Antike und Abendland
Antike und Abendland Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens
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Antike und Abendland
Antike und Abendland Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens
herausgegeben von
Werner von Koppenfels · Helmut Krasser Wilhelm Kühlmann · Christoph Riedweg · Ernst A. Schmidt Wolfgang Schuller · Rainer Stillers
Band LI
2005 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Manuskripteinsendungen werden an die folgenden Herausgeber erbeten: Prof. Dr. Werner von Koppenfels, Boberweg 18, 81929 München – Prof. Dr. Helmut Krasser, Institut für Altertumswissenschaften, Universität, OttoBehaghel-Str. 10, Haus G, 35394 Gießen – Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann, Universität Heidelberg, Germanistisches Seminar, Hauptstr. 207–209, 69117 Heidelberg – Prof. Dr. Christoph Riedweg, Kluseggstr. 18, CH-8032 Zürich – Prof. Dr. Ernst A. Schmidt, Philologisches Seminar, Universität, Wilhelmstr. 36, 72074 Tübingen – Prof. Dr. Wolfgang Schuller, Philosophische Fakultät, Universität, Postfach 5560, 78434 Konstanz – Prof. Dr. Rainer Stillers, Institut für Romanische Philologie der Philipps-Universität Marburg, Wilhelm-Köpke-Str. 6 D, 35032 Marburg. Korrekturen und Korrespondenz, die das Manuskript und den Druck betrifft, sind an den Schriftleiter Prof. Dr. Helmut Krasser zu richten. Die Mitarbeiter erhalten von ihren Beiträgen 25 Sonderdrucke kostenlos; weitere Sonderdrucke können vor der Drucklegung des Bandes gegen Berechnung beim Verlag bestellt werden. Buchbesprechungen werden nicht aufgenommen; zugesandte Rezensionsexemplare können nicht zurückgeschickt werden.
ISBN-13: 978-3-11-018251-4 ISBN-10: 3-11-018251-3 ISSN 0003-5696 © Copyright 2005 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Dörlemann Satz, 49448 Lemförde
Inhaltsverzeichnis David Konstan, Providence Die Entdeckung der Eifersucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Bees, Tübingen Die Kulturentstehungslehre des Poseidonios. Wege zu ihrer Rekonstruktion
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Andrej Petrovic, Heidelberg «Kunstvolle Stimme der Steine sprich!» Zur Intermedialität der griechischen epideiktischen Epigramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christian Tornau, Jena Pseudolus – ‹der Blender50. Bemerkungen zur Dramaturgie und Komik des Plautus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Frank Wittchow, Berlin Der Dichter auf der Suche nach seiner Rolle: Zur persona in den Jamben des Horaz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Katharina Volk, New York Ille ego: (Mis)Reading Ovid’s Elegiac Persona . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Thomas Strässle, Zürich De arte salis. Von der Modellierung einer stofflichen Poetologie in der römischen Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jan Stenger, Kiel Eine Aufforderung zum Tyrannenmord? Die Doppelbödigkeit der Briefe des Chion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christos P. Baloglou, Nea Philadelphia Attikis The Institutions of Ancient Sparta in the Works of Pletho . . . . . . . . . . . .
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Silke Knippschild, Dresden Die Zähmung der Penelope: Monteverdis Il Ritorno d’Ulisse in Patria und Homer im Venedig des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Mitarbeiter des Bandes Dr. Christos P. Baloglou, Messenias 14 & Gr. Lamprakis, 14342 Nea Philadelphia Attikis, Griechenland PD Dr. Robert Bees, Eberhard Karls Universität Tübingen, Philologisches Seminar, Wilhelmstr. 36, 72074 Tübingen Dr. Silke Knippschild, Technische Universität Dresden, Philosophische Fakultät, Institut für Geschichte, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Helmholtzstraße 10, 01062 Dresden Prof. Dr. David Konstan, Brown University, Department of Classics, Macfarlane House, 48 College Street, Providence, RI 02912, USA Dr. Andrej Petrovic, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Institut für Altertumswissenschaften, Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik, Marstallhof 4, 69117 Heidelberg Dr. Jan Stenger, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Klassische Altertumskunde, 24098 Kiel Dr. Thomas Strässle, Universität Zürich, Deutsches Seminar, Schönberggasse 9, 8001 Zürich, Schweiz PD Dr. Christian Tornau, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Altertumswissenschaften, 07737 Jena Dr. Katharina Volk, Columbia University New York, Dept. Classics, 614 Hamilton Hall, 1130 Amsterdam Ave, 2960 Broadway, New York, NY 10027-6902, USA Dr. Frank Wittchow, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Klassische Philologie, Unter den Linden 6, 10099 Berlin
Die Entdeckung der Eifersucht
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David Konstan
Die Entdeckung der Eifersucht1 «Il y a une psychologie implicite dans le langage» (Lagache 1947: 1)
Ich beginne mit zwei durchaus unterschiedlichen Definitionen von zêlotypia, dem Begriff, der der modernen Vorstellung von «Eifersucht» allem Anschein nach am nächsten kommt. Zuerst eine stoische Definition, die höchstwahrscheinlich auf Chrysipp zurückgeht: «zêlotypia ist ein Schmerz darüber, dass ein anderer etwas hat, was man auch selbst hat» (Diogenes Laertius 7.111 = Fr. 412 SVF III). Zêlotypia ist aufgenommen in die Liste von Emotionen, die ein Element des Schmerzes enthalten: Es folgen Mitleid, 2 Neid, 3 und zêlos («ein Schmerz darüber, dass jemand anderer hat, was man sich selbst wünscht»). Nun die zweite Definition. Die Suda erklärt zêlotypia als «Verdacht eines Ehemanns gegenüber seiner Frau bezüglich eines Mannes, der lüstern ist» (z 58; cf. Photius z 34 mit Theodoridis 1998 ad loc.). Diese Definition ähnelt der romantischen Eifersucht im modernen Sinn. So gibt das Oxford English Dictionary (s. v., def. 4) beispielsweise als eine Bedeutung von Eifersucht folgendes an: «fear of being supplanted in the affection, or distrust of the fidelity, of a beloved person, esp. a wife, husband, or lover», also: «Furcht, aus der Zuneigung einer geliebten Person verdrängt zu werden, insbesondere einer Ehefrau, eines Gatten oder Geliebten, oder Misstrauen hinsichtlich der Treue dieser Person» (der zweite Teil des Eintrags betrifft Eifersucht «in respect of success or advantage» of another person, also «bezüglich eines Erfolgs oder eines Vorteils» einer anderen Person, und nennt «envy», «Neid», als Synonym).4 Die Definition der Stoiker mag eigenartig erscheinen oder so wirken, als sei sie maßgeschneidert für ihren kunstvoll rationalisierten Katalog von Leidenschaften. Tatsächlich aber korrespondiert sie mit der vorherrschenden Auffassung von zêlotypia in der griechischen Literatur zumindest bis ins 2. Jahrhundert nach Christus, und die ist: mutwillige Bösartigkeit oder Neid. Polybios beispielsweise verbindet zêlotypia speziell mit der Rolle des Höf1
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Überarbeitete Fassung eines erstmals im Juli 2003 in der Petronian Society, Munich Section, vorgetragenen Referats. Ich möchte Niklas Holzberg für die freundliche Einladung und Stefan Merkle für die Übersetzung ins Deutsche und zahlreiche wertvolle Anregungen danken. Das heißt, eleos («ein Schmerz, der entsteht, wenn jemand unverdient leidet»). = phthonos, «ein Schmerz über den Besitz anderer». Man könnte nun versuchen, die stoische Erklärung in die Schablone der modernen romantischen Eifersucht zu pressen, indem man zum Beispiel annimmt, dass die Formel «dass ein anderer etwas hat, was man auch selbst hat» sich auf die geteilte Zuneigung einer geliebten Person bezieht. Die Verknüpfung mit phthonos und zêlos aber macht deutlich, dass zêlotypia hier doch etwas wie «Bösartigkeit» und «Gehässigkeit» bedeutet. Tatsächlich ähnelt die stoische Definition von zêlotypia der Erklärung, die Aristoteles vom phthonos gibt. Er bezeichnet phthonos als «einen beunruhigenden Schmerz, der aus dem Wohlergehen eines anderen resultiert» (Rhet. 2.9, 1386b18–19), wobei man nicht etwas für sich selbst wünscht, sondern lediglich möchte, dass der andere es nicht hat (2.10, 1387b23–24).
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David Konstan
lings: «Denn eine neue Methode der Verleumdung wurde erfunden: Man schadet nicht, indem man Fehler findet, sondern indem man seine Nachbarn preist. Diese Art von Arglist [kakentrekheia], Verunglimpfung [baskania] und Tücke konnte man zuerst bei denen finden, die am Hof aus und ein gehen. Ihre Ursache ist deren zêlotypia und ihr ehrgeiziger Kampf [ pleonexia] gegeneinander» (Hist. 4.87.4.1–4). Dionysios von Halikarnass schreibt: «Platon hatte, das ist wahr, eine Spur von Ehrgeiz [to philotimon] in seinem Wesen, trotz all seiner Vorzüge; er zeigte dies vor allem mit seiner zêlotypia gegenüber Homer, den er aus seinem idealen Staat verbannte, wenn auch bekränzt und mit Myrrhe gesalbt» (Brief an Pompeius 1.13). Platon, so meint Dionysios, ist nicht bereit, den Lorbeer für literarische Leistung zu teilen. Leiden daran, «dass ein anderer etwas hat, was man auch selbst hat» bringt das hübsch auf den Punkt. Sogar im erotischen Kontext scheint zêlotypia nicht so sehr Eifersucht zu bedeuten als Missgunst, den Drang nämlich, alles, was der andere besitzt, mit Beschlag zu belegen, auch wenn man selbst nichts davon hat. Der älteste Beleg für den Begriff findet sich in Aristophanes’ Ploutos, wo eine Alte darüber klagt, dass ihr, weil Ploutos jedermann reich gemacht habe, der junge Mann, der sie hofiert hatte, davongelaufen sei. Früher, sagt sie, «wenn irgendjemand mich angestarrt hat, wenn ich mit einem Wagen bei den Großen Mysterien ankam, beim Zeus, da wurde ich dafür den ganzen Tag verprügelt [etyptomên] – ja, so leidenschaftlich zêlotypos war der Junge» (1013–16). Bedeutet zêlotypos hier «eifersüchtig»? Das Publikum versteht, dass das Motiv des jungen Mannes gewesen sein muss, andere Gigolos in Schach zu halten, die an ihrem Geld interessiert waren. Im Kontext wäre eine Bedeutung wie «knauserig» oder «missgünstig» passend. Und in der Tat antwortet Chremylos, indem er vor sich hin brummt: «Es scheint, er hat gern alleine gegessen» (1017), und das soll heißen, dass der Junge nicht wollte, dass irgendjemand an seiner Beute beteiligt wird. In Platons Symposion (213c8–d4; cf. Fantham 1986: 47–50) beklagt Sokrates sich bei Agathon darüber, wie Alkibiades ihn schikaniert: «Seit ich sein Liebhaber wurde, kann ich keinen einzigen schönen Knaben ansehen oder mit ihm sprechen, sonst empfindet er zêlotypia und Neid (phthonôn), tut absonderliche Dinge, beleidigt mich und hält kaum seine Hände von mir zurück.» Wieder ist der Vorwurf der, dass Alkibiades nicht bereit ist, Sokrates’ Gesellschaft mit anderen zu teilen. Beide Fälle sind, glaube ich, gut vereinbar mit der stoischen Definition von zêlotypia als «Schmerz darüber, dass ein anderer etwas hat, was man auch selbst hat.» Da ich die Semantik von zêlotypia an anderer Stelle detaillierter untersucht habe (Konstan 2003), will ich nur das Ergebnis vortragen, zu dem ich gekommen bin: Der Begriff bezeichnet nicht «Eifersucht» im modernen Sinn, das heißt «eine Dreierbeziehung» (Ben-Ze’ev 2000: 289), in der einer befürchtet, «aus der Zuneigung einer geliebten Person verdrängt zu werden.» 5 Wenn ich Recht habe, dann hat das Griechische, wie auch das Lateinische, keinen speziellen Begriff, um die Emotion, um die es geht, zu bezeichnen – zumindest nicht in klassischer und in hellenistischer Zeit. Was ist dann zu der Definition in der Suda zu sagen, die in der Tat modern klingt? Ohne detailliert auf diese Frage einzugehen, möchte ich darauf hinweisen, dass dieser Ein5
Das liegt nicht daran, dass das Bedeutungsspektrum von zêlotypia zu breit wäre. Im Englischen kann, wie wir gesehen haben, «jealousy» verwendet werden «bezüglich eines Erfolgs oder eines Vorteils», und in diesem Sinn entspricht der Begriff recht genau dem des «Neides»; aber Muttersprachler wissen trotzdem, dass der Begriff eine feste Bedeutung in erotischen Konstellationen hat. Zêlotypia hingegen – das ist meine These – bedeutet keineswegs romantische «Eifersucht», und schon gar nicht ausschließlich.
Die Entdeckung der Eifersucht
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trag sehr wahrscheinlich letztlich auf christliche Kommentare zum vierten Buch Moses (Numeri ) zurückgeht, und zwar durch Vermittlung der sogenannten Glossae Cyrillianae und des Hesych. Kurz gesagt war der Zweck der Cyrillischen Glossen wahrscheinlich die Erklärung von Sankt Kyrillos’ eigenem Vokabular (Serrano Aybar 1977: 101), und die einzige Stelle, an der Kyrillos das Wort zêlotypia verwendet, steht in Verbindung zum vierten Buch Moses (De adoratione et cultu in spiritu et veritate, Migne Patrologia Graeca 68.132–1125, bes. S. 909–12). Das vierte Buch Moses oder Numeri wiederum ist das einzige Buch der Septuaginta, in dem der Begriff auftaucht. Und dort bezieht er sich genau auf die rituellen Verpflichtungen eines Mannes, der die mögliche Untreue seiner Frau untersucht und auf sie reagiert. Es ist freilich wahr, dass auch in Lexika, die nicht von dieser Bibel-Passage beeinflusst sind, zêlotypia manchmal mit dem erotischen Bereich verbunden wird. So bemerkt beispielsweise Pollux: «zêlotypein wird in Verbindung mit Knaben, Frauen und allem, was wir lieben ( pantôn de tôn agapômenôn ], verwendet» (3.68–72), während Ptolemaios von Askalon (De differentia vocabulorum 395.32–34) zêlotypia definiert als «in einem Zustand des Hasses sein [to en misei hyparkhein], wie wenn ein Mann zêlotypia gegenüber einer bestimmten Frau empfindet.» Aber diese illustrierenden Beispiele sagen nicht viel über die genauen Konnotationen des Wortes, und sie beweisen ganz sicher nicht, dass zêlotypia die moderne Bedeutung romantischer Eifersucht hatte. Auch wenn es kein spezielles Wort für Eifersucht gegeben hat, heißt das nicht, dass das Konzept, wie wir es verstehen, nicht existierte. In der Nikomachischen Ethik gibt Aristoteles einige Beispiele für Befindlichkeiten, für die das Griechische keine Begriffe hat, zum Beispiel die Eigenschaft, zu wenig zu Zorn zu neigen. Wie können wir also, wenn es das Wort nicht gibt, die Emotion «Eifersucht» identifizieren? In ihrer Dissertation über die Eifersucht in der römischen Elegie bemerkt Ruth Caston (Caston 2000: 3): «In der Mehrzahl der Fälle ist es nicht ein Wort oder eine Gruppe von Wörtern, was die Anwesenheit von Eifersucht anzeigt. Stattdessen müssen wir uns auf Hinweise auf andere Emotionen wie Angst oder Zorn verlassen, die eine entscheidende Rolle im Rahmen des Eifersuchtskomplexes spielen, auf den poetischen Kontext und auf das Verhalten der Figur.» Das ist ein kluger Rat, aber es ist schwierig, ihn zu befolgen. Denn viele moderne Spezialisten sind der Meinung, Eifersucht sei – wie Sally Planalp es formuliert (1999: 174) – «eine komplexe Emotion, die sich vor allem aus zorn-, trauer- und angst-ähnlichen Gefühlen zusammensetzt.» Wenn das stimmt, nach welchem Kriterium können wir dann festlegen, dass die Angst eines Liebenden in einem antiken Text in Wirklichkeit eher die «angst-ähnliche» Komponente der Eifersucht ist als einfach blanke Angst? Vielleicht sahen die alten Griechen und Römer eine Vielzahl von Emotionen, wo wir – mit unserer Vorstellung von der romantischen Eifersucht – nur eine einzige wahrnehmen. Nehmen wir Hera als Beispiel, die in der späteren Tradition das Musterbeispiel für Eifersucht ist. Im Homerischen Apollon-Hymnus zieht Hera Letos Wehen aus zêlosyne in die Länge (3.100: das Wort ist ein hapax legomenon). Der Grund für dieses Gefühl ist, dass Leto einen mächtigen Sohn gebären wird. Später erfahren wir, dass Hera Zeus’ prachtvolle Nachkommen nicht leiden kann (kholoomai, 3.305), insbesondere Athene, die Zeus aus seinem eigenen Kopf geboren hat, während Heras Sohn Hephaistos lahm ist (3.317). Da Zeus keinen Partner bei der Zeugung Athenes hatte (oios, 3.323), ist Heras Irritation nicht auf sexuelle Untreue zurückzuführen. Um sich zu revanchieren, gebiert sie das Monster Typhon durch Parthenogenese, um auch selbst ein brillantes Kind zu haben (326–30). Ihr
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David Konstan
Verhalten lässt eher ein Motiv wie Neid oder Boshaftigkeit vermuten als romantische Eifersucht; und genau das ist es, glaube ich, was zêlosyne, wie zêlotypia, bedeutet. Dazu passt auch die apatê Dios, wo Hera Aphrodites kestos anlegt, um Zeus’ Aufmerksamkeit von der Schlacht unten abzulenken, und Zeus ausruft: «Niemals zuvor hat die Leidenschaft für eine Göttin oder eine Sterbliche so sehr das Herz in meiner Brust überwältigt!» (14.315–316), und fortfährt, indem er sieben seiner früheren Eroberungen aufzählt, um seine Aussage zu bekräftigen. Selbstverständlich ist der Ton hier komisch, aber Hera scheint völlig unbeeindruckt von den Affären ihres Mannes zu sein. Sie ist oft voller Ressentiments in der Ilias, vor allem bezüglich des Komplotts von Zeus und Thetis, das ihre geliebten Achaeer in Gefahr bringt, aber romantische Eifersucht scheint irrelevant zu sein. Ganz allgemein kann man ohne weiteres feststellen, dass Eifersucht im modernen Sinn dem archaischen Epos fremd ist. In der Ilias wünscht Achill, Artemis hätte Briseis getötet, bevor sie der Grund für die tödliche Auseinandersetzung zwischen ihm selbst und Agamemnon werden konnte (19.55–62): Sie ist nicht ein Objekt der Eifersucht, sondern eher ein Pfand in einem Kampf zweier Männer um die Ehre – die Art rivalisierender Interaktion zwischen Männern, die Eve Sedgwick (1985) als «homosoziale» Beziehung bezeichnet hat.6 Ebenso gibt es keinen Hinweis darauf, dass Menelaos in der Ilias eifersüchtig auf Paris wäre, und soweit ich sehe, hat bisher auch noch nie jemand angenommen, Odysseus empfinde Eifersucht gegenüber den Freiern in der Odyssee. Es scheint absurd, so ein Motiv einzuführen. Hinzu kommt: Auch in der Tragödie fehlt die Eifersucht: Kein Othello hat jemals die antike griechische Bühne betreten. Und auch Frauen sind in dieser Gattung nicht als eifersüchtig gezeichnet: Das Motiv der Medea in Euripides’ Drama – sie ist (neben Hera) das andere herausragende exemplum für zêlotypia in der späteren Tradition – ist nicht so sehr Eifersucht, als vielmehr Zorn.7 Moderne Eifersucht impliziert, wie wir gesehen haben, drei Parteien: jemanden, der liebt, jemanden, der geliebt wird, und einen Rivalen, der die geliebte Person entfremdet hat oder von dem zumindest angenommen wird, er hätte das getan.8 Die Definition liefert also sowohl eine Figurenkonstellation als auch ein Szenario, und es ist plausibel zu erwarten, dass Eifersucht, auch wenn sie nicht als solche bezeichnet wird, wenn irgendwo, dann in Gattungen zum Ausdruck kommt, für die eine narrative Struktur charakteristisch ist, in der die relevanten Bedingungen erfüllt werden. Die griechische Gattung, die am besten geeignet ist für eine solche Konstellation, ist zweifellos die Neue Komödie, und die lebendigste Darstellung eines verschmähten Liebenden findet sich, denke ich, in Menanders Perikeiromene (es ist ein Jammer, dass sein Misoumenos so fragmentarisch überliefert ist). Als der Soldat Polemon mitbekommen hat, dass seine Geliebte Glykera den Jungen von nebenan geküsst hat,9 wird er wütend über ihr Verhalten und schneidet ihr die Haare ab. Glykera flüchtet sich zu den Nachbarn, und Polemon verlässt das Haus, das er mit ihr geteilt hat, und gibt sich seinem Kummer hin. Dann kehrt er auf die Bühne zurück mit der 6
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Wie anders ist da Ovids Bearbeitung in den Heroides, wo Briseis glaubt, dass Achill sie wirklich liebt, und nicht verstehen kann, wie er das hohe Lösegeld, das Agamemnon ihm angeboten hat, ablehnen konnte (cf. Lindheim 2003). Contra, e. g., Pucci 1999: 222: Medea ist «gepeinigt von einer unkontrollierbaren Eifersucht». Ich will nicht den Eindruck erwecken, moderne Eifersucht sei einheitlich und hätte keine Geschichte; wie Stearns 1989: 4 zu dieser Emotion aus der Perspektive amerikanischer Erfahrungen bemerkt: «jealousy has changed significantly over time.» Es ist möglich, dass er selbst Zeuge der Szene war.
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Absicht, Glykera mit Gewalt zurückzugewinnen, aber er beugt sich der Vernunft, als sein Freund Pataikos ihm klar macht, dass, auch wenn Polemon sie als seine legale Frau betrachtet hat, Glykera in Wirklichkeit ihre eigene Herrin ist (heautês est’ ekeinê kyria, 497).10 Polemon ist verzweifelt und ruft mitleiderregend aus: «Ich weiß nicht, was ich sagen soll, bei Demeter, außer, dass ich mich aufhängen werde. Glykera hat mich verlassen, Glykera, sie hat mich verlassen, Pataikos!» (504–507). Hier liegen alle Elemente des EifersuchtArchetyps vor: die Entfremdung der Geliebten durch einen Rivalen (einen lüsternen Rivalen, um die gezierte Formulierung der Suda zu verwenden), verzweifelter Kummer und, so können wir hinzufügen, der Wunsch, die Gunst der Geliebten wiederzuerlangen – eher als sie gewaltsam von dem Rivalen zurückzuholen. Später freilich, als ihm klar wird, dass der Mann, den Glykera geküsst hat, ihr Bruder war und nicht ein moikhos, klagt Polemon: «Aber ich, Frevler, der ich bin, und zêlotypos Mensch …, habe sofort durchgedreht» (² # $ Ω / λ « Ν« 9 [ / « , 986–98). Hier scheint zêlotypos nicht so sehr Eifersucht zu bezeichnen als vielmehr eine ungerechtfertigte oder übertriebene Reaktion auf absolut legitimes Verhalten. Es ist kein Zufall, dass Glykera eine Hetäre ist: Nur so konnte sie in der Attischen Komödie «ihre eigene Herrin» sein und nicht abhängig von einem kyrios; als solche ist sie ein autonomes liebendes Subjekt. Weil sie die Freiheit hat, ihre Liebe zu geben oder zu entziehen, wie Pataikos bemerkt (491), muss Polemon rechnen mit der «Furcht, aus [ ihrer] Zuneigung verdrängt zu werden», wie es das Oxford English Dictionary formuliert. Das wäre nicht der Fall bei einer heiratsfähigen Bürgerstochter, die in der Neuen Komödie niemals das Subjekt erotischer Wünsche ist. Ich denke, es waren soziale Beschränkungen dieser Art, die die Darstellung romantischer Eifersucht in archaischer und klassischer Literatur verzögert haben – auch in päderastischer Dichtung.11 Die Neue Komödie selbst ging in der Tat sparsam mit dem Motiv um. Wo der Rivale zum Beispiel der Freund des Liebenden ist, dominiert mehr das Thema «falscher Freund» als die treulose Hetäre. Und die Reaktion ist nicht so sehr Eifersucht wie Zorn und Enttäuschung.12 In der Anfangsszene des Terenzischen Eunuchus ist Phaedria darüber verärgert, dass Thais ihn verstoßen hat zu Gunsten eines reichen Offiziers, den sie – wie sie später erklärt – umschmeichelt, um ein Mädchen zu bekommen, das in seinem Besitz ist. Als Phaedria protestiert, die Geschichte sei eine Lüge und Thais liebe den Soldaten wirklich, willigt sie ein, Phaedria lieber entgegenzukommen, als ihn zum Feind zu haben. An dieser Stelle ruft Phaedria aus: «Ach, ich wünschte, du hättest das von Herzen und ehrlich gesagt [utinam is10
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So bleibt Polemon, der eben mehr Liebender (erônti, 499) ist als Ehemann, nur ein Ausweg: die Überredung – abgesehen vielleicht von der Möglichkeit, irgendwann einmal gegen den jungen Mann eine gerichtliche Klage einzureichen (enklêma, 503), weil er Glykera in seiner Abwesenheit verführt oder moralisch verdorben hat (diephtharkôs autên, 499–500). Da Eifersucht als Möglichkeit in einer Gesellschaft aufkommt, die zuvor von kollektiver Zurückhaltung beherrscht war, mag populäre Literatur zurückhaltend sein, sie zu beschreiben; cf. Stearns 1989: 21–22 zur Reaktion auf Eifersucht in der Viktorianischen Ära in den Vereinigten Staaten. So ruft Charinus in der Andria des Terenz, weil er glaubt, sein Freund habe absichtlich beschlossen, das Mädchen zu heiraten, das er selbst liebt, mit Worten, die an Aristoteles’ Definition des phthonos erinnern, aus: «Kann man glauben oder hat man jemals gehört, dass jemand einen solchen Wahnsinn [vecordia] in sich trägt, dass er sich freut an der Not eines anderen und sein Vergnügen zieht aus dem Unglück des anderen?» (625–28). Charinus’ Rolle in der Komödie mag Terenz’ eigene Zutat sein, aber es gibt ein Modell für seine Reaktion bei Plautus und bei Menander (cf. Plautus’ Bacchides, 467–572, mit Menander Dis exapatôn 102–12). Eifersucht als solche fehlt. Cf. auch die Reaktion der Demeas bei der Samia des Menander.
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tuc verbum ex animo ac vere diceres], dieses: ‹lieber als dich zum Feind zu haben›! Wenn ich glauben könnte, dass das aufrichtig gesagt wurde [sincere dici ], dann könnte ich alles ertragen» (175–77). Phaedria willigt schließlich ein, dass sie Zeit mit dem Soldaten verbringt, aber er bittet, «dass, wenn du mit deinem Soldaten da zusammen bist, du nicht bei ihm bist; dass du Tag und Nacht mich liebst, mich vermisst, von mir träumst, auf mich wartest, an mich denkst, auf mich hoffst, dich an mir erfreust, ganz und gar bei mir bist – kurz und gut: werde mein Herz [animus], weil ich das deine bin» (191–96). Die Situation enthält alle Voraussetzungen für Eifersucht: einen verliebten jungen Mann, einen Rivalen und den Wunsch nach beiderseitiger Liebe, der hier mit größerer Sentimentalität formuliert ist als an irgendeiner anderen Stelle in der antiken Komödie. Aber Phaedrias Reaktion ist nicht wirklich Eifersucht, sondern eher etwas, was man eine Verinnerlichung von Leidenschaft nennen könnte: Wenn Thais ihn aufrichtig und von Herzen liebt, dann kann er es hinnehmen, dass sie drei Tage mit dem Soldaten verbringt. Diese Reaktion am Anfang des Stückes bereitet den Schluss vor, an dem Phaedria einwilligt, Thais langfristig mit dem Soldaten zu teilen, weil der die Rechnungen bezahlen wird und, weil er ein Hanswurst ist, keine Gefahr für Thais’ Liebe zu Phaedria darstellen wird. Wir sehen hier, wie die Neue Komödie es sogar da unterlässt, die Eifersucht zu thematisieren, wo das Szenario dafür ausgesprochen geeignet wäre. Als Catull Inspiration aus der Neuen Komödie zog, griff er zu der eben zitierten Rede des Phaedria in Terenz’ Eunuchus, in der der junge Mann inständig um eine aufrichtige und von Herzen kommende Verpflichtung bittet, durch die er die Macht des Soldaten über Thais ertragen könnte. Catull passt diesen Aufschrei seiner eigenen Hoffnung auf eine dauernde Beziehung mit einer Frau an, die formal die Gattin eines anderen Mannes war: Iucundum, mea vita, mihi proponis amorem hunc nostrum inter nos perpetuumque fore. di magni, facite ut vere promittere possit, atque id sincere dicat et ex animo, ut liceat nobis tota perducere vita aeternum hoc sanctae foedus amicitiae.13
Catull besteht nicht darauf, dass Lesbia ihm und nur ihm gehören soll (cf. 68.135–40, und bes. 145–48), was die Umstände ohnehin unmöglich machen. Was ihn erschüttert, ist vielmehr ihre wahllose Promiskuität, und er drückt seine Bestürzung in einer Weise aus, die an Polemons gequälten Ausbruch in der Perikeiromene erinnert: Caeli, Lesbia nostra, Lesbia illa, illa Lesbia, quam Catullus unam plus quam se atque suos amavit omnes, nunc in quadriviis et angiportis glubit magnanimos Remi nepotes.14
Die Empfindung ist heftig, aber das Gefühl ist offensichtlich eher Abscheu als Eifersucht (ich bin nicht davon überzeugt, dass Catull dieses Gefühl in Verbindung mit Lesbia überhaupt je zum Ausdruck bringt). 13 14
Catull c. 109; cf. Reitzenstein 1940; Büchner 1974: 256–57. Catull c. 58; die Wiederholung des Namens des Geliebten ist in Ausrufen der Hingabe üblicher als in solchen der Verzweiflung, z. B. Anacreon 359, zitiert von Nisbet und Hubbard 1970: 171 ad Horaz 1.13.1–2.
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Catulls Bild eines lebenslangen Bandes der Zuneigung im letzten Distichon von c. 109 hatte beträchtlichen Einfluss auf spätere lateinische Dichtung, und es ist erkennbar, dass Horaz es im Kopf hatte, als er die Schlussverse der Ode 1.13 schrieb: 15 Cum tu, Lydia, Telephi cervicem roseam, cerea Telephi laudas bracchia, vae meum fervens difficili bile tumet iecur. tum nec mens mihi nec color certa sede manet, umor et in genas furtim labitur, arguens, quam lentis penitus macerer ignibus. uror, seu tibi candidos turparunt umeros inmodicae mero rixae, sive puer furens inpressit memorem dente labris notam. non, si me satis audias, speres perpetuum dulcia barbare laedentem oscula, quae Venus quinta parte sui nectaris imbuit. felices ter et amplius quos inrupta tenet copula nec malis divolsus querimoniis suprema citius solvet amor die.
Deutlicher ist freilich Horaz’ Anspielung auf die Beschreibung emotionaler Symptome in Catull 51: Ille mi par esse deo videtur, ille, si fas est, superare divos, qui sedens adversus identidem te spectat et audit dulce ridentem, misero quod omnes eripit sensus mihi: nam simul te, Lesbia, aspexi, nihil est super mi lingua sed torpet, tenuis sub artus flamma demanat, sonitu suopte tintinant aures geminae, teguntur lumina nocte. otium, Catulle, tibi molestumst: otio exsultas nimiumque gestis: otium et reges prius et beatas perdidit urbes.
15
Cf. perpetuum, v. 14. Zur Übertragung von vinculum, catena, foedus, und ähnlichem auf nicht-eheliche Beziehungen siehe La Penna 1951: 187–95; Nisbet und Hubbard 1970: 177–78 ad v. 18; zu Horaz’ «ambiguous acknowledgement and suppression of Catullus,» und seiner «technique of inverting or reversing Catullan models» siehe Hubbard 2000 (Zitate auf pp. 31, 36; Bibliographie auf p 25 n. 3).
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Catulls Gedicht ist natürlich eine Übersetzung von Sappho 31, abgesehen (vielleicht) von der letzten Strophe. Obwohl Sapphos und Catulls Gedicht (wie das des Horaz) jeweils drei Figuren entha1ten – den Sprecher; den Adressaten (in beiden Fällen eine Frau, die die Ursache für den Zustand des Sprechers ist); und einen Mann, der ruhig dasitzt und sie ansieht – zeichnet keines von beiden, möchte ich behaupten, die Auswirkungen von Eifersucht, obwohl die überwiegende Mehrheit der Forscher heute übereinstimmend vom Gegenteil überzeugt ist.16 In den Gedichten geht es eher um die Auswirkungen leidenschaftlicher Liebe auf den Liebenden. Die Funktion der dritten Person, die der Geliebten gegenüber sitzt, ist es, die außergewöhnliche Reaktion des Liebenden hervorzuheben: Dieser Mann muss ein Gott sein, wenn er es vermag, so nahe bei der Geliebten zu sitzen, eine intime Unterhaltung mit ihr zu führen und mit ihr zu lachen und dennoch immun gegenüber ihrem Einfluss zu bleiben, der eine derart verheerende Wirkung auf den Liebenden hat. Der Punkt ist natürlich, dass dieser Mann nicht verliebt ist. Nach Sappho werden die Symptome, die sie beschreibt, die traditionellen Anzeichen für Liebe oder Liebeskummer.17 In Horaz’ Ode ist die dritte Person, Telephus, nicht anwesend; vielmehr hört die persona des Dichters zu, als die Adressatin des Gedichtes, Lydia, von den Reizen des anderen schwärmt. Die persona, und durch sie der Leser, hören die Worte zufällig mit, anders als in den Gedichten Sapphos und Catulls, wo der Anblick der Geliebten die Ohren des Sprechers verschließt (sonitu suopte tintinant aures geminae) und die Unterhaltung der ihm gegenüber Sitzenden nicht festgehalten wird.18 Was Lydia sagt, das ist es, was eine physische Reaktion beim Sprecher auslöst (cum … tum, 1–5). Lydia, das sehen wir, ist vernarrt in Telephus, und wir haben keinen Grund zu glauben, dass dieser Umstand in den Gedichten 16
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Siehe, z. B., Romano 1991: 535–36: «La trattazione del tema della gelosia e la descrizione dei sintomi patologici di essa avevano un celebre archetipo, il carme 31 L.-P. di Saffo …, che a Roma era stato imitato da Valerio Edituo … e, sopratutto, da Catullo;» Owens 1992: 241: «in Catullus 51, the poet is jealous of another man who enjoys Lesbia’s affections.» S. jedoch Furleys 2000 energische Kritik dieser Interpretation. Furley vertritt die Ansicht, dass der Mann, dem Sappho gegenübertritt, gottgleich ist «because he does not succumb to the gin’s charms even when exposed to their full force at such close proximity …; there is no question of Sappho feeling jealous of the foil she introduces merely to underline her own predicament» (13) und verweist darauf, dass diese Interpretation bereits bei Radt 1970: 340–43 und Bremer 1982: 114 erscheint. Furley neigt hingegen dazu, das Wirken von Eifersucht in Catulls Bearbeitung von Sapphos Gedicht zu erkennen, vielleicht weil er Sappho in dieser Weise gelesen hatte «or he may have deliberately refashioned the original to serve his own purposes» (14). Für Furley erklärt die Umstellung sexueller Rollen (Catulls Sprecher ist ein Mann) mindestens zum Teil, weshalb «Catullus’ poem invites interpretation along the lines of jealous love» (15). Nisbet und Hubbard 1970: 173 ad v. 5 zitieren Callimachus Epigramm 43.1–2, Apollonius Rhodius 3.297–98, Theocritus 2.106 ff., Asclepiades Anthologia Palatina 12.135, Lucian Jup. Trag. 2, und Plutarch Vita Demetrii 38.4 auf der griechischen Seite; auf der lateinischen Valerius Aedituus Epigramm 1.2 ff. (zitiert in Aulus Gellius 19.9.10) und Ovid Metamorphosen 9.535 ff. Cf. Stendhal 1916 (orig. 1822) 124, der im Kapitel «Of Jealousy» auf die Neigung eifersüchtiger Liebender hinweist, to «exaggerate the happiness of your rival, exaggerate the insolence happiness produces in him … The only remedy is, perhaps, to observe your rival’s happiness at close quarters. Often you will see him fall peacefully asleep in the same salon as the woman, for whom your heart stops beating, at the mere sight of a hat like hers some way off in the street.» Obwohl Eifersucht hier ihre Wirkung entfaltet, ist der Kontrast, den Stendhal hier entwirft, der zwischen der Non-Chalance des Rivalen, dessen tiefste Gefühle nicht berührt worden sind, und der Erfahrung tiefer und echter Liebe. Horaz’ Sprecher behält auch seine Stimme und die Fähigkeit zu argumentieren, cf. Ancona 1994: 123, und anders Epoden 11.9–10.
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Sapphos und Catulls eine Parallele hat. Was aber empfindet der Sprecher in Horaz’ Ode dann? Quinn hält es in seinem Kommentar (1984: 149) für sicher, dass er eifersüchtig ist, aber Nisbet und Hubbard (1970: 174 ad v. 9), lassen – vorbildlich zurückhaltend – die Möglichkeit offen, dass Horaz’ Sprecher, wie der Sapphos und Catulls, in der Gewalt erotischer Leidenschaft ist, oder eigentlich eher in der des Zorns als der Eifersucht (cf. Ancona 1994: 123). So bemerken sie zu lentis (8): «Das Wort zeigt die lang anhaltende Qual von Horaz’ Liebe»,19 und zu penitus: «man glaubte, dass Liebe die Knochen angreift, und insbesondere das Mark.» Bezüglich uror schreiben Nisbet und Hubbard: «In erotischer Dichtung bezieht sich uri normalerweise auf Liebe, aber es gibt keinen Grund, warum es nicht für eine kompliziertere Kombination von Gefühlen verwendet worden sein sollte», und sie verweisen den Leser auf Epistulae 1.2.12: hunc amor, ira quidem communiter urit utrumque. Hier sehen wir die Komplexität der Eifersucht als Emotion: Wenn er nicht verliebt ist in Lydia und zugleich aufgebracht oder verärgert über ihre Beziehung zu Telephus, wird Horaz’ Sprecher nicht eifersüchtig sein. Die Kombination von Symptomen allein kann die Frage nicht beantworten, ob diese Bedingungen vorliegen. Aber auch wenn Horaz’ persona in Lydia verliebt ist oder war, mag er dennoch in diesem Moment entweder Zorn empfinden oder Neid oder ein plötzliches Wiederausbrechen erotischer Leidenschaft – jede dieser Emotionen würde ausreichen, um seine Reaktion zu erklären. So bleibt die Frage, ob Horaz Eifersucht als einzelne, eigenständige Emotion identifiziert hat oder ob er doch eher eine Ansammlung klar erkennbarer Gefühle wahrgenommen hat, wo wir nur ein einziges sehen. Obwohl die Symptome, die Horaz beschreibt, dem konventionellen LiebeskummerSyndrom in klassischer Literatur ähneln, hat ein moderner Leser wie Quinn kein Problem damit, sie als Anzeichen für Eifersucht zu verstehen. Die Psychologin Leila Tov-Ruach schreibt: «Eifersucht kann, wenn sie als Gefühl erfahren wird, starke Schwindelgefühle wie Ohnmacht oder Bewusstlosigkeit zur Folge haben oder ein Gefühl erheblicher Desorientierung und Dissoziation» (1980: 470; cf. 471), und die Schauspielerin Jeanne Moreau sagt: «Eifersucht ist mehr als ein Gefühl, es ist eine schreckliche Empfindung, so heftig, dass sie einen von Kopf bis Fuß durchschüttelt, der ganze Körper beginnt zu zittern, man ist nahe daran, das Bewusstsein zu verlieren (zitiert in Chapsal 1977: 16). Für uns ist Eifersucht eine genau definierte Emotion mit charakteristischen Ursachen und Ausdrucksformen. Quinn hat sicherlich Recht (1984: 149 ad vv. 9–12), wenn er sagt, das, was Horaz in Wallung bringt, sei «nicht Lydias Schönheit, sondern der Beweis für die Leidenschaft ihres neuen jungen Liebhabers». Und dennoch übersieht er etwas Wesentliches: Er geht davon aus, dass Eifersucht eine genau definierte Leidenschaft in klassischer erotischer Literatur ist, und bemerkt deshalb nicht, dass Horaz’ Originalität genau darin liegt, dass er die Symptome, die normalerweise mit Verliebtheit verbunden sind, in diesen neuen Kontext übertragen hat, der die Vernarrtheit der Geliebten in einen anderen beinhaltet. Obwohl er die Drei-Personen-Struktur der Gedichte Sapphos und Catulls beibehält, hat Horaz in Wirklichkeit ein ganz und gar neues Szenario konstruiert. 20
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Cf. Gauly 1995: 93; West 1967: 65, und später denkt Radici Colace 1985: 53–59 an kulinarische Metaphorik. Heute ist das Szenario ein romantischer Gemeinplatz. Siehe z. B. Fragoulis 2001: 147: «Ariadne put on some clothes, made some tea and then told the story of her six-day lovefest in intimate detail, as Medea sat pokerfaced, absorbing the information and watching her friend’s changing expressions without blinking her envious, evil eye.» Zuvor, als sie von der Affäre ihres Freundes erfährt, «Medea shook with jealousy
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Horaz’ Sprecher stellt sich nicht selbst offen als Lydias ständiger Partner vor, obgleich seine heftige Reaktion auf ihre aktuelle Verliebtheit es nahelegt, dass er es implizit tut.21 In Catull c. 109 werden zwei alternative Formen von Beziehung gezeigt, die für die persona des Dichters erreichbar sind: eine kurze Affäre (amorem) und ein ewiges Band der Freundschaft (cf. mihi, nobis). Lesbia bietet ihm die eine an, aber er wünscht sich die andere. Indem Horaz Lydia als erotisch interessiert an einer dritten Person darstellt, stellt er einen doppelten Gegensatz in seinem Gedicht her: Auf der einen Seite haben wir die Spannung zwischen ihm selbst und Telephus als Objekte von Lydias Zuneigung; und auf der anderen Seite haben wir den Kontrast zwischen zwei Arten von Liebe, die eine dauerhaft, die andere leidenschaftlich, aber vorübergehend. Horaz’ persona leidet nicht nur, weil Lydia nicht die Seine ist, sondern weil sie die Art von Affäre, die er ablehnt, derjenigen Art von Liebe vorzieht, die er selbst, wie wir annehmen dürfen, zu bieten hat. 22 Indem er den Kontrast zwischen den beiden Arten von Liebe aus Catull c. 109 in das Drei-PersonenSzenario einbaut, das er Catull c. 51 entlehnt, macht Horaz aus Lydias Bevorzugung eines Rivalen eine Zurückweisung nicht nur seiner selbst als eines Liebenden, sondern auch seiner ureigenen Art zu lieben. Tov-Ruach (1980: 471) erklärt, dass eifersüchtige Furcht dann auftritt, «wenn die Wahrnehmung einer Gefahr für einen Aspekt der eigenen Identität eine Reihe obsessiver, szenarienkonstruierender Gedanken generiert,» die «in der Regel die Konstruktion lebhafter Geschichten enthalten, wobei die eifersüchtige Person Voyeur ist bei einer endlosen Serie von Episoden, die ihr Schmerz bereiten.» Wir müssen keineswegs Tov-Ruachs psychoanalytisches Grundgerüst akzeptieren, um zu erkennen, wie zwingend ihre Beschreibung moderner romatischer Eifersucht ist. Und dennoch ist eine solche Eifersucht keine natürliche oder überall bekannte Emotion, sondern eine, die auftritt unter bestimmten Bedingungen und in spezifischen Formen. Ich denke, Horaz’ eigene soziale Welt begünstigte eine derartige Entwicklung, aber sie bedurfte einer dichten und exemplarischen Darstellung. Ich möchte vorschlagen, dass Horaz, indem er Elemente aus zwei Gedichten Catulls, die ihrerseits wiederum auf Sappho und auf eine bemerkenswerte Szene im Eunuchus des Terenz anspielen (eine Komödie, die Horaz gut kannte: cf. Satires 2.3.259–71), ein archetypisches
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and rage» (144). Ein frühes Beispiel ist die Beschreibung von Chaireas’ zêlotypia in Charitons Roman Callirhoe (1.3.4–6, 1.4.8); Paglialunga 2000 bemerkt, dass die Symptome von Chaireas’ Eifersucht denen des Liebeskummers ähneln. Quinn vergleicht Lydias Rolle in anderen Oden des Horaz (1.8, 1.25 und 3.9) und nimmt an, dass Lydia früher Horaz’ Geliebte gewesen sei und dass sie Horaz, indem sie ihn bezüglich ihres neuen Geliebten ins Vertrauen zieht, «einer ausgesuchten Tortur aussetzt», während er versucht, mannhaft seine Distanz aufrecht zu erhalten (Quinn 1984: 149; cf. 150 ad vv. 15–16: «confirming the suspicion that Lydia was once H.’s mistress»; ebenso Maleuvre 1990: 132–37). Quinns Story passt natürlich zur Eifersucht: Wenn es niemals eine Beziehung zwischen Horaz’ persona und Lydia gegeben hätte, dann müsste man seine Emotion eher als Neid identifizieren – eine Möglichkeit, die man nicht ausschließen kann. Aber weil der Sprecher seine Qual gleich zu Beginn zum Ausdruck bringt, ist es schwer zu glauben, dass er hier «die Rolle des leicht in die Jahre gekommenen Beobachters der menschlichen Komödie» annimmt. Anstatt phantasievolle Geschichten zusammenzubasteln, wo der Dichter die Dinge absichtlich im Unklaren lässt, sollten wir uns dem Kontrast zuwenden, den Horaz in den letzten Versen der Ode einführt, dem Kontrast zwischen Lydias heftiger, aber vorübergehenden Leidenschaft und dem lebenslangen Band der Zuneigung. Ancona 1994: 122–25 akzeptiert die zwei unterschiedlichen Ideale von Liebe, betont aber die Spannung zwischen Horaz’ Wunsch, Lydia zu beherrschen, und der Ursache für diesen Wunsch, der in Lydias Beziehung zu Telephus liegt.
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Szenario kreiert hat, das dem sehr nahe kommt, was eine spätere Epoche als erotische Eifersucht betrachten sollte. 23 Wollen wir es ihm zuschreiben, ihr Entdecker gewesen zu sein?
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Stroh 1993: 170 sagt zu diesem Gedicht: «an quisquam gnavius ac copius illius affectus vim descripsit, qui cum apud Romanos proprio nomine careat, a posteris plurimis Graeca voce dicitur zelotypia (i.e. ‹Eifersucht,› ‹gelosia› )?»
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Die Kulturentstehungslehre des Poseidonios. Wege zu ihrer Rekonstruktion
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Robert Bees
Die Kulturentstehungslehre des Poseidonios. 0 Wege zu ihrer Rekonstruktion*0 I. Poseidonios aus Apameia, genannt der Rhodier, ist zweifellos einer der bedeutendsten Vertreter in der 500jährigen Geschichte der Stoa. Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. von Zenon gegründet, wurde sie schnell zur führenden Schule des Hellenismus, verdrängte die älteren Philosophenschulen, Akademie und Peripatos, und überflügelte mit Leichtigkeit die kurz zuvor eröffnete Institution Epikurs. Am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. hatte sich Platons Akademie längst zur Skepsis gewandelt, die in Philon von Larissa ihren letzten Vertreter fand, bevor Antiochos von Askalon zu einer umfassenden Neuformierung antrat, einer Modifikation akademischer Lehre durch Übernahme stoischer Elemente. Dies ist ihm so gut gelungen, daß es hieß, er hätte nur weniges zu ändern brauchen, um ein ‹waschechter Stoiker› zu sein1. Der Peripatos gab schon mit Aristoteles’ erstem Nachfolger Theophrast Lehren des Gründers auf, um der Stoa zu widersprechen (die ihrerseits aristotelisches Gut übernommen hatte), und fand auch in den weiteren Schulhäuptern keinen nur annähernd so herausragenden Wissenschaftler mehr. Die Schule Epikurs, der sogenannte Kepos blieb, was er von Anfang an war, ein Hort von Intellektuellen, deren Lehren nur begrenzte Wirkung hatten. Orthodoxe Anhänger wie Philodem legten wie immer schon penibel die Schriften des Meisters aus und machten es sich zur Aufgabe, mit allerlei Spitzfindigkeiten die Argumentation der Stoiker zu verdrehen und längst widerlegte Beweise gegen sie vorzubringen2. In diese Zeit – des Umbruchs auf der einen, des Stillstands auf der anderen Seite – gehört auch Poseidonios, der um 135 im syrischen Apameia geboren wird. Stoische Philosophie lernt er in Athen bei Panaitios; mit ihm zusammen wird er zur mittleren Periode der Stoa gerechnet. Poseidonios eröffnet seine Schule auf der Insel Rhodos, der Heimat seines Lehrers. Sie muß von einiger Bedeutung gewesen sein. So wissen wir etwa, daß Cicero ihr im Rahmen einer Bildungsreise einen Besuch abstattete, Pompeius sogar zweimal auf seiner
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* Antrittsvorlesung an der Universität Tübingen, gehalten am 8. Mai 2002. Eine ausführliche Behandlung werde ich im Rahmen eines Projektes der Fritz Thyssen Stiftung vorlegen. 1 Cic., ac. 2.132: qui appellabatur Academicus, erat quidem, si perpauca mutavisset, germanissimus Stoicus. Darstellung der Lehre bei Görler (1994, S. 938 ff.). 2 Der neuplatonische Philosoph Numenios (2. Jh. n. Chr.) hat die Situation im Rückblick treffend beschrieben, wenn er die Schule Epikurs mit einem harmonischen, friedvollen Staat vergleicht, während in der Stoa von den Gründern an bis in seine Zeit Stasis – ‹innerer Zwist› (weniger polemisch: Meinungsvielfalt) herrsche (fr. 24 des Places). Der ‹unorthodoxe Epikureismus› (Erler 1992) bleibt dagegen eine moderne Wunschvorstellung ebenso wie Philodem als ‹Panaitios des Kepos› (Erler 1992a).
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Mission in den Osten vorbeikam3. Poseidonios übertraf durch die Breite seiner Forschung, eigenwillige und neuartige Ansätze wie in der Anthropologie und Ethik, gewiß alle zeitgenössischen Philosophen. Seine Wirkung erhellt schon dadurch, daß von keinem anderen Stoiker außer dem Schulgründer Zenon und seinem zweiten Nachfolger, Chrysipp, eine größere Zahl namentlich bezeugter Fragmente erhalten ist. Poseidonios’ Lehre zu rekonstruieren, so könnte man meinen, sei angesichts der Quellenlage nicht besonders schwierig. Doch zeigt schon die Existenz von zwei grundsätzlich verschiedenen Sammlungen, daß die Sache so einfach nicht ist. Auf der einen Seite steht das von Edelstein in den dreißiger Jahren begonnene und Kidd 1972 vollendete Werk, das allein das namentlich Bezeugte berücksichtigt 4, auf der anderen Seite die Sammlung von Theiler (erschienen 1982) 5, der auch das, was Poseidonios von der gelehrten Forschung zugeschrieben wurde, wo sein Einfluß mittels philologischer Kritik erschlossen wurde, als Fragment wertet. Es scheint, daß auch angesichts des Dilemmas (soll man sich allein auf das sicher Bezeugte stützen oder das lediglich Vindizierte dazu nehmen?) die wissenschaftliche Beschäftigung mit Poseidonios ins Stocken geraten ist. Diesen Eindruck jedenfalls muß man gewinnen, wenn man die spärlichen Einträge in L’Année Philologique vergleicht etwa mit dem, was zur Stoa sonst, nicht zu reden von Platon oder Aristoteles, publiziert wird. Meines Erachtens führt ein einziger Weg aus dieser Situation, und der heißt: alle Zeugnisse, die nur bei Theiler als Fragment gelten, auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen und an dem dann Gesicherten alles andere, was ihm in der gelehrten Literatur zugeschrieben, wo sein bestimmender Einfluß gesehen wurde, ohne explizit benannt zu sein, völlig neu zu bewerten. Der Zugang ist ein wissenschaftsgeschichtlicher. Denn der sogenannte «Panposidoneismus», wie Howald6 das Bestreben einst treffend nannte, immer und überall Poseidonios zu erkennen, ist eine Frucht des 19. Jahrhunderts. Es war Corssen, der mit seiner 1878 erschienenen Dissertation über die Abhängigkeit Ciceros von Poseidonios im ersten Buch der Tusculanen und dem Somnium Scipionis eine ganze Forschungsrichtung begründete7. Die sogenannte ältere Quellenforschung erreichte ihren Höhepunkt 30, 40 Jahre später. So konnte Binder 1905 stolz verkünden: «Von allen Zweigen schallt uns der Name des unermüdlichen Gelehrten und fruchtbaren Schriftstellers entgegen»8. Bloße Ähnlichkeit des Gedankens, Kombination mit anderen bloß vindizierten Zeugnissen, reichte damals schon aus, um die Abhängigkeit eines ganzen Werkes von Poseidonios zu konstatieren. In eine neue Richtung wollte Reinhardt mit seinen zwei – 1921 und 1926 erschienenen – Monographien weisen9. Neu waren jedoch weniger die herangezogenen Texte als vielmehr die Methode: ‹innere Form, literarische Analyse›. Gemeint ist damit der Versuch, ausgehend vom Bild vornehmlich des Naturforschers, Aitiologen, auch dort Zeugnisse für Poseidonios zu gewinnen, wo er namentlich nicht genannt ist, seine Handschrift exzerpte-
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Poseidonios T 29, 35 ff. EK. Edelstein, Kidd (1972). Theiler (1982). Howald (1921, S. 187). Corssen (1878). Binder (1905, S. 7). Reinhardt (1921 und 1926)
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weise in fremdem Kontext jedoch zu fassen sei. Einen Fortschritt bedeutete dieses Verfahren de facto freilich nicht, denn Reinhardt ging mit offenkundiger Willkür vor, was von der gelehrten Kritik gelegentlich auch erkannt wurde 10. Dennoch, es besteht kein Zweifel, daß wesentliche Ergebnisse bis heute fortwirken, da eine methodisch gesicherte Auseinandersetzung nicht stattgefunden hat.
II. Die geschilderten Probleme der Poseidonios-Forschung gelten auch für den gesamten Bereich der Kulturentstehungslehre und die Frage nach ihrer Rezeption vor allem in römischen Kulturgeschichten. Die Lösungsmöglichkeiten sind freilich, wie zu zeigen sein wird, noch keineswegs ausgeschöpft. Das einzige sichere Zeugnis, das wir haben, ist Senecas 90. Brief an Lucilius, der sich ausführlich und kritisch mit Poseidonios auseinandersetzt, doch so, daß Position und Gegenposition nicht immer leicht auseinanderzuhalten sind. Die Unklarheit darüber, wo Poseidonios’ Auffassung referiert ist, wo Seneca kommentiert, wo er seine eigene Konzeption vorträgt, äußert sich auch in unterschiedlichen Abgrenzungen in den Fragmentausgaben (F 284 EK bzw. F 448 Th). Am restriktivsten verfuhr übrigens Bake in der ersten Ausgabe der Fragmente von 1810 (vor dem Aufkommen des ‹Panposidoneismus›!), der nur die Abschnitte ausschreibt, in denen Poseidonios explizit genannt ist 11. Dazu kommt, und dies ist wohl das größte Problem bei der Rekonstruktion, daß man versucht hat, aus vielerlei späteren Zeugnissen die Auffassung des Poseidonios zu erschließen. So hat Jaeger in der Schrift des Nemesios ‹Über die Natur des Menschen› ein Stück aus der Kulturentstehungslehre des Poseidonios zu fassen geglaubt12, und Reinhardt wollte aus der Einleitung zu Vitruvs zweitem Buch ‹De architectura› ein Kapitel über die Entwicklung des Hausbaus zurückgewinnen13. Daneben erkennt die communis opinio seit dem 19. Jahrhundert noch die Rezeption des Poseidonios in den populären Darstellungen von Urzeit und Entwicklung bei Cicero, Manilius und anderen römischen Autoren und versucht (bewußt oder unbewußt), von dort zurückzuschließen. Ein klarer Fall von ‹Panposidoneismus› also! Ein Ausweg aus der Sackgasse, in der sich die Diskussion zweifellos schon lange befindet, scheint mir durchaus möglich. Er erfordert jedoch ein konsequentes Vorgehen. Ausgangspunkt kann nur das Gesicherte sein, d. h. Senecas 90. Brief. Man wird sich aber nicht mehr mit isolierter Interpretation begnügen können, wie dies im allgemeinen bei der Beschäftigung mit Poseidonios noch üblich ist, vielmehr auch die relevanten altstoischen Zeugnisse einbeziehen müssen, um so Poseidonios’ Lehre innerhalb der stoischen Philosophie, d. h. systemimmanent, zu erklären. Nur so jedenfalls kann das Spezifische, Originelle bestimmt werden, an dem dann die populären Darstellungen zu messen sind, in denen man eine direkte Abhängigkeit von Poseidonios zu fassen glaubt. 10
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Vgl. hierzu die Auseinandersetzung bei Reinhardt (1953, S. 611 ff.) und den Überblick bei Steinmetz (1994, S. 679). Bake (1810, S. 33 ff.). Jaeger (1914, S. 123 ff.). Reinhardt (1921, S. 402 ff.).
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Beginnen wir mit Senecas 90. Brief! Thema ist nicht eigentlich die Kulturentstehung, sondern das Auftreten und die wahre Aufgabe der Philosophie. Beides jedoch geht ineinander über, beides ist mit einer Polemik gegen Poseidonios verbunden, und dies hat zu mancherlei Problemen in der Interpretation geführt, da nicht immer klar zwischen den Ansätzen der beiden Stoiker geschieden wurde. Feststehen sollte zumindest, daß Seneca zustimmt, soweit es um die grundsätzliche Charakteristik der Urzeit geht (hactenus Posidonio adsentior § 7). Demnach folgten die ersten Menschen ‹unverdorben der Natur› ( primi mortalium … naturam incorrupti sequebantur § 4). Die Stärksten und zugleich Besten herrschten, und das waren die Weisen, die den Schwächeren ihre Hilfe zuteil werden ließen (§ 5). Auch dies wird nach dem Kriterium ‹Natur› bewertet: naturae est enim potioribus deteriora summittere – ‹es entspricht der Natur, das Geringere dem Besseren unterzuordnen› (§ 4). An späterer Stelle des Briefes nennt Seneca die Menschen der ersten Zeit ‹unschuldig› (innocentes § 46) und nennt ihre Epoche fortunata tempora, ‹glückliche Zeiten› (§ 36). Da für ihn kein Geschlecht je glücklicher war (quid hominum illo genere felicius? § 38), so versieht Seneca es mit dem Attribut ‹Goldene Zeit› (illo ergo saeculo quod aureum perhibent § 5), das er an anderer Stelle als Bezeichnung für das ‹beste Zeitalter› vorstellt (ep. 115.13). Erst in einer späteren Phase der Entwicklung kommt es zu Fehlhaltungen unter den Menschen. Die weisen Philosophen, denen man ursprünglich als Führer und Gesetz folgte (eundem habebant et ducem et legem § 4) ziehen sich zurück, erlassen jedoch staatliche Gesetze (§ 6). Vorher, so ist zu schließen, gab es nur das Gesetz der Natur, das von den Philosophen verkörpert wurde, die das stoische Telos des naturgemäßen Lebens erreicht hatten. Die Urgesellschaft wird demzufolge nach dem stoischen Maßstab
/secundum naturam vivere bewertet. Antike Kulturentstehungslehre ist immer philosophische Spekulation; denn eine empirisch vorgehende anthropologische Wissenschaft, gar ein Fach ‹Vor- und Frühgeschichte›, gab es nicht. Nach Senecas Zeugnis lehrte Poseidonios, daß die sapientes, die Weisen der Urzeit, vielerlei Techniken und Werkzeuge des alltäglichen Gebrauchs erfunden haben: so etwa Hausbau, die Förderung und Bearbeitung des Metalls, die Webkunst, das Mahlen von Getreide usw. Dies wird mit zahlreichen Belegen und lateinisch wiedergegebenen Zitaten illustriert, deren authentischer Charakter außer Frage steht. Leitendes Prinzip dabei ist die Auffassung, daß die Technik in Nachahmung der Natur entstanden ist. Dieses läßt sich schon bei Demokrit erkennen (B 154 DK), der den Menschen als Schüler der Tiere bezeichnete, so im Weben als Schüler der Spinne, im Hausbau der Schwalbe, im Gesang der Vögel. Natur steht dabei stets für das, was die Tiere in ihren Handlungen bewirken, Kunst für das, was der Mensch schafft. So verstand es Aristoteles, der in einem berühmten Abschnitt der Physik beide Bereiche in einen sehr engen Zusammenhang stellt, insofern ‹die Kunstfertigkeit teils zur Vollendung bringt, was die Natur nicht zu Ende bringen kann, teils ihr nacheifert› (199a15 ff.). Prägnant formuliert in dem Satz: π κ – ‹Die Kunst ahmt die Natur nach› (194a21 f.). Es ist somit kein grundsätzlich neuer Ansatz, wenn Poseidonios die Erfindung von Mahlen und Backen nach dem Vorbild des menschlichen Kauvorganges deutet (§ 22 f.): Die Funktion der Mühlsteine setzt er in Parallele zum Wirken der menschlichen Zähne und das Backen in Parallele zur Vermischung der gekauten Weizenkörner mit Speichel. Der Weise, der die Brotherstellung erfindet, wird so zum Nachahmer der Natur (§ 22).
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Neu gegenüber früheren Ansätzen ist allerdings die Einbettung in eine Philosophie der Natur, d. h. die systemimmanente Erklärung. Sie findet sich bei Cicero, leg. 1.26 innerhalb eines Abschnittes, der auf gemeinstoischer Lehre basiert14: artes vero innumerabiles repertae sunt docente natura, quam imitata ratio res ad vitam necessarias sollerter consecuta est – ‹unzählige Fertigkeiten sind erfunden worden, und Lehrmeisterin war dabei die Natur, durch deren Nachahmung die menschliche Vernunft mit Geschicklichkeit die zum Leben notwendigen Dinge sich schuf›. Aus demselben Zusammenhang stammt eine Bemerkung bei Philon, wonach die Natur ‹Quelle, Wurzel und Grundlage› von Technik und Wissenschaften darstellt 15. Den Ausgangspunkt bildet die Lehre Zenons. Nach Cicero, nat. deor. 2.57 verglich er die menschliche Kunst, die mittels der Hand bewirkt wird, mit dem Vorgehen der Natur, die er als ‹künstlerisches Feuer› versteht (ignis artificiosus). Das Feuer, d. h. die Allnatur, die alles hervorbringt, ist auch ‹Lehrmeister aller übrigen Künste›: magister artium reliquarum (wie in dem zitierten Stück aus ‹De legibus›). Was von Cicero überliefert wird, ist durch Paralleltexte gesichert16. Im übrigen ist dieses Verständnis der Natur als einer Künstlerin (sie heißt bei Cicero: artifex bzw. opifex) für die gesamte altstoische Theologie von Bedeutung. Ich betone dies auch deshalb, weil nach der communis opinio im zweiten Buch ‹De natura deorum› hauptsächlich Poseidonios’ Lehre referiert ist, vermischt mit einigen altstoischen Inhalten. Es läßt sich jedoch zeigen, daß die Darstellung einem einheitlichen Plan folgt und dort, wo nichts anderes angegeben ist, auf den Prämissen Zenons beruht. Poseidonios, so belegen die Parallelberichte, war im wesentlichen konform mit zenonischer Kosmologie und hat nur in vereinzelten Punkten modifiziert17. Dasselbe gilt für das Prinzip der Naturnachahmung in seiner Kulturentstehungslehre, das wir mit den parallelen Belegen nun auf Zenon selbst zurückführen können. Was Poseidonios möglicherweise geleistet hat, ist aber die alte Lehre mit neuen Beispielen zu bestätigen; deshalb wohl auch verbindet Seneca sie mit seinem Namen. In einem entscheidenden Punkt ist er völlig anderer Auffassung als Poseidonios, und dies ist auch der Grund, warum er sein Thema ‹Die wahre Aufgabe der Philosophie› (§ 1 ff.) mit Kritik an der Kulturentstehungslehre verbindet: daß die Fertigkeiten des täglichen Gebrauchs von Philosophen erfunden wurden, will Seneca keinesfalls akzeptieren (§ 7). Für ihn waren es Handwerker, Praktiker, die im Laufe der Zeit die artes erfunden und allmählich weiterentwickelt haben. Die Aufgabe der Philosophie, ihre einzige, sei es hingegen, ‹die Wahrheit über göttliche und menschliche Dinge zu finden› (huius opus unum est de divinis humanisque verum invenire § 3). Dies stimmt nicht zufällig zur stoischen Definition der Philosophie als einer ‹Wissenschaft von göttlichen und menschlichen Dingen›, die Seneca im thematisch verwandten 89. Brief bespricht (§ 5) 18. Die Erfindung der Technik nimmt Se14 15 16 17 18
Zu Recht aufgenommen in Stoicorum Veterum Fragmenta (II 1162). Philon, quis rer. div. her. 116. Sie sind zusammengestellt in SVF I 171. Vgl. hierzu Bees (2004, S. 120 ff.). Vgl. ferner SVF II 35 f., 1017. Fehl geht die Bewertung der Definition Sen., ep. 89.5 als beliebige «Universalitätsformel» bei Männlein-Robert (2002, S. 27 f.). Seneca setzt sich mit dem – von ihm abgelehnten – weitergehenden Anspruch des Posidonios auseinander, der gemeinstoischen Definition die Frage nach den Ursachen anzufügen. Dies scheint der Verfasserin unklar zu sein wie auch im Falle der angeführten CiceroStellen (Tusc. 5.7, off. 2.5 [S. 25 f.]), die denselben sachlichen Hintergrund haben (vgl. hierzu Steinmetz
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neca davon aus: non est, inquam, instrumentorum ad usus necessarios opifex … artificem vides vitae – ‹Die Philosophie stellt keine Geräte her … sie ist Künstlerin des Lebens› (§ 27). Damit ist der Bezug zu dem eigentlichen Anliegen des Briefes ausgesprochen: non enim dat natura virtutem: ars est bonum fieri – ‹nicht die Natur verleiht die Tugend, eine Kunst ist es, sittlich gut zu werden› (§ 44). Den Menschen der Urzeit kann Seneca, obgleich sie naturgemäß gelebt haben, den Status des ‹sittlich guten Lebens› nicht zuerkennen. Denn ‹aus Mangel an Kenntnis waren sie unschuldig› (ignorantia rerum innocentes erant § 46), Tugend aber erfordert Ausbildung und Übung. Ebenso spricht er den sapientes der ersten, ‹goldenen›, Zeit, in deren Hand nach Poseidonios die Herrschaft war (§ 5), nun den Status von Weisen ab: non erant illi sapientes viri, etiam si faciebant facienda sapientibus – ‹jene Männer waren keine Weisen, auch wenn sie leisteten, was von Weisen zu leisten ist› (§ 36). Schlechterdings gab es in der ersten Phase der Menschheit weder philosophische Kenntnis noch Träger philosophischer Weisheit. Und deshalb kann Poseidonios’ Darstellung der Kulturentwicklung durch technikerfindende Philosophen nicht zutreffen.
III. Die Frage, wie die Positionen von Seneca und Poseidonios zu altstoischer, «orthodoxer», Lehre stehen, hat man bislang nicht gestellt, obgleich hier der Schlüssel für die Frage nach der Tradition und Rezeption stoischer Kulturentstehungslehre liegt. Eine Antwort ist möglich, sofern man einige – weitgehend unbeachtete – Zeugnisse berücksichtigt. Und sie lautet: nicht Seneca folgt orthodoxer Lehre, wie man vielleicht angesichts seiner Polemik annehmen könnte, sondern Poseidonios. Der erste Beleg stammt von Diogenes von Babylon, einem Stoiker des zweiten Jahrhunderts v. Chr., der den Weisen ‹methodisch vollendet und gut in allen Künsten› nennt19. Dies stimmt zur gemeinstoischen Definition der Natur als ‹ein künstlerisches Feuer, das planvoll, methodisch zur Erzeugung schreitet› (κ ξ ρ , ²9 « D.L. 7.156). Die Charakterisierung ‹auf einem Weg fortschreitend› (²9 ), das heißt methodisch vorgehend, findet sich in dem schon zitierten Abschnitt Cicero, nat. deor. 2.57, wo ausdrücklich Lehre Zenons wiedergegeben wird: atque hac quidem ratione omnis natura artificiosa est, quod habet quasi viam quandam et sectam, quam sequatur – ‹die ganze Natur ist künstlerisch tätig, weil sie sozusagen eine bestimmte Methode und eine Handlungsweise hat, die sie befolgt›. Für unsere Frage von Bedeutung, daß sich dieselbe Charakteristik auch in Zenons Definition der Kunst findet: sie schafft etwas auf einem bestimmten Wege, mittels einer Methode, wie es in der beigegebenen Erläu-
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(1994, S. 683 f.). Zur historischen Verzerrung muß der übergeordnete Versuch führen, ‹Götter und Menschen› als Inhalt einer platonischen Definition der Philosophie zu erweisen, deren Herkunft den Späteren verborgen geblieben sei, bis sie von kaiserzeitlichen Platonikern und Aristotelikern wieder erfasst wurde. Während Platon weit entfernt war, nach der gängigen Beschreibung des von ihm gescholtenen Epos seine Philosophie zu bestimmen, hat Zenon die Welt als ‹Staat von Göttern und Menschen› gesehen (s. unten S. 24), und daraus ergibt sich ungezwungen das Thema seiner Philosophie (was selbstverständlich in der Antike allgemein bekannt war, weshalb er oder ein anderer Stoiker auch nicht namentlich genannt zu werden brauchte; sen., ep. 104.22 verweist jedoch ausdrücklich auf Chrysipp und Poseidonios [= T 81 EK], womit die Definition als gemeinstoisch klassifiziert ist.). ! "« #µ« ² !µ« $λ &« « « (fr. 117 [SVF III, p. 241]).
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terung heißt20. Bezeugt ist die Definition in entsprechender Weise auch für Kleanthes, den ersten Nachfolger Zenons21. Charakteristisch für das System der Stoa ist die Analogie zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos, zwischen der göttlichen Allnatur und der Natur des Menschen. Was in unserem Falle bedeutet: Wie die Allnatur als vollendete Künstlerin vorgeht, so auch der vernunftbestimmt handelnde Mensch. Damit entspricht der technikerfindende Weise dem künstlerischen Weltfeuer. Seneca dagegen betont – im Anschluß an die schon besprochene Erfindung von Mahlen und Backen: omnia ista ratio quidem, sed non recta ratio commenta est. hominis enim, non sapientis inventa sunt – ‹all dies hat die Vernunft, aber nicht die rechte Vernunft sich ausgedacht. Es sind Erfindungen des Menschen, nicht des Weisen› (§ 24). Mit dem Begriff recta ratio gibt Seneca das gr. '#µ« !(« wieder, und dieser Begriff bezeichnet die Weltvernunft, die Allnatur, in der monistischen Sicht Zenons jeweils nur ein Name für das eine göttliche Prinzip22. Nach der für Chrysipp überlieferten Telosformel bei Diogenes Laertios 7.88 bedeutet das Telos des naturgemäßen Lebens: nichts zu tun, was die ‹rechte Vernunft› verbietet, stets in Übereinstimmung mit dem Lenker des Kosmos zu handeln23. Der Weise wird dadurch charakterisiert, daß er das Telos, die volle Übereinstimmung mit der Natur, erreicht hat. Seine Seele, so heißt es in einem bezeugten Fragment Zenons, wurde von der ‹rechten Vernunft› mit ihren Lehrsätzen bestärkt 24. Wenn Seneca in seiner Kritik an Poseidonios die recta ratio als Ausgangspunkt der Erfindungen ausschließt, so können wir davon ausgehen, daß eben dies von Poseidonios behauptet wurde. Doch wie die Zeugnisse zeigen: wenn er das tat, dann in Anerkennung gemeinstoischer Auffassungen. Auf der anderen Seite: wenn Seneca die recta ratio bei den Erfindungen der Technai bestreitet, so ist er es, der von der Orthodoxie abweicht. Ich komme zu einem zweiten Beleg. Seneca bemerkt: non multum afuit quin sutrinum quoque inventum a sapientibus diceret – ‹nicht viel fehlte und Poseidonios hätte behauptet, auch das Schusterhandwerk sei von den Weisen erfunden worden› (§ 23). Es handelt sich bei dieser Behauptung nicht um eine Unterstellung, sondern in der Tat gibt es dafür eine Grundlage in gemeinstoischer Lehre. Dies läßt sich zeigen durch eine Stelle bei Horaz, sat. 1.3. ‹Der Weise allein›, so heißt es dort (v. 124 f.), ‹ist reich, ein guter Schuster, schön und ein König›. Um Horaz’ Verse zu verstehen, muß man wissen: der stoische Weise ist eine Überfigur, die alle guten Eigenschaften in sich vereint, die alles in vortrefflicher Weise kann25. Herausgefordert hat dieses Konzept die Gegner der Stoa schon immer, wie etwa Plutarch bezeugt: ‹Manche meinen, die Stoiker würden scherzen, wenn sie hören, nur der Weise sei verständig, gerecht und tapfer, nur er Redner, Dichter, Stratege, reich, ein König› 26. Letzteres sind Eigenschaften, die dem Weisen auch bei Horaz zugeschrieben werden, und es ließe sich eine Vielzahl von parallelen Belegen für dieses und Ähnliches anführen.
20 21 22 23 24 25 26
$λ )*« ²+, - # ² λ #(- & (SVF I 72). SVF I 490. Erkannt von Reinhardt (1921, S. 400). SVF III 4. SVF I 218. Vgl. die Zeugnisse SVF III 548 ff. SVF III 655.
