Zukunft Zeitarbeit
Georg Breucker • Vera Calasan Andreas Dinges • Heide Franken Christian Speidel Herausgeber
Zukunf...
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Zukunft Zeitarbeit
Georg Breucker • Vera Calasan Andreas Dinges • Heide Franken Christian Speidel Herausgeber
Zukunft Zeitarbeit Perspektiven für Wirtschaft und Gesellschaft Mit einem Vorwort von Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Arbeit und Soziales
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Herausgeber Georg Breucker Persona Service Verwaltungs AG & Co KG Freisenbergstr. 31 58513 Lüdenscheid Deutschland Vera Calasan Manpower GmbH & Co KG Kurt-Schumacher-Str. 31 60311 Frankfurt Deutschland
Heide Franken Zukunftsvertrag Zeitarbeit e. V. Hausvogteiplatz 2 10117 Berlin Berlin Deutschland Christian Speidel Zukunftsvertrag Zeitarbeit e. V. Hausvogteiplatz 2 10117 Berlin Berlin Deutschland
Andreas Dinges Zukunftsvertrag Zeitarbeit e. V. Hausvogteiplatz 2 10117 Berlin Berlin Deutschland
ISBN 978-3-642-24220-5 e-ISBN 978-3-642-24221-2 DOI 10.1007/978-3-642-24221-2 978-3-642-24221-2 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Konzept und Umsetzung: Ketchum Pleon GmbH, Berlin Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www. springer.com)
Vorwort
Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser, die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben vor allem eines deutlich gemacht: Wir benötigen eine hohe Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Nur so können wir im globalen Wettbewerb agieren, Krisenzeiten ohne allzu große Schäden überstehen und schnell von der wieder anziehenden Konjunktur profitieren. Dank Maßnahmen und Arbeitsformen wie Kurzarbeit und Zeitarbeit ist es uns in Deutschland gelungen, die Folgen der Finanzkrise abzufedern und heute besser dazustehen als viele andere Staaten. Ein Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent im Jahr 2010, über 40 Millionen Beschäftigte und eine Arbeitslosenzahl von derzeit knapp über drei Millionen beweisen: Mit unserer Arbeitsmarktpolitik können wir nicht ganz falsch liegen. Doch wir dürfen bei aller Flexibilität einen wichtigen Punkt nicht aus dem Blick verlieren: das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf faire und gerechte Arbeitsbedingungen. Hier sehe ich auch die Zeitarbeit in der Pflicht. Wir haben erlebt, dass einige wenige schwarze Schafe durch zweifelhafte Praktiken eine gesamte Branche in Misskredit gebracht haben. Zu Unrecht, denn die Zeitarbeit, die immerhin mehr als 900.000 Menschen in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäf-
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Vorwort
tigt, ist wichtig – für unsere Wirtschaft, aber auch für viele Menschen in unserem Land, für die Zeitarbeit eine gute Chance auf einen sozialversicherungspflichtigen Job bedeutet. Zeitarbeit ermöglicht Unternehmen mit der Konjunktur zu atmen, flexibel auf kurzfristige Konjunkturschwankungen zu reagieren. Sie hilft, dass sich wirtschaftlicher Aufschwung schnell in steigenden Beschäftigungszahlen bemerkbar macht. Und sie ist für viele Menschen, die zuvor arbeitslos waren, eine wichtige Brücke zurück in den ersten Arbeitsmarkt. Insbesondere Geringqualifizierte profitieren von den Chancen, die ihnen die Zeitarbeit bietet. Sie machen 32 Prozent der Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer aus. Damit ist ihr Anteil fast doppelt so hoch wie bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt. Damit die positiven Effekte der Zeitarbeit auch in Zukunft bestehen bleiben und der sogenannte Klebeeffekt zunimmt, müssen wir alles dafür tun, die Arbeitsbedingungen innerhalb der Branche weiter zu verbessern und Missbrauch konsequent zu verhindern. Die Politik wird weiter darauf achten, dass sich keine Modelle etablieren, die Stammbelegschaften aushöhlen, Lohndumping und Benachteiligung von Beschäftigten betreiben, nur weil sie Zeitarbeiter sind. Politik, Zeitarbeitsunternehmen und -verbände sowie Gewerkschaften sind hier gleichermaßen gefordert. Mit der im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verankerten und seit Mai 2011 möglichen Lohnuntergrenze für die gesamte Branche haben wir bereits einen großen Schritt getan, um Lohndumping in Zukunft zu verhindern. Außerdem haben wir Drehtürmodellen, bei denen Stammbelegschaften durch Leiharbeiter ersetzt werden, einen Riegel vorgeschoben. Jetzt ist es an der Zeit, dass auch der im Gesetz verankerte Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in der Praxis Einzug hält. Dies ist nicht nur ein Gebot der Fairness, sondern
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auch – angesichts von Fachkräftemangel und demografischem Wandel – entscheidend für die künftige Attraktivität der Zeitarbeit. Berechtigt sind die Argumente der Arbeitgeber, die auf den Wert des Betriebswissens und der Routine der Stammbelegschaft verweisen. Dass Zeitarbeiter eingearbeitet werden müssen und dafür Kosten anfallen, stellt niemand in Frage. Ich bin froh, dass wir nicht mehr um das „ob“ von Equal Pay ringen, sondern nur noch um die Wahl des richtigen Zeitpunktes. Hier sind erneut die Tarifparteien gefragt, eine praktikable Lösung zu finden, mit der alle Beteiligten leben können. Sie haben dafür bis zum Frühjahr 2012 Zeit. Sollte bis dahin kein tragfähiger Kompromiss zustande kommen, wird die Bundesregierung eingreifen und die nötigen Leitplanken vorgeben. Unser Ziel ist eine klare Regelung, die die nachhaltige Akzeptanz der Zeitarbeit in der Gesellschaft sichert. Die Zeitarbeit hat in den vergangenen Jahren ihre Existenzberechtigung immer wieder bewiesen. Sie ist wie ein Schmierstoff, der Wirtschaft und Arbeitsmarkt in unserem Land mit am Laufen hält. Jetzt geht es darum, die Zeitarbeit zukunftsfähig zu machen. Der vorliegende Sammelband des Zukunftsvertrags Zeitarbeit, in dem Unternehmen, Gewerkschaften, Politiker und Vertreter der Wissenschaft gleichermaßen zu Wort kommen, stimmt mich zuversichtlich, dass die Branche die bestehenden Herausforderungen sieht und gewillt ist, tatkräftig an bestmöglichen Lösungen zu arbeiten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre! Dr. Ursula von der Leyen Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Inhaltsverzeichnis
Einleitung Andreas Dinges, Vorsitzender Zukunftsvertrag Zeitarbeit ....... 1
Teil 1
Ökonomische Notwendigkeit und soziale Bedeutung der Zeitarbeit
Was leistet Zeitarbeit für die deutsche Wirtschaft? Martin Kannegiesser, Präsident Arbeitgeberverband Gesamtmetall .......................................................................... 11 Wie nutzen deutsche Unternehmen Zeitarbeit? Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln ...................................................... 21 Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt? Prof. Dr. Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Dr. Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB Kerstin Ziegler, Arbeitsgruppe Qualität der Beschäftigung des IAB ................................................................................... 33
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Teil 2
Inhaltsverzeichnis
Equal Pay oder die Diskussion um „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“
Warum ist eine gesetzliche Ausweitung des Equal Pay nicht nötig? Rainer Huke, Abteilungsleiter Lohn- und Tarifpolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ...................................................................... 57 Warum ist eine gesetzliche Regelung für „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ erforderlich? Claus Matecki, Vorstandsmitglied Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) ................................................................. 65
Teil 3
Rechtliche Rahmenbedingungen
Warum ist die Geschichte des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes so schwierig? Prof. Dr. Peter Schüren, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster ................................................................ 77 Wohin entwickelt sich die Zeitarbeit? Prof. Dr. Volker Rieble, Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) der LudwigMaximilians-Universität München ......................................... 97
Teil 4
Politische Standpunkte
Welche Position zur Zeitarbeit vertreten CDU und CSU? Dr. Joachim Pfeiffer, MdB (CDU), wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ....................... 115
Inhaltsverzeichnis
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Welche Position zur Zeitarbeit vertritt die FDP? Johannes Vogel, MdB (FDP), arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion ................................ 129 Welche Position zur Zeitarbeit vertritt die SPD? Garrelt Duin, MdB (SPD), wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ................................. 137 Welche Position zur Zeitarbeit vertreten Bündnis 90/Die Grünen? Beate Müller-Gemmeke, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Bündnis 90/ Die Grünen-Bundestagsfraktion ........................................... 145
Teil 5
Stellenwert der Zeitarbeit in Europa
Welche Zeitarbeitsmodelle gibt es in anderen Ländern? Dr. Werner Eichhorst, Stellvertretender Direktor Arbeitsmarktpolitik am Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA) Paul Marx, Resident Research Affiliate am IZA ................... 157 Warum braucht Europa flexible Beschäftigungsverhältnisse? Jürgen R. Thumann, Präsident BUSINESSEUROPE ......... 173
Teil 6
Mehr Fachkräfte durch Aus- und Weiterbildung in der Zeitarbeit
Wie unterstützen moderne Personaldienstleister das lebenslange Lernen? Prof. Dr. Klaus Schömann, Professor für Soziologie am Jacobs Center on Lifelong Learning der Jacobs University Bremen ................................................................ 189
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Inhaltsverzeichnis
Wie können sich Zeitarbeitnehmer durch den Prozess der Arbeit weiterbilden? Christina Düsseldorff/Bianca Goertz, Forschungsprojekt Bildungszeit – Wachstumsbranche Zeitarbeit: Handlungsfelder, Kompetenzentwicklung, Bildungsprofile an der Universität Duisburg-Essen .................................................................... 203
Entwicklung der Zeitarbeit in Deutschland ......................... XIII Zahlen und Fakten zur Zeitarbeitsbranche ....................... XVII Mitglieder des Zukunftsvertrags Zeitarbeit e.V. ............... XXV
Einleitung Andreas Dinges, Vorsitzender Zukunftsvertrag Zeitarbeit und CEO der Adecco Gruppe in Deutschland
In den vergangenen Jahren hat die Weltwirtschaft eine atemberaubende Berg- und Talfahrt absolviert. Auf globale und regionale Rezessionen folgten teils starke Wachstumsphasen. Diese Ab- und Aufschwünge haben eines in aller Deutlichkeit gezeigt: Die deutsche Wirtschaft braucht Flexibilität. Die Zeitarbeit spielt deshalb hierzulande längst eine Schlüsselrolle und ist für den Arbeitsmarkt von zentraler Bedeutung. Sie bietet den Unternehmen den nötigen Freiraum, um in einer globalen Welt wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie unterstützt in Abschwungphasen gemeinsam mit dem Instrument der Kurzarbeit den Arbeitsmarkt bzw. speziell die Kernbelegschaften. Und sie ermöglicht in Zeiten des Aufschwungs eine schnelle Erholung. Unternehmen können zunächst beobachten, wie belastbar die konjunkturelle Entwicklung ist, bevor sie erneut eigenes Personal einstellen. Trotz dieser offensichtlichen Vorteile der Zeitarbeit ist immer wieder Aufklärung über dieses Instrument notwendig. Häufig paart sich mangelndes Detailwissen mit Fehlinformationen aufgrund gezielter Kampagnen gegen diese Arbeitsform. In der Öffentlichkeit herrscht oft ein falsches Bild von der Branche. Bislang gab es kein ganzheitliches Werk über die Rolle, den Rahmen und die Wirkung von Zeitarbeit. Das will der ZuA. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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kunftsvertrag Zeitarbeit als Herausgeber des vorliegenden Sammelbands ändern. Er vertritt die Marktführer der Zeitarbeit in Deutschland. Bis Ende 2010 war der Zukunftsvertrag Zeitarbeit ein eigenständiger Verein, seit Anfang 2011 agiert er als Ausschuss innerhalb des Branchenverbands Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP). In dem Sammelband stellen Arbeitsmarktexperten aus verschiedenen Disziplinen die wirtschaftlichen und sozialen Effekte der Zeitarbeit aus ihrer Perspektive dar. Ihr Anliegen ist es, die Öffentlichkeit umfassend über diese Beschäftigungsform zu informieren. Die Beiträge beruhen auf fundierten Studien, Untersuchungen und Befragungen. Dabei kommen auch die Kritiker der Zeitarbeit zu Wort. Wir führen einen offenen und verantwortungsvollen Dialog mit allen Akteuren, um die Zukunft der Zeitarbeit zu gestalten.
Die Weichen für die Zukunft stellen Deutschland sieht sich in naher Zukunft zahlreichen Herausforderungen ausgesetzt; der demografische Wandel ist eine davon. Viele Unternehmen können heute bereits wichtige Positionen nicht mehr besetzen, weil ihnen die geeigneten Spezialisten fehlen. Diese Situation wird sich in Zukunft weiter zuspitzen. Dem Fachkräftemangel müssen wir deshalb mit zielgerichteten Lösungen begegnen. Zeitarbeit wird eine davon sein. Sie bietet die Möglichkeit, personelle Ressourcen zu erschließen, indem beispielsweise unzureichend qualifizierte Arbeitnehmer weitergebildet und fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden. Gerade Langzeitarbeitslose profitieren von dieser Brückenfunktion, bei der sie durch geeignete Programme wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt
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werden. Arbeiter werden so zu Facharbeitern qualifiziert und Facharbeiter bilden sich zu Spezialisten weiter. Zeitarbeitsunternehmen werden mit ihren vielfältigen Weiterbildungsprogrammen somit zu starken Partnern der Wirtschaft. Die deutsche Wirtschaft muss zudem attraktiver für qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland werden. Dieses Organisieren der internationalen Mobilität wird in Zukunft eine wichtige Aufgabe der Zeitarbeit werden. Eine Herausforderung ist zudem die verstärkte Integration von Frauen in das Arbeitsleben. Wir können es uns nicht mehr erlauben, Frauen mangels Kinderbetreuungsmöglichkeiten vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Stattdessen müssen wir uns verstärkt um ihre Karriereperspektiven bemühen. Auch hier geht die Zeitarbeit mit ersten Projekten voran. Nicht nur der Wirtschaft, auch den Arbeitnehmern kann die Zeitarbeit neben der Sicherheit vollwertiger Beschäftigungsverhältnisse mehr Flexibilität in ihrer Lebensgestaltung bieten. Jahresarbeitszeitkonten schaffen beispielsweise gewünschte Freiräume. Solche flexiblen Arbeitsformen sind heute mehr und mehr gefragt. Menschen leben in zunehmend vielfältigen Familienmodellen: Väter nehmen Elternzeit, Einsteiger wollen ebenso wie ältere Kollegen Auslandserfahrungen sammeln, speziell Mütter wünschen sich mehr Teilzeitangebote. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sich Kontinuität und einen auf Dauer angelegten Job vor Ort wünschen. Zeitarbeit hat den Vorteil, dass sie sich dieser unterschiedlichen Lebensmodelle und der damit verbundenen beruflichen Ziele annehmen kann.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen Die Weichen für eine erfolgreiche Zeitarbeit wurden bereits im Jahr 2002 in der Gesetzgebung gestellt. 2004 folgten die ersten
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flächendeckenden, wegweisenden Tarifverträge. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen wurden durch die im Jahr 2008 erlassene Europäische Zeitarbeitsrichtlinie im Wesentlichen bestätigt. Alles zusammen stärkt das spezielle deutsche Zeitarbeitsmodell, in dem das Zeitarbeitsunternehmen ein vollwertiger Arbeitgeber ist und in der Regel vollwertige sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse unbefristeter Natur bietet. Das Zeitarbeitsunternehmen übernimmt somit das Risiko der Nichtüberlassung zwischen den Einsätzen und auch die Entgeltfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfall. In vielen unserer Nachbarländer sieht das anders aus. Dort herrscht nicht selten in der Zeitarbeit eine „Hire-and-fire“-Kultur. Während eines Einsatzes hat der Zeitarbeitnehmer zwar häufig ein höheres Einkommen, er trägt aber auch ein deutlich höheres Risiko. Die Zeitarbeitsunternehmen treten als eine Art Agentur auf und stellen ihre Mitarbeiter nur für die Dauer ihres Einsatzes im Entleihbetrieb an. Läuft der Einsatz aus, endet die Geschäftsbeziehung. Fehlt der nächste Auftrag, folgt direkt die Arbeitslosigkeit. 2011 hat der Gesetzgeber das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in einigen Punkten verändert, um Lücken für den Missbrauch zu schließen. Gerade das Fehlverhalten einiger Unternehmen hat der gesamten Zeitarbeitsbranche in der Vergangenheit massiv geschadet. Wesentlich war, dem sogenannten Drehtüreffekt einen Riegel vorzuschieben: Arbeitnehmer, die aus einem Unternehmen ausscheiden, dürfen nun innerhalb der nächsten sechs Monate nicht als Zeitarbeitnehmer in dieses oder ein anderes Unternehmen desselben Konzerns zu schlechteren Arbeitsbedingungen zurückkehren. Vor dem Hintergrund der nach Osteuropa offenen Märkte wurde zudem eine Lohnuntergrenze auf den Weg gebracht. Sie garantiert, dass Lohndumping der Vergangenheit angehört. Neben den gesetzlichen Regelungen gibt es die bekannten tariflichen Regelungen für die Zeitarbeitsbranche. Sie gelten nun bis zum Jahr 2013. Der Bun-
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desverband Zeitarbeit (BZA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatten sich im März 2010 auf deren Verlängerung geeinigt. Die Abschlüsse bieten sowohl den Unternehmen als auch den Arbeitnehmern Planungssicherheit und sind Grundlage für faire Beschäftigungsverhältnisse.
Eine starke Stimme für die Branche Wichtig für die Zukunft ist darüber hinaus eine professionelle Verbandsarbeit. Die Zeitarbeitsunternehmen suchen seit jeher den Dialog mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zwei der drei Branchenverbände haben sich 2011 unter einem gemeinsamen Dach zusammengefunden: Der Bundesverband Zeitarbeit und der Arbeitgeberverband mittelständischer Personaldienstleister (AMP) haben den Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) gegründet. Der neue Verband repräsentiert 1.852 Mitglieder, mehr als die Hälfte der Zeitarbeitnehmer sind in ihm erfasst. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht die Aufklärung der Öffentlichkeit. Er trägt die Argumente nach außen, kommuniziert den Nutzen und die Vielfalt der Zeitarbeitsbranche und verleiht ihr eine weithin wahrnehmbare Stimme. Die Kampagne „Die Zeitarbeit“ stellt selbstbewusst dar, was die Branche auszeichnet. Der Auftritt des Zukunftsvertrags Zeitarbeit unter dem gemeinsamen Dach des BAP stellt für die Zukunft eine einheitliche, geschlossene und zielgerichtete Vertretung der Interessen sicher. Ziel ist die nachhaltige Stärkung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit. Dazu muss innovativen, flexiblen Beschäftigungsformen der Weg geebnet werden. Die Aufgaben der Zeitarbeit sind klar umrissen: Sie ist weder wirtschaftlich noch sozial aus unserer Gesellschaft wegzu-
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denken. Gerade im Zeitalter des demografischen Wandels kommt ihr im Arbeitsmarkt eine tragende Rolle zu. Wie diese genau aussehen wird, zeigt der vorliegende Sammelband. Herzlich bedanken möchte ich mich bei all denen, die dieses Buch ermöglicht haben: den Autorinnen und Autoren für ihre wertvollen inhaltlichen Beiträge und der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, für ihr Vorwort zum Sammelband. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine aufschlussreiche Lektüre.
Andreas Dinges Geschäftsführer (CEO) der Adecco Gruppe in Deutschland , Region Head Germany & Austria
Andreas Dinges, geboren 1959, studierte Betriebswirtschaftslehre in Köln mit den Schwerpunkten Marketing, Marktforschung und Informatik. Seine berufliche Laufbahn begann Andreas Dinges in der Unternehmens- und Personalberatung, bevor er zur deutschen Tochter des US-amerikanischen Konzerns 3M wechselte, wo er zuletzt als Sprecher des Vorstands der 3M ESPE AG, Seefeld und Business Unit Director Dental Europe, East Europe, Middle East, Africa tätig war. Seit Juli 2006
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ist Andreas Dinges Vorstandsvorsitzender (CEO) der DIS AG. Im Januar 2009 wurde er zum Country Manager der deutschen Adecco Gruppe ernannt, die die Unternehmen Adecco Personaldienstleistungen GmbH, DIS AG und TUJA Zeitarbeit GmbH repräsentiert. Im Oktober 2009 wurde ihm zusätzlich die Verantwortung für Österreich übertragen. Der Vorsitzende des Zukunftsvertrags Zeitarbeit wurde im Juni 2010 außerdem in den Vorstand des Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen, dem heutigen Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) gewählt.
Teil 1 Ökonomische Notwendigkeit und soziale Bedeutung der Zeitarbeit
Was leistet Zeitarbeit für die deutsche Wirtschaft? Martin Kannegiesser, Präsident Arbeitgeberverband Gesamtmetall
Die Metall- und Elektro-Industrie (M+E) ist mit Abstand die größte Industriebranche Deutschlands. Doch sie ist kein monolithischer Block, ganz im Gegenteil: Zur M+E-Industrie gehören 14 Branchen. Und selbst das ist nur ein Teil der Wahrheit – ein Schwergewicht wie der Maschinenbau beispielsweise zählt mehr als 120 Unterbranchen. Was Produktionszyklen, konjunkturelle Schwankungen und Kunden angeht, sind ein Automobilhersteller und eine Werft kaum vergleichbar, auch der Markt für Haushaltsgeräte und der für Walzwerke haben wenig miteinander gemein. Das erklärt, warum sich die konjunkturelle Lage von Unterbranche zu Unterbranche, manchmal sogar von Unternehmen zu Unternehmen, unterscheiden kann – von historischen Sonderfällen wie der Finanzkrise 2008 einmal abgesehen, die alle Betriebe und Branchen gleichermaßen betraf. Dieses Auf und Ab der unterschiedlichen Firmen- und Branchenkonjunkturen bedeutet zwangsläufig, dass mal mehr, mal weniger Personal benötigt wird. In den angelsächsischen Ländern ist die Antwort darauf das Prinzip des „hire and fire“. Für eine von der Sozialen Marktwirtschaft geprägte Nation wie Deutschland kann das keine Lösung sein. Denn sie behält
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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neben der wirtschaftlichen Effizienz immer auch den sozialen Ausgleich im Auge und setzt auf ein faires Miteinander in den Betrieben.
Große Bedeutung für die Metall- und ElektroIndustrie Deshalb ist die Zeitarbeit so wichtig: Kein anderes Instrument kann den Personaltransfer zwischen den einzelnen Sparten so rasch und reibungslos gewährleisten und dadurch den nötigen Mitarbeiterbestand in den Betrieben sichern. Gerade in Phasen großer Unsicherheit, zum Beispiel einem noch nicht gefestigten Aufschwung, erlaubt Zeitarbeit den Unternehmen einen raschen Aufbau von Beschäftigung, ohne sofort und auf Dauer an die neuen Mitarbeiter gebunden zu sein. So können die M+EUnternehmen die Chancen der Märkte nutzen und den Grundstein für einen nachhaltigen Beschäftigungsaufbau legen. Es ist vor allem diese personalpolitische Flexibilität, die Zeitarbeit für unsere Branche so wichtig macht. So haben im April 2010 in einer Umfrage der Gesamtmetall-Mitgliedsverbände 68 Prozent der 1.365 befragten Betriebe angegeben, mit der Zeitarbeit Auftragsspitzen abfedern zu können. Für jeden zweiten Betrieb waren zudem eine flexible Personalplanung und der Ausgleich von Personalausfällen zentrales Motiv für den Einsatz von Zeitarbeitnehmern (Abbildungen 1 und 2).
Was leistet Zeitarbeit für die deutsche Wirtschaft?
Abb. 1. Zeitarbeit in der M+E-Industrie Quelle: Gesamtmetall-Umfrage Zeitarbeit, April 2010.
Abb. 2. Quellen des Arbeitsvolumens Quelle: Gesamtmetall-Umfrage Zeitarbeit, April 2010.
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Martin Kannegiesser
Damit sichert Zeitarbeit auch die Arbeitsplätze der Stammbelegschaften, die für unsere Industrie von entscheidender Bedeutung sind. Das Kostenargument spielt eine deutlich geringere Rolle. Zeitarbeit ist nicht als eine zweite, niedrigere Lohnlinie in den Unternehmen gedacht. Wer zu den aktuellen Arbeitskosten mit seinen Produkten und Absatzmärkten strukturell nicht zurechtkommt, der benötigt andere Instrumente. Auch davor verschließen die Tarifparteien nicht die Augen und sind immer bereit, mit den Betrieben und den Belegschaften nach Lösungen zu suchen.
Stammbelegschaften bleiben die wichtigsten Arbeitskräfte Trotz der eminent wichtigen Funktion, die Zeitarbeit für unsere Branche hat, spielt sie im Vergleich zu unseren Stammbelegschaften nur eine untergeordnete Rolle. Gerade weil für unsere Industrie das in den Betrieben gesammelte Fach- und Erfahrungswissen entscheidend ist, setzen wir auf unsere Stammbelegschaften, die wir entwickeln und fördern. Einige Zahlen verdeutlichen dies. Bis zum Kriseneinbruch 2008 hatten die Metall- und Elektro-Betriebe 240.000 zusätzliche Stammarbeitsplätze geschaffen, aber nur 60.000 zusätzliche Zeitarbeitnehmer eingesetzt. Das zeigt: Zeitarbeit verdrängt Stammbelegschaften nicht, sondern ergänzt sie – und auch das nur in moderatem Ausmaß. Der Anteil der Zeitarbeit im Verhältnis zur Stammbelegschaft lag auf dem Höhepunkt des vorigen Aufschwungs nur bei knapp sechs Prozent. Heute ist unsere Branche immer noch nicht wieder auf Vorkrisenniveau, trotzdem geht es mit der Beschäftigung wieder bergauf. 95.000 neue Stammarbeitsplätze sind seit April 2010
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entstanden, weitere 65.000 könnten bis Ende 2011 hinzukommen. Dagegen wurden im gleichen Zeitraum nur 15.000 zusätzliche Zeitarbeitnehmer eingesetzt, ihr Anteil im Verhältnis zur Stammbelegschaft liegt unter fünf Prozent – und damit deutlich unter dem Niveau vor der Krise. Die Stammbelegschaften wachsen also nicht nur, sie wachsen auch stärker als die Zeitarbeit. Und nebenbei gesagt: 60 Prozent aller M+E-Unternehmen setzen laut IAB-Betriebspanel überhaupt keine Zeitarbeit ein (Abbildung 3).
Abb. 3. Zeitarbeitnehmer in der M+E-Industrie Quelle: IAB-Betriebspanel 2005–2010.
Zeitarbeit ist ein Beschäftigungsmotor erster Güte Zeitarbeit hat bereits vielen Menschen, vor allem Langzeitarbeitslosen, An- und Ungelernten, einen vollwertigen Arbeits-
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platz verschafft. Sie wären früher meist in perspektivloser Dauerarbeitslosigkeit geblieben. Im Jahr 2009 wurden in der Zeitarbeit insgesamt – also nicht allein in der Metall- und ElektroIndustrie – 62 Prozent der neuen Arbeitsverhältnisse mit Personen geschlossen, die vorher noch nicht oder seit Längerem nicht beschäftigt waren: sieben Prozent nie, 47 Prozent ein Jahr lang nicht und acht Prozent länger als ein Jahr nicht. Die Hälfte der Zeitarbeitnehmer in der Metall- und Elektro-Industrie sind Anund Ungelernte, nur sieben Prozent Akademiker. Die Zeitarbeit baut damit genau denjenigen eine Brücke in den Arbeitsmarkt, die andernfalls weitgehend ohne Chance wären (Abbildung 4).
Abb. 4. Beschäftigungschance für geringer Qualifizierte Quelle: Gesamtmetall-Umfrage Zeitarbeit, April 2010.
Viele Zeitarbeitnehmer gehen erfolgreich über diese Brücke. Wer in den Einsatzbetrieben unter Beweis stellt, dass er motiviert und engagiert ist und seine Aufgaben gut erledigt, wird nicht
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selten von den Kundenunternehmen übernommen. Knapp jeder dritte Zeitarbeitnehmer schafft auf diese Weise den Schritt in den ersten Arbeitsmarkt. Ohne das „Assessment Center Zeitarbeit“ käme dieser Klebeeffekt nicht zustande. Gelegentlich wird bemängelt, diese Brücke in den Arbeitsmarkt sei nur ein schmaler Steg. Gerade dann aber sollten alle mithelfen, den Übergang zu verbreitern und zu stabilisieren. Je mehr Erwerbslosen der Weg ins Berufsleben gebahnt werden kann, umso größer ist der arbeitsmarktpolitische Erfolg. Es wäre freilich zu kurz gesprungen, diesen Erfolg nur am Klebeeffekt zu messen und die Zeitarbeit lediglich auf ihre Vermittlungsfunktion zu reduzieren. Schon wer es in die Zeitarbeit geschafft hat, besitzt einen vollwertigen, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt, der dem gleichen Kündigungsschutz unterliegt wie alle anderen Arbeitsplätze.
Kein Platz in der Schmuddelecke Einkommen, Arbeitszeiten und sonstige Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft und der Zeitarbeitnehmer können nicht automatisch gleichgesetzt werden. Weil die Stammmitarbeiter aufgrund ihrer Betriebserfahrung, ihrer Qualifikation und der meist anspruchsvolleren Aufgaben eine höhere Produktivität aufweisen, sind auch Unterschiede in der Bezahlung sachlich gerechtfertigt. Zeitarbeitnehmer kommen, wie bereits erwähnt, überwiegend aus der Erwerbslosigkeit. Sie kennen daher weder die Betriebsabläufe noch die Unternehmenskultur. Der Lohnabstand stellt insofern einen Einarbeitungsabschlag oder eine Art Vermittlungsprämie für die Beschäftigung von „Problemgruppen“ dar. Insbesondere Geringqualifizierte könnten zu den regulären M+E-Tarifen oft nicht beschäftigt werden.
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Der Deutsche Gewerkschaftsbund vergleicht dennoch kurzerhand die Einkommen von Facharbeitern, Ingenieuren und Führungskräften mit denen der Zeitarbeitnehmer. Dies ist nicht nur unseriös, sondern blendet auch völlig aus, dass der Arbeitsmarkt ohne Zeitarbeit vielen Menschen komplett verschlossen bliebe. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die unterschiedliche Bezahlung nicht – wie häufig unterstellt wird – auf einer diskriminierenden, ja ausbeuterischen Haltung der Arbeitgeber gegenüber den Zeitarbeitnehmern beruht, sondern durch Tarifverträge, die die Gewerkschaften mit den Verbänden der Zeitarbeit geschlossen haben, rechtlich abgesichert ist. Wer hier etwas ändern möchte, muss sich zuerst an die Tarifvertragsparteien der Zeitarbeitsbranche wenden, nicht aber an die entleihenden Unternehmen, die lediglich Leistungen der Zeitarbeitsfirmen in Anspruch nehmen. Es mag Aufsehen erregende Einzelfälle geben, die von Gewerkschaften, Politik und Medien zu Recht kritisiert werden – Stichwort „Schlecker-Drehtüreffekt“ –, aber nicht die M+EIndustrie betrafen. Wir haben uns von solchen Missbrauchsfällen deutlich distanziert und verurteilten sie. Diese Einzelfälle dürfen nicht verallgemeinert und die Vielzahl seriös arbeitender Zeitarbeitsfirmen dadurch in ein schlechtes Licht gerückt werden. Vorwürfe wie die einer „Spaltung der Belegschaft“ oder einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft im Betrieb“ sind nicht hilfreich, sondern beschädigen das in der Regel sehr gute Klima in den Unternehmen. Auch die Politik darf sich nicht von solchen Einzelfällen leiten lassen und mit überzogenen gesetzlichen Reglementierungen das Kind mit dem Bade ausschütten. Wer die Zeitarbeit zu stark einschnürt, raubt den Betrieben die Luft zum Atmen und vielen Menschen die Chance auf Beschäftigung.
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Martin Kannegiesser Präsident Arbeitgeberverband Gesamtmetall
Martin Kannegiesser, geboren 1941, ist Inhaber der Herbert Kannegiesser GmbH. Nach seinem Abschluss als DiplomKaufmann 1966 wurde er zunächst Vertriebsleiter, später dann Geschäftsführer und Inhaber des Unternehmens. Er machte die Firma zu einer führenden Marke in den Spezialmärkten zunächst der Bekleidungs- und später der Wäschereitechnik. Martin Kannegiesser ist seit September 2000 Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Der Verband vertritt die Interessen von 23.500 Betrieben mit 3,5 Millionen Beschäftigten und steht damit für fast zwei Drittel der gesamten deutschen Industrie. Seit September 2010 ist Kannegiesser auch Präsident des europäischen Dachverbands der M+E-Industrie, CEEMET.
Wie nutzen deutsche Unternehmen Zeitarbeit? Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln
Die Diskussion um die Zeitarbeitsbranche hat sich in den vergangenen Jahren intensiviert. Während die Befürworter der Zeitarbeit die positiven Effekte dieses Instruments für die Unternehmen, deren internationale Wettbewerbsfähigkeit und den Arbeitsmarkt betonen, fordern die Gegner weitgehende gesetzliche Regulierungen. Die Begründung solch gravierender Eingriffe erfolgt meist vor dem Hintergrund von Einzelfällen, etwa der „Schlecker-Affäre“. Die amtlichen Statistiken bieten zu vielen Aspekten der Zeitarbeit aber keine oder keine ausreichenden Informationen, deshalb lassen sich die Argumente beider Seiten nur schwer überprüfen. Um die Debatte in diesem Bereich zu versachlichen, hat die IW Consult GmbH eine Befragung unter 3.800 Unternehmen aller Branchen und Größenklassen zum Thema Zeitarbeit durchgeführt. Die darauf aufbauende IW-Studie „Zeitarbeit in Deutschland – Treiber für Flexibilität und
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Wachstum“1 zeigt, dass viele Ressentiments gegen die Zeitarbeit einer empirischen Überprüfung nicht standhalten.
Über die Hälfte der Unternehmen setzt Zeitarbeitnehmer ein Im Durchschnitt aller Branchen und Größenklassen nutzen in Deutschland rund 52 Prozent der Unternehmen mit mindestens einem Angestellten das Instrument der Zeitarbeit. Industrieunternehmen beschäftigen dabei häufiger Zeitarbeiter als Dienstleistungsunternehmen. Auch hinsichtlich der Größe eines Unternehmens, gemessen an der Anzahl seiner Mitarbeiter, lassen sich erhebliche Unterschiede feststellen: So liegt der Anteil der Zeitarbeit einsetzenden Unternehmen in der Größenklasse bis 49 Mitarbeiter bei gerade einmal 18 Prozent. Von den Betrieben mit 50 bis 499 Mitarbeitern fordern rund 56 Prozent Zeitarbeitnehmer an. Bei Großunternehmen mit 500 oder mehr Mitarbeitern liegt dieser Anteil sogar bei 84 Prozent. Diese Zahlen sagen aber noch nichts darüber aus, wie intensiv ein Unternehmen Zeitarbeiter im eigenen Betrieb einsetzt. Daher muss zusätzlich die „Zeitarbeitsintensität“, also die Anzahl der Zeitarbeitnehmer an der gesamten Belegschaft eines Unternehmens inklusive Zeitarbeitnehmern, betrachtet werden. Diese lag im Durchschnitt aller Branchen und Unternehmensgrößen im Jahr 2010 bei rund 4 Prozent. Damit ist bei Unternehmen, die Zeitarbeit einsetzen, etwa jeder fünfundzwanzigste Beschäftigte ein Zeitarbeiter. Da sich diese Berechnung aber nur auf 1
IW Consult GmbH: Zeitarbeit in Deutschland – Treiber für Flexibilität und Wachstum, Studie vom April/Mai 2011, kostenfreier Download unter www.iwconsult.de.
Wie nutzen deutsche Unternehmen Zeitarbeit?
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Unternehmen bezieht, die tatsächlich Zeitarbeiter einsetzen, darf dieser Wert nicht als Mittelwert über alle in Deutschland ansässigen Unternehmen fehlinterpretiert werden. Unterschiede in der Zeitarbeitsintensität sind vor allem zu beobachten, wenn die Unternehmensgröße betrachtet wird. So setzen Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern zwar deutlich seltener als der Durchschnitt auf das Instrument Zeitarbeit. Zugleich liegt die Intensität bei rund 19 Prozent. In mittelständischen oder großen Unternehmen ist diese deutlich niedriger. Neben der unterschiedlichen Nutzung der Zeitarbeit in Abhängigkeit von Branche und Unternehmensgröße sind zwei weitere Unterscheidungsmerkmale besonders interessant: Zum einen sind Unternehmen, die Zeitarbeiter einsetzen, im Hinblick auf ihre Umsatzentwicklung erfolgreicher gewesen. Sie sind zwischen 2009 und 2010 um mehr als 11 Prozent gewachsen, die Vergleichsgruppe ohne Zeitarbeit lediglich um rund 6 Prozent. Zum anderen sind Unternehmen mit Zeitarbeitern tendenziell besser für die Zukunft aufgestellt. Auswertungen des IW-Zukunftspanels zeigen, dass Unternehmen – gemessen an Umsatz und Beschäftigungswachstum, Renditen und Zukunftsaussichten – erfolgreicher sind, wenn sie Niederlassungen im Ausland haben, innovativ sind und Forschung und Entwicklung betreiben. Besonders gut schneiden Unternehmen ab, die alle drei Faktoren erfüllen. Das trifft für rund 35 Prozent der Unternehmen mit Zeitarbeitern zu, aber nur für 18 Prozent der Vergleichsgruppe ohne Zeitarbeit. Auch am anderen Ende der Skala lässt sich ein eindeutiger Befund ausmachen: Während nur 12 Prozent der Unternehmen, die Zeitarbeiter beschäftigen, keinen einzigen der oben genannten Erfolgsfaktoren vorzuweisen haben, trifft dies für rund 22 Prozent der Unternehmen ohne Zeitarbeit zu. Wichtig ist an dieser Stelle, die Kausalitäten richtig zu deuten: Dass Unternehmen, die in ihrer Belegschaft Zeitarbeiter einsetzen, schneller auf den Aufschwung reagieren konnten, damit
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höhere Umsätze erzielten und potenziell besser für den (internationalen) Wettbewerb aufgestellt waren, bedeutet nicht, dass dies allein auf die Zeitarbeit zurückgeführt werden kann. Vielmehr gilt: Unternehmen, die den Export als Deutschlands Wirtschaftsmotor am stärksten vorantreiben, sind am meisten auf Flexibilität angewiesen. Zeitarbeitnehmer sorgen als personalpolitischer Puffer dafür, dass kurzfristige Auftragsspitzen schnell bewältigt werden können. Insgesamt bieten die Studienergebnisse ein deutliches Indiz dafür, dass der Einsatz von Zeitarbeitern einen wichtigen Baustein im Strategiegefüge besonders erfolgreicher Unternehmen darstellt.
Erhöhung der personalpolitischen Flexibilität als wichtigster Einsatzgrund Die Diskussion um die Zeitarbeitsbranche entzündet sich vielfach daran, dass den Unternehmen vorgeworfen wird, Zeitarbeitnehmer ausschließlich aus Kostengründen angefordert zu haben. Die IW-Studie zeigt: Beim Einsatz der Zeitarbeit sind andere Faktoren entscheidend. Das überragende Motiv ist die Möglichkeit zur „flexiblen und kurzfristigen Anpassung der Kapazitäten“. 86 Prozent der befragten Unternehmen bezeichnen dies als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ beim Einsatz von Zeitarbeit. Auf dem zweiten Rang folgt mit 77 Prozent die „Verfügbarkeit entsprechend qualifizierter Arbeitskräfte“. Die „Erprobung von Arbeitskräften“ steht auf dem dritten Rang (48 Prozent). Erst als viertwichtigstes Motiv (34 Prozent) wird von den Unternehmen eine „günstigere Kostenstruktur bei der Entlohnung“ von Zeitarbeitnehmern im Vergleich zu Neueinstellungen bei der Stammbelegschaft genannt.
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Die Qualifikationsanforderungen der vom Zeitarbeiter zu übernehmenden Aufgabe spielen für die Rangfolge der Motive keine Rolle. Der „Verfügbarkeit von entsprechend qualifizierten Arbeitskräften“ und der „Erprobung von Arbeitskräften“ wird bei höheren Qualifikationsanforderungen aber eine signifikant größere Bedeutung zugewiesen. Das höhere Gewicht, das die Unternehmen der „Verfügbarkeit von Arbeitskräften“ im höher qualifizierten Bereich beimessen, ist auf den in einigen Branchen bereits deutlich spürbaren Fachkräftemangel zurückzuführen. Die Zeitarbeitsbranche kann dazu beitragen, für eine effizientere Allokation der knappen Ressource „Fachkräfte“ zu sorgen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass auch den Zeitarbeitsunternehmen selbst der Fachkräftemangel bekannt ist. Dies gilt, wie der IW-Zeitarbeitsindex (Welle 43 und 44) zeigt, insbesondere für die Metall- und Elektroberufe sowie die technischen Berufe. Auch die größere Bedeutung der „Erprobung von Arbeitskräften“ bei Aufgaben mit höheren Qualifikationsanforderungen lässt sich erklären: Tendenziell steigen die Such- und Anwerbungskosten von Mitarbeitern mit den Qualifikationsanforderungen, deshalb wird die Erprobung und anschließende Übernahme von Zeitarbeitnehmern für die Unternehmen zu einer betriebswirtschaftlich attraktiven Option. Die besondere Bedeutung einer gesteigerten personalpolitischen Flexibilität, die der Einsatz von Zeitarbeitern den Unternehmen im Bedarfsfall bietet, wird auch bei einem Vergleich der Umsatzentwicklung von Unternehmen mit und ohne Zeitarbeitern deutlich (Abbildung 1). Während die Unternehmen ohne Zeitarbeit in der Krise 2008/09 lediglich eine Abschwächung ihres Umsatzwachstums hinnehmen mussten, brachen Auftragslage – und mit ihr die Umsätze – bei den Unternehmen mit Zeitarbeitern kräftig ein. Im Aufschwung des Jahres 2010 hingegen konnten sie deutlich höhere Umsatzzuwächse realisie-
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ren. Die stärkeren Reaktionen auf Krise und Aufschwung sind vor allem auf die spezifischen Wettbewerbsbedingungen zurückzuführen, unter denen diese Unternehmen agieren: Sie engagieren sich häufiger auf ausländischen Märkten, exportieren mehr und befinden sich damit in einem insgesamt volatileren Geschäftsumfeld.
Abb. 1. Umsatzentwicklung Quelle: IW Consult (2011), Studie „Zeitarbeit in Deutschland – Treiber für Flexibilität und Wachstum“, eigene Berechnungen.
