Wilhelm Egger
Methodenlehre zum \ Neuen Testament Einführung in linguistische und historisch-kritische Methoden
St. Benno-Verlag GmbH Leipzig
Herausgegeben von Oaus-Peter März
Inhalt
Vorwort des Herausgebers. . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ISBN 3-7462-0441-0 Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1987 Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Verlages Herder Freiburg im Breisgau @
Nur zum Vertrieb und Versand in der Deutschen Demokratischen Republik und in den sozialistischen Ländern bestimmt 1. Auflage 1989 Lizenznummer 480/18/89 LSV6024 Lektor: Michael Zorr Printed in the German Democratic Republic Druck und buchbinderische Weiterverarbeitung: Druckwerkstätten Stollberg Einbandgestaltung: Margret Bönisch, Dresden
01950
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11 12
§ 1 Einleitung: Methodenlehre als Anleitung zum Lesen.
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1. Lesen als Zugang zum Sinn des Textes . . . . . LI Erfahrungen mit dem Lesen und Verstehen . 1.2 Wissenschaftliches Lesen als Vergewisserung 1.3 Ein wissenschaftliches Lesemodell . . . . . . 2. Exegetische Methoden als Hilfen zum wissenschaftlichen Lesen und Verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Vielfalt der wissenschaftliChen Methoden und Integration der Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Verwendung von verschiedenen Methoden 3. Eigenart dieser Methodenlehre . 3.1 Inhaltliche Schwerpunkte . . . . . . . . 3.2 Leserkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Aufbau der vorliegenden Methodenlehre
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15 19 20 20 22
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1. Teil: Texttheorie . . . . . . . . . . . .
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§ 2 Text als strukturierte Größe . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Der Text als strukturierte, kohärente sprachliche Äußerung LI Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Faktoren der Kohärenz von Texten . . . . . . . . . . . . 2. Das Lesemodell der strukturalistischen Betrachtungsweise
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§ 3 Texte als Teil eines Kommunikationsgeschehens . .
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1. Kommunikation durch (schriftliche) Texte . . . . . . . 2. Kommunikation an hand von Texten der Vergangenheit . 2.1 Die Rolle des Verfassers . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Rezeption des Textes durch den Leser . . . . . . . . .
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5
3. Lesen als Weg zur Rekonstruktion des Kommunikationsgeschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 4 Texte als Ergebnis von Rezeption und Überarbeitung
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I. Die Entstehung der neutestamentlichen Schriften. 1.1 Die Etappen der Textentstehung . . . . . . . . . . . 1.2 Modell der Textverarbeitung . . . . . . . . . . . . . 2. Lesen als Suche nach den Spuren der Textentstehung
41 41 44 45
2. Teil: Vorbereitende Schritte der Analyse ..
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§ 5 Sicherung der Textgestalt (Textkritik) . . . . . . . . . . .
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I. Die der Textkritik zugrundeliegende Theorie über die Entstehung von Varianten und Texttypen . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Entstehung von Varianten . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Entstehung von Handschriftenfamilien und Texttypen 1.3 Heutige Handausgaben des Neuen Testaments 2. Die Methode der Textkritik 3. Beispiele . . . . . . . . . 3.1 Eph I, I : "ev 'E
47 47 48. 51 52 53 53 54
§ 6 Erste Orientierung über den Text .
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I. Abgrenzung und Gliederung des Textes (Segmentierung) 1.1 Festlegung von Anfang und Ende des zu untersuchenden Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Berücksichtigung des Kontextes . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Gliederung des Textes in kleinste Leseeinheiten . . . . . . . . 1.4 Feststellung von Einheitlichkeit/Uneinheitlichkeit des Textes 2. Objektivierung des ersten Textverständnisses . . . . . . 2.1 Rohübersetzung und Verwendung von Übersetzungen . . . . 2.2 Reflexion über das erste Textverständnis . . . . . . . . . . . .
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§ 7 Übersetzung des Textes und Verwendung von Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ',' . I. Übersetzungstheorien . . . . . . . . . . . . . 1.1 Übersetzung als Kommunikationsvorgang . 1.2 Übersetzungstypen . . . . . . . . . . . . . 1.3 Bewertung von Übersetzungen . . . . . . . 2. Überblick über offizielle deutschsprachige Übersetzungen des Neuen Testamentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
56 57 58 58 59 59 60
3. Die Erstellung der Übersetzung. 4. Verwendung von Übersetzungen
70 72
3. Teil: Lektüre unter synchronem Aspekt ..... ,
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§ 8 Sprachlich-syntaktische Analyu . . . . . . .
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I. Sprachlich-syntaktische Merkmale von Texten I.l Wortschatz (Lexikon) . . . . . . . . . . . 1.2 Wortarten und Wortformen (Grammatik) 1.3 Verknüpfung von Wörtern und Sätzen .. 1.4 Stilmerkmale . . . . . . . . . . . . ~ . . 1.5 Aufbau und Gliederung des Textes. . . . . . . . . . . 2. Die Durchführung der sprachlich-syntaktischen Analyse 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Mt 18,15-17". 3.2 Mt 28,18-20. 3.3 Mk I. 3.4 Phlm . . . .
78 78 78 79 81 83 84 87 87 88 89 90
§ 9 Semantische Analyse ..
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I. Abschnitt: Textsemantik .
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I. Das der textsemantischen Analyse zugrundeliegende Textund Lesemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Durchführung der textsemantischen Analyse. 2.1 Erstellung eines semantischen Inventars . . 2.2 Verkürzte Verfahren semantischer Analyse 2.3 Beschaffung von Zusatzinformationen . . . 3. Beispiele '. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Lk4,16-30:0rtundZeitdesHeiisangebots 3.2 Mk9,14-29: Die Macht des Glaubens . . . 3.3 Gal 1,1-5: Gottes Heilshandeln . . . . . . 3.4 Mk I : Die rasche Ausbreitung des Evangeliums 3.5 ,Phlm: Hauskirche als Ort der Integration . . .
94 95 ,96 100 101 103 103 104 105 107 108
61 63 63 64 68 68
2. Abschnitt: Semantik von Wort (Begriff), Motiv und Wortfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das der Analyse zugrundeliegende Modell der Bedeutungsstruktur von Lexemen . . . . . . . . . . . . . . . . . I.l Bedeutung - abhängig vom Umfeld . " . .. . . . 1.2 Bedeutung - Summe von semantischen Merkmalen
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2. Die Durchführung der wort- und motivsemantischen Analyse. 2.1 Erhebung des syntagmatischen und paradigmatischen Kontextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Komponentenanalyse . . . . . . . 2.3 Analyse von Motiven und Wortfeldern . 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . 3.1 .. Apostel" . . . . . . . . . . . 3.2 1tatOlOV im Neuen Testament.
113
4. Teil: Lektüre unter diachronem Aspekt.
159
113 114 115 116 116 116
§ 12 Literarkritik (Suche nach der schriftlichen Vorgeschichte der Texte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
3. Abschnitt: Narrative Analyse . . . . . .
119
I. Die der narrativen Analyse zugrundeliegenden Textmodelle . 1.1 Modelle für die Analyse von Handlungssequenzen 1.2 Modelle für die Analyse von Handlungsträgern . . . . . . . 2. Die Durchführung der narrativen Analyse . . . . . . . . . . . 2.1 Die Transformation des Textes in ein homogenes Untersuchungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die eigentliche Analyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiel: Mk 10,46-52: Wundererzählung als Glaubensgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121 123 124 126 126. 127
133
1. Das Textmodell der pragmatischen Analyse .. . 1.1 Funktionen (Verwendungszwecke) von Texten 1.2 Mittel der Leserlenkung . . . . . . . . . . . . 1.3 Bedingungen für das Gelingen sprachlichen HandeIns 2. Die Durchführung der pragmatischen Analyse . . . .. 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 I Kor 7: Ein differenziertes Gespräch mit der Gemeinde 3.2 Phlm: Anleitung zum Brudersein . . . . . . . ...
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§ 11 Analyse der Textsorten . . . . . . . .
146
8
§ 13 Traditionskritik (Suche nach der mündlichen Vorgeschichte der Texte) . . . . . . . . . . . .
163 163 164 165 I~
166' 167 169
170
1. Das der traditionskritischen Analyse zugrundeliegende Text-
130
§ 10 Pragmatische Analyse . . . . . . . . . . . . .
I. Das der Analyse von Textsorten zugrundeliegende Text- und Lesemodell . . '. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l.l Das Textmodell: Textsorten und Lebensvollzüge der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Lesen als Differenzierung von Textsorten . . 1.3 Benennung von Textsorten und Listen . . . . 2. Die Durchführung der Textsortenbestimmung 3. Beispiel: Die Sammelberichte des Wirkens Jesu im Mk-Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Die der literarkritischen Analyse zugrundeliegenden Text- und Lesemodelle . . . . l.l Textmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Das Lesemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Durchführung der literarkritischen Analyse 2.1 Beobachtungen bezüglich Unterbrechung des Zusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Doppelungen und Wiederholungen 2.3 Spannungen und Widersprüche .. 3. Beispiel: Joh 13,34f: Das neue Gebot
148 149 151 152 152 155
modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Durchführung der traditionskritischen Analyse 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . .. : .. 3.1 Mk 14,3-9: Bekenntnis zur Würde Jesu 3.2 Röm 1,3f: Glaubensbekenntnis
171
172 176 176 181
§ 14 Redaktionskritik . . . . . . . .
183
I. Das der redaktionskritischen Analyse zugrundeliegende Modell der Textentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Durchführung der redaktionskritischen Analyse . . 2.1 Rückschlüsse auf den Redaktor und seine Arbeitsweise 2.2 Rückschlüsse auf die Adressaten . . . . . . . 2.3 Rückschlüsse auf Ort und Zeit der Abfassung 3. Beispiel: Mk3,7-12: DieVerborgenheitJesu .
184 186 186 188 189
5. Teil: Lektüre unter historischem Aspekt .....
195
§ 15 Rückfrage nach der Historie . . . . . . . . . . . . . .
195
I. Das Textmodell in der Rückfrage nach den historischen Fakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Durchführung der Rückfrage . 3. Beispiel: Das Motiv der Nachfolge.
191
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197 201 9
6. Teil: Lektüre unter hermeneutischem Aspekt ..
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§ 16 Auslegung von Texten. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Ein kommunikationstheoretisches Modell von "Auslegung" 1.1 Auslegung und Blick auf die .. Sache" . . . . . . . . . . . . . 1.2 Auslegung als Objektivierung und Vermittlung von Textverständnis . . . . . . . . . . . 2. Durchführung der Auslegung .
205 206
§ 17 Aktualisierung von Texten
209
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I. Lese- und Verstehensmodelle für aktualisierendes Lesen der
Schrift . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1.1 Berücksichtigung einer lebendigen kirchlichen Überlieferung 1.2 Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte . . . . . . . . . .. 1.3 Berücksichtigung der Erfahrungen des Lesers . . . . . . . .. 2. Die Durchführung der Aktualisierung . . . . . . . . . . . . .. 2.1 Zusammenschau von biblischen Texten und heutigen Problemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Vergleich des Tex.tes mit seinen Wirkungen . . . . 2.3 Nach dem vierfachen Sinn suchen . . . . . . . . . 2.4 Aktualisierung anhand strukturalistischer Modelle 2.5 Psychologische Methoden der Aktualisierung 2.6 Regeln für die geistliche Schriftlesung . . . . 2.7 Die Heilige Schrift in der Liturgie -. . . . . .
217 218 218 219 220 222 222
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hilfsmittel zum Studium des Neuen Testamentes . . . . 2. Literaturverzeichnis zu Linguistik und Bibelwissenschaft
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Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Register der zitierten Autoren . . . . . . 2. Register der Fachbegriffe (Sachregister) 3. Register der Bibelstellen . . . . . . . . .
230 230 232 234
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Vorwort des Herausgebers
211 212 214 214 217
Für die Bibelwissenschaften hat das letzte Jahrzehnt eine Methodendisku~ sion gebracht, die bislang noch keineswegs abgeschlossen ist. Sie hat zur Öffnung der Exegese auf die Methoden der Literatur- und Sprachwissenschaft geführt, durch die neue Zugänge zum Verstehen des Bibeltextes eröffnet worden sind. Unter den Versuchen, in dieser offenen Situation die Methoden der Exegese zuammenfassend darzustellen, zeichnet sich die Methodenlehre von W. Egger durch ihren klaren didaktischen Aufbau und die Verbindung herkömmlicher und neuer methodischer Ansätze aus. Wir freuen uns, daß dieses Buch hier bei uns in der DDR verlegt werden kann, da W. Eggerbevor er Bischof von Bozen-Brixen wurde - diesen methodischen Ansatz in zwei Gastsemestern am Phil.-theol. Studium Erfurt vorgestellt hat. Oaus-Peter März
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§ 1
Vorwort
Die vorliegende Methodenlehre versteht sich als Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten an neutestamentlichen Texten. Ein besonderes Kennzeichen dieser Methodenlehre ist der Versuch; eine Auswahl neuerer, von der Sprachwissenschaft herkommender Methoden mit den Analyseverfahren der historisch-kritischen Exegese zu verbinden. Der Zusammenhang der Methoden wird vor allem anhand des texttheoretischen Modells der "Kommunikation durch Texte" sowie anhand der Reflexion über den Akt des Lesens und Verstehens hergestellt. Die Auswahl und die Anordnung der einzelnen methodischen Schritte, die mitunter von der eingebürgerten abweicht und keinen Absolutheitsanspruch erhebt, ist aus der Lehrtätigkeit in Brixen, Innsbruck und Erfurt erwachsen. Danken möchte ich vor allem zwei Gesprächspartnern: meinem Bruder Kurt und dem Kollegen C1aus-Peter März, Erfurt. Zu Dank verpflichtet bin ich auch den Kollegen Jacob Kremer, Wien, und Hubert Frankemölle, Paderborn, die das Manuskript durchgesehen und mir eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen gemacht haben. Das Manuskript wurde im Juli 1986 abgeschlossen. Durch meine Ernennung zum Bischof von Bozen-Brixen ist mir in besonderer Weise zum Auftrag geworden, was Heinrich Zimmermann in der Einleitung zu seiner Methodenlehre als Aufgabe der neutestamentlichen Wissen~ schaft in folgender Weise umschreibt: ., ... zu einem tieferen Verständnis des Gotteswortes zu führen, wie es sich in der geschichtsgebundenen Gestalt des Neuen Testamentes darbietet, dessen theologischen Gehalt zu erfassen und seine Botschaft für den heutigen Menschen zum Sprechen zu bringen." Auf den wissenschaftlichen Umgang mit dem Wort Gottes kann dabei nicht verzichtet werden. Brixen, Juli 1986
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Der Verfasser
Einleitung: Methodenlehre als Anleitung zum Lesen
Jede Methodenlehre ist eine Anleitung zum rechten Verstehen der Texte. Da es nur einen Weg zum Verständnis von Texten gibt, nämlich das Lesen, ist eine neutestamentliche Methodenlehre zuallererst eine Anleitung zum richtigen Lesen der Texte des Neuen Testamentes. Erste Hinweise zum richtigen Lesen ergeben sich aus der Reflexion, wie durch Lesen der Sinn von Texten erschlossen wird. Methodenlehre ist also eine Verstehenslehre. Eine solche Verstehenslehre, die beim Le- ~ sen einsetzt, setzt zwar bei etwas sehr Persönlichem und Subjektivem an, ~ doch handelt es sich um ein Gebiet, auf dem der Leser aufgrund seiner Erfahrung kompetent ist. Literatur zur Einführung in die Reflexion über das .,Lesen": K. Weimar. Enzyklopädie der Literaturwissenschaft, 163-227. - Weimar bietet eine auf die spezifischen Probleme des Lesens literarischer Texte eingehende Hermeneutik. H. Glinz. Textanalyse und Textverstehen. - Glinz geht ausführlich auf die Situation, Absichten und Interessen von Verfasser und Leser ein. O. Schober (Hrsg.), Text und Leser. Zur Rezeption von Literatur. Diese Textsammlung bietet eine gute erste Qbersicht, indem die Vertreter heutiger Lesetheorien mit eigenen Texten zu Wort kommen, mit Einleitungen des Herausgebers, die den Zusammenhang herstellen '.
1. Lesen als Zugang zum Sinn des Textes 1.1 Erfahrungen mit dem Lesen und Verstehen Beim Lesen eines Textes setzt das Verstehen automatisch ein: Wer einen Text in einer ihm bekannten Sprache liest, verbindet mit dem Gelesenen , Weitere Literatur: A. und J. Assmann - Ch. Hardmeier, Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation (München 1983); BrackertI.ämmerr, Funk-Kolleg Literatur; R. Detweiler(Hrsg.), Reader Response Approaches to Biblical and Secular Texts: Semeia H. 31 (1985); U. Eco, Lector in Fabula (Mai land 1979); R. M. Fowler, Who Is "the Reader" of Mark's Gospel: SBL Seminar Papers Nr. 22 (Chico 1983) 31-53; G. Grimm (Hrsg.), Literatur und Leser: Theorien und Modelle zur Rezeption literarischer Texte (Stuttgart 1975); Iser, Akt des Lesens; Schlingmann, Methoden der Interpretation 135-165; Link, Rezeptionsforschung; W. Magaß, Uf Thesen zum Bibellesen und zum "Suchen" in der Schrift (Joh 5,39): LingBibl H. 47 (1980) 5-20; J. P. Tompkins (Hrsg.), Reader-Response Criticism. From Formalism to Post-Structuralism (Baitimore 1980); S. R. Suleiman - I. Crossan (Hrsg.), The Reader in the Text: Essays on Audience and Interpretation (Princeton 1980); H. Türk, Wirkungsästhetik (München 1976); Warning (Hrsg.), Rezeptionsästhetik; Weinrich, Literalur für Leser.
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unwillkürlich eine Bedeutung. Dies läßt sich gar nicht vermeiden ... Die Tätigkeit Verstehen ist ein unbeherrschter Reflex auf das Lesen."2 Der Leser gibt den Wörtern den ihm bekannten Sinn; er zieht Verbindungslinien zwischen dem Gelesenen und seiner eigenen subjektiven Erfahrung; er verbindet die Aussagen des Textes mit anderen Aussagen, deren Sinn ihm vertraut ist. Durch das Lesen wird der neue Text zum persönlichen Besitz.
der Hörer Distanz zur Situation gewinnt. Aus der Distanz .. hört" sich manches anders an, als es zunächst den Anschein hatte. Wie für das Gespräch gibt es auch beim Lesen von Texten Formen, um sich zu vergewissern, daß der Text richtig verstanden ist. Aufmerksames und wiederholtes Lesen eines Textes kommt leichter zum Sinn des Textes als schnelles und oberflächliches Lesen. Ein Brief, der ein zweites Mal gelesen wird, wirkt anders.
Das beim ersten Lesen gewonnene Verstehen ist noch sehr persönlich und subjektiv gefärbt.
Aus dem Alltag .sind bestimmte Formen der Vergewisserung über die Richtigkeit des Verstehens bekannt.
Zu den Faktoren, die das erste Verstehen prägen, gehören: Intensität des Lesens, Kenntnis der Sprache, Lebenserfahrung, Belesenheit, die .. Tagesform" des Lesers usw. So wird das Verstehen durch Lesen in Gang gesetzt; doch garantiert das erste Lesen noch nicht die Richtigkeit des Verstehens. Beim ersten Lesen ist nämlich nicht selten Unverständnis und Mißverständnis gegeben. An manchen Stellen des Textes merkt der Leser seine Unfähigkeit, den Text zu verstehen, etwa wenn er Begriffen begegnet, die ihm nicht bekannt sind, oder einer .. Welt", mit der er nicht vertraut ist. Es kann aber auch geschehen, daß der Leser den Text zu verstehen meint und in Wirklichkeit mißversteht. Ohne es zu bemerken, hält er sein Mißverständnis für die Meinung des Textes. Solches Unverständnis und Mißverständnis entsteht, weil der Leser etwa Wörter in jenem Sinn versteht, der ihm vertraut ist, oder weil er den Text jenen Textsorten zuordnet, die in seinem Lebenskreis verwendet werden usw. 3 Da das Lesen so immer der Gefahr des Unverständnisses und des Mißverständnisses ausgeliefert ist, muß der Leser bestimmte Strategien anwenden, um zum Sinn des Textes vorzustoßen und nicht den .. Gefahren" des Textes zu erliegen. Wenn uns bei einem Gespräch eine Äußerung des Gesprächspartners nicht klar ist, besteht die Möglichkeit der Rückfrage. Manchmal ergibt sich aus dem weiteren Verlauf des Gesprächs, daß ein Mißverständnis vorliegt. Rückfrage und Berücksichtigung des Gesprächskontextes sind Weisen der Vergewisserung über die Richtigkeit des Verstehens. Eine andere Form, den Sinn eines Gespräches zu erfassen, besteht darin, daß
Bei alten Texten ist wegen der zeitlichen, sprachlichen und kulturellen Distanz das Verständnis erschwert. Solche Texte sperren sich dem Verstehen. So läßt der Leser alter Texte in der Regel von vornherein eine gewisse Vorsicht walten. Freilich kann auch, wie bei der Bibel, der Fall gegeben sein, daß die Texte vertraut sind und so auch schon in bestimmter Weise gelesen werden.
2 Weimar, Enzyklopädie, § 287. Über das spontane Verstehen siehe E. Coreth, Grundfragen der Hermeneutik (Freiburg 1969) 119-123. 3 Weimar, Enzyklopädie, §§ 300 und 297. Zu den Grenzen des Verstehens vg!. Coreth. Hermeneutik 123.
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1.2 Wissenschaftliches Lesen als Vergewisserung Die Eigenart des wissenschaftlichen Lesens Der wissenschaftliche Umgang mit Texten ist eine Sonderform des Lesens 4 • Wie andere Formen des Lesens beginnt auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Texten mit dem Lesen des Textes und mit einem durch verschiedene subjektive Faktoren bedingten ersten Verständnis des Textes. Das wissenschaftliche Lesen unterscheidet sich von anderen Formen des Lesens durch ein systematisches Bemühen um Vergewisserung über die Richtigkeit des Verstehens. Schon beim ersten Lesen setzen die Überprüfung des gewonnenen Verständnisses und die Reflexion darüber ein s. Die Vergewisserung wird erreicht, indem der Leser aufmerksam die Textphänomene registriert, Zusammenhänge herzustellen sucht, eine gewisse Vollständigkeit in der Berücksichtigung der Vielfalt der Aspekte anstrebt, die Argumente für das eigene Textverständnis darlegt und so auch einem Dritten gegenüber den Prozeß des Verstehens intersubjektiv nachvollziehbar macht. • Zum Zusammenhang von Lesen und literaturwissenschaftlicher Tätigkeit siehe Weimar, Enzyklopädie, §§ 46-70. , Weimar, Enzyklopädie, § 305.
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.f
",r~ :
Das wissenschaftliche Lesen vergewissert sich über den Sinn des Textes durch ein möglichst vollständiges systematisches Registrieren der Textphänomene und durch die Auseinandersetzung mit den Gründen, die für oder gegen ein bestimmtes Verständnis sprechen.
So vermeidet wissenschaftliches Lesen die Gefahr, den Text zu vereinnahmen und mit jenem Sinn zu versehen, der beim ersten Lesen zunächst naheliegend scheint. Das wissenschaftliche Lesen führt so von einem stark subjektiv gefärbten Lesen zu einem "distanzierten" Lesen, das die Fremdheit des Textes anerkennt. Solches Lesen ist immer auch kritisch sowohl den subjektiven als auch den gruppenmäßig bedingten Formen des Verstehens von Texten gegenüber 6 • Der kompetente Leser Unter "Kompetenz" des Lesers wird in diesem Zusammenhang die Fähigkeit des Lesers verstanden, den Sinn eines Textes zu erfassen. Jeder Leser liest zunächst zwar subjektiv, er ist jedoch auch kompetent für richtiges Lesen. Trotz des Einflusses subjektiver Faktoren auf das Verstehen eines Textes ist Lesen nämlich nicht rein subjektiv und beliebig. Beim Lesen verhält es sich wie bei einem Gespräch: Der Leser läßt sich vom Text als Gesprächspartner in die Welt des Textes hineinnehmen; er nimmt die Eigenart des Textes wahr; er gewinnt Einsichten, die ihm evident sind. Zudem kann sich der Leser an einige Instanzen wenden, um die Richtigkeit seines Lesens zu prüfen. Eine solche Kompetenz bedeutet einerseits die Fähigkeit, sich vom Text selbst zum Sinn des Textes führen zu lassen, anderseits auch die Fähigkeit, die "Gefahren" des Textes zu erkennen, d. h. jene Umstände, die Anlaß zu Unverständnis und Mißverständnis sein könnten. Kompetenz bedeutet also, Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Lesens zu erfassen. Jeder Leser ist kompetent für Beobachtungen am Text und Rückschlüsse sowie für Gefühle gegenüber dem Text.
Die Kompetenz des Lesers zeigt sich in mehrfacher Hinsicht: Der Leser eines Textes ist zunächst kompetent, Beobachtungen am Text zu maInsofern ist es bleibende Aufgabe der Exegese, nicht nur historisch, sondern auch kritisch zu sein.
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ehen und Zusammenhänge herzustellen 7. Wie der Betrachter eines Gebäudes auch ohne Führer fähig ist, bestimmte Beobachtungen zu machen (Zahl der Fenster, eigenartige Merkmale usw.), so kann auch der Leser am Text verschiedene Beobachtungen machen und zwischen diesen Beobachtungen einen Zusammenhang herstellen. Der Leser ist sodann kompetent, aus den Beobachtungen und Vergleichen Rückschlüsse zu ziehen. Wer ein Haus von einer bestimmten Seite her sieht und keine Türen beobachtet, kann doch schließen, daß das Haus eine Tür hat (wenigstens unter normalen Verhältnissen). Zu diesem Rückschluß ist er aufgrund seines kulturellen Wissens befähigt. Ebenso kann der Leser aus Beobachtungen am Text Rückschlüsse ziehen, etwa über den Verfasser, den Empfänger, Zeit und Ort der Abfassun~ des Textes usw. Der Leser kann seine Kompetenz zu Beobachtungen und Rückschlüssen erweitern, indem er sich Zusatzinformationen verschafft. Darüber hinaus ist der Leser in jedem Fall kompetent für seine Gefühle gegenüber dem Text. Er kann sagen, ob ihm ein Text gefällt, ob er 'ihn ärgert usw. 8 Die Frage könnte höchstens sein, ob solche Reaktionen angemessen sind. Der Leser sollte auch ein bestimmtes Bewußtsein über die Grenzen des eigenen Könnens entwickeln (bezüglich Sprachen, kul~ turellem Wissen usw.). Solches Eingestehen der eigenen Grenzen und die daraus entstehende Vorsicht bewahren vor manchen Fehlinterpretationen. Die einzelnen Arbeitsschritte einer Methodenlehre leiten zu Beobachtungen am Text an und zeigen, auf welche Weise Rückschlüsse gezogen werden können. Das vorliegende Methodenbuch möchte diese Kompetenz, deren Grundlagen jedem Leser schon gegeben sind, entwickeln helfen: Der Leser soll seine Fähigkeit, Beobachtungen zu machen, zwischen den Beobachtungen Zusammenhänge herzustellen und aus den Beobachtungen Rückschlüsse zu ziehen, zu einem besseren Verstehen des biblischen Textes einsetzen. Wissenschaftliches Lesen der Schrift ( baut auf dieser Kompetenz auf. I
Kontrollinstanzen für die Richtigkeit des Lesens Das Problem von Unverständnis und Mißverständnis taucht im alltäglichen Leben in vielen Gesprächen auf. Dort kann es durch Frage und 7 Von dieser Fähigkeit leitet sich sowohl das einfache wie das wissenschaftliche Lesen der Bibel her. Unter dieser Rücksicht besteht zwischen diesen beiden Formen des Lesens kein wesentlicher Unterschied. • VgL dazu verschiedene Methodenbücher der praktischen Bibelarbeit, die sich psychologischer Methoden bedienen, etwa W. Wink, Bibelarbeit. Ein Praxis buch für Theologen und Laien (Stuttgart 1982); H. Barlh - T. Schramm, Selbsterfahrung mit der BibeL Ein Schlüssel zum Lesen und Verstehen (München 1977).
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Gegenfrage behoben werden. Beim Lesen reagiert der Text nicht, wenn er mißverstanden wird. Deshalb muß der Leser selbst sich darum kümmern, ob sein Verständnis richtig ist. Er ist auf gewisse Kontrollinstanzen angewiesen, die die Richtigkeit seines Lesens bestätigen. U
Dem Leser stehen "Kontrollinstanzen für die Richtigkeit des Lesens zur Verfügung, d. h. Hilfen, an denen er die Richtigkeit seines Verstehens überprüfen kann.
Eine erste Kontrollinstanz ist wiederholtes Lesen, ständiges Fragen, Vergleichen und Berücksichtigen des Kontextes. Nur wer immer wieder den Text befragt, kommt an den Sinn des Textes heran 9. Eine zweite Kontrolle für die Richtigkeit des Lesens ist die Berücksichtigung fremder Leseerfahrungen. Dies kann geschehen durch das Lesen in einer Gruppe. "Interpretieren sollte man nicht allein." 10 Wenn mehrere einen Text lesen, machen sie mehr Beobachtungen am Text, als· ein einzelner machen könnte, wie auch mehr Rückschlüsse aus den Beobachtungen gezogen werden. Wenn nun die einzelnen Teilnehmer in dem durch Beobachtungen und Rückschlüsse erzielten Textverständnis nicht übereinstimmen, entsteht die Notwendigkeit, das vorgebrachte Textverständnis zu überprüfen, und zwar durch Eingehen auf die vorgebrachten Argumente. Das Lesen wird auf diese Weise intersubjektiv und argumentativ. Die Berücksichtigung fremder Leseerfahrung erfolgt in der Exegese am häufigsten durch die Lektüre der Sekundärliteratur: • Beobachtungen an Texten können auch mit Hilfe eines Fragerasters gesammelt werden, etwa von der Art: Wer tut was, wo, wann usw. Auch die Frageraster des vorliegenden Methodenbuches wollen helfen, Beobachtungen zu machen. Weimar, Enzyklopädie, § 178: .. Es gibt nur einen Weg, dem Gefühl oder dem Bewußtsein von der Dürftigkeit des ersten Verständnisses zu folgen und der Herrschaft der Selbsttäuschung und des Mißverständnisses zu entgehen: fragen, fragen und nochmals fragen. Auf diesem Weg kann sich auch ein Amateur, der sonst fraglos bewundert und verdammt, zu einem Literaturwissenschaftler ausbilden. Dessen ,Talent' ist nämlich das Fragenkönnen." VgL auch R. Grimminger. Abriß einer Theorie der literarischen Kommunikation, in: Bracken - Lämmert, Funk-Kolleg Literatur, 100-116, bes. 109: ,,Jede Reflexion über Texte, jede Interpretation hat zur Voraussetzung, daß die vom Leser entworfenen und psychisch existierenden Deutungen wieder mit dem Text verglichen und somit kontrolliert werden können." 10 Dieser Satz könnte aus einer praktischen Bibelhilfe stammen (vgl. Egger, Gemeinsam Bibel lesen 10); er findet sich jedoch bei Weimar, Enzyklopädie, § 309. Noch deutlicher Glinz. Textanalyse L 47 f: ..... Wenn wissenschaftliches intersubjektives Verstehen erreicht werden soll und wenn spontane Verstehensakte in wissenschaftlicher Analyse bewußtgemacht und geklärt werden sollen, dann müssen zu jedem Text mehrere und möglichst verschiedene individuelle Verstehensweisen konfrontiert werden."
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Wenn der Leser seine Einsichten mit denen vergleicht, die von anderen Lesern gewonnen wurden und die in den Kommentaren usw. niedergelegt sind, kommt es zu einer Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen (die ja auch auf Beobachtungen und Rückschlüssen beruhen) 11. Der Rekurs auf diese Kontrollinstanz ist jedoch nur sinnvoll, wenn ein Leser schon eigene Beobachtungen am Text gemacht hat; sonst besteht die Gefahr, daß der Leser einfach die Beobachtungen anderer Leser unkritisch übernimmt. Während die beiden genannten Kontrollinstanzen wohl für jeden Leser gelten, wird der katholische Bibelleser durch die kirchlichen Dokumente auf eine Kontrollinstanz eigener Art hingewiesen 12: Biblische Texte sind nicht isoliert, sondern in einem größeren Zusammenhang zu lesen: im Kontext der gesamten Heiligen Schrift und im Kontext des gläubigen Lebens der Kirche, ihrer Tradition und des kirchlichen Lehramtes. Mit dieser .. Instanz" ist ein Wesensmerkmal katholischen Bibellesens genannt 13. 1.3 Ein wissenschaftliches Lesemodell Das Lesen von Texten wird zu einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Texten, wenn es mit systematischer Reflexion über die Richtigkeit des Verstehens verbunden ist.
Das Modell des wissenschaftlichen Lesens geht von der Tatsache aus, daß auch wissenschaftliche Rezeption von Texten durch vielerlei subjektive Faktoren beeinflußt ist. Zu diesen Faktoren gehören neben wissenschaftlichen Vorent,scheidungen auch lebensgeschichtliche Daten usw. Der Prozeß des wissenschaftlichen Lesens selbst beginnt wie jedes Erkennen mit dem Lesen des Textes. Die Aufgabe besteht darin, das erste Textverständnis, in dem oft Unverständnis und Mißverständnis mit richtigen Einsichten vermengt sind, oder das bei bekannten Texten schon in bestimmte Bahnen gelenkte Vorverständnis anhand des Textes zu überprüfen. Diese Überprüfung erfolgt anhand von Beobachtungen Auf die Eigenart von Texten wird der Leser häufig ja erst aufmerksam, wenn er aufmerksam gemacht wird. Auch das Bemühen, die Richtigkeit der Rückschlüsse zu überprilfen, setzt häufig eine Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen voraus. So ist die Wirkungs- und die Forschungsgeschichte gerade in der Exegese ein unverzichtbares Hilfsmittel, um dem Sinn der Texte näher zu kommen. 12 Zweites Vatikanisches KonziL Konstitution "Dei Verbum", Nr. 12. 1J Allerdings gibt es bei jedem Lesen der Heiligen Schrift (nicht l1ur beim "katholischen" Lesen) eine Reihe von Faktoren, die schon das erste Lesen beeinflussen: jeweils wirkt sich ein bestimmtes Vorverständnis aus, das auf der Lebensgeschichte, der Erziehung, der Konfessionszugehörigkeit des Lesers USW. beruht. 11
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und Rückschlüssen. Die Ergebnisse müssen argumentierend und intersubjektiv nachprütbar dargelegt werden. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der sog. Sekundärliteratur, also den "Leseerfahrungen" anderer Wissenschaftler l4 •
2. Exegetische Methoden als Hilfen zum wissenschaftlichen Lesen und Verstehen Biblische Exegese versteht sich als wissenschaftlicher Umgang mit der Heiligen Schrift. Als wissenschaftliche Form des Lesens der Schrift weist sie jene Merkmale auf, die für das wissenschaftliche Lesen von Texten allgemein gelten: Sie erstrebt mit Hilfe wissenschaftlich abgesicherter Verfahren eine Vergewisserung über den Sinn des Textes und eine intersubjektive Nachprütbarkeit der Ergebnisse. Sie versucht, den besonderen Schwierigkeiten des Verstehens des biblischen Textes als eines geschichtlichen Dokumentes gerecht zu werden. So muß die Exegese immer auch historisch und kritisch sein (gegen vereinfachende Vereinnahmung). Eine solche wissenschaftliche Vergewisserung ist nicht für jeden Leser gleich notwendig; es gibt auch andere berechtigte und notwendige Formen der Vergewisserung: das persönliche, unbefangene Lesen der Schrift, das Hören auf das Wort Gottes in der Liturgie und in der kirchlichen Verkündigung, das Schriftgespräch und die praktische Bibelarbeit. Die einzelnen Formen unterscheiden sich durch Intention, Intensität der Arbeit, Grad der Reflexion, Lebensbezogenheit, Kommunikationssituation usw. 1S • 2.1 Vielfalt der wissenschaftlichen Methoden und Integration der Methoden Um den vielfältigen Aspekten neutestamentlicher Texte gerecht zu werden, wird in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Neuen Testament ein vielfältiges Methodeninstrumentar verwendet.
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VgJ. Glinz (s. Anm. 10). Zur Reflexion über den nichtwissenschaftlichen Umgang mit der Schrift vgl. W. Egger. Die zweite Unbefangenheit des Bibellesens: BibLit 50 (1976) 247-255; J. Kremer. Die Bibel einfach lesen. Bibelwissenschaftliche Erwägungen zum nichtwissenschaftlichen Umgang mit der Heiligen Schrift (PS Kardinal König) (Wien 1980) 327-361; ders., Die Bibel- ein Buch für alle (Stuttgart 1986). Aus den Behelfen der praktischen Bibelarbeit seien genannt: W. Erl- F. Gaiser. Neue Methoden der Bibelarbeit (Tübingen 1969); Praktische Bibelarbeit heute. Hrsg. vom Katholischen Bibelwerk (Stuttgart 1973); W. Egger, Gemeinsam Bibel lesen. lS
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Allgemein in der Forschung anerkannt ist der Methodenkomplex, der mit dem Stichwort "historisch-kritische Methode" zusammengefaßt wird. Dazu gehören: Textkritik (Rekonstruktion des griechischen Urtextes des Neuen Testamentes), Literarkritik (Feststellung schriftlicher Quellen des Neuen Testamentes), Traditionskritik/-geschichte (mündliche Vorge~.chichte der Texte) und Redaktionskritikl -geschichte (Sammlung und Uberarbeitungen des Materials) 16. Diese Methoden lesen den Text vor allem unter diachronem Aspekt, also unter dem Aspekt der Entstehung des Textes, und sehen vor allem in der Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte einen Weg zum Sinn des Textes. Zu diesen schon klassisch gewordenen Methoden sind in letzter Zeit Anregungen aus vielen Teilgebieten der modernen Sprachwissenschaft (Textlinguistik, strukturalistische Betrachtungsweise, Semantik, Pragmatik) getreten. Diese neueren Methoden bemühen sich vor allem, den Text unter synchronem Aspekt zu erfassen. Sie ergänzen die historisch-kritische Arbeitsweise, indem sie die Beobachtung der Textphänomene zu .einem expliziten Schritt der Textanalyse machen und den schon in der Formgeschichte begonnenen Prozeß der Formalisierung von Texten fortsetzen. Die soeben genannte Einteilung in synchrone und diachrone Aspekte hat sich in der Methodendiskussion eingebürgert: "Synchrone" (griechisch "gleichzeitig") Methoden untersuchen ein System in jener Gestalt, die es zu einem bestimmten Zeitpunkt hat, z. B. die deutsche Sprache der Gegenwart, oder jene des 19. Jahrhunderts. In der synchronen Textanalyse neutestamentlicher Texte wird der Text in jener Gestalt unters~cht, die er zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Geschichte hat, wobei Jedesmal auch das Kommunikationssystem, in das der Text eingebettet ist, berücksichtigt wird 17. Die synchrone Analyse kann auf der Stufe der Endredaktion vorgenommen werden, aber auch an den verschiedenen Fassungen des Textes in den Stufen der Tradition. Die Ent~!ehung und Veränderung eines Systems (bei Texten: Verwendung und Uberarbeitung von Quellen) hingegen werden mit den sogenannten diachronen Methoden untersucht. Die neueren Methoden der Exegese betonen vielfach sehr stark die Notwendigkeit der synchronen Analyseverfahren. Die historisch-kritische Methode beschäftigt sich nun zwar besonders mit der Entstehung der Texte, sie ist jedoch nicht einfachhin mit den diachronen Methoden gleichzusetzen; sie beachtet nämlich 16. Die vie~eilige Gliederung von Zimmermann, Methodenlehre (I. bis 6. Auflage), gibt eine Ubersicht über die Arbeitsschritte der historisch-kritischen Methode' die meisten Methodenlehren bieten eine stärkere Gliederung der Methoden. ' 17 Synchrone Analyse bedeutet nämlich nicht notwendig eine rein textimmanente Auslegung.
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auch viele synchrone Aspekte, wie auch nicht alle neueren Methoden den Text rein synchron betrachten.
3. Eigenart dieser Methodenlehre 3.1 Inhaltliche Schwerpunkte
In die bereits klassischen Methoden der Exegese sind die neueren Verfahren zu integrieren.
Jede Methode macht durch ihre Fragestellung auf bestimmte Aspekte des Textes aufmerksam. Der Vielfalt der Aspekte des Textes entspricht eine Vielfa,lt von Methoden. Damit durch die Beachtung der vielen Aspekte nicht die Einheit des Textes übersehen wird, ist der Zusammenhang der Methoden zu klären. Dies geschieht vor allem anhand des texttheoretischen Modelles der "Kommunikation durch Texte" 18 und anhand der hermeneutischen Überlegungen zum Akt des "Lesens und Verstehens" 19. 2.2 Verwendung von verschiedenen Methoden Die Funktion der verschiedenen Methoden läßt sich am besten mit einem Vergleich beschreiben: Um eine Landschaft mit ihrer Eigenart und ihren Schönheiten zu erfassen, gibt es eine Reihe von Wegen. Jeder Weg enthüllt etwas von der Eigenart und Schönheit. Wer nur einen einzigen Weg benützt, übersieht vieles. Allerdings kann es Wege geben, die besonders lohnend sind, so daß andere Wege nur eine Ergänzung oder einen schwachen Ersatz dazu bieten können. Für jeden Text sind der ihm gemäße Zugang und die textgemäße Methode zu suchen.
Methoden sind nicht mechanisch anzuwendende Mittel, um den Sinn des Textes zu erfassen. Methoden sind als Hinweis zu verstehen, in welcher Richtung Beobachtungen am Text zu sammeln sind und wie der Sinn des Textes am angemessensten erschlossen werden kann. Am Beginn der wissenschaftlichen Arbeit empfiehlt sich trotzdem, die einzelnen methodischen Schritte in einer bestimmten Reihenfolge zu vollziehen, die je nach der Textsorte variieren kann. Auf diese Weise wird dem Anfänger nichts Wichtiges entgehen. Im Verlauf der Arbeit an einem konkreten Text wird sich dann zeigen, welcher Methodenschritt dem Text besonders angemessen und dadurch ertragreich ist. 11 Siehe §§ 2-4. .. Siehe § I und Einleitung zu Teil 6.
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Die vorliegende Methodenlehre versteht sich als Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten an neutestamentlichen Texten. Ein besonderes Kennzeichen dieser Methodenlehre ist der Versuch, die Methoden der historisch-kritischen Exegese und eine Auswahl aus den neue ren, von der Sprachwissenschaft herkommenden Methoden anhand eines texttheoretischen Modells und anhand hermeneutischer Überlegungen zum Akt des Lesens in einen organischen Zusammenhang zu bringen 20. Die einzelnen Arbeitsschritte sowie die der Arbeit zugrundeliegenden Voraussetzungen werden nach Möglichkeit reflektiert, da die Reflexion über die Möglichkeiten und Grenzen einer Wissenschaft ebenfalls Aufgabe der Wissenschaft ist 21. Zu dieser Reflexion gehört vor allem die Reflexion über den Zusammenhang von Methodenlehre, Texttheorie und Hermeneutik. . Aus mehreren Gründen sind Einschränkungen in der Darbietung des Stoffes geboten. Zunächst muß eine Auswahl aus den zur Verfügung stehenden Methoden getroffen werden (besonders gilt dies für die neueren Methoden). Kriterien für die Auswahl waren: Es sollte sich um Methoden handeln, die viele Beobachtungen am Text erlauben und doch in der Anwendung nicht zu schwierig sind 22, wobei zu den einzelnen Aspekten einer Textuntersuchung (Textlinguistik, Semantik usw.) wenigstens je eine Methode geboten werden sollte. Als Kriterium der Auswahl bei neueren Methoden wurde auch angewandt, daß die Methoden einerseits eine gewisse Zustimmung bei den Vertretern der Linguistik
ZO Grundsätzliches zur Notwendigkeit der Integration der Methoden: Richter, Exegese als Literaturwissenschaft 9-48; P. RiclEUr, Du conflit ä la convergence des methodes bibliques: R. Barthes u.a., Exegese et hermeneutique 35-53; Hardmeier, Texttheorie 2~; D. Marguerat, Strukturale Textlektüren der Evangelien: ThBerichte 13 (Zürich 1983) 31-84; Schweizer, Metaphorische Grammatik. Einen kurzen Entwurf einer integrierten Methodenlehre bieten J. Kremer, Alte, neuere und neueste Methoden der Exegese: LPThQ '128 (1980) 3-12; Frankemölle, Kommunikatives Handeln 30. Methodenbücher, die diese Integration vollziehen: Berger, Exegese; für das AT: Fohreru.a., Exegese. Neuauflagen von Methodenbüchern der historisch-kritischen Methode erweitern die Methode durch den linguistischen Aspekt: Zimmermann (ab 7. Auflage); J. Schreiner - G. Dautzenberg, Gestalt und Anspruch des Neuen Testaments (Würzburg 21969). 21 Es gilt die Möglichkeiten und die Illusionen, die jeder Methode innewohnen, zu erkennen; vg!. RiclEUr, Du conflit (s. Anm. 20) 36. .. Aus diesem Grund wird u. a. die Semantik von Greimas nur in Ansätzen dargestellt,. obwohl es eine Reihe von Arbeiten gibt, die sich dieser Methode bedienen.
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gefunden haben 23 und andererseits sich in einen Zusammenhang mit der herkömmlichen historisch-kritischen Methode bringen lassen 24. Dies auch aus der Erwägung, daß ohne den Zusammenhang mit der historisch-kritischen Forschung dem Studenten ein Großteil der diesbezüglichen Literatur verschlossen bleibt. Eine Einschränkung war auch nötig hinsichtlich des Ausmaßes der Reflexion über die Methoden. Umstrittene Methoden müssen zwar reflektiert werden, doch können in diesem Zusammenhang aus der komplizierten Methodendiskussion mit einer häufig beklagten schwierigen Terminologie entsprechend dem Verwendungszweck dieser Methodenlehre jeweils nur die wichtigsten Gründe für die getroffene Wahl und Reihung der Methodenschritte dargelegt werden. Die Literaturangaben sind dem intendierten Adressatenkreis entsprechend knapp gehalten. 3.2 Leserkreis Diese Einführung in die Methoden der neutestamentlichen Exegese soll . vor allem Studierenden der neutestamentlichen Wissenschaft helfen, theoretisch und praktisch mit den Arbeitsweisen der Bibelwissenschaft vertraut zu werden. Um das zu erreichen, werden in der Darlegung der einzelnen Methoden jeweils die texttheoretischen Grundlagen der Methode dargelegt. Die Anwendbarkeit der Methoden wird an konkreten Texten aufgezeigt, und es werden Arbeitshinweise für die persönliche Einübung geboten. Das Buch wendet sich dann an den weiteren Leserkreis jener, die ein genaues, überprüfbares Verstehen von Texten brauchen 25 und Einblick gewinnen möchten in die Arbeitsweise einer von den Ergebnissen der neueren Sprachwissenschaft beeinflußten Exegese des Neuen Testaments. 3.3 Aufbau der vorliegenden Methodenlehre Die Überlegungen, die zur Reihung der Arbeitsschritte und damit zur Gliederung der Methodenlehre geführt haben, seien hier kurz dargelegt. Im ersten Teil wird die dieser Methodenlehre zugrunde gelegte Texttheorie dargelegt: Der Text wird zunächst unter synchronem Aspekt als Struktur (geordnete Menge von Elementen und von Beziehungen zwiDies ist der Fall bezüglich der Arbeitsschritte sprachlich-syntaktische, semantische, pragmatische Analyse (wenn auch nicht immer in dieser Reihenfolge). Vgl. Einleitung zu Teil 3. 24 Siehe Anm. 20. 25 Zur Formulierung Glinz. Textverstehen I. 3. 23
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schen den Elementen) und als Teil einer umfassenden Kommunikations-, Handlungs- und Lebenssituation aufgefaßt; unter diachronem Aspekt wird der Text sodann als ein Gebilde mit einer längeren Entstehungsgeschichte betrachtet. Aufgrund einer solchen Texttheorie läßt sich die Notwendigkeit der Integration von synchronen und diachronen Analyseverfahren begründen, da der Text sow'ohl Struktur und Kommunikationselement als auch Ergebnis einer längeren Entstehungsgeschichte ist. Im zweiten Teil werden die vorbereitenden Schritte der Arbeit am Text dargelegt: die Sicherung der Textgestalt durch die Textkritik, die Klärung des Vorverständnisses, mit dem ein Leser an den Text herangeht und durch das er beim ersten Lesen des Textes stark beeinflußt ist. die Erstellung und/oder Verwendung von Übersetzungen. Im dritten Teil werden die Verfahren der eigentlichen Textlektüre unter synchronem Aspekt dargelegt 26: Zunächst werden die Probleme besprochen, die sich aus der Abgrenzung von Texten ergeben; danach werden im Anschluß an Methoden der Linguistik (teilweise allerdings unter Berücksichtigung der Arbeitsschritte der historisch-kritischen Methode) im einzelnen besprochen: die sprachlich-syntaktische Analyse (Sprache, Stil, Aufbau, Gliederung des Textes), die semantische Analyse (Bedeutungsinhalte)2', die pragmatische Analyse (Wirkabsicht des Textes) und die Analyse der Textsorten (Gemeinsamkeiten mit ähnlichen Texten). Die Beobachtungen an den Elementen des Textes und an deren Zusammenhang, wie sie von den synchronen Methoden besonders gefördert werden, bilden auch eine wichtige Voraussetzung für die diachrone Analyse. Im vierten Teil werden - in engem Anschluß an die Arbeitsschritte der historisch-kritischen Methode - die diachronen Methoden dargelegt: Hterarkritische, traditionskritische/ -geschichtliche, redaktionskritische/ -geschichtliche Analyse. Allerdings ergeben sich in diesem Teil einige Unterschiede gegenüber anderen Entwürfen von Methodenlehre, da in diesen Teil nur jene Arbeitsschritte aufgenommen werden, die streng dem Gesichtspunkt der Diachronie (Entstehungsgeschichte) entsprechen. Elemente der historisch-kritischen Exegese, die mehr einer syn-
2. Die getrennte Darlegung der synchronen und der diachronen Methoden empfiehlt sich nicht nur aufgrund der theoretischen Unterscheidung von "synchron" und "diachron", sondern auch didaktischen Gründen: Da die historisch-kritische Methode, vorwiegend diachron arbeitet, bietet nur eine gesonderte Darstellung der diachronen Methoden die Möglichkeit, die Sekundärliteratur, die vielfach mit dieser Methode arbeitet, zu verstehen. Zudem ist die synchrone Methode praktisch leichter durchführbar. 27 Die narratiye Analyse wird bei der semantischen Analyse behandelt.
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chronen Betrachtungsweise entsprechen, werden schon in die Darstellung der synchronen Methoden eingebaut. Im fünften Teil wird die Lektüre des Textes unter historischem Aspekt dargestellt. Dabei geht es um die Frage, wie der Leser vom Text zur Rekonstruktion historischer Gegebenheiten· kommen kann. Im sechsten Teil wird das hermeneutische Problem des Lesens behandelt: Dabei geht es um die Frage, in welcher Weise der Text durch Auslegung des ursprünglich intendierten Textsinnes und durch eine der persönlichen Aneignung des Textes dienenden Aktualisierung den heutigen Leser ansprechen kann. Die einzelnen Kapitel sind jeweils ähnlich aufgebaut: Nach einer kurzen Definition des Aspektes, um den es in der Analyse geht, werden die texttheoretischen Aspekte der Methode und die Arbeitsweise des betreffenden Analyseverfahrens erklärt und in einer Zusammenfassung Hinweise auf die Arbeitsschritte für die persönliche Arbeit an den neutestamentlichen Texten geboten. An Textbeispielen werden dann die Möglichkeiten und Grenzen der einzelnen Methodenschritte sicht- . bar.
1. Teil
Texttheorie
Die Anleitungen zu Analyse und Interpretation müssen der Eigenart und der Entstehungsgeschichte der zu untersuchenden Texte angemessen sein. So beruht eine Methodenlehre immer auf einer bestimmten Auffassung über den zu untersuchenden Text und die Elemente und Faktoren, die Entstehung, Eigenart und Wirkkraft des Textes beeinflussen. Eine solche umfassende Auffassung über den Text läßt sich in einem ganz allgemeinen Sinn als Texttheorie bezeichnen I. Sowohl in ihrer Ursprungssituation als auch in der Rezeption durch den Leser (durch den sie ja erst wieder zum Leben erwachen) sind die neutestamentlichen Texte Teil eines größeren Kommunikationsvorgangs. Unter dieser Rücksicht beschäftigt sich eine "neutestamentliche Texttheorie" mit den verschiedenen Faktoren, durch deren Zusammenspiel Kommunikation anhand der neutestamentlichen Texte möglich wird. Eine neutestamentliche Texttheorie untersucht die Elemente und Faktoren, die an der Entstehung des Neuen Testaments beteiligt sind, und versucht festzustellen, wie Kommunikation anhand neutestamentlicher Texte verläuft.
1 Die diesbezüglichen Fragen werden in der Sprachwissenschaft unter den Stichwörtern ,,(semiotische) Texttheorie", "Textwissenschaft", "Textlinguistik" behandelt. Aus der Literatur seien angeführt: Akmajian - Demers - Harnish, Linguistica; van Dijk, Textwissenschaft; U. Eco, Einführung in die Semiotik (München 1972); ders., Trattato di semiotica generale; Güttgemanns, Einführung in die Linguistik für Textwissenschaftler; ders., Elementare semiotische Texttheorie: LingBibl H. 49 (1981) 85-111; E. U. Große, Was ist Semiotik?: LingBibl H. 52 (1982) 87-113; H. 54 (1983) 27-52; Hardmeier, Texttheorie; Henning-Huth, Kommunikation; Kallmeyer, Lektürekolleg; Ka/verkämper, Orientierung zur Textlinguistik; Sowinski, Textlinguistik. Weitere Literatur wird zu den einzelnen Kapiteln angeführt.
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Die im folgenden dargelegte Texttheorie baut auf den Ergebnissen der historisch-kritischen Exegese auf, der ja auch eine "Texttheorie" , d. h. eine Auffassung über Eigenart und Entstehung der Texte, zugrunde liegt. Bezüglich der biblischen Texte besteht ja bei den Vertretern der historisch-kritischen Methode bei allen Divergenzen ein breiter Konsens über Eigenart, Wirkabsicht und Entstehungsgeschichte, auch wenn formale diesbezügliche Texttheorien kaum vorliegen 2. Im folgenden wird nun diese Texttheorie der historisch-kritischen Methode mit Hilfe der Ergebnisse der modemen Sprachwissenschaft erweitert. Die neutestamentlichen Texte werden ausführlicher, als sonst üblich, in einem texttheoretischen Rahmen betrachtet: Es soll, im Gefolge der Ansätze der modemen Texttheorie, der Zusammenhang der verschiedenen an Eigenart, Funktion, Entstehung beteiligten Faktoren geklärt werden. Die Ansätze, die in der Forschung bezüglich Kommunikation durch Texte und Reflexion über das Lesen geboten werden, beziehen sich allerdings vielfach auf Texte der Gegenwartssprache, auf Gebrauchstexte . oder auf fiktionale Texte. Da die biblischen Texte zum großen Teil unter ganz anderen Bedingungen verfaßt wurden als heutige Texte und diese Texte auch den heutigen Leser aufgrund der zeitlichen lInd kulturellen Distanz vor ganz andere Probleme stellen als heutige Texte, sind an den Modellen der linguistischen Texttheorien mancherlei Differenzierungen und Präzisierungen anzubringen, um die texttheoretische Betrachtungsweise auf biblische Texte anzuwenden. Aus der Texttheorie ergeben sich Folgerungen für den methodischen Umgang mit Texten, sowohl für die Rekonstruktion des Kommunikationsvorgangs, in den die Texte eingebettet sind, als auch für ein wissenschaftliches Lesemodell biblischer Texte.
sich hat. Mit den Fragen des textinternen Zusammenhangs der Elemente in einem Text beschäftigt sich sowohl die sogenannte Textlinguistik als auch die strukturalistische Betrachtungsweise. Literatur zur Einführung: Eine Einführung in die Probleme der Textlinguistik bietet W. Dressler. Einführung in die Textlinguistik. Mit den Grundbegriffen der strukturalistischen Betrachtungsweise macht vertraut Funk-Kolleg Sprache I 115-206 1 •
Aufgrund der vielfältigen Überarbeitung, die an den biblischen Texten durch Tradition und Redaktion vorgenommen wurde, ist die Frage um so dringlicher, was eigentlich einen Text zu einem Text macht, worin die "Textualität" von Texten besteht.
I. Der Text als strukturierte, kohärente sprachliche A'ußerung Schon durch das Wort "Text" (lat. textus = Gewebe, Gefüge) ist ausgedrückt, daß der Text einen Zusammenhang von Elementen aufweist. Ob bei einer Wort- und Satzfolge, die jemand äußert, ein oder mehrere Texte vorliegen, ist an der Einheitlichkeit und Kohärenz der Äußerung abzulesen: Wenn die Wörter und Sätze der Äußerung aufeinander bezogen sind, ist die Äußerung als (einheitlicher) Text zu bezeichnen; wenn der Zusammenhang zwischen Elementen fehlt, handelt es sich um zwei oder mehrere Texte, evtl. um Textsegmente oder Textfragmente oder um sinnlose Wortfolgen. Eine sprachliche Äußerung erweist sich dadurch als Text, daß die Teile der sprachlichen Äußerung aufeinander verweisen und sich nur aus dem Zusammenhang erklären lassen.
1.1 Struktur § 2 Text als strukturierte Größe Wer mehrere aneinandergereihte Wörter oder Sätze hört bzw. liest, merkt meist ohne längeres Nachdenken, ob er einen vollständigen Text, einen Ausschnitt oder eine nicht zusammenhängende Wortfolge vor 2 Vgl. die Methodenbücher der historisch-kritischen Methode (soweit sie sich zu einer "Texttheorie" äußern) und die exegetischen Arbeiten, die sich der historisch-kritischen Methode bedienen. Im katholischen Bereich ist ein solcher Konsens über Eigenart und Entstehung der Heiligen Schrift in der Offenbarungskonstitution des 2. Vatikanums (1965) gegeben und, was die Evangelien betrifft, in der "Instruktion über die historische Wahrheit der Evangelien" (1964) dargelegt.
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Ein Text ist als System zu betrachten, dessen Elemente (Wörter, Sätze, Teiltexte, aber auch Bedeutungsinhalte usw.) aufeinander bezogen sind; die Beziehungen zwischen den Elementen sind nach bestimmten Regeln I Weitere Literatur: Barthes, Introduction a l'analyse structurale des recits; De Beaugrande - Dressler, Einführung in die Textlinguistik; Fages, Den Strukturalismus verstehen; Fassian, Leggere le Scritture; Marguerat, Strukturale Textlektüre der Evangelien; Graupe d'Entrevernes, Analyse semiotique; Graupe d'Entrevernes, Signes et paraboles; L. Panier(Hrsg.), Petite introduction a l'analyse des textes: SemBibi H. 38 (1985) 3-31; Patte, What is Structural Exegesis?; D. und A. Patte, Structural Exegesis. From Theory 10 Practice (Philadelphia 1978): D. Parisi - C. Castelfranchi. La comprensione dei brani come costruzione di una corretta rete di conoscenze: D. Parisi (Hrsg.), Per una educazione linguistica razionale (Bologna 1979) 161-193.
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geordnet (angefangen von den Regeln der Grammatik über die Regeln der logischen Richtigkeit usw.) und können verschieden dicht sein; es muß nicht jedes Element mit jedem verbunden sein.
f Abb. I: Der Text als Struktur
Zwischen den Elementen eines Textes bestehen, wie Abb. 12 zeigt, vielfältige, von Regeln geordnete Beziehungen. Die Summe der Beziehungen zwischen den Elementen des Textes (a, b, c ... ) wird als "Struktur" des Textes bezeichnet, entsprechend der Definition von Struktur als "Menge der die Elemente eines Systems miteinander verbindenden Beziehungen zwischen den Elementen eines Systems"l. Als Struktur eines Textes wird das Netz oder die Summe der Beziehungen zwischen den Elementen des Textes verstanden.
Die Betrachtungsweise, die im Text vor allem die Struktur und die Strukturen sieht, wird deshalb "strukturalistisch" genannt 4 • Im Anschluß an Fossion, Leggere le Scritture, 24. , Funk-Kolleg Sprache I 118. • Die strukturalistische Methode gehört zwar zu den synchronen Methoden, doch heißt dies nicht, daß Texte nur in einem synchronen Beziehungssystem stehen. Eine extreme Richtung des Strukturalismus vertritt eine Texttheorie (die in diesem Methodenbuch nicht vertreten wird), derzufolge der uns vorliegende Text absolute Priorität hat. Eine solche Methode wird zu einer antihistorischen Methode. Zwar ist der Text als ein zusammenhängendes Ganzes zu betrachten, doch ist der Text nie ein völlig geschlossenes System. Texte stehen in vielfältigen Beziehungen zu außertextlichen Faktoren (z. B. innerhalb eines Kommunikationsgeschehens). In seiner extremen Form ist der Strukturalismus antihistorisch (nur das System), antipsychologisch (nur das Werk und der in ihm vorliegende Zusammenhang), antisoziologisch (kein "sitz im Leben"). In der vorliegenden Methodenlehre wird die strukturalistische Methode als eine neben anderen verwendet. Vgl. dazu Riclftlr, Du conflit (s. § I, Anm. 20) 37-39. 1
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1.2 Faktoren der Kohärenz von Texten Ein Text ist mehr als eine bloße Folge von Wörtern und Sätzen. Durch verschiedene Faktoren wird der Text als ein sätzeübergreifendes Gebilde konstituiert. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen sind nicht gleichmäßig fest. Es gibt Texte, in denen die Elemente eher lose aneinandergefügt sind. Ein Beispiel solcher loser Zusammenfügung sind etwa manche Reihen von sittlichen Weisungen in den Paulusbriefen: PhiI4,4-7 u.ä. Dagegen weisen manche Texte ein hohes Maß an Kohärenz (Verknüpfung) auf: im kurzen Abschnitt Ga13, 23-29 weist nur ein Satz keine Verbindungspartikel auf. Die Kombination der Elemente unterliegt bestimmten Verknüpfungsregeln '. Die Faktoren, die die Elemente eines Textes untereinander verbinden und so zur Kohärenz eines Textes beitragen, sind verschiedener Art und wirken auf verschiedenen Ebenen des Textes.
Ebenen der Kohärenz Der Zusammenhang der Elemente läßt sich auf verschiedenen Ebenen feststellen: Auf der Ebene von Syntax und Stil wirken besonders die folgenden Kohärenzfaktoren: Pronominalverweisung (Verweisung auf Vorausgehendes oder Folgendes im Text mit Hilfe von Pronomina und Proformen), Konjunktionen, bestimmte Wiederholungen (etwa Kehrverse u. ä.). Ein Beispiel hoher syntaktischer Kohärenz bietet Röm 8,1-17 mit zahlreichen Partikeln und Konjunktionen, die den Zusammenhang der Sätze des Textes sichern. Auf der Ebene der Semantik (Bedeutungslehre) wird der Text kohärent durch das Thema des Textes, durch Wiederholungen von Stichwörtern usw. Der schon angeführte Text Röm 8,1-17 ist so durch die Rekurrenz (Wiederholung) der Ausdrücke: ,,1tvEü~Cl/Geist" und "crapVFleisch" geprägt. Auf der Ebene der Pragmatik (Wirkabsicht) wird dem Text und seinen verschiedenen Elementen durch die einheitliche Wirkabsicht Einheit und Kohärenz gegeben. Der Bericht Gal 1-2 über das Leben und Wirken des Paulus wird zunächst durch sprachlich-syntaktische und semantische Kohärenzfaktoren zu einem zusammenhängenden Ganzen, dann aber vor allem aufgrund der Pragmatik des Textes: Der ganze Text ist bestimmt von der Absicht des Paulus, die Galater zum Vertrauen auf seine Person und auf das von ihm verkündigte Evangelium zu bewegen 6. , P/ett, Textwissenschaft 61. Zu den Kohärenzfaktoren: De Beaugrande - Dress/er, 50-87; Kallmeyer, Lektürekolleg I 177-252; PIelI, Textwissenschaft 60-70; Egger, Faktoren der Textkonstitution. Im einzelnen werden diese Faktoren in den Abschnitten zu den einzelnen Methoden angeführt. • W. Egger, Gal, z. St.
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Grad der Kohärenz Der Grad der Kohärenz auf den einzelnen Ebenen kann verschieden stark sein: Manche Texte sind syntaktisch sehr eng verknüpft; andere Texte sind durch die semantische Rekurrenz besonders dicht gefügt (in einem Wetterbericht z. B. finden sich lauter meteorologische Ausdrücke) usw. In jedem Fall ergibt erst das Zusammenspiel aller Kohärenzfaktoren die Kohärenz des Textes.
Bezüglich der sog. Spannungen im Text gilt, daß den Kohärenzfaktoren mindestens gleich viel Interesse entgegengebracht werden muß wie den Spannungen. Von vornherein steht weder die Einheitlichkeit des Textes noch dessen Uneinheitlichkeit fest. Wenn die Analyse ordnungsgemäß durchgeführt wird, ist aufgrund der festgestellten Kohärenzfaktoren und der festgestellten Kohärenzbrüche ein Urteil über EinheitlichkeitiUneinheitlichkeit möglich.
Mangel an Kohärenz Bei manchen neutestamentlichen Texten ist allerdings auch ein Mangel an Kohärenz festzustellen: Unebenheiten in der sprachlich-stilistischen Form, Unterbrechungen des Zusammenhangs, störende Wiederholungen u.ä., kurz: Es gibt "Spannungen" im Text'. Entsprechend der Auffassung, daß ein Text durch die Kohärenz auf den Ebenen von Syntax, Semantik, Pragmatik und Textsorte zu einem einheitlichen Ganzen wird, ist bei einem Kohärenzbruch, also bei einem vollständigen Mangel an Kohärenz, in einer sprachlichen Äußerung anzunehmen, daß es sich um zwei oder mehrere Texte handelt. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß die Kohärenz nicht auf allen Ebenen gleich stark sein muß, so daß Mangel an Kohärenz auf einer Ebene noch nicht einen Mangel an Kohärenz im Text überhaupt bedeutet. Auch gelten auf der Ebene der semantischen und pragmatischen Kohärenz bei alten Texten nicht unbedingt die gleichen Faktoren von Kohärenz wie bei modemen Texten: Die Art der Beweisführung des Autors kann anderer Art sein, als modeme Logik es erwartet, wie auch die Wirkabsicht eines Textes durch andere strategische Mittel erzielt werden kann als in heutigen Texten. Unter Umständen können stilistische Brüche und rasche semantische Übergänge einer bestimmten Absicht des Verfassers/Redaktors entsprechen s.
2. Das Lesemodell der strukturalistischen Betrachtungsweise
7 In der sog. Literarkritik werden Beobachtungen über solche "Spannungen" im Text als Hinweis auf die Entstehungsgeschichte verwendet: Wenn Spannungen im Text festgestellt werden, ist anzunehmen, daß Quellen verarbeitet wurden; bei einem Text mit solchen Spannungen handle es sich nicht um einen einzigen Text, sondern in Wirklichkeit um mehrere. Solche literarkritischen Operationen werden an den Evangelien (besonders in der synoptischen Frage) und an den Paulusbriefen (Frage der Einheitlichkeit von I und 2 Kor, Phil, I Thess) vorgenommen. Nach Richter, Exegese als Literaturwissenschaft 49-72; Fahrer u. a. Exegese 44-56; Strecker - Schnelle, Einführung 40 f, bildet die Literarkritik als Feststellung von EinheitlichkeitlU neinheitlichkeit den Ausgangspunkt der Analyse. Mit Recht betont Merk/ein, Einheitlichkeit 156-159, daß die klassischen literarkritischen Kriterien durchwegs Inkohärenzkriterien sind, die mangelnde Textkohärenz aufspüren helfen; vor der Suche nach Spannungen, Brüchen usw. sei anhand einer textwissenschaftlichen Analyse die kohärentielle Qualität des Textes festzustellen. a "Spannungen und Brüche im Text sind primär nicht relevant, um verschiedene Schichten und Quellen zu signalisieren, sie verweisen vielmehr auf die pragmatische
32
Die strukturalistische Betrachtungsweise verwendet eine ihr entsprechende Methode: Da der Text als Beziehungsnetz aufgefaßt wird, in dem die Elemente aufeinander bezogen sind, kann der Text auch als Verweissystem benützt werden: Ein Element verweist (aufgrund ~er Bezogenheit der Elemente) auf das andere. So wird nun als Methode der Entschlüsselung eine Methode angewendet, die systematisch nach den Beziehungen zwischen den Textelementen fragt. Die strukturalistische Methode gibt Anweisungen, wie die Beziehungen zwischen den Elementen eines Textes erhoben werden können.
Die Methode liefert Hilfen, um Elemente und Beziehungen zwischen den Elementen zu entdecken. Freilich handelt es sich nicht um ein mehr oder minder mechanisches Auffindungsverfahren, da gerade bei semantischen Analysen das kulturelle Wissen des Lesers eine große Rolle spielt. Bei alten Texten, wie den biblischen Texten, ist diese kulturelle Kompetenz des Lesers noch wichtiger. Unter hermeneutischer Rücksicht ergibt sich aus diesem strukturalistischen Ansatz die Aufgabe, den Sinn des Textes vor allem im Text selbst zu suchen, d. h. in den Beziehungen zwischen den Elementen des Textes. Der Text ist ja nach dieser Betrachtungsweise als Summe von Elementen und Beziehungen zu verstehen. Der dem Leser vorliegende Text mit seinen Strukturen ist der privilegierte Ort der Suche nach dem Sinn des Textes 9. Wer einen Text verstehen will, muß demnach die Strukturen des Textes beachten. Freilich müssen zur Entschlüsselung eines Textes auch Zusammenhänge historischer Art und anderes berücksichtigt werden 10. Intention des Autors, der mit Brüchen den Hörer/Leser z.B. hellhörig machen will": Frankemälle, Handlungsanweisungen 26. • Barthes, L'analyse structurale 188. '0 Gegenüber einem zu eng gefaßten Strukturalismus siehe oben Anm. 4.
33
•
§ 3 Texte als Teil eines Kommunikationsgeschehens Texte sind nicht isolierte Größen, sondern sind in einen größeren Zusammenhang eingebettet: Sie sind eines der Elemente in einem sprachlichen Kommunikationsvorgang. Eine gute erste Einführung in die Theorie der "Kommunikation durch Texte" bieten E. Gülich - W. Raible, Linguistische Texternodelle 14-58; D. Breuer, Textpragmatik 44-71. Für eine biblischen Texten angepaßte Texttheorie ist zu verweisen auf: ehr. Hardmeier, Texttheorie und biblische Exegese 52-153, und H. Frankemölle, Kommunikatives Handeln in den Gleichnissen Jesu. Frankemölle legt unter den Stichwort "Pragmatik" (in einem weiten Sinn verstanden) eine umfassende Texttheorie vor, in die die historisch-kritische Methode durch eine Neuorientierung integriert werden soll'.
1. Kommunikation durch (schriftliche) Texte Zunächst sei das Modell, das für sprachliche Kommunikation im allgemeinen gilt und das vielfach einfachhin als das "Textmodell" bezeichnet wird, dargestellt:
I I Informations- ~ Sprecher ~
Schallwellen ~ über etwas
-+
.
I
Äußerung ~ Hörer ~ Infor-
~~
verwertung
außersprachliche gemeinsame Kommunikationssituation _ _ _---J Abb. 2: Modell der sprachlichen Kommunikation im allgemeinen , Der Beitrag von H. Frankemölle, Kommunikatives Handeln in Gleichnissen Jesu. Historisch-kritische und pragmatische Exegese. Eine kritische Sichtung: NTS 28 (1982) 61-90, wird zitiert nach dem Nachdruck in: Frankemölle, Handlungsanweisungen 19-49. Ausführungen zu "Text in Kommunikation" finden sich auch bei HenningHuth, Kommunikation; Kahrmann, Erzähltextanalyse 15-50.
