Verena Lewinski-Reuter · Stefan Lüddemann (Hrsg.) Kulturmanagement der Zukunft
Für Thomas Heinze
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Verena Lewinski-Reuter · Stefan Lüddemann (Hrsg.) Kulturmanagement der Zukunft
Für Thomas Heinze
Verena Lewinski-Reuter Stefan Lüddemann (Hrsg.)
Kulturmanagement der Zukunft Perspektiven aus Theorie und Praxis
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frank Engelhardt Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Foto: Thomas Mayer; die Abbildung zeigt das Museum MARTa in Herford. Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15553-1
Inhaltsverzeichnis
Einleitung Kulturmanagement – Wege in die Zukunft Verena Lewinski-Reuter und Stefan Lüddemann
7
Theoretische Ansätze Kulturmanagement – Tätigkeiten an der Schnittstelle von kulturellen Ansprüchen, betrieblicher Rationalität und politischer Regulierung Otto F. Bode
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Kulturmanagement als Bedeutungsproduktion Plädoyer für die Neuausrichtung einer Disziplin und ihrer Praxis Stefan Lüddemann
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Kulturmanagement in konstruktivistischer Sicht Günther Görtz
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Programmatische Konzepte Die Kultur von der Stadt her denken Eine neue Phase der Reflexivität und kulturellen Planung Bernd Wagner
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Aktivierendes Kulturmanagement Oliver Scheytt
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Handlungsfelder Bürgerschaftliches Engagement – Bürger als Akteure der kommunalen Kultur und Ausblicke für das Kulturmanagement Verena Lewinski-Reuter
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Inhaltsverzeichnis
Selbstmanagement im Kulturbetrieb Kulturunternehmer zwischen Unabhängigkeit und Prekariat Saskia Reither
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Change Management im Theaterbetrieb Olaf Thelen
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Leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben – Möglichkeiten und Grenzen Katharina Jörges-Süß
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Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides in Museen Carola de Teffé und Lothar Müller-Hagedorn
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Kunstfreiheit und Vertragsrecht Christian Heinze
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Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht Inga Samii
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Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern und die Synergien durch die Entwicklung des Kulturmanagements seit Mitte der 90er Jahre Christa Eichbaum
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Nachwort: Profession der Grenzgänger Thomas Heinzes „reflexives Kulturmanagement“ – weiter gedacht Stefan Lüddemann
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Prof. Dr. Thomas Heinze – Vita
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Prof. Dr. Thomas Heinze – Publikationen
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Autorenverzeichnis
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Einleitung
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Einleitung Kulturmanagement – Wege in die Zukunft Einleitung
Verena Lewinski-Reuter und Stefan Lüddemann
Das Kulturmanagement ist seit knapp zwei Jahrzehnten an deutschen Hochschulen etabliert. In dieser Zeit hat es durch verschiedene Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Kulturschaffende nachhaltige Erfolge in der Praxis erzielen können, indem es zu einer Professionalisierung im gesamten Kulturbereich wesentlich beitrug. Zugleich veränderte es mit dem vertieften Nachdenken über Kultur auch deren gesellschaftliche Einschätzung und half, neue Möglichkeiten der kulturellen Praxis und Vernetzung anzuleiten. Kulturmanagement entwickelte sich auf zwei parallelen Ebenen und weist entsprechend zwei Bedeutungen auf: Kulturmanagement ist wissenschaftliche Disziplin und Gegenstand kultureller Managementpraxis zugleich. Die Verläufe dieser beiden Stränge bedingen und befruchten sich gegenseitig und stehen folgerichtig in Abhängigkeit. Entsprechend konsolidierte sich die junge Disziplin: Eingeführte Ausbildungsgänge und ein gesichertes Tableau von Instrumentarien markieren das Ergebnis erster Phasen der Ausformung des Kulturmanagements. Seit seiner Etablierung als Hochschulfach, die in Deutschland mit dem Beginn der neunziger Jahre einsetzt, haben die Vertreter des jungen Faches Curricula entwickelt, in Sammelbänden das Selbstverständnis der neuen Disziplin über den Diskurs von Vertretern aus Kulturtheorie und -praxis organisiert und strukturiert1, Einführungen vorgelegt2 oder den inzwischen erreichten Wissensstand der Disziplin in der Form des Handbuchs zusammengefasst3. Wie sehr sich das Kulturmanagement im Fluss aktueller Veränderungen von Theoriebildung und Praxisformen wandelt und sich deshalb gegen definitorische Festlegungen sperrt, belegt das nach wie vor zentrale Kompendium und Nachschlagewerk der Diszip1 Beispielhaft für diese Aktivität stehen die von Thomas Heinze herausgegebenen Aufsatzbände, die Kulturmanagement als Diskursfeld entwarfen und zugleich die theoretischen Ansätze wie praktischen Zugänge zum Kulturmanagement in ihrer Pluralität sichtbar machten. Vgl. Heinze 1994, Heinze 1997, Heinze 2004. 2 Ganz aus der Praxis der kommunalen Kulturpraxis heraus legte, soweit die Autoren sehen, Werner Heinrichs schon Mitte der neunziger Jahre die erste Einführung vor, vgl. Heinze 1999. Als Ansatz zu einer ersten Systematisierung ist das Buch von Peter Bendixen zu sehen, vgl. Bendixen 2002. 3 Aktuelles Beispiel ist der Überblick von Armin Klein, der die eigene Systematik aus politischen, rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen des Kulturmanagements ableitet, vgl. Klein 2008.
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Einleitung
lin, das nicht nur den ebenso inoffiziellen wie viel sagenden Titel „Loseblattsammlung“ führt, sondern entsprechend auch als Ringbuch mit immer neuen Beiträgen auf tendenziell unabschließbare Fortsetzung hin angelegt ist4. Dass die weiterhin bestehende Uneinheitlichkeit des Kulturmanagements in Theorie und Praxis neue Anstrengungen systematisierender Darstellung herausfordert, belegt ein aktuelles wissenschaftliches Großprojekt, das der jungen Disziplin noch einmal eine erweiterte Gestalt und zugleich schärfere Kontur verleihen dürfte5. Sichtbare Erfolge innerhalb der Praxis belegen die hier nur in Umrissen beschriebenen Zugewinne. Zugleich blieben bis heute unübersehbare Defizite in theoretischer Begründung und Kohärenz adaptierter Methoden. Solche Defizite zeigen den Bedarf auf, dieses interdisziplinäre Feld selbst weiter wissenschaftlich auszugestalten und zu professionalisieren. Das Kulturmanagement ist trotz vielfältiger Anstrengung weiterhin eine „Import“-Disziplin, die ihr Angebot an Instrumentarien und Inhalten aus verschiedenen Fachdisziplinen bezieht. Über solche Interdisziplinarität hinaus bleibt die Substanz des Kulturmanagements teilweise ungreifbar. Eine Entwicklung des Kulturmanagements kann also nur mittels einer eigenständigen Theoriebildung erfolgen, mit der eine exklusive Kompetenz ausgewiesen werden könnte. Im Sinn der Theorieausbildung stellt sich die Frage: Wie können die divergierenden Bezugsdimensionen des Kulturmanagements in einer einheitlichen Theorieperspektive wenigstens soweit koordiniert werden, dass ein eigenständiger Erkenntnisfortschritt erzielt werden kann? Es gilt, das Kulturmanagement neu als Aufgabe der Integration von Theorie und Praxis zu begreifen. Vermehrte Anstrengungen der Integration erfordert auch das Faktum, dass im Kulturmanagement weiter evidente Differenzen zwischen kultureller Sinnsetzung und ästhetischem Bildungsanspruch auf der einen Seite sowie ökonomischen Rahmenbedingungen und Handlungsmaximen auf der anderen Seite bestehen. In ihrer praktischen Ausformung sind leitende Begriffe und Themen eines Verständnisses von Kultur als Aufgabe des Managements inzwischen historisch geworden. Umwegrentabilität, Kultur als Stadtmarketing und regionaler Inwertsetzung – um nur einige Stichworte zu nennen – haben ihren Ausgangspunkt in den achtziger Jahren genommen. Sie markierten einen Paradigmenwandel, der Kultur nicht mehr als Frage der Partizipation, sondern als zentrales Thema der Lebensgestaltung (Erlebniskultur) wie als Gegenstand der „Bewirtschaftung“ (Marketingkultur) sichtbar werden ließ. Inzwischen treten andere Aspekte der Kultur verstärkt in den Vordergrund. Wie insbesondere der Prozess der Bewer4
Vgl. Bendixen 1992 Unter Federführung von Prof. Dr. Andrea Hausmann erscheint im VS Verlag Wiesbaden ab Herbst 2008 ein auf derzeit 20 Bände angelegtes Sammelwerk mit dem Arbeitstitel „Kulturmanagement und Kulturpolitik“. 5
Einleitung
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bung deutscher Städte um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2010 zeigte, kommt Kultur zunehmend als Medium des Lernens wie auch als Labor sozialen Wandels in den Blick. Diese Verschiebung in Verständnis und gesellschaftlicher Verankerung von Kultur bedingte auch die Entstehung des Kulturmanagements als Ausdifferenzierung einer neuen Profession. Inzwischen hat sich die Energie dieser Antriebsmomente jedoch spürbar abgeschwächt. Damit verlieren auch zugeordnete Begründungsdiskurse an Überzeugungskraft. Das Kulturmanagement hat deshalb ohne Zweifel eine kritische Phase seiner Existenz erreicht. Der vorliegende Band versteht sich als Drehscheibe und Impulsgeber einer neu entfachten Debatte um Zustand und Perspektiven des Kulturmanagements. Sein Titel „Kulturmanagement der Zukunft“ meint nicht den Anspruch auf überlegenes Wissen, sondern steht für die Herausforderung zu neuem Nachdenken und damit auch zum Beschreiten ungewohnter Wege. Das Buch soll eine doppelte Aufgabe erfüllen: Es versammelt Beiträge, mit denen die theoretische Reflexion um eine Disziplin neu in Gang gesetzt werden soll, die derzeit Gefahr läuft, sich in ihrer praktischen Anwendung aufzulösen. Darüber hinaus beinhaltet es perspektivische Beiträge für gegenwärtige und künftige Praxisfelder des Kulturmanagements. Damit wird einer Entwicklung Rechnung getragen, die Kultur derzeit dynamisch vorantreibt – zu neuen Formen der Ermöglichung, bislang ungewohnten Koalitionen von Akteuren und Einrichtungen sowie neuen Aufgaben. Das sich mit diesen Bewegungen eröffnende Feld erscheint so disparat wie selten zuvor. Einerseits vertieft sich mit dem Boom der Kulturwissenschaften die inhaltliche Beschäftigung mit kulturellen Phänomenen seit einigen Jahren ganz erheblich. Andererseits scheint das Mode- und Trendwort von der „Kulturwirtschaft“ ein womöglich endgültiges Aufgehen der Kultur in ökonomischem Verwertungsgeschehen anzuzeigen. Bricht damit der Konflikt zwischen dem Eigenwert der Kultur und ihrer Instrumentalisierung neu auf? Und verschärft sich damit womöglich der grundsätzliche Konflikt, der das Kulturmanagement seit seiner Entstehung stets unter Spannung gehalten hat? Vor dem Hintergrund dieser hier nur angedeuteten Konfliktfelder ergibt sich ein virulenter Gesprächsbedarf, der Theorie und Praxis des Kulturmanagements in gleicher Weise betrifft. Die frisch entfachte Diskussion müsste einer zumindest in Ansätzen kohärenten Theorie des Kulturmanagements gelten, die jedoch bis heute als Desiderat anzusehen ist. An die Stelle der Kohärenz trat bislang zumeist die Betonung von den Spannungen, die dem Kulturmanagement innewohnen und meist nur eine „Annäherung“6 an diese Disziplin erlauben. Auf 6 So beschrieb es Thomas Heinze. Vgl. Heinze 1997: 48ff. In diesem Beitrag beschreibt er das Management von Kultur als ständiges Operieren auf Grenzen und dessen größtes Gefahrenpotenzial als unzulässige Instrumentalisierung von Kultur. Vgl. auch Heinze 2008: 10.
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der Seite der Praxisfelder ergeben sich aktuelle Themen vor allem in den Fragen neuer organisatorischer und rechtlicher Strukturen von Kultur, alternativen Wegen der Kulturvermittlung wie auch Fragen nach Partizipation der Bürger wie dem Selbstmanagement der Künstler auf einem zunehmend unübersichtlicheren, weil sich immer weiter ausdifferenzierenden Feld der Kultur. Mit diesen Stichworten sind nur einige Themen angesprochen, die zum Gegenstand einer neuen Debatte um das Kulturmanagement gemacht werden könnten. Mit dem vorliegenden Buch soll nicht der Eindruck erweckt werden, die rasanten Entwicklungen der Kultur ließen sich in einem Theorierahmen still stellen oder ihre ständig unter Spannung stehenden Praxisfelder könnten mit einem übersichtlichen Aufgabenkatalog zur Deckung gebracht oder mit einem Instrumentarium praktischer Fertigkeiten restlos beherrschbar gemacht werden. Dennoch wird der Versuch unternommen, die Frage nach dem Kulturmanagement, seiner Reflexion wie Anwendung mit neuem Ernst zu stellen, anstatt nur die Auflösung dieser Disziplin in eine sich nicht weiter selbst befragende Praxis wie eine unabänderliche Notwendigkeit hinzunehmen.
Aufbau des Bandes Das vorliegende Buch gliedert sich in drei Bereiche, ohne mit dieser Unterteilung eine Wertung unterstellen zu wollen. Die Sektionen:
Theoretische Ansätze zielen darauf ab, die Reflexion des Kulturmanagements neu zu systematisieren und sie um einige bislang zu wenig beachtete Aspekte zu bereichern. Leitender Gesichtspunkt der aus den Richtungen von Systemtheorie, Konstruktivismus und Kulturtheorie heraus innovativ gestalteten Debatte ist der Versuch, neben begrifflicher Klärung Wege zu einem kohärenten Entwurf des Kulturmanagements zu weisen. Programmatische Konzepte stellen Überlegungen aus der Sicht der Kulturpolitik vor, die eine bereits Jahrzehnte andauernde Debatte um Grundlagen und Steuerung von Kultur neu beleben. Nachdem die Erwartungen an Kulturentwicklungspläne und ihre theoretischen Konzepte wie praktischen Anleitungen selbst historisch geworden sind, verstehen sich die hier vertretenen Positionen als Versuch, kulturpolitisches Handeln im Kontext stark veränderter Rahmenbedingungen von Kultur neu zu positionieren. Handlungsfelder markieren Segmente einer Praxis, die sich gerade in den letzten Jahren stark verändert, weil dynamisiert hat. Ohne einen falschen Anspruch auf Vollständigkeit fokussieren die Beiträge dieser Sektion deshalb praktische Probleme und Optionen des Kulturmanagements, die sich
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derzeit als besonders relevant, weil zukunftsweisend herausstellen. Anhand von detaillierten Studien von Einzelaspekten des praktischen Kulturmanagements wird deutlich, in welchen Bereichen erhöhte Dynamik zu beobachten ist. Deshalb werden Fragen nach rechtlichen Rahmenbedingungen, neuen Formen der Steuerung und Partizipation sowie des Marketings und des Selbstmanagements dezidiert angesprochen. Nach dieser ersten Übersicht über die Aufteilung des Bandes werden nun die Beiträge und die in ihnen vertretenen Positionen und Ansätze im gerafften Überblick vorgestellt. Dies erleichtert dem Leser die Orientierung – vor allem deshalb, weil er anhand dieses Materials in der Lage sein wird, seine Lektüre mit einer individuellen Auswahl und entsprechender Lesefolge zu strukturieren. Wie eben festzustellen war, verlangt das Kulturmanagement gerade angesichts seiner expandierenden Praxis nach neuer Fundierung in der Theorie. Die kann ihren Ausgang nur in begrifflichen Klärungen nehmen. Otto F. Bode beschreibt das Verhältnis von Kultur und Management aus systemtheoretischer Sicht. In seiner Sicht verbindet das Kulturmanagement die konträren Logiken von Wirtschaft und Kultur miteinander, die in Güter- und Sinnproduktion bestehen und deshalb unausweichlich in einen Kontrast treten müssen. Jeder Versuch, Kulturmanagement auf einen dieser beiden Bereiche zu beschränken, führt nach Bode zu Ausschlüssen der jeweils anderen Logik und damit mittelbar zu einer Beendigung dessen, was als Kulturmanagement bezeichnet werden kann. So bleibt nur die Möglichkeit, Kulturmanagement konsequent als Operieren an einer Schnittstelle zu definieren. Der Kontakt der beiden, ansonsten nach getrennten Kriterien operierenden Bereiche Wirtschaft und Kultur kann nur mit einem Kulturmanagement gelingen, das sich als Übersetzungsfunktion versteht. Dabei werden zwei Rationalitäten miteinander in Kontakt gebracht, ohne dass die eine der anderen untergeordnet werden darf. Diese Leistung ist nach Bode nur kommunikativ zu erbringen. Defizite in der Theorie und Dominanz ökonomischer Verwertungsinteressen: Darin erkennt Stefan Lüddemann Symptome einer Krise des Kulturmanagements, dem es vor allem an konstruktivem Austausch mit den seit Jahren boomenden Kulturwissenschaften fehlt. Im Mittelpunkt des in diesem Beitrag formulierten Plädoyers für eine Neubestimmung des Kulturmanagements steht die Rezeption des Werkes von Ernst Cassirer, dessen Theorie der symbolischen Formen auch dem Kulturmanagement Wege zur Erneuerung weisen könnten. Das innovative Potenzial des Kulturbegriffs von Cassirer liegt darin, Kultur als Produktion von Bedeutungen zu fassen, die sinnliche Gestalt aufweisen und zugleich das kommunikative Geschehen entscheidend anregen und steuern. Ausgehend von diesem Kulturbegriff eröffnet sich die Möglichkeit, im Rahmen des
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Kulturmanagements Kultur nicht nur dann als produktiv zu begreifen, wenn es als ökonomische Größe in den Blick kommt, sondern Kultur selbst konsequent als produktives Geschehen zu erkennen. Lüddemann entwirft ein Feld kultureller Bedeutungsproduktion, das sich aus den Faktoren Objekt, Ort, Subjekt, Diskurs und Praxis zusammensetzt. Der Kulturmanager strukturiert und steuert dieses Feld miteinander vernetzter Faktoren und Energien mit dem Ziel, kulturelle Bedeutungsproduktion optimal zu unterstützen und anzuleiten. Dafür wird die Praxis des Kulturmanagers nach dem Vorbild des Kurators neu beschrieben. Der Import aus einem Feld der kulturellen Praxis – hier des Managements von Kunstausstellungen – wirkt hier produktiv auf Theoriebildung und Fokussierung des Kulturmanagements selbst zurück. Über ein statisches Modell des Kulturmanagements als Dualismus der ansonsten getrennten Bereiche von Kultur und Wirtschaft und der in ihnen innewohnenden Logiken geht auch Günther Görtz hinaus. Er äußert deutliche Kritik an Kulturmanagement und Zustand der Kultur. Gegen wohlfeile Instrumentalisierungen von Kultur im Zeichen einer neuen „Kulturwirtschaft“ setzt er ein Verständnis von Kultur als Medium, mit dem sich individuelle Weltkonstruktionen kommunikativ vernetzen lassen. Die Basis dieses Kulturverständnisses stellt der radikale Konstruktivismus ebenso bereit wie insbesondere die Ästhetik des Philosophen Nelson Goodman, der die Leistung der Kunst in „Weisen der Welterzeugung“7 erkannte, die das Wirklichkeitsverständnis der Menschen fundamental prägen. Ausgehend von diesem, hier nur angedeuteten Verständnis von Kultur, bestimmt Görtz für ihr Management ganz neue Aufgaben. Abseits ökonomischer Verwertungszusammenhänge und entsprechend instrumenteller Bemessungsgrößen geht es nun in der Sicht von Görtz um sinnstiftende Vermittlung kultureller Qualitäten. Kulturmanagement hat dafür die Basis zu bereiten, indem es Foren für kulturelle Entfaltung und ihre Vermittlung und Aneignung bereitstellt. Görtz´ Ansatz findet seine Zuspitzung in der Forderung, das Kulturmanagement habe die kulturelle Selbststeuerung des Individuums optimal zu unterstützen. Auch wenn Kulturpolitik längst nicht mehr als Lenkung der Kultur verstanden werden kann – zentraler Schauplatz der Debatte um Geltungsansprüche unterschiedlicher Verständnisse von Kultur wie auch der Steuerung der Ressourcen zu ihrer Ermöglichung ist sie immer noch. Weil Kulturpolitik deshalb als Schnittmenge wie Kontaktraum von Theorie und Praxis des Kulturmanagements gesehen werden kann, folgt in diesem Band eine aktuelle Bestandsaufnahme dieses Feldes. Bernd Wagner beschreibt kommunale Kulturpolitik nach der Epoche der Kulturentwicklungspläne und der mit ihnen verbundenen Reform7
So auch der Titel seines inzwischen legendären, 1978 zuerst erschienenen Buches.
Einleitung
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hoffnungen, ohne ihren emanzipatorischen Anspruch aufgeben zu wollen. Dafür benennt er zunächst die Veränderungen, die sich in den letzten Jahren unübersehbar ergeben haben. Dazu gehört nicht nur die Finanzkrise der Kommunen als Kulturträger, sondern insbesondere auch ein Wandlungsprozess der Leitbilder kulturpolitischen Handelns. An die Stelle der Lenkung tritt die Moderation, an die Stelle eines überschaubaren Tableaus vertrauter Kultureinrichtungen ein Mix aus neuen Schauplätzen, Akteuren und bislang unüblicher Koalitionen. Auch wenn die Ära der Kulturpläne und der mit ihnen verbundenen übergreifenden Reform- und Sinnstiftungsvisionen vergangen ist, hält Wagner dennoch an der Vorstellung einer kulturellen Planung fest, die der innovativen Fortschreibung bedarf. An die Stelle fest gefügter Rahmungen treten nun reflexive Prozesse, die sich nicht mehr an klassischen Institutionen sondern an Themen, Akteuren und Beteiligungen orientieren. Bernd Wagner entwirft das Szenario einer nach vorn gerichteten Stadtkultur. Sein Beitrag kann deshalb über dessen eigenen Stellenwert hinaus auch als „Hintergrundtext“ für andere Aufsätze dieses Bandes aus dem Bereich der Praxis des Kulturmanagements gelesen werden. Oliver Scheytt greift diese Aspekte auf und vertieft sie in Richtung auf ein „aktivierendes Kulturmanagement“, das darauf gerichtet ist, Interaktionen zwischen unterschiedlichen Sektoren des kulturellen Lebens anzustiften. Bei diesem Ansinnen geht es Scheytt vor allem darum, den klassisch öffentlichen Sektor in Koalitionen mit bürgerschaftlichem Engagement und der Kulturwirtschaft neu zu vernetzen. Dafür muss das Kulturmanagement um Operationen des Kommunizierens und der Koordination herum zentriert werden, so dass Kooperation und Konsens in einem komplexer gewordenen Feld der Kultur erreichbar werden. In der Fluchtlinie dieses Denkens verortet Scheytt auch den Gedanken der kulturellen Planung ganz neu – nun nicht mehr als staatliche Lenkung, sondern als Zielvereinbarung zwischen gleichberechtigten Partnern verstanden. Der kommunalen Kulturpolitik kommt in diesem Szenario vor allem die Aufgabe der Moderation zu. In zehn Thesen zu einem „aktivierenden Kulturmanagement“ bezieht sich der Autor auf die zentralen Anforderungen der Vermittlung und Kommunikation. Fluchtpunkt von Scheytts Überlegungen ist eine Kultur als Netzwerk, das der sensiblen Steuerung bedarf. Die in den Beiträgen von Wagner und Scheytt beschriebene Praxis der Kultur kommt gegenwärtig vor allem über neue Akteure in den Blick. Verena Lewinski-Reuter analysiert in ihrem Beitrag Bedeutung und Erscheinungsformen des bürgerschaftlichen Engagements in der Kultur. Im Blickpunkt steht der einzelne Bürger als Akteur und Motor kultureller Prozesse, dessen besondere Stellung innerhalb des Aktionsfeldes Kultur nicht genug betont werden kann. Lewinski-Reuter unternimmt zudem den Versuch, den zuweilen vagen Terminus weiter zu konturieren, um schließlich auch die unterschiedliche Phänomenologie in der
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Praxis von anderen Erscheinungsformen kulturellen Engagements abgrenzen zu können. Bei der Frage nach den potentiellen organisationsrechtlichen Möglichkeiten zur Bündelung bürgerschaftlichen Engagements, wie z.B. durch Gründung von Vereinen, Stiftungen und gemeinnützigen GmbHs, steht insbesondere die sog. Bürgerstiftung im Vordergrund. Diese Sonderform einer privatrechtlichen Stiftung geht bereits seit einiger Zeit erfolgreich neue Wege, wie ein Beispiel aus der Praxis veranschaulichen soll. Am Ende ihres Beitrages leitet die Autorin aus den gewonnenen Erkenntnissen Herausforderungen für ein zukunftsorientiertes Kulturmanagement ab, das die dem bürgerschaftlichen Engagement innewohnenden Potentiale erkennt und sinnstiftend vernetzt. Neue Akteure und Schauplätze, ungewohnte Inhalte, innovative Koalitionen – Kultur und ihr Management haben unablässig auf Veränderungen zu reagieren oder sie gleich mit zu gestalten. Sinnfällig wird dies insbesondere an den Ausübungsformen von Kultur. Deren Akteure finden sich immer weniger in genau definierten Positionen und stabilen Einrichtungen, sondern in einer individualisierten Situierung. Saskia Reither fokussiert das Selbstmanagement als zentrale Anforderung an ein innovatives Konzept des Kulturakteurs. Der sich selbst managende Akteur bezieht seine Steuerung nicht mehr aus dem Rückbezug auf eine Halt bietende Institution, sondern aus einem Set an Techniken des Managements, die sich nun auf das agierende Individuum beziehen. Dazu gehören Selbstbeobachtung und Motivation, Zielsetzungen und Kontrolle sowie weitere Positionen eines ganzen Programms der Selbststeuerung. Reither begreift das Selbstmanagement in doppelter, weil antagonistischer Perspektive: Auf der einen Seite steht das Selbstmanagement als Ausdruck prekärer Beschäftigungsverhältnisse und instabiler Modelle der Lebensführung, auf der anderen Seite kann es als Idealfall der kreativen Situation verstanden werden. Diese Zweideutigkeit lässt sich nicht auflösen. Kulturakteure agieren als Kleinunternehmer mit innovativen Geschäftsideen. Ihr Terrain ist das instabile, aber dadurch auch hoch bewegliche Feld der Projektarbeit als kultureller Dienstleistung. Olaf Thelen umkreist eine andere Form des beweglichen Feldes – das eines Managements, das bewusst auf eine Entwicklungsperspektive der permanenten Veränderung setzt. Unter „Change Management“ versteht Thelen nicht einfach eine ganz neue Form des Managements, sondern ein Ensemble von Techniken und Maßnahmen, die vom ökonomischen Mitteleinsatz bis hin zu Motivierung und Kommunikation reichen. Ziel dieser Perspektive ist ein Arbeiten in flachen Hierarchien und mit optimaler Kommunikation. Thelen stellt ein Management vor, das konsequent am Ideal qualitätvoller Kulturprodukte orientiert ist. Das Ergebnis ist ein Arbeitsprozess, der von unablässiger Entwicklung geprägt ist und insofern Flexibilität verstetigt.
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Flexibilisierung ist aber auch längst für Institutionen der Kultur ein Thema. Mit der auf Leistung bezogenen Bezahlung stellt Katharina Jörges-Süß ein derzeit viel diskutiertes Mittel der Personalführung vor. Probleme der öffentlichen Etats und die damit verbundene Forderung nach einem möglichst wirtschaftlichen Umgang mit finanziellen Mitteln bilden den Hintergrund für den Ansatz, die Bezahlung von Bediensteten öffentlicher Kultureinrichtungen stärker an der individuellen Leistung auszurichten. Jörges-Süß sieht diese Form der Bezahlung als Element eines Systems der Anreize, das sich nicht länger an festen Rhythmen hierarchischen Aufstiegs orientiert. Probleme bereiten dabei vor allem ein transparentes Set nachvollziehbarer Leistungskriterien und die Aufgabe, diese neue Form der Bezahlung offensiv zu diskutieren. Jörges-Süß macht auf die paradoxe Situation aufmerksam, dass öffentliche Verwaltungen dieses Instrument des Personalmanagements gern anwenden würden, dies aber wegen ihrer angespannten finanziellen Situation nicht umsetzen können. Einem innovativen Ansatz sind damit unerwartete Grenzen gesetzt. In der Frage der Flexibilisierung von Kultur und den sie ermöglichenden Institutionen steht das Marketing seit Jahren im Zentrum der Debatte. Carola de Teffé und Lothar Müller-Hagedorn zeigen in ihren Überlegungen zu der Wirkung von Audio-Guides in Museen, dass Kulturmarketing über alle Zielgrößen zu Fragen nach Publikumserreichung und Verkaufserlösen hinaus längst auch zu einem Thema verfeinerter Formen der Orientierung an Besucherwünschen und – erwartungen geworden ist. Eine am Beispiel des Kölner Wallraff-Richartz-Museums entwickelte Fallstudie verdeutlicht in exemplarischer Weise, wie Motive der Kundenbindung und der Kulturvermittlung in ein und demselben Instrument zusammengeführt werden können. Die Frage nach der Wirkung von Audio-Guides führt zu der Erkenntnis, dass entsprechend gestaltete Texte sowohl dazu führen, dass Inhalte von Ausstellungen besser vermittelt wie auch die Beurteilungen des ganzen Museums durch die Besucher positiv beeinflusst werden. Im Marketing lassen sich also Interessen der Kulturvermittlung wie der Absatzentwicklung produktiv miteinander vernetzen. Dieser paradigmatisch entfaltete Ansatz zeigt dem Kulturmarketing neue Dimensionen auf. Ein weiteres bedeutsames Themenfeld wird von Christian Heinze eröffnet. Rechtliche Frage- und Problemstellungen manifestieren und konkretisieren Entwicklungsschritte der Kulturpraxis und inhärente Rechtsfragen werden durch sie sichtbar. Heinze greift einen besonderen rechtlichen Balanceakt heraus, der sich aus dem Spannungsfeld zwischen grundrechtlich garantierter Kunstfreiheit und privatrechtlicher Regelungsmacht ergibt. Vertragsgegenstand privatrechtlicher Verträge im Kulturbereich sind häufig künstlerische Werke, die als so genannte „Auftragskunst“ geschaffen werden. Und genau an diesem Punkt treffen zwei Positionen aufeinander: Der Künstler in seiner gestalterischen Freiheit und Ei-
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gentümlichkeit einerseits und der Auftraggeber, der ein Werk nach seinen eigenen, individuellen Vorstellungen erwartet andererseits. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu diesem Themenbereich untersucht Heinze den Gestaltungsspielraum und die Bedeutung der verfassungsrechtlich verankerten Kunstfreiheit im Rahmen privatrechtlicher Vertragsgestaltung. Durch seine Ausführungen beweist der Autor abermals auch das Paradoxon, das dieser Problematik zu Grunde liegt: Auftragskunst als Ergebnis eines vertraglich vereinbarten und damit von den Parteien bestimmten, aber dennoch naturgemäß freien künstlerischen Gestaltungsprozess. Zentrales Thema dieses Beitrages ist mithin auch der Kunstbegriff in seiner verfassungsrechtlichen Interpretation. Es ist für ein Kulturmanagement von morgen an der Zeit, sich erneut mit der Definition von Kunst auseinander zu setzen, um dadurch seine eigenen Inhalte besser bestimmen zu können. Eine Schnittstelle von Recht und Kulturmanagement und damit ein weiterer Bedarf sensibler Ausbalancierung von Interessen besteht auch im vertragsrechtlichen Gestaltungsprozess des Kultursponsorings, dem sich Inga Samii im Hinblick auf ein professionelles Sponsoringmanagement widmet. Leistung und Gegenleistung der Vertragsparteien einer Sponsoringbeziehung werden in einem Vertragswerk schriftlich fixiert. Die jeweiligen Verpflichtungen der Sponsoringpartner unterliegen komplexen gesetzlichen Steuerbestimmungen, die in der Praxis häufig zu Unsicherheiten führen. Samii greift dezidiert denkbare Leistungen und Gegenleistungen einer Sponsoringbeziehung auf und untersucht deren steuerliche Behandlung unter Berücksichtung des zweiten Sponsoring-Erlasses der Bundesregierung. Unter dem Gesichtspunkt der optimalen Vertragsgestaltung formuliert Samii für beide Seiten Vertragsklauseln im Sinne eines in der Praxis umsetzbaren Mustervertrages. Sie liefert damit ein bedeutsames Instrumentarium sowie Rechtssicherheit für das strategische Sponsoringmanagement, dem auch weiterhin ein hoher Bedeutungsgrad zur Kulturfinanzierung sowie übergreifenden Vernetzung beizumessen ist. Wie sich ein erhöhter Grad der Vernetzung der Kulturszene und der Einfluss des Kulturmanagements wechselseitig bedingen, führt in einem abschließenden Beitrag Christa Eichbaum vor. Am Beispiel des Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern zeigt die Autorin, dass Erhalt und Ausbau einer kulturellen Infrastruktur, touristische Inwertsetzung und ökonomische Entwicklung nicht zu Interessengegensätzen, sondern im Gegenteil zum Aufbau neuer Koalitionen von Kultur und Wirtschaft führen. Kultur stellt Orte und Inhalte bereit, Ökonomie sorgt für innovative Nutzungsformen – in solcher Wechselseitigkeit der Antriebe und Energien vollzieht sich die Entwicklung einer Kulturlandschaft, die nach dem Mauerfall dringend innovativer Impulse bedurfte. Eichbaum führt am Beispiel einer regionalen Entwicklung vor, wie die Kombi-
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nation von Interessenlagen und Identifikationsprofilen auch zu neuen Allianzen von Akteuren führt, die sonst zu antagonistisch positionierten Lagern gezählt werden. Der Beitrag von Eichbaum rundet insofern den Parcours der in diesem Band behandelten Themen ab, als er noch einmal deutlich werden lässt, in welche neuen Dimensionen Kultur und ihr Management längst vorgestoßen sind. Der thematisch orientierte Band ist über seine inhaltliche Bestimmung hinaus Herrn Prof. Dr. Thomas Heinze gewidmet, der das Institut für Kulturmanagement an der FernUniversität Hagen aufgebaut und damit einer jungen Disziplin einen zentralen Anlaufpunkt gegeben wie auch ihr inhaltliches Profil maßgeblich mit geformt hat. Thomas Heinze ist zu Beginn des Jahres 2008 aus dem Hochschuldienst ausgeschieden. Dass dieses Buch Kultur und Kulturmanagement nicht als arrondiertes Feld, sondern als dynamisches Geschehen vorführen kann, verdankt sich nicht zuletzt auch dem ebenso entdeckend ausgreifenden wie methodisch verknüpfenden Denkstil von Thomas Heinze. Deshalb kann dieser Band nicht der bilanzierenden Rückschau, sondern zwingend nur der Zukunft des Kulturmanagements verpflichtet sein. An dieser Zukunft wird auch Thomas Heinze sicher weiter mitwirken. Den Herausgebern bleibt noch die traurige Verpflichtung, darauf hinzuweisen, dass eine geschätzte Persönlichkeit diesen Weg leider nicht mehr mitgehen kann. Prof. Dr. Eckart Pankoke hatte seine Mitarbeit an diesem Buch bereits zugesagt, bevor er am 14. Juli 2007 im Alter von 68 Jahren unerwartet verstarb. Zu einer Verabredung des Themas seines Beitrags ist es nicht mehr gekommen. Die Herausgeber sind sich jedoch sicher, dass die Ausführungen dieses durch viele wegweisende Beiträge ausgewiesenen Kultursoziologen die Debatte um das Kulturmanagement der Zukunft außerordentlich bereichert hätten.
Literaturverzeichnis Bendixen, Peter (1992ff): Handbuch KulturManagement. Die Kunst, Kultur zu ermöglichen. Stuttgart: Raabe Verlag Bendixen, Peter (2002): Einführung in das Kultur- und Kunstmanagement. Opladen: Westdeutscher Verlag Heinrichs, Werner (1999): Kulturmanagement. Eine praxisorientierte Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Heinze, Thomas (Hg) (1994): Kulturmanagement. Professionalisierung kommunaler Kulturarbeit. Opladen: Westdeutscher Verlag Heinze, Thomas (Hg) (1997): Kulturmanagement II. Konzepte und Strategien. Opladen: Westdeutscher Verlag Heinze, Thomas (Hg) (2004): Neue Ansätze im Kulturmanagement. Theorie und Praxis. Wiesbaden: VS Verlag
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Heinze, Thomas (2008): Kulturtourismus, Museumsmarketing, Kulturtourismus. Ein Leitfaden für Kulturmanager. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag Klein, Armin (Hg) (2008): Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis. 2., überarb. u. erw. Aufl. München: Verlag Franz Vahlen
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Kulturmanagement – Tätigkeiten an der Schnittstelle von kulturellen Ansprüchen, betrieblicher Rationalität und politischer Regulierung Kulturmanagement
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Einleitung Begriffe Management Ökonomische Rationalität Kultur Moderner Betriebsbegriff Systemtheorie Autopoiese Gesellschaftliche Differenzierung Rationalitäten Organisation und funktionale Differenzierung Und was meint dann „Kultur“? Agieren in den Schnittstellen Kulturmanagement Kulturmanagement KulturManagement Literaturverzeichnis
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Einleitung
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Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. So meint es zumindest ein Sprichwort. Zugegeben, vieles hängt davon ab, wie gut man sich sichert, aber in der Tendenz mag das Sprichwort stimmen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die „Freeclimber“, jene verwegene Sorte von Menschen, die es sich zum Hobby gemacht hat, steile Wände hinauf zu klettern. Und sie nehmen einen möglichen Absturz in Kauf. Je besser sie darin trainiert sind, sich an glatten, scharfen, kleinen etc. Vorsprüngen im Fels und in der Wand festzuhalten, umso höher sind ihre Chancen, anzukommen. Diejenigen, die Freeclimbing als Breitensport betreiben, sichern sich und klettern in Hallen. Die
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wirklich Verwegenen jedoch steigen Steilwände an Bergen oder gar Häuser hinauf und verzichten auf jede Art der Sicherung. Man sollte das Sprichwort also vielleicht für diesen Fall so formulieren: Wer sich an den Rand (der Wand) begibt, der droht zu stürzen. Will er den Sturz vermeiden, muss er sich auf die Möglichkeiten, die ihm in dem Gebiet zwischen Wand und Luft Halt geben, sehr gut vorbereiten. Jenseits der kleinen Vorsprünge liegt ansonsten der Absturz. Mit welchen Folgen für Leib und Seele der Absturz dann verbunden ist, hängt – wie oben geschildert – davon ab, wie man sich gesichert hat und wo genau man seine Kletterkünste vollzieht. In der Halle mit Helm am Seil dürfte der Sturz glimpflich ausgehen – natürlich kann die Seele leiden, wenn man einsehen muss, dass man der Herausforderung nicht gewachsen ist –, an der Felsoder Häuserwand reicht der Verweis auf das zitierte Sprichwort ... Nun gut, was hat das mit Kulturmanagement zu tun? Eigentlich nichts, es sei denn, man versucht, das Bild in eine Analogie zu verwandeln – und genau das ist natürlich meine Absicht. Die Situation derjenigen Menschen, die sich in das Kulturmanagement begeben, kann man meiner Meinung nach durchaus mit Freeclimbern vergleichen. Sie agieren zwischen (mindestens) zwei Welten, zwei Arten von Aggregatzuständen, wenn man so will, zwischen festem Grund (Wand) und weichem Gas (Luft): Sie agieren zwischen kulturellem Handeln auf der einen und betrieblichem Handeln auf der anderen Seite. Sie müssen sich darüber klar sein, dass beide Sphären nicht (ohne weiteres) miteinander zu verbinden sind. Kultur will sich nicht per se vermarkten lassen, Wirtschaft will aber Vermarktbares. Wirtschaft wiederum kümmert sich nicht um Ästhetik, Ausdruck, Botschaft etc. an sich, Kultur zielt aber genau hierauf ab. Zwischen den beiden Sphären Kultur und Wirtschaft zu „klettern“ birgt dann die Gefahr, in beiden nicht wirklich „zuhause“ zu sein. So wie der Freeclimber nicht zur Wand und nicht zur Luft gehört, werden auch die Menschen im Kulturmanagement oftmals weder als Teil der Kultur („Die wollen ja nur verkaufen.“) noch als Teil der Wirtschaft („Das lässt sich nun wirklich nicht verkaufen.“) wahrgenommen. Diese „Tatsache“ ist durchaus seit Langem bekannt. Nicht zuletzt deshalb wird in Kultur eine staatliche Aufgabe gesehen. In gewissem Sinne versteht sich der Staat als die „Sicherung“ des Freeclimbers, die in vielen Fällen erst ermöglicht, dass sich Menschen darauf einlassen, zwischen Kultur und Wirtschaft zu agieren. Ich gebe zu, die Analogie hat ihre Grenzen. Ich nutze sie trotzdem, weil sie eines schafft (streng genommen: soeben geschafft hat), sie leitet zu dem über, was ich über Kulturmanagement in den kommenden Ausführungen schreiben möchte.
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Nachfolgend möchte ich – von einer systemtheoretisch-konstruktivistischen Perspektive ausgehend –, das Agieren an den Schnittstellen besprechen. Dazu muss ich zunächst Kultur, Management, Kulturmanagement und die Systeme mit Schnittstellen zueinander definieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf ökonomischen Ansätzen (Abschnitt 2). Daran anschließend wird die Frage nach Wirtschaft und Kultur auf der Basis der Theorie sozialer Systeme (der Einfachheit halber später ‚Systemtheorie’ bezeichnet) besprochen (Abschnitt 3). Vor diesem Hintergrund schließlich soll dann die im Titel beschriebenen Schnittstellenphänomene im Kulturmanagement ausgeführt werden (Abschnitt 4).
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Begriffe
Um einen Begriff zu definieren, beginnt man in der deutschen Sprache am Ende des zu definierenden Wortes. Ein Feuerwehrmann ist ein Mann, der bei der Feuerwehr arbeitet, wobei die Feuerwehr die Abwehreinheit meint, die Feuer bekämpft. Entsprechend handelt es sich beim ‚Kulturmanagement’ um Management. Was aber heißt ‚Management’? Der Begriff ‚Management’ bedeutet „Führung einer Organisation bzw. eines Betriebes“ oder „Geschäftsführung eines Unternehmens“. ‚Kulturmanagement’ lässt sich dann verstehen als das Führen von Kulturbetrieben. Und ‚Kulturbetriebe’ sind als Betriebe zu verstehen, die Gütern (erstellen und) anbieten, die dem kulturellen Bereich zuzurechnen sind. Und somit stellt sich schnell die Frage, was dieser kulturelle Bereich den sein mag. Aber der Reihe nach:
2.1 Management Ohne ein „betriebswirtschaftliches Grundseminar“ geht es bei der Beantwortung der Frage nach dem ‚Kulturmanagement’ nicht, denn der Begriff des Managements entstammt einem betriebswirtschaftlichen Kontext. Traditionell wird der Betriebsbegriff über die Tatsache hergeleitet, dass in einer Ökonomie Gütern und Dienstleistungen von den Produzenten (von den Anbietern) für die Konsumenten (für die Nachfrager) erstellt werden. Weil die Bedürfnisse, die die Nachfrage begründen, unendlich sind, die Möglichkeiten, Güter und Dienste zur Befriedigung zu erstellen, aber endlich, entsteht in diesem Prozess Knappheit. ‚Knappheit’ bezeichnet die Relation von Bedürfnissen (unendlich viele) und den (endlichen) Möglichkeiten, Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse herzustellen. Knappheit ist Ausgangspunkt und allgegenwärtiges Phänomen jeden Wirtschaf-
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tens. ‚Wirtschaften’ bedeutet deshalb auch Umgang mit knappen Gütern und Dienstleistungen1. Erstellung der Güter und Dienstleistungen wiederum wird als ‚Produktion’ bezeichnet. Im Produktionsprozess werden die Produktionsfaktoren kombiniert. ‚Produktionsfaktoren’ meint die eingesetzten Arbeitsleistungen, die verwendeten Vorprodukte und Rohstoffe, die in das Produkt eingehen, sowie die Maschinen und Gebäude, in bzw. mit denen an den Produkten gearbeitet wird. Weil auf keine der genannten „Zutaten“ verzichtet werden kann, um Produkte zu erstellen, heißen sie ‚Faktoren’ – was auf die Multiplikation zurückgeht, in der Faktor mal Faktor das Produkt ergibt und bei der das Ergebnis null ist, wenn einer der Faktoren Null ist. Wichtig ist hier, dass der Prozess, in dem die Produktionsfaktoren kombiniert werden, nur dann möglich ist, wenn er von einer Instanz im Betrieb geplant, organisiert und kontrolliert wird. Genau hierin liegt die Aufgabe des Managements, das oft auch als ‚dispositiver Faktor’ oder ‚leitende Arbeit’ bezeichnet wird2. In vereinfachter Weise stellt Abbildung 1 diese Zusammenhänge dar. Abbildung 1:
Prozess der Produktion
2.2 Ökonomische Rationalität Im Umfeld der Knappheit stellt sich für die Betriebe eine Situation, in der es darauf ankommt, entweder aus den vorhandenen Produktionsfaktoren möglichst viele Güter oder Dienste oder eine bestimmte Menge von Gütern bzw. Diensten 1 2
Vgl. Bode 2000: 9ff. Vgl. Bernecker 1998: 89, Birker 2002: 33.
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mit so wenig Einsatz an Produktionsfaktoren herzustellen. Man sagt, die Betriebe handelten nach dem ökonomischen Prinzip3. Das ökonomische Prinzip beschreibt die Rationalität im wirtschaftlichen Kontext. Durch die allgegenwärtige Knappheit sind die Betriebe gezwungen, die verfügbaren Mittel (Produktionsfaktoren) so ergiebig wie möglich einzusetzen, um sich am Markt behaupten zu können. Beide beschriebenen Vorgehensweisen – Maximierung der hergestellten Menge an Gütern oder Diensten aus einer vorgegebenen Menge an Produktionsfaktoren oder Minimierung des Einsatzes an Produktionsfaktoren zur Herstellung einer bestimmten Menge von Gütern bzw. Diensten – führen hinsichtlich der Ergiebigkeit der Produktionsfaktoren zum selben Ergebnis: Die Produktionsfaktoren werden in der „bestmöglichen“ bzw. „ergiebigsten“ Weise ausgenutzt.
2.3 Kultur 2.3.1 Ökonomischer Kulturbegriff Wenn Management eine ökonomische Grundlegung besitzt, so ist hinsichtlich des Kulturbegriffs zunächst danach zu fragen, welches Verständnis von Kultur in der ökonomischen Theorie vorherrscht. Dabei fällt auf, dass in vielen Lehrbüchern zur Ökonomie der Begriff ‚Kultur’ gar nicht vorkommt. Dort, wo er Verwendung findet, wird er konsequenterweise über spezifische Bedürfnisse und die zu ihrer Befriedigung notwendigen Handlungen definiert. Unterschieden werden hierbei4: 1. 2.
3.
‚Wirtschaftliche Handlungen’, die sich auf Bedürfnisbefriedigung durch knappe Güter oder Dienstleistungen auszeichnen. ‚Politische Handlungen’, die zur Bedürfnisbefriedigung auf legitime physische Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung aufbauen. Der Rahmen dieser Handlungen wird in modernen Gesellschaften durch Rechtsordnungen gesetzt. Man spricht deshalb vom Rechtsstaat. ‚Kulturelle Handlungen’, die zur Befriedigung von Bedürfnissen auf psychische, geistige, sittliche etc. Fähigkeiten zurückgreifen.
Auffällig ist, dass eine scharfe Trennung durch die Definitionen nicht erreicht wird. Die Leistung, die in einer psychiatrischen Behandlung erbracht wird, ist sicherlich psychischer Art und setzt psychische Fähigkeiten voraus. Gleichwohl 3 4
Birker 2002: 796, Bode 2007: 22. Vgl. Bode 2000: 3.
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rechnet die ökonomische Theorie diese Dienste dem wirtschaftlichen System zu. Das Fertigen eines Bildes wiederum ist ohne knappe Güter nicht denkbar. Und doch ist das Resultat etwas, das in den Bereich der Kultur fällt. Offensichtlich gelingt es der ökonomischen Theorie auf dem hier beschriebenen Abstraktionsniveau nicht, den Begriff ‚Kultur’ trennscharf zu beschreiben. Die entscheidende Frage für die wirtschaftliche Praxis besteht jedoch nicht darin, ob es gelingt, einen scharfen Begriff von Kultur zu finden. Wichtiger ist es, wie die betriebliche Praxis mit Kultur „umgeht“, wenn sie Kultur in den eigenen Wirkungsbereich einbezieht. Hier ist die Antwort deutlicher, aber nicht mehr eindeutig: 1.
2.
Die Betriebe, die privatwirtschaftlich organisiert sind, betrachten Kultur als Gut und setzen diese entsprechend den marktlichen Bedingungen aus. Musik, Bilder, Dichtung, Bildhauerei etc. muss hergestellt werden und sich anschließend (mindestens) kostendeckend veräußern (oder präsentieren) lassen. Diese Anforderung unterscheidet kulturelle Güter nicht im Geringsten von anderen Gütern oder Dienstleistungen. Die Betriebe, die die kulturellen Gehalte hervorheben, setzen an der sinnstiftenden Funktion an. ‚Kultur’ wir hier eher als ein sozialer Prozess der Herstellung von Sinn begriffen5 oder über die grundlegende Rolle der Kultur für die Beziehung von Individuen zu sich selbst, zu anderen Individuen oder zur Gesellschaft beschrieben6. Dieses Verständnis von Kultur stellt Gegebenheiten heraus, die jenseits der Märkte liegen, und es beugt sich der Marktlogik nicht per se. In der Konsequenz lassen sich aus diesem Verständnis sowohl Bereiche der Kultur beschreiben, die mit dem ökonomischen Verständnis verträglich sind – wo sich Kultur Gewinn bringend vermarkten lässt –, wie sich auch vielfältige Bereiche definieren lassen, in denen Kultur und Wirtschaft „unverträglich“ sind.
Damit führt der Begriff des ‚Kulturmanagements’ unter bestimmten Bedingungen in paradoxe Situationen. Dies hat Heinze7 deutlich herausgearbeitet. ‚Management’ als betriebswirtschaftlicher Begriff setzt ökonomisches Verhalten voraus. Dieses Verhalten benötigt Märkte, die einer ökonomischen Logik gehorchen. Der Teil der Kultur, der sich nicht als Gut oder Dienstleistung versteht (bzw. verstehen lässt), findet jenseits der Märkte statt. Damit entzieht Kultur sich
5
Gripp-Hagelstange 1995: 53, Gripp-Hagelstange 2000: 7ff sowie die Beiträge von Lüddemann und Görtz in diesem Band. 6 Vgl. Bendixen 1995: 90. 7 Vgl. Heinze 1995: 79ff.
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der betrieblichen Sichtweise und der Produktionsprozesse (zumindest partiell), was sie auch vom Management entfernt, das ja eine betriebliche Funktion bildet. Man könnte geneigt sein, das Kulturmanagement auf den Teil der Kultur zu beschränken, der sich mit den Marktprozessen als verträglich erweist. Diese Vorgehensweise würde jedoch den beachtlichen Teil (wahrscheinlich den größeren) der kulturellen Handlungen aus der „Zuständigkeit“ des Kulturmanagements verbannen. Gleichwohl ist dieses Vorgehen über lange Zeit – wenn auch nicht mit explizitem Bezug zum Kulturmanagement – praktiziert worden. Die „Länderhoheit“ für Kultur basiert letztlich auf eben der Vorstellung, dass Kultur kein Marktgut ist und deshalb vom Staat bereitgestellt werden muss. Weil es unter den Bedingungen marktlicher Prozesse nicht möglich sein soll, kulturelle Güter und Leistungen in angemessenem Maße zu erstellen, werden diese Leistungen vom Staat bereitgestellt – man spricht in diesem Fall von ‚meritorischen Gütern’8. 2.3.2 Nicht-ökonomische Kulturbegriffe 2.3.2.1 Kultur als Verhaltensähnlichkeiten Natürlich ist es möglich, den Kulturbegriff „jenseits“ der ökonomischen Theorie zu bestimmen. Und in der Tat existieren verschiedene Versuche, ‚Kultur’ begrifflich zu fassen. So wird beispielsweise auch dort von ‚Kultur’ gesprochen, wo man Ähnlichkeiten im Verhalten sozialer Gemeinschaften beobachten kann. In diesem Sinne kann dann von einer ‚Corporate Culture’ gesprochen werden. In (formalen) Organisationen kann eine solche Organisationskultur (zumindest teilweise) bewusst installiert werden, wenn beispielsweise im Rahmen von Qualitätsmanagement eine „Fehlerkultur“, ein bestimmter und für die Organisation typischer und offener Umgang mit Fehlern und – was hier wichtiger ist – mit Verbesserung erreicht werden soll. Dass sich neben diesen „offiziellen“ Verhaltensweisen immer auch „inoffizielle“ finden lassen, stellt eine Selbstverständlichkeit organisationstheoretischer Forschung dar9. Formale Organisationen sind jedoch nicht die einzigen sozialen Gemeinschaften, die von Kulturen geprägt sein sollen. Politische Diskussionen um „Leitkulturen“ des Umgangs in einem Staat, die Untersuchung von „Subkulturen“ innerhalb von Staaten etc. drücken prinzipiell dasselbe aus. Auch in solchen „Makrogebilden“ lassen sich bestimmte Verhaltensweisen formal festlegen. Dies geschieht über Verfassungen, Gesetze etc. – und dort, wo Religion und Staat vermischt sind, gehören hierzu auch die jeweiligen religiösen Schriften. Andere 8 9
Vgl. Bode 2007: 20, Woll 1987: 379f. Vgl. Schreyögg 1999: 15, Kieser 1999: 284, Fatzer 1999: 228ff.
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Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden allerdings „jenseits der Vorschriften“ entwickelt – wo Staat und Religion nicht vermischt sind, stellen auch religiöse Verhaltensweisen solche Bereiche der Kultur dar. In welchem Umfang Menschen pünktlich, großzügig, gesellig oder gerecht sind, mag zwar individuell entschieden werden. Die individuelle Entscheidung findet aber im Kontext von Prozessen der Sozialisation statt und steht deshalb immer auch in Verbindung mit (informellen) Normen, Sitten etc.10 2.3.2.2 Kultur als Kommunikationsmedium Neben diesen am (sozialen) Verhalten orientierten Kulturbegriffen wird ‚Kultur’ auch für solche Bereiche der Gesellschaft verwendet, in denen es um „typische“ Ausdrucksformen geht. Musik, Malerei, Bildhauerei, Architektur, Theater etc. bilden die Kultur eines Staates oder bestimmter Epochen. Dieser Teil der Kultur wird häufig auch als ‚Kunst’ bezeichnet. Natürlich stehen auch diese Vorstellungen von Kultur in einem engen Verhältnis zu normierten Verhalten. Eine Epoche zu definieren gelingt nur, wenn es gemeinsame Merkmale gibt, an denen man die Epoche beschreiben und über die man konkrete Kunstwerke einer Epoche zurechnen kann (Was macht eigentlich einen Dürer zu einem Teil der Renaissance? Wie wird ein Gedicht klassisch? Was unterscheidet House von Techno?) – es sei denn, die Tatsache, dass es keine Merkmale gibt, wird zum Merkmal der Epoche. Wichtig für die weiteren Besprechungen ist, dass ein an künstlerischem Ausdruck orientierter Kulturbegriff mit dem oben aus ökonomischer Perspektive definierten Kulturbegriff in hohem Maße kompatibel ist. Kunst kann zu einem Gut oder einer Dienstleistung „uminterpretiert“ werden. Zwar mag es dem Künstler oder der Künstlerin um Ausdruck gehen – damit liegt es der Person fern, ein Produkt zu erstellen, das andere wirtschaftlich nutzen sollen. Das Ergebnis lässt sich aber von anderen als ein Gut oder eine Dienstleistung nutzen. Es scheint kommunikationstheoretisch sogar so zu sein, dass Ausdruck nur dann (über ein Kunstwerk) gelingen kann, wenn das Kunstobjekt in einen kommunikativen Zusammenhang gestellt wird. Dabei fungiert ein Kunstobjekt als Medium, mit dem sich der Künstler oder die Künstlerin einem oder einer anderen mitteilen will. Nur, wenn der oder die andere diese kommunikative Offerte annimmt, das Medium als Ausdrucksform akzeptiert und sich von diesem Medium beeindrucken lässt, ist ein so verstandener Kommunikationsprozess überhaupt möglich11. 10 11
Vgl. Weise 1996: 187ff. Vgl. für einen Überblick über Kommunikationstheorien Schützeichel 2004, insbesondere S. 55ff.
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Die ökonomische Bedeutung solcher Kommunikationsprozesse ergibt sich dann, wenn die Empfänger um die Möglichkeit des Empfangs konkurrieren, wenn das Medium Kunstwerk in seiner Reichweite verknappt wird. Dann braucht es eine Entscheidung darüber, wer das knappe Gut Kunstwerk nutzen kann und wer von seinem Genuss ausgeschlossen wird. Moderne Urheberrechte versuchen mit großem Aufwand nichts anderes, als die Nutzung eines Ausdrucksmittels, eines Mediums, und damit auch seine Reichweite zu begrenzen und es so gegen Entgelt einsetzbar zu machen. Interessanterweise steht dies fast im Gegensatz zu dem, was die politische Sicht auf Kunst kennzeichnet. Geförderte bzw. subventionierte Theater, Museen, Konzerthallen etc. existieren ja gerade, um die Kunst möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Hier geht es also um die Erweiterung der Reichweite des Mediums Kunstwerk. Auch so kann man ‚Meritorisierung’ begrifflich fassen.
2.4 Moderner Betriebsbegriff In jüngerer Zeit hat die Betriebswirtschaftslehre jedoch ihr „Selbstverständnis“ und vor allem ihren Betriebsbegriff in einer Weise verändert, dass in sie in der Lage ist, auch solche Organisationen zu erfassen, die nicht privatwirtschaftlich agieren. Nach diesem Verständnis lässt sich ein Betrieb mithilfe von drei Eigenschaften beschreiben: 1. 2. 3.
Ein Betrieb erstellt Leistungen, indem er Produktionsfaktoren kombiniert. Wie die Leistungen finanziert werden, ist jedoch gleichgültig. Ein Betrieb handelt nach dem ökonomischen Prinzip. Ein Betrieb muss sein finanzielles Gleichgewicht wahren, d. h., er muss in der Lage sein, zu jeder Zeit seinen Zahlungsanforderungen entsprechen zu können. Wie die Mittel erzielt werden, die zur Wahrung dieses Gleichgewichts notwendig sind, ist gleichgültig – abgesehen natürlich von Gesetzesverstößen.
Auf den ersten Blick erscheint sich durch diese Vorgehensweise keine Änderung gegenüber der Argumentation zu ergeben, die oben dargestellt wurde. Dort wurde aber mit Blick auf die Veräußerung der Leistungen und Güter davon gesprochen, dass zumindest eine Kostendeckung erzielt werden müsse. Da die drei Kriterien eine Finanzierung nicht alleine auf Einnahmen durch Veräußerung reduzieren, erweitert sich der Möglichkeitenraum. In der Konsequenz wird die Betriebswirtschaftslehre auf die Fälle ausgedehnt, die ihre Finanzierung über andere Wege realisieren.
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Im Bereich kultureller Handlungen fallen vor allen Dingen die Organisationen auch unter den Betriebsbegriff, die staatlich subventioniert werden oder gänzlich zum öffentlichen Sektor gehören (z. B. kommunale Betriebe, Ämter etc.). Damit erweitert sich auch der Anwendungsbereich des Managementbegriffs, denn auch die nicht marktorientierten Betriebe fallen unter die Definition auf der Basis der drei genannten Kriterien. Und da auch diese Betriebe Planung, Organisation und Kontrolle benötigen, besteht auch hier der Bedarf an Management und Managementkonzepten. Unverändert bleibt allerdings die Vorstellung, dass es sich bei Kulturmanagement um Handlungen – und um eine Funktion – im Zusammenhang mit der Erstellung von Gütern und Leistungen handelt. Nicht die Kultur unterliegt dem Management, der Betrieb bedarf des Managements. Kultur – was immer dies dann im konkreten Fall sein mag – bleibt das Gut oder die Leistung, die für andere hergestellt wird. Dass diese Sicht nicht mit derjenigen der „Kulturschaffenden“ übereinstimmen muss, versteht sich von selbst. Damit bleiben die Paradoxien – wenn auch eher im individuellen Bereich – erhalten, die darin bestehen, dass man eine betriebliche Funktion beschreibt (Management), wo man sich der betrieblichen Logik der Produktion entzieht (entziehen will). Auf der gesellschaftlichen Ebene erscheint die Paradoxie, wo sich ökonomisches Interesse an Verknappung der Reichweite von Kunst mit dem politischen Interesse an Steigerung der Reichweite trifft. Die Meritorisierung von kulturellen – und vor allem künstlerischen – Gütern bezeichnet ja nichts anderes als eine Aufhebung der Marktergebnisse mit politischen Mitteln, nachdem oft erst politische Entscheidungen (beispielsweise zum Urheberrecht) eine Ökonomisierung der Kunstwerke möglich macht.
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Systemtheorie
3.1 Autopoiese Die voranstehenden Aussagen führen zu der Frage von Perspektiven und Beobachtungen und zu einer Theorie, die soziale Zusammenhänge auf der Basis von Beobachtungen und Beobachtungssystemen eines bestimmten Typs erklärt. Gemeint ist die Theorie sozialer Systeme – oder kürzer: die soziologische Systemtheorie. Diese auf Luhmann zurückgehende Theorie geht davon aus, dass das soziale Geschehen als ein eigenständiges System beschrieben werden kann (und muss), das sich fortlaufend selbst reproduziert, indem es für sich spezifische Operationen aus eben diesen Operationen hervorbringt. Der Prozess der Selbst-
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erzeugung aus den eigenen Operationen heißt ‚Autopoiese’12, der ursprünglich aus der Biologie stammt. 3.1.1 Biologische Theorie autopoietischer Systeme Wichtige Vorläuferin der soziologischen Systemtheorie war die Theorie lebender Systeme von Maturana und Varela13. Die Autoren beschrieben die Merkmale lebender Systeme, die im Zuge der Selbsterhaltung durch Zellteilung, Nährstoffe importieren, diese als „energetische Basis“ nutzen, um daraus Zellen aus Zellen zu reproduzieren. Den Prozess der Reproduktion lebender Systeme aus ihren Bestandteilen nennen Maturana und Varela ‚Autopoiese’, das entstehende System ‚autopoietisch’. Was ein bestimmter Organismus als Nahrung nutzt („interpretiert“), „entscheidet“ er selbst – denn: Was den einen tötet, ernährt den anderen. Lebende Systeme erweisen sich als offen (für Nahrung) und geschlossen (im Zuge der Verarbeitung von Nahrung) zugleich. Die vielleicht wichtigste Folge autopoietischer Reproduktion ist, dass die Systeme keinen direkten Zugang mehr zu ihrer Umwelt besitzen. Zwischen dieser und dem System befindet sich immer eine „Interpretation“. Und genau diese sorgt dafür, dass das System nicht mehr zwischen dem, was ist, und dem, was ihm erscheint, unterscheiden kann14. Dadurch gewinnt das System seine Autonomie, denn nicht die Umwelt entscheidet, was für das System ist, das System entscheidet, wie es Umwelt interpretiert. Im Vollzug der Zellteilung bildet das System eine Struktur aus, die es – mal schneller mal langsamer – variiert. In welchen Grenzen die Variation möglich ist, hängt vom konkreten System ab. Die Fähigkeit zur Strukturvariation jedoch liegt bei allen lebenden Systemen vor – und kann auch als Voraussetzung der Variation von Arten angesehen werden. 3.1.2 Erweiterung des Autopoieseansatzes Das Theorieangebot Luhmanns versteht sich als Erweiterung der biologischen Theorie autopoietischer Systeme. Luhmann behauptet, dass nicht nur die lebenden Organismen durch Autopoiese gekennzeichnet werden können. Auch Bewusstsein und Gesellschaft lassen sich als autopoietische Systeme je eigener Art beobachten.
12 13 14
Vgl. Maturana, Varala 1980, insbesondere S. 80f. Vgl. Maturana 1998, Maturana, Varela 1980, Maturana, Varala 1987. Vgl. Varala 1980, insbesondere S. 80f., Maturana, Varela 1987.
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3.1.2.1 Bewusstseinssysteme Bewusstsein produziert nach Luhmann Gedanken aus Gedanken und gewinnt seine systemische Einheit eben durch den Prozess der Gedanken(-re-)produktion. Jeder Prozess, der Gedanken aus Gedanken hervorbringt bildet ein Bewusstsein. So kommt es, dass es nach Luhmann Bewusstsein im Plural, d.h. Bewusstseine, gibt. ‚Bewusstsein’ wird hier nicht als Phänomen, es wird als System verstanden. ‚Bewusstseine’ sind unterschiedliche Systeme, die sich durch das Hervorbringen von Gedanken aus Gedanken autopoietisch reproduzieren. Auch Bewusstseine verfügen über alle Eigenschaften autopoietischer Systeme. Sie importieren Nahrung, indem sie Ereignisse beobachten, über die sie nachdenken. Diese Ereignisse werden interpretiert und im Zuge der Interpretation zu Gedanken. Durch diese interpretative Leistung verlieren Bewusstseine ihren direkten Kontakt zur Außenwelt und gleichzeitig gewinnen Sie ihre Autonomie. Ihre Gedanken beziehen sich auf ihre Gedanken und werden ihnen nur als Gedanken zugänglich. Ob eine Blume schön ist, liegt weniger an der Blume, vielmehr liegt es an der Interpretation der Beobachtung von „Blume“. Die fortlaufende Reproduktion des Systems über Gedanken wirkt strukturbildend – mit der Zeit werden ähnliche Blumen als schön, andere als nicht schön interpretiert. Gleichzeitig bleiben die Strukturen variabel – so bleibt Geschmack nicht gleich, Einstellungen (nicht nur gegenüber Blumen) ändern sich etc. Dies alles geschieht aber immer im Vollzug des Denkens und somit als Reproduktion des Systems Bewusstsein. 3.1.2.2 Soziale Systeme Die Beschreibung von Gesellschaft als autopoietischem Systemtyp ist das Hauptanliegen Luhmanns. Die Schwierigkeit besteht darin, ‚Gesellschaft’ nicht mehr als „Vielheit von Menschen“ zu definieren – dann wäre sie kein eigenständiges autopoietisches System –, sondern eine emergente, autonome und beobachtungsfähige systemische Einheit zu beschreiben, die zwar Vielheit von Bewusstseinen voraussetzt, sich aber nicht auf diese reduzieren und aus dieser Vielheit erklären lässt. Luhmann löst dies dadurch, dass er – anders als die meisten Kommunikationstheorien – die Kommunikation nicht auf den Sendeakt und das Empfangen reduziert. Er beschreibt Kommunikation als Einheit aus drei Unterscheidungen: Information, Mitteilung und Verstehen. Und da (mindestens) die dritte Unter-
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scheidung nicht im Bereich des Senders liegen kann, muss sich Kommunikation von einem einzelnen Bewusstsein lösen und das andere mitberücksichtigen15. Diese Beschreibung von Kommunikation besitzt eine neue Qualität, denn nicht die Mehrzahl von Individuen alleine stellt Kommunikation dar, hier kann keine der drei Unterscheidungen vorausgesetzt werden, nicht einseitiges Senden führt zu Kommunikation, denn es kann nicht als Kommunikation interpretiert werden. Ob Kommunikation vorliegt, entscheidet sich also nicht an den Individuen, es entscheidet sich an der Kommunikation. So erklärt sich die Aussage, dass Kommunikation kommuniziere, dass Kommunikation sich aus Kommunikation reproduziere, dass Kommunikation entscheide, wie Kommunikation kommuniziert etc.16. Das System, das sich aus Kommunikation autopoietisch reproduziert, nennt Luhmann ‚Gesellschaft’ (und manchmal auch ‚Kommunikation’). ‚Gesellschaft’ meint die Gesamtheit aller Kommunikation und das sich daraus bildende autopoietische System.
3.2 Gesellschaftliche Differenzierung Während Gesellschaft alle Kommunikation umfasst, differenziert sie sich intern, indem sie Teile ihrer Kommunikation über abstrakt generalisierte Medien organisiert, die eigene Unterscheidungen als „Leitdifferenzen“ operieren. Wirtschaft orientiert sich an Zahlungen und verwendet Geld. Wirtschaft verwendet dabei die Unterscheidung von Zahlung/nicht Zahlung17. Politik nutzt Macht als Medium und verwendet die Leitdifferenz Entscheidung/nicht Entscheidung18, Wissenschaft beobachtet auf der Basis der Unterscheidung wahr/nicht wahr und bedarf hierzu der Fachsprachen19, Bildung operiert die Differenz vermittelt/nicht vermittelt, die im Medium des Lebenslaufs kommuniziert wird 20 etc. Gesellschaftliche Teilsysteme werden so zu autopoietischen Systemen im autopoietischen System. Sie sind Kommunikation, also Gesellschaft, sie sind gleichzeitig autopoietische und damit autonome Systeme innerhalb von Kommunikation, denn sie lassen nur solche Kommunikation intern zu, die sich im jeweiligen Medium darstellen und mit der Leitdifferenz erfassen lässt. In gewissem Sinne verhalten sich die Teilsysteme der Gesellschaft zu Gesellschaft, wie die Gesamtheit des Lebens zu den Gattungen der Lebewesen. 15
Vgl. Luhmann 1991, Luhmann 1997a, Luhmann 1997b, in denen Luhmann die Theorie sozialer Systeme und ihre Anwendung ausführlich darlegt. 16 Vgl. Luhmann 1989: 50, Bode 1999: 56ff. 17 Vgl. Luhmann 1989 zur Wirtschaft der Gesellschaft. 18 Vgl. Luhmann 2000a zur Politik der Gesellschaft 19 Vgl. Luhmann 1990 zur Wissenschaft der Gesellschaft. 20 Vgl. Luhmann 2002 zum Erziehungssystem der Gesellschaft.
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Auf diese Weise zerfällt Gesellschaft intern in füreinander undurchdringliche Subsysteme. Politik kann niemals direkt in Wirtschaft eindringen, Wirtschaft kann keine Wissenschaft betreiben, Wissenschaft ist nicht Bildung und Bildung nicht Politik. Gleichzeitig ist jedes System auf jedes andere angewiesen, weil es die Leistungen der anderen nicht selbst erzeugen kann. Politik braucht Zugriff auf Güter, die über Geld gehandelt werden – und sei es nur, um die Parlamente zu bauen, in denen politische Entscheidungen getroffen werden. Wirtschaft würde ohne wissenschaftliche Ergebnisse kaum über die Vielfalt von Produkten, Geschäftsmodellen etc. verfügen, die zum Geldausgeben veranlassen. Wissenschaft ohne Bildung, die die Voraussetzungen für die Wahrheitssuche legt, ist undenkbar. Und Bildung wiederum braucht viele politische Entscheidungen, damit Partizipation am Bildungsprozess stattfinden kann und durchgeführt wird – und die Schülerinnen und Schüler, Auszubildenden, Studierenden etc. nicht etwa einer anderen Beschäftigung nachgehen, um sich die Möglichkeit der Zahlung zu erarbeiten. Die unterschiedlichen Systeme in Gesellschaft lassen sich aus der Perspektive der anderen Systeme und aus der Perspektive der Gesellschaft selbst als „Erfüller“ bestimmter Aufgaben interpretieren. Auch wenn ihnen diese Aufgabe selbst nicht wichtig sein muss – wichtig ist nur, dass die eigene Operation weiterhin vorkommt –, werden sie von den anderen Systemen über eine spezifische Funktion, die sie für die anderen erbringen, beobachtet: Jedes System erfüllt damit Funktionen für die anderen und die Gesellschaft insgesamt. Deshalb spricht Luhmann hier von ‚funktionaler Differenzierung’.
3.3 Rationalitäten Am Ende der systemtheoretischen Beschreibung steht eine „zergliederte Gesellschaft“, in der die einzelnen Teilsysteme sich nicht gegenseitig durchdringen, nicht einmal durchschauen können. Jedes Teilsystem operiert autonom und mit eigenen Kriterien. Was hinsichtlich der Zahlungen und der damit verbundenen wirtschaftlichen Möglichkeit des Zugriffs auf Güter und Dienste rational ist, muss unter politischer Betrachtung nicht rational sein. So gesehen wäre beispielsweise die schon mehrfach angesprochene Meritorisierung ein Ausdruck der Abweichung ökonomischer Rationalität von politischer. Ebenso kann man die Forderung z. B. der Wirtschaft, Wissenschaft möge anwendungsorientiert und damit auf Produkte und Innovation bezogen sein, von dem Anspruch der Wissenschaft, zweckfrei und an der Wahrheit orientiert zu sein, als Unterschiede in den Rationalitäten der verschiedenen Systeme beschrei-
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ben. Die politische Forderung, Wissenschaft möge dem Gemeinwohl dienen, bildet dann eine weitere – in ihrem Kontext rationale – Position etc. Funktional differenzierte Gesellschaft befindet sich intern in einem ständigen systemischen „Rationalitätenstreit“. Dies führt zu Verdrängungsversuchen und Verdrängung und gleichzeitig zu ständiger (potenzieller) Revision erfolgter Verdrängung21 und es führt zu einer Gesellschaft ohne hierarchische Spitze22.
3.4 Organisationen und funktionale Differenzierung Eine wichtige Frage im Rahmen der Theorie sozialer autopoietischer Systeme stellt sich in der Beschreibung des Begriffs der ‚(formalen) Organisationen’ dar. Diese sind insofern „problematisch“, als dass sie üblicherweise als Systeme beschrieben werden23. Gleichzeitig fällt es schwer, sich vorzustellen, dass formale Organisation kein System sein soll. Deshalb hat Luhmann einen Versuch unternommen, Organisation als Systeme von Entscheidung zu beschreiben. Ohne eine ausführliche Darstellung oder gar angemessene Würdigung dieses Versuchs vornehmen zu können, lassen sich hier zwei kritische Punkte hierzu nennen:
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Entscheidung/nicht Entscheidung als Unterscheidung heranzuziehen, führt zu Überlappungen mit dem für das Politiksystem erarbeiteten Operationsmodus. In letzter Konsequenz müsste Politik als formale Organisation beschrieben werden, was sie dann aber in Konflikt mit der Beschreibung als funktional differenziertem System bringt.24 Organisation müsste gleichzeitig Kommunikation und Partizipation an Kommunikation sein. Dies würde aber bedeuten, dass Kommunikation in und an Kommunikation stattfinden würde. Kommunikation müsste aus sich
Vgl. Bode 1999: 331ff. Vgl. Willke 1987, Willke 1992. 23 Vgl. Baecker 1999: 38ff., Luhmann 2000b: 39ff. Luhmann definiert: „Die folgenden Überlegungen versuchen zu zeigen, dass Organisationen entstehen und sich reproduzieren, wenn es zur Kommunikation von Entscheidungen kommt und das System auf dieser Operationsbasis operativ geschlossen wird (Luhmann 2000b: 63, Hervorhebungen aus dem Original nicht übernommen O.F.B.). 24 Luhmann verwendet neben der Entscheidung auch die Mitgliedschaft als ein Kriterium für Organisation. In aufwändiger Sprache und mit Rückgriff auf den Begriff der Person (2000b: 88ff.) kommt Luhmann zu einem Begriff des Mitglieds, der auf Integration als Einschränkung von Freiheitsgraden verstanden wird (S. 100). Gleichwohl bleibt die Grenze zwischen Bewusstsein und Gesellschaft erhalten und auch die Begriffe wie Person, Konsens etc. bleiben Konstrukte des Systems Organisation (S. 116). Was dann bleibt sind strukturelle Kopplungen, also eben keine Mit-Gliedschaft, sondern Trennung. Weshalb Luhmann den Schritt zu einer Terminologie der Trennung, die in Organisation eine Stabilisierung der Partizipation sieht, nicht vollzieht, bleibt unklar. 22
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Kulturmanagement heraustreten können. Entweder löst sich das Beschreibungsmodell der Kommunikation auf, das die Autonomie der Kommunikation an der Unmöglichkeit für Bewusstseine den Gesamtprozess Kommunikation operieren zu können festmacht, oder dies bleibt erhalten, dann kann Organisation nicht Kommunikation sein, denn als Kommunikation muss Organisation den gesamten Prozess umfassen. Meines Erachtens verstößt diese Sichtweise fundamental gegen die für die Autopoiese von Gesellschaft notwendige Unterscheidung von Kommunikation (dem „in“) und Partizipation an Kommunikation. 25
Deshalb liegt es meiner Meinung nach näher, Organisation als Struktur zu begreifen. Organisation als Struktur ließe sich immer nur von außen beobachten. Beobachtende Systeme – und dies können Bewusstseine und soziale Systeme sein – nehmen stabilisierte Abläufe wahr und schreiben diesen die Eigenschaft, Organisation zu sein zu. Partizipation bleibt dann auf Bewusstseine beschränkt, die an den als Organisation beschriebenen Prozessen partizipieren. Gleichzeitig sind alle anderen, den Organisationen zugeschriebenen, Eigenschaften weiterhin möglich: Bewusstseine können „im Namen einer Organisation“ schreiben und oder handeln, obgleich natürlich die Bewusstseine schreiben, also an einem kommunikativen Prozess partizipieren, Politik kann Organisation personalisieren (juristische Person) und so das „im Namen“ Schreiben oder Handeln auf den kommunikativen Prozessen zurechnen (lassen) etc. Die wichtigste Funktion der Organisationen besteht dann darin, dass sie die „Monokultur“ der Kommunikation in Teilsystemen, die sich an je einer Leitunterscheidung und je einem Medium orientieren muss, über Partizipation der Bewusstseine an der strukturell verstetigten Kommunikation aus den Zusammenhängen der funktional differenzierten Systeme herausführen können, um so alle prinzipiell denkbaren Leitunterscheidungen und Medien für die Generierung von Kommunikationsofferten im Zuge der Partizipation an Kommunikation bereitzustellen. Unternehmen beispielsweise führen zwar zu an Zahlung orientierten Kommunikationen. Im Vorfeld dieser Kommunikationen ermöglichen sie aber Kommunikation über technische Möglichkeiten (Wissenschaft), erlaubte Handlungen (Politik), notwendige Qualifikationen (Bildung) etc. Dadurch ermöglichen Unternehmen erst, was Wirtschaft dringend braucht: stabilisierte Kommunikationsprozesse im Vorfeld der wirtschaftlichen Kommunikation in Geld und Zahlung/nicht Zahlung. Für Universitäten, Schulen, Parlamente etc. gilt prinzipiell 25 Genau diese Frage stellt Baecker. Vgl. Baecker 1999: 22ff. Dass damit die Paradoxie der gleichzeitigen Partizipation von Kommunikation an Kommunikation, also der Kommunikation außerhalb der Kommunikation entsteht, wird nicht problematisiert.
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dasselbe – je bezogen auf andere funktional differenzierte Teilsysteme von Gesellschaft.
3.5 Und was meint dann ‚Kultur’? Natürlich ist die Antwort auf diese Frage nicht eindeutig zu geben. Mindestens drei Antworten sind möglich:
Kultur ist System, Kultur ist Struktur, Kultur ist Medium.
3.5.1 Kultur als System Wenn Kultur als System verstanden werden soll, muss es eine Unterscheidung geben, mit der Kultur operiert. Darüber hinaus bedarf es eines Mediums, in dem kommuniziert wird. Eine am Kunstbegriff orientierte Sicht von Kultur bzw. Ästhetik schlägt entsprechend vor, die Differenz schön/nicht schön als Leitdifferenz des kulturellen Systems vor.26 Das Kunstwerk wäre dann das Medium, in das kulturelle System kommuniziert.27 3.5.2 Kultur als Struktur Ein Kulturverständnis, das den Strukturaspekt hervorhebt, beschreibt ‚Kultur’ nicht als System, es setzt vielmehr an der Beobachtung von Regelmäßigkeiten in kommunikativen Prozessen ab. Stellt ein beobachtendes System an einem beobachteten System Regelmäßigkeiten fest – genauer: interpretiert ein beobachtendes System das Verhalten eines beobachteten Systems als regelmäßig –, so muss das beobachtende System dem beobachteten System „verfestigte“ interne Abläufe unterstellen. Diese „Unterstellung von Regelmäßigkeiten“ führt dann zum Konstrukt der Struktur. Dass Struktur hier nicht ist (oder sein muss), dass Struktur konstruiert wird – und zwar vom beobachtenden System –, stellt eine typische Eigenschaft jeder Variante der Theorie autopoietischer Systeme dar und verweist auf einen hier vorhandenen „konstruktivistischen Kern“28. Kultur wird hier also einem beobachteten System unterstellt, um als Regelmäßigkeiten wahrgenommene 26 27 28
Vgl. zur Ästhetik auch Baecker 2003: 128ff. Vgl. zur Kultur als medium auch Baecker, 2003: 110f. Vgl. Bode 1999: 29ff.
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Beobachtungen aus dem internen Zustand des beobachteten Systems herleiten zu können. Die Beobachtungsgegenstände, an denen die Regelmäßigkeiten festgemacht werden, die in der Beobachtung zu der Interpretation führen, im beobachteten System lägen Strukturen vor, können prinzipiell jeder Art sein. Sie können Gebräuche sein, Gebäude, Gesetze, Gedichte, Gemälde – und nur damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Diese Gegenstände sind nicht auf den Anfangsbuchstaben „G“ (strukturell) beschränkt. Der Unterschied zwischen Kultur – als Struktur – und Organisationen – als Struktur besteht darin, dass Organisationen über ihre Ergebnisse im Kommunikationsprozess und in der Regel primär auf ein Teilsystem hin definiert werden: Unternehmen bringen produzieren Güter, mit denen Zahlungen ausgelöst werden, d.h., sie stehen in Bezug zu Wirtschaft, Parlamente dienen der politischen Entscheidung etc. Kultur hingegen meint allgemeine Verhaltensähnlichkeiten zwischen den partizipierenden Bewusstseinen, die verstetigte Abläufe in Gesellschaft (über alle Teilsysteme hinweg) nach sich ziehen und so Gesellschaft strukturieren. Hierzu braucht es keinen primären Bezug zu einzelnen Teilsystemen.29 3.5.3 Kultur als Medium Auch wenn der Begriff des ‚Mediums’ – wie Macht zeigt – nicht auf Gegenstände eingeschränkt werden kann, findet sich die Vorstellung, Kultur sei Medium, am ehesten dort, wo sich Kommunikation des Gegenständlichen als Medium „bedient“. Dies schließt die oben dargestellte an Kunst und Ästhetik orientierte Sichtweise ein. Die allgemeine Orientierung am Gegenständlichen schließt aber die negative Seite der oben vorgeschlagenen Leitdifferenz schön/nicht schön nicht aus. Medium kann auch ein Gebäude sein, das als nicht schön beobachtet wird. Funktionalität beispielsweise muss nicht schön sein. Funktionale Bauweise kann aber eine in Gesellschaft vorhandene Einstellung repräsentieren. Man kann sogar so weit gehen, dass in den Gegenständen, die in Kommunikation als Medium eingesetzt werden, ein Hinweis auf den „Verdrängungsprozess“ zwischen den Subsystemen enthalten ist. Die am Kom29
Baecker 2003 diskutiert die Frage nach der Kultur als Programm. Mit Rückgriff – aber ohne Nennung der Quelle – auf Luhmann schreibt er: „Niklas Luhmann vermutete, dass die Leistung der Kultur nicht darin besteht, Zeichen an die Stelle von Sachen zu setzen, sondern zunächst darin, Sachen als Zeichen sehen zu können.“ (S. 114). Es sein in diesem Zusammenhang allerdings ein weiterer Schritt erforderlich: die Kultur bräuchte eine Referenz (S. 115). Diese Anforderung entfällt, wenn man einen Strukturbegriff verwendet, wie er hier vorgestellt wurde: Wenn Struktur die vermutete Verfestigung von Abläufen in Kommunikation ist, so braucht es keine Referenz für Kultur – Kultur wird dann zu einem Konstrukt eines Beobachters außerhalb der Kommunikation, die auf beobachtete – und so vom Beobachter abhängige – Verhaltensähnlichkeiten aufbaut.
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merz orientierte Malerei deutet auf eine starke Position der Wirtschaft in Gesellschaft hin. Ebenso ist der „Rückzug“ der Politik aus der Auftragsmalerei ein Hinweis darauf, dass Politik sich aus einigen Bereichen der Gesellschaft zurückgezogen hat (oder dass sie dort verdrängt wurde). Diese Diskussion soll hier nicht weiter geführt werden. Abschließend soll hier lediglich der Hinweis gegeben werden, dass ein Kulturverständnis, das am medialen Charakter ansetzt, auch eine Brücke beschreibt, die zwischen Kommunikation und den Bewusstseinen besteht. Diese Brückenfunktion muss jedes Medium leisten, weil es die Partizipation der Bewusstseine an Kommunikation sicherstellen muss. Medien sind in Kommunikation und an Kommunikation relevant, weil sie den beteiligten Bewusstseinen eine Anschlussmöglichkeit bieten und gleichzeitig für Kommunikation anschlussfähig sind. Sie ermöglichen, was für Partizipation unerlässlich ist: die gleichzeitige Verwendung einer identischen Unterscheidung von Bewusstseinen und Kommunikation.30
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Agieren in den Schnittstellen
Die folgenden – abschließenden – Ausführungen sollen die vorgestellten Gedanken auf „Kulturmanagement“ anwenden und die besondere Position des Kulturmanagements zwischen den Systemen, Strukturen bzw. Medien herausarbeiten. Dabei müssen, weil (zumindest) der Managementbegriff von der ökonomischen Theorie geprägt ist, auch theorieübergreifende Aspekte (mehr oder weniger explizit) berücksichtigt werden.
4.1 Kulturmanagement Die erste Möglichkeit, Kulturmanagement als Schnittstellenfunktion zu definieren, besteht darin, den Fokus auf die Managementfunktion zu legen. Diese Sichtweise legt es nahe, dass man unter ‚Kulturmanagement’ ein wirtschaftliches Agieren im Betrieb versteht, wobei die Besonderheit des betrachteten Betriebs darin besteht, dass dieser kulturelle Güter anbietet. Die Managementaufgabe unterscheidet sich dann nicht prinzipiell von der in anderen Betrieben. Die Betriebe, die als Kulturbetriebe betrachtet werden können, sind vielfältig. Museen, Theater, Fernsehen, Galerien, Musikschulen etc. lassen sich als kulturelle Betriebe verstehen. Hierbei orientiert man sich meistens am „klassischen Kunstverständnis“. Buchläden würde man hiernach nicht, auf Kunstdrucke 30
Vgl. Gripp-Hagelstange 1995: 63, Luhmann 1991: 21ff., Bode, 1999: 83ff.
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spezialisierte Buchhandlungen aber vielleicht doch zu den Kulturbetrieben zählen. Die besondere Herausforderung an das Management besteht dann darin, dass der Umgang mit dem kulturellen Gut besondere „Marktkenntnisse“ voraussetzt. So wie die Leitung eines Industriebetriebes in der Stahlindustrie andere spezielle Kenntnisse voraussetzt als in der Elektroindustrie – und erst recht andere als im Handel, in der Pflege- und Gesundheitswirtschaft etc. –, müssen Kulturmanagerinnen und -manager eben über besondere Kenntnisse über ihren Markt und über die Bedingungen, unter denen der Betrieb arbeitet, besitzen, um diesen erfolgreich zu führen. Da viele dieser Betriebe öffentlich gefördert werden, besteht eine typische Funktion des Kulturmanagements darin, die Verbindungen zwischen kameralistischer Haushaltsplanung und -führung und marktlichen Selektionsmechanismen herzustellen. So ist der Umgang mit der Kostenrechnung als internem Rechnungswesen, ggf. Bilanzierung etc. für die betriebswirtschaftliche Steuerung des Betriebes notwendig. Um diese Rechenwerke mit den kameralistischen – und auf Jahresrechnung auf Basis von Einnahmen und Ausgaben arbeitenden – öffentlichen Haushalten in Einklang zu bringen, bedarf es jedoch der Kenntnisse in öffentlicher Finanzwirtschaft. Wie unterschiedlich diese Bereiche „funktionieren“ zeigt sich, wenn beispielsweise bei der Planung eines Stadtfestes auf der Seite der Kommune vor allem darüber nachgedacht wird, welche Einnahmen und Ausgaben im betroffenen Haushaltsjahr durch das Stadtfest ausgelöst werden, während eine betriebswirtschaftliche Betrachtung eher danach fragt, welche Leistungen verbraucht bzw. erbracht (Kostenrechnung) oder welche Gewinne oder Verluste erzielt (Gewinn-und-Verlust-Rechnung) werden können. Die Ergebnisse der verschiedenen Betrachtungen sind nicht gleich. Vor allem in Zeiten „knapper öffentlicher Kassen“ kommt es in den Verhandlungen zwischen den Kulturbetrieben (im Beispiel der Ausrichter des Stadtfestes) und den öffentlichen Geldgebern dann schell zu Missverständnissen, abweichenden Zahlenbasen etc. Das Kulturmanagement kann hier nur erfolgreich agieren, wenn es beide Sichtweisen versteht und beherrscht und eine „Übersetzungsfunktion“ zwischen öffentlichem und privatwirtschaftlichem Denken übernimmt. Gleichzeitig muss es sich um die Produkte kümmern, die der Kulturbetrieb erstellt und anbietet (im Beispiel das Stadtfest als ein besonderes Dienstleistungsangebot an die Bürger). Und schließlich geht es dann darum, das Angebot auch zu platzieren und mit geeignetem Marketing und Public Relations bekannt zu machen etc.
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4.2 Kulturmanagement Legt man den Fokus auf den ersten Teil des Wortes ‚Kulturmanagement’, so verschiebt sich das Tätigkeitsprofil der Kulturmanagerinnen und -manager. Jetzt geht es primär um die Frage, wie das kulturelle Schaffen organisiert werden kann. Es ist dann nicht mehr (ausschließlich) die Frage nach innerbetrieblichen Aufgaben des Managements. Vielmehr verbindet sich mit dieser Betrachtung eher eine bestimmte Form des Public Managements, also der Schaffung von Rahmenbedingen, Märkten etc., in denen die Kulturbetriebe dann tätig werden können. Die meritorischen Aspekte von Kultur treten hier besonders hervor. Kulturmanagement, das besondere Bedingungen für die Entstehung von Kultur schaffen will, muss diese Aufgabe – zumindest in einer marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsordnung – zunächst begründen und so das eigene Handeln legitimieren. Die Legitimation von Kulturmanagement erfolgt dann darüber, dass Kultur als ein besonderes und für die Allgemeinheit besonders wertvolles Gut beschrieben wird. Gerade weil das Gut für die Allgemeinheit als wichtig angesehen wird, lässt sich ein Bereich definieren, in dem die Marktergebnisse privatwirtschaftlicher Akteure nicht akzeptiert werden. Öffentliche Interventionen oder Angebote gleichen dann das aus, was der Markt an Bedürfnisbefriedigung „zu wenig“ sicherstellt. Diese Art des Managements erfordert ebenfalls besondere – Wirtschaft und Kultur verbindende – Kenntnisse und Fähigkeiten. Das Gewicht liegt hierbei noch viel stärker auf dem Verständnis von Kultur – und auch hier oft von Kunst –, weil die Leistung zunächst darin besteht, die Bereiche zu definieren, in dem das besondere, das meritorische, Gut hergestellt wird. Zu begründen, warum Bach ein meritorisches Gut komponiert hat, Siegel oder Bohlen aber nicht, lässt sich zunächst nur aus der Perspektive besonderer „Kunstkritik“ begründen. Dass sich der Blick auf die Ergebnisse mit der Zeit ändern kann, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass McCartney zunächst in dem Ruf stand, Gebrüll komponiert zu haben, während die Stücke heute als Ausgangspunkt der Beat-Kultur gelten. Wo das Gut als meritorisch angesehen wird, muss auch die Produktion des Gutes eine besondere Position zugeschrieben bekommen. Deshalb gilt „musische“ Erziehung als förderungsfähig und entsprechende Einrichtungen werden öffentlich gefördert. Andere Ausbildungen – beispielsweise im Karate – hingegen fallen nicht unter die Ausbildungen, aus denen die meritorischen Güter hervorgehen, entsprechend werden diese Ausbildungen auch nicht (oder aus anderen Gründen wie „Volksgesundheit“) gefördert.
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4.3 KulturManagement Die Sichtweise, die geeignet ist, die beiden zuvor genannten Perspektiven aufzunehmen, nimmt den Gedanken der zwei „Welten“, die verbunden werden, besonders ernst. Hier geht es dann nicht darum, mit kulturellen Gütern wirtschaftlich zu handeln (Kulturmanagement), es geht auch nicht darum, Kultur so zu ermöglichen, dass wirtschaftliche Ergebnisse möglich oder korrigiert werden (Kulturmanagement). Was eine übergreifende Perspektive auszeichnet, ist, dass zwei Rationalitäten – die an ökonomischem Nutzen orientierte und die an Ästhetik und Ausdruck orientierte – zueinander gebracht werden, ohne sie zu verschmelzen oder eine der anderen unterzuordnen. In dieser Sichtweise müssen Management und Kultur so dicht wie möglich zusammenkommen. Gleichzeitig muss es gelingen, die Rationalitäten zu erhalten. Auf der Seite der Kultur bleibt es der Versuch, Schönheit oder Ausdruck in Kunstwerken oder kulturellen Werken zu schaffen. Künstlerinnen und Künstler bzw. Kulturschaffende bleiben in der Rationalität er Kultur verankert. Ihnen geht es (zunächst) nicht um wirtschaftlichen Erfolg. Und ihr Schaffen wird auch von denen, die in diesem Prozess managend eingreifen nicht einer ökonomischen Logik unterzogen. Gleichzeitig ist es Aufgabe dieser Variante von Management, die Ergebnisse des kulturellen Schaffens, die keiner ökonomischen Rationalität in der Herstellung gehorchen, in einer Weise zu präsentieren, dass sie im wirtschaftlichen Kontext als Gut oder Leistung und somit als ein Ereignis erscheinen, für das gezahlt wird. Eine solche Managementleistung ist nur kommunikativ möglich und stellt ein echtes Schnittstellenmanagement dar. Die Personen im Management müssen nichts Geringeres vollbringen als Kommunikation in einem abgeschlossenen systemischen Kontext über ihre Partizipation und ggf. über Organisation (also hier verstanden als Programmierung von Kommunikation) in einen anderen Kontext zu überführen. Die kulturellen Werte bleiben dabei, was sie sind. Gleichzeitig werden sie im anderen kommunikativen Kontext als etwas anderes – nämlich als Gut – wahrgenommen. Weitet man den Blick noch aus, und schließt man die öffentliche Förderung als politische Entscheidung mit ein, so wird das Agieren an den Schnittstellen nochmals komplexer. Das Management muss nun auch die an der Differenz Entscheidung/nicht Entscheidung orientierte politische Sphäre mit einbeziehen, die Organisation eine nochmals weitergehende Programmierung anbieten. Im Kontext einer Systemtheorie gibt es hier keine prinzipielle Grenze für das intersystemische Handeln. Ausbildung in Musik orientiert sich an keiner der genannten Unterscheidungen. Ausbildung fragt nach Vermittlung/nicht Vermitt-
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lung und muss so dem Erziehungssystem zugerechnet werden31. Und schließlich gilt es rechtliche Unterscheidungen zu beherrschen, wenn beispielsweise Urheberschutz etc. verlangt wird. Management und Kultur, wie sie hier beschrieben wurden, lassen sich eigentlich nicht in ein einziges Wort zwängen. Diese Tatsache findet sich in einer symbolischen – und damit selbst schon wieder fast künstlerischen – Ausdrucksweise in dem Ausbildungsangebot, das in den vergangenen Jahren an der Fernuniversität Hagen angeboten wurde. Das Institut für „KulturManagement“ schafft symbolisch das, was KulturManagerinnen und KulturManager leisten müssen: Es bringt zwei Welten zueinander, die aufgrund ihrer internen Rationalitäten nicht ineinander übergehen können. Der Erfolg des Studienangebots und der Absolventinnen und Absolventen zeigt, wie dringend notwendig diese spezielle Ausbildung im Schnittstellenmanagement zwischen Kultur und Wirtschaft – und darüber hinaus auch anderen Systemen – war und ist. Und so ist die Schnittstelle in der Schreibweise vielleicht der kommunikativste Hinweis darauf, dass Kommunikation sich operativ schließt und gleichzeitig nur im Zusammenspiel der geschlossenen funktionalen Zusammenhänge funktioniert. KulturManagerinnen und KulturManager sind eben doch in gewissem Sinne Meisterinnen und Meister im FreeClimbing.
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Kulturmanagement als Bedeutungsproduktion
Kulturmanagement als Bedeutungsproduktion Plädoyer für die Neuausrichtung einer Disziplin und ihrer Praxis Stefan Lüddemann 1 2 3 4 5 6 7 8
Einleitung Diagnose: Defizite des Kulturmanagements Erneuerung: Kultur als Produktion Operationen: Die Faktoren des kulturellen Feldes Methode: Kuratieren als Vorbild für das Kulturmanagement Beispiel: Die Skulptur-Projekte in Münster Ausblick: Kulturmanager als Fachkräfte für die Arbeit an Texturen des Sinns Literaturverzeichnis
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Einleitung
Benötigt das Kulturmanagement einen „Cultural Turn“?1 Abseits provokanter, gar polemischer Zuspitzung zielt diese Frage auf das Verhältnis des Kulturmanagements zu dem, was es zu managen, also erfolgreich zu gestalten vorgibt – zur Kultur. Anders als es das aus den Bestandteilen Kultur und Management zusammengesetzte Wort suggeriert, ist dieses Verhältnis keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil: Seit seinem Erscheinen in Hochschullandschaft und Kulturszene zu Beginn der neunziger Jahre leidet das Kulturmanagement an den Narbenschmerzen, die mit dem willkürlich erscheinenden Vernähen dieser beiden Begriffe und der zu ihnen gehörenden Inhalte, Praktiken und Assoziationsfelder als chronisches Leiden zurückblieben. Kulturmanagement möchte optimierte Praxis sein und verkörpert doch in allererster Linie einen permanenten Wertekonflikt, der sich in der Wirklichkeit der Studiengänge und Ausübungsformen als nie ganz aufzulösende Spannung zwischen theoretischer Reflexion 1 Eine aktuelle Übersicht über die verschiedenen „Turns“ der Kulturwissenschaften bietet BachmannMedick 2006. Einen „Turn“ für das Kulturmanagement vorzuschlagen bedeutet an dieser Stelle mehr, als nur einen der kurzlebigen Trends auszurufen, die gerade in den Kulturwissenschaften zur Mode geworden sind. Das Wort „Turn“ hat deshalb auch einen anderen Klang als die Vokabel vom „Paradigma“. „Turn“ meint eine Wende – meist von eher kurzer Dauer.
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und rezeptologischer Handreichung manifestiert2. „Kulturmanagement erweist sich damit als spannungsgeladener Begriff“.3 Diese Diagnose gilt für zwei Bereiche. Erstens für die Praxis des Kulturmanagements, das kulturelles Leben vielfach angeregt und verändert hat, ohne sich dabei vom Verdacht unzulässiger Instrumentalisierung der Kultur frei machen zu können. Und zweitens für das Kulturmanagement als Hochschuldisziplin, die nicht ohne Grund an ganz unterschiedlichen Hochschulformen von Universität bis Kunsthochschule aufgestellt ist. Schon diese Äußerlichkeit sagt viel über ein Mixtum Compositum der Inhalte, Ansätze und Methoden, das bis heute keinen sicheren Stand im Kanon akademischer Disziplinen gefunden hat. Analog zu den Kulturwissenschaften, die selbst zwischen der Aufstellung als vollgültiger Disziplin und Forschungsverbund ohne institutionell verfestigte Kontur oszillieren, bietet sich auch das Kulturmanagement heute immer noch als vages Konstrukt dar. Mit einem entscheidenden Unterschied: Während die Offenheit der Kulturwissenschaften beinahe schon zur Bedingung für ihre Innovationskraft geadelt worden ist, hat sich eine ähnliche Offenheit beim Kulturmanagement in die Richtung einer fatalen Labilität und Konturlosigkeit gewendet. Gegenwärtig steht diese Disziplin, von der immer noch unklar ist, ob sie überhaupt eine sein möchte, buchstäblich am Scheideweg. Die eine Richtung: Das Kulturmanagement entwickelt sich weiter zu einer professionellen Praxis, die sich unterschiedlicher Theorieansätze und Methoden aus vielen Richtungen bedient, ohne dabei auf wissenschaftlich kohärente Passungen zu achten. Die andere Richtung: Das Kulturmanagement verfestigt sich zu einer eigenen Disziplin mit deutlich markierter Begrifflichkeit, eigener Methodik und den dazu gehörenden Forschungsergebnissen. Gegenwärtig scheint es so, als würde die erste Richtung diejenige sein, in die sich das Kulturmanagement entwickeln wird. Dieser Befund wäre nicht einmal beunruhigend, ließe er nicht einiges für den künftigen Bestand des Kulturmanagements und vor allem für die von ihr gestaltete Kultur befürchten. Dieser Beitrag versteht sich deshalb mit Blick auf das Kulturmanagement als kritische Bestandsaufnahme und als Vorschlag für eine sinnvolle Entwicklung gleichermaßen. Das folgende Plädoyer zielt auf ein Verständnis des Kulturmanagements, das sich von der einseitigen Orientierung an betriebswirtschaftlich inspirierten Sichtweisen verabschiedet und zugleich den Blick für Kultur als seinen Gegenstand neu schärft. Gegen die Reduktion des Fachs auf Fragen der Ressourcenbewirtschaftung und zugeordneter Steuerungsprozeduren wird eine Neuausrichtung formuliert, die sich auf ein präzise konturiertes Verständnis von Kultur stützt. Kultur wird dabei nicht in einer entäußerlichten Form als bloßer Betrieb verstanden, sondern als eine Produktion von Bedeutungen, die – kom2 3
Vgl. Heinze 1997b: 51. Heinze 1995b: 62.
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plex miteinander verknüpft – orientierende Selbstverständigung einer Gesellschaft strukturieren und dafür Kommunikation mit vielfachen Impulsen versorgen. Der eingangs so genannte Cultural Turn soll das Kulturmanagement in die Lage versetzen, sich als Disziplin um einen konzisen Nukleus herum neu auszurichten und damit auch die nachfolgende Praxis so auszugestalten, dass sie der Bedeutung von Kultur gerecht wird. Kulturmanagement versteht sich dann nicht mehr als bloße ökonomische Steuerung, sondern als Fertigkeit in Fragen kultureller Bedeutungsproduktion. Dieser Akzentverschiebung entspricht am besten, wer den Kontakt zu kulturwissenschaftlicher Reflexion aufnimmt und damit Bezüge zu geisteswissenschaftlichen Denkweisen und Methoden stärkt. Es wäre allerdings ein Missverständnis, darin nichts anderes als eine polemische Abgrenzung zu sehen, die nun entgegen der bislang im Kulturmanagement dominanten Richtung die Kultur gegen das Management ausspielen möchte und damit prompt zu einer neuen, nur diesmal inhaltlich anders gelagerten Vereinseitigung aushärtet. Der hier zu formulierende Vorschlag zielt auf eine Neujustierung, nicht jedoch darauf, betriebswirtschaftliches Handeln als Teil des Kulturmanagements ohne Umstände zu suspendieren. Wer jedoch Klärung will, darf Deutlichkeit nicht scheuen. Zu dieser Deutlichkeit gehört es, das neue Verständnis von Kulturmanagement ausgehend von einem klaren Begriff der Kultur zu entwickeln. Die Frage, ob man auf diesem Weg der Kohärenz des Kulturmanagements näher kommen kann, wird bewusst zurückgestellt. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die Ziel- und Wertkonflikte des Kulturmanagements nur genau die Paradigmenkonkurrenz spiegeln, welche die Kultur und ihre Szene und damit die sie schaffende Gesellschaft als Ganze charakterisiert. So ist nicht nur Kultur, sondern auch das Kulturmanagement als „trading zone zwischen verschiedenen semiotischen Räumen“4zu verstehen und damit auch die kulturmanageriale Praxis endlich als kongruent zu ihrem Gegenstand zu begreifen. Der Weg zu dem eben anvisierten Ziel wird in diesem Beitrag in mehreren Schritten zurückgelegt. Zunächst muss es darum gehen, die in ersten Umrissen gestellte Diagnose paradigmatisch zu vertiefen. Der kritische Blick auf den Zustand des Kulturmanagements zeigt, wie weit die ökonomische Indienstnahme bereits gediehen ist. Dem Kulturmanagement fehlt nicht nur ein eigener oder wenigstens für seinen Gegenstand produktiver Kulturbegriff, es kreist auch um seinen, den eigenen Namen bestimmenden Gegenstand wie um eine leere Mitte. Gegen diese Tendenz setzte vor allem Thomas Heinze bereits früh Gegenakzente, die es neu aufzunehmen gilt (1). Wer für das Kulturmanagement Perspektiven 4
Lüdemann 2007: 78.
