tür steht (5,9c). Analog zum Beginn und Schluß des Briefes ist auch das Korpus außerordentlich stark theozentrisch orientiert (im einzelnen s. u. und die Matrix). Wortstatistisch bleibt zu fragen, ob die zwar nicht im Exordium, wohl aber im (an semantisch bevorzugter Stelle stehenden) Präskript betonte Zuord nung von Theozentrik und Christozentrik sich auch im Schlußteil des Briefes findet. Dies ist in der Tat der Fall, wie die Ölsalbung des Kranken »im Namen des Herrn« — parallel zur Taufe auf den Namen des Herrn — unwidersprochen belegt. Aber auch der zweimalige Hinweis auf die »Ankunft des Herrn« in 5,7b.8c dürfte christozentrisch zu interpretieren sein und gibt insgesamt der Peroratio eine stark eschatologische Perspektive (vgl. auch den Gedanken des Gerichtes in 5,7-12). Die Parallelisierung von Gott als Kyrios in 5,10.1 lc.d.15 und Christus als Kyrios in 5,7.8.14 entspricht der Parallelisierung beider in 1,1. Daß mit diesem wortstatisti schen Hinweis die christologischen Aspekte des Briefes keineswegs ausge lotet sind, jedoch die Richtung einer möglichen Skizzierung der Christolo gie angegeben ist, sei ausdrücklich betont (vgl. den Exkurs »Die Christolo gie des Jakobus« nach 2,1). Wichtig sind nicht nur christologische Titel, sondern theologische Implikationen auch soteriologischer Art etwa bei Wendungen wie »Salbung auf den Namen des Herrn« oder bei einer tauftheologischen Deutung von 1,18 und 1,21 (die in diesem Kommentar nicht vertreten wird).
Abschließend sei der Blick noch einmal von der göttlichen Ebene auf die menschliche gerichtet, da sich auch hier Entsprechungen zu Beginn und am Ende des Briefes finden, die für die Gesamtperspektive des Briefes nicht unwichtig sind. Da der Verfasser sich laut Präskript an eine Mehrzahl von Gemeinden/»Stämmen« richtet, könnte sich die Folgerung nahelegen, ihm gehe es im Bereich der Ethik nur um Sozialethik. Dies wäre eine Verkür zung. Jakobus geht es auch um den einzelnen, um seine psychologische Grundstruktur, um sein Heilsein. Der einzelne steht sogar im Prolog im Vordergrund. Die oben festgestellte Akzentverlagerung von der primär im Vordergrund stehenden Individualität im Prolog zur Sozialität im Briefkor pus zeigt sich auch hier. Dem Gebet des einzelnen für sich in 1,5 entspricht hier in 5,14f.. 17f. das Gebet für andere. Diese Perspektivenverschiebung schließt Bemerkungen über die Grundorientierung der Beter auch in den gemeinschaftsorientierten Partien nicht aus. Nicht von ungefähr taucht der Einzelmensch auch als Mangelwesen (Mangel an Weisheit, Mangel an Gesundheit, Mangel an Glück) sowohl in 1,5 wie in 5,13 und 5,14 auf, wird aber gleichzeitig in seinem Bezug und als Teil der Gemeinschaft gesehen (»wenn einer von euch ...«). Dies nicht nur durch den Genetiv des Personalpronomens, sondern weit mehr noch durch die konstante Anrede der Adressaten als Gruppe von Christen, im androzentrischen Ansatz als Gemeinde von »Brüdern«. Die Anrede »meine Brüder« (1,2), affektiv verstärkt zu »meine geliebten Brüder« (1,16), beschwört ebenso Gemein schaft, im Epilog gesteigert durch die 5malige Wiederholung dieser Appell figur (»Brüder« in 5,7a.9a.l0a und »meine Brüder« in 5,12a. 19a). Neben den zahlreichen Imperativen, den vielen rhetorischen Fragen (ca. 20) ist die 17malige Anrede der Adressaten als »Brüder« nicht nur stark affektiv und appellativ, sondern auch ein hervorragendes Mittel, Kommunikation her zustellen. Auch wenn letzteres ein durchgehendes Kennzeichen des gesam ten Briefes ist, sind doch Exordium und Peroratio von dieser Kommunika tionsabsicht besonders geprägt. Bereits das Ergebnis einer wortstatistischen Untersuchung zur Einleitung und zum Schluß des Jak erscheint schlüssig und von der Quantität der Bezüge her überzeugend: In übergreifender Inklusion ergänzt sich die Thematik von Anfang und Ende, so daß 1,2-18 und 5,7-20 wie Prolog und Epilog bzw. Exordium und Peroratio das Briefkorpus umschließen. Die These von Dibelius: »statt des Spruches 5,19f.. könnte ebensogut eine andere von den Mahnungen des Jak am Ende stehen« (15), erweist sich als nicht stichhaltig, da sich nirgendwo sonst im Jak so viele Querverbindun gen finden wie im Eröffnungs- und Schlußabschnitt seines Schreibens. Dieser Eindruck der nicht nur formalen, sondern vor allem auch themati schen Geschlossenheit erhöht sich noch, wenn man mit Coseriu und Geckeier (vgl. Einleitung 2.4b) neben den lexikalischen Implikationen auch oppositionelle Beziehungen funktionell-inhaltlicher A r t aufnimmt. Dann wird ein in sich stimmiges semantisches Feld strukturiert und zwar folgender Art: Einleitung und Schluß werden durch die Thematik »Sünde« (2mal in 1,15; 5,15.16.20; vgl. auch »Sünder« in 5,20), die zum »Tode«
führt (1,15; 5,20), und deren Antithese: »Leben« (1,12), »Erstling/Erst lingsfrucht seiner Schöpfung/Neuschöpfung« (1,18) und »Gebet des Glau bens« (5,15), das Kranke und Sünder »rettet« und »aufrichtet« (5,15.20), bestimmt. Während die andauernde (vgl. das Präsens in 1,13-15) menschli che Todeslinie durch das schöpferische Handeln Gottes für die Adressaten aufgehoben wurde (vgl. den Aorist in 1,18 als Rückblick auf das vergangene Heilsgeschehen), wird im Epilog — ebenfalls am Ende — nicht mehr von der menschlichen Todesverfallenheit gesprochen, wohl jedoch von der Ambivalenz des einzelnen und der christlichen Gemeinde (Unglück, Krankheit, Sünde) und von den den Himmel bewegenden positiven Mög lichkeiten (vgl. das Beispiel des Elias in 5,17: »uns gleichgeartet«!) christli cher Solidarität. Ekklesiales überzeugtes Handeln wird bestätigt durch Gott (5,15a.b), ist also eschatologisch entscheidend (vgl. 1,12 mit 5,7-12.20). Irrenden und Sündern steht potentiell der Weg zur Rettung offen. Dies ist der gewaltige, positiv gestimmte Schlußakkord am Ende des Jak — ähnlich dem am Ende des Prologs in 1,18. Daß die Rettung noch nicht vollendet ist, ist begründet in der Anthropologie des Jakobus, der den Christen als Existenz im Werden und als auf dem Weg versteht. Beginn und Ende des Briefes werden deutlich geprägt vom Kontrastmotiv der zwei Wege. Bei aller Ambivalenz des Menschen in seiner Konstitution als Mangelwesen (1,5-11: Mangel an Weisheit, Mangel an Glauben, Mangel an richtiger Selbsteinschätzung) zeigt Jakobus den Weg zum Leben, der bereits in 1,2-4 deutlich als Klimax entworfen ist: Prüfungen bewirken Standhaftigkeit des Glaubens, Standhaftigkeit des Glaubens bewirkt ein vollkommenes Werk; wenn Werk und Glaube vollkommen sind, sind sie Zeichen dafür, daß der Mensch selbst vollkommen und ganz ist. Wer hier standhält - so lautet die Schlußfolgerung des Jakobus nach der dreifachen Fallanalyse in 1,5-11 —, wird »den Kranz des Lebens empfangen« (1,12). Wem es aber an wahrem, tat-kräftigem Glauben mangelt, ist »ein Mann, zwiespältig und unbeständig auf all seinen Wegen« (1,8). Wenn es dem Reichen an richtiger Selbsteinschätzung fehlt, er einem falschen Autono miedenken verfallen ist, wie es in 4,13-5,6 entfaltet wird, »wird er wie eine Blume des Grases vergehen« (1,10), werden solche Reiche wie Dampf verschwinden (4,14), ihr Reichtum vermodern, ihre Kleider von Motten zerfressen, Gold und Silber verrosten (5,2-3). Die Möglichkeit zum Todesweg liegt im Menschen selbst (1,14), was in einer Antiklimax zu 1,2-4 stilistisch gekonnt formuliert wird: Jeder wird versucht, angelockt und geködert von der eigenen Begierde, die Begierde wird schwanger und gebiert die Sünde, die ausgereifte Sünde aber gebiert den Tod. Der Weg zum Leben (18) und der Weg zum Tod (14-15) stehen dem Menschen offen. Angesichts solcher Alternative ist der Appell an das Tun der Adressaten in 1,16 berechtigt: »Geht nicht in die Irre, meine geliebten Brüder!« Ebenfalls notwendig ist die Erinnerung an den Inhalt der Grundkatechese, daß die Adressaten vom Tod schon zum Leben gelangt sind und — hier wird das Stichwort »gebären« von l,15a.b wohl bewußt wieder aufgenommen — von Gott »geboren« wurden »durch das Wort der
Wahrheit« (1,18). Mit diesem positiven Ausklang — obwohl ein eschatologischer Vorbehalt bleibt — endet das Exordium wie die Peroratio in 5,20. Zur inhaltlichen Abrundung des semantischen Netzes in Prolog und Epilog muß noch die Opposition Mensch — Gott einbezogen werden, da nur so die Einheit des Themas gewahrt wird (vgl. weiter den Exkurs nach 1,18). Das unvollkommene menschliche Sein und Handeln wird deutlich zum vollkommenen Sein und Handeln Gottes in Korrelation gebracht: Der Mensch soll vollkommen und ganz sein, anthropologisch keinen Mangel haben (l,4b.c). Gott hingegen ist »einfach/lauter«, er gibt vorbehaltlos gütig, »ohne zu nörgeln« (1,5c), er bleibt sich stets treu (1,17d: »bei dem es keine Veränderung gibt oder eines Wechsels Verschattung«), da er »vom Bösen unversuchbar ist« (1,13c). In wenigen Versen und mit wenigen Worten bindet Jakobus die Opposition Mensch und christliche Gemeinde als Mangelwesen auf dem Weg zur Vollkommenheit — Vollkommenheit Gottes zusammen. Dieser Gedanke wird am Beginn des Prologes noch ganz anthropologisch formuliert, da in Vers 4 vom Verfasser zwar ein »vollkommenes Werk« gefordert wird (4a) und ebenso, daß die Adressaten selbst »vollkommen und ganz« sind (4b), aber nicht gesagt wird, wer die Ermöglichung zu solcher Vollkommenheit gibt. Dies wird gemäß der Thema-Rhema-Struktur (s. o.) in Vers 5 ff. gesagt. Zwar bleibt Jakobus zu Beginn in 5a.b sowie in 6-11 noch ganz in der anthropologischen Perspek tive, setzt darin aber schon das Handeln Gottes voraus (5d.7b.12), durch bricht diese Perspektive jedoch schon hier durch den theozentrischen Satz in 5c: »Der allen vorbehaltlos und ohne zu nörgeln gibt«. Dieser Gedanke des spezifischen Handelns Gottes wird in 12-18 wieder aufgenommen und um Aussagen über das Sein Gottes vertieft, das sich zwar - gut biblisch — im Handeln zeigt, aber doch eigens thematisiert wird (13c.l7c.d). Didaktisch geschickt knüpft Jakobus an die Erfahrungen der Adressaten an, führt diese im Lesefluß innerhalb des Prologs beharrlich und konsequent zu seinen Aussagen zum Handeln und Sein Gottes, da sich erst von hier aus die anthropologischen Aussagen über das Handeln und Sein (4a.b) in ihrer eigentlichen Dimension erschließen. Sind die Verse zu Beginn noch offen, d. h. anthropologisch und ekklesiologisch zu verstehen (2-4), so wird ab 5b die mystische Gott-Mensch-Beziehung als tieferer Grund der bis dahin ethisch formulierten Aussagen eröffnet. Dadurch wird die Ethik nicht nur in ein neues Licht gestellt, sondern erhält auch eine theozentrische Begrün dung. Dies herausgestellt zu haben, ist das Verdienst von Jan-Luc Blondel (s. o. Einleitung 2.5). Die Verläßlichkeit und Stetigkeit Gottes betont auch der Schluß des Briefes. Gott wird den Kranken unbedingt retten und ihn aufrichten (5,15a.b), er wird ihm seine Sünden vergeben (5,15d), er gibt — wenn der Mensch wirklich bittet — bei Trockenheit Regen (5,18). Gottes Handeln auf die Menschen hin bildet Maßstab und Ermöglichung für das von Jakobus angezielte neue Handeln der Christen, ebenso ist Gottes Sein vorgegebenes Ideal für menschliches Sein. Bei Gott und Menschen erschließt sich das Sein aus dem Handeln bzw. genauer: offenbart das Handeln das Sein. Aber:
»Sein« und »Haben« klaffen beim Menschen noch auseinander (l,4a.b). Ziel ist es, ein »vollkommenes Werk zu haben« (1,4a; vgl. 2,14.17) und »Glauben zu haben« (2,1.14). Allerdings: Jakobus ist nicht naiv (so Hengel 272), sondern versteht das Leben als dynamischen Prozeß — auch mit der Möglichkeit des Scheiterns. Erst wenn der Mensch ständig in der Erpro bung standhält (1,12a: Präsens), wenn er dann am Ende »bewährt gewor den ist« (1,12b: Aorist), erhält er von Gott die Bestätigung. Das Sein der Menschen (dies beschreiben die zahlreichen Adjektive) ist nach Jakobus ein Sein im Werden. Glücklich zu preisen ist analog zu 1,12 nach 1,25 derjenige, »der ein Täter des Werkes geworden ist«. In der Gegenwart gilt der Appell: »Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer!« (1,22a). Den Weg, der in 1,2-4 und 1,12 abgesteckt wird, illustriert das Briefkorpus. Das bisher skizzierte semantische Netz im Epilog erweist sich nicht nur aus innertextlichen Beobachtungen als stimmig, bestätigt werden kann dies - darauf sei kurz hingewiesen (zur weiteren Begründung s. o. zur Gattung »Brief« in der Einleitung 2.4a, zu den einzelnen traditionellen Motiven s. u. 5,7-20) - auch aus der Kenntnis des Gebrauchs von traditionellen Motiven in parallelen Texten. Dies betrifft den eschatologischen Ausblick, den Eid, die Gesundheit der Adressaten und das Gebet. Ob mit, ob ohne solche literarischen Gattungs-Parallelen: Auch für sich belegen Briefeingang und Briefschluß des Jakobusbriefes eine in sich stimmige, syntaktisch und semantisch kohärente Basisisotopie, bei der die verschiedenen Begriffe aus sehr unterschiedlichen Feldern einander inhaltlich so ergänzen, daß sich für den Leser eine sehr sorgfältig gestaltete thematische Einheit und Wirkab sicht des Verfassers ergibt. Gerade in Prolog/Exordium (1,2-18) und Epilog/Peroratio (5,7-20) finden sich die meisten inhaltlichen Übereinstimmungen, auch wenn Jakobus hier und dort traditionelle Motive (so bes. in 5,7-20) und ein ganzes Motivfeld (zur Rezeption von Sirach 2,1-18 und 15,11-20 im Prolog s.u. den Abschnitt II 2: »Traditionskritische Hinweise«) aufnimmt und verarbeitet. Doch gilt hier wie für das Briefkorpus: Die vielfach nachweisbar rezipierten Traditionen sprechen nicht gegen die syntaktische und semantische Kohä renz des Briefes, da Jakobus den ganzen Brief formal und inhaltlich nicht nur als Einheit gewollt hat, sondern er auch rhetorisch in der Lage war, ihn so zu gestalten. Motiviert dürfte diese Intention durch die konkrete Situa tion seiner Adressaten gewesen sein, auf die er einwirken wollte, um ihr Selbstverständnis und ihre kommunikative Praxis zu verändern (zur Situa tion der Adressaten s. u. den Exkurs »Die soziale Situation der Adressaten« nach 1,11). Mit diesen Hinweisen zum Prolog als Stichwortlieferanten für den Brief sowie zum Verhältnis von Prolog und Epilog dürfte sich der Einstieg mit einer synchronischen Lektüre des Jakobusbriefes, wie es in der modernen Linguistik und Literaturwissenschaft üblich ist, für den Jakobusbrief als sinnvoll erwiesen haben. Damit ist das Recht einer diachronischen Betrach tung des Textes, bei der es um seine literarische Genese geht, keineswegs bestritten. Generelles Ziel der Exegese ist jedoch die Interpretation des
vorliegenden Textes. Wie stark dieser Text von Jakobus wirklich formal und thematisch als Einheit gestaltet wurde, soll die folgende Matrix andeu ten. Eine solche Matrix ließe sich auch nach syntaktischen, morphologi schen, phonologischen, akustischen u. a. Eigenschaften anordnen (vgl. Lewandowski 2,486; Welte 1,357-361). Daß die vorliegende Matrix in den horizontalen und vertikalen Zeilen nach semantischen Aspekten angeordnet ist, ergab sich durch vielfältiges Lesen des Textes und durch das Festhalten syntaktischer und formaler Merkmale. Erst so gelangte der Verfasser zu der typisch semantisch-oppositionellen Struktur von Prolog und Epilog sowie des gesamten Briefkorpus. Der Weg ging von zunächst stärker intuitiven Beobachtungen zu immer intensiver am Text selbst orientierten Verfahren. Erst danach wurde gefragt, ob mit Kategorien der antiken und modernen Rhetorik die syntaktischen, semantischen und pragmatischen Aspekte in textlicher und außertextlicher Funktion angemessen, vielleicht sogar besser gedeutet werden können. Aus der neueren Linguistik boten sich zwei methodische Verfahrensweisen für eine semantische Analyse des Jakobusbriefes und seiner Traditionen besonders an: Wortfeld-Untersuchungen und damit verbunden die Aus wertung funktioneller Oppositionen. Gemäß der Vorgehensweise werden sie erst hier kurz skizziert, da nicht eine linguistische Theorie die am Jakobusbrief gewonnenen Erkenntnisse freisetzte, vielmehr umgekehrt die sprachliche Analyse zu Ergebnissen führte, die sich im Lichte linguistischer Theorien angemessen erklären lassen. Nicht mit der Theorie, sondern mit der Analyse des Textes steht und fällt die in diesem Kommentar vorgetra gene Deutung. Versucht man die unterschiedlichen Umschreibungen und Definitionen der Wortfeld-Theorien ohne linguistische Nomenklatur wiederzugeben, dann ist ein Wortfeld — wie es sich etwa im Prolog 1,2-18 findet — eine Gruppe von Wörtern, die nicht vom selben Stamm abgeleitet werden können, aber inhaltlich zusammengehören, da sie ein Inhaltsfeld aufgliedern. Daraus folgt, daß kein Wort isoliert steht, sondern jeweils von seinen Feldnachbarn mitbestimmt wird. Feldnachbarn sind jedoch nicht nur partielle Synonyme, vielmehr wird das Feld auch durch Oppositionsbegriffe/Antonyme struk turiert. Bei aller Kritik an einem zu statischen und geometrischen Verständ nis des Wortfeldes, die auch in den Wörterbüchern geäußert wird, bleibt grundsätzlich festzustellen, »daß von keiner Seite die Kritik mit so überzeu genden Argumenten geführt wurde, daß die Feldlehre als ihrer Daseinsbe rechtigung beraubt und als ungültig und abgetan angesehen werden muß«
(Geckeier 166f.). Vor allem Horst Geckeier hat in Weiterführung des Entwurfes von E. Coseriu das Prinzip der funktionellen Oppositionen und die Inhaltsanalyse in unterscheidende Züge als konstitutiv für ein Wortfeld herausgearbeitet, um möglichst intuitive Assoziationen auszuschließen. Auch ihm gelingt dies bei allen Differenzierungen nur annäherungsweise, was bedingt ist durch die Offenheit und Unverfügbarkeit der semantischen Qualität von Wörtern, für deren Bestimmung letztlich Kriterien für eine genaue Klassifi-
zierung fehlen. Dies heißt nicht, daß der Willkür der genialen Ahnungen Tür und Tor geöffnet werden darf. Jedoch ist die Rolle des Lesers und seines Vorwissens hinsichtlich der Bedeutungen der Wörter nicht zu gering zu veranschlagen; dieses ist jedoch durch nüchterne Textarbeit immer wieder zu korrigieren. Die Schritte dazu: Alle bedeutungstragenden Begriffe eines Textes werden in einer Matrix inventarisiert, Synonyme und Antonyme eines Wortfeldes werden zusammengestellt, die Häufigkeit bestimmter Leitbegriffe wird festgehalten (Vokabelstatistik), der Ort der Begriffe wird notiert, die Funktion der Leitbegriffe wird beachtet, und die Qualität bestimmter Begriffe ist zu erheben. Da ein vollständiges Inventar unmöglich erstellt werden kann, seien jene Elemente der semantischen Analyse besonders hervorgehoben, durch die sich der Jakobusbrief überhaupt als einheitliche Schrift und als semantisches Netz mit einem konstanten Aktionsziel für bestimmte Adressaten erweist.
Präskript 1,1
1
Prolog 1,2-18
3,1-12
b)2
a) Brüder b) meine Brüder c) geliebte Brüder (als Anrede) d) andere Stellen b)2 16 d)9
c)
c) 19 27 b)l
1
b)l c)5
19.23 (2x)
9
b) Freude
Jesus Christus
kyrios a) Gott b) Christus
a) sich freuen a)l
-18|
5
2,14-26
1
a)7
20 27
2,1-13
b)l 17
< « ) k 13 ( 2 x )
1,19-27
Vater
Gott
c) Das semantische Netz des Jakobusbriefes
b) 14 d) 15 (+ Schwestern)
9
a)9
b) 1.10.12
3,13-18
4(2x) 6.7.8
4,1-12
a) 10
4,13-5,6
a) 15.4
Epilog 5,7-20
a) 10.11 (2x) 15 b) 7.8.14
I (
b)9
a) 11 d) 11 ( 2 x )
a) 7.9.10 b) 12.19
I = thematische Entfaltung/Amplifikation ) = sachliche Thematik, ohne Nennung des angegebenen Stichwortes
3
a)3.6
a) 3.4
Werk
b) aushalten
a) Geduld
b) glauben
a) Glaube
seht ein
wißt; wisse
b) erproben
a) Erprobungen
a)2.12 b) 1 3 ( 3 x ) 1 4
4
7: meinen
2-4. 5-11. 13-16
b) 12
19
26: meinen 25
3*.
a) 1.5
a) 1 4 ( 2 x ) . 1 7 . 1 8 ( 3 x ) . 20.22 (2x).24.26 |l4-26 | b) ( 1 9 ( 2 x ) . 2 3 )
(14-26)
14.17.18(3x). 20.21.22 ( 2 x ) . 24.25.26 114-26 |
1
13 17: Früchte (1-12)
4
5: meinen
14. 17 a) 15 (9-12) 20
a) 11 b) 11 vgl. 7a.b. 8.10
(16)
geben
a) bitten: aiteö b) beten: proseuchesthai c) Gebet: (pros) euche, d) deesis
b) weise
a) Weisheit
vollkommen vollenden (apoteleö) erfüllen (teleö) vollenden (teleioö) a) b) c) d)
haben
a) tun b)Tun c) Täter Präskript 1,1 4
Prolog 1,2-18
1,19-27
2,1-13
b) 22.23 25 c) 25 119-27 1 a) 8.12. 13.
a)5 a) 4a.b 4b: holokleros: ganz 5: haplös: einfach b) 15b a) 17
a) 5b.6a 17: Gabe
|19-27| a) 25 1
c)8
10: holos: ganz 2,14-26
a) 19
3,1-12
a) 12 ( 2 x )
14(2x). d) 22 17.18
16
a^2
1 1-12 1 2.3.6: holos 3,13-18
a) 18
14
4,1-12
b) 11
2a.b
a) 15.17 b) 13 113-181 a)2.3
6a.b
b) 13.14.16. 17.18 |ß-iö| c) 15.17 d) 16
18
4 , 1 3 - 5 , 6 a) 13.15. 17 Epilog 5,7-20
a) 15
ll:telos: Vollendung Ziel
7.12. a) 6a.b
3
7.10 8
15
26
8
20 8
1
14
8 (1-12)
8
20 8 ?> b) 10
9
|1-13| b)4
t 2.3. 5.6
1 1-13 |
5
b)2
a)9
16 (2x)
erhöhen demütig Demut sich demütigen
9
b) a) b) c)
a) Hoheit
b) Reichtum
a) reich
arm
a) niedriggestellt b) Niedrigkeit c) sicherniedrigen
unbeständig
Weg
zwiespältig: dipsychos
Seele
Herz
a) mit sich im Streite sein, zweifeln b) Unterschiede machen
empfangen
sich rühmen
a) 10. 11
vgl. 11 a)
b) 10
a) 6 c) 10
b)10
a)
9
21
a)5.6
13
115—1
8
16
14
c) 10
6
böse, schlimm Schlimmes erleiden Ertragen des Schlimmen die Schlechtigkeit a) b) c) d)
retten
Leben
lieben
verheißen
a) Gericht b) richten c) Richter
werden
a) glücklich, selig
b) glücklich sein
T3
Präskript 1.1 Prolog 1,2-18
1,19-27
a) 12
12
12
12
12
15
vgl. 12
21
a) 25 22.25
2,1-13 4.10. 11
c)4 a) 6weltl. Gericht b) 12 c) 13
5
d)21
5.8
14
2,14-26
3,1-12
1.9. 10
vgl. 8
a)l
a) 8
3,13-18
4,1-12
b) l l ( 3 x ) . 1 2 c) 11.12
2
4,13-5,6
Epilog 5,7-20
b) 11
b)6
(8.20) b) 9 c) 9 a) 12 7-12
12 14
20
15. 20
c) 10 b) 13
|13-16|
a) 15 (2x)
a) 16
17
18
Zunge
Gebot, Gesetz
Wahrheit
Wort
von oben
b) Irrtum
a) irren
b) Sünder
a) Sünde
a) Begierde b) begehren c) Lüste a) 14.15
18
21.22. 23
25
a)9
26
8.9.10. 11.12 |5-13|
2
5.6(2x).8 15=121
15.17
14
11 ( 4 x ) 12: Gesetz geber
b)2
c)1.3
b) 8
|1-12| a) 17
a) 15.16. 20 b)20
19
a) 19 b) 20
II. Von der christlichen Existenz in Prüfungen (1,2-4) Literatur zur Methode und Begrifflichkeit: Frankemölle, Biblische Hand lungsanweisungen 50-54.60f.65 f.68 f.201 -204. — Richter, Exegese als Lite raturwissenschaft 152-165. — Literatur zum Stichwort »Glaube« s. u. im Exkurs nach 1,6a, zu »Werk« s. u. den Exkurs nach 2,24 und zu »vollkom men« s. u. den Exkurs nach 3,5b. Ansonsten: Carr, A., The Patience of Job, in: Exp 8(1913) 511-517. - Delling, G., teleios u. a., in: ThWNT 8(1969) 68-88. - Frankemölle, Thema. - Korn, J. H., Peirasmos. Die Versuchung des Gläubigen in der griechischen Bibel, Stuttgart 1937. — Kraus, H. / . , Geschichte als Erziehung, in: Probleme biblischer Theolo gie. FS G. v. Rad, München 1971, 258-274. — Kuhn, K. G, peirasmos — hamartia — sarx im Neuen Testament und die damit zusammenhängen den Vorstellungen, in: ZThK 49(1952) 200-222. - Luck, U., Weisheit und Leiden, in: ThLZ 92(1967) 253-258. - Mende, Th., »Wen der Herr liebhat, den züchtigt er« (Hebr 12,6). Der alttestamentliche Hintergrund von Hebr 12,1-11; 1,1-4; 2,6-10, in: TrThZ 100(1991) 23-38. - Millauer, H., Leiden als Gnade. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zur Leidenstheolo gie des ersten Petrusbriefes, Frankfurt 1976. — Nauck, W., Freude im Leiden, in: Z N W 46(1955) 68-80. - Oßwald, E., Glaubenszuversicht und Glaubensanfechtung im Alten Testament unter besonderer Berücksichti gung der Psalmen, in: ThLZ 104(1979) 705-712. - Plessis, P.J. du, Teleios. The idea of perfection in the New Testament, Kampen 1959. — Prümm, K., Das neutestamentliche Sprach- und Begriffsproblem der Vollkommenheit, in: Bibl 44(1963) 76-92. - Ruppert, L., Der leidende Gerechte. Eine motivgeschichtliche Untersuchung zum Alten Testament und zwischentestamentlichen Judentum, Würzburg 1972. — Sanders, ]. A., Suffering as Divine Discipline in the Old Testament and Post-Biblical Judaism, Roche ster 1955. — Sommer, A., Der Begriff der Versuchung im Alten Testament und Judentum, Breslau 1935. — Thomas, ]., Anfechtung und Vorfreude. Ein biblisches Thema nach Jak 1,2-18, im Zusammenhang mit Ps. 126, Rom. 5,3-5 und 1 Petr. 1,5-7 formkritisch untersucht und parakletisch ausgelegt, in: KerDog 14(1968) 183-206. - Winter, M., Pneumatiker und Psychiker in Korinth, Marburg 1975.
Auch wenn im vorliegenden Kommentar bislang redaktionskritisch, kompositionskritisch und synchronisch gearbeitet wurde, heißt dies nicht, daß die diachronische Blickweise bei der Auslegung übergan gen werden darf. Sie steht jedoch deutlich an zweiter Stelle, da in ihr der Versuch unternommen wird, die formale und thematische Genese des Textes und einzelner Textteile sowie von Motivfeldern usw. zu erklären. Der Boden, auf dem man dabei steht, ist sehr viel schwankender als bei der synchronischen Analyse.
Insgesamt sei daran erinnert (vgl. in der Einleitung 2.4b zum Verhältnis von Tradition und Redaktion), daß Verfasser den Begriff Tradition sehr viel enger faßt, als es üblich geschieht. Tradition ist nur das, was ein Autor, z. B . Jakobus, rezipiert und selbst wieder tradiert. Selbstverständlich ist auch der allgemeine Lebens- und Glaubenskontext — etwa weisheitlicher Art (vgl. Luck) — vorauszusetzen, er ist aber nur schwer nachweisbar. So sehr die jüdischen und judenchristlichen Weisheits-Traditionen als Wurzelgrund und Denkhorizont des Jak zu verstehen sind, ebenso auch die christlichen Jesus-Traditionen, so sehr muß es Aufgabe der Exegese sein, literarische Rezeptionen nachzuweisen. Struktur und Logik weisheitlichen Denkens werden um so wahrscheinlicher für Jakobus, je mehr nicht nur allgemein in seiner Umwelt solche Strukturen in der internationalen Weisheitsliteratur zu finden sind, sondern von ihm auch tatsächlich übernommen wurden. Bei der Auslegung ist also zu unterscheiden zwischen einem intertextuellen Vergleich (Jakobusbrief — andere Weisheitsschriften usw.) und wirklich von Jakobus rezipierten Traditionen (etwa Jesus Sirach). Letztere Arbeit steht erst in den Anfängen. Unter dem ersten Aspekt des intertextuellen Vergleichs wurde bei der Erforschung der Einzelsprüche vorzügliche und umfassende Arbeit geleistet, da zu den Einzelermahnungen im Jak viele Parallelen aus Urchristen tum, Frühjudentum und Stoa nachgewiesen werden konnten, wie schon die Arbeiten von Sputa, Schegg und Mayor aus dem letzten Jahrhundert, später dann die von Dibelius, Meyer, Chaine, Muß ner u. a. belegen können. Ohne Zweifel hat sich im 1. Jahrhundert im Bereich weisheitlicher Mahnsprüche und Lehrrede ein interna tionales, zum Teil standardisiertes Ethos herausgebildet, von dem auch die urchristlichen, die jüdischen und die pagan-griechischen Traditionen beeinflußt waren (Schmid, Weisheit; Küchler, Weis heitstraditionen 553-592). Was besagt dies aber für den Jak? Lebt sein Verfasser nur im allgemeinen Horizont oder gestaltet er und denkt er bewußt weisheitlich, indem er Formen (s. o. zur Formkri tik) und Inhalte in kritischer Verarbeitung rezipiert? Selbstver ständlich liefert auch der allgemeine Denkhorizont der Zeit wich tige Hinweise für ein sachgemäßes Verständnis des Jak. Daher seien zunächst intertextuelle Parallelen aufgelistet, dann aber die wichtigeren wirklich rezipierten Traditionen. Grundsätzlich bleibt jedoch festzuhalten: Bei der literar- und formkritisch nachgewiesenen Kohärenz des Prologes in Jak 1,2-18 geht es traditionsgeschichtlich nicht primär um mögliche Parallelen zum Einzelspruch oder sogar Einzelwort, vielmehr im Ansatz
einer Textsyntax, Textsemantik und Textpragmatik um parallele bzw. vom Autor wirklich rezipierte semantische Felder. So ist auch im Hinblick auf Jak 1,2-18 von dem literar- und formkritisch erarbeiteten semantischen Netz auszugehen, das durch folgende Begriffe geprägt ist: Freude — mannigfache Erprobungen/Ver suchungen — Prüfungsmittel — Glaube — Standhaftigkeit/Geduld — Werk — vollkommen — ganz — (eschatologischer) Lohn — Ursache der Versuchungen. Demgegenüber gehören die bedeu tungstragenden Begriffe in den Versen 5-11 — auch nach Durch sicht der möglichen Traditionen — nicht zum vorgegebenen Grundgerüst. Dies entspricht dem formalen und thematischen Duktus; denn inhaltlich wendet sich der Verfasser mit »Wenn einer von euch ...« in Vers 5 direkt an die Adressaten, läßt also seine Ausführungen von deren Situation, auf die er einwirken will, bestimmen (auch wenn er selbstverständlich auch hier keineswegs ohne traditionelle Topoi formuliert, wie schon das Bibelzitat in lOb.llb zeigt).
1. Von der Bewährung des Glaubens in Prüfungen/Versuchungen (intertextuell) In diesem Punkt geht es nicht um wirklich rezipierte Traditionen (s. u.), wohl jedoch um den allgemeinen Denkhorizont jener Zeit. In der Tat läßt sich hier zeigen, wie alle Kommentare belegen können, daß sich im Bereich weisheitlicher Mahnsprüche und Lehrrede im 1. Jh. n. Chr. ein internationales, zum Teil standardi siertes Ethos herausgebildet hatte, von dem auch die urchristlichen Traditionen beeinflußt waren. Da für Jakobus nicht nur der jüdi sche Glaube mit all seinen mündlichen und schriftlichen Traditio nen (primär der Weisheitsliteratur: s. u.), sondern auch die urchristlichen Glaubenstraditionen bestimmend sind, nimmt es nicht wunder, daß er mit deren Vertretern in grundlegenden Anschauungen übereinstimmt, ohne daß literarische Abhängigkeit vorliegt. Wie bei der Formkritik ist auch im folgenden zu trennen zwischen der Darstellung des gesamten semantischen Netzes (zum Begriff vgl. die Einleitung 2.4b) in 1,2-4.12 und von weiteren Motiven, die zur Illustrierung der Aussage des Jakobus dienen können. Da das semantische Netz redaktionskritisch primär ist, wird es zuerst behandelt. Die wichtigsten, weil vollständigsten christlichen Parallelen zu Jak 1,2-4.12 sind nach allgemeiner Ansicht Rom 5,3-5 und 1 Petr 1,6-
7, zumal hier wie in Jak 1,2-4.12 jeweils eine Klimax vorliegt: Prüfung — Prüfungsmittel — Standhaftigkeit — vollkommenes Werk — vollkommener und ganzer Mensch. Ein intertextueller Vergleich zeigt die auffallenden Ähnlichkeiten. (Beim Druck sind identische Worte fett, synonyme Begriffe kursiv gesetzt.)
wir rühmen uns unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Standhaftigkeit, Standhaftigkeit aber Bewährung, Bewährung Hoffnung, die Hoffnung aber läßt nicht zugrunde gehen
1 Petr 1,6-7 Darüber jubelt, wenn ihr auch jetzt für kurze Zeit traurig sein müßt in mannigfaltigen Prüfungen, damit sich die Echtheit eures Glaubens herausstellt, die kostbarer ist als vergängliches, im Feuer geläutertes Gold ...
(17-3*1.)
Für lauter Freude haltet es, meine Brüder, wenn ihr in mannigfache Prüfungen geraten seid. Wißt! Dieses euer Prüfungsmittel bewirkt Standhaftigkeit des Glaubens. Die Standhaftigkeit aber soll ein vollkommenes Werk bewirken, damit ihr (selbst) vollkommen und ganz seid, und es euch an nichts mangelt ... Selig der Mann, der in der Prüfung standhält, da er bewährt wurde wird er den Kranz des Lebens empfangen, den er (Gott) denen verheißen hat, die ihn lieben.
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Rom
991,
5,3-5
Jak 1,2-4.12
Der synoptische Vergleich zeigt: In den Texten finden sich identi sche und inhaltlich-ähnliche Begriffe (es für lauter Freude halten - sich rühmen - jubeln usw.), vor allem aber sind sie formal parallel aufgebaut. Beide Aspekte belegen die Konstanz des seman tischen Feldes. Weitere Parallelen finden sich in 1 Petr 4,13 f. mit den Wendungen: Freut euch, sich jubelnd freuen, beschimpft werden (als eine Art Versuchung bzw. Leiden), selig, dann auch in 1 Petr 3,14: Leiden, selig. Ist in 1 Petr 3,14 auch (analog zu Jak 1,2f.. 12) die Reihenfolge verändert, so sind Begriffe und Schema dennoch konstant. Nach Nauck wird dies in Variationen durch M t 5 , l l f . par Lk6,22f. bestätigt: Selig, beschimpft werden (als eine Art Versuchung bzw. Leiden), freut euch, jubelt, Lohn im Himmel (als eschatologischer Ausblick), ebenso durch Hebr 10,32-36: sich in Leiden bewähren, Beschimpfungen und Bedräng nisse (als eine Art Versuchung bzw. Leiden), mit Freude, großer Lohn. Alle diese Texte sind formal in der Tat geprägt durch die Klimax, wobei die Steigerung nicht nur als rhetorisches Mittel der Einheit lichkeit des Textes zu verstehen ist, sondern auch als Element der Einwirkung des Autors auf die Adressaten. An weiteren Stellen im N T finden sich Elemente des in den drei Texten rezipierten Motiv feldes — wenn auch ohne Vollzähligkeit und ohne formales Schema (vgl. 2 Kor 4,16-18; 7,4; 8,2; 2 Thess l,4f.; Hebr 12,2-11; 2 Petr 2,20; Lk 8,13 u. a.; vgl. Selwyn, Peter 442-449, der als erster die »Verfolgung als Anlaß der Freude« betonte). Nach Nauck stehen alle diese Stellen in »einer urchristlichen Verfolgungstradition des Inhalts >Freuet euch im Leiden<«, die »eine überraschende Eindeu tigkeit und Geschlossenheit« aufweist (72); »eine gemeinsame spät jüdisch-urchristliche Tradition über die Freude angesichts des Lei dens« (76) ist Grund dafür. Vorlage ist nicht ein Wort Jesu, von dem alle anderen christlichen Stellen abhängig sind (so Selwyn, Peter 455), vielmehr eine frühjüdische Tradition, die außerordent lich breit belegt ist und daher auch von zahlreichen neutestamentli chen Autoren rezipiert und zum Teil leicht variiert wurde. Daß in einer Reihe von Stellen im N T dabei auf das Beispiel Jesu verwiesen wird (vgl. M t 5 , l l f . ; Rom 5,6; 1 Petr 4,13; Hebr 12,2f.), liegt nahe, da im Rahmen der Passionserzählungen und in den Nach folge-Worten an die Jünger die Verbindung von Christus-Leiden und Christen-Leiden in der evangeliaren Tradition stereotyp ist: »Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen« (Joh 15,20). J e nach Kontext kann dieser christologische Bezug auch entfallen.
O b auch der Anfang des Jak mit den Stichworten »Erprobung/ Versuchung — Bewährung — Seligpreisung« eine solche christologisch-vorevangeliare Tradition anklingen läßt (Hoppe, Hinter grund 41 mit W.Grundmann und Popkes, Adressaten 129-136), wäre möglich. Während Abraham traditionell zehn Versuchungen durchsteht, findet sich bereits in Q die Abfolge: Versuchungen — Bewährung Jesu — Seligpreisungen, aber nicht Jesu. Ein solcher christologischer Horizont zu Beginn des Jak müßte daraufhin genauer geprüft werden, ob weitere Begriffe nicht nur zufällige Parallelen, sondern Elemente eines gemeinsamen semantischen Fel des und eines gemeinsamen literarischen Schemas bilden. Die Elemente könnten sein: Weisheit in Jak 1,5 in bezug auf die Taufe der Christen in 1,18 (falls hier von der Taufe gesprochen wird) — Taufe Jesu als Geistbegabung; zu »vollkommen« vgl. Jak 1,4 mit Mt 5,48: »Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist«; zur Konkretisierung des Glaubens durch das Tun vgl. Jak 1,4; 2,1-26 u. a. mit Mt 3,15; 7,21-23. Die strukturel len Parallelen sind jedenfalls auffällig (vgl. Popkes 136-146) — auch ohne die Annahme eines gemeinsamen semantischen Feldes. Eine literarische Abhängigkeit der neutestamentlichen Stellen von einander ist schwierig nachzuweisen — angesichts der Breite der jüdischen Traditionen und aufgrund des Faktums der Rezeption einer bestimmten Tradition durch Jakobus (s. u.). Vor allem haben einzelne Begriffe in der Klimax in den neutestamentlichen Paralle len eine unterschiedliche Argumentationsfunktion (mit Dibelius 104f.; Nauck 70). Auch bleibt zu beachten, daß entgegen eines relativ festen Grundschemas an zwei Punkten stärker variiert wird (so daß die vielfach rezipierten Thesen Naucks zu differenzieren sind): Neben den verschiedenen Bildern für den eschatologischen Lohn betrifft dies vor allem das Motiv des Leidens bzw. der Bedrängnis bzw. der Versuchungen. Lassen sich alle Stellen unter das Motiv »Freude im Leiden« subsumieren (Nauck', Millauer 137ff.; Schule 75; Hoppe 193; undifferenziert Luck) oder nicht (Ruppert 176-179)? Können — wie es durchgehend geschieht — Leiden oder Versuchungen mit Verfol gungen identifiziert werden? Von der inhaltlichen Bedeutung her ist der Begriff Erprobung/ Versuchung: peirasmos sehr viel weniger konkret, als die Fragen voraussetzen, so daß er Oberbegriff wäre, der eventuell durch Verfolgungstraditionen gefüllt werden könnte. Der Lebenskontext der Adressaten (zu dem des Jakobus vgl. 1,5-11) spielt hier eine ausschlaggebende Rolle. Für Jak 1,2-4 deutet nichts auf »Christen-
Verfolgungen« (so Dibelius 97; ähnlich Schule 75) oder auf »bestimm
te Leidenssituationen« (Nauck 79) hin, es geht nur um »Anfechtung« (Thomas). Nicht in der Verfolgung durch Nichtchristen besteht für Jakobus die Versuchung/Erprobung seiner Adressaten. Diese ist aber auch nicht abstrakt und unkonkret (so Schräge 15; Mußner 64). Wie die drei Beispiele in l,5-6a.6b-8.9-ll und ihre Amplifikationen im Briefkorpus zeigen, sind die »mannigfachen« äußeren und inneren Versuchungen/Erprobungen der jakobeischen Adressaten als sozia ler Minderheit in nichtchristlicher Umwelt in aller Deutlichkeit benannt und als Bedrohung des wahren Christseins gesehen. Dies bestätigt — wie der Exkurs oben zeigt — auch die Aufnahme der Stichworte im Verlauf des Briefes mit der jeweiligen Entfaltung der im Prolog implizierten anthropologisch-ekklesialen, theologischen Probleme (vgl. oben die Matrix am Ende von Exkurs 1). Zur angeblichen Tradition »Freude im Leiden«: Steht Jakobus vielleicht doch in anderer Tradition als meist (Mußner 64; Dibelius 97; Hoppe 19f. u. a.) angenommen wird? Eine lexikographische Untersuchung bestätigt, daß nicht von vornherein peirasmos: Erprobung/Versuchung/Anfechtung/Prüfung mit der Bedeu tung Leiden/Verfolgung/Bedrängnis assoziiert werden darf, da an den Belegstellen von peirasmos weder der Begriff selbst noch der Kontext andeuten, daß Verfolgungen gemeint sind, auch nicht implizit. »Nauck hat nicht erkannt, daß es doch ein bedeutsamer Unterschied ist, ob das Leiden selbst wegen der dadurch entstehen den Gewißheit himmlischen Lohnes die Freude hervorruft, oder ob die im Peirasmos liegende Möglichkeit der Bewährung und die darauf basierende Verheißung ewigen Siegeskranzes und Lebens Anlaß zur Freude geben« (Ruppert 177). Letzteres trifft auf Jak 1,2f.. 12 und 1 Petr 1,6f.; 4,12-14 zu (vgl. Frankemölle, 1. Petrus brief 13-17); dagegen fehlt in apokalyptisch orientierten Texten (wie M t 5 , l l f . par; Hebr 10,32-36) gerade das VersuchungsMotiv. Apokalyptisch ist die Vorstellung von der Freude im Leiden als Bestätigung der Erwählung, Jakobus dagegen vertritt eine Freude trotz der Erprobungen/Versuchungen als Möglichkeit zur Bewährung. Wie bei der Formkritik (s. o.) zur Thema-RhemaStruktur deutlich wurde: Nicht die Versuchungen sind für Jakobus eigentlicher Inhalt der Freude, sie sind nur Anlaß zur Freude, denn Ziel der Erprobungen/Versuchungen als »euer Prüfungsmittel des Glaubens« sind ein vollkommenes Werk und die Vollkommenheit der Angeredeten selbst. Mit anderen Autoren des N T denkt Jako bus beim Stichwort Erprobungen/Versuchungen nicht dualistisch apokalyptisch (so Kuhn), sondern weisheitlich.
2. Von der Bewährung des Glaubens in Prüfungen/Versuchungen (die rezipierte Tradition und die jakobeische Redaktion) Da sich im Exordium nicht nur für die ersten, sondern auch für heutige Leser die Intention des Autors erschließt und aufgrund der sorgfältigen Gestaltung der Nachweis redaktioneller Arbeit am ehesten zu erbringen ist, ist auch der Frage nach wirklich rezipier ten Traditionen sorgfältig nachzugehen, zumal dies bislang nicht geschehen ist. Gerade hier läßt sich aber über die allgemeine weisheitliche Tradition als Lebenshorizont des Jakobus (Baasland, Luck u. a.) noch Näheres sagen, wird die weisheitliche Orientie rung des Verfassers dadurch doch unabweisbar. Voraussetzung dabei ist, daß Jakobus insgesamt die Septuaginta als heilige Schrift gelesen und rezipiert hat, wie alle seine Zitate zeigen (s. u. zu 2,23; 4,6 und 5,20 sowie die Einleitung 2.4e). Untersucht man in einem ohne Computer außerordentlich zeitund arbeitsintensiven Verfahren mittels Konkordanzen die Septua ginta und sonstige frühjüdische Literatur auf das Vorkommen von peirasmos: Erprobung/Prüfung/Versuchung bzw. peirazesthai: versuchen/versucht/geprüft werden, so stellt man ein gehäuftes Vorkommen in den Geschichtserzählungen und in der Weisheitsli teratur fest. Dabei wird übereinstimmend von Exegeten zu Recht darauf hingewiesen, daß in der Weisheitsliteratur (durch Einwir kung von griechischen Erziehungsvorstellungen; vgl. Seesemann: T h W N T 6, 1959, 26) der Begriff der Erprobung/Versuchung seine ehemalige Radikalität verliert zugunsten der Vorstellung, daß Ver suchungen der Erziehung des Menschen dienen (vgl. bes. Sir 2 , 1 ; 4,17; 33,1; Weish 3,5; 11,9). Die Möglichkeit des radikalen Versa gens in der Erprobung/Versuchung, des totalen Herausfallens aus Gottes Nähe und Zuwendung wird nicht mehr betont (und gese hen?). Das klassische biblische Beispiel für Erprobung/Versuchung ist der Erzvater Abraham (Gen 22,1-19). Er gilt grundsätzlich als Vorbild, wie die Verweise u. a. in Sir 44,20; Jdt 8,25f.; 1 Makk 2,52; Jub 19,8; Ab 5,3; vgl. auch Weish 10,5f.; 4 Makk 16,20; Jos Ant 1,256; Philo Abr 52-54; Sib III 2,18 ff. belegen (zu rabbinischen Beispie len vgl. Billerbeck I 135 f.). Allerdings sind seine Erprobungen/ Versuchungen nur ein Aspekt für Abraham als Paradigma für Judentum und Christentum (vgl. Berger: T R E I 373-376). Ergänzt man den Begriff »Erprobung/Versuchung« bzw. »erprobt/versucht werden« durch den synonymen Begriff dokima-
zein: prüfen/auf die Probe stellen, vermehren sich die Belegen für »versuchen«, wobei außerdem von 28 Belegen in der Septuaginta 22 Jahwe als Subjekt haben (vgl. Ps 16,3; 25,2; 65,10; 138,1.23 u. a.). Auch dieses Verbum (zum Substantiv dokimion vgl. Jak 1,2, zum Adjektiv dokimos: bewährt vgl. 1,12) ist in den weisheit lichen Partien der Septuaginta (Spr, Weish, Sir) für Menschen, die durch ihr Verhalten und durch ihre Geduld wie Gold im Feuer geprüft werden, reichlich belegt (Schunack: E W N T I, 825f.). Nimmt man nicht nur die Synonyme von »Erprobung/Ver suchung« samt Verbum zum Ansatz, sondern das ganze semanti sche Netz aus Jak 1,2-4.12 (vgl. oben): Freude — mannigfache Erprobungen/Versuchungen — Prüfungsmittel — Glaube — Standhaftigkeit/Geduld — Werk — vollkommen/ganz — von Gott ver sucht werden — Seligpreisung — (eschatologischer) Lohn, dann reduziert sich die von Jakobus rezipierte Tradition endgültig auf den Bereich der Weisheitsliteratur. Denn es zeigt sich: Die Verbin dung einzelner, auch zweier Begriffe ist in der Septuaginta und in der sonstigen griechisch-jüdischen Literatur des Frühjudentums wie auch im Neuen Testament relativ häufig belegt. So findet sich die Verbindung »Versuchung/versuchen« und »glauben« auch in der geschichtlichen und prophetischen Literatur (vgl. etwa 3 Kön 10,1.7; Dtn 9,22f.; Ps 105,12.14; 4 Makk 9,7f.). Für die Verbin dung der inhaltlich wichtigen Begriffe in Jak 1,2-18 gibt es jedoch um so weniger Belege, je mehr Elemente vom semantischen Feld man einbezieht. Wie die Skizze zum semantischen Feld in Jak 1,218 (s. u.) zeigt, ist das Höchstmaß an Übereinstimmung zwi schen Jak 1,2-4.12-18 und Sir 2,1-18; 15,11-20 festzustellen. Im einzelnen erbringt die Analyse folgende Ergebnisse: Auffällig ist, daß sowohl Jakobus wie Sirach (um 190-175 v.Chr.) den Hauptgedanken an den Beginn der Ausführungen ihrer Schrift stellen. Das Thema »Geduld in der Prüfung/Erprobung« ist Gegenstand der ersten Mahn- und Lehrrede in Sir 2,1-18, nachdem vorab in 1,1-30 der antihellenistische Gedanke (Hengel, Judentum 252; Marböck 30 ff.), daß für Israel »alle Weisheit vom Herrn stammt« (1,1; 24; vgl. Jak l,5a.b; 3,13-18), als These formuliert und grundsätzlich positive und negative Aspekte skizziert wurden. Dann wendet sich Sir 2,1-6 — in direkter Anrede — eindringlich an den Leser (in Klammern sind Stellen mit parallelen griechischen Begriffen aus dem Jak angegeben):
1 Mein Sohn, wenn du herzutrittst, dem Herrn (1,1) zu dienen (vgl. 1,1), bereite deine Seele (1,21; 5,20) vor für Prüfung (1,2.12t.)2 Lenke (3,4) dein Herz (1,26; 3,14; 4,8; 5,5.8) und sei beharr lich und übereile (1,19) dich nicht zur Zeit einer Züchtigung (vgl.1,3). 3 Hänge ihm an und falle nicht ab, damit du groß werdest an deinem Ende (vgl. 1,12). 4 Alles, was über dich gebracht wird (vgl. 1,2), nimm an, und bei den Wechselfällen deiner Niedrigkeit (1,10; vgl. 1,9;4,6) sei geduldig (5,7.8; vgl. 5,10). 5 Denn im Feuer wird das Gold geläutert (vgl. 1,3.12) und die gottgefälligen Menschen im Ofen der Niedrigkeit (1,10). 6 Glaube ihm (vgl. 1,3.6; 2,23), und er wird sich deiner annehmen (vgl. 1,5c.7), mache gerade (3,4) deine Wege (1,8; vgl. 1,11) und hoffe auf ihn(2,1-6). Die Frage nach der Verantwortung des Menschen und nach der Ursache der Sünde wird außer in aller Kürze in 37,3 ausführlich in Sir 15,11-20 gestellt. Die Stelle lautet 11 Sage nicht(1,13): »Durch Gott wurde ich abtrünnig« (1,13). Denn das, was er haßt, erschafft er nicht (vgl. 1,18), 12 damit du nicht sagen kannst: »Er führte mich in die Irre« (vgl. 1,16). Denn er bedarf nicht eines sündigen Menschen (vgl. 1,15). 13 Jeden Greuel haßt der Herr (vgl. 1,1.7), es gibt ihn nicht für die, die ihn als Geliebten (vgl. 1,16) fürchten. 14 Er selbst schuf am Anfang den Menschen (1,18) und lieferte ihn in die Gewalt seines Willens (vgl. 1,14f.). 15 Wenn du willst, kannst du die Gebote erfüllen und den Glauben (1,3.6) tun (1,3a), wenn es (dir) gefällt. 16 Feuer und Wasser hat er dir vorgelegt; wonach du willst, strecke deine Hand aus! 17 Der Mensch hat die Wahl zwischen Leben (vgl. 1,18) und Tod (1,15): Was ihm gefällt, das wird ihm gegeben werden (1,5).
18 Groß ist die Weisheit (1,5) des Herrn (1,1), gewaltig an Macht ist er und sieht alles. 19 Seine Augen sehen auf die, die ihn fürchten (vgl. 1,12), und er durchschaut jedes Werk (1,4) eines Menschen. 20 Keinem gebot er, gottlos zu handeln, keinem gab er die Zügellosigkeit zu sündigen (vgl. 1,14f.) Ähnlich klar wie in Jak 1,13-18 wird bei allen sonstigen Unter schieden in Sir 15,11-20 der freie Wille des Menschen als alleinige Ursache der Sünde benannt (zu den menschlichen »Begierden« vgl. Sir 5,2; 18,30f.; 20,4; 23,5), wobei hier wie dort der auch in der Stoa belegte Gedanke der Freiheit und der Einheit des Menschen mit dem Bekenntnis zur Schöpfung durch Gott verbunden wird (vgl. Marböck 143-145; Hengel, Judentum 265-270). Gerade der Schöpfungsgedanke zeigt aber auch, wie verbreitetes popularphilosophisches Allgemeingut in den biblischen Glauben integriert wer den konnte. Uberblickt man die oben im Text von Sir 2,1-6 genannten »Paralle len« des Jak, legt es sich nahe, daß nicht nur das eigentliche Exordium im Jak 1,2-4.12 aufgrund dieser Wortfeld-Analyse motivgeschichtlich in Sir 2,1-18 seine Vorlage hat, vielmehr hat Jakobus dort auch weitere Stichworte für das Briefkorpus wie »Tora« (Sir 2,16; vgl. Prolog 1.8.12.17.27 - Jak 1,25; 2,8.9.10.11.12; 4,11) und »niedriggestellt« (Sir 2,4.17 u. a. - Jak 1,9.10; 4,6.10) vorgefunden. Aus den folgenden Versen von Sir 2,7-18 sei auf den erneuten Lohngedanken in 2,8 f. und auf die Niedrigkeit in 2,17, auf das Stichwort »Geduld« in 2,14 sowie auf »Not« in 1,11 (vgl. Jak 1,27) hingewiesen. Das heuchlerische Herz, das auf zwei Wegen wandelt (Sir 2,12), erinnert an den »zwiespälti gen Mann, unbeständig auf all seinen Wegen« in Jak 1,8 (vgl. auch das viermal belegte diglossos in Sir 5,9.14.15; 28,13), Sir 1,18 spricht vom »Erbarmen« (Jak 2,13; 3,17). Zu den Früchten der Weisheit vgl. Sir 14,20-15,6, zu ihnen gehört auch der »Kranz« (vgl. Jak 1,12) »des Frohlockens« (15,6) und die »Freudenkrone« (6,31). Das Stichwort »Weisheit« (vgl. Jak 1,5; 3,13-18) taucht zwar nicht in Sir 2,1-18 auf, ist aber absolutes Thema in 1,1-30 (12mal direkt genannt, im übrigen ständig als Subjekt vorausge setzt). Zu Weisheit und Gebet in 1,5 vgl. Sir 51,13; zum Vergäng lichkeitsmotiv in 1,10f. vgl. Sir 6,2f.; zum gespaltenen/zwiespältigen Mann in 1,8 vgl. den doppelzüngigen Sünder in Sir 5,9. All dies bestätigt die auf Einzelworte konzentrierte Untersuchung von B. R.Halson zu den Hapaxlegomena im Jak, wonach von den
(1,2-4)
Zum semantischen Feld in Jak 1,2-18 F
V
Jak 1,1-18
X
x
X
Sir 2,1-18
X
(x) 2,9
x
B
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1,1 - 30
vi Sir 15,11-20 x
Sir 31,8-11
x x
x
x
Weish 3,4-6
x
x
Weish 11,9 f.
x
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Ps 25,2
x
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Ps 105
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Ps 106
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193
Jub 17,18
X
X
Sir 27,5.7
Jdt 8,24-29
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Von der christlichen Existenz in Prüfungen
A
F X
Test X I I Patr, Jos 2,7
X
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1 Petr 1,6 f.
(x)
1 Petr 4,12-14
(x)
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Mt 5,11 f.
(x)
X
X
Hebr 10,32-36
(x)
M
X X
X
(x) X
X
X
X X
X
In der Übersicht bezeichnen die Anfangsbuchstaben folgende Elemente: A:
Anrede
F: V:
Freude
Gl: v:
Glaube, glauben vollkommen Tun, Werk Seligpreisung
P:
Prüfungsmittel geprüft werden, geläutert werden
W : Weisheit Th: Thora, Gesetz
Geduld, Standhaftigkeit
N:
:
P G:
S:
Niedrigkeit
Lohn, eschatologischer Ausblick Gott als Verursacher irren
Sü:
Sünde
To:
Tod
sch: schaffen, machen
(1,2-4)
Versuchung(en), versucht werden Bedrängnis, Leiden
T:
B:
L: U: i:
Von der christlichen Existenz in Prüfungen
Jub 19,3.8
V
194
A
67 Hapaxlegomena des Jak 52 der L X X entstammen, näherhin 34 in der Weisheitsliteratur vorkommen ( = 6 5 % ) , außerdem von 21 Belegen, die außerhalb des Jak nur in einer weiteren Schrift im N T belegt sind, ebenfalls 19 ( = 9 0 % ) sich in der Weisheitsliteratur finden. Dabei werden Begriffe aus Sirach und Ijob am häufigsten aufgenommen. Wie die traditionsgeschichtliche Quellenlage genau liegt, wäre noch weiter zu untersuchen. Jedoch bestätigt auch diese Untersuchung, daß die Weisheitsliteratur für Jakobus die eigentli che von ihm rezipierte, literarisch vorgegebene Tradition ist. Wie sehr auch das Grundthema »Geduld in der Erprobung« in Sirach und im Jak thematisch angereichert und variiert wird, die Mahnung an die Proselyten, d. h. an diejenigen, die herantreten (Sir 2,1), um Jahwe exklusiv zu dienen, und der Hinweis auf die damit gegebenen Anfechtungen und Prüfungen markieren deutlich den Beginn der Mahnreden in Sir und Jak. Aufgrund dieses Exordial-Topos aber richtet sich Sir ebensowenig nur an Neubekehrte wie Jak an Neophyten (so die These zu Jak von Popkes 136-146). In der Literatur zu Sirach spielt die These einer »traditionellen Anfän gerunterweisung« — soweit festzustellen — keine Rolle, zumal die Anfechtung/Erprobung nach 4,17 den Gläubigen fortlaufend begleitet: Denn unerkannt geht sie (die Weisheit) mit ihm (dem Sohn der Weisheit) und bringt Furcht und Zagen über ihn, sie drängt ihn mit ihrer Erziehung ... und erprobt ihn mit ihren Geboten. Ziel dieser dauernden, lebenslangen Erziehung ist, daß der Gläu bige wie Abraham »in der Erprobung als treu befunden« wird (44,20). An diese Tradition der Bewährung des Glaubens durch und in Erprobungen/Anfechtungen knüpft Jakobus eng an (vgl. auch 2,20-24; 4,1-12). Die gläubige Existenz überhaupt steht stän dig in der Erprobung. Daß in diesem Kontext an den Beginn der neuen Identität rück-erinnert wird (in Jak 1,18 betont der Aorist apekyesen: »er hat uns geboren« die Einmaligkeit der »Geburt« der Christen »durch das Wort der Wahrheit«), ist naheliegend. Ähn lich ist auch Sirach der Gattung nach keine Anfängerunterweisung, auch wenn der Hinweis auf den Beginn der neuen Identität im Glauben natürlicherweise am Anfang der Schrift (2,1 ff.) plaziert ist. Verbindet man die tragenden Begriffe des semantischen Feldes mit
Gattungsaspekten im Vergleich zwischen Sir und Jak, bleibt abschließend festzustellen: Jak 1,2-4.12 geht zwar in den Begriffen mit Sir 2,1-18 parallel und ist von diesem Text thematisch abhängig (wie Jak 1,13-18 von Sir 15,11-20), in der Gattung jedoch nur mit 2,1-6. Hier wie dort findet sich die Abfolge: Anrede — Bedingung (wenn) — Imperativ bzw. Vetitiv — Absicht (damit) — Bedingung (wenn) — Begründung (denn) mit Exempel — eschatologischer Ausblick. Dieser versübergreifende Aufbau bestätigt im Jak die formkritischen Beobachtungen zur Thema-Rhema-Struktur, wodurch noch einmal die eigentliche progressive Dynamik und Struktur dieses Textes gegeben ist. Der Einheit von Form und Gattung entspricht die Einheit des Themas. Auffällig ist, daß ab Jak 1,13 diese Struktur fehlt. Hier handelt es sich um Verse, die auch inhaltlich als exkursartiger Anhang zu der Frage nach der Ursache der Erprobungen/Versuchungen zu verste hen sind. Zusammenfassend läßt sich sagen: Die schon häufig aufgestellte Behauptung, daß der Jakobusbrief allgemein stark in der jüdischen Weisheitstradition wurzelt (Halson, Kirk, Baasland, Küchler, Luck, Hoppe, von Lips), ist aufgrund dieses Befundes so zu konkretisieren: Weisheitliche Vorstellungen gelangten nicht über den Weg einer breiten paränetischen Wirkungsgeschichte im Früh judentum und frühen Christentum zu Jakobus (Popkes 23 f.), bei der jeweils auch stoische Elemente eingeschlossen waren (kritisch zum weisheitlichen Ansatz: Mußner 248-250). Im Gegenteil: Jako bus hat auch in literarischer Rezeption in direktem Rückgriff weisheitliche Texte aufgenommen und verarbeitet, wobei ihn der weisheitliche Lebenskontext seiner christlichen und nichtchristli chen Umwelt mit ihrer praktischen Lebensweisheit in diesem Vorhaben bestärkt, wenn nicht gar motiviert haben dürfte. Die hier postulierte inhaltliche und literarische Abhängigkeit bedeutet nicht, daß bei einer derartigen Übernahme eines semanti schen Feldes und des Grundgerüstes des Themas die Freiheit des Autors zu formalen und thematischen Variationen eingeengt ist. Allerdings stellen die Variationen die Konstanz des Feldes nicht in Frage. Auch bleibt abschließend darauf hinzuweisen, daß die pri märe These dieses Kommentars von der formalen und themati schen Einheit des Prologes im Jak (und des ganzen Briefes) allein am Text des Jak selbst gewonnen wurde. Allein die Gattung, näherhin das semantische Netz als festes Sprachmuster kann intertextuell belegt werden, womit aber (aufgrund der Einheit von Form und Inhalt) auch über den Inhalt mitentschieden wird.
Dennoch gilt: Die These von dem einen Thema des Jak ist nicht erst traditionsgeschichtlich begründbar, sie ergibt sich vielmehr aus dem Jak selbst und wäre auch dann zutreffend, wenn die Rezeption von Sir 2,1-18; 15,11-20 durch Jakobus nicht zutreffen würde. Diese drängt sich aber zwingend auf. Ausgeführte weisheitliche Mahnreden im Stil von Sir 2,1-6 sind in Sirach selbst (vgl. 3,1-8; 4,1-10; 6,23-37 u. a.), aber auch in der Weisheits- und Testamentsliteratur mehr oder weniger komplett häufig belegt (Zeller 32-48). Solche thematischen Reihungen sind deutlich sekundär. Den Anfang in vorexilischer Zeit markieren einzelne, thematisch in sich abgeschlossene Sprüche, die die Länge einer Zeile nicht überschreiten und den Gedanken unter zwei Aspekten (oft im Parallelismus membrorum) in zwei Versstichen zum Ausdruck bringen (vgl. Hermisson 137ff.). Auch diese ursprüngliche, einfa che Form erhält sich bis in die weisheitlichen Mahnsprüche der Synoptiker (vgl. Zeller 76f.. 142 f.) und bis in den Jak (Küchler 569) hinein, wie die zahlreichen, zweizeiligen Einzelsprüche zeigen. Jakobus steht hier mit anderen neutestamentlichen Theologen in einem breiten Strom mündlicher und schriftlicher Tradition. Und ein weiteres hat Jakobus mit anderen urchristlichen Weisheits schriften gemeinsam (auch mit den christlich überarbeiteten Testa menten der Zwölf Patriarchen): »Die geringen christlichen Spuren ... machen deutlich, daß der Übergang vom Jüdischen zum Christ lichen in diesem Bereich fast reibungslos vor sich gehen konnte. Bei der Ermahnung zu einem sittlich guten Leben und bei der Beleh rung über die wichtigsten Ordnungen in der Welt Gottes und seiner Schöpfung hatte man gemeinsames Terrain und nur höchst selten gab man einen diskreten Hinweis auf die eigene christliche Glaubenswelt bei« (Küchler 567 als Resümee der Untersuchung der weisheitlichen Paränesen und der Lehrtexte der Test X I I Patr). Weisheitliche Mahnungen beziehen ihre Einsicht und Prägnanz in der Regel nicht aus theologischer Begründung, sondern aus gemachten, tragfähigen Erfahrungen, so daß sie ihre Evidenz (auch für neue Leser) in sich selbst haben. Dies ist auch der Grund ihrer Internationalität. Als Modelle realisierten Gelingens im Bemühen um Alltagsbewältigung appellieren sie an Leser und Hörer, aus gemachten Erfahrungen die eigene Chance konkreter Lebensbe wältigung zu nutzen. Tradition vermag (ein heute etwas verdräng ter Gedanke — zumal in der historisch-kritischen Exegese, die zu Recht die kritische Funktion der biblischen Tradition für die gegenwärtige Kirche und Theologie hervorhebt) auch entlasten.
Tradition kann auch davon entbinden, immer wieder von vorn anfangen und jede Erfahrung immer wieder neu machen zu müs sen. Dies ist ein Grundsatz, ohne den kein weisheitliches Denken stimmig ist, so daß man ohne seinen Nachvollzug auch weisheitli che Traditionen nicht nachvollziehen kann. (Methodisch ergibt sich daraus die Notwendigkeit der Ergänzung der synchronen Textbetrachtung durch die diachrone, traditionsgeschichtliche.) Wie dynamisch offen die weisheitlichen Mahnsprüche für immer neue Situationen waren, bewies ihre Konkretisierung in der Zeit der Makkabäerkämpfe zu Beginn des 2. Jh. v. Chr., als aufgrund der Situation aus den »normalen« weltlichen Erprobungen/Ver suchungen Bedrängnisse und Verfolgungen (bis zum Tod) wurden. Eine ähnliche Variabilität läßt sich auch im apokalyptischen Zusammenhang in Qumran (vgl. Kuhn, Nauck, Ruppert) feststel len. Von hier gibt es zahlreiche traditionsgeschichtliche Linien zu neutestamentlichen Theologen (jedoch nicht zu Jakobus) und bis zur syrischen Baruch-Apokalypse aus der Zeit vor 132 n.Chr. (48,48-50; 52,5-7; 54,16-18): »Freut euch in dem Leiden, das ihr jetzt leidet ... Rüstet euch auf das, was für euch bereit liegt, und bereitet euch für den Lohn, der für euch hinterlegt ist« (52,6f.). Hier bestätigt Leiden die Erwählung. Bei konstantem semanti schem Netz hat sich vor allem die Funktion des Leidens entschei dend geändert, während das Versuchungs-Motiv in der Apokalyptik überhaupt fehlt (Ruppert 177). Demgegenüber wird in den Schriften Qumrans von Versuchungen gesprochen, sie werden jedoch als Bedrängung und Verfolgung durch den Fürsten der Finsternis verstanden — verbunden mit dem Gedanken der Präde stination und der Vorstellung von den zwei dualistischen Mächten (Kuhn 204-212). Von all dem ist im Jak nichts zu spüren. Er ist der Weisheitstheologie treu geblieben wie die Verfasser der weisheitli chen Mahnsprüche in der synoptischen Tradition.
