Nr. 148
Der geheimnisvolle Barbar Der Kristallprinz und Ra - im Kampf mit den Tücken der Ödwelt von Peter Terrid
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Nr. 148
Der geheimnisvolle Barbar Der Kristallprinz und Ra - im Kampf mit den Tücken der Ödwelt von Peter Terrid
Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die dem 9. Jahrtau send v. Chr. entspricht – eine Zeit also, da die Erdbewohner nichts mehr von den Sternen oder dem großen Erbe des untergegangenen Lemuria wissen. Arkon hingegen steht in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III, ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII töten ließ, um selbst die Herrschaft übernehmen zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Mann hat der Impe rator von Arkon zu fürchten: Atlan, den rechtmäßigen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der nach der Aktivierung seines Extrahirns den Kampf gegen die Macht Orbanaschols aufgenommen hat und den Sturz des Usurpators anstrebt. Doch Allans Möglichkeiten und Mittel sind begrenzt. Ihm bleibt nichts anderes übrig als der Versuch, seinem mächtigen Gegner durch kleine, aber gezielte Aktionen so viel wie möglich zu schaden. Diese Taktik hat sich schon des öfteren gut bewährt – und sie bewährte sich er neut, als Atlan und seine Freunde das imperiale Raumschiff KARRETON kapern und eine wichtige Person vom Planeten Dargnis entführen. Dann aber, als die gefange nen Besatzungsmitglieder der KARRETON einen Ausbruchsversuch unternehmen, gerät Atlan in große Schwierigkeiten. Allein wäre der Kristallprinz jetzt verloren, wenn nicht Ra ihn unterstützte – Ra, DER GEHEIMNISVOLLE BARBAR …
Der geheimnisvolle Barbar
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz muß erneut um den Besitz der KARRETON kämpfen.
Ra - Der geheimnisvolle Barbar greift helfend ein.
Sarn Lartog und Ipraha - Offiziere der KARRETON.
Grahn Tionte - Ein Kommandant ohne Kommando.
1. Das Ziehen und Zerren saß irgendwo zwi schen den Schulterblättern, kroch von dort nach oben und wühlte in meinem Schädel. Ich war mir sicher: selbst wenn ich zehntau send Jahre leben sollte, würde ich mich dar an nie gewöhnen können. Der Schmerz bei der Wiederverstofflichung war zwar nicht unerträglich heftig, aber äußerst lästig. Wäh rend die Zentrale der KARRETON um mich herum in nicht meßbarer Zeit wieder stabil geworden war, brauchte ich zwei bis drei Sekunden, um zu begreifen, daß sich das Bild auf dem großen Panoramaschirm ver ändert hatte. Natürlich stöhnte ich nicht; als Kristall prinz konnte ich mir dergleichen nicht lei sten. Dennoch sah ich mit leichtem Neid auf meine Freunde, die sich ebenfalls in der Zentrale des erbeuteten Schiffes aufhielten. Ich hatte den Sitz des Piloten für mich be ansprucht; Fartuloon assistierte mir. Corpkor hatte sich für die Überwachung der Maschi nen entschieden, während Chretkor den Funkverkehr überwachte. Im Hintergrund stand, wie festgewachsen in dem glänzenden Arkonstahl unter seinen Füßen, der Wilde. Nur an seinem Lidschlag und den regelmä ßigen Bewegungen seines Brustkorbs war überhaupt zu erkennen, daß es sich nicht um eine Statue handelte. Ra zeigte keinerlei An zeichen von Überraschung oder Er schrecken. Diese Tatsache machte mich nachdenk lich. Für einen Barbaren waren normalerweise Sterne etwas Unbegreifliches. Die gewalti gen Entfernungen, die mit dem Verstand ei nes raumfahrtkundigen Volkes praktisch nicht zu begreifen waren, die rätselhaften
Bewegungen der Sterne – all dies führte bei vielen Völkern dazu, aus ganz simplen Son nen geheimnisvolle Wesen, manchmal sogar Gottheiten zu machen. »Ganz simple Sonnen?« bemerkte mein Extrahirn mit unverhohlenem Spott. Selbstverständlich hatte der Extrasinn recht. Was die arkonidischen Schulkinder im Schlaf herunterbeten konnten, mußte für Leute von Ras Schlag die höchste Stufe der Wissenschaft sein. Und doch;* als sich das Bild der Sterne auf dem Panoramaschirm schlagartig veränderte, war von Ra kein Zei chen der Überraschung zu sehen gewesen. Der Wilde verhielt sich abgebrüht wie ein im Dienst ergrauter Raumfahrer. Oder hatte er den Wechsel einfach nicht bemerkt? Es genügte ein Blick, der mir zeig te, daß die schwarzen Augen des Wilden un ablässig die Zentrale musterten und jeden Eindruck festhielten. Ra war hellwach und spürte deutlich, was um ihn herum vorging. »Wir sollten die nächste Transition vorbe reiten!« meinte Eiskralle. »Ich habe den Funk in unserer Nähe abgehört, irgendwo treibt sich in diesem Bezirk eine kleine Kampfflotte herum!« Ich sah besorgt auf, aber Eiskralle winkte schnell ab. »Es ist nur ein Manöver!« beruhigte er mich. »Ich habe den Admiral gehört, der mit der Leistung seiner Leute offenbar nicht zu frieden ist. Er brüllte wie ein Vulkan!« »Lassen wir ihn brüllen!« brummte Corp kor. »Wir sollten uns beeilen!« Er machte eine kurze Bewegung mit dem Daumen, die auf den Boden zielte. Fünf Decks unter unseren Füßen steckten dreiundvierzig Arkoniden in einem leeren Stützmassentank; zu unserem Glück wurden die Männer erbärmlich geführt, anderenfalls hätten wir das Schiff weder in unsere Ge
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Peter Terrid
walt bringen noch so lange halten können. Dennoch hätte ich mich besser gefühlt, wenn die Männer von Bord gewesen wären – Männer dieses Schlages hatten letztlich das gewaltige Sternenimperium der Arkoni den aufgebaut. Man war daher nie vor unlie bsamen Überraschungen sicher. Ich trommelte mit den Fingern auf dem Verkleidungsblech des Schaltpults vor mir. Ra machte mir Sorgen. Dieser noch junge Mann besaß nicht nur höchst beeindruckende Muskeln; er konnte sie auch sehr gut einsetzen, und Angst schi en er nicht zu kennen. Doch waren es nicht diese Eigenschaften des dunkelhäutigen Bar baren, die mir Sorge bereiteten -Ra war of fenkundig Mittelpunkt eines Geheimnisses, von dem er selbst nichts wußte. Im Arkoni dischen Imperium gab es vermutlich einige hunderttausend Männer mit vergleichbaren körperlichen Qualitäten – das machte es um so interessanter, herauszufinden, was Orba naschol so an Ra reizte.
* Leutnant Sarn Lartog knirschte mit den Zähnen. Innerlich wünschte er seinem Kom mandanten sämtliche kosmischen Seuchen an den Hals; schon immer hatte Lartog ver mutet, daß dem dicklichen Kapitän mit der Fistelstimme die Pflege seines schulterlan gen Haares wichtiger war als das Wohlerge hen seiner Besatzung. Hauptsache, die Kom mandantenhaare glänzten seidig, was aus der Besatzung und dem Schiff wurde, war zweitrangig. Im Innern des Stützmassentanks stank es erbärmlich. Natürlich hatte der riesige Raum vorher von allen radioaktiven Rückständen gereinigt werden müssen, und jetzt hing der Geruch des Reinigungsmittels in der Luft und brachte einen ständigen Niesreiz mit sich. Die Irren, die es gewagt hatten, ein ar konidisches Schiff zu kapern, waren immer hin so freundlich gewesen, ein paar Dauer lampen in den Raum zu stellen. In dem Dämmerlicht hatte der Leutnant zufrieden
feststellen können, daß sein Dosimeter am Handgelenk auf Null stand. Der Tank war wirklich frei von strahlenden Resten. »Wir müssen hier heraus!« knurrte der untersetzte Leutnant. »Bravo!« tönte es aus der Dunkelheit. »Weißt du eigentlich, wie du hier heraus kommen willst?« Die Stimme gehörte einem von Lartogs Freunden, einem hageren Mann von extre mer Größe. Aus größerer Entfernung sah Leutnant Ipraha einer Antenne ähnlicher als einem Menschen. »Wir sind in einem Stützmassentank!« stellte Ipraha trocken fest. »Daraus gibt es nur wenige Fluchtmöglichkeiten. Du kannst dich durch die Leitungen zwängen und als Impulsbündel aus den Triebwerken gestrahlt werden. Oder du versuchst es durch den Tankdeckel – wenn du Zähne und Nägel nimmst, wirst du nach einigen Jahrtausenden den Arkonstahl durchgekratzt haben!« »Ha, ha!« machte Lartog düster, aber er wußte, daß Ipraha recht hatte. »Immerhin – was, glaubst du, wird man mit uns anstellen, wenn das Schiff dort gelandet ist, wo es die neuen Schiffsführer gerne hätten?« »Sie werden den Tank wieder seiner Be stimmung zuführen!« meinte Ipraha spöt telnd. »Sie werden die Verdichterfelder wie der einschalten und Stützmasse einfüllen – die geringen Verunreinigungen, die von un seren zerquetschten Körpern stammen, wird ein arkonidisches Schiffstriebwerk wohl kaum verdauen können!« Unwillkürlich zuckte Lartog zusammen. Die Vorstellung, von den gewaltigen Feld projektoren innerhalb einiger Millionstel Se kunden zu staubkorngroßen Klumpen zu sammengepreßt zu werden, hatte etwas Grauenvolles an sich. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, meine Herren«, erklang das fistelnde Organ des Kapitäns, »würden Sie derartige Reden für derhin unterlassen. Ich fürchte um die Moral der Mannschaft!« In Gedanken gestattete Lartog dem Kommadanten einige Freizügigkeiten, von
Der geheimnisvolle Barbar denen der Kapitän mit Sicherheit Abstand genommen hätte, wären die Gedanken laut geäußert worden. Plötzlich hatte Lartog einen Einfall. Es war eine selbstmörderische Idee, aber bei näherer Betrachtung war der Plan durchführ bar. Wortlos stand Lartog auf und nahm eine der Lampen mit; er winkte Ipraha, ihm zu folgen. Ächzend entfaltete der Leutnant sei ne knochige Gestalt, dann ging er hinter Lar tog her. Ab und zu kamen aus der Dämme rung knurrende Laute – jedesmal dann, wenn einer der Leutnants irgendeinem auf die Füße trat. »Kannst du mir verraten, was du eigent lich vorhast?« erkundigte sich Ipraha halb laut. Wortlos deutete Lartog auf ein Gestell, das sich zehn Meter vor ihnen aus dem Bo den des Tanks erhob. Ipraha erkannte die zerbrechlich wirkende Konstruktion eines Projektors. Etwa dreißig solcher Projektoren gab es in jedem Tank. Sie strahlten das Ver dichterfeld ab, das die Stützmassen atomar zusammenpreßte und auf einen Bruchteil ih res ursprünglichen Volumens verdichtete. »Paß auf!« flüsterte Lartog. »Wenn alle Projektoren eingeschaltet sind, dann ergibt sich an den Rändern des Tanks eine Interfe renzzone, die Wirkung der Strahlung wird aufgehoben. Andernfalls würden nämlich auch die Wände und das ganze Schiff ver dichtet, und das …« »Wäre ziemlich peinlich!« meinte Ipraha. »Das weiß ich schon. Worauf willst du hin aus?« »Wenn wir nur einen Projektor einschal ten«, sprach Lartog leise weiter, »wird auf der gegenüberliegenden Seite die Wand ver dichtet -und durch diese Lücke können wir fliehen!« »Heiliges Arkon!« stöhnte Ipraha auf. »Mann, bist du von Sinnen? Was, glaubst du, wird mit uns geschehen, wenn wir versu chen, durch dieses Loch zu fliehen? Wir werden genauso verkleinert, wie die Stütz massen! Und überhaupt – woher willst du
5 die Energie nehmen, um auch nur einen der Projektoren in Betrieb zu setzen?« »Der Reihe nach!« wehrte Lartog ab. »Als Energiequelle werden wir die kleinen Batterien unserer Armbandgeräte nehmen!« »Damit kannst du nicht einmal die Kabi nenbeleuchtung des Kommandanten betrei ben, geschweige denn einen solchen Projek tor!« »Laß mich ausreden!« meinte Lartog grimmig. »Natürlich reicht die Energie nicht aus – aber sie wird für Sekundenbruchteile wirken, vor allem dann, wenn wir mehrere Batterien zusammenschalten. In dieser kurz en Zeitspanne wird die gegenüberliegende Wand vermutlich so sehr in ihrer Molekular struktur erschüttert, daß wir uns einen Weg bahnen können. Eine Gefahr für uns besteht nicht, das Feld wird blitzschnell wieder zu sammenbrechen!« »Hört sich nicht schlecht an!« bemerkte Ipraha anerkennend. »Und wie willst du die nötige Zahl von Batterien zusammenbekom men?« »Wir müssen den Kommandanten bitten, uns zu helfen!« sagte Lartog grimmig. Ipraha lachte kurz, dann ahmte er die Stimme des Kommandanten nach: »Meine Herren, ich bin entsetzt. Sie wer den doch nicht allen Ernstes mein Schiff be schädigen wollen? Warten Sie ab, es wird sich schon alles zum Guten wenden. Wo ist bloß mein Kamm geblieben, meine Haare sind ganz verfilzt. Diese Barbaren in der Zentrale – sie hätten mir wenigstens mein Haarwasser lassen können!« Lartog biß sich in den Unterarm, um nicht laut loszuplatzen; Iprahas Karrikatur war fast noch treffender als der Kommandant selbst. Lartogs Körper schüttelte sich in Krämpfen, denn er durfte um keinen Preis lachen. So weichlich der Kommandant auch normalerweise sein mochte -bei Disziplin verstößen griff Grahn Tionte unerbittlich durch. Als sich Lartogs Lachen wieder gelegt hatte, murmelte der Leutnant: »Es wird nicht anders gehen, wir müssen
6 zum Kommandanten!« »Wie du meinst!« gab Ipraha zurück. »Aber du weißt hoffentlich, worauf du dich einläßt?« »Nur zu gut!« lautete Lartogs brummige Antwort. Grahn Tionte hörte sich den Vorschlag der beiden Leutnants aufmerksam an, dann nickte er langsam und antwortete: »Können Sie eine Garantie übernehmen, daß der Projektor uns nicht zermalmen wird, wenn Ihr Versuch fehlschlägt?« »Dafür gibt es keine Garantie, Sir!« stellte er ruhig fest. »Aber ich glaube, daß die Wahrscheinlichkeit eines solchen Fehl schlags wesentlich geringer ist als die Wahr scheinlichkeit, kurz nach der Landung von den Kaperern abgeschlachtet zu werden. Wir wissen zwar nicht, was die Eroberer planen, aber sie werden sicherlich keinen Wert auf überflüssige Zeugen legen!« »Sie haben recht, Leutnant!« stimmte Ti onte zu; nachdenklich fuhr er mit den Fin gern durch sein schulterlanges Haar. »Wir müssen wohl oder übel etwas unterneh men!« Er winkte den beiden Männern, sich zu entfernen. Sofort machten sich Lartog und Ipraha an die Arbeit. Es dauerte nur kurze Zeit, dann lagen vor ihren Füßen knapp dreißig Batterien aus Armbandgeräten. Mehr wollte Lartog nicht einsetzen -wenn es zum Kampf kam, muß ten wenigstens ein paar Männer übrigblei ben, mit denen man sich per Funk verständi gen konnte. Mühsam wurde die Arbeit erst, als es galt, die einzelnen Batterien miteinan der zu koppeln. Lartog mußte ein Armband völlig demontieren, um genügend Kabel zu bekommen, mit denen man die Batterien verbinden konnte. Beide Männer gingen mit größter Vorsicht vor. Je mehr Batterien sie zusammensteckten, desto größer wurde das Risiko, eine Detonation heraufzubeschwö ren. Nach halbstündiger Arbeit atmete Lar tog erleichtert auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Männer legten eine Pause ein, denn das große Luk über ih
Peter Terrid ren Köpfen öffnete sich, und Roboter ver sorgten die Gefangenen mit Lebensmitteln und Wasser. Sobald die Robots verschwun den waren und der Tank wieder im Halb dunkel lag, begannen Ipraha und Lartog da mit, die Verkleidung des Projektors zu ent fernen. Hätte es nicht einer der Gefangenen geschafft, ein Flottenmesser aus beschußver dichtetem Arkonstahl in die Haft einzu schmuggeln, wäre Lartogs Versuch zum Scheitern verurteilt gewesen – die Schrau ben an der Verkleidung des Projektors wa ren offenbar in der Werft von Robotern mit maschinenhafter Kraft angezogen worden. Lartog blieb nichts anderes übrig, als die Bleche regelrecht aufzuschneiden – eine Ar beit, die seine Kräfte stark beanspruchte. Nach mehr als zwei Stunden lag endlich der Projektor frei vor den beiden Männern. Behutsam unterbrach Lartog die Energiezu fuhr des Geräts – man konnte nicht wissen, was geschah, wenn eine neue Energiequelle in den Kreislauf eingeschaltet wurde. Inter essiert stellte Lartog fest, daß der Projektor sechzehnfach gesichert war. Rasch wurde ihm klar, warum der Aufwand getrieben wurde – wenn einer der Projektoren ausfiel, blähte sich das verdichtete Material der Stützmassen in rasender Geschwindigkeit auf. Es gab kein Material, das dem Ansturm solcher Gewalten gewachsen war. Selbst be ster Arkonstahl wäre einer solchen Bela stung erlegen. Die Folge wäre die völlige Vernichtung des Schiffes gewesen. »Ich glaube, wir sollten noch etwas war ten!« schlug Ipraha plötzlich vor. »Kennst du das Geräusch?« Mit einer Handbewegung schaffte Lartog Ruhe, dann lauschte er. Er brauchte einige Zeit, bis er herausgefunden hatte, was Ipraha mit seinen Worten gemeint hatte. Sobald Lartog die Verschiebungen begriffen hatte, die sich aus seinem jetzigen Aufenthaltsort ergaben, konnte er das Geräusch identifizie ren. Diesen Lärm konnte man – allerdings stark verändert – in der Zentrale hören, wenn die Triebwerke mit voller Belastung liefen. Dazwischen mischten sich die typi
Der geheimnisvolle Barbar schen Geräusche hochgefahrener Sprung feldgeneratoren. »Eine Transition wird vorbereitet!« flü sterte Ipraha. »Wir sollten noch etwas war ten. Wenige Minuten nach dem Sprung wird die Aufmerksamkeit in der Zentrale nachlas sen!« Lartog wußte, daß sein Freund recht hatte. Normalerweise waren die ersten Minuten nach einer Transition spannungsgeladen schließlich konnte man nie wissen, in wes sen Nähe man wieder aus dem Hyperraum heraustrat. Immer wieder kam es vor, daß dreiste Piraten mit geradezu atemberauben der Sicherheit genau in Schußweite standen, wenn voll beladene Frachter rematerialisier ten. Bevor die überraschte Crew des Frach ters überhaupt begriff, was geschehen war, hatten einige Salven bereits den weiteren Verbleib der Ladung entschieden. War dieser kritische Zeitpunkt vorbei, ließ die Aufmerksamkeit der Männer in der Zen trale meist schlagartig nach. Diesen Augen blick wollte Lartog ausnutzen. Er wartete geduldig ab, bis der ziehende Schmerz im Nacken abgeklungen war, dann stellte er die Verbindung zwischen dem Bat teriepaket und dem Projektor her. Der verzweifelte Sprung, mit dem er sich augenblicklich zur Seite warf, rettete sein Leben. Eine meterlange Stichflamme schoß aus dem Projektor, dann detonierten mit ge waltigem Krachen die zusammengeschalte ten Batterien. Die meisten Männer hatten sich vorsichtshalber schon in Sicherheit ge bracht, nur Lartog und Tionte wurden von den Auswirkungen des Experiments betrof fen. Lartog wurde noch im Sprung von der Druckwelle erfaßt. Er wirbelte umher, prall te hart auf den stählernen Boden des Tanks und überschlug sich mehrfach. Er stöhnte unterdrückt auf, als er sich aufrichtete, aber der Schmerz verging schlagartig, als er sei nen Kommandanten sah. Tionte war genau in die Ausläufer der Stichflamme hineingerannt. Viel geschehen war ihm nicht – die Kraft der Flamme hatte nicht dazu ausgereicht. Aber sein prachtvol
7 les Haar -links war das Gesicht völlig ge schwärzt, darüber waren die schwärzlichen Stummel des abgesengten Haares zu sehen. Tiontes Augen begannen zu tränen; der Kommandant wischte sich mit der Hand über das geschwärzte Gesicht, dann versuch te er sein Haar zu ordnen. Es war eine Be wegung, die jeder an Bord kannte. Tionte sah nicht, wie ihn die Mannschaft anstarrte, mit angehaltenem Atem auf das Unvermeid liche wartete. Tiontes Hand hielt inne; er blinzelte. Langsam bewegte sich die Hand des Kommandanten weiter; gleichzeitig weiteten sich die roten Augen des Kapitäns. Mit zit ternden Fingern strich Tionte über die ver sengte Zierde seines Hauptes, er schluckte nervös. Langsam tastete der Kommandant auf dem Kopf herum, dann drehte er sich zeitlupenhaft langsam um. In seinen Augen flackerte Mordlust. Der Blick galt Lartog, der zögernd zurückwich. »Sie …«, sagte Tionte drohend. »Sie …!« Tionte stieß ein undeutliches Knurren'aus und kam langsam näher. Als er sich mit ei nem Satz auf Lartog werfen wollte, sprang dieser rasch zur Seite – der Weg zurück wurde ihm von der stählernen Wand des Tanks beschnitten. Tionte verfehlte den Leutnant und prallte auf die Wand. Eine Wolke feinsten Metallstaubs wallte auf, und Tionte verschwand darin, nur der Schrei war zu hören, mit dem er auf der anderen Seite der Tankwand landete. »Geschafft!« jubelte Ipraha. »Wir sind frei!« »Noch nicht!« wehrte Lartog ab; eine Gruppe von Männern hatte ihn umringt und strengte sich nach Kräften an, seine Schul tern zu klopfen. »Wir brauchen Waffen – und dann müssen wir zuerst den Privatzoo der Kaperer vernichten. Ihr wißt hoffentlich, wie gefährlich diese Biester sind?« Langsam legte sich der Staub, und die Sicht wurde frei. Lartog beugte sich über den Rand des Loches, das der Projektor in die Tankwand gerissen hatte. Auf der ande ren Seite erkannte er vier Meter tief unter
8 sich seinen Kommandanten, der sich gerade mühsam aufrichtete und seine Glieder beta stete. Über und über war Tionte mit schwärzlichem Metallstaub bepudert. »Der Ärmste wird allerhand Mühe haben, sich zu bewegen!« murmelte Ipraha, der sei nen Kopf neben den Lartogs geschoben hat te. Er sah den fragenden Blick seines Freun des und erklärte: »Ich schätze, daß unser verehrter Herr Kommandant knapp die Hälfte des Staubes am Körper mit sich herumträgt – und dieser Staub entspricht in seinem Gesicht genau der Hälfte der Masse, die jetzt in der Tank wand fehlt!« Lartog sah sich das Loch an, schätzte die Dicke der Wand und grinste boshaft. Nach seiner Berechnung schleppte Tionte jetzt an nähernd sechzig Kilogramm Metallstaub mit sich herum, aufgeteilt in mikroskopisch klei ne, aber dafür sehr schwere Körner aus ver dichtetem Stahl. Tionte schien nach einiger Zeit begriffen zu haben, warum seine Beine plötzlich so sehr beansprucht wurden. Ein düsteres Grollen klang zu Lartog hinauf. Immerhin hatte der Kommandant den Sturz ohne ärgere Blessuren getötet. »Besten Dank!« sagte ich leise und un deutlich; der Unterkiefer schmerzte, ihm war der Kontakt mit dem Arkonstahl nicht gut bekommen – der Strahlschuß hätte ihn aller dings noch übler zugerichtet. »Ich gehe runter!« entschied sich Fartu loon. »Einer von uns muß die Reserveleit stelle besetzen!« Natürlich, daran hätte ich fast nicht ge dacht. Wie fast jedes Schiff im Arkonidi schen Imperium konnte auch unser Schiff von zwei verschiedenen Stellen aus gelenkt werden. Normalerweise diente dazu die Zen trale, aber im Gefahrenfall gab es noch eine Reserveleitstelle, von der aus das Schiff in Katastrophenschaltung gesteuert werden konnte. Wenn es den Gefangenen gelang, diesen Ort vor uns zu erreichen, sah es übel aus – vermutlich wußte Tionte sehr genau, mit welchen Schaltungen er die Zentral
