Thomas Salzmann · Vegard Skirbekk · Mirjam Weiberg (Hrsg.) Wirtschaftspolitische Herausforderungen des demografischen Wandels
VS RESEARCH Demografischer Wandel – Hintergründe und Herausforderungen Herausgegeben von Prof. Dr. Gabriele Doblhammer, Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels, Rostock Prof. Dr. James W. Vaupel, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock
Unsere Gesellschaft verändert sich tiefgreifend: Immer mehr Menschen erreichen in Gesundheit ein hohes Lebensalter, immer weniger Kinder kommen zur Welt, neue Partnerschafts- und Familienstrukturen entstehen, Menschen wandern über regionale und nationale Grenzen hinweg. In Zeiten einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung sind neue Entwürfe für Biografien, für das Zusammenleben, für den Arbeitsmarkt, für den Wohlfahrtsstaat aber auch für die Regional- und Stadtplanung gefragt. Mit dieser Schriftenreihe wollen die Herausgeber zur verantwortungsvollen Diskussion um die Hintergründe und Herausforderungen des Demografischen Wandels beitragen und aktuelle Forschungsergebnisse in kompakter, allgemein verständlicher Form darstellen.
Thomas Salzmann Vegard Skirbekk Mirjam Weiberg (Hrsg.)
Wirtschaftspolitische Herausforderungen des demografischen Wandels Mit einem Geleitwort von Ministerialdirektor Dr. Alexander Groß
VS RESEARCH
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1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Verena Metzger / Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17376-4
Geleitwort Dr. Alexander Groß Ministerialdirektor im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
Der für Deutschland prognostizierte Bevölkerungsrückgang und die zu erwartenden Veränderungen der Altersstruktur werden Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zukünftig stark prägen. Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des demografischen Wandels werfen für die Wirtschaftspolitik eine Vielzahl von Fragen auf: Wie wird sich das Erwerbspersonenpotenzial, insbesondere das Fachkräfteangebot langfristig entwickeln? Wie können die sozialen Sicherungssysteme, vor allem im Bereich der Alterssicherung und Gesundheitsleistungen demografiefest und generationengerecht gestaltet werden? Wie können Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsproduktivität erhalten und weiter gesteigert werden? Welche Anpassungserfordernisse ergeben sich auf Unternehmensebene, in der Infrastruktur und in den Regionen und wie können sie bestmöglich wirtschaftspolitisch begleitet werden? Zur Präsentation und Diskussion neuerer Forschungsergebnisse zu wirtschaftspolitisch relevanten Aspekten des demografischen Wandels hatten der Arbeitskreis „Junge Demographie“ der Deutschen Gesellschaft für Demographie und das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zu einem zweitätigen Symposium „Wirtschaftspolitische Herausforderungen des demografischen Wandels“ eingeladen. Das Symposium fand am 26. und 27. Februar 2009 im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in Berlin statt. Teilnehmer der Veranstaltung waren Vertreter aus Wirtschaft und Verbänden, Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen sowie Fachjournalisten. Das Symposium diente der wirtschaftspolitischen Beratung und zielte darauf ab, neueste Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung zu den langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen des demografischen Wandels in Deutschland und Europa zu präsentieren, wirtschaftspolitische Fragestellungen aufzuwerfen und Lösungsansätze zu diskutieren. Inhaltliche Schwerpunkte des Symposiums waren Langfristprojektionen zum Fachkräftebedarf auf der Grundlage der Abschätzung
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der voraussichtlichen langfristigen Entwicklungen von Arbeitsangebot und internationaler Wettbewerbsfähigkeit sowie die erforderlichen Anpassungsprozesse auf Unternehmensebene, insbesondere im Bereich der mittelständischen Wirtschaft sowie der Bildung und beruflichen Weiterbildung. Um die Ergebnisse des Symposiums wirkungsvoll in die wirtschaftspolitische Diskussion zum demografischen Wandel einzubringen, werden die auf dem Symposium präsentierten und diskutierten Beiträge zusammen mit weiteren Gastbeiträgen in dem vorliegenden Tagungsband dokumentiert. Aus Sicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie hat das Symposium das Ziel einer effektiven Aufbereitung wichtiger wirtschaftspolitischer Fragestellungen des Demografiewandels in vollem Umfang erreicht. Die Veranstalter des Symposiums hoffen, dass der Tagungsband zu vertiefenden Untersuchungen und Debatten der hier adressierten Themenfelder anregt und damit einen Beitrag leistet, die mit dem demografischen Wandel verbundenen wirtschaftlichen Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Ich spreche an dieser Stelle allen Beteiligten meinen herzlichen Dank für ihre Mitwirkung an dem Symposium aus. Mein Dank gilt den Referentinnen und Referenten, den Begutachtern der vorliegenden Beiträge und dem Arbeitskreis „Junge Demographie“ der Deutschen Gesellschaft für Demographie, der das Symposium mit dem Ministerium gestaltet und den Tagungsband redaktionell zusammengestellt hat. Frau Prof. Dr. Gabriele Doblhammer und Herrn Prof. Dr. James W. Vaupel danke ich für die Aufnahme dieses Tagungsbandes in ihre Publikationsreihe „Demografischer Wandel – Hintergründe und Herausforderungen“.
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Danksagung Wir möchten zunächst den Autoren danken, die mit ihren Beiträgen und den damit zusammenhängenden Arbeitsstunden diesen Band mit Leben gefüllt haben. Die Herausgeber danken ebenfalls dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie im Allgemeinen und ganz besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Referates "Wachstum, Demografie, Ökonometrie" für die Initiierung dieses Tagungsbandes. Dem Rostocker Zentrum gebührt Dank für die Unterstützung bei der Erstellung und der Veröffentlichung des Tagungsbandes in der Reihe „Demografischer Wandel – Hintergründe und Herausforderungen“. Unser besonderer Dank geht dabei an Robert Beise, Kathrin Morosow und Marlen Toch für die Hilfe bei der Formatierung der einzelnen Beiträge und an Frau Prof. Gabriele Doblhammer für die Ermutigung zu diesem Projekt. Ganz besonders fühlen wir uns den zahlreichen anonymen Gutachtern verpflichtet, die durch ihre Arbeit wesentlich zum Gelingen dieses Tagungsbandes beigetragen haben.
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Inhaltsverzeichnis Geleitwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie Alexander Groß..…………… ………………………………………………..…….5 Einleitung Thomas Salzmann, Mirjam Weiberg, Vegard Skirbekk…...……………………………11
Demografischer Wandel löst langfristig Abwärtsspirale aus – Entwicklung von Beschäftigung und Erwerbspersonenpotenzial in Ostdeutschland Johann Fuchs, Markus Hummel, Gerd Zika…..……………………………………....15 Der fehlende Faktor: Zur Bedeutung altersspezifischer Arbeitszeit für das Erwerbspotenzial Elke Loichinger……………...……………………...………………………...……35 Chancen für junge und ältere Arbeitnehmer durch den demografischen Wandel Nicola Hülskamp…………………………………………………………………..57 Langfristige wirtschaftliche Entwicklung und Fachkräftebedarf in Deutschland Michael Hüther...…………………....…………………………………………...…81 Seniorität, spezifisches Kapital und Beschäftigungsmobilität – Warum Ältere seltener Job und Beruf wechseln Lutz Schneider…………….………………………………………………..…….107 Motivation älterer Arbeitnehmer Victoria Büsch, Dennis Dittrich, Uta Lieberum……………………………………....131 Do older workers earn more than they deserve? Laura Romeu Gordo, Antje Mertens……………………………...…………………149
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Wer nutzt die Altersteilzeit? Eine Analyse der Inanspruchnahme nach betrieblichen, persönlichen und beruflichen Merkmalen Susanne Wanger……………………..……...……………………………………..175 Retirement and mortality in Norway – Is there a real connection? Vegard Skirbekk, Kjetil Telle, Erik Nymoen, Helge Brunborg….…………………...….201 Absatz- und Personalpolitik mittelständischer Unternehmen im Zeichen des demografischen Wandels – Eine empirische Bestandsaufnahme Peter Kranzusch, Olga Suprinoviÿ, Frank Wallau……………………………………..223 Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk – Eine Analyse im Zeichen des demografischen Wandels Kurt-Dieter Koschmieder, Klaus Müller...…………………………………………….249
Die Autoren.……………………………………………………………………277
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Einleitung Thomas Salzmann, Mirjam Weiberg, Vegard Skirbekk
Der demografische Wandel und seine vielfältigen gesellschaftspolitischen Implikationen sind gegenwärtig eines der zentralsten Themen in der deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Ein stetiger Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung bei Geburt, flankiert von einem Geburtenverhalten, das das demografisch notwendige Bestanderhaltungsniveau in Deutschland seit über 35 Jahren um etwa ein Drittel unterschreitet, führt in Kombination (und unter Ausklammerung der Migration) zu einer demografisch alternden Gesellschaft und einer Reduzierung der Bevölkerungszahl. Während die demografische Alterung Deutschlands bereits seit den 1950er Jahren zu beobachten ist, ist der Rückgang der Bevölkerungszahl ein relativ neues Phänomen, welches bisher durch Nettowanderungsgewinne hinausgezögert werden konnte. Die Brisanz der Lage ergibt sich aktuell aus der Kombination beider Faktoren: Demografische Alterung und Rückgang der Bevölkerungszahl. Schon in absehbarer Zukunft wird dies erhebliche Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft haben. Gleichzeitig führt die demographische Entwicklung zu einem Wandel in den Sozial- und Wertestrukturen. Der Druck aber eben auch die Chance nahezu alle Politik- und Lebensbereiche neu zu definieren und an diese Veränderungen anzupassen ist heute stärker denn je. Für die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik ergeben sich in diesem Zusammenhang vielfältige Herausforderungen, wie Alexander Groß sie in seinem Vorwort bereits angeschnitten hat. Diese können weder allein von unternehmerischer noch von politischer Seite, sondern nur in Zusammenarbeit beider Akteure erfolgreich bewältigt werden. Häufig wird behauptet, dass es eine auf mittelfristige Sicht besonders drängende Aufgabe wäre, das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und NichtErwerbstätigen annähernd in einem Gleichgewicht zu halten. Dieses kann einerseits durch Maßnahmen erreicht werden, die auf effizientere Wirtschaftsmärkte abzielen, andererseits ebenso durch die Neuausrichtung und die Neugestaltung von Arbeitsmarkt- und familienpolitischen Instrumenten sichergestellt werden. Denkbar wäre auch, die Quote der Erwerbstätigen durch gezielte Migrations- und Integrationspolitiken zu erhöhen. Eine breit angelegte Bildungsinitiative, die durch strukturelle Reformen das qualifizierte Arbeitskräftereservoir erweitert bzw.
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aufrecht erhält, ist ein weiteres Kernelement, um die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu bewahren. Eine abnehmende Erwerbstätigenzahl könnte aber ebenso positiv wirken und zu einer Erhöhung des Kapitalniveaus pro Erwerbstätigen führen. Ceteris paribus erhöht dies die Produktivität, mit verbesserten ökonomischen Potenzialen für jeden Einzelnen als Folge. Des Weiteren reduziert ein Bevölkerungsrückgang den Druck auf das Ökosystem oder erhöht zumindest die verfügbaren Ressourcen pro Person. Mittel- bis langfristig stellt jedoch weniger der einsetzende Rückgang der Zahl der Erwerbspersonen eine Herausforderung dar, als primär dessen voranschreitende demografische Alterung. Älteren Erwerbstätigen wird dabei vielfach pauschal und unbewiesen eine geringere Leistungsfähigkeit, fehlende Flexibilität und abnehmende Innovationsfähigkeit unterstellt. Im Gegensatz dazu stände eine am Output gemessen zu hohe Entlohnung. Die bisher häufig als Reaktion zu beobachtende Unternehmensstrategie, Wissenserwerb durch den frühen Austausch der Alterskohorten sicherzustellen wird zukünftig aber durch die demografische Entwicklung erschwert. Nicht zuletzt aus volkswirtschaftlich und sozialpolitisch erstrebenswerten Gründen bieten der gezielte lebenslaufbasierte Ausbau in die Ausund Weiterbildung, eine Neuorganisation der Lebensarbeitszeit sowie gesundheitsbezogene Präventionsmaßnahmen die einzigen Optionen, Produktivitäts- und Innovationsstandards mit einem älter werdenden Erwerbspersonenpotenzial zu erhalten. Der vorliegende Tagungsband soll mit seinen Beiträgen einen Aufriss für einige der wirtschaftspolitischen Implikationen der demografischen Entwicklung in Deutschland geben. Während in den ersten Beiträgen von Fuchs et al. und Loichinger die mögliche Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials und dessen Bestimmungsfaktoren aufgezeigt werden, diskutieren Hülskamp und Hüther Optionen, wie eine demografiebedingte Reduzierung der Erwerbstätigenzahl gedämpft werden könnte. Betrachten die ersten vier Kapitel die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Wirtschaft bzw. Lösungsansätze noch vorrangig aus Sicht der künftigen Generationen, erweitern die nächsten vier Beiträge die Diskussion um die Individualebene der aktuell Erwerbstätigen. Schneider untersucht die Altersabhängigkeit der Job- und Berufsmobilität und kann in diesem Zusammenhang einen zunehmenden Bedeutungsverlust der damit verbundenen möglichen Einkommensverbesserung aufzeigen. Dieser kann sowohl institutionell, als auch durch individuelle Präferenzveränderungen im Lebensverlauf bedingt sein. Büsch et al. beschäftigen sich mit dem Motivationspotenzial Älterer und zeigen, dass Leistungsbereitschaft und -fähigkeit weniger vom Alter abhängen, als vielmehr von einer guten Unternehmenskommunikation und -führung, die Motivation und Produktivität der Arbeitnehmer durch passgenaue Zielvereinbarungen und Teilhabe erreicht. Romeu Gordo und Mertens untersuchen wiederum, ob das
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bisherige Senioritätsprinzip der Entlohnung, das häufig als zentrale Komponente der mit dem Alter sinkenden Chance auf Wiederbeschäftigung genannt wird, aus Sicht der Produktivität gerechtfertigt ist. Weniger auf die Produktivität und Entlohnung als auf den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand zielen die Beiträge von Wanger und Skirbekk et al. Wanger evaluiert den Nutzen der Altersteilzeitregelung, welche von Seiten der Sozialpolitik für einen gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand angedacht war. Entgegen der ursprünglichen Intention, wird die Altersteilzeit in seiner derzeitigen Ausgestaltung jedoch von Unternehmensseite überwiegend als ein Instrument zum Personalabbau genutzt. Skirbekk et al. fragen, wie sich der Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand auf die Mortalität auswirkt. Sie stellen fest, dass ein späterer Renteneintritt gesundheitliche Vorteile mit sich bringt und die Lebenserwartung signifikant erhöht, selbst dann, wenn für weitere Einflussfaktoren kontrolliert wird. Desweiteren eröffnet der Band eine zusätzliche Perspektive auf die besondere Situation mittelständischer Unternehmen vor dem Hintergrund der zukünftigen demografischen Entwicklung. Kranzusch et al. zeigen mit Hilfe einer repräsentativen Umfrage unter kleinen und mittleren Unternehmen dessen Informationsstand und Aktivitäten bezüglich des bevorstehenden demografischen Wandels auf. Festgestellt werden kann, dass bisher eher für die Bereiche Produktangebot und Marketing ein Problembewusstsein vorhanden ist, als für den Bereich der Personalpolitik. Koschmieder und Müller beleuchten in diesem Zusammenhang die Situation der Unternehmensnachfolge im Handwerk am Beispiel für Thüringen. Mit ihrer Feststellung, dass Unternehmensnachfolgen mittelfristig weniger durch fehlende potenzielle Übernehmer gefährdet sind als vielmehr durch fehlende Qualifikation, schließen sie den Kreis zu den Handlungsempfehlungen der ersten Autoren. Die Frage, ob es gelingen kann, den vielfältigen Herausforderungen mit nachhaltigen Strategien zu begegnen, sollte mit einem klaren Ja beantwortet werden. Die demografischen Veränderungen sind in erster Linie als eine positive Entwicklung zu sehen, die individuell wie gesellschaftlich zu neuartigen Gestaltungsoptionen führen. Gewonnene Lebensjahre, eine bis ins hohe Lebensalter gute Gesundheit stellen keine Gefahr für das Wachstumspotenzial und den Wohlfahrtsstaat dar, sondern einen Fortschritt. Allerdings wird es nötig sein, die demografische Entwicklung durch eine aktive Arbeitsmarkt- und Bildungspolitische Offensive zu flankieren. Solange noch Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden und hier eine Schul- und Berufsausbildung durchlaufen haben, nur wegen des Migrationshintergrundes ihrer Eltern abgeschoben werden, scheint ein Bewusstsein unserer Gesellschaft für die Herausforderung des demografischen Wandels nicht vorhanden zu sein.
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Neben den (sozial)politischen Rahmenbedingungen, die durch die Gesellschaft bestimmt werden, ist die Wirtschaft zusätzlich gefordert, Schritte zu ergreifen, die beispielsweise die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter sicher stellen, Perspektiven im Unternehmen eröffnen und die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ermöglichen.
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Demografischer Wandel löst langfristig Abwärtsspirale aus Entwicklung von Beschäftigung und Erwerbspersonenpotenzial in Ostdeutschland
Johann Fuchs, Markus Hummel, Gerd Zika
1. Einleitung Im Jahr 2009 bestimmen die mit der Finanz- und Wirtschaftskrise einhergehenden Probleme am Arbeitsmarkt die öffentliche Debatte. Trotzdem sollte der langfristige Ausblick über die aktuelle Situation hinaus nicht vernachlässigt werden. Es zeichnen sich künftige Herausforderungen ab, die es rechzeitig zu beachten gilt. So wird gerade in Ostdeutschland auf längere Sicht der demografische Wandel zu gravierenden Veränderungen beim Arbeitskräfteangebot führen. Das Erwerbspersonenpotenzial sinkt und altert. Halten die demografischen Trends an, wird die Bevölkerungsentwicklung in den neuen Bundesländern besonders dramatisch verlaufen, denn seit 2005 erreichen deutlich weniger junge Menschen das Erwerbsalter (15 bis 64 Jahre) als zuvor. Dies ist eine unmittelbare Folge des Geburteneinbruchs nach der Wende. Dagegen nimmt nach den Projektionen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Beschäftigung in den neuen Ländern – auch über einen längeren Zeitraum betrachtet – kaum mehr ab. Beide Marktseiten gleichen sich damit auf niedrigerem Niveau an. Rein rechnerisch könnte sich die gesamte Unterbeschäftigung, also die Summe aus registrierter Arbeitslosigkeit und Stiller Reserve, die im Jahresdurchschnitt 2008 noch bei knapp 2,3 Millionen Personen lag, bis zum Jahr 2025 auf rund eine halbe Million Personen reduzieren. Im Weiteren werden Arbeitsmarktszenarien für die nächsten 15 Jahre entwickelt. Sie zeigen, vor welchen neuen Problemen Ostdeutschland künftig stehen könnte, wenn es nicht gelingt, die Folgen des demografischen Wandels in den Griff zu bekommen. Weil sich die Entwicklung danach unvermindert fortsetzt, soll ein Ausblick bis zum Jahr 2050 verdeutlichen, wie schwer es sein wird, den demografischen Effekt auch nur abzuschwächen.
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2. Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials bis 2050 Das künftige Erwerbspersonenpotenzial resultiert aus der Bevölkerungsentwicklung in Verbindung mit Veränderungen der Erwerbsbeteiligung.1 Eine Abnahme der Bevölkerung könnte also durch eine entsprechende Zunahme der Zahl der Personen, die ihre Arbeitskraft anbieten, kompensiert werden. Im Osten wird dies allerdings auf absehbare Zeit nicht der Fall sein, wie die folgende Analyse zeigt: Demografische Effekte In den neuen Ländern sinkt die Zahl der deutschen Bevölkerung im Erwerbsalter, d. h. zwischen 15 und 64 Jahre, von heute etwa 10 Mio. bis zum Jahr 2050 auf ungefähr 4,5 Mio. und damit auf unter 50 % des Ausgangsbestandes (Fuchs/ Söhnlein, 2005). Der wesentliche Grund für diese stark negative Bevölkerungsentwicklung ist der Geburtenausfall nach der Wende, als sich die die Geburtenrate zeitweise fast halbierte. Dieser Ausfall macht sich nun am Arbeitsmarkt bemerkbar und würde dazu führen, dass aus rein demografischen Gründen – also isoliert betrachtet – das ostdeutsche Erwerbspersonenpotenzial bis 2025 um mehr als zwei Mio. Personen schrumpft und danach bis 2050 um mindestens weitere zwei Millionen abnimmt. Wanderungseffekte Verstärkt wird der abwärtsgerichtete Bevölkerungstrend durch die Abwanderung Ostdeutscher in die alten Länder. Aufgrund der in der Projektion angenommenen Binnenwanderung würde Ostdeutschland bis 2025 insgesamt rund 250.000 Arbeitskräfte verlieren. Aber auch die Zu- und Abwanderung von Ausländern spielt eine Rolle: Von den rund 44,5 Mio. Personen, die im Jahr 2005 das Erwerbspersonenpotenzial in ganz Deutschland bildeten, waren mit 4,3 Mio. knapp 9,7 % Ausländer. Davon lebten etwa 500.000 (11,6 %) in den ostdeutschen Ländern (einschließlich Berlin), d. h. 88,4 % des Erwerbspersonenpotenzials der Ausländer wohnte in Westdeutschland. Zum Vergleich: Der Anteil des Ostens am gesamten Erwerbspersonenpotenzial lag mit 9,7 Mio. bei 21,8 %. Knapp 5,2 % des ostdeutschen Erwerbspersonenpotenzials waren Ausländer (im Westen 10,9 %). Eine zentrale Projektionsannahme betrifft die Höhe der Zuwanderung aus dem Ausland. Für ganz Deutschland wird im Weiteren ein jährlicher Nettozuzug von 100.000 Ausländern (im Alter 0 bis 100 Jahre) angenommen.2 Damit bleibt das
1 Methodische und konzeptionelle Aspekte werden in einem Exkurs am Ende des Kapitels dargestellt. 2 In der Vergangenheit war der Nettowanderungssaldo bei den Jüngeren positiv, das heißt vor allem jüngere Menschen zogen nach Deutschland. Dagegen war der Saldo bei den Älteren negativ. Diese Struktur wurde auch für die Projektion angenommen (siehe Fuchs/Söhnlein, 2005b: 18f.).
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Erwerbspersonenpotenzial der Ausländer in Deutschland bis 2025 auf fast gleichem Niveau.3 In der Projektion wird der Anteil, der davon im Osten wohnt, konstant auf dem Wert von 2005 (d. h. 11,6 %) gehalten. Unter den getroffenen Annahmen sinkt das Erwerbspersonenpotenzial der Ausländer im Osten bis 2025 geringfügig um 15.000 Personen, während es ohne Zuwanderung um knapp 40.000 abnähme. Weil das Potenzial der Deutschen stärker sinkt, erhöht sich der Ausländeranteil im Osten von 5,2 % auf 6,7 % in 2025 und 7,7 % in 2050. Zum Vergleich: Im Westen bleibt der Anteil mit elf Prozent in 2050 fast konstant. Erwerbsbeteiligung Anders als im Westen bildet im Osten ein Anstieg der Erwerbsbeteiligung kein nennenswertes Gegengewicht zum demografischen Effekt. Hinsichtlich der sehr hohen Erwerbsquoten ostdeutscher Frauen mittleren Alters im nationalen wie im internationalen Vergleich nimmt die Projektion an, dass sie in Zukunft eher sinken werden (Fuchs/Dörfler, 2005). Abbildung 1 verdeutlicht diese Annahme am Beispiel der Erwerbsbeteiligung von Frauen im Alter 40 bis 44 Jahre. Nach der Projektion geht die Erwerbsquote ostdeutscher Frauen bis 2025 um vier Prozentpunkte zurück, während die Quote im Westen noch weiter steigt. Die Erwerbsquote der Ausländerinnen steigt in der Altersgruppe der 40- bis 44-Jährigen deutlich. Trotzdem bleibt sie weit unter den Werten der deutschen Frauen. Längerfristig steigen die Erwerbsquoten aller drei Gruppen. Veränderungen im Erwerbsverhalten von Frauen beeinflussen deshalb das ostdeutsche Erwerbspersonenpotenzial nicht merklich (-8.000 Personen bis 2025). Die vom Gesetzgeber beschlossene Erhöhung des Rentenzugangsalters („Rente mit 67“) dürfte die Erwerbsbeteiligung Älterer dagegen auch in den neuen Ländern in erheblichen Umfang steigern (siehe Abbildung 2). Der Effekt der „Rente mit 67“ wird für das Jahr 2025 auf eine Größenordnung von 185.000 zusätzlichen Arbeitskräften geschätzt; das wären rund 2,5 % des ostdeutschen Erwerbspersonenpotenzials. Der spätere Renteneintritt kann damit die Wirkung der sinkenden Erwerbsquoten von ostdeutschen Frauen mittleren Alters überkompensieren.
3 Siehe dazu die methodischen Hinweise am Ende des Kapitels.
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Abbildung 1: 100
Potenzialerwerbsquoten (in %) von Frauen im Alter 40 bis 44 Jahre
%
96
94 95
99
96 96
84
80 74
80 66
67
60
80
40 20 0 1990
2000
Westdeutsche Frauen
2025
Ostdeutsche Frauen
2050
Ausländerinnen
Quelle: Fuchs/Dörfler 2005.
Abbildung 2: 80 70
Erwerbsbeteiligung der 60- bis 64-jährigen deutschen Bevölkerung in den neuen Ländern
%
60 50 40 30 20 10 0 2005
2010
2015
2020
2025
Männer Quelle: Eigene Berechnungen (Basis Fuchs 2006).
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2030
2035
Frauen
2040
2045
2050
Unter den genannten Bedingungen führen die Demografie, die Binnen- und internationale Migration sowie die Veränderungen in der Erwerbsbeteiligung zusammen zu einem Rückgang beim ostdeutschen Erwerbspersonenpotenzial, der sich in der hier dargestellten Basisvariante zwischen 2005 und 2025 auf beinahe 2,3 Mio. Personen summiert (siehe Abbildung 3). Danach setzt sich der Rückgang unvermindert fort, wobei die prognostisch nahezu sichere demografische Komponente den weitaus größten Einfluss hat. Neben dem Rückgang des gesamten Erwerbspersonenpotenzials spielt auch deren Alterung eine Rolle. In Abbildung 3 ist besonders der Rückgang der Zahl jüngerer Arbeitskräfte (15 bis unter 30 Jahre alt) auffällig. Daneben werden den Betrieben wohl auch deutlich weniger Arbeitskräfte im Alter 30 bis 49 Jahre zur Verfügung stehen, während die Zahl Älterer (50 und älter) relativ wenig abnimmt. Der Einfluss der Rente mit 67 kommt sowohl bei den 50- bis 64-Jährigen aus in der Gruppe der 65- bis 74-Jährigen zur Geltung, wobei letztere für den ostdeutschen Arbeitsmarkt heute und wohl auch in Zukunft keine größere Rolle spielen. Abbildung 3:
Erwerbspersonenpotenzial* (in Tsd.) in den neuen Ländern bis 2050 – insgesamt und nach Alter
12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 2005
2010
2015 15-29
2020
2025
30-49
2030 50-64
2035
2040
2045
2050
65-74
* Basisvariante: leicht sinkende Frauenerwerbsbeteiligung, Anstieg der Erwerbsquoten Älterer unter Berücksichtung der Rente mit 67, Binnenwanderung: Verlust von 250.000 Arbeitskräften bis 2025, Wanderungssaldo Ausländer (Bund) von 100.000 Personen p.a., gleich bleibender Ostanteil am gesamten Erwerbspersonenpotenzial der Ausländer (ca. 11,6 %). Ostdeutsche Länder einschließlich Berlin. Quelle: Eigene Berechnungen (Basis Fuchs/Dörfler 2005 und Fuchs 2006).
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Für eine Sensitivitätsanalyse wurden die der Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials zugrunde liegenden Annahmen gegenüber der Basisvariante wie folgt modifiziert: Zunächst wurde der Nettozuzug von Ausländern verdoppelt (200.000 p.a.) und die Ost-West-gerichtete Binnenwanderung auf Null gesetzt (Variante 1). In einem weiteren Modell (Variante 2) stimmen die jeweiligen Anteile der Ausländer am Erwerbspersonenpotenzial im Osten und Westen überein.4 In 2050 würde damit der Ausländeranteil am Erwerbspersonenpotenzial der neuen Länder 17,5 % knapp überschreiten. Darüber hinaus wurde in beiden Varianten die Frauenerwerbsbeteiligung auf dem gegenwärtig hohen Niveau gehalten. Abbildung 4:
Langfristige Tendenzen beim ostdeutschen Erwerbspersonenpotenzial bei unterschiedlichen Annahmen – in 1.000 Personen
11.000 10.000 9.000 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Basisvariante Variante 1 Variante 2 Varianten des Erwerbspersonenpotenzials (jeweils neue Länder einschließlich Berlin): Basisvariante: leicht sinkende Frauenerwerbsbeteiligung, Anstieg der Erwerbsquoten Älterer unter Berücksichtung der Rente mit 67, Binnenwanderung: Verlust von 250.000 Arbeitskräften bis 2025, Wanderungssaldo Ausländer (Bund) von 100.000 Personen p.a., gleich bleibender Ostanteil am gesamten Erwerbspersonenpotenzial der Ausländer (ca. 11,6 %). Variante 1: konstante Frauen-Erwerbsquoten, Anstieg der Erwerbsquoten Älterer unter Berücksichtung der Rente mit 67, keine Ost-West-Binnenwanderung, Wanderungssaldo Ausländer (Bund) von 200.000 Personen p.a., gleich bleibender Ostanteil am gesamten Erwerbspersonenpotenzial der Ausländer (11,6 %). Variante 2: konstante Frauen-Erwerbsquoten, Anstieg der Erwerbsquoten Älterer unter Berücksichtung der Rente mit 67, keine Ost-West-Binnenwanderung, Wanderungssaldo Ausländer (Bund) von 200.000 Personen p.a., gleiche Ausländeranteile in Ost und West ab 2015. Quelle: Eigene Berechnungen (Basis Fuchs/Dörfler 2005 und Fuchs 2006).
4 Dies gilt nach einer kurzen Übergangsphase ab 2015 und impliziert entsprechende Zuzüge von Ausländern aus dem In- oder Ausland.