3. Einzeltraditionen in 1,2-4 und die jakobeische Redaktion Nicht um rezipierte Traditionen geht es primär im folgenden, sondern um Bedeutungszusammenhänge im Jak, die jedoch leich ter durch intertextuellen Vergleich geklärt werden können. 3b: Ziel der vielfältigen Prüfungen/Erprobungen ist Geduld/Ausdauer/Standhaftigkeit/Ertragen/Aushalten: hypomone bezüg lich der vorfindlichen Situation, wie sie von Jakobus exemplarisch
in 1,5-11 (zur Entfaltung im Brief vgl. oben die Matrix am Ende von Exkurs 1) sehr konkret umschrieben wird. Nicht um ein passives Hinnehmen oder geduldiges, lammfrommes Erleiden des unabänderlichen Schicksals geht es ihm, vielmehr schwingt im Griechischen der Aspekt des aktiven Widerstehens mit dem Ziel auf Erfolg mit (Mayor 152; Carr 514). Jakobus geht es um aktive, kämpferische Geduld. Die Wendung in 1,12 »die Erprobung durchstehen/ihr standhalten« bestätigt diese Nuance ebenso wie die sorgfältige Unterscheidung von hypomone und makrothymia (Geduld/Langmut) mit Verbum in 5,7-10 (zur weiteren Begrün dung s. u.). Für den Gott anklagenden Ijob in 5,11 steht bewußt hypomone (Mayor 163 f.). Dies entspricht dem Ijob-Bild aus den wohl erst in nachexilischer Zeit eingefügten Reden des Ijob-Buches, in denen das überlieferte Verständnis von Leiden, das sich in der älteren Rahmenhandlung zeigt (Ijob als Muster geduldigen und klaglosen Ertragens), in Frage gestellt wird. Der unerschütterliche, selbstverständliche Glaube, daß Gott nehmen und geben darf (Ijob 1,21; 2,10) — dies ist auch die Position der Freunde Ijobs —, trägt nicht mehr. Jetzt ringt und kämpft der glaubende Mensch mit und gegen ein Gottes bild (vgl. bes. Ijob 16,7-14), in dem sich die ganze Ambivalenz der Wirklichkeit spiegelt. Ernst Bloch, der große marxistische Philo soph, hat wohl wie kein anderer Ijob als Rebell gegen das ihn treffende Unrecht und seinen Hader mit Gott sensibel beschrieben (Atheismus im Christentum, Frankfurt 1977, 118-134). Die Frage nach dem Sinn von Erprobungen (auch durch Leiden) mußte in der nachexilischen Zeit neu erörtert werden. Sie wurde und konnte von den Verfassern der Weisheitsliteratur nicht mehr im konventionel len, traditionellen Sinn eines schlichten Glaubens beantwortet wer den. Dieser hatte für die Weisheits-Kreise seine Tragfähigkeit verloren (vgl. Preuß, Einführung 69f..l23ff..l37f.). In Kontinuität zu dieser Weisheitstradition fordert Jakobus die Christen nicht auf, mit »Lamms-Geduld« (vgl. Jes 53,7) die alltäg lichen Erprobungen und den Tod zu ertragen. Eine solche Haltung würde er mit Sir 2,14 kritisieren: »Wehe euch, die ihr die Geduld/ Ausdauer verloren habt« (vgl. 16,13; 17,24; 38,27; 41,2). Jedoch solche resignativen Töne fehlen im Jak. Er fordert wie Ps 26,14 (»Hoffe auf den Herrn, und sei stark! Hab festen Mut, und hoffe auf den Herrn!«) »ein männlich-mutiges Ausharren«, eine »aktive Haltung voll stärkster innerer Spannung« (F. Hauck: T h W N T 5,588, der jedoch damit auch den »quietistischen Charakter der harrenden und tragenden Geduld« meint, verbinden zu können). 2
Damit stimmt überein, daß die Ausdauer nicht Ziel der Erprobungen ist (so oft im A T und im deuterokanonischen Judentum), sondern nur ein Schritt in einem lebensgeschichtlichen und gemeindlichen dyna mischen Prozeß, in dem die Christen und die christlichen Gemein den stehen (zur Klimax s. o.). Entsprechend der Häufigkeit der Erprobungen (s. o.) bewirken sie als Prüfungsmittel des Glaubens immer wieder, ständig (im Griechischen steht in 3b und 12a das durative Präsens) die Haltung des Ausharrens und der Ausdauer. Diese Beharrlichkeit in der Ambivalenz der Wirklichkeit (zum Motiv der zwei Wege in Sir 2,12 und im Jak s. o. zur Formkritik) ermöglicht nach Jakobus erst ein »vollkommenes Werk« (4a). Erst wer wirklich in diesem lebenslangen Prozeß »bewährt wurde« (12), erwies seinen Glauben als echt. O b er echt ist, zeigt sich aber im Tun. Und weiter: Im vollkommenen Werk zeigt sich, daß »ihr (selbst) vollkommen und ganz seid« (4b). Das Tun, die Werke offenbaren nach Jakobus den Glauben, das Innere des Menschen, seine existentielle Befindlichkeit vor der Welt und vor Gott (vgl. dazu den Exkurs »Anthropologie und Theo-logie« nach 1,18). Damit hat Jakobus im Exordium das Thema seines Briefes benannt (in Korrelation zum Sein und Handeln Gottes): die christliche Vollkommenheit und ihre Realisierung im vollkommenen Tun, da sich wahrer christlicher Glaube nur in dauernder Bewährung als wahr erweist. Die »Rechtfertigung« des Menschen (2,21), seine Vollkommenheit (1,4) kann es nach Jakobus nur im dauernden Bestehen (12b) der »mannigfachen Erprobungen« (1,2) geben. Da dies so ist, am Ende der erhoffte Kranz des Lebens von Gott empfangen wird (12b), sind und können die Erprobungen Anlaß zur Freude sein (1,2) — nicht im Sinne einer Lust am Leid, sondern als Ermöglichung zur Bewährung. Gibt es für dieses anthropologische und theologische Konzept Vorbilder? Mit dieser Position stimmt Jakobus zwar nicht mit der Rechtfertigung des Gottlosen (Rom 4,5) und der sola-gratia-These des Paulus überein — sofern man diesen überhaupt so einseitig interpretieren darf (vgl. dazu den Exkurs »Rechtfertigung bei Jakobus und Paulus« nach 2,26), wohl jedoch mit einer breiten jüdischen Auslegungsgeschichte u. a. zu den Paradigmen Abra ham, Ijob und Joseph. Nach Jub 19,8 (ebenso nach Ab 5,3) hatte Abraham zehn Prüfungen/Versuchungen zu bestehen, erst danach wird er nach Jub 19,9 »als gläubig erfunden und als Freund Gottes (vgl. Jak 2,23) auf die himmlischen Tafeln geschrieben«. 19,8: »Dies (Saras Tod) ist die zehnte Versuchung, mit der Abraham versucht wurde, und er wurde als gläubig und geduldigen Geistes
erfunden.« Ähnlich rühmt sich auf dem Sterbebett Joseph in Test X I I Patr 2,7: »In zehn Versuchungen (peirasmois) fand er mich erprobt (dokimon) und in ihnen allen erwies ich Langmut (emakrothymesa). Ein großes Heilmittel ist nämlich die Langmut (makrothymia), und viel Gutes gewährt die Standhaftigkeit/Geduld (hypomone)« (vgl. auch 10,1; 17,1). Hier zeigt sich das in Jak 1,2 f. mit 5,7-11 sich findende Wortfeld. Ähnlich auch in Jdt 8,25-27: »Bei all dem laßt uns dem Herrn, unserem Gott danken, daß er uns ebenso prüft (peirazei) wie schon unsere Väter. Denkt daran, was er mit Abraham machte, wie er Isaak prüfte (epeirasen) und was Jakob im syrischen Mesopotamien geschah ... Wie er jene geläutert hat (epyrosen) zur Prüfung (etasmon) ihrer Herzen, so hat er auch mit uns kein Strafgericht vor, sondern der Herr züchtigt die, die ihm nahe sind, um sie zur Einsicht zu führen« (zum Stichwort Weisheit ebd. Vers 29). Die Weiterführung dieser Stelle in der Vulgata faßt die frühjüdische Tradition wie folgt midraschartig zusammen: » ... wie auch unsere Väter versucht wurden, damit sie geprüft wurden, ob sie wahrhaft ihrem Gott dienten. Sie sollen bedenken, wie unser Vater Abraham geprüft wurde und, durch viele Trübsale erprobt, der Freund Gottes geworden ist. So sind auch Isaak, Jakob, Moses und alle, die Gott gefielen, durch viele Trübsale hindurchgegangen und als treu befunden worden.« Die theologische Logik in den genannten Stellen ist untereinander identisch: »Erst mit dem Bestehen der Versuchungen (ist) die Bekehrung abgeschlossen und als echt erwiesen« (K. Berger: T R E 1, 1977, 373, allerdings zu sehr auf die Neubekehrung verengt, was auch für Abraham nicht zutrifft. Zutreffend jedoch ebd. 374 seine These, daß Jak 2,20-24 »eng an diese Tradition der Bewährung des Glaubens durch Versuchun gen« anschließt, was aber schon für Jak 1,2-4.12 gilt). Daß diese frühjüdische Peirasmos-Tradition in den Verfolgungen der Makkabäer-Zeit auf die Martyriums-Bereitschaft hin konkre tisiert wurde, liegt nahe, zumal bei der Metapher der Prüfung des Goldes im Feuer. So werden Substantiv (hypomone) und Verbum (hypomonein) geradezu zum terminus technicus für die Standhaf tigkeit der Getreuen Jahwes (Isaak, Noah, Daniel) und besonders der Märtyrer bis zum Tod in 4 Makk (24 Belege). Der in 4 Makk festzustellende stoische Gedanke der Unerschütterlichkeit (ataraxia) selbst angesichts des äußersten Leidens (8,26; vgl. 1,11; 5,23; 16,1; 17,7 u. a.) wird jedoch vom Glauben an Jahwe her begründet (16,19: »Ihr müßt um Gottes willen jede Pein erdulden«; vgl. auch Test X I I Patr, Jos 2,7).
Von solchen Assoziationen ist die hypomone-Vorstellung des Jako bus nicht tangiert, auch wenn in 1,12 im eschatologischen Ausblick der »Kranz des Lebens« als Lohn Gottes für die bewiesene Bewäh rung des Glaubens angesprochen ist, mithin das Lebensende des standhaften Christen vorausgesetzt wird. Dies betrifft jeden Chri sten. Jakobus sieht das menschliche Leben und alle Fragen, die ihn theologisch umtreiben, in eschatologischer Perspektive (womit die von Baasland, Weisheitsschrift 122 behauptete »Perspektive des Gerichts« nicht identisch ist; vgl. den Exkurs »Eschatologie und Ethik« nach 1,12). Diese eschatologische Perspektive macht sogar die Radikalität der jakobeischen Theologie aus: Das Verhalten der Christen im Alltag wird sub specie aeternitatis gesehen! Alles steht auf dem Spiel: Existenz bzw. Nichtexistenz des Menschen und der Gemeinde vor Gott. Alles hängt (wie in der Weisheitsliteratur) daran, wie Christen den lebenslangen Prozeß zur Vollkommenheit durch laufen und beenden, ob sie von Gott angenommen werden oder nicht. Während die Sicht des Jakobus von Anfang an streng theozentrisch ist, verändert er die weisheitliche Perspektive (1,2-4) zur eschatologi schen Verheißung (1,12). Geht es zu Beginn mit der Weisheit um die Bewältigung der ambivalenten Wirklichkeit, so hat der Makarismus am Ende weisheitlich-eschatologischen Klang (s. u. zu 1,12). Wie in der synoptischen Tradition wird die Ethik durch Jakobus nicht nur weisheitlich, sondern auch eschatologisch begründet. Beide Aspekte gehören zwar nicht von Anfang an in den vorgegebenen jüdischen Traditionen (Weisheit, Apokalyptik), wohl jedoch in der christlichen Überlieferung zusammen. Was sich formal in 1,2-4 und 1,12 als Inklusion herausstellte, bestätigt sich thematisch. Mit dieser weisheitlich-eschatologischen Konzeption der menschlichen Existenz steht Jakobus - was den Grundansatz angeht - im N T nicht allein (vgl. W. Radi: E W N T 3, 1983, 969971); dies betrifft auch den gemeinsamen traditionsgeschichtlichen Hintergrund. Hier ist vor allem erneut auf Rom 5,3 hinzuweisen. Dort findet sich allerdings die Reihenfolge: Bedrängnisse — Aus halten/Geduld — Erprobung — Hoffnung, während Jakobus das Aushalten als Folge der Erprobung betont (1,3). Letzteres erscheint im Kontext der Traditionsgeschichte sachgemäßer, wäh rend Paulus mit dem wohl redaktionellen Stichwort »Hoffnung« am Ende der Reihe den Glauben »als Hoffnung gegen alle Hoff nung« (Rom 4,18) betont. Näher zum Jak steht Mk 13,13 parr: »Ihr werdet um meines Namens willen von allen gehaßt werden; wer aber bis zum Ende durchhält/standhaft bleibt, der wird gerettet« (zur Verbindung der
Motive Verfolgung — ewiger Lohn vgl. Mk 10,30). Während in den ältesten Jesus-Worten der Aufruf zum Ausharren/zur Geduld fehlt (im Kontext des Glaubens Jesu an die schon hereinbrechende Gottesherrschaft ist dies verständlich), wird hypomone »in den inneren und äußeren Krisen der spätapostolischen Zeit ... immer mehr das Losungs- und Lösungswort der kirchlichen Predigt« (F. Schierse: H b T h G 1, 1962, 440). Vorbereitet wird diese Neuakzen tuierung durch Paulus mit seiner Konzeption vom Schon (der Erlösung in Jesus Christus) und Noch-Nicht (da die Christen nach Rom 8,18 weiterhin den »Leiden dieser Zeit« unterworfen bleiben und die vollkommene Verwirklichung der Erlösung noch erhof fen). Die Spannung in dieser Zwischenzeit überbrückt der Christ mit der Haltung der »Geduld«. Wie im Jak geht es in den paulini schen Briefen, aber auch in den Pastoralbriefen um die Bewährung des Glaubens in einer sich erstreckenden Zeit mit mancherlei Erprobungen (wobei hier und dort das Martyrium nicht ausge schlossen ist; vgl. bes. Offb 13,10; 14,12). Rezeptionsgeschichtlich stehen alle neutestamentlichen Theologen unter dem Einfluß der jüdischen Paradigmen und der Antworten der Geschichts- und Weisheitsliteratur, die jedoch jeder Theologe im N T den Bedürf nissen seiner Adressaten entsprechend veränderte. Auch Jakobus setzt seine eigenen Akzente, da er nicht bei der Tugend des Aushaltens stehenbleibt, sondern diese als Vorbedin gung für ein »vollkommenes Werk« (4a) sieht, das selbst wiederum den, der solches Werk tut, »vollkommen und ganz« macht (4b). Das T u n offenbart das Sein des Menschen, das Sein ist ohne Tun nichts (vgl. parallel dazu das Verhältnis von Worttäter und Werktä ter in 1,19-27, von Ansehen und Verhalten gegenüber Personen in 2,1-13, von Glaube allein und Glaube mit Werken in 2,20-26, von göttlicher und irdischer Weisheit in 3,13-18 u. a.). Diese theolo gisch unaufgebbare Verschränkung — sie macht eine weitere Grundstruktur des jakobeischen Denkens aus — zeigt sich in klassischer Kürze u. a. auch in 2,26: Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot. Ebenso in 1,22: Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer, die sich selbst betrügen.
4a.b: Im Kontext der bisherigen traditionsgeschichtlichen Bindung des Jakobus ist zu vermuten, daß auch die Wendungen vollkom men: teleios und vollständig/ganz/heil/unversehrt: holokleros weisheitlich geprägt sind. Auch wenn nach Sir 44,17 »der gerechte Noah als Vollkommener erfunden wurde« (analog zu Gen 6,9), ist eine direkte Übernahme aus weisheitlicher Tradition aufgrund des geringen Vorkommens dort nicht nachzuweisen, auch wenn Adjektiv, Adverb und Substantiv durchaus belegt sind (vgl. Sir 7,25.32; 34,10; 44,17; 50,19; Weish 4,13; 9,6). Wie die Skizze zum semantischen Feld in Jak 1,2-18 (s. o.) zeigt, fällt Sir 2,1-18 als Tradition aus. Der Gedanke von 4b war in der in Jak 1,2-4.12 sonst verarbeiteten Vorlage nicht vorgegeben. Daher liegt auf diesem Versteil nicht nur aus rhetorischen Gründen (zum Rhema s. o. zur Formkritik von 1,2-18), sondern auch aus traditionsgeschichtli chen Gründen für die redaktionelle Intention des Jakobus im Exordium allergrößtes Gewicht (so auch Schule 75). Es bleibt zu vermuten (da in Vers 4 die Zielangabe der Verse 2-4 vorliegt), daß hier das Grundthema und das Hauptanliegen des ganzen Jak anklingen (zu ähnlichen Themenangaben vgl. Sir 1,1 und Weish 1,1). Ohne daß das Wortfeld »vollkommen« mit seinen Synony men und Antonymen schon jetzt entfaltet wird (vgl. dazu den Exkurs »>Vollkommen< nach Jakobus« nach 3,5b), sei bereits hier auf die Verbindung von »vollkommen« mit anderen tragenden Begriffen des Briefes hingewiesen (1,4: vollkommenes Werk; vgl. 2,22; 1,17: vollkommenes Geschenk; vgl. 1,5; 3,17; 2,22: vollende ter Glaube; vgl. 1,6; 1,25: vollkommenes Gesetz; vgl. 2,8.10; 3,2: vollkommener Mann). Mit dem Begriff teleios (Bauer — Aland 1613f.: vollständig, voll endet, vollkommen) nimmt Jakobus (s. u. den Exkurs nach 3,5b) einen zentralen ethischen Begriff der literarischen Tradition und des Sprachgebrauches seiner Zeit auf (AT, Philo, Qumran, rabbinische Literatur - Piatonismus, Aristotelismus, Stoa, Mysterienreli gionen; zu Stellen: G. Delling: T h W B N T 8, 1969, 68-74). Auf grund seiner Verbreitung spielt der Begriff auch in der urchristli chen Literatur eine wichtige Rolle (vgl. Mt 5,48 als Zusammenfas sung der Antithesen in 5,21-47 und als Summe der Erfüllung der Tora von 5,17.20: »Seid also vollkommen wie euer himmlischer Vater vollkommen ist«; zu den Christen als den »Vollkommenen« vgl. auch 1 Kor 2,6; zur Kirche als »vollkommener Mensch« vgl. Eph 4,13). Im Vergleich zu den anderen neutestamentlichen Autoren ist jedoch für Jakobus teleios »ein Schlüsselwort« (H. Hübner:
E W N T 3, 1983, 824; Zmijewski 52ff.), allerdings in Verbindung mit seinen Synonymen und Antonymen, d. h. insgesamt mit sei nem Wortfeld (vgl. den Exkurs nach 3,5b). Da der Aspekt der kultischen Fehlerlosigkeit (vgl. z. B . Ex 12,5) für Jakobus entfällt, meint der Begriff wie in der L X X in bezug auf Personen den Aspekt der ethischen Rechtschaffenheit und Ungeteiltheit. Lautet Dtn 18,13 in der hebräischen Überlieferung: »Du sollst ungeteilt bei dem Herrn, deinem Gott, bleiben«, so in der griechischen: »Du sollst vollkommen sein vor dem Herrn, deinem Gott« (ähnlich in 1 Kön 9,4 f. u. a.). Damit stimmt auch die Stoa überein, wonach der »ein vollkommener Mann« ist, der alle Tugenden hat und verwirklicht (von Arnim, Fragmenta III 73, Nr.299), wobei zu beachten bleibt, daß die jüdische Weisheitstheologie und Philo (vgl. Abr 52 ff.) kräftige Anleihen in diesem Kontext bei der Stoa gemacht haben (siehe Pohlenz I 369-378; II 181-184 mit einer Fülle von Übereinstimmungen). So schildert Philo die Patriarchen als »Vollkommene« in stoischer Terminologie (zu Abraham, Isaak und Jakob als Repräsentanten des teleios bei Philo vgl. Winter 98112), interpretiert sie jedoch vom jüdischen Glauben her, da »das Vertrauen zu Gott« ebenfalls zu den Tugenden zählt (Belege bei Winter 102). Die aus der Scholastik bekannte, auf Aristoteles zurückgehende Definition der Vollkommenheit: perfectum cui nihil deest liegt Jakobus fern, wie vor allem 3,2 verdeutlicht: »In vielem verfehlen wir uns alle. Wenn einer sich im Wort nicht verfehlt, ist dieser ein vollkommener Mann.« Dagegen heißt es bei Aristoteles Metaph IV 16 p 1021b, 12f.: »Vollkommen ist das, bei dem kein Teilchen außerhalb seiner ist« (darum kann teleios von Aristoteles auch parallel zu holos: ganz/ungeteilt gebraucht werden: Phys III 6 p 207a, 9-13; zu weiteren Stellen: T h W N T 8, 1969, 69). Mit der Stoa und der frühjüdischen Weisheitsliteratur sieht Jakobus die Begründung der menschlichen Vollkommenheit (4b) in der Verwirklichung vollkommenen, ungeteilten, sittlich-ethischen Tuns (4a). Kennzeichnend für ihn ist jedoch die Ermöglichung und Begründung menschlicher Ganzheit und Vollkommenheit im Sein und Handeln Gottes selbst (vgl. zu 1,5)! Das »vollkommene Werk« sind in 4a nicht die Christen selbst (so Dibelius 102; Mußner 66). Was für den Weisen in 3,13 gilt (»Wer ist weise und wohlunterrichtet bei euch? Er zeige aus dem guten Lebenswandel seine Werke in der Sanftmut der Weisheit«), gilt auch für das Verhältnis von »vollkommenem Werk« und den Christen als den »Vollkommenen« in l,4a.b. Dieser sittliche, das ungeteilte Tun der
Christen akzentuierende Aspekt (vgl. 8a) verbietet es auch, daß Jakobus beim »vollkommenen Werk« »an das kommende Leben denkt, zu dem man nicht mit einem >halben< Werk erscheinen soll« (Mußner 67). Nicht nur die weisheitliche Tradition und der Kon text, auch das Verbum im Präsens in 4b: »damit ihr (jetzt, dauernd) vollkommen seid« schließt einen futurisch-eschatologischen Klang in 1,4 ausdrücklich aus. Auch die Rede vom »eschatologischen Perfektionismus« (ebd.) ist schon vom Begriff »Perfektionismus« her im Kontext von 3,2 fragwürdig (Zmijewski 53). Biblisch geprägte Vollkommenheit meint »keinen Perfektionismus (vgl. 3,2), sondern die Ganzheit, die Ungeteiltheit (vgl. 5. Mose 18,13; l.Kön. 15,3), freilich in vollkommenem Wandeh (1 QS 1,8; 3,9 u.ö.). Um das Durchhalten dieser Ganzheit des Glaubens geht es letztlich in der Anfechtung« (Schräge 16). Daß die Motivation, die Blickrichtung bei Jakobus insgesamt sich eschatologisch wendet (1,12), bleibt festzuhalten. Auch dies ist unstoisch, aber jüdisch vorgegeben (s. u. zu 1,12). Dazu fügt sich, daß entgegen dem stoischen Ideal der Ataraxia, der unerschütterlichen inneren Ruhe und Unbeeinflußbarkeit gegen über den Widerständen auf dem Weg zur ethischen Vollkommen heit, Jakobus zum Durchhalten und positiv zur Verwirklichung der Vollkommenheit in und trotz aller Anfechtungen auffordert. Der Christ bleibt unter der Anfechtung, spürt sie, soll sie ertragen und seinen Glauben gerade in ihr bewähren. Ganz und gar unsto isch ist auch die Aufforderung, daß der so Angefochtene (mit Philo) Gott um die Beseitigung dieses Mangels bittet (5b). Unvollkommenheit ist nach Jakobus ein Zeichen für Mangel an Weisheit. Dessen Aufhebung muß wie in der Weisheitsliteratur von Gott erbeten werden (vgl. Sir 1,1; 1,26; 17,11; 24,2f.; 39,6; Weish 7,7.15; 8,21; 9,2.4). »Grundlegend für das Verständnis von Weis heit im Jak ist der Gedanke, daß sie keine Eigenleistung des Menschen als selbstmächtiger Verwirklichung ist und so allein in menschlichem Bemühen begründet wäre, sondern nur als Gabe von Gott erbeten werden kann« (Hoppe, Hintergrund 33). Die alttestamentlich-jüdische Jahwe-Tradition als leitende Perspektive des Jakobus ist überdeutlich, was auch durch die Bindung an die Erfüllung der Tora unterstrichen wird. »Vollkommen« ist ein Qualitätsbegriff, er meint bei allen Bedeu tungsnuancen die sittliche und religiöse, auch kultische (vgl. Lev 1,10; 3,6) Integrität des Menschen, die ungebrochene Ganzheit seiner Beziehungen zu Gott. Darum ist »Herr« ein mit Vorzug dem Wortfeld teleios zugeordnetes Substantiv in der L X X (Prümm
81; zu Stellen vgl. 1 Kön 11,4; 15,3.14). Die »Vollkommenheit« ist im A T immer aktiv und dynamisch, sie wird nicht auf dem Wege der Kontemplation in Erinnerung an die Ideenwelt (so Plato, Phaedr 249c), sondern durch Tun erlangt (vgl. du Plessis 101 f.). Dies jedoch nicht im Sinne einer immer perfekter werdenden Erfüllung der Tora wie in Qumran (vgl. 1 QS 4,22; 1 Q H 1,36). Dort zeigt der Kontext mit »vollkommen« deutlich, »daß es sich auf die totale Erfüllung des Willens Gottes« in der Interpretation der Gemeinde bezieht (Delling 74; ebd. 73 f. eine Fülle von Bele gen). Jakobus versteht »vollkommen« nicht im Sinne des Quanti tativen (so de Vries 160), sondern des Qualitativen, er interpretiert das Gesetz vom Liebesgebot her (zum »vollkommenen Gesetz der Freiheit« in 1,25 s. u.). Mit diesem Verständnis stimmt Jakobus ganz mit Matthäus überein (vgl. Frankemölle, Jahwe-Bund 286293). 4b: Nicht Vollendung, Ungeteiltsein im Sinne der »Persönlich keitsintegration« (Barkman, Mensch 38) wie bei teleios, sondern Vollständigkeit ist bei holokleros in 4b gemeint. Dieses Adjektiv bezeichnet »ein Ding seinem Umfang nach als >vollständig<, ist also ein Quantitäts-, nicht ein Qualitätsbegriff« (W. Foerster: T h W N T 3, 1938, 765). Die beiden Begriffe sind nicht Synonyme (so Dibe lius 103). Auch in der Verbindung mit Abstrakta (Weish 15,3: ganze Gerechtigkeit; 4 Makk 15,17: ganze Frömmigkeit) zielt der Begriff darauf ab, daß »etwas seinem Umfang nach vollständig ist« (Foerster ebd.). Dieses Wort aus dem klassischen Griechisch, das im N T nur noch in 1 Thess 5,23 vorkommt, zielt nicht auf eine, sondern alle Tugenden und ist in diesem Sinn als »vollständig/ unversehrt« zu verstehen. Damit leitet Jakobus bereits einen Aspekt ein, der in den Fallanalysen 5-6a.6b-8.9-ll ausdrücklich thematisiert wird. 4c: Die Wendung »und es euch an nichts mangelt« sagt negativ das, was 4b positiv gesagt hat. Der Grund ist formkritischer Natur, da Jakobus mit der Anadiplose, der Wiederholung des letzten Wortes eines Satzes als erstes Wort des folgenden Satzes, formal die Einheit betont, dann aber auch thematisch den Gedanken weiterführt. Die Wendung in 4c kann quantitativ oder qualitativ-graduell gemeint sein — entsprechend den in 4b genannten Adjektiven. Auch die drei Beispiele in 5a-6a.6b-8b.9a-lld enthalten sowohl das eine wie das andere Element. Sicherlich wird Jakobus in 5a nicht unterstel len wollen, daß es den Angesprochenen überhaupt an jeglicher Weisheit mangelt oder daß der Zweifler in 6b überhaupt keinen Glauben hat oder die niedrig- und hochgestellten Christen in
9a. 10a nicht einmal im Ansatz den postulierten Einstellungen entsprechen. Es liegt die Vermutung nahe, daß quantitative Aspekte für Jakobus eine geringere sittliche Qualität implizieren. Jakobus betont redaktionell gezielt die Vollkommenheit in jeder Beziehung. Wie sehr ihm am Gedanken der Vollständigkeit auch im Hinblick auf die Verwirklichung aller Gebote lag, zeigt sich im Kontext von 2,10: »denn wer das ganze Gesetz hält, sich aber in einem einzigen verfehlt, der hat gegen alle verstoßen«. Diesen Aspekt der Voll kommenheit auch in der Befolgung aller Gebote hat Jakobus wiederum mit Matthäus gemeinsam (vgl. Mt 5,18f.; 28,20: »Lehret sie, alles zu halten, was ich euch aufgetragen habe«). Matthäus greift bei dieser Formulierung auf dtr Sprachgebrauch zurück, wo die Wendung — mit Jahwe als Subjekt (in der Regel) — geradezu formelhaft gebraucht wird — freilich auch dort nicht im quantitati ven und exzessiven Sinne Qumrans (vgl. Frankemölle, Jahwe-Bund 95-98.284.288). Qumran, Matthäus und Jakobus gehen auf gemeinsame Traditionen zurück, wobei sie — ihrem Lebenskontext gemäß — eigene Akzente setzen. Die Vollkommenheit in jeder Beziehung, in qualitativer und quan titativer Hinsicht, betonen vor allem jene Belege aus dem 1. und 2 . J h . n.Chr., in denen teleios und holokleros in Verbindung stehen (Dibelius 103 Anm. 2 verweist auf Dio Chrys O r 12,34; Plut Comm Not 1069f.; Quaest Conv II 636f.; Philo Migr 33,441; Sacr 43; Imm 4; Abr 47). So ist nach Philo Abr 47 Noah »als der Vollkommene der Ganze/Fehlerlose/Vollständige von Anfang an/ von Grund auf«. Ebenso ist nach Jakobus der ganze/heile/unge teilte Mensch von 1,4 das Gegenteil vom zwiespältigen Menschen in 1,8 und von demjenigen, der nach 3,1 ff. einen Teil — seine Zunge — nicht beherrschen kann. Der »vollkommene Mann ver mag den ganzen Leib zu beherrschen« (3,2; vgl. 3,3.6). Nicht gespalten, mit zwei Seelen in sich (dipsychos: 1,8; vgl. 4,8), sondern ganzheitlich sollen Christen sein und sich entsprechend verhalten. Die anthropologischen Beispiele in 1,8 und 3,1 ff. bele gen die Intention des Jakobus für seine Formulierung in 1,4.
4. Kompositionskritische Zusammenfassung (zur Einheit von synchronischer und diachronischer Betrachtung) Überblickt man den bisherigen Gang der Auslegung, so zeigt sich immer wieder, daß bei aller Traditionsgebundenheit des Jakobus die aktuelle Bedeutung von Begriffen primär durch Querverbin dungen in seinem Brief geprägt wird. Als leitende Perspektive bestätigt sich also die redaktionskritische, synchrone Auslegung, die nach dem Sinn des vorliegenden Textes fragt. Dieser jedoch wird vom formalen, stilistisch-rhetorischen Webmuster des jakobeischen »Textes« primär strukturiert. Intertextuelle Vergleiche erhellen den Denkhorizont jener Zeit, rezipierte Traditionen aber zeigen jene Vorgaben, die Jakobus sprachlich und inhaltlich theo logisch geprägt haben — im Akt der Selektion und der Überarbei tung. Konkret hat sich die Weisheitsliteratur, gattungsmäßig vor allem Sir 2,1-18, als rezipierte Tradition für Jakobus herausgestellt. Diese schriftlich fixierte Tradition greift er auf und verbindet sie mit dem ebenfalls weisheitlich, aber stoisch geprägten, jedoch vom Jahwe-Glauben transformierten Begriff der Vollkommenheit. Damit hat Jakobus bereits im Exordium sein Thema gefunden. Die Aufforderung zur Bitte (5b), von Gott die Beseitigung des Mangels an Weisheit zu erflehen, zeigt, daß es Christen unter den Adressa ten gibt, die nicht vollkommen sind. Ebenso versteht Jakobus Zweifel beim Gebet (6 ff.) sowie Anfechtungen durch Armut und Reichtum (9 ff.) als Mangel-Zustände, die er traditionell als »Anfechtungen/Erprobungen« interpretiert, als »Prüfungsmittel« des Glaubens, die die Adressaten zur sprichwörtlichen »Geduld« des Jjob führen sollen. Nicht stoische Unberührbarkeit und Unbeeinflußbarkeit, nicht platonische Erinnerung an die Ideenwelt ist das Ziel, sondern in der biblisch-jüdischen Tradition soll die Geduld ein »vollkommenes Werk« hervorbringen. Geduld ist auf Aktivität ausgerichtet, da nur so auch die Christen selbst aufgrund ihrer Glaubenspraxis »voll kommen und ganz/heil« werden können. Wer sich so verhält, wer diese Erprobungen durchsteht, wer sich »bewährt« (12), ist — die ser Tun-Ergehen-Zusammenhang ist bekanntlich traditionell weis heitlich (von Rad, Weisheit 170 ff.) — selig zu preisen, ihm steht der (im AT) verheißene Lohn bei Gott zu (12b.c). Der formalen Einheit entspricht die sachliche Einheit (was — wie die Querver weise zu allen fünf Kapiteln zeigen — sich als Prinzip des Jakobusbriefes erweist). Im Grunde sind im Exordium (1,2-4) mit der
vorläufigen, knappen Konkretisierung der wohl für den Adressa tenkreis kennzeichnenden »Erprobungen« in 1,5-11 alle Themen des Briefes bereits angeklungen (vgl. die Matrix am Ende von Exkurs 1). Nach der These, daß es für die Angeredeten »Erprobungen« gibt und daß diese positiv zu sehen sind — aufgrund ihrer Funktion in einem bestimmten Verständnis von Wirklichkeit und Mensch (2-4) —, schiebt der Verfasser in diesen traditionell-theologischen Gedankengang seine Beispiele ein. Blieb der Hinweis auf »Anfech tungen« in Vers 2 notwendig blaß (auf Verfolgungen deutet nichts hin), muß der Verfasser — im Hinblick auf seine Intention, auf das Selbstverständnis und die christliche Praxis der Adressaten einwir ken zu wollen — möglichst bald konkret werden. Nur so kann er zum einen die Hörer für sein Thema interessieren, zum anderen aber auch sie in ihrer ureigenen Lebenssituation erreichen. Daher ist der Beginn von Vers 5 (»denn wenn einer von euch ...«) mit anderen Wer-von-euch-Stellen (vgl. 2,16; 5,13.14; 5,19) kommunikations- und situationsrelevant auszulegen. Erst nach der immer noch knappen Konkretisierung der schwierigen Situation der Christen in 1,5-11 (im Verlauf der Schrift werden dann daraus einzelne Probleme aufgegriffen und entfaltet; vgl. oben zur Form kritik) fügt sich der traditionelle eschatologische Hinweis in Vers 12 sachlich richtig an, ohne daß das Schlüsselwort »vollkommen« hier erscheint (dafür steht aber die Variation »bewährt« und zwar vor Gott!). Die Traditionsgebundenheit in Vers 12, aber ebenso in den Versen 2-4 zeigt, »wie bedeutsam der Begriff teleios — in seiner eigenen Prägung — für Jakobus ist« (Delling 76). Dem Tun im Leben, »der Bewältigung der Wirklichkeit« (von Rad 151 ff.) ent spricht das Ergehen bei Gott. Von diesem eschatologischen Ziel her gewinnt das irdische Verhalten theologische Dimensionen. Diese Perspektive gibt dem christlichen Leben ein unvorstellbares Gewicht: Die zu erreichende Geduld des Christen und das zu bewirkende, vollkommene Werk erhalten nach Jakobus in sich schon eine kritische, das Gericht gleichsam vorwegnehmende und bestimmende Funktion. Jakobus nimmt die Verantwortung der Christen ganz ernst, sie hat eschatologische Qualität. Für ihn geht es von Anfang an nicht um »eine theologisch unprofilierte Anhäu fung gemischter Imperative« (Walker, Allein 156), vielmehr ver steht er — weisheitlich konsequent — anthropologische und sozialekklesiologische Probleme von vornherein als theologische. Seine Denkstruktur geht damit der Denkstruktur der weisheitlichen Theologen im A T parallel (vgl. dazu Kaiser, Begründung; Preufi,
Erwägungen; Zimmerli, Struktur). Sieht man diesen weisheitlich geprägten Tun-Ergehen-Zusammenhang, erst dann gewinnen die von Jakobus eingeführten Beispiele ihre eschatologische Bedeutung (s. u. zu 1,12). Zusammenfassend bleibt zur Traditionsgeschichte festzuhalten: Jakobus ist für vielerlei Einflüsse offen, nimmt sie auf und inte griert sie in seinen primär an der Weisheitsliteratur orientierten Entwurf, so daß auch seine eigene Schrift als neutestamentliche Weisheitsschrift in Briefform zu charakterisieren ist.
III. Die Prüfungen/Versuchungen (1,5-6a.6b-8.9-11) 1. Die erste Prüfung/Versuchung: Mangel an Weisheit (1,5-6a) Literatur: Zur »Weisheit« s. u. den Exkurs nach 3,18, zum Gottesbild des Jakobus s. u. den Exkurs nach 1,18 mit entsprechender Literatur; vgl. auch das Literaturverzeichnis 5: Literatur zu Weisheitstraditionen. Im übrigen:
Vgl. die Literatur zu 1,2-4 und den Forschungsüberblick bei Popkes, Adressaten 129-156 (mit der These einer Verbindung von Anfechtung und
Taufe). Zum Gottesbild: Amstutz,]., HAPLOTES, Bonn 1968. - Bucht, H., Einfalt, in: R A C 4(1959) 821-840. - Edlund, C , Das Auge der Einfalt. Eine Untersuchung zu Matth. 6,22-23 und Luk. 11,34-35, Kopenhagen — Lund 1952. — Hiltbrunner, O., Simplicitas. Eine Begriffsgeschichte, in: ders., Latina Graeca, Bern 1958, 15-105. — Luck, Weisheit und Leiden. — Maas, W., Unveränderlichkeit Gottes. Zum Verhältnis von griechisch philosophischer und christlicher Gotteslehre, Paderborn — München 1974. — Montes-Peral, L. A., Akataleptos Theos. Der unfaßbare Gott, Leiden u. a. 1987. - Riesenfeld, H., Haplos. Zu Jak. 1,5, in: C N T 9(1944) 33-41.
— Wischer, R., Das einfache Leben. Wort- und motivgeschichtliche Untersu chungen zu einem Wertbegriff der antiken Literatur, Göttingen 1965. 5a: Durch zweifachen Stichwortanschluß schafft Jakobus formal und thematisch eine enge Verbindung vom Exordium zum ersten Beispiel der Digression (4c.5a: »... und es euch an nichts mangelt. Mangelt es aber einem von euch ...«; 4c.6a: »an nichts mangelt ... in nichts zweifelt«). Die gleiche Anknüpfung durch Wiederholung findet sich auch im Übergang von der ersten zur zweiten Prüfung
in 6a und 6b: »Indem er in nichts zweifelt. Denn wer zweifelt...«. In solchen sprachlichen Formen zeigt sich bewußte literarische Arbeit. Auch thematisch ist ein purer Zufall ausgeschlossen, da der Zusammenhang von Vollkommenheit und Weisheit auch im Briefkorpus aufgenommen wird. Der »vollkommene Mann«, der die Zunge beherrscht (3,1-12), ist der wahre Weise; bei ihm entspricht der individuellen die soziale Vollkommenheit (3,13-18). Wahre Vollkommenheit ist identisch mit wahrer Weisheit. Wie sich die Weisheit in 3,1-12.13-18 in individuell-anthropologischer und sozial-kirchlicher Integrität erweist, so in 1,5 ebenfalls im »vollkommenen Werk« (l,4a.b) als anthropologische (l,5-6a.6b-8) und ekklesiale-zwischenmenschliche (1,9-11) Vollkommenheit und Ganzheit. Der erst durch die konkrete Verwirklichung im Werk realisierten Vollkommenheit entspricht die Weisheit als praktische Lebensweisheit zur »Bewältigung der Wirklichkeit« (von Rad 151 ff.) angesichts der »Ambivalenz der Widerfahrnisse« (von Rad 326) im persönlichen, kirchlichen und weltlichen Bereich. In dieser Situation bietet Jakobus den Adressaten mit dem Stich wort »Weisheit« nicht »einfach eine anständige sittliche Lebensfüh rung« (Wilckens, U.: T h W N T 7, 1964, 526; ähnlich Schräge 16), einen platten Moralismus, vielmehr geht er den theologisch schwie rigeren Weg: Jakobus begründet das praktische Tun der Christen, ihre Lebensführung, theozentrisch (5b-d) und eschatologisch (12). Dies ist eine Konzeption, die sich im N T ähnlich im Matthäusevan gelium findet (vgl. Frankemölle, Jahwe-Bund 273-307). Formal und thematisch hängen Exordium (2-4) und Digressionen (5-11) äußerst eng zusammen. Die dezidierte These von Dibelius (97; ähnlich Cantinat und Ropes), wonach die Worte von 1,5 nur pure »Stichwortverbindung« zeigen, jedoch »überhaupt zu dem Inhalt von 1,2-4 keine Beziehung (haben), sondern einen völlig anders gearteten Fall (behandeln)«, ist begründet in einem atomistischen Vers-für-Vers-Verständnis (dies läßt sich nicht halten: s. o. zum semantischen Feld in 1,2-18). Vollkommenheit und Weisheit bilden aber nicht nur in synchroner Lesart eine Isotopie (wie 1,4 zu 1,5 so ist 3,1-12 zu 3,13-18 analog), sondern auch in diachron-traditionsgeschichtlicher Hinsicht (Hoppe, Hintergrund 32f.; Mußner 68; Schräge 16). »Wäre einer auch vollkommen unter den Menschen, er wird kein Ansehen genießen, wenn ihm deine Weisheit fehlt« (Weish 9,6). In diesen Kontext gehören auch Prüfungen/Versuchungen (Vouga 41 f.). Der Zusammenhang von Prüfungen und Weisheit (1,2.5) findet sich
etwa in Sir 4,11-19. Die Weisheit in Sir 4,17 »versucht/prüft... mit ihren Satzungen« ihre Söhne (analog zu Gott in 2,1-6). Sie tritt dabei entsprechend handelnd als Subjekt, als göttliche Wirkweise/ Hypostase auf wie in Kap. 24 in der Mitte des Buches. Wie dort ist die Weisheit auch in 4,11 ff. nicht eine menschliche Eigenschaft, die wie in Jak 1,5 und an vielen sonstigen Stellen in Sir von Gott zu erbitten und vom Menschen zu erstreben ist (zur Ambivalenz der Weisheit in Sir vgl. v. Rad 309-314). Nach Jak 1,5 ist die Weisheit eine Gabe Gottes, so daß eine direkte Rezeption von Sir 4,17 in Jak 1,5 entfällt, wenn auch das Grundthema von Sirach und der alttestamentlich-jüdischen Weisheitsliteratur überhaupt im Hinter grund hinsichtlich der Beziehung von Vollkommenheit und Weis heit steht. Bei aller Rezeption von Motiven und Vorstellungen aus Jesus Sirach hat Jakobus die Hypostasierung der Weisheit dort nicht übernommen, vielmehr liest er gleichsam Jesus Sirach im Lichte der älteren Weisheitsliteratur, die eine solche Hypostasen-Vorstellung noch nicht kannte. Wie bei Jakobus herrschten in der älteren Weisheitsliteratur kurze Sprüche/Sentenzen der Lebenserfahrung vor mit dem Ziel der vernünftigen Regelung menschlichen Verhal tens innerhalb der Gemeinschaft; daneben finden sich Hinweise zur praktischen Lebensführung, damit Leben gelingt (vgl. etwa Weish 10-22). Weisheit wird hier also immer als praktisch orien tierte Weisheit verstanden, dagegen tritt in der jüngeren Weisheits literatur die Weisheit mit höchster Autorität dem Menschen gegen über (vgl. Spr 1-9). Hier reflektiert man über das Wesen und den Ursprung der Weisheit (vgl. etwa Weish 1-9, bes. 8,22ff.). Es entwickelt sich die Vorstellung von der Personifikation der Weis heit. Jahwe selbst spricht durch sie. Sie wird zu seiner Offenbar ungsmittlerin. Sie wird mit der Tora identifiziert, steht aber auch in enger Beziehung zur Schöpfung. Sie ist vor aller Schöpfung erschaffen, präexistent (Spr 8). Sie hat teil an der göttlichen Natur (vgl. Weish 7,22-8,1). Weisheit ist jetzt eine dynamische, schöpfe rische göttliche Kraft/Hypostase. Diese zunächst poetische Perso nifikation — auch in der Zuordnung zum Logos oder zum Messias (vgl. Kuschet) — ist unaufgebbare Voraussetzung für verschiedene christologische Aussagen des N T (vgl. Frankemölle, Neutesta mentliche Christologien als jüdische Glaubenszeugnisse?). Der Verfasser des Jakobusbriefes knüpft nicht an die hellenisti schen, hoch mythologischen Reflexionen der jüngeren Weisheit an, übernimmt jedoch durchaus anthropologische Sentenzen dieser jüngeren Weisheit in der Perspektive der älteren Weisheit. Mit der
älteren Weisheit teilt er deren Grundanliegen, die nach H. H. Schmid, »dazu behilflich sein (will), die rechte Handlung zur rechten Zeit zu vollbringen. Sie sucht das der jeweiligen Situation Entsprechende, sei es im Bereich der öffentlichen politischen Geschichte oder in der privaten Geschichte des Einzellebens zu formulieren und zu tun« (34). Wie jener geht es Jakobus also um praktische Lebensführung, um gelingendes Leben. Auch er bemüht sich um die Einsicht in den Zusammenhang des einzelnen mit dem Ganzen der Gemeinschaft und um eine umgreifende Daseinsauslegung, also um Beantwortung der Frage nach dem Warum und Wozu — auch des Bösen (zum letzteren vgl. die Theodizee-Reflexion in 1,13 ff.). Im Unterschied zur altorientali schen Weisheit ist Weisheit auch für Jakobus nicht eine von Menschen erworbene Größe, praktisches Lebens- und Erfahrungs wissen von den Dingen und Ereignissen dieser Welt, nicht eine vom Menschen verfügbare oder hergestellte Erkenntnis, sondern Geschenk des sich uns erschließenden und mitteilenden Gottes (vgl. 1,5 und 3,13-18). Hier knüpft er deutlich an die biblischen Weisheitstraditionen an. Bereits Sputa (20) hatte 1896 als (bis heute wichtigste) Parallele Weish 9,6 notiert: »Wäre einer auch vollkommen (teleios) unter den Menschenkindern, wenn deine Weisheit (sophia) fehlte, für nichts würde er geachtet werden.« Wie hier im Gebet Salomos (8,19-9,19) wird vielfach in der Weisheitsliteratur die Weisheit einzig als Geschenk Gottes gesehen und darum als Gabe Gottes erbeten (Weish 7,7; 8,21; 9,4; Sir 1,1.9; 39,6). Zwar liegt in Weish 9,6 nicht kontextuell der Topos der Versuchungen/Prüfungen (wie in Jak 1,2-4.5-11) vor, doch ist in Weish 1,2; 2,17.24 von menschli chen und in 3,5f.; 11,19; 12,26 und 19,5 von göttlichen Prüfungen/ Versuchungen/Erprobungen die Rede. (Zur rezipierten Tradition von Sir 15,11-20 für Jak 1,13-18 vgl. oben.) Wichtig ist der enge Zusammenhang von Vollkommenheit und Weisheit, sie müssen sich auch in Sir und Weish in den Gefährdungen und Widerfahrnis sen des Alltags sowie angesichts der bösen Beschaffenheit des Menschen (vgl. Sir 15,11 ff.; 37,3) erweisen. Diese gedankliche Verbindung ist auch vor allem in Qumran reichlich belegt (vgl. 1QS IV,22; IX,12.18f.; lQSa 1,28; 1 Q H 1,35f.; H Q B s XVIII,3-5), ebenso in der zeitgenössischen Popularphilosophie (Belege bei Hoppe, Hintergrund 32 f.). Allerdings meint in Qumran »Vollkommenheit« durchgehend einen sämtliche Vorschriften umfassenden bzw. einen besonders auf kultische Kor rektheit ausgerichteten Wandel, in der griechischen Philosophie a
(vgl. G. Delling: T h W N T 8,1969, 70-72) ein Ideal als Gipfelpunkt von relativen Werten. Für Jakobus bleibt damit die Weisheitslitera tur als primäre traditionsgeschichtliche Vorlage, auf die auch die Jesustradition zurückgreift (vgl. Zeller, Mahnsprüche; Küchler 553-592). Mangel an Weisheit bedeutet nach Jakobus einen Mangel an Vollkommenheit und Ganzheit (4b), ihm geht es um die Unbedingtheit und Ungeteiltheit der Christen, da Gott selbst so ist und so handelt (5c). Christen, die »heil«, »ungeteilt« und »ganz« sind, werden automatisch ein »vollkommenes Werk« (4a) vorweisen, da es ihnen nicht an praktischer Lebensweisheit fehlt (5a). Weisheit ist nach Jakobus »die unentbehrliche Voraussetzung zum Handeln« (Schlatter 111). In den Erprobungen des Lebens zeigt sich, ob die Adressaten sie besitzen. Werke sind Zeichen der Weisheit, ihr nach außen orientierter Aspekt. Die in Vers 4 mitschwingende Frage »Vermag der Mensch aus eigener Kraft, ein vollkommenes Werk zu bewirken?« wird in Vers 5 eindeutig theozentrisch beantwortet: Vollkommenheit und Weisheit sind einzig und allein Gaben Gottes (zur Exklusivität vgl. auch Sir 1,1). Sola gratia! Exklusiv und ausdrücklich formuliert Jak 1,17: »Jede gute Gabe und jedes voll kommene Geschenk« stammen von Gott. Da es Jakobus nicht um eine philosophische Weisheit geht (vgl. seine polemische Auseinan dersetzung in 3,13-18), ist auch sachlich der Übergang und die Einheit der Verse 1,2-4 mit 1,5 ff. gewahrt. Seine Vorstellungen wurzeln ganz in der Weisheitsliteratur des AT. Von daher klingt auch die paulinische Problematik von 1 Kor 1,18-2,6 (Weisheit der Welt als Torheit im Gegensatz zur Weisheit Gottes aufgrund des Kreuzestodes Jesu Christi; Entbehrlichkeit der irdischen Weisheit) in 1,5 nicht an (anders Thomas 192; weiter dazu bei 3,13-18). 5b.d: Die Verbindung von Gebetsaufruf und Zusage der Erhörung (er bete — und es wird ihm gegeben werden) ist in ihrer unerschüt terlichen Gewißheit jedem christlichen Leser verständlich — auch ohne traditionsgeschichtliche Nachweise. Der Vers umschreibt das Vertrauen einer ganzen Glaubensgemeinschaft durch Generationen hindurch. Der Nachsatz gibt in gut jüdischer Zurückhaltung im »theologischen Passiv« den eigentlich Handelnden an: Gott. Die Gewißheit, daß Gott Gebete erhört, teilen dieser Spruch und Jak 5,16 mit dem gesamten Judentum und Urchristentum (zur Liturgie vgl. Ps 2,8; 50,15; 91,15; 145,18f.; zur Weisheitsliteratur vgl. Sir 1,26; 2,6.10; 7,10; 32,16-22; Ijob 8,5f.; 22,27; Spr 15,29; zu den Propheten vgl. Jes 30,19; 55,6.11 f.; 58,9; 65,24; Joel 3,5; Sach 13,9; zum N T vgl. Mt 7,7 par Lk 11,9; Mt 21,22 par Mk 11,24;
Mt 6,5-15 parr; Mt 18,19; Lk 18,1-5; Joh 14,13f.; 15,7; 16,23f.; 1 Joh 3,22; zur rabbinischen Literatur vgl. Billerbeck I 450-458). Vor allem das Wort aus der Logienquelle Mt 7,7 par Lk 11,9 »bittet, und es wird euch gegeben werden« (sachlich identisch auch Joh 16,24b mit dem aktivischen »er wird euch geben«) zeigt eine große Nähe zu Jak l,5b.d, so daß eine traditionsgeschichtliche Verbindung als möglich erscheint (sicher: H. Hegermann: E W N T 3, 1983, 619). Dies um so mehr, da das (traditionelle) passivische dothesetai/es wird gegeben werden in 5d mit dem aktivischen (redaktionellen) didontos/er gibt in 5c in Spannung steht. Auch die Veränderung im Vordersatz (Jakobus geht es um eine exem plarische Versuchung einiger Christen, nicht um ein weisheitliches Mahnwort an alle) ist kontextuell und adressatenbezogen begrün det. Da die Formulierung für Jakobus nicht zwingend war, dürfte sie ihm traditionell, jüdisch oder christlich vorgegeben gewesen sein. Redaktionell sind dann neben der Konkretisierung des Gebetsin halts (die Weisheit; eine andere Möglichkeit zeigt Lk 11,13: heili ger Geist) auch die Erweiterungen, die Gott (wie in der Weisheits tradition üblich) exklusiv als den Geber jeder Weisheit betonen. Für den, der an das schöpferische Wirken Gottes glaubt, ist die Erhörung des Beters (wenn dieser nur richtig betet, »ohne im geringsten/in nichts zu zweifeln«: 6a) evident. So entspricht es der Glaubenserfahrung und dem Gottes Verständnis Israels. Solche Erfahrung braucht nicht zusätzlich argumentativ abgesichert zu werden (anders die Verse Mt 7,9-11, die »einen rationalen Zugang zu dieser gläubigen Sicherheit eröffnen«: Zeller, Mahnsprüche 130). Jakobus teilt mit der Weisheitsliteratur die unerschütterliche Uberzeugung (die auch durch die Diskussionen im Ijobbuch begründet werden soll), daß Gott das Gebet des gerechten und des überzeugten Beters erhört. Überdies betont er noch redaktionell (indem er neue Traditionen rezipiert) die Art des göttlichen Gebens als Kontrast zum menschlichen Verhalten. 5c: Zur Syntax: Die von Riesenfeld erwogene Möglichkeit, das Adverb »vorbehaltlos« nicht auf das Verbum, sondern auf »alle« zu beziehen in der Bedeutung »allen ohne Ausnahme«, ist in dieser Verbindung durchaus in der griechischen Literatur gut belegt (vgl. Amstutz 61-63), wird aber auch schon von Riesenfeld aufgrund der Verbindung mit dem Begriff »geben« zu Recht verworfen. Nur so gewinnt der nachfolgende Satzteil (im Griechischen ein verneintes Partizip) »ohne zu nörgeln/ohne Mißfallen« seine textsemantische Stimmigkeit (als Kontrast zur positiven Art des Gebens). Zudem
legt dieses Verständnis eine Stelle aus Herrn Mand 2,4 nahe, »die auffallende Ähnlichkeit in formaler und sachlicher Hinsicht mit der Formulierung im Jakobusbrief aufweist« (40). Dort ist das Adverb ganz deutlich eine Bestimmung des Verbums: »Tue Gutes und gib ... allen Bedürftigen vorbehaltlos, ohne zu wägen, wem du geben sollst und wem du nicht geben sollst« (vgl. ebd. 2,6). Dies ent spricht »der festen paränetischen Tradition über das >einfache Geben<« ohne Vorbehalte (Amstutz 110 Anm. 89; Zusammenfas sungen zum Topos und Belege ebd. 39-41.51.96.156). Jakobus steht mit 1,5c fest in dieser seit dem 1. Jh. v.Chr. immer stärker belegten frühjüdischen und urchristlichen Tradition (vgl. Edlund 51 ff.; Amstutz 13ff.. 116ff.). Vor allem in den Testamenten der Zwölf Patriarchen (die Grundschrift und erste Redaktion dürf ten aus vorchristlicher Zeit, 200-170 bzw. um die Zeitenwende, stammen, die christliche Überarbeitung aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts: vgl. Küchler 415-545, bes. 439ff.) wird haplotes: Einfachheit zu einem der zentralen Begriffe ethischer Unterwei sung. Vor allem Issachar kennzeichnet sich als Repräsentanten dieser Tugend (Testlss 3,1.2.4; 4,1.6; 5,1 u.ö.). Alle diese Traditio nen bleiben im anthropozentrischen Ansatz. Ganz anders denkt Jakobus! Gott gibt haplos: einfach/ganz/unzusammengesetzt/aufrichtig/ ohne Hintergedanken/vorbehaltlos/lauter, außerdem gibt er »ohne zu nörgeln/ohne Vorhaltungen zu machen«. Dies sind vor allem auch deswegen erstaunliche Gottesprädikate, da direkte tra ditionsgeschichtliche Vorlagen fehlen. Die redaktionelle, handlungsorientierte Intention des Jakobus auf seine Adressaten hin dürfte hier deutlich werden, wenn er in die Sentenz vom rechten Beten des Christen eine dieses Beten motivierende und ermögli chende theo-logische Begründung vom richtigen und vorbehaltlo sen Geben Gottes einträgt. Das Adverb haplos, das im N T nur hier belegt ist, wird — was seine Bedeutungsbreite betrifft — durch das Vorkommen des Adjektivs (im N T 2mal) und Substantivs (im N T 8mal und zwar nur bei Paulus und in der paulinischen Schule) inhaltlich nicht eindeutiger. Überall werden die Begriffe (bis auf Jak 1,5) topisch geprägt anthropologisch verwendet, nie theozentrisch! Dies gilt auch für die Septuaginta, soweit der Begriff in den jüngeren Schriften (vgl. Amstutz 38 f.) überhaupt vorkommt. Wäh rend nach Edlund 45-47 das entsprechende hebräische Äquivalent tamim: ganz/vollständig/vollkommen auch auf Jahwe bezogen wird, bestreitet K Koch, dies ( T H W A T 2, 1984, 1049: »für Gottes Einsicht, Thora, Weg, Werk — doch nicht für Gott unmittelbar«). 3
Für die Septuaginta ist der Befund nicht umstritten. Sie vermeidet es sogar, tamim mit haplotes: Einfachheit/Einfalt zu übersetzen, erst die jüdischen Ubersetzer Symmachus und Theodotion im 2. Jh. n.Chr. neigen dazu (vgl. Edlund 58f.). Generell ist in der Septuaginta die ethische Bedeutung eindeutig: »Gemeint ist jeweils die Geradheit u. Rechtschaffenheit eines lauteren u. ungeheuchelten Wandeins vor Gott u. den Menschen« (Backt 826). Der Gedanke von Gottes Einfachheit/Ganzheit/Ungeteiltsein ent stammt der griechischen Philosophie, näherhin dem Piatonismus und Aristotelismus (Vischer 13f.; Hiltbrunner 39-41; vgl. auch H. Kleinknecht: T h W N T 3, 1938, 65-79, bes. 73f.76f.): »Gott ist einfach/ganz/ungeteilt und wahr« (Plato Resp 2, 382E). Als unvermischtes und unzusammengesetztes Wesen ist er die absolute Ganzheit, das volle Sein (Aristot Cael 9, 279a). Philo von Alex andrien rezipierte derartige Gottesvorstellungen und verband sie mit dem jüdischen Monotheismus (Amstutz 53f.88f. und beson ders Montes-Peral 86-98.121-147). Die Einzigkeit Jahwes zielt nicht nur auf sein Verhältnis zu Israel und zur Welt, sondern Einzigkeit/Einfachheit/Einheitlichkeit/Ganzheit ist Jahwes Wesenseigenschaft. So Philo All 2,1-3: »Gott ist einer und eines, nicht vermischt, (sondern) einfacher Natur« (ähnlich Imm 82; Fug 184; Abr 122; Her 183). Alles Geschaffene ist zusammengesetzt (Mut 184). Das Reden von der Ganzheit/Einfachheit Gottes ist weiterhin Thema »heidnischer« wie nachneutestamentlicher Auto ren (Belege bei Amstutz 54 Anm. 77; 121 f..156). In der griechi schen Literatur erfährt diese Gottesvorstellung ihre vollendetste Ausprägung bereits im »Timaios« von Plato; dort ist die Weltseele gut, weil sie aus der vollkommenen Mischung als »hen holon: eine Ganzheit« hervorgegangen ist, während die Seelen der Menschen eine Mischung mit dem Körperlichen, Materiellen sind (vgl. Hilt brunner 39-41). Diese hellenistisch-jüdischen Gottesvorstellungen dürften die Basis für Jak 1,5 bilden. Jedoch: Jakobus argumentiert nicht — wie im AT und N T und in der zeitlich parallelen Literatur üblich — anthropozentrisch, sondern theozentrisch. Auch die Vorstellung vom »zwiespältigen« Christen in 1,8 hat hier ihre traditionsge schichtlichen Wurzeln (s. u.). Das heißt: Das jakobeische Denken ist nicht ethisch, sondern im strengen Sinn theo-logisch! Den breitbelegten Topos vom geraden/aufrichtigen/einfachen Geben der Menschen konnte Jakobus auf Gott übertragen, da Gottes Sein für ihn haplos: ganz/einfach war und Gottes Handeln Maßstab für die Christen sein sollte. Die anthropologische Pragmatik des Jako-
bus (es geht ihm um Sein und Verhalten der Adressaten) war Motiv dafür, auch vom »ganzen/einfachen Geben« Gottes, der keine Nebengedanken und Nebenabsichten kennt, in 1,5 zu sprechen. Gott gibt »vorbehaltlos«, sein Geben ist »ganzheitlich«. Daß er »allen« gibt (wenn sie nur richtig beten: 6a), ist logisch konsequent. Eine Antithese zur Weisheit Salomons, von der jener allein begabt gewesen ist (so Spitta, Mayor), ist nicht festzustellen. Eher läge schon eine Antithese zur Weisheit der Lehrer in Jak 3,1-18 nahe; auch dort wird die Weisheit nicht hierarchisch, stan desgebunden gesehen, sondern »demokratisch«. Alle, die sich rich tig verhalten (3,17), sind »weise und wohlunterrichtet« (3,13) und »vollkommen« (3,2). Auch für Arme und Niedriggestellte gilt dies (s. u. zu 1,9). 5c: Die Wendung und nörgelt nicht/ohne Vorhaltungen zu machen als zweite Charakterisierung der Praxis Gottes stammt ebenfalls aus der Lehre vom rechten zwischenmenschlichen Geben. Diese war Jakobus im Buch Sirach (exklusiv im AT!) vorgeben. In Sir 20,14f. wird als allgemeine Erfahrung formuliert: Vom Geschenk (dosis) eines Toren hast du nichts, denn viele Augen hat er statt eines Paares. Er gibt wenig und nörgelt (oneidisei) viel. Dem entspricht die Mahnung in 41,22: Nach dem Geben nörgele (oneidize) nicht. Ähnlich auch 18,15.18: Mein Sohn, zum Guten füge den Vorwurf nicht und zu keiner Gabe kränkende Worte ... . Der Tor nörgelt (oneidiei) lieblos. Dieses Nörgeln/Schimpfen/Schmähen entlarvt das Geben als wider- und unwillig, als das genaue Gegenteil von vorbehaltlosem und ganzheitlichem Geben. Nach Jak 1,5 gibt Gott nicht wie der Tor »mit vielen Augen« (Sir 20,14), d. h. mit allen möglichen Nebenabsichten und Unaufrichtigkeiten, sondern vorbehaltlos und lauter. Gott »rückets niemands auff« (so die Ubersetzung von Jak 1,5c durch Martin Luther), rechnet also dem Beschenkten nicht — wie bei Menschen üblich — nörgelnd und geizig die Gabe vor in der Erwartung auf Vergeltung (vgl. Sir 18,18; 20,15). Gottes
Geben ist vorbehaltlos und ganzheitlich in jeder Hinsicht. Es kennt keine Vorbedingungen und keine Anrechnungen. Gratia gratis data. Dies ist die theo-logische These von 1,5: Gott ist unteilbar, frei von innerem Zwiespalt, ganz, aufrichtig, lauter, vorbehaltlos, gütig und handelt auch so. Natürlich bleibt die Frage, warum Jakobus im Prolog in einem untergeordneten Satz solch wichtige Aussagen über Gottes Geben macht, die vom Gedankenduktus her nicht zwingend erforderlich waren, war doch die Verbindung von unerschütterlichem Gebet und Zusage der Erhörung durch Gott jedem jüdischen und christli chen Leser vertraut (s. o. zu 5b.d). Demnach dürften kontextuelle und handlungsorientierte Gründe als Motiv für 5c angenommen werden. Entsprechend der Antithetik im Menschen- und Gottes bild im gesamten Prolog (s. o.) kontrastiert demnach das in 5c knapp skizzierte Gottesbild einem von Jakobus zu kritisierenden Bild der Christen, das im Verlauf des Briefes amplifiziert wird. Dies nicht in einer eigenen kleinen Texteinheit, vielmehr steht diese anthropologische und theozentrische Basis im Hintergrund vieler Aussagen. Während Gott den Christen »Gunst/Gnade gibt« (4,6a), ebenso den »Niedriggestellten/Demütigen« (4,6c; vgl. 1,9), »der Himmel« auf das Gebet des Elias hin, der »uns gleichgeartet war« (5,17a), »Regen gab« (5,18b), sieht sich Jakobus genötigt, die Adressaten zu kritisieren, daß sie »dem Armen die Ehre genom men«, statt gegeben haben (2,6a), daß sie ihre Gunst »nach Anse hen von Personen« vergeben (2,1-4), daß sie sogar den Armen in der Gemeinde nicht einmal »das geben, wessen der Leib bedarf« (2,16c). Den reichen Christen als Grundbesitzer wirft er vor, daß sie den Arbeitern ihren verdienten Lohn »vorenthalten«, statt zu zahlen (5,4c). An allen Stellen wird deutlich, daß dies gegen die Ordnung Gottes verstößt. Den Christen, seien sie nun niedrigge stellt oder hochgestellt, fehlt es an all dem, was Jakobus epigramm artig in 1,5 für Gottes Geben (und für sein Sein: l,13c.l7d) formuliert. Gott ist ungespalten, er bleibt sich selber treu, unter liegt keiner Veränderung, er gibt vorbehaltlos/einfach und gibt ohne zu nörgeln, wenn er nur wirklich um Aufhebung eines Mangels gebeten wird. Im übrigen ist das Nörgeln beim menschlichen Geben auch in der griechischen (vgl. Plut Adulat 22, II 64a) wie in der christlichen Literatur (vgl. 1 Petr 4,9; Did 4,7; Barn 19,11; Herrn Mand 9,3; Sim 9,23.24; weitere Stellen: Mayor 39f.) belegt, wenn auch nicht so konzentriert in einer einzigen Schrift wie in Sirach. Also dürfte Jakobus diese Tradition rezipiert haben.
Warum Jakobus so stark die theozentrische Perspektive einbringt, warum er so stark Gottes Sein und Handeln betont und über die (traditionell vorgegebene) unerschütterliche Gewißheit der Einlö sung des Gebetes durch Gott hinausgeht, bleibt in Vers 5 noch ungeklärt. Wichtig ist zu sehen, daß und wie Jakobus die theozen trische Grundlage vorbereitet, zu der er in l,6b-8 und 1,9-11 die anthropozentrischen Verhaltensweisen kontrastiv entwirft. Zugleich ist die Verbindung von 1,1 (Knecht Gottes) zu 1,7 (vom Herrn) und 1,12 (theologisches Passiv), vor allem auch zu 1,13-18 zu sehen. Die theozentrische Perspektive dort bestätigt noch ein mal die Intention zur redaktionellen Überarbeitung in 1,5: Dem Verfasser des Briefes liegt von Anfang an alles an der theozentrischen Ausrichtung seiner individuell-anthropologischen und sozial-kirchlichen Appelle. Nicht erst für heutige Leser ist die Rede vom »einfältigen Geben« semantisch durch den in der Regel negativen Klang bei »einfältig« erschwert (Bacht 821 f.). Dieses Problem existierte schon in der Antike, da auch dort überall haplotes/simplicitas bald als Tugend, bald als negative Charakteristik verstanden wurde. Dieser ambiva lente Charakter spiegelt sich auch in der Zurückhaltung der Über setzer der Septuaginta hinsichtlich des hebräischen tamim. Von der Vorliebe der deutschen Klassik für diesen Begriff (vgl. Hölderlins Thalia-Fragment sowie die J.Winckelmann zugeschriebene Sentenz »Edle Einfalt, stille Größe«) sind wir weit entfernt. Heute dürfte es daher angemessener sein, haplos zu übersetzen mit Begriffen wie ganz/vorbehaltlos/integer. Wie im A T / N T und wie in der klassi schen Antike zielt dieser Begriff nicht auf eine einzige Tugend, sondern meint, wie im Kontrast zu den negativen Haltungen sichtbar wird, eine ethische Grundausrichtung: die Integrität des Menschen. 6a: Im Kontrast wird Gottes integres Sein und Handeln auf den Menschen übertragen: Die Adressaten sollen vorbehaltlos, ohne Wenn und Aber im Glauben beten. Was dies konkret meint, entfaltet die Gebetsparänese über das »Gebet des Glaubens« (5,15) in der Peroratio des Briefes (5,14-18). Was im Proömium noch Leerstelle ist, wird im Brief inhaltlich gefüllt. Dennoch wird durch die sprachliche Opposition »er bete im Glauben — ohne in nichts/ im geringsten zu zweifeln« bereits eine erste wichtige Aussage über das Verständnis des Glaubens gemacht. Glaube ist hier und in 5,15 das unbedingte, vorbehaltlose und feste Vertrauen auf die Erfül lung der Gott vorgetragenen Bitten (anders als an den übrigen Stellen; s. u. den Exkurs).
Zwar wird das Verbum zweifeln erst in 6b-8 näher inhaltlich gefüllt (siehe dort auch zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund), den noch ist aufgrund der Opposition zu »glauben« soviel deutlich, daß von dem breiten Bedeutungsspektrum des Verbums im N T und außerhalb (Unterschiede machen, Recht sprechen, entscheiden, Bedenken haben, zweifeln, auslegen) ein Mangel an Glauben gemeint ist. Diese religiöse Bedeutung des Verbums im Medium ist vor dem N T nicht belegt (F. Büchsei: T h W N T 3, 1938, 948; G. Dautzenberg: E W N T 1, 1980, 734). Im N T jedoch kommt diese Bedeutung sehr häufig vor (vgl. Rom 4,20; 14,23; Mk 11,23 par Mt 21,21; Apg 10,20; Jud 22. In Jak 2,4 wird das Verbum im Sinne von »Unterscheidungen machen« verwendet). Auch wenn der Begriff traditionsgeschichtlich nicht vorgegeben war, so ist die damit angezielte Sache jedoch vielfach thematisiert (s. u. zu 6b), denn: Wo vom Gebet die Rede ist, wird in der Regel auch von Zweifel, Zwiespalt u. a. gesprochen. Dies ist auch im Hinblick auf den Begriff »zwiespältig« in Jak 1,8 zu beachten. Auffällig ist in Vers 6a die absolute Formulierung »in nichts/nicht im geringsten/in keiner Weise zu zweifeln«. Dies ist der Maßstab für das erhörungsgewisse Gebet um lebenspraktische Weisheit, die für ein vollkommenes Tun/ein vollkommenes Werk notwendig ist. Wer ohne zu zweifeln bittet (»vorbehaltlos« wie Gott: 5b), ganz heitlich (4b), mit dem »Auge der Einfalt« (Edlund) statt wie der Tor »mit vielen Augen« (Sir 20,14), dem erfüllt Gott ganz sicher seine Bitte um fehlende Weisheit. Der von Jakobus angezielte Gedanke ist damit abgerundet, er bedarf inhaltlich keiner Ergänzung — trotz seiner Knappheit. Die begründende Weiterführung (vgl. »denn« in 6b) und Illustrierung eines gedanklichen Aspektes in l,6b-8 zeigt a) die Bedeutsamkeit dieser Verse im Hinblick auf die Adressaten und b) deren innere Geschlossenheit (als Element des Prologes).
Exkurs 2: Glaube nach Jakobus Literatur: S. u. zu 2,14-17; 2,18-20; 2,21-26 und zum Exkurs »Rechtferti gung nach Jakobus und Paulus« nach 2,24 sowie die Exkurse etwa bei
Dibelius 214-221 und Mußner X-bl-XlblAA-lW\ Außerdem: Barth, G., pistis Glaube, Vertrauen, Treue pisteuo glauben, in: E W N T 3(1983) 216233. - Dobbeler, A. von, Glaube als Teilhabe. Historische und semantische Grundlagen der paulinischen Theologie und Ekklesiologie des Glaubens, Tübingen 1987. — Eichholz, G., Glaube und Werk bei Paulus und Jakobus,
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Die Situierung dieses Exkurses »Glaube nach Jakobus« an dieser Stelle der Auslegung (und nicht im Kapitel 2) enthält bereits die Grundthese: Die kontroverstheologisch bestimmte Literatur über das Verhältnis von Glaube und Werke einerseits und Glaube und Werke bei Paulus und Jakobus andererseits vermag das, was Jakobus unter »Glaube, glauben« versteht, nicht angemessen und umfassend darzustellen. Bei einem solchen Ansatz wird nicht nur ein Aspekt zum beherrschenden gemacht, vielmehr wird auch formal die Grundstruktur des Briefes nicht beachtet. Nach Jakobus bedingt beides einander. Setzt man, wie im Exkurs 1 dargelegt wurde, voraus, daß ein Briefkorpus von Prolog und Epilog umrahmt wird und daß relativ offene Begriffe des Prologes im Verlauf des Briefes durch Amplifikationen konkretisiert werden, lassen sich deutlich unterschiedliche Aspekte beim Begriff »Glauben« im Jakobusbrief feststellen. Abgesehen von der Funktion der Verse 1,2-18 als Prolog ist auch vom Vorverständnis der Leser bzw. Hörer im langsamen Akt der Rezeption auszugehen, deren Glaubenswissen erst im Verlauf des gesamten Briefes durch die Gedanken des Autors differenziert wird. Im einzelnen läßt sich feststellen: Im Kontext des theozentrischen und christologischen Bekenntnisses zum Gottsein Gottes und zum Herrsein Jesu Christi in 1,1 ist »der Glaube« in 1,3b wohl am ehesten als Bekenntnis- oder Vertrauensglaube zu umschreiben. Damit steht Jakobus (wie Sir 2,1-18 als rezipierte Tradition belegt; s. o. zu 1,2-4) ganz in der biblischen Tradition, zugleich aber auch ganz in
der urchristlichen Tradition (s. u. den Exkurs nach 2,1: Die Christologie des Jakobus). Beides gilt auch für den Gebetsglauben in 1,6a (»er bitte aber im Glauben«). Mit »Fiduzialglaube« (Mußner 69; Popkes 203), womit als kontroverstheologischer Bezeichnung für den von den Reformatoren auf gestellten Glaubensbegriff aus katholischer Perspektive im Konzil von Trient der passive Charakter gegenüber der freien Zustimmung des Glau benden betont wird (womit die Reformatoren auch nicht getroffen wurden; vgl. Wilckens I 252), hat der Gebetsglaube - richtig verstanden - nichts zu tun (zum Gebetsglauben bei Markus vgl. Söding 315-382, bes. 317ff. die Ausführungen zum Berge versetzenden Gebetsglauben in Mk 11,22-25), da das »Gebet als Ausdruck ganz am Willen Gottes orientierten Lebensvollzu ges« (370) zu gelten hat. Parallel zum Prolog taucht das Stichwort »Glaube« in 5,15a im Sinne von Wunderglaube erneut auf (»und das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten«). Daß es Jakobus hier nicht um eine »Wunderkur« geht (Dibelius 303) und daß er nicht den Glauben als die »Kraft« der Heilung versteht (ebd. 302), belegt der Kontext, der ganz theozentrisch orientiert ist, wie schon der Folgesatz in 5,15b deutlich zeigt (»und aufrichten wird ihn der Herr«). Welchen Stellenwert die Ölsalbung in 5,14, welche Funktion das Gebet hat und wer der eigentlich Handelnde ist, verdeutlicht die gesamte Gebetsparänese von der Macht des Gebetes bei der Heilung von Kranken (5,13-15) und bei der Rettung von Sündern (5,16-20). Das Stichwort »Gebet« mit seinem Wortfeld in 5,13a.b.l4c.l5a.l6b.d.l7b.l8a als Amplifikation von l,5b.6a (zum fal schen Beten vgl. 4,2e.3a.b) interpretiert den Wunderglauben als einen auf Gott gerichteten Vertrauensglauben, wobei aber auch die Notwendigkeit des Betens unterstrichen wird (zum spezifisch jakobeischen Synergismus s.u. in 5,13ff. und 5,16ff.). Ist die letztere Nuance redaktionell, so der Wunderglaube, d. h. die Interdependenz von Wundererfahrung und Glaube aus vielen Erzählungen der Evangelien bekannt (zu Markus vgl. etwa Söding 385-511). Auch wenn Jakobus im Epilog ausführlicher ist als im Prolog, so bleiben auch hier viele Fragen der Verhältnisbestimmung offen. Dennoch bestimmt das Ende, so wie es der Autor intendiert hat, nicht den Anfang, so wie die Leser ihn rezipieren. Für sie ist der Anfang deutlich genug. Denn: Daß der Glaube in 1,3b und das Gebet des Glaubens in 1,6a im Glauben an Gott und den Herrn Jesus Christus in 1,1 gründet, bestätigt 2,1 b.c, wo Jakobus ausdrücklich Glauben umschreibt als »Glauben an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit« (zu weiteren christologi schen Aspekten im Jakobusbrief s. u. den Exkurs 7 nach 2,1: Die Christo logie des Jakobus). Mit dieser Aussage steht Jakobus in einer breiten urchristlichen Tradition, wie die Wendung »Glaube an Christus« (als Genetivus objectivus) bestätigt (vgl. etwa Gal 2,16.20; Phil 3,9; Rom 3,22.26; Apg 3,16; Eph 3,12; Offb 2,13; 14,12). Dabei meint bei Jakobus »Herr der Herrlichkeit« den erhöhten und auferweckten Jesus. »Glaube an Jesus ist daher nicht Glaube an eine andere Gottheit, sondern der Glaube, daß Gott allein in Jesus heilbringend gehandelt und sich offenbart hat.