Peter Terrid steuerung völlig wirkungslos machen konn te. Gelang ihm das, dann brauchte er nur noch die Zentrale abriegeln zu lassen – der Rest war dann simpel. Wenn wir nicht auf paßten, dann stand meinen Gefährten und mir ein erneuter Besuch beim Blinden Sof gart in Aussicht, der mit Sicherheit ein ande res Ende nehmen würde als der erste. Während Fartuloon verschwand, versuch ten wir, uns in der Zentrale zu verschanzen. Betrübt stellte ich fest, daß die KARRETON diesen Absichten nicht sonderlich entgegen kam. Das Schiff war eigentlich als For schungsschiff gedacht – das bedeutete, daß die Zentrale auch Wissenschaftlern zugäng lich war, mithin einer entschieden zu großen Zahl von Personen. Der Versuch, sich hier wirkungsvoll zu verteidigen glich dem Ex periment, einen Wasserfall mit der bloßen Hand aufzuhalten. Glücklicherweise gingen die Angreifer nicht übermäßig geschickt zu Werke. Vier Mann versuchten, die Zentrale im Frontalan griff zu nehmen – sie kamen mit großem Tempo angeschwebt, diesmal von unten, und nahmen im Vorbeiflug die Zentrale un ter Feuer. Offenbar legten sie Wert darauf, die Zentrale möglichst unbeschädigt zurück zuerobern – die Männer verwendeten wie wir Paralysatoren, mit denen sie pausenlos quer durch die Zentrale feuerten, aber glück licherweise niemanden trafen. Corpkor rich tete sich abrupt auf und erwiderte das Feuer. Zwei der Männer wurden getroffen und schwebten regungslos neben ihren Waffen in die Höhe. Ein zweiter Angriff dieser Art endete mit dem Ausfall von vier weiteren angreifenden Männern. »Wenn die Burschen ihre Taktik nicht än dern«, meinte Eiskralle, »werden wir sie bald wie reife Früchte einsammeln können!« Corpkor, der sichtlich Mühe hatte, seinen Haß auf die Tiermörder im Zaum zu halten, unternahm einen wagemutigen Ausfall zum Zentralschacht. Er kam gerade rechtzeitig, um drei weitere Männer noch im Anflug zu überraschen und auszuschalten. Kurze Zeit später erschienen wieder vier Gestalten, die
Der geheimnisvolle Barbar wir aber unbehelligt ließen. Sie waren schon betäubt. Corpkor stieß ein unterdrücktes Kichern aus. »Prachtvoll!« meinte er grinsend. »Die Männer, die wir betäubt haben, hängen ent weder frei in der Luft, oder sie fahren auf und ab, je nachdem wie das Feld geschaltet ist!« Er hatte zwei weitere Schüsse in die Höhe abgegeben und damit zwei weitere Angrei fer außer Gefecht gesetzt. Es blieben also noch einunddreißig Gegner übrig – mehr als genug, um uns gefangenzunehmen. Immer wieder tauchten Gestalten in den vielen Tü ren und Öffnungen auf, gaben ein paar kurze Feuerstöße ab und verschwanden wieder. Dabei erwies sich die Geräumigkeit der Zen trale für uns als Vorteil. Meist feuerten die Angreifer blindlings und trafen nicht einmal annähernd. Sobald sie aber versuchten, sich Zeit zum Zielen zu nehmen, wurden sie zur Beute unserer Waffen. Dennoch war abzuse hen, wann der Kampf ein Ende finden wür de. Corpkor wurde von einem Schuß am Bein gestreift und teilweise ausgeschaltet. Irgendwann würde einer der blinden Schüs se besser treffen. Ich warf einen Blick auf Ra. Der Barbar grinste über das ganze braun gebrannte Gesicht; seine Augen leuchteten. Offenbar fand er am Kampf Gefallen. Sei nen Paralysator handhabte er mit Geschick und Präzision. Ra schoß nur, wenn er sich seines Zieles sicher war, und er traf jedesmal. Ich konnte mich zu diesem prachtvol len Mitkämpfer nur beglückwünschen. Um so überraschter war ich, als Ra plötz lich seine Waffe ablegte und zu den Schalt pulten hinüberging. Ich wollte ihn zurück halten, aber mit einer herrischen Handbewe gung scheuchte er mich zurück. Als ich sah, daß er die Verkleidungen der Pulte abmon tierte, überlief mich ein Frösteln. »Keine Aufregung!« ermahnte mich mein Extrahirn. »Ra weiß, was er tut!« Es blieb keine Zeit, das Extrahirn nach der Quelle seiner Erkenntnis zu fragen, denn
9 im gleichen Augenblick erschien Fartuloons Gesicht auf einem Monitor. »Es wird langsam brenzlig hier!« sagte er finster. »Die Burschen rücken mir immer näher auf die Haut. Ich werde mich hier nicht mehr lange halten können. Wie sieht es in der Zentrale aus?« Ich rechnete kurz nach. »Wir haben schätzungsweise achtzehn Mann getroffen und ausgeschaltet!« berich tete ich dem Bauchaufschneider. »Weitere sechs kannst du unter meinem Namen abbuchen!« erklärte er grinsend. »Nur weiter so!« Er schaltete nicht ab, damit ich jederzeit über das Geschehen in der Reserveleitstelle informiert war. Mein Blick galt wieder Ra. Der Barbar hantierte mit selbstmörderi scher Gelassenheit in dem Wirrwarr von Ka beln, Leitungen und Schaltungen herum; wenn er einen falschen Handgriff machte, war er verloren. In den Schaltpulten liefen Leitungen, mit denen man Kleinstädte mit Energie hätte versorgen können. Entgeistert sah ich zu, wie er mit den Zähnen an ein Ka bel heranging – und es tatsächlich schaffte, das Kabel zu lösen. Glücklicherweise ließ sich Corpkor nicht auch von diesem Anblick faszinieren, er sorgte weiter dafür, daß kei ner der Angreifer um mehr als eine Fußbrei te in die Zentrale gelangte. Langsam begriff ich, was Ra eigentlich tat. Er hatte sich die Feldregler für die Anti gravs vorgenommen, außerdem fingerte er an den Hauptleitungen herum; die von den Antennen zum Funkgerät führten. Er ver band die beiden Schaltblöcke in einer haar sträubenden Art und Weise, dann grinste er zufrieden und nahm seine Waffe wieder auf. Im gleichen Augenblick erschienen wie der drei Gestalten im zentralen Antigrav schacht; sie kamen mit hoher Geschwindig keit herabgeschossen und richteten ihre Pa ralysatoren auf die Zentrale. Aber sie schossen nicht. Ihre Bewegung wurde jäh gebremst, und vor Schreck ließen sie ihre Waffen los. Auf wärts ruckten ihre Körper, sanken langsam
10 ein Stück, um dann einen Meter tief zu fal len. Eine unheimliche Gewalt schüttelte die Männer durch, deren Gesichter sich grünlich verfärbten. Offenbar wurden sie so hin und her ge schüttelt, daß ihr Gleichgewichtssinn außer Rand und Band geriet. »Admiral an Flottenstab«, las der Chret kor grinsend. »Das Manöver ist völlig ver pfuscht worden. Besonders …« Ich begriff schlagartig. Ra hatte die eingehenden Impulse der An tennen auf die Antigravregler geschaltet; jetzt pulsierten die schwerkraftaufhebenden Felder im Rhythmus, den die einlaufenden Funksprüche diktierten. Auch ich mußte grinsen – dies waren die ersten Männer, die buchstäblich nach den Worten ihrer Vorge setzten tanzten. Für einen geübten Funker war es ein leichtes, aus den ruckartigen Be wegungen der drei Männer den Text des Funkspruches abzulesen. Unsere Freude über diesen prächtigen Einfall Ras hielt nicht lange vor. Tionte ließ die verbliebenen Männer zum Sturmangriff auf die Zentrale antreten. Zur Vorbereitung ließ er einige Männer mit rasch improvisierten Gasbomben starten. Zunächst bemerkten wir die Bomben nicht, aber als für wenige Sekunden der Kampf lärm völlig verflachte, hörte ich hinter mir ein leises Zischen. Sofort ließ ich die Kapu ze meines Anzugs hochschnappen; der An zug stellte sich auf Eigenbelüftung um und füllte rasch den Innenraum, bis die Kapuze aufgeblasen war und meinen Kopf vor dem Gas schützen konnte. Auch meine Gefährten hatten blitzartig reagiert – aber zu spät. Ich hatte nicht viel von dem Gas abbe kommen, doch die Menge reichte. Wenn die Jungens unbedingt mit uns Ha schen spielen wollten, dann sollten sie nur kommen. Ich warf den Paralysator weg und versteckte mich hinter dem Kommandanten sessel. »Sucht mich doch!« rief ich den eindrin genden Soldaten entgegen.
Peter Terrid Auch meine Gefährten hielten sich die Bäuche vor Lachen, als die Gefangenen/in die Zentrale stürmten. Zwei der Männer stürzten sich auf mich und rissen mich zu Boden. Das ging dann doch zu weit. Ich verab reichte einem der Männer einen kräftigen Fußtritt, der ihn einige Meter weit über den Boden kollern ließ. Dabei riß er noch einen weiteren Mann zu Boden, der eine Samm lung erlesener Flüche zum besten gab. Wenn es Schönheitsprädikate für Keile reien gab, hätte diese Schlägerei einen be sonderen Orden verdient. Das Gas hatte eine teuflische Wirkung, mit der weder wir noch die Angreifer gerechnet hatten. Ich hielt die ganze Angelegenheit für einen grandiosen Spaß und verhielt mich demgemäß. Ich trat und schlug um mich, ließ die Männer durch die Luft fliegen und ergötzte mich an den skurrilen Bewegungen. Besonderen Spaß machte es, Ra zuzusehen. Von der Raffinesse, mit der er vor wenigen Minuten noch in den technischen Einrich tungen der Zentrale gewütet hatte, war nichts mehr zu sehen. Er benutzte seinen Pa ralysator als Keule und drosch auf seine Gegner ein. Für einige Sekunden glaubte ich, er sei überwältigt, als sich vier Männer gleichzeitig auf ihn stürzten und ihn unter sich begruben. Dann aber ließ der Barbar seine Muskeln spielen – wie Spielzeug flo gen die Angreifer durch die Luft und krach ten auf den Boden der Zentrale. Laut la chend sprang Ra wieder auf die Füße und stürzte sich mit freudigem Brüllen auf die nächststehenden Männer, die erschrocken zurückwichen. Mit ungeheurer Körperkraft griff Ra nach einem der Männer, stemmte ihn in die Höhe und schleuderte ihn dann den anderen entgegen. Bevor ich dazu kam, mich über die durch einanderpurzelnden Männer zu freuen, er klang ein Geräusch, das innerhalb weniger Sekundenbruchteile alle Euphorie hinweg fegte. Das auf und ab schwellende Heulen be deutete höchste Lebensgefahr.
Der geheimnisvolle Barbar Sowohl die Gefangenen als auch wir wa ren so in unsere Auseinandersetzung vertieft gewesen, daß wir die einfachsten Vorsichts maßregeln außer acht gelassen hatten. Nie mand hatte auf die Maschinen geachtet. Jetzt war einer der Reaktoren heißgelau fen, vielleicht sogar mehrere. In jedem Au genblick konnte eines der Aggregate seine Energie entladen – in das Schiff hinein. Ein bulliger Leutnant reagierte als erster. Er sprang zum Schaltpult des Komman danten und hieb mit der geballten Faust auf den dunkelrot leuchtenden Alarmknopf. Während der größte Teil der Männer fas sungslos stehenblieb und sich entgeistert an starrte, eilte ich zum Sessel des Kopiloten und ließ mich hineinfallen. So schnell es ging, betätigte ich die Luf tumwälzbedienung; das teuflische Gas muß te rasch abgepumpt werden. Während der Leutnant mit rasender Geschwindigkeit die Schotten dichtete, leitete ich die frei werden den Reaktorenergien auf die Triebwerke. Die KARRETON beschleunigte mit Irr sinnswerten. Mehrere Gravos kamen trotz der Andruckneutralisatoren durch und preß ten uns in die Sitze. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie die Männer in der Zen trale in die Knie gingen und zu Boden stürz ten. Ein Höllenlärm brach in der Zentrale los – in das Tosen der Triebwerke mischte sich das Heulen der Reaktoren. Männer schrien wild durcheinander, und über allem lag das nervtötende Gewimmer der Alarmsirenen. Ich schnappte nach Luft, als sich der An druck für Sekundenbruchteile verstärkte; vor meinen Augen wallten farbige Schleier. Mit letzter Kraft gelang es mir, einen Teil der Energien, die die hochfahrenden Reaktoren im Übermaß erzeugten, auf die Neutralisato ren zu schalten. Schlagartig wich der mörde rische Druck. Es dauerte nur wenige Sekun den, bis die Besatzung der KARRETON reagierte – so, wie man es von Männern er warten konnte, die das Akonidische Imperi um aufgebaut hatten. Die Männer eilten auf ihre Positionen und setzten sich hinter ihre Kontrollen.
11 Jetzt kam uns das Gefecht in der Zentrale teuer zu stehen – die Männer, die wir so wir kungsvoll ausgeschaltet hatten, fehlten nun an allen Enden. Zwar ließen sich Schiffe im Katastrophenfall auch von einem Bruchteil der Besatzung führen -aber auch nur grob. Meist war dies bei Fluchtbewegungen der Fall – hier aber standen wTir vor rein techni schen Aufgaben, bei denen jeder Mann drin gend gebraucht wurde. »Leutnant Ipraha«, kommandierte der Mann neben mir. »Versuchen Sie, in die Maschinenzentrale zu kommen. Ich möchte wissen, was genau dort vorgeht!« Der hagere Arkonide, dem die Anrede galt, hetzte davon. Anerkennend stellte ich fest, daß er genügend Geistesgegenwart be saß, nicht den Versuch zu unternehmen, den zentralen Antigravschacht zu benutzen – der war noch immer eine Falle. In dem kurzen Augenblick, den die Kontrollen mir ließen, sah ich mich nach dem Wilden um. Ra stand teilnahmslos, an die Wandung der Verklei dung des Antigravschachts gelehnt und schi en nicht wahrzunehmen, was um ihn herum geschah. Mir entgingen auch nicht die re spektvollen Blicke einiger Männer, die un sanfte Bekanntschaft mit den Muskeln des Barbaren gemacht hatten. Ich hatte keine Zeit, mich um Ra zu küm mern. Das Schiff erforderte meine ganze Aufmerksamkeit. Ich konnte mir gratulieren, daß ich neben mir einen Mann sitzen hatte, der den nötigen klaren Kopf besaß, um diese Notlage nicht nur Katastrophe werden zu lassen. »Leutnant Ipraha an Schiffsführung!« Der hagere Arkonide auf dem Bildschirm grinste verwegen; offenbar fand er Gefallen an dem Umstand, daß nicht der eigentliche Kom mandant im Sessel des Piloten Platz genom men hatte. »Die Lage sieht düster aus. Die Reaktoren sieben und acht sind heißgelau fen. Der Automatlader nimmt keine Gegen programmierung an und füllt immer größer werdende Mengen Material in die Konver ter. Wenn nicht bald etwas geschieht, fliegt uns der ganze Laden um die Ohren!« –
12 Schade, daß diese Männer meine Gegner waren, dachte ich unwillkürlich, als ich die lässige Meldung des Leutnants hörte. »Eines Tages werden diese Männer auf deiner Seite sein!« mischte sich mein Extra sinn ein. »Uns bleibt nur eine Möglichkeit«, erklär te ich. »Wir müssen versuchen, die über schüssigen Energien bei einer Kurztransition aufzuzehren.« »Wir müssen einen Notruf absetzen!« er klang aus einem Winkel der Zentrale eine Stimme, die ich als die Grahn Tiontes wie dererkannte. Der Mann selbst machte einen arg zerrupften Eindruck. »Kein Piepser geht aus den Antennen!« ertönte das Organ von Eiskralle; der Chret kor hatte wieder die Rolle des Funkers über nommen. Eiskralle hatte in doppeltem Sinne recht. Ein Funkspruch hätte uns keinen Vorteil ge bracht. Bis Rettungsschiffe eingetroffen wä ren, hätte der Reaktor zehnmal Zeit gehabt, das Schiff in eine Glutwolke zu verwandeln. Und mir konnte nur daran gelegen sein, kei ne Zeugen in der Nähe zu wissen. Einstweilen hatte ohnedies keiner der we nigen Männer Zeit, sich mit Eiskralle um die Kontrolle des Funkgerätes zu raufen. Wir waren vollauf damit beschäftigt, die uner bittlich herantickende Katastrophe noch ab zuwenden. »Programmieren Sie eine Kurztransiti on!« befahl ich dem Leutnant im Pilotensitz. Ich sah, wie der stämmige Mann die Lip pen zu einem Grinsen verzog. Es war eine höchst eigentümliche Lage, daß wir für ver mutlich kurze Zeit zusammenarbeiten muß ten, um unser nacktes Leben zu retten. Alles andere war jetzt völlig nebensächlich. Der Leutnant tippte ein paar Werte in die Positronik, die den komplizierten Transiti onsvorgang steuerte und überwachte. Ich konnte nur hoffen, daß der junge Mann ein gutes Gedächtnis besaß, denn er verzichtete darauf, den Kartentank zu benutzen und dort ein Ziel auszusuchen. »Keine Sorge!« mischte sich mein Extra
Peter Terrid sinn ein. »Die Koordinaten entsprechen nicht denen Arkons!« Ich zuckte unwillkürlich zusammen, denn an diese Möglichkeit hatte ich überhaupt nicht gedacht – es wäre dem Leutnant leicht gefallen, einen Kurs nach Arkon zu pro grammieren. Die nötigen Daten hatte jeder arkonidische Raumfahrer im Kopf. Dort hät te die KARRETON technische Hilfe, wir aber hätten vermutlich ein rasches Ende ge funden. »Ich habe nicht Arkon programmiert!« bemerkte der Leutnant mit einem Seiten blick; offenbar hatte er mein Zusammen zucken bemerkt. Unter uns steigerte sich das Heulen der Reaktoren zu einem infernalischen Krei schen. Der gesamte Schiffskörper begann zu schwingen, und aus einigen Monitoren bröckelte Glas. In der Zentrale verbreitete sich der widerliche Geruch zerschmorter Kabel. »Noch zehn Minuten!« berichtete Ipraha, der plötzlich wieder in der Zentrale aufge taucht war. »Reicht die Zeit?« Es wurde ein Wettlauf mit dem Tode, das wurde mir beim ersten Blick auf die Kon trollen klar. Bis zum Erreichen einer genü gend hohen Geschwindigkeit mußten noch knapp neun Minuten verstreichen … Rauch wallte auf und zwang zum Husten, obendrein wurde der Gestank immer uner träglicher. Einstweilen konnten wir nicht viel tun. Wir mußten warten, bis die KAR RETON in Transition ging. Einen Sprung mit niedriger Fahrt konnte ich nicht wagen – er hätte das Schiff in Stücke gerissen, zu mindest aber so schwer beschädigt, daß wir ohne Werfthilfe nicht mehr flottgekommen wären. Und an dem Besuch einiger Ret tungsschiffe war mir aus offenkundigen Gründen wenig gelegen. Trotz meiner Zusatzschaltung kamen im mer wieder einige Gravos durch und preßten uns in die Sitze. In der Zentrale begannen die Temperaturen rasch zu steigen; Schweiß trat mir auf die Stirn und lief mir in die Au gen. Hinter mir hörte ich das Stöhnen und
Der geheimnisvolle Barbar Keuchen der Männer, die ebenfalls vom Qualm und vom Andruck gepeinigt wurden. Vor mir brach der Panoramaschirm aus einander und überschüttete mich mit einer Sturzflut von Glaskrümeln. In der schwärzli chen Höhlung, die sich nunmehr vor mir auf tat, begann ein Kabelbrand; ich wollte auf springen, aber die Gurte, die die Rettungsau tomatik des Sessels längst um mich schlun gen hatte, hielten mich zurück. Dann rissen die Aggregate die KARRE TON in den Hyperraum.
2. Wir hatten Glück gehabt, die Transition war gelungen. Aber die KARRETON machte einen üb len Eindruck; zwei große Löcher klafften in der Außenwand. Einer der Reaktoren war detoniert, hatte seine Energie aber glückli cherweise in den Raum abgegeben. Die Zen trale bot ein Bild der Zerstörung, aber ich sah schnell, daß die Schäden nur halb so schlimm waren, wie es den Anschein hatte. Die Verwüstungen konnte man mit Bordmit teln in wenigen Tagen wieder beheben. Die anderen Beschädigungen waren weit ernster; sie konnte man im freien Raum nicht beheben. Es war unumgänglich, daß wir uns einen geeigneten Planeten aussuch ten, dort landeten und die Reparaturen dort durchführten. In der Zentrale herrschte eine gespannte Atmosphäre; für uns kam alles darauf an, daß wir in der nächsten Zeit bestimmten, was an Bord geschah. Vor allen Dingen durften wir nicht funken – und dieser Wunsch stieß natürlich auf keine große Ge genliebe bei der Besatzung der KARRE TON. Einstweilen hatten wir jedoch die Ober hand. In dem allgemeinen Durcheinander nach der Transition hatte sich der Chretkor den Impulswandler des Funkgeräts angeeignet. Ohne dieses Bauteil konnte der Sender nicht betrieben werden. Da keiner der Arkoniden
13 wußte, wer von uns das Gerät bei sich trug, waren ihnen vorläufig die Hände gebunden. Zudem erforderte die Lage des Schiffes die Arbeit aller – hätten wir unseren Streit in der beschädigten KARRETON ausgetragen, wä re das für alle das Ende gewesen. So mußten wir notgedrungen zusammen arbeiten; die Sicherheit des Schiffes ging vor. Während die Besatzung sich damit be schäftigte, die Schäden in der Zentrale aus zubessern, betrachtete ich mir den Sektor des Raumes, in den uns die verzweifelte Kurztransition getragen hatte. Das Bild auf dem kleinen Monitor hatte längst nicht die Klarheit und Übersichtlich keit wie der große Panoramaschirm, dessen Krümel noch den Boden der Zentrale be deckten. Aber eine andere Möglichkeit, den uns umgebenden Raum zu betrachten, gab es nicht. Ich wußte nicht, warum sich der Leutnant ausgerechnet für diese Koordinaten ent schieden hatte. Immerhin war seine Wahl aus meiner Sicht gut getroffen. Wir waren in einem völlig bedeutungslosen Sonnensystem herausgekommen. Um eine blaßrote Sonne kreiste ein einsamer Planet, der nach den er sten Berechnungen der Positronik zur Lan dung geeignet war. Nach den Meßergebnis sen besaß der Planet eine dünne SauerstoffStickstoff-Atmosphäre. Schuld daran war seine geringe Schwer kraft von nur null Komma sechs Einheiten. Kalt würde es vermutlich ebenfalls werden – die Positronik schätzte die durchschnittliche Temperatur auf siebzehn Grad. Kein einla dender Planet, aber für unsere Zwecke brauchbar. Während sich die KARRETON mit kra chenden Triebwerken in langsamer Fahrt dem Planeten näherte, mußten wir eine sehr unangenehme Feststellung machen. Bei der Detonation des Reaktors war eine beträchtli che Strahlungsdosis freigeworden, und der größte Teil der Radioaktivität steckte nun in den Lagerräumen für Konzentratnahrung. Auch der größte Teil des Trinkwassers
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brachte die Zählrohre zum Pfeifen. »Hoffentlich gibt es auf dem Planeten ein paar attraktive Mädchen!« meinte ein Mann niedergeschlagen. »Ich glaube nämlich nicht, daß wir je wieder von dieser Welt abf liegen werden!« »Es sei denn«, setzte Tionte den Gedan ken fort, »wir funken um Hilfe!« Die Männer in der Zentrale starrten mich finster an, aber ich zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Abwarten!« sagte ich kühl. »Schließlich habe auch ich keine Lust, mein Leben auf dieser Welt zu beschließen!« Dieses Argument schien Eindruck zu ma chen; ich sah, wie einige Männer zustim mend brummten und nickten. Noch kettete uns die gemeinsame Notlage zusammen – fraglich war, was geschehen würde, wenn die KARRETON wieder voll raumtauglich war. Ich mußte mir etwas einfallen lassen für den Zeitpunkt, an dem die Zwangsver brüderung ein Ende fand.