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Im Modell Abb. 2 2 sind nur die wichtigsten Faktoren angeführt: Der Sprecher/Sender teilt dem Hörer/Empfänger einen Inhalt mit. Sprecher und Hörer sind am gleichen Ort und sprechen/hören zur gleichen Zeit. Verständigung und Einflußnahme zwischen Sprecher und Hörer ist nur möglich, wenn sie über einen gemeinsamen Code, eine gemeinsame Zeichenmenge, eine gemeinsame "Sprache" verfügen; andernfalls sprechen sie verschiedene "Sprachen". Allerdings kann der Hörer die ihm zur Verfügung stehende Zeichenmenge durch Rückfrage an den Sprecher in einem Gespräch unmittelbar erweitern. Der Hörer/Empfänger kann die Information verwerten. Sprecher und Hörer sind in manchen Fällen durch die außersprachliche Kommunikationssituation verbunden, so daß etwa Sinneswahrnehmung, gemeinsames Wissen über bestimmte Sachverhalte die Verständigung erleichtern. Für Kommunikation anhand schriftlich niedergelegter Texte, wie es die neutestamentlichen Texte sind, genügt ein solches Modell nicht. Schriftliche Texte haben nicht nur eine bestimmte Sonderexistenz 3; mit geschriebenen Äußerungen sind nämlich einige ganz bestimmte Probleme bezüglich Verfasser - Text - Leser verbunden 4, die es bei mündlicher Unterredung nicht gibt. In einer mündlichen Unterredung etwa sind Ausdrücke wie "ich", "heute", "hier" ohne weiteres klar; in schriftlichen Texten sind solche Wendungen nur verständlich, wenn (bei einem Brief) eine Datums- und Ortsangabe und Unterschrift gegeben sind. Wichtiger ist noch folgender Umstand: Anstelle der Direktheit der Verbindung von Sprecher und Hörer tritt ein zeitlicher Abstand zwischen Verfasser und Leser. Es entsteht eine "zerdehnte SprechsituaDie Darstellung ist mit Modifizierung aus Funk-Kolleg Sprache I 41, entnommen. Vgl. Kallmeyer, Lekürekolleg I 26-60; Plett, Textwissenschaft 45; Schmidt, Texttheorie 107-111. In exegetischer Arbeit verwenden solche Modelle: Hardmeier, Texttheorie und biblische Exegese 106 108; Frankemölle, Kommunikatives Handeln 28; G. Altpe(er, Textlinguistische Exegese alttestamentlicher Literatur. Eine Dekodierung (Bern 1978) 24-28. 1 Für Texte als geschriebene sprachliche Äußerung gilt, was Weimar, Enzyklopädie, feststellt: Texte sind von situationsunabhängiger Dauer (§ 80), Texte gehören zwei zeitIich getrennten Situationen an und sind von situationsunabhängiger Dauer (§ 81), Texte sind immer gegenwärtig (§ 82; und zwar trotz aller "Historizität"), Texte verändern sich nicht (§ 83), Texte sind zeitlos und vollendet (§ 84), ein Text ist eine dingliche Gegenwart einer Vergangenheit (§ 85), Texte sind in Linien verwandelter Laut der Sprache (§ 86). • Mit der durch die materielle Selbständigkeit des Mediunis gegebenen faktischen Sonderexistenz von Texten (die sich aus der ursprünglichen Kommunikationssituation gelöst haben) beschäftigen sich K. Eh/ich. Zum Textbegriff: A. Rothkegel - B. Sandig (Hrsg.), Texte - Textsorten - Semantik. Linguistische Modelle und maschinelle Verfahren (Papier zur Textlinguistik 52; Hamburg 1984) 9-25, und Frankemälle, Handlungsanweisungen 19-49. 2
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tion" s. "Schreiben und Lesen können so zu beliebig weit auseinanderliegenden Vorgängen werden, auf jeden Fall sind es ungleichzeitige Prozesse" 6. Bei biblischen Texten tritt die Länge des Zeitabstandes zwischen Abfassungs- und Leserzeit noch einmal erschwerend dazu. Der Text als geschriebene Menge von Zeichen bleibt derselbe; doch entsteht für die neuen Leser das Problem, ob sie die für das Verständnis des Textes notwendige Zeichenmenge (Code) besitzen. In dem unter der Rücksicht schriftlicher Kommunikation genauer gefaßte Modell einer Kommunikation durch schriftliche Texte Abb. 3 7 sind die Faktoren Zeit und Ort eingefügt. über etwas I
Text Infor-
Infor· f - - - - + Leser _ _matiol verwe
.~tung ---~ ~ V
Q
("'G--
-1--
Ll
L3
I
1______ - - - -
I I I I
I
I I I I
I
I _________ JI
I II
V
Die folgenden Ausführungen sind nach den beiden Polen der Kommunikation gegliedert: Mitteilung durch den Verfasser und Rezeption durch den Leser. Die folgenden Aussagen sind zum Teil selbstverständlich, sie spielen jedoch (in hermeneutischer Hinsicht) eine große Rolle für das Verstehen von Texten.
I
Code Zeichenmenge
I I
I
------------------~ Abb. 3: Modell von Kommunikation durch schriftkonstituierte Texte
Die Darstellung ist so zu lesen: Aus der Quelle gelangt eine Information zum Verfasser, der zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem be_stimmten Ort und unter bestimmten Bedingungen einen Text verfaßt. , Ehlich, Zum Textbegriff 18. • Grimminger, Literarische Kommunikation: Brackert- Lämmerl, Funk-Kolleg Literatur, I, 104-106. 7 Im Anschluß an die Modelle von Ehlich, Zum Textbegriff 18, und Frankemölle, Handlungsanweisungen 28.
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Wenn Kommunikation anhand von Texten der Vergangenheit erfolgt, ergeben sich Folgen für den Verstehensprozeß9. Das Wissen um den zeitlichen Abstand zwischen Verfasser und Leser beeinflußt das Schreiben und das Lesen von Texten.
I I I I
_______ .J I
2. Kommunikation anhand von Texten der Vergangenheit
V
I ,..
::[;)-H
Der Text wird über einen störanfälligen Kanal (Papyrus ... ) vermittelt. Der Leser (Leser I bis Leser x) lebt zu einer anderen Zeit (vom I. Jahrhundert bis in unsere Zeit) und an einem anderen Ort. Die Zeichenmenge, über die der Verfasser und der Leser verfügen (angefangen von der Kenntnis der griechischen Sprache bis zum kulturellen Wissen), kann sehr unterschiedlich sein. . Im Modell Abb. 3 hat der heutige Leser einen gen au umschriebenen Platz als Leser. Auch wenn er nicht mit den zunächst intendierten Adressaten der Texte identisch ist (etwa bei den Paulusbriefen; anders ist der Fall bei den Evangelien, die ja als Weitergabe der Jesustradition sich an ein weiteres Publikum wenden) und auch wenn die Rezeptionsbedingungen heute anders sind als bei den ersten Lesern, nimmt der heutige Leser den Text direkt auf und nicht erst durch Vermittlung früherer Lesers.
2.1 Die Rolle des Verfassers Der Verfasser ist in der Gestaltung des Textes von den oben genannten Faktoren beeintlußt, also von der zur Verfügung stehenden Zeichenmenge (Denkvorstellungen, Sprache), den vorhandenen Quellen, dem Bild, das er sich vom Leser macht, und von der Wirkabsicht. Im einzelnen heißt dies: • Allerdings sind die Wirkungsgeschichte des Textes und die Tradition, in der der Text weitergegeben wird, wirksam als Leserlenkung. • Die Ausführungen von Grimminger, Literarische Kommunikation 104-116, über Lesen und Schreiben von literarischen Texten gelten mit bestimmten Modifizierungen auch für Formen der Kommunikation mit anderen schriftlichen Texten. Vgl. auch zu Situation, Absicht und Interessen von Emittenten und Rezipienten Glinz, Textanalyse I 67-105; II 42-48 (mit Liste der beeinflussenden Faktoren).
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•
- Der Verfasser verfaßt den Text als "Kind seiner Zeit". Er bewegt sich im Denk- und Lebenshorizont seiner Zeit und verfügt über eine bestimmte und begrenzte Zeichenmenge an Denkvorstellungen, Sprachmitteln usw. - Der Verfasser verarbeitet seine Vorstellungen und gegebenenfalls das aus mündlichen oder schriftlichen Quellen übernommene Material zu einem neuen Ganzen. - Der vom Verfasser intendierte Leser (nicht gleichzusetzen mit dem faktischen Leser) kann eine bestimmte Person sein, es kann eine Gruppe sein, etwa eine Gemeinde; es können die Menschen einer bestimmten Zeit oder auch Leser der Zukunft sein. Das Bild, das sich der Autor vom Leser macht, beeinflußt wesentlich die Gestaltung des Textes. Dies betrifft besonders die Wahl des Codes und die "Vollständigkeit" des Textes. Wenn der Autor bei seinem intendierten Leser viele Kenntnisse bereits voraussetzen kann, muß er diese für das Verständnis des Textes notwendigen Voraussetzungen nicht mehr nennen. Je weniger der Verfasser über den intendierten Leser weiß, um so vollständiger und um so mehr "durchorganisiert" muß der Text sein. - Der Verfasser will den intendierten Leser zu einem bestimmten Denken, Fühlen, Handeln, zu Vorstellungs- bzw. Verhaltensbestätigung und -veränderung führen. Er beabsichtigt eine "Leserlenkung". Als Mittel zur Leserlenkung stehen dem Verfasser die Mittel der Sprache zur Verfügung; außertextliche Mittel, die gerade beim mündlichen Gespräch eine solche Rolle spielen, etwa der Situationskontext, stehen in der Regel nicht zur Verfügung. - Sobald der Text verfaßt und vom Verfasser aus der Hand gegeben ist, wird der Text selbständig und nimmt seinen Weg. Der Verfasser kann den von ihm verfaßten Text, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mehr gegen Unverständnis und Mißverständnis schützen. Da Rückfragen an den Autor nach einer bestimmten Zeit nicht mehr möglich sind, ergibt sich eine Einbahnkommunikation. 2.2 Rezeption des Textes durch den Leser
•
Geschriebene Äußerungen sind selbständig (autonom) geworden. Texte können zwar von außertextlichen Verständnishilfen begleitet werden, etwa durch Erklärungen des Überbringers. Dadurch, daß bei den neutestamentlichen Texten dem Leser nur der Text als Zugang zum Verständnis offensteht, findet diese "Kommunikation ohne Partner" in einer "Verengung der Wahrnehmung auf den Text"IQ statt. Für das Verstehen eines Textes hat dies für den Leser diese Folgen: 10
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Grimminger, Literarische Kommunikation 105.
- Auch der Leser eines Textes, der nicht zur gleichen Zeit wie der Verfasser leben muß, ist wie der Verfasser Kind seiner Zeit, er verfügt über eine bestimmte Zeichenmenge an kulturellem Wissen, an Vorstellungen, Sprachmittein usw. Da Verfasser und Leser jeweils Kinder ihrer Zeit sind, besitzt der moderne Leser alter Texte nicht ohne weiteres die zum Verständnis alter Texte notwendige Zeichenmenge. Das Problem ist, wie sich der Leser diese Zeichenmenge verschafft. - Nicht jeder Leser eines Textes ist vom Verfasser als eigentlicher Leser intendiert. Aber auch der nicht-intendierte Leser kann unter bestimmten Bedingungen einen Text, der nicht an ihn gerichtet ist, verstehen. - Die Rezeption des Textes durch den Leser kann gestört sein: etwa bei bruchstückhafter Weitergabe des Textes, bei fehlerhafter Weitergabe durch Abschreibfehler usw. Die Rezeption kann auch durch mangelhafte Kenntnis der Sprache und der Gedankenwelt des Verfassers behindert sein. Der Text kann mißverstanden werden. Ein Text kann dadurch, daß er in neuen Situationen gelesen und angewendet wird, auch Wirkungen erzielen, die ursprünglich nicht intendiert waren. - Der Text ist dauerhaft geworden. So kann der Leser den Text immer wieder befragen und seine Deutungen am Text überprüfen.
3. Lesen als Weg zur Rekonstruktion des Kommunikationsgeschehens Der Text ist Teil eines Kommunikationsvorganges und von den vielen Faktoren eines solchen Vorganges abhängig. Damit der Text verstanden wird, ist auch die Rekonstruktion des Kommunikationsgeschehens, in das der Text eingebettet ist, notwendig. Denn nur wenn der Ausleger sich ein Gesamtbild der verschiedenen Faktoren bildet, die an der Textwerdung beteiligt sind, ist eine angemessene Auslegung möglich. Der Zugang zum Kommunikationsgeschehen ist uns bei biblischen Texten in der Regel nur über den Text selbst möglich. Durch die Anwendung und gen aue Auswertung des vorgelegten Kommunikationsmodells lassen sich aus dem Text selbst aber einige Rückschlüsse auf die anderen Faktoren der Kommunikation ziehen, also auf den Autor und seine Zeit, auf die intendierten Leser usw.
Die Anwendung des Kommunikationsmodells auf alte Texte erlaubt in einem gewissen Ausmaß Rückschlüsse auf das Kommunikationsgeschehen, in das der Text eingebettet ist.
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Das Ausmaß der durch Rückschlüsse erschließbaren Kenntnisse ist je nach Texten verschieden; größer ist es bei den Paulusbriefen als bei den Evangelien; Paulus geht nämlich oft auf Auffassungen und Haltungen der Adressaten ein, während dies bei den Evangelien nur indirekt der Fall ist. Die methodischen Schritte, um Rückschlüsse zu ziehen, sind in Abb.4 eingezeichnet; sie werden in der Darstellung der einzelnen Methoden genauer beschrieben.
Informationsqu elle
.... Verfasser
....
Ausgehend vom Text werden Beobachtungen gesammelt und Rückschlüsse auf außertextliche Produktions- und Rezeptionsbedingungen gezogen
.... intendierter-.. Informatio nsLeser verwe rtung
t
Kommunikationssituation Abb. 4: Die Arbeitsschritte zur Rekonstruktion des Kommunikationsgeschehens
Die Rekonstruktion des Kommunikationsgeschehens, in das der Text eingebettet ist, ist zu ihrem Abschluß gelangt, wenn eine Antwort auf folgende Fragen erzielt ist 11: Verfasser: Leser: Thema: Zeit: Ort: Code:
Wer teilt mit? Wem? Worüber? Was? Wann? Wo? Gemeinsame Zeichenmenge zwischen Verfasser und Leser? Wirkungsabsicht: Wozu?
11 Siehe auch Lewandowski, Linguistisches Wörterbuch, Stichwort "Textanalyse" : Eine systematische Textanalyse wird sich an der LassweIIschen Formel: "Who says what in which channel to whom with what effect" (in: L. Bryson [Hrsg.), The Communication of Ideas [1948)37) zu orientieren haben.
40
§ 4 Texte als Ergebnis von Rezeption und
Überarbeitung Die neutestamentlichen Texte sind nicht nur in ein synchrones Netz von Beziehungen eingebettet, sondern stehen auch in einer diachronen Entwicklung, insofern sie Ergebnis eines längeren Prozesses mündlicher und schriftlicher Weitergabe sind. Literatur zur Einführung: In den Methodenbüchem zum Neuen Testament werden bei den einzelnen Methodenschritten meist auch kurz die Auffassungen über die Entstehung der Texte dargelegt. Als Ansätze zu einer systematisch reflektierten Theorie zur Entstehung biblischer Texte sind bemerkenswert: ehr. Hardmeier, Texttheorie und Exegese (zum Alten Testament) und F. Mußner, Methodologie der Frage nach dem historischen Jesus I.
1. Die Entstehung der neutestamentlichen Schriften Die neutestamentlichen Texte sind das Produkt eines über einen längeren Zeitraum währenden Prozesses mündlicher und schriftlicher Überarbeitung und Weitergabe.
Die Überlieferung der Worte und Taten Jesu und der Botschaft von Tod und Auferstehung ist Rezeption und Überarbeitung von Texten: Das Sinnereignis des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu von Nazaret wurde reflektierend und aktualisierend weitergegeben. In den verschiedenen Stufen der Überlieferung wurden neue Akzente gesetzt und traten auch manche Aspekte zurück. 1.1 Die Etappen der Textentstehung
Die Entstehung der neutestamentlichen Schriften läßt sich in drei Etappen gliedern: vorösterliche Zeit 2 , nachösterliche mündliche Überlieferung, Verschriftlichung der Texte 3. I Hardmeier, Texttheorie und Exegese 109-153; F. Mußner, Methodologie der Frage nach dem historischen Jesus: K. Kertelge (Hrsg.), Rückfrage nach Jesus (QD 63; Freiburg 1974) 118-147. Die folgenden Überlegungen schließen sich eng an die Ausführungen dieser beiden Autoren an. 2 In der klassischen Formgeschichte wurde die Bedeutung der vorösterlichen Zeit für die Traditionsbildung schweigend übergangen. Eine neue Sicht eröffnete H. Schürmann, Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition. Versuch eines formgeschichtlichen Zugangs zum Leben Jesu, in: Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien. Beiträge (Düsseldorf 1968) 39-65. J Diese Gliederung wird von der Offenbarungskonstitution "Dei Verbum" des Zweiten Vatikanischen Konzils gewählt: Kap. 5.
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Jesuslogien Erzählungen über Jesus Glaubens- und Bekenntnisformeln Briefe des Paulus
mündliche Überlieferung - - - - - - - - - - , von Logien, Erzählungen, Homologien ("Gebrauchstexte" in der Kirche)
Mk Niederschrift (in Etappen)
S
1
~Mt
Abb. 5: Die Etappen der Textentstehung des Neuen Testaments
In Abb. 5 sind die Etappen und die wichtigsten neutestamentlichen Textgruppen verzeichnet. Das auslösende Moment der Textentstehung sind Wort und Wirken Jesu von Nazaret, genauer formuliert: die von Jesus selbst geäußerten Worte (Logien) und die von den Zeugen geformten Texte über Jesus (Erzählungen). Schon auf dieser Stufe ist allerdings auch ein gewisser Rezeptionsprozeß am Werk, insofern Texte des Alten Testaments zum Teil kritisch aufgenommen werden. Schon in der vorösterlichen Zeit sind die Jünger Schüler im echten Sinn des Wortes: Sie sind um Jesus versammelt, teilen sein Wanderleben und seine Lebensform, wissen sich auf seine Person verpflichtet 4. Mit ihnen beginnt die (vorösterliche) Logientradition. Eine Reihe von Beobachtungen an den Jesusworten bestätigt diese Auffassung von Textproduktion und -rezeption schon in der vorösterlichen Zeit S: a) Als messianisches Gut forderten die Aussprüche Jesu zum Behalten auf; b) Jesus war es gewohnt, knapp formulierte Zusammenfassungen seiner Lehre zu geben; c) einige Ausdrucksweisen Jesu lassen sich als Aufforderung zum Memorieren auffassen; d) der rätselhafte und prophetische Charakter vieler Jesusworte legte es nahe, sie zum Bedenken zu bewahren; e) die bewußt mnemonische Formung • Vgl. dazu R. Riesner, Jesus als Lehrer. Eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelien-Überlieferung (WUNT 2.7; Tübingen 21984) 4O~19. , Die folgende Liste der Eigentümlichkeiten ist fast wörtlich übernommen aus Riesner. Jesus als Lehrer 433 (dort jeweils mit Belegstellen). Grundlegend ist für diese Auffassung Schürmann, Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition.
42
des größten Teils der synoptischen Wortüberlieferung förderte, ja forderte ihr Einprägen. Als Methode des Einprägens ist wohl das Auswendiglernen, das Memorieren anzunehmen 6. Damit ist schon im vorösterlichen Jüngerkreis mit dem Traditionsprinzip 7 und mit mehr Treue in der Traditionsübermittlung zu rechnen, als dies die klassische Formgeschichte angenommen hatte 8. Schon in der vorösterlichen Zeit unterliegen die Textproduktion von Erzähltexten und die Rezeption der Jesuslogien durch die Jünger jenen Bedingungen, die in der Forschung besonders hinsichtlich der nach österlichen Tradition erarbeitet wurden. Zu diesen Bedingungen gehören z. B. Selektion, Umprägung und Neuinterpretation 9. Durch die Ostererfahrung kommt es zu einer Produktion neuer Texte: Die Ostererfahrung wird in den Osterbekenntnissen als Homologese formuliert 10: "Gott hat ihn von den Toten auferweckt." Diese neuen Texte gehen dann in die Tradition ein: Sie werden rezipiert und weitergegeben (vgl. I Kor 15,3). Daneben werden auch die Jesuslogien und die Jesuserzählungen weitergegeben, freilich nun in einem neuen Licht. Als neue Texte entstehen in dieser Zeit die Briefe des Paulus, die Zeugnis für die Produktion neuer Texte, aber auch für die Rezeption alter Texte sind, indem in diese Briefe Glaubensformeln, missionssprachliches Vokabular, alttestamentliche Zitate aufgenommen werden. Die Rezeption der Traditionen unterliegt bestimmten Bedingungen 11. In der Verschriftlichung der Verkündigung sowohl in den Evangelien (bzw. ihren Vorlagen) als auch in den übrigen Schriften des Neuen Testaments (Apg, Briefe, Offb) erreichen Rezeption und Neugestaltung von Texten eine neue Stufe 12: Die Texte erhalten nun eine endgültig feststehende sprachliche Gestalt; die ursprünglich isolierten Kurztexte werden Teil eines größeren Ganzen und sind damit in diesem neuen Zusammenhang zu lesen; die Texte werden in gewisser Weise selbständig, lösen sich vom Tradenten bzw. Tradentenkreis und auch vom Adressa• Riesner, Jesus als Lehrer 440-443. 7 Riesner, Jesus als Lehrer 423 f. • P. Stuhlmacher(Hrsg.), Das Evangelium und die Evangelien (WUNT 28; Tübingen 1983) 431. • Vgl. daZu F. Hahn, Methodologische Überlegungen zur Rückfrage nach Jesus: K. Kertelge (Hrsg.), Rückfrage nach Jesus 11-77, bes. 14-26 (allerdings hier vor allem bezüglich des Übergangs von der vor- zur nachösterlichen Zeit). 10 Zu einer anderen Gattung gehören die Ostererzählungen. 11 Siehe unten. 11 Vgl. oben über die Eigenart von (schriftlichen) Texten. In der Evangelienforschung wurde auf diesen Unterschied zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit besonders durch E. Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums (München 21971) aufmerksam gemacht.
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tenkreis. Die Kanonbildung ist die Besiegelung der in der Kirche vollzogenen Rezeption der normativen Schriften. 1.2 Modell der Textverarbeitung Der Prozeß der Textentstehung der neutestamentlichen Schriften ist eine Folge von Textüberarbeitungen. Bei jeder Textverarbeitung vollzieht sich Rezeption und (Re-)Produktion von Texten, wobei die Textverarbeitung jedesmal auch als Teil eines Kommunikationsprozesses aufzufassen ist. Das Ergebnis der Textverarbeitung kann dann wieder Ausgangspunkt einer neuen Überarbeitung bilden 13. Abb.6 zeigt den Verlauf der Überarbeitungen. Zeitachse
I. Überarbeitungsstufe
- der Einfluß des Alten Testaments sowohl durch Zitate als auch durch das Angebot von Erzählmustern (etwa vom verfolgten Gerechten in der Leidensgeschichte); - mehr oder weniger geringfügige Änderungen an Texten und Verdoppelungen, etwa die Speisungswunder; die Fassungen des Vaterunsers; - der Einfluß volkstümlicher Erzählweise, z. B. Steigerung des Wunderbaren usw.; - Kontamination von ursprünglich getrennten Texten; - die Ausrichtung von Einzelperikopen auf die Leidensgeschichte hin; - die Öffnung der Gemeinden zu den Heiden hin; - die wachsende Auseinandersetzung mit dem Judentum, besonders mit dem pharisäisch geprägten Judentum.
2. Überarbeitungsstufe
2. Lesen als Suche nach den Spuren der Textentstehung Ausgangs- .... text
Textverarbeitung durch Textrezeption und Text(re-)produktion .... Endtext
1
Ausgangs.... text
Textrezeption Text(re-) '--'p:.;:r..:.o..:.du_k_t_io:....n__ .... Endtext
+
Abb. 6: Textüberlieferung als Folge von Textüberarbeitungen
Durch die Überarbeitung erzielen die Texte neue Wirkung bei geändertem Adressatenkreis und werden zu einer Antwort in gewandelten Situationen. Die wichtigsten Faktoren, die auf die Überarbeitung (Selektion, Veränderung und Umprägung, Neuinterpretation) einwirken, sind folgende 14: - der Einfluß einer expliziten Christologie: Die Bedeutung der Person Jesu wurde immer deutlicher erkannt und hat ihren Niederschlag auch in den Texten gefunden, vor allem durch die Einführung von Bekenntnisformeln in die Texte der Evangelien, vgl. etwa Mk 8,27 -30;
Der andauernde Prozeß von Textproduktion, -rezeption und -überarbeitung hat seine Spuren im Text des Neuen Testaments hinterlassen. Manche (Teil-)Texte spiegeln eine einmalige, nicht wiederholbare Situation wider, in der Jesus sich vor Ostern Israel gegenüber befand; es gibt Texte, die zur nachösterlichen Missionssituation widersprüchlich sind; manche Texte vertreten eine offene, "vage" ("indirekte") Christologie und Soteriologie usw. Andere Teiltexte verraten den Einfluß der christologischen Homologese und der nachösterIichen Soteriologie, der nachösterlichen Missionserfahrung und Verfolgungserfahrung, den Versuch der Enträtselung dunkler Jesusworte USW. 15 • SO trägt der Text die Spuren der Entstehung mit sich. Für den Exegeten sind solche Beobachtungen am Text ein Fingerzeig, um die Entstehung des Textes nachzuzeichnen. " Mußner, Methodologie, 133 f 136 f, führt diese und andere Beobachtungen als Kriterien an, die ein Logion als genuin jesuanisch oder als nachösterliche Bildung erkennen lassen; doch können diese Beobachtungen auch ganz allgemein als Hinweise auf die Entstehung des Textes gelten.
Das Modell wird mit Abänderungen aus Hardmeier. Texttheorie 80, übernommen . .. Im einzelnen dargelegt bei Hahn. Methodologische Überlegungen 14-26.
Il
44
45
2. Teil
der Textkritik die textkritischen Entscheidungen in den Kommentaren und wissenschaftlichen Arbeiten nachvollziehen können I.
Vorbereitende Schritte der Analyse
Fast alle Methodenbücher bieten auch eine Einführung in die Methoden der Textkritik. Als Standardwerk zur Einführung und wegen seiner reichen Information als Nachschlagewerk zu diesbezüglichen Fragen kann gelten: K. und B. Aland. Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben und in Theorie wie Praxis der Methoden der Textkritik (Stuttgart 1982)2.
1. Die der Textkritik zugrundeliegende Theorie über die Entstehung von Varianten und Texttypen J Zur Durchführung der eigentlichen Analyse von Texten sind einige vorbereitende Schritte notwendig: die Sicherung der ursprünglichen Textgestaltung durch die Textkritik, die eigene (vorläufige) Übersetzung des Urtextes bzw. Wahl von vorhandenen Übersetzungen und eine erste Orientierung über den Text.
§ 5 Sicherung der Textgestalt (Textkritik) Eine erste Aufgabe im Umgang mit den neutestamentlichen Texten besteht darin, sich zu vergewissern, daß der uns vorliegende Text mit jenem übereinstimmt, der aus der Hand des Verfassers hervorgegangen ist. Damit beschäftigt sich ein eigener Zweig der neutestamentlichen Wissenschaft, nämlich die Textkritik.
Die neutestamentliche Textkritik versucht, ausgehend von den vorhandenen Handschriften, den ursprünglich (nicht mehr erhaltenen) Text des Neuen Testaments zu rekonstruieren.
Aufgrund der hohen Spezialisierung der textkritischen Forschung können hier nur einige Grundbegriffe dargelegt werden, die es dem Anfänger wenigstens ermöglichen, die beiden gebräuchlichsten Handausgaben des Neuen Testaments Nestle - Aland, 26. Aufl., und The Greek New Testament, 3. Aufl., angemessen benützen zu können. Im folgenden wird auf diese beiden Ausgaben verwiesen. Darüber hinaus soll der Student die wichtigsten Handschriften und Handschriftenfamilien des Neuen Testaments kennen und unter Berücksichtigung der Kriterien
46
Der griechische Text des Neuen Testaments wurde bis zur Erfindung der Buchdruckerkunst in Handschriften verbreitet. Die Originale der neutestamentlichen Schriften sind nicht erhalten;'erhalten sind die Abschriften des Textes in griechischer Sprache und die Texte der (zum Teil sehr alten) Übersetzungen. Die erhaltenen Handschriften reichen von 130 n. Chr. bis ins 15. Jahrhundert. Die bedeutendsten Handschriften sind die Papyri aus dem Beginn des 3. Jahrhunderts und die großen Codices des 4. Jahrhunderts. Neben den direkten Zeugen des griechischen Textes in den Handschriften finden sich indirekte Zeugnisse in den Schriften der Kirchenväter. 1.1 Die Entstehung von Varianten
Die Handschriften bieten den Text des Neuen Testaments mit vielen geringfügigen oder auch gewichtigeren Varianten (Lesarten). Varianten entstehen dadurch, daß Texte fehlerhaft abgeschrieben oder auch bewußt Korrekturen eingetragen werden.
Es gibt keine zwei Handschriften, die einander vollständig gleichen. Ein ähnliches Lernziel setzt sich auch Conzelmann - Lindemann, Arbeitsbuch 20. Ausführliche Einführung und Einübung in die Textkritik bieten auch B. M. Metzger, Der Text des Neuen Testaments (Stuttgart 1966), sowie die Einleitungswerke von Kümmel und Wikenhal/ser - Schmid. Kurze Einführungen finden sich bei Conzelmann Lindemann, Arbeitsbuch § 4; Strecker - Schnelle, Einführung 23-39; Zimmermann, Methodenlehre, Kap. I; B. M. Metzger, A Textual Commentary on the Greek New Testament (London 1971) XIII-XXXI; C. M. Martini, Il testo biblico: I libri di Dio. Intro· d uzione generale aHa Sacrll Scrittura (Turin 1975) 502-551. ) Siehe dazu besonders Aland, Der Text 57-81. I
2
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(Original)
AbSCh~ift ~
x-Varianten
/
Abschrift x+a-Varianten
""
Abschrift x + b-Varianten
~
Absc1hrift y-Varianten
I
Abschrift z-Varianten
/
Abschrift Abschrift y + c-Varianten z + d-Varianten
Abb. 7: Entstehung von Varianten
""
Abschrift z+e-Varianten
Unbewußte Fehlerquellen sind: Verwechslung von Buchstaben durch' den Abschreiber (AA - M); Hörfehler (beim Abschreiben auf Diktat, zumal EI und I gleich ausgesprochen wurden); falsche Trennung von Wörtern (da die scriptio continua üblich war); Verdoppelung von Buchstaben oder Wörtern; Auslassen (durch Überspringen, etwa bei gleichem Anfang oder Ende von Sätzen); Einfügen von Randnotizen; Angleichung an Parallelstellen, die dem Abschreiber vertraut sind (Mk 1,34 an Lk 4,41). . Bewußte Korrektur kann beruhen auf der Absicht, Stellen des Textes, die dem Kopisten fehlerhaft vorkamen, zu korrigieren (Mk 1,2: "bei den Propheten" statt "beim Propheten Jesaja"; Lk 2,43: "Josef und Maria" anstatt "seine Eltern"; Lk 24,13: "hundertsechzig" statt .. sechzig" Stadien); Änderung von Orthographie, Grammatik und Stil (z. B. Eliminierung des Asyndeton) u. a. Die' Veränderungen können mehr zufälliger Natur sein oder auch systematischer Art. Wenn eine systematische Änderung vorliegt (also die Erstellung eines Textes anhand bestimmter Kriterien), spricht man von Revision/Rezension. Wieweit die im folgenden genannten Texttypen Ergebnis einer Rezension sind, ist allerdings in der Forschung umstritten. 1.2 Die Entstehung von Handschriftenfamilien und Texttypen Die Liste mit den wichtigsten Handschriften mit den dazu nötigen Angaben findet sich in Nestle - Aland und The Greek New Testament. Im folgenden einige statistische Angaben zu den Handschriften 4 : • Angaben nach Aland. Der Text 94-171.
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Name
Bezeichnung
Material
Alter
88 274
Papyri Majuskeln
~+Zahl
Papyrus Pergament
bis ins 8. Jh. 4.-9. Jh.D W
2800 (rund) 21 \0 (rund)
Minuskeln
A, B, C usw. 01,02,03 ... 1,2,3 ...
Pergament
9.-15. Jh.
Lektionare
11, 12, 13 ...
Anzahl
Pergament
Einige Handschriften sind so wichtig, daß sie in der Ausgabe von Nestle - Aland zu jeder Stelle herangezogen werden s. Als wichtigste Handschriften gelten: ~4S, ~66, ~7S (besonders wertvoll); B (Codex Vaticanus, besonders wertvoll), K (Codex Sinaiticus), D (mit vielen Problemen), Wund e. In den ersten christlicher! Jahrhunderten entwickeln sich sogenannte "lokale Texte"6.
Bei der Gründung neuer Gemeinden in der Umgebung der großen Städte, etwa Alexandrien, Antiochia, Rom usw., wurden auch Exemplare der heiligen Schriften weitergegeben, und zwar in jener Textform, wie sie in jenen Städten üblich war. Von der Mitte des 2. Jahrhunderts an "bedeutet die Entstehung jeder neuen christlichen Gemeinde die Entstehung neuer neutestamentlicher Handschriften" 7. Wenn Abschriften verfertigt wurden, wiesen diese dieselben Lesarten auf wie die in den Muttergemeinden verwendeten Texte (dazu eventuell neue Fehler/Varianten beim Abschreiben). So entstehen .. Textfamilien", d. h. Gruppen von Handschriften, die voneinander abhängen und deren Stammbaum rekonstruierbar ist. z. B. die durch Handschriften seit dem 12. Jahrhundert belegten Familien I und 13 8. In den einzelnen geographischen Bereichen bestanden gegenüber der Genauigkeit verschiedene Haltungen 9. Der Text ist noch ein .. lebendiger Text" 10. In einigen Bereichen galt Buchstabentreue im Abschreiben als oberste Pflicht, etwa im An, Lt5te bei Aland, Der Text 247-251. • Zu den "lokalen Texten" siehe auch Metzger, Commentary XVII. , Aland, Der Text 65. I Martini, II testo 509. • Dies läßt sich nachweisen aufgrund einer Fehleranalyse der einzelnen Handschriften; vgl. Martini, II testo 519: !p" hat vor allem Buchstabenfehler, 'P"" Silbenfehler, ,p4! Wortfehler (Umstellungen). 10 Aland, Der Text 79.
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schluß an die Vorstellungen der Textkritik, wie sie sich schon im Altertum fanden. Dies gilt wohl für den Bereich von Alexandrien, näherhin die Handschriften S].)6675 und der Handschrift B (Codex Vaticanus). In anderen Gegenden wurde ein freieres Verhalten gegenüber der Buchstabentreue geübt (etwa im Bereich von S].)45). Dieser lokale Ursprung von Handschriften und die Art des Abschreibens gehören zu den Voraussetzungen, daß es zu mehreren Texttypen des Neuen Testamentes gekommen ist. Als nach der konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert viele Gemeinden mit Handschriften versorgt werden mußten, gewannen jene Textformen und Handschriften, die in den kirchlichen Skriptorien als Vorlage dienten, bestimmenden Einfluß ll. In der Forschung werden vor allem vier Texttypen genanntt 2 • Der alexandrinische Texttyp wird durch die Papyri S].)66.75 und die Codices B, K, A (Apg) sowie durch die alten koptischen Übersetzungen bezeugt. Der Archetyp dieser Textform läßt sich bis ins 2.13. Jahrhundert n. Ch. verfolgen, Kennzeichen der alexandrinischen Textform ist Kürze und Strenge der Ausdrucksform. Dieser Text ist im allgemeinen kürzer als die anderen Texttypen und weist weniger grammatikalische und stilIstische Verbesserungen auf. Der "westliche Text", dessen Vor- und Nebenformen bis ins 3.14. Jahrhundert zurückverfolgt werden können, ist durch die Codices D, W (für Mk 1,1 - 5,30), S].)38 und S].)48, die altlateinischen Übersetzungen und lateinischen Kirchenschriftsteller bezeugt. Diese Textform (besonders in der Fassung von D) liebt die Paraphrase und nimmt Umstellungen und Korrekturen vor. Die Apostelgeschichte ist rund 10% länger als der Text in den übrigen Handschriften. Die Eigenart und der Wert dieses Texttyps sind in der Forschung umstritten 13. Der byzantinische Texttyp, zu dem fast alle Handschriften seit dem Aland, Der Text 80 f. Unter "Texttyp" wird nach Martini, Il testo 509, nicht so sehr eine Gruppe von Handschriften verstanden, als vielmehr eine Gesamtheit von Varianten, die sich in bestimmten Codices findet und einen gemeinsamen Ursprung zu haben scheint. In der Forschung hat die Aufteilung der Handschriften nach Texttypen eine große Rolle gespielt; Zimmermann, Methodenlehre; Metzger, Commentary, und Martini, Il testo, führen sie an, ebenso Conzelmann - Lindemann und Strecker - Schnelle. Aland, Der Text 57-81, gruppiert die Handschriften weniger nach Texttypen, sondern unterscheidet stärker einen "frühen Text" (der als Normaltext, freierer Text und fester Text existierte) und die durch eine bestimmte "Kanalisierung" erzielten späteren Textformen (alexandrinisch-ägyptisch; antiochenisch-byzantinisch); andere Textformen, zumal die "westliche Textform", sind nach Aland unsicher. Zu den Listen und Hss., nach Familien geordnet: Metzger, Commentary XXIX-XXXI; Martini, Il testo 521-530. 13 Besonders Aland, Der Text 63 f, spricht sich gegen die Auffassung aus, daß der Westen eine eigene Textform entwickelt habe. Nach Aland, Der Text 248, hat Codex D dann besonderes Gewicht, wenn er mit den anderen großen Zeugen übereinstimmt. 11
12
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7./8. Jahrhundert gehören, ist ein ziemlich einheitlicher Texttyp, der sprachliche Glättung (Vorliebe für syntaktische Verbindungen), Eleganz des Ausdrucks, stilistische Änderungen (Aorist für das historische 'Präsens) aufweist. Diese Textform ist Ergebnis eines Rezensionsprozesses, der wohl in Antiochia einsetzte und dann in Byzanz fortgesetzt wurde. Dieser Text wurde als Koine - ("allgemeiner") - Text im Byzantinischen Reich verwendet. Wichtige Handschriften dieses Typs sind A (Evangelien), E, F, G, H, K usw. Vielfach wird in der Forschung noch ein vierter Texttyp, der Texttyp von Cäsarea, angenommen, vertreten durch S].)45 und die Handschriften e und W (Mk 5,31 - 16,20). 1.3 Heutige Handausgaben des Neuen Testaments Mit Hilfe der Textkritik läßt sich jene Form des Textes rekonstruieren, die um die Mitte des 2. Jahrhunderts in den Kirchen im Umlauf war. Das Ergebnis der textkritischen Forschung sind die wissenschaftlichen textkritischen Ausgaben des Neuen Testaments 14. Für den Beginn der wissenschaftlichen Arbeit am Neuen Testament genügen die erwähnten Handausgaben von Nestle-Alandund The Greek New Testament. Beide Ausgaben bieten als Haupttext den aufgrund der textkritischen Arbeit von international und interkonfessional anerkannten Fachleuten rekonstruierten Text des Neuen Testaments. Im Wortbestand des Haupttextes sind Nestle - Aland und The Greek New Testament identisch 15. The Greek New Testament ist eine kritische Ausgabe für Übersetzer, in der die wichtigsten Varianten (etwa 1440) verzeichnet und ausführlich belegt sind. Darüber bieten die Herausgeber eine Bewertung der einzelnen Lesarten, ein Verzeichnis von Parallelstellen und, was für Übersetzer wichtig ist, einen Interpunktionsapparat, der zeigt, wie der Text des Neuen Testaments in den wichtigsten modernen Übersetzungen nach Sätzen gegliedert wird. In einem Ergänzungsband werden die textkritischen Entscheidungen der Herausgeber begründet. Nestle - Aland l6 bietet einen viel ausführlicheren, textkritischen Apparat als The Greek New Testament und außerdem ein reichhaltiges Verzeichnis der Parallelstellen.
.. Zum Überblick über die Forschungsgeschichte der Textkritik Aland, Der Text 13-56, und die Handbücher. " Zur Entstehung dieses neuen "standardtextes" siehe Aland, Der Text 40-46. .. Nestle - Aland, 26. Auflage, ist gegenüber der 25. Auflage eine völlige Neubearbeitung, was angeführte Varianten, Einleitungen usw. betrifft.
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2. Die Methode der Textkritik Die Rekonstruktion des griechischen Textes geschieht in folgenden Arbeitsschritten. Nach der Kollation (Sammlung) der vorhandenen Lesarten zu einer Bibelstelle 17 und der Gruppierung der Varianten werden aus dem vorliegenden Material Rückschlüsse auf den wahrscheinlichen Urtext gezogen. Für die Rekonstruktion des Urtextes gelten äußere (textexterne) und innere (textinterne) Kriterien 18.
Unter Berücksichtigung äußerer Kriterien (d. h. aufgrund der Eigenart der Handschriften) stand eine Lesart wahrscheinlich im Urtext, - wenn die Lesart vielfältig bezeugt ist, d. h., wenn sie in vielen Handschriften bezeugt ist. Dies wird als vielfältige Bezeugung bezeichnet; - wenn die Lesart sich in alten und auch sonst als zuverlässig bekannten Handschriften findet (wie etwa im Codex Vaticanus) oder wenn sie durch einen im allgemeinen zuverlässigen Texttyp bezeugt ist: Das Prinzip lautet: Höheres Alter einer Handschrift spricht für bessere Qualität, und: Qualität vor Quantität; - wenn die Lesart in Handschriften bezeugt ist, die genealogisch (abstammungsmäßig) und geographisch voneinander unabhängig sind. Eine Lesart ist also ursprünglich, wenn sie durch Textzeugen aus verschiedenen Texttypen bezeugt ist. Dieses Kriterium ist besonders für die Bewertung von Varianten aus der Handschrift D wichtig. Unter Berücksichtigung der inneren Kriterien (d. h. an hand des Vergleichs der Varianten und anhand der Einsichten, wie Texte im allgemeinen weitergegeben werden) stand eine Lesart wahrscheinlich im Urtext, - wenn die Lesart sachlich schwierig ist und so Anlaß zu einer Änderung durch den Abschreiber bot: Die schwierigere Lesart ist eher ursprünglich (lectio difficilior - potior); - wenn die Lesart die kürzere Lesart ist (lectio brevior - potior); - wenn die Lesart dem Stil, dem Sprachschatz und der theologischen Vorstellungswelt des betreffenden Autors und dem unmittelbaren Kontext am ehesten entspricht; - wenn die Lesart keinen Einfluß aus Parallelstellen verrät. Die Veränderung von Texten durch Anpassung an Paralleltexte erklärt sich 17 Dies ist heute nur mehr an großen Instituten möglich, wie am Institut für neutestamentliche Textforschung, MünsterlWestf. I' Vgl. dazu Aland, Der Text, 288f: Zwölf Grundregeln, und die Handbücher, vor allem Metzger, Commentary XXV-XXVIII.
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nämlich daraus, daß "beim Abschreiben Wörter aus einer parallelen Stelle einfließen, die dem Abschreiber vertraut ist. Am ehesten ursprünglich ist jene Lesart, bei welcher äußere und innere Kriterien zur Übereinstimmung kommen. Doch ist sehr oft der Fall gegeben, daß die Kriterien nicht in die gleiche Richtung weisen; so ist z. B. eine lectio difficilior, die nur durch eine einzige Handschrift belegt ist, kaum die ursprüngliche. Durch eine Art Gegenprobe ist dann auch zu erklären, warum der Urtext im Laufe des Abschr:eibens in bestimmter Weise abgeändert wurde.
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Stellen Sie anhand der neueren Textausgaben fest, welche Lesarten zu einer bestimmten Bibelstelle vorhanden sind, Lassen sich die Varianten bestimmten Texttypen zuordnen? WeIche Bedeutungsunterschiede ergeben sich anhand der verschiedenen Varianten? Handelt es sich um sinnverändernde Varianten? überlegen Sie anhand der äußeren und inneren Kriterien der Textkritik, welche Lesart ursprünglich sein könnte. Erstellen Sie als Rückkontrolle für die bevorzugte Lesart, wenn möglich, einen Stammbaum zur Variantenbildung. Bei der Benützung von Kommentaren: Stellen Sie fest, anhand welcher Kriterien te#krltische Entscheidungen getroffen werden. A,~
3. Beispiele Unter den Lernzielen des Abschnittes wurde die Befähigung zum Nachvollzug der textkritischen Entscheidungen in Kommentaren und wissenschaftlichen Arbeiten genannt. Diesem Lernziel entsprechend werden in den folgenden Beispielen in besonderer Weise die textkritischen Entscheidungen solcher Arbeiten berücksichtigt. 3.1 Eph I, I: "tv 'Eq>EO'Q>" Die Ortsangabe "in Ephesus" fehlt in wichtigen alten Handschriften. So entsteht das Problem, an wen der Brief adressiert ist. Diese textkritische Frage ist mit der Frage nach den Adressaten des Briefes überhaupt verbunden, da Eph keine Hinweise auf konkrete Adressaten und deren Lage gibt. Die Schwierigkeit des textkritischen Problems zeigt sich schon in den Handausgaben: The Greek New Testamentund Nestle-Alandsetzen "ev 'E
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Klammer 19. In The Greek New Testament ist die Einfügung von "r.v 'E
3.2 Mk I, I: "utoo 31':00" Am Beginn des Markusevangeliums ist die Lesart "utoo (roO) 3wo", in der sich ein für Mk wichtiger christologischer Titel findet, von einigen wichtigen alten Textzeugen nicht bezeugt. Das textkritische Problem findet auch in den Handausgaben The Greek New Testament, 3. Aufl., und Nestle - Arland, 26. Aufl., keine 19 Die Herausgeber von The Greek New Testament begründen dies mit der schwierigen Textlage, siehe Metzger, Commentary 601. zo H. Schlier, Eph (Düsseldorf '1968) 30. 21 Nach R. Schnackenburg. Eph (EKK; Zürich 1982) z. St. 22 Schnackenburg, ebd; F. Mußner, Eph (ÖTB; Gütersloh 1982) 35f ("scheint ... nicht ursprünglich zu sein"). 23 J. Gnilka, Eph (HThK; Freiburg 1971) 7; ebenso A. Undemann, Bemerkungen zu den Adressaten und zum Anlaß des Epheserbriefes: ZNW 67 (1976) 235-251. 54
letzte Entscheidung: im Haupttext wird "UtoO 3wo" in Klammer gesetzt; The Greek New Testament bewertet die Ursprünglichkeit des Langtextes mit ICI (bedeutender Zweifel). Die Anwendung der äußeren Kriterien weist eher auf die Ursprünglichkeit der Langfassung hin. Die Langfassung ist nämlich quantitativ viel stärker belegt als die Kurzfassung (siehe textkritischen Apparat); auch ist sie belegt durch Vertreter verschiedener Texttypen (alexandrinische.r und westlicher Typ). Allerdings hat die Kurzfassung ein hohes Alter. Die Kürzung der Langfassung ließe sich durch einen Abschreibfehler erklären, da die bei heiligen Namen (E>E6~, Yt6~) üblichen Schreibabkürzungen zum Übersehen verführen konnten (sog. Homoioteleuton). Die inneren Kriterien sprechen zum Teil für die Kurzfassung: Es handelt sich um eine lectio brevior, die durch wichtige und gute Textzeugen bezeugt wird. Eine Erweiterung der Kurzfassung läßt sich aus dem Bestreben erklären, christologische Titel einzufügen 24. Dem steht allerdings entgegen, daß die Bezeichnung "Sohn Gottes" schon am Beginn des Werkes der Theologie des Mk entspricht: Das Werk handelt von der allmählichen Offenbarung des "Xpt(J"t6~" (Mk 8,29) und dann des "yto~ E>wO" (Mk 15,39)25. Durch den Titel am Beginn schafft Mk einen Spannungsbogen, der das ganze Werk umfaßt (vgl. auch I, 11; 8,29; 9,7; 14,61) und gibt dem Leser eine Lesehilfe.
§ 6 Erste Orientierung über den Text Zur Vorbereitung der eigentlichen Analyse eines Textes ist eine erste Orientierung über den zu analysierenden Text hilfreich. Schon am Beginn können Probleme über den Umfang des zu untersuchenden Textes auftauchen. Zu entscheiden ist auch die Frage, in welchem Ausmaß am griechischen Originll;~text gearbeitet oderlu nd wieweit, wenigstens in einer ersten Phase, Ubersetzungen herangezogen und in bestimmter Weise benützt werden; im letzteren Fall sind die Übersetzungen zu wählen, an denen gearbeitet werden soll. Zunächst ist eine Reflexion darüber nützlich, warum ein bestimmter Abschnitt zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung gemacht wird. .. Vor allem aus diesem Grund hält R. Pesch, Mk (HThK; Freiburg 1976) I 74, die Kurzfassung für ursprünglich. 11 Selbst wenn der öfter in Mk verwendete Titel "Sohn Gottes" nicht auf redaktionelle Bildung zurückgeht, wie Pesch, Mk I 74, annimmt, ist die Sohn-Gottes-Christologie für Mk typisch.
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Ausführungen'über die Art, sich eine erste Orientierung über den Text zu verschaffen, bieten Glinz. Textanalyse und Textverstehen, sowie Weimar. Enzyklopädie der Literaturwissenschaft 163-181.
1. Abgrenzung und Gliederung des Textes (Segmentierung) "Für den Erfolg oder mindestens für die leichte Praktikabilität der Analysen ist oft entscheidend, die richtige Segmentierung des Textes in kleinere Leseeinheiten vorzunehmen." 1
Da ein Text seinen Sinn nur enthüllt, wenn er als Ganzes betrachtet wird, wäre es an und für sich notwendig, daß ein Text in seiner ganzen Länge, also eine ganze Schrift des Neuen Testaments, analysiert wird. In der exegetischen Detailarbeit ist dies außer bei Phlm kaum möglich. Dennoch gilt: "Textsegmente sind ... nur dann sinnvolle Einheiten, wenn sie einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Gesamtsinn des Textes erkennen lassen." 2 So stellen sich die Fragen, welcher Teiltext 3 aus einem längeren Text gewählt werden soll und wie die Segmentierung vorzunehmen und zu begründen ist. Beim gewählten Teiltext ist dann wiederum eine gewisse Segmentierung vorzunehmen. 1.1 Festlegung von Anfang und Ende des zu untersuchenden Textes Anfang und Ende eines Abschnittes sind nicht etwa an hand der Kapitelund Versangaben in den Bibelausgaben zu bestimmen, da diese Einteilung keine genaue Einteilung in Sinnabschnitte ist. Die Feststellung vom Anfang und Ende einer Texteinheit ist für das rechte Verständnis des Textes entscheidend. Sie kann aber am Beginn der Untersuchung nur in vorläufiger Weise vorgenommen werden. Im Verlauf der Untersuchung wird sich dann zeigen, wie weit diese Abgrenzung textgemäß war. Die vorläufige Abgrenzung kann zwar im Anschluß an die üblichen Bibelausgaben geschehen, allerdings im Bewußtsein, daß im Lauf der Untersuchung die Auffassung über Anfang und Ende unter Umständen zu revidieren ist. Da der Text eine strukturierte Größe ist, in der die einzelnen Elemente aufeinander bezogen sind, wird die genau vorgenommene Analyse zeigen, wieweit der Umfang des Textes reicht.
Die genaue Abgrenzung des zu untersuchenden Textes. d. h. die Festlegung von Anfang und Ende der Texteinheit kann erst im Lauf der Analyse begründet werden; .zunächst kann die Abgrenzung anhand der üblichen Bibelausgaben vorgenommen werden.
Methodisch ist für eine erste Fest!egung vom Anfang und Ende eines Textes ein Vergleich der verschiedenen Bibelausgaben hilfreich. Aus dem Vergleich wird ersichtlich, ob es Probleme hinsichtlich des Umfanges des Textes gibt: wenn die Bibelausgaben in dieser Hinsicht sich beträchtlich unterscheiden, sind solche Probleme gegeben. In diesem Fall sind die Gründe zu suchen, warum sich die Ausgaben derart unterscheiden. Die wichtigsten Gliederungssignale und damit auch Hilfen für die Segmentierung sind Zeit- und Ortsangaben und Themenwechsel 4 • Als Beispiel einer Textsegmentierung sei Mt 7,7-12 angeführt. The Greek New Testament schließt die Verse Mt 7,7-12 unter der Überschrift "Ask, Look, Knock" zusammen. Nestle - Aland - diese Ausgabe hat keine Zwischenüberschriften - bringt den Text in zwei Abschnitten: 7,7-11 und 7,12. Die Einheitsübersetzung überschreibt Mt 7,7-11 mit "Vom Vertrauen beim Beten" und 7, 12 mit "Die goldene Regel"; Die Gute Nachricht führt zu 7,7-11 die Überschrift an: "Bittet, sucht, klopft an! ", und zu 7, 12-14; "Die ,Goldene Regel' und die beiden Wege", wobei vor 7, 13 ein Absatz gesetzt ist. Es gilt nun den Umfang des zu untersuchenden Textes festzustellen. Zwischen Mt 7, II und 7,12 empfiehlt sich keine Zäsur: Mt 7,12 ist nämlich durch die Partikel ouv mit dem Vorhergehenden verbunden; die Aufforderung zum Verhalten nach der Goldenen Regel ergibt sich fast als eine Art Folge des Verhaltens Gottes. Da zwischen 7,12 und 7,13 keine solche sprachlich-syntaktische Verbindung besteht und mit 7,13 ein neues Thema beginnt, empfiehlt sich eher dort eine Zäsur zu machen 5. 1.2 Die Berücksichtigung des Kontextes Der Sinn von Wörtern, Sätzen und Teiltexten wird wesentlich durch den Kontext bestimmt. Deshalb ist immer auf den Zusammenhang eines Teiltextes mit dem Gesamttext zu achten. Andernfalls wird der Teiltext leicht mißverstanden. Schon am Beginn ist darum festzustellen, welches der weitere und der nähere Kontext ist, welchen Platz ein Teiltext in der • Genauere Darlegungen über Aufbau und die Gliederung von Texten finden sich in
I
2 3
Glinz. Textanalyse I 52. li. Weinrich. Textgrammatik der französischen Sprache (Stuttgart 1982) 29. Die Bezeichnungen sind: Teiltext, Textsegment, Perikope (- "Abschnitt").
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§ 8. I Vgl. Egger. Faktoren der Textkonstitution 182; ders .• Überschriften in Bibelausgaben als Lesehilfen 8.
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thematischen Progression des Gesamttextes einnimmt und, gegebenenfalls, welche Stelle er in der erzählenden Entfaltung des Textes einnimmt. So bildet z. B. die Lazarusgeschichte Joh 11, 1-46 gegen Ende der johanneischen Erzählung des öffentlichen Wirkens Jesu einen Höhepunkt (als letztes der "Zeichen") und ist mehrfach auf die folgende Leidensgeschichte bezogen. Von daher gewinnt auch die Erzählung selbst ihre eigene Färbung 6. Die Berücksichtigung des Bezugs der Perikopen zum Gesamttext ist besonders für die Redaktionskritik ausschlaggebend. 1.3 Gliederung des Textes in kleinste Leseeinheiten Schon am Beginn der Arbeit ermöglicht eine Gliederung des Textes in kleinste Leseeinheiten eine bessere ÜbersichU. Die übliche Verseinteilung in den Bibelausgaben kann dies nicht leisten. Als Leseeinteilung empfiehlt sich in der Regel die Gliederung nach Sätzen, wobei auch Einwortsätze zu berücksichtigen sind (z. B. "Wehe"); noch detaillierter ist eine Einteilung in Sinnzeilen, wie sie auch in neuen Textausgaben für den 'Iiturgischen Gebrauch geboten wird. In einer Einteilung in Sinnzeilen wird auch die Unterordnung der Sätze und Satzglieder ersichtlich 8. I Thess 1,1 läßt sich in folgende Sinnzeilen aufteilen: Paulus, Silvanus und Timotheus an die Gemeinde von Thessalonich, die in Gott, dem Vater, und in Jesus Christus, dem Herrn, ist: Gnade sei mit euch und Friede. 1.4 Feststellung von EinheitlichkeitiUneinheitlichkeit des Textes Ob ein Text einheitlich oder zusammengesetzt ist, ist für das Verständnis des Textes entscheidend. Zu Beginn der Analyse können diesbezüglich nur einige Beobachtungen gesammelt werden. Erst wenn die synchrone Analyse erstellt ist, zeigt sich, ob gewisse Beobachtungen am Text nur durch den Rekurs auf die Verwendung von Quellen zu erklären sind 9, ob also der vorgegebene Text wirklich eine Einheit oder eine Komposition ist. J. Kremer, Lazarus. Die Geschichte einer Auferstehung. Text, Wirkungsgeschichte und Botschaft von Joh 11,1-46 (Stuttgart 1985). 7 Siehe H. Schweizer, Metaphorische Grammatik 21-25. 8 Bussemann - Van der Sluis, Die Bibel studieren. Einführung in die Methoden der Exegese (München 1982) 76. Schnackenburg, Eph, bietet die Übersetzung in Sinnzeilen gegliedert. • Richter, Exegese 49ff, und Fohreru.a., Exegese 25, setzen die literarkritische Unter6
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Arbeitshinweise zur Segmentierung des - Stellen Sie mit Hilfe von Bibelausgaben und Übersetzungen fest, wo der ' zu untersuchende Text beginnt und wo er endet. - Gliedern Sie den Text in Sinnzellen. - Stellen Sie den Kontext des Textes fest, besonders was das Thema und die erzählte Handlung betrifft.
2. Objektivierung des ersten Textverständnisses Wie schon in der Reflexion über das Lesen ausgeführt wurde, kann das erste Lesen eines Textes mit Unverständnis und Mißverständnis verbunden sein. Da dieses erste Unverständnis und Mißverständnis viele Folgen für die Interpretation hat, beginnt das Interpretieren damit, dieses erste Verständnis zu objektivieren 10. Objektivierung des ersten Textverständnisses bedeutet, daß der Leser sein Verständnis des Textes in Worte faßt und so zu etwas macht, das vor ihm liegt und das er beobachten und überprüfen kann.
2.1 Rohübersetzung und Verwendung von Übersetzungen Eine erste Objektivierung des Textverständnisses erfolgt durch die Anfertigung einer Rohübersetzung des zu untersuchenden neutestamentlichen Textes. Wissenschaftliche Arbeit geschieht am griechischen Original des Neuen Testamentes. Die von manchen Vertretern strukturalistischer Methoden vertretene Auffassung, es sei gleichgültig, ob am Originaltext oder an Übersetzungen gearbeitet werde, übersieht die Bedeutung, die schon die sprachlich-syntaktische Form eines Textes für das Verstehen des Textes hat. Bezüglich der Textgrundlage ist auf der Grundlage jener Textform zu arbeiten, die in der sog. Textkritik anhand der Textzeugen rekonstruiert wurde. Obwohl eine dem Urtext voll gerecht werdende Übersetzung erst den suchung, also die Feststellung von Einheitlichkeit/Uneinheitlichkeit an den Anfang der wissenschaftlichen Arbeit. So ist die Reihenfolge der Arbeitsschritte bei Fohrer Textkritik, Literarkritik, sprachliche Analyse usw. Da die Entscheidung, ob ein Text einheitlich oder uneinheitlich ist, eine genaue Analyse der sprachlich-syntaktischen, semantischen und pragmatischen Eigenart voraussetzt, kann sie auch erst nach dieser Analyse gefällt werden. Freilich ist von Anfang an mit der Möglichkeit eines uneinheitlichen Textes zu rechnen. 10 Weimar, Enzyklopädie, § 305.
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Abschluß der wissenschaftlichen Beschäftigung mit einem Text bildet 11, muß schon am Beginn der Analyse eine vorläufige Übersetzung angefertigt werden. Diese Rohübersetzung verrät zugleich das zu Beginn bestehende Verständnis des Übersetzers. An dieser Rohübersetzung ist in allen Phasen der Textanalyse zu arbeiten. Hilfsmittel für die Rohüber•• setzung sind die üblichen Behelfe 12. Daneben ist der Blick in die zu einem Text vorliegenden Ubersetzungen hilfreich. Ein solcher Vergleich macht unmittelbar offenkundig, an welchen Stellen Übersetzungs- und damit Verstehensprobleme vorhanden sind. 2.2 Reflexion über das erste Textverständnis Nicht nur in der praktischen Bibelarbeit, sondern auch von Vertretern der Literaturwissenschaft wird als erster Schritt für den Umgang mit Texten eine Klärung des Vorverständnisses und eine Objektivierung des im ersten Lesen gewonnenen Textverständnisses als wesentlich angesehen 13. Um das erste, oft noch verschwommene Textverständnis zu objektivieren, helfen dann auch Methoden, die zwar aus der praktischen Bibelarbeit stammen, die aber auch in einer wissenschaftlichen Methodenlehre, die die Bedeutung der Subjektivität anerkennt, ihren Platz haben müssen, insofern sie helfen, das erste persönliche und subjektive Verständnis des Textes (von dem alles weitere Lesen beeinflußt ist) zu klären 14. Besonders nützlich zur Objektivierung des ersten Textverständnisses sind die Satzzeichen-Methode und die Erlebnisanalyse: Die Satzzeichen-Methode 15 besteht darin, daß der Leser am Rand des Textes Satzzeichen anbringt: An Stellen, die dem Leser unklar sind, wird ein Fragezeichen an den Rand gesetzt; an Stellen, die dem Leser wichtig scheinen, ein Ausrufezeichen (die Stelle kann auch einfach unterstrichen werden); Stellen, die dem Leser existentiell bedeutsam scheinen werden durch einen Pfeil gekennzeichnet. Dieses Verfahren, das auch der üblichen Lesetechnik entspricht, hilft dem Leser, einen ÜberSiehe § 7 zur Übersetzung des Textes. 12 Die üblichen Grammatiken, besonders Blass - Debrunner - Rehkopf, und Wörterbücher. bes. Bauer; speziell für Anfänger gedacht sind: Rienecker, Sprachlicher Schlüssel; Zerwick, Analysis philologica. 13 Dies wird besonders von Glinz und Weimar vertreten (siehe oben). 14 Wenn diese Methoden in Gruppen angewendet werden, kann die Gruppe als erste Kontrollinstanz für die Richtigkeit des Verstehens fungieren. IS W. Erl- F. Gaiser. Neue Methoden der Bibelarbeit (Tübingen 1969) 109-111; Praktische Bibelarbeit heute (hrsg. vom Kath. Bibelwerk, Stuttgart 1973) 71-73; Egger, Gemeinsam Bibel lesen 48 f.
blick zu gewinnen über die Probleme, die der Text ihm stellt. Nun ist der Text nicht mehr in seiner Gesamtheit unverständlich: Die Schwierigkeiten sind genau umschrieben; so kann der Leser darangehen, Sachprobleme durch Zusatzinformationen zu lösen und zu seinen Gefühlen Stellung zu nehmen. Als Methode für Gruppenarbeit ist die Satzzeichen-Methode besonders gut geeignet, weil sie genau die Arbeitsschritte nennt: Das Gespräch wird von jenen Teilnehmern begonnen, die ein Fragezeichen zu einer Stelle gesetzt haben. Sie legen ihr Problem dar; es antworten jene, die zu dieser Stelle kein Zeichen angebracht haben, denen die Stelle also verständlich ist. Wem etwas aufgegangen ist, der ergänzt und führt weiter. Die Erlebnisanalyse 16 eignet sich, um die eigene Haltung gegenüber dem biblischen Wort zu überprüfen: Der Leser fragt sich, wie der Text auf ihn wirkt. Aufgrund der Einstellung, der Lebensgeschichte, der Erfahrungen und Ängste ist nämlich jeder Leser auf die ihm eigene Weise betroffen. Als Zugang zur Bibel aus eigener Erfahrung eignen sich für viele Texte Fragen darüber, was dem Leser am Text gefallen hat, was ihn am Text gestört hat, worin er das zentrale Problem sieht und was einzelne Sätze, Personen, Dinge, die erwähnt sind, bedeut~n könnten. W:<1!,'
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Arbeitshinweise zur Objektivierung des ersten Textverständmsses Neben der Satzzekhen-Methode und der Erlebnisanalyse dienen folgende Arbeitsweisen 17: - Notieren Sie die Erwartungen, die Sie haben, wenn Sie sich an die Lektüre eines bestimmten Textes machen. - Nach dem Lesen notieren Sie Ihre Eindrücke und vergleichen Ihr Ergebnis mit den Ergebnissen einer
§ 7 Übersetzung des Textes und Verwendung von
Übersetzungen
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Für die meisten Bibelleser steht am Anfang des Umgangs mit den biblischen Texten die eigene (vorläufige) Übersetzung oder eine fremde Übersetzung. .. Siehe w: Egger, Kleine Bibelkunde zum Neuen Testament (Innsbruck 31984) 20. Zum folgenden Glinz, Textanalyse I 186.
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Die Übersetzung ist die schriftliche Wiedergabe des griechischen Textes des Neuen Testamentes in einer bestimmten Zielsprache'.
Auch am Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit biblischen Texten werden häufig Übersetzungen sowohl der biblischen Texte als auch der Texte aus der Umwelt der biblischen Schriften verwendet. •
• Schon am Beginn der wissenschaftlichen Arbeit ist ein Überblick über wichtige Probleme des Übersetzens notwendig, etwa Grundsätze von Übersetzungstheorien; Möglichkeiten und Grenzen von Übersetzungen; Eigenart und Funktion der wichtigsten deutschsprachigen Übersetzungen.
Eine gute Übersetzung setzt eine durch lange Arbeit gewonnene exegetische Kenntnis des zu übersetzenden Textes sowie Kenntnis der Sprache. und Empfängergruppe voraus. So bildet im wissenschaftlichen Umgang mit den biblischen Texten die Übersetzung des Textes den Abschluß der wissenschaftlichen Arbeit am Text. Die Übersetzung ist die Objektivierung des vom Ausleger gewonnenen Textverständnisses in komprimiertester Form. Die Übersetzung legt dar, zu welchem Textverständnis der Ausleger gekommen ist; sie ist als Ergebnis der dem Ausleger gdungenen Rezeption des Textes erst als Abschluß der Arbeit möglich 2. Literatur zur Einführung: Mit den allgemeinen Problemen der Übersetzungswissenschaft macht W. Koller, Einführung in die Übersetzungswissenschaft, vertraut. Mit der Problematik von Bibelübersetzungen und mit der Eigenart von Lutherbibel, Einheitsübersetzung und "Bibel in heutigem Deutsch" befaßt sich der Sammelband J. Gnilka - H. P. Rüger, Die Übersetzung der Bibel - Aufgabe der Theologie 3. Auf diese Weise definiert Koller. Übersetzungswissenschaft 12, das "Übersetzen". Die Übersetzung als Abschluß gehört an und für sich zur Auslegung. 3 W Koller. Einführung in die Übersetzungswissenschaft (UTB 819; Heidelberg '1983); J. Gnilka - H. P. Rüger(Hrsg.), Die Übersetzung der Bibel- Aufgabe der Theologie. Stuttgarter Symposium 1984 (Bielefeld 1985). Weitere Literatur: Zur allgemeinen Übersetzungstheorie: E. A. Nida - eh. R. Taber. Theorie und Praxis des Übersetzens, unter besonderer Berücksichtigung der Bibelübersetzung (Stuttgart 1969); K. Reiß, Texttyp und Übersetzungsmethode. Der operative Text (Kronberg 1976); W Wilß. Übersetzungswissenschaft. Probleme und Methoden (Stuttgart 1977); E. A. Nida. Signs - Sense - Translation. Zur Übersetzung biblischer Texte: C. Buzzetti. La parola tradotta. Aspetti linguistici, ermeneutici e teologici della traduzione della Sacra Scrittura (Brescia 1973); S. Meurer(Hrsg.), Eine Bibel- viele
I. Übersetzungs theorien 1.1 Übersetzung als Kommunikationsvorgang "Übersetzung, Übersetzen" wird in Abb. 8 im Rahmen einer Kommunikationstheorie dargestellt. Verfasser--+ AS-Text--+ILeser Übersetzer Leser wird zum Sender--+ ZS-Text--+ Leser Abb. 8: Übersetzung als Kommunikationsvorgang
Übersetzen ist ein Kommunikationsvorgang : Die ursprüngliche Mitteilung (die in einer bestimmten Sprache, der sog. Ausgangssprache, und einem bestimmten kulturellen Rahmen erfolgt und die in einen bestimmten Kommunikationsvorgang eingebettet ist) soll zu einer Mitteilung, gegebenenfalls zu einem Appell für Leser werden, denen die Ausgangssprache nicht vertraut ist und die in einer anderen Kultur leben. Dafür ist der Übersetzer der Vermittler. Die Übersetzungstätigkeit beginnt damit, daß der Übersetzer Leser des Textes wird. So ist die erste Phase des Übersetzens die Verstehensphase, in der der Übersetzer den ausgangssprachlichen Text auf dessen Sinn, Intention, Entstehungsbedingungen, intendierte Leserlenkung usw. hin analysiert. Die zweite Phase ist die Phase der gedanklichen Übertragung der gefundenen Bedeutungsstrukturen in die Empfängersprache. Die dritte Phase ist die Phase der Rekonstruktion, in welcher der Übersetzer den in sprachlicher, semantischer, pragmatischer Hinsicht usw. analysierten ausgangssprachlichen Text "unter optimaler Berücksichtigung kommunikativer Äquivalenzgesichtspunkte reproduziert"4. Damit Übersetzen tatsächlich zu einem Kommunikationsvor,ang wird, ist eine ganze Reihe von Faktoren und Elementen zu
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Ohersetzungen. Not oder Notwendigkeit?; E. A. Nida. Einige Grundsätze heutiger Bih<:lübersetzung: Meurer (Hrsg.), Eine Bibel - viele Übersetzungen 11-18; R. Kas.,uhlke. Übersetzen - das Unmögliche möglich machen: ebda. 19~2; H. Ritt. Biblische )lhersetzungskritik": BZ 20 (1970) 161-179. - Methodische Überlegungen zum Über,~uen bieten auch die Besprechungen von P. G. Müller. Zur Funktion der Bibelüber,·".ung "Die Gute Nachricht": Una Sancta H.38 (1983) 234-249; H. Frankemölle. Die Ii, "cl und der heutige Leser. Zur neuen Übersetzung "Die Bibel in heutigem Deutsch" _ Würdigung und Kritik: Diakonia 15 (1984) 119-132. • Nida. Signs 98, spricht von drei Phasen: analysis, transfer, restructuring; ebenso im Anschluß an Nida Kassühlke. Übersetzen 43. Wilß. Übersetzungswissenschaft 72, nennt zwei Phasen: Verstehensphase und sprachliche Rekonstruktionsphase.
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beachten 5: Ausgangssprache, Zielsprache, sprachliche Gestalt des Textes. Inhalt (Sinn, Bedeutung), Textsorte, intendierte Empfänger usw. Für die Übersetzung selbst muß sich der Übersetzer folgende Fragen stellen und sie durch die Übersetzung beantworten 6: Wer (Sender) sagt worüber (= Thematik, Inhalt) was (= Textoberfläche, Wortlaut, Lexik und Syntax), was nicht (= Voraussetzungswissen ; Vorwissen zur Thematik; Hintergrundwissen soziokultureller Art), wie (= Lekte, Register, Stil), wann und wo (= Zeit- und Ortssituierung), in welchem Kanal (= Sprech- oder Schriftsprache; Textsorte,.Texttyp), zu wem (Empfänger), zu welchem Zweck (= Mitteilungs- und Wirkabsicht). Je nachdem, weIche Frage als vorrangig angesehen wird, wird die Übersetzung verschieden ausfallen. Für einen kommunikationstheoretischen Ansatz ist nicht nur die Frage nach dem Inhalt und der sprachlichen Gestalt des Originals wichtig, sondern auch die Frage, für welchen Empfänger die Übersetzung verwendet werden soll. Entsprechend einer solchen pragmatischen oder soziolinguistischen Übersetzungstheorie kann nicht eine einzige Übersetzung als die beste gelten; es muß, entsprechend den Empfängern, unterschiedlich ausgeformte Übersetzungen geben 7. Die Übersetzung muß' jedenfalls so sein, daß der Empfänger mit der ihm eigenen Zeichenmenge den Text verstehen kann. Ausgangssprachlicher Text und zielsprachlicher Text sollten möglichst äquivalent sein, das bedeutet: Die Qualität des Ausgangstextes muß bewahrt bleiben. Unter "Qualität" des Textes ist die Eigenart des Textes verstanden, die durch folgende Faktoren gegeben ist: Phonologie (Laut, Rhythmus), Syntax, Semantik (Thema), Pragmatik, Texttyp (und seine kommunikativen Funktionen), Entstehungsgeschichte des Textes 8 • Da.diese Größen in den verschiedenen Sprachen nicht zu einer I : 1- Entsprechung gebracht werden können und darüber hinaus auf verschiedenen Ebenen liegen, bedeutet Übersetzung die Suche größtmöglicher Äquivalenz auf den verschiedenen Ebenen 9. 1.2 Übersetzungstypen In modernen Bibelübersetzungen werden vor allem zwei Übersetzungstypen verwendet (bei denen es sich um Typisierungen handelt, die nicht in reiner Form vorkommen): Nach der Art der Äquivalenz, die ange, Im Anschluß an Koller. Übersetzungswissenschaft 114-134; Kassühlke. Übersetzen • 35; Ritt. Übersetzungskritik 167; K. Reiß. Was heißt "Übersetzen": Gnilka - Rüger. Die Übersetzung der Bibel 33-47, bes. 36-40. • Reiß. Was heißt "Übersetzen" 41. 7 Vida. Einige Grundsätze 15-17; zu Nida: Koller. Übersetzungswissenschaft 86. • Zu den einzelnen Faktoren vgl. Koller. Übersetzungswissenschaft 125-133. • Zur Äquivalenz: ebda. 85-88 (zu Nida) und 176-191.
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strebt wird, gibt es die formale oder die dynamisch gleichwertige Übersetzung 10 • In formalen Übersetzungen wird eine Wort-für-Wort-Übersetzung angestrebt. Die Übersetzung soll möglichst im Verhältnis I : I zum Originaltext stehen, und zwar schon auf der Ebene der Wortfolge. Es handelt sich "um eine Übersetzungsweise, die durch wörtliche und syntaktische Nachbildung des Originals den Empfänger mit der Mitteilung vertraut machen will" ll. Abweichungen von der Wortfolge des Originals erfolgen nur, wenn die Zielsprache es erfordert. Durch diese Art der Übersetzung soll die Treue zum Original gewahrt bleiben. Da sich die formale Übersetzung vor allem um äquivalente Wiedergabe von Form und Inhalt einer Botschaft bemüht, ist sie stark Autor-orientiert. Formale Übersetzungen können bis zu konkordanten Übersetzungen gehen, so daß ein bestimmter griechischer Ausdruck des Neuen Testaments in der Zielsprache jedesmal durch dasselbe Wort übersetzt wird 12. Der Wert formaler Übersetzungen besteht vor allem darin, daß sie eine biblisch geprägte Sprache vermitteln. Für Glaubensgemeinschaften, die eine gemeinsame Sprache brauchen und für die auch die Notwendigkeit einer religiösen und theologischen Fachsprache gegeben ist 13, sind formale Übersetzungen wohl unverziehtbar. Der Wert formaler Übersetzungen der biblischen Texte liegt darin, daß sie eine auf der Bibelsprache fundierte Ausdrucksweise zur Verfügung stellen, um die Glaubenserfahrung (die auf der Schrift als Wort Gottes gründet) zu formulieren.