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Aber auch mit diesen extremen, weniger realistischen Annahmen wird der demografische Trend des Basismodells nicht gebrochen (Abbildung 4). In der besonders extremen Variante 2 nimmt das Erwerbspersonenpotenzial – nach der „Einführungsphase“ – um rund eine Million Arbeitskräfte weniger ab als in der Basisvariante. Statt um 48 % – wie in der Basisvariante – sinkt das Erwerbspersonenpotenzial in Variante 2 damit „nur“ um 37 %. Mit den Varianten in Abbildung 4 wird nicht weiter quantifiziert, wie sich ein Anstieg der Geburtenziffern auswirken würde. Berücksichtigt man die Dauer der Ausbildungsphase, dann dauert es 20 bis 30 Jahre, bis zusätzliche Geburten Höhe und Altersstruktur des Arbeitskräfteangebots überhaupt beeinflussen. Zudem müsste für einen langfristigen Erhalt der Bevölkerung die derzeitige Geburtenrate von unter 1,4 Kinder pro Frau auf knapp 2,1 steigen. Eine Erhöhung um 50 % innerhalb weniger Jahre scheint höchst unrealistisch zu sein. Insofern sollte man nicht darauf bauen, mit einer pronatalistischen Politik – selbst wenn sie Erfolg hätte – in absehbarer Zeit das Erwerbspersonenpotenzial deutlich erhöhen zu können. Exkurs: Projektion des Erwerbspersonenpotenzials – Annahmen und Methode Die Erwerbsbeteiligung einer Bevölkerung wird mittels der Erwerbsquote gemessen. Die Erwerbsquote ist der Anteil der Erwerbstätigen und der Arbeitslosen an der Bevölkerung. Steht im Zähler der Quote auch die sog. Stille Reserve, spricht man von Potenzialerwerbsquoten (Fuchs/Weber, 2005). Üblicherweise werden diese Quoten nach Alter und Geschlecht, beim IAB auch nach Deutschen und Ausländern sowie Ost und West differenziert. Diese Differenzierung trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Erwerbsbeteiligung der genannten Bevölkerungsgruppen deutlich unterscheidet. Die Multiplikation von Bevölkerung und Potenzialerwerbsquote ergibt das Erwerbspersonenpotenzial, also die Gesamtzahl von Erwerbstätigen, Arbeitslosen und den Personen der Stillen Reserve. Die Vorausschätzung des Erwerbspersonenpotenzials basiert auf zwei Grundbausteinen: einer Bevölkerungsprojektion und einer Projektion von Potenzialerwerbsquoten. Alle Rechnungen wurden beim IAB disaggregiert nach Altersgruppen und Geschlecht, sowie Deutschen (Ost und West) und Ausländern (ohne Ost/West-Trennung) durchgeführt (vgl. Fuchs/Dörfler, 2005). Für die Vergangenheit wurden Potenzialerwerbsquoten für Ost und West geschätzt, die für die Projektion des Erwerbspersonenpotenzials „verlängert“ werden mussten. Basis der projizierten westdeutschen Potenzialerwerbsquoten sind im Wesentlichen die geschätzten Regressionsfunktionen. Die Erwerbsquoten der Männer wurden allerdings teilweise auf dem letzten Wert konstant fortgeschrieben. Für Ostdeutschland war das regressionsanalytische Verfahren, mit dem die westdeutschen Potenzialerwerbsquoten geschätzt werden, aus statistisch-
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methodischen Gründen (noch) nicht anwendbar. Der Einschätzung der künftigen Entwicklung der Erwerbsbeteiligung in den neuen Bundesländern liegt die folgende Hypothese zugrunde (vgl. Fuchs/Dörfler, 2005): Angesichts der weitgehenden Übereinstimmung vieler wichtiger Rahmenbedingungen wird ein Prozess der langfristigen Angleichung ost- und westdeutscher Potenzialerwerbsquoten angenommen. Die derzeit noch höheren ostdeutschen Potenzialquoten sinken tendenziell und stimmen in einigen Jahren mit den steigenden westdeutschen Quoten überein. Dabei dürfte die Erwerbsbeteiligung nicht individuell zurückgehen, sondern vielmehr über die Geburtskohorten hinweg. Die jungen, neu in den Arbeitsmarkt eintretenden ostdeutschen Geburtskohorten bringen „westliche“ bzw. „gesamtdeutsche“ Verhaltensweisen mit, d. h. ihre Erwerbsbeteiligung unterscheidet sich nicht mehr substantiell von der Westdeutscher. Zugleich steigen die Erwerbsquoten westdeutscher Frauen. Statistisch resultiert daraus eine beiderseitige Angleichung ost- und westdeutscher Erwerbsquoten (siehe Abbildung 1). Außerdem berücksichtigt die Vorausschätzung die gesetzlich bereits beschlossene „Rente mit 67“. Im Wesentlichen wird dies durch eine Verschiebung der altersspezifischen Erwerbsquoten modelliert (vgl. Variante 1 in Fuchs, 2006). Wie sich dies auf die die Erwerbsquoten Älterer auswirkt, wurde in Abbildung 2 dargestellt. Die IAB-Bevölkerungsprojektion geht davon aus, dass sich der Osten an die günstigeren Sterbe- und Geburtenziffern für den Westen angleicht und dass die Wanderung von Ost nach West zurückgeht. Ab dem Jahr 2020 ist im Modell die Binnenwanderungsbilanz in jedem Jahr ausgeglichen. Der gesamte Wanderungsverlust der neuen Länder beträgt von 2005 bis 2021 ca. 320.000 Personen, danach Null. Der daraus resultierende Verlust an Arbeitskräften beträgt insgesamt ca. 250.000 Personen (Fuchs/Söhnlein, 2005). Die Projektion wurde für Deutsche nach Ost und West getrennt berechnet, bei Ausländern jedoch nur für Gesamtdeutschland. Das Erwerbspersonenpotenzial der Ausländer wurde nachträglich unter der Annahme einer konstanten Quote auf Ost und West aufgeteilt. Bei der Berechnung des Erwerbspersonenpotenzials werden die Erwerbsquoten mit der Bevölkerung gewichtet. Nun sind die in Deutschland lebenden Ausländerinnen deutlich weniger am Erwerbsleben beteiligt als die deutschen Frauen, haben also niedrigere Erwerbsquoten (siehe erneut Abb. 1). Wir nehmen an, dies gilt auch für die künftig zuwandernden Ausländerinnen. Nun verändert die Zuwanderung die Relation Deutsche zu Ausländer in der Bevölkerung. Deshalb muss das Erwerbspersonenpotenzial nach Deutschen und Ausländern getrennt projiziert werden, weil sich durch die Zuwanderung die Gewichte ändern. Damit stellt sich das Problem, wie man mit den Kindern umgeht, die zwar in Deutschland geboren werden, deren Eltern aber eine ausländische Nationalität haben (d. h. auch nicht eingebürgert sind) und zugleich die Kriterien des seit 2000
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geltenden Staatsbürgerschaftsrechts erfüllen, wonach ihre Kinder automatisch auch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Die betroffenen Kinder müssen sich mit dem 18. Lebensjahr für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden. Zur Lösung des Problems wurde vereinfachend angenommen, dass diese Kinder später einmal die gleiche Erwerbsbeteiligung wie nicht eingebürgerte Ausländer haben.5 Um das Modul für die Bevölkerungsprognose nicht zu verkomplizieren, wurden diese Kinder in der Vorausberechnung der Bevölkerungsgruppe der Ausländer zugeschlagen (Fuchs/Söhnlein, 2005b). Der Ausländerbegriff in der Bevölkerungsprojektion stimmt damit nicht mit dem Staatsbürgerschaftsrecht überein. Deshalb darf die Projektion auch nicht als eine Vorhersage der Ausländerzahl in Deutschland missverstanden werden. Zusammenfassung der Projektionsannahmen für Ostdeutschland: a) Bevölkerungsprojektion (vgl. Fuchs/Söhnlein, 2005) Durchschnittliche Geburtenrate (total fertility rate) steigt bis 2017 auf 1,38. Die Lebenserwartung der ostdeutschen Bevölkerung schließt bis 2022 auf die höhere der Westdeutschen auf. Binnenwanderungssaldo sinkt bis 2021 auf Null. Gesamte Abwanderung Ostdeutscher bis dahin rund 320.000 Personen. Wanderungsbedingter Verlust von ca. 250.000 Arbeitskräften. b) Entwicklung der Erwerbsbeteiligung (siehe Fuchs/Dörfler, 2005) Leichter Rückgang der Erwerbsquoten von Frauen mittleren Alters, fast Konstanz bei den Männern. Stärkerer Rückgang der Erwerbsquoten Jüngerer. Stärkerer Anstieg der Erwerbsquoten Älterer. Erwerbsquoten von Ausländerinnen mittleren Alters steigen etwas; bei den Männern bleiben die Quoten nahezu unverändert (wie im Westen). c) Ost-West-Aufteilung des Erwerbspersonenpotenzials der Ausländer Diese bleibt in der Basisvariante konstant: 11,6 % des gesamten Erwerbspersonenpotenzials von Ausländern wohnt in Ostdeutschland.
5 Diese Annahme wurde mangels empirischer Belege über die Höhe der Erwerbsbeteiligung der Kinder von Immigranten getroffen. Einen größeren Effekt auf die Projektionsergebnisse dürfte sie nicht haben, da die betroffene Gruppe relativ klein ist und es dabei ja nur auf den Unterschied zur unbekannten wahren Erwerbsquote ankommt (siehe zu den projizierten Erwerbsquoten Fuchs/Dörfler, 2005: 34).
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Tabelle 1:
Ostdeutsche Potenzialerwerbsquoten* für ausgewählte Jahre
Alter 15 bis 64 Jahre
2005
2025
2050
Deutsche Frauen
80,8
79,8
81,1
Ausländerinnen
60,4
63,8
63,7
Deutsche Männer
86,3
86,7
86,3
Ausländer
88,1
90,9
92,0
* Erwerbspersonenpotenzial in Prozent der Bevölkerung Quelle: Fuchs/Dörfler 2005, Fuchs 2006 (beides aktualisiert).
Ende Exkurs 3. Projektion der Arbeitskräftenachfrage Im Zuge der Wiedervereinigung und des damit verbundenen Systemwechsels ging in Ostdeutschland rund ein Drittel der Arbeitsplätze verloren. Trotz der enormen Transferleistungen gelang es in den folgenden Jahren nicht, die Unterbeschäftigung spürbar zu senken. Im Gegenteil: Die Beschäftigung sank zwar nicht mehr rapide, dafür aber stetig. Selbst der 1998 einsetzende Wirtschaftsaufschwung ging – anders als im Westen – nahezu spurlos am ostdeutschen Arbeitsmarkt vorbei. Erst während des letzten Booms, der 2006 einsetzte und bis Mitte 2008 dauerte, konnten auch die neuen Bundesländern einen Beschäftigungsanstieg verzeichnen. So stieg die Zahl der Erwerbstätigen von 2005 bis 2008 im Jahresdurchschnitt um etwa 280.000 Personen. An dieser Beschäftigungssituation wird sich auch in den nächsten 15 Jahren nicht viel ändern. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise werden zwar bis 2010 die Beschäftigungsgewinne der letzten drei Jahre größtenteils wieder verloren gehen, aber bis 2020 wird das Beschäftigungsniveau von 2005 mit rund 7,1 Millionen Erwerbstätigen gehalten werden können. Ab 2020 schlägt dann der Rückgang der Bevölkerung und damit auch der des Erwerbspersonenpotenzials am Arbeitsmarkt immer mehr durch. Die Löhne steigen - modellendogen - aufgrund des Rückgangs der Unterbeschäftigung stärker als die nominalen Produktivitäten. Damit wird der gesamtwirtschaftliche Verteilungsspielraum überschritten. Ein Abbau der Beschäftigung setzt ein. Bis 2025 wird die Beschäftigung um rund 200.000 Personen sinken, so dass es noch etwa 6,9 Millionen Erwerbstätige geben wird (Schnur/Zika, 2007). Diese Projektion basiert auf einer Abschätzung und Gewichtung der zukünftigen nationalen und internationalen Wirtschaftsdynamik mit dem makroökonometrischen Modell INFORGE (Meyer et al., 2007). Neben einer konsistenten
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Modellierung des nationalen Volkswirtschaftlichen Kreislaufs auf der Basis der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen werden auch die internationalen gesamtwirtschaftlichen Kreislaufzusammenhänge berücksichtigt. Dies geschieht durch die Einbindung in einen internationalen Projektionsverbund. INFORGE ist mit 59 Wirtschaftssektoren tief disaggregiert und kann damit auch den absehbaren sektoralen Strukturwandel erfassen. Gebietsstand von INFORGE ist zwar Deutschland insgesamt, durch die Einbeziehung spezifischer Submodelle für einzelne Bundesländer ermöglicht aber die IAB-Version des Modells, auch differenzierte Aussagen für die neuen Bundesländer zu treffen. Bevölkerung und Erwerbspersonenpotenzial spielen für die Ergebnisse des INFORGE-Modells in zweierlei Hinsicht eine wichtige Rolle. Erstens stellen sowohl die Anzahl der Einwohner und der Privathaushalte als auch die Altersstruktur der Bevölkerung wichtige Einflussgrößen für die Konsumausgaben der privaten Haushalte dar. Deren Konsumausgaben bestimmt das Modell disaggregiert nach 41 Verwendungszwecken. Zweitens beeinflusst die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials den Arbeitsmarkt der Zukunft, indem sich damit in Verbindung mit dem Arbeitskräftebedarf die zukünftige Unterbeschäftigung abschätzen lässt. Die Unterbeschäftigung wiederum beeinflusst maßgeblich sowohl die sozialen Transferausgaben des Staates als auch die künftige Lohnentwicklung. Die im Weiteren dargestellten Modellergebnisse zur Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs beruhen unter anderem auf folgenden Annahmen: Für die Bevölkerung und das Erwerbspersonenpotenzial wird die obige Entwicklung mit einer Nettozuwanderung von 100.000 Personen pro Jahr unterstellt. Die durchschnittlichen Jahresarbeitszeiten der Voll- und Teilzeitbeschäftigten bleiben bis 2015 unverändert. Danach steigen sie jährlich um 0,5 %. Für die Teilzeitquoten wird angenommen, dass sie von knapp 33 % im Jahr 2005 auf etwas über 36 % in 2025 zunehmen. Der Mineralölpreis steigt von knapp 70 Dollar je Barrel im Jahresdurchschnitt 2007 auf 115 Dollar je Barrel in 2025.6 Der projizierte Beschäftigungstrend setzt allerdings voraus, dass der künftige Bedarf an Arbeitskräften auch in qualifikatorischer Hinsicht gedeckt werden kann. Diese – in der Projektion implizit enthaltene Annahme – könnte in naher Zukunft nicht
6 Dies entspricht bspw. auch der Einschätzung der BASF im Zwischenbericht der BASF-Gruppe im 3. Quartal 2007 vom 30.10.2007 (http://berichte.basf.de/de/2007/zwischenbericht_q3/?id=NCtSZBS Rnbcp*-O).
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mehr erfüllt sein und damit die Wirtschaft vor ernsthafte Probleme stellen, wenn hohe Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Fachkräftemangel droht.7 Exkurs: Projektion des Arbeitskräftebedarfs - das IAB/INFORGE-Modell INFORGE ist ein nach Produktionsbereichen und Gütergruppen tief disaggregiertes ökonometrisches Prognose- und Simulationsmodell für die Bundesrepublik Deutschland, das von der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS mbH) entwickelt worden ist. Seine besondere Leistungsfähigkeit beruht auf der Integration in einen internationalen Modellverbund. Die Modellphilosophie ist durch die Konstruktionsprinzipien „bottom-up“ und vollständige Integration gekennzeichnet. Das Konstruktionsprinzip „bottomup“ besagt, dass die einzelnen Sektoren der Volkswirtschaft sehr detailliert (jeweils etwa 600 Variablen für jeden der 59 Sektoren) modelliert und die gesamtwirtschaftlichen Variablen durch Aggregation im Modellzusammenhang gebildet werden. Auf diese Weise gelingt sowohl eine lückenlose Darstellung der einzelnen Sektoren im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang und in der intersektoralen Verflechtung als auch eine Erklärung gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge, die die Volkswirtschaft als Summe ihrer Branchen begreift. Das Konstruktionsprinzip vollständige Integration beinhaltet eine Modellstruktur mit einer Abbildung der interindustriellen Verflechtung und einer Erklärung der Einkommensverwendung der privaten Haushalte aus der Einkommensentstehung in den einzelnen Sektoren. Die weltwirtschaftliche Entwicklung sowie die Beziehungen Deutschlands mit der Weltwirtschaft werden durch das Modell GINFORS erklärt (Ahlert, 2009). Im Zentrum des Modells steht das bilaterale Handelsmodell. Für 25 Gütergruppen und für den Handel mit Dienstleistungen stehen bilaterale Handelsmatrizen für die OECD-Länder und weitere zehn wichtige Handelspartner der OECD zur Verfügung. Über diesen Handelszusammenhang werden den Ländern sowohl Mengen als auch Preise zugewiesen. Der ökonomische Kern eines Modells besteht aus dem Makromodell (MM) und dem Input-Output-Modell (IOM). Während Makromodelle für alle Länder von GINFORS vorliegen, sind Input-OutputModelle nur für 25 Länder verfügbar. Die Volkswirtschaften der übrigen Länder werden allein durch ein Makromodell abgebildet. Das Modell weist einen hohen Endogenisierungsgrad auf. Die etwa 200 exogenen Variablen sind vor allem Instrumentvariablen der Fiskalpolitik wie die Steuersätze. Am Arbeitsmarkt ist mit dem Erwerbspersonenpotenzial das Arbeitsangebot exogen. Von den außenwirtschaftlichen Variablen sind allein die
7 Eine für Thüringen bis 2015 reichende Berechnung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) kommt zu einem ähnlichen Resultat (IWH, 2009).
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Wechselkurse für die Währungen der Länder exogen. Sämtliche anderen Variablen über weltwirtschaftliche Entwicklungen, die zur Bestimmung der deutschen Exporte notwendig sind, werden endogen im internationalen System bestimmt. Im Konstruktionsprinzip „top-down“ ist an INFORGE ein Modul zur Abschätzung der Entwicklung in den einzelnen Bundesländern Deutschlands angeschlossen, wobei die Konsistenz zu den gesamtdeutschen Informationen in INFORGE gewährleistet ist. Die Datenbasis geht auf die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) der Bundesländer zurück. Für jedes Bundesland liegen u. a. Zeitreihen für die Lohnsummen, die Bruttowertschöpfung und die Beschäftigung nach 16 Wirtschaftsbereichen vor. Die vorliegende Modellversion bietet eine deutliche Verbesserung und Weiterentwicklung gegenüber der Vorgänger-Version. So ist es gelungen, die Arbeitsnachfrage durch die im IAB erstellte Arbeitszeitrechnung für die VGR auf eine Arbeitsvolumenrechnung umzustellen und die Zerlegung in Köpfe – differenziert nach Voll- und Teilzeit – erst anschließend durchzuführen. Damit kann die zunehmende Bedeutung der Teilzeitarbeit deutlich besser berücksichtigt werden. Neu ist auch die Erklärung der Abgänge der Kapitalstöcke aus der Entwicklung der Bestände heraus. Dies ermöglicht die Trennung der sektoralen Bruttoinvestitionen in Nettoinvestitionen und Abgänge. Ende Exkurs 4. Bilanzierung von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage bis 2025 Stellt man Arbeitskräfteangebot (Erwerbspersonenpotenzial) und Arbeitskräftenachfrage (Erwerbstätigkeit) gegenüber, zeigt sich auf dem ersten Blick eine sehr positive Entwicklung (siehe Abbildung 5). Die Differenz, also die gesamte Unterbeschäftigung aus Arbeitslosigkeit und Stiller Reserve, wird deutlich kleiner. Der Grund für diesen günstigen Trend liegt fast ausschließlich in der als ziemlich stabil einzuschätzenden demografischen Tendenz. Die Ergebnisse stimmen tendenziell mit einer Vorausschätzung des IfoInstituts überein, dessen Projektionshorizont nicht ganz so weit reicht (Henschel et al., 2008), sowie mit Berechnungen, die das Institut für Wirtschaftsforschung Halle für Thüringen erstellt hat (IWH, 2009). Doch darf man nicht darauf warten, bis die Demografie das ostdeutsche Arbeitslosigkeitsproblem quasi von alleine löst. Zwei wichtige Fragen schließen sich nämlich an: Wie geht es nach 2025 weiter und passen Angebot und Nachfrage zusammen?
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Abbildung 5:
Arbeitsmarktentwicklung in Ostdeutschland (einschließlich Berlin) – in 1.000 Personen
11.000 10.000 9.000 8.000 7.000 6.000 5.000 1990
1995
2000
Erwerbstätige
2005
2010
2015
2020
2025
Erwerbspersonenpotenzial *
* Basisvariante des Erwerbspersonenpotenzials bei einem jährlichen Wanderungssaldo von 100.000 Personen (auf Bundesebene) und einem gleich bleibenden Ost-Anteil am gesamten Erwerbspersonenpotenzial der Ausländer (ca. 11,6 %). Quelle: Schnur/Zika (2007), eigene Berechnungen.
5. Arbeitskräftemangel in Ostdeutschland Die in Abbildung 5 dargestellte Arbeitsmarktentwicklung bis 2025 suggeriert, dass sich die beiden Linien von Erwerbspersonenpotenzial und Erwerbstätigkeit in nicht allzuferner Zukunft schneiden, die Unterbeschäftigung im Osten also irgendwann nach 2025 auflöst und es stattdessen zu einem Nachfrageüberschuss kommen könnte. Ein solches Szenario lässt sich aus heutiger Sicht zwar noch nicht fundieren. Weil demografische Prozesse aber einen langen Atem haben, benötigt man zumindest eine vage Vorstellung über die nach 2025 hinausgehende Entwicklung des Arbeitsmarktes. Diese wird hier im Weiteren skizziert. Beim Erwerbspersonenpotenzial lassen sich Richtung und Größenordnung der Veränderung auch sehr langfristig grob abschätzen. Die Unsicherheit wurde bereits mit den oben genannten Varianten 1 und 2 quantifiziert. Bei der Erwerbstätigkeit ist eine derartige Erweiterung des Prognosehorizonts nicht möglich. Sie wird von zu vielen, schwer prognostizierbaren und kurzfristig wirksamen Faktoren bestimmt. Beispielsweise ist die Frage, wie stark der private Verbrauch in Folge einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung sinken wird, noch nicht abschließend beantwortet. So ist für den privaten Konsum nicht allein 28
die Personenzahl der Bevölkerung, sondern vor allem die Anzahl der privaten Haushalte ausschlaggebend (Rürup/Klopfleisch, 1999). Diese nimmt aber angesichts einer Tendenz zu kleineren Haushalten weitaus weniger ab als die Bevölkerung. Ausgehend von den bisher vorliegenden Modellrechnungen gibt es aus heutiger Sicht noch keine Anzeichen dafür, dass sich der betriebliche Arbeitskräftebedarf im Osten nach 2025 sehr stark verringern würde, d. h. schon in absehbarer Zukunft dürfte der betriebliche Arbeitskräftebedarf das Erwerbspersonenpotenzial übersteigen. Dies gilt auch unter den optimistischen Annahmen über die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials in den Varianten 1 und 2. Da die Erwerbstätigkeit jedoch nie höher als das Erwerbspersonenpotenzial sein kann, wird langfristig auch die Erwerbstätigkeit demografisch bedingt sinken. Das heißt, wir müssen uns längerfristig auf eine Abwärtsspirale von Beschäftigung und Erwerbspersonenpotenzial in den neuen Ländern einstellen. 6. Qualifikationstendenzen Die Annäherung von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage ist zunächst nur eine rein rechnerische. Tatsächlich könnte schon viel früher der Zeitpunkt erreicht werden, ab dem das Arbeitskräfteangebot den tatsächlichen betrieblichen Bedarf an Fachkräften nicht mehr deckt. Abgeleitet aus der Qualifikationsstruktur der heute in den neuen Ländern lebenden Bevölkerung folgt, dass schon in zehn, spätestens wohl in 20 Jahren das Potenzial an Arbeitskräften mit abgeschlossener Berufsausbildung bzw. Fachhochschul- oder Hochschulabschluss deutlich gesunken sein wird (vgl. Abbildung 6).8
8 Das Ifo-Institut sieht bei den Hochqualifizierten („high-skilled“) sogar schon ab 2013 die Möglichkeit eines Engpasses (Henschel et al., 2008).
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Abbildung 6: 3,0
Bevölkerung nach Alter und Qualifikation, 2005 – neue Länder und Berlin – in Mio. Personen
%
2,5
0,5
2,0
0,5
0,3
0,3
0,3
1,5
2,0 1,2
1,0 0,5
mit Hoch-/ Fachhochschule
0,5
1,1
5 - 14 Jahre
ohne Berufsabschluss 1,5
1,4 0,3 0,2
0,0
1,9
mit Lehre/ Fachschule
Schüler, Studenten, Auszubildende Kinder unter 15
0,2
0,2
0,2
15 - 24 25 - 34 35 - 44 45 - 54 55 - 64 Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre
Quelle: Mikrozensus, eigene Berechnungen.
Darüber hinaus wird sich die Altersstruktur deutlich zu Ungunsten der jüngeren und mittleren Jahrgänge verschieben, da die heute 35- bis 54-Jährigen einen Großteil der erwerbsfähigen Bevölkerung stellen und im betrachteten Zeitraum immer näher ans Renteneintrittsalter heranrücken. So reicht beispielsweise die Zahl der 5- bis 14-jährigen Kinder mit 1,1 Millionen bei weitem nicht mehr aus, um die altersbedingt ausscheidenden Arbeitskräfte künftig zu ersetzen. Da andererseits die deutsche Wirtschaft immer mehr qualifizierte und immer weniger un- und angelernte Arbeitskräfte benötigt, deuten sich zusätzliche Probleme für die internationale Wettbewerbsfähigkeit an. Wenn die Betriebe zudem nur einen Teil des vorhandenen Erwerbspersonenpotenzials einsetzen (können), ist das tatsächlich verfügbare Arbeitskräfteangebot kleiner als das oben angegebene. Daher ist es eigentlich unerlässlich, wenigstens in qualitativer Hinsicht das vorhandene Potenzial auszuschöpfen, also die nachwachsenden Generationen so gut wie nur irgendwie möglich zu qualifizieren (vgl. IWH, 2009). Betrachtet man dagegen die aktuellen Entwicklungen der Zahl der Schulabgänger in den Neuen Ländern und Berlin, so erkennt man seit 2000 ein konstantes Absinken. Verließen im Jahr 2000 noch knapp 240.000 Schüler die 30
allgemein bildenden Schulen, so waren es im Jahr 2007 lediglich 190.000. Aber immerhin konnte der Anteil der Personen mit Hoch- und Fachhochschulreife an allen Abgängern von 27 auf 36 % gesteigert werden und der Anteil derer ohne Abschluss sank von zwölf auf neun Prozent. Dennoch werden diese Tendenzen nicht ausreichen, den Bedarf an gut Qualifizierten langfristig zu decken, zumal die demografischen Einbrüche erst in den kommenden Jahren voll durchschlagen. So rechnet die Kultusministerkonferenz in ihrer aktuellen Vorausberechnung für das Jahr 2020 lediglich noch mit 44.000 Absolventinnen und Absolventen mit Hoch- und Fachhochschulreife aus allgemein bildenden und beruflichen Schulen in den ostdeutschen Flächenländern (KMK, 2009). Im Basisjahr 2007 waren es noch 75.000. Dies entspräche zwar einem Anteil von 45 % an der gleichaltrigen Bevölkerung (zum Vergleich 2007: 41 %), aber selbst diese Steigerung der Quote reicht bei weitem nicht aus, um die absoluten Einbrüche auszugleichen. 7. Fazit Die demografische Entwicklung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das ostdeutsche Arbeitskräfteangebot stark verändern. Betriebe müssen sich auf insgesamt weniger, zugleich aber auf relativ mehr ältere Arbeitskräfte einstellen. Vorausschätzungen sind immer mit einem erheblichen Grad an Unsicherheit behaftet. Jedoch dürften die Modellrechnungen des Erwerbspersonenpotenzials recht verlässlich sein, da die Veränderungen weitgehend vom stabilen demografischen Einfluss getrieben werden, dessen Effekt bis zum Jahr 2025 schon beinahe sicher ist. Alle Ergebnisse basieren auf einer reinen Pro-Kopf-Betrachtung. Zusätzlich müsste die Arbeitszeit mit eingezogen werden, denn eine längere Jahresarbeitszeit wirkt dem Personeneffekt entgegen. Doch sollte man sich von einer Ausweitung der Arbeitszeit nicht zu viel versprechen. So zeigt eine Analyse der Deutsche Bank Research, dass sie – bei einer jährlichen Nettozuwanderung von 200.000 Personen – um 15 Wochenstunden steigen müsste, um den demografisch bedingten Rückgang des Arbeitskräfteangebots auszugleichen (Gräf, 2003: 20). Es wird also kaum möglich sein, den demografischen Trend auf absehbare Zeit zu stoppen. Am stärksten und am schnellsten könnte ihm Zuwanderung – sei es aus Westdeutschland (einschließlich Rückwanderer) oder dem Ausland – entgegenwirken. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) spricht sogar von einer „strategischen Fehlentscheidung“, wenn man die Zuwanderungs-Option nicht nutzt (IWH, 2009: 132). Zuwanderungspotenziale sieht Kubis (2008: 381) vor allem in urbanen Zentren und in Regionen mit „…hervorgehobenen kulturellen sowie naturräumlichen Charakteristika oder aber mit überregional bedeutsamen Bildungsinstitutionen.“ Ähnlich äußern sich Jain und Schmithals (2009) bei ihrer Untersuchung zu den
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Motiven von Rückwanderern. Es sieht aber derzeit nicht danach aus, als sei eine verstärkte Zuwanderung zu erwarten oder auch nur leicht erreichbar. Vielmehr verliert der Osten – wenn auch weniger rasant als früher – weiterhin wertvolles Humankapital durch Abwanderung in den Westen (Granato/Niebuhr, 2009). Weil demografisch bedingt auch die Zahl qualifizierter Arbeitskräfte abnimmt, könnte sich der Abwärtstrend bei der Beschäftigung noch verstärken, denn ohne qualifizierte Arbeitskräfte verliert der Osten seinen wichtigsten Trumpf im nationalen als auch im internationalen Wettbewerb (Henschel et al., 2008). Der Abwärtstrend in den Gesamtzahlen bedeutet allerdings nicht zwingend Nachteile für die einzelnen Personen. Gerade vor dem Hintergrund des Bevölkerungsrückgangs ist die Pro-Kopf-Entwicklung die relevantere Messlatte. Gelänge es beispielsweise, den Osten Deutschlands als Hochtechnologiestandort zu etablieren, könnte eine positive Entwicklung in Gang gesetzt werden. Eine Voraussetzung hierfür wäre, dass Bildungs- und Forschungspolitik längerfristig ausgerichtet werden und sich nicht an kurzfristigen Marktlagen orientieren. Nur so könnte die Innovationsfähigkeit im Osten erhalten bleiben bzw. gesteigert werden. Langfristig entscheidet vor allem die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft, wie schnell der technische Fortschritt voranschreitet, bzw. wie stark die Produktivität zunimmt, und garantiert damit auch ein hohes Pro-Kopf-Einkommen. Letztlich würde der Osten Deutschlands – sowohl für Inländer als auch für potenzielle Zuwanderer – wieder mehr an Attraktivität gewinnen, so dass der unvermeidliche Abwärtstrend zumindest etwas verlangsamt werden könnte.
