Benedikt Köhler Soziologie des Neuen Kosmopolitismus
Forschung Gesellschaft
Benedikt Köhler
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Benedikt Köhler Soziologie des Neuen Kosmopolitismus
Forschung Gesellschaft
Benedikt Köhler
Soziologie des Neuen Kosmopolitismus
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2005
. . 1. Auflage August 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Monika Mülhausen / Marianne Schultheis Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN-10 3-531-15125-8 ISBN-13 978-3-531-15125-0
Meinen Eltern
Inhaltsverzeichnis Danksagung
11
1
Einleitung 1.1 Fragestellung und Fallauswahl 1.2 Plan der Arbeit 1.3 Methodische Anmerkung
13 17 18 19
2
Philosophischer und sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus 2.1 Philosophischer Kosmopolitismus 2.1.1 Ethischer Kosmopolitismus 2.1.2 Rechtlicher Kosmopolitismus 2.1.3 Neuer Kosmopolitismus 2.2 Sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus 2.3 Kosmopolitische Reflexivitat
21 24 25 32 37 49 58
3
Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus 3.1 Orient als Vorstellung 3.2 Wissen und Macht im Diskurs des Orientalismus 3.3 Analytische und normative Elemente der Postkolonialismustheorie 3.4 Akteure und Beobachter 3.5 Universalismus, Partikularismus und der Begriff des Irdischen . . 3.6 Exil als Beobachterstandort 3.7 PostkoloniaHsmus und Kosmopolitismus 3.8 Schlussfolgerung
65 72 78 83 92 97 101 110 117
4
Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus 4.1 Postkolonialismus und Marxismus 4.2 Intemationalismus und Kolonialismus 4.3 Kosmopolitische Beriihmtheiten 4.4 Kosmopolitismus als Ideologic 4.5 Widerstand, Verortung, Reflexivitat 4.6 Schlussfolgerung
123 126 133 138 150 160 166
Inhaltsverzeichnis 5
Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten 5.1 Identitat und Hybriditat im postkolonialen Kontext 5.2 Biologischer und kultureller Rassismus 5.3 Universalistischer Antirassismus 5.4 Multikulturalismus 5.5 Schwarzer Partikularismus 5.6 Anti-Antirassismus und strategischer Essentialismus 5.7 Diaspora 5.8 Schlussfolgerung
171 176 183 188 194 199 203 210 221
6
Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus 6.1 Postkoloniale Geschichtskritik 6.2 Minderheitengeschichte und subalteme Vergangenheiten 6.3 Reflexivitat 6.4 Schlussfolgerung
229 231 238 249 250
7
Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich 7.1 Definitionen 7.2 Alter und Neuer Kosmopolitismus 7.3 Der Kosmopolit 7.4 Andersheit 7.5 Geltung 7.6 Starke 7.7 Empirie 7.8 Normativitat 7.9 Methodologie 7.10 Voluntarismus 7.11 Macht 7.12 Institutionen 7.13 Reflexivitat 7.14 Verortung
255 255 258 260 260 263 264 265 267 269 272 274 275 276 277
7.15 Kritik
278
Fazit
281
8
Literaturverzeichnis
285
Abbildungsverzeichnis
1.1 Plan der Untersuchung
18
2.1 Normativer und methodologischer Kosmopolitismus in der Antike . . . 2.2 Modell konzentrischer Zugehorigkeiten 2.3 Taxonomisches Modell des kosmopolitischen Denkens
23 27 58
3.1 Gmndlagen des postkolonialen Kosmopolitismus
122
4.1 Kosmopolitismus als Ideologie
156
5.1 Rassismus und Antirassismus
187
6.1 Die Geschichtskritik der Subaltern Studies 6.2 Subaltern Studies und das postkoloniale Reprasentationsdilemma
231 . . . 251
Tabellenverzeichnis 2.1 Fragenkatalog ftir eine Soziologie des Kosmopolitismus 3.1 Dimensionen der Postkolonialismustheorie
63 117
4.1 Idealfiguren des postkolonialen Kosmopolitismus 149 4.2 Kosmopolitismus im Binnen-und AuBenverhaltnis 161 4.3 Dimensionen des neokolonialen und antikolonialen Kosmopolitismus . 167 5.1 Facetten kosmopolitischer Identitat 5.2 Hybridismus und Antihybridismus 5.3 Kosmopolitismus als Dialektik
173 181 222
6.1 Universalismus und Partikularismus in der indischen Geschichtsschreibung
243
Danksagung Danken möchte ich zuallererst meinem Doktorvater Ulrich Beck, dessen Begeisterung für die Erforschung kosmopolitischer Phänomene, die sich hinter dem häufig unverdächtigen nationalstaatlichen Alltag verstecken, mich unzweifelhaft angesteckt hat. Vielen Dank auch an meine Kollegen Daniel Levy und Michael Heinlein sowie an meinen Vater Karl-Heinz Köhler für die vielen und sehr hilfreichen Kommentare zu diversen Entwürfen, Fragmenten und Fassungen dieser Arbeit. Ohne das Entgegenkommen von Wolfgang Bonß, der mir in Neubiberg hervorragende Arbeitsbedingungen für die Endphase der Arbeit zur Verfügung stellte, hätte ich dieses Manuskript niemals so schnell fertig stellen können. Außerdem danke ich Edgar Grande, dem Zweitgutachter dieser Arbeit, sowie Heiner Keupp. Bei Timothy Brennan, Dipesh Chakrabarty, Neil Lazarus, Benita Parry sowie den Mitarbeitern des East-West Centers Hawaii bedanke ich mich für ihre unkomplizierte Hilfe bei dem Beschaffen unveröffentlichter Manuskripte oder der Klärung von Fragen zur Interpretation der in dieser Arbeit betrachteten Theorien. Einen kaum zu unterschätzenden Anteil an dem Gelingen dieser Studie hat auch der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Sonderforschungsbereich 536 „Reflexive Modernisierung“, der mir nicht nur die für die Konzentration auf diese Arbeit notwendige finanzielle Sicherheit geben konnte, sondern auch in den letzten Jahren meine intellektuelle Heimat gewesen ist. Danke auch an Donald E. Knuth für das freie Textsatzsystem TEX sowie Leslie Lamport für LATEX und Markus Kohm für die KOMA - Script-Makros. Die wichtigste Voraussetzung für diese Arbeit ist jedoch nicht zuletzt meine Familie, Lilly, Carlotta und Ferdinand, gewesen, die alle gefühlsmäßigen Begleiterscheinungen dieser Arbeit hautnah miterleben durften – ihnen gebührt unermesslicher Dank. Zuletzt ist noch darauf hinzuweisen, dass die hier genannten Personen für etwaige Mängel dieser Arbeit selbstverständlich in keiner Weise verantwortlich sind.
München, 8. Juni 2006
Benedikt Köhler
1 Einleitung Gegen Ende des 20. Jahrhunderts erlebt die Idee des „Kosmopolitismus" - die Vorstellung einer primaren individuellen Zugehorigkeit zur umfassenden Einheit der Menschheit beziehungsweise einer unbedingten Offnung fiir die Andersheit der Anderen^ - eine Renaissance, die gleichzeitig an mehreren Orten dazu fiihrt, dass sich Wissenschaftier und offentliche Intellektuelle wieder intensiv mit diesem jahrtausendealten Konzept befassen.-^ So entwickelt sich vor allem in den USA eine philosophisch-ethische Debatte, in der die kommunitaristischen, nationalistischen Oder patriotischen Pflichten des Individuums seinen Nachsten gegeniiber mit den kosmopolitischen Pflichten in Bezug auf die allgemeine Menschheit konfrontiert werden.^ Parallel dazu setzen sich primar europaische Theoretiker mit der Frage nach den Bedingungen und Moglichkeiten einer kosmopolitischen Demokratie auseinander und versuchen, Kants Modell des Ewigen Friedens im Sinne einer normativ fundierten kosmopolitischen Weltordnung fiir das 21. Jahrhundert zu aktualisieren.^ Aber nicht nur die Philosophic beschaftigt sich wieder verstarkt mit den auf die antiken Kyniker und Stoiker zuriickzufuhrenden Ideen des Kosmopolitismus, sondern durch die reflexive und selbstkritische Aufmerksamkeit fiir die Andersheit kulturell Anderer und vor allem den eigenen Umgang damit wachst auch in Disziplinen wie den Cultural Studies beziehungsweise der Vergleichenden Literaturwissenschaft^ und der Ethnologic^ der Einfluss kosmopolitischer Diagnosen, 1 Gemeint ist also nicht der biologisch-naturwissenschaftliche Kosmopolitismus, der diejenigen Pflanzen und Tiere - neben den in Lexika immer wieder zu findenden Beispielen der Kuckucke, Rabenvogel, Schaben, Schildflechten und Krankheitserregem wie etwa Coronaviren ist das prominenteste Beispiel dafiir sicherlich der Mensch - als Kosmopoliten bezeichnet, die auf der ganzen Welt anzutreffen sind. 2 Die theoretische Hausse dieser Idee zeigt sich nicht zuletzt in der Zunahme von entsprechenden einschlagigen Sammelbanden wie Anker (2000a); Archibugi (2003); Archibugi/Held (1995); Archibugi etal. (1999); Beck/Sznaider (2006a); Breckenridge etal. (2000); Brock/Brighouse (2005); Cheah/Robbins (1998); Meijer (1999); Nussbaum (1996a); Vertovec/Cohen (2002a). 3 Vergleiche Barber (1996); Bowden (2003); Miller (1998); Nussbaum (1994, 1996c, 1997); Pogge (1992); Rorty (1994, 1998); Scheffler (2002b); Waldron (1992). 4 Vergleiche Archibugi (1991, 1995); Derrida (2001a); Held (1995); Kaldor (1995, 2004); LutzBachmann (1997); Stevenson (2002); Tassin (2003); Wood (1998). 5 Vergleiche Anderson (1998); Brennan (1989a, 1997a, 2001c); Hall (2002); Robbins (1997a, 1998a, 1999). 6 Vergleiche Caglar (1994, 2002); Clifford (1998); Friedman (1994); Hannerz (1990); Ong (1998);
14
1 Einleitung
Methoden und Theorien. SchlieBlich erfasst diese Bewegung auch die Politikwissenschaften und die Soziologie, die ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf die Implikationen einer empirischen Kosmopolitisierung der sozialen und politischen Wirklichkeit der Weltgesellschaft im 20. und 21. Jahrhundert richten.^ Da diese kosmopolitische Renaissance eine vergleichsweise junge Erscheinung ist, findet man bis heute theoretische Untersuchungen hierzu ausschlieBlich mit Bezug auf die klassischen kosmopolitischen Ideen von der Antike bis in die Neuzeit^, wahrend die erwahnten ,JS[euen Kosmopolitismen"^ der letzten Jahrtausendwende bislang noch nicht systematisch analysiert wurden. Dieses Desiderat ist die grundlegende Motivation fiir diese Arbeit, die sich dem theoretischen Diskurs des Neuen Kosmopolitismus und seine empirischen, methodologischen und normativen Implikationen widmet. Dies soil jedoch nicht auf die in der Philosophic ubliche ideengeschichthche Weise geschehen, sondem in einer soziologischen Herangehensweise. Damit soil insbesondere der Fokus auf den Umgang mit der Frage der Andersheit in den kosmopolitischen Theorien gescharft werden. Denn wahrend sich die ethischen und politisch-philosophischen Ansatze entweder auf das generalisierte KoUektivsubjekt der Menschheit berufen oder aber auf eine abstrakte Figur des Anderen, steht im Mittelpunkt der zeitgenossischen ethnologischen und zunehmend auch soziologischen Kosmopolitismen die reale Andersheit meist kulturell Fremder im Mittelpunkt.^^ So liegt eine mogliche Erklarung des plotzlichen Bedeutungsgewinns des kosmopolitischen Denkens gegen Ende des 20. Jahrhunderts schlicht darin, dass durch immer weiter beschleunigten Prozesse der okonomischen, politischen und kulturellen Globalisierung die Begegnung mit dem Fremden eine immer alltaglichere Erfahrung wird, die jedoch - und dies trifft vor allem auf den postkolonialen sozialen Kontext zu - nicht nur in der Fremde ablauft, sondem auch in der Heimat, mitten in den Stadten des Westens. Vieles spricht sogar dafiir, die vergleichsweise „unterkosmopolitisierte" Phase von den beiden Weltkriegen bis zum Schein (1998). 7 Vergleiche Anker (2000b); Baubock (2002); Beck (2000, 2002a,b, 2003, 2004a,b); Beck/Grande (2004); Croucher (2003); Delanty (2001); Hiebert (2002); Levy/Sznaider (2002, 2004); Linklater (2002); Malcomson (1998); Mehta (2000); Szerszynski/Urry (2002); Sennett (2002). 8 Vergleiche Coulmas (1990); Fine/Cohen (2002); Thielking (2000). 9 Im Folgenden werden diese Arbeiten unter dem Label „Neuer Kosmopolitismus" (new cosmopolitanism) zusammengefasst. Damit soil insbesondere die darin zentrale Auseinandersetzung mit den Grenzen, Schwachen oder Nebenfolgen der „alten" oder universalistischen Kosmopolitismen Kantscher Pragung betont werden. Weitere denkbare Bezeichnungen an dieser Stelle waren „Neokosmopolitismus" (Appiah 2006; Beck/Sznaider 2006b; Robbins 1998b, 1999), „kritischer Kosmopolitismus" (Beck 2002c; Delanty 2006; Mignolo 2000; Walkowitz 2006) oder „postuniversalistischer Kosmopolitismus" (Pollock etal. 2000; Schulenberg 2004). 10 Bezeichnenderweise beschreibt eine der gangigen Definitionen die Ethnologie als „Wissenschaft vom kulturell Fremden" (Kohl 1993).
1 Einleitung
15
Zusammenbruch des Sozialismus als voriibergehende Erscheinung zu betrachten, die mit einer nie zuvor da gewesenen - und moglicherweise auch in Zukunft nicht mehr zu beobachtenden - Verfestigung der nationalstaadichen Ordnungsprinzipien und Deutungsmuster einherging und sich paradigmatisch in der Gleichsetzung von Kultur (Nation), Territorium und politischer Gemeinschaft (Staat) ausdriickte. Immer haufiger ist hingegen aus den Kultur- und Sozialwissenschaften die These zu horen, dass diese nationalstaatliche Homogenitat und Exklusivitat die Ausnahme ist, wahrend kulturelle Vermischung, Hybridisierung und Vielfalt insbesondere in den GroBstadten den historischen Normalfall darstellen. Bin kurzes Beispiel soil den Zusammenhang von Kosmopolitisierung und der Begegnung mit Fremden illustrieren. Der Globalisierungsschub in den 1980er und 1990er Jahren wird in den Sozialwissenschaften - wenigstens, was seine Ausdehnung, Geschwindigkeit und Intensitat angeht - haufig als historisch neuartige Entwicklung betrachtet. Dies ist sicherlich plausibel, wenn man Phanomene wie die Herausbildung genuin globaler Finanz- und Devisenmarkte (Castells 2001), die Entstehung tief integrierter transnationaler Produktionssysteme und Untemehmensverbiinde (Kohler 2004) oder extraterritoriale Polizeiaktionen gegen neuartige terroristische Netzwerke (Kaldor 2004) betrachtet. Richtet man den Blick aber auf die damit einhergehenden sozialen, kulturellen und geistigen Veranderungen, dann lassen sich bis in die Antike ohne Schwierigkeiten Vorlaufer dieser Prozesse finden - die dann allerdings in der Kegel nicht als „Globalisierung", sondem eben als „Kosmopolitismus" beschrieben werden.^^ Ein bezeichnendes Beispiel einer Stadt mit durchgangig kosmopolitischer Geschichte ist Alexandria, lange Zeit die zweitgroBte Stadt der antiken Welt und fur Sami Zubaida ein „paradigm case of Middle Eastern cosmopolitanism" (1999: 26).^^ Vor allem fiir die spate Antike wird immer wieder der kosmopolitische Charakter dieser Stadt betont, der auf die starke Vermischung von kulturellen und sozialen Gruppen in einem offenen und toleranten groBstadtischen Kontext zuriickzufiihren ist.^-^ So verweist beispielsweise der Historiker Christopher Haas auf die damaligen „daily contacts between members of the different communities characteristic of a diverse cosmopolitan urban setting. Legal and papyrological texts reveal a complex network of social and economic relationships, ranging from intermarriage and 11 Dies gilt nicht nur fiir den Westen, sondem in diesem Sinne lassen sich KosmopoHtisierungsprozesse auch in auBereuropaischen traditionalen Gesellschaften an der Kreuzung von Handelsrouten oder anderen Kontaktzonen verschiedener Religionen und Kulturen feststellen (Levi-Strauss 1985b). 12 AhnHche Beschreibungen finden sich auch in Keely 1976/1996 oder Yassin 1999. 13 Schon im Alten Testament stoBen wir auf das Phanomen sogenannter „Asylstadte", die dazu bestimmt sind, nach einem kosmopolitischen Gastrecht vorbehaltlos Fremden, gesellschaftHchen AuBenseitem, Straftatem und Fluchtlingen eine Zuflucht zu gewahren (vergleiche Num 35, 9-29 sowie Jos 20, 1-9).
16
1 Einleitung
slaveholding to everyday commercial transactions" (1997: 11-12). Dabei zeigt sich, dass der Kosmopolitismus dieser Weltstadt nicht nur eine Nebenfolge ihrer wichtigen okonomischen Stellung im Romischen Reich war, sondem schon in der Antike als positiver Wert fiir sich gedeutet wurde: Doubtless, the attractions of such a cosmopolitan entrepot tended to outweigh the rigors of long-distance travel. These highly developed routes of trade and travel contributed to Alexandria's vital role as a channel of goods in the late Roman world, and its equally important function as antiquity's melting pot of ideas and philosophies drawn to the city from the entire oikoumene (Haas 1997: 44, Hervorhebung im Original).
Kosmopolitische Phanomene der Durchdringung von Kulturen und der Kreuzung von Reiserouten von Menschen, Waren und Ideen, wie sie hier fur die antike Weltstadt Alexandria beschrieben werden, finden jedoch auch in der Gegenwart wieder eine starkere Beachtung - nicht nur in Bezug auf Stadte in den randstandigen Kontaktzonen verschiedener kultureller Gruppen, sondem auch mitten im Westen, in London (Bade 1996) oder Vancouver (Hiebert 2002) genau wie in Miinchen (Beck 2004a) - lassen sich Prozesse ahnlicher Art beobachten. Vor allem das Ende der auf stabilen, eindeutigen und exklusiven kulturellen und politischen Grenzziehungen beruhenden imperialen oder kolonialen Weltordnungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts wie auch die okonomische und kulturelle Globalisierung und die wachsende physische wie auch technologisch vermittelte (Intemet)kommunikation und Mobilitat der Menschen gegen Ende des 20. Jahrhunderts haben dazu beigetragen, dass kosmopolitische Phanomene und in Verbindung damit auch die intellektuelle oder akademische Reflexion dariiber wieder einen prominenten Rang einnehmen. Der akademische, aber auch politisch-intellektuelle Diskurs des Neuen Kosmopolitismus ist unserer Uberzeugung nach ein kaum zu libersehender Ausdruck dieser Entwicklungen auf der geistigen Ebene und lasst sich daher ohne die Beriicksichtigung der gravierenden Veranderungen des sozialen, politischen und kulturellen Kontexts nur hochst unvollstandig verstehen. Gerade mit dem politischen Ende des Kolonialismus im 20. Jahrhundert haben sich diese gesellschaftlichen Kosmopolitisierungsprozesse immer weiter beschleunigt, so dass man mit Ulrich Beck feststellen kann: „Zum kosmopolitischen Momentum im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts gehort auch ddiS post-colonial momenf (2004a: 108, Hervorhebung im Original). Eine systematische Untersuchung des grundlegenden Zusammenhangs zwischen dem gesellschaftlichen Kontext des Postkolonialismus und der darin zu verortenden und zugleich sich darauf beziehenden kosmopolitischen Theoriebildung gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde bislang jedoch noch nicht untemommen.
1.1 Fragestellung und Fallauswahl
17
1.1 Fragestellung und Fallauswahl Genau dieser Frage widmen wir uns in dieser Arbeit und richten unseren Blick auf das Verhaltnis zwischen dem Neuen Kosmopolitismus und seinen postkolonialen sozialen Kontext. Zu untersuchen ist dabei vor allem, worin der bezeichnende Unterschied zwischen den traditionellen und Neuen Kosmopolitismen liegt, sowie, was die charakteristischen Merkmale kosmopolitischer Theorien, Methodologien und Zeitdiagnosen im postkolonialen Kontext sind. Da unser Fokus darauf liegt, detailliert die Strukturen und Besonderheiten der postkolonialen Kosmopolitismen herauszuarbeiten, kann unser Vorgehen nicht bedeuten, wie es aus ideengeschichtlicher Perspektive plausibel erscheint, den gesamten Diskurs des Kosmopolitismus auf seine postkolonialen Bestandteile bin zu untersuchen. Stattdessen widmen wir uns nach einem Uberblick iiber die kosmopolitische Theorieentwicklung und die charakteristischen Kennzeichen und Aporien der Postkolonialismustheorie drei paradigmatischen Entwiirfen postkolonialer Kosmopolitismen, die sich trotz einer ahnlichen theoretischen und sozialen Verortung in ihren empirischen, methodologischen und normativen Grundlagen so weit unterscheiden, dass hiermit eine ausreichende Bandbreite fur einen aussagekraftigen und moglicherweise sogar generalisierungsfahigen Vergleich der Befunde vorliegen diirfte. Die drei theoretischen Fallstudien, auf die wir unsere Argumentation stiitzen, verkorpem dabei drei unterschiedliche disziplinare Perspektiven auf die Ideen des Kosmopolitismus sowie den sozialen Kontext des Postkoloniahsmus: Cultural Studies, Soziologie und Sozialgeschichte. Stellvertretend fiir diese disziplinaren Paradigmen haben wir jeweils herausragende Theoretiker herausgegriffen - Timothy Brennan, Paul Gilroy und Dipesh Chakrabarty -, die nicht nur eine breite theoriegeschichtliche Tradition reprasentieren, sondem bei denen sich zudem die kosmopolitischen Denkweisen und Problemstellungen in ihrer Beziehung zu den jeweiligen postkolonialen sozialen Kontexten deutlich zeigen. Selbstverstandlich ware auch eine andere Auswahl der disziplinaren Perspektiven wie auch der einzelnen Theoretiker moglich gewesen. So hatte sich diese Arbeit auch mit ethnographischen, literaturwissenschaftlichen oder politikwissenschaftlichen Ansatzen auseinander setzen konnen oder mit Theoretikem wie Bruce Robbins, Amanda Anderson, Homi K. Bhabha, Stuart Hall, Gayatri Chakravorty Spivak oder Ranajit Guha, bei denen ebenfalls ein Aufeinandertreffen postkolonialistischer und kosmopolitischer Ideen beobachtet werden kann. Wir glauben jedoch, mit unserer Auswahl den ICriterien der Varianz, Reprasentativitat und Ergiebigkeit hinreichend Rechnung getragen zu haben.
1 Einleitung
18
Genealogie und Taxonomie des Kosmopolitismus
T Analyseraster kosmopolitischer Theorien
Fragestellungen und Aporien der Postkolonialismustheorie
T Hypothesen zum postkolonialen Kosmopolitismus
^
T
Fallstudie "Kosmopolitische Identitat"
Fallstudie "Neo-/Antikoloniallsmus"
1
^ % >k Fallstudie "Subaltern Studies"
>'' Vergleich kosmopolitischer Theorien im postkolonialen sozialen Kontext
Abb. 1.1: Plan der Untersuchung 1.2 Plan der Arbeit Das Vorgehen dieser Arbeit lasst sich wie folgt beschreiben (vergleiche dazu auch Abbildung 1.1): Zunachst gilt es, in einer historisch-genealogisch ausgerichteten Untersuchung die unterschiedlichen argumentativen Entwicklungslinien und Schwerpunkte des kosmopolitischen Denkens von der Antike bis zur Gegenwart nachzuzeichnen (Kapitel 2). Dies dient vor allem dem Zweck, ein taxonomisches Modell des Kosmopolitismus zu erstellen, das dann zum Ausgangspunkt fiir die Gewinnung von Forschungsfragen fiir ein soziologisches Analyseraster kosmopolitischer Theorien wird. Es erscheint uns aber auch notwendig, in einem weiteren Schritt die Postkolonialismustheorie mit besonderem Schwerpunkt auf ihre charakteristischen kosmopolitischen oder protokosmopolitischen Fragestellungen und Aporien naher zu analysieren, um so einen Uberblick iiber die Strukturen und Bedeutungen des sozialen Kontext des Postkolonialismus zu erhalten (Kapitel 3). Diese beiden Arbeitsschritte bilden gemeinsam die Grundlage fiir die Gewinnung von Hypothesen iiber die Grundstrukturen des kosmopolitischen Denkens im postkolonialen Kontext, die dann in drei theoretischen Fallstudien iiberpriift werden (Kapitel 4, 5 und 6). Die dabei gewonnenen Erkenntnisse iiber die empirischen, normativen und methodologischen Dimensionen des kosmopolitischen Denkens
1.3 Methodische Anmerkung
19
im sozialen Kontext des Postkolonialismus werden in einem nachsten Schritt miteinander in Bezug gesetzt, verglichen und verallgemeinert. Dies wird uns eine abschlieBende Beantwortung unserer Forschungsfragen erlauben (Kapitel 7). Unsere Aufgabe ist also im Wesentlichen eine metatheoretische oder metasoziologische im Sinne Ritzers (2001). Es geht nicht so sehr darum, eine weitere kosmopolitische Theorie zu entwerfen oder aber die Ubereinstimmung kosmopolitischer Theorien mit der politischen oder sozialen Realitat zu iiberpriifen. Vielmehr konnte als Ziel dieser Arbeit formuliert werden, eine Theorie der kosmopolitischen Theorien - oder des kosmopolitischen Denkens - im postkolonialen sozialen Kontext zu entwickeln und zu untersuchen welche Implikationen politischer, epistemologischer oder zeitdiagnostischer Art auftreten, wenn Theoretiker von einem bestimmten empirischen, normativen oder methodologischen Begriff des Kosmopolitismus ausgehen. Nicht nur der Kosmopolitismus stellt also aus unserer Perspektive eine politische Theorie dar, sondem die Theorien des Kosmopolitismus selbst haben politische Wirkungen, die bislang jedoch noch nicht ausreichend in den Blick geraten sind. 1.3 Methodische Anmerkung Da sich diese Arbeit im Wesentlichen als (meta)theoretische Untersuchung versteht, bedarf es an dieser Stelle keiner ausfuhrlichen methodologischen Anmerkungen. Dennoch soil auf die hier zu Grunde gelegten Arbeitsprinzipien kurz eingegangen werden. Der verfolgte Ansatz hat weder den Anspruch, eine breite reprasentative Auswahl kosmopolitischer Theorien, die sich im sozialen Kontext des Postkolonialismus verorten lassen, aus einer synchronen Perspektive zu analysieren und dann ihre Gemeinsamkeiten herauszustellen, noch ist es unser Ziel, den postkolonialen Kosmopolitismusdiskurs in einer diachronen Betrachtungsweise zu lesen und seine historisch-ideengeschichtlichen Veranderungen nachzuzeichnen. Stattdessen stehen mit den drei Fallstudien jeweils einzelne kosmopolitische Theorien und Theoriezusammenhange in ihrer Partikularitat im Mittelpunkt. Ihre Schlusselthemen und Argumentationslinien werden detailliert herausgearbeitet, um die jeweiligen Bedeutungen und Implikationen des postkolonialen Moments fiir das kosmopolitische Denken in diesen Fallen untersuchen zu konnen. Ein wichtiges Vorbild in methodischer Hinsicht ist damit vor allem Edward Saids Analyse des Diskurses des Orientalismus (1979/2003; 2000h; 2001c), die sich auf einzelne charakteristische Figuren und Theorien konzentriert und vor allem im Innem der theoretischen Denkgebaude nach den Spuren „imperialistischer" Macht- und Herrschaftssysteme sucht. Das im nun folgenden Kapitel zu gewinnende historisch-taxonomische Modell des kosmopolitischen Denkens wird uns
20
1 Einleitung
dabei als Suchraster oder Folic dienen - sowohl um die ganze Bedeutungsvielfalt der postkolonialen Kosmopolitismen nicht zu verfehlen, als auch, um den Fokus auf die charakteristischen Merkmale des kosmopolitischen Denkens zu scharfen. Der Blick auf die einzelnen theoretischen Zusammenhange erfordert in erster Linie ein close reading^^, das in der Lage ist, die inneren Strukturen, aber auch Widerspriiche und Aporien des kosmopolitischen Denkens zu entschlusseln - insbesondere diejenigen, die mit der Verortung im und den Bezug auf den postkolonialen sozialen Kontext der Theorien in Verbindung stehen. Da die kosmopolitischen Fragestellungen und Konzepte der Theoretiker allerdings nur selten in einem einzigen Schllisselwerk koharent aufbereitet werden, ist es notwendig, iiber die Texte und liber die Zeit hinweg zu aggregieren und zu systematisieren, bevor die auf diese Weise gewonnenen Textkorpora dann mit Hilfe unseres Analyserasters untersucht werden konnen. Letztlich dient unsere Methode auch dem Ziel, manifeste wie latente kosmopolitische Denkweisen herauszuarbeiten und aufzudecken, die dem mainstream der Kosmopolitismusdebatte bislang verschlossen geblieben sind, so dass damit als beabsichtigte Nebenfolge auch die empirische Breite der Begriffe und Theorien des Kosmopolitismus erweitert werden kann. Dieses Ziel entspricht damit auch einer soziologischen Reformulierung des Projekts einer empirischen Kosmopolitismusforschung, wie Pollock, Bhabha, Breckenridge und Chakrabarty sie skizzieren: For it is only through such procedures—adducing new empirical data on the variety of cosmopohtanisms and the new problematics that accompany them, decentering the conventional locus, and investigating from a wide range of scholarly perspectives—that new and post-universaMst cosmopolitanisms [... ] have the potential to come into being (2000: 585).
14 Hier lehnen wir uns an die ethnographische (Geertz 1983b) beziehungsweise Mteraturkritische Praxis (Wolfreys 2000) der Analyse von Texten sowohl in Schriftform als auch allgemeiner im Sinne gesellschaftlicher Deutungsmuster an.
2 Philosophischer und sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus Bevor diese Arbeit mit der soziologischen Analyse des Kosmopolitismus im postkolonialen Kontext beginnen kann, erscheint es als notwendig, eine analytische Taxonomie des Kosmopolitismus zu entwickeln, um einen Uberblick iiber die unterschiedlichen Spielarten dieser Denkfigur und ihr Verhaltnis zueinander zu gewinnen. Diese Darstellung kann uns dann als Werkzeug zur Untersuchung postkolonialer Kosmopolitismen dienen. Dabei soil im Folgenden die systematische Kategorisierung des Kosmopolitismus mit einer historisch-genealogischen Betrachtungsweise verbunden werden. Dies ist notwendig, da sich die gegenwartige Diskussion des Kosmopolitismus selbst unter der auf eine Zeitachse bezogenen Begrifflichkeit des „Neuen Kosmopolitismus" definiert. Das Ziel ist letztlich, auf diese Weise ein mehrdimensionales Modell des kosmopolitischen Denkens zu erhalten, vor dessen Folie dann die Besonderheiten des Kosmopolitismus im postkolonialen sozialen Kontext umso deutlicher hervortreten. Die grundlegende Unterscheidung, die sich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit kosmopolitischen Theorien in den letzten Jahren eingebtirgert hat, differenziert zwischen einem philosophischen oder normativen Kosmopolitismus auf der einen und einem sozialwissenschaftlichen oder analytisch-empirischen Kosmopolitismus auf der anderen Seite (vergleiche dazu vor allem Beck 2004a, Szerszynski/Urry 2002).^ Der maBgebHche Unterschied ist folgender: In seiner philosophischen Erscheinungsform beschreibt Kosmopolitismus eine bestimmte normative Orientierung, in der die Menschheit oberste Identitats- und Solidaritatsquelle ist, wahrend Kosmopolitismus in seiner sozialwissenschaftlichen Auspragung eine Methodenlehre darstellt, die fiir die Analyse der Gesellschaft der Zweiten Modeme^ besser geeignet ist als der sozialwissenschaftlichen Begriffsapparat der Ersten, industriegesellschaftlichen und nationalstaatlichen Modeme: Am verbreitetsten ist die Interpretation, die fiir Harmonie iiber Iculturelle und nationale Grenzen liinweg pladiert („normativer Kosmopolitismus" oder „philosophisclier Kos1 Wir werden fiir unsere analytisciien Zwecke diese zweiseitige Unterscheidung jedoch zu einer dreiseitigen erweitem, die zwischen empirischen, methodologischen und normativen Dimensionen des Kosmopolitismus unterscheidet. 2 Vergleiche Beck (1993); Beck etal. (2001); Beck/Lau (2005) sowie Abschnitt 2.2 dieser Arbeit fur eine ausfiihrlichere Darstellung der Theorie Reflexiver Modemisierung.
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2 Philosophischer und sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus mopolitismus"). Dieses normative Verstandnis ist zu unterscheiden von einer deskriptivanalytischen Perspektive der Sozialwissenschaften, die sich freimacht von nationalen Kategorien (der „kosmopolitische Blick" oder „analytisch-empirischer Kosmopolitismus") (Beck 2004a: 30).
Interessanterweise trifft man erst relativ spat auf diese Differenzierung zwischen Normativitat und Methodologie, wenn man die Genealogie des kosmopolitischen Denkens betrachtet. Fiir den urspriinglichen antiken Kosmopolitismus fallen beide Pole noch in eins (Abbildung 2.1). In der weiteren Entwicklung der Idee verliert die methodologische Dimension dann zunehmend an Bedeutung und gerat in Vergessenheit, bis sie dann gegen Ende des 20. Jahrhunderts als Instrument, um dem gesellschaftlichen Wandel begrifflich und erkenntnistheoretisch begegnen zu konnen, reaktiviert wird, allerdings gedacht als autonomes Prinzip und nicht wie in der Antike als nattirliches Komplement des normativen Kosmopolitismus. Der historisch friihste Referenzpunkt der Ideengeschichte des Kosmopolitismus - wenn auch noch nicht unter dieser Bezeichnung - findet sich im Athen des fiinften vorchristlichen Jahrhunderts, genauer: in den uberlieferten Worten des Sokrates.-^ Ihm wird die Uberzeugung zugeschrieben, sich primar als Einwohner und Burger der Welt zu empfinden. So gibt der romische Stoiker Cicero in seinen „Tusculanae disputationes" folgenden Ausspruch des Sokrates wieder: „Socrates cum rogaretur, cujatem se esse diceret, Mundanum, inquit. Totius enim mundi se incolam et civem arbitrabatur [Sokrates, als er gefragt wurde, aus welchem Land er stammt, antwortete ,von der Welt', denn er sah sich selber als Einwohner und Burger der ganzen Welt; eigene Ubersetzung]". Zuallererst lasst sich der antike Kosmopolitismus folglich als ethisch-moralische Haltung lesen, in unserer Terminologie als philosophischer Kosmopolitismus. Fiir Sokrates sind jegliche Sonderpflichten gegeniiber partikularen Kreisen wie der Familie oder der Polls unbedeutend. Er erkennt allein die Verpflichtungen gegeniiber der gesamten Menschheit als handlungsleitend an (Brown 2000). Aber zugleich lasst sich in dieser Variante des antiken Kosmopolitismus auch ein methodologisches Argument erkennen. Da die sokratische Philosophic die Zugehorigkeit einer Person zu ihrer Polls in den Hintergrund riickt und stattdessen ihre Zugehorigkeit zur universalistischen Kategorie der Menschheit betont - also das Weltbiirgertum in seiner wortwortlichen Bedeutung -, verlieren auch andere partikulare Unter3 Die Frage, ob es tatsachlich schon einen sokratischen Kosmopolitismus gegeben hat, ist unter den Philosophiehistorikem allerdings umstritten. Die Gegner dieser Vorstellung sehen den sokratischen Kosmopolitismus als bloBe Projektion der kynischen und stoischen Kosmopoliten in die Vergangenheit um das Bild einer koharenten Genealogie des Kosmopohtismus von Sokrates liber Diogenes und Krates bis hin zu Zeno zu etablieren (Moles 1995: 132). Nach Moles findet man die erste historisch belegbare Erwahnung von „Kosmopolitismus" in einem Text Philon von Alexandriens (1995: 129) auch in diesem Zusammenhang taucht die paradigmatische kosmopolitische Stadt wieder auf.
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Normativer Kosmopolitismus: Menschheit als Bezugspunkt des politischen Handelns
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Methodologischer Kosmopolitismus: Partikulare Konzepte sind falsch und entsprechen nicht der naturlichen Ordnung
Abh 2.1: Normativer und methodologischer Kosmopolitismus in der Antike scheidungen an Aussagekraft. Letztlich betrachtet der Kosmopolit Sokrates alles, was ausschlieBlich menschlich-beschrankten Konventionen entspringt, als zweitrangig. Er akzeptiert nur universalistische Tatsachen wie etwa die Zugehorigkeit jedes Einzelnen zur Menschheit (Brown 2000). Nur diese Universalien akzeptiert Sokrates als nattirliche und folglich auch wahre Kategorien flir die Beschreibung menschlicher Zugehorigkeit. So richtet sich die wahrheitssuchende (elenktische) politische Mission des Sokrates vor allem gegen das Festhalten der Menschen an kontingenten Unterscheidungen wie alt versus jung, mannlich versus weiblich, Burger versus Auslander oder Freie versus Sklaven. Diese Unterscheidungen entsprechen nicht der naturlichen kosmopolitischen Ordnung der Menschheit, sondem sind bloBe soziale Ubereinktinfte. Der politische Kosmopolitismus des Sokrates lasst sich deshalb zugleich auch als methodologischer Kosmopolitismus verstehen. Fiir die antiken Kosmopoliten geht die Ablehnung der Begrenzung des politischen Handelns auf die eigene Polls einher mit einer ebenso deutlichen Ablehnung partikularer Kategorien und Begrifflichkeit. Wahrend also zu diesem ersten Moment in der Ideengeschichte des Kosmopolitismus normative und methodologische Elemente als eng miteinander verbunden wahrgenommen werden, tritt in der weiteren Entwicklung der kosmopolitischen Ideen das epistemologische Element immer weiter in den Hintergrund. Kosmopolitismus wird im Verlauf dieser Verschiebung letztlich zu einem Synonym fiir die philosophisch-normative Halfte des urspriinglichen Konzepts. Erst in jiingster Zeit wird dann - hier ist, wie noch zu zeigen ist, der Postkoloniahsmus als sozialer und politischer Kontext von zentraler Bedeutung - die epistemologische Dimension des Kosmopolitismus „wieder entdeckt", wenn auch nicht mehr als Argument fiir die Suche nach und Verwendung von natUrlichen Begriffen und Konzepten, sondem in engem Zusanmienhang mit dem sozialwissenschaftlichen Desiderat, geeignete Begriffe zur Beschreibung einer Zweiten Modeme, die nicht mehr mit
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Hilfe nationalstaatlicher Modelle zu interpretieren ist, zu entwickeln. Bevor wir uns dieser Wiederentdeckung des methodologischen Kosmopolitismus oder des „kosmopolitischen Blicks" (Beck 2004a) und seinem gesellschaftlichen Kontext zuwenden, soil zunachst das lange Zeit sowohl den akademischen wie medialen Diskurs beherrschende Konzept des philosophische Kosmopolitismus detailliert dargestellt und weiter ausdifferenziert werden. 2.1 Philosophischer Kosmopolitismus Das zentrale Merkmal des philosophisch-normativen Kosmopolitismus ist seine axiomatische Grundstruktur. Es geht nicht darum, zum Beispiel kosmopolitische Lebensformen oder kosmopolitische Prinzipien im Umgang mit Andersheit empirisch nachzuweisen, sondem die kosmopolitischen Prinzipien werden von Beginn an normativ gesetzt. Urspriinglich beziehen sich diese Prinzipien auf universelle Kategorien wie Menschheit, Welt oder Vemunft. Schon der Begriff des Kosmopolitismus weist darauf bin, dass es bier um eine Entsprecbung beziebungsweise eine ideale Identitat von Kosmos und Polls gebt - und damit letztlicb darum, die gesamte Welt oder die Menscbheit als politiscben Orientierungspunkt und Kreis der Zugeborigkeit zu definieren. Diese klassiscbe Idee des Kosmopolitismus lasst sicb aber nocb weiter in zwei Varianten ausdifferenzieren, je nacbdem ob es bierbei um die individuelle Verpflicbtung des Einzelnen gegeniiber dem Kollektivsubjekt der Menscbbeit gebt oder aber um die uberindividuelle recbtlicb-politiscbe Ordnung der Welt, etwa nacb den MaBgaben eines universellen Gastrecbts oder der Menscbenrecbte.'* Im ersten Fall bezeicbnet Kosmopolitismus eine Haltung in Bezug auf einen konkreten oder abstrakten Anderen, bier: in Bezug auf die gesamte Menscbbeit und nicbt auf lokale und partikulare Kollektive, wahrend Kosmopolitismus im zweiten Fall eine politisch-pbilosopbiscbe Tbeorie der idealen Weltordnung darstellt.^ Wir scblagen vor, die erste Auspragung als ethischen Kosmopolitismus und die 4 Auch diese Bedeutung lasst sich aus dem Begriff Kosmopolitismus ableiten, der mit Toulmin auch als Ausdruck des Verhaltnisses der Ordnung der Natur {cosmos) zur menschlichen Ordnung oder Gemeinschaft (polis) lesbar ist (1994: 116-117). Aus dieser Perspektive meint Kosmos nicht so sehr die umfassendste Einheit als Orientierung des Handelns, als vielmehr die umfassendste, weil natlirliche, Ordnung. Die Idee einer Entsprechung beider Ordnungen findet sich nach Toulmin bei den Stoikem des spathellenistischen Weltreichs: „Gesellschaftliche und natiirUche Regelhaftigkeiten sind beide nur Seiten der umfassenden kosmos-polis oder Kosmopolis. Die praktische Idee, daB eine rationale Gesellschaftsordnung durch den Bau der Natur gestiitzt werde" (1994: 118, Hervorhebungen im Original). 5 Einige Theoretiker wie Malcomson sehen jedoch Kosmopolitismus im historischen RiickbUck vor allem als individuelle Haltung und erkennen nur wenige Beispiele einer systematischen Etablierung einer kosmopolitischen Schule in der politischen Philosophic (1998: 233).
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zweite als rechtlich-politischen Kosmopolitismus zu bezeichnen. Der Diskurs des Kosmopolitismus verwendet jedoch auch andere Begriffspaare, um ganz ahnliche Differenziemngen zu beschreiben. So unterscheiden beispielsweise Pogge (1992) sowie Vertovec und Cohen zwischen Kosmopolitismus als moralische Verpflichtung und Kosmopolitismus als legale Institution (2002b: 10). Richard Falk differenziert zwischen einem Kosmopolitismus von unten, der auf der Handlungsebene individueller Akteure und kultureller Gruppen anzusiedeln ist, und einem Kosmopolitismus von oben, der vor allem in Gestalt des Rechtssystems und der politischen Institutionen wirksam wird (1996: 58). Betrachtet man die Ideengeschichte des Kosmopolitismus, so lasst sich aber feststellen, dass beide Manifestationen inhaltlich wie personell weitgehend unabhangige Entwicklungspfade besitzen. 2.7.7 Ethischer Kosmopolitismus Als paradigmatische Beispiele fur den ethischen Kosmopolitismus lassen sich sowohl der klassische kynische als auch der spatere stoische Kosmopolitismus von Diogenes bis hin zu Marc Aurel sehen. Zunachst beschreibt der ethische Kosmopolitismus eine individuelle Haltung des Philosophen. Dies zeigt der vielzitierte von Diogenes Laertius uberlieferte Dialog mit dem kynischen Philosophen Diogenes von Sinope aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert: „The question was put to him what countryman he was, and he replied, ,A Citizen of the world' (kosmopolites)" (Diogenes Laertius 1853). Schon dieses kurze Fragment zeigt, dass es hier (noch) nicht um ein verallgemeinerbares oder gar allgemeines ethisches Prinzip geht, sondern allein um die empfundene oder philosophisch begriindete Zugehorigkeit eines einzelnen Menschen. Im Mittelpunkt steht hier also noch nicht der Kosmopolitismus als ethisches Prinzip, sondern der Kosmopolit als ethisch Handelnder. Dieser sieht sich nicht als in einem spezifischen politischen Gemeinwesen wie etwa einer Polls verankert, sondern lebt als Burger der Welt einen universalistischen Humanismus (Fine/Cohen 2002: 137). Der Kosmopolit ist diesem Verstandnis nach nicht jemand, der sich auch als Mitglied der Menschheit versteht, sondern seine Zugehorigkeit zur Menschheit ist die primare Identifikations- und Loyalitatsquelle (Nussbaum 1997: 29). Es ist hier also nicht so sehr der Umgang mit konkreten Anderen, der den Kosmopolitismus der Kyniker und Stoiker ausmacht^, selbst wenn sich zum Beispiel 6 Uberhaupt ist fraglich, inwiefem sogar in kosmopolischen Orten wie dem antiken Athen die Frage des Umgangs mit den Anderen uberhaupt eine derart zentrale politische Frage gewesen sein konnte, wie es die kosmopolitischen Theoretiker suggerieren. Zwar waren in der freiziigigen und offenen Polis Athen, der Wirkungsstatte des Sokrates und spater des Diogenes, Fremde im Allgemeinen akzeptiert, besafien aber keine Biirgerrechte. Moglicherweise ist das Bild, das die kosmopolitischen Philosophen
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Cicero auch mit den individuellen Pflichten gegeniiber den Auslandern befasst (Nussbaum 1997: 35); der Blick des Kosmopoliten richtet sich vor allem auf die Welt, verstanden als politisches Gemeinwesen. Der eigentliche und natiirliche Zustand (politeia) des Kosmopoliten (Weltbiirgers) ist die denkbar umfassendste Gemeinschaft (kosmos) und damit: die Menschheit (Moles 1995: 130). So sind zum Beispiel flir Zeno von Citium (333 v. Chr.-264 v. Chr.) alle Menschen als Mitbiirger anzusehen (Nussbaum 1997: 30). Eine wichtige Rolle spielt hier das auf ihn zuriickzufiihrende Modell der politischen Inklusion in konzentrische soziale Kreise (vergleiche Abbildung 2.2), das bis in die Gegenwart noch als wichtiges Modell zur Veranschaulichung kosmopolitischer Zugehorigkeiten verwendet wird (zum Beispiel bei Nussbaum 1997; Malcomson 1998; Rorty 1998; Simmel 1908/1992). Das Ziel der kosmopolitischen Ethik ist demnach stets die Ausdehnung der Kreise, so dass sich das kosmopolitische Individuum mit dem auBeren Kieis der Menschheit identifiziert und die damit verbundenen Belange und Werte in den Mittelpunkt seines politischen Handelns stellt, nicht mehr diejenigen der inneren Kreise Familie, Heimatstadt oder Vaterland. Der negative kritische Aspekt des Kosmopolitismus liegt darin, die falschen, konventionellen Werte herauszuarbeiten, der positive darin, diese anschlieBend durch ein kosmopolitisches Leben gemaB der Natur zu ersetzen (Moles 1995: 135). Der dadurch erreichte freie, anarchische, besitzlose und kommunistische „kynische Zustand" ist zudem auch in dem Sinne ein kosmopolitischer Zustand, dass er iiberall auf der Erde gleichermaBen gelebt werden kann (Moles 2000: 427). Doch der antike Kosmopolitismus sollte nicht vorschnell als sozial inklusiver Modus von Anerkennung missverstanden werden. Zwar steht die ausnahmslose Loyalitat und Zugehorigkeit zur umfassensten Kategorie „Menschheit" im Zentrum. Dennoch kann dieser Kosmopolitismus trotz dieser universalistischen Formulierung wohl kaum als universell bezeichnet werden. Die Einschrankung seines Geltungsbereichs ist jedoch nicht auBerhalb dieser Kategorie zu suchen, sondern im Inneren. Dies wird deutlich, wenn man den Blick darauf richtet, wie diese umfassendste Kategorie definiert wird. Schnell wird klar, dass Sklaven, Frauen und Barbaren nicht als vollwertige Mitglieder der Menschheit gedacht werden und somit auch nicht als Ziel einer universalistischen kosmopolitischen Solidaritat in Frage kommen.^ Hier zeigt sich also, dass gerade fiir eine soziologider Neuzeit von ihren antiken Vorlaufem zeichnen, stark verzerrt und die kynischen und stoischen Philosophen der griechischen Antike sind besser als marginalisierte Existenzen vorzustellen, deren kosmopolitischen Ideale in ihrer Zeit weitgehend folgenlos blieben (Fine/Cohen 2002: 139). 7 Schon bei Simmel findet sich die Unterscheidung zwischen den Fremden, die sowohl nah und fern sind, aber immer noch Eigenschaften besitzen, die sie mit den Einheimischen teilen, und den „Barbaren", zu denen es nur eine „Nicht-Beziehung" geben kann und die ftir die Griechen der Antike aus der Gesellschaft herausfallen, da sie mit ihnen keine als allgemein-menschlich wahrgenommenen
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Abb. 2.2: Modell konzentrischer Zugehorigkeiten sche Analyse des kosmopolitischen Denkens nicht nur die Frage wichtig ist, wie wait, wie inklusiv die kosmopolitische Solidaritat gedacht wird, sondem auch, auf welche sozialen Gruppen die Universalbegriffe jeweils zugeschnitten sind. Diese Beobachtung legt die These nahe, dass Kosmopolitismus ausschlieBlich dann die inklusive, universalistische Anerkennung der Menschheit als moralische Pflicht des Einzelnen definieren kann, wenn das nicht Passende, das Andere oder Fremde aus der Kategorie Menschheit ausgeschlossen werden kann. Verandert sich der Begriff der Menschheit, dann lasst sich infolgedessen auch eine Neudefinition genauer: ein anderes Exklusionsmuster - in Bezug auf den Geltungsbereich der kosmopolitischen Pflichten und Zugehorigkeiten beobachten. Das Modell des ethischen Kosmopolitismus lasst sich weiter differenzieren in eine starke Variante, die eine ausschlieBliche Orientierung an den Belangen der gesamten Menschheit fordert, sowie eine schwache Variante, in der neben der menschheitlichen Solidaritat auch partikulare Kjeise wie Familie, Nachbarschaft Oder Nation als untergeordnete ethische Orientiemngspunkte anerkannt werden (Nussbaum 1996c: 135). Der Konflikt zwischen starken / tiefen, harten / weichen Oder schwachen / seichten Kosmopolitismen spielt im Ubrigen schon in der philosophischen Behandlung des antiken Kosmopolitismus eine Rolle; so wird im Zusammenhang mit den sokratischen, kynischen und stoischen Kosmopolitismen diskutiert, ob diese Kosmopolitismen wirklich stark im Sinne einer ausschlieBlichen Menschheitsorientierung oder nur schwach gewesen sind (Moles 1995: 156). Eigenschaften teilen (1908/1992: 770).
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Eng damit verbunden ist die Frage, wie sich eine universalistische Orientierung mit einem vor allem auf kleinraumliche Wirkungskreise konzentrierten Handeln - Sokrates (wie spater auch Kant) hat seine Heimatstadt nur in wenigen Ausnahmefalien verlassen - verbinden lasst (Brown 2000). Einen Mittelweg versuchen kosmopolitische Theorien wie etwa von Nussbaum zu formulieren, die zwar die Gemeinsamkeit der Menschheit und auch die Orientierung auf allgemein-menschliche Fragen und Probleme eindeutig in den Vordergrund stellen, erganzend aber auch partikulare Solidaritaten nicht prinzipiell ausschlieBen (1997: 31). Verfolgt man die ideengeschichtliche Entwicklung des ethischen Kosmopolitismus weiter, so zeigt sich, dass die ethische Erscheinungsform auch im deutschen Idealismus eine wichtige Rolle spielt. So stellt zum Beispiel Fichte dem engen und bodenstandigen Nationalismus seiner Zeit einen „Weltbiirgersinn" gegeniiber (Schrader 1990: 27). Diese romantische Form des Kosmopolitismus wird jedoch - hier klingt schon das spatere Leitmotiv des Neuen Kosmopolitismus an - mit partikularistischen Ideen vermischt: Zwar ist der Kosmopolit bei Fichte als Weltblirger in seinem Wirken nicht auf seine Erdscholle begrenzt. Aber ihm gilt nicht etwa die gesamte Welt als Heimat wie in der griechischen Antike, sondem in erster Linie der jeweils fortschrittlichste Staat der Erde, beziehungsweise damals in Fichtes Augen Deutschland und Europa. Das Universelle tritt hier paradoxerweise im Gewand eines deutschen Nationalismus in Erscheinung (Schrader 1990: 28). Da die deutsche Nation ftir die romantische Philosophic die Hohe der europaischen Kultur reprasentiert - Europa spielt hier bereits die Rolle eines gemeinsamen Vaterlandes aller Kosmopoliten und seine Werte sind iibemationale Werte, die nationale Grenzen transzendieren (Radrizzani 1990: 16-17) -, ist der Weltbiirgersinn in erster Linie eine deutsche Eigenschaft (Schrader 1990: 28). Wahrend der frlihe Fichte in seinen Revolutionsschriften auf kosmopolitische Weise den Bezug auf die Menschheit als Endzweck des morahschen Handelns sieht, rlickt Fichte spater dann die Staatsbtirgerrechte in den Mittelpunkt. Die freie Entfaltung des universalistischen Menschseins ist demnach nur in der Umgebung des Staates in vollem Umfang moglich, was bedeutet, dass der ethische Kosmopolitismus sich an dieser Stelle allmahlich der rechtlich-legalen Variante (siehe Abschnitt 2.1.2) annahert (Schrader 1990: 27-28). Nachdem im 20. Jahrhundert das Hauptaugenmerk der Diskussion des Kosmopolitismus vor allem auf der politischen oder rechtlichen Dimension lag und Themen wie universelle Menschenrechte, humanitare Interventionen sowie Konzepte einer kosmopolitischen Demokratie sehr viel mehr Aufmerksamkeit beanspruchten als die antike Vorstellung des Kosmopolitismus als individuelles ethisches Prinzip, konnte Martha Nussbaum in den 1990er Jahren die Vorstellungen des Kosmopolitismus als ethische Verpflichtung des Individuums ftir die gesamte Menschheit
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wieder aktualisieren, woraus sich eine breite philosophische Debatte iiber das Verhaltnis von Kosmopolitismus und Patriotismus entwickelte.^ Dieser Streit lasst sich allerdings sehr viel weiter zuriickverfolgen und schon fiir das 19. Jahrhundert zu den wichtigen literarischen und philosophischen Kontroversen rechnen (Malcomson 1998: 233). Nussbaums Entwurf gilt auf der einen Seite als unvermeidlicher Ankniipfungspunkt flir nahezu alle folgenden Beitrage zum philosophischen Diskurs des Kosmopolismus. Auf der anderen Seite kann darin zugleich der Hohewie auch Endpunkt einer universalistischen Theorie des Kosmopolitismus gesehen werden, die durch Theorien des Neuen Kosmopolitismus, die sich explizit als Vermittlung von Universalismus und Partikularismus verstehen, dann allmahlich in den Hintergrund gedrangt wird. Nussbaums einflussreiches Pladoyer fiir eine kosmopolitische Padagogik entnimmt sein zentrale Dilemma zwischen Kosmopolitismus und Patriotismus dem Roman „Home and the World" des indischen Schriftstellers Rabindranath Tagore (1919). Dort wird der Konflikt zweier diametraler ethischer Einstellungen verdeutlicht: dem Dienst fiir das eigene Vaterland und der Orientierung auf umfassendere Bezugspunkte wie die Menschheit. Nussbaum wendet sich in ihrem kosmopolitischen Entwurf, den sie explizit als Gegenbild zum aufgeklarten politischen Kosmopolitismus versteht, der in der Gedankenwelt der griechischen Antike griindet (1997: 25), gegen den wieder erstarkenden patriotischen Stolz in den USA. Diesen halt sie fiir gefahrlich, da er die Zugehorigkeit jedes Einzelnen zur Menschheit fiir wenig bedeutend halt oder gar leugnet. Als Alternative zu dieser beschrankten Orientierung pladiert sie fiir das klassische stoische kosmopolitische Ideal einer handlungsleitenden Beziehung des Einzelnen zu den Menschen der ganzen (globalisierten) Welt. Nussbaums wichtigster Gegner in dieser Kontroverse ist Richard Rorty (1994), der nur zwei einander ausschlieBende Altemativen gelten lasst: entweder die patriotische Gesinnung und eine korrespondierende Betonung nationaler Identitat oder aber eine desintegrierende multikulturalistische Politik der Differenz. Nussbaum versucht dagegen, die kosmopolitische Haltung als eine mogliche, wenn nicht sogar notwendige Alternative darzustellen, die dariiber hinaus in der Lage ist, die grundlegenden Werte der Nation besser zu bewahren, als es der Nationalismus kann (Nussbaum 1996b). Nussbaums Programm liest sich wie ein Resiimee der Kempunkte des ethischen Kosmopolitismus von Antike bis Neuzeit: So bestimmen nicht allein die lokale 8 Der urspriingliche Artikel „Patriotism and Cosmopolitanism" erschien 1994 in der Boston Review (Nussbaum 1994) und wurde dann zusammen mit den Erwiderungen auf diesen kosmopolitischen Entwurf in einem Sammelband abgedruckt (Nussbaum 1996a). Diese Debatte blieb jedoch im Wesentlichen auf das Gebiet der Philosophie sowie auf das angloamerikanische akademische Feld beschrankt.
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Bindungen oder gar eine lokale Regierung das Handeln und die Pflichten des Weltbiirgers, sondem in erster Linie seine Verpflichtungen gegeniiber der gesamten Welt und Menschheit (Nussbaum 1996b: 7). Die politische Lebensaufgabe des Kosmopoliten liegt darin, allgemein-menschliche und globale Probleme im Blick zu haben und durch seine kosmopolitische Perspektive zu ihrer Losung beizutragen. Er lebt also in zwei Welten zugleich: der kontingenten lokalen Welt seiner Geburt sowie der universellen kosmopolitischen Welt der Ideen, Vemunft oder des menschlichen Denkens iiberhaupt - letztere ist die Welt, die im Mittelpunkt seines Strebens stehen soUte (Nussbaum 1996b: 7). Da Ort und Umstand seiner Geburt als bloBer Zufall angesehen werden kann, lasst sich der Kosmopolit in seinem Handeln auch nicht von nationalen oder ethnischen Grenzen behindem. Er fiihlt sich keiner lokalen Regierung unterworfen, sondem allein der universalen moralischen Gemeinschaft der Menschheit und der Menschenrechte. Die Nation stellt fiir Nussbaums Kosmopoliten damit eine hochst kontingente und unbegriindet mit einer geradewegs „magischen" Bedeutung aufgeladene AuBengrenze fiir Werte und Orientierungen dar (Nussbaum 1996b: 14, 1997: 31). An dieser Stelle finden sich auch bei ihr vereinzelt methodologische Argumente, nicht nur partikulare oder nationale Kreise als Grundlage fiir Zugehorigkeit und Loyalitat abzulehnen, sondem auch die damit verbundenen Begriffe zu transzendieren (1997: 32). Nussbaum bezieht sich in ihren Uberlegungen zu einer kosmopolitischen Erziehung und Bildung auf die oben angesprochene stoische Vorstellung der konzentrischen Kreise der Zugehorigkeit (vergleiche Abbildung 2.2): „The Stoics stress that to be a citizen of the world one does not need to give up local identifications, which can be a source of great richness in life, They suggest that we think of ourselves not as devoid of local affiliations, but as surrounded by a series of concentric circles" (1996b: 9). Auch wenn dieses konzentrische Modell der Zugehorigkeit nicht zwangslaufig bedeuten muss, dass lokalen Identifikationsmoglichkeiten und Zugehorigkeiten gar keine Bedeutung mehr zukommt, richtet sich die Aufmerksamkeit jedoch vorrangig auf die auBeren Kreise des Modells (1997: 32). SchlieBlich gilt es vor allem, den Gefahren des (ausschlieBlich) lokalen Denkens auszuweichen und sich auf Gerechtigkeit und Tugend als Quelle von Respekt und Anerkennung zu bemfen, nicht aber auf zugeschriebene bis zufallige Zugehorigkeiten. Zwar findet in Nussbaums Kosmopolitismus mitunter auch der Nachste Beachtung und Anerkennung (Nussbaum 1996c: 135). Seine Sonderbehandlung ist aber nur in dem Fall zu rechtfertigen, in dem dies dem Wohl der Menschheit direkt zutraglich ist (1997: 33).^ Das Ziel ist also auch hier die Ausdehnung der Kreise in Richtung 9 Gegner des Kosmopolitismus wie zum Beispiel Benjamin Barber betonen dagegen die notwendige feste Verwurzelung in lokalen und patriotischen Kreisen als Voraussetzung dafiir, sich dem „abstract universalism and the thin gruel of contract relations" widmen zu konnen (1996: 31). Eine ahnliche
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einer immer inklusiveren Solidaritat: „Our task as citizens of the world will be to 'draw the circles somehow toward the center' (Stoic philosopher Hierocles, lst-2nd CE), making all human beings more like our fellow city-dwellers" (1996b: 9). Das Ziel ist es, sich mit den auBeren Kreise ebenso stark zu identifizieren wie mit den inneren und folglich abstrakte Mitmenschen ebenso zu behandeln wie Nachbam. Anders ausgedruckt geht es darum, raumlich Feme in ethisch-moralisch Nahe zu verwandeln. Um dieses Ziel zu erreichen, ist nach Nussbaum eine kosmopolitische Bildung und Erziehung, die verdeutlicht, dass trotz unterschiedlicher Kulturen und Traditionen iiberall gemeinsame Werte und Ziele existieren, unentbehrlich - es gibt also ein universalistisches Minimum, das als Grundlage fiir eine interkulturelle Beziehung dienen kann (Nussbaum 1996b: 10-11).^^ Die Anerziehung eines solchen weltbiirgerlichen Blickes soil letztlich zum Ergebnis haben, dass die Menschheit in vielen Formen (Jn strange guises'') (wieder)erkannt werden kann, und dass der Einzelne sich selbst und seine Kultur durch die Augen des Anderen wahmehmen kann.^ ^ Auf diese Weise lemt der Kosmopolit, seine eigenen partikularen Zugehorigkeiten, etwa zu seiner Familie, als weniger naturlich als die Zugehorigkeit zur gesamten Menschheit wahrzunehmen (Nussbaum 1996b: 7). Die kosmopolitische Perspektive oder das ,,world thinking'' ist nach Nussbaum gerade im Kontext einer immer globalisierteren Welt notwendig, da nur auf diese Weise grenziiberschreitende Kooperationen zur Losung der immer zahlreicheren grenziiberschreitenden Probleme ins Leben gerufen werden konnen (Nussbaum 1996b: 12). AbschlieBend ist noch darauf hinzuweisen, dass der ethische Kosmopolitismus zwar haufig als emanzipatorische Praxis konzeptualisiert wird, aber auch als Herrschaftstechnik eingesetzt werden kann. Beide Formen lassen sich historisch beobachten. Diese Doppeldeutigkeit des kosmopolitischen Denkens ist bis in die Gegenwart ein wichtiges Korrektiv allzu optimistischer Darstellungen des Kosmopolitismus geblieben. Deutlich wird der herrschaftsorientierte Charakter eines teilweise sogar per Zwang institutionalisierten Kosmopolitismus tiberall dort, wo er zur Staatsphilosophie geworden ist, zum Beispiel im Ottomanischen Reich, in Byzanz (Malcomson 1998: 238), im spathellenistischen Reich Alexanders des GroBen, der von dem Kyniker Onesikritus - einem ..philosopher in arms" (Moles 1995: 145) - in der kosmopolitischen Tugendlehre beraten wurde, sowie im Argumentation, die im Patriotismus eine notwendige Voraussetzung fiir die Aktivierung der Staatsbiirger sieht und dadurch auch eine Grundlage fiir kosmopolitische Haltungen darstellt, findet sich bei Charles Taylor (1996: 120). 10 Ahnliche Gedanken eines minimalen Universalismus finden sich zudem in den Theorien von Jiirgen (Habermas 1999) oder Seyla (Benhabib 1992). 11 Dieser Gedanke der Empathie als kosmopolitische Methode des Einfiihlens in den Anderen findet sich von Marc Aurel bis Ulrich Beck (2004a: 13-14).
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Rom Marc Aurels, der von sich behauptete: „Vaterstadt und -land ist flir mich als Antoninus Rom, als Menschen der Kosmos" (Marc Aurel 1932/1953: 80). Die kosmopolitischen Philosophen dienten zum einen als Vermittler in politischen Konflikten - dies gilt zum Beispiel fiir Trajans engen Berater Dio Chrysostom (Moles 1995: 155). Zum anderen scheint sich die kosmopolitische Idee auf Grund ihres ausgesprochenen Antiprovinzialismus insbesondere als Staatsideologie von Weltreichen zu eignen (Malcomson 1998: 238). So lobt zum Beispiel Plutarch Alexander den GroBen als wahren kosmopolitischen Herrscher, der in seinem Weltreich die Menschheit zu einigen vermag (Schofield 2000: 452). Hier verbinden sich zum einen kosmopolitische Denkfiguren mit politischem Machtstreben und -erhalt; zum anderen lasst sich damit eine Art „real-existierender Kosmopolitismus" (Malcomson 1998: 238) erkennen, der nicht nur in Ideengebauden Oder normativen Idealen zu verorten ist, sondem tatsachlich die politische Realitat pragt. Aber nicht nur in der Vergangenheit lassen sich Beispiel fiir Machtnahe Oder gar Komplizenschaft des kosmopolitischen Denkens finden. Ein weiteres zentrales Beispiel ist die Kolonialherrschaft, in der ein als universalistisch verstandener Kosmopolitismus oftmals die ideologische Grundlage fiir die Analyse und Lenkung der kolonialen Anderen gewesen ist. So stellt Ulrich Beck fest, „that the production of knowledge about the Other is a necessary preparation for, and an invariable accompaniment to, colonial rule [... ] From this perspective, the European doctrine of universally valid claims is, still today, a strategy of power" (2003: 24). Das kosmopolitische Denken befindet sich also in einer ambivalenten Haltung gegeniiber gesellschaftlichen und politischen Machtstrukturen, was sich paradigmatisch im Verhaltnis zur okonomischen Globalisierung sehen lasst. So anerkennen die meisten kosmopolitischen Theorien partikulare Bewegungen, die sich gegen die Imperative des Weltmarkts wehren, heben aber immer wieder auch auch die Bedeutung der corporate globalization fiir die kulturelle Hybridisierung und Mobilisierung hervor (Malcomson 1998: 241). Der Kosmopolitismus wird so zu einer paradoxen Haltung, die sich auf der einen Seite selbstreflexiv erkennt, in Teilen ein spezifischer US-Kosmopolitismus zu sein, auf der anderen Seite aber gerade den Widerstand gegen die US-Hegemonie in einem auBerst positiven Licht darstellt (vergleiche dazu auch Kapitel 4). 2.1.2 Rechtlicher Kosmopolitismus Neben dem ethischen Kosmopolitismus als individuelle Verpflichtung ist der rechtliche KosmopoUtismus ein weiterer wichtiger Entwicklungsstrang des normativen Kosmopolitismus, der insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert eine zentrale Stellung innehatte. Der grundlegende Bezugspunkt des rechtlich-politischen Kos-
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mopolitismus ist, nachdem ahnliche Ideen eines friedensstiftenden ius gentium Oder einer kosmopolitischen Foderation schon von Grotius, Pufendorf oder Abbe St. Pierre beschrieben wurden (Wood 1998: 60), Immanuel Kants (1795/1977) Programm einer kosmopolitischen Weltordnung. Hier steht nicht die individuelle Ethik im Mittelpunkt, sondem eine politische Philosophie, die durch die universelle Institutionalisierung einer kosmopolitischen Weltordnung die Befriedung aller auf partikularen Gegensatzen und Interessen fuBenden Konflikte anstrebt (Fine/Cohen 2002: 140). Kants Ausgangspunkt ist die Vorstellung eines urspriinglichen anarchischen Zustands der Staatenwelt, in der jeder Staat nur versucht, seine eigenen Interessen in der Kegel auf Kosten der jeweils anderen Staaten durchzusetzen. Dagegen setzt Kants „Ewiger Frieden" ein universalistisches Recht, das alle Volker der Erde einbezieht, die Abschaffung aller stehender Heere sowie das Gebot der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten (Fine/Cohen 2002: 141). Einen vereinheitlichenden Weltstaat lehnt Kant dabei ab, beziehungsweise halt ihn angesichts der despotisch-anarchischen intemationalen Ordnung fiir unrealistisch (Wood 1998: 63). Eine wichtige Grundlage dieses rechtHch-poHtischen Kosmopolitismus ist die Erkenntnis, dass alle Handlungen auch iiber Distanzen hinweg miteinander verbunden sind. Da auf diese Weise die partikularen politischen Gemeinschaften dieser Vorstellung nach iiber kausale Interdependenzen miteinander verflochten sind, ist es auch zur Annahme eines gemeinsamen universellen Gesetzes nicht mehr weit (Nussbaum 1997: 37). Zudem ist es fiir die Nationen nach Kant ein Gebot der Vemunft, sich zu einer kosmopolitischen Foderation zusammenzufinden, da allein auf diese Weise ein Schutz vor den durch standige Kriege verursachten Schaden moglich ist (Wood 1998: 63-64). Vor allem die allmahliche Entstehung einer universalistischen vemiinftigen Gemeinschaft, der bliihende Welthandel, die hohen und weiter anwachsenden Kriegskosten sowie das sich durchsetzende politische System der Republik sind es, die fiir Kant zu einer kosmopolitischen Ordnung fiihren (Fine/Cohen 2002: 142). Das kosmopolitische Programm Kants stellt dabei einen gravierenden Einschnitt in das Recht des Souverans dar, Kriege zu fiihren, denn dieser hat sich nun auch nach universalistischen Geboten zu richten. Die Staaten sind in diesem Modell nicht mehr vollstandig autonom, sondem in eine weltumfassende Foderation eingebunden und haben allesamt das allgemeine kosmopolitische Gastrecht als hochste Prioritat zu achten (Fine/Cohen 2002: 143). In diesem universellen Gastrecht Oder dem allgemeinen Gebot, Fremde trotz „leur irreductible etrangete mutuelle" (Tassin 2003: 172) anzuerkennen und als Gaste zu behandeln, deutet sich auch schon der zentrale Ansatzpunkt des Neuen Kosmopolitismus, der Umgang mit den Anderen und ihrer Andersheit, an (Kaldor 2002: 276).^^ 12 Nussbaum betont jedoch, dass die Idee eines kosmopolitischen Gastrechts zuerst bei Cicero zu finden
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Aber letztlich bleibt Kant ambivalent, was die Triebkrafte der allmahlichen Entstehung einer kosmopolitischen Ordnung angeht. Zum Teil wird dieser Prozess als teleologische List der Vemunft betrachtet, die sich, ohne dass menschliche Plane und Entscheidungen dafiir notwendig sind, in Richtung einer kosmopolitischen Weltordnung entwickelt. Zum Teil lasst sich aber auch ein pessimistisches Menschenbild linden, das Aggression und Leidenschaft als unstillbare menschliche Triebkrafte betrachtet. Aus diesem Blickwinkel wird die kosmopolitische Ordnung dann zu einem bewussten Mechanismus zur Ziigelung der Triebe und Befriedung der Staatenkonkurrenz (Nussbaum 1997: 40-44). Das Verhaltnis zwischen Kosmopolitismus und Natur ist in diesem Fall also genau umgekehrt wie in den antiken Vorstellungen der Kyniker und Stoa: nicht der Kosmopolitismus ist der Naturzustand, den es durch die Uberwindung der kiinstlichen Einteilung in die Staaten zu iiberwinden gilt, sondem der naturliche Zustand ist es, der bei Kant durch eine kosmopolitische Vemunftsordnung aufgehoben werden soil. Der aufgeklarte Kosmopolitismus griindet in der Uberzeugung, dass die Nationen sich selbst ein Gesetz (jenseits der natiirhchen Ordnung) geben konnen, das ihr zukiinftiges Wohlergehen zu sichern vermag (Wood 1998: 70). Am Ende bleibt der Kantsche Kosmopolitismus ein idealistisches Projekt, dessen Verwirklichung nicht garantiert ist und das auch Unterbrechungen erfahren kann, so dass es nach Wood auch in die Gegenwart noch relevant bleibt (1998: 72-73). Die Philosophic des deutschen Ideahsmus, die sich nicht nur mit dem Kosmopolitismus als individuellem ethischen Prinzip auseinander gesetzt hat, sondem auch den Versuch untemahm, einen Zusammenhang mit sozialen Kollektivitaten zu formulieren, kommt an dieser Stelle zu ganz anderen Ergebnissen. So besitzt etwa der Staat ftir Fichte nur eine instrumentelle Bedeutung. Er ist nur ein Mittel fiir die Entfaltung einer Nation, zum Beispiel durch Nationalerziehung, und kann daher als „nichts Emstes und fiir sich selbst seiendes" (1990: 36) beschrieben werden. Die Grundlage fur das kosmopolitische Denken liefert hier die Kultur und ihr sozialer Trager, das Volk (Cheah 2003: 117). Das Gebot der Anerkennung der Eigentiimlichkeiten anderer Volker verbietet jedoch eine universalistische Einigung der Welt, schon gar im Rahmen einer „Weltmonarchie". Fichte spricht vielmehr von einer partikularistischen „Volkerrepublik der Cultur" (Radrizzani 1990: 10-12). Da sich der Weltbtirgersinn aber nur im Inneren eines Nationalstaates entfalten kann - genauer: eines hoch entwickelten Nationalstaates wie Deutschland - sieht Fichte auch keinen Widerspruch zwischen KosmopoHtismus und Patriotismus: Der Kosmopolit als Kulturbiirger ist natiirlich auch ein patriotischer Verehrer der ist (1997: 37) und auch Etienne Tassin verfolgt beide Schliisselideen des Kosmopolitismus - die Einheit der Menschheit und die Gastfreundschaft gegentiber den Fremden - bis in die Antike zuriick (2003: 161-162).
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Staaten auf der jeweils hochsten Kulturstufe. Der Kosmopolit wird durch die nationale Beschrankung von selbst zum Patrioten (Schrader 1990: 36). Da sich die nationalen kulturellen Interessen und die Zwecke der Menschheit im Einklang befinden, ist umgekehrt auch jeder Patriot zugleich ein Weltbiirger (Radrizzani 1990: 9). Dieser kulturalistische romantische Kosmopolitismus ist fiir den Diskurs des Kosmopolitismus im 20. Jahrhundert jedoch weitgehend folgenlos geblieben. Dagegen hat sich der rechtlich-legale Kosmopolitismus Kants zu einem zentralen Ankniipfungspunkt fiir die Entwicklung neuer Modelle der intemationalen Ordnung im gegenwartigen Zeitalter der Globalisiemng entwickelt. Gerade transnational politische Institutionen sind zu einem paradigmatischen Phanomen des rechtlichen Kosmopolitismus geworden, da sie eng mit dem Schwinden staatlicher Souveranitat auf der einen und dem Aufstieg einer globalen Zivilgesellschaft auf der anderen Seite verbunden sind (Vertovec/Cohen 2002b: 11). Der zentrale Unterschied zwischen dem individuell-ethischen Kosmopolitismus und dem rechtlich-politischen liegt darin, dass Letzterer durch transnationale Institutionen auf Dauer gestellt werden kann und nicht nur eine isolierbare situative Entscheidung darstellt. Die normative politische Philosophic des Kosmopolitismus kann sich auch in Gestalt eines institutionalisierten Kosmopolitismus manifestieren. So bietet zum Beispiel das intemationale Menschenrechtsregime eine Moglichkeit, im Kantschen Sinne Rechenschaft von nationalstaatlichen Akteuren zu verlangen (Robbins 1998b: 11). Beide Formen des normativen Kosmopolitismus, der ethische wie auch der politische, konnen sowohl positiv als auch negativ bewertet werden. Im Bezug auf den ethischen Kosmopolitismus kann die kosmopolitische Identifikation zum einen positiv als das Transzendieren beschrankender Kontexte, als Herausbildung des „Eine-Welt-Denkens" betrachtet werden, zum anderen aber auch negativ als Verrat an partikularen Identitaten und Kollektiven: „From a national perspective 'cosmopolitan' or 'cosmopolitanism' is viewed pejoratively, as an enemy image. 'Cosmopolitan' refers to the 'global player', the 'imperialist capitalist' or 'middleclass intellectual without local roots', and as such is a loaded concept" (Beck 2003: 16). Der ethische Kosmopolitismus bewegt sich also (schon immer) im Kontinuum zwischen der positiven und edlen Idealfigur des Weltbiirgers und der negativen Schreckgestalt des Heimatverraters.^^ Das Bild des Heimatverraters und die Be13 So ist in anonymen Politischen Fragmenten aus dem spaten 18. Jahrhundert uber den Kosmopoliten Folgendes zu lesen: „Wem alles zu Hause wohl steht, oder wem's zu Hause nicht mehr gefallt, oder wer keine Heimat hat, der werde ein Kosmopolit! - Wer's ist, nahe nie meinem Vaterlande! Der Jedermannsbiirger ist wie der Jedermannsfreund [... ] Stolz auf seine Nation seyn, ist besser als keine haben; und die andem Nationen im Gefiihl seiner Freyheit und seines Werths verachten, ist besser als den andern dienen, oder den andem nachaffen [... ] Wohl dem Volke, das sich bey seinen Sitten und seiner Regierungsform so wohl befindet, da6 es sich fiir das beste halt!" (1781: 16-17).
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drohung durch ein Individuum, das seine kulturellen Zugehorigkeiten frei wahlen kann (Cohen 1997: 130), sind Elemente, die vor allem von totalitaren Systemen wie dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus auf den Kosmopoliten projiziert wurden: „Kosmopolit" war im kollektiven Symbolsystem der Nazis ein anderes Wort fiir Todesurteil. Alle Opfer des planmaBigen Massenmordes gal ten als , Kosmopoliten'; und dieses Todesurteil hat sich auf das Wort ubertragen [... ] Die Nazis sagten Juden und meinten Kosmopoliten. Die Stalinisten sagten Kosmopoliten und meinten Juden (Beck 2004a: 9).
Nach Malcomson liegt eine mogliche Ursache dieser negativen Wertung des kosmopolitischen Denkens darin, dass diese Haltung sehr viel starker auf die Asthetik und weniger auf politische Handlungen bezogen wurde. Infolgedessen ist der negative Aspekt der Distanzierung und Entwurzelung zunehmend in den Vordergrund geriickt und bot sich als naheliegender Ansatzpunkt fiir antikosmopolitische Ideologien an (1998: 233). Dies zeigt sich auch in Antonio Gramscis Kritik des KosmopoHtismus. Fiir ihn beschreibt der Begriff KosmopoHtismus vor allem ein gravierendes Hindemis fiir die Herausbildung einer echten national-volkstiimlichen Kultur in Italien. Er sieht in der „kosmopolitischen Funktion der italienischen Intellektuellen" ein Zeichen fiir das Fehlen der nationalen Auspragung der Kultur (1984: 110). Da im Romischen Reich und spater dann in der Kathohschen Kirche jeweils kosmopolitische Intellektuelle eine kulturelle Hegemonic aufbauen konnten, die universalistisch ausgepragt war, kam es infolgedessen zu einer deutHchen Entfremdung von der gewohnlichen Bevolkerung - die Kosmopoliten waren „[m]en of the highest culture and intelligence, who arose on the traditional terrain of the South but were linked to Europa and hence to world culture" (Gramsci 1926/1978) und der „Nationalkultur" vor allem in den unterentwickelten landlichen Gebieten des Siidens. Kosmopolitismus bezeichnet aus dieser Sicht eine Lebensweise, die nicht authentisch ist, da sie sich ihrer eigenen partikularen Verwurzelung nicht bewusst ist. Dies zeigt sich nach Gramsci am deutlichsten in den Versuchen der Intellektuellen, eine klinstliche Weltsprache zu kreieren: „Gestehen wir doch ein: Das Esperanto, die Einheitssprache, ist nichts anderes als ein Himgespinst, eine Illusion, die kosmopolitischen, menschheitlichen und demokratischen Vorstellungen entspringt, welche noch nicht fruchtbar geworden, noch nicht von der Kritik durch die Geschichte enttauscht worden sind" (Gramsci 1984: 52). Aber auch in der Debatte des politisch-legalen Kosmopolitismus lasst sich zwischen zwischen positiven und negativen Bedeutungen des Konzepts differenzieren. So kann eine kosmopolitische Weltordnung je nach Standort des Beobachters entweder zur erhofften Verwirklichung des Idealzustandes des „Ewigen Friedens" werden, aber auch als Ende von Politik und Geschichte zu einem Synonym von
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„Friedhofsruhe" werden oder in Form eines missionarischen militarischer Humanismus zu einer tiefgreifenden Transformation bis bin zur Auflosung der bislang geltenden Unterscheidungsmoglichkeiten von Krieg und Frieden fiihren.^"^ 2.7.5 Neuer Kosmopolitismus Vor allem nach Ende des kalten Krieges hat sicb der Bezugspunkt des philosopbiscben Kosmopobtismus deutbcb gewandelt. Nacbdem sicb der klassiscbe Kosmopobtismus, gerade in seiner Hocbpbase wabrend Nussbaum-Kontroverse, immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt sab, im Grunde nicbts anderes zu sein als ein etbiscb-morabscber UniversaHsmus mit einer neuen Bezeicbnung, macbten sicb nun zabkeicbe Tbeoretiker daran, einen Neuen Kosmopobtismus zu formuberen, der diesen Anschuldigungen entgebt, indem der Ausgangspunkt der ethiscben und morabscben Uberlegungen weg von der Menscbbeit an partikulare Orte verlegt wird. Ein weiterer Vorwurf ricbtete sicb an die Praxisfeme der kosmopobtiscben Ideen; so ignorierte zum Beispiel Kant empiriscb beobacbtbare Pbanomenen wie den zu seiner Zeit tief verwurzelten Nationalstolz der Deutscben (Malcomson 1998: 238). Aber aucb der etbiscbe Kosmopolitismus wird - insbesondere in Krisenzeiten, zum Beispiel wenn es um die globale Verlagerung von Arbeitsplatzen gebt -, immer wieder als unreabstiscbe Option kritisiert (Rorty 1998: 45-46). In den Augen dieser Kritiker kann die menscbbeitlicbe Loyalitat immer nur eine „seicbte" Loyalitat sein, die gerade in scbwierigen Zeiten nicbt tragfabig ist. Der Neue Kosmopolitismus versucbt sicb desbalb aucb als realistiscben oder zumindest realisierbaren Kosmopolitismus zu prasentieren.^^ Vor allem die Linke entdeckte nacb dem Ende der Sowjetunion das kosmopolitische Denken als Gegenentwurf zu den an vielen Orten wieder an Bedeutung gewinnenden Nationalismen - als Gegenentwurf, in dem sicb die Orientierung nacb dem Wobl der Menscbbeit mit der Acbtung kultureller Differenzen verbinden lasst (Malcomson 1998: 234). Dieser „Neue Kosmopolitismus"^^ nimmt nicbt mebr universalistiscbe Prinzipien wie die Vernunft, die Menscbbeit oder die Welt als Ganzes als Orientierungspunkt 14 Vergleiche hierzu vor allem den Diskussionsstrang zu den neuen Kriegen (Van Creveld 1991; Kaldor 1999, 2002, 2004; Miinkler 2002) sowie auch Beck (2004a). 15 Das findet sich auch schon bei Nussbaum, die auf der einen Seite Kants Version des Kosmopolitismus dafiir kritisiert, zu unrealistisch und optimistisch zu sein, auf der anderen Seite jedoch zugibt, dass auch der eigene Kosmopolitismus in der Gegenwart nur wenig Chancen auf Verwirklichung hat. Trotzdem betont Nussbaum, dass ein rationaler und vorsichtiger Optimismus in jedem Fall besser sei als ein relativistischer Abschied von dem Projekt des Kosmopolitismus (1997: 51). 16 Nach Rainer Baubock kann man allerdings streng genommen gar nicht von einem „Neuen" Kosmopolitismus sprechen; vielmehr handelt es sich hierbei um eine alte Debatte, die nun jedoch in einem durch die Globalisierung wesentlich veranderten Kontext weiterlauft (2002: 111). Vergleiche dazu auch den folgenden Abschnitt 2.2 iiber den empirisch-analytischen Begriff des Kosmopolitismus.
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bei einer gleichzeitigen Vemachlassigung lokaler und partikularer Beziige wie etwa Emotionen, Patriotismus und Nationalismus^^, sondem versucht, einen Mittelweg in dem Spannungsfeld zwischen universalistischen und partikularistischen Prinzipien zu formulieren, so dass auch Begriffskombinationen wie „patriotischer Kosmopolitismus" (Appiah 1998) moglich werden. Im Zusammenhang mit der Konzeptualisierung dieses Neuen Kosmopolitismus als „Dritten Weg" hat sich auch die grundlegende Begrifflichkeit gewandelt. Die neukosmopolitischen Theorien sprechen in erster Linie von Anderen, Andersheit oder Alteritat und nur mehr selten von Menschheit oder Welt. Kosmopolitismus bedeutet also nicht im ethischen Sinne eine individuelle Verpflichtung gegeniiber der Menschheit oder im politischen die Institutionalisierung einer universalistischen Weltordnung, sondem fiir beide Bereiche wird die Anerkennung der Andersheit der Anderen zu einem neuen handlungsleitenden Basisprinzip. Nicht mehr die Gemeinsamkeit der Menschheit ist der Anfang kosmopolitischer Uberlegungen, sondem ganz im Gegenteil die Differenz zwischen partikularen und universellen Prinzipien (Vertovec/Cohen 2002b: 1): Der Neue Kosmopolitismus ist ein Kosmopolitismus der Differenz. Er beschreibt einen spezifischen Modus im Umgang mit der Andersheit der Anderen, der diese weder in universalistischen Prinzipien auflost, noch deren partikularen Eigenschaften verabsolutiert und essentialisiert. Mit Beck lasst sich diese neue Variante des normativ-philosophischen Kosmopolitismus deshalb wie folgt fassen: ^Kosmopolitismus meint [... ] im Kem die Anerkennung von Andersheit sowohl im Inneren als auch nach auBen. Kulturelle Unterschiede werden weder in einer Hierarchic der Andersartigkeit geordnet, noch werden sie universalistisch aufgelost, sondem akzeptiert" (2004a: 90). Nach Vertovec und Cohen gehort zu den zentralen Merkmalen des Neuen Kosmopolitismus der Versuch einer Vermittlung zwischen der globalen und der lokalen Ebene. Auf der einen Seite ubemimmt der Neue Kosmopolitismus von seinen Vorgangem die Abwehr essentialistischer Identitatsvorstellungen sowie die Transzendenz partikularer Gemeinschaften und Identitaten. Auf der anderen Seite betont der Neue Kosmopolitismus jedoch starker die Moglichkeit einer aktiven kosmopolitischen Politik der Verortung. Der Fokus liegt also nicht nur auf der Transzendenz beschrankender partikularer Einheiten, also nicht nur auf dem Freisetzungsargument, sondem zudem auf der Vorstellung komplexer Identitaten und Verortungen. Das kosmopolitische Individuum zeichnet sich demnach dadurch aus, dass es sich nicht ausschlieBlich einer Gemeinschaft (einem der konzentrischen Kreise aus Abbildung 2.2) zugehorig fiihlt, sondem situativ unter17 Vergleiche hierzu die ebenfalls haufige Kennzeichnung des Kosmopolitismus als kalt und blutleer im Gegensatz zu den mitreiBenden, emotionalen Ideen des Nationalismus oder Patriotismus (Anderson 1983; Barber 1996; McConnell 1996; Rorty 1994).
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schiedliche Affiliationen miteinander verbinden kann (Vertovec/Cohen 2002b: 4). Nach Beck gilt hier „das Melange-Prinzip, das heiBt: lokale, nationale, ethnische, religiose und kosmopolitische Kulturen und Traditionen durchdringen, verbinden, mischen sich: Kosmopolitismus ohne Provinzialismus ist leer, Provinzialismus ohne Kosmopolitismus ist blind" (Beck 2004a: 16, Hervorhebungen im Original). Der Neue Kosmopolitismus sucht also einen dritten Weg neben der einfachen partikularen Verortung von Lebensformen in der Ersten Modeme und der universellen und vollstandigen sozialen Entbettung, wie sie postmoderne Narrative formulieren. Kosmopolitismus in dieser Bedeutung verweist also gerade nicht auf ein Individuum, das nirgendwo beheimatet ist, sondem eines, dass sich gerade durch seine reflexive Verortung distanzieren kann: „[I]t seems a good moment to recognise that the view from nowhere (always an arrogant fiction in one sort of Westem epistemology) comes partly from a new kind of somewhere" (Appadurai 2003: 28-29). Das kosmopolitische Subjekt wird weder als eindeutig, zugeschrieben und stabil noch als vollstandig entbettet oder freischwebend vorgestellt, sondem ist in der Lage, sich an unterschiedliche Orte gleichzeitig zu binden und dies nicht nur hinsichtlich des Duals lokal /global - „Every human is being rooted (beheimatet) by birth in two worlds, in two communities: in the cosmos (namely, nature) and in the polls (namely, the city/state)" (Beck 2003: 16) -, sondem auch in Bezug auf unterschiedliche raumliche Kontexte des Soziallebens in der Zweiten Modeme. Auch in diesem Fokus auf die plurale, zum Teil sogar wahlbare Verortung des Kosmopoliten zeigt sich, dass sich der Neue Kosmopolitismus als Alternative zu den Entweder-oder-Prinzipien der Ersten Modeme versteht und neue Kombinationsformen von Verortung und Distanz, von Unterschieden und Gemeinsamkeiten oder eben von Universalismus und Partikularismus in den Vordergrund stellt: „'Cosmopolitanism' ignores the either/or principle and embodies ' Sowohl-als-auch thinking', the 'this-as-well-as-that' principle. Thus cosmopolitanism generates a logic of non-exclusive oppositions, making 'patriots' of two worlds" (Beck 2003: 16-17, Hervorhebung im Original). Kritische Perspektiven fragen jedoch immer wieder danach, bis zu welchem Grad Kosmopolitismus tatsachlich eine frei wahlbare Option darstellt, oder ob nicht sogar Entwicklungen hin zu einem neuen „Kosmopolitisierungszwang" auf individueller Ebene stattfinden, so dass die Entscheidung des Kosmopoliten, sich (auch) einer umfassenderen Einheit zugehorig zu fiihlen, gar keine freie Wahl mehr ist (Malcomson 1998: 240). Noch gravierender wirkt jedoch das entgegengesetzte Argument, dass die kosmopolitische Entscheidung zugunsten der Menschheit oder der Anerkennung des Anderen eine eingeschrankte und elitare Wahlmoglichkeit ist, die in der Gesellschaft auBerst ungleich verteilt ist und fUr viele (subalteme) Gruppen gar nicht in Frage kommt.
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Das Sowohl-als-Auch-Denken wird zur Grundlage fiir die Konzeptionalisiemng einer neuartigen kosmopolitischen Variante des Umgangs mit der Andersheit der Anderen. Dabei geht es vor allem um den Umgang mit kultureller Andersheit obwohl auch andere Formen der Andersheit wie zum Beispiel Alter, Geschlecht Oder Klasse und damit eine Generalisierung des Begriffs des KosmopoHtismus denkbar sind. Das charakteristische Merkmal eines kosmopolitischen Umgangs mit Andersheit ist, dass hier, anders als in den konkurrierenden universaHstischen oder partikularistischen Formen, kein Entweder-oder-Modell vorausgesetzt wird, das Andersheit entweder universahstisch in umfassenderen Prinzipien auflost oder aber partikularistisch verabsolutiert und inkommensurabel setzt. Bin kosmopoHtischer Umgang mit Andersheit geht von einem Sowohl-als-Auch-Modell kultureller Zugehorigkeit und Identitat aus, das eine wie auch immer prekare Synthese aus universaHstischen und partikularistischen Prinzipien sucht. Damit werden inklusive anstatt exklusive Identitaten denkbar, ^^ die zur Grundlage einer kosmopolitischen Anerkennung der Andersheit der Anderen und ihrer Einbeziehung werden: What makes cosmopolitanism so interesting for social theory of "second" modern societies is its thinking and living in terms of inclusive oppositions [... ] [OJthemess of the other is included in one's own self-identity and self-definition [...]. "We" are not opposed to "Them". This was the dominant model of social and political theorizing and political action in the first modem nation-state societies and sociologies (Beck 2003: 17).
Wahrend der klassische philosophische Kosmopolitismus („Menschheit") den Fokus zumeist einseitig auf universalistische Merkmale gelegt hat, ist der Grundgedanke des neuen philosophischen Kosmopolitismus („Andersheit"), dass sich unterschiedliche Prinzipien - Beck nennt hier vor allem Universalismus, Relativismus, Nationalismus und Ethnizismus - gegenseitig korrigieren und daher einer einseitigen oder halbierten Konzeption des Kosmopolitismus vorbeugen.^^ So entsteht ein in sich vielfaltiges (oder gar widerspriichliches) Bild des Kosmopolitismus, das zugleich aber auch vorgibt realistischer zu sein als das idealistische Konzept einer ausschlieBlichen Identifikation mit der Menschheit bei den kosmopolitischen Klassikem. Auch das ist ein wesentHches Merkmal des Neuen Kosmopolitismus, dass er sich nicht mehr allein als normatives Ideal versteht, sondem nun auch konkrete Anspriiche auf Verwirklichung stellt. Den Theoretikem 18 „Es gibt zwei Arten dualistisch formuherter Begriffe - exklusive Duale (Entweder-oder-Logik) oder inklusive Duale (Sowohl-als-Auch-Logik), das heiBt solche, die sich wechselseitig ausschlieBen (wie national / international), oder solche, die sich wechselseitig einschlieBen (wie Mensch und Staatsbiirger, Europaer und Franzose, Europaer und Christ, Moslem usw.)" (Beck/Grande 2004: 51). 19 Vergleiche hierzu auch Richard Falks Bemerkung: „I am disturbed by its implicit encouragement of a polarized either/or view of the tension between national and cosmopolitan consciousness" (Falk 1996: 53).
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des Neuen Kosmopolitismus geht es also um einen realistischen Kosmopolitismus, auch wenn dies bedeutet, dadurch von dem urspriinglichen reinen Ideal des Weltbiirgertums abzuriicken. Dennoch bleibt auch dieser Neue Kosmopolitismus zunachst ein ethischer Ansatz, der nicht primar auf die Diagnose einer gesellschaftlichen Kosmopolitisierung Oder auf die Entwicklung eines entsprechenden sozialwissenschaftlichen Begriffsrahmens zielt, sondern auf eine neue kosmopolitische Ethik, die globale und lokale Beziige in sich vereinen kann. Nicht die Menschheit als abstrakte Kategorie ist das vorrangige Ziel der kosmopolitischen Solidaritat, sondern die jeweils Anderen, die hier sowohl unterschiedlich (als kulturell Fremde) als auch gleich (als Menschen) gedacht werden. Die kosmopolitische Solidaritat gilt dem universellen Kosmos und der partikularen Polls zugleich: „Rooted cosmopolitanism is defined against the two extremes of being at home everywhere and being at home nowhere. It refers [... ] to an 'ethical glocalism'; that is, to be engaged in the local and the global at the same time" (Beck 2003: 27). Der Schltisselbegriff, der diese Kombination aus Universalismus und Partikularismus markiert, lautet „Verwurzelung" (Appiah 1998). Statt von einem Neuen Kosmopolitismus kann also auch von einem „verwurzelten Kosmopolitismus" (Ackerman 1994) gesprochen werden, da dieses Prinzip in nahezu alien Theorien des Neuen Kosmopolitismus eine wichtige Rolle spielt. Auch diese Definition des Neuen Kosmopolitismus lasst sich sowohl auf individueller Ebene als kosmopolitische Ethik als auch auf Kollektivebene als politische Philosophic mit Inhalten fiillen. Auf der individuellen Ebene beschreibt er die Anerkennung des Anderen als jemanden, der zugleich verschieden ist, dessen Verschiedenheit jedoch nicht unter universelle Prinzipien subsumiert wird, sondern anerkannt wird. Dieser Gedanke ist ein zentraler Punkt der philosophischen Auseinandersetzung mit Alteritat bei Levinas (1993,1999a) und Derrida (2001a,b), die beide das Spannungsfeld zwischen einer streng genommen unmoglichen unbedingten, absoluten Anerkennung von Andersheit und einer rechtlich geregelten, auf universellen Prinzipien basierende Akzeptanz beschreiben - ein Spannungsfeld, das der hier erarbeiteten Definition des Neuen Kosmopolitismus als Mittelweg Oder Dialektik zwischen Universalismus und Partikularismus stark ahnelt. Aber auch auf gesellschaftlicher Kollektivebene kann die kosmopolitische Anerkennung der Andersheit als normatives Prinzip formuliert werden, etwa in Bezug auf die sozialen und politischen Offnungs- (Asylrecht, doppelte Staatsbiirgerschaft) und SchlieBungsprozesse („Festung Europa") gegeniiber Migranten aus anderen Landem und insbesondere der Dritten Welt (Kristeva 1990). Der Neue Kosmopolitismus ist also nicht eine weitere universalistische Philosophic unter einer neuen Bezeichnung, sondern lasst sich als Synthese aus
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universalistischen und partikularistischen Inhalten beschreiben. Die Elemente, die der ethische Neue Kosmopolitismus diesen beiden Grundorientierungen entlehnt, sollen nun in den beiden folgenden Abschnitten kurz umrissen werden, bevor dann der sozialwissenschaftliche Kosmopolitismus als Gegenstiick zum philosophischen Kosmopolitismus dargestellt wird. Aus dem Universalismus und damit aus der klassischen Tradition des kosmopolitischen Denkens ubemimmt der Neue Kosmopolitismus die Vorstellung eines normativen oder ethischen Minimums, das die Andersheit des Anderen zwar nicht assimiliert oder gar leugnet, aber trotzdem, zum Beispiel in Gestalt von Prozeduralnormen, einen cosmopolitan common sense schafft, der eine Verstandigung (bier vor allem: einen interkulturellen Dialog) zwischen dem Selbst und den Anderen ermoglicht: „Von einem ,kosmopolitischen Common sense' kann dann die Rede sein, wenn es gute Griinde gibt anzunehmen, daB die Mehrheit der Menschen dort, wo diese universalistischen Minimalia gelten, bereit sind, diese gegebenenfalls zu verteidigen" (Beck 2004a: 78). Flir die Definition dieses minimalen Konsenses sind vor allem menschenrechtliche Normen wie die leibliche Unversehrtheit, das Verbot von Folter und von genitaler Verstiimmelung von zentraler Bedeutung. Es geht nach Rorty also primar darum, die Normen und Ideen unterschiedlicher innerer Kreise des kosmopolitischen Kreismodells so zu vereinigen oder „auszudiinnen", dass auf Grundlage minimaler Gemeinsamkeiten ein Modus Vivendi erreicht werden kann (Rorty 1998: 54). Als weitere Moglichkeiten sind neben diesem Prozeduralismus auch negative Normen denkbar, die als Kontext nur das beschreiben, was ausgeschlossen werden soil. Eine dritte Variante kosmopolitischer Prinzipien liegt in der Kontextualisierung universalistischer Denkfiguren, zum Beispiel durch die reflexive Verortung der kosmopolitischen Theorie oder ihrer Theoretiker selbst oder aber durch die apriorische Einschrankung des Kosmopolitismus auf einen bestimmten partikularen Geltungsbereich. In Bezug auf kosmopolitische Ideen muss dementsprechend zwischen Geltung und Inklusivitat unterschieden werden. Diese Kontextualisierung weist darauf hin, dass auch Ideen mit einem universalistischen Anspruch der Einbeziehung der gesamten Menschheit nicht universell oder Uberall auf der Welt gelten miissen (Rorty 1998: 53). So kommt zum Beispiel Judith Butler, obwohl die Universalien als einendes Element der Menschheit auch fiir sie ein attraktiver Gedanke sind, zu dem Ergebnis: „The problem emerges, however, when the meaning of 'the universal' proves to be culturally variable, and the specific cultural articulations of the universal work against its claim to a transcultural status" (Butler 1996: 45). Ein vielzitiertes Beispiel fiir das Verhaltnis unterschiedlicher Varianten im Umgang mit der Andersheit der Anderen ist die Konferenz von Valladolid, auf der 1550 die Streitfrage verhandelt wurde, ob Indianer Menschen seien oder nicht.
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Dort vertrat der Dominikanerpriesters Bartholome de Las Casas die Position, dass auch die heidnischen Indianer auf Grund ihrer Moglichkeit der Bekehrung zu den Menschen gerechnet werden mtissen.^^ Sie konnen also auf Grund ihres „gottlichen Funkens" wenigstens als potentielle (Christen)menschen behandelt werden. Die Haltung des Priesters kann aber die Anerkennung der Anderen nur um den Preis der Negation ihrer Besonderheit erkaufen, denn als potentielle oder tatsachliche Christen (aber auch: nur als potentielle oder tatsachliche Christen) sind alle Menschen gleich. Die entgegengesetzte Position vertrat der Philosoph Juan Gines de Sepulveda, der die Indianer ausgehend von einem hierarchischen Menschenbild auf einer anderen, niedrigeren Stufe als die Menschen ansiedelte: The philosopher started from the assumption that society is naturally hierarchical. The priest started from the assumption that all men are naturally equal. The former emphasized the differences between Spaniards and Indians [... ] In this scheme, it seemed obvious that different meant lesser [... ] For the priest, the Indians were no different in essence from Europeans, and therefore of no less worth (Beck 2003: 24-25).
Fiir Beck zeigt diese Debatte aus der Friihen Neuzeit auf paradigmatische Weise den Umgang mit dem Dilemma zwischen Universalismus und Partikularismus, das letztlich auch dem Diskurs des Kosmopolitismus zu Grunde liegt. Universalismus und Partikularismus werden hier als einander ausschlieBende Alternativen gedacht. Fine Kombination oder gar ein Steigerungsverhaltnis der beiden Positionen gerat nicht in den Bhck. Der Neue Kosmopolitismus offnet jedoch den Blick fur eine alternative Verbindung der beiden Positionen: „From a cosmopolitan viewpoint, the most interesting thing is what they have in common. Neither of them entertained the possibility that the Indians could be both different and of equal worth" (Beck 2003: 25). Die kosmopolitische Theorie eroffnet einen ethischen Standpunkt, von dem aus die Anderen sowohl gleich als auch unterschiedlich sein konnen. Ihre eigenstandige und andere Identitat wird also nicht negiert oder unter abstrakte Allgemeinbegriffe subsumiert, zugleich aber auch nicht verabsolutiert oder als essentielle Unterscheidung fixiert. Kosmopolitismus heiBt deshalb nach Beck „that the Other is both different and equal. Cosmopolitanism therefore sets itself against both racism and universalism [... ] This includes making clear the extent to ehich the ethnocentric universalism of the West is an anachronism that can be overcome" (2003: 26). Zudem kann an dem Beispiel der Valladolid-Kontroverse der Prozess verfolgt werden, in dem ausgehandelt wird, wie weit die Grenzen der Anerkennung des Anderen reichen, beziehungsweise, wie und mit welcher Begriindung die Inklusionskreise der kosmopolitischen Anerkennung gezogen werden. 20 Vergleiche hierzu vor allem de Las Casas (1552/1995) sowie Hanke (1974); Keen (1998b); Frey (2000).