Deshalb ist Glaube an Jesus ... zugleich Glaube an Gott« (Barth 221); der Bezug von 2,1 zu 1,1 ist von Jakobus bewußt gewollt. Diese theozentrische Struktur im Glauben wird auch in 2,5c bestätigt (»Hat Gott nicht die vor der Welt Armen als Reiche im Glauben und als Erben [seines] Königtums erwählt ...?«). Diesen Glauben an das Handeln Gottes setzt Jakobus im gesamten Brief als bekannt voraus; da er ihn nicht begründet und differenziert, geht er vom Einverständnis der Adressaten aus. Dies entspricht der formalen ThemaRhema-Struktur (s. o. 1.2 zur Form der Verse 1,2-18). Nach ihr enthält das Thema etwas Bekanntes, an das nur erinnert wird, das Rhema aber das, was neu mitgeteilt wird und worauf es dem Verfasser ankommt (Stammerjo hann 155-157; Schweizer 101-106). Thema sind nach Jakobus demnach die bekannten Prüfungen/Erprobungen sowie der theozentrische und christologische Glaube, Rhema sind zum einen die Mannigfaltigkeit und Verschie denartigkeit der Versuchungen/Erprobungen und zum anderen die Not wendigkeit eines praxisorientierten Glaubens. Dies ist demnach schon die Intention des Jakobus in l,3a.b.4a (»Wißt! Dieses euer Prüfungsmittel bewirkt Standhaftigkeit des Glaubens. Die Standhaftigkeit aber soll ein vollkommenes Werk haben ...«). Auch diejenigen Ausleger, die in der Nachfolge von Dibelius (125-129) von einer »Kettenreihe« in 1,2 ff. spre chen, setzen voraus, daß die vorderen Glieder der Kette schlüssig sind; also wäre diese Basis (der theozentrisch und christologisch orientierte Glaube) stärker zu beachten — jedenfalls nicht weniger als der auf Praxis, auf Verwirklichung drängende Glaube. Dies heißt: Schon in 1,1-4 erwächst die weisheitliche Mahnung zur Standhaftigkeit/Festigkeit des Glaubens und seiner Konkretisierung im Tun aus der Theo-logie und Christologie. Es ist daher nur konsequent, wenn Jakobus auch in 2,1 »den Glauben an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit« korreliert mit einer bestimmten Glaubenspraxis, die negativ als »Ansehen von Personen« aufgrund ihres Standes umschrieben wird, wobei sowohl das Verhalten der Reichen zu den Armen wie das der Armen zu den Reichen kritisiert wird (s. u. zu 2,2-4). Dies ist für Jakobus ein Un-glauben. Nach Jakobus gilt: »Der Glaube soll, will und kann leben, indem er sich betätigt ... Der Glaube will konkret werden, sonst ist er gar kein Glaube« (Popkes 204). Mit diesem Verständnis steht Jakobus in einer breiten Tradition des Frühjudentums, aber auch des Urchristentums. Dies bestätigt zum einen das auch von Jakobus aufgenommene eindeutige Bekenntnis zum Monotheismus in 2,19 (»Du glaubst: >Es gibt einen einzigen Gott<. Du handelst gut«), das er in 4,12a rekapituliert (»Ein einziger ist Gesetzgeber und Richter«). Diesen Glauben teilt Jakobus mit der Bibel und dem Frühjudentum, dem Christentum (einschließlich Paulus: 1 Thess 1,9; 1 Kor 8,4.6; 12,2; Gal 3,20; 4,8; Rom 3,30) und Rabbinismus (zu Belegen s. u. zu 2,19). Es dürfte von einem konfessionell verengten Vorverständnis zeugen, wenn man einzig und allein für Jakobus annimmt, daß der Glaube in 2,19 »zur bloßen weltanschaulichen Theorie und Dok trin degradiert« wird und er »intellektualistisch heruntergekommen« ist
(Schräge, Ethik 289) oder daß Jakobus »die pistis als eine Sein und Tat umfassende Tugend« im Sinne der griechisch-römischen Tugendideale ver steht (Heiligenthal 36). Warum soll speziell bei Jakobus Glaube »nur in einem theoretischen Bekenntnis zu dem einen Gott« (Schnackenburg, Ethik II 219) bestehen? Begründet wird dies mit 2,19c, wo es heißt: »Auch die Dämonen glauben (das) und zittern«. Abgesehen von der argumentativen Funktion dieses Halbverses in 2,14-26 bemerkt Burchard zum Sprachge brauch mit Recht: »Ein Glaube, der sich an den Einen Gott richtet, ist zumindest nicht total ausgehöhlt, und wenn er die Dämonen zittern läßt, nicht intellektualistisch; sie zittern doch nicht vor Aufklärung« (Ders., Zu Jakobus 39). Ein Glaubensbekenntnis sagt nie etwas über die Intensität des Glaubenden, der dieses spricht, aus; auch ist eine Bekenntnisformel kein Beweis dafür, daß der Glaube seine dynamische Kraft verloren hat. Wer wollte dies im Hinblick auf das Sch ma Israel als jüdisches Totengebet behaupten wollen? Grundsätzlich sollte man Jakobus — aus welchen Grün den auch immer — in seinem theologischen Selbstanspruch nicht von vornherein (es sei denn, der Text spricht dagegen) anders bewerten als andere Theologen im NT; dies gilt auch für das Bekenntnis von Dämonen in therapeutischen und exorzistischen Geschichten (vgl. etwa Mk 1,24; 3,11; 5,7 u. a.). Bereits E. Peterson betonte 1926 den Zusammenhang von Exorzismen und dem Bekenntnis »Ein einziger ist Gott«, in dem er auch für Jak 2,19 »den apotropäischen Sinn der heis theos-Formel« voraussetzte, da das Zittern der Dämonen vor dem einen Gott »in der Literatur, die sich mit Exorzismen befaßt, ein beliebter Gegenstand der Erwähnung« ist (296). Alle neutestamentlichen Theologen, die dieses ansprechen, setzen mit dem Frühjudentum voraus, daß Dämonen an den Monotheismus glauben, aber nicht die Gebote des einen Gottes erfüllen. Genau darum geht es aber Jakobus in seinem Bekenntnisglauben in 2,19a.b sowie in der gesamten Abhandlung in 2,14-26 zum Thema »Vom Glauben ohne Werke und vom Glauben mit Werken«. e
Auch mit dieser Thematik steht Jakobus mit einem breiten Strom der Schrift sowie der Literatur des Frühjudentums und des Urchristentums in Ubereinstimmung (vgl. etwa Lührmann, Glaube 31 ff.; Barth 217ff.), während Paulus aufgrund seiner christologischen Engführung, wonach alles Heil einzig und allein und nur erst durch Jesus Christus vermittelt wurde und daher »der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes« (Rom 3,28), als Ausnahmetheologe zu bezeich nen ist (vgl. dazu den Exkurs 8 nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus). Ohne an dieser Stelle auf den von Jakobus behaupteten Zusam menhang von Glaube und Werk, der bereits in 1,2 f. betont wird, einzuge hen, sei für den gesamten biblischen Glauben festgehalten, daß Glaube nie in dem Sinne als reiner Bekenntnisglaube verstanden wurde, so als ob das Heil nur am Bekenntnis, nur am Hören des Wortes Gottes, nicht jedoch an der Konkretisierung des Glaubens im Alltag und an der solidarischen Ethik hängt. Genauso gilt aber: Glauben wird nie auf reines Tun, auf Ethik, auf reine Zwischenmenschlichkeit reduziert — auch bei Jakobus nicht (zum
Verhältnis von Glaube und Gerechtigkeit im A T vgl. etwa Hermisson, Glauben 18-30, zum »allein aus Glauben« und zum Wandel der Glauben den bei Paulus vgl. etwa Lohse, Glauben 102-117). Die These: »Gegenstand
der pistis ist im Jakobusbrief die Heilsnotwendigkeit der erga, d. h. der Werke, die das Gesetz fordert« und die These: »Liebe zu Gott ist mit dem Tun der Werke des Gesetzes identisch« — unter Ausblendung sonstiger theozentrischer Glaubensinhalte (so Lautenschlager 172) — sind weder der Theologie des Jakobus angemessen noch den von ihm rezipierten toratheo logischen und weisheitstheologischen Konzeptionen der Schrift; hermeneutisch artikuliert sich hier lediglich protestantisches Vorverständnis. Alle hebräischen Begriffe, die in der Septuaginta mit pisteuein: glauben umschrieben werden, zielen mit ihren Assoziationen »fest/sicher sein, trauen, hoffen, harren, sich bergen in« (vgl. ThHAT und ThWAT) auf eine anthropologische Grundhaltung und auf die spezifische Existenzform des auf Gott hin orientierten Menschen. Dabei kommt es von frühesten Bekenntnissen zum unmittelbaren Glauben an Gott (vgl. Jes 7,9; 28,16; Gen 15,6; Hab 2,4) in jüngeren Schriften zu einer Konkretisierung, wonach »Glauben« sich verstärkt auf die Worte und Gebote Gottes bezieht (vgl. Schlatter 9-42; Lührmann, Glaube 39-45). Diese frühjüdische Entwicklung der Rechtfertigung Abrahams aufgrund seiner Glaubens-Werke (im einzel nen s. u. bei 2,21-26) bestätigt Jakobus mit der Rezeption der AbrahamTradition in 2,21-23 genau. Die enge Zusammengehörigkeit von Glaube und Gesetz im AT, im Frühjudentum und bei Jakobus hat nichts mit »Werkgerechtigkeit« und mit »Leistungsdenken« zu tun; beide Begriffe führen auf falsche Geleise, da sie konfessionell vorbelastet sind. »In beiden Begriffen zeigen sich eher antikatholische Affekte, die rückprojiziert wer den in die Darstellung des Judentums; dahinter steht auch eine bestimmte Interpretation des paulinischen Gegensatzes von Glaube und Gesetz, die historisch verifiziert werden soll, indem man das Judentum auf die Position >Gesetz< hin interpretiert; und wenn nun doch vom >Glauben< in jüdischen Texten die Rede ist, muß man schnell erklären, daß da aber nicht wirkli chen Glaube gemeint sei. ... Die Kategorie der Werkgerechtigkeit ist ...
unangemessen« (Lührmann 39). Daß der Glaube durch Werke zu be-glaubigen ist, tat-kräftig sein muß, betont im übrigen auch Paulus, so daß an diesem Punkt zwischen ihm und Jakobus keine Differenz besteht (so auch Burchard, Zu Paulus 38 f.
Anm. 54 und bes. MacArthur 26-28.33; Radmacher 37; Saucy 43.45). Daß es einen Synergismus geben muß, darin stimmen alle Theologen überein, das Problem ist nur, von welcher Art die Beziehungen von Glauben und Werke sind. Sicherlich: »Jakobus steht nicht in Widerspruch zu Paulus« (MacArthur 27), aber daß Paulus »in vollkommener Harmonie mit Jako bus« (ebd. 33) steht, ist doch wohl zuviel an Harmonie. Die These: »Jakobus und Paulus sprechen mit einer Stimme« (Radmacher 37) ist zu differenzieren — schon im Hinblick auf die Wandlungen im paulinischen Denken selbst (vgl. Schnelle 49-76 zum Gesetz). Auch für eine an Paulus orientierte Theologie ist mit Luther das exklusiv
gegen alle Werke des Gesetzes ausgesprochene »allein aus Glauben« des Paulus mit der Verwirklichung des Glaubens in guten Werken zusammen zu denken: »Oh, es ist ein lebendig, geschäftig, mächtig Ding um den Glauben, daß unmöglich ist, daß er nicht ohne Unterlaß sollte Gutes wirken« (so in der Vorrede zum Römerbrief in der deutschen Bibel). Auch Luthers Sermon von den guten Werken, ebenso sein Kleiner und Großer Katechismus bestätigen diese Überzeugung. Dennoch erwirbt nach Luther keiner das Heil, die Befreiung und Erlösung durch Buße und gute Taten; als solche nennt Luther »Wallfahrt, Fasten den Heiligen zu Ehren, Kirchen bauen und schmücken, Meßvigilien stiften, Rosenkränze beten, viel plap pern und plärren in den Kirchen, Mönch, Nonne, Pfaffen werden, sonder lich Speis, Kleider und Statt brauchen, und wer mag sie alle herzählen ...« (WA 10 I 2,38). Darüber, daß Befreiung und Erlösung nicht von den genannten menschlichen Praktiken kommen, die Luther im 16. Jh. kriti sierte, oder von »Tagen, Monaten, bestimmten Zeiten und Jahren« (vgl. Gal 4,10), läßt sich ökumenisch leicht Übereinkunft erzielen. Ebenso darüber, daß es weder nach Paulus, noch nach Matthäus, noch nach Johannes, noch nach Jakobus einen werk-losen, einen nur theoretischen Glauben geben kann (s. u. Exkurs 8 nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus). An dieser Stelle seien lediglich die Quintessenz des Jakobus im vielbehandelten und umstrittenen Kapitel 2 und die dort vorkommenden Verbindungen festgehalten, die seine Intention durchaus exakt umschreiben. Die 14 Vorkommen der Begriffe »Glaube/glauben« lauten mit ihren jeweiligen Antithesen: 14b.c: Glauben haben — keine Werke haben; die Folgerung steht in 14d: Kann ein solcher Nur-Glaube retten? 17a: Ein Nur-Glaube ohne Werke ist tot. Die Wiederholung in 26b bestätigt die Grundthese: »Der Glaube ohne Werke ist tot.« Eine Variation dazu findet sich in 20b: Der Glaube ohne Werke ist nutzlos. Von diesem werk-losen Nur-Glauben spricht Jakobus in 24b: Der Mensch wird nicht aus Glauben allein gerechtfertigt. Die »Lösung« steht in 22a: Der Glaube Abrahams wirkte mit seinen Werken zusammen, woraus in 22b die vieldis kutierte Wendung folgt: Aus den Werken wurde der Nur-Glaube vollen det. Daß es Jakobus um den Glauben ohne Werke und um den Glauben mit Werken geht, ist auch die Voraussetzung beim Frage-Antwort-Spiel in 18b: »Du hast Glauben? Ich aber (sage): Ich habe Werke.« Daß dies so zu verstehen ist, geht aus den beiden folgenden Halbversen 18c.d hervor: »Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, ich aber werde dir zeigen aus meinen Werken den Glauben.« Jakobus ist ein Vertreter der These, daß Werke Zeichen für den Glauben sind (vgl. Heiligenthat). Aus diesem Überblick geht eindeutig hervor: Die Opposition lautet nach Jakobus nicht Glaube — Werke bzw. Gesetzeswerke (ein Begriff, der bei ihm nie belegt ist), sondern Glaube allein — Glaube mit Werken. Wie immer die Verschränkung von Glauben und Werken nach Jakobus zu denken ist (s. u. den Exkurs nach 2,24), in diesem Exkurs, in dem das Glaubensverständnis des Jakobus skizziert werden soll, wird auch im Hinblick auf Kapitel 2 deutlich, daß es Jakobus einzig und allein um die
Opposition von taten-losem und tat-kräftigem Glauben, von werk-losem und wirk-mächtigem Glauben geht. Ein werkloser Nur-Glaube ist, da er wirkungslos ist, nicht nur antisolidarisch (vgl. 2,15 f.), er ist auch wirkungs los bei Gott, da ein solcher Glaube nicht zu retten vermag (2,14d; zum Verhältnis von Eschatologie und Ethik vgl. den Exkurs nach 1,12). Wie es Jakobus in der Anthropologie um den ungeteilten und ungespaltenen, um den ganzen und heilen Menschen geht, so geht es ihm auch bei der Betrachtung des anthropozentrischen Aspektes beim Glauben um das Ungeteiltsein, um die Einheit von Bekenntnisglaube und Werk-Glaube. Dort wo Jakobus den Glaubensakt betont, versteht er ihn ganz theozentrisch, wobei er diesen — und nur diesen! — mit dem Verbum »glauben« umschreibt (2,19a.b.23). Dagegen umschreibt Jakobus den anthropologi schen Aspekt mit der Wendung »Glauben haben« (2,1b.14b.18b). Um diesen anthropologisch orientierten Glaubensaspekt, bei dem (und nur bei dem) Werke Zeichen des Glaubens sein können (2,18d), geht es Jakobus in Kapitel 2. Die Verwirklichung des Glaubens in der Liebe und in solida rischer Ethik ist überhaupt Grundthema seines Briefes (s. u. den Exkurs nach 1,11: Die soziale Situation der Adressaten). Nach Jakobus bedingen Gottesliebe (vgl. 1,12c; 2,5d: »die ihn lieben«),und Nächstenliebe (2,8c: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«) einander, das eine kann ohne das andere nicht existieren. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Jakobus hat ein breites Spektrum bei den Begriffen »Glaube/glauben«; es reicht vom Bekenntnisglauben über den Vertrauensglauben zum Wunderglauben und Gebetsglauben bis hin zum werklosen Glauben und praktizierten Glauben. Die verschiedenen Aspekte ergänzen einander, auch wenn sich daraus keineswegs eine syste matische Konzeption ergibt. Dafür ist der Entwurf des Jakobus viel zu sehr eine adressatenorientierte, weisheitlich strukturierte lebendige Theologie. Mit diesen additiv zu verstehenden, verschiedenen Aspekten beim Glau bensbegriff steht Jakobus im übrigen ganz in der biblischen und frühjüdi schen Tradition. Dies betrifft nicht zuletzt auch die für ihn spezifische Betonung eines Glaubens, der sich in Werken als Zeichen für diesen Glauben bestätigen muß, wie es vor allem auch im Frühjudentum explizit geschah, was aber bereits in Gen 15,6; Hab 2,4 und Jes 28,16f. impliziert war, weil »Glaube« und »Gerechtigkeit« in Verschränkung verstanden wurden und »Glaube« daher »zur Zusammenfassung des rechten Verhal tens gegenüber Gott« im Sinne von »wandeln in Gottes Satzungen« ver standen wurde (Lührmann 37). An Traditionen für Jakobus sind hier vor allem das Buch Jesus Sirach (an Stellen s. u. bei 2,14-17) und das Buch der Weisheit (1,1-15; 3,1-14 u. a.; vgl. Keller) zu nennen. Glaube wird hier und dort verstanden als Zustimmung zur Tora, zum Gesetz Gottes, im Sinne der von Gott gesetz-ten Ordnung. Jesus Sirach geht sogar so weit, daß er an zwei Stellen die Wendung »dem Gesetz glauben« formulieren kann (32,24; 33,3; vgl. auch 4Esr 7,24; syrApkBar 54,5); dies ist eine Formulierung, die Jakobus aufgrund seines Gesetzes-Verständnisses nicht akzeptieren kann (s. u. den Exkurs 6 nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit«).
Betont man dieses von der Tora-Frömmigkeit entscheidend geprägte Glau bensverständnis, gilt es zugleich zu sehen, daß erst in diesen frühjüdischen Schriften »Glaube, glauben« verstärkt zur Umschreibung des Gottesver hältnisses eingeführt wird (vgl. Sir 2,6.8.10; 4,16; 11,21; Weish 16,26 u. a.; vgl. Barth 218), während die Begriffe in den früheren Schriften die Konno tationen »sich unbedingt verlassen auf, Beständigkeit gewinnen, einer Botschaft Glauben schenken« hatten. Wie in der jüngeren Weisheitslitera tur findet man auch im Jakobusbrief »Glaube, glauben« in beiden Bedeu tungen. Damit stellt sich aber auch die Frage nach dem Verhältnis beider Größen zueinander. Wenn Jakobus in Kapitel 2 so ausführlich darauf eingeht, wird dies auch mit der Situation seiner Adressaten zu tun gehabt haben, ohne daß man sie sofort zu hellenistischen Antinomisten oder Libertinisten machen muß (so G.Barth, Das Gesetzesverständnis des Evan gelisten Matthäus, in: G. Bornkamm u. a., Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, Neukirchen 1970, 54-154, ebd. 150 f., der aber ein vulgäres Glaubensverständnis und eine »theoretische Überzeugung« mit dem Begriff »Glauben« verbindet; differenzierter Ders., pistis 229f., wo Barth allerdings für Paulus und Jakobus von einer Entgegensetzung von Glaube und Werk ausgeht, die bei Jakobus nicht vorliegt). Wie immer man die Defizienz des Glaubensverständnisses bei den Adressaten des Jakobus umschreibt, Kapitel 2 macht deutlich, daß hier ein wirkliches Problem der Adressaten nach Ansicht des Jakobus lag. Dies hat er mit dem Evangelisten Matthäus sowie mit dem Verfasser von 1-3 Joh gemeinsam, aber auch mit einigen Stellen aus den Briefen des Paulus. Da dies den Aspekt der Rechtfertigung mit einbezieht, sei auf den Exkurs 8 nach 2,24 verwiesen. An dieser Stelle bleibt festzuhalten, daß Jakobus mit seinen verschiedenen Aspekten im Glaubensbegriff außerordentlich stark von der frühjüdischen Weisheitsliteratur und hier wiederum vor allem von Jesus Sirach (s. o. zu 1,2-4 in Rezeption von Sir 2,1-6) bestimmt wird, im christologischen Inhalt (vgl. 1,1 und 2,1) und in der ekklesiologischen Praxis (vgl. 5,13-20) jedoch vom frühen Christentum. Hinsichtlich der gleichzeitigen Nähe zum frühen Judentum und frühen Christentum ist sein nächster Verwandter im N T der Verfasser des Hebräerbriefes; dies betrifft auch die strukturelle Parallelität beim Begriff »Glauben« (zum Verständnis im Hebr vgl. Söding, Zuver sicht). Auch wenn dort nur im Zusammenhang der Mahnungen vom Glauben die Rede ist, ist Glaube keineswegs nur ein ethischer Begriff, vielmehr wird von ihm nur im Kontext der Christologie gesprochen. »Christologie und Paraklese sind nach der Intention des Verfassers auf das engste miteinander verbunden. Der Christologie fällt eine parakletische Funktion zu; die Paraklese wächst aus der Christologie« (219). Auch wenn Jakobus in ähnlicher Weise wie der Verfasser des Hebräerbriefes nicht den christologisch-soteriologischen Glaubensbegriff etwa des Johannes und Paulus (beim letzteren noch einmal rückgebunden an die Rechtfertigung durch das Kreuz in Antithese zum Heilsweg durch die Tora) vertritt, bestätigt auch er damit nur, daß die urchristlichen Theologen keineswegs einen einheitlichen Glaubensbegriff entwerfen (so mit Recht auch Lühr6
mann 83). Jeder hat es mit konkreten Problemen seiner Adressaten zu tun, was für den Verfasser des Hebräerbriefes nicht weniger gilt als für Paulus und Jakobus. Die Zugespitztheit der Auseinandersetzung des Jakobus über den Glauben ohne Werke und über den Glauben mit Werken in 2,14-26 dürfte motiviert sein durch die Situation seiner Adressaten, wobei der paulinische Gegensatz zwischen »Glauben« und »Werke« gänzlich fern liegt. Zudem bleibt zu beachten, daß alle Aussagen zum werk-tätigen Glauben unter der Überschrift in 1,1 und 2,1 stehen; sie sind hingeordnet auf den theo-logischen und christologischen Glaubensinhalt, sie sind gleichsam die Außenseite dieses Glaubens, sein ekklesialer und gesellschaft licher Aspekt. Hier sah Jakobus die spezifischen Probleme seiner Adressa ten. Gerade im ökumenischen Gespräch sollte die unterschiedliche Gesprächssituation hier und dort beachtet werden, was die spezifische Glaubensgeschichte und Glaubensüberzeugung der Verfasser ebenso ein schließt wie die Probleme der Adressaten. Läßt man die christologischen Akzente als Basis im Glaubensbegriff des Jakobus beiseite, könnte Jakobus beim Gespräch in der größeren Ökumene zwischen Juden und Christen hinsichtlich des Glaubensverständnisses eine gemeinsame Grundlage sein. Aber auch für evangelische und katholische Christen kann der Jakobusbrief die gleiche Funktion haben, überwindet man konfessionell verengte Vor verständnisse (auf beiden Seiten).
2. Die zweite Prüfung/Versuchung: Mangel an Glauben (1,6b-8) Literatur: S. o. zu l,5-6a. Außerdem: Amstutz, ]., H A P L O T E S , Bonn 1968. — Bartelink, G.J. M., Lexicologisch-semantische Studie over de taal van de Apostolische Vaders, Utrecht 1972. - Büchsei, F., diakrino, in: T h W N T 3(1938 = 1957) 948-951. - Fiuggi, U. da, II cuore diviso. Studio esegetico su Gc. 1,8; 4,8, masch. schriftl. Diss. Rom 1966/67. - Hoff mann, P., Jesu »Verbot des Sorgens« und seine Nachgeschichte in der synoptischen Überlieferung, in: Jesu Rede von Gott und ihre Nachge schichte im frühen Christentum. FS W.Marxsen, Gütersloh 1989, 116-141, ebd. 135-137 zur Euthymie in der antiken Literatur. - Marshall, S. S., Dipsychos: A local term? in: Studia Evangelica VI, Berlin 1973, 348-351. — Pohlenz, Stoa. — Porter, S. E., Is dipsychos (James 1,8; 4,8) a »Chri stian« Word?, in: Bibl 71(1990) 469-498. - Schille, Wider die Gespaltenheit des Glaubens. — Seitz, O.J. F., Antecedents and Signification of the Term DIPSYCHOS, in: J B L 66(1947) 211-219. - Ders., Afterthoughts on the Term »DIPSYCHOS«, in: NTS 4(1957/58) 327-334. - Ders., Relationship of the Shepherd of Hermas to the Epistle of James, in: J B L 63(1944) D I -
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6-8: In 6b wird das Subjekt neu genannt, während 6a (er bitte) Subjekt und Verbum von 5b (er bitte) aufnimmt und weiterführt. Auch die Partikel »aber« in 6a ist in ihrer rückverweisenden Funktion zu sehen, so daß literarkritisch zwischen 6a und 6b ein Einschnitt zu machen ist (im übrigen s. o. die formkritischen Hinweise). Die Art der Stichwortverbindung (positive Wendung einer vorhergehenden negativen Formulierung) entspricht der Abfolge von 4c zu 5a. Steht in 5a-6a das Thema »Mangel an Weisheit« an, so in 6b-8 das Thema »Zweifel = Mangel an Glau ben«. Jakobus versteht den Zweifel als eine weitere exemplarische, konkrete Versuchung seiner Adressaten, auf die sie aufgrund viel facher Erfahrungen zurückblicken können (2b). Die glänzend geformten, thematisch voranschreitenden Sentenzen (s. o. die Formkritik) formulieren in Vers 7 die zu Vers 5b-d stehende Kontrasterfahrung und runden in Vers 8 die in Vers 6b.c metapho risch umschriebene Situation des Zweiflers in anthropologischen Kategorien ab. 6b.8a: Traditionsgeschichtlich bleibt Jakobus wie in den vorherge henden Versen ganz im vorgegebenen Denkhorizont der helleni stisch-jüdischen Anthropologie. Auch wenn dort das Verbum diakrino im Medium in der in den neutestamentlichen Schriften belegten Bedeutung Bedenken tragen, zweifeln nicht belegt ist, fehlt die damit gemeinte Sache keineswegs. Von Zweifel, Zwiespalt (zu letzterem s. u. Vers 8) ist z. B . in der Gebetsliteratur (vgl. Amstutz 88-91) bei Interpretationen zu Dtn 6,4, dem Sch ma, dem zweimal täglich zu rezitierenden Glaubensbekenntnis, die Rede. So interpretiert Sifre zu Dtn 6,5 (aus der Schule Rabbi Aquibas, 50135 n. Chr.) die Wendung »Gott lieben aus deinem ganzen Her zen« mit »daß dein Herz nicht zwiespältig sei gegen Gott«. Dies bestätigt eine Haggadah, wonach Jakob auf dem Totenbett zu seinen Söhnen spricht: »Vielleicht habt ihr in euren Herzen Zwie spältigkeit gegen den, der sprach: Und die Welt ward«, was von den Söhnen verneint wird (Sifre zu Dtn 6,4). Im Hinblick auf die Begierden in Jak 1,14 f. ist als weitere alte Interpretation der Wendung »mit deinem ganzen Herzen« Sifre zu Dtn 6,5 zu notieren, da der Begriff dort identifiziert wird mit »deinen beiden Trieben, dem guten Trieb und dem bösen Trieb« (vgl. auch Berakoth 9,5). »Danach gefährdet der durch den bösen Trieb entstan dene innere Zwiespalt die ganzheitliche Ausrichtung des Menschen auf Gott. Der Israelit, der das Sch ma zitiert sucht die gefor derte Einheit/Ganzheit wiederherzustellen« (Amstutz 90). Dieser Befund wird durch die syrische Baruch-Apokalypse (ca. 90 e
e
n.Chr.) bestätigt. In 48,26 heißt es: »Einfach hast du, Baruch, gebetet und (daher) sind alle deine Worte (von Gott) vernommen worden.« (Zur »Einfachheit« im Gebet der Alten Kirche vgl. die Belege bei Amstutz 124f.). Auch von den Priestern wird diese ungeteilte Haltung vor Gott gefordert. So formuliert Rabbi Eliezer b. Jakob (entweder um 70 oder um 150 n. Chr.) zu Dtn 26,16: »Die Schrift will die Priester warnen, daß sie nicht, wenn sie den Priesterdienst verrichten, zwei Herzen haben: eins vor Gott u. eins für etwas anderes« (Billerbeck III 751). In Tanchuma, einem homiletischen Midrasch zu Dtn 26,16, wird diese Deutung auf alle Beter übertragen: »Wenn ihr vor Gott betet, sollt ihr es nicht mit zwei Herzen tun: eines auf Gott und eines auf etwas anderes gerichtet« (weitere Belege bei Amstutz 86f.). Die hier sichtbar werdende frühjüdische Anthropologie — mag man über das Alter der einzelnen Stellen streiten — wird von Philo in Aufnahme und Uminterpretierung stoischer Gedanken bestätigt (Pohlenz 118f.l41-158; Amstutz 55f.). So ist nach Migr 152f. die Seele des Bösen — obwohl numerisch eine einzige — gemischt und zusammengesetzt, da in ihr viele Meinungen sich gegenseitig bekämpfen; dadurch wird die Seele in eine Vielheit zersplittert. Diese Sicht bestätigt Plant 111: Im Gegensatz zur Ganzheit/Einheit steht u. a. das Zwiespältige, Schwankende, Zu-allem-Fähige, Viel farbige, Wechselnde. »Der Passus entwirft, wenn anders der Wort reichtum einen Sinn haben soll, geradezu eine Phänomenologie der Zwiespältigkeit bzw. umgekehrt der Einheit« (Amstutz 56). Auch Sokrates hat nach Xenophon Mem 1,3,2 »vorbehaltlos« (haplos) um das für ihn Gute gebetet, seine Verwirklichung aber den Göttern überlassen. Marc Aurel verweist in 5,7,2 auf die Athener, die haplos beteten. Im Kontext von »zwiespältig und unbeständig« in 1,8 ist dies wie in 4,1-6 die vorgegebene Tradition auch für das »einfache Gebet ohne jeden Zweifel« in 6a.b. Von diesen anthropologischen Vorausset zungen her ist der Zweifler demnach (entsprechend den Grundbe deutungen des Wortes; s. o.) ein Mensch, der im Widerstreit mit sich selbst lebt (so Bauer — Aland 370f.), der dadurch die Einheit seiner Seele zerstört, negative Affekte stark werden läßt und - auf den Glauben und das Gebet übertragen — daher zwiespältig glaubt und mit geteiltem Herzen betet. Der zwei-felnde Mensch ist wirklich zweigeteilt, geteilten Sinnes, was auch im Lateinischen und Griechischen etymologisch angedeutet wird: dubitare — duo und distazein — dis (Kluge, F., Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 1967, 897). Die Radikalisierung gegen20
über dem kleingläubigen Gebet (vgl. Sir 7,10: »Sei nicht kleinmütig/oligopsycheses beim Gebet!«) ist deutlich feststellbar, auch die Distanz zu Ijobs kämpferischer, ganzheitlicher Haltung Gott gegenüber (s. u. 5,11). Eine ganzheitliche, integre Haltung ist nach Jakobus nicht nur beim Tun (4b), sondern auch beim Gebet (6a.b) gefordert! 6b.c: Auch bei den Naturmetaphern bleibt Jakobus traditionsge schichtlich weiterhin ganz im vorgegebenen Denkhorizont der hellenistisch-jüdischen Anthropologie. Auch dort wird die Hal tung des Zweiflers u. a. mit den von Jakobus benutzten Bildern metaphorisch illustriert. So vergleicht Philo in Gig 51 den Kampf im Innern des Menschen mit dem stürmischen Meer und in Migr 148 den Zweifler mit dem umstürmten Schiff (vgl. auch Sacr 90). Im Bild des tumultuarischen Hin und Her eines Krieges sieht Philo die seelische Zerrissenheit des Menschen in Ebr 76. Der Vergleich des Menschen mit einer Meereswoge, die umhergetrieben wird, ist auch im Fragment 2 von Epiktet, einem stoischen Philosophen (55135 n. Chr.), belegt (H. Schenkl, 487). Im übrigen wird vor allem das Volk wegen seiner Unbeständigkeit mit Wellen und Meer verglichen (vgl. Demostenes O r 19, 136; Dio Chrysost O r 32,23; zum Text der Stellen vgl. Dibelius 70 f. Anm. 3; vgl. außerdem Jos Ant 9, 239; O r Sib 1, 289). Im N T charakterisiert das Bild die unmündigen Christen (Eph 4,14). Aus der Weisheitsliteratur ist auf Sir 33,1 f. hinzuweisen: 1 Dem, der den Herrn fürchtet, wird kein Übel zustoßen, sondern: In der Prüfung/Versuchung wird er (der Herr) ihn auch erretten. 2 Ein weiser Mann verabscheut das Gesetz nicht; aber wer dabei heuchelt, ist wie ein Schiff im Sturmwind. Noch stärker verwandt mit Jak 1,6c ist Sir 29,17: Bürgschaft hat viele Wohlhabende zugrundegerichtet und hat sie hin- und hergeworfen wie eine Meereswoge (kyma). Auch nach Jes 57,20 »werden die Ungerechten von den Wogen hin- und hergeworfen und können nicht zur Ruhe kommen«. Die breitgestreuten Belege zeigen die Konstanz der Metapher. In dieser Bildwelt steht Jakobus, wobei auffällig ist, daß die Verben in 6c nur hier im N T belegt sind. Das erste Verbum anemizesthai:vom
Wind bewegt/gepeitscht werden kommt sogar erstmalig bei Jako bus überhaupt vor und dürfte daher auf ihn zurückgehen (mit Mayor 41). Jakobus dürfte aus rhythmischen Gründen (zum Homoioteleuton anhemizomeno und ripizomeno s. o. zur Form kritik) das klassisch belegte anemoo (in Anlehnung an das hin- und herwogende Meer?) dem zweiten Verbum angeglichen haben. Schöpferische Sprachkraft zeigt sich hier! 7a.b ist eine negative Wiederholung von Vers 5 mit kleinen, beachtenswerten Änderungen: Statt »beten im Glauben« heißt es hier lediglich »meinen«, da der Zweifler nach Jakobus keinen Glauben hat. Statt »Gott« steht als Variation »Herr«/Kyrios, dem Kontext gemäß wird indirekt von »jenem Menschen« (vielleicht etwas abwertend) statt direkt von »einer von euch« gesprochen (eine neue Variation ist die Wendung »ein Mann« in Vers 8). Ein Zweifler wird nicht nur nicht Weisheit von Gott erhalten, nicht einmal »irgendetwas« wird er empfangen! Die Tendenz zur Verall gemeinerung ist deutlich spürbar (zur Sprachform der themati schen Progression s. o. zu 1,2-4). Nicht allein rhetorische Gründe dürften für die Veränderungen maßgebend gewesen sein, sondern auch sachlich-theologische. Jakobus geht es um grundsätzliche anthropologische und theologische Aussagen. Der Zweifler ist wirklich gott-los, und weil er Gott los ist (oder jedenfalls meint, es zu sein), empfängt er auch nichts als Gabe Gottes (vgl. den gleichen Gedanken in 4,3f., wo diese zweifelnde Haltung als Feindschaft gegen Gott gedeutet wird). 8a: Auch Vers 8 ist eine allgemeingültige Sentenz, die ihre Logik den gewählten neuen Bildern verdankt. Der zweifelnde Christ ist zwiespältig/ein Mensch mit zwei Seelen: dipsychos und er ist unbeständig/ruhelos/wankelmütig: akatastatos. Formale Knappheit ist gepaart mit metaphorischer Prägnanz und Schönheit, die Bilder sind für jeden Leser einleuchtend (auch ohne Kenntnis der traditionsgeschichtlichen Vorgaben). Zur Verdeutlichung der Lebenswelt des Jakobus seien jedoch über das bereits oben im Kontext von 6a Gesagte hinaus noch weitere Beobachtungen notiert, zumal dipsychos im N T nur zweimal im Jak (1,8; 4,8) vorkommt und auch akatastatos sich im N T nur im Jak (1,8; 3,8), noch vermehrt um das Substantiv in 3,16 findet. Für dipsychos als treffende Charakterisierung für den inneren Zwie spalt des Zweiflers kommt hinzu, daß der griechische Begriff vor Jakobus bislang nicht nachgewiesen wurde (die Uberschrift über ein Philo-Fragment wird übereinstimmend als christliche Interpo lation gedeutet: Seitz, Antecedents 218f.; Marshall 348 Anm. 1).
Der Sache nach hat jedoch der Begriff dipsychos/zwiespältig nicht nur bei Philo (s. o. zu 6a und Amstutz 55 f.) eine Vorgeschichte, sondern auch im AT und in Qumran. Er steht jeweils in Verbin dung mit der Frage nach der Ganzheit/Vorbehaltlosigkeit von Menschen (vgl. die Überblicke bei Amstutz 18-41.91-96). Hinzu weisen ist sachlich auf Dtn 6,5; 18,13 (vollkommen/teleios sollst du vor deinem Gott sein); 29,17. Im Zusammenhang der Frage des semantischen Netzes und der tatsächlich von Jakobus aus Sir 2,1-6 rezipierten Traditionen im Exordium und der Aufnahme tragender theologischer Begriffe aus Sir 2,1-18 ist im Hinblick auf den Begriff dipsychos/zwiespältig in 8a vor allem auf parallele Wendungen aus dem Buch Jesus Sirach hinzuweisen. Näherhin sind zu notieren: »Sei nicht heuchlerisch in der Furcht des Herrn, und nahe dich ihr nicht mit geteiltem Herzen/kardia disse« (1,28; vgl. 2,13). Der »zwiespältige Mann, unbeständig auf all seinen Wegen« in Jak 1,8 erinnert vor allem an die zum erstenmal im Judentum belegte Wendung in Sir 2,12 von den zwei Wegen: »Wehe den furchtsamen Herzen und den schlaf fen Händen und dem Sünder, der auf zwei Wegen gleichzeitig wandelt!« Bezüglich der Wortbildung mit zwei-/dis- ist auf das 4mal belegte doppelzüngig/diglossos in Sir 5,9.14; 6,1 und 28,13 hinzuweisen. Mit solchen Vorstellungen von der Einfalt steht Jesus Sirach in einer breiten Tradition, wie Weish 1,1 f. (»in Einfalt des Herzens sucht den Herrn«), Hos 10,2 (»sie spalteten ihr Herz«), Ps 11,3 (»einer belügt den anderen, mit glatter Zunge lobt man einander, aber im Herzen spielt jeder ein doppeltes Spiel«) sowie Ps 77,37; 100, 2.4; Ez 14,3-5 belegen. Auch der Gedanke der Aufgespaltenheit des Menschen findet sich bei Parmenides 6,5 (doppel köpfig/dikranoi) sowie in den Testamenten der Zwölf Patriarchen; hier ist besonders auf das Testament Assers hinzuweisen, dessen Thema der »zwiegesichtige/diprosopon Mensch« ist, ebenso auf das Testament Benjamins, das vom »doppelten/gespaltenen/ diplous Menschen« handelt (vgl. auch die Hinweise bei Edlund 62-64). Eine Vorstufe hat der Begriff dipsychos auch in Qumran. Nach 1 Q H IV, 14 »suchen sie dich mit doppeltem Herzen«. Der Begriff »Einfältige« mit dem jeweiligen Kontext findet sich u. a. in 1 Q H 11,9; 1 QpHab XII,4. Verbindungen zu Jak sieht Wolverton zwi schen Jak 1,6.8 - 1 Q H VII,2-5; Jak 4,1-3 - 1 QS V,4.5; Jak 4,6-8 - 1 QS 111,8; X,21.24; 1 Q H VII,2-5, kommt jedoch über die Feststellung von mehr oder weniger sachlich Verwandtem nicht hinaus. So ist in 1 Q H VII,2-5 lediglich die Rede davon, daß das
Herz des Sprechers »entsetzt ist vom Planen der Bosheit«, daß seine Glieder an ihm hängen »wie ein Schiff im wilden Sturm« und ein »Wirbelwind« ihn verschlingen will. Sachlich näher liegen die Appelle, »mit ganzem Herzen und ganzer Seele umzukehren« (1 QS VIII,8f.; Dam X V , 9 f . l 2 ; 1 Q H XVI,17), die jeweils die Erfahrung der Gespaltenheit voraussetzen, ohne sie direkt zu nennen (vgl. auch 1 Q H X V I , 7 : »dir mit ganzem Herzen zu dienen«; ähnlich in 1 Q H XIV,26; X V , 10). Eine »essenische Bildung« (wie Mußner 71 sie annimmt) legt sich aufgrund dieser Stellen nicht nahe; dafür ist die Vorstellung von der haplotes:Einfachheit/Einheit und der entsprechenden Oppositionsbegriffe im gesamten Griechentum und Judentum zu sehr verbreitet. Dennoch gebührt Jakobus die Ehre, in Anlehnung an ähnliche Begriffe die breit belegte menschliche Erfahrung seiner Gespaltenheit auch begrifflich auf den Punkt gebracht zu haben. Seiner sprachschöpfe rischen Kraft ist es zu verdanken, daß es seither den Begriff dipsychos/gespalten zur Kennzeichnung einer elementaren Grund befindlichkeit des Menschen gibt. Eine außerordentlich breite Nach-, Parallel- und möglicherweise auch Vorgeschichte (falls ältere Traditionen nachgewiesen werden könnten) hat die Thematik »Einfachheit/Gespaltensein« (auch mit dem Begriff dipsychos) in der nachapostolischen Literatur (zu einem Uberblick vgl. Amstutz 116-117). Zu nennen sind hier neben der Hymnendichtung (OdSal 7,3; 34,1-3) 1 Klem (ca. 96 n.Chr.) 23,2: Umkehr zu Gott »in Einfalt ohne daß wir zwiespältig sind« (siehe auch 11,2 zu Lots Frau), 2 Klem (ca. 150) 11,2.5; 19,2 und vor allem der Hirt des Hermas (ca. 130-150), der in Mand II über Einfachheit/Einfalt/Lauterkeit, in I X über Zweifel/Zwiespäl tigkeit sowie in X I I , 1-3 über verschiedene Arten der Begierden reflektiert. Diese Verwandtschaften sind unbestritten. Es können in der Tat »einzelnen Mahnungen des Jak ausführliche zusammen hängende Erörterungen im >Hirten< an die Seite gestellt werden, die wie ein Kommentar zu jenen wirken ... Hermas Mand. I X ist die beste Erklärung zu Jak 1,5-8, die sich denken läßt« (Dibelius 49). Der Begriff »dipsychos igespalten« und Derivate sind bei Hermas über 50mal belegt. Sachlich verwandt ist auch die Zwei-WegeLehre in Herrn Mand 1,1 f.; 11,1 u. a. (Amstutz 147f.). Dieses Bild findet sich außerdem in Did 4,4 und Barn 19,5 in Verbindung jeweils mit dem Verb »zwiespältig sein« (zum Alter und Vorstufen der Zwei-Wege-Lehre im A T vgl. W. Michaelis: T h W N T 5, 1954, 53-65; zur Verwendung in der urchristlichen Literatur ebd. 7177.98-101).
So unbestritten die Verwandtschaft zwischen Jak und Herrn ist, so umstritten ist ihre Erklärung. Nahm man früher (je nach Datierung der beiden Schriften) in der Regel eine Abhängigkeit des Hirten vom Jak an, plädiert man heute eher für Unabhängigkeit voneinan der und für gemeinsame hellenistisch-jüdische, paränetische Vorla gen (vgl. den Überblick vor allem bei Mayor L X X I V - L X X V I I I sowie Mußner 37f.). Vor allem von Seitz wurden diese aufgrund der Zitation von unbekannten Schriften in 1 Klem 23,3f.; 2 Klem 11,2ff. und Herrn Mand X I , l f f . (analog zu Jak 4,5: »die Schrift sagt« mit einem anschließenden apokryphen Schriftwort; s. u.) in Anlehnung an Sputa mit der in Herrn Vis 11,3,4 zitierten, apokry phen vorchristlich-jüdischen Schrift Eldad und Modad identifi ziert. In diesem Fall wäre der Begriff »dipsychos :gespalten« schon von Jakobus übernommen worden (Seitz, Afterthoughts 3 3 1 ; so auch E. Schweizer: T h W N T 9, 1973, 666). Aber auch Seitz kommt über Vermutungen (zu Spitta vgl. Dibelius 266 Anm. 2) nicht hinaus. Dies betrifft auch den Versuch von Marshall, alle Traditio nen (auch Jak!) in Rom zu lokalisieren. Auffällig bleibt immerhin (auch im Hinblick auf die Begriffe »wehklagen:talaiporeo« in Jak 4,9 und »Klage:talaiporia« in Jak 5,1 in Verbindung mit »gespal ten :dipsychoi« in 4,8), daß die Verbindung von dipsychos und talaiporos auch in Herrn Sim 1,3 und Vis 111,3; 7,1 belegt ist (Marshall 350). In seiner Konkordanz zu den Apostolischen Vätern notiert H. Kraft, noch die folgenden Stellen: Herrn Vis 111,7 mit der Verbindung des Substantivs »Gespaltenheit :dipsychia« und des Verbums »wehklagen :talaiporeo«. In Sim VI, 1.2 ist die Verbin dung beider Verben belegt, wobei dipsycheo 2mal vorkommt. Außerdem verweist Kraft auf die Verbindungen der Begriffe in 1 Klem 23,3 und 2 Klem 11,1. Mayor notiert zu Recht ( L X X I V ) , daß der Hirt des Hermas »reich ist an Bezügen« zum Jak. Im übrigen kommt das Verb »wehklagen« ziemlich häufig in der prophetischen Literatur vor, vor allem aber ist die Identität der »Schrift« an den oben genannten Stellen mit Eldad und Modad nirgends gesichert und außerdem das Alter der »Schrift« an der jeweiligen Stelle völlig ungesichert (auch wenn nachweislich Tradi tionen vorliegen). Über Vermutungen gelangt man nicht hinaus, so daß der Begriff gespalten :dipsychos weiterhin (vgl. Mayor 42) auf Jakobus zurückgehen dürfte, der — was die Thematik betrifft — jedoch auf ein international breitbelegtes und auch bereits geprägtes semantisches Feld der anthropologischen und theo-logischen Thematik mit den Konstanten »Einfachheit — Gespalten heit« zurückgreifen konnte. Ihm gelang es jedoch, prägnante Bild-
haftigkeit mit der für Sentenzen notwendigen Kürze zu verbinden, um die innere Zerrissenheit des Menschen grundsätzlich zutreffend zu umschreiben (vgl. die Generalisierung in Vers 7). Während gesparten :dipsychos die innere Verfassung des Menschen umschreibt, zielt in 8a das zweite Adjektiv unbeständig:akatas tatos — das passive Bild von Vers 6b.c aktiv weiterführend — auf die äußeren Entsprechungen: Der Zweifler (6a.b) ist »ruhelos/ unbeständig/wankelmütig« und zwar überall und dauernd: »auf allen seinen Wegen«. Das Adjektiv ist im N T außer in Jak 1,8 nur noch in Jak 3,8 belegt, während das Substantiv außer in Jak 3,16 noch viermal in der Bedeutung »Verwirrung/Unordnung/Auf stand« vorkommt. In der L X X findet sich das Adjektiv nur in Jes 54,11. Dort heißt es auf Jerusalem bezogen: »Du Niedriggestellte (tapeine; vgl. Jak 1,9: tapeinos), Unruhige/Unbeständige (akatas tatos), ohne Trost«. Wie die Stellen Gen 4,12; Klgl 4,14 und Hos 8,6 in der Ubersetzung des Symmachus (2. Jh. n. Chr.) sowie Plut Def 50; Herrn Mand 2,3 u. a. (vgl. Mayor 44) zeigen, kommt der Begriff in der jüngeren, jüdisch-hellenistischen Literatur häufiger vor. In Verbindung mit der in der Septuaginta stereotypen Wen dung »auf deinen/seinen Wegen«, aber auch in der durchaus bekannten Wendung »auf allen seinen/deinen Wegen« (Ps 90,11; 144,17; Jer 16,17) meint das Adjektiv — in Ergänzung zu zwiespältig/dipsychos — den Zweifler, der bei allem, was er tut und unternimmt, unbeständig, wankelmütig und ruhelos ist. Ihm fehlt die Ganzheit/Geradheit/Integrität eines »vollkommenen« und »ganzen« (1,4) Menschen. Was die »Zwiespältigkeit des Herzens« impliziert, wird im Zögern und in der Unentschlossenheit des Handelns deutlich — im Gegensatz zum »vorbehaltlosen« (1,5c) Handeln Gottes. Gott gibt »allen« gleich, der Zweifler jedoch ist — antithetisch dazu — »auf allen Wegen/in allem« anders. Ihm fehlt die psychische Integrität ebenso wie die ganzheitliche Ausrichtung (im Gebet: 6a) auf Gott. Jakobus plädiert für eine umfassende Einheit/Ganzheit, die jedoch nicht machbar, sondern - unphilo sophisch, aber gut biblisch — von Gott zu erbeten ist. Die Erfah rung fehlender Integrität sollen die Adressaten als willkommene Erprobung/Versuchung ansehen (1,2), damit ihr Glaube (im Gegensatz zur Unruhe des Zweiflers) Standfestigkeit bekommt (1,3b) und in vollkommener und ganzheitlicher Praxis konkret wird (l,4a.b). Die Kohärenz des jakobeischen Denkens überzeugt, wie auch das letzte Beispiel eines für die Adressaten typischen »Prüfungsmittels des Glaubens« (1,3) in 1,9-11 zeigen kann. Auch bei dem Übergang von 8b zu 9 bestätigt sich: Mag der Text
auch aufgrund seiner scheinbaren Sprunghaftigkeit und harten Übergänge auf den ersten Blick literarkritische oder traditionskritische Operationen nahelegen, so stellt man nicht nur unter formkritischen Aspekten (s. o.), sondern auch bei näherer thematischer Betrachtung eine merkwürdige Verwobenheit verschiedener Fäden (textum = Text/Gewebe) und Aspekte fest. Dies wird in der traditionsgeschichtlichen bzw. intertextuellen Fragerichtung durch die in der Formkritik feststellbaren semantischen Felder bestätigt. Hier erweist die traditionsgeschichtliche Rückfrage ihre unaufgebbar notwendige Funktion für eine (unter der Perspektive des Lesers) in der Regel vorherrschende synchrone Betrachtungsweise des Jak. Die in der Formkritik festgestellte übergreifende Einheitlichkeit des Prologes wird literarisch und inhaltlich-theologisch diachron bestätigt. Dies betrifft auch das Thema der Verse 1,9-11.
3. Die dritte Prüfung/Versuchung: Mangel an der richtigen Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen (1,9-11) Literatur: S. u. nach 1,11 die Literatur zum Exkurs 2: Die soziale Situation der Adressaten. Außerdem: Bottim, G. C , Giacomo 1,9-11: Minaccia o Parenesi?, in: LA 34(1984) 191-206. — Gemünden von, Vegetationsmetaphorik. - Giesen, H., tapeinos niedrig, gering, unbedeutend; demütig, in: E W N T 3(1983) 798-799. - Keck, L. £ . , The Poor among the Saints in the New Testament, in: Z N W 56(1965) 100-129. - Ders., The Poor among the Saints in Jewish Christianity and Qumran, in: Z N W 57(1966) 54-78.
— Leivestad, R., Tapeinos — tapeinophron, in: N T 8(1966) 36-47. — Lichtenberger, H., Studien zum Menschenbild in Texten der Qumrangemeinde, Göttingen 1980. - Merklein, H., ptochos arm, in: E W N T 3(1983) 466472. - Rehrl, S., Das Problem der Demut in der profan-griechischen Literatur im Vergleich zur Septuaginta und Neuen Testament, Münster 1961. - Völker, W., Fortschritt und Vollendung bei Philo von Alexandrien. Eine Studie zur Geschichte der Frömmigkeit, Berlin 1938. — Wengst, K., Demut — Solidarität der Gedemütigten. Wandlungen eines Begriffes und seines sozialen Bezugs in griechisch-römischer, alttestamentlich-jüdischer und urchristlicher Tradition, München 1987, bes. 79-83.
Die traditionsgeschichtlichen Vorgaben für die Verse 9-11 sind unumstritten; dies gilt sowohl für das verarbeitete Zitat aus Jes 40,6f. in Vers lOb.lla.b wie für den Kontrast von Armen und Reichen, deren Verhältnis zueinander hier noch nicht näher bestimmt wird. Dies ist eine der Unbestimmtheitsstellen im Pro-
log, die im Verlauf des Briefes amplifiziert werden (zur Begrün dung vgl. oben den Exkurs 1,2-18 als Prolog/Exordium). Auch wenn dem Prolog gemäß die Gedanken lediglich anklingen, bleibt hier schon auffällig, daß Jakobus dem niedriggestellten Bruder lediglich eine Zeile (9), dem reichen Bruder hingegen sechs Zeilen widmet. Schon in der Quantität deutet sich an, wo Jakobus die größten Probleme sieht und wer daher der Hauptadressat sein dürfte (zum Fehlverhalten der Armen vgl. 2,2-4, zum Fehlverhal ten der Reichen vgl. 2,5-7.15-16; 4,13-17; 5,1-6). Zur antithetischen Sentenz in 9.10a ist im Vorgriff auf den ganzen Jak (vgl. im übrigen den Exkurs nach 1,11: Die soziale Situation der Adressaten) hier soviel festzuhalten, daß die grammatisch syntaktisch nächstliegende Beziehung des Christen als Bruder auf den Armen und den Reichen festzuhalten ist. Der im Griechischen wiederholte Artikel bestätigt dies: der Bruder, der niedriggestellte der hochgestellte ... . Auch das Fehlen des Verbums in 10a verstärkt dieses Verständnis; es muß eindeutig aus dem vorherge henden Vers mitgedacht werden. Um das angemessene Verhältnis reicher und armer Christen zueinander geht es Jakobus im ganzen Brief, auch wenn dies in 1,9 f. noch offen bleibt, da es hier zunächst um das richtige Selbstbewußtsein der armen wie der reichen Chri sten geht. Leerstellen dieser Art im Exordium haben (s. o. zur Formkritik) stark kataphorischen, vorausweisenden Charakter. Folgende Fragen bleiben hier noch unbeantwortet: Haben Reiche und Arme in der Gemeinde etwas miteinander zu tun? Kann der Arme sich als Christ aufgrund seiner vorgegebenen sozialen Situa tion oder nur im angemessenen Verhältnis zum Reichen (und umgekehrt) ekklesiologisch richtig verstehen? Nicht erst der ganze Jak, auch 1,9 f. gibt bereits eine erste Antwort auf diese Fragen (s. u.). Jakobus benennt hier kurz ein gestörtes christliches Selbst bewußtsein beim niedriggestellten/armen Christen, das er ausführ licher in 2,1-13 thematisiert. Analoges geschieht im Hinblick auf den reichen Christen in 4,1317 und 5,1-6, besonders anknüpfend an 1,10-11. Sind die Reichen Mörder (5,6), alle Christen sind es nicht minder (4,2). Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Mörder (zu Sir 34,26: »Es mordet den Nächsten, wer ihm den Unterhalt wegnimmt« und zu weiteren traditionsgeschichtlichen Vorlagen s. u. zu 4,2 und 5,6; vgl. auch das verschärfte Jesus-Wort in Mt 5,21-22, das Zürnen und Herab setzung des Bruders dem Mord gleichsetzt). Jakobus geht es nicht um ein beziehungsloses Nebeneinander, dies zeigen die ethischen Appelle an den genannten Stellen. Gefordert wird immer die Kor-
rektur eines Vorurteils, einer falschen Beziehung zu sich selbst (vgl. 1,10 f.), dann aber auch zum jeweils anderen (vgl. das Brief korpus). Dies gilt nicht nur von Seiten des Reichen zum Armen, sondern auch des Armen zum Reichen, was vielleicht erstaunen mag (vgl. zu 2,1-4). Diese Gegenseitigkeit wird im Verlauf des Briefes nicht nur inhaltlich, sondern auch formal-sprachlich im reziproken Pronomen einander deutlich (4,11; 5,9.16). Das rezi proke Pronomen ist theologisch ungemein qualifiziert gebraucht zur Bezeichnung des (geforderten) Verhaltens der Christen zuein ander unter Betonung der Gegenseitigkeit. Diese Gegenseitigkeit fordert auch der Begriff Bruder von den Adressaten sowohl an diesen (4,11 und 5,9) als auch an den übrigen Stellen (2,15; 5,7.10). Der Begriff »Bruder« signalisiert jeweils an ekklesiologisch-paränetisch wichtigen Stellen die Unbedingtheit der Gegenseitigkeit für die christliche Existenz. Dies gilt für 1,9 nicht in gleichem Maße, da hier zunächst nur für ein je eigenes Selbstverständnis des armen Christen und des reichen Christen plädiert wird. Von Gemeinschaft, von solidarischer Geschwister lichkeit ist hier noch nicht die Rede. Jakobus dürfte hier wie beim Mangel an Weisheit in l,5-6a und beim Mangel an Glauben in l,6b-8 ebenfalls beim festzustellenden Mangel an christlicher Soli darität bei seinen Adressaten anknüpfen, dessen Grund er in einer jeweiligen falschen Selbsteinschätzung sieht. Dem niedriggestellten und armen Mitchristen fehlt es am Selbstbewußtsein, von Gott in besonderer Weise erwählt zu sein (s u. 2,5), dem reichen Mitchri sten fehlt das Bewußtsein einer begrenzten menschlichen Autono mie hinsichtlich der Zeit (s. u. 4,13-17) und hinsichtlich des Reich tums (s. u. 5,1-6). Wieviel inhaltliche Einheit hat eine solche von Jakobus vorausgesetzte Gemeinde? Ist überhaupt eine Gemein schaft noch vorhanden? Dies bleibt in 1,9-11 ohne Zweifel sehr vage, so daß man — würde man die Verse isoliert interpretieren - aufgrund des Namens Bruder nur von einem sehr losen Gemeinde-Verständnis auszugehen hätte. Dagegen spricht jedoch nicht nur der gesamte Brief, da es gerade das Aktionsziel des Jakobus ist, die Adressaten zu solidarischer Ethik zu führen, dagegen sprechen auch bereits die Anrede meine Brüder in 1,2a sowie die rhetorische Funktion der drei Fall-Beispiele in 1,5-11 und ihre Funktion für den Brief. Aber auch in 1,9-11 bleibt festzuhalten, daß Jakobus beide Gruppen mit dem Namen Bruder bezeichnet. Bereits dies ist ein Programm. Die Gemeinschaft zwischen niedriggestellten/armen und reichen Christen wird also vorausgesetzt, auch wenn sie im Sinne des
Jakobus nicht in Ordnung, d. h. nicht gemäß der Ordnung Gottes ist. Allein der Begriff »Bruder« in 1,9 zielt also schon auf die ekklesial-soziale Grundorientierung der armen und reichen Chri sten bei den Adressaten. Daß »Bruder« (im generischen Sinn: jeder Arme und Reiche ist gemeint!) identisch mit dem Christen ist, bestätigen 2,1 sowie die Anbindung der Anrede in 1,2 (»meine Brüder«) an die Selbstvorstellung des Verfassers (»Knecht des Herrn Jesus Christus«), der sich aufgrund der Anrede »meine Brüder« als Teil der Gemeinde versteht. Im übrigen war in allen Gemeinden des N T »Bruder/Schwester« (vgl. Jak 2,15) als Anrede verbreitet; Belege erübrigen sich (vgl. /. Beutler: E W N T 1, 1980, 67-72). Auch im A T hat »Bruder« in ca. der Hälfte der zahlreichen Stellen erweiterte bzw. theologische Bedeutung (vgl. E.Jenni: T H W A T 1, 1978, 98-104). Durch den Begriff »Bruder« betont Jakobus die Ich-Du- bzw. besser: die IchIch-Beziehung aller Christen, da seiner Meinung nach beide Grup pen ein gestörtes Selbstverständnis und darum beide eine unsoli darische Einstellung zeigen. Nach Jakobus ist Nächster ein gleich wertiges Ich, sei er sozial niedrig oder hoch gestellt (was aber nicht passivisch zu verstehen ist, wie 2,1-13 und 4,13-5,6 belegen). Die These »Jakobus preist die Armen selig und verflucht die Reichen wie kaum einer im Neuen Testament« (Burchard, Gemeinde 322) stimmt in ihrer einfachen Schwarz- Weiß-Malerei nicht. Was für die älteste synoptische Tradition gilt (vgl. z. B . Lukas Q 6,20b.24: »Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes . . . . Aber wehe euch, die ihr reich seid, denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten«; im Rahmen 6,20a werden aber bereits die Jünger Adres saten der Seligpreisungen und der Weherufe), kann nicht Ausle gungsmaßstab für den Jak sein. Von Jakobus werden auch die armen Christen in die ethische Pflicht genommen! Sie sollen sich als »Reiche im Glauben« (2,5) verstehen. Genau dies meint auch 1,9. Wenn wirklich der »niedriggestellte/arme Christ sich seiner Hoheit rühmen« würde (1,9), sähe die im Briefkorpus geforderte Brüderlichkeit anders aus, dann dürfte es in der Gemeinde kein Fehlverhalten geben. Dies ist jedoch zu konstatieren (s. u. zu 2,1-4 und 4,1-3). Der Appell an den niedriggestellten/armen und zugleich an den reichen Christen dürfte motiviert gewesen sein in einer Krise der christlichen Identität und des kirchlichen Miteinan d e r bei diesen Gruppen. 3
Der Begriff niedriggestellt: tapeinos meint in Opposition zu reicher Bruder in 1,9 eindeutig den sozial niedrigen, armen Mit christen. Der Begriff ist von seiner Geschichte und von seiner
Verwendung her im Gegensatz zu arm: ptochos (Jak 2,2.3.5.6) allerdings vieldeutiger und weiter {Bauer — Aland: niedrig, gering, armselig, unbedeutend, fügsam, unterwürfig, kriechend, demütig, bescheiden). So ist es bereits im M T und in der L X X , wo jeweils die soziale mit religiösen Komponenten verbunden wird (s. u. und R. Martin-Achard: T H W A T 2, 1984, 341-350.; aufgrund der tradi tionsgeschichtlichen Bedeutung von Sir 2,1-18 für Jak 1,2-4.12 ist auch auf das zweimalige Vorkommen von »Niedrigkeit« in Sir 2,4.5 hinzuweisen). Niedriggestellte und reiche Christen stehen nach 1,9f. beide in der Erprobung/Versuchung: Der Aufruf, sich zu rühmen, richtet sich daher an beide. Das Verbum sich rühmen meint im weltlichen Sinn — durchaus positiv - den Hinweis auf eigene Leistungen, ist aber vielfach negativ gefüllt, wenn Inhalt des Rühmens vergängliche Dinge sind (Reichtum u. a.: Jak 4,16; Jer 9,22f.; Ps 48,7b). Warnung vor Selbstruhm ist in der Schrift und bei Philo charakteristisch (1 Kön 2,10; Spr 25,14; 27,1; Philo SpecLeg I, 311; 1 Kor 1,18-31 und 1 Klem 13,1 mit Zitat von Jer 9,22f.; vgl. R. Bultmann: T h W N T 3, 1938, 646-653). Dem selbstvertrauenden Rühmen wird in parado xer Weise an allen Stellen jenes Rühmen gegenübergestellt, das alles von Gott erwartet (vgl. Jer 9,23; Ps 31,11 und 149,5 von den Armen; Ps 5,12; 88,17f. von den Frommen). Jakobus dürfte bewußt in dieser Tradition 1,9 formuliert haben, zumal dies mit seiner Überzeugung in l,5-6a exakt übereinstimmt. Aufgrund dieser Tradition kann das Verbum nicht einmal ernst (beim Armen) und einmal ironisch (beim Reichen) gemeint sein, wie vielfach angenommen wird. Auch ist die Rede nicht von einer »Umkehr der Verhältnisse« auf Erden, noch von einer »kommen den Weltverwandlung« am Ende der Tage (so Dihelius 113 f.). Um Gütertausch geht es Jakobus nicht, eher schon um Güteraustausch, damit niemand hungert und friert (vgl. 2,15) oder ausgebeutet wird (vgl. 5,4). Jakobus verharrt ganz im weisheitlichen Denkansatz, indem er den Reichtum relativiert, aber im Briefkorpus sozialver pflichtet orientiert. Ahnlich relativiert Jakobus auch die Armut (s. u. den Exkurs). 3
Die Flüchtigkeit des Reichtums (vgl. die Metapher in lOb.lla-c) ist Ziel der Aussage. Vom Tod des Reichen ist nicht die Rede, so daß auch die Todverfallenheit nicht Inhalt des Rühmens des Rei chen sein kann (so aber Mußner 74; W. Grundmann: T h W N T 8, 1969, 22). Eine solche Aufforderung könnte in der Tat nur ironisch sein (so Dihelius 115; Rehrl 189). Die These des Jakobus lautet hingegen: Wie die »Hoheit« des Niedriggestellten in 1,9 nur sub
specie fidei glaubend anerkannt und praktiziert werden kann (vgl. 2,5: »Hat nicht Gott die Armen im Sinne der Welt als Reiche im Glauben und als Erben des Reiches erwählt?«), so auch die »Niedrig keit« des Reichen in 1,10 nur sub specie dei (4,6: »Gott widersteht dem Hochmütigen, aber dem Niedriggestellten/Demütigen gibt er Gnade«; 4,10: »Erniedrigt euch vor dem Herrn, so wird er euch erhöhen«; vgl. auch Lk 14,11 par Mt 23,12; Lk 18,14b). Schon hier und jetzt soll der reiche Christ sich seiner Niedrigkeit vor Gott bewußt sein und entsprechend handeln — und eben nicht für seinen Reichtum leben und auf ihn bauen (vgl. 4,13-17). »Wenn der Herr will, so werden wir leben und dieses oder jenes tun« (4,15), er schenkt Reichtum, menschliche »Prahlereien sind von Übel« (4,16). Vor allem das Unterlassen des Tuns des Guten ist Sünde (4,17). Jakobus plädiert nicht für sozialethische, strukturelle Veränderun gen und für eine neue Weltgestaltung (dies mag heutige Christen ernüchtern), er plädiert nicht für die Aufgabe des Reichtum brin genden Berufes (vgl. 4,13-15) noch für die Preisgabe des Reichtums selbst (wie die älteste synoptische Tradition aus der wandernden Jesusgruppe der Logienquelle), wohl jedoch für eine Relativierung des eigenen Standes. Verstehbar ist dies nur im Kontext der patriar chalischen Sozialstruktur der hellenistischen Gemeinden zur Zeit des Jakobus (vgl. dazu den folgenden Exkurs). Reichtum ist relativ, außerdem ist er leicht vergänglich (s. u. zu 1,11). Armut schließt Weisheit nicht aus (vgl. auch Sir 10,22f..25.30f.; 11,1 f.; 13,22f. u. a.). Die »Hoheit« in 1,9 könnte im Sinne des Jakobus identisch mit dem »Vollkommen-Sein« und »Ganz-Sein« der Christen in 1,4 sein, wobei zu beachten bleibt, daß diese von Gott (vgl. 2,5) zu erbitten sind. Dies ist im Kontext des Briefes der Gedankenduktus von 1,9-10a. Jakobus stimmt mit der Einstellung der Weisheitslite ratur zu Armut und Reichtum überein (vgl. Sir 3,17-24, bes. Vers 17 in der syrischen Überlieferung: »In deinem Reichtum wandle in Demut«; vgl. auch 6,11 f.; 19,1b). Auch der Vergleich aus der Natur in lOb.lla-c hat den gleichen Skopus. Entsprechend der syntaktischen Antithese in 1,9.10a emp fiehlt es sich, kongruent dazu die Sentenz von der Vergänglich keit auf den Christen ( = Bruder) generell zu beziehen. Erst 1,1 ld bezieht den Vergleich verengt auf den Reichen (»so wird auch der Reiche ...«), wobei insgesamt 1 ld eine Inklusion zu 10a zum Stichwort der reiche Bruder ist, zumal das Bild die Aufforderung an ihn, sich seiner Niedrigkeit zu rühmen, begründet (10b: denn). Die Vergänglichkeit betrifft aber nicht nur ihn. Bei der üblichen Interpretation wäre das auch/ebenso am Anfang von 1 ld überflüs-
sig. Niedriggestellte/arme und reiche Christen unterliegen beide dem Gesetz der Vergänglichkeit (dies ist ein weisheitlich geprägtes Trostmotiv - nicht zur Passivität, sondern zu solidarischem zwi schenmenschlichen Verhalten beider Gruppen). Alle sind der Geschichtlichkeit, der Endlichkeit und Vergänglichkeit des Geschaffenen unterworfen. Jedes Sein ist ein »Sein zum Tode« (M. Heidegger), die Zeitlichkeit ist ein Element des Daseins. Dies gehört bereits zu den Grundüberzeugungen der Bibel. Heitere Gelassenheit, dauernde innere »Freude« (1,2) — trotz der ständigen Erfahrung der Ambivalenz des Daseins — sind (wenn der Mensch ganz in Gott gegründet ist) die Konsequenz aus dieser Einsicht. Es ist das »heilige Lachen«, das Isaak in seinem Namen (er bedeutet: Gott möge lachen/hat gelacht) und in seinem Leben für Juden symbolisiert (zur Deutung Philos in diesem Sinne vgl. Völker 325f.). Wer in solch heiterer Gelassenheit trotz aller Anfechtungen lachen, wer seine Affekte und Begierden beherrschen kann, in seinem Inneren nicht ständig hin- und hergerissen wird (1,6.8), sondern einfach, ganz, gerade und ruhig (1,4) ist, da er von Gott alles erwartet, der ist ein Weiser, Vollkommener und Freund Gottes (vgl.Völker 318-328). Dies ist auch die Vorstellungswelt des Jakobus, der wie Philo die hellenistische Anthropologie in Auf nahme und Weiterführung der jüdischen Weisheitstraditionen vom biblischen Gottes- und Menschenbild deutet. Zurück zum Vergänglichkeitsmotiv in 1,9-11. Nicht erst Kohelet ( = Ekklesiastes, Prediger), der Weisheitslehrer des frühen Helle nismus des 3. Jahrhunderts, formuliert zwar nicht skeptisch, doch »in einer meist kühl-distanziert rationalen, beobachtenden Nach denklichkeit« (ZimmerIi, Grundriß 141) kritische Gedanken zum Thema »Zeit und Vergänglichkeit«. Hinzuweisen ist vor allem auf seinen Prolog in 1,2-2,2, näherhin auf seine These in l,2-4a: »Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Wind hauch, das alles ist Windhauch. Welchen Vorteil hat der Mensch von all seinem Besitz, für den er sich anstrengt unter der Sonne? Eine Generation geht, die andere kommt.« Sirach greift dieses Bild in 14,17f. bewußt auf: Wir alle werden alt wie ein Kleid; es ist ein ewiges Gesetz: Alles muß sterben. Wie sprossende Blätter am grünen Baum, das eine welkt, das andere wächst nach, so sind die Geschlechter von Fleisch und Blut: Das eine stirbt, das andere reift heran.
