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Von Alf Tjörnsen
Der Mars stand tief am Sommerhimmel. Eine w inzige M ondscheibe. R ötlich g leißte er u nd w ...
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Von Alf Tjörnsen
Der Mars stand tief am Sommerhimmel. Eine w inzige M ondscheibe. R ötlich g leißte er u nd w arf ei n g espenstisches L icht au f d ie reifenden F elder u nd i n das s tille W asser d es D orfbaches. E in ei nsamer M ann k am d ie Landstraße en tlang. S chwer h allten s eine S chritte au f d er s chmalen H olzbrücke, d ie über den Bach f ührte. D er u niformierte Ordnungshüter, der m it s einem Schäferhund u nterwegs war, salutierte höflich, als er den späten Wanderer erkannte. „Guten Abend, Herr Winter." Der Wanderer sah die Verwunderung im Gesicht des Polizisten und reichte Ihm die Hand. „Abend, Wohlert! Habe noch mal nach dem Roggen gesehen. Kann einfach nicht schlafen!" „Das macht der große Stern, Herr Winter." „Auch schon abergläubisch?" lachte der Bauer mit seinem tiefen Baß und streichelte den Hund, der ihn aufmerksam anhechelte. Sie gingen an den Bauernhäusern vorbei, aus deren Gärten es warm nach Erde und Kraut und Blumen roch. Von der nahen Elbe herüber kam eine frische Brise. „Was halten Sie von dem Ding da oben, Wohlert?" „Nichts", lachte der junge Wachtmeister verlegen. „Ich kenne mich in der Astronomie nicht aus" „Es g ibt L eute, d ie b ereits d en W eltuntergang an künden, w eil d er M ars s eit ü ber z wanzig Jahren nicht in solcher Nähe der Erde gestanden habe." „Das tun diese Spinner vor jeder Mondfinsternis." „Ich nehme solche Redensarten auch nicht ernst." Winter schob mit seinem Handstock einen Stein aus dem Wege. „Aber wenn man zwei Kinder bei der Weltraumfahrt hat — den Jungen auf einem anderen Planeten und das Mädel drüben in der Atomstadt — dann macht man sich doch Gedanken ü berlies, w as ü ber uns g eschieht. U nd w enn der T eufel w ill, s chickt er u ns ei n Geschwader fliegender Untertassen vom Mars." „Um unsere Großstadt zu erobern, Herr Winter?" Wieder flog ein Stein weg. „Wir würden s ie m it d er Feuerwehr I n E mpfang n ehmen", s agte W inter t rocken. „ Aber trotzdem möchte ich nicht, daß einmal so etwas geschieht — schon um Ginas willen nicht..." Der W achtmeister n ickte. E r kannte d en h übschen, ab er l eider s o k ühlen D ickschädel Gina Winter, der genau so abenteuerlustig war wie der Bruder. „Wenn wirklich einmal etwas passiert, stehen die von der Raumfahrt natürlich in vorderster Front." „Das i st ja meine g anze S orge, W ohlert. H offentlich m acht d as M ädel k ein« n euen Dummheiten — ich habe lange nichts von ihr gehört", knurrte der Bauer und schickte sich an, über die Dorfstraße zu seinem schmucken Hof zu gehen. Wachtmeister Wohlert blieb stehen. „Na, denn gute Nacht auch." „Gute Nacht, Herr Winter!" Er hob wieder die Hand an den Mützenschirm und sah dem Alten nach, wie er sehr aufrecht und selbstbewußt die Anhöhe zu seinem Hof hinaufstieg. Im Fenster des vorderen Wohnzimmers spiegelte sich der rote Planet — der Mars... „Der h at au ch n ichts v on s einen K indern", s agte er l eise zu s einem H und, d er m it k lugen, großen Augen zu ihm aufsah. „Der Hoferbe treibt sich als Zuchtspezialist auf der Venus herum, und das Mädel kann auch die Finger nicht davon lassen. Na, komm, Greif!" Der Schäferhund folgte gehorsam seinem Herrn. Über ihnen gloste der fremde Stern durch die Nacht. Und irgendwo im Weltall näherte sich ein geheimnisvolles, rotes Raumschiff, das selbst den Fachleuten unheimlich war. Davon wußten sie ab er nichts, d er Wachtmeister Wohlert und die Menschen dieses Dorfes, die in ihren Betten lagen und dem neuen Arbeitstag entgegenträumten.
Und doch war die Nacht drückender und unruhiger als sonst. Der Hund winselte leise, wenn ihm der rötliche Schein in die Augen fiel. Vom Kirchturm schlug es zwei. Der alte Winter kam auch jetzt noch nicht zur Ruhe. Er stand im finsteren Wohnzimmer und horchte in die Stille. Unheimlich war sie — als tappten in i hr t ausend G eister dur ch das schlafende H aus. Von den f ernen W eiden br üllte e ine s einer Rotbunten, und in der Diele knackte es. Sonst nichts. Seine Gedanken waren weit weg. „Hans und Gina!" Leise sagte er es und trat an das Fenster. Das Herz war ihm schwer, und er wußte nicht, warum. Der rote Planet, der zwischen den Bäumen des Obstgartens hing, zog seinen Blick an und hielt ihn fest. „Verdammte Sterne", knurrte er böse und wandte sich schroff ab. Ein ungutes Gefühl sprang ihm in den Nacken, als er sich um den Tisch tastete und die Stehlampe unter den Famiiienbiidern anknipste D ann s ah e r di e'beiden w ieder v or s ich: H ans, de r s tarrköpfige und un heimlich intelligente Recke — Gina mit der ruhigen, ausgeglichenen Schönheit einer vielleicht zu sachlich empfindenden Frau. Würde er die beiden noch einmal wiedersehen? Galt ihnen die Erde nichts mehr? Galt ihnen nur noch das Reich der Sterne etwas? Ein böser G eist m ußte di e R aumschiffe e rfunden ha ben, und die A tomwerke und di e Außenstationen. Was wußten die beiden wohl noch davon, daß in einem kleinen, unwichtigen Dorf an der Elbe ein uralter Hof lag, der Geberationen schon heilig gewesen war. Er legte die Bilder zurück und setzte sich in einen Sessel. Schlafen k onnte er n icht. D er u nwirkliche S chein d es er dnahen Planeten er füllte i hn m it einem Angstgefühl, da s i hm s onst f remd und l ächerlich e rschienen w äre. D as T icken d er altväterlichen Uhr raffte die Stunden und ließ aus der langsam verdämmernden Sommernacht den hellen Morgen erstehen. Dann war alles wieder wie sonst: die alte Haushälterin ließ in der Küche den Kaffeetisch decken, der älteste Landarbeiter holte sich seine Anweisungen, und im Garten lärmten die Tauben mit den Hühnern um die Wette. Der rote Planet war verschwunden. Die Unruhe blieb. Gegen zehn Uhr bremste der Landbriefträger sein Rad vor dem Hof. Eine kurze Karte von Gina war dabei. Winters Hand zitterte, als er sie vor die Augen hob. „Lieber Vater! Aus meinem Besuch in diesem Sommer wird wohl nichts werden. Ich habe vor einigen Tagen eine Sonderprüfung für s pezielle technische Aufgaben abgelegt und werde nun wohl en dlich zu ei ner R aumflugabteilung o der zu m M ond v ersetzt w erden. H erzliche G rüße! Deine Gina!" Deine Gina! Winter schluckte und schluckte und mußte sich doch abwenden. Das also war die neue Zeit Sie ließ j unge Mädchen „ Sonderprüfungen" a blegen f ür R aum-, f lüge i n s cheußlichen, gespensterhaften K ombinationen, un d w enn da s M ädel w irklich e inmal a uf Besuch k ommen sollte ( wahrscheinlich w ürde s ie n ie m ehr k ommen), l ächelte es n atürlich m itleidig ü ber al le Rückständigkeiten im Dorf. Der alte Winter schüttelte grollend den Kopf. Dann warf er die Karte verächtlich in eine Schale und stapfte davon. Den ganzen Tag über war er auf den Feldern. Ein junger Landarbeiter, der vor einigen Tagen in Hamburg gewesen war, berichtete von tollen Gerüchten, di e s ich i n de n g roßen S tädten breitmachten. G eheimnisvolle F lugkörper näherten sich vom Mars aus der Erde. Internationale Weltpolizei und nationale Streitkräfte lagen angeblich in Alarmbereitschaft, u m Angriffe au s dem W eltall ab zuwehren. Der al te W inter s puckte au s.
Und fürchtete sich doch vor der nächsten Nacht mit dem giosenden Planetenauge am Himmel. Das Abendblatt brachte dann jedoch ein dickes Dementi vom WP-Hauptquartier in London. „Das H auptquartier d er W eltpolizei w eist d arauf h in, d aß al le G erüchte ü ber an geblich eingeleitete A bwehrmaßnahmen i m Z usammenhang m it d er M arsannäherung r eine Hirngespinste sind." Klipp und klar! Den Verantwortlichen aber war nicht recht wohl in ihrer Haut. „Hat die Presse das Dementi gebracht?" Der Präsident der Weltpolizei, der sehr ehrenwerte und sehr hochnäsige Lord Clifford, schob seine M anschetten zu rück u nd s ah s einen Privatsekretär mit kühler A uf merksamkeit an . D er junge Mann legte ihm eine drei Seiten lange Liste vor. „Nach den letzten Meldungen ist unsere Verlautbarung in allen westlichen Hauptstädten durch Rundfunk und Presse verbreitet worden." Lord ClifTord ging die Liste durch und legte dann die Seiten sorgfältig wieder aufeinander. In seinem länglichen Gesicht das von einer überzüchteten Geistigkeit gezeichnet war, zuckte kein Muskel. Einen Augenblick sah er noch auf das Papier, dann schob er es dem Sekretär wieder zu. „Ich hof fe, es r eicht z unächst a us. W ir müssen unt er a llen U mständen e iner Panik i n den Weltzentren vorbeugen." „Wenn das geheimnisvolle Raumschiff nicht wäre, könnt« man die ganz« Angelegenheit als Kuriosum des 21. Jahrhunderts zu den Akten legen, Mylord." „Das unbekannte Schiff ist aber da." Lord Clifford sah auf seine Armbanduhr und erhob sich Dem Sekretär fiel auf, daß sein Chef in immer kürzeren Abständen auf die Uhr blickte. Er legte die Liste auf den Aktentisch und pfiff unhörbar durch die Zähne. Lag etwas in der Luft? „Ich erwarte Kommodore Parker, Johnson. Sorgen Sie bitte dafür, daß wir ungestört bleiben." Der S ekretär v erneigte s ich l eicht. A lso d och! E r w ollte d as A rbeitszimmer d es WP-Präsidenten verlassen, als auf dem Schreibtisch der Fernsprecher aufsummte. Der Sekretär sah noch, wie Lord Clifford mit einer ruhigen, gewohnten Handbewegung abnahm, dann schloß er die Tür. „Clifford! Wer — Sie, Kommodore?" „Yes, h ier i st Parker." D ie m arkante S timme d es b erühmten W eltraumfliegers kl ang s o gelassen wie immer. „Ich bin bereits in Orion-City. Nehmen Sie mir es bitte nicht übel, daß ich ..." Der WP-Präsident schüttelte erstaunt den Kopf. „Ich denke, Sie haben in Nordafrika das Nil-Projekt besichtigt?" „Habe i ch au ch", l achte Jim, d er b ereits s eine R aumkombination tr ug u nd B ich d ie le tzten Whiskys e inverleibte, di e Freund W ernicke i hm v orsorglich hi nschob. „ Als i ch j edoch nach London abfliegen wollte, erhielt ich aus der Atomstadt den Befehl, sofort zurückzukehren." Lord Clifford kaute mechanisch. „Ich will nicht neugierig sein, Kommodore — aber hängt der Befehl mit der Marsannäherung oder diesem unbekannten Raumschiff zusammen?" „Mit dem Raumschiff vorläufig nur — es erhöht seine Geschwindigkeit." „Mit Erdkurs?" „Unverändert, M ylord", s agte J im P arker, und m an k onnte hören, w ie e -während de s Gesprächs di e letzten K ombinationsstücke a nlegte und e illgi S chritte hin u nd her g ingen. Großalarm! Die Jagd nach dem Gespensterschifi konnte beginnen. Der sehr ehrenwerte Lord war ein überaus nüchterner Mann, der schon oft genug seinen Mitmenschen mit seiner scheinbaren Gleichgültigkeit auf die Nerven gefallen war, aber jetzt wurde er vom Jagdfleber ergriffen, und seine Stimme wurde um ein wenig teilnahmsvoller.
„Seien Sie vorsichtig, Kommodore — man kann nie wissen .. ." Jim l achte wieder so j ungenhaft, wie n ur er es konnte. „I ch werde mit d em B urschen schon fertig, Mylord." „Sie und Mister Wernicke allein?" „Oh no, Mylord — wir haben uns die besten Spezialisten mitgenommen, den erstklassigen Raumfunker B rauer, I ngenieur W ellington, O berleutnani : Bleß v on de r . Internationalen Weltraum-Kontrolle' und Miß Winter." „Wie — eine Frau?" „Eine schöne Frau, Mylord." „Dann also, Kommodore — Hals- und Beinbruch." „Thank you, Mylord — wir werden das Wild erlegen!" „Ziemlich kläglich, dieses Dementi, wie?" Der Chefredakteur der „Morning Post and Herald" hob seine mageren Schultern-und schob die Filterbrille hoch. „Ich muß es bringen, Pitt — tut mir leid.“ „Und meine sensationellen Enthüllungen über die Geheimnisse der Marsannäherung, Boß?" Pitt S mith w ar i n de n s chmalen H interhöfen e iner n ordamerikanischen G roß^ S tadt aufgewachsen, u nd m it s einer ei sernen E ntschlossenheit, d ieser s chmutzig-grauen Steinlandschaft zu entrinnen, verband sich die Erkenntnis, daß ihm das nur mit rücksichtslosen Ellbogen g elingen w ürde. Vom S chuhputzer ü ber den Z eitungsjungen hatte e r es b is zum Reporter in der Stadtredaktion ge^ bracht, und das war nicht eben viel. Aber zum Glück hatte Boß Kling bereits ein Auge auf ihn geworfen. „Was ist denn Wahres an diesen .Enthüllungen'?" Pitt verzog keine Miene und legte seine Tabakschachtel auf die Knie, um «ich eine Zigarette zu drehen. „Nicht mehr al s an d em, was man sich d raußen au f d er S traße er zählt"^ an twortete er d ann schlicht. Er wußte, daß man dem Chefredakteur nicht auf krummen Wegen kommen durfte. Der schob die Filterbrille wieder über die Augen und lächelte mitleidig. „Bevorstehender A ngriff d er Marsbewohner, b ereitstehende S chlachtgeschwader d er Marsbewohner, unvorstellbare Grausamkeiten der Marsbewohner ..." „Na, so ungefähr, Boß", grinste der Junge etwas verlegen. „Schlecht, Pitt. Solchen Kohl brauche ich mir nicht von einem Bezirksreporter verzapfen zu lassen, den liefert mir jeder erwerbslose Wissenschaftler» Damit kommen Sie bei mir auf keinen grünen Zweig." Pitt schob die Zigarette in den Mundwinkel und steckte die Blechschachtel wieder ein. „Mit Autounfällen und Ladendiebstählen auch nicht, Boß." Kling warf ihm sein Feuerzeug rüber. „Ich habe nichts dagegen, daß Sie sich anstrengen, aber es muß etwas Handfestes dahinterstecken." „Es gibt bedeutende Leute genug, die emsthaft mit einem baldigen Angriff «us dem Weltall rechnen", verteidigte sich Pitt Smith. „Dann gehen Sie eben der Sache auf den Grund und liefern mir hieb- und stichfeste Beweise dafür ode r da gegen", s agte K ling nüc htern. „ Wenn S ie da s f ertigbringen, ha ben S ie f ür die nächsten Jahre ausgesorgt." „Und w ovon s oll i ch i nzwischen l eben?" e rkundigte s ich Pitt Smith m indestens eb enso nüchtern und lehnte sich lässig im Stahlrohrsessel zurück. Der Boß legte die Hände zusammen wie ein frommer Sonntagsschüler. „Genügen Ihnen hundert Dollar plus Spesen — pro Woche?" Pitt flog aus seiner Lässigkeit wieder auf. Er nahm sich zusammen, als er sah, daß Kling aus seiner Brusttasche einen kleinen, bedruckten Zettel zog. „Für hundert Dollar würde ich Tag und Nacht unterwegs sein. Aber, Bo ß — warum gerade ich?"
Der Chefredakteur drückte einen Knopf, warf einen Blick in den Redaktionssaal, in dem sich jenseits d er Glaswände M änner mit au fgekrempelten Ärmeln u nd h erabhängendem S chlips an den Schreibmaschinen austobten und reckte Pitt Smith dann den Zettel hin. „Was halten Sie davon, Pitt?" Pitt s chüttelte den K opf. D as w ar ei n k leiner, zer knitterter H andzettel au s g ewöhnlichem Papier, w ie man es für j eden R eklameschwindel zu v erwenden p flegte U nd d arauf s tand — ebenfalls in recht billiger Aufmachung und über die ganze Längsseite des Zettels hin: „Wenn de r P lanet be i de r E rde s teht, w ird da s U nheil de r g eflügelten K önige übe r di e Menschen kommen." „Verlieren Sie nicht den Kopf, Pitt!" Pitt Smith schüttelte ihn immer mehr. „Welch ein Unsinn, Boß, welch ein krankhafter Unsinn! Was soll das? Wenn wenigstens noch dabeigestanden hätte: .Darum besuchen Sie vorher noch die Betstunden der Wahren Gläubigen' oder .Wenn Sie sich Millers Helikopter zulegen, werden Sie der Gefahr am ehesten entgehen können'." „Es steht aber nicht dabei, Pitt." „Eben — und das bedeutet?" Die sachlich-skeptische Art dos jungen Reporters gefiel dem abgebrühten Chefredakteur, und er hob wieder seine mageren Schultern. „Es gibt nur noch die berühmten zwei Möglichkeiten — entweder stecken Phantasten oder Verbrecher dahinter." Pitt Smith biß sich auf die Unterlippe. „Wie kommen Sie zu dem Wisch, Boß?" „Ich besuchte gestern abend den Lloyd-Club in der von Steuben-Street. Natürlich sprach man auch über die Marsannäherung, und dann tauchte plötzlich ein würdiger Greis auf, der die Zettel verteilte." „Und diesen würdigen Greis kannte niemand?" „Niemand. Er verschwand ebenso unauffällig wie er gekommen war." Pitt Smith drückte enttäuscht die Zigarette aus. Was der Boß ihm hier auftischte, kam ihm so verrückt v or, da ß e r v ersucht war, de n k omischen Z ettel i n den Papierkorb ne ben dem Schreibtisch zu bombardieren. Dann besann er sich und verabschiedete sich mit süßsaurer Miene. Er w ar überrascht, al s i hm u nten an der K asse w irklich ei n S check ü ber zw eihundert D ollar ausgestellt wurde. Draußen dunkelte es. Der Verkehr der Hauptstraße lärmte an ihm vorbei. Die aufflammenden Lichtreklamen w arfen d ie D ämmerung d es A bends w eit zu rück u nd b eherrschten di e Stunde. Ohne zu wissen, was er nun unternehmen sollte, ließ er sich im Strom der bummelnden Passanten treiben. „Unheil der geflügelten Könige." Pitt, mein guter alter Pitt, wenn das nicht der lächerlichste Fall deiner Praxis ist, will ich in den nächsten zehn Jahren kein hübsches Mädchen mehr ansehen. Aber während er weiterbummelte und i n den Schaufenstern a lle möglichen D inge be sah, ohne daß e s i hm r echt be wußt w urde, gingen seine Gedanken eigene Wege. Als er auf einen freien Platz kam, dessen Südseite mit dem Ufer des breiten Stroms abgrenzte, der durch die Stadt floß, stieß er auf eine Menschenmauer. Ein lähmendes Schweigen lastete über dem Platz, und als ein Kraftwagen etwas zu laut hupte, fuhren sie zusammen, die eleganten Männer und Frauen, die mit großen Augen auf den Planeten sahen, der tiei über dem Strom stand und sein ruhiges Wasser unheimlich aufleuchten ließ. Der Mar6 näherte sich der Erde. Würde er ihr Unheil bringen? Ein Raumschiff jagte durch das All. Kommodore Parker hielt das Steuer in seiner Hand und beobachtete sorgfältig die tanzenden Zahlen der A nzeigetafeln. N ur den g efüllten S pezial-whiskygießer — vom S teuermann i n unermüdlicher Fürsorge vor ihm aufgebaut — ließ er unbeachtet. Wernicke sah es mißbilligend.
