Die besten Science-Fiction-Romane der Welt erscheinen jeden Monat in den UTOPIA-Großbänden
Gefahr aus dem Nichts von G...
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Die besten Science-Fiction-Romane der Welt erscheinen jeden Monat in den UTOPIA-Großbänden
Gefahr aus dem Nichts von George Sheldon Brown heißt der nächste UTOPIA-Großband SCIENCE FICTION in deutscher Sprache
Die mystische Handlung dieses neuen UTOPIA-Großbandes (3) erinnert an Edgar Allan Poe. Das vorerst Unerklärliche des Geschehens steigert die Spannung des Lesers bis ins Unerträgliche. Er befindet sich mitten in der Welt von morgen und ist fasziniert von den phantastischen Visionen eines echten Science-Fiction-Schriftstellers. Plastisch und realistisch erlebt der Leser von Seite zu Seite die wechselvolle und tempogejagte Handlung. Und wenn er glaubt: so, nun ist aber sicher Schluß, dann wird er von dem Autor plötzlich vor neue Rätsel des Weltalls gestellt. Immer wieder geschieht etwas Neues, Unerwartetes, was den Leser in Bann schlägt, mit dem er sich auseinandersetzen muß, ob er will oder nicht. Um diesen utopischen Roman zu lesen, der in mehreren Ländern der Erde in Großauflagen erschienen ist, muß man tatsächlich starke Nerven haben. Es ist ratsam, diesen Utopia-Großband nicht in der Eisenbahn, in der Straßenbahn oder im Omnibus zu lesen, denn der Leser vergißt sonst garantiert das Aussteigen!
Bei UTOPIA-Großbänden ist alles möglich – nur eines ist unmöglich: nicht davon gefesselt zu werden! VERLAG ERICH PABEL – RASTATT (BADEN) – PABEL-HAUS
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Der geheimnisvolle Planet von Edgar Rees Kennedy
2 SCIENCE-FICTION IN DEUTSCHER SPRACHE
Dies ist die Übersetzung eines ScienceFiction-Romans, deren es in Amerika und England viele Hunderte gibt. Ernsthafte Menschen lesen sie, ohne sie mit der überlegenen Geste der Ignoranten beiseite zu legen oder zu behaupten, man könne nicht in die Zukunft schauen. Es ist auch nicht die Absicht der Autoren der UTOPIA-Großbände, ein unbedingt genaues Bild der Zukunft unserer Erde zu entwerfen; sie wollen vielmehr mit einiger Phantasie auf Grund der Naturgesetze die technischen Möglichkeiten der Welt von morgen aufzeigen. Diese Grundlagen ermöglichen es. die Grenzen des Erlebens in das Unendliche zu verrücken und Probleme zur Sprache zu bringen, von denen sich bisher unsere kleine Welt noch niemals eine Vorstellung gemacht hat. Dieser UTOPIA-Großband von Edgar Rees Kennedy beginnt im Weltraum, viereinhalb Lichtjahre von der Erde entfernt. Die logische Weiterführung unse-
rer heutigen Technik wird uns in zweioder dreihundert Jahren an den gleichen Punkt führen, von dem diese Handlung ausgeht, eine Handlung von ungeheurer Spannung und Dramatik, von Anfang bis Ende erregend. Es ist nicht der Sinn dieses Romans, daß man ihn nach der Lektüre weglegt und feststellt: technisch unmöglich! Das wußte der Autor auch schon. Man soll ihn aber zu Ende lesen und sich sagen: Gott sei Dank, das ist noch mal gut gegangen, aber was könnte geschehen, wenn es mal nicht gut ginge …?
Bei UTOPIA-Großbänden ist alles möglich – nur eines ist unmöglich:
nicht davon gefesselt zu werden!
UTOPIA-GROSSBÄNDE DIE BESTEN SCIENCE-FICTION-ROMANE DER WELT
Der geheimnisvolle Planet VON EDGAR REES KENNEDY Originaltitel: THE MYSTERY PLANET von Walter Ernsting aus dem Englischen übersetzt
ERICH PABEL VERLAG IN RASTATT (BADEN)
Der geheimnisvolle Planet von Edgar Rees Kennedy
1. Kapitel: Die unbekannte Welt 2. Kapitel: Gestrandet 3. Kapitel: Das unbekannte Weltraumschiff 4. Kapitel: Die tote Stadt 5. Kapitel: Die unbekannte Rasse 6. Kapitel: Aus Richtung Sirius 7. Kapitel: Die Station des Sirius 8. Kapitel: Die Chance 9. Kapitel: Geglückte Flucht 10. Kapitel: Tod aus dem Weltall 11. Kapitel: Der rettende Einfall
UTOPIA-Großband – SCIENCE FICTION in deutscher Sprache. Copyright by Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden). Gesamtherstellung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Aus dem Englischen übersetzt von Walter Ernsting.
Der geheimnisvolle Planet von Edgar Rees Kennedy
DIE UNBEKANNTE WELT Durch die Leere des Weltraumes, der die beiden Zwillingssonnen von Alpha Centauri trennt, mehr als vier Lichtjahre von der Erde entfernt, schoß dar Raumkreuzer NEPTUN, einen feurigen Kometenschweif glühender Atome hinter sich herziehend, mit Lichtgeschwindigkeit dahin. Weniger als 100 Millionen Meilen vor ihm schwebte eine dieser Sonnen als orangerote Scheibe in der Schwärze des Alls. Sie war nicht größer als die irdische Sonne, von Jupiter aus gesehen. Hinter ihm stand die Zwillingssonne, kleiner, aber glänzender. Ihre fünf Planeten sahen wie winzige Stecknadelköpfe aus. Kommandeur Lafe Hansen von der interplanetaren Raumpatrouille saß im Pilotensitz und starrte auf die rote Sonne vor ihm. Zwei ihrer Planeten konnte er schon als kleine Lichtpünktchen ausmachen. Auf dem Vergrößerungsfernsehschirm erschienen sie als Halbmonde, der innere mit einem rötlichen Glanz. Die dünne Atmosphäre veränderte die Strahlen der nur in 80 Millionen Meilen entfernten Sonne nicht. Hansen wandte sich an Matson, der neben ihm saß und als Spezialist für Menschenkunde galt. „Haben Sie auch diese Planeten beschrieben?“ fragte er. 7
„Ich habe sie alle beschrieben“, antwortete Matson mit Nachdruck. „Auf ihnen gibt es kein Leben, wie wir anfangs vermuteten. Eine gewisse Art von Leben ist zwar auf dem ersten vorhanden, den wir Plato getauft haben. Erikson wurde dort von einer Schlange gebissen. Die anderen Planeten sind jedoch völlig vereist. Es sind ‚Dämmerwelten’, wenn man so sagen kann. Ihre Sonne ist schon alt und außerdem sehr weit entfernt.“ „Aber eine Atmosphäre ist doch vorhanden?“ Diesmal antwortete Jürgens, der Physiker der Expedition. Er saß hinter ihnen, an einem der gläsernen Beobachtungsfenster. „Hauptsächlich Methan, Ammoniak und Wasserstoff; aber kein Sauerstoff, außer dem, der in dem gefrorenen Kohlendioxyd vorhanden ist.“ „Dann ist also nichts Besonderes mit ihnen los“, meinte Hansen. „Etwa vergleichbar mit den äußeren Planeten unseres eigenen Sonnensystems.“ „Ja“, stimmte Jürgens bei, „der dritte Planet – wir haben ihn Althan genannt – ist ein Gegenstück zu Titan, dem sechsten Mond von Saturn. Er hat auch ungefähr den gleichen Durchmesser, nämlich 3555 Meilen.“ Alle diese Informationen erweckten bei Hansen nur sehr wenig Begeisterung für die Aufgabe, die vor ihm lag. Sogar nach 20 Jahren Dienst in der Raumpatrouille durchrieselte ihn immer ein Glücksgefühl, wenn er auf einem fremden, ihm unbekannten Planeten landen konnte; aber auch nur dann, wenn Aussicht bestand, irgendeine Art von Leben dort vorzufinden. Diese toten und kalten Weltkörper jedoch, hier am Rande des interstellaren Raumes, waren alle gleich. Sie fanden lediglich das Interesse für Geologen, Mineralogen und Physiker, die immer wieder hofften, neue, dem Sonnensystem unbekannte Elemente zu entdecken. Sie waren dahinter her, wie in alten Zeiten die Alchimisten hinter dem Stein der Weisen. Hansen aber wußte, daß sie immer wieder enttäuscht werden 8
mußten. Das Universum folgte überall denselben Gesetzen, bestand aus denselben Elementen und wies daher – so nahm er an – eine entmutigende Gleichförmigkeit auf. Die Vorstellungen seiner Kindheit von fremden Welten, hervorgerufen durch Magazine und Filme, denen zufolge diese von Ungeheuern und seltsamen Geschöpfen bewohnt sein sollten, waren schon lange zerstört. Im Sonnensystem war, außer der Erde, nur der Mars bewohnt gewesen; doch dessen Bevölkerung war schon lange ausgestorben. Vergleiche mit der frühesten Erdgeschichte ließen die Vermutung aufkommen, daß in grauer Vorzeit die Marsbewohner ihren sterbenden Planeten verließen und zur Erde „auswanderten“. Dort sanken sie dann aus noch unbekannten Gründen zur niedrigsten Stufe der Primitivität zurück. Der Rest des Sonnensystems war ohne jegliches höher entwickelte Leben. Nur die reichlich vorhandenen Edelmetalle und seltenen Elemente machten die Planeten und ihre Monde für die Erde wertvoll. Auf der Venus allerdings hatte man organisches Leben in seinem Anfangsstadium gefunden. Es sah dort so aus, wie es vor Jahrmillionen vielleicht auf der guten, alten Erde ausgesehen haben mochte. Dann aber wurde im Jahre 2075 der SupraAntrieb entwickelt. Die Schiffe erreichten fast die Schnelligkeit des Lichtes, und die Menschen begannen wieder zu hoffen. Durch den leeren Raum, der das Sonnensystem umgab, konnte man vielleicht bis Alpha Centauri vorstoßen, der nächsten Sonne, viereinhalb Lichtjahre entfernt. Sicherlich gäbe es dort menschenähnliche Wesen, mit denen man Verbindung aufnehmen könnte, zu deren und zum eigenen Nutzen. Aber Centauri war eine große Enttäuschung für die Männer der Erde gewesen, die als erste nach einer Fahrt von fünf Jahren durch die grauenvolle Leere des Weltraums hier landeten. Hansen hatte die gleiche Enttäuschung erlebt, als er fünf Jahre später dort eintraf, um die zuerst Angekommenen zu suchen und abzulösen. Auf keinem der acht Planeten des Zwillings9
systems hatte man ein höher entwickeltes Leben entdecken können. Drei Planeten der Zwillingssonne, die kleiner und kälter war, schienen älter zu sein und waren, wie Matson schon gesagt hatte, unbewohnbar und leer. Die Menschen würden sich nur für ihren eventuellen mineralischen Wert interessieren. Erze, Elemente und dergleichen schienen reichlich vorhanden zu sein. Dies war der erste Besuch, den Hansen dem zweiten, kleineren System des Alpha Centauri abstattete, obwohl er schon vor drei Monaten, von der Erde kommend, hier eingetroffen war. Er war, wie schon erwähnt, nicht begeistert; aber die Wissenschaftler hatten die Aufgabe, alle Planeten genauestens zu erforschen. Diesmal waren die drei Dämmerwelten an der Reihe, die die sterbende Sonne Centauri 2 umkreisten. Die Neptun hatte die 2000 Millionen Meilen, die die beiden Sonnen trennten, in knapp vier Stunden durcheilt. Man hatte vereinbart, auf dem äußeren Planeten, auf Althan also, zuerst zu landen. Als der Raumkreuzer in das Sonnensystem einschwenkte, Minuten nach dem Gespräch mit Matson und Jürgens, sah Kommandeur Hansen die blau-graue Scheibe Althans vor sich auf dem Bildschirm. Er ließ das riesige Schiff mit verlangsamter Geschwindigkeit bis auf 50 Meilen herankommen; dann umflog er durch die dünne Stratosphäre den Planeten, um nach einem passenden Landeplatz zu suchen. Die Oberfläche der fremden Welt war rauh und abschreckend. Rasiermesserscharfe Felsenklippen stießen nach oben, mit blauweißem Schnee bedeckt. In den tief eingeschnittenen Tälern und Schluchten trieb Dunst. Kraterähnliche Gebilde, mit Schnee umrandet, lagen in den Ebenen. Hansen wandte sich an Kapitän Harmer, seinen Astronautiker und Ersten Offizier. Sie kannten sich schon lange und waren Freunde. 10
„Ich nehme an, daß wir auf einem dieser Eisfelder landen. Das wäre wohl am besten. Wir benutzen die Landeraketen; denn die Tragflächen nützen uns in dieser Atmosphäre nicht viel. Sie würden erst in einer Höhe von ein oder zwei Meilen über Grund tragen.“ Hansen ließ den Kreuzer tiefer gehen und wählte als Landefeld einen See, der aus bläulich schimmerndem Eis bestand und einen Durchmesser von etwa 50 Meilen hatte. Ringsherum starrten riesige, schwarze Felsklippen in den dämmerigen Himmel. Er umkreiste den Platz, langsam heruntergehend. Die Instrumente begannen zu knacken und zeigten laufend Höhe, Geschwindigkeit und Energiedruck an. Hansen und Harmer hatten nichts anderes zu tun, als auf die Zeiger zu achten. Im rechten Moment würden die Bremsdüsen in Tätigkeit treten, und die Neptun würde leicht wie eine Feder auf das Eisfeld niedersinken. Tiefer und tiefer wurden die Spiralen. Die Geschwindigkeit sank stufenweise. Hansen straffte sich, während er die Instrumente beobachtete. Das Heulen der Düsen würde das Schiff sehr bald erzittern lassen. Das geschah immer, sobald sie in die Atmosphäre eintauchten. Doch plötzlich erstarb das leise Summen des Antriebes, es setzte einfach aus. Ein rotes Licht flackerte auf und zeigte an, daß sie die Sicherheitshöhe bereits unterschritten hatten. Hansens Magen schien aus Blei zu sein. Er schaltete die Bordsprechanlage ein und drückte den Knopf des Maschinenraumes. „Was, zur Hölle, ist dort los, Bogart?“ verlangte er zu wissen. „Wenn ich das bloß selbst wüßte, Chef!“ kam die Antwort. Die Stimme des Ersten Ingenieurs war verstört. „Scheint eine Treibstoffhemmung zu sein; aber …“ Hansen hörte nicht mehr auf die Stimme. Die Nadel des Geschwindigkeitsmessers schwankte bedenklich. Es war keine Zeit mehr, den Fehler zu suchen. Das Schiff befand sich im 11
freien Fall auf den Planeten zu. Wenn dieser Fall nicht irgendwie abgebremst werden konnte, würden sie in wenigen Sekunden auf der Oberfläche zerschellen. Für die Besatzung des Kreuzers blieb keine Zeit mehr, die Raumanzüge anzuziehen und die Luftschleuse zu öffnen, um mit den Raketengürteln, die jeder Mann besaß, abzuspringen. Diese Gürtel waren die Fallschirme für den luftleeren Raum, ein zuverlässiges Rettungsmittel. Die Ionenströme waren unschädlich; man konnte mit ihrer Hilfe nicht nur sanft nach unten schweben, sondern für kurze Zeit sogar steigen, falls man sich im Gravitationsfeld eines Planeten befand. Es gab nur eine einzige Chance. Hansen wußte aus Erfahrung, daß sie sehr gering war. Aber er durfte kein Mittel unversucht lassen. Ohne zu überlegen, drückte er auf einen Hebel. Ein Motor begann zu surren. Es war ein Elektromotor, der von den eigenen Dynamos gespeist wurde. An der Kontrollampe sah er, daß alles in Ordnung war und die Tragflächen ausgefahren waren. Mit grimmiger Wut bediente Hansen die Kontrollhebel und Knöpfe. Neben ihm stand Harmer, dessen jugendliches Gesicht ganz bleich war. Er sagte kein Wort. Was hätte er auch sagen sollen? Er wußte genau so gut wie sein rauher, aber aufrechter Chef; und Freund, wie gering ihre Chancen in dieser Atmosphäre waren. Ihre einzige Hoffnung war, daß sie einigermaßen dicht war. Auf der Erde, deren Lufthülle bis zu 250 Meilen dick war, waren die Tragflächen schon in 30 Meilen Höhe wirksam. Aber hier? Tiefer und tiefer fielen sie, während der Kreuzer seine Geschwindigkeit immer mehr erhöhte. Zwar würden sie nicht mit der Schnelligkeit eines aus dem Weltall einfallenden Meteors auf die Oberfläche aufprallen, aber immerhin dürfte es genügen, um aus ihnen eine unkenntliche Masse verbogenen Metalls zu machen. 12
„Hoffentlich landen wir wenigstens in einem Ammoniaksee!“ wünschte Hansen. „Nehmen Sie an. daß es hier so etwas gibt, Chef?“ „Der Atmosphäre nach, ja.“ „Nun, eine Art See wäre das beste für uns, den Aufprall ein wenig zu mildern. – Das arme Mädchen!“ Harmer meinte die NEPTUN. Sie schwiegen und starrten auf den Höhenmesser. Dreißigtausend Fuß! Zwanzigtausend Fuß! Fünfzehntausend Fuß! Sie schossen über das Eisfeld hinweg. Sie rasten wie ein Geschoß auf den ausgezackten Gipfelkamm des Randgebirges zu. Hansens Herz krampfte sich zusammen, bis er glaubte, eine Bleikugel im Leibe zu haben. Er mußte an die Wissenschaftler denken, die sich an Bord der NEPTUN befanden, Passagiere, für die er die Verantwortung trug. Doch dann schöpfte er plötzlich neue Hoffnung. Die Geschwindigkeit wurde geringer. Die Tragflächen fanden Widerstand! Geschickt und sicher bediente er die Steuerungshebel. Das Schiff verlor immer noch an Höhe. Verwischte, grünblaue Wolkenfetzen wirbelten an den Luken vorbei. „Wir werden es schaffen, glaube ich, Chef!“ Harmer keuchte es, die Stirn in Schweiß gebadet. Hinter ihnen standen einige der Wissenschaftler, die in den Kontrollraum gekommen waren und nun durch die Ereignisse wie gelähmt schienen. Hansen blickte auf den Höhenmesser: 10000 Fuß! Sie hatten zwar immer noch an Höhe verloren, aber schon viel langsamer. Vielleicht hatten sie Glück! Waagerecht glitten sie auf die schwarze Masse zu. Wenn das Schiff dort hineinraste, wäre es nicht anders, als ob sie auf die Oberfläche gestürzt wären. Hansen strengte seine Augen an, um die schwarzen Felsen zu erkennen. Das Licht war schlecht. Die treibenden Dunstwolken 13
trugen auch nicht gerade zur Verbesserung der Sicht bei. Matson hatte recht, wenn er diesen Planeten eine Dämmerwelt nannte. Es war wirklich nicht leicht, festzustellen, wo man sich befand. Wenn doch wenigstens eine Düse arbeiten wollte! Um Bogart brauchte Hansen sich nicht zu kümmern. Er wußte, daß der wie ein Verrückter suchte, um den Schaden zu finden und zu beheben. Aber es vermochte kein Mensch mehr zu tun, als technisch möglich war. Da fühlte Hansen, daß der Kreuzer wieder stieg. Langsam, ganz langsam kletterte die Nadel wieder auf 11000 Fuß. Sein Herz schlug vor Erwartung und Hoffnung. Würden sie genügend Höhe gewinnen können, um über den Rand des Gebirges zu kommen? Er wußte, daß die Chancen dazu denkbar gering waren; denn ihre Geschwindigkeit betrug immer noch 500 Meilen je Stunde. Das Felsengewirr war noch etwa 45 Meilen entfernt „Raumanzüge anziehen!“ befahl er Harmer. „Fertigmachen zum Absprung! Die Rettungsringe werden Sie schon sicher zu Boden bringen. Lassen Sie alles Überflüssige an Ausrüstung und Einrichtung über Bord werfen!“ „Gilt das für alle?“ fragte Harmer. „Ich meine – bezüglich des Abspringens.“ „Für alle! Nur für mich nicht!“ antwortete Hansen. „Ich verweigere den Gehorsam!“ sagte Harmer. „Ich auch!“ schloß sich Nevins, der Funker, an. Er hatte bei ihnen gestanden und das Gespräch mit angehört. „Ich nehme an, daß der Rest der Mannschaft Ihnen das gleiche sagen wird.“ Innerlich fühlte Hansen ein befriedigendes Gefühl des Stolzes. Er zeigte es aber nicht. „Ich werde euch verdammte Blase wegen Meuterei ’rankriegen!“ murmelte er, aber seiner Stimme fehlte der nötige Nachdruck, um es glaubwürdig klingen zu lassen. „Dann seht wenigstens zu, daß ihr die anderen zum Abspringen 14
bewegen könnt. Sie haben noch fünf Minuten Zeit zum Verlassen des Schiffes.“ Harmer verschwand nach hinten, und Hansen hörte ihn auf die Wissenschaftler einreden. Er hörte aber auch deren ärgerliche Proteste. „Was, zum Teufel, soll das?“ sagte jemand. Matson erschien wieder bei Hansen, an seiner Seite Fargo, den Geologen, dessen Gesicht eine rötliche Farbe angenommen hatte. „Wir werden dieses Schiff nicht ohne Sie verlassen, Kommandeur!“ erklärte er. „Zur Hölle mit euch!“ brüllte Hansen, ohne sich umzudrehen. „Ich habe hier das Kommando und befehle euch, das Schiff zu verlassen!“ „Wir werden es nicht tun!“ antwortete Fargo. „Keiner von uns! Ich möchte den sehen, der dieses Schiff ohne Sie verläßt!“ „Begreift ihr Narren denn nicht, daß euer Leben für die Erde wichtiger ist, als das unsere?“ „Aber nicht bei Raumschiffern Ihres Formats, Hansen! Und ganz nebenbei: Was glauben Sie, wie lange wir ohne die NEPTUN dort unten aushalten würden? Ohne Energiequelle könnten wir nicht mit der Station in Verbindung treten. Vielleicht würden sie in einer Woche eine Suchaktion starten. In unseren Raumanzügen haben wir aber nur einen Luftvorrat für 48 Stunden. Mehr fassen die Zylinder nicht. Nein, wir sind alle damit einverstanden, diese Fahrt mit Ihnen zu beenden!“ „Gut!“ sagte Hansen nach einigem Zögern. „Auf Wiedersehen dann – in der Hölle!“ Das Gebirge war noch 30 Meilen entfernt. Das Schiff befand sich in 12 000 Fuß Höhe, und die Geschwindigkeit war auf 400 Meilen gesunken. Aber die höchsten Felsengipfel waren immer noch bis 15 000 Fuß hoch. Wie sollten sie diese Höhe erreichen? 15
Aber dort, etwas rechts von ihrer Flugrichtung, war etwas, das wie ein Plateau aussah. Er betätigte das Seitensteuer. Langsam, sehr langsam gehorchte die Neptun. Es war möglich, dort eine Bruchlandung zu versuchen. Die Geschwindigkeit mußte nur noch mehr nachlassen. Wenn nur die Außenhülle dabei nicht beschädigt würde! In alten Zeiten benötigte man Bremsfallschirme zum Landen. Sie hatten zwar Segeltuch im Schiffslager, aber die Zeit war zu knapp, um daraus noch eine Art Fallschirme herzustellen. Der Höhenmesser war auf 13 000 gestiegen. Kapitän Harmer kam zurück und sagte, noch heftig atmend von der Anstrengung: „Ich habe eine Menge über Bord geworfen. Auch den Ketten-Geländewagen! Das waren immerhin gute 20 Tonnen. Ich habe es hoffentlich richtig gemacht, Chef?“ „Ja! Ich glaube, wir benötigen ein Steigen des Schiffes mehr als das Vehikel!“ Sie rasten auf die Hochebene zu. Hansen sah ein, daß sie keinen Fuß an Höhe verlieren durften, wenn sie nicht ihren Rand verfehlen wollten. Ihre Geschwindigkeit nahm rapide ab. Wenn sie über den Rand kamen, wenn sie beim Ausgleiten über die eisige Schneefläche nicht vor einen Felsen stießen und wenn außerdem noch die Sauerstofferzeuger heil blieben, dann würde es nur eine Frage der Zeit sein, bis Bogart den Antrieb wieder repariert hatte oder aber eine Hilfsexpedition von der Station sie fand. Man würde sie auf jenem Plateau gut entdecken können. Besonders dann, wenn sie ein Signalfeuer errichten würden. „Geben Sie Befehl, die Helme der Raumanzüge zu schließen und die Sauerstoffzufuhr aufzudrehen. Sie sollen sich auf die Aufdruckmatratzen legen!“ sagte Hansen zu Harmer. „Ich werde eine Bauchlandung versuchen. Es ist möglich, daß die Hülle dabei beschädigt wird.“ Harmer gab den Befehl Hansens über die Bordsprechanlage 16
bekannt. Diesmal gehorchten alle Männer. Jeder wußte, daß sich nun die Frage entscheiden würde: In wenigen Minuten tot oder …? Das Schiff sauste über den Rand des Plateaus. Hansen und Harmer saßen in den stoßsicheren Pilotensitzen und starrten auf die Fläche, die unter ihnen vorbeiglitt. Sie war kahl, mit Schnee bedeckt, aber frei von Wolken. Ab und zu stießen aus der weißen Fläche schwarze Felsen steil nach oben. Das Ende der Ebene war nicht abzusehen, sie verschwamm in der dämmerigen Ferne. Hansens Gesicht war gestrafft, als das Schiff nach einer kleinen Kurve hinunterging. Es berührte den Schnee, und die aufwirbelnde Wolke hüllte die NEPTUN ein. Dann sah Hansen plötzlich den Schatten eines Felsens auf sich zurasen. Er schrie unwillkürlich auf. Sie streiften das Gestein mit der Seite, aber die Hülle war wegen der im All bestehenden Meteoritengefahr so stabil gebaut, daß kein Schaden entstand. Die Geschwindigkeit wurde allerdings stark gebremst. Die NEPTUN sauste weiter, rechts und links den Schnee emporwirbelnd. „Beim Jupiter, Chef!“ schrie Harmer. „Ich glaube, wir schaffen es! Achtung!“ Die Warnung war nutzlos; denn Hansen konnte das Folgende nicht verhindern. Vor dem Schiff klaffte eine schwarze Spalte. Hansen fluchte und zog das Höhensteuer, er hoffte, das Schiff ein wenig anheben zu können. Aber zu spät … die Geschwindigkeit war schon zu gering. Dann glitt der Raumkreuzer über den Rand der riesigen Spalte und verschwand in einer unergründlichen Finsternis.