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aufzeigen will, muss beim Kulturbegriff ansetzen. Dafür bezieht sich dieser Beitrag auf Ernst Cassirers Entwurf der Kultur als Ensemble symbolischer Formen. Dieser Ansatz versteht Kultur als künstliche, weil von Menschen selbst geschaffene Umwelt, die soziales Zusammenleben dadurch orientierend steuert, dass sie über Bedeutungen Weltzugänge strukturiert und Kommunikationen mit Themen und Richtungen versieht. Diese Position kann im Rückblick als Vorwegnahme konstruktivistischer Entwürfe verstanden werden. In diese Linie fügen sich auch die Positionen von Clifford Geertz, Nelson Goodman und Siegfried J. Schmidt, die hier gleichfalls als Referenzpunkte angeführt werden (2). Kulturmanagement bedarf der Reflexion, kann aber seinen Ansprüchen nur dann gerecht werden, wenn auf diese Reflexion auch eine Anwendung folgt. Der hier entfaltete Kulturbegriff wird dadurch operationalisiert, dass er in seine Faktoren und zugeordneten Praktiken aufgegliedert wird. Diese Faktoren und Praktiken formieren sich zu dem Parallelogramm der Kräfte und Energien, in dem Bedeutungsproduktion stattfindet. Kulturmanagement muss sich als Praxis verstehen, die dieses komplexe Feld bearbeitet und steuert (3). Als Vorbild soll eine Kulturpraxis eingeführt werden, die sich bereits in dieser Weise darstellt: das Kuratieren. Damit wird der Transfer einer in einem anderen Bereich bereits erprobten kulturellen Gestaltungstechnik vorgeschlagen – ein für die Geschichte des Kulturmanagements durchaus typischer Vorgang (4). Als Beispiel für diese Praxis werden die „Skulptur Projekte“ in Münster diskutiert. Über die Bedeutung eines Ausstellungsformats hinaus demonstrieren diese „Projekte“ Kultur als virulente Bedeutungsproduktion, die eine ganze Stadt und die Selbstwahrnehmung ihrer Bewohner verändert hat. In unserem Zusammenhang erweist sich als besonders instruktiv, dass die kuratorische Praxis längst ihre künstlerische Rückkopplung erfahren hat – in dem Projekt „Roman de Münster“ von Dominique Gonzalez-Foerster, das eine Stadt als permanente Ausstellung und so zugleich als Netzwerk kultureller Bedeutungen kartiert (5). Ausgehend von diesem instruktiven Beispiel kann ein Ausblick auf das verwandelte Kulturmanagement gegeben werden. Es hat sich nicht von ökonomischen Bezügen einfach verabschiedet, wohl aber um einen klar konturierten Kulturbegriff herum seine Aufgabenstellung neu fokussiert. Von diesem Punkt aus lassen sich auch herkömmliche Praktiken des Kulturmanagements besser ausrichten (6).
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Diagnose: Defizite des Kulturmanagements
Das Kulturmanagement entsteht im Zuge eines komplexen Paradigmenwechsels, der sich vielleicht erst in noch weiterem historischem Abstand als Zeitenwende deutlicher abzeichnen wird. Diese Wende besteht darin, dass mit ihr Kultur ihre
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Selbstverständlichkeit verlor, zumindest, was die Formen ihrer herkömmlichen Rezeptionsweisen wie Theater-, Konzert- und Museumsbesuch betrifft und die damit verbundenen Wissensbestände und sozialen Praktiken. Zugleich schwindet seit diesem Dreh- und Wendepunkt – er ist auf den Beginn der neunziger Jahre zu datieren – auch in zunehmendem Tempo die Abstützung von Kultur durch einen gesellschaftlichen Konsens, der sich in wenn nicht schon steigenden, so doch mindestens gesicherten Zuwendungen öffentlicher Mittel äußert. Dieser gerade gegenwärtig immer schneller verlaufende Abbau öffentlicher Kulturfinanzierung5 muss als Konsequenz eines Bedeutungsverfalls des sozialen Ansehens von Kultur und Bildung verstanden werden. Im gleichen Augenblick verliert auch Kultur als Versprechen auf emanzipatorisch geprägte Gesellschaftsveränderung ihre programmatische Schubkraft. Wie bekannt bezeichnen zwei in diesem Bereich längst legendär gewordene, weil assoziativ hoch aufgeladene Buchtitel diese Wandlung. Auf die „Kultur für alle“ – Hilmar Hoffmanns Buch erschien als Programmschrift der Kulturpolitik als Ermöglichung von sozialer Teilhabe zuerst 1979 – folgte die „Erlebnisgesellschaft“, so der Titel des 1992 zuerst publizierten Werkes von Gerhard Schulze, das eine Fragmentierung der Sozialstruktur in Milieus unterschiedlicher Lebensstile konstatierte. Seitdem hat sich der Fokus einer Beschäftigung mit Kultur verschoben – weg von Engagement und Reform, hin zu Hedonismus und Konsum6. Im gleichen Moment, in dem sich die mit Kultur verbundenen Ansprüche und Erwartungen derart verlagerten, wurde Kultur auch anders verfügbar – und verfügbar gemacht. Seit Mitte der achtziger Jahre datiert, gleichsam als Vorstufe eines sich im unmittelbaren Anschluss ausbildenden Kulturmanagements, die Entdeckung der Umweg-Rentabilität von Kultur7 und damit der Beginn ihrer zunehmenden Ökonomisierung8. Mit dem bloßen Hinweis auf die Tatsache, dass kulturelle Hervorbringungen zu keiner Zeit ohne den Einsatz von Geld denkbar waren, ist indes wenig gesagt. Denn der Prozess, um den es hier geht, reicht in seiner Qualität weit über dieses Faktum hinaus. Mit ihrer Ökonomisierung verlor Kultur eigenen Status und damit Ansehen und Respekt. Kultur wurde zunehmend über sekundäre Begründungen legitimiert – als Standortfaktor, Wirtschaftsmotor, Image-Verbesserer, touristisches Ziel oder alternative Form der Sozialarbeit. So auf ihre Äußerlichkeiten reduziert erscheint Kultur heute beina-
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Diese Tendenz unterstreicht Klein 2007: 15ff. Vgl. den Beitrag von Wagner in diesem Band. Diese Abfolge beschreibt in der Engführung von kulturpolitischer Zielsetzung und jeweils sich wandelndem Zeitgeist: Lüddemann 2007: 125ff. 7 Vgl. Heinrichs/Klein 2001: 381. 8 Vgl. Heinrichs 2006: 17. 6
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he unausweichlich als bloßer „Betrieb“9 und das im Doppelsinn des Wortes, das den Wirtschaftsbetrieb ebenso meint wie eine nur noch um sich selbst kreisende Betriebsamkeit. Das Kulturmanagement hat sich auf dieses Verständnis seines Gegenstandes frühzeitig eingestellt. Wer als Kulturmanagement „alle Steuerungen zur Erstellung und Sicherung von Leistungen in arbeitsteiligen Kulturbetrieben10bezeichnet, spricht ein ökonomisch geprägtes Kulturverständnis an, das keinen Begriff seines Gegenstandes benötigt, um reibungslos funktionieren zu können. Die vielfachen Probleme mit dem Kultur- und erst recht mit dem Kunstbegriff zeigen deutlich die zentrale Schwäche, die das Kulturmanagement bis heute nicht hat bereinigen können. Die schon zur Konvention geronnene Wahl eines weiten Kulturbegriffs11 verbindet die politisch korrekte Absage an Zugangsbarrieren in der Kultur mit der Bequemlichkeit, einen beliebig modulierbaren Gegenstand vor sich zu haben, der sich keiner Instrumentalisierung mehr sperrt. Das Kulturmanagement spricht da in entlarvender Weise Klartext, wo Kultur nicht nur in beliebig anmutender Pluralität verstanden, sondern auch als „wertfrei“12 gefasst und so als Bereich ohne eigenen Anspruch, eigene Maßstäbe und Qualitäten gesehen wird. Andere Probleme wirft das auf, was als Teil der Kultur schlecht verleugnet werden kann – die Kunst. Ihre Eigenart wird dann als Musterfall der Ambivalenz und Spannung den Ordnung bringenden Methoden des Managements kontrastierend gegenüber gestellt13. In solcher Konfrontation artikuliert sich das geheime Unbehagen, das die Kunst dem Kulturmanagement verursacht. Abgesehen von der Frage, ob nicht auch zur Kunst Momente der Klärung und zum Management Formen der Spannung gehören, wird so die Möglichkeit aus der Hand gegeben, die teilweise paradoxen Kopplungen und Entsprechungen zwischen der Kunst und dem Management in den Blick zu bekommen, um auf diese Weise Koalitionen, etwa zwischen Kunst und Wirtschaft als hochgradig produktive Zusammenhänge entwerfen zu können14. Stattdessen zieht sich noch durch neueste Untersuchungen zum Kulturmanagement eine geheime Aversion gegen Kunst als Teil der Kultur. Die Beschäftigung mit Kunst als bloße Bewahrung, das Management 9 Heinrichs 2006 liefert eine Beschreibung der Kulturszene entlang dieses leitenden Begriffs. So werden ökonomische Bezugsgrößen fassbar, während andere Aspekte konsequent in den Hintergrund gerückt werden. 10 Heinrichs/Klein 2001: 193. 11 Wie man auf diese Weise mit Definitionsversuchen auch Festlegungen umgeht: vgl. Heinrichs 2006: 9. 12 Fischer 2004: 19. 13 In dieser Absetzung sehr konsequent: Bendixen 2002: 35. 14 Für eine Fülle von Bezugsgrößen, die dann auch helfen Wirtschaft und Kunst produktiv miteinander in Austausch- und Kooperationsprozesse zu bringen vgl. Lüddemann 2007: 144ff.
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dagegen als Inbegriff kreativen Verhaltens – so liest es sich etwa in einer aktuellen Studie zur Rolle von Museumsdirektoren15, die den „Verwalter kulturellen Erbes“ gegen den „kreativen Manager“ ausspielt und so Blickverengung betreibt – ganz zu schweigen von der verdeckten Polemik, die darin besteht, die Inhalte von Kunst und Kultur indirekt als Ballast einer abgelegten Vergangenheit erscheinen zu lassen. Dabei wird das Defizit des unzureichenden oder gar ganz fehlenden Kulturbegriffs durchaus erkannt. Dass dem Kulturmanagement ein „einheitlicher theoretischer Unterbau“16 abgeht, wird konstatiert, bislang aber stets mit dem Griff zu „Bezugsdisziplinen“ kompensiert, die Versatzstücke für Anwendungen bereitzustellen haben. So ergibt sich die für das Kulturmanagement bis heute charakteristische Situation, dass zwar Praxisfelder von Marketing bis Finanzierung und dergleichen mehr bearbeitet werden, zugleich aber nicht einmal in Andeutungen eine Integration dieser Bemühungen in einem verbindenden theoretischen Horizont möglich zu sein scheint. Entsprechend wird dann auch der „exzellente Kulturbetrieb“17 im Sinn einer betriebswirtschaftlichen Optimierung verstanden. Andere Aspekte, die einen herausragenden Kulturbetrieb auch ausmachen könnten, stehen dem gegenüber zurück. Für den Kulturbegriff wird im Kontext der angesprochenen Studie immerhin Niklas Luhmanns Verständnis von Kultur als Themenvorrat in Anspruch genommen18, dieses Theorem aber nirgends mit den weiteren Ausführungen sinnvoll verbunden. Kultur sorgt in diesem Horizont für keinerlei Bewegung aus sich heraus. Stattdessen wird Bewegung von außen erzwungen – durch dramatische Veränderungen der Rahmenbedingungen. Inwieweit sich gerade diese Veränderungen – also vor allem der Rückgang öffentlicher Kulturfinanzierung – selbst wiederum kulturellem Wandel verdanken, bleibt unbefragt. Zu dieser Diagnose fügt sich der Umstand, dass das Kulturmanagement von Anfang an nicht die Tatsache reflektiert hat, dass seine eigene Entstehung in einen viel weiter reichenden wissenschaftlichen Paradigmenwechsel eingelassen ist, der sich gleichfalls zu Beginn der neunziger Jahre vernehmlich artikuliert hat. Damit ist der Wandel der Geistes- zu Kulturwissenschaften gemeint19, eine Ver15 Rentschler 2006 verfährt in dieser Kontrastierung sehr konsequent und liefert zugleich ein Beispiel dafür, wie Evaluationen leiden, wenn ungeklärte Vormeinungen von derartigem Gewicht in sie Eingang finden. 16 Klein 2008: 3. 17 Dies die den Titel gebende Bezeichnung bei Klein 2007. 18 Vgl. ebd.: 46f. 19 Diesen Wandel beschreiben in seinen einzelnen Etappen: Frühwald 1991, Böhme 2000, Böhme 2007. Die Denkschrift, die Frühwald und andere 1991 publizierten, kann obendrein als eine wichtige Gründungsurkunde der neueren Kulturwissenschaften in Deutschland gelesen werden. Eine abweichende Einschätzung bietet Bachmannn-Medick 2006: 8.
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schiebung in der Aufstellung ganzer Wissenschaftsbereiche, mit der auf die Tatsache reagiert wurde, dass Fragen medialer Repräsentation, Formen kollektiver Wissensbestände und Prozeduren des Aushandelns von gesellschaftlichen Selbstbildern nach Forschungsansätzen und wissenschaftlichen Beschreibungsformen verlangten, die Einzeldisziplinen der Geisteswissenschaften in wünschenswertem Ausmaß nicht mehr leisten konnten. Texte, Symbole, Bilder, kurz mediale Formen als „Triebkräfte sozialen Handelns“20: In diesem Punkt liegt (unter anderem) ein substantieller Antrieb für die Neuausrichtung, die Kulturwissenschaften geleistet haben. Im Rahmen des Kulturmanagements ist zu selten darauf reflektiert worden, dass sich die Existenz des eigenen Faches nicht nur einer veränderten Ressourcenlage des Kulturbetriebs verdankt, sondern wesentlich damit verknüpft ist, dass Kultur in ihrer Qualität als Konstrukt intensiver als zuvor in den Blick gekommen ist. Dieser Situation entsprach das Kulturmanagement überall dort, wo ein komplexes Kulturverständnis eingeklagt und der Kulturmanager als „Grenzgänger“ entworfen worden ist21. Diese Ansätze sollen hier dezidiert aufgenommen und fortgesetzt werden.
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Erneuerung: Kultur als Produktion
Wer dem Gedanken Raum lässt, es bedürfe keiner eigenen Kulturmanagementlehre22, der hat sich auch bereits von der Möglichkeit verabschiedet, in der Kultur selbst den zentralen Antrieb für das Management zu suchen, das es zu seinem Gegenstand haben soll. Dort, wo Kultur nur als einer von vielen denkbaren Gegenständen erscheint, die gemanagt werden können, ist die Trennlinie zu dem hier vertretenen Verständnis von Kulturmanagement scharf markiert. Die sich in solchen Statements artikulierende Verdinglichung – hier scheint Theodor W. Adornos bekannte Kritik an der „Kulturindustrie“ fast schon wieder am Platz – versperrt genau die Perspektiven, die Kultur selbst anbieten kann. Jenseits einer Sicht auf Kultur, die in ihr immer nur den um seiner selbst willen laufenden Betrieb erblicken will, geht es hier um ein Verständnis, dass Kultur nicht als Produkt, sondern als Produktion in den Blick nimmt. Solche Produktion erzeugt, was sich mit keinem monetär bilanzierenden Denken fassen lässt – Bedeutungen. „Kultur ist ein Netz von geteilten Bedeutungen (…) Gemeinsame Kultur bedeu20
Bachmann-Medick 2006: 13. Dieses Verständnis des Kulturmanagers ist vor allem für Thomas Heinze leitend geworden. Vgl. Heinze 1997b: 56, Heinze 2008. Die Fähigkeit des Grenzgängers, in unterschiedlichen Sinnkontexten zu denken und die damit verbundenen Widerspüche auszuhalten, betont Heinze in: Heinze 1995b: 84 und Heinze 2008: 25. 22 In dieser Richtung plädiert offenbar: Fischer 2004: 97. 21
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tet das von allen geleistete Herstellen solcher Bedeutungen“23. Und ganz ähnlich: „Kultur ist das Geflecht von Bedeutungen, in denen Menschen ihre Erfahrungen interpretieren und nach denen sie ihr Handeln ausrichten“24. Dieses Verständnis von Kultur betont den Wirklichkeit konstituierenden und strukturierenden Charakter der artifiziellen Geflechte, die wir Kultur nennen. Solche Geflechte machen Wirklichkeit überhaupt erst handhabbar, weil sie so in Formen angeeignet, in Prozeduren und Praktiken erlebt, in Kommunikation diskutiert und in Situationen der Rezeption interpretiert werden kann. Kultur erscheint dergestalt als Organ der Repräsentation und Wissensproduktion, sie erlaubt Individuen wie ganzen Gesellschaften ihre Selbstpositionierung25. Und sie koordiniert und koppelt Erinnerung und Innovation, also Wiederholung und Fortentwicklung in solcher Weise, dass Menschen lernend in die Symbolwelten der Kultur eingeführt, zugleich aber auch in den Stand versetzt werden können, in und mit der Kultur ihre eigene Identität in Abgrenzung zu anderen Identitäten produktiv zu verändern. Kultur als ein Ensemble von „aktiven Ausdrucksformen“26: Dies ist der Ausgangspunkt der Kulturphilosophie von Ernst Cassirer (1874-1945), die hier nicht deshalb herangezogen wird, weil sie sich seit den neunziger Jahren einer späten, aber intensiven Rezeption und inzwischen geradezu modisch gewordenen Beliebtheit erfreut27. Über diese Fragen einer Zeitkonjunktur hinaus kann konstatiert werden, dass Cassirers Entwurf von Kultur als einem in sich konzertierten Ensemble symbolischer Formen – so das Titel gebende Stichwort für sein Hauptwerk, die „Philosophie der symbolischen Formen“ (1923-1929) – eine zentrale Bezugstheorie für die gegenwärtig operierenden Kulturwissenschaften darstellt. Wie bekannt analysiert Cassirer in seinem Hauptwerk jeweils die Sprache, den Mythos sowie die wissenschaftliche Erkenntnis als zentrale Formen einer Symbolisierung, die Cassirer als einen stetigen Fluss der Konstituierung von Bedeutungen entwarf, die sich mit der schlüssigen Verknüpfung von gedanklichen Inhalten und sinnlich wahrnehmbaren Ausdrucksformen ergeben und überhaupt erst konkret werden können. Im Rahmen des Kulturmanagements und
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Eagleton 2001: 165f. Geertz 1987: 99. 25 Vgl. Böhme 2007: 37. 26 Cassirer 1961: 51. 27 Vgl. Böhme 2000: 66-72, Sandkühler 2003. Dieser Trend gewinnt seinen Ausdruck wie seinen wissenschaftlichen Kern mit der Cassirer-Ausgabe, die in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft herausgegeben wird. Dieses Editionsvorhaben wie die Forschung zur Kulturphilosophie Cassirers sind das Musterbeispiel einer verzögerten, dafür aber auch umso notwendigeren Rezeption. 24
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seiner, wenn auch rudimentären Theoriebildung ist immerhin, so weit sich sehe, ein Mal, dafür aber nachdrücklich auf Cassirer verwiesen worden28. Wenn „Sinnerzeugung durch Symbolisierung“29 die zentrale Annahme dieser Auffassung von Kultur darstellt, dann wird das kulturelle System als ein vom Menschen selbst geschaffener Kosmos aus letztlich medialen Formen verstanden. Diese Formen bilden einen Komplex, der sich dem Menschen in doppeltem Bezug darbietet – als Ansatzpunkt für freie Kreation wie auch als Gewebe von eigenem Objektcharakter und damit Wirklichkeitswert. Die symbolischen Formen als „Medien, die der Mensch sich erschafft, um sich kraft ihrer von der Welt zu trennen und sich in eben dieser Trennung umso fester mit ihr zu verbinden“30 – in diesem Paradox fasst Cassirer die zentrale Möglichkeit der Kultur, die darin besteht, Welt durch eine kulturelle Formgebung überhaupt erst zum Gegenstand machen zu können. Symbolische Formen sind damit keine Abbilder. Jenseits aller Vorstellungen von Nachahmung einer außerhalb der Kultur liegenden Wirklichkeit entwirft Cassirer das konsequente Konzept von einer menschlichen Sicht der Dinge, die immer nur soweit reicht wie es die symbolischen Formen zulassen. Außerhalb der kulturellen Formen keine Wirklichkeit, aber mit den kulturellen Formen ein unerhörter Reichtum der Gegenstände und Perspektivierungen: In Cassirers Sinn sind Symbolisierungen „Weisen und Richtungen der Objektivierung“31, die Gegenstände überhaupt erst erschaffen, weil sie diese mit jeweils eigener, individueller Kontur versehen. Kultur setzt sich so aus einem Ensemble von Schemata zusammen32, die es erlauben, ganze Vorstellungskomplexe verdichtet zu artikulieren. Vor allem die Formungen der Kunst weisen nach Cassirer die Kraft auf, Welt zu ordnen und so handhabbar zu machen33. Cassirers Konzept erscheint trotz des zeitlichen Abstandes heute aus mehreren Gründen als anregend und anschlussfähig. Das liegt zum einen an der Zuspitzung, welche die Vorstellung der symbolischen Formen in einem bereits früh angelegten Medienbegriff findet. „Die tatsächlichen symbolischen Formen sind die Medien“34, kann die Kulturphilosophie Cassirers jetzt mit allem Recht verdichtet werden. Damit kommt mit Cassirer eine höchst aktuelle Perspektive auf
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Diesen ausdrücklichen Hinweis formuliert Fuchs 1998: 8f. Fuchs wendet die Kulturphilosophie Cassirers auf die aktuelle Kulturszene an, argumentiert aber in anderer Richtung als die vorliegende Untersuchung. 29 Recki 2004: 31. 30 Cassirer 1961: 25. 31 Cassirer 1961: 30. 32 Dieses Verständnis wird bei Cassirer 2002: 220 entwickelt. Eine aktuelle Adaption, allerdings nicht auf Cassirer bezogen, bietet Wimmer 2005: 33. 33 Vgl. Cassirer 1996: 257. 34 Orth 2007: 285.
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Kultur in den Blick, die mit dem Leitbegriff der Medien und des Medialen35 nicht nur Formen und Techniken der Wirklichkeitsartikulation und -bemächtigung untersucht, sondern auch danach fragt, wie unterschiedliche Medien miteinander verschaltet sind – und vor allem, welche Blicköffnungen oder auch Blickverstellungen sie bewirken. Cassirer entwickelt selbst nicht nur bereits eine Vorstellung von einem Geflecht der symbolischen Formen, die über ein „System der Mittelglieder“36 miteinander so gekoppelt und koordiniert sind, dass sie höhere Komplexitätsgrade mit entsprechenden Schleifen der Selbstbeobachtung, also der Kritik und Kommentierung des eigenen Operierens aufbauen können. Unvermeidbar demokratisiert Cassirer auch herkömmliche Hierarchien der Kultur, indem er einzelne Systeme unterscheidet, die jeweils unterschiedliche, aber für sich notwendige Leistungen der Symbolisierung erbringen37 und sich miteinander im Zustand eines fragilen Gleichgewichts befinden38. Gerade eine Kultur, die als anspruchsvoll entwickelte Medienkultur gedacht ist, wird bereits von Cassirer nicht als bloße Ansammlung der Artefakte verstanden, sondern auch als Ensemble von Fähigkeiten des Entwerfens wie des Verstehens und somit als dialogisch, also sozial vermittelte Struktur von Techniken und Prozessen39, zu denen vor allem gehört, mit der Kreation von Bedeutungen Kontingenz zu bewältigen, gleichzeitig aber auch spürbar zu erhalten. Kultur ist so als „offener und reversibler Prozess des Aushandelns von Bedeutungen zu definieren“40, der immer zwei Dinge gleichzeitig leistet: Über Bedeutungen bietet sie orientierende Rahmungen, hält aber auch das Bewusstsein für deren Relativität wach. Eine so verstandene Kultur weist einen entschieden konstruktiven Charakter auf, der sich an einer Qualität ihrer Hervorbringungen zeigt, die bereits Cassirer als zentral erkannt hat – diese Hervorbringungen sind nicht Nachahmungen, sondern Schöpfungen und gerade deshalb keine Wiederholung von etwas bereits Vorhandenem, sondern Kreation, Innovation, Artikulation. Cassirer hat für diesen Sachverhalt den Begriff der „symbolischen Prägnanz“41 geprägt, mit dem er die Weise bezeichnet, in der ein Phänomen der Anschaulichkeit einen nichtanschaulichen Sinn in sich fasst und so vermittelbar macht. Damit wird nicht die überholte Dichotomie von Form und Inhalt wieder in ihr vermeintliches Recht gesetzt, sondern in grundsätzlich anderer Orientierung darauf verwiesen, dass im 35
Vgl. Frühwald 1991: 142-159. Cassirer 1961: 26. Diese Formulierung Cassirers öffnet den Blick nicht nur für die Querverbindungen unter den symbolischen Formen, sondern weist wenigstens implizit auch darauf hin, dass diese symbolischen Formen durch Verschaltungen an Leistungskraft gewinnen. 37 Vgl. Cassirer 1996. 38 So sieht es Recki 2004: 49. 39 Diese Sichtweise entwirft sehr überzeugend: Böhme 2007. 40 Wimmer 2005: 41. 41 Cassirer 2002: 231. 36
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Rahmen von Kulturen alles Gemeinte nur in bestimmten Anschauungsformen zugänglich sein kann und derart unweigerlich geprägt wird. Dinge sind also niemals nur an sich, sondern immer nur in der Form zu haben, wie sie dargestellt und in den Blick genommen werden. Kulturelle Formen sind dann besonders leistungsvoll, wenn sie vielfältige Aspekte ihrer Gegenstände aufschließen und neben den Vernetzungen dieser Aspekte auch noch die Verfahren anschaubar machen, mit denen sie überhaupt zugänglich gemacht werden. Kulturelle Formen sind also nicht nur stets in Pluralität und einer konzertierten Aktivität denkbar, sondern auch nur in der Weise, in der sie ihr Gemacht-Sein immer schon mit artikulieren. Der Terminus der „symbolischen Prägnanz“ zielt auf diese Verknüpfung von sinnlicher Anschauung und gedanklicher Substanz, von affektiven Potenzen und intellektuellen Dimensionen in der Weise, dass das Eine ohne das Andere nicht zu haben ist. Eine solche Kultur als „Leben im Sinn“42 meint keinen wertkonservativen Kanon, sondern einen unablässigen Prozess der Bedeutungskreation und -bearbeitung. Kultur legt damit fest und lässt zugleich offen – nämlich im Sinn einer Kreation von Bedeutung, die ihr potentielles Anderssein stets mit sich führt. Solche Bearbeitung von Kontingenz43 meint keine Schwäche, sondern die Stärke der Kultur. In ihren produktiven Erweiterungsmöglichkeiten verbindet sich Cassirers Kulturtheorie aus heutiger Sicht mit konstruktivistischen Konzepten, wie sie etwa Siegfried J. Schmidt vorgelegt haben44, und mit der Kunstphilosophie Nelson Goodmans45. Dabei gehen Modelle von Kultur als sich selbst tragenden Wirklichkeitsmodellen, die Tradition und Innovation koppeln und so den Mitgliedern einer Gesellschaft Orientierung geben46 bestens zusammen mit einer Kunstphilosophie, welche die Rolle der Kunst im Entwurf von Weltversionen erblickt, die einen Wirklichkeit konstituierenden Charakter haben und sich über Passungen mit bisher erreichten Erfahrungsbeständen bewähren47.
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Cassirer 2002: 231. Lüdemann 2007 sieht darin eine der zentralen Leistungen für Kultur. Kultur hält damit den grundsätzlichen Charakter funktional ausdifferenzierter Gesellschaften bewusst. 44 Vgl. Schmidt 2003. 45 Vgl. Goodman 1995. 46 Vgl. Schmidt 2003: 44. 47 Vgl. Goodman 1995. Zu diesen Theorieentwürfen sei an dieser Stelle auf den Beitrag von Görtz in diesem Band verwiesen. Der Autor des vorliegenden Beitrags belässt es bei einem pauschalen Hinweis. 43
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Kulturmanagement als Bedeutungsproduktion Operationen: Die Faktoren des kulturellen Feldes
Aus dem bis hierher formulierten Verständnis von Kultur folgt vor allem, dass Kultur eine „weltbilderzeugende und wirklichkeitsmodellierende Kraft“48 zuerkannt wird. Damit tritt der produktive Charakter der Kultur selbst hervor. Produktivität muss nun nicht länger als betriebswirtschaftliche Bezugsgröße von außen an Kultur herangetragen werden. Ebenso wenig wird es noch ausreichend sein, Kultur auf Produkte zu reduzieren, die so zugerichtet werden, dass sie ökonomischer Verwertung problemlos zur Verfügung stehen. Dass diese Diagnose nicht übertrieben formuliert ist, lehrt der einfache Blick auf Festivalkultur und Kulturtourismus. Ob die Operngala, das Musical im Freilichttheater, die Ausstellung mit Meisterwerken der klassischen Moderne oder die Stadtführung als kultureller Erlebnispfad – im Wettbewerb der Städte und Regionen um weiche Standortfaktoren und in der Konkurrenz auf dem eng dimensionierten Markt medialer Aufmerksamkeit muss Kultur funktionieren, um sich in der politischen Debatte oder im Gespräch mit Sponsoren noch positionieren zu können. Was zählt sind leichte Vermittelbarkeit – und damit problemlos absehbare Mehrheitsfähigkeit – eines Angebots, sein Erlebniswert und seine Fähigkeit, Andockstellen für die wirtschaftliche Verwertung anzubieten. Kultur hat in dieser Sicht handhabbar zu sein – und verliert in genau dieser Sicht einige ihrer zentralen Qualitäten. Zu diesen Qualitäten zählt vor allem die Fähigkeit der Kultur, Bedeutungen zu entwickeln, die in ihrer kompakten Struktur Orientierung geben und zugleich in ihrer Offenheit Raum lassen für abweichende Rezeption und Kreativität. Es ist damit nicht gesagt, dass nicht auch die eben zitierten Beispiele tauglich wären, an der Bedeutungsproduktion teilzuhaben. Ökonomische Vorgaben und entsprechend geprägte Erwartungshaltungen schränken diese Leitungsfähigkeit jedoch ein, weil sie alles ausschließen müssen, was ökonomischen Zugewinn blockieren könnte. Dazu gehören vor allem Experiment und Mehrdeutigkeit, ungewohnte Wahrnehmung und nicht vorhersehbare Rezeption, kurz, vieles von dem, was Kultur und als ihren wichtigen Bestandteil vor allem die Kunst für eine Gesellschaft eigentlich wertvoll macht. Ein auf ökonomische Sichtweisen verengtes Kulturmanagement läuft Gefahr, im Gefolge modischer Trends der Kulturwirtschaft und der mit ihnen verbundenen Erwartungshaltungen genau dieser Beschneidung von Kultur und Kunst nicht nur Vorschub zu leisten, sondern auch das dafür notwendige Instrumentarium bereitzustellen. Ein Kulturmanagement, das den Bewegungsgesetzen und Leistungspotenzialen der Kultur selbst vertraut, wird sich mitten hinein in den Prozess der kultu48
Böhme 2007: 40.
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rellen Bedeutungsproduktion begeben49. Damit ist – um es noch einmal zu betonen – keine Absage an alle ökonomischen Bezüge oder Instrumentarien verbunden. Auf dem Hintergrund der gegenwärtig sich darbietenden Ressourcenentwicklung im Kulturbereich50 müsste ein solcher Ansatz schlicht naiv wirken. Das hier formulierte Plädoyer wendet sich jedoch gegen unzulässige Instrumentalisierung und fordert stattdessen, den Kern der Bemühungen des Kulturmanagements so zu gestalten, dass die Produktion kultureller Bedeutung optimal vorangetrieben werden kann. Wie bereits klar sein sollte, fällt die hier gemeinte Bedeutung nicht einfach mit dem zusammen, was Kunstwerke als Inhalt oder Gehalt anbieten. Anders gesagt: Es geht hier nicht um einen Kanon von als klassisch erachteten Artefakten, auch nicht um eine Werteskala bildungsbürgerlicher Provenienz. Die hier gemeinte Bedeutung ist nicht mit Kunstwerken identisch, sondern existiert als sozial verankerter Sinn, dessen kulturelle Dimension im Zusammenwirken von symbolhafter Vermittlung, affektiver Aufladung und interpretierender Bearbeitung besteht. Kulturelle Bedeutungen weisen strukturelle Ähnlichkeiten mit Diskursen auf51, deren spezifische Qualität darin besteht, Mengen von Aussagen so zu organisieren, dass kohärente Sinngefüge entstehen, die Themen setzen, Deutungsweisen regulieren und Orientierungsleistungen mit Flexibilität vermitteln. Derart organisierte Bedeutung besteht in der reich strukturierten Aufbereitung von Themen in der Form von Deutungsmustern, die sinnlich affizieren und zugleich gedanklich faszinieren. Im Sinn der von Cassirer geprägten „symbolischen Prägnanz“ bestimmen Erscheinungs- und Darbietungsweisen die Konturen und Inhalte von Themen wesentlich mit. Bedeutungen entstehen so aus Verschränkungen von Artefakten und Praktiken als Gebilde, die so imaginär wirksam wie objektiv greifbar sind, wie es die Wirklichkeitsmodelle einer Gesellschaft zu sein pflegen52. Kulturelle Bedeutungen sind in ihren Inhalten mit bestimmten Themenkomplexen identisch, während sie in ihrer Erscheinungsweise meist mit kulturellen Formaten identifiziert werden können. Wie Kulturformate prägen auch kulturelle Bedeutungen ihre eigene Geschichte aus, die Symbolkraft im Sinn eines narrativen Musters gewinnt, das Schöpfungsgeschichten ebenso kennt wie ein Figurenpersonal mit Meistern und Abtrünnigen, Skandale, Spaltungen, Durchbrüche zu Erfolgserlebnissen und Visionen, die immer neue Energien für Aufbrüche in die Zukunft freisetzen. Solche narrativen Muster sichern kulturellen Bedeutungen gemeinsam mit bildhaften Symbolen 49
Verschiedene Fallbeispiele dieser Bedeutungsproduktion analysiert und diskutiert Lüddemann 2008. Sehr eindringlich schildert Klein 2007 den Prozess einer sich zuspitzenden Verringerung. 51 Diesen zentralen Begriff der Theorie und Methodik in den Kultur- und Sozialwissenschaften erläutert Mills 2007. 52 Vgl. Schmidt 2003: 34ff. 50
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nicht nur affektiven Reiz und ein hohes Maß an Faszinationskraft, sondern erlauben es Individuen auch, sich in einer solchen Geschichte selbst zu positionieren – oder sie überhaupt erst einmal zu lernen und damit auch die in ihr eingelagerten Bedeutungspotenziale aufzunehmen. Als Beispiel für ein kulturelles Format, das sich überaus erfolgreich als Narration hat ausbilden können, sei hier nur die Kasseler Documenta genannt. Gründung als Teil einer Bundesgartenschau (Schöpfungsmythos), Kreation durch Arnold Bode (Meistergestalt), Regelmäßigkeit der Wiederkehr (Motiv der Neugeburt), die legendäre Documenta 5 (Motiv der Umkehr) mit ihrem Leiter Harald Szeemann (Gestalt des Revolutionärs), Wahl eines stets neuen Leiters (Zukunftsversprechen) und andere Elemente mehr fügen sich zu einer inzwischen Jahrzehnte überwölbenden Erzählung, die der Documenta eine einzigartige Leistungsfähigkeit kultureller Bedeutungsproduktion verliehen hat. Diese Leistungsfähigkeit verdankt sich der Verbindung von Stabilität – nämlich der des Formats – und Elastizität, die aus der ständigen Neuerfindung dieses Ausstellungsereignisses resultiert. Die periodische Wiederkehr wird längst als Vertaktung der Kunstgeschichte selbst wahrgenommen. Ihr verdankt die Documenta den unbestreitbaren Rang als Trendbarometer der Kunst und als Zustandsdarstellung der gesellschaftlichen Entwicklung. Der Aspekt des Erzählgefüges verweist auf die Vielschichtigkeit kultureller Bedeutungsproduktion und Formen ihrer Darstellung – und damit auf die Beobachtung, dass kulturelle Bedeutungen immer nur insoweit existieren und wirksam werden können, wie sie sich auch selbst thematisieren und auf diese Weise von vornherein rekursive Schleifen der Selbstbeobachtung und autonomen Korrektur in die eigene Struktur und ihr Operieren einbauen. Zugleich macht die Deutung von Kulturformaten und kulturellen Bedeutungen auch darauf aufmerksam, in welchem Maße beide ihre Vitalität und Leistungskraft zeitlicher Erstreckung mit all ihren Möglichkeiten der Erinnerung und Zukunftsprojektion sowie Bewegungsmomenten wie periodischer Wiederholung und entschiedener Umkehr verdanken. Ein solches Prozessieren von Gegensätzen und Kontrasten verweist unmittelbar auf die Netzstruktur, aus denen kulturelle Bedeutungen erwachsen. Ansatzpunkt und Aufgabe des Kulturmanagements besteht darin, solche Strukturen zu kreieren und ihr Funktionieren fortlaufend zu verbessern. Ansatzpunkte ergeben sich mit der Identifikation der unverzichtbaren Bestandteile solcher Strukturen. Diese Bestandteile sind: Objekt, Ort, Subjekt, Diskurs, Praxis. Diese Faktoren sind nicht in einer linearen Reihung und schon gar nicht in einer Hierarchie angeordnet. Die Struktur, zu der sie sich fügen, kann eher mit der Figur eines Fünfecks beschrieben werden, in dem sich zwischen allen Eckpunkten Kontakte ereignen. Zugleich ist damit auch die Tatsache bildlich gefasst, dass in einem solchen Gefüge ein erheblicher Spannungszustand herrscht.
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Die Faktoren eines Feldes der kulturellen Bedeutungsproduktion in der Einzelschau: Objekte sind all jene Artefakte, die in materialisierter Form vorliegen, darüber hinaus aber auch Gegenstände aller Art, die in dem bezeichneten kulturellen Feld bedeutsam werden können. Mit Objekten sind natürlich in erster Linie Kunstwerke gemeint, die Gegenstand der aufführenden Realisierung, der Positionierung im Raum oder der Rezeption und der nachfolgenden Diskussion werden können. Objekte erlauben mit ihrer wiederholten Präsentation und Rezeption den Aufbau einer Wirkungsgeschichte. Diese Wirkungsgeschichte reichert sich zu einem Diskurs an, der selbst wiederum eigenständige Wirklichkeit und somit Objektcharakter gewinnen kann. Dieser Diskurs verbalisiert Akte der Rezeption, reichert Wertungen zu Urteilen an. Daraus ergibt sich eine Rückwirkung auf die Objekte, die ihrerseits Wertsteigerungen erfahren. Im Bereich der Kunst schlägt sich dies in der Ausbildung auratischer Ausstrahlung nieder. Orte meinen im Feld der kulturellen Bedeutungsproduktion die Schauplätze, die für Objekte, Subjekte und Praktiken zur Verfügung stehen oder in Anspruch genommen werden. Solche Orte sind zunächst die Schauplätze der Präsentation. Damit wirken sie jedoch auf die Anmutung der Objekte zurück wie sie auch die Begegnung der Subjekte mit Objekten und anderen Subjekten nachhaltig prägen. Orte sind zugleich Arenen für Begegnung und Kommunikation. Sie können als Plätze, Gebäude, Landschaften oder Räume konkret in den Blick kommen. Für all diese Orte gilt, dass sie sich als Bestandteil von kulturellen Formaten selbst mit Bedeutung aufladen und diese Bedeutung wiederum auf die Objekte und Prozesse zurückstrahlen, denen sie als Schauplatz dienen. Für Orte gilt deshalb, was für alle anderen hier genannten Faktoren auch gilt – sie gewinnen als Bestandteil eines kulturellen Ensembles eigenständigen Objektcharakter und transportieren damit kulturelle Bedeutung. Subjekte sind all jene Personen, die an dem jeweiligen kulturellen Feld teilhaben – und dies mit unterschiedlichen Rollenzuweisungen. Subjekte sind Künstler ebenso wie die Menschen, die das Publikum, also Adressaten bilden. Subjekte sind aber auch Organisatoren oder Personen, die auf andere Weise Einfluss ausüben. Es muss nicht eigens betont werden, dass solche Rollenzuweisungen nicht einseitig gedacht werden dürfen. Rollenkonzepte können gewechselt werden. Mehr noch: Subjekte werden jeweils mehrere Rollen gleichzeitig wahrnehmen. So ist ein Künstler auch immer ein Rezipient – und wenn dies darin besteht, dass er das eigene Werk wahrnehmen muss, um sinnvoll weiter arbeiten zu können. Überschneidungen ergeben sich natürlich auch zwischen Künstler/ Organisator oder Zuschauer/Kritiker. Weitere Kombinationen sind natürlich denkbar. Solcher Perspektivenwechsel ist nichts anderes als der Reflex auf das dichte Geschehen kultureller Bedeutungsproduktion.
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Diskurse entstehen aus verbalisierten Reaktionen auf Objekte, Schauplätze und Subjekte. Sie sind Mengen von Aussagen, die sich zunehmend verdichten – einmal als Reaktion auf die Intensität und Fortdauer von kulturellen Objekten und Praktiken, zum anderen aber auch aus eigenen Bewegungsgesetzen heraus. Diskurse geben die Möglichkeit, Geltungsansprüche von Artefakten abzuklären, ästhetische Erfahrungen zu kommunizieren und so den Rezipienten aus seiner Vereinzelung zu lösen. Diskurse bilden eigene Strukturen, Kriterien und Maßstäbe aus, nach denen etwas zu einem Thema gemacht werden kann und Geltung erhält. Sie bieten Anhaltspunkte und Vergleichsmaßstäbe, an denen das Subjekt seine Rezeption von Objekten und Praktiken ausrichten und korrigieren – oder dazu beitragen kann, den Diskurs selbst aufgrund eigener Rezeption und ihrer Erfahrungswerte zu verändern. Auch der Diskurs gewinnt Objektcharakter und das heißt nichts anderes als eigenes Leben. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass kulturelle Bedeutung nicht mit Diskursen identisch ist. Diskurse produzieren und bewahren zwar Bedeutung. Sie dürfen selbst aber auch nur als eine Instanz dieser Bedeutungsbildung angesehen werden, die folglich nicht allein als Geschehen der Verbalisierung begriffen werden kann. Praktiken sind im Feld der kulturellen Bedeutungsproduktion denkbar vielfältig. Sie reichen von der künstlerischen Aufführung über die organisatorische Betreuung bis hin zur ästhetischen Erfahrung des rezipierenden Individuums. Praktiken unterliegen jeweils eigenen Regelwerken, die über Diskurse kodifiziert und gesteuert werden. Solche Praktiken besitzen also eigene Kriteriensätze, die über ihr Gelingen und Misslingen entscheiden. Im Feld der kulturellen Bedeutungsproduktion sollte besser von Angemessenheit und Produktivität gesprochen werden, an denen sich der Erfolg bestimmter Praktiken bemisst. Praktiken prägen sich entsprechend zu professionellen Ausübungsformen aus oder nehmen den Charakter von ritualhaften Handlungen an. Sie erlauben aber auch Spielräume der Improvisation oder Möglichkeiten der Abänderung und kreativen Neuschöpfung. Praktiken und die mit ihnen verbundenen Gewohnheiten und Erwartungen können tradiert wie irritiert, ganz neu geschaffen oder intensiv gelernt werden. Ihre Verläufe sind selbst mit Bedeutung aufgeladen, weil sie Blickrichtungen der Rezeption festlegen oder Sphären des Kulturellen oder der Kunst ausdifferenzieren. In dieser Hinsicht sind Praktiken besonders an bestimmte Orte, oft aber auch Akteure gebunden. Diese Charakterisierungen der Faktoren eines Feldes kultureller Bedeutungsproduktion haben bereits deutlich gemacht, in welch starken Maß diese Faktoren nicht als statische Größen, sondern vor allem als Energien angesehen werden müssen, die miteinander kooperieren – manchmal auch konkurrieren – und sich in ihren Wirkungen gegenseitig steigern. Solche Wirkung scheint sich ohnehin immer nur insoweit zu ergeben, als diese Faktoren miteinander in dialo-
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gischen Austausch eintreten und so Spiegelungs- und Reflexionsverhältnisse aufbauen. Nur bei hohem Grad der Kooperation dieser Faktoren und ihrer gegenseitigen Bezugnahme lädt sich ein kulturelles Feld soweit mit Energie auf, dass es den Charakter einer sich selbst tragenden Konstruktion gewinnt und Bedeutung produziert. Dies soll anhand der Kooperationen der Faktoren noch einmal verdeutlichend zusammengefasst werden. Die Interdependenzen der einzelnen Faktoren sehen so aus:
Objekte gewinnen durch Orte einen erheblichen Teil ihrer Ausstrahlung. Durch bestimmte Orte werden Objekte in besonderer Weise lesbar, weil perspektiviert. Sie sind darüber hinaus natürlich auf die Rezeption durch Subjekte angewiesen, welche die in ihnen eingelagerten Bedeutungen aufnehmen und ihnen im Zuge dieser produktiven Tätigkeit neue Bedeutungen beimessen. Objekte liefern Gegenstände für Diskurse; ihre Anmutung wird andererseits wieder durch Diskurse geprägt. Ein berühmtes Beispiel ist die Bedeutungsveränderung, welche Raffaels „Sixtinische Madonna“ durch die Diskurse der Romantik erfahren hat. Orte bieten Objekten und Subjekten Bühnen für Präsentation, Rezeption und Auftritte, die unter das Stichwort Praktiken fallen. Orte können wie die Objekte auch eine Aura aufbauen, die durch wiederholte kulturelle Nutzung entsteht, insbesondere dann, wenn diese Nutzungsform rituellen Charakter annimmt. Das Bayreuther Festspielhaus kann dafür als Beispiel angeführt werden. Kulturelle Aura entwickeln Orte aber auch gegebenenfalls durch ein einzelnes Ereignis von überragender Strahlkraft. Hier sei mit Woodstock, der Ort eines zur Legende gewordenen Rockkonzerts von 1969 genannt. Orte sind zugleich Foren für Kommunikation und der gemeinsam geteilten kulturellen Praxis, sei es in der kontemplativen Form einfühlender Rezeption, sei es als extrovertiertes Ausagieren von Stimmungslagen, etwa bei Rockkonzerten. Subjekte rezipieren Objekte, nehmen Orte in Besitz, liefern Beiträge für Diskurse, sind Träger von Praktiken. Sie sind nicht allein planend an Kulturprojekten beteiligt, eignen sich Kultur ebenso lernend wie kritisierend an, sondern tragen auch die Erinnerung an Kulturprojekte in sich und vermitteln somit Wissensbestände an spätere Generationen oder an Subjekte, die an bestimmten Kulturformationen noch nicht teilhaben. Diese anderen Subjekte können sich innerhalb der gleichen Gesellschaft befinden – oder außerhalb dieser Gesellschaft und damit in einem anderen Kulturkreis. Subjekte sind innerhalb der Teilhabe an Kultur von alltäglichen Handlungszwängen entlastet und gleichsam freigestellt für ein Handeln und Reflektieren auf Probe.
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Kulturmanagement als Bedeutungsproduktion Diskurse enthalten die verbalisierten Reaktionen auf Objekte, Orte und Praktiken. Sie sind insbesondere geeignet, Gedächtnis zu bilden. Diskurse erlauben es, Konstanz und Veränderung eines kulturellen Feldes zu koordinieren. Denn Diskurse repräsentieren nicht nur bestimmte Themen, sondern darüber hinaus auch formierte Wissensbestände, also neben den Themen intersubjektiv abgesicherte Wege ihrer Interpretation sowie geregelten Aneignung und Vermittlung. Die Dichte eines Diskurses wirkt steigernd auf die Aura von Objekten und Orten, ermöglicht zudem Subjekten eine gesteigerte Teilhabe an kulturellen Feldern – zum Vorteil ihres Gefühls der Zugehörigkeit und einer besser reflektierten Eigenpositionierung in der Gesellschaft. Praktiken decken sich zu einem Teil mit Diskursen. Schließlich gehört es zu einer Praxis, Diskurse aufzubauen und an ihnen teilzuhaben. Darüber hinaus verdeutlicht diese Position aber auch, dass Umgang mit Kultur nicht allein verbalisiert ablaufen muss. Praktiken beziehen ihre Legitimation durch die Präsenz bestimmter Objekte ebenso wie dadurch, dass sie an bestimmten Orten situiert sind. Beispiele liefern dafür etwa Pausen in Theatervorstellungen oder Vernissagen und Finissagen von Ausstellungen. Bei diesen Gelegenheiten verschränken sich Objekt, Ort, Subjekt, Diskurs und Praxis zu einer dichten kulturellen Formation.
Diese Interdependenzen und funktionalen Zusammenhänge machen klar, wie sehr gerade Kultur dadurch gekennzeichnet ist, dass nicht einzelne Faktoren das gesamte Phänomen tragen oder ausmachen, sondern erst die Verschaltung dieser Faktoren und ihr gegenseitiger Energieaustausch einem kulturellen Feld Ausstrahlung, Verdichtung und vielfache Anschlussfähigkeit sichern. Dies entspricht Cassirers Entwurf der „Symbolischen Formen“, die gerade als Ensemble Kultur ausmachen. Die Leistungsfähigkeit dieser Formen steckt nicht allein in ihrer Möglichkeit, affektive Faszination und intellektuelle Bearbeitung zu koppeln, sondern auch in dem Gedanken einer Konzertierung, die zu gegenseitigem Austausch mit entsprechenden Verdichtungen und nachfolgenden Energieschüben besteht. Zu diesem Verständnis von Kultur gehört, dass sie folgerichtig in jedem Augenblick Bedeutungen trägt und produziert. Jede Begegnung mit Kultur ist nur unter den Bedingungen des Sinnverstehens, der Wertorientierung und überhaupt eines in der gesellschaftlichen Wirklichkeit orientierenden Geschehens zu denken. Aufgabe des Kulturmanagers muss es sein, solche Konstrukte aufbauen zu helfen oder bereits bestehende Konstrukte dieser Art so mit Impulsen zu versehen, dass sie möglichst produktiv sein können. Der Kulturmanager bearbeitet demnach das gesamte, hier entworfene Feld. Er kann als Subjekt mehrere Rollen in sich vereinen, wird aber niemals nur Zuschauer oder nur Künstler sein kön-
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nen. Er wird seine Arbeit darauf ausrichten, die Faktoren des kulturellen Feldes zu stärken und sie sinnvoll miteinander zu konzertieren und zu koordinieren. Kulturelle Bedeutungen sind, wie schon betont, nicht mit einem der hier aufgeführten Faktoren identisch und auch nicht in ähnlich einseitiger Weise auszumünzen. Diese Bedeutungen sind vielmehr dann besonders vital, wenn alle Faktoren an ihnen in gleicher Weise mitwirken, sie demnach einen stabilen semantischen Kern, zugleich aber auch Randunschärfen aufweisen. Damit kombinieren diese Bedeutungen Widererkennbarkeit mit der Kraft zur Erneuerung, orientierende Maßstäblichkeit mit innovativer Kreativität. Kopplung, Koordinierung, Kreation – darin besteht die wesentliche Aufgabe eines Kulturmanagers, der sich mit kultureller Bedeutungsproduktion beschäftigen will. Eine mögliche konkrete Ausprägung dieser Produktion besteht in der Kommunikation mit Kunst, die sich in Angeboten von eigens kreierten Medien konkretisiert. Medien meinen in diesem Kontext über die gewöhnliche Verwendung des Wortes hinaus kompakte Verbünde, in denen die Faktoren Kunst, Träger, Kontext und Botschaft miteinander verbunden und koordiniert sind53. Kunstwerke werden dabei mit medialen Vermittlungsformen, bestimmten räumlichen und situativen Kontexten sowie ausformulierten Botschaften so verknüpft, dass sich komplex strukturierte Kommunikationsangebote ergeben, mit denen sich bestimmte Wirkungsabsichten erreichen lassen. Diese Angebote verbinden affektive Faszinationskraft mit assoziativer Aufladung, kulturellem Prestige und thematischer Prägnanz dergestalt, dass Felder kultureller Bedeutungsformen mit innovativen Impulsen versehen werden. Zu der Qualität solcher Formen der Kommunikation gehört in nicht geringem Maß, dass sie sich freihalten von jeder vordergründigen Instrumentalisierung von Kunst und Kultur54. Neben konkreter Wirkungsabsicht erhält die Möglichkeit zur freien Abwägung von Geltungsansprüchen in solchen Kommunikationsformaten ausdrücklich Raum. Anders ist eine Kommunikation mit Kunst und Kultur ohnehin nicht vorstellbar.
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Methode: Kuratieren als Vorbild für das Kulturmanagement
Das eben erläuterte Modell ist geeignet, einen von der Philosophie Ernst Cassirers her entwickelten Kulturbegriff soweit zu konkretisieren, dass er für das Kulturmanagement nicht nur handhabbar, sondern vor allem auch produktiv wird. In einem anschließenden Schritt wird dieses Kulturverständnis nun in eine Praxis umgesetzt, die bislang wenig vom Kulturmanagement beachtet worden ist, näm53 54
Dieses Modell entwirft Lüddemann 2007: 44-46. Dies betont auch Heinze 2008: 189f.
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lich der des Kuratierens55. Damit ist nicht nur in diesem Kontext viel mehr gemeint als das landläufige Verständnis einer Berufspraxis in Museen, Galerien und Kunsthallen, die darin besteht, Bilder oder Skulpturen zu Ausstellungen zusammen zu bringen oder Sammlungsbestände zu betreuen. Gegen all diese Tätigkeiten soll hier nichts eingewendet werden. Aber bereits das längst gängig gewordene Stichwort des „Curating“56, zuletzt gar noch zum „Performative Curating“57 gesteigert, zeigt, dass es hier um eine Praxis geht, die in den letzten Jahren erheblich an Selbstwertgefühl und inhaltlicher Differenziertheit gewonnen hat. Mit dem Bezug auf die Praxis des Kuratierens wiederholt sich für das Kulturmanagement eine ebenso vertraute wie mit Risiken behaftete Struktur seiner inhaltlichen wie methodischen Entwicklung – nämlich der des Imports von Ressourcen, die eine Bezugsdisziplin bereitstellt. Ein unmittelbar aufscheinendes Risiko soll hier sofort ausgeräumt werden. Gegen die Tendenz des Curating, die Rollen von Kurator, Künstler, Kritiker und Autor anzugleichen58 wird hier ausdrücklich darauf bestanden, mit der Neudefinition des Kulturmanagers als Kurator nicht wieder einzuführen, was innerhalb der Diskussion um das Kulturmanagement längst verabschiedet worden ist: die Vorstellung vom Kulturmanager als Magier, Musenfreund und Künstler, dessen Handeln höchstens bewundert, nicht aber methodisch analysiert werden kann59. Das Kuratieren bereitet nicht die Probleme, die Bezugsdisziplinen oder -praktiken in der Regel für das Kulturmanagement bedeuten. Denn die Verschiebungen, die das Kuratieren in den neunziger Jahren durchgemacht hat60, münden in ein zentrales Verständnis dieser Praxis, dem von „Prozessen der Bedeutungsproduktion“61. Das zentrale Stichwort der Bedeutung findet sich immer wieder in der einschlägigen Theoriedebatte62. Damit ergibt sich unmittelbar der Anschluss an die hier geführte Diskussion, zumal der Begriff der Bedeutung in ganz ähnlicher Weise verstanden wird. Wenn die Ausstellung in der Sicht des Kuratierens als „Dialograum“63 erscheint, dann berührt sich diese Vorstellung mit dem Verständnis von Kultur, das eben entwickelt worden ist – nämlich dem eines Feldes, in dem mehrere Faktoren in gegenseitiger Reflexion Bedeutungen produzieren. 55
Für fachliche Hinweise zu diesem Themenbereich danke ich Dr. Brigitte Franzen, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster. 56 Bismarck 2002 wählt diesen Begriff als Titel eines Lexikonstichworts. 57 Doherty 2007. 58 Dies führt beispielhaft vor: Rollig 1999: 38. 59 Vgl. Lüddemann 2007: 13. 60 Diesen Prozess beschreibt anschaulich: Richter 1999: 13. 61 Bismarck 2002: 56. 62 Nur zwei Beispiele für die Tendenz auf diesen zentralen Begriff immer wieder zu verweisen: Lind 2005: 40, Schneemann 2007: 71. 63 Bianchi 2007: 46.
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Daraus folgt, dass für das Curating Bedeutung nicht allein schon mit bestimmten künstlerischen Werken gegeben ist. Ohnehin bewegt sich dieses Modell einer kulturellen Praxis weg von statischen Zuordnungen, wie sie mit Vorstellungen von der Musealität bestimmter Objekte ebenso verbunden sind wie von einem Wert, der sich im Bereich der bildenden Kunst aus den Operationen des Kunstmarktes ergibt. „Partizipation, Prozesshaftigkeit und Vielstimmigkeit“64 sind dagegen leitende Motive wie Kriterien einer Arbeitsweise, die sich weniger als fachliche Technik denn als kreative Gestaltung eines Feldes versteht, in dem vor allem Problemstellungen und Themenbereiche verhandelt werden. Die Orientierung an der „Analyse aktueller gesellschaftlicher Probleme und Verhältnisse“65 erweist das Kuratieren als eine durch thematische Interessen gesteuerte Arbeitsweise, die nicht so sehr an fixierten künstlerischen Ergebnissen als vielmehr an Einflussnahme im Bereich sozialer Praxis interessiert ist. Dafür verlegt sich das Kuratieren auf Prozesse, die „event-gebunden, flüchtig und letztlich unwiederholbar“66 sind und Institutionen des Kunstbetriebs gerade noch als Labor67 oder Kontaktzone68 begreifen können. Das Curating sieht sich viel mehr als Praxis, die Institutionen umdeutet, sie nur als vorübergehende Bühnen oder Depots versteht oder – darin liegt der eigentliche Zielpunkt – sich am besten gleich mitten im Konfliktfeld gesellschaftlicher Interessenkonflikte situiert und entfaltet69. Die ideale Verwirklichung des Kuratierens ist dann die Intervention, die ihren Erfolg an der Aufarbeitung gesellschaftlicher Problemlagen bemisst oder zumindest versucht, diese sichtbar zu machen. Das Curating hat auf diese Weise den Status einer entschiedenen Verfahrensweise gewonnen, die vielfältige Anschlussmöglichkeiten bietet, zugleich aber auch Probleme aufweist. Um hier nicht den Eindruck einer kritiklosen Übernahme aufkommen zu lassen, sollen Schwachstellen dieses Konzepts wenigstens in Stichpunkten aufgeführt werden. Zu ihnen gehört die Gefahr einer Vermengung der Blickrichtungen und Kriterien, die in der Überschneidung vielfältiger Funktionen beteiligter Personen liegt. Probleme birgt auch die Präferenz für ein gesellschaftspolitisches Engagement, das mit seiner unvermeidlichen Parteinahme eine zentrale Leistung der Kultur gefährdet, die gerade darin besteht, einen kontroversen Austrag von divergierenden Geltungsansprüchen jenseits praktischer Handlungszwänge zu ermöglichen. Ohnehin scheint die Einebnung der für Kultur unabdingbaren Symbolisierungsebene deshalb kritikwürdig zu 64
Bismarck 2002: 58. Rollig 2005: 33. Doherty 2007: 419. 67 Diesen Begriff führt ein: Lind 2005: 49. 68 Vgl. Obrist 2005: 114. 69 Biemann 2005 formuliert diese politische Zuspitzung des Kuratierens. 65 66
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sein, weil sie Dienstleistung an die Stelle der Kunst setzt und damit genau den Möglichkeitsraum beseitigt, der Kunst nicht nur von Wirklichkeit unterscheidet, sondern ihr zugleich auch besondere Leistungsfähigkeit sichert. Curating dagegen setzt nicht so sehr auf das künstlerische Artefakt – das scheint auch durch Dokumentationen, Fotos oder andere Materialien ersetzbar zu sein – sondern auf den Text als vorgeblich eindeutige politische Aussage70 – als würde nicht auch jeder Text jenseits aller Illusion von einem vorgeblich eindeutigen Klartext der Interpretation bedürfen. Trotz dieser Problemfelder vermag das Kuratieren wichtige Anregungen für das Kulturmanagement zu vermitteln. Bereits die Bündelung verschiedener Funktionen in der Person des Kurators – „Vermittler, Beobachter, Analyst und Autor“71 – verweist unmittelbar auf Multifunktionalität und -perspektivität des Kulturmanagements. Wichtige Impulse kann das Curting vor allem dadurch vermitteln, dass es auf Prozess und Engagement setzt und damit geeignet ist, auch das Kulturmanagement als Praxis entlang thematischer Entwicklungen zu situieren, das entsprechend in der Lage ist, Kulturinstitutionen umzudeuten. Mehr noch: Der Kulturmanager wird als Kurator auch ungewohnte Räume und Bühnen für Kultur erschließen und ihr damit innovative Anschlussmöglichkeiten eröffnen. Diesem Rollenverständnis entspricht eine Arbeitsweise auf wechselnden Bühnen und in Formaten von temporären Projekten. Vor allem die Tätigkeitsformen des Kuratierens und ihre gegenseitige Vernetzung machen den Anschluss für das Kulturmanagement überaus interessant. Kuratoren
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selektieren Objekte: Nah an traditionellen Vorstellungen von der Arbeit des Kurators geht es hier darum, Artefakte so auszuwählen, dass sie miteinander in eine Beziehung treten, die so geartet ist, dass sich die ausgewählten Objekte gegenseitig reflektieren und dadurch ein Erklärungswert entsteht, der über kunsthistorische Zusammenhänge hinausreicht. Über eine bloße Selektion vorhandener Werke hinaus werden Kuratoren dort zu Anregern, wo sie Künstler dazu bringen, neue Werke für bestimmte Orte zu schaffen oder auf Orte mit installativen Arbeiten zu reagieren. definieren Orte: Schon das Arrangement von Exponaten in Räumen, die für Ausstellungszwecke gedacht sind, führt dazu, dass diese Räume neu in Erscheinung treten und entsprechend wahrgenommen werden können. Noch wichtiger sind dagegen kuratorische Interventionen, mit denen neue Orte für die Kunst erschlossen und so zum Schauplatz und Anlass ästhetischer Erfahrung werden können. Dies gilt für alle Ausstellungen an ungewohnten
Vgl. Rollig 2005: 34. Schneemann 2007: 78
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Orten – von der Fabrik bis zur Privatwohnung. Mit Ausstellungen lassen sich Orte jedenfalls neu definieren – als Arenen der Kultur. involvieren Subjekte: Kuratoren arrangieren nicht nur Objekte – sie motivieren auch Subjekte und konzertieren deren Handeln. Dazu gehören nicht nur die Künstler, die sie für Ausstellungsprojekte begeistern und so zur Teilnahme bewegen müssen, sondern in besonderer Linie auch alle anderen Personengruppen, die in irgendeiner Weise an dem Projekt partizipieren – vom Besucher über den Sponsor bis zum Kritiker. Dabei sind Personen nicht allein durch die Qualität des Angebots zu erreichen. Sie werden auch auf anderen Kanälen über das jeweilige Projekt unterrichtet und zu einem Mitwirken inspiriert. vernetzen Diskurse: Aktuelle Künste sind nicht allein mit den Werken identisch, die sie hervorbringen, sondern auch mit den parallel verlaufenden Diskursen. Ausstellungen zu arrangieren bedeutet in der Regel nicht nur, Exponate zueinander zu bringen, sondern auch, Passungen zwischen Diskursen herzustellen. Vor allem die hier skizzierte kuratorische Praxis hebt verstärkt darauf ab, Einfluss auf Diskursgeschehen zu nehmen, indem Sprachregelungen aufgebrochen, neue Äußerungsformen erprobt und bislang unbeteiligte Akteure in den Diskurs einbezogen werden. Die aktuelle Diskussion um das Curating belegt die deutliche Verschiebung innerhalb der kuratorischen Praxis hin zu einer solchen Arbeit am Diskursgeschehen und damit auch zu Fragen gesellschaftlicher Äußerungsmöglichkeiten und Teilhabe. finden Themen: Die bislang genannten Faktoren können nur unter dem Dach von leitenden Themen sinnvoll und damit überzeugend vernetzt werden. Deshalb setzen Kuratoren vor allem Themen, mit denen sich die Interaktion von Objekt, Diskurs, Ort und Subjekt organisieren lässt. Damit grenzt sich eine so verstandene kuratorische Praxis nicht allein von monographischen, also nur einem Künstler gewidmeten Ausstellungen ab, sondern auch von Themen, die vor allem kreiert werden, um günstige Anschlussbedingungen für das Marketing zu schaffen. Themenfindungen bewegen sich stattdessen eher im Bereich gesellschaftlicher und sozialer Problembereiche mit entsprechendem Konfliktpotenzial.
„Die Ausstellung ist der Ort, an dem Produzent, Produkt und Rezipient, moderiert vom Kurator, zusammentreffen“72: Diese Beschreibung lässt sich auf ein Verständnis von kulturellem Geschehen selbst als Arena der Bedeutungsproduk-
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Schneemann 2007: 66.
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tion ausweiten. Der als Kurator verstandene Kulturmanager73 erweckt das Geschehen zum Leben – auch indem er ökonomische Ressourcen mobilisiert, aber vor allem, weil er kulturelle Kräfte konzertiert, so dass entsteht, was Cassirers „symbolische Formen“ meinen – die sinnliche Präsenz von Themen, die so dargeboten werden, dass Rezeption ebenso wie Debatte angeregt werden.
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Beispiel: Die Skulptur-Projekte in Münster
Die seit 1977 in Münster ausgerichteten Skulptur-Projekte sind in besonderer Weise geeignet, das bis hierher entwickelte Verständnis von Kulturmanagement zu verdeutlichen. Denn die Projekte präsentieren sich heute als Kulturformat, das nicht nur die Praxis des Kuratierens in besonders instruktiver Weise vorführt, sondern auch die oben genannten Positionen des kulturellen Feldes und ihrer Bedeutungshaltigkeit aufweist. Ob das Münsteraner Kunstformat in jedem Detail als „Erfolgsgeschichte“74 bezeichnet werden muss, steht dabei nicht einmal im Vordergrund. Wichtiger als eine positive oder negative Wertung ist hier die Produktivität eines kulturellen Feldes, das in Fragen von Kunst und Öffentlichkeit, Wahrnehmung des öffentlichen Raumes und anderem mehr nicht nur zugeordnete Diskurse von Kunstbetrieb bis Kulturpolitik auf ein neues Niveau gehoben, sondern auch Kunst selbst in einer intensiveren Weise sichtbar gemacht hat. Die Geschichte der Skulptur-Projekte sei hier nur kurz referiert75. Der öffentlich ausgetragene Streit um die Aufstellung einer kinetischen Skulptur von George Rickey gab 1977 den Anlass für eine Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum, mit welcher der Geschichte und aktuellen Geltung der Skulptur im 20. Jahrhundert nachgespürt werden sollte. Die von Klaus Bußmann verantwortete Museumsschau wurde ergänzt durch neun von Kasper König kuratierte „Projekte“ im Außenraum, zu denen Arbeiten von Joseph Beuys, Donald Judd, Claes Oldenburg und Richard Serra gehörten. Im Lauf der Zeit kehrte sich dieses Verhältnis um. Die „Projekte“, zunächst als Anhang einer klassischen Museumspräsentation konzipiert, prägten zunehmend das Erscheinungsbild des ganzen Formats. 2007 reduzierte sich bei der vierten Ausgabe der „Projekte“ die Ausstellung auf eine Archivschau im Landesmuseum, die nur noch als dokumentarisch verstandener Rückblick konzipiert war. Auf diese Weise rückte das Thema der Skulptur im öffentlichen Raum in den Mittelpunkt des Interesses. Im Lauf der Zeit verschoben sich nicht nur Fachterminologien – weg von der „Skulptur“ 73
Eine Beschreibung des nach grundsätzlichen, miteinander vernetzten Funktionen aufgefassten Kulturmanagers in etwas anderer Form auch bei Lüddemann 2008: 53-55. 74 Diese Wertung äußert natürlich Bußmann 2007: 13 – als „Erfinder“ dieses Ausstellungsformats. 75 Abrisse der Geschichte der Skulptur-Projekte bei Grasskamp 1997, Bußmann 2007.
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hin zu „Projekt“ oder „Intervention“76 – zugleich verwandelte sich auch der Stadtraum. Von der Ausstellungsfläche zum Freilichtmuseum: Ankäufe aus den einzelnen Ausstellungen sorgten dafür, dass sich in Münster sowohl der engere Stadtkern als auch das Terrain rund um den Aasee in ein permanentes Museum der Gegenwartsskulptur verwandelten. Bislang sind rund 40 Arbeiten im öffentlichen Raum verblieben – eine einzigartige Geschichte auch der Gegenwartskunst, die Münster als Standort in diesem Segment der Kunst Referenzcharakter verliehen hat. Obwohl das Intervall zwischen den einzelnen Ausgaben der Skulptur-Projekte mit zehn Jahren denkbar lang ausfällt und das Format entsprechend erst vier Mal verwirklicht worden ist, lässt sich dennoch eine deutliche Entwicklung erkennen. Nach konfliktreichem Start 1977 gingen die Skulptur-Projekte schon 1987 auf Expansionskurs. 65 Künstler und der Entschluss, das Format dauerhaft zu installieren – das waren nur die wichtigsten Ergebnisse einer Ausstellung, die seinerzeit Epoche machte. 1997 avancierte „Kunst als Dienstleistung“ zum Leitwort der dritten Ausgabe der „Projekte. Die gestiegene Akzeptanz in der Bevölkerung zeigten, dass das zunächst verstörende Format erfolgreich etabliert worden war, allerdings um den Preis eines Kunstfestivals, dessen Unterhaltungswert den Ernst des ursprünglichen Anliegens zu überlagern schien. Die vierte und bislang letzte Ausgabe der „Projekte“ von 2007 brachte folgerichtig eine Umkehr und neue Akzente. Die Umkehr: Im Vergleich zu den bisherigen Ausgaben wurden nun deutlich weniger Künstler eingeladen. Zu den neuen Akzenten gehörte nicht nur die Erweiterung des Gattungsspektrums zugunsten des Films, sondern auch der deutliche Rückbezug auf die bisherige Geschichte der „Skulptur-Projekte“. Für diesen Bezug sorgte etwa Bruce Nauman, dessen bereits 1977 geplantes Projekt der „Square Depression“, eines in der Mitte abgesenkten Platzquadrates, erst 2007 umgesetzt werden konnte. Zudem bezog sich Thomas Schütte mit einem neuen Projekt, der Überdachung einer Brunnenanlage, auf seine 1987 errichtete „Kirschensäule“ von 1987, die in Münster lokalen Kultstatus genießt. Über solche Details hinaus machen diese Entwicklungen deutlich, in welcher Weise ein Kunstformat durch vielfache Rückbezüge die eigene Geschichte in den Blick nimmt und dadurch Ebenen einer Reflexion des eigenen Stellenwertes ausbildet. Das durch dieses Format erzeugte Bedeutungsgefüge nimmt damit an Dichte zu – mit entsprechenden Rückkopplungen auf der Ebene der Objekte. Instruktives Beispiel für diesen Prozess ist das Werk „Roman de Münster“, das die Künstlerin Dominique Gonzalez-Förster 2007 für die vierten SkulpturProjekte konzipierte77. Auf einem Gelände an der Promenade, welche die Innen76
Diesen Wandel der Begrifflichkeiten und der mit ihnen verbundenen Implikationen markiert trennscharf: Franzen 2007: 448. Beschreibung des Projekts nebst Abbildungen bei: Franzen 2007: 104-115.
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stadt Münsters wie ein Gürtel umgibt, stellte die Künstlerin im Maßstab 1:4 verkleinerte Repliken einer Reihe von Skulpturen auf, die zwischen 1977 und 2007 für die Skulptur-Projekte geschaffen worden waren. Dabei mischte sie noch vorhandene Werke mit solchen, die nach Ablauf der jeweiligen ProjekteAusgabe wieder abgebaut worden waren. Zudem platzierte sie die Repliken auf der Wiese so, dass die realen Standorte im Stadtgebiet im Verhältnis untereinander eingehalten worden waren. Gonzalez-Förster verlieh so nicht nur der Geschichte der Skulptur-Projekte eine reale, weil in einem künstlerischen Projekt fassbare Gestalt, sondern gab auch eine Vorstellung von einer durch Kunst gegliederten Stadt-Topographie. Abseits der kontroversen Diskussion um die Wertung dieses Beitrags kommt es hier darauf an, dass mit dieser künstlerischen Arbeit ein Kulturformat in seiner Gesamtheit so in den Blick kommt, das Rezipienten die Möglichkeit erhalten, anhand der Geschichte der Skulptur-Projekte auch ihre eigene, ganz persönliche Erinnerung einer reflektierenden Revision zu unterziehen. Der künstlerische Beitrag spiegelt so, was die Geschichte der Skulptur-Projekte insgesamt ausmacht – den sukzessiven Aufbau eines Gefüges an Bedeutungen, das nicht auf einen Begriff gebracht, sondern nur in der Aufarbeitung der Pluralität von Ausstellung, Gespräch sowie den vielfältigen Aktivitäten beteiligter Personen fassbar gemacht werden kann. Das Beispiel aus Münster füllt jedenfalls in eindrucksvoller Weise das Feld der Kultur aus, das wir weiter oben als Bezugsraum für das Planen und Handeln des Kulturmanagers entworfen hatten:
Objekte bilden das sichtbarste Resultat der Skulptur-Projekte. Sie sind identisch mit den Exponaten der einzelnen Ausstellungen, die sich – soweit in der Stadt verblieben – zu einem permanenten Ensemble von Skulpturen und Kunstprojekten im öffentlichen Raum gruppiert haben. Dieses Ensemble bildet vielfältige Anknüpfungspunkte: für die Identitätsbildung einer Stadt, als Referenz der Entwicklung der Kunst in den letzten Jahrzehnten, als immer neuer Auslöser von Diskursen sowie als „Wegmarken“ für die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes. Orte stellen sich deshalb nun ganz anders dar. Kunstwerke haben Orte in der Stadt neu definiert oder überhaupt erst sichtbar gemacht, weil sie mit ihrem Erscheinen Blickrichtungen neu justiert und Debatten um Wertungen in Gang gesetzt haben. Orte sind in der Folge dieser Prozesse neu ins Spiel gekommen, weil sie als Bühnen für die Kunstrezeption eine andere Wertigkeit gewonnen haben, etwa die Gebiete rund um den Aasee. Die Skulptur-Projekte haben aber vor allem auch Orte sichtbar gemacht, die ohne eine künstlerische Intervention niemals sichtbar geworden wären. Zudem haben viele der künstlerischen Projekte die Frage nach dem Umgang mit öffentlichem
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Raum aufgeworfen und so die Dimension des realen oder imaginären Ortes überhaupt erst für die öffentliche Debatte erschlossen. Subjekte kommen mit den Skulptur-Projekten in vielfältiger Weise ins Spiel. Sie sind die Künstler, die nicht einfach Werke mitgebracht, sondern vor Ort entwickelt haben; sie sind die Kuratoren, die die einzelnen Ausgaben der Ausstellung projektiert und verwirklicht haben; sie sind desgleichen die Sponsoren und Partner der einzelnen Projekte, die sich in verschiedene Verhältnisse der Mitwirkung begeben haben – und sie sind die Besucher, die die Ausstellungen wahrgenommen und kontrovers auf sie reagiert haben. So ergibt sich ein vielfältiges Spektrum möglicher Rollen, die Subjekte gerade bei diesem Kunstformat einnehmen konnten. Diskurse haben sich im Verlauf der Skulptur-Projekte denkbar reichhaltig entwickeln können. Mit dem Streit um die Aufstellung einer Plastik 1977 war ein Diskurs, nämlich der um den Geltungsanspruch moderner Kunst überhaupt, Ausgangspunkt für die Entwicklung des Formats der SkulpturProjekte. Dieser Diskurs hat sich nicht nur bis heute durchgehalten und bezeichnend abgewandelt – er hat sich auch mehrere Dimensionen angereichert. Diskurse laufen nun auf mehreren, zum Teil auch nur sehr lose verbundenen Ebenen ab. Es gibt den Diskurs um die Kunst im öffentlichen Raum, den die Skulptur-Projekte nicht nur bereichert, sondern sogar in den letzten Jahren zentral bestritten haben. Ein ausführliches Glossar dieser weit verzweigten Debatte78 bildet nun gar einen umfangreichen Teil im Katalog zu den vierten Skulptur-Projekten. Daneben hat sich der Diskurs als Alltagsgespräch der Bewohner einer Stadt artikuliert, zu neu belebten Debatten um das Stadtmarketing geführt oder schließlich die Kunstkritik in den Medien angefacht. Praktiken bilden das stille Pendant zu den Diskursen. Sie sind Handlungen und Verhaltensweisen im nonverbalen, deshalb aber nicht gering einzuschätzenden Raum. Denn sie sind in ähnlicher Weise sinnhaft, weil sie gliedernd und strukturierend wirken und Rezeptionsweisen prägen. Für die Skulptur-Projekte sind dies nicht allein vergangene Praktiken, die sich mit verschiedenen Kunstprojekten ergeben haben und noch weiter ergeben – und wenn es nur darum geht, etwa die „Giant Pool Balls“ von Claes Oldenburg an der Spitze des Aasees als Treffpunkt für einen gemeinsamen Spaziergang um den See auszumachen. In Münster haben die Skulptur-Projekte eine andere, das Stadtbild prägende Praxis verändert – die Fortbewegung mit dem Rad. Die Radfahrt ist nun die ortstypische Form des Ausstellungs-
Vgl. Franzen 2007: 325-475.
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Kulturmanagement als Bedeutungsproduktion rundgangs geworden, sie definiert auch die Form, in der sich die Künstler vor den einzelnen Ausstellungen der Stadt und ihren Orten annähern.
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Ausblick: Kulturmanager als Fachkräfte für die Arbeit an Texturen des Sinns
Der in Stichworten gegliederte Durchgang durch das Format der Skulptur-Projekte hat wenigstens in einigen Ansätzen deutlich gemacht, wie Kultur als Gewebe unterschiedlicher Ebenen und Zugangsweisen entsteht, die eines gemeinsam haben – sie sind allesamt bedeutungsvoll und deshalb geeignet, jeweils eigenständige Leistungen der Perspektivierung zu erbringen. Die Skulptur-Projekte sind nur ein Beispiel dafür, wie Kultur als Symbolsystem aufgebaut ist – nämlich als dichtes, weil vielfach miteinander verschaltetes Gefüge von Bedeutungen, die erst in der gegenseitigen Spiegelung ihre volle Wirkung entfalten. Die Qualität eines kulturellen Formats bemisst sich also nicht allein nach der Güte einer künstlerischen Leistung, sondern auch nach der Dichte der Kontakte, die sich mit und in ihm ergeben. Die plurale Dimensionierung eines kulturellen Formats verhindert, die Leistung von Kultur nur als Output zu bemessen, der in einer Kommunikation gesehen wird, die durch Kultur in ihrer Dichte und Geschwindigkeit erhöht wird. Natürlich gehört auch das zu den Leistungen eines Kulturformats. Allerdings müssen zugleich die Veränderungen in den Blick genommen werden, die auf der Seite der Praktiken, der Erinnerung oder der Formen von Rezeption eintreten – um nur diese drei zufällig ausgewählten Positionen zu nennen. Ein Kulturmanagement der Zukunft wird versuchen müssen, sich in der Anlage und Ausgestaltung solcher Kraftfelder der Kultur zu bewähren, die als Texturen des vielfach vermittelten Sinns ihre gesellschaftliche Funktion erfüllen. Die Kultur als Labor, Testraum, Debattenarena – in diesen Ausprägungen liegt nicht allein die aktuelle Dimension der von Cassirer in den Blick genommenen „Symbolischen Formen“, sondern auch der Ansatz für Kulturmanager, die mehr sein wollen als Gestalter einer nur ökonomisch gedachten Effizienz im kulturellen Bereich. Die aktuelle Diskussion scheint diesem verflachten Modell Recht zu geben, weil sie das geläufige Stichwort der „Umwegrentabilität“79 durch seine aktuelle Variante der „Kulturwirtschaft“ ersetzt80 und damit weitreichende Erwartungen an die Kultur als Wertschöpfung und Jobmotor knüpft. In diesen Kontext gehört auch der aktuelle Trend, Kultur über den bekannten Rahmen einer Belebung des Städtetourismus hinaus als Mittel für den erfolgreichen 79 80
Klein/Heinrichs 2001: 381f. Vgl. Heinrichs 2006: 27ff.
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Kampf der Städte um Standortqualitäten in Dienst zu nehmen. Rund um das Stichwort der kulturellen „Leuchttürme“ als weithin wahrnehmbare Wahrzeichen, die gleichermaßen Identität stiften wie auch Prosperität signalisieren sollen, gruppieren sich unterschiedliche kulturelle Großprojekte, die Spitzenkultur als Transmissionskraft für urbane Umgestaltungen einsetzen – und dabei vor allem zugkräftige Images aufbauen wollen. Das Projekt der Hamburger Elbphilharmonie ist prominentes Beispiel für diesen Trend. Mindestens ebenso wichtig wie dieser Trend ist jedoch die Tendenz, Kultur als Raum der Klärung gesellschaftlicher Problemstellungen anzusehen. Zukunft der Arbeit, Kontakt disparater Kulturen, Umgang mit Migration, das Verhältnis zur Natur: Dies sind nur einige Stichworte einer Debatte, die vor allem in den Bewerbungen deutscher Städte als Kulturhauptstadt Europas 2010 sichtbar geworden ist. Auch wenn dieser Wettbewerb mit der Wahl Essens und des Ruhrgebietes inzwischen entschieden ist – die Arbeit an vielfältigen neuen Ansätzen geht weiter. Kennzeichen dieser Form der Kulturarbeit ist, dass sie an Themenstellungen ansetzt, innovative Koalitionen von Kulturakteuren anstiftet81 und mit den Institutionen der Kultur in neuer Freiheit umgeht. Im Gegensatz zu der reformerischen Kulturpolitik der siebziger Jahre sind nicht nur gesellschaftspolitische Erwartungen abgekühlt, sondern auch einseitige Orientierungen an einer öffentlich verwalteten Kultur deutlich differenziert worden. In diesem Szenario wird sich ein zukünftiges Kulturmanagement zu positionieren haben, das Prozesse gesellschaftlicher Sinnstiftung abseits von Eventgeklingel und Wirtschaftsförderung anstiften will82. Für das Kulturmanagement geht es in dieser Situation des Wandels um eine Orientierung in doppeltem Sinn. Im praktischen Feld der Kulturpolitik geht es um die Frage, ob das Kulturmanagement selbst nur als Symptom eines Übergangs der Kultur aus der Regie des Staates in die Verfügung der Ökonomie gelten muss. Dient das Kulturmanagement also am Ende nur dazu, Kultur für ökonomisches Handeln handhabbar zu machen, Effizienzkriterien zu ihrem zentralen Regulierungsgesetz zu erheben und obendrein ihr symbolisches Kapital zur Kommunikationsleistung von PR und Marketing auszumünzen? Oder findet das Kulturmanagement eine zukünftige Rolle als Orientierungs- und Reflexionsrahmen für eine Kultur, die in der Phase nach ihrer sozialreformerischen Indienstnahme der siebziger Jahre zu einer Instanz gesellschaftlicher Themenbearbeitung aufsteigt? Dieser, hier auch polemisch zugespitzten Alternative entspricht eine vergleichbare Entscheidungssituation im Bereich der Wissenschaft. Importdisziplin und Maßnahmenset für die Praxis oder Fach mit eigenem Kompetenz- und 81
Vgl. den Beitrag von Verena Lewinski-Reuter in diesem Band. Für diese eigenständige Positionierung des Kulturmanagements plädiert auch nachdrücklich: Heinze 1995b: 79. Vgl. auch Heinze 2008: 18f. 82
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Erklärungsanspruch? In Wirklichkeit sind diese beiden Alternativenpaare nur in ihrer Kopplung angemessen zu verstehen – insofern, als einerseits bestimmte methodisch-inhaltliche Vorentscheidungen auf der Seite der Disziplin auch bestimmte praktische Einsatzformen nahe legen und andererseits bestimmte praktische Handlungsoptionen oder gar –zwänge dazu führen, dass auf der Theorieebene bestimmte methodische und konzeptionelle Ansätze favorisiert oder defavorisiert werden. Diese Schwellen- und Übergangssituation des Kulturmanagements fordert zu weiteren Anstrengungen in der Theoriebildung des Faches heraus. Dazu gehören:
Der Kulturbegriff des Kulturmanagements ist im Anschluss an allgemein als konstruktivistisch zu bezeichnende Theoriebildungen – Cassirers Kulturphilosophie wird hier als deren Vorläufer verstanden – weiter so zu präzisieren, dass eine angemessene Operationalisierung sichtbar wird. Die Vorstellung eines kulturellen Feldes als Kreuzungspunkt der Bedeutungen und ihrer Energien ist so auszugestalten, dass kulturelle Prozesse der Symbolisierung, Repräsentation und Wissensproduktion besser als bisher beschreibbar werden. Mit qualitativen Forschungsmethoden muss eine vertiefte Wirkungs- und Rezeptionsforschung betrieben werden, damit Akteure und Adressaten von Kultur anders als nur in der Form ökonomischer Kennzahlen in den Blick kommen.
Diese Schritte hin zu neuen Forschungsaufgaben erfordern, dass das Kulturmanagement Kontakt zu anderen als bisher offenbar nur denkbaren Bezugsdisziplinen aufnimmt. Insbesondere der Diskussionszusammenhang mit den seit Jahren sehr effektiv arbeitenden Kulturwissenschaften ist so herzustellen, dass für das Kulturmanagement Anregungen für eine erweiterte Theoriebildung gewonnen werden können. Dem Ziel, das Kulturmanagement um die zentrale Vorstellung der kulturellen Bedeutungsproduktion herum neu aufzustellen, könnte man damit immerhin einige Schritte näher kommen.
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Kulturmanagement in konstruktivistischer Sicht Günther Görtz 1 2 2.1 2.2 2.3 3 4 4.1 4.2 4.3 5
Einleitung Theorien Die Erkenntnistheorie des Radikalen Konstruktivismus Symbolischer Interaktionismus: Identität als Aushandlung im Medium von Symbolsprachen Kunst als Welterzeugung bei Nelson Goodman Konstruktivistische Kulturdefinitionen Konsequenzen für das Kulturmanagement Traditionelles und konstruktivistisches (Kultur-)Management Besucherorientierung Kulturmanagement und Kulturpolitik Literaturverzeichnis
1
Einleitung
Das Kulturmanagement als eigenständiges Lehrfach, Berufsfeld und wissenschaftliche Fachdisziplin verdankt zwar dem kulturpolitischen Paradigma einer Kultur im Verwertungsdruck und als Lebensgestaltung seine Entstehung, doch glücklicherweise markieren die Umstände seiner Geburt nicht die Möglichkeitsbedingungen seiner Existenz. Kaum derzeit von Auflösung bedroht, offenbaren sich allerdings bislang oft unhinterfragte, durch politisch-ökonomischen Legitimationsdruck begründete Inhalte und Profile der Disziplin in der Erosion paradigmatischer Zielsetzungen als fragwürdig. „Die Gestaltung der Öffentlichkeit als Wegbereitung für künstlerische Visionen und kulturelle Produktionen auf dem Gang zum Publikum ist das Herzstück kulturökonomischer Arbeit, die sich einerseits bestimmter Praktiken und Instrumente aus der Wirtschaft und der pragmatischen Betriebswirtschaftslehre bedient, im übrigen aber auf kulturelle Erfahrungen und kulturelle Fantasie hinsichtlich der Formbarkeit und Entwickelbarkeit von Beziehungsgefügen, Bedeutungsfiguren und Reputationsargumenten in einem weiten öffentlichen Raum angewiesen ist“.1
1
Bendixen 1998: 246f.
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Kulturmanagement in konstruktivistischer Sicht
Das Zitat verweist einerseits auf den Schwerpunkt der Theorieimporte aus Managementtheorie und Betriebswirtschaftslehre, der für die „Import“-Disziplin Kulturmanagement unter dem Druck des Verwertungszwangs Professionalisierung auf kurzem Wege versprach und damit die Profession allererst legitimierte. Allerdings offenbarte sich „am Fall“ regelmäßig die hohe Missbrauchspotenz von auf Fragen der Kulturbewirtschaftung angewendete Modelle der Betriebswirtschaft, da quantitativ (oder spekulativ) orientierte Entscheidungskriterien in Bezug auf den sich qualitativ begründenden Sinn kultureller Inhalte von destruktiver Inkompatibilität sein können. Andererseits steht die Form- und Entwickelbarkeit des kulturellen Raums nach kulturpolitischen Maßgaben in der aktuellen Situation grundsätzlich infrage. Da Traditionen und Ritualisierungen kulturellen Nutzungsverhaltens kaum mehr bestehen, muss zwangsläufig mit der Unstetigkeit des Publikums gerechnet werden muss. Bestanden früher langfristige Bindungen an Kulturinstitutionen, so verhalten sich in der Multioptionsgesellschaft gerade jüngere Leute wie Flaneure. Die Konkurrenz durch Medien, Großevents und privatwirtschaftliche Freizeitkultur beeinträchtigt nicht die Nachhaltigkeit des Angebots, wohl aber die Nachhaltigkeit der Nachfrage. In einer Gesellschaft, die es nicht nur in der Vertikalen, (insbesondere auf der Ebene ökonomischer Möglichkeiten), sondern auch horizontal, (auf der Ebene lebensleitender Maximen und Werthaltungen) auseinandertreibt, müssen Kulturinstitutionen, was ihre öffentliche Wahrnehmung anbelangt, unter Bedingungen relativer Kurzfristigkeit arbeiten. Bedienten kulturelle Einrichtungen traditionell die Mitte der Gesellschaft, flieht die alternde Gesellschaft diese Mitte. Bildungsstandards sind unverlässlich geworden; gleichzeitig muss der expertenhaften Spezialisierung vieler Zielgruppen Rechnung getragen werden. War der bereits in den 1970er Jahren erkennbare Wertewandel in Richtung Selbstentfaltung, Hedonismus, Postmaterialismus und Lebensgenuss neben dem „Verwertungsdruck“ ein Begründungsfaktor des sich seinerzeit neu etablierenden Paradigmas, so tragen nun die Konsequenzen dieses Wandels mit zur Auflösung des Paradigmas bei. Im Zuge dieser Entwicklung findet „im politisch-ökonomischen Dauerdiskurs (...) die kulturelle Urfrage ‚Wofür das alles?’ keine Zuhörer mehr. Und so schreitet die Entpolitisierung einer geradezu sprachlosen Geist- und Kunstszene fort, ein Phänomen, das so ähnlich auch in den Vereinigten Staaten, in Frankreich und Großbritannien zu beobachten ist. Über Kulturpolitik als Hoffnungsreservoire einer Gesellschaft, die von Selbstzweifeln bedrückt und von Zukunftsängsten behelligt wird,
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über dieser Kulturpolitik liegt, wer will das bestreiten, der Staub der Normalität und womöglich auch ein Ruch von Vergeblichkeit“.2
Zwar blicken nach einer aktuellen Zukunftsstudie3 die Deutschen wieder hoffnungsfroher in die Zukunft und sind auf gutem Wege, die „deutsche Düsternis“ hinter sich zu lassen: „Vor allem die wachsende Wirtschaft und sinkenden Arbeitslosenzahlen lassen die im Ausland oft zitierte ‚German Angst’ verblassen“4. Wirtschaftlicher Aufschwung allein – ohne neue geistige Impulse von gesellschaftlicher Tragweite – liefert jedoch noch keine Basis für kulturellen Wandel. Aktuelle Optimismen zeichnen sich vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Klimas ab, das der Maler Markus Lüpertz quasi als eine ins Negative gewendete Diagnose der Situation kultureller Veranstaltungen beschreibt: „Die ZEIT: Macht Ihnen Deutschland gute Laune? Markus Lüpertz: Nein. Ich empfinde im Moment eine merkwürdige Stimmung. Ich sehe nirgendwo liebenswürdige Anbindungen, überall nur gegenseitige Überwachung, Vorwürfe. Ich glaube, dass das Volk auseinander bricht. (...) ZEIT: Hat Deutschland eine Farbe? Lüpertz: Gelb. Das Einzige, was von Schwarz-Rot-Gold übrig geblieben ist, ist das gelb. Die Farbe für Neid, für Aggressionen, für eine gewisse Art von Hinterlist“.5
Ist das gesellschaftliche Klima Teil der Kultur einer Gesellschaft, so ist diese Dimension bei einer Neuorientierung des Kulturmanagements zu berücksichtigen. Sind Singularisierung als subjektive Ausdifferenzierung persönlicher Interessen sowie soziale Abgrenzung Kennzeichen aktuellen kulturellen Verhaltens, so steht das Individuum – und nicht etwa der Versuch einer neuen kulturpolitischen Gesamtschau auf die Gesellschaft – zwangsläufig im Brennpunkt der Überlegungen. In der Literatur zum Kulturmanagement sind entsprechende Akzentuierungen bereits seit einigen Jahren vorhanden, so z.B. im Konzept einer „Besucherorientierung“6 als Hinwendung zum Rezipienten mit der Frage nach Besucherbedürfnissen und einer Besucherbindung oder auch in Besuchertypologien7. Damit ist eine Wende eingeleitet, die auf der Ebene kultureller Entwicklungsplanung den Fokus nicht mehr auf kulturellen Bedarf richtet, sondern nach kulturellen Bedürfnissen und Motivationen fragt. Besucher werden nicht mehr – entspre2
Naumann 2005: 1. Vgl. Opaschowski 2007. Deutsche lassen... 2007. 5 Lüpertz 2006: 57. 6 Vgl. Günter 2000. 7 Vgl. Terlutter 2000. 3 4
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chend dem Paradigma einer „Kultur als Ware“ – als Konsumenten angesprochen, sondern als Nutzer mit je spezifischen Rezeptionsweisen im Hinblick auf individuelle Erkenntnis und kulturelle Kommunikation. Als theoretischer Bezugsrahmen hierzu bieten sich drei geisteswissenschaftliche Ansätze an, die aufgrund ihres formalen Charakters frei von normativen Ansprüchen sind und gleichzeitig den Vorzug gegenseitiger Kompatibilität besitzen: die konstruktivistische Erkenntnistheorie, die Kommunikationstheorie des Symbolischen Interaktionismus und die Ästhetik Nelson Goodmans. Aus der Darstellung dieser Theorien (Kap. 2) soll – im Hinblick auf eine eigenständige Theoriebildung des Kulturmanagements – ein Kulturbegriff abgeleitet werden, der, über ästhetische Dimensionen hinausgehend, gesellschaftstheoretisch Kultur als Medium kommunikativer Vernetzung individueller Weltkonstruktionen fasst – und mithin das Potenzial besitzt, als konstante Ableitungsbasis je zukunftsweisend auf sich verändernde Kulturlandschaften, Kunstströmungen und Nutzungsweisen wie auch auf das aktuelle gesellschaftliche „Klima“ zu reagieren (Kap. 3). Von dieser Folie aus werden Konsequenzen für ein Kulturmanagement in konstruktivistischer Sicht insbesondere im Hinblick auf das Konzept der Besucherorientierung sowie auf eine Emanzipation der Disziplin von den verengenden, sich wandelnden Bezugsdimensionen kulturpolitischer Paradigmen erörtert (Kap. 4).
2
Theorien
2.1 Die Erkenntnistheorie des Radikalen Konstruktivismus Der Radikale Konstruktivismus integriert Ergebnisse der philosophischen Erkenntnistheorie, Neurophysiologie, Psychologie und Psychotherapie, der Ethologie und Soziologie zu einer erkenntnistheoretischen Position, der zufolge Wahrheit und objektive Wirklichkeit nicht erfahrbar sind. Aus seiner Sicht betrifft Erkenntnis „ausschließlich die Ordnung und Organisation von Erfahrungen in der Welt unseres Erlebens“8. Das menschliche Gehirn wird nicht als umweltoffen, sondern als selbstreflexives, funktional geschlossenes System betrachtet, das nur seine eigene Sprache bioelektrischer Ereignisse versteht. Die Rezeptoren der Sinnesorgane übersetzen Reize aus der Umwelt und Körperzustände in die neuronale Einheitssprache des Gehirns. Legen Bau und Leistung der Sinnesorgane fest, welche Umwelteinflüsse überhaupt auf das Gehirn einwirken, so entstehen Sinnesempfin8
von Glasersfeld 2007: 23.
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dungen nicht in den Sinnesorganen, sondern in je spezifischen Hirnregionen aufgrund von Eigenrechnungen des Gehirns. Lebende Systeme sind autopoietisch, d.h. selbsterzeugend, -organisierend und -erhaltend, sie sind zwar energetisch offen, aber informationell geschlossen. „Wie die ‚absolute’ Wirklichkeit ist, wissen wir nicht und werden es wohl auch nie wissen“9. Die Informationen, die verarbeitet werden, werden vom System selbst erzeugt. „Die Umwelt, die wir wahrnehmen, ist unsere Erfindung“10. Die wahrgenommene Welt ist ein Konstrukt des Gehirns, wenn auch keineswegs ein willkürliches. Die Wirklichkeit des Individuums wird aktiv konstruiert, bleibt aber abhängig von der physischen und sozialen Umgebung. Da verschiedene Subjekte unterschiedliche Wirklichkeiten konstruieren, sprechen Konstruktivisten von „Multiversen.“ Denken ist aus dieser Sicht die Interaktion eines autopoietischen Systems mit eigenen inneren Zuständen. Es zwingt Wahrnehmungen ebenso sehr Ordnung auf, wie es Ordnung in ihnen ausfindig macht. Im Denken wirken sprachliche und nichtsprachliche, symbolisch vermittelte wie unbestimmt-emotionale Faktoren zusammen. Affektive Faktoren bestimmen, was beachtet und gespeichert wird. Emotionen sind Kognitionen mit grundlegender Erkenntnisfunktion und damit eine Voraussetzung für die Entwicklung menschlicher Kultur. Gedanken und Gefühle wirken zusammen bei der Konstruktion eines Wirklichkeitsbildes, das sich sukzessive ergibt aus der Erfahrung seiner Stimmigkeit, aus dem Passen von Annahmen auf bisherige Konstruktionen. „Um im Medium nicht nur zu überleben, sondern das Leben angenehmer, interessanter, lebenswerter zu machen, entwickeln und erproben lebende Systeme im soziokulturellen Kontext ständig neue Orientierungssysteme, die auf ihr Passen und ihre Nützlichkeit hin ausprobiert werden“ 11.
Da eine direkte Informationsübertragung zwischen Gehirnen nicht stattfinden kann, werden sozial relevante Informationen dadurch erzeugt, dass Ungewissheiten durch Interaktionen reduziert werden. An die Stelle von Objektivität tritt in konstruktivistischer Perspektive ein interaktives Schema von Wirklichkeit. Konsens zwischen Individuen entsteht durch eine parallele Konstruktion von Wirklichkeiten. Durch partielle Parallelisierungen der kognitiven Subsysteme vieler Individuen mit dem Resultat vergleichbarer Realitätskonstrukte werden soziale Bereiche gebildet. Soziale Systeme sind von Gruppen von Individuen konstruierte gemeinsame Realitäten als Bezugspunkte sinnvollen Handelns und Kommunizierens. Gesellschaft ist demnach ein Netzwerk sozialer Systeme, wobei jedes 9
Damasio 2004: 141. von Foerster 1985: 25. Schmidt, S. J. 2000: 36.
10 11
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Individuum in modernen, differenzierten Gesellschaften an der Konstruktion mehrerer sozialer Systeme beteiligt ist. Hierzu werden alle verfügbaren Mittel symbolischen Verhaltens verwendet. Die Theorie des Radikalen Konstruktivismus ist damit „vereinbar mit Ansätzen interaktionistischer Identitätstheoretiker“12.
2.2 Symbolischer Interaktionismus: Identität als Aushandlung im Medium von Symbolsprachen Der Symbolische Interaktionismus geht davon aus, dass für jedes Individuum als soziales Wesen die Notwendigkeit einer Identitätsgewinnung über konsenserzeugende Aushandlungsprozesse im Medium von Symbolsprachen besteht. Identität wird in dieser Sicht ein sozial konstruiertes, symbolisch vermitteltes Konstrukt. In Kommunikationsprozessen wird individuelle und soziale Wirklichkeit und Identität allererst erzeugt; soziales Handeln und Identitätsbildung sind also aufeinander verwiesen. Die Ausbildung einer balancierten Identität besteht in einem kreativen Akt, in den sowohl eigene Vorstellungen als auch direkte oder antizipierte Erwartungen anderer einfließen. Für den Einzelnen stellen diese Prozesse auch immer ein Risiko dar, da in Aushandlungsprozessen über die Ratifizierung persönlicher Identitätsentwürfe Erwartungen sowohl erfüllt als auch enttäuscht werden können. Da „die Vorwegnahme des Verhaltens anderer nur durch Symbole möglich ist, Symbole aber als Probehandeln vom unmittelbaren Reaktionsdruck entlasten“13, ist sichergestellt, dass das resultierende Selbst „kein Reaktionsbündel im behavioristischen Sinne, sondern ein frei und verantwortlich handelndes Individuum ist“14. Allerdings fungieren als Medium von Aushandlungsprozessen lediglich signifikante Symbole, d.h. solche, die innerhalb eines Kulturraums von allen Individuen verstanden werden. Weitere Bedingungen für eine signifikante Symbolsprache sind, dass sie „die jeweiligen Erwartungen der Interaktionspartner anzeigen kann, ohne einen Spielraum für Diskussionen zu leugnen, die Widersprüche zu bezeichnen und aufzuklären erlaubt, aber nicht lösbare Diskrepanzen auch stehenlassen kann, und (...) fähig ist, über die im Augenblick erfragte Information weitere, für Interaktion und Identität bedeutsame Mitteilungen in die Kommunikation einzuführen“15. 12
Schmidt, S. J. 2000: 21. Brumlik 2004: 767. 14 ebd. 15 Krappmann 2005: 12. 13
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Bereits die frühen Symbolinteraktionisten bezogen „Symbol“ nicht nur auf Sprache, sondern auf jede Art von kommunikativ intendiertem Sinn. Auch die Sprachen der Kunst genügen den Anforderungen an identitätsvermittelnde Symbolsysteme: Sie konstituieren die Kulturwelt als symbolische Umwelt wesentlich mit als auf spezifische Sinnesleistungen wie auf emotionales Erleben bezogene und nur auf diese Weise mitteilbare Ausdruckssprachen. Der sinnlich wahrnehmbare, symbolisch vermittelte künstlerische Ausdruck wird zum bedeutsamen Teil einer verstehbaren Welt. Kunst leistet auf der Ebene von Sinnlichkeit das, was „die Sprache durch Überführung des Wahrgenommenen in die Unsinnlichkeit des Begriffs erreicht: die Konstitution von Bedeutungen, das heißt Allgemeinverständlichkeiten, die unsere gemeinsame Welt bilden“16. Daneben ermöglichen die Sprachen der Kunst Reflexionen, Diskussionen, das Beziehen eigener Standpunkte sowie die Integration neuer Informationen. Für den Psychoanalytiker E. H. Erikson bedeutet Identitätsbildung als komplexer, störungsanfälliger Prozess eine lebenslange Integrationsarbeit. Identität muss immer wieder neu erworben werden und kann „echte Stärke nur aus der aufrichtigen und beständigen Anerkennung einer wirklichen Leistung beziehen – d.h. einer Leistung, die in der Kultur etwas gilt“17. Stabile Identität resultiert nicht aus äußerer Anerkennung oder Abgrenzung, sondern „ist dort am gesichertsten, wo sie in Aktivität begründet ist. (...) Denn in unserer Entwicklung ist auch ein Bedürfnis nach Kompetenz verankert“18. Gleichzeitig setzt eine gelungene Identitätsbildung neben der inhaltlichen Auseinandersetzung eine entsprechende Handlungsmotivation voraus. Die Beherrschung bestimmter Fertigkeiten an sich ist allein noch nicht identitätsstiftend, sondern erst solche Kompetenzen in Verbindung mit inhaltsbezogenen Motivationslagen. „Kompetenz ohne Überzeugung ist nichts anderes als eine Form der Versklavung durch Tatsachen“19. Entsprechend definiert Gertrud Nunner-Winkler Identitätsbildung nicht über die Art ihrer Inhalte, sondern über den Modus ihrer Aneignung. „Identität gewinnt, wer die Frage nach der eigenen Identität autonom stellt und beantwortet. (...) Damit ist Autonomie als Kern von Identität behauptet“20. Autonomie bedeutet: „Ich selbst bestimme, was ich wollen will, gemäß Kriterien, die ich selbst bestimmen kann“21. Das Individuum trifft seine Entscheidungen souverän, und zwar im Hinblick auf Inhalte, für die zu engagieren es sich autonom entschieden
16
Holz 1972: 32f., zit. n. Suppan 1984: 176. Erikson 1992: 230. Erikson 1975: 119. 19 Erikson 1975: 120. 20 Nunner-Winkler 1990: 675. 21 Nunner-Winkler 1990: 678. 17 18
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hat. Autonomie ist daher nicht im direkten Zugriff zu erreichen, sondern nur über ein spezifisches inhaltliches Engagement. Damit gehören „zu den Zuständen, die willentlich nicht herbeigeführt werden können oder gar, bei denen der Versuch, sie willentlich herbeizuführen, notwendig zu ihrer Verfehlung führt, insbesondere auch solche (...), die für eine geglückte Identitätsbildung konstitutiv sind: Autonomie, Einzigartigkeit, Selbstverwirklichung, Sinnstiftung. (...) Die Tatsache der inhaltlichen Übereinstimmung in Präferenzen sagt nichts über die Begründung dieser Präferenzen, d.h. über den Modus der Wahl, aus. Die Inhalte können bloß anpaßlerisch übernommen oder aber in komplementärer Weise zwanghaft nonkonformistisch abgelehnt werden. Sie können aber auch autonom, d.h. als mit guten Gründen von der Person selbst gewollt und gewählt werden“22.
Die Gefahr der Missdeutung autonomer Kriterien liegt darin, dass sie sich als Ziele inhaltsentleert verselbständigen. Diese Ziele können nur als Nebenprodukte intrinsisch motivierten, innengeleiteten Handelns in der Auseinandersetzung mit einer Sache erreicht werden. Individuelle Identitätsbildung muss dabei mehr denn je in die Selbstregie genommen werden: „Da (...) gesamtgesellschaftlich kein übergreifender, ordnender Sinnzusammenhang mehr existent ist, der eine für den einzelnen nachvollziehbare Verknüpfung von Sozialstruktur und Einzelexistenz herstellen könnte, wird die Entwicklung einer personalen Identität im Rahmen der modernen industriellen Gesellschaft zu einer (...) ‚subjektiven’ Schwierigkeit“23. Unter solchen Bedingungen werden „Vorbilder und Schablonen für Identitätsbildungsprozesse (...) ‚innen’ gesucht und gefunden. Fündig wird man u.a. bei den eigenen Emotionen. Diese bilden eine Orientierungsgröße für Selbstdefinitionen, für ein emotionales Selbst“24. Dieses Ergebnis verweist auf die besonderen sinn- und identitätsstiftenden Potenziale von Kultur und Kunst. In der Reflexion auf weitere Eigenschaften und anthropologische Voraussetzungen von Kunst wird in diesem Zusammenhang die „konstruktivistische Position“25 der Ästhetik Nelson Goodmans von der Theorie des Radikalen Konstruktivismus gestützt.