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Letztlich hat die Kontroverse von Valladolid vor allem im Zusammenhang mit dem Diskurs des Postkolonialismus fiir die kosmopolitische Theoriebildung an Bedeutung gewonnen. Denn dabei geht es nicht nur um die Diskussion universalistischer versus partikularistischer Varianten des Umgangs mit den Anderen, sondem die gesamte Debatte ist von einer grundlegenden Machtlogik verzerrt, da in ihrem Verlauf gar nicht alle Seiten zu Wort kommen. Von Anfang an wird vorausgesetzt, dass nur Europaer eine Stimme in dieser Debatte iiber die Menschlichkeit der Indianer haben, nicht aber die Betroffenen selbst. Ganz gleich, ob die Protagonisten der Kontroverse fiir die Anerkennung der Indianer als Menschen Oder dagegen argumentieren; die Representation und Reprasentierbarkeit der Anderen werden stets als unproblematisch gesehen. Dieses Problem betrifft aber nicht nur die Philosophic der Friihen Neuzeit, sondem in dieser Neuformulierung der Frage des Anderen als Frage nach seiner oder ihrer Stimme (vergleiche dazu Derrida 2001b) beriihren wir ein Schliisselthema des Kosmopolitismus im postkolonialen sozialen Kontext, wie die Erorterungen in den folgenden Kapiteln zeigen werden. Letztlich weist diese Fragestellung auch auf das grundlegende Problem der politischen Verortung des Kosmopolitismus selbst hin und ermoglicht eine Auseinandersetzung darliber, von wessen Universalismus oder Kosmopolitismus iiberhaupt die Rede ist, sowie: ob das Theorem der Anerkennung der Andersheit der Anderen nicht von Anfang an fiir eine spezifisch europaische Perspektive steht. Gerade im Diskurs des Postkolonialismus ist die Frage immer wichtiger geworden, wie und ob iiberhaupt ein universalistisches oder kosmopolitisches Denken ohne seine begleitenden hegemonialen oder gar imperialen Machtstrukturen moglich ist. Das Problem des Universalismus liegt hier darin, dass die Begegnung mit dem Anderen im Kontext einer politischen und intellektuellen Hegemonic des Westens eine ungleiche Begegnung ist, in der nur eine Seite die Macht besitzt, zu definieren, was unter die Bezeichnung universell fallt. Dadurch ist die Andersheit des Anderen nicht mehr Ergebnis kosmopolitischer Einfiihlung, sondem eine fremdbestimmte und -definierte Setzung. Der Andere wird auf seine Reprasentation reduziert (vergleiche dazu die detaillierte Darlegung in Kapitel 3). Nach Levinas ist dies ein Gmndzug der philosophischen Auseinandersetzung mit Alteritat: Die abendlandische Philosophic fallt mit der Enthiillung des Anderen zusammen; dabei verliert das Andere, das sich als Sein manifestiert, seine Andersheit. Von ihrem Beginn an ist die Philosophic vom Entsetzen vor dem Anderen, das Andcrcs bleibt, crgriffen, von einer uniiberwindlichcn Allergic (1999a: 211).
Die neukosmopolitische Alternative betont an dieser Stelle aber eine Pluralisiemng des Konzeptes des Kosmopolitismus selbst. Es gibt nicht mehr nur eine Idee des Kosmopolitismus, die sich zwar universell und distanziert gibt, in Wirklichkeit aber ideologiekritisch mit partikularen Verortungen und Interessen in Zusammenhang
2.1 Philosophischer Kosmopolitismus
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gebracht werden kann, sondem eine weltweite Vielfalt von Kosmopolitismen in unterschiedlichen, lokal gepragten Artikulationsformen - darunter privilegierte ebenso wie marginalisierte Kosmopolitismen. Die Anerkennung und Offnung in Richtung kosmopolitischer Ethiken und Perspektiven aus der nichtwestlichen Welt wird deshalb zu einem wichtigen Bestandteil des Projekts des Neuen Kosmopolitismus (Clifford 1998). Die Aufgabe einer Soziologie des Kosmopolitismus ist es daher, so lasst sich der Gedanke mit Appadurai fortsetzen, „to fish for cosmopolitanism in the raw" (1991: 201) - in Agypten wie in Indien, in New York wie im antiken Griechenland. Der Grundgedanke des Neuen Kosmopolitismus - ein neues Verhaltnis von Universalismus und Partikularismus - trifft also nicht nur auf den Inhalt des kosmopolitischen Denkens zu, sondem ist auch fiir die Ortsbestimmung der kosmopolitischen Theorien selbst relevant. Dies fiihrt letztlich auch zu der Schliisselfrage, wie kosmopolitisch die kosmopolitische Theorie selbst ist, beziehungsweise inwiefem sie in ihrer Verortung den von ihr propagierten ethischen oder politischen Anspriichen uberhaupt entspricht. Das hat zur Folge, dass in den Neuen Kosmopolitismen die Figur des kosmopoHtischen Theoretikers, das Ich/Wir des Kosmopolitismus, immer unverhiillter reprasentiert und verortet wird: We can also say that we value the move away from ethnocentrism - in all the many places, Western and non-Western, where it has occured. To take an empirical route out of the overly simple binary of universal and particular, rather than performing a merely logical or deconstructive exercise on it, would put the matter across to a broader audience, and it would also have the advantage of distinguishing cosmopolitanism from an abstrace, ahistorical universaHsm (Robbins 1998a: 260, Hervorhebung im Original).
Eine weitere Moglichkeit im Umgang mit der Andersheit der Anderen sind relativistische Denkfiguren, die behaupten, dass kulturelle, ethnische oder „rassische" Unterschiede nicht aufgelost werden konnen und deshalb Kulturen nicht miteinander verglichen werden konnen: sie sind inkommensurabel.^^ Mit dem Universalismus hat diese Variante gemeinsam, dass nicht der Versuch untemommen wird, die eigene Kultur oder Identitat in einem partikularen Chauvinismus zu verabsolutieren. Stattdessen stehen alle moglichen Kulturen, Nationen oder Ethnien gleichwertig nebeneinander. Damit kann das relativistische Element des Neuen Kosmopolitismus als Korrektiv fiir den hierarchischen Umgang mit Andersheit dienen, fiir den nach Beck kennzeichnend ist, „da6 man ,den Anderen' den Status der Gleichartigkeit und Gleichrangigkeit abspricht und sie in einem Verhaltnis hierarchischer Unterordnung bzw. Minderwertigkeit sieht. Im Extremfall gelten die 21 Die Wurzeln dieses Umgangs mit der Andersheit der Anderen lasst sich fiir die Ethnologie bis in kulturrelativistischen Schule von Franz Boas, Margaret Mead und Ruth Benedict gegen Anfang des 20. Jahrhunderts zuriickverfolgen. Vergleiche auch zu den Grenzen des allgemeinen Prinzips der Kommensurabilitat Espeland/Stevens 1998.
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Anderen als ,Barbaren' ohne eigene Rechte" (2004: 26). Zugleich verbindet den Relativismus aber mit partikularistischen Denkfiguren die Vorstellung, dass solche kulturellen Grenzziehungen nicht nur anerkannt, sondem auch fiir uniiberwindbar gehalten werden. Der Relativismus kennt somit kein universalistisches Minimum, das zur Verstandigung oder wenigstens zu einer echten Auseinandersetzung mit den Anderen und ihre Anerkennung notwendig ist. Deshalb ist der Relativsmus fiir Beck nur ein „vomehmes Wort fiir Nichteinmischung, Hier herrscht der ewige (Nicht-) Frieden des ewigen Relativismus. Man will seine Ruhe haben und andere in Ruhe lassen und begriindet dies damit, die Graben zwischen den Kulturen seien uniiberbriickbar" (Beck 2004a: 86). Das relativistische Argument lasst sich sowohl auf die empirisch-analytische Ebene beziehen (vergleiche Abschnitt 2.2), wo es die Grenzen der Erkenntnis fremder Kulturen umschreibt, als auch auf die normativphilosophische. Dort bedeutet Relativismus, dass andere Kulturen jeweils mit ihren eigenen WertmaBstaben beurteilt werden miissen und nicht in ihrer Wertigkeit oder normativen Richtigkeit miteinander verglichen werden konnen.^^ Der Neue Kosmopolitismus zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht nur universalistische Elemente beinhaltet - etwa von einem unwiderruflichen universalistisches Minimum ausgeht - und die Andersheit der Anderen unter universelle Begriffe subsumiert, sondem im Sinne des Partikularismus die Andersheit der Anderen akzeptiert: „The question that really distinguishes one doctrine from another is where they stand on the otherness of the other. The answer seems simple enough: cosmopolitanism affirms it; neo-liberalism, globalization and Americanization deny it" (Beck 2003: 23). Aus dieser Perspektive ist die kosmopolitische Variante des Umgangs mit Andersheit nicht mehr das Gegenteil von partikularistischen, zum Beispiel nationalistischen oder ethnizistischen Prinzipien, sondem versucht diese mit universalistischen Prinzipien zu verbinden: „Das kosmopolitische Projekt enthdlt das nationale Projekt und erweitert es zugleich" (Beck 2004a: 119, Hervorhebung im Original). Kosmopolitismus muss also nicht gleichbedeutend mit dem Ende des Nationalstaats sein, sondem kosmopolitische Anerkennungsprinzipien, etwa allgemeine Menschenrechte, werden im Gegenteil durch nationalstaatliche Institutionen gestiitzt und stabilisiert - zum Beispiel in den MaBnahmen der affirmative action, der politischen Institutionalisierung von Gastrechten oder der erinnerungspolitischen Konstruktion transnational verwobener geschichthcher Narrative.^^ 22 Das kann dann so weit gehen, dass auch die Tater des Nationalsozialismus nicht als auBerhalb jeder Moral betrachtet werden, sondem auf ihre eigenen Werte- und Moralsystemen bezogen werden. Ihr Morden ist dann aus diesem Blickwinkel kein VerstoB gegen die Moral, sondem eine als notwendig empfundene „Arbeit". Vergleiche dazu Welzer2005. 23 Dieser Gedanke taucht zum Beispiel als Histoire croisee bei Werner/Zimmermann (2002) oder als transnational Erinnerungsraume bei Beck etal. (2004); Levy/Sznaider (2001, 2002, 2004);
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Bislang wurde der Nationalstaat vor allem von kosmopolitischen Theoretikem als exklusives Phanomen betrachtet, das Gesellschaft oder wenigstens vorgestellte nationale Gemeinschaften (Anderson 1983) im Inneren homogenisiert, wahrend im AuBeren von einer gmndlegenden Heterogenitat der Staatenwelt ausgegangen wurde. Der Neue Kosmopolitismus verwendet in diesem Zusammenhang jedoch den Begriff des Transnationalismus als Alternative fiir die Entweder-oderUnterscheidung zwischen nationalen und intemationalen Organisationsprinzipien (Beck 2004a: 98). Der Begriff der Transnationalitat verweist hier also auf „ways of life and responsibility that replaces the national 'either/or' with a multinational 'this as well as that'" (Beck 2003: 19).^"^ Mit diesem Begriff wird die Gleichzeitigkeit von lokalen und globalen Elementen im Inneren von Nationalstaaten - mit Harvey (1990) formuliert als Kompression oder Implosion von Raum und Zeit - beschrieben, wobei die Andersheit der Anderen weder essentialistisch fixiert noch universalistisch aufgelost wird. Nationalstaat und nationale Identitat sind nicht Gegenbegriffe, sondem Bestandteil einer kosmopolitischen Anerkennung der Andersheit der Anderen: „Thus nationality excludes and transnationality includes the national Other—in terms of both political philosophy and experience. Transnationality refers to a revolution in loyalties" (Beck 2003: 19). Eng verwandt mit dem nationahstischen Modell des Umgangs mit den Anderen ist die multikulturalistische Theorie, die ebenfalls Unterschiede zwischen kulturellen und sozialen Identitaten absolut und unveranderbar setzt. Aus dieser Perspektive zerfallt Gesellschaft in eine Pluralitat sich deutlich unterscheidender und zudem intern maximal homogener Kulturen oder Subkulturen. Der Neue Kosmopolitismus setzt dieser Perspektive zum einen entgegen, dass Individuen nicht eindeutig und exklusiv je einer einzigen Gruppe, sondem mehreren Gruppen gleichzeitig zugehoren konnen und auBerdem, dass dieses Phanomen an Bedeutung gewinnt und zum Normalfall wird: „Diese Logik der Eindeutigkeit - man konnte in einer Metapher von der Newtonschen Gesellschafts- und Politiktheorie der Ersten Modeme sprechen - wird durch eine Logik der Mehrdeutigkeit - man konnte von einer Heisenbergschen Unscharferelation des Gesellschaftlichen und Politischen sprechen - ersetzt" (Beck/Grande 2004: 50, Hervorhebungen im Original). Zum anderen tibemimmt der Neue Kosmopolitismus aus dem Multikulturalismus das Prinzip der Anerkennung und Forderung unterschiedlicher kultureller Identitaten. OlicM^evy (1997) auf. 24 Auch die politikwissenschaftliche Theorie der Intemationalen Beziehungen hat sich, allerdings von der anderen Seite des Duals national / international kommend, dieser Erkenntnis geoffnet. So weist Ruggie (1998b) darauf hin, dass sich im Zuge der Verfliissigung, Transnationalisierung und globalen Integration von Wirtschaft und Politik mittlerweile eine neue postmodeme Konfiguration herausgebildet hat, die mit dem bisher verwendeten Vokabular nicht mehr angemessen beschrieben werden kann.
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So ermoglicht die multikulturalistische Perspektive eine Korrektur der nationalistischen Annahme einer voUstandigen kulturellen Homogenitat im Innem des Nationalstaats, auch wenn der Multikulturalismus genau dieselbe Annahme dann auf einer untergeordneten Ebene wiederholt. Auch Elemente des Ethnizismus haben als Korrektiv des urspriingHchen UniversaHsmus Eingang in das Konzept des Neuen Kosmopohtismus gefunden. Merkmale ethnischer Identitat werden nicht als Zeichen einer vormodemen Identitatsvorstellung Oder eines falschen Bewusstseins negiert, sondem ebenfalls als mogliche Grundlage fiir die Definition der Andersheit Anderer anerkannt. Der Neue Kosmopolitismus wehrt sich also zugleich gegen die Ausloschung ethnischer Differenzen und die Essentialisierung dieser Unterschiede in rassistischen und oftmals ebenso essentialistisch argumentierenden anti-rassistischen Politiken (vergleiche dazu Kapitel 5). Als zentrales Beispiel fUr eine kosmopolitische Verbindung der postethnischen Haltung mit einer gleichzeitigen lokalen Verwurzelung wird von den Theoretikem des Kosmopolitismus immer wieder die USA als moglicherweise erste „kosmopolitische Nation" zitiert.^^ Der Neue Kosmopolitismus lasst sich also als Kombination aus universalistischen (UniversaHsmus, Relativismus) und partikularistischen Elementen (Nationalismus, Ethnizismus) verstehen, wodurch eine Verbindung von Gleichheit und Differenz denkbar wird: „Being part of the cosmos—nature—all men (and even all women) are equal; yet being part of different states organized into territorial units (polis), men are different" (Beck 2003: 16). Ein wichtiges Prinzip fur diese Verbindung oder Vermittlung ist dabei die kosmopolitische Empathie, die es den Kosmopoliten erlaubt, sich in die Anderen einzufUhlen, aber gleichzeitig ihre Andersheit zu akzeptieren. Die kosmopolitische Haltung lasst sich also nach David Held dadurch kennzeichnen, dass sie versucht „to reason from the point of view of others", also die Perspektive des Anderen zu iibernehmen um ihn zu verstehen und den Ausgangspunkt fiir einen interkulturellen Dialog zu finden. Kosmopolitismus bedeutet demnach, die politischen Verbindungen {interconnectedness) sowie die tJberlappungen kollektiver Schicksale anzuerkennen und die daraus resultierende Differenz zu feiem (Held 2002: 58). Auch die hier kurz umrissenen und in den folgenden Kapiteln ausfiihrlicher zu analysierenden Ideen des Neuen Kosmopohtismus las sen sich negativ wie positiv deuten. Im Unterschied zur klassischen kosmopolitischen Philosophic ist es jedoch nicht mehr die Identifikation und Solidaritat mit der Menschheit, die hier als positiv oder negativ betrachtet wird, sondem die Anerkennung der Andersheit der Anderen. Die positive Spielart beschreibt eine Abkehr von der Wahmehmung 25 Vergleiche dazu auch Hollinger (1995) und Malcomson (1998: 234) sowie als historische Grundlage deToqueville 1835/1956.
2.2 Sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus
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kultureller Diversitat als Bedrohung fiir die klaren und zugeschriebenen Identifikationsvorgaben der Ersten Modeme. Uneindeutigkeit, Vermischung und Sowohl-alsAuch-Prinzipien werden zumindest akzeptiert wenn nicht gar als positiver Wert an sich betrachtet. Die neokosmopolitische Beschaftigung mit der Andersheit der Anderen lasst sich bei vielen Autoren als Zeichen eines „heterophilen" Denkens beschreiben (Vertovec/Cohen 2002b: 13): Der Fremde wird nicht als bedrohlich, desintegrierend, fragmentierend, sondem als bereichernd erfahren und bewertet. Es ist die Neugierde auf mich selbst und das Anderssein, die die Anderen fiir mich unersetzbar macht. Es gibt einen Egoismus des kosmopolitischen Interesses. Wer die Sicht der Anderen im eigenen Lebenszusammenhang integriert, erfahrt mehr iiber sich selbst und die Anderen (Beck/Grande 2004: 28, Hervorhebung im Original).
Doch die Beschreibung des Neuen Kosmopolitismus ware unvollstandig, wlirde man ihn nur in diesem philosophischen Kontext beobachten - als allmahliche Verschiebung des Ausgangspunktes des Kosmopolitismus von universalistischen Konzepten wie der Menschheit bin zu partikularen Konzepten wie Differenz, Alteritat oder Andersheit. Parallel zu diesem Wandel des philosophischen Kosmopolitismus lasst sich die Entstehung eines sozialwissenschaftlichen Verstandnisses beobachten - die Halbierung des urspriinglich sowohl philosophisch als auch methodologisch verstandenen Konzeptes (vergleiche Abbildung 2.1) wird im Neuen Kosmopolitismus also zumindest teilweise wieder aufgehoben. 2.2 Sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus In den 1990er Jahren hat sich im akademischen Diskurs des Kosmopolitismus ein neues Argument herauskristallisiert. Der Kosmopolitismus spielt nicht mehr nur als normatives Konzept in der Philosophic eine RoUe, sondem auch als analytischer Begriff in den Sozialwissenschaften. Nachdem die Sozial- und Politikwissenschaften seit dem 19. Jahrhundert nahezu ausschlieBlich in nationalstaatlichen Kategorien stattgefunden hat (Held 2002: 50), lasst sich gegenwartig eine Offnung bin zu kosmopolitischen Ideen und Methoden beobachten. Damit spielt in diesem sozialwissenschaftlichen kosmopolitischen Denken die methodologische Dimension, die ja bereits in Sokrates politischer Weisheitssuche als Entwertung der iiberlieferten konventionellen Kategorien mitgedacht war (Brown 2000), wieder eine tragende Rolle. Vor allem soziologische und politikwissenschaftliche Analysen, die sich mit den jlingsten Globalisierungsschtiben in Wirtschaft, Politik und Kultur befassen, kommen zu dem Ergebnis eines grundlegenden Widerspruchs zwischen dem festgestellten tiefgreifenden Wandel der gesellschaftlichen Wirklichkeit von einer nationalstaatlich organisierten Ersten Modeme zu einer Zweiten
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Modeme, in der zum Beispiel transnationale Politikregime (Grande 2004), soziale Netzwerke (Castells 2001) und transnational organisierte Konzeme eine zentrale Rolle spielen, und dem nach wie vor dominierenden begrifflichen Instrumentarium der Sozialwissenschaften, das immer noch eine deutliche Pragung durch den Entstehungskontext der Soziologie im 19. Jahrhundert - dem Hohepunkt der nationalstaatlichen Ordnung - erkennen lasst. Die Kemaussage der Theorie Reflexiver Modemisierung^^ formuliert das Modell einer sozialen Transformation innerhalb der Modeme von einer Ersten Moderne, deren Basisinstitutionen im okonomischen Bereich der Industriegesellschaft, im politischen Bereich der nationalstaatlichen intemationalen Ordnung und im kulturellen Bereich einer homogenen Nationalkultur entsprechen, hin zu einer Zweiten Modeme, in der eben diese institutionalisierten Problemlosungsmechanismen angesichts grundlegend veranderter politischer, okonomischer und kultureller Rahmenbedingungen zunehmend versagen. Die Theorie Reflexiver Modernisierung beschreibt dabei eine auf nicht intendierten Nebenfolgen beruhende Logik als wichtigste Triebkraft des Wandels (vergleiche dazu insbesondere Boschen etal. 2006a): die Kontextverandemngen werden als unbeabsichtigte Nebenfolgen ebendieser modernen Basisinstitutionen ausgelost, deren Wirksamkeit sie letztlich aufheben zu drohen. Es ist also nicht das Versagen der erstmodemen Institutionen, sondem ihr Erfolg, der die Zweite Modeme ins Leben mft, wobei dieser Ubergang nicht als glattes Ablosen historischer Epochen gedacht werden darf, sondem vielfach spannungsgeladene Uberlagemngen und Durchdringungen erstmodemer und zweitmodemer Prinzipien zu beobachten sind. Die Zweite Modeme ist also gekennzeichnet durch die Koexistenz erstmodemer und zweitmodemer Prinzipien, Unterscheidungen und Institutionen, von Entgrenzung und Uneindeutigkeit, aber auch Versuchen, neue Grenzen und Eindeutigkeiten herzustellen und letztlich von einer zunehmenden Kosmopolitisierung sozialer Konfigurationen wie auch eines immer massiveren renationalisierenden Widerstands dagegen."^^ Dieses Argument weist also eine Doppelstruktur auf. Es besteht erstens aus einer empirischen Kosmopolitisierungsthese, die behauptet, dass sich die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht mehr auf nationalstaatliche Grenzziehungen beschranken lasst, sondem mittlerweile sowohl auBere wie innere Globalisierungsprozesse eine strukturpragende Rolle spielen. Eine zentrale Grundlage fiir diese innere Globalisierung von Gesellschaften stellt die okonomische Globalisierung der 1980er und 1990er Jahre dar, in deren Verlauf nicht nur der Umfang globaler Handelsverbindungen und Geldstrome deutlich zugenommen hat, sondem zudem auch 26 Vergleiche dazu Beck (1993, 2002c); Beck etal. (1996, 2001). 27 Vergleiche flir eine Beschreibung des Nutzens von Grenzziehungen und begrenzter Loyalitaten Glazer(1996).
2.2 Sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus
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transnationale Produktionssysteme entstanden sind, in denen in einem Konzern grenziiberschreitend Waren produziert werden konnen (Dicken 1986,1990; Kohler 2004). Dadurch ist soziale Kooperation immer weniger auf raumliche Nahe angewiesen: „This was the initial definition of cosmopolitization: inner globalization, globalization from within - the blurring through migration, telecommunications and transport, of the foundations of nationhood. The root cause is competition in a world market, especially in a world labour market" (Beck 2003: 21).^^ Der zweite Teil des sozialwissenschaftlichen Kosmopolitismus besteht aus einem methodologischen Argument, das feststellt, dass diese kosmopolitisierte Wirklichkeit nicht mehr mit der klassischen nationalstaatlichen Begrifflichkeit interpretiert werden kann. Hier wird also eine widersprlichliche Beziehung zwischen der kosmopolitischen Wirklichkeit der Zweiten Modeme und einer nach wie vor nationalstaatlich ausgerichteten Soziologie, die der Ersten Modeme entstamimt, behauptet.^^ Der methodologische Nationalismus der Sozialwissenschaften equates societies with nation-state societies, and sees states and their governments as the cornerstones of a social science analysis. It assumes that humanity is naturally divided into a limited number of nations, which, on the inside, organize themselves as nation-states and, on the outside, set boundaries to distinguish themselves from other nation-states (Beck 2002b: 51).
Aber das Phanomen einer „Inneren Kosmopolitisierung" ist keineswegs ein reines Phanomen der Zweiten Modeme, sondem hat historische Vorlaufer. So wird immer wieder auf den kosmopolitischen Charakter - Kosmopolitismus hier in der Alltagsbedeutung von Durchmischung und nicht in der philosophisch-politischen von Weltbiirger und Weltstaat - von antiken und modemen Weltstadten wie Athen, Konstantinopel, Alexandria, Berlin, Paris, Wien, New York oder London hingewiesen, in denen sich verschiedene Religionen, Kulturen oder Ideologien begegnen, so dass aus diesem offenen, toleranten geistigen Klima neue Denkweisen entstehen konnen.^^ Bonnie Kahn formuliert diese Beobachtung in ihrer komparativen Analyse kosmopolitischer Stadtkulturen wie folgt: 28 Ein anderer Begriff fiir dieses Auseinandertreten von raumlicher und sozialer Nahe lautet „Ortspolygamie": „Das Symbol der im Inneren entgrenzten Biographic ist nicht mehr der ,Flaneur', sondem das Leben mit der Mailbox: Man ist da und nicht da, man antwortet nicht und doch automatisch, sendet und empfangt - zeitlich und ortlich versetzt - Nachrichten, die man technisch von alien Orten der Welt empfangen kann und gespeichert hat" (Beck 2004a: 69). 29 Damit ahnelt das Argument des sozialwissenschaftlichen Kosmopolitismus der Individualisierungsthese (Beck 1997; Berger 1996,1997), die ebenfalls einen Widerspruch zwischen einer umfassenden Transformation der Gesellschaft auf der einen und den konstant gehaltenen und dadurch veralteten soziologischen Grundbegriffen wie Normalarbeitsverhaltnis oder male breadwinner model auf der anderen Seite behauptet. 30 Schon die antiken stoischen Philosophen beschreiben das Ideal einer kosmopolitischen Stadt, die von ihrem Konig in Harmonic und Freundschaft regiert wird (Gill 2000: 606).
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2 Philosophischer und sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus Meaning or purpose, diversity, public life and opportunity, these are the ingredients of a cosmopolitan culture. Where these ingredients flourish, the stranger is welcomed. Where these exist, there is glitter and sparkle, beauty and grace, achievement and glory. The cosmopolitan cities are the cities of great architecture, great art, great music, the cities of great renown. It is no accident that where the stranger is welcomed, there is both tolerance and genius. Or that hope and achievement live side by side. This is an ode to all that is best and valuable in human achievement, the cosmopohtan city (1987: 19).
Sozialwissenschaftliche Analysen dieser kosmopolitischen Durchdringung finden sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zu den friihesten soziologischen Beobachtem, die Phanomene einer „Inneren Kosmopolitisierung" der Gesellschaft feststellten, gehort Georg Simmel, der sich an mehreren Stellen mit dem Phanomen einer immer offensichtlicheren Prasenz der Anderen oder Fremden in den GroBstadten und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Veranderungen auseinander setzt. Ein zentrale RoUe erhalt hier die Figur des Fremden als „der Wandemde, der heute kommt und morgen bleibt" (1908/1992: 765). Der Fremde ist eben nicht ein Ausgeschlossener, sondem jemand, der eine Gruppe verandem kann, in dem er zum einen in seiner Fremdheit das Feme als nah und prasent erscheinen lasst, zum anderen in seiner Distanzierung das Nahe als fern. Nah und fern kreuzen sich in dieser Figur und konnen nicht mehr als Entweder-oder-Unterscheidung verstanden werden, denn der Fremde definiert sich gerade durch die Kombination dieser beiden Elemente. Diese Gedanken lassen sich als Vorlaufer des Theorems der „Inneren Globalisierung" oder Kosmopolitisierung sehen, denn auch dort geht es nicht so sehr um die Ausbreitung von Produktions- und Verwertungssystemen oder Kulturinhalten iiber den gesamten Globus (also nicht um GlobaHsierung im iibHchen Sinn), sondem um die Auswirkungen einer zunehmenden Vermischung oder Hybridisierung von Kulturen und Seinsweisen auf lokaler Ebene. Schon in diesen historisch friihen Analysen lasst sich erkennen, dass hier nicht einfach ein universalisierendes Argument (etwa einer kulturellen Homogenisierung in Richtung einer einzigen Weltkultur) vorgebracht wird. Vielmehr steht die Beriihrung von globalen und lokalen Prozessen und Strukturen sowie die dadurch ausgeloste gegenseitige Transformation dieser beiden Ebenen im Mittelpunkt. Das methodologische Argument des Kosmopolitismus behauptet, dass die sozialwissenschaftliche Begrifflichkeit dieser gesellschaftlichen Transformation angepasst werden muss, um die soziale Realitat analysieren zu konnen. Beide Argumente sind auf diese Weise eng miteinander verbunden, denn ohne den kosmopolitischen BHck lasst sich auch die Kosmopolitisierung der Realitat nicht nachweisen. Zugleich ist die Kosmopolitisierung der Realitat ein unverzichtbarer Ausloser fiir die „Entdeckung" einer kosmopolitischen Perspektive:^^ 31 Auch diese Verbindung findet sich schon bei Simmel, ftir den der Typus des Fremden nicht nur eine
2.2 Sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus
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Der kosmopolitische Blick offnet und scharft sich mit der eingelebten Melange der Kulturen und Identitaten, beschleunigt durch die Dynamik von Kapital und Konsum, ermachtigt durch den die Staatsgrenzen unterhohlenden Weltmarkt, angeregt durch die Weltoffentlichkeit transnationaler sozialer Bewegungen, geleitet und ermutigt durch die Evidenz grenzenloser Kommunikation (Beck 2004a: 112).
Der methodologische Nationalismus der Sozialwissenschaften ist also abzulosen von einem neu zu konzeptualisierenden methodologischen Kosmopolitismus. Es geht damit in erster Linie um die Entwicklung einer neuen Methodologie, mit der die Kosmopolitisierung der Realitat wissenschaftlich erfassbar und interpretierbar wird. In seiner sozialwissenschaftlichen Bedeutung beschreibt Kosmopolitismus nach Beck eine methodologische Alternative zum bislang herrschenden methodologischen Nationalismus, der die auf der nationalstaatlichen Modeme beruhenden soziologischen Grundbegriffe unhinterfragt voraussetzt: „The concept of cosmopolitization [... ] is an explicit attempt to overcome this „methodological nationalism" and produce concepts capable of reflecting a newly transnational world" (2003: 16, Hervorhebung im Original). Das zentrale Argument des sozialwissenschaftlichen Kosmopolitismus behauptet also, dass sich die Reahtat der Welt zunehmend in Richtung pluraler Zugehorigkeiten, unscharfer Unterscheidungen und hybrider Identitaten verandert hat, wahrend das wissenschaftliche Denken in seinen Begriffen und Methoden starr und eindeutig geblieben ist, so dass es insbesondere die neuen Phanomene der Transnationalisierung nicht angemessen abbilden kann: The world is generating a growing number of such mixed cases, which make less sense according to the "either-or" logic of nationality than to the "this-as-well-as-that" logic of transnationahty. Our intellectual frames of reference are so deeply ingrained that this transnational way of thinking has been comparatively undeveloped (Beck 2003: 20).
Die Aufgabe einer kosmopohtischen Soziologie oder einer „kosmopolitischen kritischen Theorie" nach Beck liegt zum einen darin, die Fehlschlusse und Erfassungsliicken einer nationalstaatlich verfassten Soziologie aufzuzeigen und zu kritisieren, zum anderen aber auch in der Entwicklung von kosmopohtischen Altemativen: von neuen Begriffen und Methoden fur eine Soziologie der zweiten Modeme. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Begriffe der nationalstaatlichen Perspektive hinfallig werden. Sie konnen nach wie vor als empirische Werkzeuge ihre Berechtigung haben, allerdings eingebettet in eine iibergeordnete Perspektive des methodologischen Kosmopolitismus, die die nationalstaatliche Perspektive integrieren soil: Kombination aus Nahe und Distanz verkorpert, sondem auch die Moglichkeit eines ubergeordneten, objektiven Blicks, in dem sich Distanzierung und Engagement verbinden (1908/1992: 766).
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2 Philosophischer und sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus Vielmehr muB das Kosmopolitische als Integral des Nationalen begriffen, entfaltet und empirisch untersucht werden. Mit anderen Worten: Das Kosmopolitische verandert und bewahrt, es ojfnet die Geschichte, Gegenwart und Zukunft einzelner Nationalgesellschaften und das Verhaltnis der Nationalgesellschaften zueinander (2004: 32, Hervorhebungen im Original).
Der methodologisch nationalistische Fehlschluss der Soziologie geht zum Beispiel davon aus, dass Gesellschaft dem Staat logisch nachgeordnet ist: Gesellschaft wird vorgestellt als in einen Nationalstaat eingebettet - oder als Nationalgesellschaft. Daraus ergibt sich die Vorstellung, dass nationalstaatliche und kulturelle Grenzen deckungsgleich sind: Nation, Staat und Territorium beschreiben aus dieser Perspektive ein und denselben „Container". Anders ausgedrlickt: Kulturen und Gesellschaften werden im Wesentlichen territorial und exklusiv verstanden. Dieses methodologisch nationalistische Bild des Sozialen behautet dabei im Inneren von Nationalstaaten eine maximale kulturelle, ethnische und soziale Homogenitat, wahrend auf der intemationalen Ebene von einer maximalen Heterogenitat ausgegangen wird. Auch hier herrscht nach Beck das Prinzip des Entweder-oder: „Wenn Kultur territorial eingegrenzt begriffen wird, dann fiihrt die Frage nach der Pluralitat in die Sackgasse einer falschen Alternative: entweder universelle Angleichung (,McDonaldisierung') oder Unvergleichbarkeit der Perspektiven (Inkommensurabilitat)" (2004a: 47). Entweder werden kulturelle und soziale Unterschiede als inkommensurabel verstanden - dies ist vor allem auf der intemationalen Ebene der Fall: soziale Ungleichheit ist ein soziologischer Begriff, der bislang auf den nationalstaatlichen Raum beschrankt wurde und nur selten auf Unterschiede zwischen „Nationalgesellschaften" angewendet wurde-^^ - oder als prinzipiell auflosbar wie im Innem des Nationalstaats. Dabei wird das nationalstaatliche Organisationsprinzip nicht etwa als partikulares Phanomen, sondem als universelles Prinzip verstanden, das nicht nur fiir die jeweils eigene Gesellschaft, sondem fiir alle Gesellschaften und die gesamte Welt gilt: das nationalistische Theorem dass jede Kultur, Ethnic oder jedes Volk einen Anspmch auf einen eigenen Staat besitzt, ist also die Kehrseite des intemationalistischen Theorems, das eine Unterteilung der gesamten politischen Welt in nationalstaatliche Container behauptet (Beck 2004a: 46). 32 Auf der einen Seite wird die Unterscheidung zwischen nationalen und nicht-nationalen Ungleichheiten durch die innere Kosmopolitisierung von Gesellschaften zunehmend fragwurdig: „In dem MaBe, in dem die Unterscheidungen zwischen Burger und Nicht-Burger, Auslander und Inlander, Menschenrechten und Staatsbiirgerrechten unscharf werden, wird es auch schwieriger, nicht-nationale und nationale Ungleichheiten genau zu trennen" (Beck 2004a: 63). Es besteht gleichzeitig aber auch die Gefahr, dass das daraus ableitbare Argument einer Uberforderung durch diese neu entdeckte globale Dimension dazu verwendet werden kann, politische Umverteilungsprojekte auf nationalstaatlicher Ebene einzustellen. Vergleiche zu dem problematischen Zusammenhang von Kosmopolitisierung und sozialer Ungleichheit auch Beck/Grande (2004: 265-268).
2.2 Sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus
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Dabei ist die kosmopolitische Perspektive zu unterscheiden von einem Ansatz, der sich vor allem mit der Extensivierung und Intensiviemng von Verbindungen zwischen Nationalstaaten (interconnections) auseinander setzt, denn ein solcher „still presumes that national units, which are being interconnected, are the ultimate reality" (Beck 2003: 21). Er bleibt also trotz seines komparativen Charakters dem methodologischen Nationalismus verhaftet. Dagegen eroffnet die kosmopolitische Perspektive einen Blick auf die gegenseitige Durchdringung vormals klar getrennter Kategorien wie national und international: „When we examine the world from a transnational perspective, it is obvious that national and international are becoming harder and harder to distinguish. The defining parts of the nation are becoming denationalized. The national is becoming a zombie-category - an example of the living dead" (Beck 2003: 26). Das Konzept des methodologischen Kosmopolitismus ist nach Beck als zweitmodemes Gegenstiick zum methodologischen Nationalismus der Ersten Modeme gedacht, that is, it rejects the state-centristic perspective and sociological (lack of) imagination. It attempts to overcome the naive universalism of early Western sociology [... ] Methodological cosmopolitanism implies becoming sensitive and open to the many universalisms, the conflicting contextual universalisms, for example, of the postcolonial experience, critique and imagination. Methodological cosmopolitanism also means including other („native") sociologies (2003: 17).
In dieser Bedeutung ist Kosmopolitismus also gerade kein normatives Anliegen das Ziel ist weder eine kosmopoHtische Weltordnung noch die Ausrichtung des individuellen Handelns auf die Menschheit -, sondem ein wissenschaftliches. Die epistemologischen und interpretativen Beschrankungen der nationalistischen Perspektive sollen durch eine kosmopolitische Methodologie aufgebrochen werden. Es geht nicht um das Gebot eines normativ richtigen Kosmopolitismus, sondern um die Suche nach einem iiberlegenen und angemesseneren Beobachterstandpunkt. Dieser Standort ist auch deshalb als iiberlegen anzusehen, da er den Blick auf alternative Beschreibungen der sozialen Realitat ermoglicht - alternativ vor allem hinsichtlich des vorherrschenden nationalstaatlich gepragten Blickes der Sozialwissenschaften: „In diesem Spiel mit Grenzen, das der kosmopolitische Blick als Perspektivenwechsel praktiziert und perfektioniert, wird diese Weltsicht zur Imagination alternativer Wege innerhalb und zwischen verschiedenen Kulturen und Modemen" (Beck 2004a: 122, Hervorhebung im Original). So unterscheiden sich beide Spielarten des Kosmopolitismus, die philosophische und die sozialwissenschaftliche, auch darin, dass Erstere Kosmopolitismus als Akteursprinzip versteht und beschreibt, wie kosmopolitisches Handeln aussehen sollte und wie dies moglich werden kann, Letztere als Beobachterprinzip, mit dessen Hilfe reale Kosmopolitisierungsprozesse besser oder uberhaupt erst erkannt und analysiert werden konnen:
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2 Philosophischer und sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus Ersterer, der politische Kosmopolitismus, ist auf die Handlungsperspektive sozialer Akteure bezogen und meint die bewuBte Aufgabe eines nationalstaatszentrierten Politikverstandnisses; letzterer, der soziologische bzw. methodologische Kosmopolitismus, bezieht sich dagegen auf das analytische und methodologische Instrumentarium der Sozialwissenschaften und wendet sich gegen den impliziten Nationalismus ihres Kategoriensystems (Beck/Grande 2004: 33).
Der epistemologische Kosmopolitismus geht also davon aus, dass ein Wandel der wissenschaftlichen Perspektive notwendig ist, um die sich verandemde Realitat analysieren und interpretieren zu konnen: „From this ontological change must follow an epistemological one. However, we must not fall from one fallacy into its opposite, from an imagined homogeneity of the nation state to an imagined homogeneity of cosmopolitanism" (Beck 2003: 23). Ein maBgeblicher Ausloser fiir die Suche nach einer neuen kosmopolitischen Methodologie in den Sozialwissenschaften war die Ethnographic, die vor allem auf Grund des Verschwindens statischer und immobiler Gesellschaften im 20. Jahrhundert sowie durch die wachsende Durchdringung und Vermischung von (modemen und traditionalen) Kulturen, gefordert war, eine neue Forschungspraxis zu entwickeln, die geeignet ist, die mobilen und hybriden Kulturen der Gegenwart zu untersuchen. So sehen Theoretiker wie Lila Abu-Lughud (2000), James Clifford (1986, 1988, 1989, 1997), Ulf Hannerz (2003), Paul Rabinow (1986) oder Renato Rosaldo (1986) das lange Zeit hegemoniale Modell der Feldforschung in der Tradition von Malinowski und Evans-Pritchard als veraltet an. Wahrend diese klassische Vorgehensweise darauf zielt, uber mehreren Jahre hinweg mit Feldforschungen Sprache, Kultur und Sozialleben einer Gruppe an einem Ort moglichst vollstandig zu erfassen, versucht der neue Ansatz der mobilen „multi-site ethnography", mit einer Vielfalt von Untersuchungsorten und beweglichen Untersuchungsobjekten zu arbeiten (Hannerz 2003: 201-203), vorzugsweise an Orten, die zwischen Kulturen liegen und daher als Kontaktzonen fiir die Begegnung mit den Anderen verstanden werden konnen (vergleiche dazu auch Barth 1969b). An die Stelle der ublichen Dichotomien von lokal/global oder mikro/makro tritt die Vorstellung einer „ethnography all the way up and down" (Abu-Lughud 2000: 264). Nur eine Feldforschung, die von einem Ort zum anderen fortschreitet erlaubt es, die Akteure einer „globalization at work" zu beobachten (Hannerz 2003: 204).^^ Auch die Erforschung von „temporary sites" wie wissenschaftlichen oder politischen Konferenzen oder „translocahties", an denen zumeist mehr Fremde (oder Andere) als Einheimische zugegen sind, ist ein Beispiel fiir diesen methodologischen Wandel der Ethnographic (2003: 209-210). 33 Ein Beispiel fiir diese Forschungsstrategie sind die von Hannerz (2003) untersuchten Auslandskorrespondenten groBer Nachrichtenagenturen. Sie stellen ein solches translokales Forschungsgebiet dar, das sich nicht mit den gewohnlichen Methoden, die sich auf einen Ort konzentrieren, erfassen lasst.
2.2 Sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus
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Dan Rose versucht, die Methodologie der ethnographischen Feldforschung auf Basis einer Anerkennung der ethnographischen Subjekte als dem Forscher gleichwertig zu reformulieren. In diesem Entwurf liegt das Hauptaugenmerk auf den kulturellen Zwischenraumen beziehungsweise ^interstitial cultural zones that are neither wholly here nor wholly there" (1990: 50). Dabei pladiert Rose fiir eine Offnung der Ethnographic gegeniiber nichtwestlichen Einfliissen, um letztlich zu einer echten Vielfalt der vertretenen Stimmen zu kommen (1990: 43-44). LetztHch zielt diese Grundlagenkritik des ethnographischen Projekts ebenso wie das Programm des sozialwissenschaftlichen Kosmopolitismus darauf, eine Methodologie zu schaffen, die der veranderten Zeit besser entspricht und sowohl trennende Momente wie kulturelle Differenzen als auch integrierende Momente wie das universalistische Konzept der Menschheit im Blick behalt (1990: 54). Dabei vermischen sich bei Rose methodologische Argumente, die diese kosmopolitische Form der Ethnographic als der globalisierten Gegenwart besser entsprechend sehen mit normativen Elemente, die darin eine Bewegung hin zu einer demokratischen Reprasentation der Anderen sehen. Der sozialwissenschaftliche Kosmopolitismus befasst sich vor allem mit der Frage danach, wo real-existierende Kosmopolitisierungsprozesse beobachtet werden konnen und wie diese festgestellt werden konnen. Dabei wird das Gebot der Wertneutralitat beziehungsweise -offenheit emst genommen: Kosmopolitisierung kann sowohl positiv gewertet werden als neue Moglichkeit des Umgangs mit Andersheit, neuen Hybridformen der Identitat und multiplen Zugehorigkeiten, als auch negativ als Gefahrdung der politischen Instrumente des Nationalstaats oder als individuell bedrohlicher Verlust eindeutiger Positions- und Identitatsbestimmungen. So weist nicht nur Ulrich Beck auf die als problematisch und bedrohlich erfahrbare „Unlebbarkeit einer grenzenlosen Weltgesellschaft" und den daraus moglicherweise hervorgehenden „Drang, neu-alte Grenzen und Mauem zu ziehen und zu fixieren" (Beck 2004a: 16, Hervorhebung im Original) hin, sondem schon Claude Levi-Strauss erklart das kosmopolitische Denken, das den Menschen primar in den abstrakten Kontext des Kosmos stellt, aus der schizophrenen Erfahrung von Spaltung, Zerrissenheit und einer Pluralisierung sozialer Beziige (1985b: 178). Trotz dieser notwendigen Relativierungen bleibt letztlich das Ziel eine kosmopolitische Neuausrichtung der Sozialwissenschaften und damit die Suche nach einer Antwort auf die Frage: How can the social sciences - sociology, political science, history, anthropology and geography - elevate themselves beyond the national viewpoint, overcome their methodological nationalism and develop a cosmopolitan perspective? What does a cosmopolitan social science look like? What will it mean to cosmopolitanize all of our basic concepts and methods of comparison? And how can we carry out social, historical and political analysis on this new basis? (Beck 2003: 28)
2 Philosophischer und sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus
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Empirisch-analytlscher (=sozialwlssenschaftlicher) Kosmopolitismus
Normativer (=philosophischer) Kosmopolitismus
>r
>r Ethischer Kosmopolitismus
Politisch-rechtlicher Kosmopolitismus
>i Anerkennung der Andersheit der Anderen
Y
•
Empirische Kosmopolitisierungsthese: Globalisierung und Transnationalisieaing
Methodologischer Kosmopolitismus "kosmopolitischer Blick"
>f
Neuer Kosmopolitismus
1 :
Abb. 2.3: Taxonomisches Model! des kosmopolitischen Denkens Fasst man unsere bisherigen LFberlegungen zu einer Taxonomie des philosophischen und des sozialwissenschaftlichen kosmopolitischen Denkens in einer Abbildung zusammen, so ergibt sich ein Bild wie in Abbildung 2.2. 2.3 Kosmopolitische Reflexivitat Ein weiteres wichtiges Merkmal des Neuen Kosmopolitismus, das quer zu der bisherigen Differenzierung in normative und sozialwissenschaftliche Varianten liegt, beziehungsweise fur beide Falle an Bedeutung gewinnt, ist die Entwicklung einer kosmopolitischen Reflexivitat.^"^ Dieser Aspekt zielt auf die Verbindung der beiden Dimensionen, denn er fragt danach, welche sozialen und politischen Bedingungen vorhanden sein miissen, damit Kosmopolitismus nicht nur in der soziologisch relevanten Form der Kosmopolitisierung oder inneren Globalisierung zu beobachten ist, sondem auch das Denken der kosmopolitischen Akteure pragt. Wie also entsteht das „Weltbewusstsein" der Kosmopoliten? Obwohl man aus einer soziologisch kosmopolitischen Perspektive davon ausgehen kann, dass kulturelle und soziale Vermischung und Entgrenzung mittlerweile keine Ausnahme mehr darstellen, sondem nachgerade zum Normalfall geworden sind, gilt dies jedoch nicht zwangslaufig fiir das reflexive Bewusstwerden dieser Vermischungen. Die Frage, 34 Auch dieser Aspekt ist schon Mitte der 1980er Jahre im Blickfeld der Ethnographie aufgetaucht, als Theoretiker wie Clifford/Marcus (1986) damit begonnen haben, den Ort und die Verortungsbeziehungsweise Distanzierungsstrategien des ethnographischen Erzahlers und ihre verborgenen Beitrage zur Konstitution des reprasentierten Objekts offen zu legen. Vergleiche dazu auch AbuLughud (2000).
2.3 Kosmopolitische Reflexivitat
59
die sich hier stellt, lautet: Wie ist die Kosmopolitisiemng der Gesellschaft mit dem Kosmopolitismus als ethisches Prinzip verbunden, auf individueller wie kollektiver Ebene? Hier geht es also darum, zu untersuchen, ob der Begriff Kosmopolit/^'mwi' gerechtfertigt ist und ob Kosmopolitismus nicht nur als philophische Ethik oder als sozialwissenschaftliches Erkenntnisinstrument gedacht werden kann, sondem auch als Weltanschauung, als „Eine-Welt-Denken".^^ Dass zum Beispiel auf der Akteursebene transnational Risiken sowie das von Beck beschriebene „Prinzip der weltgesellschaftlichen Krisenerfahrung, das heiBt der durch globale Risiken und Krisen wahrgenommenen Interdependenz und der daraus resultierenden ,zivilisatorischen Schicksalsgemeinschaft', die die Grenzen von Innen und AuBen, Wir und den Anderen, National und International aufhebt" (2004a: 16, Hervorhebung im Original), immer starker zum Tragen kommt, muss schlieBlich noch nicht bedeuten, dass die soziologisch diagnostizierte „Weltrisikogesellschaft" (Beck 1999) dann auch zu einem reflexiven Bewusstsein dieser transnationalen Risikovergemeinschaftung fuhrt. Mit anderen Worten: auch eine noch so groBe Zahl alltaglicher Prozesse der „banalen Kosmopolitisierung" machen noch keinen reflexiven Kosmopolitismus im Bewusstsein der gesellschaftlichen Akteure aus: „The decisive question may be whether this subterranean cosmopolitanization will finally become something people become conscious of and support, or whether it will only set off national reflexes" (Beck 2003: 23). Prozesse der Kosmopolitisiemng konnen sogar im Gegenteil zu einer Verstarkung nationalistischer Ideologien fuhren, so dass aus dieser Perspektive der Kosmopolitismus gar nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern immer im Zusammenhang einer umfassenden Konfiguration analysiert werden muss, in der auch die Feinde des Kosmopolitismus eine Rolle spielen, denn „cosmopolitanization does not automatically produce cosmopolitan sentiments. It can just as naturally give rise to the opposite, to the rebirth of ethnic nationalism, the rise of the Ugly Citizen [... ] To study cosmopolitanization is to study a dialectic of conflict between cosmopolitanization and its enemies" (Beck 2003: 27). Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit der Reflexivitat des Kosmopolitismus von Bedeutung ist, ist die Figur des Kosmopoliten, also des neukosmopolitischen Theoretikers, der sich selbst nicht aus der eigenen Theorie ausschlieBt, sondem im Gegenteil, die Formulierung (s)einer kosmopolitischen Perspektive als reflexives politisches Projekt vorantreibt. Gerade dieser Zusammenhang zwischen dem Kosmopolitismus und seinen sozialen Tragem ist bislang in der Regel ausgeblendet geblieben, vielleicht deshalb, weil auf diese Weise ein moglicherweise 35 Hierzu schreibt Beck: „Die Menschen erfahren sich selbst als Teil einer fragmentierten, gefahrdeten Zivilisation und Zivilgesellschaft, die durch die Gleichzeitigkeit von Ereignissen und das Wissen um diese Gleichzeitigkeit iiberall in der Welt gekennzeichnet ist" (2004a: 67)
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2 Philosophischer und sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus
entlarvender Blick auf die Privilegien und partikularen Interessen gerichtet wird, die sich hinter der Konzeptualisierung kosmopolitischer Ideengebaude verbergen konnen: „Wer eine kosmopolitische Ethik und Politik begriinden und entwerfen will, mu6 zunachst danach fahnden, welcher ideologische MachtmiBbrauch der gutgesinnte Kosmopolitismus eroffnet: Selbstideologiekritik lautet das neue Gutekriterium des neuen Kosmopolitismus" (Beck 2004a: 71, Hervorhebung im Original). Dieser ideologiekritische Blick auf den Kosmopolitismus muss aber, wie noch zu zeigen ist, nicht unbedingt als Gegenargument gegen das kosmopolitische Denken gelesen werden, sondern kann ganz im Gegenteil einen notwendigen Ausgangspunkt fiir die reflexive Verortung des Kosmopolitismus darstellen und diesen dadurch in eine sehr viel realistischere Idee verwandeln. Zu analysieren ist dabei, inwiefem der kosmopolitische Blick und insbesondere die biographische Selbstdarstellung als kosmopolitisches Individuum nicht sogar zu einem Konsumartikel geworden sind: „Kosmopolitismus ist [... ] selbst zur Ware geworden. Der Glanz kultureller Differenz verkauft sich gut. Entsprechend werden die Images des Dazwischen, des schwarzen Korpers, der exotischen Schonheit, der exotischen Musik, des exotischen Essens usw. in entsprechenden Massenprodukten, Massenmarkten global ausgeschlachtet, inszeniert und konsumiert" (Beck 2004a: 65). Die Reflexivitat des Kosmopolitismus tritt besonders deutlich im postkolonialen sozialen Kontext (vereinfacht gesagt: im sozialen, politischen, kulturellen und intellektuellen Spannungsfeld zwischen den ehemaligen Kolonien und Koloniallandem) zu Tage, da sich hier die Erfahrung hybrider Identitaten und sozialer Standorte zwischen den beiden „Welten" des Siidens und des Nordens tief in das Alltagserleben einschreiben konnten, so dass auf theoretischer Ebene ein reflexiver Begriff des Kosmopolitismus greifbar wird. Die kosmopolitische Grundfrage der Zweiten Modeme lasst sich mit Beck auch formulieren als: „How ought societies to handle 'otherness' and 'boundaries' during the present crisis of global interdependency?" (2004b: 430). In diesem Satz trifft nicht nur das ethische Gebot des KosmopoHtismus („ought to handle 'otherness'") auf das gesellschaftsdiagnostische („present crisis of global interdependency"). Zudem deutet sich darin auch eine Moglichkeit an, den Neuen Kosmopolitismus zu konzeptualisieren als gesellschaftliche Reaktion auf den postkolonialen Moment. Von zentraler Bedeutung flir die Diskussion des Kosmopolitismus im postkolonialen sozialen Kontext ist die Frage einer kosmopolitischen Reprasentation, also danach wie der Andere, dessen Anerkennung sich die kosmopolitische Ethik auf ihre Fahnen schreibt, iiberhaupt erfahren werden kann und inwiefem dieser Andere, gerade wenn er aus den ehemaligen Kolonien stammt, iiberhaupt eine eigene authentische Stimme im Diskurs des Kosmopolitismus besitzt (vergleiche hierzu auch die Ausfiihrungen zu der Konferenz von Valladolid weiter oben).
2.3 Kosmopolitische Reflexivitat
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Kennzeichnend fur die postkoloniale Debatte des Kosmopolitismus ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem kosmopolitischen Denken, das auf der einen Seite als westlich gepragte, von einem privilegierten Standpunkt aus vorgebrachte Idee kritisiert wird, auf der anderen Seite jedoch auch in seiner hohen ethischen und epistemologischen Wertigkeit anerkannt wird. Daher erscheint es uns geboten, einen naheren Blick auf Kosmopolitismen normativer wie auch sozialwissenschaftlicher Art zu richten, die sich entweder am postkolonialen sozialen Kontext orientieren oder gar an diesen ambivalenten Beriihrungspunkten zwischen ehemaligen Koloniallandem und ihren mittlerweile dekolonisierten Subjekten entstanden sind. Dieses Vorgehen ermoglicht eine Ortsbestimmung des Neuen Kosmopolitismus und zudem auch eine erste Bestandsaufnahme, welchen Einfluss dieser soziale Kontext auf Struktur und inhaltliche Ausgestaltung des kosmopoHtischen Arguments hat und insbesondere auch auf das Verhaltnis der normativen, methodologischen und empirischen Aspekte. Diese Arbeit zielt also darauf, festzustellen, wie stark sich die unterschiedlichen Elemente und Dimensionen des Kosmopolitismus bei zentralen Vertretem des (Sub)diskurses postkolonialer Kosmopolitismen wiederfinden, in welchem Mischverhaltnis, aber auch in v^elchem Spannungsverhaltnis. Zudem ist herauszufinden, wie die Bedingungen fiir philosophische und politische Kosmopolitismen aussehen sowie dafiir, dass postkoloniale Intellektuelle iiberhaupt kosmopolitisch denken. Die Entwicklungen im Diskurs der Postkolonialismustheorie soUen also als AnstoB dafiir genommen werden, eine kritische soziologische Perspektive auf den Kosmopolitismus zu entwickeln. Insbesondere ist damit der These nachzugehen, dass in diesem Kontext auch der sozialwissenschaftliche Kosmopolitismus zu einem normativen Prinzip wird, dass das kosmopolitische Denken sich hier gewissermaBen entdifferenziert und die methodologischen und normativen Dimensionen wieder in eine enge Korrespondenz treten. Dies ist zum einen der Vorwurf, der gerade aus der marginalen Perspektive des Postkolonialismus immer wieder an den Kosmopolitismus herangetragen wird. Zum anderen liegt darin moglicherweise eine wichtige Chance, das kosmopolitische Denken selbst zu kosmopolitisieren und flir marginale Einfliisse zu offnen. Die Frage lautet also: Wie wissenschaftlich (Methodologie) ist der sozialwissenschaftliche Kosmopolitismus und wie politisch (Normativitat) ist er? Liegt sein Kern tatsachlich in der tiberlegenen Beobachterperspektive oder besteht seine Grundlage in erster Linie aus normativen Postulaten? Der Blick der auf den folgenden Seiten vorgestellten Soziologie des Kosmopolitismus - die auch Elemente einer kosmopolitischen Soziologie enthalt, diese aber vor allem im Objektbereich wahmimmt - richtet sich also explizit auf die Ambivalenzen des kosmopolitischen Denkens, auch um zu einem ersten Urteil iiber die gegenwartige Tragfahigkeit dieses Diskurses fiir die Sozialwissenschaften
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2 Philosophischer und sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus
zu gelangen. Den Fragenkatalog, der sich aus dem in diesem Kapitel Gesagten ergibt und den wir in unseren drei Fallstudien ftir die soziologische Analyse des kosmopolitischen Denkens im postkolonialen sozialen Kontext verwenden werden, ist in Kasten 2.1 abgedruckt.
2.3 Kosmopolitische Reflexivitat
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Als Ergebnis des historisch-taxonomischen Uberblicks in diesem Kapitel sind folgende Fragen fiir eine soziologische Analyse des postkolonialen Kosmopolitismus von zentraler Bedeutung. Die meisten Aspekte lassen sich sowohl auf philosophische als auch sozialwissenschaftliche Varianten des Kosmopolitismus beziehen. 1. Definition des „Kosmopolitismus"? 2. Bezugnahme auf den alten oder Neuen Kosmopolitismusl Reine Idee Oder Praxis im gesellschaftlichen Kontext? 3. Figur des Kosmopolitenl 4. Wer sind die Anderenl Worin liegt ihre Andersheit in sozialer Hinsicht? 5. Welche GeltungsansprUche erhebt der Kosmopolitismus? Welche und wessen Universalien werden beschrieben? 6. Schwacher oder starker Kosmopolitismus? 7. Empirische Bestandteile des Kosmopolitismus? Diagnose einer Kosmopolitisierung der gesellschaftlichen, politischen und okonomischen Realitat? 8. Normativitdt des Kosmopolitismus? Axiomatische Grundlagen? Positive Oder negative Wertung? Wertneutralitat? 9. Methodologische Implikationen des Kosmopolitismus? Kosmopolitischer Blick?
Tab. 2.1: Fragenkatalog fiir eine Soziologie des Kosmopolitismus
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2 Philosophischer und sozialwissenschaftlicher Kosmopolitismus
10. Kosmopolitismus als Wahlmoglichkeit oder Zwangl 11. Machtspiele des Kosmopolitismus? Emanzipatorisch (Gegenmacht) Oder hegemonial (Macht)? Komplizenschaft? 12. Institutionalisierungsgrad des Kosmopolitismus? Individuelle Ethik Oder kollektiv-bindende rechtlich-politische Ordnung? 13. Reflexivitdt des Kosmopolitismus? „Banale" AUtagsprozesse oder bewusster Kosmopolitismus? Bewusstsein der Grundlagen fur die Pragung eines Weltbewusstseins oder eines verwurzelten Kosmopolitismus? 14. (Selbst)verortung von Kosmopolitismus und kosmopolitischem Wissenschaftler? Gesellschaftlicher Kontext des kosmopolitischen Denkens? 15. (Kosmopolitische) Kritik des Kosmopolitismus? Geniigt Kosmopolitismus den eigenen Anspriichen? Verhaltnis des Kosmopolitismus zu seinen Feinden?
Tab 2.1: Fragenkatalog (Fortsetzung)
3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus In diesem Kapitel soil zunachst ein tJberblick iiber den Stand der theoretischen Auseinandersetzungen mit dem postkolonialen gesellschaftlichen Kontext gegeben werden, so dass von diesem Ausgangspunkt aus dann die gegenseitige Beeinflussung der beiden Diskurse des Kosmopolitismus und des Postkolonialismus^ sowie die charakteristischen Merkmale des Kosmopolitismus im postkolonialen sozialen Kontext dargestellt werden kann. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der theoretischen Auseinandersetzung mit der kolonialen Andersheit, die eine zentrale Rolle im Werk von Edward Said spielt. Der Fokus auf die theoretischen Ausarbeitungen von Edward Said erscheinen uns zum einen deshalb wichtig, da er sich besonders intensiv mit dem Thema des Umgangs mit und der Konstruktion von Andersheit auseinander gesetzt hat, zum anderen allein deshalb, weil Edward Said als einer der drei „Grundervater und -mutter" (neben Homi K. Bhabha und Gayatri Chakravorty Spivak) des Forschungsgebietes der Postcolonial Studies wenn auch diese Zuschreibung, zumal in seiner Selbstsicht nicht unumstritten ist - fiir die im Folgenden analysierten postkolonialen kosmopolitischen Theorien einen wichtigen Ansatzpunkt darstellt. Besondere Aufmerksamkeit erfahrt das von Said verwendete Konzept des „Irdischen", das einen Beitrag zur Analyse postkolonialer KosmopoHtismen leisten kann. Ebenfalls von Bedeutung ist, dass mit dem Koloniahsmus (oder Orientalismus) und dem Postkolonialismus zwei weitere charakteristische Varianten des gesellschaftlichen Umgangs mit Verschiedenheit in die wissenschaftliche Aufmerksamkeit riicken. Doch zunachst sei eine kurze Erklarung des Begriffs des Postkolonialismus, wie er in dieser Arbeit verwendet wird, vorangestellt. Das Ende der Kolonien nach einer mehr als zweihundertjahrigen Hegemonic der europaischen Machte (During 1992: 88) ist unwidersprochen ein zentrales Ereignis der Weltgeschichte und brachte grundlegende Transformationen auf verschiedenen Ebenen von Gesellschaft, Politik und Kultur mit sich (Olaniyan 1993: 1 Dieses Kapitel verwendet den Begriff „Postcolonial Studies" oder Postkolonialismustheorie als umfassenden Oberbegriff fur alle akademischen und intellektuellen Analysen der kolonialen und postkolonialen sozialen Situation, die sich auf einer vergleichsweise abstrakten und theoretischen Ebene mit den zentralen Problemen und Fragestellungen der „Latin American Studies", „African Studies", „Caribbean Studies", „Chicano Studies" oder der Gastarbeiterforschung auseinandersetzt, wobei die alteren Bezeichnungen „Commonwealth Studies" oder „Third World Studies" sowie der alternative Begriff „Postcolonial Cultural Studies" stets mit eingeschlossen sind.
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus
743). In zweierlei Hinsicht ist der postkoloniale Moment auch - und dies trifft sowohl in empirischer wie auch theoretischer Hinsicht zu - fur die Entstehung neuer kosmopoUtischer Theorien von entscheidender Bedeutung: Zum einen, da infolge der Unabhangigkeit der ehemaligen zumeist von Europa beherrschten Kolonien ab den 1950er und 1960er Jahren ein groBer Zustrom ehemals kolonialer Staatsbiirger nach Europa entstand und durch diese postkoloniale Entgrenzung die antike rassistische Idee einer essentiellen Trennung zwischen Zivilisation und Wilden endgiiltig zusammenbricht: „The erstwhile barbarians are within the gates and may not live in a formally segregated ghetto or enclave. The frontiers of cultural difference can no longer be made congruent with national borders" (Gilroy 2000: 249). Damit ist die koloniale Situation nicht nur fiir Asien, Afrika und Slidamerika charakteristisch, sondem ruft auch in den europaischen Landem gesellschaftliche - hier ist zum Beispiel an ethnische Unterschichtungsphanomene zu denken - und vor allem kulturelle Umwandlungen hervor.^ Postkolonialismus und damit verbundene Phanomene wie Hybridisierung und multiple Identitaten sind also Erscheinungen des modernen Alltags im Westen: „Transcultural mixture alerts us not only to the syncretic complexities of language, culture, and everyday modern life in the torrid areas where racial slavery was practiced, but also to the purity-defying metamorphoses of individual identity in the 'contact-zones' of an imperial metropolis" (Gilroy 2000: 117). Eine zentrale Folge der postkolonialen Durchdringung ist, dass die Konfrontation mit der Andersheit kultureller Anderer zu einer existentiellen Frage wird, die zu ignorieren immer schwieriger wird: „Today, not only have 'Other' cultures ceased to be confined to other parts of the world with the overcoming of spatial and temporal distances inherent in technological globalisation, but human diversity and cultural differences have taken on new significance" (Assayag/Benei 2003b: 13). Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass diese Skizze des postkolonialen Kontext sehr nahe an dem sozialwissenschaftlichen Begriff des KosmopoHtismus heranrlickt. So stellen beide Theoriestrange einen grundlegenden Bedeutungsgewinn von Entgrenzungsphanomenen fest und gehen davon aus, dass diese Transformation nicht als Phanomen zu verstehen ist, das sich nur auBerhalb von Nationalstaaten, Kulturen etc. ereignet, sondem auch die inneren Strukturen tiefgreifend verandert. 2 Dies trifft vor allem fiir die westlichen Metropolen zu, wie Said feststellt: „The greatest single fact of the past three decades has been, I believe, the vast human migration attendant upon war, colonialism and de-colonization, economic and political revolution, and such devastating occurrences as famine, ethnic cleansing, and great power machinations. In a place like New York, but surely also in other Western metropoles like London, Stockholm, and Berlin, all these things are reflected immediately in the changes that transform neighborhoods, professions, cultural production, and topography on an almost hour-by-hour basis. Exiles, emigres, refugees, and expatriates uprooted from their lands must make do in new surroundings" (2000d: xiv).
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Der postkoloniale soziale Kontext ist also trotz dieser Bezeichnung nicht so sehr als auBerer Kontext zu verstehen, sondem als interne Transformation von Gesellschaft. Betroffen ist nicht nur die Postkolonie, sondern die gesamte Konfiguration aus ehemaligen Kolonien, ehemaligen Koloniallandem und ihren jeweiligen Kulturen ist in diesen Wandel einbezogen. Die Begriffe Kolonialismus oder Postkolonialismus beschreiben also jeweils ganze Systeme oder Konfigurationen aus (ehemaligen) Kolonisatoren und Kolonisierten sowie die Auswirkungen von Veranderungsprozessen auf beiden Seiten. Das vielbeschriebene Phanomen eines „zuruckschlagenden Imperiums"^ verdeutlicht die Koexistenz des Eigenen und des Fremden, des Modemen und des Traditionellen auch mitten in den westlichen Landem und schafft dadurch vielfaltige kulturelle und soziale Verbindungen der beiden „Welten". Blickt man auf die Geschichte des Diskurses des Kosmopolitismus, so zeigt sich dass gerade die klassischen normativen Kosmopolitismen vorrangig an Orten beschrieben wurden, an denen Menschen aus unterschiedlichen Gruppen, Landern, Kulturen oder Religionen aufeinander trafen, also zum Beispiel im Alexandria der spaten Antike (Haas 1997), im Al-Andalus des 12. Jahrhunderts (Abu Zeid 1999) oder dem New York des 20. Jahrhunderts. Der urbane Kontext scheint in diesen Fallen eine notwendige Voraussetzung dafur zu sein, dass sich die unterschiedlichen Gruppen nicht durch ihre Begegnung dazu aufgefordert fiihlen, ihre Unterschiede oder „Diakritika" (Barth 1969b) im Sinne einer chauvinistischen Identitatspolitik gegeneinander starker abzugrenzen, sondem neue Varianten des Umgangs mit den anwesenden Anderen zu suchen. Aber nicht nur die ethischen Kosmopolitismen beschreiben ihre Hauptfigur des Kosmopoliten haufig in einer groBstadtischen, kulturell pluralisierten Umgebung, sondem auch der Strang des rechtlich-politischen Kosmopolitismus bezieht sich mit dem Begriff des „Gastrechts" auf ein ganz ahnliches Phanomen, v^enn auch unter der Fragestellung, wie kosmopolitische Begegnungsorte institutionell gestiitzt werden konnen. Allerdings spielen im Postkolonialismus auch Gegenbewegungen zu dieser Entgrenzung von Kulturen und Identitaten eine wichtige Rolle. Ebenso wie der Kosmopolitismus nicht ohne seine Feinde vorstellbar ist, kann auch der Postkolo3 „The Empire Strikes Back" lautet der Titel des schulebildenden Bandes (CCCS 1982) des mittlerweile aufgelosten Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Birmingham, der auf den zwei Jahre zuvor weltweit erfolgreichen Film von George Lucas/Kershner (1980) anspielt. Hier wie dort geht es um den zunachst aussichtslos erscheinenden Kampf von sozial und geographisch marginalisierten Rebellen gegen die Ubermacht eines Imperiums. Der Band des CCCS konzentriert sich dabei auf die Riickwirkungen der ehemahgen imperialen Herrschaftsstrukturen in England. Ahnliche Muster verwendet auch der wiederum auf die Arbeit des CCCS anspielende Sammelband „The Empire Writes Back" (Ashcroft et al. 1989), der analoge Phanomene im Bereich der literarischen Kreativitat analysiert.
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nialismus nie ohne seinen Schatten des postkolonialen Neonationalismus in Gestalt von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und kulturellem Konservatismus gedacht werden. Die postkoloniale Welt ist also (wie auch der Kosmopolitismus) nicht gleichbedeutend mit einem Weg zur globalen Harmonie (During 1992: 88). So ist eine wichtige Folge der postkolonialen Vermischungsprozesse, dass die Ausblendungsmechanismen, die bislang die Prasenz des Anderen - als Diener, Sklave, Soldat oder Exot - verdrangen konnten, immer haufiger ihren Dienst verweigem."^ Die modemistische „Reinigung" (Latour 1998: 19) scheitert. Said beschreibt diese gegenseitige Wahmehmung von Kolonien und Kolonialherren wie folgt: Europe and the West, in short, were being asked to take the Other seriously. This, I think, is the fundamental historical problem of modernism. The subaltern and the constitutively different suddenly achieved disruptive articulation exactly where in European culture silence and compliance could previously be depended on to quiet them down (20001: 313).
An dieser Stelle geht es dem Postkolonialismustheoretiker also nicht um verschiedene Arten des Umgangs des Westens mit seinen kolonialen Anderen, sondern darum, dass durch die postkoloniale Transformation des Westens der Andere auch dort immer deutlicher in Erscheinung tritt - dass also die Frage des Anderen (Derrida 2001b) inMner schwieriger zu ignorieren ist. Das Argument an dieser Stelle ist also kein normatives, sondern zunachst allein die empirische Beobachtung, dass im Zuge der „Postkolonialisierung" die Prasenz der Anderen im Westen immer deutlicher zu erkennen ist. Von einem komplexen postkolonialen Moment und nicht nur von einer einzelnen Entwicklung der „Postkolonialisierung" zu sprechen, ist vor allem deshalb moglich, weil die sozialen und kulturellen Auswirkungen dieser „proto-kosmopolitischen" Lebensformen und -kontexte nicht auf die westlichen und kolonialen Metropolen beschrankt bleiben, sondern - vermittelt unter anderem durch mediale Strome - auch auf andere Zusammenhange iibertragen werden, so dass sie nicht zuletzt womoglich zum allgemeinen Kennzeichen der conditio humana gegen Ende des 20. Jahrhunderts werden konnen: „The novelty of our time, to which New York gives special emphasis, is that so many individuals have experienced the uprooting 4 Diese postkoloniale Durchdringung von Erster und Dritter Welt voUzieht sich in ahnlichen Prozessen wie die Herausbildung einer „Weltrisikogesellschaft" (Beck 1999). Beide Argumente fokussieren nicht ausschlieBlich auf das reale AusmaB der Vermischungs- oder Globalisierungsprozesse, sondern auch auf die von nicht intendierten Nebenfolgen angetriebene kommunikative Wirkung, die letztlich sogar zum Entstehen von Weltoffentlichkeiten fuhren kann (vergleiche zu diesem soziologischen Topos einer „Weltoffentlichkeit" insbesondere Beck 2004a: 54-55 sowie Stichweh 2002). Dies kann sich auf dem Feld des Postkolonialismus sowohl in Form einer kosmopolitischen Offnung gegeniiber den Anderen manifestieren als auch in Gestalt einer generalisierten Hysteric oder sozialer Panik, in deren Verlauf die Andersheit der Anderen zu einem polizeiHchen Problem wird (vergleiche Kapitel 5).
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and dislocations that have made them expatriates and exiles" (Said 2000d: xv). Aber die Postkoloniaherung der sozialen Welt ist aus dieser Perspektive nicht nur eine sich wie von selbst vollziehene Entwicklung, sondem wird teilweise auch als bewusstes Projekt verfolgt. Davon zeugt zum Beispiel die wachsende akademische Aufmerksamkeit fur fremde Literaturen, Identitaten oder Kulturen (Schulze-Engler 2001:49). Charakteristisch fiir den Diskurs des Postkolonialismus ist jedoch seine systematische Verdopplung, denn er umfasst nicht nur die Versuche der Wissenschaftler und Intellektuellen ehemaliger Koloniallander, ihre eigene Vergangenheit und Gegenwart zu verstehen, sondem ist zugleich ganz wesentlich im westlichen Wissenschaftssystem verwurzelt, so dass sowohl zentrale wie auch marginale postkoloniale Perspektiven darin vorkommen. Dies stellt eine wichtige Erweiterung des kosmopolitischen Denkens dar, das bisher den Schwerpunkt auf den Blickwinkel des in der Regel westlichen Kosmopoliten (und eben nicht des Anderen) gelegt hat. Eine postkoloniale Erweiterung des kosmopolitischen Denkens weist also auf eine Offnung des kosmopolitischen Blickfeldes hin, die auch die Stimme des Anderen einschlieBt. Auf das sozialwissenschaftliche Argument des Kosmopolitismus iibertragen, bedeutet dies, dass Kosmopolitisierung nicht nur die Erfahrung eines westlichen, groBstadtischen Beobachters, paradigmatisch in der Figur Simmels zu beobachten, reprasentiert, sondem auch die Erfahrungen der diese postkoloniale Transformation auslosenden Migranten, Exil-Intellektuellen und hybrider Identitaten beriicksichtigt. Der postkoloniale Kontext lasst sich mit Kumkum Sangari (1987) dadurch kennzeichnen, dass hier zwei verschiedene Bewegungen aufeinander treffen: die Bewegung der Welt in den Westen sowie des Westens in die Welt. Nachdem die erste Halfte des 20. Jahrhunderts oder Hobsbawms (1989) „Zeitalter des Imperialismus" den Hohepunkt der Expansion Europas in die Welt darstellte - 1930 beherrschten die Kolonialreiche 84,6% der Erdoberflache (Loomba 1998: xiii) -, wird dies ab der zweiten Halfte durch eine umgekehrte Bewegung der Welt nach Europa und Amerika erganzt. Neben dieser sozialen „Durchdringung" und kulturellen Vermischung der ehemaligen Kolonien und Koloniallander tragt aber vor allem noch ein zweites Moment zur Entwicklung des postkolonialen Kosmopolitismus bei: die Mobilisierung der Intellektuellen aus den postkolonialen Staaten.^ Nicht nur verandert sich durch die Einwanderung aus den ehemaligen Kolonien das gesellschaftliche Umfeld und damit auch das Untersuchungsobjekt der Sozial- und Kulturwissenschaften im Westen, sondem es lasst sich zudem auch eine neuartige Mobilitat von Theorien und Theoretikern beobachten (Tiffin 5 Vergleiche dazu auch Assayag/Benei" (2003a), die in ihrer Aufsatzsammlung auf die Verbindung zwischen den intellektuellen Autobiographien postkolonialer Akademiker und ihrer wissenschaftlichen Produktion fokussieren.
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1990: ix).^ Denn wie „Menschen und wie Schulen der Kritik umherwandem, so wandem auch Ideen und Vorstellungen - von Mensch zu Mensch, von Situation zu Situation, von einer Epoche zur anderen. Das kulturelle und geistige Leben wird gewohnlich aus dieser Zirkulation von Ideen gespeist und nicht selten durch sie aufrechterhalten" (Said 1997: 263). Auch diese „Reisen" sind ein entscheidender AnstoB flir die Entwicklung des akademischen Diskurses des Postkolonialismus. Es handelt sich also nicht nur um die zunehmende Entbettung und Beweglichkeit von Theorien und Theoretikern, sondem vor allem um die Veranderungen - beschrieben als Hybridisierung (Bakhtin 1953/1981; Bhabha 1994b), Dezentrierung (Derrida 1995, 1992; Foucault 1987, 1978c; Lacan 1973a) oderintellektuelle Dekolonisierung (Fanon 1980; Harlow 1993; Ngugi wa Thiong'o 1986) -, die diese Mobilisierung hervorrufen kann, denn ein solcher „tjbergang in eine neue Umgebung geschieht nie reibungslos. Er geht zwangslaufig mit Darstellungs- und InstitutionaHsierangsprozessen einher, die sich von denen am Ursprungsort unterscheiden" (Said 1997: 263). Diese Wandlungsprozesse sind es, fur die sich Theorie und empirische Forschung des Postkolonialismus interessieren. Die soziologische Diagnose einer zunehmenden Kosmopolitisierung gesellschaftlicher Realitat wird hier also nicht nur auf die Gesellschaft als Ganzes bezogen, sondem die Theorien und Theoretiker sind von diesen Prozessen nicht ausgenommen. Nicht nur die Realitat wird dieser Denkfigur nach kosmopolitischer, sondern auch die Position des Theoretikers ist in Bewegung - mit alien denkbaren Folgen fUr eine bislang auf einen stabilen Beobachterstandort ausgerichteten Methodenlehre. Der postkoloniale Moment beschreibt also vor allem die Herausbildung eines neuen Diskursraumes, in dem sich mobilisierte Theorien, Kulturen, Intellektuellen treffen - eines Raumes, der sich sowohl in zeithcher als auch raumlicher und sozialer Hinsicht als „Zwischenraum" definieren lasst^: Zum einen zwischen der 6 Hier handelt es sich sogar in vielen Fallen um „Re-Importe". Theorien wie etwa die Diskurs- und Herrschaftstheorie von Foucault, der Dekonstruktivismus von Derrida oder die Psychoanalyse von Lacan werden urspriinglich aus Europa in die Kolonien exportiert oder wahrend der Aufenthalte kolonialer Intellektuelle in den westlichen Metropolen aufgenommen. Mit der „Dekolonialisierung" gelangen sie dann - wenn auch durch den Aufenthalt in den Kolonien deutlich verandert - wieder in die europaischen und amerikanischen Universitaten. Der diese Bewegungen beschreibende Begriff der traveling theory'' stammt von Said (1984a) und wurde zunachst auf die „Reisen" des Lukacsen Marxismus angewendet. Mit den Arbeiten von James Clifford (1997, 1989) ist dieses Konzept dann in das Standardvokabular der Postkolonialismustheorie und Ethnographic eingegangen. 7 Der von Homi Bhabha (1984) gepragte Begriff des „Zwischenraumes" (interstitial space) spielt im Diskurs des Postkolonialismus eine zentrale Rolle, da mit seiner Hilfe die charakteristische Ambiguitat der postkolonialen Identitaten und Positionen ausgedriickt werden soil (Collier/Geyer-Ryan 1990a: 7) sowie die Moglichkeit einer verstorenden und tendenziell widerstandischen Politik einer unvollstandigen oder halbierten Imitation: „The peculiarity of cultures' partial, even metonymic presence lies in articulating those social divisions and unequal developments that disturb the selfrecognition of the national culture, its anointed horizons of territory and tradition. The discourse
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Vergangenheit der ehemaligen Kolonien und der Gegenwart des Postkolonialismus, wobei entgegen der begrifflichen Suggestion durch die Vorsilbe „Post" der Kolonialismus nach wie vor (oder sogar: erst jetzt) in den Erinnerungen, Theorien, Perspektiven prasent ist.^ Ein weiterer Zwischenraum entfaltet sich zum anderen zwischen den auBerwestlichen, bislang marginalisierten Kolonien und dem euroamerikanischen Zentrum. Postkolonialismus beschreibt in seiner soziologischen Bedeutung eine neue Beweglichkeit von Personen liber diese Grenze hinweg oder in diesem Zwischenraum, die damit einhergehende Transformation von Gesellschaft sowie in seiner diskurstheoretischen Bedeutung die Mobilisierung von Theorien und letztlich auch den sich daraus entwickelnden akademischen und intellektuellen Diskurs. Durch diese mehrdimensionale Mobilisierung ergibt sich also die inhaltliche Bedeutung des Postkolonialismus als neues soziales Feld, das wesentlich durch die Gleichzeitigkeit von Kolonie und Postkolonie, von Orient und Okzident gekennzeichnet ist.^ Damit betrifft dieser Diskurs nicht nur die ehemaligen Kolonien, sondem zeugt auch von einem veranderten Umgang der Europaer mit ihrer eigenen geschichtlichen Identitat: „Wenn das ,europaische Selbst' derart mit den ,exkludierten Anderen' der kolonialisierten Welt verwoben ist, dann verandert der postkoloniale Diskurs das europaische Selbstverstandnis, tragt v^esentlich dazu bei, daB das nationale zu einem kosmopolitischen Europa geoffnet und erweitert werden kann'' (Beck 2004a: 109). Bereits die schwierige und paradoxe Grundstruktur des Postkolonialismus als Gleichzeitigkeit der kolonialen Abhangigkeit und postkolonialen Unabhangigkeit in vielen Gesellschaftsbereichen wie Politik, Wirtschaft oder Kultur tragt Wesensmerkmale, die auf eine Kosmopolitisierung der sozialen Realitat hinweisen. Die gegenseitige, aber zugleich unvoUstandige und konfliktgeladene Durchdringung der ehemaligen Kolonien und der ehemaligen Koloniallander stellt einen klaren Ausbruch aus dem methodologisch nationalistischen Entweder-oder-Denken der intemationalen Ordnung dar. Denn anders als zum Beispiel in der sozialwissenschaftliche of minorities, spoken for and against in the multicultural wars, proposes a social subject constituted through cultural hybridization, the overdetermination of communal or group differences, the articulation of baffling alikeness and banal divergence" (Bhabha 1996: 54). 8 Bislang hat sich die Theorie des Postkolonialismus jedoch vor allem auf die Untersuchung postkolonialer Literaturen konzentriert, was sowohl eine Implikation ihrer engen Verbindung zum Fach Cultural Studies ist, das sich vor seiner mit Stuart Hall (1980) assoziierten praxeologischen Wende ebenfalls auf schriftliche oder hochkulturelle Quellen konzentriert hatte, als auch ihrer Ausrichtung auf diskurstheoretische oder textbezogene Methoden wie etwa der franzosischen Theoretiker Michel Foucault oder Jacques Derrida. 9 Das theoretische Subjekt, das fiir diese Konstellation charakteristisch ist, steht also zwischen der vorkolonialen Zeit und der voUstandigen Dekolonisierung: „Neither colonizer nor precolonial subject, the postcolonial subject exists as a unique hybrid which may, by definition, constitute the other two as well" (Grossberg 1996:91).
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Weltsystemtheorie (Claval 1990; Friedman 1994; Wallerstein 1986)oderder Dependenztheorie (Cardoso/Faletto 1976; Frank 1980) konnen Zentrum und Peripherie, Abhangigkeit und Unabhangigkeit im Postkolonialismus hier nicht eindeutig voneinander unterschieden werden: die Peripherie ist immer deutlicher auch in den Metropolen des Westens zu finden und umgekehrt lasst sich in mancher Hinsicht auch die Peripherie nicht mehr ausschlieBlich als marginalisierte und vom Zentrum abhangige Region definieren. Anders ausgedriickt: die Theoretisierung des postkolonialen Kontext kann einen Ausweg aus den territorialistischen Basisannahmen der Ersten Moderne weisen. Der postkoloniale soziale Kontext bietet sich als Ausgangspunkt fiir die kosmopolitische Theoriebildung vor allem deshalb an, da er eine paradoxe Konstellation beschreibt, die Abhangigkeit und Unabhangigkeit, Nahe und Distanz, Differenz und Gleichheit verbindet. Im Folgenden soil nach einer kurzen Einfiihrung in die fiir den Diskurs des Postkolonialismus grundlegende Orientalismusthese von Edward Said der Stellenwert, den die Begegnung mit dem Anderen oder Fremden in dieser Denktradition erfahrt, untersucht werden. AnschlieBend widmen wir unsere Aufmerksamkeit der realitatspolitischen Bedeutung des Orientalismus und zeigen die Ankniipfungspunkte zwischen der Kritik des Orientalismus und dem sich ebenfalls als real-existierend und realitatswirksam verstehenden Neuen Kosmopolitismus, um dann im nachsten Schritt die sich daraus ergebenden politischen und kritischen Desiderate zu entfalten. Die Analyse des postkolonialen sozialen Kontexts der kosmopolitischen Theorie wird dann in den darauf folgenden Abschnitten iiber die Akteurs- und Beobachterperspektive, iiber den Begriff des Irdischen als Verbindung von lokalen und globalen Bezugen, iiber das Exil als besonderen Beobachterstandort in Kosmopolitismus und Postkolonialismus und schheBlich generalisierend iiber den Zusammenhang von Postkolonialismus und Kosmopolitismus vorangetrieben. 3.1 Orient als Vorstellung Die von Edward Said im Jahr 1979 formulierte Orientalismusthese wird vielfach als wichtigster Ausgangspunkte fiir die Postkolonialismustheorie beschrieben.^^ 10 Die Tatsache, dass sich diese Tradition in Deutschland noch wenig durchsetzen konnte, mag unter anderem daran liegen, dass die deutsche Orientalistik tatsachlich eine andere Richtung nahm als die britische, franzosische oder amerikanische und dass „at no time in German scholarship during the first two-thirds of the nineteenth century could a close partnership have developed between Orientalists and a protracted sustained national interest in the Orient" (Said 1979/2003: 19, Hervorhebung im Original) - zum Teil allein aus dem Grund, dass erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts iiberhaupt ein Nationalstaat fiir imperialistische Projekte zur Verfiigung stand. Nach Said lasst sich zwar auch an den deutschen Beispielen die angenommene intellektuelle Uberlegenheit iiber den Orient erkennen - also Versuche des Aufbaus der intellektuellen Hegemonic -, diese wird jedoch nur selten von
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Im Kern behauptet Said darin, dass der „Orient" keine wirkliche kulturelle, soziale Oder religiose Weltgegend kennzeichnet, sondern eine im Westen entstandene Vorstellung, die eng mit dem Projekt der imperialen Herrschaft und Kontrolle verbunden ist. Liest man diese These konstruktivistisch, so ergibt sich daraus, dass „the Orient and the Occident are facts produced by human beings, and as such must be studied as integral components of the social, and not the divine or natural, world" (Said 2000h: 199). Saids Theorie, und dies ist ein verbreiteter Anlass fiir Missverstandnisse (Said 2003b: xv), hat also nicht den realen Orient und seine Lebensformen oder Geisteshaltungen - wie es der Begriff „Orientalismus" durch seine Endung suggeriert - zum Thema, sondern den Orient als Objekt europaischer Vorstellung und Begierde: „The Orient was almost a European invention, and had been since antiquity a place of romance, exotic beings, haunting memories and landscapes, remarkable experiences" (Said 1979/2003: 1). Aus dieser Perspektive meint Orientalismus also die Konstitution einer geographischen Einheit namens „Orient" und eines dazugehorigen Forschungsgebietes namens „Orientalistik", durch die eine wichtige Komponente des europaischen Willens zur Herrschaft iiber die nichteuropaische Welt verwirklicht und nicht nur eine ordentHche wissenschaftliche DiszipHn geschaffen wurde, sondern auch eine Reihe von Institutionen, ein latentes Vokabulai [...], ein Gegenstandsbereich und schHeBlich [... ] Untertanenrassen (Said 1997: 258-259).
Diese Feststellung verdeutlicht, dass der Andere keine unproblematisches Objekt ist, sondern zum Teil das Ergebnis sozialer Konstruktions- und Aushandlungsprozesse ist. Dies lasst sich als wichtige Erganzung der neukosmopolitischen Theorien lesen, denn wahrend diese davon ausgehen, dass Andersheit und die Anderen vom sozialwissenschaftlichen Beobachter unabhangige soziale Phanomene darstellen, lenkt die Theorie des Orientalismus den Blick auf dahinter liegende soziale Konstruktionsprozesse, in denen Andersheit uberhaupt erst entsteht. Auch diese Schwerpunktsetzung lasst sich in Verbindung mit dem Programm des sozialwissenschaftlichen Kosmopolitismus bringen, da sie von einer engen Verwobenheit des Selbst und des Anderen zeugt, die auch Auswirkungen auf die Forschungsmethodologie hat. So lasst sich die kosmopolitische Skepsis dariiber, ob die nationalstaatHch gepragten Begriffe der Soziologie eine transnationale Realitat beschreiben konnen. entsprechenden politischen Mafinahmen begleitet. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass Said sich nur unzureichend mit dem deutschen Orientalismus (vergleiche etwa Kontje 2004) auseinander gesetzt hat und insbesondere die Verbindung mit asthetisch-universalistischen Konzepten wie der Welthteratur Goethes kaum wahrgenommen hat. Die erst vor wenigen Jahren entfachte Debatte um den deutschen Koloniahsmus im Zusammenhang mit dem 100. Jahrestag des Volkermords an den Herero im ehemaligen Deutsch-Sudwest-Afrika sowie die mit der Berliner Ausstellung zum „Black Atlantic" (Gilroy/Campt 2004) oder der Autobiographic von Massaquoi (2001) in Bewegung gekommene Suche nach einem bislang ausgeblendeten „schwarzen" Deutschland kommen hier freilich zu anderen Ergebnissen.
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auch auf dieses Beispiel ubertragen, denn im diesem Kontext wird auch der Andere zu einem transnational konstitutierten Phanomen, das sich gerade nicht auf eine essentielle Andersheit reduzieren lasst, sondem immer auch einen Blick auf das Zustandekommen dieser Andersheit fordert. Dabei handelt es sich in erster Linie um Zuschreibungen iiber den Orient und die Orientalen, die von Wissenschaftlem, Reisenden und Politikem aus dem Westen getroffen werden - die Andersheit des Orients ist im Wesentlichen eine in Europa konstruierte und projizierte Andersheit. Haufig verweisen die orientalistischen Zuschreibungen nach Said auf eine besondere, sich vom Westen abhebende Geisteshaltung, „the Oriental mind". Aber auch kulturelle, politische und sogar rassische Merkmale werden unter diesen Begriff subsumiert. Dies zeigt sich in Begriffen wie „orientahscher Despotismus" oder „orientalische SinnHchkeit" (1979: 3). Da aber die Vorstellungen iiber den Orient im Westen von westlichen Denkem mit westlichen Vorannahmen, Begriffen, Analogien und Erklarungsmustern formuliert werden, verliert der Orient im Verlauf seiner Orientalisierung den Anschein absoluter Fremdheit und wird zu einem Objekt, das - wenigstens prinzipiell - erkennbar, erforschbar und dadurch auch kontrollierbar ist: Familiarity, accessibility, representability: these were what Orientalists demonstrated about the Orient. The Orient could be seen, it could be studied, it could be managed. It need not remain a distant, marvelous, incomprehensible, and yet very rich place. It could be brought home—or more simply, Europe could make itself at home there, as it subsequently did (Said 1981: 25).
Die Andersheit der orientalischen Anderen wird also gerade durch diese orientalistische Differenzpolitik geleugnet, die sie nicht mehr als anzuerkennende Andere, sondem allein als Wissens- und Herrschaftsobjekte in Erscheinung treten lasst. Diese Denkart, durch die die westliche Wissenschaft als Zugang zu universellen Wahrheiten konstruiert wird, ist der Kern des orientalistischen Umgang mit der Andersheit der Anderen. Interessanterweise verortet Said den eigentlichen Beginn des orientalistischen Denkens gerade in der Zeit nach der Fertigstellung des Suez-Kanals, durch den zunachst die geographische Kategorie des Orients aufgehoben schien und der Orient gerade nicht mehr als isolierte, fremde Welt betrachtet wurde: „There was only 'our' world, 'one' world bound together because the Suez Canal had frustrated those last provincials who still believed in the difference between worlds" (1979/2003: 92). Die orientalistische Fremdreprasentation und Diskriminierung entsteht also gerade als Nebenfolge einer erfolgreichen Annaherung zwischen den beiden „Welten" des Orients und Okzidents: oder zugespitzt: Erst mit dem Ende des Orients konnte die eigentliche Karriere des Orientalismus beginnen. Die real erfolgte Annaherung zwischen Orient und Europa lasst sich jedoch nicht
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ohne weiteres auf die Auspragung eines entsprechenden Bewusstseins iibertragen. Gerade die sich als universalistisch verstehende Zivilisationsmission und die durch den Suez-Kanal symbolisierte Annaherung ist also der Ausgangspunkt fiir die Konstruktion partikularer und prinzipiell ungleicher Kulturen. In dem MaBe, in dem der Orient an den Westen herangefiihrt wird, steigt demnach die Intensitat der Konstruktion und Generalisierung von Differenzen, so dass das orientalistische Fremdbild des Westens allmahlich wichtiger und damit wirklicher wird als die Realitat des Orients, in Saids Worten: „Orientalism overrode the Orient" (1979/2003: 96). In engem Zusammenhang damit steht die Herausbildung des komparativen Ansatzes in den Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts. Nicht allein der Orient als eigenstandige Entitat wird dort untersucht, sondern der Orient, haufig sogar als identisch mit der semitischen „Rasse" gedacht, im Vergleich mit dem Okzident oder eben den indogermanischen „Rassen" (Said 1979/2003: 149-150). Ein ungerechter Vergleich freilich, der nur zum Nachteil des Untersuchungsobjekts „Orient" ausfallen kann, denn „the Orient acquired all the marks of an inherent weakness" (Said 1979/2003: 152). Das orientalistische Denken ist also von einer grundsatzlichen zirkularen Struktur oder sogar als Tautologie zu bezeichnen, denn der Blick auf die Empirie des Orients dient in der Regel dazu, den negativen orientalischen Charakter der Orientalen und den iiberlegenen westlichen Charakter des Beobachters zu bestatigen (Said 1979/2003: 247). Die abstrakte wissenschaftliche Zuganglichkeit zum Orient lasst sich zudem nur dadurch herstellen, dass das Orientbild soweit vereinfacht wird, dass man nicht mehr von einzelnen Kulturen, Volkem oder Ethnien sprechen muss, sondern diese alle unter das Kollektivsubjekt „Orient" subsumieren kann: „Orientalists, like many other early-nineteenth-century thinkers, conceive of humanity either in large collective terms or in abstract generalities. Orientalists are neither interested nor capable of discussing individuals" (Said 1979/2003: 154). Die akademische Orientalistik neigt also dazu, ihr Forschungsobjekt zu verallgemeinem. Orientalismus darf aber nicht mit einem provinziellen Chauvinismus oder Eurozentrismus verwechselt werden, steht doch im Hintergrund das unerschiitterliche Vertrauen in das Vorhandensein einer universellen Vernunft sowie eines darauf ruhenden exakten, professionellen wissenschaftlichen Gebaudes, das durch empirische Begegnungen mit dem Orient, allerdings nahezu ausschlieBlich im imperialistischen Kontext, gestutzt wird (Said 1979/2003: 253). Da der verschiedene und damit fremde Orient nur als Gegenpol zum vertrauten Okzident denkbar ist, entsteht aus der orientalistischen Vereinfachung ein dichotomes Weltbild (Said 1981: 4).
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Eine weitere Auswirkung des universalisierenden Vorgehens der Orientalisten ist die tiefgreifende Verwandlung des Orients in einen Text.^^ Nicht mehr die partikularen, kleinen Erzahlungen, Erfahrungen und Orte gehen in das Orientbild ein, sondem der Orient [...] would be converted from the personal, sometimes garbled testimony of intrepid voyagers and residents into impersonal definition by a whole array of scientific workers. It would be converted from the consecutive experience of individual research into a sort of imaginary museum without walls, where everything gathered from huge distances and varieties of Oriental culture became categorically Oriental (Said 1979/2003: 166, Hervorhebung im Original).
Auch auf dieser Ebene bestimmen also universalisierende Prinzipien die Vorstellung - also die Verwandlung von personlichen, subjektiven Erfahrungen in generalisierte, objektive Beschreibungen - des Objekts „Orient". Zur notwendigen Grundbedingung fiir das Zustandekommen des orientalistischen Weltbildes gehort dabei die Entwicklung eines distanzierten Blicks. Erst das Sehen roit Jmperial eyes", um den Begriff von Pratt (1992) zu gebrauchen, ermoglicht die Uberlagerung eines wissenschaftlichen universellen Systems iiber die fragmentierte, heterogene und partikulare gesellschaftliche Realitat des Orients. Genau diese Fahigkeit zur Abstraktion ist es jedoch, die den Orientalen selbst aberkannt wird. Dieser ist nach tJberzeugung der Orientalisten bestenfalls des mythischen Denkens fahig (Said 1979/2003: 318). Folglich leitet die Orientalistik daraus als wichtige Aufgabe des Orientalisten ab: „expressing the dislocation and consequently speaking the truth about Islam, which by definition—since its contradictions inhibit its powers of self-discernment—it cannot express" (281). Der westliche distanzierte Blick ist also ein uberlegener Blick, der Dinge erkennt, die den orientalischen Subjekten selbst fremd sind. Die orientalistische Beobachterperspektive und das orientalistische Projekt der Beherrschung und Verwaltung des Orients sind jedoch nicht klar voneinander zu trennen, sondem stUtzen sich gegenseitig. Die orientalistische Denkweise kann letztlich - soviel verdeutlicht schon diese kursorische Zusammenfassung der These Edward Saids - als spezifische Art des Umgangs mit der Anderheit der Anderen gesehen werden, die zunachst die eigene Beobachterposition universalisiert und als iiberlegene Perspektive beschreibt. Die orientalischen Anderen spielen daher nicht als reale Andere eine Rolle, sondem vor 11 Diese Methode kennzeichnet jedoch nicht nur den klassischen Orientalismus, sondem gilt in Teilen auch fiir den Umgang der Postcolonial Studies mit ihren Gegenstanden nach der diskurstheoretischen Wende der Disziplin (Said 1994/2003: 366). Parry ordnet dies in eine breitere Entwicklung ein: „The abandonment of the realist model in cultural studies should be seen in the context of a larger transition within social theory away from social explanation of the historical event and the symbolic order, and towards collapsing the social into the textual or discursive" (2001: 10). Mit dieser Entwicklung droht jedoch die urspriingHch emanzipatorische und kritische Intention der Postkolonialismustheorie verloren zu gehen (Parry 1987/1995: 42-43).
3.1 Orient als Vorstellung
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allem als westlich konstmierte Andere. Der partikulare Kontext des Orients wird nicht als solcher anerkannt, sondem die europaischen Wissens- und Herrschaftsinstmmente werden als allgemeingliltige, uberhistorische Techniken beschrieben. Die Andersheit der Anderen wird also negiert, aber nicht wie in der von Beck beschriebenen universalistischen Variante auf Grund einer angenommenen allgemeinen Gleichheit - „Universalism sacrifices the specificity of others to a global equality that denies the historical context of its own emergence and interests" (2004b: 431) -, sondern auf der Grundlage einer eindeutigen tJberlegenheit des westlichen Beobachters und einer Reduktion der orientalischen Subjekte auf ihre Reprasentation durch westliche Wissenschaft und Verwaltung. Wie in anderen kolonialen Kontexten (etwa der Konferenz von Valladolid) wird der Rahmen dieser Begegnung allein von den westlichen Beobachtem festgelegt und zum Beispiel in Gestalt von universalistischen Begriffen wie „Zivilisation" oder „Geschichte" als Machtinstrument verwendet: „There might be stages of social evolution and many seemingly bizarre customs and 'superstitions' in the world, but there was only one 'civilization,' one path of 'progress,' one 'true religion'" (Brantlinger 1986: 185) Der hier zu beobachtende Universalismus ist klar als Instrument eines westlichen Hegemoniestrebens zu erkennen und in den dabei verwendeten Begriffe lassen sich nach Paul Gilroy die Grundpfeiler der europaischen „Mission" erkennen: „Universality, reason, and progress, modernity and enlightenment: these glorious ideas were once the sturdy cornerstones of an all-conquering Occidental mentality" (2000: 68). Die Verschiedenheit des orientalischen Anderen, die in der kosmopolitischen Auseinandersetzung mit der Konferenz von Valladolid zumeist als vergleichsweise unproblematisch vorausgesetzt wird, entsteht im Falle des Orientalismus gar nicht aus einer konkreten Beobachtung des Anderen oder durch einen dialogischen Prozess^^, sondern entspringt der Projektion der eigenen Vorstellungen von Fremdheit und Exotik auf den Anderen - einer Projektion, die allein deshalb ohne nennenswerten Widerstand der Anderen durchfiihrbar ist, well die Betroffenen militarisch, wirtschaftlich oder politisch unterlegen ist: „The Orient was [... ] not Europe's interlocutor, but its silent Other" (Said 2000h: 202). Der Orient fungiert als Anderer, der einen exakten kulturellen Gegensatz zu Europa darstellt und dadurch eine wichtige Rolle in der Konstruktion und Bestatigung der europaischen oder westlichen Identitat spielen kann (Said 1979/2003: 1-2). Der Orientalismus schafft 12 Dazu schreibt Said: „Note that there is no question of an exchange between Islam's views and an outsider's: no dialogue, no discussion, no mutual recognition. There is a flat assertion of quality, which the Western policy-maker, or his faithful servant, possesses by virtue of his being western, white, non-Muslim" (2000h: 206, Hervorhebung im Original). Dies wiederum ist fur ihn „neither science, nor knowledge, nor understanding: it is a statement of power and a claim for absolute authority" (ebd.).
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demzufolge nicht nur ein Fremdbild des Orients, sondem zudem auch das Selbstbild des Westens in Abgrenzung zu diesem Fremdbild. ^^ Dieses Prinzip beschreibt Ulrich Beck als eine der Basislegenden der Ersten Modeme: „Das Eigene muB sich gegen das Fremde ab- und eingrenzen, damit Identitat, Politik, Gesellschaft, Gemeinschaft, Demokratie moglich werden" (Beck 2004a: 13). Doch wenn dieser gmndlegende Mechanismus der Definition von Gruppenidentitaten zudem mit einer ungleichen Machtverteilung gekoppelt wird, wirkt der Abgrenzungsmechanismus nicht nur auf die eigene Gruppe als Stabilisierung von Identitat, sondern hat massive physische Folgen fiir die Gruppe, von der sich das Selbst abgrenzt, hier: fur den Orient als Objekt imperialer Herrschaftsstrukturen. 3.2 Wissen und Macht im Diskurs des Orientalismus Orientalismus ist nicht allein eine asthetische oder intellektuelle Haltung von Wissenschaft und Politik und damit eine der Welt der Ideen verhaftete Vorstellung, sondem hat reale politische Konsequenzen, denn das orientalistische Denken ist eng verbunden mit dem Projekt der tatsachlichen Herrschaft iiber den Orient (Said 200Ij: 169). Sogar die kosmopolitischen Produzenten „unschuldiger" exotischer Reisebeschreibungen miissen daher in ihren jeweiligen politischen (Imperialismus), sozialen (Elitismus) und geschlechtsspezifischen (Androzentrismus) Kontexten gesehen werden. Dabei lassen sich diese realen, zum Teil auch physischen Konsequenzen nicht nur wie zunachst zu vermuten im Orient selbst verorten, sondem wirken wiederum - und an diesem Punkt kann der Forschungsstrang der Postkolonialismustheorie zu einer eigenstandigen Perspektive im Unterschied zur bisherigen Erforschung und Theoretisierung des Imperialismus beitragen - auf den Urheber des Orientbildes zuriick, denn der „Orient is an integral part of European material civilization and culture" (Said 1979/2003: 2, Hervorhebung im Original). Das charakteristische Kennzeichen von Saids Orientalismuskritik ist, dass hiermit ein transnationales und transkulturelles Phanomen beschrieben wird, dass nicht 13 Dies zeigt sich auch in den zahlreichen Episoden, in denen Kiinstler aus Europa wie zum Beispiel Gustave Flaubert eine Reise in den Orient dazu genutzt haben, ihren Riick-Blick auf die eigene Heimat zu verfremden und diese Verfremdung wiederum in eine kiinstlerische Innovation zu verwandeln (Said 1979/2003: 184-190). Theoretisch wird diese Funktion des Anderen als Spiegel des Selbst in Jacques Lacans (1973a) Psychoanalyse in den Blick genommen. Darin spielt das „Spiegelstadium" eine zentrale Rolle als dramatische und identitatsstiftende Begegnung des Selbst mit einem Anderen als fiktionales Selbst. Wahrend dieser Begegnung entsteht aus dem gespiegelten Anderen ein unerfiillbares Begehren nach dem radikal Anderen \le grand-autre) (Lacan 1980/1997). Das Andere ist also nicht das vollig Fremde, sondern ist auf eine prekare Weise sogar Teil des Selbst: „The Other, against whose resistance the integrity of an identity is to be established, can be recognized as part of the self that is no longer plausibly understood as a unitary entity" (Gilroy 2000: 109). Vergleiche dazu fiir den postkolonialen Kontext auch Feldmann (2001).