* Das Schiff zitterte in allen Verbänden, als wir uns langsam auf den Planeten herabbe wegten. Wir mogelten uns förmlich auf den Boden, nutzten jeden Trick aus, der die Triebwerke entlasten konnte. In der Zentrale waren weiße Gesichter vorherrschend – nur Ra strahlte eine fast unnatürliche Ruhe aus. Er schien eine besondere Beziehung zum zentralen Antigrav zu haben; den größten Teil der Zeit verbrachte er dort und musterte die Besatzung. Die letzten dreißig Meter bis zum Boden legten wir im freien Fall zurück; die Genera toren der Schwerkraftaufheber gaben abrupt den Geist auf und ließen das Schiff ab sacken. Ich glaubte sehen zu können, wie die Hydraulikflüssigkeit aus den Landebei nen spritzte, als das Schiff aufsetzte. Lang sam neigte sich die KARRETON, drei der Landestützen fanden keinen sicheren Grund und ließen das Schiff seitlich abkippen. Ein gewaltiger Schlag ging durch den Rumpf,
als die Bordwand auf dem Boden des Plane ten auftraf. Kreischend gab das Metall nach und verformte sich; in der Zentrale flogen Männer und Geräte durcheinander. Als sich die Kugel endlich beruhigt hatte, sah die Zentrale wieder so wüst aus wie nach der Transition – und die Männer machten den gleichen zerschmetterten Eindruck. Als erstes schickte ich ein halbes Dutzend Robots los, mit dem Auftrag, die nähere Umgebung zu erkunden. Ich wollte nicht Gefahr laufen, plötzlich von einer Horde schwertschwingender Barbaren überrascht zu werden. Außerdem wollte ich sicherge hen, nicht von irgendeiner unbekannten Pe stilenz dahingerafft zu werden. Dieses Sy stem war offenbar noch nie von Arkoniden angesteuert worden, folglich enthielt die Po sitronik auch keine genaueren Angaben. Ich wandte mich an den stämmigen Leutnant, der den Sprung programmiert hatte. »Ganz einfach!« erklärte der Mann auf meine Frage. »Vor etlichen Jahren mußte ich schon einmal einen Verzweiflungs sprung wagen, weil uns eine Flotte von Pira ten auf den Fersen war. Damals sind wir ge nau neben einer beginnenden Nova heraus gekommen und konnten uns nur mit letzter Kraft freifliegen. Seit diesem Tag habe ich für alle Fälle ein halbes Dutzend Koordina ten im Kopf, wo garantiert keine Gefahr be steht!« Ich nickte anerkennend; der Mann hatte Umsicht und einen klaren Kopf. Zudem war er entschlußfreudig und selbstbewußt – wie sich aus der Art ergab, mit der er seinen Kommandanten behandelte. Tionte war seit seiner Gefangennahme ein gebrochener Mann, und seine Männer hielten nicht mehr sehr viel von ihm. Der Verlust seiner Haar pracht hatte ihn vollends zerstört. Immer wieder nahm er die Perücke ab, betrachtete sich schaudernd in irgendeinem spiegelnden Metallteil und setzte anschließend resignie rend das Kunsthaar wieder auf. Nach einiger Zeit kehrten die Robots zu rück; ihre Botschaft war nicht allzu stim mungshebend.
Der geheimnisvolle Barbar Intelligentes Leben hatten sie nicht be merkt – aber auch kein anderes. Wir hatten uns offenbar eine Region des Planeten aus gesucht, die so kahl war wie Tiontes Schä del. Endgültig schockiert waren die Männer, als die Robots leidenschaftslos berichteten, sie hätten auch kein Wasser gefunden. »Ausgeschlossen!« protestierte der Leut nant neben mir. »Auf Welten dieser Art gibt es immer Wasser!« »Hier offenbar nicht, Herr!« antwortete einer der Robots. Der Leutnant sah mich an. »Es wird einen anderen Ausweg geben!« sagte er eindringlich. »Wir müssen Arkon anfunken und um Hilfe bitten!« Von Ra kam ein verächtliches Grunzen. Der Barbar machte eine herrische Kopfbe wegung. Er bedeutete mir, ihm zu folgen. Zusammen verließen wir das Schiff. Der Anblick der KARRETON erforderte starke Nerven. Drei Landestützen ragten verdreht in die klare Luft; das stumpfsilberne Metall war geschwärzt – austretende Hydraulikflüssig keit war verbrannt und hatte den Überzug gebildet, der auch große Teile der einge drückten Bordwand bedeckte. Die KARRE TON war auf einer Seite stark eingedrückt, und an den Versorgungsleitungen des Ring wulstes hing ein ausgebranntes Triebwerksteil und pendelte langsam hin und her. Ich brachte mich rechtzeitig in Sicherheit, bevor die tonnenschwere Düse abstürzen und mich zerquetschen konnte. In der Bordwand klaff ten etliche Löcher. Teils stammten sie von der Explosion des Reaktors, teils waren sie beim Herausbrechen der Landestützen ent standen. Ich wußte nicht, wie die KARRETON mit Ersatzteilen bestückt war, aber daß eine höl lische Arbeit vor uns lag, war auf den ersten Blick zu sehen. Wenn überhaupt, konnten wir das Schiff nur notdürftig wieder zusam menflicken – endgültig raumtüchtig machen konnten wir die KARRETON nur auf Krau mon. »Oder auf Arkon!« kommentierte mein
15 Extrasinn mit leisem Spott. Hinter mir war ein leises Stöhnen zu hö ren; es stammte von dem Leutnant, der mir gefolgt war und ziemlich bedrückt drein schaute. »Glauben Sie, daß wir diese Verwüstung wieder beseitigen können?« fragte er zwei felnd. »Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben!« gab ich freundlich zurück; der Mann bedachte mich mit einem skeptischen Blick, dann zuckte er mit den Schultern. Inzwischen hatte sich Ra eingehend mit dem Boden beschäftigt; was er dort suchte, war mir unklar, aber der Barbar stieß ein zu friedenes Knurren aus. Er deutete auf den Boden und zog mich näher. Ich sah nur Fels, eine Handvoll Staub lag darauf, aber sonst war nichts von Bedeutung zu sehen. Ra sah mich leicht verwundert an, dann schüttelte er den Kopf – sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, der für mich alles andere als schmeichelhaft war. Er kniete nieder und zerrte mich ebenfalls in die Knie. Dann wischte er ganz sanft über den Staub – darunter erschienen ein paar Kratzer auf dem harten Fels. Ra seufzte, als er mein ver ständnisloses Gesicht sah, dann formte er mit der Hand eine Kralle und kratzte über den Fels. »Er meint, daß dieses eine Tierspur ist!« rief der Leutnant freudig, verzog aber sofort wieder das Gesicht. »Glauben Sie wirklich, daß dieser Barbar mehr erkannt hat als unse re Spezialroboter?« »Es sieht so aus!« kommentierte ich. Ra hatte inzwischen aus dem überall um herliegenden Schrott der KARRETON ein handliches Stück Metall gefunden, mit dem er sich bewaffnete. Zufrieden brummend marschierte Ra zwi schen den Felsen weiter bergauf; vor einem Felsen blieb er stehen und betastete den Stein, dann holte er mit der Keule aus und schlug zu. Ein Stück des Felsens splitterte ab, poröses Gestein wurde sichtbar – und ein breiter Strahl klaren, kalten Wassers. Der Leutnant zwinkerte überrascht mit den Au
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gen, und auch ich brauchte einige Zeit, bis dauern, bis der Körper genügend rote Blut ich begriffen hatte. körperchen gebildet hatte, um dieses Handi »Es handelt sich um Kalkgestein!« erklär kap auszugleichen. In der Zeit während der te mein Extrasinn. »Der Fels ist im Innern Umstellung mußten wir uns vor großen kör porös und hat das Wasser gespeichert – nur perlichen Anstrengungen hüten – lange hätte die äußere Schale ist undurchdringlich. So der Körper die doppelte Belastung nicht aus bald sie entfernt wird, tritt das Wasser zuta gehalten. ge!« »Die Reparatur wird länger als eine Wo Eine einleuchtende Erklärung für einen che dauern«, berichtete mir der Extrasinn. Vorgang, der auf den ersten Blick stark nach Ich seufzte leise auf. Eine Woche war viel einem Wunder aussah. Während der Leut Zeit, besonders für einen Mann, der wie ich nant und ich tranken, war Ra verschwunden. ein Gejagter war. Ich versuchte gar nicht erst, nach ihm zu ru Neben mir erklangen merkwürdige Ge fen – er würde sicherlich nicht auf mich hö räusche; ich drehte mich herum und sah Ra. ren. Unter diesen Umständen wog der In Daß der Barbar beim Essen eine wahre Ge stinkt des Barbaren die Kalkulationsfähig räuschlawine ertönen ließ, hatte mich nicht keit großer Positroniken auf. Wir setzten uns weiter verwundert. Jetzt hockte Ra mit un neben der Quelle auf den Boden und warte tergeschlagenen Beinen vor dem Feuer und ten. sang – gutturale, unverständliche Laute, die Es dauerte nicht lange, bis Ra wieder er auf merkwürdige Weise wehmütig klangen. schien, über das ganze Gesicht grinsend. Der Barbar schien völlig in den Anblick der Auf seinem Rücken trug er ein Stück Wild – lebhaft züngelnden Flammen versunken zu offenbar eines der Tiere, deren Spuren er sein. vorher gefunden hatte. Vom Schädel des Immerhin war er offenbar fähig, zu spre Tieres war nicht mehr viel zu sehen, Ra hat chen. Bisher hatte er sich nur durch Knur te seine Keule wirkungsvoll eingesetzt. Der ren, Grunzen und Handbewegungen ver Rest aber ließ hoffen, daß wir unsere Nah ständlich gemacht, und ich war langsam zu rungsprobleme wenigstens zum Teil gelöst der Überzeugung gekommen, der Barbar hatten. Daß Ra unter dem Arm auch noch könne nicht sprechen. Der Gesang aber, den ein dickes Bündel Feuerholz schleppte, war er jetzt produzierte, enthielt genügend Laute, nach dem Vorhergegangenen nicht weiter die auch in der Sprache Arkons auftauchten verwunderlich. -und intelligent genug für ein Gespräch war Das Fleisch des Tieres war in gebratenem Ra mit Sicherheit. Ein Mann, der mit traum Zustand fast eine Delikatesse – vor allem die wandlerischer Sicherheit in dem Kabelge Knochen verwandelten sich durch das Feuer wirr der Schaltpulte wühlen konnte, mußte in eine zwar zähe, aber hervorragend fähig sein, vernünftige Sätze von sich zu ge schmeckende Masse. Beim Ausweiden des ben. Tieres benutzte Ra ein neues Werkzeug – einen faustgroßen Stein, der deutliche Zei * chen von Bearbeitung aufwies. Dank der Ohne den Barbaren wären wir verloren scharfen Kanten war das erbeutete Wild in gewesen. kurzer Zeit ausgenommen und zerlegt. Immer wieder war es Ra, der Wild auf Erst nach einiger Zeit fiel mir auf, daß ich spürte, Wasserquellen entdeckte und uns so erheblich schneller atmete als gewöhnlich. mit dem Notwendigsten versorgte. Während Ich sah auf das Kombigerät am rechten der Barbar jagte, waren die anderen Männer Handgelenk und nickte grimmig. Die Luft mit dem Ausbessern der KARRETON be hülle des Planeten war ungefähr so dicht wie schäftigt. Wie sich herausstellte, waren die in einem Hochgebirge; es würde einige Zeit
Der geheimnisvolle Barbar Schäden nicht ganz so groß, wie ich be fürchtet hatte. Zudem waren die Möglichkei ten, Reparaturen durchzuführen, besser als erwartet – die Lager der KARRETON waren bis an den Rand gefüllt. So kostete es uns nur wenige Stunden, die Antigravprojekto ren des Schiffes wieder instand zu setzen und die KARRETON aufzurichten. An schließend wurden die Landestützen wieder hergestellt und die tiefen Beulen in der Bordwand ausgebessert. Was dann noch zu tun blieb, war größtenteils Kleinarbeit. Zahl lose Leitungen mußten geflickt und an schließend geprüft werden, bevor man sie wieder verwenden konnte. Mit diesen und ähnlichen Arbeiten waren wir tagelang be schäftigt. Aber immer wieder kippten Männer um, die sich zuviel zugemutet hatten. Mehr als eine Stunde angestrengter Arbeit war nicht möglich – dann mußte erst eine Stunde lang gerastet werden. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und setzte mich auf den sandigen Bo den; ächzend folgte Fartuloon meinem Bei spiel. Wie das scheppernde Geräusch ein deutig verriet, hatte er sich auch jetzt nicht von seiner Rüstung getrennt. »Ich muß mit dir sprechen!« sagte er keu chend. Das Atmen schmerzte fast, aber ich glaubte bemerkt zu haben, daß die Anpas sung langsam begann und sich von Tag zu Tag verstärkte. »Erinnerst du dich an den Einbau der drit ten Landestütze?« erkundigte sich der Bauchaufschneider. Ich verneinte, während ich mit beiden Händen einen Becher umklammert hielt, der eine dunkle Flüssigkeit enthielt, die aroma tisch schmeckte und vor allem heiß war. Auch dies war eine kleine Überraschung von Ra. Er hatte einen Strauch aufgestöbert, sei ne Blätter gepflückt und auf geheimnisvolle Weise bearbeitet, natürlich an seiner Feuer stelle. Seit unserer Bruchlandung brannte bei Tag und Nacht ein Feuer auf dem Planeten, und Ra sorgte mit nimmermüdem Eifer da
17 für, daß die Flammen nie erloschen. Auf dem Feuer hatte er einige Liter Wasser zum Kochen gebracht, einen Leinwandbeutel mit den Blättern des Strauches gefüllt und für kurze Zeit in das Wasser gehalten. Dann hat te er uns die dunkle Brühe vorgesetzt. Sie schmeckte gut, wirkte leicht anregend auf das zentrale Nervensystem – und war heiß. Das war das Wichtigste, denn die Nächte des Planeten waren empfindlich kühl, und auch tagsüber stiegen die Temperaturen nur selten über den Gefrierpunkt. Offenbar war in der Region, in der wir die KARRETON abgesetzt hatten, gerade Frühling. »Wir waren mit unserer Arbeit fast fer tig«, berichtete Fartuloon, nachdem er einen kleinen Schluck aus seinem Becher genom men hatte, »als uns auffiel, daß in der Lan destütze der Druckausgleichsregler fehlte!« Er sah mich bedeutungsvoll an, und ich überlegte, welche Aufgabe dieses Gerät ha ben konnte. Es wollte mir nicht einfallen, aber nach Fartuloons Gesichtsausdruck zu schließen, mußte es sehr bedeutungsvoll sein. Der Bauchaufschneider sah mir an, daß ich ihm nicht recht folgen konnte, seufzte leise und fuhr fort: »Es handelt sich dabei um einen kleinen Kasten, quaderförmig und nicht wesentlich größer als unsere Becher. Ohne Druckaus gleichsregler ist eine Landestütze nicht mehr wert als ihr Material. Wir sahen im Lager raum nach. Natürlich erklärte uns die Po sitronik, daß das Ersatzteil genau in dem Raum gelagert war, der von der Bruchlan dung am empfindlichsten getroffen worden war. Schätzungsweise dreißig- bis vierzig tausend verschiedene Geräte lagen in dem Raum herum, hübsch unordentlich, versteht sich! Wir hätten wochenlang suchen können …« »Wenn nicht zufällig Ra vorbeigekom men wäre«, setzte ich seinen Bericht grin send fort. »Rein zufällig schleppte er den ge suchten Regler schon geraume Zeit mit sich herum!« »Genau das meinte ich«, bemerkte Fartu
18 loon. »Übrigens hat er den Regler auch selbst eingebaut. Keine Werftmannschaft hätte es besser machen können! Woher hat Ra diese Kenntnisse?« Ich zuckte mit den Schultern. Das Rätsel Ra wurde täglich größer. Es gab Augenblicke, da konnte der Verdacht aufkommen, er habe die KARRETON ei genhändig zusammengebaut, so sicher wa ren seine Handgriffe. Kurze Zeit später konnte er sich wieder wie ein Wilder betra gen und pfundweise Fleisch in sich hinein schlingen. »Er trägt am Hals einen Faustkeil aus Stein!« berichtete ich Fartuloon. »Das läßt darauf schließen, daß er einer ziemlich aus gereiften Steinzeitkultur entspringt!« »Gewiß!« bestätigte Fartuloon grimmig. »Sein Volk kennt zwar keine eisernen Mes ser – aber dafür liegen allenthalben Druck ausgleichsregler herum, und jeder Barbar weiß genau, wie man die Kästen in arkonidi sche Landestützen einzubauen hat!« Wider Willen mußte ich lachen; Fartuloon hatte auf sarkastische Art den Widerspruch offengelegt, der auch mich beschäftigte. Langsam sagte ich: »Ich vermute, daß Ras Volk schon einige Male Kontakt mit Raumfahrern gehabt hat! Das würde manches erklären!« »Und wer sollte das gewesen sein?« woll te Fartuloon wissen. »Arkoniden mit Sicher heit nicht, sonst wüßten unsere Positroniken davon. Wahrscheinlich sind es Fremde ge wesen, eine Rasse, die wir noch gar nicht kennen. Das würde übrigens auch erklären, warum Orbanaschol Ra unbedingt in seine Gewalt bringen will!« Eine neue Vermutung drängte sich mir auf; sie war zwar etwas abseitig, aber nicht gänzlich von der Hand zu weisen. War es möglich, daß die Spur zum Stein der Weisen über Ra führte? Diese Vermutung würde die Gier Orbanaschols nach dem Barbaren noch besser verständlich machen als Fartuloons Überlegungen. Ich sagte dem Bauchauf schneider, was mir eingefallen sei und er wiegte bedächtig den Kopf.
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»Eine etwas gewagte Schlußfolgerung«, meinte der nachdenklich. »Sie stützt sich ei gentlich nur auf zwei Umstände: erstens Or banaschols Wunsch, Ra in seine Gewalt zu bringen, und zweitens den Faustkeil, den Ra auf der Brust hängen hat!« »Wahrscheinlichkeit dreiundzwanzig Pro zent!« erklärte mein Extrasinn knapp. Das war nicht viel – aber ich hatte im stil len mit einer weit geringeren Wahrschein lichkeit gerechnet. Immerhin – ich nahm mir vor, diese Fährte zu verfolgen, sobald ich Gelegenheit dazu fand. Es konnte nur noch einen Tag dauern, dann war die KARRE TON wieder so weit instand gesetzt, um den Flug nach Kraumon wagen zu können.
* »Morgen wir die KARRETON startklar sein!« bemerkte Lartog in das Dunkel der Kabine hinein. »Bekannt!« kam die Stimme Iprahas aus der Finsternis. »Laß mich schlafen, diese Arbeit zermürbt mein graziles Knochenge stell!« Lartog grinste; sein Freund war so hager, daß viele sich fragten, wo sich die Muskeln versteckt hatten, die zur Bewegung der ein zelnen Skeletteile nötig waren. »Ich frage mich, wer morgen bestimmen wird, wohin die Reise geht!« überlegte Lar tog laut. »Das wird Atlan morgen schon rechtzeitig bekannt geben!« knurrte Ipraha bitter. »Tionte wird ohnedies erst dann wieder Ar kon aufsuchen wollen, wenn seine Haare nachgewachsen sind – und das kann dau ern!« »Ich fürchte, du hast recht!« murmelte Lartog; ächzend drehte er sich im Bett her um. »Und wie stellst du dich dazu? Wo möchtest du gerne hinfliegen?« »Ganz gleich!« kam die Antwort – un deutlich, weil Ipraha das Gesicht in die Kis sen gedrückt hatte. »Hauptsache, es gibt ge nug zu essen!« Das war eine weitere Eigentümlichkeit
Der geheimnisvolle Barbar Iprahas; er verzehrte Nahrungsmittel in Mengen, die eine vielköpfige Familie gesät tigt hätten. Trotz dieser Mast blieb der Leut nant dürr und knochig. In Gedanken ließ Lartog die Genüsse vor sich aufbauen, die Arkon zu bieten hatte, an schließend überlegte er, was ihn erwarten mochte, wenn Atlan den Kurs bestimmte. Der Vergleich fiel zugunsten Arkons aus. »Auf Arkon werde ich erwartet!« setzte Lartog das Gespräch fort. »Wenn es die Steuerfahndung ist«, klang es dumpf von Ipraha, »kannst du dir gratu lieren. Die holen dich selbst aus dem Innern einer Supernova wieder heraus!« »Ich meine ein Mädchen!« bemerkte Lar tog. »Dann ist nur die Frage«, meinte Ipraha spöttisch, »wer von euch beiden sich als er stes bei Atlan für die geplatzte Ehe be dankt!« Seine Stimme klang nun klarer; er hatte sich aufgerichtet, da die Unterhaltung einen Verlauf nahm, der ihm zusagte. Lartog gab ein Knurren von sich und fuhr fort: »Denk nach! Wir haben nur drei Möglich keiten: erstens, wir schließen uns Atlan an!« »Dann drehen uns Orbanaschols Leib wächter bei erster sich bietender Gelegen heit die Hälse um!« überlegte Ipraha. »Zweitens«, fuhr Lartog fort. »Wir flie gen mit Atlan, bleiben aber seine Gegner!« »In diesem Fall sind wir für unabsehbare Zeit seine Gefangenen!« knurrte Ipraha. »Drittens«, zählte Lartog auf. »Wir neh men Atlan und seine Helfer gefangen und liefern sie den zuständigen Behörden auf Ar kon aus!« »Nicht übel!« meinte Ipraha. »Vielleicht gibt es sogar Betonungen? Was hast du vor?« Nachdem Lartog seinen Plan entwickelt hatte, zogen sich die beiden Männer an und verließen ihre Kabine. Im Schiff rührte sich nichts, nur in der Zentrale erkannte Lartog den seltsamen Begleiter Atlans, durch den man hindurchschauen konnte. Ein leises
19 Frösteln überkam Lartog, als er im Anti gravschacht durch die Zentrale schwebte und dabei für wenige Augenblicke das Herz des Chretkors schlagen sehen konnte. Eiskralle war damit beschäftigt, den Raum in der Nähe des Planeten zu beobachten und nahm daher die beiden geräuschlos vorbei schwebenden Männer nicht wahr. Nach kur zer Zeit hatten die beiden Leutnants die Ka binen des Kommandanten erreicht. Um kei nen Lärm zu machen, schlüpften sie in das Innere, ohne vorher anzuklopfen. In der Ka bine herrschte ein schwaches Dämmerlicht, in dem Lartog deutlich den Kommandanten in seinem Bett sehen konnte. Ohnedies ver riet Tionte seinen Standort durch ausdauern des Schnarchen. Geräuschlos trat Lartog an das Bett und legte eine Hand über den Mund Tiontes. Der Mann erwachte und bäumte sich auf; genau damit hatte Lartog gerechnet, und der Hilferuf Tiontes erstickte zwischen seinen Fingern. »Leise!« flüsterte Lartog, während Ipraha Licht machte. »Was fällt Ihnen ein!« zischte Tionte wü tend; seine erste Bewegung galt der Perücke, die er über den Schädel stülpte. »Sind Sie wahnsinnig geworden?« »Keineswegs!« widersprach Lartog ruhig. »Wir haben einen Plan, wie wir Atlan über winden können!« Tionte warf dem Leutnant einen abschät zenden Blick zu. »Gut!« sagte er endlich. »Reden Sie!« »Atlan ist im Besitz des Impulswandlers«, erklärte Lartog. »Wir können also nicht Ar kon um Hilfe anfunken. Zum Ausgleich werden wir den Decoder ausbauen, der zwi schen Kartentank und Positronik sitzt. Ohne den Decoder fliegt die KARRETON keine Lichtstunde weit!« »Wir haben vorher nachgesehen«, setzte Ipraha fort. »Es gibt kein zweites Gerät die ser Art an Bord. Wir hatten einmal fünf Stück, aber die haben unsere Landung nicht überstanden!« »Und was haben Sie anschließend mit
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Peter Terrid
dem Gerät vor?« wollte Tionte wissen; es war ihm anzusehen, wie sehr er die Aussicht genoß, endlich Atlan als der Stärkere gegen übertreten zu können. »Einen Kampf können wir uns nicht leisten. Das Schiff ist so wrack, daß wir jeden Mann zum Start brau chen!« »Auch daran haben wir gedacht!« bedeu tete ihm Lartog. »Wir verlassen zusammen mit ein paar Freiwilligen das Schiff und ver stecken uns draußen auf dem Planeten. At lan hat es eilig, er kann es sich nicht leisten, auf uns zu warten, bis wir freiwillig zurück kehren. Folglich wird er uns nachkommen müssen. Während er durch die Wüste tappt, kehren wir zurück, überwältigen den Rest von Atlans Truppe und starten die KARRE TON! Ihr Plan hat einen Haken, Leutnant!« warf Tionte ein; seine Züge hatten sich gestrafft, und er wirkte wieder wesentlich selbstbe wußter. »Wegen der Anpeilungsgefahr kön nen Sie keinen Gleiter benutzen. Sie und Ih re Truppe werden marschieren müssen. At lan aber kann sich einen Gleiter nehmen und Sie in kürzester Zeit ausfindig machen!« »Schwerlich!« meinte Ipraha lächelnd. »Wir haben bereits sämtliche Fahrzeuge un schädlich gemacht. Atlan wird laufen müs sen wir wir!« »Ausgezeichnet!« lobte Grahn Tionte. »Wie viele Männer wollen Sie mitnehmen?« »Außer Ipraha noch sechs Mann!« schlug der Leutnant vor. »Wenn wir Atlan zwingen, seine Truppe aufzuteilen, wird ihr Kampf wert erheblich sinken. Acht Männer sollten genügen, um ihm nötigenfalls Widerstand leisten zu können!« »Sie haben sehr umsichtig gehandelt, Leutnant!« erklärte Tionte zufrieden. »Führen Sie Ihren Plan aus. Viel Glück!«
3. Vor mir stand ein völlig verwandelter Grahn Tionte; er grinste mich höhnisch an. Fartuloon murmelte Flüche, während Corp kor die Fäuste ballte. Eiskralle spielte mit
seinen todbringenden Händen und betrachte te dabei den Kommandanten. Die Besatzung der KARRETON – acht Mann fehlten, hatte ich rasch herausgefunden – sah teilnahmslos drein. Die meisten Männer waren von den Reparaturarbeiten ausgelaugt und abge stumpft. Der Decoder war verschwunden, zusam men mit den acht Männern; die Gleiter wa ren unbrauchbar, die KARRETON ein be wegungsunfähiger Metallhaufen. Ich wußte auch, wer an diesem Dilemma die Schuld trug – der junge Leutnant, der seine Fähig keiten zum zweiten Male unter Beweis stell te, diesmal leider gegen mich. »Sie haben die Wahl«, erklärte mir Tionte höhnisch. »Entweder beschließen Sie ihr Le ben auf dieser Ödwelt – oder als Gefangener Orbanaschols!« Er sprach brutal aus, was sich aus meiner Lage ergab, und beide Möglichkeiten er schienen mir nur wenig verlockend. Es gab nur eine Alternative – ich mußte das Schiff verlassen und den Leutnant aufstöbern. Mein Blick fiel auf Ra, der ruhig auf seinem Lieblingsplatz stand; er nickte mir grinsend zu. Ich drehte mich auf dem Absatz herum und ließ Tionte stehen, dann suchte ich mir meine Ausrüstung zusammen. Sie mußte vor allen Dingen leicht sein, denn in der dünnen Luft des Planeten wog jedes überflüssige Gramm doppelt und dreifach. Wer mein Be gleiter sein würde, war klar – es kam nur Ra in Frage. Vorsichtshalber gab ich meinen anderen Freunden den Rat, sich einen wich tigen Punkt des Schiffes auszusuchen und unausgesetzt zu bewachen. Ich wollte ver hindern, daß die KARRETON ohne mich abflog. Doch ich war mir darüber im klaren, daß meine Aussichten verzweifelt schlecht wa ren.