GESTRANDET Eine Zeitlang blieb Hansen auf dem Fleck liegen, auf den er bei dem heftigen Aufprall geschleudert worden war. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er erinnerte sich, daß die NEPTUN über den Rand der Spalte gerutscht und in die Tiefe gestürzt 17
war. Er erinnerte sich auch ziemlich schmerzhaft an den Aufprall auf dem felsigen Grund. Er konnte sich aber nicht mehr entsinnen, ob dies Ereignis nun Stunden oder nur Sekunden zurücklag. Das einzige, was er genau wußte, war, daß er einen heftigen Kopfschmerz verspürte und daß er auf dem Boden des Kontrollraums lag. Zwar sah er nichts; aber seine tastenden Hände sagten es ihm, so genau kannte er seine gewohnte Umgebung doch. Es war nicht völlig dunkel, aber doch so, wie auf der Erde in einer mondlosen Nacht. Der Aufschlag hatte das Licht im Schiff verlöschen lassen. Ob nur die Anlage oder auch die Dynamos zerstört worden waren, das hätte er nicht sagen können. Die Kraft des plötzlichen Ruckes hatte die Sicherheitsgurte gesprengt. Die Sauerstoffmaske war ihm vom Gesicht gefallen. Das aber gab ihm mit Sicherheit zu verstehen, daß die Hülle des Schiffes unversehrt geblieben war, denn sonst hätte er das Bewußtsein nicht wieder zurückerlangt. Er hörte außerhalb der Kabine unbestimmte Geräusche. Außer ihm war nur noch Harmer im Kontrollraum gewesen. Was war mit ihm geschehen? Mühsam richtete sich Hansen auf. Allzu schwer war das nicht, denn die Gravitation war geringer als die der Erde. Das Schiff lag auf ebenem Kiel. Er hatte keine Schwierigkeit, auf dem Boden des Raumes das Gleichgewicht zu halten. Er fühlte nach einer Schublade unter der Instrumententafel, fand sie und zog sie auf. Eine Taschenlampe geriet in seine Hände. In ihrem Licht sah er dann Harmer am Boden liegen, aus einer Schläfenwunde blutend. Er war mit dem Kopf auf einen der Kunststoffhebel geschlagen. Hansen ging ein wenig unsicher zu ihm hin, um ihn zu untersuchen. Harmer lebte, war aber bewußtlos. Die Tür des Kontrollraums glitt zur Seite, und der Strahl einer Lampe blitzte durch das Dunkel. „Alles in Ordnung, Chef?“ fragte Nevins, der Funker, mit rauher Stimme. 18
„Natürlich, Nevins!“ antwortete Hansen. „Aber der Kapitän hat eine Kopfwunde. – Was ist mit den anderen?“ „Keiner verletzt, dank der Matratzen.“ Nevins trat ein. „Die Elektromotoren streiken. Bogart bringt sie in Ordnung. Ich schätze, wir sind noch mal ganz gut davongekommen.“ Nevins stellte seine Lampe in eine Nische, so daß der Raum gleichmäßig erleuchtet wurde. „Wie lang ist es eigentlich her, seit wir aufschlugen?“ fragte Hansen. „Ein paar Minuten vielleicht.“ Andere Männer kamen in die Kabine. Sie hatten ihre Sauerstoffgeräte abgelegt und trugen die Helme offen. Ein weiterer Beweis, daß die Hülle dicht geblieben war. Der Doktor nahm sich Harmers an und brachte ihn bald wieder auf die Beine. Hansen untersuchte inzwischen die Kontrollgeräte. Es schien, daß keines der Instrumente beschädigt worden war. Das ließ sich aber erst dann genau feststellen, wenn die Elektromotoren wieder arbeiteten. Hansens Hauptsorge war jedoch der Düsenantrieb. Ohne ihn waren sie erledigt. Mit intaktem Antrieb konnten sie zur Station zurück, auch mit beschädigten Bedienungsinstrumenten. Hansen verließ die Kabine und begab sich nach hinten zum Maschinenraum. Bogart und sein Assistent Rayzeff beugten sich gerade über die Elektromotoren. Im gleichen Moment, da der Kommandeur eintrat, flammten die Lichter im Schiff wieder auf. Die beiden reckten sich hoch. „So, das hätten wir schon mal, Chef!“ sagte Bogart. „Jetzt sehen wir wenigstens wieder etwas. Außerdem können wir die Heizung anstellen. Ohne diese würde es bald mächtig kalt hier drinnen werden.“ „Und was ist mit dem Antrieb los?“ Bogart schüttelte den Kopf. „Bevor wir aufkrachten, konnten wir den Fehler nicht finden. Ich nahm zwar an, es sei die Kraftstoffzufuhr, bin mir aber nun nicht mehr so sicher. Es muß etwas 19
anderes sein. Ich kenne diesen Superionenantrieb schon seit vielen Jahren; ein Aussetzen, wie diesmal, ist mir noch nie vorgekommen.“ Hansen sah ihn scharf an. Er war es nicht gewohnt, daß der Ingenieur sich einmal über eine technische Frage nicht im klaren war. „Nun, versuchen Sie es jedenfalls mal, Bogart“, sagte er dann. „Ich hoffe diesen Platz so schnell wie möglich zu verlassen. Ich weiß zwar nicht, wo wir hier sind; aber ich habe das Gefühl, es ist ungesund hier!“ Damit ging er in den Kontrollraum zurück. Die Lichter brannten nun wieder, und ein schwacher Schein fiel durch die Luken nach außen. Durch das dicke Quarzglas versuchte Hansen, einen Blick auf jene Welt zu werfen, in der sie so unfreiwillig gelandet waren. Sie machte keinen angenehmen Eindruck. Ein wildes Durcheinander von schroffen Felsen stieß aus dem schneebedeckten Talkessel in den dunklen Himmel hoch. Wenige hundert Meter vor ihnen steilte eine schwarze Wand empor, die jede Sicht nahm. Nach obenhin war nichts zu erkennen. Nein; ein angenehmer Ort war das sicher nicht. Wie gut, daß man die Heizung hatte! Normalerweise wurde das Schiff mit den Abfallprodukten des Atomantriebes geheizt, aber in besonderen Fällen, wie in diesem, dankte jeder dem Erbauer für die gute Idee, auch die elektrische Hilfsheizung einzubauen. Hansen hatte das Gefühl, als wäre sonst die intensive Außentemperatur sehr bald durch die Isolierhülle der NEPTUN gedrungen. Nun arbeiteten die Dynamos, und alle Instrumente schienen zu funktionieren. Er prüfte die Temperaturverhältnisse der Außenwelt. Die Apparate zeigten minus 147 Grad an. „Das stimmt genau! So hatte man es errechnet.“ Akors, der Meteorologe, nickte mit dem Kopf. „Ungefähr so, wie auf dem Jupiter. Die Atmosphäre besteht zum größten Teil aus Methan 20
und Wasserstoff, von Helium ist auch eine Spur vorhanden. Die Wolken, durch die wir kamen, bestanden aus Ammoniak. Es muß hier übrigens flüssiges Ammoniak geben. Sie wissen ja wohl, daß sich Ammoniakgas bei einer Temperatur von minus 33 Grad verflüssigt?“ „Ja. Ein erfreulicher Ort hier, wirklich!“ grinste Harmer dünn, der sich inzwischen von seiner Ohnmacht erholt hatte. Eine Stunde später meldete sich Bogart. An seinem Gesicht sah Hansen, daß die Lage ziemlich ernst war. So war es auch. Bogart hatte den Fehler immer noch nicht gefunden, aber feststellen können, daß der heftige Anprall die Öffnungen der Hauptheckdüsen arg verbeult hatte. Die Beseitigung dieser Schäden würde einige Tage in Anspruch nehmen. Das Bekanntwerden dieser Tatsache dämpfte die Begeisterung der ganzen Gesellschaft, die durch die verhältnismäßig glückliche Landung schon wieder übermütig zu werden begann. Wenn Bogart mit seiner Schwarzseherei recht haben sollte, dann waren sie dazu verurteilt, mehrere Tage auf einer toten und unbekannten Welt zuzubringen, ohne Verbindung mit ihrer Station. Zwar arbeite der Sender, so behauptete Nevins, aber die elektrischen Motoren gäben nicht genügend Energie, um eine Meldung über die Entfernung von 2000 Millionen Meilen zum dritten Planeten des Sonnensystems Centauri 1 zu schicken. Hansen rief die Wissenschaftler zusammen. „Es sieht ganz so aus, als ob wir noch Vorteile aus unserem Pech ziehen könnten“, sagte er. „Die Herren Gelehrten können sich nach draußen begeben und nach Herzenslust einen bisher unerforschten Planeten studieren. Das Schiff bleibt unser Stützpunkt. Ich befürchte allerdings, Sie werden alle Wege zu Fuß machen müssen, denn den Geländewagen haben wir über Bord geworfen.“ „Zu blöd, daß ich ihn ’rausgeworfen habe“, knurrte Harmer, 21
als die Wissenschaftler in ihren Kabinen verschwunden waren. „Ich glaube, wir könnten ihn jetzt gut gebrauchen.“ „Hätten Sie es nicht getan, wären wir nie auf diesem Plateau gelandet!“ antwortete Hansen. „Aber es wäre keine schlechte Idee, wenn wir bei Gelegenheit nach dem Fahrzeug suchen würden. Möglicherweise finden wir noch etwas, was heil geblieben ist und was wir gebrauchen können. Oder der ganze Karren ist in weichen Schnee gefallen. Das wäre …“ „… ziemlich unwahrscheinlich – aus 13 000 Fuß Höhe!“ Harmer mußte grinsen. „Wenn dieser Planet aus Gummi bestünde, wäre der Geländewagen sicherlich in den Weltraum zurückgehopst. Außerdem liegt die Aufschlagstelle ungefähr 30 Meilen entfernt, Chef.“ „Daran habe ich schon gedacht. Aber auch daran, daß die Schwerkraft hier nur ein Drittel der irdischen beträgt. Was den Energieaufwand betrifft, werden deshalb die 30 zu nur 10 Meilen. Zum Überqueren von Spalten nehmen wir unsere Raketengürtel. Also los! Nevins kommt mit.“ Die Wissenschaftler verließen das Schiff. Sie nahmen transportable Funkgeräte mit, um mit den an Bord Verbleibenden jederzeit in Verbindung treten zu können. Hansen und Harmer folgten ihnen kurz darauf mit Nevins, der ebenfalls einen kleinen Sender bei sich hatte. Die zurückbleibenden Männer winkten ihnen nach. Die drei in ihren Raumanzügen und den Glashelmen ähnelten grotesken Ungeheuern einer fremden Welt. Sie merkten sogleich den Unterschied zwischen einem irdischen Tal, das durch den Einfluß des Wassers oder durch Verwitterung entstanden war, und dieser Spalte, die völlig glatt war und einem Riß glich, der durch eine gigantische Bodenbewegung verursacht worden sein mochte. Der Grund war mit Schnee oder mit trockenem Eis bedeckt; schwarze, steile Felsklippen stießen scharf empor. Trotzdem war die Fortbewegung für die Erdenmenschen leicht. Sie sprangen mühelos über die Hinder22
nisse hinweg; denn sie waren nur ein Drittel so schwer, wie auf der Erde. Obwohl sie sich auf der Tagseite des Althan befanden, war es dämmerig. Der Planet empfing nur sehr wenig Licht und Wärme von seiner Sonne. Die Dämmerung war blaugrau, und die Myriaden Schneekristalle reflektierten die gleiche Farbe. Die Wände seitlich des tief eingeschnittenen Tales stiegen steil und völlig glatt nach oben in den dunklen Himmel, an dem die Sterne immer zu sehen waren. Hansen war schon zweimal auf Titan, dem sechsten Mond von Saturn, gewesen. Er war erstaunt, stets das gleiche Bild vorzufinden. Diesmal jedoch war hier irgend etwas anders, unzweifelhaft! Er hätte aber nicht sagen können, was es war. Keiner hätte von ihm zu behaupten gewagt, daß er furchtsam sei: und doch löste dieser Planet Gefühle in ihm aus, die ihm bisher unbekannt gewesen waren. Mehr als einmal ertappte er sich dabei, daß er sich vorsichtig umblickte und die Gegend betrachtete. Er musterte die kleinen Felsenklippen und die schwarzen Nebenspalten, als ob er etwas suche. Was aber suchte er dann? Hatte er Angst, es folge ihnen jemand? Wer aber sollte das sein? – Als er wieder einmal so zur Seite und hinter sich blickte, bemerkte er, daß es Harmer offenbar genau so erging. „Fühlen Sie das auch, Chef?“ fragte dieser, und seine Stimme klang ganz verändert. Das mochte daran liegen, daß sie über die Sprechanlage des Raumanzuges sprachen. Hansen nickte. An sich war er froh, daß er nicht allein dieses unheimliche Gefühl hatte. Aber es war doch lächerlich! Wer sollte ihnen denn schon auf einer unbewohnten Welt folgen? Nach einer Stunde langten sie am Ende der Schlucht an. Hansen stellte fest, daß sie schon sieben Meilen zurückgelegt hatten. Vor ihnen lag das Plateau, dessen Horizont sich in der 23
Dämmerung verlor. Die Oberfläche, war felsig und uneben; der bläuliche Schnee lag so, als ob ihn ein Sturm verweht hätte. Ihren Vermutungen nach mußte der schwere Kettenwagen Irgendwo in dieser Gegend gelandet sein. Hansens vage Hoffnung, daß er eventuell weich gefallen sei, schwand mehr und mehr, als. sie sich die Gegend ansahen. Es war viel eher wahrscheinlich, daß er in tausend Stücke zerschellt oder in eine der vielen Spalten gestürzt war, die die Ebene wie schwarze Finger durchzogen. Langsam bewegten sie sich vorwärts. Sie hatten einen Detektor mit, der ihnen den Weg zeigen würde, sobald sie bis auf fünf Meilen an die Absturzstelle herangekommen waren. Wenn der Zeiger erst mal ausschlug, konnten sie den Wagen oder das, was von ihm übriggeblieben war, nicht mehr verfehlen. Die Spalten waren so tief und so dunkel, daß sogar die hellen Strahlen ihrer Scheinwerferlampen den Grund nicht erreichen konnten. Sie kamen gut voran, fanden aber kein Zeichen von dem, was sie suchten. Auch der Detektor schwieg. Im Kettenwagen war ein Miniatursender eingebaut, und zwar derart eingeschlossen und gesichert, daß er praktisch unzerstörbar war. Selbst wenn der Wagen völlig zerschmettert worden sein sollte, wäre es möglich, daß dieser Impulssender noch intakt war. Dessen „Impulse“ fing der Detektor auf, wenn sie nahe genug heran waren. Das Ganze war eine Erfindung, die schon vor längerer Zeit gemacht worden war. Sie verhütete, daß sich die Männer, wenn sie auf fremden Planeten gelandet waren, gegenseitig verloren. Hier und dort leuchteten Hansen und seine Begleiter mit ihren Lampen in die Spalten. Die rauchartigen Nebelfetzen in deren Innern warfen jedoch das Licht wieder zurück. Sie konnten nichts sehen. 24
Wieder verging eine halbe Stunde irdischer Zeit. Sie fanden nichts. „Hoffentlich finden wir den Weg zurück!“ meinte Harmer. „Es sieht hier überall gleich aus.“ „Wir können jederzeit die Neptun anrufen und um ein Peilsignal bitten“, entgegnete Nevins mit beruhigender Überlegenheit. Er war ja der Funker. Als sie 30 Meilen vom Schiff entfernt waren, empfing der Detektor die ersten Zeichen des Impulssenders. Sie kamen von links, in einem Winkel von 50 Grad zu ihrer bisherigen Marschrichtung. „Vier Meilen Entfernung!“ sagte Hansen, auf den Detektor sehend. „In einer halben Stunde können wir dort sein.“ Als sie etwa eine Meile gegangen waren, fanden sie auf einer Eisfläche eine Menge zerstreuter Konservendosen. Eine der Blechkisten, die sie über Bord geworfen hatten, war geborsten, obwohl diese stoßsicher sein sollten. Kurze Zeit später fanden sie die Stelle, wo der Wagen aufgeschlagen war. Eine kurze Schleifspur führte durch den Schnee zu einer Spalte. Das Schlimmste, was sie befürchtet hatten, war eingetreten. Der Kettenwagen lag auf dem Grunde einer der vielen Schluchten, die die Ebene durchzogen. Sie gingen vorsichtig bis an den Rand heran und ließen die Strahlen ihrer Lampen in das Dunkel fallen. Aber die Spalte war zu tief, und der Methannebel ließ das Licht nicht durch. Der Detektor war mit einem eingebauten Radarlot versehen. Hansen hielt den kleinen Apparat über den Abgrund und drückte einen Knopf. Dann sah er auf den Zeiger. „Ungefähr tausend Fuß tief“, gab er bekannt. „Ich befürchte, daß unser Karren nur noch als Altmaterial zu gebrauchen ist. Ich werde mal hinuntersegeln und nachsehen.“ „Sie meinen doch wohl, daß wir alle mal da hinuntersegeln werden?“ äußerte Harmer ein wenig vorwurfsvoll. „Es könnte 25
doch möglich sein, daß dort unten sämtliche prähistorischen Ungeheuer nur darauf warten, Sie anknabbern zu können. Nein, das ist nichts für Sie allein, Chef!“ Hansen mußte lachen. „Ungeheuer bei minus 150 Grad?“ Innerlich war er jedoch froh, daß seine Kameraden ihn begleiten wollten. Die Aussicht, ganz allein durch den Methannebel unter die Oberfläche einer toten Welt zu steigen, war nicht gerade verlockend. Sie benützten ihre Raketengürtel als Fallschirme und ließen sich damit langsam nach unten sinken. Es war ein unheimliches Gefühl. Instinktiv hielten sich die drei eng beieinander. Die Lampen hatten sie nach unten gerichtet. Der neblige Raum war erhellt, wie in einer irdischen Mondnacht. Sie waren bereits 500 Fuß hinabgeschwebt, als sie ihren Geländewagen entdeckten. Die Vorderfront des massiven Fahrzeuges blickte aus einem See heraus, der mit einer trüben Flüssigkeit gefüllt war. Er war etwa hundert Fuß lang und halb so breit. Eine der Ketten sowie eine abgerissene Antriebsdüse lagen am Ufer des unterirdischen Gewässers. Im übrigen schien der Wagen nicht allzusehr zerstört zu sein – soweit er sichtbar war! Wie es allerdings unter der Oberfläche des Sees aussah, konnten sie nicht wissen. „Das ist kein Wasser!“ stellte Hansen fest. „Es kann keins sein!“ „Ich nehme an, daß es flüssiges Ammoniak ist“, vermutete Harmer. „Genau so eine Pfütze, wie wir sie auf Jupiter vorfanden. Wir wollen vorsichtig sein. Das ist nicht die Art Freibad, nach der ich mich jetzt sehne.“ Sie steuerten vorsichtig auf das Ende des Sees hin, der fast den Boden der Spalte ausfüllte, und landeten sanft auf einer glatten, eisharten Schneefläche des Ufers. Sie stellten den Antrieb ab. Ein geisterhaftes Schweigen herrschte in der Höhle. Der wogende Nebel über der Flüssigkeit glühte im Scheine der Lampen unheimlich grün auf. 26
Hansens zweites Stoßgebet galt den Lampen. Wenn sie versagten, wären sie hier genau so aufgehoben wie in der Hölle. „Erfreuliche Gegend, was?“ murmelte Harmer. „Ob es hier Chlor gibt?“ „Warum?“ wollte Nevins wissen, dem der Tonfall des anderen verdächtig vorkam. „Nun, wenn meine chemischen Kenntnisse nicht völlig eingerostet sind, dann müßte das ziemlich gefährlich sein. Eine Prise Chlor in diesen Methannebel …! Ein Sonnenstrahl genügte, um eine unvorstellbare Explosion hervorzurufen. – Sagt mal, in unseren Lampen, ist das auch Sonnenlicht?“ „Beruhigen Sie sich, Harmer“, lachte Hansen. „Sie vergessen ganz, daß zu einer Explosion auch noch Sauerstoff gehört!“ „Hier ist genug Kohlendioxyd vorhanden.“ „Möglich, aber es ist gefroren! Unsere Lampen sind zu schwach, um es zu schmelzen. – So, und nun wollen wir mal. unseren Wagen untersuchen.“ Sie gingen an den Rand der Flüssigkeit. Es war tatsächlich Ammoniak. Das Fahrzeug lag ungefähr fünf Meter vom Ufer entfernt. Sie konnten sich leicht ausrechnen, daß der See ungefähr zehn Meter tief sein mußte. „Ich glaube nun aber doch, daß wir von dem Ding Abschied nehmen können“, vermutete Hansen nicht zu Unrecht. „Sie haben verflucht gut gezielt, Harmer!“ Der grinste dünn. „Nicht schwierig, bei den vielen Spalten hier! Aber was meinen Sie: Können wir den Wagen nicht mit der Neptun herauswinden, wenn sie wieder flott ist?“ „Möglich. Ich nehme an, es ist für den Karren auch nicht gerade günstig, einige Tage in dieser Brühe zu liegen. – Na, laßt uns umkehren, es ist Zeit zum Essen. Sobald Bogart das Schiff startklar hat, kommen wir noch mal her.“ Keiner von ihnen hatte gegen diesen Vorschlag etwas einzuwenden. Mit ihren Hilfsflugapparaten stiegen sie in der Spalte 27
hoch und landeten. auf deren Rand. Da man die Raketengürtel nicht allzusehr beanspruchen durfte, machten sie die Tour etappenweise, auf Vorsprüngen rasteten sie minutenlang. „Nehmen Sie Verbindung mit dem Schiff auf“, sagte Hansen zu Nevins. „Fordern Sie ein Peilzeichen an. Ich weiß wirklich nicht mehr, wo wir uns befinden.“ Er sah sich forschend um. Nevins begann, seinen kleinen Sender funkbereit zu machen. Er drehte an den Knöpfen. Da packte Hansen plötzlich mit schmerzhaftem Griff den Arm des Funkers. „Abstellen! Schnell, Nevins!“ – Seine Stimme war drängend und drohend. „Wenn sich mein Radargerät nicht irrt, befindet sich irgend etwas über uns.“ Nevins stellte den Sender ab. Die Sekunden schienen zu Stunden zu werden, während sie in dem grünlichen Nebel standen und in den dämmerigen Himmel über sich starrten. Dann stieß Hansen plötzlich einen Fluch aus, leise, als ob er fürchte, es könne ihn jemand hören. Der lange, zigarrenförmige Schatten eines Raumschiffes glitt über ihnen durch die Wolkenfetzen. Es war nicht die Neptun! Es war aber auch keine der irdischen Raketen! Der Typ war unbekannt; ein Raumschiff wie dieses hatten sie noch nie gesehen.
DAS UNBEKANNTE WELTRAUMSCHIFF Schweigend betrachteten die Männer das Schiff. Es bewegte sich sehr langsam in einer Höhe von ungefähr 5000 Fuß: ein großer, dunkler Schatten, der sich gegen den blaugrauen Himmel Althans abhob, obwohl die Sterne zu sehen waren, wie in einer Vollmondnacht auf der Erde. „Glauben Sie, daß man uns sehen kann?“ wisperte Harmer. 28
„Kaum, wir sind in diesem Gelände zu gut gedeckt“, sagte Hansen. „Möglicherweise fingen sie meine Rufzeichen auf?“ meinte Nevins besorgt. „Das könnte schon eher möglich sein“, stimmte Hansen nachdenklich zu. „Soll ich versuchen, mit ihnen in Verbindung zu treten?“ fragte der übereifrige Nevins. „Nein, zum Teufel!“ wehrte Hansen entschieden ab. „Ich kenne zwar Ihre Gefühle; denn mir geht es wahrscheinlich genau so wie Ihnen. Auch ich wünsche aufrichtig, daß jene Menschen – wer immer sie auch sein mögen – uns nicht feindlich gesinnt sein mögen. Es würde mich sehr freuen, als erster Erdenmensch mit einer fremden Zivilisation in Berührung zu kommen. Aber das können wir nicht eher riskieren, bis wir genau wissen, welche Absichten jene Besucher aus dem Weltraum hegen. Sie können Freunde, aber auch Feinde sein. Wir müssen das genau wissen, ehe wir einen Annäherungsversuch unternehmen. Machen wir uns erst mal ein wenig unsichtbar. Kommt!“ „Wohin?“ fragte Harmer. „Sie würden uns ja doch finden.“ Hansen zögerte ein wenig mit der Antwort. Er beobachtete das Schiff. Es hatte eine große Schleife gemacht und war tiefer gegangen. Man konnte das deutlich bemerken; auch das Radargerät bestätigte es. „Es sieht so aus, als wollten sie gerade hier landen“, sagte er dann. „Wir werden uns wieder in unsere Spalte zurückziehen.“ „Ich kann mir ein gemütlicheres Versteck vorstellen!“ Harmer schnitt eine fürchterliche Grimasse. „Aber ich glaube, in diesem Sturm ist jedes Loch ein willkommener Nothafen. Paßt auf – die werden sicher noch Wind machen!“ Sie traten an den Rand der Spalte und ließen sich in die Tiefe sinken, jedoch etwas schräg, damit sie nicht im Ammoniaksee 29
landeten. Sie kamen unten gut an und blieben dicht an der aufsteigenden Wand, stehen. Sie waren ganz ruhig, und ihre Sinne waren aufs äußerste angespannt. Um sie herum und über ihnen wogte der Methandunst und nahm ihnen jede Sicht. Die Lampen hatten sie ausgeknipst. Der winzige Radarschirm zeigte ihnen, daß das fremde Raumschiff immer noch über ihnen kreiste. „Ob man uns hier entdecken kann?“ fragte Harmer. „Wir wissen nicht, was sie für Instrumente haben“, antwortete Hansen. „Aber ich möchte behaupten, daß genügend Mineralien in den Felsen hinter uns sind, um uns vor einer Ortung zu schützen, falls sie mit den uns schon bekannten Geräten arbeiten sollten.“ Es vergingen einige Minuten in Schweigen. Sie bemerkten, daß ihre Pulse vor Aufregung heftiger klopften, und glaubten, daß man es hören müsse. In den Glashelmen dröhnte es jedenfalls wie in einem Wasserfall. „Sie haben in 3000 Fuß Höhe haltgemacht, also in 2000 Fuß über der Oberflächenbasis“, stellte Hansen etwas erstaunt fest. „Haltgemacht?“ Harmer schien ziemlich verblüfft zu sein. „Wie machen sie denn das? – Nun soll mir aber keiner behaupten, die hätten an einem Schiff von solcher Größe Flügel wie ein Hubschrauber!“ „Es werden Rückstoßströme vertikaler Natur sein“, nahm Hansen an. „Sie kommen tiefer. Möglich, daß sie zu landen beabsichtigen.“ Atemlos starrten sie auf den kleinen Radarschirm und beobachteten das langsame Herabsinken des unbekannten Raumschiffes. Es kam langsam und sanft herunter, ohne jedes Geräusch. Im Gegensatz zu dem heulenden Brausen der irdischen Raketen wirkte dieses schweigsame Herabsinken unheimlich. Dann, ungefähr 100 Meter über der Oberfläche, hielt es wiederum an und hing nun bewegungslos über der Stelle der Spalte, in der die drei Freunde verschwunden waren. 30
Weiter geschah zunächst nichts. „Glauben Sie, daß man dort oben Instrumente besitzt, mit denen man unser kleines Radargerät anpeilen kann?“ fragte Harmer. „Falls sie das haben, dann haben sie schon längst die Wellen unserer Sprechanlage aufgefangen“, belehrte ihn Hansen. „Wir können wirklich nichts anderes tun, als die weitere Entwicklung abzuwarten.“ Hansen war nur äußerlich so ruhig. Innerlich wünschte er sehnlichst, eine andere Waffe als nur die normale Strahlpistole zu haben, die jeder von ihnen im Gürtel stecken hatte. Diese Strahlpistolen waren weniger als Schußwaffen gedacht, sondern dienten vielmehr hauptsächlich zum Zerschmelzen von Hindernissen aus Stahl oder Felsen. Trotzdem hatten sie eine verheerende Wirkung auf Lebewesen aller Art. Man hatte sie deshalb beispielsweise auch gegen die Riesensaurier auf der Venus eingesetzt. Mit den Strahlern in Raumschiffen und an Geländewagen verglichen, waren es jedoch Kinderspielzeuge. Hansen nahm zwar nicht gleich das Schlimmste an. Dazu war gar kein Grund vorhanden. Die Besatzung jenes Schiffes konnte durchaus friedliche Absichten haben. Immerhin wäre es ein beruhigenderes Gefühl gewesen, Wenn sie eine wirksame Waffe besessen hätten. Man konnte nie wissen! Urplötzlich schoß ein greller Strahl blauweißen Lichtes durch den Methannebel und erhellte den Grund der Schlucht. Es war so hell wie in einer Mondnacht auf der Erde. „Jetzt hat es aber gebumst!“ knurrte Harmer wütend. „Sie scheinen zu wissen, daß wir uns hier befinden. Sie suchen uns schon.“ Sie preßten sich eng an die Felswand und nutzten jeden Vorsprung als Deckung gegen das herabfallende Licht aus. Einen Moment lang fürchtete Hansen, es könne sich um eine Art Todesstrahl handeln; aber er bemerkte auf dem Eis, wo es auftraf, 31
keinerlei Veränderung. Es hätten ja auch ebensogut paralysierende Strahlen sein können, die das Nervensystem des Menschen ohne äußere Zerstörung angriffen. Der Strahl wanderte auf dem Höhlengrund hin und her, konnte sie aber nicht treffen, da die etwas überhängende Wand eine gute Deckung bot. Sie standen im tiefsten Schatten. Der Strahl wanderte bis zu dem Ammoniaksee, gute dreißig Meter von ihnen entfernt, traf auf den halbeingetauchten Kettenwagen, ging weiter, zögerte. Dann kam er wieder zurück, blieb zitternd auf der Metallmasse stehen. Hansen stieß seine Begleiter an und zeigte auf einen Punkt, wenige Meter von ihnen entfernt. Er wagte nicht, zu reden. Das fremde Schiff hätte bei der geringen Entfernung die Wellen womöglich auffangen können. Sie verließen ihr spärliches Schutzdach und sprangen schnell zu der von Hansen bezeichneten Stelle. Ein vorstehender Felsen bot Deckung nach allen Seiten. Eine Zeitlang ereignete sich nichts. Der grelle Strahl lag immer noch auf dem See; die grünen Nebel waren zu einem durchsichtigen Schleier geworden. Ob jene Wesen ein Gerät besaßen, mit dessen Hilfe sie fähig waren, in das Innere der Metallmasse zu schauen? Plötzlich packte Harmer den Ellenbogen Hansens mit einem schmerzhaften Griff. Dieser folgte der Richtung seines ausgestreckten Armes und hielt unwillkürlich den Atem an. Was er sah, ließ seinen Herzschlag stocken. Vier Gestalten in Raumanzügen sanken langsam durch den Nebel nach unten. Sie hingen an einer Art Miniaturhubschrauber, der an ihrem Rücken befestigt war. Die Ankömmlinge waren, wie man an den Anzügen erkennen konnte, sehr menschenähnlich. Lediglich die Beine schienen etwas länger zu sein als bei den Erdbewohnern. Das war aber auch alles, was man bis jetzt erkennen konnte. 32
Ein merkwürdiges Gefühl überflutete Hansen. Neugierde war es, gemischt mit Furcht vor dem Unbekannten. Aber – so sagte er sich – wenn diese Lebewesen so ähnlich aussahen wie Menschen, dann würden sie wohl auch wie solche denken. Als die fremden Gestalten am Ufer des Sees gelandet waren und im hellen Licht des immer noch strahlenden Scheinwerfers standen, konnte Hansen sie genauer betrachten. Ihre Helme waren nicht, wie die ihren, rund und durchsichtig, sondern sehr breit gebaut und nur an der Vorderfront aus glasähnlichem Stoff. Auf dem Helm selbst war eine Antenne befestigt, wohl aus Metall, die offenbar der Verständigung diente. Hansen gab seinen Kameraden einen entsprechenden Wink, und sie schalteten ihre Sprechverbindung aus. Man konnte nie wissen! Die Gestalten traten zusammen und hielten eine Art Besprechung ab. Danach ging der eine von ihnen ganz dicht an den Ammoniaksee heran, während die restlichen drei ihrem Anführer folgten. Dieser erreichte nun den See, starrte einige Augenblicke auf den Teil des Fahrzeuges, der aus dem See herausragte, schwang sich dann mit Hilfe seines Flugapparates hinüber und landete sicher auf der winzigen Insel. Die anderen blieben am Ufer stehen. Das Wesen auf dem Kettenwagen nahm aus einer Tasche seines Raumanzuges einen zigarrenkistenförmigen Gegenstand, hielt ihn vor den durchsichtigen Gesichtsteil seines Helmes und schien den Gegenstand, auf dem er stand, zu betrachten. Also doch! dachte Hansen, ein wenig wütend. Sie haben ein Instrument, mit dem sie ohne weiteres durch Stahl sehen können. Nach einigen Minuten kehrte der Anführer der vier zu seinen am Ufer wartenden Begleitern zurück. Es schien sich erneut eine heftige Debatte zu entspinnen. 33
Hansen stellte seine Sprechanlage wieder an, aber nur den Empfänger. Normalerweise war diese kleine Funkeinrichtung auf gewöhnliches Zentimeterband eingestellt, konnte aber bei Bedarf auf Ultrawelle umgeschaltet werden. Welche Längenwelle jene Fremden auch benutzen, es war jedenfalls keine der auf der Erde üblichen. Der Zufall wäre auch zu merkwürdig gewesen. Hansen probierte sämtliche Frequenzen aus, und erst nach langem Suchen erzielte er endlich ein positives Resultat. Sein Puls begann vor Aufregung laut zu klopfen, als er in seinem Kopflautsprecher eine Stimme hörte: eine harte, metallische Stimme, deren Sprache ihm völlig fremd und unbekannt war. Sie hatte keine Ähnlichkeit mit einer der ihm bekannten Weltsprachen, selbst nicht mit den antiken. Die Stimme schwieg, und eine andere antwortete. Ob diese andere Stimme von einem der vier dort oder gar aus dem Schiff stammte, das immer, noch bewegungslos über der Spalte hing, vermochte Hansen nicht zu ergründen. Es entstand eine Pause. Er hatte den Eindruck, als warteten jene auf irgend etwas. Wieder war es Harmer, der ihn durch einen Rippenstoß aufmerksam machte. Er zeigte nach oben, und Hansen folgte der Richtung seines Armes. Da sah er, daß vier andere Gestalten in Raumanzügen durch den grünen Nebel nach unten sanken. Als sie neben ihren zuerst angekommenen Artgenossen gelandet waren, sah er auch, daß sie mehrere Metallscheiben mitgebracht hatten, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Elektromagneten hatten. Dünne Seile, die wie Silber glänzten, gingen von ihnen aus und verschwanden nach oben in dem erleuchteten, grünen Nebel. „Ich glaube, auch ohne Supergehirn zu wissen, was nun folgen wird“, dachte Hansen laut; aber es konnte ihn keiner der Freunde hören. Mit dem unangenehmen Gefühl der Hilflosigkeit beobachtete 34
er, wie die Neuankömmlinge auf den Kettenwagen flogen und die Scheiben an beiden Seiten befestigten. Dann segelten sie zum Ufer zurück. Hansen hörte in seinem Gerät, wie eine harte Stimme etwas sagte. Sodann strafften sich die silbernen Taue. Langsam, ganz langsam begann sich die riesige Metallmasse zu heben und tauchte aus der Flüssigkeit auf. Das Scheinwerferlicht reflektierte sich tausendfach in dem herabtropfenden Ammoniak. Nun bemerkte Hansen auch, daß die Unterseite des Fahrzeuges zertrümmert war. Sie schien, bevor der Wagen in den See gefallen war, heftig auf dem Felsen aufgeschlagen zu sein. Langsam stieg der Koloß nach oben, in den grünen Nebel, und verschwand dann im grellen Licht des Scheinwerfers. Die drei Erdenmenschen warteten auf das, was sich nun ereignen würde. Hansen hoffte, die acht Gestalten würden ebenfalls verschwinden und zu ihrem Schiff zurückkehren. Er nahm als sicher an, daß jene Fremden nicht gelandet waren, weil sie ihn und seine beiden Kameraden entdeckt hatten, sondern nur, weil sie die Impulse des Senders im Kettenwagen aufgefangen hatten. Wenn er der Kapitän des unbekannten Raumschiffes gewesen wäre, hätte er wahrscheinlich genau so gehandelt. Man lud sich dort oben zwar allerhand unnötigen Ballast auf; aber der Fund war für die Angehörigen einer fremden Zivilisation sicherlich sehr interessant. Ihre Untersuchungen würden recht bald ergeben, daß dieser Gegenstand erst einige Stunden in dem Ammoniaksee gelegen hatte. Dann würden sie wahrscheinlich den ganzen Planeten nach ihnen absuchen. Das Endergebnis wäre sicher die Entdeckung der Neptun; denn solch ein Riesengegenstand konnte ihnen kaum entgehen, nachdem man den verhältnismäßig winzigen Geländewagen vom Raumschiff aus gefunden hatte. Die acht fremden Weltraumfahrer machten jedoch keinerlei Anstalten, zur Oberfläche des Althan zurückzukehren. Sie unterhielten sich in ihrer harten, metallischen Spra35
che. Hansen glaubte sogar, einmal so etwas Ähnliches wie ein Lachen gehört zu haben. Er hoffte es sehr; denn Lachen gehörte zu den Eigenschaften, die nur menschlich denkende Lebewesen haben könnten. Ob diese Fremden nun freundlich eingestellt waren oder nicht – Hansen hatte jedenfalls das Gefühl, die zurückgebliebene Besatzung der Neptun warnen zu müssen. Aber er wußte auch, daß das nicht so einfach war. Eine Funknachricht würde sofort ihre Anwesenheit verraten. Im äußersten Falle würde Hansen sogar bereit sein, sich selbst zu opfern, nur um die Leute der Neptun zu warnen; aber so weit war es denn wohl doch noch nicht! Jedenfalls mußten sie aus dieser Spalte hinaus. Das aber war nahezu unmöglich; denn 20 Meter von ihnen entfernt standen die Fremden – und ungefähr 500 Meter über ihnen hing das Raumschiff. Ganz unvermittelt begann der Lichtfleck des Scheinwerfers zu wandern. Er wanderte in ihrer Richtung und blieb zitternd zwischen ihnen und dem See stehen. Die drei erbebten vor Schreck und starrten auf den hellen, runden Flecken, der ihnen leicht zum Verräter werden konnte. Während sie noch zu begreifen versuchten, was das nun wieder bedeuten sollte, begann dieser erneut zu wandern und kam direkt auf sie zu! Instinktiv, ohne gegenseitige Verständigung, zogen sie sich langsam zurück und. begannen, über Steine und Trümmerstücke, in das Dunkel der Höhle – etwas anderes schien es nicht zu sein – zu hasten. Ihre Metallschuhe glitten auf dem eisigen Schnee aus; sie krochen mehr, als sie gingen. Ein Gefühl panischer Furcht überkroch Hansen. Aber er versuchte es niederzukämpfen. Schließlich war es noch lange nicht bewiesen, daß diese Fremden feindliche Absichten hegten; aber ein undefinierbares Angstgefühl hatte ihn gepackt. Hansen gab allerhand auf Gefühle. 36
Vielleicht wußten jene Fremden noch gar nicht, daß auf der Erde Leben existierte. Vielleicht war ihnen sogar diese selbst noch unbekannt. Er redete sich ein, daß es das beste sei, jede Chance zu nutzen, von hier zu verschwinden. Aber irgend etwas hielt ihn trotz allem zurück. Vielleicht war es nur die Neugierde des Forschers. Er machte an einem größeren Felsbrocken halt und sah zurück. Der Lichtfleck war ihnen zwar nicht gefolgt, hatte sich aber ausgedehnt. Er reichte von Wand zu Wand der Schlucht und vom See bis zu der Stelle, an der sie gestanden hatten. Welch ein Glück, daß sie von dort geflohen waren! Eine Entdeckung wäre unvermeidlich gewesen! Vielleicht aber würde man sie schon im nächsten Moment entdecken – nämlich dann, wenn man ihre Spuren in dem harten Schnee fand. Wer waren diese Fremden? Von welchem Sonnensystem kamen sie? Was wollten sie ausgerechnet auf dieser toten, unbewohnbaren Welt? Diese und ein Dutzend andere Fragen wirbelten durch Hansens Kopf. Er mußte Antwort haben! Wenn er zur Neptun zurückkehrte, würde er sie nie erfahren. In der Zwischenzeit konnten die Fremden gestartet und im Weltraum verschwunden sein. Nie würde er dann wissen, von wo sie gekommen waren. Wer waren diese Fremden? Immer wieder kehrte diese Frage zurück. Seine Kameraden standen neben ihm, ebenfalls beobachtend. Hansen vermeinte Harmers Herzklopfen zu spüren, als der sich eng an ihn herandrängte. Allzulange hatten sie nicht zu warten. Einige neue Gestalten kamen auf den Grund der Spalte herabgeschwebt. Sie trugen verschiedene Ausrüstungsgegenstände, die im Lichte des Scheinwerfers metallen aufblitzten. Zum 37
Schluß kamen noch zwei Fahrzeuge, die – genau wie ihr eigener Wagen – mit Laufketten versehen waren. Ein leichtes Lächeln huschte flüchtig über Hansens bärtiges Gesicht. „Genau so landeten wir damals hinter dem Rücken der Piraten, gegen die wir auf den Asteroiden kämpften“, murmelte er für sich. „Ich glaube, diese Fremden sind unsere nächsten Verwandten im Weltraum. Professor Matson würde bedenkenlos einen seiner Arme opfern, wenn er jetzt hier sein könnte. Ich wette sogar, er würde sein Leben aufs Spiel setzen, nur um ihre Gestalten ohne Raumanzug sehen zu können.“ Fasziniert beobachteten sie die Ankunft der Verstärkung. Was hatte man vor? Jene teilten sich; in jedes der Fahrzeuge stiegen einige Leute. In seinem Kopfhörer fing Hansen die Gesprächsfetzen einer Unterhaltung auf. Zu dumm, daß er nichts verstehen konnte! Doch jetzt schien eine laute Stimme einen Befehl durchzugeben; denn es wurde ruhig. Man bildete eine Art Marschformation zu dreien, die Wagen an der Spitze, und dann setzte sich der ganze Trupp in Bewegung. Sie nahmen Richtung auf den Felsen, hinter dem sich Hansen und seine Begleiter versteckt hielten. Der Scheinwerferstrahl, der von dem Raumschiff herunterleuchtete, erlosch. Aber im gleichen Moment wurde er durch zwei Lampen der Kettenwagen ersetzt, die den Grund der Bodenspalte in grelles Licht tauchten und kleine Steinchen zu riesengroßen Schatten werden ließen. „Abhauen, schnell!“ rief Hansen, der vor Aufregung völlig vergaß, daß man ihn ja gar nicht hören konnte. Ihre Verständigungsapparate waren immer noch ausgeschaltet, wenigstens Harmers und Nevins’. Aber es dauerte keine Sekunde, da liefen sie schon hinter 38
ihm her, hinein in das Dunkel, das ihnen als einzige Rettung erschien. Mit jedem Schritt glaubte Hansen ein Kommando zu hören; in jeder Sekunde erwartete er den heißen, zerschmelzenden Strahl einer Ionenpistole in seinem Rücken. Aber das Glück schien ihnen wieder mal hold zu sein. Wenigstens bis jetzt! – Die Dunkelheit wurde noch intensiver; sie faßten sich bei den Händen und tasteten sich blind weiter. Sie konnten nichts mehr sehen; selbst die Scheinwerfer hinter ihnen waren für den Augenblick verschwunden. Hansen zählte seine Schritte, um wenigstens einen ungefähren Anhaltspunkt zu haben, wie weit sie sich von der Stelle entfernten, an der das Raumschiff über der Oberfläche hing. Er hatte nämlich die Absicht, sobald diese Entfernung groß genug sein würde, an die Oberfläche des Planeten zu steigen und von dort aus möglichst schnell zur Neptun zurückzukehren. Ganz tief in seinem Inneren saß zwar das Verlangen, zu bleiben und festzustellen, was jene unbekannte Expeditionsmacht hier beabsichtigte; aber er durfte nicht riskieren, gefangengenommen zu werden. Er war für die Neptun verantwortlich. Außerdem war die Neptun für hundert Erdmenschen die einzige wirksame Verteidigungsmöglichkeit im System des Alpha Centauri, falls diese unbekannte Rasse einen Angriff unternehmen sollte. Einmal rutschte Nevins aus und fiel der Länge nach hin. Seine Kameraden halfen ihm hoch, und sie hasteten weiter. Wieder legten sie etwa 50 Schritte zurück. Plötzlich hielt Nevins an, zögerte eine Sekunde und begann dann, wieder zurückzugehen. „Was ist los, zum Teufel?!“ schrie Hansen und griff nach seinem Arm. „Bist du wahnsinnig geworden?“ In seiner Wut sagte er du zu dem Funker. Möglich, daß dieser erriet, was Hansen meinte, obgleich er 39
ihn nicht verstehen konnte. Er brachte seinen Helm nahe an den Hansens heran und stellte so eine Verbindung her. Dann rief er: „Sender … verloren …, finden ihn …!“ Seine Worte schienen aus weiter Ferne zu kommen; aber Hansen verstand den Sinn. Die Atmosphäre übermittelte die Schallwellen nur sehr träge. Er blickte zurück. Die Scheinwerfer der kleinen Geländewagen waren wieder sichtbar geworden und lagen schon auf der Stelle, an der Nevins gestolpert und gefallen war. Wie sollte sich Hansen nun entscheiden? Der Sender war unbezahlbar, war die einzige Verbindung zu ihrem Schiff. Wenn sie jedoch bei der Suche nach ihm gefangen oder gar getötet wurden? „Wir müssen ihn aufgeben!“ schrie er zurück. „Los, weiter!“ Nevins war ein vorbildliches Besatzungsmitglied. Ohne zu zögern, gehorchte er, obgleich er vielleicht innerlich anders darüber dachte. Sie tasteten sich weiter durch das Dunkel; sie wagten es immer noch nicht, die Lampen zu benutzen. Aus diesem Grunde kamen sie nur sehr langsam voran. Hansen rechnete sich aus, daß sie wenigstens noch dreihundert Schritte weitergehen mußten, ehe sie es wagen konnten, nach oben zu steigen. Aber die Verfolger holten immer mehr auf; und über der Spalte hing das fremde Schiff – wie ein auf Beute lauernder Raubvogel! Vielleicht mußten sie aber noch weiter laufen; denn jenes Schiff konnte Instrumente an Bord haben, mit denen man die Düsenströme der Raketengürtel feststellen konnte, wenn die Entfernung nicht groß genug war. Einen Moment dachte er an die Möglichkeit, jetzt schon nach oben zu steigen und auf halbem Wege im Dunkel der Spalte zu verharren, bis die Kolonne unter ihnen durch war. Aber das wäre wohl zu riskant gewesen. Der Wert der Rückstoßdüsen an dem 40
aufgeschnallten Apparat war zwar unschätzbar, aber sie waren an erster Stelle für den freien Weltraum gedacht, wo die natürliche Schwerelosigkeit herrschte. Man benutzte sie dort lediglich zur Richtungsänderung. Im Bereiche der Anziehungskraft eines Planeten wurde der ganze Apparat auf die Dauer zu sehr beansprucht. Immerhin, es könnte ihnen gelingen, so lange in der Luft schweben zu bleiben, bis die unbekannten Verfolger vorübergezogen waren. Dann aber würden sie doch wieder zwischen ihnen und dem Ammoniaksee sitzen, falls man sie nicht vorher schon entdeckt hatte. Sie wären dann noch lange nicht in Sicherheit, denn über ihnen stand das Schiff! Hansen entschloß sich, in der alten Richtung weiterzulaufen. Er führte und hielt Nevins bei der Hand, der wiederum Verbindung zu Harmer hielt. Hansen stellte mit Erschrecken fest, daß es allmählich immer heller wurde, je näher die Verfolger mit ihren Scheinwerfern kamen. Er suchte seinen Weg dicht an der Wand entlang. Zwar war es da dunkler als in der Mitte; aber man würde sie dort auch nicht so schnell entdecken können. Eine Felsnase stieß aus der Wand hervor. Hansen schlüpfte schnell um sie herum, um möglichst rasch wieder in Deckung zu kommen. Zu spät bemerkte er, daß der Boden vor ihm schräg nach unten abfiel und aus glattem Eis bestand. Er rutschte aus, schlug der Länge nach hin und verlor dabei Nevins Hand, der zu spät begriff, was sich ereignet hatte. Langsam glitt Hansen die schräge Ebene hinunter, seine Geschwindigkeit stetig steigernd. Die Wand kam auf ihn zu. Verzweifelt krallte er sich am Boden fest. Aber was war denn das? Der ganze Grund, Eis und Schnee, 41
schien sich in der gleichen Richtung zu bewegen. Er selbst lag bewegungslos; aber der Boden, auf dem er sich befand, schoß mit ihm einer schwarzen Ungewißheit entgegen. Instinktiv spreizte er seine Beine, um den bald bevorstehenden Aufprall mit der entgegenkommenden Wand zu mildern. Aber dieser Aufprall kam nicht! Die Wand schien sich zu öffnen. Er verlor plötzlich den Boden unter sich und schwebte frei im Raume; aber nur für eine Sekunde – dann fiel er mit zunehmender Geschwindigkeit in eine undurchdringliche Finsternis!