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nur entweder das westliche Denken uber den Orient oder das imperiale westliche Herrschaftssystem im Orient analysiert, sondem vor allem die Beziehung zwischen diesen beiden Aspekten. Orientalismus findet sowohl im Orient als auch im Westen statt und kennzeichnet eine transnationale soziale Konfiguration, die sich zwischen den beiden Orten aufspannt. Saids ICritik des Orientalismus ist also nicht nur als normativ-politische Intervention zu verstehen, sondem vor allem auch als methodologische Kritik, denn das Ziel seiner Kritik sind weniger die klassischen Orientalisten als viel mehr die gegenwartig immer noch zu beobachtenden Orientalismen im Umgang mit der Andersheit postkolonialer Anderer in den Sozial-, Politik- und Kulturwissenschaften. Auch wenn diese heute nicht mehr in demselben MaB auf rassistischen und evolutionistischen Argumenten aufbauen, gehen sie nach wie vor davon aus, dass ihre Reprasentation des Orients eine iiberlegene, wenn nicht sogar die einzig wahre Reprasentation ist. Dabei fehlt ihnen ein reflexives Verstandnis der eigenen Annahmen und Vorgehensweisen, die den Orient als exotischen Anderen und von westlichen Beobachtern vollstandig unabhangige Realitat konstruieren. Dieses Bild und nicht eine echte dialogische Auseinandersetzung mit den Vertretern des Orients selbst ist es dann auch, das zur Grundlage von politischen Entscheidungen wird. Die Orientalismusthese sagt also, und genau dies ist der Punkt, der wohl am haufigsten Ausloser von Missverstandnissen geworden ist, in erster Linie etwas iiber den europaischen Umgang mit der Andersheit Anderer aus sowie iiber den Orient als diskursives Phanomen, als „a mode of discourse with supporting institutions, vocabulary, scholarship, imagery, doctrines, even colonial bureaucracies and colonial styles" (Said 1979/2003: 2) und weniger iiber den Orient als politische, geographische oder kulturelle Region, deren klare Abgrenzung durch die Globalisierung und die zunehmenden Verbindungen zwischen den beiden „Welten" immer fragiler wird. Ahnlich wie es Foucault (1970/1991) in seinen Ausfiihrungen iiber das Archiv und den Diskurs beschreibt, lassen sich auch in der Orientalismusthese ideelle und materielle Grundstrukturen nicht eindeutig voneinander scheiden. Text, Sprache und Wissen sind so eng mit Machtpotentialen und -ausubung verbunden, dass „knowledge of subject races or Orientals is what makes their management easy and profitable; knowledge gives power, more power requires more knowledge" (Said 1979/2003: 36). Auch die Wissenschaft kann sich nicht mit ihrer distanzierten oder objektivierten Position entschuldigen, denn sie ist selbst in die orientalistische Verwaltung und Kontrolle eingebunden: „No one has ever devised a method for detaching the scholar from the circumstances of life, from the fact of his involvement (conscious or unconscious) with a class, a set of behefs, a social position, or from the mere activity of being a member of a society" (Said 1979/2003: 10). Daher geraten in der Untersuchung des europaischen Orientbildes
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auch die (politischen, militarischen, historischen etc.) Bedingungen der Moglichkeit der Aufrechterhaltung eines solchen Bildes ohne jegliche Beteiligung der darin Abgebildeten in den Blick.^"^ Der bis in die Gegenwart anhaltende „Erfolg" des orientalistischen Denkens lasst vermuten, dass der „Orient was Orientalized not only because it was discovered to be 'Oriental' in all those ways considered commonplace by an average nineteenth-century European, but also because it could be—that is, submitted to being—made Oriental" (Said 1979/2003: 5-6, Hervorhebungen im Original). Auch hier findet man also einen deutlichen Verweis auf Herrschaftsverhaltnisse, die eine wichtige Grundlage fiir die Orientalisierung des Anderen darstellen. Der Anspruch der Postkolonialismusforschung ist daher nichts weniger als das Entwirren und die Analyse der „sheer knitted-together strength of Orientalist discourse, its very close ties to the enabling socio-economic and political institutions, and its redoubtable durability" (Said 1979/2003: 6). Der Blick richtet sich also nicht nur auf den „Text" des Orientalismus, sondern auch auf die Entstehungsbedingungen dieses Textes, auf seinen „Pra-Text". Die Frage ist also auch, wie der Text des OrientaHsmus seinen eigenen (imperialistischen) Kontext ins Leben ruft oder zumindest intellektuell stiitzt (Prakash 1990: 10). Text und Kontext erscheinen in dieser Perspektive also nicht als eindeutig hierarchisierbar, sondern konstituieren einander gegenseitig: Diskurse und Praktiken des Orientalismus sind eng auf einander bezogen. Dies verweist auf den oben angesprochenen Aspekt der kosmopolitischen Reflexivitat, der sich ebenfalls mit der Frage auseinander setzt, wie sich das Verhaltnis zwischen dem kosmopolitischen Denken und einer Kosmopolitisierung der sozialen Realitat gestaltet. Letztlich sind es nicht die Worte und das Denken der Orientalisten allein, die das Wesen des Orientalismus ausmachen. Zwar bezieht sich der Orientalismus als systematischer Diskurs immer wieder auf „written knowledge, but because it is in the world and directly about the world, it is more than knowledge: it is power since, so far as the Oriental is concerned. Orientalism is the operative and effective knowledge by which he was delivered textually to the West, occupied by the West, milked by the West for his resources, humanly quashed by the West" (Said 2001f: 26, Hervorhebungen im Original). Es sind demnach vor allem die materiellen Strukturen, die es anfangs vor allem der europaischen, spater in zunehmendem MaBe auch der amerikanischen Wissenschaft erlauben, ihr Bild des Orients zu 14 Die europaische Reprasentation des Orients ist nach Said „always governed by some version of the truism that if the Orient could represent itself, it would; since it cannot, the representation does the job, for the West, dind faute de mieux, for the poor Orient" (1979/2003: 21, Hervorhebung im Original). Dies lasst sich bis in die griechische Antike zuriickverfolgen und schon Aeschylus „Perser" sind gepragt von dem orientalistischen Grundprinzip, dass „Asia speaks through and by virtue of the European imagination, which is depicted as victorious over Asia, that hostile 'other' world beyond the seas" (56).
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kanonisieren und zum empirischen Ausgangspunkt fur die Politik zu machen. Nicht die Tatsache, dass der Orient vomehmlich im Westen und damit aus Sicht des Orients fremdbestimmt konstruiert wird, ist also der Hauptausloser fur die Kritik des Orientalismus, sondem die politischen Interessen, die hinter diesen Strukturen vermutet werden. Sowohl der Orient als auch der Islam als Andere des Westens „neither existed except as 'communities of interpretation/ and that, like the Orient itself, each designation represented interests, claims, projects, ambitions, and rhetorics that were not only in violent disagreement, but also in a situation of open warfare" (Said 2000h: 201). Das Spezifische an der Herrschaftform des Orientalismus liegt darin, dass das Orientbild gerade nicht als Reprasentation Oder als perspektivisches Wissen offen gelegt wird, sondem im Gegenteil als empirisch gepriiftes und allgemeingiiltiges Naturgesetz propagiert wird (Said 1979/2003: 38).^^ An einigen Stellen verwendet die Orientalistik sogar der Begriff des „Kosmopolitismus", um zu verdeuthchen, dass die britische Fremdherrschaft gerade nicht eigenniitzigen oder patriotischen Motiven entspringt, sondem allein dem Zweck der Verbessemng und Zivilisierung der „Untertanenrassen" dient. So spricht zum Beispiel der britische Generalkonsul von Agypten, Lord Cromer: If the British nation as a whole persistently bears this principle in mind, and insists sternly on its application, though we can never create a patriotism akin to that based on affinity of race or community of language, we may perhaps foster some sort of cosmopolitan allegiance grounded on the respect always accorded to superior talents and unselfish conduct, and on the gratitude derived both from favours conferred and from those to come (Lord Cromer, zitiert nach Said 1979/2003: 37).
Kosmopolitismus wird in dieser Bedeutung zu einem zentralen Bindeglied zwischen dem orientalistischen Denken und der physischen Machtausiibung. Der Verweis auf eine „kosmopolitische Loyalitat" lasst sich hier nur verstehen als Aufforderung an die „Untertanenrassen", die intellektuelle Uberlegenheit ihrer Kolonialmachte zu akzeptieren und die rationalen Prinzipien, auf denen ihre Herrschaft ruht, hoher zu bewerten als die negative materielle Realitat der Besatzung.^^ Damit lasst sich die Verwendung des Begriffs in die lange Tradition der imperialen 15 Charakteristisch zeigt sich die Konstruktion des arabischen Anderen als minderwertig nach Said an den Reden der britischen Orientalisten Arthur James Balfour und Lord Cromer iiber die orientaHschen Untertanenrassen (subject races), deren Beherrschung durch westliche Zivilisationen nicht auf eine bestehende geopolitische und militarische Konfiguration zuriickgeflihrt wird, sondem auf natiirliche Attribute der Orientalen: „There are Westerners, and there are Orientals. The former dominate, the latter must be dominated, which usually means having their land occupied, their internal affairs rigidly controlled, their blood and treasure put at the disposal of one or another Western power" (Said 1979/2003: 36). 16 Die Kolonisatoren fiihlen sich insbesondere deshalb zu dieser historischen Mission berufen, da sich die „Untertanenrassen" in einer vergangenen Zeit aufhalten, die nicht den aufgeklarten Prinzipien der Modeme entspricht, denn „as conquered and dominated subjects, Indians represented the Other. As this Other, Indians lived in a time very different from that of the British. Their world belonged
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Kosmopolitismen einordnen, die seit dem Weltreich Alexanders des GroBen formuliert wurden, um eine Integration hochst heterogener Zusammenschliisse von Nationen ideologisch zu rechtfertigen und jenseits aller Differenzen ein Gefiihl der Loyalitat fur das (universelle) Ganze zu schaffen.^^ Die Grundlage fiir diese erzwungene „kosmopolitische" Loyalitat der kolonialen Subjekte liefert die scheinbar iiberlegene wissenschaftliche Einsicht der Europaer in alle Bedurfnisse und Entwicklungsprozesse im Orient und insbesondere die universalistischen „neutralen" Denkstrukturen in wissenschaftlichen Disziplinen wie der Geographie. Partha Chatterjee fasst die westliche tJberzeugung, einen iiberlegenen Beobachterstandort zu besitzen - auch bier finden sich wieder deutliche Parallelen zu der Konferenz von Valladolid -, wie folgt zusammen: [T]he scientist is always one of "us": he is a Western anthropologist, modern, enlightened and self-conscious (and it does not matter what his nationality or color of skin happens to be). The objects of study are "other" cultures—always non-Western. No one has raised the possibiHty, and the accompanying problems, of a "rational" understanding of "us" by a member of the "other" culture—of, let us say, a Kalahari anthropology of the white man (1986: 17).
Dadurch werden der Orient und die Orientalen zu bloBen Objekten der westlichen Wissenschaft und jede Aussage der iiberwiegend europaischen und weiBen Orientalisten „conveyed a sense of the irreducible distance separating white from colored, or Occidental from Oriental; moreover, behind each statement there resonated the tradition of experience, learning, and education that kept the Oriental-colored to his position of object studied by the Occidental-white" (Said 1979/2003: 228, Hervorhebung im Original). Die Rollenverteilung im Diskurs des Orientalismus zwischen Orientalisten und Orientalen - die einen schreiben, die anderen werden beschrieben (Said 1979/2003: 308) - definiert sich als Herrschaftsbeziehung, die leicht in den Bereich der Orient-Politik iibertragen werden kann. Damit lasst sich der Orientalismus auch als hegemoniales Projekt im Sinne Gramscis verstehen: als eine, auf die Zivilgesellschaft ausgerichtete Herrschaftsstrategie, die als Erganzung der auf die politische Gesellschaft zielenden kolonialen Strukturen wirkt. Die zentrale Rolle spielt dabei die „hegemony of European ideas about the Orient, themselves reiterating European superiority over Oriental backwardness, usually overriding the possibility that a more independent, or more skeptical, thinker might have had different views on the matter" (Said 1979/2003: 7). to a remote past, separated from the modern world" (Prakash 1990: 8). Vergleiche dazu auch die Ausfiihrungen in Kapitel 6. 17 Es ist zu vermuten, dass Zitate wie dieses mit eine Ursache dafiir ist, dass Edward Said an keiner Stelle den Begriff „Kosmopolitismus" fiir die Kennzeichnung seiner eigenen Haltung verwendet, wahrend er zugleich von seinen Kommentatoren oder Schiilem stets als Kosmopolit par excellence beschrieben wird (vergleiche Parry 1992;Robbins 1997b, 2004).
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Der hier angelegte Gedanke einer moglichen Komplizenschaft der Intellektuellen mit universalisierenden Fremdreprasentationen und Herrschaftssystemen liegt zum einen allein deshalb nahe, da es im historischen Riickblick zumeist wohlwollende humanistische oder universalistische Intellektuelle gewesen sind, die dem Projekt der Orientalistik mit dem Ziel einer objektiven Verbesserung und Zivilisierung des Orients verfalien waren. Auch heute sind es nach Said iiberwiegend Intellektuelle, die das orientalistische Projekt tragen, trotz aller manifesten Hinweise auf die zerstorerischen und morderischen der von ihnen verteidigten Zivilisationsmission (2003b: xxi, Hervorhebung im Original). Diese Intellektuellen v^irken dabei als Jmperial scribes'' (Said 1979/2003: 197), die scheinbar objektiv und unabhangig die Welt des Anderen so beschreiben, dass sie problemlos in ein assimilierendes Projekt eingebunden werden kann und den damit be-schriebenen und unterdriickten Subaltemen keine Moglichkeit lassen, fiir sich selbst zu sprechen. Dieses Problem der intellektuellen Komplizenschaft ist jedoch nicht nur flir den von Said beschriebenen Orientalismus kennzeichnen. Paradoxerweise scheint gerade die Theorie des Postkolonialismus anfallig dafiir, globale Machtstrukturen - und damit auch: ihren eigenen Kontext - auszublenden, denn oft beschreibt sie mit dem Begriff „Postkolonialismus" eine Welt nach dem Kolonialismus und nicht eine Welt, in der die koloniale Erfahrung zu einem - positiv als Ressource, negativ als Abgrenzung - bestimmenden Faktor gev^orden ist (Said 1994/2003), Dadurch gerat jedoch ihr eigener Kontext aus dem Blickfeld und ihre (urspriinglich kritische) Perspektive verwandelt sich zunehmend in denselben distanzierten, unpolitischen Blick, der auch den klassischen OrientaHsten zu Eigen gewesen ist. An dieser Stelle verschiebt sich das Argument der Orientalismuskritik von der epistemologischen oder methodologischen Dimension hin zur normativen. Nicht mehr die fehlerhafte und nur an Herrschaftsinteressen ausgerichtete Perspektive auf die orientalische Bevolkerung steht hier im Mittelpunkt, sondem der Vorwurf an die Intellektuellen, durch die von ihnen vertretenen Ideen in dieses Projekt verstrickt zu sein. Da sich in der Theorie des Postkolonialismus demnach auf ahnliche Weise wie im Diskurs des Kosmopolitismus ein Spannungsverhaltnis zwischen analytischen und normativen Begriffen und Konzepten beobachten lasst, erscheint es uns notwendig, im nun folgenden Abschnitt ausfiihrlicher auf diesen Aspekt einzugehen. 3.3 Analytische und normative Elemente der Postkolonialismustheorie Saids Orientalismusthese und zahlreiche postkolonialistische Theorien, die sich daran anschlieBen, lassen sich nicht allein als deskriptive Ansatze verstehen, die Hegemonic und Herrschaftsprozesse in der Beziehung zwischen dem Westen und dem Orient analysieren, sondem beschreiben sich explizit auch als kritische Theo-
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rien. An die wissenschaftliche Diagnose des Orientalismus schlieBt sich fiir Said (2000h) nahezu zwangslaufig ein normativ-politisches Projekt des Widerstands gegen die zuvor aufgedeckten Denkstrukturen an. Dabei richtet sich das Interesse der Theorie des PostkoloniaHsmus nicht allein auf die theoretische Kritik des orientalistischen Projekts und die darin enthaltenen Herrschaftsstrukturen, sondem auf die Moglichkeiten des praktischen, wenn auch uberwiegend diskursiven Widerstands gegen dieses Projekt. Said betont: „That has always interested me the most. I mean how—given the domination of one or another powerful system, whether economic, social, or political—one can break through [... ] So that is what I found about Orientalism—that you could study it and oppose it" (2001 j : 169). Gegen die Komplizenschaft der europaischen Wissenschaften mit den orientalistischen Herrschaftssystemen formulieren die Theoretiker des Postkolonialismus ihr emanzipatorisches Projekt. Die Analyse des Orientalismus ist also kein akademischer Selbstzweck, sondem in einem kritischen Sinne „angewandte" Forschung. Die wissenschaftliche Herausforderung wird zur Mission eines offentlichen Intellektuellen, denn „[s]ince it seems to me patently impossible to dismiss the truth of Orientalism's political origin and its continuing political actuality, we are obliged on intellectual as well as political grounds to investigate the resistance to the politics of Orientalism, a resistance symptomatic precisely of what is denied" (Said 2000h: 199). Da sich der Diskurs des OrientaHsmus als Kampf um ein diskursives Territorium verstehen lasst, kommt den intellectuels engages wie Joumalisten, Kritikem und Akademikem eine SchlusselroUe zu (Brennan 2004a). Der Intellektuelle ist in dieser Frage keine neutrale Figur mehr und schon gar nicht als distanzierter Beobachter denkbar (Said 20011: 185). Dies trifft besonders auf Edward Said selbst zu, der sich immer wieder als postkoloniale doppelte Identitat - geboren als Orientale, erzogen und gebildet im Westen - beschreibt (Said 20011: 258). Der Gegenpol zu den orientalistischen Fachmenschen, die ihre eigene Teilnahme an der Konstruktion des Orients als objektivierbare wissenschaftliche Tatigkeit betrachten und sich der eigenen Verstrickung in die kolonialen Herrschaftsapparate deshalb nicht bewusst werden, ist der widerstandische Intellektuelle, der sein Engagement nicht nur analytisch-kritisch, sondem auch personlich-biographisch versteht (vergleiche dazu auch Kapitel 4). Die postkoloniale Theorie wendet sich gegen das objektivistisch-distanzierte Nichteinmischungsgebot (oder die Nichteinmischungsillusion) der Sozial- und Geisteswissenschaften, denn dieses gehort zu den wichtigsten Grundlagen fiir die orientalistische Missreprasentation des Anderen (Said 2000g: 144). Die ICritik des Orientalismus ist mehr als eine kritische Analyse von Koloniahsmus und Postkolonialismus. Sie versteht sich wesentlich auch als kritische Praxis (Said 2000b:
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171). Dies beriihrt auch die institutionelle Verortung der Kritiker, die sich nicht wie klassische Orientalisten als Spezialisten verstehen, die ihr Augenmerk nur auf Einzelaspekte des Objekts richten und ihre Verbindungen sowie die politischen Folgen der intellektuellen Aktivitat aus dem Blick verlieren: „Instead of noninterference and specialization, there must be interference, a crossing of borders and obstacles, a determined attempt to generalize exactly at those points where generalizations seem impossible to make" (Said 2000g: 145, Hervorhebung im Original).^^ Mit diesem Fokus auf die Rolle und Position des postkolonialen Intellektuellen wird die Theorie des Postkolonialismus reflexiv und befasst sich nicht ausschlieBlich mit ihrem bisherigen Untersuchungsobjekt der kolonialen oder postkolonialen Representation des Anderen, sondem auch mit der Position der Wissenschaft in der (post)kolonialen Konstellation. Dabei geht es im WesentHchen darum, ob die Postkolonialismustheorie ihren eigenen Anspriichen, Altemativen zu der orientaHstischen Fremdreprasentation des postkolonialen Anderen zu formulieren, iiberhaupt geniigt. Hier lasst sich also eine Selbstanwendung des Postkolonialismus auf sich selbst beobachten, die in ahnlicher Weise auch fiir den neuen Kosmopohtismus im postkolonialen Kontext eine wichtige Rolle spielt. Das Offenlegen einer fremdbestimmten Konstruktionsweise des Orients als des Anderen Europas miindet dabei zunachst in eine spezifische Kritik an der Missreprasentation auBerwestlicher Kulturen - und besonders der Dritten Welt - im Westen ein, an die sich dann jedoch allgemeinere Uberlegungen zur modernen Krise der Reprasentation anschlieBen. Dabei ist das Ziel einer echten Anerkennung des Anderen von Anfang an normativ gesetzt. Die Frage ist nur, wie man zu diesem ethischen Idealbild eines anerkennenden Umgangs mit der Andersheit Anderer gelangen kann. Soil also nicht nur das eigene Bild des Anderen^^ - oder der Andere als ObjekP-^ wie im Fall der Orientalistik - anerkannt werden, sondem der Andere als eigenstandiges Subjekt, so richtet sich der Blick schon bald auf die Moglich18 Nach Said gilt dies paradigmatisch fiir das Unternehmen der Subaltern Studies, das in Kapitel 6 noch ausfiihrlicher dargestellt wird, denn diese Forschungsrichtung „represents a crossing of boundaries, a smuggling of ideas across lines, a stirring up of intellectual and, as always, political complacence" (1988: x), das durch seine Interdisziplinaritat geeignet ist, ein lebhaftes soziales Engagement hervorzurufen. 19 Paradigmatisch zeigt sich dies am westlich-europaischen Blick auf Afrika, den Kontinent, fiir den Achille Mbembe eine lange und bis in die Gegenwart anhaltende Karriere als Spiegel der westlichen Identitat feststellt: „Africa as an idea, a concept, had historically served, and continues to serve, as a polemical argument for the West's desperate desire to assert its difference from the rest of the world. In several respects, Africa still constitutes one of the metaphors through which the West represents the origin of its own norms, develops a self-image, and integrates this image into the set of signifiers asserting what it supposes to be its identity" (2001: 2). 20 Nach Said ist kaum etwas bezeichnender fiir die Perspektive auf den Orient als bloBes Untersuchungsmaterial fiir die europaischen Wissenschaften als die Ankiindigung von Ernest Renans orientalistischen Vorlesungen im College de France als „philologisches Labor" (1979/2003: 139).
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keiten, Bedingungen und Grenzen von Reprasentation iiberhaupt. Der Diskurs der Reprasentationskrise hat eine lange Tradition, die nicht erst mit der Sprach- und Wahrheitskritik Nietzsches ihren Anfang nahm und sich in der Formel von der „Krise der Reprasentation" durch die Geschichte des abendlandischen Denkens hindurch zieht (Said 20001: 293). Ging es in diesem Diskurs zunachst um das rein philosophische Problem des Zusammenhangs zwischen Sprache und der durch sie reprasentierten Realitat, so wurde diese Fragestellung spater ausgeweitet auf politische Kontexte, etwa auf die Moglichkeiten der Reprasentation von Kulturen, Klassen oder „Rassen". Im Falle der orientalistischen Fehlreprasentation liegt es nahe, die intellektuelle Aufgabe zuvorderst in der Entwicklung altemativer Denkmuster zu sehen, die zu einer ethisch besseren Reprasentation des Orients im Westen fiihren. Fiir Said ist diese Aufgabe jedoch in sich widerspriichlich, da das Ziel gerade nicht sein kann, diametrale Denkweisen, also einen „Okzidentalismus", als Alternative zu propagieren: „No former 'Oriental' will be comforted by the thought that having been an Oriental himself he is likely—too Hkely—to study new 'Orientals'—or 'Occidentals'—of his own making" (1979/2003: 328). Daher riihrt, dass er seine Arbeit auch nicht als Verteidigung des Orients, des Islams oder der arabischen Kultur versteht (Said 2000h: 201). Obwohl Said die Missreprasentation des Orients und der Dritten Welt kritisiert, setzt er sich nicht als Ziel, dieser optischen Tauschung irgendein „wahres Bild des Orients" entgegenzusetzen:^^ „[t]he methodological failures of Orientalism cannot be accounted for either by saying that the real Orient is different from Orientalist portraits of it, or by saying that since Orientalists are Westerners for the most part, they cannot be expected to have an inner sense of what the Orient is all about" (Said 1979/2003: 322, Hervorhebung im Original). Der Clou und die Schlagkraft der Orientalismusthese liegt gerade darin, dass ihr Grundprinzip als nahezu unausweichlich formuliert wird. Eine der zentralen Erkenntnisse aus der Reprasentationsdebatte ist schlieBlich, dass es gar keine unverzerrte Reprasentation geben kann, die Realitat exakt abbildet, zumal dann nicht, wenn es sich um so komplexe, heterogene und veranderliche Zusammenhange 21 „The things to look at are style, figures of speech, setting, narrative devices, historical and social circumstances, not the correctness of the representation nor its fidelity to some great original" (Said 1979/2003: 21, Hervorhebung im Original) ist von Anfang an Saids Programm. Dieses an Texten ausgerichtetes Untersuchungsziel ist jedoch gerade von materiaHstischen Postkolonialismusforschern immer wieder angegriffen worden mit dem Vorwurf, dadurch physische Herrschaftsformen und gerade auch das Elend der „Realitat" des Orients zu unterschatzen oder gar auszublenden. Der Fokus auf diskursive Strategien darf aber nicht als Einverstandnis missverstanden werden. Orient und Orientalistik gehorten als Diskurs, als Disziplin, als Leitunterscheidung nicht zur gesellschaftlichen Realitat. Das Gegenteil ist auch fiir Said der Fall: „Orientalism is—and does not simply represent—a considerable dimension of modem political-intellectual culture, and as such has less to do with the Orient than it does with 'our' world" (Said 1979/2003: 12).
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handelt wie ganze „Kulturen". Zudem legt die ethnographische Reprasentationsund Authentizitatsdebatte nahe, dass „Kultur" selbst zu einem groBen Teil das Ergebnis ethnographischer Schreibtechniken ist - und damit eher ein generalisierender literarischer Topos als ein beobachtbarer Forschungsgegenstand (Clifford 1986, 1988; Rosaldo 1986). Auch ein von Edward Said formuliertes Orientbild ware trotz seiner Herkunft aus Palastina ebenfalls eine simplifizierende Projektion und nicht der wahre Orient. Ziel kann deshalb auch nicht sein, den klassischen herrschaftlichen und rassistischen Orientalismus durch eine wohlwollende Spielart zu ersetzen^^, die nicht mehr die Ausbeutung und Kontrolle des Orients, sondern sich seine Verbesserung oder gar das gegenseitige Lernen voneinander auf die Fahne schreibt.^^ In der Kegel ist namlich die Uberzeugung von einer absoluten Uberlegenheit der europaischen Kultur der Ausgangspunkt fiir diese Mission Europas der Entwicklung und Zivilisation anderer Volker: „The claim is that the presence in 'the West' of what was allegedly lacking in 'the Rest' gave 'us' an initial internal development advantage, which 'we' then diffused outward over the rest of the world as the 'civiHzing mission' of 'the white man's burden'" (Frank 1998: 21). Aber auch der von Derrida (1982) eingeforderte vollstandige Verzicht auf eine notwendig mit Gewalt verbundene Reprasentation, kann nicht verwirklicht werden, denn dies bedeutete, dass alle bestehenden, auf Reprasentation beruhenden Herrschaftsformen nicht mehr kritisiert und angegriffen werden konnten. Das Grundprinzip der orientalistischen (oder einer altemativen) Fehlreprasentation scheint unausweichlich zu sein. Bei Said wird jedoch die epistemologische Schlussfolgerung einer generellen Nicht-Angemessenheit jeglicher Reprasentation gerade nicht in einen Totalverzicht auf Reprasentation umgewandelt, sondern er fiihrt an dieser Stelle eine grundlegende poHtisch-moralische Unterscheidung zwischen guten und schlechten Formen von Reprasentation ein. So ist Saids Idealbild des Intellektuellen dadurch gekennzeichnet, dass dieser auch im Angesicht der Macht die Wahrheit spricht und die Anspriiche subaltemer Gruppen in der Offentlichkeit vertritt - sie also reprasentiert: „Speaking the truth to power is no Panglossian idealism: it is carefully weighing the alternatives, picking the right one, and then intelligently representing it where 22 Der Verweis auf den Nutzen der „zivilisierenden" Projekte ist schlieBlich eines klassisches Argumentationsmuster fiir die Legitimation der Imperialismus: ,^very single empire in its official discourse has said that it is not like all the others, that its circumstances are special, that it has a mission to enlighten, civilize, bring order and democracy, and that it uses force only as a last resort" (Said 2003b: xxi). 23 Ganz ahnlich wamen die Vertreter des Postkolonialismus davor, nach einem neuen - nichtwestlichen und antihegemonialen - kritischen Vokabular zu suchen, denn dieses wurde seinerseits nur eine neue Hegemonic entfalten und liefe damit der eigenen Intention zuwider. Stattdessen pladieren sie fiir das prinzipielle Offenhalten und Kontextsensitivitat ihrer kritischen Position (CoUier/Geyer-Ryan 1990a: 8).
3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus it can do the most good and cause the right change" (Said 1994c: 102). Er sieht es sogar als Kemaufgabe des Intellektuellen an, zu reprasentieren (12-13). Damit unterscheidet sich die von Said gewahlte ethische Option, die einer kosmopolitischen Losung des Problems sehr nahe ist, deutlich von poststrukturalistischen Oder postmodemen Ansatzen, die eine prinzipielle Unentscheidbarkeit feststellen und es dann dabei belassen (CoHier/Geyer-Ryan 1990a: 5). Von Beginn an spielt Emanzipation eine zentrale Rolle in der kritischen Postkoloniahsmustheorie und ihren Vorlaufem wie Anwar Abdel Malek, Samir Amin oder C. L. R. James.-^^ Darin liegt der Unterschied zu dem postmodemen Ende der groBen Erzahlungen (Lyotard 1979). Im Vordergrund steht also nicht die Frage nach den iiberlegenen oder minderwertigen Erkenntnismoglichkeiten des Orientalismus, sondem nach den politischen Implikationen und Verkniipfungen des orientalistischen Projekts im Kontext des imperialen Zeitalters. Fiir Said ist der Zusammenhang eindeutig: „OrientaHsm reinforced, and was reinforced by, the certain knowledge that Europe or the West literally commanded the vastly greater part of the earth's surface. The period of immense advance in the institutions and content of Orientalism coincides exactly with the period of unparalleled European expansion" (1979/2003: 41). Da der Orient im Vergleich mit dem Westen nicht als gleichwertig, sondem als minderwertig und unvollkommen erscheint (vergleiche dazu auch Kapitel 6), ist er nicht allein ein zu untersuchendes akademisches Objekt, sondem stellt dariiber hinaus auch ein politisches Problem dar. Die Orientalistik analysiert die orientalische Bevolkerung nicht als menschliche Wesen, sondem allein als Problem, das zu losen oder wenigstens zu unterdriicken ist (Said 1979/2003: 207).^^ Die wissenschaftliche Analyse des Orients geht also direkt in das politische Projekt des Imperialismus iiber. Auch an dieser Stelle wird die Tragweite des orientalistischen Denkens deutlich, das nicht nur auf der Ebene der Ideen oder Diskurse stattfindet, sondem schwerwiegende materielle Implikationen aufweist. Der Blick der Kritik des Orientalismus richtet sich nicht primar auf die epistemologische oder wissenschaftliche Bedeutung der Orientalistik, sondem auf die Machtstrukturen, die dadurch zum einen gestutzt werden und von denen zum anderen die Institutionalisierung der Disziplin selbst abhangig ist: „Orientalism is fundamentally a political doctrine willed over the Orient because the Orient was weaker than the West, which elided the Orient's differences with its weakness" (Said 1979/2003: 24 Damit geht es der Postkolonialismustheorie nicht nur darum, den Nachweis einer bestehenden Abhangigkeit zu fiihren, sondem den BHck auch auf die real-existierenden Widerstandsbewegungen zu richten, denn „the hyphenated form of the word 'post-colonial' has come to stand for both the material effects of colonisation and the huge diversity of everyday and sometimes hidden responses to it throughout the world" (Ashcroft et al. 1995a: 3). 25 Das lasst sich auch in dem verwaltungstechnischen Umgang GroBbritanniens mit seinen Schwarzen Einwohnem zeigen, was Hall etal. (1978) ausfiihrlich darstellen. Vergleiche dazu auch Kapitel 5.
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204). Damit ist die Aufgabe der Kritik fiir Said vor allem, eine Alternative zu der flir den Orientalismus kennzeichnenden Kombination aus einem hierarchisierenden Umgang mit der Andersartigkeit der Anderen sowie der Universalisierung des eigenen (europaischen) Standpunktes zu entwickeln. Das Grundprinzip der Representation wird jedoch von der Kritik des Orientalismus - gerade auch mit Blick auf die strategischen Moglichkeiten, die sich dadurch eroffnen - nicht prinzipiell abgelehnt. Kritisiert wird vor allem die partikulare Umsetzung dieses universalistischen Prinzips im kolonialen Kontext. Dieser Kontext wurde namlich bislang in der orientalistischen Reprasentation des Orients konsequent ausgeblendet, so dass der Orient als statisches und allgemeingiiltiges Phanomen konstruiert v^erden konnte: „The impact of colonialism, of worldly circumstances, of historical development: all these were to Orientalists as flies to wanton boys, killed—or disregarded—for their sport, never taken seriously enough to complicate the essential Islam" (Said 1979/2003: 105). Der Orientalist ist zunachst jemand, der einem fremden Phanomen eine Bedeutung verleiht. Erst die damit verbundenen politischen Intentionen und Herrschaftsapparate konstituieren ein Ensemble, innerhalb dessen die orientalistische Reprasentation kritikwiirdig wird, denn diese Reprasentation hat, wenn nicht die Intention, dann zumindest die Folge, den Orient zum Schweigen zu bringen (Said 2001 f: 32). Die Rekontextualisierung des Orientalismus und die damit verbundene Verweigerung des universalistischen Anspruchs orientalistischer Denkfiguren ist ein wichtiger Ansatzpunkt fiir den Entwurf von Altemativen und „in a series of studies produced in interrelated and frequently unrelated fields, there has been a general advance in the process of breaking up, dissolving, and methodologically as well as critically reconceiving the unitary field ruled hitherto by Orientalism, historicism, and what could be called universalism" (Said 2000h: 211). Ein wichtiges Mittel der postkolonialen Kritik des orientalistischen Denkens ist die Verortung der in diesem Diskurs verwendeten Basisbegriffe in ihren jeweiligen konkreten historisch-politischen Kontexten (Assayag/Benei 2003b: 17). So beschreibt die postkoloniale Kritik die binare Opposition zwischen Orient und Okzident nicht als Universalie, sondem als historisch und raumlich lokalisierbares Denkmuster, so dass deutlich wird, dass diese Begriffe keine neutralen „Denkinstrumente" darstellen, sondem ganz bestimmten politischen Zielen dienen (Said 1979/2003: 227). Auch scheinbar universelle Prinzipien - die Orientalistik formuliert ihre Differenzen zumeist als auBerhistorische, quasi-natiirliche Wahrheiten werden auf partikulare Zusammenhange zuriickgefuhrt, was der erste Schritt ist, die dahinter liegenden Interessen aufzudecken: „Underlying these categories is the rigidly binomial opposition of 'ours' and 'theirs,' with the former always encroaching upon the latter (even to the point of making 'theirs' exclusively a function of
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus
'ours'" (ebd.). Die Kritik an dem universalisierenden Vorgehen der Orientalistik fiihrt gerade nicht zuriick zu lokalen, kleinraumlichen, partikularen Bedeutungen, sondem begreift auch diese fundamentals als historische Kategorien, in denen politische Interessen und Auseinandersetzungen widerhallen (Said 1994/2003: 332). Ebenso wenig wie der orientalistische Universalismus als absolut verzerrt beurteilt wird, sieht die Kritik in den konkreten und lokalen Phanomenen eine absolute Wahrheit. Trotz dieser Einschrankung richtet sich der zentrale Impetus der Kritik des Orientalismus jedoch vor allem gegen die klihle universalisierende und abstrahierende Methode der Orientalistik, die keine Inkonsistenzen und Heterogenitat anerkennt. So betont Said, er versuche, „to preserve [... ] its combination of consistency and inconsistency, its play, so to speak, which can only be rendered by preserving for oneself as writer and critic the right to some emotional force, the right to be moved, angered, surprised, and even delighted" (1994/2003: 340, Hervorhebung im Original). Dabei wird zunachst der AUeinvertretungsanspruch des Orientalismus in Frage gestellt, also die - von wissenschaftlichen, militarischen und okonomischen Macht- und Herrschaftsstrukturen gestiitzte - Uberzeugung, er zeichne trotz aller Vereinfachungen und unabhangig von alien damit verbundenen Interessen ein zutreffendes Bild des „wirklichen" Orients. Charakteristischerweise ist auch die von den Orientalisten verwendete Sprache declarative and self-evident; the tense they employ is the timeless eternal; they convey an impression of repetition and strength; they are always symmetrical to, and yet diametrically inferior to, a European equivalent, which is sometimes specified, sometimes not. For all these functions it is frequently enough to use the simple copula is (Said 1979/2003: 72, Hervorhebung im Original).
Insofem kann auch nicht das Ziel der Kritik sein, den Universalismus orientalistischer Pragung durch irgendeinen anderen Universalismus zu ersetzen - eine Gefahr, der sich auch (oder vielleicht gerade) diejenigen Theoretiker aussetzen, die mit viel Energie gegen Dogmatismen, „Zentrismen" und Universalismen kampfen und „even those theorists like Derrida, who appear to be breaking away from all the structures and the orthodoxies, the logocentrism, phallocentrism, etc., etc., in time became prisoners of their own—I would not call it 'system,' but I would certainly call it their own 'manner'" (Said 2001j: 166). Vielmehr besteht die dahinter liegende Absicht darin, die Perspektivital und Seinsgebundenheit eines jeden Reprasentationsversuches zu verdeutlichen. So erklart Edward Said als kritische Hauptintention seiner Orientalismusstudie: „to equip readers with the critical apparatus to empower themselves through rational debate and argument, rather than through a simple reversal of terms—that is, tearing down Orientalism by putting up Occidentalism in its place" (Viswanathan 2001: xix). Das Ziel ist vorrangig,
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einen kritischen Beobachterstandpunkt zu schaffen und nicht die Parteinahme fiir eine der beiden Seiten der Unterscheidung Orient/Okzident, was das Denken in einander ausschlieBenden Oppositionen nur vertiefen wurde (Said 1994/2003: 338). Die Kritik des Orientalismus versucht damit, die starke binare Opposition eines cultural clash (Huntington 1996) zwischen Orient und Okzident zu unterlaufen und zumindest einen anderen Blick auf diese Denkweisen zu erreichen: My way of doing this has been to show that the development and maintenance of every culture require the existence of another, different and competing alter ego. The construction of identity [... ] involves the construction of opposites and "others" whose actuality is always subject to the continuous interpretation and re-interpretation of their differences from "us" (Said 1994/2003: 331-332, Hervorhebung im Original).
Die Kritik des Orientalismus zeigt sich als Verbindung von epistemologischen und normativen Elementen, wobei das Ziel in dem „Entlemen" verfestigter Denkstrukturen liegt (Said 1979/2003: 28). Nicht die Reprasentation des Orients als solche wird in den Theorien des Postkolonialismus kritisiert, sondem die Tatsache, dass in den meiste Fallen „the Oriental is contained and represented by dominating frameworks" (Said 1979/2003: 40, Hervorhebungen im Original). Die negative Wertung bezieht sich also nicht auf den Orientalismus selbst - das zeigt sich auch in Saids ambivalenten und teilweise sogar bewundemden Umgang mit den romantischen Vertretem der franzosischen Orientalistik - sondern auf den Kontext, der dazu fiihrt, dass aus einer bloBen Idee eine physisch wirksame Herrschaftstechnik wird. Die orientalistische Fehlreprasentation wird also ansatzweise „freigesprochen" beziehungsweise als unausweichlich akzeptiert, so dass sich die ganze Kritik an ihren imperialen sozialen und politischen Kontext richtet. Streng genommen formuliert Said also gar keine Kritik des Orientalismus, sondern eine Kritik der kolonialen Konstellation, innerhalb derer erst das orientalistische Denken die beschriebenen Folgen haben kann. Diese Denkfigur, die ihre Werturteile an dem jeweiligen Kontext ausrichtet, wird uns in den folgenden Kapiteln noch haufiger begegnen, da auch der Begriff des Kosmopolitismus in der Postkolonialismustheorie auf ganz ahnliche Weise situiert und analysiert wird. Auch in Bezug auf das kosmopoHtische Denken sind es weniger die Inhalte, an denen sich der Postkolonialismus abarbeitet als die Beziehungen zwischen den kosmopolitischen Ideen, ihren Tragern und den jeweiligen politischen und sozialen Kontexten (vergleiche dazu auch Kapitel 4). Die Kontextgebundenheit eines jeden wissenschaftliche Projekts, sei es die Disziplin der Orientalistik oder auch ein Gegendiskurs, ist unausweichlich, denn there is no avoiding the fact that even if we disregard the OrientaHst distinctions between "them" and "us," a powerful series of political and ultimately ideological realities inform scholarship today. No one can escape dealing with, if not the East/West division, then
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus the North/South one, the have / have-not one, the imperialist/anti-imperialist one, the white/colored one" (Said 1979/2003: 327).
Dennoch bleibt der Anspruch bestehen, genau diese Dualismen zu durchbrechen, indem sie zunachst in ihrer Beziehung zu ihren soziopolitischen Kontexten untersucht werden, so dass anschlieBend von einer ubergeordneten Beobachterposition Altemativen dazu gesucht werden konnen.^^^ Der markante Unterschied zwischen einer universalistischen Strategie wie der oben beschriebenen klassischen Orientalistik und dem kosmopolitisch zu nennenden Vorgehen Saids liegt jedoch in der Bewusstheit dieser (eigenen) Verortung und moglichen Komplizenschaft. Genau dieser Kontext ist das vorrangige Untersuchungsobjekt der postkolonialen Kritik: „Nowhere do I argue that Orientalism is evil, or sloppy, or uniformly the same in the work of each Orientalist. But I do say that the guild of Orientalists has a specific history of complicity with imperial power" (Said 1994/2003: 341, Hervorhebung im Original). 3.4 Akteure und Beobachter In Kapitel 2 wurde in Anlehnung an Beck die Unterscheidung zwischen Kosmopolitismus als Akteursperspektive (Anerkennung der Andersheit der Anderen) und als Beobachterperspektive (tJberwindung des methodologischen Nationalismus) als eine Basisunterscheidung des kosmopolitischen Denkens vorgestellt. Diese Unterscheidung spielt auch in der Theorie des Postkolonialismus beziehungsweise in Saids Kritik des Orientalismus eine wichtige Rolle, so dass sich hier ein weiterer Beriihrungspunkt zwischen den beiden Theorien erkennen lasst. Liest man die postkoloniale Kritik des Orientalismus auf die hier vorgeschlagene Weise, so kommt man zu folgendem Ergebnis: Gesucht ist zunachst eine alternative Variante des Umgangs mit der Andersheit des Anderen, die sich nicht wie bisher darauf beschrankt, fiir den Orient zu sprechen und ihn damit zu reprasentieren, ohne dabei den Versuch zu untemehmen, den Orient wirklich zu verstehen oder ihn iiberhaupt wahrzunehmen.^^ Dieses Projekt bezieht sich nicht so sehr auf die epistemologische Dimension, da Said sich stets skeptisch zeigt, was die Moglichkeit einer 26 Deutlich wird dies zum Beispiel in der Suche der Historiker der Subaltern Studies nach einer Geschichte, die das sich als universalistisch beschreibende europaische Erbe mit dem partikularen indischen Kontext verbindet (Kapitel 6), oder auch in Paul Gilroys Formulierung einer Alternative zum Konzept der „Rasse", die aber dennoch politische Emanzipationsbewegungen der Schwarzen anerkennt (Kapitel 5). 27 Diese Logik, die sich paradigmatisch bei Arthur James Balfour beobachten lasst, fasst Said wie folgt zusammen: „England knows Egypt; Egypt is what England knows; England knows that Egypt cannot have self-government; England confirmes that by occupying Egypt; for the Egyptians, Egypt is what England has occupied and now governs; foreign occupation therefore becomes 'the very basis' of contemporary Egyptian civilization; Egypt requires, indeed insists upon, British occupation"
3.4 Akteure und Beobachter
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„wahren" oder „authentischen" Reprasentation des Orients angeht. Die normative Grundlage dagegen lasst sich deutlich erkennen, allein schon in der von Said verwendeten Begrifflichkeit: „Perhaps the most important task of all would be to undertake studies in contemporary alternatives to Orientalism, to ask how one can study other cultures and peoples from a libertarian, or a nonrepressive and nonmanipulative, perspective" (1979/2003: 24, eigene Hervorhebungen). Diese MaBgabe richtet sich vor allem an den postkolonialen Theoretiker als Handelnden, als engagierten Intellektuellen. Ziel des Widerstands gegen den Orientalismus ist, das Schweigen des Orients - und allgemeiner auch der globalen Subaltemen (Spivak 1988; Steyerl/Gutierrez Rodriguez 2003) - zu durchbrechen (Said 2000h: 202). Denn mit dem Schweigen wird auch die in der OrientaHstik kaum hinterfragte Behandlung des Orients als Objekt eines westlichen Subjekts fragwiirdig. Das Verhaltnis von orientalischer Absenz und orientalistischer Prasenz ist nach Said also umzukehren (1979/2003: 208). Der Ausgangspunkt fur das kritische Projekt des Postkolonialismus ist fur Said das humanistische Denken^^, beispielhaft verkorpert durch den sich selbst in der Welt verortenden Intellektuellen, der seine Aufgabe darin sieht, die Kontingenz und Implikationen des orientalistischen Denkens offen zu legen und dadurch den Raum fiir Altemativen zu offnen und die Diskussion um neue Stimmen zu erweitem denn „humanism is critique, critique that is directed at the state of affairs in, as well as out of the university [... ] and that gathers its force and relevance by its democratic, secular, and open character" (Said 2004: 22). Das Ziel ist es, einen neuen kritischen Beobachtungsstandort zu schaffen, der aber nicht im epistemologischen Sinne als liberlegen gedacht wird, sondem in einem normativen Sinne „besser", sprich: humanistischer, demokratischer, anerkennender, ist. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu dem kosmopolitischen Beobachterstandort, den Ulrich Beck beschreibt, denn dieser zielt vor allem darauf, eine zutreffendere Beschreibung der sozialen Realitat zu liefem, einer Realitat, deren neuartigen Grundziige durch den nationalstaatlichen Blick nicht erkennbar sind. Saids humanistischer Standort dagegen zielt allein darauf, einen normativ Uberlegenen Standort zu begriinden. (1979/2003: 34). Damit ahnelt die tautologische Grundstruktur des orientalistischen Denkens der von Robert Merton (1948/1968) beschriebenen self-fulfilling prophecy, wenn auch im Fall des Orientalismus diese Art der Realitatskonstruktion im Unterschied zu Mertons Beobachtungen nicht trotz, sondem wegen ihrer institutionellen Arrangements wirkt. 28 Einftihrend bemerkt Said zu seinen humanistischen Wurzeln: „My idea in Orientalism is to use humanistic critique to open up the fields of struggle, to introduce a longer sequence of thought [... ] By humanism I mean first of all attempting to dissolve Blake's mind-forg'd manacles so as to be able to use one's mind historically and rationally for the purposes of reflective understanding and genuine disclosure. Moreover, humanism is sustained by a sense of community with other interpreters and other societies and periods: strictly speaking, therefore, there is no such thing as an isolated humanist (2003b: xxii-xxiii, Hervorhebung im Original)".
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus
Dieser Standort kann zwar als kosmopolitisch im Sinne des philosophischen Kosmopolitismus bezeichnet werden - schlieBlich geht es auch Said darum, einen neuen anerkennenden Umgang mit der Andersheit der postkolonialen Anderen zu etablieren -, jedoch noch nicht als kosmopolitisch im sozialwissenschaftlichen Sinne. Diese Differenz ist vor allem eine Folge von Saids epistemologischen Pessimismus, der sich skeptisch zeigt, was die Moglichkeit altemativer oder der Realitat angemessener Reprasentationsformen angeht. Obwohl Saids Kritik des Orientalismus also keinen einfachen Ausweg aus dem Reprasentationsdilenmia anbietet und sich auch immer prinzipiell der eigenen Komplizenschaft bewusst ist, bleibt sie nicht bei einer negativen Diagnose der umfassenden Totalitat hegemonialer Reprasentationsformen stehen, sondem versteht sich als „Kunst des Trotzdem".^^ Zunachst bewegt sich die Kritik des Orientalismus auf der klassischen aufklarerischen Bahn des Projekts der Demokratisierung. Sie richtet sich expUzit an ein Publikum in der Dritten Welt, fiir das sie als „step towards an understanding not so much of Western politics and of the non-Western world in those politics as of the strength of Western cultural discourse, a strength too often mistaken as merely decorative or 'superstructural.'" (Said 1979/2003: 25, Hervorhebung im Original) gedacht ist. Die Wirksamkeit dieses Vorbilds lasst sich an der globalen Expansion des akademischen Postkolonialismus wie auch an der Entwicklung alternativer Perspektiven auf die eigene Geschichte im indischen Projekt der Subaltern Studies (Kapitel 6) ablesen: Diese Bewegungen zeigen, dass subalteme Bevolkerungen auBerhalb des Westens zunehmend in den Blick des kritischen wissenschaftlichen Interesses geraten und dariiber hinaus auch eigene Deutungen ihrer Geschichte und Gesellschaft produzieren und darin auch rezipiert werden. Die Verbreitung dieses Strangs der Postcolonial Studies lasst sich also auch als eine zunehmende Kosmopolitisierung der Sozial- und Kulturwissenschaften verstehen: als Versuch, sich fiir die Anderen und fiir eine anerkennende Reprasentation ihrer Kultur einzusetzen. Doch das aufklarerische Projekt des Postkolonialismus gerat sehr bald in charakteristische Paradoxien, die dem Prinzip der Reflexivitat geschuldet sind. So fiihrt die Kritik an der Reprasentation des Orients dazu, dass sich auch die Kritiker des Orientalismus reprasentierenden und dadurch universalisierenden Denkweisen 29 Legt man Armin Nassehis (2004) Definition kiitischer Theorien zu Grunde, fiir den die „Asthetik der kritischen Theorie in der klassischen Variante Adomos [... ] eine Asthetik des Ausgeliefert-Seins, der paradoxen Beschreibung der Bedingung ihrer eigenen Unmoglichkeit" entspricht (244), so ist die Kritik des Orientalismus auf der einen Seite ein paradigmatischer Fall einer kritischen Theorie, da sie die Frage nach dem Sprecher - „Who speaks? For what and to whom?" (Said 20001: 300) als universell anwendbare Frage versteht, die auch auf die Kritik selbst zutrifft. Sie greift aber auch iiber die kritische Theorie hinaus, da sie trotzdem zum Handeln auffordert und dieses Trotzdem sogar theoretisch zu begreifen versucht. Auf die pessimistische Diagnose folgt eine optimistische Prognose.
3.4 Akteure und Beobachter
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verschreiben miissen, um einen Ansatzpunkt fiir ihre Kritik zu gewinnen, gerade wenn sie vorwiegend dem Partikularen und Lokalen ihre Aufmerksamkeit widmen wollen. Denn dieser Schwerpunktverschiebung liegt die Annahme zu Grunde, dass lokale Bezuge stets (also universell) einen uberlegenen Zugang zur Wahrheit ermoglichen. In diesem Sinne stellt Bruce Robbins dann auch fest, dass Edward Saids „refusal to speak 'in the name of reflects a history in which the names spoken for have always claimed universality and yet have always left some unnamed and unrepresented. Perhaps, for that reason, it is now the only genuine universalism" (1986: 70). Damit kann also dem Verzicht auf universalisierende Reprasentationsstrategien wiederum eine neue universalistische Bedeutung zukommen, die gerade aus diesem Verzicht eine zentrale Grundlage der postkolonialistischen Kritik des Orientalismus schafft. Auch hier zeigt sich eine inhaltliche Nahe zum ethischen Kosmopolitismus, der in seiner klassischen Variante ebenfalls nach neuen, kosmopolitischen Universalismen gesucht hat. Allerdings erhalt diese Tendenz der Universalisierung im postkolonialen Denken eine charakteristische Wendung, da gerade der Verzicht und die Unmoglichkeit einer angemessenen Representation als neue Universalie vorgestellt wird. Das dahinter steckende normative Schema ist auf den ersten Blick nicht besonders komplex: die orientalistische Reprasentation mit ihrem Anspruch, ein uberlegenes Wissen liber die kolonialen Subjekte zu besitzen, ist eine ethisch falsche Reprasentation, wahrend der Verzicht auf Reprasentation ethisch richtig ist. Schwierig wird es flir die Kritik des Orientalismus jedoch erst an der Stelle, an der deutlich wird, dass mit dem Verzicht auf Reprasentation auch ein Verzicht auf politisches Engagement einher geht, da ohne die Reprasentation der Anderen auch keine politische Parteinahme moglich ist. Der mit guten Absichten eingeschlagene Weg wird zu einer ethischen Falle. Die (vorlaufige) Losung dieses Dilemmas liegt darin, genau diesen performativen Widerspruch von einer Metaposition aus zu beobachten und sich insbesondere dem sozialen und politischen Kontext zuzuwenden, der eine gute Reprasentation in eine schlechte verwandelt. Damit ist auch eine starkere Beachtung der postkolonialen Reflexivitat, also der Position des Kritikers und seiner Kritik in dem jeweiligen politisch-historischen Kontext, verbunden. Ein moglicher Ausweg liegt darin, den Reprasentationsbegriff in zwei verschiedene Bestandteile zu zerlegen, wie Gayatri Spivak es vorschlagt: „The relationship between the two kinds of representation brings in, also, the use of essentialism because no representation can take place—no Vertretung, representation—can take place without essentialism. What it has to take into account is that the 'essence' that is being represented is a representation of the other kind, Darstellung'' (1990c: 109, Hervorhebungen im Original). Die Unmoglichkeit der Reprasentation bezieht sich vor allem auf den methodologisch-epistemologischen Aspekt der Darstellung,
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wahrend der postkoloniale Intellektuellen vor allem im politischen Sinn der Vertretung aufgefordert ist, fur eine angemessenere Reprasentation der kolonialen Anderen einzutreten. Im Zusammenhang mit der Reflexivitat deutet sich eine weitere Paradoxie der Orientalismusthese an, denn Said ist als Kritiker der orientalischen Machtpotentiale selbst auf die Kombination von Wissen und Macht angewiesen, die er als Intellektueller in den USA verkorpert, um als Kritiker iiberhaupt gehort zu werden. Das postkoloniale Denken ist ebenso wie der Orientalismus kein frei schwebendes Ideensystem, sondem eine soziale Praxis, die konkret verortet werden kann. Daher ist es unvermeidbar, dieses Denken hinsichtlich seines Ursprungskontextes, der westlichen akademischen Welt nach dem politischen Ende des Kolonialismus, zu verorten und zu historisieren (Radhakrishnan 1993: 750) - dies gilt jedoch nicht nur fiir Said, sondern allgemein ftir die im westlichen akademischen System eingebettete PostkoloniaHsmustheorie (Slemon 1994/1995: 51-52). Die kritische Mission des Intellektuellen verwendet dabei paradoxerweise dieselben Techniken, die im Zusammenhang mit dem OrientaHsmus zur Unterdriickung der Anderen und zur Festigung der imperialen Herrschaft beitragen. Saids Orientalismusthese kann daher gar nicht als authentische subalteme Stimme aus dem Orient gelesen werden, die sich gegen fremdbestimmte Reprasentationsformen wehrt, sondem allein als Metaanalyse orientalistischer Herrschafts- und Wissensstrategien in oppositioneller Absicht, die jedoch im Prinzip nach einer ahnlichen reprasentierenden Logik operiert wie der Orientalismus. Daran andert nichts, wenn Said selbst mit dieser widerstandischen Lesart sympathisiert und erklart, dass ^Orientalism has been thought of rather more as a kind of testimonial to subaltern status—the wretched of the earth talking back—than a multicultural critique of power using knowledge to advance itself (1994/2003: 335, Hervorhebung im Original). Analog zur Kritik des Universalismus, die selbst ein universalistisches Fundament benotigt, um den Geltungsbereich ihrer Kritik zu definieren, ist auch die Kritik an der orientalistischen Reprasentation nur durch Reprasentation moglich. Dies unterscheidet Said von postmodernen Theoretikem, die jegliche Art von Reprasentation als gewalttatig und schadlich ablehnen, wobei sie ihr Projekt nicht als politisch-normative Intervention ansehen, sondem zumeist als philosophische Reflexion der allgemeinen Moglichkeiten von Reprasentation. Paradoxerweise kommen dem Orientalismus und dem damit verbundenen kolonialen Projekt sogar eine entscheidende RoUe als Ausgangspunkte fiir den Widerstand zu, denn „Orientalism is not finally an annihilating system; rather, in a boomerang effect, it equips its subjects with a critical repertoire that ultimately is used, ironically, to contest Orientalism's power and reach" (Viswanathan 2001: xv). An dieser Stelle offenbart sich also ein zentraler Widerspruch des Postko-
3.5 Universalismus, Partikularismus und der Begriff des Irdischen
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lonialismus. Denn, wahrend die westliche Herrschaftstechnik des Orientalismus zunachst als genaues Gegenteil von Emanzipation, Selbstbestimmung oder Anerkennung von Andersheit erscheint, stellt ebendieser Orientalismus und die mit ihm verbundenen Wissensstrukturen, Archive, Institutionen, Prozeduren mitunter die einzige Ressource dar, um gegen diese Hegemonie zu kampfen. Macht und Gegenmacht, das wird hier deutlich, lassen sich also nicht prinzipiell von einander unterscheiden.^^ Ganz ahnlich taucht auch das Vermachtnis der Aufklarung auf beiden Seiten der Gleichung auf: zum einen versteht sich Orientalismus - in seiner wohlwoUenden Spielart - als Politik der Aufklarung und Zivilisierung und Kampf gegen Ruckstandigkeit und Tradition. Zum anderen stellt die Aufklarung das Fundament fiir die Kritik am Orientalismus dar (Said 2003b: xxx). Orientalismus wirkt also nicht nur zerstorend und ausloschend, sondem potentiell auch ermoglichend Oder gar emanzipativ. 3.5 Universalismus, Partikularismus und der Begriff des Irdischen Ein weiteres Konzept aus dem Diskurs des Postkolonialismus, das einen Ausgangspunkt fur die Formulierung von Kosmopolitismen im postkolonialen sozialen Kontext liefert, ist der Begriff des „Irdischen" (im Original: ^worldliness''), der cine spezifische Form der Beziehung zwischen Universalismus und Partikularismus beschreibt. Dieses Konzept hat Edward Said aus den Arbeiten Erich Auerbachs (1929/1969; 1946/1959) abgeleitet, der es als Instrument zur Analyse weltHcher Beziige in der Dichtung verwendet. Im urspriingHchen Sinn bedeutet dieser Begriff zunachst nicht viel mehr als die Feststellung, dass sich Texte und ahnliche Reprasentationsformen stets in der Welt befinden und demzufolge auch von vielfaltigen Kontexten beeinflusst werden (2004: 49). Diese Weltlichkeit ist der Begriff eines diskursanalytischen Beobachters, der in den Texten - und dies trifft vor allem auf das orientalistische Denken zu - danach sucht, auf welche Weise dort der jeweilige partikulare kulturelle und ideologische Kontext unterdrlickt, geleugnet oder verzerrt wird, um auf diese Weise den Eindruck von Universalitat und Distanzierung aufrechtzuerhalten (Said 1994/2003: 345). Aus der Perspektive dieses Ansatzes erscheinen literarische Texte nicht mehr als isolierte „Bedeutungsbehalter", sondern als Produkte, die sich in einer bestinomten Welt „zurechtfinden", in ihren Verbindungen und Bezligen selbst eine Welt darstellen und schlieBlich in ihrer Welt Position beziehen, also stets engagiert sind (Said 2001g: 86). Doch bei Said erfahrt 30 Auf ahnliche Weise beschreibt auch Michel Foucault das Verhaltnis von Macht und Widerstand, wenn er schreibt: „Where there is power, there is resistance, and yet, or rather consequently, this resistance is never in a position of exteriority in relation to power" (1978b: 95).
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dieser Begriff dann eine Wendung, die ihn zu einem wichtigen Erkenntnismittel fiir den postkolonialen sozialen Kontext macht. Der Grundgedanke dieses Konzeptes ahnelt zunachst dem Begriff der Seinsgebundenheit in der Mannheimschen Wissenssoziologie^^. Im Unterschied dazu verschiebt sich jedoch der Fokus von dem Bedeutungsfeld der Ontologie, das im Verweis auf das „Sein" anklingt, auf die Verortung in sozialen und politischen Kontexten in einer „realen historischen Welt" (Said 2004: 48) Wahrend die wissenssoziologische Seinsgebundenheit als unausweichlicher sozialer Gmndsachverhalt formuliert wird, ist Saids Begriff der „Weltlichkeit" starker politisch ausgerichtet. Im Vordergrund steht hier also die Analyse einer „Politik der Epistemologie" in die auch der postkoloniale Beobachter und Theoretiker eingebunden ist, denn there is no vantage outside the actuality of relationships between cultures, between unequal imperial and non-imperial powers, between different Others, a vantage that might allow one the epistemological privilege of somehow judging, evaluating, and interpreting free of the encumbering interests, emotions, and engagements of the ongoing relationships themselves (Said 20001: 306, Hervorhebung im Original).
Der Begriff des , Jrdischen" wird vor allem deshalb zu einem moglichen Ausgangspunkt fiir den postkolonialen Kosmopolitismus, da er in einer charakteristischen Doppelbewegung zugleich auf lokale/partikulare Phanomene wie auf weltweite / universelle hinweist. Dies entspricht genau der Grundstruktur des Neuen Kosmopolitismus, der minimale Anspriiche auf universelle (planetarische) Normen und Begriffe nicht aufgibt, zugleich aber auf seine (irdische) Verwurzelung hinweist. Die Verortung von Diskursen wie dem Orientalismus muss nicht zwangslaufig auf partikulare Interessen hindeuten, denn auch diese lokalen Bezugspunkte konnen sich in Wirklichkeit auch als Kreuzung transnationaler oder gar globaler Strukturen entpuppen. An diesen Punkten beriihren sich lokale und globale Kreise: „Worldliness is therefore the restoration to such works and interpretations that can only be accomplished by an appreciation not of some tiny, defensively consituted comer of the world, but of the large, many-windowed house of human culture as a whole" (Said 20001: 382, Hervorhebung im Original). Auch in diesem Verweis auf das heterogene „groBe Haus der menschlichen Kultur" zeigt sich deutlich eine Parallele zu kosmopolitischen Theorien wie zum Beispiel von Martha Nussbaum. Damit kann der Begriff „worldliness" eine kosmopolitische Synthese zwischen Universalismus und Partikularismus beschreiben. Dennoch ist an dieser Stelle noch einmal auf Saids beharrliche Ablehnung des Begriffs „Kosmopolitismus" hinzuweisen. Saids Begriff des Kosmopolitismus wird zwar an keiner Stelle genauer ausgefiihrt, aus verschiedenen Textstellen lasst sich jedoch herauslesen, dass sich 31 Vergleiche dazu ausfiihriicher Kettler etal. (1984); Mannheim (1952/1965).
3.5 Universalismus, Partikularismus und der Begriff des Irdischen
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Saids negatives Verstandnis des Kosmopolitismus auf den klassischen ethischen Kosmopolitismus und die Figur des Kosmopoliten als desinteressierten, entbetteten und elitaren Reisenden bezieht, der sich, nirgendwo zuhause, voUig frei von lokalen Beziigen bewegt (vergleiche fiir ein ahnliches negatives Verstandnis von Kosmopolitismus auch Kapitel 4). Als Alternative dazu fordert Saids Konzept des „Irdischen" Innerweltlichkeit und politisches Engagement: „When I talk about worldliness, I don't just mean a kind of cosmopolitanism or intellectual tourism. I'm talking about the kind of omnipotent interest which a lot of us have that is anchored in a real struggle and a real social movement" (Said 2001b: 140-141). An die Stelle eines hauptsachlich asthetisch begriffenen Kosmopolitismus setzt Said einen engagierten politischen Humanismus, idealtypisch verkorpert in der auf Julien Benda (1978) zuriickzufiihrenden Figur des Intellektuellen als jemanden, der auch im Angesicht der Macht an der Wahrheit festhalten kann. „Speaking truth to power" lautet die von Said (1994c) immer wieder zitierte Formel. Das Prinzip des Irdischen wird, wie oben schon angedeutet, vor allem auf die Disziplin und Reprasentationsform der Orientalistik bezogen. Die von der Orientalistik festgestellten und festgeschriebenen Unterschiede und Konflikte zwischen Orient und Okzident werden in einen bestimmten historisch-politischen Kontext eingeordnet (das imperiale Zeitalter) und dadurch ihres Status als zeitlose Wahrheiten enthoben. Diese Verweltlichung und Historisierung des Orientalismus, der sich die Orientalistik lange Zeit durch ihre Berufung auf Wissenschaftlichkeit und eine universelle Rationalitat entzogen hat (Said 1979/2003: 110), ermoghcht dann auch die Kritik der darin konstruierten Differenzen (Said 1994/2003: 352). Welthchkeit wird zu einer Herausforderung fiir das kritische Engagement in Diskurssystemen wie des Orientalismus, der in dieser Betrachtungsweise seine auBerweltlichen Stellung verliert und fiir politische Veranderungsstrategien zuganglich wird.^^ Der weltliche Kritiker ist weltlich nicht nur in dem Sinne, dass er sein eigenes Engagement als sakulares und aufgeklartes Projekt betrachtet (Said 1994c: 120), sondem auch darin, dass er sich nicht auf isolierte und partikulare Einzelphanomene konzentriert, sondem den Kontext dieser Phanomene, ihre Welt, mit in den Blick nimmt. Dariiber hinaus flihrt die Beobachtung der Orts- und Zeitabhangigkeit von Epistemen und Diskursen nach Said in ihrer reflexiven Wirkung zu einer antidoktrinaren Position, die sich nicht auf den Standpunkt zurlickzieht, unrevidierbare Wahrheiten gefunden zu haben, sondern stets auch mit der Moglichkeit der eigenen Revision rechnet. Aber nicht die Phanomene des Orientalismus werden durch diese Perspektive „verweltlicht", sondern auch die Kritiker selbst. Wie orientalistische Wissensstra32 In einem ahnlichen Sinne spricht Gayatri Chakravorty Spivak (1990b, 1993) von dem „worlding" der Diskurse und Herrschaftstechniken im Prozess der sprachlichen und textlichen Aneignung der Welt.
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tegien miissen auch ihre eigenen Theorien mit politischen oder okonomischen Interessen in Verbindung gebracht werden (Said 2000d: xv, Hervorhebung im Original). Auch die Kritik des Orientalismus kann nicht in einem luftleeren Raum agieren, sondem ist immer schon als Beobachter wie auch als Akteur verortet. Said stellt hierzu fest: I did not feel that I could give myself over to the view that an Archimedean point existed outside the contexts I was describing, or that it might be possible to devise and deploy an inclusive interpretative methodology that could hang free of the precisely concrete historical circumstances out of which Orientalism derived and from which it drew sustenance (20001: 300).
Der Forscher kann sich nicht aus der Analyse ausschlieBen. Indem Said den Orientalismus verweltlicht und seinen Anspruch auf uberzeitliches Wissen entzaubert, ist er aufgefordert, dieselben Prinzipien auch auf sich selbst anzuwenden, will er sich nicht der spiegelbildlichen Kritik aussetzen, er brachte nur neue UniversaHsmen ins Spiel. Indem er also die Weltlichkeit jeglichen Wissens und Handelns zur Basispramisse (und dadurch wieder: zur Universalie) macht, kann der postkoloniale Theoretiker keine Position auBerhalb der Welt mehr einnehmen und muss sich und seinen historischen und politischen Kontext - zum Beispiel als exilierter orientalischer Intellektueller in New York wie Edward Said - selbstreflexiv in seine Analyse einschlieBen: „Worldliness originally meant to me, at any rate, some location of oneself or one's work, or in the work itself, the literary work, the text, and so on, in the world, as opposed to some extra-worldly, private, ethereal context" (Said 2001a: 335-336). Gerade im Bereich der Theorie des Postkolonialismus zeigt sich also sehr deutlich die problematische Frage nach dem Zusammenhang zwischen Theoretiker und Theorie, zwischen sozialem Kontext und Inhalten der Theorien. So wird Gyan Prakashs Frage „What does it mean to live in the West and write about a place over which it has exercised dominance for nearly three centuries?" (2003: 115) zu einer Grundfrage von Sozialwissenschaft im postkolonialen Kontext. Genau dieses Spannungsfeld ist es dann auch, das zu einer neuen reflexiven Wendung des Kosmopolitismus in seiner postkolonialen Manifestation fiihrt. Das Grundmodell, das sich hier beobachten lasst und das in den folgenden Kapiteln ausfiihrlicher dargestellt wird, stellt die Beziehung zwischen der reinen Idee des Kosmopolitismus, die auch von den Theoretikem des Postkolonialismus positiv gewertet wird (wenn auch, wie im Fall Saids unter anderen Bezeichnungen wie etwa „Humanismus") und dem sozial, politisch und historisch verorteten Diskurs des Kosmopolitismus in den Mittelpunkt der Betrachtungen.
3.6 Exil als Beobachterstandort
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3.6 Exil als Beobachterstandort Aus dem Konzept des Irdischen ergibt sich das Desiderat der postkolonialen Kritik des Orientalismus, einen Beobachterstandort zu konstruieren, von dem aus Universalismus und Partikularismus in einer Synthese verbunden werden konnen, die sowohl dem planetarischen Kontext als auch der lokalen Erdung kolonialer und postkolonialer Phanomene Rechnung tragt (Said 2004: 56). Auch in der Behandlung dieses Dilemmas von Universalismus und Partikularismus besitzt der Riickgriff auf die eigene Person und Biographic einen besonderen Stellenwert.^^ Denn Saids „irdisches" oder „geerdetes" Modell der Zugehorigkeit geht nicht von einer stabilen und eindeutigen Lokalisierung von Personen und ihren Interessen aus, sondem nimmt sic jeweils in einem Spannungsfeld zwischen der zugeschriebenen Filiation in Bezug auf die Vergangenheit und der selbst gewahlten Affiliation oder Wahlverwandtschaft in Blick auf die Zukunft wahr. Said verdeutlicht diese Unterscheidung zwischen der quasi-natiirlichen Filiation und der voluntaristischen Affiliation am Beispiel des deutschen Humanisten Erich Auerbach, der sich wahrend des Zweiten Weltkrieges im Istanbuler Exil aufhielt: Auch wenn Auerbach [... ] sich nicht in Europa aufhielt, ist sein Werk doch tief in der Wirklichkeit Europas verwurzelt und ermoghchten ihm die besonderen Umstande seines Exils zugleich eine konkretere und kritische Wiederentdeckung Europas. Auerbach ist ein gutes Beispiel sowohl fiir Filiation - durch das Abstammungsverhaltnis zu seiner Ursprungskultur - wie auch fur Affiliation - durch das Adoptions verb altnis, das er als Exilierter, dank seines kritischen BewuBtseins und seiner Arbeit als Gelehrter eingeht (Said 1997: 27, Hervorhebungen im Original).
Exil beschreibt in dieser Theorietradition nicht nur die Distanz und Trennung von der eigenen Heimat und Herkunft, wie dies der alltagliche Sprachgebrauch suggeriert. In der Position des Exils verbirgt sich zudem selbst eine Dialektik zwischen Filiation und Affiliation oder zwischen der „irdischen" Verwurzelung und einer „planetarischen" Distanz.^"* Diese Dialektik, die das Exil als paradigmatischen Ort eines Neuen Kosmopolitismus erscheinen lasst, zeigt sich schon bei dem scholastischen Theologen Hugo von St. Viktor im 12. Jahrhundert, der die 33 Dies gilt auch in den Augen der Kommentatoren. So bemerkt Eqbal Ahmad (1994), dass „Edward Said is among those rare persons in whose hfe there is coincidence of ideals and reahty, a meeting of abstract principle and individual behavior. Since the publication of Orientalism (1978), the word 'courageous' has been used often to describe his writings" (8). 34 Damit unterscheidet sich der Begriff des „Exils" von dem Begriff des „Pilgers", der in der Manifestation des Einsiedlers die Distanzierung von allem Irdischen nahezu in Reinform beschreibt: „The desert is the archetype and the greenhouse of raw, bare, primal and bottom-line freedom that is but the absence of bounds" (Bauman 1996: 20). Der mittelalterliche Einsiedler ist damit „unbound by habit and convention, by the needs of their own bodies and other people's souls, by their past deeds and present actions. In the words of the present-day theorists, one would say that the hermits were the first to live through the experience of 'disembeded', 'unencumbered' selves" (21).
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(Selbst)entfremdung des Philosopher! als unentbehrliche Schulung seines Geistes vorschlagt: „The man who finds his homeland sweet is still a tender beginner; he to whom every soil is as his native one is already strong; but he is perfect to whom the entire world is as a foreign land. The tender soul has fixed his love on one spot in the world; the strong man has extended his love to all places; the perfect man has extinguished his." (Hugh of Saint Victor 1961: 101).^^ Das Exil wird hier also zu einer idealtypischen Kombination aus „The Home and the World" ^^ - zwei Begriffen, die bislang als einander ausschlieBend gedacht wurden, in den Theorien des Neuen Kosmopolitismus jedoch kombiniert werden oder sich gar iiberlappen wie etwa in der autobiographischen Figur des kosmopolitischen Patrioten bei Appiah (1998).^'^ Im Begriff des Exils zeigt sich also genau dieselbe Ambivalenz, die auch dem gesellschaftlichen Diskurs des Kosmopolitismus eigen ist. Auf der einen Seite erscheint Exil als Flucht, als Herauslosung aus den bisherigen sozialen und kulturellen Kontexten und das Ergebnis dieses „disembedding" ist das isolierte, vereinsamte Individuum - das negative Bild des Kosmopoliten als Vaterlandsverrater und jemanden, der nirgendwo zu Hause ist. Auf der anderen Seite bedeutet exiHsche Distanz aber auch einen verfremdeten, neuen Blick auf die eigene Herkunftsgemeinschaft und kann daher (ebenso wie der „kosmopolitische Blick") auf methodologischer Ebene ein erkenntnisforderliches Element darstellen (Cohen 1997: 170): A critique of culture and imperialism that situates itself on the borders and boundaries of knowable communities, intellectual systems, and critical practices, celebrating the unhoused and decentered counter-energies generated by the displaced critical consciousness, enacts a theoretical mode symptomatic of a postcolonial cosmopolitanism which 35 Dieser Ausspruch, der sich auch auf die Biographic des deutsch-franzosischen Theologen beziehen lasst (Taylor 1961: 36-37), ist im Ubrigen selbst ein Beispiel fiir eine faszinierende theoretische Reise - er wird von Erich Auerbach (1967b), der lange Zeit im Exil in Istanbul verbrachte, zitiert, von Tzvetan Todorov (1985), einem im Frankreich lebenden Bulgaren, sowie schlieBlich von Edward Said, der zu dem Zitat bemerkt, „that the 'strong' or 'perfect' man achieves independence and detachment by working through attachments, not by rejecting them. Exile is predicated on the existence of, love for, and a real bond with one's native place; the universal truth of exiles is not that one has lost that love or home, but that inherent in each is an unexpected, unwelcome loss" (Said 1994a: 336, Hervorhebung im Original). 36 So der Titel eines Romans des iiberzeugten Kosmopoliten und bengalischen Nationaldichters Rabindranath (Tagore 1919), der sich schon friih mit dem Konflikt zwischen kosmopolitischen und patriotischen Haltungen auseinandergesetzt hat. 37 Auch die von Paul Gilroy (1993) beschriebenen Intellektuellen des black Atlantic lassen sich zu einem groBen Teil als Exil-Intellektuelle bezeichnen. Zum einen ist diese Bewegung als Flucht zu deuten, denn: „Whether their experience of exile is enforced or chosen, temporary or permanent, these intellectuals and acrivists, writers, speakers, poets, and artists repeatedly articulate a desire to escape the restrictive bonds of ethnicity, national identification, and sometimes even 'race' itself (19). Doch ihr Exil bedeutet eben nicht nur eine Distanzierung von ihrem Herkunftskontext, sondem der Aufenthalt vieler dieser Personen in Europa bildet einen wichtigen Ausgangspunkt fiir die von ihnen sehr bewusst ausgeiibten Politiken der Verortung und Identitat (18).
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proclaims its multiple detachments and occupancy of a hybrid discursive space (Parry 1992: 19).
Das postkoloniale Exil verweist also nicht auf eine freischwebende Position, die allefiliativenBindungen durchtrennt hat, sondem auf die Moglichkeit einer Verbindung von Affiliation und Filiation. An keiner Stelle ist also von einer vollstandigen Distanzierung von dem Herkunftszusammenhang die Rede, sondem jeweils von einer Balance zwischen Verwurzelung und Mobilisierung oder der Verortung im Zwischenraum zwischen Herkunftskontext und gegenwartiger Position. Anders als das vormodeme Exil, beschreibt Exil im postkolonialen sozialen Kontext keinen klaren Schnitt zwischen beiden Zusammenhangen mehr (im Sinne eines Entwederoders), sondern eine charakteristische Hybridform: „The exile therefore exists in a median state, neither completely at one with the new setting nor fully disencumbered of the old, beset with half-involvements and half-detachments, nostalgic and sentimental on one level, an adept mimic or a secret outcast on another" (Said 1994c: 49). Als Folge der Aufmerksamkeit auf die epistemologischen Implikationen der Exilposition lasst sich auch eine Aufwertung des Exils beobachten, das friiher ausschlieBlich als Strafe empfunden wurde, da es gleichbedeutend mit einer endgiiltigen Entwurzelung oder Verbannung war: „In premodem times banishment was a particularly dreadful punishment since it not only meant years of aimless wandering away from family and familiar places, but also meant being a sort of permanent outcast, someone who never felt at home, and was always at odds with the environment" (Said 1994c: 47). Dieser Perspektivwechsel fordert zudem eine Neuausrichtung von dem kulturellen Motiv der Filiation hin zur starkeren Beriicksichtigung gewahlter Zugehorigkeiten und Solidaritaten, die (identitats)politischen Interessen und Entscheidungsprozessen zuganglich ist. Affiliation beschreibt hier zum Beispiel die Fahigkeit des Kosmopoliten, sich selbst in neue Zusammenhange und soziale Beziehungen zu setzen, die nicht mehr zwangslaufig von nationalstaatlichen Grenzen umschrieben werden, sondem eine globale Ausdehnung besitzen konnen (Said 1994b: 56). Diese neuen Verbindungen machen zudem altemative Moglichkeiten des Zusammenlebens vorstellbar und erfahrbar. Das setzt allerdings voraus, dass der Exil-Intellektuelle auch gegeniiber seiner Exilposition ein gewisses MaB an Distanz wahrt und sich nicht vollstandig assimiliert. Damit verweist Said auf das klassische Ziel des ethischen Kosmopolitismus, partikulare und vor allem nationale Bindungen zu transzendieren und sich selbst vor allem in der Zugehorigkeit zu den umfassendsten Kategorien wie der Menschheit oder der Vemunft wahrzunehmen. Im Unterschied zu dem kosmopolitischen Ideal ist Saids Ziel jedoch nicht das Wiedergewinnen eines natlirlichen Zustands, sondem ganz im Gegenteil die bewusste (kontingente) Entscheidung fiir eine be-
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stimmte politische Zugehorigkeit und Mission. Zudem stellt er die perturbierenden Auswirkungen der kosmopolitischen Loyalitat in den Vordergmnd, die bei ihm nicht als Bedrohung, sondem als eine Art kreative Zerstorung beschrieben wird, durch die neue Formen des Umgangs mit den Anderen moglich und vor allem vorstellbar werden. Aber auch hier ist die Dialektik der Zugehorigkeit zu beachten, die dazu fiihrt, dass diese neue, voluntaristische Affiliation in identitatspolitischen Schachziigen zur Ausgrenzung der Anderen oder zur nndssionarischen Universalisierung des eigenen Ausgangspunktes fiihren kann: „The exile is offered a new set of affiliations and develops new loyalties. But there is also a loss—of critical perspective, of intellectual reserve, of moral courage" (Said 2000j: 183). Denkt man diesen Gedankengang zu Ende, dann lauft dies auf die Entstehung einer neuen Ordnung hinaus, die zwar kontingent und menschengemacht ist, aber dennoch nicht weniger zwingend ist als die alte Ordnung der Natur. Zuletzt droht dann, dass auch die neu erfundenen Gemeinschaftsformen dazu verwendet, „jene Autoritat wiederherzustellen, die die vergangene angestammte Ordnung besaB" (Said 1997: 32). Als Beispiel fur den Blick wie auch die spezifischen Zwickmiihlen, die sich aus einer Exilposition ergeben, verweist Said immer wieder auf sich selbst als Randganger oder Exilant, als „Christian Arab; raised in the Middle East but almost exclusively Western-educated; a political activist who is yet broadly cultured in quite traditional, even conservative, ways" (Sprinker 1992b: 2-3), der auf Grund dieser Verortung nicht ausschlieBlich einer Kultur zugeordnet werden kann, sondem zwischen den Kulturen steht, so dass seine Zugehorigkeit nicht eindeutig angegeben werden kann, sondern politischen EinflUssen ausgesetzt ist: „You always have the feeling you don't belong. You really don't belong. Because you don't really come from here. And the place you do come from, someone else is saying it's not yours, it's his. So even the idea of where you come from is always challenged" (Said 200Ih: 456). Insofem uberrascht es kaum, wenn er die eigene biographische Mobilisierung und Exilierung sowie seine vielfachen Querungen der postkolonialen Grenzen zwischen Orient und dem Westen als wichtige Bedingung der Moglichkeit seiner Kjritik des Orientalismus beschreibt Said (1994/2003: 336). Die kritische Arbeit ist in diesem Fall also nicht nur affiliativ, sondem auch filiativ motiviert, was ein Aspekt ist, den Said - diese Strategic ist aber auch bei vielen anderen Theoretikem des Postkolonialismus von zentraler Beutung - immer wieder herausstellt, etwa im folgenden Zitat: „Much of the personal investment in this study derives from my awareness of being an 'Oriental' as a child growing up in two British colonies [... ] In many ways my study of Orientalism has been an attempt to inventory the traces upon me, the Oriental subject, of the culture
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whose domination has been so powerful a factor in the life of all Orientals" (Said 1979/2003: 25). Dieser Beschreibung nach fallen Theorie und Theoretiker des Postkolonialismus in eins und die von ihm vertretene kritische Position ist ein Ergebnis seines sozialen Kontexts. Vor allem dadurch, dass er sich selbst sowohl im Orient als auch im Westen verortet, kann er die „reinigende" oder „klarende" (Latour 1998) Denkweise des Orientalismus analysieren und entlarven. In der postkolonialen Konstellation wird der fiir die Kritik notwendige doppelte Blick wie schon bei Simmel (1908/1992) durch die exilische Entfremdung und Distanzierung erreicht (Said 2000j: 184):^^ „Most people are principally aware of one culture, one setting, one home; exiles are aware of at least two, and this plurality of vision gives rise to an awareness of simultaneous dimensions, an awareness that—^to borrow a phrase from music—is contrapuntal (Said 2000j: 186, Hervorhebung im Original). Der postkoloniale soziale Kontext mit seiner Verdopplung oder Hybridisierung von Zugehorigkeiten erscheint hier als Grundlage eines kosmopolitischen Beobachterstandorts, von dem aus die exklusiven Entweder-oder-Modelle von Zugehorigkeit und Identitat als historisch kontingent entlarvt werden konnen. Diese Reflexivitat der postkolonialen Theorie fiihrt aber auch dazu, dass nicht nur die im Objektbereich analysierten Diskurse wie etwa der Orientalismus verortet und historisiert werden konnen, sondem dieses Vorhaben auch auf den Theoretiker selbst ausgedehnt wird. Dadurch, dass er selbst in seine eigene Theorie eintritt, ist er aufgefordert, im Sinne Gramscis ein „Inventar des Selbst" anzufertigen. Sich selbst verorten heiBt damit, die eigenen Beweggriinde wie auch Privilegien off en zu legen. Das Exil erfahrt letztlich also eine prinzipielle Umwertung. Wurde es bislang als beeintrachtigende Zwangslage und als erzwungene Ortsveranderung empfunden, so wird es im postkolonialen Kontext zur Grundlage fiir die Einiibung eines kritischen Blicks: „I have argued that exile can produce rancor and regret, as well as a sharpened vision. What has been left behind may either be mourned, or it can be used to provide a different set of lenses" (Said 2000d: xxxv). Dabei besteht in der postkolonialen Deutung des Exils als iiberlegenen Beobachterstandort, von dem aus der Herkunftskontext klarer gesehen werden kann als bisher, jedoch die Gefahr, dass das Exil zu positiv dargestellt wird und nur noch die affiliativen Moglichkeiten betont werden, wahrend die Entfremdung von der eigenen Herkunft ignoriert wird. Dies fiihrt dann zu der Frage, ob nicht der Allgemeinbegriff Exil weiter 38 Ein ganz ahnlicher Gedanke findet sich bei Paul Gilroy (1993), der zum verbreiteten Phanomen der Europareisen schwarzer Intellektueller aus den USA anmerkt: „It is only by being outside, far removed from the rootedness which will later appear as the sine qua non of black cultural production, that the ex-coloured man can imagine completing the special creative project that he had only glimpsed while in the United States" (132).
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differenziert werden muss in verschiedene Formen gewahlter und erzwungener, privilegierter und lebensbedrohlicher Exilierung. Womoglich wird hier ein Bild des Exils verwendet, das nur auf eine geringe Fallzahl zutrifft - vor allem auf den akademisch gebildeten postkolonialen Theoretiker, fur den seine „verlorene" Heimat jeweils nur wenig Flugstunden entfemt ist. Said erkennt diese Ambivalenz zwar an und weist immer wieder auch auf die negativen Implikationen des Exils hin^^, dennoch kann er den Eindruck nicht ausraumen, dass fur ihn die primare Bedeutung des Exils in seiner Aufforderung zur kritischen Mission liegt, obwohl diese Deutung nur auf eine ganz kleine Gruppe Betroffener zutrifft: I speak of exile not as a privilege, but as an alternative to the mass institutions that dominate modem life. Exile is not, after all, a matter of choice: you are bom into it, or it happens to you. But, provided that the exile refuses to sit on the sidelines nursing a wound, there are things to be learned: he or she must cultivate a scmpulous (not indulgent or sulky) subjectivity (Said 2000j: 184, Hervorhebung im Original).
Auch hier lasst sich eine deutliche Verwandtschaft zum Diskurs des Kosmopolitismus feststellen, denn ein wichtiger Unterschied des Neuen Kosmopolitismus im Vergleich zu seinen universalistischen Vorlaufem ist eine Blickverschiebung in der Figur des Kosmopoliten. Wurde dieser Begriff friiher als gleichbedeutend mit privilegierten und mobilen Weltbiirgem gesehen, so riickten in den 1990er Jahren zunehmend auch erzwungene, marginalisierte und subalteme Formen des Kosmopolitismus in den BHck. Diese Entwicklung bezieht sich vor allem auf das sozialwissenschaftliche Argument des Kosmopolitismus, dass KosmopoHtisierung mittlerweile zu einem durchgreifenden Phanomen geworden ist und auch (oder: gerade) die unteren Schichten erfasst hat. In den Theorien des Neuen Kosmopolitismus wird die Figur des Weltbiirgers in der Regel als Negativfolie verwendet, vor deren Hintergrund dann demonstriert wird, wie sich das Personal der KosmopoHtisierung tiefgreifend gewandelt hat und nun nicht mehr der privilegierte weltlaufige Connoisseur, sondern der gesichtslose Zwangsmigrant aus der Dritten Welt das Sinnbild fur die Entwicklung einer neuen Art von Kosmopolitismus ist: „In the past the term has been applied, often venomously, 'to Christians, aristocrats, merchants, Jews, homosexuals, and intellectuals.' Now it is attributed, more charitably, to North Atlantic merchant sailors, Caribbean au pairs in the United States, Egyptian 39 Ein Beispiel dafiir ist folgendes Zitat: „Exile is strangely compelling to think about but terrible to experience. It is the unhealable rift forced between a human being and a native place, between the self and its true home: its essential sadness can never be surmounted. And while it is tme that literature and history contain heroic, romantic, glorious, even triumphant episodes in an exile's life, these are no more than efforts meant to overcome the crippling sorrow of estrangement. The achievements of exile are permanently undermined by the loss of something left behind forever" (Said 2000J: 173).
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guest workers in Iraq, Japanese women who take gajin lovers" (Robbins 1998b: 1, Hervorhebung im Original). Auch die Bedeutung kosmopolitischer Orte verandert sich so und neben den privilegierten Weltbiirgern findet sich immer haufiger auch das kosmopolitische Elend der Migranten und sans-papiers: „Paris may be a capital famous for cosmopoHtan exiles, but it is also a city where unknown men and women have spent years of miserable loneliness: Vietnamese, Algerians, Cambodians, Lebanese, Senegalese, Peruvians" (Said 2000j: 176). Fiir Pollock et al. (2000) sind diese Personengruppen sogar beispielhaft flir die postkoloniale Kosmopolitisierung: „Cosmopolitans today are often the victims of modernity, failed by capitalism's upward mobility, and bereft of those comforts and customs of national belonging. Refugees, people of the diaspora, and migrants and exiles represent the spirit of the cosmopoHtan community" (582). Dariiber hinaus wird das Exil in dieser inklusiven kosmopolitischen Bedeutung zu einer charakteristischen Erfahrung der conditio humana des Westens, da die modeme westliche Kultur, vor allem wenn man an das Wirken der Emigranten aus dem nationalsoziaHstischen Deutschland in den USA denkt, zu einem groBen Teil von Exilanten, Emigranten und FliichtHngen gepragt wurde (Said 2000j: 173). Das Exil, das in friiheren Zeiten zwar ebenfalls transnationale Beziehungen hervorrufen konnte und eine neue Perspektive auf die eigene Herkunft ermoglichte, aber dennoch eine individualisierte Erfahrungsweise darstellte, wird im 20. Jahrhundert zur Massenerfahrung (Said 2000j: 174). Paradoxerweise ahnelt die Darstellung des distanzierten, kosmopolitischen Blicks des Intellektuellen im Exil, der ihm ermoglicht, Alternativen zu formulieren, dem distanzierten, universalisierenden Blick des Orientahsten, dem „imperialen Blick" (Pratt 1986b), der ebenfalls Zusammenhange wahmimmt, die aus der Akteursperspektive in dieser Form nicht erkannt werden konnen. Im Unterschied zum Exil-Intellektuellen ist der imperiale Agent jedoch gerade nicht engagiert, sondem distanziert. Dariiber hinaus kann die eigene Verortung als Exil-Intellektueller als positives Distinktionsmerkmal verwendet werden und zum Ausgangspunkt einer paradoxen „kosmopolitischen Identitatspolitik" werden, in der alles Partikulare und Verortete als riickstandig diskriminiert wird. Said vermutet, dass exiles are always eccentrics v^ho feel their difference (even as they frequently exploit it) as a kind of orphanhood. Anyone who is really homeless regards the habit of seeing estrangement in everything modern as an affectation, a display of modish attitudes. Clutching difference hke a weapon to be used with stiffened, the exile jealously insists on his or her right to refuse to belong (2000j: 182, Hervorhebung im Original).
Paradigmatisch wird die eigene kosmopolitische Identitat von einigen Autoren aus der Dritten Welt wie zum Beispiel Salman Rushdie oder V. S. Naipaul als positives Distinktionsmerkmal hervorgehoben und zu einem Zeichen der Uberlegenheit
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus
liber den eigenen Herkunftskontext (vergleiche dazu ausfiihrlicher Abschnitt 4.3). Womoglich lasst sich Ahnliches auch liber das Vorgehen der Theoretiker des Postkolonialismus sagen. Hier droht nach Said die Gefahr, dass der Intellektuelle seine eigene Exilposition zu einem Fetisch macht und daraus eine distanzierte, zynische - das Wort erinnert nicht ohne Grund an den Kosmopolitismus der antiken Kyniker - Lebenspraxis entwickelt: „At this extreme the exile can make a fetish of exile, a practice that distance him or her from all connections and commitments. To live as if everything around you were temporary and perhaps trivial is to fall prey to petulant cynicism as well as to querulous lovelessness" (2000j: 183). Fasst man das Gesagte zusammen, beschreibt Exil in der postkolonialen Theorie eine zwiespaltige Position, die auf der einen Seite einen liberlegenen epistemologischen Standort signalisiert (eine Art „kosmopolitischen Blick"), von dem aus gesellschaftliche und kulturelle Alternativen sichtbar werden. Das Exil ist in dieser Bedeutung ein Ort der Kreativitat, von dem aus eine neue, alternative Welt denkbar (Said 2000J: 181) und die Konstruktion des Anderen als „weltliche", kontextualisierbare Angelegenheit klar erkennbar werden. Die Exilposition ahnelt auch darin der Beschreibung des sozialwissenschaftlich-kosmopolitischen Beobachterstandortes, da der Exil-Intellektuelle nach Said von dort aus die Kontingenz kultureller Unterschiede und die Konstruiertheit von Grenzen und Abgrenzungen im Rlickgriff auf das eigene Erleben und die eigenen Erfahrungen wahmehmen kann: „The exile knows that in a secular and contingent world, homes are always provisional. Borders and barriers, which enclose us within the safety of familiar territory, can also become prisons, and are often defended beyond reason or necessity. Exiles cross borders, break barriers of thought and experience" (2000j: 185). Auf der anderen Seite birgt das Exil aber auch die Gefahr eines neuen Chauvinismus, der droht, den rigiden Dogmatismus des Nationalismus zu ersetzen durch ein mindestens ebenso rigides „kosmopolitisches Dogma" des Freischwebens, so dass sich der in seiner Theorie noch in fragilen Zwischenpositionen verortende Exil-Intellektuelle womoglich in Wirklichkeit schon an einem neuen festen Ort, einer rigiden Ideologic niedergelassen hat, ohne dass ihm dies bewusst wird (Said 1994c: 58). Daher betont Said an vielen Stellen die Bedeutung von Beweglichkeit und den Vorteil des antisystemischen Vorgehens, das sich gegen jegliches Erstarren wehrt (Said 1994c: 121). Ziel des postkolonialen Exil-Intellektuellen ist also, jeglichen Dogmatismus abzulegen und sich als kosmopolitischer Reisender in verschiedenen Welten zugleich heimisch zu fiihlen - „acting as if one were at home wherever one happens to be" (Said 2000j: 186) - und sich in unterschiedliche Kulturen einzuflihlen.^^ Das Bild dieses Reisenden 40 Mit diesem Fokus auf Empathie als Methode kniipft Said (2003b) ebenfalls an Erich Auerbach an und stellt fest: „The main requirement for the kind of philological understanding [... ] was one that
3.6 Exil als Beobachterstandort
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depends not on power but on motion, on a willingness to go into different worlds, use different idioms, and understand a variety of disguises, masks, and rhetorics. Travelers must suspend the claim of customary routine in order to live in new rhythms and rituals. Most of all, and most unlike the potentate who must guard only one place and defend its frontiers, the traveler crosses over, traverses territory, and abandons fixed positions, all the time (Said 2000i: 404, Hervorhebung im Original).
Der statische Begriff der Exilposition wird bei Said also umgewandelt in das mobile Konzept des Reisenden, der immer wieder Grenzen iiberschreitet und sich Begegnungen mit den Anderen stellt. Dieses Idealbild, das Said an seine eigene Biographie zuriickbindet, ist damit der Ausgangspunkt fiir die Entwicklung einer kosmopolitischen Epistemologie im postkolonialen sozialen Kontext."^^ Das zentrale Kennzeichen dieses Erkenntnisstandortes ist seine prinzipielle Vorlaufigkeit. Damit ahnelt diese Position dem in der Ethnologie immer wieder beschriebenen liminalen Stadium (Turner 1970), in dem sich soziale Zugehorigkeiten und Konzepte im Ubergang zwischen zwei statischen Konfigurationen befinden, wodurch vor allem die Kontingenz und Historizitat sozialer Kategorien deutlich wird. Der Standort des postkolonialen Exilanten fiihrt damit zu ganz ahnlichen Ergebnissen wie die im sozialwissenschaftlichen Kosmopolitismus beschriebene Kritik der zumeist nicht hinterfragten Grundbegriffe einer auf nationalstaatlichen Grenzziehungen basierenden Soziologie. Zudem darf das Exil, auch darin ahnelt es dem kosmopolitischen Beobachterstandort, nicht als ausschlieBlich positiv verstanden werden, denn es ist unwahrscheinlich, dass dieser Perspektivwandel ohne Konflikte vonstatten geht; gerade im Exil spielen Konkurrenz, Abgrenzung und das Ziehen neuer Grenzen eine zentrale Rolle: „Exile is a jealous state. What you achieve is precisely what you have no wish to share, and it is in the drawing of lines around you and your compatriots that the least attractive aspects of being in exile emerge: an exaggerated sense of group solidarity, and a passionate hostility to outsiders, even those who may in fact be in the same predicament as you" (Said 2000j: 178, Hervorhebung im Original). Sogar nationalistische Interessen konnen durch die Exilierung verstarkt werden; beide Pole lassen sich mit Said als dialektisches Verhaltnis verstehen: sympathetically and subjectively entered into the life of a written text as seen from the perspective of this time and its author [... ] Rather than alienation and hostility to another time and another different culture, philology as applied to Weltliteratur involved a profound humanistic spirit deployed with generosity and [... ] hospitality. Thus the interpreter's mind actively makes a place in it for a foreign Other" (Said 2003b: xxv, Hervorhebung im Original). Mit dem ethisch-politischen Begriff der GastHchkeit und dem epistemologischen der Empathie spielen hier wieder Schltisselbegriffe der Theorie des Kosmopolitismus zentrale RoUen. 41 Ein Beispiel ftir diese Art gelebter transnationaler Epistemologie ist auch die Soziologin und Ethnologin Ay§e Caglar, die von Kanada aus die turkisch-deutschen Gemeinschaften in Kreuzberg untersucht (1994; 2002).
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus Nationalism is an assertion of belonging in and to a place, a people, a heritage. It affirms a home created by a community of language, culture, and customs; and, by doing so, it fends off exile, fights to prevent its ravages. Indeed, the interplay between nationalism and exile is like Hegel's dialectic of servant and master, opposites informing and constituting each other. All nationalisms in their early stage develop from a condition of estrangement" (2000J: 176).
3.7 Postkolonialismus und Kosmopolitismus Bevor wir uns in den nachsten drei Kapiteln unseren Fallstudien zum Kosmopolitismus im postkolonialen sozialen Kontext zuwenden, ist an dieser Stelle noch einmal kurz auf die Beriihrungspunkte zwischen Kosmopolitismus und Postkolonialismus einzugehen und damit sowohl Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede darzustellen, die den Ausgangspunkt fiir die Entwicklung eines spezifisch postkolonialen Kosmopolitismus abgeben. Die wesentlichen Begriffe, die in den folgenden Erorterungen im Vordergrund stehen, sind: Paradoxie, Reflexivitat und Komplizenschaft. Ein wichtiges Argument im Diskurs des Postkolonialismus bezieht sich auf die grundlegende Doppellogik des postkolonialen Moments. Denn Postkolonialismus versteht sich weniger als Kennzeichen fiir eine Ara nach dem Kolonialismus, sondem vereint beide Kontexte, den kolonialen und postkolonialen, in einem Zusammenhang. Er beschreibt nach Olaniyan das „Interregnum" zwischen der imperialen und einer postkolonialen Weltordnung im engeren Sinne (1993: 746). Der postkoloniale Moment verbindet die politische Unabhangigkeit der Postkolonie von den ehemaligen Kolonialherren mit dem Fortbestehen kolonialer Abhangigkeiten (Ashcroft etal. 1995a: 2) sowie der wissenschaftlich gestutzten Reproduktion dieser Abhangigkeitsbeziehung (Olaniyan 1993: 743), fiir die der in Abschnitt 3.1 angesprochene Orientalismus nach wie vor das Paradebeispiel ist. Das Konzept des Postkolonialismus verbindet einen Fokus auf Diskontinuitaten zwischen dem kolonialen und dem postkolonialen Moment, blickt aber gleichzeitig auf neue Erscheinungsformen der kolonialen und orientahstischen Praktiken (Shohat 1992: 106). Postkolonialismus in seiner wortlichen Bedeutung als Zustand des Denkens nach dem Ende des Kolonialismus oder jenseits des Kolonialismus besitzt somit nur als unmoglicher und zuklinftiger Begriff im Sinne Derridas (1991; 2003b) eine Bedeutung, denn 'the colonized' was not a historical group that had won national sovereignty and was therefore disbanded, but a category that included the inhabitants of newly independent states as well as subject peoples in adjacent territories still settled by Europeans [... ] The experience of being colonized therefore signifies a great deal to regions and peoples of the world whose experience as dependents, subalterns, and subjects of the West did not end—to paraphrase from Fanon—when the last white policeman left and the last European flag came down (Said 20001: 294).
3.7 Postkolonialismus und Kosmopolitismus
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Es geht der Postkolonialismustheorie also vor allem darum, den postkolonialen sozialen Kontext nicht entweder in seiner Bedeutung fiir die ehemaligen Kolonien oder fiir die ehemaligen Kolonialherren zu beschreiben, sondem als System, das es vermag, beide Perspektiven zu vereinen (Said 2000d: xxv). Kennzeichnend fiir den postkolonialen Moment ist sowohl die historische Dekolonisierung als auch die immer weiter zunehmende Durchlassigkeit zwischen Peripherie und Zentrums beziehungsweise die Schwierigkeit, zwischen den beiden Polen iiberhaupt trennscharf zu unterscheiden: „The center itself is marginal" (Minh-Ha 1991/1995: 216). So pragen Kultur und Diskurs des Kolonialismus nach wie vor die Postkolonien. Die postkoloniale Identitat spiegelt immer noch die Perspektive der Herrschenden auf ihren kolonialen Anderen wider, lasst sich dennoch nicht darauf reduzieren (Collier/Geyer-Ryan 1990a: 7). Postkolonialismus beschreibt vor allem nicht und das verbindet diesen Begriff mit analogen Wortschopfungen wie Postfordismus oder Postmodeme (Appiah 1991) - einen Zustand, der zeitlich nach dem Kolonialismus anzusiedeln ist und sich durch die Abwesenheit des Kolonialismus auszeichnet, sondern ganz im Gegenteil einen Zustand, der ausschliefilich durch die vorherige koloniale Prasenz denkbar ist. Geschichtliche Entwicklungen oder Erinnerungsraume sind aus dieser Perspektive also genau wie im Zusammenhang des sozialwissenschaftlichen Kosmopolitismus nicht mehr ausschlieBlich national zu denken, sondern als transnationale Verflochtenheit. Said illustriert dieses Phanomen vor allem an der gemeinsamen Geschichte der Palastinenser und Israelis und verwendet den musiktheoretischen Begriff des „Kontrapunkt" um die Beziehung der beiden nationalen Erzahlungen zu veranschaulichen (Said 1979, 1994a; Brennan 2005). Dieser Fokus auf die Verwobenheit nationaler oder kultureller Geschichten beruft sich ebenfalls auf den Begriff des Irdischen oder Weltlichen, da „both the dominant and the subaltern peoples in imperialism actually shared the same irreducibly secular world. And if so, there was only one worldly cultural space, the common possession of all humankind, and also a universal language of rights and ideals, in which to wage the struggle for liberation and inclusion" (Said 2000d: xxviii). Die postkoloniale Klritik gerat dadurch jedoch in einen performativen Widerspruch, denn die Kritik am Post- oder Neokolonialismus lauft immer auch Gefahr, die Grundlagen der postkolonialen Kritik mit zu vemichten. So beinhaltet das postkoloniale Projekt stets eine Kritik des Eurozentrismus wie auch des essentialistischen und dichotomischen Denkens, besonders in seiner extremen Auspragung des Orientahsmus (Said 2000d: xv). Dennoch sind es haufig genau diese eurozentristischen Herrschaftstechniken und Institutionen, die in den Handen der Subaltemen als Waffe gegen die westliche Hegemonic verwendet werden (Olaniyan 1993:
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus
747).'^^ Mit Olaniyan lasst sich dieser Zusammenhang zwischen Postkolonialismus und Postkolonialismustheorie aber auch auf eine weitere Art lesen, denn das Projekt des Postkolonialismus oder der Kritik des Orientalismus kann selbst als Fortsetzung einer eurozentrischen Denkweise beschrieben werden, fiir die nach wie vor das Handeln Europas die wichtigste Determinante der Weltgeschichte ist und der europaische Kolonialismus ein „Generalschlusser' zur postkolonialen Gegenwart in den ehemaligen Kolonien (Olaniyan 1993: 745). Zugleich, und hierin steckt die ganze Ambivalenz des postkolonialen Denkens, ist diese eurozentrische Voreingenommenheit geradewegs unentbehrlich, will man iiberhaupt (gerade im Westen) einen Diskurs fiihren, der die Gewalt der europaischen Herrschaft des Kolonialismus zum Thema hat (746). Denn: womoglich wiirde das endgultige Ende des Eurozentrismus gerade auch das Ende eines kritischen Diskurses des Eurozentrismus implizieren. Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass es der Postkolonialismustheorie nicht um das Ersetzen des eurozentristischen Blicks durch eine andere Perspektive gehen kann („Westemizing the West" (Said 1994a: 311)) - oder auf dem Gebiet der komparativen Literaturwissenschaft um die Ersetzung des westlichen Kanons durch einen neuen Kanon, der auch den Blick des Anderen einschlieBt -, sondem zunachst darum, bislang verdeckte Spuren des Anderen in den Diskursen des Westens zu entdecken, zum Beispiel in den literarischen Klassikem: „That strikes me as really interesting, because it's not just dislodging one and putting in another one, but is really an act of engagement with it and doing something quite different than just substituting for and displacing it. There are various kinds of projects of writing back, revising, reappropriating" (Said 2001b: 154). Das Ziel ist also gerade nicht die Zerstorung von Eurozentrismus, Orientalismus, Kolonialismus, sondem eine widerstandische Aneignung dieses Materials in der Peripherie bis hin zur strategischen Mobilisierung des eurozentristischen Universalismus als Waffe gegen die koloniale Hegemonic. Auch hierfiir ist eine Veranderung (sprich: Kosmopolitisierung) des Blickes notwendig, der die bereits bestehenden transnationalen Verbindungen sowie die Moglichkeiten einer gegenhegemonialen Aneignung der westlichen Universalismen wahmimmt und dafiir einsetzt, den verdrangten kolonialen Anderen ihre Stimme zuriickzugeben. Paradoxerweise beruht die emanzipatorische Mission der postkolonialen Kritik gerade auf der Appropriation der hegemonialen Denkfiguren des Eurozentrismus und Kolonialismus. 42 Dieser Sachverhalt wird nach Parker vor allem durch den Bindestrich zwischen „posf' und „coloniaV' versinnbildlicht, der ins Gedachtnis ruft, „that one of the key features that marked the origin of the practice, as well as the theories of postcolonialism [... ] was that some of those who had acquired the forms and skills imported from those spaces commonly referred to as the 'West' would use those theories in insurgent ways against that 'West'" (2001: 37).