Ähnliche Metaphern finden sich auch in Sir 6,2-4; 18,10; 40,11; 41,3.10-13; auch Sirach wertet ebd. in Kapitel 14 den Reichtum positiv, was die Verpflichtung des Reichen zum solidarischen Verhalten einschließt. Sirach steht mit dieser Anschauung jedoch auch in einer breiten Tradition vor allem der Sprache der Psalmen 38.48 und 89 mit ihren Vergänglichkeitsklagen. Vor allem Ps 48 mit den Antithesen »Reiche — Arme«, »Volk — Adel« zeigt struktu relle Parallelen zu Jak 1,9-11 (zur Vergänglichkeitsklage vgl. Ps 36,2; 38,6f.; 89,5f.; 101,26f.; 102,15f.; Weish 2,1-5; 5,8-13; Jes 40,6-8; 51,6.12; Bar 3,16-19). Auch andere Autoren im N T stehen in dieser Tradition (vgl. Mk 13,31; M t 5 , 1 8 ; Lk 16,17; Rom 8,20f.; 1 Kor 7,31; 1 Joh 2,17; 1 Petr 1,23f.). Weit verbreitete, beliebte Metaphern, um die Vergänglichkeit zu illustrieren, sind außer Gras Blumen, Rosenknospen, Wassertropfen, Körnchen Sand, Spinngewebe, Schatten, Hauch, Moder, Rauch, Wolke, Nebel, Mücke, Vogel, Gewand, Schiff, Wasser, Spiegel (zum letzteren vgl. Jak 1,23). Da menschliche Grunderfahrungen auch in der Antike international sind, sind diese und andere Metaphern auch außerhalb des A T belegt (vgl. Quint Smyrn 14,207; syrBarApk 82,7). 10b: Das Gras und seine Blumen schießen bei jedem Regen überall auf (4 Kön 19,26; Jes 37,27; Ps 128,6), verdorren aber in der sengenden Glut der Sonne ebenso schnell wieder. Sie symbolisieren darum — von der Erfahrung immer wieder bestätigt — treffend die Vergänglichkeit jeglichen Lebens (4 Kön 19,26; Ps 36,2; 89,5f.; 101,5; 102,15; Jes 40,6; 51,12; Ijob 15,30.32). Für Erfahrungstatsa chen dieser Art, die sich im Leben immer wiederholen, steht im Griechischen das Tempus der Vergangenheit (gnomischer Aorist), im Deutschen entspricht dem das Präsens (vgl. die Grammatiken). Trotz der breiten Streuung der Bilder dürfte Jakobus — nach Aufbau (Einführung der Metapher, Anwendung des Bildes, Abschluß) und nach sprachlicher Verwandtschaft zu urteilen — Jes 40,6 f. als Vorlage rezipiert (vgl. auch die Begriffe Niedrigkeit, erniedrigen in Jes 40,2.4) und für seine Intention (vgl. Vers 1 ld) überarbeitet haben (anders rezipiert 1 Petr 1,23f. Jes 40,6f.; vgl. v. Gemünden 253 f., sie bezieht die Metapher bei Jakobus aber nur auf den Reichen). Dies macht ein Vergleich deutlich, wobei Jako bus I I b am Anfang aktivisch formuliert, was bei Jes 40,7 passivisch vorgegeben war. (Bei der Synopse sind identische Begriffe fetter, synonyme Begriffe kursiv gesetzt.)
Jak 1,9-12
Jes 40,6 f. 6 c Alles Fleisch ist wie Gras,
und alle Herrlichkeit des Menschen ist wie eine Blume des Grases. Das Gras verdorrt, und die Blume verwelkt, das Wort unseres Herrn aber bleibt in Ewigkeit.
9 Der Bruder [jeder Christ ohne Aus nahme] 10b
wie eine Blume des Gra I I b ses wird er vergehen. Das Gras verdorrt, 8 12c seine Blume fällt ab,... den er (Gott) denen ver heißen hat... wahrend in Jes 40,6 f. der Erfahrung der Vergänglichkeit alles Irdischen die unvergängliche Wirklichkeit des Wortes Gottes ent gegensteht, wendet Jakobus mit der weisheitlichen Tradition und im Rahmen seiner pragmatischen Aussageintention (die Adressaten sollen um jeden Preis in die rechte Lesehaltung versetzt werden!) die Metapher anthropologisch; die These von der Vergänglichkeit »allen Fleisches« (Jes 40,6) meint jetzt die der Menschen, also auch der Christen — einschließlich der Reichen und ihres Reichtums. Jeder Leser des Jak, ob niedriggestellt/arm oder reich (zur Syntax s. o.), wird im Prolog angesprochen und direkt und unverhofft (nach Art einer Schocktherapie) mit seiner Vergänglichkeit kon frontiert. Dies soll die Leseperspektive des Briefes sein. Auch in Qumran ist der Topos der Vergänglichkeit im Kontext einer Auslegung von Ps 37 belegt (vgl. 4 QpPs 37, III 7f. sowie die Niedrigkeitsdoxologien und Vergänglichkeitsbetrachtungen - ver bunden mit der Betonung der totalen Sündhaftigkeit der Menschen — in 1 Q H durchgehend), aber auch in der vorqumranischen, aber in Qumran verwendeten weisheitlichen Mahnrede 4 Q 185 unter deutlicher Verwendung von Jes 40,6-8; Ps 90,5-6; 102,15-16; Ijob 14,1 f.. Der Text lautet nach der Rekonstruktion und Übersetzung von H. Liehtenherger (156): »Denn siehe, wie Gras sproßt er, und (was) seine Schönheit (betrifft), (so) blüht er wie eine Blume; (doch) seine Anmut — weh[t] sein (seil. Gottes) Wind [darüber], dann vertrocknet sein Wurzelstock und seine Blüte nimmt der Wind weg, so daß [an seiner Ste]lle [gar] nichts mehr ist ... . Seine Tage sind wie ein Schatten auf der Er[de].« Die Konsequenz aus dieser Einsicht kann - so der Verfasser dieses Gedichtes (vgl. 1-2, II, 1-4) - nur ein Wandel entsprechend der göttlichen Weisung sein. Voraussetzung dafür ist auch für ihn — wie für Jakobus - die 7
Gabe der Weisheit, denn »bei ihr sind [langes Le]ben und Üppig keit der Kraft und Freude des Herzens, Reichftum und Eh]re« (1,2, II, 12: Lichtenberger 162). Dies ist ganz weisheitlich, vorqumranisch gedacht. In dieser Tradition steht auch Jak 1,9-11. Auch für ihn ist die Vergänglichkeit des Menschen — ob reich, ob niedriggestellt/ arm — der kurzlebigen Schönheit der Grasblüten gleich (vgl. Spicq I 330). Die Einsicht lautet: Das Aussehen und die Existenz alles Irdischen ist relativ. So sicher sich diese Erfahrung immer wieder in der Natur bestätigt, so sicher »wird« sich die Hinfälligkeit der menschlichen Existenz einstellen. (Die Futura in 10b und 1 ld zerstören die Zementierung jeglichen Status quo: Alles ist vergäng lich und daher relativ). Dies ist ebenso sicher wie das Bleiben des Wortes Gottes in Ewigkeit nach Jes 40,8 (vgl. Jak 1,12c). l l d : Diese Erkenntnis sollte nicht nur die weisheitliche Einsicht des niedriggestellten/armen Christen sein, auch der Reiche (»auch« steht in l l d sehr betont: BLDebrReh 442.8) soll diese Erkenntnis als Versuchung/Erprobung seines Glaubens akzeptie ren; denn »auch« er findet im Reichtum keine bleibende Sicherheit, »auch« er wird — in freier Vollendung des Bildes aus Jes 40,6 f. - verwelken (vgl. Weish 2,8; 19,21; Ijob 15,30; Jos Ant X I 56; äthHen 96,6: Spicq II, 531 f.; vgl. auch Weish 5,8-14; 1 Q M X V , 10f.; Abot 4,4). Dies geschieht »mitten in seinen Geschäften/auf seinen Geschäftsreisen« (vgl. Jak 4,13) oder auch allgemein über setzt »in seinem Wandel/bei allem, was er tut« (als Synonym zum »Weg« in 1,8b). An der intendierten Wirkung und Aussage ändert die mehr oder weniger offene Bedeutung bei poreiai: Wandel nichts. Die angebliche materielle Sicherheit ist trügerisch, Reich tum vergeht wie grünendes Gras im Hochsommer. Diese Naturge setzlichkeit sollen die Leser erkennen und sich entsprechend ver halten. »Sein Besitz hat nicht Bestand, ... die Flammenglut dörrt seinen Schößling aus, er verwelkt beim Hauche seines Mundes« (Ijob 15,29f.). Die Reichen »verlassen sich ganz auf ihren Besitz und rühmen sich ihres großen Reichtums«, doch »der Mensch bleibt nicht in seiner Pracht, er gleicht dem Vieh, das verstummt« (Ps 48,7.13), auch die Reichen stehen »auf schlüpfrigem Grund« (Ps 72,18). Der Reiche meint zwar: »Ich habe Ruhe gefunden, nun will ich meine Güter genießen. Aber er weiß nicht, wie lange es dauert« (Sir 11,19; zur falschen Selbstsicherheit eines Reichen im NT vgl. besonders Lk 12,13-21). Jakobus verneint mit der Weisheitsliteratur nicht den Reichtum an sich, wohl jedoch unsolidarisches Verhalten der Reichen unter
sozialethischen und eine trügerische Sicherheit der Reichen unter anthropologischen Aspekten. Sein Appell, der Reiche solle sich seiner »Niedrigkeit« vor Gott rühmen (1,9f.; vgl. 2,5), zielt auf ein neues Selbstverständnis. Von einer Erniedrigung »im Tode« (H. Merklein: E W N T 3, 1983, 277) klingt ebensowenig an wie von einer Erniedrigung bei der Weltverwandlung im Zuge der Parusie (Dihelius 117). Jakobus verharrt in 1,9-11 ganz im weisheitlich geprägten Denken, setzt konkrete Erprobungs-/VersuchungsSituationen in seiner Gemeinde voraus (auch in 2,6), erst in 5,1-6 bricht (als Steigerung des Gedankens im Epilog) der Gerichtsge danke durch. In 1,9-11 ist die Zukunft noch offen. Hier wird noch nicht eschatologisch, sondern erfahrungstheologisch, paränetisch formu liert (auch der eschatologische Ausblick in 1,12 hat diese Funktion; s. u.). Nicht Gerichtsüberstellung wird angedroht, sondern Ein stellungsänderung, Vergänglichkeitsbewußtsein auf Seiten der niedriggestellten/armen und reichen Christen angezielt. Das Selbstverständnis beider Gruppen wird von Jakobus befragt. Nur so kann das von ihm in Frage gestellte Bewußtsein als dritte Versuchung/Erprobung des Glaubens der Adressaten angemessen verstanden werden. Wenn Jakobus dabei generisch formuliert (der niedrige/arme, der reiche Bruder) statt exemplarisch (5a: »Hat einer von euch«; 6b: »Wer zweifelt«), dürfte deutlich sein, daß Jakobus in 1,9-11 eine grundsätzliche soziale Problematik der Adressaten ansprechen will (s. u. den Exkurs). Daß im ganzen Brief dann der Appell an das Bewußtsein sowie an das Verhalten der Reichen quantitativ und qualitativ umfassender ausfällt, dürfte ebenfalls situationsbedingt und nicht nur topisch motiviert gewe sen sein. In 1,9-11 geht es zunächst nur thesenartig um die Anfechtung durch Armut bzw. Reichtum, die beide ein gestörtes christliches Selbst- und Kirchenbewußtsein bedingen. Das Problem der unsoli darischen Einstellung beider Gruppen zueinander bzw. — positiv gewendet - die Brüderlichkeit erweist sich jedoch im Verlauf des Briefes als »das ethische Materialprinzip des Jakobusbriefes« (Burchard, Gemeinde 322, wobei es sich s.M.n. bei den Armen und Reichen in 2,15 jedoch um »Besucher von auswärts« handelt; dies gibt der Text nicht her). Jakobus fordert beide Gruppen zu einem neuen Selbstverständnis auf sowie zu einem dadurch freigesetzten neu praktizierten Glauben (dies wird jedoch erst im Brief entfaltet). Nur wer sich in dieser »versucherischen« Situation, die als solche nicht grundsätzlich verändert wird, bewährt, kann »standhaft«
(3b.4a), »vollkommen« und »ganz«, integer (4b) genannt werden. Genau dies betont auch die (weiterführende) Wiederholung in Vers 12 mit dem eschatologischen Ausblick. Inhaltlich steht dabei die Gewißheit auf eschatologische Vergeltung in deutlichem Kontrast zur Vergänglichkeitsklage in lOb.lla-d, entspricht aber der Gewißheit des Bleibens und des Wortes Gottes in Ewigkeit von Jes 40,8 und den Aussagen des Jakobus vom unveränderlichen, sich immer treu bleibenden Sein und Handeln Gottes in 5c.d sowie in 17a-d.
Exkurs 3: Die soziale Situation der Adressaten Literatur: S. o. in der Einleitung 2.2 und 2.3 sowie die Exkurse etwa bei Dibelius 58-66, Mußner 76-84 und Schnider 115-126; außerdem: Berger, K. Die impliziten Gegner. Zur Methode des Erschließens von »Gegnern« in neutestamentlichen Texten, in: Kirche. FS G.Bornkamm, Tübingen 1980, 373-400. — Burchard, Chr., Gemeinde in der strohernen Epistel. Mutmaßungen über Jakobus, in: Kirche. FS G. Bornkamm, Tübingen 1980, 315-328. — Frankemölle, Biblische Handlungsanweisungen 50-79. — Maier, G., Reich und arm. Der Beitrag des Jakobusbriefes, Gießen — Basel 1980. — Maynard-Reid, P. U., Poverty and Wealth in James, New York 1987, 38-47. - Noack, B., Jakobus wider die Reichen, in: Studia Theologica 18(1964) 10-25. - Popkes, Adressaten 31-41.53-124. - Schöll gen, G, Probleme der urchristlichen Sozialgeschichte, in: J A C 32(1989) 2340. — Ders., Was wissen wir über die Sozialstruktur der paulinischen Gemeinden?, in: NTS 34(1988) 71-82. Schottroff, W. - Schottroff, L., Armut, in: N B L 1(1991) 171-174 (dort weitere Literatur). - Soucek,]. B., Zu den Problemen des Jakobusbriefes, in: EvTh 18(1958) 460-468. - Theißen, G, Studien zur Soziologie des Urchristentums, Tübingen 1989, ebd. 35-54: Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen. Ihre methodologischen Probleme am Beispiel des Urchristentums. — Zahn, Th., Die soziale Frage und die Innere Mission nach dem Brief des Jakobus, in: Z K W L 10(1889) 295-307. y
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In Fortsetzung und Ergänzung zur syntaktischen und semantischen Per spektive des 1. Exkurses sei bereits an dieser Stelle des Kommentars die handlungsorientierte, sozialgeschichtliche Problematik erörtert, näherhin die Frage, ob der Text genügend Hinweise für eine spezifische Situation und für strukturelle Probleme der Adressatengruppe liefert. So angemessen und notwendig diese Betrachtungsweise ist — der Text existiert nicht jenseits von Zeit und Raum, sondern ist Element einer konkreten geschicht lichen Situation bzw. Kommunikationssituation —, so gilt es ebenso nüch tern zu sehen, daß diese Betrachtungsweise sehr viel hypothetischer ist als die innertextliche im 1. Exkurs. Dies nicht nur, weil uns nichts anderes als
der Text zur Verfügung steht, sondern weil Jakobus sein Schreiben als eine Art »Enzyklika« verstanden hat (s. o. Einleitung 2.4a); dies macht im vorliegenden Fall die Sache noch schwieriger. Dennoch ist von einer wie immer gearteten Interdependenz von Autor und Adressatengruppe auszu gehen (vgl. Frankemölle, Handlungsanweisungen 11-32.50-79), der Text als Element der Interaktion zwischen den Beteiligten zu verstehen, zumal Jakobus keine theoretischen Erörterungen anstellt, sondern in allen Versen seines Briefes auf die Adressaten einwirken will. Bei der Rekonstruktion einer möglichen Glaubenskrise bei den Adressaten und ihrer eventuellen sozialgeschichtlich begründeten Defizienzen ist an die grundsätzliche hermeneutische Schwierigkeit zu erinnern, vom Text auf die Geschichte zurückzuschließen (vgl. Berger) und es ist jedes Eintragen der Kenntnisse über andere urchristliche Gemeinden aufgrund methodischer Prinzipien zu vermeiden (vgl. Schöllgen; insofern sagt der Exkurs bei Schnider 115-126 für die Adressaten des Jakobus nichts aus). Dennoch gilt es zu differenzie ren: Während die sozialgeschichtliche Methode notwendig lokalgeschicht lich anzusetzen hat, ist dies für die handlungsorientierte Betrachtungsweise von Texten nicht erforderlich, aber: Auch hier ist jede (erst recht jede marxistisch orientierte) Widerspiegelungs-Theorie abzulehnen (was in der älteren Formgeschichte nicht immer der Fall war; vgl. Frankemölle 60). So sehr es »bei der zentralen Einsicht der Formgeschichte« bleiben muß, daß »die urchristliche Literatur Literatur religiöser Gruppen« ist und »im Zusammenhang mit deren Leben verstanden werden« muß (Theißen 13), ebenso sehr ist auf das Aktionsziel des Verfassers und seine bewußte Leserlenkung zu achten. Dabei ist vorauszusetzen, daß der Verfasser um seines Handlungszieles willen ein seiner Meinung nach latentes Problem als wirklich darstellen kann, daß er möglicherweise Mißverständnissen bei der Deutung der Situation der Adressaten unterliegt, daß er — wie bei jeder Kommunikation — eventuell überspitzt, verzerrt usw. Gilt dies für Paulus fraglos beim Galater- (Betz 40-51) und wohl auch beim 1. Korintherbrief (Schräge 38-63, bes. 40f.), so nicht weniger für Jakobus. Die Unsicherheit einer genauen Rekonstruktion der Lebenswelt der Adres saten erhöht sich noch dadurch, daß Jakobus wie andere biblische und antike Autoren stark von vorgegebenen Sprachmustern und rhetorischer Topik abhängig ist. Für ihn als traditionsorientierten Theologen in der Rezeption früher Jesustradition und vor allem biblischer Weisheitstradition (in direkter Verarbeitung des Buches Jesus Sirach) gilt dies erst recht. So ist die Opposition »Arme/Reiche« selbstverständlich topisch und im gesamten Alten Testament breit belegt, einschließlich bei Jesus Sirach (4,1-10; 11,1428; 13,1-24). Aber: Soll man deswegen dieses Problem bei den Adressaten des Jakobus leugnen? Dies ist auch deswegen keine Lösung, da Jakobus keineswegs alle bei Jesus Sirach genannten Themen bearbeitet (so fehlen bei ihm etwa in der Abfolge bei Jesus Sirach die Themen: Ehrfurcht gegen die Eltern, die Freundschaft, das rechte Verhalten im häuslichen Kreis, der rechte Umgang mit Frauen und zwischen Männern, der weise Herrscher, die Erwählung Israels, die kluge Wahl des Vertrauten, die Aufgabe und
Stellung der Schriftgelehrten, das Betteln, der Lobpreis Gottes in Natur und Geschichte usw.). Dies zeigt: Traditionen werden adressatenorientiert rezipiert, so daß sehr wohl — bei aller Zurückhaltung — auch im Jakobus brief von einer Korrelation von Text und Situation auszugehen ist. Wenn es Jakobus primär um ein theologisch begründetes neues Handeln der Adres saten geht, er seine Theologie — wie die übrigen biblischen Weisheitstheo logen — als praktische Lebensweisheit versteht (vgl. Einleitung 2.4e), dann kann sein Text nur situativ und kommunikativ verstanden werden. Man muß sich bei der Skizzierung der Gemeindesituation nur des hypotheti schen Charakters bewußt bleiben. Dies gilt noch mehr für die Verwendung von Metaphern, da dort die Grenze zwischen metaphorischer Wirklichkeit und historischer Faktizität nicht anzugeben ist (s. u. etwa zur Anrede der Adressaten mit »ihr Ehebrecher« in 4,4a oder zur Charakterisierung der Situation in der Gemeinde mit dem Begriff »Kriege« in 4,1a oder zur Kennzeichnung ihres sozialen Verhaltens durch die Wendung »ihr mordet« in 4,2b). Solche Metaphern haben eine parallele rhetorisch-handlungsorientierte Funktion wie Lasterkataloge in anderen neutestamentlichen Texten. Geht man grundsätzlich von einer Interdependenz von Verfasser und Adressaten für jegliche Textproduktion aus und versteht man grundsätzlich menschliches Reden und Schreiben als kommunikatives Handeln — bezo gen auf eine bestimmte Situation, für die vom Verfasser eine neue Wirklich keitsdeutung und neue Handlungsmöglichkeiten angeboten werden —, läßt sich zur sozialen Schichtung der Adressaten des Jakobusbriefes mit aller Vorsicht folgendes sagen: Es gibt Arme im Sinne von Niedriggestellten und Reiche bei den Adressaten, deren Verhältnis zueinander in 1,9 f. noch offen bleibt, die aber beide nach Jakobus ein falsches Selbstverständnis haben. Daß die Armen nicht wie in der frühesten Jesustradition in Palästina bettelarm sind (vgl. N B L 173), zeigt nicht nur ihre erstmalige Charakteri sierung in 1,9 mit tapeinos: niedriggestellt, während sie erst dort, wo es um das Verhältnis dieser beiden Gruppen zueinander geht, als ptochos: arm bezeichnet werden (2,2.3.5.6). Doch gerade in Kapitel 2 differenziert Jakobus, und zwar wie folgt: Nach 2,5f. haben die »geliebten Brüder« von 5a »die Armen entehrt«, sind also nicht mit ihnen identisch, sind jedoch von einem solchen sozialen Status, daß Jakobus ihr Verhalten tadelt, weil dieses nicht mit der Ordnung Gottes übereinstimmt (nach 5b-c »hat Gott die vor der Welt Armen ... erwählt«). Von den Getadelten unterscheidet Jakobus in 6b »die Reichen, die euch« — womit wiederum die Brüder von 5a gemeint sind — »gewalttätig behandeln« und »vor Gericht schleppen«. Jakobus setzt also einen sozial differenziert geschichteten Adressatenkreis voraus. Es gibt Schwestern und Brüder bei den Adressaten, die »nackt sind und Mangel an täglicher Nahrung leiden«, denen es am Lebensnotwendigen fehlt (2,15), dann gibt es Christen, die immerhin in der Lage sind, bettel arme Mitchristen zu bekleiden und zu beköstigen (2,15 f.), und schließlich reiche Christen, die über die finanziellen Möglichkeiten verfügen, Prozesse gegen andere Christen durchzuführen (2,6). Jakobus attackiert am schärf sten die dritte Gruppe, da sie die christliche Geschwisterlichkeit vermissen
läßt (2,7; vgl. auch 4,1.11; 5,1-6), er kritisiert aber auch die mehr oder weniger Begüterten in der Gemeinde. Fromme Worte der mittleren Schicht (im Sinne des Jakobus) nützen den Bettelarmen nichts, wenn ihnen nicht solidarisch geholfen wird. Wie hier der Begriff »Bruder oder Schwester« die binnenkirchliche Perspektive angibt, so auch das Stichwort »meine Brüder« in 2,1, wobei hier die solidarethische Geschwisterlichkeit noch zusätzlich mit dem Glauben an Jesus Christus verbunden wird. Glauben und Leben, Praxis und Bekenntnis sieht Jakobus in Korrelation. Weil dies so ist, ist für ihn das Faktum der Bevorzugung und des Ansehens von Personen (der Reichen durch die Armen und der Armen durch die Reichen) ein eminent theologisches Problem. Ob diese soziale Schichtung auch mit unterschiedlichem Bildungsgrad zusammenhängt, bleibt zu fragen. Nach 1,5 gibt es Christen in der Gemeinde, denen es an Weisheit mangelt, nach 3,13-18 gibt es andere, die sie besitzen; dies gilt auch für das Selbstbewußtsein der Lehrer, das in 3,1 kritisch hinterfragt wird. Auch wenn Jakobus mit Sirach (1,1: »Alle Weis heit kommt vom Herrn«) überzeugt ist, daß jeder Mangel an Weisheit im Sinne der Fähigkeit, die Ordnung in der Welt und im menschlichen Zusammenleben zu erkennen und mit Hilfe dieser Erkenntnis Prüfungen zu meistern (1,2-5), von Gott her überwunden werden kann, er gleichsam den Weisheits-Gedanken »demokratisiert«, setzt er dennoch den Stand von (Weisheits-)Lehrern (3,1) voraus (zu den Trägern weisheitlicher Lehrüber lieferungen im AT vgl. v. Rad, Weisheit 28-38). So sehr sich Jakobus an alle Christen wendet, so sehr sich Jesus Sirach und die übrigen Weisheitslehrer an alle wenden, hier wie dort — dies belegt schon die rhetorische Kunstfer tigkeit der Sentenzen — bezeugen weisheitliche Logien immer auch eine »Standesweisheit« (Preuß 36-46). Ob in Jak 3,1 wie in Sir 51,23 ein »Lehrhaus« (en oiko paideias; hier zum ersten Mal belegt) vorauszusetzen ist, ist möglich, muß aber wohl offenbleiben. Die starke Rezeption bibli scher Tradition bei Sirach und vor allem die Verbindung von Weisheitslehre und Tora, aber auch die gewählten Beispiele etwa vom Bankett (31,12 ff.), vom Reisen (34,9-13; 39,4), vom Arzt (38,1-15) u. a. deuten nicht nur auf einen durch Lernen erworbenen Wissensstand, sondern auch auf eine höhere soziale Stellung als Lebenswelt. Dies ist bei Jakobus nicht anders, wie die Beispiele aus dem Alten Testament, die Zitate der Schrift, die Rezeption von biblischen und urchristlichen Traditionen belegen, nicht zuletzt auch die bei ihm sich findende Verbindung von Weisheit und Tora (s. u. den Exkurs nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit«). So sehr Jakobus auch (mit der Weisheitsliteratur) unterschiedliche Bil dungsgrade voraussetzt, so stellt er doch mit seinen weisheitlichen Vorfah ren alle — sich selbst eingeschlossen — zusammen, da sich alle als von Gott Beschenkte zu verstehen haben (vgl. 1,5.17; 3,15-17). Aber: Weisheit ist nach Jakobus kein »Besitzstand«, sie ist vielmehr dynamisch — ausgerichtet auf die Verwirklichung im Tun (davon redet der ganze Brief), sie ist aber auch dem Faktor Zeit unterworfen. Da Jakobus mit der Weisheitsliteratur Weisheit immer als praktische Lebensweisheit versteht, sie nicht ein intel-
lektualistisches Problem für ihn ist, sieht er sie bereits im Prolog als Einsicht in die Vergänglichkeit des Werdens (1,9-11, was in 4,13-5,6 amplifiziert wird), im Verlauf des Briefes aber auch in der Verwirklichung solidarischer Einstellung. Nach 3,13 soll der Weise und Verständige »aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit« zeigen, indem er »zurückhaltend, friedfertig, milde, nachgiebig, voll von Erbarmen und guter Früchte, unparteiisch und aufrichtig ist« (3,17). Weisheit zeigt sich demnach in der Akzeptanz der Vergänglichkeit des Lebens und der menschlichen Güter, dann aber auch in freigebiger und aufrichtiger Barm herzigkeit. Die soziale Verpflichtung der Weisen in 3,13 ff. behauptet für den ganzen Brief die Beziehungen von Weisheit — Mangel an Weisheit, Reichtum — Armut differenzierter und integrierter, als in der Regel ange nommen wird. Jakobus setzt innergemeindliche soziale Spannungen voraus und führt sie auf ein falsches Selbstverständnis der einzelnen Gruppen (s. o. zu 1,9 f.), auf ein falsches Verständnis vom Glauben (2,14-26) und auf ein falsches Verständnis von Solidarität zwischen den verschiedenen Gruppen (2,1-13) zurück. Die Brüderlichkeit erweist sich in der Tat als »das ethische Materialprinzip des Jakobusbriefes« (Burchard 322) — allerdings in binnen kirchlicher Perspektive, die christologisch (2,1) und theozentrisch (2,5) begründet wird. Jakobus dennkt nicht nur innergemeindlich, sondern auch christo- und theozentrisch (zu anderen Deutungen vgl. zu den Stellen). Auffällig ist, daß Jakobus alle drei Gruppen kritisiert, nicht nur die Reichen (s. u.) und die, die mit Waisen und Witwen und Bettelarmen aufgrund ihres Besitzstandes solidarisch sein könnten (1,27; 2,15 f.), sondern auch die, die aufgrund ihrer niedrigen Stellung ein falsches Selbstverständnis haben (vgl. 1,9) und sich nach dem weltlichen »Ansehen der Personen« (2,1) in der Gemeinde falsch verhalten. Dies ist gegen das Gesetz Gottes: »Wenn ihr aber nach dem Ansehen von Personen geht, tut ihr eine Sünde und werdet vom Gesetz als Übertreter überführt« (2,9). Sünder sind »Zwiespältige« (4,8d) — sowohl im Selbstbewußtsein wie in ihrer solidarischen Einstel lung. Wer so den Mitchristen »verleumdet oder richtet, verleumdet das Gesetz und richtet das Gesetz« (4,11). Kurzum: Er stellt sich gegen Gott. Nicht erst bei den christlichen Handlungsreisenden (4,13-17) und bei den christlichen Grundbesitzern (5,1-6) entspricht im weisheitlichen Tun-Erge hen-Zusammenhang die Zukunft der Gegenwart, das (apokalyptisch und christlich gewendete) Gericht dem unbarmherzigen Verhalten der Christen (2,13), dies ist vielmehr ein Grundzug des gesamten Briefes (1,12.15.26; 2,5.13; 4,10-12). Die gesamte Argumentation richtet sich an christliche Adressaten. Umstritten in der Literatur ist die Frage, ob auch die Reichen, die »goldbe ringt in prächtigem Gewand« in die christliche Versammlung kommen (2,2) und die die mittlere Schicht »gewalttätig behandeln« und »vor Gericht schleppen« (2,6), Gemeindemitglieder sind oder nichtchristliche Reiche (zu Belegen in der Literatur s. u. bei 2,2-7; 4,13-16; 5,1-6). Mag Jakobus auch hier mit topischen und generellen Charakterisierungen arbeiten, so bekämpft er dennoch ein konkretes Interaktionsmuster seiner Adressaten.
Aufgrund ihres Verhaltens »lästern sie den guten Namen, der über euch ausgerufen wurde« (2,7), was kaum auf Nichtchristen zutreffen dürfte, da Jakobus bei den Handelnden ein bewußt antichristliches Handeln voraus setzt. Jakobus verurteilt wohl wie Paulus (vgl. 1 Kor 6,1-11) Gerichtspro zesse seiner christlichen Adressaten untereinander; worum es inhaltlich geht, ist dort wie hier nebensächlich (vgl. Schräge 402-417). Warum sollte für die Spätzeit des Jakobus nicht möglich sein, was für Paulus angenom men wird? Auch der Jakobusbrief bestätigt das typische Bild einer helleni stischen Gemeinde (in der Regel aus der Spätzeit des N T ; doch vgl. 1 Kor 7,21 ff.; 11,3-16). Wie bei Paulus, läßt sich auch bei Jakobus deutlich eine »soziale Schichtung« annehmen (zu Paulus vgl. Theißen 231-271). Jakobus wie Paulus wollen klarmachen, daß Prozessieren vor Gericht durchaus etwas mit dem Glauben zu tun hat, wie für sie auch die Unbrüderlichkeit und materielle Not sowie soziale Konflikte in der Gemeinde keineswegs theologisch belanglos sind (zum Problem vgl. Frankemölle, Sozialcaritative Arbeit). Die Adressaten sahen hier wie dort vielleicht im Prozessieren nur eine soziale Verhaltensform; daher machen Paulus und Jakobus klar, daß christlicher Glaube eben mit solchen Verhaltensformen zu tun hat (zu Jakobus s. o. den Exkurs nach 1,6a: Glaube nach Jakobus) — jedenfalls dann, wenn Glaube nicht nur Glaube an das Heilshandeln Gottes in Tod und Auferweckung Jesu ist, was aber auch Paulus nicht vertritt (vgl. etwa Gal 5,6: Es kommt darauf an, »den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist.«). Demnach verstößt Prozessieren nach Paulus und Jakobus gegen christlichen Glauben. Dies dürfte der Grund sein, warum Jakobus die weltliche Praxis (2,6b.c) und ihre theologische Kehrseite (2,7a.b) parallelisiert. Wie in Kapitel 2 setzt Jakobus auch gegen Ende seines Briefes eine sozial strukturierte (vgl. die Erwähnung der Lehrer in 3,1 und der Presbyter in 5,14) und eine sozial geschichtete Adressatengruppe voraus. So thematisie ren die Verse 4,13-17 weltlich gesinnte christliche Kaufleute (daß sie große Gewinne machen, wird nicht gesagt), die vergessen, daß nicht sie selbst, sondern Gott Herr der Zeit ist. Geht es in diesen Versen um die Entlarvung der falschen Autonomie von Christen hinsichtlich der Zeit, so in 5,1-6 — endbetont am Ende des Briefes, bevor Jakobus in 5,7ff. im Epilog wiederum alle Christen anspricht — um die falsche Autonomie im Erwer ben von Reichtum auf Kosten anderer entgegen der Ordnung Gottes (5,4). Auch diese affektgeladene, prophetisch-weisheitliche Mahnrede läßt sich binnenkirchlich vorstellen, da über die Anzahl der »Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben« (5,4), nichts gesagt wird. Latifundien sind nicht zu postulieren. Wohl werden — wie in anderen Texten des N T Hausbesitzer mit entsprechenden Sklaven - von Jakobus Landbesitzer mit ihren Arbei tern als Mitglieder christlicher Gemeinden genannt. Hinsichtlich der Frage nach den Ursachen der sozialen Schichtung vertritt Jakobus — im Spektrum der Bibel — eine mittlere Position. Zum einen setzt er sie als naturgegeben voraus (zu Witwen und Waisen vgl. 1,27) und denkt vom in der Bibel ungefragt vorausgesetzten Tatbestand aus: »Arme habt ihr
immer bei euch« (Mk 14,7; Dtn 15,11; sie ist gleichsam schöpfungsgemäß: Spr 22,2; 29,13; Sir 11,14: »Armut und Reichtum kommt vom Herrn«). Daß die Armut bedingt ist durch ein nicht weisheitsgemäßes Verhalten (Spr 10,21; 13,18) oder durch Faulheit und Müßiggang (Spr 6,9-11; 10,4f. u. a.), durch Genußsucht und Verschwendung (Spr 21,17.20; 23,20f.) usw. reflektiert Jakobus nicht. Dies ist auffällig, da er zum anderen den TunErgehen-Zusammenhang und die Frage nach den gesellschaftlichen Ursa chen der Armut in prophetischer Tradition wohl auf der Seite der Reichen thematisiert (2,6; 5,1-6), da er wie die Propheten (Jes 1,10-17.21-26; 5,17.23; 10,1 f.; Am 2,7; 5,7.10.12 u. a.) in der Beugung des Rechts der Armen und der sozial Schwachen, näherhin auch der Erntearbeiter ein torawidriges und damit gott-loses Verhalten sieht. Nicht die gehobene soziale Stellung, nicht der Reichtum an sich ist nach Jakobus schlecht, wohl jedoch die Verletzung des christlichen, solidarischen »Einander« (4,11; 5,9.16) sowie die Verletzung des christlichen Prinzips der »Brüderlichkeit«, das — wie die vielen Anreden zeigen — den gesamten Brief prägt und letztlich schöp fungstheologisch begründet ist (s. u. zu 1,18). Die Ethik gründet in der Anthropologie und diese wiederum im Gottesbild (s. u. den 5. Exkurs nach 1,18). Konkreter als bei der Frage nach den Ursachen ist Jakobus bei der Antwort, wie Gemeindemitglieder sich verhalten sollen. Innerhalb seiner grundsätzli chen Konzeption der Einheit von Gottes- und Nächstenliebe (2,5d.8c), von Glauben und Werk, von Bekenntnis und Ethik (1,19-27; 2,14-26) klagt Jakobus christliche Geschwisterlichkeit und Solidarität ein, die im Bereich der Ethik als das Prinzip der »Barmherzigkeit« festgemacht werden kann (vgl. 1,27; 2,13; 2,15f.; 3,17). Da dieses Thema den gesamten Jakobusbrief prägt, dürfte es den sozialen Grundkonflikt bei den Adressaten umschrei ben. Bemerkenswert dabei ist, daß sich Jakobus an den genannten Stellen nicht nur an die wirklich Reichen wendet (so Noack), schon gar nicht an reiche Juden (Mußner 122). Waren sie schon nicht mehr zugänglich für eine neue solidarische Ethik? Dies könnte aber auch mit der rhetorischen Funktion des Epiloges zusammenhängen, in dem die dramatische Steige rung der Gedanken und der Publikumszugewandtheit üblich war. Zurück haltung ist also geboten. Auf jeden Fall geht es Jakobus für alle Schichten um den Erweis des Glaubens im Tun (vgl. Berger, Abraham 373 f.) bzw. um »Werke als Zeichen« des Glaubens (Heiligenthal). Dabei ist Jakobus kein Vertreter einer »Propagierung eines radikalen Besitzverzichts«, auch findet sich bei ihm nicht »die Devise« der »Umverteilung der Güter« (Schräge, Ethik 300). Die Zeit des radikalen Ethos, wie es aus der urchristli chen Jesusbewegung belegt ist (Theißen 106-141), ist längst vorbei. Jakobus ist — zeitparallel zu den Verfassern der Deuteropaulinen und der Pastoral briefe — Vertreter eines urchristlichen Liebespatriarchalismus, wie er jedoch auch schon in der korinthischen Gemeinde belegt ist (vgl. Theißen 231-271, bes. 268 ff.). »Dieser Liebespatriarchalismus nimmt die sozialen Unterschiede als gegeben hin, mildert sie jedoch durch die Verpflichtung zur Rücksichtnahme und Liebe, eine Verpflichtung, die gerade gegenüber
dem sozial Stärkeren geltend gemacht wird, während vom sozial Schwäche ren Unterordnung, Treue und Achtung verlangt werden.« Hier hat Jakobus eine eigene Vorstellung (s. o. zu 1,9). »Aus welchen geistesgeschichtlichen Quellen sich auch immer dies Ethos speist: Mit diesem Ethos bewältigte ein großer Teil des hellenistischen Urchristentums die Aufgabe, die sozialen Beziehungen einer Gemeinschaft zu gestalten, die einerseits von ihren Gliedern ein hohes Maß an Solidarität und Brüderlichkeit verlangte, ande rerseits aber sehr verschiedene Schichten umfaßte« (Theißen 268 f.). Wäh rend die griechisch-römische Antike die sozialen Spannungen dadurch zu lösen versuchte, daß sie möglichst vielen Bürgern und Schichten das Bürgerrecht verlieh, gingen die urchristlichen Gemeinden in ihrem sub staatlichen, binnenkirchlichen Ansatz von den gegebenen Ungleichheiten aus und machten gerade sie fruchtbar für das solidarische Verhalten der Christen in und trotz verschiedener Schichten. Wie die weitere Geschichte zeigt, vermochte dieses Konzept in der Tat Mitglieder verschiedener Schichten sozial auszusöhnen und zu integrieren. Wenn nicht alles täuscht, ist dies auch die Lebenswelt der Adressaten des Jakobusbriefes und seines Verfassers, so daß seine kommunikative Sprachhandlung hier ihren Sitz im Leben hat. Dabei verharrt Jakobus nicht im paränetischen und ethischen Ansatz, vielmehr reagiert er auf festgestellte Defizienzen seiner sozialgeschichteten Adressatengruppe »mit systematisch-theologischen Argumenten. Er ant wortet auf eine Störung des sozialen Ausgleichs< zwischen armen und reichen Gemeindemitgliedern mit der ekklesiologisch begründeten Forde rung nach einem in Werken aufweisbaren Glauben: Ihm liegt alles an der Verpflichtung der Gemeinden zu brüderlichem Verhalten« (Heiligenthal 47). Dies schließt ein, daß Jakobus die in der Weisheitstheologie vorausge setzte tiefe Kluft zwischen Reichen und Armen (vgl. etwa Sir 13,15-24) nicht ungefragt übernimmt, das Faktum der Existenz von Armen und Reichen parallel zur Trennung von Lamm und Wolf, Hund und Hyäne nicht als naturgegeben akzeptiert (ebd. 13,17f.), sondern Solidarität und Geschwisterlichkeit einklagt, ohne — wie die älteste Jesustradition — solche sozialen Unterschiede etwa durch radikalen Besitzverzicht überwinden zu wollen. Hier geht Jakobus in seiner Ekklesiologie und Ethik zwischen Weisheitstraditionen und frühen Jesustraditionen einen mittleren Weg. Dieser ist nicht einfacher, weil er einen dauernden sozialen Ausgleich und Solidarität in der Gruppe der Christen erfordert. Dies kann durchaus schwieriger sein als ein einmaliger, pauschaler Besitzverzicht, der im Unter schied zu einer kleinen, wandernden Prophetengruppe (wie in der ältesten Jesustradition) in seßhaften Gemeinden mit Familien ohnehin als Modell für alle kaum praktikabel ist. Grundsätzlich müssen Christen unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen neue Konzepte solidarischer Ethik in der Gemeinde entwickeln — ein Grundsatz, der an Aktualität nichts eingebüßt hat. Die theologische Begründung hingegen dürfte konstant bleiben, wie die Konzeption des Jakobus andeutet. Nicht die Ekklesiologie und Ethik sind
die eigentliche Basis, vielmehr ist diese noch einmal begründet — mit der Anthropologie zusammen — in der Schöpfungstheologie, in Gottes Sein und Handeln, kurzum im Gottesbild (s. u. den Exkurs nach 1,18). Jakobus geht es um elementare Probleme. Dies dürfte auch wohl der Grund sein, daß er die oft in neutestamentlichen Haustafeln behandelte Frage nach dem Verhältnis der Sklaven zu ihren Herren und umgekehrt oder die in der Weisheitsliteratur beliebte Thematik des Verhaltens der Schüler zum Leh rer, der Kinder zu ihren Eltern, der Frauen zu ihren Männern usw. nicht behandelt. Daß solche Konflikte nicht vorkamen, läßt sich nicht folgern, wohl aber, daß Jakobus andere für vordringlicher hielt. Da wir nur den Text des Jakobusbriefes als Zeugnis für die soziale Situation der Adressaten haben, sind Situation und Intention des Verfassers zusammen zu denken. Dies versucht eine handlungsorientierte Exegese. So sehr Jakobus aus dem breiten Strom weisheitlicher und ethischer Tradition des Frühjudentums und Urchristentums schöpft, so deutlich ist es, daß er wie die Verfasser dort mit allen ihm zu Gebote stehenden sprachlichen Mitteln und theologischen Argumentationen sowie durch die (für Glaubende) in ihnen enthaltenen Evidenzen »die gruppenspezifischen Unterschiede überwinden« (Küchler 569) will. Jakobus geht es um eine Aufhebung der Gespaltenheit in der Gemeinde, der Trennung von Glauben und Werk. Dies ist für ihn aber nicht nur ein ethisches, sondern ein anthropologisches und theo-logisches Problem. Jakobus zielt nicht nur auf eine integre und heile Gemeinde, sondern auf den integren und heilen Menschen, der seine Ermöglichung wiederum von Gott her erhält.
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3
465. - Saebo, M., asre, in: THAT 1, 1978, 257-260. - Strecker, G., makarios glücklich, selig, in: E W N T 2, 1981, 925-932. - Ders., Die Bergpredigt. Ein exegetischer Kommentar, Göttingen 1984, 28-50. — Walter, N., »Hellenistische Eschatologie« im Frühjudentum — ein Beitrag zur »Biblischen Theologie«?, in: ThLZ 115(1985) 331-348.
Nach der Ausweitung des Exordiums (1,2-4) durch drei konkrete Erprobungen/Anfechtungen der Adressaten (l,5-6a.6b-8.9-ll) kehrt Jakobus in Vers 12 zum grundsätzlichen Denkansatz zurück. In Variationen werden die Stichworte »Freude, Prüfung/Erprobung, standhalten, Ausdauer« wieder aufgenommen — jedoch mit dem Ausblick auf die eschatologische Vollendung abgeschlossen. 1,12 bildet also mit 1,2-4 eindeutig den Rahmen des ganzen Abschnittes 1,2-12. Zudem gilt: Vers 12 verallgemeinert als These ebenso wie die Verse 2-4, da nicht nur alle selig gepriesen werden, die die genannten drei Anfechtungen bestehen, sondern alle, die überhaupt in jeglicher Anfechtung/Erprobung (im Griechischen fehlt der Artikel) sich bewähren. Diese Grundsätzlichkeit entspricht der stereotypen MakarismusFormel in »anerkannten Weisheits-Psalmen« (Saebo 258). Hinzuweisen ist etwa auf Ps 1,1; 31,1; 33,9; 105,3; 111,1; 126,5; 127,1 (insgesamt ist der Makarismus 25mal in den Psalmen belegt), so daß die Seligpreisung weisheitlichen Ursprungs sein dürfte (so Käser, Saebo u.a.; vgl. auch Ijob 29,11; Spr 3,18; 31,28; Sir 14,1.2.20; 25,8f.; 28,19; 31,8; 48,11; 50,28; zur weisheitlichen Einwirkung auf die neutestamentlichen Makarismen in Mt 5,1-12 par Lk 6,20-23 vgl. Frankemölle). Auch die Verwendung von zwei Makarismen in der vorqumranischen, weisheitlichen Mahnrede mit Vergänglichkeitsklage in 4 Q 185,1-2, II, 8, 13 (Lichtenberger 158.160) bestätigt diese Herkunft, während sie in Qumran selbst nicht belegt sind. Die rabbinische Literatur hingegen belegt den traditionellen Sprachgebrauch (Billerbeck I 189). Inhaltlich zielen die weisheitlich geprägten Makarismen auf die
gegenwärtige Situation und das diesseitige Wohlergehen der Adres saten; nur hier und da klingt das den Tod überdauernde unvergäng liche Leben an (Ps 71,17; 4 Makk 17,18; 18,19). In der jüdisch apokalyptischen Literatur wird hingegen die Hoffnung auf eine ewige Seligkeit und die Unvergänglichkeit des Lebens deutlich formuliert. So in äthHen 58,2: »Selig seid ihr Gerechten und Auserwählten; denn herrlich wird euer Los sein« (vgl. ebd. 81,4; 82,4; syrBar 10,6f.; 11,6; 48,48-50; 52,5-7; 54,16-18; PsSal 4,23; 17,44.50; 18,6; Offb 14,13; 19,9; 20,6). Überall bezieht sich der apokalyptische Makarismus auf die, die im letzten Weltgericht gerettet werden und denen in der Regel (die Apokalyptik ist eine Krisen-Theologie, die auf fundamentale Ängste bestimmter Grup pen antwortet) im Gegensatz zur weisheitlichen Tradition auf Erden ein erfülltes Leben versagt blieb. Ohne Zweifel steht Jak 1,12 formal in der futurisch- eschatologischen Tradition, die in der Regel als apokalyptische Tradition bestimmt wird. Allerdings ist der Vers inhaltlich deutlich vom weisheitlich-ethischen Kontext paränetisch orientiert; dies bestätigt nicht nur der Kontext in 1,2-12, sondern auch die aktive Wendung »wer in der Prüfung/Versuchung standhält« in 12a. Diese lebens praktische Nuance betont Jakobus noch im ersten Kapitel in einer zweiten Seligpreisung in 1,25: Wer aber hineingeschaut hat in das vollkommene Gesetz, das der Freiheit, und dabei verharrt, wird - da er nicht ein vergeßlicher Hörer, sondern Täter des Werkes wurde selig sein in seinem Tun. Jakobus geht es nicht um ein unerwartetes Eingreifen Gottes und um eine Umkehrung weltlicher Verhältnisse, vielmehr ist die Ver wirklichung des Glaubens im Tun (1,4 mit den Fallanalysen in 1,5-11) Voraussetzung und Bedingung der zukünftigen Seligkeit. Anteil an der Welt Gottes erhalten nur die »Täter des Wortes« (1,22). In diese ethisch-weisheitliche Perspektive hätte Jakobus apokalyptische Vorstellungen eingetragen. So auch die vom Kranz des Lebens (wie in der Regel angenommen wird). Als Parallele verweist man auf Offb 2,10: »Sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den Kranz des Lebens geben.« Man schließt dabei von dem dort ausgesprochenen Gedanken der Martyriumsbereitschaft auch auf Christenverfolgungen im Jak (etwa Dibelius 97.118; Davids 67). Demnach nehmen Jak wie Offb ein apokalyptisches Motiv auf
(Hoppe, Hintergrund 42; Ruppert 177), was die ähnlichen Wen dungen wie »Kranz der Gerechtigkeit, der Herrlichkeit« bestätigen (vgl. 2 Tim 4,8; 1 Petr 5,4; Test X I I Benj 4,1; Test X I I Lev 8,2; 8,9; Asc Jes 11,40; 1 QS 4,7f.; 1 QSb 4,2; 4,28). Der Lohn der Beständigkeit ist nach Jak 1,12 ohne Zweifel das ewige Leben, das endzeitliche Heil, bleibender Anteil an Gottes Welt, was metapho risch im breit belegten Bild des Kranzes prägnant und zugleich illustrativ umschrieben wird. Während Dihelius einen »geradezu sprichwörtlichen Gebrauch« (119 mit weitverstreuten Belegen ohne traditionsgeschichtliche Querverbindungen) in dieser Wendung sieht, dürfte es sich als ergiebig erweisen, auch hier die Weisheits-Literatur zu konsultie ren. Während die Wendung »Kranz des Lebens« in der Septuaginta nicht belegt ist (doch vgl. die kontextuelle Verbindung von »Krone der Schönheit« in Weish 5,16 mit der Zusage: »Die Gerechten aber leben auf ewig« in 5,15; in ähnlicher Nähe stehen die Begriffe in Ps 20,4 f.), ist Leben jedoch in der Weisheitsliteratur als das Heilsgut angeboten. Hinzuweisen ist auf Wendungen wie »Weg des Lebens« (Ps 15,11; Spr 4,23; 5,6; 6,23; 8,35; 10,17; 15,24; 16,17), »Licht des Lebens« (Ps 55,14), »Baum des Lebens« (Spr 11,30; 13,12; 15,4), »Quelle des Lebens« (Spr 13,14; 14,27; 16,22; 18,4; Sir 21,13). Schon »die Weisheit vermittelt Leben nicht nur im Sinne von Glück oder Länge des natürlichen Lebens, sondern als ein über die irdische Sphäre hinausweisendes Heilsgut, Leben also im eschatologischen ... Sinne« (G. Bertram: T h W N T 2, 1935; 856; anders u. a. Schräge 18 f.). Dabei ist — gerade auch im Hinblick auf den Ansatz bei Jakobus — festzuhalten, daß das Angebot des Lebens sich in der Weisheitsliteratur vom Kult gelöst hat, zudem nicht mehr an Israel als ganzes gerichtet wird, sondern an den einzelnen (G. Gerleman: T h H A T 1, 1978, 556; von Rad, Theologie I 454 ff.). Diesem Befund parallel geht die bildliche Verwendung von Kranz speziell in der Weisheitsliteratur (W.Grundmann: T h W N T 7, 1964, 625 f.). Nach Spr 4,9 wird die Weisheit »auf dein Haupt einen lieblichen Kranz setzen, mit einer herrlichen Krone dich beschenken«. Spr 14,24 lautet: »Ein Kranz für die Weisen ist ihr Reichtum«. Sir 1,11 lautet: »Die Furcht des Herrn ist Ehre und Ruhm, Fröhlichkeit und Kranz der Freude« und 1,18: »Kranz der Weisheit ist die Furcht des Herrn, er läßt Heil sprossen« (vgl. 6,31). Vor allem Sir 15,6 betont den eschatologischen Charakter: »Fröhlichkeit und den Kranz der Freude findet er, und ewigen Ruhm gibt sie ihm zu eigen.« Ähnlich Weish 5,16: Die Gerechten 3
»werden die Königskrone der Herrlichkeit und die Krone der Schönheit aus der Hand des Herrn empfangen.« Von der Tugend heißt es in Weish 4,2: »Und im Jenseits trägt sie triumphierend den Kranz, weil sie siegte im Streit um reine Kampfpreise.« Ahnlich 4 Makk 17,15: »Siegerin aber blieb die Gottesfurcht, sie setzte ihren Kämpfern den Kranz auf.« Auch Philo formuliert diesen Gedanken bei seinen Ausführungen über Abrahams Wanderung: »Wer also auf diesem Wege (der Frömmigkeit und des Glaubens) weder müde wird, so daß er versagt und zusammenbricht, noch leichtfertig ist, so daß er sich seitwärts abwendet und verirrt, da er den mittleren, gerade gerichteten Weg verfehlt — wer es den guten Läufern nachmacht, seine Lebensbahn ohne Fall durchläuft, der wird, am >Ziele< angelangt, die verdienten Kränze und Siegespreise erhalten« (De migr Abr 133 f.). Der Uberblick zeigt, daß nicht unbedingt apokalyptische Tradition von Jakobus rezipiert sein muß, zumal bei Kranz auch aufgrund der Lebenserfahrungen der Adressaten an das im paganen Bereich weitverbreitete Symbol des Kranzes im Sport, beim Militär, im Kult u. a. gedacht werden kann (vgl. neben Philo und Offb auch die Aufnahme dieses Bildes durch Paulus in 1 Kor 9,25; vgl. auch 1 Petr 5,4), ohne daß für Jakobus hier eine direkte Tradition nachgewiesen werden kann. Gemeinsam ist natürlich der Gedanke: Wer einen Sieg erringen will, muß zum einen gut vorbereitet ins Rennen gehen, zum anderen im Wettbewerb durchhalten und sich durchsetzen; auf jeden Fall wird sein Können auf die Probe gestellt. Bei allen Übereinstimmungen sind aber die Abweichungen in der Verwen dung der Metapher nicht zu übersehen. Vor allem fehlt in der paganen Literatur jeglicher Gedanke der eschatologischen Anerken nung und Entgeltung. Gemeinsam mit der Weisheitsliteratur ist Jakobus jedoch der Gedanke des Aushaltens in alltäglichen Gege benheiten, der nicht apokalyptisch gewendet wird zum Abfall in der endzeitlichen Versuchung (so H. Kraft: E W N T 2,1981, 655 zu Jak 1,12). Wer den in Jak 1,5-11 entfalteten mannigfachen Erprobun gen/Versuchungen (Mangel an Weisheit, Mangel an Glauben, Anfechtung durch Armut und Reichtum) standhält (immer wieder, dauernd: im Griechischen steht unapokalyptisch in 12a das Verbum im Präsens), kann — ebenso wie der gläubige Beter in Vers 5 - gewiß sein, das eschatologische Heil, metaphorisch gesprochen »den Kranz des Lebens«, von Gott zu empfangen. Nur muß man deutlich sehen, daß es in 1,5-11 um Alltagserfahrungen und deren Themati sierung geht (nach Dibelius 99, Mußner 85 und Millauer 138 denkt Jakobus nicht an bestimmte Versuchungen).
Nicht einmal beim Gedanken an die zukünftige Vergeltung muß Jakobus auf apokalyptische Traditionen zurückgreifen, wie in der Regel bis heute angenommen wird. Denn: Der typisch weisheitli che Gedanke, daß im Konzept des Tun-Ergehen-Zusammenhangs die Folgen des menschlichen Handelns innerweltlich zu interpre tieren sind, wird in der jüngeren hellenistisch-jüdischen Literatur über die Todesgrenze hinaus weitergeführt (zu 2 Makk, 4 Makk, Testljob, PsPhok vgl. Walter 339 f.). Mag auch im Ijobbuch eine Hoffnung über den Tod hinaus ausdrücklich verneint sein (vgl. 13,13-16; 14,7-14; 16,18f.; 17,15f.) und mag zutreffen: »Eine über den Tod hinausgehende Hoffnung kennen weder die dem Hiobbuch vorausgehende Weisheitsliteratur Israels noch das Hiobbuch selbst«, für Ijob gibt es »höchstens noch eine Hoffnung im, nicht aber aus dem Totenreich« (Preuß, Einführung 98 zu Ijob 19,2527), so treffen diese Worte auf die jüngere — griechische! — Weis heitsliteratur nicht mehr zu (vgl. Weish 1-6, bes. 4,2; 5,15f.; 6,21; Sir 2,9; 7,17; 15,6; 16,12; 43,13; 48,11; vgl. auch Ps 49 und 73), auch wenn dies bis heute in neutestamentlicher Literatur angenom men wird (vgl. Baasland, Jakobusbrief 124; von Lips, Traditionen 432.434). Begründet ist diese Forschungslage in der Konzentration der jüdischen und christlichen Alttestamentier auf die hebräische Bibel (zu den Gründen der späten Wiederentdeckung der Weis heitsliteratur vgl. Frankemölle, Jakobusbrief 305 f.). Gilt für den hebräischen Sirachtext, »daß der häufig verwendete Begriff >Leben< ... mit dem Glauben an ein seliges Weiterleben nach dem Tode nichts zu tun hat«, so läßt der griechische Sirachtext »eine fortge schrittene Auffassung durch Übersetzungen und Zusätze erken nen«, die »wahrscheinlich« machen, »daß schon der Enkel bei seiner Übersetzung, einige Zeit nach 132 v.Chr., an Lohn und Strafe im Jenseits glaubte« (Hamp 93.95). Es ist also festzustellen, »daß Ben Sira selbst keine jenseitige Vergeltung kennt, wohl aber die Übersetzer mit ihr rechnen« (Dommershausen 42). Von der hebräischen zur griechischen Weisheitsliteratur läßt sich demnach ein deutlicher »Fortschritt« feststellen (zur Eschatologie in Sir vgl. auch Fang Che-Yong 37-54, in Sir und Weish vgl. Di Lella 143-146). In dieser griechischen Weisheitstradition steht Jakobus mit seiner eschatologischen Konzeption, wie sie bereits in 1,12 anklingt. 12b: Zur weisheitlichen Tradition gehört schließlich auch das Adjektiv wert/anerkannt/echt/geprüft/geläutert: dokimos, wobei Prüfungsmittel/dokimion (vgl. 1,2) nicht Feuer und Ofen sind (Sir 2,5), sondern — wie üblich in der Weisheitsliteratur — die
von Jakobus benannten inneren und äußeren Erprobungen und Versuchungen. Bei der Auswahl der Versuchungen scheint sein redaktionelles Interesse sichtbar zu werden — in der Übertragung des üblichen metaphorischen Bildes in das konkrete, alltägliche Leben der Christen: Die in 1,5-11 genannten Versuchungen als »euer Prüfungsmittel des Glaubens« (zur Bedeutung dieses Prono mens und zu seiner Stellung am Versende vgl. oben zur Formkri tik) bewirken Geduld. Der weisheitliche Erziehungsgedanke ist in 1,12 wie in 1,2-11 deutlich, ebenso die weisheitliche Überzeugung, daß allein Gott Geber der wahren Weisheit, des wahren Glaubens und des Gelingens geschwisterlicher Identität und Solidarität ist. Das Bild des von Gott wie Gold im Feuer geläuterten und geprüften Menschen ist neben Sir 2,5 noch belegt in Spr 17,3; 27,21; Weish 3,4-6; Jdt 8,25-27; 65,10; Mal 3,3. Christlich rezipiert findet es sich in 1 Petr 1,7; Offb 3,18; Herrn v. IV 3,4 und 6Esr 16,74. Damit gehört das Bild in jenen für jüdische Ohren unproblematischen, geschichtstheologischen und vor allem weisheitlichen Zusammen hang, daß Gott wie Abraham (vgl. Jak 2,20-24) und Ijob (5,11) alle Erwählten geprüft hat (vgl. Millauer 137-145). Im Hinblick auf Jakobus ist jedoch darauf zu achten, daß er weder in 1,12 noch bei den Reflexionen über die Mangelzustände in der Gemeinde (1,5-11), noch bei Abraham in 2,20 ff., noch bei Ijob in 5,11 direkt von einer Versuchung durch Gott redet. Bleibt die Frage nach dem Verursa cher der Erprobungen und Versuchungen zunächst in 1,2-12 offen (diese Leerstelle dürfte von den Lesern im traditionellen Sinn gefüllt worden sein), so wird Gott als Erprober/Versucher in 1,13 ff. (sicherlich zur Überraschung der Leser) ausdrücklich abgelehnt. Gott als Versucher der Menschen kollidiert mit dem Gottesbild des Jakobus in 1,5c; dies wird in 1,13 ff. im Kontext der Anthropologie des Jakobus differenziert ausgeführt (s. u.). 12c: Vom Gottesbild ist auch der Abschluß in Vers 12 geprägt. Gott als der, der nach 1,5 ungeteilt/einfach/vorbehaltlos gibt, steht zu seinen Verheißungen. Dies ist Grundlage des biblischen TunErgehen-Zusammenhangs (vgl. von Rad, Weisheit 165-181). So wie das vertrauensvolle Gebet nach 1,5 ganz sicher von Gott erhört wird, ebenso erwartet den, der sich ständig bewährt, der entspre chende Lohn. Gott ist treu zu denen, die ihn lieben. Auch wenn das Subjekt »Gott« in den ältesten Textzeugen fehlt, ist der Gedanke aufgrund des Kontextes, aber auch aufgrund der gepräg ten Traditionen (s. u.) wie aufgrund der Parallele in 2,5 gesichert, wo außerdem der Gedanke aus 1,9 von der Hoheit des Niedrigge stellten wieder aufgenommen wird:
Hört, meine geliebten Brüder! Hat nicht Gott die vor der Welt Armen als Reiche im Glauben und als Erben (seines) Königtums erwählt, das er denen verheißen hat, die ihn lieben? Untersucht man die Wendung »die ihn lieben« im Urchristentum und seiner Bibel, dem heutigen Alten Testament, findet sich ein auch für die theologische Konzeption des Jakobus auffälliger Tat bestand, da es von den ersten Belegen an ein festes Wortfeld gibt, zu dem neben der Wendung »die ihn/Gott lieben« (Bauer, Berger, Nissen) auch die Wendung »seine Gebote achten/tun« gehört (Beutler). Ursprungsort dieser Verbindung dürfte der Dekalog gewesen sein, wo sich unsere Wendung in beiden Versionen findet: »Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld« (Ex 20,5f.; Dtn 5,9f.). Ausgelegt wird dieses Wortfeld von »Liebe zu Gott« und »Halten der Gebote/Satzungen« vor allem im Buch Deuteronomium (vgl. neben der Dekalog-Stelle in 5,10 noch 7,9; 10,12; 11,1.13.22; 13,4; 19,9; 30,6.16.20). Rezeptionsge schichtlich am bedeutendsten wurde die Entfaltung des Hauptge botes in Dtn 6,4ff. (»Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen ...«), da dieses Gebet seit früher Zeit nicht nur Bestandteil der Tempelliturgie war, sondern auch im Synagogen gottesdienst beim täglichen Morgen- und Abendgebet zitiert wurde und zum täglichen Gebet aller Juden wurde, das auch in der Todesstunde gebetet wird. Es ist daher nicht erstaunlich, daß die Wendung »die ihn/Gott lieben« in Verbindung mit dem Halten seiner Gebote in der alttestamentlichen Literatur (vgl. Neh 1,5; Dan 9,4), vor allem in der biblischen und nachbiblischen Testa ments-Literatur belegt ist (Jos 23,11; 1 Kön 2,3f.; Tob 14,7.9; Jub 20,7; 36,5ff.; TestBenj 3,1; Testlss 5,1 f.; 7,6 u. a.), dann aber auch in den Texten von Qumran ( C D 19,1 f.; 20,21; 1 Q H 16,13) und im Neuen Testament (1 Kor 2,9; 8,3; Rom 8,28; Eph 6,24; 2 Tim 4,8; 1 Joh 4,10.20; 5,1) sowie in der sonstigen urkirchlichen Literatur (1 Klem 29,1; 59,3 u.a.). Überall in der jüdischen, neutestamentlichen und nachneutestamentlichen Literatur wird die Wendung »die ihn lieben« formelhaft verwendet (zu einem infor mativen Überblick über diese Tradition vgl. Beutler, 55-62).
Ob mit diesen allgemeinen Hinweisen auf ein weitverbreitetes Motiv bereits die von Jakobus rezipierte Tradition benannt ist, bleibt zu fragen. Es bleibt nämlich auffällig, daß das genannte Motivfeld innerhalb der Weisheitsliteratur vor allem im Buch Jesus Sirach rezipiert wird. Hier ist vor allem jene Stelle in 2,15 zu erwähnen, deren Kontext 2,1 ff. für Jak 1,2 ff. die traditionsge schichtliche Grundlage bot (s. o.), ebenso ist an das Motiv von den zwei Wegen, das in Sir 2,12 zum erstenmal im Judentum belegt ist, zu erinnern, das auf Jak 1,8 sowie 1,15.18 eingewirkt haben dürfte (s. o.). 2,15f. lautet: Die den Herrn fürchten, werden nicht ungehorsam sein seinen Worten, und die ihn lieben, werden beachten seine Wege. Die den Herrn fürchten, werden sein Wohlgefallen suchen, und die ihn lieben, werden ganz in sich aufnehmen das Gesetz. Die Liebe des wirklich Frommen zu Gott'mit der Wendung »die ihn lieben/der ihn liebt« ist ein konstantes Thema in Sirach, wie 1,10; 7,30; 34, 16 und 47,8.22 belegen. Kennzeichen der Gottes liebe — auch dies ist im Hinblick auf den Jak festzuhalten — sind Demut, Weisheitsstreben, Gesetzestreue, Gehorsam und Gottes furcht. Da Jesus Sirach die deuteronomische Motivverbindung rezipiert, dürfte Sir 2,1-18 nicht nur auf das Grundthema von Jak 1,2 ff. eingewirkt haben, sondern auch auf 1,12, zumal wenn man die Inklusion von 1,12 zu 1,2 ff. beachtet. Die Angesprochenen in 1,12 sind im Kontext von Jak 1,1-11 identisch mit den »vollkommenen« und »ganzen« Christen, die ein »vollkommenes Werk tun« (1,4), die bei Mangel an Weisheit alles von Gott erwarten (1,5 f.), die ein der Ordnung Gottes gemäßes Selbstbewußtsein haben (1,9-11) und die sich deswegen insgesamt - trotz aller ambivalenten Erfahrungen in ihrer individuellen und sozialen Existenz — (von Gott beschenkt) bewähren, da darin ihre Liebe zu Gott be-glaubigt wird. Denn darin stimmt Jakobus mit dieser grund-legenden Dekalog-Tradition überein, daß der Glaube, wenn er wirklich wahrer Glaube ist, sich be-glaubigen, im konkreten Vollzug bewähren muß (vgl. 2,14-26, bes. 2,19f.). Dem, der sich in der dauernden Anfechtung/Erprobung/Ver suchung bewährt, dem ist Gottes Gegengabe sicher. Das Gute zeitigt seine Wirkung für den Täter, dessen soll der Leser sicher sein.
Gerade der typisch weisheitliche Tun-Ergehen-Zusammenhang in 1,12 im Kontext von 1,2-11 bestätigt den Brief des Jakobus als weisheitlich-ethische Mahnrede mit stark appellativ-pragmatischer Ausrichtung. Dabei geht es Jakobus nicht wie Sir 34,10 (»Wer nicht versucht wurde, weiß wenig«) um Fortschritte in der Erzie hung, wohl jedoch wie Sir 2,1-5 (als der traditionsgeschichtlichen Vorlage für den Prolog des Jak: s. o.) um die Standhaftigkeit und Bewährung dessen, der von der Weisheit geleitet sich entsprechend verhalten möchte: Ihm stehen Versuchungen bevor, er wird gewarnt, nicht abzufallen, »damit du groß werdest an deinem Ende«. Bei der Läuterung »wie Gold im Feuer« und »im Ofen der Niedrigkeit« soll er an Gott glauben, denn: »Er wird sich deiner annehmen«. Auch im Rückblick der Auslegung bestätigt sich, daß Sir 2,1-6 und Jak 1,2-4.12 strukturell parallel aufgebaut sind. Der Appell des Jakobus lautet kurzgefaßt: Bewährt euch als Chri sten und als christliche Gemeinde in und trotz aller Anfechtungen (neben den drei inneren und äußeren Erprobungen/Versuchungen in 1,5-11 ist der Brief voll von Beispielen, wie solches Bewähren auszusehen hat), und Gott wird euch den »Kranz des Lebens schenken«. Alles kommt auf das Tun des Menschen an, wenn er sich nur die Weisheit wirklich von Gott hat schenken lassen. Alles kommt auf das Tun der Menschen an; dies ist eine Aussage, die erst im Kontext von 1,13 ff. angemessen verstanden werden kann, denn hier wird der sich eventuell aufdrängende Schluß, daß die Erpro bungen/Versuchungen, da sie bislang positiv gewertet werden, von Gott kommen könnten, von Jakobus eindeutig zurückgewiesen.