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So auch das bereits zitierte Fragment des Diogenes von Babylon: ‹Der Weise allein ist ein guter Dialektiker, Grammatiker, Dichter, Redner und methodisch vollendet und gut in allen Künsten› 27. Zu dieser Bestimmung stellt sich die Bemerkung bei Horaz (v. 132 f.), der Weise allein sei Meister in jeder Kunst. Aber wie kommt Horaz gerade auf das Beispiel vom guten Schuster? Er nennt seine Quelle selbst. Chrysipp hat nach wörtlichem Zitat gelehrt: sapiens crepidas sibi numquam nec soleas fecit; sutor tamen est sapiens – ‹nie hat ein Weiser sich Schuhe oder Sandalen gefertigt; ein Schuster ist der Weise dennoch› (v. 126 f.). Wir haben hier zweifellos ein Fragment der alten Stoa vor uns, das in eine entsprechende Sammlung gehörte. In der Ausgabe, die v. Arnim28 hergestellt hat, fehlt es. Lediglich die Ausführungen der Horaz-Kommentatoren zu der Stelle sind aufgenommen29. Auch dies zeigt, daß eine völlige Neuausgabe der Stoiker-Fragmente längst überfällig ist 30. Entscheidend für unsere Frage: nach Lehre der alten Stoa wird der Weise zum Erfinder, doch so, daß er den theoretischen Unterbau schafft, während die praktische Ausführung den jeweiligen Fachleuten zukommt. So jedenfalls scheint mir das Chrysipp-Fragment bei Horaz zu verstehen zu sein. Dasselbe Konzept aber bezeugt Seneca im 90. Brief auch für Poseidonios – zuvor wird das Steuerruder der Schiffe als Imitat des Fischschwanzes erläutert: omnia, inquit, haec sapiens quidem invenit, sed minora quam ut ipse tractaret sordidioribus ministris dedit – ‹all dies, sagt Poseidonios, hat der Weise zwar erfunden; doch zu gering, um es selbst auszuführen, hat er es untergeordneten Gehilfen überlassen› (§ 25). Seneca dagegen meint: ‹Diese Dinge sind von keinen anderen ausgedacht worden als von denen, die sich auch heute damit befassen›, also den Technikern, in diesem Fall den Schiffbauern. Wiederum zeigt sich: Poseidonios hat in seiner Kulturentstehungslehre nichts grundlegend Neues gelehrt, sondern lediglich gemeinstoische Lehre fortgeführt. Wenn Seneca gegen ihn polemisiert, so weicht allerdings er entschieden davon ab. Und wie sich durch die Heranziehung der Horaz-Stelle nun weiter zeigen läßt: Seneca trifft sich – zum Teil jedenfalls – mit den Gegnern der Stoa. Denn die Persiflage des stoischen Weisen bei Horaz ist eingebettet in eine längere Auseinandersetzung mit stoischer Lehre, die mit dem Dogma beginnt, daß alle Verfehlungen gleich seien (v. 96 ff.). In der Tat ein stoischer Lehrsatz, der schon für Zenon bezeugt ist 31. Horaz argumentiert dagegen mit der epikureischen Auffassung, daß allein der Nutzen, utilitas, Bezugspunkt für Recht und Gesetz sein kann und beruft sich dabei auch auf die Entwicklung der Kultur (v. 98 ff.), die er nach epikureischer Lehre vorstellt. Dies läßt die Schlußfolgerung zu, daß Horaz einer epikureischen Quelle folgt, die gegen stoische Kulturentstehungslehre und die Rolle des Weisen darin polemisierte. Wie eingangs erwähnt: Daß ganze Generationen von hellenistischen Philosophen ihre Zeit damit verbrachten, die Stoa zu widerlegen, ist, wenn man die Zeugnisse nur betrachtet, eine evidente Tatsache. Ich habe keinen Zweifel, daß dies schon für die erste Zeit der Konkurrenz gilt, auch wenn neuerdings von einflußreicher Seite die Meinung geäußert wird, als habe man 27 28 29 30 31
S. Anm. 19. Stoicorum Veterum Fragmenta, coll. I. ab A. (Leipzig 1903–1905). SVF III 597. Angekündigt hat eine solche J. Mansfeld. SVF I 224.
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von Zenon, etwa im Peripatos des Theophrast oder im Kepos Epikurs, keine Notiz genommen32. Dies führt uns unmittelbar zu einem weiteren, dritten Zeugnis, aus dem sich die Orthodoxie des Poseidonios erschließen läßt: In der Schrift Philons ‹Über die Unvergänglichkeit der Welt› findet sich ein längerer Passus (§ 117–149), in dem je vier Argumente für und gegen die Vergänglichkeit der Welt ausgeführt werden. Als Gewährsmann wird eingangs Theophrast, der Nachfolger des Aristoteles, angegeben. Die Diskussion um diesen Abschnitt ist lang, es lohnt sich jedoch nicht, auf die Einzelheiten einzugehen. Denn der erste, der auf ihn aufmerksam wurde, hat zweifellos das Richtige gesehen 33. Theophrast zielt gegen die stoische Lehre von der zyklischen Auflösung des Kosmos im Weltbrand, und wenn er das tat, dann kann nach seiner Lebenszeit34 nur Zenon, der Gründer der Stoa, der Angegriffene sein. Etwa ein Jahrzehnt waren beide nebeneinander Vorsteher konkurrierender Schulen in Athen. Unverständlich, warum diese Spanne für Theophrast nicht ausgereicht haben soll, auf die Lehre Zenons zu reagieren, wie neuerdings vorausgesetzt wird 35. Mit Recht ist der genannte Abschnitt bei Philon jedenfalls aufgenommen unter die Fragmente Zenons36. Theiler hat dagegen in seiner Ausgabe des Poseidonios den zweifelsfrei überlieferten Namen Theophrast am Anfang des Abschnittes (§ 117) kurzerhand durch Poseidonios ersetzt und dadurch, sowie einige Retuschen des Textes, ein neues Fragment für Poseidonios gewonnen (Nr. 310). Mit seriöser Philologie hat dies wenig zu tun. Unter den von Theophrast ausgeführten und dann bestrittenen Argumenten für die Vergänglichkeit der Welt findet sich folgendes viertes Argument (§ 130) 37: Wäre die Welt ewig, dann auch die Lebewesen und besonders der Mensch. Doch in Wirklichkeit ist er erst spät entstanden, und dies wird folgendermaßen begründet: Es sei wahrscheinlich, ja vielmehr zwingend, daß die Technai ungefähr gleich alt sind wie die Menschen (+!), denn erstens ist das methodische Vorgehen der vernunftbegabten Natur eigentümlich, und zweitens das Überleben ohne Technai gar nicht möglich. Im folgenden werden die mythischen Erfinder abgelehnt und wohl der Nachweis geführt – der Text ist hier lückenhaft –, daß die einzelnen Technai erst spät entstanden sind. Am Ende jedenfalls wird geschlossen: wenn die Menschen nicht ewig sind, dann auch nicht die Umgebung, in der sie leben. Was läßt sich aus dem Fragment für unsere Frage gewinnen? Erstens: nach Lehre Zenons gehören die Technai in die erste Phase der Menschheit (sie sind gleich alt), zweitens: ihre Erfindung ist der methodisch vorgehenden Vernunft zuzuschreiben, drittens: sie sind zum Überleben notwendig. Die ersten beiden Punkte bestätigen, was sich schon durch andere Belege ergeben hat, sie zeigen nochmals klar, daß Poseidonios der Lehre des Schulgründers folgt. Der dritte Punkt, das Überleben der Menschen, wird von Seneca nicht explizit ausgesprochen, doch unterschwellig ist er ein Motiv für seine Kritik. Denn einen beachtlichen Stellenwert hat in seiner Widerlegung die Auffassung, daß die Menschen die Technik gar nicht gebraucht hätten,
32 33 34 35 36 37
Vgl. etwa Sedley (1998, S. 350); Long (1999, S. 617 f.). Zeller (1876). Theophrast stirbt in der 123. Olympiade, also zwischen 288 und 285. Sedley (1998, S. 350). SVF I 106. Hingewiesen hat auf die Stelle Norden (1893, S. 421 Anm. 1, ohne bislang Nachfolge gefunden zu haben, soweit ersichtlich).
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vielmehr für das ursprüngliche Leben allein die Gaben der Natur ausreichten und dieses Leben glücklich gewesen sei im Gegensatz zu dem entarteten Leben der Gegenwart. So etwa preist er die einfache Hütte als secundum naturam domus (§ 43): ‹naturgemäß›, während er in den Bauten der Gegenwart die Ursache von Angst erkennt. Senecas Kritik ist begründet in einer persönlichen, gewiß auch römisch geprägten, Auffassung, die sich in anderen Schriften in gleicher Weise findet. So etwa in der Einleitung zu den ‹Naturales quaestiones› (praef. 7), wo er seine Verachtung der Mosaikfußböden der Reichen zum Ausdruck bringt und stattdessen das Wandeln unter freiem Himmel mit Blick auf die Allnatur preist. Sicherlich gibt es dafür Begründungen und Parallelen in der stoischen Lehre, doch orthodox ist die damit verbundene Abwertung der Technik nicht. So findet sich im Abriß der stoischen Theologie in Ciceros zweitem Buch ‹De natura deorum› ein Lob der artes, die durch den Menschen geschaffen werden (§ 150 ff.). Dann folgt der Satz (§ 152): nostris denique manibus in rerum natura quasi alteram naturam efficere conamur – ‹mit unseren Händen versuchen wir inmitten der Natur gleichsam eine zweite Natur zu schaffen›. So wird die Kunst selbst zur Natur und damit gut. Zu einem folgenreichen Mißverständnis führte eine Bemerkung Senecas im Zusammenhang mit seiner Technikkritik (§ 18): non fuit tam iniqua natura ut, cum omnibus aliis animalibus facilem actum vitae daret, homo solus non posset sine tot artibus vivere – ‹die Natur ist nicht so feindselig gewesen, daß sie allen anderen Lebewesen ein leichtes Leben gegeben hätte, der Mensch aber nicht ohne so viele Kunstfertigkeiten leben könnte›. Reinhardt schloß daraus38, daß Poseidonios die Benachteiligung des Menschen gegenüber dem Tier gelehrt habe und damit das Konzept von der natura noverca, der ‹Stiefmutter Natur›, vertrat, wie es aus epikureischer Lehre vor allem bekannt ist, so etwa Lukrez, ‹De rerum natura› V. Seneca habe gegen Poseidonios, so Reinhardt, die «orthodoxe Lehre von der allgütigen Natur … wieder hergestellt». Der Schluß ist nicht berechtigt. Denn wie hätte Seneca das ursprüngliche Leben mit der ‹Goldenen Zeit› in Verbindung bringen können (§ 5), wenn «die Urzeit alles andere als ein Paradies, vielmehr … eine Zeit äußerster Not» gewesen sei, wie Reinhardt 39 sagt? Zweifellos gilt der Vergleich mit der mythisch-dichterischen ‹Goldenen Zeit› für Poseidonios’ Urzeit, mag auch zweifelhaft sein, daß er selbst den Begriff verwendet hat. Wogegen Seneca protestiert, ist die Auffassung, daß nicht allein die Gaben der Natur für das ursprüngliche Leben ausgereicht hätten, sondern von Anfang an auch noch die Technik erforderlich war. Dies aber ist nicht spezifische Lehre des Poseidonios, sondern schon der alten Stoa, wie das Zeugnis aus Philon, ‹Über die Unvergänglichkeit der Welt› lehrt. Reinhardt glaubte indes, aus Senecas 121. Brief herauslesen zu können, daß Poseidonios den Menschen als ein von der Natur benachteiligtes, sogenanntes «Mängelwesen» gesehen habe40. Dazu kurz das Folgende: der Brief gilt gemeinhin, jedenfalls in seinen wichtigen Teilen, als Fragment des Poseidonios (Nr. 444 bei Theiler). Poseidonios wird aber lediglich in der Einleitung genannt im Hinblick auf die allgemeine Fragestellung. Der Inhalt des Briefes hat mit seiner Lehre nichts zu tun. Denn hier geht es um die Selbsterhaltung der Lebewesen, den Ausgangspunkt der altstoischen Oikeiosislehre, die Poseidonios radikal verändert hat. Liest man den Brief, ohne auf Reinhardts Analysen und Interpretationen 38 39 40
Reinhardt (1953, S. 722 f.). Reinhardt (1953, S. 807). Zu diesem Konzept vgl. Pöhlmann (1970).
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Rücksicht zu nehmen, so ergibt sich, daß das Verhalten des Menschen mit dem Verhalten der Tiere verglichen wird, um damit die Gleichheit aufzuzeigen, d. h. den Selbsterhaltungstrieb als von der Natur gesteuert zu erweisen, als angeborenes Verhalten, genetische Programmierung in der Sprache der modernen Biologie. Daß der Mensch das «umgekehrte Tier» sei, wie Reinhardt wollte, um damit auf die poseidonische Kulturentstehungslehre zu schließen, davon kann keine Rede sein. Wenn in dem Brief von Natur und Kunst gesprochen wird, dann deshalb, um die Oikeiosis in den Bereich der Natur zu stellen, dort, wo alle Lebewesen gleichartig handeln. Nicht geht es darum zu zeigen, daß die Tiere alles von der Natur schon mitbekommen haben, der Mensch jedoch alles erst langsam lernen und sich mühsam erschaffen müsse, um zu überleben41.
IV. Von fast allen Interpreten wird angenommen, daß in der Kulturentstehungslehre des Poseidonios die ‹Not› (gr. , lat. usus) der ausschlaggebende Faktor für die Entwicklung gewesen sei. Die Begründungen divergieren, für alle jedoch gilt: es gibt kein einziges direktes Zeugnis dafür, sondern es handelt sich dabei lediglich um Ableitungen aus vindizierten Texten. So fand Jaeger42 bei Nemesios, einem spätantiken christlichen Autor, Bischof von Emesa, einen Abschnitt (p. 50.7–52.11 Matthaei = 8.15–9.21 Morani), den er in direkten Bezug zu Poseidonios bei Seneca, ep. 90 setzte. Der Mensch, so heißt es in Nemesios’ Schrift ‹Über die Natur des Menschen›, hat kein Fell, keinen Panzer, keine Flügel, alles Gaben, die die Natur den Tieren geschenkt hat. Daher braucht er Kleidung, ein Haus, um zu überleben, die Gemeinschaft als Schutz gegen die Tiere. Die Technai sind Ergebnis der Bedürftigkeit und der Not des Menschen aufgrund seiner mangelhaften natürlichen Ausstattung – die Begriffe # (benötigen) und (Not) wechseln einander ab. Liest man freilich Senecas 90. Brief, die einzige sichere Quelle für Poseidonios, so wird man Dergleichen nicht finden. Wie aber kommt man nun dazu, bei Nemesios ein Rezeptionsdokument zu erkennen? Jaeger hat zunächst festgestellt, daß Poseidonios «die allmähliche Entwicklung der zivilisatorischen Kräfte des Menschen unter dem Druck der Not annahm»43, dann Entsprechendes bei Nemesios gefunden und von dort wieder zurückgeschlossen. Ein lehrreiches Beispiel für die Methode der älteren Quellenforschung, deren Ergebnisse weithin durch Zirkelschlüsse gewonnen sind. Was bei Nemesios steht und anderen christlichen Autoren, die man später noch herangezogen hat, wie Gregor von Nyssa oder Origenes, folgt letztlich einer Tradition, die ins 5. Jahrhundert zurückreicht. Ob der Sophist Protagoras sie begründet hat, ist keineswegs sicher, er vertritt sie jedoch im gleichnamigen Dialog Platons (321c). Der Mensch ist demnach - («, $ -(«, Ν"«, Ν!« – ‹nackt, unbeschuht, unbedeckt, unbewaffnet›. Er überlebt dank der Weisheit und des Feuers, Gaben des Prometheus, und der ‹politischen Kunst›, Gabe des Zeus. Ansonsten wäre sein Leben wohl noch schlechter als das der Tiere. Die Auffassung von der Entstehung der menschlichen Kultur aus niedrigen 41 42 43
Ausführlich hierzu Bees (2004, S. 16 ff.). Jaeger (1914, S. 123 ff.) Ebd., S. 124.
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Anfängen, das Konzept der tierhaften Urzeit (das #"« ), ist die gesamte Antike hindurch belegt, vor allem in populären Darstellungen 44. Selbstverständlich war auch den Stoikern die Auffassung der aszendenten Kulturentwicklung bekannt, die in naiven Fortschrittsglauben münden kann wie im pseudo-aischyleischen Prometheus Desmotes45, doch fanden sie ihre eigene, systemimmanente Antwort. Wir fassen sie bei Seneca, ben. 2.29, wo sie ausdrücklich gegen andere Philosophen, gewiß auch die Epikureer, gerichtet ist (§ 1). Ihrer Klage, der Mensch stehe den Tieren an körperlichen Eigenschaften nach, entgegnet Seneca: In Wirklichkeit ist der Mensch Herr der Erde, der Vergleich mit den Tieren verfehlt, denn der Mensch hat sie bezwungen und in seinen Dienst gestellt. Dies dank der Wohltaten der Götter, d. h. der göttlichen Allnatur, die den Menschen mit Verstand und vielerlei Fertigkeiten ausgestattet hat (§ 5 f.). Von einer prärationalen Phase, einem Existenzkampf gegen die Tiere, ist nicht die Rede. Der Mensch ist nicht das benachteiligte, sondern das bevorzugte Geschöpf. Weiteres ergibt sich aus ben. 4.18: hier wird zwar zugegeben, der Mensch sei ‹nackt und schwach› (§ 2), doch sogleich verdeutlicht (§ 3): Der Gott hat dem Schwachen zwei Dinge gegeben, die ihn besonders stark machen: Vernunft und Gesellung (ratio und societas). Deshalb ist der Mensch Herr der Welt – solange er jedenfalls in der Gemeinschaft bleibt. Dies fußt auf derselben Vorstellung, die im 90. Brief als gemeinstoisch erscheint: ursprünglich ist das Zusammenleben der Menschen, das consortium (§ 3, 36) – natürliche Garantie für sein Überleben, seine Macht über alle anderen Lebewesen. Breit ausgeführt wird das bei Cicero, nat. deor. 2.145 ff. Der Mensch ist vollendet, seine Sinne übertreffen die der Tiere, sein Geist ist Ausdruck göttlicher Sorge, mit seinen Händen, die die technischen Erfindungen ausführen, macht er sich die Erde nutzbar, zwingt er die Tiere in seinen Dienst, die letztlich nur um seinetwillen geschaffen sind – wie die gesamte Welt. Dies ist stoischer Anthropozentrismus, der sich in der Definition des Kosmos äußert als ‹System aus Göttern und Menschen und dem, was ihretwegen erschaffen wurde›. Poseidonios hat diese Anschauung in gleicher Weise vertreten wie die alte Stoa46. Auf dem Verständnis vom Menschen als einem Wesen, das neben den Göttern steht, baut auch seine Kulturentstehungslehre. Von Anfang an ist der Mensch den Tieren, vermittels seiner gottgegebenen Vernunft, überlegen. Bei den Stieren herrschen die Stärksten, in der Urgesellschaft der Menschen die Stärksten und zugleich Besten. Von Anfang an hat der Mensch die Technai, die die Besten dank ihres göttlichen Geistes erfunden haben. Es gibt keine allmähliche Entwicklung – wie Seneca davon abweichend lehrt – schon gar nicht aufgrund einer Not. So gibt es auch kein unentwickeltes Zeitalter vor der sogenannten ‹Goldenen Zeit›, wie die communis opinio annimmt47. Und die ersten Menschen, von denen Seneca im 90. Brief spricht, sind denn auch die ersten, und nicht wie etwa Pfligersdorffer in einer denkwürdigen Interpretation erweisen will, die ersten nach den ‹Vormenschen› 48.
44 45 46 47
48
S. unten S. 26. Überzeugende Begründung der Athetese zuletzt bei Lefèvre (2003). Vgl. D.L. 7.138 = F 14 EK; SVF II 527, 528. Die Erwähnung des ‹Zerstreutseins› (sparsos … docuit tecta moliri § 7) reicht nicht aus, um eine präkulturelle tierhafte Urzeit zu belegen (s. hierzu unten S. 26), vielmehr ist diese Phase mit der von Seneca als ‹Goldene Zeit› erfaßten zu identifizieren, in der die Weisen ihre Erfindungen machen (so ist wohl Norden 1893, S. 420 zu verstehen). Pfligersdorffer (1959, S. 90).
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Mehr als zwei Phasen, eine ursprüngliche Zeit naturgemäßen Lebens und eine daran anschließende Entartung, die auch die Zeit der Gegenwart einschließt, sind nicht erkennbar49. Davon abweichende Einteilungen, wie man sie in der Sekundärliteratur häufig findet, sind durch die antiken Zeugnisse nicht gedeckt.
V. Nachdem wir die Charakteristik der poseidonischen Kulturentstehungslehre und ihre Stellung innerhalb der stoischen Tradition beleuchtet haben, ihre Systemimmanenz sich gezeigt hat, so läßt sich nun die Frage nach ihrer Rezeption stellen. Innerhalb philosophischer Systeme entwickelte Lehren über Urzeit und Entwicklung fanden ihren Niederschlag auch in nicht-philosophischen Texten, die sehr verschiedenen literarischen Genera angehören. Solche Texte, die kulturphilosophische Lehre rezipieren, Reflexe von Kulturentstehungslehren darstellen, ohne eigenen systemimmanenten Anspruch zu haben, will ich im folgenden – abweichend vom üblichen Sprachgebrauch – unter dem Begriff Kulturgeschichte fassen. Ihre Tradition beginnt in der Tragödie des 5. Jahrhunderts und setzt sich in stetiger Linie fort bis zu römischen Autoren. Deren Reihe, die Namen wie Varro, Vergil, Ovid, Horaz, Vitruv und Manilius aufweist, eröffnet Cicero mit der Einleitung zu seiner Jugendschrift ‹De inventione›. Die communis opinio geht davon aus, daß die römischen Kulturgeschichten direkt von griechischer Kulturentstehungslehre abhängen, die Bemühungen konzentrieren sich daher seit dem 19. Jahrhundert fast ausschließlich auf die Frage nach den Quellen und Vorlagen. Und hier wird vor allem ein Name genannt: Poseidonios. Bereits in der ersten Ausgabe der Fragmente durch Bake50 findet sich sich bei dem Zitat von Seneca, ep. 90 ein Hinweis auf Cicero, Tusc. 5.5, den sogenannten ‹Hymnus an die Philosophie›. Die Philosophie wird dort gepriesen als die kulturschaffende Kraft, die die Gemeinschaft der Menschen bewirkt hat, Institutionen wie die Ehe, Gesetze, Sitten und Wissenschaft hervorgebracht hat. Die Rückführung auf Poseidonios wurde zum Gemeinbesitz der Gelehrten und führte durch Vergleichung paralleler Formulierungen in anderen Kulturgeschichten dazu, daß auch diese von Poseidonios abhängig gemacht wurden. Vergleicht man jedoch den ‹Hymnus an die Philosophie› mit dem Konzept, das Seneca für Poseidonios, wir müssen sagen: auch für Poseidonios bezeugt, so treten die Unterschiede klar hervor: Nach stoischer Ansicht ist die Gemeinschaft der Menschen, das consortium, ursprünglich, werden Gesetze erst nötig, nachdem man sich von der Natur als Richtschnur für das Leben entfernt hat, d. h. erst in der zweiten Phase, die durch eine Entartung gekennzeichnet ist. Bei Cicero markieren die staatlichen Gesetze jedoch einen kulturellen Fortschritt. Auf der anderen Seite fehlt hier der spezifische Ansatz einer philosophischen Erfindung der Technai in Nachahmung der Natur. Daß Ciceros Hymnus auf ganz konventionellen Gedanken basiert, zeigt ein Text, den man bei aller Diskussion übersehen hat: Isokrates, ‹Panegyrikos›. Dort erscheint die Philosophie als Errungenschaft Athens, als die Macht, die die Menschen erzogen, die sie einander besänftigt hat, d. h. aus ursprünglich niedrigen, nicht-sozialen Anfängen zur Ge49 50
Vgl. Kidd (1988, S. 961 f.). Bake (1810, S. 36).
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meinschaft geführt hat (! - , 1 & - * λ -, λ (« « &*« π»« $- λ µ« $!!+!-« $&β , λ - &« # $# λ « $* $ &« « !, λ « ξ -!&*# « ξ !« $ $* , π (!« π * § 47). Dies ist auch der Grundgedanke bei Cicero – wir können die Kenntnis des Isokrates bei ihm vorbehaltlos voraussetzen, nicht jedoch stimmt dies zur Auffassung der Stoa, die eine unentwickelte Frühphase nicht kennt. Der Ausgangspunkt ist also verschieden. Deutlicher wird dies noch in einer anderen Rede des Isokrates. Dazu gleich. Derselbe Einwand wie bei den Tusculanen gilt für die Kulturgeschichte im Proöm von ‹De inventione› I. Zwar heißt es hier, magnus videlicet vir et sapiens (1.2), ‹ein offenbar bedeutender und weiser Mann›, habe die Menschen zu Gemeinschaft und Sittlichkeit geführt. Und das wollten viele mit den poseidonischen sapientes zusammenbringen, doch wieder ist der Ausgangspunkt bei Cicero gänzlich verschieden: der Weise, ein begabter Redner, ‹macht seine Zuhörer aus wilden und schrecklichen Wesen zu sanften und zugänglichen›. Der Kontrast zu Poseidonios’ Urmenschen springt ins Auge51, genauso wie die Übereinstimmung mit der zitierten Stelle aus dem ‹Panegyrikos› des Isokrates. Welche kulturelle Anschauung Cicero zugrundeliegt, lehrt uns eine Stelle aus Isokrates, ‹Nikokles› (§ 5 f.): Der Mensch ist dem Tier körperlich unterlegen, doch kraft der Sprache überlegen. Die Fähigkeit zur Kommunikation mit anderen Menschen führt so aus dem tierhaften Leben in die Gemeinschaft des Staates, führt zu Gesetzen und zu den Technai. Dies ist gewiß ein Reflex griechischer Kulturentstehungslehre, die jedoch eindeutig vorstoischen Ursprungs ist. Die tierhafte Urzeit kennt schon der Dichter des Prometheus Desmotes, einer Tragödie der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts52. Die Menschen hatten vor dem Eingreifen des Prometheus, dem Besitz des Feuers und der daraus entstehenden Technik ‹ein leidvolles Leben, waren zum Denken nicht fähig, lebten wie die Ameisen in sonnenlosen Höhlen›, wie Prometheus berichtet (v. 442 ff.). Solche Schilderungen aszendenter Entwicklung sind bald topisch geworden und lassen sich in zahlreichen Zeugnissen nachweisen 53. Ihre Kenntnis genügt durchaus, den Ausgangspunkt für Cicero zu bestimmen. Dasselbe gilt für Vitruv, dessen Kulturgeschichte im Proöm von ‹De architectura II› einen erhellenden Eindruck von Reinhardts analytischer Fragmentgewinnung gibt. Vitruv verbindet die Entwicklung des Hausbaus mit einer allgemeinen Geschichte der Menschheitsentwicklung (2.1.1–2.1.7). Die ältere Quellenforschung hat kurzerhand die ganze Passage auf Poseidonios zurückgeführt54. Dies aufgrund rein mechanischer Vergleichung von Texten, Senecas 90. Brief und den Kulturgeschichten bei Cicero, die freilich gar nicht auf Poseidonios basieren, wie wir gesehen haben, sowie einzelnen Begriffen, ohne deren Inhalt und spezifische Aussage zu erfassen. Doch bloßes Nebeneinanderstellen reicht gewiß nicht, um Poseidonios in nicht bezeugten Texten zu finden. Reinhardt hat dies, wie eingangs bemerkt, mit einer subtileren Methode versucht, der sogenannten literarischen Analyse. Im Falle Vitruvs hat er auf diese Weise nicht die ganze Kulturgeschichte für Poseidonios in Anspruch genommen, sondern lediglich das Stück, das
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Bemerkt hat dies bereits Barwick (1963, S. 21 f.). Zur Datierung vgl. jetzt Lefèvre (2003, S. 135 ff.). Vgl. z. B. Kritias 88 B 25 DK; Euripides, Hik. 201 ff.; Moschion, fr. 6 TrGF. Poppe (1909, S. 6 ff.).
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über den Hausbau handelt, d. h. die Abschnitte 2.1.2 ff.55 Die Entwicklung ist nach Vitruv in drei Phasen vor sich gegangen: 1. Hütten aus Lehm, dann aus Ziegeln, 2. feste Häuser mit Fundament, 3. Kunst- und Luxusbauten. Reinhardt erkannte in dieser Stufung eine Analogie zur ‹eingeborenen Urteilskraft› des Menschen, «die ihn methodisch, Schritt für Schritt, die Möglichkeiten hindurchführt, die ihm von der Natur gegeben sind» 56. Daß Poseidonios’ Kulturentstehungslehre auf der inneren Verbindung von Natur und Kunst basiert und damit das Erfinden der Technai auf dem Vergleich mit dem Vorgehen der Allnatur, hat Reinhardt richtig gesehen. Doch sind wir berechtigt, dafür auch Vitruv in Anspruch zu nehmen? Reinhardt verwies auf die Formulierungen: in dies melioribus iudiciis efficiebantur (1.3) – ‹das Urteilsvermögen der Menschen verbesserte sich von Tag zu Tag› und e vagantibus iudiciis et incertis ad certas symmetriarum perduxerunt rationes (1.7) – ‹von vagen und unsicheren Urteilen kamen sie zur genauen Berechnung symmetrischer Verhältnisse›. Dies setzte er in Gegensatz zu der zufälligen Entdeckung des Feuers und der sich allmählich entwikkelnden Gesellschaft und Sprachbildung der Menschen im ersten Teil der Kulturgeschichte (1.1), der nicht aus Poseidonios stamme, sondern Demokrit. Die Teilung läßt sich nicht aufrechterhalten. Denn auch bei der Darstellung des Hausbaus ist die Entwicklung als eine langsam fortschreitende gedacht. In der ersten Phase beobachtet man sich gegenseitig und verbessert dadurch ‹von Tag zu Tag die Arten von Hütten› (1.2). Eine entsprechende Bemerkungen findet man auch in 1.6: cum autem cotidie faciendo … ad artes pervenissent – ‹tägliche Übung führte zur Steigerung der Kunst›. Für Poseidonios’ Auffassung ist, wie wir sahen, hingegen bestimmend, daß die Philosophen in einem einmaligen theoretischen Akt, kraft ihrer mit der künstlerischen Allnatur übereinstimmenden Vernunft, die Erfindungen vornahmen. Dagegen führt Seneca an, daß die Entwicklung der Technik sich allmählich und in der Praxis vollzog. Genau dies aber ist doch die Auffassung Vitruvs. Die Männer, die sich mit Hausbau befassen, heißen fabri (1.6) – ‹Handwerksmeister›, nicht sapientes – ‹Weise›. Sowenig wie Cicero folgt Vitruv gemeinstoischer Lehre. Deutlich wird das schon an der Vorstellung der Urzeit als wild und tierhaft, der Entwicklung zu einer gesitteten Gesellschaft dank allmählichen Erwerbs von Technik und Wissenschaften (1.6) – übereinstimmend mit Cicero und Isokrates und vielen anderen. Abweichend ist allerdings, daß der Hausbau zum Ausgangspunkt kultureller Entwicklung gemacht wird. Doch auch dies folgt einem vorgegebenen Muster. Denn es ist eine Eigenschaft der Kulturgeschichten, daß das Movens der Kultur verbunden ist mit dem Thema des Werkes, in das sie eingebettet sind. So ist die Philosophie in den ‹Tusculanen› das kulturschaffende Prinzip, die Rede in ‹De inventione›. Dieselbe Austauschbarkeit läßt sich schon bei Isokrates beobachten, wenn wir uns erinnern an den ‹Panegyrikos› und den ‹Nikokles›. Es handelt sich bei den Kulturgeschichten um literarische Gebilde, die nach Inhalt und Form einem übergeordneten Kontext dienen. Vitruv gibt als Ziel seines Buches an (1.8): er wolle zeigen, wie die Baukunst ‹allmählich bis zur jetzigen Vollendung fortgeschritten ist› ( progressae … gradatim ad hanc finitionem). Diesem Zweck dient die vorangestellte Geschichte von den Uranfängen der Menschheit, ihrer Entwicklung und der Rolle der Baukunst darin.
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Reinhardt (1921, S. 402 ff.). Ebd., S. 405.
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Römische Kulturgeschichten geben nicht philosophische, systemimmanente Lehre getreu wieder, schon gar nicht in Exzerpten, die man einfach nur auszuschneiden brauchte, um neue Fragmente zu gewinnen. Sie basieren vielmehr auf altem Bildungsgut, vielfach auch literarischen Topoi, die seit dem 5. Jahrhundert allgemein bekannt waren. Spezifische Kulturentstehungslehre der Stoa, wie sie von Zenon bis Poseidonios gelehrt wurde, ist nirgendwo rezipiert. Und dies, obgleich die Stoa die führende Schule des Hellenismus war und sie am Ende der Republik von Poseidonios als einem ihrer bedeutendsten Repräsentanten überhaupt vertreten wurde. Man muß die fehlende Rezeption akzeptieren, ohne die Bedeutung der Schule entscheidend geschmälert zu finden. Allenfalls der ‹Panposidoneismus› könnte, wenn man die Tatsachen annimmt, darunter leiden.
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«Kunstvolle Stimme der Steine sprich!» 0 Zur Intermedialität der griechischen epideiktischen Epigramme*0 Epigramm und Kontext Von allen antiken literarischen Gattungen ist die griechische Epigrammdichtung der archaischen und klassischen Zeit wahrscheinlich diejenige, welche ihrer ursprünglichen Natur nach am wenigsten für ein Buch bestimmt ist und wie kaum eine andere Gattung auf eine Interaktion mit ihren materiellen Kontexten angewiesen ist. Bereits das griechische Wort, welches wir für die Bezeichnung der gesamten Gattung übernommen haben, epígramma, mit seiner ursprünglichen Bedeutung «metrische Aufschrift» 1 weist auf dieses Phänomen hin: Versinschriften begegnet man sowohl auf Gräbern als auch auf sympotischen Trinkgefäßen, auf staatlichen Denkmälern und auf privaten Weihgeschenken, auf Tempeln und Privathäusern, auf Gold und auf Blei, auf Dreifüßen und auf Töpfen. Das breite Spektrum der Gegenstände, die solche Dichtung trugen, korrespondiert mit der thematischen Vielfalt der Epigramme: Man beklagt die Toten oder feiert den Weinrausch, erinnert an Retter des Vaterlandes oder an die eigene Existenz, man ehrt Götter oder beschimpft Diebe, man bejubelt das Leben oder verflucht ein untreues Weib, glorifiziert sich und sein Vaterland oder markiert sein Eigentum. Diese Themenbreite vom Alltäglichen bis zum Erhabenen ist allerdings kein Spezifikum allein dieser Gattung. Fast all diese Themenblöcke finden sich beispielsweise auch in der griechischen Elegie; das Epigramm lässt sich also nicht aufgrund seiner Themen als Gattung definieren. Was diese Gattung definiert und von Inschriften auf der einen und der üb-
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* Die folgenden Ausführungen wurden im Rahmen der vom Giessener Institut für Altertumswissenschaften organisierten Konferenz «Bild-Text» im Juni 2004 vorgetragen. Ich bedanke mich herzlichst bei den Organisatoren und Teilnehmern für ihre Diskussionsbeiträge. Für Kritik und Hilfe bin ich A. Chaniotis, K. Lorenz, B. Mayer, I. Petrovic und P. v. Möllendorff zu Dank verpflichtet. Folgende corpora wurden abgekürzt zitiert: CEG = Hansen (1983–9). EG = Page (1975). GVI = Peek (1955). Merkelbach / Stauber = R. Merkelbach / J. Stauber (1998–2004). 1 Grundlegend zum Terminus: Puelma (1996: S. 123): «Dadurch nun, dass seit ältester Zeit die hauptsächlich auf Stein und Ton geprägten Merksprüche vornehmlich in der mnemotechnisch günstigen Kurzform traditioneller Verse gestaltet waren, wurde die Begriffsgruppe / neben der Grundbedeutung «Inschrift, Aufschrift, Eintragung, Kennzeichnen», die sie immer behalten hat, von der Sonderbedeutung des monumentbezogenen Kurzgedichtes vorwiegend hexametrisch-elegischen Versmasses eingenommen.»; Puelma, (1997). Vgl. auch Cameron (1993: S. 1); Gutzwiller (1998: S. 3; 47–8); Bruss (2000: S. 3–10); Rossi (2001: S. 3–4).
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rigen Dichtung auf der anderen Seite unterscheidet, ist die enge Verbindung der Gedichte mit ihrem materiellen Träger:2 Während die anderen epigraphischen Gattungen für gewöhnlich wenig von ihrer Bedeutung verlieren, wenn sie vom Stein in andere Medien übertragen werden, ergibt sich unter diesen Umständen bei den Epigrammen eine qualitative Änderung, die den Prozess der Rezeption unmittelbar beeinflusst. Der Rezipient eines Epigramms, das von seinem ursprünglichen Träger ins Buch übertragen wird, ist gezwungen, diesen ursprünglichen Kontext zu supplementieren. Dieses Phänomen, das heute unter dem Namen «Ergänzungsspiel» bekannt ist, 3 tritt verstärkt in der späteren Geschichte des Epigramms auf, d. h. ab dem 4. Jh., als die hellenistischen Dichter das «Ergänzungsspiel» instrumentalisierten und die Rezipienten dazu aufforderten, den möglichen materiellen Kontext zu erraten. Durch die Verbindung von materiellem Bild und Text unterscheidet sich das Epigramm auch von den übrigen literarischen Gattungen: In griechischen Epigrammen der archaischen und klassischen Zeit stellen Gegenstand und Text eine semantische Einheit dar, und obwohl sie auch jeweils an sich rezipiert werden können, wird durch eine simultane Rezeption beider Medien eine andere Qualität erzeugt. 4 Es genügt, den folgenden Text ohne seinen materiellen Kontext zu lesen, um zu sehen, dass das Epigramm zwar kein Schattendasein führt,5 aber doch, und zwar mit Nachdruck, die Mitarbeit des Lesers fordert, indem der Leser dazu bewegt wird, sich den physischen Kontext vorzustellen und die eigene Vorstellung einer zum Wahnsinn getriebenen Bacchantin zu visualisieren: - « Ϊ; -B. - « ; -«. - « # , B« ν «; -«. «Wer ist sie? – Eine Bacchantin. – Wer hat sie angefertigt? – Skopas. Und wer hat sie zum Wahnsinn getrieben, Bacchos oder Skopas? – Skopas.»6
Der Gebrauch von Demostrativpronomina, vor allem von Ρ und «
, stellt ein generisches Charakteristikum der griechischen Epigramme dar. 7 Wenn man sich die ca. 900 in unterschiedlichem Erhaltungszustand überlieferten Versinschriften zwischen dem 8. dem 4. Jh. v. Chr. anschaut, 8 kommt man schnell zu dem Schluss, dass diese Texte in der Regel große, manchmal auch unüberwindbare Schwierigkeiten bereiten, wenn man nicht in der Lage ist, die Verweise einzuordnen und die Kontexte zu ergänzen. Selbst wenn dies gelingt – dass es sich im obigen Beispiel um die Statue einer Bacchantin handelt, ist sicherlich nicht all zu schwer zu erraten –, sind bei weitem noch nicht alle Fragen geklärt: Wir erfahren nichts darüber, wie diese Statue aussah, sondern nur, welchen Eindruck man von dem Bildnis hatte.
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Dazu vgl. Raubitschek (1968: S. 1 ff.). Meyer (1993); Bing (1995). Vgl. Bing (1998: S. 38): «For inscriptions, a ‹reading› comprises not just the text but its physical context: The kind of object on which it is engraved, its geographical setting, socio-cultural circumstances, etc.». Dazu vgl. Raubitschek (1968, Anm. 2., S. 3–5). EG, Simonides, 57. Vgl. bes. Ecker (1990., S. 122–123, Anm. 325 mit weiterer Literatur). CEG 1–2.
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Fragestellung Die Frage, die ich im Folgenden ansprechen möchte, ist die nach dem Verhältnis der Epigramme zu ihren materiellen Trägern und die nach der historischen Rezeption dieser Einheit von Text und Bild vor der hellenistischen Zeit. Ferner soll untersucht werden, wie das materielle Zusammensein der beiden Medien die Rezeption beeinflusst. Was greift in den epideiktischen Epigrammen der textuelle Diskurs aus dem bildlichen auf? Zunächst aber muß der Terminus «das epideiktische Epigramm» definiert werden: Oben wurde kurz geschildert, in welchen Kontexten man Epigramme findet und welche Themenbereiche in den Epigrammen zur Sprache kommen. Im Laufe der Zeit hat sich eine Typologie der epigrammatischen Subgenera entwickelt, die die Epigramme nach ihren Anlässen den einzelnen Subgenera zuordnet: So unterscheidet man v. a. epitymbische bzw. Grabepigramme, anathematische bzw. Weihepigramme, sympotische Epigramme und epideiktische Epigramme. Während die ersten drei Subgenera keiner zusätzlichen Erklärung bedürfen, ist eine Definition des «epideiktischen Epigramms» notwendig: Unter den Epigrammen der archaischen und klassischen Zeit können diejenigen als epideiktisch aufgefasst werden, die sich entweder auf Statuen befinden oder Bilder begleiten, sich nicht in eine der drei anderen Gattungen einordnen lassen und vor allem Ehreninschriften ähneln. 9 Im Prinzip lässt sich das epideiktische Epigramm der archaischen und klassischen Zeit als explizit eulogische Dichtung auffassen, die im öffentlichen Raum angebracht worden ist, und die die Verdienste einer Person oder einer Gruppe zelebriert.
Epigramme als Bestandteile der Ikonotexte: epideiktische Epigramme sprechen das Bild nicht an. Oder doch? Eine kleine Gießener Straße verwandelte sich neulich in einen Dschungel von Plakaten. Die Schaufenster von leer stehenden Ladenräumen dienten nun als Rahmen für Werbeslogans und Angebote unterschiedlichster Art: Unter Konzertankündigungen, Werbeplakaten für Handyklingeltöne, Homosexuellenbars, Liebes- und Hasserklärungen, Fahndungsplakaten usw. fällt unter semiotischen Gesichtspunkten v. a. ein Jesusbild ins Auge, neben dem folgender Text zu lesen ist: «EIN LEBEN OHNE SEINEN GEIST IST WIE SOMMER OHNE SONNE». In einigen Zeilen Abstand steht in etwas kleinerer Schrift gedruckt: (das wichtigste fehlt). Es wäre sicherlich interessant zu erfahren, was sich die von der Kirche beauftragte Agentur (sollte es eine gegeben haben) genau gedacht hat: Dass dieses Simile aus ihrer Sicht eines hermeneutischen Hypomnema bedarf, spricht Bände über die Vorstellung der Agentur von dem Rezipienten und seinen Fähigkeiten, den Ansprüchen dieses Ikonotextes nachzukommen. 9
Zum epideiktischen Epigramm in hellenistischer Zeit und später vgl. Lauxtermann (1998, S. 525 ff.). Das Problem der genauen Definition des epideiktischen Epigramms ist nach wie vor nicht gelöst. Das unten zitierte (S. 35) Epigramm auf die Tyrannenmörder ist eines der ersten Epigramme, die einen «epideiktischen» d. h. enkomiastischen Charakter aufweisen – sie lassen sich weder den anathematischen noch epitymbischen Epigrammen zuordnen. Auffälligerweise druckt Hansen (1983–9) das Epigramm auf die Tyrannenmörder unter der Überschrift «Tituli varii». Dieses Epigramm stellt nicht ein einsames Beispiel dar: zu weiteren Beispielen für das epideiktische Epigramm der archaischen und klassischen Zeit zählen z. B. CEG 431, 440 462.
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Wie anspruchsvoll sind in diesem Sinne die epideiktischen Epigramme? Während die privaten epitymbischen und anathematischen Epigramme durch Bezugnahme auf ihre Träger – in der Regel nur wenige Worte wie «Dies ist das Denkmal des verstorbenen XY» oder «Ich bin das Denkmal des XY» – auf das mit ihnen verbundene Medium hinweisen, fehlt in epideiktischen Epigrammen selbst dieser Verweis des Textes auf das Bild häufig: Die epideiktischen Gedichte scheinen einen Dialog dieser Art grundsätzlich zu vermeiden;10 sie konzentrieren sich völlig auf eine ostentative, beispielgebende Zurschaustellung der Verdienste der Honoranden.11 Die fehlende Bezugnahme der Medien ist allerdings m. E. nicht als ein Anzeichen dafür zu verstehen, dass man nicht mit einer Interaktion der Medien rechnen kann oder dass sie nicht intendiert war. Epitymbische und anathematische Epigramme waren durch ihren Aufstellungsort determiniert: An Gräbplätzen und Heiligtümern wollte in der Regel nicht nur ein einziges Epigramm auf einem einzigen Monument gelesen werden, sondern eine Vielzahl von Versinschriften konkurrierte um die Aufmerksamkeit des vorübergehenden Lesers. Diese Subgenera waren – im Unterscheid zu epideiktischen Epigrammen, die an einem prominenten Ort angebracht waren, an dem sie für gewöhnlich keine ‹Konkurrenz› fürchten mussten – gezwungen, sich im semantischen Smog laut und eindeutig vernehmlich zu machen und auf das für den Stifter Wesentliche zu beschränken: «Dies ist das Geschenk / das Grab des XY». Man muss demzufolge im Gedächtnis behalten, dass griechische Epigramme Ikonotexte sind,12 dass es sich also um Kunstwerke handelt, bei denen die Semantik durch die Kopräsenz der beiden Diskurse gekennzeichnet ist, auch dann, wenn die einzelnen Medien sich nicht expressis verbis (sive signis) aufeinander beziehen. Dass sich Zitate wesentlich einfacher erkennen lassen, wenn der textuelle Diskurs die Rolle des Zitierenden und der bildliche die Rolle des Zitierten übernimmt, ist selbstverständlich. Wenn aber der Überlieferungszustand sowohl den bildlichen als auch den textuellen Diskurs nur stottern und munkeln lässt, wie es bei den griechischen epideiktischen Epigrammen aus der archaischen und klassischen Zeit der Fall ist, muss man sich damit zufriedengeben, dass sich solche Zitate nur ansatzweise erkennen lassen. Prinzipiell gäbe es zwei Wege, die Frage zu erörtern, ob und auf welche Art und Weise Texte mit Denkmälern in einen Dialog traten. Zum einen kann man versuchen, Ikonotexte als Rezeptionsphänomen zu betrachten und Berichte historischer Leser mit Blick auf die Fragestellung zu lesen, ob der Transfer der Semanteme von dem einen ins andere Medium bei dem Rezipienten stattfindet. Zum anderen kann man von der Annahme ausgehen, dass der Transfer als ein produktionsästhetisches Phänomen anzusehen ist bzw. dass in diesem Fall die Transferleistung nicht im Zusammenhang mit dem Erwartungshorizont des Rezipienten «sich ergibt», sondern «erwartet» wird. In diesem Fall muss man die vorhandene
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Anders D. Mulroy (1999, S. XII und S. XIX) «A typical epideictic epigram consists simply of a description of an object or scene». Zu den von einander zu trennenden epigrammatischen Subgenera epideiktisch / ekphrastisch vgl. Lauxtermann (1998, S. 526–531). Für Beispiele vgl. o. Anm. 9; die Quintessenz der Elemente Honorand/Beispiel in epideiktischen Epigrammen ist in Eion-Epigrammen explizit zu erkennen, Aeschin. In. Ctes., 183 (EG Simonides 40(c)): π ξ "µ #A" $ # %& / $ # ( « λ *« $ +«. / »** «
# /Ω λ & "*1 / $ λ 2 $ " % . Zu Ikonotexten grundlegend: Wagner (1997).
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literarische, historische und materielle Evidenz prüfen, in der Hoffnung, dass Zitate deutlich genug zu erkennen sind.
Historische Leser Bei der Beschäftigung mit den historischen Lesern epideiktischer Epigramme ergeben sich die Probleme, dass die Berichte solcher Leser oder über solche Leser einerseits nicht zahlreich sind13, und zum anderen, dass ihr Interesse an Epigrammen von den eigenen Themen und Fragestellungen geprägt ist: Herodot, dessen historisches Werk nicht weniger als 24 Inschriften beinhaltet, zitiert 8 Epigramme, die in der Regel als Belege für seine Überlegungen zu bestimmten Ereignissen fungieren. Sie werden als Quellentexte für Geschichtsschreibung gebraucht, und nur selten wird der Träger oder die Umgebung des jeweiligen Epigramms angesprochen.14 Nicht anders verhält es sich mit Thukydides: Bei den drei Epigrammen, die er zitiert, werden Träger und Aufstellungsorte nur nebenbei erwähnt.15 So begrenzt sich die Auskunft über die Aufstellungsorte auf die Städte und die Kampfplätze, auf denen sich die Epigramme befanden. Eine Beschreibung des Trägers oder seiner Umgebung ist nicht vorhanden – Thukydides’ Interesse ist ein ereignisgeschichtliches und quellenorientiertes: Im Kontext der Heiratsallianz der Peisistratiden mit den lampsakischen Tyrannen wird das Grabmal der Archedike und das sich in Lampsakos befindliche Epigramm erwähnt – als ein Beleg für seine Erzählung.16 Während man diesen antiken Historikern vielleicht sogar zu Recht den Vorwurf der mangelnden Sensibilität für das Ästhetische ausserhalb des Literarischen machen kann, dürfte man dies mit dem großen antiken Periegeten Pausanias keineswegs tun. Es ist deswegen interessant zu sehen, wie Pausanias, den man für den «true father of classical art history»17 hält, für einen, dem es keineswegs an ästhetischen Erfahrungen mangelte, Epigramme las,18 und mit welchen Ansprüchen er an solche Texte heranging. Denn obwohl es als axiomatisch gilt, dass durch wiederholte ästhetische Erfahrungen und wiederholten Umgang mit Ikonotexten die Fähigkeit des Rezipienten für die Wahrnehmung mehrerer Stimmen in der Polyphonie des Kunstwerkes steigt, kann man nun sehen, dass sich die sprichwörtliche Trockenheit des Pausanias und «Objektivität» einem solchen Axiom widersetzt. Bei der Schilderung der Kypselos – Lade, welche von Nachkommen des korinthischen Tyrannen Kypselos gestiftet wurde und mit zahlreichen kostbaren Weihungen ausgestattet war, erwähnt Pausanias auch Inschriften, welche auf einzelnen Bilderzonen standen. Als er da die Darstellung von «Tod und Schlaf» sah und die begleitende Inschrift las (Pausanias zitiert nur eine Auswahl an Epigrammen), legt er seine an die Epigramme gestellten Ansprüche offen: 2 $ ξ λ Ν 2 4 & ; «man versteht’s auch ohne Epigramme».19 13 14 15
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Vgl. über die Leser der Epigramme Bing (2002). Dazu vgl. Volkmann (1975: S. 43–5) und West (1985: S. 279–80). Vgl. Thuc. 1.132.3, 6.59.2 und 6.54.5. Grundlegend zu Thukydides und zum epigraphischen Material: Hornblower (1987: S. 89 ff.). Thuc. 6.59.2. Vgl. Snodgrass (2001). Grundlegend zu den Epigrammen in Pausanias: Chamoux (2001). 5, 18.1. Vielleicht handelt es sich um Beischriften; vgl. Raubitschek (1968: Anm. 2, S. 25).
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Vernetzung von Kontexten Ich möchte jetzt drei Beispiele nennen, die zeigen sollen, auf welche Art und Weise epideiktische Epigramme in einen Dialog mit ihren Trägern oder ihrer Umgebung treten können. Dabei handelt es sich nicht um explizite und eindeutige Hinweise, wie bei den epitymbischen und anathematischen Epigrammen. Die Transferleistung der Semanteme, die Vernetzung der Semantik von Kontexten gehört in diesem Fall zu den Aufgaben des Lesers, und es ist anzunehmen, dass ein geübtes Auge imstande war, einer solchen Aufgabe nachzukommen. Das epideiktische Epigramm, welches sich auf dem Schauplatz der Schlacht bei den Thermopylen befand, zeigt, wie ein Epigramm seinen Aufstellungskontext instrumentalisieren konnte: 2 ξ 9 + « / P* 12 *« «. «Drei Millionen kämpften an dieser Stelle / gegen vier Tausend von der Peloponnes.» 20
Das Verhältnis des Textes zu seinen Aufstellungsorten ist bei diesem Epigramm bestimmt kein indifferentes: Wir haben in der Regel mit einem semantischen Austausch zwischen einem Epigramm und seiner physischen Umgebung zu rechnen. Dabei handelt es sich nicht nur darum, dass die Texte bloß auf die Kontexte hinweisen, sondern auch darum, dass die Epigramme die Wahrnehmung ihrer physischen Kontexte bei Rezipienten redefinieren können. Sie sind keine Sklaven der Kontexte, deren Aufgabe sich auf einen deiktischen Bezug auf ihre Träger begrenzt, sondern sie besitzen für ihren Träger sowie für ihren Aufstellungsort eine sinnstiftende Rolle: Ein Passant in den Thermopylen mußte nach Lektüre dieses Epigramms seinen Eindruck der Stille des Engpasses redefinieren. Andererseits können auch die Träger, durch ihre jeweiligen Formen und Aufstellungskontexte die Interpretation des Textes bei einem historischen Rezipienten determinieren. Wie die Interpretation durch Träger sowie durch den weiteren architektonischen Bezugsrahmen gesteuert und bestimmt werden kann, zeigen vor allem die folgenden zwei Beispiele: 5 # #A" &« "#, π # #A -/
& 6I $ λ ] #A «./ […] / [ *2" 9 ] + " . «In der Tat wurde für die Athener ein großes Licht geboren, als Aristogeiton / und Harmodios den Hipparchos umgebracht haben. /[…]/sie zwei haben dem Vaterland die Freiheit gebracht.» 21
Dieses Epigramm befand sich auf der Athener Agora, auf der Basis der berühmten Statuengruppe der Tyrannenmörder, in der Nähe des Leokoreions. Es ist besonders wegen seiner Relation zum mittelbaren und unmittelbaren physischen Kontext interessant: Man hat es mit einer Reihe von Interaktionen zwischen dem architektonischen Kontext des Denkmals, dem Denkmal, dem Text des Epigramms und dem Rezipienten zu tun, ein Komplex, der nicht zuletzt aus der Wahrnehmung des physischen Kontextes resultiert. Das Epigramm ist geschrieben in medias res; es gibt weder einleitende, noch auf den Gegenstand hinweisende Worte, die die Epideixis auf die Tyrannenmörder ankündigen wür-
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Hdt. 7, 228; D.S. XI, 33; Aristid. Or. 28.65 (λ " .) II 512 D.; A.P. 7. 248; Suid. s. v. 7& « codd. dett. Übs. vom Verfasser. I.G. I3 502 Vv. 2, 4; Heph. Ench. 4.6, (S. 14–5 ed. Consbruch) Vv.1–2; Eustathius ad 8 261–6 (S. 636 Bd. III ed. Van der Valk), Vv. 1–2. Übs. vom Verfasser.
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den, und absolut nichts ist in diesem Epigramm formelhaft im Sinne der üblichen epideiktischen Epigramme (wie z. B.: «Wegen der Verdienste der …», oder «wegen dieser oder jener Wohltat entschied sich die Stadt …», u. ä.), weil der architektonische Kontext, d. h. der Aufstellungsort selbst die Rolle der üblichen Syntagmata und Formeln übernimmt. Man braucht das Opfer der Tyrannenmörder nicht sprachlich hervorzuheben, weil es durch den architektonischen Kontext – das Leokoreion, das mit der Idee der Freiheit und des Opfers für gesellschaftliches Wohl semantisch verbunden ist – aufgerufen wird: Einer Tradition nach hat ein Bürger namens Leos, dem delphischen Rat folgend, seine drei Töchter geopfert, damit die Stadt von Pest oder Hungersnot verschont bleibe. Einer anderen zufolge ist der Tempel einem Bürger namens Leokolos bzw. «Demjenigen, der sich ums Volk kümmert» gewidmet.22 Die Nähe des Leokoreions präfiguriert daher die Rezeption des Epigrammes – der Leser wird aufgefordert, die Tat der Tyrannenmörder im Kontext der Verdienste Leos’ zu lesen. Dabei ist es vollkommen irrelevant, ob diese Interaktion eine absichtliche oder eine akzidentelle ist; das wesentliche ist, dass sie stattfinden kann. Sicherlich war die Nähe des Leokoreions als Aufstellungsort deswegen ausgesucht, weil es sich um den Schauplatz des Attentats auf Hipparchos handelt; dies verhindert allerdings die Herstellung der semantischen Beziehungen zwischen dem Denkmal, dem Epigramm und dem Leokoreion nicht (auf der Ebene der Rezeption sicherlich nicht, auch wenn eine solche semantische Konstruktion auf der produktionsästhetischen Ebene möglicherweise nicht beabsichtigt worden war). Das Epigramm interagiert auch mit den Betrachtern des Denkmals und setzt hermeneutische Richtlinien für die Interpretation der Tat der Tyrannenmörder voraus. In den Jahren, als das Denkmal aufgestellt und das Epigramm eingemeißelt worden ist, konnte kaum ein Athener vergessen haben, dass das Attentat in Wahrheit zu keiner Wende zum Besseren, sondern, im Gegenteil, zur Eskalation der Brutalität des Hippias führte. 23 Der Text des Epigrammes setzt aber eine positiv konnotierte Auffassung des Attentats voraus: Nach einem Blick auf den Text des Epigramms und auf das Denkmal, wird eine Beziehung zwischen dem einzelnen Rezipienten24 und dem Denkmal erzeugt: Diese Beziehung ist individuell, weil die Gedanken, die von dem Denkmal mit seiner Umgebung induziert werden («Die Tat der Tyrannenmörder ist lobenswert, genauso wie die des Leos und seiner Töchter»), in diesem Epigramm dann ihre Bestätigung finden: «[ Du hast Recht, Betrachter], in der Tat wurde für die Athener ein großes Licht geboren […]». Ich möchte nun ein letztes Beispiel für die gegenseitige Beeinflussung von Texte und Kontext nennen: Diesmal handelt es sich um ein Weihepigramm, das, dem Sieg der Athener über die Chalkider und Böotier aus dem Jahr 507/6 v. Chr. folgend, auf der Basis einer Quadriga stand und zusammen mit den (Fußfesseln) der Athena auf der Akropolis geweiht wurde: 22 23
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Zu Mythen vgl. Redfield (2004: S. 94). Mit der Zeit wurde die Verschärfung des Regimes des Hippias derart aus dem Gedächtnis gestrichen, dass sich ein Jahrhundert später Thukydides berufen fühlt, mit seiner Darstellung der Ereignisse an die tatsächlichen Folgen des Attentats zu erinnern. Vgl. Th. 6.54.1: : Ω λ * « $ 4 Κ =« Ν**2« Κ ( =« #A" 2« λ 4 & 2 & (ξ λ 2 $>ξ« (ξ * «. Anders Friedländer (21972: S. 26), der meinte, dass «der großartige […] Klang des 5 # #A " » im Unterscheid zu den Skolia unpersönlich sei. Wegen der Formellosigkeit des Epigramms und der Aufforderung zur geschilderten Interaktion ist mein Eindruck gegenteilig.
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4 9 $*2 9 & %> > / $« #A" & , % * 2/ %" B& 4 λ X*& «./ 4 ?2« P** # %" . «Mit einer finsteren eisernen Fußfessel haben die Söhne Athens/ Hybris ausgelöscht, indem sie durch Taten des Krieges/ die Völker Böotiens und von Chalkis bezwangen./ Als Zehnten weihten sie der Pallas diese Stuten hier.» 25
Nachdem das alte Denkmal während der Persischen Zerstörung der Akropolis im Jahr 480 v. Chr. entweder vernichtet oder entfernt worden war, wurde um die Mitte des 5. Jh. v. Chr. ein neues, mit dem alten wahrscheinlich identisches Denkmal aufgestellt. In der neuen Fassung wurde der Sieg über die Böotier und Chalkider besonders betont, indem die Hexameter ihre Position wechselten. Warum es dazu gekommen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, jedoch ist die Schlussfolgerung naheliegend, dass das Epigramm einem neuen Ereignis «angepasst» wurde. 26 Man hat es also nicht nur mit einer Neuveröffentlichung, sondern auch mit einer gleichzeitig stattfindenden Neukontextualisierung einer alten Versinschrift zu tun: Aus einem ursprünglich anathematischen ist ein epideiktisches Epigramm geworden. Auch hier finden wir eine Interaktion des Textes mit seiner unmittelbaren Umgebung. Bei der Rezeption des Epigramms ist der Blick auf den Inschriftenträger eine Ergänzung des Textes, da die Erwähnung der «Stuten» im vierten Vers durch die Quadriga motiviert ist. Auch die Erwähnung der Fesseln konnte von den Betrachtern auf die in der unmittelbaren Nähe aufgehängten Fesseln (an der Mauer der Propyläen) bezogen werden. 27 Herodot schreibt nämlich, die mit den Fesseln verzierte Mauer der Akropolis sei immer noch von den Flammen aus der Zeit der Perserkriege geschwärzt gewesen, 28 was einen Rezipienten seiner Zeit ebenfalls an das Auslöschen der Feuer in der Stadt und an die Hybris der Perser erinnern konnte. Anhand dieser Beispiele ließ sich zeigen, wie Kontexte, vor allem der Aufstellungsort bzw. die Umgebung des Denkmals eine aktive Rolle bei der Rezeption und ihrer Steuerung spielen können. Was tun aber diese Texte für ihre Denkmäler? Wie wir sehen konnten, sind die eulogischen Elemente für die Anlässe reserviert, wohingegen die Referenz des Textes auf das Denkmal nur mittelbar, d. h. erst durch den Rezipienten hergestellt wird. Die epideiktischen Epigramme der archaischen und klassischen Zeit haben daher die Aufgabe, die auf der produktionsästhetischen Ebene vorausgesetzte Interpretation eines Ereignisses oder Kunstwerkes zu bestätigen, indem der vorausgesetzte Gedankengang im Moment der Rezeption dann auch vom Text bestätigt wird. Verglichen mit den späteren epideiktischen Epigrammen, fällt ein Aspekt sofort auf: Nicht nur dass kein Wort in diesen Epigrammen auf die Lebensnähe des Denkmals oder Bildnisses verwendet wird, sondern fast die gesamte Interaktion zwischen dem Text und dem Bild passiert nur mittelbar, durch den Rezipienten. 25
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I.G. I3 394 (ca. 507?); I.G. I 334 und 373 (ca. 457–446?); Hdt. 5.77; Diod. 10.24.3; Aristid. Or. 28.64 (S. 512 Dind.); P. Oxy. 2535; A.P. 6. 343. Übs. vom Verfasser. Vgl. aber auch Erbses These (1998: S. 225), dass die in literarischen Quellen vorhandene Versfolge eigentlich die ursprüngliche sei. Die Fesseln der gefangenen Böotier und Chalkider waren an der Mauer der Akropolis befestigt, vgl. Hdt. 5,77 f. Hdt. 5.77,3.
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Lebende Epigramme vs. Nicht so lebendige Bildnisse Es wurde bereits bemerkt, dass in den hellenistischen Epigrammen eines der häufigsten Motive der Epideixis die Lebensnähe des Kunstwerkes darstellt. Das Kunstwerk wirkt lebendig, es täuscht den Betrachter, es bewegt sich sogar, während begleitende Epigramme entweder von einem solchen Eindruck des Betrachters berichten, oder die Statuen selbst als lebende Wesen sprechen lassen. Was wir durch den Text erfahren, ist der Eindruck eines Betrachters von dem Bild und sein (implizites oder explizites) Lob der Kunst des Bildhauers. 29 Eine wirkliche Ekphrasis bleibt uns aber erspart: Im Grunde genommen finden wir ekphrastische Epigramme erst ab dem Zeitpunkt, als das Epigramm seinen «Buchcharakter» entwickelte – interessanterweise auch dann nur in Ansätzen. Denn als eines der ersten Beispiele der ekphrastischen Epigramme gilt Erinnas (akmé in den fünfziger Jahren des vierten Jh. v. Chr.) Epigramm über das Porträt einer Frau namens Agatharkhis. Auch hier sehen wir, dass das Epigramm nur den Eindruck des Betrachters, das Lob des Künstlers (bzw. seiner ) und kein Interesse an der Beschreibung des Gegenstandes aufweist: (A.P. 6.352; EG Erinna 3) $ *» 4 α *9 4 P ", % λ Ν "& λ ² *λ .
C C &« D " Ρ « %E / (D "#, 5« # #A"λ« Ρ*. «Von zarter Hand ist dieses Bildnis. Mein werter Prometheus,/ es gibt auch Menschen, die Deinem Können ebenbürtig sind./ Wer auch immer dieses Mädchen so lebensnah ( C &«) zeichnete, hätte er auch /die Stimme dazugegeben, wäre Agatharkhis gänzlich da.»30
Dies ist keineswegs nur ein vereinzeltes Beispiel für den Sachverhalt, dass das einzige, was wir aus dem Epigramm über das Bildnis erfahren, dessen große Realitätsnähe ist, so dass eigentlich v. a. auf die überragende Techne des Künstlers verwiesen wird. In den ebenso in die hellenistische Zeit datierten Epigrammen der Nossis (akmé in der ersten Hälfte des dritten Jh. v. Chr.) finden wir die gleichen Motive vor: Das Bildnis ist lebensnah ( C &«),31 und hätte der Künstler dem Kunstwerk noch die Stimme geschenkt, wäre es nicht mehr das Kunstwerk, sondern ein Durchschlag des Modells. Die Sehnsucht des Betrachters nach der Stimme des Bildnisses – was auch immer das Bildnis ist, die Betrachter der Kuh von Myron fragen sich ebenso, warum sie keine Laute von sich gibt –, ist ebenso belegt.32 Mit der Ekphrasis, wie sie für gewöhnlich definiert wird, haben diese Epigramme also nichts gemeinsam: Ihre alleinige Aufgabe ist die Epideixis auf das Können des Künstlers, da der Eindruck des Betrachters – aber nicht die Beschreibung des Kunstwerkes – referiert wird. Die Ekphrasis nach den Regeln der rhetorischen Schriften ist erst in späteren Epigrammen vorhanden. Anhand der erhaltenen griechischen Epigramme kann man wohl
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Dazu vgl. Petrovic/Petrovic (2003); Borg (im Druck). Grundlegend zum ekphrastischen Epigramm: Friedländer (1912). Vgl. auch Gutzwiller (2002, mit Bibliographie S. 85, Fn. 2); Dies. (2004). Text nach GP; Übs. vom Verfasser. Zum Topos der Lebensnähe vgl. Nossis EG 6,2 (/ E # $ " F ); 7; 8; 9. Vgl. bes. A.Pl. 326.
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kaum vor Silentiarius oder vor der Blüte der Gattung in Konstantinopel von wirklichen ekphrastischen Epigrammen sprechen.33 Dem Topos der Lebensnähe der Kunstwerke begegnet man in erhaltenen Versinschriften der archaischen und klassischen Zeit grundsätzlich nicht: Obwohl auch in diesem Zeitraum «Ich»-Redner-Epigramme vorhanden sind, handelt es sich in der Regel darum, dass das Weihgeschenk oder der Tote spricht. Dabei bleibt es auch: Die «Ich»-Erzählung weist nicht darauf hin, dass das Weihgeschenk lebendig oder täuschend echt ist, da es in der Regel von einem Hinweis auf seinen Stifter oder auf sich selbst begleitet wurde. Sowohl Hinweise auf Lebensnähe als auch Anspruch auf realistischen Züge der Weihung bleiben gänzlich aus. Das Weihgeschenk berichtet über sich als solches, als ein Weihgeschenk, ob es sich nun um ein agalma handelt: «Nikophanes hat mich, ein agalma, der Athena geweiht»34 oder um einen Diskos: «Exoides hat mich, den bronzenen, den Söhnen des großen Zeus geweiht, / als er mutvoll in Kephallene siegte»,35 oder um eine Säule: «Kleo]doros(?) hat mich Dir, Aphrodite, als ein Geschenk von Aparche gegeben …».36
Dies kann keineswegs als ein Hinweis darauf verstanden werden, dass die Gegenstände als lebendig verstanden wurden. Die geweihten Gegenstände werden als schön (kalós), sehr schön ( perikallés) oder als reizend (chariéis) beschrieben. Eines der häufigsten Epitheta in der Schilderung der Kunstwerke in der hellenistischen Zeit bleibt dagegen volkommen aus: Dem Epithet lebensnah (étumos) begegnet man in Epigrammen erst ab der Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. 37 Die Statuen der archaischen Zeit werden eben als solche, als Statuen, dem Rezipienten vorgestellt: In dem berühmten Midas-Epigramm ist die Sprecherin kein lebendiges, sondern ein bronzenes Mädchen, wie sie bereits in ihren ersten Worten zur Kenntnis gibt: *+ " « / und sie verkündet weiter, dass sie ewig den Passanten berichten wird, dass Midas in diesem Grab bestattet ist. 38 Während sich also die Statuen als Statuen ausgeben, kann man in klassischer Zeit merken, dass Epigramme selbst ungewöhnlich lebendig werden: Das bekannteste Beispiel ist eine Weihung (ein Standbild) aus Halikarnassos, welche vom folgenden Epigramm begleitet wird: «(κ 1 * ", * « # Ν[* / + #A**& « >& µ *H[«; / P C« 2¹µ« K>J**« F [*C« / Λ , 1 # $ " "[9 4.»
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Auch wenn manches Epigramm aus der neuentdeckten Sammlung des Poseidippos manche Charakteristika der Ekphrasis aufweist, vgl. dazu Zanker, G., New Light on the Literary Category of «Ecphrastic Epigram» in Antiquity: The New Poseidippus (col. X 7–XI 19, P.Mil.Vogl. VIII 309), ZPE 143, 2003, 59–62; Gutzwiller (2002). CEG 254.1. CEG 391.1–2. CEG 268.1. Das älteste Beispiel ist ein Epigramm von Kos, in dem eine Statuengruppe (vielleicht hippás) als étumon beschrieben wird. Vgl. CEG 862. GVI 1171.
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«Kunstvolle Stimme des Steins, sage: Wer hat dieses Schmückstück aufgestellt und den Altar des Apollon verschönert? Wenn Du mir befiehlst die Wahrheit herauszusagen, Panamyes der Sohn des Kasbolis hat diesen Zehnten dem Gott gestiftet.» 39 Zu Wort meldet sich hier im Unterschied zu obigen Beispielen keine Statue oder Weihgeschenk, sondern die Versinschrift, welche über den Stifter des Agalma und den Förderer der Verzierung des Altars berichtet. Es ist nun sie, die mit einer Stimme ausgestattet ist.
Zusammenfassung Während die epideiktischen Epigramme der archaischen und klassischen Zeit so gut wie keinen eingehenden Bezug auf die Bildnisse nehmen, sondern vor allem Anlässe und Ereignisse thematisieren, welche die Niederschrift von Texten hervorgerufen haben, widmen sich hellenistische epideiktische Epigramme fast ausschließlich der Aufgabe, die Eindrücke zu vermitteln, welche bei der Betrachtung der Bildnisse entstehen. Sicherlich ist einer der Gründe für diese Unterschiede zwischen den hellenistischen und archaischen epideiktischen Epigrammen in der Änderung des Mediums zu suchen. Die Epigramme, welche von den realistischen Zügen der Kunstwerke berichten, sind in der Regel Buchepigramme. Mit der Entwicklung des Epigramms zu einer Gattung, die nun auch für ein Buch verfasst werden konnte, ist es die Aufgabe des Dichters, für den Verlust der intermedialen ästhetischen Erfahrung aufzukommen. Die angewandte Technik beschränkte sich dabei des öfteren auf das Vorhaben, den Rezipienten nachfühlen zu lassen, was er erleben würde, wenn es zu dem Epigramm auch ein Bild gäbe bzw. was der Erzähler im Epigramm selbst «erlebte»: Die Lebensnähe, die Illusion, die Wirklichkeit – all das, was ein Leser jetzt nur mit seinem inneren Auge sehen oder beleben konnte. Durch die Änderung des Mediums, welche von einer wirklichen zu einer imaginären Intermedialität führte, ist es auch zu einer Verschiebung der Referenz gekommen: Die Schilderung von Anlässen wurde durch die Schilderung der Eindrücke von Bildnissen substituiert; als das Bild verloren ging, nahm es das alte epideiktische Epigramm mit sich. Denn wie die oben besprochenen Epigramme aus der spätarchaischen und klassischen Zeit illustrieren, war es die Aufgabe des Betrachters, den semantischen Transfer zu leisten; es war an ihm, die Ketten von der rußgeschwärzten Mauer der Propyläen mit den finsteren Ketten der Chalkider und Böotier zu verbinden und es war seine Aufgabe, die Kontraste zwischen Text und Kontext bei den Thermopylen zu erkennen. Ein weiterer Punkt sollte auch nicht unerwähnt bleiben. Wir haben gesehen, dass die Schilderung der Bildnisse in hellenistischen Epigrammen vor allem den Eindruck der Lebensnähe betonen, während die archaischen und klassischen Epitheta höchstens von «schönen», «sehr schönen» usf. Darstellungen sprechen. Hierbei darf man m. E. nicht annehmen, dass Epigramme durch Betonung der «realistischen» Züge der Bildnisse immer die am meisten geschätzte Qualität der künstlerischen Produktion, die Lebensnähe, thematisieren. Zumindest was Epigramme anbelangt, ist eine solche Schilderung auch von der Gattung bestimmt: Epigramme sind per definitionem kurze Texte. In einem vierzeiligen Epigramm gibt es einfach keinen Platz für eine ausführliche Beschreibung. Zu behaupten, 39
Text und Übs. nach Merkelbach / Stauber 01/12/05.
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dass z. B. eine Statue eines Mädchens lebensecht ist, stellt deswegen die kürzeste und zugleich die ausführlichste Beschreibung dar, die es gibt – alles hängt nun von der enargeia des Rezipienten ab. Die Entwicklung der ekphrastischen Epigramme war demzufolge nur dann möglich, als das Postulat der Kürze der Gattung seine Geltung verloren hatte. Das epideiktische Epigramm der archaischen und klassischen Zeit, welches in hellenistischer Zeit aufgrund der Änderung des Mediums sein Privileg der Inanspruchnahme der Semiotik der materiellen Kontexte verloren hatte, bildet daher den Ausgangspunkt für die Entstehung des griechischen ekphrastischen Epigramms. Der dort vorhandene Luxus der mangelnden Bezugnahme auf das Bildnis, welcher als eine Herausforderung an den Rezipienten verstanden werden kann, ist durch den Verlust des intermedialen Aspektes ebenfalls verloren gegangen. Die Supplementierung des Gegenstandes alleine und der Verzicht auf die weiteren Kontexte, welche infolge des Buchformats entstanden sind, führten zur Entwicklung des ekphrastischen Epigramms, welches uns nun einen Gegenstand als ein Ganzes vor Augen zu führen versuchte.