Formale Übersetzungen sind besonders für das Studium geeignet, weil sie Nähe zum Original vermitteln. Besonders für synoptische Untersuchungen ist eine dem Original nahekommende, unter Umständen auch holperige Übersetzung der einzige Weg, um eine sinnvolle Arbeit an der Synopse zu ermöglichen. .. Zu den Übersetzungstypen siehe Reiß. Was heißt "Übersetzen" 34-36. Kassühlke. Übersetzen 39f; Reiß. Was heißt "Übersetzen" 34f, unterscheiden noch zwischen Interlinear-(Wort-für-Wort-Übersetzung) und wörtlicher Übersetzung (Ilrammar translation). 11 Etwa in Synopsen. Zur Übersetzung der Zeugen Jehovas später. 11 Wie bestimmte Fächer, etwa Mathematik, Medizin usw., aus Gründen der Sprachökonomie und der Präzision nicht ohne bestimmte Fachtermini auskommen können, I" kann auch der Glaube, der seine Erfahrung aussprechen will, auf bestimmte Termini nicht verzichten, etwa "Gnade, Reich Gottes" u.a. In diesem Sinn ist von einer theologischen Fachsprache die Rede. Zur Notwendigkeit einer bestimmten Sprachform, um das gemeinsame ausdrückliche Heilsgedächtnis zu bewahren, vgl. Ritt. Über"'Ilungskritik 178. 10
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Zu den formalen Übersetzungen gehören die meisten bisherigen Übersetzungen, darunter die Lutherbibel, die Zürcher Bibel, die Einheitsübersetzung. Ein zweites Übersetzungsmodell, die dynamisch-gleichwertige Übersetzung beruht auf der Überlegung, daß eine Übersetzung auf den heutigen. Leser die gleiche Wirkung ausüben soll wie der Originaltext auf den damaligen Hörer.
"Die Gute Nachricht" bietet den Text in neuer Fassung 16: Nach einer Entschlüsselung des Textes aufgrund bestimmter Frageraster(etwa: Objekt, Ereignis, Beziehungen) wird der Text neu verschlüsselt, wobei dann in der Übersetzung deutlich wird, wer handelt (Gott), daß es sich um ein Tun Gottes handelt, daß durch dieses Tun Gottes neue Beziehungen hergestellt werden. Trotz der Textferne werden die wesentlichen semantischen Gehalte von oLKatocruVll 1'00 BEOO gewahrt. Die Bedeutung dieser Übersetzungstheorie liegt auch darin, daß sie den internationalen Projekten der Bibelarbeit zugrunde gelegt ist 17. Zu Recht gilt diese Übersetzungstheorie als jene, die auf dem Gebiet der Bibelübersetzungen am stärksten reflektiert ist 18. Besonders der rezeptionsorientierte Ansatz verdient in Zukunft Beachtung 19. Der Nachteil dieser Übersetzungstheorie sind neben der relativen Textferne, zu der solche Übersetzungen führen, die vielen exegetischen Entscheidungen, die der eigentlichen Übersetzung vorausgehen und deren Gestalt dann wesentlich bestimmen. Formale Übersetzungen vermeiden dieses starke Einbringen exegetischer Entscheidungen in die Übersetzung. Die früher stärker betonte Unterscheidung von Übersetzungen und Übertragungen ist heute kaum mehr aufrechtzuerhalten. Eine solche Unterscheidung zwischen Übersetzung und einer Übertragung als einer freieren sinngemäßen Wiedergabe ist nämlich aufgrund der neueren Übersetzungstheorien fließend geworden. In der Übersetzung spielt manchmal auch die Frage einer sogenannten Revision eine Rolle. Wenn eine Bibelübersetzung wegen ihrer Bedeutung so sehr geschätzt ist, daß man im Wesentlichen von ihr nicht weg möchte, wenn jedoch Anpassungen an das heutige Sprachempfinden notwendig geworden sind oder neue Erkenntnisse der Bibelwissenschaft in die Übersetzung einzuarbeiten sind, wird die vorliegende Übersetzung nur dort verbessert, wo es notwendig ist, während im übrigen die vertraute Sprachgestalt bewahrt wird. So wurde 1984 eine Revision der Lutherbibel abgeschlossen.
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Der Wert einer dynamisch-gleichwertigen Übersetzung liegt in ihrem stark leserbezogenen und rezeptionsorientierten Ansatz.
l?er Übersetzungsprozeß verläuft nach der dynamisch-gleichwertigen Ubersetzungsmethode in folgender Weise: Analyse des Textes durch dessen Zerlegung in seine Elemente (in der semantischen Analyse besonders mit Hilfe der Komponentenanalyse 15), gedankliche Übertragung und Aufbau einer neuen Texteinheit in der Zielsprache. Röm I, 17 wird demnach so übertragen: Röm 1,17a:
Original
Einheitsübersetzung
oLKatocruVll
Denn im Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes ol:fenbart
yap BEOO
t.v atnC!)
t.K nicrTEro~ Ei~ nicrTLV ...
aus Glauben zum Glauben ...
Gute Nachricht
Durch die Gute Nachricht macht Gott seine große Treue bekannt. In ihr zeigt er, wie er selbst dafür sorgt, daß die Menschen vor ihm bestehen können. Der Weg dazu ist vom Anfang bis zum Ende das bedingungslose Vertrauen auf ihn ...
.. Müller, Zur Funktion 237, schlägt als Übersetzung von "dynamic equivalent trans lation" "funktionale Übersetzung" vor. " Die Komponentenanalyse spielt in der Übersetzungstheorie von Nida eine große Rolle: Nida, Signs, 64-67, legt die semantischen Klassen von Objekt, Ereignis, Abstracta, Beziehungen und deren Bedeutung für das Übersetzen dar.
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.. Zu Röm I, 17a vgl. auch die Überlegungen von C. Buzzetti, Parola dei Signore. Una traduzione "popolare" della Bibbia in Italia: C. Mesters, Lettura popolare della Bibbia (Bologna 1978) 120-126. 11 S. Meurer, Die Übersetzungsstrategien des Weltbundes der Bibelgesellschaften in: Eine Bibel- viele Übersetzungen 173-189. 11 Müller, Zur Funktion 236 . " Frankemölle, Die Bibel und der heutige Leser 122.
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1.3 Bewertung von Übersetzungen Entsprechend dem kommunikationstheoretischen Rahmen der Übersetzungstheorie sind in der Beurteilung einer Übersetzung zwei Aspekte zu sehen. Die Qualität einer Übersetzung bemißt sich daran, wie weit sie nicht nur autor- und textgetreu, sondern auch leserorientiert ist. Die Treue zum Original, verbunden mit Ausdrucksfähigkeit in der Zielsprache, wurde immer schon als Maßstab einer guten Übersetzung angesehen. Für die neuen Übersetzungstheorien ist auch die Berücksichtigung des Lesers, seiner kulturellen Voraussetzungen und seiner Verstehensmöglichkeiten al~. Maßstab der Beurteilung eingebracht. Je nach dem Leser, für den die Ubersetzung bestimmt ist, wird der Übersetzer anders vorgehen. Für Leser, die mit der religiösen und kirchlichen Sprache nicht vertraut sind, sind viele biblische Ausdrücke die in formaler, Übersetzungen geboten werden, nicht mehr verständlich. Fü' "01che Leser ist eine Übersetzung, die auf Fremdwörter und (soweit irgend möglich) auf Spezialbegriffe der kirchlichen Tradition verzichtet, hilf~eich. Sie. hat eine p~opädeutische und pastorale Funktion. Allerdings ~st dann eme solche Ubersetzung kaum für solche Christen geeignet, die Ihren Glauben reflektiert haben und bewußt bekennen 20. Der Übersetzungsvergleich hat deskriptiv-vergleichende und auch übersetzungskritische Ziele 21.
2. Überblick über offizielle deutschsprachige Übersetzungen des Neuen Testamentes 22 Offizielle Übersetzungen sind Übersetzungen der Heiligen Schrift, die von der zuständigen kirchlichen Behörde als maßgeblicher Text für Gottesdienst und Unterricht vorgelegt werden. Über die Qualität der Übersetzung ist damit kein Urteil abgegeben. Offizielle Übersetzungen sind notwendig, weil die kirchliche Gemeinschaft einen gemeinschaftlichen Ebd. 123 f. " Zum Übe~se.tzungsv.ergleich in der Sprachwissenschaft vgl. Lexikon der germanistischen Lmguisuk (Tübmgen 21980) 799; Koller. Übersetzungswissenschaft 192-216. 22 Übersichten über deutsche Bibelübersetzungen: O. Knoch. "Die Alte Botschaft neu sagen" .. Eine Übersicht über "moderne" Übersetzungen: TQ 154 (1974) 137-165 (mit TextbeispIele?); R. Steiner. Neue Bibelübersetzungen vorgestellt, verglichen und gewertet (NeukIrchen 1975). H. Frankemölle. Bibelübersetzungen - für wen?: Diakonia 16 (1985) 338-345. 20
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sprachlichen Bezugspunkt für Gottesdienst und Unterricht sowie eine gemeinsame religiöse Sprache, eine Art religiöser Fachsprache, braucht. Für die lateinische Kirche ist die vom hl.' Hieronymus erstellte Übersetzung zur "Vulgata" - (allgemein anerkannten) Übersetzung geworden. Die Revision der Vulgata, die sogenannte Neovulgata, wurde 1979 fertiggestellt und ist der offizielle Text für die lateinische Kirche. Da im deutschen Sprachgebiet seit der Reformation die großen christlichen Kirchen auch in der Benennung der biblischen Personen unterscheiden, wurde eine Vereinbarung über die ökumenische Schreibweise der biblischen Eigennamen getroffen, die in den sog. "Loccumer Richtlinien" niedergelegt ist 23. Im deut~chen Sprachraum werden in den großen Kirchen folgende offizielle Ubersetzungen verwendet: die katholische Einheitsübersetzung, die Lutherbibel, die Zürcher Bibel. Die katholische Einheitsübersetzung (1979/1980 abgeschlossen) ist die für die Diözesen des deutschen Sprachraums bestimmte Übersetzung 24 • Diese Übersetzung, im gehobenen Gegenwartsdeutsch angefertigt, ermöglicht den Gebrauch einheitlicher biblischer Texte in Gottesdiehst und Schule in allen Diözesen. "Die einheitliche Textfassung ließ' hoffen, daß sich wichtige Aussagen der Bibel dem Ohr der Gläubigen dauerhafter einprägten. Auch würde eine solche für den Gebrauch der Bibel in der Öffentlichkeit, besonders in Presse, Funk und Fernsehen, von Nutzen sein." 25 Die Einheitsübersetzung ist zwar für den katholischen Sprachraum bestimmt, wurde jedoch in ökumenischer Zusammenarbeit erstellt. In den evangelischen Kirchen wird die Lutherbibel verwendet. Die letzte Revision der Lutherbibel wurde 1984 abgeschlossen 26. Die Zürcher Bibel, die auf die Reformation Zwinglis zurückgeht, wurde in den Jahren 1907-31 im Auftrag der Kirchensynode nach dem Grundtext neu übersetzt 27 • Diese Übersetzung gilt als sehr exakt 28 • " Ökumenisches Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien (Stuttgart 21981). " Zur katholischen "Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift" siehe J. G. Plöger- O. Knoch (Hrsg.), Einheit im Wort. Informationen, Gutachten, Dokumente zur Einheitsühersetzung der Heiligen Schrift (Stuttgart 1979); J. Scharben. Entstehungsgeschichte und hermeneutische Prinzipien der "Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift": Gnilka - Rüger. Die Übersetzung der Bibel 149-168. " Vorwort der Einheitsübersetzung. 16 B. Lohse. Entstehungsgeschichte und hermeneutische Prinzipien der Lutherbibel: Gnilka - Rüger. Die Übersetzung der Bibel 133-148; T. Holz, Die deutsche Bibel: Erbe Luthers und Auftrag: TLZ 108 (1983) 785-801. " Zur Zürcher Bibel vgl. Steiner. Neue Bibelübersetzungen 47-56. • Zu den offiziellen Übersetzungen gehört auch "Die neue Weltübersetzung der Heili,en Schrift". Sie ist "übersetzt nach der revidierten, englischen Wiedergabe von 1970
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Zwar nicht von den Kirchen als offizielle Übersetzung, jedoch von den katholischen und evangelischen Bibelgesellschaften des deutschen Sprachraums wurde 1982 "Die Bibel in heutigem Deutsch. Die gute Nachricht" herausgegeben 29. Sie "stellt in der Übersetzungsgeschichte der biblischen Eindeutschung den ersten Versuch dar, die neueste und wissenschaftlich fundierteste Übersetzungstheorie konsequent anzuwenden" 30, nämlich die von E. A. Nida entwickelte Übersetzungsme- , thode der dynamischen Äquivalenz. Träger und Herausgeber der , Übersetzung sind die evangelischen und katholischen Bibelwerke der deutschsprachigen Länder. Diese Ausgabe versteht sich "als neues, zusätzliches Angebot und als neue pastorale Textchance im Bereich biblischer Verkündigung und Wort-Gottes-Verbreitung" für jene Menschen, "die den lebendigen Bezug zur Kirche und auch zur Bibel weitgehend verloren haben" 31. Sie ist besonders geeignet für die Lectio continua und als eine Begleitübersetzung neben den offiziellen, formalen Übersetzungen 32.
3. Die Erstellung der Übersetzung Zunächst muß der Übersetzer die Textgrundlage der Übersetzung festlegen 33. Dafür gelten die Kriterien der Textkritik, gegebenenfalls sind auch die Fragen bezüglich des Kanons zu klären 34. Für die Übersetzung unter getreuer Berücksichtigung der hebräischen, aramäischen und griechischen Ursprache" (Titelblatt der deutschen Ausgabe). Die Übersetzung selbst ist streng konkordant, so daß z. B. die Wörter ,nefesch' (hebräisch) und ,psyche' (griechisch) an allen Stellen mit "Seele" wiedergegeben wird, obwohl das Wort an vielen Stellen- je nach Kontext - nicht dasselbe bedeutet wie unser deutsches Wort Seele. Durch diese Übersetzung wird die Grundlage für die Auffassung der Zeugen Jehovas über die "Seele" geschaffen. Hinsichtlich des Gottesnamens ist diese Übersetzung tendentiell, indem sie im Neuen Testament, soweit es sich um alttestamentliche Zitate handelt, den Gottesnamen mit ,Jehova' wiedergibt, was nicht dem Textbefund entspricht. 2. J. de Waard, Die hermeneutischen Prinzipen der "Bibel in heutigem Deutsch": Gnilka - Rüger, Die Übersetzung der Bibel 169-179. Über Zielsetzungen und Übersetzungsgrundsätze dieser Übersetzung informiert (mit Textbeispielen) ein von der Deutschen Bibelgesellschaft herausgegebenes Informationsblatt: Die Bibel in heutigem Deutsch. Die gute Nachricht des Alten und Neuen Testaments. Zielsetzungen und Übersetzungsgrundsätze (Stuttgart 1983); vgl. auch Müller, Zur Funktion, und Frankemölle, Die Bibel und der heutige Leser. 30 Müller, Zur Funktion 236. 31 Ebd. 243. 32 Ebd.244. 33 Eigens für Übersetzer gedacht ist die textkritische Ausgabe"The Greek New Testament", die die 1440 wichtigsten Varianten anführt (vgl. den Abschnitt über die Textkritik). 34 Siehe die "Leitsätze für interkonfessionelle Zusammenarbeit" (s. Anm.40).
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selbst ist sowohl die Ausgangssprache als auch die Zielsprache zu berücksichtigen. In der Analyse des ausgangssprachlichen Textes ist der Übersetzer zunächst Leser des Textes und hat sich anhand der üblichen wissenschaftlichen Analyseverfahren 35 um das Verständnis des Textes zu bemühen. Diese Analyse betrifft die sprachlich-syntaktische, semantische, pragmatische Eigenart des Textes sowie dessen Textsorte. Die Analyse erlaubt eine Antwort auf übersetzungsrelevante Fragen 36. In der Analyse der Zielsprache und der Zielgruppe muß der Übersetzer sich ein Bild verschaffen über die Eigenart der Zielgruppe, für die die Übersetzung bestimmt ist, deren kulturelle und sprachliche Fähigkeiten USW. 37 Die Analyse erlaubt die Antwort auf folgende Probleme bezüglich der Empfänger38 : - Ausmaß der Vertrautheit mit religiöser SpraGhe und Praxis, - Ausmaß gefühlsmäßiger Konformitätsbereitschaft gegenüber bestehenden sprachlichen und nichtsprachlichen Verhaltensmustern, - Ausbildungsniveau; Alter, - Gebrauch spezialisierter Sprachformen. Der eigentliche Übersetzungsvorgang besteht zunächst in der gedanklichen Übertragung der gefundenen Bedeutungsstrukturen in die Empfängersprache und dann im Neuaufbau des Textes in der Zielsprache, indem die Textaussage mit Wörtern, Satzbauformen und Textformen der Zielsprache formuliert wird. Anzustreben ist engste natürliche Entsprechung zum Original, d. h., der zielsprachliche Text soll der Bedeutung möglichst nahe kommen 39. Für ökumenische Übersetzungen gelten die "Leitsätze für die interkonfessionelle Zusammenarbeit bei der Bibelarbeit " bezüglich Textgrundlage, Exegese und Sprache sowie die Durchführung der gemeinsamen Arbeit 40 • " Vgl. den Abschnitt ij,ber die Semantik in der vorliegenden Methodenlehre. ). Siehe unten. J7 Die Einheitsübersetzung (Vorwort) erstrebt ein gehobenes Gegenwartsdeutsch; nach dem Informationsblatt über die "Gute Nachricht" (s. Anm.29) hat die "Gute Nachricht" .. einen Leser vor Augen. der mit der Bibel noch nicht vertraut ist und keine besonderen Voraussetzungen kirchlicher oder hildungsmüßiger Art mitbringt"; die italienische Übersetzung der "Parola dei Signore" (entspricht der "Guten Nachricht") hat einen Leser vor Augen, der nur wenig mit historisch-literarischem Wissen vertraut ist und dem die katechetisch-biblische Kultur fremd ist; vgl. dazu Buzzetti, Parola dei Signore 118. JI Nida, Einige Grundsätze 15. 3. Ebd. 13-15. .. Die Leitsätze wurden am 1.6.1965 gemeinsam vom Weltbund der Bibelgesellschaften in London und dem Sekretariat für die Einheit der Christen in Rom erlassen. Text: Plöger-Knoch (Hrsg.), Einheit im Wort 118-136.
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4. Verwendung von Übersetzungen Übersetzungen können in der praktischen Bibelarbeit, aber auch im wissenschaftlichen Umgang mit Texten als Verständnishilfe benützt werden. Jede Übersetzung bleibt hinter den Sinnmöglichkeiten des Originals zurück. Dieser Mangel kann durch die Verwendung mehrerer Übersetzungen zur gleichen Bibelstelle in etwa behoben werden. Durch den Vergleich 41 von verschiedenen Übersetzungen wird zu den einzelnen Stellen deutlich, welche Bedeutungsfülle im Text steckt: Als Beispiel diene Mk 1,15: griechischer Text: Einheitsübersetzung : Lutherbibel (1984): Zürcher Bibel: Gute Nachricht:
Kai ;;yytKEV TJ ßaOlM:ia 'WO 3EOO. und das Reich Gottes ist nahe. und das Reich Gottes ist herbeigekommen. und das Reich Gottes ist genaht. Jetzt will Gott seine Herrschaft aufrichten und sein Werk vollenden.
Schon dieser Übersetzungsvergleich zeigt die Bedeutungsspanne, mit der der biblische Text in den verschiedenen Übersetzungen rezipiert wird: Der Ausdruck ßaOlM:ia wird als "Reich/Herrschaft/Tun Gottes" verstanden; ;;yytKEV ist wohl in der Bedeutung selbst "nahe/ist herbeigekommen/(Gott) will aufrichten und vollenden" als auch im Zeitgebrauch (Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft) verschieden verstanden und übersetzt. Diese Vielfalt entspricht der Bedeutungsfülle der griechischen Wendung: ßacrwia bedeutet nämlich Eingreifen Gottes, das in der Gegenwart spürbar ist und sich in der Zukunft vollenden wird. Es handelt sich um das Tun Gottes und auch um einen Herrschaftsbereich 42. Die Verwendung von Übersetzungen kann noch eine Funktion haben: Wenn eine Bibelstelle dem Leser unklar ist, kann der Vergleich mit einer anderen Übersetzung unter Umständen als Erklärung herangezogen werden. Besonders die "Bibel in heutigem Deutsch. Die gute Nachricht" kann an vielen Stellen als eine Art Kommentar zu schwierigen Bibelstellen verwendet werden, da sie als "Begleitübersetzung aufschlußreiche Interpretationshilfen zu leisten vermag" 43 •
·:Y~!Ff,;;·';'
Zusannnenfassung der Arbeitsschritt~ und Arbeitshinweise 1. Zur übersetzung Versuchen Sie eine Rohübersetzung mit Hilfe von Lexikon und Grammatqll zu erstellen 44.
2. Verwendung von übersetzungen Stellen Sie durch Arbeit an übersetzungen (etwa an der Einheitsübersetzung, Lutherbibel, "Gute Nachricht") fest, an welchen Stellen des Textes übersetzungsprobleme auftauchen. Stellen Sie sodann fest, an welchen Stellen die übersetzungen stark vonei...."' ander abweichen und welche Bedeutungsunterschiede sich anhand der übersetzung zu einer bestimmten Stelle ergeben. Am Anfang kann eine gef~hlsmäßige Feststellung getroffen werden, welcbe Übersetzung besse~"i g e f a l l t . J , Erarbeiten Sie, indem Sie übersetzungen als Verständnishilfen benutzen, etwa anhand der "Guten Nachricht" die Bedeutung der Ausdrücke "Geist und Fleisch" in Röm 8,1-13.
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... Vgl. die üblichen Hilfsmittel.
• , Vgl. die Methodenbücher zur praktischen Bibelarbeit. • 2 Vgl. EWNT zu )itKawo(JV1l" . • 3 Müller, Zur Funktion 244.
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3. Teil
Modell I: Sinn hinter dem Text
Modell 2: Sinn in den Strukturen des Textes
Lektüre unter synchronem Aspekt
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Die Analyse eines Textes beginnt am besten mit einer Analyse, die unmittelbar von dem uns vorliegenden Text und seinen Strukturen ausgeht. Dies geschieht in der synchronen Analyse 1.
Abb. 9: Zwei Modelle des Textverstehens
Die Arbeitsschritte der synchronen Analyse Das Text- und Verstehensmodell der synchronen Lektüre Die synchronen Methoden sehen den Text als eine strukturierte kohärente Größe. Die Elemente des Textes stehen zueinander in Beziehung. Aus diesen Beziehungen erwächst eine Gestalteinheit. Allerdings ist der Text njcht ein geschlossenes System, er kann in mannigfachen Beziehungen zu anderen Größen stehen, vor allem ist die Einbettung des Textes in ein Kommunikationsgeschehen zu berücksichtigen. In der synchronen Analyse wird der Text als eine strukturierte kohärente Größe, die in einen größeren Kommunikationsvorgang eingebettet ist, analysiert 2 • .
Mit diesem Textmodell ist auch ein Verstehensmodell (Abb. 9) 3 gegeben: Der Sinn des Textes steckt nicht irgendwie hinter dem Text, sondern steckt in den (inner- und außertextlichen) Beziehungen der Textelemente. Die synchrone Analyse gibt nun Anweisungen, wie die Beziehungen zwischen den Elementen innerhalb des Textes und die Beziehungen zwischen Text und außertextlichen Faktoren gefunden werden können. Dadurch gibt sie gleichzeitig auch Anweisungen, wie der Sinn des Textes gefunden werden kann. I Zum Primat der Synchronie vor der Literarkritik vgl. auch M. Theobafd. Der Primat ' der Synchronie vor der Diachronie als Grundaxiom der Literarjcritik, Methodische Erwägungen an Hand von Mk 2, 1-17/Mt 9,9-13: BZ 22 (1978) 161-186. 2 Im einzelnen wurden die Faktoren des Modells, das der synchronen Analyse zu· grunde liegt, in § 2-4 dargestellt. J Im Anschluß an Fossion. Leggere le scritture 24.
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Nach der vorausgehenden Sicherung der Textgestalt einer ersten Orientierung über den Text und die Übersetzung (§ 5-7) werden am gewählten Text die einzelnen Methoden der synchronen Analyse angewendet. In der Lektüre unter synchronem Aspekt werden folgende Methodenschritte vollzogen: die sprachlich-syntaktische, semantische, narrative und pragmatische Analyse und die Analyse der Textsorten.
Die methodische Trennung und Reihung der Arbeitsschritte ist sachlich begründet und hat sich bei den Vertretern dieser Methoden eingebürgert'. Sie beruht auf den Bezugsebenen, in denen sprachliche Zeichen • Nach C. W. Morris, einem der Begründer der modernen Semiotik, gliedert sich die Semiotik (Wissenschaft von den Zeichen) in die Bereiche: Semantik, Syntaktik und Pragmatik. Vgl. dazu Schober. Funktionen der Sprache 11, der die Auffassung von Morris so zusammenfaßt: "Die Semantik handelt vom Verhältnis der Zeichen zu den ,Sachen', die Syntaktik von den Kombinationsmöglichkeiten der Zeichen unabhängig von den bezeichneten Sachen wie vom Verhalten der Benutzer, die Pragmatik von den Reziehungen zwischen Zeichen und Benutzern, also von den Zwecken und Wirkungen der Zeichen im Verhalten." Die Einteilung in drei Bereiche: Syntaktik, Pragmatik, Semantik wird u.a. vertreten von: Akmajian - Demers - Hamish. Linguistica. Introdulione al Iinguaggio e alla comunicazione; Funk-Kolleg Sprache; Kafverkämper. Orientierung zur Textlinguistik; Pfett. Textwissenschaft; Sowinski. Textlinguistik (,tatt Syntaktik spricht er von Textgrammatik und Textstilistik). Im exegetischen Bereich vertreten aus methodischen und arbeitstechnischen Gründen eine solche Einteilung in syntaktische, semantische und pragmatische Analyse: H. Ritt. Das Reden (iottes im Sohn. Zur textlinguistischen Methode der neutestamentlichen Exegese; Schreiner- Dautzenberg. Gestalt und Anspruch des Neuen Testaments; Zimmermann.
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stehen: die Beziehung Zeichen-Zeichen, Zeichen-Interpret, ZeichenObjekte 5. Noch einmal sei betont, daß auch bei der synchronen Analyse in allen Arbeitsschritten die Berücksichtigung der kulturellen Welt der Texte unabdingbar ist. Die eigentliche Analyse setzt mit der sprachlich-syntaktischen Analyse ein. Die Durchsicht des Textes auf die in ihm verwendeten sprachlichen Zeichen und die Kombination dieser Zeichen sind der erste Schritt, um die Eigenart des Textes zu erfassen, "denn alle folgenden Schritte gehen von Beobachtungen aus, die sich aus der sprachlichen Analyse des Textes ergeben"6. Der zweite Arbeitsschritt ist die semantische Analyse. Hier geht es um die Frage, was ein Wort, ein Satz, ein Text bedeutet und auf welche Gegebenheiten sich ein Wort/Satz/Text bezieht. Zur Semantik zählt auch die narrative Analyse. Der dritte Arbeitsschritt ist die pragmatische Analyse. Sie untersucht den Bezug zwischen Text und Leser, also die Wirkung, die der Text auf den Leser ausübt, wobei besonders die konkrete Kommunikations- und Handlungssituation zu berücksichtigen ist. Im nächsten Schritt, der Analyse der Textsorten, ist zu untersuchen, zu welcher Textsorte/Gattung ein Text gehört. Dabei werden die Ergebnisse der vorausgehenden Arbeitsschritte verwendet: Anhand des Vergleichs von Texten (deren sprachliche, semantische, narrative und pragmatische Eigenart schon untersucht sein muß) werden Texte auf ihre Ähnlichkeit überprüft und werden die mehreren Texten gemeinsamen Strukturmuster festgestellt. Die historisch-kritische Methode erfährt durch diese Methoden eine Erweiterung der Untersuchungsmethoden: Zwar geht auch die historisch-kritische Methode von einer Reihe von Beobachtungen am Text aus; doch werden in ihr häufig bestimmte Beobachtupgen (z. B. Spannungen im Text) privilegiert, während andere übersehen werden. In den synchronen Methoden wird nun die systematische und umfassende Beobachtung der Textphänomene zu einem expliziten Arbeitsschritt gemacht. Darüber hinaus wird die Tendenz zur Formalisierung, die schon in der Formgeschichte bemerkbar ist, weitergeführt. purch diese stärMethodenlehre; Frankemölle, Kommunikatives Handeln 21 f. W. Schenk, Philipperbriefe 19-26. In mehreren Monographien werden syntaktische und semantische Analyse angestellt, jedoch ohne pragmatische Analyse, so bei Olsson, Structure and Meaning; Minguez, Pentecostes; Hauser, Abschlußerzählung; M. Theobald, Im Anfang war das Wort. Textlinguistische Studie zum Johannesprolog (SBS 106; Stuttgart 1982). Vgl. Egger, Nachfolge 195-207. ("Die Kommunikationsstruktur von Mk 10,17-31 "). , Plett, Textwissenschaft 52. • Fohrer, Exegese 57.
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kere Formalisierung und die systematische Beobachtung von Textphänomenen werden die neueren Methoden zu einem noch geeigneteren Kontrollinstrument für das rechte Verständnis der Texte und dadurch für die Exegese 7.
§ 8 Sprachlich-syntaktische Analyse
Im Gespräch zeigen Gesprächspartner eine Vorliebe für bestimmte Wörter und Wendungen, verknüpfen Sätze in bestimmter Weise, verwenden bestimmte Sprachmittel usw., um den Gesprächsparter zu beeinflussen. Um eine Äußerung zu verstehen und richtig einzuordnen, ist nicht nur der Inhalt der Äußerung, sondern auch die individuelle sprachliche Eigenart der Äußerung zu berücksichtigen. Der Erhebung der jeweiligen sprachlichen Eigenart von Texten dient die sprachlichsyntaktische Analyse. In der sprachlich-syntaktischen Analyse eines Textes wird die konkrete sprachliche Gestalt eines Textes untersucht: die Beziehungen zwischen den im Text verwendeten sprachlichen Mitteln und die Regeln. nach denen die Elemente des Textes verknüpft sind.
Die Analyse der sprachlichen Zeichen und ihrer Verknüpfung ist der Ausgangspunkt jeder weiteren Arbeit. Auf ihr baut die semantische Analyse auf, die sich mit der Bedeutung der sprachlichen Äußerungen beschäftigt; auch die pragmatische Analyse hat die sprachlich-syntaktische Analyse zur Voraussetzung, da durch die Wahl b'estimmter sprachlicher Mittel der Sprecher/Verfasser beim Leser best.immte Wirkungen erzielen will. Wie für das Verständnis des Textes ist die Kenntnis der sprachlichen Eigenart auch für die Rekonstruktion der Entstehung eines Textes wichtig. Literatur zur Einführung:
Als Einführung in die sprachlich-syntaktische Eigenart von Texten sind hilfreich W. Dressler, Einführung in die Textlinguistik, und W. Fleischer - G. Michel (Hrsg.), Stilistik der deutschen Gegenwartssprache; auf exegetischem Gebiet ist hilfreich K. Berger, Exegese des Neuen Testaments, § 3 und 4 1 • • Zur Integration der Methoden siehe § I. , Weitere Literatur:
J. Anderegg, Literaturwissenschaftliche Stiltheorie (Göttingen 1'177); Guiraud - Kuentz, La stylistique; W. Sanders, Linguistische Stiltheorie (Göttin-
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1. Sprachlich-syntaktische Merkmale von Texten In der sprachlich-syntaktischen Analyse wird die sprachliche Eigenart des Textes beschrieben: Klang, Rhythmus, Wortschatz, syntaktische Mittel, Kohäsion (Zusammenhalt) der Textelemente, Aufbau und Gliederung. Die sprachlich-syntaktische Eigenart eines Textes ist geprägt durch ein "Lexikon" von sprachlichen Zeichen (Menge der Wörter und Sätze) und eine die Verknüpfung zwischen den Elementen regelnde "Grammatik".
1.1 Wortschatz (Lexikon) Die Eigenart eines Textes hängt u.a. auch am Wortschatz, der einem Autor zu Verfügung steht. Ein Text verwendet nie das ganze Lexikon einer Sprache, sondern nur eine Auswahl 2. Diese Auswahl ist für den Text charakteristisch. Der Umfang des Wortschatzes kann verschieden sein: so verwendet Johannes nur tausend verschiedene Wörter (die er insgesamt 19000mal verwendet). Bei wichtigen Wörtern des Neuen Testamentes fällt ein kennzeichnender Gebrauch in den einzelnen Schriften auf: z.B. "EuaYYEAtov" (in den Evangelien: 12mal; Apg: 2mal; authentische Paulusbriefe: 47mal; "aKoAou~eiv" (synoptische Evangelien: 6Omal; Joh: 19mal; Paulusbriefe: Imal. Der Überblick über den Wortschatz eines Textes, selbst eines Textsegmentes, gibt einen ersten Einblick in die theologischen Akzente des betreffenden biblischen Textes (zu vertiefen in der semantischen Analyse) und erlaubt außerdem in der diachronen Untersuchung Rückschlüsse auf Tradition und Redaktion 3. 1.2 Wortarten und Wortformen (Grammatik) Texte bieten sodann eine Auswahl aus den von der Grammatik her möglichen Wortarten und Wortformen. Die Beachtung von Wortarten, wie gen 1973) 81-92; ders., Linguistische Stilistik, Grundzüge einer Stilanalyse sprachlicher Kommunikation (Göttingen 1977). Vergleiche auch die diesbezüglichen Abschnitte bei: De Beaugrande - Dressler, Einführung 50-87; Egger, Nachfolge 60-78; Fohrer, Exegese 57-81; G. Michel, Einführung in die Methodik der Stiluntersuchung. Ein Lehr- und Übungsbuch (Berlin 1972); Plett, Textwissenschaft 56-79; Richter, Exegese 72-125; Sowinski, Textlinguistik; Zimmermann - Kliesch, Methodenlehre 282 f. 2 Zur Häufigkeitsanalyse von Wörtern vgl. Guiraud - Kuentz, La stylistique 222-224. Statistiken zum Wortschatz des Neuen Testaments werden in Anm.23 genannt. J Zur Analyse des Wortschatzes als einern Arbeitsschritt der redaktiollskritischen Methode siehe später.
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Substantiv/Nomen, Artikel, Pronomen, Yerb, Adjektiv, Adverb, Präpositionen usw., sowie von Wortformen, etwa beim Verbum Tempus (und Aktionsart, Modus usw.), lenkt den Blick auf Schwerpunkte des Textes 4 • Texte mit vielen Imperativen enthalten Weisungen; Texte mit vielen Personalpronomina (ich, ihr, er) beschäftigen sich vorwiegend mit Fragen der Kommunikation (vgl. etwa Gal 1,1-5). Zu beachten ist überdies: die Vorliebe für bestimmte Satzarten im Text (etwa Aussagesätze, Imperative); die Verwendung von Verbal- oder Nominalsätzen; die Stellung von Subjekt und PrädikatS; die Verwendung von Synonyma (besonders Lk liebt die Variation des Ausdrucks); die Häufigkeit bestimmter Wendungen; die Häufigkeit des Wechsels im Tempusge- '--brauch (etwa der Wechsel von Aorist, Imperfekt, historischem Präsens: im kurzen Text Mk 1,40-43 findet sich für das Hauptverbum: Präsens, Aorist, Präsens, dreimal Aorist und Präsens).
1.3 Verknüpfung von Wörtern und Sätzen Auch die Verknüpfung der Wörter zu Sätzen verschiedener Art (Nominal- und Verbalsatz) und die Verknüpfung von Sätzen sind für einen Text charakteristisch. Der Autor ist natürlich an bestimmte Regeln der Grammatik seiner Sprache gebunden, in neutestamentlichen Texten also an das Griechisch der Koine und den Einfluß von Semitismen, Aramäismen und Hebraismen 6, doch läßt jede Grammatik auch bestimmte Wahlmöglichkeiten für die Verknüpfung der Elemente. Die sprachliche Verknüpfung von Texten, und damit die sprachliche Kohäsion von Texten kann verschieden dicht sein. Es gibt Texte, in denen jeder Satz mit dem anderen auch sprachlich verknüpft ist, und Texte, in denen sich Asyndeta (unverbundene Sätze) häufen. Sprachliche Mittel, um Kohäsion von Texten zu erzeugen, sind Wie• Vgl. Richter, Exegese 88-92. - Guiraud - Kuentz, La stylistique 214-222, zeigt an Beispielen aus dem Französischen und Deutschen, daß etwa deutsche Autoren im Durchschnitt mehr Pronomina und weniger Substantive, mehr untergeordnende Konjunktionen und Verben, weniger Adjektive und Adverbien verwenden als französische Autoren. I Obwohl im Deutschen die Wortstellung viel fester ist als im Griechischen, kann lIuch im Deutschen die Stellung des Verbs stilistisch bedeutsam sein: wenn für Mk 1,15 auch im Deutschen die Wortstellung Verb - Substantiv gewahrt bleibt, wird der Ereignischarakter des Geschehens stärker betont: Erfüllt ist die Zeit, und nahegekommen 1\1 die Gottesherrschaft. • Vgl. K. Beyer, Semitische Syntax im Neuen Testament (StUNT 1; Göuingen 1962); J W. Voelz, The Language of the New Testament: W.Haase (Hrsg.), Prinzipat 11, Bd. "~.2 (Berlin 1984) 894-977; M. Wilcox, Semitisms in the New Testament: ebd. 'J IX-I029. Vgl. auch P.-R. Berger, Zum Aramäisch der Evangelien und der Apostelge,,:hichte: ThR 82 (1986) 1-18, und die Erwiderung von M. Black: ebd. 18-22,
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derholung sowie Verwendung von Proformen und Konjunktionen 7: In der Wiederholung (partielle oder vollständige Rekurrenz) wird ein Element (Wort oder Wortgruppe) an verschiedenen Stellen des Textes aufgenommen, z. B. im Gleichnis vom verlorenen Sohn Lk 15, 11-32 wird V. 18f abgewandelt in V.21 aufgenommen; wiederholt werden auch V.24 in V.31 und V. 13 in V. 30 8 • Die Wiederholung kann geschehen durch wörtliche oder paraphrasierende Wiederaufnahme von Elementen. Zu den wichtigsten Mitteln der Verknüpfung gehört die Verwendung von Proformen 9: Ein Satz wird z. B. mit dem vorausgehenden durch ein Pronomen verknüpft (etwa durch "er"); dadurch wird auf eine vorher genannte Person verwiesen. Für die synoptischen Evangelien ist charakteristisch, daß die meisten Perikopen nicht mit dem Namen "Jesus" beginnen, sondern mit dem Pronomen. Da Pronomina nicht nur für Namen stehen, sondern oft für ganze Wortgruppen, z. B. "Er ging weg, darüber waren sie bestürzt", spricht man auch von Proformen (anstatt von Pronomen). Auch der bestimmte Artikel bei einem Hauptwort kann eine solche Verweisfunktion haben, da der bestimmte Artikel ja nur verwendet wird, wenn die Person oder die Sache, von der geredet wird, bekannt ist. Ein zweites wichtiges Mittel der Textverknüpfung ist die Verwendung von Partikeln und Konjunktionen: Unter "Partikeln" werden jene Wörter verstanden, die die Modalität eines Satzes hervorheben, etwa Modalpartikel!). wie liv, YE, die Fragepartikeln wie n6·tEpov ... i'J; apa; Partikeln der Versicherung Ei J,Ji;v 10. "Konjunktionen" sind Bindewörter, die einzelne Satzglieder oder Sätze miteinander verbinden. Die Verbindung von Elementen kann dabei koordinierend oder subordinierend sein. Zu den koordinierenden (beiordnenden) Konjunktionen gehören: die kopulativen: Kai (mit vielen Unterarten: adversatives, konsekutives, einleitendes usw.), TE, oihE, olioE; die disjunktiven i'J, i'J - i'J, EhE - EhE; die adversativen OE, J,Ji;v, aUll, MT]V; die konsekutiv-koordinierenden, wie ouv, lipa, 'tOlyapoOv, oL6; die kausal-koordinierenden, wie yap.
7 VgL die Listen bei De Beaugrande - Dressler, Einführung 51 ; Fleischer - Michel, Stilistik 190-207; Ple/t, Textwissenschaft 62; Berger, Exegese 13-17; W. Schenk, Die Philipperbriefe des Paulus. Kommentar (Stuttgart 1984) 2U. 8 Vgl. Berger, Exegese 14. - Zur Analyse des Textes Lk 15 vgl. auch F Schnider, Die verlorenen Söhne. Strukturanalytische und historisch-kritische Untersuchungen zu Lk 15 (Orbis Biblicus et Orientalis 17; Göttingen 1977). • Zum Problem der" Verweisung in Texten" vgl. Kallmeyer, Lektürekolleg 177-257. 10 Blass - Debrunner - Rehkopf, Grammatik §§ 438-441.
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Zu den subordinierenden Konjunktionen gehören: die komparativen, wie @~, @cmEp, Ka~anEp, Ka.sro~; die hypothetischen, wie Ei, Ei ~T]V, Ei BE; die temporalen, wie ch~; die kausalen, wie ÖTl, End u. a. l l Die wichtigsten Verbindungswörter für das Neue Testament sind: Kai (9 I64mal verwendet), BE (280Imal), yap (1042mal), aMa (638mal). ) Mangel an Kohärenz Seiden neutestamentlichen Texten sind nicht nur die Kohärenzfaktoren zu beachten, sondern auch Hinweise auf Einschnitte im Text. Bei manchen Sätzen ist durch viele sprachliche Mittel die Verknüpfung mit anderen Sätzen hergestellt; bei anderen Sätzen hingegen fehlt eine solche Verknüpfung. Durch Beobachtungen dieser Art läßt sich feststellen, wieweit schon der Verfasser eines neutestamentlichen Textes eine gewisse Einteilung in Abschnitte vorgenommen hat 12. Der Mangel an Ko~ häsion kann dann auch ein Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des , Textes sein 13. 1.4 Stil merkmale
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In der Stil analyse im engeren Sinn werden sowohl "bevorzugte und für den Text eigenartige sprachliche Ausdrucksformen" 14 als auch vom normalen Sprachgebrauch abweichende Verwendungen untersucht. Mit den vom normalen Sprachgebrauch abweichenden Verwendun,en hat sich besonders die traditionelle Stilistik unter dem Stichwort ..Tropen (kunstvolle Änderung der Bedeutung eines Ausdruckes) und Stilfiguren" und die Rhetorik beschäftigt. Besonders wichtig sind die Stil figuren des Ersatzes, der Hinzufügung, der Auslassung und der Anordnung 15. Ebd. §§ 442-457. Zur Verknüpfung und zum Fehlen von Verknüpfung zwichen den Sätzen am BeiIpiel der Bergpredigt vgL Egger, Faktoren der Textkonstitution. 11 Vgl. Literarkritik. .. Fohrer. Exegese 68. 11 Zum folgenden siehe besonders Fleischer- Michel, Stilistik 151-187. - Zu den ein,~Incn Stilfiguren und Beispielen: W. Bühlmann - K. Scherer. Stilfiguren der Bibel. Ein .' ,nes Nachschlagewerk (Fribourg 1973); L. Alonso-Schäkel. Das Alte Testament als ·I'·lchliches Kunstwerk (Köln 1971; aus dem Span.); F Rehkopf, Der "Parallelismus" 1/11 Neuen Testament: ZNW 71 (1980) 46-57; A. Di Marco. Der Chiasmus in der Bibel 111 und IV: LingBibl H. 39 (1976) 37-85 und H.44 (1979) 3-70; J. Zimijewski. Der Stil *r paulinischen "Narrenrede". Analyse der Sprachgestaltung in 2 Kor 11,1-12, IO als Icilrag zur Methodik von Stiluntersuchungen neutestamentlicher Texte (BBB 52; 11
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Stilfiguren des Ersatzes sind u. a.: - Litotes (statt einer positiven Aussage wird die Negation des Gegenteils angeführt): .. Ich will euch nicht in Unkenntnis lassen" (Röm 1,13); - Personifizierung: .. Das Evangelium ist zu euch gekommen nicht nur im Wort allein, sondern auch in Macht und im Heiligen Geist und in großer Fülle" (I Thess 1,5); - Ironie (Behauptung einer Tatsache, um das Gegenteil auszudrücken), etwa im Tadel: .. Ihr ertragt ja gerne die Toren, ihr klugen Leute" (2 Kor 11, 19 f) ; . - Vergleich und Allegorie; - Setzung des "abstractum pro concreto": .. Aposteldienst der Beschneidung" für .. die Beschnittenen" (Gal 2,7); - Hyperbel (Übertreibung). Stilfiguren der Hinzufügung (in denen ein Ausdruck durch weitere Ausdrücke präzisiert wird) sind: - Antithesen: .. Nicht Herren über euren Glauben, sondern Mitarbeiter eurer Freude" (2 Kor 1,24); - Merismus (anstelle eines einzigen Ausdruckes werden die Teile genannt, die das Ganze ..zusammensetzen"): .. Fleisch und Blut" = [nach alttestamentlicher Auffassung) "Mensch" (Gal 1,16); - Wiederholung im Satzbau wie im Parallelismus: "sorgt nicht - betrachtet: was sorgt ihr -lernt: sorgt nicht - suchet" (Mt 6,25-33) und Chiasmus (kreuzend figurierter Satzbau); - Rahmung/Inclusio (Wiederholung der Wendungen, die am Beginn verwendet sind, am Schluß des Textes); so rahmen die Stichworte .. selig" und "Gottesherrschaft" die Seligpreisungen Mt 5,3-10, und die Stichworte "Gesetz und Propheten" rahmen den Kern der Bergpredigt; - Pleonasmen (schmückende Beiwörter). Stilistisch wirksam ist auch das Auslassen von Elementen, z. B. Anakoluth (ein Satz wird nicht vollendet, z. B. Gal 2,4 f.6), oder auch die Anordnung der Elemente (z. B. Mk 1,15 die Stellung des Verbs am Anfang). Köln 1978). Meynet, Initiation a la rhCtorique biblique, bespricht viele sprachliche Phänomene, die hier unter dem Stichwort ,,stil" besprochen werden unter dem Stichwort "Rhetorik". - Zu den Stilfiguren der klassischen Thetorik: H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft (München 1973); ders., Elemente der literarischen Rhetorik. Eine Einführung für Studierende (München '1982). - Zur biblischen Rhetorik: R. Bultmann, Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe (FRLANT 13; Göttingen 1910); N. Schneider, Die rhetorische Eigenart der paulinischen Antithese (HermUTh 11; Tübingen 1970).
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In sprachlich-syntaktischer Hinsicht weisen Texte mitunter Spannungen auf, sogenannte Stilbrüche. Zu solchen Spannungen gehören 16: störende Doppelungen und Wiederholungen, gegensätzliche Angaben, unterschiedliche Bezeichnungen für gleiche Personen und Sachen 17. Derartige Stilbrüche sind zunächst nicht als Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Textes zu lesen, sondern als ein Mittel des Autors, um Aufmerksamkeit zu erregen. 1.5 Aufbau und Gliederung des Textes In der Analyse von Aufbau und Gliederung wird auch die Anordnung der Elemente untersucht. Bei poetischen Texten ist die Anordnung besonders wichtig, doch spielt sie auch bei Prosatexten eine Rolle. Ci Iiederungsmerkmale sind z. B.:
Wiederholung von Wörtern und Wortfolgen in einer Art "Kehrvers", Rahmung, Chiasmus, etwa A B A' oder noch kunstvoller eine konzentrische Struktur, wie etwa ABC B' A'. Die Gliederung eines Textes zeigen vor allem folgende sprachliche Mittel an 18: Wechsel von Erzählung und direkter Rede, Wechsel des Themas (oft signalisiert durch eine Formel, etwa "im übrigen", I Thess 4, I; 2 Kor 13, ll), Wechsel von Ort und Zeit durch Orts- und Zeitangaben (oft durch Partikeln angezeigt), Einführung neuer Personen, Häufung von syntaktischen, stilistischen und semantischen Merkmalen, wie etwa die an manchen Teilabschnitten eines Textes auffallend häufige Verwendung von Vokabeln. So verwendet Matthäus in Mt 5,1-11 oft JlaKaplo~: in Mt 5,11l-411: I:YW Öl: Ai;yw UJlIV: in Mt 6,19-7,6 Negationen usw. und gibt so Hinweise für die Gliederung 19, Formulierung als Eröffnungssatz: "Wer von euch ... "(Lk 11,5 u. a.), Partikeln (Mk beginnt nahezu alle Perikopen mit Kai); Adverbien und Zeitangaben ("in jener Zeit"; Mt ll, 25); die Wendung "im übri" Vgl. Liste bei Strecker - Schnelle, Einführung 41. Siehe auch den Abschnitt über die diachrone Analyse. " Variationen des Ausdrucks kann allerdings auch stilistisches Mittel sein. " Zu den Gliederungsmerkmalen siehe Berger, Exegese § 4; E. Gülich - W.Raible, Oherlegungen zu einer makrostrukturellen Textanalyse: E. Gülich - K. Heger W Raible, Linguistische Textanalyse. Überlegungen zur Gliederung von Texten (Papiere zur Textlinguistik; Hamburg 1974) 73-126, bes. 75-99. " Vgl. Egger, Faktoren der Textkonstitution 184.
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gen" als Einleitung der Paränese (I Thess 4, I; 2 Kor 13,11; 2 Thess 3,1)2°, - Überschriften und Leitsätze: Mt 6, 1 als Einleitung zu 6,2-18; Mt 5, 17 und 7,7-14 als eine Art Überschrift und bestätigende Zusammenfassung. 21
2. Die Durchführung der sprachlich-syntaktischen Analyse
I
1
Die sprachlich-syntaktische Analyse ist in einer offenen Weise zu hand- ': haben. Keine Methode kann die Vollständigkeit der Analyse gewährleisten oder beanspruchen, den einzigen Zugang zu eröffnen. Die Analyse ist nie abgeschlossen, das Ziel ist eine immer genauere Beschreibung des Textes. Als Ausgangspunkt ist auch die Orientierung an auffälligen Sprach- i. elementen des Textes zu empfehlen. Dies beugt einer schematisch-for-I\) malen Bestandsaufnahme aller möglichen Stilelemente vor 22 . Zur sprachlich-syntaktischen Analyse gehören u. a. die Erstellung von Listen anhand.grammatikalischer Grundbegriffe, einfache statistische Methoden, der Vergleich mit anderen Texten.
Um die sprachliche Eigenart eines Textes zu beschreiben, ist zunächst I eine Liste der sprachlichen Elemente anhand grammatikalischer Grund-1.'. begriffe zu erstellen, etwa: Substantiva, Artikel, Pronomina, Verba ( (Tempus, Modus), Adjektiva, Adverbia, Junktionsglieder (Präpositio- . nen, Partikeln, Konjunktionen, Relativkonstruktionen). Hilfreich sind im allgemeinen einfache statistische Untersuchun- '. gen 23: Den Ausgangspunkt kann die Feststellung der Häufigkeit der '; verwendeten sprachlichen Mittel bilden. Die Zahlen zur Häufigkeit der I Verwendung von Wörtern (im Teiltext oder in den Schriften des Neuen Testaments) ergibt eine erste Annäherung an die Eigenart des Textes vgl. Berger, Exegese 17-27. 21 Egger, Faktoren der Textkonstitution; vgl. zu den Überschriften auch Berger, Exegese 24. 22 Fleischer - Michel, Stilistik 340. 21 Vgl. dazu M. Reiser, Syntax und Stil des Markusevangeliums im Licht der hellenistischen Volksliteratur (WUNT, R. 2,11; Tübingen 1985); P. Dschulnigg, Sprache, Redaktion und Intention des Markus-Evangeliums. Eigentümlichkeiten der Sprache des Markus-Evangeliums und ihre Bedeutung für die Redaktionskritik (StBB 11; Stuttgart 1984) 74-83. Hilfsmittel für die Statistik sind: R. Morgenthaler, Statistik des neutestamentlichen Wortschatzes (Zürich 1958); ders., Statistische Synopse (Zürich 1971); K. Aland (Hrsg.), Vollständige Konkordanz zum griechischen Neuen Testament (Berlin 1978) 11 1-305; F. Neirynck - F. van Segbroek, New Testament Vocabulary. A Com· panion Volume to the Concordance (BEThL 69; Leuven 1984). 20
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(vgl. etwa die Streuung von Ausdrücken wie ßaotAeia ·tOO 3wo bzw. TUlV oupavrov, EuayyeAtOV, öUC«tOoUVT] in den einzelnen Schriften des Neuen Testaments). Gezählt werden kann auch die Häufigkeit bestimmter Satzeinleitungen, die Häufigkeit, mit der Tempusformen verwendet werden, etwa in Erzählungen Imperfekt, Aorist, historisches Präsens; ebenso kann die Häufigkeit des Tempuswechsels für einen Autor typisch sein wie auch die Häufigkeit der Wortarten (Artikel, Hauptwörter, Pronomina, Zeitwörter, Adjektiva usw.) Statistische Erhebungen helfen dann auch, die sprachlichen Besonderheiten von Texten zu erheben, also jene Merkmale, durch die sich eine Schrift von anderen Schriften abhebt. Besonders wichtig sind dabei redaktionelle Vorzugs wörter, das sind Wörter, die bei einem Autor im Vergleich mit anderen neutestamentlichen Schriftstellern im Verhältnis zum Umfang ihrer Schriften besonders oft vorkommen 24. Als eine dritte Methode ist innerhalb des Neuen Testaments der synoptische Vergleich ein erfolgversprechendes Mittel: Durch den Vergleich von Texten werden stilistische Unterschiede, und damit auch die Eigentümlichkeiten der jeweiligen Texte, schnell erfaßt 2S . Ähnliches gilt für den Vergleich mit der hellenistischen Literatur (etwa des Mk mit dem Alexanderroman)26. Für die neutestamentliche Briefliteratur ist der Vergleich mit der Briefliteratur 27 unter Berücksichtigung der Rhetorik aufschlußreich 28. ... Berger, Exegese 213. Für J. C. Hawkins, Horae Synopticae (Oxford 21909). 3. tO.15 sind Vorzugswörter jene Wörter, die wenigstens 4mal (Mk: 3ma!) verwendet werden und sich bei den anderen Synoptikern überhaupt nicht finden oder sich in dem betreffenden Evangelium wenigstens zweimal so oft (Mk: öfter) finden wie in den beiden anderen Evangelien zusammen; vgl. auch die Kriterien bei Dschulnigg, Sprache 75f. Besonders viele Untersuchungen gibt es zu Sprache und Stil des MarkusevangeIiums: H. Cancik(Hrsg.), Markus-Philologie, Historische, literargeschichtIiche und stilistische Untersuchungen zum zweiten Evangelium (WUNT 33; Tübingen 1984); F. Neirynck, Duality in Mark. Contributions to the Study of Markan Redaction (EThLov B. 31; Leuven 1972); - Reiser, Syntax und Stil des Markusevangeliums; Dschufnigg, Redaktion und Intention des Markus-Evangeliums. 11 Der synoptische Vergleich ist natürlich auch auf den anderen Ebenen der Analyse (Semantik, Pragmatik, Textsorten, Entstehungsgeschichte) ergiebig. Zum Vergleich des Wortschatzes der Synoptiker: Neirynck - van Segbroek, New Testament Vocabuiary· 203-436. .. M. Reiser, Der Alexanderroman und das Markusevangelium: Cancik, (Hrsg.), Markus-Philologie 131-163. ,. H. Cancik, Untersuchungen zu Senecas Epistuale Morales (Hildesheim 1969); A Thraede, Grundzüge griechisch-römischer Brieftopik (München 1970); J. L. White, "lew Testament Epistoraly Literature in the Framework of Ancient Epistolography: W Haase, (Hrsg.) Prinzipat II Bd. 25.2 (Berlin 1984) 1730--1756. " Buftmann, Der Stil der paulinischen Predigt (s. Anm.15); S. K. Stowen, The DiaIrtbe and Paul's Letter to the Romans (SLB DissSer 57; Ann Arbor 1981); H.-D. Betz, ( ;alatians.
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Die folgenden Fragen sollen helfen, Lexikon und Grammatik, also die sprachlich-syntaktischen Mittel, zu entdecken, die in einem Text verwendet werden. Diese Beobachtungen dienen dann auch dazu, um die Wirkung herauszuarbeiten, die ein Autor durch die sprachlichen und stilistischen Mittel erzielen will. Zum Wortschatz Stellen Sie fest, ob Ausdrücke und Sätze wiederholt werden, ob eine Vorliebe für bestimmte Wendungen besteht. Stellen Sie fest, ob sich Wörter finden, die für das Lexikon des betreffenden Autors typisch sind (festzustellen anhand einer Statistik des Wortschatzes und, für den Vergleich von neutestamentlichen Schriften, anband der Konkordanz). Zu den Wortarten und Wortformen Nennen Sie die wichtigsten Wortarten und Wortformen (in grammatikalischen Kategorien: Substantiv, Verb usw.). Zur VerkDÜpfung Unterstreichen Sie die Pronomina und die Konjunktionen. Erstellen Sie die Liste der verwendeten Konjunktionen. Nennen Sie die wichtigsten im Text verwendeten Mittel der Satzverknüpfung und die Formen von Satzneben- und -unterordnung, besonders Kai, M, yap usw. Stellen Sie fest, eh eine Vorliebe rur bestimmte Einleitungsformeln der Sätze besteht. Registrieren Sie Suhjekt und Objekt sowie die Wiederaufnahme. Sammeln Sie die vorkommenden Verben und deren eventuelle Wiederhelung. Stellen Sie die Reihenfelge von Subjekt und Prädikat fest. Beschreiben Sie den Tempusgebrauch. Stellen Sie die Satzarten fest, die in dem zu untersuchenden Text am häufigsten verwendet werden. Zum Stil Nennen Sie mit Hilfe der in 1.4 angeführten Liste die im Text verwendeten Stilfiguren. Zu Aufbau und Gliederung Stellen Sie fest, ob sich Wiederholungen von Wortfolgen (Kehrverse oder ä.), Inclusionen und Chiasmen finden. Stellen Sie fest, wieweit Erzählung und Rede verwendet werden. Stellen Sie fest, wo sich Wechsel von Thema, Personen, Ort und Zeit findet. Vergleichen Sie die Gliederungen des Textes ia der Einheitsibersetzung
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uncl einer "~~J:enBih.:sg~h~'~~' si~di; eventuet~"iT;t~;: schiede zu erklären. Erstellen Sie anhand der Beobachtungen einen Gliederungsvorschlag für den zu untersuchend eu Text. '
3. Beispiele 3.1 Mt 18,15-17 Die Analyse dieses Textes zeigt, daß auch bei sehr bekannten Texten die sprachlich-syntaktische Analyse hilft, dem Sinn des Textes genauer auf die Spur zu kommen. Dem..Abschnitt Mt 18,15-17 29 werden in den Bibelausgaben u.a. folgende Ubers·chriften gegeben: Verantwortung für den Bruder (Einheitsübersetzung), Von der Verantwortung für den Bruder (Gute Nachricht), Verhalten gegen den sündigen Bruder (Peseh, Synoptisches Arbeitsbuch). . Der !e~t besteht syntaktisch-grammatikalisch aus der Wiederholung el?er el.nzlg~n Satzs~ruktu~, in der eine Handlungsanweisung gegeben WIrd:. em mIt ta.v emgelelteter Nebensatz und ein Hauptsatz, dessen Verb Im ImperatIv steht (mit einer Ausnahme); die Partikel OE trägt zur Verkettung der Sätze bei. Mv öt u~apn1cru Mv <Jou UKOI)cru Mv öt ~Tt
ünaYE l\M:Y~ov tKtpÖTJ<Jac; napaAaße Ein6v l\<J,Cl) <Jot
Von dieser sprachlichen Gestalt her geht es dem Text also nicht in erster Linie um die Verantwortung für den Bruder, sondern vor allem um die Sorge für die Heiligkeit der Kirche. Durch Mahnung und eventuellen Ausschluß (dies sind die Handlungsanweisungen im Imperativ) muß die Heiligkeit·der Kirche gewahrt werden. . Ein ähnlicher T~xt liegt in IQS 5,25 - 6, I vor. In Qumran geht es an dIeser Stelle um dIe Warnung vor Haß und um einen Schutz für den Fehlenden, dessen Sünde nicht sofort vor die Gemeinde gebracht werden darf. Der Vergleich dieses Textes und der ihn prägenden Satzstruk" Lileratur: W. Peseh, Matthäus der Seelsorger. Das neue Verständnis der Evangelien dargestellt am .B~ispiel von Mt 18 (SBS 2; Stuttgart 1966); W. G. Thompson, Matthew's Advlce to a DlVlded Community. Mt 17,22-18,35 (AnalBib 44; Rom 1(70).
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tur mit den Weisungen, die in I QS 5,25 - 6, I gegeben werden, läßt den Akzent des Mt-Textes noch deutlicher werden.
'\
3.2 Mt 28, 18-20~1
Das Verständnis von Mt 28, 18-20 30 wird durch die Beachtung sprachli- *.' eher Eigentümlichkeiten des Textes vertieft. Die drei Sätze des Textes , sind durch die Konjunktionen ouv (V. 19) und Kai lBou (V. 20b) eng mit-li einander verbunden. Der Text erhält sein Gepräge vor allem durch die Verbformen: V. 18b steht das Verb im Indikativ Aorist; Vv. 19.20a steht ein Verbum im Imperativ Aorist, während drei Verben in der Partizipialform (eines davon Aorist, zwei Präsens) stehen; V. 20b steht das Verb im Indikativ Präsens. Dadurch, daß tB6~" (V. 18) am Beginn der Rede steht, wird der dynamische Charakter des erwähnten Geschehens betont. Die Weisung, die ausgesprochen ist, hängt also daran, daß dem Sprecher alle Gewalt gegeben ist. Die Weisung selbst wird im Imperativ ausgesprochen, während die Durchführung der Weisung durch die Partizipien beschrieben wird. In einer Schlußformulierung, die durch die Einleitung "und siehe" Aufmerksamkeit fordert, wird die helfende Gegenwart Jesu verheißen. Die Gliederung des Textes ist demnach:
4
f
Gegeben ist mir alle Gewalt im Himmel und auf der Erde. Gehend also macht zu Jüngern alle Völker, taufend sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, lehrend sie zu halten alles, was ich euch aufgetragen habe. Und siehe, ich bin mit euch bis zur Vollendung der Welt. Durch eine Fülle von Beziehungen zum Gesamtevangelium zeigt sich nicht nur ein kompositorisches Interesse, sondern auch das Bemühen des Evangelisten, den wesentlichen Inhalt seines Evangeliums zusammenzufassen 31. Solche Bezüge sind vor allem: die Ortsangaben "Galiläa" und "Berg", die Motive von Zweifel (vgl. 14,28-31) und )0 Literatur: w: Trilling; Das wahre Israel. Studien zur Theologie des Matthäus-Evan· geliums (StANT 10; München )1964); F. Hahn, Der Sendungsauftrag des Auferstandenen. Matthäus 28,16-20: PS H.-W. Gensichen (Gütersloh 1980); G. Friedrich, Die formale Struktur von Mt 28,18-20: ZfhK 80 (1983) 137-183 (mit ausführlichem Oberblick über die Forschungslage); H. Frankemölle, Jahwe - Bund und Kirche Christi. Studien zur Form- und Traditionsgeschichte des "Evangeliums" nach Matthäus (Münster 1984) 42-72. )1 Zum Folgenden bes. Hahn, Sendungsauftrag 29.f; Friedrich, Formale Struktur.
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Anbetung 32, die sachliche Beziehung der· Verheißung zum Namen "Immanuel" in Mt 1,23 und zur Verheißung der Gegenwart Jesu in Mt 18,20. Die Erhebung der formalen Struktur des Textes ist auch bedeutsam für die Textsortenbestimmung, da dafür nur Texte mit einer ähnlichen sprachlich-syntaktischen Struktur herangezogen werden können. Unter dieser Rücksicht bilden sowohl in formaler als auch in inhaltlicher Hinsicht die johanneischen "Ich bin"-Worte eine Parallele, da auch diese aus Selbstoffenbarung, Aufforderung und Zusage einer Verheißung bestehen 33.
3.3 Mk 1 Obwohl Mk I zum größten Teil aus ursprünglich isolierten Einzelperikopen zusammengefügt ist, hat der Redaktor den Abschnitt zu einem einheitlichen Ganzen gestaltet. Dies zeigt sich scl10n in der sprachlichsyntaktischen Gestalt des Textes 34 • Für das Kapitel kennzeichnend ist die Vorliebe für bestimmte Wörter: so die elfmalige Verwendung von EU~U~ in einem so kurzen Text 3S; dazu noch eine Reihe von Vorzugsvokabeln des Mk: "unrein, einziehen, Lehre, erschrecken, mXAlv, noua, fragen, offenkundig" 36. Mit Vorliebe werden bestimmte Wort- und Satzkombinationen verwendet: Verdoppelungen von Ausdrücken finden sich in I, 14f; 1,32; 1,45 37 ; die Sätze sind parataktisch durch Kai aneinandergeschlossen ; selbst die neuen Abschnitte beginnen mit Kai 38; im Tempusgebrauch wechseln Aorist und historisches Präsens ab, dazu tritt noch die Verwendung der conjugatio periphrastica. Die Stellung des Verbums in den Sätzen wechselt (Verbum vor Subjekt oder nach dem Subjekt) 39. Bezüglich der Verknüpfung durch Pronomina fällt auf, daß am Perikopenanfang nur in 1,9 und Mt 13mal; Mk 2mal; Lk 3mal; Joh Ilmal; Apg 4mal. Im einzelnen Friedrich, Formale Struktur 161-170. Friedrich verweist auf ähnliche Strukturen im Alten Testament: Gen 17,1 f; 26,24; 46,4; Ex 3,6-20; im Neuen Testament: auf die Sendschreiben der Offb. .. Siehe die Kommentare; im einzelnen Egger, Frohbotschaft und Lehre 39-43. ., Insgesamt bei Mk 41mal. .. &086<; (Mt 18; Mk 41; Lk 7; von Mk unabhängig bei Mt 5mal, bei Lk Imal); 1UiA.w (7 - 28 - 3), 1toUa (als Adverb; 0 - 9 - 0). " Vgl. Neirynck, Duality, z.St. " Außer dem textkritisch unsicheren V. 14. " Parataxe, Wortstellung, Tempusgebrauch, Pleonasmus,lexikalische Monotonie, ErI.ähltechnik entsprechen vielfach dem hellenistischen Volksbuch des Alexanderrornans: Reiser, Alexanderroman und Markusevangelium: Cancik, (Hrsg.), Markus-Philologie; ders., Syntax und Stil des Markusevangeliums im Licht der hellenistischen Volksliteratur. 12
Jl
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1,14 der Name "Jesus" steht. Zum Stil des Mk gehören auch die anschaulichen malerischen Details (1,33) und die nachgetragenen Erklärungen (I, 19). Als Gerüst zum Bau des Kapitels dienen drei Sammelberichte mit dem Leitwort KTJPU<J<JElV, die durch die Form der Inclusio das Material des Kapitels zu einer Einheit zusammenschließen: 1,14f-I,39-1,45. Durch die Vv. I und 14 ist diese Verkündigung als Verkündigung des "Evangeliums" präzisiert. Auch die Verse 1,4f (Wirksamkeit des Täufers: Verkünden und Zusammenströmen des Volkes) und 1,45 (Verkünden, Zusammenströmen) lassen sich als eine große Inclusio des Kapitels ansehen. Durch diese Sammelberichte bestimmt Markus auch von der äußeren Gestalt des Textes her den Inhalt des Kapitels als Verkündigung. Neben dieser Rahmung 1,4f und 1,45 stehen noch kleinere Rahmungen, etwa 1,21 fund 1,28 ("Lehre"); I, 14f und 1,39 ("Verkündigung") und ein Chiasmus in 1,32-34. Die vielfältigen Einzelerzählungen sind mannigfach miteinander verknüpft. Das Kapitel weist die für Markus typische episodische Erzählweise auf 40 : Vv. 1-8: vorbereitend auf 9.14; 1 verweisend auf 15; Vv. 9-13: gegliedert durch zweimaliges Eu3u<;; Vv. 14-39: Kehrvers in 1,14 und 1,39; Vv. 21-38 ist als Beschreibung des "Tages von Kafarnaum" besonders durch Verben der Bewegung sowie durch Orts- und Zeitangaben verknüpft; Vv. 40-45: lose angeschlossen; V. 45 ist der semantische Höhepunkt des Kapitels 41. Die Einheitlichkeit und die abgerundete Form des Kapitels zeigen sich auch darin, daß in den fünf folgenden Streitgesprächen (Mk 2,1-3,6) das Gegenbild dieses unbegrenzten Wirkkreises und dieses Zulaufs der begeisterten Menge gezeichnet ist; nun folgt die Auseinandersetzung mit den Gegnern 42 •
3.4 Phlm Wegen seiner Kürze kann der Brief des Apostels Paulus an Philemon in seine'r Gesamtheit, und nicht nur in Ausschnitten, analysiert werden. So .. C. Breytenbach, Das Markusevangelium als episodische Erzählung. Mit Überlegungen zum "Aufbau" des zweiten Evangeliums: F. Hahn (Hrsg.), Der Erzähler des Evangeliums. Methodische Neuansätze in der Markusforschung (SBS 118/9; Stuttgart 1985) 137-169, bes. 157-161. 4. Allerdings ist Mk 1,45 entsprechend der Terminologie und Semantik des Mk mit "verkünden und das Wort verbreiten" zu übersetzen; anders die Einheitsübersetzung. 42 Zur semantischen Eigenart von Mk I siehe später.
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ist er besonders geeignet, um die einzelnen Methodenschritte durchzuführen 43. Phlm weist eine deutliche Gliederung auf: Anschrift mit Segenswunsch (Vv. 1-3), Danksagungsteil (Vv. 4-7), Bitt-/Weisungsteil (Vv. 15-21), Schlußgrüße und Segenswunsch (Vv. 23-25)44. Im Bitt-Teil ist zwar zwischen V.20 und V. 21 eine Zäsur; trotzdem sind die Verse 21 und 22 zu diesem Teil zu rechnen, da V. 21 eine Verstärkung des Anliegens des Bitt-Teils ist und V. 22 einen weiteren Imperativ (vgl. die Imperative Vv. 17 t) anschließt. Anschrift und Schluß des Briefes bilden auch dadurch eine Klammer des Briefes, daß sie das Thema der Mitarbeiter und einen Segenswunsch bieten. Auch der Danksagungsteil und der Bitt-Teil sind eng miteinander verzahnt, indem wichtige Wörter und Themen des Danksagungsteils im Bitt-Teil wiederkehren, hier allerdings als eine Konkretisierung der allgemeinen Aussagen des Danksagungsteils 4S. Bezüglich der Wortarten fällt auf, daß sehr wenige Adjektive verwendet werden. Pronomina finden sich in jedem Satz, wobei besonders eyw an mehreren Stellen betont auf den Absender weist: Vv 13.19 (2mal).20 46 • Die Zeitformen der Verben sind abwechslungsreich: Präsens für die Verben, die die Briefteile einleiten; (Brief-)Aorist für Vorgänge, die den Akt des Schreibens und Sendens betreffen (Vv. 21 und 12). Imperative finden sich erst in Vv. 17 f und dann V. 22. Die Verknüpfung des Briefes ist durch die Pronomina gewährleistet, indem jeder Satz ein Pronomen enthält 47. Ähnlich wirken auch die Konjunktionen, besonders bemerkenswert ist die verknüpfende Konjunktion lh6 zu Beginn des Danksagungs-Teils und yap in V. 15. Weniger verknüpft wirken die Verse 20f.23 fund 25. Eine besonders starke Verknüpfung wird in diesem Brief durch Re-
., Siehe die Kommentare. Unter methodischer Rücksicht wird Phlm besprochen bei: F. F. Church, Rhetorical Structure and Design in Paul's Letter to Philemon: HThR 71 (1978) 17-33; Groupe de Montpellier, L'epitre de Paul ä Philemon: SemBible Nr. 11 (1978)7-17; M. M. de Gaulmyn, Reflexion sur I'epitre ä Philemon: ebd. 18-23; J. Lähnemann - G. Böhm, Der Philemonbrief. Zur didaktischen Erschließung eines Paulusbriefes (Gütersloh 1973); J. Zmijewski, Beobachtungen zur Struktur des Philemonbrieres: BibLeb 15 (1974) 273-296. .. Umstritten ist die Gliederung hinsichtlich des Briefschlusses. Lohse, Phlm, nimmt Vv. 21-25 zusammen; ebenso Stuhlmacher, Phlm; Gnilka, Phlm, gliedert den Brief nach den Gesichtspunkten der antiken Rhetorik: Präskript (Vv. 1-3), Proömium (Vv. 4-7), Argument (Vv. 8-16), Epilog (Vv. 17-22), Postskript (Vv. 23-25). .. Groupe de Montpellier, L'epitre de Paul ä Philemon 19. .. Eine für die Briefe des Paulus auffallende Häufigkeit: Röm 20maJ; I Kor 30maJ; 2 Kor 19mal; GallOmai; PHil6mal; I Thess 2ma!. ., Vg!. Zmijewski, Beobachtungen 282.