DIE TOTE STADT Hansen fiel nicht sehr tief, 20 Meter vielleicht. Seine schweren Strahlenschuhe schlugen auf harten, rauhen Untergrund, und es gelang ihm fast, stehenzubleiben. Das reduzierte Gewicht rettete ihn vor einem Knochenbruch. Da krachte ein gewaltiger Gegenstand auf seinen Rücken, und er fiel der Länge nach hin. Aber er fiel weich; die Luft in seinem Raumanzug wirkte wie ein Puffer. Das Ding, das auf ihn gefallen war, bewegte sich. Hansen schüttelte es in einer Anwandlung von Furcht heftig ab; seine Einbildungskraft sagte ihm, es sei womöglich ein unbekanntes Ungeheuer oder so etwas Ähnliches. Dann aber kehrte seine Vernunft wieder zurück, und er wußte, daß es nur einer seiner Begleiter sein konnte. Jetzt plumpste noch ein Körper schwer auf den Boden. Man war also wieder beisammen! Eine totale Dunkelheit umgab Hansen und übte einen erdrückenden Einfluß auf ihn aus. Er tastete nach seiner Lampe, die in einer seiner geräumigen Taschen steckte, wenn er sie nicht brauchte. Ein kurzer Druck, und schon schnitt ein heller, belebender Schein eine weiße Höhle in die Finsternis. Wenige Meter vor sich sah er eine gebogene Wand. 42
Er richtete die Lampe nach oben und stellte erstaunt fest, daß er sich in einem kreisrunden Schacht von etwa fünf Metern Durchmesser befand, dessen oberer Teil sich in undurchdringlichem Dunkel verlor. Irgend etwas stieß ihn an. Er wendete blitzschnell das Licht und sah Nevins, der neben ihm auf dem Boden kniete. Der Funker zeigte heftig gestikulierend auf die Antenne seiner Sprechanlage. Hansen nickte und schaltete seinen Apparat ein. Wenn jene Fremden wirklich ihr Gespräch hören sollten: schlechter konnte ihre Situation auch nicht mehr werden. Kapitän Harmer kam aus einer anderen Richtung auf allen vieren herangekrochen. Sein Gesicht leuchtete schneeweiß durch den Glashelm. Er hatte sein kleines Funkgerät schon eingeschaltet. „Wo sind wir hier?“ fragte er ein wenig verwirrt. Anscheinend hatte ihn der Fall ziemlich mitgenommen, oder es war nur der Schreck, die Überraschung. „Das weiß ich genau so wenig wie Sie“, antwortete Hansen. „Jedenfalls befinden wir uns im Inneren des Planeten Althan. Wenn ich mich nicht irre, stecken wir in einer Art Schacht, und zwar in einem künstlich angelegten!“ „Künstlich?“ Harmer starrte ihn an, als hätte ihn der Schlag getroffen. „Sie meinen, der Schacht sei von Menschen erbaut worden?“ „Wenn das Wort ‚Menschen’ Ihnen zu gewagt erscheint, dann sagen Sie doch einfach: menschenähnliche Wesen!“ meinte Hansen. „Er ist zu gleichmäßig, um von der Natur geschaffen worden zu sein. Sehen Sie nur mal hier!“ Er ließ den Schein seiner Lampe im Kreise herumgehen. „Sie haben tatsächlich recht, Chef!“ pflichtete Harmer bei. „Aber neu ist er ganz bestimmt nicht mehr.“ „Der Schacht ist schon uralt.“ 43
Hansen stellte sich aufrecht hin und ließ den Schein der Lampe auf den Boden fallen. Es sah so aus, als ob sich hier die Überbleibsel von Jahrhunderten angesammelt hätten, bedeckt mit einer dünnen Schicht Schnee, der – zusammen mit den Steintrümmern – im Laufe der Zeit aus der Spalte, aus der sie gekommen waren, herabgefallen war. Steine, Schnee und Eis bildeten in der Mitte des Schachtes einen größeren Haufen, der zur Seite hin um etwa ein Meter abfiel. „Das bedeutet also, daß es hier einmal intelligentes Leben gab?“ begriff nun auch Nevins. „Vielleicht ist dies ein altes Bergwerk?“ „Möglich“, sagte Hansen nachdenklich. „Sollte das allerdings der Fall sein, so müssen jene Wesen vor Jahrtausenden von Jahren gelebt haben. In keinem Falle konnten sie auf der Oberfläche existieren, so wie sie jetzt aussieht. – Sie sah übrigens vor tausend Jahren schon genau so aus!“ „Es könnte auch etwas anderes sein“, ergriff Harmer das Wort, während er sich wie suchend umblickte. „Sie lebten unter der Oberfläche dieses Planeten, und dieser Schacht war lediglich ihr Aus- und Eingang.“ „Den Gedanken hatte ich auch schon“, sagte Hansen beistimmend. „Hoffentlich sind unsere Fluggeräte noch intakt; ich hätte gerne mal gesehen, wie es über uns aussieht. Vielleicht können wir von dort entfliehen.“ Die Düsen funktionierten. Hansen rückte den Befestigungsgürtel ein wenig gerade und setzte ein wenig Energie zu. Langsam schwebte er nach oben. Das leise Summen der Düsen verstärkte sich durch das Echo an den runden Wänden zu einem ohrenbetäubenden Brausen. Hansen fand die Stelle, an der sie seitlich in den Schacht hineingerutscht waren. Das Loch war jetzt mit Eis und Schnee verstopft, und die ungeheure Kälte hatte alles zu einer kompakten Masse verwandelt. Natürlich hätte er diese Höhle leicht mit seiner 44
Strahlpistole wieder aufschmelzen können. Er sagte sich aber, daß es besser sei, damit noch zu warten; denn ihre Verfolger würden bestimmt noch draußen in der Spalte sein. Sie hatten sicherlich den Sender gefunden, den Nevins verloren hatte, und würden nun bestimmt doppelt gut aufpassen. Seine Kameraden kamen ebenfalls nach oben und blieben in seiner Höhe hängen. Er erzählte ihnen, was er dachte. „Um uns mache ich mir nicht allzuviel Sorgen. Aber mich beunruhigt die Tatsache, daß wir nicht mehr mit der Neptun in Verbindung treten können, um sie zu warnen.“ „Ich weiß nicht“, sagte Nevins nachdenklich. „Es wäre vielleicht möglich, daß ich aus unserer Sprechanlage. durch Hintereinanderschaltung einen Sender und Empfänger zusammenbasteln könnte, der stark genug wäre, die Verbindung mit unserem Schiff aufzunehmen.“ „Das würde uns aber taub und stumm machen!“ bemerkte Harmer zögernd. „Wir könnten uns dann nicht mehr unterhalten.“ „Entweder warnen wir das Schiff, oder wir unterhalten uns!“ sagte Hansen ein wenig scharf. „Vielleicht ist es sowieso schon zu spät. Machen Sie voran, Nevins! In der Zwischenzeit hat der Kapitän dann Gelegenheit, im Helm seine eigene Stimme zu bewundern.“ Sie ließen sich auf den Grund des Schachtes sinken, wo Nevins sogleich mit seiner Arbeit begann. Er klemmte die kleinen Apparate ab, die sie alle drei auf der Brust trugen. Dann setzte er sich nieder und schaltete im Lichte seiner Lampe die einzelnen Geräte zu einem einzigen zusammen. Während er mit seinen behandschuhten, aber geschickten Fingern arbeitete, untersuchten Hansen und Harmer den Schacht etwas näher. Er endete anscheinend unmittelbar jenseits der Seitenhöhle, durch die sie hereingerutscht waren. 45
Sollte das etwa der ehemalige Eingang zu diesem Schacht gewesen sein? Was sollte dieser Schacht überhaupt? Wozu hatte man ihn gebaut? Hansen untersuchte die Wände. Werkzeuge hatten sie in den geräumigen Taschen immer bei sich, auch einen kleinen Stahlschaber. Als er den Schmutz ein wenig damit abkratzte, glänzte es plötzlich auf. Die Wände bestanden aus einem glasartigen Material, waren glatt und hart wie Eisen. Harmer nickte ihm zu und machte mit seinem Daumen eine Auf- und Abwärtsbewegung. Ein Aufzug? Möglich, daß er da recht hatte. Wenn dies aber wirklich ein Aufzugschacht war – wo war dann der eigentliche Aufzug geblieben? Die Antwort war an sich recht einfach: unten! Er zeigte in der entsprechenden Richtung, und Harmer nickte bestätigend. Hansen konnte deutlich sein grinsendes Gesicht sehen. Sie sanken wieder hinab zu Nevins, der stur und verbissen an seinen Geräten bastelte. Hansen versuchte, mit seiner Hand die Steintrümmer beiseite zu räumen, fühlte aber sofort, daß das ein unmögliches Vorhaben war. Dank der geringen Schwerkraft hatte er zwar die dreifachen Kräfte; aber das Eis hatte aus den vielen Einzelstücken einen einzigen Block geformt. Er griff nach seiner Strahlpistole. Wenn man den Abzugshahn nur um ein weniges durchzog, wirkte sie wie ein Heizapparat. Er war sehr vorsichtig und ließ nur soviel Energie ausströmen, daß gerade das Eis unter ihm geschmolzen wurde. Da keine Luft vorhanden war, konnte sich das Methangas kaum entzünden. Aber er wollte kein Risiko eingehen, obwohl ihre Raumanzüge hitzebeständig waren. Endlich lösten sich die Gesteinsbrocken. Mühevoll gruben sie mit ihren Schabern ein Loch in den Grund. Eine Stunde arbeiteten sie angestrengt, und die Mühe schien 46
sich gelohnt zu haben. Der Boden des Loches war nun glatt. Er bestand aus dem gleichen Material wie die Wände. Nach einer weiteren halben Stunde hatten sie das Loch derart vergrößert; daß sie gut in ihm Platz fanden. In der Mitte war unzweifelhaft etwas, das wie eine Klappe aussah. Nevins rutschte das Geröll herunter und setzte sich zu ihnen. Hastig klemmte er ihnen wieder die Funkgeräte an. In ihrem Eifer hatten sie gar nicht mehr an den Funker gedacht und auch nicht bemerkt, ob er nun Erfolg gehabt hatte oder nicht. Da sie ohne ihre Apparate waren, hatten sie auch nichts hören können. „Natürlich nichts!“ war Hansens erste Bemerkung. Nevins lächelte überlegen durch seinen Helm. „O doch!“ sagte er dann. „Ich habe Verbindung mit ihnen bekommen, wenn auch nur sehr schwach. Ich erzählte ihnen, was wir inzwischen erlebt und entdeckt haben, und gab ihnen unsere ungefähre Position. Ich denke, sie haben mich verstanden.“ „Wenigstens etwas!“ sagte Hansen. „Zum mindesten werden sie auf ihrer Hut sein. Jetzt bin ich so ziemlich beruhigt. Solange aber Bogart die Antriebsaggregate nicht in Ordnung hat, kann er weder ein Kraftfeld um das Schiff legen noch einen Positronenstrahl erzeugen.“ „Außerdem können sie auch keinen SOS-Ruf zur Station senden“, fügte Harmer hinzu. „Es scheint, daß wir doch ganz nett, in der Tinte sitzen. Hier machen wir jetzt auch noch in Archäologie.“ Hansen legte seine Stirn in Falten. „Es wäre an sich das einzige, was wir tun könnten: auf dem gleichen Wege umkehren, den wir gekommen sind. Aber dann stoßen wir bestimmt mit den geheimnisvollen Besuchern aus dem Weltraum zusammen. Das möchte ich im Augenblick noch vermeiden. Wir wollen lieber erst mal versuchen, diese merkwürdige Klappe hier zu öffnen. Vielleicht ist es wirklich ein Aufzug, und den hat man 47
gewiß nicht ohne Grund gebaut. Möglicherweise finden wir so einen viel besseren Fluchtweg.“ Mit ihren Werkzeugen konnten sie jedoch nichts ausrichten. Entweder war die Klappe verklemmt oder von innen sicher verschlossen. Hansen nahm wieder die Strahlpistole zu Hilfe und ließ einen nadelfeinen Strahl konzentrierter Energie auf den Klappenrand fallen. Er fraß sich wie ein Drillbohrer in das Material hinein. Hansen folgte den angedeuteten Umrissen. Als er fast die Hälfte der Klappe losgeschmolzen hatte, bekam er einen höllischen Schreck. Konnten in jenem Raum, in den er nun eindringen wollte, nicht explosive Gase sein? Schon Sauerstoff genügte, um die ganze Methanatmosphäre in einen einzigen Flammenblitz zu verwandeln. Nichts dergleichen ereignete sich. Im Gegenteil: Als er eine kleine Pause machte, um seine Stellung zu verändern, hatte er den Eindruck, als ob die Atmosphäre aus dem Schacht, in dem sie sich befanden, in den unteren Raum entwich. Wenn das der Fall war, dann befand sich unter ihnen ein Vakuum! Die Erklärung dazu glaubte er gefunden zu haben, als er die herausgeschnittene Klappe hob. Ihre Unterseite war oxydiert, war rot von Rost. Rost aber war nur dort, wo es auch Sauerstoff gab! Hier unten bestand also einstmals eine sauerstoffhaltige Atmosphäre. Der Strahl seiner Lampe fiel in einen runden Raum, dessen Wände mit dem gleichen roten Staub bedeckt waren. Wenn das wirklich Rost war, dann mußte dieser Wagen aus einem eisenhaltigen Stoff bestehen. Hansen war seiner Sache völlig sicher: Er befand sich in einem Wagen, einem Aufzug. Dieser war etwa drei Meter hoch; den Boden bedeckte eine dicke rote Staubschicht, die wohl von den Wänden und von der Decke nach unten gefallen war. Der Raum schien völlig leer zu sein. 48
„Ich gehe hinunter“, erklärte Hansen und kletterte schon durch die kleine Öffnung. Er hing mit den Händen noch einen Augenblick an deren Rand, dann ließ er sich fallen. Er landete in dem aufwirbelnden Staub und bemerkte erstaunt, daß seine beiden Begleiter ihm schon folgten. Sie federten neben ihm auf. Nevins setzte Sich unsanft auf den Boden. Er murmelte etwas Unverständliches. „Tatsächlich ein Aufzug!“ sagte Harmer, nachdem Nevins sich erhoben hatte. „Was ist das an der Wand?“ Er zeigte auf einen Gegenstand, der an einem Haken hing. „Kommt mir doch so bekannt vor!“ Hansen ging näher heran. Das Ding hatte seine ursprüngliche Form gut behalten; denn er erkannte es sofort. „Das ist eine Sauerstoffmaske“, sagte er. „Sicher die des Liftführers.“ Ein Gedanke durchzuckte ihn plötzlich. Er schätzte die Größe des Aufzuges ab und meinte, daß dieser einen beträchtlich kleineren Durchmesser habe als der Schacht. Hansen hatte aber das Gefühl, daß er genau in ihn hineinpasse. Er untersuchte die Wand genauer, die in der Richtung der Spalte lag, aus der sie gekommen waren, entfernte den Rost und fand die Umrisse einer – Tür! Hansen nickte einige Male gedankenvoll vor sich hin. „Ich möchte wetten, daß dieser Aufzug hier seine Druckkammern hat“, sagte er dann. „Sie kamen aus der Spalte durch eine solche herein und verließen das Ding dann wieder durch eine andere. Aha! Paßt mal auf!“ Er durchquerte den Raum und ging zur anderen Seite hinüber, schabte den rostigen Staub ein wenig ab und fand die Umrisse einer anderen Tür. „Seht ihr? Da hätten wir es schon.“ „Gut, und wenn das stimmen sollte: Wo sind dann die Bedienungshebel?“ Harmer schien noch skeptisch zu sein. „Sie werden wahrscheinlich außerhalb dieses Raumes angebracht sein“, war Hansens einfache Erklärung. 49
„Ich entsinne mich aber, daß auf dem Dach weder Drähte noch Hebel zu bemerken waren“, gab Harmer zu bedenken. „Vielleicht wird das Ding fernbedient – oder von dort aus.“ Hansen zeigte bei seinen Worten auf die zuletzt entdeckte Tür. „Wollen mal sehen, ob wir da nicht durchkommen!“ Wieder zuckte der feine Strahl der Pistole auf und schnitt die kaum sichtbare Fuge entlang. Die Tür war nicht hoch, anderthalb Meter vielleicht. Aber man konnte ja nicht erwarten, daß auf diesem kleinen Planeten einst Riesen gelebt hatten. In weniger als fünf Minuten hatte der Ionenstrahl die ganze Türplatte herausgeschweißt. Sie fiel nach innen; die drei fingen sie auf. Man legte sie auf den Boden. Dahinter war noch ein Raum. Er war kleiner. Sie bemerkten als erstes verschiedene Hebel und Meßinstrumente. Die Symbole auf diesen waren ihnen jedoch unbekannt. Sie traten ein. Während Harmer an den Hebeln herumprobierte, die sich jedoch nicht bewegen ließen, machte sich Hansen an der nächsten Tür zu schaffen, die er gleich bei ihrem Eintritt bemerkt hatte. Sie leistete ihm ziemlich hartnäckigen Widerstand. Entweder war das Material härter, oder es war stärker. Als er es endlich geschafft hatte und die Platte nach innen umkippte, fand er, daß letzteres stimmte. Sie stiegen über die umgestürzte Tür und gelangten auf eine Art Gang, der von einem Geländer getrennt war. Ihre Herzen schlugen vor Erwartung schneller. Der Staub der Jahrtausende lag unter ihren Metallschuhen und dämpfte jeden Laut. Die inzwischen eindringende Methanatmosphäre übertrug etwaige Schallwellen, wenn auch nur sehr träge. Das, was hinter dem Geländer lag, war in tiefe Finsternis getaucht. In schweigendem Erstaunen ließen sie ihre Lampen umherkreisen. Was sie dann jenseits der Brüstung entdeckten, ließ 50
ihren Herzschlag für Sekunden stocken: einen riesigen, gewölbten Felsenhimmel, gehalten von verzierten Metallträgern, darunter flache Dächer, rechteckige Gebäude – eine unterirdische Stadt! Sie hatten die Ruinen solcher Städte schon auf dem Mars gesehen. Soweit Hansen in dem Ungewissen Licht der Lampen feststellen konnte, war diese nach dem gleichen System gebaut worden. Es war auch schwierig, sich vorzustellen, daß man eine unterirdische Stadt nach einem anderen Muster hätte errichten können. Eine gewölbte Decke war Bedingung, um das Gewicht der über ihr lagernden Erdmassen auszuhalten. Erklärlich war daher auch der runde Grundriß, abgesehen von der Tatsache, daß nur ein solcher die in der Mitte des „Himmels“ eingebaute künstliche Sonne wirksam werden ließ. Eine solche war bestimmt auch hier vorhanden gewesen. „Wo mag denn der Weg sein, der da hinunterführt?“ fragte Hansen. Er hatte unwillkürlich leise und gedämpft gesprochen, obwohl man seine Worte nur durch den Sprechfunk hören konnte. „Da gibt es doch sicher Treppen oder so etwas Ähnliches.“ Einige Meter gingen sie an dem Geländer entlang und stießen dann auf einen abwärts führenden Stufengang. Die Stufen bestanden aus dem gleichen Material wie das Geländer, es sah aus wie Aluminium. Wären sie aus eisenhaltigem Stoff gewesen, so wären sie ebenfalls schon seit Jahrhunderten verrostet, genau so wie die Wände des Aufzuges. Die Stufen waren sehr niedrig, so als ob sie für kleine Leute gemacht worden wären. Sie führten über zwei andere Terrassen zur Stadt hinunter. Überall lag dicker Staub, und die Lautlosigkeit ihres Schreitens im blauweißen Licht ihrer Lampen wirkte geradezu geisterhaft. In die Rückwände der terrassenartigen Galerien waren Türen eingelassen, über denen man teilweise eine Art Aufzüge 51
angebracht hatte. Hansen nahm an, daß sich hier die Lagerräume der Stadt befunden hatten. Sie verließen die Treppe und standen auf einer etwa vier Meter breiten Straße, die anscheinend um die ganze Stadt herumführte. Im ersten Moment glaubten sie, daß sie asphaltiert sei; aber nach eingehender Untersuchung stellten sie fest, daß sie aus dem gleichen Material bestand wie die Wände des Aufzugschachtes. Hansen stellte die Theorie auf, daß dieser Stoff durch das Einschmelzen des Felsgesteins gewonnen worden sei, das man beim Bau dieser riesigen Höhle ausgebrochen habe. Langsam und vorsichtig drangen sie auf der Straße vor; ihre Lampen schnitten grelle Lichtkegel in die totale Finsternis. Die gleichmäßige Krümmung des Weges ermöglichte ihnen eine ungefähre Schätzung. Die Stadt hatte einen Durchmesser von einer und einen Umfang von reichlich zwei Meilen. Auf der Erde wäre es also eine Stadt mit einer Bevölkerung von etwa 4000 Menschen. Diese Gebäude hier waren jedoch ziemlich hoch, bis zu sechs Stockwerke oft. So mochte die Stadt damals eine Bevölkerung von ungefähr 10 000 Menschen gehabt haben – falls Menschen sie erbaut haben sollten! Sie bogen von der Ringstraße ab und setzten ihren Weg auf einer Art Allee fort, die wohl in das Zentrum führte. Vor einem vierstöckigen Gebäude blieben sie stehen. Es hatte weder Fenster noch Türen, sondern nur schwarze Löcher. „Sollen wir hineingehen?“ fragte Hansen. Die beiden nickten. Sie hätten genau so gut ein Haus auf der Erde oder auf dem Mars betreten können. Wer immer auch diese Bäume benutzt hatte: es mußte sich um menschenähnliche Wesen gehandelt haben. Es gab absolut nichts, was ihnen nicht die Vorstellung dessen heraufbeschwor, wozu man es benutzen konnte. Einige Formen der Möbel muteten allerdings ein wenig unheimlich an, besonders auch einige Bilder, bei denen Grün, und Blau dominierten. Aber sicherlich waren sie nicht unheimlicher und 52
merkwürdiger als die Schöpfungen jener abstrakten Malereien längst vergangener Zeiten auf der Erde. Hansen und seine Begleiter hatten den Eindruck, als seien die ehemaligen Bewohner dieser Stadt ein sauberes und ordentliches Volk gewesen, das sich in einem der fortgeschrittensten Stadien der Entwicklung befunden haben mochte. In jeder der Wohnungen fanden sie Radio- und Fernsehgeräte, die sich im Aussehen von denen, die es auf der Erde gab, kaum unterschieden. Ob sie auch genau so einwandfrei arbeiteten, ließ sich leider nicht mehr feststellen. Heizkörper konnten sie nicht entdecken. Hansen nahm an, daß die Wärme der künstlichen Sonne, die bestimmt vorhanden gewesen sein mußte, genau reguliert werden konnte und irgendwelche Heizungen somit überflüssig gewesen waren. „Irgendein Ding auf Rädern habe ich überhaupt noch nicht gesehen“, stellte Harmer fest, „noch nicht mal ein Kinderspielzeug.“ „Sie hatten sicher zu wenig Platz, um sich derart bewegen zu können“, vermutete Hansen. „Muß ziemlich langweilig hier gewesen sein.“ „Ziemlich?“ fragte Nevins zynisch. „Das hing wohl ganz von der jeweiligen Generation ab“, sagte Harmer. „Ich nehme an, daß den Erbauern und ersten Bewohnern dieser Platz höllisch unangenehm war; sie gehorchten sicherlich nur der Not. Aber ihre Kinder und Kindeskinder, die hier geboren wurden, fühlten sich bestimmt genau so wohl, wie unsere Negerkinder in den Dschungeln der Erde.“ „Richtig, Harmer!“ stimmte Hansen bei. „Sie werden recht haben. Die längst verschwundene Rasse wird die Oberfläche genau so gemieden haben, wie unsere Vorfahren die Polargebiete. Die Menschen erwiesen sich auf der Erde als die anpassungsfähigsten Geschöpfe. Warum sollte das. auf anderen Sonnensystemen nicht auch so sein?“ 53
Hansen wurde sich mit einem Male bewußt, daß diese Dämmerwelt, die sie erforschen wollten, viel älter sein mußte als alle Welten des Sonnensystems. Diese Zivilisation hier, die auf der gleichen Höhe stand wie gegenwärtig ihre eigene, hatte aufgehört zu existieren, als es auf der Erde noch kein eigentliches Leben gab. Welch ein herrlicher Beweis für jene Gelehrten, die bestritten hatten, daß die menschliche Rasse die einzig intelligente des Weltenraums sei, ein Zufallsprodukt der Natur. Im Zentrum der Stadt gelangten sie auf einen ovalen Platz, der von hohen, eindrucksvollen Gebäuden umsäumt war. „Ich glaube, hier haben wir das Verwaltungsviertel. Hier liefen die Fäden zusammen; genau wie bei uns!“ Harmer grinste ein wenig schadenfroh. Neugierig betraten sie das größte der Häuser. Es waren tatsächlich büroähnliche Räume. Außerdem fanden sie einen Versammlungssaal, der groß genug war, die ganze damalige Einwohnerschaft aufzunehmen, ein Museum, eine Bibliothek, in der die Bücher noch so umherlagen, wie man sie gelesen hatte. Bilder fanden sie hier nicht, auch nicht auf den Galerien. Doch dann, als sie in eine Art Empfangshalle kamen, erblickten sie ein Porträt, das auf die Wand gemalt worden war. Die Farben waren noch gut erhalten. Sie blieben davor stehen und beleuchteten es mit ihren Lampen. Ein bleiches, schmales Gesicht blickte ihnen entgegen. Die Augen lagen weit auseinander, eine Hakennase stach fast plastisch heraus, das Haar war schwarz. Der Anblick war nicht besonders ungewöhnlich. Auf der Erde hätte man kaum ein zweites Mal hingeblickt, wenn man dies Gesicht in einer Volksmenge entdeckt hätte. Die Hälfte der ehemaligen Ausstellungsgegenstände fehlte, der Rest vermochte Hansen nichts zu sagen. Für die Wissenschaftler wäre er vielleicht sehr interessant gewesen. Er hatte 54
den Eindruck, daß gerade die fehlenden Teile die wichtigsten gewesen waren. Wohin waren sie geraten? Wer hatte sie weggenommen? Die Glaskästen, in denen sie sich befunden hatten, waren sorgfältig wieder verschlossen worden. Nichts war gewaltsam zerstört worden. „Wohin mag dies ganze Volk so spurlos verschwunden sein?“ verlangte Harmer zu wissen. „Es sieht so aus, als ob sie einfach davongingen und alles mitnahmen, was ihnen wertvoll erschien.“ „Möglich, daß es so war“, sagte Nevins phlegmatisch. „Aber wohin sollten sie denn gegangen sein?“ protestierte Harmer gegen seinen eigenen Einfall, da ihm kein anderer widersprach. „Auf diesem Planeten gibt es keinen anderen Platz, der besser als dieser hier wäre. Gestorben sind sie auch nicht! Kein Unheil hat sie vernichtet; denn man sieht nicht mal eine Fischgräte umherliegen, Knochen schon gar nicht!“ „Nein“, sagte Hansen etwas feierlich. „Es sieht ganz so aus, als ob sie …“ Sie erfuhren nicht mehr, was er sagen wollte. Sie bemerkten ein Geräusch in ihren Kopfhörern. Es mußte von draußen kommen. Sie eilten zum Ausgang und erreichten die breite, nach unten führende Treppe. Wie erstarrt blieben sie stehen. Was sie sahen, ließ ihr Blut beinahe gefrieren. Die Portale waren in blauweißem Licht gebadet. Die Lichtquelle war der Scheinwerfer eines der kleinen Kettenwagen, die das fremde Raumschiff gelandet hatte. Die Verfolger hatten sie gefunden!