„Wenn du so weitermachst, sehe ich schwarz für dich, großer Häuptling. Du wirst immer tiefer sinken und schließlich bei Milch und Wasser landen." „Dann wäre meine Seele wenigstens gerettet" „Pfui, Jim — was sind das für ketzerische Gedanken " Wernicke nahm den S pezialgießer wieder an sich, schielte flüchtig zu der blonden Gina Winter, hinüber, die verständnisvoll und etwas h erablassend zu gleich lächelte und goß sich dann einen Anständigen hinter die Binde. Gina Winter hatte den sogenannten „Ausguck I" übernommen und saß schräg hinter ihnen. In der kleinen gläsernen Funkkammer hockte der leichtsinnige Brauer und nahm die Lenkpeilung der irdischen Außenstation „Luna nova" auf. „Weiter Quadrat 17, B3!" Der F unkoffizier r iß d en S treifen ab und r eckte i hn zu Wernicke h in, der ihn an Jim Parker weitergab. Der warf einen Blick auf die Leuchttafel zu seiner Rechten. „Dann sind wir in gut zehn Stunden bei ihm. Behalten unsere Geschwindigkeit bei." „Brauer!" „Ich gebe durch", nickte der Funkoffizier und s ah hingebungsvoll au f d as weißblonde H aar seiner s chönen, a ber l eider s o unnahbaren L andsmännin, die s ehr k ühl u nd s achlich a n i hrem Bildschirm saß. Bei allen Planeten — sie war bestimmt tausend Sünden wert, stellte er bei sich fest und ließ die Meldung nach „Luna nova" ab. Jim wandte den Kopf. „Vielleicht haben Sie das fremde Schiff bald auf Ihrem Schirm, Fräulein Winter." Sie sah nur kurz auf. „Auf den Burschen freu ich mich schon," Brauer zwinkerte ihr zu. „Also — in ein Raumschiff müßte man sich erst verwandeln, um Ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Woran liegt das?" „An den Männern", antwortete sie freundlich. „Wie kann ei ne F rau n ur s o s arkastische B emerkungen machen", s chüttelte er b etrübt den Kopf, während Jim und der Steuermann schadenfroh grinsten. Und doch waren sie nicht so recht bei di esem Gespräch, da s s o v ieles a nbahnen k onnte. W eit v oraus r aste i hnen da s Gespensterschiff entgegen, das alle Bin» geweihten in seinem Bann hielt. Oft streifte Ginas Blick kurz das beherrschte Gesicht des Kommodores, auf dem ein leichtes, fast gelangweiltes Lächeln lag. Aber dieses Lächeln konnte nur Menschen täuschen, die Jim nicht kannten. „Haben Sie ihn, Gina?" Gina Winter drehte am Verstärker. „Noch nicht, Mister Parker." „Ausguck II?" Wernicke fragte schon achtern an- Aber auch Oberleutnant Bleß von der I.WJK. konnte noch nichts ausmachen- Der Kommodore hob kaum merklich die Augenbrauen. „Wir müßten ihn doch bald haben." „Rückfrage an die Erde, Kommodore?" „Noch nicht, Brauer." Weiter schoß das Schiff mit rasenden Heckflammen, in denen unvorstellbare Gewalten tobten. Nach drei Stunden kam Bordingenieur Wellington aus seinem Motorenraum. Ein ruhiger, starker Mann mit breiten Gesichtszügen. „Wie lange sollen wir noch auf Vollgeschwindigkeit bleiben, Kommodore?" „Bis wir ran sind", sagte Jim hart. In der engen Führerkabine steigerte sich die Spannung von Minute zu Minute. „Luna nova" hatte noch dreimal die Ortung durchgegeben. Gina Winter oder Bleß hätten den Fremden schon lange auf ihrem Schirm haben müssen. Aber vor ihnen dehnte sich nur das unendliche All — schweigend — feindselig — Was war das für ein Schiff? „Es tut mir leid, Wellington — wir müssen die Geschwindigkeit noch halten." „Und wenn wir ran sind?" „Es is t n och v öllig u nklar, w as wir da nn t un w erden — es hä ngt w ohl vom Verhalten d es anderen a b. W ahrscheinlich w erden w ir a ber a uf e ngstem R aum S teuermanöver dur chführen müssen. Achten Sie dann bitte genau auf mein« Anweisungen." »Okay, Kommodore!"
Der B ordingenieur h ob g rüßend die H and u nd v erließ di e K abine. E r be achtete n icht, d aß Brauer g anz i n s ich z usammengeduckt da hockte und s einen O hren ni cht z u t rauen s chien. Plötzlich hob der Funkoffizier den Kopf. „Parker." Der K ommodore g ab d as S teuer an W ernicke u nd g ing o hne w eiteres zu d er k leinen Funkkammer h inüber. B rauer zei gte au f d en E mpfänger. J im beugte s ich t ief u nd l auschte angestrengt. Die anderen wagten kaum zu atmen. „Können Sie das verstehen?" hauchte der Funkoffizier. „Yes — da ruft einer die Erde an." „Der Fremde?" „Ruhig, Brauer!" " Jim Parker tastete nach einem grünen Knopf. Lautlos spielte die Bandaufnahme. Dann verstand der Kommodore die Zeichen, die aus dem tiefen All zu ihnen drangen. „... Erde bedroht! Warnt alle! Warnt alle! Hier alles vorbei! Falter bereits im Führerraum. Erde bedroht! Erde bedroht!" Der Kommodore peilte den Ruf an. „Das kann nur der Fremde sein." Brauer w ar nun doc h e twas bl eich g eworden, und a uch W ernicke büß te v iel v on s einer Schnoddrigkeit ein. „Falter — mein Gott, Kommodore, was bedeutet das?" „Wir werden sehen!" Auch auf der Funkstation von „Luna nova" nahm man diese Warnung aus dem Weltall auf. Den Verantwortlichen fiel vor allem ein Wort auf das Gewissen. „Warnt alle! Warnt alle!" Um 11.06 Uhr Statronszeit beugten sie sich über den Streifen, und ein unnennbares Grauen vor etwas Unheimlichen stand neben ihnen. Genau sechs Minuten später wurde die Meldung in der Atomstadt Generaldirektor Cun-ningham auf den Schreibtisch gelegt. Hier flog eine Havanna in den Ascher, U nd ei ne mächtige Stimme verlangte g ebieterisch n ach ei nem F erngespräch " mit WP-Präsident Lord Clifford. Und wiederum dauerte es nur wenige Minuten, dann entrang sich auf der anderen Seite des Atlantiks der Brust des WP-Gewal-tigen ein Stoßseufzer. „Das hat mir noch gefehlt, Cunningham. Unser Dementi ist noch nicht verdaut worden, und nun sollen wirklich Gefahren aus dem All auftauchen? Wie denken Sie darüber, Sir?" 1 „Sie werden mich nicht für einen Phantasten halten. Mylord", erwiderte Cunningham bedächtig. „Ich bin ein verdammt skeptische! Mann, aber in den letzten Jahren hBbe ich allerhand mitmachen müssen..." '- „Sie weichen mir aus", drängte der Lord nervös. „Ich muß wissen, wie ich mich zu verhalten habe." „Kommodore Parker muß erst einmal an das Ding heran sein." „Und — vorher?" Der G eneraldirektor s chob nachdenklich den A scher ü ber die Schreibplatte. „A hem — ich würde immerhin meine Vorbereitungen treffen." Lord Clifford überwand das scheußliche Gefühl, unter den Tisch sinken zu müssen. „Also — glauben S ie an d ie E chtheit d ieses S pruches?" „I ch m uß zunächst Nachrichten von Parker abwarten." „Thank you, Cunningham!" In L ondon w urde de r H örer z ögernd au f d ie G abel g elegt. L ord C lifford s tarrte i n schweigendem E ntsetzen s einen Privatsekretär an , d er mit r egungslosem Gesicht neben i hm stand. D raußen z ogen durchsichtige Wolkenschleier ü ber den k laren S ommerhimmel. D ie Vögel lärmten. Der Lord stand auf, trat an das Fenster und sah in den Garten. »Haben Sie das gehört — das mit den Faltern?" JBs klingt unglaublich, Mylord!" Lord C lifford s chüttelte de n K opf, w andte s ich dann a ber s charf um und trat an ei nen Wandsafe, d en er m it ei nem E lektroschlüssel ö ffnete. E r n ahm a us ei nem s chmalen F ach ei n
ledergebundenes rotes Vordruckbuch, in das er Datum, Uhrzeit und verschiedene Zeichen eintrug und di ese E intragung un terschrieb. D er Privatsekretär t elefonierte i nzwischen, u nd al s d er Präsident seinen Namen schrieb, betrat ein älterer Herr das Arbeitszimmer. »Weltalarm, Mylord?" »Evakuierungsstufe 3 für die Millionenstädte, Mister Monza", sagte der Lord so sachlich, als habe er nie einen Schock erlitten. „Leider nicht zu umgehen. Wollen Sie bitte gegenzeichnen?" Der Spanier prüfte zunächst die Eintragung und sah ungläubig auf. »Mylord — Falter aus dem Weltall — ist das wahr?" Lord Clifford hob die Schultern. „Ich hoffe es nicht. Darf ich nun um Ihre Unterschrift bitten?" Monza malte langgezogen seinen Namen hin. Das geschah um 12.47 Uhr WEZ. »Ich habe ihn!" Gina Winter schrie unwillkürlich auf, als das fremde Raumschiff sich als Silhouette über den gekrümmten Bildschirm schob. Der Kommodore war sofort neben ihr. „Geht es noch deutlicher, Gina?" Sie b ediente s chon den V erstärker. J im P arker b eobachtete g enau den S chattenriß, d er haarscharf von den Quadraten eingefangen wurde. Seine Hände ballten sich. „Der Bursche gefällt mir nicht." Gina sah es auch, und ihr Herz klopfte dumpf und ahnungsschwer. „Der kommt ja genau auf uns zu, Mister Parker." „Entfernung, Brauer!" Der Fimkoffizier ließ die Ortung spielen und nannte die Distanz. Der Kommodore rechnete und prüfte dann wieder, wie das fremde Schiff in den Quadraten lag. „Nun hält er wieder etwas von uns ab." „Er macht aber noch Eigenfahrt." j „Natürlich, G ina — sonst k önnte er j a n icht T ango i m W eltall t anzen." K ameradschaftlich klopfte er seiner jungen Mitarbeiterin auf die Schulter. „Geben Sie bitte laufend die Bewegungen bekannt, Gina." „Gewiß, Mister Parker!" „Diese Maßnahmen sind geheim durchzuführen." Lord C lifford w ollte v erhindern, d aß s ich s eine w eltweite O rganisation l ächerlich m achte. Darüber hinaus stand die Ruhe eines großen Teiles der Erde auf dem Spiel. Die Menschen waren in d iesen T agen g roßen s eelischen S chwankungen a usgesetzt, un d e in of fenkundiger Widerspruch in den Verlautbarungen der Weltpolizei konnte schwerwiegende Folgen haben. Und doch hätte s ich der L ord s eine Geheimnistuerei s chenken k önnen; s ie s ollte i hm s ogar noc h manche Unannehmlichkeiten bereiten. Die Gerüchtemacher bekamen neuen Stoff. Der F unkspruch d es G eisterschiffes war au ch v on R aumschiffen aufgefangen w orden, die nicht unmittelbar der Kontrolle durch I.W.K, oder S.A-T. unterstanden. Die Führer dieser Schiffe dachten g ar n icht d aran, d en Mund zu h alten. S ie schlugen s ogar r echt h eftig A larm. Als die I.W.K, mit ziemlich lendenlahmen Ausflüchten antwortete, gingen sie eine Tür weiter. So kam es, daß die trefflichen Überlegungen von Lord Clifford wie Seifenblasen zerplatzten. Um sechs Uhr früh läutete Chefredakteur Kling von der „Morning Post and Herald" den ehrgeizigen Pitt Smith aus den Federn. „Darf i ch mich h öflich e rkundigen, wie weit Sie in zwischen m it I hren U ntersuchungen gekommen sind?" frotzelte er kameradschaftlich. Pitt rieb sich die Augen und gähnte. „Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, großer Bonze — der Mars macht durstig." „Was Sie nicht sagen. Da haben Sie also Ihren Durst gelöscht und sind glücklich und zufrieden schlafen gegangen." „Nicht sehr glücklich." „Den ganzen Vorschuß schon versoffen?"
„Bis au f zeh n D ollar h abe i ch noch al les- Aber d ie unheilbringenden g eflügelten K önige durchschwirrten meine Träume." „Dann m achen S ie sich darauf g efaßt, da ß e s a uch k ünftig so s ein W ird", lachte d er Chefredakteur etwas heiser, „Es gibt sie nämlich wirklich." Pitt Smith war mit einem Satz auf den Beinen. „Erzählen Sie, Chef!" „Einige Raumer haben Funksprüche von dem Geisterschiff aufgenommen. Darin wird die Erde gewarnt. V on F altern i st dabei d ie R ede, d ie an geblich di« Herrschaft au f d em S chiff an s ich gerissen h aben. J im P arker fliegt d em Teufelskahn en tgegen. I ch möchte n icht i n s einer H aut stecken- Es gibt sogar Leute, die behaupten, die Falter seien bereits an verschiedenen Punkten der Erde aufgetaucht." „Und kommen vom Mars, wie?" „Natürlich. ." Pitt Smith fuhr in seine Kleider und schüttelte den Kopf, „Wir werden ja sehen!" - .„Denken Sie an die Zettel, Pitt. Einer ist in der Stadt, der mehr weiß." „Ich werde ihn finden", nickte Pitt Smith einfach. Und er konnte es sagen.. Die halbe Nacht hatte er s ich u m d ie O hren g eschlagen und dabei mehr G lück gehabt, al s zeh n D etektive zusammen. E r h atte es n ie für m öglich gehalten, daß i n s eiper i mmer et was l angweiligen Heimatstadt D inge g eschehen konnten, die m it H immel und Erde u nd H ölle un d T eufel zusammenhingen. Ausgerechnet hier im Nordwesten der USA schienen sich Weltall und Erde zu treffen. Jedenfalls wußte er, was er jetzt zu tun hatte. Nachdenklich steckte er sich eine Zigarette an und wartete darauf, daß seine Wirtin ihm sein Frühstück bringen sollte. „Ob die wirklich vom Mars kommen?" Er t rat an das F enster und l ieß die J alousien hochrollen. Der frühe M orgen l ieß eine d ichte Wolkendecke über di e B uildings der großen Stadt h inwegsehen. Und l angsam karr di e S onne durch. U nten a uf de n Straßen hasteten d ie er sten zu den U -Bahnschächten. W ie eine B ombe würden die neuesten Schreckensnachrichten auf sie wirken. Insekten aus dem Weltall bedrohen die Erde! Falter! Pitt Smith fuhr zusammen. Die Tür zur Diele stand offen, und deutlieh konnte man von dort ein scharrendes Geräusch hören- So. als kriecht ein Tier das Holz der Tür hinauf. Die Falter? Der Junge hatte gewiß keine schlechten Nerven. Aber das scharrende Geräusch blieb, und es war fürchterlich. Es lähmte den Abwehrwillen, es war, als breite sich unvorstellbares Grauen über alles aus, was um ihn war. Pitt Smith riß sich zusammen und stellte sich so, daß er den blanken M osaikfußboden d er D iele s ehen k onnte. E r v ersuchte s ein s chnoddriges L ächeln, aber es verzerrte nur sein Gesicht. Das widerwärtige Scharren blieb. Mit w enigen wütenden S chritten w ar er i n d er D iele. W ollte d ie T ür au freißen und pr allte entsetzt zurück. Vor ihm kroch es über den Boden heran. — ein — zwei — drei — vier — Mit einer reinen Instinktbewegung, getrieben von namenloser Furcht und Ekel, stürzte er sich den handgroßen Bestien entgegen, um sie zu zertreten. „Verfluchte Glotzaugen!" wollte er ausrufen. Er kam nicht mehr dazu. „Glaubst du an Ammenmärchen?" Fritz Wemicke wußte nicht, daß in diesem Augenblick in einer großen amerikanischen Stadt ein junger Reporter zusammenbrach — es erging ihm, wie vielen anderen auch: er lächelte. Jim Parker aber war nicht bereit, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. „Denk an die Mondschlangen, mein Alter." „Wenn schon!" Fritz Wernicke seufzte sehnsuchtsvoll auf, als er mit einem kurzen Seitenblick das klare schöne Gesicht Gina Winters streifte. Auch Brauer fand immer wieder einen Grund, zu der blonden Frau hinzusehen, die so unerschrocken den tollkühnen Flug mitmachte.
„Wenn schon, Jim — das war einmal." „Hoffen wir es, Fritz!" „Hallo, Kommodore!" Brauer hatte einen neuen Streifen aufgenommen und reichte ihn rüber. Er kam aus der Atomstadt — von Cunningham persönlich. „Jim, Achtung, Panikstimmung droht auszubrechen. Man befürchtet Insekteninvasion. Schiff auf k einen F all d urchlassen. A ngeblich s chon w eitere f remde S chiffe au f d er E rde g elandet. Cunningham!" Der K ommodore zer riß d en S treifen. D aß s ie d as Geisterschiff n icht d urchließen, w ar selbstverständlich. Es sah auch wieder ganz so aus, als wolle der andere ein Zusammentreffen herbeiführen — jedenfalls hielt er wieder scharf Kurs auf das S. A. T.-Schiff. Inzwischen machte sich au f d er Erde, d ie t ief u nter d en R aumfliegern schwebte, t atsächlich eine Panikstimmung breit. „Die Falter kommen!" Die Z eitungen dachten w ieder ei nmal n ur an i hre A uflage u nd s chlachteten d en n och g anz undurchsichtigen und unbestätigten Funkspruch in geradezu blutrünstiger Weise aus. Nachher, wenn das Geld im Kasten klingelte, jonglierte man eben auf die andere Tour um und forderte die aufgepeitschten Leser zu Vernunft und Ruhe auf. WP-Präsident Lord Clifford standen die Haare zu Berge. „Die Falter kommen!" Zuerst h atte m an ü ber d ie g rausigen Z eichnungen ü berdimensionaler S chmetterlinge m it mordgierigen Fratzen gelästert, und nur Überängstlichen schmeckte das Frühstück nicht. Als die M ittagsblätter b erichteten, daß an ei nigen P unkten d er E rde „h öchstwahrscheinlich" unbekannte R aumschiffe mit R ieseninsekten an B ord n iedergegangen s eien, w urden au ch Leute um ein verdauliches Mittagessen gebracht, die nicht gerade Schwächlinge Waren. Und als d ie er ste offizielle S tellungnahme d er W . P. s ich durch Verlegenheitsfloskeln g eradezu auszeichnete, kamen nur die wenigsten noch in den Genuß einer gesegnete» Abendmahlzeit. So war es an jenem 28. Juni, als das Grauen mit unbekannten Lebewesen aus dem Weltall nach der Erde zu greifen drohte. Die Nacht sank hernieder. Es war ein Horchen überall — in den Städten und auf dem Lande. Die warm« Sommernacht war voller sirrender Unruhe. Aus der Tiefe des Alls schoß wieder der rote Schein des nahen Planeten über die Erde. Die Menscher schauderten und spähten in die Dunkelheit. Und an drei, vier Stellen dei E rde — in S üdschweden be i M ahult, i n B olivien a m P oopo-See, i n W estaustralien ( was allerdings nie recht bewiesen wurde) und in Deutschland — schwirrten sie heran. Falter? Wirklich Lebewesen eines anderen Sterns? Wer das feine Singen der männerhandgroßen Flügel hörte, mochte es für das eines Nachtvogels halten. Man s ah zu nächst n ichts. V ielleicht f iel e inem n ur a uf, d aß d ie G rillen p lötzlich schwiegen, und daß ein kleiner V ogel angstvoll in den Zweigen der Bäume aufpiepste. Wenn man erst etwas sah, war es zu spät. Pitt Smith hatte es kennengelernt. Auch Dr. Brausewetter erging es so.