3.7 Postkolonialismus und Kosmopolitismus
113
Damit ist, wie bereits weiter oben erwahnt, eine Umwertung von westlichen kosmopolitischen Begriffen wie „Hybriditat", „Exir', „Entbettung" verbunden. In den folgenden Kapiteln ist zu zeigen, welche Bedeutung diese paradoxe Aneignung des Westens in den Postkolonien fiir die Entwicklung postkolonialer Theorien des Kosmopolitismus haben kann. In ihren normativen Aspekten versteht sich die postkoloniale Kritik am Orientalismus nicht als Versuch, die orientalistische Fehlreprasentation, die die „Orientalen" ihrer Stimme beraubt, durch eine andere Representation zu ersetzen, die mehr der Wahrheit entsprache. Die postkoloniale Theorie akzeptiert das Dilemma, dass auch eine „fairere" Representation nach wie vor eine Fremdreprasentation ware, die sich mit dem Orient als Objekt beschaftigt und die Position des reprasentierenden Wissenschaftlers auf ahnliche Weise ausklammert. Stattdessen richtet die Kritik des Orientalismus ihr Hauptaugenmerk auf das Reflexiv-Werden der postkolonialen Kritik. So gelangt Said letztlich trotz seines epistemologischen Pessimismus zu dem optimistischen Schluss, dass die „worldwide hegemony of Orientalism and all it stands for can now be challenged, if we can benefit properly from the general twentieth-century rise to political and historical awareness of so many of the earth's peoples" (1979/2003: 328). Dahinter verbirgt sich auch die bereits erwahnte empirische Annahme, dass im postkolonialen Moment gar keine isolierten Nationalgeschichten mehr denkbar sind und es daher zu einer vorrangigen Aufgabe der postkolonialen Kritik wird, „[to] think the narratives through together within the context provided by the history of imperialism, a history whose underlying contest between white and nonwhite has emerged lyrically in the new and more inclusive countemarrative of liberation" (Said 20001: 314). Hierfur spielt vor allem der Blick aus dem Exil ein wichtige Rolle, denn er ermoglicht der postkolonialen Kritik eine andere Betrachtungsweise der Verbindungen von bislang als isoliert gedachten Kulturen oder Geschichten: „Exile, immigration, and the crossing of boundaries are experiences that can therefore provide us with new narrative forms or [... ] with other ways of telling" (Said 20001: 315, Hervorhebung im Original). In methodologischer Hinsicht wird zum Beispiel deutlich, dass das homogenisierende Konzept der Nationalidentitat und ihrer klaren Abgrenzbarkeit im kolonialen Kontext ein Instrument ist, subalteme Kulturen als homogen behandeln zu konnen, die damit besser beherrschbar oder zivilisierbar werden. Differenzen zwischen unterschiedlichen Gruppen kolonialer Subjekte werden unterdriickt, so dass alle Orientalen mit denselben unveranderlichen und abwertenden Merkmalen bedacht werden konnen (Said 2000e: 419). Auf der anderen Seite lauft die postkoloniale Kritik jedoch Gefahr, als Folge ihrer konstruktivistischen Auflosung kultureller und ethnischer Identitatszuschreibungen gerade den subaltemen Kulturen in einem System, das der Feststellbarkeit authen-
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus
tischer Identitaten und Anspriiche groBe Bedeutung beimisst, wichtige Ressourcen entzieht (Said 2004: 41)^^ Der wissenschaftlich begriindete und in Reaktion auf orientalistische Fremdzuschreibungen von Identitat entwickelte Antiessentialismus kann also als nicht-intendierte Nebenfolge im normativen Sinne genau das Gegenteil bewirken als ursprtinglich intendiert (vergleiche dazu auch Kapitel 5). Bereits in den Abschnitten iiber den Orientalismus und die Kritik dieser Denkweise wurde deutlich, dass sich die postkoloniale Kritik weder fiir ein universalisierendes Vorgehen - wie es die wissenschaftliche Orientalistik in der Abstrahierung der vielen Einzelphanomene zu dem Gesamtbild „Orient" demonstriert hat - noch fiir ein partikulares in Reinform entscheiden kann. Zwar spielt in der Postkolonialismusforschung der Fokus auf lokale, regionale und kontingente Bezuge als Korrektiv des westlichen universalisierenden Denkens und der neoliberalen Globalisierungsideologie eine wichtige Rolle (vergleiche Kapitel 4). Zugleich werden diese partikularen Schwerpunkte jedoch mit universalistischen Zielen verbunden. Ein charakteristisches Beispiel fiir diese Kombination, die dem Ziel der Synthese aus Universalismus und Partikularismus in vielen Neuen Kosmopolitismen sehr ahnelt, ist das politische Engagement Saids fiir das Schicksal der Palastinenser, deren mediale Fremdreprasentation er als paradigmatisch fiir das orientalistische Denken gegen Ende des 20. Jahrhunderts beschreibt (Said 1979,1981). Der Kampf um die palastinensische Selbstbestimmung wird von Said (2000f) nicht allein als partikulare, regionale Auseinandersetzung gesehen, sondern in den umfassenderen Kontext des antikolonialen Kampfes der Dritten Welt gestellt: The Palestinian cause as a universalist cause was thus bom at a time when it was possible for us as a people to see ourselves in a different context than the bleak one provided by the defeated Arabs. We saw ourselves as a Third World people, subjected to colonialism and oppression, now undertaking our own self-liberation from domination as well as the liberation of our territory from our enemy (545-546).
Zudem sind die normativen MaBstabe wie etwa das Recht auf Selbstbestimmung, das Verbot der religiosen Diskriminierung oder das Verbot von Vertreibungen, die an diese Frage herangetragen werden, universalistischer Pragung (Said 1979: xvi). Die vorrangige Aufgabe des kritischen Intellektuellen ist fiir Said also, partikulare Schicksale zu universalisieren, so dass sie in der globalen medialen Aufmerksamkeitsokonomie iiberhaupt wahrgenommen werden und dank ihrer Universalisierung auch in sozial entfemten Kreisen anschlussfahig werden^^ - dass sich somit kosmopolitische Solidaritat daran entfalten kann: „For the intellectual the task, I believe, 43 Vergleiche zu dem Spannungsfeld zwischen den institutionell erwarteten essentiellen und authentischen Identitaten und dem kosmopolitischen Begriff der Hybridisierung und dem Prinzip der sozialen Konstruktion auch Clifford (1988: 277-348). 44 Dies lasst sich auch fiir die moderne Reprasentation des Holocaust sagen, der mit zunehmender historischer Distanz immer starker als universelles Paradigma dargestellt wurde und damit auch auf
3.7 Postkolonialismus und Kosmopolitismus
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is explicitely to universalize the crisis, to give greater human scope to what a particular race or nation suffered, to associate that experience with the sufferings of others" (Said 1994c: 44). AhnHch wie der universalistische Kosmopohtismus von Martha Nussbaum (1994) sieht auch der kritische Humanismus von Edward Said eine wichtige Bildungsaufgabe in der kosmopoHtischen Ausdehnung der sozialen Kreise, konzentriert sich aber anders als Nussbaum auf kulturelle Dimensionen und weniger auf philosophisch-politische: „Education involves widening circles of awareness, each of which is distinct analytically while being connected to the others by virtue of worldly reality [... ] In the process of widening the humanistic horizon, its achievements of insight and understanding, the framework must be actively understood, constructed and interpreted. " (2004: 76). Diese Aufgabe kann nur von einem postkolonialen Intellektuellen wahrgenommen werden, der sich so weit von dem eigentlichen Schauplatz distanzieren kann, dass er einen Zugang zur offentlichen Meinung an anderen Orten hat und das partikulare Leid in universelle Zusammenhange einordnen kann. AUein der kritische Intellektuelle kann sich durch seine reale oder gedachte Lageveranderung soweit von der Totalitat der orientalistischen Reprasentation entfemen, um einen „unabhangigen" Blick auf diesen Zusammenhang werfen zu konnen. Zugleich darf er aber auch nicht so stark distanziert sein - oder frei schweben -, dass er selbst nur eine verzerrende, „orientalisierende" Sichtweise auf sein Objekt besitzt. Der „abstrakte", nicht kontextualisierte Universalismus, wie er im Orientalismus eine zentrale Rolle spielt, wird von der Theorie des Postkolonialismus abgelehnt, da er partikulare Differenzen leugnet und durch seinen imperialen Blick den Anderen nicht als Subjekt anerkennt. Zudem lauft er Gefahr, sich in ein dogmatisch vereinfachendes Denksystem, eine „quasi-religiose Synthese" (Said 2000g: 128) zu verwandeln. SchlieBlich konnen Universalismen nur dann eine universelle (oder hegemoniale) Geltung erfahren oder lange Zeit aufrechterhalten werden, wenn sie von begleitenden Herrschaftsstrukturen politisch, okonomisch oder militarisch gestutzt werden. Insofem spricht sich Said konkret gegen einen abstrakten Universalismus aus, der jeweils die Sicht des machtigsten Akteurs, etwa der USA, widerspiegelt (200le: 390). Vor allem, wenn universalistische Denkfiguren verwendet werden, um Einheiten wie die gesamte Menschheit zu reprasentieren, sieht Said die Gefahr der Vereinnahmung, wie sie auch im orientalistischen Denken immer wieder zu beobachten ist: „Whenever 'humanity' or 'mankind' was used it seemed immediately to reflect the truth that its user spoke for, could speak for, mankind, at the expense of most of mankind, which couldn't" (2001f: 28). andere Falle von Volkermord und auf andere Opfergmppen angewendet werden konnte (etwa auf den „Annenischen Holocaust"). Vergleiche dazu vor allem Levy and Sznaider 2001 sowie Beck etal. 2004.
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus
In Bezug auf das wissenschaftliche Vorgehen der Orientalistik lehnt Said den Gedanken der einen, allumfassenden Wahrheit ab und zeichnet das Bild einer pluralisierten Welt, in der viele lokale Bedeutungen - miteinander in Konflikt geratend oder einander akzeptierend - nebeneinander stehen, aber trotzdem durch bestimmte genealogische Bezuge miteinander verflochten sind (Said 2000h: 214). Auch die westliche oder europaische Wissenschaft wird nicht mehr als privilegierter Zugang zu dem Anderen gesehen, sondem nur als eine Moglichkeit neben anderen, die allesamt in ihren spezifischen historischen und politischen Kontexten - zum Beispiel dem Projekt des Kolonialismus - analysiert werden miissen, was aber auch bedeutet, dass scheinbar getrennte lokale Kontexte durch einen gemeinsamen Kontext (paradigmatisch: die Erfahrung der Kolonialisierung) ebenfalls im Zusammenhang betrachtet werden miissen. Die postkoloniale Theorie verfallt an dieser Stelle also nicht der relativistischen Illusion inkommensurabler (Wissens)kulturen, sondem ist bemiiht, schwache universalistische Verbindungslinien zwischen diesen nachzuweisen und insbesondere auf die politischen Bedeutung oder Instrumentalisierungen solcher Verbindungen - im Sinne einer „Theoriepolitik" oder ^politics of theory'' (Barker et al. 1983) zu fokussieren. Paradoxerweise ist es dabei eine Absicht der Kritik, den Universalismus des Orientalismus als partikularistisches westliches Projekt zu entlarven und dadurch den Weg in Richtung eines neuen Universalismus zu ebnen, der eine wirklich universelle Bedeutung besitzt oder gerechter ist. Die Kritik des Universalismus ist nicht als vemichtende Kritik zu verstehen, sondem als rettende: „If Westem humanism was discredited by its practices and hypocrisy, these needed to be exposed, and a more universal humanism enacted and taught" (Said 2000d: xxviii). Genauso deuthch wie das universalisierende Vorgehen des Orientalismus und die assimilierende Fremdreprasentation des Anderen abgelehnt wird, richtet sich die postkoloniale Kritik gegen die partikularistische Identitatspolitiken oder politics of blame. Gerade aus der Perspektive der Kritik des Orientalismus wird deutlich, dass jeglicher Umgang mit den Anderen jeweils eine bestimmte (Fremd)definition dieser Anderen voraussetzt, die wiederum mit politischen Interessen und Kontexten in Verbindung gebracht werden kann. Insofem kann auch der Blick auf das Partikulare oder Lokale keinen iiberlegenen Zugang zur Wahrheit versprechen, denn sowohl das „Selbst" als auch der „Andere" sind hier keine stabilen Signifikanten mehr, sondem in politische Prozesse wie auch geopolitische Machtstrukturen eingebettet: „These two words, 'difference' and 'othemess,' have by now acquired talismanic properties [... ] Yet the most striking thing about 'othemess' and 'difference' is, as with all general terms, how profoundly conditioned they are by their historical and worldly context" (Said 20001: 302).
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3.8 Schlussfolgerung
Kolonialismus
Postkolonialismus
Empirie
Orientalismus als Verbindung von Wissen und Macht (I)
Postkolonialer sozialer Kontext als Verwobenheit der Postkolonien und ehemaligen Koloniallander (III)
Kritik
Fremdkonstitution der kolonialen Anderen (II)
Reprasentationsdilemma der postkolonialen Theoretiker (IV)
Tab. 3.1: Dimensionen der Postkolonialismustheorie
3.8 Schlussfolgerung Ziel dieses Kapitels ist gewesen, den Diskurs des Postkolonialismus unter einer besonderen Fokussierung auf die in Kapitel 2 erarbeiteten Basisunterscheidungen und Kemmerkmale des kosmopolitischen Denkens in seinen Kemaussagen, aber auch seinen Dilemmas zu untersuchen. Dabei haben wir uns in erster Linie auf Edward Saids postkoloniale Theorie und vor allem seine Kritik des Orientalismus konzentriert, in der sich zum einen diese Merkmale besonders deutlich entdecken lassen. Zum anderen bieten die darin angeschnittenen Themen und Fragen wohl den wichtigsten Ansatzpunkt fiir die in den nachfolgenden Kapiteln untersuchten postkolonialen kosmopolitischen Theorien. Zwar hatte unsere Untersuchung des sozialen Kontextes des Postkolonialismus und seiner intemen Widerspriiche auch an den anderen beiden postkolonialen „GroBtheoretikem" Homi K. Bhabha oder Gayatri Chakravorti Spivak ankniipfen konnen, allerdings stehen diese Theoretiker in keiner so direkten Verbindung zum gegenwartigen Diskurs des Kosmopolitismus in der postkolonialen Theorie wie Edward Said. AbschlieBend sollen nun noch einmal die Grundgedanken dieses postkolonialen Denkens herausgestellt werden, die den Ansatzpunkt fiir die Konzeptualisierung der postkolonialen Kosmopolitismen abgeben. Dabei lassen sich die vorangegangenen Erorterungen in zwei Dimensionen systematisieren. Die erste Dimension unterscheidet zwischen einem Fokus auf den kolonialen Kontext, wie er vor allem in Saids Kritik des orientalistischen Denkens zu beobachten ist, und einem Fokus auf den postkolonialen Moment in der Gegenwart. Die andere Dimension unterscheidet zwischen einer analytisch-empirischen Perspektive auf Kolonialismus beziehungsweise Postkolonialismus und einer normativ-kritischen Perspektive. Daraus ergibt sich dann die in Tabelle 3.1 abgedruckte Vierfeldertafel. Hier richten wir unseren Blick zunachst auf die erste Spalte, die mit Kolonialismus iiberschrieben ist. Dabei ist noch einmal zu betonen, dass die Unterscheidung zwischen Kolonialismus und Postkolonialismus nicht in dem Sinne zeitlich ge-
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus
dacht ist, dass der Kolonialismus an irgendeinem vergangenen oder zuklinftigen Zeitpunkt vom Postkolonialismus abgelost wurde beziehungsweise wird. Stattdessen stehen diese beiden Konzepte fiir zwei unterschiedliche Perspektiven auf das Verhaltnis zwischen den (Post)kolonien und den (ehemaligen) westlichen Koloniallandem. Die Perspektive des Kolonialismus (und der Kritik des Orientalismus) geht hier von einer klaren Differenz aus und versucht zu zeigen, wie die Koloniallander ihre Kolonien intellektuell und materiell beherrschen. Dagegen sieht die Perspektive des Postkolonialismus eine ambivalente Konstellation der gegenseitigen Durchdringung dieser beiden „Welten", die sich auch in geographischer Hinsicht nicht mehr klar voneinander trennen lassen. Die Perspektive des Postkolonialismus ahnelt darin dem kosmopolitischen Blick, dass sie sich nicht als genaues Gegenteil des Entweder-oder-Modells des Kolonialismus verstehen lasst, sondem dieses in eine umfassendere Perspektive integriert. Im ersten Feld (L Quadrant in Abbildung 3.1) verweist der Begriff Orientalismus auf die empirische Analyse der im Diskurs des Orientalismus zu beobachtenden Verbindung von Wissen und Macht, von der wissenschaftlichen Representation des Orients und der Orientalen sowie der imperialen Verwaltung, die auf dieser Representation aufbaut. Der Orientalismus lasst sich als wirklichkeitswissenschaftliche Beschreibung einer spezifischen Form des Umgangs mit Andersheit im sozialen und politischen Kontext des Kolonialismus interpretieren, die den universalistischen Anspruch der westlichen Wissenschaft - hier vor allem der Orientalistik -, den kolonialen Anderen besser reprasentieren zu konnen als dieser selbst dazu in der Lage ist, mit der partikularen Zielsetzung verbindet, in zahlreichen Dimensionen eine unausweichliche Differenz zwischen den traditionalen, despotischen Orientalen und den modemen, zivilisierten Europaem zu zeichnen. Die Intention dieser orientalistischen Fremddefinition ist eine Doppelte. Dadurch soil zum einen der imperiale Herrschaftsapparat intellektuell gestiitzt werden, zum anderen aber auch die europaische Identitat eben durch diese Gegeniiberstellung als iiberlegen definiert werden.^^ Im orientalistischen Umgang mit Andersheit verbindet sich der epistemologische Aspekt der Erforschung des Anderen mit dem normativen der Legitimierung der westlichen Uberlegenheit und infolgedessen auch der als universell verstandenen Zivilisierungsmission. Orientalismus ist also weder ausschlieBlich eine textualisierte Wissensstrategie noch eine imperiale Verwaltungs- und Herrschaftstechnik, sondem die institutionalisierte Verbindung (oder: der Schragstrich) des Foucaultschen Duals Wissen / Macht. Die Analyse des Orientalismus ist zunachst eine empirische Aufgabe. Es geht vor allem darum, den Mechanismus der orientalistischen Fremdreprasentation aus den kolonialen 45 Vergleiche zum Verhaltnis von Europa und seinen Anderen insbesondere auch Said 2001e, 2003a.
3.8 Schlussfolgerung
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Texten und Institutionen freizulegen und zu verstehen. Aber nicht nur das Phanomen des Orientalismus steht im Mittelpunkt, sondem auch die Bedingungen der Moglichkeit des orientalistischen Blicks oder die Frage danach, welche physischen Machtstrukturen den Hintergrund dafiir abgeben, dass der Orient von auBen reprasentiert und verallgemeinert werden kann, ohne sich dagegen zu wehren. Sind die grundlegenden Zusammenhange des orientalistischen Denkens analysiert, dann kann die Theorie in das zweite Feld (11. Quadrant in Abbildung 3.1) vorstoBen, in dem diese Zusammenhange als Fremdreprdsentation kritisiert werden. Als Alternative zu der orientalistischen Fremdreprasentation zielt die Kritik des Orientalismus auf die Selbstreprasentation der kolonialen Anderen. Es geht hier nicht so sehr darum, eine Reprasentationsform zu schaffen, die der empirischen ReaHtat des Orients - dem „wahren" Orient - besser entspricht, sondem eine ethisch iiberlegene Reprasentationsform. Der Ausgangspunkt fiir dieses emanzipative Projekt ist eine normative Setzung: Die Uberlagerung der eigenen Stimmen des Orients durch die Fremdreprasentation westHcher Wissenschaftler wird ebenso negativ bewertet vs^ie die Moglichkeit einer authentischen Selbstreprasentation positiv. Es geht Said vor allem um das humanistische Ziel, die orientalistische Behandlung der Bewohner des Orients als Wissens- und Verwaltungsprobleme zu korrigieren und ihnen ihre Menschlichkeit zuriickzugeben - dies ist die Mission des postkolonialen kritischen Intellektuellen, der in der allgemeinen Offentlichkeit immer wieder verdeutlichen soil, auf welche Weise der Orient und allgemeiner die Dritte Welt bis in die Gegenwart auf eine Weise (fehl)reprasentiert werden, die nach Said den westlichen politischen und wirtschaftlichen Interessen dienlich ist, ohne darauf zu achten, welche Folgen dies fiir die Betroffenen hat. In diese Kritik sind ausdriicklich auch benevolente Fremdreprasentationen des Orients eingeschlossen, denn Saids Ziel ist hier eine radikale Emanzipation des Orients, dessen Vertreter fiir sich selbst sprechen sollen. An die Arbeiten von Edward Said schlieBen sich dann zahlreiche weitere Analysen an, die ahnliche Muster des orientalistischen Denkens in unterschiedlichen kolonialen Kontexten empirisch nachweisen - nicht nur in der kolonialen Vergangenheit, sondem auch in der Gegenwart, also auch nach dem Ende des politischen Kolonialismus. Aus dieser Erkenntnis, dass ahnliche Abhangigkeiten in der Reprasentation des Anderen auch in der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts noch fortdauem, entsteht dann der Begriff des Postkolonialismus, der allerdings nicht dahingehend missverstanden werden darf, einen Zustand nach dem Ende des Kolonialismus zu beschreiben, sondem sich gerade mit den sich sogar noch verstarkenden Interdependenzverhaltnissen zwischen den ehemaligen Kolonien und ihren ehemaligen Koloniallandem auseinander setzt. Da jedoch die Abhangigkeit zwischen dem Westen und den Postkolonien nicht mehr an den institutionellen
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus
politischen Herrschaftsstmkturen festzumachen ist wie noch im Zeitalter des Imperialismus, sucht die Theorie des Postkolonialismus nach neuen Begriffen wie Hybriditat, Zwischenraum und Verflochtenheit, um diese spezifischen Konstellationen des „postkolonialen Moments" besser beschreiben zu konnen. Kompliziert wird die Analyse aber nicht nur dadurch, dass an die Stelle eindeutiger politischer Herrschaftsverhaltnisse plurale, ambivalente und vor allem dynamische Beziehungen zwischen den Postkolonien und dem Westen getreten sind, sondern auch dadurch, dass sich beide Konzepte nicht mehr als raumlich definierte Dichotomien verstehen lassen: die Postkolonie findet sich genauso in den Metropolen des Westens, wie westliche Wirtschafts- und Wissenschaftssysteme mittlerweile in der Postkolonie verwurzelt sind. An die Stelle des kolonialen Entweder-oder ist das postkoloniale Sowohl-als-Auch getreten, das die Kontinuitat der kolonialen Abhangigkeit mit der Diskontinuitat ihrer Erscheinungsformen verbindet. Die Erforschung und Theoretisierung des Postkolonialismus lasst sich zunachst als empirisches Projekt sehen (IIL Quadrant in Abbildung 3.1). Hier geht es darum, nachzuzeichnen, wie sich die Prasenz des Anderen auch im eigenen Kontext eine immer groBere RoUe spielt, so dass die Vorstellung ethnisch und kulturell reiner Nationalgesellschaften zunehmend von hybriden Identitaten, transkulturellen Lebensformen und verflochtenen (National)geschichten abgelost wird. Postkolonialismus ist damit ein Phanomen, das nicht auf die ehemaligen Kolonien beschrankt bleibt, sondern eine universelle innere Transformation der Modeme darstellt und sich an Migrationsbewegungen, Diaspora-Gemeinschaften und transnationalen sozialen Raumen genauso feststellen lasst wie an der Einbeziehung fremder Literaturen in westliche Curricula, Buchmarkte, Universitaten. Aus dieser „Entdeckung" des postkolonialen Moments entsteht ein normativkritisches Projekt (IV. Quadrant in Abbildung 3.1), das sich jedoch mit einer ganz anderen Konstellation auseinander setzen muss als die Kritik des Orientalismus. Das fundamentale Reprdsentationsdilemma, in dem sich die postkoloniale Theorie bewegt, lasst sich mit Spivaks Begriffsdifferenzierung zwischen Representation als Darstellung und Reprasentation als Vertretung veranschaulichen. Akzeptiert man die Andersheit der kolonialen Anderen und nimmt emst, dass diese sich dem generalisierenden Zugriff der westlichen wissenschaftlichen Instrumente entzieht, dann kommt man zu dem Schluss, dass im epistemologischen Sinne die Reprasentation der Anderen nicht moglich ist."^^ Es kann also keine wahre Repra46 Abdul JanMohamed formuliert das postkoloniale Dilemma wie folgt: „Faced with an incomprehensible and multifaceted alterity, the European theoretically has the option of responding to the Other in terms of identity or difference. If he assumes that he and the Other are essentially identical, than he would tend to ignore the significant divergences and to judge the Other according to his own cultural values. If, on the other hand, he assumes that the Other is irremediably different, then he would have little incentive to adopt the viewpoint of that alterity: he would again tend to turn to the security of
3.8 Schlussfolgemng
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sentation geben. Verzerrungen, die auf soziale, politische und kulturelle Kontexte des Beobachters zuruckzufiihren sind, lassen sich hier nicht vermeiden. Wahrend jedoch die Kritik des Orientalismus eine ahnliche Diagnose mit der Fordemng des Reprasentationsverzichts verbindet, steht der Postkolonialismustheorie dieser Weg nicht mehr offen, denn der Verzicht auf jegliche Reprasentation bedeutete, dass diese Stimmen gar nicht mehr wahrgenommen wurden. Auch die Figur des authentischen postkolonialen Intellektuellen muss einen Perspektivwechsel erfahren, da die Intellektuellen aus der Postkolonie langst nicht mehr als Teil der von ihnen reprasentierten subaltemen Bevolkerungen gelten, sondem in einem charakteristischen postkolonialen Zwischenraum zwischen Erster und Dritter Welt verortet werden. Weder durch das orientalistische Modell der Fremdreprasentation, das im Ubrigen groBtenteils mit der Intention, die Zivilisierung und das Wohlergehen der Orientalen zu fordem, vertreten wurde, noch durch das relativistische Modell des totalen Reprasentationsverzichts kann das Ziel einer „intellektuellen Dekolonisierung" der Postkolonie erreicht werden. Die normative Bewertung der Representation verschiebt sich hier also von dem Mechanismus der Reprasentation auf ihren sozialen Kontext beziehungsweise die Implikationen von Reprasentationsverzicht Oder Fremdreprasentation. Auch der postkoloniale Theoretiker ist also gezwungen, den kolonialen Anderen zu reprasentieren, was dazu fiihrt, dass sich ihre eigenen Methoden nicht substanziell von denen des orientalistischen Denkens unterscheiden. Die Grundlagen der Kritik des eurozentrischen Wissenschaftsmodells sind gerade die Instrumente eurozentrischer Wissenschaft. Der Unterschied liegt jedoch in der Verortung der Reprasentationsmodelle in ihren jeweiligen politischen und sozialen Kontexten. Die orientalistische Fremdreprasentation erscheint aus dieser Perspektive also nicht als prinzipiell ethisch schlecht, sondem die negative Bewertung ergibt sich erst aus dem Kontext, in dem diese geschieht, sowie den partikularen Interessen, die darin eine Rolle spielen. Diese dilemmatische normative Situation bietet, wie in den folgenden Kapiteln ausfiihrlich zu zeigen ist, den Ausgangspunkt fiir die Entwicklung postkolonialer Kosmopolitismen. Timothy Brennans Versuch, den marxistischen Antikolonialismus beziehungsweise den antikolonialen Nationalismus als Grundlage fiir den Widerstand gegen post- und neokoloniale Hegemonialstrukturen im Diskurs des Postkolonialismus zu rehabilitieren (Kapitel 4), Paul Gilroys Untersuchung der verdrangten schwarzen Gegenmodeme als Grundlage fiir die postkoloniale Durchdringung von Gesellschaften und Kulturen (Kapitel 5) sowie das Bemlihen des Kollektivs der Subaltern Studies, die Stimmen der subalhis own cultural perspective" (1986: 83).
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3 Theorie und sozialer Kontext des Postkolonialismus
Empirische Diagnose des Postkolonialismus
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Postkolonialer Kosmopolitismus
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Methodologie des Postkolonialismus
Nomiativitat des Postkolonialismus
Ahh. 3.1: Grundlagen des postkolonialen Kosmopolitismus ternen indischen Bevolkemng in den Kanon der indischen Geschichtsschreibung zu integrieren, sind alle von ahnlichen Problemen betroffen. Wahrend sich das Verhaltnis zwischen der empirischen Analyse des Kolonialismus und dem sich darauf berufenden normativen Projekt der Orientalismuskritik vergleichsweise unproblematisch gestaltet, lasst sich zwischen der postkolonialen empirischen Diagnose hybrider Identitaten und Verortungen der Kritiker, den methodologischen Grundlagen fur diese Feststellungen und dem normativen Projekt der antikolonialen Reprasentationskritik eine spannungsgeladene Beziehung feststellen. Nimmt man das oft zitierte Diktum von Karl Marx zur Reprasentation, „Sie konnen sich nicht vertreten, sie miissen vertreten werden" (Marx 1869/1960: 198) als kennzeichnend fiir den orientalistischen Umgang mit der Andersheit der Anderen, so antwortet die Kritik des Orientalismus auf diese AuBerung mit der Forderung: „Sie werden noch vertreten, sollen sich aber selbst vertreten". Im postkolonialen Kontext wird die reprasentationskritische Feststellung „sie konnen sich nicht vertreten" schlieBlich paradoxerweise mit der emanzipatorischen Forderung „sie sollen sich aber selbst vertreten" kombiniert. Genau dieser Widerspruch zwischen Empiric, Methodologie und Normativitat, wie er in Abbildung 3.1 skizziert ist, wird letztlich zum Ausgangspunkt fiir die Konzeptualisierung der Kosmopolitismen im postkolonialen sozialen Kontext. Eine erste theoretische Bestimmung des postkolonialen Kosmopolitismus konnte damit also lauten: Der postkoloniale Kosmopolitismus entsteht in einem strukturellen Spannungsfeld zwischen Empirie, Methodologie und Normativitat des Postkolonialismus.
4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus Dieses Kapitel behandelt als erste von drei theoretischen Fallstudien den Entwurf eines postkolonialen Kosmopolitismus, wie er von marxistischen Postkolonialismustheoretikem, alien voran Timothy Brennan formuliert v^ird. Es geht dabei um die Neukonzeption einer bislang unterdriickten beziehungsweise in den Hintergrund gedrangten marxistischen Genealogie des Kosmopolitismus im postkolonialen Kontext, in der die kosmopolitische Anerkennung der Andersheit der Anderen gerade nicht als Auflosung oder Transzendieren der nationalstaatlichen partikularen Bezuge betrachtet wird, sondem ganz im Gegenteil der Nationalstaat im intemationalistischen Sinn zur zentralen Grundlage fur die Entwicklung und Vertiefung kosmopolitischer Souveranitat wird. Damit ist diese kosmopolitische Theorie ein paradigmatisches Beispiel fur die Bemiihungen des Neuen Kosmopolitismus, sich von den universalistischen und abstrakten Ideen der Traditionslinie Kants aber auch Nussbaums zu distanzieren und den Kosmopolitismus mit partikularen Beziigen versetzt in die gesellschaftliche Realitat zuriickzuholen. Gerade der Nationalstaat wird von kosmopolitischen aber auch postkolonialen Theoretikem haufig vorschnell als iiberholt oder in Auflosung begriffen beschrieben. Auf normativer Ebene lehnen sie nationalstaatliche Grenzen und nationalistische Haltungen als normativ schlecht ab und beschreiben den Kosmopolitismus als Moglichkeit der Uberwindung dieser kontingenten Beschrankungen. Brennans Theorie zeigt dagegen eine neue kosmopolitische Gegenbewegung, die universalistische (Solidaritat iiber Grenzen hinweg) und partikularistische (Achtung von Differenz) zu verbinden sucht. Diese postkoloniale kosmopolitische Perspektive lasst sich zudem als exemplarische Selbstanwendung des kosmopolitischen Denkens verstehen, in der gepriift wird, inwiefem der Kosmopolitismus in seiner gegenwartigen Form und in den gegenwartigen empirischen Kontexten tatsachlich dazu in der Lage ist, zum normativen Projekt der Entwicklung und Vertiefung kosmopolitischer Solidaritaten beizutragen. Es geht dabei um die Entzauberung des kosmopolitischen Denkens, beziehungsweise um die gesellschaftliche Verortung des Kosmopolitismus selbst, um dadurch feststellen zu konnen, inwiefern sich dieses Projekt im postkolonialen Kontext tatsachlich noch als emanzipatorisches Projekt verstehen lasst, oder ob es nicht zu einem Komplizen oder gar zum Sinnbild der Hegemonie des NeoliberaHsmus und des neuen US-amerikanischen Imperiums geworden ist. Auch hier geht
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
es also darum, den Kosmopolitismus in seinem jeweiligen empirischen sozialen Kontext - hier des Postkolonialismus - zu analysieren und nicht nur die Idee oder die Inhalte fur sich zu bewerten. Damit eignet sich dieses empirische Beispiel in besonderem MaBe dafiir, die in Kapitel 3 beschriebene These eines grundlegenden Widerspruchs zwischen Empirie und Normativitat des Postkolonialismus sowie des postkolonialen Kosmopolitismus als Umgang mit ebendieser Disharmonie exemplarisch zu tiberpriifen. Den wichtigsten Ansatzpunkt fiir postkoloniale Entwiirfe des kosmopolitischen Denkens liefert wie bereits erwahnt die von Edward Said mitbegriindete Theorietradition des Postkolonialismus, die zum einen auf empirischer Ebene die Konstruktion der orientalischen Anderen und den Umgang mit diesen Anderen analysiert, sich auf methodologischer Ebene mit den Moglichkeiten ihrer Representation auseinander setzt und auf normativer Ebene nach Altemativen im Umgang mit den orientalischen Anderen sucht.^ Dennoch unterscheidet sich das theoretische Modell Timothy Brennans deutlich von dem Edward Saids, zum einen natiirlich darin, dass sich Brennan explizit und auch mit kritischer Intention mit der kosmopolitischen Theorie auseinander setzt. Zum anderen ist der Ausgangspunkt ein anderen Wahrend Said den philologischen Humanismus eines Vico oder Auerbach als Grundlage seiner Theorie verwendet, stehen bei Brennan die Ideen der kommunistischen Internationale an zentraler Position. Brennans Ziel ist daher nicht die Entwicklung eines kosmopolitischen Humanismus, sondem einer dezidiert marxistischen Variante von Kosmopolitismus, die dem postkolonialen sozialen Kontext besser entsprechen soil als bisherige ausschlieBlich westliche Entwiirfe. Brennans Begriff des Kosmopolitischen lasst sich dabei, das gilt es in diesem Kapitel hinsichtlich der normativen, methodologischen und empirischen Grundlagen wie auch Implikationen zu ergrtinden, als dialektische Beziehung zwischen nationalistisch-antikolonialen Bestandteilen und der intemationalistischen Begegnung zwischen Erster und Dritter Welt im Kontext der Kommunistischen Internationale verstehen. Im Unterschied zur ethischen Tradition des Kosmopolitismus, die sich vor allem auf den individuellen, kosmopolitischen Intellektuellen in seinen Bedingungen und Moglichkeiten bezieht (Robbins 1998a, 1999), richtet sich Brennans Blick starker auf den umfassenden geopolitischen Kontext der kosmopolitischen Idee. Kosmopolitismus erscheint hier also nicht als frei wahlbare Entscheidung oder Haltung individueller Akteure - und vor allem nicht im Sinne des alten Kosmopolitismus 1 Timothy Brennan ist Saids Student und spater Assistent gewesen, was eine Erklarung dafiir liefert, dass sich ein groBer Teil der Arbeiten von Brennan (Brennan 1992, 2000, 2001a, 2002, 2004a) mit der Aufarbeitung, vor allem jedoch der Verteidigung von Saids Theorie gegen die zahlreichen Missverstandnisse gerade im Bereich der Postkolonialismustheorie befasst.
4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
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als „simple world traveling or the taint of being dishonorably postnational" (1997a: 1) -, sondem als Stmkturmerkmal der globalisierten kapitalistischen Moderne. Brennan geht also von einem negativen Begriff des ethischen oder gar asthetischen Kosmopolitismus aus und versteht darunter das freischwebende Individuum, das sich ohne jegliche Bodenhaftung oder Solidaritat zu seinen Mitmenschen in der Welt bewegt. Diese Negativfolie kennzeichnet den Kosmopolitismus entweder als iibersteigerte Mobilisierung oder aber als Entbettung aus nationalstaatlichen Zusammenhangen - und vor allem: aus der nationalstaatlichen Verantwortung -, wenn nicht sogar die Auflosung ebendieser Zusammenhange. In beiden Fallen, ob als Weltreisender oder als Heimatverrater, erscheint der Kosmopolit als oberflachliches oder gar asoziales Wesen. Brennan halt sich an dieser Stelle aber gar nicht lange damit auf, den empirischen Gehalt dieses Bildes des Kosmopoliten zu iiberpriifen wie dies zum Beispiel Bruce Robbins (1990b, 1993) sehr detailliert untemimmt, sondern wendet sich dem Kosmopolitismus auf der intemationalen Ebene zu. Im Mittelpunkt steht aber nicht das Programm einer idealen rechtlich-politischen Ordnung des Staatensystems im Sinne Kants, sondem die Beziehung zwischen den Staaten der Ersten und Dritten Welt im postkolonialen sozialen Kontext sowie vor allem: die kritischen Verortung und Interpretation der kosmopolitischen Idee in diesem weltgesellschaftlichen Kontext. Brennans Theorie des Kosmopolitismus verschiebt also den Blick von kosmopolitischen Individuen auf umfassendere Einheiten wie Nationen und das Internationale System, die hier in ihrer Beziehung zu Kosmopohtisierungsprozessen und hinsichtlich kosmopolitischer Verbindungen zwischen der Ersten und Dritten Welt betrachtet werden. Auch wenn der Fokus in einem der folgenden Abschnitte (4.3) auf den kosmopolitischen Karrieren von Literaten aus der Dritten Welt liegt, werden auch diese nicht so sehr darin untersucht, wie sie sich selbst in einem Zwischenraum der Kulturen verorten - also nicht in ihrer individuellen Reflexivitat -, sondem in den strukturellen, also politischen, kulturellen und sozialen, Bedingungen dafiir, dass zum Beispiel „Hybriditat" und „Dazwischensein" (in-betweenness) zu positiven Begriffen und Merkmalen ihrer Selbstbeschreibung werden konnen. Es geht Brennan vor allem um die Tiefenanalyse der Theoriepolitik, die mit der Verwendung kosmopolitischer Denkfiguren und Begriffe verbunden ist, sowie der Beziehung dieser Theoriepolitik zu umfassenden geopolitischen und gesellschaftlichen Kontexten. Damit steht also, wie noch zu zeigen ist, das spannungsreiche Verhaltnis zwischen dem empirisch feststellbaren Kontext des Postkolonialismus und der in erster Linie normativ interpretierten Idee des (alten) Kosmopolitismus im Mittelpunkt des Interesses. Auch hier ist die Differenz zwischen dem postkolonialen Sein und Sollen der Ausgangspunkt, wobei Kosmopolitismus aber nicht als Losung oder Ergebnis dieser tJberlegungen erscheint, sondern von Anfang an
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
als Problem formuliert wird - als Idee, die genauso unmoglich und gefahrlich wie wichtig und verfiihrerisch ist. Ziel ist aber auch hier keine vemichtende Kritik der kosmopolitischen Ideen, sondem der Versuch einer Reformulierung und Aktualisierung des Neuen Kosmopolitismus fur den postkolonialen Kontext. Doch nun folgt zunachst ein Blick auf die marxistischen Grundlagen und die sich daraus ergebende Neuausrichtung des kosmopolitischen Projekts der Postkolonialismustheorie. 4.1 Postkolonialismus und Marxismus Timothy Brennans Konzept und Kritik des Kosmopolitismus ist ein dezidiert marxistisches Projekt. Dies mag auf den ersten BHck iiberraschen. tJbHcherweise ist das paradigmatische Beispiel fur Umgang des Kommunismus mit kosmopolitischen Denkweisen Stalins aggressive Haltung gegeniiber intemen Parteirivalen, von ihm haufig als „Kosmopoliten" bezeichnet. In diesem Zusammenhang besitzt die Verwendung des Begriffs zwei unterschiedliche Konnotationen. Die Bezeichnung Kosmopolit bedeutet hier zum einen dasselbe wie Eindringling oder judischer Fremder; zum anderen bezieht sich der Begriff auch auf das oben angesprochen Register des Intellektuellen als Negativfigur - als abgehobener, privilegierter Asthet (Brennan 1997a: 21). Diese kommunistische Kritik des Kosmopoliten beschreibt Coulmas v^ie folgt: „In der nationalistischen Polemik wird Kosmopolit zum Schmahwort. Kommunisten und Nazis, Heimat-, Boden- und Rassenglaubige gebrauchen es zur Kennzeichnung der anderen, der Nicht-Dazugehorigen, der ,Dekadenten', nicht zuletzt der Juden. Kosmopolitismus und Antisemitismus werden zeitweise Synonyme" (1990: 489). Hinsichtlich unserer taxonomischen Darstellungen in Kapitel 2 uberrascht dieses Negativbild des Kosmopoliten in der kommunistischen Ideologic nicht weiter. Richtet man den Blick jedoch auf das revolutionare Russland und insbesondere auf die Diskussion der Frage nationaler Minderheiten und die Idee der kommunistischen Internationale, dann zeigt sich ein ganz anderes Bild. Dieser Intemationalismus ist keineswegs der genaue Gegensatz des Kosmopolitismus als der er vor allem von marxistischen Theoretikem immer herausgestellt wird. So beschreibt Coulmas eine enge inhaltliche Verwandtschaft des sozialistischen Intemationalismus mit dem kosmopolitischen Denken: Kosmopolitismus und Intemationalismus haben den gleichen geistigen Ursprung, stehen in der gleichen weltgeschichtlichen Tradition, sind Spielarten der gleichen menschlichen Sehnsucht und verfolgen die gleichen Ziele: Frieden durch Einheit der Menschheit [... ] Es anderte sich anfangs nur das Vokabular. An die Stelle des etwas schwarmerischen kosmopolitischen Bekenntnisses „Alle Menschen werden Briider" tritt die klassenkampferische Parole des Kommunistischen Manifests „Proletarier aller Lander, vereinigt euch" (1990: 485)
4.1 Postkolonialismus und Marxismus
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Diese Ahnlichkeit stellt den Ausgangspunkt flir Brennans Versuch einer marxistischen Neubegriindung des Kosmopolitismus als Intemationalismus dar. Er konfrontiert die negative Sichtweise des ethischen Kosmopolitismus als asthetische Distanzierung und des politisch-rechtlichen Kosmopolitismus als neokoloniale Weltordnung mit der positiven Sichtweise des Intemationalismus als politisches Projekt einer Solidaritat mit der gesamten Menschheit und insbesondere der Dritten Welt.^ Wie in den folgenden Abschnitten zu zeigen ist, lehnt Brennan also die Idee des Kosmopolitismus nicht prinzipiell ab, sieht jedoch ihre Verwirklichung in der Realitat des postkolonialen Kontexts als gefahrlich an, da am Ende des kosmopolitischen Projekts genau das gegenteilige Ergebnis steht als ursprlinglich beabsichtigt. Im Unterschied dazu beschreibt er den Intemationalismus als politisches Projekt, das dem postkolonialen sozialen Kontext sehr viel besser entspricht und im Ergebnis kosmopolitischen Zielen besser dient als es eine im engeren (und alten) Sinn kosmopolitische Haltung kann. Der Intemationalismus ist also, was seine Folgen betrifft, fiir Brennan der „wahre" - der Empiric entsprechende und normativ richtige - Kosmopolitismus. Das kosmopolitische Denken erhalt durch Brennans Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Intemationalismus eine divergente Traditionslinie, die bei den meisten anderen kosmopolitischen Theoretikem kaum eine Rolle spielt. Nicht mehr die Kyniker, Kant oder Nussbaum sind hier die dominierenden Wegmarkiemng in der Entwicklung des kosmopolitischen Denkens, sondem die Dritte Intemationale (Komintern) und der darin mogliche Dialog zwischen Nord und Slid sowie die ebenfalls marxistisch ausgerichteten nationalen Befreiungsbewegungen in den Kolonien in der Dritten Welt. Brennan beginnt seine alternative Genealogie des Kosmopolitismus zunachst damit, das Geschichtsbild beziehungsweise die Geschichtsblindheit der Postkolonialismustheorie wie auch des Kosmopolitismusdiskurses aufzudecken und zu kritisieren. Aus seiner Sicht ist der Bedeutungszuwachs der Postkolonialismustheorie zunachst ein direktes Erbe der marxistischen antikolonialen Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt: Postcolonial studies descended in altered form from the anticolonial liberation movements whose most intense stretched from 1947 to 1979 (the years in which theory came 2 Die Schliisselunterscheidung zwischen einem bourgeoisen Kosmopolitismus und einem proletarisch gepragten Intemationalismus, der sich als Widerstand gegen den imperialistischen Kosmopolitismus versteht, findet sich auch in dem Philosophischen Worterbuch von Manfred Buhr und Georg Klaus: „Im reaktionaren Nationalismus und Kosmopolitismus auBern sich die Bediirfnisse des Finanzkapitals. Sie dienen dem Streben nach Vorherrschaft iiber die eigene und iiber die anderen Nationen" (1969). Auch Coulmas beschreibt in einem anderen Zitat den Gegensatz auf eine ahnliche Weise: „Intemationalismus wurde seither als Gegensatz zu dem reaktionaren, die Klassengegensatze und die imperialistische Expansion mit humanitaren Ideologien verschleiemden Kosmopolitismus der Bourgeoisie definiert. Intemationalismus bedeutet in der gegenwartigen Zeit nach der kommunistischen Lehre die Solidaritat der nationalen Sektionen der Arbeiterklasse" (1990: 488-489).
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus to prominence) and whose links to interwar Marxism are obvious and overdetermined. The confusions underlying postcolonial studies' self-image (and the fight in theory over it) lie in the fact that the tendency derived from a parentage it sought to suppress (2002: 188).
Vor allem die Ausblendung der marxistischen Wurzeln der beiden verwandten Projekte der Postkolonialismustheorie und des Kosmopolitismus-^ ist demnach zu kritisieren^, da damit flir Brennan ein notwendiges Korrektiv des postmodemen und poststrukturalistischen Fokus auf Diskurse und Texte - also auf Reprasentation in der asthetisch-diskursiven Bedeutung von Darstellung und nicht in der politischen von Vertretung - verloren geht. Vor allem in den letzten Jahren lokalisiert die Postkolonialismustheorie ihren eigenen Ursprung in den 1980er Jahren und sieht sich als theoretische Weiterentv^icklung von Foucault, Derrida, Lacan und Deleuze, wahrend die Bedeutung der kritischen marxistischen Theorien von Lenin, Luxemburg, Trotzki und der antikolonialen Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt fiir die Geschichte des Feldes verdrangt werden (Parry 2001: 14). Genau die letztgenannten theoretischen Grundlagen sind es jedoch, die fiir Brennan einen Ausweg aus dem grundlegenden Dilemma der postkolonialen Reprasentationskritik darstellen und ermoglichen, die (post)kolonialen Anderen politisch zu reprasentieren, ohne ihre Andersheit zu leugnen oder zu assimilieren. Obwohl sich die Theorie des Postkolonialismus immer wieder der Untersuchung antikolonialer Bewegungen der Dritten Welt verschrieben hat, neigt die Disziplin nach Brennan dazu, nahezu alle Beziige auf die Wurzeln der Dekolonisierung und Emanzipation der Dritten Welt in den 1920er Jahren, die sich unter dem Einfluss 3 In den iiblichen Genealogien des kosmopoHtischen Denkens tauchen die revolutionaren Begegnungsraume zwischen unterschiedlichen Kulturen der Ersten und Dritten Welt im Rahmen der Dritten Kommunistischen Internationale nicht auf. Dahinter einen grundlegenden Einfluss des Kalten Krieges zu vermuten, wie Brennan es im Fall der Postkolonialismustheorie tut, erscheint nicht allzu unplausibel, gerade auch, weil genau dieser ideologiekritische Gedanke einer ideologischen Verortung des kosmopoHtischen Denkens selbst in den Diskussionen um den Neuen Kosmopolitismus bislang keine bedeutende RoUe spielt. 4 Wobei diese Ausblendung sich nicht fiir alle aktuellen Werke der Postcolonial Studies gilt, weist doch Robert Youngs Einfiihrung in die Theorie des Postkolonialismus zum einen in der Inhaltsdimension explizit auf marxistische Determinanten der Dekolonisation hin. Er nennt acht Typen des politischen, ideologischen und militarischen Widerstandes gegen den Kolonialismus: 1) die moralische und humanitare Kritik an den Kolonien in der europaischen Aufklarung, 2) die Einwande des europaischen Liberalismus, 3) die GroBmachtrivalitat, 4) die Selbstbestimmungsbewegung der Siedlerkolonien, 5) der koloniale Nationalismus biirgerlicher, kultureller oder religioser Pragung, 6) den antikolonialen Intemationalismus, 7) Streiks, Kommunalismus und Agitation und 8) schlieBlich den marxistischen Intemationalismus (2001: 165-166). Dariiber hinaus ist der Dritten Internationale und dem BakuKongress ebenso wie den marxistischen Befreiungsbewegungen jeweils ein ganzes Kapitel gewidmet. Er sieht also auch in der Theoriedimension die Postkolonialismustheorie im Spannungsfeld dieser Einfliisse und weist darauf hin, dass ein „renewed interest in internationalism is emerging, however, in some current postcolonial thought" (166) und nennt als typischen Protagonisten dieser Entwicklung Timothy Brennan.
4.1 Postkolonialismus und Marxismus
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der Russischen Revolution herausgebildet haben, zu verdrangen. Angesichts der bedeutender Rolle sozialistischer Ideen wie auch der sowjetischen materiellen und ideellen Unterstutzung in den Entkolonialisierungsbewegungen der Dritten Welt ist es fiir Brennan astounding that a field like postcolonial studies has so seldom alluded to these traditions, which bear on the problematics of postcoloniality not only as homologies of difference (the 'other' that one can understand only after a 'conversion') but as the array of movements that made the historical fact of decolonization possible (1997a: 31).
Hier tritt also wieder das kosmopolitische Problem des Umgangs mit Andersheit in Erscheinung, allerdings kritisiert Brennan gerade den Fokus der Analysen des Postkolonialismus auf das Problem der Andersheit, wahrend der Kontext, der fiir die jeweiligen Formen des Umgangs mit der Andersheit Anderer sowie noch grundlegender: fur die jeweilige Auspragung und Relevierung von kulturellen Differenzen maBgeblich ist, ausgeblendet wird. Auch hier wird deutlich, dass Brennans Konzept des postkolonialen Kosmopolitismus sich nicht so sehr auf die inhaltliche Dimension konzentriert - die kosmopolitische Idee fiir sich erscheint auch in Brennans Augen eher als positiv - als auf den Kontext, der fiir die jeweiligen Implikationen einer kosmopolitischen oder intemationalistischen Haltung von zentraler Bedeutung ist. Gerade, wenn es um ihre eigene disziplinare Selbstbeschreibung geht, verweisen die Postkolonialismustheoretiker nur selten auf den marxistischen Antikolonialismus, sondern beziehen sich zumeist auf die europaischen poststrukturalistischen Theoretiker Michel Foucault, Jacques Lacan oder Jacques Derrida, die sich in einem ambivalenten bis oppositionellen Verhaltnis zum sozialistischen Intemationalismus befinden (Brennan 2002: 193).^ Neben der damit verbundenen theoretischen Engfiihrung der postkolonialistischen Theorie auf westliche, zum Teil sogar eurozentrische Theorietraditionen spielt hier noch eine andere Beschrankung eine Rolle: Die Verlagerung des inhaltlichen Fokus von der materiellen Kolonialisierung und physischen Gewaltausiibung und -androhung einer iiberlegenen europaischen Militarmacht hin zu diskursiven Formen von Aneignung, Ausbeutung und Hegemonic - der Schritt von Fanon zu Bhabha - ist fiir Brennan eine zentrale Ursache fiir die selektive Ausblendung des marxistischen Erbes.^ Diese zunehmende Ausblendung der materiellen Effekte des Kolonialismus fiihrt Brennan unter anderem 5 Vergleiche als pragnantes Beispiel die Auseinandersetzung Michel Foucaults (2002a) mit der maoistischen Bewegung in Frankreich. 6 Die Betonung liegt auf selektiv, denn der marxistische Befreiungsdiskurs ist auch in den Werken von Foucault oder Derrida koprasent, allerdings haufig in einem ausgesprochen negativen Licht, was Brennan durch den umfassenderen sozio-historischen Kontext des Kalten Kriegs erklart: „Under the forces of the conservative public climate in which it came into being in the 1980s, theory's obsession with the topic of Marxism in contemporary theory has certainly been paradoxical. If in the postcolonial discussion an undifferentiated Marxism has played a frequent role, it has done so
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
auf die primare Verortung der Postkolonialismustheorie in den USA sowie den literaturwissenschaftlichen akademischen Lehreinheiten zuriick - in einem Kontext, in dem solche Erfahmngen physischer Fremdherrschaft bislang keine RoUe gespielt haben und allenfalls als (RUck)projektion stattgefunden haben: „Unlike in Basra or Baghdad, [... ] no Iraqi military prowling American streets, will give the lowan or Wisconsinite the incentive to grasp the ways of another, remoter, world" (Brennan 2004b). Die (post)koloniale Begegnung mit den Anderen erscheint aus dieser Perspektive als abstrakter Text und nicht als materielle Erfahrung von Unterdriickung oder Besatzung. Ein zentrales Problem des Postkolonialismus-Begriffs, das sich auf diesen Kontext zuriickfiihren lasst, liegt nach Brennan darin, dass er sich zu wenig mit realen sozialen Bewegungen in den ehemaligen Kolonien auseinander setzt, sondern einen phanomenologischen Begriff von Andersheit zu Grunde legt, der dem Ideal einer kosmopolitischen Offnung einen groBen Teil seiner politischen Wirkungskraft nimmt: „The problem—as is often the case in American culture—came with the packaging. If the colloquial view of the newspaper found a place too easily in American 'pluralism,' the academic 'other' was one whose sense of conflict in the traditional political sense had been drained out of it" (2001a: 89). Ein Kosmopolitismus, der allein auf dieser diskursiven Grundlage aufbaut, wird genau zu dem von Brennan und anderen marxistischen Theoretikem wie Benita Parry oder Bruce Robbins kritisierten asthetisch-freischwebenden Konzept, das jeden Kontakt zur materiellen Realitat von Kolonialismus, Antikolonialismus und NeokoloniaHsmus aufgegeben hat. Der postkoloniale Andere wird aus dieser Theorieperspektive als Problem einer diskursiv (re)produzierten Subjektposition behandelt, nicht aber als reale Folgewirkung sozialer, politischer und okonomischer Strukturen oder geschichtlicher Ablaufe. Timothy Brennan versucht vor allem am Beispiel der kosmopolitischen Literaten aus der Dritten Welt (vergleiche dazu ausfiihrlicher Abschnitt 4.3) das Spannungsfeld zwischen dem asthetisch gepragten Konzept des Postkolonialismus und dem sehr viel starker politisch ausgerichteten Begriff des Antikolonialismus theoretisch zu fassen. Dabei weist er insbesondere auf die jeweiligen sozialen und politischen Kontexte dieser Konzepte hin. So befindet sich das Konzept des Postkolonialismus und Kosmopolitismus in verdachtigem Einklang mit den amerikanischen Grundwerten, da es nach Brennan vor allem auf individuelle Haltungen und Identitaten verweist: „In the very country that professes individualism as a national creed, in the land in which multiculturalism is an imperial shibboleth, usually as an example of how a certain brand of Eurocentrism promoted technological or disciplinary modernity, and therefore, by definition, was antagonistic to non-Western forms of emergence" (2002: 188).
4.1 Postkolonialismus und Marxismus
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postcolonial studies has inevitably taken on the clothing of individualism in work dedicated to 'identity' and in the often obtuse and willful psychoanalytic register of the 'subject position'" (2001a: 92). Dieser Fokus auf individuelle Positionen, Biographien und Kreativitat fuhrt allerdings auf der anderen Seite dazu, dass politische Zugehorigkeiten und die damit verbundenen Kampfe aus dem Blick geraten: „Cosmo-theory also tends to decouple individual subjects from groups of perceived material interests in which a special emphasis is placed on the imagination" (Brennan 2001b: 678). Wiederum ist die Idee des ethisch-individualistischen Kosmopolitismus beispielhaft fur diese Entkopplung der Subjektpositionen von den sie ermoglichenden politisch-historischen Konfigurationen. Das Argument an dieser Stelle ist ein empirisches. Kosmopolitismus und Postkolonialismus werden nicht dafiir kritisiert, dass sie normativ schlecht oder methodologisch problematisch sind, sondem dafiir, dass ihre Modelle nicht der Realitat entsprechen. Wenn diese Modelle zur Grundlage der Selbstdefilnition der Postkolonialismusforschung werden, gerat ein wichtiger Aspekt der postkolonialen Realitat aus dem Blick: der Einfluss des marxistischen Antikolonialismus auf die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt sowie allgemeiner die Bedeutung koUektiver politischer Akteure und Zugehorigkeiten fiir die Entstehung der postkolonialen Konstellation. Das Gegenbild zu diesen asthetisch-individualistischen Begriffen zeichnet das vor allem von marxistischen Theoretikem aus der Dritten Welt wie Aijaz Ahmad oder in Teilen auch vom Kollektiv der Subaltern Studies (vergleiche Kapitel 6) vertretene Konzept des Antikolonialismus. Sie verorten sich im Gegensatz zur Vorstellung einer nachkolonialen Weltordnung, die der Begriff des Postkolonialismus suggeriert und richten ihre Energie darauf, Alternativen zur tatsachlich beobachteten neokolonialen Ordnung zu finden. Brennans Intention liegt also darin, einen Begriff des Kosmopolitismus zu entwickeln, der genau dieser alternativen Beschreibung entspricht - kurz: einen antikolonialen Kosmopolitismus. Als zentrale Ursache fur die Gewichtsverlagerung im Diskurs des Postkolonialismus von politischen Auseinandersetzungen hin zu diskursiven Machtstrukturen sieht Brennan eine verkiirzte und sogar fehlinterpretierende Rezeption von Saids Beschreibung des Orientalismus als allein auf diskursiver Ebene operierenden Herrschaftstechnik (Brennan 2002: 194-195). Zudem werden diskursgeschichtlich einflussreiche Theoretiker des Antikolonialismus wie Frantz Fanon, W.E. B. Du Bois oder Edouard Glissant ausgeblendet, sobald sie sich explizit auf die marxistische Tradition der antiimperialistischen Befreiung und die ideologischen Grundlagen des sowjetischen Sozialismus beziehen. Dazu kommt, dass die Postkolonialismustheorie ihrer Selbstbeschreibung nach eine ausgesprochen eurozentristische Idee ist - sowohl in der angesprochenen genealogischen Referenz auf europaische Theo-
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
retiker und Theorietraditionen als auch in der institutionellen Anbindung an die akademische Welt und Offentlichkeit im Westen sowie in ihren liberalen Grundwerten Freiheit, Individualismus und Mobilitat. Wahrend die Postkolonialismustheorie also auf inhaltlicher Ebene eurozentrische Denkformen kritisiert und eine starkere Einbeziehung nichtwestlicher Autoren und Inhalte in die akademischen Curricula fordert, sind ihre eigenen Grundlagen dagegen von einem tief verwurzelten Eurozentrismus gepragt:, J^urportedly driven by the desire to combat Eurocentrism, the field emerged speaking a language that was Eurocentric reflexively and automatically, one in which Europe existed speaking the language of 'difference'" (Brennan 2002: 186). Der Eurozentrismus der postkolonialen Perspektive lasst sich also nach Brennan wesentlich auf die Ausblendung der marxistischen Denktradition, die vor allem von antikolonialistischen Theoretikem der Dritten Welt vertreten wird, und der damit verbundenen Verlagerung des theoretischen Schwerpunkts auf postmodeme europaische Theoretiker zuriickfuhren, die (post)koloniale Identitaten in einem asthetischen Sinn als „Andersheit" beschreiben und die Bedeutung der (marxistischen) politischen Bewegungen nicht erkennen. Das postkoloniale Projekt der Kritik des Eurozentrismus fiihrt von diesem asthetischen Standort aus paradoxerweise zum nicht intendierten Effekt einer „vigorous prolongment of European superiority in the guise of an anti-Eurocentric critique" (187). Auch hier zeigt sich eine fiir den postkolonialen sozialen Kontext charakteristische Disharmonie zwischen den normativen Anspriichen des Postkolonialismus und den empirischen Grundlagen dieser Forschungsrichtung (vergleiche Abbildung 3.1). Ein kritischer Erklarungsversuch der Entstehung der Cultural Studies und im Anschluss daran auch der Postkolonialismustheorie sieht diese als Ergebnis eines „guilty reflex of anthropology, or rather a response to changes within anthropology brought on by the two-way impact of Europe's intercourse with the rest of the world while setting up a global system of colonies, financial arrangements, product lines, and immigration brides" (Brennan 1997b: 225). Trotz der expHziten Beschaftigung mit den Fremden im kolonialen Kontext wird eine einseitige Blickrichtung festgeschrieben - zu ahnlichen Ergebnissen ist auch unsere Darstellung der Valladolid-Kontroverse gelangt (Abschnitt 2.1.3). Auch wenn das vorrangige Ziel der Postkolonialismustheorie darin liegt, den Stimmen aus dem Siiden mehr Gewicht zu verleihen und marginale Perspektiven in den wissenschaftlichen Diskurs einzubeziehen, bleibt dennoch diese grundlegende StoBrichtung erhalten. Als institutionalisiertes postkoloniales Schuldgefiihl bleiben Cultural Studies und Postkolonialismustheorie erklartermaBen westliche Disziplinen, denn dieser „Schuldreflex" ist eine spezifische Erfahrung der westlichen Kulturwissenschaften, die unter dem Einfluss von Saids Orientalismuskritik beginnen, sich mit ihrer eigenen Vergangenheit und Verstrickung in das Kolonialsystem auseinander zu
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
ihre eigene intellektuelle und politische Beziehung zu den Landem der Dritten Welt neu zu denken und damit auch neue Formen nationeniibergreifender Solidaritat oder Empathie zu finden, die nicht in den universalistischen Mustern des klassischen Kosmopolitismus - gekennzeichnet durch den totalisierenden und undifferenzierten Begriff der „Menschheit" als Kollektivsubjekt - vorgestellt werden, sondem Partikularismen nationaler, kultureller, politischer oder asthetischer Art anerkennen. Besondere Aufmerksamkeit verdient diese Bewegung fur Brennan dafiir, dass sie nicht nur den Blick der marxistisch gepragten Theoretiker und Kiinstler veranderte, sondern eine tiefgreifende Transformation der Beziehung zwischen Nord und Slid ausloste:^ In the first half of the twentieth century, Marxism produced a particular constellation of thought that achieved mass density in regard to its colonial object, became a source of inspiration on a continental basis, knit together systematic investigations in several disciplines simultaneously, and lay behind the compulsive turning toward colonial motifs [... ] who never consciously adduced Marxism, who were hostile to it, or who flirted with it briefly before heading off in new directions (2002: 192-193).
Der ideologische Rahmen der kommunistischen Internationale ermoglichte es westlichen Denkem, in der Begegnung oder gar Identifikation mit dem Suden einen intellektuellen Standort auBerhalb ihrer eigenen Denktradition einzunehmen und dadurch einen verfremdeten Blick auf Europa und sich selbst zu werfen. Die Dritte Internationale lasst sich daher als friiher Ausloser dafiir sehen, dass Europa sich nicht mehr primar in Abgrenzung zum kolonialen oder orientalischen Anderen definiert, sondern als Element eines umfassenden globalen Kontextes wahrnimmt (Brennan 2002: 193). Dies kann mit einiger Vorsicht auch als Entwicklung einer wie auch immer rudimentaren Form eines kosmopolitischen „Weltbewusstseins" - beziehungsweise auf wissenschaftlicher Ebene iibertragen als Vorform eines kosmopolitischen Blicks - gesehen werden. Die Russische Revolution und die weltweite Aufmerksamkeit fiir antikoloniale Befreiungsbewegungen lassen sich damit als erster Schritt zu einer Dezentrierung der europaischen intellektuellen und westliche Welt zeigt sich nach Brennan in ganz unterschiedlichen Zusammenhangen wie zum Beispiel „the African nonsense version of Dada, the grand civilizational comparisons of Oswald Spengler's Decline of the West, the Afro-Caribbean record collections of Paul Derain, Freud's ventures into totemism, Bertolt Brecht's reliance on Chinese theatrical forms, Louis Aragon's Parisian 'peasants,' and the ethnographic surrealism of Rene Menil, Michel Leiris, and Marcel Griaule" (2002: 192, Hervorhebung im Original). 8 Auch in Deutschland kam es nach Brennan inspiriert durch die Ereignisse in Russland zu einer Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Imperialismus und den Moglichkeiten einer Anerkennung anderer Kulturen und Nationen: „For the German case, one found rich material in the Congress of Oppressed Nationalities, which met in Brussels in 1927 under the direction of Willi Munzenberg, and played its own part in extending anti-imperial sentiments in unprecedented ways" (2002: 191).
4.2 Intemationalismus und Kolonialismus
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theoretischen Hegemonic verstehen (vergleiche hierzu auch Kapitel 6). Europa versteht sich nicht mehr als universelle Kultur, sondem als eine Weltregion neben anderen, die dadurch in einen Dialog mit den anderen Regionen treten kann und auch muss. Dies lasst sich auch an der Zeitdimension ablesen, denn das Verhaltnis von Europa zur Welt wird hier nicht mehr als Beziehung einer zivilisierten Gegenwart zu riickstandigen tJberbleibseln einer Vergangenheit gesehen, die es entweder zu modemisieren oder aber fiir die Museen der „zivilisierten Welt" zu konservieren gilt.^ An die Stelle der orientalistischen und imperialen Gedanken der Missionierung und der Archivierung fremder Kulturen tritt hier eine intemationalistische Spielart der Kulturbegegnung als politischer Dialog, der im Idealfall durch Solidaritat und gegenseitigem Lemen gekennzeichnet ist. Vor allem den „Kongress der Volker des Ostens" in Baku im Jahr 1920^^ deutet Brennan als Zeichen der Abkehr der Dritten Internationale von eurozentrischen Normen im Umgang mit den Anderen, denn dieses Forum gilt als historisch erster „non-Westem congress with the explicit purpose of denouncing Western imperial expansion, and of uniting peoples of vastly different languages and religious affinities" (2002: 194) - und das, ohne diese Differenzen in universalistischen Denkfiguren aufzulosen. Damit lasst sich ein interessanter Vergleich anstellen zwischen der Konferenz von Valladolid im Jahr 1530 und dem Baku-Kongress in Armenien fast vier Jahrhunderte spater. In Spanien waren es ausschlieBlich europaische Intellektuelle, die iiber die philosophisch-anthropologische Frage stritten, ob die Eingeborenen der Neuen Welt der Kategorie „Mensch" zuzurechnen sind oder nicht. Die Eingeboren selbst erhielten keine Moglichkeit, sich in diesen gelehrten Disput einzumischen. Dagegen war der Baku-Kongress von Anfang an als Begegnung gedacht, in der nicht nur westliche Aktivisten wie Lenin oder Stalin eine Stimme besitzen, sondem auch die Vertreter der unterdriickten „Volker des Ostens". In Baku sind damit nach Brennan Elemente einer kosmopolitischen Begegnung, verstanden als Kombination universalistischer (globaler Kontext der sozialistischen Revolution) und partikularistischer (nationaler Befreiungskampf der Kolonien) Momente, zu entdecken, die Differenzen anerkennt, aber dennoch versucht, einen umfassenden Rahmen fiir die intemationalistische Solidaritat zwischen den „Welten" zu schaffen. Die Bewegung hin zu universalistischen Prinzipien vollzieht sich hier auf Grundlage einer Analyse und Anerkennung partikularer Differenzen in den 9 James Cliffords Begriff der „salvage anthropology" (1988; 1997) beschreibt die Ethnologie als wissenschaftliche Disziplin, die zerstort indem sie rettet und rettet indem sie zerstort: „Ethnography, as we are now accustomed to remarking, ambiguously sought to preserve what was being destroyed, even while domesticating it" (Brennan 1997b: 227). 10 Als wichtiger Augenzeuge der Dritten Internationale und des Baku-Kongresses verdient Manabendra Nath Roy (1964: 391) besondere Aufmerksamkeit. Fiir die wissenschaftliche Aufarbeitung des Kongresses ist vor allem die umfangreiche Quellendokumentation von Riddell (1993) von Bedeutung.
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jeweiligen nationalen Kontexten und nicht unter der Pramisse einer grundsatzlichen Vergleichbarkeit und Ahnlichkeit der Ausgangsbedingungen. Aber nicht nur flir die Ideenwelt spielt die kommunistische Internationale eine wichtige Rolle in Brennans altemativer Genealogie des postkolonialen Kosmopolitismus, sondem auch in der sozialen und raumlichen Dimension, denn auf diesen Kongressen trafen Menschen aus den gegenwartigen und ehemaligen Kolonien des Siidens auf Reprasentanten der sozialistischen Bewegungen des Nordens (beziehungsweise des Westens und der Sowjetunion) (Brennan 2002: 193). Wahrend friihere Begegnungen zwischen diesen „Welten" in der Regel einseitig verliefen paradigmatisch sichtbar in Gestalt des sich in zivilisatorischer und kultureller Hinsicht iiberlegen ftihlenden Ethnologen wahrend seines Feldaufenthalts bei einem „primitiven" Volk (Said 2000c; Clifford 1988) sowie der auf Weltausstellungen gleich wilden Tieren oder missgestalteten Menschen prasentierten auBereuropaischen Eingeborenen -, nehmen die ehemaligen Kolonien im iibergreifenden Rahmen des Sozialismus nun eine strategisch wichtige Rolle als zukiinftiger Ort der Verwirklichung neuer Gesellschaftsformen ein. Damit sind die Reprasentanten des Siidens nicht mehr nur Forschungsobjekte, Regelungsprobleme oder Uberbleibsel („lebende Fossilien") vergangener menschlicher Entwicklungsstufen, sondem in intellektueller Hinsicht emst zu nehmende Mitstreiter fur die universalistische sozialistische Idee - Weggefahrten, die nicht mehr durch westliche Denker reprasentiert werden mtissen, sondem sich selbst reprasentieren (Brennan 2002: 193). Eine wichtige Rolle spielt die Mobilitat der intemationalistischen Aktivisten. Bezeichnenderweise verbindet der auf sie angewandte englische Begriff des „fellow traveler" die beiden Bedeutungsfelder von Mobilitat und Kommunismus, beschreibt er doch sowohl jemanden, „who sympathizes with or supports the tenets and program of an organized group, such as the Communist Party, without being a member." (American Heritage Dictionary of the English Language: Fourth Edition, 2000) als auch im wortlichen Sinne einen Mitreisenden und Weggefahrten. Die beiden Bedeutungen des Sympathisierens und Reisens treffen sich also in der Figur der kommunistischen Kosmopoliten, wie sie in den Kongressprotokollen und biographischen Berichten der 1920er Jahren beschrieben werden. Gerade die Biographien konmiunistischer Intellektueller sind von einer starken Mobilitat zwischen Landem und sogar Kontinenten gepragt. Nicht nur auf die Begegnung zwischen Siiden und Norden kann also der Begriff des Kosmopolitismus angewendet werden, sondern auch auf die Biographien und Reiserouten der Aktivisten. Darliber hinaus ist durch die kosmopolitische Begegnung zwischen der Ersten und der Dritten Welt im Rahmen der kommunistischen Internationale zumindest ansatzweise eine neue Form der Wahmehmung der kolonialen Peripherie sichtbar geworden: nicht
4.2 Intemationalismus und Kolonialismus
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mehr als intellektuell handhabbares und kontrollierbares Wissensobjekt, sondem auch als potentielle materielle Gefahr fiir ihre imperialistischen Ausbeuter oder als Gegenmacht (Brennan 2002: 193).^^ Allgemein spricht Brennan von einem tiefgreifenden Wandel des europaischen Bildes der nichtwestlichen Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der dazu fuhrte, dass erstmals auch die Stimmen der Peripherie in Europa gehort wurden: „From 1880 to 1939, European artists and social theorists came to focus on the non-Western world as a world populated by articulate and angry colonials rising in arms and speaking more loudly and clearly than ever before" (2002: 188-199, Hervorhebung im Original). Von zentraler Bedeutung fur Brennans antikolonialistische NeuformuUerung des Neuen Kosmopolitismus ist der Nationalstaat als Ort der Politik und insbesondere als Ausgangspunkt fiir den antikolonialen Widerstand. In diesem Punkt weicht er deutlich sowohl von dem postkolonialen Narrativ wie auch von den klassischen kosmopolitischen Beschreibungen ab, die beide den Nationalstaat wenn nicht normativ als zu iiberwindende Einheit darstellen, dann wenigstens empirisch als eine politische Organisationsform beschreiben, die durch Globalisierungsprozesse und die wachsende postkoloniale Durchdringung von Kulturen, Regionen und Nationen ihre Schliisselfunktion verloren hat. Schon unsere kursorische Darstellung der kosmopolitischen Ztige des Baku-Kongresses aus Brennans Sicht demonstriert, dass sich der Intemationalismus hier nicht als universelles sozialistisches Subjekt konstruiert, sondem nach einer neuen Balance zwischen universellen und partikularen Prinzipien sucht. Damit verortet sich diese Bewegung im Spannungsfeld zwischen der universellen Idee der sozialistischen Weltrevolution und den jeweiligen partikularen nationalen Zusammenhangen. In der Theorietradition des Antikolonialismus sieht Brennan daher einen wichtigen Beitrag fiir die Grundlegung einer neuen Kombination aus der Anerkennung der Andersheit Anderer sowie iibergreifenden universellen politischen Prinzipien, die den Kontext fiir diese Anerkennung hefem (1997a: 30). Trotz der kaum zu leugnenden Unterschiede zwischen der offiziellen Rhetorik des Intemationalismus und den tatsachlichen Praktiken, die oft einer realpolitischen Logik gehorchen^^, kann diese nicht-westliche Perspektive des AntikoloniaHsmus 11 Auf ahnliche Weise weckt auch der politische Schliisseltext der antikolonialen Bewegung von Frantz Fanon mit Formulierungen wie „Die nackte Dekolonisation laBt durch alle Poren gliihende Kugeln und blutige Messer ahnen. Denn wenn die letzten die ersten sein sollen, so kann das nur als Folge eines entscheidenden und todlichen ZusammenstoBes der beiden Protagonisten geschehen" (1961/1981: 30) oder „Die koloniale Welt zerstoren heiBt nicht mehr und nicht weniger, als eine der beiden Zonen [der Kolonialherren und der Kolonisierten, B.K.] vemichten, sie so tief wie moglich in den Boden einstampfen oder vom Territorium vertreiben" (34) in der westlichen Welt ein Unbehagen liber die nicht mehr nur auf die Fremde eingrenzbaren moglichen (Neben)folgen des Kolonialismus. 12 Wahrend Brennan vor allem den real-existierenden Intemationalismus in den Kongressen und Aktionen der Dritten Internationale als Ausgangspunkt wahlt und die dort zumindest in Ansatzen
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
womoglich als Briicke zu einem anderen, nicht-westlichen Konzept des Kosmopolitismus dienen, das sich eher als intemationalistisch verstehen lasst denn als postoder transnational (Brennan 2001b: 668). 4.3 Kosmopolitische Beriihmtheiten Das Gegenbeispiel zu den von Brennan beschriebenen antikolonialistischen Sympathisanten der kommunistischen Internationale stellen die „kosmopolitischen Beriihmtheiten" dar. Im Vergleich dieser beiden idealtypischen Figuren lasst sich Brennans grundlegende Unterscheidung zwischen dem politisch definierten Antikolonialismus und dem asthetischen Kosmopolitismus beobachten. Unter dem Begriff der „kosmopolitischen Beriihmtheiten" {cosmopolitan celebrities) versteht Brennan eine Gruppe von Schriftstellem aus den ehemaligen Kolonien - darunter vor allem Mario Vargas Llosa, Derek Walcott, Salman Rushdie, Isabel Allende, Gabriel Garcia Marquez und Bharati Mukherjee (Brennan 1989b: viii) -, die ab den 1970er Jahren auf den intemationalen und vor allem den angelsachsischen Buchmarkten eine immer starkere Prasenz entwickelten und dort den Trend eines „Neuen Kosmopolitismus" auslosten (Brennan 1997a: 1). Auch diesen Kosmopolitismus versteht Brennan nicht als abstraktes, universelles Prinzip, sondem als Phanomen, das sich auf einen ganz bestimmten Bereich der Welt beziehen lasst und nur aus in einer historischen und geopolitischen Perspektive heraus interpretiert werden kann: Although representatives of cosmopolitan fiction can be found coming from China, Southeast Asia, the Portuguese former colonies, and the Arab world, they are relatively rare. It follows from what has been said that apart from the necessary feeling of range, or the authority that resides in being identified with specific third-world locale, not all regions lend themselves equally to cosmopolitanism (Brennan 1997a: 42).
Aber es ist nicht in erster Linie ihre globale Vermarktung auf den westlichen Buchmarkten, die nach Brennan den Kosmopolitismus dieser Autoren ausmacht, sondem vor allem die offentlichkeitswirksame Debatte, die sich im Westen um diese neue Literatur aus der Dritten Welt entw^ickelt, also die schon in Kapitel 3 beschriebene „innere Globalisierung", die von ihnen ausgelost wird. Der Ausgangspunkt fiir die Identifikation dieser Autoren als kosmopolitisch ist nach Brennan verwirklichte nationeniibergreifende, universalistische Solidaritat bei einer gleichzeitigen Achtung der nationalstaatlichen Souveranitat und Selbstbestimmung positiv wertet, sieht Coulmas in ebendieser Entwicklung ein Scheitern oder gar eine Pervertierung des Intemationalismus (verstanden als Postnationalismus): „Der intemationalistische Versuch saldierte sich mit Diktatur, polizeistaathchen Methoden, menschenverachtenden Zwangsordnungen, Konzentrationslagern, war gleichwohl auf das Ziel der Einheit des Menschengeschlechts gerichtet. Die universalistischen Elemente, die in der sozialistischen Theorie enthalten waren, verblaBten bei den Versuchen, sie in die politische Wirklichkeit umzusetzen." (1990: 486-487).
4.3 Kosmopolitische Beruhmtheiten
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die Rezeption der Autoren vor allem in den westlichen GroBstadten (1989a: 2). Der Begriff des Kosmopolitismus, der an dieser Stelle verwendet wird, beschreibt einen postkolonialen Zwischenraum zwischen der Dritten Welt und dem Westen. Auf der einen Seite erfordert die Kategorie des Kosmopolitismus die Herkunft der Autoren aus bestinmiten Landem der Dritten Welt, darunter vor allem die ehemaligen britischen Kolonien. Auf der anderen Seite ergibt diese Bezeichnung nur in Bezug auf die westlichen Literaturmarkte einen Sinn, denn die Werke traditioneller einheimischer Literaten werden als auslandische, internationale oder nationale Literaturen bezeichnet, nicht aber als kosmopolitische. Der Begriff der kosmopolitischen Beruhmtheiten setzt inhaltlich als Literatur aus den ehemaligen Kolonien Fremdheit und Andersheit voraus, wahrend diese Interpretationsweise und kategoriale Zuschreibung jedoch eine spezifisch westliche ist. Es geht also explizit um die Analyse eines historisch neuartigen Kosmopolitismus, der nicht mehr in Europa seinen Ursprung hat, sondem in den Kolonien und Postkolonien der Dritten Welt. (Brennan 1997a: 1). Letztlich versteht Brennan das Phanomen der kosmopolitischen Dritte-Welt-Literaten als Merkmal einer allgemeinen postkolonialen Transformation des Westens (nicht allein der Postkolonien), die sich nicht nur im kulturellen, sondem auch im okonomischen und politischen System zeigt.^^ Das Auftauchen der kosmopolitischen Literaten ist fiir Brennan jedoch keinesfalls eine kontingente oder zufallige Erscheinung, sondern lasst sich allein dann verstehen, wenn diese Entwicklung in einem allgemeinen weltkulturellen, weltwirtschaftlichen und geopolitischen Kontext analysiert wird (Brennan 1997a: 3). Ein zentraler Faktor fiir den groBen Erfolg dieser Literatur und ihrer Vertreter ist zunachst die amerikanische Verlagsindustrie, die einen wesentlichen Beitrag zur Formung, Bewertung und Verbreitung weltweiter literarischer Trends liefert (Brennan 1997a: 39). Die Grundlage dieser literarischen Kosmopolitisierung sind also nicht quasi-naturwiichsige globale „Kulturstrome", die keinen konkreten Akteuren mehr zugerechnet werden konnen, sondern definierbare und lokalisierbare Interessen, die gerade nicht als echte kosmopolitische Interessen zu verstehen sind, sondem als lokale oder nationale. Die Bedeutung von Kosmopolitismus, die den Autoren aus der Dritten Welt zugeschrieben wird, bezieht sich nicht auf das Projekt einer Weltliteratur im Sinne Goethes, sondem das, was zunachst als globaler 13 Im Unterschied dazu neigt vor allem die sozialwissenschaftliche Globalisierungsliteratur (etwa Held etal. 1999 oder Ziirn etal. 1999) dazu, Phanomene wie das vermehrte Auftauchen auslandischer Literaturen auf den einheimischen Buchmarkten blo6 als beschleunigte Diffusion, Globalisierung oder gar Denationalisierung materieller Kulturgiiter zu beschreiben. Sie verpasst dadurch jedoch die Moglichkeit, den breiteren Kontext dieser Entwicklungen in den Blick zu bekommen, in dem diese Erscheinung nicht nur als Diffusion, sondem als komplexer Wirkzusammenhang globaler, intemationaler und lokaler Faktoren beschrieben wird, der zudem eine Transformation vormals fur selbstverstandlich gehaltener Kategorien und Unterscheidungen impliziert.
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
Diffusions- und Integrationsprozess erscheint, ist als lokaler und lokalisierbarer Kreuzungspunkt von Produkten, Diskursen und Deutungsversuchen zu denken. Darauf verweist auch Brennans Bemerkung, that as a distinct body of work 'third-world literature' has no coherent meaning. It lacks that respect for the particular within the shared that Nussbaum urges it to have [... ] The practice of teaching and reviewing continually shows that "third-world literature" does, in fact, exist, if only in the mind of the metropolitan reader of books (1997a: 26, Hervorhebung im Original).
Die kosmopolitische Weltliteratur, um die es hier geht, kennzeichnet somit, dass sie erstens gar nicht kosmopolitisch im philosophischen Sinne ist, sowie dass zweitens dieser Begriff eine raumlich und sozial eng begrenzte partikulare Bedeutung besitzt. In der empirisch-analytischen Bedeutung des Begriffs lasst sich diese Literatur jedoch tatsachlich als kosmopolitisch bezeichnen, denn sie verkorpert eine neuartige Durchdringung des Westen und seiner ehemaligen Kolonien, die komplexe und hybride Identitaten und Verortungsformen hervorruft. Diese Literatur beschreibt weder eine ausschlieBlich marginale, (post)koloniale Ausdrucksform, noch eine ausschlieBlich westliche, sondem verweist genau auf die Beziehung zv^ischen diesen beiden Orten. Diese kosmopolitische Literatur ist damit in einem kulturellen „Zwischenraum" oder „Niemandsland" zwischen Erster und Dritter Welt zu verorten. Sie spiegelt das weiter oben angesprochene schlechte Gewissen des Westens in Bezug auf den Kolonialismus wider, lehnt aber zugleich eine echte politische Auseinandersetzung mit dem antikolonialen Befreiungskampf der Dritten Welt und ihrer fortbestehenden neokolonialen Abhangigkeit ab (Brennan 1989b: 27). Durch den ersten Aspekt verortet sich diese Literatur in den ehemaligen Kolonien und tritt als Mahner gegen das Vergessen der kolonialen Biirde und Verantwortung des Westens an, wahrend sie sich nach Brennan durch den zweiten von der Gedankenwelt der Postkolonien und ihren Erfolgen im nationalen Befreiungskampf entfremdet. Die kosmopolitischen Autoren richten sich auch nicht an eine lokale oder nationale, sondem eine globale und vom Standort ihrer friiheren Heimat aus gesehen, fremde Leserschaft, vermittelt iiber das westliche literarische Publikationssystem (Brennan 1997a: 39). Dieses pragt dann auch die kiinstlerischen wie auch inhaltlichen Anforderungen an die Autoren. Nach Brennan existieren daher fur die kosmopolitischen Literaturen „doctrinal demands for the 'third-world' writer, whose features coalesce in what then appears as an appropriate cosmopolitanism. Together, these form a geopolitical aesthetic, first with the requisites of metropolitan assumptions in mind [...], but then, in its full articulation, with matters of taste left untouched while it seems to reorient them" (1997a: 36). Der Kosmopolitismus dieser Gruppe von Schriftstellern ist weniger eine Folge ihrer spezifischen kultu-
4.3 KosmopolitischeBeruhmtheiten
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rellen und politischen Biographien im postkolonialen Kontext, sondem entspricht dem „geopolitischen Geschmack" einer breiten Leserschaft im Westen und ihrem Bediirfnis nach einer exotischen Fremdperspektive auf die Welt, aber auch auf das eigene Land: A U.S. media and educational apparatus of immense domestic resources has attracted writers and critics to work and study here. They have been moved to speak about what they know best, and, inevitably, to comment on the strangeness of their new surroundings, while seeking a certain rapprochement with the American and European modes and styles that, in complicated ways, both facilitate their reception and passively mark their own earlier apprenticeships (Brennan 1997a: 26).
Dieser Kosmopolitismus entspringt also nicht so sehr einer ethischen kosmopolitischen Haltung der Autoren oder ihrer (post)kolonialen Leserschaft, als einem intellektuell-asthetischen Bedarf der westlichen literarischen Offentlichkeit. Neben den gewahlten und dem erzwungenen Kosmopolitismus tritt hier also eine Bedeutung des Kosmopolitismus als Gewinn bringende Ware. Sieht man die Literaten im Kontext einer wachsenden gesellschaftlichen Offnung flir kulturell fremde Inhalte, einer zunehmenden Heterophilie, so kann man sie als „Andersheitsuntemehmer" beschreiben, die Elemente kultureller Andersheit aus ihren urspriinglichen Zusammenhangen isolieren und in eine westlich zugangliche und vermarktungskompatible Form verwandeln. Lines ihrer zentralen Merkmale ist nach Brennan die ausgepragte kritische oder sogar feindselige Haltung gegeniiber postkolonialen Nationen, antikolonialen Befreiungsbewegungen und allgemein den Nationalismen der Dritten Welt. Diese erscheinen bei diesen Autoren in einem schlechten Licht und werden vor allem mit parodistischen Mitteln dargestellt (1997a: 39). Die zynische Haltung der postkolonialen Autoren ist das genaue Gegenstiick zu den Aktivitaten der Kiinstler und Schriftsteller der Unabhangigkeitsbewegungen, die in dem Projekt der nationalen Selbstfindung eine tragende Rolle spielen. Wie Benedict Anderson (1983) stellt auch Brennan fest, dass „the nation is a discursive formation—not simply an allegory or imaginative vision, but a gestative political structure which the third world artist is consciously building or suffering the lack o f (1988: 135). Das Konzept des Nationalstaats setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: dem staatlichen Element der govemmentalen Strukturen und Biirokratien auf der einen Seite - im Falle der postkolonialen Staaten wurde dieses Element in der Regel von den Koloniallandern aufgebaut - und der vorgestellten Gemeinschaft oder natio auf der anderen Seite, wobei die antikolonialen, nicht aber die kosmopolitischen Schriftsteller an der Konstruktion des zweiten Elements beteiligt sind (Brennan 1990: 45). Diese scharfe Kritik am Kampf um eine nationale Identitat - von den kosmopolitischen Autoren als bloBer Mythos „entlarvt" und parodiert -, die dann in
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der Dekolonisationsbewegung als Instrument gegen die Kolonialherren eingesetzt werden kann, ist nach Brennan kennzeichnend fur die kosmopolitischen Autoren der Dritten Welt (1989b: 30). Hire Solidaritat gilt zuallererst der eigenen Klasse Oder Gruppe der kosmopolitischen Beriihmtheiten und erst danach den Eliten oder gar subaltemen Bevolkerungsschichten der Drittweltlander - also ihrer eigenen Herkunftslanden Ihre eigene Position im Zwischenraum zwischen Imperium und Postkolonie beschreiben die kosmopolitischen Autoren in erster Linie als Position des Scheitems. So schreibt Said liber Naipaul: „His subject was extraterritoriality—the state of being neither here nor there, but rather in-between things [... ] that cannot come together for him; he wrote from the ironic point of view of the failure to which he seems to have been resigned" (Said 2000a: 99). Der Kosmopolitismus dieser Literaten erscheint also nicht positiv als neuer Standort, der den Blick auf die eigene Geschichte und Herkunft durch die Ubemahme der Perspektive des Anderen erweitert, sondem lasst sich als negativer Kosmopolitismus, als Entbettung oder gar Isolierung lesen, die nur noch ironisch oder zynisch kommentiert werden kann. Die eigene Position wird weniger als Sowohl-als-auch oder Entweder-oder wahrgenommen, denn als fatalistisches Weder-noch. Damit nehmen die kosmopolitischen Autoren flir sich genau die negative Bedeutung des KosmopoHten als freischwebendes, asoziales Individuum, das iiberall und zugleich auch nirgendwo zu Hause ist, in Anspruch. Wahrend in der bisherigen Geschichte des Kosmopolitismus diese Bedeutung vor allem von den Gegnern des Kosmopolitismus verwendet wurde, sind es hier die KosmopoHten selbst, die diesen negativen Begriff auf sich selbst anwenden - als literarisch-asthetische Haltung, fiir die es im westlichen Literatursystem einen groBen und wachsenden Markt gibt. Genau diese einseitige Beschreibung der kosmopolitischen Identitat als asthetische Distanzierung ist letztlich auch der zu iiberwindende Ausgangspunkt fiir Brennans Kosmopolitismus. Damit geht ein tJbergewicht der kulturellen Dimension gegeniiber der politischen, etwa in Form einer Solidaritat zu den subalternen Bevolkerungsschichten und immobilen, fest verorteten (post)kolonialen Subjekten einher, so dass dieser „new cosmopolitanism in fiction is inseparable from a strand of political liberalism that openly and consciously seeks to throw off what it considers to be the cliches of the postwar rhetoric of third-world embattlement" (Brennan 1997a: 39-40). Mit Beck lasst sich diese Variante des Kosmopolitismus auch als „flacher Kulturkosmopolitismus des Zitats" bezeichnen (Beck 2004a: 48, Hervorhebung im Original). Aber nicht nur die Postkolonien Ziehen den Spott der kosmopoHtischen Autoren auf sich; auch der Westen wird keineswegs positiv dargestellt. Die Kritik an der westlichen Welt fallt jedoch selten so beiBend und negativ aus wie die an
4.3 Kosmopolitische Beriihmtheiten
143
den ehemaligen Kolonien: „A11 are fresh, political writers of epic events (if not writers of epics) who are critical of the West but only as those whose sympathies finally belong here" (Brennan 1997a: 39). Obwohl die Haltung des Westens gegeniiber der Dritten Welt kritisiert wird, iiberwiegt eine „freundHche" Kritik. Die kosmopoHtischen Literaten sehen ihre Funktion darin, zwischen beiden kulturellen Kontexten aus einer distanzierten Position zu vermitteln, ohne allerdings ihre Verstandlichkeit und Vermarktungschancen im westlichen Literatursystem aufs Spiel zu setzen. Ihre Aufgabe definieren sie in erster Linie als eine padagogische. Sie erzahlen von „fremden Namen" und „verborgenen Geschichten" (Brennan 1997a: 41), um dadurch eine selbstkritische Reflexion des Westens iiber sein Selbstverstandnis sowie seine Beziehung zu den ehemaligen Kolonien in Gang zu bringen. Hier zeigt sich deutlich, dass sich die Kritik am Westen - ganz anders als die Kjritik an der Heimat, die von einem „impassioned political sarcasm (a situated satire) with ironic detachment, employing humor with a cosmic, celebratory pessimism" (Brennan 1997a: 41) gepragt ist - stets im Rahmen des Akzeptablen bewegt. Genau darin liegt fiir Brennan der entscheidende Unterschied zwischen der kosmopoHtischen Literatur und einer „Widerstandsliteratur" (Harlow 1987) der Befreiungsbewegungen, die sich explizit gegen den Westen richtet (Brennan 1989b: 52). Ist das Werk eines Autors aus der Dritten Welt zu offensichtlich politisch und vor allem zu scharf formuliert - dies trifft vor allem auf die explizit antikolonialen und antiimperialistischen Intellektuellen wie Frantz Fanon, C. L. R. James, Leopold Senghor oder Aime Cesaire zu (Brennan 2003c: 113-114) - , dann wird es im Westen als politische Schrift rezipiert und verlasst damit den Einzugsbereich literarischer Karrieren, was sich dann auch in der Positionierung der Schriften im Buchhandel zeigt: „If that art happens to depict angrily and in some detail the mechanisms of oppression employed by imperialism, it usually ceases to be thought of as art at all, and is soon relegated to the 'black studies' or 'marxism' sections of the local bookstore" (Brennan 1989a: 9). Asthetische Kriterien finden damit keine Anwendung mehr, so dass ein solches Werk auch nicht mehr in den literarischen Zeitschriften und Zeitungen rezensiert wird. Dadurch verschwindet es fiir die breite Offentlichkeit im Dunkeln.^^ Somit lassen sich klare thematische Grenzen des literarischen KosmopoHtismus feststellen, was dazu fiihrt, dass in den Anthologien zur Dritte-Welt-Literatur Themen wie Revolutionen oder der antikoloniale Befreiungskampf nur eine untergeordnete Rolle spielen und 14 Dies schlieBt freilich ein „Wiederentdecken" zu einem spateren Zeitpunkt nicht aus, wie zum Beispiel im Fall von C. L. R. James (1938/1989) Studie iiber die Sklavenaufstande auf San Domingo, die lange Zeit nur einer subkulturellen antikolonialistischen Gegenstromung zuganglich war, aber mittlerweile zu einem Schliisseltext des Postkolonialismus geworden ist (Brennan 2003c: 114).
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asthetische Kriterien wichtiger sind als politische Haltungen - kurz: "Feelings are more important than ideas" (Brennan 1997a: 50). Insgesamt lasst sich das Verhaltnis der kosmopolitischen Schriftsteller aus der Dritten Welt zum Westen und den ehemaligen Koloniallandem als ambivalent bezeichnen. Darin ahneln sie der postkolonialen Intelligentsia, die sich im sozialen Spannungsfeld zwischen der einheimischen politischen Elite, den „half breed" und den Eingeborenen verorten muss (During 1992: 91-92). Gerade die westlich gepragte Globalisierung erschwert es den kosmopolitischen Literaten, sich gegen ihren eigenen Standpunkt und die sich daraus ergebenden eigenen Moglichkeiten zu wenden, indem sie den Westen ausschliefilich kritisieren, denn „[b]y stressing the global nature of everyday life, they consciously allude to the centre-periphery conflicts raised by decolonisation, and modify them by enhancing the role of the 'West' as, alternately, foil and lure" (Brennan 1989a: 4). In diesem Zusammenhang kann kaum von einer vollstandigen und liickenlosen hegemonialen Macht der westlichen Welt gesprochen werden, sondern es finden sich inuner wieder Zwischenraume, die sich als partikulare interne Ausgangsposition fiir die Opposition gegen diese Hegemonie verwenden lassen. Dies gilt schon allein deshalb, da koloniale Systeme keine einseitigen Kommunikationssysteme sind, sondern immer auch Riickwirkungen - „The Empire Strikes Back" - von den Kolonien auf die Koloniallander zu beachten sind (Brennan 1989b- 20-21). Der Kosmopolitismus der Literaten aus der Dritten Welt lasst sich als Spiegel dieser postkolonialen Wechselwirkung zwischen den ehemaligen Kolonien und Koloniallandem deuten. Der Blick auf unsere Taxonomie des Kosmopolitismus zeigt, dass in diesem Fall zwei unterschiedliche Bedeutungen des Kosmopolitismus aufeinander treffen: Die (Selbst)definition dieser Schriftsteller als kosmopoUtisch ubernimmt die negative Bewertung des ethisch-individualistischen Kosmopolitismus, lasst sich also in die breite Tradition der Kritik der kosmopolitischen Haltung einordnen, die sich in den bereits zitierten anonymen politischen Fragmenten - „wer keine Heimat hat, der werde ein Kosmopolit" - ebenso wiederfinden lasst wie in den staatsideologischen Kosmopolitismusbegriffen des Nationalsoziahsmus oder des Stalinismus. Dass aber diese negative kosmopolitische Selbstdefinition zum Ausgangspunkt einer literarischen Karriere wird, ist nur deshalb moglich, da diese Entwicklung vor dem Hintergrund eines zweiten Kosmopolitismus stattfindet: einer empirischen Kosmopolitisierung der gesellschafthchen ReaHtat, die sich in den globalen Mediennetzwerken ebenso beobachten lasst wie im Wandel des literarischen Geschmacks bin zu einer Offnung fiir fremde Erzahlungen und einem entfremdeten Blick auf den eigenen kulturellen Kontext. Nicht zuletzt ist der postkoloniale Kontext als ambivalentes Durchdringungsverhaltnis von Westen und den Postkolonien die zentrale Voraussetzung fiir die Moglichkeit kosmopolitischer Beriihmtheiten.
4.3 Kosmopolitische Beriihmtheiten
145
Das schwierige Verhaltnis der Literaten zum Westen zeigt sich charakteristisch auch im Gebrauch der englischen oder spanischen Sprache, die als Sprache der Besatzer untilgbare Spuren kolonialer Unterdrlickung und Herrschaft in sich tragt. Dass die kosmopolitischen Autoren iiberwiegend in der Sprache der ehemahgen Kolonialherren schreiben, ist aber kein unausweichlicher Zwang, sondem eine bewusste Entscheidung fiir eine bestimmte ktinstlerische wie auch politische Haltung, die die Autoren aus dem Kontext der einheimischen oder Nationalliteratur heraushebt und ihnen einen Zugang zur westlichen Offenthchkeit ermoghcht, der ihr in der lokalen Sprache verschlossen ware. Das Schreiben in der Sprache der Gegner bedeutet dabei aber keineswegs ein vollstandiges Aufgehen in der westHchen Kultur, denn „while mastering the language of the metropolitan tribe, they did not assimilate in any one-way process. Being invited to speak as Third-World' intellectuals, they took the opportunity to chastise too, and with the aid of their global awareness stated in clear accents that the world is one (not three) and that it is unequal" (Brennan 1989b: ix-x). Die kosmopolitischen Schriftsteller suchen damit einen Mittelweg zwischen der Anpassung an die Interessen der westlichen literarischen Offentlichkeit und der Wahrung ihrer eigenen postkolonialen Differenz, die ihre wichtigste Eigenschaft darstellt, da sie den Zugang zum westlichen Literatursystem ermoglicht.^^ Das urspriingliche antikoloniale Ziel der Unabhangigkeit wird abgelost von einem postkolonialen Fokus auf die gegenseitige Interdependenz (codependence), denn in der Rezeption der kosmopolitischen Autoren wird deutlich, dass auch die westliche Literatur zunehmend von auBen, von den Literaturen der ehemaligen Kolonien beeinflusst wird (Brennan 1997a: 40). Auch fur die jeweils verwendeten literarischen Formen und Stilmittel lasst sich eine ahnliche ambivalente Situation beobachten. Nicht die iiberlieferten einheimischen Traditionen liefem den Rahmen fiir die kosmopoHtische Literatur, sondem die westlichen Formen, alien voran der Roman, worin ein deutlicher Unterschied zur Literatur der antikolonialen Bewegungen liegt, die vor allem auf die volksnahen Kunstformen des Gedichts, Lieds oder Theaters setzt (Brennan 1988: 135). Alle diese Merkmale verweisen zusammengenommen darauf, dass der Kosmopolitismus der Dritte-Welt-Autoren nicht nur eine bestinmite biographische Konstruktion oder eine soziale Position zwischen Postkolonie und Westen beschreibt, sondern zu einer Ware wird, die auf dem literarischen Markt der westlichen GroBstadte gewinnbringend eingesetzt werden kann. „Kosmopolitische Beriihmtheiten" wie Rushdie, Naipaul oder Mukherjee konnen ihre „Third World' identities as a mark of distinction in a world supposedly exempt from national belonging" 15 Dies ahnelt der Problematik, die sich fiir kapitalismuskritische Kiinstler in einem massenkulturellen Umfeld ergibt. Auch hier werden die Kommunikationskanale des kritisierten Systems fiir antisystemische Projekte „missbraucht" (vergleiche dazu Mendez-Rubio 2002; Perez 2006).
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
(Brennan 1989a: 2) prasentieren. Dies zeigt sich nach Brennan vor allem an den zahlreichen postkolonialen Nachwuchsautoren, die sich intensiv damm bemiihen, ihre „own carefully nurtured marginalities" (Brennan 1997a: 48) in ihre Texte einzuschreiben und fiir sich eine authentische kosmopolitische Identitat aufzubauen. Die Erwartungen des westlichen Publikums an die postkoloniale Intellektuelle beschreibt Gayatri Spivak im Ruckgriff auf ihre eigene Erfahrung wie folgt: „Perhaps that is what the audience wanted to hear: a voice from the margin. If there is a buzzword in cultural critique now, it is 'marginality'" (1990b: 220-221). Merkmale wie Marginalitat, Kosmopolitismus, Postkolonialitat sind jedoch nicht einfach individuelle Eigenschaften, die aus der Verortung einer Person im postkolonialen Kontext entstehen, sondem sind selbst soziale Konstrukte in einem westlichen modemen Kontext. Die „WestHchkeit" der Kategorie wie auch der Inhalte der kosmopoHtischen Literatur aus der Dritten Welt zeigt sich am deutlichsten darin, dass dort kaum Zusammenhange und Ideen beschrieben werden, die vollkommen fremd und daher unverstandlich fiir ein westliches Publikum sind. Dies driickt schon der Begriff der „kosmopolitischen Beriihmtheiten" aus: Beide Elemente, das westliche Konzept „Beruhmtheit" ebenso wie der kosmopolitische Kontext sind nach Brennan entscheidend fiir dieses Phanomen, denn „being metropolitan, they share many of the tastes and outlooks of writers extolled in the West; and, being celebrities, they are widely published and talked about in the West" (1988: 135). Im Mittelpunkt ihrer Texte stehen jeweils Personen, Geschichten und Ideen, die zwar exotisch erscheinen, dabei aber in ihren Emotionen, Motivationen und Handlungen stets iibersetzbar sind, beziehungsweise universelle (allgemein menschliche) Regungen zeigen. Auch dies lasst sich grundsatzlich auf die Funktion der Kritiker und Verlage als Zugangstor zu den westlichen Buchmarkten zurtickfiihren, denn: What we are seeing is a process by which Western reviewers are selecting as the interpreters and authentic public voices of the Third World, writers who, in a sense, have allowed a flirtation with change that ensures continuity, a familiar strangeness, a trauma by inches. Alien to the public that reads them because they are black, speak with accents, or are not citizens, they are also like that pubhc in tastes, training, repertoire of anecdotes, current habitation (Brennan 1989a: 6).