Hätten diese Unternehmen in der Wirtschafts- und Finanzkrise, als die Aufträge aus dem Ausland ins Bodenlose stürzten, nicht schnell ihre personellen Ressourcen zurückfahren können, wären sicherlich weit mehr Mitarbeiter der Stammbelegschaften den notwendigen Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer gefallen. Durch Kurzarbeit und den flexiblen Einsatz der Zeit-
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arbeit waren trotz Auftragsflaute beim Stammpersonal keine gravierenden Einschnitte notwendig (Abbildung 2). Damit hat der Einsatz der Zeitarbeit die Stammbelegschaften in der Krise stabilisiert und nicht – wie vielfach behauptet wird – gefährdet. Während nach der Krise in Unternehmen ohne Zeitarbeit noch Stellenanzeigen geschaltet, Bewerbungen gesichtet, Vorstellungsgespräche geführt und Gehaltsverhandlungen aufgenommen wurden, lief die Produktion in den Unternehmen mit Zeitarbeitnehmern längst wieder auf Hochtouren.
Abb. 2. Entwicklung von Kernkennzahlen Quelle: IW Consult (2011), Studie „Zeitarbeit in Deutschland – Treiber für Flexibilität und Wachstum“, eigene Berechnungen.
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Austausch der Stammbelegschaften nicht nachweisbar In der öffentlichen Diskussion wird oft der Vorwurf geäußert, die deutsche Wirtschaft würde systematisch Stammbelegschaften durch Zeitarbeitnehmer ersetzen. Bei einer solchen Strategie müssten die Unternehmen an einer möglichst langen Überlassungsdauer der Zeitarbeitnehmer interessiert sein, um deren Einarbeitungskosten zu minimieren. Sollte ein solcher „Mitarbeitertausch“ ein Massenphänomen sein, müsste sich dies in der durchschnittlichen Überlassungsdauer nachweisen lassen. Die amtliche Statistik der Bundesagentur für Arbeit hilft dabei nicht weiter. Sie weist zwar die Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen „Verleiher“ und „Leiharbeitnehmer“ aus, nicht aber die durchschnittliche Dauer eines „Entleih-Einsatzes“. Aus der IW-Studie wird deutlich: 31 Prozent der Unternehmen fordern ihre Zeitarbeitnehmer für maximal drei Monate an. 26 Prozent geben Überlassungszeiträume zwischen drei und sechs Monaten an, weitere 28 Prozent setzen die angeforderten Zeitarbeitnehmer zwischen einem halben und einem Jahr ein. Lediglich 15 Prozent der Unternehmen beschäftigen Zeitarbeitnehmer länger als ein Jahr.
Rund 14 Prozent der Zeitarbeitnehmer werden übernommen Die grundsätzliche Existenz bzw. die konkrete Höhe des sogenannten „Klebeeffektes“ – der Übernahme eines Zeitarbeitnehmers im Kundenunternehmen – wird von Gegnern und Befürwortern der Zeitarbeitsbranche ebenfalls sehr kontrovers diskutiert. Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben sich mit
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dieser Thematik auseinandergesetzt und kommen zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Die Quantifizierung der Übernahmequoten reicht von 4 bis 30 Prozent.2 Die meisten dieser Untersuchungen haben das methodische Problem einer fehlenden Kontrollgruppe. Damit bleibt unbeantwortet, was mit den übernommenen Zeitarbeitnehmern geschehen wäre, wenn sie nicht im Rahmen eines temporären Einsatzes bei ihrem späteren Arbeitgeber bereits eine Arbeitsprobe abgeliefert hätten. Um dieses Problem zu umgehen, wurden die Unternehmen in der IW-Studie direkt hinsichtlich der Alternativoption „Einstellung ohne Zeitarbeitseinsatz“ befragt. Im Durchschnitt aller Unternehmen beträgt der „Klebeeffekt im engeren Sinne“ rund 14 Prozent: Jeder siebte Zeitarbeitnehmer wurde im Jahr 2010 von dem Kundenunternehmen übernommen. Rund 76 Prozent von ihnen wäre laut Unternehmensangaben kein Job im Unternehmen angeboten worden, wenn sie nicht im Rahmen der Zeitarbeit bereits ihr Können im Arbeitsalltag unter Beweis gestellt hätten. Zusätzlich zum „Klebeeffekt im engeren Sinne“ muss berücksichtigt werden, dass die Zeitarbeitnehmer durch den Einsatz bei unterschiedlichen Kundenunternehmen wertvolle Berufserfahrung sammeln und so ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einem anderen Unternehmen als dem Kundenunternehmen eine Festanstellung erhalten. Dieser „indirekte Klebeeffekt“ kann auf gut 20 Prozent taxiert werden.3
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Vgl. etwa Weinkopf/Vanselow, (Fehl-)Entwicklungen in der Zeitarbeit?, 2008; Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006; Strotmann/Vogel, Zur Bedeutung der Bundesagentur für Arbeit für die Stellenvermittlung in Baden-Württemberg, 2009. Vgl. IW Köln, Zeitarbeit – Eine Brücke in den Beruf, iwd, 2008.
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Werden direkter und indirekter Klebeeffekt zusammengerechnet, wird deutlich: Durch Zeitarbeit können die dort beschäftigten Mitarbeiter neue Berufserfahrungen sammeln. Sie erhalten außerdem die reelle Chance auf einen Job außerhalb der Zeitarbeit. Dies gilt in besonderem Maße für vormals Arbeitslose, die im 1. Halbjahr 2010 immerhin rund 60 Prozent der Neueinstellungen der Branche ausmachten.
Großer Anteil der Zeitarbeit am Aufschwung Die Zeitarbeit bietet nicht nur den Unternehmen Vorteile, sichert die Arbeitsplätze der Stammbelegschaften und gewährt Arbeitslosen eine Chance auf Teilhabe am Erwerbsleben. Sie hat auch eine gesamtwirtschaftliche Bedeutung über ihren reinen Beschäftigungsanteil hinaus. Das belegt eine Modellrechnung der IW-Studie, in der Umfrageergebnisse mit verschiedenen amtlichen Datenquellen verknüpft wurden: Rund 15 Prozent des Aufschwungs im Jahr 2010 – das ist mehr als jeder siebte Euro – wurden demnach von Zeitarbeitern erwirtschaftet. Bei der Interpretation dieser Daten ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine mengenmäßige Betrachtung und nicht um eine Analyse der Produktivität handelt. Aus dem hohen Beitrag der Zeitarbeit am Aufschwung eine kräftige Lohnerhöhung für die Zeitarbeiter abzuleiten, hieße aber, die volks- und betriebswirtschaftlichen Bestimmungsgründe der Lohnbildung außer Acht zu lassen. Das Ergebnis einer solchen Umverteilungsmaßnahme wäre bei gleichbleibender Produktivität der Zeitarbeiter eine geringere Nutzung dieses Instruments durch die Unternehmen. Die deutsche Wirtschaft würde damit einen notwendigen Flexibilitätspuffer für kommende Krisen und Konjunkturauf-
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schwünge verlieren. Das würde insbesondere exportorientierte Unternehmen treffen. Sie sind wegen der internationalen Konkurrenz in besonderem Maße darauf angewiesen, schnell auf eine schwankende Auftragslage zu reagieren.
Stärkere Regulierung würde exportierende Unternehmen schwächen Die IW-Studie „Zeitarbeit in Deutschland“ konnte mittels einer Unternehmensbefragung viele Lücken in der amtlichen Statistik schließen. Sie konnte die häufig thematisierten Vorbehalte gegenüber der Zeitarbeitsbranche oder gegenüber Unternehmen, die Zeitarbeiter einsetzen, durch empirische Daten widerlegen. Die Zeitarbeitsbranche bietet für den Standort Deutschland eine wertvolle Flexibilitätsreserve. Das hat sich in der Krise 2008/09 und insbesondere im darauffolgenden Aufschwung des Jahres 2010 deutlich gezeigt. Darüber hinaus belegt die IW-Studie, dass durch eine umfassende gesetzliche Regulierung der Zeitarbeit nicht nur die exportierenden Unternehmen, eine Stütze der deutschen Wirtschaft, betroffen wären. Auch die Stammbelegschaften müssten im nächsten Konjunkturabschwung größere Angst vor einem drohenden Jobverlust haben. Nicht zuletzt würde man Arbeitslosen ihrer Chancen berauben, auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen.
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Prof. Dr. Michael Hüther Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln
Prof. Dr. Michael Hüther, geboren 1962, absolvierte von 1982 bis 1987 sein Studium der Wirtschaftswissenschaften sowie der mittleren und neuen Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Nach Abschluss des Promotionsverfahrens wurde er 1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und 1995 Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Jahr 1999 wechselte er als Chefvolkswirt zur DekaBank und wurde dort 2001 zum Bereichsleiter Volkswirtschaft und Kommunikation ernannt. Seit August 2001 ist er Honorarprofessor an der European Business School in Oestrich-Winkel. Seit Juli 2004 ist er Direktor und Mitglied des Präsidiums beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt? Prof. Dr. Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Dr. Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB Kerstin Ziegler, Referentin des Vizedirektors/Arbeitsgruppe Qualität der Beschäftigung des IAB
Die Zeitarbeit1 boomt, in Deutschland noch mehr als in anderen Ländern. Allein in der vergangenen Dekade hat sich die Zahl der Leiharbeiternehmer fast verdreifacht. Die wachsende Bedeutung des Zeitarbeitssektors wird öffentlich äußerst kontrovers diskutiert. Für die Protagonisten der Zeitarbeit hat sich die umfassende Deregulierung im Zuge der Hartz-Reformen gelohnt. In einer globalisierten Welt, in der es immer mehr darauf ankommt, schnell auf Nachfrageimpulse oder Produktionsänderungen reagieren zu können, hat sie den Betrieben ein Instrument an die Hand gegeben, das hohe Flexibilität beim Perso-
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„Arbeitnehmerüberlassung“, „Leiharbeitnehmer“, „Leiharbeitsverhältnis“ und „Verleiher“ sind die Begriffe des Gesetzgebers, die Branche selbst spricht von „Zeitarbeit“. Hier verwenden wir auf Personenebene den Begriff Leiharbeitnehmer, ansonsten jedoch Leiharbeit, Zeitarbeit und Arbeitnehmerüberlassung synonym.
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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naleinsatz erlaubt. Damit können Wettbewerbspositionen verbessert und Marktanteile ausgebaut werden. Zeitarbeit verringert die Such- und Fluktuationskosten. Zugleich ermöglicht sie die Heranführung auch wettbewerbsschwacher oder stigmatisierter Gruppen und schafft einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Für die Gegner ist Zeitarbeit Teufelswerk. Sie sei ein Einfallstor für eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und für „Lohndumping“. Zeitarbeit trage zur Prekarisierung der Beschäftigung bei und verdränge „gute“ Arbeit, also unbefristete Jobs mit annehmbaren Arbeitsbedingungen und stabiler Perspektive. Anstatt zur Integration führe sie auf dem Arbeitsmarkt zu Drehtüreffekten und in der Gesellschaft zur Exklusion. Zudem werde durch die Zeitarbeit Beschäftigung in den Entleihbetrieben ersetzt. Vermutlich würde ein neutraler außerirdischer Beobachter nach einer kühlen Analyse zu dem Urteil kommen, dass beide Seiten ein Stück weit recht haben. Zeitarbeit trägt einen Januskopf. Schon innerhalb der Branche gibt es solche und solche Firmen. Zum einen Agenturen, die Qualitätsmaßstäbe hochhalten und die Integrationsaufgabe ernst nehmen. Sie versuchen, die Stärken der Arbeitnehmer zu erkennen und zu fördern, auch durch gezielte Weiterbildung. Zugleich bieten sie stetigere Beschäftigungsverhältnisse und erhöhen damit auch die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Arbeitnehmer. Daneben gibt es auch einige schwarze Schafe, die den Ruf der Branche ruinieren. Fälle wie die Konzernleihe mit dem Ziel der Lohnsenkung im Fall Schlecker sorgen für hohe Aufmerksamkeit in den Medien und ein schlechtes Image, das dem Sektor insgesamt auf längere Sicht sogar gefährlich werden könnte.
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Entwicklung der Beschäftigungsform Abbildung 1 stellt die Entwicklung der Zahl der Leiharbeitnehmer und die Bedeutung in Relation zur Gesamtbeschäftigung dar. Ausgehend von 140.000 Leiharbeitnehmern im Jahr 1992, stieg die Anzahl bis 2010 auf mehr als 800.000 an. Im Jahresdurchschnitt nahm die Zahl der Leiharbeitnehmer seit 1992 um 9 Prozent zu. Mit Inkrafttreten der Reform im Jahr 2004 konnte die Zeitarbeit in den Folgejahren sogar durchweg Zuwachsraten im zweistelligen Bereich verbuchen, allein im Jahr 2006 wuchs die Zahl der Leiharbeitnehmer im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel an. Während sich der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts als Folge der globalen Wirtschaftskrise insgesamt nur moderat auf Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit auswirkte, nahm die Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung in der schweren Rezession massiv ab. Bereits zu Beginn des Abschwungs ging die Zahl der Leiharbeitnehmer zurück und der Abwärtstrend setzte sich bis Juni 2009 fort. Seither hat sich die Branche mit der besseren Konjunktur wieder erholt und zuletzt das Vorkrisenniveau sogar geringfügig übertroffen. Neben diesem positiven Trend ist die besondere Konjunktursensitivität der Leiharbeit hervorzuheben. Dies impliziert, dass die Beschäftigungsentwicklung in der Leiharbeit inzwischen als ein guter Frühindikator für die konjunkturelle Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gesehen werden kann. Anders als es die öffentliche Diskussion nahelegt, ist trotz des starken Wachstums der Anteil der Leiharbeitnehmer an der Gesamtbeschäftigung nach wie vor relativ gering und lag auch im Jahr 2010 noch knapp unter 3 Prozent. Von einer großflächigen Erosion des Normalarbeitsverhältnisses durch die Zeitarbeit kann also bisher nicht gesprochen werden.
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Abb. 1. Entwicklung der Zahl der Leiharbeitnehmer (LAN) und der Leiharbeitnehmerquote (LA-Quote in %) jeweils zum Stichtag 30.6. Quelle: Arbeitnehmerüberlassungsstatistik und Beschäftigungsstatistik, 1992–2010.
Betriebliche Nutzung der Zeitarbeit Die Konjunktursensitivität der Zeitarbeit gibt einen Hinweis darauf, dass Leiharbeit von den Einsatzfirmen als personalpolitischer Puffer genutzt wird. Dies bedeutet, dass Firmen sich und ihre Stammbelegschaften gegen Kapazitätsrisiken absichern. Das klassischerweise beim einstellenden Unternehmen liegende Beschäftigungsrisiko wird in diesem Fall auf die Zeitarbeitsagenturen und auf die dort Beschäftigten verlagert. Dies ist umso stärker der Fall, je mehr die firmenspezifische Nachfrage synchronen Schocks unterliegt. Bei asynchronen Schocks können hingegen die firmenspezifischen Konjunkturbewegungen
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idealtypisch ausgeglichen werden, ohne dass die Beschäftigung innerhalb der Zeitarbeitsbranche fluktuiert. Abgesehen vom Argument der Risikoverlagerung bzw. des Risikoausgleichs sprechen auch andere Gründe aus der Sicht der Einsatzbetriebe für die Nutzung von Leiharbeit. So können sich aufgrund von Entlohnungsunterschieden zwischen Flächentarifverträgen und Tarifverträgen in der Zeitarbeit Vorteile bei den variablen Kosten ergeben. Allerdings sind dabei auch die zu entrichtenden Aufschläge für die Zeitarbeitsfirma ins Kalkül zu ziehen. Neben den variablen Kosten dürften aber bei kurzfristigem Einsatz von Zeitarbeit die Fixkosten des Personals ausschlaggebend sein. Dabei spielt die Ersparnis durch die ausgelagerte Rekrutierung ebenso eine Rolle wie die Vermeidung von Entlassungskosten. In einer ganzheitlichen Kostenkalkulation dürfen die Betriebe auch die mit dem Einsatz der Zeitarbeit einhergehenden Produktivitätseffekte nicht außer Acht lassen. Diese können sich sowohl auf die eingesetzten Leiharbeiter als auch auf die Stammbelegschaft beziehen. Der Einsatz von Leiharbeitnehmern kann die betriebliche Durchschnittsproduktivität senken, weil Leiharbeiter typischerweise weniger betriebsspezifisches Humankapital akkumuliert haben als die Kernbelegschaft und somit weniger produktiv sind. Möglich ist aber auch, dass die Loyalität von Leiharbeitern zum Entleihbetrieb gering ist und deshalb die Produktivität abfällt. Und schließlich ist denkbar, dass der Einsatz von Leiharbeitern negativ auf die Motivation von Stammarbeitskräften wirkt oder sich Reibungsverluste zwischen Kern- und Randbelegschaft ergeben. Der These sinkender Produktivität durch den Einsatz von Zeitarbeit steht die Auffassung gegenüber, dass die Produktivität gesteigert werden kann, weil durch höhere Flexibilität Personalfriktionen abnehmen und sich Leiharbeitnehmer mehr anstrengen, weil sie auf eine Übernahme hoffen. Zeitarbeit wirkt dann wie eine „Sieb-
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vorrichtung“ (screening device), die die besten Arbeitnehmer aussondert. Empirische Ergebnisse (Hirsch und Müller 2011) weisen auf einen nichtlinearen Zusammenhang zwischen der Produktivität und dem Umfang der Nutzung von Zeitarbeit hin: Bei wachsender Nutzungsintensität entstehen zunächst Produktivitätssteigerungen, die aber bei sehr intensiver Nutzung wieder zurückgehen. Tabelle 1 zeigt aktuelle Befunde zur betrieblichen Nutzung der Zeitarbeit aus dem IAB-Betriebspanel: Gemessen an allen Betrieben nutzten im Jahr 2010 drei Prozent der Betriebe überhaupt Zeitarbeit, wobei die vielen kleinen Betriebe, die nur selten Zeitarbeit einsetzen, den Wert nach unten ziehen. Eine Aufschlüsselung nach Betriebsgrößen macht deutlich, dass fast jeder fünfte Betrieb mittlerer Größe (50 bis 250 Mitarbeiter) und mit 41 Prozent schon ein beachtlicher Anteil der Großbetriebe (250 und mehr Mitarbeiter) Leiharbeiter im Einsatz haben. Wenig überraschend ist, dass mit der Betriebsgröße auch die durchschnittliche Zahl der Leiharbeitnehmer variiert. Im Jahr 2010 hatten Kleinstbetriebe (1–19 Mitarbeiter) nur zwei und Kleinbetriebe (20–49 Mitarbeiter) vier Leiharbeitnehmer im Mittel eingesetzt, mittlere Betriebe zehn und Großbetriebe durchschnittlich 38 Leiharbeitnehmer. Der Vergleich mit dem Jahr 2003 verdeutlicht, dass in Betrieben aller Größen die Zahl der Leiharbeitnehmer gestiegen ist.
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Tab. 1. Anteil der Entleihbetriebe an allen Betrieben (in %) und deren durchschnittliche Zahl von Leiharbeitnehmern Betriebsgröße
Anteil der Entleihbetriebe Durchschnittliche Zahl von an allen Betrieben nach Leiharbeitnehmern Betriebsgröße (in %) 2003
2010
Kleinstbetriebe (1–19 Mitarbeiter) 1%*
2003
2010
2
2
3
4
2%*
Kleinbetriebe (20–49 Mitarbeiter) Mittlere Betriebe (50–249 Mitarbeiter)
15%
19%
6
10
Großbetriebe (250 und mehr Mitarbeiter)
31%
41%
20
38
Alle Betriebe
2%
3%
5
9
Quelle: IAB-Betriebspanel 2003–2010. * aufgrund der geringen Nutzung wird der Anteil der Zeitarbeit nutzenden Betriebe an allen Betrieben hier für die Betriebsgrößenklasse 1–49 Mitarbeiter ausgewiesen
Aufschlussreicher erscheint die Nutzungsintensität (Tabelle 2). Diese misst den Anteil der Leiharbeitnehmer an den Mitarbeitern des gleichen Betriebs.2 Von Interesse ist die Verteilung dieser Nutzungsintensität. Von den Zeitarbeit in Anspruch nehmenden Betrieben nutzt die Hälfte diese nur in geringem
2
Leiharbeitnehmer haben ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mit ihrem Verleihbetrieb, aber nicht mit dem Betrieb, in dem sie arbeiten. Im Folgenden werden deshalb alle sozial- und nichtsozialversicherungspflichtig Beschäftigten und Leiharbeitskräfte als Mitarbeiter eines Entleihbetriebs gezählt.
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Umfang, knapp ein Viertel in mäßigem Umfang. Höhere Nutzungsintensitäten finden sich bei jedem fünften (19 Prozent) Betrieb. Weniger als jeder zehnte Entleiher gehört mit mehr als 20 Prozent der Belegschaft zu den Intensivnutzern. Alles in allem setzt ein Großteil der Unternehmen Zeitarbeit nur in geringem Umfang ein. Von den Großbetrieben setzen nur vier Prozent die Zeitarbeit intensiv ein. Diese wenigen Betriebe absorbieren allerdings aufgrund ihrer Größe einen beachtlichen Anteil der Leiharbeitnehmer. Tab. 2. Anteile gering, mäßig, stark bzw. intensiv Zeitarbeit nutzender Betriebe an allen Entleihbetrieben nach Größe 2010 2010 Betriebsgröße
Nutzungsintensität gering mäßig stark (bis 5%) (>5% –10%) (>10%–20%)
intensiv (>20%)
Insgesamt
Kleinbetriebe (20–49 Mitarbeiter)
35%
28%
25%
12%
100%
Mittlere Betriebe (50–249 Mitarbeiter)
54%
19%
17%
9%
100%
Großbetriebe (250 und mehr Mitarbeiter)
65%
20%
12%
4%
100%
Alle Betriebe
49%
23%
19%
9%
100%
Quelle: IAB-Betriebspanel 2010.
Ein wichtiger Punkt in der kontroversen Debatte über die Zeitarbeit betrifft die Sorge, dass ihr expansiver Einsatz Schritt für Schritt das „Normalarbeitsverhältnis“ verdrängen könne. Wenn Zuwächse in der Zeitarbeit zu Lasten der Beschäftigung
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in den Entleihbetrieben gehen, spricht man vom Substitutionseffekt. Der starke Anstieg in der Zeitarbeitsbranche spricht dafür, dass Substitution nicht ausgeschlossen werden kann. Allerdings kann die Stärke des Effekts empirisch nicht ohne Weiteres geklärt werden. Es wäre falsch, davon auszugehen, dass ohne Leiharbeit in gleichem Umfang Arbeitsplätze jenseits der Zeitarbeit entstanden wären. Die kontrafaktische Situation („Was wäre, wenn es keine Zeitarbeit geben würde?“) kann allenfalls grob abgeschätzt werden. Es bleibt unklar, wie Betriebe ohne dieses Flexibilisierungsinstrument agieren würden. Denkbar ist, dass die Unternehmen auf bestimmte Aufträge hätten verzichten müssen oder als Ausweichstrategie verstärkt befristet eingestellt, Werkverträge vergeben oder gar Produktionsteile ins Ausland verlagert hätten. Einen gewissen Aufschluss über die Motive des Einsatzes von Zeitarbeit gibt eine Befragung der Unternehmen, warum sie die Zeitarbeit nutzen (IAB-Betriebspanel 2010, siehe hierzu BA-Beratungsunterlage 70/2011). Dabei geben über 70 Prozent „klassische“ Flexibilitätsgründe an, wie die schnelle Verfügbarkeit der Arbeitskräfte und ihren zeitlich begrenzten Bedarf. Daneben spielt auch die Unsicherheit der wirtschaftlichen Entwicklung als Einsatzgrund eine wichtige Rolle (28 Prozent). Dagegen wird die Vermeidung von Aufwand bei Personalakquise und Trennung oder auch die Eignungsfeststellung vor einer Festanstellung nur von 19 Prozent der Betriebe genannt. Dies legt nahe, dass für den Einsatz der Zeitarbeit unabhängig von der Betriebsgröße die schnelle Reaktionsfähigkeit und der lediglich vorübergehende Bedarf ausschlaggebend sind. Nichtsdestotrotz kann es entgegen der Sorge der Verdrängung von Stammbeschäftigten auch zu komplementären Beschäftigungseffekten kommen. Somit leistet unter Umständen eine Kostensenkung beim Personaleinsatz einen Beitrag zur Standortsicherung oder führt zu einer Produktionsausweitung. Der Ad-hoc-Einsatz von Zeitarbeit erlaubt es den
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Entleihbetrieben zudem Vakanzzeiten zu verkürzen und Überstunden bei ihrer Stammbelegschaft zu vermeiden.
Arbeitnehmer in Leiharbeit Der betriebliche Flexibilitätsbedarf bedeutet ein erhöhtes Maß an Unsicherheit für die Leiharbeitnehmer. Sie sind einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko und einer größeren Planungsunsicherheit ausgesetzt (siehe beispielsweise Bellmann/Kühl 2006; Burda/Kvasnicka 2006; Jahn 2005 oder auch Promberger et al. 2006). Welche Gründe sprechen aus Arbeitnehmersicht dennoch dafür, eine Beschäftigung in der Zeitarbeit aufzunehmen? Grundsätzlich fungieren Zeitarbeitsunternehmen als Vermittler zwischen Leiharbeitnehmer und Entleihbetrieb. Sie treffen für den Auftraggeber, also den Entleiher, eine Vorauswahl und stellen den Kontakt her. Damit besteht für die Leiharbeitnehmer die Möglichkeit, potenzielle Arbeitgeber kennen zu lernen und zudem mittels der gewonnenen Berufserfahrung künftige Beschäftigungschancen zu verbessern. Dessen ungeachtet können schlechte individuelle Chancen am Arbeitsmarkt die Bereitschaft erhöhen, als Leiharbeitnehmer tätig zu werden. Eine repräsentative Befragung von Leiharbeitnehmern (Galais/Moser 2005) bestätigt, dass mangels Alternativen diese Konzessionsbereitschaft häufig ausschlaggebend ist für die Aufnahme einer Tätigkeit in der Zeitarbeit (63 Prozent). Die Betroffenen hoffen zu einem Großteil (60 Prozent), übernommen zu werden. Auch die Beendigung der Arbeitslosigkeit wird von vielen als Grund angeführt (57 Prozent). Ferner spielen auch Motive wie „etwas Neues zu lernen“ (41 Prozent) oder auch der „Wunsch nach Abwechslung“ eine Rolle (28 Prozent). Daraus lässt sich ableiten, dass der Einzelne weniger die Beschäftigungs-
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form als solche bevorzugt, sondern vielmehr in der Zeitarbeit eine Chance auf einen Einstieg in den Arbeitsmarkt und einen Übergang in eine Beschäftigung jenseits der Zeitarbeit sieht. Gerade mit der wachsenden Bedeutung des Zeitarbeitssektors ist es interessant, wer in dieser Beschäftigungsform tätig ist und ob sich hier in den vergangenen Jahren wichtige Veränderungen ergeben haben. Untersuchungen zeigen, dass der durchschnittliche Leiharbeitnehmer männlich, eher jung, oftmals als Hilfsarbeiter tätig ist und meist eine geringere Qualifikation aufweist. Im Vergleich zur Gesamtbeschäftigung in der Zeitarbeit hat fast ein doppelt so hoher Anteil keine Berufsausbildung (2010: 29 Prozent gegenüber 14 Prozent). Mehr als die Hälfte verfügt jedoch über einen beruflichen Abschluss. Ausgehend von vergleichsweise niedrigen Werten, ist der Frauenanteil in der Zeitarbeit in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Zwei Tendenzen sind dafür verantwortlich: Zum einen sind Frauen immer häufiger in der für die Zeitarbeit wichtigen Gruppe der Hilfsarbeiter tätig, zum anderen schwindet die Bedeutung der männerdominierten Metall- und Elektroberufe (Crimmann et al. 2009). Bei der Altersstruktur zeigt sich eine leichte Verschiebung von den jüngeren Altersgruppen hin zu den über 45-Jährigen, wozu sicher auch der demographische Wandel einen Beitrag leistet. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Stabilität der Leiharbeitsverhältnisse. Manche Leiharbeitnehmer sind nur wenige Tage in der Branche beschäftigt, andere dagegen mitunter über mehrere Jahre – beim gleichen Zeitarbeitsbetrieb oder aber bei verschiedenen Agenturen (Antoni/Jahn 2009). So findet sich innerhalb der Branche eine ziemlich breite Streuung in der Beschäftigungsdauer. Besteht bei Unternehmen der Personalbedarf nur sehr kurzzeitig, können seitens der Zeitarbeitsfirmen mehrere sehr kurze Einsatzzeiten beim Verleiher zu einem längeren Beschäftigungsverhältnis gebündelt werden. Die Arbeit-
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nehmerüberlassungsstatistik (ANÜSTAT) weist aus, dass fast jedes zehnte der (beendeten) Leiharbeitsverhältnisse innerhalb des ersten Kalenderhalbjahres 2010 nicht einmal eine Woche, 45 Prozent zwischen einer Woche und bis zu maximal drei Monaten und 44 Prozent länger als drei Monate dauerte. Gerade die sehr kurzen Leiharbeitsverhältnisse verdeutlichen die hohe Instabilität. Offensichtlich besteht nicht nur ein erleichterter Zugang in den Arbeitsmarkt, gleichwohl findet sich eine Art Drehtür, über die Betroffene auch schnell wieder in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Das andere Extrem sehr langer Zeiträume wird in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals mit der Gefahr der Substitution gleichgesetzt. Allerdings muss hier berücksichtigt werden, dass die Statistik nur die Dauer der Beschäftigungsverhältnisse bei den Zeitarbeitsfirmen, nicht die tatsächliche Dauer des Einsatzes ausweist. Insgesamt widersprechen die eher kurzen Zeiten einem befürchteten flächendeckenden Austausch von Stammarbeitskräften durch Leiharbeitnehmer. Aus Sicht der Leiharbeitnehmer kann deren typischerweise kurze Beschäftigungsdauer zudem als Indiz gewertet werden, dass sie lieber möglichst schnell ein Arbeitsverhältnis außerhalb der Leiharbeitsbranche eingehen. Die beschriebene Instabilität der Leiharbeitsverhältnisse wirft die Frage auf, woher die Leiharbeitnehmer kommen und wo sie im Anschluss an eine Episode in der Leiharbeitstätigkeit verbleiben. Wir betrachten im Folgenden einen Zweijahreszeitraum nach einer Episode in der Zeitarbeit und fassen der Übersichtlichkeit halber verschiedene mögliche Zustände zusammen. Ausschlaggebend für die Zuordnung zu einer der Kategorien „Nicht-Leiharbeit“, „Leiharbeit“ oder „Arbeitslosigkeit“ ist, dass die betrachtete Person im Zweijahreszeitraum überwiegend (das bedeutet kumuliert für mindestens 365 Tage) eine entsprechende Meldung aufweist (Abbildung 2). Ein Beschäftigungsaufbau kann grundsätzlich nur dann stattgefunden haben, wenn im An-
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schluss an die Leiharbeitsbeschäftigung im Jahr 2006 mehr Personen in Beschäftigung stehen als davor. Vor ihrer Tätigkeit in der Zeitarbeitsbranche waren etwa acht Prozent aller betrachteten Leiharbeitnehmer überwiegend außerhalb der Zeitarbeitsbranche und 18 Prozent bereits überwiegend bei einer Zeitarbeitsagentur beschäftigt. Nach der Beschäftigung in der Zeitarbeit erhöhen sich die Anteile der Nicht-Leiharbeitnehmer auf 25 Prozent, die der weiterhin als Leiharbeitnehmer Tätigen auf 31 Prozent. Zudem stellt sich bei dieser Gesamtbetrachtung heraus, dass vor der Leiharbeit 25 Prozent überwiegend arbeitslos gemeldet waren, während dies im Anschluss für 17 Prozent gilt. Da also anschließend per saldo insgesamt mehr Personen für mindestens 365 Tage in Beschäftigung stehen und weniger arbeitslos sind, ergeben sich Hinweise auf positive Effekte einer vorübergehenden Leiharbeitsbeschäftigung (Lehmer/Ziegler 2010).
Abb. 2. Erwerbsstatus der Leiharbeitnehmer im Jahr 2006 im Zweijahreszeitraum vor und nach ihrem Einsatz in der Zeitarbeit Anteile an allen Leiharbeitnehmern im Jahr 2006 jeweils in % Quelle: Integrierte Erwerbsbiographien 2004–2008.
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Ohne Zweifel müssen neben der bereits beschriebenen Instabilität der Beschäftigungsverhältnisse Leiharbeitnehmer zudem beträchtliche Lohnnachteile in Kauf nehmen. Unter Berücksichtigung bestehender Merkmalsunterschiede zwischen Leiharbeitnehmern und Beschäftigten außerhalb der Branche – also dass sie im Schnitt beispielsweise jünger, niedriger qualifiziert, in anderen Berufen arbeiten und vor ihrer Leiharbeitsbeschäftigung häufiger arbeitslos waren – ergibt sich ein Lohndifferential in der Größenordnung von 20 Prozent (Jahn 2011 und Lehmer/Ziegler 2011). Die Einführung eines Mindestlohns kann zu einer verbesserten Einkommensposition der Leiharbeitnehmer am unteren Einkommensrand beitragen. Die zum 29.4.2011 in Kraft getretene Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) sieht die Einführung einer Lohnuntergrenze in der Branche vor. Anders als bei Mindestlöhnen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) basiert hier die Einführung einer Lohnuntergrenze auf dem Gleichstellungsgebot des AÜG. Infolgedessen besteht für die Tarifvertragsparteien und die Zeitarbeitsbranche seit April 2011 die Möglichkeit, sich auf tarifliche Mindestentgelte zu einigen, um beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Festsetzung einer verbindlichen Lohnuntergrenze mittels Rechtsverordnung zu beantragen. Insofern wird die Höhe der Lohnuntergrenze von den Tarifvertragsparteien und nicht vom Gesetzgeber festgelegt werden.3 3
Zum Redaktionsschluss ist das Verfahren zur Lohnuntergrenze nicht umgesetzt, erst mit der Veröffentlichung des Entwurfes im Bundesanzeiger wird die Lohnuntergrenze als Rechtsverordnung auch rechtswirksam. Die vorgeschlagenen Entgelte werden voraussichtlich den Einstiegsentgelten gemäß dem Tarifvertrag in der Zeitarbeitsbranche mit 7,79 Euro für das Tarifgebiet West und 6,89 Euro im Tarifgebiet Ost entsprechen.
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Unterstellt man im Jahr 2008 eine Lohnuntergrenze gemäß dem geltenden Einstiegslohn der untersten Tarifgruppe in der Zeitarbeit, hätte aber nicht einmal jeder dreizehnte Leiharbeitnehmer von einer solchen Lohnuntergrenze profitiert (eigene Berechnungen).
Perspektiven der Zeitarbeit Trotz der zuletzt enormen Dynamik in der Zeitarbeit beträgt ihr Anteil an der Beschäftigung bisher noch weniger als drei Prozent. Entgegen mancher öffentlichen Wahrnehmung läuft das Normalarbeitsverhältnis derzeit nicht flächendeckend Gefahr, verdrängt zu werden. Mit der Deregulierung im Rahmen der Hartz-Reformen hat die Zeitarbeit für die (Entleih-)Betriebe stark an Attraktivität gewonnen. Auf den ersten Blick haben viele der Großbetriebe Leiharbeitnehmer im Einsatz. Doch in Relation zu ihrer jeweiligen Gesamtmitarbeiterzahl nutzen nur wenige das Flexibilisierungsinstrument Zeitarbeit intensiv. Aus Perspektive der Beschäftigten stellt sich im besonderen Maße die Frage nach der Qualität dieser Arbeitsform, vor allem hinsichtlich der Stetigkeit ihrer Erwerbsverläufe und der Entlohnung. Grundgedanke der Zeitarbeit ist, gerade sehr kurze Einsatzzeiten in Entleihbetrieben seitens spezialisierter Agenturen zu bündeln. Gelänge dies, könnte gewissermaßen ein Beitrag zur Beschäftigungsstabilität geleistet werden. Einerseits ist relevant, ob Arbeitslose im Anschluss an ihre Zeitarbeitstätigkeit beschäftigt sind – innerhalb oder außerhalb der Zeitarbeitsbranche. Andererseits ist wichtig, ob sich der weitere Erwerbsverlauf schwer vermittelbarer Arbeitsloser durch eine Beschäftigung in der Zeitarbeit nachhaltig verbessert, gerade auch im Hinblick auf Übergänge in andere Branchen.
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Aus arbeitsmarktpolitischer Perspektive gilt es, eine Balance an Einstiegsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt einerseits sowie Stabilität und sozialer Sicherheit für die Betroffenen andererseits herzustellen. Neue Regulierungen müssen deshalb genau abgewogen werden. So birgt die generelle Anwendung von Equal Pay ab dem ersten Tag die Gefahr, dass der durch die Zeitarbeit gegebene, niedrigschwellige Einstieg für arbeitsmarktferne Gruppen zunichte gemacht wird. Eine Alternative hierzu bestünde in einem Stufenmodell. Konkret wäre beispielsweise denkbar, die anfängliche Lücke zwischen dem Lohn in der Zeitarbeit und dem Lohn in der Entleihfirma nach einem, drei und fünf Monaten um jeweils ein Drittel zu schließen, sodass nach einer gewissen Zeit die gleiche Bezahlung erreicht wäre. Mittels einer solchen schrittweisen Anpassung werden nicht nur Leiharbeitnehmer über die Zeit deutlich besser gestellt. Es würde auch für die Entleiher der Anreiz vermindert, anstelle von Stammbeschäftigten dauerhaft Leiharbeitnehmer zu beschäftigen. Obendrein würde Arbeitslosen der Einstieg in den Arbeitsmarkt nicht übermäßig erschwert. Die längerfristigen Perspektiven der Zeitarbeit sind offener denn je. Ihre weitere Entwicklung wird davon abhängen, inwieweit es gelingt, Aktivitäten in wachsenden Teilbereichen des Arbeitsmarktes, beispielsweise bei Dienstleistungen und Teilzeitbeschäftigung, auszudehnen. Eine sich tendenziell verbessernde Arbeitsmarktlage und Fachkräfteengpässe könnten zu Rekrutierungsproblemen für die Zeitarbeitsbranche führen, weil es für Arbeitnehmer „bessere“ Optionen gibt. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit die Zeitarbeitsfirmen künftig qualifiziertes Personal akquirieren können oder selbst in Weiterbildungsmaßnahmen investieren (müssen). Ein weiterer, sehr entscheidender Faktor wird sein, ob die Branche ihre Reputation als guter Arbeitgeber nachhaltig entwickeln kann. Vorschläge wie die Einführung eines Qualitätssiegels sind aus unserer Sicht
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unterstützenswert. Auch die Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen wirkt sich maßgeblich auf die künftige Entwicklung aus. Weniger Kündigungsschutz im Allgemeinen könnte bremsend wirken. Die Einführung des Mindestlohns könnte zwar vordergründig in dieselbe Richtung wirken, aber andererseits der Reputation der Branche gut tun. Noch schwer abzuschätzen ist schließlich, in welchem Umfang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit seit Mai 2011 ausländische Zeitarbeitsfirmen Leiharbeitnehmer in Deutschland zum Einsatz bringen werden und damit der Branche neuen Schub geben.
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Hirsch, B./Müller, S. (2010): Temporary Agency Work and the User Firm’s Productivity: First Evidence from German Panel Data, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Diskussionspapier Nr. 68, Juli 2010. Jahn, E. (2005): Was macht den Unterschied? Determinanten der Nachfrage nach Leiharbeit in Deutschland und den Niederlanden. In: Industrielle Beziehungen, 12. Jg., H. 4, S. 393-423. Jahn, E. (2011): Entlohnung in der Zeitarbeit, Forum 1/2011 im Erscheinen. Lehmer, F./Ziegler, K. (2010): Brückenfunktion der Leiharbeit: Zumindest ein schmaler Steg. IAB-Kurzbericht Nr. 13. Nürnberg. Lehmer, F./Ziegler, K. (2011): Lohndifferenzial Zeitarbeit. Nürnberg, S. 3. Promberger, M./Bellmann, L./Dreher, C./Sowa, F./Schramm, S./Theuer, S. (2006): Leiharbeit im Betrieb. Strukturen, Kontexte und Handhabung einer atypischen Beschäftigungsform. Abschlussbericht des Forschungsprojekts HBS-2002-418-3, gefördert von der HansBöckler-Stiftung, Nürnberg.
Prof. Dr. Joachim Möller Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Möller, geboren 1953, studierte Philosophie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten
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Tübingen, Straßburg und Konstanz. Er promovierte 1981 zum Dr. rer. soc. und habilitierte 1990 an der Universität Konstanz. Seit 1991 ist er als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Regensburg tätig. Seine Forschungsfelder sind Arbeitsmarktökonomie, Regionalökonomie, Empirische Makroökonomie und Angewandte Ökonometrie. Möller gehörte von 1999 bis 2004 als gewähltes Mitglied dem Exekutivkomitee der European Association of Labour Economists (EALE) an. Er war von 2000 bis 2005 Research Fellow des HWWA (Hamburg), von 2004 bis 2008 gewählter Vorsitzender des Ausschusses für Regionaltheorie und -politik im Verein für Sozialpolitik und von 2005 bis 2007 Direktor des Osteuropa-Instituts München. Im Jahr 2008 wurde ihm die Ehrendoktorwürde Dr. rer. pol. h.c. durch die Leuphana Universität Lüneburg verliehen. Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Möller ist seit 2007 Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit.
Dr. Ulrich Walwei Vizedirektor des IAB
Dr. Ulrich Walwei wurde 1958 geboren. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität-Gesamthochschule Paderborn und promovierte dort 1990 zum Dr. rer. pol. Walwei war an der Universität-Gesamthochschule Paderborn wissenschaft-
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licher Mitarbeiter am finanzwissenschaftlichen Lehrstuhl von Prof. Dr. Friedrich Buttler. Seit 1988 ist er im IAB beschäftigt und leitete dort von 1997 bis 2007 den Forschungsbereich „Wachstum, Demographie und Arbeitsmarkt“. Seine Forschungsschwerpunkte sind Arbeitsmarktinstitutionen, Niedriglohnbeschäftigung, Beschäftigungsformen, Arbeitsmarktpolitik und Zukunft der Arbeit. Dr. Ulrich Walwei ist seit 2002 Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Er gehört dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, dem Beirat der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit und dem Ordnungspolitischen Beirat der Konrad-Adenauer-Stiftung an. Er ist Jurymitglied der Initiative für Beschäftigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung.