V. Kompositionskritische Zusammenfassung zu 1,2-12 Überblickt man den bisherigen Gang der Auslegung, bestätigt sich immer wieder, daß bei aller Traditionsgebundenheit des Jakobus die aktuelle Bedeutung von Begriffen durch Querverbindungen in seinem Brief, also durch den Kontext geprägt wird. Als leitende Perspektive bestätigt sich also die redaktionskritische, synchrone Auslegung, die nach dem Sinn des vorliegenden Textes fragt. Ihn haben die Adressaten in seiner übergreifenden Gestalteinheit gele sen. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß wir nicht wissen, wie
stark auch die Leser den Text diachron gelesen haben, da wir ihr Vorwissen nicht kennen, uns vor allem ihre bibeltheologischen und rhetorischen Kenntnisse unbekannt sind. Die These eines Primates der Synchronie vor der Diachronie ist also relativ, der Text selbst aber ist das, was wir in Händen haben. Er zeigt aber deutlich ein formales, stilistisch-rhetorisches Webmuster ( = textum), so daß zur Erfassung der Intention dieses »Textes« primär formkritische und synchron orientierte semantische Wortfeld-Untersuchungen notwendig sind, ohne daß die äußerst intensive Rezeption etwa von weisheitlichen Traditionen unterbewertet werden darf. Intertextuelle Vergleiche zeigen den Denkhorizont jener Zeit, nachgewiesene Traditionen aber zeigen jene Vorgaben, die Jakobus sprachlich und inhaltlich theologisch geprägt haben — im Akt der Selektion, der Rezeption und der Überarbeitung. Konkret hat sich die Weisheitsliteratur, gattungsmäßig vor allem Sir 2,1-18 und 15,11-20 als Tradition für das erste Kapitel des Jak herausgestellt. Diese schriftlich fixierte Tradition greift Jakobus auf. Der weisheit liche Horizont als wichtiger Lebenshorizont damaliger Menschen und als fundamentales Deutungsmodell der Wirklichkeit (vgl. dazu U. Luck, Welterfahrung und Glaube als Grundproblem biblischer Theologie, München 1976, bes. 20-36) soll jedoch nicht auf die Weisheitstradition und Weisheitsliteratur beschränkt werden, wenn behauptet wird, daß Jakobus diese schriftlich fixierte Tradi tion verarbeitet. Denn er verbindet sie z. B . mit dem ebenfalls weisheitlich, aber stoisch geprägten, jedoch vom Jahwe-Glauben transformierten Begriff der Vollkommenheit und mit dem philonisch-stoischen Gottesbild. Damit hat Jakobus das Thema seines Briefes gefunden. Die unstoische, aber gut jüdische Aufforderung (5b), von Gott die Beseitigung des Mangels an Weisheit zu erflehen, zeigt, daß es Christen unter den Adressaten gibt, die noch nicht den Vorstellun gen des Verfassers von wirklichen Christen entsprechen. Ebenso sind der Zweifel beim Gebet (6 ff.) sowie Anfechtungen durch Armut und Reichtum (9 ff.) Mangel-Zustände, die Jakobus tradi tionell als äußere und innere »Anfechtungen/Erprobungen/Ver suchungen« versteht, als »Prüfungsmittel« des Glaubens, die die Adressaten zur »Standhaftigkeit« führen können und sollen. Aber nicht stoische Unberührbarkeit und Unbeeinflußbarkeit, nicht pla tonische Erinnerung an die Ideenwelt sind das Ziel, sondern in der biblisch-jüdischen Tradition (zu Philo vgl. Völker 334-339) soll die Geduld ein »vollkommenes Werk« hervorbringen. Wirklicher Glaube muß wirk-sam sein, er ist auf Konkretisierung und Aktivi-
t a t (die nicht mit Werk-Gerechtigkeit gleichzusetzen ist) ausgerich tet, da nur so auch die Christen selbst in ihrer individuellen und sozialen Existenz aufgrund ihres Glaubensvollzuges »vollkommen und ganz/heil« werden können. Wer sich so verhält, wer diese Erprobungen durchsteht, wer »bewährt wurde« (12), der ist — die ser Tun-Ergehen-Zusammenhang ist bekanntlich traditionell weis heitlich (von Rad, Weisheit 170ff.; Luck, Welterfahrung 25ff.) — selig/glücklich zu preisen, da ihm der verheißene Lohn bei Gott (12b.c) gewiß ist. Diese eschatologische Konzeption war im weis heitlichen Denkansatz vorgegeben. Jakobus hat sie insgesamt in seine Konzeption integriert, so daß gilt: Der formalen Einheit von 1,2-12 entspricht die sachliche Einheit (was — wie die Querver weise zu allen fünf Kapiteln zeigen — sich als Prinzip dieser Schrift erweist). Im Grunde sind im Exordium (mit der vorläufigen, knappen Konkretisierung der wohl für den Adressatenkreis viru lenten Erprobungen/Versuchungen in 1,5-11) alle Themen der Schrift bereits angeklungen (vgl. den Exkurs 1). Nach der These, daß es für die Angeredeten Anfechtungen/Erpro bungen/Versuchungen gibt und daß diese positiv zu sehen sind aufgrund ihrer Funktion in einem bestimmten Verständnis von Wirklichkeit und Mensch (2-4), schiebt der Verfasser in diesen traditionellen, anthropologisch-theologischen Gedankengang seine Fall-Analysen ein. Blieb der Hinweis auf Anfechtungen in Vers 2 notwendig blaß (auf Verfolgungen deutet nichts hin; gegen Schule, Dihelius 97, Davids u. a.), mußte der Verfasser — im Hinblick auf seine intendierte Pragmatik und um das Interesse der Leser über haupt erst zu wecken — möglichst bald konkret werden. Nur so kann er die Leser/Hörer nicht nur interessieren, sondern sie auch in ihrer ureigenen Lebenssituation erreichen. Der Beginn von Vers 5 (»denn wenn einer von euch ...«) ist daher mit anderen Wer-voneuch-Stellen (vgl. 2,16; 5,13.14; 5,19) kommunikations-und situa tionsrelevant auszulegen. Sie geben wichtige Hinweise auf die Probleme und die soziale Schichtung der Adressaten des Jakobus (vgl. weiter dazu den Exkurs 3 nach 1,11). Erst nach der immer noch knappen Konkretisierung der schwieri gen Situation der Christen in 1,5-11 (im Verlauf der Schrift werden bewußt einzelne Probleme erneut aufgegriffen und entfaltet) fügt sich der traditionelle erste eschatologische Hinweis (zu weiteren Stellen und zur eschatologischen Konzeption des Jak vgl. den folgenden Exkurs) in Vers 12 sachlich richtig an. Auch wenn das Schlüsselwort »vollkommen« hier aufgrund der Traditionsgebun denheit von Vers 12 (mit dem Begriff »geprüft/geläutert«) nicht
erscheint, bleibt für die Verse 2-4 bestehen, »wie bedeutsam der Begriff teleios — in seiner eigenen Prägung — für Jakobus ist« (Delling 76; ähnlich Zmijewski). Da »vollkommenes Werk« und die Charakterisierung der angesprochenen Christen als »vollkom men und ganz« (4a.b) in Parallele zu 12a.b stehen, entspricht dem Tun im Leben, »der Bewältigung der Wirklichkeit« (von Rad 151) das Ergehen bei Gott. Von diesem eschatologischen Ziel her gewinnt das irdische Verhalten eine enorme Dringlichkeit und eine theologisch die Zukunft bestimmende Dimension. Die zu errei chende Geduld/Standhaftigkeit der Christen und das zu bewir kende, vollkommene Werk haben in sich schon eine kritische, das Gericht gleichsam bestimmende Funktion. Für Jakobus geht es von Anfang an nicht um »eine theologisch unprofilierte Anhäufung gemischter Imperative« (Walker, Allein 156), vielmehr versteht er — weisheitlich geprägt — anthropologische und sozial-ekklesiologische Probleme in sich schon als theologische. Seine Denkstruktur geht damit der Denkstruktur der weisheitlichen Theologen der Schrift der Urchristen parallel (vgl. dazu Kaiser, Begründung; Preuß, Erwägungen; Zimmerli, Struktur). Dabei geht es Jakobus wie den alttestamentlichen Weisheits-Theologen nicht um das Pro blem, ob der Mensch — bei allem Optimismus — diese von ihm angesprochene Vollkommenheit und Ganzheit in seiner individuel len und sozialen Existenzweise überhaupt erreichen kann. Wohl jedoch ist hier wie dort die Kategorie der Zukunft, formuliert: die eschatologische Aussage stärkstes Motiv für das sittliche Handeln der Menschen, da Juden, Christen und Marxisten (wie die Welt deutung von Ernst Bloch zeigen kann), aber auch jeder andere Mensch ohne Utopien, ohne den Traum von der heilen Welt und vom ungespaltenen Menschen nicht auskommen können. Sieht man diesen weisheitlich geprägten Tun-Ergehen-Zusammenhang im Jakobusbrief, gewinnen die von Jakobus angeführten Beispiele falschen oder richtigen Verhaltens ihre eschatologische Bedeutung, da in ihnen das Gericht gleichsam vorweggenommen wird. Damit ist jedoch schon zu Beginn des Briefes das Verhältnis von »Escha tologie und Ethik« thematisiert, das bereits hier im Hinblick auf den gesamten Brief zusammenfassend dargestellt sei, da von einer Verhältnisbestimmung der beiden Begriffe ein sachgerechtes Ver stehen der jakobeischen Theologie entscheidend abhängt.
Exkurs 4: Eschatologie und Ethik Literatur: S.o. zu 1,12 sowie Dihelius 69-74 und Mußner 207-211; außerdem: Blondel, J. L., Le fondement theologique de la parenese dans l'Epitre de Jacques, in: RThPh 111(1979) 141-152. - GnilkaJ., Apokalyptik und Ethik. Die Kategorie der Zukunft als Anweisung für sittliches Handeln, in: Neues Testament und Ethik. FS R. Schnackenburg, Freiburg 1989, 464-481. — Hoffmann, P., Zukunftserwartung und Schöpfungs glaube in der Basileia-Verkündigung Jesu, in: rhs 31(1988) 374-384. — Kar rer, M., Christus der Herr und die Welt als Stätte der Prüfung. Zur Theologie des Jakobusbriefes, in: KerDog 35(1989) 166-187. - Lauten schlager, M., Der Gegenstand des Glaubens im Jakobusbrief, in: ZThK 87(1990) 163-184. - Mußner, F., Die ethische Motivation im Jakobusbrief, in: Neues Testament und Ethik. FS R.Schnackenburg, Freiburg 1989, 416423. - Schnackenburg, R., Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments II, Freiburg 1988, 193-225, bes. 194-202. - Schräge, W., Ethik des Neuen Testaments, Göttingen 1989, 286-300, bes. 287-292. - Sigal, Ph., The Halakha of James, in: Intergerini parietis septum. FS M. Barth, Pittsburg 1981, 337-353. 2
Auch wenn in der gedanklichen Abfolge des Prologes die theozentrische Begründung und Ermöglichung der von Jakobus geforderten Ethik erst in den folgenden Versen geliefert wird (zur Anthropologie und Theo-logie vgl. den Exkurs 5 nach 1,18), sei bereits an dieser Stelle und zugleich im Vorgriff auf den ganzen Brief mit seinen Amplifikationen der im Prolog angeschlagenen Themen auf das Verhältnis von Eschatologie und Ethik eingegangen. Im Unterschied zur theozentrischen Begründung enthält die futurische Eschatologie verstärkt ein Element der Motivierung zum christli chen Handeln. Dies entspricht dem in der Weisheitsliteratur breit belegten Tun-Ergehen-Zusammenhang. Hierin ist Jakobus ganz unapokalyptisch, worin er im übrigen mit dem Evangelisten Matthäus übereinstimmt. »Eschatologische Erwartung ... führt also nicht, wie in der zeitgenössischen Apokalyptik, zur Abkehr von der Welt, sondern dazu, die Welt als Welt ernstzunehmen und ihre Belange zu ergreifen und zu den eigenen zu machen das heißt, daß das eschatologische Ziel stärkstes Motiv für das sittliche Handeln des Christen nach Mt ist« (Gnilka 479). Dies gilt, wenn man parallel zum schöpfungstheologischen Handeln Gottes an den Chri sten nach Jakobus (s. u. 1,18) bei Matthäus als Grund einer solchen Motivierung die Ansage und anfanghafte Konkretisierung der Herrschaft Gottes in Verkündigung und Praxis Jesu akzeptiert, was heute aber nicht mehr umstritten ist (ders., Jesus von Nazaret, Freiburg 1990, 87-165; Schräge, Ethik 23-45). Wie immer das Verhältnis zwischen präsentischer und futurischer Eschatologie in der Verkündigung Jesu näher zu bestimmen ist, es dürfte deutlich sein, daß er Vorstellungen vom endgültigen Anbruch der Gottesherrschaft, von der Auferweckung der Toten sowie vom Gericht über alle Menschen mit den meisten übrigen religiösen Gruppierungen im
Judentum seiner Zeit teilt, während religionsphänomenologisch neu für Jesus die Behauptung der jetzt erfahrbaren Gegenwart der Herrschaft Gottes in seinem Auftreten im sprachlichen und nichtsprachlichen Handeln ist (vgl. etwa Lk 11,20 par Mt 12,28). Die Frage stellt sich, ob eine ähnliche Aussage zu den präsentisch und futurisch eschatologischen Aspekten bei Jakobus gemacht werden kann. Im Kontext von 1,12 seien zunächst einige Hinweise zu den futurischen Aspekten der Eschatologie im Jakobusbrief gegeben. Sie sind durchgehend der biblischen und urchristlichen Tradition entnommen (zur Begründung vgl. die Auslegung bei den einzelnen Stellen). Dem, der in Versuchungen/ Erprobungen dauernd standhält und bewährt wurde, gilt der weisheitliche Makarismus, als Belohnung von Gott »den Kranz des Lebens zu empfan gen« (1,12). Während Jakobus an dieser Stelle in Rezeption der griechi schen Weisheitsliteratur (in Weiterführung der hebräischen) die Grenze des Todes überschreitet, zeigt der gleiche Makarismus in l,25d (»er wird selig sein in seinem Tun«), daß Jakobus mit der älteren Weisheit auch ganz diesseitig denken kann (aufgrund des Bezuges zum menschlichen Tun ist das Futur logisch zu interpretieren). Demgegenüber dürfte die Wendung in 1,21c »das eure Seelen zu retten vermag« aufgrund der Parallele in 5,20b (»wird seine Seele aus dem Tode retten«) futurisch-eschatologisch zu verstehen sein. Dies hängt nicht am Verbum »retten«, wie 5,15 (»und das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten«, damit er selbstverständlich weiterlebt) belegt. Hingegen dürfte das Verbum in 2,14d (»kann ihn etwa der Glaube retten?«), eindeutig aber in 4,12b (»ein einziger ist Gesetzgeber und Richter, der retten und verderben kann«) aufgrund des Gerichtsmotives eschatologisch-futurisch zu verstehen sein. Schon dieser Hinweis auf das Begriffsfeld »retten« macht deutlich, daß Jakobus nicht an einem Ausgleich zwischen präsentischer und futurischer Eschatologie gelegen war. Er sieht hier keine Alternative. Begründet ist dies in seinem Glauben an den in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wirkenden Gott, dem ein Verständnis vom Menschen als Existenz im Werden entspricht (s. u. den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo logie). Insofern ist die Frage, ob die Verheißung an die Armen in 2,5 (»Hat Gott nicht die vor der Welt Armen als Reiche im Glauben und als Erben seines Königtums erwählt, das er denen verheißen hat, die ihn lieben?«) präsentisch oder futurisch zu verstehen ist, falsch gestellt, da sie - alterna tiv verstanden — dem dynamischen und prozeßhaften Denken des Jakobus widerspricht. Wie in 1,9 (»Es rühme sich aber der Bruder: der niedrigge stellte seiner Hoheit«) dürfte das primäre Aktionsziel des Jakobus auf das Selbstverständnis der Adressaten für ihre gegenwärtige Lebenswirklichkeit zielen, woraus sich dann »Standhaftigkeit des Glaubens« (1,3), ein »voll kommenes Werk« (1,4a), die Vollkommenheit und Ganzheit der Adressa ten selbst (1,4b) ergeben sollten, dem dann aufgrund der Treue Gottes logischerweise in der Zukunft der »Kranz des Lebens« entspricht (1,12). Aufgrund der Parallelität von Prolog (1,2-18) und Epilog (5,7-20) ist es nicht erstaunlich, daß das Motiv der Ermutigung und des Trostes in allen
und trotz aller ambivalenten Erfahrungen erneut am Ende des Briefes auftaucht. Dort verbindet Jakobus — dies ist für das N T singulär — den traditionellen, apokalyptischen Begriff »Ankunft des Herrn« (5,7b.8c) mit dem aus der Jesustradition (Mk 1,15 par; Mt 3,2; 10,7; Lk 10,9.11) stamm enden Gedanken, daß die Gottesherrschaft »nahe ist/sich genähert hat«. Daß Jakobus — wie die Verfasser der Evangelientraditionen — das sich hier wie in der synoptischen Tradition findende Perfekt als die Gegenwart bestimmend verstanden hat, bestätigt 4,8: »Naht euch Gott, und nahen wird er sich euch.« Die präsentische Perspektive hält Jakobus deutlich fest, so daß seine Eschatologie, die ein wesentliches Element seiner Theologie ist (vgl. Mußner 210), kaum als »ausgesprochene Naherwartung« im futurisch-eschatologischen Sinn (Schräge 290) zu verstehen ist — es sei denn, man würde dies auch für die Naherwartung in der Verkündigung Jesu behaupten wollen (was Schräge - ebd. 23-42 - zu Recht ablehnt). Parallel verfährt Jakobus mit dem von ihm stark betonten Gedanken an ein zukünftiges Gericht (vgl. 2,12-13; 3,1; 4,12; 5,9.12). Wichtiger als der Hinweis, daß sich im Sinne der rhetorischen Steigerung zur Einwirkung auf die Adressaten die meisten Stellen im Epilog finden, ist die Beobachtung, in welchem theologischen Kontext Jakobus den Gerichts-Gedanken stellt. Dies entscheidet darüber, ob Jakobus ein Vertreter einer futurisch-apoka lyptischen Theologie ist (Baasland, Weisheitsschrift 122: »Die Schrift sieht alles aus der Perspektive des Gerichts«; fast wörtlich wiederholt ebd. 124) oder ob er es nicht ist. Wäre er ein apokalyptischer Gerichts-Theologe, müßte er der Überzeugung sein, »daß die gegenwärtige Geschichte von Heillosigkeit gekennzeichnet ist«, der »eine zunehmend pessimistische Einschätzung der Heilschance des Menschen« entspräche (Hoffmann 375). Auch wenn die Heilsmöglichkeit der sich unsolidarisch verhaltenden Rei chen (s. u. zu 5,1-6) bewußt offenbleibt (um sie zu neuem Handeln zu motivieren), Jakobus für alle Christen nicht von einem paradiesischen Zustand, sondern von der Ambivalenz im einzelnen Menschen und in der Gemeinde ausgeht, so ist doch von Beginn seines Briefes an das Menschen bild des Jakobus optimistisch, da es in seinem Glauben an Gottes Handeln verankert ist und somit die Möglichkeit einer Weiterentwicklung zum Heilsein in sich birgt (s. u. den Exkurs nach 1,18: Anthropologie und Theo-logie). Dies ist auch der Kontext für den Gerichts-Gedanken. Wie in der synoptischen Tradition so ist auch für Jakobus der »Richter« Gott, der die Christen gewollt hat (1,18), der niemanden versucht (1,13), von dem jede gute Gabe kommt (1,17; zur Weisheit vgl. 1,5 und 3,13-18), der die vor der Welt Armen erwählt (2,5), der den Menschen nach seinem Bild erschaffen hat (3,9), der seinen Geist in den Christen wohnen läßt, aber auch eifersüchtig danach verlangt (4,5). All diese schöpfungstheologischen Aussagen (von Jakobus vor allem als creatio continua verstanden!) sind die Basis und Voraussetzung für die Hinweise auf das Gericht. Gott gibt den Christen nach Jakobus die Ermöglichung nicht nur zum Sein überhaupt, sondern zu einer bestimmten Existenz im Werden, aber er prädestiniert ihn nicht, sondern gibt ihm — wie bei Jesus Sirach — die Willensfreiheit (s. u.
zu 1,13-15). Die Gerichts-Worte machen den Adressaten den Ernst ihrer Situation und die Radikalität der von ihnen geforderten Entscheidung für dieses Angebot Gottes deutlich. Wie Jakobus das Handeln des Menschen nicht als Voraussetzung für das Angebot Gottes versteht, sondern als Konsequenz (s. u. den Exkurs nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit«), so läßt sich kontextuell vom gesamten Jakobusbrief und seiner Theologie her der traditionelle Topos vom Gericht Gottes als Preis der menschlichen Freiheit verstehen (gegen Lautenschlager 169 u. a., der den Aspekt der Willensfreiheit in der Anthropologie nicht beachtet und Jakobus zu einem strengen Einschärfer der Gesetzesobservanz macht und entsprechend die ganze Christologie — auch in 2,1 — »exklusiv« unter der Perspektive des Gerichtes sieht. Differenzierter deutet Karrer 174-179, aber ebenfalls ohne den anthropologischen Kontext). Wie die synoptische Jesustradition und Paulus (vgl. Heiligenthal 135-278) kann auch Jakobus wegen der Verant wortung des Menschen für sein eigenes Tun, das nach dem weisheitlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang über seine Zukunft entscheidet, auf die Vor stellung nicht verzichten, daß sich der Mensch am Ende im Gericht Gottes dafür zu verantworten hat. Daß Jakobus die Zukunft an die Gegenwart bindet, den traditionellen Topos nicht mehr futurisch versteht, sondern als handlungsorientiertes Element der Einwirkung auf die Adressaten, bestä tigt etwa 2,13 (dort wird auch die Bindung der menschlichen Existenz an Ritualvorschriften aufgehoben):
Denn das Gericht ist unbarmherzig gegen den, der nicht Barmherzigkeit tat. Erbarmen triumphiert über das Gericht. Damit bestätigt sich im Durchgang durch den Brief, was sich für 1,12 nahelegte: Jakobus rezipierte bewußt futurische Aspekte der Eschatologie, verbindet sie aber zum einen mit dem über die Grenze des irdischen Lebens hinausreichenden Tun-Ergehen-Zusammenhang der griechischen Weis heitsliteratur seiner Bibel, zum anderen — dies macht die Wendung »die ihn (Gott) lieben« in 1,12c deutlich — mit den biblischen Tora-Traditionen (s. o. zu 1,12). Wie Jakobus einem naiven Tun-Ergehen-Konzept gegen über kritisch eingestellt ist (Reichtum ist kein Hinweis auf eine besondere Gunst Gottes, im Gegenteil; vgl. 1,9f.; 2,5-7; 5,1-6), so wehrt er sich gegen eine innerweltlich verstandene Deutung dieser Konzeption, als läge alles nur im Planen und Wollen des Menschen (s. u. zu den reisenden Kauf leuten in 4,13-17). Wer bei all seinem zukünftigen Planen Gott nicht mehr einkalkuliert, die Aufhebung seines Mangels an Weisheit und Unvollkommenheit nicht mehr von ihm erbittet (s. o. zu 1,4 f.), die Ermöglichung zu all seinen Werken nicht mehr »von oben« erwartet (1,17; 3,13-18), befindet sich im Irrtum und auf dem Todesweg (s. u. zu 1,15 f.). Jedem ist, wenn er nur darum bittet (1,5), die Möglichkeit gegeben, den automatischen und linearen Ablauf von Tat und Ergehen aufzuheben, dann aber — darin
stimmt Jakobus mit der gesamten Weisheitsliteratur überein (vgl. Heiligen thal 143-164) — wird Gott gemäß der formelhaften Wendung der Septua ginta »Ich werde einem jeden vergelten nach seinem Werk« (vgl. die Stellen bei Heiligenthal 149) handeln. Die Dringlichkeit der Mahnungen ist nicht mehr zu steigern. Dem entspricht der Qualitätsmaßstab für das menschli che Handeln, das bereits im Prolog (1,4b: »Damit ihr vollkommen und ganz seid«) dem göttlichen Handeln und Sein (1,5c: »der allen vorbehaltlos/ einfach und ohne zu nörgeln gibt«) entspricht (zur Parallelität von Men schen- und Gottesbild bei Jakobus vgl. den Exkurs nach 1,18). Diese Theo logie ist letztlich die Basis für das Verständnis des Jakobus von »Gesetz« (s. u. den Exkurs nach 1,25) und für den Gedanken der Rechtfertigung des Menschen durch Glauben und Werke (s. u. den Exkurs nach 2,24). Nur in dieser Verschränkung der verschiedenen theologischen Aspekte zeigt sich die Theologie des Jakobus als in sich stimmige Konzeption.
VI. Gott und die Prüfungen/Versuchungen (1,13-18) Bisher wurde in der Einzelauslegung und vor allem in den Exkur sen die Grundkonzeption der Auslegung vorgestellt — unter der Voraussetzung, daß der Jak eine literarische und thematische Ein heit ist mit einer einheitlichen und auf eine bestimmte Situation hin zielenden theologischen Konzeption. Die Breite der Ausführung war auch dadurch bedingt, daß nach antiker Literaturtheorie der Prolog - den, wie in diesem Kommentar angemommen wird, 1,218 bilden - bereits das Thema der folgenden Schrift enthält; daher steht und fällt eine Auslegung des Jak mit der Auslegung der Anfangssätze des Briefes. Vor allem sind davon die Verse 1,2-12 betroffen, da — nach den literar- und formkritischen Beobachtun gen (s. o.) — die Verse 1,13-18 eine Art große Anmerkung zur Beantwortung der Frage nach den Ursachen der in 1,2 ff. genann ten inneren und äußeren Versuchungen/Erprobungen sind, womit gleichzeitig die Frage gestellt ist, was denn Gott damit zu tun hat. Nachdem so die Grundlage gelegt wurde, kann von nun an die Kommentierung kürzer ausfallen, wobei die Anlage des Kommen tars konstant bleibt. Die Abfolge der einzelnen, sachlich zusam menhängenden, aber arbeitstechnisch wohl oder übel zu trennen den Schritte lautet also weiterhin:
— synchrone Betrachtung: Frage nach der Einheit der Verse und ihre Stellung im Kontext (literarkritische Betrachtung); Frage nach ihrer rhetorischen Eigenart (formkritische Betrachtung) — diachrone Betrachtung: Frage nach rezipierten Traditionen von Einzelmotiven und Gattungen und sonstiger Parallelen (tradi tionskritische Betrachtung) — thematische Auslegung der Einzelverse und Darstellung theolo gischer Fragen in Exkursen.
1. Woher kommen Versuchungen? (1,13-15) Literatur: Billerbeck IV.l (1928) 466-483 (Exkurs: Der gute und der böse Brandenburger, E., Fleisch und Geist, Neukirchen-Vluyn 1968. — Davids, P. H., The meaning of apeirastos in James 1.13, in: NTS 24(1978) 386-392. - Hübner, H., epithymia Begehren, Begierde, in: E W N T 2(1981) 68-71. - Korn, ]. H., Peirasmos. Die Versuchung des Gläubigen in der griechischen Bibel, Stuttgart 1937. — Kuhn, K G., Peirasmos — hamartia — sarx im Neuen Testament und die damit zusam menhängenden Vorstellungen, in: ZThK 49(1952) 200-222. - Lichtenber ger, H., Studien zum Menschenbild in Texten der Qumrangemeinde, Göttingen 1980. — Lindström, F., God and the origin of evil. A contextuell analysis of alleged monistic evidence in the Old Testament, Lund 1983. — Lütgen, W., Das Problem der Willensfreiheit in der vorchristlichen Synagoge (Beiträge zur Förderung christlicher Theologie 10), Gütersloh 1906, 53-88. - Maier, G., Mensch und freier Wille. Nach den jüdischen Religionsparteien zwischen Ben Sira und Paulus, Tübingen 1971. - Mar cus,)., The Evil Inclination in the Epistle of James, in: C B Q 44 (1982) 606621. — Montes-Peral, L. A., Akataleptos Theos. Der unfaßbare Gott, Leiden u. a. 1987. - Popkes, W., peirazo versuchen, in: E W N T 3 (1983) 151-158. - Seesemann, H., peira u. a., in: T h W N T 6(1959) 23-37. - Stein, L., Die Psychologie der Stoa, Berlin 1886, 119-125. Trieb.) —
13 a b c d 14 a
Keiner, der versucht wird, soll sagen: >Von Gott werde ich versucht<, denn Gott, der vom Bösen unversuchbar ist, versucht auch selbst niemanden. Jeder wird vielmehr versucht von seiner eigenen Begierde, b indem er von ihr angelockt und geködert wird. 15 a Dann wird die Begierde schwanger und gebiert die Sünde, b die Sünde aber, voll ausgereift, gebiert den Tod.
Zur Einheitlichkeit dieser Verse und ihrer Stellung im Kontext s. o. B I 1, zur rhetorischen Gestaltung s. o. B I 2. Formal und thematisch ist der Haupteinschnitt zwischen den Versen 2-12 und 13-18 dadurch bedingt, daß zunächst nach Vielfalt und Funktion der Versuchungen/Erprobungen gefragt wird und dann nach ihrer Herkunft. Damit verbunden ist in den ersten Versen eine stärkere anthropologische Perspektive, die hier von einer stärker theozentrischen abgelöst wird, wobei weder hier noch dort der jeweils andere Aspekt fehlt. Jakobus sieht beides als Einheit. Traditionskritisch ist nach verarbeiteten Motiven bzw. ganzen Texten auch bei der Frage nach der Herkunft der inneren Prüfun gen/Versuchungen zu fragen. Wie in diesem Kommentar üblich, wird zwischen wirklich rezipierten Traditionen und sonstigen Parallelen unterschieden, wobei letztere als Milieu durchaus in gleich starkem Maße auf den Verfasser eingewirkt haben können, was aber bloße Vermutung bleiben muß. Welche Vorstellungen auf Jakobus wirklich eingewirkt haben bzw. welche er wirklich rezi piert hat, muß oft unbeantwortet bleiben. Wie wir gesehen haben (s. o. zu Sir 2,1-18 und 15,11-20 als rezipierte Tradition des Jakobus), läßt sich diese Frage aber nicht nur für Jak 1,2-4.12, sondern auch für Jak 1,13 ff. sehr wohl beantworten. Sir 15,11 f.20 als Parallele lautet: 11 Sage nicht: >Durch Gott wurde ich abtrünnig<. Denn das, was er haßt, erschafft er nicht, 12 damit du nicht sagen kannst: >Er führte mich in die lrre<. Denn er bedarf nicht eines sündigen Menschen ... 20 Keinem gebot er, gottlos zu handeln, keinem gab er die Zügellosigkeit zu sündigen. Ein synoptischer Vergleich zwischen Sir 15,11 ff. und Jak 1,13 ff. bestätigt anhand der rezipierten Begriffe das Ergebnis der Tradi tionskritik. Dabei hat Jakobus durch das Stichwort »erprobt wer den/versucht werden« in 13a.b.d.l4a in Aufnahme dieses Begriffes aus 2b. 12a zugunsten der formalen und thematischen Einheit des Abschnittes die Vorlage aus Sir leicht variiert, um die Korrelation von äußeren (1,2 ff.) und inneren (1,13 ff.) Erprobungen/Ver suchungen zu betonen. Daher variiert er die sich in Sir 15,1.12 findenden Wendungen: »Durch Gott wurde ich abtrünnig/apesten« und: »Er selbst führte mich in die Irre/eplanesen«, wobei er letzteren Begriff jedoch in Vers 16 aufgreift. Ahnlich rezipiert er das Stichwort »Sünder« aus Sir 15,9.12 in 15a.b, das Stichwort
»Wille/Willensfreiheit/Trieb: diaboulion« aus Sir 15,14 (vgl. auch 17,6) in 15a sowie den Gedanken der Erschaffung des Menschen aus Sir 15,14 in 18. Daß Sirach den Gedanken der Versuchung durch Gott auch mit diesem Begriff benennen kann, zeigt 4,17 (dort allerdings auf die Weisheit Gottes bezogen): Denn unerkannt ging sie mit ihm (dem Sohn der Weisheit) und bringt Furcht und Zagen über ihn, sie drängt ihn mit ihrer Erziehung ... und erprobt ihn mit ihren Geboten. Die Strukturparallelität bei Jakobus und Sirach, nicht zuletzt auch deutlich in der indirekten Zitation eines »Gegners«, der eine andere theologische Position vertritt, dürfte deutlich sein. Außerdem hatte Jakobus den Begriff »peirasmos: Erprobung/Versuchung« in 1,2.12 bereits aus Sir 2,1 übernommen, der dort in 2,2 ebenfalls durch ein weiteres Synonym variiert wird. EJie stärkste Parallelität zwischen Jakobus und Jesus Sirach liegt jedoch nicht in formal-stilistischen Aspekten, vielmehr in der hier und dort übereinstimmenden Grundthese. Gegen »die Leugnung der Willensfreiheit von Seiten epikureisch-philosophisch argumen tierender jüdischer Gegner in Jerusalem«, die Vertreter einer Prä destination des Menschen durch Gott waren, nimmt Jesus Sirach den Gedanken der Vorsehung, der im Glauben an die Schöpfung durch Gott impliziert ist, auf, verbindet ihn aber mit »einer dezidierten Bejahung der Willensfreiheit« (Maier 113; zur Begrün dung ebd. 24-115). Jesus Sirach wendet sich mit seiner Konzeption gegen Schicksalsgläubigkeit und gegen die Unfreiheit des Men schen, der abhängig ist von der Heimarmene/Macht des Schicksals. Die Verbindung solcher Gedanken mit dem jüdischen Glauben bedeutete nicht nur, daß ihre Vertreter die Willensfreiheit und die Verantwortlichkeit des Menschen für die Sünde bestritten, viel mehr war es auch konsequent, daß sie die Tora und den Vergel tungsgedanken aufgaben. Das Buch Kohelet ist ein Beispiel dafür, wie weit man im jüdisch-weisheitlichen Bereich vor Sirach bereits gegangen war (vgl. Koh 3,11; 7,23; 11,5 f.). Gegen solche Thesen polemisiert Jesus Sirach und stellt das Dogma von der Willensfrei heit und der Verantwortlichkeit des Menschen auf. Vor allem die Religionsrichtungen der Sadduzäer und Pharisäer sind ihm in diesem Punkt gefolgt (vgl. Maier 116-164.264-350). Nicht weniger Jakobus! Auch ihm geht es weder »schlicht und einfach um die Bekämpfung
falscher Ausreden und demoralisierender Ausflüchte« (Schräge 19), noch dient der Vers Jakobus vordergründig »zur praktischen Bekämpfung von Ausflüchten derer, die in der Versuchung gefallen sind«, so daß er sich mit seiner praktischen Tendenz nur »wider leere Ausflüchte« richtet (so Dibelius 122). Wohl verbaut Jakobus billige Fluchtwege, aber im Namen des zweiten Dekalog-Gebotes, wonach Juden und Christen Gott und seinen Namen »nicht miß brauchen« dürfen. Im Kontext der grundsätzlichen theozentrischen Argumentation zum Wesen Gottes (5c.d.l2), die Jakobus in 13c.d und 17d wieder aufnimmt, ist 13a.b ein Beleg dafür, wie das Denken des Jakobus von der anthropologischen zur theozentrischen Ebene übergeht. Die Anthropologie korreliert der Theo logie. Was bereits in anthropologischer Perspektive inkonsequent ist - ein Mensch, der infolge »seiner eigenen Begierde« (14a) sündigt, kann schon logischerweise nicht sagen: >Gott hat mich zur Sünde verführte - , ist theozentrisch, ohne daß hier die Prädestina tionslehre im Hintergrund steht, absurd. Das Gottesbild des Jako bus läßt einen solchen Gedanken überhaupt nicht zu (s. u. nach 1,18 den Exkurs: Anthropologie und Theo-logie im Jak). Daher hat Jakobus von Anfang an die Frage, woher die Erprobungen/ Versuchungen und die Mangelzustände kommen (1,2-11), nicht theozentrisch angelegt, wohl jedoch Gott als denjenigen genannt, der diese Zustände verändern kann (5b-d.7b.l2b.c). Nur so ist die Identität, Treue und UnVeränderlichkeit Gottes (17d) gewahrt. Damit belegt Jakobus mit Jesus Sirach eine jüdisch durchaus mögli che, aber nicht gängige Konzeption, wobei man die Unterschiede nicht abschwächen sollte (wie in den Kommentaren oft üblich). Die gängige Vorstellung war die, daß Gott selbst Menschen erprobt und versucht, wie in besonders ausdrücklicher Weise an den Gestalten Abraham und Ijob deutlich wird (zu Abraham vgl. Gen 22,1-19; Jdt 8,22; 1 Makk 2,52; Sir 44,20), aber auch für andere belegt ist (Ex 16,4; 20,20; Dtn 8,2; Ri 2,22). Korrekturen an dieser beeindruckend einfachen Lösung finden in der Bibel in zweifacher Richtung statt. Zum einen werden die älteren Vorstel lungen (vgl. 1 Sam 24,1 mit 1 Chr 21,1 sowie Gen 22,1 ff. mit Jubil 17,16) dahingehend korrigiert, daß nicht Gott selbst versucht, sondern Satan oder Mastema, der oberste der Teufel, mythologi sche Tiere wie die Schlange (Gen 3,13) oder ein Mitmensch (Gen 3,12). Zum anderen hält die Weisheitsliteratur entgegen den genannten mythologischen Deutungen an der Versuchung durch Gott selbst fest, interpretiert sie aber von der griechischen Pädago gik her (»ein Mensch, der nicht geschunden ward, ward nicht
erzogen«/ho me dareis anthröpos oü paideüetäi) als Erziehung durch Gott. Daß Gott Israel wie einen Sohn erzieht, ist in der biblischen Theologie seit Hosea gut belegt (vgl. 5,2; 6,5; 7,12.15; 10,10; vgl. auch Ps 117,18; Spr 3,11; Ijob 5,17; zu Gott als Erzieher Israels vgl. H. Klein, Erziehung, in: N B L 1, 1991, 586f.). Ziel der Züchtigung Israels, das immer wieder zu Besinnung und Einsicht geführt werden muß (vgl. Ijob 33,12 ff.) ist das Leben als Volk Gottes. Dieser Prozeß war oft schmerzlich, auch in der Theologie. »Aufs Ganze gesehen muß es doch auffallen, wie schwer es Israel gefallen ist, das Leiden, das es zumeist für etwas absolut Lebensfeindliches gehalten hat, derart zu relativieren, und wie zögernd es zu einer rationalisierenden Betrachtung der Leiden als einer dem Glauben begreiflichen göttlichen Pädagogik hinge funden hat« (v. Rad, Theologie I 415). Die Weisheitstheologen kannten diese »Bauchschmerzen« nicht mehr, wenn sie Leiden als Möglichkeit zur Bewährung und Läuterung verstanden, konnten doch gerade Fromme und Tiefgläubige in solchen Erprobungen/ Versuchungen sich »wie Gold im Feuer« bewähren (s. o. zu 1,3). Unter solchen Voraussetzungen sprechen auch christliche Theolo gen weiterhin von Versuchungen durch Gott selbst. So kann Paulus einmal von der Versuchung durch den Satan (vgl. 1 Thess 3,5; 1 Kor 7,5) reden, ein andermal, ohne den Verursacher zu nennen, an die Versuchung durch Gott denken, wobei es Gott aber nicht zuläßt, daß die Kraft des Menschen überschritten wird ( 1 Kor 10,13: »Noch ist keine Versuchung über euch gekommen, die den Menschen überfordert. Gott ist treu; er wird nicht zulas sen, daß ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch in der Versuchung einen Ausweg schaffen, so daß ihr sie bestehen könnt.«). Auch das Vaterunser geht in seiner letzten Bitte »Und führe uns nicht in Versuchung« (Mt 6,13 par Lk 11,4) im Kontext der universalen dynamischen Macht Gottes von diesen Vorausset zungen aus, ohne daß die Frage nach dem direkten Verursacher der Erprobung angesprochen wird; außerdem klingt - anders als in Jak 1,13 ff. — nicht der Gedanke an, daß es um eine Versuchung zum Bösen (13b) und zur Sünde (15a.b) geht. Hier wie dort geht es um unterschiedliche erfahrungstheologische Probleme. Dies gilt es zu beachten. Die These des Jakobus lautet: Der Glaubende wird zwar durch die ambivalenten Erfahrungen und durch die vorfindliche Lebenssitua tion in nichtchristlicher Umgebung geprüft, aber es ist nicht Gott, der ihn zum Bösen veranlaßt. Woher die Prüfungen/Erprobungen/ Versuchungen kommen, bleibt in 1,2 ff. offen. Wenn Jakobus
jedoch die Aufhebung der Mangelzustände, vor allem des Mangels an Weisheit in 1,5 von Gott erbittet, wird bereits hier indirekt angedeutet, daß die Konflikte und Krisen, die Christen zu durch leiden haben, nicht von Gott verursacht werden. In Amplifizierung zu 5c.d begründet Jakobus diesen Gedanken in 13-18 - und dies ist für die theologische Konzeption des Jakobus bedeutungsvoll - vom Wesen und Handeln Gottes selbst. In 13c.d artikuliert Jakobus die Frage nach der Unversuchbarkeit Gottes. Wie kein anderer Theologe im N T beantwortet Jakobus die Grundfrage gläubiger Menschen, wie man über Gott denken kann, konkret, wie man die Transzendenz und Immanenz Gottes gleichzeitig festhalten kann, wirklich komplex. Denn die eigentli che theozentrische Begründung ist nicht nur sprachlich einmalig (apeirastos in 13c kommt im Alten und Neuen Testament nur hier vor), auch die thematische Begründung ist erstaunlich. Hatte er in Vers 2 lediglich die Vielfalt der Prüfungen/Versuchungen festge stellt (seine Leser dürften die Frage nach ihrem Woher sicherlich im traditionellen Sinn mit Gott als Ursache beantwortet haben), so lehnt er in 13a.b diese bis heute übliche Neigung, für alle negativen Erfahrungen wie Versuchungen, Sünde und Leid Gott verantwort lich zu machen, eindeutig ab. Hier richtet Jakobus sich gegen keineswegs nur einmalige religiösen Einstellungen. Auch Markion, dem Erzketzer aus der römischen Gemeinde, der das A T wegen seines vermeintlichen Gottesbildes ablehnte, wäre es »nicht mög lich gewesen, eine Kirche zu sammeln, wenn sein Kampf gegen den Schöpfer nicht vielen das gesagt hätte, was auch sie dachten« (Schlatter 127). Bis heute gilt es, an diesem Punkt antijüdische Vorurteile zurückzuweisen. Denn es ist eine Unterstellung, wenn Christen immer wieder behaupten, die Juden faßten Gott weniger gütig, barmherzig, rettend, treu, heilig, ganz usw. auf als sie selbst. Auch Jakobus dürfte solche Klischees gekannt haben, die sich allzu leicht aus theologisch begründeten Vorurteilen und auch in der Weisheitstradition überlieferten Vorstellungen von der Erprobung und Erziehung des Menschen durch Gott einstellen. Doch sieht er auch die Gefahren, bei diesem Ansatz Gott zum Urheber des Bösen zu machen und den Menschen zwar nicht aufgrund gesell schaftlicher Einflüsse (so oft heute), wohl aber theologisch zu entschuldigen. Dies will er nicht. Entsprechend eindeutig ist seine Antwort (13a.b: »Keiner der versucht wird, soll sagen: >Von Gott werde ich versucht^«). Diese These begründet er (13c: »denn«) vom Gottesbild her. Für die Argumentation ist dies nur stringent und konsequent und keineswegs »merkwürdig« (Schräge 19).
Das Verbaladjektiv apeirastos: unversucht/unversuchbar kann aktivisch und passivisch verstanden werden. Da 13d aktivisch und adversativ (de: aber, auch) formuliert ist, verstärkt um das Prono men »selbst«, kann 13c nur passivisch verstanden werden (gegen Davids): Gott ist vom/zum Bösen unversuchbar. Bestätigt wird dies auch durch den weiteren Kontext in 14f., wonach die Ver suchungen des einzelnen auf seine »eigene Begierde« zurückgeführt werden. Außerdem stimmt der Gedanke der Unversuchbarkeit Gottes mit dem seiner NichtVeränderlichkeit in 17d überein. Ohne Zweifel knüpft Jakobus an einen Aspekt des biblischen Gottesbildes an, wonach Gott der Einzige, der Eine, der Heilige, der Transzendente ist, womit er durchaus (vgl. 17f.) den Gedanken des auf die Welt und die Menschen hin schöpferisch wirkenden Gottes verbinden kann, allerdings den Gedanken der Erprobung oder gar der Versuchung des Menschen zur Sünde durch Gott ausschließt. Aufgrund des Einflusses der griechischen Philosophie (vor allem des Piatonismus und der Stoa) versuchte das frühhelleni stische Judentum, zwischen der biblischen Jahwe-Vorstellung und der griechischen Gottesidee zu vermitteln. In den Werken Philos von Alexandrien gelangt dieses Denken im jüdischen Bereich zu seinem Höhepunkt. Philo geht von dem Gedanken aus, daß im Vergleich zur geschaffenen Welt und zum Menschen Gottes Sein im Guten, in der Einheit usw. unvergleichbar, unvorstellbar und ganz anders ist. Nach Philo ist Gott »völlig transzendent, jenseits von Welt, Denken und Sein, nicht im Raum und nicht in der Zeit; mit nichts Irdischem vergleichbar, steht er dem Geschöpf als Schöpfer gegenüber unfaßbar wesende Geistigkeit und doch die wirkende Kraft von allem« (ThWNT 3, 1938, 76; ausführlich: Montes-Peral). Neben dem Versuch, das wahre Sein Gottes über Begriffe der Vollkommenheit zu umschreiben wie: Gott ist das wahre Seiende, er ist der Urgrund, er ist der einzige Gott, er ist das wahre Gute, er ist ewig, er ist vollkommen (vgl. Montes-Peral 47121.131-147), steht bei Philo als zweite Betrachtungsweise zur Transzendenz Gottes die via negationis: Gott als das wahre Seiende ist unveränderlich, er ist unfaßbar (Montes-Peral 121-131.148-163; Sellin 19-21, in: Klauck, Monotheismus). Dabei kann Philo durch aus auf biblische Traditionen zurückgreifen wie Jes 40,18 (»Mit wem wollt ihr Gott vergleichen und was wollt ihr neben ihn stellen?«) oder Jes 40,25 (»Mit wem also wollt ihr mich verglei chen, daß ich ihm ähnlich sei?«) oder Jes 46,5 (»Mit wem wollt ihr mich vergleichen und messen? Wem wollt ihr mich an die Seite stellen, daß wir uns glichen?«) u. a. (vgl. Montes-Peral 20ff.).
Bei diesem Ansatz ist es nicht erstaunlich, wenn Philo bei der Frage nach dem Bösen in der Welt entschieden Gott als seinen Urheber ablehnt. Wenn Gott und das Gute ein und dieselbe Wirklichkeit bezeichnen, dann ist er »der Urheber aller Güter, dagegen keines einzigen Übels« (Conf Ling 161; vgl. auch Decal 91; Plant 64; Fug 141). Philos Grundposition läßt sich in folgenden zwei Sätzen zusammenfassen: »Gott ist frei von jedem Bösen« (Spec Leg II 11; vgl. ebd. II 53) und: »Gott ist ausschließlich der Urheber alles Guten, keinesfalls aber des Bösen« (Conf Ling 180). »Beide Aussa gen schließen bei Gott jede Art des Bösen aus. Derjenige, der >Gott als Urheber des frevelhaften, frechen Treibens angibt< [Conf Ling 161], ist ein >ruchloser Mensch<, der die Seele und die Tugenden tötet. Nur derjenige, der Gott als gut betrachtet, kann einen Zugang zu Gott haben. Noch schwerere Worte hat Philo für die lasterhaften Menschen, die die Entstehung des Bösen Gott und nicht sich selbst zuschreiben. Eine größere Schmähung kann es gegenüber Gott nicht geben. Wie diejenigen, die ihre sterblichen Eltern geschmäht haben, zum Tode abgeführt werden, wie die Heilige Schrift es befiehlt [Ex 21,15], eine solche und noch eine höhere Strafe — wenn dies möglich wäre — verdienen diejenigen, die es wagen, >den Vater und Schöpfer des Alls< mit der genannten Unterstellung zu lästern. Ihr Verhalten ist unverzeihlich [Spec Leg I 224]. Gott, der an sich selbst das Böse völlig ausschließt, kann als >erster Urgrund< kein Böses ins Dasein rufen. Er gewährt den Menschen das Gute ohne Beimischung des Schlechten [Fug 8 4 ] . . . . Das Gute gehört zu der innersten Beschaffenheit Gottes und zur göttlichen Tätigkeit in der Schöpfung . . . . Weil die Natur Gottes gut ist, kann er nur Gutes tun, wenn er handelt« (Montes-Peral 102f.). Analog ist die These »von Gott werde ich versucht« (Jak 1,13b) eines fingierten oder wirklichen, gott-losen Gegners (ähnliche Ein wände finden sich noch in 2,3.16.18; 4,13) nicht nur unlogisch, sondern auch gotteslästerlich. Das philonisch geprägte Gottesbild des Jakobus — mag nun direkte Rezeption vorliegen oder er nur in einem von Philo geprägten theologischen Milieu geschrieben haben — macht einen solchen Einwurf grundlos. Dies bestätigt auch Vers 17. Doch zunächst kehrt Jakobus zur anthropozentri schen Betrachtung der Problematik zurück. Im übrigen ist die theologische Konzeption des Jakobus zwar klar, aber nicht ohne theologische Tücken, wenn er Gott in absoluter Weise freihält von der Versuchlichkeit des Menschen. Ist der Mensch nicht Geschöpf Gottes (vgl. 1,18; 3,9)? Wenn Jakobus im
folgenden mit der Tradition Versuchungen und Prüfungen ganz an das Innere und die Willensfreiheit der Menschen bindet, stellt sich bei aller Logik dennoch die Frage ein, warum Gott den Menschen so geschaffen hat, wie er ist. Dieses Problem war für den glauben den Menschen aller Zeiten ein ständiger Anstoß; auch die Rede von der »Erbsünde« bzw. »Ursünde« wie auch von der Konkupiszenz/ der bösen Begierlichkeit (etwa im Hochmut) lösen dieses Grund problem bis heute nicht. Gerade dann, wenn »Ursünde« das Netz gemeinsamer Schuldverstrickung und den Zustand allgemeiner Heillosigkeit der Menschen meint (vgl. auch Rom 7,15-24), wovon die freiwilligen Sünden zu unterscheiden sind, bricht die ganze Theodizee- Problematik im anthropologischen Bereich auf. J e nachdem, wie man die Verantwortlichkeit des Menschen betont, hat dies Konsequenzen für die Frage der Mitwirkung des Men schen bei der Rechtfertigung und Heiligung, wie die Kontroverse zwischen den Reformatoren und den katholischen Theologen nicht nur im Mittelalter zeigt (vgl. Einleitung 2.6d.e und den Exkurs nach 2,24). Wie die ständige Aufforderung zum »Tun des Glau bens« und »Tun des Werkes« vom Prolog an zeigt (s. o. zu 1,4), ist es eine logische und thematische Notwendigkeit, daß Jakobus im Prolog auch die Willensfreiheit des Menschen und die These, daß Gott niemanden versucht, in aller Klarheit formuliert. Gottesbild und Menschenbild bedingen einander. Es ist daher nur folgerichtig, wenn Jakobus nach der theozentrischen Aussage in 12 in 13-16 anthropologische Aussagen formuliert, um in 17-18 wiederum zur Theozentrik zurückzukehren. In 14-15 stellt Jakobus daher erneut die Frage nach den Ursachen der Versuchungen. Formkritisch stehen die Verse antithetisch zu 3f.. War dort das Ergebnis der Erprobungen/Prüfungen Vollkom menheit und Ganzheit, so hier Hinfälligkeit und Tod. Das gewählte Bild ist sprachlich von dichterischer Kraft und Schönheit. Die bildlichen Redewendungen — der Mensch wird von seinen Begierden »angelockt und geködert« —, die Personifikation der Begierde in Vers 15 und die thematische Progression mit der antithetischen, vom Leser nicht erwarteten Aussage: schwanger werden, gebären — den Tod gebären, steigern aufgrund der schick salhaften Verkettung die Evidenz dieser Verse. Außerdem setzen sie wohl eigene Erfahrungen der Leser voraus. Denn was gesagt wird, gilt nicht für diesen oder jenen, vielmehr formuliert Jakobus ohne jede Einschränkung: Wie in Vers 13a »keiner« Gott verant wortlich machen kann für die eigene Versuchung zum Bösen, so wird in 14a »jeder« durch die eigene Begierde versucht. Der
antithetische Parallelismus (auf das Stichwort »Geburt zum Tod« in 15b folgt in 18 die »Geburt zum Leben«) prägt den ganzen Kontext, während die Klimax in der kleinen Einheit 14 f. von einer fast naturnotwendigen Konsequenz geprägt ist. In einer Anthropo logie ohne Gott kann nur der Tod am Ende stehen. Zur Frage nach den rezipierten Traditionen sei auf die Ausführungen zu 1,2-4 verwiesen; demnach verarbeitete Jakobus Sir 2,1-18 in 1,24.12 und Sir 15,11-20 in 1,13-18. Zur Erinnerung einige Stichworte aus Sirach: »Vor jedem Menschen liegen Leben und Tod« (17); Gott »blickt auf ein jedes Werk des Menschen« (19), denn »er befahl niemandem zu freveln, und keinem gab er die Erlaubnis/Zügellosigkeit zu sündigen« (20); wohl hat er »am Anfang den Menschen geschaffen und ihn der Macht seiner Entscheidung überlassen; wenn du willst, kannst du die Gebote halten« (14.15a). Mit diesem Welt- und Menschenverständnis steht Jesus Sirach keineswegs am Beginn einer theologischen Tradition (mit ihm fängt Lütgen 59 seinen Überblick an), vielmehr greift er in aller Deut lichkeit auf die biblische Schöpfungsgeschichte in Gen 1 und Gen 2-3 zurück, dann aber auch auf Gedanken aus Dtn 30,15.19 u. a. Vor allem die Aussage in 15,14: »Am Anfang, als Gott den Menschen erschuf, da überließ er ihn seinem jeser (so der hebräi sche Text)/diaboulion (so der griechische Text)«, womit in beiden Fällen die Entscheidungsinstanz im Menschen gemeint ist und seine Wahlfreiheit betont wird, prägte die Konzeption des Jako bus. Die Willensfreiheit ist dabei die anthropologische Kehrseite der theozentrischen Aussage, daß Gott die Sünde haßt und sie grundsätzlich vom Menschen fernhält. Gott ist nicht Urheber der Sünde. Verfällt der Mensch ihr dennoch, so ist dies ihm selbst zuzuschreiben, näherhin seiner epithymia: Begierde. Woher sie wiederum stammt, wird nicht gesagt. Theologische Thesen brau chen in sich nicht widerspruchsfrei sein, sonst würde die Ambiva lenz der Wirklichkeit negiert. Wird dieser Begriff im pagan griechischen Bereich auch neutral im Sinne von »Begehren« verwendet, so nie im N T , während bei Jesus Sirach sowohl die eine wie die andere Bedeutung belegt ist (zum negativen Sinn vgl. Sir 5,2; 18,30.31; 20,4; 23,5). Vor allem Sir 18,30f.: »Deinen Begierden gehe nicht nach und von deinen Wün schen halte dich fern. Wenn du dir die Lust der Begierde gestattest, wird sie dich zur Freude deiner Feinde machen« belegt ein kon stantes Motivfeld, das im gesamten Judentum weit verbreitet war. In der rabbinischen Tradition wird dies in der Vorstellung vom guten und vom bösen Trieb differenziert (vgl. Billerbeck), was aber
von Jakobus nicht rezipiert wird. Er steht (wie Paulus; vgl. bes. Rom 7,7) in einer breiten Tradition, die die Sündenfallgeschichte und das letzte Gebot des Dekalogs von der Begehrlichkeit des Menschen auslegt. Auch Jesus Sirach ist dafür nur ein Zeuge unter anderen. »Die Begierde ist der Anfang aller Sünde« (Apk Mos 19; fast wörtlich auch in der Vita Adae et Evae 19). Auch bei Philo wird die Begierde als Anfang jeglicher Sünde benannt (De decal 142.150.173), wobei hier wie dort keinesfalls, wie manchmal ein seitig üblich, nur an sexuelle Sünden gedacht wird. Anders als bei Paulus, bei dem das Verhängnis der Sünde viel stärker betont wird, ist Jakobus in Weiterführung der weisheitlichen Traditionen (Sir 15,15: »Wenn du willst, kannst du die Gebote halten ...«) zwar nicht »viel harmloser« als Paulus (so Hübner 71), wohl aber optimistischer, wie es der stoischen und weisheitlichen Tradition entspricht. »Aus der Tatsache, daß das Gesetz sagt, wir dürfen uns nicht gelüsten lassen, glaube ich, euch noch viel überzeugender beweisen zu können, daß die Vernunft über die Begierden herr schen kann wie auch über die Triebe, die der Gerechtigkeit hin dernd im Wege stehen« (4 Makk 2,6). Mit der Weisheit und gegen die Stoa sieht Jakobus als Ermöglichungsgrund jedoch nicht die Vernunft, sondern einen lebendigen Glauben, der alles vom Herrn erbittet (1,5). Die Frage, in welchem Verhältnis die Begierde zum Glauben an das Geschaffensein alles Guten durch Gott steht, wird weder von Jakobus noch von der Weisheitsliteratur beantwortet. Hier bleiben offene Fragen, auch wenn die Begierde als Voraussetzung für alle Sünden auf das Konto des Menschen geht. Dagegen ist die Frage, wie die Begierde in Vers 14a zur Gespaltenheit des Menschen in 8a steht, wohl so zu verstehen, daß das Gespaltensein beim Beten und im Verhältnis des Menschen zu Gott (6-8) eine Folge der vom Schöpfer gegebenen Wahlfreiheit des Menschen ist. »Der Grund satz >Du sollst nicht begehren< ist demnach ein, ja der Schlüssel zur jakobeischen Anthropologie« (Popkes 193, allerdings zu sehr auf die Geschlechtlichkeit eingeschränkt). Gottesbild und Anthropo logie korrespondieren einander, eine nur »praktische Tendenz« sowie einen »untheoretischen« Sinn (Dibelius 122) bestätigt Jako bus nicht. Dafür ist der Stil zu ausgefeilt und sind die Begriffe zu sorgfältig gewählt: »angelockt/fortgeschleppt« kommt im N T nur hier vor, »geködert« im N T sonst nur noch in 2 Petr 2,14.18, während die Verbindung beider Verben im Kontext des Begriffes »Begierde« oft bei Philo belegt ist (vgl. die Stellen bei Mayor 54). Ist die personifizierte »Begierde« in Vers 14 aktiv, so in Vers 15
passiv. Dabei ist das Bild der Schwangerschaft nicht allzu wörtlich zu verstehen, da Jakobus im bildlichen Bereich bleibt. »Die Sünde« ist Gegenstand der Geburt, die selbst wiederum — gleichsam als reife Frucht — den Tod gebiert. Von daher sollte man auch, anders als in Kommentaren zum Teil üblich, die Begierde mit ihren Verlockungen aufgrund ihrer femininen Form nicht auf weibliche Reize einengen. Auch das nur hier und in Vers 18 im N T belegte Verbum apokyein/gebären ist übertragen im Sinne von »hervor bringen/entstehen lassen« zu verstehen (vgl. Edsman zu 1,18), zumal in Vers 18 Gott Subjekt dieser Tätigkeit ist. Die gesättigte Metaphorik spricht demnach dagegen, die Begierde »als eine Art Hure« [Mußner 88.89) engzuführen (vgl. Spicq I 134-136). Weder auf einen Mythos von der Schwängerung der Vernunft (so Spina) noch auf den natürlichen Vorgang von Schwangerschaft und Geburt rekurriert Jakobus (auch wenn dieser Vorgang mit seiner symbolischen Intensität überall eingewirkt haben dürfte), vielmehr rezipiert er ein im AT und bei Philo häufig belegtes Motiv (vgl. Ps 7,15, wo es vom Frevler, der sein Schwert schärft, heißt: »Er hat Böses im Sinn; er geht schwanger mit Unheil, und Tücke gebiert er«; zu Philo vgl. die Stellen bei Mayor 55). Worauf es Jakobus ankommt, ist dies: Wie es für die Adressaten eine theologische Logik in der Klimax in Vers 3-4 geben soll (Prüfungen — Standhaftigkeit — vollkommenes Werk — vollkom mene und ganze Christen), so gibt es in Antithese dazu ebenfalls eine theologische Logik in der Klimax in 14-15 (Begierde — Sünde — Tod). Nur wer sich von den Begierden nicht anlocken und ködern läßt, wird, da er »in der Erprobung standhält und bewährt wurde, den Kranz des Lebens empfangen« (12a.b). Er kann dies — da er das Leben von Gott empfangen hat (18). So sehr die Begierde die Ursache allen Sündigens ist, ein Sündigenmüssen ergibt sich daraus nicht, wohl jedoch die Möglichkeit dazu, da nur so die Willensfreiheit des Menschen gewahrt ist und Gott als Ursache für das Böse ausgeschlossen bleibt. Da dies so ist, müssen die Adressa ten zur Einsicht aufgerufen werden (Vers 16).
2. Warnung vor Selbsttäuschung (1,16) Kontextuell hat der Satz eine Scharnierfunktion: Er ist die Folge rung aus der These, daß Gott nicht Ursache der Begierde zum Bösen ist (insofern könnte man auch übersetzen: »Irrt euch nicht/ geht nicht in die Irre«). Zugleich aber enthält der Vers auch einen
Appell an die Leser, aus der negativen Formulierung die korre spondierende positive theologische Aussage, daß Gott der Geber alles Guten ist, zu erkennen, auf dem rechten Weg zu bleiben und entsprechend zu handeln (19-27). Die Übersetzung »Irrt euch nicht« in den theologischen Grundannahmen der Anthropologie und des Gottesbildes bzw. »Geht nicht in die Irre« (wie der Zweifelnde in 1,8 oder der reiche Mitchrist in 1,1 ld) entspricht nicht nur eher dem Gedankenduktus, vielmehr auch dem rhetori schen, vielverhandelten diatribenartigen Stil des Briefes (kritisch zur Diatribe: Schmeller; weiter dazu s. o. Einleitung 2.4c), wobei der Stil eher handlungsorientiert, appellativ und pragmatisch zu nennen ist. Da Jakobus den Hörern praktische Lebensweisheit vermitteln will, bedient er sich der dort üblichen Sprache, wozu auch Fragen und Antworten, Appelle usw. gehören. Zwar ist die Wendung »Irrt euch nicht« in der Septuaginta nur in Jes 44,8 belegt, doch dürfte Jakobus in der Rezeption von Sir 15,12 (»Sage nicht: Er hat mich in die Irre geführt«) das Stichwort gefunden haben, das im übrigen in der urchristlichen Literatur als rhetori sches Stilmittel vielfach belegt ist (vgl. 1 Kor 6,9; 15,33; Gal 6,7; L k 2 1 , 8 ; Ign Eph 16,1; Philad 3,3; Mg 8,1). Überall werden die Leser vor Selbsttäuschung gewarnt, vor der Annahme von falschen theologischen Thesen und vor einem falschen Weg. Ebenso ver wehrt Jakobus es seinen Lesern anzunehmen, von Gott könne etwas Schlechtes wie die Begierde zur Sünde kommen. Dies wäre ein Abweichen vom »Wort der Wahrheit« (18a). Es bleibt darauf hinzuweisen, daß die gleiche Wortverbindung (irren, Irrtum — Wahrheit) nicht nur im Prolog, sondern auch im Epilog belegt ist. Der Brief schließt mit den Worten: 5,19 Meine Brüder, wenn jemand bei euch abgeirrt ist von der Wahrheit und einer ihn zurückgebracht hat, 20 der soll wissen: Wer einen Sünder zurückbringt von der Irre seines Weges, wird seine Seele aus dem Tode retten und zudecken eine Menge von Sünden. Kontextuell ist 1,16 demnach primär mit »Geht nicht in die Irre!« zu übersetzen, es sei denn, Jakobus «habe auch dieses Verbum bewußt offen formuliert, um es im Briefkorpus und im Epilog zu konkretisieren. Nur wer selbst auf dem rechten Weg ist und sich nicht irrt, vermag zu tun, wozu Jakobus die Leser in 5,19 f.
auffordert. Die rechte Selbsteinschätzung und das richtige Handeln danach sind die Voraussetzung. Wie sehr Jakobus an dieser grund legenden Erkenntnis liegt, belegt auch die emotional Gemeinschaft einwerbende Anrede mit »meine geliebten Brüder« (vgl. auch 1,19 und 2,5).