22
Nunner-Winkler 1990: 680f. Charlton; Neumann-Braun 1992: 108. 24 Gerards 1988: 254f. 25 Jung 1995: 193. 23
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2.3 Kunst als Welterzeugung bei Nelson Goodman Kunst leistet nach der formalsprachlichen Ästhetik Nelson Goodmans „Weltkonstitution statt Kontemplation“26. Ausgehend von der konstruktivistischen Prämisse, dass jede Weltauffassung subjektiv erzeugt, dass jedes Weltbild im Individuum konstruiert wird, stellt Nelson Goodman die Kunst gleichberechtigt neben andere Arten des Weltentwurfs. Kunst wie Wissenschaft sind Weisen der Welterkenntnis, beide dienen der Welterfahrung, -ori-entierung und -konzeption. Da „Wahrheit“ nicht durch Übereinstimmung mit „der Welt“ definiert oder geprüft werden kann, spielen die Künste als Modi der Entdeckung, Erschaffung und Erweiterung des Wissens eine gleichberechtigte Rolle im Prozess gemeinsamen Erkenntnisfortschritts. Die Erfassung von Kunstwerken durch Sinne und Gefühle dient der Entdeckung ihrer Eigenschaften. Emotionen haben in der ästhetischen Erfahrung eine kognitive Funktion. Die Zweiteilung von Verstand und Gefühl, deren abgestufte Erkenntnisfunktion ist damit aufgehoben. Weltentwürfe artikulieren sich in Symbolsprachen. Sowohl deren Schöpfung wie deren Nachvollzug sind an die Aktivität, an das Handeln des Individuums gebunden. „Das Erkennen von Strukturen besteht in hohem Maße darin, sie zu erfinden und aufzuprägen. Begreifen und Schöpfen gehen Hand in Hand“27. Ästhetische Erfahrung besteht im Entdecken von Beziehungen und im Treffen von Unterscheidungen innerhalb von Symbolsystemen und innerhalb von deren Relationen zu wahrgenommenen Gegenständen oder Sachverhalten. Schöpfung von Kunstwerken und deren Rezeption werden damit strukturell identisch; Rezeption und Interpretation gehen Hand in Hand. Schöpfungen und Interpretationen dienen der (Re-)Organisation von Welten, von Welt-Versionen. Goodman entwickelt somit seine Ästhetik auf der Basis einer Symboltheorie. Wer „nach einer Kunst ohne Symbol Ausschau hält, wird keine finden“28. Haben alle Symbolsysteme die Funktion der Herstellung von Welt-Versionen, so ist Kunst definiert durch gewisse Weisen des Symbolisierens. Kunst verwendet meist Zeichensysteme, die nicht denotieren, d.h. die keine direkte Beziehung zwischen Symbolen und der bezeichneten Wirklichkeit herstellen. Ihre Symbolsysteme zeichnen sich aus durch Bezugnahmen als Exemplifikation und Ausdruck oder durch Abbildung konkreter oder metaphorischer Eigenschaften von Gegenständen oder Sachverhalten.
26 27 28
Gethmann-Siefert 1990: 93. Goodman 1993: 37. Goodman 1993: 86.
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Kulturmanagement in konstruktivistischer Sicht „Die Welten der Fiktion, Poesie, Malerei, Musik, des Tanzes und der anderen Künste sind zum größten Teil mit solchen nicht-buchstäblichen Mitteln wie Metaphern erbaut, mit solchen nicht-denotativen Mitteln wie Ausdruck und Exemplifikation und häufig auch unter Verwendung von Bildern, Tönen, Gesten oder anderen Symbolen aus nicht-sprachlichen Systemen“.29
Liegt für Goodman der vorrangige Sinn und Zweck der Kunst in der Erkenntnis, im interesselosen Forschen, so ist Kunst doch gleichzeitig strukturell als Symbolsprache auf Kommunikation hin angelegt. Aus der Bestimmung von Kunst als auf Kommunikation angelegte Erkenntnisleistung lässt sich nun das Kriterium für die Beurteilung ihrer Symbolisierungen ableiten. Deren Akzeptabilität hängt davon ab, wie gut sie der kognitiven Zielsetzung dienen und wie gut sie sich demgemäß intersubjektiv bewähren. Die Bereitschaft, zahllose und verschiedene Weltversionen zu akzeptieren, „bedeutet nicht, daß alles erlaubt wäre, daß lange Geschichten ebenso gut wären wie kurze, daß Wahrheiten von Falschheiten nicht mehr unterschieden würden“30. Wahrheit wird erreicht durch Stimmigkeit, durch das Kriterium des Passens, durch die Übereinstimmung und die Güte dieser Übereinstimmung zwischen Welten und Versionen bzw. zwischen Versionen untereinander. „Die Wahrheit von Aussagen und die Richtigkeit von Beschreibungen, Darstellungen, Exemplifikationen, Ausdrücken – der Komposition, der Zeichnung, der Diktion, des Rhythmus – ist (...) vor allem eine Sache des Passens: Passen auf das, worauf in der einen oder anderen Weise Bezug genommen wird, oder Passen auf andere Wiedergaben, auf andere Arten und Weisen der Organisation“.31
Neue Eindrücke und Erfahrungen werden nur dann in ein vorhandenes Weltbild integriert, wenn sie mit den schon vorhandenen Erfahrungen kompatibel sind und mit ihnen ein in sich konsistentes und damit auch kommunikables Gefüge ergeben. Das Angemessenheitsurteil, das neue Erfahrungen – und eben auch Kunsterfahrungen – als stimmig, als passend mit der aktuellen Weltsicht ausweist, ist daher grundsätzlich nicht in „objektiven Fakten“, sondern allein im subjektiven Stimmigkeitserleben begründet. Damit wird deutlich, dass außerhalb aktiver inhaltlicher Auseinandersetzungen lediglich ein funktionaler Kunstgebrauch besteht. Die Ästhetik Goodmans impliziert weitreichende Konsequenzen: Zunächst beinhaltet sie eine sinnvolle Version der Kunstautonomie. Die Symbolsprachen
29 30 31
Goodman 1993: 127. Goodman 1993: 118. Goodman 1993: 167.
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der Kunst vermitteln spezifische Erkenntnis- und Kommunikationsleistungen, die nur so und nicht anders zu erbringen sind. Das unerschöpfliche Potenzial an künstlerischen Weltschöpfungen und Interpretationen verweist als „Utopie der unendlichen Vielfalt des Möglichen gegen den Zwang des Eingespielt-Gültigen“32 auf die kritische bzw. utopische Funktion von Kunst, auf ihre Widerständigkeit gegen jegliche Form von Dogmatik. Die traditionelle Unterscheidung zwischen gegenständlicher und abstrakter Kunst wird aufgehoben. Auch nicht darstellende Werke können „ein Gefühl, eine andere Qualität oder Emotion oder Idee ausdrücken und somit symbolisieren“33. Die Bindung von Kunst an bestimmte Ausdrucksformen wird gelöst; die Begriffe Schönheit und Hässlichkeit werden obsolet. Die Rezeption, Interpretation und Konstruktion von Kunstwerken liegt prinzipiell in der Fähigkeit eines jeden. Künstlerischer Ausdruck ist nicht an Ausnahmeerscheinungen, Hochbegabungen oder Eliten gebunden. Der Geniegedanke wird demokratisiert. Diese Emanzipation der sinnlichen Erkenntnis „steht dafür ein, daß die autonome Kunst dem Letztzweck der Kultur, der Ermöglichung eines humanen Lebens, genügt, ihn befördert. Kunst ist Welt-Deutung durch den Menschen im Sinne einer möglichst umfassenden Selbstrealisation“.34
3
Konstruktivistische Kulturdefinition „Auf der Suche nach griffigen Beschreibungen makro- wie mikrosozialer Phänomene macht derzeit sowohl innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft erneut ein Begriff Karriere: Kultur. (...) Zum einen scheint Kultur nur noch im Plural denkbar, zum anderen finden sich auch die qualitativ unterschiedlichsten Dimensionen gesellschaftlicher Selbstbeobachtungen mit dem Aspekt Kultur affiziert“.35
Der Kulturbegriff wird verbunden mit nationalen Gesellschaften (Landeskulturen), ethnischen Gruppen oder geopolitischen Kulturräumen, gesellschaftlichen Schichten (Arbeiterkultur) oder auch Handlungsfeldern alltäglichen Lebensvollzugs (Tisch-, Ess-, Wohnkultur usw.). Oder es ist die Rede von einer neuen Kultur der Selbständigkeit und Verantwortung, von einer Umbenennung der Geistesin Kulturwissenschaften, von Multikulturalität, Medienkultur, von Unternehmens-, Pop- oder Subkultur, von Kultur als einem neuen Weltordnungsmodell. 32
Gethmann-Siefert 1990: 99. Goodman 1993: 81. 34 Gethmann-Siefert 1990: 99. 35 Jünger 2000: 207. 33
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Kulturmanagement in konstruktivistischer Sicht
In der nahezu unüberschaubaren Fülle von Definitionen des Kulturbegriffs halten sich bei aller Divergenz einige allgemeine Merkmale durch. Danach wird Kultur konzipiert als „Menschenwerk“: sie ist im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur. Kultur manifestiert sich in (der Steuerung von) Kommunikationen und „materialisiert“ sich in allen Handlungsbereichen, die einerseits zur Erhaltung und Reproduktion der Gesellschaft, den kollektiven Sinnzusammenhang gestaltend, dienen, andererseits aber auch deren Wandel herbeiführen. Kulturleistungen können bestehen in Produkten, Produktionsformen, Symbol(system)en, Lebensstilen, Verhaltensweisen und Leitvorstellungen – als Gestaltung eines „Materials“ am Maßstab einer leitenden Idee, so in der Technik, in der Bildenden Kunst oder in den ideellen Formungen wie Moral, Recht, Religion, Wissenschaft. Unterschiedliche kulturelle Ausformungen und Traditionen können zueinander in Spannung stehen. In Bezug auf das Individuum beeinflusst Kultur die Entwicklung seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Während „der alltagssprachliche Gebrauch von ‚Kultur’ immer noch eher eine gewisse Sparte der Freizeitangebote bezeichnet, also auf bestimmte gesellschaftliche Institutionen und deren Leistungen abzielt,“36 erschöpft sich die Kultur einer Gesellschaft nicht in ihren jeweils realisierten Anwendungen, d.h. in kulturellen Manifestationen wie Symbolsystemen, Riten, Gegenständen oder im Kulturbereich der Künste. Insbesondere ist die jeweilige (Kommunikations-) Kultur einer Gesellschaft, ihr kulturelles „Klima“ eine kulturelle Potenziale wie Lebensqualitäten bestimmende Dimension. „Eine bekannte Metapher beschreibt Kultur für Menschen wie das Wasser für Fische. Es bleibt unbemerkt, solang der Fisch im Wasser bleibt, befindet er sich außerhalb der gewohnten Lebenswelt, spürt er (...) die Folgen dieser Bewegung“37. In konstruktivistischer Sicht bedeutet Kultur die kommunikative Vernetzung subjektiver Weltkonstruktionen. Sie kann „konzeputalisiert werden als das – in sich vielfältig differenzierte bzw. differenzierbare – Gesamtprogramm (...) kommunikativer Thematisierung des Wirklichkeitsmodells einer Gesellschaft“38. Eine solche Perspektive, die „Kultur“ als eine konstitutive Eigenschaft psychischer und sozialer Systeme bestimmt, setzt sich derzeit im wissenschaftlichen Diskurs immer mehr durch. Zwar halten sich nach wie vor Argumentationen, die den systemischen Blick verweigern, doch forcieren „Erkenntnisse nicht zuletzt aus dem systemtheoretisch-konstruktivistischen Diskurs und neuere Konzepte
36 37 38
Jünger 2000: 207. Meier 2004: 107. Schmidt, S. J. 1992: 434.
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aus der Theorie dynamischer Systeme“39 einen Wandel der Kulturbeschreibung von der ermöglichenden, prägenden oder bildenden Funktion vorgängiger Kultur, „von einer ethnographisch orientierten, zwischen Universalismus und Differentialismus gefangenen, ontotheologischen Kulturtheorie hin zu einer sozialwissenschaftlich und psychologisch geprägten, system- und prozessorientierten Beschreibung von Modellen für Wirklichkeit“40. Kompatibel und ergänzend sehen „Anregungen aus dem Umkreis der symbolischen Interaktionisten und Anthropologen (...) Kultur nicht als Modell von Verhalten, sondern als Modell für Verhalten“41. Hier wird am konsequentesten der Wandel zum Primat des handelnden, nachvollziehenden und gestaltenden Individuums vollzogen. Daseinsgestaltung und -interpretation werden in aktiver Auseinandersetzung mit dem jeweiligen kulturellen Umfeld erreicht, Enkulturation erfolgt nicht als „Prägung“, sondern als parallele Konstruktion. Kultur als Feld aktiver, symbolisch vermittelter Nach-, Weiter- oder Gegenkonstruktion ist Medium individueller Identitätsbildungen, von Ratifizierungen, Modifizierungen oder Verwerfungen eigenkonstruierter Weltsichten und Handlungsentwürfe. Sämtliche kulturellen Bezugssysteme stellen individuell relevante Qualitäten dar, die die Grundlagen für in aktiver Auseinandersetzung erworbene persönliche (Lebens-)Qualitäten darstellen. Kulturelle Bereiche und Handlungsfelder sind damit zwar ein gesellschaftlich Allgemeines, aber nichts objektiv Gegenständliches.42 Sie stellen als gemeinsam geschaffene, individuell nachkonstruierte und mitgestaltete Sinnbezüge, Handlungsfelder und Orientierungen soziale Realitäten dar, sind aber keine an sich existierenden Größen, die zudem kalkulierbar gestaltet werden könnten. Eine solche Verwechslung ist im allgemeinen Sprachgebrauch ebenso wie in der (Kultur-)Politik und auch im Kulturmanagement anzutreffen. Das Schlagwort von der „Kultur als Ware“, gleichermaßen in der älteren Kulturkritik wie im
39
Jünger 2000: 208. Jünger 2000: 208. 41 Schmidt, S. J. 1992: 427 42 „Das Nachdenken (...) über Kultur neigt in Deutschland zu Extremen: Emphase oder Kulturkritik herrschen vor, wobei die Kulturkritik von metaphysischen bis zu kunstpolitischen Varianten changiert, die auf einen fetischisierten Kulturbegriff schließen lassen. (...) Diese Fetischisierung [tendiert] zu einer ‚Reifikation des Kulturbegriffs‘ (...), die Kultur als eine geschlossene, von der Gesellschaft abgehobene und ihr oft antinomisch entgegengesetzte Einheit denkt. Diese Tendenz wird noch dadurch verstärkt, daß die differenzlogischen Entscheidungen, denen sich Kulturkonzepte verdanken, nicht als Beobachterkonstrukte bewußt gehalten, sondern als Sachgegebenheiten mißdeutet werden. Hat man aber einmal Kultur als Gegensatzbegriff zu Natur, Barbarei, Zivilisation oder Gesellschaft bestimmt, dann ergeben sich scheinbar zwangs-läufig Fragen nach der Beziehung der konstruierten Gegensatzpaare sowie nach deren Bewertung: die Mechanik der Sprache generiert dann Scheinprobleme, die die Kultursoziologie bis heute beschäftigen“ (Schmidt, S. J. 1992: 425). 40
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Kulturmanagement in konstruktivistischer Sicht
aktuell schwindenden kulturpolitischen Paradigma anzutreffen, deutet auf eine solche vergegenständlichende „Reifikation“ hin. Verbreitet ist zudem ein funktionaler Gebrauch von Kultur und Kunst als äußerliche Identifikation mit ihrem „Mythos“ ohne inhaltliche Bezugnahmen und (Re-)Konstruktionen. Entsprechend dem Beispiel Hegels, dass es „Obst“ nicht zu kaufen gibt, sondern jeweils nur Äpfel, Birnen, Erdbeeren usw. oder dem Ergebnis Nunner-Winklers, dass „Sinn“ und „Identität“ nicht in direktem Zugriff, sondern nur im Zuge autonom gewählter inhaltlicher Auseinandersetzungen zu erreichen sind, ist kunst- bzw. kulturspezifische Erkenntnis nur durch aktive Beschäftigung mit spezifischen Symbolsprachen der Kunst kulturellen Handlungsfeldern möglich. „Für Kultur selbst gibt es keine Institution“43. Es gibt keine steuerbaren Kulturen, nur kommunizierende Individuen. Hier erweist sich – als wesentliches Resultat konstruktivistischer Kulturtheorie – eine über die „automatische“ Weltkonstruktion des menschlichen Gehirns hinausgehende Verantwortung des Einzelnen für seine Konstruktion sozialer und kultureller Welten. Das Bewusstsein vom Eigenanteil bei der gemeinsamen Schöpfung von Kultur und Gesellschaft impliziert eine moralische Dimension. „Man braucht in der Tat nicht sehr tief in das konstruktivistische Denken einzudringen, um sich darüber klar zu werden, daß diese Anschauung unweigerlich dazu führt, den denkenden Menschen und ihn allein für sein Denken, Wissen und Tun verantwortlich zu machen. Heute, da Behavioristen nach wie vor alle Verantwortung auf die Umwelt schieben und Soziobiologen einen großen Teil davon auf die Gene abwälzen möchten, ist eine Lehre ungemütlich, die andeutet, daß wir die Welt, in der wir zu leben meinen, uns selbst zu verdanken haben“.44
4
Konsequenzen für das Kulturmanagement
4.1 Traditionelles und konstruktivistisches (Kultur-)Management In der traditionellen Managementwissenschaft stand das Organisieren als konstitutiver Prozess des substantiellen Gestaltens im Vordergrund des Interesses. Vor allem kontingenztheoretische und situative Ansätze arbeiteten „fast ausschließlich mit Input-/Output-Modellen, wonach Systeme auf Veränderungen in der Umwelt reagieren und ihre Strukturen an die Umwelt anpassen“45. Parallel dazu verstand – und versteht – sich Kulturmanagement „als professionelles Handeln von Kulturverwaltern/Kulturpädagogen mit der Maßgabe, einem Publikum/ 43 44 45
Schmidt, S. J. 1992: 436. von Glasersfeld 2007: 16f. Schmidt, S. J. 2000: 55.
Kulturmanagement in konstruktivistischer Sicht
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einem Teilnehmerkreis den Zugang zu musisch-kul-turellen Angeboten zu ermöglichen. Kulturmanagement besteht aus der Initiierung, Planung, Organisation, Durchführung sowie Evaluation von kulturellen Prozessen bzw. Produkten“46. Mit dem Ziel, Erfolg und Wirkung komplexer Initiativen durch spezielle Organisationsstrukturen und äquivalente Arbeitsmethoden deutlich zu steigern, herrscht nach wie vor ein „Denken in ‚System-Umwelt-Relationen’„47 mit einer Tendenz zur Reifikation (Vergegenständlichung) des Kulturellen vor. In einer konstruktivistisch orientierten Managementwissenschaft werden zwei organisationstheoretische Aspekte thematisiert, die in der traditionellen Disziplin ausgeblendet sind: „symbolisches Gestalten (im Sinne von Sinnvermittlung, Handlungslegitimation, Motivationsmobilisierung, Implementieren von Innovationen usw.) einerseits und spontane Prozesse der Ordnungsbildung (Selbstorganisation) andererseits“48. Der Aspekt symbolischer Gestaltung ist für ein (konstruktivistisch ausgerichtetes) Kulturmanagement konstitutiv: die sinnstiftende Vermittlung kultureller Qualitäten, die Schaffung von Foren für Erkenntnis und Kommunikation, die motivierende Ermöglichung von Aushandlungsprozessen und parallelen Konstruktionen, von Prozessen der Identitäts- und Kompetenzbildung, von innovativer Bedeutungsproduktion resultieren aus dem Ziel, potenzielle Besucher nicht als Konsumenten anzusprechen, sondern, statt ihnen lediglich Wahlmöglichkeiten zu geben, ihre Freiheit zur kulturellen Selbststeuerung zu fördern. Professionalität bedeutet in diesem Zusammenhang, – insbesondere im Hinblick auf die Politisierung des Kulturbereichs – sich zu diesen Prozessen neutral, d.h. nichtwertend und nicht-moralisierend zu verhalten. Bereits 1993 schreibt Pankoke: „Wir müssen heute (...) darauf setzen, daß mit managerialen Methoden auch unter schwierigen Bedingungen kulturelle Ressourcen und Potentiale in ihrer gesellschaftlichen Produktivität zu aktivieren sind. Kulturmanagement wird mit Controlling und Marketing gewiß ökonomische Instrumente der Steuerung gewinnen, die die Bewirtschaftung knapper Ressourcen sicherer machen. Aber auch der moderne ‚Manager’ (...) hat gerade durch das Verrechnungsmedium der ‚Rentabilität’ seine ‚blinden Flecken’. (...) So bleibt umstritten, ob die Aktivierung kulturellen Lebens auf diese Weise zu steuern ist, wenn eigentlich nicht Bedarfslagen kultureller Nachfrage zu bedienen sind, sondern Felder kulturellen Lebens zu entwickeln sind. Dabei geht es nicht um Dienste und Leistungen, die in ihrer Kostenstruktur wie ökonomische Produkte zu bewirtschaften sind, sondern um aktivierende Kontexte. Entwicklungen
46 47 48
Merk 1992: 26. Pankoke 1993: 65. Schmidt, S. J. 2000: 44.
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Kulturmanagement in konstruktivistischer Sicht sind in der Offenheit ihrer Dynamik kaum noch zu steuern, indem man durch enge Zielvorgabe die Bewegung zu kanalisieren sucht“.49
Insbesondere im Hinblick auf die Selbstorganisations-Komponente in sozialen Systemen kann es im Management „nicht um eine Schaffung sozialer Wirklichkeiten durch bewußte Manipulation gehen. Manager können aber Kontexte für Wirklichkeitskonstruktionen schaffen, vor allem durch neue Interpretationsrahmen für Handlungen“50. Das Entwerfen und Entwickeln von kulturellen Räumen bedeutet für das Kulturmanagement als anwendungsorientierte Disziplin die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung: „Managementwissenschaft als anwendungsorientierte Wissenschaft, die soziale Systeme entwerfen und gestalten will, muß dafür auch Verantwortung übernehmen: (...) Der radikalkonstruktivistisch orientierte Manager soll neuartige Perspektiven und Sinnzusammenhänge vermitteln, also – im Sinne H. von Foersters – Handlungsmöglichkeiten eröffnen, in denen neue Wirklichkeiten erfunden werden können“.51 Die Aufgaben des Kulturmanagements gehen damit weit über das Organisieren musisch-kultureller Veranstaltungen hinaus. Ein verantwortungsbewusstes Kulturmanagement wird durch Bezugnahmen auf kulturelle und gesellschaftliche Aktualität, auf Stimmungen, Strömungen, und Wandlungen zu einem eigenständigen – reflexiven – Teil unserer Kultur. „Wir müssen uns gewissermaßen gestaltend, verändernd, in das System einschalten, um etwas über das Verhalten zu erfahren und ein System und seine Verhaltensmöglichkeiten zu erkennen. Das System wird also verändert – eine Wirklichkeit konstruiert –, um es verstehen zu lernen und etwas über seine Ordnung zu erfahren und eine Ordnung gestalten zu können“.52
Ist bereits „die Schaffung von geistigen Räumen für Kunst in der Gesellschaft“53 auch und vor allem eine Frage „der Schaffung eines den Künsten zugewandten, kunstoffenen und die Notwendigkeit von Kunst in einer modernen Gesellschaft
49
Pankoke 1993: 98f. Schmidt, S. J. 2000: 57. Schmidt, S. J. 2000: 56. „Was folgt aus all dem für Ästhetik und Ethik? Der ästhetische Imperativ: Willst du erkennen, lerne zu handeln. Der ethische Imperativ: Handle stets so, daß weitere Möglichkeiten entstehen. So konstruieren wir aus einer Wirk-lichkeit in Zusammenwirkung unsere Wirklichkeit“ (von Foerster 2007: 60). Übernahme von Verantwortung bedeutet dabei nicht die Verantwortung eines Einzelnen für das Verhalten eines ganzen sozialen Systems. Verantwortung bezieht sich auf die individuelle Konstruktion von Wirklichkeit und damit für das Handeln als Teil eines Systems. 52 Probst 1985: 4, zit. n. Schmidt, S. J. 2000: 56. 53 Bendixen 1998: 86. 50 51
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annehmenden sozialen Klimas“54, so ist umso mehr die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Klima der (Landes-)Kultur ein grundlegendes Aufgabenfeld des Kulturmanagements. Ist Kultur nur aus Prozessen in psychischen und sozialen Systemen erklärbar, so ist die Beschäftigung mit Psychischem und Sozialem untrennbar mit der Beschäftigung mit Kultur verbunden. Themen aus den Bereichen Bildung, Soziokultur, Politik u.v.m. ergeben sich zahlreich aus dem Blick auf gesellschaftliche Trends wie auf tagesaktuelle Debatten. „ZEIT: Die Demokratie versucht ja gerade, allen Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Lüpertz: Ja, aber es gibt auch eine große Sehnsucht nach Gleichheit, die sie füttert. (...) Jeder Überflieger ist ein Feind und jeder, der anders aussieht, ist verrückt. Ich verzweifle an dieser Anspruchslosigkeit. ZEIT: Fehlt die Leidenschaft? Lüpertz: Vielleicht nicht die Leidenschaft. Es ist eher eine Unwissenheit, wie man wirklich lebt in einer freien und befreiten Gesellschaft. Die meisten können nichts damit anfangen, das ist tragisch. Sie nutzen ihre Freiheit, um nach Mallorca zu fahren. Also für Dinge, die nicht über sich selbst hinausweisen, die um ihrer selbst willen getan werden. (...) ZEIT: Jetzt schwindet allmählich auch die Ironie. Lüpertz: Sie ist einfach ein bisschen weniger geworden, weil auch der Intellekt ein bisschen nachgelassen hat. Wir leiden unter einer unheimlichen Verblödung in Deutschland“.55
4.2 Besucherorientierung „Besucherorientierung“ ist inzwischen im Kulturmanagement zum Schlagwort geworden. Die traditionelle Disziplin verfolgt damit eine über die herkömmliche Fokussierung auf kulturelle Inhalte und Leistungen hinausgehende allgemeine oder segmentspezifische Orientierung an Bedürfnissen von Kunden mit dem (quantitativen) Ziel erfolgreicher und nachhaltiger Vermittlung musisch-kultureller Angebote. So finden sich beispielsweise Bernd Günter – auf das Museum angewandt – in den letzten Jahren von der Betriebswirtschaftslehre aufgedeckte „Mechanismen (...), die in langfristigen Geschäftsbeziehungen Bindungseffekte erzeugen“.56 54
ebd. Lüpertz 2006: 57. 56 Günter 2000: 71. Als Bindungspotenziale werden beispielsweise aufgeführt: Unverwechselbarkeit und Attraktivität, Affinität und Identifikation, Zusatzleistungen und Kombi-Angebote, Erleichterun55
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Eine konstruktivistisch fundierte Besucherorientierung konzipiert dagegen nicht Kulturleistungen einerseits und Besucher andererseits als zwei unabhängige Größen, die es zusammenzubringen gilt. Sie geht – entsprechend der Ästhetik Goodmans – von der strukturellen Identität von Rezeption, Interpretation und Produktion bei der Auseinandersetzung mit kulturell-künstlerischen Inhalten aus und verlegt damit den Sinn und Zweck kultureller Angebote in die Person des aktiven Rezipienten. „Da die Dienstleistung der Vermittlung auf persönlichen Interaktions- und Kommunikationsprozessen der Besucher basiert, stellt die Rezeption des Besuchers einen ihm eigenen und in ihm vorgehenden Produktionsvorgang dar. Der ästhetische Prozeß der Wahrnehmung, des Sehens, Hörens und Erlebens, ist daher als ein immanenter Vorgang jedes einzelnen Besuchers zu betrachten. Die Kultureinrichtungen schaffen nur die Bedingung der Möglichkeit zu dieser Rezeption, sie leisten lediglich Vorbereitungen und Hilfestellungen für die erlebnisintensive Vermittlungsleistung“.57
Damit sind auch Bindungspotenziale in den Individuen zu suchen und somit an den ästhetischen Produktionsprozess gekoppelt. „Marketing für Kultureinrichtungen zu betreiben bedeutet nicht nur, die Bedürfnisse der Nachfrager zu kennen (...) und für sie entsprechende Produkte zu entwickeln (...). Vielmehr zielt Kulturmarketing durch die kulturpolitische Aufgabe der Vermittlung auch auf eine Veränderung bzw. Weiterentwicklung der Bedürfnisse der Besucher ab (...). Mit den zunächst bedarfsorientiert angebotenen Produkten werden sich mit der Zeit neue Bedürfnisse in den verschiedenen Besuchersegmenten ergeben. Dies ist einerseits dadurch möglich, da es sich bei den angebotenen Produkten um ‚Bildungsprodukte’ handelt, die die Bedürfnisse der Besucher verändern und neue, veränderte Bedürfnisse entstehen lassen. Andererseits ist im Laufe der Zeit mit geänderten Besucherbedürfnissen schon deshalb zu rechnen, da es sich bei den angebotenen Produkten um Dienstleistungen handelt, bei denen die Nachfrager selbst mit am Produktionsprozeß beteiligt sind und durch ihre Rezeptionsleistung gleichzeitig eine Bedürfnisbefriedigung und eine Veränderung bzw. Weiterentwicklung ihrer Bedürfnisse stattfindet“.58
Die Weiterentwicklung von Bedürfnissen, die identisch ist mit der Dynamik der Kunstrezeption, kann durch die jeweilige Kulturinstitution aktiv unterstützt werden. Ein Kunstbegriff, der von einer Erkenntnisleistung des Künstlers ausgeht, gen des Besuchs (finanzielle und andere), persönliche Verbindungen, Präsenz im Alltag (durch Werbeträger), Erfahrungen und Zufriedenheit (vgl. Günter 2000: 72f.). 57 Lenders 1995: 195. 58 Lenders 1995: 160.
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die dem Rezipienten (durch den/die Interpreten) kommuniziert wird mit dem Ziel, dort Erkenntnisprozesse in Gang zu setzen und Kommunikationen über diese Erkenntnisse zu stimulieren, verweist auf die Frage, ob mit der künstlerischen Botschaft an Bekanntes beim Empfänger angeknüpft wird, denn Lernen und Erkenntnis vollziehen sich nur „durch Verknüpfung mit bereits vorhandenen Wissensstrukturen“59 als „Einordnung der Wahrnehmungsinformationen (...) in die individuell kognitiven Schemata“60. Eine inhaltliche Besucherorientierung wird sich somit zur Aufgabe machen, mit Zusatzinformationen die Decodierung künstlerischer Aussagen zu ermöglichen bzw. zu erleichtern und sie mit dem Wissensspektrum und den Interessenprofilen der Rezipienten zu verbinden. Bildungstheoretisch erweitert das Zustandekommen solcher Passungen die Möglichkeiten einer Kunstrezeption als Bildungsprozess mit dem Ziel, den Einzelnen zum Subjekt seiner kulturell-künstlerischen Bildung zu machen. Eine auf diese Weise gestaltete Besucherorientierung steht im Einklang mit dem Postulat der Kunstautonomie, da Besucherorientierung als Vermittlung von Kunstinhalten verstanden und betrieben wird und somit keine Eingriffe auf der inhaltlichen Ebene von Kunst als Verfremdungen oder Standardisierungen erfolgen. Die Unterstützung der Decodierung künstlerischer Aussagen führt zu einer nicht nur formal existierenden, sondern gelebten und gesellschaftlich relevanten Kunstautonomie. Ein verantwortungsbewusstes Kulturmanagement wird die individuellen Entwicklungen der Besucherbedürfnisse nicht beeinflussen, wohl aber kulturelle Nischen und Experimente in die Palette der Angebote aufnehmen und die kritisch-utopischen Potenziale von Kunst fördern. Damit ist in der Perspektive der Besucherorientierung der soziale Sinn kultureller Veranstaltungen nicht ökonomischer Austausch, sondern eine kommunikative Dauerbeziehung als Vermittlung von Kunsterlebnissen, als Reflexion, Emotion und ästhetische Verzauberung. Aufgrund der Individualisierung des Nutzungsverhaltens und da „die Besucher einer Kultureinrichtung (...) wesentlich am Produktionsprozeß der Dienstleistung beteiligt sind, ist es für die Leistungserbringung der Vermittlung unbedingt erforderlich, daß die Kultureinrichtungen sich mit den Interessen und Motivationen der potentiellen Besucher auseinandersetzen“61. Auf der Grundlage von Erfahrungswerten und Evaluationen müssen Kulturinstitutionen in Zukunft – losgelöst von einer dominierenden Fixierung auf die bloße Zahl als Kriterium der Erfolgskontrolle – ein spezifisches Programm für „ihr“ Publikum entwickeln bzw. auf der Suche nach „ihrem“ Publikum ihr individuelles Profil darstellen. 59 60 61
Hobein 2000: 111. Hobein 2000: 112. Lenders 1995: 157.
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Schlanke, wirtschaftlich verantwortungsbewusste und konzeptionell bewegliche Einrichtungen suchen sich beispielsweise durch Spezialisierungen auf spektakuläre Kulturevents, Angebote zur aktiven Teilnahme oder Projekte zu gesellschaftlich brisanten Themen aktiv ihre Öffentlichkeit(en) und halten dadurch ihr intellektuelles und ästhetisches Niveau hoch. Diese Ergebnisse beziehen sich nicht nur auf das Management öffentlicher Kulturinstitutionen. Für eine engagierte Besucherorientierung haben marktorientierte Kulturproduktionen häufig ein weiter entwickeltes Bewusstsein und größere Erfahrungen als öffentliche Kulturinstitutionen (beispielsweise im Bereich privater Theater und Museen). Der Austausch von Ideen und Praxisentwürfen erscheint hier – auf der Grundlage eines dynamischen Verständnisses von Kunstrezeption als Lernprozess – sinnvoll und zukunftsweisend. Gleichzeitig ist „Markt“ im Kulturbereich nicht gleichzusetzen mit Kommerzialisierung und Kulturkonsum. „Markt“ ist auch der der Potenziale für freie Künstler, Kunstpädagogen und freie Gruppen. Für sich hier durchsetzende Projekte und Initiativen wird ökonomische Autonomie zur (emanzipatorischen) Grundlage inhaltlicher Kunstautonomie und kultureller Innovation.
4.3 Kulturmanagement und Kulturpolitik Da der marktwirtschaftlich ausgerichtete Industriestaat nicht in der Lage ist, die kulturellen Voraussetzungen, auf denen er und die Gesellschaft beruhen, hervorzubringen, ist kulturelle Bildung – als Auseinandersetzung des Einzelnen mit der ihn umgebenden gesellschaftlichen, sozialen und politischen Realität – Voraussetzung persönlicher Identität und damit der Selbstverortung des Einzelnen im gesellschaftlichen Kontext. Spielräume für souveräne Lebensgestaltung und den Erwerb kultureller Kompetenz sind gerade als Gegengewichte gegen die Beanspruchungen der Industriegesellschaft notwendig – und Bedingungen für ihre Vitalität im historischen Wandel. Entsprechend bilden Kulturpolitik und Kulturmanagement Schnittmengen, keine Teilmengen oder Funktionen. Kulturpolitische Paradigmen oder Grundsatzpapiere stehen damit als normative Orientierungsgrößen des Kulturmanagements infrage. Emipirisch verweist das derzeitige Schwinden kulturpolitischer Paradigmen auf Sperrigkeit von „Kultur“ gegen Versuche programmatischer Steuerung. Die Individualisierung kulturellen Verhaltens zwingt zunächst dazu, das ältere Paradigma einer „Kultur für alle“ zu Grabe tragen: „Die Zeit der Kulturtanker ist Vergangenheit“62. Das Paradigma einer Kultur als Ware und als 62
Schmidt, T. E. 2005: 37.
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Erlebniskultur ist in Auflösung begriffen. Aktuell sind (die Profilschwäche und Ratlosigkeit von) Koexistenzen und Mischformen kulturpolitischer Zielsetzungen an der Tagesordnung. Die Politisierung des Kulturbereichs führte zu Versuchen, Kulturentwicklung als Ausgleich von Defiziten in anderen Lebensbereichen zu leisten und mit Jugend-, Bildungs-, Freizeit-, Umwelt-, Wirtschafts- oder Beschäftigungspolitik zu koordinieren. Das Bestreben, in kulturelle Prozesse gestaltend einzugreifen, führte nicht nur zu Verletzungen der Kunstautonomie und einer Instrumentalisierung des Kulturellen, sondern zum konstanten Irrtum einer politischen Gestaltbarkeit des Individuellen. Das Argument für eine Kulturpolitik als Korrektiv zum ökonomischen Druck kultureller Vermarktung haben die Resultate von Sparmaßnahmen weitgehend untauglich gemacht. Von der Legitimationskrise der Politik ist Kulturpolitik selbst betroffen: „Lüpertz: Wenn ich auf die Straßen schaue, sehe ich 20, 25 Prozent Menschen, die sich damit abgefunden haben, dass sie vom Staat leben und auch in Zukunft leben werden. 15 Prozent sind oben, die werden bald gehen und sich in Sicherheit bringen. Und die Mehrheit in der Mitte, die bilden den am stärksten gebeutelten Teil des Volks. Sie werden vom Staat gejagt, aus purer Not, weil die Politiker Geld brauchen, um ihre sozialen Versprechungen zu halten. Wie soll aus einer solchen Stimmung eine Identität entstehen? (...) ZEIT: Interessiert sich die Künstlerwelt für die neue Politik und umgekehrt? Lüpertz: Nein, ich glaube nicht an diese Verbindung. Die gab es auch vorher nicht. (...) Der Staat ist an der Kunst interessiert, wenn sie nutzt oder wenn sie irgendwie und international gezeigt wird. Geht gar nicht anders. Die meisten Politiker haben gar nicht die Bildung, um für Kunst zuständig sein zu können. ZEIT: Die Politik ist also nicht klüger als das Volk? Lüpertz: Nein. Wir erleben einen Niedergang. Die 40-, 50-jährigen Politiker sind nur Stellvertreter ihrer Generation. Sie haben ein erstaunlich geringes Interesse an Bildung. Sie haben Computerbildung, sie haben ihr Fachwissen, aber es bleibt wenig Platz für freie Geistigkeit“.63
Individuen, die sich von Politik und Gesellschaft gegängelt fühlen, neigen dazu, zu „privatisieren“. Die individualisierten Nutzer kultureller Angebote begeben sich, statt sich ins Private zurückzuziehen, aktiv in kulturelle Öffentlichkeiten. In diesen begegnen sich heterogene Lebenswelten, Rationalitätsformen und Aktionsmuster in Zeiten der Verabschiedung eines epochalen Projekts und von individuellen letzten Fundamenten zu gemeinsamen, ggf. parallelen kulturellen und künstlerischen Konstruktionen. 63
Lüpertz 2006: 57.
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Die Konstruktion von Sinn und Identität in Eigenregie ist subjektive Notwendigkeit und Freiheit zugleich. Diejenigen, die (noch) kulturelle Identität(en) ausbilden, schaffen damit – quasi als „Nebenwirkung“ – eine Grundlage für eine vitale Gesellschaft. Als Aufgabe eines zeitgemäßen und verantwortungsbewussten Kulturmanagements ergibt sich die Förderung von Möglichkeiten zur individuellen kulturellen Selbststeuerung – und damit zur kulturellen Selbststeuerung der Gesellschaft – durch eine je institutionenspezifische Heterogenität an Angeboten zu Aktivität und Engagement. Als theoretischer Bezugsrahmen kann nur eine Theorie des Kulturmanagements, die nicht gesellschaftstheoretisch Individuen unter einem Programm subsumiert, sondern „Kultur“ reflexiv als Medium kommunikativer Vernetzung individueller (Kultur-)Welten begründet und verteidigt, sowohl den Notwendigkeiten der Zeit Rechnung tragen als auch dem humanen „Sinn“ von Kultur im gesellschaftlichen Wandel entsprechen. Da, wo Kulturmanagement und Kulturpolitik Hand in Hand gehen, wären, will man den kulturell aktiven Teil der Bevölkerung nicht (auch noch) „deaktivieren“, „aktivierende Konzepte“ nicht als „neue Chancen“ der Steuerung im Sinn alter oder neuer kulturstaatlicher Programmatiken zu missdeuten. Autonomie als Voraussetzung authentischer Kultur und Kunst hat die Respektierung individueller kultureller Autonomie zur Möglichkeitsbedingung. Die Vermeidung von Reifikationen und Instrumentalisierungen des Kulturellen sowie von Kommunikationen als „Sei-spontan-Paradoxien“ an potenzielle „Akteure“ scheint daher aus konstruktivistischer Sicht ratsam.
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Programmatische Konzepte
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Die Kultur von der Stadt her denken Eine neue Phase der Reflexivität und kulturellen Planung Die Kultur von der Stadt her denken
Bernd Wagner 1 2 3 4 5 6
Einleitung Neuorientierung der Kulturpolitik „Aktivierender Staat“ und „Kulturkampf“ Blick zurück auf frühere kulturelle Planungen Eine neue Phase der Reflexivität und kulturellen Planung Literaturverzeichnis
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Einleitung
Nachdem lange Zeit aus der Kulturpolitik vor allem betrübliche Nachrichten wie die fortgesetzte Absenkung der Kulturetats, die drohende Schließung weiterer Kultureinrichtungen und ein verstärkter Einspardruck gemeldet wurden, gibt es gegenwärtig aus diesem Politikfeld vermehrt erfreuliche Mitteilungen. Mitte November 2007 hat überraschend der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zum gestiegenen Bundeskulturhaushalt für 2008 von etwa 1,1 Milliarde Euro noch einmal zusätzlich 400 Millionen Euro für Investitionen im Kulturbereich zur Verfügung gestellt. 200 Millionen davon sind allein für die Sanierung der Berliner Staatsoper vorgesehen, 78 Millionen für die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, 45 Millionen für die Stiftung Weimarer Klassik sowie weitere zweistellige Millionenbeträge für andere Einrichtungen des kulturellen Erbes. Auch von den Landes- und Kommunalhaushalten werden vielfach Steigerungen, mindestens aber die Fortschreibung des bisherigen Niveaus sowie teilweise umfangreich investive Maßnahmen für Neubauten und Renovierungen von Theatern, Konzerthallen und Museen angekündigt. Die wirtschaftliche Konjunktur der letzten Jahre hat sich auch positiv auf die öffentliche Kulturfinanzierung ausgewirkt. Damit sind aber nicht die grundlegenden finanziellen und strukturellen Probleme der Kulturetats und der öffentlich getragenen Kultureinrichtungen beseitigt. Eine große Zahl von Kommunen ist weiterhin so hoch verschuldet, dass sie unter Haushaltsvorbehalt steht, und
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Die Kultur von der Stadt her denken
die Summe der notwendigen Instandhaltungsinvestitionen in den kommenden zehn Jahren übersteigt bei weitem die Leistungskraft von Kommunen und Ländern. Auch wenn es im Augenblick so scheint, als wäre schon mehr als ein Silberstreifen am Horizont öffentlicher Kulturfinanzen zu sehen, werden auf absehbare Zeit die seit Mitte der neunziger Jahre virulent gewordenen Finanz- und Strukturprobleme von Kulturhaushalten und Kultureinrichtungen weiter kulturpolitisches Handeln entscheidend mitbestimmen. Diese strukturellen Probleme bestehen zum einen darin, dass ein immer größerer Anteil der Kulturförderung vor allem in Institutionen und Häuser fließt, was unter anderem mit den festen Personalkosten und den scheinbar zwangsläufig wachsenden „Apparaten“ zusammenhängt, aber auch mit einer zunehmenden Konzentration öffentlicher Kulturförderung auf die „eigenen“, von Kommunen und Ländern getragenen Einrichtungen. Das trifft vor allem auf die personalintensiven Theater, Orchester und Museen zu. Demgegenüber fällt die Förderung von nicht an Institutionen gebundene innovative Kunstaktivitäten, von freien Kulturprojekte und von Künstlerinnen und Künstlern außerhalb der Häuser weiter zurück. Zum anderen betreffen die Probleme die Organisation und die Arbeitsabläufe noch immer vieler Kultureinrichtungen, die dahingehend weiter reformiert werden müssen, dass einfachere Verfahrenswege, höhere Mitteleffizienz und größere Arbeitseffektivität, aber auch höhere Eigeneinnahmen, erweiterte Partizipationsmöglichkeiten und größere Bürgernähe erreicht werden, wie es mit der seit Mitte der neunziger Jahren begonnenen Verwaltungsreform angestrebt wird, aber vielfach weiter unzureichend umgesetzt ist.
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Neuorientierung der Kulturpolitik
Angesichts dieser Problemlagen hat die Kulturpolitik in Kommunen und Ländern im letzten Jahrzehnt gegenüber den siebziger und achtziger Jahren schrittweise neue Wege eingeschlagen. Dazu gehört zum einen als direkte Reaktion auf die angespannte Finanzsituation vieler Kultureinrichtungen die Suche nach alternativen Finanzierungswegen, vor allem durch die stärkere Einbindung nichtöffentlicher Akteure in die Finanzierung und Trägerschaft von Kulturangeboten und Einrichtungen. Hierzu zählen die Bemühungen um einen größeren Anteil privatwirtschaftlicher Förderung, intensivere Sponsoringaktivitäten und die Gewinnung mehr mäzenatischer Unterstützung ebenso wie Public-Private-Partner-
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ship-Modelle und eine vermehrte Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements und ehrenamtlicher Mitarbeit1. Auch wenn die Anstrengungen hierbei vor allem auf eine stärkere Einbindung nichtöffentlicher Mittel bei der Finanzierung von Kultureinrichtungen und Kulturprojekten zielen, sind sie nicht darauf beschränkt. Bei den in den letzten Jahren intensivierten Versuchen öffentlich-privater Partnerschaften im Kulturbereich und der Gewinnung von mehr ehrenamtlich-bürgerschaftlich Engagierten liegt ein starker Akzent auf einer bürgerschaftlichen Erweiterung der Verantwortlichkeiten für Kunst und Kultur.2 Die angespannte Situation der öffentlichen Finanzen und der Kulturetats hat zum anderen auch den Druck auf die Kulturinstitutionen erhöht, den von ihnen zu erwirtschaftenden Eigenanteil an der Finanzierung der Einrichtung zu erhöhen. Das geschieht u. a. durch die Nutzung zusätzlicher Einnahmequellen wie etwa Museumsshops, Cafés, Vermietungen und vor allem auch durch Aktivitäten, um höhere Besuchs- und Teilnahmezahlen zu erreichen. Solche Anstrengungen der Publikumsgewinnung und Publikumsbindung haben gegenwärtig eine besondere Bedeutung, da bei einigen Einrichtungen und Einrichtungstypen die Besuchszahlen stagnieren beziehungsweise zum Teil erheblich zurückgegangen sind. Das betrifft ganze Sparten wie beispielsweise das Sprechtheater und die Oper oder einzelne Häuser und Angebote in Einrichtungsarten mit ansonsten stabilem beziehungsweise wachsendem Publikum.3 Es sind aber nicht nur die strukturellen und finanziellen Probleme der Kultureinrichtungen, die Kulturpolitik vor neue Herausforderungen gestellt haben, sondern auch die veränderte Stadtwirklichkeit und die allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen. Neben den Folgen der beiden Megatrends der Globalisierung und ökologischen Krisenerfahrungen haben die innergesellschaftlichen Umbrüche der Individualisierung, der multiethnischen Veränderungen und der „medialen Revolution“ die Städte und damit auch die Bedingungen kommunaler Kulturpolitik in den neunziger Jahren und im neuen Jahrhundert verändert. Auf diese kann weder mit den inhaltlich-konzeptionellen Zielsetzungen der Neuen Kulturpolitik der siebziger Jahre noch mit dem fröhlichen Pragmatismus der achtziger Jahre oder der Sparpolitik der neunziger Jahre reagiert werden.
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Vgl. zu diesem Themenkomplex den Beitrag von Verena Lewinski-Reuter in diesem Band. Siehe hierzu beispielsweise das „Jahrbuch für Kulturpolitik 2000, Thema: Bürgerschaftliches Engagement“ (Institut für Kulturpolitik 2001) sowie Wagner 2000. 3 Einen Eindruck von der Entwicklung der Besuchszahlen kultureller Einrichtungen und den vielgestaltigen Ansätzen der Publikumsgewinnung und -bindung vermitteln das „Jahrbuch für Kulturpolitik 2005, Thema: Kulturpublikum“ (Institut für Kulturpolitik 2005) und die Dokumentation des Kongresses der Kulturpolitischen Gesellschaft „publikum.macht.kultur. Kulturpolitik zwischen Angebots- und Nachfrageorientierung“ im Juni 2005 (Kulturpolitische Gesellschaft 2006). 2
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Es ist inzwischen eine gängige Kennzeichnung, die aber unsere Wirklichkeit gut trifft: „Unsere Gesellschaft wird immer weniger, älter und bunter.“ Der demographische Wandel, schrumpfende Städte, die multikulturelle Durchmischung und die Pluralisierung der Lebenswelten, aber auch eine wachsende Armut und ein weiteres Auseinanderdriften von Arm und Reich bilden gemeinsam mit der Krise der öffentlichen Haushalte die Bedingungen, unter denen heute Kommunal- und Kulturpolitik stattfindet. Zudem stellt der Wandel der kulturellen Präferenzen und die Vervielfachung der kulturellen Angebote besonders durch die rasche Entwicklung der audiovisuellen Medien und neuen Kommunikationstechnologien sowie einen insgesamt immens gewachsenen Freizeitsektor die öffentliche Kulturpolitik vor die Aufgabe, ihre konzeptionell-theoretischen Grundlagen und ihr praktisches Handeln daraufhin zu überprüfen, inwieweit diese den gewandelten kulturellen Bedingungen gerecht werden. Diese Veränderung der Stadtwirklichkeit und der kulturellen Gewohnheiten und Angebote sowie die erwähnten finanziellen und strukturellen Probleme der Kultureinrichtungen haben eine schrittweise Neuorientierung kulturpolitischen Denkens und Handelns hervorgebracht. Diese findet allerdings ohne weitreichende theoretisch begründete Reformkonzeptionen statt, sondern eher „hinter dem Rücken“ der Akteure durch diese selbst. Eine dieser subkutanen Veränderungen ist eine langsame Relativierung des kulturpolitischen „Etatismus“, der Kulturpolitik in Deutschland bis in die neunziger Jahre geprägt hat. Danach wurden vor allem der Staat und die Kommunen als die zentralen Akteure der Kulturlandschaft begriffen und dabei die vielgestaltigen Formen ehrenamtlich-bürgerschaftlichen Engagements, die unzähligen Aktivitäten im frei-gemeinnützigen, intermediären Bereich und die umfassenden privatwirtschaftlichen Kulturangeboten kaum wahrgenommen. Diese immer noch verbreitete Staatsfixierung zeigt sich besonders an der lange Zeit geringen Beachtung des breiten gesellschaftlichen Engagements für Kunst und Kultur und der kulturellen Selbsttätigkeit der Bevölkerung. Diese vielfältigen Formen, ohne die unsere kulturelle Landschaft bedeutend ärmer wäre, reichen von der Vielzahl kultureller Vereinen in allen Feldern der Laienund Breitenkultur über den großen Bereich der von gemeinnützigen Akteuren getragenen kulturellen Bildung, Soziokultur und freien Kulturarbeit und das ehrenamtlich-bürgerschaftliche Engagement von Millionen Menschen in inzwischen nahezu allen Kultur- und Kunsteinrichtungen bis zur mäzenatischen Unterstützung und die Vielzahl von Kulturstiftungen. Ohne diese vielgestaltigen Aktivitäten gäbe es zahlreiche kulturelle Projekte und Einrichtungen nicht und viele künstlerische Produkte hätten nie das Licht der Welt erblickt.
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Dabei ist die gegenwärtig verstärkte Beachtung bürgerschaftlichen Engagements in der Kulturpolitik sicher auch zu einem Teil geprägt von der Hoffnung, dass dadurch ein Beitrag zur Entlastung der angespannten Finanzsituation vieler Kultureinrichtungen geleistet wird. Was für den frei-gemeinnützigen Sektor und das bürgerschaftlich-ehrenamtlichen Engagement gilt, trifft in fast noch größerem Maße auf die kulturwirtschaftlichen Angebote und Sparten zu. Hinter der dominanten Rolle der staatlich-kommunalen Akteure ist in der Vergangenheit häufig die große Bedeutung der Kulturwirtschaft, besonders in der bildenden Kunst und der Musik wie aber auch insgesamt im Kunst- und Kulturbereich vielfach kaum beachtet worden. Mit den Diskussionen über Kulturwirtschaft und der Erarbeitung entsprechender Kulturwirtschaftsberichte einiger Bundesländer sowie den internationalen Debatten über die Creative Industries hat in den vergangenen Jahren ein Umdenken und eine größere Offenheit in der Kulturpolitik stattgefunden.4 Den Anfang bildete, nach frühen kommunalen Ansätzen Ende des achtziger Jahre, etwa Mitte der neunziger Jahre Nordrhein-Westfalen mit dem ersten Landeskulturbericht. Inzwischen liegen von der Mehrheit der Länder und einer wachsenden Zahl von Städten solche „Kulturwirtschaftsberichte“. Bei diesen drei kulturpolitischen Akteuren „Staat“, „Markt“ und „Gesellschaft“ handelt es sich nicht um drei separate „Säulen“ der Kulturlandschaft, sondern um Felder, die mal enger, mal weiter mit einander verflochten sind und sich gegenseitig bedingen und befruchten. Dieses schon immer vorhandene Zusammenwirken von staatlich-kommunaler Kulturpolitik, kulturwirtschaftlichen Strukturen und gesellschaftlich-bürgerschaftlichen Engagement bei der Hervorbringung, Sicherung und Weiterentwicklung der vielfältigen Kulturlandschaft in Deutschland bekommt bei den gegenwärtigen Veränderungen der kulturpolitischen Praxis eine neue Bedeutung und nimmt eine intensivere Form an. Eine dieser Formen des Zusammenwirkens und der engeren institutionellen Kooperation von Akteuren des staatlichen Sektors mit solchen des privatwirtschaftlichen oder frei-gemeinnützigen wird neuerdings als Public-Private-Partnership (PPP) bezeichnet. Die Zahl solcher Partnerschaften hat zwar in den letzten Jahren auch im Kulturbereich zugenommen. Aber solche Kooperationen gibt es schon seit sich die drei Trägerformen vor etwa 200 bis 300 Jahren im Kulturbereich herausgebildet hatten. Der Begriff „PPP“ ist zwar neu, die Sache selbst ist aber sehr alt und war im 19. Jahrhundert bei Bibliotheken, Theatern und Museen keine ungewöhnliche Praxis.5 4
Vergleiche hierzu als Überblick das Schwerpunktthema des Heftes 119 der Kulturpolitischen Mitteilungen »KULTURwirtschaft – KulturPOLITIK« (IV/2007). 5 Der Terminus Public Private Partnership (PPP) stammt ursprünglich aus der Stadtentwicklung und der allgemeinen Kommunalpolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und war hier nur auf
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Mit einer solchen „kooperativen Kulturpolitik“ werden die Kompetenzen und Potenzen der unterschiedlichen kulturellen Akteure als Gestaltungspotenziale aufgegriffen und durch eine Kombination von öffentlicher Verantwortung, Marktdynamik und gesellschaftlicher Partizipation eine neue Qualität kulturpolitischer Aufgabenwahrnehmung erreicht. Angestrebt werden „gemischte Strukturen“, „hybride Organisationen“ (Evers/Rauch/Sitz 2002) und ein Regulierungsmix, der die jeweiligen Ressourcen, Potenziale und Steuerungsmedien der einzelnen Bereiche kombiniert. Die verstärkte Einbindung ehrenamtlich-bürgerschaftlichen Engagements und die größere Bedeutung kulturwirtschaftlicher Aktivitäten, eine immer häufiger anzutreffende „Verantwortungspartnerschaft“ bei der Finanzierung und Trägerschaft von Kultureinrichtungen in Form von Public-Private-Partnership-Modellen oder die Veränderung staatlich-kommunaler Kulturpolitik im Sinne eines „aktivierenden Staates“ weisen seit einigen Jahren den gesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren im Kulturbereich eine größere Bedeutung zu und relativieren staatlich-kommunales Handeln im Kulturbereich, ohne Staat und Kommunen aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Diese praktischen Änderungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte haben dazu geführt, dass das politische Handlungsfeld „Kultur“ neu ausgemessen wird und sich die Aufgaben, Strukturen und Verfahren öffentlicher Kulturpolitik bei der Sicherung und Weiterentwicklung der vielgestaltigen Kunst- und Kulturlandschaft verändert haben. Diese Veränderungen haben bei all ihrer Verschiedenheit und ihrer teilweise noch halbherzigen Umsetzung einen gemeinsamen Kern in der Neujustierung des Verhältnisses von staatlich-kommunaler Politik, gesellschaftlicher Selbstverantwortung und marktwirtschaftlichen Mechanismen.
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„Aktivierender Staat“ und „Kulturkampf“
Der Perspektivenwechsel von einer etatistischen zu einer eher pluralistischen Kulturpolitik hat nachhaltige Konsequenzen für das Selbstverständnis, die Strukturen und die Verfahren in diesem Politikfeld. Danach müssen kommunale Kulturpolitik und -verwaltung zunächst lernen, nicht mehr als „Monopolist“ im kulturellen Feld aufzutreten, sondern als ein – wenn auch bedeutender – Akteur das Verhältnis von öffentlichen Einrichtungen und privaten Unternehmen bezogen. Im Kontext der kulturpolitischen Diskussion erweiterte sich das Verständnis von PPP auch auf den frei-gemeinnützigen Bereich einschließlich des bürgerschaftlichen Engagements für die Kultur. Mit dem Begriff wird kein spezifisches, genau definiertes Verfahren bezeichnet, sondern er umfasst ein breites Spektrum unterschiedlicher Ansätze, die sich hinsichtlich der Intensität und der Formalisierung der Kooperationen erheblich unterscheiden (siehe hierzu Sievers/Wagner 1998).
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unter anderen. Ihnen ist dabei die Rolle einer „intermediären Instanz“ zugedacht, die Kooperationen stiftet, vermittelt und koordinierend tätig wird und nicht vor allem bestrebt ist, als Anbieter kultureller Leistungen aufzutreten. Gleichwohl reduzieren sich ihre Aufgaben nicht auf eine moderierende Rolle, sondern sie haben weiterhin gestaltende Funktion, aber unter stärkerer Einbeziehung der anderen Akteursgruppen. Mit dem Begriff des „aktivierenden Staates“ wird dabei der ordnungspolitische Dualismus einer staats- oder markförmigen Erledigung von Aufgaben aufgebrochen und durch ein „Drittes“, eine Kombination von öffentlicher Regulierung, marktvermittelter Produktion und gesellschaftlichem Engagement als Mittelweg zwischen sozialstaatlichem Versorgungsdenken und neoliberaler Deregulierung erweitert. Die kooperative Kulturpolitik des „aktivierenden Staates“ in der Verwaltungsreform, die seit etwa einem Jahrzehnt auch den Kulturbereich einbezogen hat, ihr Pendant auf der Ebene praktischen Handelns und konkreter Organisationsstrukturen. Ausgangspunkt war die Einsicht, dass das klassische Verwaltungsmodell mit seinen unflexiblen hierarchischen Strukturen, seiner anachronistischen Haushaltsführung, der fehlenden Transparenz und geringen Nutzerorientierung sowie der unzureichenden Möglichkeiten von Bürgerbeteiligungen und eines knirschenden Zusammenwirkens von Politik und Verwaltung nicht den Anforderungen einer wirtschaftlichen, qualitätsvollen und demokratischen Leistungserbringung entspricht. Um gesellschaftlichen Maßstäben von Wirtschaftlichkeit, Qualität und Demokratie zu entsprechen, zielt die Einführung der neuen Steuerungsformen auf die Erhöhung der wirtschaftlichen Effizienz, die Optimierung der Arbeitsabläufe und die Verbesserung der Kosten-Nutzen-Relation durch den Einsatz betriebswirtschaftlicher Instrumentarien sowie die Steigerung der Qualität der Arbeit durch inhaltliche Zielsetzungen, Reflexion und Diskussion ihrer Ergebnisse. Von besonderer Bedeutung ist dabei eine größere Bürger- beziehungsweise Kundenorientierung unter anderem durch die Nutzung moderner Marketingmethoden und erweiterte Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung durch Partizipationsmodelle und Einbindung bürgerschaftlichen Engagements. Auch wenn bei der Umsetzung dieser Modernisierung der Kultureinrichtungen und Kulturverwaltungen vielfach betriebswirtschaftliche Denk- und Herangehensweisen den zentralen Inhalt bilden, ist sie nicht darauf reduziert und umfasst weitergehende gesamtgesellschaftliche und kulturpolitische Zielsetzungen. Mit zunehmender Dauer wurde die Verwaltungs- und Politikreform im Kulturbereich aber vielfach auf die technisch-organisatorische Seite einer stärkeren Anwendung betriebswirtschaftlicher Instrumentarien reduziert. Die inhaltlich-strukturelle Seite dieser Reform – ein verändertes Politikverständnis und größere
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Bürgerorientierung, Aufgabenverlagerung auf den Dritten Sektor sowie die Stärkung bürgerschaftlichen Engagements, also letztlich jene Felder, bei denen es um eine Revision des bestehenden Verhältnisses Bürger–Staat–Gesellschaft geht – ist dagegen in der praktischen Umsetzung oft noch unentwickelt.6 Mit der Veränderung kultureller Angebote, der städtischen Lebenswelt und der Reduzierung sozialstaatlicher Leistungen geht auch ein steigender Begründungsbedarf für die öffentlichen Aufwendungen für Kultur und Kultureinrichtungen einher. In den letzten Jahren sind häufiger als früher gegen die Schließung eines Schwimmbads, eines Jugendklubs oder einer Kinderkrippe die im Vergleich dazu oft noch immer gut bemessenen Mittel für viele der traditionellen Kultur- und Kunstinstitute ins Feld geführt werden. Angesichts der prekären Finanzsituation der Kommunen verschärft sich dieser „Kulturkampf“ zwischen Opernhaus und Krabbelstube, Kunstmuseum und Frauenhaus, und es treten zunehmend mehr oder weniger direkt thematisierte Konflikte zwischen verschiedenen öffentlichen Aufgabenfeldern auf. Auch wenn Kulturpolitik gewillt ist, die bisherigen Strukturen und das Niveau der Kulturlandschaft „zu halten“ und die Mittel wie gegenwärtig zu erhöhen, so ist das angesichts der allgemeinen Einschränkungen, die der Bevölkerung beim Umbau unseres wohlfahrtsstaatlichen Systems zugemutet werden, gesellschaftlich nicht leicht zu begründen. In Anbetracht etwa der steigenden Gesundheitskosten für den Einzelnen, von Rentenkürzungen und immer schärferen Zumutbarkeitsanforderungen für Arbeitssuchende, der Schließung von sozialen Einrichtungen und dem Abbau kommunaler Angebote wird von einem wachsenden Teil der Bevölkerung danach gefragt, ob „Theater sein muss“ – zumindest wenn es so teuer ist, wie die bestehende Dreisparten-Repertoire-Ensemble-Struktur in Deutschland. In dieser Situation, in der „Kosten und Nutzen“ verschiedener gesellschaftlicher Bereiche stärker gegeneinander gestellt werden, ist es zwangsläufig, dass auch im Kulturbereich intensiver danach gefragt wird, für wen und für was die Mittel ausgegeben werden. Dabei wird auch die bei uns bislang weitgehend unproblematisierte öffentliche Kulturfinanzierung öfter insgesamt in Frage gestellt, teilweise auch mit Hinweisen auf angelsächsische Erfahrungen und privatwirtschaftliche Möglichkeiten. Die verschiedenen konzeptionellen Begründungen und inhaltlichen Zielsetzungen, die in früheren Phasen Orientierung für kulturpolitische Praxis gegeben hatten, reichen angesichts der veränderten Situation dafür nicht mehr. Von der Kulturpolitik sind neue Antworten gefordert, die über das Handeln entlang althergebrachter „Selbstverständlichkeiten“ und persönlicher 6
Siehe zur Verwaltungsreform die „Bilanz“ zehnjähriger Verwaltungsmodernisierung bei Bogumil u.a. (2007) und den umfassenden Literaturbericht „Modernisierung des Staates in Deutschland. Konturen einer endlosen Debatte« (Kropp 2004) sowie für den Kulturbereich Richter/Sievers/Siewert 1995.
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Vorlieben hinausgehen und die inhaltlich-konzeptionellen Grundlagen einer zeitgemäßen Kulturpolitik betreffen. Als in den siebziger Jahren mit der Neuen Kulturpolitik eine Reform bisheriger kulturpolitischer Praxis begonnen wurde, war ein zentrales Element dieses Reformprozesses die kulturelle Planung. Mit der Formulierung von kulturellen Zielvorstellungen, daraus abgeleiteten konkreten Handlungsvorschlägen und der Festlegung überprüfbarer Zeit- und Mittelressourcen wurde eine neue Qualität kulturpolitischer Diskussion, Reflexion und Transparenz erreicht. Dieser Prozess kultureller Planung gehört seither – mal stärker betont, mal weniger – zur Kulturpolitik in Deutschland. Dabei gab es unterschiedliche Ausformungen, von einer sehr detaillierten „Kulturentwicklungsplanung“ der siebziger und achtziger Jahre über die Leitbild- und Leitzielformulierungen im Rahmen der Verwaltungsreform in den neunziger Jahren bis zu den gegenwärtigen kommunalen kulturellen Planungsansätzen. Angesichts der aktuellen Herausforderung und einer neuen Phase der Reflexivität, vor denen Kulturpolitik durch die verschiedenen Veränderungen gestellt ist, kommt den Ansätzen kultureller Planung auf der kulturpolitischen Agenda wieder eine gewachsene Bedeutung zu. Kulturpolitik wird dabei allerdings in Zukunft nicht mehr das „große Projekt“ sein können, in dem sich grundlegende gesellschaftspolitische und ethisch-normative Zielsetzungen bündeln lassen, wie es zumindest teilweise der Anspruch der Neuen Kulturpolitik der siebziger und achtziger Jahre war. Aber sie ist aus konzeptionell-programmatischen und aus konkret-praktischen Gründen gezwungen, sich darüber zu verständigen, mit welchen Zielen Kulturpolitik betrieben werden soll, welche Strukturen dafür angemessen und zu finanzieren sind und welche Schwerpunkte gesetzt werden sollen – und dafür sind Kulturplanungen ein sehr brauchbares Instrument.
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Blick zurück auf frühere kulturelle Planungen
Der kulturelle Sektor wurde in der Bundesrepublik erst spät ein Gegenstand von Planung. Erst im Zusammenhang mit den kulturpolitischen Reformen der Neuen Kulturpolitik in den siebziger und frühen achtziger Jahren begann die Erarbeitung von Kulturentwicklungsplanungen. Diese neue kulturpolitische Entwicklung war Teil der allgemeinen gesellschaftlichen Veränderung in diesen Jahren, mit denen versucht wurde, die Modernisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft unter anderem durch eine stärkere Planung politischer Prozesse voranzutreiben. In vielen gesellschaftlichen Feldern wurde die bis dahin oft reaktive Politik der Nachkriegs- und Wirtschaftswunder-Jahre durch eine aktive, gestaltende Politik abgelöst, die sich auch
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durch neue politische Steuerungs- und Planungsinstrumentarien auszeichnete. Teilweise gab es im Zuge der damaligen Planungseuphorie sogar Versuche einer gesamtgesellschaftlichen Planung auf Landesebene wie der „Große Hessenplan ‘Hessen ’80’“7. Die Ansätze im Kulturbereich waren anfangs eng mit der Reform des Bildungswesens und entsprechender Planungen verbunden. In der für die weitere kultur- und bildungspolitische Entwicklung zentralen Erklärung des Deutschen Städtetages von 1973 „Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung“ wird an oberster Stelle der „vordringlichen Maßnahmen“ festgestellt: „Bildung und Kultur sind Zentralbereiche kommunaler Planung.“ (Deutscher Städtetag 1973: 174) Mit dem „Ergänzungsplan Musisch-kulturelle Bildung“ der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung von 1977 war auch bei den Bildungsplanungen auf Bundesebene ein Teil der kulturellkünstlerischen Arbeit Gegenstand der Planungsvorhabens geworden. Auf Landesebene gab es in einigen Bundesländern in dieser Zeit spartenbezogene Planungsdiskussionen, etwa im Bibliotheks- und Museumsbereich, die auch teilweise in einzelne Landespläne mündeten, und andere, die nach heftigen Protesten scheiterten, wie die Versuche von Theatergesamtplanungen auf Landesebene in Hessen und Nordrhein-Westfalen. In Nordrhein-Westfalen waren die „Vorschläge für eine Strukturveränderung der Theater und Orchester“ Teil des 1973 vorgelegten gemeinsamen Strukturplans für die Bibliotheken, Museen, Orchester und Theater. Die meisten Ansätze kultureller Planungen auf Bundes- und Landesebene in den siebziger Jahren scheiterten aber als konkrete Planungsvorhaben entweder an fehlenden Kompetenzen oder am Widerstand der kulturellen Akteure. Gleichwohl beeinflussten sie die kulturpolitischen Diskussionen der damaligen Zeit in erheblichem Maße. Folgenreicher waren kulturelle Planungen auf kommunaler Ebene. Mit dem Konzept einer „Kulturentwicklungsplanung“ wurde hier eine neue Entwicklung kulturpolitischer Arbeit eingeleitet, die bis heute fortwirkt. Die Überlegungen und praktischen Ansätze zur Kulturentwicklungsplanung waren gedacht als eines der zentralen Instrumentarien zur Umsetzung der Reformen der Neuen Kulturpolitik. Dabei galt Kulturentwicklungsplanung als übergreifende Klammer, die „Kooperationen stiften, Koordination der Aktivitäten ermöglichen und – vor allem – den Zielfindungsprozess demokratisch organisieren“ sollten.8 7 Siehe zur kulturellen Planung in den vergangenen vier Jahrzehnten ausführlicher Wagner 2008, auf den sich in diesem Abschnitt gestützt wurde, sowie Morr 2001 und Richter 1998. 8 Siehe hierzu beispielsweise die Tagungen zur Kulturentwicklungsplanung der Universität Bielefeld in Kooperation mit der Kulturpolitischen Gesellschaft 1977, 1979 und 1981, bei denen die ersten Ansätze von kommunaler Kulturplanung vorgestellt und diskutiert sowie Anforderungen und theore-
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In einigen großen Städte wie unter anderem in Bremen (1980/83), Göttingen (1985), Nürnberg (1977) und Osnabrück (1979) sowie in Mittelstädten wie beispielsweise in Unna (1978), Bergkamen (1981) und Schwerte (1981) gab es Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre Ausarbeitungen zur Bestandsaufnahme und zur gezielten Weiterentwicklung der kulturellen Infrastruktur im Sinne einer Kulturentwicklungsplanung. Der Kulturentwicklungsplan der Stadt Osnabrück von 1979 war der erste, der in einer bundesrepublikanischen Großstadt als verbindliche Arbeitsgrundlage von der Kultur- und Kommunalpolitik verabschiedet worden war und beispielgebend für viele weitere Planungsvorhaben wurde. Seit dieser Zeit hat sich ein allgemeines Verständnis davon herausgebildet, was mit Kulturentwicklungsplanung gemeint ist, auch wenn sich seither ihre konkreten Ausformungen verändert und weiter entwickelt haben. Mit der ersten Hälfte der achtziger Jahre hatte das allgemeine kulturpolitische Interesse an Kulturentwicklungsplanung nachgelassen und war durch andere Orientierungen verdrängt worden. In dieser Zeit löste sich Kulturpolitik schrittweise von inhaltlich-programmatischen Vorstellungen der Neuen Kulturpolitik der siebziger Jahre, und Kultur wurde zunehmend als Standort-, Imageund Wirtschaftsfaktor mit Kompensations- und Sinnstiftungsfunktionen betrachtet. Hinzu kam ein Planungsmisstrauen, das durch gesellschaftliche Entwicklungen wie das offensichtliche Scheitern politischer Regelungen etwa bei der ökologischen Krise und die Verstetigung ökonomischer Krisenerfahrungen hervorgebracht worden war. Der Zerfall der „realsozialistischen“ Staaten Mittel- und Osteuropas hat zudem Hoffnungen auf die Wirksamkeit von Planungen zusätzlich unterminiert. Allerdings lässt sich Ende der achtziger und mit Beginn der neunziger Jahre auch ein neues Interesse an Kulturentwicklungsplanung feststellen und die Zahl der Planungsprozesse stieg wieder an. Dabei wurden Ansätze der siebziger und frühen achtziger Jahre aufgegriffen und auf ihre Praktikabilität für die veränderten Rahmenbedingungen und neue Aufgabenstellungen überprüft, modifiziert und praktisch umgesetzt, beispielsweise in Großstädten wie Ludwigshafen (1989), Osnabrück (1991) und Kassel (1993) oder in Klein- und Mittelstädten wie Ahlen (1988), Bad Nauheim (1991), Beckum (1994) und Kaarst (1995).9 Dieses erneute Aufgreifen, das unter anderen Bedingungen und mit teilweise anderen Zielsetzungen stattfand, war eng verknüpft mit der Krise der öffentlichen Haushalte und der Verwaltungsreform. Sowohl die finanzielle Krise der Kulturhaushalte als auch die strukturelle Krise der Kulturinstitutionen und Kulturverwaltung hatten in dieser Zeit die Notwendigkeit einer erneuten kulturpolititische Rahmenbedingungen hierfür formuliert worden waren; Kulturpolitische Gesellschaft 1977, 1979, 1982. 9 Vgl. hierzu die synoptische Übersicht einiger damaliger Planungen in Wagner 1997.
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schen Zieldiskussion deutlicher als je zuvor ins Bewusstsein gerückt. Erst wenn kulturpolitische Ziele definiert sind – so die Überzeugung –, kann darüber gestritten und entschieden werden, welche Prioritäten gesetzt werden sollen, wo gespart werden muss und worauf eventuell verzichtet werden kann. Ohne definierte und diskutierte kulturpolitische Ziele lassen sich weder die Wirtschaftlichkeit erhöhen noch die Strukturen effektivieren und vereinfachen. Durch die damals angestoßene Verwaltungsreform bekamen die Diskussionen über Zielsetzungen und Planungen kultureller Prozesse einen neuen Impuls. Ein zentraler Bestandteil dieser Verwaltungsmodernisierung besteht in der Erarbeitung von Leitlinien, Leitzielen, Leitbildern sowie von Produktplänen und Leistungsbeschreibungen der Kultureinrichtungen und der Kulturverwaltung. In diesem Aufgabenprofil der Verwaltungs- und Politikreform ist eine Reihe von Elementen der Kulturentwicklungsplanung enthalten, die in einen neuen Kontext gestellt werden. Aus allgemeinen Leitzielen oder Leitlinien folgen beispielsweise operative Ziele oder Handlungen und können konkrete Aktivitäten abgeleitet werden. Aus dem „Wohin“ folgt das „Was“ und das „Wie“. Für Kultureinrichtungen sowie für die Kulturpolitik insgesamt ist es – so eine zentrale Grundannahme der Kulturverwaltungsreform – sinnvoll und notwendig, Ziele und Leitlinien der Arbeit zu formulieren, um sich darüber zu verständigen, was gewollt wird, und um die Angebote und Aktivitäten daran auszurichten. Frühe Beispiele solcher Leitzielprozesse sind unter anderem die Erarbeitung des Produktkatalogs des Amts für Kultur und Freizeit in Nürnberg, die Leitbildund Leitlinienentwicklung des Amts für Kultur und Museen der Stadt Osnabrück und die Leitliniendiskussion durch das Kulturdezernat in Essen. (Siehe hierzu beispielsweise Scheytt/Kersten 2000) Im Rahmen des Umbaus der kulturellen Infrastruktur in den ostdeutschen Bundesländen kam es ab Mitte der neunziger Jahre hier, besonders im Zusammenhang mit der Entwicklung der Landeskulturpolitik in Sachsen und Brandenburg, zu einem fast flächendeckenden Prozesse der Arbeit an Kulturentwicklungsplanungen. Insgesamt waren die Planungen ab der zweiten Hälfte der neunziger Jahre so vor allem gekennzeichnet durch einerseits einen Abschied von sehr konkreten und tief reichenden Handlungsvorschlägen, andererseits das Eingehen auf neue finanzpolitische und gesellschaftliche Herausforderungen sowie zum dritten durch eine engere Verknüpfung von kommunaler und Landeskulturpolitik wie besonders in Sachsen und Brandenburg.
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Eine neue Phase der Reflexivität und kulturellen Planung
Nach der Jahrhundertwende hat das längere Zeit von nicht Wenigen in der Kulturpolitik als antiquiert angesehene Konzept von Kulturentwicklungsplanung eine neue Beachtung gefunden. In einer Reihe von größeren und mittleren Städten sind Prozesse angestoßen worden, die Kulturentwicklungsplanungen mit Leitzieldiskussionen im Rahmen einer Neuausrichtung der Kulturpolitik angesichts neuer Herausforderungen an kommunale Kulturpolitik verbinden. Hierzu zählen unter anderen Freiburg, Köln, Gütersloh, Leverkusen, Dresden, Hoyerswerda, Oldenburg und Erlangen. (Siehe als Beispiele Könneke 2007 und Bögner 2007). Die gegenwärtigen kulturellen Planungsprozesse unterscheiden sich nicht nur in ihrer konkreten Ausgestaltung und der Herangehensweise von denen früherer Jahre, sondern auch in ihrem kulturpolitischen Charakter. War in den siebziger und frühen achtziger Jahren die Kulturentwicklungsplanung ein Mittel zur Umsetzung der Ziele der kulturpolitischen Reformen der damaligen Zeit und Teil eines innovativen Modernisierungsprozesses, so trat dieser „Entwicklungsaspekt“ Ende der achtziger und in den neunziger Jahren hinter den „Strukturierungsaspekt“ im Rahmen begrenzter und teilweise gekürzter Ressourcen zurück, wie Kurt Eichler diesen Unterschied beschreibt (Eichler 2006: 331). Heute ist kulturelle Planung wieder stärker durch einen „Entwicklungscharakter“ geprägt. Anders als früher geht es hierbei aber nicht um den Ausbau entlang einer neuen kulturpolitischen Programmatik, sondern um die Unterstützung und Gestaltung des Prozesses der Neuorientierung der Kulturpolitik angesichts der Herausforderung durch den gesellschaftlich-kulturellen Wandel, die veränderte Stadtwirklichkeit und die strukturellen wie finanziellen Probleme der Kultureinrichtung. Dabei wird die Analyse der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in einem weitergehendem Maße einbezogen und werden strukturelle Veränderungen der Kulturförderung und der Kulturinstitutionen angestrebt. Leitfragen solcher kulturellen Planungsprozesse sind die zentralen Fragen gegenwärtiger Kulturpolitik:
Entlang welcher inhaltlichen Vorstellungen findet gegenwärtige Kulturpolitik statt beziehungsweise sollte sie stattfinden? Wie finden die veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit und die gewandelten kulturellen Interessen der Menschen darin Eingang? Worin besteht der „öffentliche Auftrag“ der Kulturförderung? Was gehört zur „kulturellen Grundversorgung“, die unberührt bleiben soll? Welche neuen Verbindungen und Kooperationen zwischen öffentlichen, privaten und freien Trägern sind möglich und sollten angestrebt werden?
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Der Weg einer Verständigung über diese und andere Fragen kulturpolitischer Neuorientierung geht über die Erarbeitung eines Kulturkonzeptes, von Leitlinien und Leitbildern kommunaler Kulturpolitik sowie die Auseinandersetzung darüber in der Stadtöffentlichkeit und besonders mit den unterschiedlichen kulturellen Akteuren in der Stadt hinaus. Gegenstand eines solchen Planungsprozesses sind alle drei Sektoren der Kulturlandschaft, wobei die Gestaltungsmöglichkeit sich auf den kommunal-staatlichen Bereich bezieht. Der privatwirtschaftliche und frei-gemeinnützige sowie besonders die in den vergangenen Jahren gewachsene Zahl von Übergängen und Verbindungen gehören aber in die Betrachtungen und Zielformulierungen einbezogen. Zudem kommt es darauf an, dass die Arbeit daran als ein kommunikativer und kooperativer Prozess und nicht als einmaliger Akt der Erstellung eines Papiers begriffen wird, das dann schneller in der Schublade verschwindet als es erarbeitet wurde – wie es mit manchen früheren Kulturentwicklungsplanungen geschehen ist. Eine solche konzeptionelle Verständigung darüber,
mit welchen Zielen in der Kommune und im Land Kulturpolitik betrieben wird beziehungsweise betrieben werden soll, welche Strukturen dafür angemessen und finanzierbar sind und welche Schwerpunkte gesetzt werden sollen,
bildet eine gute Grundlage für kulturpolitisches Handeln, das gegenwärtigen und zukünftigen finanziellen und gesellschaftlichen Herausforderungen sowie veränderten kulturell-künstlerischen Bedingungen gerecht werden kann. Kulturelle Planungen im Rahmen einer kooperativen Kulturpolitik sind auch Instrumente eines „strategischen Kulturmanagements in Zeiten knapper werdender öffentlicher Mittel und neuer Partnerschaften zwischen öffentlicher Hand, Privatwirtschaft und so genanntem Dritten Sektor“ (Klein 2003: 208) und können nur funktionieren, wenn sie als integrierte Planungen unter Einbeziehungen aller kulturell-künstlerischen Bereiche sowie anderer Felder der Stadtpolitik wie Jugend-, Bildungs-, Sozial-, Stadtmarketing und Wirtschaftspolitik konzipiert sind. Der wesentliche Unterschied zu früheren Planungsprozessen besteht darin, dass heute nicht mehr von kulturellen Institutionen aus gedacht wird beziehungsweise werden sollte, sondern von der städtischen Kulturlandschaft als Ganzes. Kulturpolitische Planungs- und Neuorientierungsprozesse sind von dem sozialen Gebilde Kommune als Ort der Integration und Partizipation, des innergesellschaftlichen Dialogs, des Aushandelns von Interessen und Austarierens von Widersprüchen aus zu denken. Dieser Diskurs des Städtischen, den es seit einigen Jahren wieder verstärkt gibt, wird von der Kultur- wie der gesamten Kommunal-
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politik noch zu wenig mit geführt und schlägt sich kaum in praktischer Politik nieder.
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Literaturverzeichnis
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Aktivierendes Kulturmanagement Oliver Scheytt 1 2 3 4 5 6 7 8
Kultur und Management Programmatik für den öffentlichen Kulturbetrieb Steuerungsmechanismen Zielvereinbarungen Zielperspektiven, Reichweiten und Verantwortlichkeiten Kulturpolitische Leitlinien Zehn Thesen zum Leitbild eines „aktivierenden Kulturmanagements“ Literaturverzeichnis
Die folgende kleine Begebenheit zeigt, wozu Kulturmanagement fähig ist: Da steigt ein Manager ins Taxi. Der Taxifahrer fragt: „Wo wollen Sie denn hin?“ Der Manager antwortet: „Ist egal –ich werde überall gebraucht!“ Zwei Schlussfolgerungen für das Kulturmanagement liegen auf der Hand: Erstens ist Kulturmanagement immer und überall gefragt. Zweitens wird ein Kulturmanager ohne ein wirkliches Ziel zur Witzfigur. Wie gefragt Kulturmanagement ist, zeigt sich schon allein daran, dass es inzwischen eine Fülle von Studiengängen zum Kulturmanagement gibt, während in Deutschland erst vor gerade einmal zwanzig Jahren der erste begründet wurde. Kulturmanager werden inzwischen in einer vermehrten Fülle von Berufsfeldern gefordert und eingesetzt. Zudem ist die Fachliteratur in hohem Maße angewachsen.1 Antworten auf die wichtige Fragestellung nach der Zukunft des Kulturmanagements bedürfen daher einer verstärkten Reduktion von Komplexität: In diesem Beitrag wird der Blick auf das Kulturmanagement in öffentlichen Kulturbetrieben gelenkt, um aus dem Leitbild einer „Aktivierenden Kulturpolitik“2 Schlussfolgerungen für ein „Aktivierendes Kulturmanagement“ zu ziehen. Demzufolge geht es in diesem Beitrag um die programmatische Ausrichtung öffentlicher Kultureinrichtungen, zeitgemäße Steuerungsmechanismen und die Vereinbarung von Zielen und Leitlinien. Am Ende werden zehn Thesen zum Leitbild eines aktivierenden Kulturmanagements formuliert. 1 Ein guter Überblick zur Literatur und zur Entwicklung der – inzwischen über 80 – Studiengänge findet sich bei Klein, 2008: 1ff. 2 Dazu näher Scheytt 2006.
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Aktivierendes Kulturmanagement Kultur und Management
Der Begriff „Management“ stammt ursprünglich aus dem Zusammenhang der Betriebswirtschaftslehre, wobei es im Kern um eine (verbesserte) Betriebsführung geht, also darum, alle Ressourcen, die zur Verfügung stehen, insbesondere Personal und Finanzen, zielorientiert einzusetzen. Letztlich geht es dabei um eine optimale Steuerung des Betriebes durch Zielsetzungen, Planung, Organisation, Führung und Kontrolle. Beim Kulturmanagement geht es folgerichtig insbesondere um die Steuerung von und in Kulturbetrieben, nicht um die Steuerung der Kultur schlechthin. Dem Kulturmanagement liegt daher zunächst eine ökonomische Erfassung kultureller Steuerungs-, Produktions- und Wirkungsprozesse zugrunde. Diese ökonomische Betrachtung des Kultursektors hat zu einer Karriere des Begriffs „Kulturbetrieb“ geführt, mit dem zum einen jede einzelne Institution wie beispielsweise ein Museum, ein Theater oder Orchester bezeichnet werden kann. Der Kulturbetrieb wird dann als eine organisatorische Einheit gesehen, in der etwas produziert oder zur Schau gestellt wird.3 Mit „Kulturbetrieb“ bezeichnet man aber auch die Gesamtheit aller solcher Einzelbetriebe. Dann handelt es sich um einen Gattungsbegriff, der die Summe aller institutionellen Erscheinungsformen von Kultur umfasst. Eine entscheidende Erkenntnis ist dabei: Kulturmanagement erstreckt sich auf die gesamte „kulturelle Wertschöpfungskette“,4 diese hat sowohl für den öffentlichen Kulturbetrieb als auch für den privaten und kommerziellen Kulturbetrieb in gleicher Weise Bedeutung. Das professionelle Kulturmanagement greift auf Erkenntnisse der Betriebswirtschaft zurück, Methoden des Marketing, des Controlling, der Führung und Organisation etc. Ziel ist es dabei einen „exzellenten Kulturbetrieb“ zu generieren, der sicherstellt, dass die eingesetzten Mittel optimal verwendet werden.5 Bei einer rechtlichen und ökonomischen Differenzierung der Praxis des Kulturmanagements schälen sich drei verschiedene Grundformen des Kulturbetriebes heraus. Diese sind durch unterschiedliche Akteure, Zielsetzungen und Finanzierungsformen gekennzeichnet:6 Der öffentlich-rechtliche, der privatrechtlich-gemeinnützige und der privatrechtlich-kommerzielle Kulturbetrieb.7 In Form des öffentlich-rechtlichen Kulturbetriebes werden die Kulturinstitutionen und Kulturämter von Bund, Ländern und Kommunen und die Einrichtungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks organisiert. Solche Kulturbetriebe sind organisationstechnisch der Verwaltungshierarchie einer Behörde zugeordnet und 3
Heinrichs 2006: 13. S. dazu näher Deutscher Bundestag 2007: S. 347ff. 5 Siehe dazu das exzellente Standardwerk von Armin Klein mit diesem Titel. 6 Vgl. dazu Heinrichs 1999: Rn 59ff. 7 S. im einzelnen Scheytt 2005: 17ff., 122ff. 4
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unmittelbar von der politischen Willensbildung eines parlamentarischen Gremiums (z.B. Landtags) oder eines Selbstverwaltungsorgans (z. B. Gemeinderat) abhängig. Sie unterstehen finanztechnisch den Vorschriften der öffentlichen Verwaltung. Die Willensbildung ist an politischen Zielen, nicht an möglichen Profiten orientiert. Grundsätzlich gilt, dass Ausgaben solcher Kulturbetriebe, die nicht aus Selbsterwirtschaftungseinnahmen gedeckt werden können, aus allgemeinen Deckungsmitteln öffentlicher Haushalte finanziert werden. Der privatrechtlich-gemeinnützige Kulturbetrieb ist ebenfalls nicht auf Profit ausgerichtet, sondern auf die Erbringung bestimmter kultureller Leistungen. Wichtigste Rechtsformen für eine solche Einrichtung sind Verein, Stiftung oder gemeinnützige GmbH. Regelmäßig sind die Ziele und Zwecke beim Gründungsakt der Einrichtung vereinbart und in der Vereinssatzung, im Stiftungsgeschäft oder dem Gesellschaftsvertrag festgehalten. Der privatrechtlich-gemeinnützige Kulturbetrieb ist in seiner Entstehung, Finanzierung und Willensbildung außerordentlich facettenreich: So kann eine von einem eingetragenen Verein getragene Musikschule sowohl aus bürgerschaftlicher Initiative entstanden oder auch von einer Kommune selbst gegründet worden sein. Seine Einnahmen können weitgehend aus privaten Quellen stammen oder auch überwiegend aus dem kommunalen Haushalt. Schon daraus ergibt sich, dass diese Betriebsform in besonderer Weise geeignet ist, öffentliches und privates Engagement rechtlich/organisatorisch zu verknüpfen. Wesentliches Kennzeichen für den privatrechtlich-gemeinnützigen Kulturbetrieb ist der vom Finanzamt anerkannte Status der Gemeinnützigkeit. Der privatrechtlich-kommerzielle Kulturbetrieb ist auf Gewinnerzielung ausgerichtet, also als ein Wirtschaftsunternehmen anzusehen, das ein kulturelles Produkt erstellt. Diese Kulturbetriebe prägen die Kulturwirtschaft. Von einzelnen Programmen abgesehen, bei denen die öffentliche Hand eine Anschubfinanzierung oder sonstige Vergünstigungen (etwa Räume, kostenlose Publikationen) gewährt, sind diese Kulturbetriebe dadurch gekennzeichnet, dass sie ihre Kosten aus den Erträgen ihres Betriebes erwirtschaften. Die Kulturwirtschaft ist durch kleine und mittelständische Betriebe gekennzeichnet, die vielfach örtliche Bezüge haben wie Musikalienhandlungen, Buchhandlungen, Musikinstrumentenhersteller, Kunsthändler, Konzert- und Ausstellungsagenturen, Musicaltheater und Kinos. Doch wird die Kulturwirtschaft insbesondere in der Verlags- und Musikwirtschaft auch durch nationale und internationale Großkonzerne mitbestimmt. Die größten Umsätze und die meisten Arbeitsplätze des gesamten kulturellen Lebens sind in der Kulturwirtschaft zu verzeichnen.8 Die Kulturpolitik und das
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Vgl. Deutscher Bundestag 2007: 292ff., 333ff.
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Kulturmanagement der öffentlichen Hand tragen dazu bei, ein kulturelles Klima zu schaffen, in dem Kulturwirtschaft gedeihen kann. Kulturmanagement findet in allen drei Sektoren von Staat, Markt und Zivilgesellschaft/Drittem Sektor statt. Doch unterscheiden sich die kommerziellen Kulturbetriebe von den anderen dadurch, dass sie auf die Erzielung von (finanziellen) Gewinnen ausgerichtet sind. Die Zielsetzung öffentlicher Kulturpolitik ist hingegen zunächst nicht eine Gewinnmaximierung. Vielmehr zielt Kulturpolitik mit der Errichtung, Erhaltung und Förderung von Kulturbetrieben – auch solchen des gemeinnützigen Sektors – auf die Erfüllung eines öffentlichen Auftrages: auf den Schutz und die Förderung von Kunst und Kultur. Im Sinne einer „aktivierenden Kulturpolitik“ geht es dabei aber auch darum, Wechselwirkungen zwischen den drei Sektoren von Staat, Markt und Zivilgesellschaft auszulösen.9 Dies geschieht auch in der Erkenntnis, dass die „kulturelle Infrastruktur“ keineswegs nur von der öffentlichen Hand alleine verantwortet und gestaltet wird, sondern Staat, Markt und Zivilgesellschaft jeweils ganz erheblichen Anteil daran haben und in vielfältigen Verantwortungspartnerschaften untereinander diese Infrastruktur aufgebaut haben und betreiben. Dem Staat wird bei seinem Zusammenwirken mit Anderen dabei seine Gewährleistungspflicht nicht komplett abgenommen, vielmehr bleibt er in der Grundverantwortung zur Sicherung der kulturellen Infrastruktur. Doch er kann die anderen Partner zur Übernahme von Verantwortung und eigenen Beiträgen zum Erhalt und Ausbau der Infrastruktur aktivieren.10
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Programmatik für den öffentlichen Kulturbetrieb
Aus alldem wird deutlich, dass es einer integralen Sicht von Kulturpolitik und Kulturbetrieb bedarf, um die Gesamtheit der Steuerung und Leitung von öffentlichen Kultureinrichtungen zu erörtern, da diese nicht nur an kommerziellen Zielen ausgerichtet sind, sondern einen öffentlichen Auftrag erfüllen und zudem im Wechselbezug zu gemeinnützigen und kommerziellen Kulturbetrieben stehen.11 Aus dem Grundgesetz, den Länderverfassungen und den Gemeinde- und Kreisordnungen ergibt sich ein öffentlicher Kulturgestaltungsauftrag.12 Im politischen Diskurs ist eine Programmatik festzulegen, aus der sich die Ziele für das Mana9
Näher dazu Deutscher Bundestag 2007: 84ff., 195ff. Deutscher Bundestag 2007: 86. Das als Loseblattwerk erscheinende Werk von Friedrich Loock und Oliver Scheytt, Kulturmanagement und Kulturpolitik verfolgt diese integrale Sicht und wird durch 4 Ergänzungslieferungen pro Jahr fortlaufend aktualisiert. 12 Scheytt 2008: 183ff., 201. 10 11
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gement der jeweiligen Kulturinstitution ergeben. Dabei gibt es für die einzelnen Kultureinrichtungen wie Theater, Museen, Musikschulen, Orchester, Bibliotheken etc. bereits durch deren jeweiligen öffentlichen Auftrag konstituierte grundsätzliche Vorgaben: So hat ein Museum den Auftrag, zu sammeln, zu bewahren, zu erforschen und zu präsentieren.13 Die jeweilige Auftragslage sollte durch eine kulturpolitische Diskussion mit dem Ziel konkretisiert werden, politische Vorgaben für die Aufgabenwahrnehmung herauszuarbeiten. So könnte etwa geklärt werden, welche Substanz die „kulturelle Grundversorgung“ als Element der öffentlichen Aufgabe „kulturelle Bildung“ hat und wie diese in der örtlichen Musikschule, Jugendkunstschule oder Bibliothek zum Tragen kommt.
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Steuerungsmechanismen
Um die Programmatik für öffentliche Kulturbetriebe zu entwickeln und umzusetzen, bedarf es Steuerungsmechanismen, die im Sinne eines „Netzwerkmanagements“ auf die Steuerung und Ausbalancierung in komplexen Strukturen ausgerichtet sind.14 Denn immer mehr wird bewusst, dass gerade im Kultursektor die öffentliche Hand nicht alleine agiert und auf eine Kulturpolitik und ein Kulturmanagement im Zusammenwirken mit sehr vielfältigen Akteuren und Initiatoren sich einrichten und auch setzen sollte. In diesem Sinne stehen die vier „K“ der Kulturpolitik –Kooperation, Koordination, Konsensfindung und Kommunikation –leitmotivisch für das Konzept einer Kulturpolitik im „aktivierenden Kulturstaat“, mit dem neue Steuerungsoptionen verbunden sind.15 Kooperation zielt darauf ab, Ressourcen zusammenzuführen. Kooperation hat einerseits mit Vertrauen, andererseits aber auch mit Ökonomie und der ihr zugrunde liegenden Tauschlogik zu tun. Kooperation wird häufig als Gegenpol zum Wettbewerb (cooperation versus competition) dargestellt. In der ökonomischen Realität liegt jedoch häufig eine Mischung aus beiden vor: Im Einverständnis –kooperativ –werden die Grundregeln abgesteckt, innerhalb derer sich der Wettbewerb abspielt. Koordination meint den Versuch, die differenten Auffassungen und Programme der kulturpolitischen Akteure sowohl in inhaltlicher als auch in finanzieller Hinsicht aufeinander zu beziehen. In einem weiteren Sinne geht es auch darum, die spezifischen „Handlungslogiken“ und „Rationalitätsmuster“ der Sektoren Markt (Preis/Wettbewerb), Verwaltung (Anordnung/Loyalität), Politik
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Scheytt 2005: Rn 41ff., 44. S. dazu auch Scheytt 2005: 158ff. Meine Argumentation folgt hier Sievers 1990.
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(Konsens/Dissens; Rechts/Links) und Kulturszene (Kreativität/Wunsch nach Unterstützung) aufeinander abzustimmen. Konsensfindung hat mit der Einsicht zu tun, dass es umso schwieriger ist, Kulturpolitik als Gesamtprojekt zu formulieren, je mehr Akteure sich an ihr beteiligen. Faktisch ist Konsens immer weniger ein Gut, das sich allein über den Wahlakt oder die Formulierung und Kommunikation kulturpolitischer Programme herstellen ließe. Konsens setzt vielmehr einen dauerhaften sachbezogenen Dialog der Beteiligten voraus. Kommunikation ist das entscheidende Medium der kulturellen Öffentlichkeit. Kulturelle Öffentlichkeit entsteht also durch und in Kommunikation. Nicht nur die Kulturakteure werden durch Kommunikation angesprochen und motiviert. Auch die Kulturbürger werden mittels Kommunikation dazu bewegt, sich mit Kultur auseinander zu setzen, Veranstaltungen zu besuchen etc. Kommunikation ist auch grundlegende Voraussetzung für die Gewinnung von Mehrheiten bei politischen Entscheidungsträgern. Auf die Partner im kulturellen Feld ist kommunikativ einzugehen. Kommunikative Fähigkeiten sind notwendig, um im Netzwerk Kulturpolitik und im Sinne eines „aktivierenden Kulturmanagements“ zu interagieren, sich darzustellen und bekannt zu machen. Für die meisten Kulturinstitutionen und –administrationen ist das heute selbstverständlich. Dennoch gibt es weiterhin etliche, für die Transparenz und Präsenz vor Ort Fremdworte sind. Behördenmentalität und die nachgerade sprichwörtliche „Ein-Weg-Kommunikation“ müssen überwunden werden. Besondere Anforderungen sind an die Kommunikation mit Künstlerinnen und Künstlern zu stellen. Kunst ist geprägt von der Eröffnung völlig neuer Kommunikationsmöglichkeiten und -weisen. Die Eigengesetzlichkeiten künstlerischer Kommunikation und ihre Vielgestaltigkeit bedürfen eines besonders behutsamen und sensiblen Umganges. Durch eine entsprechend qualifizierte Kommunikation entsteht Transparenz und Nachvollzug bei allen am Kulturprozess sowie dessen Förderung und Sicherung Beteiligten. Kommunikation aktiv zu gestalten, ist daher durchgängige Aufgabe für ein qualifiziertes aktivierendes Kulturmanagement. Kooperative Arrangements können zerbrechen, wenn ein Partner sich zurückzieht. Deshalb ist zu überlegen, welche Aufgaben und Einrichtungen im Kulturbereich dieser Logik anzuvertrauen sind und wie ein Kooperationsversprechen gewährleistet und vertraglich gesichert werden kann. Ohne Frage erwachsen aus diesen Unwägbarkeiten neue Anforderungen an das Kulturmanagement. Ein kulturpolitischer Befund ist daher: Die Vielfalt der Träger und Akteure sowie der Kulturen erfordert angesichts jeweils unterschiedlicher ästhetischer Produkte und gesellschaftlicher Prozesse eine Verständigung über das Programm, das verfolgt werden soll, durch intersubjektive Verfahren.
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Dafür bietet sich eine möglicherweise auch in der Öffentlichkeit stattfindende oder reflektierte diskursive Auseinandersetzung auf der Basis oder mit dem Ziel der Verabschiedung von kulturpolitischen Leitlinien.
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Zielvereinbarungen
Kulturpolitik und -management sollte mit Konzepten, Plänen, Zielen verbunden sein, denn plan- und zielloses Handeln führt auch in der Kultur nicht weiter. Ohne Ziele wird das Kulturmanagement zur reinen Betriebsamkeit. Kulturmanagement bedarf dabei vor allem dann einer partizipatorischen Ausrichtung, wenn es auf die Begründung von Verantwortungspartnerschaften abzielt: Hierfür bedarf es verlässlicher Absprachen und Prozesse, um die gemeinsamen Vorhaben und Entscheidungen nachvollziehbar und tragfähig zu machen.16 Kulturpolitische Ziele sind grundlegend für die inhaltliche Ausrichtung sowie die räumliche und zeitliche Orientierung des Kulturmanagements. Dieses umfasst die zielorientierte Steuerung von Leistungen in kulturellen Einrichtungen und Betrieben. Ziele sind damit Basis für alle Leitungsaufgaben von der Planung über die Organisation und die Führung des Personals bis hin zur Finanzierung der Kulturinstitution. Die umfangreichsten Zielkataloge finden sich in Kulturentwicklungsplänen, die sich vor allem seit den 80er Jahren als neuere Instrumente der Planung und Zielfindung etabliert haben, und als „Kür“ der kulturpolitischen Entscheidungen in den jeweiligen Städten gegolten haben.17 Von zentraler Bedeutung für die Führung von Verwaltungseinheiten und Betrieben im Kulturbereich sind dabei die Zielvereinbarungen zwischen den verschiedenen Hierarchiestufen einerseits und zwischen Politik und Verwaltung andererseits. Eine grundlegende Unterscheidung von unterschiedlichen kulturpolitischen Zielkatalogen lässt sich anhand folgender Einteilung vornehmen: Die langfristigen Rahmenvorgaben für die einzelnen Kultureinrichtungen sind meist dargestellt in ihren Aufgabenbeschreibungen, die oftmals Grundlage für die Errichtung der Einrichtung waren. Solche Aufgabenbeschreibungen finden sich auch in den Satzungen von Kultureinrichtungen wieder. Sie enthalten konstitutive kulturpolitische Zielkataloge mit Langfristperspektive. Kulturpolitische Leitlinien können die Funktion der Orientierung und Vereinbarung über das kulturelle Handeln in einer mittelfristigen Perspektive übernehmen. Bei den Leitlinien geht es um einen Grundkonsens zwischen den Ak16 17
Deutscher Bundestag 2007: 52. Vgl. dazu den Beitrag von Bernd Wagner in diesem Band.
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teuren und die kulturpolitische Ausrichtung der Arbeit in größeren Handlungsfeldern, also um Zielsetzungen mit meist strategischem Charakter. Daraus abgeleitet ergeben sich strategische und operative Ziele für das Handeln der Kultureinrichtung(en) in einer eher kurzfristigen Betrachtungsweise. Sie sind so gesetzt, dass sich ihre Erreichung in der Regel überprüfen lässt in zeitlicher, quantitativer und ggf. sogar qualitativer Hinsicht. Ein kulturpolitisches Steuerungssystem sollte demnach wie folgt aufgebaut werden:
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Auf der Grundlage eines Leitbildes für die Entwicklung eines Landes, einer Region, einer Kommune oder Kulturinstitution werden für die einzelnen Handlungsfelder Leitlinien entwickelt. Die kulturpolitischen Leitlinien entsprechen übergeordneten strategischen Zielen für ein Handlungsfeld und werden von dem höchstrangigen kulturpolitischen Gremium verabschiedet (z.B. Rat der Stadt). Aus diesen Leitlinien lassen sich schließlich auch die (jährlichen) Ziele für einzelne Organisationseinheiten und Produkte ableiten.
Zielperspektiven, Reichweiten und Verantwortlichkeiten
Wesentlich für ein ganzheitliches Zielsystem ist zunächst, dass nicht nur die finanzielle Entwicklung einer Organisationseinheit reflektiert wird, wie bei den Steuerungssystemen der Vergangenheit, sondern daneben auch weitere steuerungsrelevante Faktoren, wie z. B. Kunden-/Bürgerzufriedenheit, Mitarbeiter, Interne Prozesse und Innovation in den Zielbildungsprozess einbezogen werden. Es handelt sich dabei um Einflussfaktoren, die den Erfolg einer Organisationseinheit bestimmen.18 Für den Aufbau eines durchgängigen Zielsystems ist es erforderlich, sich auf Grundsätze und einen abgestimmten einheitlichen Zielbildungs- und vereinbarungsprozess zu verständigen. Bei der Zielbildung und Zielvereinbarung können und sollten folgende Grundsätze und Kriterien berücksichtigt werden:
zeitliche Dimensionen: Wie lange gilt das Ziel? Ist ein nur vorübergehendes Problem gegeben? Jahresziele/mittelfristige/langfristige Zielsetzungen
18 Diese Faktoren werden im Rahmen eines ganzheitlichen Zielsystems zu folgenden vier Dimensionen der so genannten „Balanced-Score-Card“ zusammengefasst und vereinheitlicht: 1. Kunde/Bürger 2. Finanzen 3. Personal und Geschäftsbetrieb 4. Innovationen und Entwicklung.
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räumliche Dimensionen: Gilt das Ziel nur für einen Stadtteil, für die Gesamtstadt oder hat es sogar regionale/überregionale Dimension? Ist es ein gesamtstädtisches Ziel? Zielverantwortliche: z.B. Kulturdezernent, Amtsleiterin. Zielverursacher: z. B. Ratsbeschluss, Gesetzliche Änderung extern Wirkung: Verbesserung des Angebotes interne Wirkung: z.B. Personaleinsparung.