„Ich bitte Sie, Warnberg — stellen Sie den Quasselkasten ab." Der Frankfurter Architekt Dr. Brausewetter war eine ausgesprochen sachliche Natur. Nichts war ihm mehr zuwider als das dreiviertelsdunkle Geraune unbestätigter Sensationen. Seit heute vormittag las er darum keine Zeitungen mehr. „Falter aus dem Weltall! Und dafür bezahlt man sein gutes Geld. Warnberg, den Empfänger lasse ich mir noch wieder herausnehmen." Sein technischer Zeichner schaltete mit stillem Bedauern ab. „Schade, diese Vorträge über die Marsannäherung sind außerordentlich interessant." „Alles S pinnerei", s agte d er A rchitekt w egwerfend u nd s ah au fmerksam auf das w eiße Betonband der Straße, die von den Anhöhen auf sie zufloß. Der Verkehr war schwach in dieser zweiten Stunde nach Mitternacht. Sie waren in einer nahen Kleinstadt gewesen und hatten den
Bau einer neuen Wohnsiedlung besprochen. Warnberg holte seine Zigaretten hervor und steckt« auch seinem Chef eine in den Mund. „Aber man hat doch so ein komisches Gefühl, Herr Doktor, wenn man bedenkt, daß es auch uns jeden Augenblick überraschen kann." Dr. Brausewetter machte den ersten Zug und warf dem technischen Zeichner einen unwilligen Blick zu. „Was kann uns überraschen?" „Nun — die Falter aus dem All, Herr Doktor!" Ein s chwerer Lastzug donne rte i hnen e ntgegen un d r auschte a ls dunkle Masse v orbei. D er Architekt drehte leicht am Lenkrad. „Noch ein Wort darüber und ich setze Sie hier mitten auf der Straße ab." Warnberg hob di e Schultern u nd s chwieg. D ie Z eiger auf dem A rmaturenbrett p endelten gelassen hin un d he r. Die beiden M änner hingen i hren G edanken n ach. D em Architekten begann l angsam de r K opf z u schmerzen v on de r G relle de r L ichtwand, m it de r di e Scheinwerfer die Dunkelheit für Sekunden wegschoben. Häuser tauchten schemenhaft vor ihm auf, di e e r ba uen w ollte, und a ls übe r di e M otorhaube de s W agens e in br eiter, u nförmiger Schatten geisterte, kniff er verwundert mit d en Augen. Der Spuk verschwand sofort wieder. Brausewetter grinste — ein Nervenschwacher hätte wohl, bereits Angstzustände bekommen. Aber was war das? Wieder taumelte etwas um den Wagen, klatschte gegen das Wagenfenster neben ihm, daß er unwillkürlich zusammenfuhr. Und dann huschte wieder ein Schatten vom Dach herunter auf die Motorhaube, blieb aber an der Scheibe vor ihm hängen und versperrte Ihm die S icht. D eutlich k onnte er ei nen g roßen Falter er kennen. B rausewetter S chüttelte ärgerlich d en Kopf, ab er die E rscheinung verschwand nicht wieder. Instinktiv fuhr er rechts heran lind bremste. Warnberg richtete sich aus seinem Dammerschläfchen auf. „Schon da?" „Machen Sie nicht die Hosen voll, Warnberg — sie sind da!" Warnberg s pähte l ebhaft um her. Dr. Brausewetter s chaltete d ie S cheinwerfer ab . Und da nn fuhren zw ei M änner zu sammen und ha tten auch al le Ursache d azu. W as i hnen entgegenschimmerte, war das nackte, schreckliche Grauen. Zwei knopfgroße Tieraugen. Feindselig — ungemein tückisch und mordgierig. Und dahinter ein widerwärtiger Körper mit lauernd fächelnden Flügeln und Fühlern, die über das Glas tasteten. Genaue Einzelheiten konnten die beiden nicht so schnell erkennen, doch Dr. Brausewetter war geistesgegenwärtig genug, seine Kamera au s d er Tasche zu r eißen u nd drei, vier Aufnahmen zu machen. Dann setzte er den Scheibenwischer in Bewegung. Widerwillig zog der Falter s eine F ühler z urück, t aumelte da nn hoc h u nd v erschwand übe r de m Wagendach. Warnberg stöhnte erleichtert auf. „Gott sei Dank, die wären wir los." „Also tatsächlich solche fremden Biester", stellte der Architekt trocken fest „Bin nur gespannt, ob die sich hier geschwaderweise herumtreiben." „Man müßte die Polizei benachrichtigen." „Das auch. Augenblick." Ohne sich um den warnenden Ausruf seines technischen Zeichners zu kümmern, der ihn zurückhalten wollte, öffnete er den Schlag und kletterte aus dem Wagen. Er hatte s ich n och n icht a ufgerichtet, al s zw ei d ieser B estien ü ber i hn h erfielen, m it f urchtbaren Todesaugen und aufgeregtem F lügelschlagen. I m N acken s pürte er et was. F luchend s prang er zurück, ab er al s Warnberg i hn mit fliegenden Händen, in den Wagen zer ren wollte, fluchte er nicht mehr. In seinem Gesicht geschah etwas Grauenvolles —• es wurde starr und fremd. „Doktor — Doktor.. .!" Keine Antwort Warnberg wußte selber nicht, wie er es fertigbrachte, seinen Chef weiter in den Fond zu zerren, wo e r — unerklärlich u nd e rschütternd — in ei ner v erzerrten H altung h ocken b lieb. M it heulendem B oschhorn j agte W arnberg na ch F rankfurt, r aste w ie di e F euerwehr dur ch di e Hauptstraßen und bremste so scharf vor der Charité, daß der Wagen wegrutschte. Zwei Ärzte und
einige Wärter kamen gerannt Warnberg war schon draußen und stürzte aschgrau einem der Ärzte entgegen, den er kannte. „Um Gottes willen — sehen Sie sich Brausewetter an!" Der Arzt begriff sofort. Er beugte sich in den Wagen, und dann geschah sekundenlang nichts, als daß sich die Hände des Arztes immer fester u m die dünne Wagenwand preßten. Hinten im Fond hockte noch immer der Mann, der Dr. Brausewetter hieß. Der Arzt erkannte ihn an seiner kleinen Stirnnarbe und an dem kleinen Topas am Ringfinger. „Brausewetter", sagte er aufmunternd. „Menschenskind..." Der M ann r ührte s ich nicht. D er A rzt ü berlegte k urz, d ann f aßte er d en M ann an, d er D r. Brausewetter hieß, und willig folgte der ihm. Wie ein Automat Wie ein Roboter. Sie führten ihn zum Portal. Als der Stationsarzt den Mann mit dem starren Gesicht und den unbewegten Augen sah, wurde er sehr bleich „Wer ist das?" rief er aus. „Dr. Brausewetter!" Der Stationsarzt trat dicht an ihn heran, wandte sich dann plötzlich um und verließ den kahlen Raum. Einer seiner Assistenten folgte ihm Der Stationsarzt schüttelte den Kopf. „Das ist er nicht", sagte er ratlos. „Und das soll ich Ihnen glauben?" WP-Präsident L ord C lifford w ußte ni cht, w as noc h w erden s ollte. E r w ar i nnerlich be reits fertig, und der Wahnsinnstaumel der unheimlichen Falter begann erst. Noch hatte der Mars seine größte Annäherung an die Erde nicht erreicht, und schon knallten solche Nachrichten: „Bei Frankfurt wurde ein deutscher Architekt von den Faltern überfallen, Mylord — das ist kein d ummer S cherz", meldete e ine k ühle Stimme. „Der M ann h at s ein ei genes I ch v erloren. Selbst seine Frau erkennt er nicht mehr. Es ist, als warte er auf Befehle einer unbekannten Macht, deren Roboter er geworden ist" „Schön", k aute der L ord b öse. „ Ich w ill es I hnen g lauben. Halten S ie m ich i n d ieser Angelegenheit auf dem laufenden." Kurz darauf wurde ihm durchgegeben, daß auch in Südschweden, Westaustralien und Bolivien die gespenstischen Falter gesehen worden seien. Aber an diesen Punkten hatten sie keinen Menschen angegriffen. Lord C lifford bl ieb die N acht über i n s einem B üro. I n den Morgenstunden w urde i hm gemeldet: „Raumschiff Parker hat sich dem unbekannten Schiff bis auf 160 Meilen genähert." Er ließ einen Funkspruch an das Schiff absetzen. Als Jim Parker von dem Überfall bei Frankfurt erfuhr, ging es wie ein Ruck durch ihn. Mit überwachen A ugen s ah e r z u B rauer hi nüber, de r i hm de n Funkspruch de s W P-Präsidenten hingereckt hatte. Wernicke und Gina Winter sahen aufmerksam hoch. „Eine wichtige Nachricht, Kommodore?" ".Haben sich die bösen Falter unserem dicken Boß auf die Nase gesetzt?" Der K ommodore h orchte au f d as g leichmäßige A rbeiten d er au f v olle K raft g eschalteten Atommotoren, das in leichten Schwingungen den Schiffskörper durchlief. Sie hatten schon alle ihre Raumausrüstung angelegt, denn in wenigen Stunden würden sie heran sein, und wer konnte wissen, w as i hnen da nn bevorstand. I nsgeheim be wunderte J im sehr di e bl onde G ina, de ren schmales Gesicht keine Spur einer Aufregung zeigte. „Du triffst haarscharf daneben, Fritz — die Falter gibt es aber wirklich, und sie haben bereits die E rde e rreicht. I ch m öchte n ur m al w issen, w ie. s ie dor thin gelangt s ind, und w oher s ie kommen." Gina Winter schüttelte sich nun doch. „Ist das auch kein Scherz, Mister Parker?" „Lord Clifford hat in seinem ganzen Leibe keine humoristische Ader", grinste Jim flüchtig und horchte wieder auf das Arbeiten der Atommotoren, das ihm irgendwie nicht, gefiel. „Außerdem . .."
„Außerdem?" faßte Wernicke nach. „Außerdem haben die Biester — sie sind leider bösartig — in Deutschland auf offener Straße einen Kraftfahrer überfallen und ihn irgendwie schwer verletzt. Der Mann hat seinen Charakter geändert und ist zu einem menschlichen Roboter geworden." „Unmöglich!" „Scheußlich, Jim — aber ..." „Augenblick, Fritz", winkte der Kommodore ab und na hm ein Meßgerät vom Kontrolltisch. „Ich muß mich mal um Wellington kümmern. Paßt auf, daß hier vorn nichts schiefgeht." Er nickte dem S teuermann z u u nd v erließ di e F ührerkabine. H inter i hm br odelte di e Erregung s einer Getreuen au f. G ina W inters B lick g ing i n w eite F ernen — vielleicht d achte sie i n diesem Augenblick doch an ihren Vater und an ein kleines Dorf an der Elbe. „Mein Gott, wenn sie scharenweise über die Menschen herfielen." Fritz Wernicke steuerte das rasende Schiff kaltblütig durch den Raum, dem eingepeilten Ziel entgegen. S chon k onnte man mit de r hochentwickelten B ordoptik de n w inzigen K örper e ines fernen R aumschiffes au smachen, d as s ich au s d en T iefen d es R aumes h erausschälte. D er Steuermann schnippte mit den Fingern. „Bei allen Planeten — wir werden sie ausräuchern! " „Aber auf der Erde sollen doch bereits welche sein." „Die nehmen wir uns auch noch vor.“ Jim betrat den Motorenraum. „Hallo, Wellington — alles in Ordnung?" Vor ih m lag langgestreckt u nd mit raffiniertem Kunststoffmantel gepanzert d er Atommotor, hinter dem sich ein kleines Podium mit Sitz und Schalttafel erhob. Ein Mann beobachtete dort kritisch die grünen Anzeigebalken, die lautlos über die Skalen glitten. Als er den Kommodore bemerkte, nickte er kurz. „Hallo, Chef!" „Wie sieht es aus bei Ihnen?" „Wir haben jetzt 640 000 Meilen mit Höchstgeschwindigkeit zurückgelegt*, knurrte die harte Stimme vom Podium her, „aber es wird alles nichts nützen." Jim Parker durchquerte mit wenigen Schritten den Seitengang neben dem vibrierenden Motor und s tand g leich da rauf ne ben s einem B ordingenieur. W ellingtons b reites, v erschlossenes Gesicht war düster und drückte eine dumpfe Schicksalsergebenheit aus, die sonst gewiß nicht zu diesem Rauhbein paßte. Jim hob die Augenbrauen. „Ist Ihnen nicht gut, Mann?" Der Bordingenieur hob mit kurzem Auflachen die Schultern und zeigte auf das Bullauge, hinter dem das Schweigen des Raums ohne Anfang und ohne Ende stand. „Ich habe über den Bordsprecher gehört, was Sie eben vorn bekanntgaben, Kommodore. Und wenn e s wirklich s o i st, da ß de r M ars di e E rde m it I nsekten a ngreift, w erden wir uns be im Zusammentreffen mit dem Gespensterschiff auf einiges gefaßt machen müssen." Jim wurde sehr aufmerksam. „Haben Sie etwa Angst, Wellington?" „Angst?" lachte der Bordingenieur wieder und sah auf. „Das wäre das erstemal, Parker." Hinter ihm rutschte ein grüner Balken zwei Werte hoch; ein kaum merklicher Fingerdruck regulierte den Motor. „Aber Sie werden sehen — diese niedlichen Biester werden mich fertigmachen — mich — verstanden?" Der Kommodore schüttelte den Kopf. „Ich kann Ihnen wirklich nicht folgen, Wellington." „Parker, ich werde den Todesfaltern geopfert werden wie einst eine Jungfrau ihren Götzen", grinste Wellington verzerrt. „Warum starren Sie mich so an? Ich bin noch normal." Wieder p endelte d er A nzeigebalken u m M illimeter. J im folgte s ehr au fmerksam d en Bewegungen Wellingtons, der auffallend bl eich geworden war. V on vorn kam z wischendurch eine kurze Distanzdurchsage Wernickes.
„Wollen Sie nicht endlich deutlicher werden, Wellington?" „Es wird hart auf hart gehen." „Möglich. Und?" „Mich werden sie dabei, erwischen — mich..." Mit einer jähen, gereizten Bewegung stellte er einen Hebel am Schaltbrett und wandte sich um. Seine Hände hoben sich, und Jim sah, daß sie zitterten. I n d as S ummen d es M otors h ämmerte p lötzlich d ie Qual ei nes M annes, d er s onst verschlossen war wie kein zweiter — der jetzt hinausschreien wollte, was ihn bedrückte und es doch nicht konnte. Jim trat dicht vor ihn und legte ihm die Hände auf die massigen Schultern. „Wellington — was wissen Sie von diesen unheimlichen Faltern?" Schweißtropfen standen dem Bordingenieur auf der Stirn. Er keuchte. Alles versank um sie, und nur das Schicksal eines sonst so uninteressanten Mannes war plötzlich wichtig. Wellington sah verzweifelt an dem Kommodore vorbei. „Was soll ich sagen? Ich weiß eben, was mir bevorsteht." „Ahnungen?" Wellington kaute mechanisch. Seine Lippen formten die Antwort. Aber da erklang über ihnen ein G lockensignal. S chrill. D reimal. A ufpeitschend. W ellington sah s ehr f inster a us, a ls de r Kommodore sofort seine Schultern losließ und zurücktrat. „Da haben wir sie, Parker!" „Wellington", sagte Jim beschwörend. „Reißen Sie sich jetzt am Riemen — weg mit allen Grübeleien — ich bitte Sie..." „Ich werde es versuchen, Kommodore!" Der B ordingenieur blieb i n s einer v erschränkten H altung s tehen, b is J im P arker au s d em Raum v erschwunden w ar. D ann d rehte er s ich m it ei ner m üden B ewegung um , s tützte den erhobenen Arm gegen di e S chalttafel und pr eßte s ein Gesicht dagegen. U nnennbares Grauen durchflutete ihn. Der Kommodore aber stürzte bereits im Führerraum an den Bildschirm, an dem Gina Winter bewegungslos und unendlich beherrscht saß. „Was ist los, Herrschaften?" „Sehen Sie, Mister Parker?" Über die Quadrate des Bildschirms geisterte es heran — der Schattenriß des fremden Schiffes — fingerte über 117, 56 B bis zum Abschirmkreis. Der Kommodore preßte die Fäuste zusammen. „Da haben wir sie", hatte Wellington gesagt, und er hatte recht Das G eisterschiff h atte s einen K urs s o w aghalsig genommen, d aß s ie mit ih m zusammenstoßen mußten, wenn sie nicht haarscharf monövrierten. „Der hat uns ausgemacht, Jim", sagte Wernicke vom Führerstand her. Der K ommodore l angte ne ben sich z um K ontrolltisch und s chaltete a uf B ordruf. H allo, Wellington — zurück auf TCD!" ......... zurück auf TCD!" Den Bordingenieur riß es aus seiner dumpfen Furcht wieder hoch, als die klare, harte Stimme seines jungen Schifisführers die Anweisung gab. Aber er ging innerlich nicht mit. Seine Hände tasteten m echanisch ü ber die S chaltung u nd s etzten d ie Eigengeschwindigkeit h erab. D as Summen des Motors ging in ein feines, kaum noch hörbares Schwingen über. Wellington stand da u nd k onnte s einen ei genen K örper nicht m ehr b eherrschen, und vor s einen A ugen verschwamm die eiskalt-sachliche Anlage des Raums zu einem gespenstischen Bild und wurde zum Weltall. Grell standen die Sterne. Wie leuchtende Punkte hoben sie sich vom schwarzen Firmament ab. Wellington kannte das Bild von vielen Raumflügen her. Aber heute regten ihn die fernen Sterne auf. Sie glosten ihn an wie fremde, hohnvolle Götter. Als wenn er in einem anderen Land stand, das zu durchforschen ungemein gefahrvoll war. Sie lebten ja, diese Sterne — sie waren Tieraugen — Insektenaugen. Ob sie ihn schon jetzt, auf der Stelle, haben wollten? Wellington wußte es nicht. Aber den langgestreckten Schiffskörper, der direkt auf sie zuraste, konnte er auf Anhieb ausmachen. Das war das Gespensterschiff, und mit
ihm kam der Tod, zu ihm, zum S.A.T.-Ingenieur Wellington. Aber noch einmal erhob sich die klare Stimme Jim Parkers, die wieder über den Bordruf kam „Runtergehen auf TCB in fünf Stufen!" „Runtergehen auf TCB in fünf Stufen", wiederholte Wellington mit etaer Stimme, die ihm selber fremd war. „Ist er gleich heran, Parker?" „Noch nicht. Drei zu, Wellington!" „Drei zu", wiederholte Wellington abermals, und während er es sagte, wurde er" ganz ruhig. Der Z usammenstoß war n icht mehr ab zuwenden, da konnte Parker d ie tollsten Steuermanöver durchführen. D er an dere, d er G espenster-raumer wollte d en Zusammenstoß. Aber i n d iesen letzten Minuten vor dem unabwendbaren Ende des eigenen Schiffes wurde es Wellington eiskalt ums Herz. Was nun geschah, erlebte er wie in einem gruseligen Alpdruckfilm, und er empfand nur g anz u nbewußt, da ß e s a uch um i hn dabei ging. K aum h atte er d ie l etzte A nordnung d es Kommodores durchgeführt, als Jim sich wieder von vorn meldete. Diesmal aber voll verhaltener Wut. „Wellington — bereithalten zum Aussteigen — wieder auf TCE!“ Der Motor lief schneller. Deutlich nahm Wellington wahr, was draußen geschah. " Das Gespensterschiff war bis auf zwei, drei Meilen heran. Der Kommodore versuchte, vor dem außerordentlich schärfen Bug des Raumers, der nun rot und grell und brüllend aufflammte, vorbeizujagen. Wellington zählte mit dröhnenden Schläfen. Eine Sekunde — eine nur. Zurücktaumelnd schloß er die Augen, als es um ihn widerwärtig und schrill aufschrammte. Der andere hatte sie aufgespießt. Regelrecht aufgespießt. Weilington wurde das Podium unter den Füßen weggerissen. Er flog plötzlich i n e inem Gewirr v on Trümmerstücken. N och e inmal tönte e s übe r de n B ordruf: „Schiff verlassen!" Wellington war schon draußen. Vor ihm r agte d ie B ackbordseite d es r oten G eisterschiffes au f. D eutlich s chwebte ei nige hundert Meter vor ihm, was er gefürchtet hatte. Er wunderte sich zunächst darüber, daß dieses Schiff die bei den alten irdischen Raumschiffen gewohnte schnittige Form zeigte, wenn es auch eine wesentlich an dere B auart v erriet. Auffällig war ei gentlich n ur, d aß B ullaugen s o gut wie ganz fehlten — nur am Bug waren neben einer großen Sichtscheibe zwei angebracht _., „Sie ganz harmlos aus, was, Wellington?" .... D er B ordingenieur w andte i n s einer K unstglashaube den K opf u nd s ah v ier . u nförmige Gestalten neben sich im freien Raum schweben. Sie waren also , bereits alle von Bord gegangen. Ihr S chiff war ei n wüster Trümmerhaufen, -der weitab von ihnen seine ewige Bahn zu ziehen begann. „Der hat uns aber einen ganz schönen Bumms gegeben, Kommodore." „Ich bin gespannt wie es in dem Kahn dort vorn aussieht." „Hoffentlich hat man von ,Luna nova' aus alles beobachtet" „Ich habe mit Brauer noch einen Spruch abgesetzt." Jim Parker ließ das Schiff nicht aus den Augen. Drüben rührte sich nichts. Keine der beiden Backbordluken öffnete sich, um den Schiffbrüchigen zu helfen. Aber auch keine Waffe flammte auf, um sie zu vernichten. Unheimlicher Anblick und todesstarres Schweigen. Und nur das eigene Blut sang und hämmerte schmerzhaft in den Schläfen. Brauer bemühte sich mit einigen Lenk-. Schüssen, in G inas N ähe z u k ommen. S ie w ar nun doch s ehr bl eich und s tarrte 4h n m it schreckgeweiteten Augen an. Der Kommodore winkte dem Steuermann jund Oberleutnant Bleß. „Wir drei müssen ran. Die anderen warten." „Augenblick!" Aus Wellingtons Rückstoßer flammte es zweimal kurz auf — er trieb sich neben den Kommodore. Nun, da alles so gekommen war, wie er vorausgesagt hatte, war er wieder der alte. „Ich hoffe nicht daß Sie mich für -einen Feigling halten." „Ihre Ahnungen..." „Jetzt nicht mehr, Kommodore!"