3. Gott als Geber alles Guten (1,17-18) Literatur: Amphoux, C. B., A propos de Jacques 1,17, in: RHPhR 50(1970) 127-136. - Betz, O., Die Geburt der Gemeinde durch den Lehrer. Bemerkungen zum Qumranpsalm 1 Q H 3,1 ff. (1QH 2,1-3,18), in: NTS 3(1957) 314-326. - Bietenhard, H., Die himmlische Welt im Urchri stentum und Spätjudentum, Tübingen 1951. — Doli, P., Menschenschöp fung und Weltschöpfung in der alttestamentlichen Weisheit, Stuttgart 1985. — Edsman C.M., Schöpferwille und Geburt, Jac 1,18. Eine Studie zur altchristlichen Kosmologie, in: Z N W 38(1939) 11-44. - Ders., Schöpfung und Wiedergeburt. Nochmals Jac 1:18, in: Spiritus et Veritas. FS K. Kundzins, Eutin 1953, 43-55. — Elliot-Binns, L. E., James 1.18: Creation or Redemption?, in: NTS 3(1956) 148-161. - Greeven, H., Jede Gabe ist gut, Jak. 1,17, in: ThZ 14(1958) 1-13. - Haar,]., Initium creaturae Dei. Eine Untersuchung über Luthers Begriff der »Neuen Creatur« im Zusam menhang mit seinem Verständnis von Jakobus 1,18 und mit seinem »Zeit«Denken, Gütersloh 1939. — Jahrbuch für Biblische Theologie 5 [zum Thema: Schöpfung und Neuschöpfung], Neukirchen-Vluyn 1990 (darin u. a. 11-36: J.Jeremias, Schöpfung in Poesie und Prosa des Alten Testa ments; 37-69: B.Janowski, Tempel und Schöpfung; 119-138: J.Roloff, Neuschöpfung in der Offenbarung des Johannes). — Krumbacher, A., Die Stimmbildung der Redner im Altertum bis auf die Zeit Quintilians (Rheto rische Studien 10), Paderborn 1920. — Mußner, F., Die Tauflehre des Jakobusbriefes, in: Zeichen des Glaubens. Studien zu Taufe und Firmung. FS B.Fischer, hrsg. v. H . auf der Maur — B.Kleinheyer, Einsiedeln — Freiburg 1972, 61-67. - Popkes, Adressaten 136-156. - Rickenbacher, O., Weisheitsperikopen bei Ben Sira, Freiburg — Göttingen 1973. — Sellin, G, Gotteserkenntnis und Gotteserfahrung bei Philo von Alexandrien, in: H. J . Hauck (Hrsg), Monotheismus und Christologie. Zur Gottesfrage im hellenistischen Judentum und im Urchristentum, Freiburg 1992, 17-40. — Strotmann, A., »Mein Vater bist du!« (Sir 51,10). Zur Bedeutung der Vaterschaft Gottes in kanonischen und nichtkanonischen frühjüdischen Schriften, Frankfurt 1991. y
Textkritisch sind — wie der Jak insgesamt — auch diese Verse gut bezeugt (vgl. Nestle — Aland 26). Lediglich in Vers 17d bieten sich aufgrund der handschriftlichen Uberlieferung zwei Varianten an: a) Bei Gott gibt es »keine Veränderung und keine Verfinsterung/
keinen Schatten der Wende«. Gemeint ist die Sonnenwende (in diesem Sinne schon in klassischer Zeit geläufig), wenn die Sonne den täglichen Zenit überschreitet und die Schatten wieder länger werden, oder die Situation bei einer Sonnenfinsternis (vgl. Sir 17,31) oder aufgrund der Sonnenwende im Wandel der Jahreszei ten (vgl. Weish 7,18; Dtn 33,14; OrSib 2,257). Das Kürzerwerden der Tage und der Jahreszeiten ist bislang jedoch nicht als »Verfin sterung« belegt, b) Die Lesart: Bei Gott gibt es »keine Veränderung der Wende der Finsternis«, vergrößert noch die Ungenauigkeit in der Terminologie; außerdem steht die Mehrzahl aller Handschrif ten gegen diese Lesart, c) Dihelius (131-133) u. a. greifen zu einer Konjektur des Textes (»der ohne Wechsel ist und weder Wende kennt noch Finsternis«), um die astronomisch technische Bedeu tung von »Wende/Sonnenwende« festzuhalten. Dadurch wird zwar traditions- und motivgeschichtlich differenziert, die sachli chen Ungenauigkeiten auf der synchronen Ebene des Jak jedoch bleiben bestehen. Die Sache, um die es geht, ist klar: Wie der ganze Brief, ist auch dieser Vers nach dem Prinzip der funktionellen Oppositionen gestaltet. Gott als »Vater der Lichter« (17c) steht in Opposition zur »Verfinsterung/Verschattung« (17d). Wie sein Licht keinem Wan del und keiner Eintrübung (wie beim Sonnenlicht) unterworfen ist, so gibt es grundsätzlich »bei ihm keine Veränderung« (17d). Dies macht das etwas elliptische astrale Bild »einer durch wechselnde Stellung (der Gestirne) eintretende(n) Verfinsterung« (Bauer — Aland 196) in jedem Fall deutlich: Gott ist im Gegensatz zu allem anderen unveränderlich, wie auch in der hellenistischen Theologie oft betont wurde (s. u.). Literar- und formkritisch seien hier über die allgemeinen Hin weise zur Einheit des Textes, die im methodischen Schritt der Literarkritik festgestellt wurde (vgl. B I 1 ), und zum persönlichen formalen Gesicht des übergreifenden Textes, das in der Formkritik erarbeitet wurde, noch einige weiterführende Beobachtungen zu 17f. notiert: Mehr als sonst im Brief (eine Parallele findet sich nur in der theozentrischen Aussage in 13c.d sowie in 4,5b.c) belegt der theozentrische Satz in Vers 17 die Sensibilität des Verfassers für Betonung und Rhythmus. Den theologischen Basissätzen des Brie fes entspricht die bewußte formale Gestaltung. Hervorragendes Beispiel dafür ist 17a. Auch wenn der wohl erst seit 1749 als Hexameter angesehene Vers im zweiten Fuß gestört ist (Tribrachys), was zu kleinen Korrekturen angeregt hat (dosis t'agathe: BlDebReh 488), dürfte die Gestaltung keineswegs »eher Zufall als
Absicht sein« (so Mußner 29). Auch legt die bewußte sprachliche Gestaltung keineswegs nahe, »daß Jakobus oder einer seiner Vor gänger hier zitiert oder einen geläufigen Vers ohne Kenntnis seiner Herkunft verwendet« hat (Dihelius 130). Warum soll der Verfasser theologische Spitzensätze dieser Art nicht selbst gestaltet haben, zumal Belege für eine Tradition fehlen? Auch trotz des kleinen Mangels im zweiten Versfuß ist 17a wie ein Hexameter (vgl. Greeven; Amphoux) gestaltet: päsa dosis agathe kai pän dorema teleion. Auf jeden Fall gewinnt Jakobus wie in 13c.d und in 4,5b.c einen durch betonte und unbetonte Silben wohlgegliederten Rhythmus, so daß sein Stil gemäß antiken rhetorischen Regeln den Leser benevolum/wohlwollend (so Quintilian) macht. Dies heißt nicht, aus Jakobus einen geschulten Rhetoriker zu machen. Rhyth misches Lesen und Syllabierübungen gehörten in der antiken Welt zu den Grundlagen der Erziehung (vgl. F.Stadelmann, Erziehung und Unterricht bei den Griechen und Römern, Triest 1891, 106). »Schon bei den ersten Leseübungen in der Elementarschule dienten Hexameter und Trimeter als Unterlage« (Krumbacher 69). Neben der Metrik ist auch auf die in der Antike übliche sorgfältige Auswahl der Laute hinzuweisen, wobei die von Jakobus in 17a gewählten zu den »kräftigsten und anmutigsten« (67) gehörten. Dies sind Erkenntnisse, die gegenwärtig wieder stärker beachtet werden (vgl. Strecker, Literaturgeschichte 81-95). Ebenso auffällig wie der Rhythmus ist die gewählte Sprache. Sie ist geprägt durch die Vorliebe zur Variation (17a: Gabe — Geschenk, gut — vollkommen, von oben — kommt herab; 17d: Verände rung — Verfinsterung/durch wechselnde Stellung) und ebenso stark durch die Vorliebe zu metaphorischen und für uneingeweihte Leser schon fast rätselhaften Wendungen (17b: von oben statt: von Gott; 17c: Vater der Lichter statt: Vater der Sterne; 17d: zu den hier gewählten Begriffen aus der astralen Terminologie vgl. oben zur Textkritik; 18a: er hat uns geboren statt: er hat uns erschaffen; durch das Wort der Wahrheit statt: durch sein Wort; 18b: eine Art Erstlingsfrucht statt: die ersten bzw. Erstgeschaffenen). Durchge hend versteht Jakobus die Begriffe im uneigentlichen Sinn; dies dürfte aufgrund der Kontingenz sehr bewußt geschehen sein (anders Dihelius 54, wonach Jakobus den Sinn der Worte »nicht mehr oder nur noch halb verstanden« hat). Mit dichterischer Kraft rezipiert Jakobus (s. u.) unterschiedliche Traditionen und vereinigt sie zu einer sinnvollen neuen Aussage. Immer ist sie geprägt von einer gepflegten poetischen Bildhaftigkeit. Wie der gesamte Prolog und der gesamte Brief sind auch die Verse
17f. vom antithetischen Duktus geprägt, was sich an einzelnen Begriffen festmachen läßt: Wird nach 15b durch die Begierde der Tod geboren, so hat Gott nach 18a die Adressaten zum Leben geboren; wird nach 14a.b der Mensch von seiner Begierde (ohne eigenes Zutun) »angelockt und geködert«, so hat nach 18a Gott (nach freiem Entschluß) »uns gewollt«; kommt nach 13a.b die Versuchung nicht von Gott, sondern nach 14a aus dem Inneren des Menschen, so kommt nach 17a.b »jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk« von Gott, wobei noch einmal das Adjek tiv »vollkommen :teleion« in Opposition zur »voll ausgereiften/ vollendeten :apotelestheisa« Sünde in 15b steht. Auch die Begriffe »Lichter« in 17c und das vor Jakobus nicht belegte Wort »Ver schattungen/Verfinsterungen« in 17d stehen in semantischer Opposition zueinander, wobei Jakobus analog zum dynamischen Begriff der »Veränderung« in 17d auch hier statt »Schatten« den prozessualen Aspekt eingetragen haben dürfte. Abschließend zur Literar- und Formkritik seien weitere kontextuelle Bezüge von 17f. notiert, wodurch die Einheitlichkeit des Prologes auch von diesem Vers her bestätigt wird: Das Substantiv Gabe:dosis in 17a nimmt die Wendung vom »schenkenden :didontos« Gott in 5c und die formelhafte Wendung »und sie wird ihm gegeben werden :dothesetai« in 5d auf; das Adjektiv »vollkom men :teleion« in 17a korrespondiert eben zu diesem Adjektiv in 4a und 4b; die adverbielle Wendung »von oben« und die verbale Wendung »es kommt herab« in 17b variieren die Wendungen »von Gott« in 5b und »vom Herrn« in 7b. Ebenso dürfte in der Tiefenstruktur des Textes der Glaube an die Unveränderlichkeit Gottes in 17d der Aussage in 5c entsprechen, wonach Gott haplos: einfach/schlicht/ohne Nebengedanken dem Bittenden gibt (s. o.), was dem zwiespältigen und gespaltenen Wesen des Menschen entgegensteht (8a). Gerade von der Theozentrik her bestätigt sich thematisch die formale Einheit. Traditionskritisch läßt sich zu 17a-b festhalten: Die üblichen Hinweise in den Kommentaren, Jakobus rezipiere in 17a ein Zitat oder eine allgemeine Sentenz, da dieser Halbvers metrisch außeror dentlich kunstvoll als Hexameter gestaltet ist, überzeugen aus zwei Gründen nicht: zum einen sind solche Bemerkungen von dem Vorurteil motiviert, Jakobus selbst habe einen solchen Vers nicht formulieren können (was dem bei ihm sonst feststellbaren kunst fertigen Stil widerspricht), zum anderen fehlt einfach jeder Beleg. Dagegen ist dieser theologische Basissatz nicht nur allgemein in den Schöpfungserzählungen des AT, wonach alles auf das Wirken
Gottes zurückgeführt werden muß, grundgelegt, es lassen sich auch aus zahlreichen Schriften des FrühJudentums fast formelhafte Wendungen für diesen Gedanken finden. Was Jakobus wirklich rezipiert hat, läßt sich nur vermuten. Dabei kann die Herkunft der Schöpfung »von Gott« her benannt sein oder umschrieben werden mit »von oben«, was auch im N T belegt ist (vgl. etwa Joh 1,13; 3,3.7.31; 19,11.23; 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1). Daß Gott in der oberen Welt seinen Wohnsitz hatte, war im Frühjudentum eine vertraute Vorstellung (vgl. Bietenhard 82 ff.). Sein Wirken geschah also »von oben« her. So klagt Ijob über den Tag seiner Geburt, daß »der Gott von oben her sich nicht mehr um ihn kümmert« (3,4). Zu erinnern ist auch an die These in Jak 1,13, wonach der Sünder nicht sagen soll, er werde »von Gott« versucht, da nach 17b.c »von oben, vom Vater der Lichter« nur Gutes kommt. Ein paralleler Gedanke findet sich in äthHen 98,4f.; danach »wurde die Knechtschaft ... nicht von oben gegeben, vielmehr entstand sie aus Machenschaften. So wurde auch die Gesetzlosigkeit nicht von oben gegeben, sondern entstand aus der Übertretung«. Der unausgesprochen positive wird mit dem negati ven Gedanken in Weish 19,6 verbunden. Dort heißt es: »während Mücken ... von der Erde hervorgebracht wurden« (19,10 in Rück blick auf die ägyptische Plage der Stechmücken in Ex 8,12-15), heißt es positiv von der Schöpfung: »denn die ganze Schöpfung wurde in der ihr eigenen Art wieder von oben her gestaltet« (in der Errettung Israels beim Exodus). Ähnlich formuliert VitMos II 266 f. Besonders bei Philo von Alexandrien ist der Gedanke, daß Gott Urheber alles Guten, nicht jedoch des Bösen ist, vielfach belegt: »denn es gibt nichts Gutes, das nicht von Gott und göttlich ist« (Sacr 63); »Gott schenkt seinen Getreuen nichts Unvollkom menes, sondern alles reichlich und vollkommen« (Migr 73). Daß »von oben« auch bei Philo »von Gott« meint, dafür gibt es zahlreiche Belege (vgl. Her 64; Fug 138; Mut 260 u. a.). Rabbini sche Literatur (vgl. Gen R 51 zu Gen 19,24: »R. Chanina ... hat gesagt: »Nichts Böses kommt von oben herab!«) wie nachneutestamentliche, jüdisch beeinflußte christliche Literatur (vgl. Hermas Mand I X 11; X I 5) bestätigen die weite Verbreitung dieser Begriff lichkeit. Daß zudem Jakobus hier sehr sorgfältig formuliert, bestä tigt 3,15.17: »Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt Die Weisheit aber, die von oben stammt... .« Daß Gott ihr Spender ist, hatte Jakobus bereits in l,5b-d betont. Grundsätzlich sieht er mit Philo, daß Gott als das wahrhaft Seiende nicht nur selbst wahrhaft gut ist, sondern auch nur Gutes schenken kann
(vgl. Montes-Peral 98-114) und daher in exklusiver Weise (17a) »jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk« von ihm stammt, er also auch der Erschaffer des Kosmos ist. 17c: Bereits die entmythologisierende Aussage der Schöpfungs theologie der Priesterschrift im A T betonte, daß die Sterne keine Götter oder gefallenen Engel, sondern nur »Lampen/Lichter« sind (vgl. Gen 1,14-18). Ps 135,7 (»der die großen Lichter gemacht hat«) und Jer 4,23 (»Ich schaute zum Himmel: Er war ohne Lichter«) bestätigen diese Vorstellung. Daß hier an beseelte Sterne gedacht ist (so T h W N T 5, 1954, 1015), wie es als häufiges Motiv in apokalyptischer Literatur belegt ist (vgl. Hen 4 1 ; 72; 73-75), wird nicht angedeutet. Jakobus dürfte es lediglich auf die oben in der Formkritik festgestellte Opposition »Licht — Verschattung« (17c.d) und auf den darin implizierten Gedanken der immer wie derkehrenden Verdunkelung der Himmelslichter und des unverän derlichen Seins Gottes ankommen. Kosmologisch klingt der Aus druck »Vater der Lichter« nicht apokalyptisch (so T h W N T 9, 1973, 347). Zwar ist die Wendung »Vater der Lichter« nur in Apk Mos 36 (Kodex D ) und im Singular in Test Abr 7,6 belegt, was jedoch nicht berechtigt, hier rezipierte Traditionen anzunehmen, zumal dort eventuell christliche Überarbeitungen vorliegen (vgl. ebd. Anm. 388). Viel näher liegt die kosmologische, schöpfungs theologische Terminologie, die nicht nur in der Bibel (vgl. Ijob 38,28: »Vater des Wassers«), sondern noch mehr von Philo variiert wurde (vgl. Spec Leg I 96 und Decal 134: »Vater des Kosmos«; ähnlich Vit Mos II 134); sehr oft findet sich bei ihm die Verbindung »Erschaffer und Vater« (Her 98; Praem 24 u.ö.). Bevorzugt ver wendet Philo die Wendungen »der Erschaffer und Vater aller Dinge« (vgl. etwa Her 236; Fug 84) oder auch »Vater aller Dinge« allein (zu weiteren Belegen: T h W N T 5, 1954, 956f.). Dagegen bezieht sich die Wendung »Fürst der Lichter« in 1 QS III 20 (vgl. auch Damask V 17f.) nicht auf Gott (so Dibelius 131), sondern auf einen Erzengel. Die Schöpfungstheologie in der Deutung Philos dürfte also Jakobus angeregt haben, die bis dahin nicht belegte Wendung »Vater der Lichter« zu bilden, wie eine kontextuelle Betrachtung bestätigen kann (s. o.). Diese philonische Tradition (ob eine direkte Rezeption vorliegt, muß offenbleiben) zeigt sich auch in 17d. 17d: Der Gedanke, Gott könne deswegen »Vater der Lichter« sein (17c), weil er das Licht als gute Gabe von oben sendet, wird durch 17d ausgeschlossen, vor allem dann, wenn man im Hintergrund die philonische Gottesvorstellung beachtet. Konnten Menschen auf-
grund eigener Beobachtungen ständig feststellen, daß die lichtspen denden Himmelskörper sich ständig verändern und aufgrund die ser Veränderungen Verdunkelungen unterliegen, so wird eine sol che Vorstellung bei Gott kategorisch ausgeschlossen. Die impli zierte Begründung: Weil Gott Vater und Erschaffer »der Lichter« ist, ist er unwandelbar (daher auch unversuchbar: s. o. zu 13c). Dies entspricht ganz und gar dem philonischen Ansatz bei der göttlichen Transzendenz und seiner These, daß Gott als das wahr haft Seiende unveränderlich ist (vgl. Montes-Peral 121-131; Sellin 19-21). Im Unterschied zur sonstigen biblischen und rabbinischen Theologie, die von konkreten Erfahrungen her ein Gottesbild entwirft (vgl. Mauser, Gottesbild), tut dies Philo unter dem Ein fluß von Stoa und Mittelplatonismus von metaphysischen Prinzi pien her. Zwar spricht die Bibel auch von der Treue Gottes, von seiner Heiligkeit und Ewigkeit (vgl. z. B . das Zitat aus Jes 40,8 in Jak 1,11: »Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, das Wort unseres Gottes aber bleibt ewig«; vgl. Ps 119,89-91), und Gott ist im Vergleich zu den Menschen und zur Welt auch in ihrem Werden und Vergehen unvergleichlich (vgl. die Stellen bei Montes-Peral II IS), dennoch wird er nirgendwo in griechisch-philosophischen Kategorien als unbewegter Beweger unveränderlich verstanden. Nach der Bibel wirkt Gott dynamisch in der Geschichte. Während alles in Veränderung begriffen ist, auch die Gestirne (wie Sir 37,31 zeigt, gilt dies auch für die Sonne: »Was ist heller als die Sonne? Auch sie läßt nach in ihrem Lichte.«), ist Gott — dies ist die neue Erkenntnis im hellenistischen Frühjudentum — unveränderlich. Dafür einige Belege von Philo: »Ich bin offenbar, ich bin hier und dort und überall, ich erfülle das All, bin beständig und bleibend, ich bin unveränderlich« (Som II 221). »Wie kommt man dazu, Gott zu vertrauen? Wenn man erfährt, daß alles andere sich wandelt, Gott aber allein unwandelbar ist« (All II 89). »Was nun unerschütterlich feststeht, ist Gott, das Bewegte aber ist die Schöp fung« (Post 23). »Gottes Eigenschaft ist Ruhe und Stillstand, die der Schöpfung aber Veränderlichkeit und jede Bewegung« (Post 29). »Nichts in der Schöpfung ist beständig, alles Sterbliche muß vielmehr Wandlungen und Veränderungen erfahren« (Op 151). Gott allein ist von seinem Wesen her allem Wandel enthoben (vgl. All II 9,33). Seine Natur ist Ruhe (vgl. Post 9,28). In Konsequenz dazu sowie in Übereinstimmung mit der Stoa ist Gott auch affekt los (Imm 52 sowie die ganze Schrift Quod Deus sit Immutabilis; dazu: Montes-Peral 125-128). »Gott erleidet keine Verringerung und keine Hinzufügung, da er vollkommen ist und sich immer
gleich bleibt« (Sacr 9). Zum Wesen Gottes heißt es in Mut 4,28: »Denn es [ = Gottes Sein] ist wandlungslos und änderungslos«. Hier folgt Philo Aristoteles, indem er jede Bewegung bei Gott ausschließt; doch ist dies quasi nur die innergöttliche Betrachtung. Dem korrespondiert eine andere. Wie Jakobus kann auch Philo (anders Mußner 92 Anm. 5) in vielfacher Weise hinsichtlich der Beziehung Gott — Mensch vom dynamischen Wirken der Kräfte Gottes auf die Welt hin formulieren (vgl. Montes-Peral 164-205). Weder bei Philo noch bei Jakobus sollte man die anthropozentri sche und theozentrische Perspektive als Alternative ansetzen (wobei in der Regel in der Auslegung des Jakobusbriefes letztere zugunsten der ersteren geopfert wird). Systematisch im modernen Sinn ist das Denken weder hier noch dort. Vielmehr ist es als additiv und akkumulativ zu charakterisieren. So kann mit der These von der Unveränderlichkeit und der Ewigkeit Gottes durch aus die andere verbunden werden, daß Gottes Kräfte dynamisch, schöpferisch auf Welt und Menschen hin tätig sind. Das zweite steht für Philo so unerschütterlich fest (vgl. seinen Genesis-Kom mentar) wie für Jakobus. Auch hier ist der Vers 18 die Entspre chung zum Vers 17. 18: Ohne das Gottesbild des Philo, das zugleich Transzendenz und Immanenz, Gottes Unveränderlichkeit und schöpferische Dyna mik betonen kann, gäbe es auch zwischen Vers 17 und Vers 18 einen Widerspruch; so jedoch ist das am Versanfang stehende E r wollte uns (im Griechischen steht ein Partizip) sehr bewußt gesetzt. Die Perspektive des Jakobus bleibt theozentrisch. Die Existenz der Christen (in 18a schließt der Verfasser im bewußt gesetzten »uns« alle, auch sich selbst, unter diesen Grundsatz) hängt von Gottes Willen und von der schöpferischen Tätigkeit Gottes (hier aufgrund des Kontextes im Bild des Gebärens erfaßt) ab. Da alle Begriffe, wie in der Formkritik festgestellt wurde, uneigentlich, metapho risch gebraucht werden, ist auch die Aussage, daß Gott »von oben« (17a) »geboren hat« (18a), so zu verstehen. Blieb in 17 die Frage nach der Verwirklichung der schöpferischen Tätigkeit Gottes noch offen, so wird das Wirken Gottes in 18a — im anthropologischen Kontext — durch das »Wort der Wahrheit« erläutert. Dies bestätigt noch einmal den uneigentlichen Sprachgebrauch des Willens Got tes zur Zeugung und zur Geburt. Jeden Gedanken einer Emanation himmlischen Samens in die menschliche Natur schließt Jakobus aus, Gottes schöpferische Aktivität vollzieht sich durch das Wort. Allerdings gilt es, darauf zu achten, daß die Wendung »durch das
Wort der Wahrheit« sich auf »er hat uns geboren« als finites Verbum und erst indirekt auf das gleich- oder vorgeordnete Parti zip im Griechischen (er wollte uns) bezieht. Ist damit die vieldiskutierte und kontroverse Frage, ob 18a kosmologisch/schöpfungstheologisch oder soteriologisch/tauftheologisch (letzteres vor allem Mußner, Tauflehre; Popkes 136-156) zu inter pretieren ist, entschieden? Noch nicht, auch wenn sich in diesem Vers eine mögliche Offenheit zum tauftheologischen Verständnis andeutet. Dennoch dürfte Jakobus in 18a.b noch schöpfungstheo logisch denken. Dies aus verschiedenen Gründen: Formkritisch liegt hier, wie an allen Stellen im Prolog, eine sogenannte Unbestimmtheits- bzw. Leerstelle vor, die erst im Verlauf des Briefes durch Amplifikationen inhaltlich konkretisiert wird. Des weiteren ist es eine typische Eigenart des Jakobus, durch assoziative Weiterführung der Gedanken neue theologische Aspekte dem Leser nahezubringen. Die Wendung »Wort der Wahrheit« belegt dies in nachdrücklicher Weise. Die Wendung »das eingepflanzte Wort« in 1,21 greift deutlich auf 1,18 zurück, wird gedanklich weitergeführt zur Wendung »Täter des Wortes« in 1,22, und dieses »Wort« wird in 1,25 mit dem »Gesetz der Frei heit« identifiziert (s. u.). Da Vers 18 deutlich eine Scharnierfunk tion zwischen den theozentrisch orientierten Versen 1,13.17 und den anthropozentrisch orientierten Versen 1,14.15.19-27 hat, wird das Einzelwort syntaktisch und semantisch primär auch von dort her bestimmt. Dabei betont 18 das sola gratia, wonach Menschsein einzig und allein Geschenk Gottes ist. Menschen können und sollen nach 1,21b dieses Wort annehmen; immerhin hängt von der Annahme dieses Wortes für die christlichen Adressaten ihre Ret tung ab: »das eure Seelen zu retten vermag«. Allerdings meint dieses »eingepflanzte Wort« in christlich verstandenem Sinn im Kontext des Briefes das Evangelium (ohne daß Jakobus diesen Begriff verwendet); an dieses Evangelium wird das Heil deutlich gebunden, ohne daß stillschweigend die Taufe assoziiert ist. Traditionsgeschichtlich sind die verwendeten Begriffe »Zeugung« und »(Wieder-)Geburt des Menschen« zu den archetypischen Sym bolen der Menschheitsgeschichte zu zählen (vgl. T h W N T 1, 1933, 663-674). Doch Jakobus versteht diesen Gedanken weder myste rientheologisch noch gnostisch noch philosophisch, da er ihn im Kontext des semantischen Feldes »geprüft/angefochten werden - nicht von Gott versucht werden — Freude — Glauben — als Gläubige/treu erfunden werden — von Gott erschaffen sein — das Wort annehmen«, das er für den Prolog in 1,2-18 aus Jesus Sirach
2,1-18; 15,11-20 (s. o.) rezipiert hat, vorgefunden hat. Wie in Jak 1,5 (vgl. die Amplifikation in 3,13-18) lautet die Grundthese in Sir 1,1: »Alle Weisheit kommt vom Herrn«, was in 1,4 (»eher als alles ist geschaffen die Weisheit«) und in 1,9 (»der Herr, er hat sie geschaffen«) konkretisiert wird. Ähnlich heißt es in deutlichem Rückgriff auf Gen 1,1 in 15,14: »Am Anfang, als Gott den Menschen erschuf« (zur Einwirkung der dort ausgesprochenen Willensfreiheit und der Ablehnung des Gedankens, daß der Sünder von Gott versucht werde, s. o. zu 1,13). Daß Gott Schöpfer und die Welt seine Schöpfung ist, wird im Unterschied zu anderen Weisheitsbüchern von Jesus Sirach außerordentlich deutlich durch gehend betont (vgl. Rickenbacher 141-158; an Stellen vgl. etwa 17,1; 18,1; 23,14.20; 36,10; gegen die Fixierung der schöpfungs theologischen Aussagen des A T auf Gen 1-3 vgl. bes. Jeremias, der die Schöpfungstheologie im Psalter, bei Ijob und bei Deuterojesaja nachdrücklich betont). Wie in Sir 15,11-20 hängen die konkrete Beschaffenheit des Menschen mit seiner Willensfreiheit und die Erschaffung durch Gott motivgeschichtlich zusammen. Allerdings ist das Verbum apokyein/gebären hier nicht belegt. Da es im gesamten N T nur in Jak 1,15b. 18a vorkommt, in der gesamten Septuaginta jedoch nur in 4 Makk 15,17 belegt ist, ist es um so erstaunlicher, daß die Erprobung, die die Mutter der sieben zu Tode gefolterten Brüder erdulden muß, ein Beispiel für das Thema des ganzen Buches ist (1,13: »Hat die Vernunft die Herrschaft über die Triebe?«), da bei ihr die Vernunft »Herrin über die Triebe wurde« (15,1). Darum wird sie zu Recht gelobt: »Oh Mutter! Wieviel bitterer als die Geburtswehen sind die Schmerzen, wodurch du jetzt versucht wurdest! Oh Frau! Du einzige, die der Welt vollkommene Frömmigkeit geboren hat!« (15,16f.). Auch wenn Subjekt eine Frau ist, ist der übertragene Gebrauch eindeutig (gegen Edsman, Schöpferwille, der durchgehend den konkreten Gebrauch meint voraussetzen zu können; vgl. jedoch die Selbst korrektur durch dens., Schöpfung 44; hier gibt er zwar das gnostisch-christliche Verständnis von 1,18 auf, interpretiert die Stelle aber immer noch überzogen von der altchristlichen Väterliteratur, vor allem von den christologischen Lehrstreitigkeiten des 4. Jh. her). Auch bei der allegorischen Deutung des Verbums durch Philo, wo das Subjekt zwar immer ein Feminin ist, liegt eine übertragene Verwendung vor (vgl. Sacr 2f.; Congr 1-7.129; Mut 137.255; Sacr 103; Det 121 u. a.). Den Glauben, daß Menschen aus Gott gezeugt/geboren würden (umschrieben durch das etwas offenere
Verbum gennan: zeugen/gebären), kannte im übrigen bereits das A T (vgl. Dtn 32,18: »Gott, der dich gezeugt/geboren hat«; Jes 42,14: »wie eine Gebärende will ich [der Herr] nun schreien, ich schnaube und schnaufe«; vgl. Hos 11,4.8; Ijob 38,28f.). Die Bibel hegt keine Bedenken, Gott mütterliche Gefühle und Regungen zuzuschreiben. Auch in der Gemeinde von Qumran kannte man die Vorstellung von der Geburt der Gemeinde durch den Beter (vgl. Betz). Auch mütterliche Züge Gottes werden hier betont: »Ja, du bist ein Vater für alle Kinder deiner Wahrheit und freust dich ihrer wie eine Säugende über den Säugling, und wie eine Amme birgst du an der Brust all deine Geschöpfe« (1QH 9,35 f.). Daß Christen »aus Gott geboren/gezeugt sind«, setzt auch Joh 1,13 u. a. unproblematisch voraus. Hier wie auch in Jak 1,18 ist den Autoren wichtig, daß das Handeln Gottes betont wird; Menschen empfangen die Gotteskindschaft, sie entdecken sie nicht in sich wie in der Gnosis. Eine antignostische Polemik (so Schammberger 58-63) liegt deswegen in Jak 1,18 nicht vor. Der allgemeine atl Schöpfungsglaube ist als Hintergrund für 18a ausreichend, auch wenn aus christlicher Per spektive diese Stelle schon früh im Sinne der Wiedergeburt durch die Taufe verstanden wurde (vgl. EIiiott-Binns). Daß 18a nicht antignostisch interpretiert werden muß, belegt auch Philo, bei dem das Verbum »wollen« in Verbindung mit einem Infinitiv der schöp ferischen Tätigkeit Gottes (bilden, schaffen, herstellen, machen) oft belegt ist (Op 16.44.77.138; Plant 14; Conf 166.196). Wie Ps 113,11 (»Alles, was er will, schafft er«; vgl. 134,6) und Ijob 23,13 (»Was er will, das führt er aus«) geht es auch Philo um das souveräne und freie schöpferische Handeln Gottes. Dies nicht nur am Anfang der Welt, sondern als dauernde Tätigkeit, so daß auch die Adressaten (18a: »Er wollte uns«) sich diesem Tun verdanken. Innerhalb der theozentrischen Verse im Prolog ist der Hinweis am Ende auf die Schöpfung des Menschen, um dessen individuelles (1,19 ff.) und ekklesiales (2,1 ff.) Sein es Jakobus geht, keineswegs »äußerst matt« und »unverständlich« (Dibelius 135). Wie bei Philo der unveränderliche, ewige und einzige Gott durch die göttlichen Kräfte schöpferisch wirkt (vgl. Montes-Peral 181-205), so wären auch die Aussagen des Jakobus in 13c.d und 17c.d ohne die schöpfungstheologische Aussage unvollständig. Erst in der Span nung beider Aussagen zueinander ist auch das jakobeische Gottes bild in sich stimmig. Ebenso gilt: Nur auf diesem Fundament ist auch die theologisch begründete Anthropologie des Jakobus für glaubende Menschen nachvollziehbar, da nur so die Menschen »nach Gottes Bild geworden sind« (3,9).
Das Wort der Wahrheit ist aufgrund seiner semantischen Verbin dung und Identifizierung mit dem »Gesetz der Freiheit« in 1,25 (s. o.) nicht von vornherein mit dem christlichen Evangelium oder mit dem Taufbekenntnis zu verbinden. Zunächst läßt sich die Wendung durchaus im Kontext der biblischen Schöpfungstheolo gie verstehen, wofür Sir 43,26 (»Durch seine Worte schafft er, was er will«) lediglich ein später Beleg ist. Die freiheitliche Erschaffung des Kosmos und des Menschen durch das Wort (vgl. Gen 1,3; Ps 33,6; 107,20; 147,15; Jes 55,11; Weish 18,15) ist biblisch breit belegt, die Wendung »Wort der Wahrheit« im Unterschied zu »die Wahrheit sagen« hingegen kaum. Doch vgl. Ps 118,43: »Entziehe meinem Mund nicht das Wort der Wahrheit«; Test Gad 3,1: »Nun, meine Kinder, hört der Wahrheit Worte«. Im schöpfungstheologi schen Kontext fehlen Belege — zumal im Singular (gegen Mußner 94; Schnider 44). An diesem Punkt legt sich in der Tat nahe, daß Jakobus die in der Schrift breit bezeugte Vorstellung vom Wort als Medium der schöpferischen Tätigkeit Gottes mit christlichem Vokabular verbindet (dies jedoch in der Schwebe hält, wie 3,14b. 15a die Identifizierung von Wahrheit mit Weisheit, »die von oben kommt«, zeigt). Die Wendung »Wort der Wahrheit« ist einmal bei Paulus belegt (2 Kor 6,7), sodann einige Male in der paulinischen Schule (Eph 1,13; Kol 1,5; 2 Tim 2,15). Da die Wendung in 2 Kor 6,7 in einem Tugendkatalog steht und Paulus im übrigen im Hinblick auf das grundlegende Heilshandeln Gottes vom Wort der Versöhnung (2 Kor 5,19), vom Wort Gottes (1 Kor 14,3; 2 Kor 2,17; Phil 1,14; 1 Thess 2,13) bzw. vom Wort des Herrn (1 Thess 1,8) spricht, dürfte die Wendung »Wort der Wahrheit« als Verkündigung des christlichen Evangeliums (vgl. bes. Eph 1,13 und Kol 1,5) in nachpaulinischer Zeit gebildet worden sein. Ein technischer Gebrauch liegt nicht vor, ebenso ist nicht eine Abhängigkeit des Jakobus von diesen Schriften festzustellen. Wie immer die Entstehung dieser Wendung sich vollzogen hat, die Vorlage für alle Stellen dürfte Ps 118 gewesen sein. Neben dem bereits zitierten Vers 43 ist aufgrund der Verbindung von Jak 1,18 mit 1,19ff. auf Ps 118,142 hinzuweisen (»Deine Weisung ist Wahr heit«), aber auch auf 118,160: »Der Grund/das Wesen deines Wortes ist Wahrheit«. Wahr ist Gottes Wort, weil es verläßlich Wirklichkeit und Heil schafft. »Er sandte sein Wort und heilte sie, und er rettete aus der Grube ihr Leben« (Ps 106,20). Wahrheit ist nicht wie im griechischen Bereich das in sich Stimmige, vielmehr wird durch das Wort der Offenbarung die Zuverlässigkeit und
Treue Gottes im dauernden schöpferischen Handeln betont. Ganz fern liegt das Verständnis von richtiger bzw. falscher Lehre; im Sinne der Bibel geht es Jakobus, wie 5,19f. an exponierter Stelle im Schlußvers des Briefes belegt, um die grundsätzliche Ermöglichung zum Leben. Was dort anthropologisch formuliert wird, ist hier theozentrisch begründet. Nur weil Gottes die Schöpfung ermögli chende Wort zuverlässig und treu ist (woran die Schöpfung partizi piert), können Christen — trotz aller Anfechtungen und Erprobun gen — sinnvoll leben. In die gleiche Richtung zielt auch die Aussage in 1,18b. 18b: Der Glaube, daß Gott die Welt erschaffen hat, wird im A T und N T als selbstverständlich vorausgesetzt. Auch kosmologisch oder wie in 18b anthropologisch formuliert, geht es dabei nicht um eine intellektuelle Erkenntnis, sondern — analog zum Moment der Verläßlichkeit im Begriff der »Wahrheit« in 18a — um die glau bende Zustimmung des Menschen und um sein Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der Wirklichkeit trotz aller ambivalenten Erfahrun gen im individuellen und zwischenmenschlichen Dasein (vgl. 1,216). Theozentrisch geht es um die Einzigkeit und Treue Gottes; dies dürfte der Grund sein, warum anders als sonst im Brief (Schlutter 137) das Pronomen »seine« dem Substantiv vorangestellt ist. Neben Gott gibt es keine anderen Ursachen — etwa einen göttlichen Demiurgen; auch die »Begierden« in 14 f. sind anthropo logischer, nicht göttlicher Natur. Formkritisch und kontextuell ist der Halbvers eingebunden. Wurde in 17a-c Gott kosmologisch als Schöpfer bekannt, so in 18a und b anthropologisch. Wurde in 17a.b allgemein formuliert, so soll sich nach 18b der Mensch als »gute Gabe« Gottes verstehen. Gott erschafft nicht den Tod (14-15), sondern Leben. Die Erfah rung der Abhängigkeit von geheimnisvollen und das menschliche Leben allzu stark bestimmenden Mächten (14.15) wird nicht baga tellisiert, wohl jedoch durch die Rückführung alles Geschöpfli chen, auch des Menschen, auf die Schöpfungstat Gottes entdivinisiert. Dem Sein Gottes und seinem Handeln gemäß soll sich der Mensch als »Bild Gottes« (3,9) verstehen. Noch wird dies in 18b nicht so deutlich gesagt, da es hier um eine grundsätzlich schöp fungstheologische Aussage geht. Die Verse 19 ff. hingegen nehmen bereits einen Aspekt der menschlichen Schizophrenie auf. Traditionsgeschichtlich sind die Belege nicht umstritten, wohl jedoch sind in der Literatur die Folgerungen daraus ungenau. Jakobus spricht nicht von einer »Neuschöpfung« (die im N T durchaus belegt ist; vgl. 2 Kor 5,17; Gal 6,15 u. a.) noch von
»Schöpfung: ktisis«. Daher steht das Problem einer zeitlichen Abfolge gemäß den Schöpfungswerken in Gen 1 (so Dibelius 137i.) nicht zur Debatte. Der Begriff ktisma: Geschöpf, Geschaffenes ist innerhalb der Septuaginta nur in den deuterokanonischen Büchern belegt (Weish 9,2; 13,5; 14,11; Sir 36,20; 38,34; 3 Makk 5,11), im N T neben Jak 1,18 nur in 1 Tim 4,4 und Offb 5,13; 8,9. Die Bedeutung ist an keiner Stelle umstritten; immer geht es um das einzelne von Gott Geschaffene. Hinsichtlich der Wendung »eine Art« (womit der Vergleich deut lich zurückgenommen ist) »Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe« ist vor allem auf Sir 36,11.14 hinzuweisen, da auch dort ein deutlich qualitativ zu verstehender Motivzusammenhang von Erstgeburt und Anfang des Geschaffenen belegt ist: 11 Erbarme dich des Volkes, Herr, das nach dir benannt ist, Israels, das du dem Erstgeborenen verglichst. 14 Lege Zeugnis ab für deine Schöpfung am Anfang, erfülle die Weissagungen, die in deinem Namen gespro chen wurden. Daß Israel »der erstgeborene Sohn« Gottes ist (Ex 4,22), »seine Erstlingsfrucht« (Jer 2,3), ist auch an anderen Stellen im A T mittels anderer Wendungen durchaus bekannt. Zwar oft, aber nicht immer ist »Erstlingsgabe« formelhaft ein Begriff aus der Opfersprache. Wie in Sir 24,9 vi die Weisheit »als Erstling vor der Zeit« erschaffen wurde, so weisen auch die im N T bekannten Wendungen, wonach Epänetus »der Erstling Asiens für Christus ist« (Rom 16,5) oder das Haus des Stephanas »Erstling/Erstlingsfrucht von Achaia« ist (1 Kor 16,15), nicht auf eine kultisch-soteriologische Funktion der Genannten hin, sondern betonen vielmehr qualitativ die zeitlich begründete Vorzugsstellung der Genannten. Diese offene Bedeu tung legt sich auch für Jak 1,18b nahe. Daß gemäß biblischem Denken dabei nie über das Wesen an sich, sondern auch immer über die qualitative Funktion der Genannten nachgedacht wird, dürfte analog zu Israel als »Licht für die Völker« u. a. auch für Jakobus naheliegen, ohne daß dies in seinem Brief ausgeführt wird. Ahnlich wie bei Philo (SpecLeg IV 180) mit dem Hinweis, daß Israel »Erstlingsfrucht für den Erschaffer und Vater« ist, der Gedanke seiner Absonderung von den übrigen Völkern einhergeht, könnte auch Jakobus die Existenz seiner Adressaten »in der Zer streuung« (1,1) mit ihrer Charakterisierung als »Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe« in 1,18b zusammen gedacht haben. Formkri-
tisch wäre damit eine schöne Abrundung geschaffen. Allerdings wird dies nicht ausdrücklich gesagt; motivgeschichtlich legen sich solche Gedanken jedoch nahe. Überblickt man die Interpretation des Verses 18a.b, ergibt sich bei einer schöpfungstheologischen Deutung eine in sich stimmige und traditionsgeschichtlich begründete Aussage. Dies unter zwei Vor aussetzungen: Die übliche Alternative »kosmologisch oder soteriologisch« (Dibelius 135), die ohnehin fraglich ist (s. u.), ist im ersten Glied nicht als kosmologisch zu interpretieren, sondern als schöp fungstheologisch-anthropologisch. Es geht Jakobus nicht um eine Kosmologie, sondern gezielt um die Entstehung des Menschen, näherhin um das Selbstverständnis seiner Adressaten. Sodann gilt es im bibeltheologischen Kontext zu betonen, daß er nicht von einer Schöpfung am Anfang der Zeiten spricht, sondern — wie durchgehend das A T — ein Vertreter der creatio continua ist. Zeitliche Kategorien liegen ihm fern, wohl geht es ihm um eine Qualifizierung. Solche Vorstellungen sind der Schrift keineswegs fremd. So läßt sich z. B . feststellen, daß der »mit der Errichtung des Heiligtums am Sinai endgültig offenbar werdende Prozeß der Konstituierung des JHWH-Volkes ... >Züge einer Schöpfung in der Schöpfung< bzw. einer >Neuschöpfung< Israels und seiner gesamten Lebenswelt durch J H W H « an sich trägt (Janowski 63), und zwar im Sinne einer »Verwandlung der Welt als Raum konkret erfahrba rer Gottesnähe« (ebd. 67). Für das N T ist etwa hinzuweisen auf die Konzeption in der Offenbarung des Johannes: »Die Spitze der Neuschöpfungsaussagen ist ekklesiologisch bestimmt.« Danach wird die Neuschöpfung im Bild von der neuen Stadt beschrieben »als heilvoll gegliedertes Miteinander von Menschen« (Roloff 138). Diese Hinweise zeigen, daß auch in anderen Schriften der Bibel der Gedanke der Schöpfung bzw. Neuschöpfung geschichtstheologisch bzw. ekklesiologisch verwendet wird. Kultische und tauf theologische Vorstellungen drängen sich auch für Jakobus in 1,18 nicht auf (vgl. auch 2,7). Das Ende des Prologes ist wie seine gesamte Grundstruktur theozentrisch, nicht tauftheologisch. Vergleichbar (ohne daß gegenseitige Abhängigkeit besteht) ist die Konzeption in 1 Petr: »Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus. Er hat uns in seinem großen Erbarmen neu geboren, damit wir durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten eine lebendige Hoffnung haben« (1,3). »Verlangt, gleichsam als neugeborene Kinder, nach der unverfälschten, geistigen Milch, damit ihr durch sie heranwachst und das Heil erlangt« (2,2). In der Arche Noachs »wurden nur wenige, nämlich acht Menschen,
durch das Wasser gerettet. Es rettet auch euch jetzt im Gegenbild der Taufe« (3,20b.21a). Hier ist die Taufe Gegenbild zur Sintflut und nicht zur Schöpfung. Die Taufe ist in 1 Petr nicht ein Hauptge danke; eine liturgische bzw. tauftheologische Interpretation des ganzen 1 Petr legt sich daher nicht nahe (vgl. Frankemölle, 1 Petr 18f.; anders Popkes 137-139). Das mit Rückerinnerungen an die Taufe in neutestamentlichen Schriften (vgl. Kol 1,10; Eph 2,10; 4,21-24; 5,26) argumentiert wird, bleibt unbenommen, jedoch wird an sie nirgendwo zu Beginn eines Briefes oder an Stellen, in denen das grundlegende Heil thematisiert wird, erinnert — auch dort nicht, wo von der neuen Schöpfung, vom Wort der Wahrheit oder von den Christen als Erstlingsgabe gesprochen wird (vgl. 1 Kor 1,17; 2 Kor 5,17-21; Gal 4,4-7; 6,15; Rom 8,14-23; Joh 1,13; 3,5-8; 8,47; 1 Joh 3,1.9). Jakobus steht hier in Übereinstimmung mit Paulus, Petrus, Johan nes und den übrigen Zeugen des N T ; sie alle betonen das wirklich grund-legende Handeln Gottes und die grundlegende Bedeutung des Glaubens als Hinwendung zu Gott, und erst in diesem Kontext kann sich die Rückerinnerung an die Taufe als sinnvoll erweisen. So auch im Jak (s. u. zu 2,7). Am Ende des Prologes geht es um das theozentrisch orientierte Grund Verständnis der Christen. Dies wird in der nächsten kleinen Einheit 1,19-27 bestätigt: Christen haben das von Gott »eingepflanzte Wort« (21b) anzunehmen, da ihr Heil davon abhängt (21c); sie haben aber nicht nur das Wort aufzunehmen, sondern es auch zu tun (22a), sich also entsprechend dem Gnadenangebot Gottes als Geschöpfe Gottes zu verhalten. Aufgrund der assoziativen Weiterführung der bei Jakobus üblichen Amplifikation der Gedanken wird vom Kontext her noch einmal die vorgelegte Deutung von 1,18 bestätigt. Dieser Vers ist ein Element der gegenseitigen Verschränkung von Menschenbild und Gottesbild im Jakobusbrief. Dazu einige zusammenfassende Bemerkungen.
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Im Unterschied zur Christologie des Jakobusbriefes (s. u. den Exkurs nach 2,1) fehlt Literatur zum Gottesbild des Jakobus (im Gegensatz zu Konzeptionen anderer neutestamentlicher Theologen). Dies ist um so erstaunlicher, da die Zahl an theozentrischen Stellen im Vergleich zu christologischen unvergleichlich groß ist. Dabei bleibt zu beachten, daß wie in anderen neutestamentlichen Stellen die Christologie nicht mit der Theo-
logie konkurriert, sondern Teil von ihr ist, so daß als Ergänzung dieses Exkurses jener über die Christologie zu lesen ist. Dies vor allem auch deswegen, weil Jakobus vor allem im Epilog mit dem Hoheitstitel »Herr« die Grenzen fließend sein läßt und gerade dadurch die besondere Beziehung Jesu zu Gott umschreibt. Im Kontext seines Bekenntnisses zum strengen Monotheismus (2,19; 4,12) garantiert Jakobus erst die Einheit seines Glau bens an Gott und den Herrn Jesus Christus (vgl. 1,1). Darin stimmt Jakobus mit den übrigen neutestamentlichen Theologen überein. Auch bei der Frage des Verhältnisses von Anthropologie und Theo-logie, näherhin von menschlichem Sein und Handeln zu göttlichem Sein und Handeln denkt Jakobus (mit anderen neutestamentlichen Theologen) gut biblisch, setzt aber vom Prolog seines Briefes an diese Korrelation thema tisch ausführlicher ein, wodurch erst der handlungsorientierte Aspekt der theo-logisch begründeten Anthropologie des Jakobus seine eigentliche Ermöglichung findet. Gerade in der semantisch exponierten Stellung des Prologes in 1,2-18 betont Jakobus die Korrelation von Anthropologie und Theo-logie. Ohne Gottes Sein und Handeln als unaufgebbare Vorausset zungen sind für Jakobus anthropologische und ekklesiologische Aussagen undenkbar. Allerdings geht Jakobus hier nicht von einer christologischen Engführung aus, so daß für ihn der auf das ganze Neue Testament gemünzte Satz: »Bei der Explikation anthropologischer Aussagen ist ... deren Verankerung in der Christologie und Soteriologie stets mitzubedenken« (Schnelle 6) nicht zutrifft; auch hinsichtlich des Bildes des Menschen in der Verkündigung Jesu (ebd. 13-43) und in der johanneischen Theologie (134-170) wäre das an der paulinischen Theologie gewonnene leitende Erkenntnisprinzip um die schöpfungstheologische und weisheitstheologi sche Aussage zu ergänzen. Bei der schöpfungstheologisch begründeten und eschatologisch motivierten Anthropologie ist Jakobus nicht mit Paulus, sondern eher mit der eschatologischen Ethik Jesu zu vergleichen, in der die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip fungiert (vgl. Merklein, G o t t e s herrschaft 4 7 - 1 0 7 ; Schräge, Ethik 23-45). Auch für Jakobus gilt: Die inhaltliche Strukturierung des christlichen Seins und Handelns erschließt Jakobus aus dem Sein und Handeln Gottes selbst. Grundgelegt ist diese handlungsorientiert verstandene Korrelation (vgl. Frankemölle, Gespalten oder ganz) in der bislang vernachlässigten Erkenntnis, daß der Jakobusbrief ein theozentrisches Schreiben ist und Jakobus dezidiert eine durchdachte und in sich stimmige Theo-logie als Basis seines gesamten Briefes vertritt. Daß Gott der eigentliche Handelnde ist, menschliche Existenz und mensch liches Handeln überhaupt erst ermöglicht, belegt der gesamte Brief in vielfacher Weise. 1. Wichtiger als die Erkenntnis, daß der Begriff »Gott« 16mal im Brief belegt ist, sind die inhaltlichen Aussagen. Hier gilt es zu differenzieren und vor allem auch zu sehen, daß innerhalb der Satzkonstruktionen das Subjekt »Gott« ungenannt in Gliedsätzen beim Verbum — sei es ein Verbum finitum oder ein Partizip — weiter vorausgesetzt wird; dies gilt auch für das »theologische Passiv«. Im einzelnen sind zu notieren: Im Präskript
umschreibt Jakobus sein Selbstverständnis und seine Sendung von Gott her (»Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht«); wo ein »Knecht«, dort auch ein »Herr«. Was sonst noch an Assoziationen bei »Gott« mitschwingt, ist im biblischen Horizont offen zu lassen; die Theozentrik des Schreibens ist aber von Anfang an gewahrt und nicht herunterzuspielen. Nach 1,5 sollen die Adressaten die Aufhebung des Mangels an Weisheit »von Gott« erbitten — in der sicheren Gewißheit: »... und sie wird ihm gegeben werden« (theologisches Passiv). Dies ist ebenso christliche Grundhaltung (vgl. Mt 7,7 par Lk 11,9; Mt 21,21 par Mk 11,23f.) wie jüdisch in der Weis heitsliteratur vorgegeben; demnach kann der Mensch die Weisheit nicht selbst erwerben, vielmehr nur von Gott erbitten (Weish 7,7; 8,21; 9,4 u.ö.). Programmatisch formuliert Sirach in der Uberschrift: »Alle Weisheit stammt vom Herrn« (1,1). Zur Charakterisierung von Gottes Handeln fundamental wichtig sind die beiden Partizipien in 1,5c, wonach Gott »allen vorbehaltlos/einfach und ohne zu nörgeln gibt«. Diese Aussage ist nicht nur in der Textstruktur formal auffällig (s. o.), sondern paßt auch zum weisheitlichen Denkansatz (vgl. Sir 13,8; 18,15.18; 20,14f.; 41,22). Allerdings ist die Aussage, daß Gott »einfach« gibt, innerhalb der Bibel singulär. Jakobus dürfte den Gedanken daher redaktionell geformt haben als Gegensatz zu dem vom unbeständigen und gespaltenen Menschen mit zwei Seelen (1,8). Hier zeigt sich nicht nur die theologische Sprachkraft des Jakobus, sondern auch sein theologischer Denkhorizont. Wenn Gott wirk lich der Geber »jeder guten Gabe« (s. o. zu 1,17a) ist, dann kann nicht nur der Mangel an Weisheit nur von Gott aufgehoben werden, sondern auch der Mangel an »Glauben« (1,6a), da der zweifelnde Mensch nicht meinen soll, »er werde etwas vom Herrn empfangen« (1,7b). Hier wird die anthropologische und theo-logische Grundlage des Jakobus deutlich und eine Antwort auf die Frage gegeben, wie es denn dem Menschen gelingen kann, »ein vollkommenes Werk zu haben« (1,4a) und selbst »vollkommen und ganz« zu sein (1,4b). Aus eigener Kraft vermag der Mensch dies nicht, dies ist ganz Gottes Geschenk. Dabei ist Gottes Geben vorbehaltlos. Er kennt - im Unterschied zu weisheitlichen Aussagen (vgl. Sir 7,10; 18,15ff.; 20,14f.; 41,22) - keine Vorbedingungen und keine Anrechnungen. Wenn der Mensch bittet, gibt Gott; dies ist theologisch gesprochen der Gedanke der gratia gratis data. Die Motivation für diese erstaunlichen Gottesprädikationen dürfte die anthropologische Pragmatik des Jakobus geliefert haben. Gerade im Prolog wird die Korrelation von Sein und Handeln Gottes zum von Jakobus erstrebten Sein und Handeln der Menschen deutlich. Dies ist die theo-logische Funktion von 1,5 für den näheren Kontext und den ganzen Brief: Wie Gott selbst unteilbar, frei von innerem Zwiespalt, ganz, aufrichtig, lauter, vorbehaltlos gütig ist und so handelt, so sollen auch Christen und christliches Handeln sein. Was Jakobus hier theozentrisch begründend formuliert, ist anthropozentrisch in griechisch wie jüdisch-weisheitlich geprägter Ethik vielfach belegt (so etwa in den Testamenten der Zwölf Patriarchen, in denen »Einfachheit« zum zentralen Begriff ethischer Unterweisung wird, wobei sich sogar Issachar als Reprä-
sentant dieser Tugend bezeichnet; vgl. Testlss 3,1.2.4; 4,1.6; 5,1 u.ö.). Neu u n d ungewöhnlich ist die Übertragung (auch im Vergleich zu 1 Klem 23,13) auf Gott durch Jakobus, wodurch das göttliche Sein und Verhalten zum unbedingten Maßstab menschlichen Seins und Tuns werden, aber auch zum Ermöglichungsgrund. Gott ist nach 1,5 Geber vollkommener Weisheit, die sich im vollkommenen Werk (1,4; vgl. die Amplifikation in 3,13-18) verwirklicht, und Gott ist Geber vollkommenen Glaubens (1,7), der »aus den Werken vollendet wird« (2,22 in Amplifikation von 1,4a). Schon mit diesen wenigen Sätzen wird deutlich, daß »vollkommen« weder philoso phisch/stoisch, noch gnostisch verstanden werden kann (vgl. auch den Exkurs nach 3,5b: vollkommen). W i r d so in den Versen 1,1-7 die theo-logische Begründung für christliches Sein und Handeln grundgelegt, so nennt Jakobus als stärkstes Motiv für das Handeln der Christen in 1,12 das eschatologische Ziel (s. o. den Exkurs nach 1,12: Eschatologie und Ethik). Ohne daß Gott als Subjekt eigens genannt wird, wird er von Jakobus als derjenige charakterisiert, der dem menschlichen Leben eschatologische Zielrichtung gibt; Christen, die sich in der Prüfung/Erprobung/Versuchung bewähren, werden »den Kranz des Lebens empfangen, den er (Gott) denen verheißen hat, die ihn lieben« (vgl. die Parallele mit der Nennung Gottes als Subjekt in 2,5). Jakobus kann das Einverständnis seiner Hörer voraussetzen, da er hier ganz traditionell hinsichtlich der Treue Gottes zu seinen Verheißungen formuliert. Anders ist dies in 1,13-14 bei den Hinweisen zur Theodizee-Problematik, in denen der Begriff »Gott« 2mal (13b.c) belegt ist. Wenn es um Gott und u m die Menschen so bestellt ist, wie Jakobus in den Versen 1,2-11 anklin gen ließ, dann kann der Mensch die äußeren und inneren »mannigfachen Erprobungen/Prüfungen/Versuchungen« (1,2) nicht auf Gott zurückfüh ren (13a: »Keiner, der versucht wird, soll sagen: >Von Gott werde ich versucht^«). Die »eigenen Begierden« (1,14) suchen den Menschen heim; dies ist so, weil Jakobus mit Jesus Sirach (s. o.) die menschliche Willensfrei heit voraussetzt. Aufgrund seines (bereits in 1,5 grundgelegten) Gottesbil des kann Jakobus die aus dem altbundlichen Evangelium breit überlieferten Vorstellungen von Versuchungen durch Gott (vgl. etwa Isaaks Opferung, Israels Erprobungen in der Wüste, die Versuchungen Ijobs) nicht überneh men. Begründet ist dies im Gottesbild: »Gott, der vom Bösen unversuchbar ist, versucht auch selbst niemanden« (1,13b). Bemerkenswert ist dieser Vers, da das Verbaladjektiv apeirastos: unversuchbar/unversucht mit dem a-privativum vor Jakobus nicht nachweisbar ist und diese Vorstellung über das Sein Gottes sich auch inhaltlich sonst in der Bibel nicht findet (Jakobus steht hier in der Tradition philonischer Theologie: s. o.). Wie in 1,5 dürfte auch in 1,13 f. die theozentrische Akzentuierung redaktionell sein und in besonderem Maße die leitende theo-logische Perspektive des Jakobus ange ben.
Die mögliche Schlußfolgerung, Gott sei untätig, wird von Jakobus dezidiert in 1,17f., dem Abschluß des Prologs, zurückgewiesen. Auch wenn der Begriff »Gott« nicht belegt ist, kann kein Vers der Bibel theozentrischer
sein und die Ermöglichung des Kosmos und der christlichen Existenz im Sein und Handeln tiefer begründen. Mit Hilfe von kosmologischen Vorstel lungen thematisiert Jakobus »in einem gewaltigen Schlußakkord« (Schule 77) drei Gedanken: 1. In Aufnahme von tragenden Begriffen des Exordiums in 1,2-4 wird exklusiv betont: »Jede gute Gabe [dosis; vgl. didonai in l,5c.d] und jedes vollkommene [vgl. l,4a.b] Geschenk [dorema] ist von oben [als Metapher für >von Gott< in 1,5 und >vom Herrn< in 1,7], es kommt herab«. Das ist das in 1,5 Erbetene; hier wird die Begründung und Motivierung jeglicher Ethik angegeben. 2. Wer der Geber ist, umschreibt Jakobus mit der theozentrischen Wendung »Vater der Lichter« (17c), die vor Jakobus nicht belegt ist. Mit dieser Gottesbezeichnung wird Gott »ausschließlich als Schöpfer ausgesagt, als Schöpfer der Welt, von dem alles, auch Sonne und Mond, absolut abhängig ist« (Strotmann 296). Jakobus geht es um die absolute Schöpfermacht Gottes insgesamt, wobei er gemäß jüdisch-hellenistischen Vorstellungen Gott als Schöpfer in jeder Weise unveränderlich und unverwandelbar charakterisiert (17c.d: »bei dem es keine Veränderung gibt oder eines Wechsels Verschattung«). Die kosmo logischen Kategorien sichern das »einfach« von 1,5, zugleich aber konse quent kontextuell auch die These, daß von Gott nur Gutes, jedoch keine Versuchungen kommen können. Gott wird hier radikal monotheistisch gedacht, seine Unwandelbarkeit ist Garant dafür, daß nur Gutes von ihm kommt. Gottes Sein garantiert sein (kosmologisches) Handeln. 3. Der Schlußvers des Prologs umschreibt Gottes schöpferische Tätigkeit im Hin blick auf die Adressaten. Gott ist nicht nur »Vater der Lichter« (17c), sondern hat auch — gleichsam als Mutter — »kraft seines Willens uns geboren durch das Wort der Wahrheit«. Hier wird der Ermöglichungsgrund christlicher Existenz überhaupt angegeben. Im Gegensatz zur Begierde, die lockt und ködert, und zur »Sünde, die, voll ausgereift, den Tod gebiert« (1,15), »wollte« Gott uns und hat er »uns geboren« — und damit wurde überhaupt erst menschliches Werden ermöglicht. Christen sind als »Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe« (18b) Teil der Schöpfung, aber auch ihre Krone (dieser kosmologische Kontext von 17f. dürfte gegen eine Deutung von Vers 18 auf die Taufe sprechen). Es ist erstaunlich, mit welcher Konsequenz und inhaltlichen Stringenz Jakobus in wenigen Versen und mit wenigen Worten elementare Aspekte seines Gottesbildes angibt, wobei dies Gottes Handeln und Gottes Sein umschließt. Gott ist der Schöpfer des Kosmos und der Menschen (17cd.l8a.b). Er war aber nicht nur schöpferisch tätig am Anfang, vielmehr ist er ständig der Geber aller guten Gaben, vor allem der Weisheit (5.7b.l7a.b) und als eben dieser Gott wird er sich eschatologisch als der Getreue erweisen für Menschen, die sich in der Erprobung bewährt haben (12), wobei nicht nur toratheologische Aspekte anklingen (s. o. zu 1,12 und 2,5), sondern auch der Gerichtsgedanke, wie er durchgehend von Jakobus betont wird. Er ist aber nur in sich stimmig für Jakobus, wenn man das vorauslau fende Handeln Gottes am Menschen und die dem Menschen von Gott gegebene Willensfreiheit beachtet, die die Verantwortung des Menschen
impliziert. Jakobus macht in diesen Versen des Prologes aber nicht nur Aussagen über das Handeln Gottes (dies wäre schon erstaunlich genug), sondern auch (wohl unter dem Einfluß der Theologie Philos von Alexand rien) Aussagen über das Sein Gottes. Gott ist »einfach« (1,5c), er ist »unversuchbar« (13c) und »unveränderlich« (17d). Diese theologischen Spitzensätze dürfte Jakobus im Hinblick auf seine anthropologischen Ausagen formuliert haben. Das Bekenntnis zu Gottes Sein und Handeln ist die Antwort auf die Krise des menschlichen Seins und Handelns, die Jakobus als Mangel an Weisheit (5-6a), als Mangel an Glauben (6b-8) und als Mangel an der richtigen Selbsteinschätzung bei Armen und Reichen (9-11) charak terisiert, die er im Verlauf des Briefes stärker sozialethisch auch als Krise der christlichen Gemeinde entfaltet (was aber bereits grundgelegt ist in den anthropologischen Ambivalenzen). Dabei geht es Jakobus nicht nur um christliche »Vollkommenheit« (vgl. Zmijewski und Hoppe, Hintergrund 26-33), um die Überwindung der Gespaltenheit des Christen oder der Gemeinde (vgl. Schule und Burchard, Gemeinde), vielmehr bindet Jakobus diese anthropologischen und ekklesiologischen Aspekte zurück an die theozentrischen Grundaussagen. Diese sind die Basis für alles andere. Ohne Gottes Sein und Handeln als unaufgebbare Voraussetzungen sind für Jakobus anthropologische Aussagen undenkbar. Dies ist sein eigentliches Konzept, aus dem alle Aufforderungen zum Ungespaltensein des einzelnen und der Gemeinde folgen. Ihren Grund und ihre Ermöglichung haben sie im Glauben an Gottes Sein und an Gottes Handeln. Dies ist die theo logische Basis, warum die Ethik des Jakobus insgesamt — in Weiterführung biblischer Weisheitsschriften — so stark appellativ und handlungsorientiert ist. Anthropologie ist nach Jakobus Theologie, weil sie in der Theo-Iogie gründet und umgekehrt jede Aussage der Theo-Iogie eine Aussage über den Menschen impliziert. Diese Korrelation ist die Grundlage der jakobeischen Theologie (zustimmend Popkes 46.199f.; Schnackenburg II 196-198; Muß ner, Motivation 422 f.). Reduziert man diese Korrelation nicht verengt auf ein neues Selbstverständnis (wie in der existentialen Interpretation üblich; zur Kritik vgl. Frankemölle, Handlungsanweisungen 38-44), ließen sich die Sätze von Rudolf Bultmann zur paulinischen Theologie auch auf die jakobeische Theologie hin formulieren: »Sie handelt von Gott nicht in seinem Wesen an sich, sondern nur so, wie er für den Menschen, seine Verantwortung und sein Heil, bedeutsam ist. Entsprechend handelt sie nicht von der Welt und vom Menschen, wie sie an sich sind, sondern sie sieht Welt und Mensch stets in der Beziehung zu Gott. Jeder Satz über Gott ist zugleich ein Satz über den Menschen und umgekehrt. Deshalb und in
diesem Sinn ist die paulinische Theologie zugleich Anthropologie.« Jeder Satz redet »über Gott von dem, was er am Menschen tut und vom Menschen fordert, und entsprechend umgekehrt jeder Satz über den Men schen von Gottes Tat und Forderung bzw. von dem Menschen, wie er durch die göttliche Tat und Forderung und sein Verhalten zu ihnen qualifiziert ist« (Theologie 191 f.; vgl. Den., Sinn 26-28). Alles, was Jakobus über das Sein des Christen als Einzelmenschen und als
Glied der Gemeinde im Verlauf des Briefes amplifiziert, ist grundgelegt im Prolog 1,2-18 (zur Begründung s. o. den Exkurs nach 1,4). Der Brief bestätigt diesen Denkansatz, so daß er die Erwartungshaltung des Lesers aus dem Prolog einlöst und innertextuell die Stimmigkeit und Kohärenz der Theologie des Jakobus belegt, auch wenn im Verlauf des Briefes die Subjektivität des einzelnen noch stärker an die Intersubjektivität ekklesialer Aspekte gebunden wird. Dies gehört zur rhetorischen Strategie durch Amplifikationen, mit denen Jakobus auf seine Adressaten einwirken will. Die Gespaltenheit von Glauben und Tun, von Glauben und Werken betrifft im übrigen sowohl den einzelnen wie die Gemeinschaft. 2. Die Korrelation von Theo-logie und Anthropologie, wie sie im Prolog grundgelegt ist, kennzeichnet auch weiterhin das eigenständige theologi sche Denken des Jakobus. Stellt man die theozentrische Perspektive in den Vordergrund und orientiert man sich am Begriff »Gott«, so ist in der kleinen Einheit 1,19-27 auf die Wendung »Gerechtigkeit Gottes« (1,20) sowie auf das Syntagma »Gott und Vater« (1,27a) hinzuweisen. Auf die schöpfungstheologische Aussage von 1,18 verweist die Wendung »das eingepflanzte Wort« in 1,21b, ebenso schwingt in der Formulierung »das eure Seelen zu retten vermag« (1,21c) in Rückbindung an 1,21b deutlich die theozentrische Dimension mit; die soteriologische Überzeugung des Jako bus klingt hier an (s. u. den Exkurs 14 nach 5,20: Die theologische Leistung des Jakobus). Für jüdisch und christlich orientierte Leser steht die theozen trische Dimension auch für »das Gesetz der Freiheit« in 1,25a ohne Zweifel fest (vgl. auch den Exkurs nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit«). Etwas zurückhaltender ist die theozentrische Grundlage beim Makarismus in l,25d (in Wiederholung von 1,12). Deutlicher ist der theozentrische Grundzug in den Wendungen »er sei fromm/diene Gott« in 1,26a und »reine(r) und unbefleckte(r) Frömmigkeit/Gottesdienst vor Gott und dem Vater« in 1,27a. Die Verschränkung von Frömmigkeit/Gottesdienst und Zungensünden sowie sozialem Verhalten betonen gerade die beiden letzten Verse der kleinen Einheit. In 2,1-13 sei zunächst an das christologische Bekenntnis in 2,1 erinnert, das gerade bei Jakobus nur in Hinordnung auf die Theozentrik zu denken ist. Explizit ist der Begriff »Gott« in 2,5b belegt — verbunden mit dem Gedanken der Erwählung speziell der Armen »als Erben (seines) König tums« (5c). Hier klingen nicht nur alle biblischen Konnotationen vom Königtum Gottes an, sondern auch die breit belegte Erwählungs-Theologie, wobei auch für Jakobus klar ist, daß die ganze Aktivität — wie in 1,18 — allein bei Gott liegt. Zum Stichwort »verheißen« und zur Reaktion des Menschen durch Gottesliebe (»die ihn lieben«) in 2,5d als Wiederho lung von 1,12c siehe dort; das Zusammenwirken von Gottes Handeln und menschlichem Handeln (ein Grundproblem des Jakobus) wird hier über deutlich. Ob in 2,7 biblisch-theozentrisch gedacht wird (wie beim »Namen des Herrn in 5,10), ist nicht ganz sicher, legt sich aber im Kontext von 1,18 und 1,21 nahe. Unbestritten ist die theozentrische Perspektive bei der Wendung »königliches Gesetz« in 8a, da die Tora als von Gott gesetz-te
Sozialordnung nicht anders gedacht werden kann. Auch der Hinweis auf die »Schrift« ist nur theozentrisch zu verstehen. Das in der Wendung »der da sprach hat auch gesagt« (lla.b) mit den wörtlichen Zitaten aus dem Dekalog implizierte Subjekt ist eindeutig Gott. Wie für gläubige Juden und Christen der Begriff »Gesetz« (2,8.9.10.11.12) eo ipso theozentrisch ist, so auch der Begriff »Gericht« in 2,13 (zur Bestätigung vgl. 4,12). Damit ist die theozentrische Grundstruktur auch der kleinen Einheit von 2,1-13 mit dem Glauben an den von Gott erhöhten und verherrlichten Jesus Christus in 2,1, mit dem Gedanken der besonderen Erwählung der Armen durch Gott und mit dem Hinweis auf das Königtum Gottes sowie auf sein Sprechen durch das Gesetz, nach dem am Ende alle gerichtet werden, offenkundig. Das von Jakobus eingeklagte solidarische Verhalten statt der kritisierten Diastase von Glauben und Tun basiert auch in diesem Text auf den theozentrischen Aussagen. Nicht anders steht es in der kleinen Abhandlung »Vom Glauben ohne Werke und vom Glauben mit Werken« in 2,14-26. Auch wenn hier die anthropologische Perspektive vorherrschend ist, ist sie dennoch in der theozentrischen begründet. Dies wird bereits am Vorkommen des Begriffs »Gott« als Gott Israels und als Gott der Väter deutlich. Der von Jakobus kritisierte Nur-Glaube wird festgemacht am jüdischen Grundbekenntnis, dem Sch ma Israel: »Ein einziger ist Gott« (2,19a). Der Begriff »Gott« wird zudem in zwei Schrift-Zitaten eingeführt (23b: »Abraham glaubte Gott«; 23d: »Er wurde >Freund Gottes< genannt«). Darüberhinaus wird Gott als Handelnder im Akt der Rechtfertigung vorausgesetzt - 4mal umschrieben mit dem theologischen Passiv (21a.23c.24a.25b). Die Korrelation vom Handeln Gottes und Handeln des Menschen analog zur Korrelation von Glauben und Tun wird nirgendwo so deutlich ausgesprochen wie in diesen Versen und im Synergismus-Begriff in 22a (zur Sache s. u. den Exkurs nach 2,24: Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus). Die weisheitliche Grund these des Jakobus lautet: Das Handeln Gottes entspricht dem im Tun verwirklichten Glauben des Menschen, das immer ein Tun coram deo ist. Von dorther gewinnt menschliches Handeln seine Dringlichkeit und escha tologische Dimension (vgl. den Exkurs nach 1,12: Eschatologie und Ethik). Auch in der kleinen Abhandlung »Von der positiven und negativen Macht der Zunge« in 3,1-12 wird auf der Oberfläche zunächst ausführlich über das Gespaltensein menschlicher Rede und über die Wirkung menschlicher Sprache reflektiert. Doch auch hier wird die theologische Unmöglichkeit dieser anthropologischen Erfahrung zurückgeführt auf schöpfungstheolo gische Aussagen: Man kann nicht gleichzeitig »den Herrn und Vater preisen« (9a) und »die Menschen, die nach Gottes Abbild geschaffen sind, verfluchen« (9b.c). Die Menschen schlechthin (vgl. auch 8a), nicht nur die Christen sind Abbild/Ebenbild Gottes! Wie immer auch die »Gotteben bildlichkeit« des Menschen in der neueren Exegese umschrieben wird (vgl. den Uberblick bei Scharbert), darin stimmen alle Ausleger überein, daß in den biblischen Texten nicht von einer Identität gesprochen, sondern - wie in Gen 1,26 durch die Vergleichspartikel »wie« kenntlich gemacht — eine e
Ähnlichkeit behauptet wird. Die Verfasser von Gen 1 und von Ps 8 etwa billigen »dem Menschen auch etwas von der Fülle des Lebens und von der Würde der Person« zu, »die sie für Gott als selbstverständlich annahmen.« Dies bedeutet: »Der Mensch als Teilhaber an der Herrschermacht Gottes, als Repräsentant Gottes auf Erden gegenüber der anderen Schöpfung, als Person, als Gott gegenüberstehendes Du, als Partner Gottes, das alles dürfen wir m.E. auf dem Hintergrund der Gesamtoffenbarung des Alten Testaments, aber auch auf dem Hintergrund der Gedankenwelt des Alten Orients, zu dem Israel gehört, dem Begriff der Gottebenbildlichkeit ent nehmen« (Scharbert 257f.). Einen Verlust der Gottebenbildlichkeit durch Sünden oder durch einen Abfall von Gott kennt das A T nicht, was noch einmal deutlich macht, daß »die Gottebenbildlichkeit des Menschen ... nicht das Abbild des Gottes in seiner Einzigkeit« meint. »Hier wird nicht von einer Menschengestaltigkeit Gottes, sondern von einer Gottgestaltigkeit des Menschen geredet. Der Mensch ist, so will hier gesagt werden, nur in diesem >Wo-her< zu verstehen. Er ist kein in sich bestehendes Wesen, sondern ist von Gott her, was impliziert, daß der Mensch nur im Gehorsam gemäß diesem Auftrag leben kann« (Zimmerli, Grundriß 28 mit Hinweis auf die Bewältigung jüdischen Glaubens im Alltag, ebd. 136-146 in den Weisheitstraditionen). Betreffs seiner Herkunft ist der Mensch schöpfungs theologisch nur von Gott her zu bestimmen (vgl. Jak l,17f.), woraus folgt: Sein des Menschen und Sein Gottes haben einander zu entsprechen, dies ist die implizierte Forderung. Dieser Gedanke der Nachahmung Gottes fehlt zwar in der Bibel des Alten Testaments, ist aber im sonstigen Judentum wie auch im Neuen Testament (vgl. etwa Mt 5,48 par Lk 6,36) durchaus verbreitet (Schneider 74-80), was aber Jakobus — aufgrund seiner Anthro pologie vom gespaltenen Menschen — nicht rezipiert. Jakobus knüpft mit der schöpfungstheologischen Aussage in 3,9 deutlich an den Schluß des Prologes an (1,17.18), um vom Ursprung des Menschen her aus dem Wollen Gottes die Schizophrenie im Menschen nicht nur als unnatürlich, sondern auch als widergöttlich zu charakterisieren. In den Ausführungen 3,13-18 über das Wesen der wahren Weisheit kommt zwar der Begriff »Gott« nicht vor, aber dennoch ist (mit Ausnahme des Prologes und des Epiloges) kein Text theozentrischer als diese Mittelverse des Briefes, da in ihnen die »irdische, psychische und dämonische Weis heit«, die »nicht von oben kommt« (15a.b), kontrastreich jener anderen, hymnisch gepriesenen und auf das Tun hin orientierten Weisheit »von oben« (17a), gegenübergestellt wird. Zudem erweisen sich diese Verse deutlich als Amplifikation von 1,5.17. Dem Indikativ der Heilszusage — weisheitstheologisch selbstverständlich mit »Weisheit« umschrieben — entspricht der Imperativ der Heilsbewährung. Der oft wiederholte Hinweis, daß »eine explizite Begründung der Ethik fehlt« (Schräge, Ethik 290), ist unzutreffend. Die Schöpfungstheologie und die Weisheitstheologie geben den theozentrischen Grund an, aus dem heraus es den Christen ermöglicht ist, überhaupt zu leben und im Glauben daran solidarethisch zu leben. Dieser Zusammenhang würde noch deutlicher, wenn Jakobus — wie
Jesus Sirach (vgl. Preuß, Einführung 138-147) — Weisheit und Gesetz miteinander integral verbunden hätte (so Hoppe, Hintergrund 33-40), was er aber in Aufnahme der Jesustradition und aufgrund seines spezifischen Verständnisses vom »vollkommenen Gesetz der Freiheit« ohne Differen zierungen nicht getan hat (s. u. den Exkurs nach 1,25: Das »Gesetz der Freiheit«). Auch ohne diese Verschränkung versteht Jakobus Weisheit mit seinen alttestamentlichen Vorlagen praxisorientiert (13: »Wer ist weise und wohlunterrichtet unter euch? E r zeige aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit«). Gottes kommunikatives Handeln an den Christen bildet den Grund und die Ermöglichung für das innovatorische, kommunikative Handeln der Christen, das Jakobus mit seinem Brief initiieren möchte. Daß Gott nicht nur die Weisheit gibt (1,5; 3,13-18), sondern auch nach weisheitlichem Verhalten der Menschen »eifersüchtig verlangt«, wird von Jakobus ausdrücklich in 4,5b formuliert und in 4,6 mit einem Schriftzitat bestätigt: »Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen/Niedrigge stellten gibt er Gunst/Gnade«. Der Begriff »Gott« wird nirgendwo sonst im Jakobusbrief so oft explizit eingeführt wie in der kleinen Abhandlung »Vom Unfrieden in der Gemeinde und seinen Ursachen« in 4,1-12, näherhin ist er belegt in 4,4c.e.6b.7a.8a, wird aber zudem in weiterführenden Verben vorausgesetzt (so in 5b.c.6a.c.8b). Ähnlich ist es in 10a, wo von Gott als dem »Herrn« gesprochen wird, der auch Subjekt in 10b ist. Ahnlich steht es bei der das Bekenntnis zum Monotheismus (2,19) aufneh menden Wendung: »Ein einziger ist Gesetzgeber und Richter« in 12a, der auch Subjekt von 12b ist: »der retten und verderben kann«. Was in der deutschen Sprache nur mit einem Hilfsverb wiedergegeben werden kann, ist im Griechischen eine partizipiale Gottesprädikation (ho dynamenos: der mächtig ist/der kann), auch wenn nicht bei allen Vorkommen im N T (Rom 16,25-27; Eph 3,20f.; Hebr 5,7) eine feste Formel vorliegen muß; wie jedoch die häufige doxologische Verwendung belegt, um Gottes Macht in dieser oder jener Bedeutung zu umschreiben, zeigt diese partizipiale Got tesprädikation trotz unterschiedlicher Verben eine Tendenz zur formelhaf ten Sprache (vgl. Delling 26f.). In Jak 4,12b wird diese Beobachtung zur Gewißheit aufgrund der Verbindung mit 4,12a sich dort findenden Bekenntnis zum Einzigen als Gesetzgeber und Richter. Insgesamt führt Jakobus die Antithetik der Verse 3,13-18 (dort stärker anthropologisch orientiert) hier auf ekklesiologischer Basis weiter, wobei sich die Gemeinde zwischen Welt und Gott zu entscheiden hat: »Freundschaft zur Welt bedeutet Feindschaft gegen Gott« (4b.c), »ein Freund der Welt erweist sich als ein Feind Gottes« (4d.e). Der Appell lautet: »Unterwerft euch Gott! Widersteht aber dem Teufel« (7a.b). Wer in seinem Herzen »gespalten/ schizophren« ist, ist ein »Sünder«, wie Jakobus in Aufnahme von 1,6-8 rekapituliert. Mit neuen Metaphern für den Synergismus fordert Jakobus: »Naht euch Gott, und nahen wird er sich euch« (8a.b) und: »Erniedrigt euch vor dem Herrn, und erhöhen wird er euch« (lOa.b). Würden Christen in einer solchen, alles von Gott erwartenden Haltung (wie in 1,5-8) beten,
würden sie das Erbetene auch von Gott empfangen; diese Grundorientie rung fehlt ihnen aber (4,2e-3c). Diese falsche Grundorientierung und falsche Haltung vor Gott impliziert nicht nur eine falsche Ethik (4,1-2d), sondern auch eine falsche Haltung vor dem von Gott gegebenen Gesetz (llb-e), schließlich vor Gott selbst (12a). So zeigt sich, daß auch in dieser kleinen Einheit Ethik nicht nur als zwischenmenschliches Verhalten gese hen wird, vielmehr gründet Ethik wie die in ihr sich zeigende Anthropolo gie in der Theozentrik, näherhin in der Schöpfungstheologie (5b.c: »Eifer süchtig verlangt er nach dem Geist, den er in uns wohnen ließ«), in der Toratheologie sowie wiederum in der Gerichtstheologie (12a). Anthropolo gische und ekklesiologisch- sozialethische Aussagen setzen nach Jakobus dieses Handeln Gottes unaufgebbar voraus. Ohne diese von Jakobus geglaubte Ermöglichung zum Heil sind alle Aufforderungen zur Mitwir kung am Heil hinfällig. Damit deutet sich die weisheitlich-philonisch geprägte (vgl. Sellin, Gotteserkenntnis 27f.; ausführlicher ders., Auferste hung 95-171) spezifische Form einer Soteriologie des Jakobus an (vgl. weiter im Exkurs 14 nach 5,20: Die theologische Leistung des Jakobus). Anthropologisch geht es Jakobus um die Einsicht in die begrenzte mensch liche Autonomie vor Gott, wie er in den Ausführungen über den selbst herrlichen Umgang mit der Zeit in 4,13-16 belegt. Nur »wenn der Herr will, werden wir leben und dieses oder jenes tun« (15b.c). Wie hier so führt Jakobus auch in den Versen über die angebliche Unvergänglichkeit des Reichtums und die falschverstandene Autonomie der Reichen hinsichtlich ihrer Güter im Hinblick auf das falsche zwischenmenschliche Verhalten die Ordnung Gottes ein, der als Helfer der ausgebeuteten Arbeiter eingeführt wird: »Die Rufe der Erntearbeiter sind zu den Ohren des Herrn Zebaoth gedrungen« (5,4d.e). Deutlich klagt Jakobus auch hier eine bestimmte Sozialethik ein, die vor Gott Bestand hat. Wer sich danach nicht verhält, erwartet nur Unheil (vgl. auch 2,13; 4,12). Daß Jakobus kein Gerichtstheologe ist, sondern ihm alles an einer Kehrt wendung der Adressaten liegt, belegt der Epilog des Briefes in 5,7-20. Auch dieser Text ist stark theozentrisch orientiert, aber anders als die bisherigen Texte. Wohl in Aufnahme der theo-logischen und christologischen Aussa gen im Präskript (1,1) amplifiziert Jakobus die dort gemachte Aussage, indem er sowohl von Gott als »Herrn« (5,10c.llc.d) spricht wie von Jesus Christus als »Herrn« (5,7b.8c. 14d. 15b). Die genauere Zuordnung beider Aussagen hält er offen (s. u. den Exkurs nach 2,1: Die Christologie des Jakobus). Wenn der Hinweis auf das Gericht als Motivation auch im Epilog eine Rolle spielt (im übrigen vgl. den Exkurs nach 1,12: Eschatologie und Ethik), ist der eschatologische Richter derjenige, der das »Gesetz der Freiheit« geschenkt hat (1,25), er ist »Gott und Vater« (1,27), »Herr und Vater« (3,9) und der »erbarmungsreiche und barmherzige Herr« (5,1 ld), der allerdings »durch das Gesetz der Freiheit« richten wird (2,12); an dieses Gericht durch Gott erinnert Jakobus in 5,9b.c.l2e. Auch im Epilog moti viert der Hinweis auf die »Ankunft des Herrn«, Jesus Christus (5,7b.8c), zum Handeln in Ausdauer (wie die Propheten und Ijob: 10-11) und in
ungeteilter Gebetshaltung (wie Elias: 17-18). Wie der Gott der Bibel, ob er als Subjekt direkt genannt wird oder in Nebensätzen und im theologischen Passiv vorausgesetzt wird (9b.12e.15d.16c), eine sein Gottsein anerken nende Grundorientierung und eine alles allein von ihm erwartende Haltung im Tun-Ergehen-Zusammenhang belohnt, so auch der biblische Gott in Jesus Christus. Dies ist die Botschaft des Jakobus für seine Adressaten, wobei in diesem theologischen Konzept alles auf das Mitwirken des menschlichen Handelnden ankommt. Mit dem Beispiel des Elias und mit der letzten Aussage, daß »der, der einen Sünder zurückbringt von der Irre seines Weges, seine Seele aus dem Tode retten und zudecken wird eine Menge von Sünden«, beendet Jakobus sein Schreiben wie mit einem gewaltigen Schlußakkord: der These vom Zusammenwirken von Mensch und Gott. Anders dürfte sein Aufruf zur lebensrettenden Chance durch Handeln der Christen aneinander nicht zu verstehen sein. Dabei steht er ganz im Einklang mit biblischen Weisheitstraditionen (vgl. Spr 10,12; Sir 3,30; Tob 5,4-11; 12,9). 3. Die Botschaft des Jakobus ist theozentrisch. Der Ursprung des Kosmos und der Ursprung der Adressaten sind in Gottes Handeln gegründet (l,17f.), er ist der Geber der Tora an Israel, die man als Schrift zitieren kann, durch die er spricht, er ist Geber der Weisheit, Herr und Vater, Geber aller guten Gaben, Erfüller der Gebete, Ermöglicher der Erlösung, aber auch Richter. »Der Brief ist ein Plädoyer für die Verläßlichkeit, Eindeutigkeit und Güte Gottes, einschließlich seiner Unbestechlichkeit« (Popkes 199; vgl. auch Mußner 97f.). Dem nach außen gerichteten Tun entspricht das Sein Gottes: E r ist einfach (1,5), unversuchbar (1,13c) und unwandelbar (1,17d). Bei aller philonisch gedachten Unveränderbarkeit und Unversuchbarkeit Gottes (l,13c.d.l7d), bei aller Ganzheit und Einfachheit Gottes (1,5c), wird Gott nicht als unveränderlich und weltjenseitig verstanden, der wie bei Philo durch die göttlichen Kräfte immanent wird (vgl. Montes-Peral 164181), vielmehr ist es Gott selbst, der »uns wollte und uns geboren hat durch das Wort der Wahrheit« (1,18a). »Mangelt es aber einem von euch an Weisheit, so erbitte er sie von Gott, der allen vorbehaltlos und ohne zu nörgeln gibt, und sie wird ihm gegeben werden« (1,5). Bewährt sich ein Christ, so wird Gott selbst ihm den Kranz des Lebens geben (1,12). Gott selbst rechtfertigte Abraham und Rahab aus den Glaubens-Werken (2,2125). Wie »jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben ist, herabkommt vom Vater der Lichter« (l,17a-c), so ist auch Gott selbst Spender jener »Weisheit, die von oben kommt« (3,15a). Gott selbst ergreift Partei für die Armen und Unterdrückten — gegen die Reichen (vgl. 2,5; 5,1-6). Gott selbst ist nach Jakobus keineswegs apathisch, wie christliche Theologie seit alters her bis heute meinte tradieren zu müssen (vgl. Frohn hofen und Meessen). Nach Jakobus ist Gott ein Gott, der die Existenz des einzelnen »wollte« (1,18) und das Schicksal des einzelnen »will« (4,15), der »eifersüchtig nach dem Geist verlangt, den er in uns wohnen ließ« (4,5); darin deutet sich das soteriologische Konzept des Jakobus an. Wie er der
Schöpfer und Gesetzgeber ist, so ist er der Richter, wie Jakobus durchge hend vor allem am Ende der kleinen Abhandlungen betont (vgl. vor allem 4,12a.b: »Ein einziger ist Gesetzgeber und Richter, er, der retten und verderben kann«). Jakobus verbindet die Aussagen zur dynamischen Aktivität Gottes mit den Aussagen zur Einfachheit, Unveränderbarkeit und Unversuchbarkeit Got tes (wobei er, wie gesagt, Vorstellungen Philos von Alexandrien aufnimmt) wohl deswegen, weil das Menschenbild in antithetischer Korrelation zum Gottesbild steht. So ist der Mensch nach Jakobus zwar ein Geschöpf und Ebenbild Gottes, bei ihm stimmen aber Außen und Innen, Sein und Tun, Glaube und Werke, Weisheit und Praxis nicht überein. Die angesprochenen Christen sind Mangel-Wesen (1,5-8). Jakobus stellt bei ihnen aber auch ein gestörtes Selbstbewußtsein fest (1,9-11), woraus — wie er im Verlauf des Briefes zeigt — auch ein gestörtes Sozialbewußtsein und vor allem eine gottwidrige soziale Praxis wird. Der Mensch ist nach Jakobus eine Existenz im Werden und Vergehen (1,10-11; 4,14 und vor allem das häufige Verbum »werden/entstehen«: 1,12.22.25; 2,4.10.11; 3,1.9.10; 5,2). Menschen machen Lernprozesse durch, sie können Fortschritte machen in der Bewäh rung (vgl. 1,3-4.12), sie sollen auf dem Weg zur Vollkommenheit sein (s. u. den Exkurs nach 3,5b: »Vollkommen« nach Jakobus), indem sie immer stärker Glauben und Tun, Hören und Tun, Weisheit und Praxis, insgesamt: Sein und Handeln als Einheit verwirklichen. Christen gilt der Imperativ: »Geht nicht in die Irre, meine geliebten Brüder!« (1,16). Da die »Gespalte nen ... Sünder« sind (4,8), richtet sich der Schlußappell des Briefes (»Wer einen Sünder zurückbringt von der Irre seines Weges ...«) potentiell an jeden Christen. Denn: Zwiespalt/Gespaltensein betrifft nach Jakobus nicht nur den inneren Menschen (dies jedoch auch; vgl. den Zwiespalt beim Beten in 1,5-8, beim Nur-Hören des Wortes, das die Praxis vergißt, in 1,19-25, beim Fehlen der Weisheit in 3,13-18 u. a.), vielmehr ist die innere Gespaltenheit des Menschen nur die eine Seite menschlicher »Schizophre nie«, deren äußere Seite a-soziales, unwürdiges zwischenmenschliches Ver halten ist (wie es sich vor allem im Verhältnis von reichen und armen Christen zeigt - und zwar von beiden Seiten (2,1-13.14-26; 5,1-6): Auch die armen Christen verstoßen gegen innergemeindliche Solidarität aufgrund des Ansehens von Personen, hervorgerufen durch Kleidung und Reichtum. Ein Glaube mit Zwiespalt im Gebet, mit Zwiespalt bei der Verwirklichung von Weisheit im praktischen Tun, bei der Verwirklichung des Glaubens, d. h. bei der Be-glaubigung durch Werke usw. ist nach Jakobus kein Glaube. Nach Jakobus kommt es darauf an, was ein glaubender Christ tut und wie eine glaubende Gemeinde handelt. Nach psychologischen Katego rien ist Jakobus »der Apostel der Persönlichkeitsintegration« (Barkman 38; vgl. ebd. 167-170), was aber ekklesiologisch zu erweitern und theozentrisch vom Sein und Handeln Gottes her zu begründen ist. Wie Gott selbst unteilbar, unwandelbar, unversuchbar, frei von innerem Zwiespalt, ganz, aufrichtig, lauter, vorbehaltlos gütig ist und so handelt, so sollen auch Christen und christliches Handeln sein. Den Gedanken der Nachahmung
Gottes (vgl. Schneider und die bei ihm angegebene Literatur) hat Jakobus wohl aufgrund der Einzigartigkeit Gottes nicht explizit formuliert (anders Laws), macht aber Sein und Handeln Gottes zur Begründung und zum Maßstab für christliches Sein und Handeln, Ausgehend von den ambivalen ten Erfahrungen beim einzelnen Christen und beim gemeindlichen Zusam menleben (davon ist der ganze Brief voll), versteht Jakobus die Neuorien tierung des kommunikativen Handelns seiner christlichen Adressaten und ihr neues Selbstverständnis in der Orientierung am Sein und am kommuni kativen Handeln Gottes selbst. Daß die von Jakobus angesprochenen Probleme auch mit der sozialen Situation der Adressaten zu tun haben, ist in einem handlungsorientierten Ansatz von Exegese unabdingbar (vgl. die Einleitung 2.2 und den Exkurs nach 1,11: Die soziale Situation der Adressaten). So situationsbezogen die Antworten des Jakobus sind, in ihrem Modellcharakter betreffen sie christ liches Selbstverständnis in grundsätzlicher Weise, wie die Rezeptionsge schichte (vgl. Einleitung 2.6) belegt. In der gegenwärtigen Zeit dürfte die konsequente Rückbindung des einzelnen Christen in die Gemeinschaft der Glaubenden sowie die theozentrische Begründung der Anthropologie und Ekklesiologie vor allem bedenkenswert sein. Ohne Gottes Sein und Han deln als unaufgebbare Voraussetzungen sind für Jakobus anthropologische und ekklesiologische Aussagen undenkbar. Da Gott treu, verläßlich, barm herzig, einfach und ganz ist, er die Menschen als »Ebenbild Gottes« (3,9) geschaffen hat, sollen Christen nicht »gespalten« sein in Wort und Tat, in Glauben und Werk, in Individualität und Sozialität, vielmehr sollen auch sie ebenfalls ganz, integer und vollkommen sein (zum letzteren vgl. den Exkurs nach 3,2: »Vollkommen« nach Jakobus). Dies können sie, wenn sie das von Gott »eingepflanzte Wort« annehmen (1,21b), »Täter des Wortes« (1,22a), »Täter des Werkes« (1,25c) und »Täter des Gesetzes« (4,1 le) werden. Die Begründung zur Ermöglichung liegt im Indikativ der schöp fungstheologischen Heilszusagen (bes. 1,18). Fragt man, ob Jakobus wie beim Gottesbild so auch generell beim Men schenbild von Philo (abgesehen von 3,9.15) beeinflußt ist, so ist diese Frage zu verneinen. Während Jakobus in der Anthropologie ganz biblisch denkt (vgl. etwa Wolff, Anthropologie; Schelkle, Theologie I 91-166), vertritt Philo klar einen platonischen Dualismus: Nur die Seele ist der aus Gott stammende Teil des Menschen, der Leib ist der animalische Teil und Quelle alles Bösen; er ist der Kerker, in dem die Seele gefangen ist (De ebr 101; Leg alleg III 42), der Leib ist der Leichnam, den die Seele mit sich herum schleppt (Leg alleg I 69), ihr Sarg oder Grab (Migr Abr 16; Leg alleg I 108), das sie an der freien Entfaltung ihrer Kräfte hindert. Die Philosophen streben deswegen danach, dem körperlichen Leben abzusterben (Gig 14; vgl. Vita Mos II 288). Die Erlösung besteht in der Befreiung der Seele aus dem Kerker des Leibes (Leg alleg 1107). Anders als Plato in der klassischen Stelle im Theaetet (176a.b) trachtet Jakobus nicht danach, »von hier dorthin zu entfliehen aufs schleunigste«, wozu der »Fluchtweg« sei »Angleichung an Gott soweit als möglich«, vielmehr lautet sein Programm, in der
Gemeinde und in der Welt nach dem Sein und Handeln Gottes zu leben (vgl. auch die Exkurse nach 3,2: »Vollkommen nach Jakobus«, und nach 4,4: »Welt« bei Jakobus). Fragt man innertextlich nach parallelen Entwür fen zu Jakobus im NT, so drängt sich unter den Aspekten der Vollkom menheit, der Verwirklichung des Glaubens im Tun usw. vor allem die matthäische Theologie auf, wobei sich dort auch im Kontext des jüdischen Gedankens der Nachahmung Gottes die Maxime findet: »Seid nun voll kommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist« (Mt 5,48). Um der Einzigartigkeit Gottes und um der ambivalenten Struktur menschlichen Daseins willen hat Jakobus diesen Gedanken nicht formuliert (weiter dazu s. u. im Exkurs nach 3,5 b). So optimistisch er im theologischen Konzept ist, so nüchtern ist er zugleich, die Grenze zwischen Mensch und Gott zu wahren, gerade weil er die Beziehungen beider so eng sieht und ebenso auch die gesamte integrale Anthropologie und Ekklesiologie auf der Basis der Theo-logie entfaltet.