All diese Sortierkriterien helfen bei der Zielbildung im Einzelnen, aber auch bei der Entwicklung, eines systematischen und damit für alle Beteiligten nachvollziehbaren und transparenten Zielsystems. Für den Zielbildungsprozess ergeben sich dabei folgende Aspekte: Die Erarbeitung der strategischen Ziele sollte in einem systematischen Prozess zunächst durch alle Führungskräfte der jeweiligen Organisationseinheit erfolgen. Die Formulierung der gemeinsam getragenen Ziele ist wesentliche Voraussetzung für die durchgängige Identifikation mit den Zielen sowie die gemeinsame Verantwortung zur Erreichung der Ziele. Die erarbeiteten Ziele je Dimension stehen in Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu anderen. Daraus ergibt sich, dass Zielkonflikte transparent gemacht bzw. aufgelöst werden oder beim Festlegen der Zielwerte Berücksichtigung finden. Kriterien für die Bildung von Zielen müssen strategische Bedeutung haben, vorhandene übergeordnete Ziele berücksichtigen bzw. ihnen nicht widersprechen, nach einem günstigen Aufwand/Nutzen-Verhältnis ausgewählt werden und konsistent ausgerichtet, steuerungsrelevant, eindeutig in ihrer Definition, fordernd, aber realistisch sowie messbar sein. Zielformulierungen sind also dann sinnvoll, wenn zeitliche Begrenzungen und qualitative und/oder quantitative Endpunkte gesetzt werden können. Hieraus folgt, dass keine Ziele zu formulieren sind, wenn dem Charakter nach Daueraufgaben, Qualitätsstandards oder Leitsätze gemeint sind. Dies macht eine Unterscheidung der (Entwicklungs-)Ziele von Rahmenbedingungen notwendig.
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Kulturpolitische Leitlinien
Warum handelt die Kommune gerade so, warum handelt sie nicht anders, welches Leitbild kommunaler Entwicklung liegt dem Handeln zugrunde? Diese Fragen sind zu beantworten, um einen grundlegenden kulturpolitischen Konsens zu stiften. Und die Antworten sollten von möglichst vielen Akteuren in der Kulturpolitik (mit-) getragen werden.
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Für die kommunale Kulturpolitik ist das folgende Modell idealtypisch: Im Rahmen eines öffentlichen kommunalen Diskurses wird das Leitbild für die zukünftige Entwicklung der Stadt ermittelt. Dabei geht es um eine gesamtstädtische Sicht und die Zusammenschau von so unterschiedlichen Feldern wie Jugend, Bildung, Sport, Stadtentwicklung, Soziales und Kultur. Ausgehend von diesem Leitbild werden Leitlinien für die einzelnen kommunalen Handlungsfelder entwickelt. Leitlinien haben Steuerungsfunktionen für die (Jahres-) Ziele, die Programme und Maßnahmen. Für Verwaltung und Politik bestehen die Hauptaufgaben der Leitlinien darin, Orientierung zu geben, ein gemeinsames Verständnis von den kulturpolitischen Aufgabenstellungen zu entwickeln und schließlich die strategischen Ziele zu klären und zu vereinbaren. Die Leitlinien bilden auf hohem Abstraktionsniveau somit den Rahmen kulturpolitischen Handelns. Unterhalb der Leitlinien werden auf der Ebene der Ämter und Institute zum einen die grundsätzlichen Aufgabenbeschreibungen (als „Zielsetzung“ bezeichnet) sowie die Produktziele beschrieben. Sicherzustellen ist dass zwischen den Leitlinien und den Zielen der Produkte in den einzelnen Ämtern und Instituten einer Kommune eine weitgehende Überstimmung oder mindestens eine weitgehende Widerspruchsfreiheit besteht. Nicht nur die Leitlinien selbst sind wichtig, sondern entscheidend ist auch der Weg zu den Leitlinien. Der Diskurs über den Leitlinientext innerhalb der kulturellen Öffentlichkeit kann ein neues Bewusstsein für die Bedeutung der Kultur und der kulturellen Entwicklung bei allen Akteuren des Kulturbereiches in Politik, Verwaltung, freier Szene, in der Bürgerschaft und bei den Medien schaffen. Auf dieser Basis kann sodann ein tragfähiger Konsens gestiftet werden.
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Zehn Thesen zum Leitbild eines „aktivierenden Kulturmanagements“
Es ist deutlich geworden, dass Kulturmanagement im öffentlichen Kontext durch ein System von kulturpolitischen Zielsetzungen und – vereinbarungen „programmiert“ wird und so einem öffentlichen Auftrag entsprechend ausgerichtet werden kann. Abschließend sollen zehn Thesen formuliert werden, die als ein Beitrag zu einem Leitbild für ein Kulturmanagement der Zukunft verstanden werden können, das mit dem Begriff „aktivierendes Kulturmanagement“19 charakterisiert werden kann.
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Zur „aktivierenden Kulturpolitik“ vgl. Scheytt 2006.
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Kulturmanagement für und in öffentlichen Kulturbetrieben bedarf kulturpolitischer Vorgaben und Zielsetzungen. Erforderlich ist heute eine programmatische Neubestimmung des Verhältnisses von Staat, Markt und Zivilgesellschaft, da alle drei Sektoren wesentliche Beiträge zum Kulturleben machen, die öffentlichen Kulturbetriebe also im Wechselspiel mit kommerziellen und gemeinnützigen stehen.20 Aktivierendes Kulturmanagement geht davon aus, dass die Lösung gesellschaftlicher Probleme und Herausforderungen nicht allein von der öffentlichen Hand verantwortet und bewirkt werden kann. Es will die „Problemlösungskapazitäten“ von Wirtschaft und Zivilgesellschaft nutzen und das dort vorhandene „Sozialkapital“ für eine Optimierung des Kulturangebotes aktivieren.21 Der öffentliche Gestaltungsauftrag ist im Kern darauf ausgerichtet, die kulturelle Infrastruktur und Grundversorgung zu garantieren und auszugestalten. Aktivierendes Kulturmanagement zielt auf ein Zusammenwirken von Staat, Markt und Zivilgesellschaft bei der Gewährleistung der kulturellen Infrastruktur im öffentlichen und gemeinschaftlichen Interesse. Dieses Zusammenwirken kann aus einem Neben- und Miteinander von rein staatlichen (Gesetzgebung zum Stiftungsrecht) bis hin zu rein zivilgesellschaftlichen Regelungsformen (Gründung einer privaten Kulturstiftung) bestehen. Die Programmatik, welche die kulturpolitischen Vorgaben für das Kulturmanagement enthält, lässt sich fundiert und wirkungsvoll insbesondere im Diskurs in und mit der kulturellen Öffentlichkeit entwickeln. Im Ergebnis handelt es sich dann um normative Entscheidungen, die immer wieder im Sinne einer Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik zu reflektieren sind. Insoweit kommt Kulturpolitik eine Vermittlerrolle innerhalb der Kultur- und Bürgergesellschaft zu. Das Individuum mit seinen kreativen und mentalen Kompetenzen sollte im Zentrum einer aktivierenden Kulturpolitik als Programmatik für ein aktivierendes Kulturmanagement stehen. Die medialisierte und globalisierte Kulturgesellschaft wird von kreativen Klassen geprägt, die nicht nur in öffentlichen Kultureinrichtungen, sondern in allen möglichen Institutionen und Unternehmen agieren. Sie sind mit dem klassischen Begriff des Bildungsbürgers ebenso wenig zu erfassen, wie die, die die öffentlichen Kulturangebote erst gar nicht wahrnehmen. Der vertieft zu entwickelnden Programmatik für die kulturelle Bildung sollte als Leitmotiv der mündige „Kulturbürger“
Dieser Gedanke durchzieht auch den Enquete-Schlussbericht, vgl. etwa Deutscher Bundestag 2007: 46, 51f., 86, 91ff., 195ff., 340ff. Jann/Wegrich 2004:193ff., 199.
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Aktivierendes Kulturmanagement zugrunde gelegt werden –ein aktiver Kulturbürger, der Kulturstaat und Kulturgesellschaft verantwortlich mitgestaltet. Kulturpolitik hat ein weites gesellschaftliches Wirkungsfeld, das es zu reflektieren gilt: Zum programmatischen Kontext von Kulturpolitik gehört die gesamte Kulturgesellschaft, die in ihrem Wandel kontinuierlich zu analysieren ist, um die konkrete Herausforderung und Auftragslage herauszuarbeiten, aus der heraus die kulturpolitischen Ziele für ein aktivierendes Kulturmanagement abzuleiten sind. Der Leitsatz „Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik“ ist immer wieder neu zu interpretieren, denn die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren zum Teil radikal gewandelt, insbesondere durch die Prozesse der Globalisierung, Medialisierung, Pluralisierung, Ökonomisierung und Individualisierung. Das Kulturmanagement in den öffentlichen Kultureinrichtungen erfasst mit den Betrieben in den Künsten und der kulturellen Bildung nur einen Ausschnitt dieses gesellschaftlichen Wirkungsfeldes. Daher wird es größere gesellschaftliche und individuelle Wirkungen angesichts begrenzter Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten nur dann entfalten, wenn es auf Wechselwirkungen setzt und kreative Allianzen mit anderen Partnern und Akteuren in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft begründet. Aktivierendes Kulturmanagement sollte daher dauerhaft wirkende Verantwortungspartnerschaften mit anderen Akteuren und Vereinigungen begründen, um im Zusammenwirken mit anderen zusätzliche Ressourcen für die Kultur freizusetzen. Auch die Steuerungsprozesse sind komplexen Änderungen unterworfen: Es lassen sich zunehmend Grenzüberschreitungen beobachten sowohl hinsichtlich räumlicher (regionale Kulturarbeit), funktionaler (Verflechtung der Kulturförderung zwischen verschiedenen staatlichen Ebenen, aber auch zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft) und sektoraler Grenzen (E- und U-Kultur, Medienkunst). Bei der Steuerung dieser komplexen Zusammenhänge geht es nicht nur um staatliche Rechtsetzung, vielmehr erfolgt Steuerung ganz entscheidend auch über die Verteilung von Finanzmitteln und die Aushandlung von Vereinbarungen zwischen den beteiligten Akteuren aus Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Lenken, Steuern und Koordinieren in und durch Kulturmanagement trifft heute auf eine komplexe Situation, auf die ein klassisch hierarchisches staatliches Handeln nicht die richtige Antwort wäre. Vor dem Hintergrund des (permanenten) Wandels der gesellschaftlichen Realitäten und einer immer wieder erneuerten Interpretation dieser Realitäten sowie eines Wandels der Rolle des Staates bedarf es eines veränderten und veränderungsfähigen
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Leitbilds für die Steuerung in Kulturpolitik und –management: Das „aktivierende Kulturmanagement“. 10. Aktivierendes Kulturmanagement funktioniert als „Cultural Governance“: Es nutzt die Gesamtheit der vielfältigen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Kulturinstitutionen in einem kontinuierlichen Prozess ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln, ihre unterschiedlichen Interessen ausgleichen und kooperatives Handeln initiieren. Das in den letzten Jahren verstärkt in den Politik- und Sozialwissenschaften, aber auch in der Verwaltungslehre entwickelte Governance-Konzept erfasst die vielfältigen Formen und Möglichkeiten eines aktivierenden Kulturmanagements. Es rückt kooperative Handlungsformen und die Rolle des Staates als Initiator, Moderator und Förderer von Netzwerken zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in den Mittelpunkt des Interesses: Die in der kulturpolitischen Praxis bewährten Formen der Interaktion und Kooperation, der Moderation und Verhandlung, der Konsensstiftung und Vereinbarung. Aktivierendes Kulturmanagement steuert nicht nur mittels personeller und finanzieller Ressourcen, sondern vor allem durch die Gestaltung von Relationen. Die wesentlichen Steuerungselemente des aktivierenden Kulturmanagements sind daher Koordination, Kooperation, Kommunikation und Konsens.
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Literaturverzeichnis
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Aktivierendes Kulturmanagement
Scheytt, Oliver (2008): Kulturverfassungsrecht – Kulturverwaltungsrecht. In: Klein (2008): 183-205 Sievers, Norbert (1990): Netzwerk Kulturpolitik. Begründungen und Praxisbeispiele. In: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 90 (III/2000): 31-37.
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Handlungsfelder
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Bürgerschaftliches Engagement
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Bürgerschaftliches Engagement – Bürger als Akteure der kommunalen Kultur und Ausblicke für das Kulturmanagement Bürgerschaftliches Engagement
Verena Lewinski-Reuter 1 2 3 4 5 6
Ausgangspunkt Bürgerschaftliches Engagement – Begriff und Erscheinungsformen Bürgerschaftliches Engagement in der kulturellen Praxis Ausblicke für das Kulturmanagement Fazit Literaturverzeichnis
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Ausgangspunkt
Seit Ende der 1990er Jahre kann eine Entwicklung beobachtet werden, die sich sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene vollzieht. „Bürgergesellschaft“ oder „Zivilgesellschaft“ sind die Stichworte einer augenscheinlichen Umgestaltung der gesellschaftlichen tradierten Strukturen. Zumindest suggerieren dies die neuen Bezeichnungen, die zu einer zunehmenden Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung durch den einzelnen Bürger1 einladen. Es formiert sich ein neuer Gesellschaftstypus, der die Partizipation und das Gemeinwesen verstärkt in den Vordergrund rückt und etatistische Strukturen auflöst. Gleichzeitig taucht im Zusammenhang mit dieser scheinbar „neuen Gesellschaftsform“ ein weiteres, positiv besetzten Begriffspaar auf: das bürgerschaftliche Engagement. Und so liegt diesem Beitrag die These zu Grunde, dass sich das Kulturmanagement angesichts dieser Veränderungen neu positionieren und auf neue Aufgabenfelder hin ausrichten muss. Der Beitrag zielt auf Erkenntnisse ab, wie sich die Aufgaben der kulturmanagerialen Praxis ändern, was das Kulturmanagement leisten kann bzw. muss und welche Aspekte nun in den Vordergrund rücken. Es geht unter anderem um die Eigenpositionierung und das Selbstverständnis des 1 Anmerkung: Zur Vereinfachung wird ausschließlich die maskuline Form verwendet, die selbstverständlich auch Bürgerinnen mit einschließt.
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Bürgerschaftliches Engagement
Kulturmanagements als ein aktivierendes Kulturmanagement, das die dem bürgerschaftlichen Engagement innewohnenden Ressourcen erkennt, aktiviert und auch im Sinne einer sich konsolidierenden Bürgergesellschaft steuert. Aus dieser Zielrichtung ergibt sich auch das Interesse einer Begriffsklärung, denn die Definition von bürgerschaftlichem Engagement ist die Grundlage späterer Handhabbarkeit eines in vielerlei Bedeutungsvarianzen erscheinenden Begriffes. Gemeinwohldienliche Aktivitäten hat es in seinen Facetten zwar schon immer gegeben, insbesondere den selbstlosen Einsatz für soziale und kulturelle Belange. Auch die Intention des Staates, bürgerschaftliche Mitwirkung zu unterstützen, ist nicht neu. So wurde bereits im Jahr 1960 im Rahmen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts die Zielrichtung kommunaler Selbstverwaltung verstanden als „Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten, die die in der örtlichen Gemeinschaft lebendigen Kräfte des Volkes zur eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben der engeren Heimat zusammenschließt mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren. Die örtliche Gemeinschaft soll nach dem Leitbild des Art. 28 GG ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und in eigener Verantwortung solidarisch gestalten“.2
Das „Neue“ an diesem Verständnis ist nun, dass es – abgesehen von einer verstärkten öffentlichen Wahrnehmung und wissenschaftlichen Diskursen3 – von höchster politischer Instanz zunehmend forciert wird. Es muss sich also um etwas Bedeutsames handeln. Die Bundesregierung hat durch eine im Jahr 1999 einberufene Enquete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement in Deutschland“ initiativ die Entwicklung von mehr Bürgerverantwortung vorangetrieben. Darüber hinaus haben Akteure aus Bürgergesellschaft, Politik und Wirtschaft im Jahr 2002 das „Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement“ gegründet und im Jahr 2003 wurde auf Bundesebene eine Kommission mit der Bezeichnung „Impulse für die Zivilgesellschaft“ einberufen. Im Jahr 2007 in Kraft getretene Gesetzesänderungen im Gemeinnützigkeits- und Zuwendungsrecht machen abermals deutlich, dass auf Bundesebene ein ernst zu nehmendes Bestreben zur Stärkung gemeinwohldienlicher Aktivitäten der Bürger auszumachen ist, das es in dieser Ausprägung noch nicht gab. Der Staat reagiert somit auf eine gesellschaftliche Entwicklung und deutet damit zugleich deren Relevanz an. 2 3
Vgl. BverfGE 11, 266 (275) und vgl. Wimmer, in: Walkenhorst 2004: 109. Vgl. Otto/Schmid u.a. 2003: 28f.
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Nach statistischen Erhebungen ist laut Stiftungsreport (2007) ein Gründungsboom an Bürgerstiftungen zu verzeichnen, die wiederum eine der wesentlichen Organisationsformen – neben Vereinen und freien Initiativen – für engagierte Bürger darstellen.4 Und auch die Bürgerstiftung selbst ist eine relativ neue Erscheinung, eine junge, moderne Stiftungsform mit Zuwachsraten. Allein im Jahr 2006 werden 44 Bürgerstiftungen neu gegründet, was als „Rekordzahl“ bezeichnet wird.5 Zum Vergleich: Das Jahr 2002 weist 15 Neugründungen aus, 1997 gerade einmal eine einzige Errichtung.6 Die Anzahl engagierter Bürger steigt ebenfalls unaufhaltsam an.7 Das Beispiel der Stiftungslandschaft steht exemplarisch für einen beobachtbaren Trend, der viele Bereiche tangiert und gleichermaßen viele Fragen aufwirft. So steht an erster Stelle ein Bedürfnis begrifflicher Klarheit: Was versteht man unter der Bezeichnung bürgerschaftliches Engagement? Trotz zahlreicher Diskussionen zu diesem Thema ist eine allgemeingültige Definition ausgeblieben. Es scheint, als sei eine terminologische Klarheit weder notwendig noch gewollt. Eine Definition könnte das Phänomen des bürgerschaftlichen Engagements womöglich unnötig einengen und so wird zumindest für den Kulturbereich eine gewisse Bedeutungsvarianz für sinnvoll erachtet.8 Dennoch scheint es an der Zeit, den Erscheinungsformen nachzugehen und das Begriffsverständnis zu schärfen. 1.
4
Unter Berücksichtigung verschiedener Erklärungsansätze aus der Literatur wird dieser Beitrag den Versuch einer terminologischen Klärung insoweit unternehmen, als dass die begriffsinhärenten Voraussetzungen herausgestellt werden. Welche Merkmale müssen also vorliegen, damit eine Tätigkeit als bürgerschaftliches Engagement verstanden werden kann? Im Rahmen dieser Auseinandersetzung soll zum anderen auch die Schwierigkeit aufgezeigt werden, dieses heterogene Betätigungsfeld und seine zum Teil unklaren Bezugsdimensionen zu konturieren. So ist auch der sog. dritte Sektor, in dem sich das Gros des bürgerschaftlichen Engagements abspielt, nicht ganz klar definierbar und insbesondere im Kulturbereich nicht trennscharf von den anderen Sektoren abzugrenzen. Um jedoch die vorhandenen Ressourcen im Sinne eines sich neu entwickelnden Kulturmanagements nachhaltig steuern zu können, bedarf es einer Schärfung der Begriffskontur.
Vgl. Stiftungsreport 2007: 40. Ebd.: 39. 6 Vgl. Walkenhorst 2004: 78. 7 Ebd.: 40. 8 So z.B. Wagner 2000: 20. 5
140 2.
3.
4.
Bürgerschaftliches Engagement Des Weiteren werden Erscheinungsformen bürgerschaftlichen Engagements aufgezeigt und vor allem der organisationsrechtliche Rahmen näher bestimmt. Der engagierte Bürger schließt sich meist vorhandenen Organisationen an oder gründet unter Umständen selbst z.B. einen Verein oder eine Stiftung. Angesichts ihrer zunehmenden Bedeutung widmet sich dieser Abschnitt verstärkt der sog. Bürgerstiftung, vor allem ihren Merkmalen und ihrer Bedeutsamkeit für die Kulturlandschaft. Der Stellenwert und die Ressourcen bürgerschaftlichen Engagements für die kulturelle Praxis werden anhand ausgewählter Fallbeispiele herausgestellt. Aber ebenso wie den Chancen, die das Bürgerengagement für die Kultur bereitet, gilt es auch eine kritische Perspektive einzunehmen. Und so versammelt dieser Abschnitt neben vielen positiven Effekten auch Bedenken, die mit einer Verortung kultureller Verantwortlichkeiten einhergehen. So wird z.B. die Frage aufgeworfen, ob möglicherweise die öffentliche Seite in Versuchung gerät, sich lediglich ihrer kulturellen Verantwortung zu entledigen, indem sie sich diese Entwicklung zu Nutze macht. Abschließend werden neue Aufgabenfelder und Handlungsaspekte für das Kulturmanagement skizziert, das auf diese neue bürgerschaftliche „Basis“ und die in ihr versammelten Kulturakteure reagieren muss.
Die nachfolgenden Darstellungen erheben keinesfalls einen Anspruch auf Vollständigkeit. Ziel ist vielmehr, einen beobachtbaren Entwicklungsprozess aufzugreifen und neue Denkanstöße für das Kulturmanagement zu geben. Dementsprechend versteht sich dieser Beitrag auch als Querschnitt verschiedener Perspektiven, der kulturpolitische, rechtliche und manageriale Aspekte einbezieht; dies ist charakteristisch für das Kulturmanagement als Querschnittsdisziplin und dem „Kulturmanager als Grenzgänger“9.
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Bürgerschaftliches Engagement – Begriff und Erscheinungsformen
Was ist bürgerschaftliches Engagement und wer sind die Akteure? Beginnend mit den Akteuren lassen sich im Wesentlichen drei Gruppen unterscheiden: der private Bürger als partizipierender Teil eines demokratischen Gemeinwesens (Citizens), privatwirtschaftliche Unternehmen, denen es um die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung geht (Corporate Citizens) und drittens die öffentliche Seite, die als Initiator bürgerschaftlichen Engagements fungieren kann, die 9 Heinze spricht in diesem Zusammenhang vom Kulturmanagement als „Grenzgängerprofession“, die als ein Konglomerat aus verschiedenen Fachdisziplinen, vor allem „Planung-, Rechts- und Wirtschafts-Know-How“ zu verstehen ist, Heinze 2008: 10.
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Rahmenbedingungen wesentlich mitbestimmt und somit mittelbar selbst zum bürgerschaftlichen Akteur wird, wenn auch nur bedingt. Im Blickfeld dieses Beitrages steht jedoch ausschließlich der einzelne Bürger, der durch sein Engagement einen wichtigen Beitrag für den Erhalt und die Weiterentwicklung des kommunalen Kulturangebotes leistet. Eine allgemeingültige oder gar gesetzliche Definition des Begriffspaares „bürgerschaftliches Engagement“ existiert bislang nicht. Und so kommt es zwangsläufig bei der Verwendung des Begriffes zu ungenauen Bedeutungsparametern, die zwangsläufig auch zu unscharfen Erwartungshaltungen und Aufgabenbereichen bürgerschaftlichen Engagements führen. Je nach Fachrichtung und Verwendungskontext werden andere Inhaltsbestimmungen gesehen und im alltäglichen Sprachgebrauch findet eine ganz selbstverständliche Verwendung des Begriffes statt. Oft werden die vielen ehrenamtlich Tätigen in ihrer Summe als das bürgerschaftliche Engagement verstanden, wie es der Begriff auf den ersten Eindruck auch suggeriert. Doch hinter diesem scheinbar so eindeutigen Bürgerengagement steckt vielmehr, das sich erst bei näherer Betrachtung erschließt. Die komplexe Dimension der gesellschaftlichen Ebenen verlangt zur Begriffsannäherung zuerst eine Sektion der Wirkungsfelder einerseits (wo findet bürgerschaftliches Engagement statt?) und konkreten Handlungsmöglichkeiten andererseits (was wird vom Akteur zur Verfügung gestellt?). Eine solche Differenzierung ist auch gerade für die Erfassung bürgerschaftlichen Engagements im Kulturbereich auf Grund dessen Heterogenität von Bedeutung. Ebenso aus dem Grund, da hier Staat und Zivilgesellschaft in besonderer Weise aufeinander treffen. Bei der Suche nach einer inhaltlichen Bestimmung des bürgerschaftlichen Engagements sind zwei Strömungen auszumachen. Ein enger gefasstes Begriffsverständnis, das das bürgerschaftliche Engagement auf das politische Gemeinwesen reduziert.10 Diese enge Betrachtung wird jedoch dem breiten Handlungsspektrum bürgerschaftlichen Engagements nicht gerecht und soll somit an dieser Stelle auch nicht vertieft werden. Angemessener erscheint ein weiter gefasstes Begriffsverständnis, nach dem bürgerschaftliches Engagement ein übergeordneter Begriff ist „[…] der die spezifischeren Begrifflichkeiten wie Ehrenamt, Selbsthilfe, politische Partizipation, politischer Protest, freiwillige soziale Tätigkeiten nicht nur umfasst, sondern zugleich dadurch über sie hinausweist, dass sie in einen neuen konzeptionellen Zusammenhang gebracht werden […]“.11
10 11
Vgl. Otto/Schmitt u.a. 2003: 26f. Vgl. ebd.: 27.
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Es geht also hiernach letztlich nicht darum, den Begriff im Sinne einer Definition einzugrenzen, sondern eher darum, sein pluralistisches Wirkungs- bzw. Betätigungsfeld näher zu bestimmen. „Mehrdeutigkeit“ und „Mehrdimensionalität“ sind zuzulassen, da ansonsten das Phänomen des bürgerschaftlichen Engagements in seinen Facetten nicht abgebildet werden kann.12 Andere Autoren nähern sich einer definitorischen Klärung, indem sie zuerst das Handlungsfeld, die Aktivitäten auf Mikroebene als Bezugspunkte betrachten. So z.B. Zimmermann (2000): „[…] Ich verstehe in diesem Beitrag unter bürgerschaftlichem Engagement die Spende von Zeit und/oder Geld. […] es kann sowohl in Form einer aktiven Vereinsmitgliedschaft erfolgen als auch als punktuelles, zeitlich begrenztes Engagement in einem Verein oder einer Initiative […]“.13 Erst im Anschluss wird von Zimmermann das Wirkungsfeld eingegrenzt, nämlich der dritte Sektor: „[…] Das bürgerschaftliche Engagement findet im dritten Sektor statt. Das heißt es ist weder dem Markt zuzuordnen, noch dem Staat […]“.14
Zimmer (2001) sieht in bürgerschaftlichem Engagement ebenfalls einen Oberbegriff für Tätigkeiten außerhalb eines gewinnorientierten Marktes bzw. monetärer Interessen: „[…] der das weite Spektrum individueller Aktivitäten umfasst, die nicht vorrangig mit der Zielsetzung des Gewinnstrebens und der monetären Gratifikation verbunden sind […]“.15
Zimmer sieht in organisationsgebundenen Mitgliedschaften (Vereinen, Verbänden, Parteien usw.) ebenso potentielle Handlungsfelder wie in ehrenamtlicher aktiver Mitarbeit in gemeinwohldienlichen Organisationen. Anders als Zimmermann grenzt sie die Tätigkeiten nicht auf den dritten Sektor ein und qualifiziert „ehrenamtliche Tätigkeiten im Staatsdienst sowie in der Verwaltung“ ebenfalls als bürgerschaftliches Engagement. Fraglich ist jedoch, ob Tätigkeiten außerhalb des dritten Sektors, also z.B. im öffentlichen Sektor (Staat), tatsächlich als Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements gewertet werden können. Bezogen auf einen dreigliedrigen Kultursektor ergibt sich Folgendes: Der staatliche Sektor umfasst alle Kultureinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft sowie die kommunale Kulturpolitik. Bibliotheken, Musikschulen, Stadttheater usw. wären somit dem staatlichen bzw. öffentlichen Sektor zuzu12
Ebd. Zimmermann, in: Röbke/Wagner 2001: 158. 14 Ebd. 15 Zimmer, in: Röbke/Wagner 2001: 76. 13
Bürgerschaftliches Engagement
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ordnen.16 Zum wirtschaftlichen Sektor (Markt) gehören gewerblich agierende Betriebe der Kulturwirtschaft, wie z.B. private Musicaltheater, CD-Labels, Buch- und Kunstmarkt usw. Zum zivilgesellschaftlichen bzw. dritten Sektor im Kulturbereich gehören vor allem gemeinnützige Bürgerstiftungen und Vereine, freie Initiativen und im Prinzip jeder Einzelne, der sich in den vorhandenen gemeinwohlorientierten Einrichtungen unentgeltlich betätigt. Alle diese zum Allgemeinwohl erbrachten Aktivitäten bilden einen eigenen Sektor, der den beiden anderen Bereichen selbständig gegenübersteht. Abbildung 1:
Die drei Sektoren im Kulturbereich
Zivilgesellschaftlicher Sektor Bürgerschaftliches Engagement in der Kultur, z.B. Kunstvereine, Bürgerstiftungen, freie Initiativen
Bürgerschaftliches Engagement
Kulturwirtschaft
Öffentlicher Sektor
Erwerbswirtschaftlich agierende Kulturbetriebe, z.B. Musicaltheater, Galerien, CD-Labels usw.
Kultureinrichtungen in öffentl.Trägerschaft, Kommunale Kulturpolitik
Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an Ebert/Gnad, in: Kulturpolitische Mitteilungen IV 2007: 37 sowie Fuchs 2007: 48.
Nun ist aber gerade im Kulturbereich eine Vielzahl der Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft und teilweise direkt in die öffentliche Verwaltung eingegliedert, z.B. in Form von Regie- und Eigenbetrieben. Ebenso ist die kommunale Kulturpolitik trotz der Einbindung ehrenamtlich tätiger Bürger dem öffentlichen Sektor zuzuordnen. Bürgerschaftliches Engagement in der Kultur findet also zwangsläufig auch im öffentlichen Sektor statt. Bürgerschaftliches Engagement in öffentlichen Kulturbetrieben stellt eine Form des Konzepts vom Public-Private-Partnership dar.17 16
Vgl. Fuchs 2007: 46ff; Ebert/Gnad: 37, in: Kulturpolitische Mitteilungen IV/2007. Vgl. Scheytt 2005: 33, der als Beispiel für Public-Private-Partnership ehrenamtliche Helfer in einer Stadtteilbibliothek anführt. 17
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Bürgerschaftliches Engagement Beispiele: Ein Stadttheater, das als Regiebetrieb geführt wird, beschäftigt an den Wochenenden mehrere ehrenamtliche Helfer in der Garderobe und am Empfang. In einer städtischen Musikschule organisiert ein Kreis von ehrenamtlichen Helfern regelmäßig kleine, eintrittsfreie Konzertabende für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Im kommunalen Kulturausschuss der Stadt ist auf ehrenamtlicher Basis eine Vielzahl an Bürgern aktiv, nehmen an den Sitzungen Teil und betreiben Öffentlichkeitsarbeit.
Würde man nun das bürgerschaftliche Engagement auf Tätigkeiten des Sektors außerhalb von Markt und Staat beschränken, so würden weder die unentgeltlich tätigen Garderobieren, die Helfer in der Musikschule noch die kommunalpolitisch aktiven Bürger vom Terminus des bürgerschaftlichen Engagements erfasst. Eine solche Einschränkung würde nicht nur dem Alltagsverständnis von bürgerschaftlichem Engagement widersprechen und demotivierend18 wirken. Gerade die kommunale Kulturlandschaft lebt von ihren bürgerschaftlichen Akteuren, so dass die begriffliche Erfassung bürgerschaftlichen Engagements über den dritten Sektor hinausgehen muss. Es kommt zu einer Überschneidung der Sektoren. Unstreitig zu Grunde gelegt werden kann aber sicherlich die Annahme, dass unentgeltliche Tätigkeiten auf dem wirtschaftlichen Sektor kein bürgerschaftliches Engagement darstellen können, da die vom Akteur zur Verfügung gestellten Ressourcen (z.B. Zeit) in erster Linie ausschließlich dem Gewinn orientierten Betrieb und nicht der Allgemeinheit zugewendet werden. Die Betätigung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens auf dem dritten Sektor im Sinne eines Corporate Citizenship19 kann wiederum durchaus eine Form bürgerschaftlichen Engagements darstellen. Festzuhalten ist: Bürgerschaftliches Engagement ist aus sich heraus nicht klar definierbar. Eine Begriffserfassung bzw. eine Konturierung des Terminus kann aber über eine Differenzierung der einzelnen Wirkungs- und Handlungsfelder erfolgen. Wirkungsfelder meinen nach diesem Verständnis den Wirkbereich im Sinne einer Makroebene, in dem das bürgerschaftliche Handeln stattfindet. Wie bereits festgestellt, ist hiervon der wirtschaftliche Sektor (Markt) ausgenommen. Bürgerschaftliches Engagement in der Kultur findet im dritten sowie staatlichen Sektor statt (Wirkbereiche). Es müssen darüber hinaus jedoch noch 18 Anmerkung: Der Motivationseffekt sollte nicht unterschätzt werden. Im Falle einer inhaltsreduzierten und einengenden Betrachtung von bürgerschaftlichem Engagement kann ein demotivierender Effekt eintreten: In der Wahrnehmung der engagierten Bürger entstünde möglicherweise der Eindruck mangelnder Wertschätzung für alle diejenigen Tätigkeiten, die nicht als bürgerschaftliches Engagement qualifiziert werden, obwohl sie unentgeltlich und selbstlos erfolgen. Wie es bei den Tätigkeiten der obigen Beispiele ja durchaus der Fall wäre. 19 Vgl. Heinze 2008: 73.
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weitere Voraussetzungen vorliegen, die konstituierend für bürgerschaftliches Engagement sind. Bürgerschaftliches Engagement muss im öffentlichen Raum stattfinden, so dass unentgeltliche Tätigkeiten, die ausschließlich im sozialen Nahfeld des Akteurs stattfinden, nicht erfasst werden. Bürgerschaftliches Handeln muss für andere Akteure und potentielle Partner transparent sein und Vernetzungsmöglichkeiten bieten.20 Drittens muss das bürgerschaftliche Engagement darauf ausgerichtet sein, durch seinen Beitrag die Allgemeinheit zu fördern. Die philanthropischen Absichten finden ihren Ausdruck in der Gemeinwohlorientierung. Liegen alle drei Voraussetzungen des Wirkbereichs kumulativ vor, bedarf es nun nur noch mindestens einer Zuwendungshandlung, um von bürgerschaftlichem Engagement sprechen zu können. Denkbare Zuwendungen sind vor allem das zur Verfügung stellen von Zeit, besonderen Kenntnissen, Erfahrungen oder Fähigkeiten, von Sachspenden oder persönlichen Beziehungen (eigene Netzwerke). Letzter Punkt, das Einbringen von Networking verstanden als kooperative und beziehungsfördernde Tätigkeit oder das Zur-Verfügung-Stellen vorhandener Netzwerk-Strukturen, wird als Ressource an Bedeutung gewinnen. So können sich aus einem gesellschaftlichen Beziehungsgeflecht eines Akteurs für den Kulturbereich interessante Koalitionen ergeben und Synergien entstehen lassen. Die Spende von Zeit ist oftmals verknüpft mit besonderem Wissen und Fähigkeiten. Führt jemand beispielsweise Besucherführungen im Museum durch oder betreibt professionelle Öffentlichkeitsarbeit für eine Kulturinstitution, so spendet er einerseits Zeit und anderseits stellt er besondere Kenntnisse zur Verfügung. Weiterhin bleibt zu fragen, ob das Merkmal der Unentgeltlichkeit ebenfalls erfüllt sein muss. Was bedeutet unentgeltlich? Das Ehrenamt jedenfalls wird ohne eine besondere Vergütung ausgeübt. Dennoch ist es nicht unüblich, dass mitunter z.B. Wegstreckenentschädigungen und Reisekosten an den ehrenamtlich Tätigen gezahlt werden, die durchaus einen monetären Vorteil darstellen. Gleiches gilt auch für Tagesverpflegungen, die den Akteuren im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Verfügung gestellt werden. Abzugrenzen ist daher, ob das Tätigwerden tatsächlich vergütet wird, im Sinne einer entgeltlichen Honorierung oder ob lediglich ein entstandener Aufwand in einem üblichen Rahmen ersetzt wird. Wird die Tätigkeit über eine Aufwandsentschädigung hinaus vergütet, kann es sich nicht mehr um bürgerschaftliches Engagement handeln. Demnach ist als weiteres Merkmal bürgerschaftlichen Engagements festzuhalten, dass dem Akteur kein besonderes Entgelt für seine Tätigkeit gezahlt wird.
20
Vgl. Heinze, R./Olk 2001, zit. in: Otto, Schmitt u.a. 2003: 27.
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Bürgerschaftliches Engagement ist ein Oberbegriff für verschiedene Tätigkeiten und Akteure. Es umfasst vor allem das ehrenamtliche Engagement sowie finanzielle Zuwendungen. Bürgerschaftliches Engagement ist weiter gefasst als z.B. das Ehrenamt und kann auch von Unternehmen ausgeübt werden (Corporate Citizens). Dessen Engagement verlangt nicht zwangsläufig das Tätigwerden einer natürlichen Person, sondern kann allein in der Bereitstellung finanzieller Mittel liegen. Ehrenamt bzw. Freiwilligenarbeit hingegen werden hier verstanden als personengebundene Aktivitäten, d.h. sie können nur von natürlichen Personen ausgeübt werden. Damit wird deutlich, dass es sich bei dem Begriff des ehrenamtlichen Engagements um einen Oberbegriff handeln muss, der wiederum Begriffe wie Ehrenamt, Freiwilligenarbeit, Corporate Community Investment usw. versammelt. Bürgerschaftliches Engagement liegt also vor, wenn die Tätigkeit des Akteurs
in einem Sektor außerhalb des Marktes im öffentlichen Raum zum Gemeinwohl (=Wirkbereiche auf einer Makroebene) und in der Bereitstellung von Zeit besonderen Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten21 Sachmitteln (Geld- und Sachspenden) und/oder Networking (=Handlungsmöglichkeiten auf der Mikroebene) und ohne eine besondere Gegenleistung (Vergütung) erfolgt.
Während die Wirkungsfelder bürgerschaftlichen Engagements kumulativ vorliegen müssen, reicht bei den Handlungsfeldern eine alternative Betätigung in den dargestellten Formen aus (s.o.). Erscheinungsformen (organisationsrechtlicher Rahmen). Bürger stellen persönliche Ressourcen dem öffentlichen Gemeinwohl zur Verfügung, ohne marktwirtschaftlich/gewinnorientiert ausgerichtet zu sein. Dieses Zur-Verfügung-Stellen der individuellen Ressourcen kann durch den Bürger als Einzelperson, aber vor allem auch gemeinschaftlich innerhalb eines Personenzusammenschlusses erfol21 Vgl. dazu Bendixen/Heinze, in: Heinze 2004: 37. Die Autoren verweisen auf die Erfahrungen und Kenntnisse von Senioren, die im Rahmen ehrenamtlicher Tätigkeiten für Kultureinrichtungen eine wichtige Rolle spielen können.
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gen. In diesem Fall gründen entweder der/die Akteur(e) selbst eine Organisation oder schließen sich einer bereits vorhandenen an; zumeist finden gemeinwohlorientierte Aktivitäten in Vereinen und Stiftungen, zunehmend auch in gemeinnützigen GmbHs (gGmbH) statt. Damit kristallisieren sich hinsichtlich des Bürgers als Akteur in der Kultur zwei Alternativen heraus, seine Ressourcen zur Verfügung zu stellen: der individuelle Bürger als Einzelakteur bzw. eine gemeinschaftliche Organisation, die in ihrer Gesamtheit bestehend aus mehreren Einzelakteuren ebenfalls einen Akteur darstellt. Ein Verein beispielsweise ist das klassische Beispiel eines Akteurs, bestehend aus zahlreichen Einzelakteuren, nämlich seinen Mitgliedern und Förderern. Vereine und Stiftungen sind traditionelle Organisationen, die sich unter anderem auch kulturfördernd einbringen. Eine juristische Erfassung von Stiftungen erfolgte zwar erst im 19. Jahrhundert, die einer Stiftung zu Grunde liegende Idee, sein Vermögen kulturellen Zwecken zu widmen, lässt sich aber bereits bis in vorchristliche Zeiten zurückverfolgen.22 Nach wie vor steht bei einer Stiftung ein Vermögen im Mittelpunkt, dessen Wertschöpfung (Erträge) neben den Spenden nach heutigem Stiftungsrecht den monetären Handlungsspielraum bilden. Eine Stiftung ist eine auf einer Vermögensmasse beruhende Einrichtung, die einen vom Stifter vorgesehenen Zweck auf Dauer fördern soll.23 Ein wesentliches Merkmal einer Stiftung ist also ihr vom Stifter gewidmetes Grundstockvermögen, das selbst unantastbar ist, aber durch weitere Zustiftungen anwachsen kann. Die aus diesem Grundstockvermögen erwirtschaften Erträge können dann für den in der Stiftungssatzung festgelegten Stiftungszweck verwendet werden. Spenden, die der Stiftung zugewendet werden, fließen nicht in das Grundstockvermögen. Sie dürfen unmittelbar für den Stiftungszweck eingesetzt werden. Mit Blick auf diese Konstellationen sind folgende Handlungsfelder bürgerschaftlichen Engagements innerhalb einer Stiftung denkbar: Bürger können zunächst selbst eine Stiftung errichten (z.B. in Form einer Bürgerstiftung) und sich unabhängig oder in Zusammenarbeit mit der Kommune für das Gemeinwohl engagieren. Oder aber ihr Engagement vollzieht sich durch sachliche Zuwendungen in Form von Zustiftungen oder Spenden. Somit hätten wir einen klassischen Fall bürgerschaftlichen Engagements. Etwas Ähnliches gilt auch bei der sog. Bürgerstiftung. Eine vergleichsweise noch recht junge Stiftungsform, die sich jedoch in wenigen Jahren rasant entwickelt hat.24 Stiftungsrechtlich gesehen handelt es sich um eine Sonderform der privatrechtlichen Stiftung im Sinne der §§ 80 ff. BGB, deren in der Regel breit 22 23 24
Vgl. Schlüter/Stolte 2007: 23. Vgl. Heinrichs, vor § 80, Rn. 5, in Palandt/Heinrichs 2006. Vgl. Rawert, in: Walkenhorst 2004: 153; Stiftungsreport 2007: 39.
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angelegter Stiftungszweck unter anderem auch kulturelle Belange eines lokal abgegrenzten Wirkungsraums unterstützt und fördert. Seitens des Gesetzgebers wurden bislang noch keine spezifischen Regelungen zu dieser Stiftungsform getroffen, der Terminus „Bürgerstiftung“ tritt gesetzlich nicht in Erscheinung. Und so scheint die rechtliche Ausgestaltung dieser Sonderstiftung noch etwas diffus, obgleich das allgemeine Stiftungsrecht auch für sie gilt. Die ursprüngliche Bürger-für-Bürger-Idee im Sinne einer stärkeren bürgerschaftlichen Beteiligung am Gemeinwesen entstammt dem amerikanischen Modell der so genannten community foundation.25 Private Mittel, die zur Förderung des Gemeinwesens auf lokaler Ebene aufgebracht und z.B. für kulturelle und soziale Zwecke eingesetzt werden; Bürger stellen ihrem eigenen öffentlichen Umfeld Mittel zur Verfügung und sehen sich selbst vor allem als Vorbild, Impulsgeber und Förderer.26 Dieser philanthropische Ansatz manifestierte sich in Deutschland erstmals erkennbar vor allem in der Errichtung der Stadtstiftung in Gütersloh im Jahr 1996.27 Und so kann dieser einen Stiftung eine Pionierrolle zugeschrieben werden, zumal der Gründungsboom an Bürgerstiftungen in Deutschland nur wenige Jahre danach einsetzte. Um den Begriff der Bürgerstiftung, der bis heute im Gesetz nicht explizit auftaucht, zumindest eine Kontur zu geben, entwickelte der Arbeitskreis „Bürgerstiftungen“ des Verbandes deutscher Stiftungen einen Katalog an konstitutiven Merkmalen, die eine Stiftung als Bürgerstiftung erkennen lassen. Ihre besonderen Merkmale erhalten sie durch entsprechende Ausgestaltungen innerhalb der Stiftungssatzung. Folgende weitestgehend anerkannte Merkmale einer Bürgerstiftung wurden im Jahr 2000 vom Arbeitskreis „Bürgerstiftungen“ des Verbandes deutscher Stiftungen zusammengestellt (vgl. Stiftungsreport 2007, S. 38): Eine Bürgerstiftung ist gemeinnützig tätig und wird mit dem Zweck errichtet, das Gemeinwesen zu stärken. Sie wird in der Regel von mehreren Stiftern errichtet und weist einen breiten Stiftungszweck auf. Im Mittelpunkt dieses Stiftungszweckes stehen das regionale Leben – begrenzt auf einen geographischen Wirkungsraum – und die Förderung vor allem sozialer und kultureller Belange. Die Stiftung baut durch Zustiftungen kontinuierlich ihr Grundstockvermögen auf und Bürger können sich als Zustifter einbringen. Die Bürgerstiftung ist vollkommen unabhängig von wirtschaftlichen, politischen oder konfessionellen Einflussgrößen. Ihre Arbeit und Organisation ist transparent und öffentlich.
25 26 27
Vgl. Heinze 2008: 71; Hinterhuber, in: Strachwitz/Mercker 2005: 337. Vgl. zu den Motivationen Stiftungsreport 2007: 54. Heinze ebd.; vgl. Schmied, in Strachwitz/Mercker 2005: 343.
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Bürgerstiftungen bringen sich gestaltend auf kommunaler Ebene ein und avancieren zu einem wichtigen Akteur des kulturellen Gemeinwesens.28 Bürgerschaftliches Engagement bezogen auf die Handlungsfelder erfährt bei der Bürgerstiftung eine Erweiterung im Vergleich zur „herkömmlichen“ Stiftung. Zwar liegt auch hier das Engagement vornehmlich in der Bereitstellung von privaten Mitteln (Zustiftungen und Spenden), die charakteristische Transparenz und Offenheit der Bürgerstiftung animiert aber deutlich mehr zu aktiver Mitarbeit. Auch die Begrenzung der Stiftungsaktivitäten auf einen geographisch begrenzten Raum ermöglicht eine persönlichere Bindung und Identifizierung des Bürgers mit der lokal agierenden Stiftung. Abgesehen von den stiftungsrechtlichen Voraussetzungen die auch von einer Bürgerstiftung zu erfüllen sind, wie Stiftungsgeschäft, Vermögen, Satzung und besonderer Stiftungsorganisation, erinnert das interne, gemeinschaftliche Gefüge eher an eine Vereinsstruktur. Diese zeichnet sich nämlich gerade dadurch aus, dass mehrere Personen sich zu einem gemeinsamen Zweck zusammenschließen, um diesen auf Dauer zu fördern. Klassisches Beispiel sind die zahlreichen Kunstvereine, die einen wichtigen Grundpfeiler zum Erhalt und zur Förderung insbesondere für die Museen darstellen. Ihre satzungsmäßige Zweckbestimmung kann z.B. darin liegen, die bildende, angewandte und darstellende Kunst sowie freischaffende zeitgenössische Künstler zu fördern. 29 Bürger engagieren sich in diesen Vereinen durch ihre Mitgliedschaft oder sie nehmen bestimmte Aufgaben wahr. Die in der Regel unbegrenzten Mitgliederzahlen ermöglichen es einer Vielzahl an Bürgern, sich kunst- bzw. kulturfördernd zu engagieren. Ähnlich wie bei einem Verein die Entrichtung der Mitgliedsbeiträge, sieht die Bürgerstiftung in der Regel die Anhäufung des Grundstockvermögens durch viele kleinere Zustiftungen vor. Eine Beteiligung wird aktiviert. Auch kommt es bei Bürgerstiftungen in Abgrenzung zur herkömmlichen Stiftung häufig vor, dass die Gründung, die Aufbringung des Stammkapitals von einer Vielzahl an Bürgern ausgeht (sog. Bottom-up-Modell), während bei der klassischen Stiftung meist ein oder wenige Großstifter das gesamte Gründungsvermögen aufbringen.30 Vereine und (Bürger-) Stiftungen bieten schon deshalb eine optimale Rechtsform für gemeinwohldienliche Aktivitäten, da die Abgabenordnung für sie die Anerkennung der Gemeinnützigkeit ermöglicht. Das Gesetz sieht bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen für gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke Steuervergünstigen bzw. -befreiungen vor, vgl. §§ 51 ff. Abgabenord28 29 30
Hinterhuber ebd.: 340. Vgl. z.B. die Satzung des Dortmunder Kunstvereins unter www.dortmunder-kunstverein.de. Zu den Gründungsmodellen vgl. Rawert, in: Walkenhorst 2000: 156.
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nung. Diese Vorteile sind jedoch nicht allen Rechtsformen vorbehalten; so kann z.B. eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB) keinen Gemeinnützigkeitsstatus erlangen. Dies spielt dort eine Rolle, wo sich z.B. freie Initiativen in lockeren Zusammenschlüssen bilden, die rechtlich gesehen in der Regel als Gesellschaften bürgerlichen Rechts zu qualifizieren sind, sofern sie sich zu einem bestimmten Zweck zusammenschließen. Das Charakteristikum der wirtschaftlichen, politischen und konfessionellen Unabhängigkeit, wie es der Merkmalskatalog zur Bürgerstiftung vorsieht, macht diese Organisationsform gerade auch für den Kulturbereich sehr attraktiv. Bürgerstiftungen als Träger von Kultureinrichtungen bzw. Kulturförderer sollten sich in erster Linie der Kunst und Kultur verschreiben und sich von sämtlichen Einflüssen emanzipieren. Nur eine programmatische Unabhängigkeit lässt eine heterogene Kulturszene wachsen, die sich nicht rein nach marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und politischer oder religiöser Zugewandtheit richtet.
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Bürgerschaftliches Engagement in der kulturellen Praxis
„Vorhang auf für engagierte Bürger“ betitelt die Neue Osnabrücker Zeitung einen Beitrag anlässlich des siebten Jahresjubiläums der Bürgerstiftung Osnabrück.31 Der Titel ist bezeichnend für die neue „Koproduktion“32 zwischen Kulturbetrieb und Bürger: Der engagierte Bürger steht im Rampenlicht auf der Bühne des Gemeinwesens. Warum spielt nun das bürgerschaftliche Engagement gegenwärtig und zukünftig eine so wichtige Rolle im Kulturbereich? Ein Blick auf die finanzielle Situation der Kultur macht bereits vieles deutlich, obwohl zuverlässige Aussagen mangels einer zentralen Erfassung empirischen Datenmaterials noch nicht möglich sind. Jedenfalls nach veröffentlichten Daten des Bundesministeriums der Finanzen betrugen die Ausgaben des Bundes für die Sparte Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur im Jahr 1999 ganze 9,5 Mrd. Euro und im Jahr 2005 immerhin 11,4 Mrd. Euro.33 Ende 2007 flossen zusätzlich Haushaltsüberschüsse in dreistelliger Millionenhöhe in den Kulturbereich.34 Verfolgt man jedoch die aktuelle Berichterstattung, so fällt auf, dass trotz dieser enormen staatli31
Neue Osnabrücker Zeitung, 24.11.2007. Der Begriff der „Koproduktion“ findet sich bei Kocyba im Zusammenhang einer gemeinschaftlichen Produktion sozialer Leistungen, vgl. Kocyba, in Bröckling/Krasmann/Lemke 2004: 20. Bezogen auf den vorliegenden Beitrag steht der Begriff Koproduktion gerade für das konstruktive Zusammenwirken von Kultureinrichtungen und Bürgern, wobei Letztere nun ebenfalls gestaltend mitwirken und ihnen eine entsprechende öffentliche Aufmerksamkeit gebührt. 33 Vgl. Bundesministerium der Finanzen www.sozialpolitik-aktuell.de (Abruf 10.10. 2007). 34 Siehe Beitrag von Wagner in diesem Band. 32
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chen Zuwendungen viele kulturelle Einrichtungen auf kommunaler Ebene aufgegeben, privatisiert oder „outgesourced“ werden müssen und sich zum Teil in einem desolaten Zustand befinden. Oftmals ist nur noch Geld zur Deckung der Personalkosten vorhanden, notwendige Anschaffungsetats werden reduziert und erforderliche Baumaßnahmen können nicht mehr durchgeführt werden.35 Die Kommunen sind und bleiben vorerst hoch verschuldet, was sich langfristig insbesondere auch beim Erhalt der kulturbetrieblichen Einrichtungen bemerkbar macht.36 Zudem partizipieren vor allem überregional bzw. international bedeutsame Kultureinrichtungen, z.B. im Rahmen des Denkmal- und Kulturgutschutzes bedeutende Museen und Stiftungen (z.B. Kunsthalle in Bonn, Deutsches Museum in München, Stiftung preußischer Kulturbesitz, Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen usw.) von den Bundesmitteln und weniger die „kleineren“ lokalen Einrichtungen. Und dieser Zustand macht bürgerschaftliches Engagement, das ausschließlich auf lokaler Ebene stattfindet, für die Kultur so bedeutsam. Klein (2007) konstatiert ein leises und äußerlich gar unsichtbares Aussterben der Kulturbetriebe. Eine Entwicklung, die stetig fortschreite und sich im Stillen vollziehe.37 Die Ursachen sieht Klein vor allem in fehlenden Finanzmitteln, starren bürokratischen Rahmenbedingungen und einer rückläufigen Nachfrage, die neben demographischen Ursächlichkeiten sicherlich auch wieder auf mangelnde Investitions- und Innovationsmöglichkeiten gründet. Insofern blüht die Kulturlandschaft trotz der immensen Zuwendungen des Bundes nicht, sondern leidet an verschiedenen strukturellen und demographischen Zuständen. Vor allem die jüngeren und jung gebliebenen Zielgruppen werden durch erlebnisorientierte Angebote und eine entsprechend aktive Kommunikation angesprochen. Insofern scheint sich Schulzes Ansatz38 einer postmodernen Erlebnisgesellschaft bereits deutlich zu manifestieren. Aus dieser prekären Situation heraus entsteht der Bedarf, die Kultur von der „Basis“ her zu stärken. Mit Basis ist der Sektor Bürgergesellschaft gemeint, die sich aus bürgerschaftlichem Engagement langsam konsolidiert. Eine neue Kultur entsteht, um die bestehende Kultur zu retten. Drei ganz unterschiedliche Beispiele aus der Praxis sollen stellvertretend für die mannigfaltigen Möglichkeiten des privaten Engagements den persönlichen Einsatz von Bürgern für die Kultur dokumentieren:
35
Klein 2007: 16f. Ebd. 37 Klein ebd. 38 Schulze 1992. 36
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„Oskar“ Kinder- und Jugendtheater in Osnabrück: Nach über zehn Jahren hat das Theater Osnabrück seit 2006 wieder ein Kinder- und Jugendtheater, das durch bürgerschaftliche Initiativen ermöglicht wurde. Dazu haben die Bürgerstiftung Osnabrück, der Initiativkreis Region Osnabrück e.V. und die städtische Bühne einen Förderverein gegründet, „Verein Freunde des Kinder- und Jugendtheaters in Stadt und Landkreis Osnabrück e.V.“.39 Ein Beispiel par excellence für ein organisationales Bürgerengagement, das durch Kooperationen von verschiedenen gemeinnützigen Organisationen sowie zwischen Staat (städtische Bühnen) und Bürgern ein kulturelles Angebot schafft, das zuvor aus Kostengründen nicht mehr existierte. Kunsthalle Bremen: Privater Träger der Kunsthalle Bremen ist bis heute der Kunstverein in Bremen, der im Jahr 1823 durch eine private Initiative gegründet wurde und 1849 mit Errichtung des ersten Gebäudes die Kunsthalle Bremen schuf. Die Finanzierung dieser Kultureinrichtung findet hauptsächlich durch private Mittel statt, über Stiftungen, Spenden, Vermächtnisse, daneben erhält sie Zuwendungen der Stadt Bremen. Zudem engagieren sich zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter unter anderem im Museumsshop.40 Ein Beispiel, wie sich Bürger für das kulturelle Leben in einer Stadt engagieren und damit zu einer überregionalen Bedeutung einer Kultureinrichtung bzw. ihrer Stadt beitragen können. Auch hier wird die Verschmelzung verschiedener Sektoren und Handlungsfelder deutlich, die das bürgerschaftliche Engagement prägen. Stiftung Elbphilharmonie: Im Oktober 2005 wird die Stiftung Elbphilharmonie als Stiftung privaten Rechts gegründet, um den Bau der Elbphilharmonie in Hamburg zu unterstützen. Ziel der Stiftung ist, Spenden und Zustiftungen für die baulichen und später kulturbetrieblichen Maßnahmen einzuwerben. Es wird eine langfristige Verbundenheit zwischen Förderern und Elbphilharmonie angestrebt, die in dem Werbeslogan „Jeder Stifter wird Teil unserer Geschichte“ ihren Ausdruck findet.41 Diese ausgewählten Beispiele zeigen deutlich die Bedeutung von bürgerschaftlichem Engagement in der Kultur. Drei herausragende Kulturangebote, die ohne das engagierte Verhalten der Bürger aus Osnabrück, Bremen und Hamburg in der Form nicht existieren würden. Darüber hinaus veranschaulichen insbesondere das Kinder- und Jugendtheater „Oskar“ und die Kunsthalle Bremen verschie39
Siehe unter www.osnabrueck.de; www.theater.osnabrueck.de; (Abruf 04.02.2008). Siehe unter www.kunsthalle-bremen.de/der-kunstverein-in-bremen/ (Abruf 03.02.2008). 41 Die verwendeten Informationen entstammen der Homepage der Elbphilharmonie, www.elbphil harmonie.de (Abruf 01.02.2008). 40
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dene Möglichkeiten, sich als Bürger für seine Stadt einzubringen und etwas bewirken zu können. Auch die für den Kulturbereich typischen Schnittmengen der Sektoren Staat und Bürgergesellschaft sowie die daraus erwachsenen Kooperationen und Koalitionen zeugen von wichtigen Aspekten, die es weiter zu forcieren gilt. Doch bevor die Herausforderungen für ein zukunftsorientiertes Kulturmanagement, das unter anderem genau an diesen Punkten ansetzt, erörtert werden, sollen auch den Befürchtungen und Gefahren Beachtung geschenkt werden, die mit einer zunehmenden Vorortung von Verantwortung einhergehen. Bürgerengagement kritisch betrachtet. Das Beispiel der Kunsthalle Bremen zeigt auch, dass bürgerschaftliches Engagement keine neue Erscheinung ist. Neu ist die Qualität und Intensität demokratischer Teilhabe am kommunalen Kulturleben. Und auch das staatliche Interesse, diese Entwicklung durch gesetzliche Novellierungen und Initiativen evident voranzutreiben, weist eine neue Dimension auf. So wurde beispielsweise das Gesetz zur weiteren Stärkung bürgerschaftlichen Engagements am 21. September 2007 durch Zustimmung des Bundesrates beschlossen und trat rückwirkend zum 01.01.2007 in Kraft. Wesentliche Neuerungen betreffen das Zuwendungs- und Gemeinnützigkeitsrecht. So gibt es beispielsweise einen neuen Steuerfreibetrag von 500 Euro jährlich für ehrenamtliche Nebeneinkünfte als Aufwandspauschale. Außerdem können nun gem. § 10 b I a Einkommenssteuergesetz Zustiftungen an öffentlich-rechtliche oder gemeinnützige Stiftungen bis zu einem Gesamtbetrag von 1 Mio. Euro abgesetzt werden (vorher bis zu 307.000 Euro). Wer also durch Zuwendungen gemeinwohldienlich tätig wird, genießt seit 2007 noch mehr Steuervorteile. Nun könnte dem Staat auf Grund dieses nachdrücklichen Engagements lediglich ein strategischer Rückzug aus dem eigenen Verantwortungsfeld unterstellt werden. Es werden „Anreizsysteme“42 – vor allem finanzieller Art – für mehr Eigenverantwortung geschaffen, um schließlich einen Weg aus der Finanzkrise der öffentlichen Hand zu finden. Der Staat zieht sich zurück und überlässt den Bürgern eine Experimentierfläche in Gestalt der lokalen Kulturlandschaft. Der Ausgang eines Experimentes steht in Abhängigkeit zu verschiedenen Faktoren, wobei ein wesentlicher Faktor der Akteur selbst ist. Scheitert er in seiner Verantwortung, so muss er sich dies selbst zurechnen. Befürchtungen, es käme zu einer Überforderung der Bürger sind durchaus ernst zu nehmen. Es besteht die Gefahr einer ungleichen Lastenverteilung, die nicht in einer funktionierenden selbsttätigen Bürgergesellschaft mündet, sondern in Resignation. Und Resignati42 Der Begriff steht bei Kocyba im Zusammenhang mit dem „aktivierenden Staat“ als fördernde und fordernde Ebene, vgl. Kocyba ebd., meint aber hier lediglich den durch Gesetzesnovellierungen hervorgebrachten Handlungsanreiz, insbesondere in Form von Steuervorteilen.
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on beeinträchtigt jede weitere Aktivierung. Anstatt den durch Emanzipation von staatlicher Regelungsmacht gewonnenen Raum als neues Handlungs- und Betätigungsfeld wahrzunehmen, kann dann diese Unabhängigkeit von der öffentlichen Hand auch durchaus als politischer Zwang wahrgenommen werden. Insofern würde der Staat das bürgerschaftliche Engagement für seine Zwecke instrumentalisieren und lediglich eine ihm obliegende Verantwortung verorten. Privates Engagement könnte zudem ad absurdum geführt werden, wenn staatliche Kulturförderung um die Anteile gekürzt würde, die durch bürgerschaftliches Engagement aufgebracht würden.43 Ebenfalls gefahrträchtig scheint eine Entwicklung, die sich arbeitsmarktpolitisch vollzieht. Menschen, die ohne eine Vergütung tätig werden, sind attraktiv für einen Arbeitsmarkt, der mangels finanzieller Möglichkeiten zunehmend Stellen abbaut. Rein ökonomisch gedacht ließe sich aus den unentgeltlichen „Human Ressources“ ein Beschäftigungsmodell entwickeln, wonach Tätigkeiten in kulturellen Non-Profit-Einrichtungen generell nur noch von Ehrenamtlichen übernommen und die Stellen der Hauptamtlichen sukzessive abgebaut werden. Schon heute werden vor allem im Kultur- und Medienbereich viele Tätigkeiten von qualifizierten Praktikanten und Volunteers ausgeübt, ohne dass eine angemessene Vergütung angesichts der zum Teil hoch qualifizierten Arbeitskräfte gezahlt wird.44 Ob diese Art des Tätigwerdens überhaupt als bürgerschaftliches Engagement zu qualifizieren ist, ist ohnehin in Frage zu stellen und wohl eher mit „nein“ zu beantworten; eine Marktorientierung liegt insoweit vor, als dass die Motivation oft ausschließlich in der Aufwertung der beruflichen Vita liegt oder in dem Bestreben, im Arbeitsprozess zu verbleiben. Unabhängig davon, wer nun unentgeltlich tätig wird; Ängste bzgl. des Abbaus dotierter Stellen im Zuge einer Ausweitung des Ehrenamtes können zu einem negativen Bild von Ehrenamtlichkeit in der Öffentlichkeit führen. Diese Gefahr, nämlich dass das Engagement zu einem „kostengünstigen Lückenbüßer“45 herangezogen wird respektive die „Marktpreise“ von hauptamtlichen Stellen negativ beeinflusst, darf nicht ausgeblendet werden. Ein verantwortungsbewusstes Kulturmanagement greift diese Gefahren auf und schließt sie beispielsweise im Hinblick auf betriebliche Personal- und Finanzplanung ein. Ein weiteres Problem bezogen auf die Außenwahrnehmung bürgerschaftlichen Engagements ist dessen Abwertung als bloßer, vorübergehender Modetrend. Wie jeder inflationär gebrauchte Begriff im Sinne einer Modevokabel würde auch der des bürgerschaftlichen Engagements an Bedeutung und Wertschätzung verlieren, wenn die Debatten nicht sinnstiftend geführt werden. Idea43 44 45
Vgl. Zimmermann unter www.kulturrat.de, Abruf am 01.02.2008. Vgl. hierzu auch die Gesichtspunkte des Selbstmanagements im Beitrag von Reither. Siehe dazu R. Heinze, in Sievers/Wagner 2006: 74.
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listischer Aktionismus versiegt schnell, wenn die Wertschätzung durch die öffentliche Wahrnehmung, es handle sich um eine bloße Modeerscheinung, ersetzt werden würde. R. Heinze (2006) sieht überdies die Gefahr, dass durch das gestiegene Medieninteresse der Begriff des bürgerschaftlichen Engagements insoweit verkommt, als dass lediglich ein „Etikettenschwindel“46 betrieben wird. Ein gesellschaftlich tradiertes Phänomen, etwas immer Dagewesenes, das nun nur einen an modischen Trends orientierten Namen erhält.47 Dem ist entgegen zu halten, dass die Entwicklungen in diesem Bereich, die Bereitschaft zur bürgerschaftlichen Verantwortung, in den letzten Jahren nicht stagniert, sondern gestiegen ist und dass auch gerade die erhöhte Medienaufmerksamkeit aktivierend wirkt. Dem mitunter inflationär gebrauchten Begriff des bürgerschaftlichen Engagements ist aber rein prophylaktisch weiterhin unbedingt eine öffentlich kommunizierte Wertschätzung beizumengen. Schließlich sei noch auf eine weitere Gefahr hingewiesen, auf die Zimmermann (2008) aufmerksam macht.48 Neben all den sich eröffnenden Chancen durch private Gelder, die in öffentliche Kultureinrichtungen fließen (z.B. in Form von Fördervereinen, Sponsoring, Public Private Partnership), besteht auch eine potenzielle Einflussnahme der privaten Akteure auf das Kulturangebot. Der Bürger stellt nicht nur die Ressourcen zur Verfügung, er will diese auch nach seinen Interessen steuern.49 Vereins-oder Stiftungstätigkeiten könnten sich gegenüber der Kulturpolitik zunehmend verselbständigen. Dass dies zu Spannungen und wenig konstruktiven Konkurrenzsituationen führen kann, liegt auf der Hand. Konkurrenzverhalten im bürgerschaftlichen Sektor kann noch in einer weiteren Entwicklung gründen: Die Funktionstüchtigkeit von bürgerschaftlichen Organisationen hängt weitestgehend von ihrer finanziellen Ausstattung ab, die aus privaten Mitteln gespeist wird. Die gemeinnützigen Organisationen umkämpfen den schmalen „Spendenmarkt“, der seinerseits bereits nach den üblichen Marktmechanismen funktioniert. Nur derjenige, der z.B. professionelle, wirksame Public Relations betreibt und über Möglichkeiten zur Etablierung umfassender Fundraisingmaßnahmen verfügt, überlebt langfristig und sieht sich in der Lage, die dem Zweck bestimmten Projekte zu initiieren und kulturfördernd tätig zu werden. Der dem bürgerschaftlichen Engagement anhaftende Nonprofit-Gedanke wird überdeckt von monetären Handlungsmaximen und 46
Ebd. Ebd. Zimmermann, „Privates Geld im öffentlichen Kulturbetrieb?“, nimmt eine Kolumne des MDR zum Gegenstand einer Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken der Zunahme an privaten Finanzmitteln, die in öffentliche Kulturbetriebe fließen, vgl. www.kulturrat.de, Abruf am 01.02.2008. 49 Und genau in diesem Interesse liegt ein ganz wesentlicher Ansatzpunkt für das Kulturmanagement. 47 48
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Schlagworten wie Effektivität und Effizienz wird bald mehr Beachtung geschenkt, als dem eigentlichen ideellen Zweck.
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Ausblicke für das Kulturmanagement
Operatives Kulturmanagement als Steuerungsfunktion kultureller Prozesse findet innerhalb der Kulturwirtschaft, der öffentlich getragenen Kulturbetriebe bzw. Kulturpolitik sowie des Sektors Zivilgesellschaft statt. Im Hinblick auf ein Kulturmanagement, dessen Akteurskreis das bürgerschaftliche Engagement bildet, sind vor allem die beiden letzt genannten Sektoren bedeutsam, da in ihnen bürgerschaftliches Engagement unmittelbar stattfindet (s.o. Abb. 1). Welche kulturmanagerialen Aspekte rücken nun in den Vordergrund, wenn es um die neuen Akteure in der Kultur geht? Ausgewählte Stichworte sollen verdeutlichen, welchen Aufgaben sich ein gegenwarts- und zukunftorientiertes Kulturmanagement gegenübersieht. Aktivierung. In einem hier zu Grunde gelegten betriebswirtschaftlichen Verständnis meint der Vorgang der Aktivierung das Aktivieren von Ressourcen (z.B. Zeit, Geld, Fähigkeiten s.o.) und das Schaffen von Rahmenbedingungen, die selbstständiges und eigenverantwortliches Handeln ermöglichen und voraussetzen. Hierzu bedarf es bestimmter Anreiz- und Steuerungssysteme, die eigenverantwortliches Verhalten der Akteure in Gang setzen und fördern und somit hierarchische Direktionen der Organisationsleitung obsolet machen. Es geht um einen Prozess der Selbstoptimierung und -regulierung.50 In einem politischen Kontext meint der Begriff Aktivierung vor allem das Konzept des aktivierenden Staates, das wiederum verschiedene Positionen und Bedeutungen vereint. Im Zusammenhang mit bürgerschaftlichem Engagement geht es hierbei um eine Aktivierung der Zivilgesellschaft. Es geht darum, staatliche Verantwortung zu teilen und zwar im Sinne einer Staat-Bürger-Kooperation. Ziel der Aktivierung der Bürgergesellschaft ist die „größtmögliche bürgerschaftliche Selbsttätigkeit und Selbstregelung“51.
50
Vgl. Kocyba ebd. 19. Kocyba geht in seinem Beitrag zum Begriff der Aktivierung den verschiednen Bedeutungsvarianten nach, wobei hinsichtlich der wirtschaftlichen und politischen Verwendungskontexte jeweils Aspekte wie Verantwortungsübernahme, Selbstregulierung und Selbsttätigkeit eine zentrale Rolle spielen. 51 Lamping u.a. 2002: 35f.
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Einem aktivierenden Kulturmanagement52, das sowohl im öffentlichen als auch zivilgesellschaftlichen Sektor operiert, kommt mithin die Aufgabe zu, die vorhandenen bürgerschaftlichen Potenziale zu aktivieren und zu steuern. D.h. es wird in verstärktem Maße zu einer Aufgabe des Kulturmanagements, weitere Akteure für die Kultur zu gewinnen und zum anderen die bereits Aktiven weiter zu befähigen. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, welche Instanz diese managerialen Aufgaben übernehmen soll, zumal der bürgerschaftliche Sektor aus seiner „Natur“ heraus durch dezentrale Strukturen und Selbsttätigkeit charakterisiert ist. Bürgerschaftliches Engagement findet unabhängig von übergeordneten Planungen statt. Es muss also zwangsläufig in einem aktivierenden Kulturmanagement darum gehen, den einzelnen Akteur zu befähigen, eigenständig kulturelle Prozesse zu steuern, Führungsaufgaben wahrzunehmen und weitere Akteure (z.B. neue Vereinmitglieder) gewinnen. Aktivierendes Kulturmanagement im Kontext des bürgerschaftlichen Engagements kann nur durch den Einzelnen stattfinden, der wiederum durch entsprechende Ausund Fortbildung qualifiziert wird. Die hierzu notwendigen Anreiz- und Steuerungssysteme können vor allem von den zahlreichen Organisationen, wie z.B. Vereinen, Stiftungen und insbesondere Bürgerstiftungen, geschaffen werden. Ein wichtiger Anreiz kann z.B. die Partizipationsmöglichkeit sein. Unmittelbare Mitbestimmung an der Gestaltung und Ausgestaltung des lokalen Kulturangebotes kann ein Anreiz sein, sich entsprechend zu beteiligen und seine Interessen zu vertreten. Kultur wird nicht nur in den durch eine bereits überlebte Kulturentwicklungsplanung vorgegebenen Strukturen konsumiert, sondern Kultur wird selbst produziert. Insofern avancieren die Kulturkonsumenten von „damals“ zu einer Gruppe von Kulturschaffenden von heute. Ein weiterer Anreiz kann eine mit der kulturellen Inwertsetzung verbundene Stadtentwicklung sein, denn die regionale Kulturlandschaft ist immer auch zugleich ein Anreiz für unternehmerische Investitionsentscheidungen. Bürgerschaftliches Engagement ist aus sich heraus PR-wirksam und erzeugt ein öffentliches Interesse. Die Steuerung bürgerschaftlichen Engagements erfolgt ebenfalls insbesondere durch die Akteure selbst. Synergetisch wirkt hier sicherlich auch das Konzept des aktivierenden Staates, der genau diese Selbsttätigkeit zunehmend fördert und fordert. Kommunikation. „Kulturmanagement organisiert und ermöglicht kommunikative Strukturen, die die Zahl und Qualität kultureller Beobachtungsmöglichkeiten lokal steigern“53. Kulturmanagement in seiner operativen Umsetzung initiiert 52 53
Vgl. hierzu den Beitrag von Scheytt in diesem Band. Heinze 2008: 11.
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und steuert kommunikative Prozesse, ist medialer Prozess und mediale Funktion zugleich. Vor allem in Bezug auf die Austauschprozesse zwischen Kultureinrichtungen und seinen Anspruchsgruppen (externe Kommunikation), wie z.B. als Teilbereich des Marketings oder der Öffentlichkeitsarbeit, aber auch im Rahmen interner Kommunikation, als Aufgabe der Unternehmensführung, wird Kommunikation managerial organisiert und gesteuert. Gewinnt ein neues Feld an Akteuren an Bedeutung, so eröffnen sich weitere Bereiche kommunikativen Vermittlungsbedarfs. Ausgehend von dem kulturellen Sektorenmodell müssen Kommunikationsprozesse die Reziprozität der Sektoren aufgreifen und kommunikativ verwerten. Für die Praxis bedeutet dies, dass die Tätigkeiten des öffentlichen Kultursektors sowie des zivilgesellschaftlichen Sektors durch gesteuerte und vor allem gezielte Kommunikation transparent werden, so dass auch die Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden können. Transparenz schafft Vertrauen, neuen Kommunikationsraum und veranlasst Synergien. Kommunikationsprozesse fördern ein Public-Private-Partnership. Die durch eine offene Kommunikation geschaffene Transparenz ist auch für die bürgerschaftlichen Akteure untereinander von herausragender Bedeutung. Es ist Grundvoraussetzung zur Gewinnung neuer Akteure (Aktivierung) und für eine Vernetzung ihrer Aktivitäten. Als Teil einer funktionierenden Kommunikationsarbeit sei hier auch das Konfliktmanagement erwähnt, das bisher in der kulturmanagerialen Praxis und Ausbildung eine viel zu untergeordnete Rolle gespielt hat. Konstruktiver Umgang mit Konflikten, also die Fähigkeit, Spannungen und Konfliktsituationen zu erkennen, zu verstehen sowie Techniken des konstruktiven Umgangs mit Konflikten zu beherrschen, ist eine Aufgabe zukunftsorientierten Managements. Es wäre paradox, auf der einen Seite Strategien zur Ressourcenaktivierung zu entwickeln und auf der anderen Seite deren Bewahrung zu vernachlässigen. Zwischenmenschliche Spannungen wirken – ohne eine konstruktive Bearbeitung – demotivierend und verschlingen Energien, die dem eigentlichen Zweck, z.B. dem des Vereins, nicht mehr zur Verfügung stehen. Konflikte binden menschliche Ressourcen und eine fehlende Konfliktfähigkeit steht einer jeden, sich selbst regulierenden Bürgergesellschaft entgegen. Gerade im zivilgesellschaftlichen Sektor, der sich von hierarchischen Strukturen emanzipiert hat, fehlen regulative Kräfte einer Führungsebene. Je mehr sich aber eine Konfliktkultur zwischen den Akteuren entwickelt, desto verzichtbarer sind auch hierarchische Strukturen. Koordinierung. Das Wirkungsfeld des Kulturmanagement wird durch eine Zunahme an Akteuren unüberschaubarer. Zudem wird es eine Vielzahl an aktiven Helfern geben, deren Potenziale und Bereitschaft längst nicht erschöpft sind. Auf der anderen Seite wird es Kultureinrichtungen, Initiativen usw. geben, die saiso-
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nal, punktuell oder dauerhaft aktive, qualifizierte Kräfte suchen. Aufgabe eines sich aus diesem Bedarf heraus institutionalisierenden Kulturmanagements könnte somit in einer Vermittlungstätigkeit liegen. Die Gründung einer organisationalen Form, die den Bedarf und die vorhandenen Ressourcen koordiniert und zusammenfügt.54 Insgesamt geht es um eine Koordinierung zwischen Organisationen und Akteuren, zwischen den Akteuren untereinander sowie eine Koordinierung der kulturellen Tätigkeiten der Sektoren. Kooperationen. Bürgerschaftliches Engagement sollte sich nicht von den kulturellen Einrichtungen der öffentlichen Seite insoweit distanzieren, als dass es in Konkurrenz zu öffentlich getragenen Kulturangeboten tritt. Solche Konkurrenzsituationen tragen langfristig nicht zu einer vernetzten Bürgergesellschaft bei und führen lediglich zu beiderseitigen Akzeptanzproblemen. Kooperationen werden als Bedingung eines Erfolges betrachtet, der in breit gefächerten Kulturangeboten und Kulturförderinstrumenten seinen unmittelbaren Ausdruck findet. Aufgabe des Kulturmanagement bleibt somit weiterhin die Initiierung, Organisation und Steuerung von Kooperationen im Verständnis eines Public-Private-Partnerships, das eine sinnstiftende Beziehung zwischen öffentlichem und zivilgesellschaftlichem Sektor hervorbringt. Das Zusammentreffen der öffentlichen und der bürgerschaftlichen Seite im Kulturbereich ist eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Sektoren. Kooperationen sollten zudem als Ressourcen verstanden werden, nicht als Notgemeinschaften. Die Kommunikation dieses grundlegenden Verständnisses mit Leitbildcharakter fällt ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich des Kulturmanagements. Dieser benannten Aufgaben ist sich das Kulturmanagement schon lange bewusst. Hinzu tritt aber die Mission, Kooperationen zwischen den bürgerschaftlichen Akteuren untereinander zu forcieren. Denn auch auf dieser Ebene führen Konkurrenzsituationen – wie sie z.B. im Rahmen der Akquisition von Fördermitteln angedeutet wurden – zu kontraproduktiven Rivalitäten. Qualifizierung/Professionalisierung. Zukunftsorientiertes Kulturmanagement meint auch eine weitere Professionalisierung der Akteure. Im Kontext der kulturmanagrialen Aus- und Weiterbildung stellt Heinze (2008) fest: „Kulturmanagement hat sich zu arrangieren mit kulturpolitischen Maximen, Strategien und lokalen (kommunalen) Gegebenheiten“55. 54 Siehe hierzu auch die von Thelen in seinem Beitrag in diesem Band angesprochenen Aufgaben eines Diversity Managements im Theater. 55 Heinze 2008: 25.
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Entwicklungsprozessen im Akteursbereich sind als Veränderungen lokaler Gegebenheiten durch eine entsprechende Reaktion des Kulturmanagement als Qualifizierungsfunktion Rechnung zu tragen. Waren bislang vielfach klassische Kulturschaffende, wie z.B. Mitarbeiter in Kulturbetrieben und -ämtern, Künstler, Führungspersonen usw. Zielgruppe der Aus- und Fortbildung im Kulturmanagement, so werden es zukünftig zunehmend immer mehr „fachfremde“ Bürger sein, die sich bürgerschaftlich engagieren und organisieren. Der Zielgruppe entsprechend rücken damit Themenfelder, wie z.B. Projektmanagement, Finanzierung, Öffentlichkeitsarbeit, Networking, interkulturelle Kommunikation und verschiedene Rechtsthemen in den Vordergrund einer Qualifizierung, die zu Eigenverantwortlichkeit und bürgerschaftlicher Selbsttätigkeit befähigt. Auch die Vermittlung von Kunst (z.B. pädagogische Konzepte in Museen und Theatern) und Fähigkeiten künstlerischer Gestaltung (z.B. Musik- und Kunstschulen) werden als Anreize betrachtet, sich für den Bereich Kunst und Kultur zu engagieren. Abbildung 2:
Die Wirkungsebenen des Kulturmanagements im Kontext bürgerschaftlichen Engagements öffentlicher Sektor - Kommunale Kulturpolitik - Kultureinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft (Museen, Stadttheater, Bibliotheken usw.)
Kulturmanagement als Prozess und Funktion steuert - Aktivierung - Kommunikation - Koordinierung - Kooperation - Qualifizierung - Professionalisierung
zivilgesellschaftlicher Sektor Kulturelle Prozesse des zivilgesellschaftlichen Sektors: Bürgerschaftliches Engagement für Kunst und Kultur
Quelle: eigene Darstellung
Kulturmanagement
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Fazit
„Ohne das ehrenamtlich-bürgerschaftliche Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger wäre unsere Kulturlandschaft kärglich und blieben viele kulturelle Interessen unbefriedigt“56. „Kärglich“ ist die zutreffende Bezeichnung eines lokalen Kulturangebotes, wie es ohne das Engagement von Bürgern für ihre Region erfahrbar würde. Der von kommunaler Seite zur Verfügung gestellte finanzielle Rahmen für Kunst und Kultur verengt sich weiter und lässt zusehends weniger Handlungsspielräume zu. Insofern scheint die Aussage nicht übertrieben, dass eine neue sich formierende Bürgergesellschaft als Garant für das Fortbestehen unserer Kulturlandschaft steht. Interessant erscheint auch der paradigmatische Wechsel innerhalb der Haltung gegenüber Kunst und Kultur: Während lange Zeit vornehmlich ein Konsum von „Kulturprodukten“ stattgefunden hat, entwickelt sich zunehmend eine breite Fördererkultur, die nicht nur auf das Engagement von Großmäzenen zurückgreift. Vielmehr entwickelt sich eine philanthropische Grundhaltung von Bürgern und Unternehmen und es wächst die Bereitschaft, die Bedingungen des eigenen Lebensumfeldes wesentlich mitzugestalten. Das Kulturangebot wird nicht mehr einer kommunalen Kulturentwicklungsplanung als Regulativ „von oben“ überlassen, sondern die Basis selbst erschafft sich ihre Kulturlandschaft im Sinne eines Bottom-up-Modells zu großen Teilen selbst. Die Potentiale sind enorm, betrachtet man allein schon die Demographie der Gegenwart und Zukunft. Ältere, aktive und zum Teil hoch qualifizierte Menschen außerhalb des Arbeitsprozesses bilden dabei eine wichtige Gruppe und damit auch eine ganz wesentliche Akteurs- und Zielgruppe des Kulturmanagements. Positiv betrachtet befindet sich die Gesellschaft mitten in einem Paradigmenwechsel, von einem regulativen hin zu einem moderierenden Staat. Von etatistischen, versorgenden Strukturen hin zur Partizipation und Eigenverantwortlichkeit. Indes ist die (Kultur-) Politik gefragt, die Ermöglichung von Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit weiter voran zu treiben und damit die Entfaltung von sozialem Kapital zu forcieren. Bürgerschaftliches Engagement verdient eine angemessene Förderung und Wertschätzung; und hier liegen auch Aufgabengebiete des operativen Kulturmanagements. Ein zukunftsorientiertes Kulturmanagement kann wesentlich zum Gelingen einer weiteren Konsolidierung des bürgerschaftlichen Engagements beitragen. Einige Stichworte dazu wurden benannt, wobei es sich dabei lediglich um Anregungen handeln kann. Es bedarf zur weiteren Konkretisierung auch umfassende56
Wagner 2000: 322.
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rer Forschungsergebnisse, vor allem Evaluationen in den Kultureinrichtungen selbst, in denen ehrenamtliche Helfer beschäftigt sind. Aufgabe des Kulturmanagements ist es aber auch, die potenziellen Gefahren und Befürchtungen ernst zu nehmen, die ein dezentralisierter bürgerschaftlicher Sektor birgt und entsprechende Handlungsstrategien zu entwickeln. Als ein Beispiel sei hier das Konfliktmanagement benannt, das durch seine konstruktiv positiven Auswirkungen ebenso bei Aktivierungsprozessen wie auch im Hinblick auf Kooperationen und ungewöhnliche Koalitionen einen wichtigen Erfolgsfaktor darstellt. Im Ergebnis sieht sich die These bestätigt, dass sich das Kulturmanagement auf neue Rahmenbedingungen einlassen und einstellen muss. Neue Aufgaben und Inhalte beschäftigen es in operativer Hinsicht genauso, wie bezogen auf eine die neuen Akteure qualifizierende Aus- und Fortbildung.
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Selbstmanagement im Kulturbetrieb
Selbstmanagement im Kulturbetrieb Kulturunternehmer zwischen Unabhängigkeit und Prekariat Selbstmanagement im Kulturbetrieb
Saskia Reither 1 2 3 4 5 6 7
Einleitung Was bedeutet Selbstmanagement? Organisationstechniken Exkurs: Unternehmer seiner Selbst Selbstmanagement im Kulturbetrieb Kulturunternehmer und der Wandel am Arbeitsmarkt Literaturverzeichnis
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Einleitung
Das Thema Selbstmanagement ist derzeit durch die massive Veränderung unserer Arbeitsverhältnisse und die damit einhergehenden Anforderungen, sich selbst zu organisieren, gesellschaftlich äußerst präsent. Die Organisation der eigenen fachlichen Qualitäten und persönlichen Möglichkeiten gewinnt zunehmend an Bedeutung im Spannungsfeld von Arbeit und Freizeit. Zahlreiche Ratgeber und ein reichhaltiges Angebot an einschlägigen Seminare und Workshops spiegeln dies wider, vor dem Hintergrund der strukturellen Veränderung eines Arbeitsmarktes, in dem Flexibilisierung, Dynamisierung und Unsicherheit an der Tagesordnung sind. Der Kulturbetrieb ist hier in besonderem Maße betroffen, da er sich in den letzten 15 Jahren stark in Richtung temporäre, projektorientierte Arbeit mit Tendenz zu unsicheren und prekären Lebensverhältnissen verändert hat – und damit ist nicht nur die schon immer risikoreiche Existenzform des freien Künstlers gemeint, sondern auch die der Kulturvermittler, -organisatoren und -manager. Als ein Effekt dieser Entwicklung kann man beobachten, dass Kulturschaffende (Kulturvermittler oder -manager) mehr und mehr Interesse gewinnen, sich in einer Branche, die ohnehin beinahe keine festen und dauerhaften Beschäftigungsverhältnisse mehr kennt, selbständig zu machen. Sie initiieren Projekte, bieten sich und ihre speziellen Kenntnisse für full service-Leistungen an und
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arbeiten als Freie in immer neuen Projekten mit befristeter Laufzeit. Sie nutzen die Lücken und Freiräume eines Kulturmarktes kreativ und setzen die eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse in Form eines Büros, einer Agentur oder eines Netzwerks freiberuflich um. Denn längst ist der Kulturbetrieb in seiner zunehmenden Komplexität und thematischen Reichhaltigkeit auf kulturelle Serviceleistungen wie Beratung, Konzeption Projektmanagement, Öffentlichkeitsarbeit, Programmgestaltung, Kommunikation und kultureller Wissensvermittlung etc. angewiesen. Ein in die Praxis umgesetztes Selbstmanagement bietet Kulturschaffenden daher zukünftig eine Alternative, im Kulturarbeitsmarkt, das Heft selbst in die Hand zu nehmen und ihre Rolle aktiv als freiberufliche Berater, Manager, Kommunikatoren, Vermittler, Organisatoren oder Initiatoren umzusetzen. Es gibt bislang wenig Literatur oder Forschungsbeiträge, die Aufschluss darüber geben könnten, was mit dem Begriff Selbstmanagement gemeint ist und inwieweit sich eine Adaption der Techniken und Methoden des Selbstmanagements gerade für den Kulturbereich sinnvoll einsetzen lassen. Der Artikel geht dieser Frage nach und untersucht vor dem Hintergrund neoliberaler Wirtschaftsverhältnisse und den damit einhergehenden strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt die neuen Bedingungen von Kulturarbeit und Kulturunternehmertum. Das betrifft auch die im Kulturbetrieb Arbeitenden. Denn die gestalterischen Möglichkeiten, die mit einer Betonung des Selbstmanagements einhergehen und die emphatisch verstandene ‚Selbständigkeit’ einerseits zu fördern scheinen, bedeuten andererseits, dass die betroffenen Kulturschaffenden sich in prekäre Arbeitsbedingungen hineinbegeben. Es ist nicht anzunehmen, dass sich die Bedingungen gänzlich zu der einen oder anderen Form hinbewegen werden. Vielmehr handelt es sich um eine soziokulturelle Ausdifferenzierung des Arbeitsfeldes Kultur. Daher kann es vorerst nicht darum gehen, sich mit einer These auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Wichtiger ist, die verschiedenen Prozesse zu beschreiben und miteinander in Beziehung zu setzen wie es vorliegend geschehen soll. ’ Bevor das ‚Selbstmanagement im Kulturbetrieb’ näher betrachtet werden kann, muss genauer geklärt werden, was unter Selbstmanagement zu verstehen ist und was dessen kulturelle Hintergründe einer sich ökonomisch wandelnden Welt sind.
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Selbstmanagement im Kulturbetrieb Was bedeutet Selbstmanagement?
Recherchiert man den Begriff Selbstmanagement bzw. self-management über einschlägige wissenschaftliche Datenbanken und Publikationsverzeichnisse, erhält man ein recht unterschiedliches Themenspektrum. Im englischsprachigen Raum wird der Begriff self-management in unterschiedlichen Fachdiskursen verwendet: innerhalb der Wirtschaft, aber auch der Erziehung und Psychologie bezeichnet er Methoden, Fähigkeiten und Strategien, durch die Individuen ihre eigenen Aktivitäten effektiv entwickeln und einsetzen können, um Ziele zu erreichen. Es geht hier um allgemeine Planungen, Zielsetzungen, Zeitplanungen, Selbstevaluierungen und Selbstentwicklung. Ein ganz anderer Kontext ist der der Computerwissenschaft. Hier bezeichnet man mit self-management einen Prozess, durch den das Computersystem in der Lage ist, seine eigenen Operationen ohne menschliche Hilfe durchzuführen. Schließlich existiert der Begriff self-management auch noch im medizinischen Kontext und bezeichnet Techniken und Fertigkeiten von chronisch kranken oder behinderten Menschen, mit ihrer Krankheit im Alltagsleben selbst zurechtzukommen. Im deutschen Sprachgebrauch hat sich der Begriff des Selbstmanagements vor allem im Bereich der Ratgeberliteratur etabliert. Selbstmanagement ist seit ein paar Jahren in aller Munde und in beinahe allen Lebensbereichen zu finden und – wie die Ratgeber nicht müde werden zu behaupten – in allen Lebenslagen anzuwenden. Man muss nur einen Abstecher in eine Buchhandlung unternehmen und sich in den Abteilungen Ratgeber, Lebenshilfe oder Arbeitsorganisation umschauen und man wird sofort mit Literatur konfrontiert, die sich mit der Organisation des eigenen Lebens innerhalb unterschiedlicher Situationen auseinandersetzt. Die Spannbreite reicht dabei von der Organisation des Arbeitsplatzes im Sinne des Büromanagements bis hin zur alles umfassenden Work-LifeBalance-Methode, die das Leben als Gesamtes im Blick hat und versucht, die Teile Arbeit und Freizeit in einem (gesundheits-)verträglichen Maße auszutarieren. In allen Fällen geht es immer um die Organisation von etwas, sei es das Büro, die Arbeitsabläufe, die Zeit oder die Lebenspläne. Es geht um Ziele und die Art und Weise des Handelns. Die Techniken, deren sich die Ratgeber bedienen, um Ziele erfolgreich zu verwirklichen, sind der kognitiven Verhaltenstherapie entliehen und gehen auf Frederick Kanfer zurück. Dort heißt es: „Selbstmanagement ist mittlerweile – vor allem im englisch-amerikanischen Sprachraum – zu einem Sammelbegriff für solche Therapieansätze geworden, die alle gemeinsam haben, dass Klienten zu besserer Selbststeuerung angeleitet und möglichst aktiv zu einer eigenständi-
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gen Problembewältigung fähig werden.“1 In der internationalen psychologischen Fachsprache wurde self-management zu einem anerkannten Terminus. Selbstmanagement-Fertigkeiten sind laut Kanfer: Selbstbeobachtung, Selbstinstruktionen, Zielerklärung und Zielsetzung, Selbstverstärkung, Selbstkontrolle, aber auch Selbstmotivation, Frustrationstoleranz, Flexibilität und Ausdauer2. Was in der Wissenschaft und Therapie ausdifferenziert beschrieben und entwickelt wurde, ist schließlich als Bezeichnung für das Management der eigenen Person bzw. des eigenen Handelns formelhaft und popularisierend in die Managementliteratur übernommen worden. Selbstredend ist der Begriff hier nicht mehr medizinisch-pathologisch verwendet, sondern beschreibt erlernbare Techniken für Jedermann (ohne diagnostiziertes Krankheitsbild). Die Ratgeber erklären in einfacher und beschwörender Sprache, dass das Selbst problemlos zu führen sei, wenn man nur ein paar Regeln beherzige, eintrainiere und anwende. Ebenso leichtfertig suggerieren viele Ratgeber, dass sich insbesondere eine äußerst komplexe soziale Situation wie die der Arbeit und des Arbeitsplatzes durch Selbstorganisation und Zeiteinteilung zufrieden stellend steuern und gestalten ließe. Dennoch geht das Thema Selbstmanagement, wie bereits angedeutet, über diesen pragmatischen Zugriff hinaus, da es eine große Rolle innerhalb der strukturellen Veränderungen der Arbeit spielt.
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Organisationstechniken
Auf pragmatischer Ebene ist das Thema Selbstmanagement aus den Komponenten Zeitmanagement und Selbstorganisation zusammengesetzt. „’Zeitmanagement’ ist ein Schlagwort […], aber ein unsinniger Ausdruck, sobald man näher darüber nachdenkt: Man kann Zeit nicht ‚managen’. Zeit verstreicht in unerbittlichem Takt […]. Tatsächlich kann man nur eines managen – sich selbst. […] Wenn das so ist, dann bringen Tricks und Techniken zur Einsparung einiger Minuten keine Lösung. Beim Zeitmanagement geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um konkrete Formen von Effektivität.“3 Effektiv wird der Umgang mit Zeit, wenn man sein gesamtes Handeln nach dem Aspekt der Effektivität ausrichtet. Dieses Ziel hat das Selbstmanagement, das neben zeitorganisatorischen Techniken auch auf Kommunikations- und Organisationsfähigkeit ausrichtet ist. Die grundlegenden Organisationstechniken setzen sich aus den Themen Selbstanalyse (Stärken/Schwächen), Zielformulierung, Zeitmanage1 2 3
Kanfer/Reinecker/Schmelzer 2000: 6. Vgl. Kanfer/Reinecker/Schmelzer 2000. Scott 2006: 17.
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ment, Prioritäten, Erstellung von Arbeitsplänen, Minimierung von Zeitfressern, Techniken zur effektiveren Zusammenarbeit mit anderen, Kommunikations- und Organisationsfähigkeit zusammen. Jedes Coaching, bei dem es um die Weiterentwicklung der persönlichen Fähigkeiten geht, setzt am Beginn des Prozesses die Analyse der eigenen Stärken und Schwächen voraus. Wer wissen will, wo er am besten mit dem Erlernen neuer oder effizienterer Strategien ansetzen soll, muss sich zuerst über seine momentane Situation klar werden. Man beginnt mit der Absicht, etwas zu verändern. Aber wo liegen die Möglichkeiten und Chancen für die eigene Entwicklung? Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn man das aktuelle Arbeits-, Kommunikation- und Organisationsverhalten analysiert. In einem nächsten Schritt werden möglichst genaue und realisierbare Ziele formuliert, um einen Fixpunkt zu erhalten, nach dem sich das weitere Vorgehen ausrichten lässt. Um Wünsche, Ideen und Vorstellungen zur persönlichen Weiterentwicklung formulieren zu können, bietet sich ein Rückgriff auf die Ergebnisse der Stärken- und Schwächen-Analyse an. Was hat mich unzufrieden gemacht und was möchte ich in Zukunft verändern und wie? Wichtig ist an dieser Stelle, möglichst konkrete Vorstellungen und Ziele zu entwickeln, um für diese auch anschließend einen konkreten und vor allem realisierbaren Zeit- und Aufgabenplan festzustecken. Denn je klarer das Ziel formuliert ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, es umsetzen zu können. Da man selten ein Ziel in einem Schritt umsetzen kann, empfiehlt es sich, die einzelnen Handlungsschritte, die dazu nötig sind, in einen Plan, eine Liste der Aktivitäten, umzusetzen. So hat man sie im Blick, kann sich besser motivieren und hat nicht einen riesigen, unüberwindbaren Berg vor sich. Auch lässt sich mit Hilfe einer derartigen Liste die Umsetzung der einzelnen Schritte besser kontrollieren und gegebenenfalls an eine sich verändernde Situation anpassen. Da es im Selbstmanagement immer um die Frage geht, wie man sein Handeln auf ein Ziel hin ausrichten kann und wie man diese Ziele auch verwirklicht, stellt das Zeitmanagement einen wesentlichen Bestandteil des Selbstmanagements dar. Zeitmanagement bedeutet das sinnvolle Organisieren von Zeit oder anders formuliert, die Kunst, seine Zeit effektiv zu nutzen. Zeitmanagement wurde als Bündel von Strategien und Techniken entwickelt, vor dem Hintergrund der stetig ansteigenden Anzahl von Aufgaben im Arbeitsleben. Es setzt da an, wo die einzelne Person aufgrund von zu viel Aufgaben und Terminen überfordert ist, da die zur Verfügung stehende Zeit begrenzt ist. Insofern ist das persönliche Zeitmanagement eine grundlegende Komponente auf dem Weg zu einem sinnvollen Selbstmanagement. Denn je mehr Zeit man für wesentliche und wichtige Dinge nutzen kann, desto eher ist man in der Lage, seine eigenen Ziele zu verwirklichen. Techniken des Zeitmanagements setzen daher an der Trennung
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der wesentlichen Aufgaben von den unwesentlichen an. Die grundlegenden Techniken sind: Selbstanalyse, Ziele formulieren, Prioritäten setzen, Planung/Ordnung, Erfolgskontrolle Die große Anzahl an Ratgebern zum Thema Zeitmanagement4 setzen den Fokus auf a) eine ökonomische und effektive Einteilung der Zeit am Arbeitsplatz und b) ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Arbeitszeit und privater Zeit (Work-Life-Balance). Das Stichwort der Effektivität spielt hier eine besondere Rolle, denn die Fülle an Dingen, die es am Arbeitsplatz zu erledigen gibt, soll nicht in erster Linie effizient erledigt werden, sondern effektiv. Effizient sein heißt, in einer kurzen Zeit zu möglichst optimalen Ergebnissen zu gelangen und erfolgt meist durch die Optimierung der einzelnen Arbeitsschritte im Sinne einer Ökonomisierung der Arbeit. Effektivität dagegen heißt, mit der Arbeit eine bestimmte Wirkung zu erzielen und schließt eine Prioritätensetzung des Handelns mit ein. Zusammengefasst, basiert Selbstmanagement auf der Problemstellung, eigene Ideen und Ziele aktiv zu entwickeln und sie erfolgreich umzusetzen. Das Handeln wird dabei nach Prioritäten ausgerichtet, um so der in einzelne zeitliche und inhaltliche Schritte eingeteilten Realisierung des Ziels schrittweise näher zu kommen.
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Unternehmer seiner Selbst – Selbstmanagement in modernen, neoliberalen Arbeitsprozessen
Die Grundzüge des Zeit- bzw. Selbstmanagements so wie es in Ratgebern, Seminaren oder Workshops verbreitet und gelehrt wird, sind in einem größeren Zusammenhang zu sehen: der gegenwärtigen Veränderung der Arbeitsprozesse. Dass sich ein derartiges Wissen um eine Konditionierung der eigenen Person, sowohl gegenüber der Arbeit als auch des Privatlebens mit so großem Erfolg verkauft, wie es momentan den Anschein hat, entwirft indirekt ein Bild der Gesellschaft, genauer, ein Bild unserer Selbst, wie wir uns eine ideale Verfasstheit gegenüber Arbeit und Privatleben und deren Balance vorstellen und wünschen. Warum strebt eine Vielzahl von Menschen ein Wissen um das optimale Selbstmanagement an? Woher kommt die permanente Arbeit an sich selbst und der Drang zur Optimierung und Effektivitätssteigerung? Warum gibt es so viele Ratgeber zum Thema Selbstmanagement in hoher Auflage? Das Phänomen verweist auf eine grundlegendere Motivation, die sich vor dem Hintergrund der
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Vgl. z.B. Scott 2006, Seiwert 2005, Knoblauch/Wöltje 2006.
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spezifischen neoliberalen Regierungsform der Gouvernementalität beschreiben lässt.5 Im Laufe des 18. Jahrhunderts setzte sich durch, was sich bereits seit dem 16. Jahrhundert linear entwickelt: eine neue Regierungstechnik. Der Staat zieht sich mehr und mehr aus der Regierungsverantwortung zurück und überlässt dem Individuum einer bürgerlich liberalen Gesellschaft, sich um sich selbst zu sorgen, d.h. auf seine Gesundheit zu achten, seine Arbeitskraft einzuteilen, für sich selbst verantwortlich zu sein etc6. Foucault prägt hierfür den Begriff der Gouvernementalität. Er beschreibt damit eine spezifische Herrschaftsform, bei der die Regierenden im Einverständnis der Regierten handeln. D.h., dass diese Art der Menschenführung erst funktioniert, wenn die Subjekte einwilligen und bereit sind, sich selbst zu regieren, zu führen. Es geht um die „strukturelle Verstrickung zwischen der Regierung eines Staates und den Techniken der Selbstregulierung in westlichen Gesellschaften […].“7 Zuvor beherrschte der traditionelle Souverän noch seine Untertanen, wobei sein Ziel die Erlangung des eigenen Wohls war. „Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts, als Liberalismus und Bürgertum hegemonial wurden, trat die Bevölkerung in den Fokus der Macht und mit ihr ein Regieren, das am Leben und Besser-Leben ‚der Menschen’ orientiert war.“8 Nicht die Größe des Herrschaftsgebietes sondern das Wohl der Bevölkerung steht von nun an im Mittelpunkt. Der Mensch muss ein Verhältnis zu sich, seinem Körper und seinen Möglichkeiten entwickeln, lernen, dass das eigene Selbst gestaltbar ist. Diese neue Herrschaftsform, die Gouvernementalität, „besteht in modernen Gesellschaften also nicht in erster Linie darin, repressiv zu sein, sondern in ‚nach innen verlagerter’ Selbstdisziplinierung und Selbstbeherrschung.“9 Der Mensch beginnt, sich um seinen Körper, seine Gesundheit, sein Wohlbefinden eigenverantwortlich zu kümmern, da er begreift, dass seine Produktivität, seine Arbeitskraft, sein wichtigstes Kapital in der modernen Gesellschaft darstellt. Heute spiegelt sich dieser Zustand in den zahlreichen Fitnessstudios und Wellnessparks, Entspannungs- und Selbstoptimierungsseminaren oder Selbstmanagementtrainings etc. Konsequent schreibt Foucault dem gouvernemental regierten Subjekt zu, zum „Unternehmer seiner Selbst“ zu werden10. Dies geschieht über so genannte ‚Technologien des Selbst’, d.h. Techniken, die vom 5
Vgl. Foucault 2000: 41-67. Im Prinzip handelt es sich hier um Tätigkeiten, die uns in einfacherer Form in den einschlägigen Ratgebern wieder begegnen: z.B. Stressbewältigung, Selbstorganisation des Handelns und Eigenverantwortung mittels Prioritäten- und Zielsetzung, Pflege und Training des eigenen Körpers und dessen Leistungsfähigkeit etc. 7 Lorey 2006: 2. 8 Lorey 2006: 2. 9 Lorey 2006: 3. 10 Vgl. Foucault 2004: II, 314. 6
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Individuum für sich selbst nicht nur übernommen werden, sondern auch als etwas Eigenes verinnerlicht und als Selbstkontrolle und Eigenregierung wahrgenommen werden. Foucault versteht die Technologien des Selbst als „gewusste“ und „gewollte“ Praktiken, „mit denen die Menschen nicht nur die Regeln ihres Verhaltens festlegen, sondern sich selber zu transformieren, sich in ihrem besonderen Sein zu modifizieren [...] suchen“11. Die Aufmerksamkeit für solche Fragen der gesellschaftlichen Subjektivität hält auch nach Foucault an, nicht von ungefähr: Zu einer Zeit, in der in weiten Teilen der westlichen Welt Staaten nach neoliberalen Regierungskonzepten umgestaltet werden. Im Zuge dessen werden Konzepte der Selbstführung, des Selbstmanagements, aber auch der Selbstkontrolle und der Selbstregulierung hegemonial. Diese drücken sich am prägnantesten in modernen Arbeitszusammenhängen aus. Ulrich Bröckling hat in seinem Aufsatz Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qualitäts- und Selbstmanagement (2000) das Thema Selbstmanagement kritisch analysiert. Er setzt bei der These Foucaults zur Gouvernementalität an und beschreibt moderne Arbeitsprozesse unter diesem Blickwinkel.12 Zu Beginn seiner Ausführungen stellt er daher fest, dass sich in der gegenwärtigen Situation der Gesellschaft ein „Regime des Managements“ durchgesetzt habe. „Nicht als Klassenherrschaft, sondern als Hegemonie managerialen Denkens in nahezu allen Lebensbereichen, nicht als Alternative zum, sondern als spezifischer Rationalitätstyp und Ensemble von Techniken für das erfolgreiche Bestehen im Kapitalismus hat sich die Managergesellschaft durchgesetzt“, spitzt er seine These zu13. Er illustriert dies an Beispielen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, die alle gemeinsam haben, dass sie gemanagt werden: Karrieren, Familien, Krankenhäuser, Kultur, Hoch- und Volkshochschulen, Partnerschaften, Behörden, Kindergärten oder Persönlichkeiten etc. Management erweist sich als „übergreifendes Dispositiv zeitgenössischer Menschenführung“, so Bröcklings These14. Die Basis der Managementlehre beruht dabei auf der „konsequenten Übertragung des Marktmodells auf alle sozialen Beziehungen“15. Was aber heißt es, wenn das Marktmodell auf die internen Beziehungen eines Unternehmens gleichermaßen angewendet wird, wie auf das Verhalten der einzelnen Person zu sich selbst oder des Bürgers zum Staat oder der Kinder zu den Eltern? „Welches 11
Foucault 1993: 18. Im folgenden soll anhand des Aufsatzes von Bröckling exemplarisch eine kritische Beobachtung des Selbstmanagements herausarbeitet werden. 13 Bröckling 2000: 131. 14 Bröckling 2000: 131. 15 Bröckling 2000: 131. 12
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Wissen über sich selbst und über andere produzieren Individuen und Organisationen, welche Selbst- und Sozialtechnologien entwerfen sie, wenn sie die Omnipräsenz der Marktmechanismen zugleich diagnostizieren und postulieren?“16. Selbstredend folgt aus der Vorherrschung des Marktmodells in nahezu allen Lebens-lagen auch die Produktion von Programmen zur Leistungssteigerung in persönlicher und beruflicher Hinsicht. Kern des modernen Managements ist das so genannte Total Quality Management (TQM). Nach der Führungsmethode des TQM steht die zu produzierende Qualität der Arbeit im Mittelpunkt und beherrscht das weitere Vorgehen. Die spezifische Qualität des Produkts beruht auf der Mitwirkung und hohen Leistung aller Mitglieder eines Unternehmens. Ziel des TQM ist es, durch die produzierte Qualität langfristige Zufriedenheit bei den Kunden, aber auch bei den eigenen Mitarbeitern zu erwirken. Im Gegensatz zu früheren Qualitätsmodellen ist das TQM auf alle Ebenen des Unternehmens ausgeweitet, und bezieht auch die gesamte Kommunikation (mit den Mitarbeitern und mit den Kunden) mit ein. Die Strategie ist ausgerichtet auf die präventive Vermeidung von Fehlern, statt deren Korrektur, wenn der Fehler passiert ist: „Qualität soll nicht nachträglich hineinkontrolliert, sondern von vornherein produziert werden. […] Die Verantwortung für die Qualität von Produkten und Dienstleistungen liegt nicht länger bei einer gesonderten Abteilung für Qualitätskontrolle, jeder Mitarbeiter hat vielmehr in seinem Arbeitsbereich für Mängelvermeidung und Qualitätsverbesserung zu sorgen.“17 Wenn die Verantwortung für das Produkt jedoch in die einzelnen Mitarbeiter, die das Produkt produzieren, hineinverlagert wird, haben wir hier im kleinen die Metapher der Gouvernementalität abgebildet, die besagt, dass die Regierungsverantwortung vom Staat (der Unternehmensleitung) auf den Einzelnen (Mitarbeiter) übertragen wird und dieser (sich selbst) regieren und kontrollieren muss. Nicht der Chef hat die Aufsicht, dass seine Mitarbeiter die Arbeit korrekt ausführen, sondern der einzelne Arbeitnehmer muss selbst dafür Sorge tragen, dass sein Bereich, für den ihm die Verantwortung von der Firmenleitung übergeben wurde, nach den Vorgaben des TQM läuft und – letztendlich – der Kunde zufrieden ist. Also muss er beginnen, sich selbst nach diesen Regeln zu formen, sich selbst zu führen, zu managen. TQM wird nicht von oben herab dekretiert, sondern bezieht die Eigenverantwortlichkeit und Verbesserungsaktivität des einzelnen Arbeitnehmers mit in die Ziellegung des Unternehmens mit ein. Bröckling sieht hier eine „fundamentale Umwertung der Subjektivität der Arbeitenden“: Statt dass diese, die Subjektivität des Arbeitenden, wie noch in der tayloristischen Produktionsweise, als Störfaktor gilt und durch strenge Kontrolle auszuschalten war, werden heutzuta16 17
Bröckling 2000: 134. Bröckling 2000: 136.