* Wer die ARK SUMMIA erhalten will, muß körperlich und geistig in Höchstform
Der geheimnisvolle Barbar sein. Die Ereignisse, die dieser Prüfung folg ten, hatten mir gar keine Zeit gelassen, Speck anzusetzen. Ich fühlte mich leistungs fähig, aber die Ödwelt war stärker. Dem Tempo, das Ra vorlegte, vermochte ich nur mit Mühe zu folgen. Der Barbar schien genau zu wissen, wo der Leutnant sich versteckt hatte. Ohne zu zögern, hatte er sich nach dem Aufbruch nach Osten gewandt und war los marschiert. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm vertrauensvoll zu folgen. Ich vertraute ihm tatsächlich. Ra sprach nicht, und ich konnte nicht ein mal annähernd ahnen, was dieser Mann dachte und empfand. Aber er hatte mir bis zu diesem Zeitpunkt geholfen, und ich sah keinen Grund, seinen Handbewegungen nicht Folge zu leisten. Ab und zu grinste der Barbar unverschämt, wenn ich nach Luft schnappend stehenblieb. »Warte nur«, murmelte ich. »Eines Tages wird auch dir die Luft wegbleiben!« Ra machte eine wegwerfende Handbewe gung. Offenbar hatte er meine leisen Worte nicht nur gehört, sondern auch verstanden. Wieso redete der Barbar nicht? Wer eine fremde Sprache verstehen kann, müßte sich auch darin ausdrücken können. Konnte Ra nicht sprechen oder wollte er nicht? »Vielleicht hat er einen Schwur getan?« überlegte mein Extrahirn. »Vielleicht ist er auch durch einen Schock stumm geworden!« Das Grübeln über Ra half mir nicht wei ter. Vor uns türmte sich eine Felswand auf, die wir erklimmen mußten – das jedenfalls besagten die Handzeichen, mit denen Ra mich vorwärts trieb. Wir hatten knapp zwei hundert Meter zu ersteigen, was unter nor malen Umständen nicht sehr schwierig ge wesen wäre, da der Fuß überall guten Halt fand. Aber unter den Bedingungen dieses Planeten wurde der Aufstieg zu einer mörde rischen Strapaze. Ra und ich hatten darauf verzichtet, schwere Kampfanzüge zu benut zen, die flugtauglich waren und uns wesent lich geholfen hätten – aber die Energiequel
21 len in den breiten Gürteln konnten angepeilt werden. So mußten wir die Felswand nach Bergsteigerart bezwingen. Auf halber Höhe überkam mich der erste Anfall. Vor meinen Augen verdunkelte sich alles, und in meinen Ohren glaubte ich den Schlag meines Herzens tausendfach ver stärkt zu spüren. Mein Puls raste, und ich spürte, wie meine Knie weich wurden. Hätte nicht Ra gedankenschnell zugegriffen und mich gehalten, hätte ich Sekunden später zerschmettert am Fuß der Felswand gelegen. Es dauerte fast zwei Stunden, bis wir die ses Hindernis überwunden hatten. Vor wenigen Tagen noch hatten die Ro bots hier keinerlei lieben feststellen können; inzwischen mußte Regen gefallen sein – die Hochebene glänzte in saftigem Grün, durch setzt von betäubend duftenden, großkelchi gen Blumen in allen Farben des Spektrums. Vermutlich würde die Pracht ebenso schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen war – diese Welt war rauh und hart, aber auch hier hatten es Lebensformen geschafft, sich anzupassen. Ra beugte sich nieder und untersuchte die Spuren. Ich konnte nichts sehen. Dort, wo die Männer des Leutnants hätten Fußspuren hin terlassen müssen, wuchs dichtes Gras mit langen, seidenweichen Blättern. Ich ging ei nige Schritte und blickte zurück. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann hatten sich die Gräser, die mein Tritt geknickt hatte, wieder aufgerichtet. Von meinen Schritten war nach kurzer Zeit nichts mehr zu sehen. Für mich nicht – wohl aber für Ra. Der Barbar zögerte keinen Augenblick, dann marschierte er los. Der Mann besaß die Instinktsicherheit eines Raubtiers; ich ahnte, daß sich für mich eine Quelle von Kenntnis sen und Informationen auftat, wenn es mir gelang, den rätselhaften Barbaren zum Re den zu bringen. »Wenn es dir überhaupt gelingt!« schränkte der Extrasinn ein. Wäre die dünne Luft nicht gewesen, hätte mich der Spaziergang erfreuen können. Auf
22 diesem Planeten hatte das Leben eine un heimlich wirkende Geschwindigkeit ent wickelt. Innerhalb weniger Stunden hatte sich der Grasteppich gebildet, und während wir marschierten, entstand vor unseren Au gen ein dichter, fast undurchdringlich er scheinender Urwald. Man konnte förmlich sehen, wie sich die Keimlinge aus der Erde schoben und in die Höhe strebten. Während einer halbstündigen Rast, die wir meiner Er schöpfung wegen einlegen mußten, wuchs ein Baum in der Nähe unseres Rastplatzes um mehr als zwei Meter. Gleichzeitig ver kümmerte das Gras so schnell, daß man den Vorgang sehen konnte. Ra nickte zufrieden. In dem Maße, in dem sich das Gras zurückbildete, wurden die Spuren deutlicher, die Lartog und seine Männer gemacht hatten. Mißmutig stellte ich fest, daß sie an der gleichen Stelle gera stet hatten wie wir. Es war uns also nicht ge lungen, ihren Vorsprung zu verkürzen. Wir marschierten weiter. Als sich die Dämmerung über die Ödwelt senkte, stellte Ra einige Fackeln her; nach den vorherge gangenen Ereignissen empfand ich es als selbstverständlich, daß der Barbar ohne Zö gern sofort die harzhaltigste Baumsorte her ausfand. Leicht überrascht war ich, als wir gleichzeitig begannen, abgebrochene Äste handlich zurechtzuschneiden, und ich meine Arbeit mit dem Flottenmesser aus Arkon stahl wesentlich später beendete als Ra, der sich seines Faustkeils mit artistischer Ge wandtheit bediente. Im Licht der Fackeln marschierten wir weiter, so lange, bis sich der Wald zurück zubilden begann. Im Verlauf einer Stunde schrumpften die bis zu dreißig Meter hohen Bäume zu kaum hüfthohen Krüppelgewäch sen zusammen, die vermutlich bis zum Mor gen ebenfalls verschwunden sein würden. Auch unsere Fackeln unterlagen diesem Pro zeß – sie zerbröckelten zwischen unseren Fingern. Es blieb uns nichts anderes übrig, als zu rasten. Zwar führten wir für den Not fall starke Handscheinwerfer mit, aber deren Licht hätte kilometerweit gesehen werden
Peter Terrid können. Da die Ödwelt keinen Mond besaß, war es nachts absolut dunkel – zumal die Sonne des Planeten in einem extrem sternen armen Sektor stand. Bevor ich mich zum Schlafen niederlegte, horchte ich noch sorg fältig, aber es war nichts zu hören, außer dem leisen Geräusch des Sandes, der vom Wind bewegt wurde.
*
Ursprünglich hatte ich vorgehabt, noch in der Nacht einige Kilometer weit zu gehen, aber Ra hatte mich mit kräftigen Rippenstö ßen davon abgebracht. Als die blaßrote Son ne sich über den Horizont schob und Ra mich mit einem ermunternden Fußtritt auf schreckte, konnte ich sehen, wie recht der Barbar gehabt hatte. Nur hundert Meter vor uns klaffte ein Felsspalt, in den wir mit Si cherheit abgestürzt wären. Ich schluckte be troffen, während der Barbar Grimassen schnitt. Er mußte schon geraume Zeit vor mir er wacht sein, denn neben uns brannte ein Feu er. Auf einem improvisierten Grill drehte Ra zwei gerupfte Vögel, die einen appetitanre genden Geruch verströmten. »Für sich selbst hätte er die Tiere nicht gebraten!« stellte mein Extrasinn lakonisch fest. »Er nimmt Rücksicht auf deine Eßge wohnheiten!« Diese Aufmerksamkeit ließ mich die rüde Art vergessen, in der er mich geweckt hatte. Die Tiere schmeckten hervorragend. Ra hat te einen guten Fang gemacht, obwohl mir rätselhaft war, woher die Vögel gekommen waren. Während wir aßen, sah ich in einiger Entfernung eine dünne Rauchsäule aufstei gen. Dort saßen vermutlich Lartog und seine Männer beim Frühstück. Sobald wir unsere Mahlzeit beendet hat ten, setzten wir den Marsch fort, aber die Felsspalte gebot uns sofort Halt. Ich ver suchte, die Distanz zu schätzen – sie war auf jeden Fall größer, als wir überspringen konnten. Wie Lartog und seine Gefährten das Hindernis überwunden hatten, wußte ich
Der geheimnisvolle Barbar nicht, aber einer aus seiner Gruppe würde ihm fehlen. Wir sahen den zerschmetterten Körper des Unglücklichen auf dem Boden der Felsspalte liegen. Vermutlich war er beim Abstieg abgestürzt. Ra grunzte verächtlich, als er den Leich nam sah. Gelassen hockte er sich auf den Boden, rupfte büschelweise das Gras aus, das über Nacht wiedererstanden war, und begann ein Seil zu flechten. Ich sah ihm mit gemischten Gefühlen zu. Wollte der Barbar sich tatsächlich diesem Behelf anvertrauen? Ra streckte schnell den Fuß aus, hakte hinter meiner Ferse ein und riß mich zu Bo den. Knurrend drückte er mir ein Büschel Gras in die Hand. Auch wenn er nicht sprach, konnte er sich sehr verständlich aus drücken. Ich sah ihm auf die Finger, bevor ich daran ging, seinem Beispiel zu folgen. Nach einiger Zeit überprüfte Ra meine Ar beit, verzog angeekelt das Gesicht und warf mein Seil kurzerhand in den Spalt. Im ersten Augenblick war ich nahe daran, wütend zu werden. Was fiel diesem Barba ren ein, den Kristallprinzen derart verächt lich zu behandeln? Dann aber wurde mir klar, daß ich einstweilen keine Veranlassung hatte, auf meine Abstammung übermäßig stolz zu sein. Ich würgte meinen Ärger hin unter und startete einen zweiten Versuch. Nach einem halben Meter Seil – Ra hatte schon mehr als sechs Meter fertiggestellt – erfolgte die Kontrolle – mit dem gleichen Ergebnis. Diesmal wirkte Ra fast verärgert, als er meine Arbeit in den Abgrund warf. »Gut, gut!« murmelte ich in dem schau derhaften Arkonidisch, das in einigen Rand gebieten des Imperiums gesprochen wurde. »Die gute alte Faustpädagogik – einmal ich dir zeigen, zweimal, ich dir sagen, dreimal, ich dir schlagen Schädel ein!« Ra grinste mich an, als habe er die Worte verstanden. Immerhin hörte sich sein Knur ren schon wesentlich freundlicher an, als er meinem von meinem dritten Versuch nur die Hälfte vernichtete und mir den Rest zurück gab. Es dauerte fast eine Stunde, dann hörte Ra
23 auf; das Seil hatte inzwischen eine Länge von fast zwanzig Metern erreicht, dazu ka men noch einmal vier Meter aus meiner Pro duktion. Geschickt verband Ra die beiden Teile, dann griff er wortlos nach meinem Pa ralysatorgewehr und verknotete das Seil dar an. Auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht waren zwei Felsen zu erkennen, die dicht nebeneinander standen, in einem Abstand von wenigen Zentimetern. Ich be griff rasch, was der Barbar plante – er wollte den Paralysator so werfen, daß er hinter den Felsen niederfiel, das Seil aber zwischen den Steinen zu liegen kam. Wenn sein Flecht werk hielt, hatten wir einen fast bequemen Übergang gefunden. »Das Seil wird halten!« prophezeite mein Extrasinn. »Ra ist kein Narr wie du!« Der erste Wurf verfehlte sein Ziel. Ra knurrte finster und ich klopfte ihm unver schämt grinsend auf die Schulter. Ra ant wortete mit einem Brummen, in dem ich einen leicht sarkastischen Unterton zu hören glaubte. Auch sein zweiter Wurf landete ne ben dem Ziel. »Brauchst du Hilfe, mein Freund?« erkun digte ich mich freundlich; Ras Antwort be stand in einem Knurren. Beim dritten Versuch war Ra erfolgreich; er brüllte triumphierend auf und schlug mir befriedigt auf die Schulter. Hätte er nicht rechtzeitig zugegriffen, hätte mich sein Be geisterungsausbruch in die Felsspalte beför dert. Mit geschickten Handgriffen befestigte Ra das freie Ende des Seiles an einer Felsna del auf unserer Seite der Schlucht; mit kräf tigen Rucken prüfte er die Haltbarkeit der Verbindung und nickte zufrieden. Dann griff er mit beiden Händen zu und hangelte sich hinüber. Ich hielt unwillkürlich den Atem an und seufzte erleichtert auf, als ich die Ge stalt des Barbaren glücklich auf der anderen Seite ankommen sah. Ra winkte mir zu. Ich atmete tief ein und griff nach dem Seil, das sich wie eine seidene Schnur an fühlte. Ein Aufstöhnen kam über meine Lip
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pen, als das Seil unter meinem Gewicht nachgab und dann wieder zurückfederte. Der geflochtene Strick straffte sich, aber er hielt. Langsam hangelte ich hinüber; Ra half mir, als ich den anderen Rand der Felsspalte er reicht hatte. Ra grinste vergnügt, dann löste er den Strick von meinem Paralysator und übergab ihn mir. Er gab ein Knurren von sich und stemmte sich kraftvoll gegen einen der beiden Felsen, zwischen denen das Seil verlaufen war. Es gab ein Knirschen, dann bewegte sich der Stein und rollte auf den Abgrund zu, in dem er polternd verschwand. Ra lachte laut auf, während ich spürte, wie etwas Kaltes meinen Rücken hinunter lief.
*
digkeit bleibt«, teilte mir mein Logiksektor mit, »wirst du den Leutnant in zwei Tagen eingeholt haben!« Zwei Tage. Für meine Vorstellungen ein entschieden zu langer Zeitraum, aber mir blieb keine Wahl. Auf diesem lebensfeindli chen Planeten war ich auf den Barbaren an gewiesen, und Ra nahm keine Kommandos von mir an. Er knurrte nur unwillig, wenn ich ihm etwas vorschlug. Er betrachtete sich als den Führer dieser Expedition, und ich war ehrlich genug, zuzugeben, daß er damit recht hatte. Trotz der dünnen Luft marschierten wir bis zum Einbruch der Dämmerung fast zwanzig Kilometer weit in das Wüstenge biet; allerdings verließen wir die deutliche Spur der Männer vor uns. Ra führte mich einen anderen Weg, der am Abend an einer Wasserstelle sein Ende fand. Dort gab es keine Fußspuren – der Leut nant hatte die Oase verfehlt; wahrscheinlich würde er teuer für diesen Fehler bezahlen müssen. Unsere Vorräte waren völlig er schöpft, als wir das Wasserloch erreichten; wir tranken in langen gierigen Zügen von dem leicht brackig schmeckenden Wasser, dann füllten wir unsere Flaschen. Ra hatte einige Früchte anzubieten, ich steuerte eine Handvoll Konzentratnahrung bei. Die An strengungen des vorhergegangenen Tages hatten uns so erschöpft, daß wir innerhalb von Sekunden einschliefen.
Allmählich verkürzte sich der Vorsprung, den Lartogs Trupp vor uns hatte; das zeigte uns der immer kleiner werdende Abstand zu den Rauchfahnen, die von den Feuern der Männer aufstiegen. Wir selbst konnten nicht gesehen werden – Ra verstand es meister lich, rauchlose Feuer zu entfachen. Der Boden fiel allmählich ab, auch der Bewuchs wurde schwächer – es sah danach aus, als müßten wir bald ein ausgesproche nes Wüstengebiet durchwandern. Ich hatte leise Zweifel, ob die Instinktsicherheit, mit der sich der Barbar in der fremden Natur des Planeten bewegte, sich auch auf diesen Landstrich erstrecken würde. Bisher war es * ihm immer gelungen, wie aus dem Nichts die Dinge hervorzuzaubern, die wir brauch Ich erwachte, weil mich etwas kitzelte. ten – vor allem Wasser und Nahrungsmittel. »Keine Bewegung!« warnte mein Logik Am späten Nachmittag des Tages hatten sektor. Ich bekämpfte den Impuls, aufzuspringen, wir die Wüste erreicht, eine endlos erschei und rührte mich nicht. Das kitzlige Etwas nende Fläche, gewellt wie die Oberfläche ei hatte sich an meiner rechten Hand bewegt; nes Meeres. ich spürte den Druck kleiner, harter Füße, Die Spur unserer Gegner zeichnete sich klar in dem feinkörnigen Sand ab; jeder die sich langsam auf meinen Handteller hin aufbewegten. Das Kribbeln verstärkte sich, Fußtritt war deutlich zu erkennen. Wir folg als ein zweites Tier den gleichen Weg ein ten dieser Spur und marschierten in die Wü schlug – und ich bemerkte entsetzt, daß es ste hinein. noch wesentlich mehr dieser Plagegeister »Wenn der Marsch bei dieser Geschwin
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gab. Art Prozessionsstraße der skorpionähnlichen Der Sand um mich herum knisterte von Tiere ausgesucht. Das Krabbeln und Kni dem Krabbeln der Füße. Es konnten zehn stern schien kein Ende nehmen zu wollen. Exemplare sein, ebensogut aber auch tau Endlich war mein Gesicht wieder frei, das send. Die ersten Strahlen der aufgehenden quälende Jucken in der Nase verschwand. Sonne Schossen über den Horizont; ich Ich atmete so flach wie irgend möglich. spürte das Ansteigen der Temperatur auf Zwar hätte das Material meines Anzugs dem Gesicht und öffnete langsam die Au einen Stich wohl aufgefangen, aber mein gen. Gesicht und die Hände waren frei. Und auf Eines der Tiere war inzwischen bis auf jeder Hand bewegte sich eines der Tiere. meinen Brustkorb gelangt; deutlich konnte Die Zeit verging mit nervtötender Lang ich den Körper sehen. samkeit; ich konnte fast sehen, wie die blaß Ich zählte sechs Beine, vier Augen mit rote Scheibe der Sonne über den Horizont zahlreichen Pupillen und einen langen, hor kroch. Der Morgen war zur Hälfte verstri nigen Schwanz. Unerfreulich war das Ende chen, als die Prozession der Skorpione ein des Schwanzes – ein fingerlanger Stachel, Ende fand. Vorsichtshalber blieb ich noch der im Licht der frühen Sonne feucht schim geraume Zeit still liegen, bevor ich mich merte. aufrichtete. Auf einem Felsblock in der Nä »Skorpione oder etwas Ähnliches!« analy he saß Ra und sah mich aufmerksam an. sierte mein Extrasinn. »Bei der kleinsten Be »Ra hat die Tiere noch rechtzeitig be wegung werden sie stechen!« merkt, konnte dir aber nicht mehr helfen!« Ich schloß wieder die Augen und lausch meldete der Logiksektor. »Er mag dich!« te; nach den Geräuschen zu urteilen, die um Ich kletterte zu Ra auf den Felsen und sah mich herum erklangen, war eine größere in die Richtung, die er mir mit der Hand Zahl dieser Tiere auf den Beinen. Ich spürte wies. Der Boden in Blickrichtung war die Füße fast überall auf dem Körper, hörte schwarz – ein Millionenheer von Skorpio das Knistern unmittelbar an meinen Ohren. nen wälzte sich über die Dünen. Wir waren Ich konzentrierte mich ganz auf meinen nur am Rande von diesem Heerzug überrollt Körper, zwang ihn mit psychischer Gewalt worden, im Zentrum mußte die von Skorpio zur Ruhe. Nur so konnte ich ein instinktives nen bedeckte Strecke in Kilometern gemes Zusammenzucken vermeiden, als eines der sen werden. Tiere sich anschickte, mein Gesicht zu er »Wir haben noch einmal Glück gehabt!« klimmen. Die Füße krallten sich in die Haut, stellte ich erleichtert fest. als das Tier seinen Aufstieg begann. Es Dennoch brauchte ich einige Zeit, bis ich schmerzte, aber ich rührte mich nicht. wieder völlig Herr meiner selbst war. Meine »Dein Haar!« signalisierte der Logiksek Hände zitterten und überall am Körper juck tor. »Falls sich eines der Tiere darin ver te es teuflisch. Es war ein Hochgenuß, sich fängt, wird es stechen!« nun ungefährdet kratzen zu dürfen. Das klang alles andere als ermutigend; ich Ra trieb mich mit einem herrischen Knur hatte große Mühe, meine unnatürliche Ruhe ren vorwärts. In beträchtlicher Entfernung zu bewahren. Als sich der Skorpion langsam sah ich eine dünne Rauchfahne aufsteigen. unterhalb meiner Nase bewegte, begann Es mochten vier bis fünf Kilometer sein, die meine Nase zu jucken, und der Niesreiz uns von Lartog und seiner Gruppe trennten. wurde von Sekunde zu Sekunde stärker. Wir hatten unsere Wasservorräte ergänzt Ich öffnete wieder die Augen und ver und schlugen ein hohes Tempo an; mit et suchte, soviel wie möglich von meiner Um was Glück konnten wir Lartog schon am gebung zu erkennen. Es hatte den Anschein, Abend erreicht haben. als hätten Ra und ich uns ausgerechnet eine Auch der Weg des Leutnants war offenbar
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nicht ohne Gefahren. Als wir den Rastplatz erreicht hatten, den wir von fern wegen des Rauches hatten erkennen können, stießen wir auf zwei Leichen. Beide Männer wiesen mehrere Einstiche auf – außerdem lagen am Boden Hunderte von erschlagenen und er schossenen Skorpionen umher. Es mußte einen wüsten Kampf gegeben haben, aber offenbar war es Lartog gelungen, den größe ren Teil seines Trupps in Sicherheit zu brin gen.