Jim drückte viermal ab. Wie ein Pfeil schoß er durch den leeren Raum auf die rote Rundwand zu, die immer mächtiger und drohender vor ihm aufwuchs. Er bemühte sich, an den Bug heranzukommen, und es gelang ihm auch nach einigen Steuermanövern. Wahrscheinlich nützte es nicht viel, aber Jim hatte immerhin einige Instrumente bei sich, die es mit allen Wundern des Kosmos aufnehmen konnten. Eines dieser Instrumente preßte er gegen ein Bullauge, und was er dann sah, ließ ihn unwillkürlich zusammenfahren. Im Führerstand hockten zwei leblose Gestalten. Hinter ihnen, neben einer Art Kontrolltisch, der aber wesentlich kleiner war als die der S.A.T.-Schiffe, streckte sich ein dritter menschlicher Körper, der im Fallen einen kleinen Kasten mit sich herabgerissen zu haben schien. War es vielleicht der Unbekannte, der die Erde vor den Insekten gewarnt hatte? Jim schüttelte das Grauen von sich ab, das ihn aus diesem treibenden Sarg ansprang und hangelte sich entschlossen die Schiffswand entlang, bis er die Haltegriffe der ersten Luke vor sich hatte. Wie aufgeblähte Fabelwesen folgten ihm seine Kameraden — die Atombrenner schußbereit in den Kombiklauen. „Nicht reinzukommen, wie?" „Was hast du gesehen, Jim?" „Drei Männer. Wahrscheinlich tot. Aber gewiß nicht von anderen Planeten." Ein Aufatmen ging durch die Reihe. „Also ist es nichts mit dem Marsangriff", freute sich der Oberleutnant. „Abwarten!" Jim ta stete vorsichtig d ie Ein schlußlinie e ntlang u nd s tellte m it a ußerordentlicher V orsicht seinen A tombrenner. E in m esserscharfer g rüner S trahl f lammte s ekundenlang d urch di e Schwärze, schnitt ein Rechteck aus der Luke, groß genug, einen schlanken Mann durchzulassen. Noch enger drängte sich die Gruppe an die Bordwand — nur Brauer hielt sich mit Gina Winter absichtlich l urück. B evor d ie a nderen es r echt b egriffen h atten, w ar J im b ereits i m S chiff verschwunden. Wellington stieg ihm als-zweiter nach. Wernicke murrte, wartete aber, bis auch der Bordingenieur eingestiegen war. Drinnen tastete sich der Kommodore mit eingeschaltetem Scheinwerfer durch die Finsternis. Entweder kannten die Burschen keine Dauerbeleuchtung für ihre Einstiegluken, oder sie hatten sie absichtlich außer Betrieb gesetzt. Wellington 'atmete schon wieder erregter und stieß mit dem Kommodore zusammen. „Vorsicht, Mann!" Wellington aber blieb neben dem Kommodore. „Vielleicht ist es besser, Parker, daß ich..." „Psst — still..." Irgendwo wurde ein Geräusch laut. Als wenn Vögel durch das Schiff flatterten. Es war kaum zu h ören, di eses f erne G eräusch, d och es ließ d as B lut der M änner er starren. D ie F alter? J im überlegte kurz, gab dann aber doch ein Signal nach draußen, das auch Brauer und Gina Winter einsteigen lie ß. S ie k onnten s chließlich n icht im All h erumtreiben, b is R ettungsschiffe h eran waren. Gewandt stemmten sich Gina und der Funkoffizier an Bord. Kein unnötiges Wort wurde gesprochen. Wernicke dichtete die Luke wieder ab. Dann fuhr der Scheinwerferstrahl weiter über die jenseitige Schleusenwand, hinter der sich" Gange oder Kabinen erstrecken mußten. Rechter Hand mußte sich der Führerraum mit den toten Raumfliegern befinden. „Zurück mit euch allen!" Jim stellte sich breit. Bei allen Raumschiffen, die er bisher gesehen hatte, war es üblich, daß die Schottür zwischen Schleuse und Schiffsinnerem vom Führerstand aus bedient wurde, außerdem aber ein Elektroöffner innerhalb der Schleuse angebracht war. Er pfiff zufrieden durch die Zähne, als seine tastende Rechte auch hier diesen Öffner fand. Na also! So Unheimlich ließ sich alles gar nicht an. Aber was mochte noch kommen? > „Anschließen!" Er ließ die Schottür. mit einem Ruck aufschnellen. Es gab einen kurzen, bellenden Laut, dann schwang sie aus. Vor ihnen lag der Mittschiffsgang. Dunkel. Zwei, drei Kombischeinwerfer knallten in diese Dunkelheit. Nichts. „Der Kasten ist ausgestorben", flüsterte Wellington heiser. Der Kommodore antwortete nicht. Wellington konnte sehen, daß sein junges Gesicht von abweisender Kälte gezeichnet war. Schritt für S chritt g ingen di e s echs durch den G ang. A ls r echts v on i hnen e ine K abine a bging, bl ieb Wellington plötzlich stehen.
„Hört ihr nichts?" sagte er gequält. Wieder war das Schwingen unsichtbarer Flügel vor ihnen. Jims Lichtbalken ging über kaltes Metall und rötlich schimmernden ;Kunststoff. Der Gang fand ungefähr zehn Meter vor ihnen an einer Schottür ein Ende. Was dahinter lag, war rätselhaft und konnte unzählige Gefahren bergen. Nichts. Willington spürte wieder, wie die quälende Unruhe über ihn kam. In seinen Ohren blieb dieses singende Schwingen, wie man es an Sommertagen auf einsamen Feldern hören kann, oder an stillen Wassern, wenn Libellen und Käfer kreisen. Ein Gedanke kam ihm „Licht aus, Kommodore!" Jim gab ohne zu zögern den Befehl. Die Finsternis eines toten Raumschiffes fiel über sie her. Für Bruchteile einer Sekunde stockte ihnen der Atem. Dann sehrie Gina Winter auf, und es war verständlich, daß sie gellend aufschrie. Wo eben noch der nackte Schiffsgang vor ihnen lag, leuchtete plötzlich aus der Finsternis ein Augenpaar auf. Tieraugen. Insektenaugen. Wie die unheimlichen Sterne, die Wellington vorhin gesehen hatte. Wenige Meter vor ihnen. Sie überquerten schwebend den Gang — immer wieder als wollten sie den Eindringlingen den Weg absperren. „Bei allen Planeten!" Jim P arker s chenkte s ich l ange Ü berlegungen. Er s tieß ei nfach u nd au f g ut G lück d ie Kabinentür auf. Instinktiv zog Brauer das junge Mädchen hinein, als könne er sie so vor den unheimlichen Insektenaugen schützen. So sah wenigsten? Gina nicht das Grausige, das sich auf dem Gang abspielte. -Wellington stürzte sich auf die leuchtenden Augen. Als folge er einem Befehl. Jim und Wernicke und Bleß wollten ihn daran hindern. Der Kommodore warf sich ihm in den Weg, kam aber dabei im dunklen Gang zu Fall. Wellington sprang über ihn. Spürte, wie etwas gegen seinen Hals prallte, wie etwas glatt durch seine Kombination schnitt. Dann wurde es dunkel um ihn. „Müssen aussteigen und uns auf das Gespensterschiff retten." Der Chef der S. A. T.-Funkstation in Orion-City hatte seinem Fernfunker vom Dienst über die Schulter gesehen, als dieser den Ruf aus den Tiefen des Alls — aufgefangen und weitergegeben von „Luna nova" — abspulte. Die Blicke der Männer trafen sich, als der Funkchef das Papier an sich nahm. Dann wandte er sich wortlos ab. Eine Minute später stand er Generaldirektor Cunningham gegenüber. „Von Parker?" Cunningham beförderte ahnungsschwer seine Havanna in den Ascher. „Gutes bringen Sie mir natürlich nicht." „Kommodore Parker ist mit dem Gespensterschiff zusammengestoßen", berichtete der andere atemlos. Cunningham richtete sich sehr gerade auf. „Zeigen Sie her!" Er zerkaute schweigend seine erste Erregung. Dann wuchtete er seinen massigen Körper völlig aus d em S essel au f, r iß d en H örer v on d er T elefongabel u nd g ab ei nige k urze B efehle, D er Funkchef entfernte sich mit einer kleinen Verneigung. Für ihn würde es gleich Arbeit in Fülle geben. I n w eniger a ls einer ha lben S tunde w ürden di e e rsten R aumschiffe von E rde u nd Außenstation aus losrasen, um Parker und s einen Kameraden zu helfen. Cunningham aber war sehr mitgenommen. Als Oberst Mortimer vom Sicherheitsdienst hereinstelzte, winkte er ab. „Wenn Sie mir auch noch eine Hiobsbotschaft bringen, werfe ich Sie eigenhändig zum Fenster raus." „Aufforderung zum Ringkampf wird abgelehnt", grinste der Sicherheitshäuptling friedfertig, wurde aber sogleich wieder ernst, als er in einen Sessel gefallen war und die langen Beine von sich streckte. „Ich habe schon gehört, Cunningham — eine böse Sache!" „Ihre Meinung?" „Was kann In dieser Situation meine Meinung wert sein", schüttelte der Oberst vorsichtig den Kopf und begann, sich eine seiner stinkenden Zigarren zu drehen. „Wir müssen abwarten, ob Jim sich von Bord dieses Geisterschiffes meldet."
„Und wenn man sie gefangennimmt, Mortimer — oder einfach umbringt?" Der Generaldirektor wurde wenigstens dieser schrecklichen Befürchtung enthoben, dafür aber in andere Sorgen gestürzt, als gleich darauf ein weiterer Funkspruch von Jim Parker eintraf. „An B ord de s fremden S chiffes. W enig wahrscheinlich, da ß d ieses von e inem anderen Planeten k ommt. B esatzung to t. S chiff v oll manövrierfähig. W urden jedoch v on I nsekten unbekannter Art angegriffen. Wellington dabei verletzt. Melden uns wieder. Parker." Mortimer war sehr bleich geworden. „Wellington — armer Teufel!" „Also ha t de r K asten doc h I nsekten a n B ord", ni ckte C unningham düs ter. „ Wir werden verdammt aufpassen müssen, wenn Parker sich mit ihm der Erde nähert." Mortimer zerdrückte seine Zigarette. Das sollte Wellington sein? Der Kommodore zerrte einen menschlichen Roboter in die Kabine, in die sich Brauer und Gina Winter b ereits g eflüchtet h atten — einen fremden M ann m it t otenähnlichem, v ersteinertem Gesicht unter der runden Kunststoffhaube, dessen Anblick so erschütternd war, daß Gina sich schluchzend abwandte. „Mister Parker — wer ist das?" „Gina, fragen Sie nicht", schluckte Jim Parker und führte den Willenlosen vorsichtig zu einer Bank. Zum erstenmal wußte Jim nicht, was er mit einem verletzten Menschen anfangen sollte. Verletzt? Körperlich hatte dem Bordingenieur der Stich kaum geschadet, aber seelisch war mit ihm in Minuten eine grausige Verwandlung vorgegangen. Aus dem brummigen, verschlossenen Wellington war ein Fremder geworden, der nicht mehr Herr seiner selbst zu sein schien. J„ Wellington — setzen Sie sich auf diese Bank." Aber der Mann, der Wellington hieß und es doch nicht,, mehr war, schien es nicht gehört zu haben. Seine Augen waren wohl auf den Kommodore gerichtet, aber sie sahen ihn nicht. Als Jim jedoch mit wenigen Handgriffen energisch nachhalf, setzte er sich wie ein gehorsames Kind. Das also war Wellington. Der Kommodore schüttelte energisch das Grauen ab, das ihn aus dem weißen, fremden Gesicht seines Kameraden ansprang. Vorsichtig, fast ängstlich, ging sein Blick über seine Gefährten, die ihn stumm und wie in einem phantastischen Angsttraum umstanden. „Ich w ill eu ch nichts v ormachen. Es t ut m ir le id, F räulein W inter, daß ic h S ie diesen scheußlichen Gefahren aussetzen muß. Mit Ausnahme von Kabine und Führerraum wimmelt das Schiff von bunten, großen Faltern. Wie furchtbar sie sind, sehen wir an Wellington. Ich hoffe, ihr begreift, was das bedeutet;" Wernicke, der sich fertigmachte, um vorn das Steuer zu übernehmen, blieb stehen „Verflucht noch mal — eine schöne Bescherung!" Brauer sah auf seine klobigen Kombibeine nieder. „Wir können nicht zur Erde zurückkehren?" „Mit diesen fliegenden Bestien an Bord — niemals!" „Aber di ese F alter s ind d och auch s chon a uf de r E rde g esehen w orden", drängte de r Funkoffizier verzweifelt, der spürte, wie nahe die sonst so tapfere Gina Winter am Zusammenbrechen war. „Wenn wir hier nur Männer wären, könnten Sie das schon von uns verlangen, aber so ..." „Nehmen Sie bitte auf mich keine Rücksicht", sagte Gina mit zitternder Stimme. Jim lächelte ihr aufmunternd zu. „Wir wollen n icht f ür e wig a ls A usgestoßene i m A ll h erumfliegen. W ellington m uß a uch möglichst r asch unt er ärztliche Kontrolle kommen." E r s ah s ich i n der K abine um, di e s o gar nichts Geheimnisvolles an sich hatte. So hätte es in jedem S. A. T.-Schiff aussehen können. Doch plötzlich stutzte er, trat an ein offenes Wandspind und entnahm einem Fach einen Holzkasten, in dem nichts anderes lag, als drei gute, solide Revolver. Vorsichtig nahm er sie in die Hand und wandte sich kopfschüttelnd an Bleß, der neben ihm gegen ein Ruhebett lehnte. „Komisch, was?"
Der Oberleutnant richtete sich neugierig auf. „Revolver — an Bord eines Raumschiffes?" „Eben." Jim wog eines der Schießeisen in der Hand. Es waren beste belgische Fabrikate, und sie sahen wundervoll gepflegt aus. Ein Waffenliebhaber hätte seine helle Freude an ihnen gehabt. Für Jim aber wurden sie immer bedeutungsvoller, je länger er sie betrachtete. Die toten Männer, die nebenan in dem Führerraum lagen, hatten diese Waffen gewiß nicht aus Liebhaberei mitgenommen, obw ohl s ie l ange ni cht g ebraucht z u s ein s chienen. A ber z weifellos ha tte man m it Situationen g erechnet, i n de nen mit i hnen g eschossen w erden s ollte. A uf M enschen? K aum anzunehmen — Raumflieger p flegten s eit v ielen J ahren f ast n ur n och m it S trahlwaffen zu kämpfen. Dann blieben nur noch... „Erde, Mars und Venus!" Der Kommodore konnte seinen alten Schlachtruf nicht unterdrücken. Blitzschnell erkannte er die Bedeutung der Feuerwaffen. Daß die Falter mit Atomstrahlen nur zu betäuben w aren, h atte er v orhin festgestellt, a ls e r W ellington helfen wollte. Er f aßte b ereits seinen Entschluß und schnippte mit den Fingern. „Wernicke — wir steuern den Mond an!" „Okay!" Der Steuermann grüßte und verschwand im Führerraum. „Brauer — Sie s etzen s ofort ei ne en tsprechende M eldung an O rion-City ab . L assen S ie Professor Valentin vom ,Weltinstitut für Biologie' zum Mond beordern. Wir werden ihm Falter in Massen mitbringen." „Okay!" „Bleß — wir b eide . .." J im wollte ei nfach zu m Angriff g egen d ie s chwirrenden B estien übergehen, die mit ihnen dieses geheimnisvolle Raumschiff teilten, aber er kam eine Minute zu spät. D as s ingende S chwingen war wieder d a. J im b efahl s einen G efährten mit ei ner kurzen Handbewegung, in den Führerraum zu gehen. Nur Bleß und er blieben. „Wir müssen sie mit den Atomstrahlen zurückwerfen und mit diesen Knallern abschießen." Bleß nahm einen Revolver. „Aha — also dazu..." „Fertig, Bleß?" Der Kommodore trat an die Schottür zum Gang. Den Atombrenner in der Hand. Bleß postierte sich weiter zurück. Er nickte. Sein Jungengesicht war hart und entschlossen. Vorn aber ließ Wernicke das Schiff auf volle Fahrt gehen. Kurs: Erdmond! Bleß feuerte seinen Revolver ab. Der große Falter war durch den Atomstrahl geblendet oder betäubt worden-Er hatte in seiner sehr schönen und eleganten. Flugbewegung innegehalten, war zurückgetaumelt, als wolle er sich rücklings überschlagen. Aber auch diese Bewegung vollendete er nicht, war plötzlich wieder in seiner alten Fluglage und stieß wütend auf Jim Parker zu. In diesem Augenblick feuerte Bleß. Die Kugel traf den Falter in der Brust und zerfetzte ihn. Die Teile des zerrissenen Körpers flogen durch die Kabine und fielen irgendwo hinter den Männern nieder. Bleß leckte sich die Lippen. „Der erste, Kommodore!" Jim P arker lächelte grimmig. Keine Sekunde ließ er die geöffnete Schottür zum Schiffsgang aus den Augen. Im Gang schwirrten sie, und es würde aus sein, wenn sie alle auf einmal angreifen sollten. I hre S tachel g ingen g latt d urch die dicksten K ombinationen, u nd J im g ab s ich da g ar keinen Hoffnungen hm Oder hatten diese Bestien mit ihren erbarmungslosen, kalten Augen etwa die Gewohnheit, einzeln anzugreifen? Wieder s chwirrte es d urch d ie S chottür. W ieder f lammte de r Atomstrahl und k nallte de r Schuß. U nd wieder flogen K örperteile dur ch di e K abine. J im ü berlegte fieberhaft. S o g ing es nicht. Die schwirrenden Teufel belagerten sie regelrecht, und es würde unter diesen Umständen nicht e inmal möglich s ein, a n di e s ichernden L uken he ranzukommen, wenn W ernicke da s rasende Schiff zum Erdmond gebracht hatte. Gewiß konnte man sich auf der Steuerbordseite mit dem A tombrenner e inen A usgang s chaffen, doc h dann bestand die G efahr, da ß s ie übe r di e Mondanlagen herfallen würden.