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Literatur Ahlert, G. et al. (2009): Das IAB/INFORGE-Modell. In: Schnur, P./Zika G. (Hrsg): Das IAB/INFORGE-Modell. Ein sektorales makroökonomisches Projektions- und Simulationsmodell zur Vorausschätzung des längerfristigen Arbeitkräftebedarfs. Bielefeld: Bertelsmann, IAB Bibliothek 318, 15-176. Cassens, I./ Luy, M./ Scholz, R. (Hrsg.) (2009): Die Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland. Demografische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen seit der Wende. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Fuchs, J. (2006): Rente mit 67: Neue Herausforderungen für die Beschäftigungspolitik, IABKurzbericht 16/2006. Fuchs, J./ Dörfler, K. (2005): Projektion des Erwerbspersonenpotenzials bis 2050 – Annahmen und Datengrundlage, IAB-Forschungsbericht 25/2005. Fuchs, J./ Söhnlein, D. (2005a): Langfristprojektion bis 2050: Dramatischer Rückgang der Bevölkerung im Osten. IAB-Kurzbericht 19/2005. Fuchs, J./ Söhnlein, D. (2005b): Vorausschätzung der Erwerbsbevölkerung bis 2050. IABForschungsbericht 16/2005. Fuchs, J./ Weber, B. (2005): Neuschätzung der Stillen Reserve und des Erwerbspersonenpotenzials für Ostdeutschland (einschl. Berlin-Ost). IAB-Forschungsbericht 18/2005. Gräf, B. (2003), Deutsches Wachstumspotenzial: Vor demografischer Herausforderung, Deutsche Bank Research, Aktuelle Themen, Nr. 277. Granato, N./ Niebuhr, A. (2009): Arbeitskräftewanderungen nach Qualifikation: Verluste in Ostdeutschland gehen zurück. IAB-Kurzbericht 7/2009. Henschel, B./ Pohl, C./ Thum, M. (2008): Demographic Change and Regional Labour Markets: The Case of Eastern Germany. CESifo Working Paper No. 2315. IWH >Institut für Wirtschaftsforschung Halle< (2009): Entwicklung des Fachkräftebedarfs in Thüringen bis 2015, Halle. Jain, A./ Schmithals, J. (2009): Motive für Wanderung von West- nach Ostdeutschland und Rückkehrertypen. In: Cassens, I./ Luy, M./ Scholz, R. (Hrsg.) (2009): Die Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland. Demografische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen seit der Wende. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 313-333. KMK >Kultusministerkonferenz< (2009): Vorausberechnung der Studienanfängerzahlen 2009 – 2020 (Zwischenstand), Bonn. Kubis, A./ Schneider, L. (2008): Zuwanderungschancen ostdeutscher Regionen. In: Wirtschaft im Wandel 10, 377-381. Meyer, B./ Lutz, C./ Schnur, P./ Zika, G. (2007): National economic policy simulations with global interdependencies - a sensitivity analysis for Germany. In: Economic Systems Research, Vol. 19(1), 37-55. Rürup, B./ Klopfleisch, R. (1999): Bevölkerungsalterung und Wirtschaftswachstum: Hypothesen und empirische Befunde. In: Grünheid, E./Höhn, C. (Hrsg.): Demographische Alterung und Wirtschaftswachstum, Opladen: Leske + Budrich, 40-54. Schnur, P./ Zika, G. (2007): Arbeitskräftebedarf bis 2025: Die Grenzen der Expansion. IABKurzbericht 26/2007.
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Der fehlende Faktor: Zur Bedeutung altersspezifischer Arbeitszeit für das Erwerbspotenzial Elke Loichinger
1. Einleitung Der demografische Wandel ist allgegenwärtig. Sei es, dass es um die mögliche Wirkung von Familienpolitiken auf das Geburtenverhalten, um die prognostizierte Zunahme an Menschen mit Pflegebedarf oder die Auswirkung einer sich verändernden Bevölkerungsstruktur auf den Arbeitsmarkt geht. Eine in diesem Zusammenhang immer wieder diskutierte Folge des demografischen Wandels ist der zu erwartende Rückgang an potenziellen Arbeitskräften. Diese Prognose beruht auf dem absehbaren Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Lag die Zahl der Personen zwischen 15 und 64 Jahren im Jahr 2005 noch bei 55,2 Millionen, gehen die Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes bis zum Jahr 2050 von einem Rückgang auf 37,4 Millionen aus (Statistisches Bundesamt, 2006, Variante 2-W1). Dieser Rückgang wird nicht nur absolut, sondern auch relativ erwartet: Der Anteil der 15- bis 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wird im genannten Zeitraum von 67 auf 53 % zurückgehen. Gleichzeitig erhöht sich der Anteil der über 65-Jährigen von 19 auf 35 %. Diese zu erwartenden Veränderungen bringen eine Reihe von ökonomischen Konsequenzen mit sich. In der Diskussion über ihre Bedeutungen für den Arbeitsmarkt werden in der Literatur Aspekte beleuchtet, die sich allgemein in zwei Kategorien einteilen lassen (Arnds/Bonin, 2003; Börsch-Supan, 2003). Zum einen handelt es sich um Argumentationen, die sich mit der Größe und der Alterstruktur des Arbeitskräfteangebots befassen. Dabei steht die mögliche Entwicklung von Arbeitsproduktivität, von Lohnniveau und -struktur sowie des Humankapitals im Mittelpunkt. Zum anderen geht es um die Auswirkung des demografischen Wandels auf die Finanzierung öffentlicher Haushalte im Allgemeinen und der sozialen Sicherungssysteme im Besonderen, wie auch die Verfügbarkeit von Kapital. Im Folgenden wird der Schwerpunkt auf die gegenwärtige und zukünftige Größe und Alterstruktur des Arbeitskräfteangebots gelegt, jedoch wird im Unterschied zu bisherigen Untersuchungen ein bis dato nicht berücksichtigter Faktor, die altersspezifische Arbeitszeit, miteinbezogen.
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Durch die absehbare Veränderung der Bevölkerungsstruktur wird sich das zahlenmäßige Verhältnis von Erwerbstätigen zu Nichterwerbstätigen ändern: Eine sinkende Anzahl von arbeitenden Personen wird für ihren eigenen und den Lebensunterhalt einer wachsenden Anzahl zu versorgender Personen aufkommen müssen. Wie genau sich dieses Zahlenverhältnis entwickeln wird, hängt neben den reinen Bevölkerungszahlen zu einem großen Teil von zukünftigen institutionellen und sozioökonomischen Trends ab, da diese die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit, des Eintrittsalters in den Arbeitsmarkt und des Rentenalters beeinflussen (Arnds/Bonin, 2003). Bisherige Untersuchungen des zukünftigen Arbeitskräfteangebots beschränken sich auf die Entwicklung der „Köpfe“, das heißt die Anzahl der Personen, die – basierend auf unterschiedlichen Annahmen über zukünftige Entwicklungen der Erwerbsbeteiligung – erwerbstätig sein werden (McDonald/ Kippen, 2001; Fuchs/Dörfler, 2005; Börsch-Supan/Wilke, 2009). Der vorliegende Beitrag soll darstellen, weshalb diese Darstellung zu kurz greift und bei der Abschätzung der ökonomischen Folgen des demografischen Wandels die altersspezifische Arbeitszeit berücksichtigt werden muss. Das Kapitel ist wie folgt gegliedert: Zunächst wird der Begriff der altersspezifischen Arbeitszeit definiert und seine Bedeutung bei der Diskussion um das zukünftige Arbeitsangebot aufgezeigt. Das Arbeitsvolumen in Deutschland wird anschließend mit den Zahlen vier ausgewählter europäischer Länder (Dänemark, Niederlande, Frankreich, Italien) verglichen. Das Kapitel endet mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und ihrer Einbettung in den größeren gesellschaftlichen Zusammenhang. 2. Der fehlende Faktor: altersspezifische Arbeitszeit Wie Abbildung 1 zeigt, haben sowohl das Arbeitsvolumen als auch die Arbeitsproduktivität einen direkten Einfluss auf das Bruttosozialprodukt.1 Das Arbeitsvolumen ergibt sich aus der Anzahl der Erwerbstätigen und deren durchschnittlicher Arbeitszeit. Die Anzahl der Erwerbstätigen ist wiederum das Produkt aus erwerbsfähiger Bevölkerung und Erwerbstätigenquoten.2
1 Der Autorin ist bewusst, dass es letztendlich die Pro-Kopf-Entwicklung des Bruttosozialprodukts ist, die den Lebensstandard einer Gesellschaft bestimmt. Die Darstellung der Einflussfaktoren auf das Bruttosozialprodukt ändert sich dadurch jedoch im Prinzip nicht; anstelle absoluter Mengen werden anteilige Werte verwendet. 2 Im vorliegenden Beitrag geht es um die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung, weshalb der Fokus auf Erwerbstätigen, nicht auf Erwerbspersonen liegt. Siehe dazu ausführlich Abschnitt 2 (Definitionen und Daten).
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Arbeitsproduktivität wird unterschieden zwischen dem in einer Stunde erwirtschafteten Wert am Bruttoinlandsprodukt (Stundenproduktivität) und der Produktionsleistung pro Erwerbstätigen (Erwerbstätigenproduktivität). Zusätzlich muss beachtet werden, dass Arbeitsproduktivität selbst das Ergebnis der Kombination aus Kapitaleinsatz, Humankapital und technischem Fortschritt ist. Neben rein ökonomischen Variablen spielen institutionelle Rahmenbedingungen (wie zum Beispiel politische Stabilität, Arbeitsmarktflexibilität oder Bildungssystem) eine nicht zu vernachlässigende Rolle (Bloom et al., 2002). Abbildung 1:
Arbeitsvolumen, Arbeitsproduktivität und Bruttoinlandsprodukt* BIP
Arbeitsvolumen
Arbeitsstunden pro Erwerbstätigem/er
Arbeitsproduktivität
Anzahl der Erwerbstätigen
Erwerbsfähige Bevölkerung (15-64 Jahre)
Erwerbstätigenquote
* In Anlehnung an Leibfritz/Roeger (2007).
Auf die zukünftig veränderte Bevölkerungsstruktur in Deutschland wurde bereits hingewiesen. Für den Arbeitsmarkt bedeutet das sowohl einen Rückgang der potenziell erwerbstätigen Bevölkerung als auch einen Anstieg des Durchschnittsalters der Beschäftigten. Was die Erwerbstätigenquoten und ihre Rolle im demografischen Wandel betrifft, so wird oftmals Potenzial bei jüngeren und älteren Erwerbstätigen als auch bei Frauen gesehen (OECD, 2000; Holzmann, 2005). Das größte Potenzial entfällt hierbei auf ältere Erwerbstätige. Die Arbeitsproduktivität ist ebenfalls Teil der Diskussionen um die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Volkswirtschaft eines Landes. Einige Wissenschaftler befürchten, dass eine ältere Erwerbsbevölkerung weniger produktiv sein könnte als eine jüngere. Die empirischen Ergebnisse sind jedoch nicht eindeutig. Es kommt auf das konkrete Design der Untersuchungen an (zugrunde gelegtes Produktivitätsmaß, Untersuchungsgegenstand und -ebene), ob
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und in welchem Ausmaß geschlussfolgert wird, dass sich ein höheres Durchschnittsalter der Arbeiter negativ auf die Gesamtproduktivität auswirkt (Skirbekk, 2004). Auch darf nicht übersehen werden, dass sich Arbeitsproduktivität durch verschiedene Maßnahmen – z.B. höhere Kapitalintensität und Investitionen in Weiterbildung – positiv beeinflussen lässt und die Produktivität des Einzelnen stark von individuellen Faktoren abhängt. Altersspezifische Erwerbstätigenquoten und Arbeitsproduktivität wurden in vielen Veröffentlichungen schon detailliert im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel diskutiert und gegenwärtige und zukünftige Entwicklungstrends und -möglichkeiten aufgezeigt (Börsch-Supan, 2003; Arnds/Bonin, 2003; Leibfritz/Roeger, 2007; Prskawetz et al., 2008). Die Verteilung der Arbeitsstunden über das Alter erfuhr bisher jedoch keine Beachtung. Es ist Ziel dieses Artikels, diese Lücke zu schließen, indem die altersspezifische Arbeitszeit in exemplarisch ausgewählten europäischen Ländern analysiert und ihre ökonomische Bedeutung in alternden Gesellschaften diskutiert wird. 3. Definitionen und Daten Die Bevölkerung in Deutschland lässt sich in Erwerbspersonen und Nichterwerbspersonen einteilen. Erwerbspersonen untergliedern sich weiter in Erwerbstätige und Erwerbslose (Arbeitslose). Erwerbstätig ist nach der Definition der ILO (International Labor Organization) jeder, der mindestens eine Stunde pro Woche arbeitet. Dabei kann es sich um abhängig oder selbständig Beschäftigte oder mithelfende Familienangehörige handeln. Dazu zählen auch Personen, die aufgrund von Krankheit, Urlaub oder Elternzeit vorübergehend von ihrem Arbeitsplatz abwesend sind, jedoch grundsätzlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Bei der betrachteten Arbeitszeit handelt es sich um die tatsächliche Wochenarbeitszeit. Sie ist die Summe der Arbeitszeit im ersten und (falls vorhanden) im zweiten Job. Die tatsächliche Arbeitszeit darf nicht mit der normalen Wochenarbeitszeit verwechselt werden, welche angibt, wie viele Stunden normalerweise gearbeitet werden. In diesem Beitrag soll die wirklich geleistete Arbeit analysiert werden, daher wurde die tatsächliche Wochenarbeitszeit als Maßzahl gewählt. Die Wahl fiel auf Wochen, statt - wie oft üblich - auf Jahresarbeitszeit, da dies die Darstellung der Ergebnisse anschaulicher macht. Gemeinhin wird in Studien, die die heutige und zukünftige Erwerbstätigkeit betreffen, die Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren betrachtet. Diese Altersspanne wird als erwerbsfähige Bevölkerung bezeichnet. Da das zukünftige Rentenalter in Deutschland jedoch schon jetzt auf 67 Jahre angehoben wurde, werden die Ausführungen in diesem Beitrag auch die 65- bis 69-Jährigen einschließen. Es ist anzunehmen, dass Personen dieser Altersgruppen in Zukunft einen größeren Anteil
38
der Erwerbspersonen ausmachen werden, als das bisher der Fall ist. Als Datenquelle dient die seit 1983 jährlich durchgeführte europäische Arbeitskräfteerhebung. Im Zeitverlauf haben sich immer mehr Staaten daran beteiligt. So stieg die Zahl der teilnehmenden Länder von sieben Ländern im Jahr 1983 auf 27 Länder im Jahr 2005 (25 EU Länder sowie Island und Norwegen). Der Vorteil dieses Datensatzes im Vergleich zu anderen Datenquellen liegt hauptsächlich in seiner über die Zeit und Regionen gegebenen Vergleichbarkeit. Die in den einzelnen teilnehmenden Ländern verwendeten Definitionen von Erwerbstätigkeit und Bildungsabschlüssen wurden harmonisiert und lassen sich international vergleichen (Eurostat, 2008). Ein weiterer Vorteil sind die im Vergleich zu anderen Datensätzen hohen Fallzahlen, was auch Aussagen über andernfalls unterrepräsentierte Teilpopulationen erlaubt. 4. Arbeitsvolumen in Deutschland Wie Abbildung 1 gezeigt hat, ist das in einer Volkswirtschaft geleistete Arbeitsvolumen das Ergebnis aus Arbeitsstunden und erwerbstätiger Bevölkerung. Diese beiden Komponenten werden im Folgenden eingehender betrachtet. Abbildung 2 zeigt die Verteilung der tatsächlichen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von Männern und Frauen im Jahr 2005 in Deutschland. Abbildung 2: 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0
Altersspezifische Wochenarbeitszeit (in h) in Deutschland, 2005
h
15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 Wochenarbeitszeit Männer
Wochenarbeitszeit Frauen
Quelle: EU Arbeitskräfteerhebung, eigene Berechnungen.
39
In allen Altersgruppen ist die Arbeitszeit der Männer größer als die der Frauen. Die absoluten wie relativen Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind dabei bei den 15- bis 24-Jährigen am geringsten. Bei den Männern arbeiten die 40- bis 44-jährigen im Schnitt am längsten (41,3 Stunden), bei den Frauen sind es die 15- bis 19-jährigen (31,4 Stunden). Nach dem anfänglichen Rückgang steigt die durchschnittliche Arbeitszeit bei den 40- bis 59-jährigen Frauen nochmals leicht an, bevor sie endgültig sinkt. Ein deutlicher Rückgang bei den über 60-jährigen Erwerbstätigen ist auch bei den Männern zu beobachten. Die durchweg niedrigeren durchschnittlichen Arbeitszeiten bei den Frauen spiegeln ihre hohe Beschäftigung in Teilzeit wider. Der Anteil der Frauen, die Teilzeit arbeiten, nimmt von 24 % bei den 20- bis 24-jährigen bis 50 % bei den 45- bis 49-jährigen zu. Danach wird er wieder geringer. Es ist auf die in Deutschland immer noch vergleichsweise schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie zurückzuführen, dass Mütter mit Kindern unter 12 Jahren großteils in Teilzeitjobs arbeiten (Anxo et al., 2007). Schließlich steigt der Anteil der in Teilzeit Beschäftigten bei den über 60-jährigen Männern wie Frauen deutlich an (vgl. Tabelle 1).3
3 In der EU-Arbeitskräfteerhebung gibt es eine Variable zur Identifizierung Teilzeitbeschäftigter. Allerdings ist diese Klassifikation rein subjektiv, da sie nicht auf vorgegebenen Höchststundengrenzen basiert, sondern auf der Einschätzung des Befragten. Grund ist die von Land zu Land unterschiedliche Bewertung dessen, was als Voll- und Teilzeit angesehen wird. In Deutschland wirkt sich die bestehende Regelung der Altersteilzeit auf die Teilzeitquoten älterer Erwerbstätiger aus.
40
41
19 %
24 %
31 %
39 %
49 %
50 %
50 %
46 %
47 %
59 %
84 %
15-19
20-24
25-29
30-34
35-39
40-44
45-49
50-54
55-59
60-64
65-69
55 %
15 %
6%
5%
4%
4%
4%
6%
13 %
13 %
12 %
Männer in Teilzeit
66 %
37 %
30 %
26 %
24 %
22 %
27 %
24 %
30 %
57 %
87 %
Frauen in Teilzeit
41 %
14 %
9%
5%
3%
4%
5%
5%
16 %
28 %
62 %
Männer in Teilzeit
Dänemark
Quelle: EU Arbeitskräfteerhebung 2005, eigene Berechnungen
Frauen in Teilzeit
Deutschland
90 %
85 %
83 %
80 %
81 %
80 %
78 %
68 %
51 %
66 %
94 %
Frauen in Teilzeit
70 %
44 %
23 %
14 %
14 %
12 %
12 %
11 %
15 %
42 %
85 %
Männer in Teilzeit
Niederlande
40 %
44 %
33 %
29 %
31 %
35 %
36 %
28 %
19 %
30 %
41 %
Frauen in Teilzeit
49 %
17 %
9%
4%
4%
4%
4%
3%
6%
12 %
16 %
Männer in Teilzeit
Frankreich
27 %
20 %
18 %
20 %
23 %
28 %
31 %
27 %
26 %
25 %
30 %
Frauen in Teilzeit
16 %
9%
4%
3%
3%
3%
4%
3%
6%
8%
12 %
Männer in Teilzeit
Italien
Altersspezifische Teilzeitquoten in Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Frankreich und Italien, im Jahr 2005
Alter
Tabelle 1:
Abbildung 3 zeigt die Erwerbstätigenquoten in Deutschland im Jahr 2005. Hier sind die altersspezifischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen weniger ausgeprägt, als das bei der Wochenarbeitszeit der Fall ist. Betrachtet man die Entwicklung über die Zeit, zeigt sich eine Annäherung in den letzten 20 Jahren: Während die Quoten der Männer in den letzten zwei Jahrzehnten gesunken sind, stiegen die der Frauen an. Abbildung 3: Altersspezifische Erwerbstätigenquoten (in %) in Deutschland, 2005 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
%
15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 Erwerbsquote Männer
Erwerbsquote Frauen
Quelle: EU Arbeitskräfteerhebung, eigene Berechnungen.
Kombiniert man altersspezifische Wochenarbeitszeit und Erwerbstätigenquoten, lässt sich das Arbeitsvolumen pro Kopf berechnen (Abbildung 4). Diese Zahl sagt aus, wie viele Stunden durchschnittlich von jeder Frau bzw. jedem Mann in der entsprechenden Altersklasse pro Woche gearbeitet werden. Da sich die Aussage nicht nur auf Erwerbstätige, sondern auf alle Personen in der entsprechenden Altersgruppe bezieht, ist das altersspezifische Arbeitsvolumen besser geeignet, um Aussagen über Potenziale der Erwerbstätigkeit zu treffen, die eventuell im Zuge des demografischen Wandels an Bedeutung gewinnen können. Das altersspezifische Arbeitsvolumen fällt bei Frauen aus zwei sich verstärkenden Gründen deutlich geringer aus als bei Männern. Zum einen haben sie aufgrund der ausgeprägten Teilzeitbeschäftigung im Schnitt eine niedrigere durchschnittliche Stundenzahl und zum anderen schlagen sich die im Vergleich zu den Männern insgesamt niedrigeren Erwerbstätigenquoten nieder. Ein weiterer, im Zusammenhang mit einem erwarteten Mangel an Arbeitskräften interessanter Aspekt ist die Tatsache, dass ältere Personen nicht nur über
42
geringere Erwerbsquoten verfügen als Personen mittlerer Altersklassen, sondern dass auch ihre durchschnittliche Arbeitszeit niedriger ist. Dieser Fakt sollte in der Diskussion um das Erwerbspotenzial Älterer unbedingt berücksichtigt werden, da es letztendlich nicht nur um die „Köpfe“ geht, sondern um die erbrachte Arbeitsleistung pro Erwerbstätigem. Abbildung 4: 45 40
Durchschnittliches Arbeitsvolumen (in h) pro Kopf i n Deutschland, 2005
h
35 30 25 20 15 10 5 0 15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 Pro Kopf Arbeitsstunden Männer
Pro Kopf Arbeitsstunden Frauen
Quelle: EU Arbeitskräfteerhebung, eigene Berechnungen.
In die bisherigen Betrachtungen ist die Bevölkerungsstruktur Deutschlands noch nicht eingegangen, sondern nur Durchschnittswerte bzw. Quoten. Da jedoch die Veränderung der Bevölkerungsstruktur eine wichtige Folge des demografischen Wandels ist und in direktem Zusammenhang mit der Anzahl der potenziell Erwerbstätigen steht, soll sie in einem weiteren Schritt in die Darstellung aufgenommen werden. Dies geschieht in Form einer modifizierten Bevölkerungspyramide, die den Arbeitseinsatz der 15- bis 69-Jährigen nach Altersgruppen und Geschlecht darstellt. Abbildung 5 ist das Ergebnis der Kombination von Arbeitsvolumen pro Kopf und den Bevölkerungszahlen der jeweiligen Altersklasse (einfarbige Balken). Jeder einzelne Balken repräsentiert also die insgesamt geleisteten Arbeitsstunden in der jeweiligen Altersklasse. Alle Balken zusammen repräsentieren das Arbeitsvolumen in einer durchschnittlichen Woche im Jahr 2005. Der größte Teil der Arbeitsstunden wird von den 35- bis 45-Jährigen geleistet, was nicht weiter überraschend ist, da das die Altergruppen sind, auf die sich die Bevölkerung konzentriert und die das höchste Pro-Kopf-Arbeitsvolumen aufweisen. 43
Abbildung 5: Arbeitsvolumen und Arbeitspotenzial in Deutschland, 2005 65-69
Männer
Frauen
60-64 55-59 50-54 45-49 40-44 35-39 30-34 25-29 20-24 15-19 0,06
0,04
0,02
0,00
Insgesamt geleistete Arbeit
0,02
0,04
0,06
Arbeitspotential
Quelle: EU Arbeitskräfteerhebung, eigene Berechnungen. Die Werte auf der x-Achse repräsentieren die Anteile der jeweiligen Altersgruppe am Arbeitspotenzial. Die gröƢere Fläche stellt das Arbeitspotenzial dar; hier addieren sich die altersspezifischen Anteile zu 1. Die kleinere (innere) Fläche repräsentiert die tatsächlich geleistete Arbeit.
Die bisherige Darstellung lässt noch keine Aussagen über die Auslastung des Faktors Arbeit in Deutschland zu. In einem letzten Schritt soll das tatsächlich beobachtete Arbeitsvolumen mit einem theoretischen Potenzial an Arbeitsstunden verglichen werden, um zu sehen, wo Spielräume existieren. Um eine erste Aussage machen zu können, wird eine 38-Stunden-Woche angenommen, da das der durchschnittlichen tariflichen Wochenarbeitszeit eines Vollzeiterwerbstätigen in Deutschland entspricht.4 Wenn jede Person zwischen 15 und 69 Jahren eine 38-Stunden-Woche arbeiten würde, dann ergäbe sich das in Abbildung 5 zu sehende Arbeitsstundenpotenzial (hellgraue Balken). Vergleicht man tatsächliches und
4 Es ist der angestrebten Vergleichbarkeit geschuldet, dass auch für die anderen Länder bei der Berechnung des theoretischen Arbeitspotenzials eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 38 Stunden angenommen wurde.
44
hypothetisches Arbeitsvolumen, so ergeben sich die größten Unterschiede bei jüngeren und älteren Männern und bei Frauen in allen Altersklassen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, sondern ergibt sich auch bei der alleinigen Betrachtung von Erwerbstätigenquoten. Berücksichtigt man darüber hinaus Arbeitsstunden, die ebenfalls einen geschlechts- und altersspezifischen Verlauf haben, fallen die Ergebnisse noch deutlicher aus. Falls dieses Profil der altersspezifischen Arbeitszeit auch in Zukunft seine umgekehrte U-Form beibehält, ist der zu erwartende Rückgang an Arbeitseinsatz größer, als sich dies bei der reinen Betrachtung der Erwerbstätigenquoten abzeichnet. 5. Arbeitsvolumen in Dänemark, den Niederlanden, Frankreich und Italien Das tatsächliche Arbeitsvolumen in einem Land ist, wie für Deutschland exemplarisch dargestellt, eine Kombination aus der Bevölkerungsgröße und -struktur und den altersspezifischen Erwerbstätigenquoten und Arbeitsstunden. Um zu zeigen, welche Verteilungen sich in anderen europäischen Ländern ergeben, die auch mit dem Phänomen der Bevölkerungsalterung umgehen müssen, wird in diesem Abschnitt auf drei europäische Länder eingegangen, deren Arbeitsmarktpolitiken gerne als vorbildlich zitiert werden, was die Aktivierung von Erwerbspotenzial anbelangt: Dänemark, die Niederlande und Frankreich. Italien dient als Beispiel für ein Land, das mit einer besonders raschen Alterung und einer geringen Erwerbsbeteiligung Älterer zu kämpfen hat. Aus Platzgründen wird auf eine detaillierte Darstellung verzichtet und nur auf die durchschnittliche Wochenarbeitszeit wie auch Arbeitsvolumen und -potenzial eingegangen. 5.1 Dänemark Dänemark war eines der ersten europäischen Länder, das eine Gleichberechtigungspolitik konsequent umgesetzt hat. Dazu gehörten zum Beispiel die Individualbesteuerung und der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen wie auch für Männer zu fördern (Esping-Andersen, 1998). In der Folge stieg die Frauenerwerbstätigkeit in Dänemark, anfangs noch mit hohen Teilzeitquoten. Mit der Zeit arbeiteten jedoch immer mehr Frauen in Vollzeitjobs. Heute liegen die Teilzeitquoten – mit Ausnahme der 15- bis 24-Jährigen – unter den entsprechenden Quoten in Deutschland (vgl. Tabelle 1). Die Verteilung der Wochenarbeitsstunden der Däninnen unterscheidet sich ebenfalls von denen deutscher Frauen: Arbeiten in Deutschland die 15- bis 24-jährigen Frauen durchschnittlich die meisten Stunden, sind es in Dänemark die
45
40- bis 44-jährigen. Des Weiteren fällt auf, dass dänische Männer und Frauen das gleiche Altersprofil zeigen, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau. Vergleicht man dänische und deutsche Männer, zeigt sich, dass die durchschnittlichen Wochenarbeitsstunden der Dänen, mit Ausnahme der 60- bis 69-Jährigen unter denen ihrer südlichen Nachbarn liegen. Jedoch weisen Dänen aller Altersklassen höhere Erwerbstätigenquoten auf, so dass sich das tatsächliche Arbeitsvolumen der Männer in beiden Ländern nur um drei Prozentpunkte unterscheidet. Was Frauen betrifft, so ist der Unterschied deutlich größer (vgl. Abbildung 10 und Tabelle 2). Abbildung 6: Altersspezifische Wochenarbeitszeit (in h) in Dänemark, 2005 45 40
h
35 30 25 20 15 10 5 0 15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 Wochenarbeitszeit Männer
Wochenarbeitszeit Frauen
5.2 Niederlande Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit niederländischer Frauen ist vergleichsweise niedrig. Wie auch in Deutschland, so haben die Frauen hier zu Beginn ihres Erwerbslebens die längsten durchschnittlichen Wochenarbeitsstunden. Die Arbeitszeit der Männer ist im europäischen Vergleich ebenfalls niedrig, liegt aber deutlich über derjenigen weiblicher Erwerbstätiger. Die Niederlande hatten in den 1980ern sehr niedrige Frauenerwerbstätigenquoten. Seitdem haben diese sich verdoppelt. Der Ausbau der Gesetzgebung für Teilzeitarbeit seit Ende der 1980er Jahre kann nur zum Teil dafür verantwortlich gemacht werden, da die Teilzeitquoten schon stiegen, bevor entsprechende Gesetze
46
verabschiedet wurden (Buddelmeyer et al., 2008). Konkret liegen die Teilzeitquoten bei den 30-Jährigen bei 68 und bei den 50-Jährigen bei 80 %. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass bei den Männern der Anteil derer, die in Teilzeit arbeiten, für alle Altersklassen über 10 % liegt. In den anderen vier betrachteten Ländern werden derartige Werte nur bei den jungen sowie älteren Erwerbstätigen erreicht (vgl. Tabelle 1). Ein Vergleich der Gründe für Teilzeitarbeit in Deutschland und den Niederlanden ergab, dass das größere Vorkommen von Teilzeit in den Niederlanden vor allem dem höheren Anteil an Dienstleistungsberufen, der größeren Zahl an arbeitenden Studenten sowie der größeren Bereitschaft von Arbeitgebern, auf Präferenzen ihrer Angestellten einzugehen, geschuldet ist (Allaart/Bellmann, 2007). Abbildung 7: Altersspezifische Wochenarbeitszeit (in h) in den Niederlanden, 2005 45 40
h
35 30 25 20 15 10 5 0 15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 Wochenarbeitszeit Männer
Wochenarbeitszeit Frauen
Quelle: EU Arbeitskräfteerhebung, eigene Berechnungen.
5.3 Frankreich Die altersspezifischen Arbeitsstunden und Erwerbstätigenquoten in Frankreich sind denen in Dänemark sehr ähnlich, jedoch mit dem Unterschied, dass die durchschnittlichen Wochenarbeitsstunden für die jüngeren Erwerbstätigen höher liegen als in Dänemark und die Erwerbstätigenquoten im Alter früher zurückgehen. Wie auch Dänemark verfügt Frankreich über ein gut ausgebautes Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen. Allerdings gibt es eine größere Zahl an Frauen als in Dänemark, die nach der Geburt eines Kindes (vorübergehend oder dauerhaft) aus 47
dem Erwerbsleben ausscheiden (Anxo et al., 2007). Was die Wochenarbeitszeit betrifft, so sind die Unterschiede zwischen den Altersgruppen bei den Frauen geringer als bei den Männern. Ältere Erwerbstätige verzeichnen im EU-Vergleich überdurchschnittlich hohe Wochenarbeitszeiten. Allerdings muss bedacht werden, dass in Frankreich nur eine sehr selektierte Gruppe an über 60-Jährigen überhaupt arbeitet, weshalb das letztendlich erbrachte Arbeitsvolumen in diesen Altersgruppen von den fünf untersuchten Ländern am niedrigsten ist (vgl. Abbildung 10). Abbildung 8: Altersspezifische Wochenarbeitszeit (in h) in Frankreich, 2005 45 40
h
35 30 25 20 15 10 5 0 15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 Wochenarbeitszeit Männer
Wochenarbeitszeit Frauen
Quelle: EU-Arbeitskräfteerhebung, eigene Berechnungen. 5.4 Italien Von den betrachteten Ländern zeigen italienische Frauen die höchsten altersspezifischen Wochenarbeitsstunden: In allen Altersklassen arbeiten Frauen im Schnitt über 30 Stunden. Wie auch bei den Französinnen sind die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sehr gering: Das Minimum mit 31 Stunden liegt bei den 30- bis 34-Jährigen, das Maximum mit 35 Stunden bei den 65- bis 69-Jährigen. Allerdings sind die Erwerbstätigenquoten älterer Frauen so gering (z. B. neun Prozent bei den 60- bis 64-jährigen Frauen), dass es sich hier, wie zuvor in Frankreich, um eine sehr selektierte Gruppe an Erwerbstätigen handelt.