Kerstin Ziegler Referentin des Vizedirektors/Arbeitsgruppe Qualität der Beschäftigung des IAB
Kerstin Ziegler, geboren 1977, ist Referentin beim Vizedirektor des IAB. Sie studierte von 1998 bis 2004 Volkswirtschaftslehre in Regensburg mit den Schwerpunkten Internationale und Interregionale Ökonomie, Ökonomie des Öffentlichen Sektors sowie Makroökonomie und Empirische Wirtschaftsforschung. Von September 2008 bis Mai 2009 war sie am IAB im Rahmen
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eines Drittmittelprojektes zum Thema Arbeitnehmerüberlassung in der Forschungsgruppe des Direktors beschäftigt. Als Ergebnis dieses Projektes wurde für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ein Bericht zum Thema Leiharbeit verfasst, dessen Ergebnisse maßgeblich in den 11. Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)-Bericht einflossen. Im Anschluss war sie ab Herbst 2009 als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Vizedirektors tätig. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt weiterhin auf der Zeit-/Leiharbeit, insbesondere untersucht sie Übergänge in und aus der Leiharbeit.
Teil 2 Equal Pay oder die Diskussion um „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“
Warum ist eine gesetzliche Ausweitung des Equal Pay nicht nötig? Rainer Huke, Abteilungsleiter Lohn- und Tarifpolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Die Zeitarbeit hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren zu einer eigenständigen, anerkannten Branche entwickelt und hat an großer Bedeutung für unsere Wirtschaft und den gesamten Arbeitsmarkt gewonnen. Einerseits gibt die Zeitarbeit den Unternehmen Flexibilität, andererseits bietet sie insbesondere Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten eine Chance auf einen Einstieg in Arbeit. Den Herausforderungen der Branche haben sich die Tarifpartner der Zeitarbeit gestellt und ihre Tarifverträge immer wieder erfolgreich an die Erfordernisse der Branche angepasst. Beispielsweise haben sie den sog. Drehtüreffekt – Fall Schlecker – tarifvertraglich ausgeschlossen. Mit gleichlautenden Mindestlohntarifverträgen haben sie die Voraussetzung für eine verbindliche Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit geschaffen. Damit ist es gelungen, die Branche nach Herstellung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit vor einer Diskreditierung durch ausländische Anbieter zu schützen. Auch im Sinne einer weiteren Annährung an Equal Pay werden die Tarifpartner der Zeitarbeit ihre Tarifverträge weiterentwickeln. Eine gesetzliche Ausweitung von Equal Pay, zum
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Beispiel durch eine Einschränkung der tariflichen Abweichungsmöglichkeit, würde den Jobmotor Zeitarbeit gefährden.
Mehr Flexibilität durch Zeitarbeit In einer globalisierten Wirtschaft müssen Unternehmen schnell auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren können. Ende 2008 sind bei zahlreichen Unternehmen innerhalb kurzer Zeit die Aufträge um die Hälfte und mehr eingebrochen. Niemand konnte damals ahnen, dass es bereits 2010 wieder deutlich aufwärts gehen würde. 2011 knüpfen wir gesamtwirtschaftlich wieder an das Vorkrisenniveau an. Es gibt mehrere Gründe dafür, dass Deutschland die Krise so gut gemeistert hat und inzwischen die Wachstumslokomotive in Europa ist. Neben der Kurzarbeit und der Arbeitszeitflexibilität hat die Zeitarbeit an diesem Erfolg einen ganz erheblichen Anteil. Zeitarbeit hilft Betrieben, die kurzfristig Mitarbeiter benötigen und Personalengpässe abfedern müssen – etwa bei Großaufträgen, saisonalen Auftragsspitzen, einzelnen Projekten und bei urlaubs- oder krankheitsbedingtem Ausfall von eigenem Personal. Unternehmen erhalten außerdem die notwendige Flexibilität, um den Personalbedarf kurzfristig an der konjunkturellen Lage ausrichten zu können: Im Aufschwung ermöglicht die Zeitarbeit eine termingerechte Abwicklung von Aufträgen. Bei einer Konjunkturabschwächung lassen sich kurzfristig Fixkosten reduzieren. Ohne die Zeitarbeit wäre der wirtschaftliche Abschwung in den Jahren 2008 und 2009 deutlich stärker auf dem Arbeitsmarkt zu spüren gewesen. In Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs findet ein Großteil der Neueinstellungen zunächst in der Zeitarbeit statt. Der Grund dafür ist einfach: Gerade in der Anfangsphase sind Fest-
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einstellungen wegen der bestehenden Unsicherheiten in vielen Unternehmen nicht möglich. Durch Zeitarbeit können sie trotzdem die Chancen der Märkte nutzen und den Grundstein für einen dauerhaften Beschäftigungsaufbau legen. Dabei entsteht den Zeitarbeitnehmern kein Nachteil: Sie stehen unabhängig von ihrem Einsatz in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bei ihrem Zeitarbeitsunternehmen. Je weiter sich die Wirtschaft erholt, desto mehr neue Stammarbeitsplätze entstehen.
Jobmotor und Brücke in Beschäftigung Nicht nur die Unternehmen, auch die Beschäftigten und der gesamte Arbeitsmarkt profitieren von Zeitarbeit. Viele Menschen erhalten durch Zeitarbeit die Möglichkeit zum Einstieg oder zur Rückkehr in Arbeit. Insbesondere für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose ist Zeitarbeit häufig eine unverzichtbare Chance. Im 1. Halbjahr 2010 betrug der Anteil der nicht unmittelbar vor der Beschäftigungsaufnahme beschäftigten Zeitarbeitskräfte 67 Prozent; jeder Sechste war sogar ein Jahr oder länger ohne Beschäftigung. Und: Der überwiegende Teil der zuvor Arbeitslosen befindet sich auch mittelfristig in Beschäftigung und nicht in Arbeitslosigkeit. Zeitarbeit schlägt dabei selbstverständlich auch Brücken in Beschäftigungsverhältnisse in anderen Branchen. Zeitarbeitsunternehmen erleben in ihrer täglichen Arbeit, dass Mitarbeiter durch Kundenunternehmen oder andere Arbeitgeber übernommen werden und sie sich immer wieder neu auf dem Arbeitsmarkt umsehen und Neueinstellungen vornehmen müssen. Eine große Rolle spielt in der Zeitarbeit die Qualifizierung unter den realen Bedingungen des Arbeitslebens. Durch die
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wechselnden Einsätze erhalten Zeitarbeitnehmer Einblick in unterschiedlichste Bereiche des Wirtschaftslebens und können dort Erfahrungen sammeln und Kompetenzen aufbauen. Damit gelingt es der Zeitarbeit, für den Arbeitsmarkt wichtige Beschäftigungsreserven zu heben und so dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Außerdem werden die Zeitarbeitnehmer in vielen Fällen durch die Zeitarbeitsunternehmen zusätzlich qualifiziert. Wenn auf bestimmten Gebieten oder in einzelnen Regionen die Nachfrage nach Personal nicht befriedigt werden kann, organisieren Zeitarbeitsunternehmen entsprechende Schulungsangebote. Mit einem zunehmenden Bedarf an Fachkräften wird auch das Thema Ausbildung und Qualifizierung weiter an Bedeutung gewinnen.
Tarifverträge schaffen gleiche Bedingungen In der Zeitarbeit finden nahezu flächendeckend Tarifverträge Anwendung. Damit sind, wie in kaum einer anderen Branche, gleiche Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmer sichergestellt. Maßstab für die Gleichbehandlung müssen die Arbeitnehmer in dieser Branche selbst sein. Das entspricht dem in Deutschland geltenden Prinzip, dass Zeitarbeitsunternehmen vollwertige Arbeitgeber sind und Zeitarbeitnehmer zu ihnen in einem normalen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Deshalb ist – im Unterschied zu anderen Ländern – auch in überlassungsfreien Zeiten die Vergütung gewährleistet. Sowohl in den europäischen Vorgaben wie auch im deutschen Recht besteht die Möglichkeit, die Arbeitsbeziehung der Branche autonom auszugestalten. Dies unterstreicht die Eigenständigkeit der Branche und gibt den Tarifpartnern der Zeit-
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arbeit die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen an den konkreten Anforderungen ihrer Branche auszurichten. Die Erfahrung zeigt dabei, dass die Tarifvertragsparteien verantwortungsvoll mit der Tariföffnungsklausel umgehen. Erst Anfang 2010 haben unter anderem die DGB-Gewerkschaften neue, bis Oktober 2013 geltende Tarifverträge für die Zeitarbeit abgeschlossen. Andere tarifliche Regelungen wie beispielsweise in der Stahlindustrie sind noch jünger. Mit diesen Tarifverträgen haben auch die DGB-Gewerkschaften die Zeitarbeit legitimiert und anerkannt. Mit dem frühzeitigen Abschluss gleichlautender Mindestlohntarifverträge hat sich die Branche auch auf die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Länder Mittel- und Osteuropas zum 1. Mai 2011 vorbereitet. Die inzwischen im Gesetz verankerte Ermächtigung zur Ausweitung des in Deutschland faktisch geltenden Mindestlohns auch auf ausländische Anbieter schützt die gesamte Branche vor einer sonst drohenden Diskreditierung. Dadurch ist es unmöglich, dass in Deutschland ausländische Tarifverträge der Zeitarbeit mit einer untersten Vergütung von fünf Euro und weniger zur Anwendung kommen.
Gesetzliche Ausweitung von Equal Pay gefährdet Zeitarbeit Der Gesetzgeber lässt richtigerweise Tarifverträge zu, die vom gesetzlichen Equal Pay abweichen können. Sonst wären nicht nur bestehende Tarifverträge außer Kraft gesetzt, sondern die Eigenständigkeit einer ganzen Branche gefährdet. Eine gesetzlich zwingende Gleichstellung nach zwölf oder weniger Monaten würde den Jobmotor Zeitarbeit schwer beschädigen. Betriebe, in denen Zeitarbeit eingesetzt wird, zahlen in der Regel das
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Doppelte des Lohns, den der Zeitarbeitnehmer von seinem Arbeitgeber erhält. Die undifferenzierte Einführung von Equal Pay würde den Einsatz von Zeitarbeit massiv verteuern und in vielen Fällen unrentabel machen. Von einer Beschränkung der Zeitarbeit wären in erster Linie Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose betroffen, denen eine Chance auf Einstieg in Arbeit genommen würde. Es ist Aufgabe der Tarifpartner der Zeitarbeit, auch in der Diskussion um Equal Pay tarifautonom eine Lösung zu finden, die eine gesetzliche Ausweitung des Equal Pay entbehrlich macht. Mit einer Vielzahl unternehmensbezogener Regelungen haben die Tarif- und Sozialpartner bereits bewiesen, dass sie dazu in der Lage sind. Diese Vereinbarungen, die in der Regel unter Beteiligung von DGB-Gewerkschaften zustande gekommen sind, zeigen, dass eine gesetzliche Equal Pay-/Equal Treatment-Regelung in der Praxis untauglich ist. Der bürokratische Aufwand, die individuellen Arbeitsbedingungen eines vergleichbaren Arbeitnehmers im Einsatzbetrieb zu ermitteln, wäre kaum zu bewältigen. Folglich regeln entsprechende Vereinbarungen überwiegend selbst die Vergleichsgröße, nach denen die Vergütung der Zeitarbeitnehmer zu erfolgen hat. Meist lehnen sie sich an den im Einsatzbetrieb geltenden Tarif, aber eben nicht an die individuellen Bedingungen eines vergleichbaren Arbeitnehmers an.
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Rainer Huke Abteilungsleiter Lohn- und Tarifpolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Rainer Huke, geboren 1971, hat in der Zeit von 1991 bis 1997 Rechtswissenschaft an der Georg-August-Universität in Göttingen studiert. Von 1998 bis 1999 war er als wissenschaftliche Hilfskraft am Deutsch-Chinesischen Institut für Wirtschaftsrecht der Universitäten Göttingen und Nanjing tätig. Sein Referendariat führte er von 2000 bis 2002 am Landgericht Erfurt durch. Von 2002 bis 2008 war Rainer Huke als Referent bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in den Bereichen Arbeitsrecht sowie Lohn- und Tarifpolitik beschäftigt. Seit Januar 2009 ist er Leiter der Abteilung Lohn- und Tarifpolitik der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Weiterhin ist Huke seit Juli 2006 Geschäftsführer der Sozialpolitischen Arbeitsgemeinschaft Telekommunikation (ArgeTel).
Warum ist eine gesetzliche Regelung für „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ erforderlich? Claus Matecki, Vorstandsmitglied Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
Seit der Novellierung der Leiharbeit im Jahre 2003 ist es aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zu erheblichen Fehlentwicklungen und Verwerfungen gekommen. Der „Feldversuch Leiharbeit“ startete mit der gesetzlichen Regelung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), die nur im Grundsatz die Gleichbehandlung von Leiharbeits- und Stammbeschäftigten bei vergleichbarer Arbeit vorsah. Wie es die Eigenart eines Grundsatzes ist, konnte dieser – und mit ihm die Gleichbehandlung durch Zeitarbeitstarifverträge – zu Lasten der Leiharbeitsbeschäftigten durchbrochen werden. Dies geschah insbesondere durch Dumping-Tarifverträge der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP). Durch Flächentarifverträge, aber auch eine Vielzahl von Haustarifverträgen begannen seitens der CGZP rege Aktivitäten, die Tarifverträge der DGB-Gewerkschaften zu unterbieten. Auf Arbeitgeberseite trat als Abschlusspartner zunächst die Interessengemeinschaft Nordbayerischer Zeitarbeitsunternehmen (INZ) in Erscheinung, aus der durch Fusion mit der Mittelstandsvereinigung Zeitarbeit (MVZ) der spätere ArbeitA. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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geberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) hervorging. Der Abschluss von niedrigen Entgelten und an zahlreichen Stellen schlechteren Arbeitsbedingungen wirkte sich auf die Tarifentwicklung der Tarifverträge aus, die von den DGB-Mitgliedsgewerkschaften mit den beiden Arbeitgeberverbänden Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) und Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) abgeschlossen wurden. Über Jahre konnten keine nennenswerten Tarifsteigerungen und keine Branchenzuschläge erreicht werden. Die gesetzlichen Ausgangsbedingungen und eine willfährige CGZP führten dazu, dass wir durch einen massiven Anstieg der Beschäftigtenzahl mittlerweile rund eine Million Leiharbeitsbeschäftigte verzeichnen. Der Aufbau von Arbeitsplätzen nach der Krise erfolgte und erfolgt immer noch zu einem überwiegenden Teil über Leiharbeit. Dies sind meist Arbeitsplätze, die in vielen Fällen nicht den Anforderungen an „gute Arbeit“ entsprechen. Für den DGB läuft der bisherige Feldversuch in der Leiharbeitsbranche schon zu lange in die falsche Richtung. Auch vor dem Hintergrund des Schlecker-Skandals und des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom Dezember 2010 zur Tarifunfähigkeit der CGZP müssen die Weichen durch die Politik so bald wie möglich neu gestellt werden: Die Gleichbehandlung vom ersten Tag ohne Ausnahme muss gesetzlich fixiert werden.
Lohndifferenzen sind nicht gerechtfertigt Es ist nicht nachvollziehbar, warum zwei Beschäftigte in einem Betrieb für gleichwertige Arbeit unterschiedlich hohe Löhne erhalten. In der Produktion eines Automobilunternehmens be-
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kommt Arbeitnehmer A als Stammbeschäftigter für die Arbeit an der rechten Pkw-Tür den Tariflohn der Branche, Leiharbeitnehmer B für die Montage der linken Pkw-Tür einen deutlich niedrigeren Zeitarbeitslohn, obwohl sie die gleiche Arbeit verrichten. Die Lohndifferenz in der Leiharbeit liegt bei gleicher Qualifikation und gleichen Aufgaben bei durchschnittlich 20 bis 40 Prozent. Es sind jedoch auch Fälle bekannt, in denen die tatsächliche Lohndifferenz zu den Stammbeschäftigten 100 Prozent beträgt. Für Arbeitgeber mag dies unter Einsparungsaspekten interessant sein. Für das Betriebsklima und die betroffenen Leiharbeitsbeschäftigten ist es jedoch nicht förderlich und wird als zutiefst ungerecht empfunden. Auch die deutsche Bevölkerung akzeptiert die ungleiche Behandlung von Leiharbeits- und Stammbeschäftigten nicht: So sprachen sich in einer aktuellen Umfrage der Zeitung Die Zeit mehr als 90 Prozent dafür aus, dass Leiharbeitsbeschäftigte den gleichen Lohn wie Stammbeschäftigte erhalten sollen.
Leiharbeitsbeschäftigte ziehen den Kürzeren Die Leiharbeitsbranche ist in Deutschland die Branche mit dem höchsten Anteil an „Aufstockern“, d.h. Beschäftigten, die neben ihrem Arbeitslohn auf ergänzende Transferleistungen des Staates angewiesen sind. Eine Auswertung des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) weist auf Basis der Arbeitsmarktdaten vom März 2010 einen Anteil für die Leiharbeit von 11,5 Prozent ALG II-Aufstockern an allen sozialversicherten Personen der Leiharbeitsbranche aus. Zum Vergleich: Im Gastgewerbe sind es 8,7 Prozent und im Bereich sonstiger Dienstleistungen und privater Haushalte 5,2 Prozent. Würde weiter
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auf Leiharbeit gesetzt, steigen die Belastungen für den Staat und damit für jeden Steuerzahler. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist dies nicht hinnehmbar. Zu kritisieren ist zudem die sehr kurze Dauer von Leiharbeitsverhältnissen. Rund die Hälfte besteht nicht länger als drei Monate. Von Arbeitsplatzsicherheit kann daher nicht gesprochen werden. Diese kurze Verweildauer ist auch nicht darauf zurückzuführen, dass Leiharbeitsbeschäftigte von den Entleihunternehmen übernommen werden. Dieser so genannte „Klebeeffekt“ liegt bei höchstens 10 Prozent. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass sage und schreibe 90 Prozent der Beschäftigten in der Leiharbeit in den meisten Fällen in anderen Leiharbeitsunternehmen beschäftigt oder arbeitslos werden. Im Rahmen der Hartz-Gesetze ging man ursprünglich von einem Klebeeffekt von rund 50 Prozent aus. Hierfür sollten – nach damaligem Plan der Politik – niedrigere Entgelte und schlechtere sonstige Arbeitsbedingungen für einen Übergangszeitraum in Anbetracht des Ziels einer baldigen Festanstellung in Kauf genommen werden. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat in neueren Untersuchungen keine Belege dafür finden können, dass Leiharbeit eine Brücke in den regulären Arbeitsmarkt darstellt – allenfalls einen schmalen Steg. Nach Meinung des DGB müssen Konsequenzen daraus gezogen werden, dass dieses Ziel der schnellen Vermittlung von Arbeitslosen in dauerhafte Festanstellungen nicht eingetreten ist. Die negativen Begleitaspekte – wie schlechtere Bezahlung als Stammbeschäftigte, weniger Urlaubstage, niedrigeres Urlaubsgeld, niedrigere Zuschläge und Zulagen, um nur einige zu nennen – bleiben für die Betroffenen weiter bestehen. Äußerst negativ für die Beschäftigten ist, dass Unternehmen zunehmend eigene Leiharbeitsunternehmen gründen. Vormals Festangestellten wird zum Beispiel beim Auslaufen ihres be-
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fristeten Vertrages das „Angebot“ gemacht, zu niedrigerem Lohn auf demselben Arbeitsplatz, aber als Beschäftigter des Leiharbeitsunternehmens tätig zu werden. Einen berechtigten Aufschrei der Bürger gab es im Fall Schlecker: In besonders skrupelloser Art und Weise wurden vormals Festangestellte in Leiharbeitsverhältnisse gezwungen.
Folgen auch für Unternehmen und deren Beschäftigte Abgesehen von den negativen Folgen, die Arbeits- und Lohnbedingungen in der Leiharbeit für viele Beschäftigte mit sich bringen, hat die Verschiebung weg von der Stammbelegschaft und hin zur Leiharbeit auch Folgewirkungen für das Tarifvertragssystem als Ganzes. Leiharbeit gilt als eigenständige Branche. Der Entleihbetrieb ist jedoch einer anderen Branche angehörig, beispielsweise dem Metall- und Elektrohandwerk oder der chemischen Industrie. Soll im Entleihbetrieb gestreikt werden, so kann ein hoher Anteil an Leiharbeitnehmern die Streikfähigkeit generell gefährden beziehungsweise die Streikfähigkeit erheblich senken. Das bisherige Tarifvertragssystem kann daher durch den Einsatz von Leiharbeitsbeschäftigten dramatisch geschwächt und geltende Flächentarifverträge können ausgehebelt werden. Die negativen Folgen bleiben dadurch nicht „nur“ auf die Leiharbeitsbeschäftigten beschränkt, sondern erfassen auch die Stammbelegschaft der Entleihbetriebe. Das seit Jahrzehnten in Deutschland weitgehend gut funktionierende System des Interessenausgleichs zwischen Arbeitnehmerund Arbeitgeberseite droht sich dahingehend zu verschieben, dass eine soziale Konfliktbewältigung über das Instrument Tarifverhandlungen gefährdet ist.
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Gesetzeslage behindert Organisation von Leiharbeitsbeschäftigten Die bisherige gesetzliche Regelung ist geradezu widersinnig, weil sie die Grundsätze gewerkschaftlicher Organisation auf den Kopf stellt. So regelt das AÜG den Grundsatz der Gleichbehandlung. Von diesem Grundsatz kann jedoch durch Leiharbeitstarifverträge nachteilig für die Beschäftigten abgewichen werden. Die Gewerkschaften sollen also für die von ihr organisierten Leiharbeitsbeschäftigten schlechtere Löhne und sonstige Arbeitsbedingungen abschließen als die geltenden? Dass die Organisation von Leiharbeitsbeschäftigten dadurch eine äußerst schlechte Ausgangsbasis hat, sieht der Gesetzgeber anscheinend nicht. Oft wird kritisiert, dass die DGB-Gewerkschaften überhaupt Zeitarbeitstarifverträge abgeschlossen hätten. Ohne diese Tarifverträge würde doch die Gleichbehandlung gelten. Bei dieser Argumentation muss die damalige politische Lage mitberücksichtigt werden. Unter dem damaligen SPD-Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement wurde den DGB-Gewerkschaften eindeutig signalisiert, dass zwar die Regelung der Gleichbehandlung erstmals in das AÜG aufgenommen würde. Allerdings wurde im gleichen Atemzug nachdrücklich darauf verwiesen, dass Leiharbeitstarifverträge abzuschließen seien. Ansonsten würde der neu ins Gesetz aufgenommene Grundsatz der Gleichbehandlung wieder gestrichen. Zusätzlich traten in der Anfangsphase neue Spieler auf die Bühne der Tarifpolitik in der Leiharbeit: der INZ und die CGZP. Beide sollten für die Beschäftigten der Branche nichts Gutes bringen. Sie schlossen den ersten Tarifvertrag mit sehr niedrigen Entgelten ab. Ein von den DGB-Gewerkschaften zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem BZA geschlossenes Verhandlungsergebnis vom 20. Februar 2003, das ein unterstes Entgelt in Westdeutschland von 8,40 Euro
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vorsah, wurde daraufhin vom BZA widerrufen. Die DGBMitgliedsgewerkschaften und der BZA haben dann in ihrem Tarifabschluss ein unterstes Entgelt von 6,85 Euro festgelegt. Der erste Dumping-Tarifvertrag von INZ/CGZP führte daher zu einer Absenkung des Entgelts um 1,55 Euro pro Stunde, das entspricht einer Reduktion um ganze 18,5 Prozent. In der Folgezeit schlossen der INZ und seine Nachfolgeorganisation, der AMP, mit der CGZP zahlreiche Tarifverträge auf meist deutlich niedrigerem Niveau als die DGB-Gewerkschaften. Um die Branche nicht komplett verloren zu geben, wurde seitens der DGB-Gewerkschaften versucht, tarifpolitisch das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, das unter diesen Bedingungen zu erreichen war.
Keine Gleichbehandlung absehbar Der DGB hat bereits zu Beginn der Tarifrunde im Jahr 2003 den beiden Arbeitgeberverbänden BZA und iGZ gegenüber deutlich gemacht, dass in jedem Fall Branchenzuschläge abgeschlossen werden müssen. Diese Forderung ist im Rahmen der ersten Tarifabschlüsse mit den beiden Verbänden gescheitert. Die Verhandlungsverpflichtung konnte nur mit dem BZA in § 6 „Verhandlungsverpflichtung Branchenzuschlag“ des Entgelttarifvertrags Zeitarbeit verankert werden. Trotz zahlreicher Anläufe der DGB-Gewerkschaften konnte in den darauffolgenden Jahren aufgrund der Verweigerungshaltung von BZA und iGZ kein einziger Branchenzuschlag in den beiden Tarifvertragswerken vereinbart werden. Erfolgreicher verliefen Verhandlungen in einzelnen Branchen. In der Vergangenheit wurde von DGB-Gewerkschaften immer wieder gezeigt, dass über Tarifverträge und Betriebsver-
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einbarungen bessere Arbeitsbedingungen und zum Beispiel Quotenregelungen und bessere Mitbestimmungsrechte für Leiharbeitsbeschäftigte abgeschlossen werden konnten. Solche so genannten „Besservereinbarungen“ im Organisationsbereich der IG Metall existieren etwa bei Airbus, Audi und BMW. Im Herbst 2010 wurde ein „Tarifvertrag zur Bezahlung von Leiharbeitnehmern“ im Bereich der nordwestdeutschen Stahlindustrie erreicht. Erstmals konnte mit den Entleihern im Stahlbereich ein Tarifvertrag erzielt werden, in dem sich die tarifgebundenen Arbeitgeber der Stahlbranche verpflichteten, darauf hinzuwirken, den in ihren Betrieben zum Einsatz kommenden Leiharbeitsbeschäftigten ein Vergleichsentgelt der Stahlbranche zu gewähren. Aus Sicht der betroffenen Leiharbeitsbeschäftigten sind diese Entwicklungen positiv zu bewerten. Doch können diese besseren Arbeitsbedingungen nur in Branchen abgeschlossen werden, in denen die DGB-Gewerkschaften durchsetzungsstark sind. Eine flächendeckende Regelungsdichte kann auf diese Art nicht erreicht werden.
Lösungsvorschläge des DGB Aufgrund dieser negativen Aspekte und des Stillstands in der Branchenentwicklung stellt sich aus Sicht des DGB die Frage, ob die bisherige Ausrichtung der Leiharbeit weiterhin gesamtgesellschaftlich als begrüßenswert und seitens der Politik als fördernswert zu bewerten ist. Wir sagen: Nein! Die bisherige rechtliche Regelung der Leiharbeit hat den Praxistest nicht bestanden. Es muss einen Neuanfang geben, um zukunftstaugliche Wege für die Leiharbeitsbranche zu eröffnen. Arbeitgeberrisiken dürfen nicht mehr auf die Beschäftigten, die Sozialversicherungen und den Staat verlagert wer-
Warum ist eine gesetzliche Regelung erforderlich?
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den. Die eigentliche Funktion der Leiharbeit – den kurzfristigen flexiblen Einsatz zur Abdeckung von Auftragsspitzen oder unvorhersehbaren kurzzeitigen Personalengpässen zu beheben – muss wieder hergestellt werden. Der Schlüssel hierzu ist die uneingeschränkte Gleichbehandlung ab dem ersten Tag, also Equal Pay und Equal Treatment ohne Ausnahme. Die gesetzliche Regelung im AÜG ist aus den oben angeführten Gründen untauglich, um qualitativ akzeptable Arbeitsplätze mit Perspektive – und sei es nur durch die Übernahme ins Entleihunternehmen – zu schaffen. Bei der im Jahr 2011 erfolgten Novellierung des AÜG im Rahmen der Umsetzung der EU-Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG ist die Chance zum Umsteuern leider trotz entsprechender Darlegungen des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften nicht ergriffen worden. Die neue Lohnuntergrenze allein erfüllt nicht die Anforderungen, die die EU-Leiharbeitsrichtlinie hinsichtlich des erforderlichen „Gesamtschutz(es)“ stellt. Der DGB fordert daher weiterhin, dass die uneingeschränkte Gleichbehandlung des Leiharbeitsbeschäftigten mit einem Stammbeschäftigten ab dem ersten Tag gelten muss. Eine Abweichung durch Leiharbeitstarifverträge zu Lasten der Beschäftigten darf nicht mehr möglich sein. Für die möglichst schnelle Einführung der uneingeschränkten Gleichbehandlung spricht auch der Eintritt der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai 2011. Eine bloße Lohnuntergrenze kann nicht verhindern, dass Lohndumping in höheren Entgeltgruppen erfolgt. So könnte einem aus einem EU-Mitgliedsstaat nach Deutschland entsandten Facharbeiter nicht der Facharbeiterlohn gezahlt werden, sondern nach einem ausländischen Leiharbeitstarifvertrag lediglich der angestrebte Mindestlohn von 7,79 Euro in Westdeutschland bzw. 6,89 Euro in Ostdeutschland. Daher besteht aus unserer Sicht weiterhin Handlungsbedarf, um Lohndumping in Zukunft zu verhindern.
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Der bisherige „Feldversuch Leiharbeit“ muss beendet und ein neuer, gesamtgesellschaftlich akzeptabler Weg der uneingeschränkten Gleichbehandlung eingeschlagen werden.
Claus Matecki Vorstandsmitglied Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
Claus Matecki wurde 1949 geboren. Nach dem Erwerb der Fachschulreife entschied er sich für das Studium als Sozialpädagoge an der Fachhochschule Hagen und anschließend für ein weiteres Studium als Diplom-Pädagoge an der Universität Dortmund. Nach einigen Berufsjahren als technischer Zeichner und Konstrukteur verschlug es Claus Matecki Anfang der 80er Jahre in die gewerkschaftliche Bildungsarbeit. Zwischen 1991 und 2002 war er 1. Bevollmächtigter und Kassierer der IG Metall Verwaltungsstelle Magdeburg. 1997 wurde Matecki in den IG Metall Vorstand gewählt und gehörte diesem bis 2002 an. 2002 wechselte er zum IG Metall Vorstand nach Frankfurt am Main, wo er die Leitung des Büros des Ersten Vorsitzenden übernahm. Seit 2006 gehört Claus Matecki dem Geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB an und ist für die Bereiche Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik zuständig.
Teil 3 Rechtliche Rahmenbedingungen
Warum ist die Geschichte des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes so schwierig? Prof. Dr. Peter Schüren, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster
Wenn die „Zeitarbeit“ langfristig eine gewichtige Rolle spielen soll, dann kann sie nicht nur flexibel sein. Dann muss sie auch vernünftig sozial abgesicherte Arbeitsplätze bieten. Bislang ist das nur teilweise erreicht. Der Beitrag beschäftigt sich aus der Perspektive eines Arbeitsrechtlers mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Ich stelle die Entwicklung bis 2011 vor und skizziere die Lücken der aktuellen Reform. Einen eigenen Vorschlag mache ich am Ende.
Einführung Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gehörte nie zu den „guten“, legislatorisch durchdachten und langfristig brauchbaren Gesetzen. Seine scharfen, anfangs überscharfen Restriktionen und Sanktionen haben in der Zeit bis Ende 2002 wenig Schutzwirkung entfaltet. Aber sie haben die legale Arbeitnehmerüber-
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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lassung bis 2003 zu einer Randerscheinung gemacht. Manche der alten Regelungen funktionieren inzwischen auch einfach nicht mehr. So ist z.B. die Rechtsfolge des fingierten Arbeitsverhältnisses bei fehlender Überlassungserlaubnis („Scheinwerkvertrag“) heute wegen der Sperrwirkung der Entsendebescheinigung faktisch auf Inländer beschränkt1 – das ist bei offenen Grenzen in der EU ein unhaltbarer Zustand. Die Hartz-Reform von 2003 hat der Leiharbeit zwar einen Boom gebracht. Aber sie war ziemlich unehrlich. Sie hat den vielleicht gröbsten Missbrauch des Tarifrechts in der Nachkriegszeit angestoßen. Denn sie gab die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer einer Branche zur tariflichen Regelung frei, deren Organisationsgrad „gegen null“ geht. Das hatte für die Qualität der Interessenvertretung auf Arbeitnehmerseite vorhersehbare Folgen – wohin sich so eine „Interessenvertretung“ ohne Mandat vorhersehbar entwickelt, ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt.2 Im Klartext: Den Arbeitnehmern wäre es ohne tarifdispositive Entgeltregelung im Gesetz in den vergangenen Jahren wirtschaftlich besser gegangen, weil sie mit AGB-Kontrolle und privatautonomer Lohnregelung in den Schranken des BGB in vielen Fällen günstigere Arbeitsbedingungen gehabt hätten. Aus dem tarifdispositiven Gleichbehandlungsgebot der Reform von 2003 ist zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung
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Ausf. dazu: Schüren, Funktionsmängel des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bei Scheinwerkverträgen aus dem Ausland – eine Skizze, demn. in FS Düwell 2011; Bayreuther, Vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit zu Gunsten der MOE-Staaten, DB 2011, 706, 708. Weiterführend: Schüren, Tarifverträge ohne mitgliedschaftliche Legitimation – eine Skizze, in FS 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, 2004, S. 877.
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eine Tariflandschaft mit Dumpinglöhnen und schlechten Arbeitsbedingungen geworden, in der Pseudogewerkschaften jahrelang „ungestraft“ Billigtarife nach Wunsch produzierten. Mit der aktuellen Reform von 2011 einschließlich der neuen Mindestlohnbestimmung3 werden die Mängel nicht beseitigt. Die Reform ist halbherzig, korrigiert die Fehlentwicklungen nicht ernstlich und wird hauptsächlich von denen begrüßt, die genau dafür dankbar sind4 – und damit sehr kurzfristig denken. Trotzdem ist die Branche gerade in den letzten Jahren kräftig gewachsen. Ein besonders gutes Ansehen in der Öffentlichkeit oder bei den betroffenen Arbeitnehmern hat sie wegen der vielen Missbräuche aber nicht. Das kann für die Unternehmen gefährlich werden, wenn die politischen Machtverhältnisse wechseln. Wer eine langfristige Perspektive der Branche will, sollte über eine fundierte Reform nachdenken.
Vorgeschichte bis 1972 Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.4.1967 wurde die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung als Unterfall der verbotenen Arbeitsvermittlung eingeordnet. Arbeitsvermittlung war staatliches Monopol und Sache der Arbeitsämter. Private Vermittlung war von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen generell verbo-
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Brors, Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel – Nachbesserungsbedarf bei geplanten Mindestlohnregelungen, AuR 2011, 85. Lembke, Die geplanten Änderungen im Recht der Arbeitnehmerüberlassung, DB 2011, 414ff.
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ten und sogar strafbar.5 Das galt auch für die gewerbsmäßige Leiharbeit. In der parlamentarischen Auseinandersetzung von 1956 über die Neugestaltung der Arbeitslosenversicherung hieß es, man knüpfe mit dem Verbot der Leiharbeit an die Rechtslage vor 1933 an. Tatsächlich war in der Weimarer Republik die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung aber kaum beschränkt.6 Im Dritten Reich war das anders: Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung widersprach eindeutig der „nationalsozialistischen Auffassung des Arbeitsverhältnisses als eines auf der gegenseitigen Treuepflicht beruhenden Führer- und Gefolgschaftsverhältnisses“.7 Das war nicht nur in Deutschland so. Auch das Arbeitsrecht des faschistischen Italiens verbot die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung.8 Erst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.4.19679 und das Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.7.197010 brachten eine beschränkte Zulassung der Leiharbeit in der heute noch üblichen Form. Beide Entscheidungen waren
Theuers, Das Leiharbeitsverhältnis, 1960, S. 17. Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 28. 7 Sturn, RABl. 1942 V, S. 235. 8 Feuerborn, Die soziale Sicherung von Leiharbeitnehmern und vergleichbaren Arbeitnehmergruppen in Italien, 1993. 9 BVerfGE 21, 261ff. 10 AP Nr. 9 zu § 37 AVAVG: Die von dieser Firma „Adia Interim“ verliehenen Arbeitnehmer sollten freie Mitarbeiter des Verleihers sein und wurden jeweils nur für die Einsätze bei den Entleihern vergütet. Wegen der fehlenden arbeitsrechtlichen Bindung an den Verleiher sah das Bundessozialgericht in dieser Form der Arbeitnehmerüberlassung eine verbotene gewerbliche Arbeitsvermittlung.
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Höhepunkte des langjährigen Rechtsstreits über die Praxis der Firma „Adia Interim“, die Bürokräfte verlieh.11 Das Bundesverfassungsgericht trennte in der Verfassungsbeschwerde zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung. Das Gericht sah hinsichtlich der Arbeitnehmerüberlassung keine zwingenden Gründe, die den mit einem Verbot verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit der Verleiher rechtfertigen könnten. Die Entscheidung enthielt auch den Auftrag an den Gesetzgeber, die Arbeitnehmerüberlassung sozialverträglich zu regeln. Nun war der Weg für die Arbeitnehmerüberlassung frei. Sie war in der noch heute im AÜG geregelten Form legal: Der Verleiher und nicht mehr der Entleiher schloss den Arbeitsvertrag mit dem Leiharbeitnehmer ab. Der Entleiher erhielt vom Verleiher den Anspruch auf die Arbeitsleistung für die Dauer der Überlassung. Dass es schon bald zu einigen Missständen kam und unseriöse Verleiher Sozialversicherungsbeiträge nicht abführten und Meldepflichten verletzten, war neben dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts der Anstoß zu einer gesetzlichen Regelung. Die sozialliberale Koalition und die DGB-Gewerkschaften standen der Leiharbeit ablehnend gegenüber – eine gewichtige Lobby hatten die Verleiher offensichtlich nicht. Deshalb war der Gesetzgeber nicht bereit, den Unternehmen dieser Branche die gleichen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen, wie sie „normale“ Arbeitgeber hatten. Angesichts der geringen Arbeitslosigkeit und der sehr guten Absicherung der wenigen Arbeitslosen war diese „Angst“ Anfang der siebziger Jahre sicherlich ein wenig irrational. Vielleicht wäre es besser gewe-
11 Kühne, Das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit und die Begründung von Leiharbeitsverhältnissen, 1971, S. 123ff.
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sen, der Branche in dieser Zeit geringer Arbeitslosigkeit mehr Raum zur Entwicklung zu geben.
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) 1972 Nach der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf vom 15.6.1971 sollte das AÜG dazu beitragen, „bei der Arbeitnehmerüberlassung Verhältnisse herzustellen, die den Anforderungen des sozialen Rechtsstaats entsprechen und eine Ausbeutung der betroffenen Arbeitnehmer ausschließen“. Das Gesetz war außerordentlich restriktiv – nur hinsichtlich der Vergütung blieben die Vertragspartner frei. Die Gefahr von Dumpinglöhnen war angesichts der geringen Arbeitslosigkeit und des vor 40 Jahren noch hohen Schutzniveaus der Arbeitslosenversicherung gering. Es gab drei wesentliche Schranken: das Synchronisationsverbot, die Höchstüberlassungsdauer und das Erfordernis einer Überlassungserlaubnis. Diese Schranken waren nicht nur durch Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände abgesichert. Die wichtigste, ganz neuartige Sanktion war die Haftung des Entleihers: Er wurde bei Regelverstößen des Verleihers (!) kraft Gesetzes – vermutete Arbeitsvermittlung i. V. m. § 13 AÜG a.F. – rückwirkend zum Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers und damit zum Schuldner für alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Das Synchronisationsverbot Das alte AÜG verlangte ein grundsätzlich unbefristetes Leiharbeitsverhältnis mit dem Verleiher. Praktisch war eine Befristung nur auf Wunsch des Leiharbeitnehmers zulässig – sonst
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war sie unwirksam.12 Angesichts der damals noch geltenden Befristungsfreiheit in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses war das eine erhebliche Beschränkung. Der Verleiher sollte das Risiko tragen, den Leiharbeitnehmer in verleihfreien Zeiten nicht beschäftigen zu können, ihn aber trotzdem vergüten zu müssen. Um zu verhindern, dass der Verleiher das Leiharbeitsverhältnis mit der einzelnen Überlassung zeitlich zur Deckung brachte, es „synchronisierte“, hatte der Gesetzgeber aber nicht nur die Befristungs- sondern auch die Kündigungsmöglichkeit für Leiharbeitsverhältnisse eingeschränkt. Zwar waren Leiharbeitnehmer normal kündbar, doch war die Kündigung rückwirkend unwirksam, wenn der Entlassene innerhalb von drei Monaten wieder eingestellt wurde. Gravierend waren die weiteren Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Synchronisationsverbot. § 1 Abs. 2 AÜG (1972) regelte: „Werden Arbeitnehmer Dritten zur Arbeitsleistung überlassen und übernimmt der Überlassende weder die üblichen Arbeitgeberpflichten noch das Arbeitgeberrisiko (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) oder übersteigt die Dauer der Überlassung im Einzelfall drei Monate (§ 3 Abs. 1 Nr. 6), so wird vermutet, daß der Überlassende Arbeitsvermittlung betreibt.“ Die Folgen dieser stets illegalen Arbeitsvermittlung regelte dann der frühere § 13 AÜG (1972). Danach wurde bei vermuteter Arbeitsvermittlung ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher fingiert.13 So waren nicht nur Befristung und Kündi-
12 Schüren, Das Synchronisationsverbot bei der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, in FS Kissel, 1994, S. 1037, 1038. 13 Ausf. dazu: Schüren, Gesetzlich fingiertes Arbeitsverhältnis zum Entleiher trotz Überlassungserlaubnis – Synchronisationsverbot, vermutete Arbeitsvermittlung und die Folgen, WiVerW 1996, 245, 249.
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gung gegebenenfalls unwirksam; das ganze Arbeitsverhältnis landete beim Entleiher. Auf dem Papier waren diese Sanktionen heftig – in der Praxis wurden sie freilich kaum durchgesetzt. Es ist nicht eine Entscheidung bekannt, in der ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher wegen Verletzung des Synchronisationsverbots durch den Verleiher fingiert wurde. Höchstüberlassungsdauer Die Überlassungsdauer war auf maximal drei Monate begrenzt. Deshalb konnten mit Leiharbeitnehmern keine Dauerstellen besetzt werden.14 Wurden die drei Monate überschritten, so griff die Vermittlungsvermutung und es wurde ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher fingiert. Viele dubiose „Werkverträge“ wurden zur Umgehung dieser Regel geschlossen. Überlassungserlaubnis Nach § 1 Abs. 1 AÜG (1972) brauchte der Verleiher eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis, wenn er gewerbsmäßig verleihen wollte. Auch das Fehlen einer Überlassungserlaubnis führte zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer. Das ergab sich aus §§ 9 Nr. 1 und 10 Abs. 1 AÜG (1972) – die Regelung gilt bis heute15 und ist die wichtigste Sanktion bei Scheinwerkverträgen. Wegen der oftmals hohen Nachzahlungsansprüche der Sozialversicherungsträger ist die Wirkung heftig und spielt in der Praxis eine große Rolle. Insbesondere bei illegaler Überlassung 14 BT-Ds. VI/2303, S. 12. 15 Kritisch dazu: Hirdina, Die Arbeitnehmerüberlassung – Eine verfassungswidrige Überregulierung?, NZA 2011, 325ff.