„Verdammt — wir haben einen Fehler gemacht, Bleß!" Wieder schwirrten zwei Insektenaugen durch die Schottür. Jim warf sie zurück. Oberleutnant Bleß knallte sie ab. „Drüben — der Glashelm, Bleß!" Der Oberleutnant schielte vorsichtig zur Seite und sah neben sich auf dem Spindauszug einen Glashelm d er t oten B esatzung l iegen. E r b egriff, was J im wollte. O hne di e S chottür a us de n Augen zu l assen, r eckte er s ich u nd w arf J im den Helm z u, d er ihn a uffing, mit der Rechten jedoch unentwegt den Atombrenner hochhielt. „Verflucht, Kommodore — da kommt wieder einer!" Jim hatte ihn schon gesehen, den großen, bunten Falter, der heranschwirrte. Atombrenner an. Zurück mit dir! Der Falter blieb in der Luft stehen und schlug abwehrend mit den Flügeln. Nun wagte es der Kommodore. Ein weiterer grüner Strahl schuf noch einmal Spielraum für Sekunden. „Nicht schießen, Bleß! Schottür zu!" Bleß begriff auch das sofort. Er stürzte an dem sirrenden Falter vorbei, überwand das scheußliche G efühl einer niederträchtigen Furcht, als er von draußen das Summen unzähliger Insekten hörte und ließ die S chottür zugleiten. Hinter ihm drängte Jim den vor Hilflosigkeit rasenden Falter immer weiter zurück. Der Kommodore ließ die Bestie aus seinem breiten Atomstrahl nicht los, aber es sah aus, als erhole sie sich von dem Schock und wolle jeden Augenblick wieder vorstoßen. Das konnte leicht schiefgehen. Bleß hob den Revolver. „Soll ich nicht lieber ..." „Weg mit dem Ding, Mann", rief Jim scharf. „Ich muß ihn lebend haben." „Kommodore, es ..." Aber Jim hatte die Gefahr schon erkannt. Der bunten, giftschönen Bestie mit den kalten Teufelsaugen hatte der Atomstrahl tatsächlich nichts a nhaben k önnen. S ie l ieß s ich pl ötzlich um Z entimeter fallen u nd s tieß d ann w ie ei ne rasende Jagdmaschine vor. Wenn sie gegen Jim prallte, war es aus. Aber sie flog in den Glashelm, den Jim ihr entgegengeschleudert hatte. Wurde abermals betäubt. Der Helm knallte gegen eine Kojenstange, flog auf eine Bank und rollte dort aus. Gebannt standen die Männer. Doch sie hatten Glück. Der Glashelm barg den zuckenden Körper. Mit einem Jubelschrei stürzten sie sich darauf, stellten den Helm so, daß der Falter nicht entweichen konnte. Bleß sah aus, als wolle er tausend Dankgebete sprechen. ~) „Nun haben wir wohl Ruhe bis zum Mond." „Hoffentlich", sagte J im trocken, ging nach vorn in den Führerraum, streifte mit einem teilnahmsvollen Blick die Leichen der fremden Raumflieger, die man auf die Kojen gelegt hatte. Funkoffizier Brauer sah ihm aufmerksam entgegen. Trotz aller Gefahren herrschte hier vorn eine ruhige, sachliche Atmosphäre. Jim trat neben den Funkoffizier. „Spruch an Mondwerk. Schätzungsweise mehrere tausend Falter im Schiff. Massenvernichtung, wenn überhaupt, dann nur unter Einsatz von Giftgasen oder anderen hochentwickelten Giftstoffen möglich. Bei Landung unbedingt entsprechendes Mittel bereithalten. Parker. Qu/GB 6." Brauer ließ bereits die P eilung spielen.- Gina W inter half ihm bei der Durchgabe. Vom Führerstand her, der sich in der rasenden Fahrt des Schiffes in die unergründliche Tiefe des Alls zu bohren schien, lachte Wernicke meckernd auf. „Schöne Aussichten, und das ohne Whisky an Bord dieses zehnmal verfluchten Kastens. Und was geschieht, hochedler Kommodore, wenn die Herren Giftmischer nicht mitkommen?" - „Dann müssen wir W ellington und F räulein Winter abladen und mit de m S chiff s chleunigst wieder im All verschwinden, wenn wir Mondwerke und Erde nicht noch mehr gefährden wollen." Professor Valentin und seinem Assistenten erging es wesentlich besser als dem trockengelegten Steuermann. Sie waren vor einer Stunde zum erstenmal in ihrem Leben auf dem Erdmond gelandet und besänftigten ihre Erschütterung über dieses großartige Erlebnis mit drei, vier Lagen
hochaktiver Eisgetränke. Valentin trank bedächtig ein weiteres Glas, erhob sich dann und trat an das Fenster im Beratungsraum der Zentrale von „Luna IV". „Giftgase, meine Herren? No — ausgeschlossen!" "Um einen niedrigen, runden Tisch saßen sechs M änner. Sie trugen leichte Leinenanzüge, die besonders für dieses mörderische Klima geschaffen worden waren, und hatten zergrübelte Gesichter. Durch das große Fenster das fast bis zum B oden r eichte, k onnte man au f d ie weite E ldorado-Ebene u nd d ie fernen Amerika-Berge sehen, die im Süden verschwommen aufragten. Es war unerträglich heiß. Professor Higgins, der vor Jahren mit dem Kommodore gegen die riesigen Mondschlangen kämpfte und als international anerkannter Zoologe wieder herbeigeeilt war, zündete sich nachdenklich eine Zigarette an. „Ich fürchte, mein verehrter Kollege hat recht." Unruhe wurde laut. Der Funkspruch des Kommodores lag wie ein gebieterischer B efehl au f dem Tisch. Wenn es nur nicht so heiß gewesen wäre! Draußen kochte die ganze Trostlosigkeit der Mondlandschaft unter einem grün-dünnen Himmel. Irgendwo wurde laut gesprochen. Ein Schnellwagen schnurrte über den weiten, betonierten Werkplatz. Sonst über allem ein Schweigen, das darüber hinwegtäuschte, wie intensiv in den Abteilungen und Kraterwerkstätten die Arbeit auf Hochtouren lief. Unter ihnen spielte bereits die Fernpeilung, und vor dem Portal der Zentrale standen vier Hubschrauber, um die Wissenschaftler zum voraussichtlichen Landeplatz zu bringen. Hier im Beratungsraum aber war der eine noch Ratloser als der andere, und immer wieder sah man scheu auf die große Stationsuhr unter der S.A.T.-Flagge. Der kleine Italiener hob mit großer Gestik die Hände. „Es muß etwas geschehen! Wenn es uns nicht gelingt, in zwei Stunden ein Massenvernichtungsmittel zu finden, liefern wir eine tapfere Raumschiffsbesatzung und vielleicht die Mondwerke dem sicheren Verderben aus!" Higgins winkte begütigend ab. „Das wissen wir alle, Signore Pacelli. Aber ich glaube, Mister Valentin hat einen Vorschlag zu machen." Valentin hatte grübelnd i n das Flirren des hohen M ondnachmittags gestarrt. N un bat er mit einer Handbewegung um die Aufmerksamkeit seiner Kollegen. „Meine Herren! Wenn schon die M acht ei nes Atombrenners d iesen seltsamen Tieren n ichts anhaben kann, wieviel weniger würden Giftgase helfen. Werfen wir ihnen aber Staub unter die Flügel ..." „Aber, verehrter Valentin", lächelte Pacelli ironisch, „Sie sollten diese Bestien noch mit Schmutzklumpen bewerfen —" „Pacelli, hören Sie doch erst weiter", bremste Higgins unwillig. Valentin kam wieder an den Beratungstisch zurück. „Der Strahl des Atombrenners hat d ie I nsekten nur betäubt; nehmen w ir aber radioaktiven Staub, so würde sich diese Wirkung verzwanzigfachen — sie würden daran zugrunde gehen." „Von mir aus mit dem dicksten Vergnügen", sagte der stellvertretende Kommandant von „Luna I V" sofort und s tand auf. „ Wenn die Herren einverstanden sind, lasse ich über die Außenstation Orion-City anrufen, da über dieses Teufelszeug nur der Generaldirektor persönlich verfügen darf." Higgins richtete sich etwas auf. „Nun, meine Herren?" Nur Pacelli hob die Schultern; die anderen steckten ihre Notizblöcke weg. „Einverstanden!“ In den tiefsten Bunkern der Mondkrater lagerte dieses teuflische Mittel als graues, glitzerndes Pulver in torpedoförmigen Röhren, an die nur noch große Zerstäuber angeschraubt zu werden brauchten. Die Herren zögerten nun keine Minute mehr, und Generaldirektor Cunningham gab ohne weiteres seine Zustimmung. Keine halbe Stunde später eilte ein Trupp in den Niedergang des Arizona-Kraters. Der Verantwortliche für diesen Krater führte sie. „Ich kann in einer Stunde drei Torpedos klarmachen."
„Das ist zu wenig", sagte Valentin scharf. „Wir brauchen wenigstens fünf." „Ich werde es versuchen." Hinter ihnen landeten zwei mächtige Urweltwesen von Hubschraubern. Unter dem Rumpf waren Greifer angebracht, die die Torpedos halten sollten! Athletisch gebaute S.A.T.-Flieger sprangen aus den Maschinen und tippten an die Kappen, als sie ihre Kameraden vom Kraterdienst begrüßten. „Sollen euren komischen Staubzucker abholen." „Gebt doch nicht so an. Ihr habt ja jetzt schon die Hosen voll." „Vor Lachen", grinsten die Flieger. „Weil ihr euch so aufspielt. Taugt das Zeug wenigstens was?" „Ihr könnt ja mal einen Torpedo fallen lassen." „Lieber nicht." Wemicke hatte den Erdmond bereits im Fadendreieck. „In siebzig Minuten haben wir festen Grund unter den Füßen", freute er sich, und der Gedanke an das gute Feuerwasser der als besonders durstig bekannten Mondmänner ließ das Lächeln einer frohen Hoffnung auf seinem braunen Jugengesicht erstrahlen. Jim Parker, der mit Brauer und der immer noch sehr blassen Gina Winter hinter ihm am Empfänger saß, war wesentlich ernster. Und er hatte auch allen Grund dazu. Aus dem Empfänger — Jim hatte inzwischen alle Geräte dieses Gespensterschiffes genauestens untersucht und festgestellt, daß sie aus Frankreich stammten — erklangen alarmierende Nachrichten von der Erde zu den einsamen Weltraumfliegern. „London. W ie da s H auptquartier de r W eltpolizei m itteilte, ha t s ich di e Z ahl der v on den rätselhaften Faltern angefallenen und verletzten Personen in Nord-und Südamerika, Europa und Australien i nzwischen au f i nsgesamt 2 9 er höht. B ei al len Verletzten w urden die g leichen Symptome festgestellt: Ausschaltung d es eigenen Willens u nd Verlust d es Gedächtnisses. Die Weltpolizei wird in den nächsten Stunden Richtlinien herausgeben, die von allen Personen bei der Annäherung von Faltern zu beachten sind;" „Schön gesagt", grinste der Kommodore ironisch und dachte an den Wirbelsturm der tosenden Bestien, d ie s ich j enseits der noch halbwegs s icheren K abinenwände a ustobten. „ Wenn d ie einmal ran sind, hilft nur noch ein stilles Gebet." „Oder ein Wurf mit dem Kunstglashelm." „Das hilft nur in Ausnahmefällen", knurrte der Kommodore und schaltete einen nordamerikanischen Sender ein, der ebenfalls sein möglichstes tat, um der Bevölkerung die Größe der Gefahr aus dem Weltall vor Augen zu halten. Jim wollte b ereits mit ei ner v erächtlichen B ewegung ab schalten, als d er S precher b egann, d ie Orte der einzelnen Überfälle aufzuzählen. Gina stenografierte mit und reichte dann Jim den Block. Der sah nachdenklich darauf. „Wenn die Falter wirklich aus dem All kommen..." „Oh, oh, großer Kommodore!" Ich sagte, wenn, Wernicke — wir müssen eben alle Möglichkeiten einkalkulieren. Nehmen wir an, außer unserem Schiff hätten noch weitere Raumer mit diesen Lebewesen die Erde angeflogen, dann müssen sie im Norden der USA, Bolivien, Mitteleuropa und Westaustralien gelandet sein. Jedenfalls h aben B ich an diesen Punkten der E rde d ie m eisten Ü berfälle er eignet." „U nd i n Südschweden." „Südschweden ist ein Fall für sich, der noch genau untersucht werden muß. Dort sind zwar zahlreiche Insekten dieser Art gesehen worden; sie haben aber keinen Menschen angegriffen." „Wahrscheinlich ist alles in Deckung gegangen." „Im Gegenteil — Kinder haben auf der Straße gespielt." „Merkwürdig." Gina Winter horchte auf das unheimliche Gesumme im Hauptgang, aber Oberleutnant Bleß, der in der Mannschaftskabine mit schußbereitem Atomstrahler die Wände kontrollierte, lächelte ihr be ruhigend z u. N och e inmal s uchte e r g ewissenhaft di e ge schlossene S chottür a b, da nn wandte er sich plötzlich um und trat neben den Kommodore.
„Parker, sagten Sie eben ,im Norden der USA'?" „Gewiß." Jim sah auf. „Allein in Minneapolis hat es sieben Opfer der Falter gegeben." j?Ahem _ ich meine nur, Kommodore — weil Professor Valentin aus Minneapolis stammt." „Und?" Der Oberleutnant wurde etwas verlegen. „Valentin ist doch Insektenforscher, wenn ich mich nicht irre." Aber der Kommodore winkte ab. „Das hat noch nichts zu besagen, Bleß."
„Landen Sie.dort in der großen Mulde." Professor V alentin h ätte w ahrscheinlich laut herausgelacht, wenn er von den kühnen Kombinationen des I. W. K.-Oberleutnants gehört hätte. Auch ihm lag es schwer im Magen, daß ausgerechnet in seiner Vaterstadt die Gespensterfalter aus dem Weltall ihr Unwesen trieben, aber er b rachte sie nicht ei ne ei nzige Minute mit seinen ei genen Versuchen in Verbindung. Und in diesem Augenblick h atte er au ch an dere S orgen. D er H ubschrauberführer f ührte m it be tonter Achtung seinen Befehl aus. „Okay, Sir!" „Und vorsichtig niedergehen, mein Lieber — sonst wundern sich die Leute auf der Erde über das schöne Feuerwerk am Abendhimmel." Der Flieger nickte grinsend. Sie führten die Staffel der Torpedoträger an, die den radioaktiven Staub zum Landeplatz des roten R aumschiffes br achte. H inter i hnen br ummten noc h dr ei M aschinen d urch di e d ünne Mondluft. W eiter z urück f olgte e ine A mbulanzmaschine, di e den a rmen W ellington s ofort a n Bord nehmen sollte. Zwei der besten S. A. T.-Ärzte waren im Mondwerk eingetroffen. Ein deutscher Mediziner von Weltruf. war: unterwegs. Valentin mußte an den jungen Journalisten denken, den er auf der Straße in Minneapolis in den Armen gehalten hatte. Menschen ohne Ich und ohne Willen. Wie mochte ihnen zumute sein? Sie litten nicht. Wenn i hre A ngehörigen u nd u nzählige m itleidige S eelen au f d er g anzen E rde d as g ewußt hätten, w ären s ie,nicht g anz s o verzweifelt g ewesen. S ie em pfanden w eder k örperliche no ch seelische S chmerzen. W as u m s ie w ar, wurde v on i hren S innen r egistriert, ab er i hr G ehirn verdichtete diese Wahrnehmungen nicht mehr zu deutlichen Eindrücken. Sie waren ohne Seele und ohne Willen, und nur eine unbekannte und undeutbare Macht war um sie wie ein höheres Wesen und steuerte sie, wie man einen Roboter steuert. Zwei Hände griffen nach Pitt Smith. „Pitt — alter Junge — nun tun Sie doch nicht so, als hätten Sie mich nie gesehen!" Pitt S mith's Augen na hmen de n M ann w ahr, de r v or i hm s tand und ihn r üttelte. A ber er wunderte s ich nicht einmal darüber, und er erkannte ihn auch nicht, obwohl es C hefredakteur Kling vom „Herald" war. Er ließ sich widerspruchslos rütteln, bis die unbekannte, ferne Macht seinen Körper versteifte. „Das soll Pitt Smith sein?" schluchzte der Chefredakteur und sah flehend den blassen Arzt an, der müde und überarbeitet abwinkte. „Sie sind nicht der erste, der heute eine solche Frage stellt. Geben Sie sich keine Mühe." Aber der Chefredakteur begann wieder, den Jungen zu schütteln. Verzweiflung und Wut und eine dumpfe Angst packten ihn. „Das ist doch Unsinn! Smith! Pitt Smith!!" Er schrie den Namen immer lauter, bis es durch das große Arbeitszimmer hallte und der Arzt mit erhobenen Armen auf sie zukam. „Smith — kommen Sie doch endlich zu sich!"
Der J ournalist s etzte j etzt d em Rütteln s pürbaren W iderstand en tgegen, w enn au ch s ein regungsloses, s tupides G esicht und die g leichgültigen A ugen ni chts da von v errieten. D och plötzlich w andte e r s ich s o s chroff a b, da ß de r C hefredakteur ih n e ntsetzt lo sließ. M it s einen automatisierten, eckigen Bewegungen schritt er durch den großen Raum auf eine Tür zu. Kling konnte kaum noch atmen. „Doc — ist er — aufgewacht?" Der A rzt s chüttelte d en K opf. Pitt S mith w urde a n d er T ür v on zw ei K rankenschwestern angehalten, die sich in den letzten Stunden das Grauen vor solchen gespenstischen Erscheinungen abgewöhnt hatten. Zunächst sah es aus, als wolle er sich ihnen widersetzen, und er wollte es auch, da die große Macht seinen Körper so auf ihre Griffe reagieren ließ, doch dann änderte sie ihren Befehl, und er ließ sich abführen. Chefredakteur Kling taumelte auf einen Stuhl und hielt sich den Hals, als würge ihn etwas. ,Doo — haben Sie zufällig einen Brandy oder so etwas da?" Der Arzt baute Flaschen und Gläser auf, wartete, bis sich Kling dreimal die scharfe Flüßigkeit hinter die Binde gegossen hatte, und steckte sich eine Zigarette an. „Nun ha ben S ie s ich s elber da von ü berzeugen k önnen, K ling, w ie s olche Menschen ohne Willen au ssehen. Tut m ir l eid. I ch k ann v erstehen, d aß es I hnen n ahegeht, ei nen I hrer besten Leute in einer solchen Verfassung zu sehen, aber ..." v „Es handelt sich nicht allein um Smith", unterbrach ihn der Journalist rauh und nahm sich auch eine Z igarette au s d er s ilbernen S chale. „I ch m uß' an nehmen, d aß er d as er ste O pfer d er Geisterfalter geworden ist — und da« nicht zufällig ..." Der Arzt kniff das rechte Auge zu. „Wollen Sie mir das nicht genauer erklären?" „Deshalb b in i ch j a g ekommen, D oc." E s g ehörte w ohl al lerhand da zu, den a bgebrühten Sensationsfuchs unsicher w erden z u l assen, a ber nu n w ar e r soweit. D er A rzt s tellte mit wachsendem E rstaunen f est, d aß s ogar s eine H ände zi tterten, al s er s ich s eine Z igarette zurechtklopfte. Er mußte allerlei auf dem Herzen haben, der gute Kling. „Also, schießen Sie los, mein Lieber!" „Ob S ie mir e s glauben ode r ni cht, D oc — ich ha tte S mith a uf di e S pur de r . geflügelten Könige', die wohl mit den Geisterfaltern identisch sein dürften, gesetzt, und ich konnte ihm auch gewisse Anhaltspunkte geben. Ersparen Sie mir jetzt noch Einzelheiten. Ich rief ihn gestern früh an und konnte seinen Worten entnehmen, daß er sich schon umgesehen hatte. Als ich: ihn am Nachmittag a bholen w ollte, w ar e r ni cht z u H ause, S ein F rühstück s tand unberührt auf d em Tisch." Der Arzt s trich s eine Z igarette ab , n ahm K lings Glas u nd s chenkte n ochmals ei n. D er Chefredakteur trank aber noch nicht, sondern drehte es nur nachdenklich zwischen den Fingern. „Ich s prach mit s einer Wirtin. S ie h atte ih m d as F rühstück g ebracht und s ich dabei ü ber verschiedenes geärgert und gewundert. Er stand am Fernseher, hatte ihr den Rücken zugekehrt, und als sie grüßte, wandte er sich weder um, noch erwiderte er ihren Morgengruß. Sie hatte dann ziemlich laut das Tablett hingestellt, aber er war weiterhin regungslos stehengeblieben ..." „Was sonst nicht seine Art war?" „Pitt war i mmer zu al len dummen S cherzen aufgelegt u nd sah in seiner Wirtin wohl i mmer etwas s eine z weite M utter. Es ist ih r dann d irekt u nheimlich geworden, u nd s ie h at sich vorgenommen, s päter n och ei nmal n ach ihm zu s ehen, w as d ann ab er l eider u nterblieben ist. Inzwischen ist er verschwunden." \ „Wann hat sie ihm denn das Frühstück gebracht?" „Keine Viertelstunde nach meinem Anruf, und Sie können sich darauf verlassen, Doc, daß er noch ganz der alte war, als ich mit ihm sprach." „Haben Sie Spuren gefunden?" Mit e iner hastigen B ewegung t rank K ling s ein G las a us, s tand dann a uf u nd h olte s eine Aktentasche, die er neben einen Sessel gestellt hatte. Unwillkürlich richtete sich der Arzt auf, als der Chefredakteur ein Papierknäuel hervorholte und es vorsichtig auf den Tisch legte. Dann rollte er es mit spitzen Fingern auseinander, „Das habe ich gefunden."