* »Wie lange wird Atlan wohl brauchen?« murmelte Corpkor; Eiskralle zuckte mit den Schultern. »Ich tippe auf eine Woche!« gab er be kannt. »Dieser Leutnant ist ein zäher Bur sche. Er wird Atlan sicher zu schaffen ma chen!« Eiskralle und Corpkor saßen zusammen mit dem Bauchaufschneider in der Reserve leitstelle; für den Fall, daß der Leutnant samt Decoder eher zurückkehrte als Atlan, konn ten die Männer von diesem Raum aus jeden Start unterbinden. Nach einigem Suchen hat te Fartuloon alle Sperren aufgestöbert, die von der Reserveleitstelle aus aktiviert wer den konnten; er hatte herausgefunden, daß sich der größte Teil der Hindernisse durch andere Schaltungen beseitigen ließ, aber nicht alle Blockierungen konnten mit Bordmitteln aufgehoben werden. Solange die Männer also die Reserveleit stelle unter Kontrolle hatten, waren Tionte die Hände gebunden. Auf der anderen Seite war die KARRETON auch für Fartuloon und seine Freunde wertlos. Ohne den Deco der konnte das Schiff zwar starten, aber kein Ziel genau anfliegen. Es wäre zwar möglich gewesen, mit Hilfe der Astronomischen Ab teilung neue Karten der näheren Umgebung zu erstellen und danach zu fliegen, aber das wäre gleichbedeutend mit dem Versuch ge wesen, mit verbundenen Augen eine Adres se in einer unbekannten Großstadt ausfindig zu machen.
Die Stimmung an Bord dei KARRETON war gespannt; die Männer hielten ständig einen Ausguck besetzt, um sofort wissen zu können, wer das Rennen gemacht hatte. Es war eine Zerreißprobe für die Nerven. Immer und immer wieder hatten sich die Männer die möglichen Situationen ausge malt und durchkalkuliert. Was geschah, wenn Lartog als erster das Schiff erreichte, zusammen mit dem Deco der? Tionte konnte trotz des Geräts nicht starten – er hätte erst Fartuloons Gruppe ausschalten müssen. Auf der anderen Seite war Atlans Sieg ebenfalls nicht vollständig, wenn er mit dem Decoder zurückkam – oh ne die Hilfe der Besatzung war die KARRE TON nicht flugtauglich, wenigstens nicht in einem vertretbaren Maß. Zwar traute sich Fartuloon zu, notfalls nur mit Atlan zusam men das Schiff nach Kraumon zu bringen, aber es würde ein Risikounternehmen wer den. Eiskralle trommelte nervös mit den Kral len auf dem Blech eines Schaltpults herum – es klang wie ein Trommelwirbel, der ge wöhnlich bei Hinrichtungen zu hören war. Corpkor warf dem Freund einen belustigten Blick zu, dann verließ er geräuschlos den Raum. Als er nach einer Stunde zurückkehr te, saß ein großer Vogel auf seiner rechten Schulter und beäugte die beiden anderen Männer. »Wenn ich vorstellen darf, das ist Dsche be Noion, was soviel bedeutet wie Fürst Pfeil erklärte Corpkor den Männern. Und dies, verehrter Fürst, sind Fartuloon und Eiskralle!« Der Vogel legte den Kopf auf die Seite und stieß ein Krächzen aus. Eiskralle und Fartuloon sahen sich an und grinsten verlegen; sie wußten nicht genau, ob Corpkor im Ernst sprach oder sie nur ver albern wollte. Sie wußten, daß Corpkor buchstäblich mit Tieren reden konnte – al lerdings nur mit einigen Arten. Bei anderen Spezies war Corpkor nicht ganz so erfolg reich, aber er konnte sich hervorragend mit Tieren verständigen. Es war durchaus mög
Der geheimnisvolle Barbar lich, daß er mit dem Vogel gesprochen hatte. Fasziniert hörten die beiden Männer zu, wie Corpkor mit dem Tier redete. Er gab pfei fende, krächzende und kreischende Ge räusche von sich, die der Vogel mit ähnli chen Klängen beantwortete. »Diese Spezies kann besonders gut und ausdauernd fliegen«, erklärte Corpkor sei nen Freunden. »Ich werde Dschebe Noion als Kurier zwischen Atlan und uns verwen den. Vielleicht können wir ihm doch helfen, sobald er nahe genug am Schiff ist!« Eiskralle und Fartuloon nickten anerken nend; Corpkors Vorschlag hatte viel für sich. Vor allem konnten sie durch den Vogel in Erfahrung bringen, wo Atlan sich befand und wie es ihm ging; er würde erfahren, was im Schiff vor sich ging. Corpkor schrieb einen kurzen Lagebericht, rollte den Plastikstreifen zusammen und befestigte ihn am rechten Fuß des Vogels. »Ich schicke unseren gefiederten Freund auf die Reise!« verkündete er, bevor er die Reserveleitstelle verließ. »Ich bin sicher, er wird Atlan finden!«
* Ra zog mich am Arm und deutete nach vorne. Ich folgte dem Wink, aber ich sah nur ein paar unscheinbare Wolken. Vielleicht brach ten sie etwas Regen. Wir waren seit unserem Abenteuer mit den Skorpionen fast ohne Pause marschiert – mein Körper schien sich an die besonderen Anforderungen dieses Planeten leidlich gewöhnt zu haben. Ra gab ein heulendes Geräusch von sich und rollte mit den dunklen Augen. »Ein Sturm?« fragte ich. Ra nahm eine Handvoll Sand auf, ließ sie fallen und heulte dazu. »Ein Standsturm?« erkundigte ich mich, und er nickte zufrieden. Unwillkürlich sah ich mich nach einer Deckung um; ich hatte keinerlei Verlangen, dem Sturm auf freier Fläche entgegenzutre ten. Wie gefährlich Sand sein kann, wußte
27 ich; wie lästig er war, hatte ich während des Marsches bemerkt. Sand, wohin man sah – auch dort, wo man ihn nicht brauchen konn te – unter der Kleidung scheuernd, zwischen den Zähnen knirschend. Die Augen quollen zu, und die Nase rötete sich, weil wir nur durch die Nasen atmeten – dennoch geriet immer wieder feinkörniger Sand zwischen die Zähne. Es war eine Tortur besonderer Art. Außerdem fror ich jämmerlich – sowohl Kraumon als auch Arkon lagen in ihren Mit telwerten weit über der Durchschnittstempe ratur dieser Welt. Es gab keine Deckungsmöglichkeit, so weit ich auch sehen konnte. Auch Ra schien dieser Umstand nicht zu behagen – so deute te ich jedenfalls die Folge von Geräuschen, die er von sich gab. Es war mir immer noch nicht gelungen, tiefer in den Barbaren einzudringen; er wehrte jeden Kontaktversuch ab. Ich hatte mir während der Pausen immer wieder Zeit genommen, mit ihm ein Gespräch anzufan gen, denn ich spürte genau, daß Ra sprechen konnte. Aber er hatte auf meine Annähe rungsversuche immer nur mit Zeichen und Lauten geantwortet. Ich kramte aus meiner Erinnerung sämtliche psychologischen Tricks, aber sie fruchteten nichts. Das Ge heimnis des Barbaren blieb im dunkeln. Nur eines wußte ich inzwischen ziemlich genau: es war mir gelungen, die Freund schaft des Mannes zu gewinnen. Alles, was er tat, die Gesten und Grimassen, mit denen er meine Fragen zu beantworten pflegte, sagten mir, daß ich ihm sympathisch war. Wir beschleunigten unseren Schritt. Ra hatte den Wind geprüft, und seine empfind liche Nase schien etwas gefunden zu haben. Während wir einem noch unbekannten Ziel zustrebten, formte sich in der Richtung un seres Weges eine düstere Wolkenwand, die nach kurzer Zeit den Horizont zur Gänze einnahm. Um uns herum schien die Natur den Atem anzuhalten – außer dem Knir schen des Sandes unter unseren Füßen war kein Geräusch zu hören. Die Luft war völlig ruhig und unbewegt. Diese unnatürliche Ru
28 he legte sich auf die Psyche; Angst begann sich in mir breitzumachen, und ich merkte, daß ich nervös wurde. Auch Ra war dem Einfluß der Verhältnisse erlegen. Er vergrö ßerte seinen Schritt, so daß ich nur mit Mü he folgen konnte. Als wir einen Dünen kamm erreichten, wußte ich, daß der Instinkt den Barbaren einmal mehr sicher geführt hatte. Vor uns lag eine Wasserstelle, nicht viel mehr als ein großes Loch im Boden, mit Wasser gefüllt und von einer Ansammlung Felsen umgeben. Ich hatte meine Zweifel, ob uns die Steine einen ausreichenden Schutz vor dem Sturm boten, aber Ra ging zielstrebig auf das Wasserloch zu. Als erstes füllte er seine Flasche mit dem nicht eben appetitlich aussehenden Wasser, dann hock te er sich hinter einen Felsen und begann zu essen. Für ihn schien alles in bester Ordnung zu sein. Mir erging es gänzlich anders; ich wußte, daß ein so rapider Wetterumschwung Folgen auch für den menschlichen Verstand hatte. Eigentlich hätte ich mich beherrschen müs sen – aber es gelang mir nicht. Irgend etwas schien meine Kehle zusammenzuziehen und auf dem Brustkorb zu drücken. Meine Be wegungen wurden fahrig. Meine Hände beb ten, als ich – Ras Beispiel folgend – meine Flasche füllte. Ich rüttelte an den Felsen, die nicht um Haaresbreite zu bewegen waren. Ra grinste mich verächtlich an. Als er seine Mahlzeit beendet hatte, griff er ohne weitere Umstände zu meinen Waf fen. Als habe er ein solches Gerät bereits in seiner Wiege gefunden, entsicherte er den Desintegrator und legte die Waffe auf einen der Felsen an. Grünliche Schwaden stiegen auf und verwehten, dann hatte Ra eine mannshohe Öffnung in den Felsen geschnit ten. Er stellte sich versuchsweise hinein und grunzte zufrieden. Dann kam ich an die Reihe; auch für mich schuf der Barbar eine Nische im Fels – ich bewunderte trotz meiner Nervosität das Au genmaß des Mannes, denn die Nische hatte nur eine Abweichung von einem halben Zentimeter.
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Inzwischen hatte der Sturm seine Vorbo ten bereits bis zu uns vorgetrieben. Ein Sum men war zu hören, das sich langsam, aber unaufhaltsam zu einem infernalischen Heu len verstärkte. Der Sand um uns herum be gann sich zu bewegen. Ra stellte sich in seine Nische und zog seinen Blaster – er hatte ihn einem von Lar togs getöteten Männern abgenommen. Ich fragte mich, was er mit der Waffe anstellen wollte, als auch ich mich in die Nische zu rückzog. Von Erfahrung gewitzigt, zog auch ich meinen Impulsstrahler. Ohne den Barbaren, das wurde mir von Tag zu Tag klarer bewußt, war ich verloren. Ich wußte nicht, was er mit der Waffe be werkstelligen wollte, aber ich ahnte, daß es sich wieder um jene merkwürdige Verbin dung zwischen primitiven Instinkten und der Anwendung moderner Technik handeln würde, die ich schon oft bei ihm gesehen hatte. Ich hatte den plötzlichen Verdacht, daß Ra regelrecht programmiert war. Solan ge die Verhältnisse normal waren, benahm er sich so, wie es von einem wilden Barba ren erwartet werden konnte. Drohte Gefahr, dann kam spontan ein Wissen zum Aus bruch, das unmöglich seinem Volk entsprin gen konnte. Mir fiel ein, daß ich ihm erst hatte erklären müssen, wie man sich der sa nitären Anlagen an Bord der KARRETON zu bedienen hatte – auf der anderen Seite konnte er mit wesentlich schwierigeren An lagen notfalls artistisch umgehen. »Wenn deine Überlegung stimmt«, misch te sich mein Extrahirn ein, »und Ra wirklich von Fremden, wie du sagst, programmiert worden ist – dann kannst du seiner Freund schaft nicht sicher sein. Wer Wissen auf pfropfen kann, wird auch den Charakter be einflussen können!« Ich wehrte mich gegen die Schlußfolge rung, obwohl sie vollkommen logisch war, aber mein Gefühl war in diesem Fall stärker. »Narr!« kommentierte der Logiksektor la konisch. Dann brach der Orkan mit voller Gewalt über uns herein; ich sah, wie die ersten
Der geheimnisvolle Barbar Schwaden aufgewirbelten Sandes an den Felsen vorbeigepeitscht wurden. Immer staubhaltiger wurde die Luft, und nach kurz er Zeit hatten Staubwolken die Sonne völlig verdeckt. Es war finster, und um uns tobte der Sturm mit vernichtender Heftigkeit. Für Sekunden beschlich mich die Furcht, der Sand könnte den gesamten Felsen förmlich abschmirgeln und zerreiben. »Narr!« erklärte der Logiksektor. »Dazu braucht es mehrere Jahrtausende!« Das half nicht viel. Auch wer unter sich das rettende Netz der Logik weiß, wird die Angst auf dem schmalen Seil der Gefühle nicht los. Was mich besonders bedrückte, war die völlige Hilflosigkeit dieser Lage. Gegen Feinde konnte man kämpfen, Unfälle durch Technik und Kalkül verhindern. Hier aber konnte ich überhaupt nichts zu meiner Rettung tun, nur warten und hoffen, daß der Sturm irgendwann wieder nachließ. Ich fühl te mich wie ein Gefesselter in einer Arena, dessen Leben von der Laune einer Bestie ab hängt, die ihn beäugend abwägt, ob sie ihn fressen soll oder nicht. Meine Furcht verstärkte sich, als ich spür te, daß meine Füße langsam im Sand ver schwanden. Von den Kubikkilometern Sand, die jetzt durch die Luft gewirbelt wurden, prallten nur Händevoll gegen den Felsen und wurden so abgefangen, daß sie zu Boden fie len und die Füße bedeckten, aber ich spürte förmlich, wie sich auf der windgeschützten Seite des Felsens – dort, wo Ra die Nischen geschaffen hatte – eine Verwehung aufbau te. Ein Geräusch mischte sich in das Heulen des Sturmes; ich brauchte eine Zeitlang, bis ich den Klang identifiziert hatte. »Guter Ra!« seufzte ich erleichtert. Der Barbar hatte wieder einen glänzenden Einfall gehabt; ich richtete meinen Strahler gegen die Finsternis vor mir und drückte ab. Röhrend brach der Feuerstrahl aus der Waf fe und erhellte etwas die Sicht. Zwar reichte der Schein des Strahls nur wenige Schritte weit, aber es war deutlich zu sehen, daß er zahlreiche Wirbel schuf, die den herunterrie
29 selnden Sand wieder von mir fortsogen und wirbelten. Wieder fragte ich mich, woher Ra dieses Wissen bezog. Was hätte er gemacht, wären wir ohne Waffen losmarschiert? Ohne mei nen Desintegrator hätte er die Nischen nicht aus dem Felsen schneiden können, ohne den Impulsstrahler wären wir wahrscheinlich verschüttet worden. Ich war mir sicher, daß auch in diesem Fall Ra eine Lösung gefun den hätte – dieser Mann war ein wahres Do rado an Kenntnissen und Informationen. Fraglich war nur, welche Methode die beste war, an diesen verborgenen Schatz heranzu kommen. Immer noch spie der Blaster in meiner Hand seinen todbringenden Strahl, der hier dazu diente, Leben zu erhalten. Sorgenvoll sah ich auf das Magazin – die Ladekontrolle wechselte langsam die Farbe, wanderte von Grün über Blau auf einen leichten Rotton zu. Zwar war das Magazin gut für etliche hun dert Schüsse – nicht aber für ein langes Dau erfeuer. Ich zerrte ein Ersatzmagazin aus dem Gürtel und hielt es bereit, während ich gleichzeitig auf den Sturm hörte. In einem Augenblick, in dem das Heulen für kurze Zeit schwächer wurde, wechselte ich in ra sender Eile die Magazine aus. Eine Sturzflut von Sand brach über mich herein; irgendwo auf seiner rasenden Fahrt mußte der Sturm einen Baum zerfetzt haben – ein Ast fiel auf mich herab und traf den Waffenarm. Ich schrie schmerzerfüllt auf – und verlor den Blaster. Instinktiv bückte ich mich, um die Waffe wieder aufzuheben. Gnadenlos peitschte der Sturmwind auf mich ein; die kleinen Sandkörner prasselten wie Schrotkörner auf die Haut. Ich konnte nichts sehen, und unerbittlich zerrte und riß der Orkan an meinem Körper, vor allem an dem rechten Arm, mit dem ich nach der Waffe suchte. Die Zeit arbeitete mit einer teuflischen Geschwindigkeit gegen mich – ich spürte, wie der Sand an meinen Füßen in die Höhe stieg. Und je höher die Verwehung wurde,
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desto geringer waren meine Aussichten, den das trübe Wasser befunden hatte, lag jetzt lebenswichtigen Strahler wiederzufinden. dichter Sand. Rings um das ehemalige Was Blind tastete ich in dem kalten Sand nach serloch herum hatten sich vierzig Meter ho dem der Waffe. he Dünen aufgetürmt – nur die Stellen wa Als meine Fingerspitzen endlich den Lauf ren frei geblieben, die wir mit unserem streiften, stöhnte ich erleichtert auf. Wenige Schießen gesäubert hatten. Augenblicke später feuerte ich wieder gegen Ra grinste zufrieden und schlug mir auf den Sturm an. Mit den Füßen schleuderte ich die Schulter. den angewehten Sand in die Höhe, wo er »Gut gemacht!« sagte ich anerkennend von den Wirbeln des Strahls erfaßt und da und erwiderte die Geste. vongeschleudert wurde. Wir hatten noch einige Stunden Zeit bis »Hoffentlich hat auch Lartog einen halb zum Sonnenuntergang, also machten wir uns wegs sicheren Unterschlupf gefunden!« sofort auf den Weg, dem Leutnant hinterher. machte sich mein Logiksektor bemerkbar. Ra schien meine Sorgen zu ahnen, denn er Ich stöhnte erneut auf. machte gewaltige Schritte. Wäre er nicht Wenn der Leutnant dem Sandsturm unge kleiner gewesen als ich, hätte ich ihm nur schützt ausgesetzt war, gab es für uns keine für kurze Zeit folgen können. Rettung mehr. Selbst wenn wir Jahre hin Ra war verärgert, und ich begriff auch durch suchten, würden wir den kleinen Ka warum; der Sturm hatte alle Hinweise, nach sten des Decoders nicht mehr finden – wahr denen er sich normalerweise zu richten scheinlich hatte der Sturm auf seiner Ver pflegte, verschüttet. Unter diesen Umstän nichtungsbahn Tausende von Tonnen Sand den konnten auch die besonderen Fähigkei hochgerissen und an anderer Stelle wieder ten Ras nicht viel ausrichten. Er marschierte abgelagert. Der Decoder konnte unter meter mit wütender Entschlossenheit, mit dem dicken Sandmassen begraben sein, und dort Willen, irgend etwas zu tun, auch wenn es würde ihn nicht einmal der untrügliche sich als falsch erweisen würde. Spürsinn Ras ausfindig machen. Langsam ließ der Orkan nach, das Heulen * verebbte, aber immer noch ging der Wind Ra bemerkte den Vogel als erster. scharf und trieb den feinkörnigen Sand vor Als er sich umdrehte und ich seinem sich her. Noch war es nicht möglich, daß wir Blick folgte, erkannte ich das Tier in einiger die sicheren Verstecke verließen. Entfernung; als es wenig später mit den Flü Noch einmal mußte ich das Magazin des geln schlug, hörte ich ein schwaches Ge Impulsstrahlers austauschen, diesmal aller räusch. Dieser Klang hatte Ra vermutlich dings ohne Komplikationen, bis der Sturm aufmerksam gemacht. endlich so weit nachgelassen hatte, daß wir Ich verspürte leichten Hunger und legte uns wieder ins Freie wagen konnten. Es dau die Waffe an, aber Ra stieß ein unwilliges erte nur knapp zehn Minuten, dann war der Knurren aus und hielt meine Hand fest. Sei Sandsturm endgültig vorbei – der Wind war ne scharfen Augen hatten gefunden, was ich frisch, aber ohne viel Sand. Eine schwarze erst entdeckte, als sich der Vogel näherte Wolkenwand zog in die Richtung, aus der und vor unseren Füßen landete. Vom Boden wir gekommen waren – falls es Fartuloon beäugte mich das Tier und krächzte. oder den anderen eingefallen sein sollte, uns Ra streckte vorsichtig die Hand aus, und zu folgen, würden sie keinerlei Spuren mehr das Tier hüpfte furchtlos auf die Fläche. Be finden. Das zeigten die Veränderungen, die hutsam löste der Barbar den Plastikstreifen, die Landschaft durch den Sturm erfahren den der Vogel am Bein trug, und übergab hatte. Nichts war so geblieben, wie wir es ihn mir. vor dem Orkan angetroffen hatten. Wo sich
Der geheimnisvolle Barbar Die Zeit, die er verwendete, um einen Blick auf den Text zu werfen, war weder so kurz, daß ich daraus hätte folgern können, Ra könne nicht lesen, noch so lang, daß ich das Gegenteil hätte behaupten können. »Corpkor an Atlan!« las ich. »Es ist mir gelungen, diesen Vogel aufzutreiben; er kann als Kurier zwischen uns dienen. Das Tier wird auf dein Zeichen hin (Armzeichen) zu mir zurückkehren. An Bord der KARRETON ist alles einigerma ßen ruhig, aber ich befürchtete, daß es in ab sehbarer Zeit Ärger geben wird. Hast du den Leutnant schon aufgestöbert?« Ich las den Text laut, in der Hoffnung, von Ra irgendeinen Kommentar zu bekom men, aber der Barbar stand neben mir wie eine Statue und verzog keine Miene. Ich kramte aus meinen Taschen Schreibbedarf und setzte eine Antwort auf. »Atlan an Corpkor!« schrieb ich. »Wir haben durch einen Sandsturm den Kontakt zu Lartog verloren. Kannst du dei nen Boten dazu bringen, nach dem Leutnant zu suchen und uns zu ihm zu führen?« Ich rollte den Streifen zusammen und be festigte ihn am Bein des Vogels; das Tier sah mich an und folgte mit den Augen mei ner Handbewegung. Der Vogel stieß ein Krächzen aus, dann schwang er sich in die Luft und flog davon – genau in der Rich tung, in der die KARRETON liegen mußte. Ra und ich marschierten verbissen weiter. Es verstrich eine Stunde, dann kam der Vo gel zielsicher zu uns zurück; minutenlang kreiste er über unseren Köpfen, dann schraubte er sich wieder höher. Offenbar hatte Corpkor es geschafft, den Vogel in un serem Sinne zu beeinflussen. Während das Tier über uns immer größere Kreise beschrieb, gingen wir weiter. Mit et was Glück hatten wir die richtige Richtung getroffen und konnten so den Vorsprung des Leutnants verkürzen. Auf meiner Uhr waren zwei Stunden ver gangen; Corpkors Bote war längst unseren Blicken entschwunden. Plötzlich deutete Ra voraus.
31 Wir hatten wieder einmal großes Glück gehabt; gradlinig flog das Tier auf uns zu. Es kreiste ein paarmal um unsere Köpfe und flog dann in der Richtung zurück, aus der es gekommen war. Bald kehrte es wieder zu uns zurück und folgte, in großer Höhe über unseren Köpfen Kreise ziehend, unserem Marsch.
*
Es wurde langsam dunkel, als wir das En de des Wüstenstreifens erreichten. Von Lar tog hatten wir keine Spur gefunden. Der Sandsturm hatte sie verwischt. Vor uns erstreckte sich eine Kette sanft ansteigender Hügel, in der Mitte durch einen weithin sichtbaren Einschnitt getrennt. Ich vermutete, daß Lartog diesen Weg gegangen war und marschierte darum auf das Tal zu. Ra schien damit einverstanden zu sein, denn er folgte mir ohne Murren. Lartog konnte sich ausrechnen, daß wir durch den Sturm seine Spur verloren hatten. Er konnte demnach jetzt seine Richtung än dern und auf dem kürzesten Wege zum Schiff zurückkehren, während wir weiter nach ihm suchten und uns immer weiter von der KARRETON entfernten. Daß uns Corp kor einen Kundschafter besorgt hatte, konnte der Leutnant nicht ahnen. Ich spürte einen Anflug von Mitleid mit dem Mann. Er hatte wirklich alles gewagt, um unsere Pläne zu vereiteln. Besonders seine letzte Maßnahme hatte uns in große Gefahr ge bracht, alles zu verlieren. Offenbar hatte er es auch geschafft, dem tödlichen Sandsturm zu entgehen – und das ohne die Hilfe, die ich in Ra hatte. Ich konnte mir vorstellen, wie sich der Mann fühlen würde, wenn er – schon in Sichtweite seines Zieles – nach all den Strapazen dennoch der Verlierer sein mußte. »Narr!« schalt mich der Logiksektor. »Was machst du, wenn er den Decoderver loren hat?« Dagegen war nicht viel zu sagen; mein
32 Extrasinn hatte zweifellos recht. Als wir den Rand des Tales erreichten, sa hen wir eine schmale Rauchsäule in der kla ren Luft. Wir konnten das Zeichen erst se hen, als wir schon ein Stück bergauf gegan gen waren. Der tiefste Punkt des Tales lag noch unter dem Niveau der Wüste, und die Felswände stiegen fast lotrecht rechts und links in die Höhe. Der Rauch des Feuers stieg vom Ausgang des Tales auf – wir muß ten erst durch die Niederung, bevor wir Lar tog erreichen konnten. In krassem Gegensatz zu den kahlen Fel sen ringsum wies das Tal einen starken Be wuchs auf – vermutlich gab es hier eine er giebige Wasserquelle. Das kam uns sehr ge legen – unsere Flaschen waren nahezu leer. »Vorsicht!« alarmierte mich der Logik sektor. »Die Szenerie ist zu ruhig!« Ein Wäldchen lag vor uns; zwischen den schlanken Stämmen wiegten sich üppige Blumen in einer sanften Brise. Der Gesang zahlreicher Vögel lag in der Luft, dazwi schen war das verheißungsvolle Plätschern von Wasser zu hören. Ich folgte genau den Spuren, die sich deutlich abzeichneten – of fenbar hatte der Leutnant keinen Wert dar auf gelegt, seine Fährte unkenntlich zu ma chen. Eine kleine Lichtung tat sich vor uns auf, ein fast kreisrunder Fleck sandigen Bodens; in der Mitte des Platzes sah ich eine Quelle sprudeln. Meine Lippen waren ausgetrock net, und ich ging rasch auf das Wasserloch zu. »Halt!« gebot mir der Logiksektor. Die Warnung kam zu spät. Mein rechter Fuß versank augenblicklich in dem Sand, der unter dem Druck wie eine Flüssigkeit nachgab. Ein leises Schmatzen war zu hören, dann ein Geräusch von Ra – ein unwilliges Knurren. »Hilfe!« schrie ich instinktiv. Ich spürte, wie mich der Treibsand in die Tiefe zog. Zwar hatte ich versucht, mich zu rückzuwerfen, aber den dazu nötigen Druck konnte nur der rechte Fuß liefern – er ver schwand im Sand.