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aus dem Ausland waren die Folgen extrem. Das wurde erst 2006 beträchtlich entschärft, als die Rechtsprechung diese Rechtsfolge in den Fällen praktisch ausschloss, in denen eine Entsendebescheinigung (E 101 oder A 1) vorlag.16
Lockerung der Schranken des AÜG zwischen 1985 und 2002 Die „Liberalisierung“ der Leiharbeit begann mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985. Die Kohl-Regierung wollte – wie andere nach ihr – durch den Abbau arbeitsrechtlicher Beschränkungen Beschäftigungsanreize schaffen. Allzu beherzt ging man dabei aber anfänglich nicht vor – das kam erst mit der Hartz-Reform 2003. Die Höchstüberlassungsdauer stieg auf sechs Monate. In § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG wurde der Verleih zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen innerhalb desselben Wirtschaftszweiges gestattet, wenn die Tarifvertragsparteien dies vorsahen – praktisch hat das aber keine Rolle gespielt. 199317 hat man die maximale Überlassungsdauer bei der Arbeitnehmerüberlassung erneut, und zwar auf neun Monate, heraufgesetzt. Jetzt taugte Leiharbeit nicht mehr nur dazu ganz
16 Schüren/Hamann/Schüren, AÜG, 4. Aufl. 2010, Einl. Rn. 831; weiterführend Schüren, Funktionsmängel des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bei Scheinwerkverträgen aus dem Ausland – eine Skizze, demn. in FS Düwell 2011. 17 BGBl. I 1993, S. 2353.
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kurzfristigen Arbeitskräftebedarf abzudecken; man konnte mit ihr vereinzelt bereits Personalkosten senken.18 Weitere Lockerungen kamen durch das Beschäftigungsförderungsgesetz von 1994. Damals fiel das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt (heute: Bundesagentur) für Arbeit. Jetzt konnten auch Verleiher gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung anbieten. Aber erst durch das Arbeitsförderungsreformgesetz von 1997 wurde das AÜG in wesentlichen Punkten geändert. Die Reform sollte bei der Bekämpfung der inzwischen sehr bedrängenden Arbeitslosigkeit helfen.19 Die in § 1 Abs. 2 AÜG geregelte zulässige Überlassungsdauer wurde von neun auf zwölf Monate verlängert.20 Außerdem wurde § 13 AÜG (1972) abgeschafft, der bis dahin bei erheblichen Regelverstößen des Verleihers ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer fingierte. Die Vermittlungsvermutung aus § 1 Abs. 2 AÜG hatte damit ihre „Zähne“ verloren. Erstmals wurde auch das Synchronisationsverbot gelockert. Es gab erleichterte Befristungsmöglichkeiten für Leiharbeitnehmer. So war jetzt die erste Befristung sachgrundlos möglich.21 Am 1.1.2002 – jetzt bereits unter der rot-grünen Regierung – kam das sog. Job-AQTIV-Gesetz.22 Die Höchstdauer der gewerbsmäßigen Überlassung wurde auf 24 Monate verlängert. Das Gesetz verlangte aber jenseits der 12-monatigen Überlassung die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer bei den wesent18 Feuerborn/Hamann, Neuregelungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, BB 1994, 1346. 19 BT-Ds. 13/4941, S. 247. 20 Feuerborn/Hamann, Liberalisierung der Arbeitnehmerüberlassung durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz, BB 1997, 2530. 21 Ebd. 2531. 22 BGBl. I, S. 3443.
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lichen Arbeitsbedingungen mit denen des Entleihers. Eine tarifliche Absenkungsmöglichkeit der Löhne war noch nicht vorgesehen. Deshalb kamen diese Fälle praktisch nicht vor.
AÜG-Reform im Rahmen der Hartz-Gesetze 2003 Die wirklich grundlegende Veränderung des Rechts der Arbeitnehmerüberlassung folgte erst 2003 unter dem Druck einer sehr hohen Arbeitslosenquote. Da trat das Erste Gesetz für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt23 in seinen wesentlichen Teilen in Kraft. Es ging auf Vorschläge der sog. „HartzKommission“ zurück. Dieses Gesetz veränderte die Situation arbeitsloser Menschen grundlegend und zielgerichtet, um sie durch wirtschaftlichen Druck in den Arbeitsmarkt zurückzubefördern. Die Leiharbeit sollte dabei eine wichtige Rolle spielen – das konnte sie aber nur mit deutlich reduzierten Lohnkosten. Tarifdispositive Gleichbehandlung Mit der „Hartz-Reform“ kam eine ruppige Deregulierung der Arbeitnehmerüberlassung. Sie sollte helfen, das Beschäftigungspotential dieses Sektors auszuschöpfen. Die Reform hatte zwei Hauptbestandteile, von denen aber nur einer funktionierte. Mit Hilfe staatlicher Förderung sollten die zu schaffenden Personal Service Agenturen vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung betreiben und damit die Eingliederung schwer vermittelbarer Arbeitsloser verbessern. Das war ein Flop; die PSA spielten keine Rolle.
23 BGBl. 2002, S. 4607.
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Die Reform der Arbeitnehmerüberlassung hingegen wirkte tatsächlich – freilich hauptsächlich durch die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen mit Hilfe von Tarifverträgen (!) im unteren Marktsegment. Durch ihr Kostensenkungspotential und die wirksame Flexibilisierung war Leiharbeit ab 2003 für die Entleiher eine sehr attraktive Option und entsprechend wuchsen die Nachfrage und das Angebot. Von herausragender Bedeutung war dabei die Beseitigung der Höchstdauer einer Überlassung. In Kombination mit den jetzt möglichen Billigtarifen war damit ein gewaltiges Kostensenkungspotential im reformierten Gesetz versteckt. Zusätzlich wurde das gesamte Synchronisationsverbot aufgehoben. Jetzt galt neben dem Kündigungsschutzgesetz auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz uneingeschränkt. Das ermöglichte die Ausweitung der Befristungsmöglichkeit bei Neueinstellungen durch Tarifvertrag. Die Vergütungsregelung des Reformgesetzes wirkt nur auf den ersten Blick sehr arbeitnehmerfreundlich. Die §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2 und 10 Abs. 4 AÜG n.F. begründen während des Einsatzes den Anspruch des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Verleiher auf (kaum) eingeschränkte Gleichbehandlung mit den Stammarbeitnehmern des Entleihers – „Equal Pay/Equal Treatment“. Jedoch sind Abweichungen zulässig, wenn das Leiharbeitsverhältnis durch einen einschlägigen Tarifvertrag geregelt wird. Der Anspruch auf Gleichbehandlung war und ist uneingeschränkt tarifdispositiv. Durch die Einführung der Gleichbehandlung als Ausgangsposition entstand eine nie dagewesene Nachfrage nach Tarifregelungen. Ab 2003 wurden sehr schnell eine größere Zahl von Flächen- und Haustarifverträgen vereinbart. Denn Tarifverträge konnten auch ohne Tarifbindung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch schlichte Tarifbezugnahme als Regelung der Arbeitsbedingungen eingesetzt werden. Die Löhne konnten damit
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bis zu Hungerlohngrenze abgesenkt werden – wenn der Tarifvertrag wirksam war … Die DGB-Gewerkschaften schlossen gemeinsam für die Branche mit den beiden großen Arbeitgeberverbänden Flächentarife ab. Das Lohnniveau war niedrig. Die Arbeitgeberseite hatte damit anfänglich nicht gerechnet. Denn die Arbeitgeber hatten keinerlei Druckmittel, um die Gewerkschaften zu solchen Abschlüssen zu veranlassen. Die tariflich geregelten Arbeitsbedingungen setzten sich vollständig durch; Gleichbehandlung gab es praktisch nur dort, wo Tarifverträge unwirksam waren. Das CGZP-Desaster Neben der DGB-Tarifgemeinschaft etablierte sich eine Pseudogewerkschaft, die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und PSA (CGZP), die mit ihren Billigabschlüssen24 das Bild der Branche von 2003 bis Ende 2010 auch in der Öffentlichkeit prägte. Die CGZP war keine Gewerkschaft, denn sie ist nach der rechtskräftigen Entscheidung des BAG vom 14.12.201025 nicht tariffähig. Bereits seit 2003 war die Tariffähigkeit dieser Organisation heftig diskutiert worden. Ich selbst hatte schon 2004 eindringlich vor den Haftungsrisiken solcher „faulen“ Tarifverträge gewarnt.26 Diese Pseudogewerkschaft hatte seit 2003 nicht nur mit dem AMP, einem Verband von Verleihern, einige Flächentarifverträge abgeschlossen, sondern auch mit vielen Unternehmen und
24 Schüren, Tarifunfähigkeit der CGZP wegen Missbrauchs der tariflichen Normsetzungsbefugnis in der Leiharbeit, AuR 2008, 239. 25 NZA 2011, 289. 26 Schüren/Riederer v. Paar, Risiken nichtiger Tarifverträge in der Leiharbeit, AuR 2004, 241ff.
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Unternehmensgruppen eine große Zahl von Haustarifverträgen – es sollen über 200 gewesen sein – vereinbart. Die Haustarife sahen teilweise noch viel schlechtere Arbeitsbedingungen vor als der jeweilige Flächentarif – und der lag schon deutlich unter den Tarifen der DGB-Gewerkschaften. In den Anfangsjahren hatte man teilweise extrem billige Löhne – bis deutlich unter 5 Euro – vereinbart. Damit verschafften sich die Arbeitgeber, die solche Tarife nutzten, erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz. Das wurde am 10.12.2007 durch einen Beitrag des Fernsehmagazins Report Mainz öffentlich bekannt. Die Öffentlichkeit reagierte sehr negativ auf diesen üblen Missbrauch der Tariföffnung. Deshalb gestaltete man die Kostensenkung ab ca. 2008 subtiler27. Trotzdem folgte ein negativer Medienbeitrag dem anderen. Im Herbst 2008 stellten die Berliner Arbeitssenatorin und die Gewerkschaft ver.di den Antrag nach § 97 Abs. 1 ArbGG zur Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP. Alle drei Instanzen folgten den Antragstellern. Am 14.12.201028 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass die CGZP tarifunfähig ist. Die Folgen der Entscheidung waren – das war seit langem absehbar – sehr erheblich: Den mit Pseudotarifen geprellten Leiharbeitnehmern stehen rückwirkend die gesetzlichen Lohnansprüche zu. Es gibt keinen „Vertrauensschutz“ für Arbeitgeber bei der Anwendung unwirksamer Tarifverträge.29 Der einzelne ausgeliehene Arbeitnehmer hat für seine Einsatzzeiten Anspruch auf die Vergütung, die ein Stammarbeitnehmer sei27 Ausf. Schüren, Tarifunfähigkeit der CGZP wegen Missbrauchs der tariflichen Normsetzungsbefugnis in der Leiharbeit, AuR 2008, 239. 28 NZA 2011, 289. 29 Brors, Die tariflichen Konsequenzen des CGZP-Beschlusses, AuR 2011, 138.
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nes Entleihers für die gleiche Arbeit erhalten hätte („Equal Pay“). Davon ist abzuziehen, was bereits bezahlt wurde. Damit er den Anspruch darlegen und einklagen kann, muss ihm gem. § 13 AÜG der Entleiher Auskunft über diese Vergütung geben. Die regelmäßige Verjährung dieser Ansprüche (3 Jahre) beginnt erst, wenn die Entscheidung über die Tariffähigkeit rechtskräftig ist.30 Ausschlussfristen greifen nicht.31 Viel brisanter als die individuellen Lohnklagen ist der eigenständige Anspruch der Sozialversicherungsträger auf die rückständigen Beiträge aller Leiharbeitnehmer mit CGZP-Tarif.32 Hier gilt das Entstehungsprinzip. Wer ein wenig rechnen kann und bedenkt, dass ca. 40 Prozent der Lohndifferenz als Beiträge fällig werden, kommt schon bei 100.000 „christlich“ bezahlten Leiharbeitnehmern zu gewaltigen Summen. Beitragsansprüche haben eine Verjährungsfrist von vier Jahren. Wenn sich die Anzeichen zu einem konkreten Nachweis erhärten, dass die billigen Haustarife „gekauft“ waren, greift eine Verjährung von 30 Jahren.33 Dann drohen aber auch Freiheitsstrafen wegen Beitragshinterziehung und Betrug.
30 Schüren, Verjährung von Nachzahlungsansprüchen der Leiharbeitnehmer nach Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP, AuR 2011, 142. 31 Brors, Equal Pay Anspruch und Ausschlussfristen, NZA 2010, 1385; BAG v. 23.3.2011, NZA 2011. 32 Schüren/Wilde, Selbstständige und akzessorische Beitragsansprüche bei nichtigen „Billigtarifverträgen“ in der Leiharbeit, NZS 2009, 303, 306; Schlegel, Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen des CGZP-Beschlusses, NZA 2011, 380, 382. 33 Park/Riederer v. Paar/Schüren, Arbeits-, sozial- und strafrechtliche Risiken bei der Verwendung von Scheintarifverträgen, NJW 2008, 3670, 3673; Fernsehbeitrag Frontal 21 vom 23.3.2011.
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In der Rückschau tragen diejenigen die Verantwortung, die sich diese Billigtarife beschafften und diejenigen, die sie produzierten. Die gesamte Branche hat aber durch diese Praxis einen schweren Ansehensverlust erlitten. Wenn die DGB-Gewerkschaften oder auch die anderen Arbeitgeberverbände oder der Bundesarbeitsminister frühzeitig gegen diese Pseudogewerkschaft das Verfahren nach § 97 Abs. 1 ArbGG auf Feststellung der Tarifunfähigkeit eingeleitet hätten, wäre der Branche das erspart geblieben. So konnte die CGZP fünf Jahre lang ihr schlimmes Geschäft betreiben bis ver.di und die Berliner Arbeitssenatorin endlich die „Notbremse“ zogen.
Reform 2011 und Ausblick Die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die 2011 stattfand, ist leider völlig unzureichend. Darauf hat zuletzt noch einmal Düwell34 in der Anhörung des zuständigen Ausschusses am 21.3.2011 ebenso fundiert wie wirkungslos hingewiesen. Die Chance der Branche einen gesetzlichen Rahmen zu geben, der sich an den tatsächlichen Schutzbedürfnissen der Arbeitnehmer orientiert, die Erfahrungen aus fast 40 Jahren AÜG auswertet und die Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit ernsthaft umsetzt35, wurde vertan. Der geplante Mindestlohn ist so niedrig, dass er seit dem „Verschwinden“ der CGZP kaum praktische Bedeutung hat.36
34 VorsRiaBAG Prof. Franz-Josef Düwell im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Wortprotokoll, 56. Sitzung, 21.3.2011. 35 Schüren/Wank, Die neue Leiharbeitsrichtlinie und ihre Umsetzung ins deutsche Recht, RdA 2011, 1. 36 Brors, AuR 2011, 85.
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Der Gesetzgeber hat die klaren Vorgaben der EU-Richtlinie nicht wirklich ernst genommen. Für die schwierigen Fragen der grenzüberschreitenden Personaldienstleistungen bringt die neue „Mindestlohnregelung“ wenig. Hier gibt es vielfältige Umgehungsmöglichkeiten. Und hier werden vermutlich eher Scheinwerkverträge mit Entsendebescheinigung genutzt werden als Arbeitnehmerüberlassung. Denn z.B. in Polen verlangt das Arbeitnehmerüberlassungsrecht ausnahmslos die Gleichbehandlung. Die Reform hat das AÜG auf alle Verleiher ausgeweitet, die im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit verleihen. Das bringt nicht viel. Die vorübergehende konzerninterne Überlassung bleibt möglich. Der Rückverleih von ehemaligen Mitarbeitern ist zulässig. In den ersten sechs Monaten darf aber kein Leiharbeitstarif genutzt werden. Das ist auch nicht viel. Damit bleiben die wesentlichen Missbräuche der Leiharbeit weiter möglich. Eine ernsthafte richtlinienkonforme Reform hätte anders ausgesehen. Sie hätte die tariflich geregelte Leiharbeit auf die Arbeitsverhältnisse beschränken sollen, die tatsächlich dafür vorgesehen sind, mehrere Fremdfirmeneinsätze zu überdauern. Dort wo ein Leiharbeitnehmer nur für einen Entleiher oder befristet eingestellt wird, muss Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmern des Entleihers sichergestellt werden. Ob ein Arbeitnehmer tatsächlich nur für einen Einsatz eingestellt wurde, lässt sich am besten in der Rückschau erkennen. Wenn also ein Leiharbeitnehmer schon nach einem Einsatz betriebsbedingt gekündigt wird, dann wäre ein Nachzahlungsanspruch angemessen, der ihn auf das Niveau der vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers hebt. Die Leiharbeit mit langfristiger Bindung an den Verleiher und Einsätzen bei verschiedenen Fremdfirmen ist das alte „deutsche Modell“. Nur sie braucht ein eigenes, kontinuierliches
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Vergütungssystem und gleichbleibende Arbeitsbedingungen – das kann am besten ein eigener Tarifvertrag liefern. Aber hinter einem Tarifvertrag muss ernsthafte Interessenvertretung auch auf Arbeitnehmerseite stehen. Die Exekutive hat hier einen Schutzauftrag. Der in § 97 Abs. 1 ArbGG begründeten Befugnis solche Verfahren zur Prüfung der Tariffähigkeit einzuleiten, muss eine Verpflichtung zur Überwachung zugeordnet werden, damit solche Missbräuche wie sie zwischen 2003 und 2010 von der CGZP und ihren „Kunden“ ermöglicht wurden, nicht mehr vorkommen. Wenn Arbeitnehmerüberlassung sich in den Grenzen eines vernünftigen, europarechtskonformen arbeitsrechtlichen Rahmens bewegt, hat sie sicherlich eine gute Zukunft. Aber dieser Rahmen muss noch geschaffen werden. Wenn das nicht gelingt, dann kann die Branche in naher Zukunft mit „Reformen“ rechnen, die dem schlechten Ansehen in der Öffentlichkeit und den ruppigen Vorschlägen „von links“ folgen. Das alte AÜG mit seiner Überlassungshöchstdauer von drei Monaten, dem Synchronisationsverbot und einem strengen Gleichbehandlungsgebot könnte dann wiederkommen.37
37 Klaus Ernst am 4.5.2010: DIE LINKE fordert deshalb gleichen Lohn für gleiche Arbeit, mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte bei Leiharbeit sowie die Begrenzung der Überlassungshöchstdauer auf drei Monate.
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Prof. Dr. Peter Schüren Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster
Peter Schüren, geboren 1953, war nach dem Abitur von 1972 bis 1974 Soldat auf Zeit. Anschließend studierte er bis 1978 als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes Jura und Politik in Freiburg. Nach dem juristischen Vorbereitungsdienst, einem Forschungsaufenthalt in Berkeley, Kalifornien, und der Promotion (1982) arbeitete er als Assistent von Prof. Dr. Manfred Löwisch an der Universität Freiburg. Die wissenschaftliche Arbeit wurde 1984 durch eine praktische Tätigkeit in der zentralen Arbeitsrechtsabteilung der Robert-Bosch-GmbH in Stuttgart ergänzt. 1988 folgte nach einem Forschungsaufenthalt in Ann Arbor, Michigan, die Habilitation an der Universität Freiburg als Schüler von Manfred Löwisch. 1987/88 vertrat er einen Lehrstuhl an der Universität Bayreuth, dann an der Universität Köln und schließlich 1988/89 den Lehrstuhl von Hans Brox in Münster auf den er 1989 berufen wurde. Er ist Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht an der Universität Münster. Seine Forschungs-, Beratungs- und Publikationsschwerpunkte sind die Bereiche Fremdfirmenpersonal, Flexible Arbeitszeitformen und Strukturfragen kollektiver Interessenvertretung. Seit 1993 ist Peter Schüren Herausgeber und Mitautor des Kommentars Schüren/Hamann, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, der 2012 in der 5. Auflage erscheint.
Wohin entwickelt sich die Zeitarbeit? Prof. Dr. Volker Rieble, Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) der Ludwig-MaximiliansUniversität München
Die Zeitarbeit sieht sich einem massiven Umbruch der rechtlichen Rahmenbedingungen gegenüber. Die CGZP-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14. Dezember 20111 hat die Christlichen Gewerkschaften als Tarifpartner „ausgeknipst“. Im Kern handelt es sich um eine sozialpolitische und keine juristische Entscheidung: Das Gericht hat den einzigen formalen Unterschied zwischen der Christlichen Tarifgemeinschaft (CGZP) und derjenigen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) aufgegriffen – um gezielt nur erstere abschalten zu können. Nur die Christliche Tarifgemeinschaft ist als Spitzenorganisation mit eigener Tariffähigkeit konstruiert – die DGBTarifgemeinschaft dagegen ist eine echte „Tarifgemeinschaft“, die nur die einzelnen Tariffähigkeiten der Mitgliedsgewerkschaften bündelt. Der Versuch, völlig neue und in Rechtsprechung und Literatur nicht ansatzweise diskutierte Anforderun-
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BAG 14.12.2010 – 1 ABR 19/10 – NZA 2011, 289, dazu Löwisch, Die Tariffähigkeit von Spitzenorganisationen und ihre Feststellung, SAE 2011, 61.
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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gen an die Tariffähigkeit von gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen zu formulieren, die dann ohne Vertrauensschutz auch noch rückwirkend in Kraft gesetzt werden, ist durchschaubar. Die bislang gegen Zeitarbeits-Tarifverträge vorgebrachten rechtlichen Einwände treffen auch die DGB-Tarifgemeinschaft: Auch sie verfügt in der Zeitarbeit nicht über nennenswerte Mitglieder und auch die Satzungen der DGB-Tarifgemeinschaft sind hinsichtlich der Tarifzuständigkeit fragwürdig – wie das BAG selbst andeutet. Die vor allem sozialrechtliche Nachbereitung jener Entscheidung soll jene Unternehmen vom Markt fegen, die sich unbotmäßigerweise mit der CGZP eingelassen haben. Equal Pay wirkt als Bestrafung – schon weil die völlige Entgeltgleichstellung nicht ansatzweise marktgerecht ist. Dabei liegt die eigentliche Gefahr nicht im Arbeitsrecht, weil der Arbeitnehmer typischerweise keinen vergleichbaren Arbeitnehmer im Einsatzbetrieb benennen kann. Sie droht aus dem Sozialversicherungsrecht, wobei allerdings die Betriebsprüfer ihrerseits im Wege der Amtsermittlung jeden Einzelfall prüfen müssen.2 Auf der anderen Seite wirkt der Europäische Gesetzgeber: Die Richtlinie 2008/104/EG „über Leiharbeit“ [Leiharbeitsrichtlinie]3 versucht einen Ausgleich zwischen Marktfreiheit
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3
Dazu Rieble/Vielmeier, Rechtsirrige Bemessung des Arbeitsentgelts und Beitragsschuld, ZIP 2011, 789; weiter Schlegel, Arbeitsund sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen des CGZPBeschlusses, NZA 2011, 380. Abl EG Nr. L 327, S. 9, dazu Boemke, Die EG-Leiharbeitsrichtlinie und ihre Einflüsse auf das deutsche Recht, RiW 2009, 177; Hamann, Die Richtlinie Leiharbeit und ihre Auswirkungen auf das nationale Recht der Arbeitnehmerüberlassung, EuZA 2009, 287; Waas, Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Leiharbeit, ZESAR 2009, 207.
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und Arbeitnehmerschutz: Europa verfolgt einen klaren Liberalisierungsgedanken für die Zeitarbeit: Leiharbeit ist im Rahmen des Flexicurity-Ansatzes der Union grundsätzlich erwünscht. „Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit sind nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt“ (Art. 4 Abs. 1). Der Schutz vor Wettbewerb als solcher ist dem Binnenmarkt inhärent und rechtfertigt keine Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung. Überdies sichert der EuGH die Marktfreiheit der Zeitarbeit durch eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung, als dies das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Blick auf die Unternehmerfreiheit des Grundgesetzes tut. Etwas gegenläufig verfährt die Neufassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetztes (AÜG) zur Umsetzung der Richtlinie4: Sie verstärkt den Arbeitnehmerschutz – vor allem durch die neue Lohnuntergrenze des § 3a AÜG nF. Eine weitere, derzeit in Angriff genommene Gesetzesänderung will die Kontrolle verschärfen – durch eine Zuständigkeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit gerade für die Mindestentgeltkontrolle; außerdem werden die Bußgeldtatbestände denen des ArbeitnehmerEntsendegesetzes (AEntG) angeglichen5. Die zentrale Frage lautet, ob das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsrecht in allen Punkten der europäischen Richtlinienvorgabe entspricht. Für eine ausgedehnte Analyse fehlt hier der Raum.6
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BGBl I 2010, 642. BT-Drucksache 17/5761. Hierzu und zum Folgenden demnächst eingehend Rieble/Vielmeier, AÜG-Umsetzungsdefizite der Leiharbeitsrichtlinie, EuZA 2011.
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Geltungsbereich „wirtschaftliche Tätigkeit“ Das bisherige AÜG knüpfte als Sonderrecht zur Gewerbeordnung an die „Gewerbsmäßigkeit“ der Arbeitnehmerüberlassung an – und damit an die Gewinnerzielungsabsicht als zentrales Element des Gewerbebegriffes.7 Die EU-Richtlinie kennt diesen Gewerbebegriff nicht, sondern stellt darauf ab, ob die Zeitarbeit eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ ist. Das AÜG übernimmt in § 1 Satz 1 diesen Terminus, definiert ihn aber nicht. Dem deutschen Wirtschaftsverwaltungsrecht ist der Begriff auch fremd. Dementsprechend ist er richtlinienkonform (Art. 1 Abs. 2 Leiharbeitsrichtlinie) und mithin „europäisch“ zu verstehen: Wirtschaftliche Tätigkeit konstituiert das Unternehmen; der Begriff ist vor allem im Gemeinschaftskartellrecht heimisch und fragt danach, ob eine Einrichtung ihre Dienstleistung „am Markt“ anbietet.8 Konzerninterne Personalgestellungsgesellschaften fallen also nicht unter das AÜG – weil sie nicht am Markt auftreten. Umgekehrt fällt die altruistisch-karitative Arbeitnehmerüberlassung dann unter das AÜG, wenn sie die von ihr betreuten Hilfsbedürftigen am Markt unterzubringen versucht. Das trifft insbesondere gemeinnützige Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften. Die Richtlinie enthält zwar in Art. 1 Abs. 3 eine Privilegierung solcher Verleiher mit einem öffentlich geförderten (vgl. § 216b SGB III) „spezifischen beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramm“; doch hat das AÜG in seiner neuen Fassung diese enge Ausnahme nicht übernommen. 7 8
Schüren/Hamann, AÜG, 4. Auflage 2010, § 1 Rn. 233ff. EuGH (Große Kammer) vom 11.7.2006 – C-205/03 FENIN – EuZW 2006, 600; ausführlich Frenz, Handbuch Europarecht Band 2 (2005), S. 129f.
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Welche weiteren Folgen der Paradigmenwechsel von der deutschen gewerberechtlichen Ausrichtung hin zu einer europäischen wirtschaftsrechtlichen haben wird, ist derzeit nicht abzusehen.
Arbeitnehmerüberlassungsfreiheit Die Leiharbeitsrichtlinie verfolgt einen Liberalisierungsgedanken im Rahmen des Flexicurity-Ansatzes der Union. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie beschränkt „Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit“ auf „Gründe des Allgemeininteresses“ insbesondere „Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten“. Das Verhältnis von Überlassungsfreiheit und Leiharbeitsbeschränkung ist künftig europarechtlich zu denken. Insofern ist insbesondere an die Rechtsprechung des EuGH zur mittelbaren Beschränkung der Grundfreiheiten zu erinnern. Verkaufsmodalitäten, die den Marktzugang erschweren und als Handelshemmnis wirken, sind besonders rechtfertigungsbedürftig.9 Insbesondere das Totalverbot im Bauhauptgewerbe nach § 1b AÜG ist mit der Leiharbeitsrichtlinie nicht zu vereinbaren. Der Schutz der Leiharbeitnehmer trägt kein Verbot; vielmehr sind Leiharbeiter im Baugewerbe durch Schutzvorschriften und effektive Kontrolle zu schützen; ein Totalverbot ist unverhältnis-
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EuGH vom 5.11.2002 – C-325/00 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland) – NJW 2002, 3609 für das CMA-Gütesiegel.
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mäßig.10 Dasselbe gilt für das mittelbare Leiharbeitsverbot nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz. Warum Leiharbeitnehmer aus Drittstaaten vor Leiharbeit durch Aufenthaltsverweigerung besonders geschützt werden, ist nicht zu begründen.
Vorübergehende Überlassung? Hauptproblem der AÜG-Neufassung ist die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nunmehr enthaltene Anordnung: „Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend.“ Was ist damit gemeint? In der Definitionsnorm des Satzes 1 steht diese Begrenzung nicht. Ist also auch die dauerhafte Überlassung eine Arbeitnehmerüberlassung im Sinne dieses Gesetzes? Dann könnte die Anordnung in Satz 2 nur ein Verbot bedeuten: Dass nämlich der Überlassungsvertrag für den einzelnen Arbeitnehmer eine irgend geartete zeitliche Begrenzung enthalten müsse. Nur: Was folgt aus einem Verstoß? Weder der verwaltungsrechtliche Untersagungskatalog des § 3 AÜG noch die zivilrechtlichen Folgen der §§ 9, 10 AÜG knüpfen an die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung an!
10 Boemke, Die EG-Leiharbeitsrichtlinie und ihre Einflüsse auf das deutsche Recht, RiW 2009, 177, 181f; Hamann, Die Richtlinie Leiharbeit und ihre Auswirkungen auf das nationale Recht der Arbeitnehmerüberlassung, EuZA 2009, 287, 312ff; Lembke, Aktuelle Brennpunkte in der Zeitarbeit, BB 2010, 1533, 1540; Hamann/Schüren/Riederer v. Paar, Einleitung, Rn. 618; offen gelassen Waas, Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Leiharbeit, ZESAR 2009, 207, 209; aA Ulber, Die Richtlinie zur Leiharbeit, AuR 2010, 13.
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Ein Rückgriff auf die Leiharbeitsrichtlinie ist wenig ergiebig. Zwar wird dort mehrfach das Prädikat „vorübergehend“ verwendet (etwa Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit b bis e). Doch kann die Dauerüberlassung schon vom Schutzzweck her nicht aus dem Geltungsbereich der Richtlinie herausfallen, weil die betroffenen Arbeitnehmer dann ganz schutzlos dastünden.11 Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der Richtlinie, deutet viel auf ein Redaktionsversehen – ohne intendierten Regelungsgehalt.12 Im Gegenteil lässt sich auch die unbefristete Überlassung nicht als Missbrauch auffassen, weil die Richtlinie das Leiharbeitsverhältnis aufwerten und dem Regelarbeitsverhältnis gleichstellen will.13
Flucht in die Industriedienstleistung? Schon heute bieten nicht wenige Zeitarbeitsunternehmen neben der Zeitarbeit Industriedienstleistungen an. Der wesentliche (rechtliche) Unterschied liegt darin, dass das personenbezogene Direktionsrecht gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern nicht vom Einsatzbetrieb, sondern vom Dienstleister ausgeübt wird. Praktisch muss der Dienstleister also einen Vorgesetzten oder Vorarbeiter „mitschicken“, damit dieser die eigenen Arbeitnehmer im Einsatzbetrieb anleiten kann. Mit der eigenverantwortlichen Wahrnehmung des auf die persönliche Arbeitsleistung ausgerichteten Direktionsrechts durch den Dienstleister
11 Boemke, Die EG-Leiharbeitsrichtlinie und ihre Einflüsse auf das deutsche Recht, RiW 2009, 177, 179. 12 Dazu demnächst Rieble/Vielmeier, EuZA 2011. 13 AA Schüren/Wank, Die neue Leiharbeitsrichtlinie und ihre Umsetzung in deutsches Recht, RdA 2011, 1, 3.
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entfällt die Qualifikation als Arbeitnehmerüberlassung.14 Das fachliche Weisungsrecht des Auftraggebers schadet nicht, soweit es sich auf die Leistung bezieht und nicht die Arbeitnehmer des Dienstleisters als Person erfassen. Damit aber „entkommt“ der bisherige Verleiher den strenger werdenden Regularien der Zeitarbeit: Für ihn gilt nicht der Mindestlohn (Lohnuntergrenze) der Zeitarbeit. Auch die Risiken des Equal Pay bleiben ihm erspart; desgleichen die sozialversicherungsrechtlichen Beitragsrisiken nebst der Strafverfolgung nach § 266a StGB. Der Industriedienstleister braucht keine Genehmigung der Bundesagentur; für ihn bewendet es sich bei der allgemeinen Gewerbefreiheit des § 1 GewO. Mindestlöhne für Industriedienstleister gibt es nur in wenigen Bereichen: Gebäudereinigung, Abfallwirtschaft, Wäschereidienstleistungen und Bewachungsgewerbe. Immerhin bleibt es für Gebäudereiniger interessant, umgekehrt von der Industriedienstleistung in die Arbeitnehmerüberlassung zu wechseln, weil die dortige künftige Lohnuntergrenze von (ungefähr) 7,79 Euro (West) und 6,89 Euro (Ost)15 noch unter derjenigen der Reinigung mit 8,55 Euro oder 7,00 Euro liegt16. Schließlich vermeidet die Dienstleistung die Zu-
14 Nur BAG 30.1.1991 – 7 AZR 497/89 – NZA 1992, 19; BAG 25.10.2000 – 7 AZR 487/99 – NZA 2001, 259; ständige Rechtsprechung. 15 Dabei handelt es sich um einen von der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit, BZA und iGZ abgeschlossenen Mindestlohntarifvertrag, der am 30.4.2010 abgeschlossen worden ist, obschon die Regelungsgrundlage des neuen § 3a AÜG erst am 1.5.2011 in Kraft getreten ist. Die Rechtsverordnung zur Allgemeinverbindlichkeit fehlt und kann mE für diesen Tarifvertrag auch nicht angewandt werden. 16 Dazu Rieble, Mindestlohnflucht in die Zeitarbeit, DB 2011, 356.
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ständigkeit des Betriebsrats im Einsatzbetrieb nach § 14 AÜG. Auch ist der Einsatzbetrieb davor gewappnet, dass Leiharbeiter womöglich nach einer Rechtsprechungsänderung dann doch noch zur Belegschaft des Einsatzbetriebes zählen und dort die arbeitsrechtsrelevanten, vor allem mitbestimmungsbezogenen Schwellenwerte erfüllen.17
Nachteile der Industriedienstleistung Schwierigkeiten bringt die Industriedienstleistung dafür auf anderen Gebieten mit sich: Von vornherein ist davor zu warnen mit „Scheinwerkverträgen“ die Vorgaben des AÜG nur zu unterlaufen. Als Gestaltungsalternative zur Zeitarbeit hängt die Industriedienstleistung zentral davon ab, dass der Dienstleister die Arbeitgeberfunktion vollständig wahrnimmt, insbesondere das Direktionsrecht ausübt. Dabei kommt es nicht auf die Papierform des Dienst- oder Werkvertrages an, sondern auf die einvernehmlich gelebte Vertragspraxis.18 Mutiert die als Dienstleistung konzipierte Tätigkeit irgendwann und schleichend zur Arbeitnehmerüberlassung, so droht erstens dem Einsatzbetrieb, dass die Zeitarbeitnehmer nach §§ 10 Abs. 1, 9 Nr. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher erlangen – wenn keine (auch vorsorgliche) Überlassungserlaubnis eingeholt worden ist. Vor
17 Bislang zählen die Leiharbeitnehmer weder in der betrieblichen noch in der Unternehmensmitbestimmung: BAG vom 16.4.2003 – 7 ABR 53/02 – NZA 2003, 1345; BAG vom 10.3.2004 – 7 ABR 49/03 – NZA 2004, 1340; BAG vom 22.10.2003 – 7 ABR 3/03 – NZA 2004, 1053. 18 BAG 30.1.1991 – 7 AZR 497/89 – NZA 1992, 19 und BAG 6.8.2003 – 7 AZR 180/03 – AP Nr. 6 zu § 9 AÜG.
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allem aber droht neben Equal Pay die Strafverfolgung nach § 266a StGB und das Risiko der Insolvenz – auch mit Blick auf die Rückstellungspflicht, da der Auftraggeber als „unverhoffter“ Entleiher subsidiär haftet. Auf der praktischen Seite lässt sich die Ausübung des Direktionsrechts durch den Dienstleister nur in geschlossenen und getrennten Arbeitskolonnen mit getrennter Arbeitsorganisation sicherstellen – so dass es bei einer „arbeitsteiligen unternehmerischen Zusammenarbeit“ bewendet.19 Sollen Stammkräfte des Einsatzbetriebes zusammen mit jenen des Dienstleisters arbeiten, ist typischerweise eine einheitliche Ausübung des Direktionsrechts vonnöten. Im Einzelhandel wird insoweit gern zum Gemeinschaftsbetrieb gegriffen, der seinerseits keine Arbeitnehmerüberlassung ist, weil der Dienstleister mit dem Gemeinschaftsbetrieb keinen nur-fremden Betriebszweck unterstützt.20 Rechtlich besteht eine gewisse Gefahr, dass das Lohnniveau im Einsatzbetrieb als Maßstab für die Sittenwidrigkeitskontrolle des § 138 BGB genutzt wird. So hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Bremen jüngst allen Ernstes gemeint, dass Regalräumer/Auspackhilfen, die für einen selbständigen Dienstleister im Auftrag eines Supermarktes tätig werden, am Niveau des Einzelhandelstarifes zu messen seien, also dessen Entgelte um mehr als ein Drittel unterschreiten21. Das ist rechtlich fragwürdig, weil Hilfs- und Nebentätigkeiten im für den Einsatzbetrieb maßgeblichen Tarifvertrag typischerweise in Teilhabe an des19 Vgl. den Fall LAG Düsseldorf 20.12.2010 – 14 TaBV 24/10 – juris. Weiter BAG 13.8.2008 – 7 ABR 21/07 – NZA-RR 2009, 255. 20 BAG 3.12.1997 – 7 AZR 764/96 – NZA 1998, 876; BAG 23.9.2010 – 8 AZR 567/09 – NZA 2011, 197. 21 LAG Bremen 17.6.2008 – 1 Sa 29/08 – dazu Böggemann, Arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zum Lohnwucher, NZA 2011, 493.
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sen Produktivität höher ausfallen. Ein Koch in der Metallkantine hängt an der Produktivität der Metallindustrie. Ein Koch beim Gastronomen, der dieselbe Kantine bewirtschaftet, kann nicht am Metalltarif, sondern nur an den deutlich billigeren Gastronomietarifen gemessen werden. Aber selbst wenn man dieser hübschen Idee folgt, erlangt doch der Dienstleister einen Lohnabweichungsspielraum von einem Drittel. Schließlich dräut der Versuch der Gewerkschaften, ihre Verhandlungs- und Organisationsmacht bei den großindustriellen Einsatzbetrieben zur Steuerung der Arbeitsbedingungen bei den Dienstleistern einzusetzen. So verfährt insbesondere die IG Metall längst22: in der Zeitarbeit – jüngst in der Stahlindustrie und früher (vor Einführung des Wäschereimindestlohnes) bei den Waschdienstleistern. Gerade weil die Wanderungsbewegung von der Zeitarbeit in die Dienst- und Werkverträge in vollem Gang ist, entfaltet die IG Metall eine neue Kampagne gegen „Werkverträge“ als „verkappte Leiharbeit“, tariflosem Niedriglohnsektor und überhaupt „schlechter Arbeit“.23 Die Gewerkschaften haben dabei vor allem ihr organisationspolitisches und Machtinteresse im Auge: Kleinere Dienstleister sind vielfach nicht tarifgebunden, auch kann es an der Tarifzuständigkeit der IG Metall als Gewerkschaft des Einsatzbetriebes fehlen. Überdies finden sich dort seltener Betriebsräte, die die gewerkschaftlichen Anliegen unterstützen könnten.
22 Dazu Rieble, Unternehmerischer Marktmachteinsatz zur tarifpolitischen Lenkung von Kunden/Lieferanten, in Rieble/Junker/ Giesen (Hg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, ZAAR Schriftenreihe Band 16 (2010), S. 103-130. 23 Dazu das Sonderheft AiBplus 5/2011, teilweise im Netz unter www.igmetall-nrw.de/uploads/media/2011_05_00_AiBplus.pdf [3.6.2011].
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Indes: Das alles kann die Attraktivität der Arbeitsteilung mit Subunternehmern nicht schmälern. Dahinter steht eine ökonomische Logik – die Konzentration auf das Kerngeschäft und damit auf eine verkleinerte Stammbelegschaft. Gerade wenn Fachkräfte künftig knapper und teurer werden, löst dies einen Rationalisierungsdruck aus. Und dieser trifft die „segmentiellen Randbelegschaften“. Industriedienstleistung und Arbeitnehmerüberlassung schließen sich nicht aus. Vielmehr lassen sich die Vorgaben des AÜG auch dadurch mindern, dass die Arbeitnehmerüberlassung nicht zum Einsatzunternehmen, sondern zum Industriedienstleister erfolgt. Damit ist das „Entgeltgleichstellungsband“ zum Industriebetrieb und die Mitbestimmung durch dessen Betriebsrat durchschnitten: Maßgeblicher Entleiher ist dann der Industriedienstleister – solange nur sichergestellt ist, dass aus dem Industrieunternehmen keine Arbeitsweisungen direkt an die dem Dienstleister überlassenen Arbeitnehmer ausgesprochen werden.