Hier zeigt sich, dass eine Beschreibung dieser Literatur als entweder westlich oder nicht-westlich gerade ihr Wesen verfehlt, denn fiir sie ist genau das asthetisch verfeinerte Aufrechterhalten eines Spannungszustands oder einer Zwischenposition zwischen den beiden sozialen Kontexten charakteristisch. Diese Literatur ist kosmopolitisch in dem Sinn, dass ihr Verhaltnis zur westlichen Literatur sowohl Elemente der Differenz als auch der Gleichheit beinhaltet. Doch dies ist mitnichten ein historisch neuartiges Phanomen, denn zumindest die Figur des kosmopolitischen Schriftstellers als asthetischer Reisender, der sich um
4.3 Kosmopolitische Beriihintheiten
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das Einfiihlen in fremde Kulturen bemiiht, lasst sich nach Brennan bis zum Beginn der kolonialen Expansion Europas zuruckverfolgen (1997a: 37). Aspekte dieser Figur entdeckt man beispielsweise schon in den Idealtypen des Reisejoumalisten Oder des Ethnographen. Viele dieser Reisenden versuchen, durch die eigene - in der Kegel selbst gewahlte, was eine gewisse soziale und materielle Unabhangigkeit voraussetzt - Entfremdung von ihrer Heimat neue Erfahrungen zu machen, die dann in literarischer oder wissenschaftlicher Form weiterverarbeitet werden konnen. Aus dieser Erfahrung des Aufenthaltes im Niemandsland zwischen verschiedenen Kulturen entstehen dann Ideen wie das Konzept der „Hybriditat" (Canclini 1995), das nicht nur in den Cultural Studies und der Theorie des Kosmopolitismus einen zentralen Platz einnimmt, sondem auch in Soziologie und Ethnologie immer haufiger verwendet wird: „Acting as an interlocutor for what enters metropolitan reading as a 'third-world literature,' cosmopolitanism also promotes a genuine aesthetic novelty. Its negotiations, which give the term 'hybridity' its currency, are typically cast as the creatively tortured middle ground occupied by disparate cultural identities" (Brennan 1997a: 37). Der verhandelte Charakter hybrider postkolonialer Identitaten sowie die dahinter steckenden politischen Interessen und Kontexte geraten allerdings in dem MaBe aus dem BHck, in dem dieses Modell nicht nur als individuelle biographische Trajektorie prasentiert wird, sondem als normalisierendes wenn nicht sogar normatives Modell des (zukiinftigen) Lebens in der Weltgesellschaft propagiert wird: „CosmopoHtans in this sense [... ] reject the assumptions that they are 'exiles'—another term applied to hybridity without recognition of what is distinctive to it. On the contrary, the argument is that they represent a future world reahty—a reahty of world subjects" (Brennan 1997a: 38). An dieser Stelle verwandelt sich der empirisch beobachtbare Kosmopolitismus bei Brennan in eine normative Theorie des Kosmopolitismus. Der von Brennan beschriebene Typus des kosmopolitischen Schriftstellers und der von ihm produzierten kosmopolitischen Literatur ist namlich keineswegs eine universelle oder neutrale Idee, sondem entstanmit ganz bestimmten Kontexten: dem postkolonialen Zwischenraum zwischen (Post)kolonie und ehemaligen Koloniallandem sowie den westlichen und vor allem US-amerikanischen Literatursystemen. So basiert die Identifikation einer „Gruppe" von Schriftstellem aus der Dritten Welt als „kosmopolitische Autoren" nicht etwa auf einem gemeinsamen theoretischen Programm (wie es fiir die Kunst antikolonialer Befreiungsbewegungen bezeichnend ist), sondem ist eine westliche oder zumindest auf den Westen bezogene Bezeichnung, die als definierendes Kriterium von der Verortung der Autoren in der Dritten Welt - oder im „Nichtwesten" - ausgeht.^^ Kosmopolitische Autoren 16 Ganz ahnlich funktioniert im Ubrigen das label der „Weltmusik" (Brennan 200 le; Gilroy 2000; Spivak 1990b; Taylor 1997).
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
kann es demnach ausschlieBlich im Kontext der westlichen Literatur geben. Brennan sieht diese Autoren also gerade nicht als postnationale oder universelle Klasse, wie es ihre Selbstbeschreibung nahe legt, denn fiir die (Fremd)konstruktion ihrer gemeinsamen Identitat als „hybrid" oder „kosmopolitisch" werden vor allem essentialisierte Merkmale wie ethnische Herkunft oder geographische Verortung herangezogen. Brennan spricht in diesem Zusammenhang davon, dass dieses „'movement' is based on being rather than doing, and so it is not a movement so much as a retrospective categorization. At the same time, the oppressive persistence of the role the public critic implicitly asks them to fill—and rewards them for filling—constructs a discourse that conditions the novels they set out to write" (1997a: 203-204). Der groBe Wettbewerbsvorteil dieser Autoren liegt darin, dass sie im Zwischenraum zwischen den Kulturen und Ideologien zu verorten sind, zugleich aber fiir die westlichen Rezipienten als authentische Reprasentanten der Anderen erscheinen konnen.^^ Der Pluralismus der neuen Weltliteratur, in der kosmopolitische und hybride Autoren, die sich nicht mehr eindeutig einem bestimmten kulturellen Kontext zuordnen lassen, eine zentrale Rolle spielen, ist nach Brennan nicht im Gegensatz zum US-Imperium zu sehen, sondem reprasentiert sogar selbst einen der zentralen Werte dieses hegemonialen Systems: „Pluralism is the slogan of American empire. The immigrant has become a fetish and the images of immigration as heroic survival have become the new mixed-race, intercultural products of the American crucible seen as a source of American strength" (1997a: 204-205). Der postkoloniale Blick auf den Westen wird nach Brennan im Diskurs des Kosmopolitismus in Konzepte ubersetzt, die sich in das westliche Denken einfligen lassen und damit ihre auf partikularen Kontexten beruhende Andersheit verlieren. Unvermeidlich ist allerdings, dass dadurch der politische Charakter der ICritik verloren geht, beziehungsweise auf eine asthetische Ebene verlagert wird (2001b: 678) paradigmatisches Beispiel daflir ist die in diesem Kapitel beschriebene unpolitische Gruppe der „kosmopolitischen Bertihmtheiten". Die beiden kosmopolitischen Idealtypen in Brennans Theorie des Kosmopolitismus sind in Tabelle 4.1 in ihren zentralen Unterscheidungsmerkmalen gegeniibergestellt. Auf der einen Seite steht die von Brennan iiberwiegend negativ dargestellte Figur der „kosmopolitischen Beriihmtheit", die einen Kosmopolitismus reprasentiert, der in seiner Begrifflichkeit und seinem empirischen Fundament 17 Dieses Prinzip lasst sich auch in den akadamischen Postcolonial Studies nachweisen, deren Schliisselpositionen nach dem filiativen Modell der „Eigen-Reprasentation" - „Black scholars are sought to teach Black literature" (Brennan 1997a: 115) - zu einem groBen Teil an eingewanderte Wissenschaftler aus der entsprechenden Region oder mit dem entsprechenden familaren Hintergrund vergeben werden.
4.3 Kosmopolitische Beriihmtheiten
149
Kosmopolitische Beriihmtheiten
Antikoloniale Intellektuelle
Postnationaler und postkolonialer Kosmopolitismus
Internationalistischer und antikolonialistischer Kosmopolitismus
Kritik vor allem an den postkolonialen Staaten
Kritik an kolonialer Ausbeutung
Soziale Verortung zwischen ehemaligen
Bewusste (Selbst)verortung in der Dritten
Kolonien und Koloniallandem
Welt oder im Westen
Hegemoniale Ideologie
Emanzipatorische Bewegung
Asthetische Haltung
Politische Idee
Wahl, Ware
Zwang, Pflicht
Tab. 4.1: Idealfiguren des postkolonialen Kosmopolitismus
davon ausgeht, dass Nationalstaaten in der globalisierten Gegenwart nur noch eine marginale Rolle spielen. AuBerdem wird die koloniale Abhangigkeit als prinzipiell uberwindbar vorgestellt. Die Tatsache, dass die von diesen Autoren geschriebene Literatur nur in ihren Stimmungen und Lokalitaten an die einheimische literarische Tradition anschlieBt, wird nicht als Fortbestehen einer kolonialen Abhangigkeit interpretiert, sondern als Zeichen dafiir, dass die ehemaligen Kolonien nun ebenfalls den postkolonialen sozialen Raum zwischen den beiden „Welten" betreten haben. Authentizitat und Tradition sind nur ein Hemmnis auf dem Weg zu einem echten postkolonialen und postnationalen Zeitalter als dessen erste Reprasentanten sich die kosmopoHtischen Beriihmtheiten selbst sehen. Die von Brennan in einem positiven Licht dargestellten antiimperialistischen Sympathisanten verkorpem dagegen einen Kosmopolitismus, der sich mit bestehenden Abhangigkeitsverhaltnissen zwischen Erster und Dritter Welt auseinander setzt und sich fiir den Kampf gegen vergangene koloniale und gegenwartige neokoloniale Herrschaftsbeziehungen engagiert. Wahrend der Kosmopolitismus der „Bertihmtheiten" davon ausgeht, dass sich die koloniale Herr/Knecht-Dichotomie langst aufgelost hat und in ein postkoloniales Sowohl-als-Auch verwandelt hat, sehen die antikolonialen Intellektuellen eine Fortexistenz dieses Gegensatzes und versuchen ihn durch die intematione Solidaritat zwischen der Ersten und Dritten Welt auf eine Art und Weise zu uberwinden, die die Andersheit der Kulturen der Dritten Welt anerkennt und bewahrt. Die kosmopoHtischen Autoren kritisieren vor allem die ehemaligen Kolonien, die nach ihrer Unabhangigkeit zu „gewohnlichen" Nationalstaaten geworden sind und durch die Erfindung eigener nationaler Mythen und heroischer Erzahlungen eine Homogenitat im Inneren erreichen wollen, wahrend sie gleichzeitig nach auBen
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
die Unterschiede zu anderen Nationen maximieren. Aus der Sicht der kosmopolitischen Autoren erscheinen diese neuen Nationalstaaten also als reaktionar oder gar als Relikt, da sie sich an die postnationale Weltordnung nicht angepasst haben. Die Kritik der antikolonialistischen Intellektuellen richtet sich dagegen in erster Linie gegen das System kolonialer Abhangigkeit, das sich zwar von einer politischmihtarischen Wirkungsweise auf eine diskursive und okonomische umgestellt hat, was jedoch nichts an ihrer Feststellung andert, dass diese Abhangigkeit nach wie vor fortbesteht und kritisiert werden muss. Der Ort, an dem sich die „kosmopolitischen Beriihmtheiten" selbst verorten, ist der postnationale, hybride Zwischenraum zwischen Postkolonien und Westen, wahrend sich die Sympathisanten des Antiimperialismus bewusst und affiliativ fiir die Seite der (Post)kolonien entscheiden und politisch Stellung beziehen. Der antikolonialistische Kosmopolitismus kann daher nach Brennan als emanzipatorische Ideologic bezeichnet werden, wahrend die postnationale und postkoloniale Sicht des Abhangigkeitssystems zwischen ehemaligen Kolonien und Koloniallandem die hegemoniale Perspektive stiitzt. Fiir Brennan ist der postnationale und postkoloniale Kosmopolitismus darum in erster Linie eine asthetische Haltung, wahrend der antikoloniale zu einer politischen Idee werden kann, die sich fiir eine echte kosmopolitische Beziehung zwischen der Ersten und Dritten Welt einsetzt. Aber diese Unterscheidung lasst sich noch weiter treiben: Fiir die „kosmopolitischen Beriihmtheiten" ist ihr frei gewahlter Kosmopolitismus ein Zeichen ihrer Uberlegenheit liber diejenigen, die noch in das nationalstaatliche Denken der neuen Nationalstaaten in der Dritten Welt verstrickt sind und auBerdem eine asthetische Haltung, die sich auf den Buchmarkten des Westens mit Gewinn umsetzen lasst. Dagegen ist der KosmopoHtismus der antikolonialistischen Intelligenz oft erzwungen und die einzige Moglichkeit des Widerstands gegen neokoloniale Abhangigkeitsbeziehungen. 4.4 Kosmopolitismus als Ideologic Die Alternative zu der postkolonial-hegemonialen Bedeutung des Kosmopolitismus liegt fiir Brennan, wie bereits an mehreren Stellen angesprochen wurde, in einer starkeren Beriicksichtigung internationalistischer Elemente des kosmopolitischen Denkens. Wahrend sich also der asthetische Kosmopolitismus der „kosmopolitischen Beriihmtheiten" als intellektuelle Entsprechung der neoliberalen und US-amerikanischen Hegemonic deuten lasst, ermoglicht ein Kosmopolitismus in der Tradition des kommunistischen Intemationalismus und Antikolonialismus eine emanzipatorische Haltung. Hier ist der Begriff des Intemationalismus von zentraler Bedeutung als Ausgangspunkt fiir die Opposition gegen die hegemoniale kosmopolitische Ideologic, die durch den Globalisierungsschub gegen Ende des
4.4 Kosmopolitismus als Ideologic
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20. Jahrhunderts zur nationalen Ideologic der USA geworden ist.^^ Um dieses Verhaltnis zwischen Hegemonic und Emanzipation zu analysieren, das dann die Gmndlage fiir die normativen Aspekte des antikolonialen Kosmopolitismus ergibt, ist es jedoch notwendig, Brennans empirische These naher auszuflihren. Anders als die cuphorischen Globalisierungstheorien der 1990cr Jahre^^ geht Brennan von einer unvollstandigen Globalisierung in der Gegenwart aus. Gerade weil sich das neolibcrale Ideal der Globalisierung noch nicht universell durchgesetzt hat und immcr noch staatliche Strukturen existieren, die sich gcgen ihre Entmachtung durch die neolibcrale Weltwirtschaft wchren, hat ein intemationalistischcs beziehungsweisc neukosmopolitisches Denken liberhaupt cine Chance. Anders ausgedriickt: An die Stcllc des Bildes einer Welt, die durch die Auflosung nationaler Diffcrenzen zunehmend integriert und homogenisiert wird, setzt Brennan die Vorstellung zweier ungleicher Welten - kulturell als Erste/Dritte Welt, politisch als Westen / Osten -, die das Engagement flir cine intemationale Solidaritat auf den Plan rufen.^^ Deshalb kritisiert Brennan den gcgenwartigen asthetischen Kosmopolitismus vor allem dafiir, durch die standige Wiederholung der ideologischen Floskeln von Globalisierung, Hybriditat und Denationalisierung diejenigen nationalstaatlichen Strukturen anzugreifen, die vor allem in der Dritten Welt die einzige Chance darstellen, sich dem westlichen hegemonialen Einfluss entgegenzustellen. Das postnationale (oder besser: poststaatliche) Zeitalter, das Theoretiker wie Martin Albrow (1998) oder Susan Strange (1996, 2000) bereits anbrechen sehen, ist in Brennans Neuem Kosmopolitismus nicht nur als Ende der Geschichte oder als Ewiger Frieden ein wenig erstrebenswerter Zustand, sondem zugleich auch das politische Ende der Dritten Welt und des Antikolonialismus. Zwar erkennt Brennan das emanzipatorische Potential von Globalisierung und Kosmopolitisierung^^ richtet seinen Blick aber starker auf die Nebenfolgen dieser Befreiung, die sich auch als gefahrliche Distanz von den materiellen und politischen Grundlagen des politischen Kampfes deuten lassen und damit schlieBlich 18 Vergleich zu einer ahnlichen These der Entstehung einer US-gestiitzten universalistischen Hegemonialmacht Hardt/Negri (2000). 19 Als paradigmatische „Hyperglobalisten" (Held etal. 1999: 3-4) sind vor allem Albrow (1998), Friedman (1999) sowie Ohmae (1990) zu werten. 20 Dieses Merkmal des postkolonialen Kontextes beschreibt Sudipta Kaviraj wie folgt: „One of the most interesting features of intellectual inhabitancy in the modern world is that the West can be indifferent towards the rest of the world's cultures; but they can't similarly neglect the West" (2003: 149). 21 In einem ahnlichen Sinne weist auch Ulrich Beck auf die Bedeutung „globaler Protestbewegungen gegen den (neoliberalen) Globalismus und fiir eine andere (kosmopolitische) Globalisierung" (Beck 2004a: 18, Hervorhebung im Original) hin. Allerdings kann nicht von vornherein angenommen werden, dass Kosmopolitismus und Neoliberalismus einander entgegengesetzte Bewegungen sind, sondem beide konnen sich, wie im Verlauf dieses Kapitels noch deutlich wird, erganzen oder sogar gegenseitig stiitzen.
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
auch als Entwaffiiung der zuvor schon prekaren Machtpotentiale antihegemonialer Strukturen der Weltgesellschaft. Der Nationalstaat wird bei Brennan also nicht wie in vielen anderen kosmopolitischen und marxistischen Theorien, die gerade in der post- oder sogar antinationalistischen Ausrichtung das zentrale Definitionskriterium des Kosmopolitismus sehen, abgelehnt oder als riickstandig betrachtet.^^ Brennans Kosmopolitismus versteht sich explizit nicht als postnationalistisch oder poststaatlich. Dies ist aber nur eine der beiden Seiten der Beziehung zwischen Kosmopolitismus und Nationalstaat. Denn auf der anderen Seite lehnt auch dieser Kosmopolitismus nationalistische Mythen und essentialistische Narrative als alleinige Grundlage fiir die nationale Identitatsfindung im Inneren und die intemationalen Beziehungen im AuBenverhaltnis ab. Stattdessen richtet sich der Blick auf den jeweiligen historischen und geopolitischen Kontext nationalistischer ebenso wie kosmopolitischer Ideologien und Projekte und vor allem auf die Ziele und Interessen, die jeweils damit verbunden sind. Brennans Weg fiihrt zu einer „inquiry into the demonization of the always criminal 'State' in contemporary cultural theory—a State that is usually posed as an ontological category rather than a locally varied, or contradictory structure— leading to immense confusion between left and right variants of anti-capitalist positions" (2003a: 114). Dieser Schritt impHziert eine pragmatische Sicht des Nationalismus und des modemen Staates als Instrument, das fiir eine Vielzahl unterschiedlicher Zwecke - hegemoniale wie auch emanzipatorisch-kosmopolitische - eingesetzt werden kann. Brennan versucht, auf diese Weise eine Zwischenposition zu begriinden, die es erlaubt, essentialistische Grundlagen nationaler Identitat abzulehnen, ohne damit diejenigen Staaten zu „verraten" oder theoretisch zu neutralisieren, die sich gegen die Deutungsmuster des globalen Kapitalismus und der Verlockungen der US-Hegemonie - des Westens als „foil and lure" - wehren. Die ethische Forderung richtet sich an die Intellektuellen, sich starker mit ihrer eigenen okonomischen 22 Fiir eine ausfiihrliche Darstellung des Antinationalismus im kosmopolitischen Denken vergleiche Kapitel 2. Bin marxistisch-kosmopolitischer Antinationalismus lasst sich zum Beispiel bei Friedrich Engels finden, der betont, „kosmopoUtisch ist hier [... ] im Sinne ,frei von nationaler Beschranktheit und nationalen Vorurteilen' zu verstehen" (1846/1972: 615, Hervorhebung im Original). Daneben ist aber auch die vielzitierte Textstelle aus dem Kommunistischen Manifest von Bedeutung, in der es heiBt: „Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Lander kosmopoHtisch gestaltet. Sie hat zum groBen Bedauem der Reaktionare den nationalen Boden der Industrie unter den FiiBen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vemichtet worden und werden noch taglich vernichtet. Sie werden verdrangt durch neue Industrien, deren Einfiihrung eine Lebensfrage fiir alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondem den entlegensten Zonen angehorige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondem in alien Weltteilen zugleich verbraucht werden" (Marx/Engels 1848/1972:466).
4.4 Kosmopolitismus als Ideologie
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Position auseinander zu setzen und Unabhangigkeitsbestrebungen der Dritten Welt aktiv zu unterstutzen und nicht durch einen falsch verstandenen Kosmopolitismus jegliche Moglichkeit, eine alternative Weltordnung vorzustellen, zu zerstoren (Brennan 2001b: 687). Brennans wichtigstes Beispiel in diesem Zusammenhang ist Kuba. Ohne fiir den kubanischen Weg explizit Partei zu ergreifen, versucht er an diesem Land zu zeigen, wie sich die anti-staatliche Globalisierungsrhetorik - auch der Postkolonialismustheorie - zugleich als anti-sozialistisch verstehen lasst und dadurch abweichende Modelle und Positionen in der Weltgesellschaft eliminiert (1997a: 300-301). Postnationale oder asthetisch-kosmopolitische Theorien konnen nach Brennan also in der weiter fortbestehenden Logik des Kalten Krieges verortet werden. Eine mogliche Erklarung dieser Affinitat liegt darin, dass die Postkolonialismustheorie gerade im Hohepunkt des Kalten Krieges entstanden ist. Wahrend des Kalten Krieges haben sich also die beiden Leitunterscheidungen Ost/West und Slid/Nord iiberlagert - so spricht Edward Said in seiner Kritik des Orientalismus von dem Verhaltnis zwischen dem Osten (Orient) und dem Westen (Okzident), wahrend die selben Begriffe auch fiir den Gegensatz zwischen der UdSSR und den USA verwendet werden (Brennan 200Id: 39) -, so dass die westliche Welt sich einem „verdoppelten Anderen" gegeniiber sieht, paradigmatisch verkorpert in den beiden Figuren des Sozialisten und des Immigranten aus der Dritten Welt (Brennan 1997a: 33-34). Obwohl sich beide Typen strukturell ahneln und in vielen Fallen wie etwa bei den Schwarzen marxistischen Theoretikem W. E.B. Du Bois und C. L.R. James identisch sind, finden fiir die sozialistischen Anderen im Gegensatz zu den ethnisch-kulturellen Anderen Begriffe wie Anerkennung, Multikulturalismus, Selbstreprasentation und Authentizitat keine Anwendung. Auch erscheint eine Subdisziplin „Sozialistische Literatur" in der akademischen Welt der USA kaum denkbar. Mit der wachsenden Mobilisierung im 20. Jahrhundert beginnen beide Differenzen jedoch unscharfer zu werden und sich schlieBlich zu iiberlagern, so dass „the one 'other' and the other are often fused in practice. A young Senegalese woman studying, say, at a U.S. commuter college will typically speak of the rituals of sharing and communal support in her country that she is dismaying to find do not exist in the United States" (Brennan 1997a: 34). Je starker die hegemoniale Stellung der USA, desto schwieriger wird es, kulturelle Differenzen etwa die Ablehnung der westlichen Massenkultur und Hinwendung zu Tradition und „authentischen" Lebensformen - nicht zugleich auch als Systemgegensatze zu verstehen und umgekehrt Systemgegensatze nicht zugleich als Differenzen kultureller Art. Der zentrale Punkt ist, dass die postnationalen, antiessentialistischen Welten der postkolonialen und kosmopolitischen Theorien nach dem Vorbild des US-
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Imperiums geformt sind. Aus diesem Gmnd sind sie auch keine universalistischen Ideologien, sondem spezifisch amerikanische: „The concept of a world beyond nationalisms that is both postcolonial and post-imperialist [... ] should more properly be seen as the US empire's particular national mythodology" (Brennan 2003b: 202). Die sich zwar selbst als Opposition zu Essentialismen und statischen Weltbildem - und damit auch als Opposition zur westlichen Hegemonic - beschreibende Postkolonialismustheorie pragt als unbeabsichtigte Nebenfolge ein Weltbild, das sich isomorph zur entgrenzten Wirtschaftswelt des Neoliberalismus verhalt. An dieser Stelle ist es hilfreich, noch einmal an die Leitdifferenz zwischen Empiric und Normativitat des Postkolonialismus hinzuweisen, denn hier ist es gerade das empirische Argument des Postkolonialismus, das auf der normativen Dimension abzulehnen ist, da es die Moglichkeiten antikolonialer und antihegemonialer Bewegungen beschneidet. Der jeweilige Kontext entscheidet also, ob es sich um einen positiven und kreativen „Widerstandsstaat" oder einen negativen und zerstorerischen „Unterdruckungsstaat" handelt. Nach Brennan trifft vor allem die kosmopolitischen Schriftsteller der Vorwurf, dass sie „very often cannot accept the virtues of nationalism in this postcolonial setting, are unable to see it as a defensive bulwark, and therefore fail to distinguish between monstrosities like Pakistan and Kenya (which give real meaning to the term 'neocolonialism') and Cuba and Vietnam" (1988: 144). Die groBe Gefahr des kosmopolitischen Denkens liegt im gegenwartigen Kontext darin, dass sich das Wiederentdecken eines universalisierenden und postkolonialen Begriffs des Kosmopolitismus im politischen Diskurs des Westens nun vor allem gegen das Erbe der Dekolonisation richtet und infolgedessen den Widerstand gegen globale hegemoniale Projekte erschwert (Brennan 1997a: 4). In diesem Sinne befassen sich die Diskussionen in der Nationalismusforschung genauso wie im Zusammenhang mit dem Neuen Kosmopolitismus in der Regel mit der allgemeinen Frage, ob Nationalismus und Nationalstaat im Verschwinden begriffen sind (Gellner 1995; Hobsbawm 1990; Strange 2000) oder nach wie vor eine Schliisselrolle einnehmen (Smith 1983, 1995) sowie: ob diese Entwicklung zu verurteilen oder begruBen ist. Dies bedeutet jedoch nach Brennan zugleich, dass „no fundamental distinction is entertained between those [nations, B.K.] created by imperial expansion and those created, some three centuries afterward, by the peoples resisting that expansion" (2001b: 685-686). Aber nur wenn zwischen diesen unterschiedlichen nationalstaatlichen Ausgangspositionen differenziert wird, geraten fiir Brennan auch unterschiedliche Varianten des KosmopoHtismus in den Blick. Erst dann lasst sich eine Unterscheidung zwischen hegemonialen, affirmativen und subaltemen, kritischen Spielarten treffen. Der Begriff des Kosmopolitismus als solcher ist fiir Brennan normativ weitgehend neutral und kann daher nur als astheti-
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sche Distanzierung begriffen werden. Erst wenn sich das kosmopolitische Denken auf einen bestimmten - antikolonialen oder postkolonialen - Kontext bezieht, kann eine normative Bewertung des Kosmopolitismus untemommen werden. Die kosmopolitische Theorie erscheint nach Brennan als „passende" Ideologie fur die hegemoniale Weltordnung der USA. Lokalisiert man die kosmopolitischen Ideen in diesem Kontext, dann wird auch ihr ethischer Gehalt manifest und deutlich zeigt sich: Die „Cosmo-Theory" beschreibt a set of values that [... ] is often painfully, and of course unintentionally, similar to neoliberal orthodoxy. Many of its icons are exactly the same: the souvereign subject, the evils of the state, the attractions of nomadism, cultural pluralism, the delegitimation of a focus on class, absolute freedom against any and all authority (2003b: 202).
Einen wichtigen Beitrag zur postkolonialen Passung zwischen Kosmopolitismus Neoliberalismus liefert auch die auf diese Weise moglichen tJbersetzung empirischanalytischer Begriffe wie Hybriditat, Vermischung und Verfliissigung in politischnormative Begriffe, die dem globalen Kapitalismus und den imperialen Anspriichen der USA gleichermaBen entsprechen: „The spilling over of the cultural into the political is endemic to cosmopolitanism's functionality and, in mildly different forms, reappears in the era of American hybridity's penchant for the aesthetic of the 'fragment' and the conviction that rhizomatic images are, paradoxically, a 'home' position, democratically familiar" (Brennan 2001b: 672). Die ursprtingliche ethische Idee des Kosmopolitismus wird im postkolonialen Kontext kulturalisiert und entpolitisiert. Dadurch verwandelt sie sich in eine asthetische, Distanz zur sozialen Realitat aufbauende Haltung, wie sie vor allem von den in Abschnitt 4.3 beschriebenen kosmopolitischen Autoren vertreten wird. Verortet man diese Haltung in ihrem gesellschaftlichen und vor allem geopolitischen Kontext, dann zeigt sich jedoch, dass sie nicht nur eine individuelle kulturelle Haltung beschreibt, sondern zur ideologischen Untermauerung des Neoliberalismus und der US-Hegemonic beitragt. Der urspriingliche ethische Gehalt des Kosmopolitismus als Solidaritat mit den Anderen, insbesondere mit den unterdriickten und marginalisierten Anderen, wird dadurch in das Gegenteil eines neoliberalen Laissez-faire verkehrt. Diese Transformation des Kosmopolitismus von einer ethisch-antikolonialen Bedeutung, wie sie Brennan im Internationalismus der Dritten Internationale entdeckt, zu einer neutralen empirisch-asthetischen Haltung der postkolonialen Literaten und schlieBlich zu einer dem Neoliberalismus und Neokolonialismus entsprechenden Ideologie ist in Abbildung 4.1 dargestellt. Die kosmopolitische Idee ist also nicht dafiir zu kritisieren, dass sie auf einer asthetischen Ebene operiert und dadurch ohne Implikationen fiir die soziale Realitat bleibt (Element III auf Abbildung 4.1); stattdessen ist dieser Asthetizismus die reale Wirkung und dazu in der Lage, die politische Weltordnung in eine Richtung
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antikolonial
Ethischer Kosmopolitismus ais Solidaritat mit der gesamten Menschheit (1)
neokolonial
^
W
Asthetischer Kosmopolitismus als Distanzierung und kulturelle Hybridisierung (III)
•
V
Ethischer Kosmopolitismus als antikolonialistische Solidaritat mitderDrittenWelt(ll)
Ethischer Kosmopolitismus als Ideologie des Neoliberalismus und der USHegemonie (IV)
Abb. 4.1: Kosmopolitismus als Ideologie zu verandern, die den kapitalistischen Interessen des Westens entspricht und die Position der Dritten Welt weiter marginalisiert (Element IV auf Abbildung 4.1). Auch Brennans Kritik an Martha Nussbaums (1996b; 1997) Kosmopolitismus lauft in dieselbe Richtung: Nicht die universalistische Idee der Ausweitung der Solidaritat auf die gesamte Menschheit ist fur ihn anstoBig - dies ist auch fiir Brennan ein positiver Gedanke, insofem er auf die Bahnen intemationahstischer Solidaritat gelenkt werden kann (Element II auf Abbildung 4.1) -, sondem die Tatsache, dass diese Idee vorrangig den Erfordemissen der USA und nicht der Dritten Welt (oder der Menschheit) entspricht (Brennan 2001b: 25). Die mit diesem Kosmopolitismus verbundenen Gefahren liegen hier gerade darin, dass er so untadelig und politisch korrekt erscheinent, da zumindest als Konnotation immer noch die universalistische Idee der SoHdaritat mit der gesamten Menschheit mitschwingt (Element I auf Abbildung 4.1), die im gegenwartigen Kontext der Weltgesellschaft Gefahr lauft, sich in eine bloBe asthetische Haltung zu verwandeln The positive connotations of cosmopolitanism in colloquial usage are so irrepressible that we continually see the critic "discovering" an ethical stance that balefully, and without his or her wanting it to, homologizes itself with corporate interests, echoing official American language, repeating forgottten earlier movements, and demanding no payment from public sentiment. The stance is often consonant with power, and ruffles no feathers" (Brennan 2001b: 672).
Die Kritiker versaumen es, den Kosmopolitismus in seiner neokolonialen Auspragung (III und IV) zu kritisieren, weil sie befiirchten, sich damit auch gegen die positiven kosmopoHtischen Ideen (I und II) auszusprechen. Die negative Seite des
4.4 Kosmopolitismus als Ideologic
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Kosmopolitismus ist nach Brennan also nicht auf der inhaltlichen Ebene zu suchen, sondem in seiner unbeabsichtigten und tragischen Nebenfolge, in der gegenwartigen Weltordnung fiir die „falsche Seite" Partei zu ergreifen, beziehungsweise darin, dass auch die Kritiker durch den verfiihrerischen Begriff des Kosmopolitismus gar nicht mehr zwischen Affirmation und Kritik unterscheiden konnen (Brennan 1997b: 231). Besonders tragisch ist, dass durch das Verdrangen der antikolonialen Bedeutung von Kosmopolitismus - die auf Grund ihrer engen Verbindung zur Kommunistischen Internationale fiir den westlichen Diskurs des Kosmopolitismus zu fremd erscheint - sogar emanzipatorische nationalistische Projekte nur noch in einem von US-Werten gepragten Idiom formuliert werden konnen: An American cultural norm is employed for others' specific national projects rather than being imposed in an act of cultural war against established states. On the model of the comprador classes of colonialism, the ruling ehtes of powerful countries participate in the border transgressions as a salutary moral edification of their own citizenries (Brennan 1997a: 35).
Durch das Verwenden des Begriffs „Kosmopolitismus" werden die USA implizit zur weltkulturellen Norm erklart - oder auch: zum Kosmos des Kosmopolitismus. Mit Brennan lassen sich die kosmopolitischen Ideen auch als eine Art universalisierte „nationale Ideologic", einer Nation der Weltblirger - stets nach dem Modell der US-Burger gedacht - beschreiben, die allerdings jegliche Spur ihrer partikularen Herkunft als US-amerikanische neoliberale Ideologic abgelegt hat (2003b: 201-202). Der Kosmopolitismus nimmt in dieser Erscheinungsform also die Form eines „falschen Bewusstseins" an, das durch seine transnationale, entgrenzende und vor allem auf kulturellen Begriffen basierende Rhetorik den Blick fiir die nach wie vor von Machtinteressen beherrschte politische Realitat verstellt (Brennan 2001b: 673). Diese Mittaterschaft des kosmopolitischen Denkens wird jedoch nur dann manifest, wenn kosmopolitische Ideen wie Entgrenzung, Empathie, Transnationalismus und Hybridisierung in ihren konkreten Kontexten lokalisiert werden (Sandten 2001: 58). Brennan kritisiert den Begriff des Kosmopolitismus nicht dafiir, dass er zu utopisch ist oder sich selbst falschhcherweise als Universalismus versteht, sondem dafiir, dass er im gegenwartigen Kontext einer Welt, die gerade nicht so stark globalisiert ist, wie es die Globalisierungsdebatten in den Kultur- und Sozialwissenschaften nahe legen, fatale Nebenwirkungen zur Folge hat. Wahrend sich dieser US-Kosmopolitismus postnational gibt, dadurch jedoch in Wirklichkeit die USA als universelle Nation beschreibt^^, geht Brennans an23 Vergleiche dazu auch Benjamin Barber, der im US-Patriotismus einen Ausdruck einer kosmopolitischen Haltung sieht: „At its best (it often is not at its best), America's civic nativism is, then, a celebration of internationalism, a devotion to values with cosmopolitan reach" (1996: 33). Vergleiche dazu auch Wallerstein (1996: 123).
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tikolonialer oder intemationalistischer Kosmopolitismus den umgekehrten Weg und unterstiitzt nationalistische Bewegungen in der Dritten Welt, um dadurch universalistischen, ethisch kosmopolitischen und vor allem antihegemonialen Zielen zu dienen. Fur Brennan kann daher die Suche nach einer altemativen nationalen Identitat mit einer intemationalistischen Orientierung einhergehen. Innen und AuBen sind in dieser Darstellung jedoch gegenliber der iiblichen Sichtweise vertauscht: Die nationalistische Selbstfindung gilt es vor allem im AuBenkontakt beziehungsweise im Kontext der kapitalistischen Weltgesellschaft zu verfolgen, wahrend eine internationalistische Orientierung in erster Linie im Inneren des Nationalstaats als „domestic internationalism" (2001 e: 50, FuBnote 2) gedacht wird. Intemationalismus zielt in diesem Verstandnis also gerade nicht auf die Auflosung des Nationalstaats, sondern auf die Starkung staatlicher Strukturen in ihrer Bedeutung als Instrument des Widerstands gegen die Vereinnahmung durch neoimperialistische Interessen auf globaler Ebene. Zugleich dient der Kosmopolitismus im Inneren als strategische Gegenmacht zur nationalistischen Bomiertheit und isolationistischen Verantwortungslosigkeit, so dass dieses „Lob" des Nationalstaats keineswegs als essentialistische Riickbesinnung zu verstehen ist, sondern als Ausgangspunkt fiir eine neue kosmopolitische Solidaritat. Kosmopolitismus in seiner bisherigen Form neigt aus dieser Perspektive dazu, die Ungleichverteilung von Macht und Mobilitat zu verdecken und dadurch festzuschreiben, denn dem entgrenzten, ortlosen Kapital in einem „Raum der Strome" steht der, nach wie vor in einem „Raum der Orte" agierende, immobile und auf nationale Arbeitsmarkte angewiesene Arbeitnehmer gegenliber. ^"^ Ebenso kann nach wie vor kaum von einer wirklichen „postnationalen" Offnung der Staatsbiirgerschaftsrechte gesprochen werden, so dass Intemationalismus potentiell eine Ideologic der Unterdriickten und damit auch ein Instrument der Opposition gegen den globalen Kapitalismus ist. Brennans Begriff des Kosmopolitismus setzt sich somit zusammen aus dem politischen Kontext einer neoimperialistischen Weltordnung mit den USA als einzig verbleibender Hegemonialmacht und dem okonomischen einer beschleunigten aber ungleichmaBigen Globalisierung, die wiederum dazu fiihrt, dass kulturell Besonderheiten durch massenkulturelle Exporte des Westens und insbesondere der USA als global culture (Featherstone 1990b) ersetzt werden. Diese strukturellen Ortsbestimmungen spiegeln sich dariiber hinaus auch in der Sprache wieder, in der „Hybridisierung", „Vermischung", „MobiHtat" und „Entgrenzung" als neoliberale Grundwerte mit einem uneingeschrankt positiven Gehalt versehen werden und dariiber hinaus kosmopolitische „Marken" und images global verwertet werden konnen (Beck 2004a: 65). Auf dieser Ebene sieht 24 Zum Ergebnis einer ungleichen Globalisierung von lokalisierten Arbeitnehmem und globalisierten Konzemen und Finanzstromen kommt im Ubrigen auch Castells (2001).
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Brennan den widerstandischen Intemationalismus als Gegenmacht zum neoimperialistischen Kosmopolitismus, ganz gleich wie verfiihrerisch das reine Ideal des Kosmopolitismus auf ideeller Ebene auch sein mag. Der gefahrliche Universalismus des Kosmopolitismus ist fur Brennan ein Ergebnis des im 17. Jahrhundert gepragten politisch-rechtlichen Kosmopolitismus als humanistische Utopie einer rechtlich-kosmopolitischen Weltordnung (1997a: 3). Negative Aspekte wie die Kosten dieses Modells, das die Menschheit einem „ewigen Frieden" naher bringen sollte, wurden dabei allerdings ausgeblendet. Genau diese Schattenseiten stellt Brennan jedoch in den Vordergrund, wenn er das US-Imperium im 20. Jahrhundert als bedrohliche Verwirklichung des Kantschen Ideals eines universellen Staats beschreibt (2001b: 686). Deshalb ist es fur Brennan auch kein Zufall, dass der Diskurs des Kosmopolitismus gerade gegen Ende des 20. Jahrhunderts wieder an Intensitat gewinnt, denn this revival occurs at a time when there are more objective foundations for a "new world" than Kant ever knew: namely, the existence of a nation (the United States) with the individual means, the motive, and the alliances to establish the first universal law. We are finding more and more common the claim that American judges have jurisdiction everywhere—that not only does the sun never set on the American empire, there is no place it shines that is not America (1997a: 4).
Auch dieser Kosmopolitismus ist ein Neuer Kosmopolitismus, da er von der abstrakten Welt der Ideen in die Welt der politischen Realitat transportiert wird, allerdings unter negativem Vorzeichen. Im Unterschied zu anderen Neuen Kosmopolismen geht es hier weniger darum, den Begriff auf realistische Weise neu zu bestimmen und so einer politischen Praxis zuganglich zu machen. Gerade der universalistische Kosmopolitismus ist bei Brennan mehr als ein Idealtypus und in Gestalt der globalen kulturellen, rechtlichen und militarischen Hegemonic der USA schon langst zu einer geopolitischen Tatsache geworden. Hier ist also keine Transformation des Begriffs „KosmopoHtismus" von einer Kantschen zu einer Hegelschen Bedeutung notwendig, sondem Brennan stellt eine direkte Filiationsbeziehung von Kant zu den modemen USA her. Dabei verliert das kosmopolitische Denken seinen utopischen Gehalt als „Ewiger Frieden" und wird zu einer hegemonialen Steuerungsideologie. Der Kosmopolitismus ist nicht die Utopie, die es zu erreichen gilt und auch nicht der Zwischenschritt hin zu einer echten intemationalistischen Solidaritat (Robbins 1993: 196), sondem eine negativ bewertete geopolitische Tatsache.^^ Kosmopolitismus bezieht sich in diesem Sinn nicht so sehr auf bestimmte kosmopolitische Ideen oder Uberzeugungen, die 25 Dieser Gedanke findet sich auch bei Nathan Glazer, der zur Debatte des Neuen Kosmopolitismus bemerkt: „Regarding many other aspects (for example, political loyalty, culture) we may properly remain skeptical whether a cosmopolitan world would be better than the one we have" (1996: 65).
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verwirklicht werden soUen, sondem vor allem auf die Entstehung eines neuen politischen Kontextes des Postkolonialismus, in dem sich auch die bestehenden Akteure neu ausrichten und bestimmen miissen. 4.5 Widerstand, Verortung, Reflexivitat In Brennans Theorie erscheint der Nationalstaat, der in den meisten klassischen Theorien des Kosmopolitismus - vergleiche dazu nur die Formulierung der Grundfrage bei Nussbaum (1994) als exklusive Entscheidung zwischen Patriotismus oder Kosmopolitismus - als Gegner oder Hemmnis fur eine kosmopolitische Orientierung auftaucht, in einer differenzierteren und ambivalenten Betrachtungsweise, wenn nicht sogar als Element einer „falschen Dichotomie" (Brennan 2001b: 559, FuBnote 1). Nationalstaat und Nationalismus sind keine Relikte, die es durch eine kosmopolitische Weltordnung beziehungsweise eine kosmopolitische Perspektive abzulosen gilt, sondem ein wichtiges Anwendungsgebiet fiir das kosmopolitische Denken.^^ Von entscheidendender Bedeutung ist allerdings, ob es sich um den Nationalstaat hier (Europa, USA) oder an anderen Orten (Dritte Welt) handelt: The new cosmopolitanism drifts into view as an act of avoidance if not hostility and disarticulation toward states in formation. The dichotomy and the binary almost universally deplored—as much in official policy statements and editorials as in literary theory—continues to make sense (indeed, is demanded) dialectically, not in the name of authentic, non-European culture or any other useful fiction but in the name of what this conflict over coloniaHsm and postcolonialism has largely been about: collectivity, community, self-sufficiency (Brennan 1997a: 2)
Trotz Kritik am Kosmopolitismus geht es nicht darum, das kosmopolitische Denken und seine Anspriiche zu relativieren oder zu verwerfen, sondem darum, den kosmopolitischen Blick auch auf die eigenen Annahmen und den eigenen Kontext zu lenken, um mogliche Komplizenrollen des kosmopolitischen Denkens genauer in den Blick zu bekommen. So sehr Kosmopolitismus als Orientierung immer dann geboten ist, wenn es um den Widerstand gegen die Hegemonic der USA im Inneren dieses hegemonialen Zusammenhanges geht, so sehr ist fiir Brennan Kosmopolitismus als geopolitische Ideologic des Neoliberalismus in Gestalt eines „imperialen Kosmopolitismus" (2001b: 669) abzulehnen, wenn es im Aufienverhaltnis um nicht-westliche Unabhangigkeitsbestrebungen und Entwtirfe altemativer Weltordnungen in den Postkolonien geht. Auch hier wird also deutlich: Nicht der Kosmopolitismus an sich als aufgeklartes weltbiirgerliches Ideal ist 26 Zu diesem Ergebnis einer nach wie vor zentralen Bedeutung von Nationalstaaten gerade fiir die Erm5glichung kosmopolitischer Prinzipien kommen auch andere Theoretiker des Neuen Kosmopolitismus wie zum Beispiel Himmelfarb (1996).
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4.5 Widerstand, Verortung, Reflexivitat
Hegemonialer Kosmopolitismus
Emanzipatorischer Kosmopolitismus
Binnenverhdltnis Nationalismus: Homogenisiemng, (nationalstaatli- Chauvinismus, Antikosmopolitische Ebene) mus
Kosmopolitismus II: Offnung fiir die Anderen, Inklusion ohne Assimilation
Aufienverhdltnis (Internationale Ebene)
(Inter)nationalismus: Vielfalt, Andersheit der Anderen wahren, Internationalismus und grenziiberschreitende Solidaritat
Kosmopolitismus I: Entgrenzung, Denationalisierung, Marktkosmopolitismus, cosmo-theory als neoimperialistische Ideologie
Tab. 4.2: Kosmopolitismus im Binnen- und Aufienverhdltnis
abzulehnen und zu bekampfen, sondem die ideologische Verwendung dieser Idee in einem Kontext, dessen Realitat sich zunehmend von diesem Ideal entfernt hat. Hier wird also eine grundlegende Unterscheidung zwischen der Bedeutung des Kosmopolitismus als internes und als extemes Projekt notwendig. Brennan lehnt schlieBlich nicht jedes kosmopolitisches Denken ab, sondem nur dort, wo es sich im Einklang mit den hegemonialen Projekten der USA und des Neoliberalismus befindet: auf der globalen Ebene. Im Inneren von Nationalstaaten dagegen spricht er sich dagegen immer wieder fiir das Eintiben einer kosmopolitischen Solidaritat aus - „one should be cosmopolitan when it comes to education, tastes in art, and political solidarities if considered (paradoxically) within national frameworks" (Brennan 2001b: 668). Seine eigene Orientierung beschreibt Brennan weder als asthetischen, noch als universalistischen Kosmopolitismus, sondem als selbstreflexive Moglichkeit, essentialistischen Genealogien auszuweichen und sich mit subalternen und fremden Bewegungen zu solidarisieren, ohne seine eigene Position zu verraten (Brennan 1996: 182). Es sind also nach Brennan stets mindestens zwei Kosmopolitismen und zwei Nationalismen gleichzeitig im Blick zu behalten, die relativ unabhangig voneinander sind (vergleiche dazu auch die Vierfeldertafel auf Abbildung 4.2). Der erste, das AuBenverhaltnis der Nationalstaaten betreffende Kosmopolitismus (Kosmopolitismus I auf Abbildung 4.2) lauft Gefahr, durch seine entgrenzende und postnationale Rhetorik - Brennan beschreibt diese Position wie folgt: „National souvereignty is said to have been transcended, the nation-state relegated to an obsolete form, and the present political situation is seen as one in which newly deracinated populations, NGOs, and web users are outwitting a new world order in the name of a boldly new, only partially defined, transnational sphere" (2001b: 672-673) gerade den postkolonialen Staaten der Dritten Welt ihr Recht auf Differenz abzusprechen. Dariiber hinaus entspricht diese Haltung genau den Erfordemissen des
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
Neoliberalismus und Neokolonialismus, da durch den Fokus auf Entgrenzung und Auflosung ein Ende der kolonialen Abhangigkeiten und Ausbeutungsbeziehungen suggeriert wird. Zugleich ist aber auch der, auf das Innere der Nationalstaaten bezogene Nationalismus (Nationalismus auf Abbildung 4.2) abzulehnen, da er gleichbedeutend ist mit einer antikosmopolitischen, chauvinistischen SchlieBung gegeniiber alien auBeren Einflussen. Der innenpolitische Kosmopolitismus (auf Abbildung 4.2 als Kosmopolitismus n bezeichnet) zeigt sich dagegen paradigmatisch in Gestalt der Offnung der amerikanischen Universitaten und Curricula fiir auBereuropaische Autoren, Theoretiker und Erzahlungen und dem Verzicht auf eine innere kulturelle, geschichtliche oder ethnische Homogenisierung. Dieser innere Kosmopolitismus, der die Andersheit der Anderen anerkennt und nicht den Versuch untemimmt, sie an die Mehrheit zu assimilieren, lasst sich kombinieren mit einem auBenpolitischen Antikolonialismus oder Intemationalismus, fiir den die Souveranitat der Staaten in der Dritten Welt einen zentralen Schutzwall gegen die grenzenlose und dadurch radikalisierte Ausbeutung subaltemer Schichten darstellt ((Inter)nationalismus auf Abbildung 4.2). Gerade durch diese Achtung nationaler Unterschiede und das Beharren auf der Wichtigkeit und Wirksamkeit nationalstaatlicher Strukturen fiir die Emanzipation der ehemaligen Kolonien ist dieser (Inter)nationalismus engagiert und zeigt sich solidarisch mit den Landem der Dritten Welt. In dieser Kombination aus kosmopolitischer Offnung im Binnenverhaltnis und intemationaler Solidaritat im AuBenverhaltnis sieht Brennan die Zukunft eines Neuen Kosmopolitismus, der Entgrenzung und Begrenzung, Universalismus und Partikularismus kombiniert und nicht mehr als gegengesetzte Prinzipien versteht. Der emanzipatorische Kosmopolitismus, der aus dieser Verbindung entsteht, verkorpert hier also die Gegenmacht gegen den Neoliberalismus und die US-Hegemonie. Diese Unterscheidung zwischen inneren und auBeren Varianten des Kosmopolitismus erinnert zunachst an ahnliche Begriffe in vielen bisherigen Theorien des Kosmopolitismus. Sehr schnell zeigt sich aber, dass hier die Beziehung zwischen den inneren und auBeren Varianten einander nicht entsprechen, sondern genau gegenlaufig sind. In dieser Diskordanz zwischen den Ebenen liegt wiederum die Besonderheit des Kosmopolitismus im postkolonialen Kontext - in Erganzung zu der bereits angesprochenen Disharmonie zwischen empirischer Diagnose und normativer Wertung (vergleiche Abbildung 3.1). Den emanzipatorischen Kosmopolitismus nach Brennan kennzeichnet gerade, dass er weder auf beiden Ebenen nationalistisch argumentiert - dann konnte man nicht mehr von Kosmopolitismus sprechen - noch die kosmopolitische Haltung im Innen- und AuBenverhaltnis fiir normativ richtig halt. Der innere Kosmopolitismus muss mit einem auBeren Internationalismus und sogar der Unterstiitzung des nationalistischen Antikolonialismus
4.5 Widerstand, Verortung, Reflexivital
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einhergehen um eine Gegenmacht zu hegemonialen kosmopolitischen Modellen darstellen zu konnen. Gerade der universalistische Anspruch des Kosmopolitismus kann nur dann eingelost werden, wenn den einzelnen Regionen und Landern der Welt eine gleichwertige Position sowie ein Recht auf Andersheit eingeraumt wird: To understand and appreciate the values of all humans is to understand what Nussbaum does not: the rights of small nations—patriotism and all—including that embarrassing, but sizeable, variant of socialist nationalism that is also an internationalism. A cosmopohtanism worthy of the name, in other words, would have to give space to the very nationalism that the term is invoked to counter" (Brennan 1997a: 25).
Diese Differenzierung zwischen den beiden Kosmopolitismen lasst sich auch in Abwandlung der Begrifflichkeit von Karl Popper (2003) beschreiben: Wahrend im Inneren die ethnisch, kulturell oder weltanschaulich offene Gesellschaft ein erstrebenswertes Ziel darstellt, wird dasselbe Ideal der offenen Gesellschaft auf globaler Ebene zu einem neoliberalen Albtraum, unter dem vor allem die subaltemen Bevolkerungen der Dritten Welt leiden. Brennans Neuer Kosmopolitismus kann daher den Nationalstaat und die damit zusammenhangenden Ideologien nicht vorschnell verabschieden, sondem anerkennt diese Strukturen im Rahmen einer internationalistischen Haltung als lokal notw^endige Differenzen, um schlieBlich, ausgehend von dem dadurch moglichen Widerstand gegen die hegemoniale Weltordnung, zu einem wirklichen antikolonialen Kosmopolitismus zu gelangen. Brennan lehnt den Kosmopolitismus also nicht ab - dies belegt auch eine Textstelle, an der er feststellt, dass „many want to recognize Laertius in themselves (I do)" (Brennan 1997a: 25) und sich damit explizit in die traditionelle Genealogie des Kosmopolitismus einordnet -, beschreibt aber die Widersprliche und Gefahren einer kosmopolitischen Realitat im gegenwartigen, von der globalen Hegemonic der USA und des neoliberalen Kapitalismus gepragten, geopolitischen Kontext des postkolonialen Moments (Brennan 2001b: 686). Folgt man Brennan, dann liegt die groBte Bedrohung fiir das kosmopolitische Denken paradoxerweise in der Verwirkhchung des kosmopolitischen Ideals eines Weltstaats. Die Aufgabe des kosmopolitischen Kritikers liegt demnach darin, die Idee des Kosmopolitismus von der universalisierenden, den Interessen des Hegemons USA entsprechenden Ideologic zu trennen (zu reinigen), um dadurch eine Art von Solidaritat zu ermoglichen, die der Realitat im postkolonialen sozialen und politischen Kontext besser entspricht. Kosmopolitismus lasst sich damit nicht mehr als antinationalistisches Projekt verstehen, sondem als Rahmen, innerhalb dessen auch die Anerkennung nationaler und nationalistischer Differenzen moglich ist. Kosmopolitismus meint also auch: Anerkennung der Andersheit anderer Nationalstaaten. Der Nationalstaat ist aus dieser Perspektive nicht das Hindemis, das durch eine globale kosmopo-
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
litische Politik beseitigt werden soil, denn dies fordert ja schon das Projekt des Neoliberalismus. Brennan betont stattdessen: „The enemy of revolution in the neo-liberal age is not 'the State/ but the souvereign, freely experimenting, hybrid subjects of corporate Utopia against whom the state (or one version of it, at any rate) continues to be the last refuge. The left fights in that space, or it refuses to fight" (2003a: 116, Hervorhebung im Original). Die kosmopolitische Theorie, die sich als Gegensatz zum Nationalstaat versteht, lauft damit Gefahr, mit der erfolgreichen Durchsetzung ihres Denkmodells, das sich aus Stromen, Hybriditat und universalistischen Ideen zusammensetzt, als Nebenfolge auch in Kauf nehmen zu miissen, ihre wichtigste politische Arena aufzugeben oder gar zu zerstoren. Dazu kommt, dass das Projekt der Auflosung des Staates tragischerweise gerade in der Postkolonialismustheorie besonders intensiv vorangetrieben wird, also genau in dem Diskurs, der sich der Solidaritat mit der Dritten Welt und ihrer Reprasentation im Westen verschrieben hat, so dass dies „saps the countermovements of their energies and robs them of support. If critics continue that sort of work uncritically, they are only helping to destroy what, at a later and more convenient date, they sign off on as obsolete. They doom what they later reject for being 'doomed'" (Brennan 1997a: 317). Zudem sind die Trager dieser Entwicklung haufig Intellektuelle, die selbst aus diesen Landem stammen. Auch hier zeigt sich also eine deutliche Reflexivitat des Kosmopolitismus, der auf einem zirkularen Verhaltnis zwischen der Positionierung der eigene Person und den jeweils vertretenen theoretischen Ansichten basiert. Allerdings ist dieser Zirkel bei Brennan ein circulus vitiosus, der die Entstehung und Verbreitung eines „falschen" oder postkolonialistischen Kosmopolitismus beschleunigt und dadurch die Bedingungen der Moglichkeit eines „richtigen" oder internationalistischen Kosmopolitismus durch seine Betonung von Individuen, Stromen und Asthetik statt Bewegungen, Staaten, Materialitaten und PoHtik zerstort (Brennan 2001b: 665). Der erste Schritt aus diesem zirkularen Zusammenhang liegt fur Brennan in einem ein differenzierterem Verstandnis des Nationalstaats. Auf der einen Seite sieht die marxistische Theorie Staaten als Institutionalisierung ungerechter sozialer Verhaltnisse und von Ausbeutung. Auf der anderen Seite sind sie zugleich jedoch in einem ubergeordneten Rahmen Strukturen, die es lokalen und einheimischen Bevolkerungen erlauben, sich dieser Logik zu entziehen (Brennan 2001b: 685). Staatsmacht bedeutet in diesem Sinne nicht nur die Macht eines Staates, die in ihm verorteten subalternen Bevolkerungsschichten zu kontrollieren oder gar zu unterdriicken, sondem auch die Macht der Subalternen, diesen Staat als politisches Instrument in einer globalen politischen Arena einzusetzen.^^ 27 So geht es zum Beispiel im Kampf der Zapatisten in Mexiko darum „to preserve the integrity of the national state in order to have something meaningful to wrest away from the patriots posing in the
4.5 Widerstand, Verortung, Reflexivitat
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Der Neue Kosmopolitismus bleibt aber nicht bei einem essentialisierten Nationalstaatsbegriff stehen, sondem durch die zunehmende Infragestellung nationalstaatlicher Grenzziehungen - durch die Durchsetzung der kosmopolitischen Ideologie ebenso wie durch die okonomische Globahsierung - werden im postkolonialen Moment neue Arten der InstrumentaHsierung staadicher Strukturen denkbar. Der asthetische Kosmopolitismus vergisst oder leugnet nach Brennan jedoch genau diese Vorteile, die Nationalstaaten fiir die globalen Subaltemen im Widerstand gegen die Unterdriickung (auch durch Nationalstaaten) bedeuten konnen (2001b: 672). So sind zum Beispiel Nationalstaaten nach wie vor die wichtigsten Ansprechpartner fiir die individuelle Verteidigung gegen Menschenrechtsverletzungen auch, wenn diese staatlichen Ursprungs sind.^^ Kosmopolitismus kann demnach solange nicht in globalem MaBstab realisiert oder als linkes emanzipatorisches Projekt formuliert werden, solange die verschiedenen Nationalstaaten nicht ein ahnliches „Entwicklungsniveau" erreicht haben. Das lasst sich auch als Pladoyer fiir einen „intemationalistischen Kosmopolitismus" lesen, der sich fiir die Anerkennung kultureller Andersheit einsetzt, allerdings nicht, ohne zuvor den Blick auf die moglicherweise quer dazu liegenden materiellen Ungleichheiten zu richten. Dem asthetischen oder postkolonialen Kosmopolitismus liegt hingegen die falsche Annahme zu Grunde, dass „ordinary people have the same access to education, funding, and travel that intellectuals and businesspeople do, and that they can exploit the same global networks of communication in a variety of foreign language" (Brennan 2001b: 672). Es ist also letztlich ihr spezifischer Standort, der intellektuelle Kosmopoliten, die in der Lage sind, ein privilegiertes und mobiles Leben zu flihren, dazu verleitet, genau diesen Standort und ihre Seinsverbundenheit zu vergessen oder auszublenden und die kosmopolitische Idee als universalistische Idee zu propagieren - was jedoch angesichts einer gespaltenen Welt Gefahr lauft, zu einer Art „kosmopolitischen Zynismus" zu werden.^^ In der gegenwartigen Weltordnung sind nach Brennan jedoch antikoloniale Kosmopolitismen gefordert, die sich von diesen „Denkfalien" emanzipieren und auch die Wichtigkeit nationaler Mythen - wenigstens vorlaufig - als Moglichkeit des Widerstands gegen universelle Hegemoniebestrebungen akzeptieren (das heiBt nicht: gutheiBen). Die zentrale Konfliktlinie verlauft bei Brennan nicht zwischen Nationalstaat oder Nationalismus auf der einen und den kosmopolitischen Ideen auf der anderen Seite, sondem beides sind lokalisierbare politische Konzepte, hinter current Mexican government" (Brennan 1997a: 198-199). 28 Diese Argument gegen einen (fehlinterpretierten) Kosmopolitismus findet man haufig, so zum Beispiel auch bei Turner (2006). 29 Ahnliches stellt auch Immanuel Wallerstein (1996) fest: „We live in a deeply unequal world. As a result, our options vary according to sociallocation, and the consequences of acting as a 'world citizen' are very different depending on time and space" (1996: 122).
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denen je nach Analyseebene unterschiedliche politische Interessen stehen konnen: „like cosmopolitanism, nations are hear (Brennan 2001b: 685, Hervorhebung im Original). Bin kosmopolitischer Blick zeichnet sich dementsprechend dadurch aus, beide Realitaten wahrzunehmen und in ihrer Interdependenz zu analysieren. Gerade in geographischer, okonomischer, sexueller oder religioser Hinsicht marginalisierte und partikulare Positionen ermoglichen die Einiibung des kosmopolitischen Blicks, der hier vor allem bedeutet: nicht den hegemonialen Sehgewohnheiten des neuen US-Imperiums zu entsprechen, sondem systematise!! seine Llicken, Machtpositionen und Formationen unter oppositioneller Zielsetzung zu betrachten. Es geht also nicht so sehr darum, wie die „imperial eyes" (Pratt 1992) fremde Kulturen wahmehmen, sondem vielmehr um eine Perspektive auf die eigene Kultur mit „marginalisierten" oder „kolonialen Augen".^^ Diese freiwillige Entfremdung von der eigenen Kultur erlaubt es dann, inmitten des zuvor als homogen angenommenen Zusammenhanges neue Differenzen zu erkennen. Es geht Brennan also nicht um die Einheit in der Vielfalt, sondern um die Vielfalt in der Einheit oder die Partikularismen im Universalismus, so dass diese entfremdete Position dann als Ausgangspunkt fur die kosmopolitische Kulturkritik genutzt werden kann (Brennan 1997b: 235). Paradox an diesem Kosmopolitismus ist jedoch, dass er sich deshalb auch gegen die universelle kosmopolitische Ideologic von Hybriditat, Stromen und Pluralisierung wendet und also im Kern auch antikosmopolitische Elemente enthalt. Am Ende treffen sich Kosmopolitismus und Nationalismus wieder, da Ersterer in politisch oppositioneller Form nur mit der Unterstiitzung des Letzteren moglich ist: „Nationalism is not dead. And it is good that it is not" (Brennan 1997a: 317). 4.6 Schlussfolgerung Versucht man, Brennans Konzeption des Neuen Kosmopolitismus schematisch darzustellen, so erhalt man eine Vierfeldertafel wie in Abbildung 4.3. In der linken Spalte ist die Beziehung zwischen der empirischen und der normativen Dimension des neokolonialen Kosmopolitismus dargestellt, wahrend die rechte Spalte den antikolonialen Kosmopolitismus beschreibt. Analog zu Abbildung 3.1 sind hier diese beiden Spalten nicht als zeitliche Entwicklung zu betrachten, sondem kennzeichnen zwei unterschiedliche empirische Interpretationsmoglichkeiten des postkolonialen Kontexts. So kann dieser Kontext zum einen als neokoloniales Herrschaftssystem gelesen werden (I. Quadrant), in dem die alten politischen 30 Dies erinnert an die zur selben Zeit an Bedeutung gewinnende Bewegung der „anthropology at home" in der, wiederum vor allem angloamerikanischen Ethnologie. Vergleiche dazu unter anderem Abu-Lughud (2000); Appadurai (1991); Pratt (1986a); Rose (1990).
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4.6 Schlussfolgerung
Neokolonialismus
Antikolonialismus
Neokolonialismus, US-amerikanische Hegemonic, Neoliberalismus (I)
Nationale Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, intemationalistischer Antikolonialismus (II)
Normativitdt Komplizenschaft des Kosmopolitismus als neoliberale Ideologic, Neokolonialismus, Postkolonialismus als Hybriditat und Auflosung der Nationalstaaten (III)
Internationalistische Solidaritat und Nationalismus, Anerkennung der Anderen, dialogische Begegnung mit der Dritten Welt (IV)
Empirie
Tab. 4.3: Dimensionen des neokolonialen und antikolonialen Kosmopolitismus
Machtbeziehungen zwischen westlichen Koloniallandem und ihren Kolonien durch eine globale okonomische, politische und militarische Hegemonie der USA sowie den neoliberalen Kapitalismus ersetzt wurden. Oder aber er kann mit dem Blick auf die zahlreichen lokalen wie globalen Widerstandsbewegungen interpretiert werden, die sich in Ankniipfung an den antikolonialen Befreiungskampf der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts gegen genau diese hegemonialen Strukturen wehren (II. Quadrant). Aus dieser Verdopplung des postkolonialen Kontextes resultiert dann, dass in der normativen Dimension zwei unterschiedliche, ja sogar gegensatzlich bewertete, Kosmopolitismen denkbar sind (vergleiche zu dieser Verdopplung des Kosmopolitismus auch Abbildung 4.2). Die wahrgenommenen gesellschaftlichen Bedingungen des kosmopolitischen Denkens haben hier also eine zentrale Bedeutung fiir die normative Bewertung und unterscheiden zwischen emanzipatorischen und hegemonialen Haltungen. Der neokoloniale Kosmopolitismus (111. Quadrant) ist aus dieser Perspektive eine Ideologic, die vor allem zu der neokolonialen Herrschaftsordnung passt. Der Begriff des Postkolonialismus beschreibt auf dieser Wertdimension eine Welt, die von Hybriditat und der Auflosung nationalstaatliche Grenzen gekennzeichnet ist: die Welt des freischwebenden und ungebundenen Kosmopoliten. Die Weltordnung erscheint hier nicht mehr von nationalstaatlich partikularen Interessen gepragt, sondem von individuellen Entscheidungen der Weltbiirger. Die empirische Beschreibung des Neokolonialismus, die der Blick auf fortbestehende Abhangigkeiten und Ausbeutungssysteme kennzeichnet, steht jedoch in genauem Gegensatz zu der normativ beeinflussten Beschreibung der Welt als voUstandig entgrenzt und denationalisiert. Fiir Brennan ist das ein Indiz daftir, dass die normative Beschreibung des postkolonialen Kosmopolitismus, die Hybriditat und Postnationalismus als positive Werte formuliert, eine Ideologic darstellt, die auf der einen Seite den neuen universalistischen Wertekanon fUr die
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
neoliberale Weltordnung formuliert und dadurch auf der anderen Seite zugleich die real existierenden Partikularinteressen verschleiert, indem der Kosmopolitismus als iibemationale, universale Ideologie ausgegeben wird. Als positive normative Alternative zum neokolonialen Kosmopolitismus erscheint der antikoloniale Kosmopolitismus (IV. Quadrant), der von der empirischen Wirklichkeit der antikolonialen Widerstandsbewegungen ausgeht und statt eines entgrenzten und nachkolonialen Zeitalters eine Welt beschreibt, in der die internationalistische Solidaritat mit den Nationalstaaten der Dritten Welt im Mittelpunkt steht und damit auch die Achtung nationaler Eigenstandigkeit und Andersheit der (post)kolonialen Anderen. Nur auf diese Weise ist fiir marxistische Postkolonialismustheoretiker wie Brennan oder Parry eine echte dialogische Begegnung zwischen der Ersten und Dritten Welt moglich. Wahrend ein kosmopolitischer Intellektueller im Sinne des neokolonialen Kosmopolitismus trotz seiner wohlwollenden, antiessentialistischen und universalistischen Ziele als Nebenfolge zur Festigung der neokolonialen Herrschaftskonstellation beitragt, kann ein kosmopolitischer Intellektueller im antikolonialen oder intemationalistischen Sinn genau das Gegenteil bewirken und Ausgangspunkt fiir eine emanzipatorische Bewegung werden. Fiir Brennan ist von vorrangiger Bedeutung, der marxistischen Tradition des kosmopolitischen Denkens einen hoheren Stellenwert einzuraumen, da diese fiir ihn der einzig mogliche Ansatzpunkt fiir die Formulierung eines Neuen Kosmopolitismus ist, der sowohl die partikularistische Anerkennung der Andersheit der Anderen als auch die universalistische Solidaritat mit den (post)kolonialen Anderen emst nimmt. Die bisherige Tradition des politischen Kosmopolitismus, die sich auf Kant beruft, reprasentiert fiir Brennan gerade kein positives Bild einer kosmopolitischen Weltordnung, sondem das genaue Gegenteil: eine vollstandige Durchsetzung der US-amerikanischen Hegemonic oder die USA als Weltstaat oder als „kosmopolitische Nation". Auf dieser kollektiven Ebene sieht Brennan keine Widerstandsmoglichkeiten. Das Netz der hegemonialen Macht ist fiir ihn liickenlos, so dass als einziger Ansatzpunkt fiir eine widerstandische Position die individuelle ethische Haltung in Frage kommt. Diese kann sich namlich entweder gegen die negativ kosmopolitische auBere Ordnung richten oder aber diese hegemoniale Ordnung verstarken. Bei Brennan lassen sich bezeichnenderweise keine Abstufungen wie etwa in der Unterscheidung zwischen schwachen und starken Kosmopolitismen erkennen und auch keine Mischformen zwischen neokolonialen und antikolonialen Varianten - die erste Form ist im gegenwartigen Kontext fast in Reinform negativ und die zweite positiv. Auch Veranderungen der Formen des Kosmopohtismus spielen hier keine RoUe: das von ihm gezeichnete dualistische Bild bleibt statisch.
4.6 Schlussfolgerung
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Das methodologische Argument des Neuen Kosmopolitismus, dass Staat und Gesellschaft nicht mehr als deckungsgleich vorgestellt werden konnen, beziehungsweise, dass Gesellschaft nicht notwendig dasselbe wie Nationalgesellschaft bedeutet, spielt auch in Brennans Theorie des Kosmopolitismus eine RoUe, allerdings in einer umgekehrten Variante. Wenn sich namlich der empirische Kontext (die obere Zeile auf Abbildung 4.3) so verandert hatte, dass alle Staaten gleichermaBen an Bedeutung verloren hatten und transnational Formen der Vergesellschaftung tatsachlich dominierten, dann (und nur dann) ware auch ein auf Entgrenzung und Denationalisierung basierender Kosmopolitismus wie im III. Quadrant gerechtfertigt. Da diese Bedingung nach Brennan jedoch noch nicht zutrifft, da also die Welt nicht so stark globalisiert ist, wie die kosmopolitischen Theorien dies meisthin behaupten, wird die kosmopolitische Methodologie zu einer Ideologie, die dem Neokolonialismus und Neoliberalismus entspricht, wahrend sie den Eindruck eines Eintritts in ein nachkoloniales Zeitalter suggeriert. Die Annahme, dass eine andere Methodologie oder eine kosmopolitische Perspektive Dinge erkennt, die einem nationalstaatlich begrenzten Blick entgehen, wird nicht etwa bestritten, sondem genau entgegengesetzt bewertet: Die Dinge, die hier neu erkannt werden wie zum Beispiel hybride und plurale Identitaten oder die allmahliche Auflosung nationalstaatlicher Basispramissen, sind es namlich, die den Ausgangspunkt einer kritischen und internationalistischen Perspektive zerstoren und damit eine echte Anerkennung der kolonialen Anderen unmoglich machen. Nur ein kosmopolitisches Denken kann eine kosmopolitische Realitat erkennen - in diesem Punkt entspricht diese kosmopolitische Theorie auch dem von Ulrich Beck vertretenen kosmopolitischen Ansatz -, aber gerade die auf diese Weise erkannte (und gestiitzte) Realitat ist es, die der antikoloniale Kosmopolitismus ablehnt. Neben der beschriebenen Disharmonie zwischen den empirischen und normativen Dimensionen ist also zudem auch ein Spannungsverhaltnis zwischen Methodologie und Empiric zu beobachten. Das kosmopolitische Denken in einem neokolonial und neoliberal gepragten sozialen Kontext ist aus dieser Sichtweise die groBte Gefahr fiir das Projekt der kosmopolitischen Solidaritat, denn es kann mit seinen westlich gepragten Konzepten weder die Wirklichkeit der (post)kolonialen Anderen erkennen, noch die (post)kolonialen Anderen wirklich anerkennen (vergleiche dazu auch die Ausftihrungen in Kapitel 6). Paradoxerweise ist also der Kosmopolitismus selbst sein groBter Feind - dies gilt zumindest in einem nicht vollstandig globalisierten Kontext. Dagegen ist jedoch ein antikolonialer Kosmopolitismus als paradigmatischer Neuer Kosmopolitismus zu verstehen, da sich dieser im Binnenverhaltnis auf universalistische Weise fiir fremde Einfliisse offnen und die Andersheit gerade der (post)kolonialen Anderen anerkennen kann, wahrend er im AuBenverhaltnis partikulare Positionen der
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4 Neokolonialer und antikolonialer Kosmopolitismus
Staaten der Dritten Welt unterstiitzt, die als Standort des Widerstands gegen die neoliberale und neokoloniale Hegemonie eine zentrale Rolle spielen. Im Binnenverhaltnis wird das Prinzip des Nationalstaats und der Nationalstaatsgesellschaft transzendiert, wahrend es im Fall der (post)kolonialen Anderen akzeptiert wird. Nur ein Kosmopolitismus, der intemationalistische und kosmopolitische Elemente kombinieren kann, geniigt nach Brennan auch den eigenen Anspriichen, eine kritische emanzipatorische Position darzustellen. Der kosmopolitische Universalismus ist hier nicht viel mehr als eine eigentlich gute Idee, die allerdings im gegenwartigen Kontext eine fatale Wirkung hat. Die einzige wirklich universale Idee ist fiir diese kosmopolitische Theorie die Achtung partikularer Unterschiede wie sie von den nationalistisch-antikolonialen Bewegungen der Dritten Welt reprasentiert werden. Von zentraler Bedeutung ist die konstruktivistische Grundstruktur von Brennans Kosmopolitismus. Am postkolonialen Kosmopolitismus kritisiert Brennan weniger, dass diese Idee nicht der nach wie vor von kolonialen Abhangigkeiten gepragten Realitat entspricht. Vielmehr sieht er die eigentliche Gefahr darin, dass die beharrliche Wiederholung der kosmopolitischen Ideen dazu fiihrt, dass diese postnationale Realitat allmahlich zur Wirklichkeit wird und ein kosmopolitisches US-Imperium entsteht, das jeglichen Raum fiir den Widerstand vemichtet. Das Problem des kosmopoHtischen Denkens Hegt also nicht darin, dass es zu idealistisch ist und nicht zu verwirklichen ist, sondern darin, dass es zu wirkungsvoll ist - aber genau in die falsche Richtung. Die Frage lautet hier also nicht, wie eine kosmopolitische Reflexivitat entsteht oder wie sich die banale, unterhalb der offentlichen Aufmerksamkeitsschwelle agierende KosmopoHtisierung der gesellschaftlichen Realitat auf das Denken ubertragen kann, sondern dieser Zusammenhang wird von Brennan auf den Kopf gestellt. Er befasst sich vor allem mit der Wirkung einer kosmopolitischen Ideologic - das „Weltbewusstsein" ist hier wesentlich ein „falsches Bewusstsein" - auf die allmahliche Annaherung der Weltordnung an ein als fatal empfundenes kosmopolitisches Modell. Obwohl diese marxistische Theorie an vielen Stellen zu stark vereinfacht und die Realitat zumeist auf binare Oppositionen reduziert, kann sie durch ihren Fokus auf die mogliche Komplizenschaft des Kosmopolitismus letztlich zu einem differenzierten Gesamtbild der kosmopolitischen Theorien beitragen - zu einer kritischen Perspektive auf das kosmopolitische Denken, die im Diskurs des Kosmopolitismus bislang eine untergeordnete Rolle spielt.
5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten Nachdem sich die erste Fallstudie mit der Bedeutung des geopolitischen Kontexts des kosmopolitischen Denkens als anti- oder neokolonialistisches Denken befasst hat, widmen wir uns in diesem Kapitel einem weiteren Schlusselkonzept des kosmopolitischen Denkens: der kosmopolitischen Identitatspolitik und -konstmktion im Spannungsfeld zwischen universalistischen und partikularistischen Konzeption im Umgang mit Identitat und „Rasse". Im Mittelpunkt stehen dabei die sozialwissenschaftlichen Theoretiker der Black Cultural Studies, alien voran Paul Gilroy, der versucht, seine Schwarze Postkolonialismustheorie mit kosmopolitischen Ideen zu verbinden. Die Frage der Identitat ist von Anbeginn eine Schliisselfrage der Debatte des Kosmopolitismus, beschreibt doch zum Beispiel die Idee des ethischen Kosmopolitismus ein kosmopolitisches Individuum, das sich nicht mehr als Angehoriger seiner Familie, seiner Stadt oder seines Landes flihlt, sondem primar als Mitglied der Menschheit. Dementsprechend gilt auch seine Solidaritat nicht mehr den engen und partikular orientierten Kreisen, sondem der umfassenden Einheit der Menschheit. Vor allem in seiner starken Variante beschreibt der Kosmopolitismus nicht nur eine ethisch-politische Haltung oder ein rechtliches Prinzip, sondem zudem eine natiirliche Identitat, die bislang von partikularen Loyalitaten verdeckt wurde und die es jetzt freizulegen gilt. So spielt im Diskurs des Kosmopolitismus bis heute, sowohl positiv als auch negativ bewertet, die Unterscheidung zwischen der freischwebenden, heimatlosen kosmopolitischen Lebensform auf der einen Seite und der fest verwurzelten patriotischen auf der anderen eine zentrale Rolle. Zum Beispiel baut Hannerz (1990) seine Theorie des Kosmopolitismus auf der Dichotomic von cosmopolitans und locals auf^ und nennt darin als Kennzeichen des Kosmopoliten seine unwiderrufliche Entfremdung von den Selbstverstandlichkeiten seines Heimatkontexts. Die Theorien des Neuen Kosmopolitismus riicken von der flir die meisten Menschen unrealistischen Vorstellung einer ausschlieBlich weltbiirgerlichen oder 1 Diese Dichotomie taucht schon bei Merton (1948/1968) und Goulder (1957) auf, wo sie unterschiedliche Rollen oder Einstellungen eines Individuums hinsichtlich seiner sozialen Umgebung bezeichnet. Letztlich lasst sich die Unterscheidung aber auch auf die Gegeniiberstellung der konkreten Gemeinschaft und der abstrakten (oder eben: kosmopolitischen) Gesellschaft bei Ferdinand Tonnies (1887/1963) beziehen.
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
„menschheitlichen" Identitat ab, die alle Individuen einschlieBt und sich folglich auch nicht mehr von anderen Identitaten abgrenzen lasst. Dies ist aber nicht im Sinne eines schwachen oder flachen Kosmopolitismus zu verstehen, der verschiedene Kreise der Zugehorigkeit einfach addiert, sondem als gmndlegende Bedeutungsverschiebung. Denn stattdessen richtet sich der Blick auf die Veranderung der empirischen Bedingungen fiir Identitat und Zugehorigkeit im postkolonialen Moment. Die Konzepte „Pluralisierung" und „Hybridisierung", die im Zusammenhang der gegenseitigen Durchdringung von Postkolonien und ehemaligen Koloniallandem in den Mittelpunkt des theoretischen Interesses geriickt sind, beschreiben nichts anderes als die Tatsache, dass Identitat in der postkolonialen Modeme nicht mehr so eindeutig und ausschlieBlich bestimmt werden kann wie noch in der nationalstaatlich gepragten Ersten Modeme. Die Vorstellung stabiler und eindeutiger nationaler Identitaten, die auf primordialen (Volk) oder gar biologischen Kriterien („Rasse"^) aufbauen, wird nicht nur auf einer normativen Ebene abgelehnt, sondem auch die empirischen Beobachtungen sprechen von einer tiefgreifenden Transformation dieser Phanomene. Dies bedeutet aber keineswegs, dass Identitat keine Bedeutung mehr hat. Gerade das zunehmende Infragestellen zugeschriebener unveranderlicher Zugehorigkeiten und die Konfrontation des nationalstaatlichen Rahmens mit Globalisierungsprozessen kann schlieBlich dazu ftihren, dass Identitatspolitik im modemen postkolonialen Kontext - zum Beispiel in Gestalt von ,,ethnic revivals'' immer wichtiger wird (Smith 1994: 722-723). Aber nicht nur auf die Pluralisiemng und Kosmopolitisierung der Identitat des westlichen Subjekts lasst sich dieses Kapitel beziehen, sondem Identitat ist zudem zentraler Bestandteil der Andersheit des postkolonialen Anderen. Nachdem in Kapitel 3 der Zusammenhang zwischen der orientalistischen und imperialen Fremdkonstruktion der Figur des Anderen und der Schwierigkeit einer kosmopolitischen Reprasentation dieses Anderen diskutiert wurden, analysiert dieses Kapitel unter dem Schlagwort „Rassismus" die wohl extremste Variante eines diskriminierenden und abwertenden Umgangs mit der Andersheit des Anderen. Dabei riicken auch die unterschiedlichen empirischen Reaktionen auf diese Fremdkonstruktionen in den Blick v^ie etwa die Moglichkeiten und Grenzen von universalistischen, partikularistischen oder eben kosmopolitischen Identitatspolitiken der postkolonialen Andersheit. Es geht also in diesem Kapitel nicht allein darum, wie etwa die Subaltemitat des ethnisch, kulturell oder „rassisch" Anderen hergestellt wird - eine Subaltemitat, an die sich dann die in Kapitel 6 beschriebenen epistemologischen und politischen Problematiken anschlieBen -, sondem auch damm, wie mit dieser als konstruiert oder aber als natiirlich wahrgenommenen Subaltemitat politisch 2 Wir schlieBen uns der in den Sozial- und Kulturwissenschaften iiblichen Schreibweise der Begriffe „Rasse" und „rassisch" in Anfiihrungszeichen an.
5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
Ethischer Kosmopolitismus
Kosmopolitische Identitat als Mitglied der Menschheit
Empirischer Kosmopolitismus
Pluralisierung von Identitaten, inklusive statt exklusive Identitaten, Dynamisierung
Neuer Kosmopolitismus
Representation der Identitat der (post)kolonialen Anderen, Frage des Umgangs mit der Identitat des Anderen
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Tab. 5.1: Facetten kosmopolitischer Identitat
umgegangen wird.^ Dass dabei eine spannungsreiche Beziehung zu universalistischen Ideen wie zum Beispiel der weltbiirgerlichen Solidaritat mit der gesamten Menschheit oder einer grundsatzHchen Gleichheit der Menschen entsteht, liegt nahe, denn Identitat ist zuallererst ein partikulares Phanomen: „Identity is always bounded and particular. It marks out the divisions and subsets in our social lives and helps to define the boundaries between our uneven, local attempts to make sense of the world. Nobody ever speaks of a human identity" (Gilroy 2000: 98). Hier erscheint Identitat also als entgegengesetztes Prinzip zum kosmopolitischen Kreis der Menschheit, der als Uberwindung ebendieser „divisions and subsets" gedacht ist. Die drei beschriebenen Facetten von Identitat, die fiir die Analyse des postkolonialen Kosmopolitismus eine zentrale Bedeutung besitzen - die ethischkosmopolitische Identitat als Teil der Menschheit, die empirische Pluralisierung der Identitat im postkolonialen Moment sowie die Frage des Umgangs mit der Identitat und Zugehorigkeit des (post)kolonialen Anderen, sind in Tabelle 5.1 noch einmal zusammengefasst. Obwohl Identitaten in der Regel auf (tatsachlich oder scheinbar) weit zuriickliegende Traditionen oder Zugehorigkeitsprinzipien verweisen, ist die Debatte iiber die Frage oder das Problem der Identitat ein genuin modernes Phanomen. Das kann als Anzeichen dafur gelesen werden, dass Identitat vor allem in der Zweiten Moderne zunehmend prekar und begrtindungspflichtig wird und nicht mehr als selbstverstandlich oder naturgegeben vorausgesetzt werden kann (Gilroy 1993: 2).^ Identitat ist aus diesem Blickwinkel das Ergebnis von immer wieder 3 Mit bell Hooks (1989) muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass auch eine dezidiert Schwarze Position wie sie Paul Gilroy vertritt, implizit davon ausgeht, dass Andersheit primar eine nicht-weiBe Andersheit meint. Was schon zur kosmopolitischen Deutung der Konferenz von Valladolid festgestellt wurde, gilt auch hier: Die umgekehrte Perspektive eines Schwarzen Diskurses iiber die Andersheit der „weiBen" Anderen fehlt. 4 Ahnliche Gedanken finden sich schon bei Friedrich Nietzsche, der in „Die frohliche Wissenschaft" von der modemen Heimatlosigkeit der Europaer spricht und damit Identitat nicht mehr als natiirlich und stabil ansieht, sondem als aktiv zu verfolgendes Projekt, das auch scheitem kann: „Es fehlt
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
aktualisierten Konstruktions- und Aushandlungsprozessen in sozialen, politischen und vor allem historischen Kontexten^, wobei anschlieBend versucht wird, die Spuren dieser Konstmiertheit auszuloschen und Identitat als ewiges Merkmal zu prasentieren: Every human identity is constructed, historical; every one has its share of false presuppositions, of the errors and inaccuracies that courtesy calls "myth," religion "heresy," and science "magic." Invented histories, invented biologies, invented cultural affinities come with every identity; each is a kind of role that has to be scripted, structured by conventions of narrative to which the world never quite manages to conform (Appiah 1992: 174).
Identitat ist also kein naturliches Phanomen, sondern ein politisches und politisiertes (Hall 1989/1995: 224-225). Dieser konstruktivistische Perspektivwandel hat sich mittlerweile in den Sozial- und Kulturwissenschaften so weit durchgesetzt, dass die Vorstellung einer ganzheitlichen, urspriinglichen und homogenen Identitat als wissenschaftliches Konzept kaum mehr zu beobachten ist (Hall 1996: 1) - allerdings impliziert das nicht, dass Vorstellungen dieser Art nicht auf der gesellschaftlichen Akteursebene nach wie vor eine groBe und sogar wachsende Bedeutung besitzen konnen. Gerade im Verlauf der empirischen Kosmopolitisierung westlicher Gesellschaften ist die Auseinandersetzung mit der Andersheit der Anderen immer starker in den Vordergrund geriickt und in Verbindung damit auch die normative Frage, ob es uberhaupt gerechtfertigt ist, kulturelle, „rassische" und ethnische Merkmale ausschlieBlich als Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse zu betrachten und von einer grundlegenden Gleichwertigkeit oder gar Gleichheit aller Menschen auszugehen oder ob nicht auch partikularistische Betrachtungsweisen auf Akteurs- wie Beobachterebene ihre Berechtigung besitzen. Auch hier ist es also wichtig, zwischen den Dimensionen der Empiric, Methodologie und Normativitat des Postkolonialismus zu differenzieren und insbesondere das Verhaltnis zwischen diesen Betrachtungsweisen naher zu analysieren (vergleiche auch hier wieder Abbildung 3.1). Zum einen diagnostizieren die Sozial- und Kulturwissenschaften in der empirischen Dimension eine zunehmende Auflosung, Fragmentierung, Wahlbarkeit von Identitat und Zugehorigkeit, wahrend sich in der methodologischen Dimension die Frage stellt, wie diese Vielfalt beschrieben und unter uns Europaern von heute nicht an solchen, die ein Recht haben, sich in einem abhebenden und ehrenden Sinne Heimatlose zu nennen [... ] Denn ihr Los ist hart, ihre Hoffnung ungewiss, es ist ein Kunststuck, ihnen einen Trost zu erfinden - aber was hilft es! Wir Kinder der Zukunft, wie vermochten wir in diesem Heute zu Hause zu sein!" (1882/1988: 628). 5 In diese Richtung zielt Zygmunt Bauman, der soziale Identitat als nicht abgeschlossenes oder sogar nie abschliefibares Projekt beschreibt: „Both meaning and identity can exist only as projects, and it is the distance which enables projects to be" (1996: 22, Hervorhebung im Original). Identitat wird hier gerade dadurch ermoglicht, dass sie nie an ihr Ziel angekommen ist - also paradoxerweise niemals mit sich selbst identisch ist - sondern immer als Bewegung zu verstehen ist.
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analysiert werden kann sowie in der normativen Dimension, welche (Neben)folgen dieser konstruktivistische Ansatz haben kann - gerade hinsichtlich kulturell und ethnisch motivierten Identitats- und Verteilungskonfiikten. Wie schon im Fall der Orientalismuskritik wird deutlich, dass die Wissenschaft kein unbeteiligter Beobachter auBerhalb des sozialen Kontexts ist - man denke allein daran, welchen Unterschied es macht, ob ein weiBer oder ein Schwarzer Sozialwissenschaftler zu dem Ergebnis gelangt, „Rasse" oder Ethnizitat sind reine Konstrukte -, sondern ihre Theorien und Forschungsergebnisse sind selbst im Sinne Saids „irdische" gesellschaftliche Tatsachen, die den Diskurs wesentlich beeinflussen. Dabei wird deutlich, dass es sich hier nicht um ein „einfaches", entscheidbares Problem handelt, sondern um eine politische Arena, in der universalistische und partikularistische Modelle gegeneinander ins Feld gefiihrt werden, Mischformen entstehen und neuartige Moglichkeiten der Koexistenz, Synthese oder gar Aufhebung ausbuchstabiert werden. Die theoriepolitische Konstellation auf diesem Gebiet zeigt auf paradigmatische Weise die ambivalenten Grundlagen der Zweiten Modeme, denn bei dem Komplex Identitat und Zugehorigkeit handelt es sich um „an idea which cannot be thought in the old way, but without which certain key questions cannot be thought at all" (Hall 1996: 2). Weder kann also das Konzept der Identitat in seiner traditionellen exklusiven und statischen Bedeutung unverandert beibehalten, noch voUstandig aufgelost und entgrenzt werden, nicht zuletzt deshalb, well die zunehmende Entgrenzung von Gesellschaft wiederum Entscheidungen und damit neue Grenzen erzwingt: „je mehr Entgrenzung, desto mehr Entscheidungszwange, desto mehr provisorische Grenzkonstruktionen, permanente Grenzpolitik" (Beck 2004a: 59). So wie im postkolonialen sozialen Kontext Westen und Postkolonien in ihrem Zusammenhang gesehen werden mlissen, konnen in der Theorie der postkolonialen Modeme Entgrenzung und Begrenzung nicht mehr isoliert gedacht werden. Ein paradigmatischer Fall, an dem sich die empirischen und normativen Probleme des kosmopolitischen Umgangs mit Identitaten und Zugehorigkeiten der Anderen deutlich darstellen lassen, ist die Dichotomic weiB / Schwarz - genauer: die Fremd- oder Selbstkonstruktion der (post)kolonialen Anderen als Schwarze. Fiir Gilroy gehort deshalb die Frage der Hautfarbe zu den wichtigsten Bereichen, mit denen sich das kosmopolitische Denken im postkolonialen Kontext auseinander setzen muss. Nachdem die Utopie des politisch-rechtlichen Kosmopolitismus eines Ewigen Friedens gerade von postkolonialistischen Theoretikem als gefahrliche Annaherung an das Modell einer US-gestiitzten universellen Hegemonic beschrieben worden ist (vergleiche Kapitel 4), richtet sich die Aufmerksamkeit des Diskurses des Kosmopolitismus zunehmend auf die Schliisselfrage des gesellschaftlichen Umgangs mit Andersheit und besonders: mit der „rassischen" Andersheit: „Perpet-
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ual peace is off the menu for the time being; nonetheless, racial difference provides a new and timely test for the democratic character of all today's cosmopolitan imaginings" (Gilroy 2000: 2). 5.1 Identitat und Hybriditat im postkolonialen Kontext Der Ausgangspunkt von Paul Gilroys Theorie des „Schwarzen Kosmopolitismus" ist die Entwicklung der britischen Cultural Studies, Daher erscheint es notwendig, unserer Analyse des postkolonialistischen Kosmopolitismus von Gilroy zunachst einen kurzen theoriegeschichtlichen Ruckblick zur Entwicklung der Konzepte „Identitat", „Rasse" und „Ethnizitat" in diesem Each voranzustellen. Seit der Griindung des fur die Entwicklung der Disziplin maBgeblichen Centers for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in den 1960er Jahren in Birmingham (Schulman 1993) ist ein wichtiger Teil der Forschungen in diesem Kontext auf die Frage des Umgangs mit den postkolonialen Einwanderem in GroBbritannien bezogen, aber auch auf die Probleme rassistischer Fremddefinitionen und Diskriminierungen in Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Trotz dieser intensiven Auseinandersetzung mit der Erage der „rassischen", ethnischen oder kulturellen Identitat wird die in diesem Kontext dominierende Betrachtungsweise immer wieder als einseitig kritisiert (Baker 1991: 6). Der zentrale Vorwurf an die konzeptuellen Grundlagen der Cultural Studies in der Ersten Modeme - und dies lasst sich auch auf die Soziologie iibertragen, insofem sie sich uberhaupt mit diesem Thema befasst lautet, dass diese Perspektive in der Regel durch einen impliziten methodologischen Ethnizismus verzerrt ist. Vor allem postkoloniale und Schwarze Kritiker der Cultural Studies weisen darauf hin, dass gerade die besondere Dynamik des postkolonialen Moments und die Implikationen der kolonialen Vergangenheit des Westens fiir das Verstandnis von Identitat in den Cultural Studies nur ein untergeordnetes Thema sind. Eine mogliche Erklarung dieser Selektivitat sehen die Kritiker in der Komplizen-Rolle der eigenen Disziplin mit den beschriebenen und analysierten Zusammenhangen: I think there are all sorts of reasons why sociologists in this country in particular haven't really been comfortable in confronting the imperial and colonial dynamics that have constituted and renewed their discipline, or even been prepared, with quite the same enthusiasm as literary scholars have, to seek for the kind of repressions and elisions and lapses of memory that have characterized the configuration of sociological modernity" (Gih-oy in Bell 1999: 22).
Der Vorwurf an die Sozial- und Kulturwissenschaften lautet an dieser Stelle also, dass diese im Zusammenhang mit dem Thema der kulturellen oder ethnischen Identitat eine methodologisch nationalistische Perspektive verfolgen, die eine
5.1 Identitat und Hybriditat im postkolonialen Kontext
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Entsprechung von nationalstaatlichen Grenzen und nationaler Identitat in ihren Begriffen und Methoden weitgehend unhinterfragt voraussetzt. Sowohl das soziologische Konzept der Modeme - das damit eine „halbierte Modeme" darstellt, die ihre eigenen Nebenfolgen ausblendet - als auch die theoretische Arbeit der Cultural Studies basierten bisher also auf der „unthinking assumption that cultures always flow into patterns congruent with the borders of essentially homogeneous nation states" (Gilroy 1993: 5). Dieses „einfach-modeme" Modell geht von einer urspriinglichen kulturellen Homogenitat aus, in der sich kulturelle Grenzen in Ubereinstimmung mit nationalstaatlichen befinden und erhebt damit eine raumlich auf die westliche Welt beschrankte Ausnahme zur universellen Norm (Gilroy 1993: 6). Zwei Bewegungen haben jedoch dieses starre Bild der Identitat von Nation und Kultur empfindlich gestort: Zum einen die globalen Strukturen und Prozesse, die unter den Begriffen „postkolonialer Moment", „Transnationalisierung" und „Globalisierung" den Blick auf die Verflechtungen zum Beispiel von Geschichte und Kultur in der Weltgesellschaft lenken und dadurch die Annahme einer autonomen und stets eindeutig lokalisierbaren und eingrenzbaren Nationalkultur in Frage stellen (Baker 1991: 4); zum anderen die gesellschaftlichen und kulturellen Prozesse der Hybridisierung, Pluralisierung und Neudefinition von Identitaten im Inneren von Nationalstaaten, die in ehemaligen Koloniallandem wie GroBbritannien vor allem durch die Zuwanderung aus den ehemaligen Kolonien ausgelost wurden. Im postkolonialen sozialen Kontext trifft die Annahme einer selbstverstandlichen „reinen" und statischen Nationalkultur nicht mehr zu und wird von der Vorstellung eines komplexen, bisweilen widerspriichlichen politischen Spannungsfeldes zwischen Reinheit und Vermischung abgelost. Auf diese Entwicklungen berufen sich die postkolonialistischen Kritiker, wenn sie eine Korrektur der Kultur- und Gesellschaftsvorstellungen der Cultural Studies fordem, die ungeachtet ihres empirischen Fokus auf postkoloniale Migrations- und Akulturationsprozesse nach wie vor von einem exklusiven Verstandnis von Nationalidentitat (hier: Englishness) ausgehen, in dem Schwarze trotz aller Kritik am Rassismus als Fremdkorper gelten (Gilroy 1991: 12): Regaidless of their affiliation to the right, left, or centre, groups have fallen back on the idea of cultural nationalism, on the overintegrated conceptions of culture which present immutable, ethnic differences as an absolute break in the histories and experiences of "black" and "white" people. Against this choice stands another, more difficult option: the theorisation of creolisation, metissage, mestizaje, and hybridity" (Gilroy 1993: 2).
Das von postkolonialistischen Kritikem wie Stuart Hall und Paul Gilroy formulierte Altemativprogramm fiir die Sozial- und Kulturwissenschaften versucht, beide Optionen, die exklusive und die inklusive, zusammen zu denken. Es geht diesen
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Kritikem darum, genau die Kreuzungen, das Verhaltnis dieser beiden Moglichkeiten der Theoretisierung von Identitat und Zugehorigkeit naher zu untersuchen und den Fokus insbesondere auf diejenigen Orte legen, an denen weder die eine noch die andere Idee zugunsten ihres Gegenspielers aufgegeben werden kann. Blickt man zuriick, so ist der Bedeutungsgewinn des neuen Forschungsfeldes „Postkolonialismus" in den 1980er Jahren eng verbunden mit der Neuentdeckung und Theoretisierung hybrider, politisierter Identitaten und transnationaler Sozialund Kulturraume, zunachst in den ehemaligen Kolonien (als metissage und Kreolisierung), zunehmend aber auch in den westlichen Industrielandem (Young 1995). Auf den ersten Blick erscheint diese Entwicklung in den Cultural Studies beziehungsweise der Postcolonial Studies als zielgerichteter normalwissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt im Sinne Kuhns (1973). Die Theoretiker des Postkolonialismus wiesen vor allem anhand des britischen Falls nach, dass das Aufrechterhalten der Ideologie einer „reinen" - und das heiBt vor allem auch: „weiBen" - britischen Nationalkultur nur moglich ist, wenn die Lokalisierung des Landes in einem umfassenden postkolonialen Kontext ausgeblendet wird: Only a historical erasure of British colonialism, imperialism, neocolonialism, and immigration policies, however, could sustain such a racist, national conception of "Englishness," even at a popular level. And it is precisely because the empire does strike back—in the voice of its formerly colonized subjects—that such a silence and erasure of the past cannot be sustained (Baker 1991: 5, Hervorhebung im Original).
Die postkoloniale Kritik riickt damit den empirischen sozialen und politischen Kontext des Postkolonialismus in den Vordergrund und zeigt, dass hybride Identitaten mittlerweile kein Ausnahmefall mehr sind, sondem zur Massenerscheinung geworden sind. Die Reinheitsideologie - also die Vorstellung, dass Identitat eine eindeutig bestimmbare Eigenschaft darstellt -, die sich von Politik bis Wissenschaft durch die Gesellschaft zieht, wird als Ausblendungsmechanismus sichtbar gemacht, der systematisch hybride postkoloniale Identitaten aus politischen und akademischen Debatten heraushalt. Das von der Postkolonialismustheorie vorgeschlagene Altemativkonzept der Hybriditat behauptet demgegeniiber eine grundsatzliche Unmoglichkeit reiner Identitaten im postkolonialen Kontext und beschreibt unreine, prozessuale, hybride und synkritische Identitaten als gesellschaftlichen Normalfall (Sandten 2001:55-56). In der empirischen Erforschung postkolonialer Identitaten werden Begriffe wie „Hybridisierung" oder „Kreolisierung" verwendet, um die kosmopolitischen Metropole des Westens wie des Siidens zu beschreiben, in denen sich Erste und Dritte Welt, Kolonialisierte und Kolonialherren begegnen. Aus dieser Begegnung mit Andersheit entstehen Identitaten, die nicht mehr klar voneinander isoliert werden konnen, sondem durchlassige Grenzen und pluralisierte Zugehorigkeiten aufwei-
5.1 Identitat und Hybriditat im postkolonialen Kontext
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sen. Dies trifft auch auf das biologistische Konzept der „Rasse" und die damit verbundenen Vorstellung hermetisch abgetrennter Gruppen zu (Gilroy 1990: 204). Das Konzept hybrider Identitaten wird vor allem als beispielhaft fiir die postkolonialen Subjekte (wie zum Beispiel die von Brennan analysierten kosmopolitischen Beriihmtheiten in Abschnitt 4.3) beschrieben, die sich in dem Zwischenraum zwischen der ehemaligen Kolonie und der westlichen Welt verorten. Die hybride Identitatskonstruktion bedeutet daher „neither assimilation nor collaboration. It makes possible the emergence of an 'interstitial' agency that refuses the binary representation of social antagonism" (Bhabha 1996: 58). Damit wird der Versuch gemacht, die starren binaren Gegeniiberstellungen von Erster und Dritter Welt, von Kolonie und Koloniallandem oder beherrschenden und den beherrschten Subjekten aufzulosen und stattdessen die postkoloniale Situation als System zu beschreiben, das beide Seiten in eine Beziehung setzt und so weit transformiert, dass sie nicht mehr klar gegeneinander abgegrenzt v^erden konnen. Hybriditat wird in der postkolonialistischen Theorie zu einem neuartigen Dritten Ort zwischen den Kulturen, der durch die bisherigen exklusiven Dichotomien Alteritat/Identitat, Zentrum/Peripherie, Herr/Knecht sowie die Annahme einer Kongruenz von kulturellen und politischen Grenzen der Zugehorigkeit bislang systematisch aus den Blick geraten war (Sandten 2001: 56). Dieser Ort ist nach Bhabha zum einen die Nebenfolge der kolonialen Fremdherrschaft, zum anderen jedoch auch der wichtigste Ausgangspunkt fiir die Subversion der kolonialen Codes und damit auch fiir den antikolonialen Widerstand (1986: 173). Damit ist zudem die Vorstellung verbunden, dass Identitaten nicht mehr durch die Geburt fiir immer festgeschrieben, sondem bis zu einem gewissen Grad frei wahlbar oder gar nach der Logik des Sowohl-als-auch frei kombinierbar sind. Postkoloniale Identitaten sind keine eindeutigen Identitaten mehr, sondern werden zu unscharfen politischen Positionsbestimmungen, die nur durch , fuzzy frontiers'' (Cohen 1995) von ihrem AuBen abgrenzbar sind. Die Grundidee dieses postkolonialen Konzepts des Hybridismus ist eng verwandt mit dem Begriff des „TransnationaHsmus", das Vergemeinschaftungsformen beschreibt, die nationalstaatliche Grenzen iiberschreiten. Gerade durch die historischen Erfahrungen von Kolonisation und Dekolonisation entstehen Erfahrungsund Erinnerungsraume, die sich nicht mehr klar in die bisherigen auf nationalstaatlichen Grenzziehungen fundierenden binaren Oppositionen - etwa Fanons Dualismus colonizer / colonized - aufteilen lassen. Das charakteristische Beispiel dafur ist die Entstehung postkolonialer Kulturen nicht nur in den Postkolonien, sondem gerade auch in den ehemaligen europaischen Koloniallandem. Gilroy stellt fest, mittlerweile seien die „erstwhile barbarians [... ] within the gates and may not live in a formally segregated ghetto or enclave. The frontiers of cultural
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difference cannot be made congruent with national borders. The cities do not belong exclusively to the colonisers and their kin" (1995b: 8). Die transnationalen Soziakaume, die durch diese Mobilisierung entstehen, entsprechen nicht mehr den politischen Grenzen der Staaten. Die kulturellen Identitaten, die inmitten dieser Sozialraume - ein zentrales Beispiel ist der diasporische Raum des Black Atlantic, der in Abschnitt 5.7 ausfiihrlich beschrieben wird - entstehen, sind hybride Identitaten, die sich weder der einen noch der anderen Seite vollstandig und eindeutig zuordnen lassen, sondem beide Pole auf ambivalente Weise in sich vereinen. Aber nicht nur das Aufkommen hybrider und uneindeutiger Identitaten kennzeichnet die postkolonialen Subjektpositionen, sondem auch das entgegengesetzte Phanomen einer neuen behaupteten Eindeutigkeit als Widerstand gegen die politische Hegemonic des Westens lasst sich beobachten: Not only did a new discourse of national greatness take hold inside the culture of the colonizing powers, but a discourse of national resistance developed within the culture of the colonized people. To think of the French rhetoric of mission civilisatrice and opposing it, the rhetoric of nigritude and Pan-Africanism, is to gauge how profundly experienced and how deadly serious cultural identities had become by the mid-twentieth century (Said 2000d: xxv, Hervorhebungen im Original).