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kurrenz und Paraphrase von Ausdrücken geschaffen 48: Dies betrifft vor allem die Abschnitte Vv. 4-7 und Vv. 8-22, aber auch die übrigen Verse: ayamj: Vv. 5.7.9.16 und aya1tTJ't'6~: Vv 1.16; 'ITJcro\)~: Vv. 1.3.5.9.23.25; KuptO~: Vv. 3.5.16.20.25; Xplcr't'6~: Vv. 1.3.6.8.9.20.23; KOlvrovta: V. 6 und KOlvrov6~: V. 13: cr1tAanva: Vv.7.12.20; aVa1taUollat: Vv. 7.20; aÖEA1t(p6~: Vv. 1.7.16.20 und aÖEAqll~: V. 2; ÖO\)AO~: V. 16 (2mal); 1tPOcrEUxai: Vv. 4.22; na\)Ao~: Vv. 1.9.19 49 ; ÖEcrlltO~: Vv. 1.8 und öEcrlloi: V. 10; cruvEpy6~: Vv. 1.24 sowie Verbindungen mit cruv: crucr't'pa'tlw't'TJ~: V. 2, cruVatXllaAro't'o~: V. 23; 1ttcr'tl~: Vv. 5.6; 1tapaKaMro: Vv. 8.10; ~XELV: Vv. 7.8.17 und Komposita Ka't'EXElv: V. 13; a1tEXELV: V. 15; 1tOLElv: Vv. 14.21; xapl~: Vv. 3.25; ö~: Vv. 9.14.16.17. Als weitere sprachliche Mittel werden verwendet SO: Antithesen: Vv.ll ("unnütz - nützlich"); 14 ("aus Zwang - aus Freiwilligkeit"); 16 ("Sklave - Bruder"); Parallelismus: V. 13 (parallele Satzgestaltung) ; Merismus: V. 16 ("Im Fleisch und im Herrn"); Präzisierungen: Vv. 12 ("ihn, das ist mein Herz"), 19 ("um nicht zu sagen"); Steigerung: besonders V. 16; Näherbestimmung der Personen durch Appositionen, indem alle Eigennamen, die im Brief erwähnt sind, eine Apposition erhalten SI.
§ 9 Semantische Analyse
Wenn jemand fragt: "Was bedeutet das Wort, das du eben gesagt hast?" oder: "Was willst du damit sagen?", fragt er nach der Bedeutung I eines sprachlichen Zeichens oder einer Zeichenfolge; er i~.t an der i~haltli chen Seite, am Aussageinhalt des Wortes oder der Außerung mteressiert. Im Alltag gibt es verschiedene Mittel, um die Bedeutung einer Äußerung zu klären, z. B. die Rückfrage. Bei alten Texten wie den biblischen Texten besteht diese Möglichkeit nicht, und doch ist dort aufgrund der zeitlichen und kulturellen Distanz die Gefahr des Mißverständnisses besonders groß. So ist die Suche nach dem Sinn und der Bedeutung der biblischen Texte eine besonders schwierige Aufgabe. Mit dieser Aufgabe beschäftigt sich die Semantik. CI Siehe ebd. 277-285 . ., Außer in den Anschriften findet sich "Paulus" nur noch I Kor 1,12.13 (2mal); 3,4.5.22; 16,21; 2 Kor 10,1; Gal 5,2; I Tbess 2,18. 50 Vgl. Zmijewski. Beobachtungen 283-285. 51 Zur semantischen und pragmatischen Analyse von Phlm später.
1 G. Leeeh. Semantics (Middlesex 1974)1 verweist auf C. K. Odgen - l. A. Richards. Tbe Meaning of the Meaning (1923) 186f, die zweiundzwanzig Definitionen über die "Bedeutung" von Bedeutung anführen. .
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Semantik ist die lehre von der Bedeutung sprachlicher Zeichen und Zeichenfolgen 2 , also der Beziehungen zwischen Zeichengestalt und Zeichengehalt bei Wörtern, Sätzen und Texten. Die semantische Analyse eines Textes sucht eine Antwort auf die Frage, was ein Text sagen will, und was mit bestimmten Ausdrücken und Sätzen gemeint ist, die in einem Text verwendet werden.
Eine Methodenlehre zur Semantik gibt Anleitungen, wie die Bedeutung von Wörtern, Sätzen und Texten erhoben werden kann. Zwar haben Einzelausdrücke ihren Sinn nur im Kontext von Sätzen und Texten, doch lassen sich mehrere Schwerpunkte gesondert besprechen: die Wort-Begriffs-Semantik und die eigentliche Textsemantik sowie die Semantik narrativer Strukturen. Der Wortsemantik geht es um die Bedeutung eines Wortes, der Textsemantik um die Bedeutung eines ganzen Textes. Ohne Kenntnis der Wortbedeutung kann kein Text und ohne Kenntnis der Textbedeutung kein einzelnes Wort eindeutig verstanden werden. Das Verstehen vollzieht sich auch hier in einem Zirkel. 1. Abschnitt: Textsemantik
Schon beim ersten Lesen eines Textes gewinnt der Leser eine bestimmte Auffassung über Inhalt und Sinn des Textes. Der Leser kann in etwa sagen, wovon der Text handelt; er kann den Text zusammenfassen. Die semantische Analyse eines Textes soll helfen, dieses erste Verständnis über den Sinn des Textes zu vertiefen, etwaiges Mißverständnis zu überwinden und die Auffassung über den Sinn des Textes zu begründen. Literatur zur Einfiihrung: Einführungen in die Methode der textsemantischen Analyse finden sich in mehreren Arbeiten zu konkreten Texten: H. J. Hauser, Struktur der Abschlußerzählung der Apostelgeschichte 51-177; D. Minguez, Pentecostes 71-150; W. Egger, Nachfolge 79-136 3 •
Ulrich, Linguistische Grundbegriffe 138. Minguez, Pentecostes; Hauser, Strukturen der Abschlußerzählung der ApostelgeIChichte; Egger, Nachfolge. Für eine eigentliche Textsemantik ist auf Greimas und aeine Schule zu verweisen (auch die genannten Autoren nehmen viele Anregungen von Greimas auf): Courtes. Introduction ä la semiotique narrative et discursive; Greimas, Semantica strutturale; ders., Du sens; Cahiers Evangile. Une initiation ä I'analyse Itructurale; Groupe d'Entrevemes, Analyse semiotique des textes; dies., Signes et paraboles; Fossion, Leggere le Scritture. I
1
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1. Das der textsemantischen Analyse zugrundeliegende Text- und Lesemodell Das der semantischen Analyse zugrundeliegende Textmodell entspricht der strukturalistischen Textbetrachtung, wie sie in § 2 dargelegt wurde. Der Text ist in semantischer Hinsicht die Menge der Beziehungen (Struktur) zwischen den Bedeutungselementen des Textes. Der Text ist ein Ganzes, eine Art "semantisches Mikro-Universum"4.
Die verschiedenen Bedeutungsinhalte können mehr oder weniger eng (oder auch gar nicht) miteinander verbunden sein, wie Abb. 10 zeigt.
zeichneten Gegenstände und Sachverhalte bestimmts. Die semantische Kohärenz eines Textes kann mehr oder weniger fest sein. In der Rezeption geht der Leser den umgekehrten Weg, indem er die über den Text verstreuten Sinnelemente in ihrem Zusammenhang zu sehen und so den Text zu entschlüsseln versucht 6. Da das Lesen als Entschlüsse1ung, als Auffinden von Sinnzusammenhängen zwischen den Elementen des Textes verstanden wird, ist Lesen prinzipiell nie abgeschlossen. Der Leser kann immer neue Sinnzusammenhänge entdecken. Nach dieser Auffassung ist also der Text sowohl aufgrund seiner Struktur als auch aufgrund der Eigentümlichkeit des Leseaktes nicht Träger eines eindeutigen Sinnes, sondern "der Ort von Möglichkeiten von Sinn".
~b\-------,
Der Text mit seinen Bedeutungselementen ist der "Ort vielfältigen Sinnes"7. Der Text selbst ist auch das Verweissystem: Jedes Element verweist auf ein anderes Element 8 •
a
f
Abb. 10: Struktur der Bedeutungsinhalte
Das Lesen und die Sinnentschlüsse1ung entsprechen der Produktion eines Textes. Für die Produktion von Texten kann, unter semantischer Rücksicht, das Erstellen eines Aufsatzes ein Muster abgeben: Zunächst ist nur das Thema gegeben, dieses wird nun entfaltet, indem verschiedene Aspekte des Themas, also die im Thema steckenden Bedeutungsinhalte, einzeln dargelegt und in eine bestimmte Reihenfolge gebracht werden. Die Entfaltung des Themas geschieht vor allem durch Redundanz (Wiederholungen) von Sinnelementen; zur Verdeutlichung können auch Oppositionen eingeführt werden usw. Die Einheitlichkeit des Textes in semantischer Hinsicht wird von der Einheitlichkeit der be-
Das Finden des Textsinnes ist kein mechanisches Verfahren, sondern hängt auch von der persönlichen Eigenart und dem kulturellen Wissen des Lesers ab. Ohne einen Rückgriff auf kulturelles Wissen sind vor allem Texte der Vergangenheit nicht zu entschlüsseln. Die zum Verstehen nötigen Zusatzinformationen können entweder aus den Texten der betreffenden Kultur jedesmal neu erarbeitet werden, oder (zusammengefaßt) aus Monographien und Lexika erhoben werden. Für die Arbeit an biblischen Texten ist notwendig, daß wenigstens die wichtigsten Parallelen aus der Umwelt berücksichtigt werden, z. B. durch den Vergleich mit den alttestamentlichen Parallelen und denen aus der hellenistischen Umwelt.
2. Die Durchführung der textsemantischen Analyse Beim ersten Lesen steht der Leser vor einer Menge von "Lexemen"/Wörtern 9. Um Thema und Sinn eines Textes zu erheben, kann man sich natürlich auch auf das Gefühl verlassen. Wissenschaftlich wird das Lesen durch Vergewisserung über die Richtigkeit des Lesens. Pfeil, Textwissenschaft 102. Vgl. die Ausführungen über das Lesen. , Barthes, L'analyse structurale 188: "Ie lieu des sens, le Iieu des possibles du texte". I Barthes, L'analyse structurale 185; vgl. Egger, Nachfolge 81. I Wörter werden als Lexeme bezeichnet, sofern sie Bauelemente des Wortschatzes lind, die als Lexikoneintragungen auch unabhängig von Texten existieren. I
I
• R. Lack, Letture strutturaliste dell'antico testamento (Rom 1978): "universo semantico" (zu Hos 4,1-14); Minguez, Pentecostes 74 145-150, spricht von einem "universo significativo" und "sistema semantico", das aus aufeinander bezogenen Bedeutungsinhalten besteht.
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Das Verstehen eines Textes besteht nun darin, die große Menge von Elementen, die den Text konstituieren und denen der Leser begegnet, zu klassifizieren und in ihrem Zusammenhang zu sehen 10. Die Semantik gibt Anweisungen, wie diese Menge als geordnete Vielfalt erkannt wird, deren Elemente in bestimmten Beziehungen zueinander stehen. Zur Erhebung des Sinnes von Texten werden ein ausführliches, zeitaufwendiges und mehrere verkürzte Analyseverfahren vorgestellt sowie auf die Relevanz von Zusatzinformationen aufmerksam gemacht.
sicht des Textes Mk 10,17-31 zeigt nun, daß fast alle Lexeme des Textes zu einer der drei folgenden paradigmatischen Klassen gehören 13:
Tun Können Was tun menschliches Vermögen verkaufen göttliche Hilfe den Armen geben schwierig Haus verlassen
2.1 Erstellung eines semantischen Inventars Ein erstes Verfahren, um den Sinn eines Textes zu erheben, ist die Erstellung des Inventars der Bedeutungsmerkmale eines Textes ll. Der Ausdruck "Inventar" stammt aus der Wirtschaftssprache und bezeichnet dort die Menge der vorhandenen Gegenstände und deren Ordnung nach Gruppen. Eine solche Bestandsaufnahme unter inhaltlich-bedeutungsmäßigem Gesichtspunkt läßt sich auch an Texten vornehmen. Dies erfolgt in mehreren Schritten 12. In einem ersten Schritt werden die bedeutungsverwandten Lexeme!Wörter zu Gruppen zusammengeschlossen.
In jedem Text kommen bestimmte Ausdrücke und Bedeutungsinhalte vor, die bedeutungsmäßig miteinander verwandt sind. Ein extremes Beispiel ist ein Wetterbericht, der nahezu aus nichts anderem besteht als aus einer Liste von Bezeichnungen meteorologischer Phänomene; ähnliches gilt auch z. B. für einen Aufsatz über den Frühling. Und dies gilt für jeden kohärenten Text. So findet sich im Text über die Berufung des reichen Mannes in Mk 10,17-31 neben anderen Gruppen von bedeutungsmäßig verwandten Wörtern eine Gruppe von Verben der Bewegung: sich auf den Weg machen, laufen, kommen, nachfolgen, weggehen, (in das Reich) kommen, (in das Reich) gelangen usw.; eine zweite Gruppe bilden Wörter über arm/reich. Für das "Inventar" des Textes ist eine solche Gruppierung vorzunehmen. Eine gen aue DurchSo beschreibt Marguerat, Strukturale Textlektüren 64, das Anliegen von Barthes. Barthes, L'analyse structurale, legt die Methode dar und führt sie an Apg 10-11 durch; vgl. auch Greimas, Semantica strutturale 169-205; dazu bietet Greimas, L'anaIyse structurale 269-308, eine Analyse des semantischen Universums von Bernanos. 12 Die methodischen Schritte werden dargelegt bei Minguez, Pentecostl~s 73-85; Hauser, Strukturen 51-59; Fassion, Leggere le Scritture 67-74; L. Panier (Hrsg.), Petite introduction ä l'analyse des textes ... : Sem BibI. H. 38 (1985) 3-31. 10
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möglich/unmöglich
Ewiges Leben ewiges Leben erben Schatz im Himmel in die Gottesherrschaft eingehen gerettet werden
So besteht der erste Schritt darin, festzustellen, welche Elemente eines Textes bedeutungsmäßig zusammengehören. So werden Gruppen von bepeutungsverwandten Ausdrücken gebildet. Diese Gruppen von zusammengehörigen Elementen werden im folgenden "Sinnlinien" genannt 14. Der Ausdruck "Sinnlinie" ist eine Metapher: Eine solche Linie durchzieht wie ein roter Faden den Text. Im extremen Fall, etwa bei einem Wetterbericht oder in einer Liste, enthält ein Text nur eine Sinnlinie ; in den meisten Fällen enthält der Text jedoch verschiedene Sinnlinien. Ein vollständiges Inventar eines Textes bemüht sich, alle Sinnlinien des Textes festzustellen, also zu jedem Element des Textes, angefangen vom ersten Wort, die bedeutungsmäßig dazugehörenden Elemente zu finden 15. Ein solches vollständiges Inventar aller Sinnlinien verhindert zwar, daß nur bestimmte Elemente beachtet werden, ist jedoch zeitaufwendig und könnte unter Umständen verwirrend sein; so empfiehlt es sich, für den Beginn, nur die wichtigsten Sinnlinien herauszuarbeiten. Damit erhebt sich freilich gleich die Frage, welche diese sind. Für die Reduktion des Untersuchungsmaterials sind bestimmte Kriterien zu beachten 16. Solche Kriterien für die Aussortierung der wichtigeren Bedeutungsträger können sein: Privilegierung der autosemantischen (einen bestimmten Sinn in sich tragenden) Ausdrücke, da diese zum Sinn eines Textes mehr beitragen als die (auch Funktionswörter genannten) synsemantischen Lexeme (Präpositionen, Konjunktionen, Negationen usw.) 17. Damit ist bei den meisten Texten eine große Gruppe von IJ Zu Mk 10,17-31, vgl. Egger, Nachfolge 84-120. " Die Bezeichnungen für Gruppen von bedeutungsmäßig zusammengehörenden Elementen sind nicht einheitlich. In der Forschung wird in diesem Zusammenhang auch von "Isotopie" oder von "Wortfeld" gesprochen, allerdings sind damit nicht dieselben Aspekte gemeint, wie mit dem oben vorgeschlagenen Wort Sinnlinie. " Ein einigermaßen vollständiges Inventar versuchte ich zu Mk 10, 17-31 zu erstellen: Egger, Nachfolge 84-120. " Zu den Kriterien: Greimas, Semantica 169-205; Minguez, Pentecostes 77-85; HauJer, Strukturen 54 f. " Minguez, Pentecostes 75; Hauser, Strukturen 54f.
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Wörtern als weniger relevant von der Analyse mehr oder weniger ausgenommen 18. Für die Sinn konstitution des Textes sind jene Ausdrücke besonders wichtig, die oft im Text vorkommen. Anhand einer Wortstatistik zum Text wird dies festgestellt 19. Schon auf diese Weise ergeben sich Schwerpunkte im Text. Ihr Gewicht können Wörter (selbst wenn sie nur einmal vorkommen) durch ihre Stellung im Satz, den Parallelismus usw. bekommen 20. Bei der Analyse von Textsegmenten sind auch die für einen Autor kennzeichnenden Vorzugsvokabeln zu berücksichtigen 21 Im zweiten Arbeitsschritt werden die semantischen Oppositionen, also die Gegensätze, die zwischen Bedeutungsinhalten des Textes bestehen, herausgearbeitet.
Auf diese Weise wird sichtbar, um welche Veränderung es dem Text und das gilt nicht nur für Erzähltexte - geht. Zu Mk 10, 17 -31 sind u. a. folgende Oppositionen festzustellen: reich - arm reich sein - nachfolgen nachfolgen - weggehen nachfolgen - trauern arm sein - Schatz im Himmel Bindung an Jesus - Bindung an den Reichtum irdische Familie - Brüder menschlich - göttlich, auf Erden - im Himmel erster - letzter Im dritten Schritt erfolgt dann die Reihung der Sinnlinien und Oppositionen zu übergreifenden Gruppen.
trauern letzter
göttlich Gottesherrschaft Schatz im Himmel Brüderschaft erster
Als Abschluß ist jene Bedeutungseinheit ("Sem") zu nennen, die den ganzen Text durchzieht und die im Text angeführten Umwandlungen erklärt. Zur Darstellung ist das "semiotische Viereck" geeignet. Darunter versteht man eine graphische Darstellung, in der (in Abwandlung des logischen Vierecks) die Beziehungen zwischen den Bedeutungselementen dargestellt werden 23. Ausgehend von einer binären semantischen Kategorie des Typs "schwarz versus weiß" (sI versus s2), hat das semiotische Viereck folgende, in Abb. 11 vorgelegte Formen 24. S a)
s - Seme/Bedeutungsinhalt
sl------------s2 :
:
- - - - Beziehung zwischen Konträren _ _ _ Beziehung zwischen Kontradiktorischen •........... Beziehung der Implikation
82 ____________ SI: ' S 4 --------------b) sl· P
-----.~
Präsupposition
I
...41-----.~
Kontradiktion
Zu Mk 10, 17-3p2 ergibt sich folgende Gruppierung: reich arm Reichtum menschlich erster
Abb. 11: Das semiotische Viereck
'8 .Verba dicendi" gehören nicht ohne weiteres zu den synsemantischen Ausdrücken (siehe die Ausführungen über die Verben des Sagens in der narrativen Analyse). .. Minguez. Pentecostes 81 f; Hauser. Strukturen 46f 54. 20 Hauser, Strukturen 55. 2' Minguez. Pentecostes 78 f. 22 vgl. Egger. Nachfolge 153f.
Greimas. Du sens 137. Vgl. die Darstellung bei Egger. Nachfolge 19-27. Für eine Richtung semiotischer Exegese ist dieses semiotische Viereck ein wesentliches Arbeitsinstrument: Cahiers Evangile, Initiation 39; Groupe d'Entrevernes, Analyse semiotique 129-135; dies., Signes et paraboles 23-34. Zu Hos 4,1-14 bietet Lack, Letture strutturaliste (s. Anm. 4) 146, ein solches Viereck mit den Kategorien "Leben versus Tod". " Greimas. Du sens 137 (Modell I) 139 160 (Modell b).
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lJ
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Dieses Viereck zeigt die Sinnstrukturen innerhalb eines semantischen Universums. Da die Anwendung dieses Vierecks eine sehr exakte Analyse erfordert und eine Reihe von Prämissen aufweist, kann hier darauf nicht weiter eingegangen werden. Zu Mk 10, 17-31 ist das semiotische Viereck in Abb. 12 dargestellt 2S. Schatz im Himmel Bindung an Jesus Nachfolge
Reichtum Bindung an Familie und Reichtum
i
Xi
Nicht-Schatz im Himmel Nicht-Bindung an Jesus
Nicht-Reichtum Lösung von Familie und Besitz
Abb. 12: Semiotisches Viereck zu Mk 10, 17-31
Die Bestandsaufnahme der semantischen Merkmale braucht längere Zeit, weil sich manche Zusammenhänge erst nach längerem Lesen enthüllen. Da ein solches vollständiges Inventar sehr zeitaufwendig ist, seien einige verkürzte Verfahren der semantischen Analyse dargestellt. 2.2 Verkürzte Verfahren semantischer Analyse Neben dem zeitaufwendigen Verfahren, das nicht für alle Texte in gleicher Weise ergiebig ist, gibt es auch mehrere verkürzte Verfahrensweisen, die eine gewisse Kontrolle der Auffassung über den Text erlauben. Neuschreiben des Textes Eine Übersicht über den Sinn des Textes wird gewonnen, wenn der Text in neuer Anordnung geschrieben wird, etwa alle Wörter, die einer bestimmten Wortklasse angehören, untereinander in Spalten: alle Subjekte, Prädikate, Objekte, Umstände. Inhaltsangabe Bei längeren Texten empfiehlt sich zunächst eine nüchterne Inhaltsangabe, etwa nach folgendem Raster: was geschieht - wer (spricht oder handelt) - zu wem - wann - wo - warum usw. Überschrijtenredaktion und Vergleich von Überschriften Die Überschrift, die einem Text gegeben wird, hat den Zweck, dem Leser einen ersten Zugang zum Text zu eröffnen. Texte aus unserer Zeit haben alle eine Überschrift. Auch moderne Bibelausgaben bieten meist zu den einzelnen Perikopen Überschriften. Eine Überschrift sollte sowohl dem Text treu sein, indem sie dessen Botschaft zusammenfaßt, als auch Z>
Egger, Nachfolge 159.
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dem Leser durch die Art der Formulierung eine Hilfe bieten 26. Die Überschriftenredaktion ist nicht nur als Methode der praktischen Bibelarbeit nützlich 27; auch in der eigentlichen exegetischen Arbeit hilft diese Methode, Inhalt und Aussageabsicht eines Textes zu erfassen. Die Überschriften können kerygmatisch sein, indem sie die Botschaft des Textes zusammenfassen: Jesus, das Licht der Welt (zu Joh 9), oder paränetisch (mahnend), indem sie an den Leser einen Appell richten: Entscheidung für den Menschensohn (ebenso zu Joh 9). Auch der Vergleich von Überschriften, die in Bibelausgaben einem Text gegeben werden, bietet einen ersten Zugang zum Verständnis des Textes. Diese aus der praktischen Bibelarbeit stammende Methode hilft zur Reflexion über das erste Textverständnis. Wahl des wichtigsten Verses Die Methode besteht darin, daß der Leser jenen Vers nennt, der ihm in einem Text als der wichtigste erscheint. Die Wahl ist dann zu begründen. Vergleich von verwandten Texten Durch den Vergleich von Texten wird sichtbar, wieweit verschiedene Akzente gesetzt werden, etwa beim Vergleich der Präskripte der Paulusbriefe und paralleler Texte in den synoptischen Evangelien 28. Dadurch wird der Blick geschärft, um die Aussage des zu untersuchenden Textes bzw. seiner Elemente besser zu erkennen. 2.3 Beschaffung von Zusatzinformationen Bei alten Texten sind aufgrund der zeitlichen und kulturellen Distanz zum rechten Verständnis Zusatzinformationen unumgänglich notwendig 29 • Bei biblischen Texten gilt dies wegen der Begrenztheit des uns vorliegenden Textkorpus um so mehr. Zusatzinformationen können am Anfang des wissenschaftlichen Arbeitens aus der Fachliteratur bezogen werden. Zur eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit werden die zeitgeschichtlichen, besonders die religionsgeschichtlichen Parallelen herangezogen 30. Allerdings gilt natürlich, daß die aus dem Text erschlossene " Vgl. Egger, Überschriften als Lesehilfe. 17 Die Anleitungen zur Überschriftenredaktion lauten: "Suche zu einem biblischen Text eine Überschrift, die die Botschaft/den Appell des Textes zusammenfaßt." Zur Kontrolle können die Überschriften in einer Gruppe besprochen werden. Vgl. zur Methode: Egger, Gemeinsam Bibel lesen 35f. 28 Zum synoptischen Vergleich siehe § 12. 29 Titzmann, Strukturale Textanalyse 263-322. lO K. Müller, Die religionsgeschichtliche Methode. Erwägungen zu ihrem Verständnis und zur Praxis ihrer Vollzüge: BZ 29 (1985) 161-192.
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und nachweisbare Bedeutung durch Wissen über extratextuelle Daten weder bestätigt noch widerlegt werden kann 31.
3. Beispiele 33
3.1 Lk 4,16-30: Ort und Zeit des Heilsangebotes 34 ~, <:::~'::~;'1;i,;,~';ii:i~, ,,,,:>,;1::11 '1'1,,
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Zusammenfassung der Ärbeitsschritte und Ärbettshinweise Die Arbeitsschritte, die sich aufgrund der Methode ergeben, seien kurz zusammengefaßt. 1. Erstellung eines semantischen Inventars Die Erstellung eines voll~tändigen Inventars der Bedeutungselemente erfolgt nach folgender Regel: Es sind zu jedem Element des Textes, angefangen vom ersten Wort, jene Elemente im Text festzustellen, die bedeutungsmäßig zusammengehören 32. Fassen Sie zunächst die Lexeme des Textes, die mehrmals im Text vorkommen, und die mit ihnen bedeutungsverwandten Lexeme in Gruppen (Sinnlinien) zusammen. Erheben Sie dann die (expliziten und impliziten) Oppositionen von Bedeutungselementen im Text. Sobald das Inventar der zusammengehörenden und der in Opposition stehenden Bedeutungselemente erstellt ist, fassen Sie die Sinnlinien und Oppositionen in größeren Gruppen zusammen und nennen das am häufigsten vorkommende BedeutungsmerkmaI. 2. Verkürzte Verfahren Zu Inhaltsangabe, Überschriftenredaktion und Wahl des wichtigsten Verses finden sich schon in der Darstellung der Methode die nötigen Hinweise zur Arbeit. Zum synoptiscben Vergleich von Texten, der auch rur die semantiscbe Analyse hilfreicb ist, siehe den Abschnitt über den synoptischen Vergleich. 3. Zusatzinformationen Um Mißverständnisse zu vermeiden, sind zu den tragenden Begriffen eines Textes die nötigen Informationen aus einem Begriffslexikon zum Neuen Testament beizuziehen.
31 Titzmann, Strukturale Textanalyse 275 f: "Was bei hinreichender Kenntnis des Zei· chensystems und bei Einhaltung der minimalen wissenschaftstheoretischen Regeln am ,Text' nachweisbar ist, kann durch Wissen über extratextuelle Daten weder bestätigt noch widerlegt werden." 12 Vgl. auch die Liste bei Barthes, L'analyse structurale 191-204.
102
Das semantische Inventar des Abschnittes über die "Ablehnung Jesu in seiner Heimat" enthält folgende Sinnlinien, d. h. Gruppen von bedeutungsmäßig zusammengehörenden Elementen, und Oppositionen: Verben der Bewegung: kommen, gehen, aufstehen, sich setzen, aufspringen, hinaustreiben, hinabstürzen, hindurchschreiten, weggehen. . Die wichtigsten Oppositionen sind: kommen - weggehen, (stehen) sich setzen, hinabstürzen wollen - durch die Menge schreiten. Wörter fiir "Heil": gute Nachricht, Entlassung, Augenlicht, Freiheit, Gnadenjahr, (Wort der) Gnade, Arzt, große Dinge, (Hunger stillen), heilen (Naaman). Die Oppositionen: Hilfe in Israel oder nur außerhalb (für die Witwe von Sarepta und den Syrer Naaman). Ortsangaben: Nazaret, Synagoge, Kafamaum, Heimat, (das heidnische) Sarepta bei Sidon, Syrer (aus dem heidnischen Syrien), Stadt. Die Oppositionen: Nazaret - Kafamaum, Israel - außerhalb von Israel (Sarepta/Syrer). Als Beispiel einer genau durchgeführten textsemantischen Analyse eines alttestamentlichen Textes siehe die Analyse von Gen 11,1-9 bei Fassion, Leggere le Scritture, in vier Arbeitsschritten : a) Ermittlung der lexikalischen Felder ("Inventar der semantischen Merkmale"). Solche Felder sind: "bauen" u.ä. (Hauptwörter und Zeitwörter), Sprache, Gesamtheit, handelnde Personen, Ort usw. b) Ermittlung der semantischen Opposition: z. B. Menschen/Herr, bauen/aufhören zu bauen, ein Volk sein/zerstreut sein, einen Namen machen/verstreut sein. c) Anordnung der Oppositionen in Reihen: Menschen Herr Erde Himmel menschlich göttlich unten oben d) Deutung: Fossion schlägt als wichtigste semantische Kategorien zur Erfassung der Geschichte vor: Gesamtheit/Mangel und Selbst! Anders \selber nennen/benannt werden; in der italienischen Übersetzung, die mir zur Verfügung stand: auto-denominare/denominare). )4 E. Grässer, (Hrsg.), Jesus in Nazareth (BeihZNW 40; Berlin 1972); R. Meynet, Initiation ä la rhetorique biblique 28-54; H. Baarlink, Ein gnädiges Jahr des Herrn und ein Tag der Vergeltung (Lk 4,18-19): ZNW 73 (1982) 204-220; R. Albertz, Die "Antrittsrede" Jesu im Lukasevangelium auf ihrem alttestamentlichen Hintergrund: ZNW 74 (1983) 182-206; J. N. Aletti, Jesus ä Nazareth (Lc 4, 16-30). Prophetie, Ecriture et typologie: FS Dupont (Paris 1985) 431-451. B
103
Zeitangaben: Sabbat, Gnadenjahr des Herrn, heute, in den Tagen des Elija, zur Zeit des Propheten Elischa . Opposition: früher - heute. Verben des Sagens: lesen, (proklamieren), (provozieren). Wörter der Anerkennung und Ablehnung: Beifall, Kritik, Wut, Vernichtungswille. Nachdem Sinnlinien und Oppositionen festgestellt sind, können sie gruppiert werden: . Orte Zeiten Angebot Reaktionen
NazaretiSynagogel Heimat Israel früher Sabbat Prophetenbotschaft ablehnen vernichten
Anwesenheit Jesu außerhalb von Nazaret Heiden heute Gnadenjahr Heilsbotschaft Heil (Jes 61) (annehmen) (anerkennen)
Das Ergebnis der semantischen Analyse: Der Text beschäftigt sich mit der Frage, ob Kafarnaum zu einem Ort des Heiles und der Sabbat zu einem "Heute" der Gnade und zur Eröffnung des Gnadenjahres des Herrn wird. Das ist nicht der Fall; so wird nun Heiljenen angeboten, die zu den Außenstehenden gehören wie die Witwe und der Syrer 3S. 3.2 Mk 9,14-29: Die Macht des Glaubens 36 Als Sinnlinien ergeben sich: Verben der Bewegung: kommen, austreiben usw. Ausdrücke für Besessenheitsphänomene "Können" "Glauben". " Die anschließende narrative Analyse bringt dann deutlich den Entscheidungscharakter der Erzählung ans Licht: Das Heil ist angeboten;.die Leute von Nazaret lehnen ab; andere (und Lukas schildert das ausführlich in der Apg) nehmen die Botschaft an. Die Analyse der Textsorten stellt als Textsorte fest: Es handelt sich um eine Entscheidungsgeschichte, wie sie Lukas noch öfter bringt: Die Juden lehnen das Heilsangebot ab, die Heiden nehmen an: Apg 13,14-52 (besonders deutlich ausgesprochen 13,46); 14,1-7; 17,1-15; 28,23-28 (als Schluß der ganzen Apg). Zur Abschlußerzählung der Apg unter textsemantischer Rücksicht siehe Hauser, Strukturen 81-110. 3. F G. Lang, Sola gratia im Markusevangelium. Die Soteriologie des Markus nach 9,14-29 und 10,17-31: Rechtfertigung: FS Käsemann (Tübingen 1976) 321-337; J. Carmignac, "Ah, Si Tu peux! ... Tout est possible en faveur de celui qui croit" (Mc 9,23): FS Bo Reicke (Macon 1984) 83-86.
104
Oppositionen: Menge nicht können Dämon Unglauben quälen (bis: "wie tot") beherrscht sein Menge
Jünger können Jesus Glauben befreien, aufstehen machen aufstehen allein
Die Gruppierung der Sinnlinien und Oppositionen ergibt: Besessener Knabe Heil Jünger Jesus Dämon quälen aufrichten Ohnmacht Macht Unglaube Glaube Als zentrales Wort enthüllt sich: Alles ist dem möglich, der glaubt. Der Text ist eine semantische Entfaltung dieses Wortes: alles (bis zu i1YElP~V atl1:6v Kai aVEcr'tT) im Gegensatz zum Quälen durch den Dämon) Ist mögli~h (Mvacr~al) dem, der glaubt. Mac~tlOhnmach~. ist ~as Element: das den ganzen Text durchzieht: Glauben Ist wundermachtiger Glaube, Glaube ist als vertrauendes Beten verstanden. Der Besessene steht unt r 7 der Macht des Dämons; diese Macht wird von Jesus gebrochen. I?le Jünger stehen als Nicht-Glaubende da, denen keine Macht verliehen Ist. Am Vater ist der Rollenwechsel dargestellt. 3.3 Gal 1,1-5: Gottes Heilshandeln Sprachlich-stilistisch handelt es sich in Gal 1,1-5 um einen einzig~n Satz. Die für Briefanschriften übliche Grundstruktur: "Paulus an die Gemeinden von Galatien: Gnade und Friede", wird durch viele Elemente erweitert: durch Appositionen (V. I), Präpositionalausdrücke, Partizipialkonstruktionen (Vv. 1.4) und Relativ.sätze ~V. 5):. S.c?on vom Sprachlichen her wird ersichtlich, daß es um vielfältige Prazlslerungen .. . geht. Unter semantischer Rücksicht läßt sich die Gruppierung der Eie· mente ohne größere Schwierigkeit vornehmen: Die Wortstatisti.k. zeigt. daß es sich bei den 75 Lexemen um 32 Funktionswörter (PräpositIOnen, Artikel usw.), 34 autosemantische Wörter und 9 Pronomina handelt. Beachtlich ist vor allem, daß sich 18 Substantive und die Pronomina auf Personen beziehen. Es finden sich nur drei Verben. 105
Die Sinnlinien sind folgende: In der Sinnlinie "Handlungsträger" sind angeführt: Paulus, Menschen, Jesus Christus, Gott Vater, die Brüder bei mir (Mitarbeiter), Gemeinden von Galatien, uns. Für einen kurzen Text also sehr viele handelnde Personen. Die Beziehungen zwischen diesen werden geklärt. Zur Sinnlinie "Handeln" gehören die Ausdrücke: auferwecken, sich hingeben, Wille Gottes (Substantiv), (Berufung zum Apostel); implizit sind Bitten ausgesprochen (im Segenswunsch) und Lob (in der Doxologie). Neben diesen deutlich faßbaren Gruppen gibt es noch Einzelelemente, die auf den ersten Blick nicht so leicht zu .gruppieren sind: Gnade und Frieden, Sünde, die gegenwärtige böse Welt, Ehre. Die Zuordnung von handelnden Personen und Ausdrücken des Handelns läßt die semantische Struktur erscheinen: Gott Vater
auferwecken Wille (Geben: Gnade und Frieden) zum Apostel berufen unser Jesus Christus zum Apostel berufen sich hingeben, für unsere Sünden um zu erretten aus dem bösen Äon. Paulus (wünscht Gnade und Frieden) (Gesprächspartner der Gemeinden) Brüder bei mir (Mitarbeiter des Pauhis) (Gesprächspartner der Gemeinden) "wir" entrissen Gemeinden (Adressaten) (Empfänger des Segens)
Personen sind näher beschrieben durch heilsgeschichtliche Angaben: Gottes Heilshandeln und die Erlösung der Christen 37. 3.4 Mk I: Die rasche Ausbreitung des Evangeliums Das Inventar der wichtigsten semantischen Linien des, Textes läßt die thematischen Schwerpunkte des Textes sichtbar werden 38 : - Die christologischen Aussagen: "Jesus Christus, Sohn Gottes" (I, I); "Heiliger Gottes" (1,24); "da sie ihn kannten" (1,34), lenken den Blick des Lesers auf das Wesen Jesu, das dann freilich verborgen bleiben muß (1,45). - Der Nachdruck auf "Evangelium" (1,1.14.15) und den Verben des Verkündens (1,4.7.14.38.45) und der Lehre (1,22.28) setzt einen zweiten Schwerpunkt. - Durch mehrere Gruppen von semantischen Elementen erhält der Text eine starke Dynamik: durch die Verben der Bewegung (und des Sendens): V. 2; Weg: V. 2.7.9.14 usw.; durch Zeitangaben: 1,32.35; sofort: I, 10.12.18.20.21.23.28.29.30.42.43; durch Ortsangaben : am Jordan, Galiläa (1,9.14.16.28.39), von überall her (1,45). Durch die Zeitangaben (besonders durch das "sofort"), durch die Ortsangaben, die Verben der Bewegung und die Verben und Substantiva der Verkündigung erhält das Kapitel eine innere Dynamik: So schnell vollzieht sich die Ausbreitung des Evangeliums, und so weit ist der Wirkkreis Jesu. So ist die innere Struktur des Kapitels vom Gedanken des epiphanieartigen Kommens Jesu und der blitzartigen Ausbreitung des Evangeliums bestimmt. Vers 45 faßt die semantischen Linien zusammen: Die Verkündigung wird weitergeführt; Jesus ist überall bekannt, so daß von überall her die Menschen kommen; allerdings muß Jesus nun sein Geheimnis wahren (was mit-der Messiasgeheimnistheorie des Evangeliums zusammenhängt).
Die Oppositionen sind vielfältig: Empfänger (Briefsituation) Paulus Gott und Jesus Paulus als Berufende als Berufener Gnade und Sünde und böser Äon I7riede Unter semantischer Rücksicht erweist sich der Text somit als eine Aussage über vielfältige Beziehungen zwischen Personen: einerseits "Gott Vater und Jesus Christus"; anderseits "wir", womit Paulus, die Mitarbeiter und die Gemeinden zusammengefaßt sind; innerhalb dieses "wir" gibt es dann noch Differenzierungen. Die einzelnen handelnden 106
17 Die pragmatische Analyse klärt dies weiter: Durch die Gestaltung des Briefanfangs will Paulus die Leser auf die Lektüre einstimmen, die Leser sollen den Brief als apostolisches Schreiben aufnehmen (deshalb Betonung der Autorität), und sie sollen im Brief eine Antwort auf die Heilsfrage finden (Gesetz oder Gnade). von der sie bewegt sind. Die Analyse der Textsorte weist auf die Ähnlichkeit zu den Briefanfängen des Paulus hin. Abweichend von der Briefform (vgl. dazu jedoch üffb 1,4-6) gestaltet Paulus den Briefanfang zu einem Lobpreis Gottes. So passen Wirkabsicht, Umgestaltung der Textsorte und semantische Linien zusammen: es ist ein Lobpreis des Heilshandelns Gottes, durch den Gottes Tun gepriesen wird und die Galater zum Vertrauen aufgeru. fen werden. .. Die sprachlich-syntaktische Analyse wurde schon in § 8 vorgelegt. Zur semantischen Analyse vgl. W. Egger, Frohbotschaft und Lehre. Die Sammelberichte des Wirkens Jesu im Markusevangelium (Frankfurt a. M. 1976) 39-43 (Literaturangaben).
\07
3.5 Phlm: Hauskirche als Ort der Integration 39 Die verschiedenen Lexeme des Textes lassen sich verhältnismäßig leicht zu Reihen von bedeutungsmäßig verwandten Elementen gruppieren. Als wichtigste Sinnlinien ergeben sich 40: Herr Jesus Christus: trotz der Kürze des Textes findet sich dieses Element elfmal. Eine Reihe von Ausdrücken gehören zusammen, da ihnen das semantische Merkmal "Gemeinschaft und Beziehung" zu eigen ist: Bruder, Gefährte, Gemeinschaft durch Teilhabe, Haus(-Kirche). Dieses Merkmal "Verbundenheit" findet sich auch in den Lexemen Mitarbeiter/-streiter/-gefangener: Vv. 1.2.(13: "mir dienen"). 23.24. Das Thema der Zusammengehörigkeit wird verstärkt durch das Vorkommen von "Liebe" (Vv. 1.5.7.8). Mehrere Bezeichnungen beziehen sich ausdrücklich oder implizit auf Orte: Hauskirche, Gefängnis; andere auf Abwesenheit: getrennt, bei mir behalten, Gastzimmer. Die Oppositionen der semantischen Elemente des Textes lassen erkennen, daß es Paulus im wesentlichen um eine Transformation von Gegebenheiten geht. Von den wichtigsten Oppositionen im Text 41 betrifft eine erste Reihe das Verhältnis Philemon-Onesimus: ÖOOAOC; Xro pt0'8flVUt
Fremde Anspruch des Philemon etwas schulden (Vv. 18.19) Zwang
aÖEMp6c; O'uv (Mitarbeiter usw.) npoO'AullßavOllat Hausgemdnde Verzicht auf Anspruch nachlassen/ersetzen (Vv. 18-20) freiwillig
Die Darstellung durch das semiotische Viereck in Abb. 13 erlaubt, das Geschehen als Veränderung, als Bewegung von einem "Ort" zum anderen zu verdeutlichen 42. Sklave Macht, Zwang Soll und Haben Über-/Unterordnung
Bruder I ewig Im Herrn Jesus Christus Dienst am Evangelium. Liebe als neue Bindung, Rechtsverzicht, KOlv
A------------B
Nicht-B - - - - - - - - - - -- Nicht-A nicht Bruder Entlaufener Sklave Trennung für eine bestimmte Zeit Abb. 13: Das Verhältnis der Bedeutungsinhalte in Phlm
Der Text legt die Veränderungen dar, die zu vollziehen sind: von der Abwesenheit/Trennung des Sklaven Onesimus und der dadurch eventuell entstandenen Verschuldung über seine Gegenwart bei Paulus zu einer neuen (nach Paulus: "für immer" währenden) Gegenwart bei Philemon und der Hauskirche.
Der "Verlauf' (parcours) des Geschehens ist damit gezeichnet: von A (Sklaverei und ihrer Eigenart) zu Nicht-A (Trennung, vorläufiger Aufenthalt bei Paulus und vorläufiger Dienst für das Evangelium) zu B (Bruder). Die Negation von B in Nicht-B kann nur zu A führen. Das den ganzen Text durchziehende Merkmal ist "Integration und Rechtsverzicht" : der Text will Philemon und die Hauskirche bewegen, Onesimus als Bruder aufzunehmen, der in die Hauskirche integriert ist. Die Hauskirche ist damit der Ort, an dem soziale Gegensätze überwunden sind. Paulus selbst kann die Aufnahme des Sklaven vermitteln, da er selbst ja schon mit Philemon verbunden ist. Die Verbundenheit zwischen Paulus und Philemon soll nun zur Verbundenheit zwischen Philernon und Onesimus führen. Diese Integration ist nur möglich durch den Rechtsverzicht des Philemon; um diesen Rechtsverzicht zu erleichtern, wählt Paulus auch als Strategie seines Schreibens den Verzicht auf die Ausübung seiner apostolischen Autorität.
3. Zur sprachlich-syntaktischen Analyse und zu den Literaturangaben siehe § 8. •• Vgl. oben die Liste des Vorkommens. . .. Siehe dazu besonders Groupe de Montpellier. L'epitre de Paul a Philemon.
Gegenüber dem Entwurf eines semiotischen Vierecks zu Phlm bei Groupe de Montpel/ier, L'epitre de Paul a Philemon 14-17 (nicht vollständig ausgearbeitet) und M. M. de Gau/myn, Reflexion 25, werden in der hier vorgelegten Analyse nur die Ausdrücke des Textes selbst verwendet. Dies erhöht die Genauigkeit der Analyse.
Die Gestalt des Paulus betreffen folgende Oppositionen: Gefängnis Abwesenheit des Paulus emtaO'O'EtV (Vollmacht des Apostels)
Freiheit Gästeraum bereiten nupuKuAEIV (Rechts verzicht)
42
108
\09
1. Das der Analyse zugrundeliegende Modell der Bedeutungsstruktur von Lexemen
2. Abschnitt: Semantik von Wort (Begriff), Motiv und Wortfeld
Schon im Alltag hängt die Verständigung davon ab, daß Wörter in ihrem Kontext beachtet werden. Die Bedeutung eines Wortes hängt in vielen Fällen vom Kontext ab, in dem es verwendet wird. Das ist besonders wichtig bei mehrqeutigen (polysemen) Wörtern: der Flügel des Schlosses ist etwas anderes als der Flügel des Vogels oder der Flügel, auf dem jemand spielt; wieder etwas anderes sind die Flügel der Phantasie. Doch selbst bei Wörtern, die eindeutig (monosem) sind, können je nach dem Kontext bestimmte Akzente hervortreten; z. B. ist im Satz: "Sei kein Kind" nicht so sehr auf das Alter als auf die geistige Entwicklungsstufe angespielt. Erst der Kontext macht Wörter eindeutig. Da die Wörter in diesem Zusammenhang vor allem als Elemente des Wortschatzes (Lexikons) betrachtet werden, werden sie unter dieser Rücksicht "Lexeme" genannt. Mit der Bedeutung von Lexemen beschäftigt sich jener Teil der Semantik, der im folgenden als Semantik von Wort, Motiv und Wortfeld bezeichnet wird. Bei der Semantik von Wörtern geht es vor allem um die Bedeutung der einzelnen Lexeme (freilich jeweils in ihrem Kontext), bei der Semantik von Wortfeldern geht es um die Bedeutung von Wörtern, die in festen Kombinationen verwendet werden. Bei den Motiven kann es sich um einzelne Lexeme oder um Lexemverbindungen handeln. In der Semantik von Wort, Motiv und Wortfeld geht es um die Frage, was ein Lexem im allgemeinen und dann in einem bestimmten Kontext bedeutet.
Bei biblischen Ausdrücken ist wegen der zeitlichen und kulturellen Distanz der Texte besondere Aufmerksamkeit auf die Semantik zu legen, um nicht Mißverständnissen zu erliegen. Die Einführung in die Semantik gibt auch Einblick, wie ein biblisches Wörterbuch erstellt wird und weiche Funktionen und Verwendungsmöglichkeiten Lexika haben. Literatur zur Einführung:
Eine erste Einführung in die Semantik von Wörtern bietet Funk-Kolleg Sprache 11. 13-101. Eine biblische Semantik bieten mehrere Arbeiten von E. Nida sowie B. Kedar. Biblische Semantik·. • Die Literatur zur Textsemantik wurde schon genannt. Die folgenden Werke stellen vor allem die Semantik dar, soweit sie sich mit LexemenlWörtern beschäftigt: R. Barthes. Elements du semiologie (Paris 1964, ital.: Elementi di semiologia, Turin 1966); G. Berruto. La semantica (Bologna o.J.); G. H. Blanke. Einführung in die semantische Analyse (München 1973); Funk-KOlleg Sprache II 23-39; Mounin. Introduzione alla
110
Die semantische Analyse von Ausdrücken beruht auf einer bestimmten Auffassung, wie die Bedeutung eines Ausdruckes zustande kommt. 1.1 Bedeutung - abhängig vom Umfeld Jedes Lexem erhält seine präzise Bedeutung durch die Beziehungen, in denen es steht, also durch den Kontext.
Die Beziehungen sind, wie Abb. 14 zeigt, zweifacher Art: Es gibt syntagmatische und paradigmatische Beziehungen 2.
.~ ·'1
Syntagma I Syntagma 2 Syntagma 3
Paradigma I a al a2
Paradigma 2 b bl b2
Paradigma 3 c cl
b3
Abb. 14: Semantische Beziehungen
Mit Syntagma ist die lineare Verknüpfung von Lexemen zu einer sinnvollen Wortkette gemeint, z. B. "Das Haus ist groß", "Der Mann trägt einen Stock". In vielen Fällen wird durch die syntagmatische Beziehung auch die Bedeutung eines Wortes präzisiert, z. B.: "Er geht in den zweiten Stock", "Er trägt einen Stock". Erst aufgrund der beiden Wortketten ist die jeweilige Bedeutung von "Stock" eindeutig. Wörter stehen aber auch noch in einer paradigmatischen Beziehung, d. h., bestimmte Wörter können zu paradigmatischen Klassen zu samsemantica; Kallmeyer. Lektürekolleg 97-176; G. Leeeh. Semantics (Middlesex 1974); Sowinski. Textlinguistik 79-106. Zur biblischen Wortsemantik siehe die Kritik am ThWNT durch J. Barr. Bibelexegese und moderne Semantik. Theologische und linguistische Methode in der Bibelwissenschaft (München 1965) und die Antwort von G. Friedrich. Zum Problem der Semantik: KuD 16 (I970) 41-57; ders .. Zur Vorgeschichte des Theologischen Wörterbuches zum NT: ThWNT X I-52, bes. 51 f. Weitere Literatur: Berger. Exegese. § § 20-22; Kedar. Biblische Semantik. Nida. Exploring Semantic Structures: ders .. Componential Analysis of Meaning; ders .. Signs - Sense - Translation. Eine konkrete semantische Analyse bietet M. Ossege. Aspekte zur Gliederung des neutestamentlichen Wortschatzes (am Beispiel von dikaiosyne bei Mt): LingBibl H. 34 (1975) 37-101. 1 Barthes. Elementi 53-78; bes. 60; siehe auch Funk-Kolleg Sprache I. 119-124.
111
menge schlossen werden. Darunter wird eine Gruppe von Ausdrucken verstanden, die an einer bestimmten Stelle einer Wortkette untereinander ausgetauscht werden können und doch noch sinnvolle Aussagen ergeben. So kann in der Wortkette: "Er trägt einen Stock" das Lexem "Stock" ersetzt werden durch "Stab, Waffe usw." Die gen aue Bedeutung eines Wortes hängt von den syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen ab, die dem Wort eigen sind.
Die Beziehungen zwischen Ausdrucken sind nun, sowohl was Paradigmen als auch was Syntagmen betrifft, verschieden fest: In paradigmatischer Hinsicht sind "Mann", "Frau", "Kind" enger miteinander verwandt als etwa "Mann" und "Haus"; "Mann", "Frau", "Kind" gehören zur paradigmatischen Klasse "Mensch"; "Mann" und "Haus" können nicht in der Gruppe "Dinge" zusammengefaßt werden, sondern nur in der Gruppe "Seiende". Auch in syntagmatischer Hinsicht sind manche Lexeme enger und häufiger miteinander verbunden als andere, sind also "solidarisch": so ist die Beziehung zwischen "Hund" und "bellen" enger als zwischen "Hund" und "Iaufen". "Bellen" ist (außer in Metaphern) für einen Hund kennzeichnend. In zwei Fällen spielt der Kontext für die Bedeutung von Lexemen eine besQnders große Rolle: bei Motiven und bei Wortfeldern. Mit "Motiv" 3 ist ein einzelnes Lexem oder eine Lexemverbindung gemeint, die aufgrund der häufigen Verwendung in bestimmten Kontexten eine zusätzliche Bedeutung gewonnen haben: Der "Berg" z. B. ist ein solches Motiv: "Berg" als der Ort der Offenbarung und der Gesetzgebung. Ebenso ist bei Markus das "Jüngerunverständnis" ein Motiv: Durch den Gesamtkontext des MarkusevangeIiums erhalten die einzelnen Stellen die Bedeutung, daß den Jüngern der Glaube schwerfällt und daß eine allmähliche Einführung in das Wesen Jesu für sie notwendig ist. Unter "Wortfeldern", auch "semantische Felder" genannt, werden entweder "regelmäßig wiederkehrende Wortverbindungen" verstanden 4 oder auch Klassen von paradigmatisch zusammengehörenden Wörtern, z. B. "klug, weise, schlau usw." Ein besonders ausgeprägtes Wortfeld ist das in apokalyptischen Texten verwendete entsprechende Wortfeld. Es umfaßt u. a. "Bedrängnis, Zorn, Verfolgung, Freude, Versuchung" s. Der Begriff wird, wie Berger. Exegese 169, zu Recht bemerkt, meist sehr unpräsize verwendet. Eine Ausnahme bildet Fahrer. Exegese 99-106. • Berger. Exegese 138. , Vgl. ebd. 143.
1.2 Bedeutung - Summe von semantischen Merkmalen Viele Lexeme haben Bedeutungselemente mit anderen Lexemen gemeinsam: So hat "Mann" das Merkmal "menschlich" mit "Frau", "Kind ", "Greis" usw. gemeinsam; daneben hat das Lexem "Mann" aber auch, wie Abb. 15 zeigt 6 , Merkmale, die es von den genannten anderen Begriffen unterscheiden, gegenübet "Frau" z. B. "Geschlecht ", gegenüber "Kind" das Merkmal "Erwachsen" usw. Die Bedeutung eines Lexems setzt sich aus kleineren Bedeutungselementen zusammen. Diese kleineren Bedeutungselemente werden häufig "Bedeutungskomponenten", "semantische Merkmale" genannt7.
männlich
weiblich
erwachsen
Mann
Frau
jung
Knabe
Mädchen
Abb. 15: Die unterscheidenden Bedeutungsmerkmale der Lexeme HMann" usw.
Da nach dieser Auffassung die Bedeutung eines Lexems die Summe von semantischen Merkmalen ist, gilt es, wenn die genaue Bedeutung eines Wortes festgestellt werden soll, ein Lexem (Wort) in seine Bestandteile (Komponenten) zu zerlegen.
2. Die Durchfohrung der wort- und motivsemantischen Analyse Aus den vielen Möglichkeiten semantischer Analyse werden im folgenden jene Arbeitsschritte behandelt, die den oben vorgestellten Modellen der Bedeutungsstruktur von Lexemen entsprechen. 2.1 Erhebung des syntagmatischen und paradigmatischen Kontextes Schon für die Benützung eines Lexikons ist eine elementare Beachtung des Kontextes einer Stelle notwendig, um die rechte Übersetzung zu finden. Welche von den Lexikoneintragungen zu A,oyoC; auszuwählen ist, ent-
l
112
, Leeeh. Semantics 95-125; BerrulO. Semantica 77-115; Nida. Signs - Sense - TranIation 47-90. 7 Leeeh. Semantics 96.
113
Bewegung"; zu "Kriechen" gehört das Merkmal "auf allen vieren, am Boden" usw. So erhält mag eine Liste von semantischen Merkmalen. Für die Analyse biblischer Ausdrücke liefert die Konkordanz zu jedem Wort auch schon eine Reihe von Sätzen, in denen der Ausdruck verwendet wird. Auch sind die Textsorten zu berücksichtigen, in denen ein Lexem vorkommt. Dies erlaubt schon eine Übersicht über die Bedeutungsmerkmale eines Wortes. Das Ergebnis der Arbeit wird in einer Matrix mit Hilfe semantischer Deskriptoren dargestellt 11. Neben einer solchen Merkmalliste kann auch eine paraphrasierende Umschreibung gewählt werden 12. Da nach der KO)Jlponentenanalyse jeder Ausdruck (Begriff) aus einer Summe von semantischen Merkmalen besteht, sind wenigstens die wichtigsten Bedeutungskomponenten herauszuarbeiten, um den genauen Sinn eines Ausdrucks zu erfassen.
scheidet der Kontext: Wort, Gespräch, Rechenschaft, der vernünftige Grund, der (ewige) Logos. In den meisten semantischen Untersuchungen ist die sprachliche Kompetenz des Lesenden ohne weiteres vorausgesetzt. Bei alten Texten ist dies nicht der Fall. So ist anhand der Konkordanz und der Wortstatistik zu sehen, in welchen syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen ein Lexem überhaupt stehen kann. So kann festgestellt werden, ob bestimmte Wendungen miteinander solidarisch sind. Z. B. ist der Ausdruck "ßa
114
2.3 Analyse von Motiven und Wortfeldern Für die Analyse von Motiven gelten ähnliche Grundsätze wie für die Analyse von einzelnen Lexemen. Zur Erhebung von Wortfeldern im Sinn von regelmäßig wiederkehrenden Wortverbindungen ist die Erstellung einer Matrix von Vorteil. Auf dieser Matrix werden jene Ausdrücke eingezeichnet, mit denen das Lexem verbunden ist. Zusammenfassung der Arbeitsschritte und Arbeitshinweise Um die Bedeutungskomponenten eines Wortes festzustellen, sind folgen Arbeitsschritte zu vollziehen: Erstellen Sie anhand der Konkordanz die Liste der Stellen, an denen das treffende Wort vorkommt. Stellen Sie fest, in welchem Kontext der Ausdruck verwendet wird. Gruppieren Sie die Texte, in denen das Wort vorkommt, nach Textsort Gattungen. Nennen Sie Ausdrucke, mit denen das Wort häufig gekoppelt ist. Erstellen Sie eine Liste von Wörtern, die mit dem zu untersuchenden Wo bedeutungsverwandt sind oder die ihm bedeutungsmäßig gegenüberstehen. Erstellen Sie eine Matrix, in der zu den vergleichbaren Wörtern die gemei samen und unterscheidenden semantischen Merkmale eingetragen sind. Nennen Sie nun die Bedeutungsmerkmale, die dem untersuchten Wort z kommen, und suchen Sie ein deutsches Wort, das einen ähnlichen Reichtu an Bedeutungsmerkmalen aufweist.
, I
I
11 12
Funk-Kolleg Sprache 11 26-29 58-61. Vgl. dazu das Beispiel oben. Kallmeyer, Lektürekolleg 133.
115
3. Beispiele
•
3.1 "Apostel"
Der Begriff "Apostel" is.t im Neuen Testament, wie Abb. 16 zeigt, nicht durch die gleichen Merkmale gekennzeichnet. In den einzelnen Schriften finden sich verschiedene Merkmale. ______
Stellen
Apg 1,21f
Sem.Merkm~ gesandt von Christus von den Gemeinden Gemeinschaft mit dem irdischen Jesus Begegnung mit dem Auferstandenen identisch mit dem Zwölfer-Kreis
+ +
Mk 6,7.30 Lk 6,13
+ +
I Kor 9,1 1 Kor 15,8
'+ +
Phi12,25
~ellen
+ +
+
+
+
+
+
+
"Kind" und verwandte Ausdrücke Abb. 17 gibt eine erste Übersicht über die Bedeutung von "Kind" und sinnverwandten Ausdrücken. Die Verteilung der semantischen Merkmale bei den folgenden Ausdrücken kann je nach dem Kontext verschieden sein. ± bedeutet, daß entweder das eine oder das diesem entgegengesetzte Merkmal gegeben sein muß (männlich - weiblich); das Zeichen "m" gibt an, daß in manchen Kontexten das betreffende Merkmal möglich ist[s.
+
Sem.
MlOlov
ßptq>oc;
± ±
± ±
+
+
Kopacnov MiC;
ui6C;
SUXatTlC;
Merkmal~
männlich weiblich Alter Verwandtschaft Dienstverhältnis Metapher
+ +
±
± ±
+
±
+
+
m
m
+
m m
Abb. 16: Semantische Merkmale von "Apostel" Abb. 17: Semantische Merkmale von "Kind"
Aus diesem Befund erklärt sich der Unterschied des Titels .,Apostel" bei Paulus und in der Apg 13. 3.2 1UllÖiov im Neuen Testament Mit dem Ausdruck "Kind" verbindet jeder Mensch bestimmte Bedeutungsinhalte, die durch die persönliche Erfahrung, die soziale und kulturelle Umgebung geprägt sind. Um den Ausdruck im Sinn des Neuen Testamentes zu verstehen, dienen die verschiedenen Arbeitsschritte der Wort- und Motivanalyse [4. Statistisch gesehen, verwendet das Neue Testament das Lexem 1talOlOV 58mal, besonders häufig findet sich das Lexem bei Synoptikern: Mt 18mal; Mk 12mal, Lk 13mal; Joh 3mal; Hebr 3mal; I Joh 2mal, I Kor Imal.
Vgl. die Kommentare zu Apg. Die folgenden Ausführungen legen die dem Artikel1tuloiov: EWNT, Bd. 3, Sp. 9f, zugrunde liegende wortsemantische Analyse vor. Die methodologischen Prämissen werden gegenüber diesem Lexikonartikel deutlicher herausgearbeitet. Siehe auch das von D. Palle herausgegebene Heft 29 von Semeia (1983): Kingdom and Children. 13
"Kind" im Licht des Gattungskontextes Für die Bedeutung des Wortes im Neuen Testament spielen die Textsorten/Gattungen, in denen dieses Lexem verwendet wird, eine besondere Rolle. Die Übersicht in der Konkordanz zeigt, daß der Ausdruck besonders in den Kindheitsgeschichten von Mt und Lk vorkommt: Jesus wird als "Kind" bezeichnet (Mt: 9mal, Lk: 3mal) wie auch Johannes der Täufer (Lk: 3mal). In diesen Texten hat das "Kind" zunächst die Bedeutung einer Altersbezeichnung, wobei als Gegensatz "Erwachsen" zu gelten hat. Seine besondere Färbung erhält der Ausdruck jedoch durch die Textsorte, in der er verwendet wird: Mt 1-2 und Lk 1-2 sind "Kindheitsgeschichten", also Textsorten, in denen die Bedeutung eines großen Mannes dadurch gezeichnet wird, daß schon die Kindheit des Mannes als unter der besonderen wunderbaren Führung Gottes stehend gezeichnet wird [6. So gewinnt "Kind" aufgrund des Textsortenkontextes u. a. auch das Merkmal "wunderbare Vorausnahme des späteren Lebens". Bestimmte Bedeutungsmerkmale kann das Wort dann auch dadurch
'4
116
iS Vgl. die diesbezüglichen Stichwörter im EWNT. . . I' ZU den Kindheitsgeschichten siehe bes. L. Zani. Influsso dei genere 1etterano m[drashico su Mt 2,1-12: StPat 19 (1972) 257-320.
117
gewinnen, daß es in Bildworten verwendet wird. Nach Mt 11, 16fpar Lk 7,32 soll der Vergleich mit Kindern zu neuem Verhalten führen. Die Hörer Jesu sollen nicht den Kindern gleichen, die nicht mitspielen wollen, die sich aus Unlust weder zum Hochzeits- noch zum Begräbnisspiel einladen lassen. Die Hörer sollen die Gunst der Stunde erkennen. "Kind" steht in diesem Kontext also für "unwilliges, ablehnendes Verhalten". Ein kurzer Vergleich liegt auch in Mk 10,15 vor: Der Eintritt in die Gottesherrschaft hängt an der Bedingung, die Gottesherrschaft "wie ein Kind anzunehmen". Der in der Forschung umstrittene Vergleichspunkt des Logions ergibt sich aus Form und zeitgeschichtlichem Hintergrund: Mk 10,15 ist eine paradoxe Provokation. Jesus nimmt die Form der im Judentum der Zeit üblichen Einlaßbedingungen auf, in denen bestimmtem Tun ein bestimmtes Ergehen zugesagt wird, nennt jedoch anstelle des zu erwartenden gesetzlichen Tuns das "Kind ", also einen Menschen, der das Gesetz gar nicht erfüllen kann. So wird, trotz der Beibehaltung der Form, der Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen gesprengt. Der Satz gibt unmittelbar keine Auskunft, was zu tun sei, sondern provoziert zu einem neuen Überdenken des Tun-Ergehens-Zusammenhangs, indem er behauptet, das Tun sei nicht entscheidend" 17. Ausdrücke, die in der Evangelientradition eine ähnliche Sinnrichtung haben, sind "Zöllner und Sünder", die das Gesetz nicht beobachten. Eine weitere metaphorische Bedeutung erlangt "Kind" in Mk 7,27 f: Nur die Kinder, nicht aber die Hunde, haben Anspruch auf Nahrung vom Tisch des Hausvaters. So hat "Kind" das Bedeutungsmerkmal : "Anrecht". .,Kind" im Kontext eines Wortfeldes In Mk 10,14 wird den Kindern die Gottesherrschaft zugesprochen: Solchen gehört die Gottesherrschaft. Damit werden die Kinder zu jener Gruppe von Menschen gezählf, denen die Makarismen gelten. Unter den Adressaten, denen die Gottesherrschaft zugesprochen wird, werden im Neuen Testament aufgezählt: Unmündige (Mt 11,25), Kinder und Kleine (Mt 18,1-14), Arme, Trauernde, Gewaltlose, Sanftmütige, Hungernde, Friedensstifter, Verfolgte um der Gerechtigkeit willen (Bergpredigt). Den Gegenbegriff bilden die Weisen (Mt 11,25) 18. Die Kinder gehören auch zur Gruppe jener Menschen, denen die Sorge der Jünger
17 Zitat aus Egger. EWNT, Bd. 3, Sp. 9 f. Die Parallele Mt 18,4 macht aus der Provokation eine Lehre, indem das "Kindsein" als Demut interpretiert wird und die Rede von der Hausgemeinde Gottes unter das Zeichen des Kindes gestellt wird (Mt 18, I 0. '8 Zum diesbezüglichen Wortfeld vgl. Frankemölle Die Offenbarung an die Unmündigen: Biblische Handlungsanweisungen 80-108, bes. 89f 99f.
118
I"
gelten muß (Mk 9,37 par). Diese Gruppe umfaßt Zöllner und Sünder (vgl. Lk 15), Kranke, Hungernde usw. (vgl. Mt 25). Einen weiteren Zugang zum Verständnis von "Kind" schafft auch die Berücksichtigung der narrativen Struktur, etwa zu Mk 10,13-16 19 : Der Text handelt von Veränderungen: die Kinder erhalten den Segen; sie haben ein Recht, die Gottesherrschaft zu erlangen; die Jünger sind zunächst Widersacher 20. Die Beziehungen zwischen den Personen ändern sich im Lauf der Handlung. Die Trennung wird überwunden, und Nähe und Anteil hergestellt 21. Durch diesen narrativen Kontext wird auch die Bedeutung von "Kind" verdeutlicht. 3. Abschnitt: Narrative Analyse
In den Bereich der Semantik gehört auch die sogenannte narrative Analyse, die sich mit der Eigenart und Funktion von Erzählungen beschäftigt I. Die narrative Analyse könnte auch unter dem Stichwort "Textsemantik" behandelt werden, da sie sich ja vor allem mit zwei Sinnlinien von Texten beschäftigt, nämlich mit den Handlungen (Sinnlinie der "Tun"-Wörter) und mit den handelnden Personen. Wegen der Bedeutung für die neutestamentlichen Texte, die über weite Strecken hin Erzähltexte sind und wegen der spezifischen Probleme von Erzähltexten . wird die narrative Analyse besser in einem eigenen Abschnitt der Semantik dargestellt. Wie die Analyse zeigt, ist sie eng mit der Textpragmatik verbunden und kann auch in Verbindung damit dargestellt werden. In Erzählungen werden Veränderungen von Situationen berichtet: ein Zustand ändert sich durch die Einwirkung verschiedener Kräfte. Es werden Ereignisse/Handlungen geschildert, die in bestimmter Reihenfolge aufeinander folgen und miteinander verknüpft sind, sowie Handlungsträger angeführt, durch deren Wirken Veränderungen eintreten. Wie die Handlungen, stehen auch die Handlungsträger zueinander in Beziehung. In der Darstellung kann der Erzähler vielfache sprachliche Mittel einsetzen, um die Erzählungen entsprechend seinem Anliegen (seiner "pragmatischen" Absicht) wirksam werden zu lassen. 19 D. Patte, Jesus' Pronouncement about Entering the Kingdom like a Child. A Structural Exegesis: Semeia H. 29 (\983) 3-42, bes. 4-11. 20 Zu den Oppositionen siehe Patte, Jesus' Pronouncement 22-38 39. " Patte, Jesus' Pronouncement 24f, stellt aufgrund texIinterner Analyse die Gegensätze "Verbindung - Trennung" fest. Der von ihm festgestellte Gegensatz .. Heilig Profan" und "Aktiv - Passiv" müßte noch genauer untersucht werden.
, Greimas, Semantica strutlurale, enthält sehr breite Ausführungen über Erzähltexte.
119
Zunächst ist die noch keineswegs einheitliche Terminologie zu klären. Wie unterscheiden sich Erzählung, Geschichte, Bericht? 4. Im folgenden wird unter Erzählung ein Text verstanden, zu dessen Elementen Handlungen und Handlungsträger gehören. Der Bezug zur Wirklichkeit (und zu Fragen der Historizität) bleibt außer Betracht. Die Notwendigkeit, die Eigenart von Erzählungen genauer zu erfassen, ergibt sich aus der Bedeutung, die den Erzählungen in vielfacher Hinsicht zukommt: Für die biblische Botschaft ist eine narrative Grundstruktur kennzeichnend 5. In anthropologischer Hinsicht ist Erzählen "ein Grundbedürfnis, eine soziale Aktivität, die der Verarbeitung von Erlebnissen dient und soziale Identität konstituieren soll" 6. In vielen Alltagsgesprächen kommen Erzählungen vor. Vieles kann gar nicht anders als durch Erzählungen vermittelt werden, besonders gilt dies für die Erfahrungen und die Lebensgeschichte eines Menschen sowie die Geschichte der Familie und Gemeinschaft, in denen er lebt. Geschichten helfen so, daß wir uns in unserer Welt zurechtfinden, daß wir uns angemessen verhalten.' Sodann versteht sich die kirchliche Gemeinschaft als "Erzählgemeinschaft", in der Worte und Taten Jesu weitererzählt werden 7.
Die narrative Analyse untersucht Texte unter der Rücksicht der in ihnen erzählten Handlungen/Handlungssequenzen und der in ihnen angeführten Handlungsträger sowie unter der Rücksicht der Beziehungen, die zwischen ihnen bestehen. Darüber hinaus will die narrative Analyse die in biblischen Texten verwendeten sprachlichen Mittel, deren sich der Erzähler bedient, herausarbeiten.
Angesichts neuerer Versuche der Erzählforschung, Grundstrukturen von Erzählungen herauszuarbeiten, ist es Aufgabe einer biblischen Erzähltextanalyse, zu untersuchen, welche Eigenart die biblischen Erzähltexte aufweisen, sowohl bezüglich der Handlungsfolge als auch der handelnden Kräfte. Es ist also eine den biblischen Texten gemäße Erzähltheorie zu erstellen, die der spezifischen Eigenart des Neuen Testaments (und der Bibel überhaupt) entspricht2. Es gibt zwar eine Reihe von ausgearbeiteten Erzähltheorien. Da diese aber vielfach einen hohen Grad von Abstraktion aufweisen, kann in einer Methodenlehre, die eine Einführung geben will, nur auf eine Auswahl aus den diesbezüglichen Methoden Bezug genommen werden.
1. Die der narrativen Analyse zugrunde liegenden Textmodelle
Literatur zur Einfohrung:
Eine Übersicht über Modelle narrativer Analysen bieten E. Gülich _ W. Raible, Linguistische Textmodelle 192-314. Narrative Analysen zu biblischen Texten bieten die Arbeiten von H. J. Hauser. D. Minguez. W. Egger. Ein Grundlagenwerk bleibt V. J. Propp. Morphologie des Märchens'.
2 Egger. Nachfolge 3. ) Gülich - Raible. Linguistische Textmodelle 192-314; V. J. ProPP. Morfologia della fiaba. Con un intervento di Claude Levi-Strauss e una replica dell'autore, a cura di G. L. Bravo (Turin 1966). - Weitere Literatur: R. Barthes, Introduction ä I'analyse structurale des recits; Bremond, Logique du recit; W Haubrich (Hrsg.), Erzählforschung. Theorien, Modelle und Methoden der Narrativik (Göttingen 1976); C. Kahrmann u. a., Erzähltextanalyse. Einführung in Grundlagen und Verfahren (Kronberg 1977); K. Kanzog. Erzählstrategie. Eine Einführung in die NOTl1}einübung des Erzählens (UTB 495; Heidelberg 1976); E. Lämmer( (Hrsg.), Erzählforschung. Ein Symposion (Stuttgart 1982); K. Ehlich. Alltägliches Erzählen: K. Wegenast(Hrsg.), Erzählen für Kinder. Erzählen von Gott (Stuttgart 1980). - Exegetische Arbeiten: J. Calloud. L'analyse structurale du recit. Quelques elements d'une methode: FoiVie 73 (1974) 28-65; ders., Structural Analysis of the Narrative (Philadelphia 1976); Egger, Nachfolge 6-48 (Übersicht über Erzähltheorien); E. GÜlIgemanns, Einleitende Bemerkungen zur strukturalen Erzählforschung: LingBibl H. 23/24 (1973) 2-47; ders., Narrative Analyse synoptischer Texte: LingBibl H. 25126 (\973) 50-73; Margueral. Strukturale Textlektüren; Hahn (Hrsg.), Der Erzähler des Evangeliums.