Arbeitnehmerüberlassung an einen zwischengeschalteten Dienstleister? Bislang konnte das Equal Pay-Gebot dadurch „gestaltet“ werden, dass die Arbeitnehmerüberlassung nicht an den Haupteinsatzbetrieb, sondern an einen Dienstleister erfolgte, der seinerseits im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrages für den Industriebetrieb tätig war. Wenn aber der Industriedienstleister ohnehin schon tariffrei oder tarifgebunden geringe Entgelte zahlt, so braucht sein Verleiher nur diese Lohnsätze zu akzeptieren, auch wenn sie unter der Lohnuntergrenze der Arbeit-
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nehmerüberlassung liegen. Mehr als Entgeltgleichstellung brauchte der Verleiher nicht zu gewährleisten. Damit ist es vorbei. Zwar kann man bei einem Blick auf § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 AÜG und wortgleich § 9 Nr. 2 zweiter Teilsatz AÜG nF den Eindruck gewinnen, dass die Lohnuntergrenze nur denjenigen Tarifverträgen Grenzen zieht, die vom Equal Pay-Gebot abweichen: „Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen, soweit er nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet.“24 Die Lohnuntergrenze ist aber nicht nur als Begrenzung der Tarifautonomie gedacht, sondern ein echter und allgemeiner Mindestlohn für die Zeitarbeit. Das bestimmt § 10 Abs. 5 AÜG unmissverständlich: „Der Verleiher ist verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer mindestens das in einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 für die Zeit der Überlassung und für Zeiten ohne Überlassung festgesetzte Mindeststundenentgelt zu zahlen.“ Ganz klar formuliert die Entwurfsbegründung: „Das mit der Lohnuntergrenze festgesetzte Mindeststundenentgelt ist auch dann zu zahlen, wenn das Entgelt eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers im Betrieb des Entleihers niedriger sein sollte.“25 Anders als für Mindestlöhne nach dem AEntG (dort § 6) verlangt § 3a AÜG keine betriebsbezogene Tarifgeltung: Das aber heißt, dass jedes einzelne Leiharbeitsverhältnis von der Lohnuntergrenze erfasst werden kann, auch wenn der Arbeitgeber ganz überwiegend andere Betriebszwecke verfolgt, etwa nur gelegentlich verleiht. Dementsprechend werden „Mischbetriebe“, in denen ein Teil der Arbeitnehmer Zeitarbeit leistet und
24 Vgl. auch die Entwurfsbegründung Ausschussdrucksache 17(11)446, S. 2. 25 Ausschussdrucksache 17(11)446, S. 4.
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andere Arbeitnehmer mit regulärer Arbeit beschäftigt sind, von Rechts wegen „zweigeteilt“. Noch ganz ungeklärt ist die Tarifzuständigkeit der DGB-Gewerkschaften im Bereich der Zeitarbeit, die ihrerseits für die Wirksamkeit der MindestlohnRechtsverordnung erforderlich ist. Man kann an der Verfassungsgemäßheit dieser Norm zweifeln: Aus welchem Grund nämlich ein Leiharbeitnehmer, der in eine Niedriglohnbranche verliehen wird, von Rechts wegen mehr verdienen soll als ein dortiger Stammarbeitnehmer, aber auch ein Kollege bei seinem eigenen Arbeitgeber, das ist sachlich nicht zu begründen. Hier liegt eine willkürliche Ungleichbehandlung iSv Art. 3 Abs. 1 GG vor. Wer einen allgemeinen Mindestlohn will, der muss ihn politisch auch verantworten. Als trojanisches Pferd taugt die AÜG-Lohnuntergrenze nicht.
AÜG bleibt Dauerbaustelle Das Alltagsgeschäft wird für die Zeitarbeit nicht einfacher. Rechtliche Überkomplexität geht Hand in Hand mit gewissem Unwillen in der Anerkennung der Branche. Die politisch motivierte CGZP-Entscheidung zeigt, wohin die Reise geht: Nur wer sich die Anerkennung der DGB-Gewerkschaften erkauft, darf auf gesellschaftliche Duldung hoffen. Hinzu kommen Unsicherheiten mit Blick auf die Richtlinienkonformität. Das AÜG wird zur Dauerbaustelle, die wegen der Sanktionen vom Verleiher wie vom Entleiher erhebliche rechtliche Aufmerksamkeit einfordert. Das wird den Drang zur Industriedienstleistung erheblich verstärken – und damit die arbeitsteilige Trennung von betrieblichen Funktionen intensivieren. Auf den ersten Blick ist das erstaunlich: Der sozialpolitische Kampf gegen die Zweiteilung
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der Belegschaften in Stammbelegschaft als „Erste Klasse“ und nachrangiger Fremdbelegschaft intensiviert die Entzweiung noch. Doch ist das nur der Bumerangeffekt, der dann eintritt, wenn sozialpolitische Vorgaben die ökonomische Realität missachten.
Prof. Dr. Volker Rieble Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) der Ludwig-MaximiliansUniversität München
Prof. Dr. Volker Rieble, geboren 1961, hat Jura und Volkswirtschaftslehre in Freiburg studiert. Er promovierte 1989, habilitierte 1996 und war Schüler von Manfred Löwisch. Von 1998 bis 2003 lehrte er Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Handelsund Wirtschaftsrecht an der Universität Mannheim. Seit 2004 hat er einen Lehrstuhl für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München; zugleich ist er Gründungsdirektor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR). Seine Forschungsschwerpunkte sind Arbeitsmarkt und Wettbewerb (Habilitation), Kollektives Arbeitsrecht (Tarifrecht, Arbeitskampfrecht, Betriebsverfassungsrecht), Entgeltflexibilisierung (DFG-Projekt), Arbeitsstrafrecht und Collective Governance sowie Compliance. Mit mehr als 400 meist arbeitsrechtlichen Veröffentlichungen ist Prof. Dr. Volker Rieble publizistisch aktiv.
Teil 4 Politische Standpunkte
Welche Position zur Zeitarbeit vertreten CDU und CSU? Dr. Joachim Pfeiffer, MdB (CDU), wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Die CDU hält an dem Ziel „Arbeit und Wohlstand für alle“ fest. Jeder soll die Chance erhalten, durch eigene Arbeit für sich und seine Familie zu sorgen. Unabhängig davon, ob jemand Hochschulprofessor ist oder keine Berufsausbildung hat – in allen Bereichen muss es Beschäftigungschancen geben. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht Deutschland ein Arbeitsrecht, das zum einen den Beschäftigten Sicherheit und Verlässlichkeit gibt. Zum anderen muss es flexibel genug sein, dass Unternehmen sich für Neueinstellungen entscheiden. Gerade weil in Deutschland durch den strengen Kündigungsschutz ein hohes Maß an Sicherheit gewährt wird, sind Optionen zur Flexibilität notwendig. Insbesondere die Zeitarbeit bietet vielen Unternehmen diese Flexibilität – während die Beschäftigten in den Zeitarbeitsbetrieben fest und sozialversichert angestellt sind. Die Debatte über die Zeitarbeit ist sehr emotional. Dies führt oft zu einer Verzerrung der Argumente bzw. einseitig negativen Darstellung des Themas. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir zu einer sachlichen Auseinandersetzung zurückfinden. Es ist richtig, dass sich die Zahl der Zeitarbeiter in Deutschland zwischen 2005 und 2010 auf 900.000 verdoppelt hat und bis
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2013 auf bis zu 1,5 Millionen ansteigen soll. Trotzdem waren im Februar 2011 gerade einmal 2,4 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Zeitarbeit tätig. In England ist der Anteil beispielsweise doppelt so hoch1. Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, sich lediglich auf die Beschäftigtenzahl der Zeitarbeitsbranche zu konzentrieren. Das Besondere der Zeitarbeit liegt in ihrer Flexibilität und der damit verbundenen Fähigkeit, konjunkturelle Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen. In diesem Punkt erlangt sie gesamtwirtschaftliche Bedeutung und verdient deshalb eine eingehendere Betrachtung.
Positive Entwicklung durch Deregulierung Mit dem Inkrafttreten der wesentlichen Bestandteile des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zum 1. Januar 2004 wurde die Arbeitnehmerüberlassung mit dem Ziel dereguliert, sie insgesamt aufzuwerten. Die Mehrheit der Unternehmen und der Verleihbetriebe begrüßte die Deregulierung im Zuge der Hartz-Reformen. Sie hat das Bild der Zeitarbeit in der Öffentlichkeit verbessert und den Grundstein für das Wachstum der Branche gelegt2. Als besonders wichtige Elemente heben die Unternehmen den Wegfall des besonderen Befristungs-, Synchronisations- und Wiedereinstellungsverbots sowie der Überlassungshöchstdauer hervor. Das Abschaffen des besonderen Befristungsverbots bedeutet, dass die allgemei-
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Institut der deutschen Wirtschaft, iwd, 6. Ausgabe, 37. Jg., 10. Februar 2011, S. 1. Ergebnis einer vom BMAS in Auftrag gegebenen, 2006 durchgeführten Umfrage.
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nen Befristungsvorschriften des Teilzeit- und Befristungsgesetzes gelten. Damit wurde das Verbot der wiederholten Befristung eines Leiharbeitsverhältnisses, ohne dass ein sachlicher Grund in der Person des Leiharbeitnehmers vorlag, aufgehoben. Zuvor durfte der Arbeitsvertrag ohne sachlichen Grund nur einmal befristet werden. Unter Synchronisationsverbot versteht man das gesetzliche Verbot, Arbeitsverträge für Zeitarbeitnehmer zeitlich mit der Dauer des bevorstehenden Einsatzes zu synchronisieren. Die Aufhebung des Wiedereinstellungsverbotes bedeutet, dass Verleiher nun beliebig oft mit den gleichen Arbeitskräften Verträge abschließen können. Zur Stärkung des sozialen Schutzes der Zeitarbeitnehmer wurde der Gleichstellungsgrundsatz mit dem entleihenden Betrieb (gleiche Bezahlung und Behandlung/ Equal Pay und Equal Treatment) vom ersten Tag an in das Gesetz aufgenommen. Gleichzeitig eröffnete sich die Möglichkeit, durch einen Tarifvertrag eigene vom entleihenden Unternehmen abweichende Vereinbarungen – insbesondere über die Bezahlung – zu treffen. Das unterstreicht den eigenständigen Charakter der Branche und stärkt die Akzeptanz bei den entleihenden Unternehmen. Die Deregulierung der Zeitarbeit hat dafür gesorgt, dass im Aufschwung nach der Krise das beginnende Wachstum sich schnell in steigender Beschäftigung niedergeschlagen hat. Damit leistete die Zeitarbeit einen wesentlichen Beitrag dazu, dass die Arbeitslosigkeit die Drei-MillionenMarke unterschritten hat. Einer der Hauptgründe für die Reform, das Erschließen neuer Beschäftigungspotenziale, hat sich somit erfüllt. Die Deregulierung war eine richtige Entscheidung. Sie muss in ihren Grundzügen erhalten bleiben. Veränderungen der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen können jedoch zu Anpassungsbedarf an einzelnen Stellen führen.
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Zeitarbeit ist ein Arbeitsverhältnis „Erster Klasse“ Zeitarbeiter stehen unabhängig von ihrem Einsatz in einem vollwertigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis mit den Zeitarbeitsfirmen. Im Gegensatz zu befristeten Arbeitsverhältnissen sind Zeitarbeiter nach Ende ihres Einsatzes nicht arbeitslos, sondern bekommen in der Regel weiterhin volles Gehalt. Zeitarbeitsunternehmen sind deshalb bestrebt, so schnell wie möglich neue Einsatzmöglichkeiten zu finden. Außerdem gilt der gleiche Kündigungsschutz wie in anderen Arbeitsverhältnissen. Gegner der Zeitarbeit zitieren oft Statistiken, wonach jeder achte Leiharbeiter zusätzlich zu seinem Gehalt Hartz-IV-Leistungen brauche, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.3 Diese Zahlen sind zweifelhaft. Der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) geht davon aus, dass nur jeder 15. Zeitarbeitnehmer Aufstockungsleistungen bekommt.4 Außerdem ignorieren derartige Statistiken, dass die betroffenen Personen in den meisten Fällen keine Vollzeitjobs haben, sondern nur Teilzeit arbeiten. Das Problem liegt also nicht an den zu geringen Tariflöhnen, sondern an fehlenden bezahlbaren bzw. bezahlten Stunden. In der öffentlichen Diskussion wird die Zeitarbeit zudem häufig als „Ausbeutung“ diskreditiert. So behauptet zum Beispiel der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dass Zeitarbeiter im Schnitt 50 Prozent weniger verdienen als fest angestellte Arbeitnehmer. Bei dieser Betrachtung wird außer Acht gelassen, dass der Durchschnitt der Arbeitnehmer auch hochqualifizierte
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DGB-Studie „Niedriglohn und Lohndumping im Verleihgewerbe“, 7. Februar 2011. BZA Analyse Aufstocker, 18. Februar 2011.
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Angestellte wie zum Beispiel Ärzte berücksichtigt, während in der Zeitarbeitsbranche eher gering qualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt sind. Vergleicht man Beschäftigte mit gleichem Beruf und gleichen Qualifikationen, sinkt der Lohnabstand auf 15 bis 20 Prozent.5 Für diese Unterschiede gibt es nachvollziehbare Gründe. Leiharbeiter sind für die Unternehmen in der Regel weniger produktiv als die Stammbelegschaft. So kann man oft auf eine jahrelange Betriebserfahrung zurückgreifen, während bei den Zeitarbeitskräften nur jeder Zehnte ein Jahr oder länger im selben Betrieb bleibt.6 Außerdem hat das Zeitarbeitsunternehmen einen berechtigten Anspruch darauf, dass seine Vermittlungsleistung vergütet wird. Es wäre allerdings falsch, bei der Zeitarbeitsbranche von einem ausgeprägten Niedriglohnsektor zu sprechen. Auch wenn Hilfsarbeiter mit 30 Prozent weiterhin einen wesentlichen Teil der Zeitarbeiter ausmachen, steigt die Nachfrage nach Facharbeitern und hochqualifizierten Berufen wie Ingenieuren und IT-Experten, die entsprechend ihrer Berufsstruktur besser verdienen. So sieht ein Zeitarbeitstarifvertrag für Tätigkeiten, die eine Technikerausbildung und mehrere Jahre Berufserfahrung erfordern, ein Einstiegsentgelt von 13,46 Euro, für Hochschulabsolventen bis zu 17,19 Euro vor.7
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Die Zeit, Nicht alles ist elend, 10. Februar 2011, S. 1. Institut der deutschen Wirtschaft, iwd, 6. Ausgabe, 37. Jahrgang, 10. Februar 2011, S. 1. Vgl. auch BDA, Tarifpolitik für den Jobmotor Zeitarbeit, Bundespressekonferenz, 12. Oktober 2010.
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Zeitarbeit als Flexibilitätsinstrument Die globalisierte Wirtschaft fordert von den Unternehmen ein hohes Maß an Flexibilität. Dies steht in einem natürlichen Spannungsverhältnis zu den starren Strukturen des deutschen Arbeitsrechts. Insbesondere gilt dies für die Kündigungsschutzvorschriften. Häufig ist Zeitarbeit für die Unternehmen die einzige Möglichkeit, flexibel auf schwankende Auftragslagen zu reagieren. Deshalb werden in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs überdurchschnittlich viele Zeitarbeiter eingestellt. In konjunkturell schlechten Zeiten kommt es schnell zu einem Beschäftigungseinbruch in der Zeitarbeitsbranche. So ging die Beschäftigung im Zuge der Wirtschaftskrise zeitweise um 20 Prozent zurück.8 Die Zeitarbeit hat eine wichtige Pufferfunktion. Sie sorgt dafür, dass sich eine Krise nicht gleich in den Knowhow tragenden Stammbelegschaften niederschlägt. Diese wichtige Funktion hat sich in der gerade hinter uns liegenden Krise einmal mehr bewahrheitet. Ihre Flexibilität macht die Zeitarbeit trotz ihres relativ kleinen Anteils am Arbeitsmarkt zu einem regelrechten Jobmotor. In Zeiten wirtschaftlicher Erholung schrecken die Unternehmen wegen der Unsicherheiten vor neuen Festeinstellungen zurück. Zu Beginn des letzten Aufschwungs fanden deshalb drei Viertel aller Neueinstellungen in der Zeitarbeitsbranche statt. Durch die Zeitarbeit schlägt sich das Wachstum schnell auf dem Arbeitsmarkt nieder. Aber auch in stabilen Konjunkturphasen zeigen sich die Vorteile der Zeitarbeit. Sie ermöglicht den bedarfsgerechten Zugang zu Spezialkenntnissen sowie die Möglichkeit flexibler Personalplanung und den Ausgleich kurzfristiger Eng-
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Institut der deutschen Wirtschaft, IW-Nachrichten, Kein Ersatz für Stammbelegschaften, 29. Juli 2010.
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pässe. Viele Zeitarbeitsunternehmen haben sich zu hochwertigen Personaldienstleistern entwickelt, die den Unternehmen teilweise auch die Anwerbung von Stammarbeitskräften abnehmen. Das Instrument Zeitarbeit erfüllt deshalb eine wichtige gesamtwirtschaftliche Funktion, die es zu erhalten gilt.
Brückenfunktion der Zeitarbeit Die Flexibilität hat einen weiteren positiven Nebeneffekt. Sie bietet für viele Arbeitsuchende eine Brücke auf dem Weg zu einer festen Stelle. Fast zwei Drittel derjenigen, die 2010 bei einer Zeitarbeitsfirma eingestellt wurden, waren zuvor beschäftigungslos und ein Fünftel sogar langzeitarbeitslos.9 Das zeigt, dass Zeitarbeit eine wichtige Chance für Arbeitslose und Geringqualifizierte bietet, wieder in das Arbeitsleben einzusteigen. Zudem erleichtert die während der Zeitarbeitstätigkeit gesammelte Berufserfahrung den Einstieg in ein „normales“ Arbeitsverhältnis: Fast die Hälfte der Zeitarbeiter findet im Anschluss an die Zeitarbeit ein Arbeitsverhältnis außerhalb dieser Branche.10 Wie die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zur Arbeitnehmerüberlassung belegt, liegt die durchschnittliche Dauer der Arbeitsverhältnisse bei rund drei Monaten. Der 11. Bericht der Bundesregierung zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zeigt, dass der überwiegende Teil der ehemaligen Zeitarbeitnehmer sich auch mittelfristig weiterhin in Beschäftigung und nicht in Arbeitslosigkeit befindet. Auch das Institut für ArbeitsArbeitnehmerüberlassungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit, Stichtag 30. Juni 2009. 10 IW-Zeitarbeitsindex (BZA), Befragung von 210 Zeitarbeitsunternehmen, Januar 2008. 9
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markt- und Berufsforschung (IAB) kommt zu dem Ergebnis, dass Leiharbeit für Langzeitarbeitslose auch auf mittlere Sicht die Beschäftigungschancen erhöht. So ist nach einem Jahr der Anteil der Leiharbeitnehmer, der eine Nicht-Leiharbeitsbeschäftigung gefunden hat, um etwa 17 Prozent höher als der entsprechende Anteil unter den weiterhin Arbeitslosen.11 Eine wichtige Rolle dabei spielt auch die Qualifizierung durch die Zeitarbeitsunternehmen. Gerade wenn in einzelnen Regionen und Fachbereichen eine Lücke an Fachpersonal besteht, übernehmen Zeitarbeitsunternehmen häufig Weiterbildung und Qualifizierung. So hat die Branche während der Krise mit Unterstützung der Arbeitsagentur die Kurzarbeit genutzt, ihre Beschäftigten weiterzubilden.12 CDU und CSU wollen auch in Zukunft die Chancen, die Zeitarbeit für Arbeitnehmer und insbesondere Arbeitsuchende bietet, aufrecht erhalten.
Missbrauch der Zeitarbeit bekämpfen In letzter Zeit ist wiederholt der Vorwurf erhoben worden, dass Stammkräfte zunehmend durch Zeitarbeiter ersetzt werden. Zwar kam es in 98 Prozent der Betriebe, die Zeitarbeiter eingesetzt haben, nicht zum Abbau von Stammbelegschaft.13 Eine andere Sprache spricht aber der Abbau von Stammbelegschaft bei Großkonzernen: In den vergangenen vier Jahren wurden bei
11 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB-Kurzbericht Nr. 13, Juni 2010. 12 DER BETRIEB, Jobmotor Zeitarbeit – Fluch oder Segen?, 5. Mai 2010, S. 19. 13 Ebd.
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diesen laut Handelsblatt14 80.000 Jobs abgebaut. So strich Thyssen-Krupp 10.000 Vollzeitstellen, beschäftigt aber mittlerweile 3.000 Zeitarbeiter. Bei BMW ergeben sich ähnliche Zahlen. Ob es sich dabei bereits um Missbrauch oder eine unternehmerisch gerechtfertigte Reaktion auf kurzfristige Auftragsschwankungen handelt, lässt sich schwer sagen. Klar ist: Die Union lehnt Missbrauch ab. Konstruktionen, in denen Unternehmen hausinterne Zeitarbeitsfirmen gründen, ihrem Stammpersonal kündigen, um es hinterher über neue Verleihfirmen zu schlechteren Bedingungen wieder einzustellen, muss die gesetzliche Grundlage entzogen werden. Es darf nicht sein, dass die Zeitarbeit zur Lohndrückerei missbraucht und damit als wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument diskreditiert wird. In diesem Zusammenhang war es sehr hilfreich, dass die Tarifvertragsparteien selbst auf die Situation reagierten und in den Tarifverträgen entsprechende Änderungen vorgesehen haben. Trotzdem bestand ergänzender gesetzlicher Handlungsbedarf, denn es geht hier um Fälle, in denen Arbeitnehmern gekündigt wurde, um sie anschließend als Zeitarbeitnehmer in ihrem ehemaligen Unternehmen zu schlechteren Bedingungen wieder zu beschäftigen. Dieser Form von Drehtürgeschäften wird mit der AÜG-Änderung ein Riegel vorgeschoben.
Mindestlohn in der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist sinnvoll Seit dem 1. Mai 2011 gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten – mit Ausnahme Bulgariens und Rumäniens – auch in Deutschland. Viele fürchten, 14 Handelsblatt, Siegeszug der Leiharbeit, 8. Februar 2011, S. 1.
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dass eine Welle billiger Arbeitskräfte über den deutschen Arbeitsmarkt hinweg schwappt. Ob sich dies bewahrheitet, ist zweifelhaft. Das IAB geht nur von einem maximalen Zuzug von 110.000 Personen aus, der dann wieder abnehmen werde.15 Außerdem sind die osteuropäischen Länder inzwischen selbst von Arbeits- und Fachkräftemangel betroffen. Die Löhne und Gehälter haben in den letzten Jahren deutlich angezogen. Das macht den Gang in den Westen zunehmend unattraktiv. Viele, die in jüngster Zeit in EU-Länder ohne Zuzugsbeschränkung gegangen sind, kehren mittlerweile in ihre Heimatländer zurück. Die Furcht vor einem unkontrollierten Zuzug hat die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche immer lauter werden lassen. Die Tarifpartner haben durch den Abschluss von Mindestlohntarifverträgen bereits reagiert. Mit der AÜG-Änderung wurde der tarifvertraglich vereinbarte Mindestlohn in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz aufgenommen. Damit gilt die Lohnuntergrenze auch für ausländische Zeitarbeitsunternehmen. Die Regelung ist das Ergebnis eines politischen Kompromisses. Ich bin nach wie vor gegen gesetzlich festgelegte, flächendeckende Mindestlöhne, halte aber den in der Zeitarbeitsbranche gewählten Weg für vertretbar. Die in das Gesetz aufgenommene Lohnuntergrenze ist nicht staatlich verordnet, sondern von der überwiegenden Mehrheit der Branche tariflich vereinbart worden. Die Tarifautonomie bleibt damit gewahrt. Außerdem wäre auch der Weg über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz möglich gewesen. Ich bin sicher,
15 IAB-Studie, Auswirkungen der EU-Erweiterung auf Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten, Oktober 2010.
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dass die jetzt gefundene Lösung der Zeitarbeitsbranche gerecht wird und ihre Möglichkeiten nicht beschränkt. Die Einführung des Mindestlohns stärkt hoffentlich zudem die Akzeptanz und Anerkennung der Zeitarbeit.
Equal Pay-Verpflichtung wäre kontraproduktiv Schon heute gilt der Grundsatz des Equal Pay, demnach Zeitarbeitnehmer denselben Lohn wie Festangestellte erhalten. Er ist im AÜG geregelt. Allerdings sind Arbeitgeber und Gewerkschaften durch eigene Tarifverträge vom Prinzip der gleichen Entlohnung abgewichen. Dazu sind die Tarifpartner aufgrund der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) berechtigt. Verfechter einer gesetzlichen Equal Pay-Verpflichtung führen oft den Vergleich mit Frankreich an. Dort gilt die gleiche Bezahlung vom ersten Tag an und trotzdem ist der Anteil der Leiharbeitnehmer höher als in Deutschland. Dies widerlege das Argument, dass Equal Pay das Todesurteil für die Zeitarbeit bedeuten würde, da die Zeitarbeitsfirmen ja auch noch etwas verdienen müssten und Zeitarbeit für die Unternehmen somit teurer als normale Beschäftigung wäre. Das Beispiel Frankreich habe gezeigt, dass die gewonnene Flexibilität den Unternehmen die höheren Kosten wert sind. Diese Argumentation verkennt jedoch einen wesentlichen Unterschied in Frankreich und den meisten anderen europäischen Ländern im Vergleich zum deutschen System: In diesen Ländern arbeiten die Zeitarbeitsfirmen lediglich als Vermittlungsagenturen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern. In Deutschland dagegen werden die Zeitarbeiter nach dem Unternehmerprinzip angestellt. Die Zeitarbeitsunternehmen stellen die Arbeitnehmer fest an und zahlen
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auch in einsatzfreien Zeiten wie Urlaub, Krankheit und auftragsfreien Zeiten. Ein geregeltes Einkommen hat für die Zeitarbeitnehmer verständlicherweise oberste Priorität. Dies belegt eine DEKRA-Studie vom Sommer 2009.16 Dem würde eine Equal Pay-Verpflichtung vom ersten Tag an zuwiderlaufen. Die Löhne sind je nach Branche unterschiedlich, so dass die Zeitarbeitskräfte bei ihren häufig wechselnden Einsätzen auch unterschiedlich entlohnt würden und weniger finanzielle Planungssicherheit hätten. Equal Pay bedeutet zudem zusätzlichen Bürokratieaufwand für die Zeitarbeitsunternehmen, da sie jeweils die exakten Arbeitsentgelte der vergleichbaren Stammarbeitskräfte herausfinden müssten. Gerade für kleinere Zeitarbeitsunternehmen würde das wegen der Menge an Tarifverträgen eine kaum zu stemmende Mehrbelastung darstellen. Neben den Branchentarifverträgen bestehen zahlreiche Haustarifverträge, so dass nach Angaben des BZA die Unternehmen den Überblick über geschätzte 70.000 Tarifverträge haben müssten. Es bestünde die Gefahr, dass die strikte gesetzliche Einführung zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen führt. So hat eine Umfrage des Bayerischen Unternehmensverbands Metall und Elektro vom April 2010 ergeben, dass in einem solchen Fall 48,7 Prozent der befragten Unternehmen Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagern und 33,9 Prozent auch Arbeitsplätze der Stammbelegschaft abbauen wollen.17 Die Zeitarbeit in Deutschland würde stark zurückgehen. Vielen Arbeitslosen und Geringqualifizierten würde damit der erleichterte Einstieg in die Arbeitswelt genommen. Eine Einschränkung der Öffnungsklausel wäre da16 Studie der DEKRA Arbeit Gruppe zum Thema Personaldienstleistung, August 2009. 17 Umfrage des Bayerischen Unternehmensverbands Metall und Elektro, April 2010.
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mit arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv und käme einer staatlichen Zensur gleich. Es ist vorrangig die Aufgabe der Tarifvertragsparteien, sich auf eine angemessene Vergütung zu einigen und so die grundgesetzlich verbürgte Tarifautonomie zu wahren. Dies ist auch weiterhin die Position der Wirtschaftspolitiker in der Union. Die Zeitarbeit bleibt ein wichtiges Instrument, das für Arbeitnehmer und Unternehmen gleichermaßen Vorteile bietet. Im Interesse der Branche müssen wir auch in Zukunft darauf achten, dass keine neuen Missbrauchslücken entstehen. Nur so wird die Zeitarbeit auch in Zukunft auf Akzeptanz stoßen und ihre wichtige Funktion im deutschen Arbeitsmarkt erfüllen.
Dr. Joachim Pfeiffer MdB (CDU), wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSUBundestagsfraktion
Dr. Joachim Pfeiffer, geboren 1967, studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Stuttgart. Seit 2002 vertritt er als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter den Wahlkreis Waiblingen im Bundestag. In der Zeit von 1992 bis 1997 war er bei der Energie Versorgung Schwaben AG (EVS) beschäftigt und dort unter anderem im Bereich Controlling und Beteiligungen mit Unternehmensakquisitionen sowie mit Public Privat Partnership-Projekten bei der Wasserver- und Abwasserentsorgung
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betraut. Von 1997 bis 2002 fungierte Dr. Pfeiffer als Leiter der Wirtschafts- und Arbeitsförderung der Landeshauptstadt Stuttgart. Von 2005 bis 2009 übte er das Amt des Koordinators in Energiefragen aus. Seit November 2009 ist Dr. Joachim Pfeiffer wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Gleichzeitig lehrt er seit 2006 am Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart.
Welche Position zur Zeitarbeit vertritt die FDP? Johannes Vogel, MdB (FDP), arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion
Arbeit ist mehr als reiner Broterwerb. Arbeit stiftet Identität, ist Selbstverwirklichung und sichert Teilhabe. Einen Arbeitsplatz zu haben bedeutet nicht nur, aufsteigen zu können. Es bietet auch die Chance, einen positiven, eigenen Beitrag zum Gelingen der Gesellschaft zu leisten. Das wiederum verschafft gesellschaftliche Anerkennung. Im Umkehrschluss heißt das: Wer keine Arbeit hat, dem bleibt einiges versagt. Und wer lange arbeitslos ist, dem geht einiges verloren. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland hat sich dank des starken Aufschwungs der vergangenen eineinhalb Jahre stark nach unten bewegt: Mehr Menschen als je zuvor in der Geschichte des wiedervereinigten Deutschlands haben bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz. Dennoch gibt es weiterhin eine große Zahl Langzeitarbeitsloser, also Menschen, die schon zwölf Monate oder länger auf Jobsuche sind. Die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt ist also in jedem Fall begrüßenswert. Sie ist aber kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Deshalb ist es auch richtig, eine Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente in Angriff zu nehmen, wie es die schwarz-gelbe Koalition gerade tut. Dabei muss es grundsätzlich um mehr
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Effektivität und Effizienz in möglichst autonomen Jobcentern vor Ort gehen. Der Instrumentekasten muss aufgeräumt werden, der Maßstab muss die Wirksamkeit sein. Schließlich brauchen wir auch besser qualifizierte Vermittler in den Jobcentern und Arbeitsagenturen.
Zeitarbeit steht für Fortschritt auf dem Arbeitsmarkt Daneben gilt es, wichtige Fortschritte auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu bewahren, die durch mehr Flexibilität entstanden sind. Damit rückt das Thema Zeitarbeit in den Fokus. Die Änderungen, die damals von der rot-grünen Bundesregierung vorgenommen wurden, haben einen bedeutenden Anteil an der positiven Situation des deutschen Arbeitsmarkts. Durch die Hartz-Reformen wurde die Zeitarbeit erstmals zu einer wichtigen Säule des deutschen Arbeitsmarkts. Während der vergangenen neun Jahre entwickelte sich die Zeitarbeit dann zu einem wahren Jobmotor, gegenwärtig haben mehr als 900.000 Menschen eine Stelle in der Zeitarbeit gefunden. Rund ein Drittel aller neuen Beschäftigungsverhältnisse, die nach der Finanzund Wirtschaftskrise entstanden sind, wurden in der Zeitarbeit geschaffen. Durch sie konnten die Unternehmen auf dem deutschen Arbeitsmarkt besser auf die Konjunkturschwankungen reagieren als zuvor. So wurden im Übrigen auch kleine und mittelständische Unternehmen davor bewahrt, mit voller Wucht von der Krise getroffen zu werden, weil diese natürlich häufig von der Entwicklung bei Global Playern abhängig sind. Insgesamt hat die Zeitarbeit dazu beigetragen, dass der deutsche Arbeitsmarkt gut durch die Krise gekommen ist.
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Gleichwohl – und das ist ganz natürlich – ist auch in der Zeitarbeitsbranche nicht alles Gold gewesen, was geglänzt hat. Zeitarbeit soll ihren Nutzen bei der Flexibilisierung des deutschen Arbeitsmarkts zeigen, sie darf nicht dazu dienen, Übereinkünfte, die im Rahmen der zentralen Ordnungsidee des deutschen Arbeitsmarkts – der Tarifautonomie – getroffen wurden, auszuhebeln. Um es ganz deutlich zu machen: Drehtüreffekte dienen weder dem deutschen Arbeitsmarkt noch den deutschen Arbeitnehmern und schon gar nicht der Zeitarbeitsbranche. Die Regierungskoalition hat dies frühzeitig als Problem identifiziert und steuert nun gegen. Mit der jüngsten Novelle des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) hat sie dieser Praxis einen Riegel vorgeschoben. Hier hat es sich in der Tat um einen Missbrauch gesetzlicher Regelungen gehandelt, der unterbunden werden musste. Gleichzeitig ist das Problem mit Augenmaß gelöst worden, sodass der Zeitarbeitsbranche als solcher kein Schaden entstanden ist. Im Gegenteil, zukünftig dürfte die Branche davon profitieren, dass derartig gelagerte Reputationsschäden ausbleiben. Im Umfeld des Gesetzgebungsvorhabens ist wieder einmal zu beobachten gewesen, wie schädlich und wenig hilfreich Diskussionen sind, wenn sie allein unter ideologischen und nicht unter pragmatischen Gesichtspunkten geführt werden. Die Zeitarbeitsbranche hat in der politischen Landschaft eine Menge Gegner, die zum Beispiel das Teilphänomen Drehtüreffekt zum Anlass nahmen, die Branche in Misskredit zu bringen. Eine solche ideologische Ablehnung verengt den Blick und vernachlässigt die positiven Effekte der Zeitarbeit. Denn die Zeitarbeit leistet einen wichtigen Beitrag: Viele, die ansonsten keinerlei Chance auf einen Zugang zum Arbeitsmarkt hätten, schaffen durch die Zeitarbeit den Schritt in die Erwerbstätigkeit. Wer die Zeitarbeitsbranche künstlich klein halten will, muss sich vor Augen halten, dass er damit vielen Menschen in Deutschland,
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gerade gering qualifizierten, wichtige Chancen auf Teilhabe vorenthält. Natürlich liefert die Zeitarbeitsbranche nicht Antworten auf alle Probleme, die es nach wie vor auf dem deutschen Arbeitsmarkt gibt. Aber sie liefert einige Antworten – und das sind nicht wenige.
Entwicklung der Deregulierung Die Zeitarbeit wurde erst im Jahre 1972 rechtlich geregelt. Grundsätzlich durften Zeitarbeitnehmer mit einer Höchstüberlassungsdauer von drei Monaten vermittelt werden. Bis 1997 betrafen die meisten Neufassungen die Höchstüberlassungsdauer. Der größte Unterschied zwischen den Ursprüngen der Zeitarbeit und ihrer heutigen Form muss im Wegfall des Synchronisationsverbots und der Höchstüberlassungsdauer gesehen werden. Letztlich basiert dies auf den Hartz-Reformen, im Besonderen auf dem Job-AQTIV-Gesetz aus dem Jahre 2001, das nach wie vor die heutige Form der Zeitarbeit bestimmt. Sie ist also einen langen Weg gegangen, bevor sie ihre heutige Rolle eingenommen hat. Das gilt allerdings für den gesamten europäischen Wirtschaftsraum. Angesichts dieser gewachsenen Bedeutung der Zeitarbeit war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis sie in den Fokus europäischer Gesetzgebung geriet. Die Richtlinie des Jahres 2008 brachte einige wichtige Neuerungen mit sich, insbesondere zur Verbesserung der Einsatzbedingungen in den Entleihunternehmen. Gleichzeitig spricht die Richtlinie von der Zeitarbeit als wichtigem Bestandteil der europäischen Flexicurity-Strategie und bejaht somit die wichtige Funktion der Zeitarbeit. Auch die Richtlinie lässt nicht unberücksichtigt, dass vor allem stark konjunkturabhängige Branchen dringend auf die Zeitarbeit angewiesen sind, um ihren
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Personalbedarf decken zu können. Abgesehen davon sollten immer wieder die Vorteile des deutschen Zeitarbeitmodells („Arbeitgebermodell“) betont werden: Arbeitnehmer sind bei den Zeitarbeitsunternehmen fest angestellt und haben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Anders als in vielen Nachbarländern erhalten sie grundsätzlich auch in verleihfreien Zeiten Bezahlung und genießen die gleichen Arbeitnehmerrechte wie andere Mitarbeiter, beispielsweise beim Kündigungsschutz oder Urlaubsanspruch. In Deutschland wird nach wie vor eine lebhafte politische Debatte über Zeitarbeit geführt. In den Augen der Kritiker stellt sie erstens eine Beschäftigungsform dar, die trotz ihres normalen sozialversicherungspflichtigen Charakters als atypisch anzusehen sei. Angeblich führe Zeitarbeit zu unangemessenen Unsicherheiten für den Arbeitnehmer und sei deswegen unhaltbar. Zweitens wird die Bezahlung kritisiert. Zeitarbeiter sollten nicht untereinander, sondern mit den Angestellten im Entleihbetrieb verglichen werden. Dementsprechend wird darüber geklagt, dass Zeitarbeiter gut ein Drittel weniger verdienten als ihre festangestellten Kollegen. Damit sind wir beim Thema Equal Pay angekommen.
Jobmotor mit Akzeptanzproblemen Ausgehend von der Equal Pay-Frage lässt sich die liberale Perspektive auf die Zeitarbeit wie folgt beschreiben: Erstens ist die Zeitarbeit ein wichtiger Jobmotor, der für den deutschen Arbeitsmarkt positiv ist. Damit tut er auch den Arbeitnehmern gut, weil es keine Verdrängung von Arbeitskräften in den Entleihbetrieben gibt. Durch Zeitarbeit erhalten viele Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt, die sonst außen vor bleiben
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würden. Die Zahlen sprechen hier eine klare Sprache: Ungefähr 40 Prozent der Beschäftigten in der Zeitarbeit haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Zeitarbeit bietet also Einstiegschancen, schon alleine deshalb sollte die Branche erhalten bleiben. Zweitens bringt die Zeitarbeit den Unternehmen wichtige Flexibilitätsvorteile. Sie können damit Auftragsspitzen abfedern. Zeitarbeit war ein Grund, dass Deutschland die Wirtschaftskrise bewältigen konnte, ohne massiv Arbeitsplätze in unseren industriellen Kernbereichen abzubauen. Das belegen alle Umfragen unter Entscheidungsträgern und Unternehmern. Drittens ist der sogenannte Klebeeffekt zwar nicht übermäßig groß, aber nicht zu unterschätzen. Für sich genommen erhöht er vor allem die Wahlfreiheit der Arbeitnehmer, die in diesem Fall von einer Beschäftigung in die andere wechseln. Der volkswirtschaftliche wie auch der individuelle Nutzen der Zeitarbeit steht außer Frage, dennoch gibt es ein großes Akzeptanzproblem. Dies lässt sich nicht einfach vom Tisch wischen, sondern ist sehr ernst zu nehmen. Damit schließt sich der Kreis bei der Frage nach Equal Pay. Zeitarbeit heißt nicht umsonst Zeitarbeit. Der dauerhafte Einsatz an ein und demselben Arbeitsplatz, womöglich über Jahre, widerspricht der Idee der Zeitarbeit, insbesondere der unterschiedlichen Bezahlung des Zeitarbeiters und seinen direkten Kollegen im Entleihbetrieb. Aus liberaler Perspektive sollte aber nicht primär die Politik die Akzeptanzprobleme der Zeitarbeit lösen, sondern die Branche selbst. Deshalb sollten die Tarifpartner der Zeitarbeit einen Kompromiss finden, wie Equal Pay nach einer Frist eingeführt werden kann. Die FDP-Bundestagsfraktion hat als Erste darauf hingewiesen, dass ein solches Equal Pay-Modell eine sinnvolle Ergänzung des deutschen Zeitarbeitsmodells darstellen würde. Je differenzierter die Lösung im Interesse aller Beteiligten ist, umso besser ist es natürlich – womit wir wieder bei den Tarifpartnern wären.
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Gleichzeitig sollte die Branche konsequent auf Weiterbildung setzen. Der Zugang zu solchen Angeboten ist gerade für Arbeitnehmer ohne formale Qualifikationen von großer Bedeutung. Auch für die Zeitarbeitsunternehmen selbst ist ein höheres Qualifikationsniveau ihres Beschäftigtenpools sinnvoll. Denn es erhöht die Attraktivität des Angebots, das Zeitarbeitsunternehmen den Entleihbetrieben machen können. So kann zudem die Wahrscheinlichkeit für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer gesteigert werden, dass die Zeitarbeit nicht nur einen temporären, sondern einen dauerhaften Einstieg in den Arbeitsmarkt und weiteren beruflichen Aufstieg ermöglicht. Bildlich gesprochen: Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bildet Zeitarbeit heute den Steg in den Arbeitsmarkt. Diesen Steg sollten wir zu einer stabilen Brücke mit Geländer ausbauen. Dann wird die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz dieser wichtigen Branche auch endlich eine positive Antwort erhalten. Es kann nicht darum gehen, die Zeitarbeitsbranche zu schädigen, obwohl manche Stimmen in der Politik genau diesen Eindruck erwecken. Die Branche, Unternehmen wie Arbeitnehmer, hat wesentlich zum deutschen Jobwunder beigetragen, um das uns viele beneiden. Zeitarbeit sollte als das angesehen werden, was sie ist: eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, in der exakt dieselben Arbeitnehmerrechte wie in allen anderen Branchen gelten. Aus liberaler Perspektive bleibt festzuhalten: Das Bessere ist der Feind des Guten. Das gilt auch für weitere Optimierungen in der Zeitarbeit. Aber genauso klar ist: Ohne die Zeitarbeit ginge es dem deutschen Arbeitsmarkt schlechter und vielen Arbeitnehmern erst recht.
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Johannes Vogel MdB (FDP), arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDPBundestagsfraktion
Johannes Vogel, geboren 1982, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und schloss im Frühjahr 2009 mit Magister Artium (M.A.) ab. Seit 1998 ist Vogel Mitglied der Jungen Liberalen und seit 1999 Mitglied der FDP. In der Zeit von 2004 bis 2010 war er Mitglied im Bundesvorstand der Jungen Liberalen und von 2005 bis 2010 als Bundesvorsitzender. Seit 2007 ist er gewähltes Mitglied im Bundesvorstand der FDP. Von 2004 bis 2009 war Vogel jüngstes Kreistagsmitglied des Rheinisch-Bergischen Kreises. Seit 2009 ist Johannes Vogel Mitglied des Deutschen Bundestages und arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Zudem ist er Mitglied und Förderer zahlreicher Vereine.