DIE UNBEKANNTE RASSE Hinter dem ersten Wagen tauchte auch schon der zweite auf. Dann sah Hansen im Lichtschatten die Umrisse der mit Raumanzügen bekleideten Gestalten. Man hatte sie schon entdeckt. 55
Also gab es doch einen anderen Eingang, dachte er, einen Eingang, der groß genug ist, auch die Wagen durchzulassen! Aus seinen Augenwinkeln heraus sah er, daß Harmer zu seiner Strahlpistole griff. Hansen legte seine Hand auf dessen Arm. „Lassen Sie das, Rex!“ sagte er ruhig. „Es hat keinen Sinn! Sie sind in der Überzahl und uns überlegen. Möglicherweise haben sie gar keine bösen Absichten.“ Widerstrebend nahm Harmer die Hand von seiner Waffe. Mit angespannten Nerven standen sie da und warteten darauf, wie die Fremden auf ihr plötzliches Erscheinen reagieren würden. Die Möglichkeit bestand, daß man sie einfach über den Haufen schießen würde; womit, war allerdings noch nicht klar. Wahrscheinlich besaßen jene Lebewesen aber so ähnliche Strahlwaffen wie die Erdenmenschen. Warum aber sollten sich zivilisierte Lebewesen so benehmen, wenn sie fremden, friedlichen Leuten begegneten? Die Neugierde und der Drang zum Ausfragen war bei jenen sicher genau so groß wie bei ihnen selbst, dachte Hansen bei sich im Innern. Es war ihm klar, daß jene Fremden von einer Welt kamen, die der ihren bestimmt gleichwertig war. Sie hätten zurück in das Museum flüchten können, aber das wäre sinnlos gewesen; es hätte den Anschein erweckt, als ob sie Furcht empfänden. Jene hätten einen Vorteil mehr gehabt. Hansen entsann sich der Frequenz, auf der sich die Unbekannten oben in der Schlucht unterhalten hatten. Ohne eine hastige, verdächtig erscheinende Bewegung zu machen, die auf einen Angriff hätte schließen lassen können, drehte er an seinem Sender. Schon bald hörte er wieder die harten und metallischen Stimmen in seinem Lautsprecher, und er wünschte sich Matson her. Der Menschenkundler war nämlich auch ein ausgezeichneter Philologe. Es wäre doch immerhin möglich gewesen, daß er wenigstens Bruchstücke dieser unverständli56
chen Sprache begriffen hätte. Hansen hatte plötzlich den Einfall, jene Geschöpfe könnten vielleicht doch nicht so fortgeschritten sein, wie man ihrem Raumschiff nach hätte annehmen können. Augenscheinlich kannten sie noch nicht die Art der telepathischen Verständigung, deren Entwicklung auf der Erde in dem letzten Jahrhundert große Fortschritte gemacht hatte. Die zwei Gestalten in dem vordersten Wagen kletterten heraus, und vier der Fußgänger gesellten sich zu ihnen. Dann bewegten sich diese sechs auf die abwartenden Erdenmenschen zu. Während sie näher kamen, hörte Hansen einen von ihnen reden; aber es antwortete ihm niemand. Ein Gedanke durchfuhr Hansen: Ob jener dem Raumschiff einen Bericht von den Ereignissen durchgab? Benötigte er Instruktionen? Dann schwieg die Stimme, und nach wenigen Sekunden kam eine Antwort. Obwohl sie ebenfalls unverständlich war, konnte man die „Autorität“ heraushören. Die Unbekannten hielten wenige Schritte vor den drei Erdenmenschen. Sie bildeten eine auseinandergezogene Reihe. Obgleich sie selbst höher standen, konnte Hansen feststellen, daß jene schmaler und größer als sie waren. Das Licht lag auf dem Rücken der sich ziemlich verdächtig benehmenden Gestalten; daher konnte er ihre Gesichtszüge nicht genau erkennen. Er glaubte jedoch, große, intelligente Augen bemerken zu können. Hansen erhob seinen rechten Arm in der uralten Geste aller, die in Frieden zu verhandeln wünschen. Im ersten Augenblick geschah gar nichts. Dann jedoch machte der eine von ihnen, der ein rotes Zeichen an seinem Helm hatte, eine ähnliche Bewegung. Na ja, scheinen ja ganz vernünftig zu sein! dachte Hansen. Er hörte, wie die Stimme wieder etwas sagte und die Befehlsstimme wieder Antwort gab. Danach winkte derjenige, der eben das Friedenszeichen gemacht hatte, nochmals mit der 57
Hand und bedeutete ihnen, die Stufen herabzukommen und ihnen zu folgen. Hansen blieb stehen; er wollte sehen, wie man auf eine Weigerung reagierte. Der Fremde zog augenblicklich seine Waffe – eine solche schien es jedenfalls zu sein – aus dem Gürtel, richtete sie auf ihn und deutete nochmals auf die Stufen. „Donnerwetter, sie sind vom gleichen Holz wie wir geschnitzt!“ grinste Hansen. „Sie haben sogar ein Gehirn, das in der gleichen Weise arbeitet wie das unserige. Der mit der Kanone scheint derjenige zu sein, nach dessen Flöte man hier tanzt. Na, dann los, Jungen! Machen wir gute Miene zum bösen Spiel. Es könnte ganz interessant werden!“ „Das gleiche sagte einmal jemand, bevor ihn die Kannibalen in den Kochtopf steckten.“ Harmer grollte, war augenscheinlich wütend. Sie stiegen die Stufen hinab. Die Fremden bildeten sofort eine Art Eskorte und schlossen sie ein. Man war sehr vorsichtig, riskierte nichts. In allem, was sie taten, benahmen sie sich wie die Menschen der Erde. Unten auf der Straße warteten die übrigen Fremden. Der Anführer hatte mit ihnen eine kurze Besprechung; dann wandte er sich an Hansen und seihe Begleiter und gab ihnen zu verstehen, daß sie in einen der Kettenwagen einsteigen sollten. Sie gehorchten. Es war gerade genügend Platz, daß sie alle drei nebeneinander sitzen konnten. Einer der Fremden nahm den Fahrersitz ein, während der Anführer sich mit einem anderen nach hinten begab. „Drei gegen drei!“ murmelte Harmer. „Was haltet ihr von der Idee, ihnen den Wagen abzunehmen und damit zu unserer Neptun zurückzukehren?“ „Hundert zu eins!“ verbesserte Hansen. „Bei der geringsten Bewegung strahlen uns die ein Loch in den Rücken. – Nein, danke!“ 58
Als habe man ihre Gedanken erraten, nahm man ihnen die Pistolen und die Lampen ab. Hansen vermutete, daß es nur die natürliche Maßnahme war, die man bei jedem Gefangenen anwendete. Der Wagen startete, drehte sich auf der Stelle und fuhr in entgegengesetzter Richtung davon. Heimlich studierte Hansen die Bedienungsweise des Fahrzeuges und stellte befriedigt fest, daß diese höchst einfach war. Die Hebel hatten, genau wie in der Neptun, ihrer Bedeutung gemäß verschiedene Farben. Der Fahrer benutzte nur drei von ihnen, einen zum Starten, die beiden anderen zum Steuern. Auf alle Fälle merkte sich Hansen alles genau. Er wußte, daß Harmer und Nevins es genau so machten. Das Fahrzeug war geschlossen, jedoch bestand die Wagendecke aus einem durchsichtigen Stoff; wahrscheinlich aus dem gleichen wie die Seitenfenster. Der Motor arbeitete mit leisem Summen; aber Hansen hätte nicht behaupten können, daß es Atomkraft sei. Die irdischen Fahrzeuge liefen mit Düsen. Der Scheinwerfer beleuchtete die Häuser zu beiden Seiten der Straße. Es waren die gleichen leeren Häuser – wie auf der anderen Seite der Stadt. Die Geschwindigkeit betrug etwa 20 Meilen je Stunde. Schon nach einer Minute erreichten sie die Kreisstraße und fuhren über sie hinweg. Sie kletterten eine Art Rampe hoch und rollten langsam in eine große Druckkammer. Dahinter befand sich ein Aufzugschacht, ähnlich jenem, den sie entdeckt hatten. Nur breiter und tiefer war dieser. In ihm kam der Wagen zum Stehen. Der Fahrer drückte auf einen violetten Knopf, und langsam stieg der Wagen in die Höhe, durch Strahldüsen in vertikaler Richtung hochgepreßt. Als sie das Ende des senkrechten Schachtes erreicht hatten, wurde wieder ein Knopf betätigt, und sie beendeten ihre Aufwärtsbewegung. Waagerecht glitten sie in das kalte blaugraue Dämmerlicht des Althan hinein. 59
Hansen lächelte in sich hinein. Sollte er jemals einen dieser Wagen in seinen Besitz bekommen, würde er schon mit ihm zurechtkommen. Sie rumpelten durch eine Schlucht, die leicht im Bogen verlief; offenbar in der gleichen Form, wie die Stadt unter ihr. Hansen sagte sich, daß dies dieselbe Spalte sein mußte, durch die er und seine Begleiter in das unterirdische Reich eingedrungen waren. Als die Atmosphäre lichter wurde und sie nun den hellen Fleck des von oben herabfallenden Scheinwerferlichtes sahen, wußte Hansen, daß seine Vermutung stimmte. Er wunderte sich, daß der Grund der Schlucht verhältnismäßig glatt war, wenn auch hier und da kleinere Steinbrocken umherlagen. Vermutlich hatten die geheimnisvollen Ureinwohner sie als Einfahrt zur Stadt benutzt. Noch eine Vermutung kam ihm. Diese unbekannten Wesen einer fremden Welt hatten den Eingang nicht zufällig entdeckt! Sie hatten davon gewußt. Aus vielerlei Dingen glaubte Hansen das schließen zu können, wenn es auch möglich sein konnte, daß sie von jenem anderen Eingang, durch den Hansen in die Stadt eingedrungen war, keine Ahnung hatten. Sie stoppten mitten im Lichtkegel des Scheinwerfers. Der Methannebel wogte leicht hin und her und gab allen Dingen einen grünlichen Schimmer. Automatisch knipste Hansen wieder den Empfänger an, der noch auf die entsprechende Wellenlänge eingestellt war. Wieder kam die Stimme des Anführers und die befehlende Antwort. Der Fahrer drückte den violetten Knopf, und von neuem begann der Wagen zu steigen, direkt der grellen Lichtquelle entgegen. Nach oben sehend, gewahrte Hansen, scharf gegen die Sterne abgezeichnet, die dunklen Schattenumrisse des riesigen Raumschiffes. Unglaublich, daß dieser große Körper bewegungslos in der Luft hing! 60
Wenn Kraftströme das Schiff hielten, so hätten die Brennpunkte auf dem Grunde der Spalte sein müssen. Das war bestimmt nicht der Fall! Die einzige Erklärung war, daß man Gravitationsrückstoßer benutzte. Dementsprechende Experimente hatte man auf der Erde auch schon gemacht, allerdings ohne besondere Erfolge. Die Apparaturen waren zu schwerfällig und unhandlich. Aber warum sollte es nicht möglich sein, daß eine andere Rasse dort Fortschritte gemacht hatte, wo die irdischen Wissenschaftler versagten? Sie stiegen weiter und gelangten in den tiefen Schatten unterhalb des Schiffes. Eine Klappe öffnete sich, mit leichtem Ruck setzten sie auf dem Metallboden auf. Dann schloß sich die Klappe wieder. Hansen sah noch ein Dutzend andere Fahrzeuge in starken Befestigungsklammern an den Wänden des Raumes stehen. Einige waren sehr stark gepanzert. Das besagte nun allerdings nicht, daß die Fremden ein angriffslustiges Volk sein mußten; denn wenn man unbekannte Welten aufsuchte, mußte man mit allen Möglichkeiten rechnen. Man konnte ja schließlich im Notfalle nicht einfach einen Funkspruch geben und einige Stunden später alles Nötige in Empfang nehmen. Die Gestalt mit dem Abzeichen am Helm stieg aus. Er winkte den dreien zu. Diese kletterten ebenfalls aus dem Wagen, gefolgt von dem Fahrer und dem Wächter. Der Anführer drückte auf einen Knopf, und mit zischendem Laut öffnete sich eine schwere Tür. Aha, dachte Hansen, eine Luftdrucktür! Nach kurzer Zeit schon war die Vakuumkammer mit einer Atmosphäre gefüllt. Durch eine andere Luke gelangten sie in einen Umkleideraum, der als solcher durch die darin aufgestapelten Raumanzüge erkenntlich war. Der Anführer begann seinen Helm zu öffnen. Hansen beobachtete ihn gespannt. Ein wenig aufgeregt erwartete er den 61
Augenblick, da er einen ersten Blick auf das Antlitz dieses Menschen einer unbekannten Rasse werfen konnte. Auf einen besonders ungewöhnlichen Anblick brauchte er sich nicht gefaßt zu machen, das wußte er. Der Fremde sah dann auch wirklich menschenähnlicher aus, als es sich Wissenschaftler je hätten träumen lassen. Das Gesicht war schmal und knochig, die Augen dunkel, intelligent und weiter auseinanderstehend wie die der Erdenmenschen. Hansen überlegte, ob sie damit wohl auch weiter sehen könnten. Die Haut war rötlich, ähnlich wie die der Indianer. Sie hatte nicht den geringsten Haarwuchs. Nur auf dem Kopf wuchsen kurze, schwarze Borsten, zur Mitte hin winkelförmig. Wo hatte er denn dieses Gesicht schon gesehen? „Sagen Sie – ist das nicht derselbe Kerl, den wir unten auf dem Gemälde gesehen haben?“ fragte Harmer. Nun ging Hansen ein Licht auf. „Ja, natürlich! Sie haben recht! Ich beginne langsam zu begreifen, was mit diesen Kerlen los ist. Ich nehme an, diese Ähnlichkeit ist nicht zufällig.“ Der Fremde sagte mit seiner unangenehmen Stimme etwas; er gab ihnen zu verstehen, daß sie ebenfalls ihre Raumanzüge ausziehen sollten. „Ich glaube, wir können das ohne Bedenken tun“, meinte Hansen auf einen fragenden Blick seiner Begleiter. „Das ändert auch nichts mehr. Also los!“ Er begann seinen Helm zu lösen. Harmer sowie Nevins folgten seinem Beispiel, vorsichtig, damit sie ihn gleich wieder schließen konnten, falls die Luft nicht atembar sein sollte. Ihre Befürchtungen waren jedoch grundlos. Sie stellten fest, daß die Atmosphäre in dem Schiff nur ein wenig mehr Sauerstoff enthielt als die in ihren Helmen. Inzwischen hatte sich der Eskortenführer seines Raumanzuges entledigt. Er hatte eine für irdische Begriffe viel zu schlanke 62
Figur. Durch seine Länge wurde dieser Eindruck nur noch verstärkt. „Der könnte bei uns jederzeit im Zirkus auftreten!“ bemerkte Harmer kritisch. „Oder er könnte als Pfeifenreiniger gehen.“ Die beiden anderen Fremden zogen ebenfalls ihre Anzüge aus. Alle drei hatten enge, schwarze Uniformen an, die ihre Schlankheit nicht im mindesten verringerten.. „Ich wette, daß ihre Frauen sich keine Sorgen um Schlankheitskuren zu machen brauchen“, schüttelte sich Harmer und begann nun auch seinerseits, seinen Raumanzug auszuziehen. Hansen bemerkte, daß der Anführer ihn erstaunt anstarrte. Dann machte der Mann – ein solcher war es zweifellos – einen Schritt auf ihn zu und streckte seine knochigen Finger nach seinem Gesicht aus. Instinktiv widerstand Hansen dem Verlangen, seinen Kopf zurückzuziehen; denn in den Zügen des anderen lag keinerlei Drohung, höchstens Neugierde. Die Finger berührten seinen lohfarbenen Bart und befühlten diesen, wie man einen unbekannten Fabrikationsstoff betastet. Dann wechselte die Aufmerksamkeit zu Hansens Kopfhaar. Der Fremde untersuchte es gründlich, sich dabei umwendend und etwas zu seinen Begleitern sagend. „Das muß der erste Bart sein, den er in seinem Leben zu sehen bekommt“, bemerkte Harmer. „Wenn Sie nicht gut aufpassen, Chef, dann landen Sie im Zirkus!“ Ihre Wächter sammelten die abgelegten Preßanzüge ein und legten sie zu den anderen, die schon dort gestapelt lagen. Wieder wurde eine Tür geöffnet, und sie traten auf einen Gang, der durch das ganze Schiff zu führen schien. Hansen stellte fest, daß die künstliche Schwerkraft etwas über 1 g betrug. Das bedeutete jedoch keineswegs, daß die Gravitation des Heimatplaneten der Unbekannten unbedingt die gleiche sein mußte. In irdischen Schiffen war das künstliche Schwerefeld sehr oft niedriger als 1 g. 63
Hansen überlegte bei sich, ob diese Figürchen wohl genau so zerbrechlich waren, wie sie aussahen, oder ob sie einem anständigen irdischen Boxhieb Widerstehen würden. Es konnte sehr leicht möglich sein; daß es dazu kommen würde, wenn sich das Benehmen nicht änderte. Er wäre jetzt ein gut Teil beruhigter gewesen, hätte er eine Strahlpistole unter seiner Uniform Stecken gehabt. Oberflächlich betrachtet, war zwischen diesem Weltraumkreuzer und den irdischen Schiffen kein allzu großer Unterschied. Entlang des Korridors führten einzelne Türen zu den Kabinen. Sie passierten auch eine, die geöffnet war. Hansen warf einen schnellen Blick hinein und sah einen hohen Tisch und schmale Armsessel. Einige Leute der Mannschaft saßen um diesen Tisch herum und spielten mit kleinen Würfeln ein Spiel. Sie blickten auf, als die Eskorte auf dem Gang vorüberkam, eilten zur Tür und riefen etwas hinter ihnen her. Der Unbekannte, der den Schluß machte, gab ihnen eine Antwort. Obwohl sie sicherlich neugierig waren, verschwanden jene trotzdem wieder in ihrem Raum und schlossen die Tür. Hansen war irgendwie beruhigt. Das Benehmen der Besucher aus dem Weltenraum war nicht besonders anomal; unter ähnlichen Umständen würden sich die Menschen der Erde genau so verhalten haben. Es war nichts Unheimliches an diesen Wesen, so wie sich manche Schriftsteller die Bewohner anderer Sonnensysteme vorstellten. Sie hatten weder vier Arme noch sechs oder acht Augen und waren auch keine blauhäutigen Nachtgespenster. Auch ihre außergewöhnliche Schlankheit war an sich nichts Außergewöhnliches. Sogar auf der Erde hatte Hansen gelegentlich schon solche dünnen Menschen gesehen. Er begann langsam daran zu zweifeln, daß diese Menschen vielleicht eine Bedrohung für die Erde bedeuten könnten. In seinem Innern fühlte er sich dafür verantwortlich, das unbedingt festzustellen. Sie waren die Repräsentanten ihres Planeten auf diesem 64
Schiff, das von einem unbekannten Sonnensystem gekommen war. Es könnte von ihrem Benehmen abhängen, ob diese Menschen später einmal Freunde oder Feinde sein würden. Es würde eine Menge Taktgefühl und Geduld dazu gehören, mit diesen Geschöpfen auszukommen, besonders deshalb, weil man sich nicht verständigen konnte. Hansen bemerkte, daß der Anführer vor einer Metalltür angehalten hatte, die den Korridor blockierte. Ein Knopf wurde gedrückt, und die Tür glitt geräuschlos beiseite. Dann traten sie in den dahinter gelegenen Raum ein. Sie befanden sich im Kontrollraum des Schiffes. Instrumente mit fremdartigen Markierungen zierten die Wände. Der Unterschied zu dem gleichen Raum in der Neptun war jedoch erheblich. Hier bestand die Decke aus einem durchsichtigen Material, durch das man die Sterne am blaugrauen Himmel des Planeten Althan glitzern sehen konnte. Ein metallener Laufsteg führte um die ganze Kuppel herum, fahrbare Sitze ermöglichten bequeme Beobachtung. Alle diese Dinge nahm Hansen mit fachmännischem Blick wahr, während er den Raum betrat. Dann wurde seine Aufmerksamkeit durch drei Gestalten abgelenkt, vor denen seine Bewacher salutierten. Sie waren mit der gleichen, schwarzen, enganliegenden Uniform bekleidet, wie die Leute der Eskorte; aber auf der schmalen Brust trugen sie rote Rangabzeichen. Ihre Gesichtszüge waren die gleichen wie die auf dem Bild in der unterirdischen Stadt. Die Ähnlichkeit war so, wie die der Menschen auf der Erde untereinander. Der Eskortenführer machte in seinem harten, abgehackten Tone Meldung. Es schien, daß er zu dem Offizier sprach, der die meisten Abzeichen auf seiner Brust hatte. Dieser war um ein weniges kleiner als die anderen, aber genau so dünn und schlank. Als der Mann, der sie gefangengenommen hatte, seinen Bericht 65
beendet hatte, antwortete der Offizier. Hansen wußte sofort, daß dies die gleiche Stimme war, die er in seinem Kopfhörer wahrnahm, als er unten in der Stadt das Gerät eingeschaltet hatte. Der Anführer der Eskorte salutierte und verließ mit seinen beiden Begleitern den Raum. Die Tür schloß sich hinter ihnen. „Sehr gut!“ murmelte Harmer. „Nun sind wir doch wieder drei gegen drei.“ „Ohne meine Erlaubnis werden Sie nichts unternehmen, Sie jugendlicher Feuerkopf!“ grollte Hansen. „Ich bringe Sie sonst kaltblütig um.“ Harmer grinste. „Das ist lediglich eine leere Drohung, Chef! Wenn das alles wäre, was ich im Moment zu befürchten hätte, dann wäre ich glücklicher. – Wie denken Sie darüber, Nevins?“ Der Funker schüttelte den Kopf. „Ich fühle mich genau so unwohl wie Sie, Kapitän. Ehrlich gesagt: Ich mag diese spindeldürren Brüder absolut nicht leiden. Ich habe das Gefühl, als ob das auf Gegenseitigkeit beruhe.“
AUS RICHTUNG SIRIUS Die drei fremden Offiziere hörten aufmerksam zu, während die Erdenmenschen sich unterhielten. Dann wandte sich der Oberste von ihnen an Hangen. Dieser schüttelte den Kopf, zuckte mit den Schultern und machte die üblichen Bewegungen eines Taubstummen, der nichts verstehen und nichts sagen konnte. Der Offizier sprach wiederum. Es schien Hansen, als ob er die Sprachen dabei wechselte. Aber er konnte nichts verstehen und setzte seine Taubstummengebärden fort. Aus den Augenwinkeln heraus sah er Nevins unverschämt grinsen. Eine dicke Falte bedeckte die Stirne des Mannes vor ihm und machte ihn wirklich nicht sympathischer. Er wandte sich an seine Leute und schien mit ihnen zu beraten. Kurz darauf ging er zu dem Armaturenbrett und drückte einen Knopf. 66
An der rechten Wand glühte ein großer Bildschirm auf und erlosch dann Wieder. Der Offizier drehte an einem Rädchen, und auf der Mattscheibe erschien nun ein Sektor der Milchstraße, Tausende schimmernder Sterne. Ein anderer Knopf wurde betätigt; es war der Vergrößerer. Das Bild verschwamm, kam wieder und wurde klar und deutlich. Sie konnten jetzt die einzelnen Sonnensysteme erkennen. Eines wurde immer größer und deutlicher, bis es den ganzen Schirm ausfüllte. Der Offizier schritt auf den Schirm zu, zeigte auf einen leuchtenden Punkt, dann auf sich und seine beiden Adjutanten. „Himmel“, schrie Harmer aufgeregt, „er will uns sagen, daß er vom Sirius kommt!“ Hansen hatte das auch schon begriffen, obwohl seine Kenntnisse in der Astronautik nicht so groß waren wie die des Kapitäns. Sirius, doppelt soweit von der Erde entfernt wie Alpha Centauri, wo sie sich jetzt befanden! Also hatte Sirius auch ein Planetensystem! Da bemerkte er, daß jener Offizier, den er für den Kommandanten des Schiffes hielt, ihm zuwinkte und erneut auf den Bildschirm zeigte. Hansen nahm an, daß man nun wissen wollte, woher sie kamen. Das war insofern interessant, als es bewies, daß jene noch nicht weiter als bis zu diesem System gereist waren. Hansen fand keine Veranlassung, die Sirunier zu belügen. Sie würden sicherlich genau soviel vom Sol wissen, wie sie vom Sirius, obwohl er diesem doch bis auf viereinhalb Lichtjahre nahe gekommen war. Wenn sie herausfanden, daß er sie belog, so würde sich das nicht gerade günstig auf ihre zukünftigen Beziehungen auswirken. Er ging also zu dem Schirm und zeigte auf die gute alte Sonne, als sie nach einigen Versuchen als winziger Stecknadelpunkt auf der Scheibe erschien. Es zeigte sich bei ihm so etwas wie ein Minderwertigkeitskomplex; denn die Sonne war – ver67
glichen mit dem silbernen Glanz des Sirius – ein erbärmliches Lichtpünktchen, verschwindend winzig. Hansens Erklärung, daß sie von jenem Sonnensystem kämen, schien die Sirunier zu befriedigen. Sie begannen sich lebhaft zu unterhalten und ließen die Erdenmenschen ganz unbeachtet stehen. Wenn das so weiterging, würden sie wohl kaum Fortschritte machen können. Hansen hätte aber doch so gerne etwas mehr von Sirius erfahren. Plötzlich brach der sirunische Kommandeur die Unterhaltung ab und ging zu einem Wandschrank, aus dem er einige Helme nahm, an denen isolierte Drähte herabhingen. Er gab Hansen einen und machte ihm durch Zeichen verständlich, daß er ihn aufsetzen solle. Dieser zögerte, eine Falle befürchtend. Der Kommandant lächelte dünn und stülpte sich den anderen Helm über den Kopf. „Na los, Chef! Versuchen Sie es mal!“ sagte Harmer. „Es wird sicherlich eine Art Gedankenübertrager sein.“ Die Idee war Hansen schon lange gekommen. Er hatte nur gezögert, well er verhindern wollte, daß der andere alle seine Gedanken lesen konnte. Aber sollten diese Dinger tatsächlich funktionieren, so würde er ja auch schließlich wissen, was in dem Gehirn des Siruniers vor sich ging. Er nahm also den Helm und setzte ihn auf den Kopf. Einer der Sirunier kam auf ihn zu und befestigte die Kabel. Der ihm gegenüberstehende Mann sah ihn an und lächelte. Er zeigte auf einen Stuhl. „Setze dich, Fremder!“ Es gab Hansen einen Ruck. Die Worte wurden von seinem Hirn registriert, als ob man sie ihm ins Ohr geflüstert hatte. Die bekannte Umgangsform der Einladung bestürzte ihn. Es war ein wenig später, als er begriff, daß die Botschaften, die er auffing, automatisch in die Redewendung übersetzt wurden, die er selbst zu gebrauchen gewohnt war. Bei normalen 68
Übersetzungen war es ja auch so, daß man nicht wörtlich alles übertrug, sondern sich den Besonderheiten der Sprache anpaßte, in die man übersetzte. In den ersten Minuten sprach Hansen alles, was er ausdrücken wollte. Es dauerte einige Zeit, ehe er sich daran gewöhnen konnte, das, was er seinem Gegenüber sagen wollte, nur zu denken. „Er begann damit“, so erzählte er später seinen Kameraden, als sie von den Wachen hinweggeführt und in eine Kabine eingeschlossen wurden, „daß er mich warnte, meine Gedanken vor ihm zu verbergen oder gar falsche zu projizieren. Er hatte sogar die Stirn, mir zu erzählen, ich sei geistig nicht fortgeschritten genug, das fertigzubringen; er werde es doch merken und könne mich dann dazu bringen, die Wahrheit zu sagen, vielmehr zu denken. Irgend so eine Art Gehirnknebel, nehme ich an. Ein Mensch wird wahnsinnig, wenn er versucht, nicht das zu denken, was er denken möchte.“ „Was wollte er denn nun von Ihnen?“ fragte Harmer ungeduldig, während er nervös in der Kabine hin und her lief. „Zuerst einmal wollte er wissen, was wir auf Alpha Centauri wollten. Sicherlich kennt er dieses System, nur unter einem anderen Namen.“ „Sagten Sie ihm die Wahrheit?“ „Ich sah mich nicht veranlaßt, es nicht zu tun – nach dem, was er mir gesagt hatte“, grinste Hansen ein wenig verlegen. „Irgendwelche militärischen Geheimnisse gab es kaum zu verraten. Ich habe, um es kurz zu machen, nicht versucht, irgend etwas vor ihm zu verheimlichen. Ich konnte es auch nicht! Ich befürchte, er hatte recht, als er von meiner geringen geistigen Widerstandskraft sprach. Ich habe ihm also erzählt, daß wir Mitglieder einer Expedition seien, die das System auf Kolonisationsmöglichkeiten hin untersuchten. Er stellte Fragen bezüglich unseres Sonnensystems, über seine Größe und seine Bevöl69
kerung. Ich glaube, daß es mir gelungen ist, in ihm den Eindruck zu erwecken, als könne es ihnen verflucht übel bekommen, sollten sie es wagen, uns anzugreifen. Auf der anderen Seite jedoch ließ ich durchblicken, daß wir friedlich gesinnte Besucher aus fremden Sonnensystemen ehrenvoll und mit Freuden empfangen würden. Ich habe dabei intensiv an Handelsbeziehungen gedacht.“ „Wie hat er denn darauf reagiert, Chef?“ fragte Nevins und zündete sich eine Zigarette an. „Ich habe das Gefühl, als sei er gar nicht besonders beeindruckt gewesen. Vielleicht habe ich ihn nicht richtig verstanden; aber ich fühlte, daß seine Auffassung war, seine Rasse sei in jedem Falle die überlegenere und könnte sich, wenn es nötig sei, alles das nehmen, was sie wollte.“ „Ich glaube kaum, daß Sie ihn falsch verstanden haben“, sagte Harmer, seine Hin- und Herlauferei aufgebend. „Ich meine nicht die Äußerung, wonach sie uns überlegen seien. Aber ich glaube, es ist etwas dran an der kleinen Bemerkung, daß sie sich das nehmen wollen, was sie brauchen. Ich habe seine Augen beobachtet, während ihr euch so schweigend unterhalten habt. Sie blieben kalt und gefühllos. Ich hatte den Eindruck, als sei er wahnsinnig und mitleidlos. Vielleicht sind sie sogar alle so! Denke nur an die längst vergangenen Rassen der Erde, die auch mit solchen ‚Ideen’ behaftet waren!“ „Bis zum Sonnensystem ist es ein weiter Weg!“ bemerkte der phlegmatische Nevins. „Außerdem ist es dort noch ein gutes Stückchen weiter entfernt von ihrem Heimatplaneten im Siriussystem.“ „Sie haben die Absicht, im System Alpha Centauri eine Station zu errichten“, fuhr Hansen fort. „Was voraussetzt, daß wir möglichst schnell verschwinden, was?“ verlangte Harmer zu wissen. „So weit hat er mich leider nicht in sein Vertrauen gezogen“, 70
lächelte Hansen ironisch. „Den Stachel mit der geistigen Überlegenheit hat er mich jedenfalls fühlen lassen: Irgendwie konnte er seine Gedanken vor mir verbergen. Ich denke, daß ich nur das empfing, was ich wissen sollte.“ Harmer begann wieder zu wandern, doch plötzlich blieb er ruckartig stehen. „Hat er Ihnen gesagt, wie schnell sie fliegen können?“ „Soweit ich verstanden habe, ist ihre Maximalgeschwindigkeit genau so groß wie die unsere. Aber auf dem Sirius sollen Wissenschaftler auf das Geheimnis der Überlichtgeschwindigkeit gekommen sein.“ „Wahnsinn! Das gibt es ja gar nicht!“ rief Harmer. „Das ist ja gegen alle Gesetze der Natur! Die Wissenschaft besagt …“ „Die Wissenschaft hat in der Vergangenheit schon alle möglichen Dinge behauptet“, bemerkte Hansen ziemlich trocken. „Als die Entwicklung voranschritt, behauptete sie dann das Gegenteil. Wie viele Gelehrte hatten einst behauptet, nie könnten Maschinen, die schwerer als Luft seien, fliegen? Wieviel mehr haben gesagt, daß die Weltraumfahrt ewig der Wunschtraum phantasiebegabter Kranken bleibe? Ich habe nun lange genug gelebt, um die Erfahrung machen zu können, daß es nichts gibt, was unmöglich ist! Wenn also ein Mensch mir erzählt – und ich halte diese Sirunier für Menschen –, daß die Wissenschaftler des Sirius dabei sind, den Antrieb zu entwickeln, der die Raumschiffe noch schneller als das Licht durch das All reisen läßt, so glaube ich ihm das! Zum mindesten bin ich nicht allzu überrascht, wenn es geschieht.“ „Aber, Chef! Schneller als das Licht! Wissen Sie, was das bedeutet?“ „Natürlich weiß ich das! Es wird für sie keine Geschwindigkeitsgrenze mehr geben, keine Begrenzung des Raumes mehr. Nur die Physik bietet ihnen noch Einhalt: Sie sind nicht unsterblich, und auch die Maschinen werden nicht ewig halten. 71
Aber sie werden fähig sein, in wenigen Tagen, vielleicht sogar Stunden, den Raum zwischen Sonne und Sirius zu überbrücken. Es läge nur an ihnen, die Herren der Milchstraße zu werden. Sie machen zudem den Eindruck …“ Für eine Zeitlang schwiegen sie alle; jeder hing seinen Gedanken nach. Die Möglichkeiten dieser Idee waren ungeheuerlich, die Vorstellung phantastisch. Die irdischen Weltraumschiffe würden hilflos sein gegen einen Gegner, der so schnell war, daß man ihn nicht sehen konnte, und innerhalb von Stunden jederzeit Verstärkung erhalten konnte. Die Menschen würden bis auf die kleine Erde zurückgedrängt werden – und dann …! Wer wußte, welche Waffen die Sirunier zur Verfügung hatten? Da war es allerdings kein Wunder, daß der Kommandeur dieses Schiffes keinerlei Interesse für etwaige Handelsbeziehungen zeigte. „Wenn wir jetzt tatsächlich eine Funknachricht absenden könnten, würde sie die Erde nicht vor viereinhalb Jahren erreichen“, sagte Harmer langsam. „Vielleicht sind unsere ganzen Vermutungen nur Unsinn“, warf Hansen ein. „Richtig gesehen, hat er ja überhaupt nichts davon gesagt, daß sie die Absicht haben, etwas zu erobern. Er hat lediglich bemerkt, daß sie sich nehmen könnten, was sie wollten, wenn es darauf ankäme.“ „Der Unterschied ist so fein, daß mein Verstand ihn nicht begreift“, grollte Harmer wütend. „Hat er Ihnen gesagt, was sie hier, auf Althan, suchen?“ „Ja. Sie wollen hier ihre Station einrichten, in der unterirdischen Stadt.“ „Sie meinen …? Ja, das wird ja immer geheimnisvoller! Sie meinen also, daß sie von der Existenz dieser Stadt wußten, bevor sie hier landeten?“ „Ganz richtig! Ihre geschichtlichen Überlieferungen gaben ihnen den genauen Ort an. Es hat den Anschein, als sei dieser 72
Planet Althan die Ursprungsstätte dieser Rasse. Fragt mich nur nicht, warum es ausgerechnet auf diesem verflixten Planeten Leben gegeben hat, und nicht auf einem der anderen sieben Planeten. Ich weiß es wirklich nicht! Möglich, daß die Sirunier es auch nicht wissen.. Wir haben ja auch keine Ahnung, warum das Leben bei uns nur auf der Erde und auf dem Mars entstand. Damals war Althan natürlich nicht so eine gefrorene Dämmerwelt wie jetzt. Er war näher an der Sonne, die auch noch heißer war. Ihre Legenden berichten, daß ein Wanderstern Althan aus seiner Bahn stieß. Das verursachte natürlich eine Veränderung der ganzen Verhältnisse, und die Bewohner flüchteten in jene unterirdische Stadt.“ „Dann gab es aber nicht viele Menschen damals, wenn sie alle in dieser einen 8tadt Platz hatten“, bemerkte Nevins. „Es gab ja nicht nur diese eine Stadt. Wir haben nur diese entdeckt. Es gab viele von ihnen; aber die Bevölkerung starb nach und nach aus; schließlich fand der Rest dann in dieser einen Stadt Platz. Aber die Lebensbedingungen wurden schlechter und schlechter. Es schien, als ob die ganze Rasse zum Untergang verurteilt worden sei. Da entdeckte man eines Tages, wie man ein Weltraumschiff baut und – was das Wichtigste ist – wie man es antreibt.“ „Und dann sind sie ausgewandert?“ fragte Nevins. „So sieht es aus.“ „Aber warum flogen sie denn gleich zum Sirius? Warum nicht zu einem anderen Planeten des Alpha Centauri?“ fragte Harmer. „Mein lieber Rex“, sagte Hansen mit breitem Grinsen, „ich spinne momentan ein Garn, das gar nicht mein eigenes Produkt ist. Ich wiederhole lediglich etwas, was ich gehört, aber noch nicht ganz begriffen habe, damit ihr informiert seid. Wenn Sie also genauere Einzelheiten wissen wollen, Rex, dann gehen Sie zu dem Kapitän dieses Schiffes! – Es ist möglich, daß damals 73