48
Nicht nur bei den Frauen, auch bei den Männern ist die durchschnittliche Wochenarbeitszeit über alle Altersklassen hinweg nahezu konstant. Dahingegen variieren die Erwerbstätigenquoten mit dem Alter deutlich und sind bei den Jüngeren wie Älteren vergleichsweise gering. Wird zur Bestimmung des genutzten und des theoretischen Arbeitspotenzials die Bevölkerungsstruktur mit einbezogen, ähnelt das Bild dem von Deutschland, allerdings aufgrund einer völlig anderen Kombination von Arbeitszeit und Erwerbstätigenquoten (vgl. Abbildung 10a, b). Abbildung 9: Altersspezifische Wochenarbeitszeit (in h) in Italien, 2005 45 40
h
35 30 25 20 15 10 5 0 15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 Wochenarbeitszeit Männer
Wochenarbeitszeit Frauen
Quelle: EU Arbeitskräfteerhebung, eigene Berechnungen.
49
50
0,06
0,04
Männer
Abbildung 10a:
0,02
0,00
Dänemark
0,02
0,02
0,00
0,02
Niederlande
InsgesamtgeleisteteArbeit
0,04
Männer
0,06
15-19
20-24
25-29
30-34
35-39
40-44
45-49
50-54
55-59
60-64
65-69
0,06
Arbeitspotential
0,04
Frauen
Genutztes und theoretisches Arbeitspotenzial in Dänemark und den Niederlanden
0,04
0,06
Frauen
51
0,06
0,04
Männer
Abbildung 10b:
0,02
0,00
0,02
0,04
0,02 Arbeitspotential
0,04
Männer
0,06
15-19
20-24
25-29
30-34
35-39
40-44
45-49
50-54
55-59
60-64
65-69
0,06
Frauen
InsgesamtgeleisteteArbeit
Frankreich
0,00
Italien
Genutztes und theoretisches Arbeitspotenzial in Frankreich und Italien
0,02
0,04
0,06
Frauen
Tabelle 2:
Anteil des genutzten am theoretischen Arbeitspotenzial, in % genutztes Potenzial Männer
genutztes Potenzial Frauen
Deutschland
68
42
Dänemark
71
49
Niederlande
68
36
Frankreich
63
43
Italien
70
35
6. Zusammenfassung Ziel dieses Beitrags war es, den Faktor der altersspezifischen Arbeitszeit in die Diskussion um das heutige und zukünftige Arbeitspotenzial einzuführen. Da sie neben der Bevölkerungsstruktur, den Erwerbstätigenquoten und der Arbeitsproduktivität eine der Größen ist, die einen direkten Einfluss auf das Wirtschaftswachstum und damit auf den Lebensstandard der Bevölkerung eines Landes haben, sollte altersspezifische Arbeitszeit ebenfalls in die Debatte aufgenommen werden. Der von Wissenschaft wie Politik wiederholt geforderte Anstieg der Erwerbstätigenquoten Älterer hat einen geringeren Effekt als beabsichtigt, wenn die durchschnittlich gearbeitete Stundenzahl eines 60- bis 64Jährigen deutlich unter der einer Vollzeitstelle liegt. Das gleiche Argument lässt sich auf die angestrebte Erhöhung der Erwerbsquoten von Frauen anwenden. Wie der Ländervergleich gezeigt hat, wird ein ähnliches Arbeitsvolumen durch verschiedene Kombinationen von Erwerbstätigenquoten und Wochenarbeitsstunden erreicht. In Italien sind im europäischen Vergleich wenige Frauen erwerbstätig; diejenigen, die arbeiten, tun das jedoch mit einem vergleichsweise hohen Stundeneinsatz. Die umgekehrte Situation lässt sich in den Niederlanden beobachten: Frauen verfügen hier über hohe Erwerbstätigenquoten, die durchschnittliche, geleistete Wochenarbeitszeit ist jedoch relativ gering. Die Ergebnisse in diesem Beitrag beruhen auf Querschnittsdaten, das heißt, sie spiegeln die Verteilung eines Sachverhalts zu einem bestimmten Zeitpunkt wider. Um Aussagen darüber machen zu können, ob das sich ergebende Altersprofil tatsächlich durch das Alter oder doch eher durch die verschiedenen Geburtsjahrgänge oder den Zeitpunkt der Datenerhebung (hier dem Jahr 2005) bestimmt ist, müssen Daten zu mehreren Zeitpunkten analysiert werden. Was die zeitliche Entwicklung der Erwerbsquoten betrifft, so wurde bereits in anderen Studien gezeigt, dass die Frauenerwerbstätigkeit in allen fünf Ländern in den letzten 20 Jahren gestiegen ist (vgl. z. B. Faggio/Nickell, 2007; Carone, 2005). Als einer der
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Hauptfaktoren hierfür wird der steigende Anteil an Frauen mit höherem Bildungsabschluss gesehen (OECD, 2008). Ob sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede in Deutschland in den nächsten Jahren weiter verringern werden und wie sich die altersspezifische Erwerbsbeteiligung entwickeln wird, hängt zu einem großen Teil davon ab, inwieweit sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern wird. Dieser Beitrag befasst sich nur mit der Makroperspektive. Die dort zu beobachtenden Phänomene sind letztendlich das Ergebnis einzelner Personen. Weitere Analysen, die über die bisherige deskriptive Makroebene hinausgehen, sind erforderlich, um Kausalitäten aufzudecken. Ohne die Kenntnis der Gründe, die für die beobachteten Verteilungen von altersspezifischem Arbeitseinsatz verantwortlich sind, lassen sich keine Aussagen über mögliche politische Handlungsempfehlungen treffen. Über die Faktoren, die für die unterschiedlichen Erwerbsquoten als kausal gesehen werden, liegen zahlreiche Forschungsergebnisse vor (vgl. Anxo et al., 2007; Faggio/Nickell, 2007; Balleer et al., 2009). Die Determinanten der Verteilung altersspezifischer Arbeitszeit müssen erst noch genauer analysiert werden. Die vollständige Auslastung des theoretischen Arbeitspotenzials, das mit 38 Wochenstunden pro Person angenommen wurde, ist nicht nur nicht realisierbar, sondern auch nicht wünschenswert. Bei den jüngeren Altersklassen konkurrieren Ausbildungszeiten mit anderen Zeitnutzungen. Ebenso gibt es Berufe, in denen es schwierig oder sogar unmöglich ist, über ein bestimmtes Alter hinaus in Vollzeit zu arbeiten. Bei einer Diskussion um die Nutzbarkeit des theoretischen Potenzials müssen viele Aspekte berücksichtigt werden. Präferenzen des Einzelnen und Ansprüche der Arbeitgeber müssen genauso in diese Überlegungen eingehen wie grundsätzliche Verteilungsfragen von Wohlstand und ein mögliches Grundrecht auf Teilnahme am Erwerbsleben. Freiwilligenarbeit und Kinderbetreuung, zwei unbezahlte, aber dennoch sehr bedeutende Aspekte, werden in der vorliegenden Betrachtung von Arbeitszeit überhaupt nicht erfasst. Es ist unbestritten, dass auch sie ihren Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Lebensstandard der Bevölkerung eines Landes haben.
53
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Chancen für junge und ältere Arbeitnehmer durch den demografischen Wandel Nicola Hülskamp
Einleitung Die demografisch bedingte gesellschaftliche Alterung und Schrumpfung werden in öffentlichen Diskussionen häufig negativ bewertet. Die abzusehenden Veränderungen gelten vor allem als Belastung für die etablierten Systeme und als Bedrohung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Meist wird jedoch übersehen, dass die Kenntnis dieser negativen Konsequenzen den Reformdruck auf die Systeme erhöht und sich aus den notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen große Chancen für die nachwachsende Generation und für die Älteren ergeben können: Angesichts der wirtschaftlichen Bedrohung durch personelle Engpässe sollte es zum Kerninteresse der Unternehmen werden, möglichst viele Menschen im Erwerbsalter in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ausgebildete werden auf dieser Basis ihre eigenen Vorstellungen von einem erfüllten Arbeitsleben mit einer guten Balance zwischen Familie und Beruf besser durchsetzen können und die generelle Wertschätzung für die Arbeitskräfte und insbesondere auch für ältere Arbeitnehmer wird steigen. Es ist absehbar, dass der Druck auf die Bildungssysteme zunehmen wird, so dass mehr Menschen von einer besseren Bildung profitieren sollten und mehr Mittel dafür verwendet werden, um Kindern aus schwierigen Elternhäusern eine reale Chance auf Bildung und ein eigenständiges Leben zu geben. Die notwendigen institutionellen und psychologischen Veränderungen werden durch die ansonsten unausweichlichen negativen Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft vorangetrieben werden, wobei den Akteuren der Bildungspolitik und der Wirtschaft Schlüsselrollen zukommen. Dieser Beitrag versucht, diese Thesen mit Eckdaten der demografisch bedingten Entwicklungen am Arbeitsmarkt zu belegen, notwendige Veränderungen der heute geltenden Rahmenbedingungen abzuleiten und die sich hieraus ergebenden Chancen für junge und ältere Arbeitnehmer zu skizzieren.
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1. Demografische Eckdaten: Arbeitskräfte und Qualifikationen Die seit Jahren niedrige Geburtenrate1 und die ständige Zunahme der Lebenserwartung haben dazu geführt, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland in den kommenden Jahren abnehmen und das Durchschnittsalter deutlich steigen wird (BiB, 2009: 22 ff.). Im Arbeitsmarkt wird sich zunächst die deutliche Alterung der Belegschaften bemerkbar machen, wenn auf die große Zahl an Mitarbeitern der Babyboomergeneration immer kleiner besetzte Jahrgänge an Berufseinsteigern folgen. Ab dem Jahr 2015 werden die Babyboomerjahrgänge in Rente gehen. Damit wird sich das zahlenmäßige Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern und damit von Beitrags- und Steuerzahlern zu Leistungsempfängern deutlich verschlechtern und die Volkswirtschaft vor neue Herausforderungen stellen. Langfristig kann diesen Auswirkungen eine an den Ursachen ansetzende Therapie entgegenwirken: Eine gute Familienpolitik kann zu steigenden Kinderzahlen führen, mehr Zuwanderung kann das Erwerbspersonenpotenzial steigern. In den kommenden Jahrzehnten wird es aber auch bei Berücksichtigung dieser beiden Politikbereiche zu einer Verschlechterung der Ersatzquoten sowie zu Engpässen an Höherqualifizierten kommen (Hülskamp et al., 2008). Es wird daher notwendig sein, die nachwachsende Generation besser auszubilden als bisher und die Arbeitskräfte über ein lebenslanges Lernen, eine lebenszyklusorientierte Personalpolitik und eine gute Gesundheitsvorsorge länger produktiv im Erwerbsleben zu halten. Dies wiederum eröffnet positive Entwicklungschancen für den einzelnen Arbeitnehmer. 1.1 Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials Der demografische Wandel führt zu einer Verknappung und Alterung des Erwerbspersonenpotenzials. Aus der Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Destatis, 2006) lässt sich ablesen, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 65 Jahren schrumpfen wird: von 50,1 Millionen im Jahr 2005 auf 40,5 oder 35 Millionen Personen im Jahr 2050, je nachdem, welche Annahmen man über Wanderungen und Geburtenentwicklung in den kommenden Jahren trifft. Das tatsächliche Arbeitsangebot hängt jedoch vor allem vom Erwerbsverhalten der Bevölkerung ab. Dieses wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, aus Sicht der Institutionenökonomie sind dabei vor allem folgende relevant:
1 Der Begriff Geburtenrate bezeichnet hier die Total Fertility Rate (TFR), welche die durchschnittliche Kinderzahl von Frauen im gebärfähigen Alter pro Kalenderjahr misst.
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Bildungssystem: Die übliche Länge der Ausbildung und die Anzahl junger Menschen, die eine lange Ausbildung wählen, bestimmen, ab wann und wie viele junge Menschen in der Regel dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Ineffizienzen: Späte Einschulung, Klassenwiederholungen und Nachschulungsschleifen halten junge Menschen länger als nötig im Bildungssystem (vgl. Plünnecke et al., 2007). Rentenzugangsalter: Das gesetzlich festgelegte Rentenzugangsalters, die Ausgestaltung des Rentensystems und die Möglichkeiten der Frühverrentung bestimmen, wann Ältere aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Die Höhe der Frauenerwerbstätigkeit. Das Ausmaß an Migration und Erwerbsbeteiligung ausländischer Frauen.
Diese Faktoren bestimmen die Höhe des Erwerbspersonenpotenzials, das sich aus Erwerbstätigen, Erwerbslosen und der Stillen Reserve zusammensetzt und sich gut zur Messung des Arbeitskräfteangebots eignet. Die Projektionen des IAB zeigen, dass unter realistischen Annahmen mit einem Rückgang des Arbeitskräfteangebotes zu rechnen ist (Fuchs/Dörfler, 2005). Dabei gehen die Autoren davon aus, dass sich die Erwerbsquoten von Älteren, Migranten und Frauen langfristig erhöhen und sich die Verhältnisse in Ost- und Westdeutschland angleichen. In Abbildung 1 ist die sich daraus ergebende künftige Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials dargestellt. Das Erwerbspersonenpotenzial wird von 44,6 Millionen Personen im Jahr 2004 auf 31,5 Millionen bei einem jährlichen Wanderungssaldo von 100.000 Personen bzw. auf 35,5 Millionen Personen bei einem Wanderungssaldo von 200.000 im Jahr 2050 sinken. Parallel zum Rückgang der Erwerbskräfte vollzieht sich die Alterung der Belegschaften. Bei den Berufseinsteigern zwischen 15 und 29 Jahren ist ein Rückgang von knapp zehn Millionen auf sieben Millionen Personen zu erwarten. Auch die Zahl der Personen mittleren Alters zwischen 30 und 49 Jahren sinkt von derzeit etwa 24 Millionen auf knapp 17 Millionen. Zuwächse sind bei den Erwerbspersonen zwischen 50 und 64 Jahren bis zum Jahr 2020 zu beobachten – ihre Zahl steigt von 10,5 Millionen auf 14,2 Millionen an und sinkt danach kontinuierlich, ohne jedoch im Beobachtungszeitraum unter das Niveau des Ausgangsjahres zu fallen. Bei den über 65-Jährigen sind nur geringe Schwankungen bei etwa 400.000 Personen zu verzeichnen. Dies ändert sich jedoch, wenn man in Szenariorechnungen das Heraufsetzen des Rentenalters auf 67 Jahre modelliert (Fuchs, 2006). In der unteren Variante ergibt sich ein Anstieg der potenziellen Erwerbspersonen von knapp 400.000 im Jahr 2004 auf 1,2 Millionen im Jahr 2050; in der oberen Variante ergibt sich sogar ein Anstieg auf 2,8 Millionen Personen im Jahr 2050.
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Abbildung 1:
Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials (in Mio.) bis 2050 unter unterschiedlichen Annahmen zum Außenwanderungssaldo
48 46 44 42 40 38 36 34 32
Wanderungssaldo 100.000
30
Wanderungssaldo 200.000
28 2004
2010
2020
2030
2040
2050
Quelle: Fuchs/Dörfler (2005).
Die Berechnungen und Projektionen zeigen daher eindrücklich, dass die nachfolgenden Generationen die aus dem Arbeitsmarkt ausscheidenden Generationen zahlenmäßig nicht ersetzen können und es zu einer deutlichen Alterung der Belegschaften kommen wird. 1.2 Entwicklung des qualitativen Angebots an Arbeitskräften Im Spiegel der internationalen Statistiken wird deutlich, dass der Bildungsstand der Bevölkerung in Deutschland in den letzten Jahren nur geringfügig zugenommen hat. Damit ist in Deutschland zwar keine generelle Verschlechterung festzustellen, im internationalen Vergleich hat Deutschland jedoch Einbußen erlitten, weil im OECD-Ausland der Anteil der Personen ohne Berufsabschluss weiterhin gesenkt und der Anteil der Personen mit tertiärem Abschluss erheblich erhöht wurde. Besonders deutlich wird dies im Vergleich mit Schweden und der Schweiz: Beide Staaten weisen bei den älteren Jahrgängen ähnliche Werte wie Deutschland auf (vgl. Tabellen 1 und 2), bei den jüngeren Altersgruppen haben sie aber den Anteil der Bevölkerung ohne Abschluss im Sekundarbereich II deutlich gesenkt und den Anteil der Bevölkerung mit Tertiärabschluss erhöht.
60
Tabelle 1:
Bevölkerung ohne einen Abschluss im Sekundarbereich II im internationalen Vergleich, 2006 Altersgruppen 25 bis 34
35 bis 44
45 bis 54
55 bis 64
Kanada Schweden Schweiz USA Deutschland
8,9 9,3 11,7 13,0 16,0
11,2 10,0 13,1 11,9 14,6
15,4 17,5 16,2 11,4 16,5
23,9 26,9 19,9 12,7 20,9
Vereinigtes Königreich Spanien
23,5 35,7
30,2 44,9
32,6 57,3
39,4 73,0
Quelle: OECD, 2008.
Tabelle 2:
Bevölkerung mit einem Fachhochschul- oder Universitätsabschluss im internationalen Vergleich, 2006 Altersgruppe
Kanada USA Schweden Spanien Vereinigtes Königreich Schweiz Deutschland
25 bis 34
35 bis 44
45 bis 54
55 bis 64
55 39 39 39 37 32 22
51 41 29 31 31 33 25
43 40 29 22 29 29 25
37 38 25 15 24 24 23
Quelle: OECD, 2008.
Beim Vergleich der Abschlussquoten von Universitäten und Fachhochschulen (tertiäre Abschlüsse) muss man jedoch einschränkend darauf hinweisen, dass in Deutschland viele Qualifikationen im Rahmen des dualen Bildungssystems vermittelt werden, die im Ausland in einem universitären Studiengang angeboten werden (Anger/Plünnecke, 2009). Es gibt jedoch einige nationale Kennziffern, die für sich sprechen und beunruhigen: 8,2 % aller Schüler verlassen in Deutschland die Schule ohne Abschluss, 16 % der 25- bis 34-Jährigen haben keinen Abschluss der Sekundarstufe II und 15,4 % aller 15-Jährigen erreichen beim PISA-Test Lesen nur die Kompetenzstufe 1 61
(OECD, 2008, 2007a). Alle genannten Gruppen haben enorme Probleme, am Arbeitsmarkt eine dauerhafte Stellung zu erreichen. Dies spiegelt sich auch in den Jugendlichen wider, die an berufsvorbereitenden Maßnahmen teilnehmen. Der Anteil an jungen Menschen, die als nicht ausbildungsreif gelten und daher in berufsvorbereitenden Maßnahmen sind und keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz haben, hat deutlich zugenommen (vgl. Anger et al., 2006). Dieser Befund ist insofern problematisch, als die jüngeren Altersgruppen nicht mehr durchweg eine deutlich bessere Qualifikation als die aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen aufweisen, so dass die zahlenmäßige Lücke, die die älteren Erwerbspersonen hinterlassen, nicht automatisch durch einen entsprechend höheren Wissenstand ausgeglichen werden kann. Berechnet man das künftige Akademikerangebot auf Basis von OECD-Daten und der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, so zeigt sich eine deutliche Verschlechterung der sogenannten „Ersatzraten“ – den in Ruhestand gehenden Hochqualifizierten stehen nicht mehr genügend hochqualifizierte Junge gegenüber (Hülskamp et al., 2008) (vgl. Abbildung 2). Die jüngeren Akademiker besitzen weniger betriebsspezifisches Humankapital, sie haben aber einen besonderen Wert für die Unternehmen, da sie den aktuellen State of the Art des formalen, nicht spezifischen Wissens mit ins Unternehmen bringen, und sind demzufolge nicht durch ältere Arbeitnehmer vollständig zu substituieren. Der Anteil der jüngeren am Humankapital ist daher aus zweierlei Gesichtspunkten wichtig: Zum einen ist mit einem hohen Anteil an jüngeren Akademikern eine hohe Mobilität und damit Funktionsfähigkeit im Arbeitsmarkt für Akademiker gesichert, zum anderen führt aufgrund der Komplementaritäten ein sinkender Anteil an jüngeren Akademikern zu einem steigenden Grenzprodukt dieser Gruppe und damit zu höheren Bildungsrenditen (Plünnecke/Seyda, 2004). Dadurch besteht für jüngere Kohorten ceteris paribus ein höherer Anreiz, mehr in Bildung zu investieren, so dass im Idealfall der demografisch bedingte Rückgang der Erwerbspersonen durch eine höhere Qualifikation der nachfolgenden Generationen gemildert werden kann.
62
Abbildung 2:
Relation der 25- bis 35-Jährigen (100) zu den 55- bis 65-Jährigen
105 100 95 90 85 80 75 70 2006
2010
2020
2030
2040
2050
Quelle: Hülskamp et al., 2008.
Unter den älteren Mitarbeitern finden sich zwar einerseits relative viele hohe formale Abschlüsse (vgl. Tabelle 2), andererseits bilden sich ältere Menschen in Deutschland deutlich seltener weiter als Jüngere. So nahmen nach Daten des Statistischen Bundesamtes 2005 zehn Prozent der 50- bis 65-Jährigen, aber 17,6 % der 35- bis 49-Jährigen an Weiterbildungsmaßnahmen teil (DIE, 2008, 37). Eine spezielle Studie zum Weiterbildungsverhalten Älterer zeigt, dass 43 % der erwerbstätigen 35- bis 44-Jährigen an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, unter den 55- bis 64-Jährigen sind es noch 31 %. Differenziert nach der Nutzung durch Erwerbstätige und Nichterwerbstätige zeigt sich ebenfalls ein deutlicher Rückgang der Teilnahme mit zunehmendem Alter (siehe Abbildung 3). Im jüngeren Alter nehmen noch 55 % der Erwerbstätigen an Weiterbildung teil, im höheren sinkt die Quote auf 40 %. Bei den Nichterwerbstätigen sinkt die Quote von 44 auf 14 %. Die Gründe hierfür sind bislang wenig erforscht, es ist jedoch anzunehmen, dass sowohl die älteren Arbeitnehmer als auch deren Arbeitgeber bei den derzeitigen Rahmenbedingungen die Renditen der zu tätigenden Investitionen in Weiterbildung unterschätzen, da sie sich schon früh auf den (Vor-)Ruhestand hin orientieren. Die bisherigen Auswertungen zeigen, dass der Wirtschaft in Deutschland durch den demografischen Wandel künftig weniger Arbeitskräfte als bisher zur Verfügung stehen werden und dass bisher keine adäquate Steigerung der Bildung der nachwachsenden Bevölkerung erfolgt ist. Es ist daher höchste Zeit, Handlungsempfehlungen zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu geben. 63
Abbildung 3:
Weiterbildungsteilnahme nach Alter und Erwerbstätigkeit in Prozent
60 50 40 30 20 10
Erwerbstätige Nichterwerbstätige
0 19-24
25-34
35-44
45-54
55-64
65-80
Quelle: DIE (2009: 36).
2. Antworten auf die demografische Entwicklung Wenn immer weniger Menschen im Erwerbsalter stehen, besteht die Gefahr, dass es zu Wachstumseinbußen und damit zu Wohlstandsverlusten in der Volkswirtschaft kommt (Plünnecke/Seyda, 2007). Dabei sehen sich die Unternehmen neben den Herausforderungen durch weniger und ältere Arbeitskräfte vier weiteren Megatrends gegenüber: Durch die Globalisierung wird der Wettbewerb immer härter und es verkürzen sich die Produktlebenszyklen. Gleichzeitig steigt die Auswahl an möglichen Lieferanten und die Rekrutierungsmöglichkeiten an internationalen Arbeitskräften. Es werden für die Produktion immer besser qualifizierte Mitarbeiter benötigt (Höherqualifizierung) und immer mehr vermischen sich Industrieprodukte und Dienstleistungen, so dass der Anteil an Dienstleistungen am Bruttoinlandsprodukt ansteigt. Zudem äußern die Mitarbeiter immer individuellere Wünsche bezüglich ihrer Arbeitszeiten und -formen. Telearbeit, Teilzeitbeschäftigungen oder Home Office werden im Zuge der Individualisierung immer verbreiteter. In diesem Umfeld wird es nun für die Unternehmen schwieriger werden, qualifizierte Nachwuchskräfte zu rekrutieren. Die Schlagworte gegen negative Auswirkungen des demografischen Wandels lauten daher Mobilisieren, Qualifizieren und Flexibilisieren.
64
2.1 Mobilisieren Die Teilhabe am Arbeitsmarkt ist in Deutschland sehr ungleich (Hülskamp/ Neumann, 2009). Im offiziellen Erwerbsalter von 15 bis 65 Jahren werden die höchsten Erwerbsquoten von deutschen Männern zwischen 30 und 50 Jahren erreicht. Eine ganze Reihe von Bevölkerungsgruppen ist hingegen unterdurchschnittlich am Erwerbsleben beteiligt, wie Tabelle 3 anhand einiger Beispiele exemplarisch dokumentiert. Tabelle 3:
Erwerbsquote
Unterschiedliche Teilhabe am Arbeitsleben 2007, in Prozent Mann, 35-40 Jahre
Frau, 35-40 Jahre
Mutter, jüngstes Kind 3-6 Jahre
Alleinerziehende, jüngstes Kind 3-6 Jahre
Senior, 60-65 Jahre
96,4
80,4
57,9*
49,1*
45,1
*Anteil aktiv Erwerbstätiger Quelle: Destatis (2009).
Mütter: Während man zwischen ledigen Frauen und Männern nur geringe Unterschiede hinsichtlich ihrer Arbeitsmarktbeteiligung beobachten kann, sind Mütter deutlich seltener ins Erwerbsleben integriert als Väter. Dabei richtet sich die Erwerbsarbeit nach dem Alter des jüngsten Kindes und der Anzahl der Kinder. Dies belegt eine Auswertung der Daten des Sozio-ökonomischen Panels von Frauen, die zwischen 1960 und 1980 geboren wurden und damit derzeit in der aktiven Familienphase sind (Hülskamp/Neumann, 2009). Von den kinderlosen Frauen dieser Altersgruppe arbeiten 67 % in Vollzeit und 14 % sind nicht aktiv erwerbstätig. Mit einem Kind sind noch 26 % Vollzeit erwerbstätig, mit vier Kindern noch sechs Prozent. Der Anteil der nicht aktiv Erwerbstätigen steigt von 32 % mit einem Kind auf 64 % mit vier Kindern. Der Anteil an Teilzeit beschäftigten Frauen ist mit 53 % bei den Müttern von zwei Kindern am höchsten, bei den Kinderlosen mit 19 % am niedrigsten. Einen großen Einfluss auf die Erwerbstätigkeit von Müttern hat zudem das Alter des jüngsten Kindes. 70 % der Mütter mit Kindern unter 3 Jahren sind in Deutschland nicht aktiv erwerbstätig, wenngleich viele von ihnen in Elternzeit sind und damit in der Statistik als erwerbstätig geführt werden. Nur neun Prozent der Mütter mit Kleinkindern üben eine Vollzeittätigkeit aus. Ist das jüngste Kind im Kindergartenalter, nehmen 44 % der Mütter eine Teilzeitstelle an, 15 % arbeiten Vollzeit und 42 % sind weiterhin nicht erwerbstätig. Mit Kindern im Schulalter arbeitet fast die Hälfte der Mütter Teilzeit, dieser Anteil bleibt bis zur Volljährigkeit 65
des jüngsten Kindes stabil. Der Anteil an Vollzeit arbeitenden Müttern erhöht sich mit älteren Kindern auf knapp ein Viertel, 28 % sind weiterhin nicht erwerbstätig. Ausländer: Menschen mit Migrationshintergrund sind in Deutschland häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als Deutsche mit einem gleichen Bildungsabschluss. Nur unter den Geringqualifizierten bestehen hier keine Unterschiede. Aufgrund von Problemen der Anerkennung ihrer Abschlüsse sind viele Ausländer unterdurchschnittlich qualifiziert beschäftigt. So haben 11 Prozent der deutschen aber 39 % der ausländischen Bevölkerung keinen in Deutschland anerkannten Berufsabschluss (Destatis, 2008). Verglichen mit der deutschen Bevölkerung sind Ausländer seltener erwerbstätig, sie beziehen häufiger Unterstützung durch das Arbeitslosengeld I oder Sozialhilfe oder durch Angehörige (vgl. Tabelle 4). Insbesondere ausländische Frauen nehmen deutlich seltener am Erwerbsleben teil. Tabelle 4:
Einkommensquellen der Bevölkerung ohne und mit Migrationshintergrund (Bevölkerung nach Haupteinkommensquelle im Jahr 2007, in Prozent)
Erwerbstätigkeit/ Berufstätigkeit ALG I/Hartz IV Renten, Pension Unterstützung durch Angehörige Vermögen, Vermietung, Zinsen Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt SonstigeUnterstützungen (z. B. BAföG) Insgesamt
Bevölkerung ohne Migrationshintergrund
Bevölkerung mit Migrationshintergrund
70,3
58,4
7,3 8,6
15,0 5,5
11,7
18,3
0,6
0,5
0,5
0,7
1,0
1,6
100
100
Quelle: Destatis, 2008.
Ältere: Ab einem Alter von 55 Jahren sind in Deutschland Personen häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als zuvor. 10,8 % der 55- bis 64-Jährigen bzw. 9,1 % der 60- bis 64-Jährigen sind derzeit als erwerbslos registriert (OECD, 2009). Unter den 35- bis 39-Jährigen sind hingegen nur 7,4 % Erwerbslose, in Westdeutschland lebende Männer sind nur zu 5,8 % erwerbslos (Destatis, 2008). In den USA sind laut OECD-Statistik nur drei Prozent der 55- bis 65-Jährigen erwerbslos. Zudem 66
ziehen sich Ältere in Deutschland früher aus dem Erwerbsleben zurück, so dass die Erwerbsquoten insgesamt stark mit dem Alter sinken (Abbildung 4). Abbildung 4:
Altersabhängige Erwerbsquoten (in Prozent) von Frauen und Männern
100 90 80 70 60 50 40 30
Mann West
20
Mann Ost Frau West
10
Frau Ost
0
15-20 20-25 25-30 30-35
35-40 40-45 45-50
50-55 55-60 60-65
65+
Quelle: Destatis, 2008.