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ge „die individuellen Selbstentwürfe und Selbstverwirklichungsansprüche aktiviert und gezielt zur Prozessoptimierung nutzbar gemacht“18. Das, was wir im vorangegangenen Kapitel als Techniken der Selbstorganisation kennen gelernt haben, spielt hier eine tragende Rolle. Denn die hier beschriebenen Arbeitsverhältnisse fordern geradezu eine individuelle Ausrichtung des Einzelnen auf seine Arbeitsprozesse und die Rolle, die er darin auszufüllen hat. Die neuen Wirtschaftsverhältnisse einer neoliberalen Gesellschaft implementieren den Zwang zur Individualisierung in die Prozessabläufe der Arbeit. Damit wird ein Teil der (Unternehmens-)Führung in den Bereich des Arbeitnehmers verlagert. Arbeitnehmer werden durch die Strategie des TQM direkt herausgefordert, sich als „autonom agierende Subjekte [zu] präsentieren“. Genau hier ist die manageriale Führungsstrategie des TQM in der feinsten Verästelung des Systems angekommen, beim einzelnen Subjekt, dass implizit angehalten ist, sich und seine Qualitäten zu formen, zu optimieren, kurz, sich wiederum durch Strategien des Selbstmanagements den jeweiligen Arbeitsanforderungen souverän und effektiv zu begegnen. Entrepreneurship wird zur elementaren Qualität, sogar zur Haltung der Arbeitenden gegenüber der Arbeit selbst. Hier ist der große Bogen über die neoliberale Regierungsform der Gouvernementalität, die Managerialisierung der Gesellschaft, das TQM als zeitgenössisches innerbetriebliches Steuerungsmodell bis hin zur Umwertung des arbeitenden Subjekts als Unternehmer und die Implementierung des Selbstmanagements als Optimierungsstrategie der Ressource Ich vollzogen. Wir sind damit wieder bei den Techniken und Methoden des Zeit- und Selbstmanagements angekommen: Selbstanalyse, Zielformulierung, Prioritätensetzung, Entwicklung von Zeitund Methodenpläne – alles Techniken, um seinen persönlichen Zielen und der Verbesserung der Work-Life-Balance näher zu kommen. Das Ich wird zum Unternehmer seiner selbst und – das ist die Besonderheit – kann sich selbst nicht entlassen: „Aus diesem Grunde greift die Selbstverwaltung des individuellen Humankapitals auch weit über das Berufsleben hinaus und kennt weder Feierabend noch Privatsphäre. Wie im Rahmen des TQM sämtliche Unternehmensaktivitäten (und nicht nur die Produktion) entsprechend den Kundenbedürfnissen optimiert werden sollen, so soll Selbstmanagement die Potenziale der ganzen Person (und nicht nur der Arbeitskraft) aktivieren19. Selbstmanagement-Ratgeber beinhalten daher nicht selten ein Kapitel zur so genannten Work-Life-Balance, zum ausgewogenen Management der Arbeits- und Privatzeit, da beides zunehmend nicht mehr voneinander zu trennen ist. Die Ratgeber entwerfen, so schlussfolgert Bröckling, ein „umfassendes Leitbild neoliberaler Subjektivität“20. Wer 18 19 20
Bröckling 2000: 142. Bröckling 2000: 155. Bröckling 2000: 155.
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die Arbeit an seinen Stärken und – mehr noch – seine Schwächen abarbeitet, wer dem Aufruf, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen nicht nachkommt, der muss, diese Kehrseite schwingt stets mit, mit Konsequenzen, schlimmstenfalls dem Scheitern rechnen. Selbstmanagement-Programme setzen auf die „Norm der Individualität“. Erst wer sich abhebt und individuell ausformt, sich zur „unverwechselbaren ‚Marke Ich’“21 modelliert, hat im Kampf um die Aufmerksamkeit eine Chance. Die Problematisierung der Theorie neoliberaler Wirtschaftsverhältnisse zeigt, dass das Thema Selbstmanagement derzeit deshalb so große gesellschaftliche Relevanz besitzt, da es direkt mit der Funktionsweise der Arbeitsprozesse verknüpft ist. Die gesellschaftliche, politische und ökonomische Tendenz, Teile der Regierungsverantwortung als ‚Selbstregierung’ auf den Einzelnen zu übertragen, findet sich auch im Kulturbereich wieder.22
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Nachdem vor ca. 15 Jahren die Übernahme und Weiterentwicklung von Managementtechniken auf das Feld der kulturellen Projektarbeit insbesondere im organisatorischen und administrativen Bereich erfolgte und bis heute Kulturarbeit sehr geprägt hat, hat auch hier das Thema Selbstmanagement eine spezifische Relevanz bekommen. Vor dem Hintergrund der meist unbefristeten Arbeitsverträge im Kulturbereich, zu deren Erfüllung darüber hinaus auch eine ganze Menge an Idealismus nötig ist, ist die Organisation des eigenen Arbeitsbereichs immer mehr in den Blick geraten. Durch stetig wechselnde Aufträge und temporäre Arbeitsengagements sind Kulturschaffende (Künstler und Vermittler) immer wieder gezwungen, sich neue Aufgaben und Beschäftigungsverhältnisse selbst zu suchen und damit sich und die eigene Arbeitskraft immer wieder neu zu vermitteln, anzubieten und bisweilen Aufgaben auch erst zu initiieren. 21
Bröckling 2000: 157. Vgl. hierzu den kritischen Ansatz von Lorey (2006). Auch Birgit Mandel befasste sich eingehend mit der oben erörterten Problematik in ihrer aktuellen Publikation (2007) und erarbeitete über den empirischen Weg der Befragung von rund 100 Kulturunternehmern einen die Realität abbildenden, praxisbezogenen Leitfaden zur Existenzgründung im Kulturbereich. Während Lorey das Phänomen in seiner gesellschaftspolitischen und ökonomischen Relevanz theoretisch zu erfassen sucht, analysiert Mandel die aktuelle Beschaffenheit des Arbeitsmarktes und gibt praxisnahe Empfehlungen für die Umsetzung eigener Idee in Kulturgründungen. Leider bleibt hier das eigentlich brisante Spannungsfeld zwischen Selbstverwirklichung und Prekariat nicht weiter erörtert. Das offensichtliche Phänomen der enormen ökonomischen Unsicherheit, das die Mehrheit der Befragten in Mandels Studie angeben (52) versucht die Autorin vielmehr durch die ebenfalls häufig genanten Argumente der „Selbstverwirklichung“ und „Arbeitszufriedenheit“ (53) wett zu machen.
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Trotz temporärer Arbeitsverhältnisse im Angestelltenbereich, sind Kulturschaffende auf längere Sicht mit freiberuflichen oder unternehmerischen Personen vergleichbar, die sich ebenso selbständig ihre Aufträge akquirieren müssen, um ein Einkommen zu haben. Für einschlägige Teilbereiche des Kultursektors – z.B. für den Musik- und Kunstbetrieb – sind in den letzten Jahren Publikationen erschienen, die sich speziell dieser Thematik des Selbstmanagements annehmen23. Dabei wird der Begriff meist unter dem Aspekt verhandelt, sich marktstrategisch zu verhalten. Weinhold richtet sich primär an bildende Künstler und versteht unter Selbstmanagement vor allem die Kunst der Selbstinszenierung, also die eigene Vermarktung durch geeignete Marketingstrategien und Branding. Schneidewind richtet ihren Fokus auf den Musikbetrieb und subsumiert unter dem Begriff Selbstmanagement diejenigen Kenntnisse, die eigentlich die Leitung eines Musikbetriebs übernimmt, jedoch vom einzelnen Musiker mehr und mehr selbst ausgeführt werden muss: „Von der Planung und Organisation bis hin zum Absatz und der Finanzierung“24. Sie geht daher auf die Themen Management, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Finanzierung ein. Musik-Manager in eigener Sache müssen daher alle Kenntnisse auf sich vereinen, die auch Unternehmensgründer wissen müssen, um ihr Unternehmen erfolgreich zu steuern. Damit wird er zum Modell des Kulturschaffenden, der mehr und mehr als Selbständiger denken muss, ob als Künstler oder Kulturvermittler bzw. -manager, Angestellter oder Freiberufler. Selbstmanagement im Kulturbereich bezieht sich auf die Organisation der eigenen Person im Gefüge eines ausdifferenzierten Sektors, der mittlerweile nur noch wenige feste Stellen bietet, dafür aber umso mehr projektbezogene, temporäre, prekäre Arbeitsformen kennt. Diese verlangen nach Arbeitskräften, die sich immer wieder um neue Aufträge selbst kümmern, gleich freiberuflich Tätigen oder Künstlern. Die knapper werdenden Ressourcen im Kulturbetrieb, durch eine drastische Reduzierung der öffentlichen Mittel, die den Großteil der kulturellen Veranstaltungen tragen, zwingen zu einer Flexibilisierung der Arbeitsformen. Heute ist es nicht mehr selbstverständlich, im Kulturbetrieb als Kulturschaffender in einer unbefristeten Anstellung mit regelmäßigem Einkommen zu arbeiten. Der umgekehrte Fall ist die Regel geworden, dass Personen nur noch projektbezogen und temporär engagiert werden. Also wird es Aufgabe eines jeden, der den Kulturbetrieb als sein Wirkungsfeld erkannt hat, sich immer neu um Aufträge und Projekte zu kümmern. Der Kulturschaffende von heute agiert nicht mehr in großer Differenz zu einem Selbständigen oder Unternehmer. Auch er wird zum Unternehmer seiner Selbst, vielleicht mehr noch als in anderen Arbeitsbranchen, da der Kulturbetrieb sehr stark projektbezogen und zudem sehr dynamisch 23 24
Vgl. Schneidewind 2003; Weinhold 2005. Schneidewind 2003: 46.
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ist und daher kaum standardisierten Arbeitsformen kennt. Er ist also stets damit konfrontiert, sich Ziele zu setzen, sich Projekte vorzunehmen, Ideen zu entwickeln, zu kommunizieren, sich zu motivieren und eigene Wege einzuschlagen, eigenverantwortlich zu handeln. Nicht überraschend ist daher die starke Zunahme der Unternehmensgründungen im Kulturbereich. Kulturschaffende scheinen sich angesichts der Arbeitsverhältnisse mehr und mehr von vorne herein für eine selbständige Tätigkeit zu entscheiden, anstatt immer wieder in der Rolle des Arbeitssuchenden zu sein. Der Begriff des Selbstmanagements muss daher erweitert werden: um Techniken, die eine Unternehmensgründung und -führung unterstützen. Hierzu gehören natürlich auf einer sehr grundsätzlichen Ebene das Zeitmanagement und die Selbstorganisation. Hinzu kommen aber Themen wie allgemeine Managementkenntnisse, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Werbung sowie Kenntnisse über Finanzierungsmöglichkeiten etc. Selbstmanagement heißt hier auch, eine eigene Strategie zu entwickeln, (als Künstler oder als Kulturvermittler etwa) mit den Strukturen des Sektors umzugehen, sie sich zu Nutze zu machen oder sich darin mit einer eigenen künstlerischen Aussage zu positionieren. Im Grunde handelt es sich um eine große Bandbreite unternehmerischen Wissens, das sowohl bei der Existenzgründung als Künstler oder als unternehmerisch tätiger Vermittler – als „cultural entrepreneur“25 – relevant wird. Selbstmanagement wird zur Handlungstrategie, auf die flexiblen, dynamischen und prekären Anforderungen im Kulturbetrieb zu reagieren.
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Kulturunternehmer und der Wandel im Arbeitsmarkt
Wirft man einen Blick auf das statistische Kurzportrait Kulturberufe, das Söndermann 2004 im Auftrag der Bundesregierung erstellt hat, so wird deutlich, dass der Kulturunternehmer einer der zukunftsträchtigen Kulturberufe sein wird. Grundsätzlich stellt Söndermann fest, wird der Kulturarbeitsbereich wachsen, so wie er bereits in den vergangenen Jahren im Vergleich zu anderen Branchen deutlich zugenommen hat: „In den Jahren zwischen 1995 und 2003 steigt die Zahl der Erwerbstätigen in den Kulturberufen insgesamt um 31 Prozent oder durchschnittlich jährlich jeweils um 3,4 Prozent. Das Wachstum der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung hingegen stagniert im gleichen Zeitraum und liegt bei 0 Prozent zwischen 1995 und 2003.“26 Das bedeutet, dass der Anteil der Kulturberufe an der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung innerhalb von acht 25 26
Hagoort 2005. Söndermann 2004: 5.
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Jahren von 1,7 Prozent (1995) auf 2,2 Prozent (2003) gestiegen ist.27 Als Resultat arbeitete Söndermann heraus, dass die Selbständigen die „wichtigste Triebfeder für die Wachstumsdynamik in den Kulturberufen sind [...]. Sie erreichen zusammen eine Wachstumsrate von über 50 Prozent zwischen 1995 und 2003 und liegen aktuell [2004; S.R.] bei einer Gesamtzahl von knapp 320.000 Personen. Die Gruppe der selbständigen Kulturberufe wächst vier mal schneller als die Gesamtgruppe aller Selbständigen innerhalb der erwerbstätigen Bevölkerung.“28 Damit hält Söndermann in Zahlen fest, was derzeit an vielen Orten diskutiert wird. Die zunehmende Bereitschaft der im kulturellen Sektor arbeitenden Personen, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Vornehmlich erfolgt dies, klassischerweise, in einem Berufsfeld der angewandten Künste (z.B. Design, Grafik). Aber auch immer mehr Personen mit anderen fachlichen Qualifikationen, z.B. Kultur- und Sozialwissenschaftler entdecken die selbständige Tätigkeit. Durch die Dynamik des Kultursektors und die unsteten Arbeitsbedingungen ist der Einzelne immer wieder darauf angewiesen den nächsten Auftrag zu ergattern, die nächste temporäre Stelle zu entdecken oder das nächste Projekt zu initiieren. Für all diese Tätigkeiten ist der Kulturarbeiter, auch wenn er sich als (temporärer) Angestellter definiert ohnehin immer wieder in der Situation, wie ein Freiberufler zu denken und zu handeln, zu akquirieren, zu organisieren und sich selbst zu managen. Aus diesem Grund liegt es nahe, die Perspektive zu wechseln, und sich statt ‚negativ’ als Angestellter auf der permanenten Suche nach dem nächsten befristeten Job zu begreifen, ‚positiv’ als mehr oder weniger unabhängiger Freiberufler zu sehen, zu dessen alltäglichem Aufgabenspektrum die Akquise neuer Aufträge selbstverständlich dazugehört. Söndermann fasst zusammen: „Die Lebenswege nicht nur der Künstler werden immer präkerer.“ Dieses Phänomen könnte paradoxerweise die Zukunftschancen für die Kulturberufe sogar erhöhen, wenn sie als ‚Zukunftsmodell’ eine größere gesellschaftliche Aufmerksamkeit erreichen sollten.“29 Er stützt sich dabei auf eine These des Wissenschaftszentrums Berlin30, das von der Annahme ausgeht, dass die unstete und unsichere Existenz des Künstlerberufs und mittlerweile auch des Kulturschaffenden auf der Vermittlungsseite möglicherweise zum Anschauungsmodell für eine zukünftige Entwicklung des Arbeitsmarktes sein wird: „Die häufig zitierten Merkmale der Kulturberufe, wie Flexibilität, Mobilität, Teilzeit- oder kurzfristige Projektarbeit prägen immer 27 Söndermann gründet seine Studie auf Zahlen zu 15 speziellen Gruppen, die im kulturellen Sektor tätig sind und fasste sie wiederum zu fünf Sparten zusammen: 1. Design und Bildende Kunst, 2. Musik und Darstellende Kunst, 3. Literatur/Publizistik, 4. Architektur und 5. Bibliothek/Museum. 28 Vgl. Söndermann 2004. 29 Söndermann 2004: 6. 30 Vgl. Haak/Schmid 1999.
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mehr auch andere Berufsgruppen. Anscheinend passen sich die strukturellen Merkmale der allgemeinen Erwerbstätigkeit immer mehr den Strukturen der kulturellen Erwerbsarbeit an.“31 Was hier positiv formuliert ist, heißt andererseits, dass die Arbeit in Zukunft unsicher, überflexibilisiert, temporär und – bezogen auf seine Existenz sichernde Funktion – prekär wird. Zwar mag der Künstler bzw. der im Kultursektor Arbeitende dafür gewappnet sein, wünschenswert ist es allemal nicht, dass die Arbeitsformen im Allgemeinen ein unsicheres Leben mit sich bringen. Hier wird, kritisch betrachtet, ein Rollenmodell entworfen, das zum Ausdruck bringt, dass der Einzelne die Verantwortung, seine Existenz zu sichern, immer wieder neu auf sich nehmen muss.32 Die Regierung überträgt damit eine Sorge und die daraus resultierende Verantwortung auf das einzelne Subjekt. Selbstmanagement wird hier als grundlegende Haltung postuliert und vorausgesetzt33. Lorey entwickelt diesbezüglich eine kritische Position, die bis zur paradoxen These reicht, dass selbständige Kulturarbeiter die Lebensform der Prekarisierung selbst wählen, da sie andererseits den Glauben an die eigene Freiheit und Autonomie zugleich befördern34. Sie bindet diese Behauptung an eine historische Herleitung an, indem sie im kulturellen Sektor gerade ein übermäßiges Bedürfnis nach Selbstbestimmung ausmacht: „Generell war die bewusste, die freiwillige Aufnahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse sicherlich auch Ausdruck für ein Bedürfnis, die moderne, patriarchale Aufteilung in Reproduktion und Lohnarbeit anders zu leben als innerhalb des Normalarbeitsverhältnisses.“35 Ihrer Meinung nach sind aber genau jene alternativen Lebens- und Arbeitsformen immer stärker ökonomisch verwertbar geworden, weil sie die „Flexibilisierung begünstigen, die der Arbeitsmarkt forderte“36. Lorey sieht in den modernen Kulturarbeitern ausbeutbare Subjekte, die „von staatlicher Seite sogar als Rolemodel angeführt werden“37. Damit wird genau jener Gegenpol angesprochen, der das Spannungsfeld von Selbstmanagement und den neuen selbständigen und unternehmerischen Arbeitsformen des Kultursektors ausmacht. Der Einsatzbereich der neuen Kulturunternehmer ist dabei vielfältig. In den meisten Fällen handelt es sich um Kleingründungen mit ungewöhnlichen Geschäftsideen, die den durch den Struktur31
Söndermann 2004: 6. Vgl. hierzu auch Pierre-Michel Menger, der in seiner Publikation Kunst und Brot. Die Metamorphosen des Arbeitnehmers die gesellschaftliche Orientierung am Modell des heutigen Künstlers als „Prototyp und Idealbild des zeitgemäßen, flexiblen und kreativen Arbeitnehmers“ untersucht (2006). 33 Vgl. Bröckling 2000. 34 Vgl. Lorey 2006: 8. 35 Lorey 2006: 8. 36 Lorey 2006: 8. 37 Lorey 2006: 8. 32
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wandel bedingten neuen Anforderungen des Kulturbetriebs Rechnung tragen. Durch die Verschiebungen im Kultursystem entstehen viele Lücken, Nischen oder neue Felder für innovative kulturelle Dienstleistungen. Zum Spektrum der Culturepreneurs38 zählt die gestaltende, vermittelnde, organisierende, akquirierende, beratende und leitende Kulturarbeit in einem vielfältigen und originellen Sinne. Die Agenturen und Büros vermitteln zwischen künstlerischem Produkt und Publikum und das nicht selten auf der Basis öffentlicher Projektgelder, gehören aber dennoch selbst als Unternehmen zur Privatwirtschaft. „Life as an Independent is not nirvana, nor even necessarily a recipe for making money. It can provide choice, autonomy and satisfaction but it also involves constant uncertainty, insecurity and change. Many young people find this trade-off of autonomy against insecurity more attractive than working for a large, impersonal organisation“39. Die neuen selbst organisierten, unternehmerischen Formen kultureller Arbeit sind genau deshalb begehrenswert (Selbstbestimmung, Freiheit, Autonomie etc.), weil sie prekär sind. Und dessen nicht genug, diese Mischung aus Freiheit und Unsicherheit ist offensichtlich Voraussetzung, kreative Ideen zu realisieren. Sicher ist, dass sich der Erfolg eines Kulturunternehmens nicht an üblichen Kennzahlen der Wirtschaft orientiert, die als allererstes den finanziellen Profit zum Maßstab machen. Sicher ist jedoch auch, dass die selbständige Tätigkeit im Kulturbereich trotz der wirtschaftlichen Unsicherheit mehr und mehr an Attraktion gewinnt. Das zeigt allein die Entwicklung der letzten 5-10 Jahre. Es kann keinesfalls die ‚Notlage’ sein, die junge Kulturmanager zum Schritt in die Unternehmensgründung führt. Vielmehr sind die Motivationen im Feld der kreativen Umsetzung eigener Ideen zu finden, in einem Berufsfeld, das gerade durch seine Dynamik und Komplexität immer wieder neue Schnittstellen für individuelle Talente, Qualitäten und deren Verwirklichung bietet. Hier steht der wissenschaftliche Diskurs zum Unternehmertum im Kulturbereich noch am Anfang und benötigt dringend weitere Untersuchungen und Studien. Gerade auch um die unbefriedigende Spannung zwischen Freiheit und Prekariat, mit der der Kulturunternehmer gegenwärtig nicht selten konfrontiert ist, systematischer anzugehen und eine spezifische Theorie und Praxis des Kulturunternehmers zu entwickeln. Obwohl der Kulturmanager als ‚Allrounder’ beste Voraussetzungen zum Unternehmer hat, sind die Themen Selbstmanagement und Existenzgründung in der Kulturmanagementlehre bislang eher marginal behandelt worden. Die praktische und theoretische Kulturmanagementlehre sollte daher zukünftig mehr Anregungen schaffen, entsprechende unternehmerische Qualitäten gezielter zu entwickeln und dem Fach ‚Entrepreneurship’ eine 38 39
Vgl. Lange 2007. Leadbeater/Oakley 1999: 15.
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Selbstmanagement im Kulturbetrieb
zentralere Rolle zuweisen. Auch vor dem Hintergrund, dass nicht nur der private, sondern auch öffentliche Kulturbetrieb, der einem weitreichenden finanziellen, organisatorischen und auch inhaltlichen Reformprozess unterliegt, auf Kulturunternehmer zukünftig angewiesen sein wird.
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Change Management im Theaterbetrieb
Change Management im Theaterbetrieb Olaf Thelen 1 2 3 4 5 6 7 8
Ausgangssituation Change Management im Theatermanagement? Vom Management zum Change Management Diversity Management Ansatzpunkte für ein Change Management im Kulturbetrieb Vorschlag für die Integration von Change Management in die Theaterführung Konsequenzen Literaturverzeichnis
„Theater bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen künstlerischer Freiheit, kaufmännischer Überlebensfähigkeit, Publikumserwartungen und kulturpolitischem Auftrag und müssen sich somit laufend mit Zielkonflikten auseinandersetzen.“ (Vakianis, 2006:79)
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Ausgangssituation
Theater befinden sich gegenwärtig aus verschiedenen Gründen in einer schwierigen Situation: dies liegt zum einen an dem Etat, den die öffentlichen Haushalte Bund, Länder und besonders Gemeinden kulturellen Zwecken zur Verfügung stellen, denn diese sind die Hauptträger der öffentlichen Theaterförderung1. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass in den Etatdiskussionen die freiwilligen Kulturleistungen immer wieder zur Disposition gestellt werden – bis hin zur Schließung von Sparten oder gar ganzen Häusern2. So ringen in Finanznot geratene Bundesländer, wie z.B. Berlin, mit dem Bund darum, wer die 1 Der deutsche Städtetag bezeichnete die Steuerschätzungen für 2003 als „Katastrophe für die Kommunalhaushalte“ und sieht insbesondere Städte und Gemeinden als die größten Verlierer (Pressemeldung des Städtetages vom 13. November 2002). 2 Vgl. hierzu u.a. die Diskussion um die Opernhäuser in Berlin, die durch die Entscheidung für das Opern-Reformkonzept des Kultursenators Flierl 2003 beendet schien (vgl. Berliner Zeitung vom 5. Februar 2003). Zwischenzeitlich flammt die Diskussion wieder auf: Bürgermeister Wowereit stellte erst 2006 die Finanzierbarkeit von drei Opernhäusern erneut in Frage (Berliner Zeitung vom 5. Dezember 2006).
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Kosten für beispielsweise die Theater trägt.3 Ferner sind die Kulturausgaben der öffentlichen Hand in den letzten Jahren stetig rückläufig4. Auch die erfreuliche Nachricht, dass der Kulturetat des Bundes 2006 um 2,6 Prozent stieg und für 2007 gar ein Etatanstieg von 3,5 Prozent geplant war, macht sich im Theaterbereich kaum bemerkbar: 60 Millionen Euro fließen in den deutschen Film, 73 Millionen werden für das neue Eingangsgebäude der Museumsinsel verwendet5. Zweitens erschweren es die unterschiedlichen Sparten (Sprech-, Musik- und Tanztheater) mit ihren jeweiligen Unterformen (z.B. beim Musiktheater Oper, Operette, Musical) und deren spezifischen Charakteristika, die konkreten Probleme des Theaters allgemein zu fassen und überhaupt von „dem Theater“ zu sprechen. Im Fokus dieses Beitrags stehen die öffentlichen Theaterbetriebe. Sie verpflichten sich zumeist der kostenintensiven Hochkultur und sind einem steigenden Konkurrenzdruck ausgesetzt. Private Theater, wie beispielsweise die Musical-Betriebe, verzeichnen große Zuschauerzahlen. Aber es sind auch die vielen anderen Freizeitangebote innerhalb der Erlebnisgesellschaft6, die um die Gunst der im weitesten Sinne kulturell interessierten Bevölkerung werben. Drittens befinden sich öffentliche Theater im Schnittpunkt unterschiedlicher kulturpolitischer Interessen, die miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Zuschauer und Kritiker erwarten ein vielfältiges kulturelles Angebot, während die öffentlichen Träger nach Möglichkeiten suchen, sich einerseits als Förderer der Kultur und insbesondere der Hochkultur zu präsentieren, aber sich gleichzeitig gezwungen sehen, finanzielle Zuwendungen so klein wie möglich zu halten oder gar zu kürzen. Die insgesamt knappen Zuschüsse der öffentlichen Hand bei gleichzeitig stetig steigenden Personal- und Sachkosten engen den Handlungsspielraum der Theaterleiter mehr und mehr ein. Dabei wird auch immer schneller „konsumiert“, denn das Publikum möchte eine Bandbreite unterschiedlicher Angebote in permanentem Wechsel sehen. So kommentiert Die Welt die aktuelle Situation prägnant: diese führe zu einer „Aushöhlung des Repertoiresystems, das wohl nicht mehr lange existieren wird, weil das Publikum es immer weniger akzeptiert. Ist eine Aufführung im Gespräch, möchten die Leute sie gleich sehen, in einem halben Jahr schon nicht mehr. Durch immer neue Besetzungen bei verkleinerten Ensembles wird die Qualität der Aufführung nicht 3
Vgl. DIE WELT vom 16.11.2006, „Michael Schindhelms Botschaft des Scheiterns“, S. 27. Vgl. hierzu den Kulturfinanzbericht 2006, S. 23f. Betrugen die öffentlichen Ausgaben für Kultur im Jahre 1995 noch 7 467,8 Mio. €, was einem Anteil von 0,40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) entspricht, so ist die Förderung in 2005 auf 0,36 Prozent des BIP geschrumpft (8 031,1 Mio. € nominal). 5 Vgl. DIE WELT vom 16.11.2006, „Berliner Kultur im Kampf“, S. 27. 6 Vgl. Heinze, Kulturmanagement, S. 77ff., der hier den Zusammenhang zwischen Kultur und Erlebnisgesellschaft nach Schulze aufgreift und darstellt. 4
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Change Management im Theaterbetrieb
unbedingt besser. Die Ausführenden selbst kommen immer weniger zu Rande.“7 So wird die äußere Krise des Theaters auch zu einer Inneren, die Finanzkrise zu einer konzeptionellen Krise. Kulturschaffende diskutieren zunehmend alternative Finanzierungsformen, wie sie in anderen Ländern bereits gang und gäbe sind8. Die permanente Diskussion um die Finanzkrise lässt eine systematische Ursachenforschung sowie die Erarbeitung von nachhaltigen Lösungskonzepten oft in den Hintergrund treten. Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig zu hinterfragen, wie Veränderungsprozesse, die Organisationsabläufe, Finanzierungskonzepte und Personalangelegenheiten betreffen, unter Mitgestaltung möglichst vieler Beteiligter initiiert und mitgetragen werden können.
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Change Management als Methode im Theatermanagement?
Auch wenn öffentliche Kulturbetriebe nicht wie sonstige Wirtschaftsunternehmen zu führen sind, weil sie weniger ökonomischen Zielsetzungen folgen und einem Kulturauftrag verpflichtet sind, lohnt ein Blick über den Tellerrand. In der Wirtschaft hat man seit langem erkannt, dass erfolgreiche Unternehmen unter permanentem Veränderungsdruck stehen und sich wandeln müssen. Dies geht allerdings nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Im Gegenteil: Ziel muss es sein, Betroffene zu Beteiligten zu machen und mit ihnen gemeinsam neue Prozesse und Strukturen im Unternehmen zu entwickeln. Hier haben sich unter dem Namen „Change Management“ zahlreiche Ansätze entwickelt, die in der betrieblichen Praxis erfolgreich umgesetzt wurden. Die Einsicht, dass sich Unternehmen permanent wandeln müssen, um überlebensfähig zu sein, ist hierbei nichts grundsätzlich Neues. Jedoch hat sich die Geschwindigkeit der Veränderungsprozesse sowie deren Häufigkeit im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts merklich erhöht9. Insofern kann hier von einem Paradigmenwechsel gesprochen werden. Dieser Entwicklung versuchen Unternehmungen mit Change Management-Ansätzen zu begebenen. Dabei handelt es sich nicht um ein einzelnes Konzept; es ist vielmehr ein „Meta-Begriff, der einzelne Konzepte subsumiert“10 und Ansätze beispielsweise aus der Organisationsentwicklung aufgreift. Die Betonung beim Change Management liegt dabei weniger darauf, was verändert wird sondern wie die Veränderung begleitet und 7
Die Welt vom 16.11.06, „Michael Schindhelms Botschaft des Scheiterns“, S. 27. Vgl. Olaf Zimmermann, Bestand sichern, Experimente möglich machen. In: Neue Musikzeitung 3.2000, S. 15. 9 Vgl. Doppler/Lauterburg, Change Management, S. 21ff. 10 Kraus et al., Handbuch Change Management, S. 15. 8
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durchgeführt wird. Der Change Manager agiert als „Katalysator, Moderator, Konfliktmanager und Prozessberater in einem partizipativ angelegten Prozess“11 um notwendige Veränderungen möglichst reibungsarm und unter Beteiligung aller Betroffenen zu implementieren. Hier setzt das Change Management sowohl auf der Ebene des Individuums (Personalentwicklung), der Gruppe als auch der Gesamtorganisation an. Bei den Change Prozessen kommt es vor allem auf effiziente, erfolgreiche, zeitnahe und transparente Kommunikation an, um diese Beteiligung auch wirklich zu erreichen. Change Management ist von der Überlegung geleitet, dass eine Organisation nur dann auch langfristig erfolgreich ist, wenn die Belange von Kunden, Mitarbeitern und Teilhabern im Zentrum des permanenten Wandels stehen; kurzum: all den Menschen, die ein Unternehmen tragen. Sie sind gefordert, notwendige Umorientierungen mitzugestalten. Die Erkenntnisse der Arbeits- und Organisationspsychologie in Wirtschaftsunternehmen kann sich auch ein Kulturbetrieb wie ein Theater zu Nutzen machen, um erfolgreich unterschiedliche Interessen zu bündeln und in wirtschaftlich angespannten Situationen realisierbare Lösungen zu finden. Oftmals wird „Change Management“ im Kulturbereich jedoch nicht praktiziert.
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Vom Management zum Change Management
Von Seiten mancher Bürger und vor allem der Politik wird die Forderung erhoben, durch wohl durchdachtes Theatermanagement einen Beitrag zu leisten, effizienter mit zur Verfügung stehenden Geldern umzugehen. „Gutes“ Theater zu bieten ist primär eine Frage künstlerischer Leistung und Qualität; dies wiederum erfordert Geld. Kultur, insbesondere Hochkultur, muss daher darauf hoffen, subventioniert zu werden. Doch ist die erbrachte Leistung eines Theaters weder ex ante noch ex post einfach messbar wie dies in anderen Dienstleistungsunternehmen der Fall sein mag. Ist ein gutes Theaterstück eines, das den Zuschauer amüsiert und von seinen Alltagsproblemen ablenkt oder ist es eben ein solches, das ihn zur Reflexion auffordert und ästhetisch mit gesellschaftlichen Problemen konfrontiert? Das Produkt einer Theaterinszenierung ist somit nicht in seinem Geldwert zu bemessen und in jedem Fall stehen künstlerische Ziele vor ökonomischen Zielen.12 Somit ist deutlich, warum sich die Anwendung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse, die im Allgemeinen auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind, nur bedingt im Kulturbetrieb anwenden lassen bzw. in angemessener Weise adaptiert werden müssen. 11 12
Gabler Wirtschaftslexikon, S. 622. Vgl. Vakianis, Besonderheiten des Managements von Kulturbetrieben, S. 80.
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Change Management im Theaterbetrieb
Aus der Perspektive der Kulturschaffenden scheint es besonders ungerecht, dass politisch zwar betont wird, wie sehr die Kunstförderung eine Aufgabe von Staat, Ländern und Gemeinden ist, gleichzeitig aber bei finanzieller Mittelknappheit immer wieder zuerst an Einsparungen im Kultursektor gedacht wird. Die Kulturpolitik ist besonders dazu aufgerufen – aber immer weniger in der Lage – Bedingungen für gutes Theater zu schaffen. Einschnitte in Budgets werden „von oben“ vorgenommen und führen oftmals zu Unverständnis auf Seiten der Betroffenen. Wie kann ein Künstler frei arbeiten, wenn er stets weniger Mittel bereitgestellt bekommt? Ist es nicht demotivierend, künstlerisch tätig sein zu wollen, aber dabei immer stärker auf formale, organisatorische und finanzielle Belange eingehen zu müssen? Auch für Kulturmanager ist es sinnvoll, sich wissenschaftlichen Instrumentariums wie der funktional ausgerichteten Systemtheorie zu bedienen, um konkrete Sachverhalte unter einer erweiterten Perspektive zu analysieren. In einer praxisnahen systemtheoretischen Analyse zeigt Zilcher13 Ausdifferenzierungsprozesse im Theater als Teilsystem des Systems Kunst: Hierbei betrachtet er Kommunikationen, die als Bedingungen der Möglichkeit zur Entstehung von Kunst in der Theaterorganisation fungieren. Im Gegensatz zu einer Galerie oder einem Museum geht es im Theater nicht nur darum, Kunst zu präsentieren (Vermittlungsprozess), sondern auch, diese zu inszenieren und aufzuführen, also zu erzeugen (Herstellungsprozess). In einer systemtheoretischen Betrachtung zur kommunikativen Kultur und dem Kommunikationsmanagement in Unternehmungen – die also auch auf Theaterbetriebe anwendbar ist – stellt Drepper heraus, dass der Aufbau von Reflexionspotenzial in organisationalen Subsystemen Koordinations- und Integrationsleistungen schafft, die in hierarchischen Ordnungen so nicht entstehen (Konsonanzproblem). Ferner betont er unter dem Aspekt des Resonanzproblems, dass der Aufbau dezentralen Reflexionspotenzials die Beobachtungs- und damit auch die Leistungsfähigkeit differenzierter und spezialisierter Subsysteme stützt und erhöht.14 Aus dieser systemtheoretischen Einordnung ergeben sich zwei zentrale Aspekte, die für das praxisnahe Management des Systems „Theater“ mit seinen vielen Subsystemen und Kommunikationsprozessen (im systemtheoretischen Sinne) relevant sind:
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Miteinander gut vernetzte, aber nicht hierarchisch zu starre Strukturen können helfen, das Management zu optimieren. Die einzelnen Abteilungen eines Theaters müssen miteinander in intensivem Austausch stehen und von
Vgl. Zilcher, Künstlerische Produktion in Theatern – Inszenierungskunst, Organisation und Interaktion, S. 199ff. Vgl. Dreppner, Kommunikative Kultur und Kommunikationsmanagement, S. 268.
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den jeweiligen Einzelproblemen in unterschiedlichen Bereichen Kenntnis haben. Die oftmals stark hierarchisch strukturierten Bereiche eines Theaters sind funktional gesehen eher hinder- als förderlich. Es gibt unterschiedliche Modelle und Ansätze, wie sich Organisationen erfolgreich wandeln können, um in jeder Hinsicht „besser“ zu arbeiten. Dieses „dezentrale“ Wissen in das Theater zu holen, funktioniert auch auf dem Weg, Mitarbeiter in Theatern mit eben diesen Theorien, Tools und Praktiken vertraut zu machen. Dann sitzen Experten für Schwachstellen in einzelnen Teilen des Theaterbetriebs und können, gestärkt durch erworbenes Wissen, die Leistungsfähigkeit des Theaters steigern.
Deswegen lohnt es sich, im Kulturmanagement einen Blick auf die Erkenntnisse der Systemtheorie, der Arbeits- und Organisationspsychologie und der Kommunikationswissenschaft zu werfen, um Veränderungen in Institutionen unter Ausgleich der Interessen unterschiedlicher Beteiligter zu untersuchen. „Change Management“ findet Anklang und Umsetzung in vielen Unternehmen, um im Zeitalter der Globalisierung bisweilen „verkrustete“ Organisationsstrukturen zu verändern, und vor allem, um weiterhin erfolgreich bestehen zu können. Selbst wenn ein Theater nicht den Marktbedingungen eines Wirtschaftsunternehmens ausgesetzt ist, kann „Change Management“ im Rahmen des Personal- und Organisationsmanagements im Kulturbereich sinnvoll angewendet werden. Leider stößt bereits der Name „Change Management“ aufgrund verschiedener negativer Konnotationen wie beispielsweise Arbeitsplatzabbau bei vielen auf Ablehnung. Dabei betrifft Change Management nicht ausschließlich ökonomische Aspekte wie etwa Kostenoptimierung, sondern befasst sich auch mit strukturellen und personellen Motiven. Wie kann man Mitarbeitern nicht nur verständlich machen, dass Arbeitsfelder, Handlungen und Unternehmenskonzepte, die lange Jahre angewendet wurden, fortan immer wieder modifiziert werden müssen, sondern sie darüber hinaus auch an diesen Veränderungsprozessen beteiligen? Eine von den Beteiligten mitgetragene Veränderung kann eher akzeptiert werden, als eine durch Führungskräfte „von oben“ angeordnete. Das Wort „Management“ ist zwar im Englischen mit den Bedeutungen Steuerung und Optimierung verbunden, jedoch beinhaltet der Begriff nach Little nicht Veränderungen oder die Entwicklung und Durchsetzung von Neuem.15 Klassische Managementtheorien befassen sich primär mit planenden, organisierenden und kontrollierenden Steuerungsaktivitäten zur Unternehmensführung16. Für Kulturbetriebe ist es mittlerweile ebenso wichtig geworden wie für Wirtschaftsunternehmen, sich veränderten und verändernden Rahmenbedingungen 15 16
Vgl. Little, Management von Innovation und Wachstum, S. 21. Du Mont, Change Management, S. 37.
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anzupassen. Warum die Wirtschaft erkannt hat, dass es sinnvoll ist, organisatorische Veränderungen unter Beteiligung der Mitarbeiter herbeizuführen, ist schnell dargestellt: Die Notwendigkeit des unternehmerischen Wandels kann durch Innovationssprünge in der Informatik und der Telekommunikation, die Verknappung der Ressourcen Zeit und Geld, die interkulturelle Zusammenarbeit in einer globalen Ökonomie, sowie die dramatische Steigerung der Komplexität17 erklärt werden. Ursachen der Komplexitätssteigerung sind nicht zuletzt in der Globalisierung der Unternehmen und Märkte, sowie dem technischen Fortschritt, z.B. der Automatisierung von Arbeitsabläufen, begründet. Wirtschaftliches Handeln muss soziale, politische, ökonomische und internationale Gegebenheiten miteinander verbinden und in die Unternehmensführung antizipativ integrieren. Es reicht im Anblick von Internationalisierung und Globalisierung nicht mehr aus, das eigene Unternehmen an die Situation des Marktes anzupassen. Vielmehr muss ein Unternehmen auf alternative Produktions- und Entscheidungsprozesse vorbereitet sein, um mit möglichst größter Flexibilität auf alle Veränderungen der Umwelt ausgerichtet zu sein und schnellstmöglich reagieren zu können. Change Management wird damit zu einem „kritischen Erfolgsfaktor“18, der nicht nur einer innovativen Unternehmensleitung bedarf, sondern insbesondere auf eine breite Akzeptanz aller im Unternehmen Tätigen, immerwährende Veränderungen bereitwillig und konstruktiv mit zu tragen, angewiesen ist. Wer den neuen Herausforderungen gewachsen sein will, muss – nach Doppler/Lauterburg – folgende Voraussetzungen schaffen:
Nähe zum Markt und Kunden Rasche Reaktionsfähigkeit und hohe Flexibilität Steigerung der Produktivität und der Qualität Optimierung der Kosten19
Die von Doppler/Lauterburg beschriebenen Voraussetzungen sind nur teilweise auf Theaterbetriebe anwendbar. Zum einen bedienen Theater hauptsächlich lokale Märkte und streben keine Unternehmensexpansionen an. Insofern sind sie der „Globalisierungsfalle“20 nur nachrangig ausgesetzt. Zum anderen ist auch der technische Fortschritt im Sinne der Freilegung von Rationalisierungspotenzialen im Theater kaum spürbar. Dies liegt in der Besonderheit des „Unternehmensmo17
Doppler/Lauterburg, Change Management, S. 22ff. Vgl. Du Mont, Change Management, S. 37. 19 Doppler/Lauterburg, Change Management, S. 53f. 20 Vgl. hierzu auch Joseph Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 17ff. Theater sind jedoch zweifelsohne einem anderen Globalisierungsphänomen ausgesetzt: Die Belegschaft insbesondere im Musiktheater ist multinational. Dieses Merkmal ist Gegenstand des „Diversity Management“ (vgl. das folgende Kapitel). 18
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dells Theater“: Ein Theater ist eher mit einem Manufaktur- als mit einem Industriebetrieb vergleichbar. Ein großer Teil der Theaterausstattung ist weiterhin Handarbeit und aufgrund der Einzigartigkeit einer Inszenierung auch wenig standardisierbar. Ebenso ist die Aufführung – trotz möglicher technischer Unterstützung wie computergesteuerte Drehbühnen – ausgesprochen personalintensiv, was insbesondere das technische Personal betrifft21. Gegenüber Waren produzierenden Wirtschaftsunternehmen unterscheidet sich die Theaterarbeit insbesondere in den Produkt- und Lebenszyklen: Ist das Wirtschaftsunternehmen vor allem Märkten mit starkem Innovationsdruck ausgesetzt und muss immer wieder „neue“ Produkte entwickeln, so ist der Theatermarkt, was die Produktpalette betrifft, vergleichsweise stabil. Die Inszenierung der „Zauberflöte“ bleibt eine „sichere Sache“, die zwar kreativ und innovativ verändert werden kann, aber als Kulturgut nicht auf Dauer um das Interesse der Zuschauer bangen muss. Aufgrund der Ferne zur klassischen Unternehmensführung bleiben im Theatermanagement brauchbare und leicht transferierbare organisationspsychologische Aspekte des Change Management oft unberücksichtigt, obwohl gerade im Kulturmanagement eine motivierende und alle künstlerische und technische Sparten einbeziehende Vorgehensweise sinnvoll ist, um mit vereinter Kraft Interessen zu bündeln und Krisen zu meistern.
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Diversity Management
Neben der Interdependenz zwischen Politik und Kultur ist ein Theater als Unternehmen durch eine sehr heterogene Belegschaft mit äußerst unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen gekennzeichnet.22 Damit erhält das Diversity Management als ein Bereich des Change Management, das sich besonders mit der Sozialstruktur von Unternehmen auseinander setzt, für Kulturunternehmen Bedeutung. Aufgabe des Diversity Managements im Rahmen des Change Prozesses ist es, die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche (Künstler, Technik, Verwaltung) so zu koordinieren, dass die verschiedenen Interessen nicht gegeneinander laufen, sondern sich miteinander verbinden. Dabei sollte keine Regelung „von oben“ angeordnet werden, sondern die Betroffenen sollten Möglichkeiten und Freiräume bekommen, eine optimierte Zusammenarbeit jenseits zu eng gefasster Strukturen und Vorschriften selbst zu erarbei21
Damit soll jedoch nicht behauptet werden, dass keine Rationalisierungspotenziale im Theater existieren. 22 Zu dem folgenden Abschnitt vgl. auch Allmann, Unternehmensführung, S. 29-32 und Zwischenbericht Theater, S. 8ff.
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ten. Diese Gestaltungsräume zu schaffen und Betroffene mit Kompetenzen auszustatten, um Lösungen miteinander auszuhandeln, setzt gegenseitiges Vertrauen voraus und lässt aus bisweilen verkrusteten Strukturen, neue flexiblere und bisweilen Kosten sparende Prozesse entstehen23. Der Theaterleiter ist somit Vermittlungsinstanz und Moderator und muss alle Gruppen in seinem Hause angemessen berücksichtigen. Wenn er Veränderungsprozesse im Theater einleiten und durchführen möchte, ist er demnach einem doppelten Spannungsverhältnis ausgesetzt: den politischen Rahmenbedingungen und Zwängen einerseits, sowie den höchst unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnissen der Mitarbeiter andererseits. Vor diesem Hintergrund sollte ein guter Intendant nicht nur in der Lage sein, den Theaterbesuchern gelungene Aufführungen zu präsentieren, sondern neben dem künstlerischen Gespür zunehmend Personalführungsqualitäten aufweisen, und damit unterschiedliche Interessen zu bündeln. „Diversity“ bezeichnet die Verschiedenartigkeit der das Theater tragenden Menschen im weitesten Sinne. Diese manifestiert sich unter anderem in unterschiedlichen Interessen und Lebensstilen oder in gesellschaftlichen und ästhetischen Standards. Diversity meint aber auch das Management der unterschiedlichsten Berufsgruppen eines Theaters. Neben dem künstlerischen Personal, stehen – in grober Einteilung – die technischen und die Verwaltungsbediensteten. Wie Röper aufzeigt, identifizieren sich die verschiedenen Mitarbeitergruppen auch unterschiedlich stark mit dem Theater, haben unterschiedlich starke Leistungsanreize für ihren Einsatz und nicht aufeinander abgestimmte Arbeitszeitregelungen.24 Die Heterogenität wird ebenso signifikant an der hohen Anzahl von Tarifmodellen deutlich. Während das Bühnenpersonal über den Normalvertrag Bühne an das Haus gebunden ist, so unterliegt der Instrumentalist dem Orchestertarifvertrag. Beide Vertragsarten unterscheiden sich wesentlich in ihrer Flexibilität; während der Normalvertrag die Anzahl der Dienste nicht beschränkt und stattdessen nur die Mindestruhezeiten regelt, so ist es bei dem Orchestervertrag umgekehrt: Hier ist eine maximale Anzahl von Diensten festgeschrieben, deren Dauer jeweils drei Stunden beträgt. Derartige Vertragsausgestaltungen mögen zwar in Bezug auf unterschiedliche individuelle Interessen richtig und sinnvoll sein, sind aber problematisch, was die gemeinsame Zusammenarbeit betrifft. Als Folge der dargestellten Zusammenhänge können beispielsweise Proben zwar mit
23
Den aktiven Einbezug aller Beteiligten fasste der US-amerikanische Ökonom Peter F. Drucker prägnant zusammen: „Wenn Du wissen willst, was in Deinem Unternehmen verbessert werden kann, frage Deine Mitarbeiter!“ (zit. nach Doppler/Lauterburg, Change Management, S. 68). 24 Vgl. Röper, Handbuch Theatermanagement, S. 61ff.
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dem Bühnenpersonal länger als drei Stunden dauern, nicht jedoch mit der Beteiligung des Orchesters25. In einem Kulturbetrieb stehen sich Menschen mit sehr differenten Lebensweisen, unterschiedlicher kultureller und sozialer Herkunft und beruflicher Ausbildung gegenüber. Sie sind darauf angewiesen, sich aufeinander zu verlassen und miteinander etwas zu schaffen. Harmonie, Gleichheit und Integration werden als Ideal erstrebt, wobei oftmals übersehen wird, dass mannigfaltige persönliche und kulturelle Einflüsse eine Bereicherung darstellen, die auch Unternehmen bereichern können. Im Sinne eines auf die Mitarbeiter ausgerichteten Change Prozesses kann beispielsweise in Kulturunternehmen daran gearbeitet werden, dass Leitbilder, Werte und Ziele nicht nur für einzelne Gruppen entstehen, sondern für Techniker, Künstler und Verwaltungsbeamte gleichberechtigt gelten. Dies beinhaltet, Arbeitsprozesse und berufliche Erfahrungen aller Beteiligten zu kennen und deren Wert zu schätzen. Um dies zu erreichen, muss der Change Prozess durch eine transparente und ehrliche interne Kommunikation alle Mitarbeiter erreichen. Der künstlerische Leiter (Intendant) und der kaufmännische Leiter eines Theaters, die Spartendirektoren, der Generalmusikdirektor und der technische Direktor sollten nicht darum kämpfen, sich gegenseitig Zugeständnisse abzuringen, sondern gemeinsam ein Konzept erarbeiten, um alle Mitarbeiter in Veränderungsprozesse einzubeziehen und ihnen die Notwendigkeit aktueller Veränderungen plausibel zu machen. Professionelles Kommunikationsmanagement ist daher ein entscheidender Erfolgsfaktor im Change Management. Nicht im Sinne einer Gleichmachung, sondern im Sinne einer produktiven Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Interessen und Belangen kann gemeinsam daran gearbeitet werden, die Unternehmenskultur zu verbessern. Eine offene Kommunikation miteinander verhindert zum einen das Aufkommen von Missverständnissen und Problemen und fördert, dass Zeit sparend an gemeinsam getragenen Lösungen gearbeitet werden kann. Altbewährte Ressentiments (der Bürokrat schränkt künstlerische Freiheit ein, der Künstler braucht immer eine Sonderrolle, der Techniker ist zu unkreativ etc.) können sich damit auflösen und über einen kritischen Dialog miteinander Vertrauen zueinander entstehen lassen. Ein erfolgreiches Theater kann damit zwei Formen der Kultur begründen: eine nach außen eher unsichtbare aber dennoch deutlich spürbare positiv besetzte Unternehmenskultur sowie eine für Besucher zugängliche gelungene Inszenierung kultureller Werke. In der Wirtschaft hat sich gezeigt, dass Change Prozesse auch kritische Phasen durchlaufen und natürlich auch Kosten verursachen, aber 26 dass sich derartige Investitionen lohnen . 25
Der deutsche Bühnenverein bemüht sich weiterhin intensiv darum, hier eine Harmonisierung herbeizuführen (Vgl. Pressemitteilung des dt. Bühnenvereins vom 01.02.2008). Vgl. Balogun/Hope Hailey, Exploring Strategic Change, S. 141.
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Change Management im Theaterbetrieb Ansatzpunkte für ein Change Management im Kulturbetrieb
Da ein Change Prozess nicht nur aus dem Management von Diversity besteht, sollen nachfolgend weitere typische Handlungsfelder des Change Management in Theatern aufgezeigt werden. Exemplarisch sollen hier einige Ansatzpunkte für ein Change Management am Theater aufgezeigt werden. Die Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; auch kann nicht postuliert werden, dass die hier aufgeführten Handlungsfelder für jedes Haus die wichtigsten Ansatzpunkte darstellen. Besonders hervorgehoben werden soll, dass jedes Theater individuell seine Ansätze, Potenziale und Grenzen im Change Management analysieren muss. Die Zusammenstellung basiert auf verschiedenen Studien und Quellen27 und erscheint in der Gesamtschau als die zentralen Handlungsfelder für ein Change Management im Theater:
Organisationsstrukturen Die Leitungsbefugnisse eines Theaters im Regiebetrieb werden in einer „Dienstanweisung“ festgelegt28. Diese Dienstanweisung regelt die jeweiligen Unterstellungsverhältnisse oft nur grob. Ergänzende oder erläuternde Regelungen hierzu – wie beispielsweise ein Organigramm – existieren kaum. Eine Aufgabe des Change Management ist, hier für Transparenz und Reorganisation zu sorgen. Dabei sollte berücksichtigt werden, wie sich die Mitarbeiter und Führungskräfte ein gut organisiertes Theater wünschen und wie sicher gestellt werden kann, dass jedem Mitarbeiter des Hauses bekannt ist, in welchen Belangen er sich an wen unmittelbar und direkt wenden kann.
Kommunikation Bezüglich der Leitungs- und Unterstellungsverhältnisse herrschen divergierende Annahmen29. Ebenso sind Verantwortlichkeiten hinsichtlich Teilbudgets nicht immer klar30. Dies lässt darauf schließen, dass Rollen und Verantwortlichkeiten nur unzureichend bekannt und Zweifelsfälle durch geeignete Kommunikation nicht geklärt werden. Anstatt lange Zeit damit zu verbringen, Dienstwege erforschen zu müssen, sollte der Mitarbeiter die interne Kommunikation als effizient und transparent erleben. Ziel muss es sein, schnelle Lösungen in Arbeitsprozes-
27 Insbesondere Allmann, Unternehmensführung in Kulturbetrieben; Röper, Theatermanagement sowie eigene Erfahrungen des Autors. 28 Uwe Allmann, Unternehmensführung in Kulturbetrieben, S. 22. 29 Allmann, Unternehmensführung in Kulturbetrieben, S. 24. 30 Röper, Theatermanagement, S. 57.
Change Management im Theaterbetrieb
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sen zu bieten und klare Zuständigkeiten zu schaffen. Nur wer sich für ein Problem wirklich zuständig fühlt, wird auch bemüht sein, es zu lösen.
Einsatz betriebswirtschaftlicher Instrumente Verglichen mit der Spielzeit 1991/1992 hat sich die Zahl der Regiebetriebe bei Theatern bis 2002/2003 von 99 auf 55 fast halbiert31 und bis zur Spielzeit 2005/ 2006 nochmals auf 42 reduziert32. Offensichtlich sehen viele Städte und Gemeinen im Eigenbetrieb oder in einer GmbH bessere Möglichkeiten für die Theaterorganisation vor allem auch hinsichtlich der Mittelverwendung33. Dennoch – oder gerade deswegen – ist ein steigender Bedarf an betriebswirtschaftlichen Instrumenten zu beobachten34. Planungs- und Informationssysteme müssen theateradäquat adaptiert und implementiert werden. Besonderheiten der Betriebsführung des Theaters sind zu berücksichtigen35. Die Einführung eines ControllingSystems ist hierbei weniger ein „technisches“ Problem zur Bereitstellung von Methoden und Werkzeuge; vielmehr verlangt es vom jeweiligen Management – sei es künstlerisch oder technisch – eine Neuorientierung hinsichtlich Steuerungsphilosophie und -mechanismen. Eine Verhaltensänderung kann im Rahmen des Change Managements durch Schaffung von Nutzen und Transparenz wirksam unterstützen36.
Motivation und Widerstand Motivation im Sinne der Bereitschaft, an Veränderungen mitzuwirken und sich auf Neues einzulassen, beziehungsweise der Umgang mit Widerständen ist für alle Change Prozesse ein Schlüsselfaktor und somit eine wichtige Führungsaufgabe37. Der Umgang mit vielschichtigen Verhaltensmustern nimmt hier einen breiten Raum ein38. Dass auch in einem Theaterbetrieb die Motivation je nach Position und Bereichszugehörigkeit sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann, darauf hat Röper39 hingewiesen. Zusätzlich betont Vakianis, dass intrinsische (‚innere’) Motivation im kreativen Prozess von hoher Bedeutung ist40. Veränderung kann hier nicht lediglich extrinsische Motivatoren, wie beispielsweise finanzielle Anreize, herbeigeführt werden. Im Gegenteil: dies könnte sich sogar 31
Schlussbericht der Enquête-Kommission, S. 101. Theaterstatistik 2005/2006, S. 245. Allmann, Unternehmensführung in Kulturbetrieben, S. 49ff. 34 Vakianis, Besonderheiten des Managements von Kulturbetrieben, S. 79. 35 Vgl. Vakianis, Besonderheiten des Managements von Kulturbetrieben. 36 Kraus et al, Handbuch Change Management, S. 165ff. 37 Hierzu auch Doppler/Lauterburg, Change Management, S. 323ff. 38 Vgl. Kraus et al, Handbuch Change Management, S. 45ff. 39 Röper, Theatermanagement, S. 151. 40 Vgl. Vakianis, Besonderheiten des Managements von Kulturbetrieben, S. 90. 32 33
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Change Management im Theaterbetrieb
kontraproduktiv auswirken41. Hier ist ein Change Management nötig, welches mit Kommunikations-, Motivations- und Organisationsinstrumenten42 Möglichkeiten bietet, den Mitarbeitern Wertschätzung und Vertrauen entgegenzubringen und sie zu motivieren, sich persönlich für die Leistung ihres Betriebes mit verantwortlich zu fühlen. Über die Schaffung von Aufmerksamkeit für seine Belange und Anliegen hinaus, kann aus einem eher unmotivierten Mitarbeiter ein „Change Agent“ werden, der projektbezogen Veränderungsimpulse an seine Kollegen und Vorgesetzten gibt. Dies wird allerdings nur der Fall sein, wenn der Einzelne das Gefühl hat, seine Kritik wird ernst genommen, seine Arbeit wertgeschätzt und die von ihm angeregten Organisations- bzw. Strukturveränderungen werden glaubhaft auf Realisationsmöglichkeiten überprüft und ggf. dann auch umgehend umgesetzt. Feedback der Besucher43 Die Bedürfnisse der Zuschauer werden nur selten in die Planung der Aktivitäten mit einbezogen so wie insgesamt Marketinginstrumente für Theaterbetriebe nach wie vor skeptisch beurteilt werden44 Hierbei geht es nicht darum, die Spielplangestaltung nur auf die Wünsche des Publikums abzustellen, sondern vielmehr die Ausgestaltung der Zusatzleistungen zuschauergerecht zu gestalten45. Jenseits der künstlerischen Arbeit ist das Feedback der Besucher wichtig, um über Zusatzleistungen den Theaterbesuch attraktiv zu gestalten.
6
Vorschlag für die Integration von Change Management in die Theaterführung
Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, sind die Bedingungen, unter denen Change Management im Theater etabliert werden kann, zu denen in der freien Wirtschaft verschieden. Da der Ausgangspunkt und der Begründungszusammenhang im Kulturbereich besonders sind, soll auf Basis der Change Management-Definition von Doppler und Lauterburg versucht werden, diesen auf die besondere Situation eines Theaters anzupassen: Die veränderten politischen Rahmenbedingungen, denen die öffentlichen Theater heute gegenüberstehen, die Knappheit insbesondere der Ressource Geld, 41
A. a. O., S. 91. Vgl. Reiß, Instrumente der Implementierung, 1997. Hierzu besonders Ayen, Marketing für Theaterbetriebe, S. 16f. 44 Hausmann, Theater-Management, S. V. 45 Hierzu gehören unter anderem die Erleichterung des Ticketerwerbs, Verbesserung der Anfahrtsbedingungen oder die Gestaltung der Restaurantservices in den Pausen. 42 43
Change Management im Theaterbetrieb
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sowie das große Angebot anderer Freizeitanbieter erfordert von den Theaterschaffenden eine Anpassung an die sich verändernden Marktbedingungen. Um diesen neuen Herausforderungen gewachsen zu sein, müssen die Theater folgende Voraussetzungen schaffen bzw. deren Schaffung herbeiführen:
Konsequente Einführung von betriebswirtschaftlicher Mechanismen (z.B. Controllinginstrumente) zur nachhaltigen Unterstützung der künstlerischen Arbeit Optimierung des (Zusatz-)Angebotes insbesondere hinsichtlich der Zusatzleistungen und damit Ausrichtung auf den Markt und den Kunden Steigerung der Qualität Optimierung der Kosten und der Unternehmensstrukturen Verbesserung der Kommunikation und Darstellung der Eigeninteressen gegenüber Öffentlichkeit und Rechtsträgern Motivation der Mitarbeiter.
Insbesondere der letzte Punkt scheint für Theater und Kulturbetriebe von besonderer Bedeutung. Auf die Wichtigkeit von Motivation im Theater hat auch Allmann46 besonders hingewiesen. Als erster Schritt ist intern zu ermitteln, wo gemeinsame Interessensschwerpunkte der Theaterbeschäftigten liegen und welche strukturellen und organisatorischen Bedingungen sie als belastend empfinden. Anschließend gilt es, gemeinsame Ziele zu formulieren, die zusammen mit den übergeordneten Zielen des Theaters in ein Zielsystem eingebracht werden und der Orientierung aller Beschäftigten sowie der Kommunikation gegenüber den Rechtsträgern und der Öffentlichkeit dienen. Obwohl sich Ausgangslage und Begründungszusammenhang im Theater wesentlich von dem eines Wirtschaftsunternehmens unterscheiden47, so können dennoch dieselben Werkzeuge für das Change Management eingesetzt werden. Auch im Theater gilt was Doppler/Lauterburg als „Grundsätze des Vorgehens“48 beschrieben haben; unter anderem:
46 47 48
Transparente und plausible Begründungen für den Wandel Einbezug aller Betroffenen Sensible und flexible Steuerung des Prozesses Offener Umgang mit Konflikten.
Allmann, Unternehmensführung, S. 202ff. Vgl. Vakianis, Besonderheiten des Managements von Kulturbetrieben, S. 79ff. Doppler/Lauterburg, Change Management, S. 81ff.
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Change Management im Theaterbetrieb
Wesentlich ist der Einbezug auch des künstlerischen Personals in die Planung und Umsetzung der Veränderungsmaßnahmen von Beginn an, denn es ist entscheidend, dass sich alle am Theater Arbeitenden bei einer späteren erfolgreichen Implementierung beteiligt fühlen. Auch ein Künstler kann aus seiner Perspektive gestalten und mitentscheiden und sich folglich für Prozesse des Theaters mit verantwortlich fühlen. „Entscheidungsprozesse werden dorthin verlagert, wo Arbeitsprozesse tatsächlich ablaufen, nämlich an der Basis.“49 Erfahrungsgemäß beklagen viele Künstler, nur unzureichend an Kommunikationsprozessen innerhalb des eigenen Theaters beteiligt zu sein. Wirtschaftliche Aspekte und Überlegungen werden ihnen, insbesondere auch im Hinblick auf negative Konsequenzen (Einsparungen, Etatkürzungen etc.), oftmals als vollendete Tatsachen präsentiert. Dadurch haben Künstler haben neben der künstlerischen Arbeit mitunter kaum Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb der Bühne im unternehmerischen Ganzen. Das wirkt demotivierend.
7
Konsequenzen
Auch für öffentliche Theater ist es an der Zeit, auf die sich veränderten Rahmenbedingungen zu reagieren. Dieses ist unbestritten und kann als Konsens sowohl der Theaterschaffenden, als auch der Rechtsträger und aller anderen am Theatergeschehen beteiligten Gruppen – wie beispielsweise der Theaterjournalisten – angesehen werden. Offen und kontrovers diskutiert wird jedoch, wie das Theater auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren soll. Ist der Arbeitsplatzabbau schon in der Wirtschaft oft mit dem Odium des Aktionismus behaftet, so muss dies im personalintensiven Theaterbereich als noch problematischer angesehen werden. Umso erstaunlicher ist es, dass der Weg, wie die notwendigen Veränderungen zu bewältigen sind, bisher in der kulturwissenschaftlichen Literatur kaum diskutiert wurde. Wichtige Grundlagenwerke gehen auf den Begriff des Change Management, die Methoden und deren Bedeutung für den Theaterbetrieb nicht ein50. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund erstaunlich, dass von den über 45.000 Arbeitsplätzen die in den deutschen öffentlichen Theatern in der Spielzeit 1992/93 vorhanden waren, nach aktuell verfügbaren Zahlen (2005/06) noch 38.210 geblieben sind (was einer Senkung von mehr als 15 Prozent entspricht). Allein in der Spielzeit 2005/06 wurden 132 Beschäftigungsverhältnisse abge-
49
Doppler et al., Unternehmenswandel gegen Widerstände, S. 21. Heinrichs, Kulturmanagement; Heinrichs/Klein, Kulturmanagement von A-Z, oder das Handbuch für Kulturmanagement haben beispielsweise keine Einträge zu diesem Thema.
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Change Management im Theaterbetrieb
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baut51. Begleitet wird dieser Prozess von substanziellen Einbußen, wie Spartenschließungen oder Spielplankürzungen. Heinze stellt zwei zentrale, für das Change Management besonders relevante Erkenntnisse des Kulturmanagements heraus:
Vor dem Hintergrund begrenzter oder sich verringernder staatlich-öffentlicher Finanzierungsmöglichkeiten ist eine Professionalisierung und Ökonomisierung der Kulturarbeit geboten Aufgrund steigender Qualifikationsanforderungen an Bildung, Kultur und Wirtschaft sind auch an das dafür zuständige Personal höhere Anforderungen zu stellen.52
Nur wenn die Verantwortlichen und Beteiligten in Theatern sich den Herausforderungen offen stellen, die Instrumente des Change Management aufgreifen und sie mit Umsicht auf den besonderen Bedingungen des Kulturbetriebs anwenden, kann es gelingen, die bundesdeutsche Theaterlandschaft so zu verändern, dass sie letzten Endes Bestand hat. Der Künstler ist nicht „nur“ der Kulturschaffende, sondern ein wichtiges und wesentliches Mitglied des jeweiligen Kulturbetriebes und kann bei konstruktiver Mitarbeit als Experte seines Bereichs einen ganz wesentlichen Beitrag dazu leisten, notwendige Wandlungsprozesse in einem positiven Sinne mitzugestalten. Auch hierzu bedarf es der dringenden – aber sicherlich spezifisch modifizierten – Anwendung des Human Resource Management in Kulturbetrieben. Ein Theater lebt eben nicht nur von den Zuschauern oder den Fördermitteln des Staates, sondern ganz entscheidend von der aktiven, reflektierten und engagierten Ausgestaltung durch jeden der beteiligten Mitarbeiter.
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Literaturverzeichnis
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51 52
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Change Management im Theaterbetrieb
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Change Management im Theaterbetrieb
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Leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben
Leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben – Möglichkeiten und Grenzen Leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben
Katharina Jörges-Süß 1 2 3
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Leistungsbezogene Bezahlung im öffentlichen Dienst Leistungsbezogene Bezahlung: Eine begriffliche Klärung Möglichkeiten für eine leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben Grenzen für eine leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben Fazit und Ausblick
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Leistungsbezogene Bezahlung im öffentlichen Dienst
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Die Lage der öffentlichen Haushalte zwingt seit einigen Jahren die öffentliche Verwaltung, öffentliche Unternehmen und öffentlich-rechtliche Betriebe verstärkt dazu, wirtschaftlich mit öffentlichen Geldern umzugehen und „ökonomisch“ zu arbeiten. Auch öffentlich-rechtliche Kulturbetriebe stehen zunehmend unter Legitimationsdruck, d. h. sie müssen adäquate Instrumente und Strukturen, Erfolge und Wirtschaftlichkeit aufweisen, um den Erhalt der finanziellen Mittel zu rechtfertigen und um diese Mittel auch für die Zukunft zu sichern. Am öffentlichen Dienst mit seinen ungefähr 4,6 Millionen Beschäftigten wird seit geraumer Zeit starke Kritik geübt, z. B. ist von mangelnder Leistungsbereitschaft der Beschäftigten und unzureichender Effizienz des Verwaltungshandelns die Rede. Eine (stärker) leistungsorientierte Bezahlung wird als eine geeignete Maßnahme verstanden, um angemessen auf diese Kritik zu reagieren. Dadurch soll die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten erhöht und das Entgeltsystem modernisiert werden. Mit dem Dienstrechtsreformgesetz ist 1997 nach jahrzehntelanger Diskussion die rechtliche Grundlage dafür geschaffen worden, einem Teil der Beamten zusätzlich zur festen Besoldung eine materielle Belohnung für besondere Leistungen zu gewähren. Die leistungsbezogene Bezahlung wird allerdings nur unter der Prämisse gewährt, dass sie kostenneutral erfolgt, d. h., die dafür benötigten finanziellen Mittel müssen an anderer Stelle (in aller Regel im Personalhaushalt) erwirtschaftet bzw. eingespart werden. Für die Angestellten des Bundes und die
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Angestellten der Mitglieder der Arbeitgeberverbände, die der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände angehören (VkA), gilt seit 1. Oktober 2005 ein neuer Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD); für die Angestellten der Länder ist ein neuer Tarifvertrag (TV-L) zum 1. November 2006 in Kraft getreten. Der TVöD bzw. TV-L1 löst den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) ab und sieht ab dem Jahr 2007 die Gewährung variabler leistungsbezogener Bezahlungsbestandteile vor. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern eine leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben implementiert werden kann. Dies wird im Folgenden für den Beschäftigtenkreis des Verwaltungspersonals (Beamte und öffentliche Angestellte) untersucht; das künstlerische bzw. künstlerisch-wissenschaftliche Personal sowie ehrenamtliche Helfer werden nicht behandelt.
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Leistungsbezogene Bezahlung: Eine begriffliche Klärung
Bei einer leistungsbezogenen Bezahlung erhalten Beschäftigte zusätzlich zu ihrem festen Entgelt eine materielle Honorierung, die sich nach der von ihnen erbrachten Leistung richtet. Davon erhofft man sich ein gerechteres Entlohnungssystem und eine (weitere) Steigerung der Leistungsmotivation. Es gibt zwar Kritiker, die auf die Gefahr hinweisen, dass dadurch die so genannte intrinsische Motivation, d. h. der innere Antrieb zu handeln (z. B. Freude an der Arbeit) verdrängt wird. Überwiegend herrscht jedoch die Meinung, dass es vorteilhaft ist, wenn sich die Vergütung – zumindest teilweise – an der tatsächlich gezeigten Arbeitsleistung des Mitarbeiters orientiert2. Die zusätzliche materielle Honorierung kann in Prämien, Zulagen oder Ergebnis- und Vermögensbeteiligung bestehen. In den USA zählen Erfolgs- und Vermögensbeteiligungen sowie insbesondere Stock-Option-Pläne inzwischen zur gängigen Praxis. Auch in Deutschland haben in den letzten Jahren viele Unternehmen leistungsabhängige Entgeltbestandteile implementiert3. Die Bezahlung ist dabei ein materieller Anreiz, der dazu dient, „den Wunsch nach monetär messbaren Belohnungen oder unterschiedlichen Konsumwünschen“4 zu stillen. Generell bewegen Anreize eine Person zu zielgerichtetem Verhalten5: Gewünschtes Verhalten der Mitarbeiter soll belohnt und dadurch 1
§ 18 TVöD Bund, § 18 TVöD VkA, §§ 17f. TV-L. Z. B. Staehle 1999: 822; Drumm 2000: 555. 3 Böger 2002. 4 Berthel/Becker 2003: 41. 5 Becker 1995: 34. 2
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attraktiv, unerwünschtes Verhalten bestraft und demzufolge unattraktiv werden. Damit Anreize die gewünschte motivationale Wirkung entfalten können, müssen sie die individuelle Bedürfnis-, Motiv- und Wertestruktur der Beschäftigten ansprechen, denn nur wenn sie der Bedürfnisbefriedigung dienen und somit als attraktiv eingeschätzt werden, besitzen sie für den Mitarbeiter eine hohe Wertigkeit (so genannte Valenz6). Eine leistungsbezogene Bezahlung stellt einen materiellen Leistungsanreiz da, der den Umfang und das persönliche Engagement der Mitarbeiter bei ihrer Aufgabenerfüllung beeinflusst7. Um Leistungsanreize setzen zu können, muss zunächst der Leistungsbegriff geklärt werden. Die Leistung eines Mitarbeiters bildet seinen individuellen Beitrag zur Erreichung unternehmerischer Ziele8; sie ist eine Funktion des Wollens (Motivation zur Erbringung einer geforderten Leistung), Könnens (Qualifikation zur Erbringung einer gewünschten Leistung) und der Situation (geforderte Leistungserbringung ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen möglich)9. Damit die individuell gezeigte Leistung (gerecht) honoriert werden kann, muss sie gemessen, bewertet und verglichen werden (Leistungsbeurteilung); dafür ist ein einheitlicher und objektiver Leistungsbegriff notwendig. Als materielle Leistungsanreize können bei der Bezahlung der „Leistungslohn“ und die „Beförderung“ wirken: Der Leistungslohn eines Mitarbeiters ergibt sich aus dem Arbeitsentgelt für von ihm erbrachte Leistungen und bemisst sich nach der Gehaltsgruppe des Mitarbeiters, den Anforderungen seiner Tätigkeit, seinen persönlichen Leistungen und gegebenenfalls nach seiner Qualifikation. Er kann als Akkordlohn, Zeitlohn, Prämienlohn, Pensumlohn oder Potenzial- bzw. Qualifikationslohn gezahlt werden10. Als weiterer materieller Leistungsanreiz kann die Beförderung eines Mitarbeiters verstanden werden, da eine Beförderung in der Regel ein höheres Entgelt nach sich zieht (so genannter indirekter materieller Anreiz11). Die Gestaltung materieller Leistungsanreize hängt dabei von der Ertragslage der Organisation, dem Leistungsverhalten des Personals (welches wiederum die Ertragslage beeinflusst) und der Größe der Organisation ab12. Sie kann im Laufe der Zeit variieren und in Organisationen äußerst unterschiedlich sein, da teilweise sehr spezifische Rahmenbedingungen gelten – wie z. B. tarifliche Vereinbarungen oder die be6
Vroom 1964. Z. B. Schanz 1991a: 8ff.; Becker 1995: 39. 8 Marcus/Schuler 2001: 398. 9 Becker 1998: 276. 10 Ridder 1999: 374ff.; Drumm 2005: 597ff. 11 Drumm 2005: 468. 12 Drumm 2000: 444. 7
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sonderen Rechtsvorschriften im öffentlichen Dienst. Relevant ist zudem, auf welcher Mitarbeiterebene vergütet wird und welche Kultur in der Organisation herrscht13.
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Möglichkeiten für eine leistungsorientierte Bezahlung in öffentlichrechtlichen Kulturbetrieben
Mit Leistungsanreizen ist das Ziel verbunden, die Leistung(sbereitschaft) der Beschäftigten zu erhöhen und dadurch die Produktivität und die Wirtschaftlichkeit des Handelns zu verbessern. Gleichzeitig soll ihre Einführung im öffentlichen Dienst keine zusätzlichen Kosten verursachen („Kostenneutralität“), und zudem sollen sie eine Kostenreduzierung bewirken. Die Möglichkeiten dafür, eine leistungsbezogene Bezahlung im öffentlichen Dienst zu implementieren, sind dabei für die beiden Beschäftigtengruppen der Beamten und der öffentlichen Angestellten unterschiedlich:
(1) Beamte: Prinzipiell ergibt sich für Beamte eine Leistungsorientierung bereits aus den Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Aufgrund des veränderten Verständnisses vom „Beamtenethos“ und der angestrebten Angleichung der sozialen Situation von Beschäftigten im privaten und im öffentlichen Sektor erschien es jedoch den öffentlichen Arbeitgebern und dem Gesetzgeber notwendig und sinnvoll, über das Bezahlungssystem im öffentlichen Dienst stärker auf die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten einzuwirken. Dies kommt im Dienstrechtsreformgesetz von 1997 und in den darin vorgesehenen Möglichkeiten, besondere Leistungen von Beamten zusätzlich materiell zu honorieren, zum Ausdruck. Folgende Neuerungen sind in Hinblick auf eine stärker leistungsbezogene Bezahlung im Dienstrechtsreformgesetz enthalten:
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Die Besoldungstabelle der Beamten und Soldaten für die Besoldungsordnung A und damit das Grundgehalt wird leistungsorientiert verändert. Das bisherige automatische Aufrücken in die nächsthöhere Leistungsstufe aufgrund des Besoldungsdienstalters – und damit verbunden ein höheres Grundgehalt – entfällt, das Erreichen der nächsten Stufe hängt vielmehr auch von der Beurteilung der fachlichen Leistung ab14. Die Neufassung des Böger 2002: 15ff. § 27 Abs. I Satz 2 BBesG.
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Leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben § 27 Abs. II BBesG besagt, dass das Grundgehalt langsamer als bei der bisherigen Regelung steigt (bis zur fünften Stufe steigt es alle zwei Jahre, bis zur neunten Stufe alle drei Jahre und ab der neunten Stufe alle vier Jahre). Der Ortszuschlag wird in einen Familienzuschlag überführt, da durch ihn den unterschiedlichen Belastungen aufgrund eines verschiedenen Familienstands der Beschäftigten Rechnung getragen wird. Nach § 27 Abs. III BBesG ist die Möglichkeit vorgesehen, den Aufstieg eines Beamten oder Soldaten der Besoldungsordnung A aufgrund der gezeigten Leistung zu beschleunigen oder zu verlangsamen. Maximal 10 Prozent der Beamten (seit 2002 gilt die Zahl von höchstens 15 Prozent), die noch nicht das Endgrundgehalt erreicht haben, können bei einer dauerhaft erheblich über dem Durchschnitt liegenden Leistung vorzeitig in die nächste Leistungsstufe aufsteigen; „vorzeitig“ heißt dabei nach Ablauf der Hälfte der regulären Zeit, nach der der Beamte aufgrund seines höheren Dienstalters automatisch in die nächste Stufe vorrücken würde. Zeigt der Beamte hingegen eine unterdurchschnittliche Leistung, erreicht er die nächsthöhere Leistungsstufe verzögert, d. h. erst dann, wenn die Leistung (wieder) anforderungsgerecht ist. Besonders herausragende Einzelleistungen können mit einer Leistungsprämie oder einer Leistungszulage honoriert werden. An maximal 10 Prozent (seit dem Jahr 2002 an maximal 15 Prozent) der Beamten und Soldaten aus Besoldungsordnung A, bei denen eine besondere Arbeitsqualität, -quantität oder ein besonderer wirtschaftlicher Erfolg festgestellt wurde, darf eine Leistungsprämie oder eine Leistungszulage vergeben werden15. Eine Leistungsprämie ist eine Einmalzahlung und darf maximal die Höhe eines Anfangsgrundgehalts betragen, die monatlich gezahlten Zulagen wiederum werden maximal ein Jahr lang gewährt und sollen nicht mehr als 7 Prozent des Anfangsgrundgehalts ausmachen. Die verschiedenen leistungsbezogenen Bezahlungselemente schließen sich dabei gegenseitig aus, d. h. sie dürfen nicht gleichzeitig gewährt werden (Kumulationsverbot16). Über die Vergabe der zusätzlichen Bezahlungselemente entscheidet die zuständige oberste Dienstbehörde oder eine von ihr beauftragte Stelle. Diese Möglichkeiten, leistungsorientierter zu besolden, stehen dabei nicht im Widerspruch zum Alimentationsprinzip, da sich hierbei nur einzelne Entgeltbestandteile an der Leistung orientieren, nicht aber die gesamte Besoldung. Bei dauerhaft herausragenden Gesamtleistungen eines Beamten ist seine Beförderung vorgesehen. Vor jeder Beförderung soll der Beamte dabei eine
§ 42a Abs. II BBesG. § 42a Abs. III neu BBesG.
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festgelegte Erprobungszeit von drei bis zwölf Monaten absolvieren17. Die Beförderungschancen sollen verbessert werden, indem beim so genannten Verwendungsaufstieg in den mittleren und gehobenen Dienst die Ämterreichweite um jeweils eine Besoldungsgruppe erhöht wird. Mithilfe der Leistungsbeurteilung sollen individuelle Leistungsunterschiede der Beschäftigten ermittelt werden. Die Bedeutung der Leistungsbeurteilung wird durch die im Dienstrechtsreformgesetz vorgesehenen leistungsbezogenen Bezahlungselemente betont und erhöht, da die Leistungsbeurteilung die Basis liefert für das (vorzeitige) Aufrücken in die nächsthöhere Leistungsstufe, für die Gewährung von Leistungszulagen und -prämien sowie für eine Beförderung. Für die Beurteilung der fachlichen Leistung der Beamten werden Richtwerte für die beiden besten Beurteilungsnoten („Beurteilungsquoten“) eingeführt18, d. h., es darf nur ein bestimmter Anteil der bewerteten Beamten einer Besoldungsgruppe die höchste (maximal 15 Prozent der Beamten) oder zweithöchste (maximal 35 Prozent Bewertungsnote („Spitzenbeurteilungen“) erzielen. Darüber hinaus soll gegen Beschäftigte, deren Leistung mehrfach als nicht ausreichend bewertet worden ist, zwingend ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet werden.
Die beschriebenen Elemente, die das Dienstrechtsreformgesetz für eine leistungsbezogene Besoldung beinhaltet, sind in Abbildung 1 nochmals zusammengefasst.
17 18
§ 12 Abs. II Satz 1 1. Halbsatz Nr. 4 BRRG. § 41a BLV.
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Leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben
Abbildung 1:
Neugestaltung des Bezahlungssystems im Dienstrechtsreformgesetz19
Dauerhaft herausragende Gesamtleistung festgestellt durch Regelbeurteilung (alle 3-4 Jahre)
Beförderung • Erprobungszeit von mindestens drei Monaten vor jeder Beförderung • verbesserte Beförderungschancen durch erhöhte Ämterreichweite
festgestellt durch aktuelle Leistungseinschätzung (einmal im Jahr)
Leistungsstufe: (1) Frühzeitiges Vorrücken in Dienstaltersstufen • bei einer dauerhaft erheblich über dem Durchschnitt liegenden Leistung • für maximal 15% der Beamten/Soldaten in Besoldungsordnung A (2) Hinauszögern des automatischen Vorrückens bei unterdurchschnittlicher Leistung
Herausragende besondere Einzelleistung
aktuelle Leistungsfeststellung
Leistungszulage: • maximal 7% des Anfangsgrundgehalts für höchstens ein Jahr • für maximal 15% der Beamten und Soldaten in Besoldungsordnung A • Widerruf bei Leistungsabfall
Leistungsprämie: • Einmalzahlung bis zur Höhe des Anfangsgrundgehalts • für maximal 15% der Beamten/ Soldaten in Besoldungsordnung A • enger zeitlicher Zusammenhang zur Leistung • Begründung der besonderen Leistung unabhängig von der dienstlichen Beurteilung
Die für die leistungsbezogenen Bezahlungselemente benötigten finanziellen Mittel stammen dabei zum Teil aus Einsparungen, die aus dem Umbau der Grundgehaltstabelle resultieren (s. o.).
(2) Angestellte: Obwohl das Dienstrechtsreformgesetz bereits 1997 in Kraft getreten ist und die Tarifvertragsparteien schon seit Beginn der 1990er Jahre immer wieder über eine stärkere Leistungsorientierung verhandeln, ist erst in den Jahren 2005 und 2006 mit dem neuen TVöD bzw. dem neuen Tarifvertrag der Länder (TV-L) die Grundlage dafür geschaffen worden, ab 2007 auf Bundes-, Länder- und Kommu19
In Anlehnung an Oechsler 1999: 401.
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nalebene den öffentlichen Arbeitnehmern leistungsbezogene Bezahlungselemente anbieten zu können. Bei einigen zuvor ausgehandelten Tarifverträgen, bei denen sich ein Teil der Vergütung nach der Leistung bestimmt, handelte es sich um Ausnahmen, die nur für bestimmte Verwaltungsbereiche (z. B. Deutsche Bundespost; kommunale Versorgungsbetriebe) oder nur für einen bestimmten Teil der öffentlichen Arbeitnehmer, aber nicht flächendeckend galten. Der neue TVöD, der für Bund und Kommunen seit 1. Oktober 2005 gilt, und der neue TV-L, der zum 1. November 2006 in Kraft getreten ist, sehen ab dem Jahr 2007 die Gewährung von Leistungselementen vor, die zusätzlich zum Gehalt gezahlt werden sollen. Die genauen Bestimmungen zur Leistungsbezahlung (wer erhält zu welchem Zeitpunkt welches Leistungsbezahlungselement in welcher Höhe) müssen jeweils vor Ort durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen bzw. durch landesbezirkliche Tarifverträge (Landestarifverträge) ausgehandelt und geregelt werden; der TVöD bzw. der TV-L setzt nur einen Rahmen. Wird kein landesbezirklicher Tarifvertrag geschlossen, sind zwölf Prozent des Septemberentgelts des jeweiligen Jahres gleichmäßig an alle Beschäftigten jeweils im Dezember auszuschütten. Folgende variablen leistungsbezogenen Elemente sind dabei im TVöD bzw. im TV-L vorgesehen20:
Es können Leistungszulagen und Leistungsprämien gewährt werden, auch ihre Kombination ist erlaubt. Die Zeiträume zwischen dem Aufstieg in die nächsthöhere Entgelt- bzw. Entwicklungsstufe können aufgrund der gezeigten Leistung des öffentlichen Arbeitnehmers verkürzt oder verlängert werden (dies entspricht dem Gedanken der Leistungsstufenregelung bei den Beamten).
Im Gegensatz zu den Regelungen im Dienstrechtsreformgesetz ist im TVöD bzw. TV-L nicht vorgesehen, den Empfängerkreis der leistungsbezogenen Bezahlungselemente zu begrenzen und eine Quotierung einzuführen, sondern jeder, der eine entsprechende Leistung gezeigt hat, kann dafür materiell belohnt werden. Anstelle einer Leistungsbewertung, mit deren Hilfe das Bezahlungssystem nach der Leistung der Beschäftigten differenziert wird, können dabei auch Zielvereinbarungen abgeschlossen werden. Geplant war, im Jahr 2007 mit einem Volumen von 1 Prozent der Summe der Monatsentgelte des Vorjahres zu beginnen (dieses Volumen musste bis zum Ende des Jahres ausgeschüttet werden). Angestrebt wird ein Volumen von 8 Prozent der Entgeltsumme der Tarifbeschäftigten des jeweiligen Arbeitgebers 20
§ 18 TVöD Bund, § 18 TVöD VkA, §§ 17f. TV-L.
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auf Bundes-, Länder und Kommunalebene. Die Mittel für die zusätzlichen Zahlungen sollen aus den Absenkungen des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes gewonnen werden. Mit dem Dienstrechtsreformgesetz und mit den Tarifverträgen, die leistungsbezogene Bezahlungselemente beinhalten, wurde – wie oben dargelegt – die Möglichkeit geschaffen, dem Personal im öffentlichen Dienst materielle Anreize anzubieten, die konkret auf die Leistungsbereitschaft abzielen und diese erhöhen sollen. Angesichts dieser nach jahrelanger Debatte geschaffenen Gestaltungsmöglichkeiten erstaunt es, dass die öffentlichen Verwaltungen diese Spielräume aber kaum nutzen, geschweige denn ausschöpfen (vgl. Abb. 2). Da keine Daten existieren, die den Einsatz einer leistungsbezogenen Bezahlung in speziellen Bereichen der öffentlichen Verwaltung wie z. B. in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben separat ausweisen, können hier nur Zahlen und Unterschiede für die verschiedenen Ebenen (Gebietskörperschaften) der öffentlichen Verwaltung dargelegt werden: Abbildung 2:
Gewährung leistungsbezogener Bezahlungselemente in der Verwaltungspraxis Anwendung einer leistungsbezogenen Bezahlung
Bund
Länder
21
Einführung eines leistungsorientierten Anteils der Bezahlung von Beamten ist rückwirkend zum 1. Juli 1997 möglich Leistungsbezug der Bezahlung ist in fast allen obersten Behörden eingeführt worden
Unterschiedlicher Umgang mit den Gestaltungsmöglichkeiten bei der Bezahlung der Beamten: Es haben noch nicht alle Bundesländer eine Rechtsverordnung zu Leistungsstufen und/oder Leistungsprämien bzw. -zulagen erlassen Einige Länder haben die rechtliche Basis durch erlassene Rechtsverordnungen geschaffen, wenden sie aber nicht an Die Länder, die eine Verordnung erlassen haben und eine leistungsbezogene Bezahlung anwenden, gewähren vorrangig Leistungsprämien
21 Studien von Konzendorf/Bräunlein 1998; BMI 2001; Grömig 2001; DGFP 2004; Tondorf/Jochmann-Döll 2004; Deutsches Institut für Urbanistik 2005: 52; Matiaske/Holtmann/Weller 2005a.
Leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben Kommunen
209
Kommunen befürworten generell eine leistungsorientierte Bezahlung 4,9 Prozent von 206 im Jahr 2000 befragten Städten der alten Bundesländer honorieren die Leistung durch eine zusätzliche materielle Belohnung; 11,3 Prozent von 559 im Jahr 2000 befragten Städten, Gemeinden und Kreisen haben Leistungszulagen gewährt, 14,9 Prozent haben eine Leistungsprämie gezahlt 7,1 Prozent von 736 befragten Kommunalverwaltungen haben auf Basis einer systematischen Leistungsbeurteilung zusätzliche Zahlungen gewährt; 19,6 Prozent planen die Einführung leistungsorientierter Elemente bei der Bezahlung; 73,3 Prozent zeigen (noch) keinen konkreten Willen, sie zu implementieren 32,7 Prozent von 153 befragten Kommunalverwaltungen haben Leistungsstufen gewährt, 15 Prozent planen ihre Einführung; 52,3 Prozent sehen keine Implementierung vor; 32,3 Prozent von 155 befragten Kommunalverwaltungen haben Leistungsprämien gewährt, 25,8 Prozent planen ihre Einführung, 41,9 Prozent sehen keine Implementierung vor; 29,7 Prozent von 155 befragten Kommunalverwaltungen haben Leistungszulagen gewährt; 20 Prozent planen ihre Einführung, 50,3 Prozent sehen keine Implementierung vor
Auf Bundesebene ist die Gewährung materieller Anreize durch einen entsprechenden Erlass rückwirkend zum 1. Juli 1997 möglich. Laut Aussage des BMI22 besteht in fast allen obersten Bundesbehörden ein Leistungsbezug bei der Bezahlung. Die Resonanz darauf ist sowohl bei den Bediensteten als auch bei deren Vorgesetzten positiv23. Auf Landesebene ist der Umgang mit den neuen Gestaltungsmöglichkeiten unterschiedlich24: Die Bundesländer erlassen die landesrechtlichen Verordnungen zu Leistungselementen teilweise erst mit relativ großer Zeitverzögerung zum Dienstrechtsreformgesetz 1997. In erster Linie werden Leistungsprämien gezahlt, überwiegend wird dabei von positiven Erfahrungen berichtet25. Die Kommunalverwaltungen bewerten leistungsorientierte Bestandteile der Bezahlung grundsätzlich positiv. Dem Thema „Leistungsentlohnung“ wird ein hoher Stellenwert beigemessen, der aus Sicht der Verwaltungspraktiker in Zu22
BMI 2001: 19. BMI 2001: 20 und 23. 24 Konzendorf/Bräunlein 1998: 112; BMI 2001: 19 und 48; Tondorf/Jochmann-Döll 2004: 429. 25 BMI 2001: 21. 23
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kunft weiter steigen wird. Die Vorteile werden dabei vor allem in einer Stärkung der Eigeninitiative und des problemorientierten Handelns, einer verbesserten Einkommensgerechtigkeit sowie einer höheren Mitarbeiterorientierung gesehen26. Jedoch halten sich die Kommunalverwaltungen bei der Einführung materieller Leistungsanreize am deutlichsten zurück27. Wenn sie eingesetzt werden, dann überwiegend in Form von Leistungsprämien; diejenigen Kommunalverwaltungen, die Leistungszulagen vergeben, gewähren sie nur selten in der maximalen Höhe. Wenn eine leistungsbezogene Bezahlung erfolgt, wird von einer positiven Resonanz und einer hohen Akzeptanz bei den Beschäftigten berichtet28. Insgesamt, d. h. über alle Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) hinweg betrachtet, kommt eine leistungsbezogene Bezahlung in der öffentlichen Verwaltung somit nur zurückhaltend zum Einsatz 29 – obwohl ihr zugeschrieben wird, eine Effizienz- und Effektivitätssteigerung des Verwaltungshandelns zu ermöglichen. Sie ist nach wie vor in Nonprofit-Organisationen deutlich geringer verbreitet als in privatwirtschaftlichen, gewinnorientierten Organisationen30; zu vermuten ist jedoch, dass sich dieser Abstand durch die entsprechenden leistungsbezogenen Vergütungsregelungen des neuen TVöD bzw. TV-L ab dem Jahr 2007 verringern wird. Der Befund der geringen Nutzung überrascht insbesondere angesichts der Tatsache, dass seit Jahren eine stärkere Leistungsorientierung im öffentlichen Dienst sowohl von Arbeitgeber- als auch von Arbeitnehmerseite gefordert wird. Daher stellt sich die Frage, ob eine leistungsbezogene Bezahlung im öffentlichen Dienst und speziell in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben spezifischen Grenzen unterliegt und mit besonderen Problemen behaftet ist, die die geringe Verbreitung erklären können.
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Grenzen für eine leistungsorientierte Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben
Für die geringe Implementierung leistungsbezogener Bezahlungselemente in öffentlichen Verwaltungen können verschiedene Gründe eine Erklärung liefern31:
26
Z. B. Matiaske/Holtmann/Weller 2005b: 8. Grömig 2001: 11 und 15; BMI 2001: 21; Matiaske/Holtmann/Weller 2005a. 28 BMI 2001: 21. 29 Armutat 2005: 10. 30 Z. B. auch Eckardstein 2002: 327. 31 Z. B. BMI 2001; Busse 2002: 205; DGFP 2004; Jörges-Süß/Süß 2004; Tondorf/Jochmann-Döll 2004; Matiaske/Holtmann/Weller 2005a und 2005b. 27
Leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben
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In öffentlichen Verwaltungen besteht eine Vielzahl an praktischen Umsetzungsschwierigkeiten bei der leistungsorientierten Gestaltung eines Bezahlungssystems: Ein zentrales Problem stellt die angespannte finanzielle Situation der öffentlichen Haushalte dar: Da die Leistungsorientierung aufgrund dessen keine zusätzlichen Kosten verursachen darf, müssen die Finanzmittel für eine Gewährung von leistungsbezogenen Bezahlungselementen an anderer Stelle durch das Streichen bzw. Reduzieren anderer Mittel erwirtschaftet werden. Die finanziellen Restriktionen treffen dabei die Kommunalverwaltungen am stärksten, weil sie die Kosten nicht weitergeben können, sie im Gegenteil aber häufiger Aufgaben und somit Kosten des Bundes und der Länder übernehmen müssen. Dies erklärt die zunächst widersprüchliche Tatsache, dass auf kommunaler Ebene, auf der insgesamt eine starke Modernisierungsbewegung stattfindet, eine leistungsbezogene Bezahlung am seltensten vorzufinden ist. Die Vermutung liegt nahe, dass die finanzielle Situation dabei im öffentlichen Kulturbereich (und hier insbesondere in den Kommunen) besonders angespannt ist, da die öffentliche Finanzierung des Nonproft-Bereichs und somit auch der kulturellen Institutionen aufgrund der Finanzkrise bereits seit längerer Zeit rückläufig ist32. Ein Teil der öffentlichen Verwaltungen ist somit finanziell nicht in der Lage, ihrem Personal materielle Leistungsanreize anzubieten, obwohl die Verwaltungen es in der Regel als sinnvolle und notwendige personalwirtschaftliche Maßnahme erachten. Die angespannte Haushaltssituation ist auch der Grund dafür, dass im Dienstrechtsreformgesetz der potenzielle Anreizempfängerkreis für fast alle materiellen Leistungsanreize auf 15 Prozent quotiert ist. Einer breiten Etablierung leistungsbezogener Entgeltbestandteile sind damit per se Grenzen gesetzt. Aus Motivationsüberlegungen heraus bringt eine solche Begrenzung zahlreiche Probleme mit sich und ist nicht empfehlenswert, da die Gefahr besteht, dass Mitarbeiter die Variabilisierung der Bezahlung als reine Sparmaßnahme bzw. Maßnahme zur Haushaltskonsolidierung begreifen und in diesem Fall eine Motivationssteigerung ausbleibt. Im Gegenteil kann die Leistung(smotivation) der Beschäftigten dadurch sinken und zwar nicht erst, wenn tatsächlich eine Ungleichbehandlung eintritt, weil ein Teil der Beschäftigten einen Leistungsanreiz erhalten hat und ein anderer nicht, sondern schon allein aufgrund der Tatsache, dass es eine Quotierung gibt und die Möglichkeit besteht, trotz hervorragender Leistungen dafür nicht zusätzlich belohnt zu werden. Die Folge können Konkurrenzdenken, Neid, schlechte Arbeitsatmosphäre, Unzufriedenheit und schließlich eine geringere Leistungsmotivation sein. Problemverschärfend wirkt dabei, dass 32
Zimmer/Priller/Hallmann 2003: 50.
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es für die Beamten eine solche Quotierung gibt, für die öffentlichen Angestellten hingegen nicht. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit für die subjektive Empfindung der Mitarbeiter, ungerecht und ungleich behandelt zu werden. Eine unterschiedliche Behandlung der Beschäftigten ist dabei insbesondere auf Kommunalebene ein Problem, das demotivierende Wirkungen nach sich ziehen kann, da hier keine so starke Differenzierung in Beamten- und Angestelltenstellen wie auf Länder- und Bundesebene vorliegt, sondern vergleichbare Stellenanforderungen gegeben sind, die Zugehörigen beider Beschäftigtengruppen miteinander eng zusammenarbeiten sowie mehr oder weniger identische Aufgaben erfüllen33. Dies erklärt (neben den starken finanziellen Restriktionen), warum insbesondere Kommunalverwaltungen kaum materielle Leistungsanreize anbieten. In öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben kommt hinzu, dass nicht nur zwei verschiedene Mitarbeitergruppen (Beamte und öffentliche Angestellte) existieren, sondern darüber hinaus noch künstlerisches Personal (und Ehrenamtliche, die jedoch keine materiellen Leistungsanreize erhalten) tätig sind. Wenn sich die Beschäftigten untereinander vergleichen, werden somit zwangsläufig Unterschiede in der Bezahlung festzustellen sein, die eine Akzeptanz der leistungsbezogenen Bezahlungselemente verringern oder sogar verhindern können. Ein weiteres Hindernis für eine leistungsbezogene Bezahlung im öffentlichen Dienst besteht darin, dass es aufwändig ist, geeignete Bemessungsgrundlagen für sie zu finden. Um leistungsbezogene Vergütungselemente zu zahlen, muss die Leistung gemessen, bewertet, beurteilt und verglichen werden können. Dafür ist es zunächst notwendig, einen einheitlichen und objektiven Leistungsbegriff verbindlich festzulegen. Dies ist in der öffentlichen Verwaltung mit relativ viel Aufwand verbunden, weil viele Aufgaben so strukturiert sind, dass Leistungen nicht bzw. nur schwer quantifizierbar und damit nicht individuell zuzurechnen und zu vergleichen sind. Die Leistung des Verwaltungspersonals in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben hat somit ebenfalls einen eher qualitativen Charakter und kann folglich schwer objektiv beurteilt werden (z. B. freundliches Verhalten bei den Personen, die mit den Kunden in direktem Kontakt stehen (z. B. Kassenpersonal, Aufsichtspersonal)). Es müssen verbindliche Leistungs- und Vergabekriterien definiert werden, damit eine herausragende Einzelleistung eines Beschäftigten gemessen und honoriert werden kann. Solange in der öffentlichen Verwaltung klare Bemessungsgrundlagen fehlen, ist eine systematische, transparente, nachvollziehbare und akzeptierte Gewährung von leistungsbezogenen Bezahlungselementen kaum möglich. Wenn die Bemessengrundlagen aber von dem Einzelnen als intransparent, nicht nachvollziehbar und nur gering beeinflussbar eingeschätzt wird, und 33
Rieger 2005: 238.