Peter Terrid Es gelang mir, mich herumzudrehen, wo bei ich bis ans Knie tiefer in den Treibsand geriet. Auch das zweite Bein sank langsam in die weiche Masse ein – wenn ich nicht rasch Hilfe bekam, würde ich gänzlich ver sinken. Es war eine reine Zeitfrage – an ei nem bestimmten Punkt würde der Sog des Treibsandes stärker sein als Ras und meine Muskelkraft. Dann gab es kein Entrinnen mehr. Ich spürte, wie ich immer tiefer in die weiche Masse geriet. Mit den Händen ver suchte ich am Rand des tödlichen Gebiets Halt zu finden, aber meine Schritte waren zu raumgreifend gewesen. Nur mit aller Kör perkraft konnte ich verhindern, daß auch meine Hände in dem Sand verschwanden – dabei sank ich allerdings bis zur Mitte der Oberschenkel ein. Jede noch so geringe Be wegung führte rasch zu einem weiteren Ver sinken. Ra löste den Strick von seinen Schultern, den er während der Pausen geflochten hatte. Ich hatte ihn verächtlich angegrinst, jetzt aber versprach das Seil die einzige Rettungs möglichkeit zu werden. Ra holte aus und warf mir ein Ende zu; er hatte prachtvoll ge zielt – das Seil landete genau zwischen den Fingern der rechten Hand. Blitzartig faßte ich zu und spannte die Armmuskeln an, während sich Ra mit aller Kraft gegen den Zug stemmte. Ich begann zu keuchen. Der Treibsand hielt mich in seinem tödli chen Griff fest; ich bewegte mich um keinen Zentimeter. Allerdings sank ich auch nicht tiefer ein – aber lange Zeit würde ich die Kräfte nicht aufbringen können, die ich jetzt nur dazu brauchte, um nicht weiter abzu sacken. Schweiß trat mir auf die Stirn und lief mir in die Augen; Ra brüllte dumpf und warf sich zurück. Ich sah, wie er seine Muskeln anspannte, und tatsächlich bewegte ich mich ein paar Zentimeter vorwärts. Vor meinen schreckgeweiteten Augen glitt der Barbar aus und stürzte – aber er hielt das Seil fest. Es gluckste leise, als ich
Der geheimnisvolle Barbar ein Stück zurückglitt. Der Treibsand hielt in zwischen meine Hüften umklammert. Ich versuchte, Schwimmbewegungen zu machen, während sich Ra erneut gegen den Sog stemmte; sein knurrendes Stöhnen klang zu mir hinüber. Ein widerliches Ge räusch erklang, als ich erneut eine Handbreit näher an den festen Rand gezerrt wurde. Mein Atem ging pfeifend, ich fühlte, daß mir eine Ohnmacht drohte – zwar hatte ich mich an den Planeten gewöhnt, aber diesen Anstrengungen unter verschärften Bedin gungen waren meine Lungen nicht gewach sen. Aber ich durfte keine Pause einlegen – in jeder Minute ließen meine Kräfte mehr nach, und wenn ich das Seil nicht mehr hal ten konnte, war auch Ras Hilfe vergeblich. Ich sah, wie der Barbar, ohne den Zug auf das Seil zu verringern, einige Schritte zu rückwich. Das Seil war lang genug – mehre re Meter lagen aufgerollt hinter dem Mann. Zerrend und stemmend wich Ra Schritt für Schritt zurück, bis er einen schlanken Baum erreicht hatte. Eine Ewigkeit schien zu ver gehen, bis es Ra gelungen war, sich einmal um den Stamm zu bewegen. Es stieß ein be friedigtes Grunzen aus, dann stemmte er die Füße gegen den Baumstamm und drückte sich ab. Ich fühlte das Seil in das Fleisch schnei den; ich hatte mir den Strick zweimal ums Handgelenk gewunden, um ihn unter keinen Umständen zu verlieren. An diesen Stellen färbte sich das helle Braun der getrockneten Gräser rot von meinem Blut – aber ich fühlte noch etwas anderes. Der Druck auf die Hüf ten ließ nach, ich begann mich langsam aus dem tödlichen Bereich zu lösen. Ra stemmte sich wieder gegen den Baum; ein neuer Ruck zerrte mich weiter aus dem Sand ins Freie. Ich seufzte erleichtert auf, doch noch war die Gefahr nicht abgewendet. An Ras Schrei merkte ich zuerst, daß et was geschehen war, dann spürte ich, wie mich der Treibsand zurückholte. Das Seil war gerissen. Ich schloß die Augen, als könnte ich das
33 unvermeidliche Ende auf diese Weise auf halten, aber gleichzeitig spürte ich einen ge waltigen Ruck an den Handgelenken. Ra hatte in Gedankenschnelle reagiert, das freie Ende des Stricks gepackt und sich mit dem ganzen Körper gegen den tödlichen Sog ge worfen. Während ich schmerzerfüllt auf schrie, zerrte mich Ra mit ungeheurer Kör perkraft endgültig aus dem Treibsand. Mei ne Hände fühlten festen Boden, und mein Knie prallte unsanft auf einen Stein – ich war frei. Ich sank vornüber und pumpte stöhnend die Lungen voll Luft; vor meinen Augen wallten bunte Schleier – ich war nahe daran gewesen, bewußtlos zu werden. Ra rappelte sich auf und stieß ein Freudengebrüll aus – erregt schlug er mir auf die Schulter. »Besten Dank, Ra!« keuchte ich. »Das werde ich dir nicht vergessen!« Ra lachte auf, als hätte ich einen Witz ge macht. Geschickt verband er mit Blättern und den Resten des Seiles meine Verletzun gen am Handgelenk, von denen das Blut tropfte. »Du hättest die Gefahr sehen müssen!« schalt mich das Extrahirn. Ich nickte instinktiv. Ich war ungeheuer leichtsinnig gewesen. Sand und Wasser sind für sich genommen keine Lebensbedrohung, aber es gab eine teuflische Mixtur dieser beiden Bestandteile. Wenn das Wasser von unten nach oben durch den Sand floß, dann schwamm jedes Körnchen auf einer hauch dünnen Wasserschicht und gab jedem Druck nach. Wenn das Wasser aus anderen Rich tungen strömte, konnte man die Flächen un gefährdet betreten. An dem Wasserloch hät te ich sehen müssen, was mir drohte. »Wie kann es geschehen, daß neben einer Quelle nichts, in einiger Entfernung jedoch eine Menge Pflanzen wächst?« fragte das Extrahirn bohrend. Genau das hätte ich bedenken müssen. Obendrein hätte mir auffallen müssen, daß die Fußspuren, denen wir gefolgt waren, am Rand des Treibsandgebiets abrupt endeten. Ra hatte diesen Umstand bemerkt, aber kei
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ne Zeit mehr gefunden, mich zu warnen – jetzt beugte er sich über die Fährten, folgte ihnen ein Stück und hielt dann zwei Finger in die Höhe. Ich folgerte daraus, daß Lartog zwei seiner Männer verloren hatte – sie wa ren im Treibsand versunken und einen grau envollen Tod gestorben. Sobald ich mich wieder halbwegs erholt hatte, setzten wir unseren Weg fort. Zwar brannten die Kräuter, die Ra mir auf die Wunden gelegt hatte, als würden glühende Eisen durch das Fleisch gezogen, aber dar auf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Ich mußte den Leutnant so schnell wie möglich finden. Ich sah nach oben, doch unser Begleiter, der Vogel, den Corpkor aufgetrieben und abgerichtet hatte, war verschwunden.
* »Ausgeschlossen!« widersprach Fartu loon. »Der Vogel lügt!« Corpkor verzog die Lippen zu einem resi gnierenden Lächeln, als er niedergeschlagen antwortete: »Tiere können nicht lügen. Dazu braucht man Intelligenz. Atlan ist tot!« »Ich glaube es nicht!« mischte sich Eiskralle ein. »Ich kann es einfach nicht glau ben!« »Was hat der Vogel gesehen?« wollte der Bauchaufschneider wissen. »Berichte ganz genau, was dir das Tier erzählt hat. Jede Kleinigkeit ist wichtig!« »Dschebe Noion hat gesehen, wie Atlan auf ein Treibsandgebiet gestoßen ist!« be richtete Corpkor finster. »Er sah genau, wie Atlan halb versank und Ra ihm zu Hilfe kommen wollte. Ra hat versucht, Atlan mit einem Seil aus dem Sand zu ziehen, aber der Vogel hat auch gesehen, wie das Seil riß! Mehr ist wohl nicht nötig!« Eiskralle ballte verzweifelt die Fäuste, und Fartuloon stöhnte dumpf auf. »Verloren!« stöhnte er. »Alles verloren!« Verzweiflung hatte die Männer befallen, so daß sie die primitivsten Sicherheitsmaß
nahmen vergaßen. Niemand achtete darauf, daß die Kontrollampe des Interkoms brannte – wer immer sich eingeschaltet hatte, er wußte nun Bescheid. Es war sinnlos gewor den, auf Atlan zu warten. Der Leutnant wür de zurückkommen – mit dem Decoder, wahrscheinlich lange vor Ra. Tionte würde wieder das Kommando über die KARRE TON übernehmen, und das Schicksal von Corpkor und seinen Freunden würde in den Händen des Blinden Sofgart liegen – was mit dem Tode gleichbedeutend war. Als die Tür zur Reserveleitstelle plötzlich aufgestoßen wurde und sechs Männer in die Zentrale stürmten, leisteten die Männer nur geringen Widerstand – es wirkte eher wie ei ne Formalität, denn als Auseinandersetzung. Es dauerte nur wenige Minuten, dann waren Fartuloon und Eiskralle überwältigt. Corpkor riß sich los und versuchte zu flie hen. Auf den Gängen der KARRETON ent wickelte sich eine wilde Hetzjagd, die ihr Ende in einem Beiboothangar fand. Dort hielten sich zufällig vier Männer auf, die sich sofort auf Corpkor stürzten. Nach kurz er Zeit war auch er überwältigt und gefes selt. Die Männer waren zu deprimiert, um auf den Spott zu antworten, mit dem der trium phierende Tionte sie überschüttete. »Ich werde euch bei den Kralasenen ab liefern!« versprach der Kommandant der KARRETON zischend. »Einstweilen könnt ihr euch in euren Kabinen auf diese Überga be vorbereiten – vielleicht fallen euch dort ein paar Sprüche ein, mit denen ihr die Kralasenen gnädig stimmen könnt! Schafft sie fort!« Seine Männer führten den Befehl brutal aus; sie stießen die Gefangenen vor sich her. Jeder bekam eine Kabine, wurde dort an sein Bett gefesselt und zusätzlich von einem Po sten vor der Tür bewacht. Die Niederlage konnte nicht vollständiger sein.
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Der Vogel war verschwunden, und er « schlug das Extrahirn vor. »Dort hast du kehrte auch nicht zurück; ich konnte nicht mehr Zeit, bessere Berater und wesentlich wissen, was das bedeutete – jedenfalls fühlte friedlichere Verhältnisse!« ich mich dadurch nicht beunruhigt. In ziem Hoffentlich, fügte ich in Gedanken hinzu. licher Nähe des fatalen Wasserloches ent Vor den Häschern des Mörders Orbanaschol deckten wir eine zweite Quelle, die nicht war man genaugenommen nirgendwo end von der Natur zur Todesfalle ausgebaut wor gültig sicher. den war. Nach kurzer Zeit hatten wir auch Ra legte die Hand vor den Mund und be die Spur des Leutnants wieder gefunden – deutete mir zu schweigen; so leise wie mög der Fährte nach zu schließen, war der Mann lich bewegten wir uns weiter vorwärts. Ra am Ende seiner Kräfte. verzog einige Male sein Gesicht, als ich mit »Du bist ebenfalls nicht mehr frisch!« er den Füßen auf Dinge trat und dabei kaum mahnte mich der Logiksektor. »Überschätze hörbare Geräusche machte – vermutlich dich nicht!« konnte der Barbar einer Tiermutter das Jun Ich warf einen Blick auf Ra. Der Barbar ge von den Zitzen stehlen, ohne daß er be schritt kraftvoll aus, aber an seinem Gesicht merkt wurde. Ich war mir sicher, daß ich es war mühelos zu erkennen, daß er längst nicht fertigbringen würde, Ra im Ernstfall nicht mehr die Kräfte besaß, die er zu Be zu beschleichen. Wie ein Tier zog er prüfend ginn unseres Marsches gehabt hatte. Sein die Luft ein und schnupperte. Ich roch die Atem ging schneller und geräuschvoll – aber Gerüche des Waldes, die fremdartig waren vom Zusammenbruch war der Wilde noch und fast betäubend wegen der vielen Blu weit entfernt. Wieder gratulierte ich mir zu men. Ras Nase schien mehr wahrgenommen diesem Gefährten. zu haben – er duckte sich und kroch langsam »Keine übertriebenen Hoffnungen!« weiter. Ich folgte in geringem Abstand und warnte das Extrahirn. »Vermutlich ist Ra un strengte mich an, meine Hände und Füße ter wesentlich härteren Bedingungen aufge präzise in die kaum erkennbaren Spuren zu wachsen als du. Seine körperlichen Kräfte setzen, die Ra hinterlassen hatte. Bei nähe werden sich allmählich auf einem niedrige rem Zusehen erst entdeckte ich die zahlrei ren Niveau einpendeln!« chen Fallen, die von, der Natur für uns vor Das mochte stimmen, aber weit wichtiger bereitet worden waren – dünne Äste, die un für mich waren die Informationen, die in ter einigen großflächigen Blättern lagen. dem von dunklem Haar bewachsenen Schä Hätte ich meine Hand darauf gesetzt, wären del steckten, und an die offenbar nicht her die trockenen Äste garantiert mit lautem anzukommen war. Konnte ich noch mehr Knacken gebrochen und hätten uns verraten. tun, um das rätselhafte Schweigen des Bar Mir fiel ein, daß Ra logischerweise nicht baren zu brechen? Ich hatte alles versucht. der einzige Bewohner seiner Welt sein Natürlich – es gab auch andere Verfahren, konnte. Vermutlich gab es Millionen dieser aber diese Methoden wollte ich lieber dem Barbaren – wahrscheinlich nicht alle so be Blinden Sofgart überlassen. Es wäre mir wundernswerte Kämpfer wie Ra, aber bei nicht im Traum eingefallen, Ra unter eine der Vorstellung, daß Ras Volk eines Tages Hypnohaube zu setzen, obwohl dieses Ver überlichtschnelle Schiffe mit entsprechender fahren mit Sicherheit alle Informationen ein Bewaffnung besitzen könnte, überlief mich gebracht hätte, über die der Barbar verfügte ein Frösteln. Das würden Gegner sein, die – nur hätte dieses Vorgehen aus Ra einen Arkon in den Grundfesten erschüttern konn lallenden Idioten gemacht. Dergleichen wür ten. de ich selbst an meinen erbittertsten Feinden »Stell dir vor, diese Barbaren stünden auf nicht zulassen. deiner Seite!« lockte der Logiksektor. »Warte ab, bis du Kraumon erreicht Ich fand keine Zeit dazu, den Gedanken
36 fortzuspinnen; vor uns wurden Geräusche laut. Stimmen waren zu hören, und jetzt nahm auch ich den Geruch des Feuers wahr. Lautlos bewegten wir uns vorwärts. »Atlan sind wir los!« hörte ich den Leut nant sagen. »Andernfalls hätten wir von den Hügeln aus längst das Rauchen seines Feu ers sehen müssen. Wahrscheinlich ist er schon an der Felsspalte gescheitert!« »Willst du unsere Lage anders nennen?« meinte Ipraha düster. »Wir sind nur noch zu dritt – und wir müssen zur KARRETON zu rück. Wenn der Rückmarsch ähnlich verläuft wie der zurückgelegte Weg, wird keiner von uns das Schiff wiedersehen – höchstens als Leiche, wenn Tionte nach uns suchen läßt!« »Das wird er wohl oder übel müssen«, mischte sich der dritte Mann ein. »Ohne den Decoder kann er nichts unternehmen. Wenn wir nicht zurückkehren und dieser Atlan ebenfalls nicht, muß er nach dem Gerät su chen lassen!« »Haha!« machte Ipraha bitter. »Er weiß nicht, wohin wir gegangen sind. Der Sand sturm hat unsere Fährte längst verwischt. Kannst du dir vorstellen, was es bedeutet, auf einem Planeten ein einziges Gerät wie derzufinden, selbst wenn drei Leichen in der Nähe herumliegen? Es tut mir fast leid, an diesem Unternehmen teilgenommen zu ha ben. Ehrlich gesagt, fast wäre ich lieber mit Atlan geflogen!« »Bist du irre?« fragte Lartog erregt. »Wie stellst du dir das vor? Wenn er von Orbana schol erwischt wird, wandern wir gleich mit ins die Gefängnisse der Kralasenen. Oder Atlan macht uns bereits vorher um einen Kopf kürzer!« »Das glaube ich nicht!« meinte Ipraha entschlossen. »Er sieht nicht danach aus, als würde er ehrbare Feinde schlecht behandeln – schließlich hätte er uns längst einen Spa ziergang im Raum ohne Anzug machen las sen können!« Eines Tages, dessen war ich mir sicher, würde ich den Thron einnehmen, den der Mörder Orbanaschol mir streitig machte, und dann, so schwor ich mir, würde ich die
Peter Terrid se Männer auszeichnen. Sie hatten für ihre Tapferkeit Orden weit mehr verdient als das Gesindel, das sich am Hofe des Mörders meines Vaters tummelte. Lartog und Ipraha waren Arkoniden, wie ich sie im Imperium wissen wollte: hart und zäh, unbedingt ehr lich, intelligent und entschlußfreudig, wohl wissend, wann die starren Schablonen des Herkömmlichen durchbrochen werden muß ten, um ein vorher überlegtes Ziel zu errei chen. Ich war mir sicher, daß sie ohne Zö gern jeden Befehl verweigern würden, der ihnen aus moralischen Gründen unausführ bar erschien. Tionte war von genau entgegengesetzter Art – er würde nötigenfalls mit eigener Hand die Eltern erschlagen, wenn man ihm nur lange genug einbläute, daß dies aus staatspolitischen Gründen erforderlich sei – genau die widerliche Sorte Mann, die unsin nige Befehle prompt ausführte, vorausge setzt, der Befehlshaber sah imponierend aus und brüllte laut genug. Ich wußte nur zu genau: wenn Leute von Tiontes Art für Arkon typisch wurden, war das Imperium verloren. Dickschädlige Quer köpfe waren zwar wesentlich schwerer zu regieren, aber dafür wesentlich länger. Män ner wie Tionte, die ohne Befehle nicht leben konnten, weil sie immer geführt werden mußten, waren in kritischen Situationen hilf los -stumm wie Schlachtvieh warteten sie für gewöhnlich das Unvermeidliche ab. Wenn man ihnen befahl: »Spring!« dann sprangen sie. Aber Lartog und Ipraha wußten nicht ge nug über Orbanaschol, um meine Gefährten zu werden. Mit Sicherheit würden sie mir erst dann folgen, wenn ich ihnen unverrück bar bewiesen hatte, daß ihr Herrscher ein Mörder war – und dazu war ich nicht in der Lage. »Selbst wenn es dich gelüstet, Atlan die Füße zu küssen«, meinte Lartog düster, »wirst du dazu kaum mehr in der Lage sein, weil er tot ist!« »Und was ist mit diesem Wilden?« fragte Ipraha spöttisch. »Wenn einer fähig ist, die
Der geheimnisvolle Barbar se Ödwelt zu bezwingen, dann er. Ihr habt selbst gesehen, wie der Barbar Wasser und Wild heranschaffte, obwohl unsere Robots behaupteten, es gebe dergleichen nicht!« Ich hatte mich inzwischen so weit vorge arbeitet, daß ich die drei Männer deutlich se hen konnte; sie machten einen verzweifelten Eindruck. Von dem, was sie beim Aufbruch an Wasser und Ausrüstung mitgenommen hatten, war so gut wie nichts mehr vorhan den – auch die Kleidung machte einen mit genommenen Eindruck. Die Männer waren hochgradig erschöpft, und der Verlust ihrer Gefährten hatte ihre Stimmung gedrückt. Dennoch reagierten sie mit rasender Ge schwindigkeit, als ich mich aufrichtete und auf sie zuging; sie sprangen überrascht auf und wollten nach ihren Waffen greifen, aber sie ließen die Hände sinken, als sie die Mün dung des Impulsstrahlers bemerkten, den ich auf sie gerichtet hatte. Lartog verzog das Gesicht zu einer enttäuschten Grimasse und spuckte auf den Boden. »Wie habt ihr uns gefunden?« wollte Ipra ha wissen, während er auf den Strahler schielte, den er in den Händen Ras erkennen konnte. »Ihr habt deutliche Spuren hinterlassen!« gab ich bekannt. »Wer von euch besitzt den Decoder?« »Ich nicht!« sagte Lartog grinsend, auch die beiden anderen Männer schüttelten die Köpfe. »Es wird wohl einer unserer Freunde sein, die im Treibsand umgekommen sind! Wir haben das Gerät jedenfalls nicht!« Ich spürte Wut in mir aufkeimen. Vor al lem durch das impertinente Grinsen Lartogs wurde ich gereizt. Drohend sagte ich: »Ich kann nötigenfalls unhöflicher wer den, als ich es eigentlich möchte! Wo habt ihr den Decoder?« Sie gaben keine Antwort. Geschützt durch Ras Waffe machte ich mich daran, die Män ner abzutasten; sorgfältig überprüfte ich al les, was mir in die Finger fiel. Bei Lartog fand ich endlich den Kasten, den ich suchte. Ra grunzte zufrieden, als er das Gerät in
37 meiner Hand erkannte, und auch ich fühlte mich wesentlich wohler. Nur das ständige Grinsen der Männer trübte meine Freude. Was führten die drei im Schilde? »Vorwärts!« kommandierte ich und trieb die drei Männer vor mir her, den Weg zu rück, den wir gekommen waren. Als wir das Wasserloch passierten, warf ich einen miß trauischen Blick auf den trügerischen Sand. Vielleicht hatte Lartog nicht gelogen, und ein Mann mit dem unersetzlichen Decoder war versunken. Der Kasten, den ich an mich genommen hatte, konnte alles mögliche ent halten – es gab etliche tausend Geräte an Bord eines Raumschiffs, und ich konnte na türlich nicht alle kennen. Es war durchaus möglich, daß Lartog mir ein völlig unbedeu tendes Gerät ausgehändigt hatte, während der Decoder irgendwo versteckt lag. Denn daß das Gerät noch aufzutreiben war, wußte ich sehr wohl – zu hart wäre der Verlust auch für Lartog und seine Freunde gewesen. Ihre Belustigung mußte andere Gründe haben, ihr Grinsen sah nicht so aus, als freuten sich Todeskandidaten, daß auch noch andere in die tödliche Falle getappt waren.