120
I
Sowohl die historisch-kritische Methode als auch Theorien der Narrativität vertreten Textmodelle, d. h. bestimmte Auffassungen über die Eigenart von Erzähltexten. Zum Teil gehen diese nur auf einige an einer Kommunkation durch narrative Texte beteiligte Faktoren ein. Auch narrative Texte sind in einem Gesamtfeld der Kommunikation zu betrachten: Es gibt den Erzähler, der einen "Erzähltext " für den Zuhörer verfaßt, um diesen in bestimmter Weise zu beeinflussen, Wieweit sich der Erzähltext auf die reale Welt oder auf eine "erzählte Welt" bezieht, ist im einzelnen zu klären 8; ebenso, wieweit sich realer Erzähler und "erzählter Erzähler" bzw. realer Zuhörer und "erzählter Zuhörer" decken 9. Kremer, Lazarus 28, bevorzugt für die Lazarusperikope (Joh 11) den Terminus "Erzählung", da "Erzählung" durch eine ausgeprägtere Struktur gekennzeichnet ist als "Geschichte", , Zur narrativen Grundstruktur der biblischen Botschaft vgl. u. a. E. Arens. Narrative Theologie und theologische Theorie des Erzählens: KBI 110 (1985) 866-871 (Lit.). 6 Lewandowski, Wörterbuch: "Erzählen". 7 In dieser Rücksicht haben vor allem die folgenden Beiträge eine große Wirkung ausgeübt: H. Weinrich. Narrative Theologie: Concilium 9 (1973) 329-334; J. B. Met=. Kleine Apologie des Erzählens: ebd. 334-341. 8 Vgl. dazu J. Anderegg, Fiktion und Kommunikation (Göttingen 1977). 9 Vgl. dazu u.a. Iser. Der Akt des Lesens 50-66 (Leserkonzepte und das Konzept des impliziten Lesers); R. M. FOI.l'fer. Who Is "the Reader" of Mark's Gospel 38-49 (siehe oben § I, Anm. I). 4
\2\
Aus den verschiedenen Analyseverfahren können im Rahmen einer ' Methodeneinführung nur einige dargestellt werden 10. Der von V.J. Propp gewählte Ansatz für die Analyse der Zaubermärchen 11 hat eine breite Wirkungsgeschichte gehabt. Erzählungen sind für Propp feststehende Kombinationen von Handlungen und Handlungsträgern. Wesentlich sind nach Propp für die Zaubermärchen die "Funktionen", d. h. die Handlungen der auftretenden Personen unter dem Gesichtspunkt ihrer Verknüpfung mit dem Handlungsablauf Nach Propp ist die Zahl der "Funktionen" (so nennt Propp die Handlungen im Zaubermärchen) beschränkt und beträgt einunddreißig 12. Ihre Reihenfolge ist immer dieselbe 13. Alle Zaubermärchen sind Ausfaltungen und Varianten dieser einen Grundformel. Die Zahl der im Zaubermärchen handelnden Personen beträgt sieben; diese Personen stehen in festen Beziehungen zueinander 14, wie auch zwischen Funktionen und Handlungsträgern ein bestimmter Zusammenhang besteht 15. Auf diesem Ansatz, also dem Inventar der Handlungen und der handelnden Personen und den zwischen diesen bestehenden Strukturen, bauen viele moderne Erzähltextanalysen aup6. Vielfach bemühen sie sich um eine Reduktion der Handlungsmenge und um eine genauere Bestimmung des Verhältnisses zwischen den handelnden Personen 17. Im folgenden werden mehrere Modelle, die im Anschluß an Propp in der Forschung entwickelt wurden und die einer Erzähltextanalyse zuAusführlicher bei Egger, Nachfolge 8-48: zu Propp, Dundes, Bremond, Greimas, Güttgemanns, Barthes. 11 Im folgenden wird die italienische Ausgabe (Anm. 3) zitiert, da dort schwierige Stel-. len, die sich aufgrund der Originalausgabe ergeben, zum Teil durch Briefverkehr mit Propp geklärt sind; vgl. die Ausführungen des Hrsg. zur Methode der Oberset~.ung: ebd. 229f. Die russische Originalausgabe erschien Leningrad 1928; die deutsche Ubersetzung: Morphologie des Märchens, München 1972. Die deutsche Ausgabe enthält den Beitrag von E. Meletinskij. Zur strukturell-typologischen Erzählforschung des Volksmärchens 179-214. Eine Einführung in Leben und Werk bietet: R. Breimeyer, Vladimir lakovlevic Propp (1895-1970). Leben, Wirken und Bedeutsamkeit: LingBibl H. 15/16 (1972) 36-66. Weitere Literaturangaben bei Egger, Nachfolge 7. 12 Prapp, Morfologia 27 f. 13 Ebd.28f. " Ebd. 85f nennt: Gegenspieler, SchenkeT, Helfer, Prinzessin (Zarentochter) und deren Vater (ein Paar), Sender, Held, falscher Held. " Ebd. 85 f 105 f. Eine genaue Anwendung versucht P. J. De Pomerol, Il vangelo come racconto. Analisi morfologica dei vangelo di Matteo (Turin 1983; aus dem Französischen Brüssel 1983: Quand un evangile nous est conte). 17 Besonders E. Güttgemanns, Einleitende Bemerkungen, hat diesen Ansatz weitergeführt und ein transformiertes Funktionsrepertoire erstellt. Auch für eine biblische Erzähltextanalyse sind die von Propp genannten Konstanten einer .Erzählung, nämlich Handlungen und Handlungsträger, wesentlich.
grunde liegen können, vorgestellt. Der Übersicht halber wird hier unterschieden zwischen Modellen, die mehr die Handlungssequenzen beachten, und solchen, die mehr die Handlungsträger berücksichtigen. 1.I Modelle für die Analyse von Handlungssequenzen
Erzählung als Eröffnung von Möglichkeiten " C. Bremond 18 wendet in der Erzähltextanalyse besonders den Knotenpunkten der Erzählung sein Interesse zu: in jeder Erzählung g~be es nämlich Knotenpunkte, an denen sich die Alternativen für den weIteren Verlauf eröffnen. Die Berücksichtigung solcher Entscheidungspunkte ist für das Verständnis von Erzählungen wichtig. Zwar wird in der Erzählung nur eine der möglichen Alternativen erzählt, doch könne aufgrund logischer Überlegungen und verallgemeinerter Erfah~ungen und durch den Vergleich mit anderen Erzählungen herausgearbeItet werden, an welchen Stellen der Erzählung sich Alternativen eröffnen. Das in Abb. 18 dargestellte Grundschema wird von Bremond "Elementarsequenz" genannt 19. __________ Erfolg
~
Situation, die eine Möglichkeit eröffnet
Aktualisierung _ _ _ _
. MIßerfolg
~
~ Nicht-Aktualisierung
•
10
I.
122
Ein konkretes Beispiel:
Arztkommt~ ~
~ gesundet
läßt Arzt rufen /
~
jemand ist ~ krank
~ läßt nicht Arzt
gesundet
nicht Arzt kommt nicht
rufen Abb. 18: Die Elementarsequenz nach Bremond
Dieses Modell lädt ein, nachzudenken, was geschehen wäre, wenn einer der Handlungsträger sich anders entschieden hätte. Die Darstellung der vom Text angebotenen Handlungsalternativen geschieht mit Hilfe eines Stammbaums. " Bremond. Logique du recit. Vgl. dazu Egger. Nachfolge 28-34 (LiL). " Bremond, Logique du recit 131.
123
Ein daran orientiertes Analyseverfahren ist besonders geeignet für Texte, die von Entscheidungen handeln. Es macht die Bedeutung von Alternativen deutlich und zeigt die Folgen einer Entscheidung. Da der Zusammenhang "Tun - Ergehen" zu den Grundstrukturen biblischer ~ Erzählungen und biblischer Weisungen gehört, ist diese Sicht für bibli- ,',;,', sche Texte gut geeignet, wie auch Bremond selbst für die Analyse viele Beispiele aus der Bibel nimmt 20. .!
Erzählung als Kombination von Motiven Schon die klassische Formgeschichte hat sich mit der Frage des Handlungsverlaufs besonders in Wundersgeschichten beschäftigt. Das Augenmerk gilt den kleinen Handlungseinheiten, aus denen sich Erzählungen zusammensetzen: Eine Erzählung ist eine mehr oder weniger feste Kombination von Motiven (so werden die kleinsten Erzählelemente genannt). Je nach der Art der Kombination lassen sich auch die verschiedenen Gattungen und Untergattungen unterscheiden 21.
1.2.1
Das Aktantenmodell
In Fortführung der Ansätze von Propp bestimmt Greimas 22 das Verhältnis der handelnden Personen näher. Greimas spricht von "Aktanten" und meint damit die handelnden Personen in ihren Beziehungen zueinander (die konkreten handelnden Personen nennt er "Akteure"). Greimas reduziert die Zahl der Aktanten auf drei Paare: Subjekt - Objekt, Sender - Empfänger, Helfer - Widersacher. Das erste Paar hat die Ebene des Wollens gemeinsam, das zweite Paar die Ebene der Kommunikation; das dritte Paar gehört zu den Umständen einer Handlung. Die Abb. 19 zeigt die paarweise Anordnung der Aktanten. Spender Helfer
-----I.. ----~.
Objekt - - - - - . . Empfänger
t
Subjekt .....~---- Widersacher
Abb. 19: Das Aktantenmodell nach Greimas
1.2 Modelle für die Analyse von Handlungsträgern
1.2.2 Modell der Kommunikation und Interaktion
Auch für die Analyse der handelnden Personen sind verschiedene Modelle vorgelegt worden.
Um die Beziehungen der handelnden Personen, also die Interaktionen, in einer Erzählung zu klären, kann auch ein einfaches Modell der Interaktion (Abb. 20) dienen. Handelnder _ __
2. Ebd. 234 236 244 f 257 u. a. 21 Die in der Formgeschichte vorgelegten Motivanalysen von Wundergeschichten wurden besonders durch G. Theißen, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien (StNT 8; Gütersloh 1974), und dann durch Pesch - Kratz, So liest man synoptisch 3, und X. Uon-Dufour, Structure et fonction du recit de miracle: J. N. Alelli u. a., Les miracles de Jesus (Paris 1977) 289-353, weitergeführt. Die Liste von Theißen, Wundergeschichten 82 f, umfaßt vier Gruppen von Motiven: zu den einleitenden Motiven zählen I. Kommen des Wundertäters, 2. Auftreten der Menge; Auftreten von 3. Hilfsbedürftigen, 4. Stellvertretern, 5. Gesandtschaften, 6. Gegnern; 7. Motivation des Auftretens von Gegenspielern; zu den expositionellen Motiven zählen 8. Charakterisierung der Not; Annäherung an den Wundertäter mit 9. Erschwernis, 10. Niederfallen, 11. Hilferufe, 12. Bitten und Vertrauensäußerung; Zurückweichen mit 13. Mißverständnis, 14. Skepsis und Spott, 15. Kritik, 16. Gegenwehr des Dämons; Verhalten des Wundertäters mit 17. Pneumatischer Erregung, 18. Zuspruch, 19. Argumentation, 20. Sich-Entziehen; zu den zentralen Motiven gehören 21. szenische Vorbereitung: die Wunderhandlung mit 22. Berührung, 23. Heilendem Wort, 24. Wunderwirkendem Wort, 25. Gebet; 26. Konstatierung des Wunders; zu den finalen Motiven zählen 27. Demonstration, 28. Entlassung, 29. Geheimhaltungsgebot, 30. Admiration, 31. Akklamation, 32. ablehnende Reaktion, 33. Ausbreitung des Rufes.
124
I
wirkt durch verbale oder nicht-verbale Beeinflussung Rückwirkung
- + auf den anderen ein
I
Abb. 20: Ein Modell der Interaktion
Die Beeinflussung, die der Sender auf den Empfänger ausübt, kann anhand einer Liste der sog. Sprechhandlungen genauer bestimmt werden. Einige Beispiele seien angeführt: fragen, antworten, behaupten, beschreiben, erklären, deuten, wissen, hoffen, wünschen, verheimlichen, offenbaren, befehlen, auffordern, raten, ernennen, danken usw. 23. Die Beziehungen zwischen den Personen sind an hand einfacher Fragen zu erklären: Wie verhält sich a zu b; wie verhält sich b zu a usw. Ein derartiges relativ einfaches Modell und ein derartiger Frageraster helGreimas, Semantica 207-232. Diese Analyse bezieht sich auf die erzählten (also text internen) Vorgänge. In der pragmatischen Analyse werden die Sprechhandlungen noch einmal behandelt. 22 2J
125
fen, die Beziehungen zwischen den handelnden Personen zu beschreiben und die Interaktionen, aus denen menschliches Handeln ja wesentlich besteht, zu erfassen 24.
2. Die Durchführung der narrativen Analyse Die vorgestellten Modelle sind geeignet, in der Analyse als Raster angewendet zu werden, um die Erzählstrukturen genauer zu erfassen. Freilich ist nicht jeder Raster für jeden Text geeignet. Das Ausprobieren der Raster zeigt, ob Einsichten gewonnen werden können. Überhaupt ist nicht jede Form der narrativen Analyse für jeden biblischen Text in derselben Weise ergiebig. In der Analyse von Erzähltexten ist zunächst der Text zu einem homogenen Untersuchungsobjekt umzuformen. 2.1 Die Transformation des Textes in ein homogenes Untersuchungsobjekt Da die narrative Analyse sich methodisch auf Handlungen und Handlungsträger beschränkt, also nur die Handlungsstrukturen analysiert und von anderen Strukturen abstrahiert (obwohl natürlich auch der Erzähltext mit den Methoden der sprachlich-stilistischen, semantischen usw. Analyse zu untersuchen ist), ist der Erzähltext zu einem für diese Analyse geeigneten Untersuchungsobjekt zu transformieren. Die bei der Analyse von längeren Erzähltexten notwendige Transformation in eine Kurzfassung ist bei biblischen Erzählungen in der Regel nicht notwendig, da es sich hier um kurze Texte handelt, bei deren Analyse alle Erzählelemente berücksichtigt werden können. Zwei Formen von Transformation sind jedoch notwendig. Die Transformation von direkten und indirekten Reden Da in der narrativen Analyse nur Handlungen untersucht werden, sind die direkten Reden, die sich häufig in Erzählungen finden, nicht unmittelbar Gegenstand der narrativen Analyse. Die Verben des Sagens, mit denen die direkte Rede eingeleitet wird, dürfen jedoch aus der Handlungsanalyse nicht ausgeschieden werden 25, da sie als Mittel zwischenmenschlicher Beeinflussung Handlung implizieren und so gerade für die Erzählanalyse wichtig sind. Die Linguistik verwendet in diesem Zu2. Auf ein weiteres Moden, das die Beziehungen zwischen den handelnden Personen klären hilft, nämlich das "Feld der Personen", von Gerd Theißen. Urchristliche Wundergeschichten 53-56, kann hier nur hingewiesen werden. " Wie Minguez. Pentecostes 81, vorschlägt.
126
sammenhang den Ausdruck "Sprechhandlung" 26. Wenn jemand zu ei. nem anderen sagt: "Tu das", dann ist dies die Sprechhandlung "Aufforderung", wenn er sagt: "Wenn du das tust, hast du die Folgen zu tragen", so ist dies die Sprechhandlung "Warnung". Um also den Handlungscharakter, der in den Verben des Sagens steckt, für die Erzähltextanalyse fruchtbar zu machen, sind die Verben des Sagens zusammen mit der folgenden direkten (oder indirekten) Rede durch ein" Tun" -Wort zu ersetzen, das die entsprechende Sprechhandlung ausdrückt. Solche Sprechhandlungen können sein: fragen, antworten, bitten, befehlen, ernennen, raten, drohen, warnen, versprechen, tadeln usw. Die Transformation der Reihenfolge der Handlungen In der Darstellung von Handlungen ist der Erzähler nicht an die chronologische oder kausale Reihenfolge gebunden; er kann erzähltechnisch die Gründe für das Handeln usw. erst im nachhinein erzählen. Für die narrative Analyse ist jedoch die Reihenfolge der Handlungen nach chronologischen, kausalen und logischen Zusammenhängen zu erstellen. Das bedeutet, daß die Ereignisse/Handlungen so anzuordnen sind, wie sie zeitlich aufeinanderfolgen; ebenso, daß Ursachen vor den Wirkungen gereiht sind; und daß die kontradiktorischen oder konträren Gegensätze deutlich herausgearbeitet werden, etwa der Gegensatz zwischen Anfangszustand und Endergebnis. 2.2 Die eigentliche Analyse In der eigentlichen Analyse kann der Text unter dem Aspekt der Handlungssequenz und jenem der Handlungsträger untersucht werden.
Feststellen der Knotenpunkte Jene Stellen einer Erzählung, an denen die Handlung anders weitergehen könnte als erzählt wird, sind Knotenpunkte der Erzählung. Manche Knotenpunkte sind wichtig, andere weniger. Die Darstellung kann in der Art eines Stammbaumes erfolgen. Feststellen der Beziehungen zwischen den Handlungsträgern Um die Position der einzelnen Handlungsträger zu ermitteln, ist zunächst die Liste der Handlungsträger zu ermitteln. Zur Verhältnisbestimmung zwischen den handelnden Personen helfen die in Abb. 21 verzeichneten Fragen.
26
Siehe später (Pragmatik).
127
Wer - - (gibt)
--+
Was - - - - - - - -....... Wem
+ + Wer . - - - (hindert) - - Wer sucht
Wer - - (hilft)
--+
Abb. 21: Feststellen der Handlungsträger nach dem Aktantenmodell
Dieses Modell ist besonders geeignet für Erzählungen, die davon handeln, daß Dinge erlangt werden; wenn in einer Erzählung der Akzent auf zwischenmenschlichen Beziehungen liegt, ist dieser Raster kaum anwendbar. Für diesen letzteren Fall eignet sich besser ein allgemeines Modell der Kommunikation und Interaktion. Zusammenfassung der Arbe;itsschritte und Arbeitshinweise Nachdem die sprachlich-syntaktische und semantische Analyse des zu untersuchenden Textes vorgenommen wurde, sind in der narrativen Analy.se folgende Schritte zu vollziehen: 1. Erstellung eines homogenen Untersuchungsobjekts a) Zunächst sind die "Tun"-Wörter des Textes zu unterstreichen; b) dann sind die Verben des Sagens und die mit ihnen verbundenen direkten und indirekten Reden durch Verben zu ersetzen, die die Art der zwischenmenschlichen Beeinflussung ausdrucken und auch den Inhalt der ersetzten Rede mitmeinen. c) Schließlich sind die Handlungen in eine logische, chronologische und kausale Reihenfolge zu bringen und die Opposition anzugeben, die zwischen Anfangszustand und Endergebnis der erzählten Handlungssequenz besteht.
2. Anwendung von Rastern der Handlungssequenz In der praktischen Durchführung der narrativen Analyse eignen sich besonders das Modell der Knotenpunkte einer Erzählung .von Bremond und das Inventar der Motive von G. Theißen 27. Welcher Raster sich für einen bestimmten Text besonders eignet, kann nur durch die Anwendung selbst geklärt werden. a) Analyse einer Erzählung nach dem Modell von Bremond Nennen Sie die Knotenpunkte der Erzählung, d. h. jene Stellen, an denen eine Entscheidung fällt, die den weiteren Verlauf der Erzählung wesentlicb beeinflußt. Nennen Sie die Alternative, die an diesem Knotenpunkt sich eröffnen könnte.
Erzählen Sie die Geschichte in einer alternativen Fassung: Wenn an diesem Punkt der Handlung eine der handelnden Personen anders gehandelt hätte, würde die Geschichte so weitergehen: ... b) Inventar der Motive Stellen Sie anhand des von G. Theißen erarbeiteten Motivgerüsts fest, weiche der dort angeführten Motive in der zu untersuchenden Erzähl"ng vorkommen. 3. Anwendung von Rastern bezüglich der Handlungsträger Auch bezüglich der Raster zu den Handlungsträgern kann erst die Anwen~ dung der Raster auf einen konkreten Text zeigen, ob und in welchem Aus- . maß die Raster für die Analyse geeignet sind. a) Zum Aktantenmodell von Greimas Erstellen Sie die Liste der handelnden Personen und ordnen Sie die Liste nach Handlungsträgern, die zusammengehören oder in Opposition stehen. Suchen Sie folgende Fragen anband des Textes zu beantworten: Wer sucht was? Wer gibt wem was? Wer hilft/will verbindern? Falls sich diese Fragen beantworten lassen (was nicht bei jedem Text der Fall sein muß), füllen Sie den Raster von Greimas aus:
b) Zum Modell der Interaktion Stellen Sie fest, welche Formen der Beeinflussung durch Handlungen und durch Sprechhandlungen im Text erzählt werden. Klären Sie die Beziehungen zwischen den handelnden Personen anhand der Fragen: Wie verhält sich a zu b, b zu a usw.
27 Zur Anwendung der übrigen vorgestellten Modelle wäre eine breitere theoretische Grundlage notwendig, die in diesem Zusammenhang nicht geboten werden kann.
128
129
Verben der Bewegung gehen Verben des Rufens schreien, rufen Wörter für Heil/Unheil: blind
Die Reihenfolge der Handlungen ist chronologisch und kausal, so daß keine Neuanordnung der Handlungen für die Analyse notwendig ist. Bei diesem Transformationsprozeß bleiben allerdings viele Aspekte außer Betracht. 3.2 Anwendung von Rastern Durch die Anwendung von Rastern, die für die Analyse von Handlungssequenzen und Handlungsträgern entwickelt wurden, läßt sich die narrative Eigenart von Mk 10,46-52 näher beschreiben. Bei den einzelnen Rastern werden die Möglichkeiten und die Grenzen der Anwendung beschrieben.
~.
14 sehen !\Jlii t Die wichtigsten OPPosition:: ::: Textes sind am Anfang und Ende des _ Textes klar formuliert: blind am Wege sitzen - sehend auf dem Weg nachfolgen. Aus dem Übergang von einem Zustand in den anderen, der durch das laute Rufen möglich ist, wird sichtbar, was nach Mk" "Glaube" bedeutet. Mk 10,46-52 ist also eine Geschichte vom Erfolg ':1
3.1 Die Transformation des Textes Die Transformation des Textes in ein homogenes Untersuchungsobjekt bereitet kaum Schwierigkeiten: Die Wortverbindung "rufen + direkte Rede (Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen)" (Vv. 47 f) ist zu transformieren in einen Ausdruck, der sowohl Vertrauen auf Jesus als den Sohn Davids als auch Bitte um Erbarmen ausdrückt. Geeignet scheint dafür "vertrauensvolle Bitte". Die Transformation der weiteren Wortverbindungen sei in Übersicht dargestellt: 2.
Stock, Umgang mit theologischen Texten 85-93.
130
einen Wunsch erfragen vertrauensvoll antworten, bitten die Bitte gewähren
V. 52: sagt: Geh, dein Glaube ...
(und Opposition von Bewegung): sitzen usw.; (und Opposition) : schweigen;
desNach Schreiens. der Transformierung des Textes in ein homogenes Untersuchungsobjekt werden die verschiedenen Raster, die in der Darstellung der Modelle vorgelegt wurden, auf den Text angewendet.
herbeiführen lassen herbeiführen
V. 49: Jesus sagte: Ruft ihn V. 49: rufen den Blinden und sagen: Faß Mut, steh auf, er ruft dich V. 51: Jesus sagt: Was soll ich dir tun? V. 51: sagt: Rabbuni, daß ich sehe
3. Beispiel: Mk JO. 46-52: Wundererzählung als Glaubensgeschichte 28 Der narrativen Analyse muß die sprachlich-stilistische und semantische Analyse vorausgehen. Zu diesen beiden Arbeitsschritten seien nur einige wichtige Beobachtungen am Text genannt. In stilistisch-sprachlicher Hinsicht sind alle Sätze mit Kai parataktisch aneinandergefügt, nur Vv. 48 und 50 wird mit öi; angeschlossen. Die Zeitwörter sind alle in finiten Formen, mit Ausnahme von einigen wenigen Partizipien (V. 46.47.49 2mal. 50 2mal). Zweimal geht Mk in der Erzählung zum historischen Präsens über: in der Einleitung V.46 ' und in der Schilderung des Rufens der Menge V. 49. Das Imperfekt, verwendet in den Versen 46.48(2mal).52, drückt ein andauerndes Verhalten aus. In der direkten Rede V. 49 bund 52 finden sich Asyndeta. In semantischer Hinsicht sind als durchgehende, den Text prägende Sinnlinien vor allem drei Gruppen von Ausdrücken festzustellen:
.~I •.. ."
j
Alternativen der Erzählung (nach C. Bremond) Mk 10,46-52 weist sehr viele Knotenpunkte auf, an denen die Erzählung anders weitergehen könnte. I)
2)
3)
4)
5)
6)
7)
folgen Heilung""""""gerufen- ______ ""'-nicht werden " folgen schreien \ "Nicht/'" '\ Heil Hindernis/'" nicht ~ ~ gerufenrufen nicht werden /"", schreien blind/""' kein sitzen"---Hindernis "----nicht rufen
Z
,
Abb. 22: Alternativen der Erzählung in Mk 10,46-52
In Abb. 22 sind die einzelnen Handlungsschritte numeriert. Daß die betreffenden Stellen auch Knotenpunkte der Handlungsfolge sind, ergibt sich aus allgemeinen Überlegungen ("hier könnte die Geschichte anders weitergehen") und vor allem aus dem Vergleich mit anderen Erl31
zählungen, in denen der Erzählstrang tatsächlich anders weitergeht (etwa Mk 3,1-6; 7,27; 8, 11; 5,19). I) ist Eröffnungssituation (blind; sitzend); dieser Situation stehen 6) (= sehend) und 7) (= gehen) als Opposition gegenüber. 2) bedeutet: die Gelegenheit benützen. 3) Hindernisse gegenüber einer Bitte kommen in sogenannten Normwundergeschichten vor (etwa Mk 3, 1-6). 4) Das Hindernis ist überwunden, andernfalls wäre der Blinde wieder auf Position I). 5) Die Reaktion Jesu auf die Bitte. Daß Jesus einer Bitte gegenüber einen Einwand erhebt, findet sich in Mk 7,27 und beim Verlangen nach Schauwundern (Mk 8, ll f). 6) ist Ausdruck des Glaubens, den Jesus hier verlangt. 7) Eine Alternative wäre, daß der Mann zum Missionar wird (wie Mk 5,19 f). Mit diesem Modell lassen sich gut die Alternativen und die Entscheidungen erfassen, von denen der Text erzählt: wer das Rufen und den Glauben wählt, erlangt Heilung.
Das Motivgerüst Auch die Berücksichtigung der verschiedenen im Text vorkommenden Motive, wie es in Abb. 23 29 dargelegt ist, läßt die Handlungsschritte erkennen. I. Lokalisierte Situationsangabe mit Auftreten des Wundertäters, seiner Be-
gleiter (Jünger) und einer Volksmenge (V.46ab, M 1,3,4). 2. Auftreten des (namentlich genannten!) Hilfsbedürftigen mit knapper Charakterisierung der Not (Erzählvariante: der Wundertäter trifft den Hilfsbedürftigen an) (V. 46 c, M 2,11). 3. Hilferuf (V.47, M 14). 4. Schweigegebot (der Menge, Erschwernismotiv) (V. 48 ab, M 12). 5. Erneuter Hilferuf (V. 48 cd, M 14, 15). 6. Herstellung von Kontakt, Gesandtschaft (V. 49 ab, M 7,10). 7. Zuspruch (V. 49 cd, M 25). 8. Szenische Vorbereitung (V. 50, M 29). 9. Exploration (V. 51 a, M 11). 10. Bitte um Heilung (V.51 b, M 15). 11. Heilwort: als Entlassungsbefehl und Konstatierung des Glaubens (V. 52 abc, M 32c, 25). 12. Konstatierung des Wunders (V. 52d, M 37). 13. Demonstration (V. 52 d, M 39). Abb. 23: Das Motivgerüst der Heilungserzählung in Mk 10,46-52 29
Pesch - Kratz, So liest man synoptisch, 11 79.
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Nach diesem Modell sind zwar einzelne kleine Handlungseinheiten dargestellt; Opposition und Alternativen (also die eigentliche Struktur) werden nicht sehr deutlich. Das Ergebnis der Analyse eignet sich gut für den Vergleich mit anderen ähnlich analysierten Texten.
Das Aktantenmodell Handelnde Personen sind: Jesus - die Jünger - Blinder - die vielen. Die Beziehungen zwischen den handelnden Personen lassen zum Teil sich nach dem Aktantenmodell in Abb. 24 verdeutlichen. Jesus - - - -.... ~ Augenlicht Menge (V. 49) Glaube
----.~
-----~~
i
Blinder
Bartimäus .....1 - - - - - - Menge (V. 48!)
Abb. 24: Die handelnden Personen in Mk 10,46-52 Das Modell macht die Gegensätze zwischen den handelnden Personen deutlich und zeichnet gut ein, daß die Menge zunächst Widersacher, dann Helfer ist. Ebenso ist der Glaube Helfer. Das Modell kann die für diesen Text wichtigen interpersonalen Vorgänge nicht näher umschreiben.
Interaktionsmodell Das Verhältnis zwischen den handelnden Personen sei in Stichworten angegeben. Blinder gegenüber Jesus:
vertrauensvolle Bitte nachfolgen Jesus gegenüber dem Blinden: rufen heilen "Viele" gegenüber dem Blinden: hindern helfen
§ 10 Pragmatische Analyse Wer mit jemandem spricht oder jemandem eine schriftliche Botschaft zukommen läßt, will den Zuhörer/Leser beeinflussen: Er will ihm bestimmte Auffassungen nahelegen, ihn zur Meinungsänderung führen oder in der Meinung bestärken, ihn zur Teilnahme an Gefühlen bewe133
gen, ihn zu bestimmten Verhaltensweisen führen usw. Der Sprecher ist daran interessiert, "den Hörer mit der Botschaft zu einem situationsadäquaten Verhalten zu bewegen. Der Hörer soll auf den Text reagieren" I. Mit der Eigenart von sprachlichen Äußerungen und Texten, sofern sie den Zuhörer/Leser beeinflussen wollen, beschäftigt sich die sog. Pragmatik 2.
Die Textpragmatik beschäftigt 'sich mit der dynamischen Funktion von Texten 3: also der Handlungsanweisung und leserlenkung durch Texte 4 • Untersuchungsgegenstand der Pragmatik sind vielfach (mündliche) Gebrauchstexte aus der Gegenwart, für das bei den Lesern vielfaches außertextliches Wissen vorhanden ist. In der Anwendung der pragmatischen Fragestellung auf biblische Texte ist dem Umstand Rechnung zu tragen, daß wir nur die Texte besitzen, während außertextliches Wissen oder "AlItagswissen" über die Kommunikation zur Abfassungszeit kaum gegeben sind. So läßt sich die Leserlenkung nur aus dem Text erschließen 5.
Literatur zur Einführung: Eine Einführung in die Pragmatik bieten Funk-Kolleg-Sprache II 113-123, und der von O. Schober herausgegebene Sammelband: Funktionen der Sprache-. Spezifisch neutestaH Weinrich, Kommunikation, Instruktion, Text: Sprache in Texten 11-20. bes, 16. Griechisch 1tpäy~a = Handlung. 3 Van Dijk, Textwissenschaft 68. 4 Pragmatik wird hier in einem engeren Rahmen verstanden als etwa bei Breuer, Einführung, und Frankemö/Je, Kommunikatives Handeln, , Eine gewisse Hilfe kann uns die Wirkungsgeschichte der Texte bieten, insofern sie zeigt, welches Sinnpotential in den Texten steckt und welche Wirkungen Texte haben, So kann auch auf diese Weise die dynamische Funktion von Texten erfaßt werden. • Neben den Beiträgen zur Texttheorie (im vorliegenden Werk § 2-4) siehe besonders die Einführungen in die Pragmatik: Breuer, Einführung; Funk-Kolleg Sprache 11 113-123, Kanzog, Erzählstrategie; Schlieben-Lahge, Pragmatik, und die Abschnitte in den Werken: Akmajian - Demers - Hamish, Linguistica 299-337; Van Dijk, Textwissenschaft; Leoni - Pigliaccio, Retorica e scienze dellinguaggio; Plett, Textwissenschaft 79-99, - Zur biblischen Pragmatik: E, Arens, Kommunikative Handlungen, Die paradigmatische Bedeutung der Gleichnisse Jesu für eine Handlungstheorie (Düsseldorf 1982); Berger, Exegese, § § 14-17; D, Dormeyer, Der Sinn des Leidens Jesu, Historischkritische und textpragmatische Analyse der Markuspassion (SBS 96; Stuttgart 1979); Egger, Nachfolge 195-203; Frankemö/Je, Kommunikatives Handeln; Lack, Letture strutturaliste 25-28; Meynet, Initiation ä la rhetorique biblique; Schweizer, Metaphorische Grammatik 211-324; Patte, Paul's Faith and the Power of the Gospel; C. J. Reedy, Rhetorical Concerns and Argumentative Techniques in Matthean Pronouncement SteI
2
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mentliche Untersuchungen gibt es auf dem Gebiet der Rethorik (besonders zu den Paulus-Briefen) 7 und zur Verwendung von Sprache in den Gleichnissen Jesu 8.
1. Das Textmodell der pragmatischen Analyse Die pragmatische Analyse von schriftlichen Texten sucht die Frage ~u beantworten, warum und wozu ein Schriftsück verfaßt wurde 9 . Die sprachliche Äußerung bzw. der Text wird als Instrument verstanden, das der Verfasser benützt, um sowohl s-prachliche Kommunikation herzustellen als auch den Leser situationsgemäß zu beeinflussen und zu einem bestimmten Handeln zu bewegen. Da durch Sprechen/Schreiben Wirkungen erzielt werden können, wird das Sprechen/Schreiben selbst auch als ein Handeln, allerdings im weitesten Sinn verstanden: Durch Sprechen/Schreiben sollen Einstellungen, Gefühle, Verhaltensweisen entstehen, beeinflußt und verändert werden. Sprechen/Schreiben ist auch insofern ein Tun, als es vielfach sogar Veränderung der Verhältnisse herbeiführen kann, z. B. durc~ die Abfassung eines Testamentes, Ernennungsdekretes usw. Um diesen Handlungscharakter des Sprechens zu kennzeichnen, wurde der !\!lsdruck "Sprechhandlung, Sprechakt" eingeführt. Für geschrie~ene Außerungen gilt in dieser Hinsicht ähnliches wie für mündliche Außerungen: Man könnte gewissermaßen von "Schreibhandlung" sprechen.
Die pragmatische Texttheorie betrachtet die Abfassung eines Textes als ein "Handeln durch Schreiben", insofern der Text auf das Verhältnis zwischen Verfasser und leser und auf den Situationskontext verändernd einwirken soll und dies u. U. auch kann.
ries (SBL SemPapers 1983); Theißen, Urchristliche Wundergeschichten 229-297 (zur sozialen, religionsgeschichtlichen und existentiellen Funktion urchristlicher Wundergeschichten); W H, Wuellner, Der Jakobusbrief im Licht der Rhetonk und Textpragmatik: LingBibl H.43 (1978) 5-66; D, Ze/Jer, Zur Pragmatik der pauli~lischen Rechtfertigungslehre: ThPh 56 (1981) 204-217; ders" Wunder und Bekenntm~. Zu~ Sitz im Leben urchristlicher Wundergeschichten : BZ 25 (1981) 204-222; ders" Die Heilung des Aussätzigen (Mk 1,40-45). Ein Beispiel bekennender und werbender Erzäh" , lung: TThZ 93 (1984) 138-146 , 7 Zur Rhetorik bei Paulus siehe besonders H-D, Betz, Galattans (Philadelphia 1979), 8 Siehe bes, Arens, Kommunikative Handlungen; Frankemölle, Kommunihtives Handeln. • Vgl. Schlieben-Lange, Pragmatik 97: "Wozu sprechen wir, und was versprechen wir uns davon,"
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l.l Funktionen (Verwendungszwecke) von Texten Wer spricht/schreibt, kann damit Verschiedenes bezwecken: er will sich einfach einmal aussprechen und andere an Gefühlen teilnehmen lassen, er will Informationen vermitteln oder zum Handeln bewegen. Manchmal dient das Schreiben (etwa bei einer einfachen Grußbotschaft) dem Zweck, Gemeinschaft zu vertiefen 10 usw. Die Ziele des Sprechens müssen nicht immer bewußt sein; vielfach werden nicht unmittelbare Zwecke verfolgt, gerade die Zwecke des Sprechens sind oft vager, mehr atmosphärischer Natur ". Die pragmatische Analyse geht somit von der Beobachtung aus, daß sprachliche Äußerungen und somit auch Texte nicht nur unter inhaltli- ~,!,',. ehern Aspekt zu betrachten sind, sondern auch unter dem Aspekt des Verwendungszweckes 12. Je nach dem Situationskontext, in dem eine Äußerung geschieht oder für die ein Text bestimmt ist, kann ein und dieselbe Äußerung verschieden wirken. Der Satz "Es regnet" kann in einem Kontext die Antwort auf eine Frage nach dem Wetter sein, ein,. anderes Mal die Absage auf eine Einladung zu einem Spaziergang. , Die pragmatische Analyse unterscheidet zwischen Aussageinhalt (Proposition). Verwendungszweck (Funktion) und Wirkung eines Textes. Um die verschiedenen Funktionen von Äußerungen bzw. Texten zu sy- " stematisieren, wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen 13. Entsprechend dem im Abschnitt "Texttheorie" vorgelegten Modell der Kommunikation mit den Faktoren: Verfasser, Leser, Text (als strukturierte Größe mit einem Thema), Kode, Kanal, Situationskontext, lassen sich je '0 Vgl. den kurzen Brief aus Hermopolis, I. Ih. n. ehr.: »Philia dem hochgeschätzten Apollonios Gruß. Sooft ich Leute finde, die zu Dir reise!}., verspüre ich die Notwendigkeit, Dich zu grüßen und ... (hier bricht der Papyrus ab): aus: J. Hengsle/(Hrsg.), Papyri als Zeugnis des öffentlichen und privaten Lebens. Griechisch - Deutsch (Darmstadt 1978) 85. 11 Sch/ieben-Lange, Pragmatik 70. 12 Vielfach wird (mit wechselnder Terminologie) unterschieden zwischen dem Vollzug der Äußerung, dem Inhalt der Aussage (Proposition), dem Verwendungszweck (illokution) und der erzielten Wirkung (Perlokution), vgl. die Zusammenfassung bei U/rich. Linguistische Grundbegriffe, zu »Sprechakt ". Die Illokution (z. B. ein Versprechen) kann u. U. durch ein sog. performatives Verb spezifiziert werden (z. B. »Ich verspreche dir"). U Bedeutungsvoll und einflußreich war das Organon-Modell der Sprache von Büh/er. Sprachtheorie 28 f: Die Funktionen der Sprache sind Ausdruck (Symptomkraft der Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt), Appell (als Steuerung des Verhaltens des Hörers) und Darstellung (kraft der Zuordnung zu den Gegenständen).
nachdem, welcher Faktor durch das Schreiben stärker betont ist, die Verwendungszwecke unterscheiden 14: _ die expressive (emotive) Funktion, wenn es vor allem um den Ausdruck der Gefühle des Senders, _ die direktive (conative) Funktion, wenn es um den Appell an den Empfänger, . . die referentielle Funktion (InformatIOn), wenn es um Darstellung eInes Themas, . _ die kontextuelle Funktion IS, wenn es um Berücksichtigung des SItuationskontextes geht (z. B. "Lesen Sie die folgende Anmerkung"), die poetische Funktion, wenn die sprachliche Form besonderes Interesse findet, . _ die Kontakt-(phatische)Funktion, wenn vor al!em der Kontakt zw~: schen Sender und Empfänger zum Problem Wird (vgl. etwa "Hallo beim Telephonieren), .. die metalinguistische Funktion, wenn der Text selbst zum "Thema wird (etwa: "Was heißt dieses Wort"). Zwar können mehrere Verwendungszwecke/Funktionen gleichzeitig wirksam sein, doch kann der eine oder andere vorherrschen. Beispiele für die verschiedenen Funktionen von Sprache bieten vor allem die Paulusbriefe: _ Kontaktfunktion der Sprache: Anschrift in den Brief~n, SChlußgr:'iße (besonders stark i~ Röm 16); Ga~ 4,2~: "Ich wollte:/ch könnte Jetzt bei euch sein und 10 anderer Welse mit euch reden , _ expressive Funktion: etwa die erregte S.elbstdarstell~ng in 2 ~or II ; direktive Funktion: die vielfältigen Weisungen an die Gemem~en, b~ sonders in den Abschnitten, die mit "Ich bitte, mahne euch" emgeleltet werden; referentielle Funktion: Darstellung von Sachverhalten; _ poetische Funktion: etwa I Kor 13; Röm 8,31-39; dazu wäre noch die . G . 16 _ rhetorische Funktion zu nennen, die besonders 10 al zutage tntt ; 14 Das Kommunikationsmodell mit den verschiedenen Faktoren und die Funktionen der Sprache entsprechen sich im Modell von R. Jakobson. ~tyle and La~gua~e 350-377; übernommen von Lack. Letture strutturaliste 25-:~8. DIe. vorgelegte LIste. Ist erstellt nach Deli H. Hymes. Ethnographie des Sprechens, zIttert beI Schober. Funktto~ 18. In Klammer die jeweiligen Bezeichnungen bei Jakobson. Style and Language, ZItiert bei Lack. Letture strutturaliste 25-28. .. . , . " Iakobson und Lack nehmen Darstellung eines Themas und Beruckslchttgung des SItuationskontextes zusammen. . ' . '6 BeIZ. Galatians, geht unter Berücksichtigung der anttken Rhetonk besonders auf dIe rhetorischen Mittel ein.
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- metalinguistische Funktion: Gal 2,4: "Und das ist bildlich (aAATJYPuouIlEva) gesprochen." 1.2 Mittel der Leserlenkung Bei Sprechakten/Schreibakten ist zu unterscheiden zwischen Jnstrukti?n und Strategie. Unter Instruktion sind die Anweisungen verstanden, dIe der Text dem Leser gibt, damit er sich im Text und in der gegebenen Situation zu orientieren vermag 17, und auch jene Anweisungen, die der Text gibt, damit der Leser den Text richtig einordnen kann (z. B.: "Das ist bildlich zu verstehen", Gal 4,24). Um der Instruktion Wirkkraft zu verleihen, wird eine Strategie eingesetzt, d. h., es werden bestimmte Mittel verwendet, um das Ziel zu erreichen. Die mündliche Rede kann auch von außersprachlichen Mitteln (Gesten, z. B. Bittgebärden, usw.) begleitet sein. Bei Texten stehen dem Verfasser nur sprachliche Mittel zur Verfügung. Die Wahl dieser Mittel hängt u. a. von der sprachlichen Leistungskraft des Verfassers, der bestehenden Kommunikationssituation, Höflichkeitsformen, Konventionen usw. ab. So kann ein Befehl als Wunsch, als Bitte, als Frage (Könnten Sie ... ") formuliert sein. Der Einsatz der sprachlichen Mittel, um die Wirkung zu erzielen, wird Strategie genannt.
Am eindeutigsten sind Instruktionen, wenn sie im Imperativ erfolgen, z. B.: "Schließ das Fenster!" Doch kann ein und dieselbe Instruktion auch auf andere Weise geäußert werden: z. B. in verschiedenartigen inhaltlichen Aussagen (Propositionen), etwa als sprachliche Feststellung: "Es zieht", oder: "Das Fenster ist offen!" oder: "Siehst du nicht, daß das Fenster offen ist?" Da die sprachliche Gestalt der Instruktion vielfältig sein kann, sind vielfach Zusatzinformationen nötig, um den genauen Sinn der Instruktion zu erfassen. Bei sprachlichen Äußerungen ist der Kontext wichtig: Wo eine Autoritätsstruktur gegeben ist, kann etwa eine Bitte ein verhüllter Befehl sein usw. 18 Als Beispiel für Leserlenkung durch sprachliche Mittel sei die Bergpredigt Mt 5-7 angeführt: Hi~r finden sich Provokation, zugespitzte Redeweise, Beispiele, HinweIs auf Erfahrung, Reihenbildung 19. Vgl. H. Weinrich, Textgrammatik der französischen Sprache (Stuttgart 1982) 213. Achtzehn Variationen zu "Monika, mach das Fenster zu!" Funk-Kolleg Sprache II Il3f. I' Vgl. Egger, Handlungsorientierte Auslegung 135f. 17
11
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1.3 Bedingungen für das Gelingen sprachlichen HandeIns Damit Handeln durch Sprechen/Schreiben die angestrebte Wirkung erzielen kann, muß jedesmal eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein.
Ein sinnvol\er Befehl setzt eine bestimmte Situation des Sprechers voraus, sodann die Überordnung des Sprechers über den Angesprochenen (Weisungsrecht oder Weisungsmacht) und die Macht, den Befehl durch Sanktionen durchzusetzen. Zu einem sinnvollen Rat gehören: bestimmte Erfahrungen, Kenntnis von Tun und Folgen, Wissen, was für den Ratsuchenden gut ist. Beim echten Rat muß der Ratsuchende Entscheidungsfreiheit bewahren; diese Entscheidungsfreiheit muß unter Umständen eigens genannt sein : "Ich rate, befehle aber nicht" (vgl. I Kor 7). Beim Versprechen muß der Sprecher wissen, daß er das Versprochene ausführen kann; er muß auch wissen, daß der Hörer Wert darauf legt, etwas zu erhalten (andernfal\s könnte es höchstens eine Drohung sein). Handeln durch Sprechen/Schreiben ist entscheidend vom Kommunikations- und Lebenskontext abhängig, und hier wiederum in besonderem Maße von den zwischen Sender und Empfänger bestehenden Kommunikationsstrukturen.
Daraus ergeben sich Folgerungen für die Analyse biblischer Texte, bei denen vielfach kein "Alltagswissen" über den Verwendungszweck vorhanden ist: aufgrund der bloßen Form der sprachlichen Äußerung, ohne Kenntnis der Autoritätsstrukturen und des Situationskontextes kann der Sprechakt, der in einer Äußerung vorliegt, nicht bestimmt werden. Erst wenn die gesamte Kommunikations- und Autoritätsstruktur bekannt ist, wird ersichtlich, ob eine Äußerung, die als Bitte formuliert ist, wirklich eine Bitte ist, oder ob es sich um einen verhüllten Befehl handelt. Die Analyse sucht auch zu erhellen, welche soziologischen Bedingungen in der jeweiligen Kommunikations- und Handlungssituation den Akt des Sprechens und Schreibens beeinflussen. Aus diesem Grund setzt die pragmatische Analyse die historische und soziologische Betrachtungsweise voraus 20. So kann Pragmatik in einem weiteren Sinn 20 H. Frankemälle, Sozialethik im Neuen Testament. Neuere Forschungstendenzen, offene Fragen und hermeneutische Anmerkungen: ThBerichte 14 (Zürich 1985) 15-88, "es. 65. Vgl. auch H.-l. Venetz, Der Beitrag der Soziologie zur Lektüre des Neuen Testaments. Ein Bericht: ThBerichte 13 (Zürich 1983) 87-121.
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verstanden werden als eine umfassende, den meisten Aspekten eines Textes gerecht werdende Betrachtungsweise, die die Einbettung eines Textes in bestimmte Kommunikationsstrukturen berücksichtigt 21. Zugleich können von dieser Betrachtungsweise aus viele Linien zur Analyse der Textsorten/Gattungen gezogen werden.
2. Die Durchführung der pragmatischen Analyse Bei vielen sprachlichen Äußerungen der Gegenwart ist die Wirkabsicht ohne größere Mühe zu erfassen, da die zwischen Sprecher und Hörer, Verfasser und Leser bestehenden Kommunikations- und Autoritätsstrukturen durch außertextIiche Informationen bekannt sind. Bei biblischen Texten steht uns nur der Text zur Verfügung. So müssen wir aus dem Text herausarbeiten, um welchen Sprechakt es sich handelt, welche Absicht der Autor verfolgt, in welcher Weise er die sprachlichen Mittel einsetzt, um den Leser zur Reaktion zu bewegen·. Aus verschiedenen Hinweisen eines Textes läßt sich die dynamische Kraft und bewegende Absicht eines Textes erkennen. Die Methode läßt sich keineswegs mechanisch anwenden; sie gibt nur Hinweise, wie das AlJ.liegen der pragmatischen Analyse verfolgt werden kann. 2.1 Ein unmittelbarer Zugang zur Leserlenkung ist gegeben, wenn der Autor selbst sich darüber äußert. In den Evangelien ist dies der Fall in Lk 1,1--4 und Joh 20,30f. Nach Joh 20,30 ist die vom Verfasser angestrebte Reaktion des Lesers auf den Text ein Bekenntnis zu Jesus, dem Messias und Sohn Gottes. In den paulinischen Texten wird unter Umständen die Eigenart des Sprechaktes selbst genannt, z. B.: "Ich bitte, mahne, ermutige euch", so etwa in den paränetischen Teilen der paulinischen Briefe, wobei Paulus auch oft die Autorität des Herrn anführt und dadurch den autoritativen Charakter seiner Mahnung unterstreicht. 2.2 Die Instruktion (Anweisung) eines Textes läßt sich schon an der sprachlichen Form ablesen, wenn die Instruktion in Imperativen ausgesprochen wird. Imperative sind nämlich eine besonders deutliche Anweisung zu bestimmten Denk- und Verhaltensweisen 22 : "Seid so gesinnt wie ... "(Phil 2,5); "Sorgt nicht ... "(Mt 6,25). Als Instruktionen sind auch Drohungen und Warnungen gut verständlich, wie auch bei der Verwendung des Schemas Tun/Ergehen ("Wer ... tut, der ... "; "wer nicht ... tut, der ... ") der Instruktionscharakter deutlich ist. 2.3 Die Instruktion des Textes läßt sich auch an Werten erkennen, die in einem Text dargestellt werden, sowie am Verhalten jener Personen, 21 22
Vgl.Frankemölle, Sozialethik im Neuen Testament 63-68. Weinrich, Textgrammatik 213.
140
deren Handlung der Text mehr oder weniger deutlich als Vorbild hinstellt. So stellt Joh dem Leser sehr viele Gestalten vor Augen, an denen der Leser einen vorbildlichen Glauben sieht (Joh 4: die Samariterin, die zum Glauben kommt; Joh 9: der geheilte Blinde; vgl. auch Mk 10,46-52 Nachfolge des Bartimäus). 2.4 Ein eigenes Problem ist die dynamische Funktion von Erzählungen. Zwar sind Erzählungen nicht als direkte Weisung aufzufassen. Die Worte, die in einer Erzählung eine handelnde Person an die andere richtet, sind nicht unmittelbar an den Leser der Geschichte gerichtet, dennoch gibt eine Erzählung einem Hörer viele Anregungen zu einem neuen Denken. In einigen Erzählungen wendet sich aber der Erzähler über die im Text genannten Personen hinweg direkt an den Leser (z. B. Joh 1l,4.25f). In einer Erzählung wird die Lösung vom Problem dargestellt, aus der der Leser lernen kann, wie er sich verhalten sollte, wenn er ähnliches wünscht. Ebenso werden verschiedene Verhaltensweisen und Rollen dargestellt, wodurch dem Leser ein Rollenangebot gemacht wird. Eine Geschichte stellt dem Leser Möglichkeiten vor Augen, für die er sich entscheiden könnte. Oft regt die Erzählung (wie auch ein Drama) den Hörer an, sich unbewußt mit einer Person oder mit mehreren Personen zu identifizieren, wodurch nicht bloß der Verstand, sondern auch das Herz des Hörers angesprochen wird. Die dynamische Funktion von Erzählungen liegt also darin, daß sie zur Reflexion über die eigenen Verhaltensweisen einladen, Alternativen erkennen lassen und ihn zum Mitleiden, Mitfreuen und Handeln bewegen. 2.5 Ein weiteres Verfahren, um die Wirkabsicht des Textes, und zwar unter dem Aspekt der Sprechhandlung, zu erfassen, ist die Zuordnung der biblischen Sprechhandlungen zu den Sprechhandlungen, die auf anderen Gebieten erarbeitet wurden. Verschiedene Autoren haben Listen von Sprechakten erarbeitet, die auch für die Beschreibung biblischer Texte verwendbar sind. Aus einer Liste von Jürgen Habermas 2J seien folgende Gruppen von Sprechakten angeführt. a) beschreiben, berichten, mitteilen, erzählen, bemerken, widersprechen; b) behaupten, versichern, bejahen, verneinen, bestreiten; c) offenbaren, enthüllen. preisgeben, gestehen. vorspiegeln, verleugnen; d) befehlen. auffordern, bitten, verlangen, ermahnen, erlauben, raten, warnen, trösten; e) begrüßen, beglückwünschen, danken usw.
23
Habermas, zitiert bei Schlieben-LAnge, Pragmatik 48f.
141
Zus~::~rif~~;jrig!'d~;!"Äibgit~~~h;'t~~"~rid"M~1t~l;~" .
3. Beispiele
Die folgenden Fragen sollen helfen, im Text Hinweise auf die vom Autor beabsichtigte Leserlenkung zu finden 24 •
3.1 I Kor 7: Ein differenziertes Gespräch mit der Gemeinde
1. Zum Kommunikationsprozeß Um welchen kommunikativen Prozeß handelt es sich? Welche Normen sprachlichen und sozialen Verhaltens werden im Text vorausgesetzt?
2. Zur Leserlenkung Welche ausdrücklichen Angaben zum Zweck des Sprechens/Schreibens finden sich im Text? Welche direkten und indirekten Anweisungen für das Denken und Handeln der Leser finden sich im Text? Wie weit werden Probleme des Verhältnisses zwischen Verfasser und Leser explizit? Welche Werte stellt der Text dem Leser vor Augen? Speziell zur Leserlenkung durch Erzähltexte : Mit welchen Personen im Text sympathisiert der Text? Wie weit macht der Text den Leser sichtbar, an den er sich wendet? Welche Lösungsmöglichkeiten bietet der Text rur bestimmte Probleme der Gemeinde (oder des Lesers)? Mit welchen Personen sympathisiert (oder identifiziert sich) der Leser? 3. Zu den Sprechakten Die folgenden Fragen eignen sich mehr rur Paulus-Texte; rur den Sprechakt "Erzählen" gelten die schon oben angeruhrten Fragen. Wer spricht/schreibt, und welche Glaubwürdigkeit kommt ihm zu? Welchen Verhaltensnormen unterliegt der intendierte Adressatenkreis? Welche Hinweise gibt der Text zur Autoritätsstruktur, die zwischen dem Verfasser und den Lesern besteht? Nennen Sie an hand einer Liste (etwa der von Habermas) einige Sprechakte, die rur den zu untersuchenden Text in Frage kommen könnten, z. B. "befehlen, raten, erklären" usw. Welche Bedingungen müssen errullt sein, damit der betreffende Sprechakt gelingt?
24
Vgl. dazu Breuer, Einführung 212-220.
142
I Kor 7 2S gehört zu jenen Texten, in denen das Verhältnis zwischen Paulus als Verfasser und den Mitgliedern der Gemeinde von Korinth mehrmals explizit gemacht wird und in denen Paulus selbst sich zu den gewählten Formen der Beeinflussung äußert, indem er die Sprechakte nennt, die er verwendet (Zugeständnis, Befehl, Bitte, Meinung, Rat usw.). So lassen sich die Intention, die dem Text zugrunde liegt, sowie Instruktion und angestrebte Reaktion der Leser näher bestimmen.
Die Adressaten Paulus unterscheidet genau zwischen den Adressaten, an die er sich in den einzelnen Abschnitten von I Kor 7 wendet: Nach der Ausführung über die Gefahr der Unzucht (Vv. 1-7) wendet er sich an Unverheiratete und Verwitwete (Vv. 8f)26, denen er den Rat gibt, ehelos zu bleiben; dann wendet er sich an die Verheirateten, wobei er den verheirateten Christen das Verbot der Ehescheidung wiederholt (Vv. 1Of), während er bei jenen Paaren, bei denen ein Teil heidnisch ist, ein Zugeständnis macht (Vv. 12-16); dann wendet er sich mit dem Grundprinzp: "Jeder, wo Gott ihn ruft" 27 an "alle" (Vv. 17-24), dann an die "Brüder" (Vv. 25-35), wo er für die Lebensform des ehelosen Lebens wirbt, allerdings die Verheirateten an die Bindung an den Partner erinnert und den Ledigen die Ehe erlaubt; schließlich wendet er sich an Gruppen mit spezifischen Problemen (Vv. 36-40). Sprechakte und Rolle des Paulus 28 Paulus erklärt in diesem Abschnitt selber das Gewicht seiner Aussage, indem er präzisiert, um welche Sprechakte es sich handelt: In V.6 spricht Paulus von einem Zugeständnis, das einem "Befehl" gegenübergestellt wird; in V.7 von einem "Wollen"; in den Versen 10 und 12 unterscheidet er genau zwischen der Weisung Jesu (der besondere Autorität zukommt) und einer von ihm selbst vorgenommenen Regelung für schwierige Ehefälle. In V.17 wird die Weisung, daß jeder sein " W. Egger. Ehe und Jungfräulichkeit. I Kor 7 als Beispiel ethischer Argumentation des Apostels Paulus: Konferenzblatt (Brixen) 90 (1979) 89-97; N. Baumert, Ehelosigkeit und Ehe im Herrn. Eine neue Interpretation von I Kor 7 (FzB 47; Würzburg 1984). ,. Nach Baumert. Ehelosigkeit 49-52, gehören die Vv. 6-9 zusammen. 27 Ebd.99. ,. Zur Erklärung der einzelnen Sprechakte vgl. die Kommentare zur Stelle und vor allem Baumert. Ehelosigkeit.
143
Leben gemäß der ihm zugeteilten Berufung führen soll, nicht nur als Weisung für die Gemeinde in Korinth, sondern als für alle Gemeinden geltende Weisung ("allgemein gültig für Christen") erklärt. Zur Frage bezüglich der "Jungfrauen" in V.25 29 kennt Paulus kein Gebot des Herrn. Als Begründung für den Vorzug des ehelosen Lebens führt Paulus seine eigene Person an: Er kann eine "Meinung/ Auffassung" vertreten als ein Mensch, der vom Herrn selbst vertrauenswürdig gemacht ist. Damit ist nun neben den Sprechakten "Zugeständnis, Wunsch, Weisung des Herrn, Sonderregelung" auch der Sprechakt "Auffassung, Meinung" eingeführt. In V. 26 wird die Auffassung, daß das ehelose Leben vorzuziehen sei, ausdrücklich als Meinung qualifiziert. In V. 32 wird ausgesprochen, daß der Wunsch des Paulus dahin geht, daß die Angesprochenen ohne Sorge seien. In V. 35 gibt Paulus zu verstehen, daß seine Einladung zu einem ehelosen Leben nicht ein für jeden Christen geltendes Wort ist. Immer wieder verweist Paulus darauf, daß der einzelne "in der Qualität seines geistlichen ,Rufes' und von daher in seiner Naturanlage und besonderen Umständen den Maßstab des rechten Verhaltens finden soll" 30. Er möchte nicht gefährden, sondern helfen. In V. 40 nennt Paulus den Vorschlag, ehelos zu leben (in diesem Fall an die Witwen gerichtet), eine Auffassung, die ihr Gewicht von der Person des Paulus her gewinnt. Durch den Kontext des Briefes gewinnt das Wort "Auffassung, Meinung" die Bedeutung von "Rat", da es sich um Äußerungen handelt, in denen Paulus ausspricht, wie man sich in bestimmten Fällen verhalten soll (nicht: muß). Durch diese Präzisierungen über die Verpflichtung seiner Worte und die Präzisierung der Sprechakte gewinnt der Text I Kor 7 sein Gepräge. Es handelt sich um ein sehr differenziertes Gespräch des Paulus mit seiner Gemeinde. So wie Paulus zwischen den Adressaten zu unterscheiden weiß, unterscheidet er auch zwischen dem unterschiedlichen Gewicht seiner Aussagen. So führt ihn auch die Auffassung vom Vorzug des ehelosen Lebens nicht dazu, die Weisung absolut zu setzen oder sie zu einem Befehl zu machen. 3.2 Phlm: Anleitung zum Brudersein 31 Der Situations- und Handlungskontext, auf den der Philemonbrief einwirken will, ist eine Gesellschaft, in der die Sklaverei selbstverständlich ist. Doch gibt es in dieser Gesellschaft Sklaven besitzer, die Christen geworden sind, und christliche Hauskirchen.
2.
Nach Baumert, Ehelosigkeit 162-164, handelt es sich um eine konkrete Gruppe in-' nerhalb der Gemeinde. '0 Ebd.338. JI Zur sprachlich-syntaktischen Analyse von Phlm siehe § 8.
144
,
Instruktionen des Textes Die Instruktionen gibt Paulus zum Teil in Imperativen (Vv.17f): Die persönlichen Beziehungen, die zwischen Philemon und Paulus bestehen, sind auch auf Onesismus auszudehnen. Die Instruktion geht nicht ein auf die Aufhebung der Sklaverei, sondern auf ein Verhältnis als Bruder sowohl innerhalb der sozialen Beziehungen wie auch vor dem Herrn 32 • Außer durch Imperative gibt Paulus Instruktionen auch dadurch, daß er das neue, in dieser Gruppe geltende Wertsystem darlegt 33. Die neuen Beziehungen und Kommunikationsstrukturen werden verdeutlicht durch den Hinweis auf die Beziehung Paulus - Onesimus und den Hinweis auf Jesus Christus. Die Weisung, daß Onesimus nun ein geliebter Bruder sein soll, ist nicht als rein religiöse Aussage aufzufassen im Sinn, daß vor Gott alle Menschen gleich sind, sondern als Anweisung zu sozialen Änderungen. Näheres über die sozialen Änderungen, die durch die christliche Botschaft in Gang kommen, bieten Gal 3,28, 1 Kor 7,21-24 und 12,13: nicht mehr Jude und Grieche, nicht Sklave und Freier, nicht Mann und Frau. Während die Auffassung des Paulus zur Integration von Juden und Heiden als Überwindung der Trennung zugunsten der Tischgemeinschaft (GaI2, 11-20) und über die Überwindung der Unterschiede von Arm und Reich (I Kor 11,11-20) als Überwindung sozialer Mißstände deutlich wird und die Überwindung der sozialen Rollen Mann und Frau sich in der den Frauen zugeteilten Rolle in den Gemeinden zeigt, ist zur sozialen Änderung in bezug auf christliche Sklaven wenig auszumachen. Der Kontext des Philemonbriefes weist darauf hin, daß Paulus die Lösung der Frage durch die Integration in die Hausgemeinde und die personale Verbundenheit zwischen Sklavenhalter und Sklaven sieht. Die "Schreibhandlungen" Die "Schreibakte", die Paulus in diesem Text setzt, werden von Paulus selbst beschrieben: es handelt sich um eine Bitte. Paulus verzichtet ausdrücklich auf den Einsatz seiner apostolischen Autorität (Vv. 8-10). Allerdings kann Paulus sich auf jene "Autorität" berufen, die ihm als altem Mann, der für Christus im Gefängnis ist, zukommt. Die Bitte ist von so vielen Gründen begleitet, daß der Empfänger eines solchen Schreibens kaum widerstehen kann. Damit nähert sich der Sprechakt " MIm Fleisch und im Herrn" ist wohl am angemessensten Zu übersetzen durch: .,in den sozialen Bedingungen des Lebens und in dem durch den Glauben eröffneten neuen Lebensbereich". Sprachlich handelt es sich um einen sog. Merismus: die Gesamtheit wird durch zwei Teile ausgedrückt. H Zum Wertsystem in den Paulusbriefen bezüglich der Sklaven frage vgl. R. Gayer. Die Stellung der Sklaven in den paulinischen Gemeinden. Zugleich ein sozialgeschichtlich vergleichender Beitrag zur Wertung der Sklaven in der Antike (Bern 1976).
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der Art: Bitte mit Nennung vieler überzeugender Gründe. Dieser Sprech-/Schreibakt gewinnt seine Eigenart und seine Kraft besonders dadur~h, ~aß er ~or ~er Hausgeme~nde vorgebracht wird, also in gewis~ sem Smn offenthch 1St. Dadurch wird es dem Philemon noch schwerer der Bitte nicht zu entsprechen. ' Damit der S~rechakt "öffentlich vorgebrachte Bitte mit Nennung der Angemesse.nhelt der Erfüllung" gelingt, müssen folgende Bedingungen gegeben sem: Wunsch des Paulus, Hörwilligkeit des Philemon Unter~ s.tützung de~ Bitte durch die Hausgemeinde, überzeugende (auf'persön~ hchen Beziehungen oder bestimmten Sachverhalten beruhende) Gründe für die Angemessenheit der Erfüllung. . Eindringlich und wirksam wird der Brief vor allem durch die Hinweise auf die "herzliche" Verbundenheit zwischen Paulus Philemon und Onesimus. ' Die im Brief verwendete Strategie der Leserlenkung macht den Brief zu einem kleinen Meisterwerk herrschaftsfreier Leserlenkung.
In der Analyse der Textsorten/Gattungen geht es darum, die im Neuen Testament vorkommenden Texte zu sortieren und in Gruppen ähnlich strukturierter Texte zusammenzuschließen, ihre Eigenart festzustellen und das soziale Umfeld und die Interaktionsbereiche zu erfassen, in die die Textsorten eingebettet sind 2 •
Da es trotz verschiedener Beziehungen und mancher strittiger Fragen in der Erforschung von Textsorten bzw. Gattungen im wesentlichen um dieselben Probleme geht 3, wird im folgenden zwischen den beiden Begriffen Textsorte und Gattung nicht unterschieden und der Einfachheit halber vor allem der Begriff "Textsorten" verwendet. Die Textsorten werden zunächst unter synchronem Gesichtspunkt behandelt 4. Während in der traditionellen Formgeschichte zwischen "Form" und "Gattung" vielfach nicht genau unterschieden wird s, wird im folgenden unter "Form" die individuelle Gestalt des Einzeltextes verstanden, unter "Textsorte/Gattung" die Gemeinsamkeit, die zwischen mehreren Texten besteht.
§ 11 Analyse der Textsorten
Jede Sprachgemeinschaft entwickelt für häufig wiederkehrende Gesprächs- und. Kom~unikationssituationen bestimmte Regeln, nach denen sprachhche Außerungen vorgenommen werden. So sind die Form.en der Kontaktaufnahme für ein Gespräch (etwa bei Begrüßungen) Im großen und ganzen festgelegt; Briefe werden nach einem bestimmten Mus~er gesch~ieben; Hochzeitsanzeigen und Todesanzeigen werden nach emem bestimmten Schema abgefaßt. Aus diesen Schemata lassen sich auch Rückschlüsse über den soziokulturellen Kontext der Texte ziehen (z. B. Hochzeitsbräuche usw.). "In all diesen Fällen schaffen ähnliche Erfahrungen und Absichten im räumlich und zeitlich gleichen Sprachraum ähnliche Sprachformen, die für die jeweilige Situation typisch sind" .. Gruppen von Texten mit gemeinsamen Merkmalen werden in der Linguistik "Textsorten" genannt. In der Literaturwissenschaft werden d!e di~sbezü~l!chen Probleme unter dem Stichwort "Gattungen", in der hlstonsch-kntlschen Exegese unter dem Stichwort "Formen und Gattungen", "Form- und Traditionsgeschichte" behandelt.
I
Fohrer, Exegese 83.
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Literatur zur Einführung: Mit den Textsorten beschäftigen sich K. W. HemPler, Gattungstheorie, und E. Gülich - W. Raible, Textsorten, und mit Fragen biblischer Gattungstheorie: K. Berger, FonngeLohfink, Jetzt verstehe ich die! Bibel (siehe Anm. 6) 29, beschreibt mit anderen Worten (und anderer Terminologie, wobei "Formkritik" ähnliches meint wie "Analyse der Textsorten" ) das gleiche Anliegen: "Formkritik ist nichts anderes als feste Formen der beschriebenen Art im Alltag oder in der Literatur, in mündlichen oder schriftlichen Äußerungen des Menschen zu entdecken, zu beschreiben und schließlich ihre sprachliche Intention und ihren Sitz im Leben zu bestimmen." Allerdings dürfen, wie Strecker - Schnelle, Einführung 70, zu Recht betonen, in der Zuordnung von Texten und Gattungen die gattungsuntypischen Elemente nicht übersehen werden, die das Besondere eines Einzelstückes anzeigen. ] Zur Gleichsetzung von Textsorten und Gattungen siehe Raible - Lockmann. Textsorten vs. Gattungen: GermRomMonatsschrift 55, NF 24, 284-304. Daß es sich um dieselben Probleme handelt, zeigt sich auch bei der Besprechung der Textsorten bei Hempjer, Gattungstheorie (s. Anm. 6), Kap. 4; vg!. auch die Listen bei Berger, (s. Anm. 6). 4 In manchen Methodenbüchern wird dies nicht genau unterschieden; so werden die Gattungen bei Zimmermann, Methodenlehre, Kap. 3, unter dem Stichwort "Formgeschichtliche Methode", bei Strecker - Schnelle. Einführung 67, unter dem Stichwort ..Formgeschichte" besprochen. , Zimmermann. Methodenlehre 133, versteht unter "Gattung" die übergreifende Form, unter "Form" die kleinere - mündlich oder schriftlich fixierte - Einheit, wobei er dann unter den "Gattungen" die Evangelien, Acta, Briefe und Apokalypse anführt, unter den "Formen" die Wort- und Geschichtstradition. 2
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schichte, und F. Lentzen-Deis, Methodische Überlegungen zur Bestimmung literarischer Gattungen im Neuen Testament'.
1.1 Das Textmodell : Textsorten und Lebensvollzüge der Gemeinde
1. Das der Analyse von Textsorten zugrundeliegende Text- und Lesemodell Entsprechend der hier vertretenen Texttheorie werden auch die Textsorten/Gattungen im Zusammenhang einer Kommunikations- und Handlungstheorie besprochen. Schon die traditionelle historische Betrachtensweise hat die generelle Abhängigkeit bzw. Beeinflussung der Sprecher/Schreiber und ihrer theologischen Vorstellungen von der jeweiligen Situation und der jeweiligen Kommunikationsgruppe betont 7. • K. W Hempfer, Gattungstheorie. Information und Synthese (UTB 133; München 1973); E. Gülich - W Raible, Textsorten. Differenzierungskriterien aus linguistischer Sicht (Wiesbaden '1972); K. Berger, Hellenistische Gattungen und Neues Testament: W Haase (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der römischen WeIt II 25,2 (Berlin 1984) 1031-1432 und Reg. 1831-1885; ders., Formgeschichte des Neuen Testaments (Heidelberg 1984); G. Lohfink, Jetzt verstehe ich die Bibel. Ein Sachbuch zur Formkritik (Stuttgart 13 1986); F. Lentzen-Deis, Methodische Überlegungen zur Bestimmung literarischer Gattungen im Neuen Testament: Bib 62 (1981) 1-20. Die Klassiker der Formgeschichte sind: BuItmann, Dibelius, K. L. Schmidt. Weitere Literatur: E. Gülich - W. Raible, Textsortenprobleme: Linguistische Probleme der Textanalyse (Sprache der Gegenwart 35; 1975); W Raible, Gattungen als Textsorten: Poetica 12 (1980); H. Isenberg, Grundfragen der Texttypologie: Danes _ ~ Viehweger(Hrsg.), Ebenen der Textstruktur (Berlin DDR 1983; Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Sprachwissenschaft, Linguistische Studien Reihe A, 112) 303-342; ders., Texttypen als Interaktionstypen: Zeitschrift für Germanistik (Leipzig) 5 (1984) 261-270; Kalverkämper, Orientierung zur Textlinguistik. - Exegetische Beiträge: G. Fahrer, u.a., Exegese, § 7; D. Hellholm, Das Visionenbuch des Hermas als Apokalypse. Formgeschichtliche und texttheoretische Studien zu einer lite- , rarischen Gattung, I: Methodologische Vorüberlegungen und makrostrukturelle Textanalyse (CBib NT 13.1; Lund 1980); K. Koch, Was ist Formgeschichte? Neue Wege der Bibelexegese (Neukirchen 41981); V. McKnight, What is Form Criticism? (Philadelphia); Richter, Exegese 72-152 (Die Form; die Gattung); G. Schelberr, Wo steht die Formgeschichte! Methoden der Evangelien-Exegese: ThBerichte 13 (Zürich 1985) 11-39; Strecker- Schnelle, Einführung 67-90; Zimmermann, Methodenlehre, Kap. 3; ders., Formen und Gattungen im NT: J. Schreiner(Hrsg.), Einführung in die Methoden der biblischen Exegese 233-260. 7 Vgl. Frankemölle, Sozialethik (s. § 10, Anm. 20) 65. Zu einer gewissen Vorsicht gegenüber einer soziologischen Einordnung mahnt Berger, Exegese 134.
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Unter Textsorten werden Gruppen von 'Texten verstanden, denen bestimmte Merkmale gemeinsam sind B•
Wie in jeder Sprachgemeinschaft haben auch in der frühen Kirche häufig wiederkehrende Situationen dazu geführt, daß feststehende Spr~ch muster entstanden sind. Bestimmte Situationen verlangten nach emer sprachlichen Bewältigung: So erwiesen sich in der Auseinandersetzung mit dem Judentum bestimmte Formen der Argumentation als geeignet und wurden so zu feststehenden "Formen". Die neutestamentlichen Texte lassen sich nun aufgrund der Ähnlichkeit nicht nur des Inhaltes, sondern auch der sprachlichen Gestalt, der Wirkabsicht und des sozialen Umfeldes, aus dem sie erwachsen, nach Gruppen sortieren und zu Gruppen zusammenschließen, wobei zur genauen Beschreibung nicht nur textinterne, sondern, entsprechend dem kommunikationstheoretischen Ansatz, auch textexterne, auf die Kommunikationssituation bezogene Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Die für Texte ein und derselben Textsorte charakteristische Ähnlichkeit aufgrund gemeinsamer Merkmale muß auf der sprachlichsyntaktischen, semantisch-inhaltlichen, pragmatischen Ebene des Textes gegeben sein. Die Texte einer Textsorte sind in einen ähnlichen Sitz im Leben eingebettet.