„Barmherziger H immel!" D er Arzt f log h och und s tarrte au f d en großen b unten F alter, d er bewegungslos und mit erloschenen Augen vor ihm lag. Zum erstenmal sah er eine der Bestien vor sich, die sich anschickten, eine Welt in Panik zu jagen, und er war so überwältigt, daß er sich sekundenlang nicht rühren konnte. Dann siegte die Neugier des Wissenschaftlers, und schon hielt er Pinzette und Handschuhe in der Hand. „In der Wohnung gefunden?" „Yes — neben der Zimmertür. Mir nur schleierhaft, daß die Wirtin nicht darüber stolperte. Halten Sie es für möglich, Doc, daß der Falter von allein in die Wohnung eingedrungen ist, die nur über Lift und verschiedene Treppen zu erreichen ist, und deren Fenster nachweisbar seit dem Vorabend geschlossen blieben?" Der Arzt sah ihn aufmerksam an. „Das halte ich nicht für möglich, Kling!" „Dann wird sich die Polizei über einen Anruf freuen", sagte Kling leise und mit nicht ganz reinem Gewissen ... „Alles klar? Auch Gina?" Sie überprüften noch einmal ihre Atemgeräte, die sie unter ihren Glasheimen angelegt hatten. Unter dem Schiff drehte sich die von allen guten Geistern verlassene Mexiko-Senke mit rissigem Felsboden und dünnen Moosflächen heran. Der Kommodore hatte das Steuer übernommen. Es war ein ungutes Gefühl, mit einem fremden Raumschiff landen zu müssen. Wenn es schiefging, zerknallten s ie in e iner g roßartigen W olke u nd d ie m ordgierigen B iester, die w ie w ild im Hauptgang herumtobten, stürzten sich summend über die Mondwerke. Schöner Gedanke! „Fertig, Boß!" Aus der Senke hoben sich Gestalten ab, dahinter Hubschrauber und Schnellwagen mit flachen Spezialanhängern. Jim achtete darauf, daß das Schiff, senkrecht und mit dem Heck nach unten gerichtet, i n der N ähe d er S chnellwagen au fsetzte. E s g elang i hm großartig. E in W agen mit hohem G erüstaufbau s chob s ich blitzschnell he ran. A uf e iner Plattform war e in T orpedo m it einem trichterförmigen Zerstäuber angebracht, dessen Spitze genau in das Rechteck passen sollte, das Jim bei ihrem „Umsteigen" im Weltall in die Backbordluke geschnitten hatte. Der Kommodore hatte noch nicht die Motoren abgestellt, als schon die Öffnung wieder klaffte und ein Mann unter der Plattform einen Hebel umlegte. Ein schauerliches Heulen stieß den radioaktiven Staub in den Schiffskörper. Jim wandte sich den anderen zu, die an der Steuerbordwand bereitstanden. „Aussteigen!" Wernickes Atombrenner flammte auf und fuhr mit feinem, aber vollstarkem Strahl über eine mit Zeichenstift an der Bordwand markierte mannsgroße Fläche Brauer sah kritisch zu. „Millimeterarbeit, Wernicke!" „Wird schon", grinste der Steuermann freundlich und stellte nebenher fest, daß die Luft bereits durch die Nähe des radioaktiven Staubes zersetzt wurde. „Die können hier gleich ihren zweiten Parfümzerstäuber anbringen. Fertig, Gina?" Gina Winter war fertig. Sie wehrte sich auch mit keinem Wort dagegen, daß sie als erste das Gespensterschiff v erlassen s ollte. A ls das S tück aus der B ordwand kl appte, s chob s ich vo n draußen d ie Plattform ei nes z weiten Gerüstwagens heran, auf die man nur zu gehen brauchte. Wernicke gab das Zeichen, und schon polterten Ginas schwere Stiefel los. Männerfäuste halfen, als sie auf die Leiter stieg Irgendwer vom Mondwerk fing sie auf und umarmte sie. Mehr weinend als lachend ließ sie sich betreuen Hinter ihr kamen Brauer und Bleß mit dem willenlosen Bordingenieur. Vorsichtig stieg Bleß zuerst über die Stufen, über sich Wellington, der gehorsam seine Füße aufsetzte. Schweigen lastete über der Szene. Neben den Gerüstwagen tauchte Valentin auf. „Das ist Wellington?" Bleß und Brauer nickten. Wussenschaftler und Mondmänner drängten heran. Wellington kannte gewiß eine ganze Reihe von ihnen, aber jetzt kannte er eben keinen mehr, und ihre Zurufe
fielen v on i hm a b. V alentin w urde s ehr e rnst und , w ie es Bleß s chien, au ch et was b leich. Er machte e in k urzes Z eichen m it de m K opf, und s ie f ührten W ellington hinter i hm he r z ur Ambulanzmaschine. Ein Captain sah ihnen erschüttert nach und wandte sich dann schroff ab. „Scheußlich. Fertig da oben?" „Die L eichen d er f remden R aumflieger wurden au sgeladen. W ernicke s prang h erunter, u nd erst, als der Torpedo langsam gegen die Öffnung vorging, zwängte eich noch der Kommodore hindurch. Sein Gesicht war unheimlich hart, und er blieb auf der Plattform stehen, als sich der Zerstäuber gegen die Steuerbordöffnung preßte und der Mann unten seinen Hebel umlegte. Nun heulte es von beiden Seiten in den Schiffskörper hinein. Langsam stieg Jim hinunter und Wandte sich an die Mondmänner, die begeistert aufjubelten. „Das Zeug räumt furchtbar unter den Bestien auf." Die Zerstäuber heulten. Gebannt standen die M änner. Tausende von bunten. Geisterfaltern duckten sich j etzt i n den radioaktiven Wolken, die ihre Flügel lähmten und sie leblos zu Boden sinken ließen. Der Mensch hatte wenigstens dieses kosmische Todesgeschwader bezwungen, war aber damit die Gefahr für die Erde endgültig gebannt? Blieben nicht noch alle Fragen offen? Ohne Gnade heulten die Zerstäuber. Die M ondwerke k onnten zu nächst ei nmal au fatmen, u nd ei ne mutige F rau war d en K rallen eines g rausigen Todes i m Weltall en trissen w orden. E in g anz k lein w enig s ehnte s ich d er Kommodore nun nach etwas Rühe, und als er sich seine geliebte „Maza Blend" ansteckte, stieß ihm der Steuermann in die Rippen. „Mensch, Jim — einen Durst habe ich..." Die Mondmänner lachten dröhnend auf. Jim nahm seinen Glashelm ab und trocknete sich die Stirn. „Deine Worte zeugen von lichter Weisheit, alter Knabe. Ein anständiger Schluck wird uns bestimmt guttun." Sie sollten aber nicht recht zum Genuß kommen. Als sie den stellvertretenden Kommandanten des Mondwerkes begrüßt hatten und mit ihm zur Zentrale g eflogen waren, w orüber i mmerhin f ast zw ei S tunden vergingen, k am i hnen b eim Kommandoturm d er V erantwortliche d es Sicherheitsdienstes en tgegen, u nd s ein B enehmen verriet einige Ratlosigkeit. Jim Parker stutzte. „Hallo, Major — ist etwas geschehen?" „Kommodore!" Der Mann fuhr zusammen, ließ sich von den Männern die Hand schütteln, sah sich aber immer dabei um. „Das kann man wohl sagen — ahem — ich meinte vielmehr, ich hoffte nicht, da ß daraus e in U nglück entstehe — oder ha ben die H erren de n Professor v ielleicht gesehen?" „Von wem sprechen Sie denn?" „Aber — doch von Professor Valentin", stotterte der Major, riß sich dann aber zusammen, als er sah, daß sein Vorgesetzter kaum merklich die Augenbrauen hob. „Verzeihen Sie, aber dieser I. W. K .-Oberleutnant hat m ich s chon g anz k onfus g emacht. J edenfalls i st V alentin s eit ei ner Stunde verschwunden." Der Steuermann räusperte sich mit trockener Kehle. „Er wird in der Kantine sitzen, Herr Major — wir werden gleich mal nachsehen." „Er ist in der ganzen Zentrale nicht zu finden", schüttelte der Major den Kopf. „Ich habe schon jeden Raum im Fernseher gehabt. Nach Aussage des I. W. K.-Oberleutnants hat er schon bei der Vorführung des — ahem — verunglückten Bordingenieurs eine gewisse Niedergeschlagenheit gezeigt. E r soll dann zu fällig zu gegen gewesen sein, al s man d ie Leichen d er fremden R aumflieger brachte, und beim Anblick eines dieser Toten soll er gewankt haben. Der Oberleutnant hat ihn. stützen wollen, doch hat er sich zusammengerissen und zu ihm gesagt, er müsse sofort zur Erde zurückkehren, um seine Vaterstadt und die ganze Menschheit vor den geflügelten Königen zu schützen, die nun tatsächlich aus dem Weltall über sie alle kommen Sodann hat er den Raum verlassen."
Jim Parker verzichtete vorerst auf den anständigen Schluck und ließ sich Oberleutnant Bleß kommen, der seine Aussage aber nur wiederholen konnte . „Und dann hat er den Untersuchungsraum verlassen." „Wie sah er denn aus dabei, Bleß?" „So, als wenn ihm nicht gut sei." Ein Wagen hielt vor dem Portal des Flughafens. Das w ar weiter n icht au ffällig, u nd es s ah s ich au ch k ein M ensch n ach d em w ürdigen, weißhaarigen Greis um, der aus dem Wagen stieg und mit einer gezierten, nervösen Bewegung auf seine Armbanduhr sah. Auf der anderen Wagenseite hob ein hünenhafter Fahrer zwei große Luftkoffer heraus und kam damit um den Wagen herum. Die Fahndung nach einem würdigen Greis war noch nicht angelaufen, da Chefredakteur Kling in diesem Augenblick seinen Bericht vor der Polizei noch nicht beendet hatte, und so konnte der Herr mit seinem stämmigen Begleiter ungehindert zu m F rachtschalter g elangen. - „Ich möchte di e be iden K offer na ch London befördern lassen." Der Angestellte hinter der Glaswand war etwas unaufmerksam an diesem •Vormittag, wie die meisten Einwohner von Minneapolis. Er sah immer wieder auf von seinen Formularen, als könne durch die große Schalterhalle einer der Geisterfalter heranschwirren. Auch anderen erging es so. Die herzjagende Unruhe, die einer Panik unmittelbar vorangeht, brandete bereits an die Ordnung der Stadt heran. „Zwei Koffer, mein Herr? Wollen Sie diese bitte in der Abfertigung untersuchen lassen?" Der würdige Greis entnahm seiner Brieftasche, einen Schein, den er auf die Glasplatte legte. „Ich ha be e ine S ondergenehmigung v om H auptzollamt, di e e ine noc hmalige U ntersuchung ausschließt. Die Koffer enthalten Gegenstände, die eine andauernde Berührung mit der Luft nicht vertragen." Der Fall war immerhin so selten, daß der Angestellte zunächst einmal mit dem Hauptzollamt telefonierte, w o m an j edoch die Behauptung des al ten H errn bestätigte u nd au f v erschiedene Ausnahmebestimmungen i n den V orschriften h inwies. Z um er stenmal zei gte d er G reis ei n verbindliches/Lächeln. „Ich hoffe, dieser Bescheid beruhigt Sie?" „Selbstverständlich, mein Herr. Ich werde die Koffer sogleich zur Rollbahn bringen lassen." „Wann werden sie in London sein?" Der Zeigefinger glitt über den Flugplan. „In etwa sechs Stunden, um 23.00 Uhr WEZ." „Ich danke Ihnen sehr, Sir!"
Der große Globus glühte. Er w ar d as W ahrzeichen d es r iesigen G ebäudes, i n d em d ie F äden, d er W eltpolizei zusammenliefen. U nd er w ar au ch d as Z iel ei ner s chnellen k leinen R eisemaschine, d ie g egen 21.30 Uhr WEZ über London kurvte und auf dem Dachflugplatz niederging WP-Präsident Lord Clifford schüttelte dem aussteigenden Herrn die Hand. Es war" Professor Higgins. „Ich bringe Ihnen leider widersprechende Nachrichten, Mylord", sagte er mit ernster Stimme und f uhr s ich durch da s dichte Haar. „U m I hnen d as W ichtigste n icht länger v orzuenthalten: meinen K ollegen V alentin ha ben w ir k urz v or m einem Abflug v om M ond m it e inem Nervenzusammenbruch aufgefunden." Lord Clifford sah fast ängstlich auf die Ledermappe, die der Zoologe mit sich führte. Er hätte jetzt w as für drei S tunden Schlaf gegeben, ab er u nter i hnen, im großen K onferenzzimmer, warteten d ie Polizeidelegierten aus al len E rdteilen, d ie b ereits seit d em N achmittag ta gten. Aufgepulvert durch Kaffee und Nikotin starrte er aus tiefliegenden Augen auf das Wandmuster des Fahrstuhls, mit dem sie in den vierten Stock sausten.
„Glauben S ie, daß de r Z usammenbruch V alentins i rgendwie mit de n I nsekten zusammenhängt?" „Todsicher! Ich hoffe nur, daß Valentin bald vernehmungsfähig sein wird." „Ernst?" „Nicht so sehr, wie man zuerst befürchtete — die Ärzte von ,Luna IV werden ihn schon wieder auf die Beine stellen. Der arme Kerl muß vor einer furchtbaren Erkenntnis gestanden haben, als er Wellington und die toten Raumflieger sah." Lord Clifford drehte die unangebrannte Zigarette zwischen seinen Lippen. „Hm — und wenn er vielleicht Enthüllungen fürchtete, die seinem Ansehen in der Öffentlichkeit schaden könnten?" „Sie meinen, er könnte der Urheber des ganzen Spuks sein? Das halte ich für ausgeschlossen." Der Lord hob die Schultern, und.als sie den breiten Hauptgang im vierten Stock entlanggingen, sah H iggins dur ch e in g roßes F enster de n r oten Planeten t ief ü ber de r britischen H auptstadt stehen. I n d reizehn. Stunden w ürde di e A nnäherung des M ars a n d ie E rde i hren H öhepunkt erreicht haben. Schauer des Unwirklichen umschwebten das seltsame Bild. Schauer waren auch in den Herzen der Männer. Was würden die nächsten Stunden bringen? Nachdenklich betraten sie den Konferenzraum, über den sich sekundenrasch erwartungsvolles Schweigen senkte. „Meine H erren", b egann d er L ord m it l auter S timme, b evor s ie . noch ihre Plätze er reicht hatten, „ ich hoffe, da ß e iner uns erer be sten E xperten, Professor H iggins, de r di rekt v om Mondwerk kommt, wenigstens etwas Licht in das Dunkel bringen wird. Herr van Fliet?" Der Vertreter der Niederlande erhob sich. „Ich bitte um eine Auskunft, ob die Kommissionsmitglieder im Mondwerk über den Fall des amerikanischen J ournalisten S mith unterrichtet worden s ind, d em d ie Weltpolizei s eit einigen Stunden nachgeht. Ich glaube doch, daß dies von großer Bedeutung sein könnte." „Meines Wissens ist das geschehen." Lord Clifford sah den Gelehrten fragend an, der seiner Mappe unt er de n ne ugierigen Blicken der WP-Verantwortlichen ei ne k leine S tahlkassette entnahm. „Ich nehme doch an, Herr Professor ..." „Doch, dem S.A.T.-Sicherheitsdienst von Luna IV ist mitgeteilt worden, daß ein Journalist in Minneapolis dem Rätsel der Falter nachgegangen sein soll", nickte Higgins. „Darf ich die Herren um Ihre Fragen bitten?" „Hat man das fremde Raumschiff untersucht?" „Die eingehende Untersuchung war bei meinem Abflug noch nicht abgeschlossen, doch steht bereits fest, daß es auf der Erde gebaut worden ist." „Interessant! Woher kam es?" „Auch das stand noch nicht fest. Es dürfte auch schwer sein, zuverlässige Anhaltspunkte zu finden, da Tagebücher und andere Aufzeichnungen fehlen. Auch Karten sind nicht vorhanden." „Könnte es nicht von einem geheimen Punkt der Erde gestartet sein und nur einen kurzen Flug durch das All unternommen haben?" • „Kaum anzunehmen. Es wurde Proviant gefunden, der auf einen längeren Aufenthalt auf unbelebten Weltkörpern schließen läßt und zur Hälfte aufgebraucht ist." Eine Bewegung ging durch die Sesselreihen. „Konnte man die toten Besatzungsmitglieder identifizieren?" „Leider war es nicht möglich." „Hat man die im Schiff befindlichen Falter durch radiokativen Staub vernichten können?" „Restlos!" „Das ist immerhin eine gute Nachricht. Sind die Falter untersucht worden?" „Sehr gründlich sogar", lächelte der Zoologe, und man sah ihm an, daß er auf diese Frage nur gewartet hatte. Er ließ sich zunächst eine kleine Erfrischung servieren, die er bedächtig zu sich nahm und griff dann zu der Kassette. „Ich habe Ihnen zwei Falter mitgebracht, und zwar einen, den m an h ier au f d er E rde — in G ermany — gefunden ha t u nd e inen, de r m ir von de m Kommodore Parker überlassen wurde." Mit leisem Klicken öffnete sich der Deckel. „Es wird Sie überraschen, wenn ich feststelle, daß wir es mit zwei verschiedenen Arten einer Gattung zu tun haben. W ir m üssen a lso unt erscheiden z wischen F altern, die hier a uf de r E rde i hr U nwesen treiben und denen, die mit einem Raumschiff aus dem All gekommen sind."