die anderen Planeten hier unbewohnbar waren. Wie lange ist diese Katastrophe schon her! Vielleicht hatten sie auch den Kurs falsch berechnet, als sie mit ihren Schiffen in den Weltraum rasten. Was weiß ich? – Auf jeden Fall erreichten einige von ihnen den Sirius und siedelten sich auf einem seiner Planeten an. Nun kommen die Urenkel zurück in die Welt der Väter.“ „Also so eine Art Wallfahrt?“ nahm Harmer an. „Dafür habe ich Verständnis, wenn sie diesen Platz sehen wollen. Aber ich wäre ein gut Teil beruhigter, wenn ich genau wüßte, daß das wirklich der einzige Grund ihres Hierseins ist. Um Althan brauchten wir uns nicht zu streiten – das ist er kaum wert.“ „Davon bin ich nicht so sehr überzeugt“, antwortete Hansen nachdenklich. Er wühlte in seinen Taschen herum, zog seine Tabakspfeife hervor und begann sie sorgfältig zu stopfen. „Ich schnappte da nämlich noch so einen Gedanken des Oberhäuptlings auf, kann aber nicht behaupten, ob ich ihn empfangen sollte oder nicht. – Nicht das Heimweh führte die Sirunier zu dieser toten Welt, Rex; so pietätvoll scheinen die nicht zu sein. Nein, auf Althan gibt es etwas – sie wissen es aus ihren Überlieferungen –, was sie unbedingt benötigen, um die Erfindung des Superantriebes zu verwirklichen.“ „Was denn? Mineralien?“ fragte Harmer mit plötzlich erwachendem Interesse. „Vielleicht ein Element, das sie als Treibstoff verwerten wollen.“ „Vielleicht! Vielleicht aber auch, um die Reaktionsturbinen damit zu bauen. Sie werden ein Metall benötigen, das Temperaturen aushält, die wir bisher auf der Erde noch nicht erreicht haben.“ „Aha, und deshalb werden sie hier eine Station errichten wollen!“ warf Nevins ein. „So eins Art Bergwerksbetrieb, wie wir sie auf Luna und den äußeren Planeten haben.“ „Das ist allerdings auch meine Vermutung“, stimmte Hansen bei. 74
„Anschließend werden sie die gefundenen Mineralien oder Elemente zu ihrem Heimatplaneten bringen“, vermutete Harmer. Er sah Hansen scharf an› „Chef, es ist möglich, daß ich Unsinn rede; aber ich habe so das Gefühl, als ob wir unserer Menschheit einen großen Dienst erweisen würden, indem wir dafür sorgten, daß dieses Schiff niemals mehr nach dort zurückkehrt.“ „Das wäre Aggression, Rex!“ sagte Hansen nüchtern. „Wie leicht wäre es möglich, daß wir damit erst recht verursachten, was wir verhindern wollen.“ Harmers jugendliches Gesicht war sehr ernst geworden. „Sehen Sie, Chef!“ Er hatte seine Stimme unwillkürlich gesenkt. „Wenn Sie mit Ihren Vermutungen und ich mit den meinen bezüglich des Charakters dieser Sirunier recht haben, dann können Sie sich darauf verlassen, daß man uns nicht so einfach wieder laufen läßt, damit wir dann auf der Erde von all diesen Dingen berichten werden. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Hauptmacher uns nicht soviel von seinen Geheimnissen verraten hätte, wenn er die Absicht hegte, uns wieder auf freien Fuß zu setzen.“ Hansen fühlte, daß die Stärke dieses Argumentes über jeden Zweifel erhaben war. Den gleichen Gedanken hatte er auch schon gehabt. „Was sollen wir tun, Rex?“ fragte er. „Das Schiff in unsere Gewalt bringen?“ „Sogar das, wenn es sein muß! Und die Leute, die sich unten in der Stadt befinden! – Nun, wir müssen das genau überlegen.“ Die Tür öffnete sich, und ein Sirunier trat ein. Im ersten Augenblick befürchtete Hansen, daß man ihr Gespräch belauscht haben könnte, aber dann wurde ihm klar, daß es unmöglich sei, so schnell ihre Sprache zu erlernen. Der Sirunier machte eine einladende Geste, ihm zu folgen. Die drei wechselten einen kurzen Blick. War das schon ihre Chance? Wenn sie diesen Wächter überwältigten …! 75
Aber ihre Hoffnungen waren nur von kurzer Dauer. Draußen im Gang erblickten sie drei andere Schwarzuniformierte. Jeder von ihnen hatte etwas in der Hand, was einer Strahlpistole verflixt ähnlich sah. Man brachte sie wieder in den Kontrollraum. Der Offizier gab Hansen wieder den Telepathiehelm. Die herrische Gebärde, mit der er ihn zum Aufsetzen aufforderte, ärgerte Hansen; aber er gehorchte. „Es tut mir leid, daß ich euch wieder belästigen muß, Menschen von der Erde!“ sagte der sirunische Kommandant, und in seiner Stimme klang Zynismus. „Wir hatten völlig vergessen, uns über einen anderen, sehr wichtigen Punkt zu unterhalten. Was ist mit eurem Raumschiff?“ Mit aller Gewalt versuchte Hansen, nicht daran zu denken. Es gelang ihm nicht ganz. Unwillkürlich sah er die Neptun vor sich liegen, zwanzig Meilen von hier, in der breiten Spalte. Der Mann ihm gegenüber mußte seine Verwirrung bemerkt haben; denn ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Keine Sorge, Fremder! Ich weiß schon von dem Schiff. Ohne es vielleicht zu wissen, habt Ihr bei unserer letzten Unterredung schon daran gedacht. Wir kennen sogar den genauen Ort, wo es liegt. Wir wissen auch, daß der Antrieb defekt ist. Schon längst hätten wir es vernichten können; aber wir benötigen es selbst noch.“ Ein Dutzend Fragen und Gedanken schossen durch Hansens Gehirn; aber der Befehl des Offiziers unterbrach sie: „Sagt Eurer Mannschaft, sie soll uns das Schiff übergeben, ohne weitere Zerstörungen vorzunehmen!“ „Was geschieht mit den Leuten?“ „Wir brauchen sie zur Bedienung des Schiffes.“ „Und die Wissenschaftler?“ „Wir werden uns freuen, ihre Bekanntschaft zu machen. Sie werden uns manche wertvollen Hinweise geben können.“ 76
„Wollen Sie ihnen ihr Gehirn stehlen?“ „Ich hoffe, es wird unnötig sein.“ In seinem steigenden Arger sprach Hansen den Gedanken laut aus: „Geh zur Hölle! Nie werde ich diesen Befehl geben!“ „Du Narr!“ Der Sirunier wandte sich ab, sagte etwas zu einem seiner Adjutanten, der daraufhin einige Worte in ein telefonartiges Instrument sprach. Hansen warf Harmer und Nevins einen Blick zu. Er hatte jetzt auch du Gefühl, daß jene mit ihrem Pessimismus auf dem richtigen Wege waren. Der Kommandant der Sirunier drehte sich wieder um. „Eure Gedanken sind sehr unbeherrscht, Erdenmensch. Ihr wollt fliehen, Ja? Ihr wollt Euch sogar in den Besitz dieses Schiffes bringen? – Ihr seid noch dümmer, als ich angenommen hatte. Um Euer Temperament ein wenig zu dämpfen, werde ich Euch zu der Station hinunterschicken, die bald fertig ist. Über Euer Schiff werden wir später noch reden; es hat noch Zeit. Selbst wenn es wieder repariert ist, kann es nicht starten. Nehmt den Helm ab!“ Hansen gehorchte sofort; denn eine Menge Gedanken schossen erneut durch seinen Kopf. Es waren Ideen, von denen der Sirunier besser nichts ahnte. Eine Eskorte der schwarzgekleideten Sirunier geleitete Hansen und seine beiden Leute durch den Schiffsgang zum anderen Ende des Kreuzers. Hansens Schädel brummte in einem Gewirr der widerstreitendsten Gefühle. Er fühlte sich durch die ihm zuteil gewordene Behandlung erniedrigt und gedemütigt. Man benahm sich ihnen gegenüber ja so, als ob sie Lebewesen auf der niedrigsten Stufe der Entwicklung seien. Er war ärgerlich und zudem beunruhigt, wenn er an die Mannschaft und an sein Schiff dachte. Beides wollte man für ziemlich fragwürdige Zwecke benutzen und den Wissenschaftlern ihre Kenntnisse entreißen. 77
Langsam begann in ihm die Erkenntnis zu dämmern, daß die Sirunier sie sicherlich mit zu ihrem Heimatplaneten nehmen wollten – so wie die Männer der Erde Pflanzen und Tiere von ihren Ausflügen in das All mit zurückbrachten. Man hatte ihm ja nur gesagt, daß man sie nicht töten werde, sonst nichts! Hansen nahm an, daß man die Neptun dringend zum Transport des begehrten Elementes benötigte, dessentwegen man überhaupt auf Althan gelandet war. Wenn alles so kam, wie er es sich dachte, dann mochte der Tag nicht mehr fern sein, an dem die Sirunier mit ihrer Kriegsflotte, schneller als das Licht, die Erde angriffen. Die Erde aber war auf einen Krieg nicht vorbereitet! Bisher hatten die Menschen noch keinen ernsthaften interstellaren Konflikt erlebt, nur in den warnenden Geschichten mancher Schriftsteller tauchte er auf. Die Furcht vor einem solchen Kriege hatte die Menschheit geeinigt. Nachdem aber das gesamte Sonnensystem erforscht war und man dort keinen etwaigen Feind entdecken konnte, ließ diese Furcht wieder nach. Auch nicht der weitdenkendste Staatsmann dachte an die Möglichkeit, ein Angreifer könne von einem anderen System kommen. Die Erfindung einer Strahlturbine jedoch, die die Schiffe schneller als Licht oder Radiowellen durch den Weltraum triebe, ließ einen interstellaren Zusammenstoß allerdings wieder in den Bereich der Möglichkeiten rücken. Die Erde aber wäre nicht gewarnt, um den Angriff abwehren zu können! Auch wenn Hansen jetzt eine Meldung zur Station durchgeben könnte, würde Sie die Erde erst in viereinhalb Jahren erreichen. Wenn man ihn und seine Leute zum Sirius entführte, würde die Nachricht von dort aus doppelt so lange benötigen, nämlich 9 Lichtjahre. Jahre, bevor sie die Erde erreichte, würde die Invasionsflotte des Sirius sie überholen! Eine kaum glaubliche Möglichkeit, die sich aus der Überwindung der Lichtgeschwin78
digkeit ergäbe. Der Verstand konnte einem bei diesem Gedanken geradezu stehenbleiben. Man funkte eine Nachricht in den Raum, überholte sie dann und fing sie wieder auf. Phantastisch! Aber es war ja mit der Schallgrenze einst ebenso gewesen. In alle diese Empfindungen Hansens mischte sich ein Unterton der Enttäuschung. Ungezählte Jahrhunderte hatten die Menschen der Erde im Existenzkampf miteinander gelebt. Der Anbruch des 21. Jahrhunderts hatte endlich allen Kriegen ein Ende bereitet; Menschen hatten sich die gewaltigen Kräfte der Atomenergie nutzbar gemacht. Das Leben wurde schöner und länger. Doch wenn die Pläne dieses Siruniers Wirklichkeit werden sollten, würden mit einem Schlage wieder der Schrecken und die Bitternis des Krieges über den Heimatplaneten herfallen. In seinem Inneren hatte Hansen – und nicht nur er allein – die stille Hoffnung nie aufgegeben, daß, wenn sie jemals auf intelligente Lebewesen im Weltraum stoßen sollten, diese fortgeschritten und friedlich eingestellt sein mögen. Er hatte gewünscht, Verbindung mit ihnen aufzunehmen und dadurch noch viele Rätsel zu lösen, die der Lösung noch bedurften. Nun hatte er diese andere Rasse endlich gefunden, vielleicht nur eine von vielen anderen. Wenn er sich jedoch nicht irrte, dann würde diese Rasse der Erde nie die Freundschaft und den Fortschritt bringen, sondern nur die Schrecken des Krieges.
DIE STATION DES SIRIUS Man brachte sie nicht wieder zurück in ihre Kabine, sondern führte sie direkt zur Umkleidekammer. Dort zeigte einer der Wächter stumm auf Ihre Raumanzüge. „Was soll denn das schon wieder?“ fragte Harmer. „Sie bringen uns zurück in die unterirdische Stadt“, erklärte Hansen. 79
„Warum denn?“ Mit verschlossenem Gesichtsausdruck antwortete der Kommodore: „Man traut uns nicht, und einen Reinfall möchte man keineswegs riskieren.“ „Den können sie dort unten genau so erleben!“ Harmers Stimme war drohend. Schnell waren sie in ihre Anzüge gestiegen. Als erstes schaltete Hansen den Sprechverkehr ein, Nevins antwortete, und kurz darauf auch Harmer, Etwas verwundert überlegte er, warum man sie wohl nicht der Verständigungsmöglichkeit beraubt, ihnen vielmehr die kleinen Apparate gelassen hatte. Ein Fluchtversuch wäre damit im Keime erstickt worden; denn sie hätten kein Wort mehr miteinander wechseln können. Es wäre ziemlich umständlich gewesen, sich nur durch Zeichen verständigen zu müssen. Ob diese Unterlassungssünde nur ein Versehen der Sirunier war, ob man einen besonderen Zweck damit verfolgte – über eines jedenfalls war Hansen sich im klaren: Zu ihrer Bequemlichkeit hatte man es nicht getan! Als sie in die Druckkammer stiegen, dachte er flüchtig an die Möglichkeit, die Wache zu überwältigen. Aber er sah ein, daß der Gedanke unsinnig war. Jene waren zu viert und außerdem bewaffnet. In der Wagenhalle unter dem Bauche des Kreuzers kletterten sie in ein Landfahrzeug, das ihnen angewiesen wurde. „Da! Sie nehmen schon unseren Kettenwagen auseinander. Dort hinten!“ sagte Harmer und deutete mit dem Kopf in eine bestimmte Richtung. Hansen bemerkte nun am anderen Ende der Halle ihren Wagen, an dem drei Gestalten zu arbeiten schienen. Eine Kette hatte man abmontiert, und die eine Seite war geöffnet worden. Man hatte sie herausgeschnitten, wie mit einem Messer. Wahrscheinlich hatte man einen Atomschneider dazu benutzt. „Die wollen wissen, warum die Uhr tickt“, grinste Nevins. 80
Die vier Wächter stiegen zu ihnen, drei nach hinten, und einer setzte sich neben den Fahrer. Dann öffnete sich langsam die Klappe, und sie sahen unter sich die felsige, vereiste Landschaft des Althan. Sie hingen genau über der Spalte. Erneute Fluchtgedanken durchkreuzten Hansens Gehirn. Wenn es ihnen gelänge, dieses Fahrzeug in ihre Gewalt zu bringen, wäre das eine ideale Möglichkeit, um damit zur Neptun zurückzukehren. Auf der anderen Seite jedoch war ihm klar, daß die Umstände im Augenblick zu ungünstig waren. Bevor sie irgend etwas unternehmen könnten, hätten die Wachen sie zu kosmischem Staub zerstrahlt. Innerhalb weniger Sekunden landeten sie auf dem Grunde der Spalte. Der Lichtkegel des großen Scheinwerfers war verschwunden. Hansen nahm an, daß man Raumschiffe der Erde, die hier womöglich erscheinen könnten, nicht gleich aufmerksam machen wollte. Er war sich nicht ganz im klaren darüber, ob der Sirunier vielleicht seinen Gedanken nicht erfaßt haben könnte, daß die Neptun das einzige Erdenschiff auf Althan war. Hansen hatte zwar an die Schiffe auf der Station gedacht, und auch daran, daß es nur Frachtschiffe, jedoch keine Kriegsfahrzeuge waren; aber es war möglich, daß der Sirunier das falsch verstanden hatte. Hätte er ihm doch nur den Eindruck vermittelt, es seien alles schwerbewaffnete Kreuzer! Sonst kämen die Burschen womöglich noch auf die Idee, die Station anzugreifen. „War das alles, was der schwarze Häuptling von Ihnen wollte?“ fragte Harmer ziemlich unvermittelt. „Sprach er nur über seine Befürchtung, wir könnten fliehen? Ich hatte mehr den Eindruck einer ausführlichen Unterhaltung.“ „Unterhaltung ist gut!“ grinste Hansen und erzählte ihnen, welchen Befehl man ihm gegeben hatte. „Diese verfluchte Laus!“ war Harmers Kommentar. Der Kettenwagen rollte durch die Spalte. Hansen sah eine Menge von Spuren im Schnee. Er entsann sich, daß oben in der 81
Einflughalle einige Fahrzeuge gefehlt hatten. Die Sirunier verloren wirklich keine Zeit, um ihre Station zu errichten. Die Spalte erweiterte sich zu dem Eingang in die unterirdische Stadt. Traktoren und andere Maschinen brachen Fels ab und glätteten den Grund. Der eigentliche Eingang wurde durch einen Strahler, der auf einen Wagen montiert war, verbreitert. Ganze Höhlen wurden in den Felsen geschmolzen, und mit lautem Prasseln fielen die Brocken zu Boden, wo sie gleich darauf weggeräumt wurden. In der Spalte selbst arbeiteten einige Gestalten in Raumanzügen an der Errichtung eines Fundamentes. Es sah aus wie die, auf denen man früher das Startgestell einer Rakete anbrachte. „Emsig wie die Bienen“, murmelte Harmer. „Sie halten sich ganz nett ’ran!“ gab Hansen zu. „Ich möchte nur wissen, was sie mit den Eisenträgern wollen.“ „Es sieht so aus, als wollten sie eine Art Rampe bauen, senkrecht zum Himmel führend. Hm!“ Nevins legte seinen behandschuhten Finger dorthin, wo seine Nase etwa wäre, wenn er den Helm nicht trüge. „Sieht aus wie eine Rampe, von der früher einmal unsere Raumschiffe starteten.“ „Das könnte möglich sein.“ Harmer schien durch die Idee Nevins ermutigt worden zu sein, seine eigenen Gedanken für wahrscheinlich zu halten. „Es wäre möglich, daß sie ihr Schiff hier in der Spalte landen wollen.“ Hansen runzelte die Stirn. Die Spalte war 350 Meter tief und 30 Meter breit. Sie konnte das fremde Schiff leicht aufnehmen. Es wäre dann nur notwendig, einen Kraftfeldschirm über das ganze Gebiet zu legen, um Schiff und Station gegen jeden Angriff zu schützen. Donnerwetter – ja! Ein solches Kraftfeld fraß ungeheure Mengen Energien. Wenn man aber das Triebwerk des Schiffes zu Hilfe nehmen 82
konnte, würde man es schaffen. Ohne einen Angriff der Erdenmenschen befürchten zu müssen, konnten die Sirunier dann in Ruhe den Bau ihrer Station beenden. Ein Traktor räumte die Trümmer beiseite, und dann glitten sie über den Rand des Aufzugschachtes. Langsam sanken sie nach unten. Innerhalb der Stadt waren große Veränderungen vor sich gegangen. Auf jeder Seite der Hauptstraße, die vom Schachtausgang zum Zentrum führte, hatte man eine ganze Reihe Häuserblocks abgerissen und war schon dabei, die Trümmer wegzuräumen. „Wozu brauchen die denn hier unten den ganzen Platz?“ fragte Harmer. „Sie werden doch wohl nicht gar das Raumschiff hier unterbringen wollen?“ „Vielleicht wollen sie hier ein neues bauen“, meinte Nevins. „Ich habe so das Gefühl, als hätten Sie wieder mal den Nagel auf den Kopf getroffen, Nevins“, sagte Hansen. „Ich bin überzeugt, daß sie mit dem Material, das ihnen hier zur Verfügung steht, eine ganze Flotte bauen können. Wenn sie außerdem noch Verstärkung vom Sirius bekommen …“ Hansen hatte es nicht nötig, seinen Satz zu beenden. Seine Begleiter sahen auch so, welche Möglichkeiten er in Betracht zog. Die Sirunier konnten Althan zum Ausgangspunkt ihres Angriffes auf das Sonnensystem machen. Auch wenn die Schiffe schneller als das Licht sein sollten, war ein Unterschied von viereinhalb Lichtjahren für den Weltraumstrategen bemerkenswert. Die Sirunier machten Ernst; das konnten sie deutlich feststellen, als sie die glatte Hauptstraße der absolut nicht mehr toten Stadt entlangpreschten. Der dumpfe Lärm der Maschinen erfüllte den Felsendom und machte eine Verständigung fast unmöglich, da alle Außengeräusche ebenfalls in der Anlage registriert wurden. Mächtige Scheinwerfer waren rings um die Stadt aufgestellt worden und tauchten sie in blendendes Licht. Im ganzen 83
sahen sie vielleicht hundert Männer. Das hatte aber nichts zu bedeuten. Die Maschinen vollbrachten eine Arbeitsleistung von Tausenden von Siruniern. Die drei Erdenmenschen wurden in jenes Haus gebracht, das sie bei ihrem ersten Besuch in der unterirdischen Stadt für das Verwaltungsgebäude gehalten hatten. In einem fensterlosen Raum, wo es völlig dunkel war, wurden sie eingeschlossen. Ihre eigenen Lampen, die man ihnen, zusammen mit den Pistolen, abgenommen hatte, waren ihnen nicht zurückgegeben worden. Hansen fühlte unter seinen Füßen dicken Staub. Er tastete sich zur Wand und schritt vorsichtig an ihr entlang. Bevor, die Tür geschlossen worden war, hatte er im Licht der Lampen einen Tisch und eine Bank in der äußersten Ecke des Zimmers gesehen. Seine suchende Hand fand Widerstand. Er hatte den Tisch gefunden, leider mit einem anderen zusammen. Unwillkürlich erschrak er; doch gleich darauf mußte er grinsen, als er einen bestürzten Fluch Harmers hörte. „Zum Teufel, das ist ja schlimmer als Blindekuh spielen!“ schimpfte der Kapitän, während sie sich auf der Bank niederließen. „Was ist das hier für eine Bude? Das Ortsgefängnis?“ „Möglich“, sagte Hansen. „Aber allen Anzeichen nach, die wir vorfanden, benötigten die damaligen Bewohner doch gar kein Gefängnis.“ „Wieso nicht? Ich wette, daß das auch keine Heiligen waren. Ganz bestimmt nicht, wenn sie genau so waren wie ihre Nachkommen!“ „Die Umgebung verdirbt den Charakter, Rex. Ich bezweifle, daß es damals hier irgendwelche Verbrechen gab. Warum sollte hier beispielsweise jemand etwas stehlen? Zehn zu eins wette ich, daß alles Allgemeingut war.“ „Die Frauen auch, was? Nein, das glaube ich nicht. Doch 84
selbst wenn sie es gewesen wären, hätte man sich deswegen erst recht die Köpfe eingeschlagen. Es mußte eine Art Gesetz geben, schon wegen der Betrunkenen!“ „Der Betrunkenen?“ Hansens Stimme verriet Erstaunen. „Natürlich, der Betrunkenen wegen! Oder glauben Sie, daß man hier unten nicht ab und zu eine Pulle geleert hat? Ohne Alkohol wäre man in dieser Höhle recht bald eingegangen.“ „Ach ja, jetzt einen Brandy!“ stöhnte jemand. Es war Nevins, der inzwischen auch auf der Bank gelandet war. „Ich bin mal die Wände entlanggegangen“, gab er bekannt. „Außer der Tür gibt es keinen anderen Ausgang; und die schließt derart gut, daß man keine einzige Fuge auch nur fühlen kann.“ „Welch ein Wunder, da Sie sie dann entdeckt haben! – Nein, das ist zwecklos!“ sagte Hansen. Harmer fügte ein wenig hoffnungslos hinzu: „Du verschwendest deine Zeit, Bruder. Wir spielen nicht in einer Komödie mit, sondern in einem Drama. Diese Sirunier sind verflucht vorsichtig und lassen uns keine Chance. Außer der Tür gibt es hier keinen Ausgang.“ Wiederum lastete das Schweigen auf ihnen. Hansen wußte, daß Harmer recht hatte. Hätten sie nur ihre Strahlpistolen gehabt, dann wäre die Lage ein wenig anders gewesen; aber im Augenblick waren sie genau so hilflos, als ob man sie in einem Grabgewölbe eingemauert hätte. Harmer stöhnte plötzlich wie ein Sterbender. „Sagen Sie, Chef“, knurrte er wehleidig, „haben Sie nicht zufällig ein paar Schnitzel in der Tasche. Ich entsinne mich, daß wir seit Verlassen der Station nichts mehr gegessen haben. Das ist nun schon etliche Stunden her. Mein Magen besteht nur noch aus einem einzigen Loch.“ Daran erinnert, bemerkte Hansen, daß er ein ähnliches Gefühl in seinem Magen verspürte. Ein komisches Gefühl hatte er 85
die ganze Zeit über schon gehabt; aber erst jetzt wußte er, daß es Hunger war. Auf dem Fluge von der Station nach Althan hatten sie nicht viel gegessen, da der Appetit bei der hohen Geschwindigkeit fast völlig schwand. „Wir haben doch Energietabletten bei uns“, erinnerte Hansen. Der Kapitän stöhnte erneut auf. „Tabletten! Das Loch in meinem Magen ist groß genug, um einen Ochsen aufzunehmen. – Na ja!“ fügte er klagend hinzu und betätigte seufzend einen Knopf am Helm, wodurch sich automatisch eine Tablette in seinen Mund schob. Diese Einrichtung war angebracht, damit die Raumfahrer sich helfen konnten, falls es ihnen für sehr lange Zeit unmöglich war, den Helm zu öffnen. Die Tabletten enthielten Bewegungsenergie für etwa fünf Stunden. Vielleicht käme man inzwischen auf die Idee, ihnen auch mal was zu essen zu geben. Hoffentlich war der Geschmack der Sirunier nicht allzu verschieden von dem der Erdenmenschen. Hansen mußte an sein Schiff denken. Der Gedanke, daß es, hilflos auf die Gnade der eroberungssüchtigen Rasse angewiesen, in der Schlucht lag, war ihm unangenehm. Er fragte daher den Funker, der neben ihm im Dunkel saß: „Könnten Sie nochmals Verbindung mit dem Schiff aufnehmen, Nevins?“ „Ich kann es versuchen, Chef. Die Batterien werden ja inzwischen ein wenig schwächer geworden sein, aber vielleicht langt es noch. Gebt mir mal eure Apparate her!“ Kurz darauf hatte Nevins die beiden Funkkästen vor sich auf dem Tisch stehen. Geschickt hantierte er daran herum. Hansen ahnte das nur, sehen konnte er nichts. Wie Nevins es in der Finsternis anstellte, die einzelnen Drähte nicht zu verwechseln, war ihm ein Rätsel. Sicher nur Übungssache! Ohne ihre Anlage waren sie zum Schweigen verurteilt. Hansen bekam wieder ein wenig Zeit zum Nachdenken. 86
Es war ihm verständlich, warum man sie in die unterirdische Stadt gebracht hatte. Der Anzahl Männer nach zu urteilen, die sich hier unten befanden, mußte das Schiff fast verlassen sein. Wären sie dort oben geblieben, hätte ihr Plan, das Schiff zu erobern, vielleicht gelingen können. Hansen glaubte kaum, jetzt noch einmal in jenes Schiff gebracht zu werden; auch war er davon überzeugt, daß ihnen von hier unten aus eine Flucht ohne fremde Hilfe so gut wie unmöglich sein werde. Ihre einzige Chance lag in einem Ausbruchsversuch, falls man sie in einen anderen Raum bringen sollte. Seiner Schätzung nach war etwa eine Stunde vergangen – er hatte nicht auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr geschaut –, als Nevins ihnen die Funkgeräte wieder über den Tisch zuschob. Schnell wurden sie angeschlossen. „Na, Verbindung bekommen?“ war Hansens erste Frage. „Ja, Chef. Der Antrieb ist immer noch nicht in Ordnung. Bogart hofft, ihn in zwei Tagen soweit zu haben.“ „Ich wollte an sich den Befehl geben, so bald als möglich ohne uns zu starten und zur Station zurückzukehren.“ „Das hatte ich mir schon gedacht und sagte es ihnen auch“, brummte Nevins, offenbar mit seiner eigenen Intelligenz zufrieden. „Aber Bogart sagte, das sei unnötig. Er könne dann Strom genug erzeugen, um die Station zu verständigen. Wenn er starte, dann nur, um uns zu suchen.“ „Haben sie schon versucht, uns so zu finden?“ fragte Harmer. „Ja, eine Suchexpedition verließ das Schiff schon nach unserem ersten Gespräch vom Schacht aus. Sie kamen bis zum Ende der Spalte und mußten dort feststellen, daß man sie bereits durch eine Kraftfeldmauer abgeriegelt hatte. Sie konnten nicht heraus.“ „Lieber Himmel, warum benutzten sie denn nicht ihre Raketengürtel, um hochzukommen! Einfacher ging es doch nicht!“ 87
„Zwei der Mannschaft haben das versucht, Chef; Lelson und Clarke. Sie wurden von einem kleinen Raumboot mit Hitzestrahlern angegriffen.“ „Und?“ „Tot!“ Hansen fluchte. Sein Herz wurde ihm plötzlich so schwer, als ob sich ein Stein darauf gelegt hätte. Er hätte der Mannschaft befehlen sollen, nichts mehr zu seiner Rettung zu unternehmen, wenn sie dabei ihr Leben riskieren müßten. „Ich habe ihnen doch gesagt, sie sollten sich um uns keine Gedanken machen, sondern nur darauf bedacht sein, das Schiff so schnell wie möglich wieder startklar zu bekommen. Ich habe ihnen außerdem mitgeteilt, daß die Sirunier das Schiff heil in ihre Hände bringen wollen, und ermahnte sie, vorsichtig zu sein. Bogart antwortete, er werde das Schiff nur einem übergeben – und das seien Sie, Chef!“ „Das ist typisch Bogart!“ lachte Hansen kurz auf. „Ich nehme aber an, daß Sie vergessen haben, dem alten Sünder Bogart zu sagen, daß man mich wahrscheinlich zwingen will, den Befehl zur Übergabe des Schiffes zu geben.“ „Oje, daran habe ich wirklich nicht gedacht!“ bedauerte Nevins. „Auch gut; das macht nichts!“ warf Hansen ein. „Sie haben Ihre Sache tadellos gemacht. Ich hätte es kaum anders machen können. Im übrigen habe ich so das Gefühl, als ob es gar nicht übel wäre, uns scheinbar den Wünschen des Sirunierhäuptlings zu fügen.“ „Sie meinen, wir sollten so tun, als ob …“ Harmer schien erstaunt, aber ein gedehntes „Hm, hm“, zeigte an, daß er begriffen hatte. „Ganz richtig; das ist unsere einzige Chance! Wir können nur dann etwas unternehmen, wenn wir uns außerhalb dieser Stadt befinden. Hier sind wir genau so sicher, wie eine Maus in einem 88
Betonsarg. Aber einmal im Freien, und je näher beim Schiff, um so besser bestände die Möglichkeit einer Flucht.“ „Der Gedanke ist wert, überlegt zu werden!“ stimmte Harmer bei. Dazu hatten sie noch reichlich Gelegenheit; denn die Stunden vergingen, ohne daß etwas geschah. Zum Reden waren sie zu müde geworden, und sie versuchten, ohne besonderen Erfolg, ein wenig zu schlafen. Sie füllten ihre Raumanzüge ganz mit der künstlichen Atmosphäre und legten sich auf den Boden. Wie eine Luftmatratze! dachte Hansen und döste vor sich hin. Nach ungefähr sieben Stunden öffnete sich plötzlich die Tür, und ein heller Lichtschein fiel in ihr Gefängnis. „Jetzt ist es soweit!“ murmelte Harmer. „Wollen wir ihnen sagen, daß wir auf das schmutzige Geschäft eingehen werden?“ Er irrte sich jedoch, wenn er glaubte, daß man eine Entscheidung wolle. Man führte sie nämlich durch die getäfelte Halle nur in einen anderen Raum. Dieser war mit einer Preßluftkammer versehen und luftdicht gemacht worden. Im Innern des Zimmers konnten sie die Helme abnehmen. Einige Sirunier saßen an Tischen und aßen. Man geleitete sie an einen kleinen, etwas abseits stehenden Tisch und brachte ihnen in einer Art Schüssel etwas zu essen. Der Geruch war zwar ein wenig merkwürdig, aber für ihre hungrigen Magen nicht unbedingt abstoßend. Die beiden Wächter beobachteten sie aufmerksam. Ziemlich mißtrauisch näherten sich ihre Nasen den dargebrachten Speisen, und nur vorsichtig kosteten sie davon, obwohl sie großen Hunger hatten. Auf Hansens Rat aßen sie nicht allzu viel; es schmeckte wirklich nicht so übel. Nur Harmer behauptete, es müsse eine Mischung von Paraffin und Holzkohle sein. So wenigstens schmecke es. 89
Das Getränk, das man ihnen brachte, hatte die Farbe eines Portweines. Es war warm und ein wenig bitter. Während sie aßen, hatten sie Gelegenheit, die anwesenden Sirunier zu studieren. Es mochten ungefähr zwanzig Mann sein. Alle trugen die gleiche schwarze Uniform. Die Größe war unterschiedlich, aber mit irdischen Augen gemessen, waren sie ausnahmslos von einer erschreckenden Dürre. „Kein Wunder bei dem Fraß!“ murmelte Harmer. Alle hatten den winkelförmigen Haaransatz in der Stirn, was ihnen eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Sirunier auf dem Porträt in der großen Halle gab. Man verhehlte nicht das Interesse, das man für die Männer von der Erde hegte; mit ihren weit auseinanderliegenden Augen starrten sie neugierig auf die drei. Die Sirunier hatten keine Augenbrauen; das gab ihren Gesichtern einen etwas bizarren Ausdruck; die schmalen Köpfe, dazu die eigenartigen Augen, wirkten irgendwie boshaft. Obwohl sie höchstwahrscheinlich aus den gleichen Urkeimen wie die Menschen der Erde entstanden waren, fehlte ihnen eine Kleinigkeit. Alle Rassen der Erde hatten Hemmungen, die grausamen Regungen, die oft die dünne Schale ihrer Zivilisation durchbrechen wollten, offen zuzugeben. Diese Hemmungen aber fehlten den Siruniern. Außerdem glaubte Hansen feststellen zu können, daß ihnen der Sinn für Humor völlig abging. Nein, niemals konnten diese Wesen in Frieden und Freundschaft mit den Bewohnern im Sonnensystem harmonieren. Vielleicht gelang es, eine gewisse Neutralität herzustellen. Sollten diese eroberungssüchtigen und hemmungslosen Sirunier aber jemals als Angreifer zur Erde kommen, würde dort die uralte Vorstellung von der Hölle zu einer grausamen Wirklichkeit werden. Als sie ihre Mahlzeit beendet hatten, brachte man sie wieder in ihre Zelle zurück. Man hatte sich nur durch Zeichen verständigt. Sollte es hier unten ein Gedankenverständigungsmittel 90
geben, so war jedenfalls nichts davon zu bemerken. Hansen verspürte ein leichtes Kribbeln auf dem Rücken. Wenn man nun doch Apparate hatte, mit denen man ihre Gespräche überwachen konnte? Wozu trug der sirunische Kommandant den Helm? War diese Kopfbedeckung wirklich nur dann nützlich, wenn beide Partner den Helm aufgesetzt hatten? Oder konnte man, unabhängig davon, mit ihr auch fremde Gehirne beeinflussen? Er mußte an den in den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts erfundenen „Lügendetektor“ denken, der mit dieser Erfindung viel Ähnlichkeit hatte. Sie warteten weitere fünfzehn Stunden, ehe sie den sirunischen Kommandanten wiedersahen. Zwischendurch brachte man sie noch einmal in den Speiseraum. Man führte sie durch die Halle, an deren Wand immer noch das bunte Gemälde zu sehen war, zu dem Portaleingang und ins Freie. Von ihrem erhöhten Standpunkt aus hatten sie einen Überblick über die ganze Stadt. Hansen war erstaunt über die Veränderungen, die hier inzwischen vor sich gegangen waren. In ihrem Gefängnis hatten sie zwar die gedämpften Geräusche der Maschinen hören können, ununterbrochen, so als ob man in Schichten arbeitete; aber auf einen solchen Unterschied des Anblicks war keiner von ihnen gefaßt gewesen. Rund um die Stadt hatte man auf Eisentürmen starke Lampen installiert, die alles in das blauweiße Licht eines grellen Sonnentages tauchten. Die Ruinen der abgerissenen Häuser hatte man restlos beseitigt und ein Gitterwerk aus Metall errichtet, in dem man für gewöhnlich die Hüllen der Raumschiffe zusammensetzte. Es sah so aus, als ob Nevins mit seiner Vermutung doch recht habe. Die Sirunier bauten eine Flotte in Ergänzung zu der, die unzweifelhaft auf ihrem Heimatplaneten, viereinhalb Lichtjahre entfernt, hergestellt wurde. Wenn jene wirklich das Problem der überlichtschnellen Raumfahrt gelöst hatten, wäre 91
es einfach, hier eine Riesenflotte zu sammeln, um einen vernichtenden Schlag gegen das Sonnensystem führen zu können. Hansen bemerkte, daß auf dem freien Platz hüttenähnliche Gebäude errichtet worden waren, die aus einem schwarzen, glasähnlichen Material bestanden. In ihm dämmerte die Erkenntnis, daß der verschwundene Schutt sehr gut der Rohstoff zu diesen Bauten gewesen sein konnte. Am Fuße der Portalstufen parkte ein Kettenwagen, größer als die bisher in Erscheinung getretenen, und um ihn herum standen einige Gestalten in Raumanzügen. Alle trugen an ihren Helmen ein rotes Abzeichen. „Sieht wieder ganz nach einer Gedankenkonferenz aus“, sagte Harmer und riet: „Lassen Sie, um Gottes willen, die Rolläden herunter, Chef! Kapseln Sie Ihr Gehirn ein, sonst können wir einpacken.“ Hansen überlegte, wie man wohl die Helme gebrauchen wollte, solange sie gezwungen waren, die Raumanzüge zu tragen. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Gedankenwellen durch den Isolierstoff des Kunstglases dringen könnten; wenigstens nicht dann, wenn sie elektrischer Natur waren, wie er bisher angenommen hatte. Oder sollte das gar bedeuten, daß man sie wieder auf das Schiff zurückbringen wollte?