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Bemerkungen zur Dramaturgie und Komik des Plautus
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Christian Tornau
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Pseudolus – ‹der Blender› Bemerkungen zur Dramaturgie und Komik des Plautus*0
In der deutschsprachigen Plautus-Forschung dominiert der Ansatz der sogenannten Plautus-Analyse. Das bedeutet: Da jeder lateinischen Komödie ein griechisches Original aus der Zeit der Athener Mittleren und Neuen Komödie zugrundeliegt, achtet man in Plautus’ Komödien auf Unstimmigkeiten und Brüche in der Handlungsführung, um Spuren der Erweiterung oder Kürzung gegenüber der griechischen Version zu entdecken. Auf diese Weise hofft man, das griechische Original nach Möglichkeit rekonstruieren zu können und so zu einem Verständnis der Eigenleistung des Plautus zu gelangen, dem, was Eduard Fraenkel mit einer klassisch gewordenen Formulierung das «Plautinische im Plautus» genannt hat.1 Ein besonders einflußreicher Zweig der analytischen Richtung verbindet die im Grundsätzlichen auf die Philologie des 19. Jhs. zurückgehenden2 Methoden der Analyse mit der neueren, am Paradigma ‹Mündlichkeit – Schriftlichkeit› orientierten Aufmerksamkeit auf mündliche, improvisierte Theaterformen, die in Italien lange vor der Entstehung einer schriftlich fixierten lateinischen Literatur existiert hatten und auch danach weiterexistierten. Insbesondere interessiert hier die improvisierte Typenfarce der fabula Atellana, die man sich vermutlich ein wenig wie die Commedia dell’Arte vorstellen muß. Folgt man diesem Forschungsparadigma, so wäre das Prinzip, das Plautus bei der Bearbeitung von griechischen Komödien angewandt hat, primär die massive Einfügung von Elementen der Atellane gewesen; im Ergebnis wären die uns vorliegenden Plautus-Stücke dann eher Quellen für das italische Stegreifspiel als für die attische Komödie eines Menander. 3
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* Dieser Beitrag ist eine überarbeitete und erweiterte Version meines öffentlichen Habilitationsvortrags (Universität Jena, November 2004). Für wertvolle Hinweise danke ich Markus Janka (Regensburg). 1 Fraenkel (1922, ital. mit Nachträgen 1960; im folgenden wird die deutsche Ausgabe zitiert). Diese klassische Arbeit ist zwar der analytischen Fragestellung und Methodik verpflichtet; ihren besonderen Rang gewinnt sie aber dadurch, daß sie auf Spekulationen über Plautus’ attische Originale verzichtet und stattdessen durch Interpretation der uns vorliegenden Stücke das Spezifische an Plautus’ Poesie, seiner Komik und dramatischen Technik herauszuarbeiten versucht. Fraenkel hat dadurch – trotz berechtigter Kritik im einzelnen: Zagagi (1980) – Ergebnisse erzielt, die auch konsensfähig sind, wenn man seinen analytischen Schlüssen nicht folgt. Hierdurch ist seine Arbeit für die gesamte, analytische wie nichtanalytische PlautusForschung grundlegend geworden. Übrigens ist sich Fraenkel der Grenzen seiner Untersuchung bewußt geblieben und hat gelegentlich die Unmöglichkeit einer «reinlichen Scheidung» von Plautinischem und Attischem betont (vgl. bes. 50–55; 99 f.) – eine Haltung, die mit dem Optimismus vieler Analytiker vor und nach ihm merklich kontrastiert. 2 So ausdrücklich Lefèvre (1997: 14; 25) mit scharfen Worten: «Daß die feinfühlige Kritik des 19. Jahrhunderts von der modernen Forschung übersehen wird, bedeutet nicht, daß jene unzutreffend gewesen sei, sondern nur, daß diese blind ist.» 3 Hierfür stehen besonders die Forschungen von Eckard Lefèvre und die in seinem Umfeld entstandenen Arbeiten von L. Benz, E. Stärk, G. Vogt-Spira und anderen (Einzelnachweise s. die folgenden Anmerkungen). Lefèvre selbst hat zu verschiedenen Stücken des Plautus eine Reihe von methodisch deckungsgleichen
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Nun hat die Ausleuchtung der vorliterarischen italischen Theaterlandschaft unser Verständnis für den literaturgeschichtlichen Ort des Plautus zwar ungemein bereichert, und die Grundfrage der Analyse, das Verhältnis des Plautus zur griechischen Neuen Komödie, bleibt für das Plautus-Verständnis natürlich von höchster Wichtigkeit. 4 Dennoch birgt diese Forschungsrichtung einige grundsätzliche Probleme, die von ihren Vertretern nicht immer ausreichend reflektiert werden. Erstens: Uns ist in keinem einzigen Fall das vollständige griechische Vorbild einer plautinischen Komödie erhalten, und über die attische Neue Komödie wissen wir, abgesehen von wenigen Stücken und Stück-Teilen Menanders, so gut wie nichts. Die analytische Methode ist daher stets gefährdet, zirkulär zu werden – Fälle, in denen das einzige Kriterium der Unterscheidung von Plautinischem und Attischem das Vorurteil des Analytikers ist, lassen sich mühelos finden. 5 Zweitens: Es wäre sicher sinnlos, den Einfluß des italischen Stegreifspiels auf Plautus zu leugnen. Sobald dieser jedoch zum hermeneutischen Universalschlüssel erhoben wird und jeder charakteristische Zug des plautinischen Theaters mit dem Hinweis auf die fabula Atellana als ausreichend erklärt gilt, besteht die Gefahr, daß Plautus’ literarische Komödie vom Stegreifspiel ununterscheidbar und gleichsam nur noch als dessen niedergeschriebene Form begriffen wird. 6 Damit erhält die Kategorie des ‹Einflusses› einen mechanischen Charakter: Wenn die durchkomponierte Handlung einer griechischen Komödie bei Plautus unter den Einfluß des Stegreifspiels gerät, dann wird sie automatisch in einzelne, nur dem Augenblickseffekt dienende Szenen zerschlagen; an die Stelle der dramatischen Ökonomie der griechischen literarischen Ko-
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Monographien vorgelegt, in denen jeweils durch Ausscheidung großer Teile des Textes als plautinischer Zusätze und hypothetische Ergänzung des von Plautus Gestrichenen das griechische Original rekonstruiert wird und Plautus’ Änderungen durch den Einfluß des Stegreifspiels erklärt werden. Für die vorliegende Studie von besonderem Interesse ist Lefèvre (1997); vgl. außerdem u. a. Lefèvre (1995) (zu Mercator und Trinummus) und zuletzt ders. (2001). – In eine ähnliche Kategorie gehört die Interpolationsforschung von Zwierlein (1991). Sie ist zwar nicht analytisch orientiert und verwendet auch nicht das italische Stegreifspiel zur Erklärung, setzt aber ebenso wie die Analyse bei ‹Anstößen› an, die durch Athetese vermeintlich unechter Verse ‹geheilt› werden sollen. Mit der Analyse teilt die Interpolationsforschung die Voraussetzung, daß die Plautus-Texte, die uns vorliegen, uneinheitliche und nur genetisch interpretierbare Gebilde sind. Daß man hier auch ohne ins Einzelne gehende analytische Hypothesenbildung fruchtbare Ergebnisse erzielen kann, zeigt etwa Anderson (1993: 3–29 (Kapitel «Plautus and the Deconstruction of Menander»)). Im übrigen gibt es in der Plautusforschung durchaus auch andere Themen von Interesse; Blänsdorf (2002: § 127), der unter der Rubrik «Forschungsprobleme» zu den einzelnen Komödien regelmäßig nur die Datierung und das griechische Original erwähnt, vermittelt hier einen etwas verzerrten Eindruck. Z.B. beginnt Lefèvre (1997: 101), seinen Abschnitt «Weltbild» mit dem Satz: «Das Weltbild des Originals war nach allem, was noch zu erkennen ist, konventionell» – was kaum anders möglich ist, nachdem in der vorausgehenden Analyse jeder nichtkonventionelle Zug als Indiz für plautinische Überarbeitung gewertet wurde. Bei Jachmann (1931: 1 f.) ist der Zirkel sogar ausdrücklich zum methodischen Prinzip erhoben. Gewiß beweist schon die flüchtige Lektüre je eines Stücks von Menander und von Plautus, daß attische und römische Komödie nach Machart und Wirkweise prinzipiell voneinander verschieden sind. Doch rechtfertigt das nicht die Zuversicht, mit der die Analytiker einzelne Verse und Vershälften dem Original ab- und Plautus zusprechen. Der paratragodische Bombast in Pseud. 702–707, den Lefèvre (1997: 65) mit großer Zuversicht dem Plautus zuweist, hat beispielsweise eine nahe Entsprechung bei Menander, Samia 325 f. und 495–497 – Gefühlsausbrüche, deren paratragodische Formulierung keineswegs die psychologische Wahrscheinlichkeit hat, die L. für die Neue Komödie grundsätzlich voraussetzt. Zu diesen und ähnlichen Passagen bei Menander: Zagagi (1995: 46–59). Zum Problem des analytischen Umgangs mit der Simo-Figur des Pseudolus vgl. den Anhang. So Lefèvre (1997: 10): «Man könnte von ‹verschriftlichtem› Improvisationstheater sprechen.»
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mödie tritt die ‹Diskontinuität› der Atellane, das Aufeinanderfolgen in sich geschlossener, nur lose miteinander verbundener Szenen. 7 Für einen bewußt schaffenden, selbständig kreative Entscheidungen treffenden Autor Plautus ist bei einer solchen Sicht der Dinge kein Platz; von einer ‹Dramaturgie des Plautus› zu sprechen, wie es im Titel dieses Beitrags geschieht, wäre im Grunde sinnlos. Diese Auffassung verbindet sich nicht selten mit einer bestimmten kulturgeschichtlichen Auffassung vom römischen Theaterpublikum des 3. und 2. Jh. v. Chr., dem die jahrhundertelange Theatertradition Griechenlands fehlte und dessen Geschmack stattdessen am improvisierten Volkstheater geschult war: Wenn Plautus dieses Publikum erreichen wollte, hatte er im Grunde gar keine andere Wahl, als für primitive Barbaren primitives Theater zu machen. 8 Es wird nicht überraschen, daß ich eine solche Betrachtungsweise für unangemessen halte. Archaische Literatur darf nicht einfach mit primitiver Literatur gleichgesetzt werden, und die Komödie des Plautus ist auf ihre Weise ein hochkomplexes Gebilde. Sie ist weder nur eine heruntergekommene Version der griechischen Neuen Komödie, noch ist sie bloß die niedergeschriebene Form des italischen Stegreifspiels – von der einen unterscheidet sie sich, weil sie lateinisch-römisch ist, von der anderen, weil sie literarisch ist. In beiden Fällen ist von dem lateinischen Theaterdichter eine Transformationsleistung gefordert, die nur erbracht werden kann, wenn er bei der Bearbeitung der beiden ihm vorgegebenen Theaterformen sehr bewußte Entscheidungen trifft und zu ihnen somit in ein explizites Verhältnis tritt. 9 Das Theater des Plautus ist von vornherein ein sehr bewußtes Theater – es ist ‹Metatheater›, ein Ausdruck, dessen Anwendbarkeit auf Plautus wegen bestimmter moderner Assoziationen umstritten ist, der aber, wenn man ihn im Wortsinn als ‹Theater über Theater› begreift, ausgesprochen treffend ist.10 Von Metatheater als ‹Theater über Theater› kann
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Dies ist die Auffassung von Lefèvre, der in seinen Arbeiten jedesmal die strenge « des Originals» gegen die «Diskontinuität» der plautinischen Version stellt; vgl. etwa Lefèvre (1997: 39–99). Mit dem Schlagwort ‹Diskontinuität› wird die Beobachtung von Fraenkel (1922: 322 f. u. ö.) verabsolutiert, daß bei Plautus die Einzelszene im Vergleich mit der stärker auf die Struktur der Gesamthandlung ausgerichteten Neuen Komödie mehr Gewicht hat. Zur Vorstellung von diesem Vorgang als einer Art Automatismus vgl. Formulierungen wie Lefèvre (1997: 53) «Die schriftliche Form spiegelt Improvisationstheater reinsten Wassers wider»; (1997: 59) «Hier brach das altrömische Stegreifspiel lustig in die literarische Welt der N ein»; (1997: 70) «Es handelt sich offenbar um die additive Struktur der vom Stegreifspiel beeinflußten plautinischen Komödie». Vgl. in diesem Sinne Benz (1995: 152 f.), wo ein fast karikierend primitives Bild vom römischen Theaterpublikum des 3./2. Jh. gezeichnet wird. Vgl. auch Bemerkungen wie Lefèvre (1997: 59): «Das alles sind urplautinische Einfälle, über die ein attisches Publikum den Kopf geschüttelt hätte, das römische aber aus dem Häuschen geriet.» Sonst wird das römische Publikum der Plautus-Zeit differenzierter dargestellt, vgl. Anderson (1993: 133–151); Moore (1998: 9); Wright (1974: 191 und passim); Chalmers (1965). Diesen Sachverhalt reflektiert für das Stegreifspiel: Vogt-Spira (1995). Barsby (1995), zeigt für einige szenische Konstellationen des Pseudolus, daß sie Grundsituationen des Improvisationstheaters entsprechen. Doch leuchtet sofort ein, daß das nur für die allgemeine Vorgabe, nicht aber für Plautus’ komplizierte metrisch-musikalische Ausführung der Szenen gelten kann. Wir haben es hier nicht mit einem mechanischen Fortwirken, sondern mit einer Imitation des Stegreiftheaters zu tun. Metatheatralisch orientierte Arbeiten: Moore (1998); Slater (1985: 3–18 zum Grundsätzlichen); Petrone (1983); Wright (1975); Sharrock (1996). Kritisch gegen den Begriff des Metatheaters: Anderson (1993: 139). Vielleicht sollte man aber – bei allem Bewußtsein der Differenz – die Grenze zwischen Antike und Moderne nicht allzu scharf ziehen: Autoren wie Brecht, Beckettt, Pirandello oder Ionesco setzen nicht selten metatheatralische Mittel mit komischem Effekt ein, wodurch sich manchmal eine überraschende Ähnlichkeit mit Plautus ergibt.
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nun in mehreren Bedeutungen die Rede sein, die in der Realität der Komödientexte freilich meistens ineinandergreifen werden: 1) Die gängigste Bedeutung ist die, daß das komische Spiel sein eigener Gegenstand ist, daß die Intrige der Komödie als ‹Spiel im Spiel› begriffen wird, die Akteure sich ihrer Status als Schauspieler und der Gegenwart des Publikums bewußt sind und dadurch komische Effekte erzielen.11 2) Die zweite Bedeutung ist die eben angesprochene, das explizite Spielen des römischen Theaters mit seinen griechischen und italischen Vorläufern. 3) Ein dritter Gesichtspunkt schließlich erfährt m. E. zu wenig Aufmerksamkeit und soll daher für die folgenden Überlegungen zum Pseudolus leitend werden: Es ist die Fähigkeit des lateinischen literarischen Theaters, eigene Gesetze und Konventionen hervorzubringen und mit ihnen zu spielen, mit anderen Worten: die Fähigkeit, sich nicht nur zur griechischen und zur Improvisationskomödie, sondern auch zu sich selbst in ein metatheatralisches Verhältnis zu setzen. Als Plautus im Jahr 191 v. Chr. seinen Pseudolus zur Aufführung brachte, ging die römische Komödie in die dritte Generation, und Plautus selbst hatte bereits 20 Jahre gewirkt. Die Zuschauer des Pseudolus waren mit den Konventionen der lateinischen Komödie bestens vertraut – doch freilich waren diese Konventionen weder rein griechischer noch rein italisch-vorliterarischer Herkunft, sondern gehörten der lateinischen Komödie selbst an und waren (so darf man vermuten) wesentlich von Plautus selber entwickelt worden.12 Wie ich im folgenden zu zeigen hoffe, konnte Plautus in einer späten Komödie wie dem Pseudolus besondere komische Effekte erzielen, indem er mit selbstgeschaffenen, in den Augen seines Publikums typisch plautinischen Konventionen und Situationen spielte. Hierzu soll zunächst skizziert werden, in welchem Sinne Plautus’ Charakterisierung der Hauptfigur des Pseudolus als ein solches Spiel mit der Konvention aufgefaßt werden kann. Sodann soll versucht werden, diese Auffassung mit Hilfe eines Durchgangs durch das Stück zu konkretisieren und plausibel zu machen; und in einem letzten Schritt soll gezeigt werden, wie das Stück schließlich doch wieder in die Konvention einmündet und für Hauptfigur und Publikum zu einem ‹guten Ende› kommt. Als plautinische Konvention soll dabei gelten, was in seinen früheren Stücken vorliegt und mit gutem Grund für repräsentativ gehalten werden kann. Eine der wichtigsten Konventionen des plautinischen Metatheaters (in der ersten obengenannten Bedeutung) besteht darin, daß diejenige Person das komische Spiel gewinnt, die ihm ihre Regeln aufzuerlegen vermag und so die Handlung und die anderen Personen kontrolliert. Meistens ist dies der servus callidus, der schlaue, intrigante und auf seine Leistungsfähigkeit nicht wenig stolze Sklave – hier fällt regelmäßig das Wort virtus, der zentrale römische Wertbegriff. Soweit wir sehen können, hat Plautus diese Rolle gegenüber der griechischen Komödie enorm gestärkt.13 Pseudolus, die Titelfigur unserer Komödie, ist ein
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Vgl. hierzu die meisten in der vorigen Anmerkung genannten Arbeiten und Blänsdorf (1982) (zu Menanders Aspis, Plautus’ Mostellaria und Terenz). Eine wichtige Rolle wird auch die frühere und gleichzeitige Komödie, insbesondere die des Naevius, gespielt haben, worauf schon Fraenkel (1922: 232 Anm. 2; 340; 420) hingewiesen hat. Das spärliche Material erlaubt leider nicht, diesen Gesichtpunkt befriedigend zu klären. Das bedeutet aber nicht, daß man ihn vernachlässigen darf, wie es zu leicht geschieht, wenn man das Stegreifspiel als Einfluß auf Plautus absolut setzt. Vgl. Fraenkel (1922: 231–250); Anderson (1993: 88–106); zur Rolle dieser Figur als die Handlung kontrollierender Autor/Regisseur: Slater (1985). Wie Slater zeigt, kann diese Rolle nicht nur von Sklaven, sondern
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typischer Vertreter dieser Rolle; vielen ist er sogar als die ideale Verkörperung des plautinischen servus callidus erschienen.14 Man muß hier jedoch etwas genauer hinsehen. Pseudolus gibt zwar keinem seiner Kollegen irgendetwas nach in verbaler Selbstglorifizierung, doch als Akteur und Regisseur der Komödienhandlung zeigt er auffällige Schwächen. Bei einem analytischen Ansatz würde man diesen Befund vermutlich mit dem Hinweis auf die ‹Diskontinuität› einer plautinischen Komödienhandlung erklären, d. h. man würde schlicht annehmen, daß dem römischen Publikum die Schwächen des Pseudolus angesichts seiner großen Worte überhaupt nicht aufgefallen sind.15 Eine metatheatralisch (wieder in der erstgenannten Bedeutung) orientierte Interpretation könnte darauf hinweisen, daß Pseudolus die Fäden des Spiels trotzdem in der Hand behält, etwa durch seine Kontrolle über die komische Sprache.16 Aber wie die Komödien Epidicus und Bacchides zeigen, ist Plautus ohne weiteres in der Lage, einen großsprecherischen Sklaven auch überzeugend agieren zu lassen. Ich schlage daher eine Pseudolus-Interpretation vor, nach der der Zuschauer die Schwäche der Hauptfigur durchaus bemerken darf. Der Zuschauer erhält das Angebot, die plautinische Lieblingsfigur, den servus callidus, auch einmal kritisch zu sehen und sich weniger über die virtus des Sklaven zu amüsieren als über seine Fähigkeit, seine Mitspieler und uns über seinen Mangel an ihr hinwegzutäuschen. Das ist der Sinn, in dem ich mir erlaubt habe, die griechische Wurzel - im Namen des Pseudolus wörtlich zu nehmen und ihn mit dem Attribut ‹der Blender› zu versehen. Bei einem solchen Ansatz müssen wir freilich darauf achten, nicht in pedantisches Nachrechnen zu verfallen und so die Rolle der ‹Agelasten› oder Lachfeinde anzunehmen, jener geizigen Väter, Mädchenhändler oder Pädagogen, die mit den obersten Werten der Komödie, Essen, Alkohol, Sex und Spaß, nichts anfangen können und daher am Ende jeder Komödie mit Recht die Verlierer sind.17 Wenn Pseudolus am Ende des Stücks, glücklich betrunken, seinen alten Herrn Simo (einen wenig
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auch von meretrices (Bacchides, Truculentus), alten Männern (Trinummus), Parasiten (Curculio), einmal auch von einer matrona (Casina) übernommen werden; nicht selten herrscht ein Wettbewerb um die Kontrolle des Spiels (Asinaria; im Pseudolus konkurrieren sogar vier Personen, nämlich Pseudolus, Ballio, Simo und Simia). Moore (1998: 8–49) arbeitet heraus, daß Schauspieler und Charaktere dabei wesentlich um die Solidarität des Publikums («rapport») konkurrieren, ohne die es keine überzeugende Vorherrschaft über die Bühnenaktion geben kann: Figuren wie Ballio oder Simo verlieren immer, weil sie sich diese Solidarität nie dauerhaft sichern können. Literatur zum Pseudolus: Moore (1998: 92–107); Lefèvre (1997); Sharrock (1996); Willcock (1987, Einleitung, Text und Kommentar); Slater (1985: 118–146); Wright (1975). Außerdem: Zwierlein (1991); Jachmann (1933). Weitere analytisch orientierte Literatur seit ca. 1850 referiert Lefèvre (1997: 12–22). Pseudolus als das Ideal des servus callidus: u. a. Moore (1998: 38; 94); Anderson (1993: 101); Barsby (1995: 61); Slater (1985: 118). So tendenziell Lefèvre (1997: 61 f.; 91) nach Jachmann (1933: 455 f.). L. spricht das Problem aber nicht ausdrücklich an. So Wright (1975 passim; 403 ausdrücklicher Hinweis auf die merkwürdige «weakness» der Titelfigur); Slater (1985: 118–146). Bei S. geht die ‹Rettung› des Pseudolus gelegentlich nicht ohne etwas gewaltsame Interpretation ab; Einzelnes vermerken wir an Ort und Stelle. Zum Begriff des Agelasten: Segal (21987: 70–98). Es ist nicht ganz korrekt, wenn S. vermerkt (92 f.), daß die Vaterfigur bei Plautus nicht agelastisch sei: In der Schlußszene des Pseudolus äußert sich Simo ganz ähnlich wie Segals Agelast par excellence, der Zuhälter Dordalus im Persa (Pseud. 1325 erit ubi te ulciscar, sei vivo ~ Pers. 819 ego pol vos eradicabo). Gewiß ist der Typus des durus pater bei Plautus vergleichsweise selten, doch fällt auf, daß einige von Plautus’ senes als strenge Väter beginnen, ihre moralistische Fassade aber bald brökkelt. Vgl. bes. den senex amator Demipho im Mercator, der von seinem Sohn zunächst als senex iratus wahrgenommen wird (Merc. 46–86). Zu Simo vgl. den Anhang.
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erfreulichen Charakter) verspotten darf, ist es kaum eine angemessene Rezeptionshaltung, ihm vorzuhalten: «Aber eigentlich bist du doch ein Blender!» Kurz: Eine Art der Komik des Pseudolus liegt gerade darin, daß Pseudolus ein Blender ist, daß wir dies als Zuschauer kritisch vermerken und daß wir uns letzten Endes doch gern von ihm blenden lassen.18 Der Plot des Pseudolus ist eine typische Intrigenhandlung der Neuen Komödie. Der junge Calidorus ist in die Hetäre Phoenicium verliebt, die von ihrem Eigentümer, dem Zuhälter (leno) Ballio, für 20 Minen an einen Soldaten verkauft werden soll. Der Soldat hat bereits 15 Minen angezahlt. Daraus ergibt sich die Aufgabenstellung für Pseudolus, an den sich Calidorus – selber wie jeder Komödienjüngling in dieser Situation hilflos – hilfesuchend wendet: Er muß das Mädchen aus der Gewalt Ballios befreien, und er muß 20 Minen auftreiben, um Ballio zu entschädigen. Ersteres gelingt dadurch, daß im rechten Moment Harpax, der Abgesandte des Soldaten, erscheint und die restlichen fünf Minen sowie einen Brief des Soldaten und ein Erkennungszeichen (symbolum) bei sich hat, das als Quittung für die bereits gezahlten 15 Minen gilt. Nun beginnt ein zweifaches Rollenspiel: Indem sich Pseudolus für einen Sklaven des Ballio ausgibt, bringt er Harpax dazu, ihm Brief und symbolum auszuhändigen. Dann gibt sich ein von Pseudolus instruierter zweiter Intrigant namens Simia gegenüber Ballio für Harpax aus. Ballio läßt sich täuschen und übergibt Simia, dem falschen Harpax, gegen Aushändigung von Brief und symbolum sowie der (inzwischen leihweise aufgetriebenen) restlichen fünf Minen die Geliebte des Calidorus. Die fällige Entschädigung für Ballio erhält Pseudolus, indem er mit dem Vater des Calidorus, dem alten Simo, um 20 Minen wettet, daß ihm der Coup der Befreiung des Mädchens gelingen wird. Um seine Wette nicht zu verlieren, macht sich Simo sogar zum Komplizen des Zuhälters und warnt ihn vor, muß aber am Ende trotzdem seine Niederlage eingestehen und bezahlen. Die erste Szene zwischen Calidorus und Pseudolus dient außer zur Exposition vor allem dazu, daß sich Pseudolus in der Rolle des servus callidus etabliert und seinen Anspruch auf Kontrolle der Handlung artikuliert. Sachlich hat er zwar noch keinerlei Idee, wie er das Problem des Calidorus lösen könnte;19 umso größer sind die Worte, mit denen er unter Parodie eines förmlichen juristischen Aktes eine Lösung verspricht. 20 Seine besondere Leistungsfähigkeit (virtus) betont er, indem er sich in die Pose eines römischen Magistraten wirft und ein «Edikt» verkündet, daß sich «jedermann» «heute» vor seinen betrügerischen Listen hüten solle:
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Sharrock (1996) verortet in ähnlicher Weise die Komik des Pseudolus in der Täuschung des Publikums (vgl. 155; 165 f.). Sie liest das Stück nicht nur unter metatheatralischer, sondern darüber hinaus unter «metakompositioneller» Perspektive, d. h. mit Blick auf die Spannung zwischen dem Pseudolus als scheinbar improvisiert ablaufender Handlung und als geschriebenem Text. Der sich daraus ergebende komische Effekt ist, daß Pseudolus (= Plautus) das «script» kennt und daher als einziger Akteur mit seinen vollmundigen Versprechungen, Edikten usw. Erfolg hat, während seine Gegenspieler Ballio und Simo damit scheitern (Sharrock 1996: 156; 159; 163). Pseud. 106 f. Atque id futurum unde unde dicam nescio, / Nisi quia futurumst: ita supercilium salit. Im Gegensatz dazu entwickelt etwa Pseudolus’ Kollege Epidicus (der übrigens von seinem Herrn erst zur Aktivität gedrängt werden muß) schon in der Eröffnungsszene Ansätze zu einem Plan (Epid. 153–155). 116–118, bes. 116 Roga, opsecro hercle: gestio promittere. Die Vereinbarung zwischen Calidorus und Pseudolus scheint an die Vertragsform der sponsio angelehnt zu sein, zu der Pseudolus als Sklave in der Realität natürlich nicht berechtigt ist. Vgl. Willcock (1987: 101).
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Und damit nachher keiner sagt, daß er nicht gewarnt worden ist, verkünde ich hiermit allen, der in der Versammlung anwesenden Jungmannschaft, dem ganzen Volk [ poplo; möglich auch: Publikum], allen meinen Freunden und Bekannten gebe ich das Edikt, daß sie sich diesen ganzen Tag vor mir hüten und mir nicht trauen sollen (125–128).21
Es ist einer der Gipfel der hyperbolischen Selbstglorifizierung plautinischer Sklaven, daß sie ihre Opfer vor sich warnen und die Schwierigkeit ihres Unternehmens dadurch (scheinbar) noch steigern. Das Meisterwerk in dieser Hinsicht vollbringt der Sklave Chrysalus in den Bacchides, der seinem alten Herrn Nicobulus unausgesetzt Warnungen des Typs «Wehe dir! Ich werde dich heute übel belügen und ausnehmen» gibt. 22 Der alte Nicobulus ist damit vor das Problem des lügenden Kreters gestellt, das ihn intellektuell überfordert; so gerät er in heillose Verwirrung und wird wie vorausgesagt zum Opfer des Chrysalus, dessen Prophezeiung sich so selber erfüllt. Pseudolus fordert mit seinem hyperbolischen Edikt den Vergleich mit dieser oder einer ähnlichen Meisterleistung der Intrige direkt heraus, und an uns als Zuschauer ist damit die Aufgabe herangetragen, kritisch zu prüfen, ob er diesem Anspruch auch wirklich standhalten kann. Aber das ist nicht alles. Pseudolus gibt dem Edikt ein ausgesprochen römisches Gepräge und verwendet das zweideutige Wort populus, das ‹Volk› oder ‹Theaterpublikum› bedeuten kann. 23 In diesem Sinne richten sich Pseudolus’ Worte nicht nur an die imaginären Bewohner der Stadt auf der Bühne, sondern auch an die real anwesende Zuschauerschaft. Mit den «Freunden und Bekannten» (noti und amici) sind dann nicht nur die innerdramatischen Freunde der Figur Pseudolus, sondern auch und gerade die Zuschauer gemeint, die den von Pseudolus vertretenen komischen Typus lieben – oder gar die Verehrer des Plautus selbst. Diesen wird bei einem solchen metatheatralischen Verständnis des Edikts folgendes nahegelegt: Sie müssen mit einem servus callidus rechnen, der nicht nur seine Mitspieler, sondern auch sie, die Zuschauer, zu ‹täuschen› versucht, indem er zwar vorgibt, den konventionellen Sklaven der plautinischen Komödie zu geben, dies aber in der ‹Realität› des Stücks nicht tut. Diese Warnung ist durchaus am Platz, da die Zuschauer normalerweise nicht Opfer, sondern Komplizen der Täuschungsmanöver des Intriganten sind und von ihnen nicht kritische Distanz, sondern Identifikation mit ihm erwartet wird. 24 Reichlich Gelegenheit, sich von Pseudolus ‹ent-täuschen› zu lassen, bietet die unmittelbar folgende Szene. Der große Sieger dieser Szene ist der Gegenspieler des Pseudolus, der Zuhälter Ballio, der zunächst in einem großangelegten Gesangsstück seine männlichen und
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Nunc, ne quis dictum sibi neget, dico omnibus, / Pube praesenti in contione, omni poplo, / Omnibus amicis notisque edico meis, / In hunc diem a me ut caveant, ne credant mihi. Vgl. bes. Bacch. 824 atqui iam dabis mit Pseud. 510 f. dabis. / iam dico ut a me caueas. Vgl. Willcock (1987: 102); Slater (1985: 121) «Pseudolus warns the audience not to trust him, for he may even trick them»; Moore (1998: 103) «Even as he ironically suggests that they themselves may be the victims of his plots, Pseudolus includes the spectators among his friends»; Sharrock (1996: 163). Das römische Motiv des Beamtenedikts bildet auch sonst gelegentlich einen komischen Kontrast zu der griechischen Szenerie des Spiels (z. B. Capt. 800–824; Pseud. 143; 172); vgl. Fraenkel (1922: 132–134; 144–146). Eine metatheatralische Aussage macht übrigens auch die Wendung in hunc diem (128), die (die Konvention von der Einheit des Tages vorausgesetzt) mit «während dieses Stücks» übersetzt werden kann. Vgl. Schwindt (1994: 158–162 zum Pseudolus, allerdings ohne Besprechung von Pseud. 128 und ohne metatheatralische Interpretation).
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weiblichen Sklaven kujonieren darf,25 der danach noch einmal 25 Verse benötigt, bis er Calidorus und Pseudolus überhaupt zu bemerken geruht, und der die beiden mit ihrem Anliegen schließlich kühl auflaufen läßt. Er macht sogar ein paar geschmacklose Witze auf ihre Kosten, bei Plautus ein sicheres Indiz für die souveräne Herrschaft einer Figur über Bühnengeschehen und Mitspieler. 26 Nirgends setzt Pseudolus zu einem intriganten Angriff auf Ballio an, was umso auffälliger ist, als er am Anfang der Szene mit einer metatheatralischen Bemerkung betont, daß es seine Aufgabe als Vertreter des Typus servus callidus ist, den Zuhälter hereinzulegen.27 Die Machtverhältnisse der Szene werden gebündelt in der abschließenden Schimpfszene.28 Das ist der einzige Angriff auf Ballio, den Pseudolus und Calidorus in dieser Szene wagen, und er scheitert beispielhaft. Ballio läßt die Schimpfwörter, mit denen ihn seine Gegner überhäufen, ungerührt an sich abperlen; er posiert sogar als Veranstalter und Regisseur des Schimpfspiels und wird damit in paradoxer Weise zum Gewinner einer Szene, die ihn nach dem Willen der anderen Akteure demütigen soll. Zwar ist die Beschimpfungsaktion nicht Pseudolus’, sondern Calidorus’ Idee, der mithin auch für das Scheitern verantwortlich ist; 29 aber gibt es ein größeres Armutszeugnis für einen Komödiensklaven, als die Anweisungen seines notorisch handlungsunfähigen jugendlichen Herrn zu befolgen?30 Am bemerkenswertesten ist jedoch Pseudolus’ Verhalten am Ende der Szene, unmittelbar nach Ballios triumphalem Abgang. Pseudolus reagiert hier mit einem Satz, der zum konventionellen Repertoire des energischen Komödiensklaven gehört: Dieser Mann gehört mir (illic homo meus est), wenn mich nicht alle Götter und Menschen im Stich lassen (381). 31
Der Satz ist schon bei Plautus’ Vorgänger Naevius bezeugt und begegnet bei Plautus häufig. Nach der Konvention wird er von der Figur des Intriganten in dem Moment gesagt, wo ihm das Opfer seiner Intrige ins Netz gegangen ist oder im Begriff ist, dies zu tun. 32 Die Zu25
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Pseudolus und Calidorus stehen währenddessen unbemerkt dabei und geben einige etwas hilflos wirkende Kommentare (vgl. bes. 202–206). Slater (1985: 123), überschätzt den Vorteil, der sich für sie aus der konventionellen Struktur der Lauscherszene ergibt, wo der Lauschende dem Belauschten gemeinhin überlegen ist. Wie Moore (1998: 38), zu derselben Szene richtig bemerkt, kommt dieser Vorteil nur zur Geltung, wenn er durch beiseite gesprochene Bemerkungen in Solidarität mit dem Publikum umgesetzt wird. Dazu Wright (1975: 407–410). 233 f. Iam diu ego huic bene et hic mihi volumus et amicitia est antiqua: / Mittam hodie huic suo die natali malam rem magnam et maturam. Dies ist eine der zahlreichen Passagen im Pseudolus, wo sich die Sprecher nicht als Individuen, sondern als Typen verstehen. Auch Ballio hat ein hochentwickeltes Rollenbewußtsein als leno, vgl. 375–377 über sein officium; weitere Stellen dieser Art verzeichnet Moore (1998: 96 f.). Es besteht kein Anlaß, mit Lefèvre (1997: 47), analytischen Anstoß daran zu nehmen, daß von früheren Kontakten zwischen Pseudolus und Ballio sonst keine Rede ist. 357–369, seit Usener (1901) gewöhnlich als flagitatio bezeichnet und als Reflex «italischer Volksjustiz» verstanden. Dies betont zur Ehrenrettung des Pseudolus Slater (1985: 125). S. hätte zusätzlich darauf hinweisen können, daß es Pseudolus ist, der die peinliche Szene abbricht (Pseud. 369). Wie vieles andere, ist im Pseudolus auch die Handlungsunfähigkeit des adulescens ins Extrem getrieben. Sharrock (1996: 161 f.) macht den einleuchtenden Vorschlag, daß die Charinus-Szene auch darum notwendig ist, weil die Beschaffung des Zweit-Intriganten Simia für Calidorus eine viel zu effektive Handlung wäre. Illic homo meus est, nisi omnes di me atque homines deserunt. Vgl. Mil. 334; Pseud. 600a und 1124 (an der letzteren Stelle ist die Kontrolle des Sprechers über die Situation nur subjektiv); Curc. 431 meus hic est, hamum vorat; Naevius, Stalagmus fr. 70 Ribbeck, CRF 3 = fr. 68 War-
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schauer des Pseudolus waren also daran gewöhnt, daß der Sprecher mit diesem Text in überzeugender Weise seine souveräne Herrschaft über die Szene dokumentiert. An dieser Stelle macht der Satz den Zuschauern demnach ein zweifaches Angebot: Sie können den Satz entsprechend seinem konventionellen Kontext verstehen und Pseudolus den durch ihn artikulierten Anspruch auf Kontrolle der Szene zugestehen; dazu müssen sie freilich das Bild der gerade vergangenen Szene verblassen lassen. Ein analytischer Forscher würde nur diese Lösung zulassen und die Inkongruenz mit einem Eingriff des Plautus in das griechische Original erklären. Der Zuschauer im Theater hat indessen noch eine zweite Möglichkeit: Er kann die Inkongruenz zwischen dem Satz und der Situation, in der er gesprochen wird, registrieren und, im Sinne der in Pseudolus’ ‹Edikt› ausgesprochenen Warnung, vermerken, daß der Sprecher nicht das ist, was er zu sein vorgibt. Wichtig ist, daß die Szene beide Angebote macht – ob der Zuschauer sich von Pseudolus blenden läßt oder nicht, ist seine eigene Entscheidung. Derselbe Effekt wird unmittelbar darauf verstärkt, wenn Calidorus nach Pseudolus’ Plan fragt und folgende abschlägige Antwort erhält: Das wirst du zu gegebener Zeit erfahren. Ich will nicht, daß es zweimal wiederholt wird, die Theaterstücke sind auch so schon lang genug (387 f.).33
Mit solchen Bemerkungen pflegen sich Plautus’ Intriganten als Regisseure oder sogar Autoren ( poetae) der gerade aufgeführten Komödie aufzuspielen (wohl der markanteste Anspruch auf Überlegenheit, den es in einem Bühnenspiel geben kann)34 und zugleich die Zuschauer auf ihre Seite zu bringen, indem sie besondere Besorgtheit um deren Wohlbefinden und gute Unterhaltung zur Schau stellen. Diese echt plautinische Konvention läßt sich gut an einer Replik der Advocati des Poenulus studieren: Das alles wissen wir schon – wenn es denn die Zuschauer hier schon wissen. Der Zuschauer wegen wird dieses Theaterstück jetzt hier aufgeführt. […] Kümmere dich nicht um uns; wir kennen die ganze Geschichte, schließlich haben wir sie ja alle mit dir zusammen auswendig gelernt, um auf deine Stichwörter antworten zu können (Poen. 550–554).35
Die Intrigenhelfer sind von den Hauptintriganten schon zuvor in ihre Rollen eingewiesen worden und verwahren sich jetzt gegen eine unnötige erneute Instruktion. Vor allem aber kommt es ihnen darauf an, daß das Publikum mit den Grundzügen der Intrige längst (nämlich seit der ersten Szene des Stücks) vertraut ist und durch eine Wiederholung gelangweilt würde. Hierzu sprechen sie in einer selbst für Plautus ungewöhnlich markanten Weise
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mington, ROL II †nisa† deo meo propitio meus homo est (Wright 1975: 410). Der Anfang des Verses ist hoffnungslos korrupt (visam Ribbeck, nisi oder nise Warmington). Wie schon Ribbeck vermerkt, ist Stalagmus ein Sklavenname (vgl. Plaut. Capt. 875 etc.); die Vermutung liegt nahe, daß er der Führer der Intrige und Sprecher des Verses war. Temperi ego faxo scies. / Nolo bis iterari: sat sic longae fiunt fabulae. Vgl. Cas. 1006 und Slater (1985: 90). Omnia istaec scimus iam nos, si hi spectatores sciant; / horunc hic nunc caussa haec agitur spectatorum fabula: […] / nos tu ne curassis: scimus rem omnem, quippe omnes simul / dedicimus tecum una, ut respondere possimus tibi. Vgl. Moore (1998: 13 f.) und Pseud. 720 horum caussa haec agitur spectatorum fabula.
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nicht als Figuren innerhalb der Handlung, sondern als Schauspieler, denen die Unterhaltung und der Beifall des Publikums am Herzen liegt. 36 Von hier aus gesehen, liegt es für uns als Zuschauer des Pseudolus scheinbar nahe, die eben zitierte Bemerkung des Pseudolus gleichfalls als einen außerhalb der Handlung gesprochenen Schauspieler-Text zu rezipieren und Pseudolus die damit suggerierte Kenntnis und Kontrolle des weiteren Handlungsverlaufs zuzugestehen (wozu wir vielleicht auch deswegen geneigt sein werden, weil wir dadurch als Publikum hofiert werden). Wenn wir uns jedoch von diesem konventionellen Verständnis blenden lassen, entgeht uns, daß die Figur Pseudolus den Satz nur spricht, um Calidorus darüber hinwegzutäuschen, daß sie überhaupt keinen Plan hat. Pseudolus mißbraucht hier also erfolgreich seine metatheatralische Autorität, um eine für ihn kritische innertheatralische Situation zu bewältigen. Plautus hat dafür gesorgt, daß dieser witzige Einfall möglichst wenig Zuschauern verborgen bleibt, indem er Pseudolus den wahren Sachverhalt im folgenden Monolog offen eingestehen läßt. 37 Am Ende des ersten Akts – genauer gesagt: nachdem mehr als ein Drittel des Stücks vorüber ist – hat sich an Pseudolus’ Ideenlosigkeit bezüglich des Fortgangs der Intrige noch nichts geändert.38 In seinem den Akt schließenden Monolog weist Pseudolus selbst mit einer wörtlich aus der Eröffnungsszene wiederholten Bemerkung darauf hin; so entsteht der Eindruck, daß die Handlung stagniert. 39 Vor diesem Hintergrund bietet Pseudolus’ nächster Satz wieder Raum für eine doppelte Zuschauerreaktion: Denn wer auf die Bühne tritt, muß eine neue Erfindung auf neue Art vorbringen; kann er das nicht, dann soll er Platz machen für einen, der es kann (568–570).40 36
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Ein weiterer, besonderer Reiz der Passage liegt in der Art und Weise, wie hier ‹Spiel› und ‹Spiel im Spiel› durcheinandergeworfen werden: Die Advocati reagieren auf die Frage, ob sie ihre Rollen für das Spiel im Spiel gut gelernt haben, mit einem Hinweis auf ihre Rollen im Spiel. – Daß im folgenden (Poen. 555–566) der Intrigenplan trotzdem noch einmal auseinandergesetzt wird, tut nichts zur Sache: Plautus möchte wie üblich, daß es auch der Letzte im Publikum begreift. 397 quoi neque paratast gutta certi consili. Zu Pseudolus’ (und Calidorus’) Doppelspiel als Figur und Schauspieler vgl. auch Moore (1998: 100 f.). Am Ende des Monologs I 4 äußert Pseudolus zwar die Zuversicht, daß er aus Simo Geld herausholen kann (413 f.), doch entpuppt sich das als ein Rohrkrepierer, weil Pseudolus die Idee am Anfang der folgenden Szene sogleich wieder aufgeben muß: occisa est haec res, haeret hoc negotium (423). Einen Kontrast dazu bildet etwa Epidicus, der sich zwar auch erst mit einiger Mühe in seine Rolle ‹hineinreden› muß (vgl. die brillante Analyse von Slater (1985: 21–24), dessen Plan senem oppugnare certumst consilium mihi (Epid. 163) aber schon recht konkret ist und unmittelbar darauf umgesetzt wird. 567 f. = 106 f. nam qui in scaenam provenit / Novo modo novom aliquid inventum adferre addecet: / Si id facere nequeat, det locum illi qui queat. Vgl. Moore (1998: 99 f.); Sharrock (1996: 169 f.). Natürlich gehört das mit der vielbesprochenen Selbststilisierung des Pseudolus als Dichter zusammen (404 f. nunc ego poeta fiam etc.). Hierzu sei an dieser Stelle nur kurz auf eine verwandte Parallelisierung von poetischer Erfindung und Intrige bei Xenarchos, einem Dichter der Mittleren Komödie, hingewiesen: ¹ ξ λ « α ξ ‘ / µ , $ / « Κ# Ν% λ &%. / # '(% ) « / * ξ ξ » $ (Xenarch. fr. 7,1–5 KasselAustin, PCG VII; es folgt die Beschreibung eines Scheingefechts, das die Fischhändler anzetteln, um mit dem zur Wiederbelebung der ‹Schwerverletzten› herbeigebrachten Wasser ihre vertrockneten Fische gesetzwidrig zu befeuchten). Hier stellt sich die Intrige dem Anspruch, den die Poesie nicht mehr erfüllen kann, und wird dadurch zu einer Art besserer Poesie – eine geradezu plautinische Idee. Der entscheidende Unterschied zu Plautus ist freilich, daß der Gedanke in der dritten Person vorgetragen wird, also nicht der Selbstglorifizierung des Intriganten gilt.
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Man kann das als eine beifällige Aussage des Pseudolus über seinen eigenen Einfallsreichtum auffassen und sich davon blenden lassen; man kann darin aber auch den Anspruch ausgedrückt finden, den die konventionelle Sklavenrolle der plautinischen Komödie an die Person stellt, die diese Rolle füllen will, und diesen Anspruch mit der Wirklichkeit von Pseudolus’ bisherigen Leistungen vergleichen. Tut man dies, so wird man den Schluß ziehen, daß Pseudolus seine Rolle nicht füllen kann und besser einem anderen, geschickteren servus callidus Platz machen sollte – und in der Tat wird bald der Sklave Simia als Konkurrenz für Pseudolus ins Spiel kommen. Versteht man schließlich (eine dritte Rezeptionsmöglichkeit) die zitierten Verse als eine metatheatralische Aussage des Plautus über sein eigenes Stück, so ergibt sich eine Kombination aus den beiden gerade vorgetragenen Interpretationen: Eine kritische Perspektive auf den konventionellen lateinischen Komödiensklaven einzunehmen (oder zumindest anzubieten), ist tatsächlich ein neuartiger und auf neue Art vorgetragener Einfall, zu dem Plautus sich mit Grund gratulieren kann. Im zweiten Akt kommt die Intrige des Pseudolus endlich in Gang, weil zufällig der Militärsklave Harpax mit dem Erkennungszeichen und dem Brief des Soldaten auftaucht und zum ersten Opfer werden kann.41 Die Kernszenen der Handlung sind zwei einander parallele Rollenspiel-Szenen, in denen Pseudolus bzw. Simia ihre Mitspieler über ihre wahre Identität täuschen: Im zweiten Akt spielt Pseudolus gegenüber dem echten Harpax die Rolle von Ballios Sklaven Syrus, im vierten übernimmt Simia die Rolle des Harpax und tritt Ballio selbst entgegen. Solche Szenen dürften beim römischen Theaterpublikum besonders beliebt gewesen sein, weil in ihnen die Intrigantenfiguren zu Hochform auflaufen – die Situation kann sich für den Rollenspieler immer in unvorhergesehener Weise entwikkeln, so daß an seine Improvisationskunst allerhöchste Anforderungen gestellt werden. 42 Besteht er die Situation, so erstrahlt seine virtus im höchsten Glanz; versagt er, so ist die Blamage total. Die römischen Zuschauer dürften die Vorstellungen von Pseudolus und Simia unvermeidlicherweise miteinander verglichen haben, zumal die Konkurrenz zwischen beiden dadurch noch unterstrichen wird, daß Pseudolus in der Simia-Szene unbemerkt anwesend ist und Kommentare gibt. Vollziehen wir diesen Vergleich also nach! Nach einem kurzen Bekanntmachungsritual fordert Pseudolus den Harpax ziemlich direkt auf, ihm das mitgebrachte Geld zu übergeben. 43 Schon das ist merkwürdig, weil die Summe von fünf Minen erstens gering ist (sie ist, wie sich in der übernächsten Szene zeigt, problemlos leihweise zu beschaffen) 44 und weil Pseudolus zweitens den Brief und das Erkennungszeichen viel dringender benötigt – denn die sind die Quittung über die vom Soldaten bereits gezahlten 15 Minen. Doch fällt das während des temporeichen Ablaufs der Szene zunächst nicht einmal beim Lesen auf, und dem Theaterzuschauer wird es noch weniger aufgefallen sein. Wichtiger ist, daß die Situation konventionell ist: Ein Sklave versucht 41 42
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Vgl. 600a meus hic est homo. Es handelt sich hier wohlgemerkt um die Improvisationskunst der Figur innerhalb ihrer Rolle, nicht um die des Schauspielers bei der Gestaltung derselben. Beides hat zunächst nichts miteinander zu tun. Lefèvre (1997: 62 und 79) rechnet die wichtigsten Improvisationsszenen des Pseudolus, II 2 und IV 2, dem Original zu. Es ist zwar möglich, daß Plautus’ Vorliebe für Improvisationsszenen mit dem Einfluß des Improvisationtheaters zusammenhängt, aber es versteht sich nicht von selbst. Vgl. Anm. 9. 625 quid dubitas dare? 732–734. Die Charinus-Szene hat, so gesehen, auch die Funktion, Pseudolus’ Verhalten nachträglich in merkwürdigem Licht erscheinen zu lassen – in einem Kontext übrigens, in dem Pseudolus ansonsten als der alles kontrollierende Regisseur erscheint.
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durch Vorspiegelung einer falschen Identität, einem Boten Geld zu entlocken. Ein schönes Beispiel dafür, wie Plautus eine solche Szene gestalten konnte, bietet die Asinaria. Hier führen die beiden Sklaven Leonida und Libanus ihrem Opfer, dem Eselshändler, zunächst ein Rollenspiel vor, das ihm keinen Zweifel mehr an ihrer vorgespiegelten Identität gestattet.45 Anschließend ziehen sie die verschiedensten Register, um das Mißtrauen des Händlers zu überwinden,46 und verständigen sich währenddessen mit beiseite gesprochenen ‹Regieanweisungen› über ihre Taktik.47 Das ist ein probates Mittel des Plautus, um dem Zuschauer die Übersicht über das Spiel und die Identifikation mit den Spielern zu ermöglichen. Verglichen mit dem improvisatorischen Einfallsreichtum der zwei Asinaria-Sklaven, wirkt die Vorstellung des Pseudolus ziemlich mäßig. Um das begreifliche Mißtrauen des Harpax zu überwinden, fällt ihm nichts anderes ein, als auf seiner Vertrauenswürdigkeit zu insistieren und dem Gegenüber sein Mißtrauen schließlich in gekränktem Tonfall zum Vorwurf zu machen: Als ob du sagen wolltest, daß ich dich um das Geld betrügen will! (634)48
Im Gegensatz zu dem völlig verwirrten Händler der Asinaria reagiert Harpax darauf gelassen und spöttisch: Nicht ganz, sondern du willst das offenbar sagen, und ich habe offenbar den Verdacht (635)49
und faßt schließlich den Eindruck zusammen, den Pseudolus’ reichlich undiplomatisches Vorgehen auf ihn und auf die Zuschauer gemacht hat: Das eine weiß ich genau, daß du geradezu fieberst, weil du deine Klauen hier [= in den Geldbeutel, wohl mit Geste] nicht hineinschlagen darfst (643 f.).50
An dieser Stelle ist die Szene eigentlich festgefahren und Pseudolus mit seiner Strategie gescheitert. Da tritt eine unerwartete Wendung ein: Harpax drückt Pseudolus unaufgefordert den Brief mit dem Erkennungszeichen in die Hand und verläßt die Szene. Dieses Verhalten ist seitens des Harpax weniger irrational als es scheint, weil dieser offenbar nicht auf Pseudolus’ verstellte Identität gefaßt ist; er rechnet nur mit einem Unterschlagungsversuch durch einen Haussklaven, der mit der Quittung nichts anfangen könnte. Dem Zuschauer hingegen wird jetzt schlagartig klar, daß Pseudolus’ ganzes Bemühen um das Geld des Harpax sinnlos gewesen ist und die Szene durch einen reinen Glückszufall, wie es ihn nur im Theater gibt, zu seinen Gunsten ausgegangen ist. 51 45
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Asin. 407–445. Genauer gesagt: Leonida spielt den zur Entgegennahme des Geldes berechtigten atriensis Saurea, während Libanus ‹as himself› diese Identifikation stützt. Zu der ganzen Szene Slater (1985: 61 f.). Von Schmeichelei bis zur direkten Gewaltandrohung (letzteres können sich Leonida und Libanus freilich nur leisten, weil sie ihren Herrn hinter sich wissen); gelegentlich wird beides nach Rollen verteilt, wie in dem aus modernen Kriminalfilmen und deren Parodien bekannten Spiel ‹Guter Bulle – böser Bulle› (458–460 Drohung durch Libanus, Beschwichtigung durch Leonida; 467–477 Leonida beschimpft den Händler, Libanus solidarisiert sich scheinbar mit ihm und erhält dafür einen Verweis von Leonida; in dieser Partie wäre die Sprecherverteilung gegenüber der Ausgabe von Lindsay zu überdenken). Asin. 446 f. (Libanus macht Leonida darauf aufmerksam, daß er zu weit geht und der Händler sich zurückzuziehen droht); 472 perge porro («weiter so!»). Quasi tu dicas me te velle argento circumducere. Immo vero quasi tu dicas quasique ego autem id suspicer. nam certo scio / Hoc, febrim tibi esse, quia non licet huc inicere ungulas. Sehr instruktiv sind die Bemerkungen Slaters (1985: 133), weil sie zeigen, wie mühselig es ist, die Szene zugunsten des Pseudolus zu interpretieren: «Pseudolus’ ability to adopt the role of Surus … easily wins for
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Der anschließende Monolog des Pseudolus hat denn auch ganz folgerichtig das Glück zum Thema. Für unsere Zwecke sind besonders die folgenden Verse interessant: Diese Göttin macht ganz allein die Pläne von hundert klugen Menschen zunichte: die Fortuna. Soviel steht fest: In dem Maße, wie einer Glück (fortuna) hat, wird er Erfolg haben, und dann sagen wir alle: Er ist klug und weise (678–680).52
Es ist aus analytischer Perspektive gesagt worden, daß in diesem Monolog etwas von der ‹Schicksalsfrömmigkeit› der Neuen Komödie, dem Bewußtsein der dargestellten Menschen für ihre Abhängigkeit von der Tyche und für die sich daraus ergebenden Grenzen ihres planmäßigen Handelns durchscheint.53 Das mag richtig sein, auch wenn die Verse, gemessen an ihrem vergleichsweise trivialen Anlaß, schon im Original einen ironischen Klang gehabt haben dürften. Bei Plautus erhalten sie indessen eine völlig andere Funktion, selbst wenn sie eine wörtliche Übersetzung nach dem Griechischen sein sollten. Sie beziehen sich jetzt nicht mehr auf die Situation des Menschen in der Welt, sondern auf die des Pseudolus im Stück. Pseudolus hat soeben trotz grotesker Fehlplanung einen Erfolg errungen und vertraut darauf, daß dieser ihm von Mitspielern und Zuschauern als Eigenleistung angerechnet und als Zeugnis seiner sapientia – mit anderen Worten: seiner virtus als Intrigant – gewertet werden wird. Was die Mitspieler betrifft, so wird Pseudolus recht behalten. 54 Der Zuschauer dagegen wird gerade dadurch, daß Pseudolus ihm gegenüber den Sachverhalt reflektiert und damit in eine gewisse Distanz zu sich selbst tritt, seinerseits zu kritischer Distanznahme angeregt. Unter dieser Perspektive gehört der Fortuna-Monolog mit dem Edikt des Pseudolus in der ersten Szene und der darin ausgesprochenen Warnung an das Publikum zusammen: Dem Publikum wird hier noch einmal anheimgestellt, Selbstdarstellung und Leistung des Pseudolus zu vergleichen und an der Inkongruenz von beiden seinen Spaß zu haben. 55
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him the letter and the token from Harpax. Pseudolus cleverly concentrates his efforts on attempting to get the balance of money from Harpax, which only increases his resistance. By contrast he gives up the letter and token unprompted …» (Hervorhebungen von mir). Erstens: Die Szene macht keineswegs den Eindruck, daß Pseudolus leichtes Spiel hat. Zweitens: Es ist keine sehr einleuchtende Strategie, das Mißtrauen von jemandem zu erwecken, den man zu einem Vertrauensakt bringen will. Drittens: Es bleibt bei Plautus nie dem Zuschauer überlassen, die Strategie eines Intriganten zu erraten. Hätte Plautus das Vorgehen des Pseudolus als planmäßig darstellen wollen, so müßte Pseudolus die Zuschauer jedenfalls mit beiseite gesprochenen Bemerkungen über seinen Plan informieren. Daß Pseudolus in dieser Szene keineswegs alles unter Kontrolle hat, zeigt sich außerdem daran, daß Harpax Witze auf seine Kosten reißt (629 f.) und daß er einmal ein Beiseite des Pseudolus bemerkt und mißtrauisch kommentiert (615), wozu Personen, die bloß hilflose Opfer sind, nicht fähig sind. Vgl. Moore (1998: 33 f.). Centum doctum hominum consilia sola haec devincit dea, / Fortuna. atque hoc verumst: proinde ut quisque fortuna utitur, / Ita praecellet atque exinde sapere eum omnes dicimus. Die Worte fortuna utitur könnten auch übersetzt werden: «sich das Glück zunutze macht», was durch die wohl vergleichbare Stelle Men. fr. 125 Kassel-Austin (PCG VI.2) nahegelegt wird. Vgl. Vogt-Spira (1992: 69 f.). Lefèvre (1997: 103 f.). Grundlegend zur Bedeutung der Tyche in der Neuen Komödie: Vogt-Spira (1992). Vgl. bes. das ‹Lob›, das die Verlierer Ballio und Simo ihm nach Abschluß der Intrige zollen (1214–1221 und 1243 f.). Wegen der Meisterschaft von Pseudolus’/Plautus’ Sprachgestaltung in diesem Monolog (vgl. die Personifikationen Opportunitas, Fortuna, den Reim stulti hau scimus frustra ut simus in 683 usw.), die sicher durch eine entsprechende Schauspielerleistung unterstützt wurde, ist die Versuchung freilich groß, sich von Pseudolus ‹besoffen reden› zu lassen. Vgl. unten die Bemerkungen zur Szene II 1.
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Mit der Pseudolus-Harpax-Szene kontrastiert und konkurriert die Szene im vierten Akt, wo der Sklave Simia als falscher Harpax auftritt, der Zuhälter Ballio zum Opfer der Täuschung wird und Pseudolus das Geschehen unbemerkt verfolgt und kommentiert. Im vierten Akt steht die Konkurrenz zwischen Pseudolus und Simia von Anfang an im Zentrum der Aufmerksamkeit; und das ist umso bedeutsamer, als wir darauf schon am Ende des ersten Aktes durch die metatheatralische Bemerkung des Pseudolus diskret vorbereitet worden sind: «wer nichts Neues zu bringen vermag, soll jemandem Platz machen, der es kann».56 Jetzt ist Pseudolus tatsächlich gefährdet, sich von Simia verdrängen zu lassen. In dem eröffnenden Dialog zwischen beiden geriert sich Simia, der eigentlich nur ein ausführendes Werkzeug für Pseudolus’ Plan sein soll, ausgesprochen divenhaft. Er läßt sich in einer Situation, die Eile erfordert, provozierend viel Zeit (gipfelnd in der tollen Hyperbel, daß er dem echten Harpax, falls er tatsächlich auftauchen sollte, seine eigene Identität stehlen wird)57 und teilt Pseudolus klipp und klar mit: Im Lügen und Betrügen werde ich sogar dich, der du mein Lehrer bist, ausstechen, daß du es nur weißt (932 f.).58
Angesichts der bisherigen Leistungen des Pseudolus ist Simia das durchaus zuzutrauen. Dieser Eindruck verstärkt sich dadurch, daß Pseudolus’ Selbstvertrauen, das im bisherigen Verlauf des Stücks unerschütterlich zu sein schien, in dieser Szene einen Einbruch erleidet. Pseudolus wird hier nahezu zum Stichwortgeber für Simia degradiert, der seinerseits, wie treffend gesagt worden ist, als «unsagbarer Super-Pseudolus» auftritt. 59 In der folgenden Szene, wenn Simia gleichsam die Bühne des Spiels im Spiel betritt und gegenüber Ballio den Harpax gibt, ist sein Verhalten spürbar verändert. Seine provozierende Langsamkeit ist verschwunden, nach dem Gelingen des Coups möchte er das ‹Schlachtfeld› möglichst rasch verlassen und auf die hyperbolische Begegnung mit dem echten Harpax doch lieber verzichten. Man hat hier einen Widerspruch zwischen den Szenen gesehen und daraus analytische Schlüsse gezogen; 60 mir scheint es eher, daß Simia durch seine Fähigkeit, vom Geplänkel mit Pseudolus zu einem situationsgerechten und ef-
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570. Gewiß wird sich kaum ein Zuschauer während der Aufführung an den exakten Wortlaut erinnert haben; die Vorbereitung wird eher unterschwellig in der Weise gewirkt haben, daß es den Zuschauern bekannt und einleuchtend vorkam, wenn in IV 1 eine ernstzunehmende Konkurrenz für Pseudolus auf den Plan trat. Vergleichbar damit ist die subtile, ‹psychologische› Vorbereitungstechnik Ciceros in seinen Reden (also gleichfalls einer Gattung, in der alles auf den einmaligen mündlichen Vortrag ankam); vgl. Neumeister (1964). Wie Mercurius gegenüber Sosia im Amphitruo – Simia gibt sich also gottgleichen Status. Hierzu und zu der ganzen Szene IV 1: Stärk (1988). Te quoque etiam dolis atque mendaciis, / Qui magister mihi es, antidibo, ut scias. Man muß allerdings auch den Respekt sehen, der in dieser Bemerkung mitschwingt: Die Leistung des Schülers bezeugt die Qualität des Lehrers (Wright 1975: 413). Lefèvre (1997: 78) findet in dem Wort magister zu Unrecht einen Widerspruch zu der Tatsache, daß sich Pseudolus und Simia erst am selben Tag kennengelernt haben, und einen Beleg für die plautinische ‹Diskontinuität›. Pseudolus’ Funktion als magister bezieht sich einzig die Einweisung des Simia in seine Rolle als Pseudo-Harpax, ein bei Plautus ganz geläufiger Wortgebrauch (vgl. Epid. 591 f. quae didici dixi omnia; Epidicus mihi fuit magister). Stärk (1988: 154). Der Name Simia könnte demnach, wenn er nicht einfach einen +()« des Originals wiedergibt, entsprechend seinem lateinischen Sinn als Hinweis auf eine karikierende Imitation des Pseudolus genommen werden: simia quam similis turpissima bestia nobis (Enn. sat. 69 Vahlen3 = 23 Warmington). Stärk (1988: 153); Lefèvre (1997: 77).
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fizienten Verhalten im ‹Ernstfall› umzuschalten, besonders überzeugend wirkt. Aus metatheatralischer Sicht gibt es hier gar kein Problem: Jeder, der selbst einmal Theater gespielt hat, wird unschwer das mit Lampenfieber gemischte Herumalbern von Schauspielern unmittelbar vor dem Auftritt wiedererkennen. Ein solches Urteil hat zugegebenermaßen immer eine subjektive Komponente. 61 Daß jedoch Simias Überlegenheit über Pseudolus sich nicht auf die Eröffnungsszene beschränkt, kann anhand einer Passage der folgenden Ernstfall-Szene zwischen Simia und Ballio nachgewiesen werden. Diese Szene fordert einen Vergleich zwischen Simia und Pseudolus geradezu heraus: Wie bereits bemerkt, ist Pseudolus in ihr unbemerkt anwesend und gibt zu dem Verhalten der Akteure, insbesondere der Vorstellung Simias, seine Kommentare. Man hat seine Nervosität passend mit der eines Theaterautors oder -regisseurs während der Premiere verglichen; 62 doch zusätzlich zu diesem komischen Effekt nutzt Plautus die Situation auch zu einer indirekten Konfrontation von Pseudolus und Simia. Während des Gesprächs zwischen Simia und Ballio kommt es einmal zu einer kritischen Situation: Ballio fragt Simia nach dem Namen des Soldaten, seines angeblichen Auftraggebers – eine klare Aufforderung, sich auszuweisen. Pseudolus reagiert mit Verzweiflung, weil ihm (und dem Publikum) damit schlagartig bewußt wird, daß er einen Regiefehler begangen hat:63 Ballio: Wer hat dich geschickt? Pseudolus (beiseite): Oh nein – jetzt sitzt der Mann tief in der Tinte; er weiß den Namen nicht, der Karren steckt im Dreck (984 f.).64
Simia wäre nicht der erste Hochstapler (sycophanta) bei Plautus, der sich durch sein Scheitern in einer solchen Lage entlarvt hätte. In der vermutlich wenige Jahre vor dem Pseudolus aufgeführten Komödie Trinummus gibt sich ein anonymer65 Sykophant und Kollege des Simia für einen Boten des auf Reisen befindlichen alten Herrn Charmides aus. Charmides kommt jedoch zufällig am selben Tag zurück und trifft auf seinen eigenen angeblichen Abgesandten. Das Ergebnis ist ein Rollentausch von Intrigant und Opfer, da der alte Charmides die Situation durchschaut und sich den Spaß macht, sein Gegenüber an der Nase herumzuführen – auch dies ein Spiel mit einer typisch plautinischen Konvention, der Konfrontation von servus callidus und Komödiengreis. An einer Stelle fragt Charmides den Sykophanten nach dem Namen seines angeblichen Auftraggebers und Intimfreundes, also nach sich selbst: 61
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Ich will nicht verschweigen, daß meine Sympathie für metatheatralische und «performance»-orientierte Interpretationsansätze dadurch mitbedingt ist, daß ich meine erste intensivere Erfahrung mit Plautus als Darsteller in einer studentischen Aufführung des Amphitruo in Göttingen 1991 gemacht habe. Etwas Ähnliches gibt Moore (1998: IX) für sich zu. Slater (1985: 139) «the writer with first-night jitters»; Wright (1975: 414). So Slater (1985: 139), der gegen Wright (1975: 414), richtig feststellt, daß nomen nescit nicht bedeuten kann, daß Simia seinen Text vergessen hat. Es ist auch vorstellbar, daß Pseudolus den Namen des Soldaten selbst nicht weiß: Um ihn zu erfahren, hätte er den Brief öffnen und das Siegel zerstören müssen, so daß das symbolum nicht mehr gültig gewesen wäre. Aber das sind Gedanken, die sich nur der Leser, nicht aber der Theaterbesucher macht. BA. Quis is homost qui iussit? PS. Perii, nunc homo in medio lutost. / Nomen nescit: haeret haec res. Die freie Übersetzung ist ein Versuch, mit dem Problem von lutum umzugehen: ‹Morast› (Binder/Ludwig) wäre zu vornehm, ‹Scheiße› wohl zu vulgär (vgl. aber lutum als Schimpfwort, Cic. Pis. 62; Cat. 42,13). Der Name Pax, den der Sykophant dem Charmides ziemlich patzig entgegenwirft und der von diesem entsprechend kommentiert wird (Trin. 889–891), ist kaum ernst zu nehmen.
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Charmides: Sykophant: Charmides: Sykophant: Charmides: Sykophant:
Kennst du den Mann? Dumme Frage, wo ich mit ihm gemeinsam zu essen pflege. Wie heißt er? Wie ein anständiger Mensch eben heißt. Ich würde es gern hören. Naja, er heißt – äh – äh – ach ich arme Seele! (Trin. 905–7)66
Dieser Sykophant ist mit der unvorhergesehenen Situation völlig überfordert; sie geht über sein Improvisationsvermögen und führt dazu, daß er aus der Rolle fällt. 67 Der eben zitierte Zwischenruf des Pseudolus zeigt, daß er sich nichts anderes vorstellen kann, als daß sein Sykophant Simia auf dieselbe Weise scheitert. Doch Simia löst das Problem mit einem souveränen Stück Improvisationskunst, das von Plautus in einem meisterhaften Wortwechsel gestaltet worden ist: Wer, behauptest du, hat den Brief an mich geschickt? Schau dir das Porträt an und sag du mir seinen Namen, damit ich sehe, daß du wirklich Ballio bist. Ballio: Gib den Brief her. Simia (gibt ihm den Brief ): Da; schau dir das Zeichen an. Ballio: Ja, das ist Polymachaeroplagides, wie er leibt und lebt. Ich kenne ihn. Jawohl! Polymachaeroplagides heißt er. Simia: Jetzt weiß ich, daß ich dir den Brief zu Recht überlassen habe, nachdem du den Namen Polymachaeroplagides ausgesprochen hast (985–991).68 Ballio: Simia:
Die insistierende Nachfrage Ballios zeigt uns, daß der vorhergehende, vorhin zitierte Zwischenruf des Pseudolus mit einer kurzen Fassungslosigkeit des Simia korrespondiert. 69 Doch diese Schrecksekunde reicht Simia, um eine Reaktion zu entwerfen, die seine Kontrolle über die Szene sichert: Er kehrt die Beweislast um und fordert seinerseits Ballio auf, sich durch Nennung des Namens des Soldaten auszuweisen. Ballio geht in die Falle und nennt den Namen des Soldaten vor lauter Begeisterung gleich zweimal; und Simia demonstriert, daß er wieder ganz Herr der Situation ist, indem er mit einem Witz auf den zungenbrecherischen Charakter des Namens aufmerksam macht und so zugleich durch seine eigene mühelose Aussprache desselben auch noch den von Ballio geforderten (aber inzwischen längst vergessenen) Ausweis nachträgt.70 Eleganter geht es nicht – Simia beweist damit, daß er um Klassen besser ist als der Sykophant des Trinummus. Aber er beweist
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CH. Novistin hominem? SY. Ridicule rogitas, quocum una cibum / Capere soleo. CH. Quid est ei nomen? SY. Quod edepol homini probo. / CH. Lubet audire. SY. Illi edepol – illi – illi – vae misero mihi. Wodurch er sich als ziemlich zweitklassiger Vertreter seines Berufsstandes erweist (er kostet ja auch nur drei nummi, Trin. 843 f.), zumal sich in der Fortsetzung herausstellt, daß er im Gegensatz zu Simia tatsächlich nur den Text vergessen hat und über den Namen informiert war (922 f.). BA. Quem hanc misisse ad me autumas? / SI. Nosce imaginem: tute eiius nomen memorato mihi, / ut sciam te Ballionem esse ipsum. BA. Cedo mihi epistulam. / SI. Accipe et cognosce signum. BA. Oh, Polymachaeroplagides / Purus putus est ipsus. novi. heus, Polymachaeroplagidi / Nomen est. SI. Scio iam me recte tibi dedisse epistulam, / Postquam Polymachaeroplagidem elocutus nomen es. Dieser realistische Zug trägt gleichfalls zur Besonderheit der Szene bei: Die Konvention des antiken (und nachantiken) Theaters besagt eigentlich, daß die während beiseite gesprochener Bemerkungen vergehende Zeit für die anderen Personen, die das Beiseite nicht hören, nicht existiert. Vgl. Fraenkel (1922: 212 f.). Dies sei auch gegen Zwierlein (1991: 187–189) eingewandt, der die Verse 989–991 athetiert, weil sie repetitiv, langweilig und nicht bühnenwirksam seien.
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auch seine Überlegenheit über Pseudolus. Pseudolus’ Zwischenruf während der Schrecksekunde beweist, daß er auf Simias Lösung ebensowenig gekommen wäre wie die Zuschauer, mit denen er sich durch seine monologische Bemerkung identifiziert. Und wenn wir uns an seine eigene Vorstellung in der Konfrontation mit Harpax erinnern, ist das auch kein Wunder. Kurz: Spätestens an dieser Stelle ist die von Pseudolus im ersten Akt formulierte Regel Wirklichkeit geworden: «Wer auf der Bühne nichts Neues zu bringen vermag, der soll einem Platz machen, der es kann.» Es ist hiernach nicht verwunderlich, daß sich am Ende der Szene, nach der glücklich gelungenen Auslösung des Mädchens Phoenicium, auch die Hierarchie von Regisseur und Planer der Handlung einerseits und dem Ausführenden andererseits umkehrt: Es ist Simia, nicht Pseudolus, der – unter Verwendung der beliebten Selbststilisierung des servus callidus als militärischer Anführer und Stratege71 – das Kommando zum Abzug gibt; Pseudolus bekommt von ihm sogar einen Anpfiff, weil er mitten im ‹Feindesland› den Betrieb mit unnötigen Fragen aufhält. 72 Wir haben bisher den Schwerpunkt auf Szenen gelegt, die die konventionelle Rolle des Pseudolus als des heroisch-souveränen Sklaven-Intriganten in Frage stellen und zu einer skeptisch-distanzierten Zuschauerhaltung einladen. Den komischen Effekt bewirkt hier die Inkongruenz von Wort und Handlung bzw. von Konvention und dramatischer Realität. Doch muß man sich an dieser Stelle die Frage stellen: Wenn die bisher vorgetragenen Interpretationen richtig sind, wie kommt es dann, daß die Pseudolus-Figur nicht vollkommen auseinanderfällt und am Ende trotz allem der Gewinner des Spiels ist? Denn das ist er unzweifelhaft – etwas anderes hätte Plautus seinem Publikum nicht zumuten können, und der Rahmen der Gattung Komödie wäre damit definitiv gesprengt gewesen. 73 Wie gewinnt Pseudolus also seine heroische Statur zurück, wie bleibt die Komödie insgesamt innerhalb der Konvention? Ein Grund ist sicher die Reaktion der Mit- und Gegenspieler, die Pseudolus zu heroischer Statur erheben: So schreiben im weiteren Verlauf des vierten Akts, wo die Intrige ohne Zutun von Simia oder Pseudolus zu Ende läuft, die Verlierer Ballio und Simo ihre Niederlage nicht Simia, sondern Pseudolus zu. 74 Doch auch wo dies nicht der Fall ist, hat Pseudolus Mittel, seine eigene Bedeutung gebührend und überzeugend herauszustreichen. Die gerade beschriebene Abgangsszene nach der Befreiung des Mädchens aus der Gewalt des Zuhälters endet mit folgender Replik des Pseudolus: Hier entlang. Triumph! Auf schnellstem Weg an die Krüge! (1052)75
Man muß sich dies im Zusammenhang mit der Bühnenhandlung vergegenwärtigen. Pseudolus behält nicht nur das letzte Wort; vielmehr formieren sich die drei auf der Bühne anwesenden Personen, Pseudolus, Simia und die gerade befreite Phoenicium, zu einer Art
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Vgl. Pseudolus selbst, 584–590 und häufig; Anderson (1993: 91 f.); Fraenkel (1922: 231–240). Es ist vielleicht kein Zufall, daß gerade Pseudolus, der sich so gern zum General und Eroberer stilisiert, nicht nur die Eroberung von außen ansehen muß (es ist Simia, nicht Pseudolus, der die arx Ballionia betritt und das ‹Palladium› herausholt), sondern zuletzt auch die Kommandantenrolle an Simia abgibt. 1044–1051. Eine andere späte Komödie, der Truculentus, erweckt freilich den Eindruck, daß Plautus auch davor nicht zurückschreckte. Es ist eigentümlich, daß an der bekannten Cicero-Stelle (Cato 50) gerade Pseudolus und Truculentus zusammen genannt sind. Vgl. Anm. 54. Simia tritt nicht wieder auf und wird nur noch nebenbei als Werkzeug des Pseudolus erwähnt (1233). ite hac, triumphe! ad cantharum recta via.
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Triumphzug, um ihren Sieg gebührend zu feiern. An die Spitze dieses Zuges setzt sich Pseudolus, der den Ort der Feier kennt und der damit seine Autorität über das Bühnengeschehen, die zuletzt stark unter Beschuß geraten war, eindrucksvoll wieder herstellt. Weitere Mittel, mit denen Pseudolus seinen Platz im Zentrum der Komödie zu behaupten vermag, sind Musik und Metrum. Unmittelbar vor der Szene zwischen Pseudolus und Harpax, in der Pseudolus ja nicht allzu überzeugend agierte, steht ein Auftrittslied in mit einer Vielzahl anderer Metren variierten anapästischen Tetrametern. Pseudolus strahlt in diesem Monolog jubelnde Zuversicht aus – er hat nun angeblich einen Plan, der unfehlbar gelingen wird, mit dem er die Festung des Ballio im Sturm erobern wird und der seine, Pseudolus’, virtus ebenso wie die seiner Vorfahren (maiores) in hellstes Licht stellen wird.76 Vermutlich ist kein Wort von all dem wahr. 77 Als Leser des Textes gewinnt man den Eindruck, daß Pseudolus sich frohredet, daß er sich und uns über seine fortdauernde Einfallslosigkeit hinwegtäuschen will. Und auch den Zuschauern der Aufführung kann durchaus aufgefallen sein, daß der Monolog kein einziges konkretes Wort über den Plan des Pseudolus enthält. Aber das Lied ist so gestaltet, daß solche Fragen relativ unwichtig sind. Seine Wirkung erreicht es durch ein gewaltiges Aufgebot an komischen Wortspielen, aberwitzigen Übertreibungen und metrischen und klanglichen Effekten, außerdem sicher durch die Musik, die für uns heutige Leser natürlich verloren ist. Der Anfang dieses virtuosen Gesangsstücks lautet folgendermaßen: Pro Iúppiter, ut mihi quicquid ago lepide omnia prospereque éveniunt: Neque quod dubitem neque quod timeam meo in péctore conditumst consilium. Nam éa stultitiast, facinus magnum timido cordi credere: Nam ómnes res perinde sunt út agas, ut eas magni facias. nám ego in meo pectóre prius íta paravi copias, Duplicis triplicis dolos perfidias, ut ubiquomque hostibus cóngrediar – Maiórúm meum fretus virtute dicam Mea índústria et malitia fraudulenta – Facile ut vincam, facile ut spoliem meos pérduellís meis pérfidiis (574–583).78
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573–590. Sharrock (1996: 166): «Pseudolus deceives us into thinking that he has a plan. […] After all, he did warn us to beware of him» (nämlich in 125–128). Vgl. bes. 667 (der Beginn des Opportunitas-Monologs nach dem gelungenen Abschluß der Harpax-Szene): conservavit me illic homo adventu suo. Wenig glaubwürdig ist dagegen 675–677, wo Pseudolus noch einmal seinen angeblichen früheren Plan erwähnt – das kostet ihn jetzt nichts mehr. Allerdings weiß man tatsächlich nie genau, ob Pseudolus die Wahrheit spricht (Sharrock, ebd.). Zu dieser Stelle: Willcock (1987: 118 f.); Anderson (1993: 126–129), mit Zitat der wundervoll musikalischen englischen Übersetzung von Casson (1960). Eine den musikalischen Effekt einigermaßen transportierende deutsche Übersetzung existiert m. W. nicht. Der folgende Versuch soll nur Rechenschaft über das Textverständnis geben: «O Juppiter, wie mir doch alles, was ich anpacke, elegant und wohl gelingt! Jetzt ist in meinem Hirn ein Plan verborgen, der mir jeden Zweifel und Angst nimmt. Das wäre ja Dummheit, eine große Tat einem ängstlichen Herzen anzuvertrauen. Denn alle Dinge sind gerade so, wie du sie anpackst, wie du ihnen große Bedeutung gibst. Ich habe ja in meinem Hirn meine Truppen zuvor so aufgestellt, meine zweifachen, dreifachen Tricks und Arglisten, daß ich überall, wo ich auf meine Feinde treffe – im Vertrauen auf die Tapferkeit meiner Vorfahren sei es gesagt, auf meine Betriebsamkeit und trugreiche Bosheit – daß ich dann meine Kriegsfeinde mit meinen Arglisten mühelos besiege, mühelos ausraube.»