Jüngere: Deutschland hat im internationalen Vergleich lange Ausbildungszeiten. Daher treten gut qualifizierte Menschen in Deutschland erst gegen Ende des dritten Lebensjahrzehnts in den Arbeitsmarkt ein. Ein internationaler Vergleich dokumentiert, dass in Deutschland 71 % der 20- bis 24-Jährigen und 81 % der 25bis 30-Jährigen am Arbeitsleben teilhaben, während beispielsweise in den angelsächsischen Ländern 75 % der 20- bis 24-Jährigen und 84 % der 25- bis 30Jährigen ins Erwerbsleben starten (OECD, 2009). Gering Qualifizierte: Menschen mit wenig Bildung sind häufiger von Erwerbslosigkeit betroffen als Menschen mit mehr Bildung (Tabelle 5). So sind 22 % der Menschen ohne Schulabschluss erwerbslos, aber nur vier Prozent der Menschen mit Fachhochschulreife oder Abitur. Gering Qualifizierte haben häufiger die aktive Suche nach einem Arbeitsplatz aufgegeben, was sich in niedrigen Erwerbsquoten widerspiegelt. Sie stehen damit dem Arbeitsmarkt faktisch nicht mehr zur Verfügung.
67
Tabelle 5:
Erwerbslosenquoten der 35- bis 39-Jährigen nach Bildungsabschluss Realschulabschluss oder DDRPolytechnische Oberschule
FH-Reife oder Abitur
ohne Schulabschluss
Hauptschulabschluss
Insgesamt
21,9
10,1
7,6
3,9
Männer
22,4
9,2
7,5
4,0
Frauen
21,3
11,5
7,7
3,7
Quelle: Destatis, 2008.
Die hier dokumentierten Erwerbsquoten und Erwerbslosenquoten zeigen, dass es innerhalb der Bevölkerung im Erwerbsalter ein großes Potenzial gibt, mehr Menschen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Aus Sicht der Wirtschaft ist dies ein realistischer Weg, um die Auswirkungen der geburtenschwachen Jahrgänge aufzufangen – aus Sicht der Bevölkerung bietet sich hiermit die einmalige Chance, eine größere Teilhabegerechtigkeit am Arbeitsmarkt zu erreichen. Die hohen Erwerbslosenquoten von Älteren und Geringqualifizierten sind Symbole dafür, dass viele Menschen gerne am Erwerbsleben teilhaben würden, aber unter den derzeitigen Bedingungen keine Stelle finden. Der Vergleich mit den Verhältnissen in anderen Ländern deutet darauf hin, dass vor allem Mütter und ältere Menschen durch die Rahmenbedingungen in Deutschland von einer Teilhabe am Arbeitsleben abgehalten werden. Erwerbsarbeit ist dabei nicht nur der Schlüssel zu einem eigenständigen Einkommen und damit die beste Vorbeugung gegen Armut. Sie bietet darüber hinaus Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung und soziale Kontakte zu Kollegen und Kunden. Der rein rechnerische Ausgleich von offenen Stellen und arbeitsuchenden Personen scheitert in der Realität aber häufig daran, dass die Arbeitsuchenden nicht die passenden Qualifikationen haben oder die angebotenen Stellen nicht den Flexibilisierungswünschen der möglichen Arbeitnehmer entsprechen. Zudem lässt das Senioritätsprinzip bei der Entlohnung den Arbeitgebern kaum Möglichkeiten, die Bezahlung von älteren Arbeitnehmern anzupassen, wenn deren Produktivität sinken sollte. Es wäre daher naiv zu glauben, der demografische Wandel allein würde zu einem Ausgleich des Arbeitsmarktes und zu einem Verschwinden von Arbeitslosigkeit führen. Er eröffnet aber eine historische Möglichkeit: Die demografisch bedingte Knappheit an Arbeitskräften wird in der gesellschaftlichen Debatte als Bedrohung für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und damit letztlich als Bedrohung für den Erhalt des Wohlstandsniveaus gesehen. Dadurch steigt der Druck, möglichst jeden Schüler so gut auszubilden, dass er produktiv ins Arbeitsleben integriert werden kann. Somit erhöht sich der Druck auf das 68
Bildungssystem, durch angemessene Reformen mehr Menschen eine bessere Ausbildung zu vermitteln als bisher. Auf der anderen Seite werden die Unternehmen die Arbeitsverhältnisse flexibler und individueller ausgestalten müssen, um möglichst viele Personen im erwerbsfähigen Alter beschäftigen zu können. Der Weg zu einer besseren Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials läuft daher über eine bessere Qualifikation der Menschen und flexiblere Rahmenbedingungen für die Arbeit in Unternehmen. 2.2 Qualifizieren In der Wirtschaft werden immer weniger gering Qualifizierte eingesetzt und immer häufiger werden Mitarbeiter mit höheren Qualifikationen benötigt. Das Bildungssystem hat bisher jedoch mit diesem Wandel zur Höherqualifizierung nicht Schritt gehalten. Wie bereits in Abschnitt 1.2 dargelegt verlässt ein relativ großer Teil jedes Jahrgangs das Ausbildungssystem, ohne grundlegende Kulturtechniken erworben zu haben. Lebenslanges Lernen ist für weite Bevölkerungsschichten noch ein Fremdwort. Starrheiten im Bildungssystem verhindern, dass Qualifikationen später nachgeholt oder Wechsel in angrenzende Berufsfelder über aufbauende Studiengänge vollzogen werden. Es ist daher wichtig, am Anfang des Bildungsweges gute Grundlagen über eine frühkindliche Bildung zu legen. Unterschiede im Bildungshintergrund der Elternhäuser der Kinder sollten über Ganztagesangebote und individuelle Förderung aufgefangen werden. Im Erwachsenenalter könnten niedrig schwellige Weiterbildungsangebote und Lernen am Arbeitsplatz angeboten und das Bildungssystem so modular aufgebaut werden, dass es auch älteren Lernenden einen Zugang zu höheren Qualifikationen ermöglicht. Frühkindliche Bildung: Weit vor der Schule werden die Grundlagen für einen erfolgreichen Bildungsweg gelegt. Kindergärten, Krippen und Tagesmütter erfüllen neben der Betreuung der Kinder und der Entwicklung des Sozialverhaltens durch die Bildung von Gruppen Gleichaltriger auch wichtige Bildungsfunktionen. In einer erfolgreichen Sprachentwicklung, der Förderung der Grob- und Feinmotorik und der Erfahrung von vielerlei Sinneseindrücken werden die Grundlagen für spätere Lernbereitschaft, Konzentration und Motivation gelegt. Diese Sichtweise hat sich in Deutschland erst seit relativ kurzer Zeit durchgesetzt. Inzwischen haben alle Bundesländer den Bildungsauftrag von Kindergärten und Kindertagesstätten festgeschrieben und Bildungspläne erarbeitet. Für die frühkindliche Bildung für unter Dreijährige gilt dies allerdings nicht und in der Praxis wird der Bildungsanspruch im Kindergarten sehr unterschiedlich umgesetzt. Nicht zuletzt ist das Betreuungsverhältnis zwischen Erzieherinnen und Kindern ausschlaggebend, um eine individuelle Bildung jedes einzelnen Kindes zu gewährleisten (Deutsches Kinderhilfswerk, 2009). So variiert die Gruppengröße zwischen den privaten und 69
städtischen Einrichtungen sowie zwischen den Bundesländern beträchtlich. Nach einer Auswertung der Bertelsmann-Stiftung sind in Bayern und Niedersachsen 24 bzw. 23 Kinder pro Kindergartengruppe die Regel, in Berlin sind es nur zwölf (Bock-Famula, 2008). Das Verhältnis von Fachkräften zu Kindern ist ebenfalls sehr unterschiedlich, wie Tabelle 6 dokumentiert. Der Durchschnitt von zehn Kindern pro Erzieherin ist dabei sehr hoch, da das hier errechnete Betreuungsverhältnis auf den vertraglichen Arbeitszeiten basiert und die Anwesenheiten der Kinder auf Vollzeitplätze umgerechnet wurden. Zeiten für die Vorbereitung von Aktivitäten oder die Dokumentation von Bildungswegen, Teamsitzungen, Fortbildungen und Krankheiten sind hier nicht eingerechnet. Die Bertelsmann-Stiftung empfiehlt vor diesem Hintergrund ein Verhältnis von 1:7,5 um eine tatsächliche Erzieherin-KindRelation von 1:10 zu erreichen. Tabelle 6:
Personalschlüssel und Erzieherin-Kind-Relation in Einrichtungen
Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen
Vollzeitäquivalente zu rechnerischen Ganztagesplätzen 9,3 10,3 8,1 12,1 10,4 9,7 13,6 9,6 9,1 8,8 9,3 12,7 11,7 10,5 12,1
Quelle: Bock-Famulla (2008).
Neben dem Betreuungsschlüssel spielt die Qualifikation des Personals eine entscheidende Rolle. Nur 3,4 % des pädagogischen Personals in Deutschland hat einen Hochschulabschluss. Neben der Umsetzung der Bildungspläne und einer deutlichen Verbesserung der Erzieher-Kind-Relation ist daher die Veränderung des Berufsbildes Erzieher nötig, um besser qualifizierte Personen als Erzieher zu gewinnen. Hinzu kommt, dass überwiegend Frauen diesen Beruf ergreifen, so dass
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es für Jungen wenig männliche Vorbilder im Kindergarten gibt, was gleichermaßen für die Grundschule und in einigen Ländern auch für die weiterführende Schule gilt (Berlin-Institut, 2008). Eine höhere Qualifizierung würde auch eine bessere Bezahlung nach sich ziehen und damit die Attraktivität des Berufes für beide Geschlechter weiter steigern. Ganztagesangebote: In Deutschland ist die Bildung wie in keinem anderen Land vom Elternhaus abhängig, insbesondere vom Bildungsstand der Mutter (Plünnecke et al., 2007). Dies liegt daran, dass das Schulsystem in Deutschland überwiegend ein Halbtagesangebot ist, die Einübung des Stoffes soll über Hausaufgaben vom Schüler zuhause erledigt werden. Haben die Eltern aus beruflichen Gründen keine Zeit, sich um die Erledigung der Aufgaben zu kümmern und als Ansprechpartner bereit zu stehen oder können sie aufgrund der eigenen Bildungsbiographie die Aufgaben gar nicht bearbeiten, so wirkt sich dies nachweislich auf die Leistungen des Schülers aus. Die Ganztagesschule wird derzeit häufig unter dem Blickwinkel der Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus Elternsicht diskutiert. Fast entscheidender ist jedoch der Aspekt der Chancengerechtigkeit der Kinder, die durch Ganztagesangebote gefördert werden kann. Um optimale Lernbedingungen zu schaffen, ist dabei eine Rhythmisierung des Unterrichts zu empfehlen, so dass nicht nur an den Vormittagen gelernt wird und die Nachmittage für Spiel und Sport freigehalten werden, sondern eine sinnvolle Durchmischung zwischen körperlichen, musischen und geistigen Aktivitäten stattfinden kann (Spitzer, 2003). Lebenslanges Lernen und modulare Bildungsbausteine: Die steigende Lebenserwartung begründet sich darauf, dass die Menschen heute in der Regel bei guter Gesundheit ein hohes Alter erreichen. Die notwendigen Anpassungen der Lebensarbeitszeit werden in Zukunft dazu führen, dass die verlängerte Lebensspanne auch immer länger produktiv genutzt werden wird. Dies bedeutet aber auch, dass das durch die Bildungsinvestitionen in jungen Jahren erworbene Wissen irgendwann veraltet. Gleichzeitig lohnt es sich bei einem späteren Eintritt in den Ruhestand, auch länger in den Aufbau von neuem Wissen zu investieren. Durch den Rückgang an Menschen im Erwerbsalter wird es aus Unternehmenssicht immer wichtiger werden, das Stammpersonal im Unternehmen möglichst lange produktiv zu halten. Der Weiterbildung kommt daher unter den Bedingungen des demografischen Wandels eine viel größere Bedeutung zu als früher. Wie in Abschnitt 1.2 gezeigt, sinkt aber die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung ab dem sechsten Lebensjahrzehnt stark. Zudem bestehen enge Zusammenhänge zwischen dem Erfolg im Schulsystem und der Bereitschaft, später an Weiterbildungen teilzunehmen. Die Weiterbildungsinstitutionen, wie beispielsweise Volkshochschulen oder privatwirtschaftliche Anbieter, müssen daher bessere Konzepte entwickeln, um das lebenslange Lernen in breiteren Bevölkerungsschichten zu verankern. Finanzierungskonzepte wie Bildungsgutscheine oder Lernkonten können
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die konkrete Umsetzung erleichtern (Expertenkommission, 2004). Altersspezifische Lernkonzepte und die Modularisierung des Bildungssystems sollten weiter entwickelt werden. Wenn anstelle von starren Berufsverordnungen die Anerkennung von einzelnen Kompetenzbausteinen möglich wäre, so könnte das längere Erwerbsleben durch Berufswechsel in angrenzende Felder oder Weiterbildungsmöglichkeiten zu anspruchsvolleren Tätigkeiten hin besser genutzt werden. Wer in Kindheit und Jugend keinen höheren Abschluss geschafft hat, kann diesen so einfacher nachholen. Auch dies würde zu mehr Gerechtigkeit im Bildungssystem beitragen. Die hier nur angerissenen Maßnahmen und Verbesserungen würden mittelfristig dazu führen, dass ein größerer Teil der nachwachsenden Generation ausreichend ausgebildet wird, um ins Berufsleben integriert zu werden. Für Zuwanderer böte ein modulares Bildungssystem viele Chancen, ihre im Ausland erworbenen Kompetenzen an die Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes anzupassen. Eine Verankerung des lebenslangen Lernens würde zu einer höheren Produktivität der Beschäftigten und insbesondere der älteren Mitarbeiter führen. Die Modularisierung des Bildungssystems würde einerseits mehr Möglichkeiten bieten, Menschen auch im höheren Lebensalter den Zugang zu mehr Bildung offenzuhalten. Andererseits könnten die schulischen und universitären Bildungszeiten verkürzt und damit der nachwachsenden Generation früher der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden. 2.3 Flexibilisieren Angesichts der abnehmenden Zahl an Menschen im Erwerbsalter werden Mütter aus Unternehmenssicht zu einer interessanten Zielgruppe am Arbeitsmarkt. Frauen haben in den vergangenen Jahrzehnten ihre Teilhabe am Bildungssystem deutlich ausgeweitet und sind zunehmend besser ausgebildet als ihre männlichen Jahrgangskollegen (Abbildung 5). Kinderlose Frauen weisen ähnliche Erwerbsquoten auf wie Männer, Mütter ziehen sich jedoch immer noch häufig aus dem Arbeitsmarkt zurück. In vielen Familien – vor allem in Westdeutschland – wird in Bezug auf die Kinderbetreuung nach wie vor ein traditionelles Rollenverständnis gelebt, so dass vor allem die Mutter für die Erziehung und Betreuung der Kinder verantwortlich ist. Sie gibt oft ihre Erwerbstätigkeit auf, bis das jüngste Kind im Schulalter ist und nimmt dann aufgrund des Halbtagesbildungssystems nur eine Teilzeitstelle an. Diese werden oft nur für weniger qualifizierte Tätigkeiten angeboten, so dass diese Mütter ihre erworbenen Qualifikationen nicht produktiv nutzen. In jüngster Zeit übernehmen aber auch immer mehr Väter eine aktive Rolle in der Erziehung und Betreuung. In einer flexibilisierten Arbeitswelt könnte damit die Verantwortung für die Kinder und das oft nötige Austarieren der Anforderungen seitens Beruf und Kindern zwischen den Eltern geteilt werden.
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Abbildung 5:
Frauenanteile an verschiedenen Bildungsabschlüssen im Zeitverlauf*
60 55 50 45 40 35 30 25 20
Hochschulreife
15
Studienanfänger
10
Hochschulabschlüsse Promotionen
5 0
1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2002 2003 2004 2005 2006 * bis 1992 nur Westdeutschland. Quelle: Destatis, 2008.
Im Vergleich zum Ausland arbeiten Mütter in Deutschland auffallend weniger (OECD, 2007b, 46). Nach den Berechnungen der OECD auf Basis von Daten des Jahres 2005 arbeiten in Deutschland nur 36 % der Mütter mit einem Kind unter zwei Jahren und 55 % der Mütter mit einem Kindergartenkind. In den skandinavischen Ländern sind hingegen über die Hälfte der Mütter mit Kleinkindern und vier von fünf Müttern von Kindergartenkindern erwerbstätig. Während in Deutschland 36 % der Mütter von drei Kindern unter 15 Jahren arbeiten, sind es in Schweden 75 %, in Finnland 60 %. Der internationale Vergleich verdeutlicht, dass es in Deutschland besonders unüblich ist, mit mehreren Kindern oder mit noch kleinen Kindern am Erwerbsleben teilzunehmen. Dies liegt neben partnerschaftlicheren Modellen der Kinderziehung vor allem an den vergleichsweise schlechten Möglichkeiten, Kinder betreuen zu lassen (Tabelle 7).
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Tabelle 7:
Anteil betreuter Kinder an allen Kindern in verschiedenen Altersgruppen
Westdeutschland1 Ostdeutschland2 Deutschland
2007 2008 2007 2008 2007 2008
0 bis unter 3 Jahre
3 bis unter 6 Jahre
6 bis unter 11 Jahre
11 bis unter 14 Jahre
9,9 12,2 40,7 42,0 15,5 17,8
88,4 90,4 93,7 94,4 89,3 91,1
15,2 15,0 42,9 44,8 19,4 19,7
0,8 0,8 1,3 1,5 0,9 0,9
Quelle: IW Köln (2009: 100).
Die professionelle Betreuung für Kinder unter drei Jahren befindet sich erst im Aufbau, im Kindergartenalter besteht bisher lediglich ein Anspruch auf eine Vormittagsbetreuung und im Schulalter endet die Schule ebenfalls überwiegend noch am Mittag. Dabei sind hier die Bedingungen in den neuen Bundesländern deutlich besser als in den alten. In Westdeutschland befindet sich die Betreuungssituation im Umbruch. Bis 2013 sollen im Bundesdurchschnitt 35 % der Kinder unter drei Jahren einen Krippenplatz haben, Kindergärten und Schulen bieten zunehmend eine Ganztagesbetreuung an. Als Antwort auf den demografischen Wandel ist daher zu hoffen, dass mittelfristig eine gut ausgebaute Betreuungsinfrastruktur für Kinder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht und die Grundlagen für eine bessere Bildung eines größeren Anteils der Kinder eines Jahrgangs ermöglicht. Auch mit einer guten Betreuungsinfrastruktur haben Mütter und aktiv an der Erziehung und Betreuung beteiligte Väter besondere Ansprüche an die Flexibilität ihres Arbeitsverhältnisses. Gerade wenn die Kinder noch sehr klein sind, wünschen sich Eltern oft nur eine Teilzeitbeschäftigung, um mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können. Am Arbeitsplatz sind flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit, von daheim aus zu arbeiten, oder Telearbeit wichtig, um den Anforderungen des Familienalltages gerecht zu werden. Ein Eltern-Kind-Zimmer im Unternehmen, Notfallbetreuung oder Möglichkeiten, spontan von Zuhause aus arbeiten zu können, sind ebenfalls sinnvolle Maßnahmen, um die Arbeitswelt familienfreundlicher zu machen. Umfragen unter Unternehmen belegen dabei, dass in den vergangenen Jahren in diesem Bereich erhebliche Fortschritte erzielt werden konnten (BMFSFJ, 2006). Darüber hinaus sollten die Unternehmen ihren Mitarbeitern mit Kindern realistische Karriereoptionen eröffnen. Qualitative Teilzeitstellen und die Etablierung einer ergebnisorientierten Führungskultur, die nicht lange Anwesenheitszeiten, sondern gute Arbeitsergebnisse belohnt, sind hierfür unabdingbar. 74
Im Gegenzug müssen sich aber auch die berufstätigen Eltern bewusst sein, dass sie die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben fließender gestalten sollten als bisher üblich. Sie müssen – unterstützt von den heute technischen Möglichkeiten der Telearbeit – ihre Erreichbarkeit für die Fragen von Kollegen oder Kunden sichern. Die Arbeit von zuhause aus erfordert zudem ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Selbstdisziplin. Je flexibler ein Arbeitsplatz räumlich und zeitlich ausgestattet ist, desto mehr muss sich der Arbeitnehmer selbst organisieren, um eine hohe Produktivität und die Zufriedenheit von Kunden, Kollegen und Vorgesetzten zu gewährleisten. Die Flexibilisierung im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann daher nur gelingen, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber vertrauensvoll zusammenarbeiten und eine offene, kritische Kommunikation pflegen. Die Flexibilisierung der Arbeitswelt wird nicht nur im Zeichen der Gewinnung von Mitarbeitern mit Kindern wichtig, immer mehr Mitarbeiter brauchen zudem Freiräume, um die Pflege ihrer alt gewordenen Eltern zu organisieren. Ihnen helfen die gleichen Flexibilitätsmaßnahmen wie berufstätigen Eltern. Zudem wird die Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern über 60 Jahre ebenfalls den Wünschen nach mehr Freizeit und mehr Zeit für die Familie Rechnung tragen müssen. Teilzeitmodelle und flexible Arbeitsweisen können hier helfen, das Erfahrungswissen der Älteren lange im Unternehmen zu halten und damit die Übergabe an die nächste Generation besser zu gestalten. 3. Chancen für junge und ältere Arbeitskräfte Die im letzten Kapitel aufgezählten Maßnahmen der Mobilisierung, Qualifizierung und Flexibilisierung werden derzeit vor allem aus Sicht der Unternehmen diskutiert, welche sich damit auf den demografisch zu erwartenden Rückgang der Arbeitskräfte vorbereiten wollen. Sie bieten aber auch für die künftigen Arbeitskräfte enorme Chancen. Der demografische Wandel führt ohne Gegensteuerung zu einem Rückgang der Arbeitskräfte. Ökonomisch gesprochen wird die Ressource Arbeit verknappt und damit wertvoller. Es lohnen sich Anstrengungen, um mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen und die Beschäftigten produktiv zu halten. Die daraus folgenden Investitionen in Bildung und Flexibilisierung führen dazu, dass eine höhere Teilhabegerechtigkeit am Arbeitsmarkt erreicht werden kann als heute und sich vor allem die Chancengerechtigkeit am Anfang des Lebens verbessert. Eine bessere frühkindliche Bildung und eine Verbesserung des Schulsystems im Sinne einer größeren Unabhängigkeit der Ergebnisse vom Elternhaus würde nicht nur das Reservoir an Arbeitskräften für die Unternehmen vergrößern, es würde vor allem Kindern zu Gute kommen, die aus bildungsfernen Elternhäusern
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stammen oder einen Migrationshintergrund haben. Wenn die Schule dem Ziel näher kommt, jedes Kind entsprechend seiner Veranlagung zu einer Ausbildungsreife zu führen, so erhielten vor allem diese Jugendlichen die Chance auf eine selbstbestimmte, finanziell unabhängige und sinnvolle Lebensgestaltung. Die durch eine gute Bildung ermöglichte Erwerbstätigkeit geht dabei in der Regel auch mit einem breiten sozialen Netzwerk durch Kontakte zu Kollegen und Kunden und im Idealfall auch mit gesellschaftlicher und persönlicher Anerkennung der Fähigkeiten des einzelnen einher. Der Teufelskreis, bestehend aus arbeitslosen, wenig gebildeten Eltern, deren Kinder in ein auf Transfers aufgebautes Leben mit begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten und oft problematischen Begleiterscheinungen hineinwachsen, könnte durchbrochen werden. Kinder von Migranten erhielten eine faire Chance, ein erfolgreiches Leben zu führen, anstatt wie heute auch noch in der zweiten Generation deutlich schlechter in der Schule abzuschneiden als ihre deutschen Mitschüler (OECD, 2007a) und später überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein (Destatis, 2008). Heute ergibt sich für viele Menschen mit Anfang 30 eine berufliche und private Hochstressphase, die Demografen die „Rushhour des Lebens“ nennen. Nach der langen Ausbildungsphase erfolgt insbesondere für Akademiker der späte Einstieg in den Arbeitsmarkt. Mit Anfang 30 fallen dann die Phasen des beruflichen Aufbaus, erste Karrierestufen oder Arbeitgeberwechsel häufig mit der Phase der Familiengründung zusammen. Sowohl die finanziellen, vor allem aber auch die zeitlichen Ressourcen junger Familien sind äußerst knapp. Mit Anfang 40 kehrt Routine ein, für viele Menschen ist der Karrierepfad festgelegt. Die Weiterbildungsteilnahme nimmt ab. Mit über 50 haben die einen eine Führungsposition erreicht und übernehmen große Verantwortung und strategische Aufgaben, andere resignieren und leben gedanklich bereits auf den Ruhestand hin. Wenige Jahre später beginnt dann mit den Frühverrentungen oder der Blockaltersteilzeit der tatsächliche Eintritt in den Ruhestand. Mit 65 wird das gesetzliche Rentenalter erreicht, das unabhängig vom persönlichen Gesundheitszustand und unabhängig von der Motivation das Ende der Erwerbsphase markiert. Bei der heutigen Lebenserwartung werden dann nicht selten noch drei Jahrzehnte bei guter Gesundheit gelebt, die aber wenige Möglichkeiten bieten, das Einkommen zu verbessern oder sich abseits des Ehrenamtes aktiv in der Gesellschaft zu engagieren.
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Abbildung 6:
Lebenslaufsmodelle heute und in der Zukunft
H eu te
L e b e n s v e rlä u fe F r ü h k in d lic h e
K in d e r g a r te n
B ild u n g
S c h u le
B ild u n g , 20
L e h r e / S tu d iu m H e ir a t, B e r u fs -
B eru f
e in s tie g , K in d (e r ),
in Z u k u n ft
S c h u le , B a c h e lo rs tu d iu m
40
B e r u fs e in s tie g , F a m ilie n p h a s e u n d
K a r r ie r e a u fb a u
T e ilz e it V o llz e ita r b e it
B e r u flic h e R o u tin e
T e ilz e it u n d M a s te r V o llz e ita r b e it
60
R u h e s ta n d
B ild u n g
(V o r-)R u h e s ta n d 80
A u fb a u s tu d iu m / B e ru fs w e c h s e l V o llz e ita r b e it A lte rs te ilz e it
B e ru f, B ild u n g , L ern en
R u h e s ta n d
Quelle: Eigene Darstellung.
Wenn das Bildungssystem modular aufgebaut wäre und erworbene Kompe-tenzen anerkannt würden, so wäre der Aufbau eines Lebenslaufmodells möglich, das die gestiegene Lebenserwartung sinnvoll für eine Durchmischung von Bil-dungs-, Arbeits-, und Familienphasen nutzt. Ein Modell der Zukunft könnte so aussehen, dass nach einer Phase der Grundausbildung an Schulen, in der Lehre oder der Universität erste Erfahrungen im Berufsalltag gesammelt würden (vgl. Abbildung 6). Daran schließen sich je nach persönlicher Lebensgestaltung Phasen der intensiven Erwerbsarbeit oder Phasen mit mehr Zeit für Familie, Freizeit oder Ehrenamt an. Eine flexible Arbeitswelt vereinfacht dabei das Abstimmen der jeweiligen Interessen aufeinander. Bildungsphasen, die dem Erwerb höherer Qualifikationen oder dem Wechsel in angrenzende Berufsfelder dienen, wechseln sich mit diesen Phasen ab. Aufgrund der knapperen Arbeitskräfte wird die Wertschätzung für ältere, erfahrene Arbeitnehmer deutlich steigen. Dies wird sowohl zu mehr Beteiligung an Weiterbildung als auch zu einer höheren Motivation der Mitarbeiter führen. Die Unternehmen werden zunehmend auch horizontale Karrierewege entwickeln, um Anerkennungsmöglichkeiten für ihre Mitarbeiter zu schaffen und in körperlich anstrengenden Berufen den Übergang in weniger anstrengende Tätigkeiten zu erleichtern. Der Eintritt in den Ruhestand wird individuell am Gesundheitszustand, an der Motivation und an den Lebensumständen des Betroffenen ausgerichtet und erfolgt schrittweise. Damit sichert sich
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das Unternehmen das Wissen des erfahrenen Mitarbeiters und dieser wiederum kann aktiv zur Gestaltung der Gesellschaft beitragen und sein durch die Rente erzielbares Einkommen aufstocken. Der demografische Wandel ist daher nicht nur eine Herausforderung für die Wirtschaftspolitik, damit die deutsche Volkswirtschaft auch in Zukunft auf einem gesunden Wachstumspfad bleibt, er ist vor allem eine Chance für jüngere und ältere Arbeitskräfte.