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die Beschäftigten die leistungsbezogenen Bestandteile der Bezahlung als „Nasenprämie“ und Sympathiefaktor wahrnehmen, bleibt die erhoffte Motivationswirkung aus. Eine systematische, regelmäßige Leistungsbeurteilung ist daher zentrale Voraussetzung für eine leistungsorientierte Bezahlung, stellt jedoch in der öffentlichen Verwaltung (noch) nicht die gängige Praxis dar. Unter anderem befürchten die Dienstherren, dass Beurteilungsfehler bei der Verteilung der Leistungsanreize auftreten und somit ungerechtfertigte Zahlungen erfolgen oder aber leistungsstarke Mitarbeiter aufgrund ihrer Nichtberücksichtigung (Quotierungsregel) demotiviert werden. Einige Verwaltungspraktiker scheinen es daher zu bevorzugen, materielle Leistungsanreize und Leistungsbeurteilung erst gar nicht zu implementieren. Die (befürchtete) fehlende Akzeptanz bei den Mitarbeitern stellt für die öffentliche Verwaltung ein weiteres gravierendes Problem dar, das die erfolgreiche Implementierung von leistungsbezogenen Bezahlungselementen erschwert bzw. ihre (leistungs-) motivierende Wirkung verhindert. Die Beschäftigten erachten eine leistungsorientierte Entlohnung zwar generell als sehr wichtig und wünschen sich die Möglichkeit, Leistungsanreize zu erhalten34. Überwiegend lehnen sie jedoch eine Anreizgestaltung ab, bei der eine verbindliche Definition des Leistungsbegriffs fehlt, die Leistungsbemessungsgrundlagen und die Vergabekriterien für die Leistungsanreize unklar sind, der Empfängerkreis begrenzt ist und die verschiedenen Beschäftigtengruppen unterschiedlich behandelt werden35. Außerdem rechnen die Beschäftigten in der Regel nicht unbedingt mit Neuerungen, die ihnen zugute kommen; vielmehr nehmen sie die Leistungsorientierung vor allem als Rationalisierungsmaßnahme wahr, die aufgrund der Finanzkrise der öffentlichen Haushalte ergriffen wird. Negativ wirkt sich dabei auch aus, dass durch die gesetzten Leistungsanreize möglicherweise der Eindruck entsteht, das Personal müsse zu einer höheren Leistungsbereitschaft erst motiviert werden und besitze noch große Leistungsreserven, die es nicht freiwillig ausschöpft36. Darüber hinaus erschweren die gewachsenen hierarchischen und bürokratischen Strukturen Neuerungen. Die formalen und informellen Strukturen von öffentlichen Verwaltungen haben sich über Jahre hinweg etabliert. Mitarbeiter sind nicht nur an gegebene (formale und informelle) Hierarchien gewöhnt, sondern auch an die oft jahr(zehnt)elang praktizierten Verfahren und Systeme, z. B. das Vergütungssystem. Diese sind zu einem zentralen Bestandteil der Organisationskultur geworden. Änderungen wird seitens der Mitarbeiter mit Skepsis begegnet; das gilt insbesondere, wenn es um sensible Bereiche wie die eigene Leistung und daran gekoppelt die Bezahlung geht. Veränderungen in diesen Berei34 35 36
Z. B. Bogumil et al. 1996; Vesper 1996. Z. B. BMI 2001: 24. Kühnlein 1998: 207.
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chen nehmen Mitarbeitern die Sicherheit hinsichtlich ihrer eigenen Position im Leistungsgefüge der Organisation und hinsichtlich ihres Einkommens. Widerstand gegen die Veränderung kann dann die Folge sein. Eine Barriere für die praktische Anwendbarkeit von dienstrechtlichen Änderungen (d. h. Änderungen, die die Beschäftigtengruppe der Beamten betreffen) besteht zudem darin, dass die Entscheidungs- und Handlungskompetenzen auf verschiedenen Ebenen liegen (Gesetzgeber und öffentliche Arbeitgeber) und auch durchaus unterschiedliche Interessen zugrunde liegen. So wurde bereits oben deutlich, dass die Verwaltungspraktiker die Quotierungsregel bei den Leistungsanreizen für Beamte als äußerst problematisch bewerten, diese Regel ist aber durch den Gesetzgeber verankert worden, um die öffentlichen Haushalte nicht zusätzlich zu belasten. Neben diesen zahlreichen praktischen Umsetzungshindernissen gibt es zudem in der gut dokumentierten (internationalen) Reformbewegung – neben erfolgreichen Beispielen, die als Vorbild dienen können – negative bzw. umstrittene Beispiele für eine leistungsorientierte Gestaltung der Bezahlung, wenn es sich z. B. um reine „Sanierungszulagen“ handelt, d. h. wenn die gewährten Zulagen für Mehrleistungen zur Einsparung von Personalkosten und zur drastischen Verringerung des Personalbestands eingesetzt werden. In den Fällen misslungener Reformprojekte blieb die beabsichtigte Motivationswirkung bei den Beschäftigten aus, wurden keine Kostenvorteile realisiert und/oder das Bezahlungssystem galt als illegitim und wurde abgelehnt37. Insbesondere wenn unklar ist, aus welchen Gründen das leistungsbezogene Bezahlungssystem jeweils genau scheiterte, können diese negativen Beispiele die Verwaltungspraktiker befürchten lassen, ähnliche Erfahrungen zu machen, sodass sie teilweise eine eher abwartende bzw. passive Haltung einnehmen. Festzuhalten ist für die Gestaltung leistungsbezogener Bezahlungssysteme in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben, dass dort – neben den für den gesamten öffentlichen Dienst bestehenden Umsetzungshindernissen – insbesondere zwei Probleme spezifisch sind: Zum einen ist die finanzielle Situation für öffentlichrechtliche Kulturbetriebe besonders angespannt. Zum anderen existieren nicht nur zwei Beschäftigtengruppen wie überall im öffentlichen Dienst (Beamte und öffentliche Angestellte), sondern zusätzlich das künstlerische Personal. Für diese drei Gruppen werden zwar ähnliche Regelungen angestrebt, letztlich bestehen – im Detail – aber immer Unterschiede bei der konkreten Ausgestaltung des Bezahlungssystems zwischen diesen Mitarbeitergruppen. Dies kann zu Unzufriedenheit und Demotivation führen und somit den erfolgreichen Einsatz einer leistungsbezogenen Bezahlung einschränken oder sogar verhindern. Vor diesem 37
Tondorf 1994: 511; Tondorf/Jochmann-Döll 2004: 429.
Leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben
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Hintergrund ist zu vermuten, dass materielle Leistungsanreize (auch in Zukunft) in eher wenigen öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben und in geringerem Umfang oder aber durch Tarifverträge (TVöD/TV-L) erzwungenermaßen gewährt werden.
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Fazit und Ausblick
Der Leistungsbezug bei der Bezahlung wird seit einigen Jahren als vorteilhaft propagiert. Die Gewährung materieller Leistungsanreize ist – auch für den öffentlichen Dienst – mittlerweile (stärker) gesellschaftlich akzeptiert; dazu hat vermutlich ihre Anwendung im Ausland durch die New Public ManagementBewegung sowie der Einsatz von Leistungszulagen und Leistungsprämien in deutschen Unternehmen der Privatwirtschaft beigetragen. Über Gesetze und Tarifverträge wurde die Möglichkeit geschaffen, Beamten und öffentlichen Arbeitnehmern materielle Leistungsanreize wie Leistungsprämien, -zulagen, einen frühzeitigen Aufstieg in die nächsthöhere Entgeltstufe oder eine Beförderung gewähren zu können. Allerdings verdeutlichte der Blick in die Verwaltungspraxis, dass sich eine leistungsabhängige Vergütung bei weitem noch nicht flächendeckend etabliert hat. Erklärt werden kann dies mit einer Vielzahl von praktischen Umsetzungsproblemen, die sich in öffentlichen Verwaltungen ergeben, insbesondere die stark angespannte finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte erschwert eine umfassende Etablierung materieller Leistungsanreize ohne eine Begrenzung des Empfängerkreises. Außerdem fehlen bisher klare Vergabekriterien für die leistungsbezogenen Bezahlungselemente sowie eine flächendeckende systematische Leistungsbeurteilung. Für eine Implementierung in öffentlichen Kulturbetrieben wirkt dabei zum einen erschwerend, dass sich dort die Finanzkrise besonders stark bemerkbar macht. Zum anderen kommt hinzu, dass dort nicht nur für zwei verschiedene Beschäftigtengruppen (Beamte und öffentliche Angestellte als Verwaltungspersonal), sondern zusätzlich noch für das künstlerische Personal über verschiedene Tarifverträge und über Gesetze eine gerechte und zugleich wirtschaftliche leistungsbezogene Bezahlung erfolgen muss, wenn sie ihre positive Wirkung entfalten soll. Gleichzeitig herrschen aber gewachsene bürokratische und hierarchische Strukturen, und das Management ist durch politische Vorgaben in seinen Handlungsmöglichkeiten restringiert. Generell ist zudem darauf zu achten, dass der Leistungsbezug nicht nur bei der Bezahlung hergestellt wird, sondern dass ihm insgesamt innerhalb der Organisation ein hoher Stellenwert (z. B. in Strategie, Unternehmensleitbild oder Unternehmenskultur) eingeräumt wird. Strukturelle Widersprüche zwischen
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Leistungsbezogene Bezahlung in öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieben
Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen sind zu vermeiden, d. h., es müssen ganzheitliche Lösungen gefunden werden, die eine „Stimmigkeit“ zwischen dem neuen Bezahlungssystem und dem organisationalen Kontext schaffen. Im TVöD bzw. TV-L ist festgeschrieben worden, dass materielle Leistungsanreize in einem bestimmten Mindestumfang gewährt werden müssen, daher müssen – auch durch das Heranziehen von internationalen Erfahrungswerten der öffentlichen Verwaltungen – Lösungen für die zahlreichen Probleme (wie z. B. finanzielle Restriktionen, fehlende funktionsfähige Personalbeurteilungssysteme etc.) generiert werden. Die Realisierung einer leistungsorientierten Bezahlung und die Nutzung ihrer Potenziale sind nur möglich, wenn das veränderte Bezahlungssystem von den Beteiligten akzeptiert wird, wenn transparente und nachvollziehbare Bemessungsgrundlagen für die Leistung sowie eindeutige Vergabekriterien für die zusätzlichen Zahlungen bestehen und kommuniziert werden und wenn die Neuerungen konsequent durch- und umgesetzt werden. Folglich ist es notwendig, strukturelle Probleme zu lösen, den Veränderungsprozess intensiv zu kommunizieren, die Mitarbeiter daran zu beteiligen sowie eindeutige Bedingungen für die leistungsorientierte Bezahlung zu schaffen und Veränderungen konsequent voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, in welchem Umfang die auf Basis des TVöD bzw. TV-L ab 2007 vorgesehenen leistungsbezogenen Bezahlungselemente tatsächlich gewährt werden und ob und auf welche Weise die gravierenden Hindernisse bei der Implementierung einer leistungsbezogenen Bezahlung im öffentlichen Dienst bald überwunden werden können.
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Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
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Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides in Museen Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
Carola de Teffé∗ und Lothar Müller-Hagedorn Carola de Teffé und Lothar Müller-Hagedorn 1 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2 4 5
1
Problemstellung Ein Modell zur Wirkung emotionaler und sachlicher Informationsvermittlung auf Museumsbesucher Zur begrifflichen Abgrenzung der relevanten Konstrukte Zufriedenheit als kognitive Urteilsgröße Emotionen und ihre Arten Hypothesen zur Wirkung von Audio-Guides Wirkungen unterschiedlich gestalteter Audio-Guides Wirkungsbeziehungen zwischen den emotionalen und kognitiven Reaktionen der Museumsbesucher Empirische Untersuchung der Wirkung von Audio-Guides Die Anlage der empirischen Untersuchung Die Konzeption der Hörtexte Datenerhebung und Datengrundlage Überblick über die Operationalisierung der hypothetischen Konstrukte Ergebnisse der Hypothesenprüfung Ergebnisse zur Bedeutsamkeit von Audio-Guides und ihrer Gestaltung Prüfung der Wirkungszusammenhänge in einem Kausalmodell Zusammenfassung der Ergebnisse Literaturverzeichnis
Problemstellung
Marketing findet zunehmend auch bei Kulturinstitutionen Beachtung, was sich auch in zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen widerspiegelt.1 In dem vorliegenden Beitrag wird die Wirkung von Audio-Guides analysiert, die bekanntermaßen inzwischen von vielen Museen eingesetzt werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf eines Ausstellungsplaners wird gefragt, an welchen Größen die Wirkung solcher Guides zu beurteilen ist. Sind sie nur ein Kosten- bzw. Erlösfak∗
Geb. Viehöver. Vgl. Kotler,Ph./Kotler, N. 1998, Terlutter, R. 2000; Hausmann, A. 2001; Müller-Hagedorn, L./Feld, Ch. 2000; Klein, A. 2001; Goulding, Ch. 2000: 261-278. 1
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Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
tor, oder können sie einen wesentlichen Beitrag zur Information und zur Zufriedenheit der Besucher leisten? Audio-Guides sind zunächst nur eine Technologie, die in der Lage ist, ganz unterschiedliche Inhalte zu vermitteln. Wir fragen, ob das Urteil der Besucher über solche Guides auch davon abhängt, ob die Inhalte mehr emotional oder mehr sachlich präsentiert werden. Dieses erste Anliegen der Untersuchung kann auch so umschrieben werden: Sind Museumsbesucher, die zusätzliche Informationen über Audio-Guides erhalten, zufriedener als solche, die kein weiteres Informationsangebot nutzen? Und: Welche Unterschiede in der Wirkung sind bei emotional und sachlich gestalteten Hörtexten zu erwarten? Wir verfolgen mit dem Beitrag des Weiteren ein abstrakteres Anliegen: In vielen Anwendungsbereichen, so bei der Analyse des Verhaltens von Museumsbesuchern, aber auch bei Konsumenten, Wählern oder Straßenverkehrsteilnehmern stellt sich die Frage, ob die intendierten Verhaltensweisen eher erreicht werden, wenn emotionale oder kognitive Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt werden. Zu den kognitiven Reaktionen zählen beispielsweise Zufriedenheiten und Einstellungen, zu den emotionalen beispielsweise die Freude und die Stimmung. Dem Ansatz des Erlebnismarketing liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen jene Handlungsmöglichkeiten bevorzugen, die ihnen am meisten Freude vermitteln; Emotionen, Stimmungen, Spaß und ähnliches leiten demnach das Verhalten. Differenzierung geschieht nicht mehr über die rationale Dimension, sondern über Gefühle. Inwiefern kann dieser Sachverhalt auf die Situation eines Museumsbesuchers übertragen werden? Gerade bei einem Museumsbesuch geht es ja auch um Erkenntnis. So fragen wir, wie das Zusammenspiel von Emotionen und Kognitionen am Beispiel von Museumsbesuchern theoretisch erklärt werden kann. Der Beitrag hat einen theoretischen und einen empirischen Teil. Im theoretischen Teil werden Hypothesen entwickelt, mit denen die Wirkung von AudioGuides auf das Verhalten bzw. Verhaltensabsichten von Museumsbesuchern erfasst wird. Der empirische Teil stützt sich auf ein Experiment in der Sonderausstellung „Ansichten Christi“ im Wallraf-Richartz-Museum in Köln.2 Für dieses Experiment waren zwei unterschiedliche Audio-Führungen3 entwickelt worden, zum einen eine stärker emotional ausgerichtete und zum anderen eine mehr sachlich gehaltene Audio-Führung. Das Experiment wird vorgestellt, und über die Ergebnisse wird berichtet. 2 Besonderer Dank gebührt an dieser Stelle Herrn Dr. Andreas Blühm, Direktor des Wallraf-RichartzMuseums; er hat die empirische Untersuchung in der Sonderausstellung „Ansichten Christi“ 2005 ermöglicht und mit großem Interesse verfolgt. Für die finanzielle Unterstützung sei dem Stifterrat des Wallraf-Richartz-Museum, insbesondere Herrn Peter Jungen gedankt. Zur gesamten Darstellung der Studie siehe de Teffé, C. 2007. 3 Im Folgenden werden die Begriffe Audio-Guides und Audio-Führungen synonym verwendet.
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides 2
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Ein Modell zur Wirkung emotionaler und sachlicher Informationsvermittlung auf Museumsbesucher
Im Folgenden werden zunächst die Konstrukte vorgestellt, mit denen die Wirkung von Audio-Guides bei Besuchern auf der kognitiven (informatorischen) und emotionalen Ebene erfasst werden. Anschließend wird ein System von Hypothesen entwickelt, mit dem das Zusammenwirken der einzelnen Konstrukte abgebildet wird.
2.1 Zur begrifflichen Abgrenzung der relevanten Konstrukte Für das zu entwickelnde Modell sind die Konstrukte Zufriedenheit und Emotionen von besonderer Bedeutung. Sie werden im Folgenden voneinander abgegrenzt. 2.1.1 Zufriedenheit als kognitive Urteilsgröße In der Marketingforschung ist Kundenzufriedenheit eine viel beachtete und häufig untersuchte Größe.4 Ihre Auswirkungen auf ökonomisch relevante Verhaltensweisen wie Wieder- und Zusatzkäufe, Weiterempfehlungsabsichten (Mundzu-Mund-Propaganda) und Beschwerdeverhalten sind in mehreren Studien belegt worden.5 In der Fachliteratur gibt es eine Fülle an Konzeptualisierungen und theoretischen Ansätzen zur Kundenzufriedenheit.6 Die traditionelle Definition von Zufriedenheit stellt auf das transaktionsspezifische Phänomen ab; das Urteil bezieht sich demnach auf eine konkrete Kaufbzw. Nutzungserfahrung.7 Dabei können Teilzufriedenheiten und eine GesamtZufriedenheit unterschieden werden.8 Folgende Definition wird dem vorliegenden Beitrag zugrunde gelegt: „Zufriedenheit ist das Ergebnis einer kognitiven Ex-post-Beurteilung, die sich entweder auf einzelne, spezifische Leistungen oder auf die Gesamtheit der Eindrücke mit der Inanspruchnahme einer Leistung bezieht und sich in einem affektiv geprägten Urteil äußert.“9 4 Vgl. u.a. Anderson, E./Fornell, C. 1994: 241-268; Bearden, W./Teel, J. 1983: 21-28; Oliver, R. 1997; Homburg, Ch. 2006. 5 Vgl. Homburg, Ch./Stock, R. 2006: 19; Giering, A. 2000: 16f; Oliver, R. 1997. 6 Siehe hierzu Homburg, Ch./Stock, R. 2006: 19-43. 7 Vgl. Giering, A. 2000: 11. 8 Vgl. Rapp, R. 1995: 7. 9 de Teffé, C. 2007: 18.
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Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
In der vorliegenden Untersuchung werden sowohl die Gesamtzufriedenheit eines Besuchers mit dem Museumsbesuch als auch die Zufriedenheit mit dem Hörtext des Audio-Guides erfasst. Da Zufriedenheiten aus dem Abgleich der Erwartungen mit den Eindrücken hervorgehen, stellen sie ein kognitives Element der Wirkungsanalyse dar. 2.1.2 Emotionen und ihre Arten In der Konsumentenverhaltensforschung wird der Begriff Emotion häufig mit Gefühl gleichgesetzt. Trommsdorff definiert Gefühl „...als vorübergehende, nicht regelmäßig wiederkehrende interpretierte Aktiviertheit, d.h. ein nach Stärke (schwach bis stark), Richtung (positiv oder negativ) und Art (Gefühlstyp und Ausdruck) bestimmter Empfindungszustand.“10 Fester Bestandteil von Emotionsdefinitionen aus der Psychologie ist die sog. „Reaktionstrias“; sie umfasst die Komponenten Gefühl (subjektives Empfinden), körperlicher Ausdruck und die körperliche (physiologische) Reaktion (Erregung).11 So definiert Scherer: „…emotions are episodes of coordinated changes in several components (including at least neurophysiological activation, motor expression, and subjective feeling but possibly also action tendencies and cognitive processes) in response to external or internal events of major significance to the organism.”12 Der Arbeit wird folgende Definition zugrunde gelegt: „Emotionen sind Reaktionen auf externe (oder interne) Stimuli, die für die einzelne Person von Bedeutung sind und die mit Veränderungen bei subjektiven Gefühlen, der physiologischen Ebene und der Ausdrucksebene einhergehen.“13
Im Zusammenhang mit der vorliegenden Studie sind drei Emotionsmodelle von Interesse: a) der dimensionale Ansatz von Mehrabian/Russell sowie die Klassifikationsmodelle b) von Richins und c) von Laros/Steenkamp. Zu a) Das Emotionsmodell von Mehrabian/Russell ist insbesondere in der Konsumentenverhaltensforschung weit verbreitet und wurde in zahlreichen Studien angewendet.14 In ihrem Modell unterscheiden die Autoren zwischen den Emotionen Lust, Erregung und Dominanz. Ausgelöst werden die Emotionen von der Umwelt, die Mehrabian/Russell über die sog. Informationsrate der Umwelt erfassen. Zur Messung der drei Emotionsdimensionen entwickelten die Autoren 10
Trommsdorff, V. 2004: 68. Vgl. Scherer, K.R. 2000: 138. 12 Scherer, K.R. 2000: 138f. 13 de Teffé, C. 2007: 41. 14 Siehe u.a. auch Gilboa, S./Rafaeli, A. 2003: 195-211. 11
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
223
eine Verbalskala, in der englischsprachigen Literatur als PAD-Scale bekannt, die häufig in Untersuchungen zur Anwendung kam.15 Es zeigte sich, dass insbesondere die Lust einen Einfluss auf das Konsumentenverhalten ausübte.16 Einige Autoren kritisieren, dass dieser Ansatz aufgrund der Reduzierung auf drei Dimensionen der Komplexität von Emotionen nicht gerecht wird.17 Klassifikationsmodelle berücksichtigen stärker die Eigenart diskreter Emotionen. Hier werden spezifische Emotionen aufgrund bestimmter Kriterien inhaltlich zu Gruppen auf zwei oder drei Ebenen zusammengefasst. Zu b) Richins entwickelte im Rahmen einer breit angelegten Untersuchung das Consumption-Emotion-Set (CES), das Emotionen zu unterschiedlichsten Konsumsituationen umfasst.18 In dem Consumption-Emotion-Set wird nach 16 Emotionsarten unterschieden. Beispielsweise werden „frustrated“, „angry“ und „irritated“ zu „Anger“ zusammengefasst, „depressed“, „sad“ und „miserable“ zu „Sadness“ und „happy“, „pleased“ und „joyfull“ zu „Joy“.19 Zu c) Ein dreistufiges hierarchisches Emotionsmodell präsentieren Laros/Stehenkamp.20 Am Beispiel von verschiedenen Lebensmittelgruppen zeigen sie, dass eine differenzierte Betrachtung sowohl auf der ersten Emotionsebene (positive – negative) als auch auf der zweiten Emotionsebene (diskrete Emotionen von Ärger bis Freude) aufgrund unterschiedlicher Ergebnisse sinnvoll erscheint.21 Ferner gibt es Studien, in denen neben positiven und negativen Emotionen auch neutrale Emotionen Berücksichtigung finden.22 In der vorliegenden Arbeit werden die Emotionsdimensionen von Mehrabian/ Russell aufgegriffen, um die durch den Museumsbesuch ausgelösten Emotionen zu erfassen. Zum anderen werden die Emotionen untersucht, die durch die Hörtexte über den Audio-Guide ausgelöst werden, deren Vielfalt kaum mit den Emotionsdimensionen von Mehrabian/Russel beschrieben werden kann. Daher werden an dieser Stelle auch verschiedene spezifische Emotionen verwendet.
15
Vgl. Mehrabian/Russell 1974: 26. Vgl. Bosmans, A./Baumgartner, H. 2005: 425. 17 Vgl. Buck, R. 1999: 308. 18 Vgl. Richins, M.L. 1997: 127-146. 19 Vgl. Richins, M.L. 1977: 144f. 20 Vgl. Laros, F.J./Steenkamp, J.-B. 2005: 1437-1445. 21 Vgl. Laros, F.J./Steenkamp, J.-B. 2005: 1442f. 22 Kopelman, S./Rosette, A.S./Thompson, L. 2006: 81-101; Larsen, J.T./McGraw, A.P./Mellers, B.A. et al. 2004: 325-330; Westbrook, R. 1987: 258-270. 16
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Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
2.2 Hypothesen zur Wirkung von Audio-Guides Im Folgenden soll geklärt werden, wie unterschiedlich gestaltete Hörtexte auf die dargestellten emotionalen und kognitiven Konstrukte wirken und welche grundsätzliche Bedeutung die Informationsvermittlung über Audio-Guides für das Gesamturteil über den Museumsbesuch hat.23 Eine Hypothese zur generellen Bedeutung von Audio-Führungen für die Beurteilung eines Museumsbesuches soll vorangestellt werden: H1: Besucher mit Audio-Guide fällen ein positiveres Gesamturteil über den Museumsbesuch als Besucher ohne Audio-Guide. Es erscheint plausibel, dass Informationen, die zum Verständnis einer Teilleistung beitragen, eine positive Wirkung auf das Urteil über die Gesamtleistung ausüben können. Wird also der Audio-Guide positiv beurteilt, verbessert sich auch das Urteil über den Museumsbesuch insgesamt. Außerdem: Neugier löst eine Nachfrage nach Informationen aus, damit Unsicherheit reduziert wird, was wiederum zum Erwerb von Kenntnissen führt. Dies lässt sich auf die Situation des Museumsbesuchers übertragen. Ist bei ihnen Neugier vorhanden, bedeutet das, dass sich die über einen Audio-Guide vermittelten Informationen positiv auf das Gesamturteil auswirken können. Da Besucher mit Audio-Führung mehr Informationen über die ausgestellte Kunst erhalten, kann angenommen werden, dass ihre Unsicherheit in größerem Maße reduziert wird. 2.2.1 Wirkungen unterschiedlich gestalteter Audio-Guides Im Weiteren wird zunächst untersucht, wie die „Zufriedenheit mit dem Hörtext“ und die „Freude am Museumsbesuch“ davon abhängen, ob die Audio-Guides eher emotional oder eher sachlich gestaltet sind. In zahlreichen Studien konnte der Einfluss von Emotionen auf das kognitive Urteil über eine Leistung nachgewiesen werden.24 So wird auch im Folgenden davon ausgegangen, dass positiv besetzte Emotionen immer einen positiven Einfluss auf die Zufriedenheit haben. Da Studien aus der Werbewirkungsforschung aber auch zeigen, dass negativ besetzte Emotionen ebenfalls positiv auf 23 Eckert konnte bereits in seiner Studie aufzeigen, dass zusätzliche Informationen zu den ausgestellten Bildern für Museumsbesucher einen wichtigen Aspekt darstellen. Es zeigte sich, dass den Besuchern die Informationen während der Betrachtung wichtiger sind als vor bzw. nach dem Museumsbesuch; ein Großteil der Museumsbesucher bevorzugt außerdem, die Reihenfolge der Informationen zu den Objekten selber auszuwählen. Vgl. Eckert, J. 1999: 51-55. 24 Vgl. u.a. Bodur, H.O./Brinberg, D./Coupey, E. 2000: 25; Dubé, L./Cervellon, M.-C./Jingyuan, H. 2003: 267ff; Allen, Ch.T./Machleit, K.A./Kleine, S.S. et al. 2005: 496f.
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
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das Urteil über einen Werbespot wirken können25, wird nicht ausgeschlossen, dass auch der Einfluss von negativen Emotionen auf die Zufriedenheit mit den Hörtexten positiv sein kann. Ob die ausgewählten, durch die Audio-Texte hervorgerufenen spezifischen Emotionen einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit den Hörtexten haben, soll mit folgender Hypothese geprüft werden: H2: Das Ausmaß der durch den Hörtext hervorgerufenen spezifischen Emotionen hat einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem Hörtext. Diese Hypothese erscheint in einem doppelten Sinne interessant: Zum ersten unterstellt sie, dass mit einer unterschiedlichen Gestaltung von Audio-Guides tatsächlich die Emotionen von Besuchern signifikant unterschiedlich beeinflusst werden können, und zum zweiten beleuchtet sie den Zusammenhang zwischen der Empfindung von Emotionen und der positiven Beurteilung einer Leistung. Der Zusammenhang ist auch in Abbildung 1 graphisch verdeutlicht. Der Frage, inwiefern ein erlebnisreich gestalteter Stimulus auf kognitive Größen wirkt, ging bereits Terlutter in einer empirischen Untersuchung zu unterschiedlichen Museumskonzepten nach.26 Anhand von visuellen Vorlagen konnte er die positivere Wirkung eines modernen, emotionalisierten Museumskonzeptes im Vergleich zu einem traditionellen Museumskonzept auf das kognitive Urteil zeigen.27 In Übereinstimmung mit seinen Ergebnissen soll postuliert werden, dass emotionale Hörtexte in einem höheren Ausmaß zu Zufriedenheit führen als sachliche Hörtexte. Folgende Hypothese soll geprüft werden: H3: Die Zufriedenheit der Besucher mit Audio-Guides ist höher, wenn sie statt eines nur informativ gestalteten Hörtextes einen emotional gestalteten hören.
25
Vgl. Bagozzi, R.P./Moore, D.J. 1994: 56-70; Sternthal, B./Craig, S. 1974: 22-34. Vgl. Terlutter, R. 2000. Die Museumskonzepte unterschieden sich in den Gestaltungsdimensionen Farbtöne, Lichtverhältnisse, Formen, Variationen in den Räumen und Präsentation der Objekte. Siehe hierzu Terlutter, R. 2000: 197-203. Die kognitive Wirkung der Museumskonzepte wurde dahingehend untersucht, inwiefern sie dem Bildungsanspruch der Besucher entsprechen. Vgl. Terlutter, R. 2000: 247. 26 27
226
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
Abbildung 1:
Modell zur Wirkung von Audio-Guides
Reaktionen im Insystem
Stimuli Sonderausstellung „ A nsichten Christi “
H2 Zufriedenheit Emotionen mit Hörtext durch Hörtext
sac hlic he r Audio-Guide
H3
Zufriedenheit mit Audio-Guide H4
e mo tio nale r Audio-Guide
o hne Audio-Guide
Freude am Museumsbesuch
.
H5
H1
Gesamturteil Museumsbesuch
Des Weiteren soll untersucht werden, inwiefern die Art des Hörtextes (emotional versus sachlich) das emotionale Empfinden der Museumsbesucher beeinflussen kann. Zur Beschreibung der Emotionen, die durch den Museumsbesuch ausgelöst werden, bieten sich die Emotionsdimensionen von Mehrabian/Russell an. Ihr umweltpsychologisches Modell besagt, dass das Umfeld das emotionale Empfinden in den Dimensionen Lust, Erregung und Dominanz beeinflusst. Wir vermuteten, dass die abwechslungsreicheren emotionalen Hörtexte mit einer höheren Informationsrate einhergehen und die genannten Emotionsdimensionen stärker beeinflussen als die sachlichen Hörtexte. In zahlreichen Studien erwies sich die Lust als die bedeutendste unter den drei Emotionsdimensionen. Die in der deutschen Literatur gängige Übersetzung „Lust“ für „pleasure“ erscheint jedoch ungeeignet, da der deutsche Begriff „Lust“ auch negativ im Sinne von „Begierde“ ausgelegt werden kann. Da der Begriff „Freude“ zutreffender ausdrückt, was mit der Emotionsdimension „pleasure“ in dem Zusammenhang beschrieben wird, soll er daher im Folgenden verwendet werden. Mit der Freude ist in der vorliegenden Untersuchung die positive Emotion gemeint, die durch den Museumsbesuch ausgelöst wird. Es wird folgende Hypothese formuliert:
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
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H4: Emotionale Hörtexte lösen bei den Museumsbesuchern mehr Freude aus als sachliche. Sind Museumsbesucher mit der emotionalen Audio-Führung zufriedener als mit der sachlichen und lösen diese mehr Freude aus, dann kann vermutet werden, dass sich dies auch positiv auf das Gesamturteil über den Museumsbesuch auswirkt. In der wissenschaftlichen Literatur sind sowohl der Zusammenhang zwischen der Teilzufriedenheit mit einzelnen Leistungskomponenten und der Gesamtzufriedenheit als auch der Einfluss von positiven Emotionen auf das Zufriedenheitsurteil bestätigt worden.28 Es lässt sich demnach folgende Hypothese aufstellen: H5: Das Gesamturteil über den Museumsbesuch fällt bei Museumsbesuchern mit emotional gestaltetem Audio-Guide positiver aus als bei Museumsbesuchern mit sachlich gestaltetem. Abbildung 1 zeigt die vorgestellten Beziehungen. Das Modell enthält drei kognitiv ausgerichtete Größen, und zwar die „Zufriedenheit mit dem Hörtext“, die „Zufriedenheit mit dem Audio-Guide“ und das „Gesamturteil über den Museumsbesuch“. Diese drei Größen stehen in Beziehung zu zwei emotional orientierten Größen, den durch einen Hörtext ausgelösten speziellen Emotionen und der „Freude am Museumsbesuch“. Traditionell ausgerichtete Zufriedenheitsanalysen sind somit um eine emotionale Komponente ergänzt. 2.2.1 Wirkungsbeziehungen zwischen den emotionalen und kognitiven Reaktionen der Museumsbesucher Dem Gesamturteil über einen Museumsbesuch kommt von Seiten des Museumsplaners besondere Bedeutung zu. Zwar ist diese Größe im Vorhergehenden schon eingeführt worden und es ist bereits ausgeführt worden, dass sie durch die Verwendung eines Audio-Guides positiv beeinflusst werden kann (insbesondere, wenn der Hörtext emotional gestaltet ist), aber es ist bislang offen geblieben, wie sich die übrigen eingeführten Größen auf das Gesamturteil auswirken. Dies ist Gegenstand der folgenden Ausführungen. Wie bereits erwähnt, nimmt die Zufriedenheitsforschung an, dass sich die Gesamtzufriedenheit aus verschiedenen Teilzufriedenheiten mit einer Leistung zusammensetzt. Es kann demnach angenommen werden, dass die Zufriedenheit mit der Audio-Führung als ein Bestandteil der Museumsleistung das Gesamt28 Vgl. Trabold, L.M./Heim, G.R./Field, J.M. 2006: 246ff; Harrison, P./Shaw, R. 2004: 24ff.; Shin, D./Elliot, K.M. 2001: 3-20.
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Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
urteil über einen Museumsbesuch beeinflusst. Aus diesen Überlegungen heraus wird folgender Zusammenhang postuliert: H6: Je zufriedener die Besucher mit dem Audio-Guide sind, umso positiver fällt das Gesamturteil über den gesamten Museumsbesuch aus. Die Zufriedenheit mit der Audio-Führung kann auch indirekt über die Emotionen auf das Gesamturteil wirken. Ist der Besucher mit den Hörtexten zufrieden, kann angenommen werden, dass er Neues und eine Bereicherung erfahren hat. In diesem Fall geht die Zufriedenheit mit der Audio-Führung mit Neuerwerb von Wissen einher. Der Erwerb von Wissen kann wiederum Freude hervorrufen. In der Neugierforschung wird postuliert, dass die Reduktion der subjektiven Unsicherheit Freude über einen aufgeklärten Sachverhalt hervorrufen kann.29 Es wird demnach folgende Hypothese aufgestellt: H7: Je zufriedener die Besucher mit dem Audio-Guide sind, umso größer ist die Freude der Museumsbesucher. Dass Emotionen auch bei der Beurteilung einer Leistung von Bedeutung sind, zeigen sowohl die Unternehmenspraxis als auch wissenschaftliche Untersuchungen.30 Eine Vielzahl an Elementen aus der Absatzpolitik, insbesondere aus der Kommunikationspolitik ist darauf ausgerichtet, den Konsumenten emotional mit dem Ziel anzusprechen, eine für das Unternehmen positive Wirkung zu erzielen. In Übereinstimmung mit zahlreichen Studien, in denen ein positiver Einfluss der Valenzdimension auf kognitive Urteilsgrößen nachgewiesen werden konnte, wird eine positive Wirkung von Freude auf das Gesamturteil über einen Museumsbesuch angenommen.31 Folgende Hypothese wird formuliert: H8: Je größer die Freude der Museumsbesucher ist, desto positiver fällt das Gesamturteil über den Museumsbesuch aus. Mit diesen Hypothesen wurde erklärt, welchen Beitrag Audio-Guides zur Beurteilung eines Museumsbesuchs leisten können. Dabei wurde zum einen auf kognitiv orientierte Urteile abgestellt, wie sie sich in den verschiedenen Zufriedenheiten finden, zum anderen auf emotionale Größen, insbesondere die Freude am Museumsbesuch. Das Zusammenspiel der verschiedenen Konstrukte ist in Ab29
Vgl. Uzgiris, I.C./Hunt, J. 1970: 109-121. Vgl. Machleit, K.A./Wilson, R.D. 1988: 27-35; Batra, R./Ray, M.L. 1986: 234. 31 Vgl. Foxall, G./Yani-de-Soriano, M.M. 2005: 518-525; Grimm, P.E. 2005: 513; Mummalaneni, V. 2005: 530; Müller-Hagedorn, L./Viehöver, C. 2004: 154ff. 30
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
229
bildung 2 graphisch dargestellt. Dort finden sich auch die Hypothesen 9 bis 11, die im Folgenden noch näher erläutert und begründet werden. Abbildung 2:
Modell zum Zusammenhang zwischen den Reaktionen im Insystem
Stimuli Sonderausstellung „ A nsichten Christi “
Reaktionen im Insystem Kognitive und emotionale Reaktionen
bzw. emotionaler
H7 H6
Allg. Annä herungsabsichten bzgl. Audio-Guides
H9
Zufriedenheit mit Audio-Guide sachlicher
Verhaltensabsicht
H11
Freude am Museumsbesuch
Audio-Guide H11
H8 Gesamturteil Museumsbesuch
H10
Weiterempfehlung des Museumsbesuchs
Die Zufriedenheit mit der Audio-Führung kann einerseits bewirken, dass sie an Dritte weiterempfohlen wird. Andererseits ist es denkbar, dass ein zufriedener Besucher bei seinem nächsten Museumsbesuch in dem gleichen oder auch in einem anderen Museum erneut das Angebot der medialen Informationsvermittlung nutzt. Beide Aspekte sollen sich in der folgenden Hypothese widerspiegeln: H9: Je zufriedener die Besucher mit dem Audio-Guide sind, um so eher beabsichtigen sie, Audio-Guides auch in der Zukunft zu nutzen oder sie Dritten zu empfehlen. Ist ein Besucher mit der Ausstellung zufrieden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Ausstellungsbesuch weiterempfohlen wird. Die Weiterempfehlung an Dritte ist eine der zentralen Möglichkeiten, den Besucherstamm von Museen zu erweitern. Folgende Hypothese wird formuliert:
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H10: Je zufriedener die Besucher mit dem Museumsbesuch insgesamt sind, um so eher beabsichtigen sie, den Besuch zu empfehlen. Gemäß dem umweltpsychologischen Modell von Mehrabian/Russell bestimmen Emotionen das Annäherungs- bzw. Meidungsverhalten gegenüber einer Umwelt. Der Nachweis der Verhaltensrelevanz von Emotionen konnte in wissenschaftlichen Studien jedoch nicht immer erbracht werden. So konnten beispielsweise Müller-Hagedorn/Schuckel/Viehöver kaum direkte Zusammenhänge zwischen den Emotionen und den Verhaltensabsichten bestätigen.32 In der Studie von Mummalaneni zeigte sich zwar ein relativ hoher signifikanter Einfluss der Lustdimension auf die Zufriedenheit, nicht jedoch auf Verhaltensgrößen wie Verweildauer und ausgegebener Einkaufsbetrag.33 In ihrer Studie zur Einkaufsstättenatmosphäre legten Donovan/Rossiter/Marcoolyn et al. den Einfluss der Lustdimension auf Verhaltensgrößen wie Verweildauer und ungeplante Einkäufe dar, der Anteil der erklärten Streuung an der Gesamtstreuung war jedoch relativ gering.34 Die kognitiven Theorien, insbesondere die häufig bestätigte E-V-Hypothese (die Einstellung bestimmt das Verhalten), gehen von einer hohen Verhaltensrelevanz rationaler Urteilsgrößen aus. Ein zentrales Forschungsanliegen der Arbeit ist es u.a., die Verhaltensrelevanz kognitiver und emotionaler Variablen zu vergleichen. Aufgrund bisheriger Ergebnisse wird die Vermutung aufgestellt, dass die Absicht, ein Museum zu besuchen oder einen Audio-Guide zu benutzen, vorrangig von der kognitiven Beurteilung bestimmt wird und weniger von emotionalen Empfindungen. Aus solchen Überlegungen lässt sich folgende Hypothese ableiten: H11: Entscheidungen, einen Audio-Guide zu benutzen oder ein Museum zu besuchen, wird stärker von kognitiven Urteilen (der Zufriedenheit mit dem Audio-Guide bzw. dem Gesamturteil über den Museumsbesuch) beeinflusst als von der durch den Museumsbesuch insgesamt ausgelösten Freude.
3
Empirische Untersuchung der Wirkung von Audio-Guides
Die in Abschnitt 2 vorgestellten Hypothesen wurden in der Sonderausstellung „Ansichten Christi“ empirisch überprüft. Diese Ausstellung wurde anlässlich des 32
Vgl. Müller-Hagedorn, L./Schuckel, M./Viehöver, C. 2003: 32ff. Vgl. Mummalaneni, V. 2005: 530. 34 Vgl. Donovan, R.J./Rossiter, J.R./Marcoolyn, G. et al. 1994: 289. Das durchschnittliche Bestimmtheitsmaß lag in dieser Studie bei 0,09. 33
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Weltjugendtags in Köln 2005 im Wallraf-Richartz-Museum in Zusammenarbeit mit dem Vatikan in der Zeit vom 01.07.2005 bis zum 02.10.2005 gezeigt. Die Ausstellung war mit ungefähr 90 Exponaten, die in sieben Ausstellungsräumen hingen, im Vergleich zu ständigen Sammlungen von Museen mit üblicherweise weit mehr ausgestellten Werken relativ überschaubar. So konnte gewährleistet werden, dass die Schnittmenge der von den Besuchern betrachteten Bilder verhältnismäßig groß ist. Zum anderen konnte aufgrund der Prominenz der gezeigten Werke mit einer hohen Zahl von Besuchern gerechnet werden.
3.1 Die Anlage der empirischen Untersuchung In den folgenden Kapiteln werden die Konzeption der Hörtexte sowie die Datenerhebung und die Datengrundlage kurz umrissen. 3.1.1 Die Konzeption der Hörtexte Zu 13 Bildern aus der Sonderausstellung wurden in Anlehnung an die offizielle Audio-Führung jeweils zwei Hörtextversionen produziert. Entgegen der in Museen üblicherweise eher kunsthistorischen Ausrichtung der Hörtexte wurde aufgrund des christlichen Kontextes der Ausstellung der Schwerpunkt stärker auf die Vermittlung religiöser Inhalte gelegt. Sowohl die Auferstehung Jesu als auch Kreuzigungsszenen werden beschrieben. Zur Unterscheidung der emotionalen im Vergleich zur sachlichen Hörtextversionen werden folgende Emotionen herangezogen: Freude, Fröhlichkeit, Furcht, Leid, Schmerz, Entsetzen, Elend, Spannung und Ruhe. Die emotionale Hörtextversion wurde in drei Gestaltungselementen gegenüber der sachlichen variiert: der Text wurde durch Adjektive angereichert, die Sprechweise war affektbetonter und Musik bzw. Geräuscheffekte erschienen im Hintergrund.35 Im Rahmen einer Vorstudie konnte nachgewiesen werden, dass sich die beiden Audio-Führungen signifikant hinsichtlich der Stärke der untersuchten Emotionen unterschieden.36 Die Probanden bewerteten die Hörtexte zu sechs Ausstellungsobjekten im Hinblick auf die hervorgerufenen Emotionen. Nach dem Museumsbesuch war ein Gesamturteil über die Audio-Führung insgesamt abzugeben. In der Ergebnispräsentation werden exemplarisch die Ergebnisse der Hörtexte zum Objekt „Fragment der Vorderseite eines Sarkophags mit dem Guten Hirten“, ca. 27035 Insbesondere Musik gilt in der Werbung als ein effektives Instrument zur Induktion von Emotionen. Vgl. Mäßen, A. 1998: 78. 36 Vgl. de Teffé, C. 2007: 89-94.
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Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
300 nach Christus, und zum Bild „Christus mit der Dornenkrone“ von Fra Angelico, um 1450, aufgezeigt. 37 Während das Fragment mit dem Guten Hirten eine fröhliche Szene zeigt, in dem der Hirte mit dem verlorenen Schaf zurückkehrt, wird auf dem anderen Bild der schmerzerfüllte, mit Dornen gekrönte Christus dargestellt. 3.1.2 Datenerhebung und Datengrundlage Die Besucher der Sonderausstellung „Ansichten Christi“ wurden im September 2005 befragt; es konnten 532 Fragebögen ausgewertet werden. Eine Gruppe von Besuchern nutzte die sachliche Audio-Führung während des Ausstellungsbesuches (n = 215), eine zweite Gruppe hörte die emotionale Audio-Führung (n = 235), und eine dritte Gruppe von Probanden besuchte die Ausstellung, ohne weitere Informationen zu erhalten (n = 82). Die Zuteilung der Besucher zu den Experimentalgruppen erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Weibliche Probanden sind in der Stichprobe überdurchschnittlich vertreten (62,83 Prozent). Die Altersverteilung in der Stichprobe ist von 8 bis 84 Jahren relativ ausgewogen, nur die 17- und 18-jährigen waren aufgrund einiger am Experiment teilnehmender Schüler häufiger als der Durchschnitt vertreten. Das Durchschnittsalter der Stichprobe liegt bei 37,9 Jahren. Über 90 Prozent der Besucher gehören dem christlichen Glauben an. Der überwiegende Teil der befragten Besucher ist römisch-katholisch (64 Prozent). Eine ähnliche Verteilung zeigt sich in den verschiedenen Gruppen der Stichprobe.
3.2 Überblick über die Operationalisierung der hypothetischen Konstrukte Um die in Kapitel 2.2 formulierten Zusammenhänge prüfen zu können, müssen die abhängigen und die unabhängigen Variablen reliabel und valide gemessen werden. Für die Operationalisierung der hypothetischen Konstrukte wurden, soweit vorhanden, in der Literatur bewährte Indikatoren herangezogen. Zur Gütemessung der hypothetischen Konstrukte wurden die gängigen Kriterien der ersten und zweiten Generation überprüft.38 Alle Gütekriterien lieferten insgesamt ein gutes Ergebnis. Ferner konnte anhand des Fornell/Larcker-Kriteriums festgestellt werden, dass die Konstrukte des Strukturgleichungsmodells ausreichend voneinander abgegrenzt werden können, Diskriminanzvalidität ist 37
Zur vollständigen Darstellung der analysierten Hörtexte siehe de Teffé, C. 2007: 122-131 und 143148. 38 Vgl. Fornell, C. 1986: 408ff; Homburg, Ch. 2000: 70; Bagozzi, R./Phillips, L. 1982: 459ff; Gerbing, D./Anderson, J.C. 1988: 190.
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
233
gegeben.39 Im Folgenden werden die Indikatoren vorgestellt, mit denen die Konstrukte gemessen wurden. Auf die Darstellung der einzelnen Ergebnisse der Gütemessung wird an dieser Stelle verzichtet. (1) Die Messung der Zufriedenheit: Die Zufriedenheit kann sich einerseits auf einzelne Transaktionen bzw. Elemente beziehen, andererseits ein allumfassendes Urteil abbilden. Beide Aspekte sind im Rahmen dieser Arbeit von Interesse, da zum einen speziell die Wirkung der Zufriedenheit mit der Informationsvermittlung über Audio-Guides, zum anderen das Gesamturteil über den Museumsbesuch untersucht wird. In der Literatur sind bezüglich der verwendeten Skalen zur Messung der Kundenzufriedenheit sowohl Single-Item-Skalen als auch MultiItem-Skalen zu finden. In Anlehnung an Danaher/Haddrell lässt sich die Fülle der praktisch eingesetzten Skalen zur Gesamtzufriedenheit auf drei Skalengruppen zurückführen: Zufriedenheitsskalen, Leistungsskalen und Erwartungsskalen.40 Das Gesamturteil wurde durch drei Indikatoren gemessen, die die drei genannten Skalengruppen abdecken. Auf einer siebenstufigen Likert-Skala gaben die Besucher an, inwieweit sie den folgenden Aussagen zustimmten (1 = „stimme voll zu“; 7 = „stimme gar nicht zu“):
Mit dem Besuch der Ausstellung „Ansichten Christi“ bin ich sehr zufrieden. Der Besuch der Ausstellung „Ansichten Christi“ hat mir insgesamt sehr gut gefallen. Von dem Besuch der Ausstellung „Ansichten Christi“ bin ich begeistert.
Die Zufriedenheit mit der Audio-Führung wurde ebenfalls mit den drei Skalengruppen erfasst. Zusätzlich wurden mit der spezifischen Leistung von AudioFührungen verbundene Eigenschaften abgefragt, die besonders den kognitiven Charakter hervorheben. Während die affektive Komponente demnach mit den Items „Den Audio-Guide fand ich gut“, „Mit dem Audio-Guide bin ich zufrieden“ und „Von dem Audio-Guide bin ich begeistert“ abgedeckt ist, wird in Anlehnung an Crites/Fabrigar/Petty die kognitive Komponente mit den Statements „Die Hörtexte fand ich sinnvoll“ und „Die Hörtexte fand ich informativ“ erfasst.41 Die Zufriedenheit mit einzelnen Hörtexten, die unmittelbar nach Abruf zu bewerten war, wurde mit den üblichen Items zur Messung der kognitiven und affektiven Komponenten der Einstellung erfasst, die auch zum Teil zur Messung 39 40 41
Vgl. Fornell, C./Larcker, D. 1981: 46. Vgl. Danaher, P.J./Haddrell, V. 1996: S. 6; Stauss, B. 1999: 13. Vgl. Crites, S.L./Fabrigar, L.R./Petty, R.E. 1994: 624.
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der Zufriedenheit herangezogen werden.42 Die Besucher machten zu den verschiedenen Hörtexten jeweils Angaben zu folgenden Statements: „Den Hörtext zu [Bezeichnung des jeweiligen Bildes] fand ich: sehr gut – sehr schlecht; positiv – negativ; sinnvoll – sinnlos; sehr informativ – wenig informativ.“ Insgesamt fließen demnach vier Indikatoren zur Messung der Zufriedenheit mit dem jeweiligen Hörtext ein. (2) Die Messung der ausgelösten Emotionen: Die durch die Hörtexte ausgelösten Emotionen wurden entsprechend den Ergebnissen der Vorstudie in Anlehnung an Richins mit Freude, Fröhlichkeit für „Joy“, Schmerz, Leid, Elend für „Sadness“, Entsetzen, Furcht für „Fear“, Ruhe für „Peacefulness“ und Spannung für „Tension“ erhoben. Die Probanden hatten auf einer 7-stufigen Skala anzugeben, wie stark die jeweilige Emotion durch den Hörtext ausgelöst wurde. Zur Messung der Freude am Museumsbesuch kam die Verbalskala nach Mehrabian/Russell zum Einsatz, in der die Dimensionen jeweils mit Hilfe von Adjektivpaaren erfasst werden. Die Itempaare „glücklich – unglücklich“, „zufrieden – unzufrieden“, „erfreut – verärgert“, die üblicherweise für die Erfassung der Dimension „Lust“ bzw. „Valenz“ stehen, dienen in der vorliegenden Studie zur Messung der Freude.43 (3) Die Messung von Verhaltensabsichten: Die mit ökonomischen Auswirkungen verbundenen Verhaltensabsichten umfassen zwei Bereiche: zum einen die künftige Nutzung sowie Weiterempfehlung einer derartigen Audio-Führung und zum anderen die Empfehlung der Sonderausstellung „Ansichten Christi“. Hierfür wurden die folgenden Statements verwendet:
„Bei meinem nächsten Museumsbesuch würde ich wieder eine derartige Audio-Führung nutzen.“ „Die Audio-Führung zur Ausstellung „Ansichten Christi“ werde ich weiterempfehlen.“
Da davon auszugehen ist, dass eine Sonderausstellung in der Regel nur einmal besucht wird, wird im Folgenden die Verhaltensabsicht bezüglich der Sonderausstellung lediglich mit der Frage erfasst, inwiefern die Besucher die Ausstellung an Dritte weiterempfehlen würden. Die Verhaltensabsicht der Sonderausstellung wurde mit dem Single-Item „Den Besuch der Ausstellung werde ich auf jeden Fall weiterempfehlen (unabhängig von dem Umstand, dass die Ausstellung Anfang Oktober vorbei ist)“ erhoben. 42 43
Vgl. Churchill, G.A./Surprenant, C. 1982: 495. Vgl. Fischer, L./Brauns, D./Belschak, F. 2002: 58.
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3.3 Ergebnisse der Hypothesenprüfung Ziel der empirischen Untersuchung ist es, die auf theoretischer Basis aufgestellten, vermuteten Wirkungszusammenhänge zwischen Emotionen und Kognitionen unter der besonderen Berücksichtigung der Informationsvermittlung in Museen zu überprüfen und auf ihre Verhaltensrelevanz hin zu untersuchen. In den folgenden Abschnitten werden die Ergebnisse der Hypothesenprüfung dargelegt. 3.3.1 Ergebnisse zur Bedeutsamkeit von Audio-Guides und ihrer Gestaltung (1) Zur Wirkung der Audio-Guides auf die Beurteilung der Ausstellung: Zur Prüfung der Hypothese H1 werden die Mittelwerte zum Gesamturteil der Besucher mit Audio-Guide mit den Mittelwerten derjenigen ohne Audio-Guide verglichen. Die Ergebnisse des einseitigen Mittelwertvergleichstests stützen die Hypothese auf dem 5%-Niveau44: Das Gesamturteil über den Museumsbesuch der Besucher mit Audio-Führung fällt mit 2,1 signifikant besser aus als das derjenigen ohne Audio-Führung mit einem Mittelwert von 2,4. Die Unterschiede mögen nicht als groß erscheinen, aber vor dem Hintergrund, dass schon im Vorhinein zu erwarten war, dass die Audio-Guides nur begrenzt die Varianz in der Beurteilung einer Ausstellung insgesamt erklären können, ist festzuhalten, dass Besucher mit Audio-Guide eine Ausstellung besser beurteilen. In der vorliegenden Untersuchung kann auch ausgeschlossen werden, dass die Besucher mit Audio-Guides an der Ausstellung interessierter sind, deshalb den Audio-Guide gewählt haben und wegen ihres höheren Interesses eine Disposition zur besseren Beurteilung haben. Da die Versuchspersonen in dem vorliegenden Experiment den einzelnen Gruppen zufällig zugewiesen wurden, kann ein solcher Effekt ausgeschlossen werden. Die vorliegende Untersuchung hat also bestätigt, dass Audio-Guides einen Beitrag zu einer signifikant besseren Beurteilung einer Ausstellung liefern können. (2) Evozierte Emotionen: Zum zweiten galt es, zu erkennen, ob mit der Gestaltung eines Hörtextes unterschiedliche Emotionen evoziert werden können. Die sehr differenzierte Emotionsstruktur von Richins erwies sich nicht als geeignet. Vielmehr ergab sich für die sechs zu bewertenden Hörtexte entweder eine zweifaktorielle oder dreifaktorielle Struktur, die in Anlehnung an Westbrook45 mit
44
Aufgrund der gerichteten Hypothesen wird das einseitige Signifikanzniveau herangezogen. Zu einseitigen bzw. zweitseitigen Hypothesentests siehe Von Auer, L 2006: 101-112. Vgl. Westbrook, R.A. 1987: 258-270.
45
236
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
positiven, negativen oder neutralen Emotionen beschrieben werden kann. Dabei luden in der Regel
Freude und Fröhlichkeit auf den Faktor „positive Emotionen“, die Emotionen Schmerz, Leid, Elend, Furcht und Entsetzen auf den Faktor „negative Emotionen“ und Ruhe, Spannung auf den Faktor „neutrale Emotionen“.
Eine exploratorische Faktorenanalyse zu den Emotionen, ausgelöst durch den Hörtext „Fragment mit dem Guten Hirten“, liefert nach einer Varimax-Rotation ein zweifaktorielles Ergebnis mit einer deutlichen Zuordnung zu positiv bzw. negativ zu deutenden Emotionsfaktoren. Die Varimax rotierte exploratorische Faktorenanalyse zu den durch Hörtext „Christus mit der Dornenkrone“ ausgelösten Emotionen liefert ebenfalls ein zweifaktorielles Ergebnis. Die sonst auf den Faktor „neutrale Emotionen“ ladenden Items Spannung und Ruhe weisen eine sehr schwache Korrelation von unter 0,3 auf. Das Cronbachsche Alpha ist ebenfalls sehr gering, der Eigenwert des Faktors liegt außerdem jeweils knapp unter Eins. Daher werden die Emotionen Spannung und Ruhe nicht zu einem Faktor zusammengefasst, sondern fließen einzeln in die weiteren Analysen ein. Somit kann festgehalten werden, dass sich differenzierte Emotionen auch in einem musealen Kontext ermitteln lassen, wenn sie sich auch nicht so differenziert wie etwa in dem Katalog von Richins darstellen. Auf die Intensität, mit der die Emotionen durch die unterschiedlich gestalteten Hörtexte evoziert worden sind, soll hier nicht näher eingegangen werden. (3) Der Einfluss der evozierten Emotionen auf die Zufriedenheit mit den Hörtexten: In Hypothese H2 wurde die Vermutung geäußert, dass die Stärke der durch die Hörtexte ausgelösten Emotionen einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit den jeweiligen Hörtexten hat. Die Zusammenhänge werden mit der multiplen Regressionsanalyse überprüft.46 Es wird untersucht, inwiefern positive und negative Emotionen sowie Spannung und Ruhe einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem Hörtext (als kognitives Urteil) ausüben. Die Regressionsanalysen werden zum einen über die gesamte Stichprobe gerechnet und zum anderen getrennt für die emotionale und für die sachliche Version, um Aufschluss über mögliche unterschiedliche Effekte zu erhalten (vgl. auch die Angaben in Tabelle 1). Die Emotionsvariablen („positive“ und „negative“ Emotion) gehen als sog. „Summed Scores“ in die Regressionsanalyse ein.47 46
Zur multiplen Regressionsanalyse siehe Backhaus, K./Erichson, B./Plinke, W. et al. 2006: 60-63. Zum Problem der Verwendung von Faktorwerten anstelle von „Summed Scores“ siehe Acito, F./ Anderson, R.D. 1986: S. 111-118. 47
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237
Im Rahmen der Regressionsanalyse zum Hörtext zum „Fragment mit dem Guten Hirten“ können die Emotionen einen akzeptablen Anteil der Varianz des Zufriedenheitsurteils erklären (korr. R2 = 0,321). Im Vergleich zu dem sachlichen Hörtext kann im Rahmen der Regressionsanalyse bei der emotionalen Version ein höherer Anteil der Streuung durch die abgefragten Emotionen erklärt werden (korr. R2 = 0,460). Tabelle 1: Koeffizienten zum Einfluss verschiedener Emotionen auf die Zufriedenheit mit den Hörtexten
Hörtext Guter Hirte Positive Emotion Negative Emotion Spannung Ruhe Korr. R2 (F) Hörtext Dornenkrone Positive Emotion Negative Emotion Spannung Ruhe Korr. R2
Gesamte Stichprobe
Emotionale Audio-Führung
Sachliche Audio-Führung
0,257*** -0,164*** 0,261*** 0,271*** 0,321 (53,99)
0,459*** -0,156*** 0,193*** 0,172*** 0,460 (50,89)
0,224*** -0,100 0,257*** 0,168** 0,189 (13,47)
0,017 0,183*** 0,156** 0,085 0,07 (5,15)
0,017 0,090 0,194** 0,023 0,04 (3,46)
0,009 0,134*** 0,177*** 0,055 0,06 (8,20)
*** p< 0,01 ** p<0,05
Positive und negative Emotionen sowie Spannung und Ruhe beeinflussen also die Zufriedenheit mit dem Hörtext signifikant auf dem 1%-Niveau, wenn sich auch bei einzelnen Hörtexten Unterschiede zeigen. Die Regressionsanalysen für den emotionalen und den sachlichen Hörtext zeigen eine unterschiedlich starke Wirkung der Emotionen. Der Hörtext zum „Fragment mit dem Guten Hirten“ war mit fröhlicher Musik unterlegt, die heitere Emotionen hervorrufen sollte. In beiden Versionen ist der Einfluss der positiven Emotion signifikant. Der standardisierte Regressionskoeffizient in der emotionalen Fassung ist mit 0,459 allerdings doppelt so groß wie der Regressionskoeffizient bei dem sachlichen Hörtext (= 0,224). Der Einfluss der negativen Emotion ist bei der emotionalen AudioFührung signifikant negativ (= -0,156), während sie in der sachlichen Audio-
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Führung keinen signifikanten Einfluss auf die Zufriedenheit ausübt. Das Ergebnis deutet darauf hin, dass nicht bei allen Probanden die Gestaltung der emotionalen Audio-Führung auf Gefallen gestoßen ist und positive Emotionen ausgelöst hat, sondern dass im Gegenteil bei manchen Besuchern negative Emotionen hervorgerufen wurden, die sich entsprechend negativ auf die Zufriedenheit mit den Hörtexten ausgewirkt haben. Das korrigierte Bestimmtheitsmaß zur Regressionsanalyse zum Hörtext „Christus mit der Dornenkrone“ ist mit 0,06 sehr gering. Zwar stellt der signifikant positive Einfluss der negativen Emotion bei der emotionalen Fassung ein interessantes Ergebnis dar, die signifikanten Einflüsse der negativen Emotion und der Spannung sind jedoch aufgrund des geringen Bestimmtheitsmaßes zu vernachlässigen. Wie gezeigt werden konnte, kommen die regressionsanalytischen Auswertungen bei den verschiedenen Hörtexten zu unterschiedlich prägnanten Ergebnissen. Dies gilt auch für die hier nicht dargestellten Hörtexte. Die Hypothese, dass das Ausmaß der ausgelösten Emotionen einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit den Hörtexten hat, kann jedoch grundsätzlich bestätigt werden, auch wenn der Einfluss der Emotionen in einigen Fällen nur sehr wenig Varianz erklären kann. Es zeigt sich, wie bereits auch in anderen Studien, dass positive und neutrale Emotionen die Zufriedenheit immer positiv beeinflussen und dass negative Emotionen sowohl positiv als auch negativ auf die Zufriedenheit wirken können. Nachdem bislang über positive Wirkungen von Emotionen auf Zufriedenheitsurteile berichtet worden ist, bleibt abschließend anzumerken, dass die sachliche Audio-Führung mit einem Mittelwert von 2,3 geringfügig besser abschneidet als die emotionale Audioführung mit 2,5 (p = 5 Prozent). Hypothese 3 muss also verworfen werden. Die geringfügig schlechtere Beurteilung der emotionalen Audio-Führung kann darauf zurückzuführen sein, dass einige Besucher auf die Hörtexte im Rahmen ihrer kognitiven Beurteilung mit Ablehnung reagierten, da bestimmte Emotionen durch die Art der Gestaltung vorgeben wurden, die möglicherweise nicht mit der eigenen Interpretation des Bildes übereinstimmte. Insbesondere der religiöse Kontext mag hier von Bedeutung gewesen sein. (4) Die Wirkung der Hörtexte auf die „Freude“: Im Weiteren soll geprüft werden, inwiefern die emotionale Audio-Führung bei den Museumsbesuchern zu mehr Freude führt als die sachliche Audio-Führung (Hypothese H4). Die Auswertung der Daten bestätigt die Vermutung. Die Freude weist bei Museumsbesuchern mit emotionaler Audio-Führung einen signifikant besseren Mittelwert auf (2,6) als bei Museumsbesuchern mit sachlicher Audio-Führung (2,8). Vor dem Hintergrund des Ergebnisses zu Hypothese 3 ist das Ergebnis zunächst überraschend. Obwohl die sachlichen Hörtexte bei der kognitiven Beurteilung besser abschneiden als die emotionalen Hörtexte, weist die Freude am Museumsbesuch
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bei Besuchern mit emotionaler Audio-Führung einen höheren Wert auf. Aber dies kann als Hinweis dafür gesehen werden, dass für kognitive Urteile und emotionale Bewertungen andere Prozesse durchlaufen werden. Im Rahmen weitere Forschungsarbeiten könnte diesem Sachverhalt weiter nachgegangen werden. (5) Die Wirkung der Hörtexte auf das Gesamturteil über den Museumsbesuch: Der in H5 vermutete Zusammenhang kann bestätigt werden. Das Gesamturteil über den Museumsbesuch von Probanden mit emotionaler Audio-Führung fällt signifikant positiver aus als das der Probanden mit sachlicher Audio-Führung. Der Mittelwertunterschied von 0,1 ist jedoch sehr gering und lediglich auf dem 10%-Niveau signifikant. Tabelle 2 fasst die Ergebnisse der Hypothesenprüfung von H3 bis H5 noch einmal zusammen. Tabelle 2: Ergebnisse der Mittelwertvergleichstests
Zufriedenheit mit der AudioFührung Freude Gesamturteil 1) 2)
AudioGuide emotional
234
Mittelwert 2,5
sachlich
205
2,3
emotional sachlich emotional sachlich
212 198 232 214
2,6 2,8 2,1 2,2
N
Sign.Niveau1
Hypothese2
0,0170
H3 n.b.
0,0495
H4 ¥
0,0935
H5 ¥
einseitiges Signifikanzniveau ¥ = Hypothese bestätigt, n.b. = Hypothese nicht bestätigt.
Es kann festgehalten werden, dass sich die Vermittlung zusätzlicher Informationen über Audio-Guides positiv auf das Gesamturteil über den Museumsbesuch auswirkt. Die Auswertungen haben ferner gezeigt, dass die Zufriedenheit mit den verschiedenen Hörtexten einerseits unterschiedlich stark von positiven, negativen oder neutralen Emotionen abhängt; andererseits zeigte sich, dass die verschiedenen Hörtextversionen eine unterschiedlich starke Wirkung auf die Freude hatten, die aufgrund des Museumsbesuchs empfunden wurde. 3.3.2 Prüfung der Wirkungszusammenhänge in einem Kausalmodell Die in den Hypothesen H6 bis H11 postulierten und theoretisch hergeleiteten Zusammenhänge werden im Folgenden auch kausalanalytisch überprüft, weil eine Strukturgleichungsanalyse es möglich macht, das komplexe Hypothesenmodell
240
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mit den Zusammenhängen zwischen kognitiven, affektiven und intentionalen Größen von Museumsbesuchern simultan zu untersuchen.48 In einem ersten Schritt ist zunächst zu prüfen, ob das Kausalmodell plausible Schätzwerte aufweist und identifizierbar ist. In einem zweiten Schritt sind Anpassungsmaße heranzuziehen, um die Güte des Modells einzuschätzen. Mit Hilfe globaler Gütemaße lässt sich das gesamte Modell beurteilen. Entsprechen die Gütemaße des Untersuchungsmodells den Anforderungen, kann in einem dritten Schritt die Interpretation der jeweiligen Parameter erfolgen, die die Wirkungsbeziehungen zwischen den latenten Variablen schätzen. Die Güte der einzelnen Strukturgleichungskoeffizienten lässt sich anhand der Critical Ratios (C.R.) überprüfen. Hier wird anhand eines t-Tests die Nullhypothese geprüft, ob sich die geschätzten Parameter signifikant von Null unterscheiden.49 Die Gütekriterien des identifizierten Modells, das auch in Abbildung 3 dargestellt ist, weisen insgesamt auf eine gute Anpassung hin. Die Modellbeurteilung anhand der globalen Gütekriterien entspricht den in der Literatur empfohlenen Mindestwerten. Die standardisierten Pfadkoeffizienten, die Stärke und Richtung des Zusammenhangs zwischen den Untersuchungsvariablen ausdrücken, sind bis auf den Zusammenhang zwischen Freude und den Verhaltensabsichten auf dem 0,1%-Niveau signifikant. Die Ergebnisse der Kausalanalyse bestätigen somit die theoretisch hergeleiteten Überlegungen zur Wirkung der Zufriedenheit mit den Audio-Führungen auf die ebenfalls kognitive Größe des Gesamturteils (= 0,10), die emotionale Größe der „Freude“ (= 0,75) und die Verhaltensabsichten (= 0,82/= 0,75). Der direkte Einfluss der Zufriedenheit mit dem Audio-Guide auf das Gesamturteil über den Museumsbesuch (Hypothesen H6) weist mit einem standardisierten Strukturgleichungskoeffizienten von 0,12 auf einen verhältnismäßig schwachen Zusammenhang hin. In Hypothese H7 wird ein positiver Wirkungszusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit der Audio-Führung und der Freude am Museumsbesuch vermutet. Der auf dem 0,1%-Niveau standardisierte signifikante Pfadkoeffizient von 0,55 bestätigt dies. In Übereinstimmung mit Hypothese H8 wirkt die Freude positiv auf das Gesamturteil über den Museumsbesuch. Der standardisierte Strukturgleichungskoeffizient weist einen Wert von 0,64 auf und ist auf dem 0,1%-Niveau signifikant.
48
Zur Berechnung des Modells wird die Maximum-Likelihood-Methode verwendet. In der vorliegenden Arbeit kommt das Programm AMOS in der Version 5.0 in Kombination mit der Statistiksoftware SPSS in der Version 12.0 zum Einsatz. 49 Vgl. Homburg, Ch./Pflesser, Ch. 2000: 430.
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides Abbildung 3:
241
Das Hypothesenmodell mit seinen Pfadkoeffizienten Annäherungsabsichten bzgl. Audio-Guides
H9
Zufriedenheit mit Audio-Guide
0,82*** 0,55***
H7
H11 -0,01
Freude am Museumsbesuch
H6 0,10**
H8
0,65***
H11 0,04
Weiterempfehlung des Museumsbesuchs
H10
Gesamturteil Museumsbesuch
0,75***
χ 2 /df =
2,27
GFI =
RMSEA = AGFI =
0,053 0,930
RMR = 0,065 NFI = 0,971 ** /*** sig. auf dem 1%-Niveau / 0,1%-Niveau
0,954
CFI =
0,984
Das Ergebnis verdeutlicht, dass der direkte Effekt der Zufriedenheit mit der Audio-Führung auf das Gesamturteil nur schwach ist. Betrachtet man den indirekten Effekt über die intervenierende Variable der Freude zeigt sich ein starker, hoch signifikanter Zusammenhang. Die Höhe des indirekten Effektes der Zufriedenheit mit der Audio-Führung auf das Gesamturteil lässt sich als Produkt aus den Einzeleffekten ermitteln (0,55 x 0,64 = 0,35); addiert man den direkten Effekt der Zufriedenheit auf das Gesamturteil über den Museumsbesuch (0,12), ergibt sich der Total-Effekt (0,47).50
50
Zu totalen, direkten und indirekten Effekten siehe u.a. Schumacker, R.E./Lomax, R.G. 1996: 90f.
242
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
Ein starker signifikanter Zusammenhang zeigt sich zwischen den kognitiven Urteilsgrößen und den jeweiligen Verhaltensintentionen. Die Zufriedenheit mit der Audio-Führung wirkt positiv auf die Verhaltensabsicht bezüglich derartiger Audio-Führungen (= 0,82), wie dies in Hypothese H9 postuliert wurde. In Übereinstimmung mit Hypothese H10 hat das Gesamturteil über den Museumsbesuch Auswirkungen auf die Weiterempfehlung des Ausstellungsbesuchs (= 0,75). Die empirischen Daten stützen ebenfalls Hypothese H11, nach der die Verhaltensintention stärker von den kognitiven Urteilsgrößen abhängt als von Emotionen, hier der Freude. Es kann keine signifikante Wirkung der Freude auf die Annäherungsabsichten nachgewiesen werden, weder hinsichtlich der AudioFührungen (= -0,01) noch hinsichtlich des Museumsbesuchs (= 0,04). Durch die kognitiven Urteilsgrößen kann ein Großteil der Varianz der Verhaltensabsichten erklärt werden; die Verhaltensabsichten in Bezug auf die Audio-Führung werden zu 67 Prozent und die Weiterempfehlung der Ausstellung wird zu 61 Prozent erklärt. Der Erklärungsbeitrag der Freude am Museumsbesuch auf das Gesamturteil beträgt 51 Prozent, die Varianz der Freude am Museumsbesuch kann zu insgesamt zu 30 Prozent durch die Zufriedenheit mit der Audio-Führung erklärt werden. Über die Hypothesenprüfung hinausgehend scheint es interessant zu untersuchen, ob sich die Wirkungsbeziehungen im Insystem in Abhängigkeit von der Nutzung einer emotionalen bzw. einer sachlichen Audio-Führung verändern. Inwiefern werden die Beziehungen zwischen den Variablen durch die unterschiedlichen Stimuli moderiert? Moderierende Effekte können ebenfalls mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen untersucht werden, indem eine sog. Mehrgruppenanalyse durchgeführt wird.51 Wird der Datensatz auf Basis der Art der Audio-Führung geteilt, kann ein moderierender Effekt nachgewiesen werden. Die Differenz der Effekte in den beiden Teildatensätzen zeigt nun die Richtung der Moderation an. Bei den Besuchern mit der emotionalen Audio-Führung kann kein signifikanter Einfluss der Zufriedenheit mit der Audio-Führung auf das Gesamturteil über den Museumsbesuch festgestellt werden. Allerdings zeigt sich eine signifikant positive Moderation auf den in H7 postulierten Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit 51 Hierbei werden Strukturgleichungsmodelle verschiedener Gruppen, simultan geschätzt. Der Datensatz wird entsprechend in Teildatensätze aufgeteilt. In der Mehrgruppenanalyse werden zunächst simultan die Koeffizienten der Struktur- und Messmodelle für jede einzelne der Gruppen geschätzt. Nachdem die Parameterwerte für die einzelnen Gruppen ermittelt wurden, werden Identitätsrestriktionen eingeführt. Dabei werden bestimmte Parameter zwischen den Gruppen gleichgesetzt. Nach der Einführung der Identitätsrestriktion erfolgt eine erneute Schätzung der Modellparameter. Führt die Schätzung des Effektes unter der Restriktion zu einer signifikanten Verschlechterung der Modellanpassung (gemessen durch die Differenz der Ȥ2-Werte), kann ein moderierender Effekt empirisch gestützt werden. Vgl. u.a. Baumgartner, H./Steenkamp, J. 1998: 21ff.
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides
243
der Audio-Führung und der Freude am Museumsbesuch sowie dem Einfluss der Freude auf das Gesamturteil (H8). Der Strukturgleichungskoeffizient ist bei der hoch emotionalen Audio-Führung jeweils größer. Das Ergebnis der Mehrgruppenanalyse stützt die Ergebnisse aus der Hypothesenprüfung, in der die emotionalen Audio-Führungen zwar schlechter beurteilt werden, die Freude jedoch höher und das Gesamturteil besser ausfallen als bei den Besuchern mit der sachlichen Audio-Führung. In Tabelle 3 sind die Ergebnisse zusammenfassend dargestellt. Tabelle 3: Moderierende Effekte der Audio-Führung Hypothese H7 H8 1)
γh
und
hoch
Moderator1) niedrig
γ h = 0,683
γ n = 0,438
(C.R. = 9,953)
(C.R. = 7,249)
γ h = 0,635
γ n = 0,610
(C.R. = 7,169)
(C.R. = 7,911)
γ n geben
¨ χ -Wert
Moderierender Effekt2)
20,982
+**
19,874
+**
2
die standardisierten Werte der Strukturgleichungskoeffizienten bei der
getrennten Modellschätzung an, h = hohe Emotion, n = niedrige Emotion.
γ h > γ n : positive Moderation (+) γ h < γ n : negative Moderation (-) 2)
**: Die resultierende Ȥ2-Differenz ist auf dem 1%-Niveau signifikant.
4
Zusammenfassung der Ergebnisse
Anliegen der Arbeit ist es gewesen, das Verhältnis von kognitiven Urteilsgrößen und ausgelösten Emotionen bei Museumsbesucher zu untersuchen und die Verhaltensrelevanz der verwendeten Größen zu prüfen. Die aufgestellten Hypothesen wurden durch ein in der Sonderausstellung „Ansichten Christi“ durchgeführtes Experiment überprüft. Im Mittelpunkt der empirischen Untersuchung stand die Frage, wie sich unterschiedlich gestaltete Audio-Führungen auf das Gesamturteil über den Museumsbesuch auswirken. Dabei kamen zwei Hörtextversionen zum Einsatz, die sich hinsichtlich ihrer emotionalen Wirkung unterschieden. Die Untersuchung führte unter praktischen Verwertungsgesichtspunkten insbesondere zu den folgenden Ergebnissen:
Es konnte nachgewiesen werden, dass das Gesamturteil über den Museumsbesuch von Besuchern mit Audio-Führung besser ausfällt als das Gesamtur-
244
Zur Wirkung von emotional und sachlich gestalteten Audio-Guides teil von Besuchern ohne Audio-Führung. Der positive Einfluss der Zufriedenheit mit der Audio-Führung auf das Gesamturteil bestätigte sich auch im Rahmen des kausalanalytischen Untersuchungsmodells. Ausgelöste Emotionen haben, insbesondere wenn es sich um positiv besetzte Emotionen handelt, einen positiven Einfluss auf die Beurteilung des Hörtextes. Emotional gestaltete Hörtexte führen zu mehr „Freude“ und zu einer besseren Beurteilung des Museumsbesuchs; sachlich gestaltete Hörtexte werden dagegen als solche besser beurteilt, was zeigt, dass emotionale Vorgänge und kognitive Urteile offenbar unterschiedlichen Prozessen unterliegen.
In allgemeinerer Perspektive wurde die Bedeutung von Emotionen und Kognitionen im Hinblick auf Verhaltensabsichten von Personen (Besuchern) untersucht. Hervorzuheben ist die wechselseitige Einflussnahme von Kognitionen und Emotionen: Im Hinblick auf die Wirkung von Emotionen auf Kognitionen kann festgehalten werden, dass evozierte Emotionen das Urteil über Hörtexte von Audio Guides beeinflussen. Die Freude beeinflusst das Gesamturteil über den Museumsbesuch. Kognitionen wirken wiederum auf Emotionen: Die Zufriedenheit mit einem Audio-Guide wirkt auf die Freude am Museumsbesuch. Emotionen und Kognitionen stehen danach in einem wechselseitigen Verhältnis. Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass Emotionen indirekt über die kognitiven Urteilsgrößen auf das Verhalten wirken, ein direkter Zusammenhang zwischen der Freude am Museumsbesuch und der Annäherungsabsicht hinsichtlich der Audio-Führungen sowie der Absicht, die Ausstellung weiterzuempfehlen, wurde nicht nachgewiesen. Diese Verhaltensweisen werden eher kognitiv gesteuert.
5
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Kunstfreiheit und Vertragsrecht
Kunstfreiheit und Vertragsrecht Christian Heinze∗ 1 2 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 4
Einleitung Kunstfreiheit im Verfassungsrecht Kunstfreiheit im Vertragsrecht Malerei und bildende Kunst Theater und Oper Literatur Film und Fernsehen: Der Künstler im Arbeitsverhältnis Kunstausstellungen Musikproduktion Sonderfall Architektur Ergebnis
1
Einleitung
In Zeiten knapper öffentlicher Kassen und zunehmender Privatisierung von Kulturbetrieben hat das Privatrecht eine wichtige Bedeutung für die Erbringung kultureller Dienstleistungen erlangt. So haben private Anbieter inzwischen einen festen Platz in der Kulturlandschaft erobert, und auch öffentlich-rechtlich organisierte Institutionen erbringen ihre Leistungen in der Regel durch privatrechtliche Rechtsbeziehungen wie Arbeitsverträge mit ihren mitwirkenden Künstlern und Werkverträge mit ihrem Publikum. Anders als die unmittelbar den Grundrechten unterworfenen Beziehungen des Öffentlichen Rechts sind privatrechtliche Verhältnisse indes vom Grundsatz der Privatautonomie beherrscht und nur mittelbaren Bindungen an die Grundrechte unterworfen. Es vermag daher zu Konflikten zwischen privater Regelungsmacht und künstlerischer Freiheit zu kommen, die in ihrem rechtlichen Bezugsrahmen Parallelen zu der dem Kulturmanagement inhärenten Dichotomie von kulturellem Anspruch und wirtschaftlicher Rentabilität aufweisen. Für ein Kulturmanagement der Zukunft wird es daher auch darauf ankommen, Sensibilität für die rechtliche Balance zwischen vertraglicher Regelungsmacht und künstlerischer Freiheit zu entwickeln und bei der Organisation ∗ Dr. iur., LL.M. (Cambridge), Wissenschaftlicher Referent, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg.
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und Durchführung von Kulturprojekten und Kultureinrichtungen ein Vertragsmanagement zu entfalten, welches mit den rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen vertraut ist. Am Beispiel des Vertragsrechts geht dieser Beitrag der Frage nach, wo solche Grenzen liegen und wie das Recht die Balance zwischen privater Regelungsmacht und grundrechtlicher Kunstfreiheit definiert. Der Beitrag ist meinem Vater Thomas Heinze gewidmet, ohne den er (wie manches andere) nie hätte geschrieben werden können.
2
Kunstfreiheit im Verfassungsrecht
Ausgangspunkt der Betrachtung ist die verfassungsrechtliche Garantie der Kunstfreiheit in Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz. Im Anschluss an eine ähnliche Bestimmung in der Weimarer Reichsverfassung (Art. 142) und in Reaktion auf die „herrschaftsfunktionale“ Kunstpolitik im Nationalsozialismus1 garantiert Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz ausdrücklich die Freiheit der Kunst: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“. In diesem Satz kommt eine vorbehaltlose Garantie der Kunstfreiheit zum Ausdruck. Sie darf nur durch staatliche Maßnahmen beeinträchtigt werden, die dem Schutz anderer verfassungsrechtlich garantierter Güter (etwa dem Persönlichkeitsrecht oder dem Eigentum Dritter) dienen2, und auch dann muss die Beeinträchtigung der Kunstfreiheit stets die Verhältnismäßigkeit wahren3. Bei der Handhabung der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheit hat es sich seit jeher als schwierig erwiesen, die Kunst zu definieren. Das Verfassungsgericht hat das Dilemma durch Heranziehung dreier verschieden strukturierter Kunstbegriffe zu lösen gesucht, wobei es für das Vorliegen eines Kunstwerks und damit die Eröffnung der Kunstfreiheit ausreichend ist, wenn der zu beurteilende Vorgang unter eine der Definitionen fällt4. So hat das Gericht im Sinne eines materiellen Kunstbegriffs die Kunst zunächst wie folgt definiert: „Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken 1 Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Auflage Tübingen 2004, Art. 5 III (Kunst), Rn. 3. 2 BVerfGE 30, 173 (191-193); BVerfGE 67, 213 (228). 3 BVerfGE 81, 278 (292). 4 Zum Kunstbegriff des Verfassungsgerichts BVerfGE 67, 213 (226 f.); BVerfGE 83, 130 (138); Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Band I, 2. Auflage 2004, Art. 5 III (Kunst) Rn. 18-23; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band 1, 5. Auflage 2005, Art. 5 Abs. 3 Rn. 302-305.
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Kunstfreiheit und Vertragsrecht
Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen, es ist nicht primär Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers5„. Dieser materielle Kunstbegriff wird durch einen formalen Kunstbegriff ergänzt, demzufolge die Tatsache, dass bei formaler, typologischer Betrachtung die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps (etwa Malerei, Bildhauerei, Dichtung) erfüllt sind, das Wesentliche des Kunstbegriffs ausmacht6. Materieller und formeller Kunstbegriff werden schließlich durch einen offenen (kommunikationstheoretischen) Kunstbegriff abgerundet, demnach „das kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung darin zu sehen ist, dass es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so dass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt.7„ Angesichts der drei alternativ herangezogenen Kunstbegriffe verwundert es nicht, dass die Literatur von einem weiten verfassungsrechtlichen Kunstbegriff ausgeht8, dessen Schutzbereich sich anerkanntermaßen nicht nur auf die künstlerische Betätigung als solche („Werkbereich“), sondern darüber hinaus auch auf die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks, die für die Begegnung mit dem Werk als einem kunstspezifischen Vorgang sachnotwendig ist („Wirkbereich“), erstreckt9. Die Kunstfreiheit strahlt damit auch auf die Vermittler aus, die durch Vervielfältigung, Verbreitung und Veröffentlichung die Mittlerfunktion zwischen Künstler und Publikum wahrnehmen10. Die Vermittlerrelevanz der Kunstfreiheit unterstreicht ihre Bedeutung auch für das Kulturmanagement, denn gerade die Vermittlung von Kunst und Kultur zählt zu den zentralen Aufgaben des Kulturmanagers. Neben der Kunstfreiheit als Abwehrrecht gegen staatliche Beeinträchtigung hat das Verfassungsgericht dem Grundrecht auch eine regelnde Wertentscheidung entnommen, die dem Staat, der sich auch als Kulturstaat versteht, die Aufgabe stellt, ein freiheitliches Kunst- und Wissenschaftsleben zu erhalten und zu fördern11. So weit der Schutzbereich der Kunstfreiheit auch reichen mag, so ist sie als Grundrecht unmittelbar nur für die Träger hoheitlicher Gewalt verbindlich. Nach 5
BVerfGE 30, 173 (189). BVerfGE 67, 213 (227). 7 BVerfGE 67, 213 (227). 8 Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 4. Auflage 2007, Art. 5 Rn. 186; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 9. Auflage 2007, Art. 5 Rn. 106. 9 BVerfGE 30, 173 (189); BVerfGE 77, 240 (251); BVerfGE 81, 278 (292); BVerfG, GRUR 2005, 880 (881) – Xavier Naidoo. 10 BVerfGE 30, 173 (191): Schutz des Verlegers; BVerfGE 36, 321 (331): Schutz des Schallplattenherstellers; BVerfGE 81, 278 (292): Schutz aller Personen, die daran mitwirken, ein Kunstwerk geschäftsmäßig zu vertreiben. 11 BVerfGE 36, 321 (331); BVerfGE 81, 108 (116). 6
Kunstfreiheit und Vertragsrecht
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Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz binden die Grundrechte nämlich (nur) „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht“. Dementsprechend besteht nach überwiegender Auffassung keine unmittelbare Drittwirkung der Kunstfreiheit gegenüber Privaten12, die Kunst nach eigenen Maßstäben kritisieren und fördern können, Künstler und Kunstgegenstände als Vermittler, Aussteller und Aufkäufer frei auswählen dürfen und gegenüber Künstlern als Angestellten oder Auftragnehmern vertraglich freie Vereinbarungen treffen dürfen13. Gleichwohl lassen sich auch in rein privatrechtlichen Rechtsverhältnissen – auf besondere Probleme bei privatrechtlich organisierten, aber staatlich beherrschten oder finanzierten Gesellschaften soll im Folgenden nicht näher eingegangen werden14 – gewisse Ausstrahlungen der Kunstfreiheit ausmachen, die sich vor allem dann manifestieren, wenn die Parteien keine expliziten Vereinbarungen getroffen haben. So gelten im Privatrechtsverkehr die Grundrechte zwar nicht unmittelbar, aber gleichwohl entfalten sie mittelbare Drittwirkung „als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen durch die Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen“, im Vertragsrecht insbesondere durch die zivilrechtlichen Generalklauseln der § 138 BGB (Verbot sittenwidriger Geschäfte), § 242 BGB (Gebot von Treu und Glauben) und § 315 BGB (billige Ausübung privaten Ermessens)15. Den Zivilgerichten obliegt es, den Schutz der Grundrechte durch Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Generalklauseln zu gewähren und im Einzelfall zu konkretisieren16. Dieser Ausgleich ist in der spruchrichterlichen Praxis bisher vor allem dann akut geworden, wenn es um den Ausgleich zwischen der Freiheit des Künstlers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht anderer Personen ging, deren Leben oder Tätigkeit in dem Kunstwerk erkennbar war17. Zu Konflikten zwischen der Kunstfreiheit und anderen Rechtsgütern kann es auch dann kommen, wenn der Eigentümer einen urheberrechtlich geschützten 12
BVerfGE 7, 198 (205 f.), zu den einzelnen Drittwirkungslehren Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Grundgesetz, Band 1, 5. Auflage 2005, Art. 1 Abs. 3 Rn. 303-318. Zu beachten ist allerdings, dass privatrechtlich organisierte Gesellschaften (GmbH, AG), die von staatlichen Stellen beherrscht werden, nicht als Private anzusehen sind, zu Einzelheiten Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Band I, 2. Auflage 2004, Art. 1 III Rn. 65-70. Zur Kunstfreiheit in kommunalen Kulturbetrieben und der Möglichkeit der Privatisierung Kadelbach, NJW 1997, 1114. 13 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band 1, 5. Auflage 2005, Art. 5 Abs. 3 Rn. 327. 14 Dazu Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Band I, 2. Auflage 2004, Art. 5 III (Kunst) Rn. 48 f.; zum Auswahlverfahren der Documenta etwa VG Kassel, NJW 1997, 1177 (1178 f.); Hufen, NJW 1997, 1112. 15 BVerfGE 7, 198 (205 f.); BVerfGE 42, 143 (148); BVerfGE 103, 89 (100); BVerfG, GRUR 2005, 880 (882) – Xavier Naidoo. 16 BVerfG, GRUR 2005, 880 (882) – Xavier Naidoo. 17 Aus jüngster Zeit etwa BGH, GRUR 2005, 788 – Esra; BVerfG, Beschlüsse vom 29.8.2007, Az: 1 BvR 1223/07 – 1 BvR 1226/07 (Contergan), verfügbar unter <www.bundesverfassungsgericht.de>.
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Kunstfreiheit und Vertragsrecht
Gegenstand verändern oder zerstören will18, eine Marke künstlerisch karikiert wird19 oder der Künstler sich einer Sache gegen den Willen des Eigentümers bedient. Der folgende Beitrag nimmt einen weiteren, bisher weniger untersuchten Bereich in den Blick, nämlich die Bedeutung der Kunstfreiheit für die vertragsrechtlichen Beziehungen des Künstlers.
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Kunstfreiheit im Vertragsrecht
Ein wesentlicher Unterschied des Vertragsrechts gegenüber den deliktsrechtlichen Kollisionen zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht, Sacheigentum oder geistigem Eigentum ist der Umstand, dass der Künstler in die vertragliche Regelung und die damit korrespondierende Einschränkung seiner Kunstfreiheit eingewilligt hat. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass die Kunstfreiheit in vertraglichen Beziehungen keine Bedeutung hat, sondern vielmehr allein der Vertrag als „Gesetz der Parteien“20 maßgeblich ist. Diese Prämisse soll im Folgenden anhand verschiedener Beispiele überprüft werden. Da die Schöpfung von Auftragskunst regelmäßig zum Entstehen eines Urheberrechts oder eines verwandten Rechts in der Person des Schöpfers führt, empfehlen sich auch vertragliche Regelungen zur Übertragung urheberrechtlicher Nutzungsrechte an den Auftraggeber, wenn eine von der gesetzlichen Regelung (siehe § 44 Urheberrechtsgesetz21) abweichende Rechtsfolge angestrebt wird. Auf die damit verbundenen Fragen des Urhebervertragsrechts soll im Folgenden nicht näher eingegangen werden.
3.1 Malerei und bildende Kunst Auszugehen ist zunächst von der denkbar einfachsten vertraglichen Konstellation, nämlich der Beauftragung eines Künstlers zur Erstellung eines Kunstwerks der Malerei oder bildenden Kunst. Ein solcher Vertrag ist als Werkvertrag iSd § 631 BGB einzuordnen, sofern sich der Künstler zur Erstellung eines mit einer unbeweglichen Sache (etwa einem Bauwerk) fest verbundenen und daher in ihr 18 Zum Verhältnis zwischen Sacheigentum und Urheberrecht Schack, Kunst und Recht (2004), 8. Kapitel; siehe auch BVerfG, NJW 1984, 1293 (1294). 19 Aus jüngerer Zeit etwa BGH, GRUR 2005, 583 (584 f.) – Lila-Postkarte. 20 In den berühmten Worten des französischen Gesetzgebers (Art. 1134 Code civil): „Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites.“ 21 Ähnliche Regelungen finden sich auch in ausländischen Rechtsordnungen, etwa 17 U.S.C. Section 202, 106A(e)(2) (USA); Art. L. 111-3 Code de la propriété intellectuelle (Frankreich).
Kunstfreiheit und Vertragsrecht
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aufgehenden (vgl. §§ 93, 94 BGB) Werkes gegen Vergütung verpflichtet22. Sofern es sich um die Lieferung einer herzustellenden oder zu erzeugenden beweglichen Sache (etwa eines Bildes oder einer beweglichen Plastik) handelt, finden nach § 651 BGB die Regeln des Kaufrechts Anwendung23, wobei daneben – weil es sich regelmäßig bei der Erstellung eines Kunstwerks um eine nicht beliebig austauschbare „unvertretbare“ (vgl. § 91 BGB) Sache handelt – bestimmte Vorschriften des Werkvertragsrechts über die Abnahme der Sache und die Mitwirkungspflichten des Bestellers treten (§§ 642, 643, 645, 649 und 650 BGB). Unabhängig von den Einzelfragen des Kauf- oder Werkvertragsrechts stellt sich bei beiden Vertragstypen die Frage, wann der Künstler mit seinem Werk seine Pflicht zur Verschaffung eines mangelfreien Werks (§ 433 Abs. 1 Satz 2, § 633 Abs. 1 BGB) erfüllt hat. Nach dem Gesetz ist dies der Fall, wenn das Kunstwerk die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit hat (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB). Ist eine solche nicht vereinbart, so muss sich das Werk für die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder, ist auch eine solche nicht vereinbart, für die gewöhnliche Verwendung eignen und eine Beschaffenheit aufweisen, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann (§ 434 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 633 Abs. 2 BGB). Die Anwendung dieser Kriterien erweist sich bei einem Kunstwerk als schwierig, weil man nicht ohne weiteres seine gewöhnliche Verwendung bestimmen kann und erst recht nicht die Beschaffenheit, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann. Die Rechtsprechung löst dieses Problem, indem sie dem Künstler eine künstlerische Gestaltungsfreiheit zubilligt: „Der künstlerisch Schaffende genießt grundsätzlich im Rahmen eines Werk- oder Werklieferungsvertrags eine Gestaltungsfreiheit, die seiner künstlerischen Eigenart entspricht und es ihm erlaubt, in seinem Werk seiner individuellen Schöpferkraft und seinem Schöpferwillen Ausdruck zu verleihen. Wer einen Künstler mit der Herstellung eines Kunstwerks beauftragt, muss sich vorher mit dessen künstlerischen Eigenarten und Auffassung vertraut machen. Er darf die Abnahme des fertig gestellten Werks nicht deshalb verweigern, weil es nicht seinem Geschmack entspricht. Der Gestaltungsfreiheit des 22 Vgl. BGH, NJW 1956, 627 (628) – Kapellenfenster; siehe auch Braun, NJW 1988, 297 (299). Die Entscheidung des BGH bezieht sich noch auf die alte Fassung des § 651 BGB, die Rechtslage bei Auftragkunst ist nach der Neufassung noch nicht geklärt, siehe dazu die folgende Fußnote. 23 Auch nach der Schuldrechtsreform plädiert die überwiegende Literatur trotz des neuen § 651 BGB für die Anwendung des Werkvertragsrechts auf Auftragskunstfertigung, weil das Werk zwar in einer körperlichen Sache verkörpert sei, der Schwerpunkt aber in der verkörperten geistigen (künstlerischen) Leistung liege, Peters, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearbeitung 2003, § 651 Rn. 14; Schack, Kunst und Recht (2004), Rn. 443; Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2005, § 651 Rn. 12; Sprau, in: Palandt, BGB, 66. Auflage 2007, § 651 Rn. 5; wie hier Metzger, AcP 204 (2004), 231 (248 f., 263).
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Künstlers entspricht das Risiko des Bestellers, ein Werk abnehmen zu müssen, das ihm nicht gefällt. Das den vereinbarten Zweckgedanken und die tragende Idee zum Ausdruck bringende Kunstwerk stellt daher grundsätzlich das versprochene Werk iSd § 631 Abs. 1 BGB dar24„. Allerdings deutet dieses Zitat bereits die Grenzen der Gestaltungsfreiheit an, nämlich den „Rahmen eines Werk- oder Werklieferungsvertrags“. Die Parteien können die Gestaltungsfreiheit des Künstlers beschränken, indem er sich verpflichtet, ein Werk nach einem Entwurf herzustellen. Dann beschränkt sich die Gestaltungsfreiheit auf die vereinbarungsgemäße Herstellung, ein von dieser abweichendes Kunstwerk muss der Auftraggeber nicht mehr als vertragsgemäß abnehmen, selbst wenn es sich objektiv als künstlerisch höher stehender erweisen sollte25. Solche vertraglichen Grenzen müssen nicht ausdrücklich vereinbart werden, sondern können sich auch aus einer Auslegung der Parteivereinbarung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte (§§ 133, 157 BGB) ergeben. Aufgrund einer Abweichung des Werkes von einem vorher vereinbarten Entwurf hat der Bundesgerichtshof dementsprechend in einem Fall, in dem eine Kirchengemeinde ein Kapellenfenster bestellt hatte, die Leistung des Künstlers als nicht vertragsgemäß ablehnen dürfen, weil sie nicht dem vorher vereinbarten Entwurf entsprach26. Das Gericht musste sich nicht der schwierigen Frage stellen, wo (wenn überhaupt) die Grenzen der künstlerischen Gestaltungsfreiheit zu ziehen sind, wenn sie im Vertrag nicht bestimmt wurden. Offen blieb daher, wie etwa der Fall zu beurteilen wäre, dass ein Auftraggeber ein Porträt seiner attraktiven jungen Frau („attractive woman of refined and relatively youthful appearance, possessed of fine regular features, good coloring and of a slight trim figure”) in Auftrag gibt, der Künstler aber ein Bildnis einer „drallen, unattraktiven Frau mit groben Zügen“ („buxom, unattractive middleaged woman, lacking in refinement of appearance and possessed of coarse features”) abliefert. Muss eine solche Leistung als Ausdruck der künstlerischen Gestaltungsfreiheit als vertragsgemäß akzeptiert werden, oder dürfen die Richter – wie der Court of Appeal of Louisiana, der im Jahr 1956 einen solchen Fall zu entscheiden hatte27 – ohne weiteres die porträtierte Dame und das Porträt nebeneinander in Augenschein nehmen, um die Ähnlichkeit einschätzen zu können? In dieser amerikanischen Entscheidung findet sich im Gegensatz zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs kein Hinweis auf eine künstlerische Gestaltungsfreiheit; Ermessen wird vielmehr 24 BGH, NJW 1956, 627 (628) – Kapellenfenster; zur künstlerischen Gestaltungsfreiheit auch Schack, Kunst und Recht (2004), Rn. 446; rechtsvergleichend Dreier, in: International Sales of Work of Art: Legal Aspects of International Art Trade, Volume IV, 143 (164 f.). 25 BGH, NJW 1956, 627 (628) – Kapellenfenster; zur Möglichkeit eines „Kaufs nach Muster“ bei künstlerischen oder wissenschaftlichen Werken auch BGH, NJW 1958, 138 (138). 26 BGH, NJW 1956, 627 – Kapellenfenster. 27 McCrady v. Roy, 85 So. 2d 527 (528); 1956 La. App.
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dem Auftraggeber eingeräumt, weil das Vertragsziel dessen persönliche Zufriedenheit mit dem bestellten Werk sei28. Oder wie wäre ein Fall aus Kanada zu entscheiden, in dem die Vancouver Art Gallery ein ihr bei Vertragsschluss nicht bekanntes (weil noch nicht erstelltes) Werk des Videokünstlers Paul Wong, das unter dem Titel „Confused: Sexual Views“ aus 27 Interviews mit verschiedenen Personen mit einer Gesamtdauer von neun Stunden über ihre sexuellen Interessen, Fantasien, Erfahrungen und Meinungen bestand, drei Tage vor der geplanten Eröffnung absetzte? Der British Columbia Supreme Court entschied, dass es einem Ausstellungsvertrag auch ohne ausdrückliche Regelung immanent sei, dass der Aussteller ein vorher nicht bekanntes Werk als nicht akzeptabel zurückweisen darf, solange dieses Recht ehrenhaft und nach Treu und Glauben („honestly and in good faith“) ausgeübt wird29. Aufschluss über den Standpunkt des deutschen Rechts in dieser Frage vermag eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe zu geben30. Das Gericht hatte über die Vertragsgemäßheit eines Porträts einer Stammtischrunde („Die Nachtwächter vom Hemshof“) des Mannheimer Malers Rudi Baerwind zu befinden. Baerwind war ohne weitere vertragliche Konkretisierung beauftragt worden, von einer Stammtischrunde von sieben Personen ein Gruppenporträt für 4.000 DM zu erstellen, der Auftrag lautete schlicht „Stammtisch 7 Personen Gruppenportrait – 4000 DM zahlt Herr (...). Zahlbar nach Erhalt des Bildes“, gefolgt von Datum und Unterschrift31. Der Maler malte in knapp neunzig Minuten in einer lokalen Kneipe ein Bild, das nach der Schilderung eines Beobachters „auf der Leinwand (…) sechs Köpfe (zeigte), die nach dem bekannten Rezept: Punkt, Punkt, Komma, Strich in lockerer Manier hingehauen waren. Die Körper waren zum Teil angedeutet, zum Teil waren sie ganz weggelassen. Dafür aber fanden sich da und dort einige lustige Farbtupfen, und an anderen Stellen tropfte tatsächlich eine bunte Soße über die Leinwand“32. Die Auftraggeber lehnten daraufhin die Bezahlung des Werks ab, und vor dem Landgericht Mannheim und letztlich dem Oberlandesgericht Karlsruhe war zu entscheiden, ob das Werk vertragsgemäße Erfüllung darstellte. 28
Shernoff/Gage/Levine, Insurance Bad Faith Litigation, § 1.07 (2007). Großzügiger scheint die Rechtsprechung zu Anstellungsverträgen von Filmschauspielern zu sein, bei der sich ansatzweise eine Garantie künstlerischer Gestaltungsfreiheit ausmachen lässt, Goudal v. Cecil B. DeMille Pictures, 118 Cal. App. 407 (413 f.); 5 P.2d 432; 1931 Cal. App. 29 Wong v. Vancouver Art Gallery et al., 3 A.W.C.S. (3d) 419 = 1987 A.C.W.S.J. 454767 (1986): “(…) because it was an implied term of the contract that the Vancouver Art Gallery had the right to reject the work on the grounds that it did not meet the standards of acceptability, provided always that it acted honestly and in good faith, which it did”. 30 OLG Karlsruhe, UFITA 73 (1975), 292. 31 Siehe Braun, NJW 1988, 297 (298 Fn. 4). 32 Braun, NJW 1988, 297 (298) zu den Hintergründen des Rechtsstreits.
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Hätte das OLG Karlsruhe aufgrund der mageren Leistungsbeschreibung „Stammtisch 7 Personen Gruppenportrait“ die nähere Ausgestaltung der Gestaltungsfreiheit des Künstlers überlassen, so hätte es das Werk wie die Vorinstanz33 als vertragsgemäße Erfüllung ansehen müssen. Indes legte das OLG die vertragliche Vereinbarung nach §§ 133, 157 BGB aus und kam zu dem Ergebnis, dass die Parteien ein Porträt in der (realitätstreuen) Art vereinbart hatten, wie der Maler sonst Porträts erstellte. Es ging außerdem davon aus, dass die Parteien mit der Vereinbarung eines in der Kneipe aufzuhängenden Stammtischporträts sich darüber geeinigt hatten, die Herren der Stammtischgesellschaft so abzubilden, dass sie „erkannt werden“ konnten, „auch wenn sie nicht gerade anwesend waren und mit dem Bild verglichen werden konnten“34. Vor dem Hintergrund einer solcherart ausgelegten Vereinbarung genügte die nur skizzenhafte Andeutung der Porträtierten nicht der vertraglichen Vereinbarung der Parteien, so dass die Vergütung nicht geschuldet war. Die Zusammenschau der beiden Entscheidungen weist darauf hin, dass das Vertragsrecht bei der Erstellung von Kunstwerken dem Künstler zwar im Grundsatz künstlerische Gestaltungsfreiheit zubilligt, die aber durch Vereinbarung der Parteien eingeschränkt werden kann. Legen die Parteien dem Auftrag einen bestimmten Entwurf oder eine bestimmte Beschreibung zugrunde, so ist dies für den Künstler verbindlich. Als deutlich schwieriger erweist sich die Begrenzung der künstlerischen Gestaltungsfreiheit, wenn die Parteien keine solche Werkbeschreibung vereinbart haben. Zwar steht zu erwarten, dass die Rechtsprechung in extremen Fällen, in denen das gefertigte Kunstwerk den vereinbarten Zweckgedanken und die tragende Idee nicht mehr zum Ausdruck bringt35 (Strichmännchen anstelle Porträtzeichnung, vgl. die „Nachtwächter vom Hemshof“), auf dem Weg der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) eingreifen wird. Jedoch dürfte es sich dabei um Ausnahmen handeln, weil ein Auftraggeber, der keine Werkbeschreibung vereinbart hat und sich vorher nicht mit dem Stil des Künstlers vertraut gemacht hat, nicht im nachhinein die Abnahme des Werks deshalb verweigern darf, weil es nicht seinem Geschmack entspricht36. Die für den Auftraggeber günstigste Form des Künstlervertrages ist daher die Entwurfsfertigung oder – noch besser – der Kauf auf Probe (§§ 454, 455 BGB), bei dem die Parteien ausdrücklich den Ankauf des Bildes nur bei Gefallen des Auftragge-
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LG Mannheim, Urt. v. 4. 4. 1973 - 3 O 1/73, zitiert nach Braun, NJW 1988, 297 (299 Fn. 10). OLG Karlsruhe, UFITA 73 (1975), 292 (294 f.); kritisch Ott, ZUM 1988, 452 (453). 35 BGH, NJW 1956, 627 (628) – Kapellenfenster. 36 Für eine restriktive Auslegung der Entscheidung des OLG Karlsruhe Ott, ZUM 1988, 452 (453). 34
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bers vereinbaren, so dass dem Käufer bis zur Inaugenscheinnahme des fertigen Bildes die Entscheidung über die Abnahme des Bildes offen steht37.
3.2 Theater und Oper Auch Verträge mit den Besuchern von Theatern und Opern stellen Werkverträge iSd § 631 BGB dar38. Die Frage der künstlerischen Gestaltungsfreiheit ist hier vor allem im Zusammenhang mit den so genannten „umfunktionierten Klassikeraufführungen“ diskutiert worden39. Darunter wurden Aufführungen verstanden, die nicht mehr auf die (aussagedeutende) bühnenmäßige Darstellung und Deutung der Grundidee des Ursprungswerkes abzielen, sondern auf eine ganz andere, gegenüber der ursprünglichen Aussage des Stücks geänderte Grundidee, wobei Dichtung und Musik des Ursprungsstückes nur noch das Ausgangsmaterial für eine Änderung von Text, Musik, Bühnenbild, Kostümierung und Spielweise darstellen40. In der ersichtlich einzigen Gerichtsentscheidung zu diesem Thema hat das Amtsgericht Bonn unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH zur künstlerischen Gestaltungsfreiheit des Malers entschieden, dass auch dem Regisseur eine gewisse Gestaltungsfreiheit eingeräumt werden muss, „die seiner künstlerischen Eigenart entspricht und es ihm erlaubt, in seinem Werk seine individuelle Schöpferkraft und sein Schöpferwollen zum Ausdruck zu 37
Zum deutschen Recht LG Regensburg, NJW 1988, 398. Schack, Kunst und Recht (2004), Rn. 446 deutet eine derartige Vereinbarung als einen unter der aufschiebenden Bedingung der Billigung geschlossenen Werklieferungsvertrag. Dreier, in: International Sales of Work of Art: Legal Aspects of International Art Trade, Volume IV, 143 (165 f.) plädiert dafür, dem Künstler auch bei Nichtgefallen eine gewisse Entschädigung zukommen zu lassen, zumindest wenn die Initiative zur Erstellung des Werkes vom Auftraggeber kam. Der Kauf auf Probe scheint in der Porträtmalerei vor allem in den USA verbreitet zu sein, weil die meisten der dort entschiedenen Fälle zur Fertigung eines Kunstwerks eine vertragliche Vereinbarung zugrunde legen, dass das Kunstwerk (idR ein Porträt) nur bei Gefallen des Auftraggebers bezahlt werden muss, Gibson v. Cranage, 39 Mich. 49, 1878 Mich.; Zaleski v. Clark, 44 Conn. 218 (224), 1876 Conn., siehe dazu auch die Folgeentscheidung Zaleski v. Clark 44 Conn. 397, 1877 Conn.; Pennington v. Howland, 21 R.I. 65, 41 A. 891, 1898 R.I.; Wolff v. Smith, 303 Ill. App. 413, 25 N.E.2d 399, 1940 Ill. App.; Lanier, 12 Cardozo Arts & Entertainment Law Review 191 (203 f.). 38 RGZ 133, 388 (389). Streng genommen handelt es sich um einen typengemischten Vertrag mit untergeordneten mietvertraglichen Elementen (Überlassung des Sitzplatzes), AG Aachen, NJW 1997, 2058 (2058); AG Herne-Wanne, NJW 1998, 3651 (3651); Fessmann, NJW 1983, 1164 (1165); Sprau, in: Palandt, BGB, 66. Auflage 2007, Einf v § 631 Rn. 28/29; ausführlich Frohn, Die Gestaltung des Einzelbesuchsvertrages für Bühnenveranstaltungen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (1993), 18-22. 39 Anderen Regeln folgt der Austausch von Darstellern, der aber idR nicht aus Gründen künstlerischer Gestaltungsfreiheit, sondern aufgrund von Erkrankung, fehlender Verfügbarkeit des ursprünglichen Darstellers u.ä. erfolgt, zu den damit verbundenen Fragen Fessmann, NJW 1983, 1164 (1170). 40 Definition in Anlehnung an Knothe, NJW 1984, 1074 (1075).