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Den Grundstock dieses Lieds bilden schnelle anapästische Langverse (574 f., 580, 583); sie werden mit trochäischen Septenaren variiert, die durch die häufige Auflösung der Länge in zwei Kürzen ebenfalls ein hohes Tempo erreichen (576, 578). Zwei iambische bzw. trochäische Kurzverse bewirken ein Ritardando (577, 579). Das Tempo wird in den beiden baccheischen Versen markant verlangsamt (581 f.), um dem Höhepunkt der Partie, dem Anspruch des Sklaven auf Vorfahren (maiores) und virtus (eine besondere plautinische Absurdität) zusätzlichen Effekt zu verleihen. 79 Zahllos sind die Alliterationen und Reimfiguren. Eine entsprechende schauspielerische und sängerische Leistung vorausgesetzt, muß die Bühnenwirksamkeit der Szene ungeheuer gewesen sein und Pseudolus nachhaltig die Sympathie des Publikums gesichert haben. Man kann sich vielleicht eine Vorstellung davon machen, wenn man an die Stimmung denkt, die bei einer barocken Opernaufführung eine effektvoll vorgetragene Arie im Publikum zu erzeugen vermag. Man merkt als Zuschauer vielleicht noch, daß Pseudolus ein Blender ist, aber es spielt keine Rolle mehr – in dieser Szene kann man zu ihm nicht auf kritische Distanz gehen, ohne sich von dem komischen Spiel selbst zu distanzieren. Das gleiche gilt in vermutlich noch höherem Maße für die Schluß-Szene der ganzen Komödie. Hier triumphiert Pseudolus über den Komödiengreis Simo; zu einer Unzahl von Metren und Klangeffekten tritt noch das Element des Tanzes hinzu. 80 Die Szene muß bei der Erstaufführung eine ungeheure komödiantische Feierlaune und großartige Stimmung erzeugt haben – ein wenig davon wird sogar heute noch beim lauten metrischen Lesen spürbar. Eine kritische Distanzierung war an dieser Stelle für den antiken Zuschauer keine Option mehr – er mußte entweder mit Pseudolus mitfeiern oder das Theater verlassen. Doch werden damit die oben vorgeschlagenen Interpretationen zu einigen Zentralszenen des Pseudolus nicht ungültig. Wie wir sahen, bedeutet ja auch das Blendertum des Pseudolus, die Inkongruenz zwischen Rollenkonvention und Ausführung, für den aufmerksamen Zuschauer nicht etwa eine Einbuße des Komischen. Es entfaltet vielmehr eine eigene komische Wirkung, die freilich auf einer anderen Ebene als die eben geschilderten, eher äußerlich-derben Effekte liegt. Es scheint also, daß Plautus in einer und derselben Komödie verschiedene Register des Komischen zu ziehen vermochte; vielleicht wollte er damit unterschiedliche Segmente seines ja sehr gemischten Publikums bedienen, vielleicht aber auch die verschiedenen ‹Organe› eines und desselben Zuschauers, von denen jedes auf seine Weise lachen will und die Lessing den «Verstand» und den «Bauch» genannt hat. 81 Daß Plautus beiden etwas zu bieten hat, macht, so scheint mir, die bleibende Wirkung seiner Komödien aus.
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Ein römischer Sklave hatte aufgrund seines Status als Sache keine Verwandten, vgl. Capt. 574 quid patrem, qui servus est? Ähnlich wie hier die virtus, wird Cas. 418 die pietas, ebenfalls ein zentraler Wertbegriff, im Munde eines Sklaven mit dem Anspruch auf maiores kombiniert. Vgl. Willcock (1987: 119). Unter metatheatralischer Perspektive ist die Bemerkung allerdings keineswegs absurd: Pseudolus’ illustre Ahnenreihe sind sämtliche servi callidi der komischen Tradition von Chrysalus und Tranio bis hin zu den Parmenones, Syri (Bacch. 649) des Menander. 1273–1278. Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 96. Stück: «Welche Nahrung kann so ein Mann wohl z.E. in unseren höchst trivialen Komödien finden? Wortspiele, Sprichwörter, Späßchen, wie man sie alle Tage auf den Gassern hört: solches Zeug macht zwar das Parterre zu lachen, das sich vergnügt so gut es kann; wer aber von ihm mehr als den Bauch erschüttern will, wer zugleich mit dem Verstande lachen will, der ist einmal dagewesen und kömmt nicht wieder.»
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Anhang: Simo und die Analytiker Der Simo des Pseudolus hat das Problem, daß er unvermeidlicherweise im Schatten der großen Paraderollen Pseudolus und Ballio steht. Entsprechend wenig Interesse findet er in der Forschung.82 Einzig die Plautus-Analyse hat sich intensiver mit ihm beschäftigt, doch hat sie mit ihren Methoden eher verdeckt, daß Simo eine der interessantesten senex-Figuren bei Plautus ist. Die folgende Skizze soll hier einen gewissen Ausgleich schaffen und zugleich einige Schwierigkeiten der analytischen Methode exemplifizieren. G. Jachmann hat 1933 die Partie 1067–1086, die die Wette zwischen Simo und Ballio enthält, mit folgender Argumentation dem griechischen Original ab- und dem Plautus zugesprochen: Simos Frage venitne homo ad te? (1067) sei inhaltlich unklar und entspreche nicht der «Präzision» attischer Gesprächsführung; und Ballio wisse von der früheren Wette zwischen Pseudolus und Simo (1072), ohne daß man erkennen könne, woher er seine Information habe. Der wörtliche Gleichklang der Verse 1066 und 1087 sei daher, wie auch sonst öfters, ein Indiz für einen plautinischen Zusatz. 83 Diese Argumentation ist unzureichend. Simos Frage in 1067 ist durch eine fast wörtlich übereinstimmende Bemerkung in Ballios vorausgehendem Monolog (1054 iube nunc venire Pseudolum, scelerum caput) sowie durch Simos eigenen zweizeiligen Auftrittsmonolog vorbereitet (1063 f. visso quid rerum meus Ulixes [= Pseudolus] egerit etc.). Und die Information über die Pseudolus-Simo-Wette hat Ballio selbstverständlich von Simo selbst. Die Zusammenarbeit zwischen senex und leno, die wir in IV 6 und IV 7 auf der Bühne erleben, ist dramaturgisch sorgfältig vorbereitet. Wenn Simo sich unmittelbar nach Abschluß seiner Wette mit Pseudolus aufs Forum begibt (561), so kann das Publikum dort zwar noch nicht ahnen, daß er es mit der Absicht tut, Ballio zu informieren, aber die Aktion ist – anders als die meisten solchen Abgänge – markant, weil sie gegen die ausdrückliche Weisung des Pseudolus geschieht (557). Am Ende von Akt III wird die fehlende Information von Ballio in einem Monolog nachgetragen (896–904), woran unmittelbar vor der Ballio-Simo-Szene in Ballios Auftrittsmonolog noch einmal erinnert wird (1061 f.). Angesichts dieser Vorbereitung wird kein Zuschauer und kein unbefangener Leser mit Ballios Kenntnis von Simos Wette mit Pseudolus Schwierigkeiten haben. 84 Jachmanns einziger einigermaßen plausibler Grund ist also der Gleichklang von 1066 und 1087, der aber allein kein ausreichender Beweis für eine plautinische ‹Eindichtung› ist.85 Es wirkt einigermaßen befremdlich, wenn E. Lefèvre Jachmanns Argumentation kritiklos übernimmt und hinzufügt, damit sei der «plautinische Ursprung der Partie 1067–1086 klar erwiesen». 86 82
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Gute, aber knappe Bemerkungen bei Anderson (1993: 133 f.); Moore (1998: 96 f.). Für Slater (1985: 127–129; 142 f.) ist Simo im wesentlichen der konventionelle Komödiengreis. Sharrock (1996) läßt ihn ganz unberücksichtigt. Jachmann (1933: 445 f.). Es wäre ein sehr künstliches Argument (das Jachmann auch nicht gebraucht), darauf zu verweisen, daß Ballio in 896–904 nur von Simos Warnung, aber nicht von der Wette berichtet. Er erwähnt sie dann in 1059 f.; es ist charakteristisch für Jachmanns Philologie, daß er diese Verse, die seine Konzeption stören, kurzerhand ebenfalls zu einer plautinischen Zutat erklärt. Man könnte übrigens auch aus 901 sese promisisse fortiter eine Anspielung auf die Wette heraushören. Solche Wiederholungen sind nur dann ein starkes Argument für eine plautinische Einlage, wenn die von ihnen eingeschlossene Partie sich auffällig von der Umgebung abhebt; vgl. Capt. 152 ~ 167 und Fraenkel (1922: 111 f.). Lefèvre (1997: 26 f.).
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Der Argumentation Jachmanns wäre nur dadurch aufzuhelfen, daß man die Passagen, die auf die Partie 1067–1086 vorbereiten – also 557–561, 892–904 und 1052–1062 –, ebenfalls zu plautinischen Zusätzen erklärt. Genau dies tut E. Lefèvre.87 Damit erhielte man aber mit der Szene IV 6 (abzüglich der von Jachmann dem Plautus zugewiesenen Verse) für das Original eine Szene, in der der Zuhälter und der Alte familiär miteinander verkehren, ohne daß dies durch den bisherigen Verlauf des Stücks irgendwie motiviert wäre. Lefèvre löst dieses Problem, indem er die Szene IV 6 nunmehr zur Gänze als plautinisch erklärt, ebenso wie den Anteil Simos an der folgenden Ballio-Harpax-Szene (IV 7). Damit aber gerät er in einen Selbstwiderspruch. Wenn Jachmanns Argumente, wie Lefèvre behauptet, gültig wären, so wäre mit ihnen nur bewiesen, daß die Partie 1067–1086 eine plautinische Zutat zu der sie umgebenden Szene sind. Daraus aber ergäbe sich logisch zwingend, daß die umgebende Szene selbst dem Original angehört (was dem Beweisziel Jachmanns durchaus entsprach). Lefèvre möchte aber gerade umgekehrt, daß die gesamte Szene dem Plautus gehört. Er hätte also Jachmann nicht für seine These in Anspruch nehmen dürfen, sondern hätte gegen Jachmann die Einheit der Szene IV 6 erweisen müssen – aus dem gemeinsamen methodischen Ansatz folgt eben noch nicht, daß die Argumente verschiedener Analytiker stets miteinander kompatibel sind. Als Argument für Lefèvres Zuweisung der Simo-BallioSequenz an Plautus bleibt damit nur noch übrig, daß Lefèvre eine Zusammenarbeit von leno und senex in der Neuen Komödie für unvorstellbar hält: «Daß in der realistischeren Welt der N ein % nicht mit einem ,« derart familiär verkehrte, ist […] klar» (76). Das aber ist eine rein normative Aussage, die nicht mit Texten belegt wird und mit unserem Material auch nicht belegbar ist.88 In gleicher Weise basiert Lefèvres häufige Versicherung, daß Simo gegen seinen Charakter handele,89 nicht auf der inneren Logik des Pseudolus, sondern auf einer bestimmten Auffassung von der für die Neue Komödie gültigen Norm. Wir gehen hier nicht weiter auf die Einzelheiten ein, entnehmen aus diesen Bemerkungen aber das Recht, in großen Zügen ein ‹unitarisches› Charakterbild des plautinischen Simo zu entwerfen. 1. Simo wird als strenger, sparsamer und mißtrauischer Familienvater eingeführt. Als solcher erscheint er in den Urteilen der Personen, die vor ihm auftreten, 90 und auch in sei87
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Lefèvre (1997: 76 (zu 892–904) und 81 (zu 1052–1062)). Übersehen ist die Passage 557–561, von der L. zwar feststellt, daß nur einer der beiden Alten dem Befehl des Pseudolus nachkommt, daraus aber keinen analytischen Schluß zieht (34 Anm. 123). Über den ,« der Neuen Komödie wissen wir, abgesehen von Men. Kolax 120–132, Diphilos fr. 87 Kassel-Austin (PCG V) und Sophilos fr. 6 Kassel-Austin (PCG VII), so gut wie nichts. Das Diphilos-Fragment könnte Teil einer Tirade wie Pseud. 171–229 gewesen sein, aber auch auf eine gewisse Larmoyanz deuten. Die Vermutung von Fraenkel (1922: 147 Anm. 1), der griechische Zuhälter sei nicht das aus Plautus geläufige «boshafte Scheusal» gewesen, bleibt (abgesehen von dem Hinweis auf eine «freundlich-verbindliche» Maske) unbelegt. Es sei der Fairneß halber hinzugefügt, daß Lefèvre noch ein weiteres Argument anführt: «Daß sich so nur der römische Simo geäußert haben kann, der um den Verlust der ‹Wette› fürchtet, ist klar» (ebd.). Das basiert auf seiner Überzeugung, daß die Pseudolus-Simo-Wette in I 5 (507–555) plautinische Zutat ist, weil Simos Bereitschaft dazu im Widerspruch stehe mit seiner strikten Weigerung, die Liebschaften seines Sohnes finanziell zu fördern (504–506); vgl. Lefèvre (1997: 24–26). Für besonders überzeugend halte ich das nicht. Häufig unter Berufung auf Philologen des 19. Jh.: Lefèvre (1997: 25 (gegen Simos «Erniedrigung und Verleugnung des eigenen Charakters» im 5. Akt, nach Ritschl und anderen); 59 f.; 83 etc). 290 (Calidorus); 408 (Pseudolus).
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ner eigenen Auftrittsrede, wo er sich mißfällig über die kostspieligen Liebesaffären seines Sohnes äußert (415–422). In einer gewissen Spannung dazu stehen ein intriganter Zug, der sich ebenfalls gleich zu Anfang zeigt (Simo hat Zuträger und hält mit seinem Wissen um die Pläne seines Sohnes hinterm Berg, 420 und 422), sowie der Vorwurf der Inkonsequenz, der Simo von Callipho gemacht wird: Simo toleriert bei seinem Sohn nicht die Eskapaden, deren er sich als adulescens selbst schuldig gemacht hat (436–442). 2. Es kostet Pseudolus einige Mühe und die Unterstützung des Callipho, Simo dazu zu überreden, sich auf die bekannte Wette einzulassen, nach der Simo den Zuhälter entschädigen wird, wenn es Pseudolus gelingt, das Mädchen aus dessen Gewalt zu befreien. Es scheint, daß Simo sich überhaupt nur darauf einläßt, weil er sich einerseits im Bewußtsein, Pseudolus’ Anschläge im Voraus erraten zu haben (504 f.), andererseits aufgrund der vollmundigen Vorwarnungen des Pseudolus (516 f.) zu sicher fühlt. Hier paaren sich Eitelkeit und eine gewisse Naivität; daneben bleibt das Mißtrauen des Simo wach (vgl. bes. 538–541), das ihn aber doch nicht daran hindert, in die Falle zu gehen. All das sind typische Züge des Opfers einer komischen Intrige. 3. Weniger typisch ist, daß Simo selbst aktiv wird und Ballio warnt – Intrigenopfer sind bei Plautus meistens passiv. 91 Diese Handlungsweise ist sowohl durch seinen Geiz als auch durch seine schon in der Auftrittsrede angedeutete Neigung zum Intrigieren motiviert, die hier manifest wird. Es zeigt sich jetzt, daß er dem moralischen Standard, den er eingangs aufgestellt hat, selbst nicht gerecht wird. Daß Simo sich mit dem Zuhälter gegen den eigenen Sohn verbündet, ist (nicht nur in der Welt der Neuen Komödie, sondern auch der des Plautus) höchst ungehörig, und Simo weiß, daß es das ist. 92 Er kann seine Absicht, mit Ballio gemeinsame Sache zu machen, weder vor Pseudolus noch vor Callipho offen aussprechen – darum kann Plautus den Beginn seiner Aktivität nur dadurch hervorheben, daß er seinen Abgang zum Forum gegen Pseudolus’ ausdrückliche Weisung geschehen läßt (561). Wenn Simo besonders eng mit dem leno zusammenarbeitet, hat er ein besonderes Bedürfnis, sich nach außen hin von ihm abzugrenzen und auf seinem sozialen Rang zu bestehen. Als Harpax ihn mit dem Zuhälter verwechselt, droht er ihm dafür Prügel an und insistiert, daß er, Simo, ein «anständiger Mensch» ist (vir probus 1144). 93 Nach der Niederlage Ballios begründet Simo sein ziemlich schäbiges Bestehen auf der Auszahlung der 20 Minen mit der «Unanständigkeit» des Zuhälters (de improbis viris 1225). Simo legt also – bezeichnend für seine Doppelmoral – auf seinen Wertekanon immer dann besonders hohen Wert, wenn die Fassade seiner Moralität besonders brüchig geworden ist. Hierauf beruht die Wirkung von Pseudolus’ Parodie der Selbstdarstellung Simos in der Schlußszene (Anrede als vir optumus, 1292 f.). 94 4. Simo ist also ein Mensch, der seinen Anspruch auf moralische Strenge zumindest für seine eigene Person sehr schnell fahren läßt, sobald ein stärkeres Motiv hinzutritt. Das hat er mit dem Demipho des Mercator gemeinsam, der in der Wahrnehmung der anderen Personen, insbesondere seines Sohnes, zunächst als pater durus, sogar als senex iratus er-
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Man denke etwa an Theopropides in der Mostellaria oder an Nicobulus in den Bacchides, der ja gleich Simo gewarnt ist. Vgl. Curc. 502 nec vobiscum [= cum lenonibus] quisquam in foro (!) frugi consistere audet. chlamydate, cave sis tibi a curvo infortunium / atque in hunc intende digitum: hic leno est, at hic est vir probus. Interessant ist hier die sozial ächtende Geste des Fingerzeigens. vir malus viro / optumo obviam it.
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scheint (Merc. 46–86), der aber selbst bei seinem ersten Auftritt unumwunden zugibt, daß er ein alter verliebter Taugenichts ist,95 und sich während des restlichen Stücks mit kindischer Rücksichtslosigkeit verhält. In ähnlicher Weise legt der Zusammenbruch der moralischen Fassade bei Simo allerlei unerfreuliche Eigenschaften frei, in erster Linie die Neigung, Schwächere zu demütigen, und einen ausgeprägten Opportunismus. Es ist Simo, der den Vorschlag macht, Harpax – den vermeintlichen entlarvten Abgesandten des Pseudolus – zu verhöhnen (1167 f.), und er beteiligt sich mit spürbarem Vergnügen an der Ausführung (1175–1185). In dieser Sequenz, wo Ballio der Sieger des Spiels zu sein scheint, ist Simos Solidarität mit ihm am größten. Als sich jedoch der wahre Sachverhalt herauszustellen beginnt (1193 ff.), geht Simo sofort auf Distanz, indem er sich zunächst ganz aus dem Gespräch zurückzieht96 und schließlich lakonisch und unter Verwendung der den sozialen Abstand betonenden Anrede leno Ballios Niederlage konstatiert (1213 tu, nisi mirumst, leno, plane perdidisti mulierem). Und als Ballio endgültig als Verlierer feststeht, demütigt Simo ihn mit demselben Vergnügen wie zuvor den Harpax (1223–1232).97 Jemanden zu treten, der schon am Boden liegt (calcare iacentem), ist ein sprichwörtlich unanständiges Verhalten98 – hier tritt der unwahrscheinliche Fall ein, daß der geschlagene leno fast ein gewisses Bedauern weckt und einmal nicht die unsympathischste Figur auf der Bühne ist. Im Unterschied zu Demipho klingt bei Simo der Maßstab der moralischen Strenge bis zum Ende des Stücks immer wieder an (meist in Simos eigenen Äußerungen, vgl. unter 3), so daß dem Zuschauer das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit ständig bewußt gehalten wird. Diese Skizze sollte gezeigt haben, daß Simo ein hochdifferenzierter, aber insgesamt konsistenter – wenn auch unerfreulicher – Charakter ist, der sich dem Zuschauer nur bei einer ‹kontinuierlichen›, nicht aber bei einer ‹diskontinuierlichen›, auf die Einzelszene fixierten Rezeptionshaltung ganz erschließt. 99 Damit drängt sich die Frage auf: Ist ein solcher Charakter in der attischen Neuen Komödie vorstellbar? Wir kennen aus der Neuen Komödie keinen Familienvater, der sich so normwidrig wie Simo verhält. Unsympathische, auf das Finanzielle fixierte «, die um eines geldwerten Vorteils willen ohne Zögern moralische Normen überschreiten, sind aber keine Seltenheit. Am ehesten ist an den von Menander geschaffenen Smikrines-Typus zu denken, dessen Vertreter als & oder gar charakterisiert werden. Ein recht naher Verwandter des Simo scheint der Smikrines der Aspis zu sein, der sich durch aggressive Geldgier, ein allzeit waches Mißtrauen und daneben – in einer gewissen Spannung mit diesen Eigenschaften – durch das Bedürfnis
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Vgl. bes. Merc. 267 vosmet videte ceterum quanti siem. In der Partie 1191–1212, wo Ballio und Harpax die wahre Identität des Harpax ausdiskutieren, sagt Simo kein Wort. Offenbar dämmert ihm die Wahrheit weit früher als Ballio. Als Vorausverweis auf diese seine Neigung kann man Simos Insistieren auf seiner Herrenrolle während seiner ersten Begegnung mit Pseudolus ansehen (472; 521), das markant mit der saturnalischen Vertauschung von Herren- und Sklavenrolle im 5. Akt kontrastiert. Vgl. Ov. Tr. 5,8,10; Ibis 29 calcasti qui me, violente, iacentem; Pont. 4,3,27 f. und häufig; [Sen.] Oct. 455 calcat iacentem vulgus; Iuv. 10,86. Daß ein solcher Charakter in der Schlußszene bestraft wird, ist ein Erfordernis poetischer Gerechtigkeit, auch wenn dramaturgisch nicht klar wird, wie es eigentlich zu der Szene kommt. Hier haben wir es tatsächlich mit ‹Diskontinuität›, keinesfalls aber mit einer «Verleugnung des eigenen Charakters» (Lefèvre 1997: 25) durch Simo zu tun.
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nach sozialer Anerkennung auszeichnet.100 Als dieser Mann in der Eröffnungsszene des Stücks dem Leichenzug seines vermeintlich gefallenen Neffen begegnet, spricht er in konventioneller Weise sein Beileid aus, und nur genaues Zuhören und Zusehen macht deutlich, daß er bereits die mitgeführte Kriegsbeute taxiert und überlegt, wie er in ihren Besitz gelangen kann.101 Erst der nachgestellte Prolog enthüllt den wahren Charakter und die Pläne des Alten. Interessant ist folgende Bemerkung gegen Ende des Prologs: «Er [= Smikrines] wird sich vergebens bemühen und, nachdem er allen noch deutlicher gemacht hat, was für ein Mensch er ist, in seinem bisherigen Zustand verbleiben» (Asp. 142–146).102 Das kann sich kaum auf die anderen Akteure beziehen, die bereits wissen, was sie von Smikrines zu halten haben,103 sondern wird eher auf die Zuschauer gehen. Die Entstellung eines Heuchlers zur Kenntlichkeit kann also durchaus Ziel einer Intrige der Neuen Komödie sein.104 Gewiß ist Smikrines kein Familienvater, sondern vertritt den antisozialen Typus des Komödiengreises.105 Aber in Menanders Dis exapaton begegnet ein Vater, der im Moment der Wiederbegegnung mit seinem Sohn weit mehr Wert auf das von diesem mitgebrachte Geld zu legen scheint als auf den Sohn selbst, der immerhin gerade von einer langen Reise zurückkehrt.106 Es scheint denkbar, daß Menander selbst oder einer seiner Kollegen diese verschiedenen Ansätze einmal zusammengeführt und einen % vom Schlage des Simo geschaffen hat, der sich aus Geiz und unter Mißachtung des für einen Familienvater Gebotenen mit der geächteten Person des ,« zusammentut und dadurch in eine Reihe von peinlichen und entlarvenden Situationen gerät. Die gerade vorgetragenen Überlegungen sollten gegen die Analytiker wahrscheinlich machen, daß ein Charakter wie Simo in der Neuen Komödie möglich war. Ob diese Möglichkeit auch verwirklicht worden ist und ob dies gerade im Original des Pseudolus geschehen ist, ist damit längst nicht erwiesen. Das methodische Problem der Analyse ist in gewissem Sinne die beidseitige Beweislast: Aus der Widerlegung einer analytischen Argumentation ergibt sich nicht sofort, daß die betreffende Textpassage dem griechischen Vorbild angehört, sondern ihre Zuweisung an dasselbe bedürfte zusätzlicher positiver Argu100
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&«: Asp. 123; «: 140 (als &«, wenn auch nicht als «, könnte man auch den Smikrines der Epitrepontes bezeichnen, der ein Familienvater ist). Mißtrauen: 274 f. Anerkennungsbedürfnis: 149 und die pikierte Frage an Daos: µ« ( 4& ; (205). Zum Charakter des Smikrines vgl. Blänsdorf (1982: 137 f.); Gaiser (1973: 124–126). Zur Aspis insgesamt: Vogt-Spira (1992: 75–88). Beileid: Asp. 18 f.; 88 f. ( .%α / 0« 1 2. Geldgier: 33; 83–86. & ξ &(# ) λ « / 5« 'Ω %) 0« / » 7« µ 8« /# $κ / /& /λ $'0. 153 f. , )( /λ . Vogt-Spira (1992: 82 f.): «daß die des Alten, also das […] wahre Motiv, zunächst verschleiert wird, so daß es in einem längeren Wechselspiel mit den anderen Protagonisten zum Vorschein gebracht werden kann: Der Zuschauer ist dabei durch die genauen Informationen des Prologs in den Stand gesetzt, die vorgebrachten Scheingründe in vollem Maße auszukosten.» Asp. 121. Men. Dis ex. 52 µ ' (# 0«, 0, '.; 61–63 µ« , « / ³« 0 'α λ , 0 &' ; /λ ξ &% : . Der Sprecher ist das Vorbild von Plautus’ Nicobulus. Vgl. die treffende Anmerkung von Gomme/Sandbach (1973: 123): «It is important that the old man, who is to be cheated in the sequel, should be unsympathetically portrayed. The act ends with this emphasis on his love of money, greater it may be suspected than his love of his son.» Die Zuweisung von Dis ex. 63 an Sostratos im Appendix von Sandbach (21990: 342 «Sosiae [sic] dedi») überzeugt mich nicht.
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mente. In der Praxis wird ein solcher Nachweis jedoch kaum je zu erbringen sein. Man muß sich also wohl damit abfinden, daß die analytische Argumentation – in der einen wie der anderen Richtung – rasch an ihre Grenzen stößt.
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Der Dichter auf der Suche nach seiner Rolle: Zur persona in den Jamben des Horaz 1. Zur Neubewertung des horazischen Jambenbuches Die deutschsprachige Philologie tut sich mit den Epoden des Horaz immer noch schwerer als die angloamerikanische oder italienische; die Obszönität der Greisinnenepoden, die unklare Rolle der Hexe Canidia, die einerseits furchterregender auftritt als in den Satiren, andererseits vom Sprecher verspottet wird, der Wechsel zwischen politischer Affirmation und Resignation – all das wird auch in jüngeren Veröffentlichungen immer noch als Anzeichen der ersten, unsicheren Gehversuche des Dichters gedeutet, besonders, da dieser sich selbst in den Oden von ihnen zu distanzieren scheint.1 In der angloamerikanischen Forschung dagegen werden diese Brechungen des lyrischen Ich viel stärker als programmatische Selbstinszenierung des Dichters beschrieben und entsprechend der Selbstaussage in der Ars Poetica2 nicht nur formal, sondern auch inhaltlich auf den Archegeten der Gattung, Archilochos – und eben nicht Kallimachos –, zurückgeführt. Danach ist es gattungsinhärent, wenn einerseits eine Trennung von Ingroup und Outgroup inszeniert, andererseits diese Trennung auch immer durch Selbstbezichtigungen unterlaufen wird. 3 «[ Horaz] is not so much concerned with striking a pose as with questioning this pose, and this questioning is effected primarily through the interrelation between poems in the collection.» 4 Zugleich betont diese Sichtweise die Einheit des horazischen Jambenbuches, das als ein Ganzes auf die dreißiger Jahre zurückblickt, während die ältere Forschung dazu tendiert hat, die Gedichte einzelnen Ereignissen innerhalb des Jahrzehntes vor Actium zuzuordnen und Widersprüche aus der situativen Abfassung zu erklären. 5 Insgesamt erscheint diese neue Tendenz dem Epodenbuch angemessener zu sein; sie wird inzwischen durch zahlreiche Einzeluntersuchungen gestützt, die unter anderem eine konsequente Verwendung von
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Einflussreich war hier natürlich das Urteil Fraenkels (1963: z. B. S. 68–69). Vgl. aber auch die neuen großen Monographien: Lefèvre (1993); Maurach (2001: 40 und 43). Etwas aus der Reihe fällt Schmidt (2002). Schmidt ist zwar der erste, der die Brechungen im lyrischen Ich auf eine konsequente Aussageabsicht hat zurückführen wollen, seine Vorstellung vom Dichter als Anwalt der Schwachen ist aber idealisierend und wurde auch nicht weiter aufgegriffen. Das meiste bereits entwickelt in Schmidt (1977). A. P. 79–82 vgl. Barchiesi (2002). Zu den verschiedenen Beurteilungen der Qualität des horazischen Jambus jetzt auch Watson (2003: 36–43). Fitzgerald (1988); Watson (1995); Oliensis (1998); dies. (1991), Mankin (1995); Miralles, Pòrtulas (1983). Unempfindlich für die Problematik zeigt sich aber noch jüngst Newman (1998), der Horazens Aggressivität insgesamt für zahnlos hält, mit Ausnahme ausgerechnet der Invektiven gegen Frauen. Vgl. auch Kiernan (1999: 51 «metrical excercises»). Fitzgerald (1988: 176). Z. B. Wurzel (1938: 378). Vor die Schlacht von Aktium datiert z. B. Wistrand (1958: 34).
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Leitmotiven zutage gefördert hat, mit der die Einheit des Jambenbuches vom Dichter sichergestellt wird.6 Die Epoden erscheinen so als eine Sammlung von Gedichten, die rückblickend eine von militärischen und sozialen Konflikten zerrissene Epoche zur Darstellung bringt und auf die Zerrissenheit des jambischen Sprechers projiziert. Jedoch haben diese Untersuchungen bisweilen einen unausgesprochen dekonstruktivistischen Einschlag, bei dem nicht immer ganz klar wird, ob wir es eigentlich noch mit einer Rekonstruktion der historischen Textsemantik zu tun haben 7 oder einer modernen Entlarvung antiker Sinnkonzepte. Die Konsequenzen der neuen Ansätze für die persona des Dichters selbst sind m. E. damit noch nicht genügend erfasst worden. In der folgenden Betrachtung soll daher gezeigt werden, dass die «Dekonstruktion» des lyrischen Ich bei Horaz eine Homologie zu bestimmten kulturellen Phänomenen aufweist, mit der soziale Subjekte ihren Status in ihrer jeweiligen Gesellschaft zu erringen versuchen. Die Epoden werden damit als der Versuch des Horaz interpretiert, seine persona als Dichter zu etablieren.
2. Prekäre Selbstinszenierungen: Geschlecht, Alter und Stärke Durch die Komposition der Jamben zu einem Buchganzen kommt es ganz natürlich dazu, dass der Leser immer wieder e i n e n Sprecher auszumachen sucht. Es sind zunächst wieder Motivverbindungen, durch die immer wieder ein identisches Ich hergestellt wird, so dass die Widersprüche in diesem Ich liegen und nicht durch eine Entkoppelung der Sprecher aufgelöst werden können. 8 Selbst wenn Horaz nicht seinen eigenen Namen nennt, um das lyrische Ich zu identifizieren, gibt es doch in der Regel motivische Brücken, die für den Leser des Buches den Eindruck erwecken, es spreche immer die gleiche Person zu ihm9 – mit Ausnahme freilich der Epoden, in denen explizit ein anderer Sprecher auftritt (epod. 2 und 5). Ferner hat sich Horaz im ersten Buch seiner Oden selbst auf seine Epoden als eigene Sprechakte bezogen (s. u.). Damit ist zwar die Einheit des Sprechers geklärt, aber nicht seine Vielgestaltigkeit in dieser Einheit. Die Phänomene, die die Forschung in diesem Zusammenhang beschäftigt haben, kann man grob in drei Gruppen einteilen (wobei zu beachten ist, dass die Motive in den Gedichten natürlich nicht so scharf getrennt werden): Horaz lässt den Leser im Unklaren über sein Lebensalter, seine sexuelle Potenz und seine Aggressivität als Jambiker schlechthin. Ich
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Barchiesi (2001: 141), ebenso Watson (2003). Reckford (1999) hat in seiner Rezension von Oliensis Buch darauf hingewiesen, dass Oliensis’ Interpretation die Frage aufwirft, was hier literarische Strategie und was die Rückkehr des Unbewussten durch Canidia darstellt (S. 315). D.h. doch letztlich, dass Horaz psychoanalytisch untersucht wird. Epod. 1; 3; 9 und 14 sind durch den angesprochenen Mäzenas als Aussagen des Horaz (seiner persona) kenntlich, epod. 11 durch den angesprochen Pettius. Durch die 11. Epode ist klar, dass Inachia als Geliebte des Horaz fungieren soll, damit ist auch in epod. 12 Horaz der erste Sprecher, epod. 15, 11 bezieht sich auf Horaz, das 17. Gedicht ist eine Auseinandersetzung des Horaz mit seinem literarischen Geschöpf Canidia, auch wenn der Sprecher sich nicht nennt. In epod. 13 wird der Wein aus dem Geburtsjahr Horazens bezeichnet: tu vina Torquato move consule pressa meo (v. 6). Schon hier wird deutlich, dass Horaz ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass ein weiter nicht bezeichnetes lyrisches Ich mit ihm selbst gleichzusetzen ist. Eigentlich bleiben nur epod. 2 und 5 ganz klar anderen Sprechern zugeteilt und diese Gedichte haben dann auch besondere Funktionen (s. u.). Fitzgerald (1988: 176).
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möchte im Folgenden für jeden der Bereiche nur einige Beispiele geben und verweise ansonsten auf die in Anm. 3 genannte Literatur.
2.1. Jugend und Alter In epod. 17 kapituliert Horaz scheinbar vor der wirksamen Macht der Hexe Canidia und empfindet sich nach den Kämpfen mit ihr vom Greisenalter gezeichnet: fugit iuventas et verecundus color || reliquit ossa pelle amicta lurida || tuis capillus albus est odoribus. Diese Selbstbeschreibung überrascht. Berühmt-berüchtigt sind die Epoden 8 und 12, in denen Horaz eine alte Vettel mit drastischen Worten verspottet. Der Leser geht ganz von selbst davon aus, dass der Sprecher, der sich so selbstgewiss über das Alter lustig macht, jung ist.10 So kann Lefèvre nicht glauben, dass wir uns Horaz am Ende des Buches «alt und schrumpelig» vorstellen sollen.11 Ebenso fordert der Dichter in epod. 13 seine Freunde auf, die Gelegenheit zu einem conuiuium zu nutzen, solange «ihre Knie noch grün sind» (rapiamus, amici, occasionem || de die, dumque uirent genua || et decet, obducta soluatur fronte senectus). Andererseits kredenzt er hier Wein aus seinem Geburtsjahr, um das Alter von seiner Stirn zu verbannen.12 «With a kind of temporal foreshortening, this passage brings the poles of death (senectus) and birth (consule meo) close together (…)»13
2.2. Sexualität Eng verbunden mit dem Problem des Alters ist das der sexuellen Kraft und sogar Identität. In epod. 1 bekräftigt Horaz, dass es für die Aufgabe, Mäzen auf seiner Schiffsreise in umkämpfte Gewässer zu begleiten, eines pectus forte bedarf, dass es sich um eine Aufgabe handelt, die nur von viri non molles bestanden werden kann. Dennoch bezichtigt sich Horaz immer wieder der mollitia, oder muss sich gar selbst diesen Vorwurf gefallen lassen. Die alte Vettel beschimpft ihn als zu mollis, um ihn befriedigen zu können (12, 15 f.: Inachiam ter nocte potes, mihi semper ad unum || mollis opus).14 In der vierzehnten Epode ist es mollis inertia, die den Dichter nach seinem eigenen Geständnis hindert, sein Jambenbuch abzuschlie10
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Watson (1995: 191 f.) hat das Problem aufgegriffen und wirft die Frage auf, wie Horaz überhaupt in eine Beziehung mit diesen alten Vetteln geraten sei. Schon durch die Tatsache, dass eine vetula Ansprüche auf Horaz erhebt, wird dessen eigene Rolle fragwürdig. Irgendwas kann hier nicht stimmen. Entweder ist die beschimpfte Frau nicht alt oder Horaz ist nicht jung. Für beides gibt uns Horaz Hinweise. In der 17 Epode stilisiert er sich als alt, in carm. 1, 16, das das Jambenbuch aus der Rückschau wieder aufgreift (s. u.), widerruft er seine Beschimpfungen und macht deutlich, dass die Geliebte jung und schön ist. Lefèvre, (1993: 79). Die Verwirrung wird durch den Begriff der senectus erzeugt. Es ist hier primär als senium zu verstehen, d. h. als greisenhafte Schwäche Watson (2003: 427); dennoch steht es in einer Spannung zur Jugend der conuiuae. Ebenso kann man das Altersbekenntnis in epod. 17 einerseits als ein subjektives Gefühl auffassen, das aber eben doch auch mit den körperlichen Attributen wirklichen Alters auftritt. Oliensis (1998: 97). Sie schließt daraus jedoch ganz traditionell (S. 97 f.): «one message of the poem is certainly the familiar symposiastic injunction to drink up your allotted wine before your time is up.» Die andere, etwas elaboriertere message bezieht sich auf das Ungesagte. Oliensis untersucht sehr stark den Wechsel von Reden und Schweigen, dieser ganze Aspekt spielt hier keine Rolle. Oliensis (1991: 130).
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ßen.15 In epod. 15 möchte er seiner untreuen Geliebten Neaera drohen: si quid in Flacco viri est. Das Spiel mit den Bedeutungen flaccus (schlaff ) und vir ist offensichtlich.16 In epod. 16 schließlich wird der verfluchten römischen Bürgerschaft ein Neuanfang auf den Inseln der Seligen verheißen, nur die Weichen und Hoffnungslosen sollen zurückbleiben, die Tugendhaften sollen ihr weibisches Klagen aufgeben: mollis et exspes || inominata perprimat cubilia! || vos quibus est virtus, muliebrem tollite luctum (37–39). Es wird hier deutlich, dass der Dualimus mollis und virtus hier tatsächlich auch ein Dualismus männlich-weiblich ist, der immer wieder unterlaufen wird,17 mollitia ist die Eigenschaft eines Mannes, der sich weibisch verhält und genau in diesem Sinne wird er auch in den Epoden verwendet.
2.3. Jambische Aggressivität Das Problem der (fragwürdigen) jugendlichen und sexuellen Kraft kann man nicht getrennt sehen von der Entschlossenheit des jambischen Sprechers, politische und moralische Missstände anzusprechen. Ein bekanntes Beispiel ist der Angriff gegen einen sozialen Aufsteiger in Epode 4. Der angegriffene tribunus militum und Ritter nimmt hier fast die gleiche soziale Rolle ein, die Horaz besetzt.18 Ebenso auffällig ist die Placierung der berühmten programmatischen Epode 6.19 Scheint Horaz sich hier prima vista als aggressiver Jambiker zu stilisieren, der sich wie ein Jagdhund vom trägen Haushund unterscheide, schließt das Gedicht doch in einer eigentümlichen ambiguen Frage (epod. 6, 15–16): an si quis atro dente me petiverit || inultus ut flebo puer? Genauso beendet die Hexe Canidia das Epodenbuch, wenn sie, beinahe unmotiviert, ihren hasserfüllten Angriff auf ihr Opfer (sc. Horaz) mit einer Infragestellung ihrer Position ausklingen lässt (epod. 17, 81): an (…) plorem artis in te nil agentis exitus? Der sechsten Epode ging ausgerechnet die Canidiaepode voraus, in der die Hexe einen jungen römischen Knaben zu Tode bringt. Dieser wiederum verlegt sich, während er seiner magischen Opferung ins Auge sieht, vom Flehen seinerseits immer mehr aufs Drohen und imaginiert sich schließlich selbst als erynienhafter Racheengel. Man kann hieran auch sehen, dass selbst Epode 5, in der ein anderer Sprecher als Horaz auftritt, motivlich eng mit den anderen Epoden verbunden ist. Der Knabe ist ein scheinbar Schwacher, der aggressiv auftritt, so wie Horaz oft auf den ersten Blick selbstbewusst auftritt, um dann an seiner eigenen inertia zu scheitern. Selbst epod. 10, die nach allgemeiner Auffassung den Impetus des Jambikers in ungebrochener Form präsentiert, wird durch ihre Placierung im Jambenbuch in Frage gestellt. Horaz wünscht hier dem «stinkenden Mevius» einen Schiffbruch mit tödlichem Ausgang. Nach diesem schwungvollen Auftritt aber muss der Dichter in epod. 11 bekennen, dass ihn das Dichten nicht mehr wie bisher erfreut, da Liebesleidenschaften ihn lähmen. (epod. 11, 1–2): Petti, nihil me, sicut antea, iuuat || scribere versiculos amore percussum gravi. Der Wechsel von 10 zu 11 wäre noch bedeutsamer, wenn Mevius
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Oliensis (1991: 129). Oliensis (1998: 74). Oliensis (1998: 78). Da dies eine der Hauptargumentationen von Oliensis ist, habe ich diesen in der Sache zentralen Aspekt hier kurz gehalten und verweise mit Nachdruck auf ihre Studien. Oliensis (1998: 67 f.). Buchheit (1961). E. A. Schmidt (1977: 405). Zum Folgenden vgl. Mankin (1995: 137, 142).
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tatsächlich zwischen Horaz und Vergil als Chiffre für einen schlechten Dichter firmiert hat. 20 Horaz hätte dann seine Schaffenskrise genau in dem Moment eingestanden, nachdem er scheinbar selbstbewusst einen unfähigen Dichter zum Teufel gewünscht hat.
3. Inszenierungsformen des Liminalen Obwohl in den Studien von Miralles und Pòrtulas zu Archilochos durchaus ein Hinweis verborgen war, ist m. E. eine wichtige Homologie sowohl zu den Themen als auch den Formen dieser jambischen Selbstinszenierung übersehen worden. Es handelt sich in zentralen Aspekten um geradezu klassische Inszenierungsformen gesellschaftlicher Liminalität. In den achtziger Jahren hat nämlich Jaume Pòrtulas den Dichter Archilochos als einen Vertreter des trickster-Typus angesehen. Dieser Ansatz von Pòrtulas ist, obwohl er ihn als Merkmal der ganzen Gattung versteht, für Horaz überhaupt nicht verfolgt worden. 21 Der trickster ist in den Altertumswissenschaften durch den Beitrag von Karl Kerény in Paul Radins Studie über den nordamerikanischen Wakdjunkaga-Zyklus bekannt geworden. 22 Es handelt sich bei diesem Typus um einen mythischen Kulturheroen, der durch sein Handeln einerseits kulturstiftend wirkt, andererseits als unkontrollierbar und gefährlich erlebt wird.23 Das Unkontrollierbare entsteht dadurch, dass der Heros seiner Sexualität und Aggressivität selbst mit ausgeliefert ist. Nicht nur andere, sondern auch er selbst müssen die Konsequenzen seines Tuns ausbaden. Kerèny hat, mit gehörigen Kautelen, im Bereich der griechischen Mythologie die Gestalten des Hermes und des Prometheus als Äquivalente benannt. Prometheus etwa stiftet durch den Diebstahl des Feuers und den Opferbetrug in Mekone wichtige Kulturgüter, gleichzeitig aber bringt er die Menschen und sich selbst damit in Gefahr. Die Mischung aus Aggressivität und Scheitern, Magie (Canidia!), sexueller Potenz24 und Malaise des tricksters haben in der Tat Parallelen bei Horaz. Allerdings ist das Besondere des tricksters seine mythische oder doch zumindest legendenhafte (Till Eulenspiegel) Identität. Der Typus des tricksters bezeichnet keine menschliche Kulturpraxis, sondern ist Gegenstand von Erzählungen. 25 Dies ist bei dem dem trickster verwandten Phänomen des R i t u a l n a r r e n jedoch nicht der Fall und es wird sich möglicherweise 20
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In Vergil Ecl. 3, 90 wird der guten Literatur des Pollio die schlechte eines Bavius oder Maevius entgegengehalten. Mankin (1995: 184) diskutiert die Identifizierung der beiden M(a)evii durch Servius, findet sie aber nicht produktiv. Clausen (1995: 113) dagegen hält sie in seinem Kommentar zu den Eklogen für plausibel; als selbstverständlich gehen Kießling/Heinze (1958: 526) davon aus. Vgl. Watson (2003: 342). Pòrtulas (1983: 44) selbst hält die horazischen Epoden noch für eine reine literarische Wiederaufnahme des Jambus und konnte keine Nähe mehr zum trickster erkennen. Dabei ist die Materialbasis, die ihm selbst zur Verfügung steht, deutlich geringer als bei dem vollständigen Epodenbuch des Horaz. Pòrtulas muss häufig auf andere Texte ausweichen (den Hermeshymnus, Homer, Petron, Hipponax), um seine Argumentation zu fundieren. Kerény (1956). Zentral zu dieser Figur jetzt: Köpping (1984). In Ansätzen bei Hermes erkennbar – man denke etwa an seinen Kommentar zu der von Hephaistos gefangenen Aphrodite in Od. 8, 266–366 –, allerdings sind die griechischen trickster insgesamt weniger burlesk als der Wakdjunkaga, der durch die Forschungen Paul Radins (1956) das Untersuchungsfeld bestimmt hat. Pòrtulas (1983: 14) selbst sieht hier Probleme bei der möglichen Rezeption seines Ansatzes wegen des Umstandes, dass er eine konkrete historische Persönlichkeit mit einem göttlichen Wesen (im Falle des Hermes eines Gottes) vergleicht, und spricht deshalb von einem mimetic process. Mit ritual clowning haben wir m. E. eine kulturelle Praxis, die für diese Mimesis als Bezugspunkt in Frage kommt.
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zeigen, dass die Funktionen dieser kulturellen Formation mehr über das aussagen, was Horaz in seinen Jamben inszeniert.26 Der Ritualnarr (ritual clown) ist eine Figur, die Rituale zur Überwindung l i m i n a l e r P r o z e s s e begleitet.27 Seit den Studien Victor Turners ist das Phänomen der Liminalität ein zentrales Untersuchungsfeld anthropologischer Studien geworden. 28 Der von van Gennep29 auf eine bestimmte Phase des Rituals bezogene Begriff hat bei Turner eine entscheidende Erweiterung erfahren, indem Liminalität, also die ursprünglich symbolische Gestaltung von Übergängen im Ritual, auch als institutionalisierter Schwellenzustand in Gesellschaften aufzufinden ist, die komplexer sind als die Stammesgesellschaften, anhand derer er ursprünglich entwickelt wurde. Binäre Strukturen wie Gut und Böse, Jung und Alt, Sommer und Winter, Mächtig und Schwach werden durch Grenzziehungen geschaffen, mit denen eine Gemeinschaft sich ihre Struktur gibt. Die Gemeinschaft selbst aber ist die integrative Summe des Binären. Anders ausgedrückt: Damit die Gemeinschaft integriert bleibt, muss sie das Paradox bearbeiten, dass sie Unterschiede (Strukturen) schafft, die aber nur auf dem Hintergrund eines Gemeinsamen bestehen können (Anti-Struktur). 30 Gemeinschaft als erlebte Gemeinschaft ist im Turnerschen Vokabular communitas. Ein sich natürlich anschließendes Untersuchungsfeld ist die konkrete Inszenierungsform dieses Schwellenzustandes und der in ihr erlebten communitas. Liminalität kann in wiederkehrenden traditionalen Formen, zum Beispiel Festen, rituell begangen, oder muss als spontanes Problem bearbeitet werden, etwa bei der Wahl des amerikanischen Präsidenten im Jahr 2000, als die Kandidaten durch die ungeklärte Stimmenauszählung länger in ihrer liminalen Phase des Nicht-mehr und Noch-nicht ausharren mussten, als es die Tradition vorsah. Manche Gesellschaften delegieren die symbolische Verhandlung des Schwellenzustandes an bestimmte Agenten. Ein solcher ist der Ritualnarr. Don Handelman erläutert die Eigenschaften des ritual-clown an verschiedenen kulturellen Narrenfiguren. Sie treten in bestimmten Übergangsritualen wie einer Hochzeit auf, bei der oft auch der Übergang der Braut vom Mädchen zur erwachsenen Frau geregelt wird. Das Besondere der Narrenfigur ist ihre Verbindung verschiedener Elemente: Häufig trägt ein Mann Frauenkleider, durch das gender crossing ist er weder eindeutig männlich noch weiblich; durch bestimmte Attribute, die auf verschiedene Lebensalter hinweisen, kann die Gestalt alt und jung zugleich sein. 31 Oft erscheint ihr Auftreten lächerlich und macht sie zur Zielscheibe des Spottes, der nicht selten sexuell konnotiert ist und dem Publikum gewisse, im Alltag verwehrte, Lizenzen erteilt, Sexuelles zu verhandeln. Das Wichtige an diesem ritual-clown ist, dass er nicht einfach ein Element festlichen Vergnügens darstellt. Er symbolisiert den Übergang der Neophyten, d. h. derer, die eigentlich die Hauptperson des Rituals sind, von einem Seinszustand in den nächsten. Sein Oszillieren zwischen Jung und Alt, begehrend und impotent macht ihn selbst zu einem S y m b o l
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Vgl. das Verhältnis der rituellen Clowns zum Regengott im Tewaritual bei Handelman (1981: 360 f.). Der Gott ist ein trickster, während der Clown ein Ritualnarr ist. Handelman (1981). Turner (2000). van Gennep (1909). Turner (2000: 124 f.). «The ‹old man› is (a) a young female, who (b) is sexually agressive, but of (c) questionable virility.» Handelman (1991: 326).
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des Liminalen. Insofern ist ritual clowning s e l b s t r e f l e x i v , es verkörpert eine Metakommunikation über das, was im Ritual gerade geschieht. 32 Das Absurde in der Konzeption des ritual-clown verweist auf das Paradox, das in der Konzeption der Schwelle selbst liegt: Soziale Prozesse vollziehen sich eben prozesshaft, es gibt keinen festen Moment, in dem man plötzlich alt wird oder worin Begehren verschwindet. Rituale versuchen diese Prozesse mit Schwellen zu versehen, indem sie ein Vorher-Nachher inszenieren.33 Der clown kommentiert diesen Übergang. Wir müssen daher unterscheiden zwischen dem Übergangsritus und dem Narren, der dieses m e t a k o m m u n i k a t i v symbolisiert. Der clown selbst ist semantisch instabil konzeptionalisiert, er besteht aus Widersprüchen, die ständig bipolare Strukturen unterlaufen. «The interior of the sacred-clown type is composed of sets of contradictory attributes: sacred/profane, wisdom/folly, solemnity/ humour, serious/comic, gravity/lightness, and so forth.» 34 Unter einem anderen Aspekt jedoch ist der ritual-clown erstaunlich konstant: Er erscheint durch seine Eigenschaft als ein i n w e n d i g e r Selbstwiderspruch nach a u ß e n hin als feste Einheit, er ist ein «oscillating equilibrium.»35 Handelman unterscheidet ihn ausdrücklich von karnevalesken Inversionsformen, in denen bestimmte Hierarchien umgedreht werden, aber dadurch als reversibel erscheinen. Die Inversion ist nicht denkbar ohne beide Pole, die Umkehrung verweist immer auf etwas jenseits des Rituals, nämlich das «Normale» 36. Wenn genaue Gegenteile des Normalen inszeniert werden, dann sind diese Gegenteile unvollständig und nicht oszillierend, sie erweisen sich für sich genommen gerade nicht als lebensfähig. Daneben ist der ritual-clown nicht in sein Gegenteil auflösbar, er durchlebt keinen Statuswechsel, er stellt ihn dar. Er bleibt k o n s t a n t i n s t a b i l . Die Entwicklung, auf die er hinweist, ist die seiner Auflösung in dem Moment, in dem die Schwelle der Liminalität überschritten wurde, 37 nicht die seiner Umwandlung ins Gegenteil. 38 Um ein methodisches Missverständnis auszuschließen: Die Epoden sind kein Ritual und Horaz bezieht sich nicht auf eine traditionell etablierte Gestalt aus einem rituellen Zusammenhang (Die Galli des Kybelekultes erscheinen jedoch durchaus als Verwandte der von Handelman beschriebenen ritual clowns). 39
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Handelman (1991: 333): «The clown figure of the mendi rite demands that viewers appreciate the following: the previous state of the bride, the future state of the bride, the passage between them, and the state of liminality itself.» Diese Inszenierung wird im mendi-Ritus zum Beispiel durch das Schmücken der Braut durchgeführt, die vorher ihre alten Kleider anhatte. Handelman (1991: 330). Handelman (1991: 331). Beispielsweise bei der Einsetzung des Häuptlings bei den Ndembu. Der zukünftige Häuptling wird während des Schwellenrituals wie ein Sklave behandelt und beschimpft vgl. Turner (2000: 97–101). Der Häuptling ist eben auch kein ritual-clown, sondern selbst das Mitglied der communitas, das einen Statuswechsel erlebt. Handelman (1991: 332): «So it projects its own demise». Hier liegt auch ein Unterschied zum trickster: Der trickster tritt, obwohl durchaus in seiner Konzeption ein ganz ähnliches Instabil-Konstantes wie der ritual-clown, häufig dyadisch auf, mit einem Gegenspieler, der oft älter und weiser ist als er selbst und der den trickster sogar bisweilen rettet, wenn er durch sein Handeln sich selbst in Schwierigkeiten gebracht hat. Im Jahre 77 v. Chr. wurde einem von ihnen eine Erbschaft verweigert, weil er wegen der Kastration weder Mann noch Frau sei (Latte ( 21992: 260), zu Val. Max. 7, 7, 6). Der Kult ist einerseits in Rom isoliert, ande-
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Es geht vielmehr darum, zu zeigen, dass bestimmte Besonderheiten sowohl in der Darstellung des lyrischen Ich als auch in der des jeweiligen Gegenübers sich einer Erklärung zuführen lassen, wenn auf Inszenierungsformen von Liminalität verwiesen wird, die in anderen Kulturen mit dem ritual clown, dem trickster und dem Neophyten verbunden sind. Sie stellen ein semantisches Potential dar, das auch jenseits von etablierten Ritualen und Mythen ausgeschöpft werden kann. Seine Formen kommen offenbar in vielen Kulturen vor40 und Horaz kann sich ihrer bedienen.41
4. Liminalität im horazischen Jambus Es gehört zu den Gattungsregeln des Jambus, dass der Sprecher ein Gruppenethos verteidigt und Abweichler von der gemeinsamen Norm als solche kenntlich macht. Dabei kommt er leicht in einen logischen Konflikt, weil die Gruppe nicht die communitas als Ganzes repräsentiert, aber doch den Anspruch erhebt, dass ihre Werte letztlich die richtigen für das gesamte Gemeinwesen darstellen. Er laboriert an dem Umstand, dass die Trennung von Wir und Ihr, die konstitutiv für sein Dichten ist, selbst zum Teil des Problems wird, weil sie Konflikte schafft, deren Ursache der Dichter eigentlich den anderen zuschieben will. Das ist sicher eine der Ursachen dafür, dass jambische Dichter auch mit dem Mittel der Selbstbezichtigung arbeiten. Diese selbstkritische Bewegung kann in ihrer Konsequenz dazu führen, dass der Sprecher sich von seiner Ingroup entfernt und in das Grenzgebiet zwischen Ingroup und Outgroup gerät. Er verliert damit seine eigene klare Position innerhalb der communitas, er büßt an Integration ein, erwirbt aber auf diese Weise auch die Privilegien eines unabhängigen Sprechers. Es ist offensichtlich, dass auch Horaz in seiner Selbstinszenierung zwischen sexueller Potenz und erotischem Desaster hin- und hergerissen ist, dass sein Lebensalter zwischen Jung und Alt changiert, und dass seine Angriffe auf die Hexe mit unklarem Erfolg enden (ebenso wie der Sieg der Hexe fragwürdig erscheint). Sein ihm in der Not abgerungenes Loblied (37–41): effare: iussas cum fide poenas luam, || paratus expiare, seu poposceris || centum iuvencos, sive mendaci lyra || voles sonare ‹tu pudica, tu proba || perambulabis astra sidus aureum.› ist ein durchaus passendes Äquivalent für eine
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rerseits ist das Collegium innerhalb des pomerium angesiedelt (Takacs (1999: 953)), die Galli stehen also zugleich drinnen und draußen. Die Galli beschmutzen sich selbst mit Blut, andererseits betteln sie die Umstehenden bei bestimmten Umzügen an (Latte, Takacs). Dieses Sich-Nähern einer extatisch unkontrollierten Gestalt beschreibt das Auftreten der Ritualnarren, die einerseits ein Spektakel sind, das der Zuschauer goutiert, andererseits in ihrer Ekstase auch als Bedrohung erlebt werden, recht gut. Wakdjunkaga, Hermes, Prometheus, Reinecke der Fuchs, Till Eulenspiegel: Trickster makes this world (So der Titel einer jüngeren Monographie von L. Hyde (1998)). Für moderne Beispiele halte ich «Q» in Star Treck und das «Kleine Arschloch» [sic] von Walter Moers. Vielleicht ist man versucht, hier lieber vom Liminoiden zu sprechen, ein Terminus, der von Turner eigens vom Liminalen abgeleitet wurde, um ihn für spielerische und privatisierende symbolische Formen zu operationalisieren. Jedoch scheint dieser zu eng mit dem Dualismus von Arbeit und Freizeit innerhalb von Gesellschaften nach der industriellen Revolution verknüpft und zu stark an die Begriffe der Freiwilligkeit und der Logik des Warenaustausches gebunden (Turner (1989: z. B. 66)), um in Gesellschaften der Vormoderne Anwendung zu finden. Dagegen hat Turner selbst das Liminale in der ganzen Breite kultureller Äußerungsformen gesucht, also auch in literarischen Zeugnissen (S. 30) und ferner die Kategorie eines metaphorischen Gebrauchs für das Liminale zugelassen (S. 70).
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backward speech eines Ritualnarren, mit der dieser erkennbar das Gegenteil von dem sagt, was er meint.42 Wenn wir das Auftreten des Dichters in den Epoden als eine Homologie (nicht als eine genetische Abhängigkeit) zur Formation des Ritualnarren betrachten, liegt es nahe, die inszenierten Dekonstruktionen des Selbst nicht allein als Verlustgeschichte zu beschreiben. Ein Ritualnarr ist kulturell produktiv. Um diese Produktivität bei dem römischen Dichter zu erfassen, muss die liminale Phase, um die es ihm geht (schließlich ist es keine Hochzeit und auch kein Frühlingsritual), stärker historisiert werden. We l c h e Schwelle wird überschritten? In der neunten Epode hat Horaz einen Augenblick der Unsicherheit festgehalten, der exemplarisch für die Zeitumstände ist, die in den Epoden entworfen werden. 43 Wenn wir die Deutung zugrunde legen, dass es sich um den Abend nach der Schlacht von Actium handelt, 44 als noch nicht klar ist, ob Antonius endgültig geschlagen ist, dann hätte Horaz absichtlich den letzten Moment festgehalten, in dem sich die Unsicherheit der politischen Zustände manifestiert. 45 Der Abfassungszeitraum spielt dabei überhaupt keine Rolle. Es ist ein Moment politischer Liminalität und er ist vom Dichter künstlich festgehalten worden. Er musste dies tun, weil sich nach diesem Zeitpunkt das Problem der politischen Gruppenbildung entschärft hatte. Man kann es auch anders ausdrücken: Selbst wenn der Sieg von Actium die Phase der politischen Unsicherheit nicht sofort für alle spürbar beendet hatte, war es politisch nicht opportun für Horaz, das politische Ambigue in die Zeit nach Actium zu verlegen. 46 Die politische Schwelle hat aber gerade für Horaz eine besondere Brisanz: als ehemaliger Kombattant auf Seiten der Caesarmörder konnte er nach Philippi erst allmählich im Umfeld des Mäzenas Fuß fassen. Es ist für ihn gar nicht selbstverständlich, als Dichter für die Partei des jungen Caesar seine Stimme zu erheben. Auch wenn die dichterische persona in augusteischer Zeit vom Leser nicht mehr vollständig mit dem Dichter identifiziert wurde, konnte Horaz nicht einfach ein modernes lyrisches Ich präsentieren, für das er keine Ver-
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Makarius (1970: 61). Ähnlich in epod. 8, 11–14. Dort wünscht Horaz der Gegnerin ein üppiges Leichenbegängnis als Ergebnis einer guten Heiratspartie: esto beata, funus atque imagines || ducant triumphales tuum || nec sit marita, quae rotundioribus || onusta bacis ambulet. Fluch und Lob fallen hier in verwirrender Weise ineinander. Ein Beispiel gibt Handelman für den Segnungsritus der Tewa: Bevor die Ritualnarren die Gemeinschaft der Feiernden verlassen, segnen sie sie mit den Worten: «May you be loved and liked … and may you die immediatly!» (Handelman (1991: 363)). MacLeod (1982: 374). Vgl. Anm. 5. Watson (2003: 311). Vgl. Oliensis (1998: 91) «Horace’s inability to put a period on the book of epodes is symptomatic of his involvement in a civil war that jeopardizes the very distinctions that underwrite closure. The disconcerting recognition of the proximity of oneself and the despised other – in Girardian terms, a recurrent ‹crisis of difference› – complicates the course not only of individual poems such as Epode 4 but of the collection as a whole.» und ebenda: «Caesars battle may have been won, but Horace’s anxieties and fears are not yet quelled.» Erst in den Oden kann der Dichter den Sieg von Actium gebührend feiern (Vgl. MacLeod (1982: 374), und er nimmt ganz offensichtlich auf die neunte Epode Bezug, wenn er schreibt (c. 1, 37, 5–6): antehac nefas depromere Caecubum || cellis avitis. Nach diesem Caecuberwein sehnte sich das lyrische Ich aus Epode 9, konnte ihn aber angesichts der Ungewissheit des Siegs noch nicht für ein Siegesfest mit dem Freund öffnen (Kießling-Heinze (1958: 521 f.).
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antwortung hatte.47 Damit hatte er aber ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das Auftreten als ein liminaler Sprecher, mit allen Attributen dieser Liminalität konnte damit für ihn einen Ausweg darstellen, Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Und tatsächlich zeigt sich in den Epoden gerade im Bereich des Politischen nur ein vorsichtiges Herantasten an die Sieger von Actium. Während Horaz in der ersten Epode die private Seite der Freundschaft mit Mäzenas betont und ihn das Schicksal Caesars selbst eigentlich nicht interessiert hat, ist er erst in der neunten engagierter, was dessen möglichen Sieg angeht. Der Gewinn der liminalen Selbstinszenierung tritt deutlich in der siebten Epode zutage. Hier hat Horaz zwar eine selbstsichere Sprecherrolle, aber er kann diese nur halten, weil er sich jenseits der zerstrittenen Parteien stellt. Hier haben wir Horaz genau in der Position, die sich ein Schwellenwesen unter Preisgabe des eigenen Ortes in der Struktur der Gesellschaft erkaufen kann: Er kann das kommentieren, was sich gerade vollzieht, er kann kritisieren und er kann eine Utopie aufscheinen lassen dessen, was communitas bedeuten kann, eben weil er selbst communitas gegen Struktur vertritt.48 Ritualnarren unterlaufen Grenzziehungen der Gesellschaft nicht deshalb, weil sie ihnen feindlich gegenüberstehen, sondern weil sie die Grenze in ihrer Paradoxie symbolisieren. Das zeigt sich sehr eindrucksvoll am Verhalten der capakobam, den Ritualnarren bei den Mayo-Indianern von Sonora. Bei den Osterriten führen sie einerseits groteske und scheinbar schamlose Pantomimen in der Kirche auf. Zwei der capakobam aber bauen sich andererseits während dieser performance vor dem Altar auf, um ihn gegen die Verwüstungen der anderen zu schützen. «The affinity of the clowns to «boundary» is clear: not only are they designed to alter or to dissolve boundaries, but also to represent them. Therefore it is not surprising that, as Parsons and Beals write, the clowns are the protectors of the image of Christ and his special servitors during Lent. There are strong connections between the idea of ‹boundary› and those of ‹guarding›, ‹protecting› and keeping of ‹order›.»49 Der Narr ist aggressiv und angreifbar zugleich, 50 unschuldig und gefährlich zugleich 51 (wie der Knabe in epod. 5)52. Er ist für die
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Mayer (2003) geht jetzt sogar davon aus, dass der antike Leser eine persona immer mit dem Dichter identifiziert «unless it was otherwise clear that the writer was indulging in ethopoeia» (S. 78). Er zeigt dies nicht zuletzt an Horaz. Dennoch ist vielleicht die etwas vorsichtigere Auffassung Röslers (1985) und D’Alessios (1994) vorzuziehen, nach der man von Fall zu Fall neu entscheiden muss, welche Beziehung das lyrische Ich zum realen Dichter unterhält. Nach Rösler (S. 143 f.) ist eine etabliertere Lese- und Buchkultur Voraussetzung dafür, dass der Leser ein lyrisches Ich von der Persönlichkeit des Dichters trennt. Sein Beispiel dafür ist Horaz. Vgl. den Hofnarren bei Turner (2000: 108). Die ritual clowns innerhalb von Ritualen, wie sie von Makarius (1970) und Handelman (1991) beschrieben werden, aber auch die trickster Radins (1956) und Köppings (1984) setzen in der Regel nicht zu expliziten Parrhesien an, aber ihre moralische oder auch utopische Funktion wird immer wieder betont. Handelman (1991: 339). «they are the aggressors and the victims» Handelman (1991: 337). «The ritual-clowns are both innocent and dangerous» Handelman (1991: 345). Der Knabe selbst hat eine ganze Reihe der Eigenschaften der Initianden: «Da sie keine Rechte über andere haben, schwächt sie das zwar einerseits, es befreit sie aber gleichzeitig von strukturellen Verpflichtungen. Außerdem bringt sie das in enge Verbindung zu nichtsozialen oder asozialen Lebens- und Todeskräften. Daher das häufige Gleichsetzen von Novizen mit Geistern, Göttern oder Ahnen einerseits, mit Tieren und Vögeln andererseits.» Turner (1989: 38). Auch das Entkleiden des Knaben und seine Konfrontation mit den Gegensätzen von «Leben und Tod, männlich/weiblich, Nahrung/Exkremente» (ebenda S. 38) weisen in diese Richtung. Der puer ist insofern ein alter ego des Horaz.
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Gemeinschaft, 53 in der er auftritt, konstruktiv und destruktiv, er wird zugleich gefürchtet und verlacht, er übertritt Grenzen und Tabus, um sie zugleich zu schwächen und zu bestätigen. 54 Er kann Werte schaffen und gleichzeitig zerstören. «My view differs also from those literarians (…) who consider the fool (or ritual-clown) to be the ‹spirit of disorder› or the enemy of the boundary. The ritual-clown is not opposed to the boundary, he is ‹of the boundary›. 55 In der 7. Epode verteidigt Horaz genau die Werte, die die römische Gesellschaft braucht, um als communitas zu funktionieren. Er spricht in seiner klagenden Invektive gegen die zu den Waffen eilenden Römer (quo quo scelesti ruitis) eben nicht eine konkrete Partei an, sondern beklagt den Verfall des gesamten Gemeinwesens. Es ist in diesem Zusammenhang charakteristisch, dass die moderne Forschung auch hier die Sprecherrolle problematisiert hat, und zwar diesmal nicht aufgrund der Widersprüchlichkeit der Aussagen, sondern im Hinblick auf die öffentliche Rolle des Dichters: Horaz kann, da nicht Senator, ein solches Rederecht als contionator eigentlich nicht beanspruchen. 56 Auffällig ist aber, dass Horaz sich überhaupt nicht die Mühe gemacht hat, ein institutionelles setting zu entwerfen, in den seine Rede eingepasst werden könnte. Das Rederecht, das er sich nimmt, entstammt ganz aus der Rolle, die er in den Epoden einnimmt. Und diese findet sich nicht in den Institutionen der Stadt.
5. Ausblick Wenn man sich auf diesen Aspekt einlässt, zeigt sich, dass letztlich sämtliche Epoden des Horaz in der Logik einer inszenierten Liminalität aufgehen: Epod. 2, mit dem Sprecher Alfius inszeniert paradigmatisch einen Sprecher, der sich selbst desavouiert, epod. 3, 5 und 17 inszenieren die Auseinandersetzung mit der Hexe Canidia, in der Magisches und Groteskes vereint auftreten; die eigentlichen Invektiven in epod. 6 und 10 erscheinen entweder durch die innere Anlage oder den Kontext des Folgegedichtes in ihrem Impetus gebrochen; die symposiastischen Epoden inszenieren die liminale Situation der drinking occasions, deren Charakteristika Gusfield herausgestellt hat. «The drinking occasion is a contrast to the rational and hierarchical attitudes of persons as dramatic actors and actresses; as players of rules. In the drinking arena first names are required and organizational placements tabooed. Here again Victor Turner’s distinction between structure and communitas is useful.»57 Die Greisinnenepoden und die Liebesgedichte (epod. 8 und 12; 11, 14 und 15) ergeben zusammen ein Szenario sexueller Potenz und Impotenz; Auch das Groteske hat hier
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Handelman (1991: 323). Hier liegt auch ein bedeutsamer Unterschied zur karnevalesken Inversion. Die Inversion bekräftigt Grenzen, indem sie sie übertritt. Der ritual-clown dagegen verhält sich ambivalent zur Grenze, weil er die Grenze selbst ist. Er verweist auf das gesellschaftliche Konstruierte von Schwellen. Handelman (1991: 342). Er äußert sich hier gegen Willeford (1969). Die Ausdrücke spirit of disorder und enemy of boundaries kommen aber von Kerény (1956: 185). Auch Köpping (1984) betont für den trickster eher die Betonung des Zwischenraums, den er einnimmt, nicht eine reine Feindseligkeit gegenüber Grenzen (S. 199 und S. 212 Anm. 18), dennoch «scheint er» auch für ihn «eine Figur der Unordnung zu sein.» S. 198 (Hervorhebung von Köpping). Mankin (1995: 143), Watson (2003: 266 f.). Gusfield (1987: 82).
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seinen Platz: Die Alte in Epode 8 hat einen Leib, der mit großer Drastik gezeichnet ist. Die Betonung des Unterleibs und das Klaffen der Körperöffnungen entsprechen etwa dem, was Bachtin als das Besondere des grotesken Körpers dargestellt hat: 58 Dieser Körper ist nicht in klassischer Schönheit und Ruhe eine von der übrigen Welt abgeschlossenen Entität, sondern tritt über seine Ausstülpungen ( Phallus, Mund, Anus usw.) in Kontakt mit der Welt. 59 Er ist deshalb kein Inversionsphänomen, auch wenn Bachtins These häufig in dieser Richtung rezipiert wird. 60 Das Groteske ist damit eine bevorzugte Ausdrucksform des Liminalen. Komplex ist die Situation der politischen Gedichte (epod. 1 und 9; 7 und 16): Horaz erscheint hier letztlich zugleich in der Rolle des ritual clown und des Neophyten: In den Epoden 7 und 16 nutzt er die Lizenz des liminalen Sprechers, von außen in die Gemeinschaft hineinzusprechen, in epod. 16 mit der für den trickster typischen utopistischen Manier. In epod. 1 und 9 dagegen wird die allmähliche Eroberung einer eigenen Position (von der privatisierenden Beziehung zu Mäzenas hin zu einer politisierten der Cäsarpartei) abgebildet. In beiden Fällen gibt Horaz einen Ausblick auf eine mögliche Entwicklung, ohne diese abzuschließen. Auch dies ist typisch für die genannten Agenten des Liminalen: Als Schwellenwesen können sie kurzzeitig diesseits oder jenseits der Schwelle operieren, ohne dass man sie auf eine bestimmte Position festlegen kann. Das macht Horaz mit dem Abschlussgedicht besonders deutlich, wenn er, ausgerechnet nach der eskapistischen Utopie von den Inseln der Seligen, in denen alle Konflikte aufgehoben scheinen, wieder in den Konflikt mit der Hexe gerät und dort zugleich scheitert und siegt, genauso wie die Hexe im Siegen scheitert. Der Konflikt scheint offen, Horaz unterwirft sich der Hexe und beschimpft sie zugleich. Oder wie Köpping es vom trickster aussagt: «Er gibt sich selbst-reflektiv, aber er verspricht keine Besserung.» 61 Es ist für die Konzeption der Jamben, so wie sie hier verstanden wurde, nur konsequent, den Konflikt nicht endgültig aufzulösen, das selffashioning als Schwellenwesen verbietet den Übergang aus der Ambiguität in die politischsoziale Eindeutigkeit. Erst in den Oden kann Horaz die Spannung aus bestimmten Motiven wieder herausnehmen und sie neu präsentieren. 1, 37 feiert den Sieg des Augustus und antwortet auf epod. 9 (s. o.). C.1,2 holt den politischen Neuanfang doch auf den Boden Roms zurück und antwortet auf epod. 16,62 1,3 ist wieder ein echtes Propemptikon (statt
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Ich möchte hier nicht auf die verschiedenen Theorien des Grotesken eingehen, da es für die Interpretation keinen Unterschied macht. Allgemein verweise ich auf die neue Untersuchung von Fuß (2001); ferner ist im Rahmen der Arbeitsgruppe zum Ritual am Berliner SFB «Kulturen des Performativen» ein Aufsatz erschienen, an dem auch Verf. mitgearbeitet hat und der auf diesen Komplex eingeht: Arbeitsgruppe Ritual (2004). Bachtin (1995: 358 f.). Einen Bezug von Bachtin zu den Greisinnenepoden des Horaz stellt, in einer Interpretation, die selbst einen menippeischen Charakter trägt, Hendersson (1987: 110) her. Pòrtulas (1983: 15); Rösler (1993: 85 f.) betont den Karneval als verkehrte Welt; Fuß (2001) macht deutlich, dass die Inversion nur eine Form des Grotesken (neben Chimäre und Verzerrung) ist und m. E. gerade nicht die, an die Bachtin denkt (sondern eben an die hyperbolische Verzerrung). Das Groteske vermittelt hier gleichsam zwischen der Schwarzweißmalerei einer Gesellschaft, die über ihre Werte verunsichert ist, und einer stabilen, zum Teil sogar autoritären Gesellschaft, die feste Werte hat. Beide Pole aber versuchen das Ambivalente des Grotesken auszuschließen. Ein gewisses Bewusstsein für das Groteske in den Epoden zeigt la Penna (1993: z. B. 17): «Come si vede, l’orrido e il comico qui sono pienamente fusi.» und p. 15 «Dunque L’orrido disgustante trapassa nel comico, creando quelle temperie che noi indichiamo col termine di grottesco.» Von einer Ästhetik des Hässlichen spricht bereits Wili (1948: 50). Köpping (1984: 210). Kießling-Heinze (1958: 11).