Welche Position zur Zeitarbeit vertritt die SPD? Garrelt Duin, MdB (SPD), wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
Die Arbeitswelt unterliegt seit Jahren einem grundlegenden Wandel. Das Fortschreiten der Globalisierung, demografische Veränderungen, ein Wandel in Werten und Einstellungen – diese und viele weitere Faktoren haben einen Einfluss darauf, wie, zu welchen Bedingungen und zu welcher Entlohnung in Deutschland gearbeitet wird. Dieser Wandel muss gestaltet werden – politisch, wirtschaftlich, tarifrechtlich und gesellschaftlich. Wer einerseits alles dem Markt und seinen Zentrifugalkräften überlässt, wird schnell merken, dass er dadurch die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Wer sich andererseits dem Wandel vollständig verweigert, wird feststellen müssen, dass sich Unternehmen und die damit einhergehenden Arbeitsplätze woanders niederlassen – in anderen europäischen Staaten oder sogar viel weiter weg in Asien, Afrika oder Südamerika. Gefragt ist daher, wie so oft in der Politik, ein Weg der Mitte, mit Augenmaß und dem aktiven Willen zur Gestaltung.
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Garrelt Duin
Leiharbeit läuft aus dem Ruder Der politische Gegner hält der SPD gern vor: „Ihr wart es doch, die die Auswüchse bei der Leiharbeit erst möglich gemacht haben.“ Fakt ist: Ja, es war die SPD-geführte rot-grüne Bundesregierung, die 2003 auf Grundlage der Empfehlungen der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ unter der Leitung des damaligen VW-Personalvorstandes Peter Hartz mit dem Ersten Gesetz für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geändert und die Rahmenbedingungen für die Leiharbeit in Deutschland erleichtert hat. Motivation war damals, positive Erfahrungen bei der Leiharbeit aus anderen Ländern, etwa den Niederlanden, Großbritannien und Dänemark, für Deutschland zu adaptieren. Die Leiharbeit sollte als ein Instrument zur Abfederung von Auftragsspitzen dienen. Sie sollte den Unternehmen Möglichkeiten zu einer flexiblen Reaktion auf konjunkturelle Schwankungen geben und für (Langzeit-)Arbeitslose eine Chance bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sein. Die Entwicklung seitdem ist eine andere. Die Zahl der Leiharbeiter in Deutschland hat sich im Laufe der vergangenen zehn Jahre vervielfacht. Aus der Abfederung von Spitzen ist mittlerweile ein Regelzustand geworden. Die einzige Alternative, die sich daher den Menschen bietet, ist entweder als Leiharbeiter beschäftigt zu sein oder in der Arbeitslosigkeit zu verharren. Zentrale Anforderungen, die mit der begrenzten Liberalisierung der Leiharbeit einhergingen, wurden nicht erfüllt. Das Ziel nach gleichen Arbeitsbedingungen und gleichem Lohn wie für die Stammbeschäftigten ist in vielen der Leiharbeitsverhältnisse nicht erreicht – ganz im Gegenteil. Eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) vom Februar 2011 zeigt, dass
Welche Position zur Zeitarbeit vertritt die SPD?
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Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer mit einer Vollzeitstelle nur etwa die Hälfte dessen verdienen, was Vollzeitbeschäftigte in der Wirtschaft insgesamt als Lohn erzielen. Schlimmer noch: „Im Verleihgewerbe wird schlecht bezahlt; viele Leiharbeitskräfte können von dieser Arbeit allein nicht leben und sind zusätzlich auf Hartz IV angewiesen.“1
Geringeres Lohnniveau Wie der DGB auf Basis einer Sonderauswertung der Entgeltstatistik der Bundesagentur für Arbeit ermittelte, erhalten Leiharbeiter in Westdeutschland im Schnitt 1.456 Euro brutto im Monat und in Ostdeutschland (inkl. Berlin) sogar nur 1.224 Euro brutto – für ein Vollzeitarbeitsverhältnis. Ein Fünftel der Leiharbeiter in den neuen Ländern erhält sogar weniger als 1.000 Euro brutto im Monat. Da wundert es nicht, wenn viele Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter neben ihrem Arbeitsverhältnis zusätzlich auf Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) angewiesen sind, um über die Runden zu kommen. Das Ergebnis: In Ostdeutschland beziehen 15,5 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Leiharbeiter zusätzlich Hartz IV. Das Phänomen der „Working Poor“, bis vor einigen Jahren nur aus den USA bekannt, hat sich längst in Deutschland verbreitet. Der DGB konstatiert: „Wettbewerbsverzerrungen sind die Folge, wenn der Staat über Hartz IV Dumpinglöhne in so starkem Maße subventioniert. Von einer gerechten Entlohnung kann nicht gesprochen werden“.2
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DGB (Hg.), Arbeitsmarkt Aktuell, Nr. 02/Februar 2011, S. 1. Ebd., S. 5.
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Dabei ist Leiharbeit auch ein geografisches Phänomen. Es beschränkt sich aber nicht alleine auf den Osten Deutschlands. Vor allem in Städten ist der Anteil der Leiharbeiter an der Gesamtarbeitnehmerschaft weitaus höher als der Bundesdurchschnitt von 2,5 Prozent. So sind etwa 8,2 Prozent der Beschäftigten in Zwickau, 8,77 Prozent der Beschäftigten in Gera und 7,04 Prozent der Beschäftigten in Erfurt als Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter tätig. Doch auch im Westen Deutschlands gibt es Städte mit einem überdurchschnittlichen Anteil an Leiharbeit in der Beschäftigungsstruktur, darunter Orte mit dominanter Automobil- und anderer High Tech-Industrie3. In diesen Orten ist es für Arbeitsuchende entsprechend schwer, ein Arbeitsverhältnis außerhalb der Leiharbeit zu beginnen. Auch die Altersverteilung bei den Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern bietet Anlass zur Sorge. So ist die Zahl der unter 30-Jährigen mit 39,2 Prozent weitaus höher als bei den regulär Beschäftigten (22,5 Prozent).4 Dies schmälert die Chancen der jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auf eigenen Füßen zu stehen, Familien zu gründen oder Vorsorge für das Alter zu treffen. Bisher haben die Unternehmen große Kreativität an den Tag gelegt, um die Löhne im Bereich der Leiharbeit zu drücken. Der Abschluss eines Tarifvertrages durch den Christlichen Gewerkschaftsbund für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) hat die Lohnspirale nach unten beschleunigt – die Einstiegstariflöhne in der Leiharbeit liegen häufig im Niedriglohnbereich, auch für Beschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung und in Vollzeitarbeitsverhältnissen. Dass dem
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Zahlen entnommen aus: Hans-Böckler-Stiftung, Landkarte der Leiharbeit, 2009, http://www.boeckler.de/pdf/leiharbeit_interaktiv.swf. Vgl. Hans-Böckler-Stiftung (Hg.), Böckler Impuls, 12/2010.
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CGZP im Jahr 2010 die Tariffähigkeit abgesprochen wurde, ist eine gute Nachricht für alle Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter und eröffnet neue Spielräume, die es jetzt engagiert zu nutzen gilt.
Leiharbeit fair regeln – gute Arbeit verwirklichen In der Leiharbeit besteht dringender Handlungsbedarf. Sie muss wieder das werden, was ihr ursprünglicher Zweck war, wo sie ihre größten Stärken hat und für den Arbeitsmarkt von großem Nutzen sein kann: in der Abfederung von Beschäftigungsspitzen, bei kurzfristigen Engpässen oder als Beschäftigungsmodell in bestimmten, auf besondere Flexibilität angewiesene volatile Branchen. Sie darf nicht länger ein strategisches Instrument sein, mit dem Unternehmen Stammbeschäftigte durch weniger gut entlohnte und abgesicherte Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter ersetzen. Hier gilt es, einen Riegel vorzuschieben und klare Grenzen für die zukünftige Entwicklung aufzuzeigen. Sowohl die SPD-Bundestagsfraktion als auch die SPD als Partei haben dazu entsprechende Vorschläge gemacht und öffentlich deutlich Position bezogen5, auch im Schulterschluss mit dem DGB und seinen Gewerkschaften.
5
Vgl. dazu u.a. die Anträge der SPD-Bundestagsfraktion „Missbrauch der Leiharbeit verhindern“ (Bundestags-Drucksache 17/4189) und „Fairness in der Leiharbeit“ (Bundestags-Drucksache 17/1155).
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Gleicher Lohn für gleiche Arbeit Die zentrale Forderung lautet „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, oder neudeutsch „Equal Pay“. Nur dann, wenn Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter genauso viel verdienen wie die Kolleginnen und Kollegen aus der Stammbelegschaft, kann ein Durchbruch für bessere Arbeitsbedingungen gelingen. Nach einer kurzen Einarbeitungsphase muss beim Lohn der Gleichbehandlungsgrundsatz ohne Ausnahme gelten. Außerdem müssen wir die Praxis der sogenannten Konzernleihe, bei der Unternehmen ganze Belegschaften in konzerneigene Personaldienstleister auslagern und anschließend an sich selbst für niedrigeren Lohn zurückverleihen, gesetzlich eng begrenzen.
Missbrauch bekämpfen – mehr Mitbestimmung Ein Schlüssel in der Bekämpfung des Missbrauchs in der Leiharbeit ist ein Ausbau der Mitbestimmung für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dazu zählt zum Beispiel, dass sie bei der Ermittlung der Arbeitnehmerzahl für den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwert mitgerechnet werden, und dass Betriebsräte mehr Befugnisse bekommen, die Dauer und die Bedingungen des Einsatzes von Leiharbeitern zu kontrollieren. Wir brauchen darüber hinaus ein Verbot für den Einsatz von Leiharbeitern als Streikbrecher und es muss selbstverständlich sein, dass Leiharbeiter betriebliche Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten, Kantinen oder Werksbusse genauso nutzen können wie die Stammbelegschaft.
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Neue Ordnung für Arbeit Nicht nur bei der Leiharbeit hat es in den vergangenen Jahren Entwicklungen gegeben, die zur Sorge Anlass geben. Die beschriebenen Auswüchse sind nur ein Beispiel dafür, dass die Arbeitswelt sich im Umbruch befindet, und dass dieser Umbruch einer entschlossenen politischen Gestaltung bedarf. Die SPD-Bundestagsfraktion hat zu Beginn des Jahres 2011 das Arbeitsprogramm „Deutschland 2020. Vollbeschäftigung, Fortschritt, Lebensqualität im neuen Jahrzehnt“6 beschlossen. Im Vorwort dazu schreibt Frank-Walter Steinmeier: „Wir werden weiter für eine neue Ordnung für gute Arbeit und für den Mindestlohn kämpfen, um das unbefristete, sozial abgesicherte und ordentlich bezahlte Normalarbeitsverhältnis zu stärken. ‚Deutschland 2020‘ – das kann ein Land mit Vollbeschäftigung in guter, qualifizierter Arbeit sein, wo nicht mehr Millionen von Menschen in den Niedriglohnsektor gedrängt und mit ergänzender Sozialhilfe abgespeist werden.“7 Diese neue Ordnung für Arbeit muss auch und gerade für den Bereich der Leiharbeit gelten, dessen Regelungen sich eingliedern in ein umfassendes Konzept der SPD für den gesellschaftlichen Fortschritt in Deutschland. Unser Bundesparteitag zum Ende des Jahres 2011 wird ein solches Programm verabschieden. Die hier skizzierten Kernpositionen zur Leiharbeit werden unverrückbar dazu gehören – im Interesse der Arbeit-
6
7
SPD-Bundestagsfraktion (Hg.), Deutschland 2020. Vollbeschäftigung, Fortschritt, Lebensqualität im neuen Jahrzehnt, Arbeitsprogramm der SPD-Bundestagsfraktion, Fraktionsklausur Magdeburg, 13./14. Januar 2011. Ebd., S. 4.
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Garrelt Duin
nehmerinnen und Arbeitnehmer und derjenigen Unternehmen in Deutschland, die schon heute alle ihre Beschäftigten fair behandeln und bezahlen.
Garrelt Duin MdB (SPD), wirtschaftspolitischer Sprecher der SPDBundestagsfraktion
Garrelt Duin, MdB, geboren 1968, hat von 1987 bis 1995 Rechtswissenschaften und Evangelische Theologie in Bielefeld und Göttingen studiert. Er ist seit 2001 Mitglied des SPDBundesvorstandes und war von 2005 bis 2010 Vorsitzender der SPD Niedersachsen. Seit 2010 ist er Vorsitzender des Regionalrates Ostfriesland. Von 2000 bis 2005 war Garrelt Duin Mitglied des Europäischen Parlaments und ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Emden/Aurich. Seit 2009 ist er wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Welche Position zur Zeitarbeit vertreten Bündnis 90/Die Grünen? Beate Müller-Gemmeke, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion
Die rot-grüne Regierung hat im Jahr 2002 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz dereguliert. Aus Sicht der Grünen sollte die Leiharbeit in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit vor allem dazu genutzt werden, Erwerbslose besser und schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Deshalb wurde das Instrument der Leiharbeit für Unternehmen weniger bürokratisch gestaltet. Das Gleichbehandlungsprinzip wurde als Korrektiv für entfallene Regulierungen, wie beispielsweise das Synchronisationsverbot und die Höchstüberlassungsdauer, eingeführt. Statt die Leiharbeit bis ins kleinste Detail zu regeln, sollte die Gleichbehandlung bei Entgelt- und Arbeitsbedingungen ein angemessenes Schutzniveau für die Beschäftigten sicherstellen. Seit längerer Zeit müssen wir eingestehen, dass sich unsere Hoffnungen nicht erfüllt haben und die gesteckten Ziele nicht erreicht wurden. Die Unternehmen können zwar flexibler agieren und auf billigere Arbeitskräfte zurückgreifen. Für Erwerbslose hat die Reform jedoch wenig Wirkung gezeigt. Die Leiharbeitskräfte erhalten in den seltensten Fällen reguläre Beschäftigungsverhältnisse – laut dem Institut für Arbeitsmarkt-
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Beate Müller-Gemmeke
und Berufsforschung (IAB) schaffen es gerade sieben Prozent. Der sogenannte Klebeeffekt ist gering und zeigt, dass die Leiharbeit nicht als arbeitsmarktpolitisches Instrument funktioniert. Als besonders problematisch hat sich der eingeführte Tarifvorbehalt herausgestellt. Nahezu die gesamte Branche nutzt ihn, um von Equal Pay abzuweichen. Was als Ausnahme geplant war, ist heute die Regel. Das entspricht nicht der Intention der damaligen Reform. Aber genau diese Fehlentwicklung führt zur heutigen Dynamik in der Leiharbeitsbranche. Gerade weil eine Balance zwischen dem angemessenen Schutz der Leiharbeitskräfte und dem Flexibilitätsstreben der Unternehmen fehlt, profitieren ausschließlich die Arbeitgeber. Für die Beschäftigten überwiegen hingegen die negativen Effekte. Leiharbeitskräfte müssen in der Regel eine schlechtere Entlohnung und schlechtere Arbeitsbedingungen hinnehmen. Stammbelegschaften werden schleichend substituiert und sind einem Lohndruck ausgesetzt, der sich in nahezu allen Branchen bemerkbar macht. Diese Fehlentwicklungen müssen auch vor dem Hintergrund des Wandels der Erwerbsgesellschaft insgesamt gesehen werden. Die Leiharbeit ist nur eine Beschäftigungsform, die einen Umbau auf dem Arbeitsmarkt vom Normalarbeitsverhältnis hin zu mehr atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnissen erkennen lässt. Auch bewirken beispielsweise befristete Beschäftigungen, Auslagerung von Betriebsteilen, Werkverträge, Minijobs oder Praktika eine Erosion des Normalarbeitsverhältnisses. Alles zusammen führt zu Abstiegsängsten bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein und erreicht mittlerweile auch gut Ausgebildete und langjährig Beschäftigte. Die Spaltung der Gesellschaft verläuft nicht mehr nur zwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen regulär und prekär Beschäftigten. Die Leiharbeit muss dabei besonders in den Blick genommen werden, denn keine andere Beschäftigungsform missachtet die
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Rechte der Beschäftigten und soziale Errungenschaften so sehr wie die Leiharbeit.
Schlechte Arbeitsbedingungen in der Leiharbeit Charakteristisch für die Branche ist die niedrige Entlohnung. 2006 lagen laut einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts 67 Prozent der Stundenlöhne der Leiharbeitskräfte unter der Niedriglohnschwelle. Leiharbeit ist nach den Minijobs die am schlechtesten vergütete Erwerbsform überhaupt. Die neue, gesetzlich festgelegte Lohnuntergrenze wird daran nichts ändern. Auch zukünftig werden zu viele Leiharbeitskräfte von ihren Löhnen nicht leben können und aufstockendes Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Ein weiterer negativer Aspekt ist die Arbeitsplatzunsicherheit. Viele Arbeitskräfte werden nur befristet bei den Leiharbeitsfirmen angestellt – teilweise nur für die Dauer eines Einsatzes. Mehr als 50 Prozent der Leiharbeitskräfte sind kürzer als drei Monate in einem Betrieb beschäftigt. Die hohe Fluktuation und das besonders hohe Risiko, arbeitslos zu werden, bedeutet für die Beschäftigten eine enorme Unsicherheit. Besonders stark davon betroffen sind junge Menschen. Eine Lebensplanung ist für sie nur schwer möglich. Die Leiharbeit erfordert auch viel Frustrationstoleranz. Immer und immer wieder hoffen die Leiharbeitskräfte, dass sie in reguläre Beschäftigungsverhältnisse übernommen werden. Laut einer Studie des Arbeitsministeriums Nordrhein-Westfalen ist Leiharbeit aber nur selten eine Brücke in reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Sie ist vielmehr ein Einstieg in Leiharbeitskarrieren. Problematisch ist dabei, dass zahlreiche Leiharbeitskräfte nicht entsprechend ihrer Qualifikationen eingesetzt
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werden. Die Tätigkeiten entsprechen häufig nicht dem erlernten Beruf. Wenn Kenntnisse und Fähigkeiten nicht abgerufen werden, droht den Leiharbeitskräften jedoch ein Verfall ihrer Qualifikationen. Die Folge: Sie haben noch weniger Chancen auf eine reguläre Beschäftigung.
Gleichstellung von Leiharbeit erforderlich Die Beschäftigten in der Leiharbeit sind Beschäftigte zweiter Klasse. Denn für gleiche Arbeit erhalten sie weniger Lohn als die Stammbelegschaften und haben weniger Rechte. Ihr Leben ist geprägt von Einkommensarmut und Unsicherheit. Das ist nicht akzeptabel. Die Flexibilität der Unternehmen darf nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen. Jegliche Form der Arbeit hat einen Wert und muss angemessen vergütet werden. Erwerbsarbeit dient auch nicht nur der Existenzsicherung. Sie muss gesellschaftliche Wertschätzung und Anerkennung sicherstellen, Selbstvertrauen vermitteln und Sicherheit sowie soziale Einbindung ermöglichen. All dies muss auch die Leiharbeit gewährleisten. Bedenklich ist zudem, dass mit der Leiharbeit Stammbelegschaften schleichend ersetzt werden. So verzeichnet die Metallbranche nach der Wirtschaftskrise laut IG Metall eine Leiharbeitsquote bei Neueinstellungen von 30 bis 40 Prozent. Besonders betroffen ist beispielsweise Baden-Württemberg: Laut dem Statistischen Landesamt Baden-Württemberg entstanden rund 83 Prozent aller zwischen 2009 und 2010 neu geschaffenen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in der Leiharbeitsbranche. Es zeichnet sich ab, dass die Leiharbeit immer mehr strategisch genutzt wird. Unternehmen sparen in Krisenzeiten Entlassungskosten und im Aufschwung Personal-
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kosten, indem sie Kündigungsschutz und Tarifverträge umgehen. Das unternehmerische Risiko wird auf diese Weise zunehmend auf die Beschäftigten übertragen. Diese strategische Nutzung der Leiharbeit ist zu kritisieren, denn sie geht ausschließlich zu Lasten der Beschäftigten und verändert das Erwerbsleben und auch unsere Gesellschaft beträchtlich. Hilfstätigkeiten sowie einfache Arbeitsplätze sind Mangelware. Diese Arbeitsplätze werden mittlerweile verstärkt durch die Leiharbeitsbranche besetzt. Die Bundesagentur für Arbeit wirkt dabei unterstützend. In der Folge wird durch die Leiharbeit der Weg von Niedrigqualifizierten in einfache Arbeitsplätze blockiert. Während des wirtschaftlichen Aufschwungs werden auch qualifizierte Arbeitskräfte verstärkt von der Leiharbeitsbranche akquiriert. Dadurch besteht die Gefahr, dass künftig auch qualifizierte Fachkräfte nicht mehr direkt, sondern aus Kostengründen nur noch über Leiharbeitsunternehmen beschäftigt werden. Diese Entwicklung muss gestoppt werden, denn damit ist die Leiharbeit – anders als erhofft – nicht mehr Teil der Lösung, sondern selbst Teil der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsprobleme.
Schlechte Leiharbeit schadet der Gesellschaft Die neue quantitative wie auch qualitative Dimension der Leiharbeit hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Leiharbeitskräfte. Ihr Einsatz führt auch zu Wettbewerbsverzerrungen und schadet insbesondere kleinen und mittelständischen tariftreuen Betrieben. Sie geraten unter Druck oder werden gar vom Markt gedrängt, wenn sie dem Strategiewechsel hin zu mehr Leiharbeit widerstehen wollen. Auch die Stammbelegschaften in Unternehmen und Betrieben mit hoher Leiharbeitsquote leiden
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unter dieser Entwicklung. Zwar profitieren sie in einer Krise, weil zunächst Leiharbeitskräfte gekündigt werden und sie selbst ihren Arbeitsplatz behalten. Dennoch wirkt sich die Leiharbeit auch für sie negativ aus. Stammbelegschaften werden mit dem Einsatz von Leiharbeit diszipliniert, denn sie werden täglich daran erinnert, dass auch ihr Arbeitsplatz davon betroffen sein könnte. In der Folge entstehen Unsicherheit und Abstiegsängste. Auch auf die Verhandlungsmacht der großen Gewerkschaften wirkt sich der Boom der Leiharbeit negativ aus. Durch die arbeitgeberfreundliche Gewerkschaftspolitik der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) und eine nahezu hundertprozentige Tarifbindung wurde in vielen Branchen eine zweite Niedriglohnlinie installiert. Dies schwächt die traditionellen Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen. Schlussendlich ist die Leiharbeit auch für den Staat teuer. Leiharbeitskräfte beziehen in beträchtlichem Ausmaß ergänzendes Arbeitslosengeld II. Schon vor der Krise zahlte der Staat etwa eine halbe Milliarde Euro pro Jahr an Leistungen für Leiharbeitskräfte, die ihr Erwerbseinkommen aufstocken mussten. Die langfristigen Kosten der Leiharbeit sind ebenfalls hoch, denn die niedrigen Löhne ziehen zwangsläufig niedrige Rentenanwartschaften nach sich. Deswegen werden Beschäftigte in Leiharbeitskarrieren auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen sein. Schon heute hat der Staat Einnahmeausfälle bei den Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und gleichzeitig hohe Ausgaben im Sozialetat. Keine andere Branche wird in dieser Form staatlich subventioniert. Die Fehlentwicklungen und der Missbrauch in der Leiharbeit sind vielfältig und unübersehbar. Die Gesetzesänderung der Bundesregierung im März 2011 aber ist vollkommen unzureichend, um Missbrauch zu bekämpfen und die Leiharbeitskräfte wirkungsvoll zu schützen.
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Grundlegende Reform ist notwendig Wir wollen die Leiharbeit nicht abschaffen, aber wieder zu einem sozialverträglichen Instrument für Beschäftigte und Betriebe gleichermaßen machen. Sie soll weiterhin zur flexiblen Abfederung von Auftragsspitzen und zur Überbrückung personeller Engpässe genutzt werden – jedoch nicht zum Nachteil der Beschäftigten und nicht zum Aufbau von Randbelegschaften. Die historisch entstandenen Rechte der Beschäftigten müssen auch in der Leiharbeit gewahrt werden. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt diese Forderung. Leiharbeit darf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten nicht weiter verschlechtern und auch den Staat nicht finanziell belasten. Unternehmen sollen wieder fair bezahlte, unbefristete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schaffen. Dafür ist eine grundlegende Reform der Arbeitnehmerüberlassung notwendig. Wichtigster Bestandteil ist der Gleichbehandlungsgrundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Dieser muss ab dem ersten Tag der Arbeitnehmerüberlassung gelten. Leiharbeitskräfte müssen mindestens das gleiche Entgelt und die gleichen Arbeitsbedingungen wie Festangestellte im Betrieb erhalten. Zusätzlich sollen sie eine gesetzlich verankerte Prämie in Höhe von zehn Prozent des Bruttolohns vergleichbar Beschäftigter im Betrieb bekommen. Damit wird der hohen Flexibilität der Leiharbeitskräfte Rechnung getragen. Der Mindestlohn dient als Lohnunterkante und gilt insbesondere in verleihfreien Zeiten. Wir wollen auch das Synchronisationsverbot wieder einführen. Es verhindert, dass Leiharbeitskräfte nur für die Dauer eines Einsatzes in einem Verleihbetrieb eingestellt werden. Das Betriebsrisiko würde damit wieder stärker von den Leiharbeitsunternehmen getragen. Ziel ist es auch, die Leiharbeit in Unternehmen durch eine Höchstüberlassungsquote in Höhe von zehn
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Beate Müller-Gemmeke
Prozent auf ein verträgliches Maß zu reduzieren. Nur wenn der Betriebsrat im Einsatzbetrieb einer höheren Quote zustimmt, sind Abweichungen möglich. Unternehmen mit weniger als 200 Beschäftigten sind von der Quote ausgenommen. Die Betriebsräte der Entleihbetriebe sollen gestärkt werden, insbesondere bei der ordnungsgemäßen Eingruppierung von Leiharbeitskräften. Vor allem ist es notwendig, dass die Leiharbeitskräfte bei der Berechnung der Größe des Betriebsrats berücksichtigt werden. Auch der Einsatz von Leiharbeitskräften in Betrieben, die sich im Arbeitskampf befinden, soll nicht mehr möglich sein. Schlussendlich brauchen Leiharbeitskräfte einen besseren Zugang zu Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, um ihre Qualifikation und damit ihre Beschäftigungschancen verbessern zu können. Es ist daher wünschenswert, dass Leiharbeitsfirmen in den verleihfreien Zeiten Qualifizierungsmöglichkeiten anbieten.
Erst Regulierung bringt mehr gesellschaftliche Akzeptanz Eine Regulierung der Leiharbeitsbranche birgt nicht nur Risiken für die Verleihunternehmen, sondern auch Chancen für die gesamte Branche. Durch eine konsequente Regulierung würde auch die Leiharbeit wieder deutlich mehr Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Nur eine attraktive Branche kann gutes Personal rekrutieren. Angesichts des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels dürfte es sich für die Leiharbeitsbranche lohnen, auf die Qualifizierung der Leiharbeitskräfte zu setzen. So kann sie mit einem Pool gut ausgebildeter Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft bestehen.
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Aus Sicht der Grünen kann die Leiharbeitsbranche nur Bestand haben, wenn sie in erster Linie auf seriöse Personaldienstleistungen und sozialverträgliche Bedingungen wie auf eine faire Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen setzt. In der Wirtschaft wird auch in Zukunft Bedarf an einer flexiblen Personalplanung bestehen. Diese Flexibilität muss aber ihren Preis haben und darf nicht die Rechte der Arbeitnehmenden einschränken. Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Die Gesellschaft ist nicht Teil der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft ist ein Teil der Gesellschaft, und daraus ergeben sich Konsequenzen für die Politik. Eine verantwortliche Arbeitsmarktpolitik muss die Arbeits- und Lebensbedingungen für die Menschen verbessern, und daran orientiert sich die grüne Politik.
Beate Müller-Gemmeke MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion
Beate Müller-Gemmeke, geboren 1960, absolvierte nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin ein Studium der Sozialpädagogik an der Fachhochschule Reutlingen und war zunächst als Kommunalpolitikerin aktiv. Seit 1997 ist sie Mitglied von Bündnis 90/ Die Grünen; von 2003 bis 2009 war sie im Landesvorstand der Grünen in Baden-Württemberg. Seit 2009 ist Beate Müller-
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Beate Müller-Gemmeke
Gemmeke Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales und im bundesweiten Sprecherteam von GewerkschaftsGrün.
Teil 5 Stellenwert der Zeitarbeit in Europa
Welche Zeitarbeitsmodelle gibt es in anderen Ländern? Dr. Werner Eichhorst, Stellvertretender Direktor Arbeitsmarktpolitik am Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA) Paul Marx, Resident Research Affiliate am IZA
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in nahezu allen europäischen Ländern hat die Zeitarbeit in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Jedoch unterscheiden sich die Rahmenbedingungen, unter denen die Zeitarbeit sich entwickelt und am Arbeitsmarkt genutzt wird, von Land zu Land. Um die Rolle der Zeitarbeit im internationalen Vergleich richtig einordnen zu können, ist es notwendig, das jeweilige institutionelle Gefüge und das Handeln der Akteure auf dem Arbeitsmarkt zu verstehen. Generell ist die Zeitarbeit eine personalpolitische Option neben anderen. Wie sie funktioniert und genutzt wird, hängt aus Sicht der Arbeitgeber von den Kosten und dem Nutzen verschiedener Möglichkeiten der betrieblichen Flexibilität ab. Wichtige Funktionen der Zeitarbeit sind: Sie deckt Bedarfsspitzen und betriebliche Schwankungen im Konjunkturverlauf ab. Gleichzeitig trägt sie dazu bei, Fixkosten sowie Einstellungs- und Entlassungskosten zu vermeiden, die vor allem in Arbeitsmärkten mit striktem Kün-
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Werner Eichhorst und Paul Marx
digungsschutz oder komplexen Vorschriften zu befristeten Arbeitsverträgen erheblich sein können. Zeitarbeit ermöglicht es, Mitarbeiter zu rekrutieren und zu erproben. Dadurch werden Beschaffungs- und ScreeningKosten vermindert, insbesondere in Arbeitsmärkten, bei denen Qualifikationsnachweise wie beispielsweise eine berufliche Ausbildung weniger verbreitet sind. Außerdem senkt Zeitarbeit gezielt die Arbeitskosten gegenüber Kernbelegschaften, wenn die Zeitarbeitskräfte anders als die Stammbelegschaften entlohnt werden. Auch aus Sicht der Beschäftigten ist die Zeitarbeit eine Möglichkeit der Erwerbstätigkeit, deren Attraktivität sie nur im Vergleich mit anderen Optionen bewerten können. Schließlich kann die Zeitarbeit auch arbeitsmarktpolitisch motiviert sein und auf die Integration von Arbeitslosen, insbesondere Langzeitarbeitslosen, abzielen. Diese können, teilweise flankiert von Lohnkostenzuschüssen für Arbeitgeber, in die betrieblichen Abläufe eingegliedert werden, um dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in eine stabile Erwerbstätigkeit einmünden zu können.
Rahmenbedingungen und Regulierung bestimmen die Rolle Die Rolle der Zeitarbeit hängt also von wesentlichen Rahmenbedingungen wie dem Kündigungsschutz, der Regulierung der befristeten Beschäftigung, den Entlohnungsstrukturen und dem Ausbildungssystem ab. Wichtige Unterscheidungsmöglichkeiten bestehen aber auch bei der Regulierung der Zeitarbeit selbst, so etwa Vorschriften zur Genehmigung einer Tätigkeit im Feld der
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Arbeitnehmerüberlassung, Beschränkungen in einzelnen Wirtschaftsbereichen, Regelungen zur maximalen Höchstdauer einer Überlassung, Tarif- und Mindestlöhne oder das Vorhandensein eines Gleichbehandlungsprinzips (Tabelle 1, S. 160f). In vielen europäischen Staaten, etwa den Niederlanden oder Deutschland, wurden früher bestehende Beschränkungen der Zeitarbeit in den vergangenen Jahren sukzessive beseitigt, was sich auch im zusammenfassenden Indikator der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OECD) niedergeschlagen hat (Abbildung 1). Eine Ausnahme von diesem generellen Trend stellt Frankreich dar, das eine recht restriktive Regulierung der Zeitarbeit beibehalten hat, während in Dänemark über die vergangenen 10 Jahre eine Regulierung auf mittlerem Niveau bestehen blieb. In Großbritannien, neben Dänemark das Land mit der liberalsten Verfassung des Arbeitsmarktes, wurde die Zeitarbeit nur marginal reguliert.
Abb. 1. Regulierung der Zeitarbeit (OECD-Indikator) Quelle: OECD.
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Werner Eichhorst und Paul Marx
Tab. 1. Wichtige Elemente der aktuellen Regulierung von Zeitarbeit Regulierung der Zeitarbeit Regulierungsindikator der OECD
ÜberGenehlassungs- migung höchstdauer
Beschränkungen
Deutsch- 1,25 land
Keine
Keine
Lockerung des Überlassungsverbotes im Bauhauptgewerbe 2003, Voraussetzung allgemein gültige Tarifverträge
Frankreich
Max. 18 Mo.
Spezielle Genehmigung und umfangreiche Berichtspflicht
Im Falle eines Streiks, beim Fehlen eines Betriebsarztes, bei gefährlichen Tätigkeiten, 6 Monate nach einer Massenentlassung, außer die Überlassung dauert nicht länger als 3 Monate, als dauerhafter Einsatz im Regelbetrieb des Entleihers
Nieder- 1,19 lande
Keine
Keine
Bei Streiks
Großbri- 0,38 tannien
Keine
Keine
Bei Streiks und gefährlichen Tätigkeiten
Dänemark
Keine
Keine
Bei gefährlichen Arbeiten, im Falle eines Streiks im Entleihbetrieb
3,63
1,38
Quelle: OECD.
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Welche Zeitarbeitsmodelle gibt es in anderen Ländern?
Rahmenbedingungen Gleichbehandlung und Entlohnung
Kündigungs- Befristete schutz Beschäfti(OECD) gung (OECD)
Mindestlohn
Generell Gleichbehandlung, 3.75 jedoch Abweichung durch Tarifvertrag, erhebliches Lohndifferenzial; sektoraler Mindestlohn ab Mai 2011
1.25
Kein gesetzlicher Mindestlohn, aber sektoral
Gleichbehandlung; Entlohnung entsprechend einem Regelarbeitnehmer, bei kurzzeitigem Einsatz Zulage von 10%
3.63
Gesetzlich
Generell Gleichbehandlung 3 mit Stammpersonal, Abweichung nach Tarifvertrag, Konvergenz nach 26 Wochen Entleihdauer
1.19
Gesetzlich
Keine Gleichbehandlung; Entlohnung unabhängig vom Entleihbetrieb
2.88
0.38
Gesetzlich
Keine Orientierung am Stammpersonal, Vielzahl an Tarifverträgen
3.13
1.38
Weit reichende tarifvertragliche Regelungen
2.13
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Werner Eichhorst und Paul Marx
Die Daten des europäischen Dachverbandes der Zeitarbeitsunternehmen, EUROCIETT, zeigen im internationalen Vergleich auf, dass in einem liberalen Arbeitsmarkt wie dem britischen sich die Zeitarbeit sehr stark verbreitet hat. Jedoch können aufgrund der rechtlichen Unklarheit beim Status der Zeitarbeit in Großbritannien Doppelzählungen nicht ausgeschlossen werden. Dies würde dafür sprechen, dass der Anteil der Zeitarbeiter anhand der (einzig) verfügbaren Daten von EUROCIETT im Vereinigten Königreich überschätzt ist. Sicher ist hingegen, dass in Deutschland im Zuge der Liberalisierung der Zeitarbeit nach 2003 der stärkste Anstieg zu verzeichnen war. In den Niederlanden und Frankreich bewegt sich die Beschäftigung in der Zeitarbeit seit mehr als zehn Jahren in einem mittleren Bereich, während sie in Dänemark, auch einem Land mit gering ausgebautem Kündigungsschutz, von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung geblieben ist. Die jüngsten Zahlen zeigen, dass die Beschäftigung in der Zeitarbeit in allen Ländern besonders stark auf die Wirtschaftskrise reagiert hat (Abbildung 2).
Abb. 2. Verbreitung der Zeitarbeit in Prozent der Beschäftigten, 1998–2009 Quelle: EUROCIETT.
Welche Zeitarbeitsmodelle gibt es in anderen Ländern?
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Bei der Nutzung der Zeitarbeit nach Wirtschaftszweigen zeigen sich ebenfalls bemerkenswerte Muster. In Dänemark hat die Zeitarbeit eine starke Bedeutung im öffentlichen Sektor, während sie in diesem Bereich in anderen Ländern kaum zum Einsatz kommt. In Deutschland und Frankreich ist die Zeitarbeit im verarbeitenden Gewerbe weit verbreitet (Abbildung 3).
Abb. 3. Nutzung der Zeitarbeit nach Sektoren, 2009 Quelle: EUROCIETT.
Kurze Zeiträume der Beschäftigung in der Zeitarbeit sind vor allem in stark regulierten Ländern wie Italien und Frankreich zu beobachten, während in Deutschland und Schweden die Beschäftigungsphasen meist mehr als drei Monate dauern (Abbildung 4).
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Werner Eichhorst und Paul Marx
Abb. 4. Dauer der Zeitarbeitseinsätze Quelle: EUROCIETT.
Die folgenden Studien untersuchen einige wichtige europäische Fallbeispiele. Ziel ist es, alternative Regulierungsmodelle und ihre Konsequenzen aufzuzeigen. Hierbei wird versucht, die Zusammenhänge zwischen der Regulierung (und deren Veränderung über die Zeit) und der Nutzung der Zeitarbeit im jeweiligen Land zu beleuchten. So lassen sich nationale Besonderheiten und die jeweils dominanten Funktionen identifizieren.
Welche Zeitarbeitsmodelle gibt es in anderen Ländern?
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Modell Frankreich: Zeitarbeit in einem strikt regulierten Arbeitsmarkt Die Regulierung der Zeitarbeit in Frankreich unterscheidet sich deutlich vom deutschen Modell und zählt wohl zu den strengsten in Europa. Trotz dieser strikten Regulierung hat Zeitarbeit eine lange Tradition in Frankreich und wächst nach wie vor. Dies liegt auch am relativ hohen Regulierungsniveau alternativer Beschäftigungsformen – vor allem regulärer und befristeter Verträge. Zeitarbeit kann also trotz der strengen Vorschriften aus betrieblicher Sicht eine wichtige Pufferfunktion darstellen. In Frankreich besteht ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn, der zu den großzügigsten in der OECD zählt. Einerseits führt dies zu einer Konzentration von Beschäftigung auf Mindestlohnniveau, die häufig subventioniert ist. Andererseits verhindert er starke Lohnunterschiede zwischen regulären Arbeitnehmern und Zeitarbeitnehmern. Zudem sieht das französische Arbeitsrecht eine „Unsicherheitsprämie“ für Zeitarbeiter vor, die zehn Prozent des im Laufe einer Überlassung gezahlten Bruttogehaltes entspricht. Diese Prämie entfällt, wenn der Zeitarbeiter übernommen wird. Somit sind Zeitarbeiter in Frankreich, zumindest materiell, deutlich besser gestellt als in Deutschland. Allerdings haben französische Zeitarbeiter in der Regel nur einen befristeten Arbeitsvertrag, der mit der Überlassung synchronisiert ist. Daher besteht in vielen Fällen kein Entgeltanspruch in verleihfreien Zeiten. Zwei weitere Vorschriften schränken die Zeitarbeit stärker ein als in Deutschland. Zum einen ist die Nutzung von Zeitarbeit an bestimmte Gründe geknüpft, zum Beispiel Vertretung oder saisonale Schwankungen. Dabei ist fraglich, wie wirksam diese Beschränkung in der Praxis ist (Ramaux 1996). Zum anderen beträgt die Überlassungshöchstdauer 18 Monate.
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Die Struktur der Zeitarbeit in Frankreich ist ähnlich wie in Deutschland (Abbildung 3): Sie findet sich vor allem im produzierenden Gewerbe und betrifft dort meist einfache und mittlere Tätigkeiten. Die durchschnittliche Überlassungsdauer ist in Frankreich allerdings kürzer als in Deutschland. Dies lässt sich durch die gesetzlich verankerte Überlassungshöchstdauer sowie abweichende Einsatzmotive erklären: In Frankreich bieten Zeitarbeiter nur begrenzt einen Lohnkostenvorteil, weshalb sie vor allem wegen ihrer größeren numerischen Flexibilität eingesetzt werden (Vaneslow/Weinkopf 2009). Dies führt zu einer erhöhten Beschäftigungsinstabilität.
Modell Vereinigtes Königreich: Liberaler Arbeitsmarkt mit Zeitarbeit Großbritannien weist einen flexiblen Arbeitsmarkt mit geringem Kündigungsschutz und nur schwach regulierten befristeten Verträgen auf. Man würde den Bedarf an Zeitarbeit daher zunächst als gering einschätzen. Interessanterweise hat Großbritannien aber die höchste Zeitarbeitsquote in Europa (Abbildung 2). Dieser überraschende Befund muss allerdings relativiert werden, weil es bei der Erfassung von Zeitarbeit in Großbritannien erhebliche methodologische Probleme gibt (siehe auch Arrowsmith 2008, S. 3-5). Trotzdem ist davon auszugehen, dass der Sektor größer ist als in anderen europäischen Ländern. Dies lässt sich über die spezielle Funktion, die Zeitarbeit im britischen Arbeitsmarkt erfüllt, erklären. In Großbritannien ist die formale betriebliche Ausbildung nicht weit verbreitet, deshalb hilft Zeitarbeit bei der Rekrutierung und Erprobung von Arbeitskräften. Entsprechend finden sich relativ viele jüngere Arbeitnehmer in dieser Beschäftigungsform. Laut Arrowsmith (2008,
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S. 7) sind etwa 50 Prozent der britischen Zeitarbeiter 30 Jahre oder jünger. Auch in Großbritannien werden Zeitarbeiter vornehmlich für einfache und mittlere Tätigkeiten eingesetzt. Im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich ist der Haupteinsatzort nicht die Industrie, sondern der Dienstleistungssektor. Die Überlassungshöchstdauer in Großbritannien ist nicht beschränkt. Ein Gleichbehandlungsgebot wurde erst vor kurzer Zeit eingeführt, sodass sein Effekt schwierig zu bewerten ist. Vorher stellte der gesetzliche Mindestlohn, der prinzipiell auch für Zeitarbeiter gilt, die einzige Beschränkung dar. Dieses Minimum wurde aber oft unterschritten, weil viele Beschäftigte in dieser Erwerbsform formal selbständig sind (Vaneslow/Weinkopf 2009). Insgesamt gibt es Anzeichen, dass die Lohnunterschiede zwischen Stammbelegschaft und Zeitarbeitern auch vor Einführung des Gleichbehandlungsgebotes geringer waren als in Deutschland. Im Jahr 2007 verdienten Zeitarbeiter immerhin etwa 94 Prozent des Medianlohns von unbefristet Beschäftigten mit weniger als zwei Jahren Betriebszugehörigkeit. Diese bilden auf Grund der geringeren Berufserfahrung von Zeitarbeitern eine adäquate Referenzgruppe (EMAR 2008).