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bringen“41. Selbst wenn eine Klassikeraufführung in Form einer „kritischen Umfunktionierung“ gehandhabt wird, so sei darin kein rechtlicher Mangel zu sehen, weil anders als bei den noch urheberrechtlich geschützten Stücken moderner Autoren das heutige Regieverständnis für Klassiker selbst umfunktionierte Aufführungen decke42. Diese Auffassung verstoße nicht gegen den Gedanken des Verbraucherschutzes, denn der interessierte Theaterbesucher habe vielfältige Informationsmöglichkeiten etwa durch die Tagespresse und werde daher, wenn er von diesen Möglichkeiten Gebrauch macht, durch eine umfunktionierte Aufführung nicht überrascht43. Das Theater bleibt nach dieser Auffassung im Rahmen des vertraglich versprochenen „angekündigten Stückes“, wenn es irgendeine der Bearbeitungen des Werkes oder eine seiner Kurzfassungen, Auszüge, Zusammenfassungen, Collagen, Dramatisierungen, Umschreibungen, Übersetzungen oder Übertragungen aufführt, solange die sprachlichen Gedanken oder musikalischen Einfälle des als Verfasser genannten Autors oder Komponisten so deutlich hervortreten, dass das (eigentliche) Werk weiterhin als solches erkennbar und identifizierbar bleibt44. Ähnlich weitreichend sei die künstlerische Gestaltungsfreiheit beim Stil der Aufführung und der „Werktreue“, weil sich angesichts der Dynamik des Genres kaum eine der Verkehrsauffassung entsprechende, „werktreue“ Aufführung definieren lasse: „Die grundrechtliche Garantie [der Kunstfreiheit] wirkt gleichsam unmittelbar in den Theaterbesuchsvertrag ein, bildet seine ,geistig-künstlerische Geschäftsgrundlage’, so dass jene Sichtweise, es müsse das Publikum, der ,normale Durchschnittsbürger’, vor vermeintlichen ,Werkentstellungen und -verstümmelungen’ geschützt werden, kaum mehr vertretbar erscheint“45. Angesichts der Üblichkeit der Aufführung von Werkbearbeitungen sei das Theater nicht einmal dazu verpflichtet, den Kartenkäufer auf das Vorliegen einer Bearbeitung hinzuweisen46. Diese großzügige Sichtweise ist nicht unwidersprochen geblieben. So haben Stimmen im Schrifttum darauf hingewiesen, dass die künstlerische Gestaltungsfreiheit durch den zwischen den Parteien geschlossenen Theaterbesuchsvertrag begrenzt ist, durch dessen Auslegung nach §§ 133, 157 BGB der Inhalt der vertraglich geschuldeten Leistung zu bestimmen sei47. Aus dem Wortlaut des Vertrages ergebe sich, dass der Besucher nur eine sinndeutende, nicht eine sinnän41
AG Bonn, NJW 1983, 1200 (1200f.). AG Bonn, NJW 1983, 1200 (1201); Fessmann, NJW 1983, 1164 (1171). 43 AG Bonn, NJW 1983, 1200 (1201). 44 Siehe die Besprechung von Fessmann, NJW 1983, 1164 (1169), der der Entscheidung beitritt. 45 Fessmann, NJW 1983, 1164 (1171). 46 AG Bonn, NJW 1983, 1200 (1201); Fessmann, NJW 1983, 1164 (1169). 47 Pakuscher, UFITA 93 (1982), 43 (48-51), der allerdings mit der Geschäftsgrundlage des Theaterbesuchsvertrages argumentiert; Knothe, NJW 1984, 1074, 1075; Frohn, Die Gestaltung des Einzelbesuchsvertrages für Bühnenveranstaltungen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (1993), 48 f. 42
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dernde Aufführung des Stücks erwartet, und auch aus den Umständen und der Verkehrssitte lasse sich kein anderer Inhalt des Vertrages ableiten48. Zum Einwand, dass eine Abgrenzung zwischen noch vertragsgemäßer Werkdeutung und nicht mehr vertragsgemäßer Werkänderung nicht möglich sei, wird darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung auch bei der Frage der urheberrechtlichen Zulässigkeit einer Werkänderung nach § 39 Abs. 2 Urheberrechtsgesetz die Frage zu beantworten hat, ob der Urheber zu der Änderung seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen darf, und dass dieser Maßstab beim Theaterbesuchsvertrag entsprechend herangezogen werden könne49. Geboten sei daher ein klarstellender Hinweis auf die sinnändernde Inszenierung des Stücks, etwa nach dem Muster „Faust. Frei bearbeitet und inszeniert von ... nach der Tragödie von Johann Wolfgang Goethe“ oder „Die Räuber. Schauspiel in der Bearbeitung und Inszenierung von ... nach einer Vorlage von Friedrich Schiller“ oder auch „Der Freischütz. Persiflierende Darstellung der romantischen Oper von Carl Maria v. Weber in der Inszenierung von ...“50. Versucht man sich an einer Stellungnahme zu dieser Kontroverse, so ist in der Tat auch bei der Theater- oder Opernaufführung die entscheidende Frage, was die Parteien nach §§ 133, 157 BGB ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart haben. Allerdings dürfte sich aus der Parteivereinbarung in aller Regel nicht das Versprechen eines bestimmten Aufführungsstils entnehmen lassen, so dass die Konkretisierung der Leistung nach der Kapellenfenster-Entscheidung in die Gestaltungsfreiheit des Regisseurs fällt. Der Besucher muss sich vorher mit den künstlerischen Eigenarten und Auffassungen des Künstlers vertraut machen; soweit er dies versäumt, darf er das Werk nicht später als mangelhaft rügen51. Die Worte des BGH zur Malerei beanspruchen auch bei der Theater- und Opernaufführung Geltung: „Das den vereinbarten Zweckgedanken und die tragende Idee zum Ausdruck bringende Kunstwerk stellt (…) grundsätzlich das versprochene Werk iSd § 631 Abs. 1 BGB dar“52. Eine andere Betrachtung als beim Theaterbesuchsvertrag ist demgegenüber beim Gastspielvertrag zwischen Regisseur und Theater angezeigt. Bei einem solchen Vertrag hat es die Rechtsprechung der Theaterleitung gestattet, in den Grenzen des urheberrechtlichen Bearbeitungsrechts (§ 39 Abs. 2 Urheberrechtsgesetz) und des Entstellungsverbots (§ 48
Knothe, NJW 1984, 1074, 1075, 1078. Knothe, NJW 1984, 1074, 1076; Frohn, Die Gestaltung des Einzelbesuchsvertrages für Bühnenveranstaltungen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (1993), 48. 50 Knothe, NJW 1984, 1074, 1078; Frohn, Die Gestaltung des Einzelbesuchsvertrages für Bühnenveranstaltungen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (1993), 49. 51 Kurz, Praxishandbuch Theaterrecht (1999), 4. Teil Rn. 3 f; siehe auch OLG Frankfurt, NJW 2004, 2833 (2834) zur Abfeuerung einer Schreckschusspistole in einem Theaterstück als von der Kunstfreiheit gedecktes und keine Vorwarnung erforderlich machendes Verhalten. 52 BGH, NJW 1956, 627 (628) – Kapellenfenster. 49
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14 Urheberrechtsgesetz) unter Berücksichtigung der etatmäßigen Schwierigkeiten öffentlich finanzierter Theater zumindest bei Inszenierungen, die von Publikum und Presse einmütig als misslungen bezeichnet worden sind, im maßvollen Rahmen die Anregungen der Kritik aufzugreifen und die Inszenierung diesen Anregungen anzupassen53. Der Unterschied zwischen Theaterbesuchsvertrag und Gastspielvertrag erscheint gerechtfertigt, denn zum einen kann sich das Theater im Gegensatz zum Theaterbesucher ebenso wie der Regisseur auf die Kunstfreiheit berufen, und zum anderen kann eine misslungene Inszenierung dem Theaterbesucher vielleicht einen Abend, einem Theater aber eine ganze Saison verderben.
3.3 Literatur Ebenso wie bei der bildenden Kunst, dem Schauspiel und der Oper sind auf dem Gebiet der Literatur (und der Tonkunst, § 1 Verlagsgesetz) und damit dem Verlagsvertrag dem Rügerecht des Auftraggebers (Verlegers) gegenüber inhaltlichen Mängeln des Werkes Grenzen gezogen: Mängel der Qualität, also der wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Güte eines Werkes, kann der Verleger im Allgemeinen nicht rügen54. Allerdings können auch hier bestimmte Eigenschaften des Werkes im Verlagsvertrag ausdrücklich bestimmt werden oder nach den Umständen, insbesondere dem Zweck des Werkes, als stillschweigend vereinbart gelten55. Das Gesetz sieht in § 47 Abs. 1 Verlagsgesetz sogar ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass der Besteller die Herstellung des Werkes nach einem Plan genau vorschreibt56. Interessanterweise findet sich in der Rechtsprechung zur vertraglichen Beschränkung der Autorenfreiheit ersichtlich erstmals auch der interessante Hinweis, dass bei einem echten Verlagsvertrag (also nicht einem Bestellvertrag nach § 47 Verlagsgesetz) die Zulässigkeit einengender Vereinbarungen mit Rücksicht auf die für ein geistiges Schaffen notwendige Bewegungsfreiheit des Verfassers gewissen Grenzen unterliegen kann57. Leider 53
OLG Frankfurt, GRUR 1976 , 199 (201 f.) – Götterdämmerung; siehe auch OLG München, NJW 1996, 1157 (1158). 54 BGH, NJW 1960, 2144 (2146); zur Rechtslage in Kanada siehe etwa Morang and Company v. William Dawson, (1911) 45 S.C.R. 95 (116). 55 BGH, NJW 1960, 2144 (2146). 56 Die Regel des § 47 Verlagsgesetz unterscheidet sich allerdings von der Entwurfsfertigung auf anderen Gebieten der Kunst, weil sie vorwiegend dazu dient, die dem Verleger sonst obliegende Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht auszuschließen und ihm das Recht auf mehrere Auflagen zu sichern, während beim normalen Werkvertrag kein Anspruch des Künstlers auf Veröffentlichung besteht, Ott, ZUM 1988, 452 (453 f.). 57 BGH, NJW 1960, 2144 (2146 f.).
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musste das Gericht nicht zu der Frage Stellung nehmen, wie weit der Auftraggeber die Gestaltungsfreiheit des Künstlers einschränken darf58. Aufschluss darüber vermögen Entscheidungen der Arbeitsgerichte zu geben, die sich mit den Arbeitsverhältnissen von Musikern und Fernsehschauspielern zu befassen hatten.
3.4 Film und Fernsehen: Der Künstler im Arbeitsverhältnis Bei Künstlern in Arbeitsverhältnissen mit Fernsehsendern, Filmunternehmen oder Schauspielhäusern stellt sich die Frage nach der Reichweite der künstlerischen Gestaltungsfreiheit in etwas differenzierterer Form, weil hier sowohl Auftragnehmer (Arbeitnehmer) wie Auftraggeber (Arbeitgeber) die Kunstfreiheit für sich beanspruchen können59. Die Arbeitsgerichte haben mehrfach die Kunstfreiheit zu Gunsten des Arbeitgebers berücksichtigt, etwa als zulässigen Sachgrund für die Befristung (§ 21 iVm § 14 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz) des Arbeitsverhältnisses einer Schauspielerin in einer „Daily Soap“, das mit Einstellung der betreffenden Serie zulässigerweise auslief60. Von den zuvor erörterten Kauf- und Werkverträgen unterscheidet sich der Arbeitsvertrag dadurch, dass er die Leistung des Arbeitnehmers nicht exakt festlegt, sondern vielmehr dem Arbeitgeber von vorneherein ein Ermessen eröffnet (§ 315 BGB), das dieser durch billige Ausübung seines Weisungsrechts (§ 106 Gewerbeordnung) konkretisieren darf, indem er dem Arbeitnehmer konkrete Arbeitsaufträge erteilt. Der Arbeitgeber ist also nicht etwa gezwungen, sämtliche vom Arbeitnehmer geschuldeten Tätigkeiten im Einzelnen im Vertrag aufzuführen, sondern kann sich mit einer abstrakten Tätigkeitsbeschreibung begnügen und diese im Einzelfall durch Ausübung seines Weisungsrechts konkretisieren. Auch wenn sich beide Parteien auf die Kunstfreiheit berufen können, kommt die künstlerische Gestaltungsfreiheit daher primär dem Arbeitgeber zu, der die Verantwortung für das Gesamtwerk (den Film oder das Theaterstück) trägt und dieses durch Weisungen an die ange58 Die aktuelle Entscheidung OLG München 14.6.2007, Az. U (K) 5554/06, Rn. (zitiert nach Juris) Rn. 47 f. sieht ein Wettbewerbsverbot für den Autor in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Verlegers als nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam an, wenn es sich über die gesamte Laufzeit des Vertrages erstreckt. Die Entscheidung betrifft damit aber eine den Autor einschränkende Nebenabrede, nicht eine restriktive vertragliche Regelung der Hauptleistungspflicht zur Erstellung des Buches. 59 Diese Ausführungen und die Abschnittsüberschrift sollen nicht dahingehend missverstanden werden, dass Film- und Fernsehschauspieler oder die Beschäftigten von Schauspielhäusern stets als Arbeitnehmer anzusehen sind. Dies hängt von der konkreten Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses ab (Weisungsgebundenheit, Eingliederung in den Betrieb, Grad der Freiheit der Tätigkeitsgestaltung und Zeiteinteilung des Auftragnehmers, vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB, andere Auftraggeber u.ä.). 60 BAG, NZA 2004, 311 (312 f.); dazu auch Joch/Klichwoski, NZA 2004, 302 (303); zur Berücksichtigung der Kunstfreiheit der Oper bei der Entscheidung über das Teilzeitbegehren einer angestellten Musikerin BAG, BB 2004, 2581 (2583).
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stellten Künstler zu realisieren sucht. Vor diesem Hintergrund hatte das Bundesarbeitsgericht einen Fall zu entscheiden, in dem eine Schauspielerin im Arbeitsvertrag mit der Produktionsfirma vereinbart hatte, dass „der Filmschaffende (die Schauspielerin) dem Filmhersteller als Darsteller in der Rolle ’J’ für den Film mit dem voraussichtlichen Titel ’M’ unter der Regie von W zur Verfügung steht“61. Die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegende Fassung sah „J“ als 54jährige Schwägerin und beste Freundin der (jüngeren) Hauptdarstellerin „A“ vor. Nach Abschluss des ersten Drehzeitraums entschloss sich die Drehbuchautorin und Regisseurin zu einer Änderung des Drehbuchs, die „J“ zur sechzigjährigen Mutter der Hauptdarstellerin A machte und daneben eine neue weitere Tochter L samt Enkeltochter Li einführte. Die Schauspielerin lehnte diese Änderung ab und war nur bereit, die Rolle nach dem ursprünglich vorgesehenen Drehbuch zu spielen. Dies wertete die Produktionsfirma als Kündigung des Arbeitsverhältnisses und besetzte die Rolle der J anders. Die Schauspielerin erhob Klage auf Zahlung des restlichen Arbeitslohnes. Die Drehbuchänderung sei unzulässig gewesen, weil die Rolle durch das ursprüngliche Drehbuch definiert gewesen sei. Die Figur der J sei im ursprünglichen Drehbuch eine lebensbejahende, lebenslustige und dynamische Person gewesen. Vom zentralen Widerpart der etwas verunsicherten A sei sie im geänderten Drehbuch zu einer müden Oma mutiert, die sich im Wesentlichen um die Familie kümmere. Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Schauspielerin gegen die Klageabweisung in den Unterinstanzen ab und gab damit der Produktionsfirma Recht. Es stellte fest, dass Gegenstand des Vertrages nicht etwa das ursprüngliche Drehbuch, sondern die Rolle der „J“ im vorgesehenen Film war62. Zwar durfte diese Rolle gegenüber dem ursprünglichen Drehbuch nicht beliebig verändert werden, aber die Grenze der Vertragspflichten markiere nicht das ursprüngliche Drehbuch, sondern die vertraglich vereinbarte Rolle in Verbindung mit dem den Parteien bekannten Rollenprofil des Schauspielers63 und als äußerste Grenze das urheberrechtliche Bearbeitungsrecht (§ 39 Abs. 2 Urheberrechtsgesetz) sowie das Entstellungsverbot (§ 93 Urheberrechtsgesetz)64. Auch eine Kontrolle der Angemessenheit oder der Transparenz des Arbeitsvertrages, der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Produktionsfirma abgefasst war, nach den Regeln zur Angemessenheitskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB) komme nicht in Betracht, weil die Abrede keine von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelung (§ 307 Abs. 3 61 BAG 13.6.2007, Az. 5 AZR 564/06, BeckRS 2007, 45576; siehe auch die vorinstanzliche Entscheidung des LAG Berlin vom 19.5.2006, 6 Sa 118/06 (zitiert nach Juris). 62 BAG 13.6.2007, Az. 5 AZR 564/06, BeckRS 2007, 45576, Rn. 24. 63 BAG 13.6.2007, Az. 5 AZR 564/06, BeckRS 2007, 45576, Rn. 25. 64 BAG 13.6.2007, Az. 5 AZR 564/06, BeckRS 2007, 45576, Rn. 27.
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Satz 1 BGB) darstellt, sondern unmittelbar die Hauptleistung der Schauspielerin festlegt. Das Transparenzgebot verlange nicht, alle möglichen Konkretisierungen der Arbeitspflicht und des Weisungsrechts ausdrücklich zu regeln, sondern das Weisungsrecht sei vielmehr gerade Folge der vertraglichen Festlegung der Arbeitspflicht65. Die Entscheidung zur Gestaltungsfreiheit bei der Filmproduktion weist abermals darauf hin, dass eine Kontrolle der künstlerischen Gestaltungsfreiheit nur zurückhaltend erfolgt, soweit sie nicht durch vertragliche Vereinbarung begrenzt wird: Die Gerichte achten darauf, sich nicht die Rolle eines künstlerischen Oberspielleiters anzumaßen66. Grenze der künstlerischen Gestaltungsfreiheit ist vor allem der Vertrag, dessen ausdrückliche oder durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB herzuleitende Vereinbarungen die geschuldete Leistung beider Parteien definierten. Darüber hinaus deutet sich in der arbeitsrechtlichen Judikatur eine weitere Grenze der künstlerischen Gestaltungsfreiheit an, nämlich die Billigkeit der Ausübung des arbeitgeberischen Ermessens nach § 315 BGB. Trotz seines durch die Kunstfreiheit bestärkten Direktionsrechts hat der Arbeitgeber auch die schützenswerten Rechte der anderen Partei bei der Ausübung seines Ermessens zu berücksichtigen. Im Fall der Schauspielerin war dies das bei Vertragsschluss bekannte und durch die Kunstfreiheit geschützte Rollenprofil der Schauspielerin. In einer früheren Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf war dies die Glaubensfreiheit eines christlichen Orchestermusikers nach Art. 4 Grundgesetz, der die Mitwirkung in einer Inszenierung der Oper „Troubadour“ von Verdi mit Recht ablehnte, weil nach seiner Auffassung die Inszenierung Jesus Christus verhöhnte und schändete, indem Hostien und Messwein mit dem Sperma und Urin Christi gleichgesetzt wurden67. Wenig ergiebig für die Reichweite der künstlerischen Gestaltungsfreiheit (und damit auch für die Zulässigkeit ihrer Einschränkung) sind demgegenüber die Vorschriften des BGB über die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, weil es bei der Frage der künstlerischen Gestaltungsfreiheit um die Definition der vertraglichen Hauptleistungen der Parteien geht, die der AGB-Kontrolle entzogen ist (§ 307 Abs. 3 BGB).
65 BAG 13.6.2007, Az. 5 AZR 564/06, BeckRS 2007, 45576, Rn. 30. Auch eine Kontrolle nach § 308 Nr. 4 BGB kommt nicht in Betracht, weil die Norm nur Änderungen der Leistung des Verwenders der AGB, nicht jedoch der anderen Partei erfasst und weil es nicht um die Änderung, sondern um die Bestimmung der vertraglich geschuldeten Leistung gehe (BAG 13.6.2007, Az. 5 AZR 564/06, BeckRS 2007, 45576, Rn. 31). 66 LAG Berlin vom 19.5.2006, 6 Sa 118/06 Rn. 21 (zitiert nach Juris) mit Verweis auf BAG 24.8.1983, Az. 7 AZR 64/80, zu II 3 der Gründe. 67 LAG Düsseldorf, NZA 1993, 411 (412 f.).
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3.5 Kunstausstellungen In den bisher vorgestellten Entscheidungen ging es vor allem um die Reichweite der künstlerischen Gestaltungsfreiheit und ihre vertraglichen Grenzen, mithin um die Definition der vertraglich geschuldeten Leistung. Die Kunstfreiheit kann aber auch Bedeutung bei der Beendigung von Verträgen erlangen, wenn ein Festhalten an der vertraglichen Bindung in Widerspruch zur Kunstfreiheit einer Partei gerät. Dies war bereits in der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit der Befristung von Verträgen mit Schauspielern in „Daily Soaps“ angeklungen68. Noch deutlicher wird dies in verschiedenen Entscheidungen zur Beendigung kunstbezogener Vertragsverhältnisse. Im einem Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt zu entscheiden hatte69, hatten die Parteien im Jahr 1993 vereinbart, im Museum Fridericianum die „Zehn kleinsten Kunstwerke der documenta 9“ zu zeigen. Der Vertrag sah vor, dass der Kläger die Kunstwerke beschaffen und nach Kassel schaffen sollte, während das beklagte Fridericianum sich um Ausstellung, Katalog, Werbung und Versicherung bemühen sollte. Nachdem zwischenzeitlich im Jahr 1997 die documenta 10 stattgefunden hatte und der künstlerische Leiter des Fridericianums gewechselt hatte, lehnte das Museum die Durchführung der Ausstellung ab, weil aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr mit einem künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolg zu rechnen war. Das OLG Frankfurt gab dem Museum Recht. Es sah den Vertrag als eine Art Gesellschaft bürgerlichen Rechts (vgl. § 705 BGB) an und gestattete die Kündigung der Vereinbarung in entsprechender Anwendung des § 723 Abs. 1 BGB, weil dem Museum die Durchführung der Ausstellung nicht mehr zumutbar sei. Ein Faktor im Rahmen der Zumutbarkeitskontrolle war auch die Tatsache, dass inzwischen der künstlerische Leiter gewechselt hatte. In das künstlerische Konzept des neuen Leiters passte die Ausstellung nicht, und dem Museum war auch nicht zuzumuten, den neuen künstlerischen Leiter zur Durchführung der Ausstellung anzuweisen. Ebenso wie dem Dirigenten bei der Auswahl des Programms und der Durchsetzung seiner künstlerischen Konzeption gegenüber Orchester und Solisten und wie dem Theaterintendanten bei der Erstellung des Spielplans und der künstlerischen Konzeption des Theaters müsse dem künstlerischen Leiter des Museums ein künstlerischer Entfaltungsspielraum zugestanden werden70. Ein Eingriff in diese Freiheit zur Durchsetzung einer überholten Ausstellung sei nicht zumutbar. Diese Rechtsprechung darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass allein die Kunstfreiheit einem Vertragspartner gestattet, sich ohne Rücksicht auf die sonst geltenden
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BAG, NZA 2004, 2004, 311 (312 f.); dazu Joch/Klichwoski, NZA 2004, 302 (303). OLG Frankfurt, NZG 1999, 492. OLG Frankfurt, NZG 1999, 492 (493).
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Regeln von vertraglichen Bindungen zu lösen71. Sie gibt aber einen Hinweis darauf, dass bei der Konkretisierung auch der Vorschriften des zwingenden Rechts wie den Kündigungs- und Befristungsregeln der künstlerischen Gestaltungsfreiheit einer Partei Rechnung zu tragen ist. Die Wirkungen der Kunstfreiheit strahlen damit auch über das vertraglich abdingbare Recht auf die Auslegung der zwingenden Vorschriften des Vertragsrechts aus. So dürfte es aus Gründen der Kunstfreiheit unzulässig sein, an einem öffentlich auszustellenden Werk zensierende Eingriffe vorzunehmen72, sofern diese nicht durch überwiegende andere Interessen (Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter) gerechtfertigt sind.
3.6 Musikproduktion Eine interessante Entscheidung zu den Grenzen einer vertraglichen Beschränkung der Kunstfreiheit findet sich schließlich auf dem Feld der Musikproduktion. Der Sänger Xavier Naidoo hatte sich durch Vertrag mit einem Tonträgerunternehmen dazu verpflichtet, pro Vertragsjahr einen Langspieltonträger mit zehn bisher unveröffentlichten Aufnahmen zu produzieren. Die Letztentscheidungsbefugnis über die aufzunehmenden Titel, ihre Zahl, Produktionsort, -zeit, -dauer sowie Produktionsdetails, Inhalt, Gestaltung und Durchführung von Bildtonträgern sowie Zeitpunkt, Ort, Art, Dauer und Form der Veröffentlichung sollte beim Tonträgerunternehmen liegen. Der Vertrag war für ursprünglich ein Jahr geschlossen, allerdings wurde dem Tonträgerunternehmen eine Option auf viermalige Verlängerung um ein Jahr eingeräumt73. Nachdem sich die Aufnahmen als ungewöhnlich erfolgreich erwiesen, übte das Tonträgerunternehmen für das zweite und dritte Vertragsjahr die Verlängerungsoption aus. Im dritten Jahr kündigte der Sänger den Vertrag und arbeitete mit einem anderen Unternehmen zusammen, woraufhin ihn das Tonträgerunternehmen auf Auskunft und Schadensersatz für die anderweitigen Aufnahmen in Anspruch nahm. Die Klage wiesen die Gerichte in allen Instanzen ab74, das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde des Tonträgerunternehmens nicht zur Entscheidung an75. Die Gerichte sahen den Vertrag mit Billigung des Verfassungsgerichts76 als 71 Siehe auch BAG, AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 und BAG, AP Nr. 12 zu § 15 KSchG 1969 zum Kündigungsschutz von Musikern trotz künstlerischer Gestaltungsfreiheit des Dienstherrn; BAG, NJW 1985, 2158 (2159) zum Erfordernis der Abmahnung auch bei subjektiv-künstlerischer Schlechtleistung des Arbeitnehmers. 72 Andeutungsweise Ott, ZUM 1988, 452 (454). 73 BVerfG, GRUR 2005, 880 (880) – Xavier Naidoo. 74 OLG Karlsruhe, ZUM 2003, 785; siehe auch BGH, GRUR 1989, 198 – Künstlerverträge. 75 BVerfG, GRUR 2005, 880 – Xavier Naidoo. 76 BVerfG, GRUR 2005, 880 (882) – Xavier Naidoo.
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gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und nichtig an, weil er den Künstler weitgehend der Dispositions- und Entscheidungsbefugnis des Tonträgerunternehmens unterwarf. Dies führe im Zusammenhang mit den Vergütungs- und Laufzeitregelungen des Vertrages, die einerseits dem Tonträgerunternehmen eine rasche Beendigung bei Erfolglosigkeit ermöglichten, andererseits eine Ausdehnung der Laufzeit bei Erfolg weit über das übliche Maß gestatteten, zu einem auffälligen Missverhältnis zwischen Bindung und Erfolgsbeteiligung der Parteien. In dieser Entscheidung kommt die letztendliche Grenze der vertraglichen Einschränkung der Kunstfreiheit zum Ausdruck, nämlich die Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB, bei deren Einschätzung die Zivilgerichte die Ausstrahlung des Grundrechts der Kunstfreiheit berücksichtigen.
3.7 Sonderfall Architektur Etwas anders stellt sich die Rechtslage bei künstlerischen Leistungen von Architekten dar. Auf diesem Gebiet hat der Bundesgerichtshof trotz einer vertraglichen Vereinbarung, die dem Architekten die künstlerische Oberleitung des Baus übertrug, das Letztentscheidungsrecht für die vorher nicht abgestimmte Farbe des Außenanstrichs des Bauwerks dem Bauherrn übertragen77. Zur Begründung bezog sich der BGH erneut auf die Entscheidung zum Kapellenfenster, allerdings nicht zur Rechtfertigung einer mangels vertraglicher Vereinbarung unbegrenzten Gestaltungsfreiheit des Künstlers, sondern im Gegenteil zur Untermauerung des Rechtssatzes, dass der Künstler an Weisungen des Auftraggebers gebunden werden kann78. Obwohl im Unterschied zum Kapellenfenster-Fall im Architektenfall keine Vereinbarung zur Farbe des Außenanstrichs vorlag, wiesen die Richter die Letztentscheidungsbefugnis dem Bauherrn zu. Dieses Recht habe der Bauherr ohne vertragliche Regelung der Frage auch dann, wenn der Vertrag dem Architekten die künstlerische Oberleitung überträgt79. Ein Architekt, dem an künstlerischer Gestaltungsfreiheit liegt, muss sich diese daher entweder ausdrücklich im Vertrag zusichern lassen oder alle Einzelheiten seines Entwurfs vorher mit dem Bauherrn abstimmen. Über die Gründe der unterschiedlichen Behandlung von Malern, Bildhauern und Regisseuren einerseits und Architekten andererseits lässt sich nur spekulieren. Entscheidend war wohl, dass die Konsequenzen der Gestaltungsfreiheit bei Architekten deutlich weitgehender als bei den anderen Künstlern sind und dass die Architektur eine größere Nähe zum Bauhandwerk aufweist, so dass es nahe lag, ebenso wie beim Handwerk die Entscheidungsbefug77 78 79
BGH, NJW 1971, 556 (557). BGH, NJW 1971, 556 (567). BGH, NJW 1971, 556 (557).
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nis über die Werkausführung mangels vertraglicher Vereinbarung dem Auftraggeber zu überlassen.
4
Ergebnis
Die Untersuchung der Rechtsprechung hat ergeben, dass die Kunstfreiheit vor allem Bedeutung auf der Ebene des dispositiven Rechts hat: Sofern die Parteien den Inhalt der Leistung nicht vertraglich festgelegt haben, ist der künstlerische Gestaltungsspielraum eröffnet. Der Vertragspartner muss sich vorher mit dem Stil des Künstlers vertraut machen. Versäumt er dies, muss er grundsätzlich die Leistung des Künstlers abnehmen. Bei Fehlen einer ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung ergeben sich die Grenzen der künstlerischen Gestaltungsfreiheit nur durch die Vertragsauslegung nach § 133, 157 BGB, d.h. das Kunstwerk muss den vereinbarten Zweckgedanken (etwa Porträt) und die tragende Idee des Vertrages zum Ausdruck bringen80. Allerdings ist diese Kontrolle eher grobmaschig, so dass dem Auftraggeber eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung (oder gar ein Kauf nur bei Gefallen) anzuraten ist. Bei Arbeitsverträgen ergibt sich eine weitere Grenze durch die Billigkeit der Ermessensausübung, d.h. auch der künstlerische Arbeitgeber muss den schützenswerten Interessen seiner Arbeitnehmer (etwa der Glaubensfreiheit) bei der Ausübung seines Weisungsrechts Rechnung tragen. Haben die Parteien demgegenüber die Kunstfreiheit durch vertragliche Vereinbarung begrenzt, so ist dies für den Künstler verbindlich. Eine Kontrolle über das AGB-Recht kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil es sich gerade um die Definition der Hauptleistung handelt, die der AGB-Kontrolle entzogen ist. Der Schutz der Kunstfreiheit vor allzu weitgehenden vertraglichen Beschränkungen erfolgt lediglich durch die Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit und die Ausstrahlung der Kunstfreiheit auf Bedingungs- und Kündigungsvorschriften, d.h. die Kunstfreiheit kann dem Künstler eine erleichterte Lösung von allzu weitgehenden Beschränkungen gestatten, sofern zusätzliche Umstände hinzutreten.
80
BGH, NJW 1956, 627 (628) – Kapellenfenster.
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Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht Inga Samii 1 2 3 4 5 6 7 8
Einleitung Kultursponsoring Rechtsgrundlage Steuerliche Behandlung des Sponsors Steuerliche Behandlung des Gesponserten Vertragsgestaltung unter steuerlichen Gesichtspunkten Fazit Literaturverzeichnis
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Einleitung
Seit Mitte der 80er Jahre sinken die Ausgaben der öffentlichen Hand für den Kulturbereich. Kultureinrichtungen sind daher auf der einen Seite dazu gezwungen, das eigene Haus wirtschaftlicher zu führen und auf der anderen Seite dazu, verstärkt Gelder aus dem Privatbereich zu akquirieren. Hieraus entspringt seit Ende der 80er Jahre das Bedürfnis nach einer zunehmenden Professionalisierung des Kulturbereichs. Aus diesem Bedürfnis heraus hat sich seit 1987 in Deutschland der Studiengang Kulturmanagement an verschiedenen Hochschulen sowie an privaten Instituten entwickelt. Zu dem Bereich Kulturmanagement gehört auch das Sponsoringmanagement, das heute zu den typischen Managementaufgaben Kulturverantwortlicher gehört. Mittlerweile hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass ein Sponsorship in der Regel nur erfolgreich ist, wenn von beiden Seiten ein professionelles Sponsoringmanagement hinsichtlich Konzept, Akquisition, Verhandlungsführung und Vertragsgestaltung betrieben wird. Der vorliegende Beitrag richtet sein Augenmerk auf einen besonderen Punkt der Vertragsgestaltung: den der steuerlichen Optimierung für beide Seiten. Zwar hat sich in dem Maße, wie sich das Kulturmanagement insgesamt weiterentwickelt hat, auch das Sponsoringmanagement parallel mit dem Ergebnis weiterentwickelt, dass es sowohl in Fachbüchern, als auch im Internet diverse, sehr ausführliche Musterverträge zu dem Thema gibt – die traditionell gegenläufigen steuerlichen Interessen von Unternehmen und
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
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Kultureinrichtungen miteinander in Einklang zu bringen, ist bisher aber immer ein Problem geblieben. Zum einen liegt dies sicherlich daran, dass sich aufgrund der Vielzahl von Einzelfallentscheidungen bisher kein klares Bild ergab, unter welchen Vorraussetzungen dem Sponsor die Ausgabe als steuerlich günstige Betriebausgabe anerkannt wird bzw. die Einnahme dem steuerfreien Vermögensbetrieb des Gesponserten zuzuordnen ist. Zum anderen tragen die insgesamt lückenhaften und unbefriedigenden gesetzlichen Regelungen wenig zur Entwicklung dieses Bereiches bei. Zwar wurden z.B. auf der „Kultusministerkonferenz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen im Bereich des Kultursponsoring“ im November 20021 einige sinnvolle Vorschläge erarbeitet, die diesem Mangel Abhilfe schaffen sollen – die Umsetzung der Beschlüsse ist bislang jedoch nicht erfolgt. Deshalb unternimmt der vorliegende Beitrag den Versuch, klare Abgrenzungskriterien mit Fallgruppen zur steuerlichen Einordnung der einzelnen Maßnahmen aufzuzeigen und hieraus für den Sponsoringvertrag eine Art steuerliche „Idealklausel“ für beide Seiten zu entwickeln. Dies wird in der Zukunft hoffentlich dazu führen, dass die Rechtsunsicherheit insbesondere auf Seiten der Kultureinrichtung über die steuerliche Einordnung der Einnahme weitestgehend behoben wird und die steuerlichen Interessen durch eine klare vertragliche Regelegung für beide Seiten zufrieden stellend gestaltet werden kann.
2
Kultursponsoring
Vorab ist zu klären, was genau unter Kultursponsoring verstanden wird. Folgende Merkmale sind charakteristisch für das Sponsoring:
Sponsoring basiert auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Der Sponsor setzt seine Fördermittel (wie Geld, Sachleistungen, Dienstleistungen und Secondments) mit der Erwartung ein, vom Gesponserten eine Gegenleistung zu erhalten. Als Gegenleistung stellt der Gesponserte dem Sponsor den kommunikativen Nutzen der Kulturarbeit für Werbe-, Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen zur Verfügung. Sponsoring ist für Unternehmen ein Marketinginstrument, das innerhalb des Marketing-Mix eingesetzt wird. In der Regel wird über die Zusammenarbeit zwischen dem Sponsor und dem Gesponsertem eine vertragliche Vereinbarung geschlossen, die auf beiden Seiten zu steuerlichen Konsequenzen führen kann.
1 Stellungnahme der Kultusministerkonferenz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen im Bereich des Kultursponsoring vom 07.11.2002 unter www.kmk.org/doc/beschl/sponsor.pdf am 01.11.2007 um 11:32 Uhr
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Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
Im Jahre 2004 wurden 4 Mrd. € für Sponsoring durch Unternehmen insgesamt aufgewandt2. Davon entfallen 10 Prozent, also rund 400 Mill. €, auf die Kulturförderung3. Zum Vergleich: die Kulturausgaben des Bundes belaufen sich jährlich auf 8,2 Mrd. €4. Damit trägt der Staat zwar immer noch den Löwenanteil an der Kulturförderung. Die Unternehmen leisten als Kultursponsoren aber trotzdem einen wichtigen und nicht mehr wegzudenkenden Beitrag zur kulturellen Vielfalt in Deutschland.
3
Rechtsgrundlage
Die Rechtsgrundlage der steuerlichen Behandlung des Sponsorings bilden neben den einschlägigen gesetzlichen Regelungen insbesondere die beiden SponsoringErlasse des Bundesministeriums der Finanzen aus dem Jahre 19975 (sog. 1. Sponsoring-Erlass) und 19986 (sog. 2. Sponsoring-Erlass). Die beiden Erlasse wurden in der Finanzverwaltung von einer verwaltungsinternen Arbeitsgruppe von Bund und Ländern erarbeitet, um die schwierigen steuerlichen Abgrenzungsfragen im Rahmen des Sponsorings zu klären. Trotz dieser Bemühungen ist die Materie, wie bereits eingangs erwähnt, lückenhaft und insgesamt unbefriedigend geregelt, wodurch es häufig zu erheblichen Unsicherheiten auf beiden Seiten kommt.
4
Steuerliche Behandlung des Sponsors
Die zentrale Frage für den Sponsor lautet, unter welchen Voraussetzungen die Sponsoringaufwendung als Betriebsausgaben anerkannt wird und damit bei der Ermittlung der Einkommensteuer steuermindernd berücksichtigt werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage ist es wichtig, sich zunächst einen kurzen Überblick über die Grundzüge des Einkommensteuerrechts zu verschaffen.
2 Connemann, Gitta: Interview des Monats April 2007 „ Kultursponsoring: Ein Thema für den Deutschen Bundestag“, www.kulturmarken.de am 30.10.2007 um 10:41 Uhr. 3 Arbeitskreis Kultursponsoring im BDI, www.aks-online.org am 30.10.2007 um 11:03 Uhr. 4 Ebd. 5 BMF-Schreiben vom 09.07.1997. BStBl. I. 1997, S.726 – im Folgenden 1. Sponsoring-Erlass. 6 BMF-Schreiben vom 18.02.1998, BStBl. I 1998 S.212 – im Folgenden 2. Sponsoring-Erlass.
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
271
4.1 Grundzüge des Einkommensteuerrechts Gegenstand der Einkommenssteuer ist die Besteuerung des Einkommens einer natürlichen Person (§§ 1 I, 2 IV EStG). Man unterscheidet gem. § 2 EStG 7 verschiedene Einkommensarten:
Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft Einkünfte aus Gewerbebetrieb Einkünfte aus selbstständiger Arbeit Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit Einkünfte aus Kapitalvermögen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung Sonstige Einkünfte.
Abbildung 1:
Ertragssteuerliche Behandlung von Sponsoringaufwendungen beim Sponsor nach dem Einkommenssteuerrecht
Ertragssteuerliche Behandlung von Sponsoringaufwendungen beim Sponsor nach dem Einkommenssteuerrecht Gegenstand der Besteuerung
Sphäre der Einkünfteerzielung (Erwerbsbereich)
Sphäre der Einkünfteverwendung (Privatbereich)
Grundsatz
Erwerbsaufwendungen sind grundsätzlich abzugsfähig
Privataufwendungen sind grundsätzlich nicht abzugsfähig
Behandlung der Leistungen (Aufwendungen) des Sponsors
Betriebsausgaben gem. § 4 IV EStG
Ausnahme: Spenden gem. § 10b I EStG
Kosten der privaten Lebensführung § 12 EStG
Steuerliche Konsequenz
Unbegrenzt abzugsfähig
Begrenzt abzugsfähig
Nicht abzugsfähig
Zieht man von dieser Summe der Einkünfte die entsprechenden Ausgaben ab, erhält man den Gesamtbetrag der Einkünfte (GdE). Zu diesen Ausgaben gehören insbesondere die Betriebsausgaben, d.h. die Kosten, die im Zusammenhang mit dem Betrieb angefallen sind. Solche Kosten sind gem. § 4 IV EStG in voller Höhe abzugsfähig und mindern damit das zu versteuernde Einkommen. Diesen Bereich bezeichnet man als Sphäre der Einkünfteerzielung (Erwerbsbereich). Davon zu unterscheiden ist die Sphäre der Einkünfteverwendung (Privatbereich). Dazu gehören Ausgaben, die nicht beruflich bedingt sind, sondern allein dem „privaten Vergnügen“ dienen (z.B. Kinobesuch, essen gehen, Kosten
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Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
für den Fußballverein). Die Kosten der privaten Lebensführung sind gem. § 12 EStG grundsätzlich nicht abzugsfähig. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bilden alle in den §§ 10 – 10c EStG aufgezählten Sonderausgaben. Hier ist insbesondere der § 10 b I EStG interessant, der zu den Sonderausgaben auch Spenden, z.B. für Kulturprojekte, zählt.
4.2 Abgrenzung Betriebsausgabe und Spende Leistungen des Sponsors sind gem. § 4 IV EStG Betriebsausgaben, wenn sie betrieblich veranlasst sind. Betrieblich veranlasst sind alle Aufwendungen, die in einem tatsächlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Betrieb stehen.7 Davon ist immer dann auszugehen, wenn der Sponsor die Leistung erbringt, um eine für seinen Betrieb wirtschaftlich vorteilhafte Gegenleistung zu bekommen.8 Im Rahmen des Sponsoring wird dem Sponsor für seine Leistung in der Regel als Gegenleistung die Möglichkeit eingeräumt, das Sponsoringengagement als Marketing- und Kommunikationsinstrument für seinen Betrieb einzusetzen. Folglich sind Sponsoringaufwendungen in der Regel für den Sponsor Betriebsausgaben. Im Unterschied dazu erhält das Unternehmen bei einer Spende i.S.d. § 10b I EStG keine Gegenleistung. Hier steht vielmehr die uneigennützige Förderung mildtätiger, wissenschaftlicher oder sonstiger besonders förderungswürdiger gemeinnütziger Zwecke, wie z.B. die Förderung von Kunst und Kultur9, im Vordergrund. Bei der Spende geht es also um echtes Mäzenatentum und nicht um eine Art von Imagepflege oder um die Werbung für Dienstleistungen, Produkte oder Marken im weitesten Sinne.10 Sowohl Spenden als auch Betriebsausgaben sind demnach steuerlich abzugsfähig. Dennoch schätzt der Unternehmer den Abzug als Betriebsausgaben aus folgenden Gründen mehr als den Spendenabzug:
Betriebsausgaben sind unbegrenzt abziehbar, Spenden stoßen dagegen schnell an die Obergrenze des § 10 b I EStG (gem. § 10 b I S.1 und 2. EStG beträgt der Höchstbetrag maximal 10 Prozent des Gesamtbetrages der Ein-
7 Voraussetzung dafür ist, dass objektiv ein Zusammenhang mit dem Betrieb besteht und subjektiv die Aufwendungen zur Förderung des Betriebes gemacht wurden. Boochs 1998: 10626. 8 Haunert/Lang 2001:890. 9 Gem. § 10b EStG sind Spenden Aufwendungen, die „zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke freiwillig oder aufgrund einer freiwillig eingegangenen Rechtspflicht erbracht werden, kein Entgelt für eine bestimmte Leistung des Empfängers sind und in keinem tatsächlichen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dessen Leistung stehen“. 2. Sponsoring-Erlass, Rn.7. 10 Rundshagen 2000: 5.
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
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künfte des Steuerpflichtigen. Besondere Beachtung verdient die Großspendenregelung: eine Einzelspende von mehr als 25.565,- € – die den abzugsfähigen Höchstbetrag von 10 Prozent des Gesamtbetrages der Einkünfte überschreitet – kann gem. § 10 b I S.4 EStG in das Vorjahr zurückgetragen und in die folgenden fünf Jahre vorgetragen werden).11 Bei Betriebsausgaben wird kein gemeinnützig anerkannter Spendenempfänger gefordert, so dass auch natürliche Personen über Betriebsausgaben unmittelbar gefördert werden können. 12 Das Verfahren beim Betriebsausgabenabzug ist einfacher als bei den Spenden, deren Abzug nur über eine Spendenbescheinigung möglich ist.13 Für Betriebsausgaben steht auch der Marketing- und nicht nur der Spendenetat zur Verfügung.
4.3 Berücksichtigung als Betriebsausgabe Der Sponsor kann seine Aufwendungen nur dann als Betriebsausgaben absetzen, wenn er für seine Leistungen eine für seinen Betrieb wirtschaftlich vorteilhafte Gegenleistung erhält. Zu der Frage wie diese Gegenleistung nach Art und Umfang beschaffen sein müsste, änderte die Finanzverwaltung im Laufe der Zeit ihre Meinung immer weiter zu Gunsten des Sponsors. Früher wurden die Leistungen des Sponsors nur unter sehr engen Bedingungen als Betriebsausgaben anerkannt. Voraussetzung dafür war, dass die Kulturveranstaltung in eine betriebliche Werbeaktion in der Weise eingebunden wurde, dass sie, „mehr oder weniger nur das Beiprogramm“ der betrieblichen Werbeaktion bildete oder „thematisch auf den Unternehmensgegenstand oder konkrete Unternehmensprodukte ...“14 Bezug nahm. Es liegt auf der Hand, dass unter diesen Voraussetzungen renommierte Museen, Theater und Opernhäuser die von der Finanzverwaltung entwickelten Kriterien für die Anerkennung als Betriebsausgabe nicht erfüllen konnten oder wollten. Denn welche Kunstausstellung oder Theaterinszenierung will schon „mehr oder weniger nur Beiprogramm einer betrieblichen Werbeaktion“ sein. 199715 wurden diese Voraussetzungen dann aufgrund massiver Kritik zugunsten des Sponsors spürbar vereinfacht und modifiziert.16 Seitdem reicht es 11
Rundshagen 2000: 9. Boochs 2000: 185. Ebd. 14 OFD Düsseldorf vom 09.12.1992, S.2145 A-St11 H. 15 1. Sponsoring-Erlass. 16 Brackert/Litzel, in: Stiftung & Sponsoring, 3/2001, S.27. 12 13
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Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
aus, dass „der Sponsor wirtschaftliche Vorteile, die insbesondere in der Sicherung und Erhöhung seines unternehmerischen Ansehens liegen können, für sein Unternehmen erstrebt oder für Produkte seines Unternehmens werben will“.17 Hierzu gehören z.B. Maßnahmen, die der Imagewerbung des Sponsors dienen. Damit ist praktisch jede Gegenleistung des Gesponserten, die eine werbliche Wirkung für den Sponsor entfalten kann, grundsätzlich ausreichend, um die Aufwendung als Betriebsausgabe absetzen zu können.18 Darüber hinaus reicht es für die Anerkennung der Leistungen als Betriebsausgabe auch aus, dass der Sponsor anstrebt, dass über das Kulturengagement in den Medien berichtet wird19.
4.4 Berücksichtigung als Spende Für die Einordnung einer Leistung als Spende ist entscheidend, dass keinerlei Gegenleistung vom Gesponserten erbracht wird. Sie muss uneigennützig geleistet werden und darf sich nicht in einem wie auch immer gearteten wirtschaftlichen Vorteil für den Sponsor niederschlagen.20 Von der Finanzverwaltung wird als einzige „ unschädliche Gegenleistung“ des Gesponserten ein schlichter Hinweis auf die Person des Sponsors akzeptiert.21 Dieser kann im Rahmen der öffentlichen Danksagung22 oder z.B. durch ein kleines Hinweisschild auf der Rückseite eines Kunstwerkes23, erfolgen. Allerdings sollte der Art und Form des Hinweises immer große Beachtung geschenkt werden; denn tritt der Hinweis zu stark in den Vordergrund und ist z.B. prägend bei einer Presseveröffentlichung, kann es sein, dass die Aufwendung nicht als Spende, sondern als Betriebsausgabe eingeordnet wird.24 17
1. Sponsoring-Erlass, Rn.3. Die bloße Namensnennung des Sponsors ist jedoch auch nach dem 2. Sponsoring-Erlass keine ausreichende Gegenleistung. Erforderlich ist immer noch ein zusätzlicher Werbeeffekt durch ein Emblem, Logo, drucktechnische Hervorhebung des Namens oder eine Einzelbenennung des Sponsors. 19 1. Sponsoring-Erlass, Rn.3. Der Sponsor kann die Berichterstattung jedoch immer nur anstreben, da Abreden mit den Medien über Sponsorenwerbung in deren redaktionellem Teil zumeist gegen medienrechtliche Bestimmungen verstoßen und wettbewerbswidrig sind. Ob die angestrebte Berichterstattung dann auch tatsächlich erfolgt, ist daher unerheblich. Weiand 1999: 71. 20 Blümich: Kommentar EStG, KStG, GewStG, Band 2, München 2000, § 10b EStG, Rn. 18. 21 Hüttemann, in: Die Roten Seiten zum Magazin Stiftung & Sponsoring. Heft 1/2001: S. 3; Rundshagen 2000: 5. 22 Haibach 2001: 71. 23 So hat der BFH entschieden, dass Aufwendungen eines Kreditinstitutes zum Erwerb einer Plastik, die auf dem öffentlichen Marktplatz aufgestellt wurde und auf deren Rückseite ein Hinweisschild „Gestiftet von der Sparkasse“ angebracht war, als Spende einzuordnen sind. BFH-Urteil vom 09.08. 1989, BStBl. II 1990, S. 237. 24 Rundshagen 2000: 5. 18
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
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4.5 Nichtabzugsfähige Kosten der privaten Lebensführung Die Gefahr, dass die Leistungen lediglich als private „Liebhaberei“ und damit als Kosten der privaten Lebensführung (§ 12 Nr.1 S.2 EStG) angesehen werden, besteht immer dann, wenn das Sponsoringprojekt eng mit der privaten Lebensführung z.B. des Inhabers oder Geschäftsführers des sponsernden Unternehmens verbunden ist25. Am Beispiel: So wurden z.B. Aufwendungen, die Mitglieder eines Architekten- und Ingenieurbüros für eine in den Betriebsräumen veranstalteten Kunstausstellung erbrachten, als Kosten der privaten Lebensführung eingestuft.26
Problematisch sind in diesem Zusammenhang insbesondere Konzerte oder Ausstellungen, die im Zusammenhang mit privaten Anlässen, wie z.B. Jubiläen oder Geburtstagen durchgeführt werden27. Abbildung 2 stellt noch einmal die wesentlichen Kriterien für die Abgrenzung der Leistungen des Sponsors als Betriebsausgaben, Spenden und Kosten der privaten Lebensführung anhand von Beispielen zusammen. Abbildung 2:
Einordnung von Leistungen des Sponsors als Betriebsausgaben, Spenden und Kosten der privaten Lebensführung
Betriebsausgaben sind unbegrenzt abzugsfähig
Der Sponsor erhält eine Gegenleistung für seine Leistung.
Gegenleistungen des Sponsors, die jede für sich allein ausreicht, die Leistung des Sponsors als Betriebsausgabe anzuerkennen
Gesponserter weist selbst z.B. auf Plakaten, Veranstaltungshinweisen, in Ausstellungskatalogen, auf Fahrzeugen oder anderen Gegenständen auf den Sponsor hin. Gesponserter erlaubt Sponsor öffentlichkeitswirksam auf seine Leistung aufmerksam zu machen, indem dieser z.B. den Namen oder das Logo des Gesponserten für Werbe- und Kommunikationsmaßnahmen verwendet. Kulturengagement ist in die Öffentlichkeitsarbeit des Sponsors eingebunden. Der Sponsor ist selbst an Aktionen gegenüber der Presse beteiligt und gibt eigene Erklärungen ab, d.h. er sitzt bei Pressekonferenzen selbst mit auf dem Podium, ergreift selbst das Wort und weist auf sein Unternehmen oder seine Produkte hin.
25 26 27
Haunert/Lang 2001: 890 f. FG Bremen-Urteil vom 16.10.1987 (EFG 1988, S.107). Boochs 2000: 198.
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Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
Spenden sind nur begrenzt abzugsfähig
Der Sponsor erhält grundsätzlich keine Gegenleistung für seine Leistung
Erlaubte „Gegenleistungen“ (die keine im Sinne der Betriebsausgabe sind) und der Leistung nicht den Spendencharakter nehmen
Ein schlichter Hinweis auf die Person des Sponsors wie „gespendet von“ oder „mit Unterstützung von“ auf z.B. einem kleinen Schild auf der Rückseite eines Kunstwerkes Öffentlichkeitswirksame Übergabe eines Schecks. Hinweis im Rahmen der öffentlichen Danksagung, wie z.B. bei der Ausstellungseröffnung.
Kosten, die in den Privatbereich des Unternehmers fallen. Kosten der privaten Lebensführung sind nicht abzugsfähig Fallgruppen
Aufwendungen für eine in den Unternehmensräumen veranstaltete Kunstausstellung. Konzerte oder Ausstellungen, die im Zusammenhang mit privaten Anlässen, wie z.B. Jubiläen oder Geburtstagen durchgeführt werden.
5
Steuerliche Behandlung des Gesponserten
Die entscheidende Frage für die Kultureinrichtung ist, inwieweit die Spon-soringeinnahmen
in der steuerfreien Vermögensverwaltung und nicht in dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb
zu veranschlagen sind und sie daher dem steuerbegünstigten Zweck ohne Abzüge zuführt werden können.
5.1 Steuerbegünstigungen für gemeinnützige Körperschaften Kennzeichnend für das Gemeinnützigkeitsrecht sind die für gemeinnützige Körperschaften geltenden Steuerbefreiungen bzw. -ermäßigungen. Ihnen liegt folgender Gedanke zugrunde: Die Steuern, die zugunsten des Staates erhoben werden, sollen diesen in die Lage versetzen, Gemeinwohlaufgaben zu erfüllen. Soweit ihm diese Aufgabe durch private Körperschaften abgenommen wird, ist es gerechtfertigt, auf Steuern ganz oder teilweise zu verzichten. Dies geschieht auf der einen Seite dadurch, dass die Körperschaft selbst von der Steuer befreit bzw. zumindest steuerlich begünstigt wird, und zum anderen dadurch, dass Spenden
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
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von Dritten an die Körperschaft von diesem steuermindernd geltend gemacht werden können28.
5.2 Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit Die Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit sind in der Abgabenordung geregelt (§§ 51 ff. AO). Es wird zwischen drei Arten von steuerbegünstigenden Zwecken unterschieden: gemeinnützige Zwecke (§ 52 AO), mildtätige Zwecke (§ 53 AO) und kirchliche Zwecke (§54 AO). Umgangssprachlich werden jedoch meist alle drei Arten als „gemeinnützige Zwecke“ bezeichnet.29
Gem. § 52 I AO verfolgt „eine Körperschaft ... gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit“ (nach Satzung und tatsächlicher Geschäftsführung) „darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“. Im Abschnitt 2 dieses Paragraphen sind die wichtigsten Zwecke, die als gemeinnützig anerkannt werden, aufgeführt; unter anderem auch „die Förderung von ... Kunst und Kultur“.
Die Anerkennung erfolgt durch eine Bescheinigung des zuständigen Finanzamts. Voraussetzung dafür ist, dass die Tätigkeit der Kultureinrichtung einer der drei oben aufgeführten steuerbegünstigenden Zwecke zugeordnet werden kann, und zwar ausschließlich (im Satzungszweck darf kein nichtbegünstigender Zweck mit angegeben sein, § 56 AO), unmittelbar (Verwirklichung durch die Organisation selbst, § 57 AO) und selbstlos (nicht in erster Line eigenwirtschaftlichen Zwecken dienend, § 55 AO).30. Grundsätzlich werden nur Körperschaften (in der Regel Vereine, GmbHs, Stiftungen) als steuerbegünstigt anerkannt.
5.3 Reichweite der Steuerbegünstigungen gemeinnütziger Körperschaften Die Besteuerung der Sponsorengelder hängt davon ab, welchem Tätigkeitsbereich der gemeinnützigen Körperschaft sie zugeordnet werden.31 Das Körperschaftssteuerrecht differenziert bei gemeinnützigen Einrichtungen insoweit zwischen vier Tätigkeitsbereichen: dem ideellen Bereich, dem der Vermögensver28
Funnemann 2001: 1095. Funnemann 2001: 1095. 30 Funnemann 2001: 1096ff. – hier werden die einzelnen Merkmale ausführlich besprochen. 31 Rückert 1999: 158. 29
278
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
waltung sowie dem der wirtschaftlichen Betätigung, bei dem ein steuerbegünstigter (Zweckbetrieb) und ein nicht steuerbegünstigter Bereich unterschieden werden. Die Steuerbefreiungen erfolgen grundsätzlich nur bei Tätigkeiten im ideellen Bereich, bei der Vermögensverwaltung und dem sog. Zweckbetrieb. Eine partielle Steuerpflicht entsteht dagegen bei wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, sowie die Freigrenze von 30.678 € 32 im Jahr überschritten wird. Abbildung 3 gibt einen Überblick über die vier Tätigkeitsbereiche. Ob die Einnahmen, die die Kultureinrichtung im Rahmen einer Sponsoringpartnerschaft erhält, zu versteuern sind, hängt im Wesentlichen davon ab, ob sie im Gegenzug eine aktive oder passive Gegenleistung an den Sponsor erbringt.33 Als Grundsatz gilt hier folgende Abgrenzungsformel:34 Wenn die Gegenleistung des Gesponserten passiv ist, er also nur die Sponsoring- oder Werbemaßnahmen des Sponsors gestattet bzw. duldet, sind die Einnahmen dem steuerfreien ideellen Bereich, der Vermögensverwaltung oder dem Zweckbetrieb zuzuordnen. Jede darüber hinausgehende aktive Mitwirkung an den Sponsoringoder Werbemaßnahmen des Sponsors wird dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zugerechnet und begründet damit auf Seiten des Gesponserten gem. § 64 Abs. 3 AO zu versteuernde Einnahmen, sowie diese die Freigrenze von 30.678 € (Einnahmen inkl. MwSt) im Jahr übersteigen.
32 Dezember 2006: Finanzminister Peer Steinbrück erwägt diese Freigrenze auf 35.000,- € zu erhöhen. HAZ, 05.12.06. 33 Boochs 2000: 210. Der 2. Sponsoring-Erlass, Rn.9 führt dazu Folgendes aus: „Kein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb liegt vor, wenn die steuerbegünstigte Körperschaft dem Sponsor die Nutzung ihres Namens zu Werbezwecken in der Weise gestattet, dass der Sponsor selbst zu Werbezwecken oder zur Imagepflege auf seine Leistungen an die Körperschaft hinweist. Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb liegt dagegen vor, wenn die Körperschaft an den Werbemaßnahmen mitwirkt.“ 34 Boochs 2000: 210; Brackert/Litzel, in: Stiftung & Sponsoring, 3/2001, S.28; Kiefer; in: Stiftung & Sponsoring, 6/2001, S.11.
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht Abbildung 3:
279
Tätigkeitsbereiche gemeinnütziger Körperschaften angelehnt an Ax35
Tätigkeitsbereich
Ideeller Bereich
Vermögensverwaltung
Definition
Tätigkeiten, mit denen ausschließlich und unmittelbar die Verwirklichung des gemeinnützigen Zweckes (Förderung von Kunst und Kultur) verfolgt wird.
Eine Vermögensverwaltung liegt in der Regel vor, wenn vorhandenes Vermögen (passiv) genutzt wird – i.S. einer Fruchtziehung aus zu erhaltendem Vermögen.
Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb: Jede (aktive) nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden und die über den Rahmen der Vermögensverwaltung hinausgehen.
Einnahmen (klassische Beispiele)
Mitgliedsbeiträge, Aufnahmegebühren, Spenden, Schenkungen, öffentliche Zuschüsse, Erbschaften
Einkünfte aus Kapitalvermögen (z.B. Zinsen aus Bankvermögen), langfristige Vermietung und Verpachtung von z.B. Räumlichkeiten, Grundstücken oder Werbe- und Marketingrechten
Einnahmen aus Warenverkäufen (Merchandising Produkte, wie z.B. Cds, T-Shirt etc.), der Verkauf von Speisen/Getränken bei Veranstaltungen, der Anzeigenverkauf und die kurzfristige Vermietung von z.B. Räumlichkeiten
Einnahmen von Museen, Theater und kultureller Veranstaltungen durch Führungen und Vorträge, sowie durch den Verkauf von Eintrittskarten, Katalogen und Programmheften
Steuerliche Konsequenzen
Die Einnahmen bleiben steuerfrei
Die Einnahmen bleiben steuerfrei
Die Einnahmen sind partiell zu versteuern
Die Einnahmen bleiben steuerfrei
35
Wirtschaftliche Betätigung Ausnahme:
36 Zweckbetrieb: Wenn die gemeinnützigen Zwecke nur durch den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb verwirklicht werden können (dies gilt gem. § 68 Nr.7 AO insbesondere bei Konzerten und Kunstausstellungen durch z.B. Museen, Theater und kulturelle Veranstaltungen).
Ax/Große/Melchior 2001: 85ff. gem. § 65 AO wenn „ ... der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die gemeinnützigen Zwecke zu verwirklichen, diese Zwecke nur mit seiner Hilfe zu erfüllen sind und er mit anderen wirtschaftlichen Betrieben nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt.“ 36
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Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
Abbildung 4:
Beispielsrechnung für Besteuerungsfreigrenze
Beispielsrechnung für die Besteuerungsfreigrenze ( 64 Abs. 3 AO) Förderverein des Kunstmuseums Klacks e.V. hat folgende Einnahmen: Mitgliedsbeiträge
2.000 €
Spenden
5.000 €
Öffentlicher Zuschuss
500 €
Zinsen Sparbuch
200 €
Verkauf von Eintrittskarten
3.000 €
Verkauf von Ausstellungskatalogen
1.000 €
Kunstfest
1.500 €
Ideeller Bereich
Vermögensverwaltung Zweckbetrieb
Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb
Vereinsgaststätte
20.000 €
Gesamteinnahmen
33.200 €
Davon Einnahmen steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb 21.500. Damit ist Besteuerfreigrenze von 30.678 € nicht überschritten → KSt, GewST = 0 €, aber 16 v.H. USt.
Oft ist jedoch unklar, wo genau die Grenze zwischen einer passiven Gegenleistung – in Form eines dankbaren Hinweises auf dem Sponsor – und der aktiven Mitwirkung an dessen Sponsoring- und Werbemaßnahen liegt. Die Rechtsprechung ist hier in vielen Fällen uneinheitlich, so dass es schwer fällt, eine klare, für jeden nachvollziehbare Einteilung zwischen zu versteuernden und nicht zu versteuernden Tätigkeiten zu ziehen. Trotzdem soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, anhand verschiedener Beispiele Fallgruppen zu bilden, die den einzelnen Tätigkeitsbereichen zugeordnet werden können. Abbildung 5:
Besteuerung der gemeinnützigen Körperschaft nach Boochs37
Steuerpflichtig
37
Steuerfrei
wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb
ideeller Bereich, Vermögensverwaltung oder Zweckbetrieb
Aktive Teilnahme an Sponsoringund Werbemaßnahmen
Passive Duldung bzw. Gestattung von Sponsoring- und Werbemaßnahmen
Boochs 2000: 215.
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
281
5.3.1 Steuerfreier ideeller Bereich Der ideelle Bereich ist der originäre Bereich zur Verfolgung der gemeinnützigen Zwecke. Diesem Tätigkeitsbereich werden alle Einnahmen zugeordnet, die ausschließlich und unmittelbar zur Förderung von Kunst und Kultur an die Kultureinrichtung fließen. Hierzu gehören z.B. Mitgliedsbeiträge, Spenden, Schenkungen und öffentliche Zuschüsse. Soweit die Kultureinrichtung jedoch in Verbindung mit der Zuwendung eine Gegenleistung – z.B. dadurch, dass sie Werbung im weitesten Sinne zulässt, unterstützt oder gewährt – ist der steuerfreie ideelle Bereich verlassen. Sponsoringeinnahmen fließen daher grundsätzlich nicht dem ideellen Bereich zu.38 5.3.2 Steuerfreie Vermögensverwaltung Eine Vermögensverwaltung liegt in der Regel dann vor, wenn bereits vorhandenes Vermögen lediglich genutzt wird. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass Kapitalvermögen verzinslich angelegt oder unbewegliches Vermögen, wie z.B. ein Grundstück oder Haus, vermietet oder verpachtet wird. Zu den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung gehören auch die Einkünfte aus der zeitlich begrenzten Einräumung von Rechten, die insbesondere im Rahmen des Sponsoring eine große Rolle spielen: In der Regel gestattet oder duldet nämlich der Gesponserte dem Sponsor als Gegenleistung, dass dieser den Namen des Gesponserten zu Werbezwecken nutzt (Recht zur Namensnutzung). Der Gesponserte duldet oder gestattet hier die Namensnutzung lediglich passiv – allein der Sponsor wird aktiv. Die Gestattungs- und Duldungsfälle gehören damit zu den klassischen passiven Gegenleistungen. Nicht mehr zu den passiven Gegenleistungen, aber noch zu den unschädlichen Mitwirkungshandlungen des Gesponserten, gehört darüber hinaus die schlichte Danksagung an den Sponsor für dessen Unterstützung. Eine solche Danksagung kann in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichem Umfang geschehen. Welche Tätigkeiten dieser Fallgruppe zugerechnet werden bzw. wo die Grenze zur aktiven Mitwirkungshandlung liegt, wird durch die in Abbildung 6 aufgeführten Beispiele deutlich.
38
Brackert/Litzel, in: Stiftung & Sponsoring, Heft 3/2001, S.27.
282 Abbildung 6:
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht Fallgruppen der steuerfreien Vermögensverwaltung
Fallgruppen innerhalb der steuerfreien Vermögendverwaltung Danksagung Duldungs- oder Gestattungsfälle Der Gesponserte Der Gesponserte bedankt sich beim Bedankt sich die Kultureinrichtung in gestattet bzw. duldet, Sponsor für dessen Unterstützung im Druckerzeugnissen beim Sponsor (z.B. dass der Sponsor den Rahmen einer Pressekonferenz, Eröffauf Plakaten, Veranstaltungshinweisen, Namen des Gespon- nungsveranstaltung, im Internet oder Eintrittskarten, in Ausstellungskatalogen serten zu Werbedadurch, dass er einzelne Ausstellungs- oder Programmheften), so muss dies zwecken nutzt. räume nach dem Sponsor benennt. „ohne besondere Hervorhebung“ erfolgen. Dies ist z.B. dann der Fall wenn: • Der Gesponserte druckt in der un• Bei der Ausstellungseröffnung Der Gesponserte teren Zeile seines Plakates die Naspricht der Gesponserte dem Sponräumt dem Sponsor sor seinen Dank aus und gibt ihm die men der Sponsoren mit Logo ab.44 das Recht ein, seinen Druckt der Gesponserte dagegen den Gelegenheit, die anwesenden Gäste zu Namen/ Logo/EmNamen des Sponsors größer als z.B. begrüßen und sich und sein Unternehblem für seine men vorzustellen.39 Die Veranstaltung den Veranstaltungshinweis, ist die Presse- und Öffent40 wird im Fernsehen übertragen. . Grenze zur aktiven Mitwirkung an lichkeitsarbeit sowie Werbemaßnahmen des Sponsors überzu Marketing- und • Der Gesponserte präsentiert sich im schritten.45 Werbezwecken zu Internet und spricht dem Sponsor dort verwenden unter Abbildung des Logos seinen • In einem Ausstellungskatalog werden auf einer Seite unter der ÜberDank aus.41 Kann dagegen auf der (Recht zur NaWebseite des Gesponserten durch eischrift „Wir bedanken uns bei unseren mensnutzung) Sponsoren“ die Namen der Sponsonen Link auf die Webseite des Sponren mit Logo abgedruckt.46 sors umgeschaltet werden, liegt eine aktive Mitwirkung vor, die zur Annah- • Auf Eintrittskarten/Plakaten/Prome eines steuerpflichtigen wirtschaftligrammheften wird der Name des chen Geschäftsbetriebs führt.42. Sponsors mit Adresse und Telefon• Der Gesponserte bringt das Logo des nummer abgeduckt.47 Wird dagegen Sponsors mit einem Dankeshinweis ein konkretes Produkt des Sponsors abgedruckt, z.B. das neueste Auto eines an der Verkaufs- und Abendkasse an. Automobilherstellers, ist dies eine aktive Mitwirkung an einer Werbemaßnah• Der Gesponserte – in diesem Fall ein me des Sponsors und fällt in die Sphäre Museum – benennt einzelne Ausstel43 des wirtschaftlichen Geschäftsbetrielungsräume nach dem Sponsor. bes.48 Dasselbe gilt dann, wenn z.B. in einer Anzeige des Sponsors auf dessen Produkte hingewiesen wird.49 39
Boochs 2000: 211. Die Breitenwirkung von Funk und Fernsehen führt nicht dazu, dass der Hinweis grundsätzlich als Hervorgehoben angesehen werden müsste. 41 Finanzministerium Bayern, Erlass: 11.2.2000 – 33 – s0183 – 12/14 59 238. 42 Brackert/Litzel, In: Stiftung & Sponsoring, Heft 3/2001, S.28. 43 Finanzministerium Bayern, Erlass: 11.2.2000 – 33 – s0183 – 12/14 59 238. 44 Boochs 2000: 211. 45 Boochs 2000: 212. 46 Boochs 2000: 211. 47 Ebd. 48 Brackert/Litzel, in: Stiftung & Sponsoring, Heft 3/2001, S.28. 49 Boochs 2000: 212. 40
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
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5.3.3 Steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb Überschreiten die eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten der Kultureinrichtungen den ideellen Bereich und sind diese mehr als bloße Fruchtziehung aus bereits vorhandenem Vermögen (Vermögensverwaltung), lässt sich die steuerliche Begünstigung der gemeinnützigen Körperschaft nicht mehr rechtfertigen. Am Beispiel: Verkauft also z.B. ein Museum in seinem Museumscafé Speisen und Getränke, im Museumsshop Merchandising Produkte, wie Poster, Bücher, CDs, TShirts, schaltet Anzeigen von Sponsoren in Ausstellungskatalogen oder vermietet die Räumlichkeiten des Museums für beispielsweise Hochzeiten, nimmt es am wirtschaftlichen Verkehr auf einem Gebiet teil, auf dem jeder andere Gewerbetreibende ohne die Gewährung von Steuervergünstigungen auch teilnehmen könnte und tritt zu diesem damit in Wettbewerb.
Würde man auch diese wirtschaftlichen Aktivitäten der Kultureinrichtung steuerlich begünstigen, hätte das Museum gegenüber anderen Cafés, Buchhandlungen (insbesondere diejenigen, die sich auf Kunst und Kulturbücher spezialisiert haben), Zeitschriften/Zeitungen/Magazinen (die auch im Anzeigen- und Inseratsgeschäft tätig sind), Werbeagenturen oder Gastronomen einen entscheidenden Vorteil: es könnte seine Leistungen aufgrund der Steuerbegünstigung im Vergleich zu den gewerblichen Anbietern günstiger anbieten. Das würde aber dem Prinzip der wettbewerbsneutralen Besteuerung widersprechen. Deshalb sind die gemeinnützigen Körperschaften insoweit den erwerbswirtschaftlichen Körperschaften gleichzustellen und alle Einkünfte aus diesem Tätigkeitsbereich zu versteuern. Verpflichtet sich der Gesponserte daher gegenüber dem Sponsor als Gegenleistung zu einer Tätigkeit, mit der er in Konkurrenz zu anderen Anbietern gewerblicher Leistungen tritt, muss er die Zuwendungen des Sponsors versteuern.50 Darüber hinaus begründet der Gesponserte – in Abgrenzung zur steuerfreien Vermögensverwaltung (passive Gegenleistung) – immer dann einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, wenn er selbst aktiv an Sponsoring- und Werbemaßnahmen des Sponsors mitwirkt (aktive Gegenleistung). Einen abschließenden Überblick über die Fallgruppen des steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes gibt Abbildung 7.
50
Wörle 2000: 4; § 65 AO ist eine drittschützende Norm. Ein Wettbewerber wie z.B. ein steuerlich gewerblicher Werbeanbieter kann daraus im Wege der Konkurrentenklage einen Anspruch gegenüber dem zuständigen Finanzamt herleiten, den Gesponserten hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes zu besteuern. Krome 1999: 2032.
284 Abbildung 7:
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht Fallgruppen des steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes
Fallgruppen innerhalb des steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes Gesponserter tritt (durch die Erbringung der GegenleisAktive Mitwirkung an Sponsoring- und tung) in Konkurrenz zu anderen gewerblichen Anbietern Werbemaßnahmen des Sponsors (aktive Gegenleistung) • Der Verkauf von Speisen und Getränken51 • Die Vermietung von Räumlichkeiten und Anlagen, die sich im Besitz der Kultureinrichtung befinden (aber nur häufige, kurzzeitige Vermietung von Räumlichkeiten für z.B. einen Abend. Bei der langfristigen Vermietung von Räumlichkeiten entstehen dagegen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die zur steuerfreien Vermögensverwaltung gehören) 52. • Das Anzeigen- und Inseratgeschäft, z.B. durch Aufnahmen von Image- und Produktanzeigen in die Programmhefte53. • Die entgeltliche Überlassung von Anzeigenflächen in Gebäuden und Grundstücken und auf Fahrzeugen54 (letzteres allerdings nur, wenn der Gesponserte vertraglich verpflichtet ist, das Fahrzeug über den gemeinnützigen Zweck notwendigen Umfang hinaus einzusetzen oder werbewirksam abzustellen – ansonsten ist ein mit Werbeaufschriften versehenes Fahrzeug unschädlich55). • Die entgeltliche Überlassung des Rechts zur Nutzung von Werbeflächen auf Kleidung, wie z.B. die einheitliche Kleidung eines Musikzuges bei einer Musikveranstaltung56. • Der Verkauf von Merchandising- Produkten z.B. in einem Museumsshop57 • Die Gestattung von aktiven Werbeaussagen wie „Das Sinfonieorchester empfiehlt das Getränk X“ (unschädlich ist dagegen die Gestattung z.B. folgender Aussage durch den Sponsor „ XY ist Ausrüster des Sinfonieorchesters“)58. • Ein Theater zeigt – ähnlich einer Zigarettenwerbung im Kino – vor jeder Aufführung einen Werbesketch mit tanzenden Zigarettenschachteln59. 51
• Vertreter der Kultureinrichtung nehmen aktiv gestaltend an Pressekonferenzen oder sonstigen Veranstaltungen des Sponsors teil60. (aktive Teilnahme) • Anlässlich einer Premierenveranstaltung führt ein Theater entsprechend der vertraglichen Vereinbarung Begegnungen zwischen dem Sponsor und Künstlern, herbei (lobbying opportunities) 61. Ein zufälliges Zusammentreffen dieses Personenkreises wäre dagegen unschädlich. • Auf der Pressekonferenz oder sonstigen Veranstaltungen des Gesponserten erhält der Sponsor Gelegenheit zu eigenen Auftritten, bei denen er z.B. Erläuterungen zu seinem gemeinnützigen Engagement abgeben kann62 . • Die Durchführung von kulturellen Veranstaltungen unter Benennung der Veranstaltung mit dem Namen des Sponsors, wenn bei dieser Veranstaltung Prämien für erfolgreiche Künstler ausgesetzt sind oder Werbeanzeigen für den Sponsor gemacht werden63. • Die Marketingabteilung des Gesponserten erarbeitet Werbekonzepte für den Sponsor.
Wörle 2000: 6. Wörle 2000: 7. BFH-Urteil vom 04.03.1976, BStBl. 1976 II S.472. 54 Boochs 2000: 210. 55 OFD Frankfurt/M. Vfg. V. 13.5. 1998 – S 0183 A – 15 – St II 12. 56 Boochs 2000: 210. 57 Eversberg, in Stiftung & Sponsoring, Heft 5/2001, S.2. 58 Boochs 2000: 210. 59 So geschehen 1992 auf der Bühne der Hamburger Kammerspiele. 60 Ebd. 52 53
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5.3.4 Steuerfreier Zweckbetrieb Ein Zweckbetrieb liegt immer dann vor, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die gemeinnützigen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen, diese Zwecke nur mit Hilfe eines Geschäftsbetriebes verwirklicht werden können und in diesem Rahmen der Wettbewerb zu gewerblichen Anbietern unvermeidbar ist.64 Am Beispiel: So sind z.B. Veranstaltungshinweise in Zeitungen oder die Werbung auf Plakaten, der Verkauf von Eintrittskarten, Programmheften und Katalogen, sowie Führungen und Vorträge zur Realisierung z.B. einer Kunstausstellung und damit zur Vermittlung von Kunst und Kultur unentbehrlich.
6
Vertragsgestaltung unter steuerlichen Gesichtspunkten
Sinn und Zweck der eben gemachten Ausführung war es, aus den erarbeiteten Abgrenzungskriterien und Fallgruppen eine Art steuerliche „Idealklausel“ zu entwickeln. Führen wir uns die herausgearbeiteten gegenläufigen steuerlichen Interessen von Sponsor und Gesponserten noch einmal durch zwei plakative Sätze65 vor Augen: für den Sponsor gilt“ Je mehr Werbung, desto sicherer ist die steuerliche Anerkennung“ der Sponsoringaufwendung als Betriebsausgabe. Für den Gesponserten heißt es genau entgegengesetzt „Je mehr Werbung, desto größer ist die Gefahr, dass die Einkünfte nicht der steuerfreien Vermögensverwaltung, sondern dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbereich zugeordnet werden“. Aus Sicht des Sponsors sollte der Gesponserte daher zu möglichst konkret abgrenzbaren Gegenleistungen verpflichtet werden. Vertraglich lässt sich das, in Ergänzung zu § 2 (Gegenleistungen des Gesponserten) des im Anhang enthaltenden Mustervertrages, z.B. folgendermaßen formulieren. § 2 Gegenleistungen des Gesponserten (für den Sponsor steuerlich optimal) 1. 61
Der Gesponserte verpflichtet sich, auf Plakaten und Postern, in Inseraten sowie in allen Vorankündigungen, insbesondere im Fernsehen und Hörfunk,
Ebd. Ebd. 63 Boochs 2000: 210. 64 Rückert 1999: 165f. 65 Rückert 1999:222. 62
286
2.
3.
4.
5.
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht auf die Förderung durch den Sponsor hinzuweisen (Danksagung). Außerdem verpflichtet sich der Gesponserte dem Sponsor auf seiner Homepage unter Abbildung des Logos seinen Dank auszusprechen (Danksagung). Der Gesponserte gestattet dem Sponsor, dass dieser den Namen und das Logo des Gesponserten für seine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie zu Marketing- und Werbezwecken nutzt (Duldungs- und Gestattungsfälle). Der Gesponserte verpflichtet sich, dem Sponsor am Tag der Veranstaltung in der Zeit von … bis ... Uhr Räumlichkeiten für einen Empfang des Sponsors kostenlos zu überlassen. Es wird darauf hingewirkt, dass die ausübenden Künstler an diesem Empfang für die Dauer von mindestens ... Stunden teilnehmen (lobbying opportunities). Dem Sponsor wird die Befugnis eingeräumt, an allen Pressekonferenzen des Gesponserten teilzunehmen und den Presseerklärungen des Gesponserten eine eigene beizufügen (Aktive Mitwirkung an Werbemaßnahmen des Sponsors). Der Gesponserte wird den Sponsor möglichst frühzeitig über Pressekonferenztermine unterrichten, um diesem die Teilnahme zu ermöglichen. Der Gesponserte verpflichtet sich, für den Sponsor einen musikalischen Wettbewerb durchzuführen, der den Namen des Sponsors trägt und bei dem die Gewinner ein Preisgeld durch den Sponsor erhalten (Aktive Mitwirkung an Sponsoringmaßnahme des Sponsors).
Jede dieser Gegenleistungen des Gesponserten reichen, nach den Eingangs dargestellten Kriterien in der Tabelle „Ertragsteuerliche Behandlung von Sponsoringaufwendungen beim Sponsor nach dem Einkommenssteuerrecht“ in Abb. 2 für sich alleine aus, um die Ausgaben des Sponsors als Betriebsausgabe anzuerkennen. Denn zum einen dienen diese Maßnahmen der Imagewerbung des Sponsors und zum anderen strebt er an, dass über sein kulturelles Engagement in den Medien berichtet wird. Im Gegensatz dazu ist aus Sicht des Gesponserten eine Ausgestaltung des Vertrages vorzuziehen, demzufolge er die kommunikative Maßnahme des Sponsors bloß duldet bzw. gestattet (Gestattungs- und Duldungsfälle), nicht aber eine aktive Gegenleistung erbringt. Darüber hinaus ist dem Gesponserten auch die schlichte Danksagung erlaubt. Demzufolge müssen von den oben aufgeführten Vertragsformulierungen einige gestrichen bzw. folgendermaßen modifiziert werden:
Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
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§ 2 Gegenleistungen des Gesponserten (für den Gesponserten steuerlich optimal) 1.
2.
3. 4. 5.
Der Gesponserte verpflichtet sich, auf Plakaten und Postern, in Inseraten sowie in allen Vorankündigungen, insbesondere im Fernsehen und Hörfunk, auf die Förderung durch den Sponsor OHNE BESONDERE HERVORHEBUNG hinzuweisen (Danksagung). Außerdem verpflichtet sich der Gesponserte dem Sponsor auf seiner Homepage seinen Dank auszusprechen (Danksagung). AUF DER HOMEPAGE WIRD JEDOCH LEDIGLICH DER NAME UND DAS LOGO DES SPONSORS ABBGEBILDET. ES GIBT KEINEN LINK AUF DIE HOMEPAGE DES SPONSORS. Der Gesponserte gestattet dem Sponsor, dass dieser den Namen und das Logo des Gesponserten für seine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie zu Marketing- und Werbezwecken nutzt (Duldungs- und Gestattungsfälle). Wird gestrichen. Wird gestrichen. Wird gestrichen. SONDERFALL MUSEUM: DER GESPONSERTE VERPFLICHTET SICH DAZU, DEN AUSSTELLUNGSRAUM XY NACH DEM SPONSOR ZU BENENNEN.
Diese für den Gesponserten optimale Vertragsgestaltung ist auch für den Sponsor ein guter Kompromiss, da gewährleistet ist, dass die Aufwendung als Betriebsausgabe anerkannt wird. In der zweiten Vertragsformulierung werden damit die steuerlichen Interessen beider Seiten berücksichtigt, so dass man von einer steuerlichen „Idealklausel“ sprechen kann.
7
Fazit
In dem Beitrag wurden klare Abgrenzungskriterien mit Fallgruppen zur steuerlichen Einordnung von verschiedenen Sponsoringaktivitäten erarbeitet. Dies wird hoffentlich zu mehr Rechtssicherheit, insbesondere auf Seiten der Kultureinrichtungen. Nach der jetzigen Rechtslage beitragen bleibt festzuhalten, dass die steuerlichen Interessen beider Seiten gewahrt werden, wenn sich im Vertrag auf Gegenleistungen aus den Fallgruppen der steuerfreien Vermögensverwaltung
Duldungs- oder Gestattungsfälle Danksagung
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Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
beschränkt wird. Dies entspricht zur Zeit einer steuerlichen Idealklausel. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass in Zukunft folgende Beschlüsse der „Kultusministerkonferenz Verbesserung der Rahmenbedingungen im Bereich Kultursponsoring66„ aus dem Jahre 2002 umgesetzt werden:
Anhebung der steuerlichen Abzugsgrenzen für Spenden und für Zuwendungen an gemeinnützige Körperschaften als Sonderausgaben von bisher 5 bis 10 Prozent auf einheitlich 20 Prozent bei privaten Einkünften und von bisher 20/00 auf 40/00 bei den Unternehmensumsätzen einschließlich der im Kalenderjahr aufgewendeten Löhne und Gehälter (§ 10 b EstG). Die Spendenbereitschaft der Unternehmen könnte durch Anhebung der steuerlichen Abzugsgrenzen für Spenden als Sonderausgaben erhöht werden. Auch würde dadurch die problematische Abgrenzung von Betriebsausgaben für Sponsoring und Spenden auf der Geberseite in größerem Umfang unbedeutend, da eine Zuwendung bis zur Höhe der Spendenabzugsfähigkeit steuerlich jedenfalls als Spende geltend gemacht werden kann. Erhöhung der Besteuerungsgrenze für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb von derzeit 30.678 € auf 50.000 €. Die Erhöhung der Besteuerungsgrenze für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb von derzeit 30.678 € auf mindestens 50.000 € kann insbesondere für kleinere Kulturinstitutionen hilfreich sein, da in die diesem Rahmen zumindest kleinere Sponsoringbeträge auch bei aktiver Mitwirkung von Seiten des Empfängers steuerfrei bleiben. Weitergehende Verpflichtung der Finanzämter zur Erteilung verbindlicher Auskünfte durch Ergänzung des so genannten 2. Sponsoringerlasses. In dem Sponsoring-Erlass wird festgestellt, dass den steuerbegünstigten Empfängern nur dann eine Steuerpflicht für steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe entsteht, wenn sie an den Werbemaßnahmen des Sponsors aktiv mitwirken oder auf den Sponsor unter besonderer Hervorhebung hinweisen. Besondere Schwierigkeiten und Unsicherheiten im Hinblick auf die Steuerschuld birgt hier die Frage, wann die Empfänger an weiterführenden Werbemaßnahmen des Sponsors aktiv mitwirken bzw. wann eine besondere Hervorhebung gegeben ist und ihnen damit eine Steuerpflicht entsteht. Der Gefahr, dass im Zuge der Steuerprüfungen erhebliche Nachzahlungen nebst Zinsen geleistet werden müssen, und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit kann bereits dadurch begegnet werden, dass
66 Stellungnahme der Kultusministerkonferenz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen im Bereich des Kultursponsoring vom 07.11.2002 unter www.kmk.org/doc/beschl/sponsor.pdf am 01.11. 2007 um 11:32 Uhr.
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die Finanzbehörden angehalten werden, in diesen Fällen verbindliche Auskünfte zu erteilen. Die Umsetzung dieser Beschlüsse wäre ein erster großer Schritt um die Rahmenbedingungen für Kultursponsoring in Deutschland zu verbessern.
8
Literaturverzeichnis
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Der Sponsoringvertrag der Zukunft in steuerlicher Hinsicht
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Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
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Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern und die Synergien durch die Entwicklung des Kulturmanagements seit Mitte der 90er Jahre Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
Christa Eichbaum 1 2
4 5
Einleitung Kulturtourismus – Entwicklung und Förderung seit Mitte der 90er Jahre in Mecklenburg-Vorpommern Kulturmanagements – Strukturen und Synergien zwischen Kultur und Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern. Best Practice von Tourismusmarketing durch Kulturmanagement Ergebnisse und Schlussfolgerungen Literatur- und Quellenangaben
1
Einleitung
3
Nach Ergebnissen der Studie „Kunst, Kulturwirtschaft und Beschäftigung“ der Europäischen Kommission aus dem Jahr 19981 verbinden 30 Prozent der Gäste eine Urlaubsregion mit ihrem kulturellen Charakter und Erbe. Das heißt, die Mehrheit der Gäste wählt ihr Urlaubsziel auch nach deren kultureller Tradition, kultureller Identität, nach kulturellen Sehenswürdigkeiten und Erlebnissen aus. Die touristische Nachfrage daran ist in den letzten Jahren weiter gewachsen. Dies belegen u. a. Marktstudien der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. Städtereisen und Kulturreisen die wichtigsten Motive für Kurzurlaube, wie in „Reiseanalyse 2007“2 belegt.
1
Europäische Kommission: Dokumente. FUR e.V.: Reiseanalyse 2007; DTV e.V., Tourismus in Deutschland 2006; DRV e.V.: Fakten und Zahlen zum deutschen Reisemarkt 2006. 2
292
Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
Abbildung 1:
Städtereisen sind bei den Deutschen ein beliebtes und wachsendes Reisemotiv, Städtereisen der Deutschen 1997-2007
40 in %
30 20 10 0 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Erfahrungen letzte 3 Jahre in %
Interesse für nächste 3 Jahre in %
Eigene Darstellung. (Quelle: FUR: Reiseanalyse 2007; DTV: Tourismus in Zahlen 2006; DRV: Fakten und Zahlen zum deutschen Reisemarkt 2006)
Abbildung 2:
Kulturreisen sind ähnlich wie die Städtereisen ein wichtiges Reisemotiv der Deutschen, aber der Marktanteil bleibt relativ konstant und überschaubar Kulturreisen der Deutschen 1997-2007
in %
15 10 5 0 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Erfahrungen letzte 3 Jahre in % Eigene Darstellung (Quellen: FUR, DTV, DRV)
Interesse für nächste 3 Jahre in %
Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
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Die Wachstumsaussichten für beide Marktsegmente insgesamt sind gut, denn auch laut Freizeitinstitut der British American Tobacco (Germany) GmbH3 interessieren sich 61 Prozent der Deutschen für Städtereisen, 46 Prozent nannten Studien- und Bildungsreisen als denkbare Urlaubsform. Als Urlaubsform der Zukunft wird Urlaub in Verbindung mit Gesundheits-, Wellness-, Sport-, Gastronomie- und Kulturangeboten gesehen.4 Deutschland ist bei den Deutschen nach wie vor mit rund 30 Prozent Marktanteil das beliebteste und gefragteste Reiseziel.5 Deutschland besitzt inzwischen sowohl im Inland wie im Ausland ein ausgesprochen positives Image für Städte- und Kulturreisen. Tourismuswirtschaft wie auch die Bereiche Kunst und Kultur stehen vor einer Herausforderung. Diese drei Bereiche gilt es so miteinander zu verknüpfen, dass messbare Effekte entstehen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass das Marketing und Management für Kulturtourismus einer besonderen Aufmerksamkeit, Sensibilität und Kooperationsbereitschaft aller Träger und Akteure bedarf. Gesellschaftliche, betriebliche, regionale und politische Ziele sind wichtig. Vor allem darf aber die emotionale Nachfrage der Konsumenten nicht vernachlässigt oder ausgeblendet werden. Kooperationen zwischen Tourismus, Kunst und Kultur funktionieren nur dauerhaft auf partnerschaftlichem Miteinander und auf dem Prinzip der gleichen Augenhöhe der Akteure. Daher setzen die Kommunen auch hier mehr und mehr auf interdisziplinäres Netzwerkmanagement. Voraussetzung dafür sind innovative, in Projekt-, Kultur- und Netzwerkmanagement geübte, qualifizierte und motivierte Projektmitarbeiter. An Hand einiger Beispiele und Formen erfolgreicher Kooperationsmodelle zwischen Tourismus, Kunst und Kultur sollen Chancen, Wege und Ergebnisse solcher Zusammenarbeit dargestellt werden.
2
Kulturtourismus – Entwicklung und Förderung seit Mitte der 90er Jahre in Mecklenburg-Vorpommern
Kulturtourismus ist verknappt ausgedrückt die Addition von Kulturraum (kulturelles Potential, Produkte und Dienstleistungen) + Tourismusraum (touristisches, gastgewerbliches Potential, Produkte und Dienstleistungen). Für Kulturtouristen steht das Erlebnis von Kunst und Kultur im Mittelpunkt der Reisen. Kulturelle und historische Ressourcen, kulturelles Erbe, die Beson3 BAT Freizeit- und Forschungsinstitut/Stiftung für Zukunftsfragen, 23. Deutsche Tourismusanalyse, Hamburg 2006. 4 Dito. 5 DTV e.V.: Tourismus in Deutschland 2006 sowie DRV e.V.: Fakten und Zahlen zum deutschen Reisemarkt 2006.
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Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
derheiten eines Raumes werden als Teil des Lebensstils, der Lebensqualität, als Sinnerlebnis mit Erholungs- und Freizeitwert verstanden und so genutzt. Eine Urlaubsregion und die touristischen Dienstleistungen leben von vitaler Lebens-, Freizeit- und Urlaubsqualität und können damit ganz gezielt auch Standort- und Imageschwächen mindern. Ein entscheidender Schritt ist somit der integrierte Ansatz zwischen Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Kultur-, Regionalpolitik in Übereinstimmung mit den Zielen und Kräften der Unternehmen bzw. Einrichtungen. Kunst und Kultur dienen im Tourismusgeschäft bewusst als Marketingbestandteile. Das bedeutet wiederum, dass Ressourcen der Kultur und Kunst als Wert, Ware, Produkt und Dienstleistung und nicht nur als touristische Schlechtwettervariante bzw. Kur-, Sozial- und Bildungsangebot verstanden werden. Kunst und Kulturpotentiale sind zentrale Grundlagen für die erhofften regionalwirtschaftlichen Effekte und Standortentwicklungen. Messbare positive Ergebnisse sind z. B. die direkten und indirekten touristischen Einnahmen (kommunale Steuern, Gebühren, Abgaben, Gästeaufkommen, Einnahmen als Kostendeckungsbeitrag oder positives Image). Sie ermöglichen mit Hilfe von Leuchtturmprojekten politische Bereitschaft, um Investitionen in Kunst und Kultur sowie Erhalt des kulturellen Erbes weiter zu fördern. An dieser Stelle steht die Frage: Ist das bedeutende Tourismusland Mecklenburg-Vorpommern bereits ein Schwergewicht oder eine Marke auf dem Gebiet des Kulturtourismus? Wenn ja, wie wurde bzw. wird dies organisiert? Da Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsstruktur relativ schwach ist, die großen industriellen Kerne fehlen, besitzt der Tourismus als branchenübergreifender und interdisziplinärer Wirtschaftszweig traditionell eine besondere Bedeutung für das Bundesland. Seit Mitte der 90er Jahre hat sich der Nordosten quantitativ wie auch qualitativ zu den modernsten und am stärksten nachgefragten Tourismusregionen Deutschlands entwickelt. Auch folgte auf die deutsche Wiedervereinigung ein unerwartet hohes Interesse am kulturellen Erbe Ostdeutschlands, das zwar meist stark vernachlässigt, aber vorhanden war. In einigen Regionen des Landes besannen sich Kommunal-, Kultur- und Tourismuspolitiker frühzeitig auf diesen ideellen und materiellen Reichtum. Der Sanierungsaufwand und Wiederaufbau der Kulturlandschaft in Ostdeutschland war enorm. Die nötigen Mittel für Investitionen in diese bisher beispiellose Aufgabe konnten mit zahlreichen Förderprogrammen gesichert und zur Verfügung gestellt werden (öffentliche, gemeinnützige und private Mittel, Sponsoring und Spenden). Da die Förderung der Kultur eine freiwillige Aufgabe der Verwaltung und immer an die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte geknüpft ist fanden mit der wirtschaftlichen Rezession Ende der 90er Jahre in fast allen Bereichen
Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
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der Kulturförderung deutliche Etateinsparungen und Stagnation von Initiativen statt. Politik und Verwaltung sahen sich nur noch bedingt in der Lage Ressourcen, Projekte und Initiativen ausreichend zu fördern. Damit lag MecklenburgVorpommern bundesweit sehr bald auf den letzten Plätzen der Ausgaben für Kunst und Kultur, was den Anteil am Bruttoinlandsprodukt betrifft. Gleichzeitig wurden jedoch vorhandene Fördermittel aus den EU-Kulturprogrammen nicht ausreichend genutzt. Abbildung 3:
Haushaltsmittel des Landes für die institutionelle Förderung und Projektförderung der Bereiche Kunst und Kultur für die HHJahre 1994-2005,
70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0
Mittel
19 94 19 95 19 96 19 97 19 98 19 99 20 00 20 01 20 02 20 03 20 04 20 05
in TEU
Einsatz von Fördermitteln des Landes MV für Allgemeine Bewilligungen im Bereich Kunst und Kultur
Eigene Darstellung (Quelle: HH-Pläne der Landesregierung)
Ende der 90er Jahre stagnierte die öffentliche Förderung in die kulturelle Infrastruktur und in deren Träger. Die Tourismusinfrastrukturförderung, die Förderung des ländlichen Raums und neue Instrumente der Arbeitsmarktförderung sollten, so der politische Ansatz, die vorhandenen Kürzungen im Kulturetat des Landes kompensieren. Mit Hilfe der neuen Ausrichtung auf die Förderung des Arbeitsmarktes seit Ende der 90er Jahre und die entsprechenden Programme dafür, waren nunmehr Förderung von Maßnahmen des sogenannten zweiten Arbeitsmarktes, Förderung der beruflichen Chancengleichheit oder Förderung von Arbeitsplätzen in gemeinwohlorientierten Arbeitsförderprojekten, die zumeist durch Kommunen oder Verbände getragen wurden, zentrale Punkte der Agenda. Dies war sozialpolitisch ohne Zweifel eine wichtige Aufgabe. Sie lähmte jedoch langfristige oder zentrale Planungen im Bereich Kunst und Kultur und der Kulturwirtschaft, die Qualität und die Kontinuität der Strukturen und des
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Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
Personals. Durch Arbeitsmarktförderung in Fläche, Vielfalt und in zeitlich begrenzte Projekte, insbesondere in viele neue soziokulturelle Maßnahmen verzögerte sich die nötige Stabilisierung des kulturtouristischen Marketings nochmals. Im Gegensatz zu anderen Kernbereichen wie zum Beispiel der geschickten Nutzung bzw. Vermarktung der natürlichen Potentiale zeigten sich kulturelle, strukturelle und personelle Schwächen offen. In einigen Destinationen wurden sie nicht ernst genug genommen. Schwächen wurden gern als ein Mangel des touristischen Marketings oder als rein finanzielle Schwäche charakterisiert. Die produkt- und themenübergreifenden Kooperationen und Netzwerke kamen nur mühsam oder gar nicht zustande. Diese Situation war eigentlich nur Spiegel eines fehlenden, längst überfälligen landesweiten kulturellen Leitbildes, einer Kulturkonzeption bzw. einer Landesmarketingkonzeption. Allerdings fanden kulturelle und denkmalpflegerische Themen seit Mitte der 90er Jahre Eingang in die Marketingpläne und Imagekampagnen der Tourismusorganisationen. Die Kulturwirtschaft besetzte neben den kommunalen Trägern ebenfalls kulturelle Themen und Genre. Unternehmen, Stiftungen und Verbände der Kultur- und Medienwirtschaft begannen mit der Profilierung von Standorten und Events und bauten gleichzeitig auch sehr effiziente Strukturen eines überregionalen Marketings auf. Unternehmergeist, marktorientiertes Engagement, betriebswirtschaftliche Orientierung, aber auch die Nutzung neuer und zusätzlicher Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten prägten diese Periode. Neugründungen waren auch Ausdruck und Option für mehr Unabhängigkeit von den Vorgaben der öffentlichen Hand und Politik. Der Reiz für den Schritt in die wirtschaftliche Selbständigkeit waren Eigenverantwortung, Eigenständigkeit sowie die Verbindung von persönlicher Neigung und unternehmerischem Engagement. Gezeigt hat sich in der Kulturwirtschaft, dass kommerzielle Arbeit nicht im Widerspruch zu den Aufgaben der öffentlichen Einrichtungen stehen muss. Kooperatives Miteinander sowie Nebeneinander im kulturellen Bereich war und ist möglich. Der Boom verschiedener Sparten der Kulturwirtschaft und des Kulturtourismus bewirkte eine Neubesinnung und Neuerschließung der kultureller Wurzeln und kulturhistorischer Themen. Um die Jahrtausendwende war es zu einem guten Teil gelungen, den Kultur- und Städtetourismus als ergänzende Marke und Imageträger für Mecklenburg-Vorpommern erneut zu positionieren. Aus dieser Situation heraus setzten sich private Wirtschaft und bürgerschaftliches Engagement mehr und mehr ein und moderierten Prozesse und Projekte. Private, freie und gemeinnützige Träger ergriffen Chancen und Initiativen. Alternativ organisierten Projektmanagements aus kommunalen und privaten Kooperationen bzw. Netzwerken die Kulturthemen. Daraus wuchs auf lokaler, regionaler Ebene Selbstbewusstsein, Vertrauen, aber auch die Bereitschaft der
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Wirtschaft zu größerem ideellen und finanziellen Engagement. Der private Sektor schloss Angebots- und Organisationslücken. Dieser Prozess erfolgte allerdings nicht homogen, sondern eher in Intervallen, regional und in den kulturellen Sparten auch ganz unterschiedlich. Die Entwicklung und Förderung des Kulturtourismus der 90er Jahre kann verknappt wie folgt beschrieben werden: Die öffentliche Förderung von Kunst und Kultur als Grundlage des Kulturtourismus verlief in den 90er Jahren zunächst sehr euphorisch und mit großer finanzieller Unterstützung der öffentlichen Hand. Die impulsgebenden Initiativen und die Basisinfrastruktur wurden in diesen Jahren geprägt und gefördert. Politische und ökonomische Strukturveränderungen Ende der 90er Jahre führten bei vielen staatlichen und kommunalen Trägern vielfach zu Stagnation und Isolation ihrer kulturtouristischen Initiativen, die auch eher den lokalen und regionalen Markt bedienten. Für größere Projekte und überregionale Events waren die Träger gezwungen neue kulturpolitische, finanzielle und administrative Lösungen zu finden. Dies gelang zum einen in Kooperation mit der Wirtschaft, durch die Gründung neuer Rechtsformen und Finanzierungsmodelle (PPP-Modelle), durch gemeinsame Marketingmaßnahmen mit dem Gastgewerbe und der Tourismusindustrie und nicht zuletzt auch durch die Professionalisierung, Modernisierung und Verjüngung der Managements in diesen Einrichtungen und Unternehmen. Die nachfolgenden Best Practice stehen beispielhaft für diese Prozesse in MecklenburgVorpommern.
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Kulturmanagements-Strukturen und Synergien zwischen Kultur und Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern. Best Practice von Tourismusmarketing durch Kulturmanagement
Kulturmanagement ist pragmatisch gesehen letztlich eine moderne Bezeichnung für neue Formen, Ansätze, ökonomische Modelle, Orientierungen auf Märkte, für Professionalität des Personals, für eine größere Öffnung und Kooperation der kulturellen Einrichtungen und Träger nach innen wie nach außen. Auch und gerade kulturelle Einrichtungen benötigen auf Grund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, durch Konkurrenzdruck überregionaler Angebote, durch die Möglichkeiten der Medien und auch durch verändertes Konsumverhaltens der Öffentlichkeit ein strategisches, komplexes und möglichst nachhaltiges Management. Ökonomisches und strategisches Denken sowie Handeln sollte auch in diesen Bereichen inzwischen eine selbstverständliche Anforderung sein.
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Kultur- und Tourismusbereiche arbeiten hinsichtlich ihrer Marketingziele und deren Instrumente inzwischen vergleichsweise ähnlich. Sie setzen überwiegend auf gleiche Zielgruppen. Das heißt, Kultur- und Tourismusräume, deren Organisationen und Akteure sind in der Regel bestrebt, kulturelle und touristische Assoziationen zu entwickeln und zu vermarkten. Kultur und Tourismus stellen emotionale Themen und Leistungen, wie z.B. Essen und Trinken, Landschaft, Architektur, Urbanität, historische Persönlichkeiten, gastgewerblichen Komfort und persönliche Präsens in den Vordergrund. Daher sind alle Akteure gut beraten, die Profilierung und das Image einer Region überwiegend auch über diese Ressourcen, Leistungsfähigkeit bzw. Eigenschaften zu definieren. Seit dem Tourismusboom der letzten 15 Jahre übernahmen privatrechtlich, kommerziell tätige oder gemeinnützige Gesellschaften oder Organisationen oder auch öffentlich-private Partnerschaftsmodelle (Private Private Partnerschaften) die Trägerschaft, Organisation und Vermarktung von Kunst und Kultur. Dies setzte zusätzliche kulturelle Potentiale, Aktivitäten und Marketingmittel frei. Der kulturelle und kulturtouristische Markt erlebte in diesen Jahren einen enormen Strukturwandel, einen Boom von Existenzgründungen in der Kulturwirtschaft, der durch die Wirtschaftsförderung begleitet wurde. Inzwischen müssen sich aber auch diese Strukturen mehr am Anbietermarkt orientieren, sich einem stärkeren Wettbewerb stellen als beispielsweise noch vor 10 Jahren. Gleichzeitig wurde die Bedeutung ihrer Arbeit und deren Reichweite auch durch stärkere politische Wahrnehmung und Besetzung der Themen honoriert. Nach einer Umfrage6 stieg die Zahl der ehrenamtlich Tätigen in Deutschland im Zeitraum 1999-2004 von 28 auf 31 Prozent. Allerdings belegt die Studie auch größere Unterschiede zwischen Ballungsräumen und ländlichen Regionen, in denen die Organisation dieses bürgerschaftlichen Engagements ungleich schwerer ist. Die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern bestätigt diese Tendenz. Rund 1/3 des kulturellen Angebotes wird privat, gewerblich oder gemeinnützig getragen. Vereine, gemeinnützige Gesellschaften und Religionsgemeinschaften sind die wichtigsten ständigen Träger von Angeboten, in denen das ehrenamtliche Engagement überwiegt. Allerdings sind die wenigsten der gemeinnützigen Träger bisher finanziell unabhängig bzw. können ihre Projektarbeit komplett allein planen und finanzieren. Daher werden Maßnahmen und Kulturprojekte von besonderer landespolitischer Bedeutung weiter durch die Landesverwaltung mit bis zu einem Drittel ihrer Kosten gefördert.7 Seit 1990 haben beispielsweise über 153 Kirchenbaufördervereine mehr als 300 Mio. Euro in die Denkmalpflege, den Erhalt und die Instandsetzung der 800 Stadt- und Dorfkir6 7
Institut TNS Infratest Sozialforschung, 2007. Museumsverband MV e.V.: Kulturanalyse für Mecklenburg-Vorpommern 2004.