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der inversen epod. 10), die Invektiven gegen die Alte werden in c. 1, 16 zurückgenommen63 mit einer expliziten Absage an das jambische Genos (vv. 1–4): O matre pulcra filia pulcrior || quem criminosis cumque voles modum || pones iambis, sive flamma || sive mari libet Hadriano. Prometheus (!) habe dem Menschen den Zorn ins Herz gesenkt (vv. 13–16): fertur Prometheus addere principi || limo coactus particulam undique || desectam et inani leonis || vim stomacho adposuisse nostro. Die Frau, die er in den Jamben, in der Glut der Jugend beschimpft hatte, will er nun wiedergewinnen und nicht mehr jambisch dichten. Durch den Verweis auf Prometheus sehen wir die Doppelnatur des Schwellenwesens Horaz bestätigt: Als menschliches Pendant zum Titanen wirkte er als jambischer Sprecher wie ein ritual clown: verstörend, kommentierend, provozierend. Als Neophyt aber hat er eine Entwicklung durchgemacht und einen neuen Status errungen. Der trickster entlässt den Narren.
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Hahn (1939: 221). Zu den offensichtlich problematischen Teilen von Hahns Interpretation (die Tyndaris aus carm. 1, 17 als Tochter der Canidia, das zweifelsfreie Festhalten an der Historizität der Canidia usw.) soll hier nicht extra Stellung genommen werden.
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Ille ego: (Mis)Reading Ovid’s Elegiac Persona
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Ille ego: (Mis)Reading Ovid’s Elegiac Persona Nearly two millennia after his death, Ovid is as popular as ever.*0 Denounced in the Romantic period for his supposed lack of true feeling and empty rhetoric, and subsequently relegated to anthologies read by schoolboys, the Roman poet has in the last fifty years made a splendid comeback and is today perhaps the most widely read Latin author altogether.1 Clearly, classical scholarship is enjoying a new aetas Ovidiana, 2 but the current interest in things Ovidian is not restricted to the halls of academe. Thus, for example, a New York traumatized by the terror attacks of September 11, 2001 found solace in Mary Zimmerman’s dreamlike stage adaptation of the Metamorphoses, a production that just months later went on to become a Broadway hit,3 and over the last few decades, writers from various countries have been producing fiction that features the Roman author as a character. 4 As the success of these latter works shows, it is not just Ovid’s poetry that holds a fascination for today’s readers, who are often equally intrigued by the personality of the urban 0
* A version of this paper was delivered at the Langford Seminar Meeting «Roman Elegy in a New Millennium» at the Florida State University, Tallahassee, FL on 10 November 2001. For valuable comments I am grateful to Francis Cairns, the conference organizer, and to the other speakers, as well as to Ernst A. Schmidt. I also wish to thank the Fondation Hardt pour l’Étude de l’Antiquité Classique (Vandœuvres, Switzerland) for enabling me to study Ovid’s persona in idyllic surroundings during a sojourn in the summer of 2001. This paper has grown out of my work on Latin didactic poetry (published in book form as Volk (2002)) and, in particular, further develops ideas formulated in my discussion of the persona of the Ars amatoria (pp.188–95). For more detailed treatment of some of the points raised in what follows, I refer the interested reader to this earlier work (see also fn.36, below). For various reasons beyond my control, this paper has taken an especially long time to appear in print: the original manuscript was completed in the summer of 2003, and I regret that I have been able to incorporate scholarly literature published after this date only selectively. 1 For the verdict of the Romantics, compare the assessment of August Wilhelm Schlegel: «Er hat weniger das Gefühl ausgedrückt, als darüber gewitzelt, wiewohl er die sophistische Rhetorik in seiner Gewalt hat» (Vorlesungen über die schöne Litteratur und Kunst, quoted by Stroh (1969) 108). For Ovid as the archetypal school author, witness the very first sentence of L. P. Wilkinson’s Ovid Recalled: «If you ask anyone whether he likes Ovid, the chances are that he will reply that he did not care for what he read of him at school and has read nothing since» (Wilkinson (1955) xiii). Wilkinson himself ((1955) 439–44) discusses in greater detail the reasons for the demise of Ovid’s reputation from the 18th century onward; it is probably fair to say that Wilkinson’s own book, with its programmatic title, has been an important factor in bringing about the Ovidian renaissance of the second half of the 20th century. 2 See Hardie (2002a) 4–10 for a discussion of some of the reasons for Ovid’s special appeal to contemporary scholars. 3 See Ben Brantley’s review in the New York Times (October 10, 2001, pp.E1 and 7), entitled «How Ovid Helps Deal with Loss and Suffering»; compare Hinds (2005) 65–7. For a classicist’s appreciation of the play, see Farrell (2001). 4 The most recent example is Jane Alison’s novel The Love-Artist (New York 2001). Note also David Malouf’s An Imaginary Life (London 1978), Christoph Ransmayr’s Die letzte Welt (Nördlingen 1988), as well as Antonio Tabucchi’s short story ‹Sogno di Publio Ovidio Nasone› (part of the collection Sogni di Sogni, Palermo 1992). On Tabucchi, see the discussion of Miller (2001), who lists further contemporary fiction with Ovidian themes on p.237; on the novels of Malouf and Ransmayr, see now Hardie (2002b) 326–37.
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sophisticate who rose to celebrity through his daring erotic verse – only to find himself suddenly exiled to a barbaric place under circumstances shrouded in mystery. Starting in his own lifetime, attitudes to Ovid the poet have always been colored by attitudes to Ovid the person (see Stroh (1969) 1–2), a somewhat paradoxical situation given that most of our biographical information about the historical figure Ovid is actually extracted from his poetry (compare Holzberg (1997a) 31–54 and (1997b) and White (2002) 1). The ‹Ovid› we think we know is really the ‹I› that speaks to us from the poet’s erotic elegies, his Metamorphoses and Fasti, and his exile poems, and the character and identity of this speaker have been the subject of considerable debate. In what follows, I shall trace the history and terms of this debate, as well as suggest an approach not hitherto considered to some of the theoretical issues that recent interpretations of the Ovidian ‹I› raise. My discussion will focus primarily on Ovid’s amatory works and will be centered around two crucial questions and possible answers to them: Who speaks in Ovid’s poems? and Who has the say in them? While this second question may sound just like an awkward rephrasing of the first, it actually concerns a somewhat different matter, a problem that will become apparent only once we have considered the first question in some detail.
1. Who Speaks?: From Author to Persona The most obvious answer to the question ‹Who speaks?› is, of course, ‹the author›. This reading, the autobiographical one, is largely discredited today, but from antiquity until rather recently, it was a standard way of interpreting literary texts.5 Thus, for Plato and Aristotle, it was a matter of course that it is the poet himself who speaks, unless he explicitly introduces another speaker, such as a dramatic character or epic protagonist. 6 In the case of Ovid, the autobiographical approach proved positively pernicious when Augustus decided to use the Ars amatoria as a pretext for the poet’s exile, apparently alleging that Ovid was teaching adultery in his poem. 7 The same kind of ready identification of author and poetic ‹I› was to be detrimental to Ovid’s reputation for centuries to come, with the perceived immorality of works like the Amores and the Ars amatoria determining the assessment of the poet’s character. The attitude of Don Juan’s concerned mother, who in Byron’s poem blacklists a whole number of ancient authors she does not want her son to read, is representative: «Ovid’s a rake, as half his verses show him» (Don Juan 1.42). Already in antiquity, however, the autobiographical reading had its critics, most prominently some of the poets themselves. Catullus famously warned his friends Furius and Aurelius against taking his ‹soft› verses as evidence for any lack of manhood on the part of the poet himself, declaring, castum esse debet pium poetam / ipsum, versiculos nihil necesse est (16.5–6). Likewise, Ovid, once exiled, tried to convince Augustus that his naughty carmen had nothing to do with his reverent life, effectively warning the emperor against what scholars in the 20th century were going to call the intentional fallacy: 5
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On the autobiographical reading as standard in antiquity, see Clay (1998), Korenjak (2003), and Mayer (2003). Plato, Resp. 3.392c9–394c8; Aristotle, Poet. 1448a20–24 and 1460a5–11. Compare the discussion in Clay (1998) 18–28. See, e.g., Tr. 2.211–12 (turpi carmine factus / arguor obsceni doctor adulterii) and passim in the exile poems.
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crede mihi, distant mores a carmine nostro, (vita verecunda est, Musa iocosa mea) magnaque pars mendax operum est et ficta meorum: plus sibi permisit compositore suo (Tr. 2.353–6).8
(Believe me, my character is different from my song; my life is reverent, my Muse a jokester. A great part of my work is lies and fiction: it allowed itself more than its author.) Needless to say, both Catullus and especially Ovid had their own agendas in insisting on the disjunction between a poet’s life and his work, 9 but the fact that they were able to argue along these lines shows that the identification of poetic speaker and poet was at the same time both entrenched and open to revision.10 Later writers such as Martial, Pliny, and Apuleius were to echo their literary predecessors’ sentiment.11 Interestingly, in the passages quoted, Catullus and Ovid contrast their own person specifically with their works (versiculi, carmen), not with these works’ first-person speakers – thus, perhaps, attesting to an excitingly modern idea of the autonomous text, but at the same time begging the question of the identity of the poem’s ‹I›. The solution modern scholars are most likely to adopt is, of course, to regard a literary text’s first-person speaker as a character in his or her own right, fictional to be sure, entirely divorced from the work’s author, and for the purpose of interpretation, at any rate, the sole source of the ‹utterance› that constitutes said text. In literary studies, such an intra-textual first-person speaker is typically referred to as a persona, a Latin word originally meaning ‹mask› and then ‹role, character› (compare Dubielzig (1998)).12 Already in antiquity, the term was occasionally used the same way it is today, for example, by Servius, who observed that didactic poetry always features both the persona of the teacher and that of the student ( praeceptum et doctoris et discipuli personam requirit, Prooem. ad Georg. 129.10–11 Thilo). Servius, of course, wrote centuries after Ovid, and Diskin Clay in his study of the topic ((1998) 35–9) puts the discovery of the literary persona generally late. It would seem, though, especially in view of the evidence assembled by Fuhrmann (1982) and Dubielzig (1998), that ‹role playing› was in fact an integral part of Roman society, where engaging in different types of social behavior could be described as acting out different parts or per8
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Compare the extended passage Tr. 2.347–60, as well as Tr. 1.9.59–62; 2.7–10 and 339–40. The term ‹intentional fallacy› was coined by Wimsatt and Beardsley (1946), who in their seminal article cautioned that «We ought to impute the thoughts and attitudes of the poem immediately to the dramatic speaker, and if to the author at all, only by a biographical act of inference» (470). I hasten to add that I myself do not mean to impute the thoughts and attitudes of Catullus’ and Ovid’s poems to their historical authors: by ‹Catullus› and ‹Ovid›, I am, strictly speaking, referring solely to the poems’ speakers. Strikingly enough, Ovid on numerous occasions also uses the opposite argument, claiming (in the Amores) that his love elegy treats his own nequitia (ille ego nequitiae Naso poeta meae, 2.1.2; see also 3.1.15–22) and (in the Tristia and Epistulae ex Ponto) that his sad exile poetry is a direct reflection of the author’s unhappy life (see esp. Tr. 5.1, in particular 9–10: ut cecidi, subiti perago praeconia casus / sumque argumenti conditor ipse mei ). Korenjak (2003) 65–6 and esp. Mayer (2003) 66–71 downplay the significance of these passages – unjustly, in my opinion. See Mart. 1.4.8 and 11.15.13; Plin. Ep. 4.14.4–5; and Apul. Apol. 11. On the concept of the literary persona, see Elliott (1982) and (with a special focus on antiquity) Clay (1998) and Mayer (2003); on the Latin word persona and its uses in Roman culture, see Fuhrmann (1982) and Dubielzig (1998).
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sonae, and where the term persona was especially appropriate in such ‹dramatic› venues as politics or law.13 Thus, for example, Cicero explains that an orator can speak in either his own persona or that of some other individual,14 which seems to imply that even if he speaks propria persona, he is actually imagined as playing a role. A similar distance between an author and his literary ‹I› may be expressed in the idiom ille ego (‹that I›), a curious combination of demonstrative and personal pronoun generally used by Latin authors to identify the speaker with, as it were, some particular manifestation of himself, in a manner similar to the English expression ‹I am the one who›.15 This identification may be with an earlier self (‹I am the one who used to …›; cf., e.g., Ov. Pont. 1.2.129–36), with a public role (‹I am the one who held this or that office …›; cf., e.g., CIL 6.1372), with a statue or portrait (‹I am the one you see before you …›; cf., e.g., Epigr. Bob. 45.1–2; compare Brandt (1928) 333–4), or – and this is the case of interest to us – with a poetic persona. Thus, the spurious Aeneid proem transmitted in the Donatus vita (42) famously identifies the subject of arma virumque cano with ille ego qui quondam, etc., that is, with the speaker of the Eclogues and Georgics.16 Similarly, in Ovid, Amores 2.1.2 (ille ego nequitiae Naso poeta meae), the ‹I› (ego) explicitly accepts the role of ‹that one› (ille), namely, the nequitiae … poeta; likewise, the first person of Tr. 4.10.1–2 (ille ego qui fuerim, tenerorum lusor amorum, / quem legis, ut noris, accipe posteritas) equates himself with ‹that player of tender loves›. In the second example, the persona is actually identified with the book itself (quem legis, 2; compare my remarks above on Catull. 16 and Ov. Tr. 2.353–6), which makes it seem even more like an entity divorced from the author, in spite of the overt identification (compare the similar passage Mart. 1.1.1–2 and Clay (1998) 30). The use of ille ego in Latin literature certainly bears further investigation, but I tentatively regard it as additional evidence for the assumption that Romans even of the classical age would not have found outlandish the idea that a poem’s ‹I› is not the real man, but just a ‹mask›. In the course of the past fifty years, the concept of the persona has become generally accepted in literary studies, including the field of classics. Thus, it is the communis opinio of scholars concerned with Roman elegy that the poems of Propertius, Tibullus, and Ovid cannot be assumed to reflect the real-life experiences of their authors and that all interpretation must therefore be restricted to these works’ first-person speakers and the way in which these fictional characters present their fictional love affairs.17 This reasonable ap-
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Compare Edmunds (2001) 73. The performative aspects of Roman public life have recently been the subject of much scholarly work. For a short and convenient introduction to the topic, see Braund (2002) 89–109, with references. Nam tum ex tua persona enumerare possis … tum vero personam aut rem aliquam inducere et enumerationem ei totam attribuere (Inv. 1.99); compare also the other passages listed by Dubielzig (1998) in section IB1 (col.s 1718–19). On the phrase, see Burckhardt (1931–53) 275–6, as well as Brandt (1928) 333–4 and Austin (1968) 110–11, all of whom provide lists of passages. On the proem, see Austin (1968). See, e.g., Holzberg (2001), who in his recent introduction to the genre observes, «[to speak of ‹subjective› elegy no longer makes sense] da man im Gegensatz zur älteren Forschung den ‹ich› sagenden poeta/amator in den Elegien des Properz, Tibull und Ovid nicht mehr mit der realen Person des Dichters gleichsetzt, und das mit Recht … Denn die Person des poeta/amator … ist … ein Konstrukt» (2). This approach is shared, in one form or another, by most recent writers on love elegy in general and Ovid in particular, though there are always dissenters who push for a more autobiographical reading instead (e.g., Green (1982) 59–65, who
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proach does not on principle preclude the possibility that poetic texts might have an autobiographical component; it simply takes an agnostic attitude toward the individual poem’s real-life background, excluding it from the interpreter’s endeavor while not denying its possible existence (compare White (2002) 1). Therefore, critics who, in an effort to avoid the intentional fallacy, effectively deny the possibility that the persona might bear any resemblance to the actual author, and vice versa, are engaging in faulty logic: just because we cannot extrapolate from the persona to the real poet, it is still perfectly possible for the poetic ‹I› to resemble its creator in certain ways. To use an Ovidian example, the fact that we may not take all pieces of information on Ovid’s sojourn in the Black Sea region given in the Tristia and Epistulae ex Ponto at face value, or that we may regard it as wise not even to engage with the question of their historicity, does not in itself mean that Ovid did not go into exile or that many of the described particulars of his stay in Tomis may not in fact be true.18 Studying the persona instead of the author does not mean denying the relationship between life and art, but purposely ignoring a conundrum that will never be solved. In the case of Ovid, readers will always be fascinated by the supposed personality of the mysteriously exiled poet (for obvious reasons, no novels have been written about an Ovid who stayed at home and invented his relegation as a literary game), while critics will safely analyze the Ovidian persona instead. However, having thus answered the question ‹Who speaks?› with the unobjectionable ‹the persona›, we have inadvertently opened up a whole new inquiry, centered around our second question.
2. Who Has the Say?: The Unreliable Persona The persona has been identified as the ‹I› who, as it were, utters the speech that constitutes a poem. However, does this mean that this first-person speaker also ‹has the say› in the text, that is, is in control of all its implications and effects? To illustrate that this need not always be the case, I shall take a brief look at Ovid’s Heroides. In this work, the personae of the various heroines (and heroes, if we include the double letters) are obviously the speakers (or, to be precise, writers) of the individual texts; however, they are clearly not in charge of everything that is going on in these poems. Take, for example, Heroides 10, the letter of Ariadne to Theseus. Terrified at finding herself deserted on a wild and lonely island, the Cretan princess is afraid of the many possible dangers that could come to her from either land or sea: multa mihi terrae, multa minantur aquae (10.94). Her shock and distrust are so great that, in a cosmic sweep, she even fears the heavens, complete with the heavenly gods: caelum restabat – timeo simulacra deorum! (10.95). This line will strike readers as funny since they know what Ariadne does not, namely that shortly after the completion of her letter, she will indeed be dramatically approached by a god, Bacchus, an event that will change her situation entirely.
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makes the extravagant claim, among others, that Corinna was Ovid’s first wife; compare also Clarke (1976), Griffin (1985), and della Casa (1993)). Mayer (2003) generally rejects the use of modern personacriticism in the interpretation of ancient texts (esp. 78–9). For proponents of the view that Ovid was never exiled, consult the historia quaestionis of Claassen (1986) 24 and see Fitton Brown (1985), Holleman (1985), and Hofmann (1987); on the unrealistic representation of Tomis in the exile poems, see Williams (1994) 3–49.
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Her ignorance of her future as a divine spouse contrasts with the readers’ knowledge of her further mythological career in an effect known as dramatic irony – an effect that cannot be ascribed to Ariadne’s, that is, the persona’s, agency.19 Similarly, Ariadne – but not the learned reader – is entirely unaware of the intertextual relationship between her lament and Catullus’ poem 64, and we can safely assume that she does not know that she is writing in Latin elegiacs either (would the daughter of Minos not be using Linear B?). 20 This discrepancy between what the persona is saying and what his or her words actually convey is a hallmark of the Heroides as a whole, and it has important implications for how poetic personae generally work. What happens in the Heroides is that there is a secret communication between author and reader over which the persona has no control and of which he or she is unaware. In other words, the author has, for his own purpose, deliberately created an unreliable, fallible persona, and for the reader to be able to understand the text adequately, he or she must be aware of the persona’s fallibility. 21 To thus view the persona like a character in a play (note the original meaning of ‹persona›), a character whose perspective is limited, who is not fully aware of the impact and implications of his or her words, and who is therefore just an unknowing instrument in the communication between author and reader – this model works well for the Heroides. However, it has also in recent years been applied more and more often to Ovid’s other elegiac works, most notably the Amores and Ars amatoria. Numerous scholars maintain that the persona of these poems is a deficient character who has been ‹set up› by the author to unknowingly betray his own failures to the reader. Thus, Niklas Holzberg and others regard the amator of the Amores as a ridiculous braggart whose rather pathetic love life is intended by the actual author to give amusement to the readers who are in on the game; 22 in the interpretation of such critics as Leslie Cahoon, by contrast, the speaker is a disgusting sexist devised as a negative exemplum by the real Ovid for the benefit of his audience. 23 Similarly, the praeceptor of the Ars amatoria has been described as either an inefficient charlatan or a sinister seducer; the narrator of the Fasti appears, in one reading, as an antiquarian poet who increasingly loses control of his own subject matter; and the speaker of the Ibis has been interpreted as a madman who loses himself in a manic fit. 24 19 20 21
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Compare esp. Barchiesi (1986) 93–102; see also Volk (2003). Compare Her. 3.2, where Briseis describes her letter as vix bene barbarica Graeca notata manu (!). On the unreliability of the speakers in the Heroides, see especially Spoth (1992) 157–70; generally on the phenomenon of «‹secret communion› between author and reader» at the expense of an unreliable narrator/ speaker, see Booth (1961) 300–9. Compare Holzberg (2001) 118–19: «welch großen Spaß der reale Autor der Sammlung offenbar daran hat, seine elegische persona als Maulhelden vorzuführen» (see also pp.115, 125, 126, and 127, and compare Holzberg (1997a) 55–77); similar interpretations are found in, e.g., Barsby (1973) 17–18, Davis (1989), Spoth (1992) 164–7, Stapleton (1996) 1–37, and Bretzigheimer (2001). See also Weinlich (1999), who, unlike Holzberg and others, examines the ‹staging› of the lover’s persona without necessarily positing a mocking intention on the part of the author. Compare Cahoon (1985) 38: «Admittedly by indirection, these three [ poems, i.e., Am. 1.1, 2.1, and 3.1] add up to an implicit recusatio of poetry that trivializes human suffering, teaches insensitivity and infidelity, and perverts the nobler goals of poetry. Taken together, the three poems become a kind of burlesque of their stated intentions in order, ultimately, to form a rejection on Ovid’s part of his own persona, the poetlover» (see also Cahoon (1988)). Compare, e.g., Fyler (1971), Verducci (1980), Wright (1984), Myerowitz (1985) 37, Downing (1993) 6–74, and Tarrant (1995) 68–9 (on the Ars amatoria); Newlands (1995) (on the Fasti); and Williams (1996) (on the Ibis).
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In regarding the persona as a kind of puppet played by an author who has his own agenda, scholars risk falling prey to a kind of secondary intentional fallacy: the author, whom criticism had dismissed from the interpretation of literature, has slyly made a comeback. This is problematic, to say the least, for with which justification can we remain skeptical that the historical Publius Ovidius Naso had sex with a slave girl named Cypassis (as an autobiographical reading of Am. 2.7 and 8 would suggest) if at the same time we are happy to ascribe to said Roman author all kinds of intentions or even emotions (like the fun he had, according to Holzberg (see fn.22), in creating a ridiculous literary persona)? This problem can be solved if we avail ourselves of narratological theory and, instead of invoking the actual author, refer to the implied author, a theoretical construct defined by O’Neill (1994) as a «a narrative agent to be seen as identical neither with any narrator nor with the real author» (66) and «a notional norm of authority within the text itself, against which narratorial deviations can be gauged» (67).25 Note that with the introduction of the implied author, we have arrived at a rather more complicated answer to the question ‹Who speaks?› than the one originally envisioned: instead of dealing just with the persona, we now have two agents within the same text, whose respective roles in the process of communicating meaning to the reader are rather different and whose relationship to each other in each individual text calls for analysis. Few Latinists, if any, actively employ the concept of the implied author in their poetic analyses (an exception is Edmunds (2001) 63–82; see also Korenjak (2003) 61), and apart from the danger of the intentional fallacy, it makes little difference whether we operate with this intra-textual figure or, somewhat naively, stick to the extra-textual author instead. What interests me in what follows are the theoretical implications of the supposed split between ‹strong› author (or implied author) and ‹weak› persona, the assumption of which underlies the readings of Ovidian elegy just summarized. Before turning to what I think the problems are with this interpretive move, I would like to point out briefly what I find a rather disturbing aspect of some (though not all) of these scholarly works, namely that they appear to ring in a return of the moralizing interpretation of Ovid’s poetry. If earlier readers, such as Augustus, blamed the actual author for his works’ immorality, modern interpreters hit away at the persona instead, all the while maintaining that the author himself is a good guy, who must have devised his evil intra-textual Doppelgänger solely for the purpose of moral edification. It is one thing to find Ovid’s poems immoral; it is quite another to claim that it is the author himself who points his finger at their immorality. 26 The main problem with any such interpretation, however, is that it is usually quite difficult to ascertain, not only the unreliability and fallibility of a given poem’s persona, but especially the purpose of the author (or implied author) in presenting the persona the way he or she does. In the case of Heroides 10, we are aware of Ariadne’s limited perspective because we ourselves have independent information about the persona’s mythological context. Still, what are we to make of the discrepancy between the speaker’s words and what we know to be the rather different reality of her situation? Is Ariadne’s cluelessness supposed to be funny … or tragic? Individual readers may have different opinions on this 25
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Generally on the notion of the implied author, cf. Booth (1961) 67–77 and 151 and O’Neill (1994) 66–71; while these critics are concerned specifically with narrative, their insights apply, mutatis mutandis, to poetic personae just as well as to narrators. Compare the comments of Boyd (1997) 139–40.
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point. In the case of the Amores, by contrast, we may well not agree on the extent to which the persona is, or is not, in charge of the effect of all his words. Is there, or is there not, a ‹secret message› on the part of the author (or implied author)? And if there is, what is it? As O’Neill (1994) 73 points out, «ultimately every text has as many implied authors as it has real readers», a state of affairs brought about by the fact that, as Booth (1961) 321 writes, «whenever an impersonal author asks us to infer subtle differences between his narrator’s norms and his own, we are likely to have trouble». In other words, the assumption of a split in agency between (implied) author and persona easily leads either to aporia or otherwise to the realization that every reader will simply have his or her own opinion about the (implied) author’s agenda. It can be argued, of course, that there is nothing wrong with this. Indeed, the very multitude of different and often conflicting interpretations of Ovid’s poems attests to the openness and indeterminacy of these texts (and, for that matter, all literary artifacts), which gain their meaning only through the process of reading. Still, I believe that there is more to be said about the issue of a persona’s reliability and that there is one promising approach to the problem that has not hitherto been employed. While it may not solve the entire theoretical dilemma just sketched, it does at least, in my opinion, point to some important, previously neglected issues.
3. Poetic Self-consciousness: The Persona as Poet It is obvious that the Ariadne of Heroides 10, whom I have been using as an example of a ‹weak›, unreliable persona, is an intra-textual character rather different from, say, the speaker of the Ars amatoria. Like all letters of the Heroides, the text precludes an autobiographical reading from the beginning since it is absolutely clear, even to readers who have never heard of the term ‹persona›, that it is not Ovid who is speaking, but rather that the author has introduced another character. In the Ars amatoria, by contrast, the speaker explicitly calls himself Naso at 2.744 and 3.812 and is otherwise identified with the author of Ovid’s earlier works, such as the Amores and the Heroides (see 3.341–6). If from the point of view of the critic bent on avoiding the intentional fallacy, Naso is still as much a purely intra-textual persona as Ariadne, there nevertheless is a crucial difference: Ariadne is the speaker of Heroides 10; by contrast, the praeceptor amoris is not just the speaker of the Ars amatoria but, within the fiction of the text, the actual author of what is explicitly presented as a poem. This means that, unlike Heroides 10, the Ars amatoria exhibits a feature that I call ‹poetic self-consciousness›: as I discuss at length in Volk (2002) 6–24, a poetically self-conscious poem is one that presents itself explicitly as poetry and whose speaker is identified as its poet. That this is true for the Ars amatoria will be obvious to any reader of the poem, and we may briefly verify it by taking a look at the proem to Book 1 (1.1–34). There, the persona twice refers to his own carmen (2, 34), that is, the Ars amatoria itself; calls himself a vates (29); and reflects on what he is about to ‹sing› (30, 33). Poetic self-consciousness, or the lack thereof, has important consequences for our understanding of a poem’s persona and his or her level of control. As we have seen, Ariadne – who is writing a letter but not creating a work of art – is unaware of certain aspects of her text, such as the dramatic irony regarding her future fate, the language and meter of the letter, and the intertextual allusions it contains. The praeceptor amoris, on the
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other hand, is well aware that he is composing in elegiacs (see 1.264), and he is deliberately fashioning his text as a work of literature. Now, does this not imply – and I have argued elsewhere that it does (see Volk (2002) 193–5) – that other effects of the text ought to be ascribed to the persona as well? For example, if the persona contradicts himself (something which the praeceptor amoris often does and which has been seen as a sign of his ‹weakness› as a persona; see esp. Wright (1984) 1–2), do we not have to assume that he contradicts himself knowingly and on purpose? I would argue that in a text that shows poetic self-consciousness (i.e., one in which the persona is identified as the poet), it is the persona who ‹has the say› (i.e., is in charge of all the effects of the text), and that we do not have to set up a further agent, at variance with the persona, such as the (implied) author. Now, this position cannot exactly be ‹proved›, of course, but it is nearly impossible to disprove it. Take the Ars amatoria. Proponents of a ‹weak› persona (such as those listed in fn.24, above) will claim that the praeceptor amoris is a ridiculous (or, alternatively, sinister) figure since he endeavors to teach what ultimately cannot be taught, namely love, and that this fallible figure has been created for our amusement (or, alternatively, edification) by the (implied) author. Such critics must base their thesis on one of two things: they will argue either from self-contradictions or ambivalences within the text (the persona is, for example, indeed fudging the meaning of amor, using a word with strong emotional connotations to refer to what turns out to be a rather mechanical dating technique) or otherwise from extra-textual data of some kind or other (like the common knowledge that love is not easy to control). However, in the first case, it might just as well be argued that the self-contradictions and ambivalences have been introduced by the praeceptor amoris himself, who, after all, is a poet creating a sophisticated literary text; at any rate, it would be difficult to establish beyond a doubt that the persona is not aware of these effects and implications of his own poem. In the second case, all that has been shown is that the persona’s utterances do not agree with certain facts or values in the world outside the text, not that this discrepancy has been set up, for some purpose or other, by the (implied) author. Of course, we have every right to find the praeceptor amoris pathetic or disgusting; however, we do not have the right to claim that this is what the ‹real Ovid› wants us to do. 27 If we look at Ovid’s elegiac œuvre as a whole, it becomes clear that the Heroides, with its obvious lack of poetic self-consciousness and the subsequent ‹weakness› of its personae, is in its own category, while the Ars amatoria joins the Fasti and the Ibis (as well as the nonelegiac Metamorphoses) to form a group of works with readily apparent poetic self-con27
As I quickly touched upon in Volk (2002) 194–5 and as John F. Miller reminded me again at the Langford Seminar, the question of the agency of a poem’s speaker (‹weak› or ‹strong› persona?) is further complicated, especially in a didactic poem like the Ars amatoria, by the presence of a second intra-textual character, namely the addressee. For example, if in the Ars amatoria, the praeceptor amoris is indeed, as I have argued, a ‹strong› persona and thus in charge of all effects of the poem, including irony and self-contradiction, does he communicate all these effects to his intra-textual students of love, or not? Do they get all the jokes that we readers get – and if they do not, if there is, as it were, a secret communication between poetic speaker and real readers, what implications does this have for our understanding of the persona? There is no simple answer, but I would like to point out that – contrary to what Servius (see the quotation in Section 1, above) as well as some modern scholars (see, e.g., Weinlich (1999) 14) imply – addressees are not personae on an equal footing with the actual speaker of a poem, at least not if that poem exhibits poetic selfconsciousness: the students of the Ars amatoria simply do not have an existence independent of the main persona’s words, and any speculation as to their reactions outside the speaker’s discourse is therefore moot.
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sciousness and accordingly ‹strong› personae.28 In the Amores, as well as in the Tristia and Epistulae ex Ponto, the situation is rather more complicated. Due to the amatory focus of this paper, I shall not discuss the exile poems, which pose many problems similar to the Amores, but whose persona is even more difficult to assess owing to the unresolved issues having to do with the presumed autobiographical background of these elegies. 29 Instead, I shall conclude my discussion of the Ovidian persona with an examination of the ‹I› of the Amores.
4. The Persona of the Amores If poetic self-consciousness is indeed the criterion that helps us determine whether a persona is ‹weak› (i.e., a mere tool in the communication between (implied) author and reader) or ‹strong› (i.e., in charge of the poem and all its effects), then the Amores ( just like the similar collections of love elegy by Propertius and Tibullus) presents us with a puzzle. Unlike, say, the Ariadne of Heroides 10, the elegiac amator is by definition a poet; still, most of the individual poems of Amores 1–3 do not exhibit poetic self-consciousness. Thus, the elegiac ‹I› is typically presented in a more or less realistic real-life situation, in which he addresses a second person, be it mistress, friend, or doorkeeper. There is usually no explicit indication that he is ‹aware› that his words constitute a poem rather than regular speech or that he is consciously fashioning a literary artifact, and this, of course, makes for the possibility of a ‹weak› persona. Thus, scholars certainly have a point who think that the hapless exclusus amator (Am. 1.6), repentent girlfriend-beater (Am. 1.7), and victim of erectile dysfunction (Am. 3.7) is but a fallible character in a little drama put on by the (implied) author for the amusement (or edification) of the audience. However, there are other poems where the first-person speaker explicitly talks about his poetic activity, and it has always been somewhat difficult to relate these so-called programmatic poems to the rest of the collection. Some scholars have gone so far as to argue that the poeta – the ‹I› who discusses his literary work in such poems as Am. 1.1, 15; 2.1, 18; and 3.1 and 15 – and the amator – the ‹I› whose love life we are observing in most of the other poems – are not in fact the same person(a).30 I think that this claim is untenable: 31 not only
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I therefore disagree with Newlands (1995) and Williams (1996) (see fn.24, above), who posit a weak persona for the Fasti and Ibis, respectively, though I cannot enter into the details here (though see Volk (1997) 302–11 on the Fasti). It is, of course, possible to read the Tristia and Epistulae ex Ponto as purely literary works, concentrating exclusively on the intra-textual persona without asking questions about the author. What makes matters complicated is not the issue of the authenticity of the experiences relayed (to ask whether the Hister really froze over every single year of Ovid’s exile is as pointless as asking whether Corinna really had an abortion) but the presumed role that the exile poems play in a communication between author and readers that is not purely literary: if Ovid really used these texts as tools in a campaign to create a favorable impression of himself in Rome and to improve the terms of his exile, and if at least some of these elegies are thus real letters, this means that for once, authorial intention is actively to be taken into account. Weinlich (1999) posits a strict division between the «Verfasser-Ich» (speaker of the six programmatic poems) and the «Liebhaber-Ich» (speaker of all the other poems). Somewhat differently, Boyd (1997) 132–64 also assumes two distinct narratives – one involving the persona of the lover, the other that of the poet – but at the same time stresses the interdependence and partial blending of the two stories. Compare also Gauly (1990), Holzberg (1997a) 55–77 (esp. 55), and Bretzigheimer (2001) 11 with n.1. Compare Felgentreu (2001) for criticism specifically of the approach of Weinlich (1999).
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does one have to wonder how the reader is supposed to know which of the two personae is speaking at any given moment, but it also ignores the fact that within the elegiac world, being a poet is but a function of being a lover. It is the puella who inspires the speaker’s poetry (see esp. Am. 2.18), just as it is his poetry that helps him woo his puella (see esp. Am. 2.1); thus, even in the programmatic poems, the speaker’s love life is still very much a topic, just as questions of poetics resurface in the ‹regular› elegies (see, e.g., Am. 1.3.19–26). The described uncertainty as to the role of the persona (in charge or not?) arises from the fact that the Amores, unlike the Ars amatoria, is a collection of individual poems, which differ from one another in many ways, including in their use of poetic self-consciousness. However, the fact that they make up a consciously shaped collection32 also means that the individual poems can never be understood completely on their own, but must always be interpreted in the light of the other texts that make up the corpus. Thus, when in such programmatic poems as 1.1, 15; 2.1, 18; and 3.1 and 15, the persona presents himself as a poet and talks about his own love elegies, we have to understand that the texts to which he is referring are the very poems that make up the bulk of the three books of the Amores, the poems that show the persona only as a lover and do not exhibit poetic self-consciousness. What this means, though, is that we can no longer regard these ‹regular› elegies as the spontaneous outbursts of a lover (similar perhaps to the letter of Ariadne), as little pieces of drama in which we watch a ‹weak› persona who is speaking but does not ‹have the say›. Rather, we must now consider these texts, too, deliberately fashioned works of art, uttered by a poet and meant to bring him fame (see esp. Am. 1.15), as well as, perhaps, to make his puella more favorably inclined. Take Am. 1.13, the address to Aurora. This poem has been regarded as one of many in which we see the first-person speaker ‹fail›33 – in this case, in his attempt to persuade the goddess to delay the beginning of the day. Since all readers know that the sun is going to rise no matter what, they can snigger together with the (implied) author behind the ‹weak› persona’s back. And indeed, according to Holzberg (1997a) 60 (see also (2001) 119–20), it is the very intention of the ‹real› Ovid to mock his protagonist and expose his shortcomings (compare «satirisch bloßstellen» and «lächerliche[ ] Person»). 34 However, once we regard Am. 1.13 not as the ‹real› speech of a pompous lover, but as the self-consciously crafted poem of a persona who is also a poet, we start to read the text somewhat differently. The poem, and especially its ending, is still equally funny. The crucial difference is that this time, the joke is not on the (‹weak›) persona; instead, it is the (‹strong›) persona who is making the joke.35 Of course, one could at this point posit a somewhat different scenario and claim that the speaker of Am. 1.13 is indeed a ‹weak› persona, but one created by the ‹master persona›, as 32
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This is apparent from the introductory epigram, as well as from the programmatic poems themselves, which are systematically placed at the beginning and end of the three books and create a kind of narrative of the persona’s career as a love elegist, from his ‹initiation› by Amor (1.1) to his decision to continue in the same vein (2.1) to his renewed allegiance to Elegia (3.1) to his final good-bye to the genre (3.15). On ‹failure› as a supposed leitmotif in the Amores, see Parker (1969) 95, Davis (1989) 43–5, and Tarrant (1995) 64–7. Weinlich (1999) 71–6, while positing a ‹weak› persona for Am. 1.13, sees the poem as expressive not of the persona’s failure at a supposed attempt to delay the rising of the sun but rather of his exuberant happiness at having spent the night with his puella. Compare the reading of the elegy in Parker (1969) 80–3.
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it were, the one who in the programmatic poems points us to the fact that everything we read in the Amores is indeed consciously fashioned poetry. This poet/persona would then, in poems like Am. 1.13, assume the ‹mask› of the fallible and ridiculous lover and thus become the object of the readers’ amusement, while he would at the same time, in some act of poetic ventriloquism, be the one who actually orchestrates the jokes and is in charge of staging his alter ego’s failures. In other words, we could still assume a split between persona and implied author, only that in this case, the implied author would not in fact be just ‹implied›, but the very persona whose voice we hear in those poems of the collection that exhibit poetic self-consciousness. However, as mentioned before, I see no point in further splitting up the persona of the Amores, a work that gives no indication that the speaker of the individual poems does not remain the same throughout the three books. Also, does it really make sense to read a poem like Am. 1.13 as the outburst of a naive lover unaware of the fact that rhetoric will not slow down such natural processes as the rising of the sun (in the same way that Ariadne is unaware of the impending epiphany of Bacchus)? Is it not rather an artful series of variations on a theme, composed by an artist who is consciously leading up to the punchline (nec tamen assueto tardius orta dies, Am. 1.13.48) rather than being surprised by it? I for one simply cannot believe that the persona is under the impression, even for one second, that his prayer is going to have the intended effect. My conclusion concerning the Amores is therefore that in this work, unlike, say, in the Heroides, the presence of poetic self-consciousness in some of the poems, especially the socalled programmatic ones, draws attention to the ‹literariness› of the collection as a whole and makes problematic the assumption of a ‹weak› persona in those poems where the speaker is not explicitly identified with the poet. Once we know that the ‹I› we encounter in the Amores (who, I have argued, is the same persona throughout) is a poet in the business of composing love elegy, we can no longer ever consider this character an unself-conscious protagonist who acts on a stage put up by someone else, but instead have to suspect that wherever he appears, he himself is consciously fashioning his speech as a poem and is thus not only ‹speaking›, but also ‹has the say›. In this paper, I have surveyed various approaches to Ovid’s elegiac ‹I› and tried to show that taking into account the feature of poetic self-consciousness makes a difference to our understanding of poetic personae: first-person speakers who present themselves as poets and their speech as poetry must be considered rather more responsible for the implications and effects of their words than speakers whose words are presented – all within the fiction of the poem, of course – as actual, unmediated speech. My observations are intended as a corrective to a recent trend in Ovidian scholarship, which has been tending to regard the personae of his various elegiac works as ‹weak› and to shift agency away from them to the (implied) author himself. Needless to say, more detailed analyses of the individual poems and their use of poetic self-consciousness are needed to further support – or otherwise demolish – my claim; what I have been trying to do in this paper is simply to introduce a new aspect into the debate. 36
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In her review of my book, Sharrock (2003) 308, if I understand her correctly, criticizes my approach to the (esp. Ovidian) persona as overly schematic, describing the relationship of poet and persona instead as «creatively complex». I am in fact in full agreement with the latter assessment. Nevertheless, I also believe that
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When all is said and done, however, and the persona has been subjected to scrutiny from a thousand angles, there still is an element of uncertainty, an elusive quality attached to the ‹I› of Ovid’s (and any other poet’s) poetry. Ultimately, it has to be admitted that all the characters we have been talking about – the persona, ‹weak› and ‹strong›, and the (implied) author – are only constructs of our own interpretive minds and that the rules that we devise for their behavior may always be flouted by the poems themselves. All that we know for sure is that there is a body of texts in which a speaker says ‹I› and that once upon a time, these texts were written by a certain Publius Ovidius Naso. Both the fictional character and the real one, as well as the relationship between the two, remain enigmatic and are as intriguing to readers today as they were two thousand years ago.
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De arte salis
Thomas Strässle
De arte salis Von der Modellierung einer stofflichen Poetologie in der römischen Rhetorik … quicquid loquitur, sal merum est!1 Lucius Afranius
Aufgrund seiner stofflichen Eigenschaften ist das Salz dafür prädestiniert, die Funktion einer poetologischen Metapher zu übernehmen: Gesalzene Rede ist würzige, witzige Rede. Schon Plinius der Ältere hält in seiner Naturalis historia fest, das Salz sei «ein so unentbehrlicher Grundstoff, daß sein Begriff sogar auf außerordentliche Freuden des Geistes übergegangen ist; denn man bezeichnet < den Witz > mit dem < Wort > Salz, und alle Annehmlichkeiten des Lebens, höchste Heiterkeit und Ruhe nach der Arbeit lassen sich durch kein anderes Wort besser kennzeichnen.» 2 Es ist jedoch nicht nur die Unentbehrlichkeit des Grundstoffs («elementum») Salz, die zu seiner transitio vom Stofflichen ins Sprachliche geführt hat, sondern besonders dessen spezifische Schärfe und Würze. Nach geläufiger Vorstellung läßt sich die poetologische Metapher Salz denn auch so paraphrasieren, wie es Friedrich Schlegel in einem seiner Kritischen Fragmente getan hat: «Salz im Ausdruck ist das Pikante, pulverisiert. Es gibt grobkörniges und feines.» 3 Die Reflexion über die Poetologie des Salzes wurde wesentlich durch die römische Rhetorik geleistet, die unter dem heuristischen Begriff einer ars salis eine Theorie des 1 2
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Lucius Afranius, Compitalia III [30], in: Ribbeck (31897 f., Bd. II, S. 199). Caius Plinius Secundus d. Ä., Naturalis historiae libri XXXVII/Naturkunde, XXXI, 41, 88 (Übers. König, Bd. 31, S. 61). – Der Originaltext lautet: «[…] adeoque necessarium elementum est, uti transierit intellectus ad voluptates animi quoque nimias. sales appellantur, omnisque vitae lepos et summa hilaritas laborumque requies non alio magis vocabulo constat.» (Ebd., S. 60) Friedrich Schlegel, Kritische Fragmente, Nr. 97 (1958 ff., 1. Abt., Bd. II, S. 158). – Dabei gilt es jedoch zu beachten, daß der Begriff des Pikanten, in dem die Wirkung des Salzes im angeführten Fragment gefaßt wird, in Friedrich Schlegels ästhetischer Theorie einen zentralen Stellenwert einnimmt. In seinem Aufsatz Über das Studium der Griechischen Poesie von 1795–97 spricht er von der Herrschaft des Interessanten in der modernen Poesie als von einer bloß vorübergehenden Krise des Geschmacks, die sich endlich selbst vernichten müsse: «Doch sind die zwei Katastrophen, unter denen sie zu wählen hat, von sehr verschiedner Art. Geht die Richtung mehr auf ästhetische Energie, so wird der Geschmack, der alten Reize je mehr und mehr gewohnt, nur immer heftigere und schärfere begehren. Er wird schnell genug zum Piquanten und Frappanten übergehn. Das Piquante ist, was eine stumpfgewordne Empfindung krampfhaft reizt; das Frappante ist ein ähnlicher Stachel für die Einbildungskraft. Dies sind die Vorboten des nahen Todes. Das Fade ist die dünne Nahrung des ohnmächtigen, und das Choquante, sei es abenteuerlich, ekelhaft oder gräßlich, die letzte Konvulsion des sterbenden Geschmacks.» (1958 ff., 1. Abt., Bd. I, S. 254) Namentlich im Begriff des Faden, dem Antonym des Pikanten, ist das Salz als Abwesendes mitzudenken; das Pikante selbst erscheint demgegenüber als eine Form der Überreizung, gleichsam als ein Versalzenes. Im oben angeführten Kritischen Fragment jedoch ist das Pikante nicht rundweg als ein pejorativer Begriff zu lesen; die Möglichkeit einer Differenzierung des Salzes in «grobkörnig» und «fein» deutet schon in diese Richtung.
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(Sprach-)Witzes zu konzipieren versucht hat. Nach Lausbergs Darstellung fällt das Salz innerhalb des rhetorischen Systems in den Bereich des ornatus, des Redeschmucks, der selbst zu den virtutes elocutionis zählt. Für diesen Bereich scheint es als Stoff auf bildlicher Ebene nur allzu gut prädestiniert zu sein. Lausberg jedenfalls behauptet, allerdings ohne Angabe einer Belegstelle: «Der ornatus […] verdankt seine Bezeichnung den schmückenden Zubereitungen einer Festtafel, wobei die Rede selbst als zu essendes Gericht aufgefaßt wird.» 4 Diese kulinarische Metaphorik für die Rede an sich – nicht spezifisch für den ornatus – findet sich bei Platon an verschiedenen Stellen, so etwa in der Politeia, wenn die Aufforderung ausgesprochen wird: «Laß dir die Rede nur wohl schmecken in guter Ruhe!» 5, oder im Timaios, wenn Sokrates seine freudige Erwartung über den angekündigten Redereigen wie folgt ausdrückt: «Einen vollkommenen und glänzenden Redeschmaus [κ
], scheint mir, werde ich als Gegengabe erhalten.» 6 Für den ornatus selbst sind in der rhetorischen Tradition hingegen die Metaphoriken von Blume und Schminke gebräuchlich, und besonders prominent ist die Kleidermetaphorik Ciceros geworden, der in De oratore von einem «vestire atque ornare» 7 spricht. Das kulinarische Metaphernfeld gibt indes schon vor, daß das Salz der Rede erst ihre Würze verleiht und sie, in Prisen gestreut, genießbar macht: als condimentum, das die condita oratio bzw. den conditus sermo bewirkt. Tatsächlich operiert Cicero im Orator im Zusammenhang mit der angemessenen Verwendung der Schmuckmittel in der oratio humilis bzw. im genus subtile mit dem Bild des Symposions. Im Gebrauch der Redefiguren wird sich der Redner des schlichten Stils Mäßigung auferlegen: «Denn wenn er, wie bei der Ausrichtung eines Gastmahls [ut in epularum apparatu], sich von Luxus fernhalten will und nicht nur zurückhaltend, sondern auch gewählt erscheinen möchte, dann wird er eine Auswahl treffen unter dem, was er anwendet.» 8 Zu diesen sorgsam zu dosierenden Stilmitteln gehört auch das Salz, auf das Cicero unmittelbar anschließend zu sprechen kommt: «Huic generi orationis aspergentur etiam sales, qui in dicendo nimium quantum valent.» – «Dieser Stil wird auch gelegentlich mit einem Salzkorn Humors gewürzt werden, was beim Reden beachtlich viel bedeutet.» 9 Bei der Behandlung der genera dicendi bzw. elocutionis, der Stilartenlehre, im Orator beläßt es Cicero jedoch bei äußerst knappen Anweisungen, was es beim humorvollen Reden zu beachten und zu vermeiden gelte. Auf die verschiedenen Arten des Komischen will er an dieser Stelle nicht näher eingehen. Sein Gegenstand ist ein anderer; er spricht nur kurz vom ridiculum, «cuius genera plura sunt; sed nunc aliud agimus.» 10 In De oratore dagegen wird eine ausführliche Theorie des Lächerlichen bzw. des Witzes angestrebt. Darin ist zwar im Zusammenhang mit dem Salz von den «sermonum condi-
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Lausberg (1990, S. 61, § 167). Lausberg verweist nur in einer Fußnote auf das Salz, ohne alle weiterführenden Angaben. Einschlägige Forschungsliteratur zum Salz in der Rhetorik fehlt. Selbst im Historischen Wörterbuch der Rhetorik ist kein entsprechendes Lemma vorgesehen. Platon, Politeia, 352b4 (Übers. Schleiermacher, S. 85). – Vgl. auch die Bewirtung mit schönen Reden und Untersuchungen beim «vorzüglichen Verkehr mit der Wahrheit» ( Platon, Politeia, 571d8, in: Ebd., S. 724); vgl. ferner Platon, Phaidros, 227b6 f. (Übers. Schleiermacher, S. 2). Platon, Timaios, 27b7 f. (Übers. Schleiermacher, S. 30 f.). Marcus Tullius Cicero, De oratore, I, 142 (Übers. Merklin, S. 120). Ders., Orator, 25, 83 (Übers. Kytzler, S. 68 f.); vgl. auch die Parallele zwischen Ernährung und Rede in ebd., 9, 31, S. 26 f. Ebd., 26, 87, S. 70 f. Ebd.
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menta»11 die Rede (und noch bei Quintilian heißt es: «salsum igitur erit, quod non erit insulsum, velut quoddam simplex orationis condimentum» – «Unter ‹salsum› wird man also zu verstehen haben, was nicht ‹ungesalzen› (insulsum) ist, gleichsam eine Art einfacher Würze der Rede»12), doch steht die Gewürzmetaphorik in beiden Fällen nicht vor dem Hintergrund einer ornatus-Bildlichkeit. Sowohl Ciceros De oratore als auch Quintilians Institutio oratoria, die für die Reflexion über die poetologische Metaphorik des Salzes in der lateinischen Rhetorik maßgebend sind, weisen übereinstimmend dem sal 13 einen anderen Ort innerhalb des rhetorischen Systems zu, nämlich innerhalb der Affektenlehre. Die Möglichkeit, das Salz am System anzuschließen, kann indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich dessen Systematisierbarkeit problematisch gestaltet, wie es schon die Divergenzen zwischen Orator und De oratore andeuten. Mit der bloßen Positionierung im System ist noch keine theoretische Durchdringung geleistet, die sich nach rhetorischem Paradigma immer auch unter einem pädagogischen Gesichtspunkt, als institutio, bewähren muß. Cicero und Quintilian tun sich nachhaltig schwer damit, das sal mit dem Begriff der ars in Zusammenhang zu setzen. Das Salz ist ein irritatives Moment im System der Rhetorik, weil sich seine Rückbindung an natura – diese Provenienz ist ebenfalls in der stofflichen Metapher bereits angelegt – nicht auflösen läßt. Auch der Ursprung einer Metaphorik des Salzes ist innerhalb der rhetorischen Tradition fraglich. Nach der Definition Quintilians beschränkt sich das poetologische Salz, in Metaphorisierung seiner natürlichen Eigenschaften, nach lateinischem Sprachgebrauch auf das ridiculum, das Lächerliche: «salsum in consuetudine pro ridiculo tantum accipimus: natura non utique hoc est, quamquam et ridicula esse oporteat salsa.» – «Unter ‹salsum› (Gesalzenem) verstehen wir in unserem Sprachgebrauch nur das Lächerliche; seiner natürlichen Bedeutung nach heißt es das nicht unbedingt, wenn auch Lächerliches zugleich ‹gesalzen› sein muß.»14 Nicht alles Gesalzene ist also ridiculum, aber das ridiculum immer gesalzen. Dabei ist es wichtig, sich bewußt zu halten, daß das Lächerliche Lustiges, Komisches, Humoristisches schlechthin meint und nicht nur in der modernen pejorativen Wortbedeutung zu verstehen ist. Zwar wird auch bereits in der Aristotelischen Rhetorik das Lächerliche (‹µ ›)15 zweimal im Sinne einer Theorie des Witzes angesprochen, doch verweist Aristoteles an beiden Stellen auf seine Poetik, wenn er es mit den Bemerkungen abtut, eine «nähere Definition aber über das Lächerliche wird besonders in der Poetik gegeben»16 bzw. es sei «bereits in der Poetik dargelegt worden, wieviele Arten des Lächerlichen es gibt».17 Die Erläuterungen, auf die er hier hindeutet, sind vermutlich verloren gegangen. Es ist anzunehmen, daß die Theorie des Lächerlichen im Rahmen der Ausführungen zur Komödie aufgestellt wurde, die Aristoteles im ersten Buch seiner Poetik zu Beginn des sechsten Ka11 12 13
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Ders., De oratore, II, 271 (Übers. Merklin, S. 382). Marcus Fabius Quintilianus, Institutio oratoria, VI, 3, 19 (Übers. Rahn, Bd. I, S. 720 f.). Das Substantiv sal kann im Lateinischen im Singular sowohl ein Maskulinum als auch ein Neutrum sein, der Plural sales hingegen ist immer maskulin. Ernout/Meillet halten fest: «sal, salis m. et n. […]; le masculin semble ancien […]; le pluriel est toujours masculin: sales; sal neutre […] est peut-être formé d’après mel, auquel il s’oppose» (Ernout/Meillet, 41959 f., Bd. II, S. 589). – Der Einfachheit halber wird im folgenden sal bei der Integrierung in den deutschen Text immer als Neutrum behandelt. Quintilian, Institutio oratoria, VI, 3, 18 (Übers. Rahn, Bd. I, S. 720 f.). Vgl. Aristoteles, Ars rhetorica, I, 11, 1372a1 (Hrsg. Ross, S. 53) und III, 18, 1419b3 (ebd., S. 190). Ders., Rhetorik, I, 11, 1372a1 f. (Übers. Sieveke, S. 64). Ebd., III, 18, 1419b6 f. (ebd., S. 223).
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pitels ankündigt18 und die in das verschollene zweite Buch gehören, das ein in hellenistischer Zeit angefertigtes Verzeichnis der Aristotelischen Schriften aufführt. Jedenfalls leistet die kurze Definition des Lächerlichen, die Aristoteles im fünften Kapitel des ersten Buches seiner Poetik gibt 19, wenig zu einer Bestimmung von dessen Arten. Es ist daher nicht rekonstruierbar, ob das Salz in der Aristotelischen Theorie des Lächerlichen als poetologische Metapher vorkommt. Zumindest läßt sich aber festhalten, daß die überzeugendsten Belege für eine poetologische Metaphorik des Salzes im Griechischen aus einer späten Phase stammen, aus der griechischen Literatur der Kaiserzeit, lange nach Ciceros Schriften zur Beredsamkeit. 20 So heißt es im (koiné-)griechisch verfaßten Brief des Paulus an die Kolosser: «Eure Rede sei allezeit freundlich und mit Salz gewürzt, daß ihr wißt, wie ihr einem jeden antworten sollt.» 21 Hier besitzt das Salz den Status einer poetologischen Metapher, die insofern auf Gewitztheit verweist, als sie keine Verlegenheit aufkommen lassen soll, die angemessene Antwort auf jede Frage zu finden. Dieses Salz der Rede ist nicht beißend, sondern es verträgt sich mit der Freundlichkeit: Paulus fordert eine aus « und Ϊ « gemischte Redeform, und das Salz steht darin im Dienste der christlichen Mission, auch als ökumenisches und eschatologisches Symbol, wie es in den Salzgleichnissen der drei Synoptiker erscheint. 22 Ein weiterer Beleg für eine poetologische Metaphorik des Salzes im Griechischen findet sich bei Plutarch, doch fällt auch diese Stelle in nachchristliche Zeit. In seinem bloß fragmentarisch erhaltenen Vergleich zwischen Aristophanes und Menander schreibt er: Die Komödien des Menandros enthalten unzählige und keusche mit attischem Salz gewürzte Reden, die wie aus jenem Meere stammen, aus dem Aphrodite emporgestiegen ist. Aber das Salz des Aristophanes ist bitter und steinig und hat eine scharfe und beißende, Geschwüre hervorrufende Kraft.23
In Einklang mit dem lateinischen Sprachgebrauch – der consuetudo, wie sie Quintilian hervorhebt – erscheint das poetologische Salz als Moment des Komischen. Plutarch zieht eine Differenz zwischen den komödiantischen Stillagen der beiden Dramatiker, die sich in der stofflichen Poetologie der Salze artikuliert: Menander ist in seinem Witz würzig, frisch, erfrischend, heiter24, sein Salz – von dem in ganz ähnlicher Weise auch schon Properz spricht 25 – greift nicht an und wird daher in Zusammenhang gebracht mit dem Salz des 18 19 20
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Vgl. ders., Poetik, I, 6, 1449b20 f. (Übers. Fuhrmann, S. 18 f.). Vgl. ebd., I, 5, 1449a34–37, S. 16 f. Liddell/Scott/Jones (91996, S. 73) führen zwar unter dem Lemma Ϊ«(A) IV eine Metaphorik an, die sich auch poetologisch lesen ließe, geben jedoch nur sehr wenige Beispiele und diese nur mit Vorbehalt. Kol 4,6. – Im Original lautet die Stelle: «² « , Ϊ «, « »« λ 9 $ ! .» Vgl. Mt 5,13; Mk 9,49 f.; Lk 14,34 f. – In der Fassung des Matthäus lautet das Gleichnis: «Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als daß man es wegschüttet und von den Leuten zertreten läßt.» Plutarch, Aristophanes und Menandros (Übers. Goldschmidt, Anhang, S. 160). Für die Übersetzung von «Ν#!«» an dieser Stelle wurden sehr unterschiedliche Vorschläge gemacht (vgl. dazu die Anmerkung des Herausgebers und Übersetzers zu 4, 854 C [Lachenaud, 1981, S. 237]). Auch das zweite Attribut, das das Salz Menanders bei Plutarch erhält, ist nicht ohne Schwierigkeiten: Es sind verschiedene Varianten bzw. Konjekturen überliefert. Für einen zuverlässigen Text mit Apparat vgl. zusätzlich zur angeführten griech.-franz. Ausgabe Kassel/Austin (1984, S. 21). Properz vergleicht allerdings das Salz Menanders nicht mit dem Salz des Aristophanes, sondern mit der Waffe des Demosthenes: «[…] persequar […] studium linguae, Demosthenis arma, / librorumque tuos,
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Meeres, dem auch die schaum-, d. h. wörtlich die salzgeborene Aphrodite (’A#% 4 &«), die Göttin der Liebe, entstammt. Dieses Mythologem verweist auf den letztlich versöhnlichen Humor Menanders, der nicht anprangert, um bloßzustellen. Aristophanes dagegen zieht die Ablehnung Plutarchs auf sich, indem er ihm in seinem Witz als scharf, schneidend, rauh, barsch gilt; das Salz des Aristophanes greift an und löst auf; sein beißender Witz zielt auf die Vernichtung dessen, worüber er sich lustig macht. Damit sind, in der Optik Plutarchs, zwei gänzlich verschiedene Formen des Komischen benannt: die Karikierung in Liebe bzw. aus Haß zum eigenen Gegenstand. Entscheidend ist aber, daß sowohl der Witz Menanders als auch derjenige des Aristophanes bei Plutarch metaphorisch im Salz gefaßt wird. Die Differenz zwischen ihren Komödien fällt in den Bereich des Lächerlichen und ist zugleich eine Differenz zweier ganz unterschiedlicher Arten poetologischen Salzes – mit Schlegel: feiner das eine, grobkörniger das andere. 26 Es steht jedoch zu vermuten, daß diese poetologische Metaphorik bei Plutarch und ebenso im Paulusbrief bereits als Echo auf die Reflexion über das Salz in der römischen Rhetorik zu werten ist – als Moment einer Beeinflussung, die auch in vielerlei anderer Hinsicht nachweisbar ist. Gegen eine habitualisierte Poetologie des Salzes in der vorchristlichen griechischen Tradition spricht auch, daß im ältesten erhaltenen Handbuch der Rhetorik in lateinischer Sprache nirgends vom Salz die Rede ist. Ungefähr zeitgleich entstanden mit Ciceros erster rhetorischer Schrift De inventione (in der die scherzhafte Rede nur ganz beiläufig erwähnt und über die Begriffe ridiculum und iocus, nicht aber sal thematisiert wird)27, gilt die anonyme Rhetorica ad Herennium als ein Lehrbuch, das den römischen Studenten der Beredsamkeit einen ersten theoretischen Überblick über das System der Rhetorik vermitteln sollte, als Kompendium, das den Stand der rhetorischen Entwicklung zu Beginn des ersten vorchristlichen Jahrhunderts möglichst umfassend zu Studienzwecken präsentiert. Auf der Suche nach dem Verfasser dieser Schrift hat sich die Forschung ausführlich mit der Frage nach den Zusammenhängen zwischen der Rhetorica ad Herennium und De
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docte Menandre, sales» – «[…] ich will […] dem Studium der Sprache nachgehen, der Waffe des Demosthenes, und dem Humor [sc. den Salzen] in deinen Büchern, kunstreicher Menander» (Sextus Propertius, III, 21, 27 f., Übers. Mojsisch et al., S. 238 f.). Der implizite Kontrast zwischen Menander und Demosthenes bei Properz deutet aber in eine ähnliche Richtung wie die Gegenüberstellung bei Plutarch: Das kunstreich gestreute Salz des Menander scheint von einer gewissen Milde umgeben, während das Salz dem Aristophanes gleichsam als seine Waffe dient. Ähnlich wird auch der Gestus lateinischer Komödiendichtung durch die poetologische Salzmetapher charakterisiert. In seiner Ars poetica polemisiert Horaz gegen Plautus und verwendet dabei eine Terminologie, die schon in der Ciceronianischen ars salis eine Rolle spielt und verschiedene Stilformen des Komischen unterscheidet. Die Termini selbst führen jedoch die Metaphorik des Salzes nicht fort; das Salz des Plautus ist «inurbanum» – also bäurisch, grob, derb –, nicht etwa insulsum. Die Kritik an Plautus steht vor dem Hintergrund einer Forderung nach der imitatio veterum, nach der Orientierung an den Griechen. Horaz rechnet erst sich selbst – und, eher beiläufig, seinen Zeitgenossen – die Kompetenz zu, das Salz schmecken zu können: «[…] vos exemplaria Graeca / nocturna versate manu, versate diurna. / at vestri proavi Plautinos et numeros et / laudavere sales, nimium patienter utrumque, / ne dicam stulte, mirati, si modo ego et vos / scimus inurbanum lepido seponere dicto / legitimumque sonum digitis callemus et aure.» – «Nehmt ihr euch zu Mustern die Griechen: nehmt sie zu jeder Zeit zur Hand, bei Tag und Nacht. Ich weiß, eure Vorväter haben die Verse eines Plautus wie auch seine Witze [sc. Salze] schön gefunden. Nur allzu anspruchslos war ihre Vorliebe für beides, fast muß ich sagen, urteilslos; so gewiß ihr wie ich unfeinen Scherz vom zierlichen scheidet, so gewiß wir den regelrechten Vers mit den Fingern wie im Ohr leibhaftig fühlen können.» (Quintus Horatius Flaccus, poet. 268–274, Übers. Färber, S. 558 f.) Vgl. Cicero, De inventione/Über die Auffindung des Stoffes, De optimo genere oratorum/Über die beste Gattung von Rednern, I, 17 (25) (Übers. Nüßlein, S. 54).
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inventione befaßt und geht inzwischen davon aus, daß sich beide Texte aus einer gemeinsamen Quelle herleiten, die möglicherweise schon lateinisch war, aber von den griechischen Vorgängern – trotz der Distanzierung von ihnen – noch weitgehend abhängig blieb.28 Es wäre zu erwarten, daß das Salz in diesem Kompendium zumindest am Rande erwähnt würde, hätte es in der griechischen Rhetorik als ein prominenter poetologischer Begriff kursiert. So ist wohl die poetologische Metapher Salz ein Produkt der lateinischen Beredsamkeit. Sie hat darauf besondere Aufmerksamkeit verwendet und ist auf ihr salse dicere stolz gewesen, wie aus ihrem Selbstverständnis deutlich wird. Folgt man dem – naturgemäß parteiischen – Urteil Quintilians, so war die römische Rhetorik gerade in diesem Punkt in der Praxis der griechischen überlegen. In einer Gegenüberstellung anhand ihrer wichtigsten Exponenten, Demosthenes und Cicero, kommt er zum Schluß: «salibus certe et commiseratione, quae duo plurimum in adfectibus valent, vincimus.» – «Im Witz jedenfalls und im Erregen des Mitleides, beides ja entscheidend wichtig bei den Gefühlswirkungen, ist der Sieg auf unserer (römischer) Seite.»29 Als poetologische Metapher zeigt hier das Salz, wiederum als Element der Affektenlehre, eine Emanzipation vom übermächtigen Vorbild, gar eine aemulatio mit griechischer Rhetorik an. Cicero selbst scheint jedoch – viel früher – dieser Einschätzung zu widersprechen, wenn er, offenbar in Kontrast zur mangelnden Geläufigkeit dieser metaphorischen Sprechweise in der griechischen Kultur, das poetologische Salz in seiner wohl berühmtesten Formel als sal Atticum auf deren Blütezeit projiziert, da nach seiner Meinung auf dem Gebiet der «ridicula et salsa»30 besonders die Attiker hervorstachen («praeter ceteros Attici excellunt»31) – wobei offen bleibt, ob darin auch die Attizisten eingeschlossen sind. Im Orator schreibt Cicero, in spielerischem Umgang mit dem Anlaut sal-: «quoniam quidquid est salsum aut salubre in oratione, id proprium Atticorum est» – «Denn alles, was geistvoll oder gesund ist in der Rede, das ist auch ein spezifischer Zug der Attiker.» 32 Das Salz erhält damit einen privilegierten Status: Es fungiert nicht nur als poetologische Metapher, sondern wird zum normativen Begriff. Es bezeichnet ein Ideal des Redens. Quintilian hält denn auch fest, nicht zuletzt mit Blick auf Cicero: «narrare, quae salsa sint, in primis est subtile et oratorium» – «Witzige Dinge in der Erzählung zu bringen, ist eine besonders feine und der Kunst des Redners würdige Aufgabe». 33 In einem Brief an Paetus jedoch lobt Cicero den Adressaten gerade seines Witzes wegen, indem er ihm – ähnlich, wie es ihm später selbst durch Quintilian widerfährt – zumißt, in seinem Witz eben nicht attisch, sondern salziger noch als die Attiker zu sein: «accedunt non Attici, sed salsiores quam illi Atticorum Romani veteres atque urbani sales.» – «Dazu tritt Dein 28
29 30 31 32
33
Vgl. von Albrecht (1992, Bd. I, S. 470). Vgl. auch das Nachwort des Herausgebers in: Auctor ad Herennium, Nüßlein (1998, S. 336). Quintilian, Institutio oratoria, X, 1, 107 (Übers. Rahn, Bd. II, S. 474 f.). Cicero, De oratore/Über den Redner, II, 217 (Übers. Merklin, S. 346). Ebd. Ders., Orator, 26, 90 (Übers. Kytzler, S. 72 f.). Vgl. auch schon die Bemerkung davor, die sich auf den gepflegten Witz bezieht: «Nur seine Gegner wird er [sc. der Redner des schlichten Stils] atta[c]kieren und selbst diese nicht immer, nicht jeden und nicht in jeder Form. Sieht man von diesen Ausnahmen ab, so wird er Witz und Scherz so verwenden [sic utetur sale et facetiis], wie ich es bei keinem einzigen von diesen Neu-Attikern beobachte – obschon das doch ganz gewiß im höchsten Grade attisch ist [certe sit vel maxime Atticum]!» (Ebd., 26, 89, Übers. Kytzler, S. 72 f.) Auch aus dieser Kritik wird deutlich, daß das sal Atticum eine normative Funktion besitzt. Quintilian, Institutio oratoria, VI, 3, 39 (Übers. Rahn, Bd. I, S. 728 f.).
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nicht attischer, nein, würziger als der attische, Dein altrömischer, städtisch-feiner Witz.» 34 Das Ideal des salse dicere wird in dieser Briefpassage nicht nur in Überbietung des griechischen Vorbildes entworfen, sondern zugleich an die Ursprünge der eigenen Tradition zurückgebunden: Der feine Witz, mit dem das Salz assoziiert wird, ist in seiner gesteigerten, verbesserten Form eine kulturelle Errungenschaft der römischen Vorfahren und Zeichen ihrer Zivilisiertheit, ihrer urbanitas.
Cicero: De oratore Cicero ist wahrscheinlich der erste Theoretiker der poetologischen Metapher Salz. Er hat sie in systematischer und pädagogischer Hinsicht zu reflektieren versucht. In seinem rhetorischen Hauptwerk, in De oratore, wird im Gespräch zwischen Lucius Licinius Crassus und Marcus Antonius, deren Schülern Publius Sulpicius Rufus und Gaius Aurelius Cotta und den im zweiten Gespräch hinzugekommenen Quintus Lutatius Catulus und Gaius Julius Caesar Strabo die Frage nach dem Witz in der Rede aufgeworfen. Mit dem letztgenannten Debattanten kommt einer der originellsten, witzigsten und gewitztesten, Köpfe aus der Jugendzeit Ciceros zu Wort. Cicero hat dies an ganz anderer Stelle, in De officiis, auch explizit gemacht: «Sale vero et facetiis Caesar, Catuli patris frater, vicit omnes, ut in illo ipso forensi genere dicendi contentiones aliorum sermone vinceret.» – «An Witz und Eleganz übertraf Cäsar alle, der Bruder des Vaters des Catulus, so daß er selbst in jener forensischen Art der Beredsamkeit die emphatischen Reden der anderen mit seinem Gesprächston schlug.»35 Dieses Salz – grammatikalisch-lexikalisch ist es auch als sal verum lesbar – spielt eine rhetorische Überlegenheit aus, durch die Caesar Strabo selbst noch in der schärfsten Auseinandersetzung, im genus iudiciale, vor Gericht, triumphiert, indem er offenbar gerade nicht auf Emphase, sondern auf eine Leichtigkeit und Gelöstheit des Redens setzt, die die «contentiones» seiner Gegner, deren Anspannung und Eifer, untergraben. In den Tusculanae disputationes gilt Caesar Strabo gar als «specimen […] humanitatis salis suavitatis leporis» 36, und auch in De oratore hebt Antonius an Caesar Strabo dessen ungewöhnliche Begabung zu humorvollem und witzigem Reden hervor («inusitatum nostris quidem oratoribus leporem quendam et salem […] est consecutus» 37). Ihm hat Cicero denn auch die Darstellung des Witzes in den Mund gelegt, indem er Antonius im zweiten Buch von De oratore die Aufforderung an ihn aussprechen läßt: Gewinnend [suavis] und besonders nützlich sind aber oft Witz und Humor [ iocus et facetiae]; sie setzen allerdings, auch wenn sich alles andere systematisch lehren läßt, besondere Gaben der Natur voraus und brauchen kein System [naturae sunt propria certe neque ullam artem desiderant]. In diesem Punkt bist meiner Meinung nach du, Caesar, anderen weit überlegen. Um so mehr kannst du auch entweder mein Zeuge dafür sein, daß kein System des Witzes existiert [nullam esse artem salis], oder du kannst uns, wenn es eines gibt, am besten in ihm unterweisen. 38
34 35 36 37 38
Cicero, Epistularum ad familiares libri XVI, IX, 21 (15), 2 (Übers. Kasten, S. 536 f.). Ders., De officiis, I, (37) 133 (Übers. Büchner, S. 114 f.). Ders., Tusculanae disputationes, V, 55 ( Pohlenz, S. 429). Ders., De oratore, II, 98 (Übers. Merklin, S. 268). Ebd., II, 216 (Übers. Merklin, S. 344 f.).
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Der Oberbegriff einer ars salis wird in Negation als heuristischer Terminus technicus zur Diskussion gestellt, dessen Systemhaftigkeit die Figur Antonius überaus skeptisch beurteilt und dessen pädagogische Umsetzbarkeit wegen der für den Humor erforderlichen Naturbegabung fraglich erscheint. Außer Zweifel steht indes, in einem stofflichen Oxymoron der Metaphern, daß der Witz («sal») gewinnend («suavis», also eigentlich süß ) ist. Entgegen der Darstellung Lausbergs ist das Salz demnach, dies stimmt auch mit dem erweiterten Kontext von Ciceros Schrift überein und zeigt sich noch bei Quintilian, eher in den Zusammenhang der Wirkungsfunktionen der Rede zu stellen, als daß es in den Bereich des ornatus gehören würde. Zu diesen officia oratoris zählen neben der argumentativen Beschäftigung mit der Sache, dem probare, auch die Gewinnung der Sympathie der Zuhörerschaft, das conciliare, und die Erregung der geeigneten Affekte, das movere. Der Witz, das sal, ist nach Cicero eines der wirkungsvollsten Mittel, das Publikum zu beeinflussen und dessen Gunst auf die eigene Seite zu ziehen – wobei es zwischen conciliare und movere oszilliert und also im System der Rhetorik nicht eindeutig verortet werden kann. Das Salz der Rede läßt sich zwar seiner Funktion nach bestimmen, doch ist es damit noch nicht als Theorem gewonnen, das sich zur institutio oratoria einsetzen ließe. Tatsächlich bekundet Caesar Strabo in Ciceros Schrift große Mühe, dem Verlangen nach einer Theorie des Witzes nachzukommen. Er sieht sich der Schwierigkeit gegenüber, den Witz nicht in einer ihm gemäßen, sondern nur in einer abgeschmackten Weise behandeln zu können. Sein Dilemma besteht darin, daß das Reden über das Lachen dieses selbst liquidieren kann, und umgekehrt das Reden zwangsläufig dort endet, wo das Lachen anfängt.39 Caesar Strabo berichtet von griechischen Schriften über das Lächerliche, in denen sich zwar viele Kostproben des Witzes und des Humors der Griechen fänden, doch würden sich die, die eine Theorie und ein System zu geben versuchten, als so fade erweisen, daß gerade dies wieder unfreiwillig komisch wirke: «sed qui eius rei rationem quandam conati sunt artemque tradere, sic insulsi exstiterunt, ut nihil aliud eorum nisi ipsa insulsitas rideatur» – «doch die, die eine Theorie und ein System davon [sc. vom Witz und dem Humor] zu geben suchten, zeigten sich so fade, daß man bei ihnen nur gerade über ihre Abgeschmacktheit lachen kann.» 40 Die Theorie über die Poetologie des Salzes kann folglich – hier noch zumindest in historischer Perspektive – nicht einholen, wovon sie handelt: Es geht ihr nicht nur ab, sondern schlägt um in sein Gegenteil und fällt auf sie selbst zurück. Die über das sal reden, zeigen sich als «insulsi», deren «insulsitas» unfreiwillig das bewirkt, was sie theoretisch zu kontrollieren versuchen: das Lachen. Noch in Absenz erzeugt das poetologische Salz als Objekt des Theoretisierens den Effekt, auf den es abzielt, aber in einer invertierten, für den Redner nachteiligen Form. Das Lachen kann demnach auch da anfangen, wo das Reden ihm nachsetzt. Daraus bezieht die Poetologie des Salzes ihre innere Unruhe, die sich nicht ohne Weiteres im System stillstellen läßt. Bei Cicero zeigt sich dies schon auf einer formalen Ebene: Der ‹Theoretiker› des Salzes, Caesar Strabo, gehört nicht zu den beiden Ruhepolen des Gesprächs, Crassus und Antonius, die mit langem Atem ihre theoretischen Anschauungen entwickeln. Er kommt später hinzu und unterbricht die Ausführungen des Antonius, dessen Vortrag den Hauptteil des zweiten Buches bildet und der im Zusammenhang mit seiner Behandlung der inventio auch auf die officia oratoris, auf probare, conciliare und movere, zu sprechen kommt. An dieser 39 40
Vgl. zu diesem Dilemma von Matt (1996, S. 91). Cicero, De oratore, II, 217 (Übers. Merklin, S. 346 f.).