Texte gehören dann zu ein und derselben Textsorte, wenn sie untereinander unter folgender Rücksicht ähnlich sind 9 : Stammerjohann, Wörterbuch 496, definiert Textsorten in folgender Weise: "Teilmenge von Texten, die sich durch bestimmte relevante gemeinsame Merkmale beschreiben und von andern Teilmengen von Texten abgrenzen lassen"; vgl. Fohrer, Exegese, 84: "Unter Absehung von der individuellen Ausprägung der Einheiten werden die ihnen gemeinsam, typischen Strukturmerkmale in einem Abstraktionsvorgang bestimmt und als Kennzeichen einer Gattung beschrieben," 9 Vgl. die diesbezüglichen Listen. Als Beispiel sei die Liste nach Zimmermann, Methodenlehre, Kap 3, III Bangeführt : I. Die verschiedenen Gattungen der neutestamentlichen Schriften umfassen: Evangelien, Apostelgeschichte, Briefe und die Offenbarung. 2. Die "Formen" umfassen: I) Die Evangelien: A) Die Worttradition : Prophetische Worte, Weisheitsworte, Gesetzesworte, Gleichnisse, Ich-Worte, Nachfolgeworte, Wort8
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lil
,. - Sie weisen eine ähnliche sprachlich-syntaktische Struktur auf: Die, kann ähnliche sprachliche Elemente betreffen, etwa" Wer von euch ... ", und eine ähnliche Reihenfolge der Elemente und ähnlichen Aufbau. - Sie haben eine ähnliche semantische und narrative Struktur, etwa Heilungs- oder Austreibungsberichte. - Sie verfolgen eine ähnliche Wirkabsicht 10. - Sie weisen einen ähnlichen Sitz im Leben auf, d.h., sie sind aus einem ähnlichen sozialen Umfeld, also einer ähnlichen Kommunikati?ns-, Handlungs- und Lebenssituation erwachsen und spiegeln dü, wIder; durch die Wirkabsicht tragen sie wieder zur Festigung/ Ändt: rung dieses Umfeldes bei. In einer Reihe von typischen Situationen können Texte wirksam werden. Dies sind zum Beispiel: - Mission - Auseinandersetzungen mit den anderen jüdischen Gruppen und Lösung vom Judentum - Minoritätssituation . - umstrittene Gemeinsamkeit von Juden und Heiden" - Notwendigkeit der Organisation und Bewahrung der Einheit innerhalb der Gruppe - kon~~rrierende christliche Gruppen - das Argernis des schändlichen Kreuzestodes Jesu - Übernahme der Struktur der jüdischen Diasporasituation - Probleme mit Wandercharismatikern - das Verhältnis zur heidnischen Öffentlichkeit - Abendmahl - Taufe - Einführung der Neulinge usw. 1l k.ompositionen; 2) Die Geschichtstradition: Paradigmen, Streitgespräche, Wunderbenc.hte, Gesc~icht~erzählunge.n~ die Leidensgeschichte, Erzählkompositionen. - b) Die Bnefe: 1) Liturgisches TradltJonsgut: Hymnen, Bekenntnisse, eucharistische Texte; 2) Paränetisches Traditionsgut: Tugend- und Lasterkataloge, Haustafeln, Pflichtenkatalo.ge. - 3) Die Formeln: Homologie; Glaubensformel, Formeln des Lobes und der Prelsung. 10 K. Berger, Formgeschichte 18 f, teilt die Gattungen nach den Funktionen der Texte ein: "symbuleutische Texte: Sie zielen darauf, den Hörer zum Handeln oder Unterlassen zu bewegen; epideiktische Texte: Der Leser soll zu Bewunderung oder Abscheu beeinflußt werden, sein Empfinden für Werte wird im vor-moralischen Bereich angesprochen; dikanische Texte: Ziel ist, den Leser die Entscheidung in einer strittigen Sache nachvollziehen zu lassen oder nahezulegen ... 11 Die Liste ist leicht abgeändert entnommen aus: BergeT, Exegese 113 f.
1.2 Lesen als Differenzierung von Textsorten Der Leser eines Textes nimmt schon beim ersten Lesen eine gewisse Differenzierung nach Textsorten vor. Für moderne Texte liefert nun das Alltagswissen vielfach die nötigen Voraussetzungen, um den Text richtig einzuordnen, und vielfach geschieht diese Einordnung von selbst. Anders ist es bei alten Texten: Da sich Textsorten immer aus bestimmten Situationen heraus entwickeln und zur Bewältigung bestimmter Situationen verwendet werden, ist ein umfassendes kulturelles Wissen die Voraussetzung, um Texte der Vergangenheit nach Textsorten zu gruppieren. Bei Texten der Vergangenheit setzt die Zuordnung von Texten zu Textsorten in besonderer Weise ein bestimmtes kulturelles Wissen voraus.
Für eine wissenschaftlich begründete Differenzierung sind Kriterien der Differenzierung zu nennen. Die von der Form- und Traditionsgeschichte vorgenommenen Einteilungen der Gattungen lassen jedoch vielfach einheitliche Kriterien der Differenzierung vermissen. Dementsprechend vielfältig ist auch die Art der Benennung: Neben inhaltlichen Kennzeichnungen (wie "Wunderbericht", "Leidensgeschichte") werden formale Kennzeichnungen verwendet (Gleichnisse", "Akklamation", "Lied"). Für die Differenzierung der Textsorten reicht ein einzelnes Kriterium, etwa Gruppierung aller Texte nach ihrer Länge oder Ähnliches, ebensowenig aus wie eine bloße Summierung von Kriterien. Vielmehr ist auf die Relation der Kriterien zu achten 12 • Erst die Berücksichtigung der sprachlich-syntaktischen, semantischen, pragmatischen Eigentümlichkeiten in ihrer Beziehung untereinander und zum vorausgesetzten sozialen Umfeld erlaubt eine Differenzierung der Textsorten. Dabei kommt der pragmatischen Funktion der Texte und ihrer Beziehung zum "Sitz im Leben" besondere Bedeutung zu; denn in ihnen drückt sich der Handlungscharakter des Sprechens/Schreibens besonders deutlich aus 13 •
12 BergeT, Formgeschichte 19; Hempfer, Gattungstheorie 137-139. Textinterne und textexterne Kriterien sind zu beachten; vgl. Gülich - Raible, Textsorten 151. 13 Die sprachliche Gestalt und der semantische Gehalt ist für 'die Gattungsbestimmung nicht in gleicher Weise wichtig wie pragmatische Funktion und Situation.
150
151
Um Textsorten ~u differenzieren, sind neben den sprachlich-syntaktischen und semantischen Eigentümlichkeiten vor allem die pragmatische Funktion des Textes als Handlungsanweisung (im weitesten Sinn) und der Sitz im leben als Kommunikationssituation und Interaktionsbereich zu berücksichtigen. Es ist der Zusammenhang zwischen Handlungsanweisung und typischen Situationen deutlich zu machen.
. 1.3 Benennung von Textsorten und Listen Aufgrund der Vielfalt ist eine systematische "Texttypologie", in der alle Textsorten unter einheitlichen Gesichtspunkten katalogisiert werden, kaum möglich. Erfolgversprechender ist ein mehr registrierendes Verfahren von Textsorten l4 • Dementsprechend erfolgt auch die Benennung am besten unter Berücksichtigung des Aspektes, unter dem die Ähnlichkeiten zwischen den Texten festgestellt wurden, z. B. "Reihen" (Reihenfolge ähnlicher Sätze), "Wundergeschichte" (inhaltlich-semantischer Aspekt, mit Differenzierungen wie "Heilungswundergeschichte", "Austreibungsgeschichte" usw.), "Mahnspruch" (pragmatische Funktion), "Makarismen" (Einleitungsformel). Die Bezeichnungen sollten freilich nicht zu allgemein sein und, wenn möglich, ihre situationstypische Verwendung erkennen lassen l5 • Eine Übersicht über die im Neuen Testament vorkommenden Gattungen, soweit sie die Forschung festgestellt hat, findet sich in den diesbezüglichen werken I6
't.·,·.'
. ' l ,i
2. Die Durchführung der Textsortenbestimmung
Die traditionellen Verfahren der Bestimmung von Textsorten gehen letzi ich alle so vor, daß eine Gruppe von Texten auf Elemente befragt wird, die allen Texten der Gruppe gemeinsam ist 17.
Die Bestimmung der Textsorten bedient sich des Vergleichs von ähnlichen Texten. Ein solcher Vergleich erfordert freilich, daß zunächst die
'4 Gegen Isenberg vertritt dies E. Gülich (Arbeitspapier auf der Tagung des Instituts für deutsche Sprache zu "Textsorten" in Mannheim 1985). " Vg!. dazu Fahrer, Exegese 92f. '6 Besonders sei verwiesen auf Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition; Zimmermann, Methodenlehre; Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments; ders., Hellenistische Gattungen im Neuen Testament; K. Berger - H. D. Preuß, Bibelkunde des Alten und Neuen Testaments, 11 (Heidelberg 1980) 475-502. 17 Vg!. Hempjer, Gattungstheorie 136f. 152
einzelnen Texte, die dann verglichen 'Yerden, in synt~ktisch-stilistische~, semantischer (inhaltlicher), (gegebenenfalls) !la~atIver.. u~d prag';llatIscher Hinsicht untersucht werden 18 • Sobald die dlesbezugl~chen Eigentümlichkeiten der einzelnen Texte festgestellt worden s~nd, können durch Vergleich der gewählten Texte die alle~ Text~n ge'!lemsamen Elemente festgestellt werden. Die Gemeins~m~elte!l' die zWischen den Texten festgestellt wurden, bilden dann die f':lr die betreffende Textso~e charakteristischen Kennzeichen. Zur Bestimmung der Textsorte wir? also aus den Beobachtungen der sprachlich-syntaktisc.hen, seman~l schen narrativen und pragmatischen Analyse der Emzeltexte die Sum~e gezogen. Dabei trägt die Bestimmung der !extsorte unt~r Umständen auch zur besseren Erkenntnis der pragmatischen Funktion des einzelnen Textes bei 19. • • Relativ leicht sind die zwischen Texten bestehenden Gememsamkelten syntaktisch-stilistischer, inhaltlich-semantischer, narrativer und pragmatischer Natur zu erkennen: schwieriger der Sitz i~ Leben, d .. h. das soziale Umfeld, aus dem die Textsorte erwächst, und die Interaktionen zu deren Bewältigung der Text verwendet werden soll. Anhaltspun'kte für die Feststellung des Sitze~ i~ Leben sind vor allem. dan~ gegeben, wenn im Text besti'!lmte Inst~tutIonen od.e~ Lebensv~lIzüge einer Gemeinschaft genannt s1Od, etwa 10 den pauhntsch~n Bn~fen Pr~ bleme der apostolischen Autorität (Gal 1-2), der Mitarbeiter (Phtl 2, 19-30) u. a. 20 oder in den Evangelien der JÜngerkreis 21 . . Die Benennung der Textsorten erfolgt am besten, wenn. n~cht besondere Beobachtungen dagegen sprechen, im Anschluß an die m der Forschung erarbeiteten Listen der Textsorten und Gattungen2~. Aus Gründen der Arbeitsökonomie ist für den Anfänger 10 der Regel ein anderer Weg zur Bestimmung von Textsorten ~inzuschlagen: nac? der Analyse der sprachlich-syntaktischen, semantischen (evt~. na~atl ven) und pragmatischen Struktur wird versucht, den Text emer Jener Textsorten zuzuordnen, die von der bisherigen Forschung festgestellt Richter, Exegese 138; Fahrer, Exegese 86. . . . Abweichungen eines Einzeltextes von der E18enart der Textsorte smd kemeswegs zu übersehen. . 20 w'-H. Ollrag, Paulus und seine Mitarbeiter. Untersuchungen zur Theone und Praxis der paulinischen Mission (WMANT 50; Neukirchen 1979); A. Funk, S~t~ und Rollen in den Paulusbriefen. Eine inhaltsanalytische Untersuchung z.ur R~hgl0DSS?"" ziologie (Innsbruck 1981); W, Egger, Die Mitarbeiter des Paulus. HmwelSe au.f die Ordnung der Gemeinden in den Briefen des Apostels Paulus: Konferenzblatt (Bnxen) 92 (1981) 12-17. .. . h' 2' Zu Mk: N. R. Petersen, Literary Criticism for New Testament Cntlcs (Phlladelp la 1978) 49-80. . 22 Fahrer, Exegese 92f; anders Isenberg, Texttypen (5. Anm. 6) 265 f. '8
19
153
wurden2~. Freilic~ ist ~~i e.iner s.olchen Zuordnung die Gefahr gegeben, daß bestImmte ElgentumlIchkelten des Textes zugunsten einer schnel len Zu~rdnung übersehen werden. Gerade in der Gattungsbestimmung kann eIn Festhalten an starren Einteilungskriterien zum Mißverstehen des Textes führen.
3. Beispiel: Die Sammelberichte des Wirkens Jesu im M arkus evangelium 25
Zusammenfassung der Arbeitsschritte und Arbeitsanleitungen Voraussetzung jedes Vergleiclls von Texten ist, daß sich der Leser zunächst einen ~berblick über die syntaktiscb-stilistischen, semantiscb-inhaltlicben, narrativen und pragmatischen Strukturen der einzelnen Texte verschafft hat. Um festzustellen, zu welcher Textsorte ein Text gehört sind folgende ' Arbeitsscbritte zu vollziehen:
, .
, . i
'.:"".
1. Sueben Sie einen Text, der dem zu untersuchenden äbnlicb ist. Am leim-
testen sind zunächst ähnliche Texte aufgrund äbnlichen Inbaltes zu finden etwa Wunder~ericbte (besonders Heilungs- und Austreibungsbericbte),:se.: rufun~sg~chlchten (Mk I, 16-2~par). Hinweise auf äbnliche Texte geben die HInweISe auf Parallelstellen ID den Bibelausgaben, und vor allem Kommentare zu den einzelnen Schriften des Neuen Testaments. 2. Stellen Sie, zunächst auf der sprachlicb-syntaktiscben und semantiscben Ebene, die Gemeinsamkeiten zwiscben den ähnlieben Texten fest. Diese Gemeinsamkeiten können sich bezieben auf Einleitungs- und ScbluOfor~eln, ~eihenfolge der Elemente, handelnde Personen usw. Erstellen Sie eIDe Liste der Gemeinsamkeiten zwiSChen den ähnlieben Texten. 3. Der Vergleicb ist dann (immer noch auf der 'sprachlich-syntaktischen und semantischen und narrativen Ebene) auszuweiten auf andere ähnliche Texte. Aus diesem Vergleich ergibt sich das für die betreffende Textsorte eigentümliebe Scbema.
o
4 •• Ne~?en Sie die dieser Textsorte eigene pragmatische Funktion. Hilfr~.lcb ~onnen folgende Fragen sein:" Wer ist es, der redet? Wer sind die Zuhörer. Welche Stimmung beherrscht die Siroationen? Welche Wirkung wird erstrebt?" 2<1
S. Neonen.Sie den Sitz im Leben, d. h. die soziale Umwelt, aus der der Text erwachsen Ist, und nennen Sie die Situation, in denen dieser Text verwendet wu.rde und in denen er wirksam werden soll; Folgende Fragen lenken den Blick auf den Sitz im Leben: Welche Institutionen werden in diesen Texten genannt, die in der friihen Kirche eine Rolle gespielt haben? Welche .Le}~~oll~e~e~~~e~~~;~;~,;~n solchen Text vorausgesetzt? Fohrer, Exegese 92. Fohre,": Exegese 94,. führt diese Fragen an, um den Sitz im Leben zu erfassen; diese Fragen smd auch geeignet, um die pragmatische Funktion zu erfassen. 23
24
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Der Evangelist Markus bietet in seinem Evangelium an mehreren Steilen kurze Zusammenfassungen des Wirkens Jesu. Solche El4.ähltexte, die Mehreres zusammenfassen und bestimmte Züge des Wirkens Jesu verallgemeinern und als für ihn charakteristisch hervorheben, werden seit K. L. Schmidt "Sammelberichte" genannt 26. Die Liste der Mk 1,14f; 1,2lf; 1,32-34; 1,39; 1,45; 2, lf; 2,13; 3,7-12; 4,1 f; 6,6b; 6,30-34; 6,53-56; 10,1. Diese Texte weisen durch Zusammenfassung und Verallgemeinerung auf einen größeren zeitlichen und geographischen Umfang der Tätigkeit Jesu hin, als dies in Einzelerzählungen geschehen kann . Durch eine' Reihe von Eigentümlichkeiten heben sie sich als eine Textgruppe besonderer Art von den Einzelperikopen und den Itinerarnotizen ab: Es fehlt ihnen einerseits die Individualität der EinzeIperikopen, andererseits heben sie sich von den bloßen Einleitungen oder Ausleitungen der Erzählungen ab durch eine gewisse abgerundete und geschlossene Form und durch den Inhalt, der in sich verständlich ist.
Sprachlich-syntaktische Eigenart Die Verallgemeinerung wird zunächst durch sprachlich-syntaktische Mittel 27 erreicht: Häufig werden die Ausdrücke nuv'n:r;, nUAtV, nOMoi verwendet. Das Zeitwort steht oft im Imperfekt, also jener Zeitform, die Wiederholung und andauernde Tätigkeit audrückt. Das Bestreben, zusammenfassende Schilderungen zu bieten, wirkt sich stilistisch dahingehend aus, daß die Sammelberichte schwerfälliger wirken als die Einzelgeschichten, da die Aussagen gehäuft sind. Bezüglich des Aufbaus 28 enthält jeder Sammelbericht, wie Abb. 25 (S. 156) zeigt, in der Regel drei Elemente: eine Angabe über das Kommen Jesu an einen gen au genannten Ort; die Schilderung, wie sich das Volk um Jesus sammelt; die Beschreibung der Tätigkeit Jesu. Diese drei Elemente werden meist auch in derselben Reihenfolge angeführt. Den drei Teilen entspricht auch ein differenzierter Tempusgebrauch: in der Notiz über das Kommen Jesu steht das Zeitwort gewöhnlich im Aorist (oder im historischen Präsens: Mk 1,21; 10,1); 2S Unter dem Aspekt der Textsorten werden auch die Textbeispiele zur Traditionskritik § 13 behandelt. 26 Im einzelnen vgl. dazu WEgger. Frohbotschaft und Lehre. Die Sammelberichte des Wirkens Jesu im Markusevangelium (Frankfurt a. M. 1976). Grundlegende Beobachtungen zu den Sammelberichten bei K. L. Schmidt. Der Rahmen der Geschichte Jesu. 27 Siehe Egger. Frohbotschaft I f. 21 Ebd.27-31.
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das Verhalten des Volkes ist in verschiedenen Zeitformen beschrieben (Präsens, Aorist, Imperfekt, constructio periphrastica); die Tätigkeit lesu ist im Imperfekt (oder einem dem Imperfekt gleichkommenden Partizip) geschildert.
1 1 __
Semantische Eigenart Inhaltlich-semantisch 29 bieten die Sammelberichte eine Verallgemeinerung des Wirkens lesu. Die Ähnlichkeiten zwischen den Sammelberichten in bezug auf die Inhalte (und das entsprechende Vokabular) sind sehr stark: Es wird die Anwesenheit lesu an einem Ort vermeldet; jedesmal wird von seinem Kommen gesprochen, wobei die Vokabeln EABelv (I, 14.39), dm;ABElv (1,21; 1,45; 2, 1), ElCmOpElil;aBal (1,21), t~EABEIV (2, 13; 6,54) verwendet werden. Um das Kommes des Volkes zu schildern, werden Verben der Bewegung verwendet und lesus als Ziel der Volksbewegung gezeichnet: npo<; al/tÜV (2, 13; 3,8; 4, I; 6,30; 10, I). Entsprechend der Tätigkeit lesu, die erzählt wird, können die SammeIberichte in folgenden Gruppen zusammengeschlossen werden: Sammelberichte über die Heilungen (Mk 1,32-34; 6,53-56); Sammelberichte über die Verkündigung (1,14f; 1,39); Lehrsummarien (1,21 f; 2,1 f; 2,13; 4, I f; 6,6 b; 6,30-34; 10,1); generalisierte Aussagen über die Verborgenheit lesu (1,45; 3,7-12).
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Abb. 25: Übersicht zum Aufbau der markinischen Sammelberichte
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Pragmatische Funktion Ihre pragmatische Funktion gewinnen die Sammelberichte erst aus dem Gesamtzusammenhang J o. Zunächst haben sie die Funktion, den Gang der Handlung weiterzuführen: Die Sammelberichte Mk 1, 14f.2l f.39.45 legen die rasche Ausbreitung des Evangeliums dar. Die Sammelberichte Mk 3,7-12 und 4,1 fzeigen, welche Dialektik von Offenbarung und Verhüllung das Evangelium durchzieht. Die Lehrsummarien haben die Funktionen, den Leser einen durchgehehden Zug der Tätigkeit lesu nicht vergessen zu lassen . Für den Evangelisten sind die Sammelberichte ein wichtiges Mittel zur Gliederung seines Werkes; vor allem gilt dies von den Sammelberichten Mk 1,14f; 3,7-12 und den bei den Sammelberichten 6,6b und 6,30-34. Die Gliederung geschieht vor allem dadurch, daß diese Sammelberichte Überleitungen zwischen den Stoffblöcken schaffen. Sie sind zugleich Rückblick auf das Vorausgehende und Ausblick auf das Folgende; sie geben dem Verfasser die Möglichkeit zur Reflexion: so gewinnt Markus wieder den Überblick über die Handlung J1 • 2. Siehe ebd. 27-31. 3. Siehe ebd. 162f. 31 Allerdings gilt dies nicht für alle Sammelberichte in gleicher Weise, vgl. ebd. 162 f.
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Die wichtigste pragmatische Funktion der Sammelberichte liegt darin, daß der Evangelist durch Wiederholung der Sammelberichte und ihrer Leitworte KEPUOOEtV und OtOUOKEtV dem Leser die letzte und umfassendste Interpretation des Wirkens Jesu vorlegt J2 : Das Wirken Jesu ist Frohbotschaft und Lehre. Und als solche soll der Leser das Evangelium aufnehmen. Der Sitz im Leben C. H. Dodd hatte angenommen, daß es sich bei den Sammelberichten des Markusevangeliums um einen traditionellen Abriß des Lebens und Wirkens Jesu handle; dieser Abriß habe eine kerygmatische Funktion und einen dementsprechenden Sitz im Leben gehabt 33. Die Sammelberichte sind nun allerdings (wie die redaktionsgeschichtliche Analyse zeigt) im wesentlichen redaktionelle Gebilde 34 • Sie sind im Gesamtevangelium, und nicht in einem Kommunikationskontext der Urgemeinde verankert. Das soziale Umfeld, der Sitz im Leben der Sammelberichte ist im Zusammenhang mit dem Gesamtevangelium zu sehen. Ihr Platz ist in jener Kommunikations- und Lebenssituation zu sehen, in der das Gesamtevangelium seine Botschaft an den Leser richtet. Dem Evangelisten geht es darum, die Jesustradition mit der Botschaft von Tod und Auferstehung zu verbinden. Der Interaktionsbereich und Sitz im Leben des Evangeliums sind eine Gemeinde, in der die Jesustradition im Licht des Kerygmas von Tod und Auferstehung vertieft wird. Diese Vertiefung schafft Markus, indem er eine "kerygmatische" und "didaktische" Vertiefung bietet. Ebd. 165-167. Zum thematischen Komplex des Lehrens bei Mk vgl. auch Dschulnigg, Sprache 359 ff. lJ C. H. Dodd, The Framework of the Gospel Narrative: ExpT 43 (1931-32) 396 - 400. Zu Dodd und zur Diskussion über seine These siehe Egger, Frohbotschaft 13-17. J4 Vgl. Egger, Frohbotschaft passim; aus der Tradition stammen die Wundersammelberichte Mk 1,32-34 und 6,53-56. Zu Mk 3,7-12 siehe unten § 14. 12
4. Teil
Lektüre unter diachronem Aspekt
Die synchronen Analyseverfahren eröffnen den Weg zum Sinn des Textes, indem sie die Strukturen zeigen, die in einem Text vorhanden sind; die diachronen Analyseverfahren eröffnen hingegen den Zugang zum Text, indem sie die innertextliche Vorgeschichte des Textes erhellen. Aus der Berücksichtigung der dialektischen Beziehungen von Textphänomenen und Quellen des Textes ergibt sich ein vertieftes Verständnis des Textes', von dem der geschichtlich denkende Mensch nicht absehen kann. Darüber hinaus bietet die Einsicht in die Entstehungsgeschichte der neutestamentlichen Texte Einblick in das Glaubensleben der ersten christlichen Gemeinden und in deren Bemühen, den Sinn der Frohen Botschaft für neue Situationen zu deuten. Die Informationen über die Vorgeschichte der neutestamentlichen Texte sind im wesentlichen anhand der Texte selbst zu erheben. Zwar gibt es auch andere Nachrichten darüber (seit Papias von Hierapolis usw.), doch werfen diese Zeugnisse viele Fragen auf und bedürfen vor allem einer gen auen Überprüfung anhand der biblischen Texte 2 • Der methodische Zugang zur Entsteliungsgeschichte der neutestamentlichen Texte besteht darin, Beobachtungen zu sammeln, aus denen dann Rückschlüsse auf die Entstehungsgeschichte zu ziehen sind. Das Textmodell der diachronen Analyse Während die synchronen Analyseverfahren den Text unter dem Aspekt betrachten, daß der Text Teil eines zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebenen Kommunikationsvorgangs und Teil eines vielfältigen Netzes von (gleichzeitig gegebenen) Beziehungen ist, sehen die diachronen Analyseverfahren den Text unter dem Aspekt der Entstehung.
1 2
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W Babilas, Tradition und Interpretation (München 1971) 60. Vgl. die Einleitungen in das Neue Testament.
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Die neutestamentlichen Texte sind Ergebnisse eines über einen längeren Zeitraum währenden Prozesses mündlicher und schriftlicher Überarbeitung und Weitergabe von Texten 3 •
~
Den Etappen der Textentstehung entsprechen, wie Abb. 26 zeigt, im we- . sentlichen die verschiedenen Methoden der diachronen Analyse: :~ Mündliche Überlieferung } (vor und nach Ostern) Jesuslogien Erzählungen über Jesus Glaubens- und Bekenttnisformeln Niederschrift (in Etappen)
Traditionskritik
Literarkritik Redaktionskritik
Abb. 26: Etappen der Textentstehung und exegetische Methoden
Die Methoden der diachronen Analyse Die Vertreter der historisch-kritischen Methode haben die heute als klassisch geltenden Methodenschritte erarbeitet: Textkritik, Literarkritik, Form- und Traditionsgeschichte/ -kritik, Redaktionsgeschichte/ -kritik. An diese Methodenschritte wird hier angeknüpft 4. Die folgende Darlegung beschränkt sich allerdings (im Unterschied zur üblichen historisch-kritischen Methode) streng auf den diachronen Aspekt, also auf die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der neutestamentlichen TexteS. Einige Arbeitsschritte, die in der historisch-kritischen Methode im Zusammenhang dieser Arbeitsschritte dargestellt werden, die jedoch mehr synchroner Natur sind, wurden schon in der synchronen Analyse dargestellt. Die Textkritik wurde wegen ihrer Sonderstellung schon im zweiten Teil behandelt. Hinsichtlich der nicht immer einheitlichen Fachterminologie ist folgendes zu beachten: Ziel der diachronen Analyse ist die Rekonstruktion des geschichtlichen Verlaufs, in dem die Texte ihre endgültige Form erSiehe § 4. Es wäre zwar eine stärkere Int.egration der historisch-kritischen Methode in die modernen Analyseverfahren möglich; doch werden aus didaktischen Gründen die herkömmlichen Methoden der historisch-kritischen Methode eigens dargestellt, um dem Anfänger einen Zugang zur diesbezüglichen Forschung zu eröffnen. - Die historischkritische Methode unterscheidet insofern zwischen synchronen und diachronen Aspekten, als häufig zwischen Gattungskritik und Gattungsgeschichte, Redaktionsund Kompositions-Kritik und Redaktionsgeschichte unterschieden wird. l Der synchrone Aspekt der Textsorten wurde eigens dargestellt. 3
reicht haben. Die Wortbildungen "Traditions- und Redaktionsgeschichte" bezeichnen diesen geschichtlichen Verlauf. Um diesen zu rekonstruieren, sind "kritische" Beobachtungen am Text erforderlich. Darauf deuten die heute bevorzugten Wortbildungen "Literar-, Traditions- und Redaktionskritik" 6. Da unter den einzelnen Bezeichnungen in der Forschung nicht immer dasselbe verstanden wird, werden die in der vorliegenden Methodenlehre vertretenen Auffassungen im folgenden geklärt. Im Anschluß an das texttheoretische Modell ergeben sich folgende Arbeitsschritte: Die Literarkritik untersucht die vorgegebene Textfassung im Hinblick auf e~entuell feststellbare literarische (schriftliche) Quellen. Die Traditionskritik untersucht die Vorgeschichte der biblischen Texte, soweit sie auf mündlichen Quellen beruhen. Rückschlüsse darauf und auf den Sitz im Leben der ursprünglich isoliert überlieferten Texteinheiten beruhen auf den Beobachtungen zu Kontext, Form und Textsorte der neutestamentlichen Texte. Die Redaktionskritik untersucht, wie der Redaktor aus den ihm zur Verfügung stehenden Materialien ein einheitliches Werk geschaffen hat. Die Hochschätzung des Evangelisten als Autor war am Beginn der Formgeschichte gering, indem der Evangelist einfach als Sammler von Traditionen angesehen wurde; doch wurde dann auch die theologische Leistung der Evangelisten gesehen. Was die Reihenfolge der Arbeitsschritte betrifft, kann zwar kein Schritt ohne den anderen vollzogen werden. Die Redaktionskritik kann mehr analytisch geschehen und somit am Anfang der Schritte stehen, oder mehr synthetisch-zusammenfassend: dann steht sie (wie in diesem Buch) am Schluß der diachronen Verfahren. • Diese Sprachregelung geht vom folgenden (umgangssprachlich verständlichen) Basissatz aus: "Durch kritische Beobachtungen am Text läßt sich die Traditions-/Redaktionsgeschichte des Textes nachzeichnen." "Traditions-/Redaktionsgeschichte" ist in diesem Sprachgebrauch also nicht die Bezeichnung einer Methode; sprachlich möglich sind die Bezeichnungen: redaktionskritische/-geschichtliche Methode. Diese Sprachregelung will nicht die diesbezüglichen Probleme lösen, sondern nur darlegen, welche Terminologie in diesem Methodenbuch gewählt wird.
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§ 12 Literarkritik
(Suche nach der schriftlichen Vorgeschichte der Texte) Der Verfasser eines literarischen Werkes kann zur Abfassung seines Werkes verschiedene Quellen und Vorlagen benützen. Wenn er dabei die Angaben über die Herkunft des verwendeten Materials macht, wie es heute etwa bei wissenschaftlichen Werken durch Anmerkungen geschieht, wird der Leser auf diesen Sachverhalt aufmerksam. Es gibt jedoch auch eine Verwendung und Überarbeitung von Vorlagen, die nicht ohne weiteres erkennbar ist. Allerdings finden sich auch in Werken, die ohne Quellenangabe solche Quellen und Vorlagen verwenden, oft manche Indizien, die auf die Verwendung von Vorlagen hindeuten. Beobachtungen vor allem an den synoptischen Evangelien, aber auch am Johannesevangelium und an manchen Paulusbriefen legen die Auffassung nahe, daß eine Reihe von "Unstimmigkeiten" darauf zurückgehen, daß zur Abfassung dieser Schriften schriftliche (und auch mündliche) Vorlagen verwendet wurden. Die Literarkritik untersucht die neutestamentlichen Texte daraufhin, ob zu ihrer Abfassung schriftliche Vorlagen verwendet wurden, und stellt sich die Aufgabe, diese Vorlagen zu rekonstruieren sowie deren theologischen Akzente und deren Sitz im Leben zu erhellen.
Die Aufgabe der Literarkritik ist vielfältig: Bei den synoptischen Evangelien versucht sie die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Synoptikern zu klären und die Quellen zu rekonstruieren; beim Johannesevangelium sind die Etappen der Redaktion (Überarbeitung von Quellen, Schichten und Vorlagen) zu klären; bei den unter dem Namen des Paulus überlieferten Briefen ist einerseits die Frage zu untersuchen, ob einige Briefe in Wirklichkeit Kompilationen aus ursprünglich getrennten Briefen sind (so zu I und 2 Kor; I Thess; Phii), andererseits um die Frage einer eventuellen literarischen Abhängigkeit späterer Briefe von früheren (Eph von Kol; 2 Thess von I Thess). Was auf die johanneische Literarkritik zutrifft, gilt auch für andere Untersuchungen: "Literarkritik ist nicht Selbstzweck, sondern Hilfsmittel, um den Entstehungsprozeß dieses Werkes zu sehen und damit zugleich Einblicke in die Theologiegeschichte der joh. Gemeinden zu erhalten" 1. I J. Becker, Aus der Literatur zum Johannesevangelium (1978-80): ThR 47 (1982) 294-301 (zur johanneischen Literarkritik), bes. 301.
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Die Unterscheidung zwischen Literarkritik und Traditionskritik ent~ spricht zwar dem theoretischen Modell der Textentstehung; die Trennung der beiden Methodenschritte ist in der praktischen Arbeit aber nicht immer einzuhalten. Die Literarkritik läßt sich leichter an längeren zusammenhängend redigierten Texten durchführen. Das hängt damit zusammen, daß an längeren Texten die Merkmale von Schriftlichkeit leichter festzustellen sind. Merkmale von Schriftlichkeit sind: geringere Bindung eines Textes an eine strenge Form und Zusammenhang eines kurzen Textes mit einer übergreifenden Einheit (z. B. Hinweis auf den Tod Jesu schon in Mk 3,6 u.a.)2. Literatur zur Einführung:
Eine Einführung in die Methoden der Literarkritik an hand vieler Beispiele bieten M.-E. Boismard - A. Lamouille, Aus der Werkstatt der Evangelisten. Für intensives und genaueres Studium der synoptischen Evangelien ist bestimmt: R. Pesch - R. Kratz, So liest man synoptisch 3 • J.
Die der Iiterarkritischen Analyse zugrundeliegenden Text- und Lesemodelle
Das Problem der Verwendung von schriftlichen Quellen betrifft, wie schon gesagt, sehr viele neutestamentliche Schriften. Für die verschiedenen Schriften sind dabei verschiedene Modelle entwickelt worden, die das literarische Werden d\eser Schriften erklären sollen. 1.1 Textmodelle Die wichtigsten Theorien zur synoptischen Frage sind aus der Einleitung ins Neue Testament bekannt. Die klassische Zweiquellentheorie gilt vielen Autoren als so sicher, daß sie im einzelnen keine Auseinandersetzung mit den anderen Theorien vornehmen. Daneben werden aber auch noch andere Theorien vertreten: die Theorie vielfältiger QuelDas Problem MündlichkeitiSchriftlichkeit ist immer noch offen; vgl. dazu GÜllgemanns, Offene Fragen. 3 Boismard _ Lamoui/le, Aus der Werkstatt der Evangelisten; Pesch - Kratz, So liest man synoptisch. Vgl. auch Richter, Exegese als Literaturwissenschaft 50-72; Fohrer u. a., Exegese des Alten Testaments, § 5. - Zu den Paulusbriefen siehe u.a. H. Merk/ein. Die Einheitlichkeit des I. Korintherbriefes: ZNW 75 (1984) 153-183: J. MllrphO'Connor, Interpolations in I Chorinthians: CBQ 48 (1986) 81-94; R. Peseh. Die Entdeckung des ältesten Paulusbriefes. Die Briefe an die Gemeinde der Thessalonicher (Freiburg 1984). Eine Methodenreflexion an hand eines konkreten Textes bietet auch H.-J. K/auck, Die Frage der Sündenvergebung in der Perikope von der Heilung des Gelähmten (Mk 2, 1-12 par): BZ 25 (1981) 223-248. 2
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len, die The~rie der "conflatio" von Markus alls Matthäus und Lukas'. Außerd~m smd no~h s1?ezi~lle Theorien zur Entstehung des Markusevangehum~ zu beruckSlchtlgens. Für das Johannesevangelium werden fast allgemem meh~er~ Stadien der literarischen Entwicklung des Textes angenom~en. Bezughch der verwendeten Quellen wird weithin mit einer Se.~e..aquelle und einem Passionsbericht gerechnet6. Bezughch .der .Paulusbriefe sehen sehr viele Autoren schon länger in 2 K70~.und. vlellel~ht ~uch I Kor .eine Kompilation aus mehreren Briefen '8 Ah~hches wI~d m letz~er Z~lt auch für Phil und I Thess angenommen . Bel 2 Thess Ist offenslchthch damit zu rechnen, daß er literarisch von I Thess abhängig ist 9 • J?~e genannten Te~ttheorien b~eten auch viele Präzisierungen der jewelh~en Modelle. DIe UnterschIede in den Theorien beruhen darauf, da~ emzelnen ~m Text beobachteten Elementen verschiedenes Gewicht beIgemessen wIrd.
2. Die Durchführung der literarkritischen Analyse Um die von einem Autor benützten schriftlichen Vorlagen, die darin gegebenen theologischen Akzente und den Sitz im Leben der Vorlage genauer herauszuarbeiten, wird der Text vor allem daraufhin gelesen, ob er "Spannungen" enthält, d. h.störende Wiederholungen, Stilbrüche, innere Widersprüche bezüglich des Inhalts usw. Wenn mangelnde Textkohärenz festgestellt wird, läßt dies auf die Vorlagen zurückschließen. So sind die literarkritischen Kriterien durchweg Inkohärenzkriterien l1 • Die "Sammlung der Kriterien, die gegen die Einheitlichkeit des Textes sprechen" 12, darf allerdings nicht am Anfang der Arbeit am Text stehen. Denn aufgrund einer solchen "Versuchsanordnung" besteht die Gefahr, daß nur Spannungen im Text entdeckt werden. Es bedarf einer Kontrollinstanz, nämlich auch der Berücksichtigung der Kohärenzfaktoren des Textes 13 •
1.2 Das Lesemodell
~~e Rekonstrll:ktio~ der Vorlagen, die zur Erstellung eines Textes benutzt wurd~n, Ist mcht nur nützlich, weil sie die Erkenntnis der Entstehungsgeschl~hte des Textes liefert, sondern auch deshalb, weil diese RekonstruktIOn auf Probleme antwortet, die sich beim Lesen eines Textes stelle~: Manchmal gewinnt der Leser den Eindruck, daß ein Text durch Wleder.holun~en überladen ist, der Gedankengang schwer zu verfolgen und dIe LogIk des Textes nicht ohne weiteres zu begreifen ist od~r e~ dem Text an Kohärenz mangelt. Wie immer in der Exegese erW~ISt ~Ich dann das aufmerksame Lesen als sehr hilfreich insofern dabeI die diesbezüglichen BeobaChtungen gesammelt und aus ihnen Rückschlüsse gezogen werden können. Da~ Lesemodell der L~terarkriti.k ist an und für sich nicht das Lesemo- ,,, deli emes Lesers, denn em Lesen m Schichten ist nicht gut möglich. Ein angemess~nes Lesemodell geht vielmehr von der Erfahrung des Lesers aus, der die genannten Schwierigkeiten empfindet und sich dann Gedanken macht 10.
Als Kriterien, die die Feststellung von Vorlagen erlauben, werden in der Forschung genannt: Unterbrechung des Zusammenhangs in einem Text, Doppelungen und Wiederholungen, Spannungen und Widersprüche 14.
Diese Kriterien sind Faustregeln, die einen Rückschluß erlauben. Ein einzelnes Kriterium reicht in der Regel allerdings nicht aus; erst die Bündelung von Hinweisen erlaubt ein Urteil. Wie die Kohärenz von Texten durch Faktoren verschiedener Art erzeugt wird (nämlich durch Kohärenz auf sprachlich-syntaktischer, semantischer und pragmatischer Ebene sowie durch den aufgrund der Textsorte gegebenen Zusammenhang), kann auch Inkohärenz auf verschiedenen Ebenen bestehen. Dies muß festgestellt werden. Bloßer Mangel an Kohärenz auf einer Ebene genügt noch nicht, um die Uneinheitlichkeit eines Textes anzunehmen lS •
Merklein, Einheitlichkeit 157 . So beschreibt Richter, Exegese 48, den ersten Schritt der literarkritischen Methode. IJ Dieser Forderung von Merklein, Einheitlichkeit 157f, entspricht diese Methodenlehre, indem sie als ersten Schritt der Analyse die Feststellung der Kohärenzfaktoren vornimmt. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft. und Fohrer. Exegese 25. halten die Literarkritik für die Voraussetzung jeder Analyse. Freilich darf auch eine Analyse, die die Kohärenzfaktoren sucht, nicht an Spannungen und störenden Wiederholungen vorbeigehen. .4 VgL Merklein, Einheitlichkeit; Pesch, Entdeckung, zu I Thess und Phil sowie die Methodenbücher. " Merklein, Einheitlichkeit 158, 11
•2
4 VgL dazu die Einleitungswerke. , Etwa R. Pesch, Mk. : Forschungsüberblick: Becker, Aus der Literatur zum Johannesevangelium. Zusammenfassend zu 1-2 Kor: G. Bornkamm, Paulus (Stuttgart 1969) 246-249 • Zuletzt R. Pesch, Entdeckung Anm. 3. . :. VgL W. T,!l/ing, Unters1;lch1;lngen zum zweiten Thessalonicherbrief (Leipzig 1972). Frankemolle, KommUnikatives Handeln 23, im Anschluß an B. van fersel Der Exeget und die Linguistik: Concilium 14 (1978) 313-318, bes. 317. .
164
165
2.1 Beobachtungen bezüglich Unterbrechung des Zusammenhangs "We~n ein in sich zusamm~nhängender Text durch die Einfügungen einer Ihm ~re~den. ThematIk unterbrochen ist, kann man mit einiger ' W~hrscheInhchkelt folgern, daß die Erstfassung des Textes weiterbearbeItet w~rde" 16. Beispiele solcher Unterbrechungen sind: Apg 5, 12b-14 durchbricht den Zusammenhang von Apg 5, 12 a.15 f; Apg 4,33 den Zusammenhang von Apg/4, 22.34 f; Joh 13,34 f durchbricht den Zusammenhang von Joh 13,33.36-38. Eine solche Unterbrechung hat manchmal z~r F?lge, daß nach dem eingesprengten Teil die letzten Worte des ursprunghchen Textes, ?ie. der Ergänzung vorausgehen, wieder aufgenommen w~rdenI7. BeIspIele solcher "Wiederaufnahme" sind Joh 18,33.37; ."Pllatu~ sagte: Bist du der König der Juden/ein König'" Mk 7,1.5: "DIe PharIsäer und einige/die Schriftgelehrten" 18. Eine b~son de~s große Rolle hat in der Forschung die Unterbrechung gespielt, die ZWIschen Joh 14,31 und 18,1 besteht. Joh 14,31 gibt sich als Abschluß der Rede zu erkennen; trotzdem wird die Rede weitergeführt 19.
im Interesse der Gesamtredaktion vorgenommene) sprachliche und sachliche Änderungen nachweisen lassen. So läßt sich Mt 13,58: "und wegen ihres Unglaubens tat er dort nur wenige Wunder" als inhaltliche Verbesserung von Mk 6,5.6 a verstehen: "Er konnte dort keine Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben." Eine Überarbeitung in umgekehrter Richtung wäre schwer zu erklären. In ähnlicher Weise ist auch Mt 19,17 eine inhaltliche Glättung zu Mk 10,18 21 . Bei Paralleltexten, hier a und b genannt, ist somit zu untersuchen, welche Veränderung des Textes leichter einsichtig zu machen ist: die Veränderung von a zu b oder von b zu a. Wenn ganze Texte doppelt vorkommen, ist dies ein Hinweis auf die Verwendung von Vorlagen; wenn kürzere Abschnitte oder Wortverbindungen innerhalb eines Textes wiederholt sind, muß dies nicht immer Hinweis auf die Verwendung von Vorlagen sein, denn eine gewisse Redundanz des Ausdrucks gehört zu jedem Text. 2.3 Spannungen und Widersprüche
2.2 Doppelungen und Wiederholungen Unter "Doppelung und Wiederholung" ist das mehrfache Vorkommen von sprachlich.und inhaltlich ähnlichen Texteinheiten, Textabschnitten oder Wortv~rbIndungen verstanden 20. Solche Mehrfach-Texte sind besonders geeIgnet, um die literarischen Beziehungen zwischen den Text~n zu kläre~. M~tho~isch sind zunächst die Übereinstimmungen und d.le l!nterschlede I~ eInzelnen festzustellen. Die Feststellung der ÜbereInstImmungen ZWIschen den Texten dient dazu, um das Vorhandensein von Vorlagen nachzuweisen: Die großen Übereinstimmungen zwischen den Tex!e~ von der Brotvermehrung läßt sich nur erklären, wenn die Texte mIteInander zusammenhängen. Die Unterschiede zwischen den Texten helfen dann, die Abhängigkeitsverhältnisse zu erkennen wobei al~ .F~ustregel gilt: Jener Text ist der jüngere, der aufgrund spr;chlichstIhstIscher Verbesserungen und Verdeutlichung der inhaltlichen Aussa~e als Veränderung des an.<:Ieren Textes aufzufassen ist. Es ist zu zeIgen, welc~er Text gezieIte Anderungen aufweist: Als jünger (später ve~faßt) hat Jener Text zu gelten, bei dem sich gezielte Umstellung der ReIhenfolge (etwa Lk 4, 16-30 gegenüber Mk 6, 1-6) oder gezielte (d. h. 16 \1
IB 19
20
Baismard - Lamauille. Aus der Werkstatt 34. Ebd. 29-34. Ebd. 29-31. Vgl. dazu die Kommentare. Richter, Exegese 51-55; Baismard - Lamauille, Aus der Werkstatt 36-40.
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Ein wichtiges Mittel, um die Verwendung von Vorlagen nachzuweisen, sind "Spannungen und Widersprüche im Text" 22, also der Mangel an Kohärenz innerhalb eines Textes. Unter der Annahme, daß ein Verfasser um möglichst große Kohärenz seines Textes bemüht ist, wird der Mangel an Kohärenz dem Umstand zugeschrieben, daß die Überarbeitung einer Vorlage unter Umständen Spuren hinterläßt, da dem Redaktor die völlige Überarbeitung nicht gelang bzw. nicht angestrebt wurde. Nun gehört freilich zu jedem Text, besonders zu Erzähltexten, eine gewisse Spannung, wie auch Wiederholungen vielfach zu Texten gehören; deshalb sind Spannungen und Wiederholungen im Text nur dann ein Hinweis auf Vorlagen, wenn es sich um "unvereinbare Spannungen und störende Wiederholungen" handeIt2J. Eine solche Spannung im Text und ein Widerspruch aufgrund von Angaben, die nicht miteinander abgestimmt sind 24, liegt etwa Mk 6,45 und 6,53 vor: sie fahren nach Betsaida und kommen in Gennesaret an. Mk 6,53-56 ist ein sogenannter Sammelbericht, also eine zusammenfassende Schilderung des Wirkens Jesu. Schon der Umstand, daß Mk in diesem Sammelbericht (zum Unterschied zu seiner sonstigen Eigenart) eine genaue Lokalisierung Vgl. W. G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, § 5.3.6. und Kommentare. Richter, Exegese 55-59; Fahrer, Exegese 45 f; Baismard - Lamauille, Aus der Werkstatt 24-27 40-45. 23 Fahrer, Exegese 46. 24 Vgl. Richter, Exegese 56. 21
22
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bietet, deutet auf Tradition hin. Auf Tradition weist dann vor allem der Umstand, daß diese geographische Notiz in Widerspruch steht zu dem in 6,45 genannten Ziel der Reise 2s • Eine andere Art von Spannung im Text wird dadurch erzeugt, daß im Text Elemente disparat nebeneinander stehen. Ein Beispiel dafür ist Mk 10,23-27: Dort findet sich zunächst eine "Unebenheit und Dublette", da die Aussage über die Unmöglichkeit, daß ein Reicher "in die Gottesh.errschaft eingeht", verbunden ist mit der Aussage, daß überhaupt memand "gerettet werden" kann 26. Die erste Aussage ist in einem Bild formuliert, die zweite in einer theologischen Fachsprache 27. Zur Aussage über das Retten findet sich eine Sachparallele in Lk 13,23-24: für jedermann ist es schwer, gerettet zu werden 28. Spannungen im Text entstehen auch durch inhaltlichen Widerspruch (z. B: Joh 13,36: "Herr, wohin gehst du?" im Unterschied zu Joh 16,5: "Kemer von euch fragt mich, wohin ich gehe") sowie durch Schlußbemerkungen, an die sich der Verfasser nicht hält (z. B. Joh 14,31; 20,30 t). Zusal.mmenfassung und zur Iterarkritischen Analyse Diesbezüglich ist eine Vorbemerkung notwendig: Als erster Schritt ist der gen aue Befund zu erstellen; für die Interpretation des Befundes ist zunächst einmal abzusehen von einem bestimmten Textmodell. Arbeitsmittel sind Synopse, Konkordanz und Wortstatistik. Vorau~tzu~g. für die Rekonstruktion von Vorlagen ist die synchrone Analyse der Jewelhgen Texte; es muß deren sprachlich-syntaktische semantis~he ~nd ~ragmatische Eigenart sowie ~.ie Textsorte festgesteilt werden <.!ewells ml~ dem Vorbehalt notwendiger Anderungen aufgrund neuer EinSichten). Diese Analyse macht bereits auf Brüche und Spannungen in den Texten aufmerksam. 1. Arbeit an den synoptischen Evangelien Um die Gemeinsamkeiten der zu untersuchenden Texte festzustellen kann es hilfreich sein, zunächst mit Farben einzelne Wörter zu markiere~: - was allen drei Synoptikern gemeinsam ist; blau unterstreichen, . - was Mk und Mt gemeinsam ist, gelb, - was Mk und Lk gemeinsam ist, grün, - was Mt und Lk gemeinsam ist, rot.
" Vgl. im einzelnen Egger, Frohbotschaft und Lehre 135f (Lit.). Boismard - Lamouille, Aus der Werkstatt 80-82. 27 Vgl. Egger, Nachfolge 191 f. Boismard - Lamouille, Aus der Werkstatt 82f. 2.
2.
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Dann sind die Unterschiede zwisehen den Texten tu erhehen: handelt es sich um - rein sprachliche oder auch um - inhaltliche Unterschiede? Nun können die Akzente der jeweiligen Abschnitte besehriebenwerden: - bei Mk geht es mehr um ••• , - bei Mt um ... , - bei Lk um .. . Zum Schluß werdeD Rückscblüsse gezogeD: Bei welchem Text läßt sich eher vermuten, daß er die Überarbeitung des anderen Textes ist? Sprachliche Glättungen und inhaltliche Akzentverschiebungen sind dafür eiD Indiz.
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2. Arbeit an nicht-synoptisebeD Texten Nach der syncbronen Analyse ist der Text ausdrücklich auf etwaige Mängel von Kohärenz zu befragen, und zwar auf den verschiedenen EbeDen: sprachlicb-syntaktiseh: Textunterbrechungen und Wiederaufnahme, Vokabular, das der Verfasser sonst Dicht verwendet, das sich aber in anderen Texten findet; semantiseb: abrupter und unbegründeter Tbemenwechsel, Tbemen, die dem Redaktor sonst fremd sind, die sicb jedocb in anderen Texten finden, störende Wiederbolungen, Widersprücbe im Text; pragmatiseh: Spannung der pragmatiscben Absicht des Textes; Textsorte: gattungsfremde Elemente, Spannungen bezüglicb des vorllllSlesetzteD Sitzes im Leben.
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3. Beispiel: Joh 13,34/: Das neue Gebot Eine Reihe von Beobachtungen führt zum Schluß, daß Joh 13,34 f nicht in einem ursprünglichen Zusammenhang steht, sondern im nachhinein in einen bestehenden Text eingefügt ist 29. Zunächst unterbricht Joh 13,34 f den Zusammenhang, der zwischen 13,33 und 13,36 besteht. Die Verse 31-33.36-38 handeln vom Weggehen Jesu und dem Bei-Jesus-Sein des Petrus. Vers 36 schließt direkt an 33 an. 2. Diese Auffassung vertreten: R. Schnackenburg, Joh III 59-61; J. Becker, Joh 447f; F.F. Segovia, The Structure, Tendenz, and Sitz im Leben of John 13 : 31-14: 31 : JBL 104 (1985) 491-493. 169
Auch nehmen die Vv. 36-38 keinen Bezug auf das neue Gebot von Vv. 34[3°. Sprachlich verweist die sonst in Joh nicht vorkommende Wendung YLVW<JKELV EV auf I Joh, wo sie häufig vorkommt 31. Auch die Wendung "neues Gebot" findet sich nur I Joh 2,7. Inhaltlich thematisch unterscheidet sich die Bedeutung von EV!OAT] als sittliche Weisung vom sonstigen Gebrauch in Joh 14, wo das Bewahren des Wortes, der Worte Jesu als Inhalt der Weisung gilt 32. Das Thema der Liebe beherrscht I Joh so sehr, daß es neben dem Glauben zur grundlegenden Mahnung wird 33. Somit unterscheidet sich Joh 13,34 f auch durch die" Tendenz" und pragmatische Absicht von der Abschiedsrede Joh 1434. So besteht also in sprachlich-syntaktischer, semantischer und pragmatischer Hinsicht Inkohärenz. Diese Feststellung führt zum Schluß, daß es sich in Joh 13,34f um einen später eingefügten Abschnitt handelt. Der Herkunft nach weist das Liebesgebot auf den Umkreis der in I Joh geschilderten Gemeinde. Daß der Abschnitt hier ohne größere Schwierigkeit eingefügt werden konnte, hängt mit der Textsorte "Abschiedsrede" zusammen, in der Mahnungen zur Liebe ihren Platz haben. § 13 Traditionskritik
(Suche nach der mündlichen Vorgeschichte der Texte) Beobachtungen an den neutestamentlichen Texten, besonders an den synoptischen Evangelien, legen die Auffassung nahe, daß vor ihrer schriftlichen Abfassung isolierte Einzelstücke verschiedener Art, etwa Erzählungen über Jesus, Jesusworte, Glaubensformeln usw., zunächst mündlich im Umlauf waren. Diese Einzelstücke werden in größere Sammlungen (etwa Evangelien) aufgenommen oder als Zitate in einen größeren Kontext (etwa der Paulusbriefe) eingebaut. Die Traditionskritik versucht, Einblick zu gewinnen in die mündliche Vorgeschichte der neutestamentlichen Texte. Dabei sollen die Veränderungen, die die ursprünglich isoliert umlaufenden Texte im L~uf der mündlichen Überlieferung erfahren haben, und die für die Anderung verantwortlichen Trägerkreise erfaßt werden.
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Schnackenburg, Joh III 59. I Joh 2,3.5; 3,16.19.24; 4,2.13; 5.2. Schnackenburg, Joh III 59; Segavia, Structure 491. Schnackenburg, Joh III 59. Segavia, Structure 492.
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Unter "Traditionskritik" wird die Methode, unter "Traditionsgeschichte" wird sowohl die Geschichte der Traditionen verstanden, insofern es sich um die Weitergabe von Texten handelt, als auch die Geschichte der Tradition, insofern es sich um eine Tätigkeit bestimmter Trägerkreise handelt I, Die Aufgabe der traditionskritischen Analyse ist es, die ursprünglich isoliert umlaufenden Einzelperikopen und Kurztexte in ihrer ältesten Form und in den Veränderungen, die sie im Lauf der Weitergabe erfahren haben, zu rekonstruieren, deren Eigenart und Gattungsmerkmale in den verschiedenen Phasen zu beschreiben, die Lebens- und Gemeindesituationen aufzuzeigen, in denen die Texte in den verschiedenen Etappen verwendet wurden, die Trägerkreise der Überlieferungen festzustellen sowie die Gesetzmäßigkeiten aufzuzeigen, nach denen solche Texte gestaltet und verändert werden. Literatur zur Einführung:
Durchführung und Reflexion der Methode anhand eines konkreten Textes bietet L. Schenke, Brotvermehrung'.
1. Das der traditionskritischen Analyse zugrundeliegende Textmodell Nach dem Modell, das der traditionsgeschichtlichen Analyse zugrunde liegt, steht am Anfang der Textentfaltung jeweils eine kurze, relativ einheitliche, in sich geschlossene und kohärente Texteinheit. Diese TextI Zur Terminologie siehe oben. In den Methodenbüchern wird in der Regel Form- und Gattungskritik mit Form- und Gattungsgeschichte verbunden. Eine Trennung nach dem synchronen und diachronen Aspekt der Frage findet sich bei Richter, Exegese 152-164; Fahrer, Exegese 118-·136; Berger, Exegese 160-201, wobei Berger aus historischen und systematischen Gründen der Traditionsgeschichte den Bereich von Altem Testament, Judentum, Neuem Testament und früher Kirchen- und Sektengeschichte zuweist, während der Vergleich mit Texten der außerhalb stehenden Gruppen dem religionsgeschichtlichen Vergleich zugewiesen wird. Fahrer, Exegese 99-116, bes 101110, verwendet den Ausdruck "Tradition" im Zusammenhang von MotIV· und TradItIOnskritik, also.unter mehr inhaltlichem Aspekt: Tradition ist ein Fundus geprägter Gedanken und Themen, der für bestimmte Sprachsituationen zur Verfügung steht und an dessen Überlieferung ein Trägerkreis Interesse hat. Für die Traditionsgeschichte sind auch eine Reihe von Werken bedeutsam, die schon im Kapitel über die Textsorten angeführt wurden (siehe § 11, Anm. 6). 2 L. Schenke, Die wunderbare Brotvermehrung. Die neutestamentlichen Erzählungen und ihre Bedeutung (Würzburg 1983). Die klassischen Werke der Traditionsgeschichte sind: R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition; M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums; K. L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu. Zum Stand der Forschung vgl. G. Schelbert, Wo steht die Formgeschichte?: ThBerichte 13 (Zürich 1983) 11-39.
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einheit ist auf eine konkrete Gemeindesituation bezogen. Die kurzen Einzeltexte, mit denen die neutestamentliche Überlieferung beginnt sind somit "Gebrauchstexte", also Texte, die in bestimmten Kommuni: kations- und Interaktionssituationen der Gemeinde verwendet wurden um bestimmte Ziele zu verwirklichen. Diese Kurztexte verändern sich' u. a. durch den Einfluß von Gemeindesituationen, die Interessen be: stimmter Trägerkreise, durch die Berührung mit anderen Gattungen 3. Die Überlieferung der ersten Gemeinden schlägt sich in "Gebrauchstexten" nieder. Diese Texte werden entfaltet und verändert. Die Texte tragen die Spuren ihrer Geschichte an sich.
Veränderung und Entfaltung geschehen unter dem Einfluß verschiede-
n~~ ~akt?ren~. Anha.':1d der ~Ieichnisse hat J. Jeremias gewisse Regelmaß~~kelten In der Uberarbeltung von Texten herausgearbeitet 5• Auf die Uberlieferung der Gleichnisse haben demnach folgende Faktoren eingewirkt: - die Übersetzung der Gleichnisse ins Griechische; - Wandlungen des Anschauungsmaterials; - Ausschmückungen; - Einwirkung des Alten Testamentes und volkstümlicher Erzählmotive . - der Wechsel der Hörerschaft; , - die Verwendung der Gleichnisse für die kirchliche Paränese; - die Einwirkung der Lage der Kirche (die Verzögerung der Wiederkunft Christi, die missionierende Kirche, die Ordnung der Leitung der Kirche); - die Allegorisierung; - Gleichnissammlungen und Gleichnisfusionen; - der Rahmen.
2. Durchfohrung der traditionskritischen Analyse Um die Entfaltung und die Veränderungen an einem Text zu erfassen und damit auch eine relative Chronologie der verschiedenen Schichten der Tradition zu erstellen, wird der Text zunächst auf Spannungen hin befragt. Wenn in einem Text, besonders unter Rücksicht der einheitlichen Gattung und der Leserlenkung (Ziel des Textes), Spannungen fest3 Richter, Exegese 164: Veränderung in sich oder durch Berührung mit anderen Gattungen. 4 Siehe oben § 4. , J. Jeremias, Die Gleichniss~ Jesu (Göttingen 61962) 19-114.
gestellt werden können, läßt dies auf Schichten der Textüberarbeitung schließen. . . Die Schichtung eines Textes läßt sich dann durch den Vergleich mit anderen Texten klären, wobei weniger inhaltliche Asp~kte zu berücksichtigen sind als vielmehr formale Aspekte. Der Vergleich von Texte~ mit ähnlichen sprachlich-syntaktischen, semantischen und pragm~tI sehen Strukturen kann für die Traditionsgeschichte aufschlußreich sein 6. Ein weiterer Weg, um die Entstehungsgeschichte e~nes Textes nachzuzeichnen ist der Versuch, die Entstehung des Textes Im Zusammenhang verschiedener anderer Faktoren zu sehen. So lassen sich Rückschlüsse auf die Entstehung bzw. Ausprägung eines Textes ziehen: . . - aufgrund eines Gesamtbildes über den Ursprung und die En~wlck lung der von Jesus ausgelösten Erneuerungsbewegung 7, oder (I~ bezug auf das johanneische Schrifttum) aufgrund des Gesamtbildes . einer johanneischen Schule 8; - anhand der Berücksichtigung der großen theologischen Theme~ und Traditionskreise (Evangelien, Briefliteratur) der neutestamentlichen Schriften; . - bisweilen können auch Überlegungen historischer Art (etwa über die Zwölf in den Evangelien) eine Rolle spielen. Der Übersichtlichkeit halber werden die methodischen Schritte für die Evangelienforschung und die Paulusforschung getrennt dargestellt. Traditionskritische Untersuchung an den Evangelien Das Feststellen von Spannungen dient hier zunächst, die vormals selbständigen Einheiten zu "isolieren", d. h. sie aus einem größeren Zusa~ menhang, in den sie eingefügt wurden, herauszulösen. Der erste .Schntt, wenigstens was die Evangelien betrifft, ist die sog. "DestruktIOn des Rahmens der Evangelien". Die Evangelien weisen n.ämlich. zwisch~n den einzelnen Perikopen deutliche Nahtstellen auf: Die Verbindung Ist nur locker, etwa durch "und ", "und dann"; manchmal fehlt der ~hrono logische und kausal-logische Zusammenhang; häufig finden sl~h formelhafte Einleitungswendungen oder auch An~aben, .durch die ?as Einzelstück in den Gesamtaufbau des Evangeliums eingebaut WIrd. 6 Berger, Exegese 168, nennt folgende untereinander vergleichbare Elemente: semantische Felder, rhetorische und literarische Formen. alle weiteren Gattungskntenen (z. B. die Kindheitsgeschichten), zeitlich und lokal fixierbare TraditIOnen. 7 Vgl. etwa G. Theißen, Soziologie der Jesusbewegung. Em Beitrag zur Entstehungsge. . schichte des Urchristentums (TEH 194; München 1977). 8 Vgl. etwa R. E. Brown, Ringen um die Gemeinde. Der Weg der Kirche nach den Johanneischen Schriften (Salzburg 1982).
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(Solche, besonders am Beginn und Ende der Perikopen gehäuft auftretende sprachliche und inhaltliche Eigentümlichkeiten können im Lauf der Untersuchung dem Redaktionsstadium zugewiesen werden und spielen darum für die Traditionsgeschichte keine Rolle mehr). Durch diese "Destruktion" werden die Textstücke zunächst einmal isoliert 9. Zur Re.~onstruktion der Gestalt, die der Text ursprünglich und im Lauf der Uberlieferung hatte, ist der Text auf innere Spannungen hin zu befragen, vor allem, ob der Text einem einheitlichen Gattungsmuster ~olgt und ob das Ziel des Textes (die pragmatische Funktion) einheitlich
1St.
Traditionskritik an der Briefliteratur Für die Briefliteratur sind Rückschlüsse auf verwendete Traditionen anhand folgender Kriterien möglich: Auf vorpaulinische Tradition weisen Texte mit folgenden Eigentümlichkeiten '0: - ausdrückliche Bemerkung des Paulus, daß es sich um Traditionen handelt, etwa I Kor 11,23; 15, I ; - Einleitung eines Abschnittes mit der Vokabel "Glauben" oder "Bekennen" (diese Vokabeln sind als Einleitung für Glaubens- und Bekenntnisformeln typisch); - ~arallelismus, Relativanknüpfung, einleitende PartizipialkonstruktIon, Rhythmus, etwa Röm 4,25; I Tim 3, 16. - loser Kontext und Spannungen im Text, etwa Röm 1,3 f; Phil 2,6; I Tim 3,16. - nichtpaulinischer Sprachgebrauch (anhand der Vokabelstatistik festgestellt); - Sach- und Wortparallelen, geprägte Wendungen, die auch in den anderen neutestamentlichen Schriften verwendet werden, also eine Art vielfältige Bezeugung im neutestamentlichen Schrifttum. • Ähnliche Grundsätze gelten auch für die traditionskritische Analyse von Apg und Offb. '0 Literaturangaben werden unten im Zusammenhang der Analyse von Röm 1,3 f gemacht.
'z~;;;;;~r;~~~rig!i~~i:rAtb~it~hiri;;~i~~'~ur traditions1<:ritischen Analyse l. Isolierung der Einzelperikopen Stellen Sie fest, wie stark Anfang und Ende (evtl. auch andere Angaben) der Perikope mit dem Vorausgehenden und Folgenden, also dem Kontext, ve~ knüpft sind. Nachdem unter Berücksichtigung von Stilkunde und theologischen Linien die redaktionellen Züge festgestellt sind, liegt der vor-redaktionelle Bestand vor. Ein Blick auf die redaktionskritische Analyse ist schon hier notwendig, um Tradition und Redaktion zu trennen.
2. Rekonstruktion der ursprünglichen Form und der verschiedenen Fassungen eines Textes . Zunächst ist die literarkritisch früheste Fassung festzustellen. Stellen Sie dann textintern und anhand eines Vergleiches mit thematisch und strukturmäßig ähnlichen Texten Umformungen des T~xtes fe~t, etwa in der A,"! der Umformungen, die in der Liste nach J. Jeremlas und m der verallgememerten Liste genannt sind. 3. Die theologischen Linien der Textfassungen in den verschiedenen Schichten Welche inhaltlich theologischen Akzente werden in den verschiedenen Fassungen des Textes deutlich? Welche Christologie wird in den verschiedenen Fassungen vorgelegt? 4. Rückschlüsse auf die Wirkabsicht (die pragmatische Funktion) Zu welchem Denken und Verhalten wollte der Text in den verschiedenen rekonstruierten Fassungen jene Gemeinden, in denen er verwendet wurde, führen? Welche Funktion im Glaubensleben und in der Lebensgestaltung könnte der Text in den verschiedenen Etappen seiner Entfaltung und Weitergabe gehabt haben? 5. Rückschlüsse auf den Sitz im Leben, das soziokulturelle Milieu . Welche Hinweise auf eine Entwicklung des Gemeindelebens, der GemelDdeordnung und der Vollzüge des Gemeindelebens enthalten die verschiedenen Fassungen des Textes? . Welche Hinweise auf verschiedene Träger der überlieferung und auf emen gewandelten Adressatenkreis enthält der Text? Welche Situationen der Umwelt und der Zeitgeschichte schimmern im Text durch?
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3. Beispiele An zwei Beispielen soll die Geschichte, das "Schicksal" von Texten gezeigt werden. 3.1 Mk 14,3-9: Bekenntnis zur Würde Jesu Die Anwendung des Textmodells der traditionskritischen Analyse an • Mk 14,3-9 zeigt, wie ein ursprünglich einheitlicher, in sich geschlosse- ,. ner Text mit klarer Struktur und Zielsetzung im Lauf der Weitergabe aus mannigfachen Gründen verändert und erweitert wird 11. Die traditionskritische Analyse setzt die synchrone Analyse voraus. Synchrone Analyse von Mk 14,3-9 Die Gliederung des Textes ist deutlich: V. 3 Erzählung (mit Kai eingeleitet); Vv. 4f Rede einiger (mit öt als Einwand erkennbar); Vv. 6-9 Gegenrede Jesu (wieder mit BE). Die Erzählung zählt ausführlich die Details des Geschehens auf; dann treten die narrativen Elemente immer mehr zurück: die Rede V. 4f hat noch zwei erzählende Zeitwörter; die Gegenrede Jesu nur mehr "er sagte" 12. Während der Einwand gegen die Frau kurz und kohärent formuliert ist, ist die Rede Jesu sprachlich-syntaktisch kompliziert gebaut: zwar findet sich eine parallele Struktur in 4 b.5 a (Frage und mit yap angehängte Begründung) und 6d.7 (Aussage und Begründung mit yap) 13, doch dann unterbricht der Zwischensatz V. 7 b die Begründung V. 7 a.c; 8a ist eine nicht recht stimmige Weiterführung; 8 b gibt eine neue Rechtfertigung für die Frau und wirkt gegenüber V 6f wie ein Nachtrag; an das Ganze schließt sich noch das Amen-Wort V. 9 an 14. Für die textsemantische Struktur sind einige durchgehende Linien kennzeichnend: "Salböl" (und die Beschreibung des Salböls), "gutes Werk ", "tun". Vor allem ist der Text geprägt durch Oppositionen IS: 11 Zur Literatur c.-P. März, " ... mich habt ihr nicht allezeit". Zur Traditionsgeschichte von Mk 14,3-9 und Parallelen: Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt 6--7 (I 981) 89-112 (Literaturangaben) ; F Schnider, Christusverkündigung und J esuserzählung. Exegetische Überlegungen zu Mk 14,3-9: Kairos 24 (1982) 171'-180 sowie die Kommentare. 12 März, Traditionsgeschichte 91. U Ebd. 14 Peseh, Mk, z. St., hingegen sieht keinerlei Spannungen und störende Verdoppelungen. " Weniger deutlich ist die Gegenüberstellung: einer - viele, von der Schnider, Christusverkündigung 176--178, spricht.
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Verschwendung den Armen geben immer
gutes Werk/Begräbnis "an mir" nicht immer.
Für die narrative Struktur ist kennzeichnend, daß viele Elemente sich auf den konkreten Fall beziehen. Einige Elemente sprengen jedoch den Rahmen eines konkreten Vorfalls und stellen eine viel weitere Handlungsfolge dar: Die Salbung hat Be~ug auf d~s B.egräbnis; das ETZählen des Vorfalls wird Teil der Evangehumsverkundlgung werden. Die pragmatische Funktion des Textes ist m~hrfach: Das T~n d~r Frau wird als gutes Werk hingestellt und damit die Frau als Vorbild fur den Leser beschrieben. Zugleich wird die Botschaft von Jesu Tod verkündet. Darüber hinaus wird dann ausdrücklich gesagt, daß diese Geschichte erzählenswert ist. Was die Textsorte betrifft, zu der dieser Text gehört, ist als Parallele Lk 10 38-42 heranzuziehen. Auch dort geht es um ein Verhalten, zu dem Einw~nd und Gegenrede formuliert werden. Sprachlich:syntaktisc? i.st eine ähnliche Struktur: Schilderung eines Verhaltens - Emwand (wie m Mk 144 mit öl; eingeleitet) - Gegenrede Jesu (wieder, wie in Mk 14,6 mit BE ~ingeleitet) 16. Auch inhaltlich geht es in bei den Texten um ähnliches: je zwei Verhaltensweisen, von denen die eine als "Guter Teil" (Lk 10 42) oder "Gutes Werk" (Mk 14,6) bezeichnet wird. Es wird also ni~ht, wie in Streitgesprächen "Erlaubt - unerlaubt" gegenübergestellt, sondern "Gut - Besser". Traditionskritische Analyse Mk 14 3-9 und Parallelen gelten als Testfall traditionskritischer Rückfrage I;. Für die Analyse ist der Vergleich mit Joh 12,1-8 und Lk 7,36-38 wichtig. Zur Traditionsgeschichte dieser Texte werden folgende Auffassungen über die "relative Chrono.log~e" vertr~ten I~: a~ Nach März ist Mk 14 3-9 eine vormals offenbar Isohert tradierte, m Sich geschlossene Geschichte, die Jesu Würde bekennt; schon in der Tradition wurde die Verbindung zur Passionsgeschichte hergestellt.; Jo~ 12, 1-8 ve~körpe~ ein späteres Traditionsstadium; in Lk 7,36-50 I~t die Salb~~g e~ne spatere Zufügung 19; b) nach Brown ist die johannelsche TraditIOn m manchen Punkten der frühesten Tradition nahe 20; c) nach Daube und Holst
\6 Gegenüber den Streitgesprächen ist dies eine andere sprachlich-synt
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ist die Fußsalbung Lk 7,38.46 traditionsgeschichtlich früher und dem historischen Geschehen näher 21. Die Auffassung über die Traditionsgeschichte dieses Textes hängt an Beobachtungen am Text und an der Beurteilung der festgestellten Sachverhalte durch den Forscher. Die Aufstellung der Übereinstimmungen und Unterschiede in Abb. 27 erlaubt Rückschlüsse auf die Traditionsgeschichte 22.