Modell Niederlande: Zeitarbeit als ein Element von „Flexicurity“ am Rand des Arbeitsmarkts Die Niederlande haben eine lange Tradition der „Flexibilisierung am Rand“, so auch bei der Zeitarbeit. Insbesondere seit den Reformen der späten 1990er Jahre ist das Land für seinen Flexicurity-Ansatz berühmt, also den Versuch, die erhöhte Flexibilität atypisch Beschäftigter durch mehr Sicherheit zu kompensieren. So gibt es in den Niederlanden, anders als in Deutschland, prinzipiell ein Gleichbehandlungsgebot. Hierbei wachsen
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Werner Eichhorst und Paul Marx
die Rechte der Zeitarbeiter mit der Dauer der Überlassung stufenweise an bis sie das Niveau der Stammbelegschaft erreicht haben. Dies ist in der Regel nach 26 Wochen der Fall. Vorher besteht die Möglichkeit, über Tarifverträge vom Entlohnungsniveau der Stammbelegschaft abzuweichen. Ähnlich wie in Deutschland haben die Reformen daher in erster Linie die Zeitarbeit stark dereguliert, sodass trotz der Flexicurity-Bemühungen große Tendenzen eines dualen Arbeitsmarktes bestehen. Dies umfasst deutliche Lohnabschläge im Vergleich zur Stammbelegschaft (Houwing 2010). Die Niederlande haben entsprechend der flexiblen Ausgestaltung einen stark ausgebauten Zeitarbeitssektor, der neben Großbritannien zu den größten weltweit zählt (Abbildung 2). Auffällig ist vor allem das starke Wachstum seit den frühen 2000ern. Einsatzgebiete sind sowohl die Industrie, obwohl zu einem deutlich geringerem Anteil als in Deutschland, als auch verschiedene Dienstleistungssektoren (Abbildung 3).
Modell Dänemark: Zeitarbeit in einem liberalen Modell von „Flexicurity“ Dänemark gilt neben Großbritannien als das Land mit dem am geringsten ausgebauten Kündigungsschutz in Europa. Auch bestehen dort nur wenige Beschränkungen bei der Zeitarbeit. Reformen, die zu einer Liberalisierung der Zeitarbeit beigetragen haben, fanden bereits vor dem hier betrachteten Zeitraum statt. Dem geringen Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen in Dänemark entspricht die insgesamt stark ausgeprägte Mobilität der Beschäftigten auf dem dänischen Arbeitsmarkt. Unbefristete Arbeitsverhältnisse werden häufiger begründet und auch beendet als in Ländern mit strikterem Kündigungsschutz. Vor diesem
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Hintergrund verwundert es nicht, dass die Bedeutung der Zeitarbeit in diesem Land weniger groß ist als in den meisten anderen EU-Staaten. Aber Zeitarbeit existiert in Dänemark, vor allem in der öffentlichen Verwaltung und im Dienstleistungsbereich. Sie hat jedoch in Dänemark eine andere Funktion als in Deutschland. Im flexiblen dänischen Arbeitsmarkt werden häufig qualifizierte Berufe, in denen Arbeitskräfte knapp sind, über Zeitarbeit vermittelt. Dies ist häufig sogar mit einem Lohnzuschlag verbunden (Vaneslow/Weinkopf 2009). Für gering Qualifizierte und Problemgruppen am Arbeitsmarkt, zum Beispiel Migranten, hat Zeitarbeit eine wichtige Sprungbrettfunktion. Unternehmen nutzen sie, um Beschäftigungstauglichkeit zu testen. Dies geht mit relativ guten Übernahmewahrscheinlichkeiten einher (Jahn/Rosholm 2011). Insgesamt ist die Lage von Zeitarbeitern in Dänemark sehr vielschichtig und nicht ausreichend empirisch erfasst. Dies dürfte an den beiden grundlegend verschiedenen Funktionen liegen, die oben skizziert wurden, vor allem an der überwiegenden Regelung in Tarifverträgen.
Das kann Deutschland lernen Der internationale Vergleich zeigt, dass die Rolle der Zeitarbeit entscheidend von der Regulierung dieser Beschäftigungsform und von den breiten institutionellen Rahmenbedingungen der nationalen Arbeitsmärkte abhängt. Auch das Handeln der Akteure, die sich dieser Regeln bedienen, spielt eine Rolle. Ist die Zeitarbeit eine im Vergleich zu anderen Erwerbsformen günstige Alternative für die Erwerbstätigkeit, so ist sie tendenziell stärker verbreitet. Generell kann die Zeitarbeit bislang nicht erwerbstätigen Personen die Möglichkeit bieten, in regulierte Arbeitsmärkte einzusteigen. Wenn die Regulierungsunterschie-
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de zwischen der Zeitarbeit und anderen Erwerbsformen sehr gravierend sind, kann sie jedoch zu einer dauerhaften Spaltung der erwerbstätigen Bevölkerung führen. Die Übergänge aus der Zeitarbeit in andere Erwerbsformen sind dann eher die Ausnahme als die Regel (Kvasnicka 2009; Lehmer/Ziegler 2010). Prinzipien der Gleichbehandlung und Mindestlöhne können tendenziell dämpfend auf die Dynamik der Zeitarbeit wirken, weil sie relativ teuer wird. Aber das Instrument der Zeitarbeit kann dank bestimmter Standards auch an Akzeptanz gewinnen und Anstrengungen der Arbeitgeber unterstützen, die Produktivität und Attraktivität der Zeitarbeit zu steigern. Im Vergleich zu den anderen Ländern fällt in Deutschland auf, dass der Zuwachs der Beschäftigung in der Zeitarbeit in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre bis zur Wirtschaftskrise besonders deutlich ausgefallen war. Bemerkenswert ist auch die starke Konzentration auf das verarbeitende Gewerbe, vor allem bei einfachen Hilfstätigkeiten, die mit einer vergleichsweise niedrigeren Entlohnung im Vergleich zum Stammpersonal im Entleihbetrieb einhergeht. Dadurch werden auch nur selten Zeitarbeiter dauerhaft eine Anstellung im Entleihbetrieb finden.
Literatur Arrowsmith, J. (2008): Temporary agency work and collective bargaining in the EU. European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions. Dublin. EMAR (2008): Agency working in the UK: A review of the evidence, EMPLOYMENT RELATIONS RESEARCH SERIES NO. 93, Oktober 2008. CIETT (2011): The agency work industry around the world. Economic Report. 2011 Edition.
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Houwing, H. (2010): A Dutch Approach to Flexicurity? Negotiated Change in the Organization of Temporary Work. Amsterdam: University of Amsterdam. Jahn, E./Rosholm, M. (2011): In Dänemark ist Zeitarbeit ein Sprungbrett in Beschäftigung. IAB-Kurzbericht Nr. 1. Nürnberg. Kvasnicka, M. (2009): Does Temporary Help Work Provide a Stepping Stone to Regular Employment?. In: Autor, D. (ed.): Studies of Labor Market Intermediation. Chicago: The University of Chicago Press. Lehmer, F./Ziegler, K. (2010): Brückenfunktion der Leiharbeit: Zumindest ein schmaler Steg. IAB-Kurzbericht Nr. 13. Nürnberg. Vanselow, A./Weinkopf, C. (2009): Zeitarbeit in europäischen Ländern – Lehren für Deutschland?, Hans-Böckler-Stiftung, Arbeitspapier 182, August 2009.
Dr. Werner Eichhorst Stellvertretender Direktor Arbeitsmarktpolitik am Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA)
Werner Eichhorst, geboren 1969, studierte Soziologie, Politikwissenschaft, Psychologie und Verwaltungswissenschaften in Tübingen und Konstanz und schloss sein Studium 1995 mit dem Diplom ab. Von 1996 bis 1999 war er Doktorand und Post-Doc-Stipendiat am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Ende 1998 promovierte er an der Universität Konstanz. Danach war Werner Eichhorst bis 2004 Projekt-
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Werner Eichhorst und Paul Marx
leiter bei der Bertelsmann Stiftung. In dieser Zeit war er für das Projekt „Benchmarking Deutschland: Arbeitsmarkt und Beschäftigung“ verantwortlich. Von März 2004 bis Juni 2005 war er am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg tätig. Seit Juli 2005 ist Eichhorst am IZA tätig, zunächst als Research Associate, ab Februar 2006 als Senior Research Associate und seit April 2007 als Stellvertretender Direktor Arbeitsmarktpolitik.
Paul Marx Resident Research Affiliate am IZA
Paul Marx, geboren 1982, studierte Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre (Nebenfach) an der Freien Universität Berlin, der Philipps-Universität Marburg sowie der Warsaw School of Economics. Seit Oktober 2008 ist er am IZA als Resident Research Affiliate im Rahmen des IZA-Promotionsstipendiums beschäftigt. Seine Forschungsgebiete umfassen die vergleichende Arbeitsmarktanalyse, Wirtschaftsgeschichte sowie die Entwicklung des Normalarbeitsverhältnisses in Deutschland.
Warum braucht Europa flexible Beschäftigungsverhältnisse? Jürgen R. Thumann, Präsident BUSINESSEUROPE
Im vergangenen Jahr hat die Europäische Union die sogenannte Europa-2020-Strategie beschlossen, um Wachstum und Arbeitsplätze zu fördern. Als zentrales Ziel vereinbarten die Mitgliedsstaaten eine EU-weite Beschäftigungsquote von 75 Prozent bis zum Jahr 2020. Ein wichtiger Aspekt bei der Steuerung der Europa-2020Strategie ist die Übertragung des EU-Ziels in nationale Ziele. Damit wird gewährleistet, dass die einzelnen Länder die Strategie umsetzen. Die gemeldeten nationalen Beschäftigungsziele reichen von 62,9 Prozent in Malta, 68 Prozent in Italien, 75 Prozent in Frankreich und 77 Prozent in Deutschland bis hin zu 80 Prozent in Schweden, Dänemark und den Niederlanden. Zusammen reichen diese aber nicht aus, um das gemeinsame EU-Ziel zu schaffen. Selbst wenn alle Mitgliedsstaaten ihre selbstgesteckten Ziele erreichen, würde die EU insgesamt ihr 75 Prozent-Ziel um 1,0 bis 1,3 Prozentpunkte verfehlen. Mit der Annahme des Euro-Plus-Pakts im März 2011 hat die Europäische Union einen wichtigen Schritt unternommen, die Koordinierung der Wirtschaftspolitik und der Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu verbessern. Hierbei ist die Implementierung struktureller Arbeitsmarktreformen unerlässlich, um lang-
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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jährige Unterbeschäftigung und chronisch hohe Arbeitslosenraten in Europa zu überwinden. Kernpunkt solcher Reformen muss die Verbesserung der Anpassungsfähigkeit der europäischen Arbeitsmärkte sein – auf Basis des Flexicurity-Ansatzes und durch Förderung befristeter Arbeitsverhältnisse1. Beide Ansätze wirken sich stark positiv auf die Schaffung von Arbeitsplätzen aus. Insbesondere nach der vergangenen Finanz- und Wirtschaftskrise ist es unerlässlich, Neueinstellungen zu fördern und Hindernisse in Bezug auf befristete Neueinstellungen zu vermeiden. Parallel dazu sind Reformen notwendig, um auch dauerhafte Arbeitsverhältnisse für Unternehmen attraktiver zu machen.
Befristete Arbeitsverhältnisse fördern Beschäftigung Die europäischen Arbeitsmärkte haben schon seit Jahrzehnten mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Seit den Ölkrisen der 70er-Jahre genießt die Reduzierung der Arbeitslosigkeit bei fast allen europäischen Regierungen höchste Priorität. In den 80er- und 90er-Jahren haben etliche europäische Länder Reformen durchgeführt. Einige Staaten setzten dabei auf die Etablierung neuer Beschäftigungsformen, um besser auf die geänderten Bedürfnisse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern einzugehen. Abbildung 1 zeigt die stark positive Korrelation zwischen Arbeitsmarktflexibilität und Beschäftigungsraten.
1
In diesem Artikel schließt der Begriff des „befristeten Arbeitsverhältnisses oder der befristeten Beschäftigung“ Zeitarbeitnehmer und Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen ein.
Warum braucht Europa flexible Beschäftigungsverhältnisse?
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Abb. 1. Arbeitsmarktflexibilität führt zu höheren Beschäftigungsraten Quelle: BUSINESSEUROPE Schätzungen basierend auf „Global Competitiveness Report 2010–2011“ und EUROSTAT Daten.
Auf europäischer Ebene wurde das Ziel der Vollbeschäftigung nie erreicht. In den Jahren vor der Wirtschaftskrise wurden jedoch gute Fortschritte erzielt: Allein zwischen 2006 und 2008 schufen europäische Unternehmen elf Millionen neue Arbeitsplätze. Diese Zahl erfasst alle Beschäftigungsformen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ließ sich indessen der Trend beobachten, dass die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse schneller als die Zahl der Gesamtbeschäftigung wuchs. Die Anzahl neuer Arbeitsplätze durch Zeitarbeit stieg ebenfalls rapide an. So entstanden etwa 1,5 Millionen neue Zeitarbeitsplätze zwischen 1996 und 2006. Abbildung 2 zeigt den Anteil der Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen in den EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 2009.
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Jürgen R. Thumann
Er reicht von 26,4 Prozent in Polen und 25,5 Prozent in Spanien bis 1 Prozent in Rumänien.
Abb. 2. Anteil der Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen in 2009 Quelle: EUROSTAT.
Die umfangreiche Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen in dieser Zeit lag vor allem an der guten wirtschaftlichen Situation der europäischen Unternehmen. Aber auch eine neue Vielfalt an Beschäftigungsformen trug entscheidend zu dieser positiven Entwicklung bei. Nach Schätzungen von EUROCIETT, dem europäischen Dachverband der privaten Personaldienstleister, wären 80 Prozent der durch Zeitarbeit geschaffenen Arbeitsplätze nicht entstanden, wenn es diese Art von Arbeitsverträgen nicht gegeben hätte. Im 1. Quartal 2008 erreichte die Arbeitslosigkeit in den 27 EU-Staaten einen Niedrigstand von 6,7 Prozent, das ent-
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spricht 16 Millionen Arbeitslosen (Abbildung 3). Damit wäre, sofern es keine Finanz- und Wirtschaftskrise gegeben hätte, ein Erreichen des Ziels der Lissabon-Strategie – eine Beschäftigungsrate von 70 Prozent bis 2010 – denkbar gewesen.
Abb. 3. Arbeitslosigkeit in der EU 2000–2010 Quelle: EUROSTAT.
Vielfalt von Beschäftigungsformen hilft Unternehmen und Arbeitnehmern Der wachsende Wettbewerb zwischen Unternehmen in expandierenden Weltmärkten verbunden mit dem Wechsel von Primär- und Fertigungsindustrien zur Dienstleistungsgesellschaft führt zu technologischen und organisatorischen Veränderungen,
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Jürgen R. Thumann
die auch die Personalpolitik stark beeinflussen. Die Fähigkeit, sich diesen Veränderungen anzupassen, ist ein entscheidender Wettbewerbsfaktor für Unternehmen. Erfolgreich sind diejenigen, die auf neue Marktbedingungen schnell reagieren und ihre Geschäftstätigkeit anpassen können. Dabei spielen flexible Arbeitsverträge eine wichtige Rolle. Sie ermöglichen es den Unternehmen, mit Höhen und Tiefen bei der Nachfrage umzugehen und sich auch auf neue, innovative und profitable Bereiche umzustellen. Sie sind auch ein entscheidendes Instrument für eine flexible Arbeitsorganisation, insbesondere zur Überbrückung von Abwesenheitszeiten von Beschäftigten. Auch aus Arbeitnehmersicht kann ein flexibler Arbeitsvertrag oftmals dem jeweiligen Lebensstil und den persönlichen Vorlieben besser entsprechen. Darüber hinaus verbessern flexible Arbeitsverträge die Chancen von Arbeitslosen, eine Stelle zu finden. Sie kommen insbesondere benachteiligten und niedrig qualifizierten Arbeitnehmern zugute, die auf Grund ihrer Qualifikationen sonst nur schwer einen passenden Job finden würden. Sie bilden außerdem ein Sprungbrett für Berufseinsteiger, also besonders für junge Menschen, die dadurch wertvolle Berufserfahrung sammeln können, welche sie für eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt wappnen. Dadurch werden die Probleme von Langzeitarbeitslosigkeit und das damit verbundene Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung eingeschränkt. Behauptungen, dass befristete Arbeitsverträge sogenannte „prekäre Beschäftigungsverhältnisse“ schaffen, sind dagegen haltlos. Einzelstaatliche Gesetze und Tarifvereinbarungen aber auch EU-Richtlinien über befristete Arbeit und Zeitarbeit2 wur-
2
Im Jahr 2008 beschlossen der Europäische Rat und das Europaparlament die Zeitarbeitsrichtlinie, die die Mitgliedsstaaten zurzeit umsetzen.
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den eingeführt, um eine Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund unterschiedlicher Arbeitsverträge zu verhindern. Im Jahr 2008 entsprachen die Bruttoausgaben für soziale Sicherheit in den Staaten der europäischen Union 26,4 Prozent des BIPs – verglichen mit anderen Ländern der höchste Anteil weltweit. Eine solch hohe staatliche Finanzierung von Sozialsystemen ist jedoch langfristig nur möglich, wenn Maßnahmen ergriffen werden, um die Erwerbsbeteiligung insgesamt zu steigern – auch mittels befristeter Beschäftigungsverhältnisse. Darüber hinaus gilt es insbesondere nach der vergangenen Wirtschafts- und Finanzkrise, die negativen Auswirkungen hoher Arbeitslosigkeit auf öffentliche aber auch private Haushalte zu verringern.
Wege aus der Wirtschaftskrise Manchmal wird behauptet, die Wirtschaftskrise sei auf flexible Beschäftigungsformen und wachsende Unsicherheit auf den EU-Arbeitsmärkten zurückzuführen. Das Gegenteil ist der Fall: Flexible Verträge haben zur guten Arbeitsmarktbilanz der europäischen Länder vor der Krise beigetragen. Zwar waren befristet Beschäftigte von der Krise stärker betroffen, weil ihre Verträge auf Grund sinkender Nachfrage häufig nicht verlängert wurden. Aber es sind gerade diese Beschäftigten, die jetzt im Aufwind der wirtschaftlichen Entwicklung zuerst wieder eingestellt werden. Der Europäische Beschäftigungsmonitor3
3
Den Europäischen Beschäftigungsmonitor entwickelte die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen EUROFOUND mit dem Ziel, qualitative Informationen über Muster des Beschäftigungswachstums in Europa zu sammeln.
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hat ermittelt, dass die Anzahl der befristet Beschäftigten in den Jahren 2008 und 2009 um 1,7 Millionen zurückging, aber sich bereits im darauffolgenden Jahr wieder überproportional erholte. Dabei wurden netto 850.000 zusätzlich befristete Arbeitsplätze in den Jahren 2009 und 2010 geschaffen. Als Ergebnis der Wirtschaftskrise gibt es aktuell 23 Millionen Arbeitslose in Europa. Die gestiegenen Arbeitslosenzahlen erfordern weitere grundlegende strukturelle Reformen – auch auf den Arbeitsmärkten. Nur so lässt sich Arbeitslosigkeit reduzieren und Zukunft gestalten. Beschäftigungs- und Produktivitätswachstum müssen gleichzeitig gesteigert werden, damit wir Europäer im Zuge des globalen Wettbewerbs und des demographischen Wandels unsere hohen Arbeits- und Lebensstandards halten und weiter verbessern können. Die Erholung der Wirtschaft muss Hand in Hand mit mehr Beschäftigung gehen, so dass möglichst viele Arbeitnehmer am Wohlstand teilhaben können. Aber nur durch flexible Arbeitsverträge können Unternehmen auch bei niedrigen wirtschaftlichen Wachstumsraten neue Arbeitsplätze schaffen. Ein von der UNEDIC4 in Frankreich veröffentlichter Bericht hat gezeigt, dass das Vorhandensein flexibler Vertragsoptionen – insbesondere Zeitarbeit – dazu beigetragen hat, das durchschnittlich erforderliche Wachstumsniveau für die Schaffung von Arbeitsplätzen von 2 Prozent auf 1,5 Prozent zu senken.
4
UNEDIC bezeichnet die 1958 gegründete „Union nationale interprofessionnelle pour l’emploi dans l’industrie et le commerce“ (Nationale Berufsvereinigung für Beschäftigung in Industrie und Handel). Bis 2009 war sie eine französische Regierungsagentur und Arbeitslosenkasse. 2009 wurde sie mit der Agence nationale pour l'emploi (ANPE) zusammengelegt zur neuen Pôle emploi und ist jetzt ein unabhängiger Verein.
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Mittels „Flexicurity“ können Länder ihre Arbeitsmarktstrategie im Hinblick auf die besonderen Herausforderungen der Globalisierung, des demographischen und des technologischen Wandels erfolgreich anpassen. Ein wichtiges Element ist, die Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen für Beschäftigungsund Produktivitätswachstum fortlaufend zu bewerten und zugleich schnelle und sichere Arbeitsmarktübergänge zuzulassen.
Angleichung des Kündigungsschutzes Laut der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OECD) bezieht sich der Kündigungsschutz sowohl auf die Einstellung als auch die Entlassung von Arbeitnehmern. Er fördert zum einen die Beschäftigung beispielsweise benachteiligter Gruppen, schafft die Bedingungen für Zeitarbeit oder befristete Verträge und regelt Ausbildungsanforderungen. Zum anderen stellt er Vorschriften über die Entlassung von Arbeitskräften auf, zum Beispiel Kündigungsverfahren, gesetzliche Mitteilungsfristen, Abfindungen und besondere Bedingungen für Massenentlassungen und Kurzarbeit. Als flexible Beschäftigungsarten eingeführt wurden, waren sie in den meisten Ländern weniger streng reguliert als feste Arbeitsverhältnisse. Als Reaktion auf den verstärkten Einsatz von Zeitarbeitnehmern haben einige Länder nun strengere Vorschriften aufgestellt. Sie sind oftmals nur noch in bestimmten Sektoren zugelassen oder Zeit-, Mengengrenzen bzw. Tarifvereinbarungen sind mittlerweile gesetzlich vorgeschrieben. In 24 der 34 OECD-Mitgliedsländer gibt es Lizenzierungs- oder Autorisierungsprozesse, um den Einsatz von Zeitarbeitnehmern zu kontrollieren.
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Jürgen R. Thumann
In den EU-Mitgliedsstaaten ist sowohl für feste als auch für befristete Arbeitnehmer der Kündigungsschutz sehr unterschiedlich geregelt (Tabelle 1). In vielen Ländern sind befristete Beschäftigungsverhältnisse entgegen den häufig verbreiteten Vorurteilen jedoch streng reguliert. Dennoch stieg ihre Zahl fortlaufend bis zur Krise. Das zeigt, dass befristete Beschäftigung trotz Regulierung für Unternehmen weiterhin vorteilhafter sein kann. Im Jahr 2006 veröffentlichte die italienische Zentralbank eine Studie5, in der sie die mit dem Kündigungsschutz verbundenen Kosten evaluierte. Sie hat die Bereitschaft italienischer Unternehmen analysiert, befristete gegen feste Arbeitsverhältnisse zu ersetzen, wenn im Gegenzug die Arbeitskosten für feste Anstellungen reduziert würden. Das Ergebnis: Firmen bevorzugen eher befristete Beschäftigungen. Selbst dann, wenn die Arbeitskosten für einen festen Arbeitsplatz um 1,3 bis 2,8 Prozent gesenkt würden. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass ein strenger Kündigungsschutz die Schaffung von festen Arbeitsplätzen verhindert. Darüber hinaus steht dem strengen Kündigungsschutz in Europa ein niedrigeres Niveau in anderen (Dritt-)Ländern, zum Beispiel den USA, gegenüber, das zur besseren Leistungsfähigkeit dieser Drittstaaten in den vergangenen zwei Jahrzehnten beitrug.
5
Banca d’Italia, „The value of flexible contracts: evidence from an Italian panel of industrial firms“, Nr. 583, März 2006, P. Cipollone und A. Guelfi.
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Warum braucht Europa flexible Beschäftigungsverhältnisse?
Tab. 1. Kündigungsschutz für feste und befristete Arbeitnehmer in der EU Kündigungsschutz für feste Mitarbeiter
Regulierung von befristeten Arbeitsverhältnissen
Kündigungsschutz-Index der OECD
Skala von 0 bis 6: am wenigsten bis am stärksten restriktiv Luxemburg
2,68
3,92
3,39
Spanien
2,38
3,83
3,11
Frankreich
2,60
3,75
3,00
Griechenland
2,28
3,54
2,97
Portugal
3,51
2,54
2,84
Slowenien
2,98
2,50
2,76
Deutschland
2,85
1,96
2,63
Belgien
1,94
2,67
2,61
Italien
1,69
2,54
2,58
Österreich
2,19
2,29
2,41
Polen
2,01
2,33
2,41
Estland
2,27
2,17
2,39
Tschechische Rep.
3,00
1,71
2,32
Finnland
2,38
2,17
2,29
Niederlande
2,73
1,42
2,23
Slowakei
2,45
1,17
2,13
Ungarn
1,82
2,08
2,11
Schweden
2,72
0,71
2,06
Dänemark
1,53
1,79
1,91
Irland
1,67
0,71
1,39
Großbritannien
1,17
0,29
1,09
USA
0,56
0,33
0,85
Quelle: OECD, 2008.
184
Jürgen R. Thumann
Perspektiven für den Arbeitsmarkt Um nun das in der Europa-2020-Strategie festgelegte Beschäftigungsziel von 75 Prozent zu erreichen, sind die richtigen Schlussfolgerungen in Bezug auf die europäische Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre zu ziehen. Die wirkliche Herausforderung in den kommenden Jahren wird sein, den Kündigungsschutz für feste Arbeitsverträge zu prüfen, um hier Unternehmen höhere Flexibilität zu geben. Dieses Thema haben viele Entscheidungsträger auch aus politischen Überlegungen bislang beiseite geschoben. Dass die befristete Beschäftigung sowohl Unternehmen als auch Arbeitnehmern Vorteile bietet, wurde in der 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner über befristete Arbeitsverträge anerkannt. Diese wurde später in eine EU-Richtlinie umgewandelt. Es gibt keinen Grund, den Einsatz von flexiblen Arbeitsverträgen zu begrenzen. Auf den europäischen Arbeitsmärkten ist eine Vielfalt an Vertragsmöglichkeiten und Beschäftigungsformen unerlässlich. Der Versuch, den Einsatz von befristeten Arbeitsverhältnissen durch übermäßige Regulierung zu begrenzen, führt dagegen in eine Sackgasse. Unternehmen werden flexible Formen von Arbeitsverträgen immer benötigen. Der einzige Unterschied ist, dass sie durch Regulierung teurer werden und damit weniger Arbeitsplätze geschaffen werden können. Einschränkungen für den Einsatz flexibler Verträge sollten stufenweise aufgehoben werden. Bei der Zeitarbeit räumt die besagte EURichtlinie den Mitgliedsstaaten dafür eine Umsetzung bis Ende 2011 ein. Ein strenger Kündigungsschutz für feste Arbeitsverträge führt auch dazu, dass befristete Stellen geschaffen werden. In erster Linie machen deshalb Unternehmen in Spanien einen intensiveren Gebrauch von befristeten Verträgen als Unterneh-
Warum braucht Europa flexible Beschäftigungsverhältnisse?
185
men in Großbritannien. Wer schon ein unbefristetes Anstellungsverhältnis hat, bleibt lieber beim gegenwärtigen Arbeitgeber, als nach einer besseren Beschäftigung Ausschau zu halten. Das hemmt die Arbeitsmarktmobilität. Es bedeutet auch, dass sich die Lücke zwischen befristeten und festangestellten Arbeitnehmern vergrößert, wenn die Politik den Status quo beibehält. Erfahrungen in Ländern mit weniger strengem Kündigungsschutz für feste Arbeitsverträge zeigen dagegen den Weg in die Zukunft. Es ist unumgänglich, den Kündigungsschutz zu lockern und in allen Beschäftigungssparten mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Jeder Mitgliedsstaat sollte den dafür besten Weg definieren – vor dem Hintergrund der jeweiligen FlexicurityStrategien und in Abstimmung mit den Tarif- und Sozialpartnern. Reformen zur Umsetzung des Flexicurity-Ansatzes sind Dreh- und Angelpunkt, um nachhaltig Wachstum und Beschäftigung zu schaffen. Sie nicht durchzuführen, verschlechtert die Wettbewerbsfähigkeit, gefährdet den Lebensstandard und steigert Armut und soziale Ausgrenzung. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union können es sich nicht leisten, den Status quo beizubehalten. Vielmehr müssen sie ihre Arbeitsmärkte modernisieren, um sie für die heutigen Rahmenbedingungen der globalen Wirtschaft fit zu machen.
186
Jürgen R. Thumann
Jürgen R. Thumann Präsident BUSINESSEUROPE
Jürgen R. Thumann, geboren 1941, hat bereits im Alter von 19 Jahren das Familiengeschäft übernommen. Später gründete er die Heitkamp & Thumann KG, welche heute rund 2.000 Mitarbeiter an über 20 Standorten weltweit beschäftigt. Jürgen R. Thumann ist seit Jahrzehnten in Verbänden engagiert. Von 2005 bis 2008 war er Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDl). Seit 2008 ist er EU-Vorsitzender des TransAtlantic Business Dialogue (TABD) und seit Juli 2009 Präsident von BUSINESSEUROPE, dem Dachverband der nationalen europäischen Arbeitgeber- und Industrieverbände mit Sitz in Brüssel.
Teil 6 Mehr Fachkräfte durch Aus- und Weiterbildung in der Zeitarbeit
Wie unterstützen moderne Personaldienstleister das lebenslange Lernen? Prof. Dr. Klaus Schömann, Professor für Soziologie am Jacobs Center on Lifelong Learning der Jacobs University Bremen
Seit mehr als 15 Jahren steht das lebenslange Lernen auf der politischen Agenda ganz oben. Beispielsweise gab es im Jahr 1996 bereits das Europäische Jahr für lebenslanges Lernen. Dennoch lässt sich auf dem Feld der beruflichen Weiterbildung nur eine zögerliche Dynamik seit dieser Zeit feststellen (Rosenbladt/Bilger 2008). Der folgende Beitrag befasst sich mit den Ursachen dieser Entwicklung und beleuchtet die Rolle, die moderne Personaldienstleistungen und -dienstleister spielen könnten, damit in den kommenden Jahren besser auf bereits zu beobachtende Qualifikationsengpässe in einigen Industrie- und Dienstleistungsbereichen reagiert werden kann. Die öffentliche Diskussion über Fachkräftemangel befasst sich fast ausschließlich mit der Qualifikationslücke bei den Hochund Höchstqualifizierten. Aber gerade bei dem großen Anteil an Personen mit mittleren und niedrigem Qualifikationsniveau benötigen wir ebenfalls intensive Weiterbildung aufgrund des technologischen Fortschritts in diesen Beschäftigungsbereichen. Durch neue Informations- und Kommunikationstechnik und rasch zunehmende vernetzte Organisation von Produktion und
A. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Klaus Schömann
Dienstleistungen entstehen neue Qualifikationsbedarfe, selbst in vermeintlich einfachen Tätigkeiten. Der anhaltende Trend, dass zusätzliche Beschäftigung häufiger in kleinen und mittleren Betrieben oder gar in Kleinstbetrieben entsteht, führt ebenfalls zu einem verstärkten Einsatz von Personaldienstleistern und Zeitarbeitsunternehmen in der unternehmerischen Praxis. Sich rasch ändernde gesetzliche Regelungen oder europäisch vernetzte Leistungserbringung stellen hohe Anforderungen an ein modernes Personalmanagement, das nicht immer als Kernaufgabe der Unternehmensleitung in kleinen Betrieben betrachtet wird. Viele Wirtschaftszweige holen sich deshalb professionelle Unterstützung bei Rekrutierung, Weiterbildung und Personalmanagementaufgaben.
Zeitarbeitsunternehmen als Matching Agenturen Weiterbildung in Betrieben bedarf einer professionellen Vorbereitung, Durchführung, Transferleistung in den betrieblichen Alltag sowie Evaluation des Leistungs- und Mitteleinsatzes. Nicht jeder Betrieb kann oder möchte den notwendigen Aufwand betreiben, damit die Erwartungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an die Weiterbildung erfüllt werden. Betriebliche Weiterbildung ist längst keine Zufallsveranstaltung mehr, sondern eine Investitionsentscheidung, die gründlich geplant werden muss, damit sich der gewünschte Erfolg einstellt. Besonders niedrig qualifizierte und ältere Arbeitnehmer oder Arbeitsuchende erhalten nicht in gleichem Maße Angebote zur Weiterbildung (Baron 2011). Personen mit höherer Erstausbildung nehmen meist selbständig und selbstinitiiert Weiterbildung in Angriff, bei niedrig Ausgebildeten ist das häufig nicht der Fall.
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In früheren Arbeiten zur Deckung des Qualifikationsbedarfs (Neugart und Schömann 2002) haben wir bereits auf die Bedeutung von betrieblichen Initiativen hingewiesen, die Kompetenzen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kontinuierlich zu erneuern beziehungsweise zu erweitern. Dieser Bereich der strategischen Personalplanung kann auf der weitverbreiteten Praxis der Mitarbeitergespräche aufbauen. Diese erhalten eine fruchtbare, zukunftsorientierte Perspektive, wenn die Qualifikationsentwicklung und -erfahrung der Beschäftigten systematisch erhoben und besprochen wird (Schömann 2006). Diese Funktion kann zumindest teilweise von externen Personaldienstleistern übernommen werden, die solche Gespräche durchführen und in eine systematische Matrix von Mitarbeiterwünschen und betrieblichen Erfordernissen überführen. Daraus lässt sich die benötigte strategische Ausrichtung der betrieblichen Weiterbildung ableiten. Die Zeitarbeitsunternehmen übernehmen bereits eine vergleichbare Funktion für die bei ihnen Beschäftigten. Sie erhöhen durch gezielte berufliche Weiterbildung die polyvalente Einsatzfähigkeit ihrer Beschäftigten. Gerade bei der Rekrutierung von Personen mit niedrigem Ausbildungsniveau oder ohne aktuell verwertbares Ausbildungsniveau, ist bereits die systematische Erfassung von arbeitsmarktrelevanten Kompetenzen und Einstellungen für die spätere Einsatzfähigkeit in Betrieben von entscheidender Bedeutung. In diesem Zusammenhang sind Zeitarbeitsunternehmen nicht nur Personaldienstleister für Qualifikationsmatching, sondern sogar „Matching Agenturen“, die eine unverzichtbare Dienstleistung für einen funktionierenden Arbeitsmarkt erbringen. Diese intermediäre Funktion ist besonders dann bedeutsam, wenn die zu vermittelnden Personen direkt vor dem Kontakt zum Arbeitsmarkt nicht oder länger nicht erwerbstätig waren oder zugewandert sind.
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Der Markt für Bildungszertifikate und -abschlüsse ist alleine in Deutschland und vielmehr noch in Europa (Mytzek und Schömann 2004) sehr vielschichtig. Für einen einzelnen Arbeitgeber ist es nicht leicht, ständig den Überblick über die Flut an reformierten Ausbildungsgängen und veränderten Ausbildungsinhalten zu behalten, damit er die geeignete oder passgenaue Bewerberin einstellen kann. Gleiches gilt für die Weiterbildungszertifikate, die ebenfalls unter einer gewissen Intransparenz leiden, weil viele Qualifikationsnachweise in unbekannten Institutionen oder als Fach- und Zusatzqualifikationen absolviert werden, die nicht oder noch nicht in den Betrieben bekannt sind. Zeitarbeitsunternehmen, verstanden als Matching Agentur, können in diesem Markt für Qualifikationen eine wichtige Rolle als „Broker“ übernehmen – sicherlich auch in Ergänzung zur Bundesagentur für Arbeit. In einer wachsenden europäischen Union muss auch das Wissen über die Bildungs- und Arbeitsmarktinstitutionen wachsen. Deshalb brauchen wir innovative Personaldienstleister in der Europäischen Union, die aktiv eine stärkere Integration der Mitgliedsstaaten und der Beschäftigten in die europäische Wirtschaft als Unternehmensziel betreiben. In einigen Wirtschaftsbereichen wird das auch dazu führen, dass Niedriglohnkräfte lediglich in wechselnde Länder vermittelt werden. Durch diese Art der Arbeitskräftewanderung werden jedoch keine zusätzlichen Wachstumsimpulse gesetzt. Eine Analyse der persönlichen Entwicklungsprofile von Personen, die mehrfach solche Ortswechsel mit vergleichbaren Tätigkeitsprofilen unternommen haben, liegt wissenschaftlich fundiert zurzeit noch nicht vor. Es gibt durchaus Gründe anzunehmen, dass sich Spielräume für größere Plastizität, bessere Adaptivität oder breitere Offenheit für neue Erfahrungen erwarten lassen. Nicht zuletzt bleibt ein neuerlicher Bedarf an Transparenz für Bildungszertifikate ein Betätigungsfeld für Personaldienst-
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leistungen, die oft zuerst von innovativen Zeitarbeitsunternehmen innerhalb Europas und in sich weiter globalisierenden Arbeitsmärkten angegangen werden. Kleine und mittlere Betriebe, die über keine eigenen Personalabteilungen verfügen, werden sich an intermediäre Organisationen wenden, die diese Spezialkenntnis bereitstellen können. Da es offenbar im europäischen Markt für Qualifikationen eine Zahlungsbereitschaft von Arbeitgebern für diese Art der Dienstleistung gibt, sollte unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips keine alleinige staatliche Instanz diesen Markt monopolisieren oder gar dominieren. Eine wissenschaftliche Frage bleibt zu klären: An Personen, die schwer zu vermitteln sind, haben private Vermittler oder Matching Agenturen kein wirtschaftliches Interesse. Für diese wird eine staatliche Bereitstellung von Weiterbildungsberatern wohl notwendig bleiben. Es bleibt lediglich die Frage offen, ob diese öffentlich geförderte Funktion eventuell von privaten Unternehmen effizient und inklusiv für alle Bevölkerungsgruppen zu erbringen ist.
Positive Persönlichkeitsentwicklung durch Tätigkeitswechsel Die Zahl der Tätigkeitswechsel und der beruflichen Mobilität hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland wieder erhöht. Nicht nur die Anpassungsleistungen der Personen in den neuen Bundesländern waren erstaunlich. Innerhalb jedes Erwerbslebens existieren Phasen, die von besonderer beruflicher Mobilität oder Tätigkeitswechseln geprägt sind. Dieses dynamische Wechselverhalten findet typischerweise in den ersten Jahren nach dem Eintritt in das Erwerbsleben statt. Auch wenn
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eine solche mobile Phase im ersten und mittleren Erwerbsleben stattfindet, heißt das nicht, dass Personen nicht auch in späteren Phasen von Tätigkeitswechseln und Betriebswechseln profitieren können. Das bedeutet nicht nur finanzielle Lohnzuwächse, sondern auch ein Zugewinn an Offenheit für neue Erfahrungen. Ergebnisse aus der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne zeigen beispielsweise, dass höhere Komplexität am Arbeitsplatz oder die kontinuierliche Konfrontation mit neuen Herausforderungen sich positiv auf die kognitive Entwicklung auswirken können (Karaevli/Hall 2006). Das von der VW-Stiftung geförderte Projekt „mobilis“ hat untersucht, ob und unter welchen Rahmenbedingungen mehrfache berufliche Mobilität, das heißt ein Wechsel von Tätigkeiten, Jobs und Arbeitgebern, Entwicklungserfolge in adaptiven Kompetenzen hervorbringen. Basierend auf Längsschnittdaten des Sozioökonomischen Panels (1984 bis 2007) wurde ein quasiexperimentelles Design erstellt. Es beantwortet die Frage, wie sich Tätigkeits- und Berufswechsel längerfristig auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Wir haben die Ergebnisse für mehrere Mobilitätstypen getestet und verglichen. So konnten wir beruflich mobile und immobile Erwerbstätige identifizieren. Adaptive Kompetenzen wurden anhand der Daten in fünf übergeordneten Dimensionen (kognitive Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale, körperliche und psychische Gesundheit, subjektives Wohlbefinden und arbeitsrelevante Faktoren) ausgewertet. Mit dem Propensity Score Matching wurden die Effekte der mehrfachen Tätigkeitswechsel und der beruflichen Mobilität auf adaptive Kompetenzen untersucht. Die Ergebnisse zeigen zumindest erste Hinweise darauf, dass Tätigkeitswechsel oder berufliche Wechsel im weiteren Sinne sich positiv auf die Offenheit für neue Erfahrungen auswirken können. Die genauen Rahmenbedingungen für diese positive Entwicklung der adaptiven Kompetenzen müssen jedoch noch genauer in der
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zweiten empirischen Projektphase untersucht werden (Zacher et al. 2010). Beschäftigte in Zeitarbeitsunternehmen, die Arbeitnehmer an mehrere Unternehmen verleihen, könnten ebenfalls von dieser mehrfachen Veränderung des Arbeitskontextes, der Kolleginnen und Kollegen sowie des betrieblichen Umfeldes profitieren. Eine spezifische wissenschaftliche Untersuchung dieser zu erwartenden Entwicklung der adaptiven Kompetenzen bei Zeitarbeitnehmern liegt bisher noch nicht vor. Die Veränderung des Arbeitskontextes selbst bei relativ stabilen Tätigkeitsprofilen auf den verschiedenen Arbeitsplätzen lässt eine höhere Offenheit für neue Erfahrungen erwarten. Diese Aufgeschlossenheit ist eine wichtige Voraussetzung, um zu erwartende Veränderungen in einem Unternehmen offen anzugehen. Es würde daher nicht überraschen, wenn Beschäftigte in Zeitarbeitsunternehmen, die Erfahrungen auf mehreren Arbeitsplätzen gemacht haben, eine wichtige Flexibilitätsbereitschaft mitbringen, die wiederum in sich rasch wandelnden Betrieben dringend benötigt wird. Die wissenschaftliche Untersuchung dieses Effektes verlangt jedoch ein aufwendiges Untersuchungsdesign. Es ist nicht auszuschließen, dass sich bei Zeitarbeitsunternehmen überwiegend Personen bewerben, die bereits schon vor ihrer Bewerbung offener für neue Erfahrungen und überdurchschnittlich bereit sind, breite Einsatzmöglichkeiten für sich selbst zu testen. Eine positive Selbstselektion von offeneren und flexibleren Personen in die Zeitarbeit könnte dann eine wichtige Ursache für spätere Vermittlungserfolge sein. Nicht geeignete Bewerber könnten eventuell gar nicht in die Kartei aufgenommen werden. In der Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für das Bundesarbeitsministerium (BMAS 2009, S. 67) heißt es bezüglich der Rekrutierungspraxis: „Da also die Mehrheit aller Neuzugänge nicht aus einem bestehenden Be-
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schäftigungsverhältnis kommt, stellt Leiharbeit überwiegend eine Chance für Arbeitslose sowie Berufsrückkehrer beziehungsweise Berufseinsteiger dar. Deren persönliche Entwicklung könnte also durchaus durch häufigeres Wechseln des Arbeitskontextes profitieren und ihnen so zu einem besseren Matching ihrer Qualifikationen zu den am Arbeitsmarkt jeweils gerade benötigten führen.“
Anregung zur Weiterbildung In Deutschland wuchs die Beschäftigtenrate der 55- bis 64-Jährigen im Jahr 2000 bis 2007 um 14 Prozent und damit stärker als in den meisten EU-Ländern. Die Weiterbildungsquote in der gleichen Altersgruppe blieb jedoch weitestgehend auf gleichem Niveau. Die Ergebnisse aus Untersuchungen in Unternehmen mit aufwendigen Datenerhebungen sowohl von Teamleitern als auch der Teammitglieder im Rahmen des vom Bundesbildungsministerium (BMBF) geförderten Projektes „Demopass“ zeigen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über 55 Jahre seltener an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung teilgenommen haben als jüngere Kolleginnen und Kollegen (Baron 2011). Dies stimmt mit repräsentativen Daten des Adult Education Surveys 2007 (Rosenbladt/Bilger 2008) überein. Diese zeigen, dass insbesondere Beschäftigte der Altersgruppe 60 bis 65 Jahre nur noch selten an Weiterbildung teilnehmen. Aber mehr als die Hälfte der Beschäftigten über 55 Jahre bildet sich weiterhin fort, um die eigene Arbeitsleistung oder die Beschäftigungsaussichten zu verbessern. Ältere Beschäftigte sind also keineswegs generell weiterbildungsunwillig, die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme hängt jedoch von der Bildungsgruppe und Beschäf-
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tigungsform ab. Insbesondere zeichnet sich bereits eine höhere Teilnahme für jüngere Geburtskohorten ab (Schömann/Baron 2009). Die von uns in Unternehmensstudien abgeleitete altersgerechte Weiterbildungsstrategie betont die Rolle der Motivation der Mitarbeiter und das persönliche Investitionsrisiko einer Weiterbildungsteilnahme. Weiterbildung ist für Ältere interessant, wenn sie auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist und ihnen Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Ein vergleichbarer Effekt lässt sich für Leiharbeiter erwarten, die ebenfalls nicht zum Kreis der privilegierten Weiterbildungsteilnehmer zählen. Zeitarbeitsunternehmen können aber das persönliche Investitionsrisiko von weiterbildungsdistanzierten Personen senken, indem sie für konkrete Verleihmöglichkeiten gezielt weiterbilden. Selbst kleinste Eigenkosten können ein hohes Investitionsrisiko darstellen, wenn Personen mit mangelnder Arbeitsmarktkenntnis das nötige Vertrauen in ihre eigene Weiterbildungsfähigkeit fehlt. Unsere Analysen zeigen, dass Ältere ein geringeres Vertrauen in ihre Weiterbildungsfähigkeit haben als Jüngere, denn ihre letzte Weiterbildungserfahrung liegt oft schon einige Jahre zurück. Das Vertrauen kann allerdings durch die Unterstützung des Arbeitsumfelds, insbesondere durch die direkten Vorgesetzten gestärkt werden. Je mehr Unterstützung durch Vorgesetzte geleistet wird und je positiver das Weiterbildungsklima in einer Arbeitsgruppe ist, desto größer ist das Vertrauen in die eigene Weiterbildungsfähigkeit. Hierbei ergibt sich eine mögliche Analogie zu älteren Leiharbeitern oder Leiharbeitern allgemein. Um ihre Weiterbildungsaktivitäten in großem Ausmaß zu stärken, könnten sie von ihren Betreuern in den Zeitarbeitsunternehmen recht zielgenau auf bestimmte Arbeitsplätze hin unterstützt werden. Dieser mögliche Zusammenhang benötigt ebenfalls noch eine solide empirische Untersuchung.