Das schlug ein, das war eine Feststellung, die die Menschen auf ihren Plätzen lähmte, bis sich der i ndische Vertreter al s er ster f aßte. „H err P rofessor, b edeutet das also, d aß w ir e s m it verschiedenen Lebewesen zu tun haben?" „Allerdings." Nun klappte der Deckel ganz hoch, und gleich darauf lagen die beiden Falter vor den Herren. Sie waren so gebannt, daß sie nicht einmal auf den Sekretär achteten, der sich zu Lord Clifford d urchschlängelte u nd i hm ein T elegramm ü berreichte. D er W P-Präsident l as es , s ein Kopf ruckte vor Staunen vor, noch einmal las er, dann sprang er auf und verließ den Raum. Die Delegierten aber ließen kein Auge von den Insekten, die Higgins hochhob. , „Sie können sich ohne weiteres davon überzeugen, daß der Falter aus dem Raumschiff größer ist und irgendwie plumper wirkt al s d er an dere. E s steht ferner au ßer j edem Z weifel, d aß er nicht von der Erde, sondern von einem anderen Weltkörper stammt, da sein Organismus von denen irdischer Insekten erheblich abweicht. Trotzdem ist die nahe Verwandtschaft zwischen beiden Faltern offenkundig. Ich überlasse es Ihnen, die phantastischen Folgerungen daraus zu ziehen." Die Herren t aten es b ereits ei frig, u nd i n al len m öglichen S prachen w urde in de n nächsten Minuten ziemlich wirr diskutiert, bis wieder der Inder aufstand. „Herr Professor, die logischen Folgerungen sind allerdings so phantastisch, daß ein nüchterner Mensch sich sträubt, sie anzuerkennen. Wenn zwischen Lebewesen der Erde und solchen, die von einem anderen Weltkörper stammen, ei ne enge Verwandtschaft b esteht, so kann das doch nur bedeuten, daß eine außerirdische Macht hier auf der Erde Fuß gefaßt hat und hier Abarten ihrer eigenen Tierwelt züchtet." „Diese Spekulation ist allerdings sehr weitgehend", lächelte Higgins freundlich. „Man könnte ebensogut den a nderen W eg e inschlagen un d a nnehmen, es s ei umgekehrt. N un, T atsache i st jedenfalls, d aß b eide A rten g leich b ösartig s ind und beim M enschen ei ne g rauenvolle Selbstvergessenheit hervorrufen." „Das i st j a g erade d as F urchtbare", r ief d er Australier er regt aus. „B edenken S ie d och, Gentlemen, was das bedeutet. Wir sind auf dem besten Wege, einer teuflisch klugen Macht zu unterliegen, die wir nicht kennen und die jenseits unserer Einflußsphäre liegt," „Wir werden von Insekten anderer Planeten beherrscht!" „Und wer steht hinter den Geisterfaltern?" Higgins ruderte mit beiden Armen, aber die Erregung war nicht zu besänftigen. „Wehrlos sind wir ihnen ausgeliefert. Die Ärzte verzweifeln. In dreizehn Stunden hat sich der Mars uns genähert. Was dann? Was dann, Herr Präsident?" Die Blicke richteten sich auf den Sessel Lord Cliffords. Er war leer. Einer der anwesenden Sekretäre g ab b ekannt, daß der H err Präsident ei n w ichtiges Überseegespräch m it d em Polizeichef von Minneapolis führe. Das war neuer Zündstoff. Aber bevor die Erregung über alle Ufer ging, läutete Professor Higgins wie wild. . „Meine H erren! I ch v erstehe I hre Aufregung. Aber S ie h indern mich j a d aran, I hnen et was mitzuteilen, das zu einigen Hoffnungen Anlaß gibt." Skeptisch sahen sie auf sein energisches Zupacken, mit dem er die Klingel in Bewegung hielt. Der offene Aufruhr brandete zurück. Higgins holte tief Luft. „Wie Ihnen bekannt sein dürfte, wurde der Bordingenieur Jim Parkers beim Ubersteigen in das fremde Raumschiff von einem der größeren Falter angefallen und verletzt. Auch ihm wurde sein eigenes Ich genommen. Zur Stunde wird er im Werkhospital von ,Luna IV behandelt, und die Mediziner hoffen, ein Mittel gefunden zu haben, um ihn von seiner Willenlosigkeit zu befreien . . ." „Was ist das für ein Mittel?" „Man wird ihm kleinste Mengen der Giftstoffe der Falter einspritzen." „Eine Heilung auf homöopathischer Grundlage?" „Man kann es so nennen." „Und wie würde die Weltpolizei uns helfen können?" Dem Polizeichef von Minneapolis war es verflucht gleichgültig, daß am anderen Kabelende der WP-Präsident in eigener Person mit ihm sprach, er hatte einen Zorn auf die Weltpolizei, die ihn bis j etzt n ur m it g uten R atschlägen ab gespeist hatte. L ord C lifford w ar e insichtig g enug, den
etwas zu scharfen Ton des glatzköpfigen, untersetzten Mannes in den USA nicht zu rügen. Er war sogar betont liebenswürdig. „Wir werden Ihnen helfen, Sir — verlassen Sie sich darauf!" „Die Unruhe in Minneapolis wächst von Stunde zu Stunde, Mylord", sagte der Polizeichef hart und k lopfte m it s einem D rehbleistift e rregt a uf d ie S chreibtischplatte. „D iese T eufelsinsekten schwirren hier am hellen Tage durch die Luft. Seit heute vormittag haben wir vier neue Fälle. Ich weiß nicht, wie lange die Bevölkerung noch ruhig bleibt." „Ich verstehe alles, Sir", erwiderte Lord Clifford ruhig, obwohl es ihm sehr schwer fiel, das zu sagen, was seine Pflicht war. „Unser Apparat läuft auf Hochtouren. Kommodore Parker vom S. A. T ., d er mit dem f remden R aumschiff auf t dem Mond g elandet is t, w ird s ich e inschalten, sobald s ich i hm e in A nsatzpunkt bietet. Halten S ie a us, a uch, wenn ich I hnen etwas s ehr Unangenehmes mitteilen muß ..." Der Drehbleistift klopfte noch einmal auf und wurde dann weggeworfen. „Noch mehr?" „Ich habe vor zehn Minuten eine Drohung von unbekannter Seite — aus Ihrem Bundesstaat Minnesota — erhalten, nach der Minneapolis in der Stunde der größten Annäherung des Mars an die Erde von großen Insektenschwärmen heimgesucht werden soll." „Thank you, Mylord!" preßte der Polizeichef etwas zusammenhanglos hervor. „Ihre Bundesregierung in W ashington is t bereits u nterrichtet. W ahrscheinlich wird sie über Minneapolis den Notstand verhängen." „Wahrscheinlich, Mylord!" „Kopf hoch, Oberst! Mit dieser Drohung hat man uns eher beruhigt als beunruhigt. Geister oder eine Insektenintelligenz dürften kaum Telegramme aufgeben — Menschen aber kann man entlarven! M achen S ie es g ut!" L ord C lifford verschwieg d em Polizeichef, d aß i n d em seltsamen Telegramm außerdem die Vernichtung eines Überseeflugzeuges durch die Insekten angekündigt w urde. Er verschwieg au ßerdem — weil es über d en S inn dieser di enstlichen Unterweisung hinausging — daß WP-Experten das Telegramm bereits als die ungewöhnlichste Drohung d er letzten Jahrzehnte b ezeichneten, w eil i n ihm au ch nicht die l eiseste S pur ei nes Erpressungsversuches z u f inden w ar, di e a ngekündigten Schrecken v ielmehr al s et was Unabwendbares hingestellt wurden. Diese Experten fragten sich bereits, ob dahinter überhaupt ein normaler Mensch stecken konnte. Den Polizeichef hätten diese Einzelheiten im Augenblick auch wenig interessiert. Seine Sorgen galten ausschließlich seiner Stadt, und diese Sorgen wuchsen noch. , Um sieben Uhr abends wurde der Notstand ausgerufen. Die Sirenen heulten wie vor einem Luftangriff, • Lautsprecherwagen fuhren langsam über die dunkelnden Streets un d v erkündeten of fen und e hrlich die be vorstehende G efahr. D ie F olge davon war, daß sich ein unübersehbarer Strom von Kraftwagen aus dem Stadtgebiet heraus ergoß. Die Behörden hatten eine solche Reaktion jedoch einkalkuliert und lenkten den Strom der Flüchtlinge so sicher, daß es zu keinen schweren Unfällen kam. Aber nicht alle flohen, und es waren nicht nur d ie B esonnenen, s ondern a uch di e w ollüstig erregten N eugierigen, d ie — von d en Kranken, Alten und S chwachen selbstverständlich abgesehen — zurückblieben. Um 22.00 Uhr befanden sich schätzungsweise noch rund 300 000 Menschen in der Stadt. Die Nacht konnte kommen. Die Nacht, in der der Mars sich in großer Nähe der Erde befand.
Die Nacht war schwül, und die Bäume der Parks standen im Schein ferner Blitze. Schwül war es auch in den Nightclubs. Die Zeiger der elektrischen Uhren glitten im ungewissen Licht der giftfarbenen Leuchtröhren, un d be i jeder vollendeten S tunde l ieß man da s L eben hoc hleben. Noch lebte man. Aber wann würden sie angreifen, die Insektenschwärme? Gegen 23.30 Uhr war es soweit.
Gerade übertrug der Fernseher in das Klirren der Gläser und Lachen nervöser Frauen hinein eine Reportage aus der Lick-Sternwarte in Kalifornien. Der Mars war zu sehen, und die Stimme des Reporters war leise und fast ehrfurchtsvoll. Und während die meisten gebannt auf das große Bild des roten Planeten starrten, stand plötzlich eine junge, rassige Dame auf und zog ihren Begleiter zur kleinen Tanzfläche. „Was ist denn, Mabel?" erkundigte er sich besorgt. Ihre dunklen Augen waren groß und voller Angst, und er spürte, wie unruhig ihr Herz schlug. Die kostümierten Jungen von der Band sahen etwas verwundert auf, hoben dann aber doch ihre Instrumente. „Ich will tanzen", sagte sie leise und zitternd. „Vielleicht greifen sie uns dann nicht an . . ." „Mabel, Liebes . .." Sie s agte noch etwas, ab er s o u nsicher, d aß es i m er sten T om-Tom unt erging, mit d em die Urwaldmelodie loslegte. Die Jungen strengten sich ah, und der Banjo-Jüngling tat es auch, aber er konnte kein Auge von dem Gestirn auf dem Bildschirm wenden, das ihn drohend angloste. Und plötzlich bewegte sich etwas davor, segelte elegant und surrend durch den Barraum, und er ließ das Banjo fallen und brüllte auf. Mit einem Biesensatz war er auf der Tanzfläche, wollte die junge Dame zurückreißen, auf die zwei graßliche Insektenaugen zuschössen, aber es war zu spät. Der Falter fiel über sie her. In seinem Zustoßen schwirrte es immer lauter auf. Drei, vier, zehn kreisten über den Gästen, die a ufsprangen un d m it de n A rmen s innlose A bwehrbewegungen m achten. D ie j unge D ame sackte i n d ie K nie. N eben d er T anzfläche stierte ei n au fgeschwemmter Lebemann i n ei sigem Entsetzen a uf e inen F alter, de r vor i hm a uf de m weißen Tischtuch m it g nadenlosen A ugen herangekrochen k am. E s war furchtbar an zusehen, wie d as I nsekt mit g espreizten F lügeln die weichliche Hand des Mannes antastete, unsagbar, selbstsicher hinaufkroch, dann über den Ärmel bis z ur Schulter, i mmer g efolgt v on de m g rauenerfüllten B lick d es G ebannten, u nd da nn m it einem kurzen Auf schwirren auf den Hals zustieß. Der aufgeschwemmte Bursche röchelte sich von seinem Stuhl hoch und taumelte vorwärts. Um ihn kümmerte sich niemand. Auch nicht um die korpulente Bürgersfrau, die sich verzweifelt gegen zwei Falter wehrte und dabei von ihrem Mann u nterstützt w urde. W er s ollte s ich a uch um s ie k ümmern? I n dem Aufbrüllen de s Banjo-Jünglings war die Panik losgebrochen. Falter! Gütiger Himmel, daß man solche Angst haben konnte vor großen bunten Schmetterlingen, d ie el egant i hre K reise zo gen, m it s ingenden S chwingen, w ie au f ei ner Sommerwiese, Aber es waren S chwingen d es Grauens, u nd m an h atte s cheußliche A ngst v or ihnen. Man wollte raus, nur raus hier, man schob und drängte und boxte sich in einem dichten Menschenknäuel aus dem Barraum heraus, man schlug einem anderen zwischen die Augen, der einem nie etwa» getan hatte. Das war aber so in diesen Minuten. Und am gemeinsten war es, als man draußen war und aufatmen wollte, den fieberheißen Kopf ein wenig hob und nichts sah als unzählige F alterschwärme, d ie i n den s traßenlangen L ichterketten d er L ichtreklamen i hre angriffslustigen R eigen t anzten. V iele warfen s ich ei nfach n iedergeschmettert zu B oden. D er halbe K näuel d rängte s ich w einend und betend w ieder z urück. E in w ildgewordener Polizeioffizier raste auf einem Krad die Straße entlang und schrie durch seinen Handlautsprecher: „Licht aus — alle Lichter aus!" Wie durch ein Wunder geschah es. Mit einem Schlage trat Dunkelheit ein. D!e Straße lag als finster gähnender Schlauch da, nur einige Autoscheinwerfer glitten vorbei. Aber was taten die Menschen? Sie schlugen die Hände vor d ie G esichter u nd jammerten, j ammerten, j ammerten. U nd es w ar g anz k lar, d aß s ie jammerten wie Kinder, die von Vater und Mutter verlassen werden, denn nun fiel die Hölle mit ihrer ganzen furchtbaren Fremdheit und Unwirklichkeit über sie her. Die Falter waren nicht mehr zu er kennen, ab er i hre A ugen — diese g roßen I nsektenaugen, g eprägt von der s atanischen Klugheit unbekannter M ächte. Auch d em P olizeioffizier w ar es , al s w erde s eine S eele zerschlagen von diesem Anblick und er sorgte dafür, daß alle Lichter wieder aufflammten. Als es geschehen war, sahen die Menschen sich in die wachsbleichen Gesichter.
„Diese Nacht wird keiner von uni überleben." „Seht nur — seht nur — es sind Tausende!" Tausende? Ihr Narren! Hängt Nullen daran, und ihr kommt dieser Heimsuchung nur um ein weniges näher. Was meint das reizende junge Mädchen mit der schnittigen Sportkappe? „Aber hier draußen tun sie uns nichts!" Ein flacher, geschlossener S portwagen kam vom n ahen. Park h erauf, h inter d em d as ferne Wetterleuchten d er h ohen S ommernacht s tand. A uf d iesen W agen s türzte s ich ei n g anzer Schwärm, der ihn erst von oben herab in Spiralen einkreiste und da nn dem Fahrer die Sicht versperren wollte. Doch bevor es soweit war, gespensterte plötzlich ein grüner Schein um den Wagen, der die Bestien zurücktrieb. Als grünes Phantom jagte der Wagen vorbei. In ihm saßen vier Männer, die wußten, daß nur noch ein paar Stunden die Stadt von ihrem völligen Verderben trennten. Einer von ihnen sah sehr angegriffen aus und r ieb sich öfter wie im Traum über die Stirn. E s w ar Bo rdingenieur W ellington. W ernicke, de r ne ben i hm s aß, s chlug i hm kameradschaftlich auf die Schulter. „Nur ni cht de n K opf hä ngen l assen, m ein L ieber! D rei P ullen B randy v on de r besten Supermarke werden S ie w ieder v öllig au f d ie B eine s tellen. I st es n och w eit z um Marien-Hospital, Jim?" Der Kommodore warf einen flüchtigen Blick auf den kleinen Stadtplan neben sich. „Noch drei Straßen." Drei Straßen. Und in allen Straßen das gleiche Bild. Wirbelnde Insektenschwärme. Fliehende Menschen mit zustoßenden F altern i m Genick. S chon an gefallene, d ie f remd u nd al s R obotersklaven ei nes Unbekannten herumstelzten. Die Falter beherrschten Minneapolis. „Drei Zugänge!" Das war n ur ein Hospital d er großen S tadt. U nd w urde zu m S ammelplatz d er Selbstvergessenen, w ie d ie an deren au ch. Vorsorglich v erstärktes A ufnahme-personal, da s trotzdem hoffnungslos zu unterliegen drohte. Eine fromme Oberschwester, die vor Arbeit nicht zum Beten kam und Ä rzte, die nicht mehr wußten, wie sie helfen sollten. Der Chefarzt wehrte schon a b, al s s ein O berarzt h ereinkam. E r ha tte de n T elefonhörer i n der H and u nd s ich v om Polizeihauptquartier den n euesten L agebericht g eben l assen. D ie U hr an s einem H andgelenk zeigte auf 23.40 Uhr. „Es sieht wüst aus draußen!" „In allen Stadtteilen, Doc?" „Die Falter scheinen keinen Hinterhof zu verschonen. Drei Zugänge?" „Eben waren es noch drei", grinste der andere verzweifelt und steckte sich gierig eine Zigarette an. Er hatte das Streichholz noch nicht in den Ascher geworfen, als eine Schwester eintrat. „Doc, der berühmte Raumflieger bittet dringend, vorgelassen zu werden." Der C hefarzt u nd s ein O berarzt wechselten ei nen k urzen B lick. D ann s tand d er Verantwortliche auf. „Meinen Sie etwa Kommodore Parker?" Die S chwester war j ung un d ha tte s ehnsüchtige A ugen, di e a uch i n dieser s chrecklichen Nachtstunde noch lebten. „Es ist Jim Parker, und er trägt das Einsatzabzeichen der Weltpolizei", nickte sie glücklich. Gleich darauf traten vier Männer ein: Parker, Wernicke, der noch ziemlich knieweiche W ellington und der S. A- T.-Arzt D r. W erner, ei n D eutscher. J im h ielt s ich n icht lange, bei der Vorrede auf; zu furchtbar waren die Eindrücke, die er von draußen mitbrachte. „Doc, Sie haben einen Patienten namens Pitt Smith?" Der C hefarzt war s ofort i m B ilde. A uf Anordnung der Polizei h atte m an P itt S mith i n e in Extrazimmer bringen müssen, wo er Tag und Nacht bewacht wurde. Er trat an den Schreibtisch und drückte einen Knopf.
„Dr. B ordet k ommt g leich. E r betreut den j ungen J ournalisten un d hat a uch m it de ssen Chefredakteur ein langes Gespräch geführt. Doch lassen Sie sich erst einmal die Hand schütteln, Kommodore — das mit dem fremden Raumschiff haben Sie großartig gemacht." Jim reichte ihm die Hand und wurde etwas verlegen. „Verzeihen Sie unsere Formlosigkeit, Doc — aber wir sind in großer Eile." Nun erst fiel dem Chefarzt auf, daß sich ein Mediziner in Jims Begleitung befand und auch der Bordingenieur Wellington. Es durchfuhr ihn wie ein heißer Strom. Standen vor ihm die Männer, die helfen konnten? Es dauerte nur einige Minuten, bis der blasse Arzt mit seinem Patienten eintrat. Wellington fuhr zusammen. „Mein Gott, Dr. Werner — helfen Sie ihm!" Mit seinen eckigen, entseelten Bewegungen kam Pitt Shmith heran. Der deutsche Arzt und Jim Parker ließen keinen Blick von ihm. Endlich wandte sich Dr. Werner dem Bordingenieur zu. „Was bei Ihnen gelungen ist, sollte sich bei ihm wiederholen." „Dann helfen Sie ihm!"
Es wurde 23.50 Uhr. Während sich im Marien-Hospital der Mann, der angeblich mehr wußte, gehorsam entkleidete und auf ein Ruhebett legte, tobte draußen die Abwehrschlacht gegen die fliegenden Feinde. Das Polizeikorps kämpfte bis zum Umfallen, ohne Rücksicht darauf, daß es nicht viel Zweck hatte, den schwirrenden Geschwadern der Geisterfalter mit Atombrenner und Revolver beikommen zu wollen. A ber p ausenlos zer fetzten d ie F euerwaffen d ie I nsekten, d ie s ich im L ichtkreis d er Lampen zei gten. Ü ber d er S tadt ab er k reisten drei H ubschrauber, i n denen d er Stab d ieser Schlacht um Minneapolis saß. In der Maschine über dem Stadtzentrum befanden sich auch Lord Clifford, Professor Higgins und der Oberbürgermeister, der mit eingefallenem Gesicht vor dem Bordseher hockte. „Ich verstehe das nicht", sagte er tonlos. „Warum gerade meine Stadt?" „Das möchte i ch au ch g ern w issen", m einte ei n a nderer. „M inneapolis h at d och w eiß Gott keine Weltbedeutung." Higgins schwieg, obgleich er den roten Faden bereits haken sah. Valentin hatte nicht umsonst seinen Nervenzusammenbruch erlitten. Um 23.56 Uhr kam eine Meldung von unten. „In zwanzig Minuten 178 neue Fälle." Der Kopf des Oberbürgermeisters sank vornüber. Higgins ab er b etrachtete s ich m it zu sammengekniffenen L ippen d as s chauerliche B ild im Bordseher, das die Schrecken der gequälten Stadt zu ihnen heraufholte. Da war der breite Strom, der auch heute im magischen Schein des nahen Planeten lag. Zwei schreiende Frauen am Ufer, auf die drei, vier Falter herabstießen. Higgins drehte fluchend einen der vielen Alarmknöpfe um den Bildschirm. Minuten später sauste ein Streifenwagen an den Strom,, aber da waren auch, aus diesen Frauen fremde, seelenlose Geschöpfe geworden. Higgins schüttelte den Kopf. So ging es nicht weiter. Kurz entschlossen griff er zum Taschensprecher. „Was haben Sie vor?" fragte Lord Clifford. „Ich muß mit dem Kommodore sprechen!" • „Ich kann Ihnen noch keine positive Wirkung auf den Kranken mitteilen,' meine Herren!" Der C hefarzt d es M arien-Hospitals war v om F ieber d er M änner angesteckt, d ie i n s einem Arbeitszimmer ruhelos hin und her gingen. Draußen stand der Mars tief über der Stadt, und in der Ecke saß eine abgekämpfte Schwester und betete unaufhörlich. „Herr, laß die Stunde des Schreckens an uns vorübergehen, Herr . . .“ Der Kommodore sah auf ihren grauen Scheitel, und ein weiches Gefühl überkam ihn. Dann aber straffte er sich und hielt dem Chefarzt seine Zigarettenpackung hin.