DIE CHANCE Die Lösung des Problems war denkbar einfach. Als alle im Wagen saßen, wurden die Türen luftdicht verschlossen, eine künstliche Atmosphäre hereingepumpt, und schon konnten sie ihre Helme abnehmen. Der Kommandant der Sirunier und einer seiner Adjutanten waren mit ihnen zusammen eingestiegen. Im Rücksitz saßen noch zwei Wachen. Hansen erhielt einen der verwünschten Helme und mußte ihn 92
aufsetzen, der Kommandant nahm den anderen. Ohne weitere Formalitäten fragte er, ob Hansen bereit sei, die Leute der Neptun zur Übergabe aufzufordern. Hansen versuchte krampfhaft, an alles andere zu denken, nur nicht an die Neptun. Er wollte nicht allzu schnell ablehnen, auf der anderen Seite aber auch nicht gleich zustimmen, um keinen Verdacht zu erregen. Er wollte nur Zeit gewinnen. Das Resultat seiner Taktik war positiv. Sein Zögern erweckte wohl den Eindruck des unentschlossenen Zweiflers in dem Gehirn des anderen. „Wir haben einen ausgezeichneten Apparat, der die Entschlußkraft erheblich unterstützt. Wir nennen ihn den ‚Vibrierenden Tod’. Es gab schon Leute, die nach der ‚Behandlung’ darum baten, möglichst schnell getötet zu werden.“ „Mein Ableben würde Ihnen auch nichts mehr nützen“, sagte Hansen. „Euere Begleiter würden natürlich zuerst behandelt werden“, kam die herausfordernde Antwort. „Ihre Leiden würden Euch vielleicht dazu bewegen, das zu tun, was ich von Euch wünsche.“ „Wie soll ich mich mit meinen Leuten in Verbindung setzen?“ „Ich denke, Ihr habt Radio? Unsere Geräte registrierten, daß es in Betrieb war, nachdem man Euch in das Gefängnis gebracht hatte. Wir haben Euer Gespräch mit der Neptun nicht unterbrochen. Wozu auch? Nun seid Ihr wenigstens auch darüber informiert, daß die Mannschaft genau so gefangen ist wie Ihr selbst.“ „Sie würden an eine Falle glauben!“ „Es liegt in Euerem eigenen Interesse, sie vom Gegenteil zu überzeugen.“ „Können wir nicht Eueren Sender benutzen? Wir müßten sonst unsere drei Sprechanlagen zusammenmontieren.“ 93
„Natürlich, wenn Ihr damit umzugehen versteht.“ Hansen nickte Nevins zu. „Mein Funker wird die Nachricht durchgeben.“ Eine längere Zeit empfing er keine Gedankenimpulse. Sein Gegenüber dachte nichts. Hansen hatte das unheimliche Gefühl, scharf überwacht zu werden. Mit aller Gewalt versuchte er, an etwas anderes zu denken, nur nicht an das, was ihm am meisten am Herzen lag: an die Flucht. Seine Gedanken gingen zur Erde. Er konzentrierte sich auf seine Erinnerungen an irgendwelche Freundinnen. Ach ja, die Mädchen der Erde! „Sehr interessant!“ In dem knochigen Gesicht des Kommandanten stand ein häßliches Lächeln. „Wir freuen uns schon jetzt auf die Bekanntschaft mit Eueren Frauen. – Aber uns könnt Ihr nicht täuschen, Erdenmensch! Ihr denkt an einen Plan, wie Ihr uns Vernichten könnt! Das berührt mich nicht. Wenn Ihr ihn ausführen wollt, dann ist immer noch Zeit, ihm zu begegnen. – Nun sagt dem Funker, er solle den Befehl durchgeben!“ Damit wandte er sich bereits an seinen Adjutanten und sagte einige Worte zu ihm. Dieser drückte auf einen Knopf, und kurz darauf ertönte schon das typische Knacken im Empfänger. Er stand auf und räumte seinen Platz für Nevins. Dieser setzte sich hin und begann sogleich, an verschiedenen Knöpfen zu drehen. „Funker Nevins ruft SPS Neptun! – Funker Nevins ruft SPS Neptun!“ Er mußte des öfteren die Wellenlänge wechseln, ehe eine Antwort kam. „Hier SPS Neptun! Antworten Sie, Nevins!“ Das konnte die Stimme von Hawkes, dem zweiten Funker, sein. „Machen Sie sich bereit, einen Befehl des Kommandeurs Hansen aufzunehmen!“ Er sah Hansen erwartungsvoll an. An dessen Stirne lief der Schweiß herunter. Er wußte nicht recht: 94
War es nun so heiß in dem geschlossenen Wagen, oder war es so anstrengend, nicht an das zu denken, an das er nicht denken durfte, aber zu gerne gedacht hätte? Er wußte nur eines: Es blieb ihm nichts anderes übrig, diesen Befehl zur Übergabe jetzt zu geben; denn er konnte nicht an etwas anderes denken als an das, was er in das Mikrophon sprach. Er mußte diesen Befehl jetzt geben und dann, später, sobald er den verwünschten Helm vom Kopfe hatte, einen neuen Plan fassen. „Sagen Sie Hawkes meinen Befehl: Das Schiff wird übergeben!“ Hansens Stimme klang belegt. Er hätte sich im gleichen Moment die Zunge abbeißen können. „Unzerstört und bedingungslos!“ verlangte der Sirunier. Tonlos wiederholte Hansen für Nevins diese Worte. Dieser zögerte den Bruchteil einer Sekunde, sprach dann die gleichen Worte und fügte, ohne seine Stimme zu verändern, hinzu: „Wir sind unter Druck!“ Wenn diese letzten Worte dem Sirunier durch Hansens Gehirn zum Bewußtsein gekommen waren, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Es entstand eine kleine Pause. Hansen konnte sich vorstellen, wie Hawkes den anderen in der Neptun Nevins Worte wiederholte und wie sich eine hastige Diskussion entspann. Dann kam die Antwort, eine rauhe und harte Stimme. „Chefingenieur Bogart an Kommandeur Hansen: Ich werde diesen Kahn nur einem übergeben, Chef, nämlich Ihnen – und keinem anderen!“ Hansen warf einen Blick auf den Sirunier. Dieser nickte kurz. „Ich kenne die Antwort schon. Sie wollen nicht bedingungslos übergeben; aber das ist auch gleichgültig. Ich habe mich inzwischen entschlossen, Euch mit zu Euerem Schiff zu nehmen, damit ich vor einem Verrat Euerer Mannschaft gesichert bin.“ Er lächelte. „Und vor einem Trick Euererseits!“ 95
Er nahm seinen Helm ab, und Hansen folgte erleichtert seinem Beispiel. Der Schweiß hatte seine Augenbrauen verklebt. Die Sirunier schlossen die Raumanzüge und bedeuteten den Männern, das gleiche zu tun. Dann verließen die beiden Offiziere den Wagen und ließen die Tür zufallen. Hansen schaltete die Sprechanlage ein. „Tadellos! Wir haben erreicht, was wir wollten“, sagte er langsam. „Sie bringen uns zur Neptun!“ „Was werden wir tun, falls Bogart Ihnen wirklich das Schiff übergibt?“ fragte Harmer besorgt. „Das weiß ich auch noch nicht. Wenn Sie eine Idee haben, dann lassen Sie es uns schnell wissen, ehe der Kerl zurückkommt.“ „Gut! Wir werden mit sieben Personen im Wagen sein: drei gegen vier! Wenn wir die richtige Gelegenheit abpassen, können wir sie überwältigen und mit dem Karren zur Neptun fliehen. Ich möchte fast behaupten, daß diese Figuren für einen anständigen Boxhieb recht empfänglich sind.“ „Aber nicht durch die Helme, mein Lieber!“ warf Nevins ein. Er zeigte dabei unauffällig auf die beiden Wachen, die sie aufmerksam durch die Sichtscheiben beobachteten. „Außerdem: Wie können wir die beiden Heinis davon abhalten, uns ein Loch in den Rücken zu blasen?“ „Oh, der ‚große Boß’ wird ihnen kaum die Erlaubnis geben, unseren Chef einzuschmelzen“, nahm Harmer optimistisch an. „Auf alle Fälle könnten wir, wenn er sich der beiden Wächter annimmt, uns die Offiziere vornehmen.“ „Wir werden Pech haben“, sagte Hansen und zeigte nach draußen. „Wir werden kaum allein sein, wenn wir zur Neptun fahren.“ Sie folgten seinem Blick und sahen den Kommandanten, der offenbar einige Befehle gab; denn viele Männer verließen ihre Arbeit und kletterten in die bereitstehenden Wagen. Darauf 96
kehrte er zu ihnen zurück und stieg wieder ein. Der Adjutant war bei ihm. Hansens Stirn war von einer dicken Falte durchzogen. Er hatte zwölf besetzte Kettenwagen gezählt. Bei einer Besatzung von durchschnittlich vier Mann wären das ungefähr fünfzig Leute. Auf der Neptun hatte man die gleiche Anzahl, aber die meisten von ihnen waren Wissenschaftler und Techniker, hart und zäh, aber unerfahren im Kampf. Von seiner eigentlichen Raumschiffbesatzung mußte er sich, Harmer und Nevins abrechnen, und auch noch jene beiden, die bei dem Versuch, die Schlucht zu verlassen, getötet wurden. Außerhalb der abgeschirmten Schlucht würde es bestimmt noch mehr feindliche Streitkräfte geben. Möglich, daß sie eben ihre letzte Chance verpaßt hatten, aber sie war auch wirklich zu gering gewesen. Würde sich eine bessere finden lassen? Der Offizier auf dem Fahrersitz drückte einen Hebel hinab, und ein grünes Licht leuchtete an der Wagendecke auf. Dann begannen sie zu rollen. Durch die verbreiterte Straße, vorbei an den neuerrichteten Gerüsten und Hüttenn gelangten sie zum Ausgang. Hansen konnte feststellen, daß man an einer übergroßen Luftschleuse baute. Es wurde ihm klar, daß beabsichtigt war, diesen ganzen unterirdischen Stützpunkt luftdicht abzuschließen und eine künstliche Atmosphäre zu schaffen, die das Tragen der Raumanzüge überflüssig machte. Hinter sich blickend, gewahrte Hansen, daß die anderen zwölf Fahrzeuge ihnen in Kiellinie folgten. Einzeln fuhren sie in den Schacht ein und erhoben sich mit Hilfe des Strahlträgers senkrecht bis zur Oberfläche. Die drei Männer von der Erde hatten diese schon seit nahezu 20 Stunden nicht mehr gesehen. Anscheinend war es dunkler 97
geworden. Hansen meinte, daß vielleicht jetzt Nacht sei, obwohl bei einer solchen Dämmerwelt, vom Zentralgestirn weit entfernt, der Unterschied zwischen Tag und Nacht nicht groß sein konnte. Die Fahrzeugscheinwerfer verwandelten das Dunkel des Terrains in Tageshelle, und wenn die Beschaffenheit des Bodens es erlaubte, erhöhte sich die Fahrgeschwindigkeit ungefähr auf 30 Meilen je Stunde. Spalten wurden überflogen. Als sie etwa zwanzig Minuten unterwegs waren, sah Hansen, zwischen den beiden Köpfen der Offiziere vor sich, einen spitzen Felsenkegel, der ihm bekannt vorkam. „In einer Viertelstunde sind wir da“, sagte er. „Hat einer einen Einfall?“ „Wir könnten die Offiziere gefangennehmen“, meinte Harmer zögernd und fuhr dann entschlossener fort: „Die uns folgenden Sirunier würden sicher nichts unternehmen, da sie sonst das Leben ihres Häuptlings gefährdeten. – Mit den Geiseln also schnell in die Neptun, und das Blatt hätte sich gewendet Wir hätten somit den Spieß umgedreht!“ „Das ist eine gute Idee; aber leider hängt alles davon ab, ob es uns gelingt, den Wagen in unseren Besitz zu bringen“, sagte Hansen. „Wenn wir uns nicht schnell entscheiden, ist es sowieso zu spät.“ Nach weiteren zwanzig Minuten erreichten sie den Eingang zu der Spalte, in der die Neptun lag. Immer noch hatte sich keine Möglichkeit geboten, ihren waghalsigen Plan zu verwirklichen. Das selbstmörderische Risiko hatte sie davor zurückgeschreckt, ihre bewaffneten Begleiter zu überfallen. Sie hielten an. Hansen hatte den Eindruck, als nähme der Sirunier einen Funkspruch entgegen. Danach beriet er sich mit seinem Adjutanten. Hansen konnte nichts hören, da er die Wellenlänge seines Funkgerätes nicht umstellen wollte. Es war jetzt äußerst wichtig, zu jeder Minute mit seinen Kameraden in Verbindung treten zu können. Jeder Moment konnte ihre Chance 98
bringen. Dann müßten sie in Windeseile einen hastig gefaßten Plan sofort in die Tat umsetzen. Verlorene Sekunden bedeuteten den Tod. Wenn auf dem Hintersitz nicht die beiden schußbereiten Wächter gesessen hätten, wäre alles ziemlich einfach gewesen. Obgleich auch die beiden Offiziere eine Waffe trugen, bestand – nach Hansens Meinung – kein Zweifel darüber, daß man sie überwältigen könnte. Während der Fahrt hatte man das Innere des Wagens nicht mit Atmosphäre gefüllt. Das wurde nun nachgeholt. Dann löste der Sirunierkommandant seinen luftdichten Helm und setzte sich den anderen auf. Er bedeutete Hansen, das gleiche zu tun. „Jetzt kommt unsere versiegelte Order!“ murmelte Harmer. „Wo sonst mein Magen zu sein pflegt, scheint sich ein schwerer Stein zu befinden.“ Hansen empfand ein ähnliches Gefühl. Vor Aufregung und Spannung zitternd, schob er den verwünschten Helm über seine dichten Kopfhaare. Die Stunde der Entscheidung war nun endgültig gekommen! Zum letztenmal erhielt er nun den Befehl, der Tod und Verderben für das ganze Sonnensystem bedeuten konnte. Als er den Helm wieder abnahm, war sein sonst gebräuntes Gesicht bleich wie ein Leichentuch. Er wandte sich an seine Kameraden. „Erzählen Sie doch! Was ist nun los?“ drängte Harmer und versuchte vergeblich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. „Wir werden in diesem Wagen weiterfahren, bis wir in Sichtweite der Neptun kommen“, berichtete Hansen langsam. „Dann werde ich mit den beiden Wachen zum Schiff hinübergehen. Ihr beide bleibt mit den Offizieren hier, als Geiseln. Damit ich keinen ‚Unsinn’ machen kann.“ 99
„Dann machen wir welchen!“ grunzte Nevins. „Sobald Bogart sich von meiner Identität überzeugt hat“, fuhr Hansen fort, „soll ich ihm den Befehl geben, daß er und die Mannschaft einzeln und unbewaffnet das Schiff zu verlassen haben. Sie sollen sich zu der wartenden Besatzung der Wagenkolonne begeben. Das ist alles!“ „Ja, und dann?“ fragte Harmer trotzdem. „Ich bekam keine weiteren Instruktionen.“ „Ob er nicht beabsichtigt, die Leute dann abzuschlachten?“ Harmers Stimme war voller böser Ahnungen; er ballte unwillkürlich die Fäuste. „Sollte er diese Absicht wirklich haben, so versteht er es ausgezeichnet, sie vor mir zu verbergen. Aber ich glaube nicht an diese Absicht. Ihr braucht euch nur daran zu erinnern, daß er mir erzählte, er benötige die Leute zur Bedienung des Kreuzers. Von den Wissenschaftlern will er wichtige Informationen haben, wahrscheinlich in bezug auf die Eroberung der Erde.“ „Also – was machen wir? Führen wir den Befehl aus, oder sagen wir ihm, er solle zur Hölle gehen?“ „Das Resultat wäre immer das gleiche, egal, was wir tun“, meinte Harmer. „Wir werden eben das Spiel so lange mitmachen, wie es notwendig ist Vergessen Sie nicht, daß Sie mit den beiden Wächtern den Wagen verlassen sollen. Dann sind wir nämlich mit den beiden Windhunden hier allein!“ Eine winzige Hoffnung blitzte plötzlich in den Augen Hansens auf. „Gut!“ sagte er dann. „Ich werde ihm mitteilen, daß wir einverstanden sind; und für euch werde ich ein Gebet zum Himmel schicken. Es ist zwar schon länger her, daß ich das letztenmal gebetet habe, aber …“ Die Kolonne setzte sich erneut in Bewegung und tauchte mit ihren Scheinwerfern die Finsternis der Schlucht in blauweißes Licht. Schwarze Schatten huschten wie irrsinnig hin und her. 100
Hansen hatte das Gefühl, als werde sein Magen schwerer und schwerer. Er mußte an Harmers Befürchtung denken, daß man sie alle töten werde, sobald das Schiff unbeschädigt in die Hände der Siriusbewohner geraten war. Sollte das tatsächlich eintreten; dann wäre er für das Leben von fünfzig Menschen verantwortlich. Nein, eher würde er sich, Harmer und Nevins opfern, ehe das geschehen sollte! Er wußte, daß Bogart seinen Befehl, das Schiff mit seiner Mannschaft zu verlassen, sofort befolgen würde. In gewisser Hinsicht war die Disziplin der Raumpatrouille ein wenig gelockert; aber man gehorchte einem Vorgesetzten bedingungslos. Die Wissenschaftler würden sich ohne Zögern der Besatzung anschließen. Allzu schnell kam die Neptun in Sicht. Hansen sah sie silbern glänzend in den Strahlen der Scheinwerfer liegen. Scharf stach sie gegen den schwarzen Hintergrund der Spalte ab. Die Verschlußplatte der Frontluke war zurückgeschoben, und er konnte einige weiße Gesichter hinter den Scheiben bemerken. Es war ihm jedoch unmöglich, eines davon zu erkennen. Er sah aber auch, daß die Mündungen der Positronprojektoren genau auf sie gerichtet waren. Wenn der Antrieb inzwischen wieder repariert worden war, würde ein einziger Druck von Kesters Daumen genügen, die ganze Streitmacht der Sirunier innerhalb von Sekunden in kosmischen Staub zu verwandeln. Sie würden alle restlos vernichtet werden, alle – auch er, Harmer und Nevins! Ein unheimliches Gefühl kroch über seinen Rücken, als er daran dachte. Tief in seinem Innern wußte er, daß dies die beste und einfachste Lösung war, vielleicht sogar die einzige! Genau so gut aber wußte er auch, daß der Befehl, jetzt zu schießen, der einzige Befehl war, den Bogart nicht befolgen würde. 101
„Kommandeur Hansen! – Kommandeur Hansen!“ Bogarts Stimme klang in dem Kopfhörer Hansens angstvoll und verzerrt. „Ich bin in dem vorderen Wagen, Bogart“, antwortete Hansen. „Ich werde ihn gleich mit zwei Siriusbewohnern verlassen. Harmer und Nevins bleiben als Geiseln zurück. Ihr werdet euch unter keinen Umständen ergeben, verstanden?“ „Und was geschieht, wenn wir das nicht tun?“ fragte Bogart. „Das weiß ich noch nicht“, antwortete Hansen ausweichend. „Aber wir haben einen Plan. Unternehmt nichts selbständig, Bogart! Wartet auf unser Zeichen! Kapiert?“ „Klar, Chef! – Noch etwas: Der Antrieb ist wieder in Ordnung. Wir können jederzeit starten, sobald Sie an Bord sind.“ „Dann startet sofort! Zerstrahlt die ganze Kolonne zu Staub und macht, daß ihr zur Station kommt. Dann kehrt zurück und vernichtet die Brut. Los also!“ Bogart brachte es fertig, zu lachen. Er lachte tatsächlich! „Die Hölle werde ich tun, Chef! Den Befehl verweigere ich!“ Hansen gab keine Antwort mehr. In dieser Situation gab es auch nichts mehr zu sagen. Es war sinnlos, sich mit Bogart herumzustreiten. Der Wagen hielt vielleicht fünfzehn Meter vor der Neptun; der riesige Schatten des Schiffes schien ihn erdrücken zu wollen. Der sirunische Kommandant winkte gleichzeitig ihm und den Wachen zu. Die Tür glitt zur Seite. Hansen warf einen letzten Blick auf seine beiden Kameraden. Durch die gläsernen Helme konnte er ihre bleichen, aber gefaßten Gesichter erkennen. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Was hätten sie auch sagen sollen? Hansen konnte ihre Gedanken erraten. Er kletterte aus dem Wagen und sprang auf den harten, verei102
sten Boden der Spalte. Seine Wächter folgten ihm. Sie überragten ihn um einige Zentimeter. Das Echo rollte dumpf durch die Schlucht. Zögernd begann Hansen, langsam auf die vor ihm liegende Neptun zuzugehen.