Neben dem Feiern der Hybriditat und der Auflosung starrer Zugehorigkeitskonzepte - eine Entwicklung, die vor allem den Westen kennzeichnen - sind gerade in den ehemaligen Kolonien auch Bestrebungen zu beobachten, Hybriditat und Verunreinigung abzulehnen und eine Riickkehr zu historisch eindeutigen Identitaten und Zugehorigkeiten anzustreben: „When national and ethnic identities are represented and projected as pure, exposure to difference threatens them with dilution and compromises their prized purities with the ever-present possibility of contamination. Crossing as mixture and movement must be guarded against" (Gilroy 2000: 105). Nach Gilroy sind es dabei weniger die Fremden oder Anderen, die abgelehnt und bekampft werden als viel mehr die Hybride und Mischlinge, da diese ein lebendes Beispiel flir die als bedrohlich wahrgenommene Prekaritat reiner Identitatskonstruktionen im postkolonialen Zeitalter darstellen (2001: 162). Beide Aspekte, die Zunahme hybrider Phanomene genauso wie die „Ruckkehr" zu eindeutigen und klaren Abgrenzungen stecken das Feld der postkolonialen Identitatspolitik ab. Wie in Tabelle 5.2 systematisch dargestellt ist, sind diese beiden Optionen allerdings ungleich verteilt. Die Auflosung von klaren Zugehorigkeiten ist vor allem ein Phanomen der westHchen Kultur- und Sozialwissenschaften zum Beispiel des sozialwissenschaftlichen Kosmopolitismus (I. Quadrant) oder ein asthetisch-theoretisches Element in den Texten der Theoretiker und Autoren aus den Postkolonien, die sich in dem soziokulturellen Zwischenraum oder Niemandsland zwischen ehemaligen Kolonien und Koloniallandem verorten (11. Quadrant).
5.1 Identitat und Hybriditat im postkolonialen Kontext
Westen
Postkolonien
Hybridismus
Sozialwissenschaftlicher Hybridismus, kosmopolitischer Blick (I)
Asthetischer Hybridismus in den Zwischenraumen zwischen Westen und Postkolonien (II)
Antihybridismus
Antikosmopolitismus, Abschottung gegeniiber postkolonialen Anderen (III)
Kosmopolitische Forderung der Anerkennung postkolonialer Identitaten (IV)
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Tab. 5.2: Hybridismus und Antihybridismus
Dagegen wird das Entweder-oder-Modell der Identitat vor allem im Westen als Abschottung gegen die postkoloniale Migration („Festung Europa") ins Feld geftihrt (ni. Quadrant), spielt in den ehemaligen Kolonien jedoch eine nicht zu unterschatzende RoUe als Ausgangspunkt flir den Kampf um eine Anerkennung der Andersheit der kolonialen Anderen (IV. Quadrant). In der westlichen Variante richtet sich der Antihybridismus als neo-nationalistische Reaktion auf Entgrenzung gegen die empirische Kosmopolitisierung der sozialen Realitat, wahrend er in den Postkolonien gerade als Kampfmittel/wr eine kosmopolitische Anerkennung der Andersheit verwendet wird. Die Beobachtung der „Westlichkeit" und des „Asthetizismus" dieses Begriffes sowie der Tatsache, dass das Konzept der Hybriditat gerade von den emanzipatorischen und antihegemonialen Bewegungen in den ehemaligen Kolonien abgelehnt wird, hat im Bereich der Postkolonialismustheorie eine kritische Debatte iiber die Moglichkeiten wie auch Grenzen dieses Konzepts und insbesondere auch iiber seine Implikationen fur die Lander der Dritten Welt ausgelost. Zunachst ist festzustellen, dass sich nur wenige postkoloniale Theoretiker dieser Euphorie des „Hybridismus" entziehen konnten, so dass Phanomene hybrider Identitaten und kultureller Vielfalt haufig zu einem Wert flir sich werden. In diesem Sinne stellt zum Beispiel der indische Theoretiker Dipesh Chakrabarty fest: „The world is indeed big and the trick, I now think, is not only to accept difference but enjoy it" (in Ghosh/Chakrabarty 2002: 169). Diese einseitig positive Bewertung sowie die hegemoniale Stellung des Konzepts droht jedoch nach MaBgabe der postkolonialen Kritiker, die Kampfe und Auseinandersetzungen um die Kulturproduktion, die sich dahinter verbergen - nicht immer sind hybride Identitaten, das zeigt die historische Diasporaforschung (Cohen 1997), das Ergebnis einer freiwilligen Vermischung -, und vor allem die Selbstbeschreibungen der marginalisierten Gruppen zu verdrangen.
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
Geht man von transnationalen Sozialraumen und darin konstituierten hybriden Identitaten aus, so verlieren zudem bisher zentrale Begriffe wie Assimilation oder Widerstand ihre eindeutigen positionalen Beziige. In den „chaotischen Mustem" der daraus hervorgehenden neuen politischen Strategien kann nach Gilroy gar nicht mehr klar festgestellt werden, wer auf wen Einfluss ausiibt oder wer sich an wen assimiliert (1995b: 9). Als Aufbruch des nationalstaatlichen Bias ermoglichen diese Unscharfe und Vermischung auf der Objektebene zwar neue Perspektiven und Erkenntnismoglichkeiten. Zugleich droht damit jedoch die Gefahr, dass - und dieser Vorwurf richtet sich vor allem auf die mit dem Hybriditatsbegriff verbundene Vorstellung einer sozialen und kulturellen Totalitat des Postkolonialismus, die Postkolonien ebenso wie ehemalige Kolonialstaaten einschlieBt, und das bislang verbreitete Modells einer manichaischen Dualitat zwischen den beiden (Bhabha 1994b; Fanon 1980; JanMohamed 1986) ersetzt - auch nicht mehr eindeutig zwischen dem antikolonialen Widerstand und der neokolonialen Mittaterschaft unterschieden werden kann (vergleiche dazu auch die Ausflihrungen in Abschnitt 4.4). So lasst sich zum Beispiel die Ubemahme der universaHstisch ausgerichteten westlichen Begriffe und Analyseinstrumente in den Wissenschaften der ehemaligen Koloniallander auf der einen Seite als Triumph des imperialen westlichen Denkens deuten, das lokale und partikulare Denktraditionen entwertet. Auf der anderen Seite kann ebendieser Sachverhalt aber auch als strategische Aneignung des westlichen Denkens beschrieben werden, die es letztHch ermoglicht, die Bedeutung partikularer Zusammenhange wieder herauszustellen und auf eine starkere Anerkennung dieser Partikularismen zu drangen (siehe dazu vor allem Kapitel 6). Das westliche Konzept der Hybriditat wird also ungeachtet des sen verwendet, dass sich die beobachteten Kulturen, Ethnien, „Rassen" womoglich selbst als eindeutig abgrenzbare Gruppen beschreiben. Trotz dieser zahlreichen Einwande gegen das Konzept der Hybriditat ist die Riickkehr zu eindeutigen und essentialistischen Identitaten fiir postkoloniale Theoretiker wie Gilroy keine Alternative. Stattdessen geht es um eine Umdeutung der Begriffe „Transnationalisierung" und „Hybridisierung" zu einem Ausgangspunkt fiir eine neue Art von Politik und Solidaritat, die nicht mehr nur dem nationalstaatlichen Paradigma entsprechen: [T]he expressive cultures that have grown up in these polyglot urban spaces—transnational and trans-lational vernacular cultures—supply and celebrate a variety of interconnection which not only acknowledges inter-dependency, but, at its insubordinate and camivalesque best, has been known to project an immediacy and a rebel solidarity powerful enough to make race and ethnicity suddenly meaningless (Gilroy 1995b: 8).
Auch in Bezug auf die Frage der Identitat lasst sich also der bereits in den vorangegangenen Kapiteln dargestellte Widerspruch zwischen der empirischen Diagnose einer postkolonialen Totalitat und ihren normativ problematischen Implikationen
5.2 Biologischer und kultureller Rassismus
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beobachten. Genau dieser Widerspruch im Zusammenhang mit Identitat und Zugehorigkeit ist es, der zum Ausgangspunkt eines Neuen Kosmopolitismus wird. Nach dieser allgemeinen Ubersicht zur Bedeutung von Identitat und Zugehorigkeit in der postkolonialen Theorie werden wir uns in den folgenden Abschnitten konkreten Spannungsfeldem der Identitatspolitik widmen. Den Anfang machen das Konzept der „Rasse" und die damit zusammenhangenden Haltungen des Rassismus und Antirassismus. 5.2 Biologischer und kultureller Rassismus Eine wichtige Beobachtung der britischen Cultural Studies in den 1980er und 1990er Jahren war das Auftauchen eines neuen Rassismus. Wahrend der alte Rassismus biologische Merkmale wie Blut oder Hautfarbe als Determinanten „rassischer" Identitat betrachtet, basiert diese neue Variante des Rassismus auf einem kulturalistischen Verstandnis von „Rasse" (Gilroy 1991: 60). Nicht mehr die von W. E. B. Du Bois (1903/1995) beschriebene color line steht also im Mittelpunkt der intemen ethnischen Konflikte der westlichen Lander, sondern eine culture line. Die Menschheit wird also nicht mehr mit Hilfe biologischer Kriterien in partikulare Untergruppen unterteilt; diesem Zweck dienen nun vor allem kulturelle Kriterien. Fur Gilroy ist es deshalb eine wichtige Aufgabe des postkolonialen Kosmopolitismus, diese Vermischung oder Uberlagerung von „Rasse" und Kultur zum Gegenstand soziologischer Forschung zu machen, die „considers patterns of conflict connected to the consolidation of culture lines rather than color lines and is concerned, in particular, with the operations of power, which, thanks to the ideas about 'race,' have become entangled with those vain and mistaken attempts to delineate and subdivide humankind" (2000: 1, Hervorhebung im Original). Da sich also die Erscheinungsform des Rassismus auf empirischer Ebene verandert und vor allem beeinflusst durch die postkoloniale Durchdringung von Erster und Dritter Welt zunehmend von biologischen Markierungen „rassischer" Differenzen auf kulturelle umstellt, ist es fUr ihn auch notwendig, auf der Beobachterebene eine neue Soziologie des Rassismus zu begrtinden, die ihre vorrangige Aufgabe darin sieht, Konstruktionsprinzipien und -kontexte essentialisierter kultureller Unterschiede zu analysieren. Der neue Rassismus ist dariiber hinaus im Unterschied zu seinen biologistischen Vorlaufem nicht mehr allein eine Angelegenheit der rechten politischen Parteien. Stattdessen findet sich die Verbindung von Nationalismus, Patriotismus und Rassismus, die den kulturalistischen Rassismus definiert, zunehmend auch in linken, ja sogar antirassistischen Programmen wieder (Barker 1982). Der Kulturalismus dieser Variante des Rassismus ermoglicht also eine Konvergenz vorher entgegen-
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
gesetzter politischer Pole, so dass sich zum Teil rassistische und antirassistische Positioner! in diesem neuen Rassismus begegnen (Gilroy 1991: 43-44). Deshalb muss eine auf diesen neuen Rassismus reagierende kosmopolitische Kritik auch mehr beinhalten als nur ein antirassistisches oder gar asthetisches „Feiem von Differenz" (Geertz 1986): „The desire for a rooted cosmopolitanism is opposed to a trivial and merely political distaste for racism" (Gilroy 2000: 276). Wahrend sich also die ethische kosmopolitische Idee urspriinglich gegen kontingente Zuschreibungen wie nationale Zugeh5rigkeit und in Verlangerung auch rassische Identitat richtet und allein die Zugehorigkeit zur Menschheit als natiirliches Wesensmerkmal anerkennt, muss der Neue Kosmopolitismus nach einer anderen Antwort suchen, denn hier geht es um die Kombination von universeller Freisetzung und partikularer Verortung unter besonderer Beriicksichtigung des jeweiligen politischen und sozialen Kontexts. Der Rassismus in seiner kulturalisierten Form wird fiir Gilroy zum Symbol einer paradigmatischen Zwickmiihle des Neuen Kosmopolitismus im postkolonialen Kontext, da weder die Befurwortung noch die Ablehnung dieser Idee fiir den neukosmopolitische Theoretiker eine gangbare Option darstellt (Gilroy 1990: 200). Der neue Rassismus riickt kulturelle Vertraglichkeit oder Unvertraglichkeit an die Stelle von sozialen Klassen- oder Machtbeziehungen (Amos etal. 1982: 17). Er fragt also nicht mehr nach den Rechten der Schwarzen oder nach den Zielen und Moglichkeiten der damit befassten politischen Bewegungen, sondem es geht primar um den verwaltungstechnischen Umgang mit diesen partikularen Kulturen:^ It was through trying to critique the compHcity of too much sociological thinking that reduced critical political questions to policy questions and showing where academic sociology was entirely comfortable with reproducing, for example, a number of pathological assumptions about the way that black culture and social life were constructed, that I got drawn on to sociological ground (Gilroy in Bell 1999: 23).
Der hegemoniale Diskurs des kulturell begriindeten Konzepts „Rasse", in dessen Rahmen die Diskriminierung der Schwarzen britischen Bevolkerung diskutiert und verhandelt wird, verdeckt die politischen und auch historischen Hintergninde der besonderen Lage dieser Gruppe. Das neue kulturalisierte Rassendenken lauft damit auf ein Ende der Politik hinaus: „The spaces in which 'races' come to life are a field from which political interaction has been banished. It is usually replaced by enthusiasm for the cheapest pseudo-solidarities: forms of connection that are imagined to arise effortlessly from shared phenotypes, cultures, and bio-nationalities" (Gilroy 2000: 41). Daraus ergibt sich als erstes Ziel einer kosmopoHtischen Kritik des neuen Rassismus, den Begriffen „Rasse" und Rassismus 6 Damit geht der neue Rassismus an dieser Stelle direkt in das Projekt des Multikulturalismus iiber (Gilroy 1995b: 4). Vergleiche dazu insbesondere Abschnitt 5.4 dieses Kapitels.
5.2 Biologischer und kultureller Rassismus
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ihren politischen Gehalt und Kontext zurlickzugeben und kulturelle, „rassische" Oder sonstige essentialistisch definierte Identitaten als Instrument oder Ergebnis politischer Strategien zu konzeptualisieren (Gilroy 2001: 153). Die Aufgabe der Kritiker liegt daher darin, die Verwurzelung der „Rasseologie" in ihren sozialen, politischen und historischen Zusammenhangen zu untersuchen, allein deshalb, da nur auf diese Weise auch die Implikationen und Interessen unterschiedlicher Politiken von Rassismus und Antirassismus erkennbar werden (Gilroy 1991: 14).^ Diese Repolitisiemng und Kontextualisierung ist ein weiteres typisches Merkmal des postkolonialen Kosmopolitismus, das uns bereits an mehreren Stellen begegnet ist, zum Beispiel in Saids Bemiihungen, das orientalistische Denken „irdisch" auf seinen politisch-historischen Kontext zu beziehen oder in Brennans Verortung des Kosmopolitismus als ideologische Stutze neoliberaler Globalisierungsprozesse und „neoimperialistischer" Hegemonialmacht. Die Konzepte „Rasse" und „Rassismus" sind fiir Gilroy keine empirischen biologischen oder kulturellen Identitatsmarkierungen, sondem politische Kategorien, die Auseinandersetzungen in einer identitatspolitischen Arena bezeichnen: „Examining the way that these groups are formed and sometimes [... ] can point to a view of 'race' as a political category. As such, its meanings are unfixed and subject to the outcomes of struggle. There can be no guarantee that conflicts over the meaning of 'race' will always be resolved in a politically radical or progressive direction" (Gilroy 1991: 24). Rassedenken und Rassismus stellen also keine auBerhistorischen Konstanten mehr dar, sondem sind selbst in geschichtliche Entwicklungen eingebettet: „Racism does not, of course move tidily and unchanged through time and history. It assumes new forms and articulates new antagonisms in different situations" (Gilroy 1991: 11). Diese historischen Artikulationsformen zu analysieren, wird damit zur zentralen Aufgabe der postkolonialen Soziologie. „Rasse" ist damit kein primordiales Merkmal mehr, das von „gegenmodemen" Bewegungen wieder ins Leben gerufen wird, sondem gerade in der kulturalistischen Variante ein spezifisch modernes Konzept (Gilroy 1991: 153). Auf Grund der historischen und politischen Einbettung der jeweiligen „Rasseologien" ist auch kein einfacher Antirassismus gefordert, sondern eine umfassende Dekonstruktion des gesamten Rassendenken wie auch des Antirassismus und seiner jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen. Die Merkmale, die vorher eine biologische oder ethnische Zugehorigkeit beschrieben haben, lassen sich dann als Zeichen der Zugehorigkeit zu politisch konstruierten und motivierten Gmppen lesen (Gilroy 1991: 149). Der umfassende Begriff, den Gilroy fiir diesen Untersuchungsgegenstand vorschlagt, lautet „Rassenformation". Dieses Konzept beinhaltet sowohl die Ideen und 7 Vergleiche zu einer ahnlichen Metaperspektive auf Identitatspolitik Said 1986.
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
Vorstellungen iiber „Rasse" als biologisches, kulturelles oder politisches Konzept als auch ihre jeweilige institutionelle Ausgestaltung (Gilroy 1991: 38). „Rasse" ist aus dieser Perspektive kein isoliertes Merkmal mehr, sondem eine politisch und historisch lokalisierbare Beziehung zwischen sozialen Gruppen und Kategorien: „The end of the essential black subject also entails a recognition that the central issues of race always appear historically in articulation, in a formation, with other categories and divisions and are constantly crossed and recrossed by the categories of class, of gender and ethnicity" (Hall 1989/1995: 225). Dies lenkt den Blick weg von individuellen als „rassisch" definierten Problemen und ihren isolierten Losungsversuchen und hin zu Mechanismen der sozialen Konstruktion des (post)kolonialen Anderen als „rassisch" Anderen sowie den Umgang mit der auf diese Weise konstituierten Andersheit der Anderen. „Rasse" wird fiir Gilroy zu einem paradigmatischen Testfall fiir kosmopolitische Varianten des Umgangs mit der Andersheit der Anderen. Der kulturelle Rassismus zielt letztlich auf eine physische, kulturelle und soziale Exklusion der Andersartigen (Gilroy 1991: 45), so dass dadurch die eigene Nationalidentitat (etwa: Englishness) als rein erhalten werden kann: „The black presence is thus constructed as a problem or threat against which a homogeneous, white, national 'we' could be unified" (Gilroy 1991: 48). Daraus resultiert, dass es gar nicht primar um echte Gedanken iiber den Umgang mit der Andersheit der Anderen geht, sondem darum, den „Kulturschock" fiir die weiBe britische Bevolkerung zu Hndem (Amos etal. 1982: 16). Die interne Homogenisierung der eigenen Gruppe geht mit der partikularistischen Abgrenzung von den kulturell Anderen einher, der Maximierung externer Differenzen (Guillory/Green 1998a: 2). Die Grundlage dieser Abgrenzung ist die dichotome Unterscheidung zwischen Selbst und Anderen. Somit erscheint diese Haltung als genaue Antithese zum kosmopolitischen Umgang mit der Andersheit der Anderen. Es ist jedoch die Aufgabe dieses Kapitels, zu zeigen, dass eine kosmopolitische Position gerade nicht aus der bloBen antirassistischen Negation des rassistischen Umgangs mit der Andersheit des Anderen entstehen kann, sondem erst durch das Erreichen einer Meta-Position - durch eine doppelte Negation dieses kulturellen Rassismus. Doch bevor wir uns dieser kosmopolitischen „Losung" des Problems widmen konnen, sind die erwahnten antirassistischen Optionen naher zu betrachten. Eine Ubersicht iiber die verschiedenen Varianten im Umgang mit dem neuen kulturalistischen Rassismus, die sich bei Gilroy finden lassen, bietet Abbildung 5.1. Zunachst lasst sich im postkolonialen Kontext eine Bewegung von einem biologisch begriindeten rassistischen Denken zu einer kulturalistisch gepragten Variante beobachten (dies war Thema dieses Abschnitts). Gegen diesen biologischen Rassismus stellt sich der linke Antirassismus (vergleiche Abschnitt 5.3). Diese Position
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5.2 Biologischer und kultureller Rassismus
Biologischer Rassismus
Neuer Rassismus: Kulturalisierung
Linker Antirassismus Etiiischer Kosmopolitismus
IVIultikulturalismus
Partikularistischer Scliwarzer "Antirassismus"
Neuer Kosmopolitismus "Anti-Antirassismus"
Abb. 5.1: Rassismus und Antirassismus ist gepragt von dem universalistischen Gedanken einer grundsatzlichen Gleichheit aller Menschen, in der partikulare ,^assische" Differenzen keine Bedeutung mehr besitzen. Flir den ethischen Kosmopolitismus, der aus dieser Haltung spricht, zahlt allein die Zugehorigkeit zur Menschheit. Aber auch andere Reaktionen auf den neuen Rassismus lassen sich beobachten wie zum Beispiel das multikulturalistische Projekt (vergleiche Abschnitt 5.4), das partikularistische und universalistische Elemente kombiniert, indem auf der einen Seite kulturelle, ethnische oder „rassische" Gruppen als exklusive Einheiten gedacht werden, denen Individuen klar und eindeutig zugeordnet werden konnen, wahrend jedoch das Verhaltnis zwischen diesen Gruppen als Koexistenz - oder als Nicht-Verhaltnis - gekennzeichnet werden kann. Ganz auf die Seite des Partikularismus schlagt sich der Schwarze NationaHsmus (vergleiche Abschnitt 5.5), der sich gar nicht gegen das rassistische Denken wehrt, sondem nur gegen die Formen, durch die Schwarze degradiert und negativ diskriminiert werden. Diese Haltung kehrt lediglich die Bewertungen um und stellt die Schwarze „Rasse" als positiv und iiberlegen dar. Der Neue Kosmopolitismus oder „Anti-Antirassismus" Gilroys (vergleiche Abschnitt 5.6) setzt sich zum einen von alien diesen Formen ab, ubemimmt jedoch zum anderen in einer doppelten Negation Elemente aus Antirassismus, Multikulturalismus und Schwarzem Partikularismus und verbindet diese auf eine neuartige Weise, die
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
durch den postkolonialen Kontext und seine transnationalen oder diasporische Vergemeinschaftungsformen (vergleiche Abschnitt 5.7) moglich wird. 5.3 Universalistischer Antirassismus Die erste Reaktion auf den kulturalisierten Rassismus ist die universalistische Dekonstruktion „rassischer" Konzepte als soziale Erfindungen. Schon in der Soziologie dQT Race Relations (Sivanandan 1982; Rex 1970; Rex/Tomlinson 1979) lassen sich Elemente dieser Sichtweise beobachten, denn „Rasse" wird hier nicht primar als natiirliches ICriterium betrachtet, sondem als Ideologie (Miles 1982), die als bloBe Konstruktion sozialer Akteure nicht dazu geeignet ist, Aussagen iiber die gesellschaftliche Realitat zu treffen (Gilroy 1991: 22). Die „Losung" des Problems „rassischer" Zuschreibungen liegt hier schlicht darin, das Konzept Rasse als ideologischen Effekt oder als falsches Bewusstsein zu betrachten, hinter dem sich die wirklichen politischen, okonomischen oder sozialen Ursachen verbergen (Gilroy 1991: 22). Der Gegensatz zwischen Rassismus und Antirassismus wird hier ausschlieBlich auf normativer Ebene ausgetragen: Rassismus ist demnach eine „schlechte Ideologie", die durch eine „gute Ideologie" ersetzt werden muss (Gilroy 1991: 25-26). Rassismus hat deshalb, zugespitzt formuliert, kaum etwas mit der sozialen Reahtat zu tun. Da „Rasse" ein Konstrukt auf der ideologischen Ebene des Uberbaus ist, das die eigentliche Einheit der Menschheit auf unnatlirliche Weise unterteilt, ist auch eine Korrektur auf der Ebene der Ideen ausreichend.^ Dabei zeigt der linke antirassistische Widerstand deutliche Gemeinsamkeiten mit der universalistischen oder ethisch kosmopolitischen Utopie, in der „rassische" Unterschiede nicht mehr individuelle Nachteile oder Privilegien bedeuten, sondem nur noch als asthetische Differenzen betrachtet werden - der Andere ist zwar nicht gleich, aber als gleichwertig inkludiert. Die Grundlage fiir diese Anerkennung ist dabei die gemeinsame Zugehorigkeit zur Menschheit. Diese kosmopolitische Idee einer Welt ohne „rassische" Unterscheidungen wird auch von dem postkolonialen Kritiker Gilroy zunachst nicht abgelehnt, sondem ihrem Inhalt nach als positive Vision beschrieben: I confess that I share a lot of hospitable liberalism's hankering after a race-free world [... ] I agree that we'd all be better off without reified racial and ethnic categories mystifying the world at a time when our relationship with our own species life is assuming a new and potentially wonderful complexity. It has been good that liberals 3 Aber der Zusammenhang von Rassismus und Universalismus kann auch auf eine andere Art thematisiert werden. So beschreibt Tzvetan Todorov das rassistische Denken selbst schon als Kombination partikularer Elemente, die die Idee eines geteilten Menschseins leugnen, und universeller Elemente, die davon ausgehen, dass es nur einen einzigen MaBstab fiir die Beurteilung des Wertes verschiedener „Rassen" gibt, der trotz alles Relativismus fiir alle gleichermaBen gilt (1986: 373).
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have queried the easy resort to particularity and interrupted the cheap invocations of incommensurability that have trivialized both political solidarity and the hard work involved in learning once again to translate, listen and evaluate, contrast and compare across the leaky but not insignificant boundaries of discrepant cultures" (2001: 158).
Betrachtet man jedoch die Folgen und insbesondere die Nebenfolgen dieser universalistischen Utopie - so sie Uberhaupt als durchfuhrbare Option erscheint -, dann triibt sich dieses positive Bild schnell: „The excessive universalism takes the form of refusing cultural differences in the name of the unicity of the human species and the diversity of individuals. We are so busy batthng stereotypes in the description of Others that we end up refusing these Others any specificity at all" (Todorov 1986: 373-374). So lasst sich etwa beobachten, dass sich zahlreiche Gegner der wohlmeinenden universaHstischen (Auf)losung des „Rassenproblems" nicht nur auf der Seite der rassistischen Beflirworter einer reinen britischen Kultur wiederfinden (fiir Gilroy paradigmatisch verkorpert durch den britischen PoHtiker Enoch Powell), sondem es sind gerade auch Mitglieder der von dieser Dekonstruktion betroffenen Schwarzen Kultur selbst, die sich gegen die damit verbundene einseitige Einbeziehung wehren und auf ihrer eigenen partikularen Identitat als Schwarze beharren. Denn sie sehen nach Gilroy ihre Schwarzen Identitat nicht nur als Ausloser von Diskriminierungen und Emiedrigungen, sondem auch als positive Quelle ihres Selbstbildes. Eine groBe Rolle spielt dabei, dass „Rasse" auch zur gemeinsamen Grundlage einer oppositionellen Identitat werden kann, die dann als Ausgangspunkt fiir den Kampf gegen rassistische Diskriminierungen dient (2000: 12). Hier zeigt sich, dass sich die Unterscheidung zwischen universalen antirassistischen und partikularen rassistischen Prinzipien nicht auf die Unterscheidung zwischen den Opfem und NutznieBern der rassistischen Unterdriickung oder zwischen Schwarzen und WeiBen abbilden lasst, denn beide Haltungen finden sich auf beiden Seiten wieder. Der universalistische Anspruch der Abschaffung der Kategorie „Rasse" findet also sowohl Gegner als auch Verbiindete auf beiden Seiten der color line. Gegeniiber diesem konstruktivistischen Universalismus betont Gilroy, den Begriff der „Rasse" nicht vorschnell aufzugeben und vor allem nicht von a priori anzunehmen, dass dieser als bloBe Ideologic auf andere Begriffe wie etwa Klasse reduzierbar ist. Stattdessen pladiert er dafiir, die Aufmerksamkeit sogar noch starker auf diesen Begriff und vor allem die politischen Strukturen und Strategien zu richten, die sich hinter der essentialistischen Vorstellung von „Rasse" auf der einen und der universalistisch-konstruktivistischen Kritik auf der anderen Seite verbergen. Es geht also nicht um die Beibehaltung von „Rasse" als empirischontologische Beschreibung von Zugehorigkeit, sondem als analytisches Konzept, mit dessen Hilfe die Konstitution kollektiver Identitaten und damit gerade auch die
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Phanomenen des weiBen Rassismus und des Schwarzen Widerstandes im postkolonialen Kontext untersucht werden kann (1991: 247). Es geht nicht damm, einen falschen Universalismus („Rasse") durch einen richtigen (Klasse) zu ersetzen Oder, wie im folgenden Abschnitt deutlich wird, einen falschen Partikularismus durch einen richtigen -, sondem um die Begriindung einer neuen, ubergeordneten eben: kosmopolitischen - Analyseposition, die nicht nur die Analyse von „Rassenproblemen" oder „rassistischer Diskriminierung" analysiert, sondem sich auch mit den politischen Intentionen und Folgen essentialistischer und konstruktivistischer Argumentationsstrategien befasst. Gilroys postkoloniale Kritik bleibt nicht bei der Erkenntnis stehen, dass es sich mit „Rasse" und rassistischen Phanomenen um diskursiv konstituierte Tatsachen handelt, sondern dringt auf die Ebene der diskursiven Politik vor, auf der beobachtet werden kann, welchen Intentionen, Weltbildem bestimmte inhaltliche Ausgestaltungsweisen der „Gesellschaft als Text" entsprechen. Dies wiederum stellt sein Projekt in eine direkte TraditionsHnie mit Saids Kritik des Orientalismus in der auf ahnliche Weise ein Fokus auf der Politik der Theorie liegt (vergleiche Kapitel 3). Auch hier richtet sich die Aufmerksamkeit des kosmopolitischen Kritikers vorrangig auf den Kontext, denn nicht allgemein „Rasse" oder Rassismus sind die zu erklarenden Gegenstande, sondem die konkreten diskursiven Formationen, die diese in historisch variablen Formen ermoglichen (Gilroy 2000: 58). Damit soil unter anderem auch gezeigt werden, dass der universalistische ortsunabhangige und iiberzeitliche Anspruch von politischen Ideologien wie dem Antirassismus auf partikulare Kontexte und Ziele zuruckzufuhren ist und dass Universalismen dieser Art gerade nicht universell sind. Nicht nur „Rasse" und Rassismus werden hier als „irdische" Phanomene betrachtet, sondem auch dagegen gerichtete politische Bewegungen wie Antirassismus oder Kosmopolitismus. Das Ziel der kosmopolitischen Perspektive auf Identitatspolitik ist also nicht darin zu sehen, den Identitatsdiskurs vollstandig zu relativieren, als vielmehr ihn im Kontext modeme Machtbeziehungen zu lokalisieren (Grossberg 1996: 88). Dieser Perspektivwechsel bedeutet demnach keinen Abschied von den als bloBe Konstmktion „entlarvten" Identitaten, sondem das Gegenteil ist der Fall: Identitat und ihre Konstruktions- und Artikulationsmechanismen riicken sogar in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, allerdings in den Mittelpunkt eines als politisch und dynamisch verstandenen sozialen Diskurses, dessen Bedeutung fiir die soziale Bedeutung von „Rasse" viel starker als zuvor beriicksichtigt wird. Dazu gehort auf der wissenschaftlichen Beobachterebene die Entwicklung einer reflexiven Selbstbetrachtung der Soziologie, die von Beginn an Bestandteil des Rassendiskurses ist und sich mit verantwortlich zeigen muss flir rassistische Diskriminiemngen oder die gesellschaftliche Nicht-Anerkennung der Schwarzen Anderen:
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It seems to me that sociology lacks its own version of the very interesting self-critical conversation that was forced on anthropology for obvious reasons at a much earlier point. Although sociology has been kind to me, much of the time I don't think of sociologists as being people who would be interested in the things that I have wanted to talk and write about (Gilroy in Bell 1999: 22).
Die Rassenproblematik ist also einer der Wege, auf dem die Frage der Andersheit auch die Soziologie beriihrt - eine Begegnung, die in Ethnologie, Cultural Studies und Postkolonialismustheorie bereits tiefgreifende Krisen und Reflexionsbewegungen ausgelost hat - und in Frage stellt. Der universalistische Antirassismus lauft nach Gilroy Gefahr, die Bedeutung oppositioneller Gruppen oder „Gegenkulturen" zu verkennen, die sich gerade in Auseinandersetzung mit dem Rassenbegriff und der Fremddefinition als kulturell andersartig gebildet haben kann: Historians, sociologists, and theorists of politics have not always appreciated the significance of these sometimes-hidden, modem countercultures formed by long and brutal experiences of racialized subordination through slavery and colonialism and since. The minor, dissident traditions that have been constituted against the odds amid suffering and dispossession have been overlooked by the ignorant and the indifferent as well as the actively hostile (Gilroy 2000: 13).
Der universalistische oder konstruktivistische Antirassismus trivialisiert diesen auf Anerkennung zielenden Widerstand der Schwarzen und blendet seine Gegenperspektive auf das „Rassenproblem" aus. Zudem versteht er durch seine Herkunft als Reaktion auf den neuen Rassismus das Problem der „Rasse" nicht primar als politisches, sondem vor allem als kulturelles Problem, das sich von politischen Herrschaftsstrukturen und Momenten kultureller Hegemonic isolieren und dekonstruieren lasst (Gilroy 1990: 193). Charakteristisch fiir eine kosmopolitische Perspektive ist dagegen, die kulturellen und politischen (Neben)folgen rassistischer Diskurse und Ideologien - zum Beispiel die Schwarze Diaspora, die aus dem intemationalen Sklavenhandel hervorgegangen ist oder der transnationale Musikstil des Reggae, der die rassistische Unterdriickung in ein machtiges oppositionelles Identifikationsmuster verwandelt hat - nicht im Zuge eines antirassistischen Universalismus zu negieren, sondern zu analysieren und in ihrer kulturellen Bedeutung wlirdigen. Nicht ohne Grund richtet Gilroy sein Interesse in erster Linie auf die Schwarzen (Sub)kulturen innerhalb des Westens, die von Rassisten wie Antirassisten an den Rand gedrangt werden. Dabei ist sich Paul Gilroy der Widerspriiche seiner eigenen Position bewusst. Er selbst gerat immer wieder in den Verdacht, durch seine Kritik am Begriff „Rasse" auch die positiven Definitionsmoglichkeiten, die damit verbunden sein konnen, aus dem Blick zu verlieren:
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten I am alive to all the ironies of my position, I understand that my taking antipathy toward 'race' beyond the unstable equilibrium represented by my liberal use of scare quotes might be viewed as a betrayal of those groups whose oppositional, legal, and even democratic claims have come to rest on identities and solidarities forged at great cost from the categories given to them by their oppressors (2000: 52).
Da der Fokus nicht mehr unbedingt auf den Phanomenen „Rasse" und Rassismus selbst liegt, sondem auf den damit verbundenen Diskursen und politischen Hintergriinden, riicken auch die eigenen wissenschaftlichen und professionellen Interessen des Forschers, die fur diese Themenwahl verantwortlich sind - nach Said: seine affiliative Verortung -, in den Mittelpunkt (Gilroy 1998: 840). Sogar die Moglichkeit, dass der antirassistische Akademiker selbst zum Komplizen der Reproduktion rassistischer Ideen wird, kann nicht ausgeschlossen werden - immer wieder fragt Gilroy daher nach den jeweiligen professionellen Motiven ftir den Antirassismus wie auch fiir die Reifizierung rassischer Differenzen (1998: 842). Ahnlich wie es auch fiir die bisher analysierten kosmopolitischen Spannungsfelder und Entwiirfe kennzeichnend gewesen ist, spielt auch im Zusammenhang mit der kosmopolitischen Kritik der „rassisch" begriindeten Identitatspolitik die Forderung nach einer starkeren Reflexivitat der Akademiker und offentlichen Intellektuellen eine wichtige Rolle (Gilroy 1998: 842). Anders als im universalistischen Kosmopolitismus tritt der Theoretiker hier selbst in seine Theorie ein und verkorpert die Chancen wie auch Zwickmlihlen seiner theoretischen Verortung. Die konstruktivistische Auflosung des Rassebegriffs wird von Gilroy auf der einen Seite kritisiert, zugleich aber auch auf der anderen Seite als Moglichkeit gesehen, darauf ein kosmopolitisches Projekt der Untersuchung des Rassendenkens aufzubauen (Gilroy 2000: 15). Ziel dieses Projekts ist nicht so sehr, den ontologischen Status von „Rasse" zu klaren, also die Frage danach zu beantworten, ob das Konzept „Rasse" auch im hybriden postkolonialen sozialen Kontext ausreichend Erklarungskraft besitzt, sondem damit soil eine Moglichkeit geschaffen werden, Folgen und Handlungsrelevanz der damit verbundenen Begriffspolitiken in den Blick zu nehmen. Es geht also weniger um „the issue of the epistemological relation of 'race' to class and to the status of 'race' as a distinct order of social phenomena sui generis [... ] The primary problem for analysis of racial antagonism which occurs within the broad framework of historical materialism must be the manner in which racial meanings, solidarity and identities provide the basis of action" (Gilroy 1991: 27, Hervorhebung im Original). Eine mogliche These in diesem Zusammenhang behauptet namlich, dass das standige Beharren auf „Rassismus" als Erklarungsprinzip fiir soziale Ungleichheit und Diskriminierung selbst potentiell einer rassistischen Logik entspricht. Denn das Ergebnis ist nach Gilroy unvermeidlich eine „Rassifizierung" der sozialen und politischen Phano-
5.3 Universalistischer Antirassismus
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mene (Gilroy 1991: 116). Auf ahnliche Weise stellt auch die postkoloniale Kritik reflexiv die Aussagekraft ihr Schliisselkonzept „Kolonialismus" in Frage, dessen hoher Stellenwert in den Analysen der Postkolonien suggeriert, dass samtliche Wesensmerkmale dieser Kulturen auf die koloniale Vergangenheit oder aber den Widerstand dagegen zuriickzufiihren sind. Doch dahinter verbirgt sich allzu oft, so die Kritiker, eine westliche Perspektive, die allein die eigenen historischen Entwicklungen als geschichtstrachtig erachtet und die Ereignisse in den Kolonien nur als abgeleitet versteht (vergleiche dazu auch Kapitel 6). Allgemein geht es bier also um die Differenz zwischen notwendigen und hinreichenden Erklarungsmustem des postkolonialen Moments und des Rassismus. Dariiber hinaus vermittelt dieses Beharren auf dem Phanomen der rassistischen Diskriminierung den Eindruck, dass die Schwarzen und die Schwarzen Kulturen zu jeder Zeit und vollstandig von dem weiBen mainstream isoliert gewesen waren. Diese Perspektive lenkt, obwohl sie hilft, einen Ausgangspunkt fiir die Kritik der „rassisch" motivierten Unterdriickung zu gewinnen, den Blick von den realexistierenden historischen Beitragen der Schwarzen Kulturen zur westlichen Kultur und Modeme ab und entspricht darin einer fortschreitenden Marginalisierung der Schwarzen Kulturen (Gilroy 1991: 153). Auch diese Argumentation fiihrt in eine Zwickmiihle, denn wahrend das Beharren auf „Rasse" als analytischer „Generalschliissel" die empirische Integration oder Durchdringung der Schwarzen und „weiBen" Kulturen verbirgt, kann auch das universalistische Auflosen von „Rasse" nicht dazu beitragen, diese Interdependenzen in den Vordergrund zu riicken. Bezieht man die theoretische Intention Gilroys auf unsere Leitunterscheidung zwischen der empirischen, methodologischen und normativen Dimension, so zeigt sich auch hier eine Diskrepanz. Auch wenn eine universalistische oder ethisch kosmopolitische Perspektive auf normativer Ebene wiinschenswert erscheint und auf empirischer Ebene der Diagnose des postkolonialen Moments entspricht, hat sie dennoch im gegenwartigen gesellschaftlichen Kontext nach Gilroy zur Folge, dass nicht nur der antikosmopolitische weiBe Rassismus davon betroffen ist, sondem auch die Moglichkeit des Schwarzen Widerstandes gegen die rassistische Diskriminierung, fiir die partikulare Schwarze Identitaten ein wichtiger Ausgangspunkt sind. Aber auch die entgegengesetzte methodologische Option, am „Rassenbegriff" als analytisches Werkzeug festzuhalten, kann zu Nebenfolgen fiihren, die das Rassendenken weiter festigen. Die Forderung der Aufgabe des Rassenbegriffs ist aber auch deshalb kontrovers, da die NutznieBer der „rassischen" Hierarchic der Andersartigkeit diesen Begriff und die damit verbundenen tJberlegenheitsvorstellungen ebenso wenig aufgeben woUen wie die Unterdriickten, die damit zum Beispiel ihre Unterdriickung benennen konnen und die „have for centuries employed the concepts and categories of their rulers, owners, and persecutors to resist the destiny
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that 'race' has allocated to them and to dissent from the lowly value it placed upon their lifes" (Gilroy 2000: 12).^ Noch dazu ahnelt die Forderung der Aufgabe des Rassenbegriffs der zentralen Idee des nationalistischen new racism, demzufolge die Eingliederung der Schwarzen in die britische Nationalkultur nur dann (wenigstens prinzipiell) moglich ist, wenn sie jegliche Andersheit ablegen - ihre „Rassenidentitat" aufgeben - und sich vollstandig der „weiBen" Kultur anpassen.^^ Dabei geht es Gilroy jedoch nicht darum, in einem rein universalistischen Sinn die Kategorien „Rasse" und „Rassismus" voUkommen aus dem Blick zu verlieren. Im Gegenteil, durch diese Bewegung soil der Blick sogar noch viel starker als bislang auf die partikularen Bedingungen und Kontexte des Rassendiskurses gelenkt werden und vor allem auf die damit verbundenen politischen Interessen. Fur diese von Stuart Hall wie auch Paul Gilroy vertretene diskursive Perspektive auf „Rasse" und Rassismus ist Identitat jedoch ein Konstrukt beziehungsweise ein Prozess, der kein Ende linden kann (Hall 1996: 2). Insofem ist es auch zu kurz gegriffen, zu denken, „rassische" Identitaten konnten einfach abgelegt und in einen umfassenderen kosmopolitischen Kreis der Zugehorigkeit - etwa der Menschheit - uberfiihrt werden. Auch diese Versuche der Universalisierung verlassen den Rahmen der Identitatspolitik nicht und konnen Identitatsvorstellungen allenfalls transformieren, nicht aber auflosen. Das Ziel des kosmopolitischen „Antirassismus" ist eine Dynamisierung und Repolitisierung dieser Begriffe und Deutungsmuster: „For me, the proposed renunciation of 'race' might also represent a reactivation of political sensibihties in a eld from which politics has been banished, and where the easy invocation of race is regular confirmation of the retreat of the political" (Gilroy 1998: 839). Dadurch soil eine kosmopolitische Perspektive eroffnet werden, die sich weder vom universalistischen Antirassismus noch vom partikularistischen Multikulturalismus, dem Thema des nun folgenden Abschnitts, einseitig vereinnahmen lasst. 5.4 Multikulturalismus Der Versuch, „Rassengrenzen" aus einer universalistischen oder ethisch kosmopolitischen Perspektive aufzulosen, ist nur eine Variante des Antirassismus. Eine weitere Spielart, die fiir Gilroy ebenso problematische Folgen hat und die Reflexivitat des Forschers in ahnlichem MaB herausfordert, ist die Idee und Praxis des 9 Anders ausgedriickt: Auch wenn man statt „Rassen" nur noch von „Kultur" und „Ethnizitat" spricht, geht das Leiden und die Unterdriickung auf Grund ,4-assischer" Merkmale weiter (Hooks 1989). 10 In diesem Sinne bewertet auch Rorty einen offenen Ethnozentrismus hoher, wenn er sich zum Beispiel gegen die konkrete Unterdriickung der Schwarzen im System der Sklaverei richtet, als eine folgenlose universalistische Rhetorik der Menschheit (1998: 56).
5.4 Multikulturalismus
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Multikulturalismus. Zunachst lasst sich das Projekt des Multikulturalismus als kritisches Projekt verstehen, das sich gegen die Auflosung kultureller Unterschiede in der Vorstellung einer universellen menschlichen Gleichheit stellt und gesellschaftliche Vielfalt als positiven Wert fiir sich betrachtet (Beck 2004a: 104). Diese Idee lasst sich damit als Gegenteil der in Abschnitt 5.3 beschriebenen universalistischen Option verstehen. Der Ausgangspunkt der Debatten liber Multikulturalismus, kulturellen Pluralismus und political correctness beginnt nach Gilroy als Kritik an der kaum hinterfragten Transformation partikularer europaischer Normen in universelle Normen des menschlichen Handelns uberhaupt (1993: 7-8). Die europaischen Universalismen sind fiir das Projekt des Multikulturalismus falsche Universalismen, die den Fehler begehen, partikulare Kulturen an ein hegemoniales Konzept assimilieren zu wollen. Multikulturalismus lasst sich daher fiir Gilroy als „sign marking the end of Europe's hegemony in the world of ideas. It no longer enjoys a special monopoly of access to scientific, ethical, or aesthetic modernities" (2000: 244) lesen. Die emanzipatorische multikulturalistische Kritik an den europaischen Universalien entspricht der postkolonialen Perspektive auf die Hegemonic der westlichen Vemunft, die ihre eigenen Prinzipien als allgemein zutreffend und fiir alle verbindlich behauptet und damit die eigenen partikulare Sichtweise als einzig wahren Universalismus beschreibt (vergleiche dazu auch Kapitel 3 und 6). Neben der Kritik am westlichen UniversaHsmus richtet sich das Projekt des Multikulturalismus auch gegen die methodologisch nationalistische Annahme einer alles uberragenden Bedeutung des Nationalstaates und seiner kollektiv vorgestellten Kultur (Anderson 1983) fiir Identitat und Zugehorigkeit und betont stattdessen die interne Heterogenitat bis hin zu einem unverbundenen Nebeneinander vielfaltiger Kulturen, die sich nicht unter das gemeinsame Konzept der Nationalkultur subsumieren lassen. Dies gilt vor allem fiir den postkolonialen Moment, denn in a time of planetarisation and accelerated technological development when the politics and significance of location, presence and proximity are being actively recomposed, multi-culturalism has been deployed to interrogate the significance of nationality as a principle of social cohesion and to criticise unthinking attempts to place and maintain Europe as the innocent and privileged centre of history's unfolding" (Gilroy 1995b: 3).
Damit ist das multikulturahstische Projekt ein paradoxes Beispiel fiir eine neuartige ^.politics of scale'' (Brenner 2000), die bestehende MaBstabe fiir kulturelle Zugehorigkeit und Solidaritat in Frage stellt und die subnationale Ebene als zentralen Ansatzpunkt fiir kulturelle Identifikationsprozesse in den Mittelpunkt riickt - im Gegensatz zu dem klassischen kosmopolitischen Modell des Weltbiirgers, das die planetarische oder universelle Dimension der Menschheit hervorhebt. Beide Ideen treffen sich jedoch darin, dass sie den Nationalstaat als alleinigen oder zentralen MaBstab und insbesondere die damit implizierte Gleichsetzung von Kultur und
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Nationalkultur scharf ablehnen (Gilroy 1995b: 4). An diesen beiden beschriebenen Punkten kann der Multikulturalismus fur Gilroy einen wichtigen Beitrag zur Theorie des Neuen Kosmopolitismus leisten: Er richtet sich erstens gegen die europaischen Universalismen und stellt ihre partikularen Herkunftskontexte in den Mittelpunkt und zweitens gegen die Annahme des nationalstaatlichen Kreises als alleinige Quelle fiir Identitat und Zugehorigkeit. In seiner negativen Bedeutung gegen westliche Universalismen und gegen den methodologischen Nationalismus ist der Multikulturalismus ein unverzichtbares Element des Neuen Kosmopolitismus - seine Vorstellungen von Gesellschaft in der Zweiten Modeme sind jedoch den Modellen des Neuen Kosmopolitismus genau entgegengesetzt. Eine zentrale Motivation des Multikulturalismus ist es, subnationalen kulturellen Identitaten mehr Moglichkeiten zur Selbstbestimmung zu gewahren und ihnen zu ermoglichen, die Konstitution ihrer eigenen Identitat und Kultur auch gegen die nationalstaatliche Definitionshoheit durchzusetzen. Ahnlich v^ie im Kosmopolitismus wird die nationale Zugehorigkeit als kontingent betrachtet, aber nicht die universalistische Zugehorigkeit zur Menschheit ist hier die alternative Identifikationsquelle, sondem subnationale Gruppen oder Minderheiten - die aus der Sicht des MultikulturaHsmus die „naturiichen" Einheiten reprasentieren. Die multikulturalistische Perspektive kritisierte also die auf Nationalstaat und Nationalkultur als exklusive Identitatspositionen bezogenen Ethnozentrismen und Essentialismen, wahrend auf einer darunter liegenden Ebene eben solche Ethnozentrismen und Essentialismen wieder konstituiert und gefestigt werden. Damit findet letztlich nur eine Verschiebung des Rassismus statt. Auch die auf ethnischen oder gar „rassischen" Kriterien basierende Diskriminierung und Exklusion, gegen die sich die multikulturalistische Idee wehrt, werden mit auf die andere Ebene iibertragen. Der Multikulturalismus wird dadurch selbst zu einer neuen Spielart des Rassismus, die „Rassenunterschiede" betont, wenn auch mit der Absicht, sie auf diese Weise zur Grundlage einer positiven Diskriminierung der jeweils eigenen Gruppe zu machen (Zizek 1997). Bezieht man dieses multikulturalistische Denken auf die postkoloniale color line, so zeigt sich, dass gerade der Multikulturalismus die binare Unterscheidung weiB/Schwarz festschreibt anstatt sie aufzulosen oder dialektisch aufzuheben. Er bemiiht sich nicht um einen Ausgleich zwischen universalistischen und partikularistischen Prinzipien, sondem erhebt die partikularistische Identifikation und Differenzierung von Kulturen zu seiner Leitidee (Gilroy 2001: 163). Damit lasst sich der Multikulturalismus auch als „Multipartikularismus" oder „Multiessentialismus" bezeichnen. Das einzige universalistische Element, dass den Multikulturahsmus von dem Rassismus noch unterscheidet ist, dass (wenigstens im Prinzip) alien Kulturen eine kulturelle Eigenstandigkeit zugestanden wird und nicht nur der Mehrheit.
5.4 Multikulturalismus
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Zwischen den Kulturen findet jedoch kein Austausch statt, denn es gibt, anders als im Kosmopolitismus, kein gemeinsames universalistisches Minimum, das sie miteinander verbinden konnte. So konstruiert der Multikulturalismus kulturelle „Schachteln" oder „Container" (Beck/Grande 2004: 28), stabile, homogene und hermetisch abgegrenzte Kulturraume, in deren Innem sich die jeweils Anderen entfalten konnen: „Each warring element of the fixed mosaic totality is projected as separate, entire of itself and sealed off—no civic cement in this model—from the influence of other similar formations which can only be mutually destructive and compromising" (Gilroy 2001: 163). Die Verbindungen mit dem umfassenden Ganzen - Staat, Gesellschaft oder Menschheit - genau wie transnationale kulturelle Beziehungen, die das Innere der „Schachteln" verbinden oder durchdringen, spielen keine Rolle. Auch in dieser Hinsicht ahnelt das Modell des Multikulturalismus der intemationalen/nationalstaatlichen Staatenordnung, die es eigenthch kritisiert: Nationalstaaten werden in diesem klassischen Modell innen als homogen und nach auBen klar voneinander abgrenzbar vorgestellt. Postkoloniale Konzepte wie Transnationalisierung und Hybridisierung behaupten jedoch genau das Gegenteil und stellen eine innere Vermischung und Transformation von Kulturen fest sowie die Moglichkeit von Individuen, sich mehreren kulturellen „Schachteln" oder mehreren Kreisen zugleich zugehorig zu fiihlen: kulturelle Identitat ist aus dieser Perspektive sowohl unrein als auch kombinierbar (Bhabha 1994a: 5). Im Multikulturalismus ist dagegen die Vorstellung des Jnsiderism'' oder einer „kulturellen Apartheit" (Todorov 1986: 376) - nur ein Mitglied einer bestimmten Kultur kann fur diese sprechen und sich flir diese einsetzen; zugleich auch: nur fiir diese - in nahezu vollendeter Form ausgepragt und behauptet eine absolute kulturelle Differenz auf Grundlage der als deckungsgleich wahrgenommenen Prinzipien Nation, Nationalitat, nationale Zugehorigkeit und Nationalismus: The essential trademark of cultural insiderism which also supplies the key to its popularity is an absolute sense of ethnic difference. This is maximised so that it distinguishes people from one another and at the same time acquires an incontestable priority over all other dimensions of their social and historical experiences, cultures, and identities" (Gih-oy 1993:3).ii
Alternative oder erganzende Prinzipien auf deren Grundlage kulturelle oder soziale Identitaten aufgebaut werden konnten, treten hinter der statischen ethnischen 11 Als ein wichtiger Einflussfaktor fiir die Entwicklung des kulturellen „Insiderismus" nennt Gilroy vor allem den Partikularismus der britischen Sozialsysteme {social services departments), in denen vor allem Schwarze Mitarbeiter fiir die Behandlung der Schwarzen Sozialfalle zustandig sind (1991: 66). Aber auch in den Sozialwissenschaften ist dieses Denken weit verbreitet, was unter anderem dazu fiihrt, dass es kaum Forderungsmittel fiir Schwarze Wissenschaftler gibt, die „weiBe" Kulturen untersuchen (Hooks 1989; Brantlinger 1990).
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
Oder „rassischen" Identitat zuriick.^^ Die Ideologie des Multikulturalismus ist also der oben skizzierten postkolonialen Vorstellung hybrider, dynamischer und wahlbarer kultureller Zugehorigkeiten entgegengesetzt, da sie als unproblematisch voraussetzt, dass kulturelle Gruppen der Gegenwart jeweils an ihre ungebrochenen Traditionen ankniipfen konnen, ohne dass dabei Konflikte mit einem seitdem geanderten Kontext auftreten oder der Gedanke reflektiert wird, dass es sich auch im Fall der meisten Traditionen um jtingere oder gar modeme Erfindungen handelt oder, dass kulturelle Konstruktionen immer auch als politische Prozesse verstanden werden konnen^^ (Gilroy 2000: 13). Interessanterweise greift der Multikulturalismus trotz der von ihm immer wieder geauBerten Kritik an den homogenisierenden und hegemonialen europaischen Vorstellungen von Kultur - ein wesentliches Ziel des Multikulturalismus ist schlieBhch die Emanzipation postkolonialer Subkulturen im Westen - selbst wieder auf essentialistische oder rassistische Deutungsmuster zuriick, die im kolonialen Zeitalter gepragt wurden (vergleiche dazu Kapitel 3). Fiir Gilroy ist gerade der Multikulturalismus trotz seiner urspriinglichen kritischen StoBrichtung ein Beispiel fiir die „imperialen Nostalgie" der ehemahgen Koloniallander (Gihoy 2004): ^Reinvented as much as nostalgically remembered, the filtered imperial past gets invested with a new power to soothe. It supplies comfort against the shock of Empire's loss and the realization of national decline" (Gilroy 2000: 245). Der Multikulturalismus ist trotz seiner urspriinghchen Kritik am methodologischen Nationalismus dem Neuen Kosmopohtismus entgegengesetzt, da er durch seine ausgepragte partikularistische Kriegsmetaphorik fiir Gilroy jede Moglichkeit einer echten Anerkennung oder gar Einbeziehung kultureller Differenzen ausschlieBt (2001: 154). Damit wird die multikulturalistische Ideologie trotz ihrer anfanglichen antirassistischen Intention selbst zu einer moglichen Erscheinungsform des „neuen Rassismus" (1998: 842). Die kosmopolitische Theorie sucht also nach einer Alternative sowohl zum Universalismus, der kulturelle Identitaten als „falsches Bewusstsein" negiert, als auch zum Multikulturalismus, der essentialistischen „rassischen", ethnischen oder kulturellen Zugehorigkeiten eine zentrale Bedeutung zuweist. Es geht um eine Alternative, die weder Identitaten in transnationalen Strukturen und Hybridisierungsprozessen oder in einer behaupteten universellen Gleichheit aller Menschen 12 Ein weiterer Kritikpunkt wirft dem Multikulturalismus vor, kollektive Kultur und individuelle Identitat gleichzusetzen und damit individuelle Kombinations- und Wahlmoglichkeiten kultureller Zugehorigkeit aus dem Blick zu verlieren (Grossberg 1996: 88). Das problematische Verhaltnis von Kultur und Identitat wurde bereits in Abschnitt 5.2 angesprochen; es im Detail zu analysieren, wiirde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 13 Vergleiche dazu die umfangreiche Forschungstradition der Nationalismusforscher Anderson (1983) und Hobsbawm/Ranger (1983) sowie fiir die mittlerweile umfangreiche Debatte in der Ethnologie Appadurai (1981); Friedman (1992); Hughes/Trautmann (1995).
5.5 Schwarzer Partikularismus
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als Mitglieder der Menschheit auflost und soweit unscharf oder uneindeutig werden lasst, dass sie nicht mehr sinnvoll untersucht werden konnen und darliber hinaus auch nicht mehr als Ausgangspunkt fiir den Widerstand gegen den „falschen" UniversaHsmus des Westens zu gebrauchen sind, noch einen Weg zuriick zu vormodemen partikularen Essenzen sucht; zu Containem, denen jegliche Entwicklung und jeglicher Dialog mit dem Anderen verwehrt bleibt. Damit stellt sich auf der einen Seite die Frage: „[C]an we improve upon the idea that culture exists exclusively in localised national and ethnic units—separate but equal in aesthetic value and human worth" (Gilroy 1995b: 1)1 Auf der anderen Seite kann diese neue Position jedoch auch nicht bedeuteten, wie es auf den postmodemen Konstruktivismus, den kosmopolitischen Universalismus oder den postkoloniale Hybridismus zutrifft, jeder echten politischen Auseinandersetzung mit partikularistischen und essentialistischen Phanomenen wie dem Rassismus einfach aus dem Weg zu gehen (Gilroy 1993: 44). Bevor wir uns dieser kosmopolitischen Alternative widmen, die fiir Gilroy mit den Begriffen „Diaspora" und „Schwarzer Atlantik" verbunden ist, untersuchen wir im folgenden Abschnitt die letzte in Abbildung 5.1 dargestellte Reaktion auf den kulturellen Rassismus: den schwarzen Partikularismus. 5.5 Schwarzer Partikularismus Richtet man den Blick auf den sozialen Kontext des Postkolonialismus - hier ist ein weiteres Mai darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff weder zeitlich noch raumlich gedacht ist, sondem sowohl auf Entwicklungen in den ehemaligen Kolonien als auch in den ehemaligen Koloniallandem sowie auf ihre Interdependenz verweist -, dann zeigt sich, dass nicht nur in europaischen Landem als Reaktion auf die postkoloniale Durchdringung und Entgrenzung Vorstellungen einer homogenen Nationalkultur eine groBe Rolle spielen. Ahnliche nationalistische und auf Reinheit abzielende Denkweisen finden sich immer wieder auch bei den Gruppen, die zunachst als Opfer dieser rassistischen Ideen in den Blick geraten wie zum Beispiel den Schwarzen in England oder den USA, aber auch den Bewohnem der ehemaligen europaischen Kolonien. Gerade fiir diese Gruppen kann die Errichtung eines souveranen Schwarzen Nationalstaats zu einer zentralen Zielsetzung werden, denn der Schwarze Widerstand gegen die europaische Hegemonic wies schon bei den Schliisselfiguren der Schwarzenbewegung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts Elemente einer echten nationalistischen Bewegung nach europaischem Vorbild auf: The idea of nationality occupies a central, if shifting place in the work of Alexander Crummel, Edward Blyden, Martin Delany, and Frederick Douglass. This important group of post-Enhghtenment men, whose lives and political sensibilities can ironically
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten be defined through the persistent crisscrossing of national boundaries, often seem to share the decidedly Hegelian belief that the combination of Christianity and nation state represents the overcoming of all antinomies (Gilroy 1993: 35).
In diesem Fall sind es die urspriinglich als antirassistisches, emanzipatorisches Projekt initiierten Schwarzen Gegenbewegungen, die sich auf genau dieselben rassistischen Denkmuster berufen wie ihre ehemaligen Unterdriicker, nur dass in diesem Fall die Schwarze Identitat nicht abgewertet wird, sondem als positive, zu bewahrende Besonderheit (Andersheit) in den Vordergrund gestellt wird. Obwohl sich der Schwarze Nationalismus explizit als Widerstandsbewegung gegen die Ausbeutung der Schwarzen versteht, entstammen seine zentralen Ideen genau dieser Denktradition: „This defensive reaction to racism can be said to have taken over its evident appetite for sameness and symmetry from the discourse of the oppressor. European romanticism and cultural nationalism contributed directly to the development of modern black nationalism" (Gilroy 1993: 97). Der rassistischen Unterdriickung durch die WeiBen wird also eine Selbstdefinition entgegengesetzt, die sich auf genau dieselbe Uberzeugung einer maximalen intemen Homogenitat und maximalen extemen Andersheit beruft, im Unterschied zu den weiBen Rassismen jedoch eine umgekehrte Bewertung der Pole schwarz/weiB vomimmt. Ebenso wie der urspriingliche weiBe Rassismus spielt die kosmopolitische Idee einer geteilten Menschheit - also eines universalistischen Minimums - dabei keine Rolle (Gates Jr. 1986a: 13). Der Schlusselbegriff des „Schwarzen Nationalismus" lautet „Authentizitat" - ein Begriff, in dem sich der Verweis auf eine ungebrochene Tradition mit dem Gedanken der Reinheit von Identitat verbindet. Durch den Begriff der „Authentizitat" wird eine essentielle und statische Verbindung der gegenwartigen kulturellen VerauBerung mit einer historischen Tradition suggeriert und Identitat und Alteritat von Kulturen als ahistorisch und apolitisch beschrieben: There is a greater danger when absolutism is blindly endorsed by cultural institutions that fall back on an ossified sense of ethnic difference as a means to rationalise their own practice and judgements in a parody of pluralism which recalls segregationism [... ] The authenticity factor fits all too readily with the impossible logic of ethnic representativeness (Gilroy 1995b: 12).
Dies lasst sich schon in der asthetisch-politischen Bewegung der negritude beobachten, dem Vorbild der gegenwartigen Schwarzen Partikularismen, deren erstes Ziel eine Umwertung der Schwarzen Partikularitat gewesen ist (Said 20001: 377). Eine extreme Auspragung erfahrt der Schwarze Partikularismus in Gestalt des „Schwarzen Faschismus" (Gilroy 2000: 231) der „United Negro Improvement Association" des Begriinders der „Back to Africa"-Ideologie, Marcus Garvey. Diese zeitweilig ausgepragt militaristische Organisation, deren primares Ziel die Riickfiihrung aller Schwarzen in ein von „weiBen" Kolonialherren befreites Afrika
5.5 Schwarzer Partikularismus
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war, nahm in den 1920er Jahren volkisch-nationalistische Ziige an (Gilroy 1993: 33), so dass Gilroy in ihr sogar eine proto-faschistische Massenorganisation sieht^"^: Purify and standardize: Garvey is saying that racial purity and standardization have to be fashioned. The combined, deadly weight of racial difference, subordination, and oppression is insufficient to generate them spontaneously. The martial technologies of racial becoming—drill, uniforms, medals, titles, massed display—have to be set to work to generate these qualities that are not immediately present (Gilroy 2000: 233).
Diese Form des Schwarzen Nationalismus tragt deutliche Zeichen eines ontologischen Essentialismus. Es sind vorrangig angeborene Merkmale wie zum Beispiel naturliche Fiihrungsfahigkeiten die Schwarze von WeiBen unterscheiden (Gilroy 1993: 31). Damit lasst sich nach Gilroy eine Konvergenz unterschiedlicher Rassismen beobachten, in der sich paradoxerweise politische und kulturelle Gruppen in tJbereinstimmung wiederfinden, die sich vorher als Gegner verstanden haben: „I am asking you to venture into the unstable location where white supremacists and black nationalists, Klansmen, Nazis, neo-Nazis and ethnic absolutists, Zionists and anti-semites have been able to encounter each other as potential allies rather than sworn foes" (2000: 219). Aber auch in der Gegenwart lassen sich nach Gilroy partikularistische Reaktionen auf rassistische Diskriminierung beobachten, die auf dieselben Konzepte und Argumentationsmuster zuriickgreifen wie ihre Unterdriicker und das Konzept einer reinen oder gereinigten Identitat vertreten (1995a: 20). Obwohl also auf der einen Seite die hegemoniale westliche Vorstellung einer national-kulturellen Homogenitat kritisiert werden, wird zugleich die eigene Schwarze Kultur als ebenso rein und eindeutig abgrenzbar von anderen Kulturen dargestellt (Gilroy 1995a: 20-21). Haufig berufen sich diese modernen nationalistischen Intellektuellen sogar explizit auf das Staats- und Volksverstandnis der deutschen Romantik um damit die naturliche Einheit der Schwarzen „Rasse" als Nation und ihre Forderung nach einem eigenen Nationalstaat zu begriinden und legitimieren (Gilroy 1993: 34). Es ist also ein und derselbe Rassismus der Unterdriicker, der, wenn auch unter umgedrehtem Vorzeichen, von seinen ehemaligen Opfem reproduziert und weiterverbreitet wird. Dieser Schwarze Antirassismus kann deshalb auch nicht als Projekt der Abschaffung von Rassismus verstanden werden, sondem zielt darauf, die gegen die eigene Kultur gerichtete „Rasseologie" der Anderen durch einen eigenen, umgekehrten Rassismus zu ersetzen. Besonders deutlich wird dies im Fall der Black P6>w^r-Bewegung, die in Slogans wie „Think Black, Talk Black, Act Black, Create Black, Buy Black, Vote Black and Live Black" eine eindeutige und exklusive Schwarze Identitat behauptete (Gilroy 1991: 176-177). 14 Mitunter wird diese afrikanische Organisation sogar als direktes Vorbild nicht nur fur die nationalsozialistischen Organisationen, sondem auch fiir die auf absoluter „rassischer Reinheit" basierende Staatsideologie des Dritten Reichs beschrieben (James 1938/1989).
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
Einige Theoretiker des Schwarzen Nationalismus versuchen zudem, an einer mythischen Schwarzen Identitat vor der Sklaverei anzukniipfen und beschreiben zum Beispiel die griechische Antike als Schwarze Kultur (Gilroy 1993: 189).^^ Diese revisionistische Perspektive blendet die negativen Erinnerungen an die Sklaverei aus und bezieht sich letztlich auf ein idealisiertes Afrika als Quelle und Ziel der Schwarzen Nationenbildung - ein Afrika, das niemals kolonialisiert und ausgebeutet gewesen ist, sondem in einer ahistorischen Stasis stets der ewige Ursprung der ZiviHsation gewesen war (Gilroy 1993: 188). In einigen Fallen wird sogar die Schwarze Hautfarbe selbst zum Ausgangspunkt einer Uberlegenheitsideologie - dies zeigt sich beispielhaft in der pseudowissenschaftlichen „Melanin-These" wie sie zum Beispiel von King (2001) und Barnes (1988) vertreten wird. Melanin wird hier zu einem bislang iibersehenen biologischen Faktor, der die Schwarze „Rasse" in eine iiberlegene „Herrenrasse" verwandelt. Die Schwarze intellektuelle Elite verschreibt sich hier essentialistischen, afrikanistischen, nationalistischen und biologistischen Ideen, die allesamt das Ziel haben, eine neue Eindeutigkeit der „rassischen" Zugehorigkeit zu schaffen in deren Mittelpunkt ein neuer und uberlegener Umgang mit dem Schwarzen Korper steht (Gilroy 1995b: 26). Kosmopolitische Vorstellungen von Zugehorigkeit beruhen dagegen, das zeigen die Untersuchungen von Levy und Sznaider (2001; 2002) ebenso wie von Paul Gilroy, auf einem skeptischen Narrativ des Nationalen, das auch (oder vor allem) die dunklen Seiten der Geschichte wahmimmt und von umfassenden historischen Prozessen ausgeht und damit der eigenen Nation ihren geschichtlichen Alleinvertretungsanspruch nimmt. Kosmopolitische Identitaten beruhen auf verwobenen, nicht aber autonomen Nationalgeschichten. Wahrend die Schwarze Hautfarbe in den genannten antikolonialen und nationalistischen Gegenbewegungen als Mittel der Abgrenzung gegenliber anderen kulturellen Gruppen verwendet wird und sogar als Zeichen einer essentialistischen Oberlegenheit, kann das „Schwarz-Sein" im Binnenverhaltnis aber auch als Mittel zur Universalisierung des Schwarzen Schicksals als versklavtes und disloziertes Volk zu einem verbindenden Element fur Schwarze iiberall auf der Welt werden (Amos etal. 1982: 19). Diese globale Bewegung hat vor allem in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit der zunehmenden Rezeption anti- und postkolonialer Stimmen im Westen an Bedeutung gewonnen. Die Schwarze Hautfarbe ist aus dieser Sichtweise das wichtigste Merkmal, mit dessen Hilfe die Heterogenitat Schwarzer Erfahrungen und Lebenswelten in eine sinnvolle Verbindung gebracht werden kann, da sich in ihr die lange Geschichte der Unterdriickung der Schwarzen widerspiegelt: 15 Vergleiche dazu vor allem die umfangreiche Debatte, die sich an die Arbeiten von Martin Bernal angeschlossen hat (Bemal 1987"; Binsbergen 1997; Lefkowitz 1996; Bemal/Moore 2001).
5.6 Anti-Antirassismus und strategischer Essentialismus
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Yet despite their differences, the "black professional" in a local authority social services department, the Afro-Caribbean ancillary in a hospital and the hip-hopping Asian youth of West London may all discover within that colour a medium through which to articulate their own experiences and make sense of their common exclusion from Britain and Britishness (Gilroy 1991: 236).
Anders als das exklusive Modell der Schwarzen Identitat als Merkmal der Abgrenzung von anderen Kulturen, kann diese Perspektive nach Gilroy zum Ausgangspunkt fiir eine inklusive kosmopolitische Sicht von „Rasse", Identitat und Kultur werden. 5.6 Anti-Antirassismus und strategischer Essentialismus Der Ausgangspunkt fUr die Suche nach einer kosmopolitischen Theorie der Identitat im postkolonialen Kontext ist die Feststellung, dass die drei bisher angesprochenen Optionen - universalistischer Antirassismus, Multikulturalismus und Schwarzer Partikularismus - nicht dazu geeignet sind, eine kosmopolitische Verbindung universalistischer und partikularistischer Prinzipien von Identitat und Zugehorigkeit zu leisten. Entweder diese „Losungen" negieren durch universalistische Kategorien die Andersheit der Anderen oder sie verabsolutieren die partikularen Bezugspunkte kultureller Identitat. Wahrend der Schwarze Partikularismus und der Multikulturalismus die Grundprinzipien des kulturalistischen Rassismus weitgehend fortfiihren, wenn auch unter einem anderen Vorzeichen oder auf einer anderen Ebene, erscheint das universalistische Prinzip des Antirassismus auf den ersten Blick erfolgversprechend, um rassistische Ideen zu bekampfen. Schnell wird allerdings deutlich, dass dieser klassische Antirassismus zwar einen universalistischen Anspruch behauptet - das Verschwinden von „Rassen" und darauf bezogenen Diskriminierungen -, dabei jedoch vor allem partikulare Ziele wie die Befriedung der Innenstadte oder allgemeiner das Losen des „Rassenproblems" als Problem mit der Schwarzen Bevolkerung befriedigen soil - es ist also kein universeller Antirassismus, sondern ein weiBer Antirassismus, der ebenso einseitig ist wie es schon der weiBe Rassismus gewesen ist (Gilroy 1991: 117). Das zeigt sich darin, dass die bisherige Antirassismusbewegung in der Regel unabhangig von den Vorstellungen und Zielen der Schwarzen Bevolkerung vorgegangen ist, analog zur orientalistischen Zivilisierungsmission, die zwar dem Wohl der auf diese Weise Zivilisierten dienen sollte, ohne sich jedoch explizit fiir die Ziele und Selbstbeschreibungen der kolonialen Subjekte zu interessieren: „Their activism is now able to sustain itself independently of the lives, dreams and aspirations of the majority of blacks from whose experience they derive their authority to speak" (Gilroy 1990: 193).
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
Das Bild der auf „Rasse" bemhenden Identitatspolitik wird dadurch sehr viel komplexer, da diese Unterschiede nicht mehr als naturgegeben wahrgenommen werden, aber genauso wenig als kiinstliche oder ideologische Stereotype vollstandig auf der Ebene der Ideen aufgelost werden konnen. Diese neue Position lasst sich also weder als Rassismus noch als Antirassismus beschreiben, sondern richtet den Blick vornehmlich auf die politischen Strategien, die mit diesen beiden Ideen verbunden sind - Gilroy bezeichnet diese Position dementsprechend als Negation der Negation oder als „Anti-Antirassismus". Fiir Gilroy als Vertreter der Schwarzen Postkolonialismustheorie ist es dabei von zentraler Bedeutung, ein Modell von postkolonialer Identitat zu entwickeln, das es zum einen erlaubt, die rassistische Diskriminierung zu analysieren, kritisieren und zu bekampfen, zum anderen aber auch die positive Bedeutung von kultureller und sogar „rassischer" Identitaten als Ausgangspunkt fiir den partikularen Widerstand gegen Rassismus nicht zu zerstoren. Dabei riicken vor allem die Moglichkeiten einer spezifisch Schwarzen Reaktion auf die rassistische wie auch spiegelbildlich dazu die antirassistische Vereinnahmung und Fremddefinition in den Blick, die sich auf einer kosmopolitischen Ebene bewegen. Die dafiir wesentliche Verbindung von universalistischen und partikularistischen Konzepten lasst sich jedoch nicht mehr in das bisherige Koordinatensystem aus Rassismus und Antirassismus einordnen, sondern beschreibt eine neue Variante und Richtung des Schwarzen Protests und der kulturellen Organisation (Gilroy 1991: 24). Der von Gilroy beschriebene und untersuchte kosmopolitische Schwarze Widerstand gegen den (Anti)rassismus lasst sich gerade dadurch charakterisieren, dass er weniger kulturell als politisch ausgerichtet ist und explizit den Kontext der Entstehung und Verfestigung von „Rasseologien" in seine Betrachtungen einbezieht. Anders als der universalistische Antirassismus, der sich allgemein gegen das abstrakte „Rassenproblem" und den Begriff der „Rasse" an sich richtet, bezieht sich der Schwarze Widerstand vor allem auf partikulare Fragen, denn: „People do not encounter racism in general or in the abstract, they feel the effects of its particular expressions: poor housing, unemployment, repatriation, violence or aggressive indifference" (Gilroy 1991: 116). Auf der einen Seite liegt dem Schwarzen Widerstand also eine partikulare Solidaritat zu Grunde und damit nach dem kosmopolitischen Kreismodell eine Identifikation mit den inneren Kreisen (Gilroy 1991: 226). Auf der anderen Seite versucht diese Bewegung jedoch zugleich, jenseits der eigenen partikularen Problemen und Diskriminierungen universelle Fragen zu identifizieren mit deren Hilfe auch andere Gruppen einbezogen werden konnen. Deutlich zeigt sich dieser Versuch, von dem partikularen Schicksal der Schwarzen Bevolkerung zu universellen menschlichen Problemen vorzustoBen, in Du Bois (1903/1995) Abhandlung iiber „The Souls of
5.6 Anti-Antirassismus und strategischer Essentialismus
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Black Folk", die sich nicht nur aus einer fremdbestimmten Schwarzen Identitat zu befreien versucht, sondem in einem grundsatzlichen ethisch kosmopolitischen Sinn gegen jedes „exklusivistische" Verstandnis von Ethnizitat wehrt (Gilroy 1993: 138). Zugleich zeigen sich bei Dubois diese universalisierbaren Erfahrungen des Weltbiirgers aber gerade in den partikularen Erfahrungen der Schwarzen selbst. Fiir Gilroy stellt dieses Konzept der „Schwarzen Menschheit" {black humanity) ein alternatives Modell zu dem bislang hegemonialen westlichen Universalismus oder Globalisierung dar. Es geht letztlich um die Rettung eines radikalisierten nichtrassischen (nicht: antirassistischen) Humanismus, der von jeglichem Rassendenken Rassismus wie Antirassismus - befreit werden soil, ohne dabei die empirischen Mechanismen des Rassedenkens und der rassistischen Diskriminierung aus dem analytischen Fokus zu verdrangen (Gilroy 2000: 17). Die Position der Schwarzen in Europa und den USA ist aus dieser Sichtweise prekar und ambivalent. Sie sehen sich auf Grund ihrer kulturellen Pragung zum einen als Teil dieser Kulturen, empfinden sich zum anderen aber auf Grund ihrer Leidensgeschichte als schwierige Andere dieser Kultur - diese Beschreibung ist ein charakteristischer Fall der postkolonialen Identitat, die sich auf widerspriichliche Weise zwischen Westen und (Post)kolonie verortet. Schon W. E. B. Du Bois beschreibt die daraus resultierende Geisteslage gegen Anfang des 20. Jahrhunderts als Verdopplung des Schwarzen Bewusstseins {..double consciousness''), die zwar durch ihre Geschichte der Dislozierung und Unterdriickung fremdbestimmt ist, dennoch insbesondere nach dem Ende der Sklaverei einen charakteristischen komparativen Beobachterstandpunkt der Schwarzen begriindet: Striving to be both European and black requires some specific form of double consciousness [... ] [W]here racist, nationalist, or ethnically absolutist discourses orchestrate political relationships so that these identities appear to be mutually exclusive, occupying the space between them or trying to demonstrate their continuity has been viewed as a provocative and even oppositional act of political insubordination (Gilroy 1993: 1).
Paul Gilroy betont die positiven Facetten dieser Schwarzen Doppelperspektive, um daraus - ahnlich wie Edward Said es fiir die Exilposition untemimmt (vergleiche dazu Abschnitt 3.6) -, eine uberlegene kosmopolitische Beobachterperspektive und mit ihr auch eine besondere Art von Objektivitat zu erreichen, die sich aus der Verortung zugleich im Innem wie im AuBeren des Westens ergibt (Gilroy 1993: 30). Das Argument an dieser Stelle ist also primar ein methodologisches, denn es geht hier nicht darum, ob die Schwarze Doppelposition im normativen Sinne befurwortet oder kritisiert wird beziehungsweise empirisch zutrifft, sondem sie wird als „besser" im Sinne von methodologisch erkenntnisreicher beschrieben. Auf normativer Ebene ist das Ziel eine kosmopolitische Synthese, die weder den Identitatsbegriff auflost, noch auf einer traditionellen und essentiellen Vorstellung
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von Identitat beharrt, um nicht einen Pluralismus der Identitat vorzutauschen, der in der Wirklichkeit gar nicht zu beobachten ist (Gilroy 1995a: 18-19). Das Argument ahnelt damit an dieser Stelle der Position von Timothy Brennan (vergleiche dazu vor allem Abschnitt 4.4), dass der klassische ethische KosmopoHtismus zwar fiir sich eine wichtige und positive Idee darstellt, jedoch in dem gegenwartigen weltgesellschaftlichen Kontext, der weniger und vor allem ungleichmaBiger globalisiert ist, als es diese Idee voraussetzt, zu einer gefahrlichen Haltung wird. Fur Gilroy beschreibt die Idee des universalistischen Antirassismus eine ahnliche Position. Auch fiir ihn ist die Vorstellung einer Gesellschaft, die sich allein auf den auBersten Kreis der Zugehorigkeit - die Menschheit - ausrichtet und sich dadurch von jeglichen identitatsfixierten und insbesondere rassistischen Denkweisen distanziert, ein positiver Gedanke. Diese Idee wird nicht so sehr deshalb abgelehnt, weil sie nicht realistisch ist, sondem weil ihre realen Folgen genau die Vorstellung einer rassenfreien Gesellschaft „in which the colour of skin is supposed to make no more difference than the colour of eyes or hair" (Gilroy 1998: 842) unmogHch macht. In dem gegenwartigen sozialen Kontext, der nach wie vor von einem kulturalistischen Rassendenken gepragt ist, erreicht ein antiessentialistischer Universalismus trotz wohlmeinender Intentionen genau das Gegenteil seiner urspriinglichen Ziele. Auch hier entscheidet also, wie schon in Abbildung 3.1 dargestellt, die empirische Diagnose des postkolonialen Kontexts liber die normative Bewertung der kosmopolitischen beziehungsweise universalistischen Ideen. Damit ist es notwendig, die kosmopolitische Theorie auch in diesem Fall auf sich selbst und ihren sozialen Kontext zu beziehen. So wahlt Gilroy in seiner Theoretisierung des kosmopolitischen Schwarzen Widerstands gegen den weiBen Rassismus und Antirassismus nicht einen universalisierenden Begriff der Gleichheit aller Menschen zur Grundlage, sondern versteht seine Theorie als spezifisch Schwarze Intervention. Der Ausgangspunkt fiir den Antiantirassismus ist hier also paradoxerweise die Kennzeichnung der eigenen Position als „rassisch" bestimmte Position: „Only by constructing a distinctively racial intervention—by putting his own informed black voice into a project so allied in our theoretical imagination with the Union Jack—was Gilroy able to achieve his ends" (Baker 1991: 6, Hervorhebung im Original). Doch diese Selbstdefinition der Schwarzen Wi~ derstandsbewegung beruft sich nicht auf einen ontologischen Essentialismus der „Rasse", wie er fiir den Schwarzen Partikularismus kennzeichnend ist (vergleiche Abschnitt 5.5), sondem wahlt einen strategischen Essentialismus als politische Handlungsgrundlage. Das Merkmal „Schwarz" wird in der strategisch essentialistischen Perspektive nicht als natiirliches biologisches oder kulturelles Kennzeichen verstanden, sondem als strategische Widerstandsposition gegen die universalistische Auflosung der
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eigenen Identitatsgrundlagen und gegen die universalistische Gefahrdung der eigenen politischen Verhandlungsposition. Zugleich wird aber der strategische Aspekt in den Vordergrund gestellt, der besagt, dass die Selbstdefinition als „Schwarz" einen notwendigen Bestandteil einer kosmopolitischen Intervention im Diskurs des Rassismus darstellt.^^ Es handelt sich hierbei also um eine pluralistic position which affirms blackness as an open signifier and seeks to celebrate complex representations of a black particularity that is internally divided: by class, sexuality, gender, age, ethnicity, economics, and political consciousness [... ] The ontologically grounded essentialism is replaced by a libertarian, strategic alternative: the cultural saturnalia which attends the end of innocent notions of the essential black subject" (Gilroy 1993: 32, Hervorhebung im Original).
Denn loste die Postkolonialismustheorie das Merkmal „Schwarz" als bloBes soziales Konstrukt auf, betrafe das nicht nur das biologische Verstandnis dieses Begriffs, sondem auch die kulturellen und politischen Bewegungen, die sich darum gruppieren. Die kosmopolitische Option des verorteten und strategischen Essentialismus behauptet dagegen weder eine feste Essenz des „Schwarz-Seins", noch, dass es sich dabei nur um eine kontingente, asthetische Konstruktion handelt „vague and utterly contingent construction to be reinvented by the will and whim of aesthetes, symbolists, and language gamers" (Gilroy 1993: 102). Nicht nur gegeniiber der Dichotomic Universalismus / Partikularismus verhalt sich Gilroys Schwarzer Kosmopolitismus ambivalent, sondem auch gegeniiber den Ideen und Projekten der Modeme. Auf der einen Seite sind die in den Schriften der europaischen Aufklarung klar erkennbaren rassistischen Ideologien ein Grund dafiir, diese Denktradition zu kritisieren (Neugebauer 1990). So sucht zum Beispiel Hegel nach den Ursachen fiir die von ihm behauptete beschrankte Intelligenz der Schwarzen und schlieBt diesen aus den universellen menschlichen Entwicklungen aus (Lamming 1960/1995: 15) oder Kant schreibt iiber „the distinctive attributes of tough Negro skin and the practical problems it presented to slave husbandry when pain had to be inflicted on stock with a split bamboo cane" (Gilroy 2000: 46). Die ideellen Grundlagen der Aufklarung sind also, das wird schnell deutlich, nicht etwa das Gegenteil rassistischer tJberzeugungen, sondem immer wieder in einer engen Verbindung mit ihnen anzutreffen.^^ Auch die klassischen kosmopo16 Ulrich Beck sieht diesen Zusammenhang anders und beschreibt den strategischen Essentialismus vor allem als „introvertierte" Abwehr gegen die empirische Kosmopolitisierung von Gesellschaft und der Auflosung alter Selbstverstandlichkeiten: „Man greift zu einem strategischen Als-ob-Essentialismus der eigenen Ethnizitat, um die sich verwischenden und sich neu mischenden Grenzen von innen und auBen, uns und denen zu fixieren" (Beck 2004a: 11). Gilroy betont demgegeniiber die in zwei Richtung widerstandische Bedeutung strategischer Essentialismen als Moglichkeit, einen Mittelweg zwischen dem partikularen Beharren auf der eigenen Identitat sowie der universalistischen Dekonstmktion jeglicher Identitat zu linden. 17 Vergleiche fiir weitere Belege des „aufgeklarten Rassismus" auch Gates Jr. (1986a).
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litischen Theorien von der Aufklamng bis ins 20. Jahrhundert sehen schlieBlich keinen Widerspruch zwischen der behaupteten Einheit aller Menschen und der gleichzeitigen Exklusion der auBereuropaischen Teile dieser Menschheit und insbesondere der Schwarzen: „However beautiful they appear to their beneficiaries, Kant's democratic hopes and dreams simply could not encompass black humanity" (Gilroy 2000: 60). Auch hier zeigt sich, dass eine universalistische Idee wie die „Menschheit" in ihrer konkreten Ausgestaltung auf partikularen Grundlagen beruht und in der Regel die Exklusion bestimmter Fremder oder Anderer voraussetzt. Eine universalistische Anerkennung der Andersheit Anderer ist von vomherein durch Exklusionsprozesse auf einen ganz bestimmten Kreis von Anderen eingeschrankt, die bestimmte partikulare biologische oder kulturelle Merkmale tragen, die sie uberhaupt als legitime Mitglied der Menschheit ausweisen. Besitzen sie diese Merkmale nicht, dann treffen auch allgemein-menschliche Normen und Moralvorstellungen auf sie nicht zu (Gilroy 2000: 61). Letztlich ist dadurch sogar die Menschheit kein universalistisches Konzept mehr, sondem von vomherein auf Trager bestimmter kultureller oder „rassischer" Merkmale eingeschrankt (Cesaire 1958/2000). Allein der raumliche Geltungsanspruch dieser partikular definierten Totalitat bezieht sich auf die gesamte Welt und fordert universelle Anerkennung. Gerade die Kolonien kennzeichnet, dass ihnen auf intellektueller Ebene jegliche Eigenstandigkeit aberkannt wird und allein der europaisch wissenschaftliche Zugang zu ihrer Wahrheit akzeptiert wird: „The ideal of humanity, too restrictively defined, emerged from all this in filleted form. It was not only something that was to be monopolized by Europe; it could exist only in the neatly bounded, territorial units where true and authentic culture could take root under the unsentimental eye of ruthlessly eugenic government" (Gilroy 2000: 62).^^ Auf der anderen Seite sind jedoch die Begriffe und Ideen der Aufklarung fiir die Schwarzen Intellektuellen ein zentrales Instrument in ihrem Kampf um eine Emanzipation von dem hegemonialen intellektuellen Einfluss Europas (vergleiche hierzu die Ausftihrungen in Kapitel 6)^^: Successive generations of Black intellectuals have used these tools—both reluctantly and unself-consciously, with joy and bitterness—to leave behind the zone of sullen silence to which they were consigned by slavery and colonialism, and to initiate 18 Dies wird insbesondere in den volkischen Nationalismen deutlich, die einer bestimmten „Rasse" das Primat zuweisen, fiir die gesamte Menschheit sprechen zu konnen und als einzige „Rasse" von der Geschichte zum „hygienischen" Handeln im Namen des Ganzen autorisiert zu sein, was sich dann zum Beispiel in der engen Verbindung von Eugenik und Nationalismus manifestiert. Vergleiche dazu Kiihl (1997); Geulen (2004). 19 Ein Beispiel dafiir ist die intensive Auseinandersetzung von Martin Luther King mit Hegel (Gilroy 1993: 54).
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a powerful political language of agency, personhood, self, and sameness that was congruent with demands for racial emancipation, citizenship, and autonomy" (Gilroy 1995a: 19).
Obwohl sie eine kritische Haltung gegeniiber dem westlich-europaischen Denken einnehmen, bedeutet das fiir die Schwarzen Intellektuellen nicht, diese Ideentradition aufgeben zu miissen, sondem sie sind aufgefordert, zwischen einem umgekehrten Rassismus (wie im Beispiel des Schwarzen Faschismus in Abschnitt 5.5) und einer wirklichen Emanzipation zu unterscheiden (Said 2000d: xxvii). Das ambivalente Verhaltnis der kosmopolitischen Schwarzen Theoretiker zum Begriff der „Modeme" ist aber auch auf die einseitige Definition dieses Begriffs zuriickzufiihren, die eigenstandige Beitrage der Schwarzen Kulturen zur Entwicklung der Moderne bislang in den Hintergrund gedrangt hat. Dabei gibt es eine lange Tradition der intellektuellen Auseinandersetzung Schwarzer Theoretiker mit der ihnen zugleich vertrauten wie fremden „wei6en" Moderne und ihren ambivalenten Chancen und Bedrohungen (Gilroy 1993: 47). Die analytischen Moglichkeiten, die eine Schwarze Erzahlung der (Gegen)moderne anbietet, wurden lange - und dies gilt sogar fiir Kritiker des universalistischen europaischen Verstandnisses der Moderne - gar nicht wahrgenommen. Diese Verdrangung ist wiederum in Verbindung mit dem weiter oben erwahnten „kolonialen Schuldgefiihl" zu sehen, denn in dem Moment, in dem der Beitrag der Schwarzen Kulturen starker in den Fokus riickt, kann auch die Illusion einer vollstandigen Trennung der (Post)kolonien und ehemaligen Koloniallandem nicht mehr aufrechterhalten werden (Gilroy 2000: 121). Das Bild der Schwarzen Vergangenheit konzentriert sich dabei in der Regel auf die Opferrolle der Schwarzen, so dass real-existierende Beteiligungs- und Entfaltungsmoglichkeiten - die Einflusse der Schwarzen Kultur auf die westliche Moderne - gar nicht erst in den Blick geraten. Haufig wird sogar die Geschichte der Sklaverei allein den Schwarzen als Teil ihrer eigenen partikularen Geschichte zugeschrieben und nicht als allgemeiner negativer Bestandteil der ethischen und intellektuellen Tradition des Westens betrachtet (Gilroy 1993: 49). Deshalb weist Gilroy immer wieder darauf hin, dass gerade die Geschichte der Schwarzen Diaspora - die den wichtigsten Ausgangspunkt fiir die Konzeptualisierung eines positiven kosmopolitischen Identitatsbegriffs darstellt - nicht isoliert von der Geschichte der Moderne zu lesen ist, sondem als ein zentraler Bestandteil: „The intellectual and cultural achievements of the black Atlantic populations exists partly inside and not always against the grand narrative of Enlightenment and its operational principles. Their stems have grown strong, supported by a lattice of western politics and letters" (Gilroy 1993: 48). Die Figur des Schwarzen ist daher nicht mehr nur ein Symbol fiir Unterdriickung und Versklavung, also nicht allein die Verkorperung des europaischen und amerikanischen schlechten Gewissens, sondem erlaubt es.
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den postkolonialen Moment als transnationale Verflechtung von Europa, Amerika und den ehemaligen Kolonialreichen zu verstehen: als Sozialraum jenseits nationalstaatlicher und nationalkultureller Grenzen. 5.7 Diaspora Der zentrale Begriff, mit dem Paul Gilroy die kosmopolitische Identitatspolitik im postkolonialen Moment bezeichnet, lautet „Diaspora". Schon in den oben beschriebenen transnationalen Erinnerungskulturen der Schwarzen Kulturen lasst sich eine Verbindung universalistischer und partikularistischer Selbstbeschreibungen der Schwarzen Kulturen feststellen, denn diese sehen sich jeweils doppelt lokalisiert: zum einen in der transnationalen Vergangenheit von Sklaverei und Unterdriickung, zum anderen in ihren jeweiligen partikularen politischen und sozialen Kontexten der Gegenwart: „An intricate web of cultural and political connections binds blacks here to blacks elsewhere. At the same time, they are linked into the social relations of this country" (Gilroy 1991: 156). Diese doppelte Verortung soil mit dem Konzept der Diaspora beschrieben werden. Dieser Begriff, von Daniel und Jonathan Boyarin/Boyarin (1993), Stuart Hall (1994), James Clifford (1994; 1997) und Smadar Lavie und Ted Swedenburg (1996b) als Konzept fiir die Analyse transnationaler sozialer Raume und Kulturfigurationen eingefiihrt, betont gegeniiber verwandten Begriffen wie „Exil" (vergleiche dazu auch Abschnitt 3.6) „the historically spatial fluidity and intentionality of identity, its articulation to structures of historical movements (whether forced or chosen, necessary or desired)" (Grossberg 1996: 92). Damit lost sich das Konzept von dem engen Bezug auf die historische Heimat, der noch von seinem biblischen Ursprung herriihrt, und misst demgegeniiber der sozialen und kulturellen Verortung oder Verwurzelung im jeweiligen Aufenthaltsland eine starkere Bedeutung zu - schon deshalb stellt diese Art transnationaler sozialer Gemeinschaft eine Bedrohung fiir die Idee der auf nationalstaatlicher Souveranitat beruhenden Westfalischen Ordnung dar (Rudolph 2003: 12-13). In der Anwendung auf Gesellschaften im postkolonialen Kontext eroffnet der Begriff „Diaspora" die Moglichkeit, Kulturen und Identitaten zu beschreiben, ohne eindeutige, stabile und exklusive kulturelle Zugehorigkeiten vorauszusetzen. Obwohl Verwurzelung in den Gedankengangen der Intellektuellen der Schwarzen Diaspora eine zentrale Rolle spielt, geht es nach Gilroy um ein neuartiges postkoloniales Verstandnis von Wurzeln, in dem die geschichtliche Verortung - „A nation without its past history is like a tree without roots" lautet der hierzu passende Aphorismus von Garvey - nicht als Einschrankung oder eindeutige Determinierung verstanden wird, sondern als kontingente Voraussetzung fur individuelle wie auch kollektive Freiheiten (1991: 207).
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Die mit dem Konzept „Diaspora" verbundene Perspektivverschiebung erlaubt es, geschichtlich gepragte Gemeinschaften und Wurzeln in ihrer bislang vemachlassigten transnationalen und mobilen Dimension zu beschreiben: „We will see that the idea of movement can provide an alternative to the sedentary poetics of either soil or blood. Both communicative technology and older patterns of itinerancy [... ] can be used to articulate placeless imaginings of identity as well as new bases for solidarity and synchronized action" (Gilroy 2000: 111-112). Wurzeln mlissen damit nicht zwangslaufig Immobilitat und Ortsgebundenheit bedeuten. Das Spiel mit den beiden Homonymen .^routes" und ^roots'' soil dagegen die Moglichkeit ausdriicken, auch Bewegungen als Wurzeln zu verstehen, sowie auf die gegenwartig immer haufiger zu beobachtende Mobilisierung partikularer Verwurzelungen hinweisen (Clifford 1997).^^ Bewegung und Verortung, Entgrenzung und Begrenzung sind fiir einen auf diese Begriffe aufbauenden Neuen Kosmopolitismus keine einander ausschlieBenden Pole mehr, sondem konnen kombiniert werden: Der Kosmopolit ist nicht mehr nur ein freischwebendes Individuum, das sich von alien lokalen Kreisen und Beschrankungen gelost hat, sondem jemand, der es versteht, Bewegung und Verwurzelung zu verbinden; jemand, der sich gleichzeitig im Kosmos und in der Polls zu Hause fiihlen kann: „Yes, we are connected to the earth—but not to 'a' place on it, simple and self-evident as the surroundings we see when we open our eyes. We are connected to all sorts of places, causally if not always consciously, including many that we have never traveled to" (Robbins 1998b: 3). Bislang hat nach Gilroy auch die Schwarze politische Kultur, vor allem beeinflusst durch das romantische europaische Denken, Verwurzelung und damit die Riickbesinnung auf ihre eigene Tradition in den Mittelpunkt gestellt - das paradigmatische Beispiel sind die Back to A/nc(2-Bewegungen, mit denen sich die Schwarze Kultur wieder mit ihrem afrikanischen Urspriingen in Beziehung setzen will. Mit dem Fokus auf Diaspora und Routen rlickt dagegen ein komplementarer Gesichtspunkt in den Blick - beispielhaft verkorpert in der gemeinsamen Schwarzen Erinnerung an die historische Erfahrungen von Versklavung und Dislozierung^^ -, so dass beide Perspektiven im Zusanmienspiel eine sehr viel dichtere 20 So beschreibt Clifford zum Beispiel Kwame Anthony Appiahs intellektuellen Werdegang als paradigmatisches Beispiel dafur, dass im postkolonialen Zeitalter Wurzeln auf eine Reise mitgenommen werden konnen: „His personal history of 'cosmopolitan patriotism' actively resists the idea that cultural belonging is an all-or-nothing proposition. Exiles, immigrants, diasporic dwellers 'take their roots with them'" (1998: 362). Eine ^nhche Beschreibung findet sich auch bei Todorov (1986: 374). 21 Paradoxerweise nutzen die modernen Schwarzen traveling cultures zum Beispiel der mobilen kosmopolitischen Intellektuellen hier diejenigen alten Verbindungen, die der europaische Imperialismus und der Sklavenhandel geschaffen haben, laden diese dabei jedoch mit neuen positiven Bedeutungen auf (Gilroy 1991: 157).
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Beschreibung der globalen Schwarzen Kulturen liefem (Gilroy 1993: 19). Diese Doppelperspektive nimmt die Schwarze Kultur in einem transnationalen Spannungsfeld zwischen Afrika, Amerika und Europa, den Stationen des kolonialen Dreieckshandels, wahr. Dadurch wird auch der Blick auf die Schwarze Identitat entsprechend komplexer, da sie auf der einen Seite in ihrem Bezug auf den afrikanischen Ursprung gleich bleibt auf der anderen aber durch ihre Mobilisierung verschiedene partikulare Elemente in sich aufnehmen kann. Nach Gilroy lasst sich diese doppelte Verwurzelung der Schwarzen Kultur zwischen ihrem urspriinglichen oder sogar mythischen Herkunftskontext und ihrer gegenwartigen Umgebung beziehungsweise den groBtenteils erzwungenen Migrationsrouten als direkte Reaktion auf die rassistische Diskriminierung sehen, die ihnen jegliche eigenstandige historische Erfahrung aberkennt und die Schwarzen auf diese Weise in eine fragmentierte Vielzahl partikularer Gemeinschaften zerteilt. Aber auch gegen den universalistischen Antirassismus ist die gleichzeitige Verortung in beweglichen und unbeweglichen, globalen und lokalen Kontexten ein wichtiges Gegenmittel, das der schwarzen Diasporakultur des Black Atlantic sowohl eine gemeinsame Identitat zuspricht, als auch ihre jeweilige partikulare Einbindung beachtet (Gilroy 1993: 112). Die Schwarze Diaspora wird also weder als vollstandig hybride postkoloniale Identitat im Sinne Bhabhas betrachtet, die jeglichen Kontakt zu ihrer Herkunft verloren hat; noch wird sie im traditionellen Sinn als eindeutig und exklusiv verwurzelt beschrieben, wie dies im Schwarzen Nationalismus der Fall ist. In den historischen Wurzeln, die sowohl auf die idealisierte Identifikation mit Afrika bezogen sind als auch auf die pragende Erfahrung der Sklaverei, liegt eine wichtige Quelle fur den Widerstand gegen homogenisierende wie auch diskriminierende Denkweisen, denen sich die diasporische Schwarze Kultur immer wieder ausgesetzt sieht. Dies zeigt auch der Blick auf die verschiedenen historischen Entwicklungsstufen der Schwarzen Diasporapolitik, die sich nach Gilroy von einer rein reaktiven Widerstandsbewegung iiber eine staatsbiirgerliche Gleichberechtigungsbewegung in einen neuartigen transnationalen poHtischen und kulturellen Raum verwandelt hat (1993: 112). Mit dem Begriff der „Diaspora" sollen Kulturen analysierbar gemacht werden, die sich als mobile Jraveling cultures'' (Clifford 1989) verstehen und sich jenseits der klassischen Gleichsetzung von territorialen, staatlichen und kulturellen Grenzen bewegen. Die Schwarze Diaspora zeigt nach Gilory vor allem, dass eine ausschlieBlich nationalstaatsorientierte Perspektive den spezifischen Charakter dieser Form politischer Vergemeinschaftung gerade nicht erkennen kann, da sich Diaspora-Identitaten nicht nur im Inneren von, sondem gerade auch gegen national staatliche Grenzen definieren (Gilroy 1991: 158). Auf der anderen Seite erlaubt es dieser Begriff jedoch auch, der Gefahr eines ubersteigerten und dog-
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matischen Hybridismus auszuweichen, denn diasporische Kulturen sind gerade nicht ortlos, sondern befinden sich stets in einem Spannungsfeld zwischen (vielfaltigen) globalen und lokalen Verortungsmoglichkeiten, zwischen Entwurzelung und Verwurzelung: The idea of diaspora offers a ready alternative to the stem discipline of primordial kinship and rooted belonging. It rejects the popular image of natural nations spontaneously endowed with self-consciousness, tidily composed of uniform families [... ] As an alternative to the metaphysics of "race," nation, and bounded culture coded into the body, diaspora is a concept that problematizes the cultural and historical mechanics of belonging. It disrupts the fundamental power of territory to determine identity by breaking the simple sequence of explanatory links between place, location, and consciousness (Gilroy 2000: 123).
Diasporagemeinschaften sind also kein Gegenteil von nationalstaatlichen Gemeinschaften, sondern eine besondere Form der kulturellen und politischen Organisation im postkolonialen Moment. Deutlich wird dies auch bei Louisa Schein, die beschreibt, wie die transnationale Gemeinschaft der Hmong an der Transformation nationalstaatlicher Identitatsvorstellungen sowohl ihrer Heimat (China) als auch ihres Gastlandes (USA) mitwirken (1998: 165). Damit wird die alte binare Opposition von Diaspora, Exil, Hybriditat und Transmigration auf der einen und dem Nationalstaat auf der anderen aufgeweicht. Diese gleichzeitige Betonung lokaler und globaler Beziigen ist auch als Alternative zu den iiblichen Globalisierungsnarrativen zu verstehen, die in der Regel von einer allgemeinen historischen Tendenz der zunehmenden Entbettung sozialer Beziehungen ausgehen,^^ denn der Begriff Diaspora erlaubt die Kombination von Entbettung und Freisetzung auf der einen Seite und Verortung und lokaler Identitat auf der anderen (vergleiche dazu auch Beck (2004a: 110)). Dies hat unter anderem zur Folge, dass hier nicht einfach binare Oppositionen konstruiert werden, die Globalisierung und Nationalstaat oder die global culture^^ und traditionelle lokale Kulturen in einem gegensatzlichen Verhaltnis sehen. Stattdessen werden beide Seiten mit Hilfe des Begriffs der Diaspora als komplementare und koexistierende Prinzipien verstanden (Gilroy in Bell 1999: 30). Der zentrale Bezugspunkt fiir die von Gilroy beschriebene neue transnationale Schwarze Erinnerungspolitik ist das System des Sklavenhandels. Dieses System war von Anfang an transnational organisiert und umfasste drei geographische Routen: erstens die middle passage iiber den Atlantik, auf der die Sklaven von den Forts und Sklavenhafen Afrikas nach Mittel- und Nordamerika verfrachtet wurden; zweitens die Route von Amerika nach Europa, auf der Kolonialwaren 22 Vergleiche hierzu fiir viele andere Albrow (1998); Giddens (1996). 23 Vergleiche zu dieser Debatte vor allem Barber/Schulz (1996); Featherstone (1990b); Friedman (1999); Liebes/Katz (1990); Smith (1990).