C Das Briefkorpus (1,19-5,6)
I. Vom Hören, Reden und Zorn und ihrem Gegenteil (1,19-27) 19 a b c 20 a b 21 a
22
23
24 25
b c a b c a b c a b a b c
d 26 a b c d 27 a b c
Wißt, meine geliebten Brüder: Jeder Mensch sei schnell (bereit) zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. Denn der Zorn eines Mannes erwirkt nicht die Gerechtigkeit Gottes. Deshalb: Legt ab allen Schmutz und die Fülle der Bos heit, mit Sanftmut nehmt das eingepflanzte Wort an, das eure Seelen zu retten vermag. Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer, die sich selbst betrügen. Denn wenn einer Hörer des Wortes ist und kein Täter, so gleicht dieser einem Mann, der das Angesicht seiner Herkunft im Spiegel betrachtet. Denn er betrachtete sich, ging weg, und sofort vergaß er, wie er beschaffen war. Wer aber hineingeschaut hat in das vollkommene Gesetz, in das der Freiheit, und dabei verharrt, wird - da er nicht ein vergeßlicher Hörer, sondern Täter des Werkes wurde selig sein in seinem Tun. Wenn jemand meint, er sei fromm, obwohl er seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt, dessen Frömmigkeit ist nichtig. Reine und unbefleckte Frömmigkeit vor Gott und dem Vater besteht darin: Waisen und Witwen in ihrer Bedrängnis aufzusuchen (und) sich selbst makellos zu bewahren vor der Welt.
Literatur: Amphoux, C. B., Systemes anciens de division de PEpitre de Jacques et composition litteraire, in: Bibl 62(1981) 390-400. - Baasland, Form 3654-3659. - Biser, £ . , Wort Gottes. A. Biblisch. B. Systematisch, in: NHthG 5( 1991) 274-285. - Cladder, HJ., Die Anlage des Jakobusbriefes, in: ZKTh 28(1904) 37-57. — Ferguson, E., Spiritual Sacrifice in Early Christianity and its Environment, in: A N R W II 23.2 (1980) 11521162. - Johnson, L. T., Taciturnity and True Religion. James 1,26-27, in: Greeks, Romans and Christians, FS A. J . Malherbe, Minneapolis 1990, 329-339. - Pfeiffer, E., Der Zusammenhang des Jakobusbriefes, in: ThStKr 23(1850) 163-180. - Radi, W., threskeia Religion, Kult, Frömmigkeit, in: E W N T 2(1981) 382-384. - Schmidt, K. L., threskeia u. a., in: ThWNT 3(1938) 155-159. - Thyen, H., katharos rein, sauber; unschuldig; lauter, in: E W N T 2(1981) 535-542. - Spicq I 379-383. - Wuellner, Jakobusbrief 47 f. 2
»Wißt« signalisiert die Fortsetzung eines Gedankens, nicht den Neuanfang. Dagegen ist der Wechsel der Person und die neue Anrede »Meine geliebten Brüder« Hinweis für eine neue kleine Einheit, was auch durch den Wechsel des Themas (Reden, Hören, Zorn und ihr jeweiliges Gegenteil) bestätigt wird. Beachtet man die im Jak durchgehende Struktur von oppositionell semantischen Feldern, ist die kontextuelle Einheit zwischen Prolog (1,2-18) und erster thematischer Einheit (1,19-27) sehr viel enger, als allgemein gesehen wird. Dies nicht allein aufgrund der Stichwortverbindungen von »Wort« in 18 und 21.22.23, von »Werk« in 4 und 25, von »vollkommen« in 4a.b und 25 oder aufgrund des Makarismus in 12 und 25 oder wegen des Gedankens des Werdens in 12.22 und 25 und der Zielbestimmung in 18 b und 19 b (eis to mit Infinitiv) — all dies ist formal und inhaltlich schon auffällig genug —, weitaus stärker kann die Einheit unter semantischen Gesichtspunkten umschrieben werden mit den Begriffen »Wesen« und »Handeln« der Christen. Sind nach Vers 18 Christen »durch das Wort der Wahrheit geboren« ... »eine Art Erstlingsfrucht« von Gottes Geschöpfen und ist ihnen so ein ganz neues Selbstverständnis hinsichtlich ihrer Existenz im Glauben geschenkt worden, so muß nach 19 ff. dieser Existenz ein Handeln entsprechen. Klassisch formuliert: Dem Indikativ der Heilszusage folgt der Imperativ der Heilsbewährung. Nicht nur darin stimmt Jakobus mit anderen neutestamentlichen Theologen wie Paulus, Johannes und den Verfassern der Pastoralbriefe grundsätzlich überein, ihnen gemeinsam ist auch die These, daß das Handeln des Menschen insofern Zeichencharakter besitzt, als es das Wesen des Menschen gegenüber Gemeinde und Welt und vor Gott offenbart (vgl. Heiligenthal).
Dem sola gratia von Gottes frei und souverän angebotenem neuen Selbstverständnis haben die Christen in ihrem Handeln zu entspre chen, »das Wort der Wahrheit« durch Orthopraxie zu be-glaubigen. Auf diese Erkenntnis der Herkunft aus Gott und die Konse quenzen daraus dürften auch der vielgedeutete Vergleich in 23-25 und die Wendung »Angesicht/Oberfläche seines Ursprungs/seiner Herkunft« in 23c zielen. Das »Werden« von Gott her (18) soll ein »Werden« (22a) in der Einheit von Wort und Tat bei den christli chen Adressaten freisetzen. Die Wirklichkeit sieht bei den Adressaten anders aus; sie ist ebenso ambivalent, wie im Prolog in 1,2-18 angedeutet wurde. Entspre chend der semantisch-oppositionellen Struktur des gesamten Brie fes ist auch die kleine Einheit in 1,19-27 deutlich von semantisch thematischen Oppositionen geprägt. Die Hauptopposition steht in 19: Hören — Reden, Zorn, unterstützt durch den Gegensatz schnell — langsam (19b.c). Des weiteren sind zu notieren: mensch licher Zorn (19c.20a) — Gerechtigkeit Gottes (20b) und menschli che Sanftmut (21b), Schmutz und Fülle der Bosheit — Sanftmut (21), eingepflanzt (21b) — um entsprechende Früchte zu bringen, die nicht angegeben werden (hier liegt eine bewußte Leerstelle), Täter des Wortes — Hörer des Wortes (22 f.), sein Angesicht sehen — es vergessen (24), weggehen (24a) — sich vertiefen und verharren/bleiben (25a; vgl. den Gedanken der Ausdauer in 1,2-4), wertlose Frömmigkeit — reine und unbefleckte Frömmigkeit (26 f.), sich selbst betrügen im Hören (22b) — sein Herz betrügen im Tun (26c mit Variation des Verbums), vor Gott und dem Vater - vor der Welt (27). An Wortfiguren sind die für Jakobus typische Metaphorik in 1,21b sowie die Anadiplosis, d. h. die Wiederholung des letzten Wortes eines Verses am Anfang der folgenden Zeile, in 1,19 f. (Zorn) und 1,26 f. (Frömmigkeit, wobei das Adjektiv auch bereits in 26a belegt ist) zu erwähnen, dann die Paronomasie, das Bemü hen um die Ähnlichkeit des Klanges in zwei verschiedenen Verben, in l,24a.b (apelelyten — epelatheto). Noch charakteristischer jedoch und für den weiteren Kontext sehr viel bestimmender ist die chiastische Struktur in 1,19-27. Die Einheit der kleinen Verse und die Abfolge der anschließenden Kapitel sind hier vorgeprägt. Bereits 1850 hat dies E. Pfeiffer schön herausgearbeitet (zur weite ren Differenzierung vgl. Cladder, Anlage). Demnach werden zunächst die drei Begriffe aus Vers 19 »Hören, Reden, Zorn« in der kleinen Einheit in veränderter Reihenfolge entfaltet (zum Zorn vgl. 20f.; zum Hören vgl. 22-25; zum Reden/zur Zunge vgl. 26f.),
wonach Jakobus aufgrund der Durchbrechung der veränderten Reihenfolge das »Reden« besonders betont, was durch die Amplifi kation dieses Themas in 3,1-12 bestätigt wird. Besonders gelungen ist der Chiasmus in 21 f. und 25, da Jakobus wie in 1,2-4 in der Thema-Rhema-Struktur mit dem neuen Begriff »Werk« auf den größeren Kontext zielt, wobei im Unterschied zu 22 (Täter — nicht nur Hörer) Jakobus in 25 rhetorisch steigernd exklusiv-antithetisch formuliert: »nicht Hörer, sonder Täter des Werkes«: 22 Täter des Wortes und nicht nur Hörer 25 nicht Hörer, sondern Täter des Werkes ... Wie die kleine Einheit stark chiastisch geprägt ist, so ist noch einmal nach Pfeiffer und Cladder die Ausführung der angesproche nen Gedanken in 26f. chiastisch: Das zuerst erwähnte Zügeln der Zunge wird zuletzt besprochen (vgl. 3,1-12), um wahre Frömmig keit (27a.b) geht es in 2,14-26 und um die These, sich selbst ohne Fehl zu bewahren vor der Welt (27c), geht es in 2,1-13. Auch wenn die Bestimmung von 1,26 f. als Uberschrift sich nicht durchhalten läßt, bleibt die Erkenntnis, daß wichtige Stichworte aus 1,19-27 im Verlauf des Briefes aufgenommen und amplifiziert werden. Zu den Stichworten Reden (19c) und Zunge (26b) vgl. 3,1 ff.; zum Stich wort »Aussehen der Herkunft« in 23c vgl. das Problem der Bevor zugungen und Rück»sicht«nahmen in 2,1-13; zum Nur-Hörer und Täter des Wortes vgl. die Ausführungen zum »Glauben ohne Werke« und zum Glauben mit Werken in 2,14-26, zur Verbindung von Sanftmut und Zorn vgl. 3,13-18. All diese Konkretionen sind jedoch schon grundgelegt im Prolog in 1,2-18; hier tauchen - wenn auch noch nicht inhaltlich gefüllt - all jene ambivalenten Erfahrungen im individuellen und sozialen Bereich auf, die in 1,1927 konkretisiert und im folgenden dann entfaltet werden. Dies gilt auch noch für weitere Aspekte, wie etwa der Vergleich von 1,10 (richtige Selbsteinschätzung der Armen und Reichen) mit 4,13-5,6, von 1,2-3 (Standhaftigkeit und Geduld in Prüfungen) mit 5,7-11, von 1,5.6 (Gebet) mit 5,13-18 und 1,18 (Geburt durch das Wort der Wahrheit) mit 5,19.20 zeigen kann. Die besondere Funktion des Prologes für die Einheit des ganzen Briefes ist darüber hinaus garantiert durch die für die ganze Schrift grundlegende Konzeption der Weisheit »von Gott« (5a.b) und »von oben« (17b), ein Gedanke, der ausdrücklich in 3,13-18 amplifiziert wird. Schließlich sind auch die Verse in 1,19-27 eine Amplifikation des Stichwortes »Werk« in 1,4 und der Frage nach der »Vollkommenheit«
(l,4a.b.l7), der Ganzheit (1,4b) und der Einfachheit/dem Nichtgespaltensein (1,5) im menschlichen und göttlichen Sein und Han deln. Der eigentliche Stichwortlieferant für den ganzen Brief ist der Prolog. Dennoch hat — darin haben Pfeiffer und Cladder recht — die erste kleine Einheit in 1,19-27 im Vergleich zu den anderen kleinen Einheiten für den gesamten Brief — wie in der griechisch-römi schen Rhetorik und Epistolographie vorgesehen — die überleitende Funktion der konkreteren Themenstellung, so daß diese kleine Einheit gattungsmäßig in der antiken Rhetorik als Propositio zu verstehen ist (Baasland, Form 3659; zur Propositio in der antiken Rhetorik vgl. Lausberg 289.346f.; Martin, Rhetorik 91-95). An diesem Punkt werden in der antiken Rede und in der Konzeption von Briefen die zu erörternden Punkte näher vorgestellt, wobei diese Vorstellung von brevitas/Kürze, absolutio/Vollständigkeit und paucitas/Prägnanz geprägt sein soll (so Cicero, De inv 1.22.32; vgl. Lausberg 671; Martin 94). Was schon für den Prolog galt (der jedoch in der Konkretisierung der angesprochenen Themen noch zurückhaltender ist), gilt auch für diesen überleitenden Teil (der die konkretisierten Einzelthemen schon nennt): Die Amplifikation, d. h. die ausführliche Entfaltung des Grundproblems, erfolgt im eigentlichen Briefkorpus. Damit dürfte die Funktion der Verse 1,19-27 für den Gesamtbrief, aber auch die literarische und form kritische Einheit dieses Textstückes deutlich sein. Bereits eine synchrone, redaktionskritische Lektüre des Textes legt die Inten tion des Jakobus frei. Worum es thematisch geht, kann durch eine diachrone, traditionskritische Betrachtung des Textes und durch den Versuch der Beantwortung der Frage, welche Traditionen der Verfasser rezipiert hat, weiter differenziert werden.
1. Vom Hören, Reden und Zorn (1,19) Nimmt man Vers 19 als Themavers ernst, so liefert er nach Jakobus die wichtigste Amplifikation der im Prolog festgestellten Schizo phrenie und Gespaltenheit des Menschen als Einzel- und Sozialwe sen (s. o. zu 1,5-11). Der Topos ist traditionell, da viele Analogien in der Weisheitsliteratur belegt sind. Die meisten und inhaltlich nächsten Belege finden sich in Jesus Sirach 4,27b-29 und 5,10-14, besonders 5,11:
27 b Nimm nicht Rücksicht auf das Ansehen eines Mächti gen. 28 Bis zum Tode streite für die Wahrheit, so wird der Herr für dich kämpfen. 29 Sei nicht prahlerisch mit deiner Zunge und schlaff und matt in deinen Taten. 10 11 12 13 14
Bleibe fest bei deiner Überzeugung und gleichbleibend/eins sei dein Wort. Sei schnell bereit zum Hören und mit Gelassenheit gib Antwort. Wenn du Einsicht hast, antworte deinem Nächsten, wenn nicht, so lege deine Hand auf deinen Mund. Ehre und Schmach liegen in der Rede, die Zunge des Menschen (ist) ihm ein Unglück. Nicht sollst du doppelzüngig genannt werden, lege mit deiner Zunge keinen Hinterhalt; denn für einen Dieb ist Schmach bestimmt und bitterer Tadel für den Doppelzüngigen.
Ermahnungen zum schnellen Hören und langsamen/bedächtigen Sprechen wie auch Warnungen vor dem Zorn gehören zum Reper toire praktischer Lebensweisheiten für ein funktionierendes Gemeinschaftsleben in jedem Volk. Solche Einsichten sind interna tional und betreffen auch nach Jakobus »jeden Menschen« (19b). Daß diese allgemeine Weisheit in der Bibel theozentrisch orientiert ist, verwundert nicht; auch nach Jakobus besteht die Gefahr, daß der Mensch in schneller Antwort und noch mehr im Zorn nicht das tut, was vor Gott gerecht ist (20). Zunächst geht es aber in 19 um eine alle Menschen betreffende Einsicht, die hinsichtlich der einzel nen Aspekte (Hören — Reden, Zorn) in der jüdischen und griechi schen Literatur außerordentlich breit belegt ist (vgl. Spr 13,3; 29,20; Pred 5,1; Ps Sal 16,10; Abot 1,15-17; 5,12 zum Hören und Reden sowie Sir 1,21 f.; 10,18; 20,2; Weish 10,3 usw.; zum Zorn des Menschen in der griechischen und jüdischen Literatur vgl. T h W N T 5, 1954, 383f..392-395.410-422). In der Septuaginta ist vor allem im Buch Jesus Sirach das Thema »Der menschliche Zorn und seine Folgen« mehr als in anderen Büchern ausgeführt. Eine Zusammenstellung der drei Gedanken aus Vers 19 findet sich hingegen nicht, sie ist überhaupt vor Jakobus nicht belegt (Dibelius 143 bietet in seinem ungeschichtlichen Ansatz aus dem 2. Jh. n.Chr. lediglich einen Beleg aus Lukian, Demonax 5 1 : »Zornlos,
wenig sagend, vieles hörend«). Im Hinblick auf die Thematik der folgenden Kapitel dürfte Jakobus demnach wohl nicht einen Spruch übernommen haben (so durchgehend Dihelius 140-143), sondern ihn rhetorisch wirksam asyndetisch gebildet haben; für Redaktion spricht auch das sonst im N T nicht belegte Adjektiv tachys: schnell/rasch (sonst im N T 12mal nur als Adverb belegt), da es Jakobus nicht um den einmaligen Akt des Hörens und Redens geht, sondern um eine Grundbefindlichkeit des Menschen. So sicher Jakobus hier also aufgrund der Internationalität der vorliegenden Gedanken auf Traditionen zurückgegriffen hat, ebenso sicher dürfte die sprachliche Gestaltung wie auch die Zusammenstellung auf seine eigene Hand zurückgehen - in Rezeption von Sir 5,11 (»Sei schnell bereit zum Hören und mit Langmut/Gelassenheit gib Antwort«) oder auch von 4,29 in der Handschrift A, S (»Nicht sollst du schnell sein mit deiner Zunge«; andere Handschriften bieten hier »prahlerisch« und »rauh/zornig«). Klarer als 19b.c kann eine Sentenz nach Form und Inhalt alttestamentlicher Weisheitssprüche nicht gestaltet sein. Daß praktische Lebenserfahrungen angesprochen sind, an die die Adressaten sich erinnern sollen, deutet auch 19a an: »Meine geliebten Brüder« wirbt um Ubereinstimmung und Einverständnis, ebenso der Imperativ »Wißt!«; der griechischen Form nach kann auch ein Indikativ (»Ihr wißt«) vorliegen, doch wie in 1,3a. 16 dürften die Leser vom Verfasser zu einer bestimmten Erkenntnis aufgefordert werden, die dann ein konsequentes Handeln nach sich ziehen soll. Für eine nüchterne Sicht der anthropologischen Struktur spricht, daß hier »kein absolutes Nein zum Zorn gesprochen wird« (ThWNT 5,422), was im Kontext der stoischen Affektenlehre nicht denkbar wäre. Die Anthropologie des Jakobus ist von erfrischender Nüchternheit; vielleicht charakterisiert eine solche Aussage auch ihn als Schreiber, wenn man an die zornigen und polemischen Attacken gegen die Reichen in 5,1 ff. denkt.
2. Von Zorn und Sanftmut (1,20-21) Literatur: Kertelge, K, dikaiosyne Gerechtigkeit, in: E W N T 1(1980) 784796 (Lit.). - Ders. - Biser, £ . , Wort Gottes, in: N H t h G 5( 1991) 263-285. - Kleinknecht, H. u.a., orge u.a., in: T h W N T 5(1954) 382-448. - Schelkle, K. H., Theologie des Neuen Testaments. III Ethos, Düsseldorf 1970, 183-195. 2
Die Begründung, die in Vers 20 für die Enthaltung von übermäßi gem und unkontrolliertem schnellen Zorn gegeben wird, findet sich auch in Jesus Sirach: 1,21 Die Furcht des Herrn hält die Sünde fern, und wer in ihr verharrt, wendet den Zorn ab. 22 Ungerechter Zorn wird nicht gerechtfertigt werden, denn das Gewicht seines Zorns bringt ihn zu Fall. Was Jesus Sirach verbal formulierte, hat Jakobus in die im A T und N T vielfach belegte Wendung »Gerechtigkeit Gottes« gekleidet, die bei Jesus Sirach nicht belegt ist (während er das Stichwort »Gerechtigkeit« durchaus kennt). Sachlich stimmen beide überein, da hier wie dort die Konsequenz des Zornes betont wird: Der schnelle und ungerechte Zornige kann vor Gott »nicht gerechtfer tigt werden«. Nimmt man Sir 1,21 f. als rezipierte Tradition für Jak 1,20 an, ist »Gerechtigkeit Gottes« nicht als Eigenschaft des Menschen im Sinne von »Gerechtigkeit vor Gott« zu interpretieren, sondern als die von Gott den Menschen geschenkte Gerechtigkeit. Gramma tisch ist beides möglich. Allerdings ist Jakobus nicht von der im Zentrum der paulinischen Theologie stehenden Wendung »Gerechtigkeit Gottes« her zu interpretieren (vgl. dazu den Exkurs »Rechtfertigung nach Jakobus und Paulus« nach 2,24). Diese theo zentrische Deutung entspricht im übrigen jenen Aussagen im Pro log (vgl. 1,5-7), in denen die Aufhebung des Mangels ganz Gott überlassen wird; der Mensch muß jedoch darum bitten. Dem steht allerdings ebenfalls im Prolog bereits eine andere Aussage entge gen, wonach »die Standhaftigkeit ein vollkommenes Werk haben soll« (4a) und nur der Mann selig zu preisen ist, »der in der Erprobung standhält und bewährt wurde« (12a.b). Beide Aussage reihen widersprechen sich nicht, wie der Versuch einer Lösung am Beispiel Abrahams in 2,14-26 zeigt mit der Hauptthese: »Der Glaube wirkte mit seinen Werken zusammen, und aus den Werken wurde der Glaube vollendet« (2,22). Der dort formulierte, in der Literatur umstrittene Synergismus (s. u. zu 2,22) sowie die beiden Aussagereihen im Prolog dürften für 1,20 ein offenes Verständnis nahelegen. So entspricht es auch der weisheitlichen und bundes theologischen Konzeption im A T : Gerechtigkeit Gottes »wirkt/ erwirkt/bewirkt« (20b) der, der sein Leben nach den Weisungen Gottes ausrichtet. Gemäß der Knappheit einer Propositio liegt in 1,20 eine Leerstelle vor, bei der der anthropologische Aspekt (die
Gerechtigkeit, die ein Mensch durch seine Taten vor Gott lebt) und der theozentrische Aspekt (die von Gott geschenkte Gerechtigkeit) ineinanderfließen. Dies unter der Voraussetzung, daß beide Aussa gen keine Alternativen sind, der paulinische Gedanke von der Rechtfertigung des gottlosen Sünders (Rom 4,5; 5,6) nicht anklingt. Wie in den bundestheologischen und weisheitlichen Kon zeptionen des A T (v. Rad, Theologie I 368-473) betont Jakobus die Entsprechung von menschlichem und göttlichem Verhalten. Viel leicht wollte er bewußt beide Aspekte in Vers 20 anklingen lassen. 21a.b: Betont Vers 20 das aktive Mitwirken des Menschen, so wird seine Aktivität in Vers 21 differenziert: Der Mensch hat das Wort (vgl. 1,18) anzunehmen, aber es wurde ihm eingepflanzt. Zwar muß er — dies ist die Folgerung aus 20a (21a: »deshalb«) — »allen Schmutz und der Bosheit Ubermaß« ablegen (21a), retten kann ihn aber nur das Wort (21c). Das Zusammenwirken von menschlichem Tun und göttlichem Handeln, das in 2,14-26 mit Beispielen aus dem täglichen Leben und am Verhalten Abrahams durchbuchsta biert wird, ist in 1,21 auf kleinstem Raum epigrammartig formu liert. Die Metapher vom eingepflanzten Wort findet sich nur hier im AT und N T , das Adjektiv eingepflanzt in der Bibel nur in Weish 12,10, dort jedoch im Sinne von »angeboren« verstanden und auf »Schlechtigkeit« bezogen. In der außerbiblischen Literatur kommt es zwar nicht häufig vor, wird aber dort, wo es belegt ist, verstan den als »durch die Natur eingepflanzt, angeboren« (Bauer — Aland 520; Davids 95 nimmt dieses Verständnis in Jak 1,21 an). Dahinter mag der weitverbreitete stoische Gedanke des logos spermatikos bzw. des eingeborenen logos stehen, der auch in der Umwelt des Jakobus bekannt gewesen sein dürfte, allerdings gebraucht Jakobus den Gedanken ganz ungriechisch und unstoisch (vgl. v. Gemünden 223 Anm. 34). Mag der Anstoß von stoischer Terminologie her rühren (Vouga 63; Laws 83), so hat Jakobus die Metapher im Kontext der Schöpfungstheologie in 1,18 sprachschöpferisch neu gestaltet. Das dortige Bild, wonach Gott Schöpfer alles Geschaffe nen ist, also auch der Menschen und der Christen als einer Art Erstling seiner Geschöpfe, impliziert für alle Gewächse das Bild des Pflanzens, das Jakobus in 21b einführt. Seine bildsprachliche Logik lautet: Wie das Gewächs den eingepflanzten Samen natur notwendig entfaltet, so haben Christen das ihre Existenz begrün dende eingepflanzte Wort Gottes anzunehmen, dann aber auch, wie die Verse 1,19-27 zeigen, in ihrer Lebenspraxis zu entfalten. Dies ist, so dürfte Jakobus intendieren, an sich eine naturgegebene
Selbstverständlichkeit. In der Spiegelmetapher in 1,23 dürfte die umstrittene Wendung das Angesicht seiner Herkunft/seines Wer dens diese Naturmetapher, die Jakobus schöpfungstheologisch versteht, noch einmal anklingen lassen. Wer sich als Existenz, als Geschöpf Gottes so versteht und vor allem so lebt, erwirkt... die Gerechtigkeit Gottes (20b), so daß Jakobus auch in der bild sprachlichen Dimension antithetisch formuliert. Tauftheologische Anklänge lassen sich auf der metaphorischen Ebene nicht finden (gegen Mußner 101 f.; Ruckstuhl 14; Vouga 63). Auch eine Identifi zierung des Wortes mit dem christlichen Evangelium bzw. der christlichen Lehre, wie es im N T (vgl. Frankemölle, Evangelium 48-57; Bauer-Aland 970f.) durchaus breit belegt ist (wo aber der Begriff »eingepflanzt« fehlt), wogegen »eingepflanzt« (ohne die Verbindung von »Evangelium«, »Wort«) einige Male in nachtestamentlicher Literatur belegt ist (Barn 1,2; 9,9; Pslgn 17,2), ist für den Jak nicht anzunehmen, es sei denn, man nimmt einen nicht zu belegenden, vor Jakobus »bereits bestehenden christlichen Sprach gebrauch« für die Wendung »eingepflanztes Wort« (Dibelius 145) an. Aus der Textlage bleibt eher zu folgern, daß Jakobus der Sprachschöpfer einer neuen christlichen Metaphorik ist, die kontextuell und demnach redaktionell zu begründen ist, wobei die christliche Missionsverkündigung mit »das Wort« als terminus technicus ihn angeregt haben könnte. Die antithetische Struktur, die sich in den Metaphern zeigte, bestätigt die anthropologische Aussage. Dem Zorn in Vers 20, der zwischenmenschlich und individuell nur ins Unglück führt, steht die Sanftmut, die Rettung bringt, in Vers 21 entgegen. Anders als die zerstörerischen Affekte des Zornes umschreibt »Sanftmut« im griechischen und jüdischen Bereich deren Beherrschung (vgl. ThWNT 6, 1959, 645-649). Da auf der Wendung »mit Sanftmut« der Hauptakzent liegt, dürfte sie sich auf das Verbum finitum »nehmt an« beziehen, während im Griechischen 21a (»legt ab«) als Partizip formuliert ist. Ähnlich akzentuiert Jakobus in 2,1: »Nicht mit Bevorzugungen von Personen habt den Glauben«; auch dort kennzeichnet das Wort »Bevorzugung/Rücksichtnahme« die Hauptmahnung. Und wie dort (analog in 1,27) Motive und Wen dungen aus Sir 35,15-17 rezipiert sein dürften, so auch hier in 21b bei der substantivisch, statt adverbiell formulierten Wendung »in/ mit Sanftmut nehmt das eingepflanzte Wort an«. Ähnlich heißt es in Sir 3,17: »Mein Sohn, in Sanftmut vollbringe deine Werke« (zum Stichwort Sanftmut vgl. außerdem Sir 1,26; 4,8; 10,28; 36,28; 45,4). Daß Jakobus statt des Adverbs ein Substantiv bevorzugt,
dürfte ähnlich wie in 19c begründet sein: Ihm geht es um eine andauernde Grundbefindlichkeit. Aus ihr folgen dann die einzel nen Handlungen. Auch nach 3,13, wo Jakobus noch deutlicher Sir 3,17 rezipiert, soll der wahre Christ »aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit« erweisen; auch dort steht die Sanftmut konträr zu »Eifersucht und Streitsucht in euren Herzen« (3,14a). Dem entspricht in l,19c.20a der Zorn und die sehr offen formulierte Wendung »jeglicher Schmutz und die Überfülle des Bösen« (21a). Auch wenn Jakobus in 2,2d »schmutzig« konkret verwendet, so kann das Substantiv »Schmutz« in 21a nur metapho risch verstanden werden. Dies nicht nur, weil es auch sonst im ethischen Kontext belegt ist, vielmehr auch in der nur bei Jakobus sich findenden Verbindung mit »Böses/Schlechtigkeit« (Spicq II 784 f.). Wie weit die Verben »ablegen« (21a) und »aufnehmen/anneh men« (21b), die zunächst nur Gegenbegriffe sind, tauftheologisch zu interpretieren sind, ist auch abhängig vom Verständnis des Verses 1,18 (s. o.) und der Wendung »eingepflanztes Wort« in 21b. Das Verbum »ablegen« ist nicht im N T »typisch für Taufparänese« (Schräge 22), es sei denn, man bezieht alle Lasterkataloge oder Stellen wie Rom 13,12; Kol 3,8; 1 Petr 2,1; Eph 4,22-25 auf den einmaligen sakramentalen Akt und nicht auf die Forderung zu einem dauernden grundsätzlichen Sinneswandel. Selbst wenn man das Bild von einem Kleid oder Gewand, das man aus- und anziehen kann, als bestimmend ansieht, so dürfte aufgrund des Kontextes sogar in Eph 4,22-25 eine eindeutige tauftheologische Deutung ausgeschlossen sein (»Legt den alten Menschen ab, der in Verblen dung und Begierde zugrunde geht, ändert euer früheres Leben, und erneuert euren Geist und Sinn! Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. Legt deshalb die Lüge ab, und redet untereinander die Wahrheit; denn wir sind als Glieder miteinander verbunden.«). Auch in der immer wieder zitierten Stelle Rom 13,12 (»Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum laßt uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.«) dürfte — wenn überhaupt — nur noch ganz verblaßt das Bild eines Taufkleides ( = Waffen des Lichtes?) einwirken, falls es diese Praxis zu dieser Zeit überhaupt gegeben hat. Für angebliche katechetische Topoi der Taufparänese gibt es ein grundsätzliches Problem: Es gibt aus neutestamentlicher Zeit keine liturgischen Texte, sie müssen vielmehr aus dem N T erschlossen werden, u. a. aus Jak 1,18.21 und 2,7. Für 1,21a und b jedoch gilt:
Sowohl das Verbum »ablegen« kann als Gegenbegriff zu »aufneh men/annehmen« in 21b allgemein übertragen verstanden werden wie auch die Wendung »das eingepflanzte Wort« als Komplettie rung des Motivfeldes des Wollens, Gebärens und Erschaffens durch Gott in 1,18. Gott ist es, der das Wort einpflanzt, Christen sollen es in einer von der »Weisheit von oben« bestimmten Grund haltung der Sanftmut (vgl. 3,13-18) annehmen. Die dialektische Perspektive, daß Gott die Christen gewollt hat und geboren hat durch das Wort der Wahrheit (18a) und ihnen das Wort eingepflanzt hat (21b), und die damit korrespondierende Metapher von der Reaktion der Christen, dieses Wort anzunehmen (21b) und sich danach zu verhalten (22 ff.), kann nicht eindeutiger ausgedrückt und stärker betont werden. Wie im A T so wirkt auch Gottes Wort im N T durch sich; es verweist nicht auf ein anderes Heilshandeln (etwa im Sakrament) und es ist nicht nur Hinweis auf Rettung und Heil, sondern es bewirkt Rettung, Gnade, Leben (21c). Obwohl manche Ausleger hier Topoi der Taufparänese sehen, so dürfte dies der Intention des Jakobus nicht entsprechen, der ganz der biblischen Wort-Theologie verpflichtet ist. Darin stimmt er mit Paulus, Lukas und anderen neutestamentlichen Theologen überein (vgl. etwa Rom 1,16: »Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt«; nach Apg 13,26 ist das Evangelium »das Wort dieses Heiles«). Im Glauben der Hörer erreicht das Wort sein Ziel, da alle, die »das Wort (Gottes) anneh men« (so als terminus technicus in Apg 8,14; 11,1; 17,11 u. a.), wie in Jak l,21b.c Rettung erlangen. Im A T ist die Wendung »das Wort Gottes annehmen« zwar nicht in gleichem Sinne ein terminus technicus, dennoch aber gut belegt (vgl. etwa Dtn 30,1; 33,3.11 mit dem gesamten Kontext zur Annahme der Weisungen Jahwes; Jer 9,20; Sach 1,6; Spr 1,3). Jesus Sirach kennt das Verbum in Wen dungen wie »die Erkenntnis (der Weisheit) annehmen« (6,23), oder auch die Weisheit selbst »aufnehmen« (51,16). Wenn Jakobus im Kontext seiner Metaphorik von Vers 18 in 21b vom eingepflanzten Wort spricht, meint er im Hinblick auf seine christlichen Adressaten das in Vers 18 schöpferische Wirken Got tes. Wie weit christliche Soteriologie (Tod und Auferweckung Jesu) mitgedacht werden darf, muß offen bleiben. Vers 21 sagt nicht mehr, als daß der »eingepflanzte Logos« das von Gott eingepflanzte Wort der Wahrheit ist. Selbst der Gedanke einer Vermittlung durch urchristliche Verkündiger klingt an dieser Stelle nicht an (anders in 2,7). Die Denkrichtung des Jakobus ist ganz theozentrisch, was durch die aktivischen Aussagen vom Handeln
Gottes und durch das Passivum in 21b unmißverständlich festge halten wird. Jakobus ist ein Vertreter einer biblisch begründeten Wort-Theologie, wie sie etwa von der katholischen Kirche erst im Kontext des Zweiten Vatikanischen Konzils wieder neu entdeckt wurde, was für das Verständnis der Wendung »Wort Gottes« in der Bibel bei Exegeten Rückwirkungen hat (vgl. Kertelge — Biser). Nicht erst beim vieldiskutierten und ökumenisch belasteten »Gesetzes«-Begriff oder bei der Verhältnisbestimmung von Glaube und Werken in 2,14 ff. wird eine Auslegung des Jakobusbriefes ökumenisch relevant, unter grundlegenden theologischen Aspek ten ist seine Wort-Theologie vielleicht noch fundamentaler. Daß Jakobus in den Versen 19-21 im assoziativen Bereich des Wortes bleibt, hängt wohl auch mit dem hier verhandelten Thema »Von Zorn und Sanftmut« zusammen. Hier geht es um grund-legende theologische Bestimmungen, nicht um Taufparänese. Diese dürfte auch nicht im oft als Beleg dienenden Barnabasbrief (geschrieben um 131 n.Chr.) vorliegen. Dort heißt es am Beginn des Briefes: »Ich freue mich übermäßig und überschwenglich über eure beglückenden und herrlichen Geistesgaben, weil ihr in sol chem Maße die Gnade der Geistbegabung eingepflanzt erhalten habt« (1,2). Daß Gott es ist, der einpflanzt, bestätigt 9,9: »Es weiß, der die eingepflanzte Gabe seiner Lehre in uns gelegt hat: Keiner hat eine echtere Aussage von mir erfahren.« Auch hier geht es um die grundlegende Gotteserkenntnis der Christen (vgl. 1,5; 2,2), die sie unmittelbar Gott verdanken. Allein von ihm ist durch die Annahme seines Wortes die Rettung der Seelen in Jak 1,21c (was dem biblischen Sprachgebrauch gemäß mit euch zu übersetzen ist) zu erwarten. Annahme des Wortes im Glauben hat jedoch nach Jakobus — auch darin stimmt er mit der alt- und neubundlichen Schrift überein (vgl. T h W N T 4, 1942, 120) - praktische Konse quenzen. Davon ist in 1,22-25 (und in weiteren Amplifikationen des Briefes) die Rede. Die im Prolog festgestellte Thema-Rhema-Struktur findet sich auch hier, was nicht nur für die Konzeption des Jakobus von Bedeutung ist, vielmehr auch für die Auslegungsgeschichte. Bleibt doch bis heute protestantische Theologie und Schriftauslegung bei aller Berechtigung dieses Ansatzes (s. o. zur Neubesinnung der Katholischen Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil) einer über trieben einseitigen Wort-Theologie verpflichtet mit der Konse quenz, daß man in der Regel auch hinsichtlich der paulinischen Theologie die konkrete Bedeutung der Rechtfertigung in der Exi stenz der Christen negativ umschreibt (vgl. Wilckens, Römer I
Neukirchen 1978, 254-257). Analog dazu steht die Dignität des Wortes: »Immer wieder hat man etwas neidisch auf die Urgemeinde geblickt. Selbst wenn Lukas in der Beschreibung des urchristlichen Liebeskommunismus (2,44-47) vielleicht ein wenig übertrieben und idealisiert haben mag bleibt der unschätzbare Vorzug bestehen, daß sich hier der Glaube (noch) auf das Sehen, das Erleben der Wunder stützen konnte. Die Erkenntnis wurde nicht in die asketischen Grenzen des kontingenten Glaubens ver wiesen, sondern der Glaube konnte sich auf verläßliche Anschau ung berufen, auf das sichtbare Eingreifen Gottes. Der Glaube war da noch Interpretation von konkreten Ereignissen, während wir immer wieder nur auf das Wort und dann auf unsere zwielichtige Phantasie verwiesen werden« (M. Weinrieb, Apostelgeschichte 3,111; 5,12-16. Heil und Heilung, in: GPM 1991, 121-127, ebd. 125). Zwar wird konfessionelles Vorverständnis heute (was in sich kei neswegs negativ zu verstehen ist) aufgrund der Rezeptionsge schichte des Jak wohl kaum durch die theologische Konzeption des Jakobus umstrukturiert werden können, dennoch bleibt sie — als Teil der Schrift — nicht nur für sich, sondern auch für christliche Rezeptionsgeschichte bedeutsam. In sich entwirft der Jakobusbrief als historisches Dokument bereits im Briefanfang eine klare Konzeption. Christen, die »durch das Wort der Wahrheit geboren« wurden (1,18), haben »das einge pflanzte Wort« nicht nur »mit Sanftmut« anzunehmen (1,21b), vielmehr im ethischen Vollzug »in Sanftmut der Weisheit« (3,13c) zu realisieren (3,13-18). Jakobus bindet die Wort-Theologie an die Ethik, wie er die Ethik an die Wort-Theologie bindet. Hinsichtlich katholischen und evangelischen Vorverständnisses ist beides in gleichem Maße zu betonen. »Das Wort Gottes ist in uns einge schrieben, um uns den Weg der Heiligung zu zeigen«, daraus folgt, »daß Jakobus kein einfacher Moralist ist, sondern daß er seine Ethik auf eine präzise Theologie gründet« (Blondel 150). Daß dies der Skopus der Theologie des Jakobus ist, zeigt die kontextuelle Verbindung von 1,19-21 mit 1,22-25 und 1,26-27. Da man das Tun des Jakobus aufgrund der Rezeptionsgeschichte nicht eigens beto nen muß, ist jedoch sehr wohl die Anbindung des Tuns an das von Gott »eingepflanzte Wort« (1,21b) zu betonen. Dies bleibt die theozentrische Prämisse für alle folgenden Verse. Gilt für den Prolog: Was ist der Mensch ohne Gott?, Was ist der thematische Gedankengang in 1,2-18 ohne die theozentrische Aus richtung und ihn als semantischen Grund?, dann gilt hier ebenso: Was ist das Tun ohne das Hören?, Was ist Tun und Hören ohne
das im Menschen eingepflanzte Wort? Wie dort die anthropologi schen, so hingen hier die ethischen Aussagen ohne die Prämisse in der Luft, sie wären gleichsam ohne Netz und Boden.
3. Vom Hören und Tun (1,22-25) Literatur: Behm, / . , Das Bildwort vom Spiegel 1. Korinther 13,12, in: FS R. Seeberg. I Zur Theorie des Christentums, Leipzig 1929, 315-342. — Johnson, L. 7*., The Mirror of Remembrance (James 1: 22-25), in: C B Q 50(1988) 632-645. — Marconi, G., Una nota sullo specchio di Gc 1,23, in: Bibl 70(1989) 396-402.
Das zuerst genannte Stichwort »Hören« in Vers 19, der das Thema der kleinen Einheit 1,19-27 vorgibt, wird an zweiter Stelle aufge griffen (nach dem Zorn), sogleich aber mit dem Gegenbegriff »Täter des Wortes« verbunden. Außerdem wird aus dem Hörer ein »Nur-Hörer« (22a); ohne diese Einschränkung müßte man die folgenden Verse ebenso falsch interpretieren wie 2,24, wo vom »Nur-Glauben« gesprochen wird. Wie Jakobus sich in Kap. 2 mit Christen auseinandersetzt, die sich auf ihren »Glauben« berufen, ohne zu tun, was der Dekalog und andere Weisungen Gottes fordern, so setzt er sich in Kap. 1 mit Christen auseinander, die davon auszugehen scheinen, als würde das Hören des Wortes Gottes bereits retten. Formkritisch präsentiert sich auch die kleine Einheit 1,22-25 als in sich stimmig, wie oben im formkritischen Überblick zu 1,18-27 gezeigt wurde. Was dort stärker unter kontextuellen Gesichts punkten erarbeitet wurde, sei hier im Hinblick auf die Einzelverse ergänzt. Der Imperativ »werdet« in 22a, verbunden mit dem adversativen Artikel »aber«, ist nicht mit dem im N T üblichen Imperativ »seid« identisch. Im Kontext der oben (s. o. zu 1,4.12) angedeuteten Vorstellung des Jakobus, wonach der Mensch im Prolog als Existenz im Werden verstanden wird, trifft dieses Wort das dort Gemeinte (vgl. auch 3,1). Darüberhinaus will der Verfas ser aber auch im engeren Kontext bei den Adressaten eine Verände rung bewirken: vom Glaubenssatz, daß der Mensch Geschöpf Gottes ist (18), über die Annahme dieses Wortes (21) bis hin zu einem Verhalten nach diesem Wort (22-27). Gerade weil Jakobus im Prolog von einer Schizophrenie des einzelnen Christen (1,8) und der Christen untereinander (1,9-11) ausgeht, steht der Impera tiv in 22a »werdet die, die ihr an sich seid!« rhetorisch pointiert am
Beginn der kleinen Einheit. Daß Jakobus dies so versteht, zeigt sich in 22c, wo das im griechischen Text stehende Partizip die Subjekte von 22a charakterisiert: Die Angeredeten sind Menschen, »die sich selbst widersprechen/betrügen/täuschen/mit sich ein falsches Spiel treiben« (Bauer — Aland 1253). Ein Nur-Hörer steht im Wider spruch zum Gehörten. Kennzeichnend für den gesamten Abschnitt sind die Oppositions begriffe, die jedoch nicht durch Einzelworte (Mußner 241 sieht nur im »Wort« eine Stichwortverbindung), sondern durch feste Wen dungen charakterisiert sind: 22 23 25
Täter des Wortes — Nur-Hörer (des Wortes) Hörer des Wortes - Nicht-Täter (des Wortes) Nicht ein vergeßlicher Hörer (des Wortes) — Täter des Werkes
Das kontrastiv syntagmatische semantische Feld ist eindeutig: Es geht um den Gegensatz von Nur-Hören und Tun (des Wortes). Die etwas ausladende Spiegel-Metapher in 23-25 soll die Haupt these in Vers 22 begründen (23a: »denn wenn einer...«). Der Vergleich soll illustrieren, warum die Nur-Hörer mit sich selbst im Widerspruch sind, da sie ihre eigentliche Herkunft aus Gott (18) nicht erkennen und entsprechend handeln. (Vielleicht dürfte in diesem Motivzusammenhang die schwierige Wendung in 23c »Angesicht/Oberfläche der Herkunft« zu begründen sein; s. u.) Daß die Adressaten von einem mehr äußerlichen zu einem innerli chen Verständnis kommen sollen, belegen auch die Verben des Schauens. Jakobus spricht nicht von einem bloßen Sehen, vielmehr bedeutet bereits in 23c und 24a das Verbum katanoein: mit Überlegung beschauen/betrachten/beobachten/prüfen (Bauer Aland 843); bereits dieses Verbum meint nicht, daß der Handelnde nur einen flüchtigen und oberflächlichen Blick in den Spiegel wirft. Diese Intensität des Schauens wird durch das Verbum in 25a parakyptein: sich vorbeugen/einen genauen Einblick gewinnen verstärkt und durch das Verbum in 25b paramenein: verharren/ dabeibleiben als dauernde Haltung gefordert. Wer zu einer solchen Haltung gekommen ist und ein Täter des Werkes »wurde/gewor den ist« (25b), der wird — so die Folgerung in 25d — in diesem seinem Tun selig/glücklich sein. Damit hat Jakobus einen zweiten Makarismus (vgl. 1,12) formuliert. Anders als dort dürfte er hier jedoch nicht eschatologisch verstanden sein; die Funktion des Bildes für den Zusammenhang deutet eher auf ein logisches Futur,
zumal das Wort in wohl bewußt den begleitenden und zeitlich sich erstreckenden Umstand bezeichnet. 22: Da Jakobus den Nur-Hörer entlarven will und diesen Gedan ken antithetisch in 23a anschließt, stellt er das Ziel seiner Ermunte rung imperativisch an den Anfang: »Werdet aber Täter des Wor tes!«. Da diese Wendung in 1,23 wiederholt und in 1,25 mit »Täter des Werkes« sowie 4,11 mit »Täter des Gesetzes« variiert wird und als Gegenbegriff zum »Nur-Hörer« verstanden wird, wird zum einen deutlich, daß diese Syntagmen für die jakobeische Theologie bedeutsam sind, zum anderen aber, daß die Wendung »Täter« nicht im griechischen Sinn als »Dichter des Wortes« oder Verfasser von Gesetzen verstanden werden kann. Bei Jakobus geht es nicht um Menschen, die Worte formulieren und Gesetze erlassen, son dern um Menschen, die den Worten Taten folgen lassen und die Gesetze halten. Wahre Christen werden an ihren Werken (der Weisheit; vgl. 3,17) erkannt. Jakobus steht hier thematisch ganz in der biblischen Tradition, sprachlich in der biblisch-hellenistischen Uberlieferung. Allerdings gibt es für die Wendung »Täter des Gesetzes« nur einen einzigen Beleg in 1 Makk 2,67 (»Schart um euch alle Täter des Gesetzes«). Da außer Rom 2,13 (s. u.) »Täter« nur noch in Apg 17,28 als »Dichter« belegt ist, das substantivierte Tun im N T nur bei Jakobus in 25d vorkommt, ist hinsichtlich des Wortfeldes auf weitere Stellen der jüdisch- hellenistischen Literatur zu verweisen. Thematisch parallele Stellen finden sich nur bei Jesus Sirach: 3,1
Höret, Söhne, auf das Gebot des Vaters und handelt danach, damit ihr gerettet werdet. 15,15 Wenn du willst, kannst du die Gebote halten und Glauben tun des Wohlgefallens. 19,20 f Die ganze Weisheit ist die Furcht des Herrn, in der ganzen Weisheit ist das Tun/poiesis des Geset zes. 15,24 Besser ist arm an Einsicht, aber gottesfürchtig, als reich an Einsicht und Gesetzesübertreter. 51,18 Ich sann darauf, sie (die Weisheit) zu tun ..., und im Tun des Gesetzes suchte ich sie (die Weisheit) mit Sorgfalt. An diesen Stellen liegen für Jakobus die sprachlichen Vorbilder, wobei vor allem die Abfolge in 3,1 (Hören — Tun — gerettet werden) auffällig ist, die sich auch bei Jakobus findet (zu retten vgl.
21c). Dennoch ist mit diesem Hinweis die Frage nach der rezipier ten Tradition nicht endgültig geklärt, da sich auch in Rom 2,13 eine parallele antithetische Wendung findet: »Denn nicht die Hörer des Gesetzes werden vor Gott gerecht sein, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtgesprochen werden.« Da Jakobus und Paulus die Gegenbegriffe »Hörer des Gesetzes — Täter des Geset zes« benutzen, dürfte sprachlich für diese Wendung das hellenisti sche Judentum (vgl. 1 Makk 2,67) jener Ort sein, wo solche Wendungen gebildet worden sind, während die Wendung »Täter des Wortes« auf das sprachschöpferische Konto des rhetorisch gebildeten Verfassers des Jak zurückgehen dürfte. Dabei hatte er der Sache nach in der christlichen Literatur viele Vorbilder. Hinzu weisen ist auf Wendungen wie Jesu »Worte hören und tun« (vgl. Mt 7,24-27), »den Willen Gottes tun« (Mt 12,50), »das Wort Gottes tun« (Lk 8,21), »die Wahrheit tun« (Joh 3,21) u. a. Auch die rabbinische Literatur betont durchgehend, daß der Glaube sich in der Praxis be-glaubigen muß, das Tun höher zu veranschlagen ist als die Lehre (vgl. Ab 1,15: »Johannai [30 v. Chr.] pflegte zu sagen: Mache dein Torastudium zu etwas Feststehendem, sprich wenig, aber tu viel«; 1,17: »Nicht die Lehre ist die Hauptsache, sondern die Tat«; 3,9: »Nicht das Forschen ist die Hauptsache, sondern das Tun«; zu weiteren Stellen vgl. Billerbeck I 467; III 84-89). Bereits alle Theologen im A T verstehen das »Höre Israel« (Dtn 6,4 f.) praxisorientiert. Überall wird betont, daß das bloße Hören keiner lei Rechtfertigung vor Gott erwirkt. Daß der gläubige Mensch allzu leicht den Konsequenzen des Hörens auszuweichen sucht, begleitet paränetische Rede von Anfang an; dieser Gegensatz ist so konstant, daß er ausführlich nicht belegt werden muß (vgl. etwa Ex 24,3; Dtn 30,8ff.; Ez 33,32; Spr 6,3; vgl. weiter T h W N T 6, 465468). So oft auch die sich ergänzenden Wendungen »die Worte Gottes/des Gesetzes hören und tun«, oft auch adversativ in der Form »nicht nur hören, sondern tun« belegt sind, so wird zum einen doch deutlich, daß Jakobus mit Paulus und der Jesustradition wie auch mit der rabbinischen Überlieferung (von »Absage an das Rabbinat« redet in diesem Zusammenhang Schlatter 45) gemeinsam auf dem Boden der biblischen Ermahnungen steht, zum anderen aber ihm die sprachschöpferische Kraft zugebilligt werden muß, die Problematik substantivisch wie in einem Epigramm formuliert zu haben, wie es kürzer nicht geht: »Täter des Wortes und nicht nur Hörer«. Ein Auseinanderfallen wäre Selbstbetrug (22c); hier würde sich die Schizophrenie im Sein (1,8) auch im Handeln (vgl. bes. 2,14-26) bestätigen. Das Verbum paralogizesthai: betrügen/
täuschen ist neben Kol 2,4 (dort transitiv) im N T nur hier belegt, zudem reflexiv. Die hellenistisch-jüdische wie pagan-griechische Literatur kennt es, wenn auch nicht übermäßig. Wichtiger dürfte für Jakobus der Kontext sein, da er mittels der rhetorischen Figur der etymologischen Paronomasie das Verbum und das führende Substantiv logos: Wort (1,18.21.22.23) miteinander verbunden hat, wodurch der Selbstbetrug dessen, der nur Hörer, aber nicht Täter des Wortes, wodurch er erschaffen wurde (18a) und das ihm eingepflanzt wurde (21b), offensichtlich ist; er besteht darin, daß er mit der von Gott gewollten Anthropologie nicht übereinstimmt. Ein solcher Mensch lebt nur in einer Schein-Wirklichkeit, im Grunde jedoch entpuppt sich diese als Lug und Trug. Nach Jakobus gibt es nicht nur eine Schizophrenie im Menschen (s. o. 1,8a mit Kontext), es gibt auch eine Schizophrenie zwischen Sein und Handeln bzw. Hören und Tun. Wie die Aufnahme dieser Diastase in 23a wenn einer Hörer des Wortes ist und kein Täter und auch die einleitende Begründung in 23a denn belegen bleibt Jakobus bei dieser Thematik, die er im folgenden metaphorisch erläutert. Jakobus begnügt sich also nicht mit einem theologischen Schluß verfahren, vielmehr versucht er als neutestamentlicher Weisheits lehrer, in Fortsetzung seiner biblischen Vorbilder mit den in der ihm vorgegebenen Tradition angebotenen Mitteln von Bildern und Vergleichen aus Natur und Alltag (1,6.10-11; 2,26; 3,12ff. u. a.) die Adressaten zu überzeugen. Wie sehr ein Motto dieser Art christliche Existenz bestimmen kann, zeigt exemplarisch das Verhalten der Mitglieder der Weißen Rose (K. Huber, Geschwister Scholl, Chr. Probst, W. Graf u. a.), die als studentische Widerstandsgruppe an der Universität Mün chen 1942-43 mit Flugblattaktionen gegen das nationalsozialisti sche Herrschaftssystem kämpften und ihren Widerstand mit dem Leben bezahlten. Gemäß den überlieferten Briefen und Tagebuch aufzeichnungen und einem Interview von Ilse Aichinger, einer Schwester von Sophie Scholl, lassen sich als Motive für die Über zeugung, daß man in der damaligen Situation etwas tun mußte, folgende angeben: »Das Christentum spielt in diesem Zusammen hang als Motor zum Handeln eine wichtige Rolle. So wie in Frankreich der Existentialismus die Philosophie des Widerstandes war, so gab es auch bei uns einen christlichen Existentialismus . . . . Die christliche Grundhaltung der Mitglieder der WEISSEN R O S E hat wesentlich dazu beigetragen, mit dem Reden über Widerstand Schluß zu machen und etwas Praktisches zu tun. Plötzlich war
ihnen allen klar: Man darf nicht nur dagegen sein, sondern man muß etwas tun und an der ungeheueren Zementmauer der Unmög lichkeit versuchen, kleine Möglichkeiten herauszuschlagen oder hineinzusprengen. Das Suchen nach Möglichkeiten, auch in klein sten Dingen war für meine Schwester Sophie außerordentlich wichtig. Die Stelle aus dem Jakobus-Brief >Sei Täter des Wortes — nicht Hörer — allein !< war eine entscheidende Maxime« (H. Vinke, Das kurze Leben der Sophie Scholl, Ravensburg 1980, 99f.). Oder: In dem Trauerspiel »Judith« von Rolf Hochhuth (Hamburg 1988) heißt es im Gespräch der Geschwister Judith und Arthur zum Problem des politischen Mordes: »Aber einen zu killen, der Hitlers Herrschaft in Rußland repräsentiert: das war ja schon damals kein Problem, sondern Ehrenpflicht für jeden anständigen Russen — oder? Mit Zärtlichkeit für die Schwester: >Seid aber Täter des Worts — und nicht Hörer allein
des Menschen meinen. Nun werden jedoch beide Begriffe und ihr Wortfeld von Jakobus nicht nur in 23c verwendet. Bereits in 1,11 war in einem Zitat aus Jes 40,6 f. die Rede von der »Schönheit ihres (der Blume) Aussehens«. Vor dem »Ansehen der Person/nach dem Gesicht« warnt 2,1 als Oppositionsbegriff zu »Glauben«; in 2,9 (»Wenn ihr aber nach dem Ansehen von Personen geht«) wird eine solche parteiische Rück»sicht«nahme als Sünde deklariert. Zwar dürfte 1,23c noch nicht auf dieses unchristliche Problem der Unsolidarität in der Gemeinde hinweisen, sondern mehr im Sinne von 1,11c zu verstehen sein, wobei durch den Genetiv jedoch ein Übergang festzustellen ist. Auch das Substantiv genesis und sein Wortfeld kennzeichnen das Denken des Jakobus. Auffällig sind hier vor allem die Amplifikation zum Motivfeld »Zunge« (26b) in 3,1-12 und die sich dort findende Erfahrung, daß die Zunge - negativ eingesetzt — »das Rad des Werdens/des Lebenslaufes« in Brand setzen kann (3,6d). Jakobus versteht menschliches Leben als Sein im Werden, wie auch in 1,12.22.25; 2,4; 3,9 vorausgesetzt ist. Vor allem im Hinblick auf seine These, daß Gott unveränderlich ist (1,17) und der Mensch ihm seine Existenz im Werden verdankt als »eine Art Erstlingsfrucht« (18b) — Früchte halten sich nicht ewig —, dürfte die Wendung in 23c bewußt formuliert sein. Wer flüchtig in den Spiegel sieht, ist nicht einmal eines Vergleiches wert. Aber: Der Spiegel ist hier keine Vergänglichkeitsmetapher, wie der Kontext zeigt. Wer angestrengt nach seiner Beschaffenheit und Herkunft forscht, dem gilt der Vergleich; doch auch er hat nicht die Möglichkeit, seine Wahrnehmung festzuhalten, da sich seine Existenz im Werden nur in gelebter Existenz, d. h. auch im Tun verwirklicht. Gerade diese Dimension im Akt des Sich-Vertiefens (25a greift deutlich die Spiegel-Metaphorik noch einmal auf, jedoch gewendet auf den Vergleich) wird in 25c.d als Tun bezeichnet. Der Genetiv in 23c deutet an, »was im Spiegel nicht sichtbar wird, weshalb der Mensch, damit er sich kennenlerne, etwas anderes als einen Spiegel braucht. Das Gesicht, das der Mensch durch seine Geburt bekam, zeigt ihm der Spiegel; was er inwendig ist, kann ihm kein Spiegel zeigen« (Schlatter 149), dies kann ihm nur »durch das Wort der Wahrheit« (18a) im Akt der Annahme (21b) offenbart werden, aber erst dann, wenn die Angeredeten als Hörer auch »Täter des Wortes« (22a) geworden sind. Zu Recht betont der Makarismus in 25d, daß der Mensch sein Glück nicht (instrumen tal) »durch sein Tun« erlangt, sondern (modal, durativ) »in seinem Tun« und »während des Tuns«. Die Logik des Verses 25, vor allem die Identifizierung des sich vertieft Betrachtenden mit dem »Täter
des Werkes« (25c) ist nur in dem angedeuteten differenzierten Verständnis der einzelnen Verben und Substantive stimmig. Nur dann stimmt auch die Logik des Vergleiches »angestrengt in den Spiegel schauen« (23c) — »hineinschauen/sich vertiefen in das vollkommene Gesetz der Freiheit«. Bevor das Gesetzesverständnis des Jakobus an dieser Stelle und im gesamten Brief in einem Exkurs entfaltet wird, sei zuvor nach möglichen Parallelen für den von Jakobus benutzten Vergleich gefragt. Traditionsgeschichtlich ist nicht nach allen möglichen Belegstellen für Spiegel aus der gesamten Antike zu fragen (vgl. Mayor 71 f.), sondern nach der oben skizzierten Verwendung und nach mögli chen Traditionen, die Jakobus eventuell rezipiert hat. So ist die außer Jak 1,23 im N T sich findende zweite Stelle in 1 Kor 13,12 mit der übertragenen Bedeutung von Spiegel (»Jetzt sehen wir [Gott] durch einen Spiegel in rätselhafter Erscheinung, dann aber von Angesicht zu Angesicht«) trotz derselben Metapher deutlich anders orientiert, da dort die übertragene Bedeutung »prophetisch sehen« vorliegt (ThWNT 1, 1933, 177 und bes. Behm). Zu den Belegen aus dem Schrifttum des Philo und der Rabbinen wird nicht das Element der Undeutlichkeit oder der Abbildhaftigkeit betont (ebd. 178 f.). Die Spiegel-Metaphorik des Jakobus ist im N T also singulär. Dies gilt auch im Hinblick auf die Stellen aus der rabbinischen Literatur (vgl. Billerbeck III 452-454) und der paganen Literatur (vgl. Mayor 71 f.). Insgesamt ist die Anzahl der Beleg stellen in der Literatur vor Jakobus im ethischen Zusammenhang oder sogar als Metapher keineswegs so häufig, wie behauptet wird (Dibelius 147; Mußner 105), mag auch der Gedanke, »daß der Mensch sich in einem göttlichen Spiegel spiegelt und dadurch verherrlicht, Gott ähnlich wird«, in der altchristlichen Literatur durchaus belegt sein (Behm 326 mit Stellenangaben). Immerhin hat Jakobus die Spiegel-Metapher von 23 in 25a so gewendet, daß jetzt »das vollkommene Gesetz der Freiheit« dem Betrachter nicht nur seine äußeren Gesichtszüge, sondern sein inneres Wesen »im Angesicht« Gottes, d. h. des von Gott erlassenen Gesetzes offen bart. Allerdings trifft zu, was Dibelius 147f. fast mit etwas Bedau ern feststellt: »Die Verwendung an unserer Stelle berührt sich nicht mit den bekannten Belegen; Jak hat solche Bilder in der Regel übernommen; eine Abhängigkeit läßt sich aber in diesem Fall bisher noch nicht nachweisen.« Auch die metaphorische Verwen dung in Sir 12,11
Auch wenn er (dein Feind) sich gefügig zeigt und gebückt einhergeht, nimm dich in acht und hüte dich vor ihm. Sei ihm gegenüber wie einer, der einen Spiegel putzt, und du wirst erfahren, daß er nicht immer mit Rost überzieht und die Verwendung in Weish 7,26 Denn sie (die Weisheit) ist der Widerschein des ewigen Lichts und der fleckenlose Spiegel der göttlichen Wirklichkeit wie auch das Ebenbild seiner Güte sind keine von Jakobus rezipierten Traditionen. In Sir 12,11 geht es um den klugen Umgang mit einem heuchlerischen, feindseligen Menschen, wodurch — wie beim kräftigen Polieren eines rostigen Spiegels — dessen wahres Wesen hervortritt. Ganz anders wird die Metapher in Jak 1,23 verwendet. So dürfte Jakobus selbst — wie bereits auch im Prolog etliche Male festgestellt — mit sprachschöp ferischer und einfühlsamer Kraft den Vergleich im Hinblick auf die anvisierte Thematik formuliert haben. Die Thematik erweist sich aber im bisherigen Kontext als eine Rekapitulation der Verse 1,24.12. Lautete die thematische Progression dort: »Erprobungen bewirken Standhaftigkeit des Glaubens, die Standhaftigkeit aber soll ein vollkommenes Werk bewirken, damit ihr vollkommen und ganz seid und deswegen selig gepriesen werdet«, so lautet die thematische Progression hier — ausgehend vom Zorn als der die Ambivalenz des Menschen charakterisierenden Grundhaltung (20): »Aus den Hörern des Wortes müssen Täter des Wortes werden, die dann selig sind in ihrem Tun.« Auffällig ist, daß der Begriff »Glaube« in der kleinen Einheit 1,19-27 nicht genannt wird, dafür aber in Kap. 2 (vgl. das Stichwort in 2,1.5.14.17.18.20.22.24.26) Leitwort ist, wobei mit der auffälligen Wendung in 2,1 »den Glauben haben« (statt glauben) nicht nur eine Wendung aus 1,4 (»die Standhaftigkeit aber soll ein vollkommenes Werk haben«) variiert wird, vielmehr auch in Opposition zu der Wendung »Werke haben« (2,14.17.18) steht, was in 2,14 sogar in einem einzigen Vers antithetisch formuliert ist. Schon jetzt läßt sich sagen: Glaube und Wort müssen nach Jakobus nicht nur praxis orientiert verstanden werden, sondern in der Praxis konkretisiert werden. Weil dies so ist, kann Jakobus einen solchen Christen einen »Täter des Werkes« (25c) und »Täter des Gesetzes« (4,11) nennen, da er dieses von ihm so verstandene Gesetz in 1,25a als
»das vollkommene Gesetz der Freiheit« charakterisiert. Neben der Konzeption von Anthropologie und Theo-Iogie (vgl. den Exkurs nach 1,18) ist für die Theologie des Jakobus sein Verständnis von »Gesetz« von höchster Relevanz — nicht nur unter dem Aspekt der ökumenisch bis heute umstrittenen Auslegungsgeschichte.