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Stelle wird die Theorie des Witzes eingefügt. Nach dem Unterbruch durch Caesar Strabo, den Antonius allerdings selbst provoziert, beendet dieser seine Darlegungen zur inventio mit dem Hinweis auf den Grundsatz, alles zu vermeiden, was dem Klienten und seiner Sache schaden könnte. Der Versuch einer Theorie über das Salz bedeutet also im Aufbau des Werks einen Einschub, der den regelmäßigen Gang des Theoretisierens unterbricht, aber nicht aufhält, und von diesem selbst eingeleitet wird. Diese Inszenierung des dialogischen Geschehens läßt die Frage nach der ars salis als Sonderfall hervortreten. Auch auf bildlicher Ebene wird dieser Status der Reflexion über das Salz innerhalb der Disputation von den Gesprächsteilnehmern umgesetzt: Ermüdet von der Anstrengung und dem Gang des Gesprächs («defessus iam labore atque itinere disputationis meae» 41), bietet die eingeschobene Theorie des Witzes dem Antonius eine höchst willkommene Unterkunft, in der er sich zu erholen hofft («requiescam in Caesaris sermone quasi in aliquo peropportuno deversorio»42), auch wenn Caesar Strabo ihm ankündigt, daß seine Gastfreundschaft nicht allzu großzügig sein werde und er Antonius schon nach kurzer Kostprobe wieder werde hinauswerfen und auf den Weg treiben müssen («nam te in viam, simul ac perpaulum gustaris, extrudam et eiciam»43). Ganz am Ende seiner Ausführungen zum Witz greift Caesar Strabo diese Bildlichkeit wieder auf, wenn er sich an Antonius wendet und ihm sagt, er habe zwar behauptet, gerne in dieser Unterkunft rasten zu wollen, die seine Rede ihm gewähren werde, doch glaube er, «du solltest jetzt, als wärest du im weder angenehmen noch gesunden Pontinischen Gebiet abgestiegen [tamquam in Pomptinum deverteris, neque amoenum neque salubrem locum], der Meinung sein, lange genug geruht zu haben, und das restliche Stück Wegs zu Ende gehen.» 44 Das Bild von den Pontinischen Sümpfen bringt nun aber nach dem historisch hergeleiteten und dem formalen Indiz für die mangelnde Systematisier- bzw. Theoretisierbarkeit der ars salis, also nach der Klage über die faktische Absenz einer gelungenen Schrift über das Lächerliche und dem Exkurscharakter der Theorie über das Salz in der Rede, auch einen systematischen Aspekt ein: Die Poetologie des Salzes ist kein theoretisches Feld, das als «amoenus» und «saluber» zu gelten hat und das sich gemessenen Schrittes ausloten läßt, sondern es ist eine unberechenbare Sumpflandschaft, in der man leicht den Boden unter den Füssen verliert. Ganz in Widerspruch zur Hoffnung des Antonius auf ein «peropportunum deversorium» ist das Pontinische Gebiet entschieden ungastlich. Dieser bescheinigt zwar Caesar Strabo, ihm freundliche Aufnahme gewährt und ihn in Bezug auf den Witz gelehrter und mutiger gemacht zu haben («doctior per te, tum etiam audacior factus iam ad iocandum»45), doch wurde dadurch letztlich vor allem sein Problembewußtsein geschärft, wenn er der Zuversicht Ausdruck gibt, in dieser Beziehung künftig nicht mehr als zu leichtsinnig befunden zu werden («non enim vereor ne quis me in isto genere leviorem iam putet»46). Tatsächlich bezieht Caesar Strabo schon gleich zu Beginn seiner Ausführungen die Position, daß man für den Witz keine theoretische Anweisung geben könne («qua re mihi quidem nullo modo videtur doctrina ista res posse tradi»47). Eine doctrina salis, eine Syste41 42 43 44 45 46 47
Ebd., Ebd., Ebd. Ebd., Ebd., Ebd. Ebd.,
II, 234 (Übers. Merklin, S. 356). II, 234 (ebd., S. 358). II, 290 (ebd., S. 394 f.). II, 290 (ebd., S. 394). II, 218 (ebd., S. 346).
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matik des Witzes in pädagogischer Absicht, scheint ihm unmöglich, wie es Antonius in seiner Überleitung ja auch schon vorweggenommen hatte. Dennoch setzt Caesar Strabo gleich im Anschluß überraschend zur Systembildung an: Mit der klassischen Geste des rhetorischen Theoretisierens führt er eine Dichotomie ein, die zwei Arten des Humors unterscheidet: die sich gleichmäßig über die gesamte Rede verbreitende Launigkeit («cavillatio») und den pointierten, knappen Wortwitz («dicacitas»). Doch wird dieser Gestus sogleich wieder zurückgenommen und die Terminologie unterlaufen: «Leve nomen habet utraque res. Quippe; leve enim est totum hoc risum movere.» – «Sie haben beide Namen, die nicht ernst zu nehmen sind. Das ist auch ganz natürlich; denn diese ganze Erregung von Heiterkeit ist ja nicht ernst zu nehmen.»48 Diese levitas, diese Leichtigkeit, die dem Oszillieren zwischen Etablierung und Unterminierung eines Theorems entspringt, versucht mit dem Dilemma umzugehen, mit dem jedes Reden über das Lachen zu kämpfen hat: Beide Begriffe werden gesetzt und umgehend wieder aufgehoben. Caesar Strabo betont denn auch, daß weder für die eine noch für die andere Form des Humors der Begriff der ars geltend gemacht werden könne, weil sie auf natura, auf Talent und Spontaneität, verwiesen sind. 49 Mit ars und natura aber ist das Begriffspaar benannt, dessen immanenten Konflikt der natürliche Stoff Salz als poetologische Metapher bei Cicero – und darüber hinaus – austrägt. Caesar Strabo scheint zunächst nicht gewillt, sich dieser Problematik weitergehend zu stellen. Er gibt zwar eine Reihe von Beispielen für das salsissime dicere und betont auch bereits die Wichtigkeit des äußeren aptum, der Rücksicht auf Umstände und involvierte Personen (da sonst der Witz nicht nur seine Wirkung verlieren, sondern zu Ungunsten dessen, der ihn vorbringt, ausfallen kann), doch versucht er schon bald darauf, die Aufgabe des Theoretisierens auf Crassus zu übertragen, der sich seiner Meinung nach in dieser Hinsicht beim Reden am meisten vor allen anderen hervortut – neuerlich mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit, den Witz systematisch erfassen und lehren zu können. 50 Als Antonius das Lob auf Crassus noch steigert, bricht dieser bezeichnenderweise in Lachen aus, ohne zunächst auf das Ansinnen Caesar Strabos einzugehen. In einer vergleichsweise lebendigen dialogischen Sequenz wird die Zuständigkeit für dieses Thema zwischen den Gesprächsteilnehmern hin und her geschoben, bis Sulpicius, einer der Jüngeren, Caesar Strabo eindringlich bittet, Wirkung und Nutzen des Witzes und des Humors («vim et utilitatem salis et urbanitatis»51) nun doch endlich zu erörtern. Dieser beharrt aber zunächst auf seinem Standpunkt («nullam esse artem salis» 52) und provoziert damit die Bemerkung des Crassus, daß die Dinge, von denen sonst gesprochen wurde, auch keine Systematik besäßen und diese ja auch nicht dazu da sei, die Praxis anzuleiten, sondern das Vertrauen in die Richtigkeit beim Reden selbst zu stärken. Die Theorie des Witzes solle aber vorgetragen werden, «damit es nicht so aussieht, als sei in einem solchen Kreis und bei einer so gründlichen Behandlung, wie ihr es ja haben wolltet, ein Teil der Redekunst übergangen worden.» 53 Über die Unmöglichkeit einer ars salis stellt sich somit ein Konsens ein, und die Auseinandersetzung mit ihr erfolgt nur der Vollständigkeit halber – nicht weil es an Interesse daran mangeln würde, sondern weil der Respekt davor zu groß ist. 48 49 50 51 52 53
Ebd., II, 218 (ebd., S. 346 f.). Vgl. ebd., II, 219 (ebd., S. 346). Vgl. ebd., II, 227 (ebd., S. 352). Ebd., II, 231 (ebd., S. 354). Ebd. Ebd., II, 233 (ebd., S. 357).
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In aller Kürze nur («perbreviter» 54) will Caesar Strabo denn vom Witz handeln und setzt noch einmal an, voller Respekt vor dem Thema und der Anwesenheit des Crassus. Er erstellt einen Katalog verschiedener Fragen, die er als ausschlaggebend für eine Theorie des Witzes erachtet, beantwortet aber nur einen Teil davon. Im Zentrum seiner Ausführungen stehen die Forderungen, auf die Situation Rücksicht zu nehmen und den Witz richtig zu dosieren, um als Redner nicht zum Spaßmacher zu verkommen, sowie die Unterscheidung zwischen Sachwitz und Wortwitz («partitio, quod facete dicatur, id alias in re habere, alias in verbo facetias»55). Durch einfache Ersetzung der Wörter läßt sich die Probe darauf machen, in welchen der beiden Bereiche ein Witz gehört: «nam quod, quibuscumque verbis dixeris, facetum tamen est, re continetur; quod mutatis verbis salem amittit, in verbis habet omnem leporem.» – «Denn ein Witz, der bei jeder Formulierung witzig bleibt, liegt in der Sache; was mit der Änderung der Formulierung seinen komischen Effekt [sc. sein Salz] verliert, trägt seinen ganzen Witz im Ausdruck.» 56 Letztlich bleiben aber der Witz selbst und seine Verwendung dem individuellen Ermessen des Redners überlassen, so sehnlich sich Caesar Strabo auch eine Systematik in diesen Belangen wünscht. Mitten in seinen Ausführungen ruft er verzweifelt aus: «Tempus igitur dicendi prudentia et gravitate moderabimur; quarum utinam artem aliquam haberemus! Sed domina natura est.» – «Die Gelegenheit für ein witziges Wort werden wir also mit Klugheit und Würde ermessen. Oh, hätten wir dafür doch ein System! Aber unsere Meisterin ist die Natur.» 57 Mehr noch als auf anderen Gebieten behauptet somit die Natur auf dem Gebiet des Witzes ihr Recht gegenüber dem System: Das sal markiert eine der Grenzen, an die die Systembildung der Rhetorik stößt, wenn sie die natura in eine ars überführen will. Dies widerspiegelt einen Aspekt, unter dem sich auch spätere Theorien über den Witz und über das Lachen (von Schopenhauer, Bergson, Freud, Bachtin und anderen) berühren: daß im Lachen Ordnung außer Kraft gesetzt bzw. von deren Rändern her erfahren wird. 58 Der Witz und das Lachen sind subversive Kräfte, die gegen den Zwang zu Ordnung und System rebellieren. Als Ersatz für eine systematische Abhandlung gibt Caesar Strabo einen rhapsodischen Abriß der Erscheinungsformen des Witzes, angereichert mit zahlreichen Beispielen. Dabei wirft er eine ganze Reihe von Begriffen auf, die verschiedene Stillagen des Komischen bezeichnen; dazu gehören neben den genannten cavillatio und dicacitas die Begriffe iocus, facetiae, lepos, urbanum bzw. urbanitas, festivitas, ridiculum und auch venustas. Diese Termini weisen zwar feine Unterschiede auf und werden auch in ihrer jeweiligen Eigenart vorgeführt, doch ergibt sich aus ihrer Zusammenstellung keine begriffliche Ordnung, die systematischen Anspruch erheben könnte: Weder scheinen sie eine interne Hierarchie aufzuweisen, noch werden sie anhand eines Leitfadens gewonnen. Dennoch stehen sie alle unter dem heuristischen Leitbegriff einer ars salis, die sich als solche nicht konzipieren läßt, und können insofern als Modi des salse dicere59 aufgefaßt werden. Die aufgezählten Termini formieren sich 54 55
56 57 58 59
Ebd., II, 235 (ebd., S. 358). Ebd., II, 248 (ebd., S. 366, Hervorhebungen durch den Verfasser); vgl. auch schon ebd., II, 240 (ebd., S. 360). Ebd., II, 252 (ebd., S. 370 f.). Ebd., II, 247 (ebd., S. 366 f.). Vgl. dazu von Matt (1996, S. 95 f.). Diese Wendung – auch in Negation (‹insulse dicere›) – taucht bei Cicero wiederholt auf; vgl. neben den bereits genannten Stellen Cicero, De oratore, II, 221 f. (Übers. Merklin, S. 348); II, 239 (ebd., S. 360); II, 255 (ebd., S. 372); II, 259 (ebd., S. 374); II, 270 (ebd., S. 382); II, 274 (ebd., S. 384 [‹cum sale dicere›]); II, 278
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somit wie ein kristallines Begriffsgeflecht um das sal, das als ihr Oberbegriff firmiert – wobei sich jedoch auch Stellen finden, die das sal als einen Begriff behandeln, der mit den anderen auf gleicher Ebene liegt. Die Auffassung, das sal sei als Oberbegriff des Humoristischen anzusetzen, kann sich zudem auf den Orator berufen, wo verallgemeinernd von den sales die Rede ist, «quorum duo genera sunt: unum facetiarum, alterum dicacitatis.»60 Namentlich als einer poetologischen Metapher kommt dem Salz eine Sonderrolle zu. In ihr ist auf bildlicher Ebene schon angezeigt, woran die Systematik des Komischen scheitert: Im Unterschied zu allen anderen Termini transportiert die Metaphorik des Salzes die Materialität des natürlichen Stoffs Salz und seiner Eigenschaften61, ohne sie aufzulösen, und bildet damit letztlich den Umstand ab, daß im Salz die ars von der natura durchschlagen wird. Dies kann so weit führen, daß natura selbst zum sal wird und alle ars verdrängt. Natürlich bildet dies kein Ideal des Redens. Caesar Strabo gibt Beispiele für «mürrische und gleichsam griesgrämige Komik»62, die eine außerordentlich starke Wirkung habe – es sei denn, sie stamme wirklich von einem griesgrämigen Menschen; dann, so Caesar Strabo, «lacht man nämlich über den Charakter, nicht den Witz» – «tum enim non sal, sed natura ridetur».63
Quintilian: Institutio oratoria Die tiefe Verehrung Ciceros, den er für den Fürsten der römischen Beredsamkeit («Latinae eloquentiae princeps»64) hält, zeigt sich bei Quintilian auch in seiner Behandlung des ridiculum. Nicht nur verteidigt er ihn, aus, wie er bekennt, unmäßiger Liebe zu seinem Vorbild65, gegen den Vorwurf, Cicero habe es in Bezug auf den Witz bei seinen Reden am rechten Maß mangeln lassen und sei allzusehr auf Lacheffekte aus gewesen, und ebenso gegen die von Ciceros Zeitgenossen erhobene Kritik, dieser sei in seinen Witzen zuweilen etwas «frostig» gewesen («in salibus aliquando frigidum»66), sondern Quintilian folgt Cicero auch weitgehend in seiner theoretischen Erörterung des salse dicere. Sie steht im Kontext seiner Ausführungen zum letzten der insgesamt fünf partes orationis, die Quintilian mit Blick auf die Gerichtsrede bespricht. Im Schlußteil der Rede, in der peroratio, kommt der Erregung der Gefühlswirkungen, der Affektenlehre, besondere Bedeutung zu. Diese kann auch schon in den übrigen Stadien der Rede in gemäßigter Form angewandt werden, doch bietet der Abschluß der Rede die beste Gelegenheit, noch einmal sämtliche Register zu ziehen und den Richter bzw. das Publikum mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu beein-
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(ebd., S. 386); II, 289 (ebd., S. 394 [‹salsior videri›]); vgl. schließlich auch ebd., II, 251 (ebd., S. 368, wo «salsum» in einem eher abschätzigen Sinn verwendet wird). Ders., Orator, 26, 87 (Übers. Kytzler, S. 70 f.). Wie unmittelbar die Theorie des Witzes bei Cicero – und darüber hinaus – vom natürlichen Stoff Salz her gedacht wird, zeigt sich besonders deutlich an einer Stelle, an der in einer ausschließenden Disjunktion von «aut frigida […] aut tum salsa» (ders., De oratore, II, 260 [Übers. Merklin, S. 376]) die Rede ist; als Antonym zu «salsus» – meist steht hierfür «insulsus» – kann «frigidus» mit trivial, aber auch mit fade übersetzt werden und verweist so in Negation auf die stoffliche Wirkung des sal. Ebd., II, 279 (Übers. Merklin, S. 387). Ebd., II, 279 (ebd., S. 386 f.). Quintilian, Institutio oratoria, VI, 3, 1 (Übers. Rahn, Bd. I, S. 714). Vgl. ebd., VI, 3, 3 (ebd., Bd. I, S. 714). Ebd., XII, 10, 12 (ebd., Bd. II, S. 758).
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flussen. Unter den Arten des movere adfectus erhält das movere risum die breiteste Darstellung, zumal es «die vielleicht gebieterischste und unwiderstehlichste Gewalt» 67 besitzt. Auch Quintilian bezeugt der Frage des Witzes Respekt. Zwar wagt er nicht zu behaupten, es gebe hierzu keinerlei Anleitung («non ausim dicere carere omnino arte» 68), doch bekennt auch er freimütig, die Fähigkeit, Lachen zu erregen, beruhe in erster Linie auf der natürlichen Veranlagung und der jeweiligen Gelegenheit («[…] ita plane adfirmo, praecipue positum esse in natura et in occasione» 69). Die occasio kann dabei so günstig sein, daß sie die natura außer Kraft setzt und sogar Leute, die von ihrer Veranlagung her nachteilige Voraussetzungen besitzen, zum salse dicere befähigt: Denn die Gelegenheit hat «eine solche Wirkung, daß mit Hilfe günstiger Umstände nicht nur ungeschulte, sondern sogar ganz ungehobelte Menschen witzig sprechen [salse dicant]».70 Dennoch unternimmt Quintilian den Versuch, dieses Feld systematisch zu erschließen, indem er verschiedene diesbezügliche Begriffe aufzählt und sie einzeln bespricht – im Wissen darum, daß sie, wie es sich bereits bei Cicero zeigt, meist nicht genau voneinander abgesetzt werden: «Gewöhnlich nun verwenden wir für den gleichen Vorgang (daß wir nämlich lachen müssen) ohne Unterschied mehrere Namen; untersucht man diese jedoch einzeln, so läßt sich aus ihnen ihre jeweilige eigentliche Bedeutung [suam quandam propriam vim] gut ablesen.» 71 Diese Begriffe tauchen alle auch schon bei Cicero auf, und zu ihnen zählt neben der urbanitas, dem venustum, dem facetum, dem iocus und der dicacitas auch das salsum. Es erhält von allen die mit Abstand ausführlichste Worterklärung. Quintilian schreibt: Unter ‹salsum› (Gesalzenem) verstehen wir in unserem Sprachgebrauch nur das Lächerliche; seiner natürlichen Bedeutung nach heißt es das nicht unbedingt, wenn auch Lächerliches zugleich ‹gesalzen› sein muß. Denn Cicero behauptet, alles, was gesalzen sei, sei attischer Art – doch nicht, weil die Attiker vor allem zum Lachen neigten, und auch wenn Catull sagt: ‹Kein Salzkorn steckt in ihrem Leib›, sagt er damit doch nicht, es sei nichts Lächerliches in ihrem Körper. Unter ‹salsum› wird man also zu verstehen haben, was nicht ‹ungesalzen› (insulsum) ist, gleichsam eine Art einfacher Würze der Rede, die man, auch ohne daß dabei ein Geschmacksurteil bewußt wird, gleichsam mit dem Gaumen empfindet, eine Würze, die die Rede anregend macht und vor Ekel und Langeweile bewahrt. Denn wie das Salz, das wir etwas reichlicher auf die Speisen streuen, wenn es freilich nicht unmäßig geschieht, einen eigentümlichen Wohlgeschmack verleiht, so besitzen auch in der Rede die Salzkörner etwas, was uns den Durst erregt, zuzuhören.72
67 68 69 70 71 72
Ebd., VI, 3, 8 (ebd., Bd. I, S. 717). Ebd., VI, 3, 11 (ebd., Bd. I, S. 716/8). Ebd., VI, 3, 11 (ebd., Bd. I, S. 718). Ebd., VI, 3, 13 (ebd., Bd. I, S. 718 f.). Ebd., VI, 3, 17 (ebd., Bd. I, S. 720 f.). Ebd., VI, 3, 18 f. (ebd., Bd. I, S. 721). – Die Passage lautet im Original: «salsum in consuetudine pro ridiculo tantum accipimus: natura non utique hoc est, quamquam et ridicula esse oporteat salsa. nam et Cicero omne, quod salsum sit, ait esse Atticorum, non quia sunt maxime ad risum compositi, et Catullus, cum dicit: ‹nulla est in corpore mica salis›, non hoc dicit, nihil in corpore eius esse ridiculum. salsum igitur erit, quod non erit insulsum, velut quoddam simplex orationis condimentum, quod sentitur latente iudicio velut palato, excitatque et a taedio defendit orationem. sales enim ut ille in cibis paulo liberalius adspersus, si tamen non sit inmodicus, adfert aliquid propriae voluptatis, ita hi quoque in dicendo habent quiddam, quod nobis faciat audiendi sitim.» (Ebd., S. 720)
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Auch hier wird eine gewisse Verlegenheit im Umgang mit dem poetologischen Salz deutlich. Quintilian gibt eine umständliche, mitunter verwirrliche Definition des «salsum», die gar an entscheidender Stelle zirkulär ist. Zunächst steht für ihn fest, daß die natürliche Bedeutung von «salsum» die poetologische zwar umgreift, diese aber innerhalb des rhetorischen Systems, im Rekurs auf die «consuetudo», nur dem Lächerlichen zugewiesen werden kann: Es muß bzw. soll («oporteat») zugleich gesalzen sein. Wenn also Cicero sagt, alles Gesalzene sei attischer Art, so spielt er damit nicht auf eine natürliche Neigung zum Lachen, auf eine compositio ad risum an, sondern betont gerade den stilbildenden poetologischen Stellenwert des Begriffs. Wenn hingegen Catull 73 von einer Absenz des Körpersalzes spricht, so referiert er damit nicht auf das poetologische, sondern auf das umfassendere, natürliche, nicht zuletzt aphrodisische Salz und spricht daher den Körper nicht von Lächerlichkeit frei, sondern bekennt nur, daß auf ihn dieser Körper keinen Reiz ausübe. Die Zirkularität von Quintilians eigener Definition besteht aber darin, daß sie das zu Bestimmende in Negation bereits voraussetzt: Salzig ist, was nicht ungesalzen ist («salsum igitur erit, quod non erit insulsum»). Beim Salz steckt im Definiens immer schon das Definiendum. Es handelt sich dabei um eine Leerstelle in der Sprache, die sich auch im Deutschen zeigt: Der Zucker ist süß, die Zitrone ist sauer, der Wermut ist bitter – aber das Salz ist bloß salzig. Es gibt keinen Ausdruck, mit dem sich der Geschmack des Stoffs ohne Wiederholung desselben fassen ließe. Aus diesem Dilemma versucht sich Quintilian zu befreien, indem er die Übersetzung des natürlichen Stoffs in die poetologische Metapher vorführt. Die Parameter sind kulinarischer und physiologischer Art: Wie das Salz die Speisen würzt und für den Gaumen anregend macht, so bewahrt auch das Salz die Rede vor Ekel und Langeweile, mehr noch: Es erregt den Durst und steigert somit das Verlangen. Letztlich bleibt aber der Kern der poetologischen Metaphorik des Salzes auch bei Quintilian unbestimmt: Das «in dicendo quiddam, quod nobis faciat audiendi sitim», das etwas, das die Salzkörner besitzen und das unseren Durst erregt, zuzuhören, läßt sich nicht logifizieren und entzieht sich auch hier der rhetorischen Metaphorologie. Es bleibt in der Metaphorik des Salzes beschlossen. Wie schon bei Cicero entsteht auch bei Quintilian der Eindruck, die Terminologie zur Unterscheidung verschiedener Formen des Witzes weise keine innere Hierarchie auf. Das «salsum» figuriert in seiner Aufstellung als ein Begriff unter mehreren. Trotzdem scheint ihm auch bei Quintilian eine gewisse Vorzugsstellung zuzukommen. Im Unterschied zu anderen Begriffen, die entweder gar nicht in Hinblick auf das «ridiculum» besprochen werden oder nach seiner Meinung nicht nur in den Bereich des Lächerlichen gehören («facetum quoque non tantum circa ridicula opinor consistere» 74), ist der Bezug zwischen «salsum» und «ridiculum» sehr eng: Unter Gesalzenem ist nach rhetorischer Konvention nur das Lächerliche zu verstehen («salsum in consuetudine pro ridiculo tantum accipimus»), und das Lächerliche muß bzw. soll zugleich gesalzen sein («ridicula esse oporteat salsa»). Das 73
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Vgl. dazu: «Quintia formosast multis, mihi candida, longa, / rectast. haec ego sic singula confiteor, / totum illud ‹formosa› nego: nam nulla venustas, / nulla in tam magnost corpore mica salis. / Lesbia formosast, quae cum pulcerrima tota est, / tum omnibus una omnis subripuit veneres.» – «Quintia halten viele für schön, ich für strahlend weiß, lang, gerade gewachsen. Jedes für sich gebe ich zu, aber alles zusammen ‹schön›? Nein! Da ist keine Anmut, in dem ganzen so großen Körper kein Fünkchen Witz. Lesbia aber ist schön, sie ist es ganz und hat alles, was Anmut heißt, allen auf einmal entwendet.» (Catullus, c. 86, 1–6, [Übers. von Albrecht, S. 150 f.]) Quintilian, Institutio oratoria, VI, 3, 20 (Übers. Rahn, Bd. I, S. 720).
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Lächerliche selbst ist aber das einheitsstiftende Merkmal des ganzen Stoffgebiets, in das die Behandlung aller aufgezählten Formen des Witzes fällt: «Proprium autem materiae, de qua nunc loquimur, est ridiculum, ideoque haec tota disputatio a Graecis λ inscribitur.» – «Eigentümlich aber ist das Merkmal dem ganzen Stoffgebiet, das wir jetzt behandeln, das Lächerliche, und deshalb trägt die ganze Erörterung im Griechischen den Titel > λ <.»75 Auch wenn das Salz nicht selbst, wie bei Cicero, als Leitbegriff einer Theorie des Witzes fungiert, scheint es doch bei Quintilian exklusive Beziehungen zu demselben zu unterhalten. Es zeigt sich schon bei der Definition des «salsum», daß Quintilian – notgedrungen – weniger auf dessen pädagogische Systematik abstellt, als er vielmehr radikal auf die Stofflichkeit der Gewürzmetaphorik selbst setzt und diese konsequent in Anweisungen ausformuliert, wie beim salse dicere vorzugehen sei. Im Unterschied zu anderen Gewürzen hängt beim Salz alles an der Dosierung: Wird zu wenig Salz gestreut, entsteht der Eindruck der Fadheit, wird indes zu viel davon gestreut, so stößt sich der Gaumen am versalzenen Geschmack. Für die ideale Dosierung und den daraus entstehenden Geschmackseindruck gibt es wiederum keinen eigenen Begriff, doch entfaltet das Salz erst dann seine volle Wirkung: Es wird vom Gaumen unbewußt empfunden, ist aber kein Geschmackseindruck, der sich ihm aufdrängt. Das Salz kann insofern als ein diskretes Gewürz gelten, als es sich nur in extremis negativ bemerkbar macht. Diese Vorgaben gelten auch für das Salz der Rede. Bei seinem Versuch einer Definition des «salsum» formuliert Quintilian schon das Gebot, im Umgang mit dem Salz achtsam zu sein, die Rede zwar mit Witz zu würzen, aber nicht mit einem Übermaß zu verderben. Es muß der Rede Geschmack verleihen, ohne selbst bemerkbar zu werden («sentitur latente iudicio velut palato»). Die größte Gefahr besteht freilich darin, seine Rede zu versalzen. Dieser Vorwurf trifft etwa den Satiriker Lucilius, an dem Quintilian sein Übermaß an Witz («abunde salis» 76) kritisiert (an dem aber umgekehrt Horaz einzig lobenswert findet, daß er die Stadt «kräftig mit Salz abgerieben hat» [«sale multo / urbem defricuit» 77 ]). An die Adresse des Redners wird daher bei Quintilian die Losung ausgegeben, nicht jede occasio, die sich für einen Witz anbietet, zu ergreifen, sondern seine auctoritas – sein Ansehen, seinen Ernst und also seine Glaubwürdigkeit – dadurch zu wahren, daß er in einigen Fällen Verzicht leistet: «quapropter ne dicet quidem salse, quotiens poterit, et dictum potius aliquando perdet quam minuet auctoritatem.» – «Deshalb wird er, selbst wenn es möglich ist, nicht jede Gelegenheit ausnützen, mit Witz zu würzen, sondern wird lieber einmal ein Witzwort preisgeben als sein Ansehen mindern.» 78 Es gilt jedoch nicht nur bei der Dosierung des Salzes im Gesprochenen Zurückhaltung zu üben, sondern auch im Sprechen selbst, in der actio. Wird (besonders vermeintliches) Salz zu aufdringlich aufgetischt, schlägt der angestrebte Effekt jäh um in sein Gegenteil: «nihil enim est his, quae † dicenti salsa dicuntur, insulsius» – «denn es gibt nichts Abgeschmackteres als das, was schon so vorgetragen wird, als wäre es voll witzigen Salzes.» 79 Der Redner muß sich daher bei seinem Vortrag um Dezenz bemühen. Alle
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Ebd., VI, 3, 22 (ebd., Bd. I, S. 722 f.). Ebd., X, 1, 94 (ebd., Bd. II, S. 468). Horaz, sat. I, 10, 3 f. (Übers. Färber, S. 324). Quintilian, Institutio oratoria, VI, 3, 30 (Übers. Rahn, Bd. I, S. 724 ff.). Ebd., VI, 3, 26 (ebd., Bd. I, S. 724 f.). – Dies ist eine korrupte Textstelle; in einer Variante wird statt «salsa» auch «falsa» überliefert (vgl. dazu ebd., Bd. I, S. 724).
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Ostentation führt dazu, daß das Salz – biblisch ausgedrückt – dumm («insulsum») wird und zu nichts mehr nütze ist. Zu diesen Geboten der Mäßigung, die darauf hinauslaufen, das Salz nicht aufdringlich, nicht auffällig werden zu lassen, scheint ein anderer Grundsatz in eigentümlicher Spannung zu stehen, den Quintilian als «salse dicendi ratio»80 ausgibt. Zu den vielleicht amüsantesten («venustissima»81) Formen der ridicula gehören nach seiner Darstellung die Irreführung von Erwartungen, das absichtliche Mißverstehen von Äußerungen und die Vortäuschung bzw. Verstellung (simulatio bzw. dissimulatio). Dies sind Formen des Witzes, die genuin darauf beruhen, daß sie als solche für das Publikum mühelos erkennbar sind. Die dissimulatio etwa mag zwar, wie viel später beispielsweise von Gracián gefordert, als gesellschaftliches Strategem dienen, mit dessen Hilfe man sich zu schützen sucht und das daher den anderen undurchsichtig bleiben muß; als humoristischer Effekt bringt sie sich jedoch um ihre Wirkung, wenn sie sich selbst nicht hinsichtlich ihrer dissimulativen Konstitution transparent zu machen vermag. Diese Formen des Witzes beruhen somit auf Auffälligkeit, und es mag daher zunächst erstaunen, daß Quintilian ausgerechnet aus ihnen eine «salse dicendi ratio» gewinnt. Der Tonfall, den er dabei anschlägt, ist ungewohnt expressiv: «et hercule omnis salse dicendi ratio in eo est, ut aliter, quam est rectum verumque dicatur: quod fit totum fingendis aut nostris aut alienis persuasionibus aut dicendo, quod fieri non potest.» – «Überhaupt besteht ja doch wirklich die ganze Kunst, mit gesalzenem Witz zu sprechen, darin, anders, als es richtig und wirklich ist, zu sprechen, und das läßt sich gut dadurch machen, daß wir entweder eine eigene Überzeugung erfinden oder die eines anderen, oder etwas sagen, was nicht geschehen kann.» 82 In dieser Fassung des salse dicere ist für einmal die Stofflichkeit der Metapher in den Hintergrund gedrängt; es steht nicht mehr die behutsame Dosierung des Witzes und also auch nicht mehr das Gebot der Mäßigung im Blick, sondern die Funktionsweise des Humoristischen selbst. Um den Effekt des Lachens zu erzielen, bricht der Witz mit den gewohnten und erwartbaren Formen des Redens: Er ist ein «aliter, quam est rectum verumque dicere». Es handelt sich beim salse dicere nach dieser Bestimmung folglich um ein Reden para dóxan bzw. para prosdokían, also um die rhetorische Figur des Aprosdoketons: Damit bezeichnet man eine Pointe, die sich einem unvorhergesehenen, überraschend angewandten, auffälligen Wort bzw. Gedanken anstelle einer erwartbaren, geläufigen Wendung bzw. Argumentation verdankt. Dennoch bestätigt sich implizit auch hier, was für den Witz generell gilt: Das salse dicere ist ein anderes Reden, anders im Vergleich zu demjenigen, um das sich der Redner ansonsten bemühen muß, wenn er seine Glaubwürdigkeit und seine Gunst beim Publikum nicht aufs Spiel setzen will. Das salse dicere muß daher auch mit Blick auf seine Funktionsweise ein – neuerlich mit Friedrich Schlegel zu sprechen – pulverisiertes Reden sein, das nicht durchgehalten werden kann. Ein Bruch läßt sich nicht perpetuieren. Als ein anderes Reden im Vergleich zum ‹richtigen› und ‹wahren› Reden kommt dem salse dicere daher nicht nur hinsichtlich seiner Dosierung, sondern auch hinsichtlich seiner Konstitution der Stellenwert zu, gerade nicht ein Kontinuum der Rede zu bilden: Es bricht mit einer Ordnung. Quintilian beschließt seine Erörterung des movere risum mit einer Bemerkung, die noch einmal betont, keine umfassende Abhandlung über das ridiculum gegeben, sondern bloß 80 81 82
Ebd., VI, 3, 89 (ebd., Bd. I, S. 748). Ebd., VI, 3, 84 (ebd., Bd. I, S. 746). Ebd., VI, 3, 89 (ebd., Bd. I, S. 748 f.).
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dessen häufigste Formen aufgeführt zu haben. Beim Versuch, eine Theorie des Witzes aufzustellen, zeigt sich in besonders deutlichem Maß, womit die Rhetorik generell zu kämpfen hat: daß sich die Bindungen an die konkreten Gegebenheiten der Rede und an die individuelle Disposition des Redners nie gänzlich auflösen lassen und somit jeder Systembildung Momente innewohnen, die sich ihrem Zugriff notwendigerweise entziehen. Ausgeprägter noch als andere Aspekte des rhetorischen Lehrgebäudes fußt dieser Teil der Affektenlehre auf unberechenbaren Faktoren, die sich keiner Theorie und keiner Pädagogik fügen: Das sind die häufigsten Formen, um lächerliche Wirkungen zu gewinnen, die ich teils übernommen, teils selbst herausgefunden habe; jedoch möchte ich wiederholen, daß es ebenso für die witzige wie für die ernste Rede zwangsläufig eine endlose Zahl von Möglichkeiten gibt [sed repetam necesse est infinitas esse tam salse dicendi quam severe], wie sie uns Person, Ort, Zeit und schließlich die zufälligen Umstände, die hier ganz besonders mannigfaltig sind, darbieten. 83
Es ist bezeichnend für den systematisierenden Furor Quintilians, daß er dieser Widerständigkeit anscheinend wenig Sympathie abgewinnen kann. Jedenfalls fügt er eine Bemerkung hinzu, die sich in ähnlicher Form schon bei Cicero findet: «itaque haec, ne omisisse viderer, attigi» 84 – «deshalb habe ich dieses Gebiet nur berührt, damit es nicht so scheine, als hätte ich es unberücksichtigt gelassen.»
Catull, Martial, Horaz Das poetologische sal Romanum hat sowohl in der rhetorischen als auch in der literarischen Tradition seine Wirkung entfaltet. Parallelen zu den Reflexionen Ciceros und Quintilians finden sich schon in der zeitgenössischen lateinischen Literatur. Dabei fungiert das Salz, neben seiner stereotypen, nicht poetologischen Verwendung im Sinne von witzig85, mithin als eine Metapher bei der poetologischen (Selbst-)Reflexion der Autoren. Drei Beispiele mögen die Bandbreite andeuten, die die Zuschreibungen zum Salz darin aufweisen. In einem seiner Gedichte verteidigt sich Catull, der auf den «redegewandtesten aller Romulusenkel» Cicero ein spöttisches Lobgedicht verfaßt hat86, vehement gegen den Vorwurf, selbst ein Lustmolch zu sein, nur weil seine Verse ‹zärtlich› seien. Zu seiner Rechtfertigung weist er darauf hin, es sei nicht statthaft, aus den Texten Rückschlüsse auf die
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Ebd., VI, 3, 101 (ebd., Bd. I, S. 754 f., Hervorhebung durch den Verfasser). Ebd., VI, 3, 102 (ebd., Bd. I, S. 754). – Die deutsche Fassung stammt von mir, da Rahns Übersetzung an dieser Stelle mißverständlich ist. Ein gutes Beispiel hierfür ist Catull; vgl. Catull, c. 10, 33 (Übers. von Albrecht, S. 16); c. 12, 4 (ebd., S. 20); c. 14, 16 (ebd., S. 22); c. 17, 12 (ebd., S. 26); c. 37, 6 (ebd., S. 44). – In einem seiner Gedichte wird zudem das Salz als Lebensmittel, als Metapher für den Witz und, dem Kontext nach zu schließen, möglicherweise auch als aphrodisischer Stoff – wie es in antiken Texten des öfteren der Fall ist – gehandelt. Im Salz, das Fabull auf die großzügige Einladung des lyrischen Ichs mitzubringen hat, überlagern sich verschiedene Zuschreibungen zu diesem Stoff: «Cenabis bene, mi Fabulle, apud me / paucis, si tibi di favent, diebus, / si tecum attuleris bonam atque magnam / cenam, non sine candida puella / et vino et sale et omnibus cachinnis.» – «Gut speisen wirst du, mein Fabull, bei mir – in wenigen Tagen, sofern dir die Götter gnädig sind –, wenn du gutes und reichliches Essen mitbringst, nicht zu vergessen ein strahlend schönes Mädchen, Wein und Salz und allerlei gute Laune.» (c. 13, 1–5 [ebd., S. 20 f.]) Vgl. dazu ebd., c. 49, 1–7 (ebd., S. 56).
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Person des Dichters zu ziehen, und gibt dabei eine Erklärung über den Charakter seiner eigenen Verse: nam castum esse decet pium poetam ipsum, versiculos nihil necessest; qui tum denique habent salem ac leporem, si sunt molliculi ac parum pudici et quod pruriat incitare possunt, non dico pueris, sed his pilosis, qui duros nequeunt movere lumbos. Anständig zu sein ziemt dem rechtschaffenen Dichter – für seine Person; für seine Verslein ist das keineswegs nötig. Sie haben ja erst dann Witz und Anmut, wenn sie zärtlich und nicht ganz züchtig sind, ja wenn sie gepfefferten Sex-Appeal haben, ich meine nicht für Knaben, sondern für unsere Bejahrt-Behaarten, die ihre steifen Lenden nicht mehr regen können.87
Den Vorwurf des mangelnden Anstands weist Catull für seine Person zwar entschieden zurück, doch betont er im Spott auf seine fiktive Leserschaft zugleich den erotischen, gar lasziven Aspekt seiner Gedichte. Neben lepos figuriert sal als poetologische Metapher zur Kennzeichnung dieser Ästhetik seiner Verslein. Auch hier kann es mit witzig übersetzt werden und erfüllt sicherlich auch die Funktion, die ihm von Cicero zugeschrieben wird, erhält aber im Kontext des Gedichts zusätzlich eine erotische Dimension: Es ist ein poetologisches Salz mit aphrodisischer Wirkung – wenn auch mit einer bisweilen zweifelhaften, wie dessen karikierte Rezipienten zeigen. Sal und lepos besitzen die Verslein nur, wenn sie «molliculi ac parum pudici» sind. Innerhalb dieses Parallelismus sind die Zuordnungen chiastisch verschränkt: lepos, d. h. Anmut, Feinheit, macht die Verslein molliculi, d. h. zärtlich, weich, das sal hingegen, derb und in seiner Wirkung (auf-)reizend, parum pudici, d. h. nicht ganz züchtig. Die poetologische Metapher Salz wird dadurch in einem Sinn gedeutet, der so weder bei Cicero noch bei Quintilian beobachtet werden kann. Eine ähnliche Verbindung von lepos und sal findet sich beim Epigrammatiker Martial, etwa wenn die Muse angerufen und um Auskunft darüber gebeten wird, was denn wohl der Freund Canius Rufus tue. Eine der Spekulationen, die im Text angestellt werden, lautet: «an otiosus in schola poetarum / lepore tinctos Attico sales narrat?» – «Erzählt er geruhsam im Club der Poeten / mit attischer Anmut getränkte Witze?» 88 In seiner Differenz zu lepos tritt hier der Charakter von sal deutlich hervor: Damit wird eine Form des Witzes bezeichnet, die nicht gehobener Art ist, unattisch, und die sich in erlauchtem Kreis nur unter dem Deckmantel des lepos zeigen kann – wobei wohl sal stärker inhaltlich ausgerichtet ist, während der lepos Atticus eher auf Form zielt. In der Bildlichkeit ist schon angelegt, daß das Salz aber den substantiellen Kern dieser Art von Humor ausmacht: Die sales werden getränkt, gefärbt mit attischer Anmut, bilden aber die stoffliche Basis dieser poetologischen Metaphorik. Andernorts läßt sich freilich auch deren Umkehrung beobachten: Nicht das Salz wird getränkt, sondern die Seiten und Bücher werden ins Salz getaucht. Die Muse höchstselbst fordert den Dichter auf, der im Ruf steht, zu wenig ernst und seriös zu sein:
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Catull, c. 16, 5–11 (Übers. von Albrecht, S. 24 f.). Martial, III, 20, 8 f. (Übers. Barié/Schindler, S. 194 f.).
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«at tu Romano lepidos sale tinge libellos» – «Du aber tauche in römischen Witz deine geistreichen Büchlein.» 89 An noch anderem Ort sind die Seiten mit obszönen Witzen getränkt («tinctas sale pruriente chartas» 90). All diesen Stellen ist aber gemeinsam, daß darin das Salz auf eine Stillage verweist, die unter dem Druck des gesellschaftlichen aptum steht (und wohl zugleich die Aufmerksamkeit auf sich zieht). Damit reflektiert das sal im Werk Martials eine Problematik, mit der sich dieses unausgesetzt konfrontiert sieht. Martial selbst gehört zu den gesalzensten Autoren Roms. Bei der Nachricht von dessen Tod schrieb Plinius der Jüngere in einem Brief, seine Gedichte zeigten viel Witz, viel Galle und nicht weniger Lauterkeit («[…] qui plurimum in scribendo et salis haberet et fellis nec candoris minus.» 91). Dies stimmt zumindest in Bezug auf das Salz mit der Selbsteinschätzung eines Autors überein, der seine – aus eigener Sicht – zweifelhafte Berühmtheit in einem selbstironischen Epigramm mitunter auf das viele Salz zurückführt, das er verwendet («Undenis pedibusque syllabisque / et multo sale, nec tamen protervo / notus gentibus ille Martialis […]»92), und der umgekehrt seinen Kontrahenten vorwirft, sie seien ohne jeglichen Biß («nullaque mica salis» 93). Unter seinen eigenen Epigrammen scheint Martial gerade die gesalzenen zu favorisieren. Zu Beginn des fünften Buches seiner Epigrammata gibt er eine Erläuterung zu den darin enthaltenen Epigrammen und nicht minder zu denjenigen in den vier Büchern davor. Das fünfte Buch empfiehlt er als unbedenklich für eine (verheiratete weibliche, minderjährige oder höhergestellte) Leserschaft, die an Laszivitäten Anstoß nehmen könnte. Wer indes gerade darauf aus ist, möge sich an die vorangegangenen Bücher halten: Matronae puerique virginesque, vobis pagina nostra dedicatur. tu, quem nequitiae procaciores delectant nimium salesque nudi, lascivos lege quattuor libellos: quintus cum domino liber iocatur; quem Germanicus ore non rubenti coram Cecropia legat puella. Ihr Ehefrauen, Knaben und Mädchen, euch sind diese Seiten gewidmet. Du, den dreistere Nichtigkeiten ganz besonders erfreuen und unverhüllter Spott, magst die vier frivolen Büchlein lesen. Das fünfte Buch treibt seinen Spaß in der Gesellschaft unseres Herrn; Germanicus kann es ohne Erröten in Gegenwart der kekropischen Jungfrau lesen.94
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Ebd., VIII, 3, 19 (ebd., S. 530 f.). Hier wird zudem ein spezifisch römischer Witz postuliert; an anderer Stelle spricht Martial von einem spezifisch ägyptischen Witz («salesque Nili» [ebd., XI, 13, 3 (ebd., S. 776)]). Ebd., XII, 95, 3 (ebd., S. 916). Zit. nach ebd., S. 1100. Ebd., X, 9, 1–3 (ebd., S. 686). Ebd., VII, 25, 3 (ebd., S. 468). Ebd., V, 2 (ebd., S. 320 f.).
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Die poetologische Metapher Salz markiert hier den Anspruch auf Schonungslosigkeit, Rückhaltlosigkeit. Zusätzlich zur Laszivität bezeichnet sie einen dreisten, spöttischen Stil, der sich seinem Objekt gegenüber aggressiv verhält: Martials sal nudum ist eine zersetzende Substanz, wie es die ersten vier Bücher auch tatsächlich belegen. Dabei entsteht ein impliziter Kontrast zwischen sal und iocus: Dieser ist selbst für die politische Autorität verträglich («cum domino iocatur»). Martial bezieht sich damit auf Kaiser Domitian, mit Beinamen Germanicus, der sogar in Gegenwart seiner besonderen Patronin Athene/Minerva, benannt nach Kekrops, dem ältesten noch halb mythischen König in Attika, in den Epigrammen des fünften Buches ohne Bedenken lesen darf. (Domitian ist zugleich der Kaiser, unter dessen Regentschaft Quintilian – nach unserer Kenntnis als erster – einen öffentlich besoldeten Lehrstuhl [ für Rhetorik] innehatte). Vom iocus wird somit behauptet, er sei der Selbstzensur des Autors unterworfen und nehme besondere Rücksicht auf die Empfindlichkeiten des Publikums. Das Salz hingegen kennt keine Rücksichten, auch nicht gegenüber sich selbst: Martials sal nudum reklamiert für sich, ein ungeschütztes, entblößtes Reden zu sein.95 Lange vor Martial hat schon Horaz das Salz mit der Bosheit, die in ihm stecken kann, eingefärbt. Im zweiten Buch seiner Epistulae wird einmal über verschiedene literarische Geschmäcker räsonniert: denique non omnes eadem mirantur amantque: carmine tu gaudes, hic delectatur iambis, ille Bioneis sermonibus et sale nigro. Noch eins: nicht jeder Leser schätzt und liebt das gleiche. Das Lied ist dein Geschmack; ein andrer freut sich an Jamben, der dritte an Unterhaltungen nach Bions Art, an beißendem Salze.96
Mit seiner Einfärbung wird das poetologische Salz zugleich vereindeutigt. Es ist beißend, aber nicht unzüchtig: Im Oxymoron sal nigrum verwandelt sich das weiße Mineral in eine poetologische Metapher für schwarzen Humor. Dies belegt auch der von Horaz als Gewährsmann angeführte Bion, der bissige Satiren schrieb, in denen er, ähnlich wie Lukian, dessen Vorgänger er war, nichts und niemanden verschonte. Solche Bitterkeit wird später auch bei Quintilian mit dem Salz in Zusammenhang gebracht, wenn er an dem in Verbannung gestorbenen Redner Cassius Severus seine beißende Schärfe («acerbitas»97) hervorhebt und gerade daraus den komischen Effekt herleitet: «praeterea ut amari sales, ita frequenter amaritudo ipsa ridicula est.» – «Außerdem, so bitter die Witze auch bei ihm sind, so ist es häufig gerade das Bittere in ihnen, das zum Lachen reizt.» 98 Sal amarum, sal nigrum und sal nudum sind allesamt poetologische Begriffe, die nicht nur auf die Metaphorik des Stoffs Salz setzen, sondern diesen in seinem stofflichen Effekt gar noch stilisieren.
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Für weitere Stellen bei Martial, an denen sal/salsum konventionell mit Witz/witzig gleichzusetzen ist, vgl. ebd., I, 41, 16 (Übers. Barié/Schindler, S. 60); III, 12, 3 (ebd., S. 190); III, 99, 3 (ebd., S. 250); IV, 23, 7 (ebd., S. 270); VI, 44, 2 (ebd., S. 412); XIII, 1, 4 (ebd., S. 920). Horaz, epist. II, 2, 58–60 (Übers. Färber, S. 524 f.). Quintilian, Institutio oratoria, X, 1, 117 (Übers. Rahn, Bd. II, S. 478). Ebd., X, 1, 117 (ebd., Bd. II, S. 478 f.).
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Nachwirkungen Die Reflexion über die poetologische Metaphorik des Salzes in der römischen Rhetorik hat über die zeitgenössische lateinische Literatur hinaus Folgen gehabt, die sich innerhalb der abendländischen Tradition bis in die Neuzeit und die Moderne erstrecken. Die entsprechenden Adaptationen, Differenzierungen und Attribuierungen stehen dabei oft nicht nur vor dem Hintergrund lateinischer Beredsamkeit, sondern referieren auch auf die weiter oben angeführte Stelle aus dem Brief des Paulus an die Kolosser. Diese Wirkungsgeschichte soll hier zum Schluß am Beispiel des deutschsprachigen Kontexts in wenigen Stationen skizziert werden: In den Poetiken des Barock dominiert der doktrinäre Aspekt, wenn etwa Georg Philipp Harsdörffer in seinem zwischen 1648 und 1653 in drei Teilen in Nürnberg erschienenen Poetischen Trichter von einem Salz der Christenrede spricht. Die stoffliche Metaphorik reflektiert hier die für das barocke Erzählen ebenso konstitutiven wie problematischen Interferenzen zwischen poetischem Oberflächentext und theologischem Subtext.99 Häufig geschieht dies im Rekurs auf das Gleichnis des Lukrez, der von einem Becher spricht, dessen Rand mit Honig versüßt ist, in dessen Innerem sich aber bitterer Wermut befindet.100 Harsdörffer fordert, daß die heilsame Lehre unter die vergnügliche Textur zu mischen sei. Dabei bedarf es allerdings einiger Bedachtsamkeit, wozu er ebenfalls in stofflichen Gleichnissen rät: Der Redner und Poët sol sich befleissigen vernünfftige Lehrsprüche einzumischen / und von der Sache selbst herzuführen / jedoch sollen solche nicht zuviel mit Haaren herbeygezogen / und in die Rede genöhtiget werden: Deßwegen etliche den beredten Senecam beschuldigen / daß er zuviel dieses Bisams seinen Sendschreiben eingestreuet / welcher allzustarke Geruch deß Lesers Gehirn vielmehr schwäche / als stärke. Andre vergleichen besagte Lehrsprüche mit den Gewürtz welches mässig und mit Verstand gebrauchet / Nutze und Lust zu der Speise mache / welcher Meinung vielleicht auch S. Paulus saget; D a ß d e r C h r i s t e n R e d e m i t S a l t z (das ist erbaulicher Lehre) s o l g e w ü r t z e t s e y n . Gebrauchet man aber dieser Wurtze zu viel / so hält man es für ungesund und dem Mund unangenehm.101
In der Klammer wird das Salz der Rede exklusiv mit der Verbreitung der christlichen Doktrin betraut: In ihm substantialisiert sich der doktrinäre Text, die «erbauliche Lehre». Diese religiöse Lektüre des poetologischen Salzes, in der immer auch dessen klassische Rhetorizität mitzudenken ist, verliert aber historisch allmählich an Dominanz gegenüber säkularen Lesarten in der Tradition der römischen Rhetorik. Das sal Atticum etwa ist ein eingebürgerter poetologischer Begriff, den beispielsweise Lessing, Jean Paul und Heine verschiedentlich verwenden. Goethe spricht, und mit ihm Schiller, vom epigrammatischen Salz, Jean Paul des öfteren vom komischen Salz, Walter Benjamin vom epischen Salz, und Friedrich Dürrenmatt bestimmt einmal seine Dramatik als eine Kunst des Salzes. Sie stellt sich explizit in die Nachfolge des Aristophanes: Das poetologische Salz soll brennen in den offenen Wunden der Welt. Goethe hat das Salz gar als unabdingbaren Bestandteil aller genießbaren Kunst ausgegeben, wenn er im zweiten Buch von Wilhelm Meisters Wanderjahre den Abbé –
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Vgl. dazu Strässle (2005). Vgl. Lukrez, Von der Natur IV, 8–22 (Übers. Diels, S. 286 ff.). Harsdörffer III, 36, (1969, S. 32 f.).
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in offenkundiger Anspielung auf das Salzlogion aus dem Matthäusevangelium102 – an Wilhelm schreiben lässt: «Die Künste sind das Salz der Erde; wie dieses zu den Speisen, so verhalten sich jene zu der Technik. Wir nehmen von der Kunst nicht mehr auf als nur, daß das Handwerk nicht abgeschmackt werde.» 103 Das Körnchen Salz unterscheidet nach dieser Bestimmung das Kunstwerk vom Machwerk. Freilich gilt für das poetologische Salz weiterhin das Gebot der Mäßigung, wie es für das gewöhnliche Salz allseits bekannt ist. Nietzsche hat dies in Jenseits von Gut und Böse unübertrefflich formuliert, wenn er, auch in Anspielung auf den doktrinären Aspekt des Salzes im christlichen Kontext, unwillig ausruft: «Es ist furchtbar, im Meere vor Durst zu sterben. Müsst ihr denn gleich eure Wahrheit so salzen, dass sie nicht einmal mehr – den Durst löscht?» 104
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104
Vgl. neuerlich Mt 5,13. Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre oder Die Entsagenden, II, 7, in: Trunz (Hrsg.), Bd. VIII, S. 242, 34–37. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse.Vorspiel einer Philosophie der Zukunft, IV, 81, in: KSA, Bd. V, S. 88, 11–13.
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Eine Aufforderung zum Tyrannenmord? Die Doppelbödigkeit der Briefe des Chion1 Nachdem man lange Zeit der Überzeugung gewesen war, daß der Roman in Briefform eine genuine Schöpfung der Neuzeit sei, hat sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, daß es zumindest in der griechischen Antike durchaus vergleichbare Werke gab. 2 Ein gewichtiger Unterschied darf allerdings nicht übersehen werden. Während Figuren und Ereignisse der meisten neuzeitlichen Briefromane frei erfunden sind, liegen den griechischen Corpora fiktionaler Briefe historische Begebenheiten bekannter Persönlichkeiten zugrunde, die allerdings ebenfalls fiktional ausgestaltet sind. Offenbar sollten berühmte Männer in wichtigen Phasen ihres Lebens präsentiert und durch das Mittel des Briefes aus einer neuen, subjektiven Perspektive gezeigt werden.3 Nur bedingt entspricht diesem Bild der griechische Briefroman, dessen narrative Techniken im folgenden näher untersucht werden sollen. Zwar handelt es sich auch bei dem Schreiber der siebzehn Chionbriefe4 um eine historische Persönlichkeit5, doch ist es ziem1 2
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Für die kritische Lektüre des Manuskriptes und Verbesserungsvorschläge danke ich Prof. Lutz Käppel. Hinweise auf einen lateinischen Briefroman fehlen dagegen. Zum griechischen Briefroman siehe den Sammelband von Holzberg (1994) und Rosenmeyer (2001) 169–252. Costa (2001) kommentiert eine Auswahl fiktionaler Briefe. Es besteht allerdings kein Konsens, welche antiken Werke der Gattung des Briefromans zuzurechnen sind. Holzberg (1994) und Arndt (1994) gehen von sieben vollständig erhaltenen Vertretern aus: den Briefen (1) Platons, (2) des Euripides, (3) des Aischines, (4) des Hippokrates, (5) Chions, (6) des Themistokles und (7) des Sokrates und der Sokratiker. Darüber hinaus sehen sie die Briefe der Sieben Weisen, die Xenophons und die Alexanders des Großen als Bruchstücke von Briefromanen an. Rosenmeyer (2001) 234 will nur die Briefe Chions als Briefroman im eigentlichen Sinne gelten lassen. Bevor man diese Frage endgültig klären kann, müßten erst einmal taugliche Kriterien ermittelt werden, wodurch sich ein Briefroman auszeichnet. Holzberg überträgt jedoch einfach den modernen Begriff des Briefromans auf die antiken Corpora, ohne zugleich seine inhaltliche Bestimmung zu übernehmen. Ein solchermaßen entleerter Begriff hat aber keinen heuristischen Wert. Außerdem wäre es nötig, sämtliche Corpora fiktionaler Briefe in die Untersuchung einzubeziehen, worauf sowohl Holzberg als auch Rosenmeyer verzichten. Diesen grundlegenden Unterschied zum modernen Briefroman heben Arndt (1994) 57–60 und Rosenmeyer (2001) 196–201 hervor. Bisweilen gab es auch in der Moderne historische Briefromane (z. B. Chr. M. Wielands Aristipp [1800/01]). Costa (2001) xviii f. möchte die Bezeichnung Briefroman nur unter Vorbehalt auf die Chionbriefe anwenden. Seiner Ansicht nach sprechen die chronologischen Unstimmigkeiten in dem Corpus gegen eine Einordnung in diese Gattung. Historische Korrektheit kann allerdings kaum ein Kriterium für ein fiktionales Genos sein, zumal die modernen Vertreter dieser Gattung meist gar kein historisches Sujet haben. Trapp (2003) 30 erkennt zwar in den Chionbriefen einen entwickelten plot, distanziert sich aber etwas vom Terminus epistolary novel. Später bezeichnet er die Briefe aber doch als «the only extant example of an ancient epistolary novel» (ebd. 217). Die Quellen zum historischen Hintergrund sind Isoc. ep. 7.12; D. S. 16.36.3; Phld. Acad. Ind. (= PHerc. 1021) col. 6.13 f.; Iustin. 16.4 f.; Memnon FGrHist 434 F 1; Aelian. fr. 86 D.-F. Siehe Trampedach (1994) 88–90. Die Testimonien zum Leben des historischen Chion sind kommentiert bei Düring (1951) 9–13. Die maßgebliche Edition der Briefe, eine englische (z. T. lückenhafte) Übersetzung und ein Kommentar sind ebenfalls bei Düring zu finden.
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lich unwahrscheinlich, daß er und seine Tat zur Zeit der Romanentstehung im ersten Jahrhundert n. Chr. 6 noch weiteren Kreisen bekannt waren. Der Autor hatte also bei der Gestaltung seines Stoffes größere Freiheiten 7, die er zu nutzen wußte. Chion, ein Angehöriger der Oberschicht des pontischen Herakleia, hatte an der Akademie Platons in Athen studiert und im Jahre 353/2 Klearchos, den Tyrannen Herakleias, in einer Verschwörung ermordet. Chion selbst kam bei der Aktion ums Leben, und die Familie des Klearchos konnte sich weiterhin an der Macht halten. 8 In den siebzehn, sämtlich von Chion verfaßten und hauptsächlich an seinen Vater Matris gerichteten Briefen erfahren wir von der Reise des Protagonisten nach Athen und einem fünfjährigen Aufenthalt bei Platon. Ein noch längeres Studium wird dadurch verhindert, daß aus der Heimat die Nachricht von der Machtergreifung des Klearchos eintrifft (ep. 11 und 12). Chion entschließt sich, zurückzukehren und den Tyrannen zu ermorden. In einem abschließenden Brief unterrichtet er seinen Lehrer Platon von der geplanten Tat und ahnt seinen eigenen Tod voraus. 9 Auch wenn man sich im Zuge des neu erwachten Interesses an den fiktionalen Briefen der Antike verstärkt wieder den Chionbriefen zugewandt hat, ist die Frage der Intention des Werkes nach wie vor offen. Zunächst liegt es nahe, angesichts der Entstehungszeit einen Bezug zu zeitgenössischen politischen Ereignissen zu vermuten und das Werk als Aufforderung zum Tyrannenmord zu lesen, wobei der Gewaltherrscher in diesem Falle am ehesten mit Kaiser Domitian identifiziert werden könnte.10 Wenn man aber bedenkt, daß der Tyrannenmord ein gängiges Motiv der Rhetorik war11 und unter anderem auch in der späten Republik diskutiert wurde 12, und wenn man überdies in Rechnung stellt, daß in den Briefen keinerlei aktuelle Anspielungen zu finden sind, sollte man von einer direkten Übertragung des Briefromans auf die Zeitumstände absehen. In der neuesten Forschung sieht man denn auch eher eine Kombination verschiedener möglicher Intentionen, die sich nicht gegenseitig ausschließen müssen: Die unübersehbaren romanhaften Elemente lassen die Briefe als Werk der Unterhaltungsliteratur oder als Abenteuerroman erscheinen13; gleich6
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Diese Datierung (bereits bei Burk [1912] 41–43) und damit der fiktionale Charakter der Briefe gelten inzwischen als gesichert. Dafür sprechen nicht nur Anachronismen innerhalb der Briefe, sondern auch sprachliche Details, die nicht ins vierte Jahrhundert v. Chr. passen. Zu Einzelheiten siehe Düring (1951) 14–16; Billault (1977) 30–32. Eine Verteidigung der Echtheit der Briefe hat Howe (1942) mit absurden Argumenten versucht. Seiner Ansicht nach hat Chion die Briefe in hohem Alter als Rechtfertigung seines Lebens veröffentlicht. Howe hat wohl übersehen, daß der historische Chion bei dem Attentat auf Klearchos sein Leben verlor. Holzberg (1994) 28 f. Zur Tyrannis des Klearchos, der ebenfalls Schüler Platons gewesen war, siehe Berve (1967) I 315–318 (die Quellen II 679–681) und Bittner (1998) 25–34. Ausführlichere Inhaltsparaphrasen findet man bei Holzberg (1994) 28–32 und Rosenmeyer (2001) 237–245. Costa (2001) 179–186 kommentiert die Briefe 3, 13, 14 und 16, Trapp (2003) 217–219 den Brief 17. Der Aufsatz von Ussher (1987) geht kaum über eine dürre Paraphrase hinaus. Burk (1912) hat sich fast ausschließlich mit der sprachlichen Seite der Briefe befaßt. Billault (1977) 36 hat die Briefe der politischen Pamphletliteratur gegen Kaiser, speziell gegen Domitian, zugerechnet. Zu möglichen Zeitbezügen siehe auch Düring (1951) 24 f. Tyrannen und Tyrannenmord bildeten geläufige Themen der Deklamationspraxis. Siehe z. B. Lukians Tyrannoktonos (53), Sen. contr. 1.7, 2.5, 3.6, 4.7, Quint. decl. 253, 261, 269, 274, 282, Calp. decl. 1, 13, 22, 39, ferner Quint. inst. 9.2.67, Tac. dial. 35.5 und Philostr. VS 481. Auf die Deklamationen als möglichen Hintergrund der Chionbriefe verweist auch Costa (2001) xix. Beispielsweise bei Cic. Att. 9.4. Siehe auch Konstan – Mitsis (1990) 278 f. Für Düring (1951) 25 sind die Chionbriefe ein «example of good prose fiction», offenbar ohne außerliterarische Absichten.
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zeitig wird ein philosophisches Anliegen vorgetragen, insofern der Protagonist Chion den für die Gemeinschaft tätigen Philosophen verkörpert; und schließlich wäre auch eine allgemeine, nicht zeitgebundene politische Botschaft denkbar, die sich gegen jede Art von tyrannischer Herrschaft richtet.14 Sofern man den philosophischen Aspekt als das zentrale dieser Anliegen betrachtet, scheinen die Briefe des Chion im Gewande einer Abenteuergeschichte Sympathien für eine der Welt zugewandte, praktische Philosophie wecken zu wollen.15 Zweifel an dieser Interpretation könnten allerdings aufkommen, wenn man sich vor Augen hält, daß das Attentat des historischen Chion völlig vergeblich war und keine Änderung bewirkte.16 Sollte dieser Stoff tatsächlich dazu geeignet sein, Werbung für das soziale und politische Engagement des Philosophen zu machen? Ein Blick auf die Erzählstrategien des Werkes vermag dessen Intention vielleicht genauer zu klären. Als Ausgangspunkt bietet sich dafür die moderne Theorie des Briefromans an, die sich näher mit der Erzählhaltung beschäftigt hat. Von den typischen Erzählsituationen in narrativen Texten 17 lädt die Ich-Erzählung den Leser dazu ein, sich mit dem «ich» sagenden Erzähler zu identifizieren, zumal wenn dieser tiefere Einblicke in sein Gefühlsleben gewährt. Diesen Umstand hat sich insbesondere eine narrative Gattung zunutze gemacht, die ihre Blüte im 18. Jahrhundert erlebte: der Briefroman.18 In ihm erfährt der Leser alles, was geschieht, direkt aus der Korrespondenz, die das Ich mit einem oder mehreren Adressaten unterhält. Es fehlt also eine narrative Instanz, ein Erzähler im eigentlichen Sinne, der sich zwischen das fiktive Geschehen und den Leser schiebt, so daß der Eindruck der Unmittelbarkeit vorherrscht. Zudem zeichnet sich das erzählende Ich des Briefromans in aller Regel durch eine besondere Stellung zum Geschehen aus, insofern der Briefschreiber nicht ein Beobachter des Geschehens ist, sondern gewöhnlich die eindeutige Hauptfigur oder zumindest eine der Hauptfiguren.19 Der Protagonist des Briefromans läßt sich mithin als homodiegetischer Erzähler bzw. als dessen Extremfall des autodiegetischen Erzählers charakterisieren. 20 Auch die Autobiographie läßt sich, da in ihr ebenfalls das Ich von seinen Erlebnissen erzählt, dem Typus autodiegetischen Erzählens zuordnen, doch unterscheidet sie sich vom 14
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Zu diesen drei möglichen Intentionen siehe Rosenmeyer (2001) 235–237. Siehe auch Trapp (2003) 31: «This is an adventure-story, a moving tale of heroism and self-sacrifice, perhaps also a kind of biography […]. At the same time, it also embodies a view of philosophy, and the duty of the philosopher to engage with the world of public affairs.» So Konstan – Mitsis (1990) 258 und 272. Als philosophischen Hintergrund der Briefe identifizieren sie die Alte Akademie. Eine politische Intention schließen sie weitgehend aus. Die Angehörigen des Klearchos konnten sich auch nach dessen Ermordung an der Macht halten. Memnon FGrHist 434 F 1.5, Iustin. 16.5. Bittner (1998) 35 f. Siehe Stanzel (2001). Zur Poetik des Briefromans siehe Neuhaus (1971) 32–74, Altman (1982), Moravetz (1990) 25–49. Frühe Beispiele des Briefromans sind z. B. Guilleragues, Lettres portugaises (1669), Montesquieu, Lettres persanes (1721), Samuel Richardson, Pamela (1740), Clarissa (1748), The History of Sir Charles Grandison (1754). In der folgenden Zeit erschien eine unüberschaubare Fülle an Briefromanen. In einem Briefroman wie Goethes Leiden des jungen Werthers (1774) ist der Briefschreiber eindeutig die dominierende Hauptfigur, die im Mittelpunkt der Ereignisse steht. Ricarda Huchs Der letzte Sommer (1910) hingegen stellt durch Briefe mehrerer Schreiber an verschiedene Adressaten das Geschehen dar, ohne daß dies auf eine einzige Person fixiert ist. Zur Unterscheidung zwischen heterodiegetischem und homo- bzw. autodiegetischem Erzählen siehe Genette (1994) 175–178; Bal (2002) 21–25 unterscheidet zwischen external narrator und character-bound narrator.
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Briefroman in einem grundlegenden Aspekt. Im Falle von Memoiren oder einer Autobiographie erzählt das Ich, lange nachdem die Ereignisse vorgefallen sind, also aus einer Rückschau, die möglicherweise einen Bewußtseinswandel und damit einen Perspektivenwechsel verursacht hat. Erlebendes Ich und erzählendes Ich sind also im Grunde gar nicht mehr identisch. Der Schreiber von Briefen oder eines Tagebuchs greift hingegen meist kurz nach den Ereignissen zur Feder, um über ein relativ eng begrenztes Geschehen zu berichten. Nachdem er so zum erzählenden Ich geworden ist, verwandelt er sich wieder zurück zum erlebenden Ich, dem etwas Neues widerfährt, das er erneut als erzählendes Ich schreibend verarbeitet. 21 Die zeitliche Lücke zwischen Erleben und Schreiben, die Erzähldistanz, ist also beim Briefroman sehr gering, ja kann im Extremfall sogar gegen Null tendieren. 22 Daraus folgt, daß der Erfahrungs- und Bildungsprozeß des Schreiber-Ichs relativ gering ist; das Ich ist immer nur teilinformiert, kennt den Ausgang der Geschichte selbst noch nicht. 23 Dieses Verfahren, im Briefroman mit der zeitlichen Dimension umzugehen, dient nicht zuletzt der größeren Unmittelbarkeit: Nach wenigen Stunden ist ein Ereignis noch frischer im Gedächtnis; der Schreiber kann jede Einzelheit anschaulich berichten, was zur authentischen Wirkung beiträgt. Der Eindruck der Unmittelbarkeit, den der Briefroman beim Leser hinterläßt, wird verstärkt durch eine spezifische Technik der Charakterisierung. Wegen des Fehlens einer vermittelnden narrativen Instanz ist im Briefroman grundsätzlich nur die Möglichkeit der Selbstcharakterisierung gegeben, sofern nicht Briefe von mehreren Schreibern vorliegen. Zu unterscheiden ist einmal zwischen unbewußter Selbstcharakterisierung und derjenigen, die das Ich in den Briefen bewußt vornimmt, um dem Adressaten ein bestimmtes Bild seiner selbst zu vermitteln. Ferner ist zu differenzieren zwischen einer direkten Form, d. h. durch die Beschreibung von Aussehen und Eigenschaften, und einer eher indirekten, also durch Reaktionen, Handlungen und Reflexionen. 24 Gerade diese indirekte Form spielte im Briefroman seit der Antike immer eine bedeutende Rolle, insofern sich die Autoren dem Grundsatz der Brieftheorie verpflichtet fühlten, daß der Brief ein Spiegel der Seele sein sollte.25 Demzufolge gilt der Brief als getreues Abbild des Charakters, was wiederum – auch in nicht-fiktionalen Briefen – zu dem Postulat führt, daß der Stil einfach sein und mit dem Charakter des Schreibers kongruieren solle. 26 Wenn man den Briefroman im Hinblick auf die zeitliche Dimension des Erzählens dem Tagebuch an die Seite stellen kann, so besteht trotzdem zwischen beiden Gattungen ein fundamentaler Unterschied. Während sich der Tagebuchschreiber an keinen bestimmten Leser wendet, spielt der Adressat schon beim Verfassen des Briefes eine ungemein bedeutende Rolle. Der Brief ist immer mit Rücksicht auf den Adressaten, auf dessen Wissen und 21 22
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Genette (1994) 153–162 spricht deshalb hier von eingeschobener Narration. Es handelt sich streng genommen deshalb auch nicht um ein einziges erzählendes Ich mit einem fixen Schreibdatum, sondern bei einer Anzahl von n Briefen um einen Abstand von n erzählenden zu ebenso vielen erlebenden Ichs. Zur Erzähldistanz im Briefroman siehe Würzbach (1964) 7–10, Neuhaus (1971) 35–39, Stanzel (2001) 271–273. Stanzel (2001) 273: «Je kürzer die Erzähldistanz, je näher das erzählende Ich dem erlebenden Ich steht, desto enger ist der Wissens- und Wahrnehmungshorizont des erlebenden Ich und desto geringer ist die Wirkung der Erinnerung als Katalysator, der die Erlebnissubstanz zu klären imstande ist.» Zur Charakterisierung im Briefroman siehe Würzbach (1964) 124 f., Arndt (1994) 64–66. Demetr. Eloc. 227; Sen. ep. 40 und 114. Den Topos und sein Nachleben behandelt Müller (1980) eingehend. Siehe Demetr. Eloc. 223, 227, 229; Sen. ep. 114.
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Stellung zum Schreiber, konzipiert, statt unverstellt die Gedanken des Ichs mitzuteilen. Dies hat zur Folge, daß der Briefroman anders als die einfache Ich-Erzählung die Ereignisse nicht nur durch ein Prisma bricht, sondern gleich durch zwei, nämlich Schreiber und Adressat. Der externe Romanleser muß also den Brief immer im Lichte des intendierten Empfängers interpretieren.27 Daher haben wir, selbst wenn ein Roman aus Briefen nur eines Schreibers besteht, gewissermaßen einen Dialog vor uns, dessen einer Partner in den Äußerungen des anderen stets präsent ist. Anders als im wirklichen Gespräch sind bei einer brieflichen Korrespondenz allerdings die Gesprächsteilnehmer räumlich getrennt, und die Beiträge erfolgen in einem größeren zeitlichen Abstand.28 In den Briefen des Chion zeigt sich wie in modernen Briefromanen eine ganz eigentümliche Zeitstruktur. Für das erzählende Ich im Moment des Schreibens liegen die Ereignisse, von denen es berichtet, naturgemäß in der Vergangenheit. Auch Chion erzählt, zum Teil sehr ausführlich, rückschauend von den Begebenheiten, die ihm widerfahren sind. Hierfür bietet gerade die Reise nach Athen mit ihren verschiedenen Überraschungen genügend Stoff, so daß in den ersten Briefen diese äußere Handlung im Vordergrund steht. Chion begegnet in Byzanz Xenophon29, gerät mehrmals in Lebensgefahr und wird durch ungünstige Winde aufgehalten. Es wäre gleichwohl verfehlt, den Briefroman als rein rückwärts gewandtes Erzählen zu begreifen. Vielmehr eignet der Schreibergegenwart eine vermittelnde Funktion. Der Schreiber im Briefroman – und so auch Chion – steht zwischen dem zu erzählenden Ereignis und dem Leser; er bildet gleichsam eine Brücke von der Erzählvergangenheit über die Schreibergegenwart hin zum Adressaten.30 Er rückt das vergangene Geschehen scheinbar zeitlich näher und verleiht ihm durch die persönliche Anteilnahme Unmittelbarkeit. Besonders gut läßt sich dies an der Xenophon-Episode im dritten Brief beobachten. Auch wenn Chion hier von Ereignissen berichtet, die bereits kurze Zeit zurückliegen, gelingt es ihm, durch lebendige, anschauliche Schilderung und den Einsatz wörtlich zitierter Rede (ep. 3.3) dem Adressaten die Begebenheit zu vergegenwärtigen. Zudem beschränkt er sich nicht auf einen reinen Bericht, sondern teilt seinem Vater außerdem die Konsequenzen mit, die aus der geistigen Verarbeitung der Erlebnisse resultieren: Chion fühlt sich durch das Beispiel Xenophons ermuntert, den Weg der Philosophie einzuschlagen (ep. 3.5–7).31 Der Akt des Schreibens scheint in Chion die Reflexionen über den Wert der Philosophie auszulösen, so daß der Leser gleichsam Zeuge dieser inneren Entwicklung wird. Durch die Verbindung von äußerer und innerer Handlung entsteht, was man mit Samuel Richardson als writing to the moment bezeichnen kann32, die Vergegenwärtigung
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Die große Bedeutung des Lesers im Briefroman hebt besonders Altman (1982) 87–115 vor. Siehe ferner Würzbach (1964) 85–97, Moravetz (1990) 38–40 und Arndt (1994) 66–68. Als halbierten Dialog bezeichnete schon Artemon, der Herausgeber der Aristotelesbriefe, den Brief (bei Demetr. Eloc. 223). Zum Brief als Gesprächsersatz siehe Würzbach (1964) 95–97. Diese Begegnung ist unhistorisch, da Xenophon sich bereits 399 in Byzanz aufhielt, Chion aber den Briefen zufolge erst etwa fünf Jahre vor dem Tyrannenmord dort gewesen sein soll. Siehe Düring (1951) 14. Zur Zeitstruktur im Briefroman siehe Würzbach (1964) 18–21 und Neuhaus (1971) 39–43. Besonders wichtig für die Vergegenwärtigung sind an dieser Stelle der Wechsel ins Präsens und die direkte Wendung an den Adressaten. Samuel Richardson, The History of Sir Charles Grandison, Bd. 1 (= The Novels of S. R., Bd. 14), London 1902, xi: «The nature of familiar letters, written, as it were, to the moment, while the heart is agitated by hopes and fears, on events undecided, must plead an excuse for the bulk of a collection of this kind.»