Mk 14,3-9
loh 12,1-8
Zwei Tage vor Ostern
Sechs Tage vor Ostern
hen sind) ist Mk 14,9 der Redaktion zuzuschreiben, denn Vokabular und Thematik entsprechen so sehr der Eigenart des Evangelisten 23, daß dieser Vers wohl vom Evangelisten eingefügt worden ist. Ebenso sind in der johanneischen Fassung jene Elemente, durch die der Zusammenhang dieser Erzählung mit der Lazaruserzählung hergestellt wird, der johanneischen Redaktion zuzuschreiben. Für Joh sind Salbung und Einzug eine Nachwirkung der Lazarusgeschichte und stehen im Horizont des Todesbeschlusses der Juden (Joh 11,49-53)24. Der Bezug zur Passionsgeschichte wurde schon vor Mk und vor Joh hergestellt. Literarkritisch ist kaum anzunehmen, daß Johannes den Mk-Text als Quelle vor sich hatte; zwar sind viele verblüffende Übereinstimmungen festzustellen, jedoch sind auch die Unterschiede zu gewichtig, als daß einfach eine Überarbeitung des Mk-Textes durch Johannes anzunehmen wäre. So ist zwar gemeinsames Traditionsgut anzunehmen, jedoch mündlicher Art, in dem die festgestellten Unterschiede im Laufe der Weitergabe Eingang finden 25. Gattungskritisch sind sowohl Mk 14,3-9 als auch Joh 12,1-8 dadurch gekennzeichnet, daß beide Texte nicht einen geschlossenen Vorfall berichten, sondern diesen Vorfall in den größeren Horizont der Passion Jesu stellen. Unter der in der traditionskritischen Forschung allgemein anerkannten Voraussetzung, daß am Anfang kurze, geschlossene EinzeIperikopen überliefert wurden, die noch nicht in einem größeren Kontext stehen, ergeben sich Folgerungen für die Salbungsgeschichte: Am Anfang könnte ganz gut eine kurze Erzählung gestanden haben über die Tat einer Frau, die durch ihre Salbung Jesus ehrt. In dieser ursprünglichen Fassung wird die Tat der Frau, der Einwand einiger und die Gegenrede Jesu berichtet. Dieser so rekonstruierte Text ist "eine in sich abgeschlossene Geschichte, die in früher und urtümlicher Weise Christologie betreibt, indem sie hintergründig Jesu besondere, alle Schranken des allgemein üblichen Verhaltens sprengende Würde bekennt" 26. Gattungsgemäß gehört dieser Text zu jener Gattung, die auch in Lk 10,38-42 bezeugt ist 27 • Zur einfachen Gattungsstruktur von Erzählung, darauf bezogenem Einwand und Erwiderung, wie sie in Mk 14,3-7 vorliegt, treten in Mk 14,8f einige dieser einfachen Struktur fremde Elemente: Bezug auf den Tod Jesu und Evangelienverkündigung. Wenn in einem Text verschiedene Strukturmuster auftreten, ist dies ein Hinweis
Lk 7,36-38
(V. I)
Betanien Simon der Aussätzige
Betanien
Frau ohne Namen Alabasterfläschchen Salböl
Lazarus Marta Maria Pfund Salböl
vapöo~
vapöo~
mattKij
gießt auf das Haupt einige mehr als 300 Denar Jesus verteidigt "Laßt sie" "Arme habt ihr immer" "... Begräbnis "... Evangelium"
ma'tlKij
salbt die Füße trocknet mit den Haaren Judas 300 Denar J esus verteidigt "Laß sie" ". .. Begräbnis" "Arme habt ihr immer"
(in Galiläa) Pharisäer Simon Sünderin Alabasterfläschchen Salböl benetzt die Füße trocknet mit den Haaren salbt die Füße
Jesus vergibt
Abb. 27: Synoptische Übersicht zu Mk 14,3-9; Joh 12,1-8; Lk 7,36-38
Die Übersicht zeigt eine seltsame Übereinstimmung zwischen diesen Texten bis in die Details; dann aber auch wieder Unterschiede und Umstellungen der Elemente. Die Verwandtschaft dieser Texte ist offenkundig. Um von den uns vorliegenden Textfassungen zur früheren Textfassung zurückzugehen, spielen redaktions-, literar- und gattungskritische Überlegungen eine Rolle, wobei auch historische Überlegungen mit einzubeziehen sind. Aus redaktionskritischen Überlegungen (die hier schon einzubezie21 22
23 März, Traditionsgeschichte 102, mit Hinweis auf Strecker, PS Cullmann 1972, 91-104. 24 März, Traditionsgeschichte 107. " Brown, Joh 451; Schnackenburg, Joh 11 465 f. 26 März, Traditionsgeschichte 104. 27 Zu den Gattungsmerkmalen siehe oben.
Referat bei März, Traditionsgeschichte 105, zu Daube und Holst. Siehe Brown, Joh 450.
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j
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auf eine Erweiterung im Laufe der Tradition 28. Eine solche Rekonstruktion erklärt gut, daß bei Mk die Pointe der Erzählung im Wort Jesu besteht: .. Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit." Die verschachtelte Form von Mk 14,8 erklärt sich auch gut unter dieser Annahme. Damit wäre mit.dem Text ursprünglich kein Hinweis auf die Passion gegeben 29. Die Verbindung mit der Passionsgeschichte wurde allerdings schon vor Mk hergestellt, worauf die sprachliche Form von Mk 14,8)0 und der Umstand hinweisen, daß auch Joh diesen Bezug kennt (und den Bezug auf die Passion zur Pointe der Erzählung macht). Die Erzählung Lk 10,38-42 hat im Lauf der Überlieferung in den Erzählstrang Eingang gefunden, den Joh aufnimmt. Ursprünglich war die Gestalt der Marta nicht mit der Salbungsgeschichte verbunden. Aus einer anderen Erzählung mit ähnlichem Thema stammt bei Joh die Bemerkung: "Sie trocknete mit ihren Haaren die Füße Jesu" (Joh 12,3), eine Bemerkung, die wohl bei Lk 7,38 treffend ist, nicht jedoch bei Joh 12,3. Das Verhältnis von Mk 14,3-9; Joh 12,1-8 und Lk 7,36-38 wird in der Forschung verschieden beurteilt: Nach manchen hat die Erwähnung der Fußsalbung in Lk 7,38 für die Erzählung keine konstitutive Bedeutung und läßt sich leicht herauslösen, wird also als spätere Einfügung angesehen 31; andere beurteilen Lk 7,36-50 als die dem historischen Geschehen nähere Version 32. Auch Überlegungen historischer Wahrscheinlichkeit werden in die traditionskritische Analyse eingeführt 33: In der Tradition ist das Bestreben zu bemerken, die Gestalt des Judas in schlechtem Licht erscheinen zu lassen, besonders bei Joh ist dies spürbar. Die Tradition weiß darum daß Judas die gemeinsame Kasse betreute (Joh 13,29), so könnte er e~ ~ewesen sein, .der gegen das Verhalten der Frau protestierte (Joh 12,4); Im Lauf der Überlieferung ging dieses Detail verloren. Die Analyse zeigt das Zusammenfließen von Überlieferungen und die Herstellung eines größeren Erzählzusammenhangs als Trends auf, die in der Weitergabe der Traditionen wirksam waren. Schon die Überliefe28 Z~ diesem methodischen Prinzip siehe Richter, Exegese 161. Zwar ist der Bezug zur P.asslOn ~chon vormarkinisch,jedoch nicht unbedingt ursprünglich, da die Herstellung eInes großeren Erzählzusammenhangs Zeichen von Erweiterung ist. " Nach Brown, Joh 454, gibt es keinen Hinweis, daß die Erzählung einmal ohne den Bezug zur Passionsgeschichte erzählt worden sei. ]. Vgl. dazu März, Traditionsgeschichte 101, unter Verweis auf J. Jeremias, Salbungsgeschichte 109. JI März, Traditionsgeschichte 105. J2 Lit. bei März, Traditionsgeschichte 105. JJ Vgl. dazu Brown, Joh 453f. Brown, ebd. 451 f, hält die johanneische Fassung für ur· sprünglicher.
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rung kennt Kontamination, also vielfältige Beeinflussung der Textfassungen: Lk 10,38--42 wirkt auf die Salbungsgeschichte ein, die Joh übernimmt; auf Joh wirkt auch die Szene der Fußsalbung und des Abtrocknens aus Lk 7,38 ein. Die Feststellung von Kontaminationen gilt sowohl für den Fall, daß Lk 7,36-50 neben einem Bericht über eine Todessalbung als eine ursprüngliche Version angesehen wird, als auc~, wenn Mk 14,3-7/8 als ursprünglich gilt. Der Trend zur Herstellung eines größeren Erzählzusammenhangs durch Verbindung mit der Passionsgeschichte wird von Joh besonders deutlich weitergeführt. 3.2 Röm 1,3f: Glaubensbekenntnis Die Anschrift des Römerbriefes Röm I, 1-7 ist offensichtlich in den Versen 3-4 durch eine Aussage über den Inhalt des von Paulus vertretenen Evangeliums erweitert. Eine Reihe von Beobachtungen spricht dafür, daß Paulus in den Versen 3 f eine aus der Tradition stammende Formel verwendet. Im folgenden soll dies gezeigt werden, indem die Kriterien, die zur Rekonstruktion von Traditionsgut genannt wurden, angewendet werden 34.
"
Die Rekonstruktion der vorpaulinischen Glaubensjormel Der Beginn des Römerbriefes wirkt dadurch überladen, daß "Evangelium" in V. 1 durch einen Relativsatz in V. 2 und dann durch eine Inhaltsangabe näher bestimmt ist. Die Partizipialkonstruktion Vv. 3 b.4a könnte ohne Schaden für den Aufbau des Präskriptes herausgelöst werden.35. Aufgrund der durch Vv. 3 bAa gegebenen Unterbrechung des Textes und die Wiederaufnahme des Zusammenhangs in V. 5 läßt sich also Vv. 3 bAa herauslösen. Eine Reihe von Wörtern und Wendungen dieser Formel wird sonst bei Paulus nicht verwendet: Dio<; ~(lDi8 findet sich nur in der Evangelientradition und in der nicht von Paulus stammenden Briefliteratur (2 Tim 2,8; vgl. auch Offb 5,5; 22, 16); yiVE(J~at EK findet sich ~ur noch Gal 4,4 (ebenfalls eine traditionelle Formel); 6pi;EtV findet Sich bei Paulus sonst nicht. 1tVEÜf.1(l aytO)(JuVTj<; (ein Genitivus hebraicus, entsprechend dem in Qumran belegten "Geist der Heiligkeit") findet sich sonst bei Paulus nicht, obwohl 1tVEÜf.1(l und 1tVEÜf.1(l äywv sehr oft verwendet werden. Da Paulus sonst oft den Gegensatz (Jap~ - 1tVEÜ f.1(l ver34 Aus der umfangreichen Literatur seien nur angeführt: Zimmermann, Methodenlehre 193-203; Käsemann, Römerbrief, z.St.; Schlier, Römerbrief, z.St.; Wilckens, Römerbrief, z. St. In der Darlegung können nur die zentralen Probleme von Röm 1,3 f angegangen werden. 3S Zimmermann, Methodenlehre 194.
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wendet, wäre es möglich, daß Paulus zum traditionellen 1tvEOllU UYlWcrUVlj<; als Gegensatz KUtel crUPKU eingefügt hat. EV 15uvallEL findet sich bei Paulus häUfig (elfmal): "Dieser statistische Befund zeigt, daß mit Ausnahme des Ausdruckes EV l5uVUIlEl alle anderen Wörter und Wendungen bei Paulus ungewöhnlich bzw. in seinen Briefen nicht anzutreffen sind. 36" Als redaktionell kann gelten EV 15uvallEl und vielleicht KU-rU crapKu. Als Kennzeichen von Bekenntnisformeln oder literarischen Formeln kann auch die Form des Parallelismus gelten 37. Artikellosigkeit der Wörter findet sich in vielen Traditionsstücken 38, wie auch die Stilisierung archaischen Charakter verrät 39. Vom Inhalt dieses Glaubensbekenntnisses her ist Paulus die Einsetzung Christi als Sohn Gottes fremd, wie auch die Abstammung des irdischen Jesus kein paulinisches Thema ist (nur noch Röm 9,5). Inhaltliche Parallelen dazu lassen sich in verschiedenen anderen Traditionsbereichen feststellen: die Sohn-Davids-Christologie (Mt 1,1.20); die Einsetzung als messianischer König Apg 13,32f und Hebr 1,5; 5,5; die Aussage über die Auferweckung und die Messiaschristologie sind auch in 2 Tim 2,8 verbunden. Die Glaubensformel von Röm 1,3 f ist also sprachlich (aufgrund des nichtpaulinischen Wortschatzes) und semantisch nicht in der Linie des Paulus, jedoch bezeugt von anderen Traditionsbereichen. Dies läßt schließen, daß hier traditionelles Gut vorliegt. Die ursprüngliche Formel könnte gelautet haben 4q: (Einleitung des Paulus: m:pi toO uioo uutOO) Formel: wO YEVOf.L€VOU EK crnepllUto<; L1uuil5 (vielleicht pI: KUtU crapKu) toO OPLcr~tV-rO<; uioo ~EOO KU-rU nVEOIlU UYLWcrUVl]<; ~ avucrtacrEW<; VEKProV. Der Sinn der traditionellen Glaubensformel Röm 1,3 f bietet eine alte Christologie: die Auferweckung wird in einer Relecture alttestamentlicher Texte, besonders 2 Sam 7; Ps 2 und 110, als Einsetzung Christi zum messianischen König verkündet. Dabei wird "im Blick auf den irdischen Davidssohn ein erstes Stadium des Weges Christi von einem zweiten, darauffolgenden Stadium im Blick auf den in himmlisch-eschatologischer Machtstellung eingesetzten Gottessohn unterschieden ..... 41. Ebd. 195; ähnlich Wilckens, Römerbrief 57 f. Schlier, Römerbrief 24; Wilckens, Römerbrief 56f. 31 Zimmermann, Methodenlehre 199. ,. Schlier, Römerbrief 24. 40 Die Rekonstruktionen gehen auseinander. 4' Wi/ckens, Römerbrief 60. Wi1ckens sieht den Anfang der homologischen Tradition in 2 Tim 2,8 belegt, als deren nächstweitere Stufe Röm 1,3f gelten könne. Zimmer-
Eine Paraphrase des Textes könnte lauten 42 : ..... geboren aus dem Samen Davids nach seiner irdischen Existenz, eingesetzt (inthronisiert, nicht: geoffenbart) als messianischer König (im Sinn der alttestamentlichen Vorstellungen, vgl. 2 Sam 7; Ps 2 und 110), in Macht (im Lichtbereich Gottes) nach dem Geist der Heiligkeit (gen. qualitatis) seit/durch die Auferstehung (von) den Toten." Eine ähnliche Auffassung von einem Weg Christi mit verschiedenen Stadien vertreten auch Joh 7,39; Phil2, 5-/1 und, wenn auch in der narrativen Form des Messiasgeheimnisses, der Evangelist Markus. Entstehung der Formel und Sitz im Leben Diese Glaubensformel ist durch alttestamentliches Gedankengut wesentlich geprägt. Die messianische Christologie weist auf judenchristIiehe Kreise als Traditionsträger. Als Sitz im Leben ist jener Bereich anzunehmen, in dem Jesus Christus als messianischer König anerkannt wurde. Dies muß nicht unbedingt der Gottesdienst 43 oder ein Taufbekenntnis 44 sein. Näher liegt es, als Sitz im Leben jenen Interaktionsbereich anzunehmen, in dem die Frage nach Jesus als Messias besonders bedeutsam war: der Bereich der Auseinandersetzung zwischen Christen und Juden über die messianische Würde Jesu.
§
14 Redaktionskritik
Die neutestamentlichen Texte haben eine längere Entstehungsgeschichte durchlaufen, bis sie ihre endgültige Form erreicht haben. Vielfältige Traditionen wurden aufgenommen und zu einer.Einheit zus~m mengeschlossen. Die Endfassung der Texte geht auf emen Bearbeiter zurück, der als "Redaktor" eine Neufassung der Texte vorgenommen hat. Die redaktionskritische/-geschichtliche Analyse der neutestamentlichen Schriften versucht den Vorgang der Redaktion und die Rolle des Redaktors zu rekonstruieren.
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mann, Methodenlehre 201 f, hält Röm 1,3f für eine Zusammenstellung aus zwei ursprünglich getrennt verwendeten Kurzformein. . . 42 Da die einzelnen Elemente bezüglich der traditionellen Herkunft umstrItten smd, werden alle paraphrasiert. 4' Zimmermann, Methodenlehre 202. .. Michel, Römer 3\.
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Im einzelnen ist festzustellen ' d T ' wonnen hat, welche Materialie~l~e~r R:;~:tne en~güfl~ige Gestalt geunter welchen G 'h , o r zur er ugung standen, d ~SIC tspunkten er dIeses Material auswählt, überarbeitet und anor net, welche Elemente er selbst beitr" kreis er sich wendet und welche M'tt I d Lagt, an welchen Leser-
~~,d überhaupt: von welchen Fakt~r:n e~rin ~:;I~~~~~~i~~ ~;:~~~~t Durch den Redaktor erreicht der Text' G ' Leser vorliegt. Der Text in seiner End Jen~ , estalt, dIe dem späteren gesta t ISt auch Gegenstand der synchronen Analyse I, L!teratur zur Einführung:
~~~e:ee~~:t~~rs grü~dli~he methodenkritische Besinnung über die mit
synchronen B:t;:~h~u: es~~ Probleme unter Berücksichtigung der sehern Aspekt bietet' Hg Fr;ls; U~,dll unEter ko~munikationstheoreti_ , , n emo e, vangehst und Gemeinde 2,
1, %as .;!er redakht;onskrit;schen Analyse zugrundeliegende Modell er ßextentste ung
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wird entder Interaktion und Kommunik f h re Im amen emes Modells 3 der Komm~nikation durch Tex:/fa::e~s4~ en : Das allgemeine Modell ' InformatIOnsquelle - Verfasser - Text L I " tung, - eser - nlormatlOnsverwer_ , ~ie Redaktion ist nach Abb, 28 als "Neukodierun " dUlOn als Informationsquelle sta d T g Von aus der Traverschiedene Faktoren auf diese mNmekn de~ exte~ zu, verstehen, wobei eu 0 lerung emwlrken 5:
~ ~ie/ieskbezÜglichen Probleme wurden in Teil 3 behandelt ... ran emolle, Evangelist und Gemeinde E' ' " , Beispielen aus dem Matthäusevang I' ). irbIne methodenkntJsche BesInnung (mit Nachdruck in: Handlungsanweisung:~u~79 .(1977). 153-190; zitiert nach dem 29-30; Conze/mann-Lindemann, Arbeitsbuch' 9 el~ere LIteratur: Berger, Exegese, §* Wh at is Redaction Criticism (London 197 . 4-99, Foh~er, Exeg~se, § 9; N. Perrin. Methode (Hamburg 1966); Strecker- Schn~k ~R:~:e, Die redaktIOnsgeschichtliche denlehre, § 4. _ Bahnbrechend ware f e, In u .rung, § 9; Zimmermann, Methoder Zeit (Tübingen 1954)' W At n o~ende Arbeiten: H. Conze/mann, Die Mitte tionsgeschichte des Evan~eli~ms ~~~~,:\~r 6~:~?ehst Markus. Studien zur RedakBanh - H. J. Held, Überlieferun und A ' .ottIngen .~956); G. Bomkamm - G. I; Neukirchen 1959)' W 11'1l' g 0 uslegung 1m Matthausevangelium (WMANT ' . n zng, as wahre Israel . " h;usevangeliums (StANT 10; München '1964)' Studie n zur Th eolog1e des Mat~ehe Frankemölle, Handlungsanweisungen 59 75 • Siehe § 3. ' , Zum Modell der Überarbeitung siehe oben § 4.
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Informationsquelle ------l.~ Autor Textbearbeitung ("Kodierung") beeinflußt durch Textrezeption: ....... Zielvorstellung Sammeln und Auswählen ,/Gemeindesituation Textbearbeitung: /Umwelt Anordnen, Ergänzen, Überarbeiten, Schaffung einer Gestalteinheit Text-(re-)produktion - + Text - + Leser Abb. 28: Redaktion als Neukodierung
Nicht nur für die Evangelien, sondern (wenn auch nicht in gleichem Maße) für alle neutestamentlichen Schriften gilt, daß der Redaktor Sammler, Schriftsteller, Theologe und "Evangelist" ist 6: Er muß das nötige Material sammeln und auswählen; er überarbeitet es stilistisch und thematisch; er sorgt für die Anordnung und Gliederung des Stoffes; U. U. ergänzt er das Material durch kürzere oder längere Texte 7. Durch diese Arbeit entsteht ein neuer Text, der eine Gestalteinheit bildet 8. Die ursprünglich getrennten Stücke kommen in einen neuen Zusammenhang und erhalten so einen erweiterten Sinn 9, In der Redaktion ist der Redaktor von vielen Faktoren beeinflußt: von der Eigenart (und auch der Würde) des ihm überlieferten Materials, von den ihm vorschwebenden Gesichtspunkten und Zielvorstellungen, von den Problemen und religiösen Bedürfnissen der Gemeinde(n). Nicht nur die Gemeinde beeinflußt den Redaktor, auch die von schriftlichen Traditionen geprägte Umwelt übt ihren Einfluß aus: "AT, jüdische und hellenistische Umwelt, vor allem urchristliche vorevangeliare und • Diese Sicht hat sich freilich erst allmählich entwickelt. Für die frühe Formgeschichte waren die Evangelisten reine Sammler von Traditionen. 7 Die konkrete Arbeitsweise des Redaktors kann, im Anschluß an Zimmermann, Methodenlehre 226-234, durch folgende Stichwörter näher gekennzeichnet werden: stilistische Verbesserungen, Erläuterung des vorgegebenen Textes, Auslassen schwerverständlicher Ausdrücke oder Sätze, Transponierung von Bildern und Traditionsstükken, Umstellungen, Anfügung und Einfügung von anderen Traditionsstücken, Ergänzung durch andere Traditionsstücke, Stichwortkomposition, Verknüpfung ursprünglich selbständiger Einzelstücke. • Frankemölle, Handlungsanweisungen 63. Dies hatte vor allem E. GütIgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte. Eine methodologische Skizze der Grundlagenproblematik, der Form- und Redaktionsgeschichte (München 1970) 184-88, betont. • Die Theologie des Redaktors ist nicht in Abhebung von der verarbeiteten Tradition, sondern in ihr und mit ihr zu erheben: Dschulnigg, Sprache (s. § 8, Anm. 23) 297 f. Siehe auch Frankemölle, Handlungsanweisungen 66.
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evangeliare Traditionen u. a. sind für den Evangelisten - was den Um:' fang des Stoffes angeht - in weit höherem Maße als die Gemeinde formgebend gewesen ..... 10
2. Die Durchführung der redaktionskritischen Analyse Die Methode der redaktionskritischen Analyse besteht in einem Rückschlußverfahren. ' ~ufgrund von Beobachtungen an sprachlich-stilistischen, semantischen. und pragmatischen Eigentümlichkeiten sowie der Texts?rte eines Werkes lassen sich Rückschlüsse auf die Redaktion ziehen. Bezüglich der Einzelperikopen sind solche Rückschlüsse nur unter Berücksichtigung des Gesamtwerkes möglich.
Di~ Rückschlüsse .betreffen die Person des Redaktors und seine Arbeitsweise (TextrezeptIOn und Textverarbeitung), die Adressaten und ihre Welt, Ort und Zeit der Entstehung des Werkes.
2.1 Rückschlüsse auf den Redaktor und seine Arbeitsweise Texte erlauben: ~elbst wenn es sich um aus Traditionen zusammengesetzte K.omp~slttonen handelt, Rückschlüsse auf ihren Redaktor und dessen hteransche und theologische Leistung. Bez~glich der Person des Redaktors sind die Hinweise verschiede~ deuthch: Während Paulus in seinen Briefen sehr oft von sich spn~?t, äußern sich die Evangelien kaum über ihren Verfasser. Aussagen uber de~ Verfasse~ finden sich in Lk 1,1-4 (wenigstens über seine Vorgangsw~lse und seIDe Absichten) und in den Aussagen des Johan-
2.1.1
~esevangehu~s ~be~
den geliebten Jünger als Zeugen. Aus den Evangehen lassen sich IDdlrekt manche Züge der Absicht und theologische Schw~rp~nkte des Redaktors erheben. Angaben über die Verfasser finden sich ID den Werken der Apostolischen Väter und KirchenschriftstelI~r~ besonders bei Papias von Hierapolis, Irenäus und in den antimarcioß1tlschen. Evangelienprolo~en. Wieweit diese Zeugnisse allerdings auf Info~atI01~en ~e~he~, die von den Evangelien unabhängig sind, ist u~stntten . HIDslchthch der pseudepigraphischen Schriften ist ein Rückschlußverfahren anzuwenden, in welchem aus Beobachtungen am ,. Frankemölle, Handlungsanweisungen 71. VgI. die Einleitungswerke.
Text die im Brief vorausgesetzte Situation, Gemeindeordnung, Entfaltung des theologischen Denkens festgestellt wird und dann Rückschlüsse auf den Autor gezogen werden 12. 2.1.2 Bezüglich der Arbeitsweise sind die deutlichsten Hinweise dann gegeben, wenn der Redaktor sein Verfahren explizit darlegt, etwa in Lk 1,1- 4. Doch lassen sich auch aus anderen Beobachtungen Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Redaktors ziehen, nämlich aus der sprachlichstilistischen Eigenart des Evangeliums, aus den inhaltlichen Schwerpunkten und der Anordnung des Stoffes, aus der Wirkabsicht des Evangeliums als Ganzes und besonders deutlich anhand des synoptischen Vergleiches. Bevorzugter Ort der redaktionellen Tätigkeit sind Anfang und Schluß sowohl des Einzelabschniues wie des ganzen Buches 13. _ Aufgrund der sprachlich-stilistischen Eigenart einer neutestamentlichen Schrift 14 läßt sie die typische Sprechweise des Redaktors erkennen und damit seine Arbeitsweise. Wenn etwa in einem Evangelium ein Vers besonders viele sprachlich-stilistische Eigentümlichkeiten eines Evangelisten enthält, ist eher auf Redaktion zu schließen als bei anderen Versen 15; ein nicht-typisches Vokabular hingegen läßt eher auf Tradition schließen. Besonders redaktionelle Vorzugsworte sind ein Schlüssel der Redaktionsgeschichte. Allerdings reichen sprachliche Indizien allein nicht aus; erst in Verbindung mit inhaltlichen Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes lassen sich redaktionelle Bildungen erkennen 16. _ Auch die Anordnung/Komposition des Stoffes in einem Evangelium ist ein wichtiger Hinweis auf theologische Interessen des Evangelisten 17. Durch die Darstellung und Gliederung seines Werkes will er ein bestimmtes Jesusbild vermitteln, etwa durch die allmähliche OffenbaVgl. neben den Einleitungswerken F. Laub, Falsche Verfasserangaben in neutestamentlichen Schriften. Aspekte der gegenwärtigen Diskussion um die neutestamentli.;he Pseudoepigraphie: TIhZ (1980) 228-242. Il Berger, Exegese 205. " Zum Wortschatz siehe § 8. " Strecker - Schnelle, Einführung 11. 16 Zu Vorzugsvokabeln siehe oben § 8. Dschulnigg, Sprache 293 Cf, ist zuzustimmen, daß angesichts der durchgehenden sprachlichen Einheitlichkeit etwa des Markusevangeliums rein sprachliche Beobachtungen nicht ausreichen, um auf Redaktion zu schließen. Zu den sprachlichen müssen auch thematisch-semantische Beobachtungen treten. Allerdings ist bei einer Häufung von sprachlichen und semantischen Eigentümlichkeiten auf Redaktion zu schließen. Zur Problematik der Wortstatistik siehe J.H. Friedrich, Wortstatistik als Methode am Beispiel der Frage einer Sonderquelle im Matthäusevangelium: ZNW 76 (1985) 29-42. J7 Strecker _ Schnelle, Einführung 111; Zimmermann, Methodenlehre 225, 12
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rung des Wesens Jesu im Markusevangelium 18. So lassen Verse, die in engem Zusammenhang mit der Gesamtanordnung des Evangeliums stehen, die Hand des Redaktors vermuten. - Jedes Evangelium hat dann auch inhaltliche Schwerpunkte. Wenn an einzelnen Stellen solche dem Evangelisten wichtige Themen auftauchen, etwa die Messiasgeheimnistheorie bei Markus, das Thema der Gerechtigkeit bei Matthäus, die Güte und Menschenfreundlichkeit Jesu bei Lukas, ist auf redaktionelles Interesse des Evangelisten zu schließen. Zwar müssen solche Texte nicht unbedingt erst vom Evangelisten gebildet worden sein, doch ist ihre Häufigkeit Hinweis auf das Interesse des Evangelisten am Thema. - Relativ leicht zu handhaben ist die redaktionsgeschichtliche Methode, wenn Texte vorliegen, von denen der eine die Bearbeitung des an- " deren ist, wie es durch die Literarkritik nachgewiesen wird. In diesem Fall ist deutlich festzustellen, aufweiche Weise der Redaktor sein Material bearbeitet 19. - Von der Redaktion lassen sich als Tradition Texte abheben, die in einer gewissen Spannung zu den Hauptlinien des Werkes stehen 20.
2.2 Rückschlüsse auf die Adressaten Der Verfasser/Redaktor ist von seinen Gemeinden beeinflußt, wie auch er selbst sie beeinflussen wi1l 21 . Freilich kennen wir die Gemeinden nur durch die neutestamentlichen Texte selbst; die Gemeinden existieren also für den Leser nur mittelbar, als "gedeutete und vertextete Gemeinde(n)" 22. Zunächst erlaubt die semantische Analyse auch Rückschlüsse auf die Situation der Gemeinde: Wenn der Redaktor der Gemeinde gewisse Dinge mit Nachdruck (inhaltliche Schwerpunkte) sagt, muß das etwas mit der Situation zu tun haben. Allerdings bleibt dabei manches ungeklärt. " Vgl. zum Messiasgeheimnis als Leitlinie des Markusevangeliums Egger, Frohbotschaft und Lehre (s. § 11, Anm. 26) 85-91. " So sind die synoptischen Evangelien besonders für Anfänger in der redaktionsgeschichtlichen Analyse geeignet. Bezüglich der Zweiquellentheorie ist allerdings zu be_ denken, daß unter Umständen auch bei Mt oder Lk traditionsgeschichtIich älteres Material vorliegt als in ihrer literarischen Vorlage Mk. 2. Allerdings dürfen diese Traditionen, wie Frankemölle, Handlungsanweisungen 66, zu Recht betont, nicht der Verantwortung des Redaktors entzogen werden. Sein Interesse bei der Selektion der ihm zur Verfügung stehenden Traditionen und bei der Entscheidung für die Aufnahme bestimmter Traditionen ist voll in Anschlag zu bringen. 21 Besonders Berger, Exege,~e 202, betrachtet die Redaktionsgeschichte unter dem Gesichtspunkt der vom Text angestrebten Innovation. 22 Frankemölle, Handlungsanweisungen 67.
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Weitere Hinweise auf die Adressaten lassen sich auf~rund der pragmatischen Analyse gewinnen: Aus der Leserl.enk.ung,. die der Auto~ beabsichtigt, können einige Rückschlüsse auf.dle S~tuatlOn .der Ge~emde gezogen werden. Freilich ist die Situation mcht emfach die negative Folie der Mahnungen und Aussagen des Verf~ssers2.3. Die ~ah.nung zur Treue kann etwa der Bestärkung einer Gememde dl~ne~. (dl~ Sich schon um Treue müht) oder kann eine echte Mahnung sem fur eme nachlässige Gemeinde. . . Andere Hinweise lassen sich aus dem Inhalt des Werkes ~e~mnen. Wenn z. B. bestimmte Probleme genannt werden, etwa bezughch des Verhältnisses von Juden und Christen, der Kirchenordnun? usw. In der Rekonstruktion der Adressatensituation .Iassen sl~h Evangelien, Apostelgeschichte und Brief~ nicht in .der gleichen Wels~ verwenden: Es ist nämlich ein Unterschied, ob em Autor T~xte welterg~ben will um die Erinnerung an Jesus bzw. die frühe Kirchengeschichte wadhzuhalten, damit diese "Tradition" nich~ verl~ren~eht, o~er ob ?er Autor konkret auf das Verhalten einer Gememde e~nwlTken wtll.. So laßt sich aus den Briefen des Paulus ein konkreteres BIl? der Gem.emde erschließen als aus den Evangelien. Zwar sind auch dl~ Ev~ngehs~en ~on Situationen ihrer Gemeinde(n) beeinflußt; doch wlfd ~Iese SituatiOn nicht deutlich in ihren Text aufgenommen. Aufgrun? dle~er Sac~lage lassen sich die "Gemeinden der Synoptiker" nicht mit gleicher. Sicherheit feststellen wie etwa die Gemeinden des Paulus; Johannes hmgegen gibt einige konkrete Hinweise auf die Situation der Hörer: Nach J~h 9,22; 16,2 stehen die Jünger unter der Drohung, wegen d~s Beke~ntms ses aus der Synagoge ausgeschlossen zu werden, was auf ~me bestl~mte Entwicklung des Verhältnisses zwischen Juden und C~fl~~en schheßen läßt, wie sie für die Jahre 80-90 n. Chr. anzunehmen 1St.
2.3 Rückschlüsse auf Ort und Zeit der Abfassung Da sich in Texten - selbst wenn sie von einer früheren Zeit ha~deln Probleme der Zeit spiegeln, in denen der Verfasser lebt, lasse~ Sich .aus Texten Rückschlüsse nicht nur auf die Zeit machen, von der Sie benchten, sondern auch Rückschlüsse auf die Zeit, in der diese Texte verfaßt ~~.
hl Für die neutestamentlichen Texte sind vor allem folgende Pro eme
Siehe vor allem K. Berger, Die impliziten Gegner: Zur Methode de~ Erschließ~~) von "Gegnern" in neutestamentlichen Texten: PS G. Bornkamm (Tubmgen 19
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373-400. . D h' . h Ort Z4 K. Wengsl, Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Chn~tus. er. Istonsc e des Johannesevangeliums als Schlüssel zu seiner InterpretatIOn (Neukirchen 1981).
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äußerst wichtig: a) die Zerstörung Jerusalems, b) der Übergang der christlichen Botschaft vom Judentum zum Heidentum, c) die Entwick- ', • lung der Kirchenordnung, d) die Verzögerung der Parusie und e) (nun auf die Geschichte der Texte selbst bezogen) die Frage literarischer Abhängigkeit, etwa bei den Synoptikern oder auch im Verhältnis 1 Thessl 2 Thess 25 und Kol/Eph 26 • Die Hinweise auf die genannten historischen Sachverhalte erlauben einige Rückschlüsse auf die Datierung der Schriften 27: - Wenn die Zerstörung Jerusalems mit Einzelheiten ausgemalt wird, handelt es sich um eine Schrift nach 70 n. Chr. - Wenn in neutestamentlichen Schriften der Weg der Kirche zu den Heiden als selbstverständlich hingestellt wird, setzt dies voraus, daß die Heidenrnission schon voll im Gang ist. - Aus der Darstellung des Verhältnisses zwischen Judentum und christlicher Gemeinde (Ausschluß der Christen aus der Synagoge bei Joh 28; Polemik gegen die Juden bei Mt) lassen sich auch Rückschlüsse auf die Zeit und den Ort der Redaktion ziehen. Um die Rückschlüsse korrekt zu ziehen, müssen die außerbiblischen Informationen über die Entwicklung des Judentums berücksichtigt werden; zudem ist immer eine bestimmte Auffassung über den Verlauf der frühesten Kirchengeschichte mit einzubeziehen. Darüber hinaus sind die ältesten Zeugnisse über Zeit und Ort der Abfassung der Evangelien heranzuziehen. "
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ZusammenfassunS und Arbeitsanleitungen Da die redaktionskritische Methode Rückschlüsse aus Beobachtungen am Text zu ziehen hat, wird in den Arbeitsanleitungen hingewiesen, weiche Beobachtungen am Text über die Iiterarkritische Analyse hirlaus für die redaktionsgeschichtliche Analyse besonders wichtig sind und wie aus diesen Beobachtungen Rückschlüsse gezogen werden können. Für den Beginn sind die Listen von sprachlichen und thematischen Eigentümlichkeiten hilfreich, die in den Handbüchern und Einleitungen zum Neuen Testament geboten werden.
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Folgemie Allfgallen der Analyse ergetren c:n: Bezüglich der Redaktion: i _ Finden sich in diesem Text Elemente, die für den W.ortschatz. lind d e ·che EI·genart des betreffenden Redaktors kennzeIchnend smd, oder sprachl I . i h . d" Themen, die für den betreffenden Autor cbaraktenst sc sm . _ Wie fügt sich die Perikope in den Gesamtzusammenhang des Werkes und in die pragmatische Absicht des Gesamtwerkes? Bezüglich des Verfassers: _ Finden sich direkte Hinweise auf den Verfasser? Bezüglich der Adressaten, Zeit und Ort der Abfassung: _ Sammeln Sie direkte Hinweise auf die Adressaten; . _ Beschreiben Sie die Wirkabsicht des Werkes, und ZIehen Sie Rück. schlüsse auf die Situation der Gemeinde. _ Welche Haltung verrät der Text zu den Problemen Juden/Christen, KIrchenordnung, Parusieverzögerung? _ Welche Rückschlüsse lassen sich daraus für die Frage der Zeit der Abfassung zieben? . ht d i h _ Nennen Sie Gemeindeprobleme, von de~n d~r T~xt spnc ,un z ~ en Sie Rückschlüsse auf die GemeindesituatIOn, fur dIe d~r Auto~. schr~lbt. _ Welche Angaben machen die ältesten Zeugnisse (PaplaS, Irenaus, dIe antimarcionitischen Prologe)? ~assen sich .~i.ese ~ussagen von der betreffenden neutestamentlichen SclUlrt her bestatIgen .
3. Beispiel: Mk 3. 7-12: Die Verborgenheit Jesu
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'tt Mk 3 7 12 29 gehört zu den sogenannten SammelbenchDer Ab sc h m , . d' d GI' ten 30 Dieser Text spielt eine wichtige Rolle Im Aufbau un lfl e~I" le~ des Markusevangeliums. In mehreren Glie?erungsvorsc agen d w~~~ Jer Text als Einleitung für einen Großabschmtt des ~ar~u;ev~neli"ums angesehen 3I oder als Abschluß eines Großabsc~mttes ... n er ~eurteilung wieweit der Text auf Tradition oder RedaktIon zu~ckgeht, gehen die Auffassungen auseinander, und zwar von der AnSIcht, der Die folgende Darlegung beruht auf den Ausführungen ~ei Egger, Frohbotschaft und Lehre 91-111. Im einzelnen werden methodologische Prazlslerungen vorgenommen. Zu weiterer Literatur vgl. die Kommentare. 30 Zur Gattung .',samMmkelberSictht·.'s:ie~~ o~;~1§21Idie Einleitung des Abschnittes Mk 31 Nach Schweizer, . z. ., l , J"' M . VD44(1966) 3 7-<> 6a; ebenso nach I. De la Potterie, De compositione .evange 11 .. arCl: 3 7-629 135-i41; nach Pesch, Mk, z.St., ist der Abschnitt die Emleltung fur Mk, , . 32 So bei Gnilka, Mk, z. St.
2'
Vgl. W. Trilling, Untersuchungen zum zweiten Thessalonicherbrief (Leipzig 1972). Vgl. dazu R. Schnackenburg, Eph (EKK X; Zürich 1982) 26-30. 27 Zur Datierung; R. Wegner(Hrsg.), Symposion: Die Datierung der Evangelien (Paderborn 1982). 2. Wengsl, Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus. 2. 2.
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11. (Vv. 9-12 in chiastischer Struktur) a) Jesus sucht Distanz, läßt ein Boot bereitstellen b) wegen des Gedränges derer, die ihn berühren wollen b) Wegen des Rufes des Geister a) gibt Jesus das Schweigegebot. . Für die Frage Tradition oder Redaktion ergibt sich aus diesen Be~bach tungen zum Thema des Textes eine große thematische Nähe ZWischen diesem Text mit dem Thema der Verborgenheit Jesu und dem für Markus typischen Grundgedanken des Messiasgeheimnisses. Auch dieser Text drückt die Dialektik von Offenbarung und Verhüllung aus. Und eine solche Feststellung spricht für den redaktionellen Charakter des Textes 37.
ganze Text sei eine von Markus übernommene Tradition bis zur Ansicht, der Text sei eine rein redaktionelle Bildung 33. Die traditions- und redaktionskritische Analyse stützt sich auf Beobachtungen zur sprachlich-syntaktischen, semantischen und pragmatischen Struktur und zur Textsorte. Sprachlich-syntaktische Eigenart Der Text weist eine Reihe von sprachlichen Merkmalen auf, die für Mk typisch sind. Besonders gilt dies für den nachgehängten Begründungssatz in V. 10a und die durch die Partikeln '(va, '(va 1l11, yap, roCHE zusammengefügten Sätze 34 • Für das Verständnis des Textes ist die Beobachtung wichtig, daß NkpanW<JEV in V. 10 nur als Begründung angehängt ist. Semantische Struktur Zwar wird als Thema des Sammelberichtes oft angegeben: "Großer Zulauf des Volkes und Heilungen"3S o.ä, doch zeigt die gen aue Analyse, daß es sich nicht um ein Heilungssummarium handelt, sondern daß die Verborgenheit Jesu das Thema isP6: es wird nämlich nicht eine Austreibung von Dämonen erzählt, sondern nur, daß Jesus den Dämonen das Schweigegebot gibt; auch die Erwähnung der Heilungen findet sich in einem die Bereitstellung des Bootes erklärenden Nebensatz. Die Bereitst~llung des Bootes drückt eine bestimmte Distanz zwischen Jesus und der Menge aus. Das gen aue Thema des Textes ist: Andrang des Volkes und Rückzug/Schweigegebot Jesu. So ergibt sich aufgrund der stilistischen und thematisch-semantischen Gegebenheiten folgender Aufbau des Textes: I. (Vv.7-8) aj Jesus zieht sich zurück, b) die Menge folgt. JJ Pesch, Mk I 201, hält den Text für eine aus der Tradition stammende (freilich sekundäre) Bildung, die aufgrund vorgegebener Wundergeschichten gebildet worden sei; L. E. Keck, Mk 3,7-12 and Mark's Christology:JBL 84 (1965) 341-358, hält die Verse 3,7. 8a.9f für traditionell, der Rest gehe auf Redaktion zurück; Egger, Frohbotschaft und Lehre 100 f, hält den Text für rein redaktionell. 34 Zu den sprachlichen Eigenheiten: Gnilka, Mk, z.St., hält den Text auch sprachlich für eine Leistung des Mk; Pesch, Mk, ist der Auffassung, daß wesentliche Teile des Vokabulars auf vormarkinische Tradition hinweisen. Pesch stützt sich dabei auf die Vokabelstatistik, nach der die betreffenden Vokabeln auch in Traditionsstücken vorkommen. " Gnilka, Mk, z. St.; Pesch, Mk, z. SI.: Andrang zum Therapeuten und Exorzisten Jesus. 3. Egger, Frohbotschaft und Lehre 93-95
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Funktion des Textes und pragmatische Absicht Der Sammelbericht hat deutlich eine erzählende Funktion für das Gesamtevangelium: Der Text ist in vieler Hinsicht eine Zusammenfassung des Vorausgehenden, indem viele Motive der vorausgehenden Erzählung aufgenommen werden: Heilungen Mk 1,32-34; Dämonen Mk. 1,23ff; 34; Bekenntnisformeln Mk 1,24.34; Rückzug Jesu 1,38.45. Zugleich ist der Abschnitt auch eine zusammenfassende Vorschau auf das Folgende: Besonders eng ist der Zl:'sammenhang zu ~k 5,1-20; 5,21-34. Eine derartige Verknüpfung emes kurzen Textes mit dem umgebenden Kontext deutet auf redaktionelle Bildung des T~xte~. Erzä?I~ risch führt dieser Abschnitt auch jene offenbarungsgeschlchthche Lmle weiter die Markus vor allem durch die Geheimnistheorie vertritt: Der Verhärtung der Pharisäer und dem Unverständnis der Menge steht die Einführung der Jünger in das Geheimnis Jesu gegenüber 38 . In pragmatischer Hinsicht entspricht dieser Text jener pr~gmatischen Absicht, die Markus durch sein ganzes Werk verfolgt: Er wIll den Leser zum Verständnis des Wesens Jesu als des Messias und Sohnes Gottes führen 39. Auch in dieser Hinsicht entspricht der Text also dem redaktionellen Interesse des Markus. 1
Die Entstehung des Textes Der in diesem Abschnitt verwendete Wortschatz erweist den Text eindeutig als Generalisierung von Einzelgeschichten. Die Wortstatistik zeigt den Zusammenhang zwischen diesem Text und der Einzelge37 Aufgrund dieser Beobachtungen läßt sich der Text nicht ohne weiteres als eine verallgemeinernde Einleitung zu einem traditionellen Wunderzyklus ansehen. 38 Im einzelnen Egger, Frohbotschaft und Lehre 109f. 39 Vgl. den Spannungsbogen zwischen I, I und den auch erzählerisch zentralen Stellen 8,27-29 und 15,39.
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sc~ichte von der Heilung der bluttlüssigen Frau (Mk 5,21.24-34): In belden Stellen werden Wörter verwendet, die sonst in den Evangelien nicht mehr oder nur einmal vorkommen: S)'ißw, auvS)'ißw, ~!(ia'tL~, {;1tl- .. 40 1ti1ttEIV • Nur in Mk 3, 10 und 5,28 sind es Menschen, die Jesus berüh- ;.'•.,.' ren, während es sonst immer Jesus ist, der die Menschen berührt. Damit ist hinreichend erklärt, daß der Sammelbericht eine Einzelgeschichte verallgemeinert. Gleiches gilt auch bezüglich Mk 5, 1-20: das Vokabular stimmt weitgehend überein: 1tvEIJllara aKaSapta (Mk 3,11; 5,2), Kpa~EtV (Mk 3, 11; 5,5.7), 1tpoa1tl1tTEtv - npoaKuvELv (3, 11 ; 5,6), uioC; Swü (~, 11; 5,7). Dieyerallgemeinerung der Einzelgeschichten erfolgt jedoch mcht so, daß dIe Themen der Einzelgeschichten weitergeführt werden zu einem Heilungs- und Austreibungssummarium, sondern zu einem Summarium über die Verborgenheit Jesu. Markus gibt den verschiedenen Motiven Ordnung und Beziehung zueinander, indem er sie so aneinanderfügt, daß die Spannung "Offenbarung und Verborgenheit" entsteht. Dem Gedanken der Offenbarung dienen dabei die Motive der! Sammlung des Volkes und des Dämonenrufes; dem Gedanken der Verborgenheit besonders die Motive des Bootes und des Schweigegebotes ' Und dieses Summarium entspricht sprachliCh-syntaktisch, semantisch und pragmatisch der Eigenart des Markus. So ist auch anzunehmen daß diese Bildung auf Markus zurückgeht und nicht auf die Traditio~. Die festgestellten syntaktischen, semantischen und pragmatischen Strukturen legen somit die Auffassung nahe, daß Mk 3,7-12 eine redaktionelle Bildung des Markus ist.
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40 Häufigkeit: S"ißro: Mt Imal, Mk I mal, Lk nie, Joh nie, Apg nie; cruvS"ißro: nur Mk 5,24.31 ; lJ.a(JTl~: MI nie; bei Mk nur hier und Mk 5,29.34, Lk Imal, Joh nie, Apg Imal; t1tl7ti7t'tEIV: Mt 9mal, Mk Ilmal, Lk 13mal, Joh Imal, Apg Imal.
5. Teil
Lektüre unter historischem Aspekt
Beim Lesen von Texten unter historischem Aspekt geht es um die Frage nach der Verankerung der Textaussagen in der Historie. Das Verhält~is von Text und dem darin ausgesagten Ereignis muß geklärt werden. Dteses Verhältnis von Text und Ereignis ist neben der Frage nach dem Verhältnis "Altes Testament - Neues Testament" und dem Verhältnis Wort Gottes - Existenz des Menschen" eines der zentralen Probleme ;iner biblischen Hermeneutik J. Dabei geht es um die Frage, wie die Versprachlichung (und VerschriftIichung) des Ereignisses 2verl~uf~n is~ und welche Interpretationen dabei vorgenommen wurden . Dte htstonsche Rückfrage ist von der Überzeugung geprägt, daß Geschichte und geschichtliche Ereignisse für den Glauben relevant sind 3.
§ 15 Die Rückfrage nach der Historie
Aus dem Umstand allein daß ein Vorfall oder ein Wort weitergegeben wird, kann 'noch nicht ;eschlossen werden, daß sich dieses Ereignis auch zugetragen hat oder daß dieses Wort tatsächlich von dem, dem es in den Mund gelegt wird, gesprochen wurde. Von diesem Verdacht, dem alle Erzählungen und Traditionen unterliege~, sind auch di~ ne1:'te~ta mentlichen Schriften nicht ausgenommen. Mtt der Frage, wtewett SIch I P. Ricaur, Pre!ace ä Bultmann, in: Le conflit des interpretations. Essais de hermeneutique (Paris 1969) 373-392, bes. 377-380. 2 R. Schnackenburg, Der geschichtliche Jesus in seiner ständigen Bedeutung für Theologie und Kirche: K. Kerte/ge (Hrsg.), Rückfrage nach Jesus 194-220. , Vgl. dazu vor allem E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus: Z!~K 51 (1954) 125-153 - auch in: ders., Exegetische Versuche und Besm~ungen 5Gottmgen 1965) I 187-214 -, durch den die durch die Kerygma-Theologie zuruckgedrangte Frage neu gestellt wurde.
194 195
mit Hil~e ~er ne~testamentlichen Texte ein historisch zutreffendes Bild der ~relgnIsse ~el~hnen läßt, beschäftigt sich die Rückfrage nach den histonschen EreignIssen.
lichkeit überprüft wird. Die Frage ist nun: "Wie gelingt es, in methodisch richtiger Weise aus dem Text zurück in die Geschichte zu springen?" 6.
1. Das Textmodell in der Rückfrage nach den historischen Fakten
In der Rückfrage nach den historischen Ereignissen werden die neutestamentlichen Texte (die ihrer Hauptabsicht nach Glaubenszeugnisse sind) daraufhin befragt, was sich von den im Neuen Testament berichteten Vorfällen wirklich zugetragen hat.
Die Rückfrage nach den historischen Fakten liest die neutestamentlichen Texte nicht als Glaubenszeugnisse, sondern verwendet sie als Quellen. Als "Quellen" geiten in der Geschichtswissenschaft "Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann"'. Zu unterscheiden sind Überreste, d.h. "alles Quellenmaterial, das von den Geschehnissen unmittelbar - also ohne das Medium eines zum Zweck historischer Kenntnis berichtenden Vermittlers - geblieben ist" (Werkzeuge, Bauten, Institutionen), und Traditionen, d. h., "alles, was von den Begebenheiten übriggeblieben ist, hindurchgegangen und wiedergegeben durch menschliche Auffassung" 8. Überreste zeigen keinen Zusammenhang zwischen den übriggebliebenen Dingen auf, dafür sind sie nicht durch Tendenzen der Darstellung belastet; Traditionen bieten Ereignisse in einem Zusammenhang, allerdings in Auswahl und Wertung 9 •
In der neutestame~tlichen E~egese muß die Rückfrage mit der Eigenart der ne~testa~enthchen Schnften als Glaubenszeugnisse rechnen: Diese Texte smd nIcht als Protokolle abgefaßt, haben kein primär historisches I~teresse. Das Anli~g~.n dieser Schriften ist die Verkündigung Jesu Christi, und zwar als Hmfuhrung der Leser zum Glauben. So wird auch das ~ild vo.n Jesus i~ Lic~t des Osterglaubens dargestellt. Aufgrund dieser Ihre~ Elgena.rt ~Iete~ die .neut.estamentlichen Texte nicht alle jene Infor~atlOnen, ~Ie sich em Histonker wünscht. Dennoch läßt sich ein histonsch abgesichertes Bild von Jesus und der Geschichte der frühen Kirche entwerfen. Die ~rage: Was hat sich eigentlich zugetragen? ist eine moderne F~age, die den Tradenten und Schriftstellern der ersten Zeit fremd war4. Die Rückfrage nach den historischen Fakten hat sich zwar besonders in der Frage nach dem historischen Jesus und den ipsissima verba und facta Jesu entfaltet, sie betrifft jedoch alle urchristlichen Phänomene.
2. Die Durchführung der Rückfrage Die Tatsächlichkeit des Berichteten läßt sich weder durch die Quellenkritik allein noch durch die Gattungs- und Redaktionskritik allein aufzeigen. Alle diese Methoden dienen zwar, um die Eigenart von Texten zu erfassen, sie kommen aber jeweils nur zu einem Text, nicht zum Ereignis 10.
Literatur zur Einführung: K. Kerte/ge (Hrsg.), Die Rückfrage nach Jesus. Dieser Sammelband mac~t mit den .wichtigsten methodischen Problemen vertraut, beson-
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den Beiträgen von F. Lentzen-Deis und F. Mußner5.
Um die Historizität von Ereignissen nachzuweisen, sind Texte unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien daraufhin zu lesen, was sie an historisch zuverlässigen Informationen enthalten.
Die histori~che ~~ckfrage unterscheidet sich von literar-, traditionsund ~edaktlOnskntlschen Betrachtungsweisen, indem nun nicht mehr nur die Entfaltung von Texten untersucht, sondern der Bezug zur Wirk~ • Zum ~ufkommen der historischen Fragestellung vgl. W. G. Kümmel, Das Neue Testament Im 20., Jahrhundert. Ein Forschungsbericht (SBS 50; Stuttgart 1970)' ders. 30 Jahre Jes~fo~sc?ung (~9?0-1980) (Königstein 1985). Zur Anwendung der Kriterien vgl. LamblQSI, L autentIclta 21-134. • .Aus der umfangre~ch~n Literatur seien Arbeiten, die einen Gesamtüberblick über dIe Probleme ~er K~lte~en ~ebe.n, a~gef~hrt: Kertelge(Hrsg.), Rückfrage nach Jesus; F .. Lentzen-Dels, Kntenen fur dIe hIstorIsche Beurteilung der Jesusüberlieferung, in: Ruckfrage nach Jesus 78-117; F Mußner, Methodologie der Frage nach dem historischen Jesus: ebd. 118-147; J. Dupont (Hrsg.), Jesus aux origines de la christologie (<;1e':llbloux 1975);. Lambj~s~, L'autenticitä; R. Latourelle, A Gesu attraverso i vangeli. Stona e ermeneuUca (Ass1S1 1979; aus dem Französischen).
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• Mußner, Methodologie 122. , P. Kirn, zitiert bei A. von Brandt, Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die historischen Hilfswissenschaften (Stuttgart 1958) 58. • von Brandt. Werkzeug 66 71. • Ebd. 67 72f. ,. Obwohl für die Rückfrage nach Jesus eine eigene Methode entwickelt wurde, hat diese Methode noch nicht Eingang in die Methodenbücher gefunden. Daß es sich um eine eigenständige Methode handelt, betont F Hahn, Methodologische Überlegungen zur Rückfrage nach Jesus: K. Kertelge(Hrsg.), Rückfrage nach Jesus 11-77; bes. 27 unter Verweis auf M. Dibelius, ThR NF I (1929) 214: Damit ist "ein Feld betreten, das außerhalb der formgeschichtiichen Arbeit liegt".
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mit Hil~e ~er ne~testamentlichen Texte ein historisch zutreffendes Bild der ~relgmsse ~el~hnen läßt, beschäftigt sich die Rückfrage nach den historischen Erelgmssen.
1. Das Textmodell in der Rückfrage nach den historischen Fakten
In der Rückfrage nach den historischen Ereignissen werden die neutestamentlichen Texte (die ihrer Hauptabsicht nach Glaubenszeugnisse sind) daraufhin befragt, was sich von den im Neuen Testament berichteten Vorfällen wirklich zugetragen hat.
Die Rückfrage nach den historischen Fakten liest die neutestamentlichen Texte nicht als Glaubenszeugnisse, sondern verwendet sie als Quellen. Als "Quellen" gelten in der Geschichtswissenschaft "Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann"'. Zu unterscheiden sind Überreste, d.h. "alles Quellenmaterial, das von den Geschehnissen unmittelbar - also ohne das Medium eines zum Zweck historischer Kenntnis berichtenden Vermittlers - geblieben ist" (Werkzeuge, Bauten, Institutionen), und Traditionen, d. h., "alles, was von den Begebenheiten übriggeblieben ist, hindurchgegangen und wiedergegeben durch menschliche Auffassung"s. Überreste zeigen keinen Zusammenhang zwischen den übriggebliebenen Dingen auf, dafür sind sie nicht durch Tendenzen der Darstellung belastet; Traditionen bieten Ereignisse in einem Zusammenhang, allerdings in Auswahl und Wertung 9 •
In der neutestame?t1ichen E~egese muß die Rückfrage mit der Eigenart der nell:testa~enthchen Schriften als Glaubenszeugnisse rechnen: Diese Texte smd mcht als Protokolle abgefaßt, haben kein primär historisches I~teresse. Das Anli~g~.n dieser Schriften ist die Verkündigung Jesu ChristI, und zwar als Hmfuhrung der Leser zum Glauben. So wird auch das ~ild v~n Jesus i~ Lic~t des Osterglaubens dargestellt. Aufgrund dieser Ihre~ Elgena.rt ~Iete~ dIe .neut~stamentlichen Texte nicht alle jene Infor~atlOnen, ~Ie sIch em HIstoriker wünscht. Dennoch läßt sich ein historisch abgesIchertes Bild von Jesus und der Geschichte der frühen Kirche entwerfen. Die ~rage: Was hat sich eigentlich zugetragen? ist eine moderne F~age, dIe den Tradenten und Schriftstellern der ersten Zeit fremd war4. DIe Rückfrage nach den historischen Fakten hat sich zwar besonders in der Frage nach dem historischen Jesus und den ipsissima verba und facta Jesu entfaltet, sie betrifft jedoch alle urchristlichen Phänomene.
2. Die Durchführung der Rückfrage Die Tatsächlichkeit des Berichteten läßt sich weder durch die Quellenkritik allein noch durch die Gattungs- und Redaktionskritik allein aufzeigen. Alle diese Methoden dienen zwar, um die Eigenart von Texten zu erfassen, sie kommen aber jeweils nur zu einem Text, nicht zum Ereignis 10.
Literatur zur Einführung: K. Kerte/ge (Hrsg.), Die Rückfrage nach Jesus. Dieser Sammelband mac~t mit den .wichtigsten methodischen Problemen vertraut, beson-
ders m den BeIträgen von F. Lentzen-Deis und F. Mußners.
Um die Historizität von Ereignissen nachzuweisen, sind Texte unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien daraufhin zu lesen, was sie an historisch zuverlässigen Informationen enthalten.
Die histori~che ~~ckfrage unterscheidet sich von literar-, traditionsund ~edaktlOnskrltIschen Betrachtungsweisen, indem nun nicht mehr nur dIe Entfaltung von Texten untersucht, sondern der Bezug zur Wirk: • Zum Aufkommen der historischen Fragestellung vgl. W. G. Kümmel, Das Neue Testament Im 20. . Jahrhundert. Ein Forschungsbericht (SBS 50; Stuttgart 1970)' ders. 30 Jahre Jesu~fo~sc?ung (~9?0-1980) (Königstein 1985). Zur Anwendung der Kriterien vgl. Lamblasl. L autentIclta 21-134. , .Aus der umfangre~ch~n Literatur seien Arbeiten, die einen Gesamtüberblick über die Probleme der K~lte~len ~ebe.n, a~gef~hrt: Kertelge (Hrsg.), Rückfrage nach Jesus; F.'/..entzen-Dels, Kritenen fur die hlstonsche Beurteilung der Jesusüberlieferung, in: Ruckfrage nach Jesus 78-117; F. Mußner, Methodologie der Frage nach dem historischen Jesus: ebd. 118-147; J. Dupont (Hrsg.), Jesus aux origines de Ja christologie (
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Iichkeit überprüft wird. Die Frage ist nun: "Wie gelingt es, in methodisch richtiger Weise aus dem Text zurück in die Geschichte zu springen?" 6.
• Mußner, Methodologie 122. , P. Kirn, zitiert bei A. yon Brandt, Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die historischen Hilfswissenschaften (Stuttgart 1958) 58. • von Brandl, Werkzeug 66 71. • Ebd. 67 72f. 10 Obwohl für die Rückfrage nach Jesus eine eigene Methode entwickelt wurde, hat diese Methode noch nicht Eingang in die Methodenbücher gefunden. Daß es sich um eine eigenständige Methode handelt, betont F. Hahn, Methodologische überlegungen zur Rückfrage nach Jesus: K. Kertelge(Hrsg.), Rückfrage nach Jesus 11-77; bes. 27 unter Verweis auf M. Dibelius, ThR NF I (1929) 214: Damit ist "ein Feld betreten, das außerhalb der formgeschichtlichen Arbeit liegt".
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Dabei ist neben der Eigenart der neutestamentlichen Texte als Glaubenstexte noch zu berücksichtigen, daß es sich um alte Texte handelt in denen viele zeit- und umweltbedingte Faktoren wirksam sind 11. ' . In der Forschung wurde eine Reihe von Kriterien erarbeitet, die zur Überprüfung der historischen Zuverlässigkeit von Texten herangezogen werden können. Freilich ist die Anwendung eines einzigen Kriteriums kaum ausreichend, erst die Zusammenschau der verschiedenen Kriterien erlaubt ein einigermaßen sicheres Urteil. Diese Kriterien sind: ' - Das Kriterium des Alters der Quellen . "Es. ist möglichst von alten, gesicherten Quellen auszugehen." 12 So smd ~Ie ältesten Que~len, ~ie durch Literarkritik, Form- und GattungsgeschIchte erhoben smd, m der Regel eher historisch zuverläßlich als späte redaktionelle Texte; näher zum ipsissimum verbum Jesu führen Texte, die von der Sprach form her auf einen palästinensischen Ursprungsort hinweisen 13. - Das Kriterium der mehrfachen Bezeugung Dieses Kriterium ist in der Geschichtsforschung und in vielen anderen Bereichen (etwa auch Kriminalistik) anerkannt. Es lautet: Vorfälle haben sich zugetragen, und Worte gehen auf Jesus zurück, wenn sie mehrfach bezeugt sind, d. h., wenn sie in mehreren, voneinander unabhängigen Quellen bezeugt sind, also etwa durch Mk, Logienquellen, Paulus USW. 14 • Freilich stellt die Unabhängigkeit der Quellen im Neuen Testament ein Problem dar (synoptische Fragen, Verhältnis von Joh zu den Synoptikern). Mehrfache Bezeugung liegt auch vor wenn ein Thema in verschiedenen Gattungen bezeugt ist, also in Wu~derberich ten, Gleichnissen, Logien. ~ieses Kriterium beruht auf der Überlegung, ~aß Fakten oder Worte, die von mehreren unabhängigen Quellen benchtet werden oder die sich in mehreren Gattungen niedergeschlagen haben, kaum völlig erfunden sein können. Besonders wichtig ist dieses Kriterium für die Bestimmung von Verhaltensweisen Jesu 1S und für Erzählungen: "Aus sich allein läßt sich praktisch keine Erzählung über Jesus als historisch rechtfertigen. Die Logientradition muß herangezogen werden ... " 16 Ein Beispiel für die Anwendung dieses Kriteriums ist der Rückschluß auf das Thema der Liebe Gottes zu den Sündern als Ge-
Lentzen-Deis, Kriterien 95. 12 Ebd, 94. Lambiasi, L'autenticitä 175; vgL besonders die Arbeiten von J. Jeremias, etwa: Theologie des Neuen Testaments. 14 Latourelle, A Gesu 249-252; Lambiasi. L'autenticitä 141-153. " Mußner, Methodologie 135. 16 Lentzen-Deis. Kriterien 101. 11
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genstand von Jesu Verkündigung und Wirken 17: Dieses Motiv. ist !n einem Gleichnis bezeugt (Lk 15,11-32: vom v7rlorenen Sohn), m eme~ Streitgespräch (Mt 21,28-32: "Zöllner und Dirnen kommen vor.euc? m die Gottesherrschaft"), in einem Wunderbericht (Mk 2, 1-12), m emer Berufungsgeschichte (Mk 2, 13-17). Da dieses Thema in versch~ed7nen Gattungen und auch noch in verschiedenen alten Quellen bezeugt Ist, Ist es wahrscheinlich als authentischerTeil der Verkündigung J esu anzusehen. • _ Das Kriterium der Analogielosigkeit 18 Ein Faktum oder ein Wort Jesu ist authentisch, wenn es weder auf die Auffassungen des sonstigen Judentums noch auf die Auffassungen der ersten christlichen Gemeinde zurückgeführt werden kann 19. Dieses Kriterium beruht auf der Überlegung, daß die Gemeinde eher Worte Jesus in den Mund legt, die ihren eigenen Interessen entspricht. Dieses Kriterium der Analogielosigkeit (Unerfindlichkeit) beruht als.o auf dem Nachweis des Unterschiedes von Worten und VerhaltensweIsen Jesu zu Worten/Verhaltensweisen des Judentums der Zeit und der ersten Gemeinde. Der Nachteil dieses Kriteriums ist, daß durch seine Anwe~-_ dung nur ein Minimum an Daten erhoben wer?en ka~n. ~eis~iel für die Anwendung dieses Kriteriums ist der Nachweis der emZlgartlgen Autorität Jesu, die sich in den Worten: "Ich aber sage euch" ausdrückt 20, und bei der Berufung seiner JÜnger 21 • - Das Kriterium der Kontinuität und Kohärenz 22 Unter bestimmten Bedingungen kann, ausgehend von dem durch die Kriterien der mehrfachen Bezeugung und der Analogielosigkeit festgestellten Jesusgut, auf weiteres authentisches Jesusgut geschlossen .werden. Wenn nämlich Worte oder Taten Jesu eng mit dem aufgrund dieser Kriterien erschlossenen authentischen Gut verknüpft sind (aufgrund von literarkritischen, gattungsgeschichtlichen u. a. Zusamme~hängen), kann auch dieses Gut als authentisch angesehen werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Umwelt Jesu zu berücksichtigen: Di.e Umw~lt wirkt auf Wort und Wirken Jesu ein; in manchen Belangen stimmt sem Wirken mit dem damals üblichen überein, in anderen Belangen ist sein Wirken und Verhalten neu. Die Kenntnisse aus Archäologie, Judaistik usw. helfen, das Bild genauer zu fassen.
17 Zum folgenden: Lambiasi, L'autenticitä 145 (unter Verweis auf H.K. McArthur: W. Trilling). ' 11 Lentzen-Deis, Kriterien 97-99; Lambiasi, L'autenticitä 155-164. 19 Latourelle, A 'Gesu 252. 20 Siehe oben Anm. 3. 21 Siehe unten. 22 Lentzen-Deis, Kriterien 100; Lambiasi, L'autenticitä 164-173.
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- Kriterium des hinreichenden Grundes Als historisch ist ein Faktum oder ein Sachverhalt anzusehen wenn o.hne ~nahme der Tatsächlichkeit eine Reihe anderer Sachv~rhalte sIch DIcht erklären läßt 23. . Insgesamt gilt: Anhand de~ Kriterie~ der Historizität läßt sich ein geWIsser Gesamtrahmen und 10 etwa em Gesamtbild des historischen Jes.us ~ntwe.rfen 24. In manchen Fällen gelingt ein Beweis anhand dieser K?tenen DIcht. In solchen Fällen ist Nicht-Beweisbarkeit nicht mit NIcht-!atsächlichkeit gleichzusetzen. Der Weg vom Text zum Ereignis setzt eme sehr große Kenntnis der Umwelt Jesu voraus.
zu~ä~ni~nfassti1i~ (J~~ft~~ßtitH!undArbeitshinweise ~ie ~ückfrage nach den historischen Fakten beruht immer auf der BerückSichtIgung mehrerer Texte. So bildet den ersten Schritt der Rückfrage die Sammlung von Texten, die mit dem gleichen Faktum dem gleichen Verhal!en oder ~inem ä~nlichen. Wort zu tun haben. Die LÖsung dieser Probleme I~t allerdlD~s nur ID AuselDandersetzung mit der diesbezüglichen SekundärItteratur moglich. Alter der Quellen Zunächst ist festzustellen, welcher Text, der ein bestimmtes Thema beha _ deIt, der älteste ist (mit Hilfe von Redaktionsgeschichte Literarkritik U:d Gattungsgeschichte). ' Vielfältige Bezeugung In 'welchen voneinander unabhängigen Quellen ist das FaktumIWort beze~gt? In welchen Textsorten/Gattungen ist die betreffende Verhaltensweise oder ein ähnlicher Ausspruch bezeugt? Analogielosigkeit Welche Stellungnahme beziehen Paralleltexte aus jüdischer Umwelt und aus den christlichen Gemeinden zu dem Faktum oder Wort, das es zu untersuchen gilt? Kontinuität nnd Kohärenz Wie fügt sich ein Wort bzw. eine Tat Jesu in den Rahmen der Umwelt und in den Gesamtrahmen des Wirkens Jesu? Kriterium des hinreichenden Grundes Wieweit läßt sich ohne die Annahme der Historizität des Berichteten die Entstehung du Textes 4'/'\-"'" '
23 Lambiasi, L'autenticitä 191-194. 2. VgI: dazu die Werke über Jesus von Nazaret und die Darstellungen der neutestamentlIchen Theologie.
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3. Beispiel: Das Motiv der Nachfolge Die Anwendung der Kriterien der Historizität zeigt, daß das Wort "Folge mir nach", mit dem Jesus bestimmte Menschen In die Nachfolge gerufen hat, zum authentischen Jesusgut gehört. Im folgenden sollen die Kriterien der Historizität nicht auf einen einzelnen Text, sondern auf das Motiv "Nachfolge" angewendet werden 25. Die Begriffsbedeutung des Motivs ist durch statistische Erhebung, Differenzierung aufgrund der Textsorten und Berücksichtigung der mit "Nachfolge" verbundenen Themen zu erarbeiten.
Verwendung des Wortes "nachfolgen" im Neuen Testament Das Zeitwort äKOA.O~Etv wird im Neuen Testament 90mal verwendet; darüber hinaus in ähnlicher Bedeutung 61tlOCl) l:PXEo~at 35mal. Der Ausdruck kommt fast ausschließlich in den Evangelien vor (4mal in der Apg; lmall Kor; 6mal Oftb), wie auch der Ausdruck "Jünger/Schüler" in 225 von 271 Fällen jenen beigelegt wird, die dem irdischen Jesus folgen. Von der Verwendung hat also das Neue Testament das Wort "nachfolgen" für die Schilderung des irdischen Wirkens Jesu reserviert. Der Imperativ "Folge mir" ist darüber hinaus noch ein Kennzeichen der Sprechweise Jesu 26. Das Wort kann das physische Hergehen hinter einer Person bedeuten; in der Mehrzahl der Fälle ist es im Neuen Testament als Terminus technicus verwendet und meint die ständige Begleitung Jesu durch die JÜnger 27 •
Textgruppen Von der Nachfolge handeln vor allem zwei Textgruppen: Berufungserzählungen und Nachfolgeworte. Berufungserzählungen (Mk I, 16-20par; Mk 2, 14fpar; Mk 10,17-22 par) erzählen von einer eigentlichen Handlung und sind stereotyp aufgebaut: Am Beginn steht eine kurze erzählende Einleitung mit den Stichworten "vorbeigehen, sehen, rufen"; es folgt die Berufung in die Nachfolge mit dem Wort: "Folge mir/hinter mir her"; dann wird mit den Stichwörtern "Verlassen und Mit den diesbezüglichen Problemen der Historizität beschäftigt sich vor allem R. Riesner, Jesus als Lehrer. Eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelien-Überlieferung (WUNT 2,7; Tübingen '1984) 408-440 (mit Literaturangaben) ; vgl. auch WElf' ger, Nachfolge als Weg zum Leben 8~9 98-107; ders., Der Ruf in die Nachfolge als Impuls für das Ordensleben : Ordensnachrichten 21 (1982) 2\5-226. Das Nachfolgemotiv wird oft als Beispiel für die Anwendung des Kriteriums der Analogielosigkeit genannt: I. de la Potterle, Come impostare il problema dei Gesu storico: CivCatt 120 (1969) H. 2855, 447~3, bes. 458; Lambiasi, L'autenticitä 221-224. 2. H. Schürmann, Die Sprache des Christus. Sprachliche Beobachtungen an den synoptischen Herrenworten: BZ 2 (\958) 54-84, bes. 105. 27 Im einzelnen Egger, Ruf 2\6f. 2>
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Nachfolgen" die Ausführung (bzw. bei Mk 10,22 die Nicht-Ausführung) des Rufes erzählt 28. In diesen Erzählungen werden die Autorität ~esu. und der be~ingungslose Gehorsam der Gerufenen betont. Die paränetlsc~e I?tentlOn der Texte ist offenkundig. Eine eigene Bearbeitung findet sIch In Lk 5,11 durch den Zusammenhang des Motivs der Nachf
, Kennzeichen von "Nachfolge" und "Jüngerkreis"
Jesu.~ ~a~melt einen. Schül.er~reis u,?' sich, dessen Zusammensetzung ~uffalhg Inhomogen ISt (gahlälsche FIscher, ehemaliger Zöllner, ehernahger Zelot)ll. Kennzeichen des Jüngerkreises sind Berufung der Jünger durch Jesus, persönliche Bindung an Jesus, Dienst an Jesus, Teilnahme am Wanderleben und Wirken Jesu und Gemeinschaftsleben in einem Jüngerkreis J2.