* Vor uns lag die KARRETON, silbrig im Licht der fahlen Sonne. Wir waren am Ende unserer Kräfte. Der Weg zurück war zwar nicht ganz so strapaziös gewesen wie der Hinweg, aber zu Beginn dieses Unterneh mens waren wir noch bei Kräften gewesen – es hatte sich keine Ruhemöglichkeit erge ben. Der dritte Mann aus der Besatzung mußte immer wieder von Lartog und Ipraha getragen werden, da er zu erschöpft war, um sich auf den Beinen halten zu können. Auch Ra machte einen müden Eindruck, und an dem Hämmern meines Herzschlages konnte ich spüren, wie sehr auch ich ausgepumpt war. Es war mir nicht gelungen, aus Lartog herauszuholen, wo er den Decoder versteckt hatte. Immer wieder hatte ich bewährte Psy
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chotricks versucht, um Lartog zu überlisten, Boden sitzen und sahen zur KARRETON ihm ungewollte Angaben zu entlocken – im hinüber, wo man offenbar auf ein Zeichen mer war das Ergebnis nichtssagend. Lartog von uns wartete. behauptete, den Decoder nicht mehr zu ha »Atlan!« hörte ich Tionte über die Laut ben und auch nicht zu wissen, wo er sich be sprecher rufen. »Muß ich erst das Leben Ih fand. Mir imponierte die Hartnäckigkeit des rer Freunde bedrohen, bevor Sie aufgeben? Mannes, der nichts unversucht ließ, seinen Ich mache Ihnen ein Angebot – schicken Sie entschlossenen Willen durchzusetzen. mir Lartog und seine Männer herüber, und Wir setzten uns auf den Boden und ruhten ich lasse Ihre Freunde frei. Unter Umstän uns für kurze Zeit aus. den lasse ich Ihnen beim Start ein Funkgerät »An Bord ist das Gerät nicht!« meldete zurück, damit Sie Ihre Freunde um Hilfe bit der Logiksektor. »Tionte wäre sonst rück ten können!« sichtlos gestartet!« »Ganz sicher scheint er sich nicht zu Ich war mit dieser Schlußfolgerung nicht sein!« meinte Lartog grinsend. »Sonst würde einverstanden, denn immerhin hatten Corp er Ihnen nicht solche Angebote machen!« kor und meine beiden anderen Freunde die Ich nickte stumm. Reserveleitstelle fest in der Hand, und gegen Was sollte ich nun unternehmen? Im In ihren Willen konnte Tionte die KARRE nern des Schiffes wartete eine gewaltige TON nicht zum Ziel bringen. Übermacht auf uns; ich hätte nur dann ver »Corpkor und die anderen sind längst ge suchen können, in das Innere einzudringen, fangen!« teilte mir der Logiksektor mit. wenn wenigstens die Hälfte der Mannschaft Ich konnte das nicht glauben, aber nur von Bord war. Ra schien zu ähnlichen wenig später erhielt ich die Bestätigung. Ir Schlußfolgerungen gekommen zu sein – sein gend jemand an Bord des Schiffes hatte uns Gesicht verfinsterte sich. Plötzlich gab er offenbar ausgemacht – aus den Lautspre ohne Warnung drei Schüsse auf unsere Ge chern hörte ich Tiontes Stimme brüllen. fangenen ab, die bewußtlos vornüberkipp »Geben Sie auf, Atlan!« hörte ich. »Ihre ten. Mit einer gedankenschnellen Handbe Freunde sind bereits gefangen. wegung hatte er mir den Decoder entrissen Wenn Sie uns den Decoder nicht überge und rannte davon. Ich sprang auf, um ihm zu ben, werden wir hier so lange warten, bis Sie folgen. am Ende sind. Lange werden Sie es vermut »Aufhören!« befahl mein Extrahirn. »Ra lich auf dem Planeten nicht aushalten!« will dir helfen!« Vermutlich länger als der verweichlichte »Hat der Wilde den Decoder?« hörte ich Kommandant der KARRETON, dachte ich aus dem Lautsprecher; Tiontes Stimme augenblicklich. Allerdings hatte der Mann klang unsicher. »Wenn ja, feuern Sie zwei recht – selbst mit Ras Hilfe war ein Dauer mal!« aufenthalt auf der Ödwelt nicht zu ertragen. Rasch feuerte ich zwei Schüsse aus dem Ich sah Lartog grinsen, und ich mußte mich Strahler ab, die an Bord sehr leicht zu sehen beherrschen, ihn nicht anzubrüllen. Immer waren. Aus den Lautsprechern hörte ich Ti hin verdankten wir dieses nervenzerfetzende ontes verzweifeltes Gebrüll – jetzt war die Psychospiel ausschließlich ihm. Hätte ich Lage auch für ihn gefährlich geworden. So gewußt, wo der verdammte Decoder war … lange er mich im Besitz des Gerätes wußte, So mußte ich hohe Einsätze wagen, ohne konnte er mit Vernunft und Kalkül vorge meine Karten überhaupt richtig zu kennen. hen. Da er aber Ra nicht kannte, mußte er Aber ich war mir so sicher, daß ich das not nun annehmen, daß der Barbar den Verstand wendige Gerät in meinen Besitz bringen verloren hätte. Ich konnte sehen, wie sich würde, daß ich nicht daran dachte, mich Lar die Landeluken öffneten und Tiontes Män tog zu ergeben. Also blieben wir auf dem ner aus dem Schiff strömten – ich zählte
Der geheimnisvolle Barbar mehr als zwanzig Gestalten, die sich an schickten, auf Ra Jagd zu machen. Rasch versteckte ich mich zwischen den Felsen; ich wollte vortäuschen, daß ich mich eben falls an der Hatz beteiligen wollte. Sobald ich ausreichende Deckung fand, verließ ich meine bisherige Spur und wandte mich seit wärts. Während sich die Männer der KAR RETON mit entschieden zuviel Lärm auf die Jagd machten, huschte ich zwischen den Felsen in einem weiten Bogen um den Lan deplatz der KARRETON herum. Zwar konnte auch dieses Gebiet von den Außen bordkameras erfaßt werden, aber ich war mir sicher, daß sich Tiontes Aufmerksam keit voll und ganz auf das Gebiet richten würde, in dem Ra verschwunden war. Um den Barbaren machte ich mir keine Sorgen – der Lärm, den die Verfolger machten, hätte auch für mich gereicht, um jederzeit genau zu wissen, wo sich die Männer befanden. Wahrscheinlich hatte Ra längst die Kette durchbrochen, und die Sucher liefen ins Leere. Vorsichtig bewegte ich mich an das Schiff heran; die Schleuse, aus der die Jäger gekommen waren, stand weit auf. Als ich hineinhuschte, sah ich keine Wache. »Schlamperei!« bemerkte der Logiksektor treffend. So geräuschlos wie möglich bewegte ich mich weiter. Ich wußte nicht, wo Corpkor und die anderen Freunde gefangengehalten wurden, aber es war anzunehmen, daß man sie in ihre Kabinen gesperrt hatte. Als ich den Posten vor Eiskralles Kabinentür sah, wußte ich, daß meine Vermutung richtig ge wesen war. Der Mann war entschieden zu unvorsichtig – er beschäftigte sich mit einem Buch und las, den Rücken an die Kabinentür gelehnt. Aufmerksam wurde er erst, als er meinen Schatten wahrnahm, aber das Zu sammenzucken des Mannes kam zu spät. Ein Dagor-Griff ließ ihn besinnungslos zu sammenbrechen. Ich fing den stürzenden Körper auf, bevor er auf dem Boden aufpral len und Lärm verursachen konnte. Behutsam legte ich den Mann ab, dann öffnete ich leise die Tür.
39 Ich wußte, daß meine Freunde starke Ner ven hatten, aber ich hatte nicht damit ge rechnet, Eiskralle schlafend vorzufinden. Ich stieß ihn leise an, um ihn zu wecken. Der Chretkor schlug die Augen auf, sah mich und stieß einen Schrei aus, den ich nicht mehr verhindern konnte. Mit einem Satz war ich an der Tür und lauschte in den Gang -niemand schien den Schrei wahrge nommen zu haben. »Bist du von Sinnen?« fragte ich leise. »Dein Geschrei kann gehört werden!« Ich sah, wie das Blut in Eiskralles Adern pulsierte – er mußte sehr aufgeregt sein. »Atlan?« hörte ich ihn erschüttert flüstern. »Nein!« gab ich leise zurück. »Orbanaschol persönlich! Was ist mit dir? Kennst du mich nicht mehr?« »Wir hielten dich für tot!« erklärte der Chretkor verlegen; er berichtete mir knapp, was Corpkors tierischer Kurier mit seiner unvollständigen Meldung angerichtet hatte. »Los!« zischte ich. »Wir müssen weiter. Viel Zeit haben wir nicht!« Eiskralle nickte, während ich seine Fes seln löste. Mit den Stricken banden und kne belten wir den Posten, der Eiskralle hätte be wachen sollen. Dann gingen wir möglichst lautlos weiter zu Corpkors Kabine. Auch dort hielt ein Mann Wache, und die ser Posten schlief nicht. Wie der erste stand er mit dem Rücken an die Tür gelehnt, aber unablässig wanderte sein Blick über die Gänge. Es würde nicht leicht sein, ihn zu übertölpeln. »Warte auf mich!« murmelte Eiskralle. »Ich werde versuchen, von der anderen Seite an ihn heranzukommen.« Der Chretkor schlug mir aufmunternd auf die Schulter, dann huschte er davon. Es dauerte nur weni ge Minuten, dann sah ich ihn auf der ande ren Seite des Ganges auftauchen und in aller Ruhe auf den Posten zugehen. Ich sah, wie der Mann die Augen aufriß und Eiskralle wie ein Wunderwesen anstarrte. Offenbar begriff er nicht, wie der Chretkor aus seiner Kabine herausgekommen war. »Könntest du mir den Weg zu meiner Ka
40 bine zeigen, mein Freund?« bat Eiskralle lie benswürdig. »Ich fürchte, ich habe mich ver laufen!« Ich sah, wie der Posten nach Fassung rang; diese Begegnung ging offenbar über seine Kräfte. Er legte dem Chretkor die Hand auf die Schulter und drehte ihn herum – ich nutzte die Chance, sprang auf den Po sten zu und setzte einen Dagor-Griff an. Grinsend fing Eiskralle den Mann auf, als er leise ächzend zusammenbrach. Wir schaff ten ihn in die Kabine, wo Corpkor gefesselt auf seinem Bett lag und bei meinem Eintre ten nicht minder verblüfft die Augen aufriß als Eiskralle. Er faßte sich rasch und half uns, den Posten an seine Stelle zu schaffen und zu fesseln. Den Posten vor Fartuloons Kabine auszu schalten, bedurfte keiner großen Anstren gung; der Mann schnarchte laut und ver nehmlich, als wir ihn fanden. Allerdings hielt ich es für besser, ihn zu betäuben, da mit er für einen längeren Zeitraum nicht in die Auseinandersetzungen um die KARRE TON eingreifen konnte. »Was nun?« wollte Fartuloon wissen, nachdem wir ihn befreit hatten; liebevoll streichelte er sein Skarg. »In die Zentrale!« bestimmte ich. »Wir werden Grahn Tionte eine unangenehme Überraschung bereiten!« In der Zentrale hielten sich nur wenige Männer auf, die gebannt auf den großen Bildschirm starrten. Ra war darauf zu sehen – zwei Arkoni-den hatten ihn aufgestöbert. Er stand auf einem hohen Felsen, grinste höhnisch und winkte den Arkoniden zu. In der Hand hielt er den Decoder. Die Männer wagten nicht zu schießen – zu groß war die Gefahr, auch das unersetzliche Gerät zu tref fen. Wenn sie nur betäubende Waffen ver wendeten, bestand immer noch die Gefahr, daß Ra abstürzte und der Decoder beim Auf prall beschädigt wurde. In der Zentrale der KARRETON wurden wütende Rufe laut; die Männer erregten sich über den Barbaren, der sie äffte und zum Narren hielt. Tionte hatte die Zähne zusammengebissen und um
Peter Terrid klammerte mit den Fäusten die Lehnen sei nes Sessels. »Ein prachtvoller Bursche, dieser Barbar, nicht wahr?« meinte ich freundlich. Tionte erstarrte, dann drehte er sich mit dem Sessel herum; seine Augen schienen aus den Höhlen zu quellen, als er mich in fassungslosem Erschrecken anstarrte. Hinter mir erkannte er Fartuloon in seiner maleri schen Kleidung, Corpkor und Eiskralle – drei Männer, die er in sicherem Gewahrsam wähnte. Tionte stand zeitlupenhaft langsam auf, während seine Männer unter dem Ein druck unserer Bewaffnung langsam zurück wichen. »Damit haben Sie wohl nicht gerechnet?« sagte ich freundlich; Tionte gab ein dumpfes Röcheln von sich. Ohne sich um die teils erschreckten, teils ergrimmten Besatzungsmitglieder zu küm mern, ging Fartuloon zum Kommandanten und nahm ihm das Mikrophon aus der Hand. »Ra!« tönte es aus den Lautsprechern. »Du kannst an Bord kommen!« Ich hörte die Flüche, als wir die Männer in der Zentrale entwaffneten und in eine Ecke zusammendrängten. Während Fartu loon und Eiskralle die Männer abführten und in einem Tank einsperrten, untersuchte ich den Kartentank. Deutlich war die Lücke zu erkennen, in die der Decoder gehörte. Hinter mir erklang ein leises Keuchen; ich fuhr her um und erkannte Ra, der mich unverschämt angrinste. Als handele es sich um Abfall, warf er mir den Decoder zu; ich schluckte und fing das wertvolle Gerät auf. Behutsam legte ich den Decoder an seinen Platz zurück und schaltete den Kartentank ein. Nichts regte sich, kein Licht flackerte auf. Ich wiederholte den Einbau und gab sorg sam auch auf die kleinste Einzelheit acht – jeder Kontakt rastete an der richtigen Stelle ein, auch die Steckverbindungen stimmten. Dennoch war das Ergebnis niederschmet ternd – der Kartentank nahm seine Arbeit nicht auf. Ich hätte schreien können vor Wut und
Der geheimnisvolle Barbar Enttäuschung. Die tagelangen Märsche, die mörderischen Gefahren, denen wir ausge setzt waren -sollte das alles vergeblich sein? Es war möglich, daß nur eine einzige Löt stelle einen Riß bekommen hatte, eine Be schädigung, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen war. Zwar waren die Männer der KARRETON überdurchschnittlich speziali siert, aber ich bezweifelte, daß es darunter jemanden gab, der einen Decoder wieder hätte instand setzen können. Ich schloß die Augen, dann unternahm ich einen dritten Versuch. »Gib auf!« sagte Corpkor leise, nachdem auch der fünfte Einbauversuch zu keiner Verbesserung der Lage geführt hatte. »Es hat keinen Zweck!« Ich senkte den Kopf. Ein winziger Fehler in einem Gerät, an das beim Flug kaum jemand dachte – alle Pläne waren vereitelt. Was blieb? Eine Handvoll Männer, müde und ausgemergelt, ohne Hoffnung auf ein halbwegs erträgli ches Leben auf dieser Ödwelt. Und ein fünf hundert Meter durchmessendes Gebirge aus Arkonstahl ein Wunderwerk der Technik – das nicht von der Stelle zu bewegen war, ein waidwunder Koloß. Die Konsequenzen waren tödlich – ent weder für alle, oder nur für meine Begleiter und mich. Noch fühlte ich in der Tasche je nes Gerät, das ich aus der Funkpositronik ausgebaut hatte – noch war es möglich, um Hilfe zu funken. Aber ich wußte genau: diesen Funkspruch konnte jedermann hören. Verstehen würden ihn Orbanaschols Häscher wahrscheinlich nicht, aber es war kein Kunststück, den Sen der von Automatiken anpeilen zu lassen. Funkten wir im Klartext, waren wir verloren – und ein verschlüsselter Spruch würde die Kralasenen besonders alarmieren. Wenn wir funkten, dann waren meine Freunde und ich verloren – aber wenigstens hatten die Män ner der KARRETON eine hauchdünne Chance. Ich konnte mir allerdings nicht vor stellen, daß die Kralasenen es zuließen, daß Mitwisser ihrer Mordtaten frei herumliefen.
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Niemals würden sie das Überleben der KARRETON-Männer gestatten, wenn diese Männer wußten, daß die Kralasenen den Kristallprinzen erschossen hatten. Funkte ich indes nicht, dann würden wir für alle Zeit auf diesem Planeten festsitzen. Fartuloon und Eiskralle hatten ihre Arbeit beendet und kamen in die Zentrale zurück. Ich erklärte ihnen kurz, was vorgefallen war; sie waren sichtlich betroffen, aber noch ver zagten sie nicht. Sie waren älter als ich und konnten Schicksalsschläge dieses Kalibers offenbar besser verdauen. Der Leutnant fiel mir ein, der immer noch bewußtlos dort lag, wo ich ihn verlassen hat te. Ich dachte an das selbstsichere Grinsen des Mannes. Sollte er gewußt haben, wie der Einbauversuch enden würde? Hatte er viel leicht einen doppelten Streich geführt – das gewaltige Schiff durch den Diebstahl des Decoders und den Decoder durch den Aus bau eines kleinen Bausteins lahmgelegt? Vorsichtshalber öffnete ich den Decoder – es fehlte tatsächlich eine kleine Platte mir aufgedampften Schaltungen. »Dieser Satansbraten!« sagte ich wütend; innerlich grinste ich – dieser Lartog war ein verteufelt gerissener Bursche und zäh oben drein. Jetzt wurde mir klar, was ihn während des Rückmarsches amüsiert hatte. Lartog hatte einen Schritt weiter geplant und gehan delt, als ich angenommen hatte. Auf dem Bildschirm konnte ich sehen, daß er sich ge rade wieder aufrichtete und seinen vermut lich stark schmerzenden Schädel betastete. »Kommen Sie bitte an Bord, Leutnant Lartog!« sagte ich über das Mikrophon. »Wenn Sie wegzulaufen versuchen, nehme ich Sie mit den Bordgeschützen unter Feu er!« Die hervorragenden Optiken zeigten mir die Reaktion des Leutnants – der Mann lach te laut auf. »Warum auch nicht, wenn du so albern drohst!« rügte der Logiksektor. »Wenn du etwas von ihm willst, dann wirst du schwer lich mit Kanonen auf ihn schießen wollen. Und Lartog weiß genau, was du von ihm
42 willst!« Ob Lartog sich Ähnliches dachte, konnte ich nicht wissen – jedenfalls folgte er meiner Aufforderung. Nach einigen Minuten stand er vor mir in der Zentrale, nicht im gering sten von den Waffen beeindruckt, die auf ihn gerichtet waren. »Was kann ich für Sie tun?« fragte der Leutnant freundlich; er verzog das Gesicht, als die Nachwirkungen des Paralysator schusses ihm neue Kopfschmerzen bereite ten. Ich hatte inzwischen sämtliche Luken schliefen lassen – ich wollte es den Männern im Freien nicht ganz so leicht machen, wie es Tionte bei mir getan hatte. Ich hielt dem Leutnant den geöffneten Decoder unter die Nase und deutete auf die fehlende Schaltung. »Sie wissen nicht zufällig, was hier fehlt?« erkundigte ich mich freundlich. Der Leutnant sah mich vergnügt an, dann antwortete er unbefangen: »Tut mir leid, ich kenne mich in diesen Geräten nicht gut aus! Vielleicht sehen Sie einmal im Lager nach – dort findet sich oft allerlei, was man brauchen kann!« »Leutnant!« sagte ich sehr leise. »Ich weiß genau, daß Sie dieses Bauteil aus dem Decoder entfernt haben. Und ich erwarte von Ihnen, daß Sie mir dieses Teilstück zu rückgeben!« »Und wenn ich das nicht tue?« wollte Lartog wissen. Er hatte sich in einen freien Sessel gesetzt und sah mich von unten herauf grinsend an; es sah nicht danach aus, als ließe sich dieser Mann so ohne weiteres zu Zugeständnissen zwingen. »Ich könnte Eiskralle bitten, Sie einmal zärtlich in die Arme zu nehmen!« schlug ich vor; allmählich nahm das Gespräch eine sehr merkwürdige Richtung. »Wenn Sie glauben, daß Sie auf diese Weise Ihren Decoder wieder reparieren kön nen«, meinte Lartog liebenswürdig, »stehe ich Ihnen zur Verfügung!« »Ich kann Sie auch eigenhändig verprü geln«, drohte ich, »wenn Ihnen das mehr be
Peter Terrid hagt!« Ra packte mit einer Hand den Mann am Nacken und drückte langsam zu; dieses Ver fahren erschien mir etwas sehr barbarisch zu sein, aber viele Argumente hatte ich nicht mehr. Also sah ich scheinbar gelangweilt zu, wie sich das Gesicht des Leutnants verfärbte und dunkel anlief. Es war unglaublich, der Bursche hatte die Frechheit, selbst bei Ras Würgegriff zu grinsen und die Beine ver schränkt zu halten. Erst als er kurz davor war, das Bewußtsein zu verlieren, begann er mit den Händen zu schlagen und zu zucken. In diesem Augenblick lockerte Ra seinen Griff. Lartog schnappte keuchend nach Luft. Aber sobald sein Gesicht wieder eine nor male Farbe aufwies, nahm er die vorige Hal tung wieder ein, und er lächelte auch wieder. »So geht es nicht!« stellte Corpkor trocken fest; ich hörte an seiner Stimme, daß er für Lartog etwas übrig hatte. »Dieser Bur sche ist so zäh, daß selbst das Skarg an ihm stumpf werden wird!« »Das kommt auf einen Versuch an!« meinte Fartuloon und zückte sein Schwert. Sein Hieb kam ansatzlos und auch für mich überraschend; knapp einen Finger über dem Scheitel des Leutnants zischte die Klin ge durch die Luft. Aber auch das brachte diesen dickschädligen Mann nicht zur Be sinnung. Ich gab es auf. »Welche Bedingungen stellen Sie?« frag te ich resignierend. »Ich möchte ebensowenig auf diesem Pla neten mein Leben fristen wie Sie!« entgeg nete mein Gegenüber. »Ich weiß selbst nicht genau, wie wir zu einem Arrangement kom men können, aber ich bin nicht gewillt, das Teil herauszurücken, ehe wir nicht eine Lö sung gefunden haben!« »Wir lassen Ihnen ein Funkgerät zurück!« schlug ich vor. Der Leutnant sah mich wie einen Geistes kranken an. »Wollen Sie den großen Sender der KAR RETON ausbauen?« erkundigte er sich spöt tisch. »Und wenn – liefern Sie mir auch
Der geheimnisvolle Barbar gleich noch den Reaktor dazu, den ich brau che, um das Gerät zu betreiben? Bevor Sie noch einen Vorschlag dieser Güte machen einen Beibootsender kann ich auch nicht brauchen. Die Anlage ist viel zu sende schwach, um nennenswerte Entfernungen überbrücken zu können!« Das Argument wog schwer; er hatte in je dem Punkt recht. »Ich habe einen Vorschlag!« meinte Lar tog plötzlich. »Überlassen Sie uns das Schiff. Ich verspreche Ihnen, daß ich Ihre Freunde so schnell wie möglich benachrich tigen werde, wo Sie zu finden sind!« Diese Lösung kam nicht in Frage. »Unbefugten die Position zu verraten, wo Sie meine Freunde finden könnten«, wehrte ich ab, »ist zu gefährlich. Man würde Sie er wischen und meine Freunde auch. Das wäre der Beginn einer Katastrophe. Wie wäre es mit der entgegengesetzten Lösung?« »Überlegen Sie selbst!« meinte Lartog. »Sie und Ihre Freunde sind offenbar Männer einer Art, die vom Imperium nicht gerne ge sehen wird – würden Sie sich in meiner La ge auf Ihr Versprechen verlassen? Ich glau be kaum!« Ich hätte aus der Haut fahren können, mir wollte nichts einfallen, wie diese vertrackte Lage zu bereinigen gewesen wäre. »Wir könnten Ihnen eines der Beiboote überlassen!« schlug Eiskralle vor. »Sie sind zwar nicht flugklar, aber …« Er stockte, denn er sah selbst ein, wie lä cherlich dieser Plan klingen mußte, aber zu meiner Überraschung nickte der Leutnant. »Mit vereinten Kräften müßte es uns ge lingen, eines der Boote wieder flottzube kommen!« überlegte er halblaut. »Damit wäre beiden Parteiengedient! Einverstan den?« Ich nickte erleichtert; gespannt sah ich zu, wie Lartog in die Tasche griff und nach eini gem Suchen eben jenes Plättchen zum Vor schein brachte, das wir so dringend brauch ten. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte ich das Teil in den Decoder wieder ein gebaut und das Gerät geschlossen; der Ein
43 bau in den Kartentank war fast schon Routi ne. »Das, das …!« stammelte Lartog, und sein Gesicht wurde fahl; auch ich fühlte mich, als habe mir ein Riese auf den Kopf geschlagen. Die Zentrale flimmerte vor mei nen Augen. Keiner der Bildschirme leuchtete auf; der Kartentank blieb leblos. Ich fuhr herum und packte den Leutnant. »Was wollen Sie mit diesem Trick jetzt wieder erreichen?« brüllte ich ihn wütend an. Der Mann schüttelte verzweifelt den Kopf, dabei blieb sein Blick auf den nutzlo sen Kartentank gerichtet. »Das habe ich nicht gewußt!« stammelte er. »Das war nicht geplant!« Offenbar hatte der Decoder oder die Schaltplatte beim Transport einen Defekt bekommen. Unsere letzte Hoffnung war er loschen – auch für den Leutnant, der die Hände vors Gesicht schlug und laut auf stöhnte.