Exkurs 6: Das »Gesetz der Freiheit« Literatur: S. o. zu Exkurs 2 nach 1,6a: Glaube nach Jakobus. Außerdem: Bartsch, H W., Freiheit u. Befreiung im N T , in: T R E 11(1983) 508-510. — Broer, I. (Hrsg.), Jesus und das jüdische Gesetz, Stuttgart u. a. 1992. — Eckart, K. G., Zur Terminologie des Jakobusbriefes, in: ThLZ 89(1964) 521-526. - Evans, M.J., The Law in James, in: Vox Evangelica 13(1983) 29-40. — Fabris, R., Legge della libertä in Giacomo, Brescia 1977. - Frankemölle, H., Gesetz im Jakobusbrief. Zur Tradition, kontextuellen Ver wendung und Rezeption eines belasteten Begriffes, in: K. Kertelge (Hrsg.), Das Gesetz im Neuen Testament, Freiburg 1986, 175-221. — Heiligenthal, R., Freiheit (Frühjudentum), in: T R E 11(1983) 498-502. - Hoppe, Hinter grund 93-97. - Hübner, H., nomos Gesetz, in: E W N T 2(1981) 1158-1172. — Jones, F. S., »Freiheit« in den Briefen des Apostels Paulus, Göttingen 1987. - Kegler, J. - Jones, F. S., Freiheit, in: N B L 1(1991) 699-701. — Kertelge, K. (Hrsg.), Das Gesetz im Neuen Testament, Freiburg 1986. — Ders., Grundthemen paulinischer Theologie, Freiburg 1991, 184-196 (Gesetz und Freiheit im Galaterbrief). 197-208 (Freiheitsbotschaft und Lie
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Über den Begriff »Gesetz« im Jakobusbrief läßt sich nicht geschichtslos schreiben — weder im Hinblick auf heutiges Sprechen noch im Hinblick auf jüdisches Verständnis noch im Hinblick auf das Gesetzesverständnis neutestamentlicher Theologen. Fußangeln gibt es genug, nicht zuletzt auch aufgrund von hermeneutischen Prinzipien aus der Reformationszeit, die bis heute protestantisches Selbstverständnis in seiner Identität prägen. Davon hängen auch eine sachgerechte Würdigung des Jakobusbriefes insgesamt wie auch sein Reden vom »Gesetz« ab. Dies kann hier nicht entfaltet werden (zur Begründung vgl. Frankemölle 175-198). Nur einige Faktoren seien kurz benannt: 1. Christliches »Gesetzes«-Verständnis ist — ob man es will oder nicht — bewußt oder unbewußt von Reformation und Gegenreformation und deren Nachgeschichte — nicht zuletzt in Deutschland - geprägt. Dies ist Teil unserer Geschichte, die nicht zu verdrängen, wohl aber bewußt zu machen, und vor allem auf ihre leitenden hermeneutischen Prinzipien (auch bei Luther) zu befragen ist, die von seiner polemischen Sprechsituation abhän gig sind. Bekanntlich sieht Luther in der allgemeinen Vorrede zur Septem berbibel von 1522 im Jakobusbrief »eyn rechte stroern Epistel gegen sie [JohEv und Rom, Gal, Eph und 1 Petr], denn sie doch keyn Euangelisch art an yhr hat« (WA, DB 6,10). In der speziellen Vorrede zum Jakobusbrief heißt es zwar zunächst etwas doppeldeutig: »Die Epistel Sanct Jacobi ... lobe ich vnd halt sie doch für gutt, darumb, das sie gar keyn menschen lere setzt vnd Gottis gesetz hart treybt«, was jedoch im Sinn der reformatori schen Wende Luthers negativ zu interpretieren ist, da »sie stracks widder Sanct Paulon vnd alle ander schrifft den wercken die rechtfertigung gibt«. Seine Konsequenz aus dem Gegensatz zwischen Paulus und Jakobus lautet: »Aber diser Jacobus thutt nicht mehr, denn treybt zu dem gesetz vnnd seynen wercken« (WA, DB 7, 384 f.). Noch in seinen Vorlesungen über den Römerbrief von 1515/16 und den Galaterbrief von 1516/17 konnte Luther Paulus und Jakobus durchaus zusammendenken, da Paulus von den opera legis, Jakobus von den opera fidei redet: »Wenn also Jakobus und der Apostel sagen, der Mensch werde aus den Werken gerechtfertigt, dann streiten sie wider das falsche Verständnis derer, die meinten, es genüge ein Glauben ohne seine Werke, obschon der Apostel nicht sagt, daß der Glaube ohne die ihm eigenen Werke ist (denn dann wär<s kein Glaube mehr, da >die Tätigkeit beweist, daß eine Form vorhanden ist<, wie die Philosophen sagen), sondern daß er ohne des Gesetzes Werke rechtfertigt. Die Rechtfer tigung erfordert also nicht die Werke des Gesetzes, sondern den lebendigen Glauben, der seine Werke wirkt. Wenn aber der Glaube mit seinen Werken, doch ohne des Gesetzes Werke rechtfertigt, ...« (Luther, Vorle sung 213; vgl. ebd. 95.185.233.291.365). Mit dieser Deutung stimmt Luther mit anderen Reformatoren überein (vgl. Einleitung 2.6d). Wenn Luther nach seiner reformatorischen Wende aufgrund seiner Ent scheidung, Paulus als kanonkritischen Maßstab zu nehmen, den Jakobus brief und das von ihm vertretene Gesetzes-Verständnis ablehnt, ist dies deutlich eine Folge seiner biographischen und existentiellen Konfliktsitua-
tion. Diese polemische Situation ist heute nicht mehr gegeben (vgl. Einlei tung 2.6 f. und den Exkurs nach 1,6a: Glaube nach Jakobus). Allerdings ist in aller Nüchternheit festzustellen, daß es auch heute protestanische Theo logen gibt, die den Jakobusbrief streng antipaulinisch auslegen, demnach auch die Begriffe Glaube, Werke, Rechtfertigung im Jakobusbrief nur von Paulus her zu interpretieren bereit sind. So ist nach R.Walker »die Lehre von der Rechtfertigung auf Grund von Werken ... der herausfordernste Ausdruck für den leidenschaftlichen und unreflektierten nomistischen Posi tivismus des Jakobusbriefs«, er versteht Glauben im Jakobusbrief »passiv nomistisch als christliche Gesetzesfrömmigkeit« (Walker, Allein aus Wer ken 177.189; ähnlich einseitig Schulz, Mitte 281-291, und Hengel, Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik). Solche Stimmen sind im letzten Jahrzehnt als Ausnahme zu werten, wenn auch das konfessionelle Pendel zur Zeit erneut wieder stärker ausschlägt (zu Positionsveränderungen etwa
bei W.Schräge vgl. Frankemölle 193-195 sowie Schräges Ausführungen zu den Paränesen des Jakobusbriefes in der 1. Auflage seines Buches »Ethik des Neuen Testamentes« von 1982, 266-279, im Vergleich zu denen der 2. Auflage von 1989, 286-300, wobei letztere Seiten in Spannung zur positiven Bestimmung von Eschatologie und Ethik in die Verkündigung Jesu, ebd. 23-45, stehen). In Aufnahme der Thesen von Walker formuliert 1990 auch Lautenschlager: »Soteriologisch zugespitzt ließe sich auch formulieren:
Gegenstand der pistis ist im Jakobusbrief die Heilsnotwendigkeit der erga, d. h. der Werke, die das Gesetz fordert« (172; vgl. auch 179 Anm. 70.180.183). Hier wird nicht nur der Inhalt des Glaubens nach Jakobus einseitig umschrieben (s. o. den Exkurs nach 1,6a), sondern auch die spezifisch jakobeische Semantik im Begriff Gesetz, wie sie durch die Wendungen »Gesetz der Freiheit« und die Adjektive »vollkommenes« und »königliches Gesetz« angegeben ist, verkannt. Dies gilt auch für Auslegun gen, die von einem »Gegensatz zu einem unvollkommenen Gesetz der Knechtschaft« ausgehen und der »Vollkommenheit des christlichen Geset zes ... die UnVollkommenheit des alten Gesetzes, des mosaischen Kultge setzes«, gegenüberstellen (Vollenweider 185, was durch die Hinweise auf die Konzeption des Hebräerbriefes ebd. sowie auf antijüdische Stimmen aus der nachneutestamentlichen Zeit, ebd. 187f., vollends methodologisch und thematisch entstellt wird). Wer mit Berufung auf Rom 10,4 auch in Jak 1,25 und bei der Wendung »vollkommenes Gesetz der Freiheit« nur eine Freiheit »von« (vom Gesetz, von der Sünde ...) betont (Schlatter, Jakobus 153f.; ähnlich auch Bartsch), argumentiert nicht einmal grammatisch im Sinne des Jakobus, da der Genetiv nicht die Folgen des Gesetzes, sondern die Qualität des Gesetzes selbst umschreibt: Das Gesetz ist Freiheit, Jakobus kennt ein freies Gesetz, wie er ein vollkommenes und königliches Gesetz kennt. Die paulinischen Parolen: »Das Gesetz hat nichts mit dem Glauben zu tun« (Gal 3,12) und »Zur Freiheit hat uns Christus befreit« (Gal 5,1) sind mit der jakobeischen Konzeption nicht zu vergleichen, da »Glauben« für Paulus immer Glaube an die erlösende Kraft des Kreuzes Jesu ist, dem die Befreiung vom Gesetz als Heilsweg antithetisch inhärent
ist. Ohne diese christologische Voraussetzung ist kein Begriff bei Paulus zu verstehen (zu einer ökumenisch angemessenen Deutung von Gesetz, Frei heit und Liebesgebot etwa im Galaterbrief vgl. Kertelge 184-208). Gleiche Terminologien besagen nichts; die Semantik entscheidet. 2. Trotz aller akzidenteller Irritationen läßt sich auch in der Literatur zu Paulus im historisch-kritischen Ansatz und unter Beachtung der heuristi schen Bedeutung der Paulus-Rezeption durch Martin Luther bezüglich der Rede vom »Gesetz« und der Notwendigkeit des Tuns ein neues Sprechen feststellen — sowohl im ökumenischen Gespräch (vgl. dazu Lehmann - Pannenberg, Lehrverurteilungen 35-75; Aufsätze zur Neubewertung der Lehrverurteilungen und zur Theologie der Rechtfertigung finden sich bei Lehmann, Lehrverurteilungen II) als auch in der exegetischen Literatur. Die Notwendigkeit des Lebens aus dem Glauben (vgl. Ortkemper) bzw. des Handelns aus dem Glauben (vgl. Merk) als Grundelement paulinischer Theologie wird immer deutlicher gesehen etwa gemäß Gal 5,25: »Wenn wir im Geist leben, so laßt uns auch im Geist wandeln« (vgl. insgesamt 5,136,10 mit der Konzeption einer Ethik als »Frucht des Geistes«: 5,22). Ermöglichung dazu ist das rechtfertigende Handeln des barmherzigen Gottes, wobei Gottes Handeln allerdings das menschliche Handeln als Konsequenz daraus und damit auch eine »menschliche Mit-Wirkung« keineswegs ausschließt (Kertelge 135). Die Konsequenz daraus ist, daß das »Gericht nach den Werken« in der Theologie des Paulus (vgl. etwa 2 Kor 5,10: »Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat«) seinen genuinen und integrativen Ort hat. Wie das Septuaginta-Zitat aus Ps 61,33 (vgl. auch Spr 24,12 und Sir 16,14) in Rom 2,6 (»Er wird jedem vergelten, wie es seine Taten verdienen«) zeigt, steht Paulus hier auf biblischem, weisheitlichem Boden (vgl. auch Mt 16,27). Bei allem Wandel im Verständnis der paulinischen Theologie gilt: »Es kommt nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, die Gebote Gottes zu halten« (1 Kor 7,19). Ein Pochen auf menschliches Verdienst ergibt sich für Paulus daraus nicht: »Die >Werke<, nach denen Gott den Glaubenden richtet, bezeichnen also nicht seine aufrechenbaren Leistungen nach >Soll< und >Haben<, sondern seine ständig eingeübte Bereitschaft zur existentiellen Identifizierung mit dem an ihm schon begonnenen Heilswerk Gottes« (Kertelge 139 f. unter Hinweis auf die Ausdauer/Standhaftigkeit des von den Christen geforderten Glaubens in Rom 2,7; vgl. insgesamt zur positiven Funktion der Werke in der Theologie des Paulus Heiligenthal, Werke 93-114.165-234.279-311). Solche ganzheitlichen Entwürfe zur paulinischen Theologie im Hinblick auf das von Gott ermöglichte christliche Sein und Handeln haben Rückwir kungen auch auf das Gesetzes-Verständnis des Paulus. Daß dies Vorausset zung ist (und sein sollte) für ein vorurteilsfreieres Reden auch über das Gesetz im Jakobusbrief, liegt auf der Hand. Einem »in der Gegenwart weitverbreiteten Mißverständnis des christlichen Glaubens«, bei dem die paulinische Rechtfertigungslehre einseitig von der Antithese Gesetz —
Evangelium verstanden wird und das Tun des Menschen nur negativ qualifiziert wird, widerspricht U. Wilckens im Hinblick auf Rom 2,6-13 dezidiert: »Das paulinische Evangelium ist in seinem Kern keineswegs Werk-feindlich. Der Glaube, den Paulus verkündigt und zu dem er ruft, enthält keineswegs eine ursprüngliche, tiefwirksame Verneinung aller Akti vitäten des Menschen, dem Guten in der Welt Bahn zu brechen und dem Bösen zu wehren. Das Evangelium fordert keinen Verzicht auf eigenes Handeln« (I 145). Schließlich betont Paulus, daß die Tora durch ihn nicht aufgehoben, sondern in Kraft gesetzt wird (vgl. Rom 3,31). »Für Paulus wäre eine Außerkraftsetzung der Tora nichts anderes als Frevel« (ebd. 249). »Man darf die pointierte Rede vom Gesetz darum nicht abschwächen, indem man allgemein vom Willen Gottes spricht und diesen von der Tora abhebt. Es ist geradezu der Prüfstein für das richtige Verständnis der paulinischen Rechtfertigungslehre, zu sehen, daß und wie der Anspruch der Tora an den Wandel für den Christen nicht trotz, sondern gerade wegen der iustificatio impii vollauf in Geltung gesetzt wird (vgl. 1 Kor 7,19)« (Wilkkens II 129). Hier ist zu erinnern an die Wendung »Gesetz Christi« (vgl. 1 Kor 9,21; Gal 6,2) sowie an Rom 8,3 ff., wobei bei Paulus — ähnlich wie bei Jakobus — die kultisch-rituellen Gebote der Tora faktisch ausgeschlos sen und daher - bis auf die Beschneidung bei Paulus — nicht mehr behandelt werden. Wie bei Jakobus (vgl. 2,8) wird auch bei Paulus »das ganze Gesetz in dem einen Wort zusammengefaßt: Du sollst deinen Näch sten lieben wie dich selbst« (Gal 5,14 mit Zitat aus Lev 19,18 wie in Jak 2,8c). Zu diesem Verständnis des Paulus schreibt U. Luz: »Das heißt: Es wird nicht einfach die Autorität der Mosetora reetabliert, sondern von Christus und seinem Tod her sieht Paulus die Mosetora in ihrem tiefsten Anliegen und in ihrer eigentliche Mitte aufgenommen und bejaht« (Smend - Luz, Gesetz 108). Auch wenn Paulus hier in seiner kerygmatisch orientierten Konzeption mit dem Tod Jesu als alles bestimmender Perspek tive denkt, sollen die Christen auch nach ihm »nicht Hörer des Gesetzes sondern Täter des Gesetzes« (Rom 2,13; vgl. Jak 1,22; 4,11) sein. Dies kann Paulus betonen, weil er zuvor das Handeln Gottes betont hat, dem aber ein Handeln auf Seiten des Menschen entsprechen muß. In einem solchen Konzept ist impliziert die Frage nach dem Verständnis von »Freiheit« in der Theologie des Paulus. Entgegen der traditionellen Auffassung, die jüngst wieder von Vollenweider vertreten wird, lautet das Ergebnis von F.Stanley Jones: »Die Ansicht, daß das vielfältige Freiheitszeugnis des Paulus auf seine Erfahrung bei der Hinwendung zu Christus zurückzuverfolgen sei, fand in unserer Untersuchung keinerlei Bestätigung« (140). Daß Paulus den Begriff »Freiheit« in das Urchristentum eingeführt hat, ist nach Jones »nicht notwendig. ... Vielmehr ist zu vermuten, daß die große griechische Frei heitstradition, die auch von den Römern auf unterschiedliche Weise über nommen wurde, das Christentum in ebenso vielfältiger Weise erreicht hat — zum Teil durch das hellenistische Judentum vermittelt (Rom 8,21; vgl. Jak 1,25; 2,12), zum Teil auf direktem Wege« (143). Zur Kritik von Jones an der verbreiteten Auffassung, die paulinische Konzeption von
Freiheit hänge auf das engste mit der Frage der Freiheit von der Tora zusammen und lasse sich daher nur als Freiheit von der Sünde, vom Gesetz
und vom Tode beschreiben, bemerkt Gerhard Dautzenberg, daß Jones diese Auffassung »erfolgreich bestritten« hat (276). Auch wenn mit solchen Bemerkungen der Streit um eine sachgemäße Auslegung noch nicht beendet sein dürfte (vgl. etwa die Beiträge von F. Mußner, G. Dautzenberg und P. Fiedler, in: Kertelge, Gesetz 28-87), zeigen sie doch überdeutlich, daß Bewegung in eine schon als abgeschlossen betrachtete Problematik gekom men ist, deren Deutung viel mit hermeneutischen, d. h. konfessionellen Vorverständnissen zu tun hat. Adolf Schlatter, der in all seinen Schriften die Antithese zwischen Paulus und Jakobus gemäß protestantischer Tradition und Schärfe nicht vertrat, betont daher etwa zu Jak 1,25, daß Jakobus »in starker Gemeinschaft mit Matthäus« (151) steht, da Paulus vom Gesetz rede, das in die Knechtschaft führe. Dagegen hat der Adressat des Jakobus, an den das Wort vom »Gesetz der Freiheit« in 1,25 und 2,12 gerichtet ist, mit dem Adressat des Paulus »gar keine Ähnlichkeit«, wohl ist »dieser Gegner ... uns durch die Evangelien bekannt« (58). Dem entspricht, daß Adolf Schlatter schon 1882 das Verhältnis vom Handeln Gottes zum Handeln der Menschen, das notwendig folgen muß, als Korrespondenz deutlich herausgestellt hat (vgl. Ders., Glaube 426-440), was Axel von Dobbeler wie folgt zusammenfaßt: »Im Mittelpunkt steht für Schlatter das Werk Gottes; in ihm hat der Glaube seinen Grund, ihm korrespondiert das Werk des Glaubenden. Der Glaube ist dabei nach Schlatter die Größe, durch die der Mensch wollend und wirkend am Werk Gottes beteiligt ist« (4), was er selbst mit dem Syntagma »Glaube als Teilhabe im Blick auf Gottes Handeln« (9-96) konkretisiert. 3. Auch wenn aus rezeptionsgeschichtlichen Gründen das Verhältnis Pau lus—Jakobus (vgl. Einleitung 2.6d-f) im Hinblick auf das Gesetzesverständ nis des Jakobus hier etwas ausführlicher dargestellt wurde, ist das neue Sprechen vom »Gesetz« in der Jesusüberlieferung für das Verständnis des Jakobusbriefes sogar noch wichtiger, auch wenn hier nur zusammenfassend darauf hingewiesen werden soll. Dies ist deswegen möglich, da die Ausleger hier nicht so zerstritten sind wie bei den Briefen des Paulus. Die dem Jakobus am nächsten stehende parallele Konzeption ist die des Evangelisten Matthäus, der gerade an redaktionellen Stellen (vgl. 7,12; 9,13; 12,7; 22,40 und 23,23) die Gebote der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit zum Maßstab der Auslegung der ganzen Tora, die es in diesem Sinne zu erfüllen gilt (5,17-20), macht. »Heilszusage und Heilsbewährung« korrespondieren einander (dazu Frankemölle, Jahwe-Bund 257-307; vgl. auch Gnilka II 548f. und Luz I 410f.). Gerade die spezifisch theozentrische BasileiaBotschaft sowie die Christologie sind Basis und Ermöglichung für christli ches Handeln. Dies ist bei Jakobus nicht anders (s. o. die Exkurse nach 1,6a: Glaube nach Jakobus, und nach 1,18: Anthropologie und Theo logie). Der Brief des Jakobus ist ein durch und durch theozentrisches (und christologisches) Schreiben. Was die Begründung der Ethik in dem Prae des Handelns Gottes angeht,
steht Matthäus in ungebrochener Kontinuität zur Jesustradition, in der sich »die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip« in der exegetischen Forschung erwiesen hat (so der Titel der grundlegenden »Untersuchung zur Ethik
Jesu« von Helmut Merklein; zur Rezeption vgl. nur Schnackenburg I 31-50 und Schräge, Ethik 23-45). Die Gottesherrschaft erweist sich durchgehend als Begründung für das geforderte konkrete Handeln des Menschen (vgl. Merklein 217-293). Der Satz: »Das Handeln des Menschen ist Konsequenz, nicht Voraussetzung des Kommens der Herrschaft Gottes, was aber dann, wenn es nicht zu entsprechenden Konsequenzen seitens des Menschen führt, zum Gericht wird« (Schräge 33) könnte auch — unter Beachtung der theozentrischen Struktur des Jakobusbriefes — zu Jakobus formuliert wor den sein. Diese Neubesinnung auf das für das menschliche Heil entscheidende Tun impliziert »Jesu grundsätzliches Ja zum Gesetz« (Smend — Luz 59 ff.), wobei in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt die Vielfalt auch des frühjüdischen Tora-Verständnisses zur Zeit Jesu und der damit gegebenen kritischen Auseinandersetzung mit den anderen Konzeptionen deutlich betont wird (vgl. Frankemölle, Gesetz 180-189 sowie Broer 105-135; Kertelge, Gesetz 11-27). Es lassen sich vielfältige Aktualisierungen, Zusätze und Abwandlungen der biblischen Weisungen, Satzungen, Gebote, Vor schriften und Mahnungen schon im Alten Testament, dann aber auch im Frühjudentum und frühen Christentum nachweisen, was für das GesetzesVerständnis des Jakobus von Bedeutung ist, da Jakobus nicht mit der singulären Konzeption des Paulus zu vergleichen, vielmehr bei Jakobus nach gleichen oder ähnlichen Konzeptionen vor und neben ihm zu fragen ist. Den Tora-Kritikern ging es dabei nicht grundsätzlich um die Geltung der Tora, sondern um Auslegung, Interpretation und Anwendung auf konkretes Leben. Mag im Kontext der großen Gesetzesvielfalt das Geset zesverständnis einzelner Theologen im frühen Judentum und Christentum weiterhin umstritten sein, was auch hier und da mit paulinischem Vorver
ständnis zu tun hat (vgl. die Sammelbände von Broer und Kertelge mit jeweiliger Spezialliteratur zu Paulus; vgl. auch Vollenweider 171-197 zur Freiheit im Judenchristentum bei grundsätzlicher Betonung des Gesetzes), weder Jesus noch Matthäus noch Jakobus sind in diesem glaubensgeschicht lichen Kontext außergewöhnlich. Wird in der Literatur zum Jakobusbrief bislang (noch) nicht von den in der Jesustradition gewonnenen Erkenntnis sen her differenziert argumentiert (die Frage nach dem Verhältnis von Jakobus zu Paulus ist immer noch dominierend), so könnte die grundsätzli che positive Haltung zur Tora im frühen Christentum (bei aller Kritik an ihr) die leidige Diskussion um einen »Nomismus« bei Jakobus von Grund auf entkrampfen. Diesem (ökumenischen) Anliegen dienten die bisherigen Ausführungen, wobei abschließend ausdrücklich an die freudige Grund stimmung in den Tora-Psalmen (vgl. etwa Ps 1; 19,8-15 und vor allem Ps 119) zu erinnern ist wie auch an das bis heute gefeierte, wenn auch erst in nachbiblischer Zeit entstandene jüdische Tora-Freuden-Fest (Simchat Tora) am Ende des Laubhüttenfestes. Für jüdisches Verständnis ist das Gesetz
grundsätzlich »ganz und gar gut, positiv, erfreulich, glückbringend, es stärkt, baut auf, hilft zum Leben« (Smend — Luz 34). »Halten des Gesetzes bedeutet Freiheit« (ebd. 134 zu Jakobus), was aber grundsätzlich für jüdisches und urchristliches Toraverständnis gilt (zur Jesustradition vgl. etwa Mt 17,24-27). Wie sehr man in der Literatur eine Ubereinstimmung zwischen der Verkün digung Jesu und des Jakobus sieht, zeigt sich auch daran, daß die für die gesamte Bibel und das pagane Schrifttum singulare Wendung »vollkomme nes Gesetz der Freiheit« aus Jak 1,25 gerade in evangelischer Literatur als zutreffende Charakterisierung zur Kennzeichnung des Anliegens Jesu ver wendet wird (vgl. Wendland, Ethik 106f.; Goppelt, Theologie 536). Peter Stuhlmacher geht zwar nicht so weit wie O. Böcher, der es historisch für »möglich« hält, »daß mit dem vollkommenen Gesetz der Freiheit (Jak 1,25) die Bergpredigt gemeint ist«, stellt aber dennoch fest: »Mit dem Begriff des vollkommenen Gesetzes der Freiheit (Jak 1,25) wird uns m. E . die biblisch beste Möglichkeit gegeben, die Bergpredigt ihrer eigenen Absicht nach zu bezeichnen«, womit Jakobus aber »das Gebot Jesu, in dem sich die Weisungen des Mose vollenden«, gemeint habe (Stuhlmacher 291 mit dem Zitat von Böcher). Wenn Stuhlmacher formuliert: »Die Bergpre digt kann mit Jak 1,25 als Jesu vollkommenes Gesetz der Freiheit bezeich net werden« (293) und hinsichtlich einer verengten paulinischen Konzep tion feststellt: »Statt dieses Gesetz von Paulus her zu kritisieren, sollte man es m.E. im Lichte von 1 Kor 7,19; 9,21; Gal 6,2 und vor allem Rom 8,3ff. positiv werten« (308), ist dem zuzustimmen, ebenso auch seinem methodi schen Prinzip: »Es scheint mir für das sachgerechte Verständnis der Berg predigt entscheidend zu sein, bei dem von Jesus und dem vom Evangelisten Matthäus vorgezeichneten Verstehensmodell zu bleiben« (ebd.). Ebenso ist Jakobus aus dem Jakobusbrief heraus zu interpretieren, wobei die in der Literatur festgestellte große Ubereinstimmung mit der jesuanischen Kon zeption in der Deutung des Matthäus zu berücksichtigen ist. Hier wie dort geht es in je spezifischer Weise beim Thema Gesetz um die Lebens- und Sozialordnung in der von Gott gewollten schöpfungstheologischen (vgl. Jak 1,18) und toratheologischen (vgl. Jak 4,12) Ordnung. Ist diese theozentrische Basis bei Jakobus deutlich? Heinrich Schlier legt in seinem Beitrag zur Festschrift für Rudolf Bultmann aus dem Jahre 1949, der in seiner »Theologie des Neuen Testaments« (Tübingen 1961, 332-353) die Theologie des Paulus u. a. vom Begriff der »Freiheit« her erschlossen hatte, den christlichen Begriff der »Freiheit« im ganzen Neuen Testament von der Wendung »das vollkommene Gesetz der Freiheit« aus, wobei Jak 1,25 nur einmal beiläufig und 2,12 gar nicht erwähnt wird. Dennoch gilt, was Schlier allgemein formuliert, im Kontext dessen, was Jakobus, der »Sklave Gottes und des Herrn Jesus Christus« (1,1), als Weg der Freiheit für Gott und für die Menschen ansieht, auch für die Konzeption des Jakobus: »Vollzieht sich aber die Freiheit, wie sie der Christ versteht, im Glauben und in der Liebe, dann vollzieht sie sich in einem paradoxen Sinne in einer völligen Gebundenheit. Der Freie ist kein 4
anderer als der an Gott Gebundene und er ist kein anderer als der an den Nächsten Gebundene. Er ist in beidem kein anderer als der an das Gesetz des Willens Gottes Gebundene. Freiheit also, wie sie der Christ versteht, ist da, wo das ungebundene Dasein sich in die Bindung Gottes begibt, um dadurch der Bindung zu entrinnen, in der es vergeht, der Bindung an sich selbst. Damit ist deutlich, daß der christliche Freiheitsbegriff dem antiken Freiheitsbegriff, der ja im Grunde ganz allgemein der des menschlichen Daseins überhaupt ist, widerspricht. Freiheit ist ... nach antiker Auffas sung, die Herrschaft über sich selbst, sei es in politischem oder in philoso phischem Sinn. Freiheit wird definiert als >unabhängig über sich selbst verfügen<. Freiheit aber in christlichem Sinn könnte man formal als >über sich verfügen lassen< bezeichnen« (204). Wie zeigt sich diese doppelte — theozentrische und anthropologische — Ausrichtung bei Jakobus? 4. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten des Verständnisses von »Gesetz« im frühen Judentum und Christentum kann die Verwendung beim einzelnen Autor »nur aus einer semantischen Kontextanalyse gewon nen werden« (so zu Recht Mußner 241). Dieser Kontext ist im Jakobusbrief an allen 10 Stellen, wo der Begriff »Gesetz« vorkommt (1,25; 2,8.9.10.11.12; 4,llc[2mal].d.e) eindeutig theozentrisch. Dies in dem Sinne, daß Jakobus das Bekenntnis zu Gott dem Einen (2,19) in 4,12 aufnimmt und dahingehend — dies ist für jüdische und christliche Theolo gie einzigartig — wie folgt konkretisiert: »Ein einziger/der einzige ist Gesetzgeber und Richter«. Die Erinnerung an ein solches Bekenntnis (was bei den Adressaten wohl nicht umstritten ist) schließt nach Jakobus jeden Gedanken an ein Richten von Christen über Mitchristen (vgl. 4,lla-d) aus. Christen sollen »Täter des Gesetzes«, nicht Richter sein (4,1 le). Indem das »Gesetz« Objekt des menschlichen Tuns wird, zeigt sich die handlungsorientierte Leserlenkung des Jakobus. Die Logik liegt aber nur dann vor, wenn das theozentrische Bekenntnis, daß Gott allein Geber der Tora und Richter des menschlichen Tuns nach der Tora ist, gesehen wird. Dieses Handeln Gottes schließt jedes innerkirchliche Richten (vgl. 4,llb.c mit 2,6) aus. Das Gesetz Gottes steht für Christen nicht zur Disposition, Subjekt der Stiftung der Gesetze ist immer Gott. Christen haben nichts anderes zu tun, als sich unbedingt toragemäß und das heißt für Jakobus solidarethisch zu verhalten (vielleicht taucht deswegen der Begriff »Gesetz« hier 4mal auf). Der Mitchrist soll gemäß Lev 19,16 (Jakobus hatte diese Stelle bereits in 2,8 wörtlich zitiert) »Nächster« sein, wie Jakobus in 4,12c durch die Stellung des Wortes am Ende des Verses deutlich betont. Dies macht nach ihm Bruderschaft (vgl. die Anrede »Brüder« in 4,11a), dies macht reziproke Geschwisterlichkeit aus (vgl. »einander« in 4,11a). Damit sind wichtige Elemente für das Menschen- und Gottesbild des Jakobus benannt (s. o. den Exkurs nach 1,18). Für den Begriff »Gesetz« machen diese Hinweise deutlich, daß das Liebesgebot kritische Norm ist. Das Richten des Näch sten widerspricht dem diametral. Der Kontext macht deutlich: Unsolida risches Verhalten in der Gemeinde ist nach Jakobus nicht nur unsozial, nur ein zwischenmenschliches Fehlverhalten (und steht damit im Widerspruch
zur Tora Gottes), vielmehr stellt es auch Gottes Gottsein selbst in Frage! Eine fundamentalere theo-logische Begründung ist nicht denkbar. Auch die Einheit von Bekenntnis und Ethik kann nicht stärker betont werden. Kann Jakobus bei den Lesern seines Briefes in Kap. 4 voraussetzen, was er unter »Gesetz« versteht, so muß er am Beginn seines Briefes dies verdeutli chen. Auch in 1,25 (»wenn er hineingeschaut hat in das vollkommene Gesetz der Freiheit«) geschieht dies nicht nur durch das Adjektiv und das Genetivattribut, sondern auch kontextuell — und dieser Kontext ist wie derum theozentrisch geprägt. Auch wenn die Leserstrategie des Jakobus adressatenorientiert ist, sind alle Aussagen begründet im vorauslaufenden Handeln Gottes: Gott »wollte« die Christen und hat sie »geboren durch das Wort der Wahrheit« (1,18), Christen haben »das eingepflanzte Wort« anzunehmen (1,21b), nur diese Reaktion »erwirkt die Gerechtigkeit Got tes« (1,20b), nur das Wort »vermag die Seelen zu retten« (1,21c). Wie die Christen nach 4,11 »Täter des Gesetzes« sein sollen, so sollen sie nach 1,22 »Täter des Wortes« sein, das demnach Gottes Wort ist. Ähnlich impliziert der Hinweis auf das Gesetz, die Tora in 1,25, daß selbstverständlich einzig und allein Gott der Geber ist (vgl. 4,12a). Er ist zugleich »Gott und Vater« (1,27a). Mit diesem ausdrücklichen Hinweis ist die theozentrische Basis der kleinen Einheit in 1,19-27 deutlich garantiert, auch wenn Jakobus energisch ein entsprechendes Verhalten der Menschen einklagt, näherhin zwischen menschliche Solidarität (l,19c.26b.27b). Wie die Formkritik dieses Abschnittes (s. o.) zeigte, sind die Verse nicht nur geprägt vom Gegensatz von Hören und Tun, von Rede und Tat, sondern auch von der Analogie Gott — Mensch, und: »Das vollkommene Gesetz der Freiheit« (1,25) steht parallel zum »Wort der Wahrheit«, durch das Menschen Leben gewährt wird (1,18a), sowie zum »eingepflanzten Wort«, das »zu retten vermag« (l,21b.c). Dieses Wort ist mit dem »vollkommenen Gesetz der Freiheit« identisch, wie die Verben belegen. Ein »Täter des Werkes« »vertieft sich/ schaut hinein in das vollkommene Gesetz der Freiheit«, während der NurHörer des Wortes einem Mann gleicht, der sich im Spiegel betrachtet (23c.24a) und sofort vergißt, wie er beschaffen ist. Die Wendungen »Wort der Wahrheit« (1,18) und »das eingepflanzte Wort« (1,21) meinen »in diesem Zusammenhang nichts anderes als das Gesetz, wie der Schluß des Absatzes V 25 zeigt, aber eben das vollkommene Gesetz, das Gesetz der Freiheit« (Eckart 524). Beide Begriffe sind umfassend gemeint und bestäti gen in ihrer Bedeutung einander. Dies legt auch die Grammatik nahe. Wie in 1,18 »Wort der Wahrheit« im Sinne von »wahres Wort« als Genetivus qualitatis zu verstehen ist, so auch »Gesetz der Freiheit« in 1,25 im Sinne von »freies Gesetz« (vgl. auch das »Gebet des Glaubens« in 5,15). Sieht man die Qualifizierung des Gesetzes bereits im Adjektiv »vollkommen« gewährleistet, womit Jakobus den Gedanken aus 1,17 (»Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk ist von oben, kommt herab vom Vater der Lichter«) toratheologisch konkretisiert, dann legt es sich im theozentri schen Kontext von Gott als Handelndem nahe, das Genetivattribut »der Freiheit« auch auf den Geber zu deuten. Jakobus hätte dann die Aussage
von 1,18a, wonach Gott in freier schöpferischer Selbstbestimmung die Existenz der Adressaten »wollte« und sie »durch das Wort der Wahrheit geboren hat«, ebenfalls toratheologisch konkretisiert. Mehr als eine Vermutung kann dies nicht sein, allerdings dürfte sie die Richtung andeuten, in der Jakobus die bislang nicht belegte Wendung »Gesetz der Freiheit« verstanden haben könnte. Festzuhalten ist allerdings, daß jeder Gedanke einer Freiheit »von«, vor allem in paulinischem Sinn (so
etwa Dibelius 152; Hoppe, Hintergrund 96; Vollenweider 186) fernliegt, ebenso wird der Gedanke einer Befreiung »zur« Freiheit (Mußner 241 f.; Fabris 74-81.241 f.; Schnackenburg II 208) von Jakobus nicht angespro chen. Er geht hinter diese anthropologischen Aspekte gleichsam in die Tora selbst zurück, indem er den Gedanken der Freiheit des Gesetzes selbst formuliert. Nicht nur die Formulierung ist singulär, auch der Gedanke. Er läßt sich weder aus der jüdischen Tradition ableiten (so einseitig Fabris 5381.235-238; zur Kritik vgl. Jones 220f. Anm. 67) noch aus hellenistisch stoischen Texten (vgl. etwa Dibelius 148-152; Mußner 108f. u. a.). Ver steht man die Wendung »Gesetz der Freiheit« anthropologisch (was für Jakobus nicht zutrifft), gibt es natürlich eine Reihe Sachparallelen für den Gedanken, daß ein Mensch, der ganz auf Gott ausgerichtet ist, glaubend seine Existenz in ihm gründet, wahrhaft frei ist. Dies ist gut jüdisch, wie die Interpretation von Ex 32,16 durch R. Jehoschua b. Levi zeigt: »Ferner heißt es (Ex 32,16): >Die Tafeln sind ein Werk Gottes, und die Schrift ist Gottes Schrift, auf die Tafeln eingegrabene Lies aber nicht Charut (eingegraben), sondern Cherut (Freiheit)! Denn frei ist allein der, der sich mit dem Gesetzesstudium befaßt« (Pirke Abot 6,2; vgl. ebd. 3,7: »Jedem, der das Joch des Gesetzes trägt, nehmen sie das Joch des Königtums und das Joch der weltlichen Sorgen«). Philo bestätigt in seiner Schrift »Jeder rechtschaf fene Mensch ist frei« diese Überzeugung (45: »Die mit dem Gesetz leben, sind frei«), womit er stoische Gedanken variieren dürfte (vgl. Seneca, De vita beata 15,7: deo parere libertas est; zu diesen und anderen Stellen vgl. Sigal, Halakhah 344-346 und Dibelius 148-152). Diesen Gedanken, daß die jüdischen und griechischen stoischen Weisen, die sich der göttlichen Welt ordnung unterordnen, wahrhaft frei werden, ist nicht die Aussage des Jakobus. Ihm geht es bei der Wendung »Gesetz der Freiheit« in 1,25 und 2,12 nicht um einen finalen Aspekt, sondern um die Qualität der Freiheit der Tora selbst; dieser Gedanke wurde wohl ausgelöst durch die schöp fungstheologische Aussage in 1,17f.. Da traditionelle Belege bisher fehlen, ist die Wendung »Gesetz der Freiheit« als redaktionell anzusehen, wofür auch die Gestaltung des Kontextes spricht. Bestätigt wird dies durch die ungewöhnliche und ebenfalls bislang nicht belegte Wendung »Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt« in 2,8. Trotz intensiver traditionsgeschichtlicher Suche (vgl. etwa Fabris 165-176.211232) fehlen auch für diese Wendung jüdische und griechische Belege. Auch hier führt der Blick auf den Kontext weiter. Das Adjektiv königlich: basilikon nimmt deutlich das Substantiv Königtum/Königsherrschaft: basileia aus 5c auf (»Hat Gott nicht die vor der Welt Armen als Reiche im
Glauben und als Erben des Königtums erwählt?«). Damit erhält kontextuell auch die Wendung in 8a wiederum deutlich einen theozentrischen Aspekt, der das Handeln Gottes betont, was durch das Schriftwort und wortwörtli che Zitat aus Lev 19,18 verstärkt wird (»Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«). Solidarisches Verhalten zum Nächsten generell wird mit dem Schriftwort aus Lev 19,18 theozentrisch begründet. Es bezieht sich nicht nur auf den Armen (so nimmt man in der Regel an), wie die Wiederaufnahme des Themas von 2,1 in 2,9 bestätigt. Hier wird in verbaler Form (»wenn ihr aber parteilich bevorzugt«) wiederholt, was in Vers 1 substantivisch formuliert war (»nicht mit Bevorzugung/Ansehen von Personen habt den Glauben«). Nicht individuelle Ethik steht an, sondern Sozialethik in ekklesialer Perspektive. Nicht um einen innerlichen Glauben geht es Jakobus, vielmehr schon hier (vgl. ausführlich in 2,14-26) um einen im Tun verwirklichten Glauben, wie er von der Tora gefordert wird (vgl. etwa Lev 18,1-5; Dtn 4,5-8; 6,1-25). Durch diese Wiederaufnahme wird im Hinblick auf das Verständnis des Begriffes »Gesetz« deutlich, daß der »Glaube an unseren Herrn Jesus Christus« (2,1) und das Gesetz (2,9) Identisches fordern. Wie die Offenbarung Gottes in der Tora von dem damit gebotenen menschlichen Gehorsam im Tun des Willens Gottes untrennbar ist, so auch der Glaube an Jesus Christus, den Herrn der Herrlichkeit, und die geforderte Praxis (anders Burcbard, Zu Jakobus 29). Daraus folgt, daß Glaube und Gesetz im Jakobusbrief »zumindest funktio nal identisch« sind (Heiligentbai 31), wenn sie nicht sogar ihrem Inhalt nach identisch sind — parallel zur Gleichstellung von »Wort« und »Gesetz« in 1,21-25, wobei allerdings »Glaube« den anthropologischen Aspekt, »Gesetz« den theozentrischen Aspekt betont. Letzteres wird auch dadurch deutlich, daß in 2,12 (»da ihr im Begriff seid, durch das Gesetz der Freiheit gerichtet zu werden«) die Tora als handelndes Subjekt, gleichsam in Stell vertretung Gottes als hypostasierte Größe aktiv wird. Dies legt sich auch deswegen nahe, weil Jakobus in der kleinen Einheit gegen die Praxis von Bevorzugungen in der Gemeinde Sir 35,12-24 rezipierte, einen Text, in dem durchgehend Gott als handelndes Subjekt auftritt:
12 Denn der Herr ist Richter, und bei ihm gilt kein Ansehen der Person. 18 Und er (der Elende) läßt nicht davon ab, bis der Höchste dreinsieht und den Gerechten Recht schafft und Gericht hält 22 bis er dem Menschen nach seinem Tun vergilt und die Werke der Menschen nach ihren Anschlägen heimzahlt; 23 bis er richtet und Recht schafft seinem Volk und sie erfreut durch sein Erbarmen.
Dieser theozentrische Aspekt war wohl Auslöser dafür, daß Jakobus die ungewöhnliche Bezeichnung vom »königlichen Gesetz gemäß der Schrift« in 2,8 formuliert, womit inhaltlich das Liebesgebot gemeint ist, das Vertre tern jeder sozialen Schicht falsches Verhalten gegenüber anderen nur auf grund ihres An- und Aussehens verbietet. Es betrifft das Reden (2,3.7), aber vornehmlich das Tun, wie der ganze Abschnitt zeigt. Die Folgerung am Ende in 2,12 (»so redet und so tut ...«) ist demnach konsequent. Der Glaube im Sinne des Jakobus zielt wie das Gesetz auf Reden und Tun. Dabei ist die von Gott gegebene Tora jene Größe, die man zitieren kann und die in ihrer verschriftlichten Form Maßstab und Norm auch des christlichen Glaubens ist, und zugleich auch Handelnde im Gericht. Indem Jakobus in 2,12 das Syntagma »Gesetz der Freiheit« von 1,25 aufnimmt, betont er nochmals, daß jeglicher Legalismus und Nomismus fernliegen. Die theozentrische Struktur der Tora mit ihrer freiheitlichen und königlichen/basileiagemäßen Qualität ist auch der Grund, warum Jakobus dazu auffordern kann, »das ganze Gesetz« zu halten (2,10), ohne daß er die Verkürzung der Tora um Kult- und Zeremonialgesetze und ihre Konzen tration auf die zweite Tafel des Dekaloges begründet. Letztlich liegt hier auch wohl der Grund, daß Jakobus nirgendwo von den »Werken des Gesetzes« (wie Paulus) spricht, da »Werke« als Zeichen des Glaubens zur anthropologischen Problematik gehören, während »Gesetz« bei Jakobus theozentrisch strukturiert ist. Daher ist es nur konsequent, wenn vom »Gesetz« im vielverhandelten Text 2,14-26 zum Thema »Vom Glauben ohne Werke und vom Glauben mit Werken« nicht die Rede ist. Dennoch wird dort wie in 2,1-13 dasselbe Thema unter verschiedenen Aspekten behandelt. Das »Gesetz« als die von Gott in der Offenbarung am Sinai ge setzte Lebensordnung zielt in seiner theozentrischen Struktur ebenso auf Ganzheit und Einheit wie der Begriff »Glaube« in seiner anthropologischen Struktur. Die Begriffe »Glaube« und »Gesetz« sind bei Jakobus (im NT stimmt er in auffälliger Weise mit Matthäus überein; vgl. dazu Frankemölle, Jahwe-Bund 21-27.95- 98.111-115.294-307) zwei Begriffe, die gleichsam als zwei Seiten einer Medaille dieselbe Sache betreffen. Prüfstein des Glaubens an Gott ist die von der Schrift geforderte Liebe zur notleidenden Schwester und zum notleidenden Bruder (2,13-16), wodurch parteiliche Bevorzugun gen aufgrund sozialer Höherstellung ausgeschlossen sind (2,2-4) und die Erfüllung aller solidarethischen Gebote vorausgesetzt wird (2,8-11). Wer sich anders verhält, gegen den wird das Gesetz handelnd aktiv (9c: »Ihr werdet vom Gesetz als Übertreter überführt«), auch im Gericht (12b). Halten der Gebote und Liebe zu Gott werden von Jakobus aufgrund der traditionellen Motiwerbindung (vgl. Ex 20,5f.; Dtn 5,9f., 7,9; ausführli cher Frankemölle, Gesetz 208.212) auch in Kapitel 2 vereint: Dem »die ihn (Gott) lieben« (2,5 in wörtlicher Rezeption von 1,12) entspricht das Schrift zitat »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (2,8). Diese Einheit von Gottes- und Nächstenliebe ist Inhalt der Tora, sie ist aber auch Inhalt des christlichen Glaubens. Beide Aspekte stehen in 2,1-13 und 2,14-26 an. Dies macht aber deutlich, daß es Jakobus nicht um eine Gesetzesparänese
im engeren Sinn geht, sondern um die Entfaltung des Hauptgebotes des jüdischen und zugleich christlichen Glaubens, wie er in Dtn 6,4-25 (zur christlichen Bestätigung vgl. auch Mk 12,30 par Mt 22,37; Lk 10,27 und Mt 4,10 par Lk 4,8) programmatisch formuliert ist. Auch dürfte das »Höre Israel« (Dtn 6,4 ff.) — nicht nur aufgrund der wörtlichen Rezitation in Jak 2,19 — als tägliches Morgen- und Abendgebet der Juden für das theologi sche Selbstverständnis des Jakobus vom christlichen Glauben und von der christlichen Gemeinde normativ gewesen sein. Sein Gesetzesverständnis entspricht ganz den von E x 32,16 und Abot 6,2 (»Die Tafeln sind ein Werk Gottes, und die Schrift ist Gottesschrift, auf die Tafeln eingegraben. Lies aber nicht Charut: eingegraben, sondern Cherut: Freiheit«). Wie jene Verfasser betont auch Jakobus die Freiheit als Konsequenz der Beschäfti gung mit dem Gesetz, was auch von jüdischer Seite deutlich gesehen wird
(vgl. Sigal 344 f.). Es bleibt festzuhalten, daß »Gesetz« syntaktisch und semantisch nie eigent liches Thema des Jakobus ist, sondern in Funktion zu anderen Theologumena steht, nämlich zu den Begriffen »Glaube«, »Verwirklichung des Glaubens im Tun«, »Freiheit«, »vollkommen«, »königlich« - »Königs herrschaft«. Wenn die spezifischen Kennzeichen bestimmter Richtungen im Judentum wie Sabbat, Beschneidung, levitische Reinheitsvorschriften und Ritualgesetze überhaupt nicht mehr angesprochen werden und zudem Jakobus die für den Glauben notwendigen Werke nie als »Werke des Gesetzes« bezeichnet, zeigt dies nicht nur sein theologisches Programm, sondern gibt auch Hinweise auf die Situation seiner Adressaten. Wenn der Begriff »Gesetz« weder kultisch einzuengen noch ritualistisch und formali stisch zu verstehen ist, sondern theozentrisch weit und offen, da »Gesetz« Sinn, Freiheit und Leben stiftend ist, dann dürfte dies der Punkt sein, den Jakobus seinen Adressaten klarmachen wollte. Und ein zweites: Gegen die damals im Kern individualistisch angelegte hellenistische Ethik plädiert Jakobus von der Schöpfungs- und Erwählungstheologie her nicht nur für eine sozialethische Dimension des Glaubens, sondern auch für eine solida rische, gruppenstiftende Dimension des Glaubens. Ein solches Programm kann nicht »gesetzlich« geregelt werden, sondern nur durch das »vollkom mene Gesetz der Freiheit«. Wenn Jakobus dabei — wie oft festgestellt wurde (s. o.) — mit dem Programm Jesu in der Bergpredigt des Matthäus übereinstimmt, bestätigt dies zwar nicht, daß er der historische Herrenbru der Jesu ist (s. o. Einleitung 2.1 und Seitz), wohl jedoch, daß er ganz in seiner Nachfolge denkt und schreibt. In den singulären Begriffen »Gesetz der Freiheit« (1,25; 2,12) und »königliches/basileiamäßiges Gesetz« zeigt sich diese theozentrisch orientierte Weggemeinschaft.
4. Von Frömmigkeit und richtigem Tun (1,26-27) Literatur: Vgl. zu 2,13. — Außerdem: Ferguson, £ . , Spiritual Sacrifice in Early Christianity and its Environment, in: A N R W II 23.2 (1980) 11521189, bes.l 156-1165. — Johanson, B. C , The Definition of »Pure Religion« in James 1,27 reconsidered, in: E T 84(1972/73) 118-119. - Radi, W., threskeia Religion, Kult, Frömmigkeit, in: E W N T 2(1981) 382-384. — Roberts, D.J., The Definition of »Pure Religion« in James 1,27, in: ET 83(1971/72) 215-216. - Schmidt, K. Z,., threskeia u.a., in: ThWNT 3(1938) 155-159. - Thyen, H., katharos rein, sauber; unschuldig; lauter, in: E W N T 2(1981) 535-542. - Spicq I 379-383.
Mit 1,26 f. wird der letzte Aspekt des in 1,19 angegebenen Themas aufgenommen und variiert (vgl. Reden in 19c und seine Zunge im Zaum halten in 26b; zur Begründung s. o. zu 19). Eine weitere Stichwortverbindung unter semantischem Aspekt bei Variation der Verben bindet Vers 26c (sein Herz betrügt/täuscht) zurück an 22c (die sich selbst betrügen/täuschen; die Verben haben unterschiedliche Nuancen: s. u.). In beiden Versen jedoch geht es um Selbstbetrug; kritisiert Jakobus in 22 das »Nur-Hören« als Selbstbetrug mit dem Verweis auf die Notwendigkeit des Tuns, so differenziert er diese These nach 26 f. noch einmal dahingehend, daß es auch einen Selbstbetrug in falsch verstandenem Tun gibt. Schizophren kann der Mensch in allen Dimensionen seines Seins und seiner Existenz sein. Vers 27a (reine und unbefleckte Frömmigkeit) scheint in Opposition zu 21a (Schmutz) zu stehen, das Stichwort »Welt« in Vers 27c erscheint als »abschließende Zusammenfassung der beherrschenden Antithese zwischen Gott/Vater/>oben< und Welt/ >unten«< (Wuellner 48), wobei also Vers 27a (im Rückgriff auf die theozentrische Grundstruktur des Prologes in 1,2-18) und Vers 27c in Opposition zueinander stehen. Auch in 20b und 21c wie auch indirekt in 25a im Begriff »Gesetz« wird die Wirklichkeit Gottes vorausgesetzt. In sich werden die Verse 26-27 formal und thematisch zusammengehalten durch das Wortfeld »fromm« (26a) und »Frömmigkeit« (26d.27a), wobei diese Verse nicht nur inhaltlich (Gott dienen), sondern auch formal (Gottesdienst) asyndetisch einander entgegenstehen; auch die Abfolge in 27b.c ist asyndetisch. Nur im griechischen Text zeigt sich in 26b.c eine genau aufgebaute parallele Antithese, wodurch die Stellung und Bildung der Worte gewählt wirkt. Wie immer bei Jakobus (vgl. etwa 1,20; 2,1) wird das kritikbedürftige negative Verhalten an den Anfang gestellt (Jakobus
holt seine Leser gleichsam bei ihren eigenen Erfahrungen ab), so daß das richtige Verhalten auch formal jene Aussage ist, wohin Jakobus die Leser führen möchte. Fragt man, welche sozialen Verhaltensweisen in 26 f. in Opposition zueinander stehen, entdeckt man eine leichte Inkonsequenz (vgl. Mußner 113): Dem konkreten sozialen Engagement in 27b steht nicht das in der Bibel oft kritisierte fromme Lippenbekenntnis (vgl. 2,19 mit Kontext), ein kultisches, oberflächliches Plappern und Vielreden in der Öffentlichkeit (zu dieser Opposition vgl. Mt 6,58), sondern die Unbeherrschtheit der Zunge entgegen. Daß Jako bus diese Wendung auch auf das Beten bezieht, wird nicht gesagt; daß er diese Opposition dennoch wählt, ist kontextuell (vgl. 1,19c) bedingt und dürfte mit der Situation seiner Gemeinde zusammen hängen, da er es für notwendig erachtet, in 3,1-12 in einer großen Amplifikation dieses zwischenmenschliche Problem zu thematisie ren. Da der Kult, kultische Reinheits- oder Speisevorschriften, der Sabbat und die Beschneidung für ihn kein Thema mehr sind (s. o. den Exkurs nach 1,25), fehlt die Opposition Beten/Kult — soziales Engagement; die Opposition wird im Kontext des Nur-Hörers des Wortes und Täter des Wortes hingegen verlagert auf soziale Irritat ionen durch falsches Reden und falsches Tun. Dabei bleibt auffäl lig, daß Jakobus jedoch kultische Begriffe (s. u.) aufnimmt und transformiert. 26a-d: Hörerorientiert beginnt Vers 26a wie 1,5.23 mit der Wen dung »Wenn einer ...«. Das Themawort dieser Verse threskos: fromm/gottesfürchtig in 26a und threskeia: Frömmigkeit/Got tesdienst in 26d.27a ist im Griechischen ähnlich wie im Deutschen inhaltlich schwierig zu bestimmen. »Was beim Gebrauch gerade dieser Vokabel an sich mitschwingt, ist letztlich eine — Geschmacksfrage« ( T h W N T 3, 158). Dies dürfte übertrieben sein, dennoch ist die Bedeutung dieser Begriffe schwer zu erklären, da das Substantiv in der Septuaginta nur 5mal belegt ist, im N T lediglich 4mal, während das Adjektiv nur in Jak 1,26 vorkommt, also wohl als redaktionell gebildet anzusehen ist. Auch hat der Begriff in jeder neutestamentlichen Schrift eine andere Bedeutung ( E W N T 2, 383); in Apg 26,5 legt sich die Bedeutung »Religion« nahe, in Kol 2,18 die Bedeutung »kultische Verehrung der Engel/ Engeldienst«. Der jeweilige Kontext entscheidet über die semanti sche Struktur der Begriffe. Da sich eine Bedeutung im Sinne von Apg 26,5 (»ich habe nach der strengsten Richtung unserer Religion gelebt«, so Paulus vor Agrippa, dem »Kenner aller jüdischen Bräuche und Streitfragen«) im Sinne einer Kritik an der jüdischen
»Religion« (vielleicht sogar aus christlicher Perspektive) nicht nahelegt, empfiehlt es sich, den Begriff in Jak 1,26 f. allgemein mit »Frömmigkeit/Gottesdienst« zu umschreiben, zumal es antithe tisch um Beispiele falscher und sozialethisch verwirklichter »Fröm migkeit« geht. Wie beim Hören, Reden und Zorn wird die kriti sierte Haltung nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern nur ein Gottesdienst und eine Frömmigkeit, die nicht zum sozialen Enga gement führt. Was Jakobus unter Frömmigkeit/Gottesdienst ver steht, wird unmißverständlich in 27b und c ausgesprochen sowie in 2,1-13 und 2,14-26 entfaltet. In ähnlicher Weise ist die Wendung in 26b seine Zunge nicht im Zaume halten noch eine Leerstelle; die hier vorliegende Unbe stimmtheit wird ebenfalls in 3,1-12 unmißverständlich konkretisiert. Dort werden auch die Metaphern »Zügel/Zaum« (3,3) und »am Zügel führen/im Zaum halten« (3,2) gefüllt (zur Motivgeschichte dieser Wendung siehe dort). »Die Zunge zügeln« ist in 1,26 — so wird thetisch behauptet — Kriterium für die gesamte Frömmigkeit; dies deswegen, weil der Christ nach 3,2 dadurch »den ganzen Leib im Zaum halten kann«. Wer es nicht kann, betreibt wie in 1,22c Selbstbetrug. Im Unterschied jedoch zu den paralogizomenoi, die dem »Wort« in 22 »wider-sprechen«, schwingt im Verbum apatao eine sittliche Nuance mit; durch unbeherrschtes und liebloses Reden »betrügt/täuscht/leitet irre« der Christ wohl deswegen »sein Herz« (26c), weil »Eifersucht und Streitsucht« (3,14a) und Zwiespalt (4,8d) sowie Schwelgerei (5,5) die ungefestigten Herzen (5,8b) beherrschen. Ein solcher Mensch kann nicht, auch wenn er es meint (26a), »fromm« sein; schon in bezug auf sich selbst (zum sozialen Bezug vgl. 27) ist seine »Frömmigkeit« vergeblich/nichtig/eitel. Fromme Selbsttäuschung bleibt fromme Selbsttäuschung; einer menschlich projektierten Scheinwirklichkeit steht die alleingültige von Gott ge setzte (im »Gesetz«/in der Tora) Ordnung und Wirklichkeit gegen über, wovon antithetisch Vers 27 und 2,1 ff. reden. Mit skeptischer Resignation, wie sie von Kohelet formuliert wird, hat diese kritische These des Jakobus nichts zu tun, vielmehr nur mit eigenmächtigem Selbstbetrug, der sich von Gottes Weisungen frei fühlt. Eine besondere Spitze hat das Adjektiv »nichtig« noch, weil es in der Septuaginta die Nicht-Existenz anderer Götter im Gegensatz zum einen und einzigen lebendigen Gott Israels bezeichnet ( T h W N T 4, 1942, 527), so daß ein damit bezeichnetes christliches Verhalten mit heidnischem Götzendienst identisch wäre. Auch ohne diesen theozentrischen Aspekt bleibt die These des Jakobus radikal kritisch, auch kultkritisch, wie die verwendeten Begriffe in 27 zeigen.
27a-c: Versteht man den Vers 27 kontextuell, läßt er sich wie ein Kompendium des gesamten Jakobusbriefes verstehen. Entspre chend thetisch sind auch die angesprochenen Gedanken, die im Verlauf des Briefes erst entfaltet werden. Die Adjektive katharos: rein/sauber/lauter und amiantos: unbe fleckt/rein sind unzweifelhaft von Hause aus kultische Begriffe. Dies berechtigt jedoch nicht dazu, in diesem Vers eine Kritik gegen Kultfrömmigkeit etwa der Judenchristen anzunehmen, da Jakobus bereits in einer langen Tradition der Transformierung kultischer Begriffe in ethische Bedeutungen durch nichtkultische Theologen steht. Da er ein Vertreter des Lehrerstandes (vgl. 3,1), nicht jedoch der Kulttheologen ist, für die zur Stabilisierung ihrer hierokratischen Herrschaftsausübung die Abgrenzung von »rein — unrein« Mittel ihrer Legitimation war und ist (vgl. Thyen 536-538), sind prophetische und weisheitliche Traditionen sowie die allegorische Transformation der Reinheitsregel durch Philo sehr viel näherlie gend als eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kult, die auch im Gesetzes-Begriff im Jak (s. o. den Exkurs nach 1,25) nicht belegt werden kann. Sittlich-religiös verstehen auch andere neutestamentliche Theologen sowohl die Wendung »unbefleckt« (vgl. Hebr 7,26; 13,4; 1 Petr 1,4) wie »rein« (so durchgehend im paränetischen Kontext der Briefliteratur); der letztere Begriff war jedoch in der Auseinandersetzung des Paulus mit den Pharisäern als seinen ehemaligen Glaubensgenossen im grundsätzlich religiö sen Sinn äußerst umstritten (Gal 2,15; Rom 1,24; 3,21; 6,19; 14,20). Von diesem Streit ist Jakobus weit entfernt, wenn er nicht nur die beiden Adjektive in 27a, sondern auch in 27c das Adjektiv aspilos: fleckenlos/makellos übertragen im ethischen Sinn versteht (vgl. auch 1 Tim 6,14; 2 Petr 3,14), obwohl auch dieses Wort in der kultischen Welt der Priester anders verstanden wird. Dagegen ist die ethische Transformation kultischer Begriffe und Vorstellungen seit der Kultkritik der frühen Propheten im 8. Jh. durchgehend belegt (vgl. Hos 6,6; Am 5,21-25; Jes 10,1-17 u. a.). Auch Jesus von Nazareth ist in dieser kultkritischen Tradition zu verstehen (vgl. Mk 7,1-23). Daß solche Kritik nicht auf neutestamentliche Autoren beschränkt ist, zeigt die Schrift »Vom Aberglauben«. In ihr verspottet Plutarch einen kultischen Reinheitsbegriff. Er verlegt die Frage nach rein und unrein in das Innere des Menschen und bindet sie an sein Reden, mit dem er sich in seinem ethischen Handeln beflecken könne: »Wir aber verlangen, daß man zu den Göttern mit rechtem und gerechtem Munde bete und nicht sowohl darauf sehe, ob mit
dem Opfertiere die Zunge rein und von gehöriger Beschaffenheit ist, während man die eigene entstellt und befleckt durch unpas sende Worte und barbarische Ausdrücke ... und sich so versün digt« (Mor 166 A.B). Die Reserviertheit vor rituellen Geboten der Religionen beschäftigt notwendigerweise alle, die über Vollzüge des Lebens reflektieren. Bestätigt wird eine solche Auseinanderset zung auch in 4 Makk (Mitte des 1.Jh. n.Chr.). Während der Verfasser, ein bedingungslos gesetzestreuer Jude, Reinheit im Ver zicht des Genusses von Schweine- und Götzenopferfleisch versteht (5,2; vgl. auch 5,3.19.25), in der Furcht lebt, durch Zungensünden sein gesetzestreues Leben zu beflecken (5,36), ist dies alles für die paganen Hellenisten einfach »Unsinn« (5,8.9). Rationelles, Ver nunft- und naturgemäßes Denken vermag der Verabsolutierung ritueller Reinheits-Gebote wenig oder nichts mehr abzugewinnen. In dieser Auseinandersetzung, von der bei Jakobus nichts mehr zu spüren ist (das Aposteldekret in Apg 15,20-21 klingt nicht an), hätte Jakobus der Herrenbruder aufgrund seiner Thesen jedoch eindeutig Position bezogen (s. o. Einleitung 2.1). Fragt man, welche Traditionen Jakobus rezipiert hat, ist neben dem angedeuteten sozialethischen Lebenshorizont von jüdischen Gläubigen, in dem kultische Begriffe durchaus außerhalb des Kul tes, z. T. auch kultkritisch verwendet werden konnten, auf die lebenspraktische Weisheit von Jesus Sirach zu verweisen, auch wenn dies andere Einflüsse nicht ausschließt. Einen ersten Hinweis der Rezeption liefert die Verbindung von »Waisen und Witwen«, da das Wort »Waise« außer in der übertragenen Verwendung in den Abschiedsworten Jesu in Joh 14,18 im N T nur in Jak 1,27 belegt ist. Zwar kommt die Wendung »Witwen und Waisen« auch an anderen atl Stellen außer Sirach vor (vgl. Ex 22,21; Ez 22,7; 2 Makk 3,10), jedoch nicht im positiven Appell, sich verantwort lich für sie einzusetzen; im urchristlichen Schrifttum wird dies erst seit Jakobus üblich (vgl. Ign Sm 6,2; Herrn Vis II 4,3; Mand 8,10; Sim 9,26,2; Barn 20,2). In Sir 4,1-10 steht innerhalb der Weisungen für ein gerechtes Verhalten gegen die Armen der Appell zum sozial engagierten Verhalten gegenüber Witwen und Waisen betont am Ende — verbunden mit dem Gedanken, daß, wer sich so verhält, Gott zum Vater haben wird (vgl. die vielleicht dadurch motivierte, tiefsinnige, erweiterte Umschreibung Gottes als Vater in Jak 1,27a »vor Gott und dem Vater« sowie die Wiederaufnahme in 3,9; zum Syntagma »Gott/Herr und Vater« vgl. Sir 23,1.4; Weish 2,16; 1 Chr 29,10; Philo All II, 67). Bei der Frage nach einer möglichen Rezeption von Stellen aus Sirach ist — auch im Kontext der
Auslegung von Jak 4,2 und 5,4-6 (s. u.) — vor allem hinzuweisen auf Sir 35,15-17 in Verbindung mit den kultkritischen Versen in 31,21 ff. und 35,1 ff.:
Sir 4,10
Werde den Waisen wie ein Vater, und vertritt die Stelle des Mannes an ihrer Mut ter, und du wirst sein wie ein Sohn dem Allerhöch sten, und er wird dich mehr lieben als deine Mutter. 31,21-27 Ein Brandopfer von Unrecht ist eine Gabe zum Hohn, und wohlgefällig sind die Gaben der Frevler nicht. Kein Wohlgefallen hat der Höchste an den Ga ben der Gottlosen, und wegen der Menge der Brandopfer erläßt er die Sünden nicht. Den Sohn schlachtet vor den Augen des Vaters, wer ein Opfer bringt vom Vermögen des Armen. Ein Brot der Dürftigen ist der Lebensunterhalt der Armen, wer es entzieht, ist ein Blutmensch. Den Nächsten mordet, wer ihm den Unterhalt wegnimmt, und Blut vergießt, wer dem Taglöhner den Lohn vorenthält. 35,1-4 Wer das Gesetz beobachtet, bringt viele Opfer dar, ein Heilsopfer, wer auf die Gebote achtet. Wer Huld erweist, bringt ein Speiseopfer dar, und wer ein Almosen gibt, opfert ein Lobopfer. 35,15-17 Verlaß dich auf kein Opfer von Unrecht; denn der Herr ist Richter. Nicht gibt es bei ihm die Ehre des Gesichts, er nimmt nicht Partei gegen den Armen, und das Flehen des Bedrückten erhört er. Er achtet nicht gering das Flehen der Waise und die Witwe, wenn sie ihre Klage ausschüttet.
Wichtiger als die Rezeption von Sir 31,21-27 in Jak 5,4-6 und von Sir 35,15 (»Gott ist Richter«) in Jak 4,12 ist für den näheren Kontext die Aufnahme wichtiger Wendungen nicht nur in Jak 1,27, sondern auch in 2,1. Hier ist außer auf das Thema »Ansehen von Personen und Parteinahme für die Armen« aus Sir 35,15 f. auch auf den Begriff doxa: Ansehen/Ehre/Machtglanz/Herrlichkeit in Jak 2,1c im Rahmen der christologischen Aussage hinzuweisen. Das Verbum in 1,27b aufsuchen/besuchen als Umschreibung für die helfende Fürsorge entspricht Sir 32,17: Das Flehen des Armen dringt durch die Wolken, und bis es anlangt, findet er keine Ruhe, und er steht nicht ab, bis der Höchste ihn aufsucht. Auch der noch verbleibende Begriff in 27b thlipsis: Bedrängnis/ Drangsal ist in Sir im Unterschied zu den übrigen atl Weisheits schriften neben peirasmos: Erprobung/Prüfung ein bevorzugter Begriff, um die Situation des einzelnen Gerechten, zumal des Armen zu umschreiben (vgl. 2,11; 6,8.10; 22,23; 37,4; 40,24; 51,3.10). Auch im oben zitierten Kontext findet sich der Begriff: 35,24 Lieblich ist sein Erbarmen zur Zeit der Bedrängnis. Ist auch das Plädoyer des Jakobus für ein Christentum der Tat und für die Identität wahrer Frömmigkeit mit der Orthopraxis in 1,26 f. in sich unmißverständlich klar (bestätigt in den Amplifikationen in 2,1-13 und 2,14-26), so gewinnt seine Position durch die tradi tionsgeschichtlichen Nachweise jedoch nicht nur seinen theologie geschichtlichen Ort, sondern bestätigt auch die Konstanz seiner weisheitlich strukturierten Theologie. Innerhalb der Konzeption von den zwei Wegen (vgl. Sir 2,12) legt auch Jakobus seinen Lesern unter Voraussetzung der Willensfreiheit des Menschen (1,13 ff.) Tod oder Leben als Möglichkeiten vor, wie bereits der Prolog zeigte. Deshalb schließt er diesen Gedanken bewußt kontrastiv in l,27a.c ab, wenn er abschließend »Gott und Vater« antithetisch der Welt gegenüberstellt. So schillernd der Begriff »Welt« in der Bibel auch ist (zu Jakobus vgl. den Exkurs nach 4,4), im Kontext von 27b und dem Appell zum sozialen Engagement für Witwen und Waisen enthält der Begriff nicht die Aufforderung zum grundsätzlichen Rückzug, wohl zur Differenzierung, wenn Jakobus in 2,5 von den »Armen der Welt« spricht und in 4,4 »die Liebe zur Welt Feind schaft gegen Gott« impliziert. Entsprechend seiner Anthropologie
hat Jakobus auch ein differenziertes Verhältnis zum ambivalenten Welt-Begriff. Gnostisch infiziert ist dieses Verständnis nicht, wohl jedoch außerordentlich praktisch-weisheitlich orientiert. Die Ord nung und die »Gerechtigkeit Gottes« (20a) stehen einem nicht von der Weisheit geprägten »welthaften« Leben gegenüber; insofern entspricht 27c exakt 4,4 (s. u.). Gerade Christen »in der Zerstreu ung« (1,1), d. h. in der nichtchristlichen Umwelt leben hier nicht nur nach Jakobus in einem Dauerkonflikt (vgl. auch 1 Petr). Die Versuchung, sich auf eine christliche Existenz in kultischen Termi nologien zurückzuziehen, was auch eine entsprechende Lebens weise abgesondert von der Welt einschlösse, ist eine dauernde Versuchung (nicht nur im Christentum). Dagegen lautet die einfa che und in ihrer Knappheit nicht mehr zu überbietende pointierte These des Jakobus: Wahrhafte Frömmigkeit erweist sich im Tun des sittlich Guten gemäß der menschlichen Herkunft aus Gott (1,18) und entsprechend seinen Weisungen; nur dies »bewirkt ... die Gerechtigkeit Gottes« (1,20b mit der Amplifikation in 2,1-26). Mit diesen (inhaltlich noch nicht weiter differenzierten) Thesen aus Prolog (1,2-18) und erster kleiner Einheit (1,19-27) ist der Leser zum einen eingestimmt auf die grundlegenden Aussagen des gesamten Briefes, aber auch gespannt (nach antiker Rhetorik sollen diese einleitenden Briefteile den Leser auch attentum machen; vgl. Lausberg 269-271) auf die weiteren Ausführungen.