„Wie lange kann es noch dauern, bis Smith seine eigenen Kräfte wiedererlangt hat?" „Die Gegenwirkung des Giftes scheint recht langsam zu sein — wir müssen uns wohl noch drei Stunden gedulden, wenn nicht länger!" „Das können wir ni cht!" J im P arker hatte genug von di esem zermürbenden Z ustand. Wenn Smith erst in einigen Stunden aussagen konnte, was — vielleicht — wichtig war, so würde das Tausende w eitere O pfer k osten! D as g ing n icht an! „Wernicke, d ie B iester m üssen verschwinden!" Wernicke war de r einzige, de r noc h H umor g enug ha tte, a n B randy und s olche S achen z u denken, und der sich unentwegt an seiner Taschenfiasche labte. .Auch ihm brannte es unter den Fingernägeln. „Ich bin zu allen Schandtaten bereit, Mondrakete!" Jims T S-Sprecher s ummte au f. Von s einem H ubschrauber m eldete s ich H iggins. „ Hallo, Kommodore, wie weit seid ihr mit Smith?" Der K ommodore hor chte na ch dr außen, w o f ederleicht di e A mbulanzwagen a nfuhren. Ununterbrochen! U nunterbrochen! A rme g roße S tadt! „E s k ann Stunden da uern, H iggins. S o lange können wir ni cht warten!" . „Meine M einung, Parker. V on hi er aus beobachten wir die grausigsten Dinge. Das ist wie das Jüngste Gericht! Und die Polizei weiß nicht, wo säe anhaken soll. D ie F ahndung na ch dem würdigen G reis, de r a ngeblich da hinterstecken s oll, i st bi sher ergebnislos verlaufen. Aber ich habe etwas Interessantes beobachtet. . „Mensch, Higgins — raus damit!" „Die F alter w erden v on dem Licht an gelockt wie i hre h armlosen Verwandten von der Stubenlampe. Könnte man nicht..." „Erde, Mars und Venus", brüllte der Kommodore mit überschnappender Stimme dazwischen und haute auf den Tisch, daß die arme Schwester entsetzt aufsprang. „Das ist die Rettung! Wir werden sie einfangen und mit radioaktivem Staub unschädlich machen. Alle auf einmal! Das ist die Rettung! Higgins, in einer Stunde sind die Flugkugeln aus Orion-City da! Sie sorgen dafür, daß die Stadt dann mit einem Schlage verdunkelt wird." Aber noch schrie diese Stadt wie eine einzige getroffene Kreatur,
Und nur der würdige weißhaarige Greis lächelte. Oh, er k onnte l ächeln, und er v erzauberte s ein w ürdiges, g ütiges G esicht i n w undersamer Weise, wie er so auf einer Anhöhe vor seinem Landhaus in der Nähe der Stadt stand und ab und zu in der Ferne einen Insektenschwarm in dem unruhigen Zwielicht der schwülen Sommernacht aufsteigen sah. Aus dem Empfänger auf dem Gartentisch klang die mitgenommene Stimme des Sprechers. „Wir haben jetzt 0.20 Uhr. In noch nicht einer Stunde haben über neunhundert Einwohner von Minneapolis d urch Ü berfälle d er s chrecklichen I nvasoren au s dem W eltall d as ei gene I ch verloren. Was soll noch werden?" Das fragt ihr? Noch hatte de r M ars den H öhepunkt s einer A nnäherung a n di e E rde nicht er reicht. D as kosmische E reignis d ieser J ahrzehnte v ollzog s ich i n er habener L autlosigkeit. A ber s eine Sendboten — der würdige Greis lächelte ironisch und sah auf seine schmalen Hände — holten sich bereits ihre Beute. Schritte wurden hinter ihm laut. Ein stämmiger Bursche brachte ihm ein heißes Getränk, das er trotz der S chwüle m it B ehagen zu s ich n ahm. G enußvoll s chlürfend h örte er ei ne w eitere Meldung aus dem schwarzen Edelholzkasten. „Völlig u nerklärlich i st a uch die T ragödie, d ie s ich v or ei nigen Stunden a n B ord e ines britischen Passagierflugzeuges abspielte, das aus den USA kam Kurz vor der Landung in London
wurden di e I nsassen v on G eisterfaltern übe rfallen, di e s ich be reits a n B ord be funden ha ben müssen." „Ha, ha — wie genial!" rief der Greis begeistert aus und hob sein Glas dem Sternenhimmel zu. „He, Chressyr, bist du mit mir zufrieden — Chressyr auf dem toten Stern — Chressyr, ich habe ein wenig Politik auf eigene Faust getrieben ..." Chressyr, der die Erde seit einem Jahr nicht gesehen hatte, würde sich freuen. Doch am Himmel geschahen D inge, d ie au ch d er G reis n icht e rwartet h atte. F ünf g roße, leuchtende Kugeln schwebten nicht sehr hoch über der Stadt. Wie aus dem Nichts gekommen, waren sie plötzlich da. Der Greis sprang auf. „Barmherziger — was ist das?" Er t rat w ieder a uf s einen B eobachtungsplatz, u nd w as nu n f olgte, l ieß i hm da s B lut in den Adern gefrieren. Die große Stadt, die weit hingestreckt vor ihm lag, wurde mit einem Schlage dunkel. Die Kugeln glitten wie Leuchtphantome herab bis auf etwa hundert Meter, wobei sie sich über das ganze Stadtgebiet verteilten. Fünf, zehn Minuten geschah nichts, doch dann schwirrte es plötzlich a us de r Stadt a uf. S chwärme. W olken. D unkle W olken m it unz ähligen l euchtenden Tieraugen. Schwirrten auf und verschwanden in den Kugein. Der Greis wollte seinen Augen nicht trauen. „Diese S chufte!" knirschte er u nd b allte seine kraftlosen F äuste. „Das sollen sie mir b üßen. Bob!!" Der Stämmige kam aus dem Haus gestürzt. „Die Schlüssel zur Zuchtbaracke, Bob. Schnell!!"
Es war genau 1.02 Uhr, als das geschah. Bei al len H eiligen, man würde s ich d iese M inute g enau merken, d a d er H immel mit e inem Zuschlagen die Hölle besiegte. Wo man eben noch mit eingezogenem Kopf und abwehrbereiten Händen die S traßen entlangrannte, k onnte man s ich w ieder a ufrichten. N ur die z ehn M inuten zwischen dem unbegreiflichen Verlöschen aller Lichter und dem plötzlichen Aufschwirren aller Insektengeschwader waren furchtbar gewesen. Aber das war überstanden. Fünf große Leuchtkugeln standen über der Stadt. Und in di ese, i n i hre w eithin sichtbar g ähnenden Ö ffnungen stürzten s ie hi nein, d ie Schwärme d er Geisterfalter. S türzten s ich i ns V erderben. W urden v on r adioaktivem S taub empfangen und abgewürgt. Tausende. Viele Tausende. Auf den Straßen standen die Menschen mit glücklichen A ugen, wie sie n ur ei ne u nerwartete E rlösung s chenken k ann. I m Polizeihauptquartier aber standen einige Männer an den Fenstern, die sich inzwischen dorthin geflüchtet ha tten. L ord C lifford k am e ben i n e inem S portwagen v orgefahren, i n de m noc h einige Männer mehr saßen. Der Lord sprang heraus, der Wagen ruckte gleich wieder an und jagte weiter. Aus dem Gebäude kam einer seiner Mitarbeiter gestürzt. „Mylord — war das Kommodore Parker?" „Ich muß unverzüglich mit London sprechen", stieß der WP-Präsident atemlos hervor. „Der Kommodore ha t de n J ournalisten S mith be i s ich, de r uns e ben Unglaubliches be richtete. W ir haben es tatsächlich mit einem bevorstehenden Angriff auf die Erde zu tun. Ich hoffe aber, die unmittelbare Gefahr kann heute nacht völlig gebannt werden. Melden Sie ein Blitzgespräch mit London an. Schnell! Schnell!" Der andere drehte sich auf seinem Absatz. „Sofort, Mylord!" „Geht es, Smith?"
Pitt Smith war noch lange nicht fit, und der gute Chefarzt vom Marien-Hospital hatte dreimal ergeben d ie Schultern g ehoben, als m an i hn h albwach v om R uhebett au fzerrte. M it g lasigen Augen sah er auf den breiten Rücken des Kommodores, der sich vorneüber das Steuer beugte. Aber als die beiden, die neben ihm saßen, und das waren sein sensationshungriger Chefredakteur Kling und Fritz Wernicke, sich kameradschaftlich um ihn bemühten, grinste er schon wieder. „War alles nur ein böser Traum, Gentlemen! Bin verdammt froh, wieder zurückgekehrt zu sein in die vornehme Gesellschaft der Menschheit." „Und in die gesunde Nachbarschaft edler Flasqhen", zwinkerte Wernicke voller Wohlwollen. „Oder sind Sie Abstinenzler?" „Sehe ich so aus?" Sie l achten, u nd i n diesem Lachen ging ei gentlich al les u nter, was S mith n och anhaftete an Fremdheit und Selbstvergessenheit. Er langte ohne weiteres dreimal zu, und wenn jemals Kognak eine segensreiche Wirkung hatte, dann hier in diesem rasenden Wagen, der sich rücksichtslos und mit heulendem Polizeihorn den Weg durch die menschenübersäte Innenstadt bahnte. Pitt Smith lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster. „Sind d ie F alter w irklich al le vernichtet w orden?" er kundigte er s ich mißtrauisch. D er Kommodore nickte, ohne seinen Kopf zu wenden. Der Journalist renkte sich fast die Augen aus. „Tatsächlich, die Straßen sind rein. Wie habt ihr das nur fertiggebracht?" „Eingefangen h aben w ir s ie", grunzte d er S teuermann u nd l ieß d ie F lasche k reisen. „M it riesigen Flugkugeln, die alles taten, um sie anzulocken. Das war wirklich ein rettender Einfall, Jim." „Danke dem Himmel, daß es uns gelungen ist." „Uns gelingt alles", prahlte Wernicke, der sich unendlich erleichtert fühlte da der Bann von der großen Stadt genommen war. Auch den Menschen auf d'ei" Straßen, durch die sie rasten, erging es so S ie waren au ßer sich vor Freuda und b ewunderten d ie toten F alter, die h erumlagen, wie harmloses Spielzeug So schnell kann ein Mensch überwinden. Und das ist gut so. Wenn sie allerdings gewußt hätten, wer in dem Wagen saß, der an ihnen vorbeiheulte, hätten sie ihn zum Halten gebracht und den Kommodore herausgerissen. Aber Jim hatte jetzt andere Sorgen, als sich feiern zu lassen. Die Leuchtkugeln über der Stadt waren ebenfalls verschwunden; auch das war gut so, oder wenigstens notwendig. Das S. A. T. konnte nicht alle seine Geheimnisse preisgeben. Als sie den großen Zentralplatz überquerten, wurde ein Mann im Fond unruhig. Chefredakteur Kling »Also, Pitt, wenn Sie sich gestärkt haben ..." „Haben Sie vorhin nicht alles mitgekriegt, Boß?" „Ihre Andeutungen klangen so unglaublich, daß ich mir wirklich überlege, ob ich..." „No, Boß, Sie träumen nicht", lachte Pitt. „Das Unglaubliche habe ich hinter mir, und es war wirklich s o. E s be gann damit, da ß i ch a m s päten A bend v or de m Lloyd-Club i n de r von Steuben-Street den würdigen, weißhaarigen Greis traf, der sich große Mühe machte, einer Horde von Neugierigen zu versichern, er habe niemals im Club Handzettel verteilt..." „Was??" „Nicht unt erbrechen, B oß, s onst r eißt d er F aden." D er W agen r aste n un ei ne b reite Ausfallstraße en tlang, au f d er es zu m Z iel g ehen s ollte, wie S mith an gegeben h atte. „N un, es glaubte i hm n iemand r echt. M an w ar zi emlich er bost, u nd n ur e inige w aren da runter, die i hn auslachten. Der Alte stand mit gut geschauspielerter Verständnislosigkeit in dem Ring, der sich immer enger um ihn schloß. Erst als eine Polizeistreife aufkreuzte, ließ man von ihm ab — Sie verstehen, Boß — ahem, der Lloyd-Club —" Kling wurde etwas rot, ärgerte sich darüber und knurrte vor sich hin. „Na ja, also ab und zu wird bei uns mal anständig gespielt und so..." „Und s o. Y es. D er G reis s chien s ehr f roh zu s ein, al s er d er Meute en tkommen war. E r schlenderte die von Steuben-Street entlang. Ich immer hinter ihm, wissen Sie, und er war ganz arglos u nd n icht s o, w ie ei ner, d er et was zu verbergen h atte. S chließlich er wischte i ch i hn i n diesem langweiligen Musiklokal beim Roosevelt-Garden. Sein Hut fiel ihm aus der Hand, und ich
hob ihn auf. So kamen wir ins Gespräch und natürlich auf das Tagesthema Nummer 1. Nun, ich habe zunächst einmal mächtig auf die geschimpft, die glaubten, daß es mit der Marsannäherung nichts auf sich habe. Da wurde er ganz zugänglich und ging aus sich heraus. Schließlich..." „Verzeihung, Pitt — welchen Eindruck machte er?" „So als Mensch? Nun, gewiß keinen geheimnisvollen. Er hätte Gehilfe in einer Buchhandlung sein können oder Bürobote oder so was. Jedenfalls hatte ich Mühe, ernst zu bleiben, als er mir von seinen astronomischen Forschungen erzählte, die er vor Jahren getrieben hätte. Weither schien es aber mit seinen einschlägigen Kenntnissen nicht zu sein, denn er wußte kaum den Unterschied von Fixstern und Planet. Ihn hatte auch wohl mehr die Frage nach der Bewohnbarkeit anderer Weltkörper i nteressiert, u nd er s pann zi emlich k rauses Z eug d arüber. J edenfalls k ann i ch m ir vorstellen, welche Anerkennung er g eerntet h at, al s er v or drei J ahren auf ei gene K osten ei ne Broschüre drucken l ieß und d iese an al le möglichen Wissenschaftler verschickte. M an h at ihn ausgelacht und tief gekränkt..." „Aha!" machte Kling bedeutungsvoll. Pitt Smith zwinkerte. „Der rote Faden, Boß! Er ist dann aus verschiedenen Bürostellungen hinausgeflogen, ziemlich versumpft, von einem Auto angefahren worden, und in diesem Wagen hat der Insektenforscher Valentin gesessen Der hat -ihm als Hausmeister Arbeit und Brot gegeben und alles ging gut, bis ihm der böse Geist über den Lebensweg lief." „In menschlicher Gestalt?" „Natürlich. Es war nicht einfach, den roten Faden weiter zu verfolgen, denn der Gute wollte mir seine Biographie vor der Nase zuklappen. Er war mißtrauisch geworden. Nun, ich habe ihn erst einmal in Ruhe gelassen, über allen möglichen Unsinn gesprochen, und als er ziemlich viel scharfe Sachen vertilgt hatte, fragte er mich plötzlich, ob ich nicht in seine Dienste treten wolle, denn er werde in einigen Tagen die Weltherrschaft antreten." „Nicht schlecht", grinste Kling, und Wem icke trank auf diesen Job. „Ich war sofort begeistert, und nach und nach erfuhr ich, was ich wissen wollte. Den Rest mußte ich dazwischenhauen, aber ich glaube, ich weiß nun, was es mit den Faltern auf sich hat, wenn die Geschichte auch reichlich märchenhaft klingt." Wernicke winkte ab. „Wir haben schon ganz andere Sachen erlebt." „Valentin befaßte s ich m it d er Z üchtung n euer I nsektenarten. M ein al ter F reund, der schließlich nicht dumm war, nur nicht ganz normal, wurde so etwas wie sein Handlanger, trug Wasser h erbei, f ütterte d ie n iedlichen T ierchen u nd s o. E ines T ages b egegnete i hm ei n geheimnisvoller M ann — der b öse G eist — der s ehr r eich und e nergiegeladen w ar u nd s ich Chressyr nannte. Für teures Geld besorgte der Alte ihm Valentins Forschungsunterlagen. Schließlich nahm der Fremde ihn ganz zu sich, und er wechselte das Lager." »Was wollte dieser Chressyr?" „Er wollte nicht, Boß, er will auch heute noch die Herrschaft über die Erde vom Weltall aus erringen, und er scheint ein echter Kerl zu sein, der so etwas fertigbringen könnte. Vor einem Jahr h at er die E rde i n ei nem R aum-,.6chiff v erlassen, u m au f ei nem an deren G estirn s eine Arbeiten fortzusetzen. Er muß aber auch ein unheimlicher, dämonischer Mensch sein, denn es ist ihm gelungen, eine Falterart zu züchten, deren Giftstoffe den Menschen willenlos machen, zu Robotern gewissermaßen, die er nachher nur zu dirigieren braucht." „Und das s oll i ch I hnen g lauben?" f uhr de r C hefredakteur a uf. S mith w andte s ich a n den Steuermann, „Wernicke?" „Ich glaube es Ihnen ohne weiteres — und mein Freund auch." Jim Parker war sehr ernst. „Mister Smith übertreibt durchaus nicht" „Dank für di e freundliche Anerkennung. C hressyr also hat die E rde verlassen. E in weiterer verblendeter A ngestellter V alentins i st m it i hm g eflogen, u nd noch ei n paar L eute m ehr. I ch nehme a n, da ß s ie v ersucht ha ben, v on de m f remden G estirn zu f liehen, C hressyr ab er
vorsichtshalber eine Zucht in seinem .Schiff unterbrachte, deren Opfer sie unterwegs wurden. Der Giftstoff wirkt nämlich tödlich, wenn zu viele Biester über einen Menschen herfallen." „Das er klärt au ch V alentins N ervenzusammenbruch", nickte W ernicke. „E r h at s einen Mitarbeiter wiedererkannt, als er die toten Raumflieger sah. Und was ist nun mit dem würdigen Greis?" „Er h at die Z üchtungen au f ei gene F aust f ortgesetzt, u m d ie b ösen M enschen, di e ihn verlachten, ei n w enig zu t errorisieren. D as wäre i hm t atsächlich f ast gelungen. M ir h at er freundlicherweise einige Falter ins Haus geschickt. Wahrscheinlich hat es ihm nachher leid getan, so offenherzig gewesen zu sein. Gleich links abbiegen, Kommodore." „Ich sehe schon." Jim Parker nahm etwas Gas weg. als linker Hand ein Feldweg heranschoß und bog in diesen ein. Ein öde Gegend war es, halbvergessen vor den Toren der großen Stadt. Endlich t auchten — wieder l inker H and — Gebäude a uf. E in Wohnhaus. D aneben i n e inem Garten eine langgestreckte Baracke. Und davoT etwas Dunkles. Zwei menschliche Gestalten. Jim bremste scharf, und gleich darauf standen die Männer vor zwei Toten. Einer von den beiden war ein w ürdiger, w eißhaariger Greis. B esät m it d en K örpern ei ngegangener I nsekten, di e ni cht weiterleben konnten, weil sie ihr Gift verspritzt hatten. Sie hatten ihren eigenen Herrn gerichtet. Wo aber war Chressyr? War er au f d em fremden Gestirn von seinen M ännern e rmordet worden, bevor di ese i hre Schreckensfahrt i m R aumschiff a ntraten? Oder bildete er noch eine Gefahr für d ie E rde? Und noch eine Frage ließ die verantwortlichen Männer nicht zur Ruhe kommen: was für ein Mensch war er? Auch Jim fand keine Ruhe. Er mußte ihn finden! In einem kleinen Dorf an der Elbe aber wurde bald eine großartige Verlobung gefeiert, zu der Bauer W inter na h un d f ern g eladen ha tte. D ie bl onde Gina Winter w ar au sgerechnet d em leichtsinnigen, s chnoddrigen F unkoffizier B rauer er legen. U nd d as g ehörte i mmerhin z u de r erfreulichen S eite dieses s eltsamen G eschehens, das f ür Tage die g anze Menschheit in Atem hielt... ENDE
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