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der Vergangenheit im momentanen subjektiven Erleben des Schreibers. 33 Anders als Autobiographien sind die meisten Briefromane nicht rein rückwärtsorientiert, sondern ebenso auf die Zukunft hin ausgerichtet, da es in Briefen auch immer um Versprechungen, Drohungen, Erwartungen, Vorhersagen und Unsicherheit geht. Dasselbe gilt in besonderem Maße für die Chionbriefe. Während anfangs im Denken Chions noch die weiter zurückliegende und die unmittelbare Vergangenheit dominieren, verlagert sich dann die Blickrichtung auf das künftige Geschehen. Denn ab der Peripetie des Romans, sobald Chion zwischen Brief 11 und 12 von der Machtergreifung des Klearchos erfahren hat, kreist sein Denken und Handeln nur noch um die Zukunft. Nachdem er über die Berechtigung und Möglichkeit des Tyrannenmordes reflektiert hat, macht er sich auf die Heimreise und kündigt schließlich die unmittelbar bevorstehende Tat an (ep. 17). Obgleich der Bericht von vergangenen Ereignissen nicht völlig fehlt (z. B. der Anschlag auf Chion in ep. 13), stehen die letzten Briefe eindeutig im Banne der Tat, die zwar durch externe Prolepsen im Roman präsent ist, naturgemäß jedoch nicht mehr selbst in diesem berichtet werden kann. Mithin werden sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft in der Gegenwart des Schreibers gespiegelt34, wobei hier die Zukunft dominiert. Dem Leser, der über Vorwissen um den historischen Chion verfügt oder der den Roman ein zweites Mal liest, wird die Antizipationstechnik des Autors auffallen, durch die von Anfang an Chions Entschluß und der Tyrannenmord angebahnt werden. Bereits im ersten Brief erfahren wir, daß Chion seine Eltern durch die $, die er zu erwerben hofft, glücklich zu machen gedenkt. Außerdem sieht sich der Schreiber als Teilnehmer eines Wettkampfes, in dem es bedeutende Preise zu erringen gilt. 35 Kann Chion zunächst selbst noch nicht ahnen, welche Bedeutung diesem Vergleich innewohnt, so wird es zumindest für den Leser offensichtlich, wenn der Schreiber im letzten Brief von seiner Erwartung erzählt, mit Siegespreisen ( […] ep. 17.2) aus dem Leben zu scheiden. Überdies habe ihn im Traum eine Frau mit einem Ölzweig und Siegerbinden ausgezeichnet (ebd.). Der Preis, den Chion für sein Philosophiestudium davonträgt, besteht also im Nachruhm des Tyrannenmörders. Darüber hinaus nimmt Chion durch seine eigenen Berichte, ohne es zu wissen, den Tyrannenmord vorweg. Schlüsselszenen spiegeln gewissermaßen die verschiedenen Stufen des Entwicklungsprozesses, den Chion durchlaufen muß, um schließlich zur Tat fähig zu sein. Als Xenophons Soldaten damit drohen, Byzanz gewaltsam einzunehmen und zu plündern, stellt sich Chion darauf ein, kämpfen zu müssen (ep. 3). An Mut fehlt es ihm zwar nicht, aber an innerer Reife und Selbständigkeit. Während er hier noch seinen eigenen Tod hinauszögern möchte, sehnt er ihn später geradezu herbei (ep. 13.3, 14.4 f., 17). Außerdem wird die Gefahr durch Xenophons Eingreifen beseitigt, bevor es zu Kampfhandlungen gekommen ist. Einen Schritt weiter geht die Gefährdung in Thrakien (ep. 4.3 f.), als Chion sich mit seinen Gefährten einigen Angreifern gegenüber sieht, die freilich ihre Speere zu früh schleudern und wieder umkehren, so daß Chion unverletzt davon kommt. Hatte er hier gar nicht aktiv werden müssen, so verlangt schließlich das Attentat, 33
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Zu dieser Technik des Briefromans siehe Würzbach (1964) 27 und 137–164, Voßkamp (1971) 99 f., Altman (1982) 122–129, Arndt (1994) 71–74. Voßkamp (1971) 99 f. spricht deshalb von der Dreidimensionalität des Briefromans. Vgl. auch Altman (1982) 124: «Letter writers are bound in a present preoccupied with the future.» Ep. 1: Ω ξ # µ $ # , Ρ « Θ! "« % « $"« µ &« »« " '« […]. Ν ξ — $)!9 %* ' Θ, + # $ κ« .
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das Klearchos auf ihn verüben läßt, Chions direktes Eingreifen (ep. 13). 36 Es gelingt ihm, den Angreifer zu überwältigen, wobei er selbst verletzt wird. Von Stufe zu Stufe wächst die Gefahr, während Chion jedesmal ein Stück mehr auf sich gestellt ist. Anfangs geht er noch in der Menge der Byzantiner unter, dann hat er nur seine Gefährten um sich und schließlich steht er allein dem Attentäter gegenüber. In der Klimax dieser Szenen verdichtet sich die Entwicklung Chions37, so daß der Leser am Ende keinen Zweifel hat, daß der Protagonist zu dem Mord an Klearchos in der Lage sein wird.38 Überlagert wird diese stetige Entwicklung von einem plötzlichen Umbruch, der sich in dem Briefpaar ep. 11 und 12 vollzieht. Im elften Brief teilt Chion seinem Vater auf dessen Bitte, er solle heimkehren, mit, daß er weitere Jahre in Athen benötige, um seinen Charakter zu vervollkommnen. Als er aber von der Machtergreifung des Klearchos erfährt, entschließt er sich sogleich, nach Herakleia zurückzusegeln, um seiner Heimat zu helfen. Auch wenn von einem Anschlag auf Klearchos noch keine Rede ist, kann man das Briefpaar als die Peripetie des Romans ansehen.39 Diese Peripetie hat für die dramatische Entwicklung des Romans weitreichende Konsequenzen. Während bisher die äußere Handlung eine ziemlich große Rolle spielte und das Geschehen von fünf Jahren stark gerafft erzählt wurde, dominiert fortan eindeutig die innere Handlung, nämlich die Reflexion über die Berechtigung des Tyrannenmordes. Nachdem der fünfjährige Aufenthalt in Athen mit Hilfe von impliziten zeitlichen Ellipsen durch lediglich acht Briefe überbrückt worden ist, decken die Briefe 13–17 nurmehr einen Zeitraum von wenigen Monaten ab, so daß sich das narrative Tempo deutlich verlangsamt.40 In den abschließenden fünf Briefen macht die Schilderung der äußeren Handlung, auch wenn sie nicht gänzlich fehlt, den Gedanken des Protagoni36
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Die Szenen im vierten und im dreizehnten Brief markieren überdies Einschnitte im dreiteiligen Aufbau des Briefromans. Siehe Holzberg (1994) 30. Abweichend davon analysiert Rosenmeyer (2001) 245 die Struktur des Werkes. Für Chions Entwicklung ist außerdem eine Szene von Bedeutung, die auf den ersten Blick kaum auffällt. Als ein Sturm droht, weiß Chion zwar, daß man besser im Hafen bleiben sollte, vermag jedoch seine Gefährten nicht davon zu überzeugen (ep. 4.1 f.). Anders als Xenophon, der allein die Masse der Söldner beschwichtigt, fehlt Chion noch die aus innerer Reife resultierende Überzeugungskraft, zumal er selbst unsicher ist (ep. 4.1). Diese innere Reife wird er erst durch Platons Philosophie erlangen. Die Reife, die Chion zum Schluß erlangt hat, wird außerdem durch Xenophon im dritten Brief präfiguriert. Xenophon versteht es, wie Chion selbst erkennt, Philosophie und Praxis miteinander zu vereinen. Xenophon war wie Chion anfangs nur ein durchschnittlicher Mensch in der (Soldaten-)Menge, erhielt dann aber eine bedeutende Aufgabe, die all sein Können erforderte (vgl. den kurzen Rückblick auf seine Karriere in ep. 3.1 f.). Abgesehen davon, daß Xenophon seine Soldaten rettet, besteht noch eine direkte Parallele zu Chion: Xenophon rettet eine Stadt (hier Byzanz), indem er Unrecht verhindert. Chion wird später versuchen, seine Heimatstadt zu retten, indem er die Unrechtsherrschaft beseitigt. Zur Möglichkeit, im Briefroman durch Nebeneinanderstellung von Briefen unerwartete Geschehenswendungen nachzuzeichnen, siehe Altman (1982) 179–181. Zur zeitlichen Ellipse siehe Genette (1994) 76–78. Genette spricht bei solchen Geschwindigkeitsänderungen von Anisochronien (ebd. 61–68). Die ersten, auf der Reise verfaßten Briefe Chions folgen kurz aufeinander. Da aber in den Briefen 7–10 jeglicher Hinweis auf die verstrichene Zeit fehlt, kommt es für den Leser etwas überraschend, daß mit ep. 11 bereits fünf Jahre in Athen vergangen sind. Letztlich handelt es sich folglich weniger um ein wirkliches Handlungskontinuum, sondern eher um eine stationenhafte, punktuelle Darstellung (siehe Arndt [1994] 74 f.). Der zwölfte Brief ist mitten im Winter verfaßt, und die Abreise wird von Chion für den Frühling ins Auge gefaßt. Der Tyrannenmord ist schließlich für das Fest der Dionysien (im Frühling?) geplant (ep. 17.1). Auffällig ist allerdings die Bemerkung, Chion habe Schritte gegen Klearchos unternommen (ebd.). Hier liegt im übrigen wie bei der Xenophon-Episode ein Anachronismus vor, da der Eindruck entsteht, Chion habe Klearchos bereits kurz nach dessen Machtantritt ermordet. Tatsächlich herrschte dieser jedoch von 364/63 bis 353/52.
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sten Platz. Über weite Strecken hin erörtert Chion das Problem der Intrige und rechtfertigt sich selbst und seinem Vater gegenüber die geplante Tat. Gänzlich widmet sich auch der Brief an Klearchos, freilich unter dem Mantel der Verstellung, der Haltung des Philosophen zum praktischen Handeln, dem Verhältnis von vita contemplativa und vita activa. 41 Mit großer Deutlichkeit geht aus diesen reflektierenden Briefen hervor, daß der Blick auf das Geschehen von der Sicht des Protagonisten Chion beherrscht wird. Er ist nicht nur Figur, sondern auch der Wahrnehmende, aus dessen Sicht dem Leser das Erzählte präsentiert wird. Der Briefroman des Chion läßt sich somit dem Typ der aktorialen oder internen Fokalisierung zuordnen, wobei an diesem Fokalisierungstyp durchgängig festgehalten wird. Besteht der Roman doch ausschließlich aus Briefen, die Chion verfaßt hat, ohne daß andere Schreiber zu Wort kommen (wie etwa bei den Sokratikerbriefen).42 Gerade diese feste interne Fokalisierung erleichtert dem Leser die Identifikation mit dem Briefschreiber Chion; er nimmt Teil an dessen Gedanken und Fühlen und macht sich dessen Perspektive zu eigen. Wenige Beispiele mögen als Illustration genügen. Die Schilderung, wie die Söldner Xenophons Byzanz mit der Plünderung bedrohen, erhält gerade dadurch ihre Lebendigkeit, daß Chion selbst sich unter den Bedrohten befindet, statt als neutraler Beobachter das Geschehen von außen zu kommentieren. Er selbst teilt mit, welche Gedanken ihm durch den Kopf gehen, als er sich auf der Stadtmauer postiert (ep. 3.2). Aus dem Bericht von der ersten Begegnung mit Platon geht unmißverständlich hervor, welch große Bewunderung Chion für den Philosophen hegt, und man hört aus seinen Äußerungen den Stolz, daß er zu Platons bevorzugten Freunden zählt (ep. 5). Schließlich kann der Leser durch die lebendige Schilderung des Kampfes gegen den Attentäter gleichsam die Gefahr für Chion nacherleben; er wird stärker am Geschehen beteiligt, als wenn ein externer Beobachter berichten würde (ep. 13). Die interne Fokalisierung dient also auch der größeren Unmittelbarkeit der Darstellung. Gleichwohl folgt aus der festen internen Fokalisierung im Briefroman nicht automatisch, daß dieser völlig auf eine einzige Perspektive beschränkt wäre. Denn auch in den Briefen nur eines Schreibers werden die Äußerungen und Meinungen anderer, insbesondere des Briefpartners, gespiegelt, so daß man von einer mindestens ansatzweise entwickelten Multiperspektivität sprechen kann. 43 Dadurch besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die An41
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In diesem erörternden, philosophischen Duktus unterscheiden sich die Chionbriefe grundlegend von modernen Briefromanen wie Richardsons Pamela oder Goethes Werther. Zwar blicken wir auch im antiken Briefroman durch das Medium des Briefes in das Innere des Schreibers. Anders als im modernen Briefroman erfährt der Leser aber nur relativ wenig über die Gefühle des Protagonisten. Der Blick der Schreiber ist zumeist nach außen gerichtet anstatt auf das eigene Ich. Falls persönliche Empfindungen direkt geäußert werden, geschieht dies nie so intensiv wie in der Neuzeit (vgl. Arndt [1994] 60–62). Deshalb könnte man die abschließenden Briefe Chions nach der Typologie von Voss (1960) 133–143 dem betrachtenden Brief zuordnen, da zwar Hinweise auf das Konkrete nicht völlig fehlen, aber bereits hinter abstrakt-theoretische Erörterungen zurücktreten. Mit dem Begriff der Fokalisierung bezeichnet Genette (1994) 134–138 und 241–244 die Perspektivierung des Erzählten. Dadurch wird eine Unterscheidung möglich zwischen der Instanz des Wahrnehmenden und der des Sprechers, die nicht identisch sein müssen. Siehe ferner Bal (2002) 142–161. Stanzel (2001) 149–155 spricht hingegen von Innen- bzw. Außenperspektive. Innenperspektive herrsche vor, wenn der Standpunkt, von dem aus die erzählte Welt wahrgenommen und dargestellt werde, in der Hauptfigur oder im Zentrum des Geschehens liege. Eben dies gelte für den Briefroman. Vgl. Altman (1982) 137–140 zum internen Dialog im Briefroman. «Thus within a letter written by a single correspondent we often hear several voices, different points of view, which transform the monologue into a dialogue.» (ebd. 138).
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sichten des Protagonisten mit anderen Meinungen zu kontrastieren. Auch in den Briefen Chions wird von der sekundären Fokalisierung44, also der Spiegelung von Wahrnehmungen anderer Figuren als der des eigentlichen Fokalisators, Gebrauch gemacht. Dem Charakter der Korrespondenz entsprechend, sind es vor allem die Ansichten des Vaters Matris, denen wir in Chions Schreiben begegnen.45 Matris liegt, wie der Leser erfährt, offenbar viel daran, daß Chion sich der Philosophie zuwendet, damit dieser innere Ruhe erlangt (ep. 3.5). Ferner äußert sich der Vater zu dem für den ganzen Roman wichtigen Thema der Freundschaft und der Bindungen innerhalb der Familie (ep. 5 und 11) und stimmt Chions Vorhaben, den Tyrannen zu täuschen und zu töten, ausdrücklich zu (ep. 15). Der Vater übernimmt mithin die Rolle des Vertrauten, der Chion in seinen Ansichten bestärkt. Lediglich im Hinblick auf zwei Entscheidungen erfüllt die sekundäre Fokalisation eine Kontrastfunktion; einmal, insofern Matris seinen Sohn gegen dessen Bedenken nach Athen zum Philosophiestudium schickt, und ein weiteres Mal, als er Chion bittet, nach fünf Jahren doch endlich heimzukehren. Letztlich wird dem Leser jedoch keine alternative Position zu den Ansichten des Protagonisten geboten; vielmehr erhalten diese allenfalls schärfere Konturen. 46 Fragt man nach der Wirkungsweise der beschriebenen Erzähltechniken, so ist unverkennbar, daß sie wie in den meisten monologischen Briefromanen der Moderne darauf angelegt sind, eine Identifikation zwischen Leser und Hauptfigur zu ermöglichen. Das Medium des Briefes erlaubt dem Rezipienten einen direkten Zugang zum Denken und Fühlen des Protagonisten, ohne daß ein Erzähler für Distanz sorgt. Da auktoriale Kommentare oder alternative Perspektiven anderer Figuren fehlen, wird die Sympathie des Lesers gänzlich auf Chion gelenkt, so daß er sich dessen Sicht der Dinge zu eigen macht. Anhand von Chions Handlungen und Reflexionen über Philosophie, Praxis und Freundschaft kann man seine Entwicklung mitverfolgen. Wir werden Zeugen, wie der Protagonist vom jungen Mann, der der Philosophie fernsteht, zum wertvollen Mitglied der Gesellschaft heranreift, indem er bei Platon studiert, handelt und schließlich die Aufgabe findet, in der er seine Reife unter Beweis stellen kann. 47 Er lernt sowohl durch praktische Anschauung (Xenophon-Episode in ep. 3) als auch durch Platons theoretische Unterweisung, daß Philosophie keine lebensfremde Wissenschaft ist, sondern daß sich vita contemplativa und vita activa widerspruchsfrei miteinander verbinden lassen. Das Handeln des Philosophen ist sogar 44 45
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Den Begriff verwendet z. B. de Jong (1987) 101–148. Ep. 1 (44, 2–4), 3.5 (48, 26–28), 3.5 (50, 3 f.), 5 (54, 11–13), 7.3 (58, 4–7), 11 (62, 2–4), 13.1 (64, 2 f.), 13.3 (64, 25 f.), 15.2 (70, 3 f.), 15.3 (70, 24–26), 16.1 (70, 30–72, 2). Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf Seiten und Zeilen bei Düring (1951). In 15.3 ist es eine fiktive Rede des Vaters, die sich Chion ausmalt (ähnlich die fiktiven Gedanken Bions in ep. 9 [60, 9 f.]). Beispielweise durch Archepolis’ Einstellung zu Philosophie und Freundschaft (ep. 7) oder Bions Gedanken zu demselben Thema (ep. 9). Gerade diese beiden sekundären Fokalisationen übernehmen offensichtlich nur die Aufgabe, Chions Haltung deutlicher werden zu lassen, ohne etwa dem Leser eine gleichberechtigte alternative Position zu bieten. Man könnte im weiteren Sinne von einem Entwicklungsroman in Briefform sprechen (vgl. auch den Hinweis auf die Biographie bei Trapp [2003] 31). Chion emanzipiert sich im Laufe des Briefromans auch offensichtlich von seinem Vater. Hatte Chion die Reise anscheinend nur widerwillig auf Anweisung des Vaters angetreten (vgl. ep. 3.5 f.), so klingt in ep. 6 erstmals leichte Kritik am Vater an, als es um die Bedeutung äußerer Güter geht. In ep. 11 kritisiert er den Vater erneut leicht und widersetzt sich offen dessen Wunsch, er möge doch heimkehren. Schließlich befindet sich Matris in der Rolle dessen, der Chions Pläne gutheißt und unterstützt (ep. 15).
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notwendig, wie Chion erkennt; der Philosoph ist verpflichtet, sein überlegenes Wissen in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen (ep. 11, 12, 13.3, 14.5).48 Denn der Philosoph kann, da er innerlich unabhängig und sich selbst genügend ist, keinen wirklichen Schaden an seiner Person nehmen, während die Gemeinschaft auf Hilfe angewiesen ist, wenn ihr Gefahr droht (ep. 14). Neben der Beziehung von Philosophie und Praxis ist das beherrschende Thema, das dem Leser aus Chions Perspektive nahegebracht wird, die Freundschaft. Mehrfach geht es darum, wie man sich Freunden gegenüber angemessen verhält, welche Bedeutung wechselseitige Gaben unter Freunden haben. Wie wichtig dieses Thema für den Protagonisten ist, ersieht man auch aus dessen eigenem Verhalten, wie es aus den Briefen 7, 8, 9 und 10 entgegentritt. Chion erhält hier einmal Gelegenheit, einem charakterlich schlechten Menschen Gutes zu tun; dann erlebt der Leser mit, wie tief Chion von einem unzuverlässigen Freund enttäuscht wird, und schließlich kann Chion sich sogar Platon gegenüber für dessen Freundschaft revanchieren. So zielgerichtet die narrativen Strategien der Chionbriefe auf die Intention hin angelegt scheinen, ein positives Bild des für die Gemeinschaft tätigen Philosophen zu zeichnen, sind doch für den aufmerksamen Leser Hinweise erkennbar, die damit nicht in Einklang stehen. Wenn wir oben beobachtet haben, daß im Briefroman das Fehlen einer vermittelnden narrativen Instanz dafür sorgt, daß die Briefe unmittelbar wirken, so trifft dies nur teilweise zu. Gewiß, Chion spricht direkt zu seinen Adressaten und damit auch zum Rezipienten, ohne daß dies weiter von einem externen Erzähler kommentiert würde. Aber seine Briefe sind nicht von ihm selbst gesammelt worden, was um so deutlicher auffällt, als die Korrespondenz gerade mit dem Tod des Briefschreibers abbricht. Es hat also ein fiktiver Herausgeber eingegriffen, der Chions Briefe zu diesem Corpus vereinigte. Die Präsenz dieses Herausgebers wird für den Leser durch kleine, aber ständig wiederholte Paratexte spürbar. 49 Denn nachdem über dem ersten Brief noch die Grußformel X M* / gestanden hat, sind die folgenden Briefe an den Vater einfach nur noch mit 9 9 überschrieben.50 Dabei kann es sich jedoch unmöglich um die Worte Chions handeln. Vielmehr
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Da der Autor der Briefe die platonische Philosophie als Hintergrund wählt und sich direkt auf den 13. Platonbrief bezieht (ep. 10), ist es nicht ausgeschlossen, daß er seinen Briefroman in Anlehnung an das Höhlengleichnis ( Plat. rep. 7, 514a–518b) gestaltet hat. Denn wie im platonischen Gleichnis wird Chion zunächst gegen seinen Willen gezwungen, sein bisheriges Leben aufzugeben, um sich der Philosophie zu widmen. Nachdem er bei Platon studiert hat, möchte er in der Betrachtung der Wahrheit verharren (ep. 11). Dies wird ihm jedoch nicht erlaubt, sondern er muß statt dessen zurückkehren, um die Philosophie praktisch anzuwenden. Dabei findet er wie der Philosoph im Gleichnis den Tod. Es darf freilich nicht übersehen werden, daß die platonische Philosophie im Briefroman ziemlich oberflächlich ist. Zur philosophischen Seite der Chionbriefe siehe Konstan – Mitsis (1990). Paratexte werden umfassend behandelt von Genette (1992). Nach seiner Terminologie könnte man hier auch von Peritexten (ebd. 12 f.) sprechen, da sich diese Zwischenüberschriften in den eigentlichen Text einfügen. Genette geht zwar auf Zwischentitel ausführlich ein (ebd. 281–303), erwähnt diejenigen in Briefromanen aber nur beiläufig. Dies scheint die einhellige Überlieferung zu sein (siehe Düring [1951] 45 Anm. 1). Die Praxis in anderen fiktionalen Briefen, z. B. denen des Aischines, des Themistokles oder des Phalaris, ist ähnlich. Außer der Formulierung 9 9 begegnet auch der bloße Dativ des Adressaten. Die z. T. immer noch maßgebliche Ausgabe von R. Hercher ist in dieser Hinsicht nicht zuverlässig (Epistolographi Graeci, Paris 1873). Auffällig ist auch das Fehlen von Grußformeln am Ende der Briefe. Es fehlt also eigentlich alles, was die Briefe zu wirklichen Briefen machen würde. Damit stimmt überein, daß relativ wenige Details über den Aufenthalt in Athen mitgeteilt werden, was man bei Briefen an die Familie doch erwarten dürfte. Daß allein der letzte
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hat sie erst derjenige hinzugefügt, der die Briefe zusammengestellt hat. Zwar fungiert dieser Herausgeber nicht als heterodiegetischer Erzähler – er greift ja nirgends in die Erzählung des Geschehens ein –, und es werden auch nicht die Möglichkeiten, die die Herausgeberfiktion böte, voll genutzt, aber so wird der Eindruck gestört, der Leser erhalte einen unmittelbaren Zugang zum gesamten Innenleben des Protagonisten.51 Dem fiktiven Herausgeber ist dann aber auch die Komposition der Briefsammlung zu verdanken. Er hat die Briefe gesammelt und angeordnet, so daß der oben beschriebene dramatische Spannungsbogen entsteht. Auf seine Entscheidung geht es ferner zurück, daß das Briefpaar zur Reise des Archepolis (ep. 7 und 8) sowie der Brief an Bion (ep. 10) – Schreiben, die mit dem Hauptstrang der Handlung nichts zu tun haben – aufgenommen wurden. Ihr Zweck ist es, Chions charakterliche Reifung mit Beispielen zu belegen. Gerade die Aufnahme von Briefen, die nicht an Matris gerichtet sind, lenkt allerdings unweigerlich die Aufmerksamkeit des Lesers darauf, daß in die Korrespondenz Chions eingegriffen wurde. 52 Die Anwesenheit des fiktiven Herausgebers durchbricht letztlich die Illusion, man erhalte einen unverstellten Einblick in die Briefe und damit in die Entwicklung Chions. Überdies deuten Anspielungen darauf hin, daß die vorliegenden siebzehn Briefe keineswegs die gesamte Korrespondenz ausmachen, die Chion in gut fünf Jahren geführt hat. Zwar könnte man zu dieser Erkenntnis auch auf Grund der Relation von Anzahl und Dauer gelangen, doch macht der Text selbst des öfteren darauf aufmerksam, daß dem Leser offensichtlich Briefe vorenthalten werden. So ist etwa ep. 9 ein längerer Briefwechsel zwischen Chion und seinem Freund Bion vorausgegangen, ohne den der neunte Brief auch gar nicht verständlich wäre.53 Auch wenn die Auslassung von Briefen nie dazu führt, daß dem Leser das Geschehen unklar würde, wird ihm doch unmißverständlich in Erinnerung gerufen, daß er keineswegs lückenlos über Chions Werdegang informiert wird. Was uns mitgeteilt wird, hängt nicht allein vom Briefschreiber selbst ab, sondern ebenso vom Herausgeber, dessen Gutdünken wir damit ausgeliefert sind. Wir blicken mithin auf das Geschehen durch eine zweifache Brechung. Dann könnten aber auch Zweifel aufkommen, ob der Reifeprozeß des Protagonisten tatsächlich so bruchlos verlaufen ist oder ob nicht vielmehr erst der Editor durch Manipulation der Korrespondenz lediglich diesen Eindruck vortäuscht. Genährt werden diese Zweifel durch den Briefschreiber selbst. Bei seiner Erzählung, wie er nach Perinthos gelangt, flicht Chion die kurze, beiläufige Bemerkung ein + κ
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Brief mit einem Abschiedsgruß endet und damit der Komposition zu Geschlossenheit verhilft, erweckt den Anschein, als habe bereits Chion selbst mit Blick auf eine spätere Veröffentlichung geschrieben. Vgl. Rosenmeyer (2001) 249. In modernen Briefromanen beschränkt sich die Präsenz des Herausgebers oft nicht auf solche Zwischenüberschriften, sondern häufig werden in Anmerkungen und Fußnoten Erklärungen und Hinweise gegeben (vgl. Richardsons Clarissa) oder der Herausgeber übernimmt nach dem Tod des Briefschreibers die Aufgabe, die folgenden Ereignisse zu erzählen (vgl. Goethes Werther). Zur Herausgeberfiktion im Briefroman siehe Neuhaus (1971) 50–52, Voßkamp (1971) 90–94, Moravetz (1990) 42 f., Genette (1992) 324–327 und Calas (1996) 48–55. Zum Kommunikationsmodell des Briefromans siehe auch Altman (1982) 200 f. Die Aufnahme des Täuschungsbriefes (ep. 16) wird mit der Existenz einer Abschrift plausibel gemacht (ep. 15.3), so wie im modernen Briefroman die fiktiven Herausgeber des öfteren angeben, wie sie an die Briefe gelangt sind. Vgl. auch die Hinweise in ep. 6 (Chion hatte Matris um einheimische Produkte gebeten), ep. 9 (reger Briefwechsel mit anderen Freunden), ep. 13.1 (Brief an Matris wegen Krankheit). Überdies dürfte Chion nicht nur an Platon, sondern auch an seine Familie einen Abschiedsbrief gerichtet haben.
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0 (ep. 4.2) – er wolle seinen Vater nicht mit Details langweilen. Auch wenn hier keine für das Verständnis unerläßlichen Einzelheiten unterschlagen werden, macht dieser Vorbehalt den Leser darauf aufmerksam, daß er nicht damit rechnen soll, alles aus den Briefen zu erfahren. Der Schreiber spart aus, was er für nicht mitteilenswert hält, und bringt uns so zu Bewußtsein, daß wir völlig auf seinen Willen zu erzählen angewiesen sind. Von ähnlicher Wirkung sind andere Stellen, an denen Chion ironisch das Briefeschreiben thematisiert. 54 All dies gehört nicht allein zur Gattungskonvention, daß ein Briefroman auch das Medium selbst zum Thema macht, 55 sondern es läßt gerade die reflektierenden Briefe der zweiten Romanhälfte in einem neuen Licht erscheinen. Dem Leser wird die Gewißheit genommen, er erhalte einen unverstellten Blick in das Innere des Protagonisten. Dies ruft nachdrücklich der Täuschungsbrief an Klearchos (ep. 16) in Erinnerung. Obgleich die Täuschung an sich in diesem Falle durchaus legitim erscheint, führt er eindrücklich vor Augen, daß ein Brief keineswegs authentisches Zeugnis vom Denken seines Schreibers ablegt. Er führt den Topos, der Brief sei Spiegel der Seele, geradewegs ad absurdum. 56 Aber auch die beinahe ausschließliche Fokalisierung des Geschehens durch Chion ist nicht unproblematisch. Mag auch erst die Wahl dieser Technik die Identifikation mit dem Protagonisten ermöglichen, so läßt doch genau diese Eindimensionalität die Perspektive Chions als fragwürdig erscheinen. Sogleich als er davon erfährt, daß Klearchos die Macht an sich gerissen hat, ist Chion zum Handeln entschlossen und hat sich bald entschieden, den Tyrannen aus dem Weg zu räumen. Dem Leser bleibt fortan allein die Aufgabe zu prüfen, ob es mit Chions Philosophie vereinbar ist, einen Tyrannen zu töten, oder nicht. Eine wirklich ausgewogene Sicht auf die Berechtigung der Tat wird ihm jedoch verwehrt. Der Leser muß Chion glauben, daß die Tat notwendig ist, da er keine Informationen aus anderen Quellen erhält. Zwar rechtfertigen der Attentatsversuch (ep. 13) und die Zustimmung des Vaters in gewisser Weise die Absicht, aber dies ändert nichts daran, daß wir der Sicht des Briefschreibers völlig ausgeliefert sind. Daß dessen Perspektive beträchtlich eingeschränkt ist, daran kann kein Zweifel bestehen. Grundlegend für eine briefliche Korrespondenz ist gerade der Umstand, daß die Briefpartner sich nicht am selben Ort aufhalten. Auch Chion faßt seinen Entschluß nicht etwa auf Grund von Autopsie, weil die Gewaltherrschaft des Klearchos seine persönliche Freiheit beeinträchtigte, sondern allein nach den brieflichen Mitteilungen seines Vaters. In dieser Hinsicht ist der an Klearchos gerichtete Brief besonders aufschlußreich. In ihm sucht Chion nämlich die Zweifel des Tyrannen dadurch zu zerstreuen, daß er seine Außenperspektive betont. Er sei bei der Machtergreifung des Klearchos überhaupt nicht in Herakleia gewesen und könne die dortige Lage deshalb
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Ep. 3.7: ξ σ ¹ !, $ λ *& 9 . Diese ironische Bemerkung folgt ausgerechnet auf Chions Hinwendung zur Philosophie. Das Ende von ep. 4 beleuchtet ironisch das Verhältnis von wissenschaftlicher Theorie und Praxis, also das Hauptthema des Romans. Meist wird in Briefromanen die Schwierigkeit, die Kommunikation aufrechtzuerhalten, zur Sprache gebracht (z. B. auch ep. 12). Siehe dazu Rosenmeyer (2001) 246 f. Chion selbst lenkt in ep. 15.3 schon im voraus die Aufmerksamkeit des Lesers auf dieses Problem: 34 λ µ $) "« µ« µ K/ "« &5 « « , +# π )9 " ³« 0 «. Außerdem ist bereits ep. 8 teilweise Zeugnis für Chions Verstellung. Die Wirkung geht zwar nicht so weit, daß Chion zum ‹unzuverlässigen Erzähler› im eigentlichen Sinne wird (siehe dazu Stanzel [2001] 200–203), aber das Vertrauen des Lesers in den Erzähler wird nachhaltig erschüttert.
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gar nicht beurteilen (ep. 16.1, 3). Der Briefschreiber offenbart dem externen Leser also expressis verbis, wie mangelhaft er informiert ist. Auch wenn nirgends angedeutet wird, daß Chions Haltung zur Tyrannis grundsätzlich falsch wäre, muß der aufmerksame Leser erkennen, daß ihm ein umfassender Blick auf die Tatsachen verwehrt bleibt. Die Problematik brieflicher Kommunikation, nämlich der durch die räumliche Distanz erschwerte Informationsfluß, wird so indirekt in Erinnerung gerufen.57 Dem Leser drängt sich die Frage auf, ob Chion die Situation überhaupt adäquat einzuschätzen vermag. Mit der Beschränkung der Perspektive geht eine weiteres Mittel der Unbestimmtheit einher. Die Korrespondenz endet damit, daß Chion die Ermordung des Klearchos und seinen eigenen Tod ankündigt. Folgerichtig bricht der Briefroman in dem Moment ab, als der Briefschreiber stirbt.58 Doch kann der Leser wirklich gewiß sein, daß alles wie geplant ablaufen wird? Zwar wird die externe Prolepse59 der folgenden Ereignisse dadurch gestützt, daß ein Traum als offenbar untrügliches Omen Chions Erwartungen bekräftigt (ep. 17.2), aber es bleibt eine Unsicherheit. Denn dem antiken Leser war bekannt, daß Träume nicht unbedingt die Wahrheit künden müssen, sondern bisweilen Trugbilder sind.60 Da zur Entstehungszeit des Briefromans sicherlich nicht alle Leser mit dem historischen Hintergrund der Geschichte vertraut waren – was dem Autor durchaus bewußt war61 –, konnte auch nicht jeder wissen, daß die Tat sich wirklich so ereignet hatte, wie es hier im letzten Brief antizipiert wird. Zumindest für diese uninformierten Leser trug der Vorgriff den Charakter einer zukunftsungewissen Prolepse, die das Ende offen läßt. 62 Abgesehen von diesen narrativen Strategien, die das erste Urteil über den Roman in Frage stellen, dienen auch inhaltliche Elemente der Verunsicherung. Obgleich Chion bemüht ist, sich selbst als vorbildlichen Schüler Platons darzustellen, und ein Prozeß innerer Reife nicht in Abrede gestellt werden kann, werfen manche Handlungen und Äußerungen einen Schatten auf den Charakter und die philosophische Eignung des Protagonisten. Zu nennen wäre hier einmal seine offensichtliche Eitelkeit bzw. sein Stolz auf Äußerlichkeiten. Während die Freude über Platons Freundschaft (ep. 5) noch durchaus verständlich ist, hinterläßt es einen unguten Eindruck, wie Chion sich in ep. 10 damit brüstet, daß er nicht nur Platons Nichte für die Heirat mit Speusipp mit einer Mitgift ausstatten konnte, sondern
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Zum Brief als Produkt der Abwesenheit siehe Altman (1982) 134–137. Gerade für den Autor eines Briefromans ist der Tod des Briefschreibers ein narratives Problem, das dadurch gelöst werden kann, daß man den Ich-Erzähler durch andere Erzähler (einen Herausgeber und/oder andere Briefschreiber) ablöst. Stanzel (2001) 290–294. Zur Unterscheidung zwischen internen und externen Prolepsen siehe Genette (1994) 45–54. Der locus classicus zur Unzuverlässigkeit von Träumen ist Od. 19.560–567. Auch Chion selbst zeigt eine gewisse Unsicherheit, wenn er anschließend im Optativ formuliert: 8 ξ λ $ 0 π . Dies kann man ep. 16 entnehmen. In diesem Brief versucht Chion, Klearchos über den Charakter platonischer Philosophie zu täuschen. Er erweckt den Eindruck, als handele es sich um eine praxisferne, rein geistige Betätigung. Ein historisch informierter Leser hätte von vornherein erkannt, daß eine solche Täuschung unmöglich gewesen wäre. Denn nicht nur Chion, sondern auch der historische Klearchos selbst ist Schüler Platons (sowie des Isokrates) in Athen gewesen (Isoc. ep. 7.12; Memnon FGrHist 434 F 1; Aelian. fr. 89 D.-F.). Siehe Trampedach (1994) 79–87, bes. 84–87. Die Offenheit des Endes wird im übrigen durch eine weitere Unbestimmtheit verstärkt. Der Leser erfährt nämlich nicht, ob Chion mit seinem Täuschungsversuch in ep. 16 Erfolg hatte. Grundsätzlich bestünde also die Möglichkeit, daß Klearchos Chions Absichten durchschaut hat und gegen einen Anschlag gerüstet ist, wodurch Chions in ep. 17 gezeigte Gewißheit als unberechtigt erscheint.
Eine Aufforderung zum Tyrannenmord? Die Doppelbödigkeit der Briefe des Chion
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daß er das Geschenk des Dionysios an Wert bei weitem übertoffen hat. 63 Auch der Abschiedsbrief an Platon ist nicht frei von Eitelkeit. Es drängt sich geradezu der Eindruck auf, als liege dem Schreiber viel mehr an seinem Nachruhm als an der eigentlichen Wohltat für seine Mitbürger. Jedenfalls wird der Schluß ganz von dem Gedanken beherrscht, welche Glückseligkeit und welchen Ruhm er sich erwerben wird (ep. 17.3). Als nicht minder fragwürdig erweist sich Chions Menschenbild. Zwar läßt sich nicht leugnen, daß Chion davon überzeugt ist, seinen Mitmenschen als Philosoph helfen zu müssen, doch offenbart sich als Kehrseite dieser Haltung ein rein utilitaristisches Verständnis. Jeder Mensch wird von Chion nach dem Kriterium der :) bemessen. Nur wer Wohltaten erweisen und zurückgeben kann, wer sich nützlich macht, findet in Chions Augen Gefallen.64 Dadurch gesellt er sich letztlich zu dem Händler Archepolis, den er eigentlich verachtet (ep. 7.2; vgl. ep. 11). Ein schwerer wiegender charakterlicher Mangel wird überdies in dem Briefpaar ep. 7 und 8 sichtbar, als Chion seinen Vater über Archepolis informiert. Obwohl es lobenswert erscheint, daß Chion die Feindseligkeiten eines anderen durch Wohltaten vergilt – dies soll freilich auch unbedingt wahrgenommen werden (ep. 7.3) –, ist die Behandlung des Archepolis keine Glanztat. Statt diesem offen zu sagen, was er von ihm hält, gaukelt Chion ihm Wohlwollen vor und läßt ihn durch Täuschung ‹ins offene Messer› laufen, nur um ihn danach um so mehr zu beschämen. Ob diese Methode, andere Menschen zur Einsicht zu bringen, Erfolg hat, ist fraglich. Gerade das mythische Exempel, das Chion bemüht, entlarvt sein unaufrichtiges Vorgehen. Als Chion nämlich seinen Vater in ep. 7 über den Charakter des Archepolis und seine eigenen wahren Absichten aufklärt, weist er darauf hin, daß er ihn nicht wie Bellerophon behandeln wolle (ep. 7.2). Er will Archepolis also keinen Brief mitgeben, der sich gegen den Überbringer richtet. In der Tat, dies wird vermieden. Allerdings handelt Chion kein bißchen besser, als Proitos mit Bellerophon umgegangen ist, da er Archepolis keineswegs wohlwollend zu Matris schickt. Der Unterschied besteht lediglich darin, daß Chion seine Unaufrichtigkeit in einem Vorausschreiben offenlegt und Archepolis dann einen geheuchelten Brief mit auf den Weg gibt. Das Schicksal Bellerophons erweist sich folglich nicht als Kontrast, sondern als Parallele. Was die Philosophie angeht, so mag es in einem Roman nicht unbedingt auffallen, wenn man sehr wenig über Platons Lehre erfährt. Allerdings ergibt sich in der Haltung des Protagonisten zur Philosophie ein unübersehbarer Widerspruch. Seit Chion Xenophon in Byzanz begegnet war, hat er in der Überzeugung studiert, vita activa und vita contemplativa ließen sich miteinander verbinden, der Philosoph müsse sein Wissen auch in die Tat umsetzen. Als dann aber sein Vater ihn bittet zurückzukehren, da die Familie ihn brauche, schlägt Chion ihm diese Bitte ab und kündigt an, weitere fünf Jahre in Athen zu verweilen, 63
64
Den dreißig Minen des Dionysios stellt Chion sein eines Talent gegenüber. Düring (1951) 95 bemerkt, daß dies eine ungeheuerliche Übertreibung sein müsse. Der Inhalt von ep. 10 bezieht sich übrigens auf den Platonbrief 13. Auch wenn die Reziprozität von Gaben in der antiken Freundschaft eine große Rolle spielte (Konstan [1997 ] 78–82), ist auffällig, wieviel Wert Chion darauf legt, daß ein Freund nützlich sein müsse und stets zu Gegengaben verpflichtet sei. Siehe ep. 2 (Reziprozität von Gefälligkeiten), 3.6 (Nutzlosigkeit des Philosophen), 5 (auch bei Platon geht es hauptsächlich um den Nutzen von Freunden), 6 und 10 (Chion will sich Platon durch Geschenke verpflichten), 11 (ein Mensch wird nützlicher durch Philosophie), 12 (Nutzen für die Heimat) und 17.3 (Wohltaten verpflichten die Empfänger zu Dankbarkeit und Ehrungen). Das utilitaristische Menschenbild spiegelt sich auch in der Wortwahl: :)' und « tauchen in diesem Zusammenhang immer wieder auf (62, 6 f.; 62, 24 und 25; 78, 22; 58, 18; 60, 24).
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da ihm zur persönlichen Vervollkommnung noch Zeit fehle (ep. 11). Der Leser kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Chion die praktische Bewährung seiner Philosophie möglichst lange hinauszögern möchte. Der Brief ist Ausdruck einer Weltflucht, die Chion immer abgelehnt hatte. Daß es sich vielleicht um eine bloße Ausflucht handelt, legt zumindest Chions Reaktion im direkt folgenden Brief nahe. Denn auf die Nachricht von der Machtergreifung des Klearchos hin ist Chion sofort zur Rückkehr bereit und fühlt sich imstande, seiner Heimat zu helfen. Von der Notwendigkeit persönlicher Vervollkommnung als Voraussetzung zum Handeln ist nicht mehr die Rede. Dasselbe zwiespältige Bild hinterläßt schließlich auch der siebzehnte Brief. Zwar bezeugt er die Einheit von Denken und Tat in Chions Lebensauffassung, doch wird sie konterkariert durch den Wunsch, Platon möge bis ins hohe Alter glücklich leben.65 Platon verkörpert also gerade doch den Typus des rein kontemplativen Lebens, in dem für Praxis kein Platz ist. Und Chion heißt diese Lebensweise gut, obwohl er zuvor mehrfach betont hat, daß ein Philosoph nicht am Leben hänge, ja sein Leben für andere opfern müsse (ep. 13.3, 14.3–5, 17.2 f.). Im entscheidenden Punkt war demnach der Lehrer kein Vorbild für den Schüler, dem dieser Widerspruch aber verborgen geblieben ist. All diese narrativen Strategien, die dem ersten Verständnis entgegenarbeiten, heben die spontane Identifikation des Lesers mit dem Briefschreiber zumindest teilweise wieder auf und schaffen eine Distanz sowohl zum Geschehen als auch zum Protagonisten.66 Die Illusion, daß man durch das Medium des Briefes einen unverstellten Blick in das Innenleben des Schreibers gewinnen kann, wird durchbrochen. Man wird sich der Tatsache bewußt, daß ein ausgewogenes Urteil über die Ereignisse und den Plan Chions nicht möglich ist. Wer – vielleicht bei einer Relektüre – diese Hinweise wahrnimmt, wird zur Reflexion über das beherrschende Thema des Romans, das Verhältnis des Philosophen zur Macht, angeregt. Auch wenn Chions Vorhaben dadurch nicht vollends in Frage gestellt wird, verliert der Leser die Gewißheit, die er sich zunächst zu eigen gemacht hat. Die Verbindung von vita contemplativa und vita activa, die im Briefroman als Ideal beschworen wird, gestaltet sich in der Praxis nicht so problemlos, wie Chion meint. Bevor der Philosoph handeln kann, muß er sich möglichst umfassend über den Sachverhalt informiert haben, um die Berechtigung und die Konsequenzen seines eigenen Handelns abschätzen zu können. Gerade dazu ist Chion auf Grund seiner beschränkten Perspektive jedoch nicht in der Lage. Dem Leser bleibt das Unbehagen, daß Chion möglicherweise die Tyrannis des Klearchos falsch einschätzt67 und zudem weniger aus Philanthropie tätig wird als vielmehr aus Ruhmsucht, also persönlicher Eitelkeit. Falls ein Leser der Antike über historische Vorkenntnisse verfügte, muß ihm die Fragwürdigkeit des ganzen Unternehmens um so deutlicher ins Auge gefallen sein. Er wird nämlich gewußt haben, daß Chion ein sinnloses Opfer dargebracht hatte. Da den Tyrannenmördern offenbar ein Konzept für die Zeit nach der Tat fehlte, gelang es den Angehörigen des Klearchos, an der Macht zu bleiben. 68 Vor dem historischen 65
66 67
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; ξ /' , τ P* , λ « 8« "« (ep. 17.3). Siehe Konstan – Mitsis (1990) 272. Ähnliche Distanzierungsmittel hat Längin (1998) in den Platonbriefen gesehen. Sofern einem antiken Rezipienten doch bekannt war, daß auch Klearchos bei Platon studiert hatte (siehe oben Anm. 61), dürfte er erst recht im Zweifel gewesen sein, ob es berechtigt war, daß ein Platonschüler jemanden, der trotz oder auch auf Grund platonischer Philosophie Tyrann geworden war, umbrachte. Vgl. Konstan – Mitsis (1990) 277. Siehe oben Anm. 16.
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Hintergrund fällt auf, daß es auch dem fiktiven Chion des Romans gänzlich fern liegt, über die Konsequenzen seiner Tat nachzudenken. Er ist lediglich von dem Willen beseelt, den Gewaltherrscher aus dem Weg zu räumen, ohne sich grundsätzlich Gedanken über die richtige Herrschaftsform zu machen. 69 Der Autor der Chionbriefe hat durch erzählerische Mittel in seinem Werk zwei verschiedene Arten der Lektüre angelegt. Die sympathetische, auf Identifikation angelegte Lektüre wird überlagert von einer zweiten, distanziert-reflektierenden, die sich auf die den Briefen innewohnenden Brüche stützen kann. 70 So kommt es zu einer Doppelbödigkeit, welche die auf den ersten Blick einfache Aussage des Werkes in Frage stellt.
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Altman, J. G., Epistolarity. Approaches to a Form, Columbus (Ohio) 1982. Arndt, C., «Antiker und neuzeitlicher Briefroman. Ein gattungstypologischer Vergleich», in: N. Holzberg (Hg.), Der griechische Briefroman. Gattungstypologie und Textanalyse (Classica Monacensia 8), Tübingen 1994, 53–83. Bal, M., Narratology. Introduction to the Theory of Narrative, Toronto – Buffalo 21997 [ ND 2002]. Berve, H., Die Tyrannis bei den Griechen, 2 Bde., München 1967. Billault, A., «Les lettres de Chion d’Héraclée», in: REG 90, 1977, 29–37. Bittner, A., Gesellschaft und Wirtschaft in Herakleia Pontike. Eine Polis zwischen Tyrannis und Selbstverwaltung (Asia Minor Studien 30), Bonn 1998. Burk, K., De Chionis epistulis, Diss. Gießen, Darmstadt 1912. Calas, F., Le roman épistolaire, Paris 1996. Costa, C. D. N. (Hg. und Komm.), Greek Fictional Letters. A Selection with Introduction, Translation and Commentary, Oxford 2001. Düring, I . (Hg. und Komm.), Chion of Heraclea. A Novel in Letters (Acta Universitatis Gotoburgensis 57), Göteborg 1951. Genette, G., Die Erzählung, München 1994. [ frz. Discours du récit, 1972] Genette, G., Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt – New York 1992. Holzberg, N ., «Der griechische Briefroman. Versuch einer Gattungstypologie», in: ders. (Hg.), Der griechische Briefroman. Gattungstypologie und Textanalyse (Classica Monacensia 8), Tübingen 1994, 1–52. Holzberg, N ., «Novel-like Works of Extended Prose Fiction II», in: G. Schmeling (Hg.), The Novel in the Ancient World (Mnemosyne Suppl. 159), Leiden – New York – Köln 1996, 619–653. Howe, H. M., «The Authenticity of the Letters of Chio of Heraclea», in: TAPhA 73, 1942, xxix f. Jong, I . J . F. de, Narrators and Focalizers. The Presentation of the Story in the Iliad, Amsterdam 1987.
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Lediglich in ep. 15.2 ist in völlig allgemeinen Wendungen davon die Rede, daß die Untertanen eines grausamen Tyrannen stärker an die künftige Demokratie denken. In ähnlicher Weise sind in Goethes Werther zwei verschiedene Lektüren angelegt. Die auch vom fiktiven Herausgeber geförderte empathische Lektüre gerät schließlich in eine Aporie. Durch eine Fülle von Verweisen durchkreuzt der Roman die suggerierte Unmittelbarkeit und führt sie als Konstrukt vor, was zum Anlaß einer zweiten, ästhetischen Lektüre werden kann. Siehe Liebrand (1997) 351–358.
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Konstan, D., Friendship in the Classical World, Cambridge 1997. Konstan, D. – Phillip Mitsis , «Chion of Heraclea. A Philosophical Novel in Letters», in: Apeiron 23, 1990, 257–279. Längin, H ., «Erzählkunst und Philosophie in den Platon-Briefen», in: GB 22, 1998, 101–115. Liebrand, C., «Briefromane und ihre ‹Lektüreanweisungen›: Richardsons Clarissa, Goethes Die Leiden des jungen Werthers, Laclos’ Les Liaisons dangereuses», in: Arcadia 32, 1997, 342–364. Moravetz, M., Formen der Rezeptionslenkung im Briefroman des 18. Jahrhunderts. Richardsons Clarissa, Rousseaus Nouvelle Héloïse und Laclos’ Liaisons Dangereuses (Romanica Monacensia 34), Tübingen 1990. Müller, W. G., «Der Brief als Spiegel der Seele. Zur Geschichte eines Topos der Epistolartheorie von der Antike bis zu Samuel Richardson», in: A & A 26, 1980, 138–157. Neuhaus, V., Typen multiperspektivischen Erzählens (Literatur und Leben N. F. 13), Köln – Wien 1971. Rosenmeyer, P. A., Ancient Epistolary Fictions. The Letter in Greek Literature, Cambridge 2001. Stanzel, F. K., Theorie des Erzählens, Göttingen 72001. Trampedach, K., Platon, die Akademie und die zeitgenössische Politik (Hermes ES 66), Stuttgart 1994. Trapp, M ., Greek and Latin Letters. An Anthology with Translation, Cambridge 2003. Ussher, R. G., «Love letter, novel, Alciphron and ‹Chion›», in: Hermathena 143, 1987, 99–106. Voss, E. T., Erzählprobleme des Briefromans, dargestellt an vier Beispielen des 18. Jahrhunderts, Diss. Bonn 1960. Vosskamp, W., «Dialogische Vergegenwärtigung beim Schreiben und Lesen. Zur Poetik des Briefromans im 18. Jahrhundert», in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 45, 1971, 80–116. Würzbach, N., Die Struktur des Briefromans und seine Entstehung in England, Diss. München 1964.
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The Institutions of Ancient Sparta in the Works of Pletho1 Introduction Georgius Gemistus Pletho (1355–26. 6. 1452), known as the «theorist philosopher of Neoplatonism»2, as a Hellene-oriented and progressive philosopher 3 as well as the main contributor to the neoplatonic movement in the West 4, has been distinguished as a polyhistor and a polymath5, as a master and philosopher, as a political and social reformer6, no less than the most prominent representative of the humanist movement that gained momentum in the 15 th century7. In his two memoranda addressed to the Despot Theodore II8 and the Byzantine Emperor Manuel II Palaeologus9, Pletho elaborated a specific programme which would see to the social, economic and military reconstruction and reorganisation of the despotat. This programme was aiming at the mobilisation of all the forces of the region, providing for the engagement of such forces in continuous and efficient efforts with a view to the productive exploitation of the farmlands of the country10, the stimulation of its economics and furthermore, in the renaissance of the nation in such a manner that each and every citizen would be engaged in his own exclusive duties11 and the army, consisting of indigenous people instead of foreign mercenaries 12, would be in a position to face the threats and dangers besieging the nation. These thoughts of Georgius Pletho, regarding the reconstruction of the despotat, form part of a broader programme for the reconstruction and the reorganisation of the «great» («) and «greatest» ( «) politeia13, where true prosperity14 abounds, a city which is endowed with all characteristics typical for the Laconian city except for excessive training, which is not welcomed by the majority of the people, as Pletho points out15. 1
2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Editor’s Note: according to the explicit wishes of the author quotations from ancient Greek texts are accentuated in compliance with the standards of modern Greek, which means that the syllable bearing the stress will be furnished with an acute whereas spiritus or grave or circumflex are being dispensed with. Masai (1956, 87). Bargeliotes (1989, 30–31). Bargeliotes (1993, 104). Sathas (1868, 9). Papacostas (1968, 227). Genakoplos (p. 35). Lampros (1930, 113–135). Lampros (1926, 246–265). Lampros (1926, 261,4–5). Lampros (1930, 121,2–4). Lampros (1930, 121,14–16). Lampros (1930, 130,12–16). Gemistus (1858). Gemistus (1858, Introduction).
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Pletho’s reference to the governmental system of Sparta in the «Introduction» of his «Nomon Syngraphe» as well as his other numerous references to the history of Sparta and to the prominent lawgivers and kings of this city, in memoranda, monodies and orations has given us the motive to review his propositions in the light of Spartan history and economy. Throughout our approach of the present subject, which – to the best of our knowledge – has not yet been studied systematically, I have taken into account the fact that numerous scholars of the Palaeologian era have also made extensive reference to the glorious past of Sparta (part 1), while, in part 2, I have examined the degree of integration of this city’s institutions in the socio-economic programme drawn up by Gemistus. The last part (conclusions) epitomizes the results of our present research.
1. References on Sparta in scholarly texts, before Pletho’s arrival in Mistra The Despotat of Morea, from the mid-14th century in particular and until its conquest by the Turks in 1460 had been an autonomous prefecture of the Byzantine Empire and, under the rule of both the Cantacuzenoi and the Palaeologoi despots, it had been transformed into a stronghold of resistance of the Byzantine Greeks against both the Franks and the Turks. The Despotat of Mistra16, over which – after the battle at Pelagonia in 1259 and the ensuing recapture of the castles of Monemvassia, Geraki, Mistra and Mani17 – the Byzantines managed to gradually gain dominion18, witnesses a cultural and urban development and expansion19, following the arrival of Manuel Cantacuzenus in 1348. There, at Mistra, and at the court of both Manuel Cantacuzenus20, who ruled from 1348 until 1380, and his brother Matthew21, who succeeded him as a ruler until his death in 1383 a group of scholars with a keen interest in ancient Greek letters is formed. The most prominent members of the group in question are the following men: Georgius Gavrielopoulos, better known as Georgius Philosophus, Manuel Raul Metochites, Emmanuel Raul, Ioannes Lascaris Kaloferos, Manuel Tzykandyles and the monk Agathias22. Those scholars sought refuge in Mistra, because it was impossible for them to remain in Constantinople, for a variety of reasons, be they political, theological or philosophical. «The Court of the Despotat», as Vasiliev points out, «at the castle of Mistra was a cultural centre which attracted Greek scholars, sophists and courtiers. It is mentioned that during the 14 th century there existed, at Sparta, a School of scribes of old manuscripts»23. The person best suited to offer testimony of the existence of such scholars and the study of ancient Greek writers was Demetrius Cydones 16
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For a detailed registration of the literature concerning Mistra, see A. G. Savvides, Medieval Peloponnesian bibliography for the period until the Turkish conquest of the 15th century (AD 396–1460). Athens, Library of Bookfriends [ M M « 7 ], esp. 34–38. Savvides (2000). X M «, 4329–31. Cf. Dion. Zakythinos (1932, 14 ff.). Failler (1948, I, 123). Leontiades (1992, 385). Kontoyiannopoulos (1999). Johannes Cantacuzenus recognized the significance of the Peloponne for the Byzantine State. Historia, ed. Bonnae III, 85, 3–14. For Manuel Cantacuzenus (1326–1380), son of John, on the promotion of the Letters, see Nicol (1968, 122–125). Runciman (1980, 53–56). For Matthew Cantacuzenus (ca. 1325–1383), cf. Nicol (1968, 108–122). Mergiali-Phalaga (1991, 242). Vasiliev (1953, 763).
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(1324/25–1397/98), who sends letters to scholars at the court of the Cantacuzenoi at Mistra as well as to Theodorus I Palaeologus. At some point in his correspondence with Georgius Philosophus, around 1363/65, Cydones writes: «You were imagining that the island of the Peloponnesians was similar to the island of the Blessed. You believed, from your extreme love and affection for whatever was Greek, that the ground of Sparta was capable of bringing Lycurgus back to life before your very eyes. Convinced that you could consort with him and listen to him recite his famous laws for their wisdom, filled with joy you jumped on the trireme, filled with joy you took your distance from your friends»24. Being an enthusiastic follower of Plato’s philosophy 25 Georgius Philosophus26 will consort with Manuel Raul Metochites 27, yet another Platonist and a close friend of the Despot Manuel Cantacuzenus; Metochites is particularly appreciated by Demetrius Cydones who praises him for his attempts to imitate the style as well as the language of Demosthenes 28. Ioannes Lascaris Kaloferos29, a close friend of Demetrius Cydones, was also committed to the study of philosophy. He asks the monk Agathias to delight him with news on his own people, « , « « , « E « « »30. Cydones’ above mentioned reference to Sparta and the lawgiver Lycurgus, just like the respective references of all the other scholars, is the continuation of a long standing tradition in Byzantine letters. On a purely geographical or regional level, Lacedaemon-Lacedaemonia31 was initially an episcopate 32 and – from the 11 th century onwards – a diocese, easily defined as part of the Peloponnesian thema (province) 33. On a secondary level, we realize an «eidolon» of Sparta. The case of Nicetas Magister is quite characteristic: although he was in exile, he refused the financial aid forwarded by one of his friends on the sole grounds that he was a Spartiate34 and this very fact was creating a moral obligation to him to follow Lycurgus’ law according which « » 35 (the city is to be bare of gold). The thematic element we need to focus on here is the fact that this refusal is based on an ideological scheme, immediately comprehensible to both Nicetas Magister and the recipient of the former’s letter, that is to Magister’s patrician friend and mystic Ioannes; in other words, the refusal is based on the image of a historical Sparta considered as ideal moral stance, where the citizens « « » 36. 24 25
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Demetrius Cydones, Correspondance in: Loenertz (1956, No 32, p. 63, 16–22). Demetrius Cydones, Correspondance.in: Loenertz (1956, No 33, 64,4–5): «A’ , P « « « « M« « …». Tinnefeld (1972). Fassoulakis (1973, 54, No 38). D. Cydones, Correspondance, vol. II, in Loenertz (1956, No 150, 19–20). Eszer (1969). D. Cydones, Correspondance, in: Loenertz (1956, vol. I, No4, p. 26, 18–20). Zakyhinos (1957). Vassilikopoulou-Ioannidou (1979). Laurent (1961). Laurent (1963). Koutrakos (1992, 223–224). Koutrakos (1992, 223). For the Peloponnesian theme, cf. Nicoloudis (1998, 337–338). Nicétas Magistros, Lettres d’ un exilé (928–946), in: Westerink (1973, 57), lettre 2/10: «… « … « «, A « « « …» Nicétas Magistros, Lettres, in: Westerink (1973, 57, 2–4). Nicétas Magistros, Lettres, in: Westerink (1973, 57), lettre 2/15.
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All influences and grammatological references to the classical tradition, characteristic for the style of correspendance of this era, are focusing on the image of the ideal Sparta, based on the writings of Plutarch37. We must not underestimate the fact that Nicetas himself, during his exile, had Plutarch’s Lives 38 in his possession, a fact that facilitated his explicit references to historical Sparta. In Byzantine letter-writing, it is quite common to find frequent references to the historian from Chaeroneia, as we see in Photius39, Theodosius Diaconus40 and lateron in Pletho himself, who describes Plutarch in terms of a « » 41 (a most successful philosopher). During the rule of the Palaeologean despots, who were close relatives of the Byzantine emperor, the fight against the Frank invaders was intensified and eventually resulted in the liberation of the Peloponnese. At the same time, the deadly threat of the Turkish presence 42 became more than obvious and subsequent efforts were made with a view to military training and preparations. These very critical moments, i.e. the period shortly before the conquest of Constantinople by the Ottomans, during which the Byzantine empire had been reduced to a sad shadow of itself, is frequently referred to by scholars of the era, as we witness in their referenda, encomia and letters, which shed some light on the historical and socio-economic framework of the time as well as on the problems and the agonies of Byzantine Hellenism in mid-15 th century. Scholars of this period became fully aware of the problems of their times and in their writings they express their concern by recommending various economic, social and military reforms which should lead to the salvation of the Peloponnese and, by association, of the whole Byzantine state. We witness a deliberate and conscious attempt to link, again, cultural tradition to the standards 43 of classical Greece and an evocation of ancient Sparta and its lawgiver Lycurgus. Typical in this sense are the writings of Ioannes Dokeianus 44, Demetrius Chrysoloras 45 and Georgius Gennadius Scholarius46, addressing the sons of the Byzantine emperor Manuel II. The writings – memoranda of Pletho and those of his pupil Bessarion stem from the same tradition.
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Nicétas Magistros, Lettres, in: Westerink (1973, 57), lettre 2/12. Plutarch, Lycurg, 5. Herodotus, Histories I 65, 3. Nicétas, in: Westerink (1973, 77), 9/29–30: « X (P ), P () !« …». Koutrakos (1992, 226). Photius, Library, vol. II, pp. 126–127. Panagiotakes (1960, 94). Plethon, N …, op. cit., Book I, ch. II. Evrenos Bey invaded the Peloponnese during the years 1387–1388,1394–95 and 1396–98. Schreiner (1977, 335, 354 ff., 360 ff.). Savvides (1998). We observe a corresponding deliberate and conscious attempt to link cultural tradition to the standards of Classical Greece by the scholars of Thessalonica in the first half of the 14 th century. Runciman (1952). Pantazopoulos (1979 2, 132–170). Joh. Dokeianos «E K P (1449–1450)», in: Lampros (1912, 221–231). D. Chrysoloras « « , « M P», in: Lampros (1926, 222–245). Lampropoulos (1991).
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2. The place ancient Sparta and Lycurgus hold in Gemistus’ works Pletho digs deep into the problems of his times and by way of his proposals and measures, he aims at making not only the Greeks but mankind in general happy and prosperous: «« « « « « « "» 47. With his «Book of Laws» (N ) the polymath of Mistra tried to lay the foundation of the «greatest city», in which – in his own words – « « «» 48 (living in prosperity is a common wish of all people). For the planning of such a «great»49 and «most great»50 city, which can be established solely by means of virtue, our philosopher attempts a review of the Greek past: the Sparta of Lycurgus, the Thebes of Epameinondas and the Macedonia of Philipp and Alexander achieved their prosperity because they all had the necessary features of a great politeia 51. Pletho focuses his interest on Lycurgus, one of the most prominent lawgivers52 and makes efforts to imitate him. According to one approach, the Laconian politeia is God-given; it originated from Apollo, « « P«» (by Pythia). In one of the most important passages, Herodotus presents the view of «some people», according to which « (sc. # ) P, » 53. Thus, Lycurgus, a friend of the Gods, appears to have been the recipient of the oracle. He is considered and recognized as the one who created the politeia of Sparta. According to Herodotus 54, it was Lycurgus who made the Spartiates walk «« »55. This opinion of Herodotus is shared by Xenophon, who was thrilled by the «achievements of the Spartans». The virtue of these Spartans achieved to make « E »56. Lycurgus, described by Xenophon as «« ( ) «» (wise to the fullest), without adopting any elements from elsewhere and, on the contrary, establishing laws which differed markedly from those valid in most other cities, lead Sparta to the greatest degree of well-being and prosperity 57. Xenophon uses such words as « » (set), «»(did), « » (promised), «"» (thought), « » (said), « » (committed), «» (knew), « » (devised), « » (promulgated), «» (turned), « » (made lawful), « » (attributed), « » (attacked)58.
47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58
Plethon, N …, op. cit., ed. Alexandre, p. 248. Plethon, N …, op. cit., ed. Alexandre, p. 16. Cf. Tatakis (1977, 280 ff.). Basilaros (1992, 647–648). Lampros (1930, 125,3,6. 129, 17–18). Lampros (1930, 129,22–23,), (1926, 310, 7). Lampros (1926, 116,24–117, 25. 310, 5–6). Plethon, N …, op. cit., Book I, ch. II. Herodotus, Histories I 65,4. Plutarch, Lycurgus, 5–6. Pausanias, Laconica 2,4. Herodotus, Histories I 65,2. Mikrogiannakis (1981–82, 250–251). Xenophon, Lakedaimonion Politeia I 1–2. Cf. also Plutarch, Lycurgus 12, 8. Plutarch, Apophthegmata Laconica 226B. For a collection and taxonomy of Xenophon’s expressions in «Lacedaimonion Politeia», cf. Mikrogiannakis (1981–82, 251).
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The polyhistor of Mistra also appears in the capacity of a maker of politeia; in his two memoranda, the first addressed to the emperor Manuel II and the second addressed to the despot Theodore II, and in his epistle initially addressed to Manuel59, he proposes specific measures of economic, social and military character with a view to the reorganisation of the despotat. In order to establish a link between the glorious past of ancient Sparta and the historical reality of his own times, Gemistus creates a series of equations, by making leaps in time and history. More specifically he adopts the following tenets: the King rules over the Greeks60 the Peloponnesians were Hellenes from the very beginning61 the city of Byzantium has been founded by Peloponnesians62 the transfer of Old Rome to New Rome (Byzantium) was accomplished by Peloponnesians63 e) Peloponnesians were the descendants of Trojans and Sabines64 f) Peloponnese was the mother of Constantinople a) b) c) d)
In this historical review the reference to Rome aims at either justifying or confirming the views of Polybius65, according to whom the Romans reached the same system of government as the Laconians, on the basis of observation and reasoning. According to Cicero 66, the Romans were observing their battles and their actions in general and, having reached «», in other words, being aware of what they were doing, of what was happening, the Romans were taught by them, selecting the best elements for the establishment of their politeia. In the long run, what the Romans were doing, is « » (selection of the best), according to Polybius, derived from reasoning; they differed from the «logos» of Lycurgus or the «ingenium unius» according to Cicero only insofar as the logos of Lycurgus on the one hand comes ahead of and defines the life of the politeia, while the Roman «ingenium unius» on the other hand follows and reflects on the facts 67. In this specific perspective, Gemistus, reflecting on these facts, comes close to meet Cicero’s thought. This synthesis of Gemistus, taken from the classical education and legacy, allows him, according to Lenos Mavromates68, to present a series of reforms in a clear ideological way. These proposals of reform that Gemistus submitted have been inspired by the institutions and the governmental system of ancient Sparta. The analysis of the institutions of Sparta and the projection of such institutions into the works of Gemistus will take place on two levels: a) on a purely political level and b) and the level of social and economic policy.
59 60 61 62
63 64 65 66 67 68
Lampros, (1926, 309–312). Lampros (1926, 247, 14–15). Lampros (1926, 247,15–248,2). Lampros (1926, 248,10–17). Cf. also the panegyric oration written by an anonymos to Manuel II and John VIII Palaiologoi, in: Lampros (1926, 149,24–28) that the Dorians established Constantinople. Lampros (1926, 248,16–249,1). Lampros (1926, 249,2–4). Polybius, Histories VI 10, 12–14. Cicero, De republica II 2. Mikrogiannakis (1981–82, 257). Mavromatis (1990, 263–264).
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2.1 The system of government of Sparta and the political proposals of Gemistus Gemistus promotes monarchy as the best system of government. He bases this attitude on the understanding that monarchy, which is described as « »69 (being the safest and most beneficial), finds approval « »70 (with all those who think of the best). The monarch will be surrounded by a council: the number of advisors must certainly be restricted; however, it must be sufficient, and its members should be of average financial status and of excellent education71. The establishment of the Spartan «politeia» has been based on the Great Rhetra of Lycurgus72, by way of which the political bodies of Sparta were defined and which were the following: the kings, the gerousia (elders) and the apella (the assembly or ekklesia of the Spartans). The gerousia was the highest political institution together with the kings of the «politeia»73. It consisted of 28 members 74, but did not have any responsibilities, and membership was for life. These members were elected by the ekklesia amongst the best of the best and the wisest of the wisest inhabitants of Lacedaemonia: « «
« « « «» 75. The gerousia forms a historical precedent of Gemistus’ proposal to establish a monarch’s council. In addition to the Great Rhetra, quite characteristic were all the minor rhetrae which have been attributed to Lycurgus and which delineated, to the best of their regulations, the organisation of the governmental system of Sparta76: a) « « «», a regulation which essentially prohibited written laws, b) « « «», a regulation directly linked to the prohibition of use of gold or silver coins except of the use of iron bars77, c) « « « « , " » 78. Gemistus proposes the introduction of laws by the government authorities, to the benefit of the citizens. The existence and application of great laws would contribute to the smooth and frictionless function of monarchy, the best advisors will make great 79 (««») laws, that is, applicable laws. From this point of view, Gemistus departs from the institutions of Sparta. It is interesting to study those parts of his writings which relate to the curtailment of luxury and the introduction of currency, proposals which constitute the main part of Pletho’s economic reforms.
69 70 71 72 73 74 75 76
77 78 79
Lampros (1930, 114, 2–3). Lampros (1930, 119,2–3). Lampros (1930, 118,24–119,19). Plutarch, Lycurgus, 6. Polybius, Histories VI 45. Plutarch, Lycurgus, 5,6. Herodotus, Histories VI 57,5. Plato, Nomoi 692a1. Plutarch, Lycurgus, 5,6. Plutarch, Lycurgus, 26. Plutarch, Lycurgus, 9,13. Plutarch, Apopthegmata Laconica 226C, 227D. Xenophon, Lacedaimonion Politeia VIII, 5–6. Plutarch, Lycurgus, 9. Plutarch, Apopthegmata Laconica 226C. Plutarch, Lycurgus, 13. Plutarch, Apopthegmata Laconica 227D11. Lampros (1930, 119, 120, 121, 3, 129,19).
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2.2 The economic system of Sparta as ideal of the economic proposals of Georgius Gemistus Pletho, in a systematic and – in a number of cases – pressing manner refers to the need to curtail luxury. More specifically, in his memorandum to the Despot Theodorus II Palaeologus, he proposes a ban on imported goods of luxury-goods and on imported goods of primary necessity80. At the same time, he proposes the introduction of a single currency and the restriction of the circulation of multiple foreign currencies. Lords, when inclined towards silver and gold, neglect their security which is at the same time that of children, and, by association, that of the whole country and its freedom81. He characteristically writes that lords should follow the example of the «hegemonic eagle», the sacred bird of Zeus82, instead of that of the «glittering and gold-plated peacock» 83 and they should refrain from fancyful attire and a sumptuous life-style. In his memorandum to the emperor Manuel II he proposes a ban on foreign currencies84, the regulation of imported and exported goods and the exchange of goods with a view to reducing luxury85. These proposals of Gemistus are clearly inspired by the laws of Lycurgus 86. Of course, Pletho does not propose the introduction of iron currency, the way Lycurgus did in the form of obols, a currency suitable only for small-scale transactions87. «Even the amount of ten minae», says Xenophon88, «could not, if kept in the house, be looked after by both the masters and the slaves, for it would occupy much space, and chariots would be necessary for its trasportation». Gemistus is aware of the Spartan currency and his suggestion of trading in goods in the import – export domain seems to be influenced by Lycurgus. Essential for the whole social tissue of the Spartan politeia has been Lycurgus’ regulation with regard to the « « « « « « «»89 ([ he made] a redistribution of the land, by giving equal lots of land out to all the citizens), so that by way of such redistribution of land – of farmland obviously – into lots, the equality of all citizens would be ensured: « " ’ « « « « « «»90, (and [they] lived with each other in harmony, by having equal lots of land for life) which related to the broader equality of lots in both terms of value and size; this equality of lots has been considered as particularity
80 81 82 83 84 85 86 87
88 89 90
Lampros (1930, 124,11–16). Lampros (1930, 133,8–10). L. Bargeliotes (1989, 67). Lampros (1930, 133,10–11). Lampros (1930, 133,13–16). Lampros (1926, 262, 14–262, 3). Lampros (1926, 263,3–264,12). Plutarch, Apopthegmata Laconica 226D, 226E5. Plutarch as well as others gives us different versions of the way Lycurgus handled the issue of money; in Lysander’s Life 9, we learn that there was no money and that all commercial activities were effected by way of exchange of goods and that this in itself eliminated any unnecessary activity in Sparta. In his Apopthegmata Laconica 3, 226C, Plutarch mentions that Lycurgus had withdrawn all gold and silver coins and had enforced the use of iron coins. These weighed as much as an Aeginite mina while their value equalled four bronze coins. Plutarch, Apopthegmata Laconica 3, 226D. Xenophon, Lacedaimonion Politeia VII 5. Plutarch, Apopthegmata Laconica 2, 226B. Plutarch, Lycurgus 8. Plutarch, Lycurgus 8.