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und Rohstoffe wie Zucker, Tabak und Bauxit transportiert wurde und schlieBlich der Weg von Europa nach Afrika, auf dem die Sklavenschiffe vor allem Waffen und Munition - die wichtigste Wahrung des Sklavenhandels - geladen batten. Die Schwarzen Kulturen in den USA und Europa der Gegenwart beziehen sich in ihrer Identitatspolitik immer wieder auf diese transnational Geschichte des Sklavenhandels; infolgedessen weisen auch ihre Erinnerungen, ihr Selbstbewusstsein sowie die Geographie ihrer Erinnerungskultur transnational Ziige auf (Gilroy 1991: 37). Die sich auf die historischen Erfahrungen der middle passage beziehende Schwarze Identitat ist aber gerade nicht als deterritorialisiert zu verstehen, sondem vermag es in ihrem Fokus auf Reiserouten eine neue Geographie zu zeichnen, die dann jedoch wiederum als territoriale Verortung zur Grundlage einer neuen Selbstbestimmung werden kann. In der Schwarzen Identitatsfindung wird die Route zum Ort. Eine zentrale Position im Konzept der Schwarzen Diaspora nimmt der Atlantik als ambivalentes Element ein: Zum einen verlaufen auf ihm die geschichtlichen Routen des Sklavenhandelsystems, so dass der Atlantik ein zentrales Verbindungsglied ist, das Schwarze Kulturen an verschiedenen Orten der Welt in Beziehung setzt. Er ist eine „Kontaktzone", in der sich Kulturen jenseits von naturlichen Grenzen oder menschlichen Hierarchien begegnen konnen (Klein/Kramer 2001b: 1). Zum anderen ist er aber auch Symbol fiir die erzwungene Dislozierung und Entwurzelung der Schwarzen Kulturen sowie gerade fiir die Distanz zwischen den unterschiedlichen lokalen Manifestationen in Afrika, Amerika und Europa. Der Atlantik als zentraler Ort - oder besser Nicht-Ort - der Schwarzen Diaspora ist vor allem deshalb eine wichtige Figur fiir die postkolonial-kosmopolitische Theoriebildung, da er die Konzeption altemativer Formen von Verortung und Zugehorigkeit ermoglicht, die nicht auf nationalstaatlichen Strukturen und Grenzziehungen basieren (Gilroy 1995a: 20).^^ Ganz im Gegenteil: der Ozean ist selbst eine ubliche Gestalt der Begrenzung von Nationalstaaten und Kulturen: „We can begin to perceive the sublime force of the ocean, and the associated impact of those who made their temporary homes on it, as a counterpower that confined, regulated, inhibited. 24 Aber nicht nur Diaspora oder Exil konnen als Beispiel fiir Orte gesehen werden, die in Wirklichkeit besser als Knotenpunkt zu verstehen sind, an dem sich unterschiedliche kulturelle, politische und soziale Bewegungen treffen. Der methodologische Kosmopolitismus versucht, zu zeigen, dass nicht nur kosmopolitische Weltstadte globale Knotenpunkte dieser Art darstellen, sondem auch unverdachtige Orte: „Das Kleine, Vertraute, Nachbarschaftliche, Umgrenzte und Befestigte: das eigene Schneckenhaus wird zum Tummelplatz universeller Erfahrungen; der Ort - sei es Manhattan oder Masuren, Malmo oder Miinchen - wird zum Ort von Begegnungen, Durchdringungen oder auch eines beziehungslosen Nebeneinanders und Ineinanders" (Beck 2004a: 20). Dies impliziert das grundlegende Uberdenken der Dichotomic zwischen Universalismus und Partikularismus, bedeutet es doch, dass im Lokalen und Kleinraumlichen, anders als die linke Kulturkritik annimmt, kein besonderes MaB von Authentizitat stecken muss, genau wie auch das Globale nicht notwendig universell und abstrakt sein muss.
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and sometimes even defied the exercise of territorial souvereignty" (Gilroy 2000: 121).^^ Das analytische Modell der Diasporaidentitat erlaubt es daher dem europaischen Beobachter der Schwarzen Kultur, einen methodologischen Standort einzunehmen, der von seinen eigenen kulturellen Filiationen distanziert ist - erlaubt also auch in dieser Hinsicht seine Dezentriemng. Das Konzept der Diaspora lasst sich also als Versuch verstehen, ein Untersuchungsinstrument zu entwickeln, das zur Erforschung von kulturellen, politischen und sozialen Prozessen jenseits des Nationalstaats besser geeignet ist als die bisherigen Perspektiven (Gilroy 2000: 124). Aber der Blick richtet sich nicht ausschlieBlich auf die neue transnationale und kosmopolitische Ebene der Diaspora, sondem zugleich auf die nach wie vor bestehenden lokalen und nationalstaatlichen Zusammenhange und Prozesse. Der Nationalstaat wird in dieser Perspektive nicht negiert, sondem als eine wichtige Koordinate der Diasporaidentitat wahrgenommen, allerdings nicht mehr als die einzige. Neben der globalen Diaspora-Politik, die haufig an universalen ethischen Zielsetzungen orientiert ist - bis hin zu einem „transitional yearning for what we should probably call a 'planetary humanism'" (Gilroy 2000: 2) -, spielt also auch die jeweils lokal verankerte Mikropolitik der Identitat eine wichtige Rolle, vor allem die Verbindung der verschiedenen Ebenen und ihre gegenseitige Durchdringung und Transformation, die mit den bisherigen politischen Konzepten nicht erfasst werden kann (Gilroy 2000: 128).^^ Gilroys kosmopolitische Blick zielt nicht primar auf die Ausweitung von Geltungsanspriichen bis hin zur gesamte Menschheit als solches - also eine Universalisierung im bisherigen eurozentrischen Sinne -, sondern betrachtet real ablaufende Prozesse von Kosmopolitisierung, Hybridisierung und Mobilisierung in ihren jeweiligen lokalen Zusammenhangen und Entwicklungen: „I have tried to place a higher value upon the cosmopolitan histories and transcultural experiences whereby enlightenment aspirations might eventually mutate in the direction of greater inclusivity and thus greater authority" (Gilroy 2000: 7). Hier nahem sich empirische, methodologische und normative Bedeutungen einander an, denn die Erforschung der Diasporageschichte soil nicht 25 Diese Figur lasst sich auch mit der dekonstruktivistischen Methode von Jacques Derrida in Verbindung bringen, die den BHck gerade auf die sprechenden Leerstellen richtet und damit dem westlich-rationalen Fokus auf Dinge, Gegenstande oder Positivitaten eine alternative Perspektive der Dezentriemng entgegensetzt. 26 Ein paradigmatisches Beispiel fiir die Verbindung universeller und partikularer Identitaten in der Weltfigur {„planetaryfigure")(Gilroy 2000: 131) des Diaspora-Intellektuellen sieht Paul Gilroy in dem jamaikanischen Reggae-Musiker Bob Marley, dessen „life brought about a complex connection between Africa and new world blacks [... ] What is laughably, minimally referred to as his international appeal conveys the strange fact that all over the planet against the laws of cultural absolutism, people have been able to discover in his Jamaican vernacular and its corona of political symbols a means to make sense of their own ambitions, desires and dreams of a better world" (1995b: 13).
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nur empirisch zutreffen, methodologisch diese neue Realitat begrifflich fassen konnen, sondem im Idealfall durch die Inklusion moglichst vieler subaltemer Gruppen, die bislang negiert wurden, auch normativ uberlegen sein (vergleiche dazu auch Kapitel 6). Ahnlich wie Edward Saids Konzept des exilischen Intellektuellen (vergleiche dazu Abschnitt 3.6) bewertet der Begriff „Diaspora" ein ursprlinglich negatives Konzept neu und verwandelt es in ein positives: „What was initially felt to be a curse—the curse of homelessness or the curse of enforced exile—gets repossessed. It becomes affirmed and is reconstructed as the basis of a privileged standpoint from which certain useful and critical perceptions about the modem world become more likely" (Gilroy 1993: 111). Auch Gilroys Konzept der Schwarzen Diaspora beschreibt diesen umgewerteten Standort als privilegierte Beobachterposition, von der aus neue Formen kultureller und „rassischer" Identitat denkbar und analysierbar werden, weil sie nicht von den nationalstaatlichen und nationalkulturellen Basispramissen („methodologischer Nationalismus") ausgeht. Insofern lassen sich jedoch auch gegen Paul Gilroys Darstellung der Schwarzen Diaspora dieselben Vorwurfe erheben wie gegen Said, etwa dass damit eine bestimmte kosmopolitische Elite - Personen wie W. E. B. Du Bois, C. L. R. James, Frantz Fanon oder Amilcar Cabral oder Walter Rodney - in den Vordergrund gestellt wird, fur die sich mit der Schwarzen Diaspora tatsachlich ein neuer Moglichkeitsraum eroffnet. Aber nur eine schmale Schicht ist dazu in der Lage, sich auf Grund ihres eigenen Status ungebunden und freischwebend in dieser „globalen Zivilisation" (Cohen 1997: 155) aufhalten und bewegen zu konnen, wahrend dies fur die Mehrheit der Bewohner der Schwarzen Diaspora nicht gilt. Fiir sie ist die Diaspora primar ein negatives Relikt der Sklaverei in der Vergangenheit. Dieser Gefahr ist sich Paul Gilroy allerdings bewusst und er weist auch explizit auf die damit verbundenen Schwierigkeiten hin: „The dangers of idealism and pastoralism associated with this concept ought, by now, to be obvious" (1993: 80-81). Trotzdem kann der Vorwurf nicht ausgeraumt werden, dass sein Fokus auf DisLsporsikulturen gerade Aspekte der sozialen Ungleichheit und politische Auseinandersetzungen ausblendet und damit paradoxerweise eine ahnliche kulturalistische Engfiihrung ausiibt, die Gikoy den unpolitischen Konzepten des neuen Rassismus vorwirft. Eine weitere Gefahr des Konzepts „Diaspora", liegt darin, dass es, nachdem es seine Aufgabe des Aufbrechens von statischen Vorstellungen nationaler Kulturen und ihrer Homogenitat erfiillt hat, selbst erstarrt und sich in ein neues Dogma des „Diasporismus" verwandelt. Nicht nur die Fixierung auf den Nationalstaat kann zu einer verzerrten Perspektive fiihren, sondem auch das unhinterfragte Voraussetzen einer allgemeinen „Diasporisierung" sozialer Beziehungen. Im postkolonialen sozialen Kontext ist dabei besonders problematisch, das haben unsere Analysen
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des postkolonialen Kosmopolitismus von Timothy Brennan in Kapitel 4 gezeigt, dass die Auswirkungen einer solchen Engfuhrung nicht nur auf die methodologische Ebene beschrankt bleiben, sondem selbst reale politische Wirkungen haben. Diese Wirkungen liegen hier wie dort den urspriinglichen Intentionen der kosmopolitischen Theoretiker entgegengesetzt. Es ist also notwendig, die Balance zwischen Entwurzelung und Mobilisierung auf der einen und Verwurzelung und Sesshaftigkeit auf der anderen Seite aufrecht zu erhalten (Gilroy 1993: 102). So kritisiert Timothy Brennan an diesem Konzept die Uberbewertung des Reisens („dwelling in travel") als eigenstandigen Wert fiir sich. Zwar ist der Fokus auf Mobilitat und Begegnungen gegeniiber einer statischen Ethnographie auch fiir ihn fraglos fruchtbar, allerdings gerat der Theoretiker dadurch schnell in Versuchung, die soziopolitischen Bedingungen von Reisen, Verortung und Zugehorigkeit auszublenden (1997a: 17). Vor allem nationalistische und lokahsierte Widerstandsbewegungen verliert eine derart „diasporistische" Perspektive aus dem Blick und gefahrdet dadurch das Projekt des defensiven Nationalismus der Dritten Welt. Als kosmopolitisch kann das Konzept „Diaspora" vor allem deshalb bezeichnet werden, da es auf eine paradigmatische Form der Verbindung von Universalismus und Partikularismus im postkolonialen Kontext verweist. Universalismus und Partikularismus werden nicht als Gegensatze verstanden, sondern als je spezifische Artikulationsformen und Kontexte fiir AuBerungen und vSubjektpositionen im Diskurs des Rassismus: „A11 the earlier arguments conform to the same basic architecture. They posit the particular, singular, and specific against the general, universal, and transcendent that they value more highly. In contrast, the approach I favor attempts to break up these unhappy couples" (Gilroy 2000: 29). So wird auch die Diaspora-Gemeinschaft nicht mehr als kulturell homogene Totalitat nach dem Vorbild des Nationalstaats beschrieben, denn nicht nur die Lokalisierung in dieser transnationalen Schwarzen Kultur ist relevant, sondem zugleich auch die lokale Verwurzelung dieser Kulturen in Nationalstaaten und den dazugehorigen politischen Arenen (Gilroy 1995b: 10). Damit wird der Blick zudem auf das Wechselspiel von Gleichheit und Differenz im Innem der diasporischen Kulturen gelenkt - auf ein Verhaltnis, das sich gerade nicht unter einen der beiden Pole subsumieren lasst, sondem in der dynamischen Bewegung zwischen ihnen zu suchen ist^^: „The concept of diaspora invites the theorist to think sameness and differentiation at the same time without privileging either term. That is, to consider the differentiation within sameness and the sameness within differentiation. It is here that the definitions of African-American particularity [... ] begin to unravel" (Gilroy 1995b: 26-27). Fiir Gilroy lasst sich mit dem Begriff der Diaspora das Verhaltnis 27 Als Metapher fur dieses Theorem verwendet Gilroy das Bild von Samen ein und derselben Pflanze, die sich in unterschiedlichen Umgebungen ganz unterschiedlich entwickeln konnen (2000: 126).
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von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Schwarzen Kulturen des Black Atlantic analytisch fassen, wobei insbesondere auch die Frage der „rassischen" Identitat nicht mehr in einem binaren Rahmen betrachtet werden muss, der Essentialismus und Universalismus gegeneinander ausspielt (1993: 120). Die Schwarze Kultur wird fiir Gilroy zum paradigmatischen Fall einer kosmopolitischen Kultur, die weder universalistisch-homogen, noch voUstandig partikular organisiert ist, sondem in der beide Prinzipien eine wichtige Rolle spielen. Bin Schliisselbegriff, der den kosmopolitischen Wesenszug der Schwarzen Diaspora ausdriickt ist Leroi Jones Formulierung des „changing same" (1967: 183), das urspriinglich beschreibt, wie sich die auf ihre afrikanischen Wurzeln beziehende Erfahrungswelt der Schwarzen Bluesmusik trotz zahlreicher Transformationen durch die gesamte Geschichte des amerikanischen Jazz durchzieht. Diese Verbindung von Veranderung und Wandel, von Entbettung und Verwurzelung, von Afrika und Amerika kennzeichnet jedoch nicht nur die Schwarze Musik, sondem ist fiir Jones ein Merkmal der gesamten Schwarze Diasporakultur. Mit dem Begriff der Diaspora soil also genau dieses Spannungsverhaltnis von ethnischer oder „rassischer" Gleichheit und Differenz ausgedriickt und zugleich auf die historische Dimension iibertragen werden (Gilroy 1993: xi). Gleichheit und Differenz, dies ist fiir Gilroy ein charakteristisches Merkmal des postkolonialen Kontexts, durchdringen sich gegenseitig: „By focusing attention equally on the sameness within differentiation and the differentiation within sameness, diaspora disturbs the suggestion that political and cultural identity might be understood via the analogy of indistinguishable peas lodged in the protective pods of closed kinship and subspecies being" (2000: 125). Diese Durchdringung ist zwar zum einen die Zwickmiihle einer antirassistischen Politik im postkolonialen Kontext, zum anderen aber auch der Ausgangspunkt fiir die Entwicklung eines postkolonialen Kosmopolitismus. Diaspora erscheint damit nicht nur als neuartige Organisationsform sozialer und politischer Gemeinschaften in synchroner Hinsicht, sondem auch in ihrer diachronen Dimension. Diaspora wird zum Ausdruck einer Seinsweise, die sich genau in den Zwischenraum zwischen den Idealvorstellungen einer vollstandigen Lokalisierung in der Gegenwart sowie einer llickenlosen und ungebrochenen Determinierung durch ihre Vergangenheit und die Erinnerungen daran, einzuordnen ist. Die Diaspora-Identitat ist also nicht nur ein mobiles, sondern auch ein dynamisches Projekt, das instabile, veranderbare und vor allem vorlaufige Identitatskonstruktionen beschreibt (Gilroy 1993: xi). Die historischen Wurzeln, die auch in der gelebten Alltagskultur der Gegenwart noch eine Rolle spielen, beschranken in diesem Fall gerade nicht die Bandbreite moglicher Artikulationsformen der Schwarzen Kultur, sondem sind ein unentbehrliches universalistisches
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Minimum fiir die Entwicklung vielfaltiger kosmopolitischer Schwarzer Lebensformen. Die Diaspora-Identitat beschreibt demnach wie nahezu jede Form der modemen Identitat „not 'who we are' or 'where we came from', so much as what we might become, how we have been represented and how that bears on how we might represent ourselves" (Hall 1996: 4). Daher eignet sich der Diaspora-Begriff dafiir, die Vielfalt der Schwarzen Kulturen weltweit mit ihren Gemeinsamkeiten in Beziehung zu setzen (Gilroy 1993: 81). Aber nicht nur die Dialektik zwischen Gleichheit und Differenz lasst sich mit Hilfe des Begriffs der Diaspora auf eine neue Weise formulieren; die Schwarze Diaspora wird dariiber hinaus zu einem dialogischen Ort, an dem sich partikulare Kulturen begegnen und in einem „diasporischen Dialog" (Lipsitz 1994) miteinander kommunizieren, ohne dazu auf Denkweisen zuruckgreifen zu miissen, die fiir die gesamte Menschheit oder auch die gesamte Schwarze Kultur Giiltigkeit beanspruchen (Gilroy 1993: 199). Gilroy sieht das Diaspora-Konzept als Alternative zu den bisherigen soziologischen Analyseinstrumenten, die der gegenwartigen geopolitischen und weltkulturellen Konfiguration nicht mehr entsprechen. Fiir die Analyse der transnationalen Schwarzen Kultur greift das methodologische „Weiter-So" der Sozialwissenschaften - dies gilt in besonderem MaBe fiir die ausgewiesenen Globalisierungssoziologien - nicht mehr, da sich die kulturellen Raume im postkolonialen Zeitalter nicht mehr mit Begriffen beschreiben lassen, die nach wie vor eine nationalstaatlich und nationalkulturell fundierte Weltordnung voraussetzen. So stellt Gilroy fest: I know that one of the issues you want to raise later on is the current state of the sociology of globalization. That seems a good example of how partial and selective—on some occasions almost trivial—sociological writing has been. Once the light does come on, the problems that appear get reduced to the simplest and most easily assimilable forms: markets, states, cultures are essentially what they always were. The concepts aren't being re-worked, re-thought. People want to put up a signal that says "business as usual". It's that business as usual signal that I want to interrupt (Gilroy in Bell 1999: 22-23).
Die Analysen der Erscheinungsformen des kulturellen Rassismus haben gezeigt, dass eine methodologisch-nationalistische Soziologie nicht nur Erkenntnisprobleme besitzt, sondem auch in moralisch-ethische performative Widerspriiche gerat und Gefahr lauft, durch ihre Terminologie, ihre begrifflichen Vorannahmen oder gar: ihr Weltbild zum Mittater zu werden und bestimmte Formen des Rassismus intellektuell zu fundieren - und dies trifft sogar vor allem auf antirassistisch ausgerichtete sozialwissenschaftliche Projekte zu. Die Schwarze Diaspora ist jedoch kein vollig neues Phanomen, auch wenn die Globalisierung der Medien- und Kulturproduktion ganz neue Moglichkeiten fiir die Schaffung und Aufrechterhaltung transnationaler Kulturraume anbietet. Wichtige Vorlaufer des von Gilroy beschriebenen Black Atlantic der Gegenwart sind
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unter anderem die pan-afrikanische Bewegung (Padmore 1971), die Griindung des Schwarzen Staats Sierra Leone (Geiss 1968), die Avantgarde der Negritude (Berghahn 1977) sowie die Harlem Renaissance (Perry 1976). Alle diese Bewegungen zielten darauf ab, die universalen Gemeinsamkeiten aller Schwarzen weltweit mit ihren partikularen Unterschieden in den jeweiligen lokalen Kontexten und Geschichten zu verbinden (Gilroy 1991: 156). Daraus kann schlieBlich eine „planetarische Solidaritat" - oder eine kosmopolitische Haltung - entstehen: „The recurrence of pain, disease, humiHation and loss of dignity, grief, and care for those one loves can all contribute to an abstract sense of a human similarity powerful enough to make solidarities based on cultural particularity appear suddenly trivial" (Gilroy 2000: 17). Genau diese kosmopohtische Kombination von universellen Gemeinsamkeiten und partikularen Unterschieden wird jedoch durch bislang die Mittelpunkt stehende Begriffe wie „Pan-Afrikanismus" verdeckt, da sie einseitig die universalisierenden Elemente - die nachgerade mystische Einheit aller Schwarzen in ihrer afrikanischen Herkunft - in den Vordergrund riicken und die Verbindungen der unterschiedlichen Schwarzen Kulturen zu ihrem jeweiligen sozialen und politischen Kontext sowie untereinander nicht ausreichend beachten (Gilroy 1991: 158). Gerade die Aktivisten der genannten Bewegungen fiihlten sich zum GroBteil nicht auf Grund einer traditionellen oder gar biologischen Zugehorigkeit zu einer homogenen „Rasse" der Schwarzen oder einem Schwarzen Volk den pan-afrikanistischen Zielen verantwortlich, sondern auf Grund ihrer eigenen bewussten, affiliativen Entscheidung, allerdings in ganz bestimmten lokalen Bedingungen. An dieser Stelle sind wir also wieder bei der Figur und Haltung des einzelnen Kosmopoliten angekommen, dessen Kosmopohtismus einer freien Wahl entspringt. Diese freie Wahl - man konnte mit Mannheim (Mannheim 1952/1965,1956b, 1932/1993) auch sagen: dieses freie Schweben, das die Wahl einer Zugehorigkeit als Projekt erlaubt - wird in diesem Fall ermoglicht durch einen Kontext, der von dem kosmopolitischen Spannungsfeld zwischen universalistischen und partikularistischen Zugehorigkeiten, zwischen essentialistischen und konstruktivistischen Konzepten von Rasse, zwischen stabilen Nationalidentitaten und postkolonialer Hybridisierung zwischen Verwurzelung und Exil gepragt ist. Alle oben genannten Schwarzen Bewegungen und Initiativen verorten sich reflexiv in diesem Spannungsfeld zwischen einem partikularen „blcick nationalism'', der den Kampf der Afroamerikaner um Anerkennung kennzeichnet (vergleiche Abschnitt 5.5), und einem .Mack internationalism'', der sich in der „Zuruck-nachAfrika"-Bewegung erkennen lasst (Gilroy 1993: 85). Auf der einen Seite stehen universalistisch orientierte Emanzipationsbewegungen der Schwarzen, die sich nicht nur gegen die Unterdriickung ihrer eigenen Gruppe, sondern gegen Rassismus und Imperialismus iiberhaupt richten; auf der anderen Seite lassen sich immer
5.8 Schlussfolgerung
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wieder Bemiihungen erkennen, diese Ziele auf lokaler, partikularer Ebene - oftmals in einer antiimperialistischen und antirassistischen Widerstandsbewegung - zu verankem und dadurch zu verwurzeln (Gilroy 1993: 148). Diese kosmopolitische Synthese ist hier jedoch nicht nur eine theoretische Option oder ein utopisches Ideal, sondem eine Notwendigkeit und wird gerade in vielen GroBstadten zu einer vergleichsweise „banalen" kosmopolitischen Realitat: It has become vital to the sustenance of metropolitan life and to the confidence of the fragmentary but really cosmopolitan public culture that has established itself in unbleached parts of this city. This precious life-form has crepuscular habits. It rarely emerges into full dayhght. It has certainly not been planned or orchestrated from above by visionary municipal thinkers or a modernizing pohtical leadership. It is not amenable to being disciplined, ventriloquized or iconized (Gilroy 2001: 163).
Die kosmopolitische „Losung" der Schwarzen Identitatspolitik zielt also auf eine Vergegenwartigung der kosmopolitischen Utopie, jedoch auf eine Vergegenwartigung, die an vielfaltige Schwarze Vergangenheiten ankniipfen kann, die bislang durch essentialistische oder konstruktivistische Identitatsbegriffe verdrangt wurden: „Our challenge should now be to bring even more powerful visions of planetary humanity from the future into the present and to reconnect them with democratic and cosmopoHtan traditions that have been all but expunged from today's black political imaginary" (Gilroy 2000: 356). Fiir Gikoy ist Kosmopolitismus nicht nur eine schwer oder gar nicht realisierbare Idee der Einheit der Menschen aber auch nicht wie fiir Brennan ein bloBes Synonym zur „neoimperialistischen" USamerikanischen Hegemonic. Stattdessen zeigt er sich in der real-existierenden kosmopoHtischen Tradition der Schwarzenbewegung, deren Folgen gerade auch in der gegenwartigen postkolonialen Schwarzen IdentitatspoHtik deuthch erkennbar sind, allerdings nur selten in den Blick der Sozialwissenschaften geraten. 5.8 Schlussfolgerung Betrachtet man die drei zentralen Themenfelder in Gilroys postkolonialer Theorie des Kosmopolitismus - Reaktionsweisen auf kulturalistische Rassismen, Moglichkeiten der Konzeptualisierung Schwarzer Identitat sowie die Schwarze Diaspora -, so lasst sich in jedem dieser Themenfelder eine dialektische Grundstruktur herausarbeiten.^^ Diese Strukturen sind in Tabelle 5.3 systematisch dargestellt. Die Spalten verweisen auf die drei Schliisseldimensionen der kosmopoHtischen 28 Eine ahnliche Dialektik aus der Negation beziehungsweise Anerkennung von Differenzen stellt Anthony Appiah auch schon in Du Bois' Spatschriften fest, die zu dem Ergebnis kommen, „that the white race and its racial Other are related not as superior to inferior but as complementaries; that the Negro message is, with the white one, part of the message of humankind" (1986: 25).
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten Normativitdt
Empirischer Kontext
Identitdtskonzepte
These
Rassismus
Verwurzelung (USA, UK)
Nationalidentitat
Antithese /Negation
Universalistischer Antirassismus, ethischer Kosmopolitismus
Exil, Dislokation (Afrika, Sklaverei)
Hybridisierung, postkoloniale Identitat
Synthese /Negation der Negation
Anti-Antirassismus
Diaspora, Black Atlantic {middle passage)
Kosmopolitische Identitat, strategischer Essentialismus
Tab. 53: Kosmopolitismus als Dialektik
Identitatstheorie: die normativen Grundlagen, der empirische gesellschaftliche Kontext sowie die Vorstellungen von Identitat. Die Zeilen bilden die drei Schritte der Dialektik ab: der Ursprungsgedanke, die erste oder einfache Negation, die zu einem gegenteiligen Ergebnis fiihrt, und die zweite Negation als Negation der Negation, die jedoch nicht zum Ausgangszustand zuriickfiihrt, sondem beide vorangegangenen Schritte in sich vereinigt und wieder in einen positiven Zustand verwandelt. Der Ausgangspunkt in der normativen Dimension ist die Diagnose eines kulturalistisch gewendeten Rassismus, der die Schwarzen als postkoloniale Andere konstruiert, die nicht der Norm westlicher Gesellschaften entsprechen. Mit Hilfe dieses kulturellen Anderen kann sich dann zum Beispiel die „weiBe" britische Kultur trotz aller empirisch zu beobachtenden postkolonialen Vermischungsprozesse als ethnisch und kulturell reine Nationalgesellschaft konstruieren. Im Unterschied zu ihren biologistischen Vorlaufern wird diese neue Form von Rassismus nicht nur mit den expliziten Zielen entweder der Verdrangung oder der Assimilation der Anderen an die Mehrheitskultur betrieben, sondem auch durch wohlwollende Akteure verfestigt, die sich die Verbesserung der Lebensumstande von Migranten als Ziel gesetzt haben - ein Beispiel dafiir ist der offizielle Multikulturalismus der Verwaltungen. Die einfache Negation dieser Denkweise fiihrt zum universalistischen Antirassismus, der jegliche partikularen Unterschiede wie „Rassen" ablehnt und von einer grundlegenden Gleichheit aller Individuen in ihrem Menschsein ausgeht. Diese Idee ahnelt dem klassischen ethischen Kosmopolitismus, der ebenfalls alle partikularen Differenzen als kontingent ansieht und allein die Zugehorigkeit zur Menschheit als natlirliche Identitat anerkennt. Das normative Problem der einfachen Negation - und dies ist der Ubergang zur doppelten Negation oder Synthese - liegt darin, dass damit zugleich auch die
5.8 Schlussfolgemng
223
Moglichkeit der Schwarzen Kulturen beeintrachtigt wird, eine positive Identitat als Ausgangspunkt fur den politischen Widerstand gegen die Diskriminierung zu entwickeln. AuBerdem erscheint Rassismus aus dieser Perspektive lediglich als „falsches Bewusstsein", als „schlechte" Ideologie, die durch die „gute" kosmopolitische Ideologie der naturlichen Einheit aller Menschen zu ersetzen ist, wahrend die politischen Hintergriinde und auch die institutionelle Verankerung des Rassendenkens (zum Beispiel in den Sozialwissenschaften) ubersehen werden. Die universalistische antirassistische (im Ubrigen eine spezifisch westliche) Idee ist in dieser Hinsicht das genaue Gegenteil einer echten Anerkennung der Andersheit der Anderen. Dies auch deshalb, weil sie nur die „Rasse" oder Kultur der Schwarzen Anderen als Problem betrachtet, sich jedoch uberhaupt nicht mit der Idee der „Rasse" als solcher auseinander setzt. Dies fuhrt dann unter anderem auch zur Entwicklung umgekehrter Rassismen wie etwa der Negritude-Bewegung, die „rassische" Merkmale umwerten und zum Beispiel das „Schwarz-Sein" als nattirliches Merkmal von tJberlegenheit liber die weiBe „Rasse" neu definieren. Diese Rassismen stellen aber keine doppelte Negation dar, sondem kehren, wenn auch unter anderem Vorzeichen, wieder zum Ausgangspunkt des Rassismus zuriick. Dagegen gelangt Gilroy iiber die doppelte Negation des Rassismus zum Prinzip des Anti-Antirassismus, das sowohl das einfache rassistische Denken ablehnt, also die Diskriminierung des Anderen auf Grund „rassischer" Merkmale, als auch die einfache Negation des Rassismus, die Leugnung jeglicher „rassischen", ethnischen und kulturellen Unterschiede. Ein zentrales Merkmal des Anti-Antirassismus ist, dass damit nicht nur ein normatives Prinzip zwischen Gleichheit und Anerkennung von Andersheit - eine Art „Dritter Weg" - begrtindet wird, sondem eine ubergeordnete methodologische Beobachterposition eingenommen wird, von der aus Rassismus wie Antirassismus in ihren jeweiligen sozialen und politischen Bedingungen - als „Rassenformation" - analysiert werden. In Gilroys Theorie lassen sich also zwei verschiedene Bedeutungen von „Rasse" herausarbeiten - ganz ahnlich wie Brennan zwischen zwei Kosmopohtismen (als neoliberale Ideologie oder als antikolonialer Widerstand) und zwei Nationalismen (als Homogenisierung und Unterdriickung oder als Widerstandsnationalismus) differenziert. Wahrend „Rasse" als Symbol fiir die Diskriminierung und Unterdriickung der kolonialen oder Schwarzen Anderen negativ bewertet wird, erscheint die andere Bedeutung von „Rasse" als Ausgangspunkt fiir den emanzipatorischen Kampf gegen den Rassismus in einem positiven Licht, da ohne sie die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen des Rassismus letztlich gar nicht mehr analysiert (oder: gar nicht mehr bekampft) werden konnten. Die zweite Dimension verweist auf den sozialen Kontext der postkolonial-kosmopolitischen Identitatspolitik. Hier ist der Ausgangspunkt die nationalstaatliche
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
Konstellation, in der Identitat als kulturelle oder „rassische" Verwurzelung in einer Nation gedacht wird. Identitat ist hier vollstandig auf der partikularen Seite des Duals Partikularismus/Universalismus angesiedelt. Bezieht man dies auf die Schwarze Kultur, so verweist das Modell auf die Verwurzelung der Schwarzen in ihren jeweiligen Aufenthaltslandem, zum Beispiel in den USA, in GroBbritannien oder in kleinraumlichen Kontexten wie Stadten oder Nachbarschaften. Die einfache Negation dieses partikularen Verstandnisses von lokaler Verwurzelung beschreibt der postkoloniale Zustand der Dislokation, der die Schwarze Kultur als globale Exilkultur versteht, deren eigentlicher vergangener oder zukiinftiger (Back to Africa) Bezugspunkt in Afrika liegt beziehungsweise in der alien gemeinsamen Geschichte des Sklavenhandels. Hier stehen universalistische Ideen im Vordergrund, aus deren Perspektive die Schwarze Kultur als homogene Einheit erscheint, wahrend alle lokalen Beziige - insbesondere der „irdische" politische Kampf gegen rassistische Diskriminierungen - ausgeblendet werden. Die Negation der Negation kombiniert beide Aspekte der partikularen Verwurzelung und der universellen Gemeinsamkeit und verweist mit dem Begriff der Diaspora auf die Moglichkeit, beide Aspekte zusammenzudenken. Gerade das Mischverhaltnis, beziehungsweise die geschichtlichen oder politischen Einfliisse, die bestimmen, welcher der beiden Aspekte jeweils in den Vordergrund tritt, interessieren aus dieser Blickrichtung in besonderem MaBe. Das charakteristische Kennzeichen der Kultur des Black Atlantic liegt gerade darin, dass sie sowohl eine lokale als auch eine globale Kultur darstellt, dass sie Einheit und Differenz verbindet: diese Kultur ist gleichzeitig eine afrikanische, eine amerikanische und eine europaische Kultur. Jedes der beiden Elemente ist in der Lage, als Korrektiv fiir das jeweils andere zu dienen, wenn es das politische Handeln erfordert. Diese Verbindung und Abhangigkeit partikularer und universaler Beziige kann das klassische Kreismodell des ethischen Kosmopolitismus (vergleiche Abbildung 2.2) jedoch gar nicht fassen, denn dort sind die Kreise jeweils als isolierte, klar abgrenzbare Spharen gedacht, die zwar mitunter (im schwachen Kosmopolitismus) im zeitlichen Verlauf kombiniert werden konnen. Ein kosmopolitisches Phanomen wie der Black Atlantic, der zugleich in einem der auBersten und einem der inneren Kreise zu lokalisieren ist, kann mit diesem Modell aber nicht sinnvoll dargestellt werden. Auch flir die dritte Dimension der Identitat lasst sich schlieBlich eine analoge dialektische Struktur herausarbeiten. Hier ist der Ausgangspunkt das „erstmodeme" Verstandnis einer stabilen Nationalidentitat, das darauf griindet, dass nationalstaatliche und kulturelle Grenzen deckungsgleich sind. In diesem Modell sind Identitaten zum einen klar voneinander abgrenzbar, zum anderen exklusiv, das heiBt: sie erlauben keine multiplen Zugehorigkeiten. Damit ist dieses Konzept in
5.8 Schlussfolgerang
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Grundzugen identisch mit dem des Multikulturalismus. Wahrend sich jenes vor allem auf Nationalstaaten bezieht, stehen hier jedoch subnationale Zugehorigkeiten im Mittelpunkt. Aus der einfachen Negation dieser „erstmodemen" Nationalidentitaten ergibt sich das postkolonialistische Konzept der Hybridisiemng. Die damit verbundene Vorstellung einer kulturellen Durchdringung von ehemaligen Koloniallandem und den mittlerweile politisch unabhangigen (Post)kolonien warden schon in den Kapiteln 3 und 4 ausfuhrlich behandelt. Fiir die Vorstellung von Identitat bedeutet das, dass Identitaten nicht mehr zwangslaufig als exklusiv gedacht werden, sondem auch multiple Zugehorigkeiten, zum Beispiel in Form der Verortung der „kosmopolitischen Beriihmtheiten" in dem Zwischenraum von Westen und (Post)kolonien moglich sind. Ahnlich v^ie es auch fiir die erste Dimension des Rassismus gilt, kommt auch diese Option fiir Gilroy nicht in Frage, da hier die partikulare Identitat der Schwarzen aufgelost wird und somit gerade die historischen und politischen Besonderheiten dieser Kulturen aus dem BHck geraten. Die Negation der Negation fuhrt jedoch zu einem kosmopolitischen Identitatsverstandnis, das weder statisch und abgrenzbar ist, noch postkolonial aufgelost wird, sondem multiple und wechselnde Zugehorigkeiten einschlieBt. Die kosmopolitische Identitat entsteht also aus einer Kombination der beiden vorangegangenen Optionen, so dass dadurch „strategische Essentialismen" moglich werden wie zum Beispiel auch die bewusste, politische Wahl einer eindeutigen, nationalistischen Schwarzen Identitat, um diese dann als Standort fiir den antirassistischen und antikolonialistischen Kampf zu nutzen. Nach diesen Beobachtungen lasst sich auch Gilroys Begriff des Kosmopolitismus naher charakterisieren. Anders als Brennan geht Gilroy nicht von der klassischen Idee des ethischen Kosmopolitismus als individuelle Haltung aus. Zwar verweist Gilroy immer wieder auf die Figur des Schwarzen Intellektuellen, der sich im transnationalen Kontext des Schwarzen Atlantik bewegt; aber das Kosmopolitische an diesen Beispielen liegt nicht in ihrer individuellen Haltung, sondem es ist der Kontext, der als real-existierender kosmopolitischer Sozialraum beschrieben wird. Kosmopolitismus ist bei Gilroy primar ein empirisches, aber auch methodologisches Konzept und entspricht damit eher der Kosmopolitisierungsthese im sozialwissenschaftlichen Kosmopolitismus. Zudem geht es nicht um den rechtlich-politischen Rahmen einer kosmopolitischen Weltordnung, sondem die von Gilroy beschriebene Kosmopolitisiemng von Identitat und Zugehorigkeit ist eine Folge transnationaler Netzwerke, Lebensraume und Bewegungen in diesen Raumen - es geht hier um einen emergenten Kosmopolitismus von unten, der sich als Nebenfolge des westlichen Kolonialismus entwickelt hat. Deshalb ist Kosmopolitismus bei Gilroy ein in erster Linie positiver Begriff, obwohl seine historischen Bedingungen in der negativen Tatsache des atlanti-
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5 Kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten
schen Dreieckshandels und der damit verbundenen massenhaften Dislozierung von Schwarzen liegen. Der Ausgangspunkt dieses Kosmopolitismus ist Zwang und menschliches Elend; genau diese Erfahrungen konnen in der Schwarzen Diaspora jedoch positiv gewendet und zur Grundlage einer neuen inklusiven Schwarzen Identitat werden. KosmopoHtismus bei Gilroy ist der notwendig auf dialektischer Grundlage aufgebaute Begriff, der es ermoghcht, neuartige Formen von Identitat, Umgang mit Rassendenken und sozialen Bedingungen zu analysieren, die charakteristisch fur die Schwarze Diaspora sind und auf einer allgemeinen Ebene den Ausgangspunkt fiir eine empirische Soziologie des postkolonialen Moments Hefern. Identitat, IdentitatspoHtik und Verortung der Schwarzen im Black Atlantic erscheinen hier aber nicht nur als Sonderfall, der auf diese begrenzte Gruppe zutrifft, sondem sind fiir Gilroy schon ein Hinweis darauf, wie Gesellschaft allgemein im postkolonialen Moment erfahren und theoretisiert werden kann. Auch in Gilroys Theorie lasst sich eine komplexe Beziehung zwischen den empirischen, methodologischen und normativen Dimensionen des Kosmopolitismus erkennen. Das eigentliche Ziel wird zwar methodologisch begriindet - als Entwicklung eines Begriffsapparats, der es ermoglicht, neuartige Formen von Vergesellschaftung im postkolonialen Kontext der Schwarzen Diaspora zu erkennen. Dennoch zeigt die in Tabelle 5.3 abgebildete dialektische Entwicklung, dass dieser erste Schritt der Negation von Rassismus, statischer und exklusiver Nationalidentitaten und der einfachen Verwurzelung in lokalen Kontexten - also die im ethischen Kosmopolitismus beschriebene Transzendenz einschrankender und kontingenter Kreise - auf Grund ihrer schadlichen Folgen fiir den Schwarzen Widerstand gegen die westliche oder „wei6e" Hegemonic fiir Gilroy keine gangbare Option darstellt. Die empirische Diagnose des Postkolonialismus als Durchdringung von ehemaligen Koloniallandern und Postkolonien sowie die damit verbundene Auflosung eindeutiger Identitaten ist auf normativer Ebene nicht haltbar, da dadurch die Widerstandsmoglichkeiten der Schwarzen Kultur gegen den weiBen Rassismus ebenso wie gegen die universalisierende Leugnung partikularer Andersheit zerstort werden. Dies macht eine zweite Negation notwendig, die dann zu einem postkolonialen Neuen Kosmopolitismus flihrt, der in seinen Grundbegriffen Hybridisierung und Exil zwar der empirischen Diagnose des postkolonialen Kontexts noch Rechnung tragt, zugleich aber durch partikulare Bezuge die Moglichkeiten des Schwarzen Widerstandes nicht beeintrachtigt. Genau dieses dialektische Ergebnis ist dann wiederum der Schritt in Richtung eines neuen Universalismus {planetary humanism) beziehungsweise zur Verwirklichung der urspriinglichen kosmopolitischen Utopie, in der jedoch im Unterschied zu ihren klassischen Vorgangem die Andersheit der Anderen und partikulare Identitaten anerkannt werden, ohne dass daraus dogmatische und exklusive NationaHsmen, Faschismen oder Rassismen entstehen.
5.8 Schlussfolgemng
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Dieser Neue Kosmopolitismus entsteht aus der dialektischen Kombination von Universalismus und Partikularismus, von Relativismus und Essentialismus, von Andersheit und Gleichheit oder eben von Nationalismus und Transnationalismus.
6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus Diese dritte Fallstudie befasst sich mit den kosmopolitischen Ideen und Zwickmiihlen Subaltern Studies-KoWQ^Xivs^. Anders als in den beiden vorangegangenen Fallstudien haben wir es hier mit einem marginalen postkolonialen Kosmopolitismus zu tun, der nicht im Westen, sondem in Indien, also einer ehemaligen Kolonie, entwickelt wurde. Eine Folge dieser Verortung ist, dass in dieser Fallstudie die Ankniipfung an den westlichen Diskurs des Kosmopolitismus - an Namen und Figuren wie Diogenes, Kant, Held und Nussbaum - von den hier behandelten Theoretikem nur selten explizit zum Thema gemacht wird. Ein Grund dafiir, so ist nach Glazer (1996) zu vermuten, liegt darin, dass das kosmopolitische Denken in der Dritten Welt als neokoloniale Ideologie wahrgenommen wird (vergleiche dazu auch Brennans Beschreibung des Kosmopolitismus als Ideologie des Neoliberalismus in Kapitel 4). Erst in der jiingsten Gegenwart wurden die Arbeiten der Subaltern Studies-Thtoxtli^tx, alien voran Dipesh Chakrabarty, der auch fiir unsere Erorterungen von zentraler Bedeutung ist, als Beitrag von den Randem zum universellen Diskurs des Kosmopolitismus wahrgenommen und an den einschlagigen Orten referenziert. In diesem Kapitel haben wir es also nicht mit einer ausgearbeiten Theorie des Kosmopolitismus zu tun, in der zum Beispiel ein Begriff des Kosmopolitismus abgeleitet, auf den postkolonialen sozialen Kontext bezogen und schlieBlich bewertet wird. Aber dennoch lasst sich hier exemplarisch analysieren, wie aus den Aporien und Spannungsfeldem des postkolonialen sozialen Kontexts kosmopolitische Ideen entstehen. Diese Fallstudie verweist damit auf einen unvollstandigen Oder Proto-Kosmopolitismus, der aber nichtsdestotrotz in den kommenden Jahren eine Rolle im gesellschafthchen und akademischen Diskurs des Kosmopolitismus spielen konnte, da er auf Phanomene verweist, die bislang in diesem Diskurs ein vergleichsweise geringes MaB an Aufmerksamkeit erhalten haben. Ziel dieses Kapitels ist es also, zu untersuchen, wie sich im postkolonialen sozialen Kontext marginale oder „diskrepante" kosmopoHtische Denkweisen (CHfford 1997: 36) herausbilden konnen, ohne dass dabei die Ideengeschichte des Kosmopolitismus oder die in den bisherigen Fallstudien zentrale Begrifflichkeit des Kosmopolitismus eine entscheidende Rolle spielt. Zudem lasst sich diese Fallstudie auch als notwendiges Korrektiv zu unserem bisherigen Schwerpunkt auf postkoloniale Kosmopolitismen aus dem westlichen Kontext betrachten.
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6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus
Der normativ-politische Ausgangspunkt des indischen Autorenkollektivs der Subaltern Studies, dem unter anderen Dipesh Chakrabarty, Partha Chatterjee, Ranajit Guha und Gyan Pandey angehoren, ist das Bemiihen um eine alternative Form der Geschichtsschreibung in Indien, die auch die partikularen Erfahrungen subalterner Bevolkerungsgruppen einbeziehen und sie damit demokratisch reprasentieren kann. Den Schliisselbegriff der „subaltemen Klassen" oder allgemeiner der „Subaltemitat" bezieht sich auf Antonio Gramsci (1967; 1971), der insbesondere die italienische Nationalgeschichte aus einer dynamischen Beziehung zwischen einer politisch herrschenden, kulturell hegemonialen Klasse und ihren subaltemen Subjekten ableitet.^ Ranajit Guhas klassische Definition, die am Anfang des Projekts der Subaltern Studies steht, lautet The word 'subaltern' in the title stands for the meaning as given in the Concise Oxford Dictionary, that is, 'of inferior rang'. It will be used in these pages as a name for the general attribute of subordination in South Asian society whether this is expressed in terms of class, caste, age, gender and office or in any other way (1982: vii, Hervorhebung im Original)).
Der grundlegende Widerspruch zwischen der empirischen und methodologischen Dimension, mit dem sich die postkolonialen Sozial- und Geschichtswissenschaftler des KoUektivs auseinander setzen, liegt darin, dass die indische Geschichte bisher ausschheBlich aus einer kolonialen Perspektive beobachtet, analysiert und festgehalten wurde, die mit einem deutlichen Elitebias behaftet ist, wahrend die tatsachhche indische Geschichte ihrer Uberzeugung nach zu einem groBen Teil von subalternen Akteuren beeinflusst worden ist (Said 1988: v). Das Ziel des KoUektivs der Subaltern Studies ist daher, diesen subaltemen Geschichten in der offiziellen Geschichtsschreibung den Rang einzuraumen, der ihnen eigentlich zusteht - die grundlegende normative Intention des Projekts ist die Entwicklung einer gerechteren geschichtlichen Representation, einer ,,good history''. Genau diese Zielsetzung fiihrt dann jedoch zu charakteristischen methodologischen und epistemologischen Paradoxien im Umgang mit der subaltemen Andersheit im postkolonialen sozialen Kontext. Diese Paradoxien wiederum lassen sich als typische strukturelle Merkmale des postkolonialen Kontexts sehen, die letztlich zu einer kosmopolitischen Betrachtungsweise fiihren. Die Anderen, um deren Anerkennung es hier geht, sind dabei doppelt marginalisiert: Sie sind nicht nur (post)koloniale Andere wie auch im Fall der orientalistischen Andersheit (vergleiche dazu Kapitel 3), der sozialistisch-antikolonialen 1 Allerdings ist nicht klar, ob Gramsci diesen Begriff als eigenstandiges Konzept einfiihren wollte, Oder nur als Tambegriff fiir den in seiner faschistischen Kerkerhaft problematischen Begriff des „Proletariats" verwendete, so wie er auch stets „Philosophie der Praxis" statt „Marxismus" schrieb (Khair 2001).
231
6.1 Postkoloniale Geschichtskritik
Liberate Geschichtsschreibung
Eurozentrismus, Europaische Geschichte als Norm (I)
Nationalistische Geschichtsschreibung
Etatismus, methodoiogischer Nationalismus (II)
iL
Elitabias, Ausblenden subalterner Akteure (III)
-^-
Subaltern Studies: Kosmopolitischer Blick auf die (post)koloniale Modeme
Abb. 6.1: Die Geschichtskritik der Subaltern Studies Andersheit (vergleiche Kapitel 4) oder der ,4'assischen", identitatsbezogenenen Andersheit (vergleiche Kapitel 5), sondem dariiber hinaus im postkolonialen Kontext selbst noch einmal durch eine subalteme Position gegentiber der kolonialen, postkolonialen oder nationalistischen Elite gekennzeichnet. Sie sind damit sowohl globale als auch lokale Subalteme - ganz zu schweigen davon, dass hier auch noch die geschlechtliche Subaltemitat eine wichtige Rolle spielt.-^ Eine weitere Besonderheit dieser marginalen Positionen liegt darin, dass sich die Andersheit der Anderen hier nicht ausschlieBlich auf auBereuropaische Andere bezieht, sondem dass aus dieser Perspektive auch Europa die Rolle des Anderen einnehmen kann: „I distinctly remember that, when one spoke of 'foreign', one meant the West Britain, Europe or North America" (Chatterjee 2003: 45). Insofem dient diese dritte Fallstudie auch dem Zweck, unsere Betrachtungsweise zu dezentrieren, indem auch postkoloniale oder marginale Positionen zu Wort kommen, die im bisherigen Diskurs des Kosmopolitismus eine untergeordnete Rolle spielen. 6.1 Postkoloniale Geschichtskritik Die Geschichtskritik der Subaltern Studies richtet sich, wie in Abbildung 6.1 schematisch dargestellt, vor allem gegen drei Basispramissen der aus Europa iibemommenen Tradition der indischen Geschichtswissenschaft: gegen ihre eurozentrische und teleologische Grundkonzeption, in der die europaische Geschichte das allgemein giiltige Modell flir Geschichte iiberhaupt abgibt (I), gegen ihre Staatszentriertheit, die dazu fiihrt, dass substaatliche oder transnationale Prozesse nicht dieselbe Aufmerksamkeit erhalten wie die offizielle nationalstaadiche Geschichte (II) und gegen ihren Elitebias, der subalteme Klassen als autonome historische 2 Vergleiche zur Verbindung von Subaltemitat, Kolonialismus und Geschlecht auch Spivak (1987b).
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6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus
Akteure ausblendet (EI). Ihre Kritik bezieht sich jedoch nicht allein auf die koloniale britische Geschichtswissenschaft, die liberate Tradition der Cambridge School, sondern auch auf die nationalistische Geschichtsschreibung - auch hier zeigt sich also wieder die fur den postkolonialen sozialen Moment charakteristische Durchdringung der ehemaligen Kolonien und Koloniallander. Beide Modelle der modemen indischen Geschichtsschreibung gehen trotz aller Unterschiede davon aus, dass die Eliten kolonialer oder antikolonialer Pragung die maBgeblichen Akteure der jiingeren indischen Geschichte sind. Demgegenliber spielt die einfache Bevolkerung aus diesem Blickwinkel nur als kollektive Restkategorie eine Rolle, als amorphe „Masse", die von ihren Fuhrern beeinflusst oder gar gelenkt wird, wenn nicht sogar ihre Revolten sprachlich mit Naturereignissen gleichgesetzt werden(Guha 1988:46). Die Herausbildung der indischen Geschichtsschreibung {Modern Indian History) als eigenstandige - und dies meint vor allem: im nationalen Sinne eigenstandige - Disziplin ist eine vergleichsweise junge Entwicklung und ein unmittelbares Ergebnis der kolonialen Modemisierung (Chakrabarty 2002: 4). In der Anfangsphase der indischen Geschichtsschreibung lasst sich das intellektuelle Klima dann auch im negativen Sinne als „kosmopolitisch"^ beschreiben, als Aufgeben einer eigenstandigen partikularen Perspektive zugunsten einer fremden als iiberlegen wahrgenommenen hegemonialen europaischen Sichtweise (Chatterjee 2003: 5051). Auf diesen negativen Begriff von Kosmopolitismus bezieht sich auch Sudipta Kaviraj, wenn er feststellt, dass im indischen postkolonialen Kontext „cosmopolitanism means at least two things: first the acceptance in advance of the possibility that your own culture can be inadequate, or fallible. Or, it may not have developed a particular skill of human creativity in a certain way" (2003: 149). So verorten sich die indischen Sozialwissenschaften nach der Unabhangigkeit vor allem in der Traditionslinie der europaischen Ideengeschichte, deren Ubertragung Punkt fiir Punkt auf den indischen gesellschafthchen Kontext als Fortschritt, Modemisierung und langst iiberfalliger Anschluss an das globale Wissenschaftssystem erlebt wird. Die universalistische Perspektive des europaischen Modemisierungsoptimismus der 1950er und 1960er Jahre"^ wird von der indischen Geschichtsschreibung weitgehend unhinterfragt iibemommen. Im Unterschied zur europaischen Ideengeschichte bleibt dieses Denken in der Postkolonie jedoch fast bis in die Gegenwart bestehen, so dass Chakrabarty auch lange Zeit nach der politischen Entkolonialisierung noch ein „persistent colonised mindset" (2004a: 126) der indischen akademischen und intellektuellen Elite feststellen kann. 3 Vergleiche zu dieser Definition von Kosmopolitismus als unselbstandige IJbemahme fremder Deutungsmuster vor allem Gramsci (1971, 1984); Mariategui (1986). 4 Ein charakteristischer zeitgenossischer Uberblick Uber diese Denkmodelle findet sich in Zapf (1969).
6.1 Postkoloniale Geschichtskritik
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Zwar greifen vereinzelt kritische Intellektuelle die europaische Dominanz in der Sozialtheorie an, aber in den meisten Fallen wird das partikulare ideengeschichtliche und theoretische Erbe Indiens im intemationalen Vergleich als minderwertig beurteilt. Dies fiihrt dazu, dass „few if any Indian social scientists or social scientists of India would argue seriously with [... ] the thirteenth-century logician Gangesa or with the grammarian and linguistic philosopher Bartrihari (fifth to sixth centuries), or with the tenth- or eleventh-century aesthetician Abhinavagupta" (Chakrabarty 2000a: 5). Der theoretische Kontext, in dem das Kollektiv der Subaltern Studies seine Arbeit aufnimmt ist also dadurch gekennzeichnet, dass die beherrschende Stellung des europaischen Denkens zwar immer wieder kritisiert wird, aber dennoch altemativlos bleibt, zumal, wenn es um die Selbstbeschreibung der indischen Wissenschaften auf intemationaler Ebene geht. Auf inhaltlicher Ebene zeigt sich der Eurozentrismus vor allem darin, dass die europaische Geschichte als paradigmatisches master narrative gilt, als groBe Erzahlung von Geschichte iiberhaupt, deren Episodenfolge als universelles Prinzip gedacht wird, das mitunter auch zeitversetzt, beschleunigt oder verlangsamt Denkfiguren wie aufholende Modernisierung, Modernisierungsschlibe oder Ungleichzeitigkeit sind von Anfang Teil des modemisierungstheoretischen Repertoires gewesen - von auBereuropaischen Landem rekapituliert wird (Prakash 1994: 1483). So unterscheiden sich dieser Theorie nach zum Beispiel die indische Varianten von Sakularisierung und Demokratisierung nur in ihrem Zeitpunkt von den europaischen Vorbildem, nicht aber ihrem Wesen nach. Im akademischen Diskurs der Geschichtswissenschaft, und dies gilt gerade auch fiir die nachkoloniale indische Historiographie, bleibt Europa zu jeder Zeit das „theoretical subject of all histories, including the ones we call 'Indian,' 'Chinese,' 'Kenyan,' and so on. There is a peculiar way in which all these other histories tend to become variations on a master narrative that could be called 'the history of Europe'" (Chakrabarty 2000a: 27). Europa fungiert also als universales und globales Modell fiir Geschichte schlechthin. In den 1980er Jahren geriet der Eurozentrismus in der indischen Geschichtsschreibung jedoch immer starker in die Kritik. Mit verantwortlich dafiir ist ein breiter kritisch-theoretischer Trend in Europa wie auch in den ehemaligen Kolonien, das „Projekt der Aufklarung" (Habermas 1988) und seine VerheiBungen in Frage zu stellen, beziehungsweise zu „uberarbeiten"^: The contemporary restructuring of political and economic relations in the overdeveloped countries has called many of the historic assumptions of western rationalism into question. Arguing against the defenders of modern rationalism, incredulous voices have 5 Vergleiche als friihes Beispiel dafiir Horkheimer/Adomo (1969).
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6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus drawn critical attention to the bold, universalist claims of occidental modernity and its hubristic confidence in its own infallibility" (Gilroy 1993: 43).
Eine wichtige Grundlage dieses kritischen Projekts, das von den Randem der Postkolonien her besonders intensiv betrieben wird, ist die Diagnose einer grundlegenden Ambivalenz des europaischen Erbes der Aufklarung und Modeme, das zum einen die Mogiichkeit einer rationalen, sakularen und objektiven Betrachtung von Geschichte und Gesellschaft ermoglicht, zum anderen aber abweichende partikulare Deutungsmuster verdrangt. Ahnliches zeigte sich bereits in der Analyse des Orientalismus, dessen beide Hauptbestandteile eines aufgeklarten und scheinbar neutralen wissenschaftlichen Interesses und einer Anwendung des auf diese Weise gewonnenen Wissens als Herrschaftstechnik kaum voneinander zu trennen sind. Vor allem der Einfluss postmoderner, poststrukturalistischer und dekonstruktivistischer Theorien aus Europa erlaubt es den indischen Theoretikem, in den 1980er Jahren die indische Geschichtsschreibung neu zu konzeptualisieren und die bis dahin weitgehend ungebrochene Begeisterung fiir die objektivistische Geschichtsschreibung der liberalen Schule zugunsten emanzipatorischer Projekte wie der Subaltern Studies aufzugeben (Chakrabarty 1992: 103). Die postkoloniale indische Geschichtsschreibung der Subaltern Studies lasst sich ebenso wie Gilroys Rassismustheorie (vergleiche Kapitel 5) als doppelte Negation von Universalismus und Partikularismus verstehen, die sowohl die von den Kolonialherren ubemommene universalisierende liberale Schule als auch die partikularistische nationalistische Geschichtsschreibung ablehnt. Ein wichtiger Einfluss auf die Entwicklung einer Alternative zu einseitig universalistischen und partikularistischen Modellen indischer Geschichtsschreibung ist neben der Aufklarungskritik des Poststrukturalismus aber auch hier Saids Orientalismuskritik (vergleiche dazu Kapitel 3) gewesen. Said selbst sieht in dem Projekt der Subaltern Studies eine paradigmatische Verwirklichung seiner Vorstellungen von einer postkolonialen Kritik des orientalistischen Denkens in den ehemaligen Kolonien (2001d: 438). Hauptziel dieses kritischen Projekts ist eine nachhaltige „intellektuelle Dekolonisierung" der indischen Geschichtsschreibung oder allgemeiner: der indischen Sozialwissenschaften, denn „[a]ll this historiographic discontent [... ] was still floundering in the old liberal and positivist paradigms inherited from English traditions of history writing even as it was searching for a path toward decolonizing the field of Indian history" (Chakrabarty 2002: 7). Zur entscheidenden Frage wird dabei, ob es Moglichkeiten gibt, diesen antieurozentrischen, antikolonialen Weg zu gehen, ohne dabei auf europaische Traditionen des kritischen Denkens zuriickgreifen zu miissen. In ihrer marxistisch orientierten Kritik des hegemonialen europaischen Geschichtsmodells und der westlichen Modemisierungsideologie stoBen die post-
6.1 Postkoloniale Geschichtskritik
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kolonialen Theoretiker bald auf das fiir den Kosmopolitismus charakteristische Spannungsfeld zwischen universellen und partikularen Ideen, ohne sich allerdings zunachst auf die ideengeschichtliche Tradition des Kosmopolitismus zu berufen: „Exceptionalism and universalism—these 'soul torturing antitheses' reflect a problem that seems inescapable in all attempts at writing from a Marxist point of view, the history of working-class (or popular) consciousness" (Chakrabarty 1989: 224). Zuallererst richtet sich die Kritik der Subaltern Studies jedoch gegen den Gebrauch nicht hinterfragter und sogar „falscher" eurozentrischer Universalien, die fiir historische Ablaufe auf der ganzen Welt als gtiltig vorausgesetzt werden, wahrend sie dem partikularen europaischen Kontext entnommen wurden: The West was History, and Indians became a part on Western terms. One studied the histories of Britain and Europe to identify the emergence and crystallisation of universals - humanism, democracy, the rule of reason, science, and modernity. India's history was plotted alongside and against this universal pattern to reveal both its 'lacks' ad its positive contribution to History (Prakash 2003: 117).
Da damit europaische Vorstellungen von Geschichte und gesellschaftlicher Entwicklung auf die soziale Wirklichkeit der ehemaligen europaischen Kolonie Indien projiziert werden, verschwinden hier die charakteristischen Eigenheiten der partikularen indischen oder subaltemen Erzahlung und allgemeiner die lokale Vielfalt und Heterogenitat historischer Ablaufe. Genau wie die bisher analysierten kosmopolitischen Wissenschaftler sehen die Theoretiker der Subaltern Studies die Losung aber auch nicht in der Antithese einer einseitigen Betonung von Differenz und lokaler Pfadabhangigkeit wie die Theoretiker der nationalistischen Schule, sondern versuchen, europaische Universalien wie Menschheit, Welt, Nationalstaat und Geschichte auf induktive Weise mit den vielfaltigen partikularen Seinsweisen - „the diverse ways in which we 'world' this earth" (Chakrabarty 2000c: 653) in Verbindung zu bringen, so dass dadurch die Universalismen lokalisiert und in die Begriffe des postkolonialen sozialen Kontexts iibersetzt werden konnen. Ganz ahnlich wie dies auch in zahlreichen Neuen Kosmopolitismen das Ziel ist, geht es auch hier um die „Erdung" von universalistischen Ideen, um ihre Verbindung oder „Verschmutzung" (Robbins 1999: 75) mit partikularen Phanomenen. Das Vorgehen der Geschichtswissenschaft europaischer Pragung lasst sich dagegen als deduktive Methode beschreiben, die ein einziges mustergiiltiges Modell von Geschichte voraussetzt und als universelles Interpretationsschema fiir lokale Beobachtungen, aber auch als normatives Paradigma geschichtlicher Entwicklung iiberhaupt verwendet. Das urspriinglich europaische Denken wird durch das induktive Vorgehen der Subaltern Studies in einem doppelten Sinne „geerdet": indem die partikulare europaische Herkunft und Reichweitenbegrenzung dieser Ideen und Vorstellungen in den Vordergrund gestellt und analysiert werden, aber auch
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dadurch, dass dieses Denken auf den ebenfalls partikularen Kontext der indischen Geschichte und Geisteswelt bezogen wird. Das europaische Denken wird durch diese kosmopolitische Doppelverortung und Dezentrierung zu einem transnationalen Raum, der sich bis nach Indien erstreckt und in seiner Kombination aus partikularen und universellen Elementen Gilroys Beschreibung der Schwarzen Diaspora ahnelt (vergleiche Kapitel 5). Im postkolonialen Indien ist es moglich, seine Identitat nicht nur als Inder, sondem auch als Europaer auszudriicken, denn „[b]eing Westernized is one way of being Indian" (Chakrabarty 2002: 42). Das Modelle einer multiplen intellektuellen Zugehorigkeit, das hinter dieser Vorstellung steckt, ahnelt dabei den ethischen Prinzipien des Neuen Kosmopolitismus, der im Unterschied zu den klassischen kosmopolitischen Vorstellungen die Moglichkeit einer gleichzeitigen Zugehorigkeit zu und Solidaritat mit unterschiedlichen Kreisen formuliert. Eng verbunden mit der ICritik des Eurozentrismus ist die Kritik der nationalstaatsfixierten Annahmen, die die indische Geschichtswissenschaft von ihren europaischen Vorbildem iibemommen hat. Der Begriff der „Nationalstaatsfixierung" beschreiben ein Denken, in dem der Nationalstaat zum zentralen Deutungsmuster der Sozialwissenschaften geworden ist und soweit essentialisiert wurde, dass diese Annahmen nicht mehr als solche erkennbar sind, sondem eine ontologische Qualitat gewinnen. Es geht also um denselben Punkt, den Beck als methodologischen NationaUsmus bezeichnet, also um die „Uberzeugung, daB ,modeme Gesellschaft' und,moderne Politik' nur als nationalstaatlich organisierte existieren konnen" sowie um die „Axiomatik des methodologischen Nationalismus, nach der Nation, Staat, Gesellschaft die ,naturlichen' sozialen und politischen Formen der modemen Welt sind" (2004a: 40, Hervorhebung im Original). Diese Perspektive suggeriert, dass sich Geschichte nur im Inneren nationalstaatlicher Container denken lasst, da allein den nach westlichem Vorbild im nationalstaatlichen Rahmen konstituierten Akteuren tiberhaupt eine historische Handlungsfahigkeit zugestanden wird. Wahrend es bei Beck von einem europaischen Standort darum geht, „das stahlharte Kategoriegehause des methodologischen Nationalismus aufzubrechen und das Wie und Inwieweit des Kosmopolitischwerdens der Weltwirklichkeit iiberpriifbar, sehbar und einsehbar, verstehbar, ja lebbar zu machen" (Beck 2004a: 10), liegt das Ziel der postkolonialen Sozialwissenschaftler vielmehr darin, zu zeigen, dass erst durch die Befreiung des historiographischen B licks von seinem nationalstaatlichen Bias sichtbar wird, dass die modeme Wirklichkeit der Postkolonie schon immer von einer kosmopolitischen Durchdringung und Deterritorialisierung von europaischen und kolonialen Phanomenen, von universalistischen und partikularistischen Deutungsmustern gepragt ist - eine Tatsache, die sowohl die liberale Schule auf Grund ihres einseitigen Fokus auf historische Universalien
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als auch die nationalistische Geschichtsschreibung in ihrer Betonung der partikularen und inkommensurablen indischen Entwicklung nicht erkennen konnen. Kosmopolitisch ist hier also nicht wie etwa bei Gilroy die wachsende Bedeutung postkolonialer Kultxiren in den ehemaligen Koloniallandern des Zentmms, sondem die real-existierende Vermischung oder Hybridisierung in den ehemaligen Kolonien der Peripherie. Die postkolonialen Theoretiker der Subaltern Studies beschreiben also keinen europaischen, sondem einen auBereuropaischen oder marginalen Kosmopolitismus. Die kosmopolitische Realitat der Postkolonie, die aus der Koexistenz und Durchdringung westlicher und einheimischer Traditionen besteht, kann dieser Auffassung nach nur aus einer kosmopolitischen Perspektive heraus analysiert werden, die keinen der beiden Pole verabsolutiert und vor allem nicht unhinterfragt von einer voUstandigen Determinierung geschichtlicher Ablaufe durch die offizielle nationalstaatliche Politik ausgeht. Kosmopolitismus beschreibt in diesem Zusammenhang einen Ausbruch aus den binaren Entweder-oder-Unterscheidungen wie Universalismus/Partikularismus, Tradition / Modeme oder Vergangenheit/Gegenwart und ersetzt diese durch einen Fokus auf inklusive Sowohl-Als-auch-Prinzipien der Gleichzeitigkeit verschiedener Zeiten und Welten in der postkolonialen Moderne. So ist die Auflosung aller Unterscheidungen und der Abschied von westlich-universalistischen Prinzipien wie Geschichte, Zugehorigkeit und Modeme nicht moglich und Pollock, Bhabha, Breckenridge und Chakrabarty stellen fest, dass despite our discontents and discomfitures, we are properly resistant to a radical revanchism that seeks a return to the certainties of a world of the either/or: either First or Third World; either communism or capitalism; either planned economies or free markets; either the secular or the sacred; either class politics above all other differences or a betrayal of the spirit of History itself (2000: 580).
Anstatt wie die westliche Historiographie ein einziges universelles Modell von Geschichte und Geschichtlichkeit zu formulieren, an das dann alle partikularen Erzahlungen assimiliert werden konnen, beschreiben die Theoretiker der Subaltern Studies eine kosmopolitische Umgangsform mit anderen Lebenswelten und Geschichtsbegriffen im postkolonialen Kontext: „Cosmopolitanism, in its wide and wavering nets, catches something of our need to ground our sense of mutuality in conditions of mutability, and to learn to live tenaciously in terrains of historic and cultural transition'' (Pollock etal. 2000: 580, Hervorhebung im Original). Intention der „Provinzialisierung Europas" ist nicht, die europaische Modeme zu verwerfen oder sich fiir den Kolonialismus an Europa zu rachen (Chakrabarty in Dube 2002: 867). Vielmehr versuchen die Theoretiker der Subaltern Studies, mit ihrer provinzialisierenden Kritik an der europaischen Ideenwelt das Konzept der Aufklarung zu retten und „to acknowledge our debt to the ideas of the En-
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lightenment is not to thank colonialism for bringing them to us" (Chakrabarty in Ghosh/Chakrabarty 2002: 164). Denn paradoxerweise sind es gerade europaische und zum Teil sogar eurozentrische Theorieimporte, die den Ausgangspunkt fiir die Kritik der eurozentrischen Grundhaltung der indischen Geschichtsschreibung abgeben (Kaviraj 2003: 161). Das Ziel der Subaltern Studies ist es, durch die Beschreibung der (post)kolonialen Moderne als Ergebnis einer unvollstandigen Ubersetzung westlicher Ideen neue Moglichkeiten ftir die politische Praxis und die sozialwissenschaftliche Forschung zu eroffnen (Dube 2002: 865). Kosmopolitisch ist an diesem Ansatz dabei, dass die europaischen Universalien nicht vollstandig abgelehnt werden, da sie namlich stets - wenn auch nur selten als solche erkennbar - in partikularen Geschichten mitgetragen werden, ganz abgesehen davon, dass iiberhaupt ihr Ursprung in partikularen Kontexten liegt (ebd.). Letztlich richten die postkolonialen Theoretiker ihren Blick genau auf das Verbaltnis der beiden Pole Universalismus und Partikularismus. Die Suche nach einem Ausweg aus dem Entweder-oder Denken fuhrt sie dann auch zur Ubemahme einer kosmopolitischen Begrifflichkeit: Critical energies are focused on questions such as how and where one locates this middle ground, how one delineates its contours, ways one can get out of the universalism/relativism binar>', and so on and so forth. But, as discussions of human rights increasingly make clear, universalistic assumptions are not easily given up, and the tension between universalism and historical difference is not easily dismissed. The struggle to find a middle ground remains. 'Strategic essentialism' [...], 'hybridity' [...], 'cosmopolitanism,' and the like are expressions that remind us of particular strategies formulated in the course of this struggle (Chakrabarty 2000c: 653-654).
6.2 Minderheitengeschichte und subalterne Vergangenheiten Trotz heterogener Themen und theoretischer Schwerpunkte verbindet die Mitglieder des Subaltern Studies-KoWokiiv^ das urspriingliche Ziel, die subaltemen Klassen in die Geschichte der indischen Nation und insbesondere die Unabhangigkeitsbewegung „hineinzuschreiben" und auf diese Weise den Elitebias der modemen indischen Geschichtsschreibung zu korrigieren (Chakrabarty 1998a: 19). Damit richten sie sich auf der einen Seite gegen die liberale Theorie der Cambridge School, die einen eigenstandigen Bedeutungsgehalt der indischen nationalistischen Narrative leugnet und diese unabhangig von dem tatsachlichen Bewusstsein und Handeln der subalternen Klassen als voriibergehende Abweichung von einem universellen Modemisierungspfad sieht (Prakash 1994: 1476). Diese kritische Intention verbindet nach Chakrabarty das Projekt mit anderen oppositionellen Theorien im postkolonialen sozialen Kontext, die ebenfalls das unkritische Subsumieren nationaler Partikularismen unter universelle, zumeist europaisch gepragte
6.2 Minderheitengeschichte und subalterae Vergangenheiten
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Entwicklungsnarrative und Konzepte wie „Menschheit" oder „Vernunft" ablehnen (2000a: 5). Aber die postkolonialen Theoretiker richten sich auf der anderen Seite auch gegen die nationalistische indische Geschichtsschreibung, die sich zwar gegen die Aneignung der eigenen indischen Geschichte durch die westlichen Wissenschaften wehrt, aber genau wie die liberate Schule Bauern und Arbeiter als historische Subjekte ausblendet (Prakash 1994: 1482). Die Unterschiede zwischen der liberal-neokolonialen und der nationalistisch-antikolonialen Geschichtsschreibung rticken gegeniiber der gemeinsamen Verdrangung subaltemer Akteure als Quellen geschichtlichen Wandels in den Hintergrund. Dieses gleichermaBen normativ wie methodologisch begriindete Projekt der Inklusion subaltemer Akteure verlauft jedoch nicht ohne Beziige zu seinen theoretischen Vorlaufem, die in erster Linie dem europaischen Kontext entstammen in dieser Hinsicht ist die Geschichtstheorie der Subaltern Studies keine dezidiert indische Theorie, sondem ubersetzt eine in Europa begonnene demokratische Tradition der Geschichtswissenschaft in den indischen Kontext. Zum einen schlie6en die Subaltern Studies an die Tradition der Sozialgeschichte an, die nicht nur die umfassende historische Transformation der Makroebene in den Blick nimmt, sondem auch auf der Mikroebene Veranderungsprozesse des gesellschaftlichen Alltags als historische Variablen einbezieht. Zum anderen kniipfen die postkolonialen Theoretiker an die Tradition der Geschichtsschreibung von unten {history from below) oder Minderheitengeschichte an.^ Dabei geht es vor allem darum, untergeordnete, marginalisierte oder exkludierte Gruppen - marginalisiert in Bezug auf Klasse, Kaste, Rasse, Sprache oder Kultur (Prakash 1994: 1476) - in die Nationalgeschichten einzubeziehen und damit die Reichweite der Geschichtsschreibung auszudehnen und sie auf diese Weise zu demokratisieren oder zu universalisieren. In diesem emanzipatorisch-demokratischen Anspruch liegt die urspriingliche normative Grundlage des Projekts der Subaltern Studies. Das Ziel der Inklusion bislang marginalisierter Bevolkemngsgruppen in die indische Geschichtsschreibung dient dabei nicht nur dem unmittelbaren wissenschaftlichen Ziel, die indische Geschichtsschreibung zu erweitem und damit ihre Erklarungskraft zu erhohen, sondem das Projekt der subaltemen Geschichte lasst sich nach Chakrabarty in eine umfassende Bewegung eingliedem, die Prinzipien geschichtlicher Reprasentation sozial gerechter zu gestalten (2000a: 72). Diese demokratische Offnung des Geschichtsverstandnisses flir Mindeheitengeschichten erscheint zunachst als unproblematisch, ahnlich wie bisher auch die Einbeziehung der Erinnemngen und Vergangenheiten von Bevolkerungsgmppen wie zum Beispiel Frauen oder einfache Arbeiter in die westliche Geschichtsschrei6 Vergleiche dazu Hill (1990); Hobsbawm (1978, 1997); Rude (1959); Soboul (1978); Thompson (1963); Weber (1976) sowie als Vorlaufer schon Gramsci (1971).
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bung von unten. Diese Bewegungen fugen der Geschichtswissenschaft jeweils neue Themen, Fragestellungen und Theorien hinzu, ohne dabei die Disziplin und ihre Basisprinzipien in eine Krise zu sturzen. Im Gegenteil: die Ausweitung der historiographischen Perspektive auf bislang ubersehene Gruppen und die Auseinandersetzungen mit den Schwierigkeiten, die auf Grund mangelnder Quellen dabei in der Regel entstehen, sind ein Weg, auf dem sich die Disziplin standig selbst emeuert (Chakrabarty 1998a: 16). Diese „normale" Erweiterung^ der Geschichtswissenschaft in Richtung einer normativen good history steht zudem im Zusammenhang mit der in vielen westlichen Landern ebenfalls an Einfluss gewinnenden Multikulturalismusdebatte (vergleiche dazu auch Abschnitt 5.4). Das Feld der Geschichte ist schlieBlich nach Chakrabarty eine der zentralen Arenen, in denen sich die Anerkennungskampfe von Minderheiten abspielen: „Minority histories [... ] in part express the struggle for inclusion and representation that are characteristic of liberal and representative democracies" (1998a: 15). Moglich wird die Inklusion der Geschichten solcher Minderheiten allerdings nur dann, wenn sie sich zum einen mit den iiblichen wissenschaftlichen Instrumenten und Codes entdecken, erfassen und schreiben lassen. Zum anderen miissen diese Erzahlungen den grundsatzlichen Kriterien der RationaUtat geniigen und sich von einer wissenschaftlichen Position aus verteidigen lassen (Chakrabarty 1998a: 16). Das Projekt der Subaltern Studies versteht sich demzufolge in der Anfangszeit als ein auf Indien iibertragener Versuch, Minderheitengeschichten zu schreiben und dadurch ein vielfaltiges Bild der nationalen Geschichte zu zeichnen, in dem die eurozentrische, nationalstaatsfixierte und elitistische Geschichte nicht die einzige, sondem nur eine unter vielen heterogenen Erzahlungen darstellt (Chakrabarty 1998a: 15).^ Allerdings taucht jedoch bald das Problem auf, dass durch die Behandlung der subaltemen Klassen als „Minderheiten" im Sinne der westlichen Minderheitengeschichtsschreibung gerade die partikularen Elemente und damit auch die Oppositionalitat dieser altemativen Erzahlungen verloren gehen. Dieser Begriff setzt namlich voraus, dass auch die Geschichte der subaltemen Akteure unter Einhaltung von Genreregeln und Rationalitatskriterien an das bestehende Gebaude der Geschichte assimiliert werden kann, wahrend das System insgesamt unangetastet bleibt (Chakrabarty 1998a: 15). Wenn das Ziel also in der Entwicklung einer neuen Minderheitengeschichtsschreibung lage, dann geriete das Projekt der Subaltern Studies selbst zu einem Projekt der Universalisierung und Assimilierung 7 „Normal" ist hier durchaus auch im Sinne Kuhns (1973) gemeint, der zwischen dem normalen kumulativen Fortschritt der Wissenschaft und Paradigmenwechseln, in deren Verlauf der gesamte Bezugsrahmen eines Phanomens ausgetauscht wird, differenziert. 8 Ein charakteristisches Beispiel hierfiir ist Gautam Bhadras Aufsatz iiber die Biographien vier gewohnlicher Rebellen in den Revolten des Jahres 1857 (1988).
6.2 Minderheitengeschichte und subalteme Vergangenheiten
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partikularer Geschichten, die bislang auf Grund ihrer Andersheit auBerhalb der Geschichtlichkeit standen, an ein westliches Modell. Die spezifische Andersheit dieser subaltemen Entwurfe kann damit jedoch nicht in alien Konsequenzen anerkannt werden, sondern wird auf eine universale rationale Begrifflichkeit gebracht, die eine zentrale Voraussetzung fiir die Inklusion in den mainstream der Geschichte ist (Chakrabarty 2003: 134). Ein weiteres Problem liegt darin, dass dieser Ansatz selbst keine Moglichkeit darstellt, den Subaltemen ihre eigene Stimme zuriickzugeben, sondern wiederum eine Representation von - dieses Mai jedoch wissenschaftlichen - Eliten ist. So werden die partikularen Besonderheiten der indischen Sozialstruktur wie etwa das Kastenwesen oder die Durchdringung von Religion, Politik und Alltagshandeln in der Perspektive der Minderheitsgeschichtsschreibung nicht als grundlegende Analysevariable behandelt, sondern erscheinen als pramodemer Uberrest oder allgemein als Beispiel fiir die Riickstandigkeit der indischen Gesellschaft (Prakash 1994: 1484). Genau diese Faktoren spielen aber eine zentrale RoUe in der Erkarung des subaltemen Handelns, so dass jedes Projekt der Demokratisiemng der indischen Geschichtswissenschaft gefordert ist, einen Analyseapparat zu konstruieren, der auch diese Elemente berlicksichtigt. Doch gerade weil diese Phanomene bisher von der nationalistischen wie auch der kolonialen Geschiehtsschreibung als Marginalien gewertet wurden, fehlen sie meistens auch in den historischen Archiven der indischen Geschichte (Prakash 1994: 1479). Die Sozialwissenschaftler der Subaltern Studies stehen damit nach Chakrabarty vor dem methodologischen Problem, Bevolkerungsgruppen in die indische nationale Geschiehtsschreibung einzubeziehen, von denen es kaum Spuren in den offiziellen Dokumenten gibt, beziehungsweise deren Stimmen nur in der verzerrten oder sogar verfalschten Ubersetzung der Kolonialbeamten zu horen sind (1992: 102).^ Daher ist zunachst ein wichtiges Zwischenziel der Subaltern Studies, alte Quellen neu zu interpretieren, so dass aus diesen die Spuren der subaltemen Akteure und ihrer nicht offiziellen, alltaglichen Politik herausgearbeitet werden konnen (Chakrabarty 1989: v). Um aber auch die Lebenswirklichkeit der subaltemen Klassen erforschbar zu machen, differenziert Chakrabarty zwischen zwei komplementaren Lesarten der kolonialen Archive, die auf den folgende Annahmen basieren: first, that the ruHng-class documents often used for historical reconstructions of workingclass conditions can be read both for what they say and for their "silences"; and secondly, that an attempt to understand their silences cannot stop at purely economic explanation— though the economic is undoubtedly important—but has to push itself into the realm of working-class culture (1983: 259). 9 Hier zeigt deutlich der von Michel Foucault (1977, 1978c, 1981, 1991) beschriebene enge Zusammenhang von Wissenssystemen und Machtstrukturen.
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6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus
Es geht hier also nach Chakrabarty um eine eine Doppelstrategie, die nicht nur die historischen Texte sowie ihre Liicken und blinden Flecke auswertet, sondem auch die jeweiligen sozialen Entstehungsbedingungen der Archivmaterialien in die Analyse einbezieht - „We will look at the conditions of production of these documents and in this way try to make sense of their gaps and omissions" (1989: 65) und auf diesem Weg nicht nur die Erzahlung der „prapolitischen" und „pramodernen" Subaltemen rekonstruieren, sondem auch einen Zugang zu ihrer kulturellen Partikularitat eroffnen soil. Auch hier griindet die kosmopolitische Perspektive zunachst darin, einen ubergeordneten Beobachterstandpunkt einzunehmen, von dem aus die „Politik der Theorie" (Barker etal. 1983) analysiert werden kann, die zum Beispiel mit Begriffen wie „Minderheit", „Geschichte" und ,JVIodeme" verbunden ist. Mit dieser methodologischen Wende verwandeln sich die Subaltern Studies in ein echtes Projekt zur Erforschung subalterner Wirklichkeiten und trennen sich von der urspriinglichen Idee und den Anspriichen der demokratischen und universalistischen Minderheitengeschichtsschreibung. Letztlich besitzt namlich auch der Begriff der Minderheit nur eine relative Bedeutung. Die Gruppen, die zum Beispiel in Indien als Subjekte einer Minderheitengeschichte betrachtet werden Bauern, Frauen und Arme - stellen schlieBlich bevolkerungsanteilig die Mehrheit dar, und was als Mehrheitsgeschichten gilt - die Geschichten der Kolonialbiirokratie und EHten - sind in Wirklichkeit marginale Erzahlungen.^^ Das Konzept der Minderheit kann sich also nicht einfach auf die objektiven Zahlenverhaltnisse berufen, sondem enthalt von vomherein Werturteile. Als Minderheit wird definiert, was aus der Sicht der Elitegeschichtsschreibung als unreif, marginal und damit eben ungeschichtlich erscheint (Chakrabarty 1998a: 17). Bereits das Konzept der „Minderheit" zeigt sich aus diesem Blickwinkel - und dies legt Analogien zur orientalistischen Fremdkonstruktion nahe (vergleiche Kapitel 3) - als Konstmkt der herrschenden Klassen, vor allem der europaischen oder europaisierten Eliten. Daraus ergibt sich eine erhebliche methodologische und inhaltliche Neuorientiemng der spaten Subaltern Studies. Denn, wenn sie tatsachlich die Geschichten der Subaltemen erforschen und sich nicht auf die von Eliten konstruierten und archivierten Minderheitengeschichten beschranken wollen, dann erfordert dies auch einen ganz anderen epistemologischen Zugang zu diesen Narrativen. An dieser Stelle lasst sich den Arbeiten der Subaltern Studies und besonders bei Dipesh Chakrabarty eine grundlegende ethisch wie auch methodologisch begriindete Unterscheidung beobachten zwischen der Minderheitengeschichtsschreibung {..minority history") mit dem Hauptziel der Demokratisierung und Erweiterung 10 Vergleiche dazu auch Brantlinger (1990: 147).
6.2 Minderheitengeschichte und subalteme Vergangenheiten
Universalismus
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Partikularismus
Minderheitengeschichte
Subalteme Vergangenheiten
Demokratische Inklusion
Partikulare Anerkennung von Andersheit
Neues Subjekt der Geschichte
Figur fiir Grenze der Geschichte
Reform, Erweiterung der Geschichte
Revolution, Unmoglichkeit der Geschichte
Vergleich
Relativismus, Inkommensurabilitat
Tab. 6.1: Universalismus und Partikularismus in der indischen Geschichtsschreibung
der Geschichtsschreibung und dem neuen Konzept der subalternen Vergangenheit (^subaltern past"), das eine vollig andere Weise des In-Der-Welt-Seins zeigt und darin auf die Grenzen des wissenschaftlichen Zugriffs durch die Geschichtsschreibung verweist (Chakrabarty 1998a: 27). Die wichtigsten Punkte dieser Differenzierung zwischen minoritaren und subalternen Geschichten sind in Tabelle 6.1 zusammengefasst. Wahrend es bei der Minderheitengeschichte um ein neues historisches Subjekt geht, das in die groBe Erzahlung der Geschichte demokratisch eingefugt werden soil, symbolisieren die subalternen Vergangenheiten eine absolute Grenze zur nicht reduzierbaren Andersheit der subalternen Anderen. Auf der einen Seite kann also die Inklusion der Minderheiten liber den Weg einer Reform oder Emeuerung der Geschichtswissenschaft ablaufen. Dagegen ist auf der anderen Seite eine echte Einbeziehung der Subalternen ein unmoglicher Anspruch, der das Fundament der modemen Geschichtswissenschaft betrifft. Minderheitengeschichten kennzeichnet, dass sie in das universalistische Modell eingegliedert werden konnen und daher auch mit anderen Geschichten verglichen werden konnen, wahrend die subalternen Vergangenheiten unzugangliche und inkommensurable partikulare Welten darstellen. Die subalternen Geschichten konnen als „Zeitknoten" (Chakrabarty 2000a: 242) zwischen verschiedenen partikularen Kontexten der Historisierung durch das koloniale Archiv, aber auch durch die Geschichtswissenschaft widerstehen: Let me call these subordinated relations to the past "subaltern" pasts. They are marginalized not because of any conscious intentions but because they represent moments or points at which the archive that the historian mines develops a degree of intractability with respect to the aims of professional history. In other words, these are pasts that resist historization (Chakrabarty 2000a: 101).
Die subalternen Vergangenheiten stellen also keine weitere Version von Geschichte dar, die sich universalisierend in das System der Geschichtsschreibung
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6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus
integrieren lasst, sondem verweisen im Gegenteil auf die Grenzen, auf ein Jenseits der Historiographie (Chakrabarty 1998a: 22): „The politics of writing liistory in such a way as to bring the very code into crisis must lie in developing a politicalethical task of the historian: attending to the fractures in the semiotic field called 'history' so that what is unrepresentable is at least allowed to make visible the laws and limits of system [sic] of representation" (Chakrabarty 1996: 67). Wiirde man versuchen, die Subaltemen analog zu anderen Minderheitengruppen auf demokratische Weise in die offizielle nationalstaatliche Geschichtsschreibung zu integrieren, so hatte dies nach Chakrabarty letztendlich zur Folge, dass der universalisierende Blick ihnen alle Besonderheit nehmen und wiederum der von den Subaltern Studies kritisierten staatszentrierten Logik unterordnen wiirde - das Ergebnis ware also gerade das Gegenteil einer kosmopolitischen Anerkennung der Andersheit der subaltemen Anderen: If we attempt to craft histories of the subalterns, the oppressed, the persecuted or the repressed only in terms of a narrative of their rights as citizens of a nation-state, we give rise to two problems. First, we denude these oppressed subjects of their individuality, the unique and embodied configurations of their pasts—their historicality, in short—^by leveUing them down to and labelling them with 'common' categories such as 'worker', 'citizen' or 'woman'. These reified categories then feature as the main actors in the historian's narrative. Second, since rights can only be legally granted by the state, any rights-based historical narrative invariably doubles as a history of the nation-state itself (2004a: 126).
Dabei geht es nach der methodologischen Wende des Projekts gar nicht mehr um die Subaltemen als reale Andere und Handelnde, sondem diese werden zu einem epistemologischen kosmopolitischen Idealtypus, der in seiner Subalternitat auf ein ebenso notwendiges wie strukturell unerfiillbares Desiderat der Historiographie aufmerksam macht: „The subaltem here is the ideal figure of the person who survives actively, even joyously, on the assumption that the statist instruments of domination will always belong to somebody else and never aspires to them" (Chakrabarty 2002: 36, Hervorhebung im Original). So steht die Subalteme als Symbol fiir die prinzipielle Undurchsichtigkeit der Geschichte der Anderen und verdeutlicht die Grenzen des kulturellen Verstehens der Andersheit Anderer. In der Neuausrichtung der Subaltern Studies von einer Minderheitengeschichte zu einer streng genommen „unmoglichen"^^ Geschichtsschreibung der Subaltemen stoBen die Historiker auf eine „dunkle Seite" der Geschichte, die sich fur das rationale Projekt der modemen Geschichtswissenschaften als undurchdringlich erweist (Chakrabarty 2000b: 275). Dabei konnen sie diesen Anspruch der demokratischen Einbeziehung jedoch trotz dieser Unmoglichkeit nicht aufgeben, 11 Vergleiche zu einer ahnlichen Darstellung des Spannungsfeldes zwischen einer bedingungslosen Offnung und einer zugleich auch notwendigen Einschrankung Derridas (1991; 2003a; 2003b) Konzept der unmoglichen und immer nur zuklinftigen Demokratie.
6.2 Minderheitengeschichte und subalteme Vergangenheiten
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da dieser die Grundlage ihres Projekts darstellt.^^ In einer postkolonialen Nation wie Indien, in der Offentlichkeit andere Formen annimmt als durch das modeme westliche Modell beschrieben, ist zudem der ubliche historiographische Archivzugang kaum moglich (Chakrabarty 1992i 106) und auch das allgemeine Gebot, die Quellen offen zu legen ist in einer Offentlichkeit nichtwestlicher Pragung nur selten durchfiihrbar (Prakash 1994: 1485). Damit sind jedoch die oben beschriebenen Ausgangsbedingungen flir eine Inklusion der subaltemen Geschichten als Minderheitengeschichten nicht erfiillt. Die Paradoxie an dieser Stelle ahnelt wieder den Beobachtungen des postkolonialen sozialen Kontexts in den anderen Kapiteln: Gerade die normative Intention der Anerkennung der Andersheit der subaltemen Anderen fuhrt dazu, dass in methodologischer Hinsicht gravierende Probleme entstehen, die Welt dieser Anderen zu erfahren, ohne sie entweder an die eigenen Begriffe und Deutungsmuster zu assimilieren und damit in ihrer Andersheit zu missachten oder aber als inkommensurables und unzugangliches Jenseits der Geschichte voUstandig aus den Blick zu verlieren. Die Figur der Subaltemen ist zum Beispiel fiir Chakrabarty gar kein autonomer Akteur im eigentlichen Sinne mehr, sondem eine wissenschaftlich vermittelte oder gar konstituierte Figur, die ihre Entstehung der postkolonialen Paradoxie der Representation verdankt (2000a: 94). In methodologischer Dimension markiert die Figur der Subaltemen die Grenzen des westlich gepragten Wissenschaftsverstandnisses, wenn es um eine echte kosmopolitische Anerkennung von Andersheit geht. Das Problem, die subaltemen Klassen als autonome Akteure wahrzunehmen, zeigt sich vor allem auch darin, dass diese sich selbst haufig gar nicht als historische Subjekte sehen, sondem als Werkzeug von Gottem oder Gottheiten (Chakrabarty 2000a: 103). So verweisen die Analysen der Handwerker- und Bauemaufstande im Indien des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts (Arnold 1982, 1984; Bhadra 1983; Pandey 1982, 1983; Sarkar 1984) immer wieder auf eine fiir die westliche Wissenschaft problematische agency ubernatliriicher Akteure. Aber nicht nur in der kolonialen Vergangenheit, sondern auch in der postkolonialen Gegenwart nehmen Gotter und Gottheiten einen wichtigen Platz im Alltagsgeschehen ein, was sich zum Beispiel in ihrer Verehrung an modemen industriellen Arbeitsplatzen zeigt (Chakrabarty 1989: 89). Diese Phanomene sind jedoch nach Chakrabarty nicht in westliche mentalistisch gepragte Begriffe wie „Religion" iibersetzbar. Durch die Beteiligung Ubematiirlicher Akteure wird die Welt der Subaltemen fiir die westlich 12 Ganz ahnlich beschreibt Judith Butler das Wesen der Universalien, die auf der einen Seite unmogliche Prinzipien sind, da sie niemals wirklich universell gelten, sondern immer von partikularen Bedeutungen gepragt sind, wahrend auf der anderen Seite gerade in dieser Unvollstandigkeit ihre Funktion liegt: „To claim that the universal has not yet been articulated is to insist that the 'not yet' is proper to an understanding of the universal itself: that which remains 'unrealized' by the universal constitutes it essentially" (1996: 48).
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6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus
gepragten Wissenschaftler zu einer ganz anderen, in Teilen sogar unzuganglichen Welt: „They consist of mythic time, space, and events, of epic battles and tragic betrayals that the performer leads his listeners through as if everyone is witnessing, experiencing, and participating in the unfolding of fantastic happenings" (Prakash 1990: 34-35). Diese Welt der Subalternen kann nur dann beschrieben und analysiert werden, wenn diese Phanomene in westliche Begriffe wie Religion oder Ideologic ubersetzt werden. Geschieht dies, verlieren sie aber genau die eigentlich charakteristischen Merkmale aus dem Blick. Oder aber die Wissenschaftler anerkennen die Andersheit dieser Begriffe, miissen damit jedoch auf eine Analyse gemaB der westlichen Wissenschaftskriterien sowie die demokratische Inklusion der subalternen Geschichten verzichten.^^ Die kosmopolitische Option zielt auf eine Verbindung dieser beiden Perspektiven und lost sich zwar von dem Anspruch, die Welt der Subalternen objektiv voUstandig erforschen zu konnen; zugleich richtet sie aber von einer iibergeordneten Position aus den Blick auf die geschichtswissenschaftliche Konstitution der Figur der Subalternen und ihre Implikationen fur Epistemologie und Methodologie der Sozialwissenschaften. Die Figur der Subaltemen istin dieser Sichtweise kein neues Subjekt der Geschichte, dessen demokratische Inklusion das Ziel ist, sondem ein Symbol fur die Unterbrechung der Historisierung (Chakrabarty 1996: 62). Dieser Idealtypus wird von den Historikem der Subaltern Studies als epistemologisches Werkzeug verwendet, um die Lucke zwischen unterschiedlichen Darstellungsund Erfahrungsformen von Geschichte zu verdeutlichen (Chakrabarty 1998a: 23). Mit Hilfe der Figur der Subalternen wird es zudem moglich, andere Arten von Sub(altemer)-Politik^^ zu konzeptualisieren, die sich nicht unter den klassischen Begriff der rationalen nationalstaatlichen Politik einordnen lassen (Chakrabarty 2004b): Guha claimed that there was, in colonial India, an "autonomous" domain of the "politics of the people" that was organized differently than the domain of the politics of the elite [... ] In the domain of "subaltern politics," [... ] mobilization for political intervention depended on horizontal affiliation [... ] Central to subaltern mobilizations was 'a notion of resistance to elite domination (Chakrabarty 2002: 8).
Ein zentrales Merkmal dieses von den Theoretikem der Subaltern Studies verfolgten Projekts einer intellektuellen „Provinzialisierung Europas" ist, dass es gerade nicht als Abwendung von den europaischen Wissenstraditionen zu verstehen ist oder als Versuch, eine eigenstandige indische Variante der Rationalitat 13 Eine ahnliche Unterscheidung zwischen dem strukturlosen „ganz Anderen", das einem „absoluten und wilden, barbarischen, prakulturellen und prajuridischen AuBen" zugeordnet wird und dem durch rechtliche Vorschriften definierbaren „Fremden" beschreibt auch Derrida (2001b: 57). 14 Vergleiche fiir ein in Teilen ahnliches Konzept substaatlicher politischer Handlungsfahigkeit Beck (1993).
6.2 Minderheitengeschichte und subalteme Vergangenheiten
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zu begriinden, sondem von der Erkenntnis ausgeht, dass die Geschichtswissenschaft und damit auch das kritische Projekt der Subaltern Studies zwangslaufig als Bestandteil und Erbe der europaischen Geschichtswissenschaft zu verstehen ist. Es geht dabei vor allem darum, genau diese Erkenntnis der postkolonialen Durchdringung von Europa und seinen ehemaligen Kolonien produktiv einzusetzen und zur Grundlage einer kosmopolitischen Geschichtstheorie zu machen, die nicht von der statischen Dichotomie Universalismus/Partikularismus ausgeht, sondem dieses Spannungsfeld und seine heterogenen Folgen als neues Untersuchungsobjekt begreift (Chakrabarty 2000a: 42). Ein weiteres kosmopolitisches Moment liegt darin, dass die Vorstellung subaltemer Vergangenheiten kein einfaches partikulares Gegenbild zur universalistischen europaischen Geschichtswissenschaft darstellt. Beide Perspektiven der Minderheitengeschichte und der subalternen Vergangenheit bedingen nach Chakrabarty einander: Ohne die alltagHche und praktische Kontinuitat der subalternen Vergangenheiten ware auf der einen Seite die geschichtswissenschaftliche Praxis der Historisierung unmoglich, wahrend auf der anderen Seite wird erst durch das Historisieren in Fragmenten sichtbar wird, dass sich jenseits dessen noch eine andere Vergangenheit verbirgt (2000a: 112). Je starker die Geschichtswissenschaft zu universalisieren versucht - zum Beispiel um subalteme Klassen in die Geschichtsschreibung einzubeziehen -, desto deutlicher werden die „Spuren" (Derrida 1967/1994; Levinas 1999a) der subaltemen Vergangenheiten, die auf ein Jenseits dieser universalisierenden Geschichtsschreibung verweisen. Als Spuren lassen sich diese Vergangenheiten zwar erkennen, es fehlt jedoch eine angemessende Form des Erzahlens, um die Geschichte der Subaltemen gemaB der wissenschaftlichen Standards rational darstellen und verteidigen zu konnen (Chakrabarty 2000a: 110). Die Figur der Subalternen wird fur Theoretiker der Subaltern Studies zu einem Ausgangspunkt, von dem aus die postkoloniale Geschichtswissenschaft neu gedacht werden kann (Prakash 1994: 1489). Das Konzept der subaltemen Vergangenheiten verdeutlicht, dass hier nicht nur mehrere Geschichten nebeneinander existieren - etwa die Geschichten der Kolonialherren, der einheimischen Elite, der Frauen etc. -, sondem dass auch die Gegenwart durch ein Leben in vielen Welten und Zeiten (wie etwa der Zeit der Gotter) zugleich gekennzeichnet ist, die sich zum Teil jenseits der modemen Gmndkategorien Staat, Wissen und Macht verorten lassen (Chakrabarty 2000a: 112-113). Nach Prakash lassen sich schon in der britischen Kolonialherrschaft zwei gleichzeitig existierende, aber voneinander getrennte Zeiten unterscheiden: die Zeit der britischen Kolonialherren und die Zeit ihrer kolonialen Subjekte (1990: 8).^^ Allerdings werden diese beiden Zeiten 15 Vergleiche zu dieser charakteristischen Ungleichzeitigkeit der Kolonien auch Fabian (1983).
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6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus
nicht als gleichwertig empfunden, so dass das Ziel der kolonialen ebenso wie der nationalistischen Reformer eine Uberfiihrung der Zeit der Tradition in die Zeit der Modeme ist. Genau die fur den kolonialen Moment konstitutive „Heterotemporalitat" wird jedoch durch die universalisierenden und totalisierenden Praktiken der Sozial- und Geschichtswissenschaft ausgeblendet. Der Blick der westlichen Geschichtswissenschaft zeichnet ein homogenes Bild der kolonialen Vergangenheit wie auch der postkolonialen Gegenwart und verbirgt dadurch die fragmentarische Oder auch kosmopolitische Natur der Gegenwart, in der sich auch der postkoloniale sozialwissenschaftliche Beobachter bewegt (Chakrabarty 2000a: 239). Daher auch die folgende Frage Chakrabartys nach den Chancen einer kosmopolitischen Perspektive in der Geschichtswissenschaft, die solcher Art fragmentierte Realitaten nicht ablehnt, sondem anerkennt What would happen to our political imagination if we did not consider the state of being fragmentary and episodic as merely disabhng? If a totahzing mode of thinking is needed for us to imagine the state theoretically, what kind of political imagination and institutions could sustain themselves on the basis of a thought that joyously embraced the idea of the fragment? (2002: 36).
Die kosmopolitische Wendung, die mit der Konzentration auf den Typus der Subaltemen als vermittelte und unmogliche Figur verbunden ist, setzt das normative Prinzip der demokratischen Inklusion mit den konkurrierenden Prinzip der Anerkennung von Andersheit und Partikularitat in Beziehung. Dies beriihrt jedoch auch direkt die grundsatzliche methodologische Frage nach der Moglichkeit einer Epistemologie der Andersheit, die durch die ebenfalls diametralen Figuren der der Minderheiten beziehungsweise der Subaltemen symbolisiert wird. Die kosmopolitische Schliisselfrage der Subaltern Studies lautet daher, wie es moglich ist, zugleich aufmerksam gegeniiber subaltemen Vergangenheiten zu sein und diese anzuerkennen, „without seeking to reduce them to any overarching principle that speaks for an already given whole" (Chakrabarty 2000a: 107). Auch hier zeigen sich deutliche Parallelen zur postkolonialen Kritik des Orientalismus. Auch Saids Ziel war letztlich nicht so sehr die Korrektur der bislang verzerrten Wahrnehmung durch ein wahres Bild des Orients als vielmehr, die Konstitutionsprinzipien des Orientbilds und seiner Verbindungen zu hegemonialen politischen Herrschaftsstrukturen offen zu legen. Analog richten die Subaltern Studies ihren Fokus immer starker auf die Bedingungen der Konstitution und Verdrangung von Subaltemitat in kolonialen Diskursen, aber auch auf die allgegenwartigen „Paradoxien der Macht", die die Figur der Subaltemen in den Falten und an den Randem der konventionellen Geschichtsschreibung immer wieder auftauchen lasst, und sei es auch nur in der Gestalt charakteristischer Liicken oder blinder Flecke (Prakash 1994: 1480-1482).
6.3 Reflexivitat
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6.3 Reflexivitat Bin charakteristischer kosmopolitischer Umgang mit diesem postkolonialen Reprasentationsdilemma bedeutet auch hier einmal mehr, die eigenen sozialen Bedingungen mit in den Untersuchungsbereich einzubeziehen und sich dadurch selbst zu verorten (Chakrabarty 2000a: 239). Auch das bislang immer vorausgesetzte ethisch kosmopolitische Gebot der Anerkennung der Andersheit des Anderen muss in diesem Zusammenhang uberpruft werden und die Frage nach altemativen, nichtwestlichen Formen von Anerkennung gestellt werden. Gerade die postkolonialen Theoretiker konnen schlieBlich nicht unhinterfragt ein westlich gepragtes Bild des Menschen und seiner sozialen und politischen Existenz voraussetzen (Chakrabarty 1998b: 107-108). Die kosmopolitische Reflexivitat riickt hier den Umgang mit der eigenen ambivalenten Position im (post)kolonialen Kontext in den Mittelpunkt. Dabei steht die Anerkennung der Andersheit des Anderen stets vor dem Problem, dass sie in der Regel einen geteilten homogenen historischen oder sozialen Bezugsrahmen voraussetzt: „The sharing of equality is genuinely intended, but only so long as we start from a historically congruent space; the recognition of difference is genuinely felt, but on terms that do not represent the historical genealogies, often postcolonial, that constitute the partial cultures of the minority" (Bhabha 1996: 56). Genau diese im ethischen kosmopolitischen Prinzip der Anerkennung der Andersheit der Anderen vorausgesetzte Gleichheit oder Symmetric ist jedoch nur selten gegeben - dies gilt in besonderem MaBe ftir den (post)kolonialen Kontext: „The meaning of being an intellectual in settings that have denied access to literacy and encouraged other forms of communication in its place" (Gilroy 1993: 43) wird allgemein zur Schliisselfrage des postkolonial-kosmopolitischen Intellektuellen. Fine mogliche Reaktion auf diese unvermeidlichen und zugleich charakteristischen Probleme im Umgang mit der Andersheit der Subaltemen ist die Biographisierung: „The other side of this combative aspect of these scholar's work is its self-reflective, theoretically self-conscious dimension [... ] Nearly every essay in the collection [Selected Subaltern Studies, B.K.] makes direct reference or alludes to the sheer difficulty of gaining access to the sources of subaltern history" (Said 1988: vii). Der Rekurs auf die eigenen Biographien und Lebenswelten der Theoretiker der Subaltern Studies bildet ein wichtiges Korrektiv zur objektivistischen, rationalistischen und staatszentrierten Geschichtsschreibung westlicher Pragung. Diese eigene Position zwischen dem Diskurs der Wissenschaft und der gelebten Welt, in der auch Traditionen und Vergangenheiten weiterleben, beschreibt Chakrabarty in dem folgenden langeren Zitat: A large range of our pleasures, desires, emotions and understanding of what constitutes the social (including the family) have the religious built into them at least as collectively
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6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus practised rituals. How else could I—and here I deliberately speak autobiographically, as a male, Bengali, (Hindu) middle-class Marxist (of some kind!)—have emotional access to the human and other relations conjured up in (middle-class versions of) the Ramayana and the Mahabharata in 'medieval' Bengali literature about minor gods and goddesses, in Vaishnava stories and songs about Radha and Krishna, in the puranic legends about Durga and Kali, in the mystical songs of 'hauls' and 'fakirs' (2000b: 262, Hervorhebungen im Original).