* Über das Beiboot wurde nicht mehr ge sprochen. Tionte und seine Männer waren gebrochen. Auf dem Höhenzug in der Nähe des Landeplatzes hatten sich die Männer versammelt, neben der Gruppe stand ein Beibootsender auf dem felsigen Boden. Au ßerdem hatte ich ihnen noch ein Dutzend Robots zurückgelassen. Tionte und seine Männer hatten sich für den Planeten entschieden; auch die beiden Leutnants hatten ihre Wahl getroffen, und sie war nicht für die KARRETON gefallen. Ich hatte Lartog versprochen, Hilfe für ihn zu organisieren, wenn es mir gelang, das Schiff in den Raum zu bringen. Lartog hatte mir aufmerksam zugehört und dann leicht genickt. Der Mann schien mit dem Leben abgeschlossen zu haben. Ich hatte mich entschlossen, den Versuch zu wagen, die KARRETON ohne Kartentank zu fliegen. Ich hatte etwas dagegen, un
44 tätig auf ein Wunder zu warten, das sich ver mutlich nie ereignen würde. Mein Plan sah vor, das Schiff zunächst in den Raum zu bringen. Schon das war riskant genug. Zwar hatten wir uns in tagelanger Arbeit bemüht, alle Schäden zu beheben, aber es erschien mir zweifelhaft, daß unsere Arbeit größeren Belastungen gewachsen war. Ich merkte den Unterschied schon beim Warmlaufen der Aggregate – die Reaktoren liefen stotternd, und aus den Schlünden der Ringwulsttriebwerke quoll dichter Qualm. Dieser Auftakt war alles andere als verhei ßungsvoll. Als ich die Antigravtriebwerke aktivierte und langsam hochfuhr, erscholl aus dem Schiffsinnern ein grelles Heulen und Pfeifen. »Der Kasten fliegt uns um die Ohren!« murmelte Eiskralle düster. »Noch kannst du aussteigen!« erinnerte ich ihn. »Ich nehme niemanden mit, der nicht unbedingt will!« »Sieh zu, daß du den verdammten Kasten in die Höhe bekommst!« knurrte Corpkor; er kümmerte sich um die Maschinen und machte ein sorgenvolles Gesicht. Die Zeiger auf den Instrumenten vor ihm – ich sah es aus den Augenwinkeln heraus -pendelten beängstigend hin und her. Ohne dauernde Überwachung ließen sich diese unangeneh men Effekte nicht vermeiden, aber dazu fehlten uns Männer. Tionte hatte mich wie einen Wahnsinni gen angesehen, als ich ihm vorgeschlagen hatte, mit uns zu fliegen – für Sekunden hat te sein Gesicht aufgeleuchtet, wahrschein lich freute er sich darauf, uns zerplatzen zu sehen. »Dafür hat er sich einen sehr ungünstigen Platz ausgesucht!« kommentierte mein Lo giksektor trocken. Ich konnte Tionte auf den Monitoren se hen, als sich die KARRETON langsam und ungleichmäßig in die Höhe hob. Wenn das Schiff tatsächlich explodieren sollte, würde sich ein mörderischer Trümmerhagel auf ihn ergießen und ihn mit Sicherheit erschlagen. Die KARRETON quälte sich in die Höhe;
Peter Terrid schmetternde Schläge ließen den Rumpf er zittern, als ich die Landestützen einfahren ließ. Zufrieden konnte mich nur die Tatsa che stimmen, daß keine der Stützen das Ein fahren verweigerte. Die KARRETON starte te mit einer lebensgefährlichen Schlagseite, und eine noch ausgefahrene Stütze hätte sie vollends kippen lassen. Ich spürte nicht, wie sich meine Hände um die Instrumente krampften. Immer wieder mußte ich den fehlenden Schub ausgefallener Triebwerksdüsen durch vermehrte Belastung anderer Triebwerke ausgleichen – und sofort korrigieren, wenn sich eine ausgefallene Düse, launisch wie ei ne Primadonna, plötzlich dazu entschloß, doch für wenige Minuten ihren Dienst zu tun. Längst hatten die Rettungsautomatiken uns an unsere Sitze gefesselt, andernfalls hätten uns die wilden Bewegungen des Schiffes längst aus unseren Sesseln ge schleudert. »Wäre es dir möglich, verehrter Freund«, hörte ich Corpkor höflich sagen, »den Schub der Backborddüsen um dreißig Prozent zu verstärken. Auf dieser Seite werden nämlich bald sämtliche Antigravs ausfallen!« Derlei kannte ich schon – es gab eine ge wisse Sorte von Menschen, die eine sehr ei gentümliche Art von Humor gerade dann entwickelten, wenn es brenzlig stand. Ich folgte der Aufforderung Corpkors – mit dem Ergebnis, daß sich die KARRETON wild zu drehen begann. Anstatt auf die unteren Dü sen hatte eine defekte Positronik den Im pulsstrom auf die Außendüsen gelenkt, die jetzt das Schiff wild kreiseln ließen. Ich ver suchte gegenzusteuern – und diesmal liefen alle Vorgänge leidlich normal ab, wenn man einmal davon absah, daß aus zwei der Ring wulstdüsen Wasserdampf strömte. Was der Mann sich gedacht haben mochte, der die sanitären Einrichtungen mit dem Antrieb koppelte, würde mir für alle Zeiten ein Rät sel sein. Sehr wirkungsvoll war die Verbin dung nicht – es dauerte knapp zehn Minuten, dann arbeiteten die Düsen wieder normal. Ich sah auf den Höhenmesser.
Der geheimnisvolle Barbar In einer halben Stunde war es uns gelun gen, die KARRETON um zwei Kilometer in die Höhe zu bringen. Das wild tanzende Schiff schien auch Tionte zur Besinnung ge bracht zu haben – ich sah auf dem Monitor, wie er sich mit seinen Männern in wilder Flucht absetzte und der Wüste entgegen rannte. Das Funkgerät wurde von den Ro bots geschleppt – wenigstens so schlau war er gewesen, das Gerät nicht einfach stehenzulassen. Plötzlich jagte die KARRETON förmlich in den Himmel; erschrocken starrte ich auf die Instrumente – alle Systeme arbeiteten einwandfrei. Ich konnte nur hoffen, daß die ser Zustand anhielt. Es dauerte nur wenige Minuten, dann hat ten wir die kritische Grenze erreicht – die KARRETON war im freien Raum. Jetzt gab es kein Zurück mehr – eine erneute Landung hätte das schwer angeschlagene Raumschiff nicht überstanden. Das übelste waren nicht einmal die Schä den, die das Schiff davongetragen hatte, die größte Gefahr erwuchs aus dem Umstand, daß wir zuwenig Männer waren – wir hätten die gesamte Besatzung der KARRETON ge braucht, um einen halbwegs ordentlichen Start durchführen zu können. Der gefährlichste Teil unserer Wahnsinnsreise lag indes noch vor uns. Ich hatte einen Kurs programmiert, der seine Werte aus schließlich aus astronomischen Beobachtun gen bezog. Wir flogen praktisch nach Sicht – was mit einem atmosphäregebundenen Fahrzeug noch angehen mag, im Sternenraum aber blanker Wahnsinn war. Aber nach dem Ausfall des Kartentanks hatte ich keine andere Möglichkeit mehr gesehen, den öden Planeten zu verlassen. Wir hatten Zeit gewonnen – die Triebwer ke liefen einwandfrei und stießen die KAR RETON mit immer höher werdender Fahrt vor sich her. Bis zum Sprung mußten wir noch eine Stunde warten, vielleicht sogar noch länger, wenn uns die Triebwerke ent täuschten. Ra trat zu mir und servierte mir einen Be
45 cher, den er mit dem merkwürdigen heißen Trank aus Kräutern gefüllt hatte. Ich lächelte ihm dankbar zu. Während ich langsam das heiße Getränk schlürfte, dachte ich wieder an den Barba ren. Wenn er nur reden würde – er hätte uns in dieser verzweifelten Lage sicher wesent lich helfen können. So aber stand er in der Zentrale, die Arme verschränkt und mit gleichgültiger Miene, als gehe ihn das Ge schehen ringsum überhaupt nichts an. Langsam rückte der Zeitpunkt der Transi tion heran; mein Herz schlug ungewöhnlich oft und hart, die Aufregung zerrte an den Nerven. Der Sprung würde gelingen, das war mir bewußt – es war nur die Frage, wo er enden würde. Die reichlich groben Werte, die ich ermittelt hatte, mußten von den Po sitroniken aufgearbeitet werden – dabei wür den sich meine Rechen- oder Beobachtungs fehler ins Unermeßliche hinaufschaukeln. Ich hatte vor, von einem Stern zum nächsten förmlich zu hüpfen – solange, bis ich Krau mon erreicht hatte. Es war aber ebensogut möglich, daß uns die Maschinen der KAR RETON zu einem ganz anderen Sektor des Raumes führten. Corpkor murmelte finster: »Hoffentlich hast du dich nicht allzusehr verrechnet. Dieser Sektor ist zwar recht ster nenarm, aber wenn wir in einem großen Sy stem landen …« »Es wird nicht gleich Orbanaschols Palast sein, wo wir herauskommen!« gab Eiskralle zurück. Unter unseren Füßen tobten die Reakto ren; sie liefen zwar nicht mit höchsten Wer ten, aber diese Obergrenzen galten für ge wöhnlich nur für voll funktionsfähige Anla gen. Ob wir den Maschinen zuviel abver langten, konnten wir nicht wissen -wir wür den es aber früh genug merken, dachte ich sarkastisch. Die Positronik spie einen langen Streifen aus, ich las die Zeichen und nickte. Meine Werte fand ich nur mit Mühe wieder. Was den Rechner bewogen haben mochte, die Daten für die Transition so und nicht anders
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zu wählen, blieb mir unbekannt. Ich konnte nur hoffen, daß die Maschine tatsächlich in telligenter war als ich. Ich fütterte die Sprungautomatik mit den Daten und schnallte mich wieder an; ich spürte, daß meine Hände feucht wurden vor Erregung. Jetzt kam die entscheidende Phase unseres Versuchs. Ich fühlte das Zittern des Bodens, die von den Maschinen ausgehenden Geräusche stei gerten sich zu einem Orkan, in dem jedes Wort unterging. Der Boden vibrierte von Minute zu Minute stärker – als wollten die Maschinen das Schiff buchstäblich zerrei ßen. Dann heulten die Sprunggeneratoren in fernalisch auf, ich spürte einen fürchterli chen Schmerz im ganzen Körper, dann wur de es Nacht um mich herum.
* Der Sprung war gelungen; ich merkte es an den qualvollen Schmerzen, die vor allem im Nacken saßen. Die KARRETON hatte einen Sprung ausgeführt und war dabei nicht in einer gewaltigen Explosion vergangen. Allerdings war der Sprung äußerst unange nehm gewesen – vermutlich hatten die Ge neratoren nicht mit der nötigen Präzision un sere Entstofflichung und Rematerialisation bewirkt. Diesmal war der Sprungschock so gewaltig gewesen, daß sogar Ra schmerzer füllte Grimassen schnitt. »Glück gehabt!« knurrte Corpkor, der als erster wieder auf den Beinen war. »Wir ha ben verdammt viel Glück gehabt!« Er wies auf den Boden der Zentrale, der mit Splittern übersät war. Zwei kleinere Mo nitoren hatten ihr technisches Leben ausge haucht, die Bildschirme fehlten, und aus den ausgebrannten Öffnungen quollen die Kabel. Immerhin waren diese beiden Geräte für uns nicht wichtig. Ein Knopfdruck ließ einen Reinigungsro bot herbeischnurren, der sich mit maschinel ler Sturheit und Präzision daran machte, die Splitter aufzusaugen.
Ich schaltete den Panoramaschirm auf höchste Stärke und betrachtete mir das Ge biet, das wir angeflogen hatten. Es war – ich hatte es geahnt – nicht der Stern, für den ich mich entschieden hatte. Eine weißblaue Son ne war in unserer Nähe zu erkennen; sie hat te keine Planeten, was uns nur lieb sein konnte. Das bedeutete, daß in der Nähe des Sternes keine arkonidischen Schiffe zu er warten waren. Eiskralle, der die Ortung übernommen hatte, stieß einen erstickten Schrei aus. »Ein Schiff!« knurrte er. »Und zwar ein unangenehm großes!« Ich rannte zu ihm hinüber und sah auf den Monitor. Der Massetaster hatte ein Objekt erfaßt, dessen Konturen sich deutlich auf dem Schirm abzeichneten. Ein kugelförmiges Gebilde, mit einem ringförmigen Wulst ver sehen und knapp fünfhundert Meter groß. Es mußte sich um ein arkonidisches Schiff han deln. Selbst wenn es nur ein relativ schwach bewaffneter Frachter war, saßen wir in der Klemme – mit unserer schwachen Besat zung war an Gegenwehr nicht zu denken. »Das Schiff fliegt mit hoher Fahrt, aber ohne Antrieb!« teilte Eiskralle mit; er hatte den Plastikstreifen aus dem Auffangkorb des Rechners gefischt und schnell gelesen. »Es sieht so aus, als sei das Schiff verlassen!« »Wer verläßt ein Fünfhundert-Me ter-Schiff, ohne die Beiboote mitzuneh men?« fragte Corpkor lakonisch. Er deutete auf das Bild des Schiffes – in der glatten Außenwand klaffte keine Lücke – folglich war entweder jemand an Bord geblieben, der die Hangars wieder verschlossen hatte, oder aber sämtliche Beiboote befanden sich noch im Innern. »Was mag dort drüben geschehen sein?« überlegte Fartuloon laut. »Ich habe das Schiff angemessen – dort drüben wird kein Fünkchen Energie mehr erzeugt. Wo mag die Besatzung geblieben sein?« »Vielleicht ein Seuchenschiff!« meinte Eiskralle. »Mir ist es gleichgültig, um was für ein
Der geheimnisvolle Barbar Schiff es sich handelt!« sagte ich entschlos sen. »Ich weiß nur eines – dieses Schiff ist vom gleichen Serientyp wie das unsrige. Ich folgere daraus, daß dieses Schiff einen Kartentank hat, und in dem Tank …« »… und in diesem Tank«, setzte Corpkor grinsend fort, »steckt genau der gleiche De coder, wie wir ihn auch benützen würden, wenn wir könnten! Du willst dir den Deco der des Frachters holen?« »Genau!« bestätigte ich, während ich mir einen raumtauglichen Anzug überstreifte. Fartuloon hatte inzwischen dafür gesorgt, daß wir so nahe bei dem Frachter standen, wie es aus Sicherheitsgründen zu verantwor ten war. »Wie willst du hineinkommen?« erkun digte sich Corpkor; aus seinem Funkgerät kam nur das Prasseln der Statik – er hatte versucht herauszufinden, ob der Fremde auf Normalfunk einen Sender betrieb. »Mit den Handstrahlern müßtest du Jahre arbeiten!« Auch auf diese Frage war mir schon eine Antwort eingefallen; während ich die Ver schlüsse des Anzuges überprüfte und arre tierte, befahl ich: »Eiskralle nimmt sich das kleinste Desin tegratorgeschütz und schneidet damit ein Loch in die Bordwand!« »Wenn dort drüben noch jemand lebt«, überlegte Corpkor laut, »wird er sich dar über nicht sehr freuen. Immerhin ist der Frachter wesentlich stärker bewaffnet als wir!« »Und noch etwas!« sagte Fartuloon. »Du bleibst hier – ich habe gerade festgestellt, daß der Kasten drüben strahlt wie zehn Kon verter zusammen. Wahrscheinlich hat die hohe Radioaktivität auch verhindert, daß sich jemand von der Besatzung retten konnte – wenn du den Frachter betrittst, wird das dein sicherer Tod sein!« »Der war schon seit meiner Geburt si cher!« gab ich zurück. Hier ergab sich eine einmalige Möglich keit, unsere Lage entscheidend zu verbes sern. Hatten wir erst einmal den Decoder, dann war die Fahrt nach Kraumon nur noch
47 halb so gefährlich. Da sich Eiskralle weigerte, meinem Be fehl zu folgen, bediente ich selbst den Des integrator und schuf mir einen Einstieg in das Schiff. Aus der Öffnung entwich Sauer stoff und verwehte in einer weißen Wolke. Während ich mich der Rückstoßpistole bediente und langsam zu der Öffnung hin überschwebte, redete Fartuloon beständig auf mich ein, mein Vorhaben aufzugeben. Aber ich war fest entschlossen. Nur einen Vorsatz hatte ich abgeschrie ben. Ich hatte geplant, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, Besitz von diesem Schiff zu ergreifen – diese Möglichkeit ver bot sich von selbst. Das zeigte mir ein Blick auf mein Kombigerät an meinem Arm -das Dosimeter zeigte Werte an, die mich nach denklich hätte stimmen sollen. Wenn ich mich länger als eine Stunde in der Nähe der Radioaktivität aufhielt, bestand die Gefahr ernsthafter Schädigungen. Vor Strahlung schützte der Anzug nur wenig. Ich hatte die Öffnung erreicht, und mein Dosimeter zeigte Rotwerte. In den Helm lautsprechern hörte ich Fartuloons Stimme – er beschwor mich noch immer, den Versuch abzubrechen. »Ich habe das Schiff erreicht und dringe ins Innere vor!« gab ich bekannt. Es gab eine kurze Phase der Übelkeit, als ich den ersten Gang erreichte und den ersten Toten sah. Es handelte sich um einen jungen Arkoniden. Die Strahlung hatte ihn zwar auf grauenvolle Weise getötet, gleichzeitig aber seinen Leichnam für Jahrtausende konser viert. Ich konnte nicht feststellen, wann die Katastrophe sich ereignet haben mochte – genau wissen würde ich es, wenn der Deco der nicht paßte, weil er zu einer älteren Bau serie gehörte. Im dem Schiffsinnern herrschte Schwere losigkeit, da eine Automatik offenbar alle Systeme abgeschaltet hatte. Ich suchte daher zunächst die Maschinenzentrale auf und ver suchte, einen Reaktor in Gang zu bringen. Daß ich dabei hohe Strahlungsdosierungen abbekam, ließ sich nicht vermeiden – ohne
48 eingeschaltete Gravitation hätte ich zuviel Zeit verloren und noch mehr Strahlung ein gefangen. Nach kurzer Zeit erwachte der Reaktor zu neuem Leben; eine Frauenstimme sagte in reinem Arkonidisch, daß der Katastrophen fall aufgehoben war. Schlagartig flammten die Lichter auf, und die künstliche Schwer kraft setzte mich unsanft auf den stählernen Boden. Sofort verließ ich den Maschinen raum und suchte nach der Zentrale. Ich hatte Glück und fand sie sofort; sie war da, wo man sie normalerweise erwarten sollte, im Schiffmittelpunkt. Aber Frachter konstrukteure hatten oft merkwürdige An wandlungen und bauten auf völlig normal aussehenden Zellen irrwitzige Konstruktio nen im Innern. Auch den Kartentank hatte ich rasch ge funden; meine Erregung stieg, als ich das Gerät auseinanderbaute und nach dem Deco der zu suchen begann. Ich hatte mich nicht getäuscht – der Konstrukteur dieses Schiffes hatte sehr eigene Ansichten über eine zweckmäßige Bauweise von Frachtschiffen. Ich verrenkte mir fast den rechten Arm, als ich die Steckverbindungen löste. »Ich habe den Decoder!« teilte ich meinen Freunden mit. »Beeile dich!« ermahnte mich Fartuloon drängend. »Die Strahlung wird zusehends gefährlicher – obendrein steigt die Intensität an. Hast du etwa ausgerechnet den Unglück reaktor in Betrieb gesetzt?« »Kann sein!« gab ich zurück; die Freude über den Decoder ließ meine Wachsamkeit bedenklich schrumpfen. Ich vermied es, beim Rückmarsch in die Gesichter der Toten zu sehen. Sie machten einen grauenvollen Eindruck. Wahrschein lich hatte der Tod sie alle innerhalb weniger Augenblicke dahingerafft. Ich wollte das Unglücksschiff so schnell wie möglich ver lassen – Fartuloons Warnung klang mir noch in den Ohren. Obwohl ich die Gefahr kannte, ging ich nicht zurück, um den Reaktor auszuschalten. Das Risiko, von einer Detonation zerrissen
Peter Terrid zu werden, erschien mir geringer als die heimtückische Bedrohung durch die Radio aktivität. Langsam schwebte ich zur KARRETON hinüber – Eiskralle stand hinter einem Trak torfeldprojektor und holte mich mit ziemli cher Rücksichtslosigkeit heran. Noch wäh rend sich hinter mir der Hangar schloß, nahm die KARRETON Fahrt auf. So schnell es ging, begab ich mich in die Zentrale und nahm wieder meinen Platz ein. Es wurde höchste Zeit – das bewies mir ein Blick auf die Instrumente. In jedem Au genblick konnte der Reaktor explodieren, und es war einer der größten Reaktoren, über die der Frachter verfügte. Wir hatten eine knappe Lichtminute Ab stand gewonnen, als der Reaktor detonierte. Ich glaubte, auf den Bildschirmen sehen zu können, wie die Hülle des Frachters ausein anderplatzte, und dann verschwand das Schiff in einer künstlichen Sonne, deren Glut bis zu uns herüberstrahlte. Die KAR RETON wurde von den Auswirkungen der Explosion am Rande getroffen – das Schiff knirschte in allen Verbänden, aber es trug keinen Schaden davon. Nur ein Monitor ging zu Bruch, aber das konnten wir ver schmerzen. Sobald sich der Raum wieder beruhigt hatte, machte ich mich an den Ein bau des erbeuteten Decoders. Ich hielt den Atem an, als das Gerät eingebaut war. Ich drückte den Einschaltknopf und hörte das leise Surren, mit dem die Anlage ihren Be trieb aufnahm. Ra schien zu begreifen, was vorgefallen war. Er brüllte laut auf, tanzte durch die Zentrale und schlug uns wild auf die Schul tern. Eiskralle und die anderen waren nicht minder erfreut, aber sie beherrschten sich und zeigten ihre Erleichterung nur in einem Grinsen. Auf den Bildschirmen zeichnete sich eine rotglühende Gaswolke ab, wo vor wenigen Minuten noch der Frachter gestan den hatte. Die Detonation des Reaktors hatte ihn völlig zerrissen. Fartuloon tippte mir auf die Schulter.
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»Ich kann mir vorstellen, daß du vor Freude strahlst«, sagte er grinsend. »Aber für mei nen Geschmack strahlst du etwas zu heftig!« Ich hatte völlig vergessen, daß mein An zug von Radioaktivität förmlich troff. So rasch es ging, stellte ich mich unter eine neutralisierende Dusche, den Anzug beför derte ein Robot in den Konverter. Es dauerte mehr als eine Stunde, bis ich wieder frei von Strahlung war. Fartuloon untersuchte mich gründlich, dann erklärte er: »Du hast wieder einmal Glück gehabt! Du hast zwar etwas abbekommen, aber wenn du in der nächsten Zeit entsprechend enthalt sam lebst, wird es keine Schäden geben!« Ich machte eine weitausholende Bewe gung mit dem Arm. »Dort draußen«, erklärte ich grinsend, »ist mehr Strahlung als irgendwo sonst. Kannst du mir sagen, wie ich mich davor wirkungs voll schützen soll? Oder willst du mir den Weltraum verbieten?« »Eine hübsche Vorstellung!« meinte der Bauchaufschneider belustigt. »Atlan, der heldenhafte Kristallprinz, hinter einem war men Ofen hockend, auf dem Kopf eine von
Farnathia gestrickte Nachthaube …« Er kam nicht dazu weiterzusprechen, wir bogen uns vor Lachen. Die Vorstellung hatte etwas Absurdes an sich. Nein, so würde ich niemals leben wollen. Mein Traum war, den Raum durchstreifen zu können – mit einem guten Schiff und guten Freunden. Wie Fartuloon, dem Bauchaufschneider in der altmodischen Rüstung und seinem Skarg. Corpkor, dem Mann, der mit Tieren reden konnte, der früher Tiere geliebt und Men schen verachtet hatte -jetzt war er ein zuver lässiger Freund seiner Freunde. Oder Eiskralle, dem Mann, dem man tat sächlich ansehen konnte, was in ihm vor ging. Und natürlich Ra. Ich wußte, daß er mein Freund werden würde; wir würden ein zwar seltsames, aber prachtvolles Gespann abgeben.
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 149:
Vergessen über Wiga-Wigo
von Hans Kneifel
Der Lordadmiral und der Instinktspezialist – auf dem Planeten der Amnesie.