GEGLÜCKTE FLUCHT Bewegungslos saßen Harmer und Nevins auf ihren Sitzen, als Hansen gegangen war. Der sirunische Kommandant beobachtete aufmerksam dessen langsame Schritte, mit denen er sich, scheinbar nur zögernd, dem Schiff näherte. Sein Adjutant hatte sich halb umgedreht und hielt seine Strahlpistole schußbereit auf die beiden gerichtet. Seine Augen blickten sie tückisch und feindselig an. Harmer kam es erneut zu Bewußtsein, daß der Charakter dieser Siriusbewohner dem ihren sehr ähnlich war, was Mißtrauen anbelangte. An deren Stelle hatte er die gleiche Vorsicht walten lassen. Er wußte zwar nicht, welche Energieströme diese Strahlpistolen erzeugen konnten; wenn sie aber annähernd so funktionierten wie jene Hitzestrahler, mit denen man die Felsen der unterirdischen Stadt weggeschmolzen hatte, dann gab es nichts auf der Erde, was ihnen gleichzusetzen war. Wenn Harmer über seine Sprechverbindung hatte reden wollen, müßte er die Lippen bewegen, der Sirunier wäre gewarnt und daher noch mißtrauischer geworden. Um das zu vermelden, machte er mit seiner Zunge leise, klickende Geräusche und funkte so im Morsealphabet Kevins zu: „Wenn der Mann mit der Kanone wegsieht, schnappe ich ihn mir. Du nimmst den Boß!“ „Und wenn er nicht wegsieht?“ funkte Nevins zurück. „Egal! – Dies ist unsere letzte Chance!“ „Geht in Ordnung!“ 103
Nevins Därme krampften sich zusammen. Wenn der Kerl nun wirklich nicht wegsah? Dessen Pistole war nämlich genau auf seinen Bauch gerichtet. Aber das nutzte alles nichts – die Entscheidung mußte fallen! Harmer zählte die Sekunden; jede schien eine Minute zu sein. Er konnte nicht sehen, was Hansen inzwischen draußen machte, da er keinen Blick von dem Sirunier nahm. Er wunderte sich nur, wieviel Zeit ein Mann benötigt, um 15 Meter zu gehen. Wie lange er so zählte und wartete, hätte er später nicht mehr sagen können. Er wußte nur noch, daß der Mann mit der Knarre plötzlich den Kopf wandte und durch die Scheibe nach vorne blickte. „Jetzt!“ sagte er. Mit einem Satz schnellte er von seinem Sitz hoch und griff nach dem Sirunier. Die reduzierte Schwerkraft machte seine Bewegungen leicht und gewandt; aber die Reaktion seines Gegners war genau so flink. Er warf sich zurück und erhob seine Waffe. Hermer blickte für den Bruchteil einer Sekunde in die Mündung des Laufes; dann legte er seine ganze Kraft in seine Faust, ließ sie vorschnellen und landete einen furchtbaren Schlag auf dem Arm seines Gegners. Er fühlte, wie die zerbrechlichen Knochen zersplitterten. Im selben Augenblick schoß aus der Strahlpistole eine grelle heiße Flamme, die ein Loch in die Seitenwand des Wagens schmolz und ihn für einen Moment blendete. Doch schon lag er mit seinem Übergewicht auf dem leichteren Sirunier, der von seinem Sitz herunterrutschte und aus dem eben entstandenen Loch heraus auf den glatten, vereisten Boden fiel. Harmer ließ sich los und rettete sich damit vor dem gleichen Schicksal. In seinem Gerät hörte er das Stöhnen Nevins. Er sah sich schnell nach ihm um. Der stämmige Funker hatte seinen Arm fest um den Kommandanten geschlungen und schien nach Luft zu schnappen. 104
„Los, Kapitän, starten Sie den Karren! Zum Schiff!“ Natürlich hatte Hansen recht gehabt; Harmer hatte sich die Bedienungsweise des Kettenwagens ebenfalls gut gemerkt. Er drückte auf den Starter, und mit einem Ruck fuhren sie an. Innerhalb weniger Sekunden hatten sie Hansen und die beiden Wachen dicht vor dem Schiff erreicht. „Luke auf, Neptun!“ brüllte Harmer durch sein Funkgerät. „Wir fahren direkt hinein! Klar zum Start, Bogart!“ „Alles klar!“ Bogarts Stimme war klar und ruhig. Harmer steuerte genau auf die beiden Sirunier zu, die hinter Hansen gingen. „Laufen Sie, Chef!“ rief er. Aber Hansen hatte die Situation schon erfaßt. Als die beiden Schwarzuniformierten beiseite sprangen, raste er direkt auf das Schiff zu. Harmer brachte das schwere Fahrzeug schnell zwischen ihn und die bewaffneten Wächter, von denen einer seine Pistole schon erhob, um auf den rennenden Menschen zu schießen. Die große Ladeluke der Neptun kam langsam herab und bildete so eine Auffahrtsrampe zum Schiff. Hansen erreichte sie, lief hinauf und kam atemkeuchend oben an. Er blickte sich um. Der Kettenwagen begann gerade, die Rampe emporzurollen. Im Nu war auch er im Schiff, und die Klappe schloß sich wieder. Das Aufheulen des Strahlantriebes ließ die Neptun erzittern. Die vertikalen Landedüsen hoben das Schiff langsam in die Höhe, und bald hatten sie den oberen Rand der Spalte erreicht. Die Fahrtturbinen wurden eingeschaltet, und mit schrillem Pfeifen raste das Schiff gegen den dunklen Himmel Althans. Noch immer keuchend; stand Hansen im Laderaum. Er fühlte plötzlich, daß sein Körper schwer wie Blei wurde; der Boden preßte sich ihm entgegen. Er schätzte, daß Bogart mit 4 g Beschleunigung arbeitete. 105
Wenn nur der Antrieb nicht wieder aussetzte! Aber es mußte sein! Selbst wenn die Sirunier wußten, daß sich ihr Oberhaupt lebend an Bord des irdischen Schiffes befand, konnte sie das vielleicht nicht davon abhalten, sie anzugreifen. Ein einziger Impuls ihrer Schmelzstrahler konnte bewirken, daß die Neptun wie ein Meteor auf die Oberfläche des Planeten zurückstürzte und zerschellte. Nichts dergleichen geschah! Ob die Plötzlichkeit der Ereignisse sie so überrascht hatte oder ob sie wirklich Rücksicht auf ihren Kommandanten nehmen wollten, das war nicht ersichtlich; jedenfalls erfolgte kein Angriff. In wenigen Sekunden war das Schiff aus dem Bereich jeglicher Strahlwaffen. Hansen fühlte, daß der Druck nachließ. Die Beschleunigungsvorrichtung war abgeschaltet worden. Harmer stieg mit Nevins aus dem erbeuteten Wagen, zwischen sich hielten sie den bewußtlosen Kommandanten der Sirunier. Harmer grinste. „Das Jüngelchen konnte den Andruck nicht vertragen, Chef“, sagte er. Hansen grinste ebenfalls und klopfte dem Kapitän kräftig auf die Schultern. „Gute Arbeit, mein Lieber! Nun hat sich das Blatt gründlich gewendet!“ Chefingenieur Bogart und andere Mitglieder der Besatzung umringten sie und stellten aufgeregt Fragen. Hansen schob sie lachend beiseite, schloß den Gefangenen in eine sichere Kabine ein und entledigte sich seines Raumanzuges. „Welchen Kurs haben Sie gesetzt, Bogart?“ fragte er. „Kreisbahn um den Planeten in 5000 Meilen. Bin nicht gleich weg, weil ich annehme, Sie wollen denen da unten noch einen Denkzettel verabreichen, Chef. Kester möchte seine Positronen gerne an dem fremden Raumschiff ausprobieren.“ 106
„Die Gelegenheit wird er immer noch bekommen können! Wir fliegen jetzt direkt zur Station zurück. Die Angelegenheit hier ist zu gefährlich und zu weittragend, als daß wir sie allein erledigen könnten.“ Entschlossen begab er sich zum Kontrollraum und setzte den Kurs fest. „Dritter Planet der helleren Sonne des Systems Alpha Centauri!“ Gerne verließ er diesen Ort nicht so ohne weiteres. Die Versuchung, nach Althan zurückzukehren und das fremde Raumschiff samt dem neuangelegten unterirdischen Stützpunkt zu vernichten, war sehr groß. Es würde ihm sicherlich gelingen, ehe sich die Feinde erholt hatten. Aber es ging nicht nur um seine persönliche Rache. Diese ganze Angelegenheit konnte einen interstellaren Konflikt von unvorstellbarem Ausmaße hervorrufen. Hansen fühlte, daß er die Verantwortung für eine Handlung, die einen solchen Konflikt möglicherweise heraufbeschwören könnte, nicht tragen konnte. Es war seine Pflicht, zuerst mit Axel Northcroft zu sprechen, ihm die Ereignisse zu schildern und ihn auf die vielleicht entstehenden Gefahren aufmerksam zu machen. Axel Northcroft war der Leiter der irdischen Expedition und der zivile Vertreter der Weltregierung auf Alpha Centauri. Seinem Entschluß hatte Hansen sich zu fügen. Zudem bestand ja auch die Möglichkeit, daß die Waffen der Sirunier mächtiger waren als die der Neptun. Hansen saß im Pilotensitz und sah vor sich auf dem Bildschirm den Stecknadelkopf der Zwillingssonne. Würde die Neptun vernichtet werden, wäre die Station ungewarnt und ohne jeden Schutz dem Angriff der erbarmungslosen Feinde ausgeliefert. Die Wissenschaftler kamen in den Kontrollraum, begierig, etwas über die Bewohner des Siriusplaneten zu erfahren. 107
Hansen und Harmer erzählten ihre Abenteuer und Eindrücke, während die Neptun mit der Geschwindigkeit des Lichtes durch den leeren Raum schoß, der die beiden Sonnen trennte. Nachdem sich die nochmals aufbrandende Begeisterung über die gelungene Flucht gelegt hatte, wurden die Männer sehr nachdenklich. Sie wurden sich bewußt, welche ungeheure Bedrohung diese Sirunier bedeuteten, wenn ihre Erfindung wahr werden sollte und ihre Schiffe schneller als das Licht durch den Raum eilten. In weniger als drei Stunden erschienen die Zwillingssonne und ihre fünf Planeten hell und groß auf dem Bildschirm. Dann empfingen sie das erste Signal ihrer Station! Selbst eine Nachricht zu funken, war sinnlos; sie waren fast genau so schnell wie die Radiowellen. Fünfzig Millionen Meilen betrug der Abstand, als Hansen die Bremsdüsen einschaltete. So lange benötigte das Schiff, um auf Landegeschwindigkeit zu kommen. Die fünf Planeten waren nun schon gut zu erkennen. Der mittlere strahlte einen milden, grünlichen Schimmer aus, der Hansen an die gute, alte Heimaterde erinnerte. Die Neptun schwenkte ein und raste auf diesen Planeten zu. In 5000 Meilen Entfernung umkreiste sie ihn mehrmals. Durch die Wolken sah Hansen die großen Ozeane und Kontinente. Ein Schauer durchrieselte ihn, als er an den Unterschied zwischen dieser Welt und der dachte, der er gerade entronnen war. Dort Tod – hier das Leben! Die Zukunft der übervölkerten Erde lag vielleicht gerade bei diesem Planeten, einer Welt, die es wirklich wert war, daß man sie verteidigte. Das große Schiff ging in Spiralen hinunter, die enger und enger wurden. Mit einem letzten Aufsummen der Landedüsen setzte es sanft auf einem weißsandigen Flugfeld auf, das an den Ufern eines breiten und sanft dahinfließenden Flusses lag. Ein Dutzend silberner Schatten, kleiner und viel plumper als 108
die schlanke Neptun, lagen auf dem glatten Boden. Das waren die Frachtschiffe, die Hansen von der Erde hierher eskortiert hatten. Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt sollten sie, beladen mit Mineralien, Pflanzen und Tieren des Systems, das alles von den Wissenschaftlern gesammelt wurde, zur Erde zurückkehren. Während dieser Zeit konnte sich die Besatzung von der fünfjährigen Reise erholen. Es waren keine Kampfschiffe; aber Hansen wußte, daß man sie innerhalb kürzester Zeit dazu umbauen konnte, falls es notwendig sein sollte. Positronenprojektoren waren schnell installiert. Mit Kraftfelderzeugern waren sie bereits ausgerüstet. Die Mannschaften bestanden aus harten, erfahrenen Raumfahrern, alles ausgesuchte Leute. Die Eroberung des interstellaren Raumes hatte eine neue Menschenrasse entstehen lassen: widerstandsfähig und genügsam, wenn es sein mußte. Hansen sagte sich, daß diese zwölf Schiffe, wenn sie bestückt waren, es ohne weiteres wagen konnten, die Sirunier anzugreifen, selbst wenn diese überlegene Waffen besitzen sollten. Am Rande des weiten Flughafens standen die weißen Plastikgebäude der jungen Erdkolonie. Laboratorien, Lagerschuppen, Maschinenhäuser und ein Observatorium lagen nicht weit entfernt von den Wohnungen und Verwaltungsgebäuden. Man konnte sich schon zum größten Teil selbst verpflegen, da es nur wenig irdische Nutzpflanzen gab, die auf diesem Planeten, den man „Terra 2“ getauft hatte, nicht gediehen. Die kleineren Tiere, die in den unberührten Wäldern lebten, waren leicht zu jagen und sehr schmackhaft. Der wachsende Bedarf an Rohmaterialien wurde von den entdeckten Vorkommen fast vollständig gedeckt. Nur die selteneren Elemente mußte man eines Tages von der Erde holen. 109
Sollten die Auswanderer von der Erde eintreffen, würden sie eine Welt vorfinden, die schon „fertig“ war und auf sie wartete. Alle Mittel der modernen Technik würden ihnen helfen, sich schnell hier wohl zu fühlen. Das Schiff hatte kaum den Boden berührt, als auch schon eine Gruppe von Menschen auf sie zueilte. Hansen stieg aus der Luke, um sie zu begrüßen. Die herankommenden Männer trugen Kombinationen, die normale Alltagskleidung auf Terra 2. Raumanzüge waren auf diesem Planeten nicht erforderlich, da dessen Atmosphäre annähernd die gleichen Bestandteile enthielt wie die der Erde. Wenn überhaupt ein Unterschied zu irdischen Verhältnissen bestand, dann war es der reichlicher vorhandene Sauerstoff, der in gewissem Sinne „aufheiternd“ wirkte und die Energie des Geistes wie auch des Körpers verstärkte. Aber durch die etwas höhere Gravitation von Terra 2 wurde dieser Umstand wieder ziemlich ausgeglichen. Hansen bemerkte die hohe, weißhaarige Gestalt von Axel Northcroft in der Mitte der Gruppe. Northcrofts gesundes Gesicht zeigte Erleichterung. „Ich habe mich schon gewundert, was mit Ihnen los ist, Kommandeur“, sagte er, als sie sich die Hände schüttelten. „Seit mehr als 24 Stunden sind wir ohne jegliche Nachricht von Ihnen. Wir wollten schon eine Suchexpedition aussenden. Aber andererseits: Warum sind Sie so schnell zurückgekommen?“ Als sie zu Northcrofts Quartier hinübergingen, erzählte Hansen ihm kurz, was sich auf Althan ereignet hatte. Northcroft hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen. Erst als sie in seinem Privatbüro anlangten und er Hansen einen Drink einschenkte, sprach er wieder. „Was halten Sie nun von dieser ganzen Angelegenheit?“ fragte er ernst. „Mein Instinkt rät mir, zu jenem Planeten zurückzukehren 110
und mit allen verfügbaren Atombomben das Nest zu vernichten, das sie sich dort bauen, Chef“, sagte Hansen. Northcrofts Gesicht schien ein wenig bleich zu werden. Er nahm einen langen Schluck aus seinem Glas, setzte sich auf eine Ecke seines Tisches und hob die Augenbrauen. „Das ist eine ganz schöne Verantwortung für einen einzelnen Mann, Kommandeur“, sagte er dann. „Das sagt Ihnen also Ihr Instinkt? Ja, was sagt Ihnen denn nun Ihr Verstand?“ „Daß wir versuchen sollten, Freundschaft mit diesen Leuten zu schließen. Es sind schließlich unsere nächsten Nachbarn im Weltraum.“ Hansen grinste ein wenig verlegen. „Es gibt aber noch einen gewissen Sinn, der zwischen Instinkt und Verstand liegt, Chef. Man nannte ihn früher ‚Pferdeverstand’.“ „Was also sagt Ihnen dieser Pferdeverstand?“ „Das gleiche wie der Instinkt! Ich hatte einen kleinen Einblick in die Seele dieser Siriusbewohner, in ihr Gehirn. Danach habe ich so das Gefühl, als ob wir mit ihnen genau so schlecht Freundschaft schließen könnten wie mit den Sauriern der Venus, noch schlechter sogar!“ Northcroft drehte sein Glas hin und her. „Mit anderen Worten: Sie empfehlen den Krieg!“ sagte er dann. „Nennen wir es lieber eine Vorsichtsmaßnahme, Chef. Ich bin wirklich kein aggressiver Mensch, weiß der Himmel! Aber dies ist reiner Selbsterhaltungstrieb: Die – oder wir!“ Der Vertreter der Weltregierung wandte sich ab und schritt gedankenvoll in dem kleinen Raum auf und ab. Endlich blieb er vor Hansen stehen. „Wenn wir jene Station vernichten, die sie sich dort erbauen: Was könnte uns das helfen? Wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, dann gibt es eine ganze Welt voller Sirunier, knapp fünf Lichtjahre entfernt. An die kommen wir nicht so schnell heran!“ 111
„Ist auch gar nicht notwendig.“ „Warum nicht?“ „Diese Sirunier sind nur aus einem einzigen Grunde nach Althan gekommen, der absolut nichts mit Pietät zu tun hat. Weil sie ihre urgeschichtliche Geburtsstätte aufsuchen wollten? Nein, das ist nicht der Grund! Es gibt auf Althan ein Element, wahrscheinlich ein uns unbekanntes, und dieses Element benötigen sie zu ihrem Antrieb, der die Schiffe schneller als das Licht werden lassen soll. Käme dieses Element irgendwo innerhalb ihres eigenen Sonnensystems vor, brauchten sie nicht diese weite Strecke zurückzulegen, um einen Vorrat davon zu ergattern. Wenn sie dieses Element nicht in die Hände bekommen, werden ihre ganzen Pläne zunichte gemacht. Haben sie jedoch dieses Element, dann befürchte ich, daß sie als nächstes einen Plan zur Eroberung des Milchstraßensystems ausarbeiten werden. Unsere Sonne ist ihnen dann am nächsten gelegen!“ „Wenn ihr Schiff nicht zurückkehrt, werden sie ein anderes senden.“ „Das werden sie sicherlich tun; aber vor viereinhalb Jahren werden sie gar nicht wissen, daß mit ihrem Schiff etwas nicht stimmt. Was wirklich geschehen ist, werden sie erst dann erraten können, wenn die Radiozeichen ihres Schiffes ganz ausbleiben. Wenn sie dann noch kein überlichtschnelles Raumschiff haben – das wird wahrscheinlich auch nicht der Fall sein –, dauert es wiederum fünf Jahre, ehe eine Suchexpedition eintreffen kann. Bis dahin haben wir von der Erde Verstärkungen erhalten und sind außerdem im Besitze des Althan, wo sich jenes unbekannte Element befindet. Was jedoch das Wichtigste ist: In der Zwischenzeit ist das Sonnensystem in der Lage, sich auf einen interstellaren Angriff vorzubereiten.“ Northcroft begann aufs neue seine Wanderung im Zimmer. Hansen sah, daß er von seinen Ausführungen sehr beein112
druckt war; denn mehr als einmal strich er sich nachdenklich über das silberweiße Haar. Northcroft hatte eine große Entscheidung zu treffen – wohl die größte, die je ein Mensch zu treffen hatte! Für einen Militär wäre es vielleicht nicht so schwierig gewesen; aber Northcroft war Zivilist, ein Politiker, und zwar einer von der seltenen Sorte mit viel Verantwortungsgefühl. Kein Mensch in seinem Alter hätte das gemütliche und sichere Leben auf der Erde mit einem so riskanten Flug ins Ungewisse vertauscht, wenn er nicht das gleiche unerschütterliche Pflichtgefühl wie Northcroft gehabt hätte. Dieser hielt plötzlich in seiner Wanderung inne. „Bei aller Anerkennung Ihrer Gründe, Kommandeur: Ich bin gegen diesen Plan. Ich sehe zwar die Logik Ihrer Argumente ein, fühle mich aber nicht berechtigt, den friedlichen Weg der Verhandlung zu ignorieren.“ „Verhandeln? Wie stellen Sie sich das vor?“ „Gut – wenn Sie meinen, man wolle nicht verhandeln, dann wollen wir ihnen wenigstens Gelegenheit geben, sich zu ergeben.“ „Ich hatte sowieso nicht die Absicht, sie ohne Warnung zu vernichten. Die Grundsätze der Raumpatrouille verbieten das. Aber, ehrlich gesagt, ich bezweifle stark, daß sie darauf eingehen werden.“ „Wir werden sehen, wie ihr Kommandant darüber denkt“, sagte Northcroft „Wenn auch nur die geringste Aussicht besteht, daß wir Frieden mit ihnen schließen können, müssen wir es tun.“ „Ich pflichte Ihnen grundsätzlich bei, Chef“, sagte Hansen, obwohl er in seinem Innern nicht an eine solche Möglichkeit glaubte. „Aber ich meine, es wäre kein Fehler, die Station inzwischen gegen einen möglichen Angriff zu schützen. Haben Sie etwas dagegen?“ 113
„Natürlich nicht! Sie haben völlige Handlungsfreiheit, alles zu unternehmen, was Ihnen notwendig erscheint.“ „Darf ich auch die Frachtschiffe bestücken?“ Northcroft zögerte, dann sagte er: „Gut, auch das! Falls wir wirklich angreifen müßten, wollen wir so schnell wie möglich dazu bereit sein!“
TOD AUS DEM WELTALL Hansen fühlte sich erleichtert, well er sein Ziel erreicht hatte. Als er von der Verteidigung der Station sprach, meinte er einzig und allein die Bestückung der Schiffe. Er glaubte nicht an einen Angriff der Sirunier auf ihren Stützpunkt, solange sich der Kommandant in ihrer Gewalt befand. So ganz durfte er sich jedoch auf seine Vermutung nicht verlassen. Die Sirunier waren in vieler Hinsicht doch anders geartet als die Menschen der Erde. Es wäre leicht möglich, daß sie nicht davor zurückschreckten, ihren eigenen Anführer zu opfern, wenn dies ihren Zwecken dienlich war. Außerdem gab es da noch einen Punkt, den Hansen nicht vergessen durfte: Vielleicht wußten die Sirunier gar nicht, daß ihr Oberbefehlshaber lebend in der Gewalt ihrer Feinde war. Sie konnten glauben, er sei getötet worden. Somit drängte Hansen mit aller Gewalt darauf, sämtliche Verteidigungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen und auszubauen. Alle verfügbaren Leute wurden herangezogen, soweit sie nicht mit wichtigen Arbeiten beschäftigt waren. Innerhalb zwölf Stunden waren die Vorbereitungen beendet. Machtvolle Kraftfeldschirme lagen über den wichtigsten Gebäuden, und starke Positronenkanonen waren außerhalb dieser unsichtbaren Schutzmauern angebracht. Während dieser ganzen Zeit saßen die Radaroperateure vor ihren Geräten, jederzeit bereit, die Annäherung des feindlichen Raumschiffes zu melden. Ihre Blicke hafteten unentwegt auf 114
den Schirmen und schienen sich an den Mattscheiben festsaugen zu wollen. Sie wußten alle, daß von der Schnelligkeit ihres Handelns das Schicksal der Station abhängen konnte. Die Geschwindigkeit des sich nähernden Schiffes würde so schnell sein, daß ihnen kaum viel Zelt zu irgendwelchen Vorbereitungen bliebe. Die Wellen ihrer Radargeräte waren nicht viel schneller als der Feind selbst. Nachdem die zwölf Stunden vergangen waren, hatte sich noch nichts ereignet. In der Zwischenzeit hatten sich einige Leute sehr intensiv mit dem Kommandanten der Siriusbewohner beschäftigt. Matson, der Menschenkundler, Craig, der Arzt, Bergoff, der Biologe, diese drei wechselten sich in der Benutzung der Helme ab, die man beide, zusammen mit dem Kettenwagen, erbeutet hatte. Noch in der Dämmerung des nächsten Tages ließ Northcroft Hansen zu sich rufen. Matson. Craig, Bergoff und mehrere andere Wissenschaftler waren schon in dem Büro des Chefs versammelt. „Ich glaube, es wird Sie sehr interessieren, was diese Herren Ihnen zu berichten haben, Kommandeur“, sagte Northcroft. Matson hatte anscheinend die längste Zeit den Helm aufgehabt; denn er sprach das meiste. „Das ist ein ganz eigensinniger Patron!“ sagte er wütend. „Er hat doch die verdammte Fähigkeit, seine Gedanken zu blockieren. Er denkt einfach nichts, wenn er nicht will. Versuche mal einer von euch, nichts zu denken! Das geht überhaupt nicht. Etwas denkt man immer, auch wenn es Blödsinn ist. Aber soviel habe ich doch herausbekommen, daß die Sirunier eine ernste Bedrohung für das Sonnensystem sind, vielleicht sogar für die ganze Milchstraße. Wenn die ihre schnellen Schiffe bauen …“ Er schwieg einen Moment; dann berichtete er weiter. Auch der Sirius war ein Doppelsternsystem. Einer der vier Planeten der größeren Sonne war die Heimat dieser Rasse. Von 115
den drei anderen Planeten waren noch zwei bewohnt; aber ihre Bevölkerung lebte schon seit Jahrhunderten in der Sklaverei dieser eroberungssüchtigen Rasse, die nun auch Alpha Centauri erreicht hatte. Die Herrschaft über jene beiden Planeten schien sehr grausam zu sein und fand nicht ihresgleichen in der nicht gerade friedlichen Geschichte der Erde. Die Unterdrückten, obwohl selbst eine Rasse von höherer Kultur, waren zu rechtlosen Sklaven und Arbeitstieren erniedrigt worden. Der Kommandant der Sirunier hatte seinen Stolz über dieses Herrentum nicht verhehlt. Er war auf seiner Welt ein hoher Offizier. „Sie sind ein Volk von Größenwahnsinnigen“, führte Matson aus. „Sie haben einen Herrenmenschenkomplex, in keiner Weise zu vergleichen mit ähnlichen Erscheinungen in unserer eigenen Geschichte, aber im Gegensatz zu einigen derartigen Erscheinungen unserer Vergangenheit sind sie völlig frei von jeder Regung, die wir Mitgefühl bezeichnen.“ Matson schüttelte sich: „Er berichtete mir mit froher Genugtuung von den blutigen Gemetzeln, die sie unter den besiegten Völkern der anderen Planeten angerichtet haben. Ein grausames und gefährliches Volk!“ Weiter berichtete Matson, daß es sehr schwierig sei, genaue Zahlen zu erhalten, da die Begriffe doch zu verschieden seien. Doch meine er, daß man die Bevölkerung aller drei Planeten des Sirius auf mehrere Billionen schätzen dürfe. Der Heimatplanet sei sehr groß und bereits völlig mechanisiert. Über das Sonnensystem sei man erstaunlich gut informiert, auch über die anderen Systeme. Nur die Systeme von Sol und Sirius seien bewohnt. „Und das stempelt uns zu den nächsten Opfern ihres unersättlichen Eroberungsdranges“, warf Dr. Craig ein. „Hat er irgendwelche Andeutungen über dementsprechende Absichten gemacht?“ fragte Northcroft nervös und fuhr sich mit der Hand über das Haar. 116
Ohne besonders fröhlich zu erscheinen, lachte Craig auf. „Er verhehlte nicht den Eindruck, daß die Eroberung der Erde beschlossene Sache sei. Er verhöhnte mich sogar, wenn man in diesem Fall so sagen kann, daß wir einer Invasion seiner Rasse keinerlei Widerstand entgegensetzen könnten. Ihre geistigen Kräfte seien ungleich größer als die unseren.“ „Ich hatte den gleichen Eindruck“, sagte Hansen. „Was ist zu tun, Chef?“ Aber immer noch war sich Northcroft nicht schlüssig. „Ich beginne zwar langsam die Gefahr zu begreifen, in der wir schweben; aber vielleicht ist es doch nicht unbedingt notwendig, sie nun ohne jede Warnung zu vernichten. Wollen wir nicht dem Sirunier die Möglichkeit geben, seine Leute auf Althan zur Übergabe aufzufordern?“ Hansen konnte eine leichte Ungeduld nicht unterdrücken, sagte aber nichts. Der sirunische Kommandant wurde zur Radiostation des Stützpunktes gebracht. Althan wurde angepeilt, und mit Hilfe des Gedankenübertragungshelmes sagte ihm Hansen, was er zu tun habe. Einen Augenblick lang hatte Hansen das Gefühl, als ob der andere ablehnen wollte, doch der Eindruck dieses Gedankens verschwand sofort wieder. Der Sirunier setzte sich vor den Sender. Schweigend beobachteten die Männer, wie der Mann an den Knöpfen herumdrehte, die richtige Frequenz einstellte und endlich in seiner harten, metallischen Stimme einige Sätze in das Mikrophon sprach. Hansen wußte, daß vor sieben Stunden keine Antwort eintreffen konnte; so lange benötigten die Wellen für die Reise nach Althan und wieder zurück. Er blieb mit den anderen in der Station. Ab und zu ließen sie den Sirunier seinen Ruf in das Weltall wiederholen. Man brachte ihnen das Essen. Hansen, der sich über die 117
plötzliche Bereitwilligkeit des sonst so eigensinnigen Gegners einige Gedanken machte, hätte gerne gewußt, was dahintersteckte. Immer konnte er den Helm auch nicht tragen, und wenn er ihn mal aufsetzte, mußte er feststellen, daß der Sirunier nur an gleichgültige Dinge oder an gar nichts dachte. Hansen hatte den sicheren Eindruck, daß jener sich über ihn amüsierte. Die gelbe Sonne des Planeten Terra 2 begann schon hinter den grünen Wäldern zu verschwinden, als die Antwort von Althan in der harten, unmelodischen Stimme der Sirunier kam. Der Kommandant hörte zu, dann ging er wieder an das Mikrophon und sprach erneut in ruhigem Tonfall einige Sätze. Schnell hatte Hansen seinen Helm aufgesetzt, in der Hoffnung, den Sinn der Nachricht zu erfassen. Aber zu seinem Ärger und zu seiner wirklichen Besorgnis mußte er feststellen, daß der Feind sein Gehirn diesmal völlig blockiert hatte. Die Meldung war unkontrollierbar. Ein unheimliches Gefühl der Gefahr überkroch Hansen plötzlich; eine unbestimmte Angst schnürte ihm die Kehle zu. Wenn der Sirunier Verrat übte?! Was sagte er seinen Leuten wirklich? Instinktiv gab Hansen dem Funker den Befehl, die Verbindung zu unterbrechen. Dieser gehorchte unverzüglich, und für eine einzige Sekunde verlor der Sirunier die Kontrolle über sein Gehirn. Hansen registrierte in seinem eigenen eine gewisse Verwirrung des anderen. Doch unmittelbar darauf blieben die Impulse wieder aus. Der dürre Gegner erhob sich. „Mein Volk wird sich nicht ergeben!“ sagte er auf dem Gedankenwege zu Hansen. „Sie hatten keine Zeit, die Antwort zu hören. Woher wissen Sie also …?“ „Sie kennen nur die Pflicht ihrer Rasse gegenüber, ohne Rücksicht auf das Leben eines einzelnen Individuums, Erdenmensch.“ Der Gedanke wurde mit einer gewissen Würde übertragen; 118
aber Hansen war wiederum fest davon überzeugt, daß der andere seine wahren Absichten verbarg. Was hatte er seinen Leuten auf Althan befohlen? Hansen hätte darauf schwören mögen, daß jener einen Befehl durchgegeben hatte. Er berichtete Northcroft mit großer Besorgnis von der Unterredung. Es gelang ihm, den Chef endlich so zu beeinflussen, daß der mit schwerer Stimme sagte: „Es sieht tatsächlich so aus, als ob Sie mit Ihrer Ansicht recht behielten, Kommandeur. Selbst wenn wir auf eine Antwort warten wollten, wüßten wir immer noch nicht, ob ihr Kommandant sie uns richtig übersetzt. Starten Sie, Hansen! Aber wenn Sie Althan erreichen, versuchen Sie wenigstens noch einmal, Verbindung mit ihnen aufzunehmen!“ Drei Stunden später schossen zehn Frachtschiffe, zusammen mit der Neptun, gegen den Himmel von Terra 2. Jedes Schiff hatte seine vollständige Mannschaft an Bord, war mit Positronenstrahlern bestückt und trug eine große Last der neuesten atomaren Bomben mit sich. Einmal umkreisten sie den Planeten, dann rasten sie mit annähernd Lichtgeschwindigkeit in den Raum, der Terra 2 von Althan trennte. Hansen hatte den Kommandanten der Siriusbewohner mit auf der Neptun. So sinnlos es auch schien, mußte er doch den Befehl Northcrofts befolgen und nochmals Verbindung aufnehmen, ehe er die feindliche Station angriff. Immer wieder, wenn er einen Blick auf den Sirunier warf, mußte er feststellen, daß jener aus unbekannten Gründen sehr belustigt zu sein schien. Irgendeine Tatsache, von der nur er wußte, mußte ihm große Befriedigung verschaffen. Wieder überkroch jenes unheimliche Gefühl einer unbekannten Gefahr den sonst so furchtlosen Kommandeur. Er nahm den Sirunier mit sich in den Kontrollraum, um jede Gefahr einer Überraschung auszuschließen. 119
Doch dann, während die Flotte durch das All raste, traf sie der erste Schlag, unvorhergesehen und ohne jegliche Warnung. Sie hatten die Hälfte ihres Weges zurückgelegt und befanden sich noch etwa neunzig Minuten von Althan entfernt. Ein Frachtschiff, an die hundert Meilen neben der Neptun schwebend, flammte plötzlich auf und wurde zu einem grell-weißen Meteor. In Zehntelsekunden war der Lichtblitz verschwunden, da die ungeheure Geschwindigkeit der Neptun sie schon außerhalb der Sichtweite gebracht hatte. Die Männer des Weltenraumes hatten genügend Erfahrung, um zu wissen, was das grelle Aufblitzen zu bedeuten hatte. Hansen stöhnte. „Die ganzen Atombomben auf einen Schlag!“ Instinktiv sah er auf den Sirunier. Dessen mageres, rotes Gesicht zeigte den ironischen Ausdruck der Befriedigung. Ohne zu zögern, gab Hansen den Befehl, die Geschwindigkeit zu verringern. Unmittelbar darauf traten bei allen Schiffen die Bremsdüsen in Tätigkeit Dann nahm er den Gedankenübertragungshelm und forderte den Sirunier auf, das gleiche zu tun. Ohne sich zu sträuben, gehorchte der. „Sind Sie für diesen Vorfall verantwortlich?“ fragte er ihn. „Indirekt – ja!“ kam die Antwort. „Aber warum verwirrt Sie das? Krieg ist Krieg, Erdenmensch! Euer Schiff hatte lediglich Pech; es prallte gegen ein Atomprojektil, das für euren Stützpunkt bestimmt war. Ja, Ihre Befürchtungen waren sehr begründet, als Sie mich mit meinen Leuten sprechen ließen. Ihr Narren! Sie haben keine Zeit verloren, die Ausführung meiner Befehle vorzubereiten. Nachdem sie die Richtung genau bestimmt hatten, durch Anpeilung eures Senders, werden sie nun in regelmäßigen Abständen eure Station mit diesen Ferngeschossen bombardieren. Selbst die Energieschirme werden die Geschosse nicht abhalten können.“ Nur eine Sekunde zögerte Hansen. Er glaubte dem Sirunier diesmal aufs Wort. Er hatte die Wahl, entweder nach Terra 2 120