Die Synthese zwischen universalistischen und partikularistischen Denkweisen findet hier ihren Ausdruck in der Bindung des postkolonialen Theoretikers an den analysierten und reprasentierten Gegenstand. Die partikularen Elemente wie zum Beispiel subalteme Wirklichkeiten werden dabei aber nicht verabsolutiert und als einzige Wahrheit konzeptualisiert, sondem bilden einen Teil der sozialen Welt, die dem westlich gepragten Sozialwissenschaftler nicht zuganglich ist, der Person des postkolonialen Intellektuellen jedoch zumindest ansatzweise schon. Wenn auch Phanomene wie die zentrale Stellung religioser Uberzeugungen nicht (geschichts)wissenschaftlich beobachtbar sind, so konnen sie dennoch von den Wissenschaftlern in ihrer konkreten alltaglichen Lebenspraxis erfahren werden. Zudem, und an diesem Punkt kann die subjektive Ebene selbst zum Ausgangspunkt wissenschaftlicher Theoriebildung werden, wird die koloniale Modeme gerade nicht nach dem idealtypischen Bild der Diffusion bestehender, fixierter und universeller Ideen des Modemen verstanden, sondem ist nur lokal in einer „verunreinigten" Form denkbar, worauf auch Bruce Robbins mit seinem Diktum „all universaHsms are dirty" (1999: 75) hinweist. Die Geschichte der indischen Modeme ist weder eine einfache Wiederholung oder Rekapitulation eines universellen geschichtlichen Ablaufes - des Zivilisationsprozesses - noch eine ganz andere und in alien Punkten autonome Entwicklung, sondem eine „schlechte Ubersetzung", die zudem von den Forschern selbst bewohnt wird. Sie befinden sich dabei jedoch in dem paradoxen Zustand, „that we are constantly called upon to believe in what only requires to be performed, to treat a bad translation as though it was a perfectly adequate one" (Chakrabarty 2000b: 268). 6.4 Schlussfolgerung Systematisiert man die in diesem Kapitel gewonnenen Erkenntnise zum postkolonialen Reprasentationsdilemma, so ergibt sich eine Stmktur, wie sie in Abbildung 6.2 dargestellt ist. Das Projekt der Subaltern Studies beginnt mit der empirischen Feststellung, dass subalteme Klassen und Gruppen in der indischen Geschichtsschreibung - ganz gleich ob es sich hierbei um die kolonial gepragte liberale Schule oder um die nationalistische Gegenbewegung geht - nicht als Akteure vorkommen (Kasten I in Abbildung 6.2). Als Ursachen dieser Exklusion sieht
6.4 Schlussfolgerung Empirie
251 Methodologie
Normativitat
Erweiterung der Geschichtsschreibung: Minderheitengeschichte (lla)
Subalteme fehlen in indischer Geschichtsschreibung: Eurozentrismus, Etatismus, Elitismus (I)
Einbeziehung der
N-H
subalternen Geschichte: Demokratisierung (Ilia)
f
f Transformation der
Anerkennung der
Geschichtsschreibung:
subalternen Andersheit:
Subalteme Vergangenheit (lib)
K-H
Inkommensurabilitat (lllb)
Abb. 6,2: Subaltern Studies und das postkoloniale Reprdsentationsdilemma die postkoloniale Kritik an der indischen Geschichtsschreibung die drei Verzerrungen durch Eurozentrismus, Etatismus und Elitismus. Der Eurozentrismus des geschichtswissenschafthchen BHcks nimmt Europa als theoretisches Subjekt von Geschichte an und kann allenfalls lokale Variationen oder Verzogerungen dieses universellen teleologischen Entwicklungsmodell feststellen. Subalteme Akteure erscheinen aus dieser Perspektive als Relikte, Uberbleibsel einer traditional gepragten Vergangenheit, die jedoch durch eine Modeme nach europaischem Vorbild abgelost wird. Damit verwandeln sich dann, so die europaisch gepragten Theorien, die subalternen Handelnde in rationale Biirgersubjekte, die dann auch von der geschichtswissenschafthchen Analyse erfasst werden konnen. Die zweite Verzerrung liegt in der Annahme, dass nur die mit nationalstaatlichen Arenen verbundene Politik fiir die Geschichtsschreibung relevant ist, wahrend alltagliche Praktiken - das was Beck (1993) mit dem Begriff „Subpolitik" bezeichnet - ausgeblendet werden. Zudem ist die indische Nation erst in dem Moment ein mogliches Subjekt der Geschichte geworden, in der sie sich in einen Nationalstaat verwandelt hat: erst mit der nationalstaatlichen Organisation beginnt die indische Geschichte. Aus diesen beiden Punkten entsteht dann die dritte Verzerrung des Elitismus. Sowohl die liberale Geschichtsschreibung der Kolonialherren als auch die nationalistische indische Perspektive kann nur die Eliten - koloniale wie auch einheimische - als Handelnde betrachten, wahrend die subalternen Klassen als amorphe Masse auftreten, die keinen eigenen politischen Willen besitzen, sondem allein durch die Elite manipuliert und mobilisiert werden kann.
252
6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus
Zu Beginn des Projekts der Subaltern Studies ist der Auftrag, der aus den drei Varianten der Verzerrung der indischen Geschichtsschreibung herausgelesen wird, noch eindeutig: nach einer neuen Methodologie der Geschichtsschreibung zu suchen, mit deren Hilfe dann die subalternen Klassen in die offizielle Geschichte Indiens einbezogen werden konnen. Die Historiker der Subaltern Studies zielen damit in der normativen Dimension auf eine Dekolonisation und Demokratisierung der Geschichtsschreibung (Kasten Ilia in Abbildung 6.2). Die (post)kolonialen subalternen Klassen sollen also urspriinglich auf ahnliche Weise in die Geschichte einbezogen werden, wie dies im Westen auch schon fiir die Bauern, Arbeiter oder Frauen durchgefuhrt wurde. Es geht dabei in methodologischer Hinsicht um eine Erweiterung des Rahmens der Historiographie (Kasten Ha in Abbildung 6.2). Die subalternen Klassen sollen nach dem Modell der Minderheitengeschichte in den Blick der Geschichtsschreibung geraten, wobei auf sie derselbe universalisierende Code angewendet wird, wie auf die anderen Minderheiten zuvor auch. Die Annahme, die hinter diesem Unterfangen steht, lautet, dass auch die Geschichte der subalternen Klassen wenigstens im Prinzip der objektivierenden und historisierenden Analyse durch die Geschichtsschreibung zuganglich ist und auch auf eine rationale Weise reprasentiert oder erzahlt werden kann. Genau diese beiden Annahmen treffen jedoch, zu diesem Ergebnis kommen die postkolonialen Theoretiker der Subaltern Studies im Verlauf ihrer Arbeiten, fiir die subalternen Klassen gerade nicht zu. Dieser fur den postkolonialen Kosmopolitismus grundlegende Widerspruch zeigt sich zum einen in der normativen Dimension. Wahrend die ursprlingliche Intention der postkolonialen Theoretiker darin liegt, die indische Nationalgeschichte durch die Einbeziehung der subalternen Akteure zu demokratisieren und auch die marginale Perspektive der subalternen Anderen darin zu reprasentieren, zeigt sich sehr bald, dass damit die konstituierende Andersheit der Subalternen aus dem Blick gerat. Das diametrale Modell liegt in einer unbedingten Anerkennung der Andersheit der subalternen Akteure, die dadurch jedoch inkommensurabel werden (Kasten Illb in Abbildung 6.2). Geht man jedoch in diesem Sinne davon aus, dass die Wirklichkeit der Subalternen kein vormodemes Relikt ist, sondem eine ganz andere Art, die (post)koloniale Modeme zu erfahren, dann stellt sich fiir die postkolonialen Historiker das Problem des Zugangs zu dieser Wirklichkeit. Es ist hier nicht mehr damit getan, die Reichweite der offiziellen groBen Erzahlung der indischen Geschichte auszudehnen, um auch diese Gruppe einbeziehen zu konnen, sondem der subalternen Andersheit lasst sich aus dieser Perspektive nur durch eine grundlegende Transformation der Geschichtsschreibung gerecht werden (Kasten lib in Abbildung 6.2). Nicht mehr die Einbeziehung von Minderheitengeschichten {minority histories) auf Grundlage eines universalistischen Codes kann also das Ziel des Projekts sein, sondem mit
6.4 Schlussfolgerung
253
dem Modell der subaltemen Vergangenheiten (subaltern pasts) soil gerade auf die Grenzen und blinde Flecke des historisierenden Ansatzes der Geschichtsschreibung westlicher Pragung verwiesen werden. Die subaltemen Klassen sind aus dieser Perspektive gar nicht mehr reale Subjekte, deren angemessene Reprasentation in der Geschichtsschreibung das Ziel ist (oder gar: sein kann), als viel mehr ein idealtypisches Symbol fiir das Jenseits der Geschichtswissenschaft. Das Projekt der Subaltern Studies beginnt mit der normativen Setzung des demokratischen Ideals der Einbeziehung von Minderheitenakteuren und schlieBt darin direkt an die Orientalismusdebatte an, denn hier wie dort wird kritisiert, dass der westliche oder koloniale Blick sich nicht fiir die Selbstbeschreibung der (post)kolonialen Anderen offnet, sondem dass die Identitat der Anderen stattdessen von westlichen oder v^estlich-gepragten Wissenschaftlem fremdkonstruiert wird. Die postkoloniale Kritik fordert dementsprechend auch, diesen Anderen ihre Stimme wiederzugeben, so dass sie sich auch in den modernen Diskursen wie der Geschichtswissenschaft selbst reprasentieren konnen. Daraus entsteht dann jedoch in Verbindung mit der methodologischen Wende des Projekts ein fiir kosmopolitische Theorien im postkolonialen sozialen Kontext charakteristisches Reprasentationsdilemma zwischen der Anerkennung als ganz Andere auf der einen Seite und der Einbeziehung in diese Diskurse vermittelt liber die fiir universalistisch gehaltenen westlichen Begriffe. Das reine Ideal der Inklusion zeigt sich hier also als nicht verwirklichbar, da es paradoxerweise zu den gegenteiligen Ergebnissen fiihrt: die Andersheit der subaltemen Anderen wird dadurch zum einen negiert statt anerkannt. Zum anderen beruht diese Inklusion selbst wieder auf einer Elitereprasentation der Subaltemen, die kaum auf die Selbstbeschreibungen der subaltemen Akteure eingehen kann. Aber trotz dieser methodologischen Unmoglichkeit einer demokratischen subaltemen Reprasentation und Inklusion kann dieses Ziel nicht aufgegeben werden und stellt wie vor das normative Ziel der engagierten Sozialwissenschaftler dar. Der kosmopoHtische Mittelweg liegt im Fall der Subaltern Studies - dies verbindet dieses Projekt auch mit unseren anderen beiden Fallstudien - zum einen darin, eine iibergeordnete Beobachterperspektive im Sinne der Metahistory (White 1973) einzunehmen, von der aus die Mechanismen und Implikationen der Historisierung untersucht werden konnen. Die Figur der Subaltemen dient dabei als epistemologisches Instrument, um einen Blick auf die Grenzen und sogar das Jenseits der Historisierung zu gewinnen. Die Ansatze des postkolonialen Kosmopolitismus, die sich in diesem Projekt entwickeln, bestehen auch hier zunachst darin, den postkolonialen sozialen Kontext in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu riicken und im Anschluss daran zu untersuchen, wie beide Pole - der universalistische Ansatz der Minderheitengeschichten und der partikularistische der subaltemen Ver-
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6 Auf dem Weg zu einem Neuen Kosmopolitismus
gangenheiten - in einem kosmopolitischen Sinne miteinander verbunden werden konnen, beziehungsweise wie sie strategisch eingesetzt werden konnen, um dem urspriinglichen normativen Ideal naher zu kommen. Dieser rudimentare postkoloniale Kosmopolitismus lasst sich auch hier nicht inhaltlich fixieren, sondem liegt in einem kontextsensitiven Changieren zwischen universalistischen und partikularistischen Prinzipien. Letztlich sind fur die postkolonialen Historiker beide Positionen gar nicht im Sinne eines Entweder-oders voneinander isolierbar, sondem bedingen einander. Die unzugangliche und vor allem nicht reprasentierbare Lebenswelt der Subaltemen ist das Ausgangsmaterial fiir die Historisierung nach westlichem Model, wahrend zugleich erst die Historisierung die „unmogliche" Figur der Subaltemen entstehen lasst, von der aus die Grenzen der Geschichtsschreibung in den Blick geraten. Daraus resultiert zudem ein Bild, das die postkoloniale Gegenwart als heterochronisch kennzeichnet, als Kreuzung der inkommensurablen aber sich zugleich jeweils voraussetzenden Zeiten der westlich gepragten, nationalstaatlichen Offentlichkeit auf der einen und der subaltemen Lebenswirklichkeit auf der anderen Seite.
7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich Das Ziel dieses abschlieBenden Kapitels ist vor allem, die drei theoretischen Fallstudien dieser Arbeit vergleichend zu analysieren und dadurch nicht nur die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von drei kosmopolitischen Entwurfen im postkolonialen sozialen Kontext festzustellen, sondem vor allem auch die charakteristischen Merkmale dieser Kosmopolitismen herauszuarbeiten, die mit ihrer Verortung im und ihrem Bezug auf den postkolonialen Kontext verbunden sind. Dem Zweck einer systematischen Darstellung der drei Theoriekomplexe dient das im 2. Kapitel gewonnenen Analyseschema (Tabelle 2.1). Die nun folgenden Abschnitte prasentieren in Bezug auf die jeweilige Dimension die Ergebnisse der drei Fallstudien, setzen sie miteinander in Beziehung und stellen in dieser Synopse vor allem die Besonderheiten des postkolonialen sozialen Kontexts heraus. 7.1 Definitionen Die erste Frage, die sich in einer vergleichenden Betrachtung von kosmopolitischen Theorien im postkolonialen sozialen Kontext stellt, lautet: Wie v^erden Idee und Ideengeschichte des Kosmopolitismus in den untersuchten theoretischen Zusammenhangen reflektiert und dargestellt? Welche Definitionen von Kosmopolitismus bilden jeweils den Ausgangspunkt fiir die Analysen der postkolonialen Theoretiker? Am deutlichsten bezieht sich Timothy Brennan auf die Tradition des kosmopolitischen Denkens, wenn er den negativen Kosmopolitismusbegriff von Gramsci iibemimmt. Aus dieser Perspektive beschreibt Kosmopolitismus eine vollstandige Entbettung aus den lokalen oder nationalen soziokulturellen Zusammenhangen; der Kosmopolit ist hier jemand, der sich allein der globalen Sphare und dem KoUektivsubjekt der Menschheit zugehorig fiihlt, Kreisen, in denen partikulare Unterschiede zwischen Nationen, Geschichten, Kulturen keine Rolle mehr spielen. Auf den postkolonialen sozialen Kontext bezogen, wird daraus der asthetizistische Idealtypus des freischwebenden Intellektuellen - dies zeigt das Beispiel der „kosmopolitischen Beriihmtheiten" -, der sich in einem negativen Sinne weder der Postkolonie noch dem Westen zugehorig fiihlt. Demzufolge fiihlt er sich auch nicht den widerstandischen Intellektuellen und Bewegungen der Dritten Welt solidarisch verpflichtet, sondern spielt ihren antikolonialen Kampf als naive Imitation ihrer ehemaligen europaischen Kolonialherren herab. Dieser negative Begriff des
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
Kosmopolitismus kniipft damit direkt an die im gesellschaftlichen Diskurs des Kosmopolitismus immer wieder vemehmbaren Kritiken des Kosmopolitismus als abstrakte, blutleere Ideologie an, deren Vorbilder sich bis ins 18. Jahrhundert zuriickverfolgen lassen. AUerdings ist es hier nicht die unpolitische Veraachlassigung nationaler oder patriotischer Pflichten, die dem kosmopolitischen Intellektuellen vorgeworfen wird, sondem seine Distanzierung von den antikolonialen Kampfen der Dritten Welt und damit letztlich seine Komplizenschaft mit dem neoliberalen und neokolonialen Projekt. Aber neben dieser negativen Variante beschreibt Brennan auch das positive Konzept eines internationalistischen Kosmopolitismus, der sich flir die Anerkennung und Emanzipation postkolonialer Anderer einsetzt. Wahrend der erste, negative Kosmopolitismus nach Brennan als po^^kolonial im engeren Sinne beschrieben werden kann, da er das Ende des Kolonialismus schlicht voraussetzt und in diesem „falschen Bewusstsein" das neue US-Imperium ideologisch stiitzt, ist der positive Kosmopolitismus antikolonial. Er richtet seinen Blick insbesondere auf die fortbestehenden Abhangigkeitsverhaltnisse zwischen dem Westen - hier vor allem in Gestalt der neuen US-Hegemonie und des neoliberalen globalen Kapitalismus - und den neuen Nationalstaaten der Dritten Welt. Das Ziel dieses Neuen Kosmopolitismus ist dementsprechend erne Kombination der internationalistischen solidarischen Haltung in der Beziehung zwischen den Staaten und der kosmopolitischen Offnung fUr die kulturell Anderen aus den ehemaligen Kolonien im Innern der westlichen Staaten. Dieser Begriff des internationalistischen Kosmopolitismus geht also nicht mehr wie der urspriingliche Kosmopolitismus (oder wie die Globalisierungstheorie) von einer Welt aus, sondem nimmt die Differenz zwischen postkolonialem Schein und neokolonialer Wirkhchkeit insbesondere in ihren normativen, methodologischen und empirischen Konsequenzen (siehe unten) als Ausgangspunkt. Analog zur empirisch beobachteten Spaltung der Welt, beschreibt dieser Neue Kosmopolitismus dann auch zwei gegensatzliche Versionen des Kosmopolitismus im postkolonialen sozialen und politischen Kontext. Wahrend Brennan Kosmopolitismus in erster Linie als Haltung versteht, die erst auf Grund ihrer kontextuellen Verortung negativ oder positiv bewertet werden kann, ist es in der kosmopolitischen Identitats- und Zugehorigkeitstheorie von Gilroy der Kontext selbst, der kosmopolitisch ist. Im Mittelpunkt steht hier der transnational Sozialraum der Schwarzen Diaspora, der eine Doppelverortung im jeweiligen lokalen Kontext (zum Beispiel USA, GroBbritannien, Deutschland) und in der globalen Dimension, die sich auf die gemeinsame transnationale Vergangenheit der Sklaverei bezieht, erlaubt. Die Schwarze Diaspora wird dabei zu einem beispielhaften Ort, an dem das urspriingliche kosmopolitische Ideal eines planetarischen Humanismus gelebt und theoretisch reflektiert werden kann. Dabei
7.1 Definitionen
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geht es jedoch nicht um eine Welt jenseits aller partikularen und lokalen Identitaten, wie sie der klassische ethische Kosmopolismus zeichnet, sondem um eine kosmopolitische Identitatspolitik, die universelle und partikulare Prinzipien in sich vereint. Dabei spielt hier die methodologische Dimension des Kosmopolitismus eine wichtigere Rolle als bei Brennan, denn wenn Kosmopolitismus eine neuartige Oder auch bloB neu entdeckte - Form von Vergemeinschaftung darstellt, so ist auch eine neuartige Methodologie der Sozialwissenschaft vonnoten, die Konzepte und Analysemethoden bereitstellt, um diese gesellschaftlichen Phanomene empirisch untersuchen zu konnen. In der dritten Fallstudie steht diese methodologische Dimension noch starker im Vordergrund: Kosmopolitismus bezeichnet fiir die Theoretiker der Subaltern Studies in erster Linie die Moglichkeit, universalistische und partikularistische Prinzipien der sozial- und geschichtswissenschaftlichen Methodologie zu kombinieren und dadurch einen Blick auf postkoloniale Lebensformen in heterogenen und marginalen Auspragungen der Modeme werfen zu konnen. Kosmopolitismus in seiner klassischen ethischen Bedeutung als Haltung des freischwebenden Weltbiirgers spielt hier dagegen kaum eine Rolle. Generell lasst sich die Theoriearbeit der Subaltern Studies nicht primar als Kritik des Kosmopolitismus oder kritische Neuformulierung des Kosmopolitismus verstehen wie die anderen beiden Fallstudien. Hier ist das Konzept des Kosmopolitismus kein theoretisches Untersuchungsobjekt, sondem wird erst spat als induktiv gewonnener Begriff auf die Schliisselthemen des Kollektivs angewendet. Einen Beitrag zur Erklarung der unterschiedlichen Definitionen des Kosmopolitismus und der jeweihgen Beziige zum gesellschaftlichen Diskurs des Kosmopohtismus liefert der Blick auf die soziale und poHtische (Selbst)verortung der Theorien und Theoretiker. Die erste Variante des Kosmopolitismus wird aus dem westlichen, US-amerikanischen akademischen und intellektuellen Kontext heraus formuliert, der auf der einen Seite Anzeichen einer zunehmenden inneren Kosmopolitisierung und Hybridisierung erkennen lasst - zum Beispiel in der Gestalt neuer akademischer Fachem wie der Postcolonial Cultural Studies oder der Black Cultural Studies. Auf der anderen Seite sieht sich dieser Kosmopolitismus jedoch gleichzeitig im Zentrum einer neuen hegemonialen oder neoimperialistischen Weltordnung und muss sich infolgedessen immer wieder seiner Beziehung zu dieser Weltordnung bewusst werden. Die zweite Variante entspringt ebenfalls dem westlichen akademischen Kontext (USA und GroBbritannien), wobei jedoch Gilroy immer wieder auf seine eigene soziale, kulturelle und politische Verortung in der von ihm beschriebenen globalen Diaspora der Schwarzen hinweist und entsprechend seine Theorie als spezifisch Schwarze Intervention versteht. Die Theoretiker der Subaltern Studies formulieren schlieBlich in Ansatzen einen mar-
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
ginalen Kosmopolitismus, der sich nicht nur auf den (post)kolonialen Kontext bezieht, sondem auch den sozialen Bedingungen einer ehemaligen Kolonie seine Existenz verdankt. Diese Variante ist geographisch wie auch ideengeschichtlich am weitesten von dem westlichen Diskurs des Kosmopolitismus entfemt - zugleich liegt sein spezifischer Beitrag fiir diesen Diskurs jedoch genau darin, dass er sich explizit mit dieser Distanz zum westlichen Denken auseinander setzt und auch in den Punkten, in denen westliche Gedanken iibemommen werden, dies keineswegs als selbstverstandlich versteht. Anders ausgedrlickt: die anderen beiden Theorien versuchen Kosmopolitismus in einem postkolonialen sozialen Kontext zu interpretieren - der Entwurf der indischen Theoretiker ist einer. 7.2 Alter und Neuer Kosmopolitismus Eng verbunden mit der jeweiligen Definition von Kosmopolitismus ist die Frage, ob sich die verwendeten Begriffe und Konzepte eher auf den alten oder den Neuen Kosmopolitismus beziehen, auf Kosmopolitismus als reines, abstraktes Ideal Oder als Praxis in einem gesellschaftlichen Kontext. Unsere erste Fallstudie zeigt zunachst einen deutlichen Bezug auf das klassische kosmopolitische Denken. Brennan geht von dem (Zerr)bild des Kosmopoliten als freischwebendes, unpolitisches Individuum aus, das sich seinen naheren wie entfemten sozialen Kreisen kaum verpflichtet flihlt. Diese Figur ist fiir Brennan jedoch kein Rtickblick auf die klassischen kosmopolitischen Theorien, sondem entspricht der gegenwartigen neoliberalen Ordnung, in der nationalstaatliche, aber auch kulturelle Unterschiede keine RoUe mehr spielen. Fiir Brennan ist der alte Kosmopolitismus keineswegs veraltet, sondem entspricht sogar noch mehr dem neoliberalen Zeitgeist als Neue oder intemationalistische kosmopolitische Ideen, die fUr ihn iiberwiegend mit der Russischen Revolution und der Kommunistischen Intemationale assoziiert und deshalb auch im westlichen Diskurs des Kosmopolitismus verdrangt werden. Der klassische Kosmopolitismus erscheint hier also in einem ausgesprochen negativen Licht, allerdings nicht deshalb - wie man es nach den Debatten des Neuen Kosmopolitismus vermuten wurde -, well er nur schwer zu realisieren ist, sondem gerade weil er so realistisch ist und den ideologischen Grundstrukturen der neoliberalen Weltordnung zu sehr entspricht. Anders als bei den meisten Theoretikem des Neuen Kosmopolitismus, ist es hier kein vorrangiges Ziel, das Ideal des Kosmopolitismus mit der gesellschaftlichen Realitat in Verbindung oder gar Ubereinstiimmung zu bringen, sondem genau diese Verbindung wird hier kritisch analysiert. Nicht der Entwurf eines neuen Kosmopolitismus steht hier also im Mittelpunkt, sondem vielmehr die Analyse bestehender alter und Neuer Kosmopolitismen in ihrem Bezug zum gesellschaftlichen Kontext des PostkoloniaHsmus.
7.2 Alter und Neuer Kosmopolitismus
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Auch in Gilroys kosmopolitischer Theorie geht es weniger um ein abstraktes kosmopolitisches Ideal als darum, den realen Kosmopolitismus der Schwarzen Diaspora mit neuen Konzepten, die sich fiir diesen Zweck besser eignen, zu erforschen. Kosmopolitismus ist auch in diesem Fall keine abstrakte Utopie einer universellen Weltblirgerschaft oder einer Ewigen Frieden verheiBenden Weltordnung, sondem die Aufgabe des kosmopolitischen Sozialwissenschaftlers liegt hier darin, bestehende gesellschaftliche kosmopolitische Phanomene besser wahrzunehmen. Dies legt auch hier die Bezeichnung „Neuer Kosmopolitismus" nahe, wie auch die Tatsache, dass Kosmopolitismus bei Gilroy nicht einseitig als Universalismus, Entgrenzung oder Distanzierung beschrieben wird, sondem als dialektische Kombination von einander widersprechenden Prinzipien wie zum Beispiel Rassismus und Antirassismus oder Lokalismus und Globalismus. Die dritte Fallstudie bezieht sich dagegen zunachst gar nicht auf den klassischen wie Neuen Diskurs des Kosmopolitismus. Trotzdem stoBen die Theoretiker der Subaltern Studies in ihrem demokratischen Projekt der Inklusion subaltemer Klassen auf Widerspriiche im Verhaltnis zwischen universalistischen und partikularistischen Prinzipien, wie sie fiir die Theoretiker des Neuen Kosmopolitismus charakteristisch sind. Mit diesen Problemen setzen sich die Theoretiker dann auseinander und suchen nach Moglichkeiten, beide Pole in methodologischer, aber auch normativer Hinsicht miteinander zu verbinden. Erst spat setzen Theoretiker wie Dipesh Chakrabarty dieses theoretische Projekt dann in Beziehung zum Diskurs des Neuen Kosmopolitismus. Wahrend Brennan also von einem tibergeordneten Beobachterstandort aus Bedingungen und Implikationen des klassischen Kosmopolitismus im postkolonialen Kontext untersucht und aus dieser Kritik einen intemationalistischen Neuen Kosmopolitismus entwickelt, der der gegenwartigen weltgesellschaftlichen Realitat normativ besser entsprechen soil, sind fiir Gilroy die transnational Wirklichkeit der Schwarzen Diaspora, aber auch der sozialwissenschaftliche und gesellschaftliche Diskurs des Antirassismus geeignete Fallbeispiele, um die Tragfahigkeit einer kosmopolitischen Perspektive im postkolonialen sozialen Kontext zu iiberprtifen. Bei den Theoretikem der Subaltern Studies kommt der klassische Diskurs des Kosmopolitismus zumindest explizit in ihren Arbeiten gar nicht vor, wahrend jedoch das Ergebnis ihrer theoretischen Uberlegungen von den Theoretikern des Neuen Kosmopolitismus, zum Teil aber auch von den Subaltern Studies-ThtoxoXikexn durchaus als Neuer Kosmopolitismus wahrgenommen wird.
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
7.3 Der Kosmopolit Die Verdopplung des Kosmopolitismus in Bezug auf das staatliche Binnen- und AuBenverhaltnis geht bei Brennan mit einer Verdopplung der Figur des Kosmopoliten einher, zum einen negativ als „kosmopolitische Beriihmtheit", die von partikularen Kreisen wie Nation oder Staat distanziert ist und ihren Standpunkt zwischen den „Welten" nutzt, um sowohl ihren postkolonialen Herkunftskontext als auch ihre neue westliche „Heimat" zu kritisieren - diese Figur des Kosmopoliten ist nicht uberall zu Hause, sondern nirgendwo. Das Gegenbeispiel ist zum anderen der antikoloniale Intellektuelle, der sich in internationalistischem Sinne fiir die materielle und intellektuelle Unabhangigkeit der neuen Nationalstaaten in der Dritten Welt einsetzt. Dieser Intemationalismus verbindet die universelle Solidaritat mit dem Prinzip der Anerkennung der Andersheit postkolonialer Anderer. Die negative Variante des Kosmopoliten schwebt iiber der gesellschaftlichen Realitat und nimmt fiir sich in Anspruch, die Wirklichkeit auch in der Postkolonie besser zu erkennen als die einheimischen nationalistischen Intellektuellen, wahrend die positive Variante sich dafur einsetzt, dass sich Westen und Dritte Welt gleichberechtigt begegnen konnen. Ganz ahnlich beschreibt auch Gilroy den Kosmopoliten, der bei ihm weitgehend identisch mit der Figur des reisenden Schwarzen Sympathisanten mit der sozialistischen Bewegung ist - haufig verweisen deshalb Brennan und Gilroy auch auf dieselben Personen wie zum Beispiel C. L. R. James oder W. E. B. Du Bois. Gilroys Kosmopoliten zeichnet jedoch aus, in seiner Biographic und in seinem politischen Engagement lokale und globale, aber auch Schwarze und allgemein menschliche Prinzipien verbinden zu konnen. Deswegen kann Gilroy dieses kosmopolitische Engagement an einigen Stellen auch als zuktinftige weltgesellschaftliche Norm im postkolonialen Moment beschreiben. Fraglich bleibt allerdings, inwiefem es gerechtfertigt ist, in diesem Fall wirklich von Modellhaftigkeit zu sprechen, da kaum alle Mitglieder der Schwarzen Diaspora - geschweige denn alle Menschen - in gleicher Weise einen entgrenzten, mobilen und kosmopolitischen Lebensstil fiihren konnen wie die genannten Intellektuellen. 7.4 Andersheit In einem engen Zusammenhang mit dem gerade behandelten Aspekt der Figur des Kosmopoliten steht die spiegelbildliche Frage, wer jeweils die Anderen sind, deren Anerkennung hier thematisiert wird. Bei Brennan sind es in erster Linie die antikolonialen und nationalistischen Bewegungen in der Dritten Welt, die sich gegen die neokoloniale Hegemonic der USA und des globalen Kapitalismus sowie
7.4 Andersheit
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gegen die ideologische Mittaterschaft des kosmopolitischen Denkens zur Wehr setzen. Auf dieser intemationalen Ebene geht es Brennan um die Voraussetzungen einer gleichberechtigten Begegnung zwischen Erster und Dritter Welt, wobei die spezifische Andersheit der postkolonialen Anderen nicht an westliche Universalien wie Globalisierung, Hybriditat oder Menschheit assimiliert werden soil, sondem in ihrer Partikularitat anzuerkennen ist, um als Ausgangspunkt fur die antikoloniale Emanzipation wirken zu konnen. Hier lasst sich auBerdem eine Uberlagerung von zwei bislang getrennten Konzepten von Andersheit beobachten, denn Brennans antikolonialen Anderen konnen sowohl hinsichtHch ihrer Herkunft aus den ehemaligen Kolonien als auch hinsichtlich ihrer soziaHstischen oder kommunistischen Weltanschauung als Andere gesehen werden. Den postkolonialen Kontext kennzeichnet demnach, dass sich in ihm politische und kulturelle Wahrnehmungen von Andersheit kreuzen oder vermischen, womit sich auch eine Theorie des Kosmopolitismus im postkolonialen sozialen Kontext auseinander setzen muss. Aber noch in einer weiteren Bedeutung ist Andersheit fiir diesen kosmopolitischen Ansatz relevant, da Brennan eine starkere Offnung der westHchen Nationalstaaten fiir postkoloniale Kulturen fordert, etwa in Gestalt einer Einbeziehung von antikolonialen und infolgedessen auch „doppelt-anderer" Literaturen in den westlichen Kanon. Bei Gilroy steht Andersheit in der biologistischen beziehungsweise spater zunehmend kulturalisierten Form „rassischer" Identitat und rassistischer Diskriminierung im Mittelpunkt der Analysen und stellt als extreme Auspragung von Andersheit einen wichtigen Testfall fiir die Tragfahigkeit kosmopoHtischer Haltungen und Theorien dar. Die Anderen sind hier nicht die Intellektuellen aus den ehemaligen Kolonien wie bei Brennan, sondem vor allem die Mitglieder der Schwarzen Diaspora. Eine Besonderheit liegt allerdings darin, dass sich Gilroy selbst auf Grund seiner Herkunft zumindest teilweise auch zu ihnen zahlt, so dass er im Wesentlichen eine Zwischenposition als Schwarzer Wissenschaftler einnimmt, von der aus sowohl die Reinheitsideale des WeiBen Nationalismus als auch die Diaspora des Black Atlantic Merkmale von Andersheit aufweisen. Seine eigene Person lasst sich also als Schnittpunkt zwischen einer westlichen Identitat und postkolonialer Andersheit lesen; er verkorpert damit exemplarisch die transnationale Verortung in der Schwarzen Diaspora. Aber Andersheit spielt auch in einem weiteren Sinne in diesem Theoriekomplex eine wichtige Rolle, denn ein Aspekt fiir die Konzeptualisiemng des kosmopolitischen Umgangs mit „Rasse" und „Rassismus" liegt darin, die Geschichte des westlichen Umgangs mit der (post)kolonialen Andersheit naher zu analysieren. Hier zeigt Gilroys Untersuchung der Auseinandersetzung der britischen Soziologie und der Cultural Studies mit dem Phanomen des ethnischen Nationalismus und neuen Rassismus in Europa und insbesondere in GroBbritannien, dass die Andersheit der (post)kolonialen
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
Einwanderer hier entweder als ein Problem der Schwarzen betrachtet wird - dies zeigt sich an dem Begriff ,JR.assenproblem" - , das mit verwaltungstechnischen und polizeilichen Mitteln gelost werden muss, um ein friedliches Zusammenleben von Schwarzen und WeiBen zu gewahrleisten. Oder aber „Rasse" und Rassismus werden in einem universalistischen Sinne als unproblematisch gesehen, als falsche Ideologien, die auch auf der Ebene der Ideen bekampft und schlieBlich durch eine „gute" farbenblinde Ideologie ersetzt werden konnen. Der kosmopolitische Blick von Gilroy, aber auch anderen Theoretikem der Black Cultural Studies sucht jedoch nach einem altemativen Weg, der weder rassistisch noch antirassistisch ist, „Rasse" weder als Problem noch als unproblematische Einbildung betrachtet. Gesucht ist damit eine Moglichkeit der Representation dieser Andersheit, die sie weder negiert und damit verbundene Ungerechtigkeiten ignoriert noch verabsolutiert und die rassistische Identitatspolitik bekraftigt. Auch in der dritten Fallstudie lasst sich diese fur den postkolonialen sozialen Kontext typische Verdopplung der Andersheit feststellen, denn die subaltemen Anderen, deren Anerkennung das Ziel der Theoretiker der Subaltern Studies ist, sind nicht allein von einer westlichen Position aus betrachtet subalteme Andere, sondem auch in Bezug auf die Elite in der Postkolonie. Obwohl die postkolonialen Theoretiker der Subaltern Studies global gesehen - und vor allem mit Blick auf das intemationale Wissenschaftssystem (Chakrabarty 1992: 101) - eine marginale Position einnehmen, sind die Subaltemen trotzdem noch Andere fur sie, deren Anerkennung ihr demokratisches Projekt erstrebt. Unsere drei Fallstudien machen damit deutlich, dass die Andersheit der Anderen in kosmopolitischen Theorien im postkolonialen sozialen Kontext nicht zwangslaufig von einem europaischen Oder westlichen Standort aus gedacht werden muss - sich also nicht zwangslaufig auf eine nicht-westliche Andersheit des Fremden beziehen muss -, sondern im Zusammenhang einer postkolonialen Hybridisierung des Westens und seiner ehemaligen Kolonien auch kulturelle, politische, ethnische, religiose oder soziale Andersheit im Inneren von Nationalstaaten oder von Kulturen beschreiben kann. Dariiber hinaus zeigen die Theorien aber auch die ungleiche Gewichtung europaischer und auBereuropaischer Andersheit, denn auch die Theoretiker aus den Postkolonien beschreiben Europa von ihrer eigenen hybriden Position aus nicht ausschlieBlich als Anderen, sondem als teils vertraut, teils anders. Ahnliches gilt auch fur ihren Blick auf den postkolonialen sozialen Kontext, der eine ebenso ambivalente Bewertung erfahrt.
7.5 Geltung
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7.5 Geltung Eng verwandt mit der Verortung der Andersheit der Anderen in den Postkolonien beziehungsweise in Europa ist die Frage nach dem jeweils behaupteten oder festgestellten Geltungsbereich des Kosmopolitismus oder danach, um wessen Universalien es geht. In unserer ersten Fallstudie ist genau dieser zumeist unreflektierte universelle Anspruch des Kosmopolitismus die Grundlage fiir seine negative normative Bewertung. Aus Brennans kritischer marxistischer Perspektive ist Kosmopolitismus nicht bloB eine Ideologie, die zur Unterstiitzung der neoliberalen Hegemonie beitragt, sondem wird im Wesentlichen als US-amerikanische Denkweise umgedeutet. Dadurch kann sie zu einem zentralen Bestandteil der Selbstbeschreibung des US-Empires werden. In einem positiven Licht erscheint der Kosmopolitismus bei Gilroy, der das kosmopolitische Denken nicht als politischen Anspruch einer universellen Nation versteht, sondern in einem transnationalen sozialen Kontext verortet. Dariiber hinaus nimmt der marginale Kosmopolitismus der Schwarzen Diaspora seinem Anspruch nach die zukiinftige Art, Identitat und Zugehorigkeit im postkolonialen Moment zu erfahren und zu theoretisieren, vorweg. Dagegen beschreiben die Theoretiker der Subaltern Studies ahnlich wie Brennan einen negativen westlichen Anspruch auf Universalisierung, hier in Gestalt der in der indischen Geschichtsschreibung verborgenen Gleichsetzung des europaischwestlichen Geschichtsverstandnisses mit einem universell-menschlichen Begriff von Geschichte uberhaupt. Auf der einen Seite ist Europa also das theoretische Subjekt auch der indischen Geschichte - durch ihre Vorannahmen lasst sich jede untersuchte Nationalgeschichte als Manifestation des universellen europaischen Modells lesen -, wahrend auf der anderen Seite genau dieses Denken in dem partikularen sozialen und geistesgeschichtlichen Kontext Europa verortet werden kann - genauer: in Hegels Geschichtsphilosophie. Ein moglicher kosmopolitischer Umgang mit diesem Geltungsanspruch besteht darin, Europa im postkolonialen Sinne als entgrenzt oder deterritorialisiert zu denken, so dass aus dieser Perspektive auch die indische Geschichte auf Grund ihrer kolonialen Einfliisse ein Teil der Geschichte Europas ist und umgekehrt geschichtliche Ereignisse in Europa zur indischen Geschichte gerechnet werden konnen. Alle hier behandelten Ansatze verbindet, dass die Kosmopolitismen im postkolonialen sozialen Kontext weder die vollstandige Aufgabe der mit Begriff en wie „Vemunft", „Demokratie" oder „Menschheit" verbundenen europaischen Geltungsanspriiche noch ihre unhinterfragte Ubemahme anstreben, sondem einen reflektierten Umgang damit. Es handelt sich hierbei also weder um eurozentrische Kosmopolitismen noch um antieuropaische Kosmopolitismen, sondem um
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
eine Art „dezentrierte Eurozentrismen" oder „Anti-Antieuropaismen". Die kosmopolitischen Theorien, die sich auf den postkolonialen sozialen Kontext berufen, kennzeichnet ihre doppelte Verortung in und zugleich auch auBerhalb Europas - ahnlich verhalt es sich mit den Geltungsansprtichen, die teils von innen beziehungsweise auf der Grundlage ihrer Anerkennung kritisiert werden, teils in einem strategischen Sinne bekraftigt werden, zum Beispiel um die Subalternen demokratisch inkludieren zu konnen. 7.6 Starke Eine weitere SchlUsselfrage des neuen kosmopolitischen Denkens befasst sich mit der Unterscheidung zwischen tiefen / starken und flachen / schwachen Kosmopolitismen, je nachdem, ob die kosmopolitische Orientierung als ausschlieBliche Identifikation mit den Belangen der Menschheit gedacht wird oder ob zudem auch noch Zugehorigkeiten zu partikularen Kreisen wie der Familie oder Nation eine RoUe spielen diirfen. Da Brennan seine Kritik vor allem auf das klassische Modell des ethischen Kosmopolitismus bezieht, kann er folglich auch nur zwischen einer absolut kosmopolitischen Haltung, die sich jenseits aller partikularen Bezuge befindet und keine Solidaritat mit diesen Kreisen mehr kennt, und einer ebenso absoluten intemationahstischen Haltung, in der die Andersheit Anderer anerkannt und der Widerstand der antikolonialen Bewegungen in der Dritten Welt unterstiitzt wird, unterscheiden. Entweder ein Intellektueller ist im negativen oder asthetischen Sinne Kosmopolit und distanziert oder aber er ist im positiven oder politischen Sinne Internationalist und weltlich - Abstufungen zwischen diesen Polen spielen jedoch kaum eine Rolle. Gilroys Schwarzer Kosmopolitismus lehnt dagegen diese dichotome Gegenliberstellung ab und beschreibt einen Kosmopolitismus, der sich jenseits von Unterscheidungen wie tief/flach verorten lasst. Das charakteristische Merkmal der Schwarzen Diaspora liegt ftir ihn gerade in der Moglichkeit, schwache und starke kosmopoHtische Zugehorigkeiten zu verbinden. Im Kontext des Black Atlantic kann gerade eine starke Identifikation mit dem lokalen Kontext und der partikularen Situation der Schwarzen zum Ausgangspunkt fiir die Entwicklung eines ebenso starken Kosmopolitismus werden. Beide Pole werden nicht als Nullsummenspiel gedacht, sondem als Steigerungsverhaltnis. Den Sozialwissenschaftlern der Subaltern Studies geht es ebenfalls um eine Kombination beider Extrema, denn weder die universalistische Einbeziehung noch die partikularistische Inkommensurabilitat sind fiir sie ein gangbarer Weg. Insgesamt ist festzustellen, dass die Unterscheidung zwischen starken und schwachen Kosmopolitismen im postkolonialen sozialen Kontext nur eine untergeordnete
7.7 Empirie
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Bedeutung besitzt, vor allem, well es hier nicht darum geht, eine realistische, lebbare Version des Kosmopolitismus zu begrlinden - was in den meisten Neuen Kosmopolitismen, besonders im philosophischen Sinne, als Synonym fiir einen abgeschwachten Universalismus gesehen wird. Die hier analysierten Kosmopolitismen sind bereits empirische Tatsachen, stark oder schwach. 7.7 Empirie Alle drei Fallstudien beschreiben Kosmopolitismus nicht nur als philosophisches Ideal der Zugehorigkeit zur Menschheit, sondem griinden in einer empirischen Diagnose der Realitat des Kosmopolitismus. In diesem Sinne tragen alle drei Theoriekomplexe zumindest Elemente des sozialwissenschaftlich-empirischen Kosmopolitismus in sich und treffen zeitdiagnostische Aussagen iiber den postkolonialen sozialen Kontext. Brennans Ausgangspunkt ist zum Beispiel die Feststellung, dass Globalisierung, Denationalisierung und Entgrenzung weit weniger fortgeschritten sind, als immer wieder behauptet wird. Stattdessen ist die Weltordnung nach wie vor von einer ungleichen Machtverteilung und der weiter fortbestehenden neokolonialen Ausbeutung gepragt. Der Globalismus - also die Annahme einer weitgehend grenzenlosen Welt, die von entbetteten, frei schwebenden Weltbiirgem bewohnt wird, die sich keinen partikularen Kreisen mehr zugehorig fiihlen - ist danach Zeichen eines „falschen Bewusstseins". Ein auf diesen Grundlagen aufbauender Kosmopolitismus ist fiir Brennan daher auch Bestandteil des ideologischen Uberbaus des Neoliberalismus. Dieses Denken verschleiert, dass nach wie vor politische Entscheidungen und okonomische Interessen die Internationale Verteilungsordnung regeln - und im tJbrigen auch Globalisierungs- und Entgrenzungsprozesse -, sowie dass sich die Entscheidungsfahigkeit immer starker in Form eines neuen kosmopolitischen Imperiums der USA konzentriert. Die gefahrliche Wirkung des Kosmopolitismus liegt gerade darin, diese politische Urheberschaft zu verdecken, indem er die Auflosung nationalstaatlicher Machtstrukturen unhinterfragt voraussetzt. GemaB den konstruktivistischen Grundlagen sieht Brennan in seiner Kritik des Kosmopolitismus die Hauptgefahr darin, dass die Vertiefung und Verbreitung des kosmopolitischen Denkens nur schwer zu trennen sind von der Vertiefung und Ausweitung des neoimperialistischen Herrschaftsanspruchs der USA. Im Gegensatz zu diesem negativen empirischen kosmopolitischen Kontext beschreibt Brennan die Reisen und Begegnungen von kommunistischen Aktivisten aus der Ersten und Dritten Welt im Rahmen der Kommunistischen Internationale als positiven sozialen Kontext, in dem Kosmopolitismus keine ideologische Untermauerung der hegemonialen Anspriiche des Neoliberalismus und NeokoloniaHsmus darstellt, sondem im Gegenteil neue Moglichkeiten einer intemationalen Solidaritat und der
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
Anerkennung antikolonialer Widerstandsbewegungen in den ehemaligen Kolonien schafft. Ahnliche Wesensziige besitzt die Schwarze Diaspora, in der sich, wie bereits erwahnt, zum Teil auch dieselben sozialistisch-kosmopolitischen Intellektuellen bewegen, die auch mit der Kommunistischen Internationale sympathisieren. Die Schwarze Diaspora des Black Atlantic steht hier flir einen real-existierenden, empirisch feststellbaren kosmopolitischen Lebensraum im postkolonialen sozialen Kontext, in dem Identitat und Zugehorigkeit weder ausschlieBHch und statisch, noch vollstandig aufgelost sind, sondem sich pluralisieren, inklusiv kombiniert werden konnen und bis zu einem bestimmten Grad auch individuellen affiliativen Entscheidungen zuganglich sind. Wahrend Brennan das kosmopolitische Bewusstsein vor allem als „falsches Bewusstsein" sieht, das ein illusionares, hyperglobahstisches Bild der Weltordnung zeichnet, wird nach Gikoy die Tauschung durch die nationalstaathchen Pramissen des Sozialen hervorgerufen, die zum Beispiel nach wie vor im Inneren von Nationalstaaten eine kulturelle Homogenitat behaupten - ein Anspruch, der gerade in Zusammenhang mit postkolonialen Staaten und hybriden Identitaten zunehmend fragwurdig geworden ist, was aber nicht bedeutet, dass dieser Anspruch auf kulturelle oder ethnische Reinheit nicht auf der politischen Akteursebene nach wie vor eine wichtige oder sogar wachsende RoUe spielen kann. Der empirische Schwerpunkt der dritten Fallstudie liegt auf der Perspektivverzerrung der indischen Geschichtswissenschaften, die durch ihre eurozentristischen, staatszentrierten und elitistischen Annahmen das Bild einer Vergangenheit Indiens zeichnet, die nahezu ausschheBlich von den kolonialen und nationalistischen Eliten gepragt wurde, wahrend die subaltemen Klassen in Wirklichkeit eine maBgebhche Rolle in der Geschichte des indischen Nationalismus spielten. Die postkolonialen Sozialwissenschaftler der Subaltern Studies weisen darauf hin, dass die empirische Situation im postkolonialen Kontext durch Heterotemporalitat, also die Gleichzeitigkeit verschiedener modemer und traditioneller Zeiten, gekennzeichnet ist. Neben der homogenen Zeit des Nationalstaats und der westlichen Geschichtswissenschaften existiert auch noch die andere Zeit der subalternen Bevolkerung. In den „Zeitknoten" der Gegenwart verbinden sich zahlreiche universale und partikulare, westliche und postkoloniale, elitare und subalteme Zeiten, deren Durchdringung mit kosmopolitischen Begriffen wie Hybriditat und Pluralisierung bezeichnet werden kann. Zu untersuchen, inwiefem diese verschiedenen Zeiten und Wirklichkeiten empirisch zusammenhangen, sowie diese „Zeitknoten" in ihren Ursachen und Implikationen soziale zu verorten, ist die zentrale Aufgabe einer kosmopolitischen Perspektive, die verdeutlicht, dass trotz dieser Vielfalt und der Anerkennung der Andersheit empirische Gemeinsamkeiten - oder eben „Knoten" - bestehen.
7.8 Normativitat
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In alien drei Fallstudien spielt also die empirisch-sozialwissenschaftliche Beschreibung und Analyse des postkolonialen Moments und insbesondere der darin wirksamen Perspektivverzerrungen - sei es in Richtung eines ubersteigerten oder postmodemen Globalismus und Hybridismus oder in die entgegengesetzte Richtung von Nationalstaatlichkeit, Reinheit und Homogenitat - eine zentrale RoUe. Die empirische Diagnose steht jedoch nicht fiir sich, sondem gibt entweder wie bei Brennan den Kontext ab, vor dessen Hintergrund dann kosmopolitische Haltungen und Ideen normativ bewertet werden konnen, oder ist der Ausgangspunkt fiir einen methodologischen Kosmopolitismus, durch den diese Verzerrungen korrigiert werden soUen. Die Beziehung zwischen der Empirie des Kosmopolitismus und den normativen oder methodologischen Dimensionen ist jedoch nicht unproblematisch, wie in vielen anderen, vor allem auf den westlichen Kontext bezogenen sozialwissenschaftlichen kosmopolitischen Ansatzen angenommen wird, sondem diese drei Dimensionen verursachen Spannungsfelder, die ein charakteristisches Merkmal des kosmopolitischen Denkens im postkolonialen sozialen Kontext darstellen. 7.8 Normativitat Von Anbeginn des philosophischen Diskurses des Kosmopolitismus spielen normative Prinzipien eine zentrale Rolle - wenn nicht sogar der Kosmopolitismus und die Zugehorigkeit zur Menschheit selbst als universelle Norm formuliert werden. So kennzeichnet die klassischen Kosmopolitismen, dass darin die Zugehorigkeit zur Menschheit beziehungsweise die kosmopolitische Weltordnung und das kosmopolitische Gastrecht von vomherein positiv gesetzt werden und eventuelle negative Nebenfolgen gar nicht erst in den Blick geraten. Auch in den drei untersuchten Fallstudien spielen normative Prinzipien eine wichtige Rolle, wenn auch mit unterschiedlicher Funktion. Brennan bewertet die urspriingliche kosmopolitische Ethik des Weltbiirgers grundsatzlich positiv; dies ist allerdings nur moglich, solange der politische Kontext unberiicksichtigt bleibt. Bezieht man den ethischen Kosmopolitismus jedoch auf die neokoloniale Weltordnung der Gegenwart, dann wird dieser zu einem negativen Prinzip, das Distanzierung und Verantwortungslosigkeit einer echten intemationalen Solidaritat zwischen Erster und Dritter Welt vorzieht. Dadurch wird auch die kosmopolitische Idee selbst zur Stiitze des neoliberalen Projekts. Dagegen erscheint die antikoloniale Solidaritat zwischen dem Westen und den ehemaligen Kolonien, die die kulturelle, aber auch politische Andersheit der Drittweltlander anerkennt und schiitzt, als positiv bewertete Ausgestaltung des kosmopolitischen Prinzips. Es ist hier also der jeweilige empirische soziale Kontext des Neokolonialismus oder des AntikoloniaHsmus, der determiniert, ob KosmopoHtismus eine negative oder positive Wertung erfahrt, wahrend die kosmo-
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politischen Ideen fur sich nur einen asthetischen Wert besitzen. Ahnliches gilt hier allerdings auch fiir den Antikolonialismus, der in seinem Bezug auf USA-kritische „Widerstandsstaaten" positiv bewertet wird, wenn er sich auf „Unterdruckungsstaaten" bezieht, jedoch negativ. Dies zeigt deutlich, dass fiir Brennan kosmopolitische Begriffe wie „Menschheit", „Entgrenzung" oder „Vermischung" nicht per se positive Werte darstellen, sondern dass ihre Bewertung den Bezug auf den politischen und sozialen Kontext voraussetzt. Fiir Gilroy liegt der Ausgangspunkt im normativen Gegensatz zwischen der kosmopolitischen Transzendenz partikularer Identitaten im Sinne einer umfassenden menschheitHchen Solidaritat und Zugehorigkeit und dem Konzept der Identitat, das sich in der Regel auf ebensolche partikulare Kreise beruft. Wahrend das klassische Konzept des Kosmopolitismus die Menschen bis hin zum universellen Begriff der Menschheit verbindet, teilen die Konzepte Identitat und Zugehorigkeit sie in kleinere Gruppen auf. Gilroys Neuer Kosmopolitismus will jedoch diese Dichotomic tiberwinden und die beiden Pole verbinden. So sind die Mitglieder der Schwarzen Diaspora auf der einen Seite in ihren gegenwartigen sozialen Kontexten, etwa in den USA oder in GroBbritannien, zu verorten, wahrend sie sich auf der anderen Seite auf ihre transnationale Geschichte von Sklaverei, Exil und Dislokation berufen und in diesem Sinne eine universelle Identitat annehmen konnen, die sich auf ein - mythisches oder reales - Konzept von Afrika bezieht. Auf der Grundlage der negativ bewerteten Geschichte der Sklaverei entsteht hier das positive Konzept der Schwarzen Diaspora. Zudem verbindet sich in der Schwarzen Diaspora-Identitat die Zugehorigkeit zur partikularen Schwarzen Kultur mit der Zugehorigkeit zur universalistischen Einheit der Menschheit. Aus dieser Perspektive wird die Schwarze Identitat zur idealtypischen Vorwegnahme zukiinftiger Modelle von Zugehorigkeit und Identitat im postkolonialen Moment, der sich nach Gilroy wesentlich durch kosmopolitische Durchdringungs- und Vermischungsprozesse auszeichnet. Die Dynamisierung, Verdopplung und Inklusivitat von menschheitlichen und lokalen sowie von transnationalen und verwurzelten Identitaten beschreibt Gilroy als positiven Wert. Zudem ermoglicht der Blick auf die empirische kosmopolitische Tradition der Schwarzen Diaspora eine starkere Anerkennung der Beitrage der Schwarzen Kultur zur Gestalt der westlichen Modeme, denn diese werden vorher kaum wahrgenommen, da die Schwarzen einseitig als Fremde und Andere der europaischen Modeme betrachtet wurden. Aber auch die Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Rasse" und des Rassismus weist normative Bestandteile auf. Auf der einen Seite wird das Konzept „rassischer" Identitat als fremdbestimmte Konstruktion oder Diskriminierung von Andersheit abgelehnt, wahrend jedoch ein selbstbestimmter Begriff der „Rasse" als Ausgangspunkt fiir emanzipatorische Bewegungen und als Instrument der Analyse
7.9 Methodologie
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rassistischer Unterdriickung positiv bewertet wird. Die Frage lautet hier also: Wie ist ein Kampf gegen den Rassismus moglich, der „Rasse" als widerstandische soziale und politische Selbstbeschreibung nicht mit zerstort, sondem die Andersheit der Schwarzen Anderen anerkennt. Denn kosmopolitische oder postkoloniale Begriffe wie „Hybridisierung" und „Universalismus" richten sich nicht nur gegen „Rasse" in ihrer negativen, diskriminierenden Bedeutung, sondem zerstoren zugleich auch den Ausgangspunkt fiir einen positiven Schwarzen Antirassismus und antikolonialen Widerstand. Das Ziel der Black Cultural Studies liegt deshalb in einer dialektischen Kombination partikularer und universaler Begriffe in kosmopolitischer Absicht. Sehr deutlich treten die normativen Grundlagen des Kosmopolitismus auch im Projekt der Subaltern Studies zu Tage, das ja als explizites Projekt der demokratischen Inklusion subalterner Klassen in die indische Geschichtsschreibung beginnt und zunachst das Ziel einer normativ guten Geschichtsschreibung (good history) verfolgt. Kritisiert wird aus dieser Perspektive vor allem der ausgepragte Elitebias in der indischen Geschichtsschreibung, der zur Folge hat, dass der Beitrag subalterner Akteure zur Geschichte der indischen Unabhangigkeit nicht sichtbar wird. Schnell stoBt das Unterfangen dann jedoch auf charakteristische postkolonialkosmopolitische Dilemmas zwischen der universalistischen Einbeziehung der subalternen Klassen nach dem Modell der Minderheitengeschichtsschreibung und der zur Inkommensurabilitat fuhrenden Anerkennung ihrer subalternen Andersheit. Ahnliche Ambivalenzen zeigen sich in Bezug auf das europaische intellektuelle Erbe in den indischen Sozial- und Geschichtswissenschaften, das zum einen als Eurozentrismus abgelehnt und kritisiert wird, zum anderen aber den normativen und methodologischen Ausgangspunkt fiir die Kritik des Eurozentrismus abgibt. Diese Widerspriiche sind es, die das Projekt der Subaltern Studies schlieBlich in Richtung einer vorsichtigen kosmopolitischen Verbindung von universalistischen und partikularistischen Prinzipien lenken. Die Figur der Subalternen wird dabei zum paradigmatischen Beispiel eines normativen Desiderats der Inklusion marginaler Klassen in die Gesellschaftsgeschichte, das jedoch auf Grund ihrer partikularen Andersheit ein streng genonmnen unmogliches und immer nur unvollstandiges Projekt bleibt. 7.9 Methodologie Ein weiteres zentrales Kennzeichen des Neuen Kosmopolitismus liegt darin, dass Kosmopolitismus weder ausschlieBlich als utopisches normatives Prinzip noch als analytischer Begriff fiir die empirische Vermischung unterschiedhcher Kulturen in den postkolonialen Weltstadten des Westens und der Dritten Welt verwendet wird, sondem auch zentrale methodologische Implikationen fiir die sozialwissenschaft-
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
liche Forschung beinhaltet. So finden wir in alien drei Fallstudien Verbindungen zwischen den kosmopolitischen Ideen und methodologischen tJberlegungen, vor allem in Gestalt der Frage, wie die Andersheit der Anderen oder die kosmopolitische Weltordnung erfahren, reprasentiert und analysiert werden kann. Brennan beschreibt einen negativen oder umgekehrten methodologischen Effekt, denn anders als zum Beispiel bei Ulrich Beck ist es hier nicht die nationalstaatliche, sondern die kosmopolitische Begrifflichkeit, die ein falsches Bild der Realitat entwirft; sie suggeriert mehr Hybriditat, Wahlmoglichkeiten, Auflosungserscheinungen und Unabhangigkeit zwischen ehemaligen Koloniallandern und Kolonien, als im postkolonialen Moment tatsachlich existieren. Aber noch in einer weiteren Hinsicht besitzt die methodologische Dimension in Brennans postkolonialen Kosmopolitismus eine Bedeutung. Der intemationalistische Kosmopolit im Westen kann sich namlich durch seine frei gewahlte, affiliative Entfremdung von seinem Heimatkontext - in Brennans Fall ist dies in erster Linie das Hochschulsystem der USA - soweit distanzieren, dass er eine iibergeordnete Beobachterposition einnehmen kann, von der aus er die Vielfalt in der durch die negative kosmopolitische Ideologic suggerierten Einheit sehen kann und in Verbindung damit auch die strategisch wichtigen Lucken der imperialen Macht. Diese kosmopolitische Beobachterposition steht auch im Mittelpunkt der beiden anderen kosmopolitischen Entwlirfe. So ist zum Beispiel Gilroys explizites Ziel ein umfassender kosmopolitischer Methodenwandel der Sozialwissenschaften, der auf der einen Seite vermeidet, Konzepte wie „Hybridisierung" zu verabsolutieren und damit ein nicht zutreffendes Bild der postkolonialen Realitat als Auflosung aller partikularen Zugehorigkeiten unterhalb der universellen Identitat als Mitglied der Menschheit zu vermitteln. Aber dieses Bild ist nicht nur empirisch problematisch, sondern hat auch erhebliche normative Nebenfolgen wie zum Beispiel, dass durch diese Abkehr von dem Begriff „Rasse" auch rassistische Unterdriickung und Diskriminierung nur noch schwierig nachgewiesen werden konnen. Auf der anderen Seite ist jedoch auch der entgegengesetzte Weg eines vormodernen Festhaltens an den Konzepten von „Rasse" und essentialisierten Identitaten keine gangbare Option fiir den kosmopolitischen Sozialwissenschaftler. Die methodologische Losung dieses Dilemmas liegt fiir Gilroy ahnlich wie auch fiir Brennan zunachst darin, einen iibergeordneten Beobachterstandort einzunehmen, von dem aus die mit den Konzepten „Rasse", Rassismus und Antirassismus verbundenen politischen Interessen und Implikationen - also der umfassende soziale und politische Kontext der „Rasseologien" oder „Rassenformationen" - analysiert werden konnen. Damit soil auch eine Repolitisierung der immer starker auf kulturelle (Un)vertragHchkeit bezogenen westlichen Rassendiskussion erreicht werden. Ziel ist, den Begriff der „Rasse" trotz seiner negativen normativen Kennzeichnung beizubehalten, um auf
7.9 Methodologie
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„Rasse" beruhende Diskriminierungen weiterhin erkennen zu konnen. Eine weitere Bedeutung der methodologischen Dimension in den Black Cultural Studies liegt darin, dass sie eine charakteristische epistemologische Position des Schwarzen double consciousness darstellt: Aus dieser Perspektive stehen die Schwarzen sowohl innerhalb als auch auBerhalb der westlichen Modeme und konnen deshalb einen sowohl vertrauten als auch distanzierten Blick auf ihren Kontext werfen. Der neue methodologische Grundbegriff der Diaspora erlaubt es, die neuen kosmopoHtischen Paradoxien einer mobilen oder pluralen Verwurzelung zu analysieren. KosmopoHtismus besitzt hier nicht nur als empirische Beschreibung der transnationalen Sozialraume der Schwarzen Diaspora eine Schlusselfunktion, sondern vor allem auch als Grundbegriff einer neuen postkolonialen und kosmopolitischen Soziologie. Auch im Projekt der Subaltern Studies spielt der methodologische KosmopoHtismus eine zentrale Rolle, wenn auch nur selten unter dieser Bezeichnung. Ausgehend von der Kritik an den systematischen Verzerrungen der indischen Geschichtsschreibung durch ihren Eurozentrismus, Staatszentrismus und Elitismus formulieren die postkolonialen Sozialwissenschaftler auch in diesem Fallbeispiel einen iibergeordneten Standort, von dem aus die politisch-institutionellen Grundlagen und Folgen dieser Verzerrungen beobachtbar werden. Der Eurozentrismus, der die liberale indische Geschichtsschreibung, aber auch die marxistische Kritik daran pragt, nimmt ein universelles Entwicklungsmodell von Geschichte an, das jeweils auf partikulare Kontexte ubertragen wird, ohne dass tiefgreifende Anderungen an dem Modell fur notwendig erachtet werden. Die auf diese Weise gewonnenen Beobachtungen der Geschichtswissenschaften werden zudem in den universellen Code des westlichen Geschichtsmodells ubertragen, so dass dadurch gerade die bezeichnende Andersheit der auBereuropaischen kolonialen Geschichte verleugnet wird. Aber auch das entgegengesetzte relativistische oder partikularistische Modell, das von einer grundsatzlichen Inkommensurabilitat geschichtlicher und kultureller Entwicklungen ausgeht und europaische Theorien als Ursache fiir eine eurozentristische Perspektivverzerrung ablehnt, kann die Wirklichkeit der postkolonialen Geschichte nicht erfassen. Die Staatszentriertheit der indischen Geschichte zeigt sich vor allem in der von Hegel unhinterfragt libernommenen Gleichsetzung von Geschichte und Nationalgeschichte, Kultur und Nationalkultur, Gesellschaft und Nationalgesellschaft. Auch diese Verzerrung pragt die kolonialen Archive und versperrt den Blick auf subnationale oder subpolitische Aktivitaten der subalternen Klassen, die sich jenseits der liberalen politischen Offentlichkeit abspielen. Zunachst verfolgt das Projekt der Subaltern Studies daher auch das naheliegende Ziel der Inklusion dieser fehlenden politischen Akteure in die indische Geschichtsschreibung nach dem Modell der westlichen Minderheitengeschichte - also im
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
Sinne einer Reform oder Erweiterung der Geschichtswissenschaft, die grundlegende Pramissen der Disziplin unangetastet lasst. Allerdings erfahrt in dieser Variante der Einbeziehung die charakteristische Andersheit der subaltemen Anderen keine echte Anerkennung, sondem wird an die bestehenden universellen Modelle und Prinzipien assimiliert und zudem wird hier nur eine fremdbestimmte Elitereprasentation der subaltemen Klassen durch eine andere, wohlwollendere ersetzt. Die Theoretiker der Subaltern Studies untersuchen daher auch ein diametrales Modell der „subalternen Vergangenheiten", das die Subaltemen nicht mehr als empirische politische Akteure beschreibt, sondern als methodologisch-epistemologische Figur, die die Unzuganglichkeit einer Geschichtsschreibung der Anderen symbolisiert und damit die Grenzen von Geschichtswissenschaft und Historisiemng - und allgemeiner von sozialwissenschaftlicher Erkenntnis des Anderen iiberhaupt - deutlich macht. Diese methodologisch partikularistische Perspektive auf die subaltemen Klassen macht aber wiedemm ihre Inklusion in die indische Geschichtsschreibung unmoglich und gerat dadurch in Konflikt mit den urspriinglichen normativen Prinzipien des Projekts. Aus dieser dilemmatischen Situation entsteht das Desiderat einer kosmopolitischen Position, von der aus auf der einen Seite das Verhaltnis von universaHstischen und partikularistischen Prinzipien und seine jeweiligen methodologischen, normativen und empirisch-analytischen Implikationen untersucht werden konnen, auf der anderen Seite aber auch im Sinne eines strategischen Eurozentrismus oder Universalismus das Projekt der Inklusion auf normativer Ebene weiter verfolgt werden kann. 7.10 Voluntarismus Der nachste zu betrachtende Aspekt setzt sich mit der Wahlbarkeit kosmopolitischer Haltungen im Sinne des ethischen Kosmopolitismus auseinander. Die urspriingliche Idee eines frei wahlbaren kosmopolitischen Lebens wurde von den Theoretikem des Neuen Kosmopolitismus zunehmend in Frage gestellt. Zum einen richten sie den Blick starker auf die Bedingungen, die erfullt sein miissen, um eine freie Wahl kosmopolitischer Haltungen iiberhaupt zu ermoglichen, und zum anderen weisen sie darauf hin, dass Phanomene der Kosmopolitisierung gesellschaftlicher Wirklichkeit im postkolonialen Moment auch durch erzwungene Entbettungen und Dislozierungen zustande kommen konnen - Sklaverei und Kolonialherrschaft sind zwei Beispiele dafiir. Flir Brennan hangen Wahl und Zwang des Kosmopolitismus zum einen eng zusammen, sind jedoch zum anderen auf Grund der von ihm diagnostizierten empirischen Spaltung der Welt auBerst ungleich verteilt. Wahrend die „kosmopolitischen Beriihmtheiten" dazu in der Lage sind, ihre postnationale kosmopolitische Identitat aufzubauen und dann als Markenzei-
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
Sinne einer Reform oder Erweiterung der Geschichtswissenschaft, die grundlegende Pramissen der Disziplin unangetastet lasst. Allerdings erfahrt in dieser Variante der Einbeziehung die charakteristische Andersheit der subaltemen Anderen keine echte Anerkennung, sondem wird an die bestehenden universellen Modelle und Prinzipien assimiliert und zudem wird hier nur eine fremdbestimmte Elitereprasentation der subaltemen Klassen durch eine andere, wohlwollendere ersetzt. Die Theoretiker der Subaltern Studies untersuchen daher auch ein diametrales Modell der „subalternen Vergangenheiten", das die Subaltemen nicht mehr als empirische politische Akteure beschreibt, sondern als methodologisch-epistemologische Figur, die die Unzuganglichkeit einer Geschichtsschreibung der Anderen symbolisiert und damit die Grenzen von Geschichtswissenschaft und Historisiemng - und allgemeiner von sozialwissenschaftlicher Erkenntnis des Anderen iiberhaupt - deutlich macht. Diese methodologisch partikularistische Perspektive auf die subaltemen Klassen macht aber wiedemm ihre Inklusion in die indische Geschichtsschreibung unmoglich und gerat dadurch in Konflikt mit den urspriinglichen normativen Prinzipien des Projekts. Aus dieser dilemmatischen Situation entsteht das Desiderat einer kosmopolitischen Position, von der aus auf der einen Seite das Verhaltnis von universaHstischen und partikularistischen Prinzipien und seine jeweiligen methodologischen, normativen und empirisch-analytischen Implikationen untersucht werden konnen, auf der anderen Seite aber auch im Sinne eines strategischen Eurozentrismus oder Universalismus das Projekt der Inklusion auf normativer Ebene weiter verfolgt werden kann. 7.10 Voluntarismus Der nachste zu betrachtende Aspekt setzt sich mit der Wahlbarkeit kosmopolitischer Haltungen im Sinne des ethischen Kosmopolitismus auseinander. Die urspriingliche Idee eines frei wahlbaren kosmopolitischen Lebens wurde von den Theoretikem des Neuen Kosmopolitismus zunehmend in Frage gestellt. Zum einen richten sie den Blick starker auf die Bedingungen, die erfullt sein miissen, um eine freie Wahl kosmopolitischer Haltungen iiberhaupt zu ermoglichen, und zum anderen weisen sie darauf hin, dass Phanomene der Kosmopolitisierung gesellschaftlicher Wirklichkeit im postkolonialen Moment auch durch erzwungene Entbettungen und Dislozierungen zustande kommen konnen - Sklaverei und Kolonialherrschaft sind zwei Beispiele dafiir. Flir Brennan hangen Wahl und Zwang des Kosmopolitismus zum einen eng zusammen, sind jedoch zum anderen auf Grund der von ihm diagnostizierten empirischen Spaltung der Welt auBerst ungleich verteilt. Wahrend die „kosmopolitischen Beriihmtheiten" dazu in der Lage sind, ihre postnationale kosmopolitische Identitat aufzubauen und dann als Markenzei-
7.10 Voluntarismus
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chen auf den westlichen Literaturmarkten gewinnbringend anzubieten, schwacht ebendiese Haltung die Position der antikolonialen Intelligenz in der Dritten Welt und schrankt ihren Entscheidungsspielraum ein. Fiir Brennan befinden sich beide Seiten, die postkoloniale und die antikoloniale, in einem Nullsummenspiel; die Gewinne der einen Seite sind die Verluste der anderen. Aber auf den westlichen Intellektuellen bezogen ist die positiv kosmopolitische oder intemationalistische Haltung auch bei Brennan eine affiliative Wahlmoglichkeit, was er unter Rtickgriff auf seine eigene Biographie verdeutlicht. Auch die Analyse der Schwarzen Diaspora zeigt einen ahnlichen Zusammenhang von Zwang und Wahl, allerdings auf der historischen Dimension. Hier stellen die erzwungene Dislozierung der afrikanischen Sklaven und die dabei entstandenen interkontinentalen Reiserouten der middle passage den Ausgangspunkt dar. Diese erzwungene Exilposition kann dann jedoch nach Gilroy in einen neuartigen positiven Moglichkeitsraum fiir einen reflexiven Umgang mit den Verbindungen zwischen lokalen und globalen Prinzipien verwandelt werden. Paradoxerweise sind es auch in der Gegenwart immer noch primar die alten Sklavenrouten, auf denen sich die Schwarze Kultur zwischen ihren lokalen Kontexten bewegt. Voluntarismus spielt bei Gilroy aber auch im Zusammenhang mit den Themen des Rassismus und Antirassismus eine RoUe. Zum einen diagnostiziert er in der postkolonialen Gegenwart eine zunehmende Pluralisierung und Wahlbarkeit von Zugehorigkeiten. Zum anderen ist diese Diagnose aber auch ein wichtiges Element der kosmopolitischen Antwort auf das Dilemma zwischen einem universalistischen Antirassismus, der Andersheit als „falsches Bewusstsein" negiert, und einem biologistischen Oder kulturalistischen Rassismus, der von essentiellen, statischen „rassischen" Merkmalen ausgeht. Die dialektische Aufhebung griindet hier im Begriff des strategischen Essentialismus als Versuch einer Vermittlung zwischen den beiden Polen des Universalismus und Partikularismus. Diese Strategic beruht ebenso wie Brennans gewahlter internationalistischer Kosmopolitismus auf einer affiliativen Entscheidung. Ahnliches lasst sich auch fiir das Projekt der Subaltern Studies feststellen, das ebenfalls auf einer affiliativen politischen Entscheidung der postkolonialen Sozialwissenschaftler fiir eine emanzipatorische Haltung beruht. Dies allein aus dem Grund, dass die Intellektuellen von den von ihnen reprasentierten und unterstiitzten subaltemen Klassen gerade in sozialer und kultureller Hinsicht so weit entfemt sind, dass es kaum noch Moglichkeiten einer filiativen Identifikation mit ihren Interessen und ihrer Wirklichkeit gibt. In alien drei Beispielen zeigt sich nicht nur ein komplexes Bild des Kosmopolitismus, der nicht allein die Entscheidung eines frei schwebenden Individuums darstellt, sondem auch Elemente des Zwangs beinhalten kann. Auch in den Fallen, in denen eine kosmopolitische Haltung tatsachhch
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
freie Entscheidung eines Individuums ist, wird dies in die kosmopolitische Theorie reflexiv einbezogen und im Zusammenhang mit dem postkolonialen sozialen Kontext betrachtet. Die voluntaristische Begriindung des Kosmopolitismus wird in Gestalt des kosmopolitischen Theoretikers oder Sozialwissenschaftlers Teil der Theorie oder Forschung. 7.11 Macht Von wesentlicher Bedeutung fUr die untersuchten Kosmopolitismen ist auch die Frage nach den jeweils zu Grunde liegenden Machtspielen und -positionen im postkolonialen Kontext. Anders als die klassischen ethischen Konzepte suggerieren, lasst sich Kosmopolitismus hier nicht mehr zwangslaufig als emanzipatorisches Konzept einstufen, sondem kann ganz im Gegenteil auch die sozialen und politischen Ungleichheiten und hegemonialen Machtstrukturen der Weltgesellschaft verstarken. So steckt ein zentraler Beitrag von Brennans Kritik zum sozialwissenschaftlichen Diskurs des Kosmopolitismus darin, dass er verdeutlicht, inwiefem und auf welche Weise auch eine ethische kosmopolitische Haltung als Ideologic des neoliberalen globalen Kapitalismus und des US-amerikanischen Imperiums wirken kann. Allerdings trifft dieses Argument nicht nur auf die Gegenwart zu, sondem auch die antiken Weltreiche haben ihre Machtanspriiche mit einer teils impliziten, teils expliziten kosmopolitischen Philosophic ideologisch untermauert. Aber nur die asthetische oder postkoloniale Variante des Kosmopolitismus lasst sich in dieser Sichtweise als Komplize des neuen Imperialismus beschreiben; dagegen ist der intemationahstische Kosmopolitismus der ehemaligen Kolonien gerade gegen diese Strukturen (neo)kolonialer Abhangigkeit gerichtet und daher eine widerstandische oder emanzipatorische Haltung. Problematisch ist fur Brennan jedoch, dass die kosmopolitische Methodologie mit Begriffen wie „Hybriditat" und „Globalitat" die Welt auf eine falsche Weise beschreibt, denn dies hat vor allem zur Folge, dass Komplizenschaft und emanzipatorische Wirkungen des Kosmopolitismus im postkolonialen sozialen Kontext nicht mehr eindeutig voneinander unterschieden werden konnen. Das wiederum fiihrt dazu, dass sich auch postkoloniale Theoretiker an dem ideologischen Projekt des Neoliberalismus beteiligen, sogar dann, wenn ihre urspriingliche Intention eine kritische, emanzipatorische oder antikoloniale gewesen ist. Auch in Gilroys Theorie finden wir eine ahnlich ungewollte Komplizenschaft. Hier ist es der universalistische Antirassismus, der dadurch, dass er die Andersheit der Schwarzen nicht anerkennt, sondern in universalistische Begriffe auflost, die rassistische Unterdrtickung und Diskriminierung trotz gegenteiliger Intentionen fortsetzt, anstatt sie zu beenden. Das Machtspiel des neuen Rassismus und An-
7.12 Institutionen
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tirassismus ist insbesondere durch das charakteristische Merkmal gepragt, dass Gegner des Antirassismus sich auf beiden Seiten wiederfinden - die einen, weil sie ein auf Reinheit und Homogenitat beruhendes Bild der Nation verteidigen wollen, die anderen, weil mit dem Konzept der „Rasse" nicht nur eine potentielle positive Identitatsgrundlage zerstort wird, sondern auch die Chance, rassistische Unterdriickungen zu benennen und zu analysieren. Die emanzipatorische Perspektive entsteht hier aus einer doppelten Negation von Rassismus und Antirassismus und beschreibt eine Haltung, in der die „rassische" Andersheit der Schwarzen in einem strategischen Sinne anerkannt, aber nicht verabsolutiert oder gar essentialisiert wird. Ein analoger Zusammenhang zeigte sich auch in der Fallstudie zum Projekt der Subaltern Studies, denn auch hier ist die urspriingliche Intention der Inklusion der subaltemen Klassen oder der intellektuellen Entkolonisierung zwar eine emanzipatorische, droht dann jedoch, genau das Gegenteil zu bewirken - die Essentialisierung der subaltemen Anderen verhindert ihre demokratische Einbeziehung; die Verwerfung aller eurozentrischen Theorien zerstort den eigenen kritischen theoretischen Standort -, so dass auch hier eine doppelte Negation notwendig wird, die zur Grundlage eines neuen, strategischen Begriffs des Kosmopolitismus wird. Damit lasst sich in alien drei Beispielen eine charakteristische Uneindeutigkeit des kosmopolitischen Machtspiels feststellen, in dem emanzipatorische und hegemoniale Implikationen haufig erst nach Beriicksichtigung des jeweiligen Kontexts und insbesondere des Spannungsfeldes zwischen den empirischen, methodologischen und normativen Dimensionen erkennbar werden. Kosmopolitismus an sich bedeutet dagegen weder Emanzipation noch Hegemonic. 7.12 Institutionen In unserer taxonomisch-genealogischen Darstellung der klassischen kosmopolitischen Theorien haben wir zwischen individuell-ethischen und politisch-rechtlichen Varianten des Kosmopolitismus unterschieden. Wahrend die erste Form eine situativ ermoglichte Haltung eines Individuums beschreibt, ist Kosmopolitismus in der zweiten Erscheinungsform ein iiberindividuelles, institutionell auf Dauer gestelltes - also gesellschaftliches - Ordnungsmuster, das die fehlende kosmopolitische Haltung der Menschen, Staaten oder Organisationen zu korrigieren versucht. Bei Brennan treffen diese beiden Bedeutungen immer wieder aufeinander, denn zum einen manifestiert sich Kosmopolitismus in Gestalt der postkolonialen Autoren, die sich zumindest zum Teil bewusst fiir eine Position zwischen dem Westen und seinen ehemaligen Kolonien entscheiden. Zum anderen steckt dahinter aber auch noch die Annahme einer negativen institutionalisierten kosmopolitischen Weltord-
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
nung, die weitgehend identisch mit dem neuen universalistischen US-Empire ist. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Perspektiven besteht darin, dass die individuellen kosmopolitischen Akteure und Theoretiker das Bild einer neoliberalen Weltordnung verfestigen und auf diese Weise letztlich auch, ohne dies zu wollen, an seiner Realisiemng mitarbeiten. Auch in dem Konzept der Schwarzen Diaspora begegnen sich der individualistische und der institutionalistische Blickwinkel auf den Kosmopolitismus, da der transnationale Raum des Black Atlantic sowohl eine unbeabsichtigte Nebenfolge der historischen Institution des Sklavenhandels und der dahinter stehenden nationalen und okonomischen Interessen ist, als auch im Wesentlichen auf der gegenwartigen MobiHtat der Schwarzen Diaspora-Intellektuellen (Theoretiker, PoHtiker, Sportier und Kiinstler) basiert, die in ihren Bewegungen die zahlreichen lokalen Standorte und Kulturen der Schwarzen Diaspora miteinander vemetzen und auf diese Weise universaHstische und partikularistische Prinzipien miteinander verbinden. Die Vergangenheit der Schwarzen Diaspora lasst sich also als erzwungene institutionelle Ordnung bezeichnen, ihre Gegenwart dagegen als individualistischer „KosmopoHtismus von unten" (Falk 1996: 58). Im Falle des Rassismus verkorpem dagegen gerade die sozialen Institutionen - darunter auch die Sozialwissenschaften - das paradoxe Prinzip des „antirassistischen Rassismus", wahrend die kosmopolitische Antwort darauf in der individuellen Entscheidung fiir einen strategischen Essentialismus liegt. Ein „Kosmopolitismus gegen Institutionen" ganz ahnlicher Art liegt auch dem Beispiel der Subaltern Studies zu Grunde, deren emanzipatorisches Projekt sich explizit gegen die in der kolonialen Vergangenheit wurzelnden institutionellen Verzerrungen (Eurozentrismus, Staatszentrismus, Elitismus) in der indischen Geschichtswissenschaft wehrt. 7.13 Reflexivitat Eine weitere wichtige Frage ist, ob sich Kosmopolitismus auf alltagliche, „banale" und womoglich sogar weitgehend unbemerkte Alltagsprozesse bezieht oder ob auch ein entsprechendes reflexives Weltbewusstsein entsteht, das bewusst das „Kosmopolitisch-Werden" der Weltordnung beschreibt. Flir Brennan ist der ethische Kosmopolitismus ein solches Weltbewusstsein - allerdings mit der Pointe, dass gerade dieses Weltbewusstsein ein „falsches Bewusstsein" darstellt, das eine GleichmaBigkeit und Globalitat der Welt vorspiegelt, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist. Normative Probleme werden vor allem dadurch ausgelost, dass die weltgesellschaftliche Entwicklung diesem gefahrlichen Weltbewusstsein folgt und sich auf diese Weise die neoimperialistischen Herrschaftsstrukturen weiter vertiefen.
7.14 Verortung
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Ein ahnliches Argument findet sich auch bei Gilroy, denn auch hier suggeriert der kosmopolitische Begriff des Hybridismus ein Ende jeglicher partikularer Identitatspolitik. Zugleich zeichnet aber auch die nationalistische Perspektive, die von einer maximalen intemen kulturellen und ethnischen Homogenitat und einer maximalen Differenz im AuBenverhaltnis ausgeht, ein falsches Bild der sozialen Realitat im postkolonialen Moment. Insofem geht es bei Gilroys kosmopolitischer Begrifflichkeit auch darum, die Wirklichkeit der transnationalen Schwarzen Diaspora sowie die Beitrage dieser Schwarzen Kultur zur westlichen Modeme bewusst zu machen. Bei den Theoretikem der Subaltern Studies wird die Reflexivitat dagegen gerade zum Problem, denn der Idealtypus der Subaltemen verweist auf die vorreflexive, praktische Alltagswirklichkeit, zu der die westlich beeinflussten Theoretiker selbst keinen Zugang haben. 7.14 Verortung Der Gedanke der Verortung spielt in den Neuen Kosmopolitismen eine zentrale Rolle, denn er signalisiert einen im Vergleich zu den klassischen universaHstischen Kosmopolitismen gestiegenen Realismus. Doch wahrend sich die Theoretiker des Neuen Kosmopolitismus in der Regel auf die Verortung der kosmopolitischen Idee - also zum Beispiel der Verbindung universalistischer Prinzipien mit lokalen Besonderheiten - beschranken, wird in den kosmopolitischen Theorien, die sich auf den postkolonialen sozialen Kontext beziehen, auch der Ausgangspunkt der eigenen Theorie und haufig auch der Theoretiker selbst in sozialer Hinsicht verortet. Wie bereits an mehreren Stellen betont wurde, hat fiir Brennan die Verortung des kosmopoHtischen Denkens im postkolonialen sozialen Kontext einen wesentlichen Einfluss auf die normative Bewertung des Kosmopolitismus. Im Fall der „kosmopolitischen Beriihmtheiten", die sich im Zwischenraum oder Niemandsland zwischen Westen und (Post)kolonie verorten, handelt es sich um einen negativ bewerteten post- oder neokolonialen Kosmopolitismus, der sich gegen die antikolonialen und nationalistischen Widerstandsbewegungen der Dritten Welt wendet und eine kulturell hybridisierte und vollstandig entgrenzte Realitat beschreibt, die dem neoliberalen Ideal entspricht. Dagegen wird ein internationahstischer Kosmopolitismus, der sich auf die Ideen der Kommunistischen Internationale beruft, positiv bewertet. Dieser antikoloniale Kosmopolitismus kann dabei sowohl filiativ in der Dritten Welt als auch affiliativ im Westen verortet sein. Der Fokus auf die Verortung im geopolitischen Kontext des neuen US-Imperialismus fiihrt dariiber hinaus dazu, dass das kosmopolitische Denken im AuBenverhaltnis abgelehnt wird, wahrend es im Binnenverhaltnis als Offnung fiir die Andersheit postkolonialer Anderer beftirwortet wird. Ein Beispiel fiir die filiative Variante ist Edward Saids
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
Kampf fiir die palastinensische Unabhangigkeitsbewegung (Said 1979, 1981) und fiir die affiliative Variante Timothy Brennans ^midwestern internationalism'' (Brennan 1996: 184). Der intemationalistische Kritiker kann demnach seine Kritik auch aus dem Inneren des von ihm kritisierten hegemonialen Zusammenhangs auBem und ist sogar dazu verpflichtet, seinen eigenen privilegierten Standort dafiir zu nutzen. Auch in Gilroys postkolonialem KosmopoHtismus spielt Verortung eine Schliisselrolle. Hier ist es vor allem der Kontext der Schwarzen Diaspora, der eine kosmopolitische Kombination aus Verortung und Freischweben, aus roots und routes ermoglicht. Aber auch die Selbstverortung ist hier von Bedeutung, denn Gilroy versteht seinen kosmopolitischen Entwurf explizit als Schwarze Intervention und Begrtindung eines Schwarzen Anti-Antirassismus. Anders als bei Brennan sind hier also auch Elemente einer filiativen Verortung zu entdecken, denn Gilroy bezieht sich immer wieder auf den sozialen Kontext der Schwarzen Diaspora als seinen eigenen Kontext. Im Fall der Subaltern Studies geht die filiative Selbstverortung jedoch noch weiter. So verstehen die Sozialwissenschaftler ihr Projekt als postkoloniale Kritik, die sich sowohl im Kontext der europaischen Sozialwissenschaften verortet als auch im postkolonialen indischen Alltag. Das Dilemma der Reprasentation der subaltemen Anderen wird von ihnen vor allem durch eine Biographisierung ihres Projekts gelost: Sie selbst besitzen als westlich gepragte Wissenschaftler den objektivierenden, rationalistischen Blick, der fiir das demokratische Projekt der Inklusion der Subaltemen notwendig ist. Dariiber hinaus besitzen sie jedoch als indische insider zudem den notwendigen kulturellen Hintergrund, um sich den Subaltemen nahem zu konnen. Die Theoretiker verkorpem damit also selbst eine hybride Identitat im kosmopolitischen Sinne und demonstrieren in ihrer eigenen Biographic die von ihnen beschriebene Moglichkeit, in mehreren Zeiten und Welten gleichzeitig zu leben. Auf Grund ihrer privilegierten sozialen Position und Mobilitat sind sie allerdings immer noch so weit von den subaltemen Klassen distanziert — Oder gar isoliert —, dass auch in diesem Fall eine affiliative Entscheidung als Ausgangspunkt ihres Engagements zu sehen ist. 7.15 Kritik Seit ihrem Beginn lassen sich kosmopolitische Theorien immer auch als kritische Theorien verstehen, die eine mogliche Uberwindung partikularer Denkweisen wie des Nationalismus, Ethnizismus oder Rassismus beschreiben. Den Diskurs des Neuen KosmopoHtismus kennzeichnet dagegen, dass darin nicht nur konkurrierende normative Orientiemngen wie der Universalismus oder Partikularismus
7.15 Kritik
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kritisiert werden, sondem zudem auch kosmopolitische Ideen selbst: Der Neue Kosmopolitismus ist also auch ein selbstkritischer Kosmopolitismus. Besonders deutlich wird dies bei Brennan, dessen Ausgangspunkt die marxistische Kritik des kosmopolitischen Denkens in seinem Bezug auf den postkolonialen sozialen Kontext ist. Wahrend die postkolonialen Theoretiker und insbesondere die „kosmopolitischen Beruhmtheiten" nationalistische Bewegungen in ihren ehemaligen Heimatlandem in der Dritten Welt kritisieren, richtet sich der antikoloniale Oder intemationalistische Kosmopolitismus vor allem gegen die fortbestehende neokoloniale Ausbeutung sowie gegen die kosmopolitische Ideologic, die das neoimperialistische System der US-Hegemonie stlitzt. Aber Brennans Kritik ist keine nationalistische oder gar postmodeme Kritik des Kosmopolitismus, sondem eine dezidiert kosmopolitische Kritik. Das Ziel liegt nicht darin, die kosmopolitische Idee zu diskreditieren oder zu zerstoren, sondem im Gegenteil darin, sie durch eine starkere Beriicksichtigung ihres Kontexts zu retten. Die kosmopolitische Kritik ist also als Versuch der Begriindung eines internationalistischen Kosmopolitismus zu verstehen, der seinen eigenen universalistischen Ansprlichen besser gerecht wird als der klassische Kosmopolitismus. Fiir Brennan kommt dementsprechend auch der Feind der kosmopolitischen Ideen nicht von auBen etwa in der Gestalt des NationaHsmus oder Patriotismus. Hier ist der postkoloniale und postnationale Kosmopolitismus selbst der groBte Gegner des kosmopolitischen Ideals, da er durch seine Komplizenschaft mit der neoliberalen Ideologic dazu beitragt, dass dieses Ideal einer universellen Weltbiirgerschaft dadurch immer weiter in die Feme riickt. Der Bedeutungsgewinn des kosmopolitischen Denkens im postkolonialen Moment bedroht demnach die Grundlagen fiir eine echte kosmopolitische Anerkennung und Solidaritat zwischen Erster und Dritter Welt. Auch Gilroy versteht Kosmopolitismus als kritische Theorie, und zwar von „Rasse" und Rassismus, die sich von den beiden diametralen Gefahren einer universalistischen Leugnung „rassischer" Differenz und ihrer politischen Wirksamkeit auf der einen und der chauvinistischen nationalistischen Essentialisierung „rassischer" Unterschiede auf der anderen Seite abgrenzt. Auch Gilroy verbindet mit den kosmopolitischen Begriffen der Diaspora oder Hybriditat die Gefahr, dass diese zu Dogmen erstarren. Kosmopolitismus ist hier also als dynamische Kritik zu verstehen, die sich gegen erstarrte Begriffe wendet. Auch hier geht es damit um eine Metaposition, von der aus nicht nur „Rasse" und Rassismus analysiert werden konnen, sondem auch der wissenschaftliche Umgang damit sowie seine Folgen. Die Subaltern Studies-ThQoxtiikQx kritisieren in der ersten Linie die bestehende koloniale Pragung der indischen Geschichtsschreibung; wie in den beiden anderen Fallstudien ist aber auch ihre Kritik nicht in einem vemichtenden Sinne gemeint, sondern als rettende Kritik, die sich immer wieder auf sich selbst bezieht, um die
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7 Postkoloniale Kosmopolitismen im Vergleich
(bisweilen selbst eurozentrischen) Gmndlagen fiir ihre postkoloniale Kritik des Eurozentrismus zu bewahren.
8 Fazit In den drei untersuchten Fallstudien konnte also unsere These einer charakteristischen Grundstruktur des Kosmopolitismus im sozialen Kontext des Postkolonialismus, in der sich die drei Dimensionen der Methodologie, Empirie und Normativitat in einem Spannungsverhaltnis befinden, bestatigt werden. Es zeigte sich, dass mit dem Kosmopolitismus in diesem Kontext eine bestinmite Haltung des Theoretikers oder Sozialwissenschaftlers verbunden ist, in der sich diese drei Dimensionen nicht mehr eindeutig voneinander trennen lassen - so bestimmt bei Brennan die empirische Diagnose des Postkolonialismus die normative Bewertung der Kosmopolitismen, bei Gilroy lauft das urspriingUche normative Ziel des Antirassismus Gefahr, den notwendigen methodologischen Ausgangspunkt fiir die Analyse rassistischer Unterdriickung zu zerstoren und auch unsere Fallstudie zu den Subaltern Studies zeigte einen Widerspruch zwischen dem methodologischen Konzept der Subaltemitat als Symbol fiir die Grenzen von Historisierung auf der einen und der normativen Intention einer demokratischen Einbeziehung der subaltemen Klassen auf der anderen Seite. Anders als es die traditionellen westlichen Theorien des Kosmopolitismus zumeist annehmen, lasst sich also in Bezug auf den postkolonialen sozialen Kontext keine direkte Korrespondenz zwischen der empirisch-analytischen, der methodologischen und der normativen Dimension des Kosmopolitismus feststellen. Stattdessen kann zum Beispiel eine kosmopolitische Methodologie in bestimmten empirischen sozialen Kontexten aus normativer Perspektive auch als antikosmopolitisch wahrgenommen werden. An mehreren Stellen sind wir dabei auf das Phanomen gestoBen, dass Kosmopolitismus streng genommen eine unmogliche Haltung darstellt. Den Neuen Kosmopolitismus zeichnet jedoch aus, dass die Theoretiker sich trotzdem fiir diese Haltung entscheiden und versuchen, auf strategische Weise ihre kosmopolitischen Ziele zu erreichen. Dieser strategische Aspekt kann dazu flihren, dass teilweise dem Kosmopolitismus genau entgegengesetzte Haltungen vertreten werden wie etwa ein strategischer Essentialismus oder Anti-Antirassismus. Damit lasst sich Becks Bemerkung „Ein Optimist des kosmopolitischen Blicks kann sehr wohl ein Pessimist der kosmopolitischen Mission sein" (2004a: 71) hier auch umdrehen, denn die untersuchten Theoretiker und Theorien des Kosmopolitismus im postkolonialen sozialen Kontext sind haufig Pessimisten des kosmopolitischen Blicks, aber Optimisten, was ihre kosmopolitische Mission betrifft.
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8 Fazit
Deutlich wurde zudem, dass wir es niemals mit reinen und abstrakten kosmopolitischen Ideen oder Theorien zu tun haben, sondem immer mit verorteten oder unreinen Kosmopolitismen, die sich in einem sozialen, politischen und kulturellen Kontext lokalisieren und Grundlagen wie Folgen dieser Verortung selbst noch einmal reflektieren. Dies geht sogar so weit, dass auch die Person des Theoretikers - und seine postkoloniale Authentizitat - in die Forschung einbezogen wird und zum Beispiel die Besonderheiten einer US-amerikanischen, Schwarzen oder indischen Perspektive ein tragendes Element der jeweiligen theoretischen Gebaude darstellen. Die zentrale Bedeutung fur das Verhaltnis zwischen empirischen, methodologischen und normativen Dimensionen des Kosmopolitismus besitzt jedoch der postkoloniale soziale Kontext, der von den kosmopolitischen Theoretikem und Wissenschaftlem als Raum sozialer Durchdringung von ehemaligen Koloniallandem und Kolonien erlebt und beschrieben wird, was die bisher maBgeblichen statischen Dichotomien wie Westen / Postkolonien problematisiert oder sogar auBer Kraft setzt. Dies fuhrt dazu, dass die Konstitution der Andersheit der Anderen durch koloniale Herrschaftssysteme oder postkoloniale gesellschaftliche Diskurse nicht mehr als gegeben vorausgesetzt werden kann. Die starre Trennung zwischen Europa und dem Rest der Welt oder entwickelten und unterentwickelnden Lander kann hierbei nicht mehr aufrechterhalten werden, sondem beide Seiten werden als Teil eines gemeinsamen weltgesellschaftlichen sozialen Zusammenhangs gesehen. Hier passt dann auch der unter anderem von Niklas Luhmann (1975a, 1997: 145171) immer wieder verwendete Begriff der Weltgesellschaft als umfassendstes also universelles - Kommunikationssystem, denn gerade das Feld des Postkolonialismus zeigt, wie stark die diskursiven Verbindungen zwischen den ehemaligen Koloniallandem und ihren Kolonien sind. Dies lasst sich zum Beispiel darin verdeutlichen, dass gerade eurozentrische westliche Theorien verwendet werden, um damit den Eurozentrismus der westlichen Theorien zu kritisieren. Im Unterschied zu Luhmanns Modell wird die Weltgesellschaft hier jedoch als ungleichmaBiges System beschrieben, das gerade auf materieller Ebene von ausgepragten Abhangigkeitsstrukturen gekennzeichnet ist. Diese integrative Perspektive hat zur Folge, dass auch die Anderen nicht mehr identisch mit den Fremden jenseits der eigenen Grenzen sind. Prozesse der Hybridisierung und die zunehmende Wahlbarkeit von Zugehorigkeiten fiihren zum einen dazu, dass die gesellschaftlichen Konstruktionsprozesse der Andersheit Anderer sehr viel starker in den Vordergrund riicken. Zum anderen bedeutet dies aber auch, dass kosmopolitische Identitaten und Zugehorigkeiten - also die Emanzipation von lokalen, partikularen sozialen Kreisen - immer wahrscheinlicher werden und nicht nur eine Wahlmoglichkeit fur privilegierte soziale Oberschichten darstellen.
8 Fazit
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Dabei sind jedoch die Aporien und Paradoxien des kosmopolitischen Denkens, das sich auf den postkolonialen sozialen Kontext bezieht, nicht zu unterschatzen. Allerdings miissen diese performativen Widerspriiche nicht zwangslaufig als Zeichen der Schwache oder des Versagens des kosmopolitischen Denkens gewertet werden, sondem gerade die problematische Verortung, Reflexivitat und Komplizenschaft konnen zum Ausgangspunkt ftir einen starken Neuen KosmopoHtismus werden, der nicht nur in Bezug auf die empirische soziale Realitat reahstischer ist als seine alten universalistischen Vorganger, sondern zudem auch den Anspruch erheben kann, in der methodologischen Dimension erkenntnisreicher und in der normativen Dimension gerechter zu sein. Ein ahnliches Ergebnis findet sich allerdings programmatisch formuliert und nicht wie bei uns als Ergebnis einer empirischen Auseinandersetzung mit dem kosmopolitischen Denken - auch bei Ulrich Beck: „Der kosmopolitische Blick, wenn er sich das Ehrenpradikat ,realistisch' verdienen will, muB sich ftir die Dilemmata offnen, ftir die Traume wie ftir die Albtraume, fiir das Gutgemeinte wie ftir die absehbaren Katastrophen" (2004a: 71). Wie also kann nach diesen Erkenntnissen eine zukiinftige kosmopolitische Soziologie aussehen, die den sozialen Kontext des Postkolonialismus als Bezugspunkt emst nimmt? Einige Anhaltspunkte fiir die Beantwortung dieser Frage konnte diese Arbeit Hefem. So wurde zum Beispiel deuthch, dass sich eine kosmopolitische Soziologie unter postkolonialen sozialen Bedingungen nicht ausschlieBlich auf methodologischer Ebene - als „kosmopolitischer Blick" - definieren kann. Ebenso wenig ist allerdings, wie vor allem bei philosophischen Entwiirfen des Kosmopolitismus zu beobachten ist, der alleinige Fokus auf die normative Dimension denkbar und auch die Beschrankung auf den empirischen Nachweis von Kosmopolitisierungsprozessen ist fiir sich noch kein viel versprechender Weg. Stattdessen geht es darum, den Blick auf diese drei Dimensionen und insbesondere auch ihre Wechselbeziehungen zu richten. Wenn es nach den Erkenntnissen dieser Arbeit also ein Merkmal gibt, das fiir eine kosmopolitische Soziologie unentbehrlich ist, dann ist es das reflexive Bewusstsein der eigenen sozialen Position als gleichzeitig distanziert und geerdet - an dieser Stelle haben also zugleich die klassischen Kosmopolitismen mit ihrem Idealbild des freischwebenden Weltbiirgers recht wie auch ihre Kritiker, die KosmopoHtismus als westliche, biirgerliche, mannliche etc. Ideologic beschreiben. Die Distanz zeigt sich dabei zum Beispiel in der Metaposition, von der aus das Verhaltnis der empirischen, methodologischen und normativen Dimensionen des KosmopoHtismus betrachtet wird. Das „irdische" Moment manifestiert sich dagegen darin, dass die kosmopolitischen Wissenschaftler und ihre Theorien im gleichen Moment selbst in diesem Spannungsfeld lokalisiert und damit nicht zuletzt ein Teil des von
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8 Fazit
ihnen analysierten postkolonialen sozialen Kontextes werden. Aus dieser Perspektive stellt sich eine kosmopolitische Soziologie der unmoglichen Aufgabe, den Universalismus der sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung zu kontextualisieren und dadurch zumindest teilweise auch zu relativieren, wahrend sie gleichzeitig nach wie vor gefordert ist, zu verallgemeinem, um wissenschaftlich wie auch politisch anschlussfahig zu bleiben. Auch fiir die westHche kosmopoHtische Soziologie werden im Zuge der wachsenden postkolonialen Durchdringung strategische Vorgehensweisen und vorsichtige, „schmutzige" Universalismen (Robbins 1999: 75) als Grundlage relevant, deren mogliche unbeabsichtigte Nebenfolgen jederzeit im Blick behalten werden miissen und die fiir kosmopolitische Ideen unter postkolonialen Bedingungen schon langst zur Normalitat geworden sind. Diese Schlussfolgerungen verweisen aber noch auf einen weiteren wichtigen Punkt, namlich auf die Gefahren, die damit verbunden sind, wenn Konzepte wie „Kosmopolitismus", „Hybriditat" oder „Andersheit" fixiert oder essentiell definiert werden. Nicht ohne Grund erscheint in den untersuchten Theorien die Idee des Kosmopolitismus selten als fester, eindeutig definierbarer Punkt auf einem Kontinuum zwischen Universalismus und Partikularismus, sondem beschreibt vielmehr auf iibergeordneter Ebene den politischen, wissenschaftHchen und gesellschaftlichen Umgang mit eben diesem Spannungsfeld. So kann Kosmopolitismus, je nach dem zu Grunde gelegten sozialen und politischen Kontext einen Schritt sowohl in Richtung Universalisierung als auch in Richtung einer starkeren Beachtung partikularer Differenzen bedeuten. In diesem Sinne haben die urspriinglichen negativen Definitionen des antiken Kosmopolitismus - und des Kosmopoliten als Individuum, das nirgendwo zu Hause ist - heute mehr als je zuvor ihre Berechtigung, denn in dem Moment, in dem Kosmopolitismus positiv als bestimmte Haltung oder Position definierbar ist, droht er selbst zu einer - universellen oder partikularen dogmatischen Idee zu erstarren. Stattdessen scheint ein beschranktes MaB an Unscharfe sogar eine dringende Grundbedingung der „Kosmo-Politik" zu sein, damit sie als kritische Praxis bestehen kann. Letztlich ist namlich auch die Differenz zwischen Universalismus und Partikularismus nur ein innerweltliches Orientierungsmodell, das weder eine universelle Giiltigkeit fiir sich in Anspruch nehmen kann, noch diesen utopischen Anspruch voUig aufgeben kann. Zum kosmopolitischen Denken unter postkolonialen sozialen Bedingungen gehort nicht zuletzt, dass der Kosmopolitismus immer auch gegen sich selbst positioniert werden muss.
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