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of the governmental system of Sparta 91. This way, it was understood that land could not be an object of commercial transaction. The reform of the system of land ownership is a paramount element of the «great politia» 92. Of the two systems, which were available to bridge the gap between theory and reality, that is common ownership of land and common use of goods, Gemistus opted for the middle ground: a proposal which, without abolishing the institution of land ownership, recognizes the fact that the owner of land is in any case one who is « «» i.e. preselected, and one that wants to cultivate the land and more so, one who owns as much land as he is capable of cultivating. According to N. Pantazopoulos 93, the proposal of Gemistus recognizes and favours the Greek principle of horizontal ownership, to the detriment of the application of vertical ownership provided for in the Roman Law 94. Pletho’s proposals for the reform of land ownership meet the reform of Lycurgus and the ownership status quo in Sparta to the extent that in both these socioeconomic systems, land does not form the object of business transactions. In his memorandum to the Byzantine Emperor Manuel, our Philosopher proposes a distinction of the population according to everybody’s occupation, between « «»95 (workers) and « «»96 (custodians), in other words – between soldiers and tax payers. The workers are described as « «»97 or « «» 98 (helots), and their sole duty is to provide for the soldiers and the soldiers’ families 99. The term «helots» that Pletho uses refers to the social reality of Sparta and establishes one more time the influence of Spartan institutions on him. The society of ancient Sparta consisted of the Spartiates, the perioeci and the helots. The latter had been indigenous people of Laconia and Messenia, before the advent of the Dorians, and did not belong to any tribal unit100. They were farmers, lived in small settlements and in the fields of Laconia and cultivated the plots of land allotted to the Spartiates. However, they did not belong to any particular Spartan, since they were public slaves 101. The helots were forced to transfer a part of their income and produce as tribute to the Spartiates. The amount of the tribute could vary, with the helots from Messenia paying half their produce of soil to their Spartan overlords, while those of Sparta itself were paying only one third102. Gemistus’ proposal with regard to the division of the population into soldiers and tax payers should be seen in the light of the term «helots». It is quite legitimate to assume that Pletho had the respective legislation of Sparta in mind. More specifically, Aristotle provides relevant information that the Lacedaemonians were attempting to pass laws to differentiate custodians from farmers 91 92
93 94
95 96 97 98 99 100 101 102
Nakos (1986, 97). The expressions «» and « » are used by Gemistus several times. Cf. Lampros (1926, 310,16–17), (1930, 129, 20–24, 130, 12–16). Pantazopoulos (1979, 178–179). For a recent evaluation of Gemistus’ ideas on property, see Spentzas (2000, 233–239). Baloglou (1999–2000). Lampros (1926, 255,1). Lampros (1926, 255,3). Lampros (1926, 253,20, 255,17). Lampros (1926, 255,17–256,1). Lampros (1926, 253,17–254,10). Plutarch, Lycurgus 2. Plutarch, Lycurgus 16. Tyrtaios, 5,1–3 D=6W. Lotze (1959, 26 ff.). Bengtson (19912, 111). Papastavrou (1968, 107).
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in such a way that the former could not interfere with the occupation and duties of the latter and vice versa: « « «’ # » 103. In direct relation to the issue of grouping the population into workers and soldiers stands the issue of reshaping and redefining the relations between them. Such reshaping and redefinition takes place on the basis of collective solidarity. One worker corresponds to every soldier and two workers to every horseman. Their roles may change from time to time104. This proposal of Georgius Gemistus is close to the organisation of the Spartan army during the campaign of Mardonius in Greece in 480–479 BCE. More specifically, we know from Herodotus 105 that the Lacedaemonians assembled 5,000 lightly armed helots. There were seven helots attending each Spartiate. This remark is of fundamental importance, because it demonstrates that Gemistus suggested a helot – soldier relation similar to the one of the ancient Spartans, except for the ratio of helots per soldier. In the same spirit of creating an army or strengthening it is Pletho’s proposal for the establishment of a cavalry. Pletho once again resorts to the history of Sparta and emphasizes the bad condition in which the Spartan cavalry was found; the two passages we quote hereby are eloquent: «… « # « ’ . ’E
« « […] ’ » 106 and « ’ «, « « , « « ’
«»107. These two excerpts clearly betray Xenophon’s influence on Pletho. It was precisely Xenophon who described both the invasion of Cleombrotos from Phocis into Boeotia (in order to force the Thebans to adhere to the terms of peace) and the defeat of Lacedaemonians at Leuctra in 371 BC 108. Directly related to the military reorganization of the Despotat of Morea is the issue of erecting defensive walls to protect the Isthmus [of Corinth], an issue frequently raised in the writings of Pletho. Gemistos repeats again and again in an epistle towards the Byzantine emperor Manuel109 and later on in his memorandum to the same110 the necessity to guard the Isthmus. In his proposal, Pletho was guided by the history of Sparta as well as by the emperor Justinian. The urgency of a fortification of the Acrocorinth and the Isthmus had been recognised by Aratus of Sicyon; when elected strategos (general) of the Achaean League in 243 BC for the second time, Aratus supported a campaign to recapture the Acrocorinth, then at the hands of the Macedonians111. Pletho emphasizes the recapturing of the Acrocorinth by Aratus and makes the following comments: «For, the Isthmus on the 103 104 105 106 107 108 109 110
111
Aristotle, Politics II 5, 1264 a9–11 Lampros (1926, 256,5–17) Herodotus, Histories VIII 27–28. Xenophon, Hellenica VI 4,10–11. Lampros (1930, 117). Baloglou (2002, 189, note 19). Lampros (1926, 310–311). Lampros (1926, 252,15): « , « ». Lampros (1926, 252,15): « « «». Lampros (1926, 253,7–9, 261,10). Plutarch, Aratus 16,2.
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one hand blocks the seas, connects the lands at the same point and unifies our country, while the Acrocorinth on the other hand, a high mountain raising in the middle of Greece, when guarded, it blocks the area south of the Isthmus, by barring communication, passages and military campaigns both on land and at sea and by establishing one single lord and master, who holds the place by garrison in such way as to prove that Philip the Younger did not make jokes by repeated calling the city of Corinth a block of Greece» 112. The significance of the Isthmus for the domination of the Peloponnese was clear to King Cleomenes III (who reigned from 235 to 222 BC); during his war against Aratus and the Achaean League, Cleomenes tried to keep the Isthmus under his control at all costs 113. In order to keep the Isthmus of Corinth under control, Pletho suggests the establishment of an army of 6,000 men114. This number brings Pletho close to King Cleomenes who, after having granted freedom to a total number of 6,000 helots115, armed 2,000 of them in order to face the outnumbering forces of Antigonus Doson. We notice here that Cleomenes’ reform influenced Pletho. The whole approach of Cleomenes consisted of creating a well trained army, prepared for war. To achieve this goal, he realized that it was necessary to modify the status quo of land ownership and that is why he eventually carried out a «reallotment of land»116. Pletho does not go as far as proposing a similar redistribution of land, but by way of his own measures, he transforms land into public property and does not obstruct the land on ship of the inhabitants of the despotat 117.
3. Final conclusions It has been rightly claimed that Gemistus demonstrated his preference to Sparta and its institutions. In his «P » (Address) to the Despot Demetrius Palaeologus, which was written after the termination of the civil war between the two brothers118, Thomas and Demetrius, Pletho condemns the behaviour of the Athenians, who in the year 416 BC attacked the island of Melos119 and in the winter of 416/415 « M « « , « « » 120. Unlike his attitude towards the Athenians, Pletho praised the behaviour of Sparta, which although victorious in the Peloponnesian war, did not proceed to destroy Athens completely, but only enforced « M T » 121. For this reason, Pletho praises Demetrius who came in touch with his brother and achieved peace with him, following the example set by his Spartan ancestors 122. 112 113 114 115 116
117 118 119 120 121 122
Plutarch, Aratus 16,5–6. Plutarch, Aratus 41. Lampros (1926). Plutarch, Cleomenes, 23. For a recent evaluation and analysis of Cleomenes’ economic reforms, see Koliopoulos (2001, 329–333). Baloglou (2001, 106–119). Cf. Katsafanas (1990, 167–168). J. Voyatzides «Introduction to the fourth volume», in: Lampros (1930, at pp. "’- ’). Thucydides, Histories V 84–116. Thucydides, Histories V 116. Lampros (1930, 208, 23–24) compared to Xenophon, Hellenica B II 20 and Plutarch, Lysander 14. Lampros (1930, 208,28–209,4). Cf. compared to Aristophanes, Ploutos 1146. For a recent analysis of Gemistus’ ideas and proposals in this address, see Baloglou (2002, 115–118).
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Thus, Pletho’s intellectual edifice has borrowed multiple elements from the history of Sparta and from Spartan institutions and integrated them successfully into his own proposed measures of reorganisation.
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Die Zähmung der Penelope: Monteverdis Il Ritorno d’Ulisse in Patria und Homer im Venedig des 17. Jahrhunderts*0 1. Frauen in den homerischen Epen
Sehr unterschiedliche Frauengestalten begegnen dem Leser in den homerischen Epen Ilias und Odyssee. In der Ilias bleiben die Charakterzüge von Frauen oft blaß: Sie sind Statisten, um die sich die Handlung des Epos entwickelt, ohne daß sie selbst maßgeblich in deren Verlauf eingreifen.1 In der Figur der schönen Helena, einer der prominentesten Frauen der Ilias, finden wir ein deutliches Beispiel: Sie verläßt ihren Mann, König Menelaos von Sparta, und ihre Tochter, um mit dem schönen, charmanten, aber eher unfähigen trojanischen Prinzen Paris durchzubrennen. Ihr rechtmäßiger Gatte löst daraufhin den epischen Krieg aus, um Ehefrau und Ehre zurückzuerlangen. In den Worten, welche das Epos Helena in den Mund legt, sieht sie sich als Spielball der Götter. Diese hätten sie verblendet, sie in die Irre geführt, sie umgetrieben: Sie sei Opfer göttlicher Tücke, passiv und schuldlos. 2 Ein ganz anderes Bild begegnet uns in der etwas später entstandenen Odyssee. Hier treffen wir aktive Frauen, die Situationen abwägen, Entscheidungen treffen, danach handeln und mit den Ergebnissen leben. Die Figur der Penelope tritt deutlich hervor: Mit Penelope im Palast beginnt und endet das Epos. 3 Sie ist mit Odysseus verheiratet, welcher vor zwanzig Jahren in den troianischen Krieg gezogen und zehn Jahre nach Kriegsende noch immer nicht zurückgekehrt ist. Seine Gattin bleibt bei Kriegsbeginn mit ihrem kleinen Sohn zu-
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* Prof. Martin Jehne (Dresden), Prof. Fritz Gschnitzer (Heidelberg), Prof. Olga Levaniouk (Seattle) und Prof. Gregory Johnston (Toronto) danke ich für ihre Durchsicht des Manuskriptes und für anregende Diskussionen. Prof. Christoph Riedweg (Zürich) bin ich für eine Reihe interessanter Hinweise zu Dank verpflichtet. Etwaige Irrungen und Wirrungen sind selbstverständlich meine eigenen. 1 Eine Ausnahme bildet hier Andromache, deren Charakter sorgfältiger ausgearbeitet wird als der anderer Frauen. Ein prägendes Charaktermerkmal ist ihre Sorge um Mann und Kind. Die Interaktion zwischen Andromache und Hektor (Il. 16, 369–503) rührt an, ihre Trauer um den Gefallenen bewegt tief (Il. 22, 436–515). Nichtdestoweniger greift sie in keiner Weise in die Handlung des Epos ein – sie verbleibt in aller Regel webend im Frauenteil des Hauses. 2 Helena kann auch etwas aktiver interpretiert werden, was jedoch ihr Abschieben jeglicher Verantwortung auf die Götter nicht ändert, vgl. etwa Winkler (1990: 140 f.) Helena ist nicht die einzige Figur im Epos, welche die Götter vorschützt – so beruft sich etwa auch Agamemnon auf göttliche Verblendung, als er sich dafür rechtfertigt, daß er dem Achill sein Ehrgeschenk genommen habe, Il. 19, 86–89. Einen deutlichen Unterschied sehe ich jedoch in der Art, wie diese Rechtfertigung eingesetzt wird: während andere Charaktere einzelne Entscheidungen auf die Götter zurückführen und damit bestimmte Handlungen rechtfertigen, grundsätzlich aber selbst für ihre Taten einstehen, scheint sich Helena stets auf diese Ausflucht zurückzuziehen. 3 Tracy (1997: 360–379, hier 371 f.).
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rück und hat für Haus, Hof und Königreich zu sorgen – ganz zu schweigen von der Erziehung des Erbprinzen. 4 Die Jahre gehen ins Land, der Sohn wird erwachsen, und vom Vater hat man seit seiner Abreise vor zwanzig Jahren nichts mehr gehört, so daß er für tot gehalten wird. Hierdurch gerät Penelope in eine immer schwierigere Lage: Nach griechischer Sitte wird von ihr erwartet, daß sie ihren Sohn auf eigenen Füßen stehen läßt, sich neu verheiratet und mit ihrem frisch angetrauten Gemahl in dessen Heimat zieht. 5 Da sie eine herausragend schöne, kluge und umsichtige Frau ist, stehen zahlreiche hoffnungsfrohe Heiratskandidaten vor ihrer Tür. Während sie warten, werben und drängen, halten sie sich unter dem Schutz der Gesetze der Gastfreundschaft schadlos: Sie verzehren Odysseus’ Lebensgut, seine Viehherden und die Bestände seines Weinkellers, bis den unfreiwilligen Gastgebern der Ruin droht. 6 Penelope aber ist fest überzeugt, daß ihr Mann noch lebt, und hält ihm die Treue in Erwartung seiner Rückkehr, an welche sie unbeirrbar glaubt. Um sich derweil ihrer Freier zu erwehren, entwickelt sie allerlei Listen und Winkelzüge. Berühmt ist das Weben eines Leichentuches für ihren alten Schwiegervater, welches sie vor ihrer Neuverheiratung und Abreise fertigstellen wolle. Tagsüber arbeitet sie am Webstuhl, während sie nachts heimlich das Gewirkte wieder auflöst, bis ihre Taktik durch den Verrat ihrer Dienerinnen aufgedeckt wird. 7 Eine weitere List besteht in einem Wettkampf mit dem Jagdbogen des Odysseus, von dem sie weiß, daß allein ihr Ehemann ihn spannen kann. 8 Sie gibt vor, denjenigen heiraten zu wollen, der mit dem Bogen durch zwölf von ihr aufgestellte Äxte schießen werde. In Verbindung mit der rechtzeitigen Heimkehr des Gatten, welcher den Bogen spannt und als Instrument seiner Rache einsetzt, bringt dies den Freiern den Tod.
2. Charakterisierung Penelopes in der Odyssee Der erste Auftritt Penelopes in der Odyssee findet sich in 1, 328–335. Hier trägt der Sänger Phemios den Freiern in den Hallen des Odysseus das traurige Lied von der unglücklichen Heimreise der Griechen aus dem troianischen Krieg vor. Die Hausherrin kommt in Begleitung zweier Dienerinnen und gebietet ihm, etwas anderes zu singen: Sein Lied bereite ihr Kummer. Ihr Sohn Telemachos weist sie auf die künstlerische Freiheit hin, die dem Rhapsoden schon zugestanden werden müsse, und auf die Tatsache, daß eben immer die neuesten Lieder in Mode seien. Daraufhin schickt er sie zu ihren Mägden zurück. Penelope er4
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Od. 18, 259–270. In Od. 19, 108–114 vergleicht der verkleidete Odysseus Penelopes Geschäftsführung mit der eines idealen Königs. Od. 18, 268–270. Doherty (1995: 42). Flaig (1995: 364–388, hier 369). Vgl. auch Wickert-Micknat (1982: 109 f.) sowie zur Eheschließung in der homerischen Welt Snodgrass (1974: 114–125, hier 115–125). Trotz des deutlichen Drucks, sich neu zu verheiraten, würde dieses Verhalten für Penelope negative Folgen in Form von übler Nachrede im Volk haben, siehe etwa Od. 2, 136 f.; 16, 73–77 sowie 19, 524–529. Die öffentliche Meinung in Ithaka ist wohl, daß Penelope bleiben solle (Od. 23, 148–151). Dementsprechend befindet sich die Gattin des Odysseus in einer Situation, in welcher sie nicht gewinnen kann. Vgl. auch Flaig (1995: 377). Od. 19, 138–156. Zur symbolischen Bedeutung von Penelopes Weben siehe Silvermintz (2004), der jedoch in seiner Interpretation – Weben gleich Aufbau eines Staates – der Rolle Penelopes im Epos nicht gerecht wird. Nach Heubeck, Hoekstra (1992: 104 f.) eine der am schwersten zu interpretierenden Stellen der Odyssee. Zur Diskussion der stark voneinander abweichenden Forschungsmeinungen siehe dort.
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kennt an dieser Stelle, daß ihr Sohn zum Mann wird. In ihr Gemach zurückgekehrt weint sie sich aus Trauer um den Gatten in den Schlaf. Letzteres ist ein für Penelope typisches Verhalten: Als Formelvers taucht diese Szene immer wieder auf.9 Penelope hält sich also zumeist im Frauenteil des Hauses auf und beschäftigt sich mit den Aufgaben der Frauen, wie man es von einer anständigen Frau erwartet. Aber zugleich bewegt sie sich frei zwischen den Bereichen: Sie erscheint im Männerteil, um nach dem Rechten zu sehen, und greift in das Geschehen ein, wenn es ihr angezeigt scheint. Penelopes erster Auftritt in dem Teil der Odyssee, welcher von den Ereignissen auf Ithaka nach der Ankunft des Odysseus berichtet, charakterisiert ihr Wesen noch deutlicher. Sie hat von einem geplanten Attentat der Freier auf ihren Sohn erfahren und stellt diese deswegen zur Rede, wobei sie für ihren Zorn sehr deutliche Worte findet.10 Sie greift sich den Rädelsführer Antinoos heraus, der in der Schuld des Odysseus steht, und rügt ihn gehörig und öffentlich. Ein anderer Freier, Eurymachos, welcher der Familie des Odysseus seit seiner Kindheit eng verbunden ist, stellt ihren Sohn schließlich unter seinen Schutz. Er kündigt demjenigen blutige Vergeltung an, der es wagen sollte, Telemachos zu schaden. Dabei offenbart er sich als Betrüger, denn auch er plant den Tod des Erbprinzen.11 Im Ernstfall – der Gefährdung des Lebens ihres Kindes – setzt sich Penelope über alle Normen hinweg und schafft klare Verhältnisse. Ebenso wie Odysseus auf seinen Irrfahrten Geschenke einsammelt, wo er nur kann, fordert Penelope unverblümt von den Freiern Gaben, um den Schaden möglichst gering zu halten, welchen sie dem Haushalt zufügen.12 Somit offenbart sie ihre fortdauernde Sorge um den Besitzstand des Odysseus, den sie wohl auch als den ihren begreift. Dies zeigt, daß sie nicht die Absicht hat, den Palast zu verlassen. Als Odysseus zurückkehrt, schenkt sie den Aussagen ihres Sohnes und der treuen Dienerin Eurykleia, daß ihr Gatte im Hause sei, zunächst keinen Glauben. Statt dessen prüft sie den Fremden selbst, bis sie gewiß sein kann.13 Penelope vertraut also ihrer eigenen Urteilskraft und ihrer Fähigkeit, Lug und Trug zu durchschauen. Ihre Reaktionen auf eine gegebene Sachlage orientiert sie ausschließlich an ihrer eigenen Einschätzung. Dieses sorgfältige Abwägen und Bewerten von Situationen ist eine Stärke Penelopes, die im Epos immer wieder zu Tage tritt. Sie hält sich nach außen hin alle Optionen offen, indem sie den einzelnen Parteien mißverständliche Signale sendet, während sie taktiert und
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Od. 1, 362–364; 16, 449–451; 19, 602–604 und 21, 356–358. Od. 16, 408–433. Od. 16, 449–451. Od. 18, 250–300, siehe auch Carlier (1999: 253) sowie Levaniouk (1999: 97). Od. 23, 170–196. Parallel dazu steht 13, 333–38: Athene sagt zu Odysseus, sie wisse wohl, daß er nicht unvorsichtig in sein Haus kommen, sondern erst die dortige Lage und vor allem das Verhalten Penelopes prüfen werde. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß schon Aristarchos diese Verse für nicht-homerisch hielt. Ihre Echtheit bezweifeln etwa Heubeck, Hoekstra (1989: 185) sowie Dawe (1993: 520). Unstrittig ist hingegen die Ankündigung der Prüfung der Dienerschaft in Od. 16, 300–307: Odysseus legt Telemachos, dem er sich gerade zu erkennen gegeben hat, ans Herz, die wahre Identität des vermeintlichen Bettlers vor allen im Palast zu verbergen, damit sie gemeinsam in Erfahrung bringen könnten, wer loyal sei und wer nicht. Die Mahnung des Schattens des toten Atriden, daß Odysseus seiner Frau nicht trauen solle, auch wenn sie klug und umsichtig sei, entspringt Agamemnons eigenen Erfahrungen mit der Gattin, die ihn bei seiner Heimkehr zusammen mit ihrem Liebhaber ermordet hat (Od. 11, 441–156). Odysseus geht nicht weiter auf die Warnung ein.
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Pläne schmiedet.14 So läßt sie Freier wie Familie im Unklaren, ob sie bleiben und warten oder wieder heiraten und das Haus des Odysseus verlassen wird. Auf diese Weise gelingt es der Frau lange, die Lage in der Schwebe zu halten und eine Eskalation zu vermeiden. Währenddessen steht für sie selbst außer Zweifel, daß sie so lange wie möglich im Palast bleiben und ihre Stellung halten werde, um auf ihren Gatten zu warten.15 Der Penelope vergleichbar ist einzig die Gattin des Phaiakenkönigs, Arete.16 Die Herrscherin tritt regelmäßig öffentlich auf, ergreift in Zusammenkünften das Wort, schlichtet Streitigkeiten im Volk und wird von diesem hoch geachtet. Solche Tätigkeiten gehören im alten Griechenland ausschließlich in den Tätigkeitsbereich von Männern. Ein derart aus dem Rahmen fallendes Frauenbild ist wohl nur im Kontext des Phaiakenlandes möglich. Scheria, die Insel der Phaiaken, ist ein Märchenland fern der als real gedachten Welt, wo die Götter wandeln, zum Essen bei Sterblichen einkehren und die Menschen weise und gut sind – vielleicht mit Ausnahme der auch im Phaiakenland aufmüpfigen Jugend. Der Charakter Penelopes spiegelt in wesentlichen Zügen den ihres Ehemannes Odysseus. Dieser wird in der Odyssee als kluger, ausharrender Dulder gekennzeichnet, der Gefahren meistert, die oft nicht von ihm provoziert worden sind. Odysseus kämpft gegen barbarische Völker und die Dummheit seiner Gefährten. Unterstützt wird er dabei von ihn liebenden Frauen und der Göttin Athene, welche in seiner Listigkeit ihre eigene Art der Klugheit wiederfindet.17 Die Kraft, die ihn antreibt, trotz aller Widrigkeiten weiterzureisen, ist die Sehnsucht nach seiner Heimat Ithaka und seiner Familie. In dieser Hinsicht zeichnet sich auch der unternehmungslustige Odysseus durch eine gewisse Beständigkeit aus. Odysseus und Penelope sind sich in ihren Überlebensstrategien, in ihrer Umsicht und Verständigkeit sehr ähnlich.18 Diese Parallelität von Charaktereigenschaften – daß Mann und Frau von gleichem Sinn und einträchtig in ihren Gedanken seien – betrachtet Odysseus als Basis für eine gute Ehe.19 Entsprechend wird im Epos die Wiederannäherung der Ehepartner gestaltet. Während Odysseus inkognito im Palast weilt, tauschen die beiden die Rollen, dominieren einander wechselseitig, überlisten sich gegenseitig, bis sie sich letztendlich erkennen und vereinigen.20 Diese Wiederfindung wird dabei auch durch Passivität des Odysseus ermöglicht. Er gesteht seiner Frau eine Zeit der Ruhe und des Vertrautmachens mit dem vermeintlichen Fremden zu. Dieser Umstand erlaubt ihr, die Situation zu kontrollie-
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Vgl. auch Dingremont (2004: 13–17). Siehe etwa Od. 13, 357–81 und 16, 71–77. Vgl. auch Felson-Rubin (1994: 41 f. und 52 f.) sowie Carlier (1999: 247–250). Anders Katz (1991: 77–93), welche die Penelopes Verhalten betreffenden Passagen aus dem exklusiven Blickwinkel der jeweiligen Sprecher analysiert und somit ihre Aussagekraft m. E. zu stark relativiert. Katz (1991: 151–154) vertritt die These, daß Penelope sich zum Zeitpunkt des getarnten Aufenthaltes ihres Gatten im Palast mit einer neuen Heirat abgefunden habe. Zu einer feministischen Interpretation von Penelope und der Odyssee, welche sich vornehmlich auf die Metapher des Webens konzentriert, siehe Clayton (2004). Od. 7, 52–78, vgl. auch 6, 310–315. Vgl. ebenfalls Wickert-Micknat (1982: 37 f.), welche allerdings der Sonderrolle keine Rechnung trägt, welche sowohl Arete als auch Scheria einnehmen. Zu den Parallelen zwischen Arete und Penelope auch in Hinsicht auf die jeweiligen Grenzen ihres Einflusses siehe Doherty (1995: 75–78). Od. 13, 291–299. Echephrôn («verständig») charakterisiert im Epos beide Eheleute: Od. 13, 406 und 13, 332. Od. 6, 181–85. Vgl. dazu auch Felson-Rubin (1994: 44).
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ren und ihn in die Falle zu locken, welche das gemeinsame Zeichen offenbart: das Geheimnis ihres aus einem verwurzelten Olivenbaum gefertigten Ehebettes. In der Figur Penelopes begegnet uns ein für die Zeit der Odyssee21 sicher ungewöhnliches Frauenbild: Klugheit und Umsicht 22 kennzeichnen die Ehefrau des Odysseus ebenso wie eine gehörige Portion Mut und Durchsetzungskraft. Das Epos zeichnet hier also das Bild einer starken Frau, die für ihre Überzeugungen einsteht und entsprechend handelt.
3. Die Überlieferung der Epen und die Entstehungszeit von Il Ritorno d’ Ulisse in Patria. Im Mittelalter Westeuropas wird zwar der Troia-Stoff in zahlreichen Kurzfassungen und Umarbeitungen23 überliefert, die homerischen Epen selbst geraten jedoch in Vergessenheit. 24 Die Editio princeps der Odyssee erfolgt 1488 durch Demetrios Chalkondyles in Florenz. 25 Im Zuge der Renaissance wird der Text der Epen wieder gelesen – allerdings meist in lateinischer Übersetzung. 26 Nach Büttner wurden die Epen in geringem Umfang rezipiert, da die lateinischen Homer-Verse im Vergleich zu Vergils Sprache für grob gehalten worden seien. 27 Während in der Frühen Neuzeit der Troia-Stoff z. B. in der Malerei ein außerordentlich beliebtes Sujet darstelle, diene nicht unbedingt Homer als Quelle. 28 Büttner vertritt die Meinung, daß Ilias und Odyssee vor der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kaum rezipiert worden seien. 29 Angesichts der großen Zahl von Veröffentlichungen
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Die Entstehung der Odyssee wird gemeinhin ins späte 8. oder frühe 7. vorchristliche Jahrhundert datiert, DNP 5 s. v. Homeros (Latacz) 686–699, hier 686. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, welche uns in den homerischen Epen begegnen, entsprechen weitgehend denen ihrer Entstehungszeit. «Die umsichtige Penelope» ( períphron Penelópeia) ist eine standardisierte Namens- und Anredeform mit einem schmückendem Beiwort, durch welche die Epenfigur gekennzeichnet wird, siehe etwa Od. 16, 435. Períphron bedeuted «sehr bedächtig», «verständig», aber auch «listig» und wird in der Odyssee vor allem für Penelope verwendet. Neben ihr wird das epitheton je einmal für die Herrscherin der Phaiaken (Od. 11, 345) und die alte Amme des Odysseus, Eurykleia (Od. 19, 357), eingesetzt. Zur Charakterisierung der Penelope als listenreich siehe z. B. auch Od. 19, 137: Penelope berichtet dem als Bettler verkleideten Odysseus, daß die Freier die Hochzeit betrieben, doch sie umgarne die Werbenden listig. Zu Epitheta der Verständigkeit bei Penelope vgl. auch Wickert-Micknat (1982: 119). Brunner (2001: 212–225). Thompson (2004: 10). DNP 5 s. v. Homeros (Latacz) 686–699, hier 698. Der Byzantiner Manuel Chrysoloras (ca. 1350–1415) bemüht sich um die Übertragung Homers ins Lateinische, Büttner (2001: 271 f.). 1497 publiziert Raffaele Mattei Volaterrano in Brescia eine lateinische Versausgabe der Odyssee, Young (2003: 177). Büttner (2001: 271 f.). Clarke (1981: 118–121) betrachtet Bevorzugungen Vergils gegenüber Homer eher als Einzelfälle. Einen Meilenstein in der Homerrezeption stellt wohl die Übertragung von Auszügen der Ilias ins Englische durch George Chapman aus dem Jahr 1598 dar, welcher 1600 eine Übertragung des gesamten Epos und 1614–1616 eine Odysseeausgabe folgt, Underwood (1998: 21 f.). Als prominente Vertreter der Homer-Anhängerschaft im 17. Jahrhundert sind etwa Thomas Hobbes und Alexander Pope zu nennen, Grafton (1992: 156 f.). Büttner (2001: 266–269). Erst neue Adaptionen wie die von François de Salignac de la Motte Fénelon (1651–1715) eröffneten neues Interesse und zögen literarisch anspruchsvolle Übersetzungen in zahlreiche moderne Sprachen nach sich, so Büttner (2001: 271 f.).
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der Epen, welche Young zusammengetragen hat, muß dieser Standpunkt wohl revidiert werden.30 Venedig scheint mir eine wichtige Rolle in der Verbreitung der Epen zu spielen. Zwischen 1486 und 1640 finden sich dort 23 Drucklegungen der homerischen Epen. 31 1504 erfolgt die erste Gesamtpublikation der Werke Homers in Venedig, welche von einer Homervita begleitet wird.32 Die erste Übersetzung vom ersten Gesang der Ilias ins Italienische wird 1543 hier publiziert.33 1556 folgt eine zweisprachige Gesamtausgabe der Ilias in Griechisch und Italienisch. 34 1642 übersetzt Federico Malipiero die Ilias ins Italienische und widmet seine Veröffentlichung Giovanni Francesco Loredano. 35 Malipiero kündigt ferner eine Übersetzung der Odyssee an, welche im Folgejahr im Rahmen einer Gesamtausgabe in Druck geht. 36 Die Opern Il Ritorno d’ Ulisse in Patria und Ulisse Errante, deren Libretti Giacomo Badoaro dichtet 37, zeugen von einer genauen Studie der Vorlage, eben der homerischen Odyssee. 38 Auf Kritik an der Wahl seiner Vorlage – das Epos sei ungeeignet für die Oper – erwidert Badoaro in einer Widmung, wer das Epos vorziehe, solle Homer lesen, und wer den Stoff in der Oper vorziehe, möge in das Theater gehen, wo diese aufgeführt werde. 39 Die vielfache Umsetzung von Homer-Stoffen in der kommerziellen venezianischen Oper der Mitte des 17. Jahrhunderts40 offenbart eine rege Homerlektüre und ein großes Publikumsinteresse auch an solchen Bearbeitungen des Troia-Stoffes, welche eng an die Epen angelehnt sind. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß die obengenannten Homerübersetzungen Malipieros mit dieser unter anderem durch die Oper angeregten Renaissance der Epen in Zusammenhang stehen. Ein Triebfaktor für diese Entwicklung ist m. E. in einer Gruppe junger venezianischer Aristokraten zu suchen, welche sich unter dem Namen Accademia degli Incogniti zusammenschließt. Begründet in der Zeit um 1630 von Giovanni Francesco Loredano, welcher diesen Kreis auch leitet, entwickelt sie sich in den 30er und 40er Jahren des 17. Jahrhunderts
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Siehe Young (2003: 76–193) für die Zeit von 1470 bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Young (2003: 463). Young (2003: 177). Als Quellen dieser Vita werden Herodot, Cassius Dio und Plutarch bemüht. In frühen Ausgaben Homers finden sich zahlreiche Texte wie etwa die sog. Homerischen Hymnen, deren Zuweisung zu Homer sich als unhaltbar erwiesen hat, siehe etwa Gschnitzer (1999: 13). Young (2003: 182). Young (2003: 184). Zwischen 1543 und 1582 erfolgen zahlreiche Veröffentlichungen der Epen, teils in Auszügen, in italienischer Sprache, Young (2003: 182–187). Den Anschluß an diese Reihe bilden erst die Übersetzungen von Malipiero 1642 und 1643. Gedruckt bei Paulo Baglioni, Young (2003: 193), vgl. auch Carter (1993: 4 Anm. 10). Erschienen bei Taddeo Pavoni, Young (2003: 193). Carter a.a.O. gibt fälschlich an, daß die angekündigte Odysseeausgabe nie erschienen sei. Rosand (1991: 38). Die Zweiteilung des Epos, die Badoaro hier vornimmt, entspricht der bis heute üblichen, DNP 5 s. v. Homeros (Latacz) 686–699, hier 696 sowie Tracy (1997: 365 und 368 f.). Dem Ritorno liegen Ausschnitte der Bücher 13–24 zugrunde, nicht etwa Gesänge 13–22 nach Glover (1985: 291), oder Gesänge 13–23 nach Rosand (1989: 141), welche den 24. Gesang wohl aufgrund der Streichung der Unterweltszene in der Wiener Partitur nicht mitzählt. Der erste Teil des Epos, Gesänge 1–12, dient als Vorlage für das Libretto des Ulisse Errante, siehe van den Borren (1924–1925: 357–359). Widmung des Libretto von Ulisse Errante in Rosand (1991: 409 Nr. I 8 f.). Rosand (1991: 60–63, 225). Dubowy (1998).
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zum führenden Salon der Serenìssima.41 Ihr gehört an, wer im sozialen Spektrum der Aristokratie und der Intelligentsia Venedigs Rang und Namen hat. Dies verleiht dem Kreis beachtlichen politischen Einfluß, der zumeist indirekt ausgeübt wird. 42 Wie bereits erwähnt ist es der Leiter der Accademia, Loredano, welchem die italienische Fassung der Ilias gewidmet wird. Badoaro, der Librettist der an Homer orientierten Ulisse-Opern, gehört ebenfalls zu der Gruppe. Er betont, daß er Opernlibretti schreibe, um sich die Zeit zu vertreiben, und grenzt sich auf diese Weise von professionellen Schreibern ab, welche so ihren Lebensunterhalt verdienen.43 Seine klassische Bildung tritt auch in anderen Libretti aus seiner Feder zu Tage, welche sich insgesamt durch die Herausarbeitung der Persönlichkeitsstruktur ihrer Protagonisten auszeichnen. 44 Zu nennen sind die Dichtungen Le Nozze d’Enea con Lavinia (1641), welche auf Vergil zurückgreift und deren Zuweisung zu Badoaro umstritten ist 45, und L’Helena Rapita da Teseo (1653).46 Letzteres Werk halte ich für besonders beachtlich, basiert es doch auf einer eher obskuren Episode griechischer Mythologie, die z. B. in der Unterweltsfahrt der Odyssee kurz aufblitzt. 47 Bevorzugte Diskussionsthemen der Accademia degli Incogniti sind die Natur der Liebe, die Rolle der Schönheit, die aristotelischen Regeln der Dichtkunst sowie die Philosophie.48 Hierbei neigt sie neben aristotelischen Tendenzen auch der Schule der Epikureer zu, welche schon in der Antike gelegentlich des Hedonismus bezichtigt und im Christentum zur Häresie schlechthin abgestempelt wurde.49 Ansätze zur Rehabilitation dieser Philosophenschule zeichnen sich erst in der Renaissance ab.50 Debatten im Rahmen der Accademia werden von einem hohen Maß an Freidenkertum geprägt. Die nach außen hin politisch konforme Gruppe sieht sich bald mit Anschuldigungen der Libertinage und der Subversivität konfrontiert.51 Eine Form der Reaktion der Accademia auf solche Anschuldigungen findet auf einer gerade erst ins Leben gerufenen Plattform statt. In Venedig werden jeweils zur Karnevalssai41 42
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Fenlon, Miller (1992: 20 und 33). Rosand (1991: 37 f.). Eines der Mittel der Einflußnahme der Accademia waren die zahlreichen Publikationen ihrer Mitglieder, zu denen eine Reihe von Opernlibretti gehören, Rosand (1991: 38 f.). Zur Rolle der Opernlibretti in der Entwicklung der noch jungen Gattung Oper siehe MGG II 5 s. v. Libretto (Leopold) 1115–1259, hier 1125 f. Vgl. auch Rosand (1991: 36 f., 86). Hierin ist wohl die Vorliebe Monteverdis für Badoaros Arbeiten begründet: beide vereint das Interresse an tiefgehender Charakterzeichnung in Text wie Musik, vgl. auch MGG I 1 s. v. Badoaro (Abert) 1608 f., hier 1609, sowie Grove III s. v. Monteverdi, Claudio (Whenham) 445–452, hier 445. Siehe MGG I 1 s. v. Badoaro (Abert) 1608 f., hier 1609 für die Zuweisung zu Badoaro. Anders etwa Grove I s. v. Badoaro, Giacomo (Walker) 277 und Rosand (1991: 86) sowie (1989: 144), welche einen anonymen Autor Verfasser des Librettos nennen. MGG I 1 s. v. Badoaro (Abert) 1608 f., hier 1609. Od. 11, 628–631: Theseus und Peirithoos in der Unterwelt. Der Mythos findet sich in deutlich voneinander abweichenden Fassungen bei Hellanikos FgrH 323a F 18; Plutarch Theseus 30 f.; Diodor IV 63, 2; Hygin fab. 79; Apollodor epit. I 23. Zur Einschätzung der homerischen Erwähnung des Stoffes im Rahmen seiner Überlieferungsgeschichte siehe etwa Fell (2004: 26). Badoaros Quelle dürfte wohl die Vita Plutarchs gewesen sein, die zu seiner Zeit eine recht beliebte Lektüre in den Salons darstellte. Fenlon, Miller (1992: 93). Zur Beziehung der Accademia zum Epikureismus siehe Fenlon, Miller (1992: 35 f.). Zum Hedonismusvorwurf in der Antike vgl. etwa Seneca, vita beata 12, 4 sowie Cicero ep. fam. III 9, 2. Zur Diffamierung der Epikureer als Häretiker par excellence im Christentum siehe RAC 5 s. v. Epikur (Schmid) 681–819, hier 776–780 sowie Krämer (1980: 311 f.). Krämer (1980: 312–324). Rosand (1991: 37 f.). Fenlon, Miller (1992: 34 f. und 93).
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son kommerzielle, durch den Kartenverkauf finanzierte Opern auf die Bühne gebracht. Das Konzept solcher öffentlich zugänglichen Opern wurde 1637 in der Serenìssima erfunden. Ihr Publikum kann freilich nicht mit heutigen Opernbesuchern gleichgesetzt werden. Im Venedig der Frühen Neuzeit bleibt die Oper der gesellschaftlichen Elite vorbehalten, den Aristokraten und reichen Kaufleuten, welche über die nötigen Finanzmittel und den Einfluß verfügen, sich den Zugang zu ermöglichen. Hierin liegt sicher ein zusätzlicher Reiz der Opernaufführungen: Sie bieten eine Bühne, um Zugehörigkeit zum inneren Kreis der guten Gesellschaft, Schöngeistigkeit, und Offenheit neuen Entwicklungen gegenüber zu demonstrieren. Die Institution der Oper stellt viel mehr als ein neues Unterhaltungsmedium dar: Sie ist auch eine politische Plattform. Für die Accademia, welche die kommerzielle Oper nach Kräften fördert, bietet sie ein überaus geeignetes Propagandamedium, denn hier findet sich die Zielgruppe zusammen, welche die Incogniti anvisieren. Durch die Musik kann diese indirekt und unauffällig beeinflußt werden. Opernlibretti mit dem Leitmotiv costanza sind als Reaktion der Gruppe auf die gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen zu lesen. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Il Ritorno d’Ulisse in Patria von Badoaro oder L’Incoronazione de Poppea 52 von Busenello, einem weiteren Mitglied der Accademia, welche beide von Monteverdi vertont und mit großem Erfolg aufgeführt werden53.
4. Il Ritorno d’ Ulisse in Patria und Penelope. Die von Claudio Monteverdi nach einem Libretto von Badoaro vertonte Oper Il Ritorno d’ Ulisse in Patria thematisiert die äußere und innere Heimkehr des Odysseus nach seinen Irrfahrten. 54 Der Librettist verwendet die Gesänge 13–24 der homerischen Odyssee als Vorlage, wobei er selbstverständlich eine Auswahl trifft. 55 Zur Eröffnung der Oper gestaltet er ferner einen Dialog zwischen L’Humana Fragilitá, Il Tempo, La Fortuna und Amore, 52
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Zu costanza als roter Faden von Ritorno und Incoronazione siehe Fenlon, Miller (1992: 93). In Bezug auf Ritorno siehe auch Carter (1993: 15). Anders Rosand (1989: 142), die als Themen Lohn der Geduld sowie Macht der Liebe über Zeit und wechselhaftes Glück sieht. Die Incoronazione wird 1641 und 1643 aufgeführt, siehe Grove 3 s. v. Monteverdi, Claudio (Whenham) 445–452, hier 447. Zu Aufführungen des Ritorno siehe unten, zum großen Erfolg dieser Oper siehe auch Leopold (1982: 259). Zur Incoronazione, welche auch auf Tournée etwa nach Neapel geht, siehe Leopold (1982: 260). Dieser Untersuchung liegt die Edition von Malipiero (1930) zugrunde, welche von Rosand positiv bewertet wird, siehe Grove 3 s. v. Ritorno d’Ulisse in Patria (Rosand) 1352–1354, hier 1352. Zur Echtheitsfrage der in der Wiener Nationalbibliothek aufgefundenen Opernhandschrift (MS 18763) und ihrer oft angefochtenen, aber nach wie vor gültigen Zuweisung zu Monteverdi siehe Haas (1922), Osthoff (1954: 217–230) sowie Osthoff (1956), vgl. auch Rosand a.a.O. sowie Fabbri (1985: 324). Die Auffindung in Wien braucht in Anbetracht der engen Kontakte Monteverdis zum Wiener Hof nicht zu verwundern – zu nennen sind hier etwa die Patenschaft von Erzherzog Maximilian Ernst für einen Sohn Monteverdis, mehrfache Aufführungen von Werken Monteverdis in Wien, Widmungen des VIII. Madrigalbuches Madrigali Guerrieri, et Amorosi und der Selva Morale e Spirituale an Ferdinand III. und Eleonora Gonzaga (Witwe Ferdinands II.) respektive, Seifert (1998: 81, 84–87). Zur wechselseitigen Beeinflussung von Venedig und Wien siehe auch Mabbett (1998). Die einzige aus dem 24. Gesang stammende Szene III 2, der Einzug der von Hermes geleiteten Seelen der Freier in den Hades, wurde aus der Wiener Partitur gestrichen – mit dem Vermerk, daß sie zu melancholisch sei, Malipiero (1930:177).
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den Personifizierungen von menschlicher Hinfälligkeit, Zeit, wechselhaftem Glück und Liebe. 56 Diese entsprechen späteren Leitthemen der Handlung und stellen Facetten der Prüfung57 dar, welcher Penelope unterzogen wird. Die Erstaufführung des Ritorno findet 1640 in Venedig statt.58 Nach zehn Aufführungen geht die Oper als Gastspiel nach Bologna, bevor sie im folgenden Jahr in Venedig zur Wiederaufnahme gelangt. Monteverdi und Badoaro, die Freundschaft und Respekt vor den Fähigkeiten des jeweils anderen verbindet, arbeiten bei der Gestaltung der letztlich zur Aufführung gelangten Oper Hand in Hand.59 Dementsprechend werde ich im Folgenden nicht zwischen Beiträgen der einen oder anderen Seite zu unterscheiden suchen, sondern die Partitur als geschlossenes Werk verwenden.60 Aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit setze ich die italienisierten Namensformen der Oper nicht ein, sondern bleibe bei den homerischen Bezeichnungen. Bereits der erste Auftritt Penelopes im Ritorno macht die charakterliche Anlage ihrer Figur klar. Die Frau des Odysseus klagt über ihr schweres Schicksal und besingt ihr Leid61, wobei sie ihren fernen Gatten als weise und klug, sich selbst als keusch bezeichnet 62. In das Rezitativ, welches Penelopes Ausdrucksform bis zur Wiedervereinigung mit dem Gatten bleibt63, sind dabei geschickt Vorgeschichte und aktuelle Situation auf Ithaka eingeflochten. Im Folgenden werden dem Publikum Lageeinschätzung und Ansichten der Umwelt Penelopes dargelegt. Die Dienerin Melantho, in der Oper als Zofe in die Nähe Penelopes gerückt, bezeichnet die Herrin als starrsinnig und sagt, die Ehre habe ihr Herz hart wie Diamant gemacht.64 Melantho hat dabei ein begründetes Interesse daran, daß Penelope dem Drängen der Freier nachgibt und einen von ihnen heiratet, damit sie ungestört mit ihrem Geliebten Eurymachos zusammensein kann. Entsprechend versucht sie, die Herrin zu überzeugen: Sie spricht von den teilnahmslosen Gebeinen des toten Odysseus und mahnt, daß Penelopes Schönheit trauere. 65 Sie solle lieben, denn die Schönheit sei der Liebe süße Freundin. Die Frau des Odysseus bleibt standhaft und hält der Versuchung die Wankelmütigkeit und Nichtigkeit der Liebe entgegen, doch hinter ihrer Weigerung steht blanke Furcht: Aus Angst vor neuen Verletzungen wage sie nicht, erneut zu lieben. 66 So zieht sie der Liebe und der damit verbundenen incostanza die costanza vor, auch wenn das für sie Leid und Tod bedeute. 67 56
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In den erhaltenen Libretti variieren die eingesetzten Personifikationen, siehe Haas (1922: 12 f.) und Rosand (1989: 142). Vgl. Auch Glover (1985: 292). New Grove s. v. Ritorno d’Ulisse in Patria (Rosand) 543–547, hier 544 sowie Grove 3 s. v. Ritorno d’Ulisse in Patria (Rosand) 1352–1354, hier 1352. Stevens (1995 2: 318). Tomlinson (1987: 216–220). Carter (1993: 4–8). Zu Versuchen der Separierung bzw. der Identifizierung von durch Monteverdi vorgenommenen Eingriffen siehe etwa Haas (1922) oder Rosand (1989: 160–162). Akt I 1 Malipiero (1930:14–20). Akt I1 Malipiero (1930: 16 f.). Carter (1993: 8). Akt I 3 Malipiero (1930: 35). Akt I 10 Malipiero (1930: 70–74). Akt I 10 Malipiero (1930: 74–77). Akt I 1 Malipiero (1930: 74 f.).
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Hier taucht zum ersten Mal ausführlich das costanza-Motiv auf: Bereits von Athene angekündigt wird es jetzt aus Penelopes Sicht ausgeführt. 68 Im Gegensatz zur Odyssee jedoch, wo Penelopes Beständigkeit aus innerer Ruhe und der festen Überzeugung entsteht, daß ihr Gatte lebe und heimkehren werde, mischt sich in der Oper tiefe Unsicherheit hinein: Penelope wirkt ängstlich. Die Debatten der Accademia degli Incogniti über die Natur von Schönheit und Liebe scheinen an dieser Stelle explizit im Libretto auf, wobei die Vergänglichkeit der Schönheit betont wird. Melanthos Reaktion auf die Verweigerung der Herrin ist eine Wiederholung ihres früheren Standpunktes: Sie habe ein Herz aus Stein. 69 Die Dienerin und Eurymachos beschließen, zu leben, zu lieben und der Gattin des Odysseus ihren Triumph in Trauer und Tränen zu lassen. Nichtsdestoweniger führen die Freier, hier auf drei reduziert, die Argumentation fort: Sie vergleichen die begehrte Frau mit der ungehegten Natur und dem Winter – ihre Schönheit werde erlöschen, wenn sie nicht liebe.70 Wieder begegnet Penelope der Aufforderung des «liebe denn!» (ama dunque) abschlägig, doch aus dem «nicht wagt erneut zu lieben, wer Elend litt» (no dee di nuovo amar chi misera penò), welches sie der Dienerin entgegnet, wird nun ein klareres «ich will nicht lieben» (non voglio amar). Sie begründet diese Haltung zum einen mit dem Leid, was ihr die Liebe bringen würde 71, zum anderen mit ihrer Unfähigkeit zu lieben: Es könne nicht lieben, wer nichts anderes kenne und könne als weinen und leiden72. Die Logik ihrer Argumentation erschließt sich nicht unmittelbar, dennoch wird klar, daß Penelope sich weigert und ihrer Haltung, der costanza, treu bleibt. Auch wenn die Frau des Odysseus hier deutlich wird und ihre ablehnende Haltung mit Nachdruck vorbringt, geht der Impuls dazu nicht von ihr aus, sondern von den sie bedrängenden Freiern. Auf diese Weise wirkt ihre Weigerung, die nicht Aktion, sondern bloße Reaktion ist, eher passiv. Das Motiv der Gegenseite, die Vergänglichkeit der Schönheit, wird ebenfalls nachdrücklicher vorgetragen als im Vorangehenden. In Melanthos Argumentation trauere die Schönheit Penelopes, während die Freier ihr baldiges Verlöschen vorhersagen, wenn Penelope nicht einen neuen Gatten erwähle. Auch in der Oper geben die Freier Geschenke, und wieder sind sie es, welche die Initiative ergreifen, weil Telemachs Heimkehr von einer Reise angekündigt und die des Odysseus verheißen wurde. 73 Während sich Penelope in der entsprechenden Episode der Odyssee ihrem Gatten aktiv als an List und fordernder Stärke ebenbürtig erweist, hat sie in der Oper keinen Anteil am Geschehen. Die Gaben sind vielmehr der Versuch der Freier, die begehrte Frau doch noch zu gewinnen, bevor ihr Sohn und der Gatte das Vorhaben in letzter Minute vereiteln. Eine andere Perspektive von Penelope bieten die Personen der Partei des Odysseus. Athena beschreibt sie dem gerade auf Ithaka angelandeten Odysseus gegenüber als keusch und von unverrückbarer Beständigkeit. 74 Wie in der Odyssee «die umsichtige Penelope»
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Akt Akt Akt Akt Akt Akt Akt
I 8 Malipiero (1930: 61). II 4 Malipiero (1930: 103–106). II 5 Malipiero (1930: 107–113). II 5 Malipiero (1930: 110). II 5 Malipiero (1930: 114 f.). II 8 Malipiero (1930: 119–129). I 8 Malipiero (1930: 61).
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eine stehende Wendung und zugleich Charakterisierung der Figur ist, so wird «die keusche Penelope» in der Oper verwendet.75 Die beiden Handlungsstränge, die Geschehnisse im Haus des Odysseus und die Erlebnisse des Hausherrn auf dem Land, werden zusammengeführt, indem der Gatte als Bettler verkleidet seinen Hof betritt. Als die Freier ihre Geschenke übergeben, scheint ihr Plan tatsächlich aufzugehen: Penelope kündigt den Bogenwettstreit an, da Gold sie überzeuge. 76 Sie erklärt, denjenigen heiraten zu wollen, welcher den Bogen des Odysseus spannen und durch zwölf von ihr aufgestellte Äxte schießen könne. 77 Kaum sind die Worte gesprochen, erkennt sie, daß ihr ein Gott – Athene setzt ihren Plan zur Wiedereinführung ihres Schützlings Odysseus um – die Zunge gelöst haben müsse, da dies doch ihrem Herzen widerspräche. Die Freier hingegen freut ihre Ankündigung sehr, vermeinen sie doch, daß sich nun die Beständigkeit ihres Werbens auszahle. 78 Bezeichnenderweise wird hier der Ausdruck costanza selbst vermieden: Diese Eigenschaft gebührt offenbar allein Penelope und der Partei des Odysseus – die Schurken des Stückes dürfen sie nicht im Wappen führen. 79 Hier wird Penelopes finale List80, die das Epos zu seinem für die Eheleute guten Ende führt, in das einfache Umsetzen einer von der Gottheit soufflierten Idee abgeschwächt. 81 Die Bogenprobe tritt der Freier Peisandros im Namen der Liebe an, Amphinomos im Namen des Kriegsgottes als Herrn der Waffen, Antinoos hingegen in dem der Schönheit Penelopes. Das Scheitern besiegt im Falle der ersten beiden die Liebe, bei Antinoos hinterläßt es Ernüchterung und die Erkenntnis, daß alles und jeder dem Odysseus die Treue halte, selbst sein Bogen. Wieder tauchen die Themen der Incogniti auf und wieder siegt die Beständigkeit: Die Freier werden ihres offenbar zur Fruchtlosigkeit verurteilten Unterfangens überdrüssig. Nachdem Odysseus den Bogen gespannt und die Freier mit seinen Pfeilen erschossen hat, bringt der treue Hirte und Verbündete des Hausherrn, Eumaios, der Gattin die frohe Botschaft.82 Diese schenkt ihm keinen Glauben und schilt ihn einen Toren. Auch der dazugekommene Telemach, der ihr Athenes Teil am Vorgefallenen erläutert, vermag sie nicht zu überzeugen.83 Zunächst beschuldigt sie die Götter, mit den Menschen zu spielen und sie arglistig zu täuschen. Als Telemach sie jedoch daran erinnert, daß Athene schon immer die Schutzherrin ihres Hauses gewesen sei, weist sie auf einmal göttliche Beihilfe zurück – die Folgen der Angelegenheiten der Götter für die Menschen kümmerten die Unsterblichen 75
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Z. B. Akt I 8 Malipiero (1930: 61) und Akt II 9 Malipiero a.a.O. 130. Vgl. auch z. B. Akt I 1 Malipiero a.a.O. 17 «casta consorte». «La casta Penelope» ist auch der Untertitel einer Prosabearbeitung der Odyssee durch ein Mitglied der Accademia degli Incogniti, welches nach Auskunft des Autors durch den Ritorno inspiriert worden sei, Rosand (1989: 163). Zur Beliebtheit des Themas Penelope siehe auch Rosand a.a.O. Akt II 12 Malipiero (1930: 147–163). Zur Erklärung des Durch-Äxte-Schießens siehe Morris (1997: 621 f.). Zur philologischen Analyse der als Ringkomposition angelegten Bogenszene der Odyssee siehe Tracy (1997: 363 f.). Akt II 12 Malipiero (1930: 154 f.). Akt II 12 Malipiero (1930: 154 f.): «cor fedele, costante sen» ist die Umschreibung für die Art der Beständigkeit der Freier. Od. 19, 570–582. Carlier (1999: 246). Carlier (1999: 253 f.). Penelope entwickelt ihren Plan in 19, 570–587, siehe auch Heubeck, Hoekstra (1992: 104 f.). Am Morgen danach legt ihr Athene die Ausführung in den Sinn (21, 1–3), siehe auch Heubeck, Hoekstra a.a.O. 148. Akt III 4 Malipiero (1930: 180–183). Akt III 5 Malipiero (1930: 183–186).
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nicht. Wieder zeichnet sich die Argumentation Penelopes nicht durch bestechende Logik aus, doch bleibt ihre Beständigkeit, die sie zwanzig Jahre in Abwesenheit ihres Gatten aufrecht erhalten hat, fest und unverrückbar. Telemach und Eumaios entrüsten sich ob des Starrsinns und der Ungläubigkeit der Frau und beteuern, daß Odysseus heimgekehrt sei. 84 Der Gatte tritt in seiner wahren Form hinzu und begrüßt seine Frau, welche ihn Zauberer schilt und zurückweist. 85 Lügen würden sie nicht von ihrem Willen und ihrer Treue abbringen. Alle Beteuerungen des Heimgekehrten helfen nichts: Penelope mißtraut dem Fremden. Nun offenbart ihr die alte Amme Eurykleia das Geheimnis einer Narbe, an der sie den Bettler im Bade untrüglich als Odysseus erkannt hat. Auf dessen Geheiß hin habe sie zu seinem Schutz seine Identität verschwiegen. Die Gattin schwankt zwischen Liebe und Ehre, aber weil sie dem Sohn und Eumaios keinen Glauben geschenkt hat, will sie ihren Sinn auch jetzt nicht ändern: Einzig den Odysseus empfange ihr keusches Bett. Dies ist ein Ansatzpunkt für ihren Gemahl, der nun seinerseits ein Geheimnis enthüllt, nämlich das des Bettes.86 Hier besteht das Erkennungszeichen in einer von Penelope aufwendig bestickten Decke, nicht wie im Epos in einem Bein des Bettgestells, welches von Odysseus aus dem Stamm eines verwurzelten Olivenbaumes gefertigt wurde. Die Falle, welche Penelope dem Fremden in der Odyssee sorgfältig bereitet und in die sie ihn listig hineintappen läßt, ist hier zum bloßen Geben eines Stichwortes abgemildert. Nun erkennt Penelope endlich den Gemahl und bricht zusammen mit ihm in Gesang aus: Sie verläßt zum ersten und einzigen Mal das Rezitativ und erhebt ihre Stimme in einer strahlenden Arie voll von Glück. Das Rezitativ, welches Penelopes Keuschheit und costanza verkörpert, illustriert in seiner Richtungslosigkeit und Instabilität zugleich die Machtlosigkeit der Frau. Diese Verflechtung von Handlung und Musik wird in der Wiedererkennungsszene fortgeführt, welche durch das Durchbrechen der musikalischen Form Penelopes umso ergreifender wird: In dem Moment, als Beständigkeit, Festigkeit und Eigenverantwortung jede Bedeutung verlieren, kehren Rhythmus und Harmonie in Penelopes Leben zurück. Mit der Wiedervereinigung mit ihrem Mann und somit der Rückkehr und Unterordnung unter seine Autorität verbinden Badoaro und Monteverdi die Befreiung der Frau. Penelopes standhafte Weigerung, an die tatsächlich erfolgte Heimkehr ihres Gatten zu glauben, wurde in der Forschung als mentales Erstarren und Gefühlskälte gedeutet.87 Ihr Mißtrauen beruht in dieser Interpretation auf Passivität, was die Gattin des Odysseus zu einem Stolperstein für alle anderen Charaktere der Oper werden läßt.88 Dies wird der Intention des Librettos meines Erachtens nicht gerecht. Eher scheint mir Penelope im Verlauf der Oper zu sich selbst zu finden: War ihre Beständigkeit anfangs mit Furcht vermischt und beruhte zu einem guten Teil auf Angst vor neuer Liebe, steht sie am Ende der Oper gefestigt 84
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Akt III 9 Malipiero (1930: 203 f.). In der entsprechenden Passage der Odyssee (23, 72 und 23, 97–103) bezeichnet Telemachos seine Mutter ebenfalls als starrsinnig, weil sie sich von Odysseus fernhalte. Penelope weist daraufhin ihren Sohn zurecht, daß sie den Gatten schon an gemeinsamen Zeichen erkennen würde, wenn der Fremde denn wirklich Odysseus sei. Letzterer schließt sich seiner Frau an, obwohl er ihr vorwirft, ein Herz aus Eisen zu haben (23, 172): Sie solle ihn prüfen, damit sie klar sehe. Die unterschiedlichen Reaktionen auf den Vorwurf der Starrsinnigkeit offenbaren also auch in diesem Fall die charakterliche Umarbeitung der Protagonistin. «Incantator o mago» Akt III 10 Malipiero (1930: 204–210). Zur Rolle des Bettes als Erkennungszeichen im Gegensatz zur Narbe und den damit verbundenen Konnotationen Frieden versus Initiation in Männergesellschaft siehe Nagler (1990: 233–235). Vgl. etwa Carter (1993: 11). Carter (1993:11 f.).
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und sicher. Die Gattin des Odysseus will sich auf keinen Fall täuschen lassen, auch nicht von wohlwollenden Freunden und Verwandten. Erst auf ein untrügliches Zeichen hin akzeptiert sie den Fremden als das, was er tatsächlich ist: ihr zurückgekehrter Gemahl. In ihrer vermeintlichen Gefühlskälte erteilt sie vielmehr Lug und Trug, den Gegenspielern der Beständigkeit und somit das negative Leitmotiv der Handlung des Ritorno, eine klare Absage. Badoaro und Monteverdi nehmen zahlreiche Eingriffe in die epische Vorlage vor. So werden negative Charaktere wie der betrügerische Freier Eurymachos und die treulose Dienerin Melantho, die im Epos eine Affäre miteinander haben, zu einem verliebten Paar mit hohem Sympathiefaktor. Eurymachos, der im Epos Telemachos töten will und Penelope in falscher Sicherheit wiegt, überzeugt in der Oper gar die Freier, statt den Mordplan in die Tat umzusetzen lieber Penelope mit Geschenken zu gewinnen. 89 Der Bettler Iros nimmt als buffo-Persona eine zentrale Stellung ein, welche der seines Vorbildes, einer Nebenfigur im Epos, nicht entspricht. Tatsächlich wird denn Iros auch einer der bei den zeitgenössischen venezianischen Opernbesuchern beliebtesten Charaktere des Ritorno.90 Hier haben wir also möglicherweise Zugeständnisse an Publikum und Zeitgeschmack vor uns, was in der jungen Gattung der öffentlichen – und somit kommerziellen – Oper zu erwarten ist. 91 Andere Abweichungen in der Form von zahlreichen Verkürzungen 92 sind sicher eine Folge der Übertragung des Stoffes in ein anderes Medium, welches nur einen eng begrenzten Zeitrahmen für die Vermittlung des Inhaltes bietet. Badoaro geht ganz offensichtlich planvoll und gezielt in der Gestaltung seines Stoffes vor.93 Nach Rosand kontaminiert er dabei seine homerische Quelle. 94 Tatsächlich reichen Badoaros Eingriffe in seine Vorlage aber viel weiter und finden auf eine sehr viel subtilere Weise statt, als in der Forschung bisher vermerkt worden ist: Der Librettist bereinigt die Epen gemäß den Moralvorstellungen der von Männern dominierten Gesellschaft seiner Zeit. 95 So wird Odysseus, der in den Epen durchaus durchtrieben sein kann, in der Oper ein unbescholtener, vielduldender Held. Eine Schlüsselszene hierfür ist die Begegnung von 89 90 91 92
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Akt II 8, Malipiero (1930: 119–129). Rosand (1989: 143 f.) sowie Leopold (1982: 259). Siehe z. B. Glover (1985: 292). So treten in der Oper beispielsweise nur drei Freier auf. Ausgewählt werden diese aus dem Kreis der im Epos personalisierten Freier, siehe Felson-Rubin (1994: 14–121). Aus dieser Gruppe wird Eurymachos in der Oper als verliebter Bewunderer Melanthos freilich herausgelöst. Die Tötung der treulosen Dienerinnen durch Erhängen als Strafe für unangemessenes Verhalten den Freiern gegenüber wird aufgrund der Wandlung der Hauptvertreterin dieser Gruppe, Melantho, zur positiv belegten Verliebten konsequenterweise eliminiert. Vgl. auch Rosand (1989: 157). Rosand (1989: 157) bezieht sich in dieser Aussage auf die hervorgehobene Stellung von Iros. McClary (1989: 219) sieht in Arianna, Penelope und Ottavia Heldinnen, die von der abwesenden männlichen Autorität verraten worden seien und ihrem gerechten Zorn in Tiraden Luft machten, die so scharf seien, wie heutige feministische Gesellschaftskritik ausfallen könne. Sie verdammten die männliche Autorität, welche sie zum Schweigen bringen wolle. Im Falle von Penelope scheint McClary mehr von den gängigen, auf Homer basierendenVorstellungen beeinflußt zu sein als von der tatsächlichen Opernfigur. Sie übersieht die gezielt eingearbeitete Unsicherheit des Charakters ebenso wie die Tatsache, daß Penelope ihrem Gatten verzeiht, keinen Groll gegen ihn hegt und alle Schuld an ihrem Kummer vor die Tür Fortunas legt, Akt I 1 Malipiero (1930: 18–20). Vor allem ignoriert McClary bei dieser These die musikalischen Ausdrucksformen Penelopes: Solange sie allein und somit von jeder patriarchalischen Autorität befreit ist, verbleibt sie im Rezitativ. Erst ihre Wiedervereinigung mit dem Gatten, welche sie wieder seiner Befehlsgewalt unterstellt, verleiht Penelopes Stimme Flügel und Freiheit. Zur feministischen Diskussion der Rolle der Frau in der Oper siehe etwa Clément (1988).
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Athena und Odysseus am Strand von Ithaka.96 In der Odyssee schilt die Göttin ihren Schützling, daß er ein notorischer Lügner sei und selbst in der Heimat noch betrügen und hintergehen wolle. Für dieses Verhalten hegt sie durchaus augenzwinkernde Sympathie, sieht sie doch darin ihre eigene Art der Klugheit reflektiert. Geheimniskrämerei und das Spinnen von Lügengeschichten sind in der Welt der Epen alltägliche, weitverbreitete Erscheinungen. 97 In der Oper hingegen ist die entsprechende Charakterisierung der beiden Figuren eliminiert: Odysseus ist umsichtig, aber weiser ist Athena. 98 Lug und Trug liegen nicht in ihrem Charakter, List und Tücke werden nicht sanktioniert: Diese Eigenschaften werden in absentia zu einem zentralen Thema und einem Negativvorbild des Ritorno. Konsequenterweise unterliegen sie – wie bereits vermerkt – zu guter letzt der Beständigkeit, welche somit als Leitmotiv den finalen Sieg und die Vorherrschaft davonträgt. Nachhaltiger als im Falle des Odysseus ist die Umdeutung des Charakters seiner Ehefrau. Indem Badoaro die Handlungsimpulse, welche im Epos von Penelope ausgehen, auf ihre Umgebung umlenkt, wird die Gattin des Odysseus zu einer passiven Figur. Besonders deutlich zeigt sich dies in den zentralen Szenen der Freiergaben und der Prüfung des Odysseus: Penelope ist nicht treibende Kraft, sondern erduldet als Objekt die Vorgänge, auf welche sie kaum Einfluß hat. Zu beachten ist, daß nicht nur die Listen der Penelope eliminiert werden, was sich mit der allgemeinen Ablehnung jeder Art von arglistiger Täuschung in dieser Oper vertragen würde.99 Auch durch und durch positive Handlungen der Frau, etwa das Eingreifen bei der Gefährdung des Lebens ihres Sohnes, fehlen im Libretto. Die Wahl des Beiwortes offenbart ebenfalls die Verschiebung: Aus der «umsichtigen Penelope» wird die «keusche Penelope», was durch ihr Rezitativ, musikalisch ein Symbol für Keuschheit 100, ständig präsent gehalten wird. «Umsichtig» ist jetzt vielmehr ihr in der Odyssee listenreicher Gatte: Die mentale Stärke der Frau und ihr über jeden Zweifel erhabener Charakter werden auf ihren Mann übertragen, während sie selbst von den Wendungen des Schicksals gebeutelt die Ereignisse über sich ergehen läßt.101 Somit ist die im Epos starke und unabhängige Penelope gezähmt. Hierbei fällt auf, daß die Beständigkeit der Penelope in der Oper die existenzielle Bedeutung verliert, welche sie im Epos innehat. In der Odyssee hängen Fortbestand des Hauses und des Königsgeschlechtes von Penelopes Erfolg oder Mißerfolg in ihrer Handhabung der Lage ab. Versagt Penelope, wankt sie, steht alles auf dem Spiel: Die Freier werden den Stammhalter Telemachos töten, Odysseus wird ihnen zum Opfer fallen, seinen Besitz und seine Ehre102 werden sie unter sich aufteilen. Der Zuhörer bzw. Leser des Epos wird durch geschickte Signale in Ungewißheit über Penelopes wahre Motive gehalten: Der Ausgang steht auf Messers Schneide, die Handlung bleibt span96 97 98
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Od. 13, 291–199. Ritorno Akt I 8 Malipiero (1930: 59). Winkler (1990: 134 f.). «È ben accorto Ulisse, ma piú saggia Minerva», Akt I 8 Malipiero (1930: 59). Allein auftretend werden Odysseus auch beide Eigenschaften zugeschrieben: «Ulisse accorto e saggio», Akt I 1 Malipiero a.a.O. 16. Eine Ausnahme bildet hier die Verkleidung des Odysseus als Bettler, welche von so zentraler Rolle im Handlungsverlauf ist, daß sie nicht entfernt oder ersetzt werden kann. Zur Bedeutung der Listen der Penelope für ihre Epenfigur siehe Winkler (1990: 141). Carter (1993: 9). Penelope wird einmal in der Oper als weise bezeichnet, jedoch in negativem Kontext: Ihre Zofe Melantho wünscht sich, sie weniger weise zu sehen, da der Königin ihre Vorsicht nur zum Schaden gereiche, Akt I 10 Malipiero (1930: 71). Weise Handeln bedeutet also in Melanthos Kontext Zaudern und Zögern, ist somit keineswegs mit der ebenso aktiven wie praktischen Weisheit und Umsicht der epischen Penelope gleichzusetzen. Zu Penelopes Funktion als geras (Ehrenteil) des Odysseus siehe Levaniouk (im Druck).
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nend.103 Indem das Opernlibretto die Handlungsimpulse Penelopes auf andere Figuren umlenkt, verliert die Beständigkeit ihre Funktion. Eine mögliche incostanza der Gattin des Odysseus hätte einzig für die Liebe Folgen. Heiratet sie erneut, entsagt sie dem Glück, welches die Wiedervereinigung der Ehepartner für beide bedeutet, und bleibt auf immer einsam. Die Verschiebung der Bedeutung von Penelopes costanza hat auch Folgen für die Wirkung dieser Tugend. Sie wird abstrahiert und zu einem Ideal an sich umgeformt. In Kombination mit ihrer Verbindung zur Liebe – ohne Beständigkeit keine Liebe, ohne Liebe kein menschliches Glück – verkörpert sie eine deutliche Aussage über die philosophischen Leitthemen der Accademia degli Incogniti. Um der Protagonistin dennoch markante Eigenschaften zu verleihen und sie somit interessant zu machen, versieht Badoaro seine Penelope mit Schönheit. Das mögliche Verlöschen ihrer äußeren Reize wird von Melantho und den Freiern als Druckmittel eingesetzt, um Penelopes costanza zu brechen, denn nur die Liebe könne sie erhalten. Auch hier steht die Oper im Gegensatz zur Odyssee, wo wir selten Hinweise auf Penelopes Äußeres finden. Die Schönheit Helenas ist sprichwörtlich und ihre prägendste Eigenschaft, während die Frau von Odysseus schon durch ihr Wesen eindrucksvoll, herausragend und interessant ist. Ein zusätzlicher Reiz für die Freier liegt in ihrer Rolle als geras des Odysseus: Wer Penelope hat, ist dem König von Ithaka an Ehre und Ansehen gleichgestellt.104 Im Epos bewirkt Penelopes Aussehen zwar weiche Knie bei den Freiern 105, stellt aber keine ausschlaggebende Eigenschaft dar. Penelope selbst sagt, daß ihre Schönheit an dem Tage erloschen sei, als sich Odysseus nach Troia eingeschifft habe.106 Im Gegensatz dazu ist ihr im Ritorno allein ihr Äußeres geblieben: Nach der Entfernung ihrer kennzeichnenden Charaktereigenschaften endet sie als schön und unselbständig, womit sie eine frappierende Ähnlichkeit zur epischen Helena aufweist. Interessant ist, daß Schönheit für die Partei des Odysseus in der Oper keine Rolle zu spielen scheint – sie taucht einzig in Verbindung mit Helena auf, deren Äußeres Telemach rühmt und Penelope als Quelle von zu viel Leid verdammt. Die Gegenpartei hingegen beruft sich auf die Schönheit als hehres Ideal, welches unbedingt erhalten werden müsse. Dennoch wird sie nicht per se negativ belegt. Als Botschaft ist hier wohl zu lesen, daß wahre Schönheit ausschließlich durch Liebe gedeihe, welche wie schon festgestellt den Menschen allein durch Beständigkeit zuteil werde.
5. Schluß Der markanten charakterlichen Umgewichtung der Opernprotagonisten liegen gewiß ein bewußter Prozeß und ein ernsthaftes Anliegen zugrunde. Die Handlungsträger werden gezielt der Wertewelt 107 und dem Frauenbild des 17. Jahrhunderts108 angepaßt. Eine besondere 103 104 105
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Vgl. auch Winkler (1990: 129–161). Od. 15, 52 f. Siehe auch Levaniouk (im Druck). Penelopes Schönheit siehe etwa Od. 18, 190–196. Hier hilft Athena noch etwas nach, während Penelope schläft. Od. 18, 251–253 sowie 19, 124–126. Zum Respekt der Librettisten der Accademia für den Zeitgeschmack siehe auch Rosand (1991: 39). So finden sich in der Frühen Neuzeit selbständige Frauen, etwa Witwen, welche die Vormundschaft für minderjährige Söhne innehaben, Wunder (2002: 9–27), oder Ehefrauen, welche im Falle der Abwesenheit
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Rolle kommt der Propagierung des Leitmotives costanza und der Negierung von Lug und Trug zu: Diese scheinen den Mitgliedern der Accademia degli Incogniti aufgrund der Anklagen, denen sie sich ausgesetzt sehen, offenbar dringend angezeigt zu sein. Die Incogniti vertreten in diesem Libretto, daß die Schönheit und die Liebe ein sich gegenseitig bedingendes Geflecht seien und dem Menschen nur durch Beständigkeit zuteil werden könnten. Die ostentative Verherrlichung des akzeptierten Wertekanons richtet sich wohl gegen die Gerüchte über Libertinage in der Accademia. Mit der demonstrativen Absage an jegliche Art von Täuschung und Arglist verteidigen sich die Incogniti gegen den Vorwurf der Subversivität. Ein bemerkenswerter Punkt ist die äußere Notwendigkeit, die Hauptfiguren charakterlich auszuarbeiten: Nur so läßt sich Il Ritorno d’Ulisse in Patria aus der großen Menge der zu dieser Zeit im Umlauf befindlichen Ulisse- und Penelope-Opern herausheben und in einen geeigneten Träger der Botschaften verwandeln.109 Für diese Aufgabe ist das Team Badoaro-Monteverdi mit seiner Vorliebe für Charakterzeichnung geradezu prädestiniert. Die Oper Il Ritorno d’ Ulisse in Patria stellt eine weitere Neubearbeitung des Troia-Stoffes dar, in welcher die Vorlage entsprechend dem Zeitgeschmack und den Wertevorstellungen der Frühen Neuzeit umgeformt wird. Dabei steht das Medium Oper gleichberechtigt neben den Troia-Romanen des Mittelalters, welche allerdings ohne jede Kenntnis der homerischen Epen entstanden sind, oder etwa dem Troia-Film Wolfgang Petersens, dem die Inspiration durch die Ilias oft kaum anzumerken ist. Im Gegensatz zu diesen Beispielen handelt es sich bei Il Ritorno d’ Ulisse in Patria um eine feinsinnige Umarbeitung des sorgsam analysierten Stoffes, welche die maßgeblichen Eingriffe subtil zu verschleiern weiß. Somit wird der Troia-Stoff als Apologie für den Salon, zu dem auch ihr Verfasser gehört, erfolgreich instrumentalisiert.
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des Hausherren die Haushaltsführung übernehmen, Wunder (1997: 34–38). Allerdings werden solche Phänomene nach Möglichkeit im Verborgenen gehalten und zurückgedrängt. Siehe auch Wunder (1992: 218–220). Rosand (1989: 163). Dubowy (1998).
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