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Weiterbildung als Kernaufgabe der Zeitarbeit Weiterbildung und Kompetenzentwicklung sind Kernaufgaben für Zeitarbeitsunternehmen. Dabei zählt Weiterbildung teilweise bereits vor Beginn des Beschäftigungsverhältnisses zu den bedeutenden Rekrutierungsfaktoren von Mitarbeitern. Eine kontinuierliche Weiterbildung, besonders in Vermittlungspausen, ist vielfach ein entscheidender Faktor der erfolgreichen Platzierung von Beschäftigten in Zeitarbeitsunternehmen. Kompetenzorientierte Mitarbeitergespräche, die wichtige Aufgaben der Kundenkontakte von Zeitarbeitsunternehmen sind, umfassen eine eindeutige, zukunftsorientierte Beschäftigungsperspektive. Qualifikationsentwicklung von Beschäftigten kann und wird bereits teilweise von externen Personaldienstleistern übernommen. Kompetenzgespräche in Betrieben in eine systematische Matrix von Mitarbeiterwünschen und betrieblichen Erfordernissen zu überführen, könnte ein zusätzliches Betätigungsfeld für Personaldienstleister darstellen. Sie verfügen bereits über vielfältige Erfahrungen mit ihren eigenen Beschäftigten und aus ihren Kundenbeziehungen. Zeitarbeitsunternehmen haben eine bedeutende Rolle als Matching Agenturen. Innerhalb Europas ist die Arbeitsmarktmobilität stark mit veränderten oder höheren Qualifikationsanforderungen verbunden, dabei ist erfolgreiche Weiterbildung bereits vor dem Stellenwechsel, in eventuellen Übergangslücken sowie unmittelbar nach Neuantritt einer Arbeitsstelle unverzichtbar. Gerade Personaldienstleister übernehmen dieses breite Feld des „Übergangsmanagements“. Neben unseren eigenen Untersuchungen zur Persönlichkeitsentwicklung haben Lehmer und Ziegler (2010, S. 4) ebenfalls „erste Hinweise auf positive Effekte einer vorübergehenden Leiharbeitsbeschäftigung“ im Sinne von nachhaltigen Beschäfti-
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gungseffekten entdeckt. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung in der Zeitarbeitsbranche sind nötig. Schon heute lässt sich eine wichtige arbeitsmarktpolitische Funktion der Zeitarbeitsunternehmen als Matching Agenturen zeigen. Die deutsche und europäische Diskussion zu diesem Themenfeld würde von einheitlichen Regeln und Tarifverträgen, die stärker die Bedeutung der Weiterbildung in diesem Wirtschaftssektor einbeziehen, profitieren. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre eine systematische Erfassung sämtlicher weiterbildungsbezogener Investitionen, die in Bezug zu Vermittlung und Verleih stehen, ausführlich zu dokumentieren und deren Nachhaltigkeit für die Beschäftigten, die Zeitarbeitsunternehmen, die beauftragenden Unternehmen und die Gesellschaft zu evaluieren. Dieses könnte einen erheblichen Beitrag zu einer sachlichen Diskussion über den gesellschaftlichen Beitrag der Zeitarbeit leisten.
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Prof. Dr. Klaus Schömann Professor für Soziologie am Jacobs Center on Lifelong Learning der Jacobs University Bremen
Dr. Klaus Schömann, geboren 1961, ist Professor für Soziologie an der Jacobs University Bremen. Seine Forschung befasst sich mit Lebenslangem Lernen, Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung. Neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit war Klaus Schömann mehrfach als Consultant für verschiedene europäische und internationale Organisationen tätig, darunter die ILO, OECD sowie die Europäische Kommission. Beauftragte Studien umfassten dabei den Eintritt in den Arbeitsmarkt, berufliche und geografische Mobilität, Fachkräftemangel, Kündigungsschutz und Übergänge in den Ruhestand.
Wie können sich Zeitarbeitnehmer durch den Prozess der Arbeit weiterbilden? Christina Düsseldorff/Bianca Goertz, Forschungsprojekt Bildungszeit – Wachstumsbranche Zeitarbeit: Handlungsfelder, Kompetenzentwicklung, Bildungsprofile an der Universität Duisburg-Essen
Zeitarbeit hat sich im vergangenen Jahrzehnt als Branche fest etablieren können. Wenngleich sich inzwischen ihre Geschäftsfelder äußerst heterogen ausdifferenzieren – sie reichen von der Produktion über die Verwaltung, den Gesundheits-, Pflege- und Erziehungssektor bis in die Forschung und Entwicklung – so bildet die Standardzeitarbeit mit einem Anteil von etwa 90 Prozent nach wie vor das Kerngeschäft. Qualifizierte Standardzeitarbeiten (Facharbeiterniveau) und einfache Standardzeitarbeiten (an- und ungelernte Arbeitskräfte) erwirtschaften zu jeweils etwa 45 Prozent den wesentlichen Umsatzanteil. Auch wenn die Spezialzeitarbeit (Ingenieurarbeiten, Management-, Finanz-, Informations- und Kommunikationsdienstleistungen sowie Gesundheitswesen) mit einem Anteil von lediglich 10 Prozent gemessen an ihrem Beschäftigungsanteil wesentlich höhere Umsätze erbringt und dieses Segment Wachstumsraten aufweist (Miegel/Wahl/Schulte 2007, S. 22-24), gilt es zukünftig weiterhin, die Standardzeitarbeit anforderungsgerecht mit quaA. Dinges et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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lifiziertem Personal zu bedienen, um das Kerngeschäft nicht zu vernachlässigen. Als Folge des demografischen Wandels kann die Branche indes nicht mehr auf ein ausreichendes Rekrutierungspotenzial arbeitsuchender junger männlicher Bewerber zurückgreifen. Vielmehr zeichnet sich auch im unteren und mittleren Qualifikationssegment in einigen Bereichen ein Mangel an geeigneten Arbeitskräften ab, der sich zukünftig verschärfen wird. Inwieweit sich dieser durch geeignete Arbeitskräfte aus den osteuropäischen Ländern nach Beginn der Arbeitnehmerfreizügigkeit kompensieren lässt, ist fraglich. Deshalb wird die Branche unter den gegebenen spezifischen Beschäftigungsbedingungen – vergleichsweise niedrigerer Lohn und kürzere Beschäftigungsdauer – Anstrengungen unternehmen müssen, in der Konkurrenz um die besten Köpfe neben den Anbietern von Normalarbeitsverhältnissen bestehen zu können. Personalentwicklung und Weiterbildung werden deshalb zu wichtigen Instrumenten auch für den Bereich der Standardzeitarbeiten. Denn es ist zu erwarten, dass bei gegebener Arbeitsmarktsituation nach erfolgreicher Weiterbildung eines Beschäftigten zumindest mittelfristig höhere Erträge erzielt werden können als durch fortlaufende Neurekrutierung für einzelne Einsätze. Unterschiedliche Studien belegen jedoch, dass die branchendominierenden klein- und mittelständischen Personaldienstleister wenig weiterbildungsaktiv sind – insbesondere in Bezug auf ihre externen Beschäftigten in der Standardzeitarbeit mit niedriger bis mittlerer Qualifikation (Lehmann 2010). Insoweit ist das betriebsgrößenabhängige Weiterbildungsverhalten ähnlich wie in den übrigen Branchen. Letztere können jedoch auf das Normalarbeitsverhältnis abgestimmte, ausdifferenzierte Weiterbildungsangebote zurückgreifen. Entsprechende, auf die besonderen Rahmenbedingungen der Zeitarbeit abgestimmte Konzepte sind bisher kaum entwickelt.
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Spezifische Angebote schaffen Um Bildungsinvestition und betriebswirtschaftlichen Nutzen in eine Balance zu bekommen und damit die Bereitschaft zur betrieblichen Weiterbildung zu steigern, müssen Bildungsangebote diese zeitarbeitspezifischen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Die Qualifizierungsmaßnahmen im Bereich der Standardzeitarbeit müssen auf wechselnde einfache bis qualifizierte Routinetätigkeiten vorbereiten, in der betriebliches Erfahrungswissen wenig bedeutsam ist und folglich kurze Einarbeitungszeiten vorgesehen sind (Miegel/Wahl/Schulte 2007, S. 22). Im gewerblichen industriellen Bereich handelt es sich meist um standardisierte Facharbeiten, im wachsenden Beschäftigungsfeld der Dienstleistungen um Kommunikations-, Verwaltungsund kaufmännische Arbeiten sowie einfache Pflegetätigkeiten. Diese werden jedoch erst durch den Verleihauftrag spezifiziert. Daher sind die Anforderungen an die Qualifikationen nur bedingt planbar. Gleiches gilt für die Verleihzeiten, sodass Bildungsinhalte sowie -zeiten möglichst flexibel zu gestalten sind. Da die Beschäftigungsdauer im Vergleich zum Normalarbeitsverhältnis relativ kurz ist, dürfen Qualifizierungsmaßnahmen sich nur ausnahmsweise über einen längeren Zeitraum erstrecken. Im Übrigen ist die Klientel der Standardbeschäftigten meist lernungewohnt. Ihre Motivation zur Weiterbildung hängt wesentlich davon ab, inwieweit für sie eine Chance auf Verbesserung ihrer Beschäftigungsstabilität erkennbar ist. Problematisch ist auch der Kostenaspekt, denn bei kostenintensiven Qualifizierungsmaßnahmen läuft das Zeitarbeitsunternehmen Gefahr, den qualifizierten Arbeitnehmer an den Entleihbetrieb zu verlieren, auch wenn der Klebeeffekt nicht überbewertet werden darf (Lehner/Ziegler 2010). Eine Möglichkeit zur Erhöhung betrieblicher Weiterbildung in der Standardzeitarbeit bietet das Lernen im Prozess der
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(Zeit-)Arbeit. Globalisierung, technologischer Fortschritt und die Zunahme wissensintensiver Dienstleistungen im Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft sowie ein damit einhergehender stetig wachsender Konkurrenzdruck führen zu vermehrten Forderungen nach Effizienzsteigerung und Flexibilität. Unternehmen wie auch Beschäftigte sehen sich ständig neuen Anforderungen ausgesetzt. Dies gilt in besonderem Maße für qualifizierte und einfache Standardzeitarbeiten und ihre Beschäftigten. Sie müssen diesen Ansprüchen genügen, denn ein Grundgedanke der Zeitarbeit ist Flexibilität. Aufgabe der beruflichen Bildung ist es, Unternehmen und Mitarbeiter fortlaufend für die neuen Herausforderungen zu rüsten.
Lernen und Arbeiten verknüpfen Der Arbeitsplatz als Lernort sowie das Lernen im Arbeitsprozess als eine Form der beruflichen Bildung werden in diesem Rahmen zunehmend relevant. Dabei sind die Begrifflichkeiten für das Lernen im Prozess der Arbeit facettenreich. Ausgehend von einem originären „Learning by doing“ (Lernen durch Handeln) über das arbeitsintegrierte dezentrale Lernen und ein sprachlich verallgemeinertes „Learning on the job“ (Lernen am Arbeitsplatz) werden diese Begriffe bis hin zum Lernen im Prozess der Arbeit oftmals synonym verwendet. Nach Lipsmeier (2000) kann das Lernen im Prozess der Arbeit als eine der ältesten Formen beruflichen Lernens angesehen werden: Es umfasst das Nachahmungsprinzip sowie das Imitationsprinzip. Aus pädagogischer Perspektive stellt es eine Form des optimalen Lernens bezogen auf ein ganzheitliches Lernen im Sinne einer Inklusion affektiver, kognitiver wie auch psychomotorischer Bereiche dar.
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Diese Lernform strebt aus lernpsychologischen, arbeitsorganisatorischen und betriebswirtschaftlichen Gründen vor allem im gewerblich-technischen Bereich an, Lernen und Arbeiten im Arbeitsprozess wieder zusammenzuführen (Dehnbostel/Holz/ Novak 1992; Hacker/Skell 1993). Sie kann direkt am jeweiligen Arbeitsplatz oder an zeitweiligen Arbeitsplätzen in einem oder mehreren Unternehmen erfolgen. So hilft sie, die Anwendung des Gelernten am Arbeitsplatz sowohl in Phasen der Einarbeitung wie auch der Routine zu sichern. Lernen im Prozess der Arbeit schließt insofern aktuelle sachliche wie auch personelle Probleme des betrieblichen Alltags ein. Es indiziert die Vermittlung und Erprobung praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten. Lernen im Prozess der Arbeit hat damit, insbesondere unter Aspekten des lebenslangen Lernens und der informellen Weiterbildung, einen zunehmend innovativen Charakter. Schafft diese Lernform für die Unternehmen wichtige Wettbewerbsvorteile, so generiert sie für die Beschäftigten ungenutzte Wissenspotenziale: ,,Lernen am Arbeitsplatz ist jene Form der Aus- und Weiterbildung, bei der Mitarbeiter eines Betriebes im Verlaufe des Arbeitsprozesses, in Übereinstimmung mit der Lösung konkreter Arbeitsaufgaben auf der Grundlage ihrer individuellen Voraussetzungen, sich ständig beruflich-fachlich, aber auch sozial und persönlich vervollkommnen, d.h. lernen.“ (Decker 1985). Das Lernen im Prozess der Arbeit, so wie in diesem Entwurf verstanden, betrachtet Arbeit auch als Lern- und Bildungsmedium, das vor allem durch Auflösungstendenzen von Lernformen und Lernorten bestimmt ist. Die Grenzen zwischen formellem und informellem Lernen, zielgerichtetem und nicht intentionalem Lernen verschwimmen zunehmend, konstruktivistische Lernorientierungen erfahren vermehrt Anerkennung (Dehnbostel 2003). Der Arbeitsplatz als Lernort bietet wie das Lernen im Prozess der Arbeit dabei ebenso viele Möglichkeiten
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wie die klassische Form des Unterrichts. Unter diesem Aspekt betrachtet, finden diverse Verfahren und Methoden beim Lernen im Prozess der Arbeit Anwendung, hierzu zählen die gelenkte Erfahrungsvermittlung, die Arbeitsunterweisung oder auch die Job Rotation. Ansätze zur lern- und kompetenzförderlichen Gestaltung von Arbeit sind unter Rückgriff auf die oben angezeigten Verfahren und Methoden mannigfaltig, bisher jedoch nur marginal auf die Zeitarbeit zugeschnitten. Mit Blick auf die betriebliche Organisation und die Disposition in den Zeitarbeitsunternehmen wird deutlich, dass diese ebenso wie die Kundenunternehmen vor der Herausforderung stehen, Ansätze zur konkreten Gestaltung von Lernsituationen mit zu entwickeln, bei denen die Praxis des Lernens im Prozess der (Zeit-)Arbeit mit den theoretischen Grundlagen des betrieblichen Lernen verbunden wird und in denen die Disposition letztendlich als „Lotse im Bildungsprozess Zeitarbeit“ fungiert. Auf Seiten des Zeitarbeitsunternehmens stellt das Lernen im Prozess der (Zeit-)Arbeit einen strukturierten Wissenszuwachs dar. Es ermöglicht den Disponenten, bei vergleichbaren Arbeitsanforderungen und Kundenwünschen auf dieses dokumentierte Wissen zurückzugreifen. Für die Beschäftigten in der Zeitarbeit ermöglicht es die Dokumentation ihres Könnens, ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Bergmann (2001, S. 1-6) äußert in diesem Zusammenhang, dass Lernen im Arbeitskontext in erster Linie nicht darauf ausgelegt sei, einzelne Qualifikationen punktuell zu verbessern, vielmehr solle weit umfassender die Kompetenz der Beschäftigten erhöht werden. Ersichtlich wird hierdurch vor allem auch die höhere Qualität und nicht nur die zunehmende Quantität von arbeitsgebundenen Lernprozessen (Dehnbostel 1998, S. 175-194). Erfolgreiches Lernen im Prozess der Arbeit ist jedoch an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die bei Standardarbeiten in der Zeitarbeit nicht ohne Weiteres gegeben sind. Es wäre daher
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zu kurz gegriffen, Kompetenzzuwächse allein durch die wechselnden Arbeitsgelegenheiten in der Standardzeitarbeit zu erwarten. Vielmehr setzt auch das Erfahrungslernen arbeitspädagogische Arrangements, Organisation und Zielorientierung voraus, um nicht situativ und beliebig zu verbleiben (Tabelle 1). Tab. 1. Kriterien lern- und kompetenzförderlicher Arbeit Kriterien
Kurzcharakteristik
Problem-Komplexitätsgehalt
Umfang und Vielschichtigkeit der Arbeit, Grad der Unbestimmtheit und Vernetzung
Vollständige Handlung/Projektorientierung
Aufgaben mit möglichst vielen zusammenhängenden Einzelhandlungen im Sinne der vollständigen Handlung und der Projektmethode (Planung, Durchführung, Kontrolle/Reflexion)
Handlungsspielraum
Freiheitsgrade in der Arbeit, d.h. die unterschiedlichen Möglichkeiten kompetent zu handeln (selbstgesteuertes Arbeiten, Autonomie, Partizipation)
Reflexivität
Möglichkeiten der strukturellen und Selbstreflexion
Bezug zum Vorwissen und den Vorerfahrungen
Aufgaben sollen dem Entwicklungsstand des Einzelnen entsprechen, d.h. sie dürfen ihn nicht unter- oder überfordern
Soziale Unterstützung/Kollektivität
Kommunikation, Rückmeldung, Anregung, Hilfestellung mit und durch Kollegen und Vorgesetzte, Gemeinschaftlichkeit
Quelle: Dehnbostel u.a. 2010, S. 97.
Der Umfang bzw. die Vielschichtigkeit der Arbeit ergibt sich aus der Vielfalt der unterschiedlichen Arbeitsgelegenheiten, auch wenn der jeweilige Einsatz im Standardzeitarbeitsbereich
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selten komplex ist und die Aufgaben nicht notwendigerweise aus zusammenhängenden Einzelhandlungen bestehen. Durch den Tätigkeitswechsel muss der Zeitarbeitsbeschäftigte seinen jeweiligen Aufgabenbereich immer wieder neu in den Gesamtprozess einordnen, um sich in die vor- bzw. nachgelagerten Prozessschritte reibungslos zu integrieren. Er entwickelt somit eine Vorstellung vom Zusammenhang der Einzelhandlungen. Allerdings sind die Freiheitsgrade im Bereich der standardisierten Aufgaben meist beschränkt. Um die permanent neuen Anforderungen durch Arbeitsplatzwechsel zu bewältigen, ist notwendigerweise ein hohes Maß an Selbststeuerung notwendig, denn die Integration in laufende Arbeitsprozesse muss der Zeitarbeitnehmer aktiv bewältigen. Lernen im Prozess der Arbeit meint an dieser Stelle also verstärkt selbstgesteuertes Lernen und wird insofern von den individuellen Dispositionen und Merkmalen der Beschäftigten bestimmt. Dabei müssen die Beschäftigten eigenes Erfahrungswissen den spezifischen Aufgaben am jeweiligen Arbeitsplatz neu zuordnen. Gleichzeitig sammeln sie neues Erfahrungswissen bei jeder weiteren Tätigkeit. Je unterschiedlicher dabei die Aufgabenbereiche ausfallen, desto umfangreicher gestaltet sich das Erfahrungswissen, sofern weder Über- noch Unterforderung gegeben ist. Die notwendige soziale Unterstützung durch Gemeinschaftlichkeit, kollegiale Hilfen, Anregungen und Rückmeldungen sind gegenüber Zeitarbeitsbeschäftigten in den Entleihunternehmen häufig gering. Denn nicht selten werden extern Beschäftigte wegen ihrer geringeren Entlohnung als Konkurrenz um den Arbeitsplatz wahrgenommen. Eine deutliche Abgrenzung des Stammpersonals ist daher die Folge. Rückmeldungen und Anregungen müssen deshalb aus dem Zeitarbeitsunternehmen selbst kommen. Hierbei spielt die Personaldisposition die vormals angeregte Lotsenrolle. Ihr obliegt nicht nur eine Integrationsfunktion in das Unternehmen. Wenn
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Lernprozesse durch Lernen im Prozess der Arbeit angestoßen werden sollen, ist es ihre Aufgabe, diese zu initiieren. Dabei können detaillierte Dokumentationsverfahren über gewonnenes Erfahrungswissen der in Zeitarbeit Beschäftigten ein erster wichtiger Schritt sein. Diese können Reflexionsprozesse über Lernfortschritte in Gang setzen, die helfen, Erfahrungswissen zu strukturieren und einzuordnen. Besser geeignet sind Lernpässe, die neben der Dokumentation auch Lernfelder beschreiben, in denen die Beschäftigten zukünftig Arbeitserfahrungen sammeln sollen, um ihr Erfahrungswissen zu erweitern. Nur so erhält das Lernen im Prozess der Arbeit die notwendige Zielrichtung. Der Nutzen dieser Lernpässe hängt allerdings davon ab, ob sie sich auf andere Arbeitgeber übertragen lassen. Bei häufigen Arbeitgeberwechseln müssen Lernprozesse fortgeschrieben werden, um für Arbeitgeber und Arbeitnehmer den erkennbaren Mehrwert des Lernens im Prozess der Arbeit deutlich zu machen.
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Christina Düsseldorff und Bianca Goertz
im lernenden Unternehmen: Zum Zusammenhang von betrieblicher Reorganisation, neuen Lernkonzepten und Persönlichkeitsentwicklung. Berlin, S. 175-194. Dehnbostel, P. (2003): Informelles Lernen: Arbeitserfahrungen und Kompetenzerwerb aus berufspädagogischer Sicht. Überarbeiteter Vortrag anlässlich der 4. Fachtagung des Programms „Schule – Wirtschaft – Arbeitsleben“ am 18./19.9.2003 in Neukirchen/Pleiße. Dehnbostel, P. u.a. (2010): Kontextbedingungen beruflichen Lernens. In: Handbuch der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, S. 87-98. Hacker, W./Skell, W. (1993): Lernen in der Arbeit. Bundesinstitut für Berufsbildung (Hg.). Berlin/Bonn. Lehmann, C. u.a. (2010): Erhebung Mittelständische Zeitarbeit 2010. BaRos – Bayreuth Reports on Strategy. No. 1 – 2010. Lehmer, F./Ziegler, K. (2010): Brückenfunktion der Leiharbeit: Zumindest ein schmaler Steg. IAB-Kurzbericht Nr. 13. Nürnberg. Lipsmeier, A. (2000): Der Betrieb als Lernort: Arbeiten und Lernen. In: Dewe, B. (Hg.) (2000): Betriebspädagogik und berufliche Weiterbildung: Wissenschaft-Forschung-Reflexion. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Miegel, M./Wahl, S./Schulte, M. (2007): Die Rolle der Zeitarbeit in einem sich ändernden Arbeitsmarkt – Gutachten. Institut für Wirtschaft und Gesellschaft e.V., Bonn.
Wie können sich Zeitarbeitnehmer weiterbilden?
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Christina Düsseldorff Forschungsprojekt Bildungszeit – Wachstumsbranche Zeitarbeit: Handlungsfelder, Kompetenzentwicklung, Bildungsprofile an der Universität Duisburg-Essen
Christina Düsseldorff, geboren 1954, Ass.jur., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen die Themen Arbeitsmarkt, flexible Beschäftigung, Demografie sowie Programm- und Projektevaluation.
Bianca Goertz Forschungsprojekt Bildungszeit – Wachstumsbranche Zeitarbeit: Handlungsfelder, Kompetenzentwicklung, Bildungsprofile an der Universität Duisburg-Essen
Bianca Goertz, geboren 1970, ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen die Bereiche Übergangsforschung, Berufswahl- und Arbeitsmarktprozesse, berufliche und betriebliche Weiterbildungsforschung sowie Personal- und Organisationsentwicklung.
Entwicklung der Zeitarbeit in Deutschland
1960
Das erste Zeitarbeitsbüro in Deutschland öffnet.
1969
Der Unternehmensverband für Zeitarbeit (UZA) wird gegründet.
1970
Der erste Tarifvertrag für Angestellte wird zwischen dem UZA und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) abgeschlossen.
1972
Der Deutsche Bundestag verabschiedet das Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (AÜG).
1976
Der UZA und der Bundesverband Personalleasing (BPL) schließen sich zusammen zum Bundesverband Zeitarbeit Dienstleistungen auf Zeit (BZA).
1985
Das Beschäftigungsförderungsgesetz tritt in Kraft und verlängert die zulässige Höchsteinsatzdauer von Zeitarbeitnehmern von drei auf sechs Monate.
G. Breucker et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Entwicklung der Zeitarbeit in Deutschland
1987
Der BZA führt verbindliche Verbandsgrundsätze für die Berufsausübung von Zeitarbeitsunternehmen ein.
1994
Sieben Zeitarbeitsunternehmen gründen vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Zulassung der privaten Arbeitsvermittlung den Bundesverband Personalvermittlung (BPV). Im August fällt das so genannte Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit, wodurch die private, kommerzielle Arbeitsvermittlung erlaubt wird. Im selben Jahr wird die maximale Überlassungsdauer für Zeitarbeitnehmer auf neun Monate erhöht.
1997
Nach 25 Jahren wird das AÜG erstmalig reformiert. Eine wichtige Veränderung ist die Erlaubnis von einmaliger Arbeitsvertragsbefristung und die einmalige Synchronisation von Einsatzzeit und Arbeitsvertrag. Die Überlassungsgrenze wird auf zwölf Monate verlängert. Der BZA erweitert seinen Satzungszweck auf Personalvermittlung, Personalberatung, Outsourcing, Outplacement u.a. Der neue Verbandsname lautet: Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen.
2000
Die Bundesanstalt für Arbeit erlässt einen Runderlass an alle Dienststellen, in dem diese zur Zusammenarbeit mit Zeitarbeitsunternehmen verpflichtet werden.
2002
Die Erlaubnispflicht für private Arbeitsvermittler wird im Rahmen der Änderungen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) aufgehoben. Die maximale Einsatzzeit wird auf 24 Monate erhöht.
Entwicklung der Zeitarbeit in Deutschland
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2003
Die so genannten Hartz-Gesetze treten teilweise in Kraft (Hartz I). Geändert werden neben dem AÜG das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und das Teilzeit- und Befristungsgesetz: Die Entleiherkontrollmeldungen an die Einzugsstellen der Sozialversicherung (Krankenkassen) entfallen; die Arbeitsämter müssen Personal-Service-Agenturen einrichten. Der BZA und die Tarifgemeinschaft Zeitarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) schließen die ersten flächendeckenden Tarifverträge zur Zeitarbeit in ihrer Geschichte ab.
2004
Die Änderungen des AÜG durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz I) treten endgültig in Kraft: Es gilt Equal Pay und Equal Treatment ab dem ersten Tag, wenn ein Tarifvertrag keine abweichenden Regelungen trifft. Das Synchronisations- und Befristungsverbot sowie die gesetzlich höchstzulässige Überlassungsdauer für Zeitarbeitnehmer fallen weg.
2008
Der neue, von der Zeitarbeitsbranche konzipierte Ausbildungsberuf „Personaldienstleistungskauffrau/-mann“ (PDK) startet mit rund 1.300 Auszubildenden.
2009
Kurzarbeit und die Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen durch die Arbeitsagenturen werden auch für Zeitarbeitnehmer möglich.
2010
Der BZA und die Tarifgemeinschaft Zeitarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes schließen einen Tarifvertrag ab, der eine Erhöhung der Entgelte für die Zeitarbeitsbranche vorsieht. Die tarifvertraglichen
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Entwicklung der Zeitarbeit in Deutschland
Neuerungen treten am 1. Juli in Kraft und gelten bis zum 31. Oktober 2013. 2011
Der Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und der BZA fusionieren zum Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP). Durch eine Novellierung des AÜG wird mit Blick auf die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 1. Mai eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeitsbranche eingeführt. Zudem wird der konzerninterne Missbrauch von Zeitarbeit ausgeschlossen und das AÜG an die EU-Richtlinie zur Zeitarbeit angepasst.
Zahlen und Fakten zur Zeitarbeitsbranche1
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© für alle Folien: Bundesverband Zeitarbeit (BZA), 2011.
G. Breucker et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Zahlen und Fakten zur Zeitarbeitsbranche
Abb. 1. Anzahl der Zeitarbeitnehmer zwischen Januar und Dezember 2010 Quelle: Bundesagentur für Arbeit (bis 6/10), IW-Zeitarbeitsindex (ab 7/10).
Zahlen und Fakten zur Zeitarbeitsbranche
Abb. 2. Anzahl der Zeitarbeitnehmer zwischen 2002 und 2010 Quelle: Bundesagentur für Arbeit (bis 2009), IW-Zeitarbeitsindex (2010).
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Zahlen und Fakten zur Zeitarbeitsbranche
Abb. 3. Anteil der Zeitarbeitnehmer an Erwerbstätigen Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Bundesverband Zeitarbeit (BZA).
Zahlen und Fakten zur Zeitarbeitsbranche
Abb. 4. Anzahl der Zeitarbeitnehmer im Vormonatsvergleich Quelle: Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.
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Zahlen und Fakten zur Zeitarbeitsbranche
Abb. 5. Vorherige Tätigkeiten von Zeitarbeitnehmern Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2010.
Zahlen und Fakten zur Zeitarbeitsbranche
Abb. 6. Anteil der Frauen und Männer in Zeitarbeit Quelle: Bundesagentur für Arbeit.
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Zahlen und Fakten zur Zeitarbeitsbranche
Abb. 7. Zahl der Zeitarbeitsunternehmen Nur Zeitarbeitsunternehmen, die hauptsächlich Zeitarbeit betreiben Quelle: Bundesagentur für Arbeit.
Mitglieder des Zukunftsvertrags Zeitarbeit e.V.
G. Breucker et al. (Hrsg), Zukunft Zeitarbeit, DOI 10.1007/978-3-642-24221-2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Mitglieder des Zukunftsvertrags Zeitarbeit e.V.
7(S)-Gruppe Die 7(S)-Gruppe bietet ihren Kunden und Mitarbeitern 30 Jahre Erfahrung und eine zukunftsorientierte Branchenspezialisierung. Mit mehr als 170 Niederlassungen, an über 110 Standorten bundesweit und im europäischen Ausland in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien, Polen, Tschechien, Slowakei und Österreich agiert das Unternehmen individuell vor Ort und leistungsstark im Verbund. Das Kernangebot der 7(S)-Gruppe liegt in der Arbeitnehmerüberlassung von qualifizierten Fach- und Führungskräften, dem Career Service sowie dem Business Support Service. In den Branchen Industrie & Technik, Aviation, Information Technology, Engineering, Office & Finance, Medical und Gastronomie wird Arbeitnehmerüberlassung den Kunden und Mitarbeitern professionell sowie engagiert mit ihren branchenspezifischen Eigenheiten angeboten. Interne Mitarbeiter sowie die Projektmitarbeiter bei den Kunden profitieren von der hauseigenen 7(S)-Akademie mit E-Learning-Kursen und Weiterbildungsmöglichkeiten, die zugeschnitten auf das Unternehmen eingerichtet werden. Das Leistungsportfolio der Spezialisten vom Business Support Service umfasst den Bereich Rework & Control Services, der sich schwerpunktmäßig auf die Betreuung des Automobil- und Maschinenbaus konzentriert. Zur optimalen Steuerung von komplexen Prozessen werden den Kunden in den Bereichen des OnSite-Management, BusinessProcess-Outsourcing sowie mit Master-Vendor-Konzepten individuelle Lösungen angeboten.
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Adecco Gruppe Die Adecco Gruppe ist der weltweit führende Personaldienstleister. Mit mehr als 5.500 Niederlassungen in über 60 Ländern bietet sie ein breites Spektrum an Leistungen und verbindet täglich mehr als 750.000 Arbeitskräfte und 100.000 Unternehmen. In Deutschland ist die Adecco Germany Holding SA & Co. KG Muttergesellschaft für die Marken Adecco Personaldienstleistungen GmbH, DIS AG und TUJA Zeitarbeit GmbH. Die Adecco Gruppe beschäftigt mehr als 41.000 Mitarbeiter in 415 Niederlassungen. Der Umsatz in 2010 lag bei 1,197 Mio. Euro. Zu den Geschäftsbereichen der Adecco Personaldienstleistungen GmbH zählen Industrial, Office und Medical & Science. Vom Mittelständler bis zum internationalen Konzern – ihre Kunden nutzen die Kerndienstleistungen Arbeitnehmerüberlassung, Outsourcing, Personalvermittlung, OnSite Management, Interim Management und Call Center Solutions. Das hauseigene Programm „Adecco Career up“ fördert die spezifische Personalentwicklung. Die DIS AG ist Marktführer für Fach- und Führungskräfte. Sie bietet neben der klassischen Arbeitnehmerüberlassung Personalvermittlung, Freelancing, Interim Management sowie Consulting-Lösungen und die Abwicklung kompletter Recruitingprozesse. Die Geschäftsfelder sind Finance, Information Technology, Office & Management, Engineering und Industrie. Als Tochter der DIS AG ist die euro engineering AG einer der führenden Engineering-Dienstleister Deutschlands. Schwerpunkte liegen in den Bereichen Automotive, Maschinen- und Anlagenbau, Medizin-, Feinwerk- und Elektrotechnik sowie dem Bauwesen. Schnelle Lösungen auch bei hohem Personalbedarf bietet die TUJA Zeitarbeit GmbH. Ihre Dienstleistungen im Bereich Arbeitnehmerüberlassung und -vermittlung sind insbesondere im industriellen Bereich gefragt. Zu den Kernkompetenzen zählen u.a. die Branchen Luft- und Raumfahrt, Automotive und Logistik.
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ManpowerGroup Die ManpowerGroup ist wegweisend in der Entwicklung und Bereitstellung innovativer HR-Lösungen und Dienstleistungen, mit denen Unternehmen in der sich verändernden Welt der Arbeit erfolgreich sein können. Rund 400.000 Kunden in 82 Ländern profitieren von einer Verbindung zwischen lokalspezifischem Wissen und globalem Netzwerk. Manpower Deutschland wurde 1965 gegründet und ist heute in Eschborn ansässig. Seit März 2011 vereint der Personaldienstleister unter dem Namen ManpowerGroup die Gesellschaften Manpower, ManpowerGroup Solutions, Experis, Right Management sowie Joint Ventures mit der Deutschen Bank (Bankpower), Lufthansa Technik (AviationPower) und der Deutschen Telekom (Vivento Interim Services). Dadurch ist die Unternehmensgruppe in der Lage, an mehr als 200 Standorten deutschlandweit auf die individuellen Anforderungen einzelner Branchen oder Berufsgruppen zielgerichtet einzugehen. Das Leistungsspektrum umfasst neben Arbeitnehmerüberlassung und Personalvermittlung unter anderem auch ganzheitliche Personalkonzepte wie Recruitment Process Outsourcing (RPO) sowie Talent- und Karrieremanagement. Der Mensch, das Talent steht im Mittelpunkt – im jetzt beginnenden Human Age und im täglichen Handeln der ManpowerGroup. Das Unternehmen übernimmt gesellschafts- und wirtschaftspolitische Verantwortung, indem es sich für Qualifizierungsmaßnahmen, zeitgemäße Arbeitsmodelle sowie Corporate Social Responsibility Projekte engagiert.
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persona service persona service ist der Zeitarbeitsexperte mit dem Gespür fürs Zwischenmenschliche. Denn in der Zeitarbeit muss zweierlei zusammenkommen: Sachverstand und Empathie. Diese Kombination garantiert für die Kunden professionelle Beratung und individuelle Lösungen, aber auch das notwendige Gespür für den Menschen, welches sich in einer gesteigerten Mitarbeiterperformance ausdrückt. Seit über vier Jahrzehnten ist persona service führend am deutschen Markt (Platz 4 laut Lünendonk-Liste® 2010): 1967 gegründet, bieten heute über 170 Standorte in Deutschland maßgeschneiderten Service. Mit Niederlassungen in der Schweiz ist persona service auch international vertreten. Das Handelsblatt, die Universität St. Gallen und die Agentur ServiceRating haben persona service 2011 den „Sonderpreis Personaldienstleister“ verliehen. persona service-Kunden profitieren von maßgeschneiderten operativen und strategischen Personalkonzepten auf der Basis von Personalleasing, Personalvermittlung, Onsitemanagement und Projektmanagement, zertifiziert nach DIN EN ISO 9001:2008 sowie SCP. persona service steht für: Exzellente Kunden- und Mitarbeiterbetreuung Hervorragende Reaktionszeit Passgenaue Stellenbesetzung persona service-Mitarbeiter profitieren von: Persönlicher Betreuung Fairer Bezahlung Kurzen Arbeitswegen Aktuell beschäftigt das Unternehmen über 15.000 Mitarbeiter aus allen Fachgebieten – Tendenz stark steigend. Es kommt der Tarifvertrag von DGB und iGZ zur Anwendung.
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Randstad Gruppe Deutschland Die deutsche Randstad Gruppe ist seit mehr als 40 Jahren in Deutschland aktiv und gehört zur niederländischen Randstad Holding NV mit einem Gesamtumsatz von 14,2 Milliarden Euro (Jahr 2010) und rund 547.000 Mitarbeitern, täglich in über 40 Ländern. Damit ist die 1960 in Amsterdam gegründete Holding einer der größten Personaldienstleister weltweit. Mit durchschnittlich rund 63.000 Mitarbeitern und 500 Niederlassungen in rund 300 Städten sowie einem Umsatz von 1,73 Milliarden Euro (2010) ist Randstad der führende Personaldienstleister in Deutschland. Zur deutschen Randstad Gruppe gehören neben dem Unternehmen Randstad Deutschland und Tempo Team auch Yacht Teccon und Gulp. Die Unternehmen Bindan und Vedior wurden zum Januar 2009 komplett integriert. Randstad bietet Unternehmen unterschiedlicher Branchen umfassende Personalservice-Konzepte. Neben der klassischen Zeitarbeit gehören zum Portfolio von Randstad unter anderem die Geschäftsbereiche Professional Services, Personalvermittlung, HR Lösungen und Inhouse Services. Spezialisierung und Weiterentwicklung des Leistungsangebots sind die Eckpfeiler der Randstad Marktstrategie. „Spezialisierung“ steht für konzentriertes Know-how in ausgewählten und zukunftsträchtigen Branchen unter den Stichworten Airport Services, Callflex, Finance oder auch Medical. Mit der Weiterentwicklung des Leistungsangebots setzt sich Randstad deutlich vom Wettbewerb ab. Als Impulsgeber für den Arbeitsmarkt hat Randstad bereits im Jahr 2000 einen flächendeckenden Tarifvertrag mit ver.di abgeschlossen, der als Grundlage für die geltenden tariflichen Regelungen in der gesamten Branche diente.