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chen in Mecklenburg-Vorpommern investiert. Sie gehören mit zu den ältesten Teilen unserer Kulturlandschaft. Durch Angebote wie Offene Kirchen, Konzerte, Führungen, Ausstellungen tragen sie einen Teil des kulturellen und touristischen Lebens in Mecklenburg-Vorpommern. 8 Abbildung 4:
Entwicklung der Besucherzahlen 1991-2004 Besucherzahlen in den Museen MV
3.500.000 3.000.000
in Mio
2.500.000 2.000.000 1.500.000 1.000.000 500.000 0 1991
1993
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Eigene Darstellung (Quelle: Statistisches Amt MV)
Ein wesentlicher kultureller Standortfaktor des Landes sind die rund 220 Museen9. Dieser Kultur- und Themenreichtum ist für die Wirtschaft unverzichtbar. Seit 1990 ist die Anzahl der Museen um das Doppelte gestiegen. Gleichzeitig verbesserten sich die Mittel und Möglichkeiten der Präsentation und Vermarktung. Die meisten Einrichtungen stehen unter kommunaler Trägerschaft und einige wenige sind Landesmuseen. 50 bis 70 Museen stehen unter privater Träger- und Betreiberschaft. Ein Viertel der Museen werden von Vereinen ohne öffentliche Beteiligung, einige wenige Einrichtungen werden durch Privatpersonen oder Stiftungen und einige durch das Land bewirtschaftet. Einzelne Museen besitzen inzwischen eine starke überregionale Bekanntheit und Anerkennung. Dieses Potential wird allerdings durch das Kultur-, Tourismus- und Landesmar8 Verein „Dorfkirchen in Not“ erhielt 2005 den Förderpreis des Kulturpreises des Landes MV; Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur: Kulturelle Aktivitäten der Religionsgemeinschaften in MV; 9 Um 1990 gab es nur rund 110 Museen auf dem Territorium des heutigen Landes MV; Statistisches Amt MV, Jahresberichte 1991-2006.
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keting noch nicht ausreichend reflektiert. Darin zeigt sich ein deutlicher Mangel eines übergreifenden Kulturmanagements. 10 Abbildung 5:
Wachstum der Museen und Anzahl der Ausstellungen 1991-2004 Anzahl der Ausstellungen und Museen
450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 1991 1993 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Ausstellungen
Anzahl Museen
Eigene Darstellung (Quelle: Statistisches Amt MV)
Seit jeher haben Stiftungen den Charakter und die Kultur einer Gesellschaft maßgeblich geprägt, die Bürgergesellschaft gestärkt und privates Engagement durch die Verbindung von Geld + Idee identitätsstiftend gelenkt. Kultureinrichtungen haben in den zurückliegenden Jahren und mit Verabschiedung des Stiftungsgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern 1993 außerdem mehr und mehr die attraktiven, steuerrechtlich interessanten Möglichkeiten für sich erschlossen und umgekehrt die Förderer Kunst und Kultur für sich. Nach dem aktuellen Stiftungsverzeichnis Mecklenburg-Vorpommern gibt es derzeit etwa 120 weltliche und kirchliche Stiftungen.11 Deren Anteil an der Finanzierung von Kunst und Kultur liegt bisher allerdings nur bei 5 Prozent. 10
1991 Ehrendiplom der internationalen Luftfahrtorganisation, 1996: Auszeichnung „FAI recognized Museum“, 1999 1. ostdeutsches Museum mit Ehrenbezeichnung „Museum of the Year Award – Special Commendation“, 2001 „Kultureller Gedächtnisort mit besonderer nationaler Bedeutung“, 2006 Ehrenpokal „Ausgewählter Ort im Land der Ideen“ und seit Jahren regelmäßig Spitzenplatz unter Museums-top-50 (www.listinus.de); Anklam wird an dieser Stelle beispielhaft für weitere Gedächtnisorte und Gedächtnisstätten in MV genannt. 11 www.im.mv-regierung.de
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Daher sind sie keine ausreichende Alternative oder ein Ersatz zu den vorwiegend staatlich geförderten Einrichtungen. Für weitere positive Entwicklungen kann der gegründete „Initiativkreis Stiftungen für MV“ ein gutes Netzwerk sein. Gemeinsames Engagement, gemeinsame Themen- und Förderschwerpunkte, gesellschaftliche und politische Anerkennung und Bürgerstolz werden hilfreich und sinnstiftend wirken. Die Wechselbeziehungen zwischen Kultur und Wirtschaft sind in Mecklenburg-Vorpommern unübersehbar. Der Erhalt und die kommerzielle Nutzung kulturtouristischer Potentiale lösten, wie an vielen Standorten beleg- und sichtbar, in kommunaler, kultureller, touristischer Infrastruktur und bei den privaten Anbietern umfangreiche Investitionen aus. Nicht nur die Baubranche sondern auch Wirtschaftszweige profitierten direkt und indirekt von diesen Aufträgen, vgl. beispielsweise Städtebau- und Dorferneuerung. Tourismusorte mit einem ausgeprägten kulturhistorischen Image oder einem vielfältigen kulturellen Angebotsmix sind die Besuchermagneten und regionalen Leuchttürme.12 13 Die Bereitschaft in den Wirtschaftszweig Kulturtourismus, Kulturwirtschaft zu investieren wächst weiter und nachweisbar mit der Erlebbarkeit und Erkenntnis, dass Kunst und Kultur als Imagefaktor und Sponsoring im Sinne von mehr Rendite einsetzbar sind. Der politische Wille ist da, auch die entsprechenden Förderangebote durch Europäische Gemeinschaftsinitiativen und Programme wie z.B. die territoriale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Projektkooperation. Für die kulturellen und historischen Gemeinsamkeiten im Ostseeraum, insbesondere für Kulturrouten, kulturelle Kernthemen, Kulturtourismus und Kulturwirtschaft waren in der EU-Förderperiode 2000-2006 besonders im Rahmen der INTERREG-Programme Förderanreize vorhanden. Themen wie Backsteingotik, Gärten, Parks, Herrenhäuser, Klöster, regionale Esskultur, maritime Events konnten sich relativ schnell zu Marketing- und Servicethemen des Ostseeraumes entwickeln. Im Umkehrschluss gibt es, auch durch die Förderangebote der Europäischen Kommission ausgelöst, eine Vielzahl internationaler, überregionaler Kooperationen und Projekte, die sich eher durch mangelnde Kommunikation untereinander auszeichnen. Verstärkt sollen in der neuen Förderperiode ab 2007 thematisch zusammengehörende Kulturgüter für die nachhaltige Tourismusentwicklung in Verbindung mit Kultur (Kultur- und Städtetourismus) identifiziert werden. Ähnliche Überlegungen stehen auch für den Bund, der seit 2002 beispielsweise über den Kultur12
Eichbaum, Christa: Die Bedeutung kulturtouristischer Angebote als Wirtschafts- und Imagefaktor für Mecklenburg-Vorpommern an Hand von Fallbeispielen, Schwerin/Hagen 2004: S. 13-20, 39ff. 13 NORD/LB: Diesseits von Eden. Europäische Marketing-Konzepte für Gärten und Schlösser, Hannover/Rostock 2006, S. 189ff.
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fonds der Bundesregierung bürgerschaftliches Engagement und zahlreiche Projekte in den Bundesländern fördert.14 In Ostdeutschland engagieren sich vor allem der Ostdeutsche Sparkassenverband, die Sparkassen des Landes15 für regionale und lokale Kulturprojekte. Insgesamt ist einzuschätzen, dass gute Konzepte, Standorte und engagiertes Marketing bisher auch immer Förderer gefunden haben. Die Herausforderung besteht künftig jedoch noch mehr als bisher darin, die europäischen Programme und Initiativen für die Bereiche von Kunst/Kultur/Kulturtourismus/Kulturwirtschaft besser zu erschließen. Auch das ist eine wesentliche Aufgabe von Kulturmanagements in strukturschwachen Regionen.
Best Practice Die nachfolgenden Projektbeispiele sind charakteristisch für die Entwicklung privatwirtschaftlicher und gemeinnütziger kultureller Initiativen. Sie prägten und veränderten innerhalb weniger Jahre die Kulturszene der Darstellenden und der Bildenden Kunst, den Kulturtourismus und das Kulturmarketing in Mecklenburg-Vorpommern. Sie reflektieren möglicherweise am anschaulichsten die Vorteile und Beziehungen zwischen kulturellen Themen, Kulturmanagement, touristischen Marketing, ökonomischem Erfolg und Imagezuwachs. Kulturmanagements in Museen Ein öffentlich-rechtliches Museum, ein klassisch kultureller Bereich, unter das Modell, die Trägerschaft und Rechtsform einer Stiftung zu stellen war Mitte der 90er Jahre ein völlig neuer und anfangs sehr abstrakter Gedanke. Die „Stiftung Pommersches Landesmuseum“ in Greifswald sah jedoch genau in diesem Weg eine historische Chance für mehr Selbständigkeit, Unabhängigkeit von den Finanzen der öffentlichen Körperschaften, die feste Bindung von Förderern und Sponsoren an die Einrichtung und ihre Projekte sowie Management- und Kompetenzzuwachs. Pommersches Landesmuseum Greifswald (Stiftung Pommersches Landesmueum) Nach einer 10jährigen Bauzeit und Baufinanzierung durch Bund und Land (insgesamt 20 Mio. Euro) entstand im Stadtzentrum Greifswald ein Museumskom14
www.kulturstiftung-des-bundes.de Die Sparkassen MV fördern Kunst und Kultur jährlich mit 120 Mio. Euro. Dazu kommt das Engagement der Ostdeutschen Sparkassenstiftung; www.osv-onlinde.de
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plex als architektonische Komposition von sechs Häusern und vier Außenanlagen. Sie wurden bis zum Jahr 2005 schrittweise fertig gestellt und eröffnet: 2000 die Gemäldegalerie, 2003 die gläserne Museumsstraße und Tagungsräume, 2005 die Übergabe des gesamten Standortes. Bereits mit der deutschen Wiedervereinigung und der Bildung des Landes Mecklenburg-Vorpommern gab es in der Hanse- und Universitätsstadt Greifswald Bestrebungen eine Institution zu schaffen, in der die reichen akademischen, städtischen, regionalen und privaten Sammlungen pommerscher Kunst und Kultur bewahrt und präsentiert werden konnten. Der Landesteil Vorpommern sah sich gesellschaftspolitisch in der besonderen Verpflichtung, einerseits die kulturelle und historische Identität der Region aufzuarbeiten und zu bewahren. Andererseits hatte er es zur Aufgabe gemacht historische und aktuellen Beziehungen und Verständigungen zu den Nachbarregionen wie Polen, Schweden und Dänemark sichtbar und lebendig zu machen. Dabei war es nötig, einen geistig-kulturellen und grenzüberschreitenden Mittelpunkt der pommerschen Geschichte und Traditionen in Form einer kulturellen Leit- und Bildungseinrichtung zu schaffen. Dies waren Grundsätze für die Errichtung eines Landesmuseums durch den Bund und das Land Mecklenburg-Vorpommern (Kabinettsbeschluss 1995). Im September 1996 erfolgte die Gründung einer privat-rechtlichen Stiftung, die sich im Jahre 2000 unter Beteiligung der Bundesrepublik, des Landes MecklenburgVorpommern, des Landes Schleswig-Holstein, der Hansestadt Greifswald, der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, der Wojewodschaft Westpommern, der Pommerschen Landsmannschaft und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz erweiterte. Der überregionale Ansatz spiegelt sich in der Satzung, in den Strukturen, in der Besetzung der Stiftungsgremien und letztlich in der operativen Arbeit des Museums wider. Der Aktions- und Wirkungsradius ist weitgehend deckungsgleich mit dem der Euroregion POMERANIA – einem wichtigen Partner des Museums. Auch daraus leitet sich die politische und inhaltliche Besonderheit und Aufgabenvielfalt seines Managements und der Stiftung ab. Den Vorsitz des Stiftungsvorstandes übernahm der langjährige erfahrene Direktor des Museums. Dieser leitet ein relativ kleines 11köpfiges, fest angestelltes Mitarbeiterteam, welches die im Satzungszweck festgeschriebenen Aufgaben der Einrichtung trägt. Ein weiterer organisatorischer Vorteil zeigt sich darin, dass das Management neben den Kernaufgaben auch über große Erfahrungen und Kontakte in der Presse- und Marketingarbeit verfügt. Daher kann ein wesentlicher Teil dieser Aufgaben autonom organisiert, kostensparend und dennoch wirkungsvoll umgesetzt werden. Dies ist auch ein Ausdruck von Professionalität der Arbeit des Museums und ein Ergebnis durch den Einsatz und die Nutzung der Instrumente und Möglichkeiten des Kulturmanagements.
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Die internationale Ausrichtung des Museum als „Forum im Ostseeraum“ oder „Museum & mehr“ schlägt sich in seinen Geschäftsfeldern nieder. Das Haus ist die museumspädagogische Leiteinrichtung aller pommerschen Museen (www.pommersche-museen.de), ist ein gefragtes Veranstaltungs- und Tagungszentrum sowie Zentrum für Internationalen Kulturtransfer und Breitenarbeit. Die Anerkennung als akademische Lehrstätte der Universität lag ebenso nahe. In einem Kooperationsvertrag mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern wurde die museale Neugestaltung des Jagdschlosses Granitz (jährlich rund 250.000 Besucher) als eine weitere Aufgabe festgeschrieben. Jährlich werden rund 300 Veranstaltungen, 260 Führungen, etwa 10 ein- und mehrtägige Exkursionen, zahlreiche Lesungen und Lehrveranstaltungen der Schulen und der Universität betreut. Dabei ist nicht die Quantität der Gästezahlen entscheidend, sondern die Qualität der Veranstaltungen sowie die nachhaltige Wirkung bei den Zielgruppen. Jährlich erreicht das Landesmuseum mit seinen Ausstellungen neben den o. g. Veranstaltungen etwa 45 000 Besucher. Zu den Kooperationspartnern und dem regionalem Kulturnetz gehören, z. B. auch die Veranstalter der „Greifswalder Bachwoche“, „Nordischer Klang“ und Organisatoren touristischer, städtischer und akademischer Events. Das im Museum beheimatete Gourmetrestaurant und Cafe „Le Croy“ (nach dem berühmten „Croy-Teppich“ der Pommerschen Herzöge, der Teil der Ausstellung ist) mit seinem regionalen Profil und der hohen ausgezeichneten Kochkunst des Betreibers macht den kulturellen Gesamtgenuss vieler Ideen und moderater Preise perfekt. Der Gesamtstandort lebt inzwischen von dieser kulturwirtschaftlich erfolgreichen Partnerschaft. Das Konzept des Museums sieht auch für die nächsten Jahre inhaltliche Erweiterungen und neue Aufgaben vor. Sie beziehen sich u. a. auf die Erweiterung der Dauerausstellungen, die Aufarbeitung historischer und aktueller Beziehungen zwischen den Nachbarländern, den kulturellen Austausch sowie Ausbau der nationalen wie internationalen Kontakte.
Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern Abbildung 6:
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Struktur des Pommerschen Landesmuseums und Managements, Stand 2007
Stiftung Pommersches Landesmuseum Sitz Greifswald 1996 Gründung als bürgerlich rechtliche Stiftung, seit 2000 öffentlich-rechtliche Stiftung
Stiftungsrat Bundesrepublik Deutschland, Land Mecklenburg-Vorpommern, Land Schleswig-Holstein, Hansestadt Greifswald, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Pomm. Landsmannschaft e.V., Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Vorstand Museum, Stadt, Universität
wissenschaflicher Beirat Universität, Staatliche Museen Berlin, Reichsarchiv Stockholm, Schloss der Pommerschen Herzöge Stettin
Museumsmanagement 11 Mitarbeiter
Direktion
Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit
Kulturreferent Pommern
Bildung, Museumspädagogik
Gesellschaft zur Förderung des Pommerschen Landesmuseums e.V. 1996 gegründet, ca. 100 Mitglieder
Eigene Darstellung (Quelle: eigene Befragung des Managements)
Technik
wissenschaftliche Arbeit
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Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
Das Museum hat mit der Gesellschaft zur Förderung des Pommerschen Landesmuseums e.V. seit 1996 inzwischen rund 100 Freunde, Förderer und Mäzene nach dem Motiv „Gemeinsam hinsehen“ an sich gebunden. Die Aufgaben dieser Gesellschaft liegen im Erwerb von Kultur- und Kunstgegenständen für das Museum, in der Unterstützung und Übernahme von Restaurierungsobjekten, in den Beteiligungen an Aktivitäten und Planungen und im Management für die 22 freien Mitarbeiter der Museumsaufsicht. Im Ergebnis steht fest: Der Schritt von einem ursprünglichen Museum der Stadtgeschichte unter kommunaler Trägerschaft zu einem zentralen Landesmuseum und Museum für die Region Vorpommern/Westpommern mit der dafür notwendigen Verankerung in der Region und über die Landesgrenzen hinaus ist bereits nach wenigen Jahren gelungen. Die Stadt, die strukturschwache Region Vorpommern und die Kulturstiftung haben im Zuge der Umsetzung dieser Kulturkonzeption und durch den Einsatz flexibler Managementstrukturen einen ganz wichtigen kulturellen Leuchtturm und wirtschaftliche Perspektiven geschaffen. Kulturmanagements in der Musik Die Palette der klassischen Konzerte, Musicals, Open-Air-Konzerte, Rock und Pop Festivals und ähnlicher Veranstaltungen hat sich seit 1990 vervielfacht und ist inzwischen ganzjährig verfügbar. Fest etablierte und schon über einen längeren Zeitraum betriebene Musikveranstaltungen und -feste sind u.a.:
16
„Greifswalder Bachwoche“16 seit 1946, „Schönberger Musiksommer“17 seit 1987, „Usedomer Musikfestival“18 seit 1993, „Nordische Klang“19 seit 1991 , die seit Jahrzehnten stattfindenden rund 10 Jazz- und Blues Festivals,20 das Punk-Festival „Force Attack open-air“21 bei Rostock und das Kulturkosmos-Festival „Fusion“22 in der Mecklenburgischen Seenplatte.
www.greifswalder-bachwoche.de www.schoenberg-online.de 18 www.usedomer-musikfestival.de 19 www.nordischer-klang.de 20 www.jazz-in-mv.de 21 www.forceattack.de 22 www.fusion-festival.de 17
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Festspiele Mecklenburg-Vorpommern23 Dieses Großereignis in Mecklenburg-Vorpommern begann 1990 nach dem Vorbild des „Schleswig-Holstein Musikfestivals“ als „Musikfest in MV“ mit 15 Konzerten. Ein Jahr darauf gründete sich der Verein „Festspiele MecklenburgVorpommern“ mit dann bereits 27 Konzerten. 1994 wurde das einzigartige Schlossensemble Ulrichshusen in der Mecklenburgischen Seenplatte als zentrale Spielstätte eingeweiht. Dieser Investitionsstandort gilt sowohl für die Tourismusentwicklung wie auch für die Organisation und Verankerung von Kulturmanagements im Land als privat geführtes Modellbeispiel. 1995 entstand aus dem eingetragenen Festspielverein eine gemeinnützige GmbH mit ausschließlich privaten Gesellschaftern. Durch weitere organisatorische und rechtliche Veränderungen etablierte sich das nachfolgende Unternehmensmodell der „Festspiele“. Abbildung 7:
Managementstruktur der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Aufsichtsrat
Festspiele M-V gGmbH Intendanz: Hauptgeschäftführer und künstlerischer Leiter Dr. Sebastian Nordmann 11 feste Mitarbeiter + 15 befristet eingestellte Mitarbeiter
HNE Sponsorenpool GmbH seit 2003 eigene Geschäftsführung
rund 70 ehrenamtliche Beiräte in 12 Regionen
Förderverein der Festspiele MV e.V.
rund 800 Mitglieder seit 1995
Vorstand Stand 2007, eigene Darstellung (Quelle: Befragung des Unternehmens) Dies zeigt ein erfolgreiches Modell funktionstüchtiger Kooperationen zu den Regionen, Unternehmen und Vereins- Mitgliedern. 23
www.festspiele-mv.de
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Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
Diese miteinander vernetzten Strukturen in unterschiedlichen Rechtsformen ermöglichen dem Management die notwendige flexible, wirtschaftlich unabhängige und kulturpolitische Arbeit. Das junge, speziell qualifizierte Team und die Leitung der Festspiele arbeiten effizient, sehr besucherfreundlich und absolut kreativ. Hochwertige Programme, gezielte Nachwuchsförderung, die Fusion mit dem Musiksommer und ein aktives Binnenmarketing vergrößerten allein den Anteil der Sponsoren auf nunmehr bereits 100 Unternehmen.24 Abbildung 8:
Finanzielle Ausstattung des Managements 2003-2007
in TEU
Jahresetat der Festspiele MV 3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0
Etat in TEU
2003
2004
2005
2006
2007
Jahre
Eigene Darstellung (Quelle: Angaben des Managements)
Seit dem Zusammenschluss der beiden größten landesweiten Klassikerfestivals „MusikSommer“ und „Festspiele“ im Jahr 2005 besitzen die „Festspiele Mecklenburg-Vorpommern“ einen festen Platz in der Festspiellandschaft Norddeutschlands. Es ist nach Angaben des Managements das vergleichsweise drittgrößte Klassikfestival in Deutschland mit einer stabilen ökonomischen Basis. In der Spielzeit von Juni bis September finden inzwischen mehr als 100 Konzerte an über 70 Spielstätten (17 neue Standorte in 2007) statt. Charakteristisch ist ebenso die Vielfalt, die sich in den drei Programmsäulen: „Musik aus MV“, nachhaltige Nachwuchsförderung, Stars zeigt. Dieses langfristig angelegte Konzept zielt auf einen gesunden Mix der Besucherprofile und Altersklassen. Im Unterschied zu manch anderen Klassikfestivals werden die Betreuung der Künstler und die Kommunikationspolitik durch das Management gezielt, intensiv und offen gepflegt. Für den Erhalt dieser typischen Atmosphäre zwischen Organisatoren, Künstlern und Publikum werden immer wieder außerge24 52 Prozent Sponsoreinnahmen, 38 Prozent Karteneinnamen, 10 Prozent öffentliche Förderung Jahresetat 2007: 3,2 Mio. Euro (davon 10 Prozent vom Land, NDR, Landkreise, Kommunen)
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wöhnliche „festspielige“25 Stätten mit guter Akustik, von kulturhistorischer Bedeutung auch im Einvernehmen mit den Regionen, Eigentümern bzw. Nutzern ausgewählt. Seine Vielseitigkeit, ein Mix von Kunst und Kommerz, die Lebendigkeit und auch Mystik der „locations“ sind Absicht und Teil des Konzeptes. Sie machen die Faszination und das Geheimnis der „Festspiele MecklenburgVorpommern“ mit aus. Seit 2006 arbeitet das Management bei Pressearbeit und Marketing über Partnergeschäfte (B-to-B) noch intensiver mit dem Tourismusverband MV e.V., der Projektgruppe Landesmarketing Mecklenburg-Vorpommern, weiteren Veranstaltern und größeren regionalen Playern zusammen. Gegenwärtig werden in einer Spielzeit rund 53.000 Besucher erreicht. Laut Umfrage reist jeder zweite Gast von außerhalb an. Zwei Drittel der Gäste besuchen mehr als ein Konzert während der Spielzeit und rund 60 Prozent kommen gezielt zu besonderen Programmthemen. Weiteres Wachstum soll nach Aussage des Managements vorrangig durch Qualität des Programms, seiner Inhalte, weitere Verbesserung der Serviceleistungen und Marketingkooperationen im Land entstehen. Den Wettbewerb will das Unternehmen bewusst nicht über die Quantität der Besucherzahlen und Konzerte führen. Die feste Verankerung im Land, langfristige Orientierungen, Flexibilität und Experimentierfreude im künstlerischen Konzept sowie Transparenz der Arbeitsprozesse sind ständige Aufgaben. Das Management will die Presseund Öffentlichkeitsarbeit, Marketingmaßnahmen, wenn möglich im Verbund mit anderen größeren Marken und Organisationen, zukünftig noch gezielter für sich nutzen. Geplant sind beispielsweise Präsentationen auf Tourismusmessen, Promotionstouren, eine Kooperation mit Reiseveranstaltern, die Beteiligung an Pressereisen, und auch am verbesserten Einsatz der digitalen Medien wird gearbeitet. Durch die „Festspiele Mecklenburg-Vorpommern“ und ihre zusätzlichen Investitionen in Werbung und Marketing erhöhten sich das Gästeaufkommen, das Image, der Bekanntheitsgrad des Tourismus- und Kulturlandes ganz wesentlich. Das Interesse und die Buchungen für Kurzurlaube und Übernachtungen sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Nach Berechnungen des Managements verbleiben durchschnittlich pro übernachtenden Gast 112,00 Euro in der Region, davon 51 Prozent im Gastgewerbe (Umwegrentabilität).
25 O-Ton Dr. Nordmann Sebastian Nordmann seit 2002 Geschäftsführer und Künstlerischer Leiter, studierte Musikwissenschaften in Heidelberg, Edinburgh und Berlin.
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Abbildung 9:
Entwicklung der Besucherzahlen der Festspiele MecklenburgVorpommern 2003-2007 Besucher
60.000 40.000 Besucher 20.000 0 2003
2004
2005
2006
2007
Jahre Eigene Befragung und Darstellung (Quelle: Angaben des Managements)
In nur wenigen Jahren erreichte das Management mit seinem Unternehmens- und Marketingkonzept für die Festspiele eine außergewöhnlich hohe Bekanntheit und Identifikation im Markt, und ganz besonders im heimischen Markt. Dieser Effekt war von Anfang an ein zentrales strategisches Anliegen aller Aktivitäten. Die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung der Dachmarke „Festspiele Mecklenburg-Vorpommern“ muss nicht mehr grundsätzlich erarbeitet werden. Kulturmanagements für Schlösser, Burgen, Gutshäuser, Herrenhäuser und Anlagen Alleinstellungsmerkmale Mecklenburg-Vorpommerns sind die mehr als 2000 Schlösser, Burgen, Anlagen sowie die Guts- und Herrenhäuser. Davon stehen ca. 1100 unter Denkmalschutz. Etwa 600 Häuser werden bisher rein gastgewerblichkulturell genutzt, sie wurden bereits saniert. Weitere Standorte sind einer privaten, gewerblichen oder gemeinnützigen Nutzung vorbehalten oder stehen zum Kauf. Dieses kulturtouristische Potential wird durch die Dimensionen der meist dazugehörenden Parklandschaften (insgesamt 1200 Standorte, davon 500 denkmalgeschützte Anlagen) noch gesteigert. In der Obhut der Schlösserverwaltung des Landes befinden sich gegenwärtig neun große Schlossensemble und deren Ausstattungen.26 26
www.mv-schloesser.de
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Angesagt sind Herrenhäuser und Gutsanlagen besonders in ihren Nutzungen als Ferien- und Wellness-, Therapie- und Kuranlagen, Tagungs- und Medienzentren im historischen Ambiente, ein Mix zwischen Land- und Familienurlaub sowie als Location mit Eventcharakter für private und gesellschaftliche Feiern. Die positiven Beispiele erfolgreicher gewerblicher Nutzungen dieser historischen Immobilien und Anlagen lösten in Mecklenburg-Vorpommern einen regelrechten Boom privater und gewerblicher Investitionen aus. Das Wirtschaftsministerium reagierte Mitte der 90er Jahre, indem es mit Hilfe zweier Immobilienkataloge für etwa 80 dieser Objekte um Investoren warb und die Förderprogramme für solche Ansiedlungen verbesserte. Es wurden Formen der privaten und öffentlichen Förderung gefunden, um Standorte in ihrer wirtschaftlichen und regionalen Entwicklung zu unterstützen. Ein großes Verdienst für den Erhalt dieser Baudenkmale liegt bei den privaten Bauherren, die unter hohen finanziellen Belastungen, denkmalpflegerischen Auflagen und unter Kompromissbereitschaft ihre Häuser sanieren und der kommerziellen und öffentlichen Nutzung zur Verfügung stellen. Die meist kulturtouristischen Nutzungen haben zum Erhalt der Häuser beigetragen, gleichzeitig das kulturhistorische Bewusstsein und den Stolz der Menschen auf ihren Ort, dessen Traditionen und die regionale Geschichte gestärkt. An zahlreichen Standorten des Landes ist in nur knapp 10 Jahren erreicht worden, dieses Profil an das strategische Marketing und an die Imagepolitik der Unternehmen und des Landes zu binden. Schloss- und Gutshotels und anderen Nutzungsmodellen konnten sich als Produkt am Markt profilieren und gemeinsam eine stabile Produktlinie und Marke aufbauen. Einige Häuser kooperieren mit den bundesweit und international bekannten Markenmanagements „Gast im Schloss“, „Deutsche Burgen“ oder „Burgenstrasse“. Im Laufe der letzten Jahre haben eine Reihe von Organisationen und Unternehmen die Entwicklung, Förderung, Nutzung und Vermarktung der Schlösser, Guts- und Herrenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern übernommen. Vorteile und Vorbildfunktion im Management haben hier wiederum diejenigen, die das Thema in einen kultur-touristischen Kontext stellen oder privatrechtlich Produktund Standortmarketing betreiben. Deren Innovations-, Motivations-, Marketingund Promotionsschub ist insbesondere für den überwiegend ländlichen Raum mit seinen mehr als 2000 Schlössern, Guts- und Herrenhäusern weiterhin dringend nötig. Die wohl älteste und umfangreichste Informationsplattform und Datenbank www.gutshaeuser.de ist seit dem Jahr 2000 online. Sie wird durch zwei Privatleute in Vorpommern als Hobby und aus beruflichem Interesse betrieben. Es handelt sich um eine der inzwischen umfangreichsten Katalogisierungen, privaten Datenbanken, die jeder Zeit online zugänglich sind und aktualisiert werden.
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Veröffentlicht sind derzeit rund 1800 Standorte in Bild- und Textform und weiterführenden Links. Begonnen hatte man mit gerade einmal 60 Standorten. Monatlich werden durchschnittlich 35.000 Besucher registriert, die im Schnitt sieben Seiten nutzen. Besucht wird die Homepage vorrangig von Leuten, die sich mit Familiengeschichte befassen, sich für einen speziellen Ort interessieren oder ihren Urlaub bzw. ein privates Event in der Region planen. Auf der Suche nach einer derartigen Immobilie und entsprechenden Offerten stoßen ebenfalls zahlreiche Kaufinteressenten auf die Adresse. Inzwischen nutzt auch die Film- und Medienwirtschaft bei der Motivwahl und ihren Storys diese Adresse. So im Gutshaus Belitz bei Güstrow die ARD-Reihe „Leben im Gutshaus um 1900“ uns weitere Serien.27 Die erweiterten Rubriken „Urlaub im Schloss“ und „Urlaub im Gutshaus“ entstanden 2005 auf Betreiben einiger Hoteliers. Sie wollten dieses landesweite Portal und dessen optimalen Marketingmöglichkeiten für sich nutzen und finanzieren ihre Einträge gegen einen geringen Jahresbeitrag. Von den Gästen der Website „Schloss Hotels Schlemmin“ kamen regelmäßig etwa 18 Prozent über diese Seite zur richtigen Adresse. Die Gesamtkosten für dieses Projekt werden durch den Verkauf der Jahres- bzw. Wochenkalender „Gutshäuser und Schlösser“ und durch Einträge des Gastgewerbes in der Rubrik „Urlaub...“ getragen. Eine wirtschaftliche Selbstständigkeit wird laut Aussagen der beiden Akteure darüber nicht erreicht. Dafür sei eine breitere Basis nötig, z.B. über die Verkäufe bzw. Vermarktung von Immobilien oder Dienstleistungen als Reiseveranstalter. Beide Betreiber setzen sich seit Jahren, mit Hilfe dieses Informations- und Marketinginstrumentes und auch der damit verbundenen Effekte, sehr gezielt dafür ein, dass die Nutzung der Schlösser, Guts- und Herrenhäuser zu einem touristischen, denkmalpflegerischen und landespolitisches Kernthema mit nachhaltiger Aufmerksamkeit wird. Die Vereinigung der Schlösser, Herrenhäuser, Gutshäuser in MV e.V. war der erste Interessenverbund, der 1995 mit zunächst sehr wenigen Häusern deutschlandweit in die Werbung ging. Inzwischen gehören diesem Marketingverbund 22 Mitglieder an. Sie nutzen Homepages, Messestände und Werbemittel gemeinsam, setzen ihre eigenen individuellen Marketinginstrumente auch für die anderen Mitglieder der Vereinigung ein, besitzen jedoch keine gemeinsame Buchungs- bzw. Vertriebsplattform. Die Homepage der Vereinigung wird durch eine Schweriner Agentur betreut, über deren touristisches Buchungsportal wiederum weitere Marketingmöglichkeiten bestehen.
27
www.gutshaus-belitz.de
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Beispielgebend war vor allem die Einflussnahme und Vorbildwirkung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die die ökonomische und kommerzielle Nutzungen der denkmalgeschützten Objekte wenn möglich auch förderte. Viele touristisch genutzte Guts- und Schlosshotels sind seit etwa 12 Jahren eine Kooperation mit dem Reiseveranstalter Schwerin Plus Touristik-Service GmbH eingegangen. Er arbeitet in Kooperation mit dem weltweit größten Reiseveranstalter TUI und verkauft seit 1995 MV-Packages wie „Reisen von Schloss zu Schloss“, thematischen Kurz-, Wochenend-, Konzert- und Radreisen mit großem Erfolg. Inzwischen haben weitere regionale und überregionale Touristikunternehmen und Einrichtungen diese Produkte für den Vertrieb erfolgreich erschlossen. Der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern griff die Thematik 1996 erstmals als Jahresthema auf. Daraus wurde ein touristisches Kernthema. So beispielsweise bei der Bewerbung der IGA 2003 in Rostock und ihrer Außenstandorte. Auf den Webseiten des Verbandes locken Themen wie „Heiraten im Schloss“, „Parks und Gärten“, „Urlaub im Schloss“ mit Verweisen auf weitere Adressaten bzw. Buchungsmöglichkeiten. Diese aktive Multiplikatoren- und Marketingrolle konnte bereits zu einem wichtigen Imagewandel sowie zur Aufwertung des Kulturtourismus im Land beitragen. Öffentliche oder gemeinnützige Informations- und Interessenvereinigungen haben sich ebenfalls diesem Gesamtthema verschrieben. Zielstellungen sehen sie vorrangig in dem Erhalt, dem Bewahren und der Suche nach Nutzungsmöglichkeiten für dieses Kulturerbe. Sie sind weitgehend von öffentlicher oder privater Förderung abhängig und verstehen sich in erster Linie als gemeinsame Interessenvertretung mit Multiplikatorenfunktion sowie als Bildungs- und Informationsplattform. Die Akzeptanz als zentrale Marken- und Marketingadressen fehlt ihnen allerdings. Benötigt wird für die Initiativen ein zentrales kommerziell geführtes Dach, unter dem eine Bündelung und Steuerung aller Interessen angesiedelt ist. An Hand dieses Themas zeigt sich besonders praxisnah, dass Kulturtourismus nicht nur kulturelle oder touristische Ziele verfolgt, standortpolitische und gesamtwirtschaftliche Fragen beinhaltet, sondern auch eine außerordentlich spannende Querschnitts-, Management- und Marketingaufgabe ist. Sie beinhaltet Zielkonflikte, aber sie ist auch in der Lage, diese Konflikte in einem größeren kulturwirtschaftlichen-touristischen Kontext zu lösen. Inzwischen ist Eile geboten, denn immer mehr der noch vorhandenen Objekte verfallen zusehends, existieren bereits nicht mehr oder wurden von Kommunen als Bauland ausgewiesen.
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Überregionales Kulturmanagement „Wege zur Backsteingotik“24 Dieses Projekt gilt als eindrucksvolles Best Practice für die kulturtouristische Inwertsetzung eines national und international bedeutenden Themas und für optimale Vernetzung und Auswahl der Kooperationspartner. Aus der Initiative und dem Engagement der Partner wurde seit nunmehr 10 Jahren ein zentrales dauerhaftes Kulturthema, das identitätsstiftend und im Sinne der Wirtschaftsförderung wirkt. Das zentrale Management liegt in den Händen einer Projektgruppe unter Leitung der Landesregierung und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Die Initiative beruht auf dem Tourismusthema „Auf den Spuren der Hanse. Via Hansa die Kulturstraße des Nordens“ und einer Initiative „Zauber der Backsteinbauten in Mecklenburg-Vorpommern“ der frühen 90er Jahre. Deren zentrale Inhalte waren der historische und architektonische Reichtum und das Erbe des Mittelalters sowie die Besonderheit sakraler und weltlicher Bauten aus gebranntem Backstein in Mecklenburg-Vorpommern. Aus den konzeptionellen und praktischen Anfängen entstand die Idee, dies im gesamten norddeutschen und später auch nordeuropäischen und skandinavischen Kulturraum zu aktivieren bzw. zu etablieren. Zur „EXPO 2000“ veröffentlichte die Deutschen Stiftung Denkmalschutz eine erste CD Rom mit dem Titel „Wege zur Backsteingotik“ und fand darüber weitere Interessenten, Förderer und Sponsoren zur Umsetzung dieses überregionalen kulturtouristischen Projektes. Die Stiftung gewann die Evangelischen Landeskirchen, die Norddeutsche Landesbank, die GFI mbH, Printmedien, den NDR und den Tourismusverband MV als Partner. Ein Höhepunkt der Aktivitäten war 2002 die bisher größte gemeinsame Kultur- und Kunstausstellung zu diesem Thema in den Hansestädten Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald mit insgesamt rund 200.000 Besuchern. Über die Medienpartner, gezielte Pressereisen, Messen und Ausstellungen in sowie außerhalb des Landes wurde das Thema sehr öffentlichkeitswirksam und mit positiver Resonanz begleitet. Die Konzentration von PR und Marketingmaßnahmen und die Implementierung des Themas in die Image- und Standortwerbung der Städte und Länder brachten eine überraschend große Resonanz und Neugierde auf die norddeutsche Baukultur. Die mittelalterlicher Handwerkskunst und -technik kam an Hand von Modellen an den Ausstellungsorten zum Einsatz und trug in besonderer Weise zur Popularität bei. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz konnte durch Sponsoring und die Einbindung weiterer Stiftungen (Kulturstiftung der Länder, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, durch öffentliche Medien und Banken) bundesweit 1.2 Mio. DM für die Ausstellungen, Sanierungen und Erhaltung der 24
www.bm.mv-regierung.de; www.backsteingotik.de (Vorpommern Tourismusverband); www.konzertkirche-nb.de (Dauerausstellung Backsteingotik; www.m-vp.de (buchbare Angebote); www.wege-zur-backsteingotik.de; www.deutscher-verband.org
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Bauwerke einwerben – Gelder, die ohne diese nachhaltige Initiative und die überzeugende Kooperation der Partner nicht zur Verfügung gestanden hätten. Der NDR produzierte den Film „Backsteingotik in Mecklenburg-Vorpommern“ und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz machte über Merchandaising und verschiedene Produkte wie z.B. eine 3D-Filmpräsentation dies bundesweit zu einem Dauerthema. Auf Initiative der evangelischen Landeskirchen, der katholischen Kirche und des Landesverbandes Landurlaub MV e.V. entstanden im Zusammenhang mit dieser Kampagne und der Aktion „Offene Kirche“ Qualifizierungskurse für „Kirchenführer“. Kirchliche Denkmale wurden geöffnet und personell besetzt. In Wismar und Neubrandenburg sind inzwischen Dauerausstellungen zur Backsteingotik etabliert. Neben zahlreichen privaten Reiseveranstaltern, Agenturen, Städte- und Tourismusorganisationen vermarkten auch die Tourismusverbände, Agenturen und Reiseveranstalter diese kulturtouristischen Reisen und Ausflüge. Für das Projekt „Wege zur Backsteingotik“ stehen seit dem Jahr 2006 jährlich ca. 100.000 Euro aus öffentlichen Haushaltsmitteln zur Verfügung. Daraus werden ganz unterschiedliche Aktivitäten zum Thema gefördert, z.B. ein Internationaler Kompositionswettbewerb einer Backsteinmusik, ein internationaler Fachkongress und die Dauerausstellungen in Wismar und Neubrandenburg. Des weiteren wurde das Marketingthema mit dem UNESCO-Weltkulturerbe, der Europäischen Route der Backsteingotik und dem Konzept einer Klosterroute durch Mecklenburg-Vorpommern vernetzt. Abbildung 10: Besucherzahlen an den fünf Orten der Ausstellung in 2002 Besucher an den Ausstellungsorten "Wege zur Backsteingotik" 2002 in Tausend
200.000 160.000
150.000 100.000
50.000
45.000
50.000
20.000
20.000
25.000
Rostock
Stralsund
Greifswald
0 Lübeck
Wismar
Eigene Darstellung (Quelle: Presseveröffentlichungen des Managements)
insgesamt
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Analog der großen Resonanz auf die Tourismusstraße „Wege zur Backsteingotik“ in Norddeutschland initiierte 2002 ein Internationaler Marketingverbund eine rund 2000 Kilometer lange „Europäische Route der Backsteingotik“29. Mit dem Beitritt der Baltischen Staaten und Polens zur EU wurde daraus das Interreg III B-Projekt (zwischen nationalen, regionalen und lokalen Behörden) „EuRoB“ mit einem Etat von insgesamt 1.645.700 Euro für den Projektzeitraum; davon 1.074.025 Euro EFRE-Fördermitteln. Im Jahr 2004 erfolgte die feierliche Eröffnung der „Europäischen Route der Backsteingotik“ in Stralsund. Zu dem transnationalen Netzwerk gehören inzwischen nahezu 40 Partner aus sieben Ländern. Ziele sind die Präsentation einer verbindenden Kultur-Tourismus-Route als Zeichen gemeinsamer Kulturgeschichte, Architektur und regionaler Besonderheit der Backsteingotik rund um die Ostsee. Das Projekt dient aber auch der Stärkung der Regionalentwicklung, insbesondere der Tourismusbranche und ist somit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Backsteingotik ist ein vielversprechendes Thema, über das sich neben der Tourismusbranche auch die Kulturwirtschaft und die kommunalen Standorte stärker profilieren werden. Kommunale Partner investieren bereits massiv in die konkrete Infrastruktur und Sanierungsarbeit vor Ort und in die touristische Inwertsetzung. Auf der Insel Rügen wurden z. B. im Jahr 2007 zahlreiche Kirchen mehrsprachig ausgeschildert, touristisch besser erschlossen und die „EuRoB“ in die Presse- und Messearbeit der Region integriert. Das Projekt wurde mit dem Start als Interreg III B-Projekt beim Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. Berlin als Leitpartner angesiedelt. Der Verband diente dem zentralen Koordinierungsbüro als Sitz. Zusätzlich wurden die Interessen und die institutionellen, kulturellen und denkmalpflegerischen Belange der deutschen Projektpartner durch ein weiteres Projektmanagement beim Landesamt für Kultur und Denkmalpflege MecklenburgVorpommern wahrgenommen. Beide Mitarbeiterstellen schrieb das Amt öffentlich aus und besetzte sie ausschließlich mit ausgebildeten Kulturmanagern bzw. Kunsthistorikern. Professionalität in der Abwicklung, der Moderation und Marketingarbeit spiegeln sich in den bisherigen Ergebnissen wider. Katalogisierung, Dokumentation, gemeinsamen Markenauftritt, Entwicklung eines Qualitätsmanagements und gemeinsame Kriterien für Qualifizierungsprogramme von Reiseund Stadtführer etc. gehören zu diesem Management. Die Vermarktung der Kultur-Tourismus-Route erfolgt auch ohne eine teure PR-Agentur sehr professionell. Genutzt werden Möglichkeiten der Printmedien, mehrsprachige Internetportale, ein abgestimmtes gemeinsames Corporate Design, Newsletter, Messepräsens, Sonder- und Dauerausstellungen, einheitliche mehrsprachige Leit- und Informationssysteme, ein mehrsprachiges Online-Hand29
www.eurob.org, www.deutscher-verband.org, www.kulturwerte-mv.de
Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
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buch zur Backsteingotik oder auch Preisausschreiben und Gewinnspiele. Lokale und regionale Tourismusorganisationen und Reiseagenturen in den Partnerstädten vermitteln inzwischen für alle Standorte ein- bis mehrtätige Touren und Rundreisen entlang der „EuRoB“. Mit Auslaufen der EU-Förderperiode 2007 erfolgte im Zusammenhang mit einem Fachkongress in Greifswald die Neugründung eines internationalen Vereins (nach deutschem Vereinsrecht). Er besitzt sowohl die Trägerschaft wie auch die Geschäftsstelle für die Moderation bzw. Betreuung aller Partner sowie die Fortschreibung des Projektes. Die Europäische Route der Backsteingotik ist ein sehr anschauliches und innovatives Beispiel. 2006 erhielten die Projektträger den sog. „Bernstein-Award“ als Best-Practice-Auszeichnung innerhalb des Förderprogramms Interreg III B. Die ideellen und finanziellen Mehrwerte für alle Partner sind u. a. durch den professionellen Markenauftritt, die überregionale Präsenz und Presse, wachsende Besuchernachfrage, durch öffentliche und kommerzielles Marketing und Verkauf buchbarer touristischer Dienstleistungen zugänglich und messbar. Die Verknüpfung des Themas mit dem Konzept des Weltkulturerbes der UNESCO, dem internationalen Städtetourismus oder z.B. auch mit der Wirtschafts- und Außenpolitik der Länder unterstützt die Internationalisierung des Themas und der Marke „EuRoB“. Zukünftige Tätigkeitsschwerpunkte des Managements müssen vor allem darin liegen, ein tragfähiges Strukturmodell zu etablieren, welches die Unabhängigkeit von öffentlichen Fördermitteln sicherstellt, ein Sponsoren- und Fundraisingkonzept beinhaltet und eine langfristige Markenstrategie und Marktpräsenz beinhaltet. Die bereits begonnenen und beabsichtigten Marketingkooperationen zwischen den zentralen Orten und strukturschwachen Standorten sowie zu anderen Playern werden den Imagezuwachs, den Prozess von Identität und sinnstiftendem Bürgerengagement weiter beschleunigen. Die bisherige Koordinierungsstelle für die deutschen Projekte empfiehlt die Fortsetzung und Intensivierung konkreter Kooperationen zwischen Unternehmen und Verwaltungen zugunsten des Denkmalerhalts, der Bildungs-, Kinder- und Jugendarbeit (z.B. in Zusammenarbeit mit den Jugendbauhütten in Stralsund und Wismar) und der Regionalentwicklung. Für die Umsetzung dieses operativen Tagegeschäftes wäre ein regional verankertes Koordinierungsbüro in Mecklenburg-Vorpommern sehr hilfreich.
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Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Der Einsatz von Kulturmanagements und deren teilweise staatliche und kommunale Förderung erfolgten in den vergangenen 15 Jahren parallel zum Auf- und Ausbau des Tourismus. Kulturelles Management war stark an die lokale Stabilität des Tourismus gebunden. Daher fand die Strukturierung und zeitliche Einbindung lokal und regional auch ganz unterschiedlich statt. Charakteristisch für die 90er Jahre war die Besinnung auf die kulturellen Werte in MecklenburgVorpommern, der Ausbau und die Modernisierung der kulturellen Infrastruktur, die Existenzgründungen in Bereichen der Kulturwirtschaft, die Phase der Stagnation und der Rückgang der staatlichen Förderung sowie die daran anschließenden Public Private Partnerchip-Modelle. Die ökonomischen Zwänge zur Zusammenarbeit und Professionalisierung in Verbindung zwischen Tourismus, Reiseveranstaltern, Event-Management, Regionen und Medien folgte. Ganz besonders wichtig für Image- und Standortwerbung MecklenburgVorpommerns sind Assoziationen zwischen Wirtschaft – Kultur – Natur – Tourismus. Verschiedene Wirtschaftszweige setzen ganz bewusst auf eine Identifikation ihrer Unternehmen mit der Region Mecklenburg-Vorpommern und ihrem Content. Dies wird als ein Mehrwert und positiver Imagefaktor eingesetzt. In Kunst und Kultur, im Kulturtourismus und in der Kulturwirtschaft entwickelten sich die Kooperationen und die Konzentration der finanziellen Mittel immer dort am schnellsten, wo der Vergleich zu Wettbewerbern und der Erfolgsdruck größer war. Jedoch dort, wo die lokale Präsens, die zeitliche Befristung von Themen und Projekten ohne Einbindung in überregionales Marketing und Netzwerke Vorrang hatte, blieben der Ansatz und zusätzliches Image, wenn überhaupt, von kurzer Dauer. Die Vitalität und Vielfalt des kulturellen Lebens und die Lebensqualität in Mecklenburg-Vorpommern werden vor allem an den kulturellen Angeboten, den Strukturen und Formen der Kultur und der kulturellen Bildung gemessen. Die Ergänzung der öffentlich-rechtlichen Strukturen durch kommerzielle Strukturen hat nicht nur die Quantität der Dienstleistungen verändert, sondern war auch eine qualitative Bereicherung des Marktes. Für die künftige Entwicklung des Kulturmanagements sollten vor allem folgende Punkte berücksichtigt und umgesetzt werden:
Parallelorganisationen, die Wiederholung von Strukturen und Managements in den Regionen sowie deren Wettlauf um Programme, Projekte, Marketingetats und öffentliche Förderung müssen immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden, ohne allerdings Wettbewerb im positiven Sinn auszuschließen.
Kulturtourismus in Mecklenburg-Vorpommern
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Kooperationen, Netzwerke, strategische Partnerschaften sollten in- und extern ausgebaut und stabilisiert werden. Ein konsequentes Themenmarketing in Form von emotionalen Dachmarken im Zusammenhang mit einer landesweiten Kultur-Kampagne und Kulturagentur als Management sollte durch die öffentliche Hand in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft verfolgt werden. Der Aufbau einer landesweiten zentralen Event-Datenbank ist überfällig. Die Marketingkooperationen mit Reiseveranstaltern sollte ausgebaut werden. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in den Medien sollte optimiert werden. Die kulturelle Identität im Ostseeraum und die internationalen Kontakte ließen sich durch eine Schwerpunktsetzung auf gemeinsame Kernthemen wie beispielsweise die Tourismusentwicklung, die kulturellen Gemeinsamkeiten der Backsteingotik, der Hanse oder auch der gemeinsamen Geschichte und Kulturgeschichte leichter festigen.
Überregionales Management und Marketing für Kunst, Kultur und Kulturtourismus wird auch weiterhin nicht ohne öffentliche Förderung auskommen. Aber als mittelbarer und unmittelbarer Wirtschaftsfaktor partizipiert Kultur bereits erheblich von der Zusammenarbeit seines Managements mit der Wirtschaft. Der Erfolg dieser Allianzen wird von der Stabilität, der Qualität und den Erfolgen des Projektmanagements abhängen. Dort wo Themen- und Produktmarketing konsequent betrieben werden, sind Kulturmanager mittlerweile auch als gleichberechtigte Partner und Ideengeber anerkannt.
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Literatur- und Quellenverzeichnis
BAT Freizeit- und Forschungsinstitut/ Stiftung für Zukunftsfragen (2007): 23. Deutsche Tourismusanalyse 2006. Hamburg Eichbaum, Christa (2004): Die Bedeutung kulturtouristischer Angebote als Wirtschaftsund Imagefaktor für Mecklenburg-Vorpommern an Hand von Fallbeispielen. Schwerin Europäische Kommission: Dokumente zur Entwicklung der Kulturwirtschaft Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. (2007): Reiseanalyse Deutscher Tourismusverband e.V. (2006): Tourismus in Deutschland Deutscher Reisebüro und Reiseveranstalter Verband e.V. (2006): Fakten und Zahlen zum deutschen Reisemarkt Institut TNS Infratest Sozialforschung, 2007
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Museumsverband in MV e.V. (2004): Kulturanalyse für Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern (2006): Kulturelle Aktivitäten der Religionsgemeinschaften in MecklenburgVorpommern. Schwerin NORD/LB (2006): Diesseits von Eden. Europäische Marketingkonzepte für Gärten und Schlösser, Hannover, Rostock Kulturstiftung des Ostdeutschen Sparkassenverbandes: Jahresberichte Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern: Statistische Berichte Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.: verschiedene Kataloge Befragungsprotokolle der Autorin 2007: Pommersches Landesmuseum Greifswald, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern gGmbH, Agentur www.gutshaueser.de Projektbüro der Europäischen Route der Backsteingotik und Wege zur Backsteingotik.
Internetadressen www.auf-nach-mv.de www.backsteingotik.de www.denkmalschutz.de www.europ.org www.festspiele-mv.de www.gutshaeuser.de www.gutshaus-belitz.de www.im.mv-regierung.de www.konzertkirche-nb.de www.kulturwerte-mv.de www.kulturportal-mv.de www.kulturstiftung-des-bundes.de www.kulturkreis.org www.listinus.de www.m-vp.de www.mv-regierung.de www.osv-online.de www.pommersche-museen.de www.wege-zur-backsteingotik.de
Nachwort: Profession der Grenzgänger
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Nachwort: Profession der Grenzgänger Thomas Heinzes „reflexives Kulturmanagement“ – weiter gedacht Nachwort: Profession der Grenzgänger
Stefan Lüddemann
Kann man handeln und gleichzeitig denken? Oder während des Denkens auch handeln? Die Frage nach der Vereinbarkeit dessen, was eigentlich auseinander strebt – nämlich Aktivität und Reflexion – muss hier nicht entschieden werden. Diese paradoxe Struktur interessiert insofern, als sie kennzeichnet, was als Leitbegriff den Entwurf des Kulturmanagements prägt, den Thomas Heinze entwickelt hat. Die Vokabel „reflexives Kulturmanagement“ vereint zweierlei – die Qualität einer Anleitung für erfolgreiche Praxis und den Anspruch, dieser Praxis eine Dimension des Nachdenkens an die Seite zu stellen. Beide Pole des Begriffs werden kaum im Verhältnis der Hierarchie gedacht werden können. Ob Entwurf und Ausführung oder Aktion und deren Kontrolle: Reflexivität und Management bedingen einander und bilden zugleich eine Konstellation, deren immanente Spannung nicht aufgelöst werden kann. Thomas Heinze hat mit dem „reflexiven Kulturmanagement“ eine (werdende) Wissenschaft und ihre Praxis konzipiert und mit diesem Begriff zugleich auch unmissverständlich klar gemacht, dass er das Kulturmanagement vor allem für ein Konfliktfeld hält. Das schließt den Verzicht auf die Freuden der Kohärenz ebenso ein wie die Lust an der Rasanz vorwärts drängender Produktivität. Wenn hier dem durch die Beiträge des Buches bezeichneten Parcours durch Methoden, Entwürfe und Handlungsfelder ein auf Thomas Heinze und „sein“ Kulturmanagement bezogenes Nachwort angefügt wird, dann geht es nicht so sehr um eine Person als vielmehr um ein diskursives Feld1. Die Beiträge des vorliegenden Buches verstehen sich auch als bereichernde Fortsetzung dieses von Heinze eröffneten Feldes wie als Fortsetzung der wissenschaftlichen Debatte um das Kulturmanagement überhaupt. Da der Gedanke der Fortsetzung das Moment des Endes von etwas anderem einschließt, geht es nun darum, den erreichten Stand zu prüfen – gerade auch, indem mögliche Anschlüsse formuliert wer1
Die Herausgeber haben entsprechend den vorliegenden Band konsequent thematisch fokussiert. Bei allem Bezug auf Person und Leistung Thomas Heinzes bestand nicht die Intention, eine bloße „Festschrift“ vorzulegen. Die Kritikpunkte, die sich mit dieser Form wissenschaftlicher Publikation verbinden, werden von den Herausgebern geteilt.
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Nachwort: Profession der Grenzgänger
den. Das „reflexive Kulturmanagement“ eröffnet dafür vielfältige Aspekte, vor allem den, nach der grundsätzlichen Qualität von Kulturmanagement neu zu fragen. Kann von einem Konstrukt, das sich aus Teilen unterschiedlicher Provenienz zusammensetzt, Stimmigkeit erwartet werden? Oder muss akzeptiert werden, dass Kulturmanagement immer eine unperfekte Praxis bleiben wird? Bevor solchen Fragen weiter nachgegangen wird, ist hier zunächst die bereits mit ihrem Leitwort angesprochene Position von Thomas Heinze zu umreißen, auch um der sich als Fortsetzung verstehenden Reflexionen, welche die Beiträgerinnen und Beiträger dieses Bandes entfalten, Anhaltspunkte zu liefern. Reflexives Kulturmanagement2, der Kulturmanager als Grenzgänger3, Kultur als Feld unter Spannung 4: Um diese, meist metaphorisch aufgeladenen Begriffe und die mit ihnen verbundenen Vorstellungen kreist bei Heinze ein Denken, das sich falsch verstandener Stimmigkeit nicht überlassen mag, weil sie mit substantiellen Verlusten teuer erkauft wäre. „Reflexives Kulturmanagement“ meint genau das – eine Konzeption von Kulturmanagement als echter Schnittstellenkompetenz, die stets unter dem Anspruch steht, das eigentlich Unvereinbare zusammen zu denken und dabei darauf zu achten, dass keine der beteiligten Positionen ein unangemessenes Übergewicht erhält. Thomas Heinze hat die produktiven Möglichkeiten, die in „unreinen Feldern“5 liegen, frühzeitig erkannt und entwickelt. Zugleich verwies er immer wieder auf die Gefahren, die mit einer unzulässigen Instrumentalisierung von Kultur dann auftreten, wenn ökonomische Begründungszusammenhänge und ihnen zugeordnete Praktiken einseitig dominieren. Dabei hat sich Heinzes Einschätzung der Notwendigkeit von Kulturmanagement im Lauf der Jahre verschoben. Als unausweichlichen, weil von der Relevanz der Kultur für die Gesellschaft geforderten Professionalisierungsschub wertete er zunächst die Etablierung des Kulturmanagements6, um später zu konstatieren, dass vor allem die sich verringernden öffentlichen Mittel den Kulturbetrieb zur Ausbildung managerialer Kompetenzen zwingen7. Später hat Heinze diese beiden Begründungszusammenhänge für das Auftauchen des Kulturmanagements – wachsende Anforderungen an Professionalität einerseits sowie die Suche nach neuen finanziellen Ressourcen andererseits – als eine, wieder in sich bipolar gespaltene Struktur gesehen8. Dabei reduzierte sich für Heinze das Kulturmanagement niemals nur auf die infrastrukturelle Abstüt2
Diese Vokabel findet sich zum Beispiel in: Heinze 1995: 63 und Heinze 2008: 16. Die Metapher des „Grenzgängers“ in: Heinze 1995: 84, Heinze 1997: 56, Heinze 2008: 25. 4 Hinweise auf dieses grundsätzliche Verständnis von Kultur und ihre Ermöglichungen in: Heinze 1997: 55f. 5 Heinze 1997: 65. 6 Dieser Gedanke sehr deutlich in: Heinze 1994: 61. 7 Vgl. Heinze 1997: 48. 8 Vgl. Heinze 2008: 9. 3
Nachwort: Profession der Grenzgänger
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zung kultureller Prozesse9. Kulturmanager haben für ihn stets auch eine andere, vielleicht sogar wichtigere Aufgabe – nämlich die, „Zahl und Qualität kultureller Beobachtungsmöglichkeiten“10 zu steigern und so die Selbstverständigungsprozesse einer Gesellschaft nachhaltig anzuregen. Insofern muss es dem Kulturmanagement stets darum zu tun sein, die Potenziale der Kultur und der ihnen eingelagerten Künste freizulegen. Solche Potenziale liegen in den Chancen, die Kunst und Kultur für differenzierte Wahrnehmung, reich strukturiertes Denken von Problemstellungen und eine ebenso beschleunigte wie thematisch angereicherte Kommunikation eröffnen. Thomas Heinze entwickelte – und entwickelt – diesen Vorstellungskreis des „reflexiven Kulturmanagements“ auch im Rückgriff auf ästhetisch-kulturelle Debatten wie in der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Methodendiskussionen. Dabei sind für Heinze vor allem drei Paradigmen leitend gewesen, die es ihm ermöglichten, zentrale Fragestellungen der jungen Disziplin zu entfalten. Die zeitliche Abfolge dieser Paradigmen fügt sich per se zu einer Entwicklungslinie, die zu erkennen gibt, wie sich Kulturmanagement stets auch in Auseinandersetzung mit den rapiden Veränderungen entwickelt hat, die das Feld der Kultur mit den ihm innewohnenden Turbulenzen seit jeher ausgezeichnet haben. Diese drei Paradigmen sind:
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Kritische Theorie: Dieser Theoriekontext bezeichnet das eine der drei Paradigmen, das lange vor dem Aufkommen des Kulturmanagements entstand und das auch nur eine kleine, wenn nicht gar keine Schnittmenge mit dieser jungen Disziplin hat. Thomas Heinze hat diese Theorie, die für ihre scharfe Ablehnung der „Kulturindustrie“ wie für kritische Analysen der „Warenästhetik“11 bekannt ist, in seiner bislang letzten Veröffentlichung neu aufgegriffen. Er sieht in dem Bezug zur Kritischen Theorie die Aktivierung eines kritischen Potenzials, das Kultur vor ihrer Vereinnahmung durch Ökonomie schützen soll. Zugleich kann Kritische Theorie den Kulturmanager an eine seiner zentralen Aufgaben erinnern, indem sie in ihrem Verständnis von Kunst und Kultur auf deren „sprenghaftes Potenzial“12 verweist und damit die utopische Dimension von Beschäftigung mit Kultur bewusst hält. Heinze macht zugleich deutlich, dass er das konservative Kunstverständnis der Kritischen Theorie nicht teilt. Die Ablehnung neuer Kombinationen von Hoch- und Breitenkultur sowie der Integration von tra-
Diese Vorstellung nennt er in: Heinze 1994: 62 und Heinze 1995: 64. Heinze 1994: 66. 11 Diese Stichworte werden hier als bekannt voraus gesetzt und entsprechend ohne näheren Nachweis genannt. 12 Heinze 2008: 190. 10
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13
Nachwort: Profession der Grenzgänger ditionellen Inhalten und aktuellen Ausdrucksformen hat nach seiner Einschätzung in die „Sackgasse der Verweigerung“13 geführt. Die Beschäftigung mit der Kritischen Theorie hat Heinze nicht davon abgehalten, Koalitionen zwischen Kultur und Wirtschaft sowie die Frage nach innovativen Formen der Kulturfinanzierung zum Thema eigener Forschungen zu machen.14 Postmoderne: Beförderte der kulturelle Differenzierungsprozess, der mit der Postmoderne in den achtziger Jahren einsetzte, auch die Ausbildung des Kulturmanagements? Thomas Heinze hat jedenfalls auf die Postmoderne intensiv reagiert, indem er ihre Diskussion zum Thema einer als Lehre der Wahrnehmung verstandenen Ästhetik in den Begründungsdiskurs des Kulturmanagements integrierte. Nach Heinze muss es dem Kulturmanagement wesentlich darum gehen, Erfahrungsräume und Wahrnehmungsmöglichkeiten zu eröffnen15 und so Offenheit für „fiktive Alternativen geglückten Lebens“16 zu ermöglichen. Der Postmoderne – vor allem in der Lesart von Wolfgang Welsch – verdankt Heinze seine Sensibilität für Kultur als semantischen Prozess, der in seiner weichen, fluiden Konsistenz der Abstützung durch die „harten“ Techniken des Managements bedarf. Postmoderne: Das bedeutet für Heinzes Konzeption des Kulturmanagements insbesondere die Aufmerksamkeit für Differenzen.17 Kritikpunkte an der Postmoderne formuliert er dort, wo er das Aufkommen eines hedonistischen Kulturkonsums als negative Seite dieser Zeitströmung sieht. Indem Heinze auch Konzepte für kulturtouristische Situationen erarbeitet hat18, beschäftigte er sich offensiv mit diesen konkreten Erscheinungsformen postmoderner Kultur. Systemtheorie: Das postmoderne Leitwort der Differenz ist auch in der Systemtheorie am Platz, weil es die Weise anzeigt, in der diese von Niklas Luhmann entworfene Gesellschaftstheorie zentrale Begriffe wie Beobachtung, Kommunikation oder auch System konzipiert. Thomas Heinze hat die Systemtheorie in den Status einer auch für das Kulturmanagement zentralen Theorie gehoben – und das wohl vor allem deshalb, weil das Konzept einer in autonome Systeme aufgefächerten Gesellschaft die Möglichkeit eröffnete, das für das Kulturmanagement stets ebenso unausweichliche wie prekäre Nebeneinander von Kunst und Wirtschaft als die Koexistenz eigenständig operierender Bereiche zu sehen, die miteinander in Koalitionen eintreten
Heinze 2008: 195. Vgl. dazu die Sammelbände Heinze 1995 und Heinze 1999 sowie Heinze/Bendixen 2004. Vgl. dazu Heinze 1995: 68. 16 Heinze 1995: 68. 17 Vgl. Heinze 2008: 11 und 263. 18 Vgl. dazu Heinze 2008: 119-158. 14 15
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können, ohne dafür ihre eigene, immanente Logik aufgeben zu müssen.19 Mit der Systemtheorie gewinnen für das Kulturmanagement aber auch die Begriffe Kultur und Kommunikation überragende Bedeutung. Kultur gilt schließlich als das die ganze Gesellschaft prägende Themenreservoir, Kommunikation als zentraler Modus für die Interaktion der Systeme. Heinze hat entsprechend vor allem der Kommunikation einen zentralen Stellenwert für das Kulturmanagement eingeräumt. Schließlich fördert das Kulturmanagement „Differentialität und Konnektivität“20 in einem doppelten Sinn: Zum einen wird der kommunikative Charakter kultureller Prozesse betont, zum anderen kommen die nur durch Kommunikation miteinander zu vermittelnden Differenzen der sozialen Systeme deutlicher in den Blick. Diese Sichtweise macht Kulturmanagement als Profession der Grenzgänger plausibel, die nach dem Vorbild eines ganzheitlichen, vernetzten Denkens21 die Sensibilität der Ästhetik mit der Effektivität der Ökonomie ebenso miteinander in Beziehung setzen können wie sie auch zwischen dem Eigensinn der Künste und den Standardisierungen der Massenkultur erfolgreich vermitteln. Kulturmanagement kommt so als Inbegriff einer Gestaltungskunst in den Blick, die Kommunikation anstößt, um Potenziale der Kultur zu entfalten und strategische Optionen Wirklichkeit werden zu lassen.22 Mit diesen zentralen Stichworten und Vorstellungskomplexen, die jeweils unterschiedliche theoretische und methodische Begründungen mit sich führen, ist das Diskursfeld bezeichnet, in dem die Beiträge des vorliegenden Bandes vielfältige Anschlüsse herstellen, die an Heinzes „reflexives Kulturmanagement“ anknüpfen und darüber hinaus in die Zukunft des Kulturmanagements weisen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Als restlos kohärente Struktur wird das Kulturmanagement wohl auch weiterhin nicht entworfen werden können. Die Systemtheorie eröffnet die Möglichkeit, die Differenzen zu beschreiben, die sich mit den jeweils eigenen Logiken der getrennt operierenden Systeme ergeben. In dieser Perspektive bleibt nur die Mühe der immer neu anzugehenden Übersetzungs- und damit Vermittlungsarbeit, um temporäre Koalitionen, vor allem zwischen Kunst und Wirtschaft zu formen. Dafür bietet jedoch die Entwicklung eines konstruktivistisch verstandenen Kulturbegriffs die Chance, das Kulturmanagement neu auf die Produktivität der Kultur selbst hin auszurichten und auf diesem Weg dessen reflexiven Charakter frisch zu konturieren. In dieser Blickrichtung muss es dem Management von Kultur vor allem um die Entwicklung 19
Dieses Verständnis beispielhaft entwickelt in: Heinze 2008: 57ff. Heinze 2008: 10. 21 Vgl. Heinze 2008: 12. 22 Zur Relevanz strategischen Denkens vgl. Heinze 1997: 55. 20
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von Ressourcen des Sinns und Potenzialen der Bedeutung gehen. Nur so lässt sich Kommunikation in einer Gesellschaft mit Themen versorgen, also immer neu zentrieren und mit Kriterien versorgen, die zur korrigierenden Selbststeuerung unerlässlich sind. In diesem Sinn erfährt die Idee eines „reflexiven Kulturmanagements“ in dem vorliegenden Band eine nachhaltige Reformulierung. Zu dieser Perspektive gehört auch, dass nun offener formuliert werden kann, was in Heinzes Überlegungen implizit enthalten ist: die Frage nach einer Ethik des Kulturmanagements. Diese Ethik wäre als Katalog von Gütekriterien zu entwerfen, die sicherstellen, dass Kultur um ihrer selbst willen zum Gegenstand von Management gemacht wird. Dass solche Bemühung nicht in abstraktem Idealismus befangen bleibt, belegt der Blick auf den beschleunigten Wandel der Kulturszene, der sich um Fragen nach neuen Akteuren, ungewohnten Koalitionen, innovativen Ausübungsformen und dergleichen mehr zentriert. Für die erhöhte Geschwindigkeit von Prozessen kultureller Sinn- und Bedeutungsgenerierung spricht die Feststellung, dass sich die beobachtbare Kulturszene selbst in einem Prozess rasanter Restrukturierung befindet. Die Autoren des vorliegenden Bandes legen dar, wie sich Stadtkultur nicht nur programmatisch, sondern insbesondere auch im Blick auf Akteure und Formen der Ermöglichung von Kultur so verschiebt, das für Kultur neue Themen bearbeitet, neue Fragen gestellt werden können. Dem veränderten Anforderungsprofil an Rolle und Inhalte von Kultur entspricht ein insofern deutlich verändertes Szenario, als sich das Ensemble der an ihrem Geschehen mitwirkenden Akteure deutlich erweitert und komplexer als bisher vernetzt. Nicht nur durch diese Konstellation ergeben sich für das Kulturmanagement neue Aufgaben. Mit der Expansion von Szenen, Bühnen und Ermöglichungen von Kultur treten auch neue Anforderungen an die Gestaltungsdimensionen eines Managements auf, das sich für Kultur zuständig erklärt. Nicht nur das Marketing erfährt einen neuen Feinschliff seiner bestens eingeführten Methoden. Zugleich kommen vielfältig aufgefächerte Beschäftigungsformen als neues Phänomen der Kulturszene ebenso in den Blick wie Vorstellungen eines Managements, das mehr als bisher auf ständigen Wandel wie auf Vernetzung und Aktivierung der in Kultureinrichtungen tätigen Akteure setzt. Das schließt innovative Formen der Personalsteuerung mit ein. Ungewohnte Relevanz erlangen nun auch Erörterungen rechtlicher Fragen rund um die Kultur. Bislang im Kulturmanagement eher als Spezialprobleme verbucht, treten juristische Probleme vor allem deshalb in den Vordergrund, weil sich mit der Ausweitung von Akteursgruppen, Organisationsformen und denkbaren Koalitionen sowie den dazu gehörenden Vernetzungen völlig neuer Regelungsbedarf ergibt. Die Relevanz dieser Problemstellungen macht einmal mehr deutlich, wie sehr Kultur als zentrale Instanz der Sinngenerierung in einer Gesellschaft expandiert.
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So dürfen die Beiträge, die in dem vorliegenden Band versammelt sind, in einem doppelten Sinn als Reaktionen auf die tatsächlichen Veränderungen der Kulturszene wie auch als Vorschläge zu deren weiterer Ausgestaltung verstanden werden. In dieser Einstellung wird sichtbar, was „reflexives Kulturmanagement“ auch immer meint – nämlich die Einsicht in das Faktum, das jede Beschreibung von Kultur nur als deren substantielle Fortschreibung wirklich vollständig verstanden ist. Schon allein deshalb dürfte es sich von selbst verbieten, Kulturmanagement auf seine instrumentelle Dimension hin zu verkürzen. Im Gegenteil: Die in diesem Band entfaltete Diskussion macht neu deutlich, dass Sinnpotenziale von Kultur im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen müssen. Das schließt Techniken des Managements nicht aus, verweist aber auf die Verpflichtung, ihren Einsatz immer wieder mit inhaltlichen Erwägungen über Kultur zu koppeln und so ihren Einsatz hinreichend zu validieren. Dass in diesem Punkt mehr als berechtigte Hoffnung besteht, in Zukunft zu guten, weil komplex und sensibel erarbeiteten Resultaten zu gelangen, belegen die Reflexionen, die der vorliegende Band bietet. Die einzelnen Beiträge machen an vielen Beispielen deutlich, wie der Einsatz managerialer Instrumente immer wieder mit der Erzeugung kulturellen Sinns verknüpft werden kann. In solcher Feinabstimmung mag das eigentliche Geheimnis eines Kulturmanagements liegen, das zwar nie frei von Konflikten sein kann, sich im Fall seines Gelingens jedoch mit Recht reflexiv nennen darf.
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Heinze, Thomas/Peter Bendixen: Kulturförderung und Kulturfinanzierung. In: Heinze (2004): 15-42 Heinze, Thomas (2008): Kultursponsoring, Museumsmarketing, Kulturtourismus. Ein Leitfaden für Kulturmanager. 3., erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag
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1942 geboren in Berlin Studium der Soziologie, Psychologie, Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin 1968 Magister Artium 1969-70 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Theaterbau der Fakultät für Architektur an der Technischen Universität Berlin 1971 Promotion an der Technischen Universität Berlin 1971-1974 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bildungstechnologischen Zentrum Wiesbaden
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1977 Habilitation an der Philipps-Universität Marburg. 1982 Universitätsprofessor an der FernUniversität in Hagen Initiator und Leiter der postgradualen Studiengänge Kultur-, KulturTourismusund MuseumsManagement, geschäftsführender Direktor des Instituts für KulturManagement an der FernUniversität Hagen Mitglied der Gründungskommission des Bereichs Kulturwissenschaften der Universität Leipzig Lehraufträge an den Universitäten Bielefeld, Frankfurt, Köln, Leipzig, Mainz, Siegen, Gastprofessur an den Universitäten Bozen, Innsbruck, Klagenfurt 2007 Initiator und Leiter des postgradualen Master-Fernstudiengangs Management für Kultur- und Nonprofit-Organisationen an der TU Kaiserslautern 2008 Ruf auf eine Professur („Professore ordinario“) an der Freien Universität Bozen
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Monographien (1) (2) (3) (4) (5) (6)
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Theater zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit. Theorie und Praxis sozialwissenschaftlicher Theaterforschung. Köln/Wien: Böhlau. 1973 (Dissertation) Handlungsforschung im pädagogischen Feld. München: Juventa. 1975 (zusammen mit E. Müller, B. Stickelmann, J. Zinnecker) Die Praxis von Handlungsforschung. Berichte aus einem Schulprojekt. München: Juventa. 1975 (zusammen mit E. Müller, B. Stickelmann, J. Zinnecker) Unterricht als soziale Situation. Zur Interaktion von Schülern und Lehrern. München: Juventa. 1976 (2. Aufl. 1978) (Habilitationsschrift) Schülertaktiken. München: Urban/Schwarzenberg. 1980 Interpretationen einer Bildungsgeschichte. Überlegungen zur sozialwissenschaftlichen Hermeneutik. Bensheim: päd.extra. 1980. (zusammen mit H. W. Klusemann und H. G. Soeffner als Hrsg.) Praxisforschung. Wie Alltagshandeln und Reflexion zusammengebracht werden können. München: Urban/Schwarzenberg. 1981. (zusammen mit F. Loser und F. Thiemann) Qualitative Sozialforschung. Erfahrungen, Probleme und Perspektiven. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1987 (3. überarbeitete und erweiterte Auflage 1995) Medienanalyse. Ansätze zur Kultur- und Gesellschaftskritik. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1990 Kulturwissenschaftliche Hermeneutik. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1996. (zusammen mit R. Heinze-Prause). Kulturmanagement. Professionalisierung kommunaler Kulturarbeit. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1994 (Hrsg.) Kultur und Wirtschaft. Perspektiven gemeinsamer Innovation. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1995 (Hrsg.) Kulturmanagement II. Konzepte und Strategien. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1997 (Hrsg.) Kulturtourismus. Grundlagen, Trends und Fallstudien. München: Oldenbourg Verlag. 1999 (Hrsg.) Kulturfinanzierung. Sponsoring – Fundraising – Public-Private-Partnership. Münster-Hamburg-London: LIT Verlag. 1999. (Hrsg.) Qualitative Sozialforschung. Einführung, Methodologie und Forschungspraxis. München: Oldenbourg Verlag. 2001 Kultursponsoring Museumsmarketing, Kulturtourismus. Ein Leitfaden für Kulturmanager. Wiesbaden: VS Verlag. 2002 (3.Auflage 2008) Kommunikationsmanagement. Wissen und Kommunikation in Bildung, Kultur und Tourismus. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. 2003 (Hrsg.)
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(19) Neue Ansätze im Kulturmanagement. Theorie und Praxis. Wiesbaden: VS Verlag. 2004. (Hrsg.)
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Gefordert wird ein völlig neuer Prozeß. Ein Beitrag zur Analyse des studentischen Protests. In: Colloquium, Heft 9/10. 1968, S. 14-17 (zusammen mit F. Bilzer und J. Erdmann) Gesellschaftspolitische Aspekte schulischer Innovation. In: Westermanns Pädagogische Beiträge (WPB), Heft 4. 1972, S. 200-203 Zur Kritik an den Technologisierungstendenzen des Unterrichtsprozesses. In: Die Deutsche Schule, Heft 6. 1972, S. 347-361 Geschlechtsspezifische Sozialisation als Gegenstand eines Unterrichtsprojektes. In: WPB, Heft 8. 1972, S. 438-442 (zusammen mit R. Heinze-Prause) Zur Technologisierung des Unterrichts. In: Soziale Welt, Heft 2. 1972, S. 219-229 Faszination der Bildungstechnologie? Kritik am Fetisch der Lehrobjektivierung. In: AV-Praxis, Heft 10. 1972, S. 5-7 Theater zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit. Versuch einer theatersoziologischen Standortbestimmung. In: Soziale Welt, Heft 3. 1972, S. 331-350 Wissenschaftstheoretische und politökonomische Standortbestimmung der Bildungstechnologie. In: Beiträge zur Bildungstechnologie, BTZ Wiesbaden, Heft 2. 1972, S. 37-46 Programmpunkte für eine progressive Forschungs- und Entwicklungspolitik des BTZ. In: Beiträge zur Bildungstechnologie, Heft 1. 1972, S. 6-10 (zusammen mit P. Bonn, B. Stickelmann und J. Zinnecker) Methodologische und pragmatische Aspekte einer basisorientierten, schulfeldbezogenen Untersuchungs- und Entwicklungsarbeit. In: Beiträge zur Bildungstechnologie, Heft 3. 1972, S. 4-11 Wahlen – ein fächerübergreifendes Projekt. Ein Beispiel für Möglichkeiten, die Diskurs- und Handlungskompetenz von Hauptschülern zu erweitern. In: WPB, Heft 7. 1973, S. 359-366 (zusammen mit R. Heinze-Prause) Theoretische und pragmatische Aspekte zur Beobachtung der sozialen Situation Unterricht. In: Beiträge zur Bildungstechnologie, Heft 2. 1973, S. 20-38 (zusammen mit H. Schulte) Decodierung als Mittel der Ideologiekritik. Handlungsorientierte Entwicklung und Erprobung eines Unterrichtsmodells zur Medienerziehung am Beispiel der Analyse eines Unterrichtsfilms. In: Beiträge zur Bildungstechnologie, Heft 4. 1973, S. 2-21 (zusammen mit H. Schulte. Ebenfalls abgedruckt in: J. Issing/H. Knigge-Illner, Unterrichtstechnologie und Mediendidaktik. Weinheim Basel (Beltz) 1976, S. 299-321 Medienverhalten von Schülern. In: Kürbiskern, Heft 1. 1074, S. 163-177 (zusammen mit H. Schulte) Massenmedien im Unterricht. Versuche zur Film/Fernseh-Didaktik. Projekt Fernsehen. In: betrifft: erziehung, Heft 4, S. 21 und S. 25-28 (zusammen mit H. Schulte)
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(16) Analyse von Unterrichtssituationen im Kontext praxisnaher Curriculumentwicklung. In: Die Deutsche Schule, Heft 7/8. 1974, S. 534-550 (zusammen mit H. Schulte). Ebenfalls abgedruckt in: L. Roth/G. Petrat, Unterrichtsanalysen in der Diskussion. Hannover: Schroedel. 1974, S. 345-381 (17) Soziale Interaktion in der Schulklasse. Versuch einer Beschreibung, Interpretation und Konstruktion sozialer Lernprozesse. Lernziel: Soziale Kompetenz. In: WPB, Heft 5. 1974, S. 265-274 (zusammen mit R. Heinze-Prause) (18) Unterrichtsforschung als Unterricht. Hauptschulprojekt: Schülertaktiken im Unterricht. In: betrifft: erziehung, Heft 10. 1974, S. 48-53 (zusammen mit R. HeinzePrause) (19) Die Alltagssituation Fernsehen als Gegenstand handlungsorientierter und praxisnaher Curriculumkonstruktion. In: AV-Praxis, Heft 11. 1974, S. 22-29 (zusammen mit H. Schulte) (20) Thesen zum Ansatz handlungsorientierter Forschung im Ausbildungssektor. In: Mitteilungen und Nachrichten des DIPF, Nr. 73/74. Juni 1974, S. 72-79 (zusammen mit B. Stickelmann) (21) Handlungsforschung und schulnahe Curriculuminnovation. In: Beiträge zur Bildungstechnologie, Heft 3-4. 1974, S. 12-35 (zusammen mit I. Behnken, E. Müller, B. Stickelmann, J. Zinnecker) (22) Handlungsorientierte Evaluation. Erfahrungen aus einem schulnahen Curriculumprojekt. In: Frey u.a. (Hrsg.): Curriculum Handbuch, Band II, S. 614-627. München: Piper. 1975 (zusammen mit E. Müller, B. Stickelmann, J. Zinnecker) (23) Probleme und Paradoxien handlungsorientierter Curriculuminnovation. Erfahrungen mit einem schulnahen Curriculumprojekt. In: W. Popp (Hrsg.), Kommunikative Didaktik. Weinheim/Basel: Beltz Verlag. 1976, S. 121-166 (24) Handlungsorientierte Curriculumforschung als Kritik und Alternative zur Technologisierung der Didaktik und Unterrichtsforschung. In: J. Issing/H. Knigge-Illner, Unterrichtstechnologien und Mediendidaktik. Weinheim/Basel: Beltz-Verlag. 1976, S. 251-274 (25) Strategien und Taktiken von Schülern. In: schulheft Nr. 2. 1976. Jugend und Volk Verlag Wien, S. 42-53 (zusammen mit R. Heinze-Prause) (26) Lehrer und Schüler erforschen ihr Verhalten bei Disziplinproblemen. In: A. Garlichs/N. Groddeck, Erfahrungsoffener Unterricht. Beispiele zur Überwindung der lebensfremden Lernschule. Freiburg: Herder. 1978, S. 67-80 (zusammen mit R. Heinze-Prause) (27) Unterricht als handlungsorientierte Selbstevaluation. In: Soziales Lernen und Medien im Primarbereich (Hrsg. G. Brodke-Reich). Paderborner Werkstattberichte. Band 9/10. Paderborn/Hannover: Schöning/Schroedel. 1978, S. 257-269 (28) Selbstproduktion als Instrument der Erkundung und Erweiterung lebensweltspezifischer Erfahrungen von Schülern. In: AV-Medienpädagogik, Reihe Berichte. Band 1. Schüler erfahren Fernsehen (Hrsg.): Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendfilmclubs e.V. Aachen 1978, S. 100-103 (29) Wi(e)der eine verkürzte Kritik an Handlungsforschung. In: Jahrbuch Kontrovers 2, (Hrsg.): H.-D. Haller, D. Lenzen. Stuttgart: Klett. 1978, S. 24-31 (zusammen mit H.W. Klusemann)
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(30) Ein biographisches Interview als Zugang zu einer Bildungsgeschichte. In: Baacke/Schulze (Hrsg.): Aus Geschichten lernen. Zur Einübung pädagogischen Verstehens. München: Juventa. 1979, S. 182-225 (zusammen mit H.-W. Klusemann) (31) Unterrichtsforschung als handlungsorientierte Curriculum-Entwicklung. In: Bildung und Erziehung, Heft 5. 1979, S. 443-454 (32) Die institutionalen Bedingungen der Konstitution von Alltagssituationen. In: Thiemann, Fr. (Hrsg.): Konturen des Alltäglichen. Interpretationen zum Unterricht. Königstein: Scriptor. 1980, S. 20-38 (zusammen mit D. Tausendfreund) (33) Praxis- und handlungsorientierte Arbeit mit Medien in der Schule. In: Praxis Schulfernsehen, Heft 12. 1981, S. 4/5 und 8/9. (34) Kommunikative Validierung und das Problem der Geltungsbegründung. In: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 4. 1982, S. 635-642 (zusammen mit F. Thiemann) (35) Der Mensch – ein sensitiver Dinosaurier? Neue Medien verändern immer die Kommunikationsstrukturen. In: Praxis Schulfernsehen, Heft 10. 1982, S. 6-7 (36) Life and learning situation of distance students. In: ICCE news-letter on Distance Learning, Heft 4. 1981. S. 15/16 (37) Moderator des Themenheftes „Schülertaktiken – Lehrertaktiken“: Westermanns Pädagogische Beiträge, 5/1983. Eigener Beitrag: Überlebensstrategien in der Schule, S. 219-221 (38) Praxisforschung in der Hochschule. In: Bildung und Erziehung, 2/1983, S. 189-201 (zusammen mit B. Räderscheidt und G. Rode) (39) The social and psychological milieu of distance students. In: Distance Education, Vol. 4, No.1. 1983, S. 53-62 (40) Autobiographische Dialoge. Erfahrungsorientiertes Lernen an der Hochschule. In: Fischer, D. (Hrsg.): Lernen am Fall. Konstanz: Faude. 1983, S. 153-173 (zusammen mit B. Räderscheidt und G. Rode) (41) Hospitation. In: Haft, H./ Kordes, H. (Hrsg.): Methoden der Erziehungs- und Bildungsforschung. Bd. 2 der Enzyklopädie Erziehungswissenschaft. Stuttgart: KlettVerlag. 1984, S. 404-410 (42) Amüsieren wir uns tatsächlich zu Tode? Zur Bedeutung der Postman'schen Kulturkritik. In: Praxis Schulfernsehen, 3/1986, S. 5/6 (43) Lehre und Studium auf Distanz. Zur Übertragbarkeit von Erfahrungen der FernUniversität auf die Organisation der Didaktik in Massenlehrveranstaltungen. In: Rathmayr, B./Schratz, M. (Hrsg.): Lernen en Gros. Hochschuldidaktik an der Massenuniversität. Innsbruck 1986, S. 6-17 (44) Fernstudium und Identität. In: Kellermann, P. (Hrsg.): Universität und Hochschulpolitik. Wien/Köln/Graz: Böhlau. 1986, S. 114-122 (45) Die Entmündigung des Menschen. Zur Bedeutung der Ander'schen „Gelegenheitsphilosophie“. In: Praxis Schulfernsehen, 6/1986, S. 6/7 (46) Kultur und Unterhaltung heute. Anmerkungen zur Theorie der „Kulturindustrie“. In: Praxis Schulfernsehen, 1/1987, S. 5-7 (47) Kunst im Zeitalter der technischen Reproduktion. Walter Benjamins historischdialektische Medientheorie. In: Praxis Schulfernsehen, 2/1987, S. 5/6 (48) Film und Wirklichkeit. Kracauers These von der magischen Beherrschung der Welt. In: Praxis Schulfernsehen, 3/1987, S. 117/118
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Medienanalyse als Kritik der Warenästhetik. In: psf, 5/1987, S. 58-60 Die Entschlüsselung kultureller Produkte. In: psf, 12/1987, S. 70-72 Filmanalyse – methodisch und praktisch. In: psf, 1/1988, S. 109-111 Rekonstruktion und Intervention. Überlegungen zu einer interventiven Sozialforschung. In: Diem, G./Pechar, H. (Hrsg.): Qualitative Forschungsmethoden in den Sozialwissenschaften. Zeitschrift für Hochschuldidaktik, Sonderheft 12. Wien 1988, S. 76-92 Schule als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse. In: psf 3/1988, S. 61-63 Von der Widersprüchlichkeit des Schulalltags. In: psf, 4/1988, S. 142-144 Disziplin im Schulalltag. In: psf, 5/1998, S. 93-96 Schul-Rituale. In: psf, 6/1988, S. 142-144 Moderation des Themenheftes „Biographie und Biographieforschung“ der GRUPPENDYNAMIK – Zeitschrift für angewandte Sozialpsychologie, 4/1998. Beiträge: Interpretation eines (auto-)biographischen Dokuments, S. 364-378; Rekonstruktion einer Interaktionsszene eines Beratungsgesprächs, S. 389-395 (zusammen mit M. Greuel und U. Lutz) Von der Beraubung des Zuschauers. Was „Das Erbe der Guldenburgs“ von „Dallas“ und „Denver“ erbte. In: psf, 10/1989, S. 5-7 Interaktionsanalyse – Leitfaden zur Beobachtung und Analyse von Lehr/Lernprozessen. In: Grundlagen der Weiterbildung. Praxishilfen. (Hrsg. von O. Peters), Kapitel 5.60. Neuwied: Luchterhand Verlag 1989. S. 1-20 Lebensweltanalyse. In: Grundlagen der Weiterbildung. Praxishilfen. (Hrsg. von O. Peters), Kapitel 5.30. Neuwied: Luchterhand Verlag. 1989, S. 1-15 Das Projekt „Kulturwissenschaften/Kulturmanagement als universitäre Weiterbildung“. In: Grundlagen der Weiterbildung. Praxishilfen. (Hrsg. von O. Peters). Neuwied: Luchterhand Verlag 1992. S. 1-7 Kultur und ihr Management. In: Demmer, Chr., Rauhe, H. (Hrsg.): Kulturmanagement. Berlin: de Gruyter. 1994. S. 141-149 (zusammen mit P. Fuchs) Kulturmanagement als Koordinations- und Vermittlungsinstanz einer neuen effizienten Kulturverwaltung. In: Mandel, B., Schulze, Y., Vorjans, B. (Hrsg.): Kulturmanagement in den Staaten Mittel- und Osteuropas. Berlin. 1994 Kulturmanagement in der Weiterbildung. In: Grundlagen der Weiterbildung. 3/1994, S. 172-175 Professionalisierung kommunaler Kulturarbeit – Bilanz einer Expertenbefragung (zusammen mit U. Krambrock, Chr. Liebald und H. Pliquett). In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kulturmanagement. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1994. S. 175-231 Kulturmanagement. Zum Selbstverständnis einer neuen Disziplin. In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kultur und Wirtschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1995. S. 60-86 Kulturpolitik und Kultur-(Tourismus)Management. Kulturpolitik vor neuen Perspektiven? In: kulturpolitische mitteilungen, IV/1996. S. 37-42 Kulturmanagement: Eine Annäherung. In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kulturmanagement II. Konzepte und Strategien . Opladen: Westdeutscher Verlag. 1997. S. 48-75 Kulturmanagement: Ästhetisches Denken und Kritische Theorie. In: Heinze, Th. (Hrsg): Kulturmanagement II. Konzepte und Strategien. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1997. S. 101-113.
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(70) Kulturmanagement als Vermittlung von Kunst. In: Heinze, Th. (Hrsg): Kulturmanagement II. Konzepte und Strategien. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1997. S. 114146 (zusammen mit R. Heinze-Prause) (71) Organisationsentwicklung als Aktionsforschung: In: Heinze, Th. (Hrsg): Kulturmanagement II. Konzepte und Strategien II. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1997. S. 198-210. (72) Theater: Tempel der Kunst? Eine empirische (Fall-)Studie zum Selbstverständnis von Theatermachern. In: Heinze, Th. (Hrsg): Kulturmanagement II. Konzepte und Strategien. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1997. S. 224-283. (73) Kommunikationskultur: Leitfaden zur Beobachtung und Analyse von Lehr/Lernsituationen. In: Heinze, Th. (Hrsg): Kulturmanagement II. Konzepte und Strategien II. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1997. S. 326-348. (74) Systemlenker und Unruhestifter – Kulturmanager als Spagatkünstler. In: Gablers Magazin, 6-7/98 (75) Konzeptionelle und marketingstrategische Überlegungen zum (regionalen) Kulturtourismus. In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kulturtourismus. Grundlagen, Trends und Fallstudien. München: Oldenbourg Verlag. 1999. S. 1-16. (76) Kulturtourismus in der Regio Aachen – Ideen und Konzepte (zus. mit R. HeinzePrause). In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kulturtourismus. Grundlagen, Trends und Fallstudien. München: Oldenbourg Verlag. 1999. S. 292-316. (77) Kulturtourismus im Pustertal (Südtirol). In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kulturtourismus. Grundlagen, Trends und Fallstudien. München: Oldenbourg Verlag. 1999. S. 317363. (78) Gäste- und Hotelierbefragung zum Sommer (Kultur-)Tourismus in ausgewählten Regionen Kärntens. In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kulturtourismus. Grundlagen, Trends und Fallstudien. München: Oldenbourg Verlag. 1999. S. 364-371. (79) KulturtourismusMarketing im Zeichen der Erlebnisgesellschaft. In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kulturtourismus. Grundlagen, Trends und Fallstudien. München: Oldenbourg Verlag. 1999. S. 390-402. (80) Kultur und Wirtschaft: Perspektiven gemeinsamer Innovation (zus. mit P. Bendixen). In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kulturfinanzierung. Sponsoring – Fundraising – Public-Private-Partnership. Münster, Hamburg, London: LIT Verlag. 1999. S. 15-44. (81) Kultur und Wirtschaft am Niederrhein: Innovative Praxisbeispiele (zus. mit S. Krahn). In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kulturfinanzierung. Sponsoring – Fundraising – Public-Private-Partnership. Münster, Hamburg, London: LIT Verlag. 1999. S. 247288. (82) Kultursponsoring: Das Projekt „Kar“ aus der Region Kärnten (zus. Mit Carolin Walker). In: Heinze, Th. (Hrsg.): Kulturfinanzierung. Sponsoring – Fundraising – Public-Private-Partnership. Münster, Hamburg, London: LIT Verlag. 1999. S. 313316. (83) Kulturpolitik – KulturManagement – Kulturtourismus. In: Pechlaner, H. (Hrsg.) Burgen + Schlösser zwischen Tradition und Wirtschaftlichkeit. Wien: Linde Verlag. 1999 (84) Kultur und Wirtschaft: Perspektiven gemeinsamer Innovation. In: Jaeger, F.; Stier, W. (Hg.): Kunst und Kommerz. Chur/Zürich: Rüegger Verlag. 2001
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Studienbriefe für den Studiengang „Kulturmanagement – Kulturwissenschaftliche Weiterbildung“
Medienkultur/Massenkultur – Theorie und Analyse Kommunikationskultur (zusammen mit Prof. Dr. Peter Fuchs) Kulturforschung (I / II / III) Kunstwissenschaftliche Hermeneutik (zusammen mit Dr. Roswitha Heinze-Prause) Theater: Tempel der Kunst Schulkultur (zusammen mit Prof. Dr. Peter Fuchs) Essays zu einer Theorie des Kulturmanagements (Hrsg.)
Fernsehproduktionen (Sendereihe AUDIMAX: „FernUniversität im Dritten“)
Kritische Medientheorien Folge 1: Folge 2: Folge 3:
Kulturindustrie und Massenkommunikation – Zur Medientheorie Adornos Die Entmündigung des Menschen – Die Medientheorie Günther Anders' Studien zur Massenkultur – z.B. die 'soap operas'
Kulturtheorie – Theater: Tempel der Kunst Folge 1: Folge 2: Folge 3: Folge 4:
Theaterarbeit: Theorie und Praxis, H.G. Heyme inszeniert Amphitryon Theater und Gesellschaft – Kunst, Politik, Ökonomie Theaterrezeption – Autor, Stücke, Zuschauer Theater und Massenmedien – Kooperation und Konkurrenz
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Dr. Otto F. Bode, geb. 1962, ist (zur Zeit des Erscheinens des Beitrags) Leiter des Referats „Wissenschaftsanalysen, Wissenschaftskommunikation und Forschungskoordinierung“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung in Berlin. Nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg promovierte er dort zur Anwendung der Theorie sozialer Systeme in der Theorie der Wirtschaftspolitik. Er war als Dozent in der Erwachsenenbildung und als Hogeschooldocent an der niederländischen Fachhochschule „Fontys Internationale Hogescholen Venlo“ tätig – dort zuletzt als stellvertretender Leiter. Otto F. Bode ist Autor verschiedener Lehrbücher und Lehrbriefe zur Wirtschaftspolitik, Kosten- und Leistungsrechnung und zur Kommunikationstheorie sowie zahlreicher Beiträge zur Anwendung der soziologischen Systemtheorie in verschiedenen Kontexten. Christa Eichbaum, geb. 1957; Ausbildung als Elektronikfacharbeiterin, Diplom-Historikerin an der Humboldt-Universität zu Berlin; 1977-1990 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Mecklenburgischen Volkskundemuseum Schwerin; seit 1991 Referentin für Tourismus, Gesundheitswirtschaft und Kulturwirtschaft im Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern; Diplom-Kulturmanagerin an der FernUniversität Hagen. Dr. Günther Görtz, geb. 1960 in Mainz. Studium an der Musikhochschule Köln, Staatliche Musiklehrerprüfung, Künstlerische Reifeprüfung (Gitarre). Künstlerisches Aufbaustudium in Mailand, Diplom des Conservatorio Giuseppe Verdi. Verschiedene Meisterkurse. Studium der Erziehungswissenschaft, Psychologie und Philosophie an der FernUniversität Hagen, Magister Artium, Promotion in Erziehungswissenschaft bei Prof. Dr. Thomas Heinze. Aufbaustudium Kulturmanagement. Konzerttätigkeit. Künstlerischer Leiter des „String Time“Festivals Weil am Rhein. Freischaffender Musiker, Musikpädagoge und Publizist. Buch- und CD-Publikationen, Kurse, Vorträge. Forschungsschwerpunkte: empirische Sozialforschung, Schultheorie, Kommunikationstheorie, Instrumentaldidaktik, Projektmanagement. Dr. Christian Heinze, geb. 1976, hat in Münster, Lausanne, Cambridge (Master of Law), Hamburg (Dr. iur.) und Harvard Rechtswissenschaft studiert und mit der zweiten juristischen Staatsprüfung die Befähigung zu Richteramt und An-
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waltsberuf erworben. Er ist seit 2002 als wissenschaftlicher Assistent und seit 2007 als wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg tätig. Sein Forschungs- und Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Recht des geistigen Eigentums, im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, im Zivilprozessrecht, im Versicherungsrecht und im Einfluss des Europarechts auf das Privatrecht. Dr. Katharina Jörges-Süß, geb. 1974 in Wuppertal. Sie studierte an der Bergischen Universität Wuppertal Wirtschaftswissenschaften mit den Vertiefungsfächern Personal und Organisation. Im Dezember 2006 promovierte sie am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen (Campus Essen) zur Dr. rer. pol. Sie absolvierte den weiterbildenden Studiengang Kulturmanagement an der FernUniversität in Hagen und schloss ihn im März 2007 ab. Katharina Jörges-Süß ist seit 2007 als Unternehmensberaterin tätig. Verena Lewinski-Reuter, geb. 1976. Studium der Rechtswissenschaften an der Ruhruniversität Bochum (1995-2000). Seit 2002 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturmanagement der Fernuniversität Hagen unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Thomas Heinze beschäftigt. Bis 2004 war sie zudem freiberuflich für eine Unternehmensberatung in Dortmund mit dem Schwerpunkt EU-Projektmanagement Kultur und Tourismus tätig. Autorin diverser Studienmaterialien im Themenbereich Kultur und Recht für die Fernuniversität Hagen sowie die Technische Universität Kaiserslautern. Ihre Interessenund Tätigkeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Urheberrecht, kommunales Kulturrecht, Kultur- und Nonprofitorganisations-Management und Kulturpolitik. Zusätzlich widmet sich die ausgebildete Mediatorin (FH Potsdam 2005-2006) dem Konfliktmanagement in kulturbetrieblichen Anwendungsfeldern. Dr. Stefan Lüddemann, geb. 1960 in Bremen. Studium der Germanistik und Geschichte, zeitweise auch der Kunstgeschichte und Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (1978-1985). Studium des Kulturmanagements an der FernUniversität Hagen (1993-1996). Promotion zum Dr. phil. an der FernUniversität Hagen (2003). Ressortleiter Feuilleton bei der Neuen Osnabrücker Zeitung. Freier Autor. Lehrbeauftragter an der Universität Osnabrück und an der FernUniversität Hagen. Studienbriefe für die FernUniversität Hagen und die Technische Universität Kaiserslautern. Forschungsprojekt zum Thema Kultur und Medien. Aktuelle Veröffentlichungen: Harry Kramer 1925-1997. Kunst der Gegenwart aus Niedersachsen. Bd. 64. Hg. von der Niedersächsischen Lottostiftung. Hannover. 2007; Wie die Kunst zur Sprache kommt. Anmerkungen aus der Sicht
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der Kunstkritik. In: Heiko Hausendorf (Hg): Vor dem Kunstwerk. Interdisziplinäre Aspekte des Sprechens und Schreibens über Kunst. München. 2007. S. 243265. Prof. Dr. Lothar Müller-Hagedorn, geb. 1941, war bis Ende Februar 2007 Direktor des Seminars für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Handel und Distribution an der Universität zu Köln, außerdem Direktor des Instituts für Handelsforschung an dieser Universität. Er beschäftigte sich dabei insbesondere mit Fragen des Handelsmarketing, also z.B. mit Konsumentenverhalten, Standortfragen, Ladengestaltung und der Preispolitik. Mit Schuckel veröffentlichte er „Einführung in das Marketing“ (3. Aufl., Stuttgart 2003), mit Feld „Kulturmarketing“ (Hagen 2000). Dr. Saskia Reither, geb. in Erlangen, Studium der Germanistik, Romanistik, Musikwissenschaft und des Kulturmanagements in Köln, Bochum, Stanford/ USA und Hagen; 2002 Promotion; derzeit Assistentin der Rektorin an der Kunsthochschule für Medien Köln. Veröffentlichungen zu Medienkunst und Kulturmanagement, u.a. Reste. Umgang mit einem Randphänomen (Hg., 2005), „Ein Netzwerk für Grenzgänger – Selbstmanagement für Kulturwissenschaftler“. In: Neue Ansätze im Kulturmanagement (Hg.: Heinze, 2004), Computerpoesie (2003); Ausstellungsorganisation in Essen, Köln, Paris, Barcelona, Peking, São Paulo und Bregenz. Inga Samii, Juristin und Diplom – Kulturmanagerin; Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen und Berlin, Weiterbildender Diplomstudiengang Kulturmanagement an der Fernuniversität Hagen. 1999/ 2000 Referentin in der Arbeitsgruppe für Angelegenheiten mit besonderer Öffentlichkeitswirksamkeit/ Kultur in der Niedersächsischen Staatskanzlei. Seit Anfang 2001 freiberufliche Kulturmanagerin mit den Schwerpunkt Sponsoring. Gründungsmitglied und Vorsitzende von KUNSTKOMM e.V. – dem jungen Förderkreis der Kestnergesellschaft Hannover und Leiterin des Projekts „Kestnerkids“. Diverse Veröffentlichungen und Vorträge im Bereich Kultur und Recht. Dozentin an der Fernuniversität Hagen und der Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Prof. Dr. jur. Oliver Scheytt, geb. 1958. Musik- und Jurastudium; von 1983 bis 1988 Management von Kulturprojekten bei der Stadt Essen und beim Kultursekretariat NRW; 1986 bis 1993 Referent beim Deutschen Städtetag; seit 1993 Kulturdezernent der Stadt Essen; Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V., Bonn; 2003 bis 2007 Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland; seit 2006 Geschäftsführer der
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RUHR.2010 GmbH; umfangreiche Lehr- und Vortragstätigkeit; Professor für Kulturpolitik und kulturelle Infrastruktur an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg; Autor zahlreicher Publikationen zu den Bereichen Kulturpolitik und –management, Kulturrecht, Kommunalpolitik. Dr. Carola de Teffé studierte Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Kunstgeschichte an der Universität zu Köln und war dort bis Ende April 2006 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Handel und Distribution tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte lagen im Bereich Konsumentenverhalten, Ladengestaltung und Museumsmarketing. Zurzeit arbeitet sie selbständig im Bereich Medien und Kommunikation. Olaf Thelen, geb. 1965, studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an der Universität Tübingen (Abschluss M.A.), sowie am Henley Management College in Großbritannien (Master of Business Administration). Weitere Studien am Institut für Kulturmanagement der FernUniversität Hagen. Er arbeitete zunächst im Theaterbereich (unter anderem in Trier, Rouen, Montpellier und Helsinki). Danach wechselte er in die Finanzdienstleistungsbranche mit beruflichen Stationen in Düsseldorf und New York. Derzeit leitet Herr Thelen die Organisationsabteilung einer großen deutschen Bank in Luxemburg. Bernd Wagner, geb. 1948; wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft, stellvertretender Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft in Bonn und verantwortlicher Redakteur der Kulturpolitischen Mitteilungen; wohnhaft in Frankfurt/Main; Studium der Pädagogik und Soziologie in Frankfurt/Main; langjährige Tätigkeit im Verlagsbereich und als kulturpolitischer Publizist; verschiedene Lehraufträge, Herausgeber des Jahrbuchs für Kulturpolitik. Publikationen (Auswahl): Kulturelle Globalisierung und regionale Identität (gem. m. K. Hanika) (2004), Engagiert für Kultur. Beispiele ehrenamtlicher Arbeit im Kulturbereich (gem. m. K. Witt.) (2003); Kunst.Kultur.Arbeit – Perspektiven eines neuen Transfers, (Hrsg.) (2003); Kultur – Kunst – Nachhaltigkeit – die Bedeutung von Kultur für das Leitbild nachhaltige Entwicklung (gem. m. H. Kurt) (2002); Kulturelle Globalisierung. Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung (Hrsg.) (2001); Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftliches Engagement in der Kultur, (Hrsg.) (2000).