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Langfristige wirtschaftliche Entwicklung und Fachkräftebedarf in Deutschland Michael Hüther
1. Einleitung Der tief greifende demografische Wandel in Deutschland stellt die Volkswirtschaft vor große Probleme. Der bereits jetzt mit hoher Sicherheit prognostizierbare Rückgang der Erwerbspersonenzahl und der erhöhte Altersdurchschnitt der Erwerbstätigen stellen Herausforderungen an Politik und Unternehmen. Dies ist für das deutsche Wirtschaftswachstum langfristig höchst bedeutsam. Die endogene Wachstumstheorie legt nahe, dass Wirtschaftswachstum und technologische Vorwärtsentwicklung nur dann gelingen können, wenn sowohl Produktionsmöglichkeiten in adäquatem technologischem Standard als auch spezifisch qualifizierte Mitarbeiter vorhanden sind. Dies sind Fachkräfte, die zum Teil durch Berufsausbildung, insbesondere aber durch akademische Qualifikation dazu in die Lage versetzt werden, anspruchsvolle Produkte und Prozesse technisch zu bewältigen und innovativ zu verbessern. Sorge bereitet, dass diejenigen Fachkräfte – vor allem Ingenieure sowie technische Qualifikationen aller Art – bereits in den kommenden Jahren zur Mangelware zu werden drohen. Wie dringend dieses Problem ist und welche Ansätze zur Linderung bestehen, ist zentrales Thema dieses Beitrags. 2. Die Zukunft: Die demografische Kulisse In den Industrieländern greift die Sorge über schrumpfende und alternde Bevölkerungen um sich. Auch der Bevölkerungsaufbau in Deutschland hat die klassische Pyramidenform verlassen und ist dabei, die Gestalt einer Urne anzunehmen. Im Jahr 1970/71 war die Geburtenrate auf dem Reproduktionsniveau angekommen: Es wurden gerade genug Kinder geboren, um die Elterngeneration zu ersetzen. Die Geburtenrate sank weiter und überführte die Bevölkerungspyramide immer deutlicher in eine Urnenform: Immer weniger Babys werden geboren, während die Menschen immer später sterben. Seit fast 30 Jahren liegt die Geburtenrate in Westdeutschland bei etwa
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1,4 Kindern pro Frau, in Ostdeutschland liegt sie seit der Wende sogar deutlich darunter. Um die Elterngeneration zu ersetzen, müssten je 100 Frauen etwa 210 Kinder geboren werden, da einige Geborene vor dem Erreichen des gebärfähigen Alters sterben. Kein Forscher geht derzeit jedoch davon aus, dass diese Geburtenraten in Deutschland bis zum Jahr 2050 wieder erreicht werden. Das Statistische Bundesamt unterstellt in seinen Berechnungen mittelfristig Geburtenraten von durchschnittlich 1,2 bis 1,6 Kindern pro Frau (Statistisches Bundesamt, 2006). Entgegen landläufiger Meinung hat sich nicht der Trend zur Ein-Kind-Familie durchgesetzt. Wenn sich deutsche Paare für Nachwuchs entscheiden, haben sie in der Regel zwei Kinder. 28 % der westdeutschen Frauen der Jahrgänge 1962 bis 1966 haben hingegen gar keine Kinder bekommen. Unter den Akademikerinnen dieses Jahrgangs war diese Quote mit 42 % noch höher (Grünheid, 2003). Die Kinderlosigkeit eines steigenden Anteils von Frauen ist der Hauptgrund für die zurückgehenden Gesamtfertilitätsraten. Daneben hat die Mehr-Kind-Familie an Bedeutung verloren. Zudem ist die höhere Lebenserwartung älterer Menschen zu bedenken: Ein 30-Jähriger wird mit 76 Jahren um vier Jahre älter als noch 1960, eine gleichaltrige Frau hat mit 81,5 Jahren sechs Jahre hinzugewonnen. (Statistisches Bundesamt, 2003). Ein weiterer Faktor ist die Einwanderung. Deutschland ist seit langem ein Einwanderungsland. Von 1965 bis 1990 nahm die Bundesrepublik auf 1.000 Einwohner gerechnet durchschnittlich 3,3 Einwanderer auf. Die Migration hat daher einen wesentlichen Einfluss auf die Schrumpfung und Alterung der Gesellschaft, zugleich ist sie ein politisch beeinflussbarer und somit schwierig vorhersagbarer Faktor. Klar ist hingegen, dass Migration kein Königsweg ist, um die Alterung und Schrumpfung der Gesellschaft aufzuhalten (UN, 2000). Um die durch das Geburtendefizit verursachte Schrumpfung der Bevölkerungszahlen auszugleichen und die Bevölkerungszahl auf dem ohne Zuwanderung erreichten höchsten Stand zu halten. müssten jedes Jahr netto 344.000 Menschen nach Deutschland einwandern. Die Bevölkerungszahl in Deutschland wird im Jahr 2050 wahrscheinlich nahe an 70 Millionen Einwohnern liegen. Unter der Annahme einer fast konstanten Fertilität, eines moderaten Anstiegs der Lebenserwartung und eines Einwanderungssaldos von 100.000 Personen wird die Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2050 auf 68,7 Millionen zurückgehen (Statistisches Bundesamt, 2006, Variante 1W1). Aus den Simulationsrechnungen lassen sich vor allem gravierende Veränderungen in der Altersstruktur herauslesen: Die Gesellschaft altert von zwei Seiten. Durch die geringe Anzahl an Geburten fehlt der Nachwuchs an jungen Menschen, auf der anderen Seite werden die alten Menschen immer älter. Zu Beginn des Jahres 2002 kamen, wie bereits dargestellt, auf 100 Menschen im derzeit
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üblichen Erwerbsalter zwischen 20 und 60 Jahren 43,9 Personen über 60 Jahre. Im Jahr 2050 wird sich dieses Verhältnis drastisch verändert haben. Dann werden es nach den verschiedenen Varianten zwischen 70 und 100 Personen sein. Der demografische Wandel wird weit reichende Folgen für den Arbeitsmarkt haben, da zum einen durch die Abnahme der Bevölkerung auch das sich daraus rekrutierende Erwerbspersonenpotenzial sinken wird und sich zum anderen die Altersstruktur der Belegschaften zugunsten der Älteren verschieben wird. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 64 Jahren wird in der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes bis zum Jahr 2050 geschätzt. Diese Zahl wird – konstante Geburtenraten, eine Nettoimmigration von 100.000 Personen pro Jahr und eine moderat gesteigerte Lebenserwartung vorausgesetzt – in den nächsten etwa 10 Jahren weitgehend stabil bei rund 50 Millionen liegen. 2030 werden noch 42,4 Millionen Personen im erwerbsfähigen Alter sein, 2050 noch 35,5 Millionen. Das tatsächliche Arbeitsangebot hängt jedoch entscheidend vom Erwerbsverhalten der Bevölkerung ab, das wiederum beeinflusst wird von der Entwicklung des Bildungsverhaltens, der Entwicklung des Rentenzugangsverhaltens, der Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit sowie der Entwicklung der Migration und der Erwerbsbeteiligung ausländischer Frauen. Diese Faktoren bestimmen die Höhe des Erwerbspersonenpotenzials, das sich aus Erwerbstätigen, Arbeitslosen und der stillen Reserve zusammensetzt und sich zur Messung des Arbeitskräfteangebots eignet. Ab dem Jahr 2020 wird das Erwerbspersonenpotenzial beziehungsweise die Anzahl der Erwerbspersonen rapide sinken; eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung kann den Rückgang des Arbeitskräftepotenzials nicht aufhalten. Zum einen verringert sich durch die Alterung der Anteil des Erwerbspersonenpotenzials an der Gesamtbevölkerung. Im Jahr 2000 zählen 41,9 Millionen Personen zum Erwerbspersonenpotenzial, das sind 51 % der Bevölkerung, im Jahr 2050 werden es mit 29,6 Millionen nur noch 42,5 % der Gesamtbevölkerung sein. Zum anderen führt der Geburtenrückgang zu einem veränderten Altersaufbau des Erwerbspersonenpotenzials: Der Anteil der 15- bis 29-Jährigen wird bis zum Jahr 2050 nur leicht von 21,5 % auf 19,5 % sinken – trotz des deutlichen Rückgangs in absoluten Zahlen. Der Anteil der 30- bis 44-Jährigen verzeichnet die größte Minderung mit einem Rückgang von 43,1 auf 35,6 %. Der Anteil der 45- bis 59-Jährigen wird von 30,1 % bis 2015 auf über 40 % steigen und anschießend leicht auf etwa 37 % fallen. Die 60- bis 74-Jährigen werden ihren Anteil von 5,3 auf 7,6 % ausbauen (vgl. Abb. 1).
83
Abbildung 1:
Projektion des Erwerbspersonenpotenzials bis 2050, in Tsd.
45.000 40.000 35.000
2.239
2.022
12.598
13.926
30.000
2.153
15.893
2.374
16.680
2.659
15.399
25.000 20.000
18.082
15.000
17.114
15.236
13.664
13.876
3.009
13.645
2.864 12.578
2.147
12.802
12.443
13.559
13.048
11.991
11.390
10.000 5.000
2.240
8.993
8.909
8.767
8.371
7.613
7.172
6.680
6.471
6.326
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
2035
2040
0
15 bis 29 Jahre
30 bis 44 Jahre
45 bis 59 Jahre
60 bis 74 Jahre
Quelle: IAB Forschungsbericht 25/2005.
Nicht nur der Arbeitsmarkt, auch die allgemein bildenden Schulen werden vom demografischen Problem voll erwischt. Bereits bis ins Jahr 2020 wird (im Vergleich zu 2006) ein erheblicher Schwund in den Absolventenzahlen zu verzeichnen sein. Im deutschlandweiten Durchschnitt werden im Jahr 2020 20 % weniger Schüler einen Abschluss erreichen als noch 2006. Besonders betrifft dies die ostdeutschen Länder, die jeweils mindestens 40 % ihrer Schulabgängerzahlen verlieren. Selbst Hamburg, das Land mit dem geringsten Schwund, muss ein Minus von sechs Prozent verzeichnen (vgl. Abb. 2). Dies schlägt sich auf die langfristige Perspektive durch. Betrachtet man die momentan wohl allein schon aufgrund ihrer Größe wohl produktivste Alterskohorte der 35- bis 44-Jährigen, so befinden sich darin 9,3 Mio. Personen, die eine Berufs- oder Fachschulausbildung absolviert haben, und weitere 2,3 Mio. Personen mit (Fach-)Hochschulabschluss. Insgesamt sind dies 11,6 Mio. gut ausgebildete Individuen. Die aktuellen Geburtsjahrgänge, die in 40 Jahren dieses Alter erreicht haben werden, umfassen hingegen (hochgerechnet) nur 7 Mio. Personen. Selbst wenn sie eine Ausbildungsquote von 100 % erreichen sollten, besteht also im Vergleich zur heutigen Kohorte eine erhebliche Lücke von über 3 Mio. Personen (vgl. Abb. 3).
84
Abbildung 2:
Absolventen allgemeinbildender Schulen im Jahr 2020 im Vergleich zu 2006, in Prozent
0 -5 -10 -15 -20 -25 -30 -35 -40 -45 -50
%
Quelle: KMK; IW-Berechungen.
Abbildung 3:
Bevölkerung nach Qualifikation und Alter im Jahr 2005, Deutschland, in Mio.
14 12 10 8 6 4 2 0 0-4 Jahre*
5 - 14 Jahre 15 - 24 Jahre 25 - 34 Jahre 35 - 44 Jahre 45 - 54 Jahre 55 - 64 Jahre
Kinder unter 15 ohne Berufsabschluss mit Hoch- / Fachhochschule
Schüler, Studierende, Auszubildende mit Lehre / Fachschule Lücke
Quelle: Sonderauswertung des Mikrozensus.
85
3. Die Bedeutung der Industrie in Deutschland Deutschland ist eine industriebasierte Exportnation. Betrachtet man die OECDStaaten im Vergleich, so wird deutlich, dass nur wenige dieser Länder im Jahre 2007 ein höheres Leistungsbilanzplus (in Relation zum BIP) verzeichnen konnten als Deutschland mit 7,7 % (vgl. Abb. 4). Ein Grund für die deutsche Exportstärke ist die starke Position im internationalen Wettbewerb im Markt für Industrieprodukte. Deutschland hatte 2006 einen Industrieanteil von 26 % der Wertschöpfung und liegt damit noch vor Japan mit 23 %. Die USA und das Vereinigte Königreich mit jeweils 17 % sowie Frankreich mit 14 % sind erheblich weniger von Industrieproduktion geprägt als Deutschland (OECD, 2009). Abbildung 4:
Leistungsbilanzsaldo 2007, in Prozent des BIP
20 NOR
15 10 5
CH SWE D NL
J FIN
0 -5 -10 -15
A BEL DK KOR F
I
UK POL USA IRL AUS
NZL POR ESP GR
-20
Quelle: OECD Economic Outlook 84.
Generell lässt sich feststellen, dass OECD-Länder, die ihren Industrieanteil in den Jahren von 2000 bis 2006 zu steigern oder zumindest annähernd zu halten vermochten, 2007 tendenziell einen Leistungsbilanzüberschuss erzielen konnten. Dies ist ein Indiz für die Bedeutung der Industrie für die Exportstärke eines Landes – zumindest in der Boomphase der Weltkonjunktur von 2000 bis 2007. Insofern profitierte Deutschland als Industrieexportland überproportional von diesem Boom (vgl. Abb. 5). Doch die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft verschärft auch den Wettbewerbsdruck auf die deutschen Unternehmen. Gleichzeitig erweitert er ihre strategischen Spielräume. Jedes Unternehmen, das in einer globalen Branche tätig 86
ist, kann und muss daher seine Wertschöpfungsstrategien unter den sich wandelnden Bedingungen einer globalisierten Ökonomie optimieren. Der weltweite Strukturwandel beschleunigt sich, angeschoben von drei Megatrends: Globalisierung, Tertiarisierung und Wissensintensivierung. Abbildung 5:
Leistungsbilanzsaldo und Veränderung des Industrieanteils
Veränderung des Industrieanteils an der BWS in Prozentpunkten, 2000-2006
1
-15
CH D
0 -10
-5
0
A
5
J
10
15
N
20
-1 DK -2 B SP
USA
I -3
NL FIN
F -4 Leistungsbilanzsaldo 2007 in Prozent des BIP
Quelle: Eigene Berechnungen nach OECD Economic Outlook 84, OECD-STAN-Database.
3.1 Megatrends bestimmen zukünftige Produktionsstrukturen Als Globalisierung seien hier die immer intensiver verflochtenen Handels- und Produktionsstränge bezeichnet (vgl. Grömling/Haß, 2009). Beides ist auf technischen Fortschritt sowie auf die Liberalisierung der Weltmärkte zurückzuführen. Die wachsende internationale Arbeitsteilung impliziert, dass ein steter Wettbewerb zwischen den Unternehmen und zwischen den Unternehmensstandorten besteht. Anbieter aus den Schwellenländern haben technologisch aufgeholt und bieten heute arbeitsintensive, standardisierte Industrieprodukte kostengünstiger an, bei denen der Preis der entscheidende Wettbewerbsparameter ist. Dies setzt die entsprechenden Produktionsstandorte in den etablierten Industrieländern unter existenziellen Druck, da sie einem Preiswettbewerb kaum standhalten können. Handelt es sich dabei um Zulieferteile, die in höherwertige, differenzierte Produkte eingebaut werden, so wird das abnehmende Unternehmen die Produktion dieser Zulieferteile in Niedriglohnländer verlegen. Ob dort in Eigenregie oder von einem
87
anderen Unternehmen produziert wird, ist für diese Analyse zweitrangig, letztendlich gilt: Global agierende Unternehmen suchen für jede Unternehmenstätigkeit weltweit denjenigen Standort, der das günstigste Verhältnis von Produktivität und Kosten bietet. Entsprechend werden die Wertschöpfungsketten zerlegt. Dieser Prozess ermöglicht effizientere Produktion und stärkt so die Wettbewerbsfähigkeit der verbleibenden Produktion in Deutschland. Es zeigt sich immer deutlicher, dass sich die deutschen Firmen im Inland auf humankapital- und wertschöpfungsintensive Unternehmensfunktionen konzentrieren (vgl. Abb. 6). Abbildung 6:
Unternehmen mit Auslandstätigkeit in Prozent der Unternehmen der jeweiligen Umsatzgrößenklasse, hochgerechnet Beschaffung Absatz
Produktionsnahe Dienste Einfache Dienste Produktion Höhere Dienste F&E % 0
10 Groß
20
30
40
50
Klein und mittel
Legende: Klein und mittel bis 50 Mio. € Umsatz, groß mehr als 50 Mio. € Umsatz. Quelle: IW-Zukunftspanel.
Diese Funktionen sind im intra-industriellen Wettbewerb der Herstellung ähnlich wertschöpfungs- und technologieintensiver Güter zwischen den Industrieländern extrem bedeutsam, denn hier geht es um die Fähigkeit zur Differenzierung und die Erzielung dynamischer Vorteile. Die Differenzierungen schaffen temporäre Wettbewerbsvorteile, die die Konkurrenten allerdings schnell aufholen können und die sich die Unternehmen daher durch permanentes Engineering ständig neu
88
erarbeiten müssen. Kann ein Unternehmen – häufiger ein Unternehmenscluster – hingegen durch Spitzenforschung Basisinnovationen erreichen, so können völlig neue Wertschöpfungsketten entstehen, und dies kann dauerhafte Wettbewerbsvorteile nach sich ziehen. Für beide Strategien – permanentes Engineering sowie das Streben nach Basisinnovationen – benötigt man hohe Kundenorientierung und große Innovationskraft, die nur von gut ausgebildeten Mitarbeitern mit hoher Kreativität und mit der Fähigkeit, hochkomplexe Systeme zu beherrschen, erbracht werden kann. Schon verhältnismäßig kleine Modifikationen im Vergleich zum Wettbewerbsprodukt reichen aus, um sich von der Konkurrenz abzusetzen. Um diese Modifikationen hervorzubringen und zu verkaufen, muss die Wertschöpfungskette vertieft werden, hochwertige Funktionen, wie zum Beispiel FuE, Design, Fertigungsplanung, Marketing und Vertrieb, müssen ausgebaut werden. Vor allem nicht-materielle Ressourcen, wie Fähigkeiten und Kompetenzen, eingespielte Prozesse und Wissen sind bedeutsam, weil sie weniger schnell kopiert werden können als materielle. Es findet also eine weitgehende Konzentration der Industrieländer auf Hightech- und Highskill-Bereiche statt. Deren Produkte finden mit steigendem Wohlstand zunehmend in den zuletzt sehr wachstumsstarken Schwellen- und Entwicklungsländern Abnehmer.1 Unter dem Megatrend der Tertiarisierung versteht man die zunehmende Bedeutung von Komplettlösungen und maßgeschneiderten Produkten mit einem umfangreichen, komplementär wirkenden Dienstleistungsanteil (vgl. Grömling/ Haß, 2009). Die Tertiarisierung führt somit nicht unbedingt zur Bedeutungsabnahme des industriellen Sektors, sondern kann im Gegenteil zu seiner Stärkung beitragen (vgl. Abb. 7).
1 Neben der »Make-or-buy«-Entscheidung spielen auch Absatzmotive auf schnell wachsenden ausländischen Märkten eine Rolle. Zudem folgen Unternehmen häufig ihren großen Kunden ins Ausland. Internationalisierung ist für im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen unentbehrlich geworden: Das weltweite BIP ist seit 1990 jährlich um drei Prozent gewachsen, ausländische Direktinvestitionen hingegen um 11 % pro Jahr.
89
Abbildung 7: 33
Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung mit und ohne Berücksichtigung des Vorleistungsverbunds (Nettobezüge von anderen Sektoren) in Prozent
%
31 29 27 25 23 21 19 17 15 1991
1992
1993
1994
ohne Vorleistungsverbund
1995
1996
1997
mit Vorleistungsverbund
Quelle: Hüther et al. (2008), Systemkopf Deutschland Plus, Köln.
Der Megatrend der Wissensintensivierung folgt aus der zunehmenden Komplexität der produzierten Güter. Die Industrieländer produzieren seit einigen Jahrzehnten immer mehr Hochtechnologieprodukte; dies auch deswegen, weil sich in Schwellenländern wie China neue Märkte für wertschöpfungs- und technologieintensiven Güter entwickelten. Dies bringt es mit sich, dass in den Industrieländern mehr hoch qualifizierte Fachkräfte benötigt werden, während es Kräfte mit einfacher Qualifikation zunehmend schwerer haben, eine Beschäftigung zu finden (vgl. Grömling/Haß, 2009). 3.2 Innovationsdrang führt zu Unternehmenserfolg Es lässt sich zeigen, dass diejenigen Unternehmen mit einem Mindestumsatz von jährlich 50 Mio. Euro, die überdurchschnittlich viele Mitarbeiter in hochwertigen Unternehmensfunktionen in Deutschland haben, besonders erfolgreich sind.2 19 %
2 Grundlage für die Befragung auf der Unternehmensebene ist das IW-Zukunftspanel, das regelmäßig
90
der größeren deutschen Unternehmen erfüllen die obige Definition; zwei Drittel davon sind Industrieunternehmen, der Rest ist im Dienstleistungsbereich tätig (vgl. Lichtblau/Neligan, 2008). Die Headquarter-Dienstleistungen werden in diesen Unternehmen überwiegend in Deutschland durchgeführt. Der Anteil derjenigen Unternehmen, die diese Funktionen auch im Ausland haben, liegt durchschnittlich nur zwischen fünf und zehn Prozent. Dieser Befund wird bestätigt, wenn man danach fragt, welche Tätigkeiten auf keinen Fall ins Ausland verlagert werden sollen. Diese Unternehmen bilden eine unternehmerische Avantgarde, denn sie sind erfolgreicher als eine Referenzgruppe von Unternehmen mit identischen Branchenund Größenstrukturen. Eine empirische Untersuchung zeigt, dass weniger die Größe eines Unternehmens, sondern vielmehr ihr Drang nach Innovation den Unternehmenserfolg mitbestimmt (vgl. Abb. 8). Durch effektive Differenzierungsstrategien gegenüber Konkurrenzprodukten können diese Unternehmen höhere Deckungsbeiträge erzielen als die Referenzgruppe. Zudem leiden sie weniger an hohem Wettbewerbsdruck aus Niedriglohnländern. Sie liefern immer mehr Dienstleistungen zu ihrem Industrieprodukt mit und verfolgen stärker als vergleichbare Unternehmen eine Strategie der Flexibilität, kundenspezifischer Problemlösungen und der Technologieführerschaft. Dies gelingt ihnen dadurch, dass sie überdurchschnittlich forschungsaktiv und innovativ sind. In diesen Funktionen setzen sie deutlich mehr Personal als der Durchschnitt ein. Bei FuE- und Innovationsindikatoren schneiden sie daher viel besser als vergleichbare Unternehmen ab. Sie sind aktive Innovatoren, d. h. die Produktentwicklung ist überwiegend unternehmens- und nicht kundengetrieben. Dadurch erzielen sie einen besonders hohen Umsatzanteil mit Marktneuheiten und Produkten mit Alleinstellungsmerkmal (vgl. Lichtblau/Neligan, 2008).
Unternehmen zu Themen des Strukturwandels befragt. Aus diesem umfassend angelegten Panel lassen sich strukturelle Veränderungen auf Unternehmensebene antizipieren und volkswirtschaftliche Trends empirisch robust fundieren. Im Herbst 2006 wurden fast 6.000 per Zufall ausgewählte Unternehmen zu ihrem Internationalisierungsprofil befragt. Im Frühjahr 2007 haben fast 3.500 Unternehmen an der Befragung zum Thema »Erfolg, Netzwerke und Kooperationen« teilgenommen. Die Befragungen richten sich nicht an die Gesamtwirtschaft, sondern nur an denjenigen Teil, der direkt oder indirekt im internationalen Wettbewerb steht. Hierzu gehören die Industrie und die Dienstleistungsbranchen, die über Vorleistungen eng mit der Industrie verbunden sind: Verarbeitendes Gewerbe, Versorgung, Bau, Logistik und unternehmensnahe Dienstleistungen.
91
Abbildung 8:
Geschäftserfolgsindex nach Unternehmensumsatz, Durchschnitt = 100
110 105 100 95 90 85 80 Klein
Mittel
Groß
Klein: < 1.Mio. Euro Umsatz/Jahr Mittel: 1.Mio. bis 50 Mio. Euro Umsatz/Jahr Groß: > 50. Mio. Euro Umsatz/Jahr
Nichtforschende passive Bewahrer
Forschende aktive Innovatoren
Quelle: IW-Zukunftspanel, 2007, Vierte Befragungswelle.
Zwei Drittel dieser Unternehmen betreiben einen großen Teil ihrer Wertschöpfungsketten in Deutschland. Sie sind also weiterhin tendenziell inlandsorientiert. Des Weiteren sind sie stärker als die Unternehmen der Referenzgruppe in regionale Vorleistungsverbünde integriert, da sie aufgrund ihrer starken Spezialisierung darauf angewiesen sind, in Netzwerken zusammenzuarbeiten. Das zeigen auch die Befragungen. Somit sichern sie über ihr Unternehmen hinaus Wertschöpfung in Deutschland. Die Zerlegung von Wertschöpfungsketten durch den Aufbau von Produktion im Ausland ist in fast allen Fällen ein Erfolg. Neun von zehn der betrachteten Unternehmen erwirtschaften Gewinne mit ihrer Auslandsproduktion – ein vergleichsweise hoher Wert. 4. Die Gegenwart: MINT-Fachkräfteengpass Human- und Sachkapital wirken komplementär zusammen (Romer, 1990; Aghion/Howitt, 1998). Technologischer Fortschritt und Wirtschaftswachstum resultieren vor allem im industriellen Sektor erst durch das Zusammenspiel von technologischen Produktionsmöglichkeiten und hoch qualifizierten Mitarbeitern.
92
Besonders im Bereich wissensintensiver Arbeiten können Mitarbeiter nicht beliebig substituiert werden, denn hier kommt es auf die spezifischen Qualifikationen an. Somit ist das in einer Volkswirtschaft vorhandene Humankapital nicht als ein homogener Produktionsfaktor zu interpretieren. Ohne spezifisch und hoch qualifizierte Mitarbeiter kann keine adäquate hochtechnologische Wertschöpfung erfolgen. So konnte z. B. für das Verarbeitende Gewerbe Frankreichs gezeigt werden, dass die zusätzliche Beschäftigung eines Ingenieurs einen mehr als doppelt so hohen Wertschöpfungsbeitrag leistet wie die Beschäftigung eines Nichtingenieurs (Crépon et al., 1998). Weiter gefasst lässt sich sagen: Akademiker sind in der Tat im Durchschnitt produktiver als Nichtakademiker. Ein Indiz dafür sind die von ihnen erzielten Bruttoentgelte. So erzielten in Deutschland im Jahr 2005 Erwerbstätige mit einem Hochschulabschluss ein um 64 % höheres Einkommen als Erwerbstätige mit einer Berufsausbildung (OECD, 2007). Die Nachfrage nach technisch hoch qualifizierten Beschäftigten ist aufgrund der oben skizzierten Notwendigkeit, in einer globalisierten Wirtschaft auf nationaler Ebene technischen Fortschritt zu realisieren, in allen industrialisierten Volkswirtschaften drastisch gestiegen (Siegel, 1999). Für eine auf Forschung ausgerichtete Unternehmenspolitik ist eine ausreichende Anzahl an Mathematikern, Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Technikern vonnöten. Fachhochschul- und Hochschulabsolventen sind nicht nur in der Regel produktiver als Nichtakademiker, sondern auch seltener von Arbeitslosigkeit betroffen, was die Erwerbstätigenquote tendenziell steigert. So waren in den westdeutschen Bundesländern (ohne Berlin) im Jahr 2005 bei einer Gesamtarbeitslosigkeit von 10,1 % lediglich 3,5 % der Akademiker arbeitslos. In Ostdeutschland lag die durchschnittliche Arbeitslosigkeit bei 18,3 %, lediglich sechs Prozent der Akademiker waren arbeitslos. Die geringere Wahrscheinlichkeit der Akademiker, arbeitslos zu werden, hat sich auch über einen längeren Zeitraum in Westdeutschland als stabil erwiesen (Reinberg/Hummel, 2007, 30). So waren Akademiker die einzige Qualifikationsgruppe, die von 1991 bis 2004 in ihrer Beschäftigungszahl stieg (Allmendinger/Schreyer, 2005: 32). Vor allem die infolge des technischen Fortschritts gestiegenen Qualifikationsanforderungen erklären den Anstieg der Akademikerbeschäftigung (Seyda, 2004). 4.1 Entwicklungen auf dem deutschen Ingenieurarbeitsmarkt Im Jahr 2007 waren in Deutschland 654.358 Ingenieure sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Arbeitslosigkeit unter Ingenieuren ist in den letzten Jahren deutlich gesunken. Waren im Januar 2005 noch ca. 63.000 Ingenieure arbeitslos gemeldet, so ist deren Anzahl im April 2008 auf 22.880 gesunken (vgl. Abb. 9). Gleichzeitig hat
93
sich das gesamte Angebot an offenen Ingenieursstellen rapide nach oben entwickelt, von ca. 54.000 freien Stellen Anfang 2005 bis auf 95.000 freie Stellen im Jahr 2008.3 Abbildung 9:
Entwicklung des Ingenieurarbeitsmarkts seit dem Jahr 2000
100.000 90.000 80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000
2009-07
2009-03
2008-11
2008-07
2008-03
2007-11
2007-07
2007-03
2006-11
2006-07
2006-03
2005-11
2005-07
2005-03
2004-11
2004-07
2004-03
2003-11
2002-11
2002-07
0
2003-07
10.000
2003-03
Gesamtwirtschaftliches Ingenieurstellenangebot Arbeitslos gemeldete Ingenieure
20.000
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit (2009) und IWZukunftspanel, 2009, 9. Welle, Januar 2009, Teildatensatz, Stichprobenumfang: 2.958 Unternehmen.
In Deutschland stand bereits im Jahr 2004 weniger als ein jüngerer Ingenieur im Alter von 25 bis 34 Jahren zur Verfügung, um einen dreißig Jahre älteren, mittelfristig aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Ingenieur im Alter von 55 bis 64 Jahren zu ersetzen (OECD, 2007, 44). Deutschland steht mit diesem Problem
3 Die der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten Stellen repräsentieren nur eine Teilmenge des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots, da die Rekrutierung von Hochqualifizierten eher über Anzeigen in Onlinestellenportalen, in überregionalen Zeitungen und über interne Kanäle erfolgt. Um eine präzise Aussage über das gesamtwirtschaftliche Stellenangebot im Ingenieurbereich zu ermöglichen, wurden im Februar und März 2008 im Rahmen des IW-Zukunftspanels knapp 2.700 Unternehmen in Deutschland nach ihrer Meldequote für die Berufsgruppe der Ingenieure befragt. Für die Schätzung der berufsspezifischen Meldequote wurden nur Stellenmeldungen an die BA von solchen Unternehmen berücksichtigt, die auch Ingenieure beschäftigen. Dies ist mit 1.300 knapp die Hälfte aller befragten Unternehmen. Ergebnis: Die durchschnittliche Meldequote offener Ingenieurstellen in der ungewichteten Stichprobe des IW-Zukunftspanels liegt bei 13,4 %. Insgesamt wird somit nur etwa jede siebte bis achte offene Ingenieurstelle der BA gemeldet.
94
nahezu allein da. In Ländern wie Schweden (mit einer Ersatzrate von 4,7), Italien (3,1), Frankreich (2,4) und dem Vereinigten Königreich (1,9), die wie Deutschland bereits vor 30 Jahren moderne, industrialisierte Volkswirtschaften waren und die sich daher besonders zum Vergleich eignen, sind die Ersatzraten deutlich günstiger (vgl. Abb. 10). Die Paradoxie ist offenkundig, denn wie oben gesehen hat die Industrie – und damit der Hauptarbeitgeber der Ingenieure – in diesen Staaten ein deutlich geringeres Gewicht als in Deutschland. Der deutschen Volkswirtschaft stehen somit derzeit Absolventen der besonders innovationsrelevanten Studienfächer nur sehr unterdurchschnittlich zur Verfügung. Skandinavische Staaten wie Finnland oder Schweden, die in den 1990er Jahren angesichts ihres stark wachsenden Bedarfs nach MINT-Absolventen vor ähnlichen Problemen standen, haben ihre Anstrengungen im nationalen Bildungssystem immens intensiviert. Lagen diese Länder in der Anzahl der Ingenieure pro 1.000 Beschäftigte zu Beginn der neunziger Jahre noch hinter Deutschland, so stehen finnischen Unternehmen nun mehr als dreimal so viele Ingenieure pro 1000 Beschäftigte zur Verfügung als ihren deutschen Konkurrenten. Abbildung 10: 5,0
Demografieersatzraten international: 25- bis 34-jährige pro 55- bis 64-jährige Ingenieure
4,7
4,5
4,3
4,0
4,2 3,5
3,5
3,1
3,0 2,4
2,5
2,3 2
2,0
1,9
1,9
1,8 1,4
1,5 1,0
0,9
0,8
D
DK NOR
0,8
0,5 0,0 S
POR IRL ESP
I
F
CAN BEL FIN UK
A
NL
Quelle: OECD, 2007, Education at a glance - Percentage of tertiary graduates (first-time graduation, tertiary-type 5A and 5B) to the population at the typical age of graduation, Paris.