zurückzufliegen oder weiter gegen Althan. Er entschied sich für das letzte. Die Station konnte er nicht vor den Projektilen schützen, da sie genau so schnell wie die Schiffe waren. Er konnte höchstens ihren Ausgangspunkt vernichten. Sein Kommando beschleunigte wiederum die Fahrt der Schiffe. Er befahl eine kleine Kursänderung, damit sie aus der Bahn der Geschosse kamen. Das ergab zwar einen Umweg, war aber immer noch besser, als die ganze Flotte aufs Spiel zu setzen. Selbst die empfindlichsten Geräte konnten die mit Lichtgeschwindigkeit heranfliegenden Geschosse nicht früh genug erkennen, da die Schiffe mit gleicher Schnelligkeit ihnen entgegeneilten. Das triumphierende Grinsen des Siruniers ging Hansen auf die Nerven. Er sperrte ihn kurz entschlossen in eine sichere Kabine ein. Er benötigte jetzt seine ganzen Kräfte. Vor ihm konnte der Tod liegen. Zwei Stunden später erreichten sie Althan. Sie umkreisten ihn in einer Höhe von 10 000 Meilen; denn es war leicht möglich, daß jenes fremde Raumschiff plötzlich erschien, um den Kampf aufzunehmen. Sie brauchten dann viel Platz zum manövrieren, da keines ihrer eigenen Schiffe so groß war wie jenes fremde. Hansen konnte jedoch auf den Suchschirmen keine Spur eines sich nähernden Körpers entdecken. Er ließ ein schnelles Beiboot mit zwei Mann starten, denen er den Befehl gab, mit ihren Geräten festzustellen, ob die Ferngeschosse aus der Spalte kämen, in der die unterirdische Stadt lag. Aufmerksam beobachtete Hansen den winzigen grünen Fleck auf dem Bildschirm, den die reflektierenden Radarstrahlen auf die Mattscheibe warfen. Wenige Sekunden später nur flammte der kleine Fleck auf und wurde zu einer grellen Miniatursonne, die langsam wieder erlosch. Dann schwebte nur noch eine kosmische Staubwolke im All. 121
Hansen starrte schweigend auf den Bildschirm, als ob der ihm eine Antwort geben könnte. Dann stieß er einen Fluch aus. „Sie sind mit ihrem ganzen Brennstoff explodiert! Sie sind auf was gestoßen!“ „Oder etwas stieß auf sie!“ sagte Harmer gewichtig und fügte hinzu: „Das waren Karl und Slim! Gute Jungen, die beiden. Friede ihrer Asche! Beim Jupiter, Chef, wir haben nun schon mehr als zwölf Mann verloren! Alles, was wir gewonnen haben, ist ein sturer, hinterhältiger Gefangener.“ Hansen gab keine Antwort. Er konnte sich die Gefühle seines Kapitäns gut vorstellen. Es war auch wirklich kein schöner Anblick, wenn man die eigenen Leute in Flammen aufgehen sah. Er wußte aber auch, daß seine ganze Mannschaft das gleiche dachte und nichts anderes im Sinn hatte, als diesen Siruniern ihre Gemeinheiten heimzuzahlen. Er brachte die Flotte auf eine Höhe von 5000 Meilen und stellte die infraroten Suchgeräte ein. Ein anderes Beiboot wagte er nicht mehr auszusenden. Ein langer Lichtfinger von grünlicher Farbe schoß plötzlich von der Oberfläche des Planeten zu ihnen hoch, tastete nach ihnen, erreichte sie aber nicht. Er war um mehr als tausend Meilen zu kurz. „Aha, man erwartet uns bereits!“ murmelte Hansen grimmig. „Warum mögen sie uns wohl nicht mit ihrem Schiff angreifen?“ „Einer gegen zehn? Ein bißchen viel verlangt!“ meinte Kester, der Positronenoffizier der Neptun. „Ich kann es ihnen nicht verdenken.“ Hansen gab keine Antwort, sondern studierte aufmerksam den Vergrößerungsschirm des Radargerätes. Das Bild zeigte klar und deutlich die Oberfläche des Planeten. „Sie haben das Schiff tatsächlich in der Spalte untergebracht“, sagte er nach einer Weile zu Harmer. „Sieht so aus, als hätten sie dort ihre Verteidigungsstellung gebaut. – Hm! – Holen Sie mir mal den Sirunier, bitte!“ 122
Harmer verschwand und kehrte nach wenigen Augenblicken mit dem Kommandanten der unangenehmen Besucher aus dem Weltenraum zurück. Er sah Hansen mit einem beleidigten Blick an und platzte fast vor Arroganz. Von Furcht oder Schüchternheit keine Spur! Hansen nahm einen der Helme und gab ihm den anderen. „Euer Volk scheint den Kampf zu wollen!“ sagte er. Der andere lächelte zynisch. „Glaubt ihr, sie kröchen vor euch zu Kreuze?“ Das war sinngemäß seine Gedankenantwort. „Nein“, sagte Hansen, „aber ich wollte ihnen eine letzte Chance geben. – Fordern Sie Ihre Leute zur Übergabe auf!“ „Und wenn sie das nicht tun?“ „Restlose Vernichtung!“ Der Sirunier lächelte wieder. „Ihr schmeichelt Euch selber, Mensch von der Erde. Ihr habt keine Waffen, die mein Volk zu fürchten hätte. Sie können aushalten, bis Verstärkung vom Sirius eintrifft.“ „Alles möglich; aber ich will ihnen doch diese Chance geben!“ Hansen sah Nevins an: „Machen Sie Ihr Gerät fertig! Unser Gast möchte mit denen da unten reden, ihnen einen guten Rat geben.“ Harmer blickte Hansen ausdruckslos an. „Sie wollen denen tatsächlich eine Chance geben? – Aber Chef!“ „Ich muß es tun, Rex! Wir sind Mitglieder der Raumpatrouille und haben unsere Gesetze. Wir geben sogar Piraten die Möglichkeit, sich zu ergeben.“ „Ich habe auch viel lieber mit Piraten als mit diesen Zementköpfen zu tun.“ Der Sirunier konnte das Gespräch auch verstehen, da Hansen den Helm aufbehalten hatte. Ein widerliches, zynisches Grinsen ging über seine Züge. 123
„Eure Raumpatrouille hat merkwürdige Regeln, Männer der Erde. Nur die Schwachen sind mitleidig. Die Starken dürfen es nicht sein, sonst sind sie nicht mehr länger stark!“ „Wir hatten verschiedene Leute auf der Erde, die so ähnlich dachten, Herr Unbekannt. Sie sind alle sehr schnell begraben worden.“ Die Bemerkung des Siruniers hatte Hansen erneut erkennen lassen, welch furchtbares Schicksal der Erde drohte, wenn diese gnadenlose Rasse sie jemals überfiel. Er zeigte auf den Sender, den Nevins eingestellt hatte. „Reden Sie mit Ihren Leuten!“ Der Sirunier setzte sich vor den Apparat und sprach mit seiner harten Stimme in das Mikrophon. Diesmal verstand Hansen jedes Wort, da jener seine Gedanken nicht blockiert hatte. Er gab der Besatzung der Station den Termin zur Übergabe bekannt. Dann jedoch fügte er seinen eigenen Befehl hinzu, diese zu verweigern. Der Kerl hatte wirklich Nerven; das mußte man zugeben. Der Sirunier lächelte, als er sich erhob. „Ich habe die Antwort schon begriffen“, sagte Hansen zu ihm. „Ich weiß wirklich nicht, ob Ihre Leute nur so gut diszipliniert sind oder ob man sie als stupide bezeichnen sollte.“ „Unsere Rasse ist noch nie stupide genannt worden, selbst nicht von ihren ärgsten Feinden“, sagte der Sirunier ein wenig beleidigt. Man schloß ihn wieder in eine Kabine ein. Hansen gab den Befehl zum Angriff. In der gleichen Sekunde wirbelten sie davon; die eingebauten Generatoren bildeten ein schützendes Kraftfeld um jedes einzelne Schiff. Dann tauchten sie mit der Geschwindigkeit von Meteoren in die Atmosphäre ein, vor sich auf dem Bildschirm den winzigen Punkt, das Ziel – die Spalte! Einer nach dem anderen ließen sie eine kleine Atombombe 124
fallen; dann rasten sie wieder in den Weltraum hinauf, in die höchsten Schichten der Stratosphäre. Als die Neptun schräg nach oben stieß, verfolgte Hansen auf dem Heckschirm den Verlauf der Aktion. Die Bomben selbst waren zu klein, um registriert zu werden; aber man sah das grelle Aufblitzen der Explosionen. Die Flotte formierte sich und kreuzte in tausend Meilen Höhe. Sie warteten darauf, daß sich die Explosionswolken verzogen, die ihnen jede Sicht nahmen. Sie wollten die Oberfläche sehen, wollten sich davon überzeugen, daß sie ein einziges glühendes Etwas war. Es würde kein Leben mehr dort unten sein. Harmer bediente die infraroten Suchgeräte der Neptun. „Beim heiligen Jupiter!“ stieß er entsetzt aus. „Die bombardierte Fläche ist … sie hat sich nicht verändert!“ Protestrufe brandeten auf, ungläubiges Erstaunen wurde laut. Man scharte sich um den Bildschirm. „Aber wir waren doch genau im Ziel!“ behauptete Kerster. „Die automatischen Berechner können doch nicht lügen!“ „Die Bildschirme aber auch nicht!“ gab Harmer zurück. „Seht, ihr könnt sogar die Spitze des Schiffes erkennen, das in der Spalte verborgen ist! Es ist nicht die kleinste Beschädigung zu bemerken.“ Gegen Tatsachen gibt es keine Argumente. Die zehn Atombomben hatten nicht mehr Schaden angerichtet als zehn Magnesiumlichter. Auf Hansens Anordnung stellte Nevins die Verbindung mit den Kapitänen der anderen Schiffe her. Es waren alles tüchtige, erfahrene Raumfahrer, die schon genügend Arten der Kriegführung gesehen hatten. Aber diesmal waren sie doch verblüfft; das hatten sie noch nie erlebt! Zehn Atombomben, auf ein kleines Ziel konzentriert, waren mit herrlicher Lichtentfaltung wirkungslos verpufft! „Werfen Sie noch eine Bombe, Barnel!“ sagte Hansen zu ei125
nem der Kapitäne. „Den Zünder auf Null einstellen! Alle anderen Schiffe in Bereitschaft und auf Beobachtungsposten bleiben!“ Barnels Schiff stieg weit über die Grenze der Stratosphäre, während der Rest der Flotte in tausend Meilen Höhe kreiste, ununterbrochen nach unten beobachtend. Die Neptun selbst sank bis auf hundert Meilen hinab zur Oberfläche. Ein grüner Lichtfinger durchschnitt die Dämmerung, kam aus der Spalte, suchte nach dem Schiff. Er traf auf das Kraftfeld der Neptun, und ein greller Blitz blendete die Besatzung. Hansen fühlte, wie das ganze Schiff zitterte; die Generatoren heulten auf, da sie automatisch mehr Strom erzeugten, um den Energieschirm aufzuladen. Sofort wendete er und drückte den Hebel auf Beschleunigung. Die Neptun jagte mit dem Pfeifen einer Rakete gegen den Himmel in das All. Durch die Kraft des plötzlichen Andrucks wurde die Mannschaft tief in die Sitze gepreßt; einige von ihnen verloren die Besinnung. Das Schiff jedoch entrann dem tödlichen Strahlenfinger und raste mit unheimlicher Beschleunigung sonnenwärts. Eine Million Meilen von der Oberfläche des Althan entfernt zwang Hansen sich aus seiner halben Ohnmacht heraus dazu, die Bedienungshebel erneut zu betätigen. Schwer lastete der Andruck auch auf ihm, doch unmittelbar nach einem kurzen Klick wurde er wieder leicht und frei: Die Bremsdüsen waren in Tätigkeit getreten, die Fahrt verlangsamte sich, und in einer großen Schleife kehrten sie zu dem frei im Raum schwebenden Planeten zurück. Auch Harmer kam wieder zu sich und wischte sich das Blut, das ihm aus der Nase tropfte, mit einem Taschentuch weg. Er fluchte natürlich. „Zum Teufel! Das war aber nahe dran! Welch eine gewaltige Energie scheinen die mit ihren Generatoren zu erzeugen!“ 126
„Ja“, sagte Hansen nachdenklich, „sie werden wahrscheinlich die Energie des Schiffsantriebes dazu benutzen. Ich glaube nun doch, daß ihr Kommandant nicht übertrieben hat, als er von ihren Waffen sprach.“ Sie kehrten zu den kreisenden Schiffen zurück und nahmen die Meldungen der Kapitäne entgegen, die das Resultat von Barnels Bombe beobachtet hatten. „Nichts!“ berichtete Barnel selbst. „Noch nicht mal ein Fenster ist zerbrochen!“ „Die Bombe kam gar nicht bis zum Boden – das ist alles“, sagte Hart, ein anderer Kapitän. „Sie detonierte in 50 Meilen Höhe!“ „Stimmt! Das ist die gleiche Höhe, die auch ich beobachtet habe“, fügte ein dritter hinzu. „Da gibt es nur eine einzige Erklärung“, überlegte Hansen. „Sie haben einen Energieschirm um Station und Schiff gelegt, der jedes atomare Geschoß vorzeitig explodieren läßt. Jene Bombe von Barnel war auf Null eingestellt, also Aufschlag auf der Oberfläche.“ „Donnerwetter! Eine vollkommene, sichere Mauer gegen alle Waffen!“ riet Kerster aus. „So ist es allerdings! Eine neue Waffe, die wir in diesen Ausmaßen noch nicht kennen. Wir haben genau so wenig die Möglichkeit, dort eine Atombombe zu landen, wie wir die Chance haben, jetzt unseren Freunden auf der Erde die Hände zu schütteln.“ Ja, das war wirklich etwas völlig Neues in seiner Praxis! Bisher waren alle Kraftfelder, die er kennengelernt hatte, passiver Natur gewesen, Energie mit Energie aufwiegend. Wenn der Angreifer die größere Kraft zur Verfügung hatte, mußte er erfolgreich sein. Hatte jedoch der Verteidiger mehr Energie zur Verfügung, scheiterte jeder Angriff. Aber dieser Schirm, den die Sirunier in einer Halbkugel von 127
50 Meilen Radius errichtet hatten, war wirklich mehr offensiver als defensiver Natur. Er war genau so aggressiv, wie Positronen-, Protonen-, Neutronen- und Miatronenstrahlen es waren. Dieser Energieschild vernichtete sämtliche Strahlen oder Bomben, bevor sie in gefährliche Nähe kommen konnten. Das bedeutete, daß auch kein Schiff den Schirm durchdringen konnte, ohne in Atome zertrümmert zu werden. Wenn man nun einen stärkeren Energieschirm hätte? Er schüttelte den Kopf. Keines seiner Schiffe hatte einen solchen. Plötzlich kam ihm eine Idee. „Nun also“, entschloß sich Hansen endlich, „wir wollen noch einen Versuch machen! Wir konzentrieren die Gewalt der Positronenprojektoren aller Schiffe auf einmal auf einen Punkt des Schirmes unter uns. So nur wäre es möglich, daß wir genügend Energie aufbringen, die Sperre zu durchbrechen.“ Geschickt manövrierten die Schiffe im Raum, die Seitendruck- und Steuerdüsen benutzend, bis ihre Spitzen alle auf das sichtbare Bug des feindlichen Raumkreuzers zeigten. Zehn unsichtbare Linien durchstießen den ebenfalls unsichtbaren Schirm fast an derselben Stelle. Dann ein Signal der Neptun – die Schiffe stießen nach unten! Ein neuer Befehl Hansens, und die Feueroffiziere der Flotte drückten gleichzeitig auf die Knöpfe der Projektoren. Die unsichtbaren Linien wurden sichtbar. Violette Strahlenbündel schossen aus den Schiffsspitzen und rasten mit Lichtgeschwindigkeit auf das Ziel zu. In dieser konzentrierten Energie saß genügend Kraft, um eine ganze Raumflotte in kosmischen Staub zu verwandeln. Die Strahlenbündel erreichten jedoch das fremde Schiff nicht! Als sie auf das Energiefeld der Sirunier prallten, schlossen die Besatzungsmitglieder der Erdschiffe geblendet die Augen. Grelle Flammen zuckten auf; Blitze von unvorstellbaren Ausmaßen schossen nach allen Seiten in den Raum. Die Oberfläche 128
unter ihnen war ein violett-grün-weißes Lichtmeer entfesselter Energien. Hansen ließ die Kapazität der Treibdüsen noch mehr verringern und legte die frei werdende Kraft in die Positronenstrahlen. Die Generatoren heulten infolge der Überbeanspruchung auf. Der feindliche Energieschild hielt.
DER RETTENDE EINFALL Hansen verglich es mit einem Riesen, der mit seiner Faust ein Dutzend Pygmäen zu Boden wuchtet. Nachdem die Energie der Düsen auf die Strahler im Bug des Schiffes umgeleitet worden war, verlangsamte sich natürlich dessen Fahrt. Die Gegenreaktion der Positronen, die auf den Schild trafen, warf sie zurück. Wahnsinn! dachte Hansen bei sich. Diese Sirunier konnten allen Angriffen standhalten, ohne auch nur einen Finger zu krümmen. So konnten sie warten, bis ihre Verstärkung kam. Dann war Althan verloren, und mit ihm das Sonnensystem! Es mußte einen Ausweg geben! Eine Sekunde lang dachte er an einen Landungsangriff, verwarf diesen Plan aber sofort wieder. Sie hatten überhaupt keine Kettenwagen oder Panzer, die man für den Kampf gebrauchen könnte. Sie hatten nicht die technischen Mittel, den Stützpunkt der Sirunier anzugreifen. In der augenblicklichen Lage hatten sie nur einen Trost: Solange der Kraftfeldschirm um das feindliche Schiff gelegt war, konnte kein atomares Ferngeschoß in Richtung Terra 2 den Althan verlassen. Hansen gab den Befehl, den Angriff zu stoppen. Die Erdschiffe stellten die Positronenstrahler ab und glitten in das All zurück. 129
Harts Chefingenieur machte jedoch eine Fehlkalkulation. Ohne die Treibdüsen erst abzudrosseln, schaltete er die Projektoren aus. Ohne deren Bremswirkung raste er mit enormer Beschleunigung in die Tiefe. Bevor Hart die Kontrolle zurückgewinnen konnte, tastete sich ein grüner Lichtfinger aus der Spalte heraus und erfaßte, 2000 Meilen über der Oberfläche, das fallende Schiff. Die Leute der Neptun hielten den Atem an und bedeckten unwillkürlich die Augen mit den Händen, als Harts Schiff in einem grellen Lichtblitz aufging. Alles, was übrigblieb, war eine blaue Dunstwolke. „Hölle!“ rief Harmer aus, ohne daß ihm das Grausige des Zusammenhanges recht zu Bewußtsein kam. Hansen gab schweren Herzens und ärgerlich über sich selbst den Befehl, sich auf 10 000 Meilen zurückzuziehen. Die Sirunier hatten bisher mehr Erfolge gehabt als sie. Er hatte zwei Leute und zwei Schiffe samt Besatzung verloren, ohne dem Feind auch nur eine Schramme zuzufügen. „Verdammt, der Krieg war in alten Zeiten doch schöner!“ stöhnte Kerster, der Positronenoffizier. „Man brauchte nur auf so nette kleine Dinger, wie Kugeln und Bajonette, aufzupassen, vielleicht auch mal auf Giftgas …“ „Na, ich danke!“ sagte Bogart, der in den Kontrollraum gekommen war, um sich von der überhitzten Atmosphäre des Maschinenraumes zu erholen. „Hast du schon mal eine Chlorgasvergiftung gehabt? Na, da möchte ich doch schon lieber kurz und schmerzlos in Atome verwandelt werden, so wie Hart!“ Nach zwei weiteren Angriffen, die ebenso erfolglos, aber ohne Verluste verliefen, fiel Hansen plötzlich die Bemerkung Bogarts wieder ein: „Kurz und schmerzlos in Atome verwandelt werden!“ Da kam ihm der erste Schimmer einer Idee, deren Verwirkli130
chung alle Schwierigkeiten mit einem Schlage hinwegfegen könnte, wenn … Eine verrückte Idee, natürlich! Aber er fühlte, daß sie es wert war, beachtet zu werden. Es mußte einen Ausweg aus dieser Misere geben! Doch müßte er dann nach Terra 2 zurückkehren. Konnte er die Sirunier allein lassen? Sicher begännen sie sogleich wieder mit der Fernbeschießung. Oder – er mußte hierbleiben und sie belagern. Nun, die Lösung dieses Problems war einfach. Hansen ließ fünf Schiffe zurück, die die Station auf Althan blockieren sollten. Scheinangriffe würden diese zwingen, die Abschirmung aufrechtzuerhalten, während Terra 2 von der Bombardierung verschont blieb. Die Neptun kehrte mit den restlichen Schiffen zu ihrer Station zurück. Schon als sie Terra 2 in großer Höhe umflogen, konnten sie feststellen, daß die Atomprojektile der Sirunier keine unbeträchtliche Wirkung hatten. Das halbe Landefeld war in einen mächtigen Krater verwandelt, einige der Randgebäude waren völlig zerstört worden. In der Nähe des Hauptblocks setzte Hansen die Neptun sanft auf. Der Boden war zwar aufgewühlt, aber noch verhältnismäßig eben. Die Leute der Station kamen ihnen entgegen, in ihrer Mitte der etwas unglücklich dreinblickende Northcroft. Sie fielen über die aus den Schiffen steigende Besatzung her und bestürmten sie mit Fragen. Es stellte sich heraus, daß man keine Ahnung von der Art der landenden Geschosse hatte, sondern nur wußte, daß sie atomarer Natur waren. Tatsächlich war es so gewesen, daß sie das Unglück erst bemerkt hatten, als sich über der Einschlagstelle der typische Rauchpilz gebildet hatte. Die enorme Geschwindigkeit hatte außerdem bewirkt, daß sich die Geschosse tief in 131
die Erde gebohrt hatten, ehe sie detonierten. Die Explosionen wurden dadurch stark abgedämpft, obwohl ihre Wirkung immer noch verheerend war. Vier Männer waren getötet und sieben mehr oder weniger schwer verletzt worden. Die Hauptgebäude, weiter von der Aufschlagstelle entfernt, hatten keinen nennenswerten Schaden erlitten. Zwei andere Ferngeschosse waren etliche Meilen „westlich“ im Wald niedergegangen. Einige tausend Bäume waren verschwunden; das war alles. Nur diese drei Projektile waren gelandet, das letzte vor vielen Stunden. Hansen hatte mit seiner Theorie recht: Die Sirunier konnten nur dann schießen, wenn ihr Abwehrenergieschirm ausgeschaltet war. Die Laboratorien und Werkstätten waren glücklicherweise unbeschädigt. Hansen ging mit Northcroft in dessen Wohnung und berichtete ihm ausführlich von dem, was sich auf Althan ereignet hatte. „Wie denken Sie sich nun die Überwindung der feindlichen Strahlabwehr?“ fragte Northcroft. „Es ist doch klar, daß unsere Schiffe nicht genügend Energie erzeugen können, um den Schild zu neutralisieren.“ „Wenn er sich neutralisieren läßt!“ warf Hansen ein. „Sie brauchten einen Brückenkopf auf Althan, und einen Atomgenerator, der mindestens so stark wie der unserige ist. – Sie wollen doch wohl das Ding nicht etwa mit zum Althan schleppen?“ „Natürlich nicht!“ sagte Hansen grinsend. „Ich weiß eine viel einfachere Lösung! Ich werde sie nicht von außen, sondern von innen her vernichten!“ Ein wenig verständnislos sah Northcroft ihn an. „Ja, von innen!“ wiederholte Hansen. „Mir kam da plötzlich die Idee, daß sie dort auf Dynamit, auf einem Pulverfaß sitzen. Ein Funke genügt, und …! Möglich, daß meine Idee Blödsinn 132
ist; daher muß ich feststellen, wie unsere Herren Gelehrten über den Fall denken.“ Der Physiker Jürgens und sein Kollege Cattell, der Chemiker, wurden zu einer Unterredung gebeten. Hansen erklärte ihnen seine Idee. Jürgens und Cattell hörten aufmerksam zu; dann unterhielten sie sich eifrig und warfen nur so mit unverständlichen Formeln um sich. „Wir nehmen beide an, daß es theoretisch möglich ist, Kommandeur“, sagte Jürgens endlich. „Explosionen dieser Art könnten natürlich auf Althan vorkommen. Ich habe sie selbst schon auf Jupiter gesehen; aber Jupiter bekommt auch mehr Licht von der Sonne, als Althan von der seinen. Man benötigt eine beachtliche Wärmemenge dazu, um Karbondioxyd zu verdampfen. Aber wenn es verdampft …“ „Glauben Sie, daß das Experiment sich lohnte?“ fragte Northcroft. „In unserer Lage lohnt sich jeder Versuch, Chef!“ sagte Jürgens. „Es besteht in diesem Fall sogar die Aussicht auf Erfolg!“ „Gut!“ bemerkte Hansen, der bisher geschwiegen hatte. „Dann überlasse ich alles andere erst mal Ihnen, Jürgens. Zeit spielt keine Rolle – aber je eher wir fertig werden, um so besser. Vielleicht müssen wir unser Experiment wiederholen, wenn das erste nicht klappen sollte.“ „Ich glaube, es wird klappen! Ihre Idee ist einfach großartig!“ Fieberhafte Tätigkeit entfaltete sich auf der Station Terra 2; alle Männer wurden eingesetzt. Nach zwei Tagen konnte man die Form eines riesigen Reflektors erkennen, der auf dem Flugfeld lag. Er hatte die Form eines künstlichen Satelliten. Währenddessen arbeiteten Techniker an der Installation mächtiger Scheinwerfer im Bug der Schiffe. Diese Reflektoren konnten konzentrierte Lichtstrahlen Hunderte von Meilen durch den Raum schleudern. 133
Es war schon ziemlich dämmerig, als die Neptun und die anderen Schiffe in den dunklen Himmel brausten, den großen Spiegel mit Tauen hinter sich herziehend. * Die Sirunier starrten in den dämmerigen Himmel von Althan. Was schwebte dort oben am blaugrauen Firmament? Es sah aus wie ein Mond, vielmehr wie eine Sonne, eine kleine allerdings. Hatte Althan eine neue Sonne bekommen? Diese neue Sonne hatte eine Eigenschaft, die noch nie eine Sonne hatte. Ihre Strahlen beschienen nicht die ganze Oberfläche, sondern konzentrierten sich nur auf den Platz, an dem sie und ihr Raumschiff stationiert waren. Diese Strahlen drangen tief in die Spalte ein und brachten Licht nach dort, wohin seit Jahrtausenden kein Licht mehr gedrungen war. Sie erleuchteten den grünlichen Methannebel und gaben ihm einen geisterhaften Glanz und Schimmer. Obgleich die Sirunier zuerst ein wenig verdutzt waren, empfanden die die Erhellung ihrer bisher so finsteren Umgebung sehr bald als angenehm. Sie erinnerten sich an ihre eigene Sonne, viereinhalb Lichtjahre entfernt. Aber nach einigen Stunden verwandelte sich ihre Verwunderung in Bestürzung. Sie hatten herausgefunden, daß ihre neue Sonne kein eigenes Licht ausstrahlte, sondern solches nur reflektierte. Die Lichtstrahlen selbst kamen aus einer anderen Quelle. Diese Quelle bestand aus starken Scheinwerfern, die ihren blendenden Strahl auf die flimmernde Scheibe der „Sonne“ warfen. Die Scheinwerfer wiederum befanden sich in Raumschiffen. Es waren dieselben Raumschiffe, die sie, die Sirunier, noch vor kurzem so heftig angegriffen hatten. 134
Es war kein Wunder, daß die schwarzuniformierten Herren des Siriussystems zu ahnen begannen, daß sie wirklich allen Grund zur Besorgnis hatten. Ihre Offiziere kamen zu einer Beratung zusammen. Ein Beschluß wurde einstimmig gefaßt. Die Energie ihres Todesstrahlers wurde bis aufs äußerste verstärkt. Ein grüner Lichtfinger blitzte aus der Spalte auf und schoß in den Himmel, suchte die Miniatursonne. Um tausend Meilen zu kurz! Dann tastete der Strahl nach den einzelnen Schiffen, die rund um die flimmernde Scheibe standen. Zu kurz, er erreichte sie nicht! Ehe sie erneut beraten konnten, was nun zu tun sei, senkte sich plötzlich ein normales Düsenflugzeug ohne atomaren Antrieb, zur Oberfläche hinab, durchstieß den Energieschirm. Der erwartete Flammenblitz blieb aus; das Flugzeug hatte nichts an Bord, was durch die aggressiven Strahlen beeinflußt werden konnte. Langsam glitt es über die Spalte. Die Sirunier waren zu verblüfft, um gleich ihre Abwehrstrahler zu gebrauchen. Dann fielen die Bomben! Die Sirunier duckten sich und rannten in Deckung. Damit hatten sie nicht gerechnet! Atombomben hätten doch bei Berührung des Schirmes detonieren müssen! Die Bomben fielen in die Spalte und erreichten den Grund; aber keine Explosion erfolgte. Nur ein grünlichgelber Nebel entstand plötzlich und füllte bald die ganze Schlucht aus. Oben, im Weltraum, saß Hansen vor dem Vergrößerungsschirm und beobachtete die Vorgänge auf der Oberfläche des Planeten. „Die Chance steht eins zu einer Million; sehr schlecht, Chef!“ bemerkte der ewig zweifelnde Harmer. „So ähnlich stand schon oft eine Chance“, sagte Hansen ruhig. 135
„Aber wenn es dann doch klappte, änderte sich meist der Lauf der Weltgeschichte und …“ Er brach plötzlich ab. In der Richtung der Spalte unter sich bemerkte er eine Explosion und einen roten Flammenschein, durch den grüne Blitze schossen. Hansen verstärkte die Vergrößerung des Bildschirmes. Sie warteten schweigend, bis sich der Rauch ein wenig verzogen hatte, der über der erleuchteten Oberfläche des Planeten dahinwirbelte. Es schien Stunden zu dauern, bis die Sicht klarer wurde. Sie konnten feststellen, daß die Ränder der Spalte nach innen abgebröckelt waren. Von dem Raumschiff war keine Spur zu entdecken; die Explosion hatte zweifellos das Stahlgerüst, das es gehalten hatte, zerschmettert. „Schätze, ihr Generator ist hinüber!“ meinte Hansen erleichtert. „Wir wollen tiefer gehen; mit einer kleinen Atombombe können wir dann leicht feststellen, ob ihr Schirm noch wirksam ist.“ Bevor er jedoch einen Befehl an die anderen Schiffe geben konnte, ereignete sich auf Althan eine zweite Explosion von solch phantastischem Ausmaß, wie sie es noch nie gesehen hatten. Die erste war ein Feuerwerk dagegen, ein winziges, kleines Kinderfeuerwerk. Die Oberfläche des Althan glühte plötzlich auf, ein Kreis entflammter Atmosphäre fraß sich nach allen Seiten weiter, und der vereiste Planet wurde in wenigen Augenblicken ein glühender Gasball. Wenigstens schien es so. Langsam kroch ihnen ein Rauchpilz mit den unverkennbaren Merkmalen einer gewaltigen Atomexplosion entgegen, Hunderte von Meilen hoch. „Heiliger Jupiter!“ stieß Harmer hervor. „Ihre ganzen Atombomben und Ferngeschosse sind in die Luft gegangen!“ Eine Zeitlang sprach keiner der beiden Männer ein Wort; schweigend warteten sie, bis sich der Rauch ein wenig verzog. 136
„Nun, ich glaube, das erspart uns eine Menge Unannehmlichkeiten“, sagte Harmer endlich. „Aber schade ist es doch, daß wir nicht vorher ihr Schiff untersuchen konnten; wir hätten eine Menge lernen können! – Aber sagen Sie mir nur eines, Chef: Wie kamen Sie auf die Idee, eine Chlor-MethanExplosion künstlich hervorzurufen?“ „Sie selbst brachten mich darauf, Harmer“, erklärte Hansen. „Erinnern Sie sich daran, wie wir zum erstenmal unten in der Spalte waren und unsere Lampen anmachten? Sie sagten damals: ‚Hoffentlich ist kein Chlor hier!’ Erinnern Sie sich noch? Nebenbei bemerkt: Sie hatten ganz vergessen, daß das Zeug nie frei in der Natur vorkommt. Ich hatte jedenfalls den ganzen Vorfall längst vergessen, bis Bogart die Bemerkung über Harts Schiff machte, das in Staub verwandelt wurde, und im Zusammenhang damit Chlorgas erwähnte. Da kam mir diese Idee. Ich überlegte, daß wir künstliches Sonnenlicht in das Dunkel der Spalte bringen müßten: das Karbondioxyd würde verdampfen, wir hätten dann nur etwas Chlorgas hinzuzufügen, und eine herrliche Explosion wäre fällig. Es sieht so aus, als ob meine Idee doch nicht so verrückt gewesen wäre; nur ist die Wirkung noch vernichtender, als ich angenommen hatte, da sämtliche Atombomben detoniert sind. Eine Kettenreaktion war die Folge. Ich hatte fest daran geglaubt, daß wir noch landen müßten, um die Sirunier völlig zu erledigen. Aber es ist schon so, wie Sie sagen, Harmer: Es hat uns eine Menge Unannehmlichkeiten erspart. Dies war erst die erste Runde, Kameraden!“ wandte sich Hansen an seine Leute, die in den Kontrollraum gekommen waren, und gleichzeitig an die Männer der anderen Schiffe. Nevins hatte die Verbindung hergestellt. „Wir dürfen keine Zeit verlieren, die Erde zu warnen. Solange wir keine machtvollen Verteidigungsmittel auf Alpha Centauri haben, ist die Endrunde noch nicht gewonnen.“ 137
Unter ihnen raste der Atombrand. Die Neptun aber brauste mit den anderen Schiffen durch den leeren Raum, der die beiden Zwillingssonnen trennte, zurück nach Terra 2. – Ende –
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Gefahr aus dem Nichts Beachten Sie bitte die Voranzeigen in unserem Band
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Der UTOPIAGroßband Nr. l:
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Invasion aus dem Weltraum von Kellar schildert plastisch und nervenzerreißend aber auch das Ende von diesem grausigen Abenteuer der Menschheit, das schon bald furchtbare Wirklichkeit werden kann!
Im Jahre 2115 stehen die Menschen der Erde einer neuen, tödlichen Gefahr gegenüber. Ein geheimnisvoller Strahl radioaktiver Energie aus den Tiefen des Alls bedroht das Leben der Bevölkerung. Eine feindliche Flotte erscheint aus dem Weltraum und überschüttet die Städte der Erde mit Tod und Verderben. Die Invasoren sind in vielen Dingen den Menschen überlegen und scheinen unbesiegbar. Die Erde scheint dem Untergang geweiht. Nach dem Abschuß einzelner Feindschiffe stehen die Menschen der Erde plötzlich einer neuen, noch viel furchtbareren Gefahr gegenüber. Schließlich startet eine heimlich gebaute irdische Raumflotte zur Fahrt in das Unbekannte, um die Gegner schon an deren Ausgangspunkt zu bekämpfen. In 18 Lichtjahren Entfernung muß der unheilvolle Feindplanet stehen. Aber es kommt anders, als die Mitglieder dieser Expedition vermutet haben. Was Captain Roc French auf dieser Fahrt durch das All erlebt und wie er die Erde rettet, das lesen Sie am besten selbst in dem UTOPIA – Großband Nr. 1.
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