Anwendung der Kriterien der Historizität Auf das Thema "Nachfolge" (weniger auf die einzelnen Texte) lassen sich vor allem die Kriterien der mehrfachen Bezeugung und der Analogielosigkeit anwenden. Das Thema "Nachfolge" findet sich, wie schon gesagt, in mehreren Textsorten: in einer Berufungsgeschichte (Mk 1,16-20par), im Zusammenhang einer Wundergeschichte (Lk 5,11), in der johanneischen Bearbeit~ng von der Berufung als Weg zum Glauben (Joh 1,35-51), in Loglen (Lk 9,57-62). Besonders erfolgreich ist in diesem Zusammenhang die Anwendung des Kriteriums der Analogielosigkeit: Der Unterschied zwischen Jesus und der urchristlichen Gemeinde zeigt sich darin, daß das Wort "nachfolgen" nur in den Evangelien verwendet wird, daß Nachfolge also als etwas für die Zeit des irdischen Lebens Jesu Typisches angesehen
wurde. Dieser Sprachgebrauch läßt erkennen, daß schon für das Urchristentum der vorösterliche .Jüngerkreis eine unwiederholbare Gemeinschaft darstellte JJ. Noch bedeutsamer ist in der Frage der Berufung und des Jüngerkreises der Unterschied zwischen Jesus und dem Judentum 34: Nach den synoptischen Berufungserzählungen geht die Initiative von Jesus aus, während bei den Rabbinen der Schüler sich einen Lehrer suchte. Jesus-Jünger und Rabbinenschüler unterscheiden sich so dann dadurch, daß für den Rabbinenschüler die Einführung in das Gesetz im Zentrum des Interesses lag, wobei es als wünschenswert galt, sich bei mehr als einem Rabbi die Gesetzeskenntnis anzueignen. Jesus bindet die Jünger an sich, und zwar für eine lebenslange Lemzeit (vgl. Mt 23,8-10). Die Jüngerschaft bei Jesus ist, dies ist ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zum rabbinischen Schüler, geprägt durch die Heimatlosigkeit, was bei den Schriftgelehrten nicht gefordert war JS • So gehört der Ruf Jesu in die Nachfolge zum authentischen Jesusgut. In den diesbezüglichen Texten (Erzählungen, Logien) wird der Blick auf die Autorität Jesu und den von ihm erhobenen Anspruch gelenkt. Riesner, Jesus als Lehrer 421 f; auf diesen Unterschied zum Urchristentum macht '\ auch de la Potterie, Problema 457, aufmerksam. 34 Die folgenden Unterschiede sind besonders klar bei Riesner, Jesus als Lehrer 415-419, herausgearbeitet. 3S Zu dem besonders "anstößigen" Berufungswort Mt 8,21 f siehe M. Hengel, Nachfolge und Charisma. Eine exegetisch-religionswissenschaftliche Studie zu Mt 8,21 fund Jesu Ruf in die Nachfolge (BZNW 34; Berlin 1968). l3
:: Zu den diesbezü~lichen Gattungselementen siehe Lambiasi, L'autenticitä 222. R. Pe~ch, Der reiche. Fischfang. Lk 5,1-II/Joh 21,1-14. Wundergeschichte, Beruf ungserzählung, Erschemungsbencht (Düsseldorf 1969). 30 F Hahn, Die Jüngerberufung Joh 1,35-51: Neues Testament und Kirche (FS R. Schnackenburg) (Freiburg i. Br. 1974) 172-190. 31 Riesner, Jesus als Lehrer 408-414. 32 Ebd. 414-419; Egger, Ruf 219-222.
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6. Teil
Lektüre unter hermeneutischem Aspekt
"Die neutestamentliche Wissenschaft hat die Aufgabe, zu einem tieferen Verständnis des Gotteswortes zu führen, wie es sich der geschichtsgebundenen Gestalt des Neuen Testamentes darbietet, dessen theologischen Gehalt zu erfassen und seine Botschaft für den heutigen Menschen zum Sprechen zu bringen." I In einer hermeneutischen Reflexion ist zu klären, was es heißt, den biblischen Text zu verstehen und seine Bedeutung für heute zu erfassen. Wie für das rechte Lesen eine Reflexion darüber eine wichtige Voraussetzung bildet 2 , ist auch die hermeneutische Reflexion unerläßlich für das rechte Verstehen. Literatur zur Einfohrung: E. Coreth, Grundfragen der Hermeneutik, und P. Stuhlmacher, Vom
Verstehen des Neuen Testamentes (mit Darstellung der wichtigsten hermeneutischen Konzeptionen). Neuere Lehrbücher zum Neuen Testament bieten auch Überlegungen zur Interpretation und Hermeneutik 3 • Das Verstehen biblischer Texte hat mit einer doppelten Eigenart der Texte zu rechnen. Die biblischen Texte sind Texte der Vergangenheit. Der Text ist aufgrund seiner Sprache, seiner inneren Logik und der Einbettung in einen zeitgeschichtlichen Zusammenhang dem Leser fremd 4. Der Leser steht in einer anderen Verstehenssituation: Er lebt unter anderen Lebensbedingungen und besitzt andere Geisteshaltungen als die ersten Leser des Textes. Diese zeitliche und kulturelle Distanz kann ein Hindernis des Verstehens sein: Zugleich aber bietet sie auch eine posi-
tive Möglichkeit, da bei bestimmten Texten erst eine zeitliche Distanz den vollen Sinn und die Bedeutung en~hüllt. Die Subjektivität, mit der jedes Lesen und Verstehen anfängt, ist ebenfalls zugleich Hilfe und Hindernis für das Verstehen des Gelesenen. Allerdings ist dazu eine Reflexion über das Vorverständnis, das jeder Leser mitbringt, notwendig, da eine unbefangene Aufnahme des Textes sein Verstehen erschwert oder gar verhindert. Die zweite Eigenart des Textes besteht darin, daß es sich bei der Heiligen Schrift um Texte handelt, die für den christlichen Leser als "Wort Gottes" normative Geltung besitzen. Das Lesen der Bibel als des" Wortes Gottes" setzt den Glauben an die Offenbarung voraus und die Bereitschaft, dieses Wort als Richtlinie für die Deutung und Gestaltung des eigenen Lebens anzunehmen. ,~ Aus dieser doppelten Problemstellung ergeben sich für das Lesen der Bibel unter hermeneutischem Aspekt die Aufgaben von Auslegung und Aktualisierung: "Auslegung" erhebt den Sinn, den der Text in seiner Ursprungssituation hatte, also das, was der Autor seinen damaligen Hörern sagen wollte. "Aktualisierung" legt jenen Sinn dar, den der Text als Text der Vergangenheit und als Wort Gottes in der heutigen konkreten gesellschaftlichen, kirchlichen, persönlichen Situation hat. Solche Vergegenwärtigung kann auf vielerlei Weise geschehen, es gelten aber auch für sie bestimmte Kriterien, und diese Kriterien können Gegenstand wissenschaftlich methodischer Reflexion sein. "Vermittlung" ist die Darlegung des Textsinnes und/oder seines Anspruches in Predigt, Katechese, Vorlesung usw. Spezifische Formen der Vermittlung bilden nicht mehr den Gegenstand dieser Methodenlehre.
§ 16 Auslegung von Texten
Die Auslegung eines Textes 1 will den Sinn erheben, den der Text in seiner Ursprungssituation hat.
1. Ein kommunikationstheoretisches Modell von "Auslegung" Zimmermann, Methodenlehre 17. 2 Siehe § I. Die Reflexion über das Lesen ist nichts anderes als eine Spezialhermeneutik. Die Reflexion über das Lesen ist nun einzubauen in die allgemeine Reflexion über das Verstehen. 3 Fahrer, Exegese 148-171; Strecker-Schnelle, Einführung 122-151 (mit Darstellung mehrerer hermeneutischer Entwürfe). Berger, Exegese 242-269, sieht die Einheit der verschiedenen Methoden im hermeneutischen Konzept der Wirkungsgeschichte. • Die historisch-kritische Methode verstärkt noch diese Fremdheit. I
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Neben den vielfältigen Gesichtspunkten hermeneutischer Bemühungen kann Auslegung auch im Rahmen eines kommunikationstheoretischen I Fahrer, Exegese 148-156; F. Mußner, Geschichte der Hermeneutik. Von Schleiermacher bis zur Gegenwart (Freiburg 21976); P. Stuhlmacher, Vorn Verstehen der Heiligen Schrift; ders., Methoden- und Sachproblematik einer interkonfessionellen Auslegung des Neuen Testaments: Vorarbeiten EKK H. 4 (Zürich 1972) li-55.
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Ansatzes behandelt werden. Der Ausleger, durch seine Arbeit Zeuge eines Kommunikationsvorganges vergangener Zeit, ist ein Leser, der über den Text und seine Einbettung in das Kommunikationsgeschehen reflektiert und dieses sein Verständnis dem heutigen Menschen vermittelt. l.l Auslegung und Blick auf die "Sache" Für die Auslegung ist es wesentlich, daß die Sache, um die es dem Text geht, in den Blick kommt. Das Verstehen geht zunächst von den Aussagen des Textes aus und bemüht sich, "die Aussagen eines Textes möglichst genau so zu verstehen, wie sie der damalige Hörer oder Leser verstehen mußte" 2. Damit ist die Auslegung allerdings nicht abgeschlossen. Ein angemessenes Verstehen eines Textes ist erst gegeben, wenn der Auslegende der "Sache" ansichtig geworden ist, um die es dem Verfasser und seinen ersten Hörern ging.
Einen Menschen, der zu mir spricht, kann ich nur verstehen, wenn ich auf das blicke, was er mir sagt, wenn ich mir die Sache zeigen lasse und "mit seiner Sicht und Auslegung selbst darauf hinblickend mich aus einandersetze"3. Verstehen heißt nämlich nicht ein Nachvollziehen dessen, was vom Autor damals gesagt worden ist, sondern heißt, die Sache selbst verstehen 4. Es wäre zu wenig, nur auf das Wort des Autors zu hören; die "Sache" könnte ja mehr an Sinn und einen dauerhafteren Sinn haben, als es ihm gelungen ist, darzulegen. In diesem Sinn rekonstruiert Interpretation den Vorgang der nur zum Teil geglückten Vermittlungs. So kann es unter Umständen möglich sein, einen Gedankengang besser zu verstehen, als es dem Autor möglich war 6 , oder auch, etwa hinsichtlich des Wirkens Jesu, jenen Sinnüberschuß zu erfassen, der in den Texten keinen Niederschlag finden konnte'. Vom Blick auf die Sache her könnte es dann auch möglich sein, sich von jener Sicht, die dem Autor eigen ist, zu distanzieren und eine neue, aktuelle und konkrete AusleFohrer, Exegese 150. J E. Coreth, Grundfragen der Hermeneutik (Freiburg 1969) 64. • Coreth, Hermeneutik 67. , K. Niederwimmer, Unmittelbarkeit und Vermittlung als hermeneutisches Problem: KerDogma 17 (1971) 97-112, bes. 103. • E. Betti, Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften (Tübingen 1967) 601; Coreth, Hermeneutik 135f. 7 R. Schnackenburg, Der geschichtliche Jesus in seiner ständigen Bedeutung für Theologie und Kirche: K. Kerte/ge (Hrsg.), Rückfrage nach Jesus 194-220. 2
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gung der Sache selbst zu versuchen, freilich immer in Auseinandersetzung mit dem, der den ersten Blick auf die Sache möglich gemacht hat 8. Für ein solches an der "Sache" orientieres Verstehen sind einige Grundstrukturen kennzeichnend 9. Gemäß der Horizontstruktur wird der EinzelinhaIt nur in der Gesamtheit eines Sinnzusammenhangs erfaßt: Das einzelne gewinnt seinen Sinn vom Ganzen, und das Ganze vom einzelnen. Biblische Einzelaussagen und Einzeltexte müssen deshalb in einem größeren Sinnzusammenhang verstanden werden, Einzelperikopen im Zusammenhang des Gesamttextes. Aufgrund der Zirkelstruktur des Verstehens ist Verstehen ein spiralförmig fortschreitendes Geschehen, das von einem Vorverständnis ausgeht, sich jedoch der Sache selbst öffnen und zum Sachverständnis entfalten muß. So kann Verstehen der biblischen Texte nur gelingen, wenn der Leser für neue Einsichten offen ist. Aus der Dialogstruktur des Verstehens ergibt sich. daß Verstehen zwar nur möglich ist im Blick auf die Sache, daß es die Sache aber nicht ohne sprachliche Vermittlung gibt. Für den Umgang mit biblischen Texten ergibt sich daraus, daß es im letzten nicht um ein Textverständnis" , sondern um ein "Sachverständnis anhand biblischer Texte" geht. Auslegung in diesem Sinn wird sich dann einer biblischen Theologie nähern 10. Abgekürzte Formen des Verstehens als Weg zur "Sache" sind im Raum der Kirche als Traditions- und Verstehensgemeinschaft möglich. 1.2 Auslegung als Objektivierung und Vermittlung von Textverständnis In der Auslegung kommt die Arbeit am Text als historischem Dokument zu einem gewissen Abschluß. Auslegung wird verstanden als Objektivierung des durch die Analyse erreichten Textverständnisses. Diese Objektivierung ist allerdings offen tür neues Verstehen.
In der Analyse wurden vielfache Wege durch den Text gelegt; in der Auslegung werden die Ergebnisse des Durchschreitens der Texte eingebracht. Somit ist die Auslegung die Zusammenfassung der dem Exege• Coreth, Hermeneutik 132f. • Die folgenden hermeneutischen Überlegungen schließen sich fast wörtlich an Coreth, Hermeneutik 115-118, an. Angefügt sind die Anwendungen für die Arbeit an den biblischen Texten. 10 G. Strecker (Hrsg.), Das Problem der Theologie des Neuen Testamentes (Wege der Forschung CCCLXVII; Darmstadt 1975).
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ten zu einem bestimmten Zeitpunkt möglichen Einsichten in den Text. Die kürzeste Form der Auslegung ist die Erstellung einer guten Obersetzung 11. In dem gewöhnlich "Auslegung" genannten Schritt werden die Ergeb?isse in eine zusammenhängende Darstellung gebracht. Es geht "um eme straffe Darlegung seiner (des Textes) Gedanken und ihrer Zuordnung und Abfolge"12. Der Ausleger, der zum Zeugen eines Kommunikationsvorganges vergange~er Zeit geworden ist, wird dann zum Vermittler für den heutigen Leser, 1Ode~ er d~esem darlegt, was sich damals zugetragen hat, um welche "Sache es g1Og, weIche "Botschaft" der Verfasser durch den Text den Adressaten zukommen ließ und zu weIchem Denken und Handeln er sie führen wollte 13. Auslegen heißt, das Sinnangebot, das ein Kommunikationsvorgang vergangener Zeit enthält, als Sinnangebot für Menschen unserer Zeit darzulegen.
"Das Interpretieren ist nicht Selbstzweck, sondern auf Adressaten - Leser oder Zuhörer - gerichtet und daher abhängig von den Umständen ' unter denen es stattfindet." 14
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Wirkabsicht des Textes darlegen. Da der heutige Leser jedoch einige Informationen, die dem ersten Leser zur Verfügung standen (z. B. Kenntnis der sozialen Umwelt usw.), nicht mehr besitzt, muß der Ausleger auch das im Text vorausgesetzte, heute aber nicht allen bekannte Wissen einbringen. Das Ausmaß der diesbezüglichen Zusatzinformationen hängt von den Voraussetzungen ab, die der intendierte Leser der Auslegung mitbringt. Da es sich um Vorgänge und Ereignisse der Vergangenheit handelt, ist Erzählen eine angemessene Form einer Auslegung. Die Auslegung umfaßt sowohl die zusammenfassende Exegese biblischer Texte als auch die Einzelexegese, die in der Erklärung wichtiger theologischer Ausdrücke des Textes und Klärung von Sachfragen besteht IS. Die Form, in der die Ergebnisse der Analyse koordiniert werden und die Auslegung eines Textes dargeboten wird, ist vielfältig: fortlaufende Kommentierung 16, bibeltheologische Zusammenschau, wissenschaftliche Monographie, Hinführung zum Textverständnis (etwa für die exegetische Vorbereitung der Predigt). Da die Auslegung biblischer Texte daraufhin zielt, den Text der Bibel als Wort Gottes an den Menschen von heute verständlich zu machen, sind außer der mehr theoretischen Interpretation aufgrund der Textanalyse auch noch andere Wege zu beschreiten.
2. Durchführung der Auslegung Die Auslegung eines Textes setzt die Analyse des Textes voraus und versucht, dem Leser Hilfen zum Verstehen des Textes anzubieten. Das methodische Problem der Auslegung besteht darin, die Auslegung text- und hörergemäß zu gestalten.
Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Um den Text dem heutigen Leser verständlich zu machen, muß der Ausleger zunächst Inhalt, formale Eigentümlichkeiten, Erzähl- und Argumentationsweisen, 11 An und für sich ist die Übersetzung erst als Abschluß der wissenschaftlichen Texte möglich. Da die Kenntn.is von Übersetzungsproblemen jedoch schon am Beginn der wissenschafthchen Arbeit notwendig ist, wurden die diesbezüglichen Fragen schon in § 7 behandelt. .2 Fahrer, Exegese 158. B Im einzelnen sind dies die Ergebnisse der sprachlich-syntaktischen, semantischen, pragmatischen und textsorten-kritischen Analyse sowie der Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Textes. 14 Schlingmann (Hrsg.), Methoden der Interpretation 9.
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§ 17 Aktualisierung von Texten
Die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift kommt erst dann zum Abschluß, wenn ein existentielles Verständnis der Schrift erreicht ist, wenn also die Schrift zum "Wort Gottes" und zum "Quell des geistlichen Lebens" geworden ist 1. Der Text wird dann nicht mehr in jener Distanz gelesen, die dem historischen Lesen eigen ist, sondern als ein "aktueller" Text, der heute seinen Anspruch an den Leser erhebt, indem er Orientierung, Weisung und Impulse für unsere Zeit gibt, und hilft, das eigene Leben und die Aufgaben unserer Zeit zu deuten und zu bewältigen. In der Begegnung mit dem Text soll der Ausleger erfahren, "I. wer er im " Fahrer, Exegese 149-151. 16 G. Lahfink, Kommentar als Gattung: BibLeb 15 (1974) 7-16; L. Panier, Le Commentaire: expansion figurative et selection semique: 5emBibl H. 31 (1983) 43-74; W. Schenk, Was ist ein Kommentar?: BZ 24 (1980) 1-20. • Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution "Dei Verbum", Nr. 21.
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Gegenüber zu den Texten ist, und 2. wer er im Gegenüber zu ihnen sein könnte" 2. ~in aktualisierendes Lesen sucht im biblischen Text Orientierung In. der
Deutung und Impulse zur Bewältigung des Lebens. Der biblische Text, der aus der Vergangenheit stammt, wird von einem Les~r vernor:nmen: der von den Fragen unserer Zeit bewegt ist und der In der Bibel eine Antwort auf Lebensfragen und Weisung für das Tun sucht.
~tualisie.rung.der Schrift geschieht in vielfältiger Weise: in der Predigt, Im Unterncht, Iß der persönlichen Schriftlesung. Die wissenschaftliche Ex~ge~e refl~ktiert kaum die Bedeutung eines Textes für die heutige Zelt. Sie "bnngt aufgrund ihrer methodischen Prinzipien die Texte zunächst einmal in Distanz zur Gegenwart und hat es bisher nicht als ihre . Aufgabe angesehen, auch den nächsten Schritt, die neue Vergegenwärtigung der Texte, selbst noch zu vollziehen oder doch vorzubereiten"3. Diesem fa~tisch~n yerzicht 4 steht freilich die verbreitete Bestrebung entgegen, eIßen biblIschen Text "einfach", unter Verzicht auf das Instrumentar der wissenschaftlichen Exegese, zu lesen und auf das Leben anzuwenden 5. Vor allem in der praktischen Bibelarbeit wird heute die Forderung nach Vergegenwärtigung der Schrift erhoben: Erst wenn die Kluft zwischen akademischer Auseinandersetzung mit der Schrift und Problemen des Alltags, also zwischen Studierstube und Existenzkämpf~n des Alltags, im Umgang mit der Schrift überwunden ist, hat das StudIUm der Heiligen Schrift ihr Ziel erreicht 6. Literatur zur Einjiihrung:
Die Beh~lfe für d~e praktische Bibelarbeit bieten neben Anleitungen zur Arbeit auch eIße vielfältige Reflexion über den Bezug des bibli-
sehen Textes zum Leben. Zur Verbindung von Exegese und existentieller Aneigung siehe vor allem Barth - Schramm, Selbsterfahrung mit der Bibel'. Für Christen, die den biblischen Text als normatives Wort Gottes anerkennen, ist jedoch eine Weiterführung der wissenschaftlichen Arbeit in die Richtung einer" Übersetzung" der Glaubensaussagen und des in ihnen implizierten Anspruchs in die veränderte Sprache und Vorstellungsweit unserer Zeit unverzichtbar 8 •
1. Lese- und Verstehensmodelle für aktualisierendes Lesen der Schrift Wenn der biblische Text zur Daseins- und Handlungsorientierung für die heutige Zeit werden soll, setzt dies nicht nur Kenntnis des biblischen Textes voraus, sondern auch eine Reflexion über den heutigen Menschen, also ein Bewußtsein seiner hermeneutischen Situation 9 • Der Text kann nur dann heutige gewandelte Weltsituation deuten und gestalten helfen, wenn die neuen Erfahrungen mit Welt, Gesellschaft und Kirche (die sich u. a. im jeweiligen Stand von Naturwissenschaften, Psychologie und Gesellschaftslehre dokumentieren) in den Verstehensprozeß eingearbeitet werden.
Für das Verstehen der Schrift ist damit eine "dialogische Struktur" wesentlich 10. Text und Exeget werden zu Dialogpartnern, allerdings zu Dialogpartnern ganz eigener Art, da der Autoritätsvorsprung der Schrift gewahrt bleiben muß 11. Für diesen Dialog gelten bestimmte Regeln: Der Text will ernst genommen werden als ein Text, der eine Botschaft zu
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Luz, Mt 79. Barth - Schramm, Selbsterfahrung mit der Bibel. Ein Schlüssel zum Lesen und Ver'stehen (~ünchen 1977) 9. Ähnlich Luz, Mt 79: "Aus mannigfachen Gründen hat histonsch-knusche Auslegung. bis~er m. E. den zweiten Aspekt ihrer Doppelaufgabe (gememt: dem Ausleger sem eigenes Vorverständnis bewußtzumachen und ihn etwas über ihn selbst zu lehren) nur unzureichend erfüllt." • Allerdings gibt es einige Werke, die längere oder kürzere Hinweise zur Lebensbedeutun~ eines Textes bieten, z. B. J. Kremer, Die Osterevangelien - Geschichten um Geschichte (Stuttgart 21981); ders., Lazarus. Die Geschichte einer Auferstehung (Stuttgart 1985). , Vgl. J. Kremer, Die Bibel- ein Buch für alle. Berechtigung und Grenzen einfacher Schriftlesung. • .Wink, Bibelarbeit (s. Anm. 7) 21 f; vgl. dazu auch Barth - Schramm, Selbsterfahrung mit der Bibel 14-18. 2
, H. Barth - T. Schramm, Selbsterfahrung mit der Bibel; W. Wink, Bibelauslegung als
J
Interaktion. Über die Grenzen historisch-kritischer Methode (Urban TB 622; Stuttgart 1976); ders., Bibelarbeit. Ein Praxisbuch für Theologen und Laien (Stuttgart 1982). In neueren Methodenbüchern wird der Arbeitsschritt der Vergegenwärtigung!Aktualisierung unter verschiedenen Bezeichnungen besprochen: Fohreru.a., Exegese 156 bis 171: "Theologische Kritik"; Berger, Exegese 242-268 : "Wirkungsgeschichtliche Hermeneutik"; Strecker - Schnelle, Einführung 122-151 : "Hermeneutik". In der praktischen Bibelarbeit ist dieser Schritt besonders wichtig, wobei in den Methodenbüchern in großem Ausmaß Reflexion über die Eigenart dieses Arbeitsschrittes betrieben wird. 8 Vgl. dazu Strecker - Schnelle, Einführung 123 und 150; Barth - Schramm, Selbsterfahrung mit der Bibel 48. • H. G. Gadamer, 11 problema della coscienza storica (Neapel 1969) 82. 10 Coreth, Hermeneutik 101 f 116f. 11 Vgl. die kritischen Bemerkungen von Berger, Exegese 243 und 251.
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vermitteln hat, der zwar ein Text der Vergangenheit ist, aber heute ansprechen will. Jede Aktualisierung hat darin ihren Grund und beginnt deshalb mit dem Hören auf den Text, um durch den Text und in diesem letztlich das .,Wort Gottes" zu vernehmen, das sein Leben betrifft. Nach der richtig verstandenen Lehre der Inspiration wendet sich ja letztendlich Gott selbst durch den Text an den Leser, um ihm sein Wort zu vermitteln . .,Wort Gottes" im vollen Sinn ist darum nicht der Text für sich allein, sondern die durch ihn heute noch ergehende Botschaft Gottes 12. Die folgenden Modelle aktualisierenden Lesens stammen zwar aus der Bibelarbeit, sie halten jedoch einer hermeneutischen Überprüfung stand 13. Im wesentlichen wird in diesen Modellen die Aktualisierung als Amplifikation des Textes verstanden: Der Leser erweitert sein Textverständnis, indem er es durch neue Elemente anreichert. Die Aktualisierung besteht also darin, daß biblische Texte in einem neuen Kontext gelesen werden. Dies können auch Zusammenhänge sein, die der Text zur Zeit der Entstehung noch nicht hatte und nicht haben konnte. Im einzelnen ist solche .,Amplifikation" auf unterschiedliche Weise möglich. 1.1 Berücksichtigung einer lebendigen kirchlichen Überlieferung Die erste Weise vom Amplifikation ist für das ka.tholische und orthodoxe Schriftverständnis kennzeichnend, gilt aber auch' für das praktische Lesen in vielen evangelischen Gemeinden 14. Für katholisches Lesen der Schrift ist die Berücksichtigung eines biblischen und außerbiblisch-kirchlichen Kontextes konstitutiv. Biblische Texte sind in einen Prozeß kirchlicher Rezeption und Weitergabe eingebettet.
Die Offenbarungskonstitution "Dei Verbum" des Zweiten Vatikanischen Konzils, Nr. 12, faßt die diesbezügliche Auffassung zusammen: .. Da die Heilige Schrift in dem Geist gelesen und ausgelegt werden muß, in dem sie geschrieben wurde, erfordert die rechte Ermittlung des Sinnes der heiligen Texte, daß man mit nicht geringerer Sorgfalt auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift achtet, unter Berücksichtigung Kremer, Die Bibel- ein Buch für alle 36f. Zur Hermeneutik vgl. vor allem H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode; ders., 11 problema della coscienza storica; E. Betti, Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften (Tübingen 1967); Coreth, Hermeneutik. 14 Kremer, Die Bibel - ein Buch für alle 51. 12
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der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche und der Analogie des Glaubens." Dieses "normative" Modell des Lesens in einem größeren Zusammenhang entspricht dem Modell einer wirkungsgeschichtlichen Hermeneutik, wonach Tradition überhaupt erst das Verstehen ermöglicht IS. Es entspricht vor allem der kirchlichen Überlieferung, die uns die Bibel als., Wort Gottes" darreicht, die nur im Licht des Heiligen Geistes richtig gelesen und verstanden werden kann. Im einzelnen bedeutet dies: - der Einzeltext wird im Kontext der ganzen Schrift gelesen, - Texte werden unter Berücksichtigung anderer Glaubensaussagen und der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche gelesen (die sog. Analogia fidei), wobei Glaubensbekenntnisse, liturgische Texte und kirchliche Entscheidungen Orientierungs punkte auch für die eigene Leseerfahrung und die wissenschaftliche Exegese sind, - Texte werden im Kontext der Liturgie gelesen, - Texte werden unter Berücksichtigung der Lebensgeschichte und Lebenserfahrung eines Menschen, einer Gemeinschaft, der Kirche sowie im Licht der Wirkungsgeschichte gelesen. Die mittelalterlichen Theologen haben ihr an dieser Auffassung orientiertes Verfahren des vierfachen Sinnes der Schrift in einem Merkvers zusammengefaßt: Littera gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quo tendas, anagogia. Der Buchstabe/wörtliche Sinn lehrt die Begebenheiten, die .. Allegorie", was du glauben sollst, der moralische Sinn, was du tun sollst, die "Anagogie" (Erhebung), wohin du streben sollst. Auch dieses Verfahren ist eine Amplifikation, indem ein Bibeltext in einen mehrfachen Zusammenhang gebracht wird: in den Zusammenhang des Glaubens, des Lebens und der Lebenserfahrung sowie der Hoffnung 16. Zwar haben Vertreter dieser Auslegungsart durch Spitzfindigkeiten diese Methode diskreditiert; doch ist sie in ihren besten Vertretern von außerordentlicher Tiefe und fern aller Spielerei. "Mit der vierfachen Auslegung wird vielmehr der Offenbarungsgehalt der Schrift auf alle denkbaren Erfahrungs- und Lebensbereiche hin entfaltet. "17
" Vgl. dazu Berger, Exegese. Das Standardwerk zum vierfachen Sinn ist H. de Lubac. Exegese medievale. Let quatre sens de I'ecriture (Paris 1959). Zusammenfassende Darstellung der Theorie deS vierfachen Sinnes: Stuhlmacher, Vom Verstehen 83 f. 17 Stuhlmacher, Vom Verstehen 83. 16
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1.2 Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte Verwandt mit der Erweiterung des Textverständnisses der kirchlichen Tradition ist die Amplifikation aufgrund der Wirkungsgeschichte des Textes 18. "Die Auslegungs- und Wirkungsgeschichte erinnert an die Fülle des Sinnpotentials, das in biblischen Texten steckt. Sie erinnert daran, daß biblische Texte nicht einfach einen festen, abgeschlossenerr Sinn haben, sondern voller Möglichkeiten stecken 19.
Die biblischen Texte haben eine vielfältige Rezeption erfahren: nicht nur eine Auslegungsgeschichte in geschriebenen Texten, etwa Kommentaren usw., sondern auch eine Wirkungsgeschichte im Tun und Leiden der Kirche 20. Die Kirchengeschichte wurde schon definiert als Geschichte, wie die Kirche mit dem Wort Gottes umgegangen ist 21 • Die Wirkungsgeschichte zeigt, wie Texte plötzlich wieder lebendig geworden sind und Einfluß ausgeübt haben. So sind vor allem die Heiligen ein lebendiger Kommentar des Evangeliums. Für den heutigen Leser kann der Blick auf die Wirkungsgeschichte neue Einsichten in die Bedeutung des Textes vermitteln. Dieser Blick auf die AuslegJlngs- und Wirkungsgeschichte "will helfen, die biblischen Texte in die Gegenwart hineinzuführen". Die Erfahrungen, die Christen in anderen Situationen mit dem Text gemacht haben, sind ein wichtiges Korrektiv für heutiges Lesen 22. 1.3 Berücksichtigung der Erfahrung des Lesers
dung von psychologischen Methoden in der Bibelarbeit. Als Elemente des Umgangs mit Texten, besonders in der Gruppenarbeit, schlägt Wink neben der Besprechung des biblischen Textes die Amplifikation und praktische Übungen vor. Als wichtigstes Arbeitsinstrument setzt Wink einen Katalog von Fragen ein, durch die die Teilnehmer selbst Einsichten gewinnen können. In der Besprechung des biblischen Textes werden an hand der historisch-kritischen Methode die anfallenden Probleme besprochen. Die von Wink vorgelegte Methode nimmt den Text als Text und den Leser als Subjekt gleichermaßen ernst, sie übergeht weder die Distanz noch die Nähe des Textes zum Leser. Gleichzeitig gibt sie Anweisungen, wie die Distanz des Textes erfaßt und der Text subjektiv angeeignet werden kann. Die Methode macht mit der Überzeugung Ernst: "Subjektiv existiert etwas erst dann, wenn es mit einer Emotion verbunden ist." 24 Ein Dialog kann nur gelingen, wenn bei beiden Dialogpartnern Bewußtheit und Erfahrung vorhanden ist; die von Wink vorgelegte Methode, die sehr stark die Selbsterfahrung in das Lesen hereinnimmt, kann helfen, "mangelnde Bewußtheit und ein Defizit an Erfahrung auf unserer Seite des Dialogs" zu überwinden 25. 1.3.2 Fragen des Menschen an den Text Dieses zweite Modell reflektierter Aktualisierung in Abb. 29 baut auf dem von Carlos Mesters vorgelegten Modell der Bibelarbeit 26 auf. Dieses Modell geht davon aus, daß der heutige Mensch eine Antwort auf seine Fragen sucht. Als Christ wendet er sich dabei u. a. auch an die Heilige Schrift.
'1.3.1 Berücksichtigung emotionaler Aspekte Die von Walter Wink vorgelegte Methode der Bibelarbeit möchte dem Leser helfen, sich biblische Texte subjektiv-emotional anzueignen. Eine solche Vergegenwärtigung hat es mehr mit den subjektiven Problemen der Leser zu tun. Wink verbindet die Überlegungen über die Grenzen der historisch-kritischen Methode 23 mit einem Plädoyer für die Verwen'~ Zur Wirkungsgeschichte: H.-Th. Wrege, Wirkungsgeschichte des Evangeliums (Göttmgen 1981), bes. 11-:-31 (Grundsätzliches); Berger, Exegese, §§ 35-37. " Luz, Mt 81. Die Wirkungsgeschichte von Mk 10, 17-31 bei Franz von Assisi ist dargestellt in W. Egger, Nachfolge als Weg zum Leben 237-284; zum Einfluß der biblischen Texte auf Franz von Assisi siehe W. Egger, Franz von Assisi. Das Evangelium als Alternative (Innsbruck 1981). 2. Vgl. dazu Luz, Mt 78-82; Wrege, Wirkungsgeschichte. 21 G. Ebeling, Kirchengeschichte als Auslegung der HI. Schrift. 22 Luz, Mt 82. 23 Dies vor allem in seinem Buch: Bibelauslegung als Interaktion.
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Abb. 29: Modell zum Verhältnis von Lebensfragen und biblischem Text ,. Zitat von Paul MacLean bei Wink, Bibelarbeit 9S. 2> So Barth _ Schramm, Selbsterfahrung mit der Bibel 74, im Anschluß an die Darlegung des Anliegens von Wink. 26 Das Modell ist entnommen aus C. Mesters, Incontri biblici (Assisi 1974), H. 1,30.
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2. Die Durchführung der Aktuplisierung
Trotz seiner Einfachheit läßt dieses Modell deutlich die zugrundeliegende hermeneutische Auffassung erkennen: Aktualisierung von Texten geschieht durch Horizonterweiterung und setzt das Bewußtsein der eigenen Situation sowie der Fremdheit des Textes voraus. Die graphische Darstellung zeigt den Vorgang des Verstehens als Horizonterweiterung: Die Menschen, die sich im Rad des Lebens bewegen, müssen sich mit den Problemen des Lebens auseinandersetzen. Diese Probleme sind intellektueller, emotiver und praktischer Art. Eine erste Voraussetzung, um von der Bibel her eine Daseins- und Handlungsorientierung zu empfangen, ist das Bewußtsein der eigenen Lebensbedingungen und der eigenen Situation 27. Dieses Bewußtsein der eigenen Situation bedeutet für den Exegeten nicht nur ein Bewußtmachen des eigenen theologischen oder konfessionellen Standpunktes 28, sondern ein Bewußtmachen der Probleme der heutigen Welt, und zwar in der Weise, daß die wichtigsten Aspekte eines Problemfeldes in den Blick kommen. Freilich besteht die Gefahr, daß der Exeget Probleme der heutigen Welt "nur aus zweiter Hand und nicht ohne laienhafte Verkürzung wiedergeben kann"; trotzdem muß der Exeget einen ersten Schritt in einem an und für sich interdisziplinären Vorgang tun, indem er die Texte unter modemen Fragestellungen befragt, ohne den Texten Gewalt anzutun 29. Christen suchen für die Lösung bestimmter Probleme u. a. Hilfe in der Schrift, indem sie ihre Fragen an die Schrift stellen. Freilich ist die Schrift ein Dialogpartner eigener Art, da sie "nur beschränkt auskunftfähig" ist 30. So dürfen die Fragen, die an die Bibel gestellt werden, nicht zu eng formuliert sein und müssen auch angemessen sein 31. Die Schrift ist nicht da, um in fundamentalistischer Weise jedes Problem zu lösen. Doch liefert uns die Schrift eine Art Orientierungsplan. Der Leser stellt seine Fragen an den Text und schaut, ob der Text eine Antwort geben kann. Aufgrund der zeitlichen und kulturellen Distanz zwischen biblischem Text und heutigen Problemen muß vielfach zunächst eine Perspektive gesucht werden, die es erlaubt, biblische Aussagen und heutige Fragen sinnvoll aufeinander zu beziehen 32. So entwickelt sich ein Gespräch zwischen Leser und Text. Diese Methode erfüllt die Forderung, daß eine Methode entwickelt werde, die nicht allein den Text, sondern auch das Subjekt des Verstehens heute befragt 33 •
Die Aktualisierung von Texten ist insofern s.ubjektiv, a~s der Lesend. ausdrücklich in den Prozeß des Verstehens embezogen Ist. Eine dem Text und der heutigen Situat~on entsprechen~e Methode der Vergegenwärtiguns;J muß. Anweisungen geben, wie Text und Erfahrung des Lesers (d· h. die auf genau~r Exege.se beruhende Kenntnis des biblische" Textes und reflektiertes Wissen um die Situation und Lebensbedingungen des heutigen Menschen) zusammengebracht werden i'ö nnen .
Im folgenden werden einige Metboden a~geführt? d~e d:n ~orgest~lIten Text- und LesernodelIen entsprechen. Die ~chwleng~elt emer. ~Issen schaftlichen Vergegenwärtigung besteht dann, daß die A~tuahslerung von Texten zu den sog. kreativeß Formen .des Umgangs .ml~ Texten gehört. Aktualisierung ist nicht eiJ1e DeduktI~n aus d:m. blbhschen Text, ndern ereignet sich in der Begegnung ZWischen blbhschem Text und ~~utigem Leser. Die Aktualisiertln~ kan~ ~icht "w!!d" :rfol~en, als ob jede Anwendung schon schriftgeJ1laß ~äre. doch laß.t s~ch eme fruchtbringende Begegnung sowie das Gewmnen neuer Emsl~hten und das Gelingen der Aktualisierung nicl1 t plan:n. Jedoch kann em R~.hm:n ~e schaffen werden, der für eine f(llchtbrmg~?de Begegnung gU?stlg I.St. Auch muß jede Aktualisierung von de~ ~ntIschen ~rage beglel!et sem, wieweit die neuen Einsichten in der Llme der Schnftaussage smd. 2.1 Zusammenschau von biblischen Texten und heutigen Problemen Ein erstes Verfahren der Aktualisierung i~ darg.elegten Sinn könnte folgendes sein: Zu einem biblischeIl Text mit b:stImmtem Thema werd~n zunächst Stichwörter zu Problenlen der heutigen Welt gesammelt. Die in den Stichwörtern genannten pro.bleme ~ind dann z~ klären,. damit nicht Probleme der heutigen welt m vO~lssensch~fthcher Welse behandelt werden, während der Bibcltext "':Issenschaft.hch behandelt worden ist. Freilich ist die Beschäftigung mit den heutigen Problemen oft nur unter Verkürzung möglich. per ideale Fall wäre das interdiszipli. . näre Gespräch. Als Beispiel solcher Beschäftigun~ mit d~.m Text sele~ gen~nnt: ~n der Aktualisierung der Passionsgeschichte ware .zu reflektieren uber die Leidensgeschichte der Menschen ilb.er~aupt; be! der ~rage ..
Methodisch wird dem bei Mesters dadurch Rechnung getragen, daß jeweils ein konkreter Vorfall erzählt wird, der auf heutige Probleme aufmerksam macht. 28 Dies betont vor allem Fohrer, Exegese IS8f 166. 2. O.H. Steck, Welt und Umwelt (Stuttgart 1978) 1744. .0 Fohrer, Exegese 158. Vgl. auch die Ausführungen über das Lesen oben § I. '1 Fohrer, Exegese 160f. .2 Vgl. o.H. Steck, Welt und Umwelt, 17f. II Barth - Schramm, Selbsterfahrung mit der Bibel 48. 27
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,I r~
zur Lektüre von Phil angeführt: wenn man den Brief als ein Schreiben auffaßt, indem Paulus die Gemeinde an seiner Leidens- und Christuserfahrung teilnehmen läßt und ihr den Sinn weitergibt, den er in der Gefangenschaft entdeckt hat, so lassen sich als Stichworte, die heutige Fragen zusammenfassen, nennen: Sinn des Lebens, Stimme der Verfolgten, evangeliumsgemäße Kommunikationsformen 34. 2.2 Vergleich des Textes mit seinen Wirkungen Bei manchen bedeutenden Menschen ist offenkundig, daß sie die Impulse für ihr Handeln aus der Bibel nehmen. Der Blick auf Leben und Werk (evtl. Schriften) solcher Männer und Frauen kann neue Einsichten in den Sinn des Textes geben: - Welche Schriftworte gaben den Impuls für Leben und Wirken des betreffenden Mannes, der betreffenden Frau? - Wie wurden bestimmte Bibelworte verstanden, und welche Wirkung haben sie ausgeübt? 2.3 Nach dem vierfachen Sinn suchen In moderner Fassung bietet die Beachtung des vierfachen Sinnes ein LesemodelI, das viele Einzelschritte wissenschaftlich reflektierter Vergegenwärtigung umfaßt. Die einzelnen Schritte: a) Im Aufmerken auf den wörtlichen Sinn (littera) wird der Text als Text der Vergangenheit gelesen. Solches Lesen ist unabdingbare Voraussetzung des weiteren Umgangs mit der Schrift. Im wissenschaftlichen Umgang mit Texten sind in diesem Schritt die synchronen und diachronen Methoden einzusetzen. b) Die Glaubenssicht (so wird das mißverständliche "allegoria" übersetzt) sucht das Ereignis oder das Wort im Kontext der gesamten Schrift, des Glaubens (gemäß der sogenannten analogia fidei) und des gottesdienstlichen Lebens der Kirche zu sehen (ohne deshalb schon alle Aussagen in dem einen biblischen Text entdecken zu wollen). Um diesen Schritt, den man eine "theologische" und "christologische" Amplifikation des Textes nennen könnte, bemüht sich die Erfassung der Wirkungsgeschichte, und zwar als Auslegungsgeschichte und Dogmengeschichte sowie als Wirkungsgeschichte im eigentlichen Sinn. In der christlichen Form des vierfachen Sinnes ist entscheidend, daß als zweiter Schritt nicht schon eine moralische Anwendung kommt (die man an jedem Text anbringen könnte, auch am Märchen usw.), sondern die 3.
W. Egger, Philipperbrief 47-51.
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christologische Lektüre steht. Dieses christliche Lesen, da~ im Text ein Zeugnis von "Christus und seinem Leib" findet, ist dann dIe Grundlage der weiteren Schritte. c) Lebensweisung (sensus moralis) läßt sich folicht nur aus den paränetischen Teilen der Schrift erheben; auch vIele andere Texte der Schrift können helfen, das Leben zu deuten und zu gestalten. Der Text wird nun zu einem Spiegel, in dem der Mensch sich selbst sehen kann. Hier kommt es zur Auseinandersetzung zwischen Text und heutigem Menschen. d) Im Richtungssinn (Anagogia) entdeckt der Leser Hin~e~se auf die Vollendung der Geschichte und des eigenen Leben.s. Der bIblIsche Te~t wird auf seinen Sinn befragt, und zwar auf dem Hmtergrund der heutIgen Sinn" und Zukunftsfrage. 2.4 Aktualisierung anhand strukturalistischer Modelle Einige einfache strukturalistische Methoden l~ssen sich ohne ~rö~ere~ Aufwand für die Aktualisierung von Texten emsetzen. Als BeIspIel seI die Anwendung des Aktantenmodells auf Wunderberichte dargestellt JS. Arbeitsanweisung In diesem Text werdea folg~de Persoaen geBaut: Um' herauszuarbeiten, was sieb zwischen den Personen, von denen die Ge·" schicbte bandelt, abspielt, kann man sich des folgenden Rasters bedienen: Geber
Gabe
Beschenkter
Helfer
Suchender
Gegner
An welcber Stelle dieses Schemas würden Sie die im Text erwähnten Perso-: nen einfügen? Bescbreiben Sie, wie die Personen im Text zueinander steben? An welcher Stelle dieses Schemas steht der heutige Mensch/Christ? (oder) . Wo können/wollen/sollen Sie sieb selbst einfügen? Begründen Sie diese: Auffasswag. ;;;tlFMt;j
3l Aus: W. Egger, Das Programm Jesu. Ein Arbeitsheft zum Lukasevangelium (Klosterneuburg 1976) 35.
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2.5 Psychologische Methoden der Aktualisierung 2.5.1 Emotionale Aneignung von Texten Die von Walter Wink vorgelegte Methode der Bibelarbeit gibt vor allem Anweisungen zur gefühlsmäßigen Aneignung von Texten. Um das Verstehen beim Leser zu fördern, "müssen möglichst alle Assoziationen, Gedanken, Gefühle und Fragen, die in der Begegnung mit einem Text als Ausdruck eines Wirksam werdens auftauchen, vernommen werden und ihr Recht bekommen, nicht nur die historisch-kritischen, und gerade die vielleicht besser nicht zuerst, weil die anderen sonst darüber verstummen" 36. In dieser Methode wird anhand von Fragen gearbeitet. Entsprechend den drei Schritten stellt Wink drei Gruppen von Fragen auf3 7 : a) Fragen, die den Zugang zur Eigenart des Textes entsprechend der historisch-kritischen Methode eröffnen, etwa: Was wird Jesus vorgeworfen? Warum durfte Jesus nicht mit Sündern verkehren? In diesem Schritt soll der Text, zu seinem Recht kommen. Die historisch-kritische Methode "räumt dem Text das Recht ein, anders zu sein, als wir es möchten, und gegebenenfalls auch zu provozieren" 38. Die Auseinandersetzung geschieht allerdings nicht durch Referat des Gruppenleiters, sondern anhand der von diesem vorbereiteten Fragen (was eine gute Vorbereitung voraussetzt). b) Fragen zur Amplifikation: Wer ist der Pharisäer, der Sünder in uns? In der sogenannten Amplifikation geht es darum, "uns in die Geschichte einzuleben" 39. Der Text soll möglichst lebendig vor Augen stehen, wobei die historischen und literarischen Sachverhalte die Kontrollmarken sind, die uns vor Spekulation bewahren 40. Dann ist die Resonanz des Textes im lesenden Subjekt zu erfahren. Die Fragen für diesen Schritt lauten: z. B. zu Mk 2, 1-12: "Wer ist der Gelähmte in Ihnen?" 41; zu Mk 2, 13-17: "Wer ist der Pharisäer und der Sünder in uns?"42 c) Hinweise für eine Übung, etwa: Schreiben Sie einen Dialog mit dem Pharisäer in Ihnen. Durch praktische Übungen, mit Hilfe von MuBarlh - Schramm, Selbsterfahrung mit der Bibel 75. Wink, Bibelauslegung 43-47: Die Fragen sind zu Mk 2,13-17 formuliert. 38 Wink, Bibelauslegung 39. Hier unterscheidet sich Wink von verschiedenen Versuchen, biblische Texte ohne Rücksicht auf den ursprünglichen Textsinn zu aktualisieren, indem er dem Text zu seinem Recht verhilft. 3. Wink, Bibelarbeit 40. 40 Wink, Bibelauslegung 43. 41 Wink, Bibelauslegung 44. ., Wink, Bibelarbeit 112.
sik, rhythmischer Bewegung, Malen, Modellieren, durch das Schreiben von Dialogen und durch Austausch der Erfahrungen in Kleingruppen soll der Text tief auf den Leser einwirken. Ein Beispiel für diese mehr individuelle Auseinandersetzung! "Konfrontation" mit einem Text ist folgendes 43 : Vor der Lektüre von Mt 7,1-5; Lk 6,37f.4lfwerden die Teilnehmer aufgefordert, den Namen eines "Feindes" (eines Menschen, den sie hassen, den sie nicht mögen oder über den sie sich gerade ärgern) aufzuschreiben und in Stichwörtern zu notieren, was sie alles an dem Betreffenden nicht leiden mögen. Dann wird die Liste zur Seite gelegt. Nachdem der biblische Text besprochen wurde, sollen die Teilnehmer überlegen, wie viele der Dinge, die sie aufgeschrieben haben, auf sie selbst zutreffen. 2.5.2 Zur tiefen psychologischen Auslegung von Texten Die Anwendung tiefen psychologischer Einsichten, besonders im Gefolge der Archetypenlehre von C. G. Jung, hat zu einer sog. tiefenpsychologisehen Auslegung von Texten geführt 44 : Biblische Texte werden in dieser Auslegung in ihrer Funktion als helfende Kräfte in einem seelischen Reifungsprozeß betrachtet, wie sie auch Träume und Märchen usw. ausüben können. So dienen die biblischen Texte als eine Art Spiegel, in dem der Leser Etappen des menschlichen Reifungsprozesses ablesen kann. "Die Methode ermöglicht es, sich mit verschiedenen Personen und Vorgängen eines Textes zu identifizieren und diese als eigene, akzeptierte oder abgelehnte, psychische Aspekte wahrzunehmen. Bei der Imagination wird ein biblisches Wort in eine Ich-Aussage umgesetzt."4S Diese der Entfaltung der Person dienende Methode bedient sich bestimmter Regeln 46. Der biblische Text hat ohne Zweifel eine solche Funktion, dem Leser auch als Spiegel seiner selbst zu dienen 47. Allerdings entspricht eine exklusive Anwendung dieser Methode nicht der Eigenart der biblischen Texte. Das Interesse der historisch-kritischen Methode an dem, was geschehen ist, ist eng mit der Eigenart der christlichen Botschaft überhaupt verbunden, so daß ein Absehen von dieser Fragestellung
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Wink, Bibelarbeit 49. Zuletzt: E. Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese (Olten 1984): M. Kassel. Biblische Urbilder. Tiefenpsychologische Auslegung nach C. G. Jung (München '1982). 4' M. Kassel, Biblische Urbilder - Begegnung mit vergessenen Menschheitserfahrungen in der Bibel: Bibel und Kirche 38 (1983) 105-112. bes. 110. 4. Vgl. den zusammenfassenden Regelkanon bei Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese 376-383 . 47 Vgl. den Sensus moralis nach dem vierfachen Sinn. 43
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bedenklich wäre 48. Die Aufbebung des Geschichtlichen im Wesentlichen 49 kann als therapeutisches Verfahren hilfreich sein. Wenn die Ver~endung bi?lisch~r Texte sachgerecht sein soll, muß vor der AmplifikatIOn der chnstologlsche Bezug der Texte (etwa der Kindheitsgeschichte) herausgearbeitet werden. Auf den ~eitrag ~er tiefenpsychologischen Auslegung biblischer Texte sollte mcht verzIchtet werden: Diese Methode lenkt nämlich den Blick auf eine wichtige Komponente menschlichen Verstehens, auf die Bedeutung von Gefühlen. Und darauf kann der Umgang mit biblischen Texten tatsächlich nicht verzichten. Einige Methoden der Aktualisierung, die auch ohne Übernahme der Archetypenlehre verwendbar sind wie freie Assoziation, gelenkte Assoziation, Amplifikation, spontan~ und gelenkte Identifikation werden in den Anleitungen der praktischen Bibelarbeit behandelPo. 2.6 Regeln für die geistliche Schriftlesung In vielen Behelfen zum Bibellesen und für Bibelgespräche werden kurzgefaß.te ~egeln für die geistliche Schriftlesung gegeben. In diesen Regeln Ist eme ganze Menge von Ansätzen herkömmlicher und neuerer e~egetis~her Arbeit eingeflossen. Unter "geistlicher Schriftlesung" ist mcht,. wIe oft aufgefaßt wird, ein rein auf Erbauung orientiertes Lesen gemeint, sondern ein Lesen innerhalb der Kirche der die Verheißung des Heiligen Geistes gegeben ist (Joh 16,13). ' 2.7 Die Heilige Schrift in der Liturgie In der liturgischen Verwendung werden biblische Texte in den Kontext anderer biblischer und liturgischer Texte sowie in den Kontext der Feier und der feiernden Gemeinde gestellt. Unter hermeneutischer Rücksicht erfährt ~e~ Text da~urch !nterpretation und Vergegenwärtigung. "Gege?~ärtlg Ist ~r (C~nstus) 10 semem Wort, da er selbst spricht, wenn die helhgen Schnften 10 der Kirche gelesen werden." SI •~ Vgl. J. H. Schroedel. Remythologisierung der Bibel? Bemerkungen zu einer SituatIonsanalyse Eugen Drewermanns: HerderKorr 39 (1985) 275-279. •• Drewermann, TiefenpsychOlogie I 381. '0 Vgl. dazu die Methodenbücher der praktischen Bibelarbeit. 'I Zweites Va~ika?isches K~nzil,. Liturgiekonstitution, Nr. 7. Vgl. auch: Schriftgebrauch und -smn m gottesdienstlichen Feiern: Concilium II (1975) H. 2.
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Bibliographien zu wissenschaftlichen Arbeiten am Neuen Testament Bibliographische Angaben zu Neuerscheinungen bieten die Zeitschriften: Elenchus Biblicus (im Zusammenhang mit der Zeitschrift Bib), Internationale Zeitschrift für Bibelwissenschaft und Grenzgebiete (IZBG), New Testament Abstracts.
2. Literaturverzeichnis zu Linguistik und Bibelwissenschaft In die folgende Auswahl aus der Literatur zum T~ema nTexttheorie und Methodenlehre" sind jene Werke aufgenommen, denen diese Methodenlehre besonders verpflichtet ist. In den Anmerkungen werden die angeführten Werke nur mit Namen und Kurztitel zitiert. Für Werke, die nicht in diesem Register verzeichnet sind, werden jeweils bei der ersten Nennung die bibliographischen Angaben gemacht (über das Autorenregister aufzufinden).
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229
f' Register
Gadamer 211 212 • Gayer 145 Glinz 13 1820243756 61 • Gnilka 54 91 191 192 • GnilkalRüger 62 64 69 70 Grässer 103 Greimas 23 93 96 97 99 119125 Grimm 13 Grimminger 18363738 Große 27 • Groupe d'Entrevernel 299399 • Groupe de Montpellier 91 108 109 Guiraud/Kuentz 77 78 79 Gülich/Heger/Ralhle 83 Gülich/Raihle 34 82 120 147148151 • Güttgemannl 27 43 120 122 185
1. Register der zitierten Autoren (* zu biblischen Themen)
I
I·
Akmajian/DemerslHarnis 27 75 134 • Aland 47 48 49 50 51 52 • Albertz 103 . • Aletti 103 124 • Altpeter 35 • Alonso-Schökel 81 Anderegg 77 121 • Arens 121 134 Baarlink 103 Babilas 159 • Barr 111 Barth/Schramm 17210 211 215 216220 Barthes 23 29 33 95 96 102110IJ1120 Baumert 143 144 Becker 162 164 169 • Berger K. 23 77 80 83 84 85 111 112 134 147 148 150 151 152 171 173 184 187 188 189 204 211 213 214 • Berger P.-R. 79 152 Berruto I 10 113 Betti 206 212 • Betz 85 135 137 Beyer U. 79 Black U. 79 Blanke 110 • Blass/Debrunner/Rehkopf 6080 • Boismard/Lamouille 163 166 168 • Bornkamm 164 • Bornkamm/Barth/Held 184
BrackertlLämmert 13 18 36 von Brand 197 Breimeyer 122 Bremond 120 123 Breuer 34 134 142 • Breytenbach 90 • Brown 173 177 178 179 180 Bühler 136 • Bühlmann/Scherer 81 • Bultmann 82 85 152 171 • Bussemann / van der Sluis 58 Buzzetti 62 67 71 Calloud 120 Cancik 85 89 • Carmignac 104 • Church 91 • Conze1mann 184 • Conzelmann/Lindemann 47 50 184 Coreth 14204 206 207 211212 Courtes 93 DaneslViehweger 148 De Beaugrande/Dressler 2931 7880 • De Gaulmyn 91 109 • De la Potterie 191 201 202203 • De Pomerol 122 • Detweiler 13 • Dibelius 171 197 • Di Marco 81 van Dijk 27 134
• Dodd 158 • Dormeyer 134 Dressler 29 77 Drewermann 221 222 • Dschulnigg 84 85 158 185 • Dupont 196 Ebeling 214 Eco 13 27 • Egger 18 2031 576061 76 78 81 83 84 89 93 95 979899 100 101 107 118 120 122 123 134 138 143 153 155 158 168 188 191 192 193 201 214218 219 Ehlich 35 36 120 • ErllGaiser 20 60 Fages 29 Fleischer/Michel 77 80 8184 • Fohrer 23 32 58 76 78 81 112 146 148 149 152 153 154 163 165 167 171 184204 205206 208209211 216 • Fossion 29 30 74 93 96 103 • Fowler 13 121 • Frankemölle 23 33 34 35 36 63 67 68 70 76 88 118 134 135 139 140 148 164 184 185 186 188 • Friedrich G. 88 89 111 Friedrich J. H. 187 • Funk 163
Hahn 43 44 88 90 120 197 202 • Hardmeier 13 23 27 34 3541 44 Haubrich 120 Hauser 76 93 96 97 91 104 120 • Hawkins 85 • Hellholm 148 Hempfer 147 148 151 152 • Hengel 203 Hennig/Hulh 27 34 Hengstel 13t1 • Holz 69 Hymes 137
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Jacobson 137 • Jeremias J. 172 110 191 Kahrmann 34 120 Kallmeyer 27 J I J5 10 111 115
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230
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I ..ck 94 99 134 137 • l.4hnemann/Böhm 91 • Illmhiusi 196 198 199 200 202 I"mmerl 120 • l .. nll 104 I"lourelle 196 198 199 • l.lIuh 187 I .. ulherg 82 I.eech 92 111 113 • l.enllen-Deis 148 196 198199 • l.eon·Dufour 124 l.eoni/Pigliaccio 134 l.ewandowski 40 121 • 1.lndemann 54 I.lnk 13 • I "hllnk 147 148209 • I.oh.. 6991 I.uhac 213 • LUl 210214 • Ma" 176-180 • MIIIIUß 13 • Mllrllueral 23 2996 120 • Mllrtini 47 49 50 • MlITxsen 184 • McKnight 148 Melellnskij 122 • Merklein 32 114 163
lersel, van 164 Isenberg 148 153 Iser 121
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Ka1verklmper 27 75 148 KlInzog 120 134 • Käsemann 181 195 KIl"e1221 • K05sühlke 63 64 65 • Keck 192 • Kedar 110 111 • Kertelge 41 43 195 196 197 206 • Klauck 163 • Knoch 68 • K<x:h K. 148 Koller 62 64 68 • Kremer 20 23 58 121 210212 • Kümmel 47 167 196
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It • Meurer 62 63 67 Meynet 82 103 134 Michel G. 78 MichelO. 183 • Minguez 76 93 96 97 98 120 126 • Morgenthaler 84 Morris 75 Mounin 110 • Müller P. G. 63 66 67 7072 Müller K. 101 • Murphy-O'Connor 163 ~ • Mußner 41 45 196 197 198205 ,
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Neirynck 85 89 • Neirynck/Seahwek 14 85 • Nida 62 63 64 66 71 110 111 113 114 • NidaITaber 62 • Niederwimmer 206 • Ollrog 153 • 01sson 76 • Ossege 111
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Panier 29 96 209 Parisi/Caste1franchi 29 • Patte 29 116 119 134 • Perrin 184 • Pesch R. 55 163 164 165176191192202 • Pesch/Kratz 124 132 163 • Pesch W. 87 • Petersen 153 P1ett 31 35 75 76 78 80 95 134 • P1öger/Knoch 69 71 Propp 120 122
Raible 148 Raib1e/Lockmann 147 Reedy 134 • Rehkopf 81 . • Reiser 84 85 89 Reiß 62 64 65 • Richter 23 32 58 78 79 148 153 165 166 167 171 172 180
231 ,
I
1
, ,
, Ricceur 23 30 195 • Rienecker 60 • Riesner 42 43 200 202 203 • Ritt 63 64 65 75 • Rohde 184 Sanders 77 • Scharbert 69 • Schelbert 148 171 • Schenk 76 209 • Schenke 171 Schlieben-Lange 134' 135 136141 • Schlier 54181 182 Schmidt S. J. 35 Schmidt K. L. 155 171 • Schnackenburg 54 58 169 170 190 195 206 • Schneider 82 • Schnider 80 176 Schober 13 75 134 137 • Schreiner 148 • Schreiner/Dautzenberg 2375 Schroedei 222 • Schürmann 41 42201 • Schweizer H. 23 58 134 • Schweizer E. 191
• Segovia 169 170 • Sowinski 27 75 78 III Stammerjohann 149 Steck 216 • Steiner 68 69 • Stock 130 • Stowers 85 • Strecker 179 207 • Strecker/Schnelle 32 47 5083 147 148 184 187 204211 • Stuhlmacher 43 91 204 205 213 Suleiman/Crossan 13 Theobald M. 74 76 • Theißen 124 126 135 173 • Thompson 87 Thraede 85 Titzmann 101 102 Tompkins 13 Trilling 88 164 184 190 Türk 13 Ulrich 93 135 • Venetz 139 • Voelz 79
Waard, de 70 Warning 13 • Wegenast 120 Wegner 190 Weimar 13 14 15 1835 59 Weinrich 13 56 121 134 138 140 • Wengst 189 190 • White 85 • Wikenhauser/Schmid 47 • Wilckens 181 182 • Wilcox 79 • Wink 17210211 215 220221 Wilß 62 63 • Wrege 214 • Wuellner 135 • • • •
Zani \17 Zeller 135 Zerwiek 60 Zimmermann/Kliesch 23 47 50 75 78 147 148 149 152 181 182 183 184 185 187 204 • Zmijewski 81 91 92
2. Register der Fachbegriffe (Sachregister) Nicht aufgenommen wurden grammatikalische Fachbegriffe. Adressat 43 143 188-189 191 Aktant 125 128 129 133 219 Aktualisierung 205 209-222 Amplifikation 212 213 215 218 220 Analyse - narrative s. auch Handlungen - pragmatische 133-146 - semantische 92-119 - soziologische 139 - sprachlich-syntaktische 77-92
232
Arbeitshinweise 53 5961 86102115128-129 142 154 168-169 175 191 200 Auslegung 205-209214 Autor, s. Verfasser Bedeutung 92 96 109 I 13 Beziehungen zwischen Textelementen 74 Code 34 35 36 38 Dekodierung, s. Entschlüsselung diachron/Diachronie 21 25 159-161
Einheitlichkeit 58 Elementarsequenz 123 Empfänger s. auch Hörer (Rezeption) 35 Entschlüsse1ung von Texten 67 95 Erzähltheorien 120-126 Erzählung 121 142 Form 146-147 Formalisierung 77 Formgeschichte 146 151 Formkritik 147 Funktion 136-138 141 193
Gattung 117 146-147 198 Gattungskritik 179 Grammatik 78 86
Kontrollinstanzen 17 18 Kulturelles Wissen 28 33 373992 95 101 151
Handeln (sprachliches) 135 139 Handlungen 106 119 122 127 Handlungsanweisungen 134 Handlungsfolge 120 127 131 Handlungsträger 106 120 124-126 127 128 129 131 Handlungsträger s. auch Aktant Handschriften 48-51 Hermeneutik s. auch Verstehen 26 33 37 195 203-209216 historisch 26 195 historisch-kritisch 21 24 25 76 221 Historizität 197 Hörer (Rezipient) 34-37
Lesen 13-26 33 36 39-40 94-92 148 151-152 164 2\1 - Lesemodell 33 94 148 164211 - in der Kirche 207 212-213 214 - und Liturgie 222 Leser 35 36 37 38 39 63 66 133 Leserlenkung 134 138 140 142 146 189 Lexem 95 96 97 102 \10 II1 113 117 Lexikon 78 86 113 Linguistik 23 127 Literarkritik 161 162-170 179 Liturgie 213 222
Instruktion 138 140 145 Interaktion 125 129 133 147 Inventar der Elemente 96-100 102 103 Isotopie 97 Kode s. Code Kodierung 184-185 Kohärenz 29 31-33 81 165 167 171 199 Kommunikation 22 27-28 34 35 36 37-39 68 125 139-140 148 - Kommunikationsgeschehen 34-40 - Kommunikationsvorgang 63-64 74 142 146 208 Kompetenz 16 114 Komponentenanalyse 66 113114-115 Kontext 57-58 93 110 II1 112 117 118 136 139144
Materialistische Exegese Matrix 115 Methode 20 22 24 Motiv 110 112 113 115 124 128 129 132 193 194 Narrative Analyse 119-133 Objektivierung 59 "62 207 Oppositionen 98 102 103-108 130 Paradigma 111 112 113 Pragmatik 31 76 Proformen 80 psychologische Methoden 220-222 Quellen 39 159 162 163 197198 Redaktor 183-184 186-187 Redaktionsgeschichte 161 Radeaktionskritik 161 183-194
Reflexion 60 13 15 19 Regeln 29 ~3 2\ Relwnstr"l ~O 77 52-53 6~~ti()n 39 Revision ~ 1)5 181~0 RezeptiOI) ~ f>7 183 66 67 9~h 38 39 Rückfrag~ 212214 ·#1-.,S Rückschl"l14 195 186 187 ~ 39_40<03 18~-190 175 Scbreibha. SCbriftauS~dll.in I gung '1gl.in: s J5 I~S Segment
8_a I13 I
~33
, Ricreur 23 30 195 • Rienecker 60 • Riesner 42 43 200 202 203 • Ritt 63 64 65 75 • Rohde 184 Sanders 77 • Scharbert 69 • Schelbert 148 171 • Schenk 76 209 • Schenke 171 Schlieben-Lange 134'135 136141 • Schlier 54 181 182 Schmidt S. J. 35 Schmidt K. L. 155 171 * Schnackenburg 54 58 169 170 190 195 206 • Schneider 82 • Schnider 80 176 Schober 13 75 134 13 7 • Schreiner 148 • Schreiner/Dautzenberg 2375 SchroedeI 222 • Schürmann 41 42 201 • Schweizer H. 23 58 134 • Schweizer E. 191
* Segovia 169 170 * Sowinski 27 75 78
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Stammerjohann 149 Steck 216 • Steiner 68 69 • Stock 130 • Stowers 85 • Strecker 179 207 * Strecker/Schnelle 32 47 5083 147 148 184 187 204211 • Stuhlmacher 43 91 204 205 213 Suleiman/Crossan 13 Theobald M. 74 76 * Theißen 124 126 135 173 • Thompson 87 Thraede 85 Titzmann 10 I 102 Tompkins 13 Trilling 88 164 184 190 Türk 13 Ulrich 93 135
* Venetz 139 * Voe1z 79
Waard, de 70 Warning 13 • Wegen ast 120 Wegner 190 Weimar 13 14 15 1835 59 Weinrich 13 56 121 134 138 140 • Wengst 189 190 * White 85 * Wikenhauser/Schmid 47 • Wilckens 181 182 • Wilcox 79 * Wink 17 210 211 215 220221 Wilß 62 63 * Wrege 214 • Wuellner 135 • Zani 117 • Zeller 135 * Zerwick 60 * Zimmermann/Kliesch 23 47 50 75 78 147 148 149 152 181 182 183 184 185 187 204 * Zmijewski 81 91 92
2. Register der Fachbegriffe (Sachregister) Nicht aufgenommen wurden grammatikalische Fachbegriffe. Adressat 43 143 188-189 191 Aktant 125 128 129 133 219 Aktua1isierung 205 209-222 Amplifikation 212 213 215218220 Analyse - narrative s. auch Handlungen - pragmatische 133-146 - semantische 92-119 - soziologische 139 - sprachlich-syntaktische 77-92
232
Arbeitshinweise 53 59 61 86102115128-129 142 154 168-1~9 175 191 200 Auslegung 205-209214 Autor, s. Verfasser Bedeutung 92 96 109 113 Beziehungen zwischen Textelementen 74 Code 34 35 36 38 Dekodierung, s. Entschlüsselung diachron/Diachronie 21 25 159-161
Einheitlichkeit 58 Elementarsequenz 123 Empfänger s. auch Hörer (Rezeption) 35 Entsch1üsse1ung von Texten 67 95 Erzähltheorien 120-126 Erzählung 121 142 Form 146-147 Formalisierung 77 Formgeschichte 146 151 Formkritik 147 Funktion 136-138 141 193
Gattung 117146-147198 Gattungskritik 179 Grammatik 78 86 Handeln (sprachliches) 135 139 Handlungen 106 119 122 127 Handlungsanweisungen 134 Handlungsfolge 120 127 13l
Handlungsträger 106 120 124-126 127 128 129 131 Handlungsträger s. auch Aktant Handschriften 48-51 Hermeneutik s. auch Verstehen 26 33 37 195 203-209216 historisch 26 195 historisch-kritisch 21 24 2576221 Historizität 197 Hörer (Rezipient) 34-37 Instruktion 138 140 145 Interaktion 125 129 133 147 Inventar der Elemente 96-100 102 103 Isotopie 97 Kode s. Code Kodierung 184-185 Kohärenz 29 31-33 81 165167171 199 Kommunikation 22 27-28 34 35 36 37-39 68 125 139-140 148 - Kommunikationsgeschehen 34-40 - Kommunikationsvorgang 63-64 74 142 146 208 Kompetenz 16 114 Komponentenanalyse 66 113 114-115 Kontext 57-58 93 110 111 112 117 118 136 139 144
Kontrollinstanzen 17 18 Kulturelles Wissen 28 33 3739 92 95 101 51
r
Lesen 13-2633 36 39-40 94-92 148 151-152 164 211 - Lesemodell 33 94 148 164 211 - in der Kirche 207 212-213 214 - und Liturgie 222 Leser 35 36 37 38 39 63 66 133 Leserlenkung 134 138 140 142 146 189 Lexem 95 96 97 102 110 111 113117 Lexikon 78 86 113 Linguistik 23 127 Literarkritik 161 162-170 179 Liturgie 213 222 Materialistische Exegese Matrix 115 Methode 20 22 24 Motiv 110 112 113 115 124 128 129 132 193 194 Narrative Analyse 119-133 Objektivierung 59 '62 207 Oppositionen 98 102 103-108 130 Paradigma 111 112 113 Pragmatik 31 76 Proformen 80 psychologische Methoden 220-222 Quellen 39 159 162 163 197 198 Redaktor 183-184 186-187 Redaktionsgeschichte 161 Radeaktionskritik 161 183-194
Reflexion 13 15 19 23 24 60 Regeln 29 30 77 Rekonstruktion 39-40 52-5363175181 183 Revision 48 67 Rezeption 37 38 39 41-45 666795212214 Rückfrage 14 195-203 Rückschluß 39-40 175 186 187 189-190 Schreibhandlung 135 145 Schriftauslegung s. Auslegung Segment 29 56 57 98 Semantik 31 7692-133 Semiotik 99 100 109 Sender 64 Sinn 14 22 33 63 93 95 96 206-207 218 Sinnlinien 97 98 103-108 130 Sitz im Leben 149-150 151 152-153 154 158 162 175 183 Spannungen im Text 32 33 165 167-168 172 173 188 Sprachwissenschaft s. auch Lingustik 23 24 27 Sprechakt/-handlung 127 135 140-144 145-146 Sprecher 34 Sprechsituation 35 Statistische Methoden 84-85 98 193 Stil 31 81-83 86 Strategie 138 Struktur 28-3329 30 33 7494 106 107 Strukturalismus 219 Subjektivität 14 16 205 214215217 synchron/Synchronie 21 2425 64 75-77 synoptischer Vergleich 102 162-164 168-169 Syntagma 111 112 113 Syntax 31 76 78-81
233
Text Textanalyse s. Analyse Textaufbau 84-85 192 Textgliederung 58 83-8491 157 187 Textkohärenz s. Kohärenz Textlinguistik 21 23 Textmodell 34 94 121 135 148 163 171 184 197211 Textpragmatik 133-146
Textproduktion 43 44-4594 Textsegmentierung 57 Textsorte 117 14~158 Texttheorie 22 23 24 2727-45 Textvergleich 84-85 87 152 154 172 Textkritik 4~55 Texttypen 48-51 Textvarianten 47-48 Textverständnis s. auch
Verstehen Tradentenkreis 43 170 175 183 Traditionsgeschichte 146 151 161 171 Traditionskritik 161 163
170-183 Transformation 126-127 130 Überschriften 100-101 102
3. Register der Bibelstellen In das Register sind nur jene Bibelstellen aufgenommen, die ausführlich besprochen werden. Mt 1-2 117 Mt 7,7-12 57 Mt 18,15-17 87-88 Mt 28, 18-20 88-89 Mk 1 89-90 107 Mk 1,1 53-54 Mk Sammelberichte (I, 14f.21 f. 32-34.39.45; 2,1 f.13; 3,7-12; 4,1 f; 6,6 b.30-34.53-56;
234
10,1) 155-158 Mk 1.15 72 Mk 3.7-12191-194 Mk 9,14-29 104-105 Mk 10,13-16 118-119 Mk 10, 17-31 97-98 100 168 Mk 10,46-52 130-133 Mk 14,3-9 176-181 Lk 1-2 117 Lk 4,16-30 103-104
Lk 7,36-38 177-181 Joh 12,1-8 177-181 Joh 13,34 f 69-170 Apg 1,2lf 116 Röm 1,3f 181-183 1 Kor 7 143-144 Gal 1,1-5 105-107 Eph 1,1 54-55 1 Thess 1,1 58 Phlm 90-92 108-109 144-146
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