Zumindest stand den deutschen Unternehmen bis zum Beginn des Jahres 2005 aufgrund einer Reserve in Form von Arbeit suchenden Ingenieuren noch ein
95
numerisch ausreichendes Fachkräftepotenzial zur Verfügung. Im Mai 2005 entstand erstmalig in diesem Betrachtungszeitraum eine Ingenieurlücke, die besagt, dass mehr Ingenieure den Unternehmen fehlten, als es arbeitslose Ingenieure gab. Diese Lücke wuchs im Jahresverlauf und betrug im Jahresdurchschnitt 2005 etwa 7.800 Stellen. Im Durchschnitt des Jahres 2007 war sie bereits auf etwa 69.600 Stellen angewachsen. Ausländische Unternehmen bescheinigen deutschen Ingenieuren sowohl die höchste Ausbildungsqualität als auch die schlechteste Absolventenverfügbarkeit aller Berufsgruppen (BCG, 2007). Sollte sich die Nachfrage nach Ingenieuren aufgrund konjunktureller Schübe oder eines Strukturwandels hin zu höherwertigen Tätigkeiten erhöhen, würde dieser Mangel noch verschärft. Ein derartiger Strukturwandel ist seit vielen Jahren beobachtbar, denn die Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitskräften steigt seit vielen Jahren kontinuierlich an (Allmendinger/Schreyer, 2005). So ist die Erwerbstätigkeit von Personen mit Hochschulabschluss im Zeitraum 1991 bis 2004 um 43 % angewachsen. Die Ingenieurlücke ist also Realität, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Produktionskapazitäten. Internationale Studien zum Innovationsgeschehen kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Knappheit dieses spezifischen Humankapitals in Deutschland den technologischen Fortschritt und das Wirtschaftswachstum limitiert (Hülskamp/Koppel, 2005; Europäische Kommission, 2006). Infolge von entgangenen Aufträgen und Verzögerungen im Bereich von Entwicklung und Produktion entstand z. B. im Jahre 2006 den Unternehmen ein Wertschöpfungsverlust in Höhe von mindestens 3,48 Milliarden Euro (Koppel, 2007). Er verteilt sich dabei in etwa hälftig auf die ingenieurnahen Industrie- und die wissensintensiven Dienstleistungsbranchen. Tatsächlich dürfte der Wertschöpfungsverlust noch höher ausfallen. So sind bei der obigen Schätzung lediglich Erstrundeneffekte des Mangels berücksichtigt. Gesamtwirtschaftlich betrachtet hat der Ingenieurmangel hingegen auch Konsequenzen für die Wertschöpfung in anderen Wirtschaftsbereichen. Die steigende Nachfrage nach Ingenieuren auf der einen Seite und das zunehmend knappe Ingenieurangebot auf der anderen führen wenig überraschend auch zu steigenden Löhnen von Ingenieuren, insbesondere auch im Vergleich zu anderen Berufsgruppen. Laut einer Stichprobe des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) lag das Bruttojahresgehalt eines in Vollzeit erwerbstätigen Ingenieurs im Jahr 2006 um 26 % höher als das vergleichbare Durchschnittsgehalt eines vollzeiterwerbstätigen Akademikers in anderen Berufsgruppen. Zehn Jahre zuvor betrug das entsprechende Lohndifferential lediglich 3,6 %. Jedes fünfte Unternehmen reagierte auf die Fachkräfteengpässe in den betroffenen Qualifikationsgruppen mit Gehaltssteigerungen von zehn Prozent und mehr (ifo, 2007).
96
4.2 Mangel an MINT-Studierenden Die Situation wird sich in den kommenden Jahren nicht entspannen, im Gegenteil: Die Lücke bei den MINT-Berufen wird weiter wachsen. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln werden im Jahr 2020 ca. 88.000 Absolventen der MINT-Studiengänge die Universitäten erfolgreich verlassen. Der Gesamtbedarf der deutschen Unternehmen wird demgegenüber bei ca. 113.000 MINT-Absolventen liegen. Damit wird die die Lücke zwischen benötigten und vorhandenen MINT-Absolventen in Deutschland 25.000 Personen betragen (Koppel/Plünnecke, 2009). Andere Studien stützen dieses Ergebnis. So stellt die Europäische Kommission (2006) einen Mangel an Nachwuchsakademikern besonders im Bereich naturwissenschaftlich-technischer Qualifikationen in Deutschland fest (vgl. Abb. 11). In internationalen Vergleichen der MINT-Studiengänge findet sich Deutschland regelmäßig in der Schlussgruppe der Industrienationen wieder (OECD, 2006). Abbildung 11:
Zahl der Hochschulabsolventen in mathematischen, ingenieur- und naturwissenschaftlichen sowie technischen Fächern, je 1.000 Einwohner im Alter von 20 bis 29 Jahren
Irland Frankreich VK Finnland Dänemark Japan USA Deutschland Italien 0
5
10
15
2000
20
25
30
2005
Quelle: Eurostat.
97
Betrachtet man spezifisch die Lage bei den Ingenieuren, so ist auch hier Skepsis angebracht. Bis zum Jahr 2010 werden jährlich etwa 37.000 Ingenieure pensioniert, ab 2015 sind es sogar 43.000 Ingenieure pro Jahr (Bonin et al., 2007, 197). Da in Deutschland jährlich nur knapp 40.000 Studenten ihr ingenieurwissenschaftliches Studium beenden, können die Unternehmen zurzeit noch ihren demografiebedingten Bedarf nach Ingenieuren decken; in wenigen Jahren wird ihnen dies hingegen nicht mehr gelingen. Woran liegt es, dass das in Deutschland ehemals solide Fundament technischer Fachkräfte bröckelt? Generell ist die Studierneigung in Deutschland geringer als in vielen anderen Staaten; so schließt nur etwa jeder Fünfte eines Altersjahrgangs überhaupt ein Hochschulstudium ab. Zwar stieg die Anzahl aller Hochschulabsolventen von 214.000 im Jahr 1995 auf 254.000 im Jahr 2006, doch nur etwa drei Prozent eines Altersjahrgangs erlangen einen Abschluss in einer ingenieurwissenschaftlichen Studienrichtung. Zu allem Übel sinkt die Attraktivität der Ingenieurwissenschaften offenbar in den Augen der Studienanfänger. So ist der Anteil ingenieurwissenschaftlicher Absolventen an allen Absolventen eines Jahrgangs von 1995 bis 2008 23,6 auf 15,4 % gesunken (Statistisches Bundesamt, 2008). Dies ist auch deshalb zu bedauern, weil die Ingenieurwissenschaften ihren Absolventen eine hohe Arbeitsmarktflexibilität vermitteln, die im fortschreitenden Strukturwandel hilfreich ist. So sind beispielsweise von den insgesamt 1,36 Millionen erwerbstätigen Akademikern mit einem ingenieurwissenschaftlichen Abschluss lediglich 801.000 im Beruf des Ingenieurs beschäftigt. Ein zweiter Schwerpunkt der als Ingenieure ausgebildeten Akademiker sind Berufe in der Unternehmensleitung, -beratung und -prüfung (Anger/Konegen-Grenier, 2008). Der Verschiebung zugunsten von Studienfächern der Rechts-, Wirtschafts- und Sozial-, Sprach- und Kulturwissenschaften ist ein anhaltend geringes Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern in der Oberstufe sowie ein sinkendes Interesse am Besuch technisch orientierter beruflicher Schulen vorgelagert (Heine et al., 2006). Dies findet seinen Ursprung unter anderem in dem geringen Angebot an Technikunterricht an den allgemein bildenden Schulen. Zudem leiden die Ingenieurwissenschaften weiterhin am Desinteresse weiblicher Studenten. In der Elektrotechnik erfolgt nicht einmal jede zehnte Einschreibung durch eine Frau, in der Informatik jede fünfte und im Bauingenieurwesen immerhin etwa jede vierte. Von den 38.135 Studenten, die im Jahr 2005 ein ingenieurwissenschaftliches Studium abschlossen, waren knapp 22 % Frauen (Statistisches Bundesamt, 2006b). Ein großer Teil des Ingenieur-Beschäftigungspotenzials droht somit brachzuliegen.
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5. Was zu tun ist: Strategien gegen die MINT-Absolventenlücke Die betroffenen Unternehmen sind sich der prekären Situation bewusst und ergreifen daher selbst die Initiative, um Abhilfe beim drohenden Fachkräfteschwund zu schaffen. Zwei Drittel aller befragten Ingenieurunternehmen in Deutschland investieren gezielt in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Vier von zehn Unternehmen stellen aktuell ältere Ingenieure ein. Und zahlreiche Unternehmen fördern durch Stiftungsprofessuren, Stipendien etc. die akademische Ausbildung von Ingenieuren. Diese Initiativen reichen jedoch aller Voraussicht nach nicht aus, um die Lücke auch nur annähernd schließen zu können. 5.1 Gezielte Immigration Mit der gezielten Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland kann Humankapital importiert werden, das im heimischen Arbeitskräftepotenzial nicht zur Verfügung steht. Die Zuwanderung müsste zu diesem Zweck anhand arbeitsmarktrelevanter Merkmale gesteuert werden. Den Vorzug erhalten somit Zuwanderer, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit und weitgehend ohne aufwendige Maßnahmen in den Arbeitsmarkt integrieren lassen, in diesem Fall also jüngere, qualifizierte Arbeitnehmer aus dem MINT-Bereich. Als Auswahlindikator könnte eine zeitnah erhobene, qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote dienen (Klös, 2001; Zimmermann et al., 2002). Es wird – wie in Kapitel 2 bereits angedeutet – jedoch nicht möglich sein, die Erwerbstätigenzahl insgesamt durch Nettozuwanderungsströme konstant zu halten. Selbst bei einer Nettozuwanderung von 300.000 Personen pro Jahr würde die Anzahl der erwerbsfähigen Personen in Deutschland ab 2010 sinken (vgl. Abb. 12). Eine derart massive Zuwanderung – im Vergleich: seit 2004 liegt die Nettozuwanderung nach Deutschland stets bei unter 100.000 Personen pro Jahr – ist kaum zu erzielen würde zudem die Gefahr von Integrationsproblemen in sich bergen. Höhere Zuwanderung kann also höchstens einen Teil zur langfristigen, generellen Steigerung der Erwerbstätigenquote beitragen. Daher müssen andere Lösungen gesucht werden.
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Abbildung 12:
Entwicklung der Zahl der Erwerbsfähigen bis 2050, in Mio.
50 plus 400.000 Personen pro Jahr
45
plus 300.000 Personen pro Jahr
40
plus 200.000 Personen pro Jahr
35
plus 100.000 Personen pro Jahr 30 keine Migration 25 Konstante Arbeitsmarktpartizipation, keine Migration
20 1990
2000
2004
2010
2020
2030
2040
2050
Quelle: Fuchs/Dörfler, 2005, IAB-Kurzbericht 11/2005 - Projektion des Arbeitsangebots bis 2050 Demografische Effekte sind nicht mehr zu bremsen.
5.2 Stärkung der Erwerbsbeteiligung Ein weniger spezifischer Ansatzpunkt, der sich nicht allein auf den MINT-Bereich auswirkt, ist die Stärkung der Erwerbsbeteiligung, die in Deutschland nur durchschnittlich ausfällt. Etwa 72 % der Personen im erwerbsfähigen Alter wollen einer Beschäftigung nachgehen oder sind bereits beschäftigt. Dagegen sind es in den Niederlanden 76 %, in den USA 77 % und in Dänemark sogar 79 %. Würde sich die Erwerbsneigung in Deutschland auf das Niveau der Niederlande erhöhen, wäre dies gleichbedeutend mit einer Ausweitung des Arbeitsangebots um 1,7 Millionen Personen. So könnte beispielsweise die Erwerbsbeteiligung von Frauen gesteigert werden. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen im Haupterwerbsalter ist in Deutschland um rund 15 Prozentpunkte niedriger als die von Männern. Mithin können Frauen durch eine erhöhte Erwerbsneigung zur Milderung des Arbeitsangebotsrückgangs beitragen. Die Frauenerwerbsbeteiligung hängt von einer Reihe von Faktoren ab, unter anderem von Alter und Anzahl der Kinder, den Möglichkeiten flexibler Arbeitszeiten, der Ausgestaltung der betrieblichen Familienpolitik, den Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie von Höhe und Bezugsdauer der Transferleistungen für die Kindererziehung (Gray/McDonald, 2002: 13 f.). Ansatzpunkte zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Müttern bieten sich daher bei der Ausgestaltung der
100
Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um zu verhindern, dass eine steigende Frauenerwerbstätigkeit zu einem weiteren Absinken der Geburtenrate führt (Seyda, 2003). Auch Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen und ihre Erwerbsbeteiligung ist vergleichsweise niedrig. Die Grenzproduktivität unterer Leistungsklassen liegt unter den Tariflöhnen, zudem sind auch die Anspruchslöhne aufgrund des Niveaus der sozialen Sicherung vermutlich höher als die aufgrund der Arbeitsproduktivität erzielbaren Marktlöhne (Boss, 2002). Hier sind Reformen notwendig, die den Einstieg in Arbeit erleichtern. Theoretisch ist es möglich, selbst bei sinkender Anzahl der Arbeitnehmer das Arbeitsvolumen konstant zu halten, wenn die Arbeitszeit entsprechend verlängert würde. Die gesamtwirtschaftliche tatsächliche Jahresarbeitszeit hängt von der tariflich/vertraglich vereinbarten Arbeitszeit, den Urlaubs- und Feiertagen, Krankheitszeiten und von den Teilzeitquoten ab. Internationale Vergleiche zeigen, dass Deutschland allein bei der tariflichen Arbeitszeit ein erhebliches Potenzial zur Ausweitung des Arbeitsangebotsvolumens hat. Eine Ausweitung der tariflichen Arbeitszeit auf das Niveau in Großbritannien könnte das Arbeitsangebotsvolumen ceteris paribus um knapp neun Prozent steigern. Im Vergleich zu den USA besteht eine tarifliche Arbeitszeitlücke von über 22 %. 5.3 Erhöhung der Geburtenzahlen Ein zukunftsorientierter Ansatz liegt in einer Erhöhung der Geburtenzahlen. Durch sie könnte der Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials langfristig gemildert werden. In Deutschland zeichnet sich im Gegensatz zu anderen Industriestaaten eine Spaltung der Gesellschaft ab: Falls sich ein Paar für Kinder entscheidet, so hat es meist zwei Kinder; die Ein-Kind-Familie gibt es immer weniger. Andererseits steigt die Anzahl der Frauen, welche zeitlebens kinderlos bleiben. Etwa 30 % der heute 40-Jährigen werden keine Kinder haben, unter westdeutschen Akademikerinnen liegt diese Quote bei weltweit einmalig hohen 42 %. Interessanterweise liegt der Anteil der Nichtmütter an allen Frauen der Jahrgänge 1942 bis 1971 in Westdeutschland erheblich höher als der entsprechende Anteil in Ostdeutschland, das über eine erheblich bessere Betreuungsinfrastruktur verfügt: In Ostdeutschland besuchen 40 % der Einjährigen und 70 % der Zweijährigen eine Krippe oder werden von Tagesmüttern behütet. Dagegen sind es in Westdeutschland nur fünf Prozent der Einjährigen und 17 % der Zweijährigen. Offenbar sind diese Betreuungsmöglichkeiten wichtig bei der Entscheidung für oder gegen Nachwuchs. Mutterschaft ist für Frauen dann besonders unattraktiv, wenn sie nicht auf externe Kinderbetreuung zugreifen können und sich zwischen Familie und Beruf entscheiden müssen. Insbesondere Akademikerinnen sind wenig
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geneigt, ihr spezifisches Humankapital aufgrund eines Kindes nicht im Beruf ausschöpfen zu können. Stehen hingegen Betreuungseinrichtungen zur Verfügung, sind Erwerbstätigkeit und Elternschaft besser vereinbar. Dies untermauern Zahlen der OECD (OECD, 2007). Die skandinavischen Länder und Frankreich, deren Betreuungssystem für Kleinkinder gut ausgebaut ist, haben nicht nur mehr erwerbstätige Mütter, die Frauen in diesen Staaten bekommen auch mehr Kinder als hierzulande: Nur 36 % der deutschen Mütter mit Kindern unter zwei Jahren waren im Jahr 2007 erwerbstätig, in Dänemark und Schweden hingegen über 70 %. Zudem hält die Berufstätigkeit viele Skandinavierinnen nicht davon ab, mehrmals Mutter zu werden: Däninnen und Schwedinnen hatten im Jahr 2006 im Schnitt 1,8 Kinder; die deutschen Frauen kamen demgegenüber nur auf 1,3 Kinder pro Frau (vgl. Abb. 13). Der geplante, weitere Ausbau der Betreuungsinfrastruktur scheint daher ein Schritt in die richtige Richtung. Mit ihm verbindet sich die Hoffnung auf eine doppelte Dividende in Form einer kurz- bis mittelfristigen Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Müttern sowie einer langfristig erhöhten Kinderzahl pro Frau. Gelänge es z. B., bis 2014 die Geburtenrate von 1,3 auf 1,7 Kinder pro Frau zu erhöhen, dann hätte Deutschland im Jahr 2050 etwa 77 Millionen. Einwohner und damit ca. sieben Millionen mehr als bei einer Beibehaltung der bisherigen Geburtenrate. Abbildung 13: Anteil erwerbstätiger Mütter mit weniger als zwei Kindern (in %) sowie die Total Fertility Rate (TFR) 80%
0,73
0,72
TFR
0,71
2,5
0,64 0,57
60%
0,55
0,54
0,54
0,54
0,52
0,50
2
40% 1,5 20%
1
0% NL
S
DK
BEL
F
ESP
D
Anteil erwerbstätiger Mütter mit Kindern <2 Jahre (2007)
USA
UK
FIN
ITA
Kinderzahl pro Frau (2005)
Quellen: OECD Babies and Bosses (Kinder pro Frau), OECD Family database LMF2 (Anteil erw. Mütter).
102
5.4 Bildung und Qualifizierung Auch durch eine verbesserte Ausbildung und Qualifizierung der Arbeitnehmer mit dem Ziel einer gesteigerten Arbeitsproduktivität könnte der Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials und der drohende Fachkräfteengpass langfristig gemildert werden. Dafür wäre erstens eine bessere Qualifizierung der Jugend erforderlich. Um den zukünftig steigenden Bedarf an hoch qualifizierten Arbeitskräften decken zu können, ist unter anderem eine Erhöhung der Studierneigung wünschenswert. Diese ist in Deutschland trotz zuletzt ansteigender Tendenz immer noch unterdurchschnittlich ausgeprägt (siehe Abb. 14) – auch wenn das hohe Niveau der Berufsausbildung hierzulande hilft, einen Teil dieser Akademikerschwäche zu kompensieren. Abbildung 14:
50 45
Anteil der Personen mit einem (Fach)Hochschulabschluss an den Personen im typischen Abschlussalter des jeweiligen Landes, in Prozent
%
40 35 30 25 20 15 10 5 0
2000
2005
Quelle: OECD, 2007, Education at a glance - Tabelle A 1.5, Paris.
Im Hinblick auf den drohenden Mangel an MINT-Arbeitskräften sollten der technisch-naturwissenschaftliche Unterricht an den allgemein bildenden Schulen gestärkt und so – wie z. B. in Schweden, Irland und Finnland – mehr Schüler an die Aufnahme eines ingenieurwissenschaftlichen Studiums herangeführt werden. Knapp acht von zehn Betrieben mit Fachkräfteengpässen befürworten eine intensivere und praxisnähere Berufs- und Studienorientierung in Schulen. Fast drei 103
Viertel der Unternehmen halten es für erforderlich, dass die Vorqualifikationen besser den Anforderungen einer Ausbildung und eines Studiums gerecht werden (Werner, 2008). Des Weiteren könnten im Hochschulbereich Stipendien für die Aufnahme eines ingenieurwissenschaftlichen Studiums vergeben und die Ausstattung ingenieurwissenschaftlicher Hochschuleinrichtungen verbessert werden. Gerade im Akademikersegment sind die Unternehmen auf die Hochschulen angewiesen, denn nur sie können diese Absolventen hervorbringen. Die Bundesländer müssten zu diesem Zweck ihre Anstrengungen in der Ingenieurausbildung verstärken, da sich die existierende Ingenieurlücke ohne eine substanzielle Steigerung der Absolventenjahrgangsstärken demografie- und strukturwandelbedingt noch zu verstärken droht. Zudem sind im Sinne des lebenslangen Lernens die Möglichkeiten für Arbeitnehmer auszubauen, auch während ihres Erwerbslebens neues Wissen zu erlangen. Der Zwang zur Innovation, dem die einheimischen Industrieproduzenten zwecks Wahrung ihrer Marktchancen nachgehen müssen, droht das Wissen der Arbeitnehmer veralten zu lassen und macht eine regelmäßige Überprüfung und Anpassung ihrer Fähigkeiten notwendig. Mehr als die Hälfte der Betriebe fordert eine Ausweitung des Angebots an Technikerschulen und von Meisterkursen im MINT-Bereich (Werner, 2008).
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Seniorität und Beschäftigungsmobilität - Warum Ältere seltener Job und Beruf wechseln Lutz Schneider
1. Einleitung Die wirtschaftlichen Implikationen des demografischen Wandels sind in der letzten Dekade zunehmend Thema ökonomischer Forschung geworden. Dabei stehen einerseits die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherungssysteme und öffentlichen Haushalte angesichts einer alternden Bevölkerung sowie die Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge im Zuge von Schrumpfungsphänomenen im Vordergrund der Betrachtung (Schmähl/Ulrich, 2001; Hamm et al., 2007), andererseits mehrt sich die Literatur zu Wachstums- und Arbeitsmarkteffekten des demografischen Wandels (Prskawetz et al., 2008; Kuhn/Ochsen, 2009). Die Mehrzahl dieser Untersuchungen beschäftigen sich mit dem Produktivitäts- bzw. Innovationspotenzial einer alternden Erwerbsbevölkerung (Skirbekk, 2004; Frosch, 2009), den Beschäftigungschancen Älterer (Chan/Stevens, 2001; Boockmann/Zwick, 2004; Bellmann/Brussig, 2008), dem Fachkräftemangel angesichts gering besetzter Kohorten im frühen Erwerbsalter (Henschel et al., 2008; Buscher et al., 2009) sowie dem Einfluss der Kohortengröße auf den Arbeitsmarkterfolg (Slack/Jensen, 2008). Ein Aspekt, der eher selten beleuchtet wird, betrifft den Zusammenhang von Alterung und Arbeitsmarktmobilität. Zwar finden sich nicht wenige empirische Untersuchungen, welche einen negativen Einfluss des Alters auf die – zumeist räumliche – Mobilität am Arbeitsmarkt belegen (Hunt, 2006; Arntz, 2009). Die Ursachen dieses Alterseffektes werden indes nicht in den Blick genommen. Die Vernachlässigung dieses Themas sollte aber nicht zu dem Trugschluss verleiten, dass die Mobilitätswirkungen der Alterung trivial oder wirtschaftpolitisch irrelevant seien. Die geringere Wechselneigung wäre nur dann kein Problem, wenn ältere Beschäftigte an ihrer Position deshalb festhielten, weil sie in anderen Jobs weniger produktiv wären. Wechselten sie hingegen auch dann nicht, wenn es für sie aufgrund von produktivitätsbedingten Lohnzuwächsen ökonomisch sinnvoll wäre, dann könnten sich aufgrund der Unwirksamkeit von Lohnsignalen Ineffizienzen am Arbeitsmarkt einstellen. In diesem Zusammenhang untersucht der vorliegende Beitrag die altersspezifischen Determinanten von betrieblicher und beruflicher Mobilität. Die Mobilität bezieht sich im Beitrag allein auf den Wechsel des
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Beschäftigungsverhältnisses von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Ein betrieblicher Wechsel liegt vor, wenn der Beschäftigte seinen alten Betrieb verlässt und unmittelbar eine neue Beschäftigung ohne Wechsel des Berufes aufnimmt. Wechselt er zusätzlich den Beruf, so wird er in der vorliegenden Analyse als beruflicher Wechsler klassifiziert. Die Untersuchung widmet sich insbesondere den Fragen, ob berufliche und betriebliche Mobilität erstens überhaupt einkommensorientiert erfolgt, ob ältere Beschäftigte zweitens qua Wechsel noch Lohnzuwächse realisieren können und ob drittens fehlende Lohnanreize den Mobilitätsrückstand Älterer vollständig erklären können. Mit der Beantwortung dieser Fragen wird auch sichtbar, ob und in welcher Weise die Alterung auf die Effizienz des Arbeitsmarktes wirkt. 2. Empirische Literatur Schaut man zunächst in die empirische Literatur, so zeigt sich mit Blick auf den Zusammenhang von Alter und betrieblicher Mobilität ein fast durchgängiges Muster. Demnach sind Ältere weniger mobil als Junge, was sich insbesondere in einer mit zunehmender Betriebszugehörigkeit sinkenden Wechselneigung manifestiert (Farber, 1999; Erlinghagen, 2004, 2006). Für die Beantwortung der differenzierteren Frage, wie Alter, Lohn und betriebliche Wechsel miteinander verbunden sind, ist auf zwei Stränge der ökonometrischen Arbeitsmarktforschung zu verweisen, die freilich nicht unabhängig voneinander sind. Der erste Strang thematisiert den Einfluss von betrieblicher Mobilität auf den Lohn. Die zweite Richtung untersucht, welche Wirkung die Betriebszugehörigkeitsdauer (Seniorität) auf die Lohnentwicklung ausübt. Die übergroße Mehrzahl der Studien bezieht sich dabei auf den US-Arbeitsmarkt. Ein generelles Ergebnis des ersten Stranges besagt, dass freiwillige Betriebswechsel in der Regel mit Einkommensgewinnen einhergehen, während unfreiwillige Wechsel – z. B. nach Entlassungen – häufig mit Lohnverzicht verbunden sind (Bartel/Borjas, 1981; Ruhm, 1987). In Übereinstimmung mit diesen Ergebnissen zeigen Blien und Rudolph (1989) sowie Weißhuhn und Büchel (1992) auch für den deutschen Arbeitsmarkt, dass ein Betriebswechsel dann mit Einkommensgewinnen einhergeht, wenn keine Nicht-Beschäftigungsphasen während des Wechsels vorliegen. Ferner zeigt sich, dass wechselbedingte Lohngewinne insbesondere in frühen Phasen der Erwerbsbiographie von Bedeutung sind. Topel und Ward (1992) schätzen für USDaten, dass ein Drittel des gesamten Lohnwachstums auf Jobwechsel zurückzuführen ist. In einer neueren Arbeit bestätigt Schönberg (2007) die Bedeutung der wechselbedingten Lohnzuwächse für den deutschen Arbeitsmarkt. Indes sind die Regressionen in der Analyse von Schönberg auf Personen im Alter von unter 37 Jahren beschränkt. Insofern ist es fraglich, ob Ältere im selben Umfang von
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Lohnzuwächsen qua Jobwechsel profitieren können. Die geringere Mobilität Älterer könnte aus dem Blickwinkel dieser Literatur darauf hinweisen, dass die Erträge eines betrieblichen Wechsels für die höheren Altersgruppen eher beschränkt sind. Eine Erklärung dafür könnte darin liegen, dass Ältere durch eine lange Betriebszugehörigkeit gekennzeichnet sind, welche ihrerseits mit hohen Löhnen einhergeht. Bei einem Wechsel würden diese Lohnvorteile dann unter Umständen eingebüßt, die tatsächlich stattfindenden Wechsel wären dann eher unfreiwilliger Natur. Über die Wahrscheinlichkeit einer solchen Argumentation gibt der zweite Strang der Literatur Auskunft. Dieser zweite Strang der empirischen Literatur geht auf Mincer (1974) zurück, welcher auf Grundlage individueller Lohnregressionen die returns to experience & seniority – also die Renditen von Arbeitsmarkterfahrung und betrieblicher Seniorität – zu identifizieren suchte. Die frühe empirische Literatur, welche OLS-Lohnregressionen auf Basis von Querschnittsdaten schätzte, verstand sich dabei als direkter Test der Humankapitaltheorie. Die Rendite der Arbeitsmarkterfahrung wurde als Rendite der Investition in produktivitätssteigerndes, generelles – also zwischen Firmen übertragbares – Humankapital angesehen, der Senioritätsparameter hingegen als Rückfluss der Investition in firmenspezifisches Humankapital, das die Produktivität des Beschäftigten nur innerhalb des Betriebes erhöht (Farber, 1999). In den klassischen Arbeiten für die Vereinigten Staaten bewegt sich der Einfluss beider Faktoren in ähnlicher Größenordnung, d. h. die returns to seniority entsprechen den returns to experience. Sie liegen in einer Dimension von zwei bis drei Prozent pro zusätzlichen Erfahrungsjahr (Cahuc/Zylberberg, 2004: 350). Derart substantielle Erträge aus der Länge der Betriebszugehörigkeit könnten erklären, warum Ältere, die in der Regel durch eine hohe Seniorität charakterisiert sind, lieber im Job verbleiben, als zu wechseln. Die Diskussion um die Validität der verwendeten empirischen Methode zeigte indes, dass die Schätzkoeffizienten für die Senioritätseffekte verzerrt sein dürften. Die Verzerrung folgt aus der mangelnden Berücksichtigung individueller Heterogenität und der Endogenität des Zusammenhanges von Lohn und Seniorität. Diesem Aspekt tragen die Arbeiten von Abraham und Farber (1987) sowie Altonji und Shakotko (1987) Rechnung. Im Ergebnis verringern sich die Senioritätseffekte erheblich, die Ergebnisse für die Rendite der Erfahrung bleiben jedoch bestehen. Topel (1991) ist indes der Ansicht, dass in diesen Ansätzen das Problem der Endogenität nicht ausreichend berücksichtigt sei. Insbesondere könnten freiwillige Jobwechsel und die damit verbundenen Lohnsteigerungen (between job wage growth) zu einer Unterschätzung der tatsächlichen returns to seniority führen, da Seniorität und Löhne durch dieses Selektionsproblem negativ korreliert wären. Wird dies in Rechnung gestellt und nur auf die NichtWechsler fokussiert, so zeigen sich wiederum deutlich höhere Effekte der Seniorität, welche in der Dimension der OLS-Ansätze liegen. Indes ist auch dieses Ergebnis nicht unumstritten, da das Resultat sehr annahmesensitiv ist, so dass neuere
109
Analysen eher für die Ergebnisse von Abraham und Farber (1987) sowie Altonji und Shakotko (1987) sprechen. Ausnahmen bilden die Arbeiten von Buchinsky et al. (2005) sowie Dustmann und Meghir (2005). Buchinsky et al. endogenisieren sowohl die Senioritäts- als auch die Erfahrungsdimension über eine Mobilitäts- und eine Partizipationsgleichung und erhalten substantielle Erfahrungs- und Senioritätseffekte für die USA. Dustmann und Meghir schätzen ein vergleichbares Modell für den Arbeitsmarkt junger Beschäftigter in Deutschland und bestätigen ebenfalls deutliche Senioritätseffekte, die allerdings ein stark konkaves Profil aufweisen, die Effekte also schnell abschwächen. Vor diesem Hintergrund scheint es ungeklärt, ob Ältere aufgrund bestehender Lohnvorteile im Betrieb – seien diese produktivitätsbedingt oder nicht – nicht wechseln oder ob andere Mechanismen für die geringere Mobilität verantwortlich sind. Zusammenfassend lassen sich aus der empirische Literatur zwei Schlüsse für die vorliegende Fragestellung ziehen. Erstens sollte deutlich geworden sein, dass Mobilitätsentscheidungen von der zu erwartenden Lohndifferenz zwischen dem bestehenden und dem alternativen Job abhängig sind und ein Gehaltssprung zu den zentralen Determinanten eines Jobwechsels zählt. Insofern muss jede Analyse, welche sich den Ursachen von Mobilität widmet, die erwarteten Lohneffekte eines Wechsels abbilden. In der Untersuchung wird dies dahingehend bewerkstelligt, dass die erwarteten zustandsspezifischen Löhne im Falle eines Wechsels oder aber eines Verbleibs für jedes Individuum auf der Basis der Koeffizienten von Lohnregressionen für die Gruppe der Wechsler und der Nicht-Wechsler berechnet werden. Hierbei ist zu berücksichtigen – und dies ist die zweite Erkenntnis aus der empirischen Literatur – dass die Zugehörigkeit zur Gruppe der Wechsler oder aber Nicht-Wechsler keine reine Zufallsauswahl ist. Insbesondere mit Blick auf die für die vorliegende Analyse zentrale Variable des Alters sind auf Basis der bisherigen Forschung starke Selektionseffekte zwischen beiden Gruppen zu vermuten. So erscheint es plausibel, dass unter den älteren Wechslern eher unfreiwillige Mobilität dominiert, die unter Umständen sogar mit Lohneinbußen einhergeht. Eine einfache Schätzung des Einflusses des Alters auf die Löhne von Wechslern würde dann zu einer Unterschätzung des qua Wechsel generierbaren Lohns für alle Älteren führen. Allerdings ist auch die umgekehrte Verzerrung denkbar. Demgemäß könnten die älteren Wechsler eine Positiv-Selektion darstellen, welche besonders hohe Erträge aus Mobilität generieren. In diesem Falle würde die Lohnerwartung für Ältere überschätzt, da die meisten älteren Nicht-Wechsler einen solch hohen Gehaltszuwachs nach einem Wechsel eben gerade nicht erwarten können. Vor diesem Hintergrund erfordert eine sachgemäße Analyse, dass dem Problem der Selektionsverzerrung Rechnung getragen wird. Dies geschieht im vorliegenden Fall dadurch, dass ein endogenous switching regression model geschätzt wird. Vor der Darstellung des ökonometrischen Modells müssen aber zunächst die theoretischen Konzepte
110
vorgestellt werden, welche den Einfluss des Alters auf wechselbedingte Lohndifferentiale und Jobmobilität thematisieren. 3. Mobilität und Alter – Theoretische Konzepte Das Mobilitätsverhalten von Wirtschaftssubjekten – im Besonderen für das im vorliegenden Kontext relevante Verhalten am Arbeitsmarkt – ist aus ökonomischer Sicht durch die Differenz von Erträgen und Kosten des Wechsels bestimmt. Demnach wird der Job gewechselt, wenn die Rendite des Wechsels positiv ist; es wird dorthin gewechselt, wo der resultierende Gewinn am größten ist. Formal lässt sich das Optimierungskalkül wie folgt darstellen:
max r Z
· § T s t ¨ ¦ G E s , Z E s ,U ¸ K Z ¹ ©s t
mit G d 1
(1)
Der auf den Wechselzeitpunkt t bezogene Barwert eines Wechsels r ergibt sich aus der diskontierten Differenz des Einkommens im Zielzustand Z und im Ursprungszustand U, abzüglich der durch den Wechsel anfallenden Kosten K. Diese Wechselkosten umfassen neben direkten Wechselkosten auch die Einkommensverluste während des Wechsels sowie nicht-monetäre Größen wie emotionale Bindungen oder soziale Netzwerke. Sie sind mit Z indiziert, da sich die Kosten des Wechsels je nach Zielzustand unterscheiden können. Die relevante Einkommensdifferenz betrifft dabei T-t Perioden, T steht also für den (erwarteten) Zeitpunkt der Beendigung des Zielzustandes Z, Ƥ symbolisiert den Diskontfaktor. Der Entscheidungsparameter besteht in der Wahl des Zielzustandes Z, der den höchsten Barwert verspricht. Ein Wechsel erfolgt immer dann, wenn ein Zielzustand identifiziert werden kann, für welchen r positiv ausfällt. Anhand von Gleichung (1) lassen sich Kanäle identifizieren, über welche das Alter Einfluss auf die Wechselentscheidung ausüben sollte und die mithin eine Altersselektivität von Mobilitätsentscheidungen bewirken. Dabei spielt das Einkommensdifferential EZEU eine zentrale Rolle, darüber hinaus ist aber auch die Altersspezifik der Wechselkosten KZ und des Diskontfaktors Ƥ zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Erträge eines Wechsels – also des Lohndifferentials EZ-EU von neuem und altem Job – ist zu vermuten, dass sich diese mit zunehmendem Alter verringern. Zur theoretischen Begründung lassen sich vier Konzepte der Arbeitsmarkttheorie anführen: spezifisches Humankapital, Matching, Job Search und anreizkompatible Kontrakte. Die Diskussion dieser Konzepte zeigt indes, dass nicht das Alter selbst, sondern damit hoch korrelierte Größen wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit (Seniorität) oder die Arbeitsmarkterfahrung für die eigentlichen Effekte verantwortlich sind. 111
a)
b)
c)
d)
Gemäß dem Konzept des spezifischen Humankapitals1 (Becker, 1964; Mincer, 1958, 1974) haben Ältere im Rahmen ihrer Erwerbsgeschichte innerhalb eines Betriebes einen erheblichen Bestand an spezifischem Humankapital akkumuliert, der zu einer Steigerung der Produktivität und der Entlohnung führt. Insofern dieses spezifische Humankapital nicht in einen anderen Betrieb übertragen werden kann, wird ein Wechsel mit Produktivitäts- und Einkommensverlusten verbunden sein, die Rendite eines potentiellen Wechsels sinkt. Matching-Modelle (Jovanovic, 1979a) gehen von der Tatsache aus, dass die Fähigkeiten eines Bewerbers und die Anforderungen eines Jobs ex ante nur unzureichend ermittelt werden können. Die der erwarteten Produktivität eines durchschnittlichen Arbeiters entsprechenden Löhne (Pooling-Löhne), welche zum Einstellungszeitpunkt gezahlt werden, werden mit zunehmender Information über die Qualität des Matches nach oben oder unten angepasst. Matches hoher Qualität erfahren demzufolge Lohnsteigerungen und haben Bestand, ungeeignete Arbeiter-Job-Kombinationen werden gelöst, da die Löhne ein Niveau erreichen, das selbst nach Abzug von Wechselkosten mit alternativen Angeboten nicht konkurrieren kann. Im Ergebnis ist der Lohn mit der Seniorität positiv korreliert, obwohl sich die tatsächliche (nicht die erwartete) Produktivität des Arbeiters im Job nicht erhöht, einzig die Informationen über die Matching-Qualität offenbarten sich sukzessive. Job-Search-Modelle (Jovanovic, 1979b) erklären die höhere Wechselwahrscheinlichkeit Jüngerer ebenfalls mit unzureichender Information. Diese bezieht sich aber im Gegensatz zum Matching-Ansatz auf die Verfügbarkeit alternativer Jobangebote und nicht auf die Passung zum aktuellen Job. Geeignete Stellen werden erst im Zeitverlauf und unter Suchanstrengungen bekannt. Vor diesem Hintergrund weisen Ältere allein dadurch eine geringere Mobilität auf, weil sie – aufgrund ihrer längeren Verweildauer am Arbeitsmarkt – bereits einen geeigneten und gut entlohnten Job gefunden haben sollten. Die Wahrscheinlichkeit, sich durch einen weiteren Wechsel zu verbessern, sinkt hingegen. Anders als im Matching-Modell ist nicht die Seniorität, sondern die Verweildauer im Arbeitsmarkt primärer Erklärungsfaktor der Lohnhöhe. Auch das Deferred-Payment-Modell des anreizkompatiblen Kontraktes von Lazear (1979, 1981) kann als Begründung des beschriebenen Alterseffekts herangezogen werden. Im Kontext von Arbeitsmärkten mit asymmetrischer Informationslage bieten die Arbeitgeber den Jüngeren einen anfänglich unter
1 Spezifisches Humankapital ist dadurch gekennzeichnet, dass es nur in einem spezifischen Kontext produktiv ist, in einem anderen hingegen wertlos wird. Betriebsspezifisches Humankapital ist in diesem Sinne nur innerhalb eines bestimmten Betriebs einsetzbar. Demgegenüber ist generelles Humankapital dadurch charakterisiert, dass es ohne Einschränkung auf einen bestimmten Kontext von ökonomischem Wert ist, z. B. nach dem Wechsel des Betriebs weiterhin nutzbar ist.
112
ihrer Produktivität liegenden Lohn an, um Shirking (Drückebergerei) zu unterbinden und den vereinbarten, aber nicht verifizierbaren Arbeitseinsatz abzurufen. Der Lohn steigert sich im Zeitverlauf und führt mit zunehmender Seniorität zu einer Entlohnung über dem Produktivitätsniveau, infolgedessen zu einer senioritätsorientierten Lohnstruktur. Die Konsequenz dieses anreizkompatiblen Lohnschemas ist ebenfalls eine über die Zeit sinkende Wechselneigung, da die bei Verbleib im Betrieb generierbaren Einkommenskomponenten anderswo nicht realisiert werden können. Was sagen die Modelle hinsichtlich der Unterscheidung von beruflicher und rein betrieblicher Mobilität aus? Der Ansatz der anreizkompatiblen Kontrakte sagt Lohneinbußen bei Mobilität unabhängig vom neuen Jobstatus voraus. Ähnliches gilt für die Matching- und Job-Search-Modelle. Man könnte indes argumentieren, dass Informationen über die Passung zum Job, aber auch über alternative Jobangebote spärlicher gesät sind, wenn nicht nur der Betrieb, sondern auch der Beruf gewechselt wird. Dadurch dürfte der Alternativlohn, aber auch die Kenntnis alternativer Jobangebote verringert werden. Es folgt, dass berufliche Wechsel seltener erfolgten und mit größeren Einkommenseinbußen verbunden wären. Die Theorie des spezifischen Humankapitals liefert ähnliche Voraussagen. Ein Wechsel des Berufs sollte höhere Produktivitätswirkungen zeigen als ein rein betrieblicher Wechsel. Dies dürfte sich auch in den Löhnen niederschlagen, selbst wenn die theoretische Zuordnung berufsspezifischen Kapitals im Modell nicht eindeutig ist: ob berufsbezogenes Wissen eher im Sinne des Sharing-Modells zu behandeln ist, d. h. Erträge und Kosten zwischen Betrieb und Beschäftigtem geteilt werden, oder ob es als generelles Humankapital produktivitätsäquivalent entlohnt wird. Das Alter wirkt indes nicht nur auf das Lohndifferential eines Wechsels, sondern ebenfalls auf die Mobilitätskosten K in Gleichung (1). Auch hier zeigt sich, dass sich Ältere höheren Kosten gegenübersehen. So profitieren Ältere in hohem Maße von Vorteilen, welche zwar nicht in die Entlohnung eingehen, bei einem Wechsel aber dennoch verloren gehen. Hierzu zählen die gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Regelungen zu Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch, Arbeitszeit, betrieblicher Altersvorsorge, Weiterbildung, Krankengeld etc., welche bei einem Wechsel des Arbeitsgebers unter Umständen wegfallen, da sie an die Seniorität geknüpft sind. Ferner haben ältere Erwerbstätige in der Regel höhere Kosten in den bestehenden Zustand bzw. in daran geknüpfte Verhältnisse versenkt, welche durch einen Wechsel also abgeschrieben werden müssen. Hierzu zählen etwa soziale Netzwerke im Betrieb, Reputation, im Falle von überregionalen Wechseln aber auch Aspekte der Privatsphäre (Familie, private Netzwerke, Wohnung, Grundstück etc.). Ein Unterschied zwischen Berufs- und reinen Betriebswechseln sollte hinsichtlich dieser Kostendimension allerdings kaum ins Gewicht fallen.
113
4. Hypothesen
Aus den geschilderten theoretischen Überlegungen zum altersspezifischen Entscheidungskalkül eines betrieblichen bzw. beruflichen Wechsels lassen sich folgende Hypothesen ableiten, welche in der Literatur bisher nur unzureichend getestet wurden: 1. Das erwartbare Lohndifferential eines potentiellen Jobwechsels sinkt mit zunehmendem Alter. 2. Mit zunehmendem Alter reduziert sich die betriebliche und berufliche Mobilität. 3. Auch nach Kontrolle des Lohneffekts ist der Einfluss des Alters auf die Wechselneigung negativ. 4. Die Effekte des Alters sind für die berufliche Mobilität stärker als für die rein betriebliche. Im Folgenden werden diese Hypothesen einer empirischen Prüfung unterzogen.
5. Methodisches Vorgehen & Datenbasis
5.1 Ökonometrisches Modell Um die Hypothesen in einem einheitlichen Rahmen beantworten zu können, wird im Folgenden ein Mehrgleichungsmodell geschätzt, das in der empirischen Literatur als endogenous switching regression model bekannt ist und in der vorliegenden Form zu wesentlichen Teilen der Arbeit von Mertens (1998) entlehnt ist.2 Ausgangspunkt dieses Modells ist Gleichung (1), freilich in einer vereinfachten statischen Form. Demnach ist die Mobilitätsentscheidung durch die Differenz aus der Einkommenskomponente und den Wechselkosten bestimmt: r
( E Z EU ) K
(2)
Ein Wechsel erfolgt dann, wenn r größer als Null ist. Beobachtbar ist letztlich die Mobilitätsentscheidung, der direkte Ertrag des Wechsels r lässt sich hingegen nur sehr ungenau bestimmen. Daher wird im Folgenden ein Probit-Ansatz gewählt, mit
2 Das Modell wird angewendet, wenn Individuen durch zwei alternative Regimes (z. B. Wanderung vs. Nicht-Wanderung) beschrieben werden können und die Wahl des Regimes selbst abhängig ist vom erwarteten Zustand (z. B. des Einkommens) des Individuums im gewählten und im nicht gewählten Regime. Für eine Beschreibung sowie eine Darstellung einiger klassischer Anwendungen siehe Maddala (1983).
114
anderen Worten wird die Größe r als 0/1-Variable R modelliert, welche auf die Einkommensdifferenz und die Wechselkosten regressiert wird. Die abhängige Variable R nimmt den Wert 1 an, wenn ein Wechsel erfolgt, ein Wert von 0 bedeutet Nicht-Wechsel. Ri
a( EZ , i EU , i ) bK i H i
mit
Ri
1, falls ri ! 0
mit
Ri
0, falls ri d 0
(3)
Zwei grundsätzliche Probleme stellen sich bei der Operationalisierung des ProbitModells. Erstens sind die Kosten des Wechsels nicht genau bestimmbar. Hier muss auf Größen zurückgegriffen werden, von welchen eine hohe Korrelation mit den Wechselkosten erwartet werden kann. Zur Approximation der Wechselkosten wird in Anlehnung an die Literatur auf das Alter, die Seniorität, die Berufs- und Arbeitsmarkterfahrung, die Humankapitalausstattung, die Stellung im Beruf, das Geschlecht und die Nationalität zurückgegriffen (Raabe, 2007; Mertens, 1998). Außerdem wird die Anzahl der vorherigen Betriebswechsel einbezogen, um den Effekt von Personen zu kontrollieren, welche besonders risiko- und damit wechselfreudig sind. Ferner wird die Arbeitslosigkeitserfahrung berücksichtigt, um die Wirkung von Beschäftigten mit hohem Arbeitsplatzrisiko zu isolieren. Des Weiteren werden Dummies für die Ländlichkeit der Ursprungsregion einbezogen, um zu prüfen, wie die Arbeitsplatzdichte und somit potentielle Suchkosten das Wechselverhalten beeinflussen. Ein zweites Problem wiegt freilich schwerer. Denn nicht nur die Kosten, sondern auch die Einkommenskomponente des Wechsels sind nicht vollständig beobachtbar: das Einkommen der Nicht-Wechsler ist nur für den Ursprungszustand gegeben, nicht aber für den potentiellen Zielzustand, umgekehrt ist der Lohn der Wechsler nicht gegeben, welcher im Falle eines Verbleibs gezahlt worden wäre. Zur Behebung dieses Defizits wird ein zweistufiges Verfahren gewählt. Im ersten Schritt wird der (logarithmierte) Lohn log EZ bzw. log EU, welcher im Falle eines Wechsels bzw. Verbleibs zu erwarten ist, für die gesamte Stichprobe auf Basis einer OLSLohnregression des Einkommens der Wechsler bzw. Nicht-Wechsler berechnet:3
log EZ , i
c*i v i
log EU , i
d/ i Q i
für i R i für i R i
1 0
(4a) (4b)
3 Im konkreten Vorgehen werden die Lohnregressionen nicht mittels OLS, sondern als TobitRegressionen durchgeführt, da die Lohnvariable im herangezogenen Datensatz rechtszensiert ist, d. h. Löhnen über der Beitragsbemessungsgrenze ein einheitlicher Wert zugewiesen ist.
115
Demnach werden die (logarithmierten) zustandsspezifischen Einkommen log EZ und log EU in Anlehnung an das Vorgehen von Mincer (1974) auf geeignete individuelle Merkmale Ƅ bzw. ƌ regressiert. Diese beinhalten Lebensalter, Arbeitsmarkterfahrung und deren Quadrat, Berufserfahrung und deren Quadrat, Ausbildung, Stellung im Beruf, Berufsgruppe, Geschlecht, Nationalität, Branchenund Landeszugehörigkeit.4 Daneben werden in den Regressionen für die NichtWechsler die Seniorität und deren Quadrat einbezogen. Dies ist für die Regression der Wechsler nicht sinnvoll, da sie definitionsgemäß ihre Seniorität qua Wechsel verlieren. Im Falle beruflicher Mobilität werden bei den Wechslern auch die Berufserfahrung und deren Quadrat vernachlässigt, da diese ebenfalls qua Wechsel auf null zurückfällt. Die in (4a) bzw. (4b) geschätzten Koeffizienten c und d werden im nächsten Schritt benutzt, um das potentielle Wechsel-Einkommen der NichtWechsler bzw. das Verbleibseinkommen der Wechsler zu berechnen. Dieses für jedes Individuum geschätzte Einkommen nach einem potentiellen Wechsel bzw. Verbleib logÊZ und logÊU wird dann auf der nächsten Stufe zur Berechnung der Einkommenskomponente logEZ-logEU herangezogen. Insofern lässt sich die Gleichung (3) in strikter Schreibweise wie folgt darstellen: Ri
a (log Eˆ Z , i log Eˆ U , i ) bK i H i
(5)
Kompliziert wird dieses Vorgehen durch die Möglichkeit einer Selektionsverzerrung in den Lohnregressionen (4a) bzw. (4b). Da die Schätzungen getrennt auf Basis der Stichprobe der Wechsler oder aber der Nicht-Wechsler erfolgen, diese aber gleichzeitig durch verschiedene unbeobachtbare Merkmale ausgezeichnet sein dürften, muss eine Selektionskorrektur erfolgen. Diese verlangt aber bereits eine Kenntnis der Determinanten des Wechsels, welche durch das Probit-Modell erst bestimmt werden können. Um der Simultanität dieses Problems gerecht zu werden, wird zunächst eine Reduzierte-Form-Schätzung des Wechselverhaltens durchgeführt, welche alle exogenen Variablen Z der Lohn- und der eigentlichen Wechselschätzung enthält. Ri
JZ i Ii
(6)
Aus dieser Gleichung lässt sich gemäß des Heckman-Verfahrens ein Selektionsterm (Mills ratio) jeweils für Wechsler und Nicht-Wechsler berechnen, welcher zur Korrektur der Lohnregression als exogene Variable in die Schätzgleichungen (4a) und (4b) einbezogen wird (Maddala 1983). Die mittels der Koeffizienten dieser
4 Zur genauen Operationalisierung der Variablen vgl. Abschnitt 5.2.
116
korrigierten Gleichung berechneten Schätzwerte für ÊZ und ÊU werden dann wie beschrieben in die strukturelle Probit-Gleichung (5) eingesetzt. Spätestens hier stellt sich die Frage nach der Identifikation der einzelnen Gleichungen. Mit anderen Worten muss sich der Vektor der exogenen Variablen der Strukturellen-Wechsel-Gleichung (5) hinreichend von den Vektoren Ƅ bzw. ƌ der Lohngleichungen (4a, b) unterscheiden, um sicherzustellen, dass wirklich der intendierte Zusammenhang geschätzt wird. In den realisierten Schätzungen werden die quadrierten Terme von Arbeitsmarkterfahrung, Berufserfahrung und Seniorität nur in der Lohngleichung verwendet, da ein nicht linearer Einfluss dieser Variable im Mincer-Kontext typischerweise für das (logarithmierte) Einkommen Gültigkeit besitzt. Ferner wird die Bundeslandzugehörigkeit nur in der Lohnschätzung verwendet, insbesondere, um dem Ost-West-Lohnabstand Rechnung zu tragen. Vice versa werden die Ländlichkeitsvariable (differenzierter Regionstyp in der Raumabgrenzung des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung), die Wechselneigung sowie die Arbeitslosigkeitserfahrung nur in der strukturellen Form des Probitmodells verwendet, da diese Größen wenig Einfluss auf den Lohn haben dürften, die Mobilität, wie bereits herausgestellt, aber dennoch beeinflussen sollten. Damit unterscheiden sich die Vektoren der exogenen Variablen hinreichend, um eine Identifizierbarkeit der Gleichungen zu garantieren. 5.2 Datenbasis und Operationalisierung Als Datenbasis fungiert der Regionaldatensatz der IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2004 (IABS-R04).5 Das Regionalfile stellt eine repräsentative Zwei-ProzentStichprobe der Beschäftigungs- und Leistungs-Historik der Bundesagentur für Arbeit dar und umfasst Daten zu über 1,3 Mio. Personen. Für jeden in der Stichprobe enthaltenen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten oder Empfänger von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit liegen tagesgenaue Angaben zu sämtlichen Beschäftigungs- und Leistungsempfangsphasen (sogenannten Spells) vor. Jeder Spell beinhaltet Informationen zu Geburtsjahr, Geschlecht, Nationalität, Entgelt, Ausbildung, Stellung im Beruf, Betriebszugehörigkeit, Region, Wirtschaftszweig und Beruf, wobei 130 Berufe unterschieden werden. Da sich die Angaben für Ostdeutsche nur bis 1992 zurückverfolgen lassen, werden die Personen aus der Stichprobe ausgesondert, welche zum 01.01.1992 ihren ersten Spell verzeichnen und zu diesem Zeitpunkt in Ostdeutschland registriert waren. Ferner beschränkt sich die Analyse aus Gründen der Homogenität auf Vollzeitbeschäftigte im privaten Sektor. Im Sinne der nachfolgenden Untersuchung wird als rein betrieblicher Wechsel
5 Vgl. zur Beschreibung des Datensatzes Drews et al. (2006).
117
bezeichnet, wenn eine Person nach dem Ende einer Beschäftigung in Betrieb A unmittelbar eine Beschäftigung in Betrieb B aufnimmt, ohne den Beruf zu wechseln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Definition des Betriebsbegriffs im Datensatz ein Betriebswechsel auch zu einem anderen Betrieb desselben Unternehmens erfolgen kann. Diese Form von Mobilität zwischen Betrieben desselben Unternehmens lässt sich im Datensatz allerdings nicht identifizieren. Wird zusätzlich zum Betrieb noch der Beruf gewechselt, so handelt es sich um die zweite untersuchte Wechselkategorie des beruflichen Wechsels. Bei der Analyse der beruflichen Mobilität werden die rein betrieblichen Wechsler aus der Stichprobe ausgeschlossen, andernfalls müssten sie als Nicht-Wechsler behandelt werden, was sachlich schwer zu rechtfertigen ist und den Vergleich beider Wechselkategorien überdies erschwerte. Da die Untersuchung auf die freiwillige Mobilität von Beschäftigten abhebt, werden Wechsel ausgeschlossen, welche zwischen den Beschäftigungsphasen Arbeitslosigkeit oder eine längere Zeit der NichtBeschäftigung (über einem Monat) aufweisen. Die untersuchten Wechsel beziehen sich auf das letzte verfügbare Jahr 2004, die Untersuchung stellt mithin eine Querschnittsschätzung dar. Tabelle 1 stellt die Operationalisierung der verwendeten Variablen dar. Der Zeitpunkt, auf den sich die exogenen Variablen beziehen, hängt vom Status der beobachteten Individuen ab. Für die Nicht-Wechsler werden die Angaben des letzten Spells vor der Wechselperiode 2004 verwendet, die akkumulierten Variablen zum Erfahrungsbestand und zur Wechselneigung beziehen sich auf die gesamte Spell-Historie vor der Wechselperiode. Das Vorgehen für die Wechsler unterscheidet sich hier insofern, als sich die Variablen auf den letzten Spell vor dem tatsächlichen Wechsel beziehen.
118
Tabelle 1:
Variablendefinition
Name Lohn Betriebswechsel
Berufswechsel Alter Arbeitsmarkterfahrung Berufserfahrung Betriebserfahrung Wechselneigung Arbeitslosigkeitserfahrung Geschlecht
Definition und Messung Logarithmiertes Bruttotagesentgelt (in Euro, über Beitragsbemessungsgrenze zensiert) Wechsel des Betriebs im Jahr 2004 ohne Wechsel des Berufs (max. einen Monat wechselbedingte Unterbrechung der Beschäftigung) Wechsel des Betriebs im Jahr 2004 bei gleichzeitigem Berufswechsel (max. einen Monat wechselbedingte Unterbrechung der Beschäftigung) Zugehörigkeit zur Altersgruppe (15-24/25-34/35-44/45-54/über 54 Jahre) Akkumulierte Dauer bisheriger Beschäftigungsphasen (in Tagen/10.000)a Akkumulierte Dauer der Berufszugehörigkeit (in Tagen/10.000)a Akkumulierte Dauer der Betriebszugehörigkeit (in Tagen/10.000)a Anzahl vorheriger Wechsel des Betriebsa Akkumulierte Dauer der Nicht-Beschäftigungsphasen (in Tagen/10.000)a Geschlecht des Beschäftigten (Mann/Frau)
Skala metrisch 0/1
0/1 0/1 metrisch metrisch metrisch metrisch metrisch
Staatsangehörigkeit Staatsangehörigkeit (Deutsch/Ausländer/unbekannt) Höchster berufsqualifizierender Abschluss (ohne berufliche Bildung Bildung/mit beruflicher Bildung/ Hochschulabschluss/unbekannt) Stellung im Beruf (Nichtfacharbeiter/Facharbeiter/ Stellung im Beruf Angestellter/Meister) Obergruppe des ausgeübten Berufs (12 Berufsgruppen Berufsgruppe nach Blossfeld/Hamerle/Mayer (1986)) Wirtschaftszweig des Beschäftigers (WZ03 zu Wirtschaftszweig 18 Wirtschaftszweigen zusammengefasst) Typ der Beschäftigungsregion (7 Regionstypen, ländlicher Regionstyp Raum/…/Agglomerationsraum) Bundesland Bundesland des Beschäftigungsortes a
0/1 0/1 0/1 0/1 0/1 0/1 0/1 0/1
Angaben reichen bis 1975 zurück und betreffen nur sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
119
6. Ergebnisse
Hinsichtlich der Überprüfung von Hypothese (1) – also der altersbedingten Verringerung eines qua Jobwechsel generierbaren Lohnzuwachses – sind die selektionskorrigierten Lohngleichungen 4a und 4b heranzuziehen. Sie sind in Tabelle 2 dargestellt. Die sich aus den Schätzungen ergebenden altersspezifischen Lohndifferentiale eines Wechsels werden in der Abbildung 1 veranschaulicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Alterseffekt in der Abbildung nicht allein aufgrund des höheren Lebensalters zustande kommt, sondern insbesondere durch die beruflichen und betrieblichen Erfahrungsgrößen bedingt ist. Der vermutete negative Einfluss des Alters auf den durch einen Wechsel realisierbaren Lohnzuwachs wird in Abbildung 1 für die berufliche Mobilität deutlich sichtbar, für die rein betrieblichen Wechsel ist der Alterseffekt hingegen nur schwach ausgeprägt. Ursächlich für diesen Effekt dürften freilich die betriebliche und die berufliche Erfahrung sein. Diese wirken in Tabelle 2 in den Spalten (2) und (4) – also bei den Nicht-Wechslern – positiv auf die Löhne und erhöhen somit das potentielle Einkommen bei Verbleib, während es beim Wechsel abgeschrieben werden muss. Hier ist indes auf ein überraschendes Ergebnis hinzuweisen, das auch die moderaten Alterseffekte eines rein betrieblichen Wechsels erklären hilft. In Spalte (2) wirkt nämlich die berufliche Erfahrung im relevanten Bereich negativ auf die Löhne der Nicht-Wechsler, während sie bei den Wechslern positiv wirkt. Dies ist umso bemerkenswerter, als sich dieses Ergebnis in Spalte (4) – bei den NichtWechslern der beruflichen Dimension – nicht zeigt, obwohl diese Regression auf Basis derselben Individuen wie in (2) erfolgt und sich in den Variablen allein durch den Selektionsterm unterscheidet. Erwähnenswert ist überdies, dass das Alter einen Effekt auf die erwarteten Löhne hat, selbst wenn für sämtliche mit dem Alter korrelierte Erfahrungsgrößen und weitere Einflussfaktoren kontrolliert wird. Die Zugehörigkeit zu den mittleren Altersgruppen (25-34, 35-44 Jahre) wirkt sich in allen Schätzvarianten von Tabelle 2 besonders positiv auf die erwarteten Löhne aus.
120
Tabelle 2:
Selektionskorrigierte Tobit-Regressionen der Lohngleichungena,b (1)
(2)
(3)
Betriebswechsel Wechsel Arbeitsmarkterfahrung Quadrierte Arbeitsmarkterfahrung Berufserfahrung Quadrierte Berufserfahrung
0,461*** -0,115*
Berufswechsel
Verbleib
Wechsel
Verbleib
0,542***
0,655***
0,386***
-0,267***
-0,249***
-0,065***
0,300***
-0,056***
-
0,315***
-0,227***
0,044***
-
-0,228***
0,294***
-
0,142***
-
-0,082***
Betriebserfahrung
-
Quadrierte Betriebserfahrung
-
Alter 15-24 Jahre
0,001
Alter 25-34 Jahre Alter 35-44 Jahre Alter 45-54 Jahre
(4)
-0,128*** -0,037***
0,203***
0,040***
0,086***
0,041***
0,254***
0,117***
0,080***
0,054***
0,225***
0,103***
0,031*
0,026***
0,151***
0,052***
Frau
-0,216***
-0,252***
-0,203***
-0,267***
Deutsche Staatsangehörigkeit
-0,033**
-0,020***
0,032
-0,029***
Staatsangehörigkeit unbekannt
-0,055**
-0,111***
0,032
-0,033***
Ohne berufliche Bildung
-0,033**
-0,045***
-0,036
-0,044***
Mit Hochschulabschluss Ausbildung unbekannt
0,278***
0,224***
-0,103***
-0,126***
0,302*** 0,032*
0,254*** -0,117***
Facharbeiter
0,108***
0,041***
0,088***
0,050***
Meister
0,324***
0,258***
0,308***
0,262***
Angestellter
0,348***
0,254***
0,375***
0,272***
Mills Ratio
-0,063***
1,402***
0,098***
0,640***
0,553 12.239
0,550 200.807
0,550 4.530
0,544 200.807
McFadden R² Beobachtungen
a Konstante, Berufsgruppen-, Wirtschaftszweig- und Bundesland-Dummies enthalten. Als Referenz fungiert: Alter 55+ Jahre, Mann, Ausländer, Berufliche Bildung, Nicht-Facharbeiter. b * 5 %, ** 1 %, ***0,1 % Signifikanzniveau.
Quelle: IABS-R04, Eigene Berechnungen.
121
Im Vergleich der beiden Teile in Abbildung 1 wird ferner ein deutlicher Niveaueffekt sichtbar: Über alle Altersgruppen hinweg lohnt sich ein rein betrieblicher Wechsel sehr viel häufiger, als ein Wechsel, der auch den beruflichen Status verändert. Dies hat seine Ursache darin, dass beim rein betrieblichen Wechsel die Berufserfahrung weiterhin entgolten wird. Dies wird in Spalte (1) sehr deutlich. Die Berufserfahrung fördert hier die Löhne der Wechsler, im Gegensatz dazu wirkt sie – wie bereits vermerkt – für die Nicht-Wechsler eher lohndämpfend. Dies könnte für substantielle Job-Search-Erträge sprechen. Demnach stellen sich die Wechsler, welche in ihrem Berufsfeld verbleiben, besser als die Nicht-Wechsler, da sie sich bessere Jobangebote erschließen und gegebenenfalls einwilligen. Man könnte diesen Lohnzuwachs dann als Vergütung der Jobsuche verstehen. Im Gegensatz zum rein betrieblichen Wechsel ergeben sich für die übergroße Mehrheit der Individuen negative Differentiale im Falle eines implizierten beruflichen Wechsels. In diesem Fall muss das Berufskapital abgeschrieben werden, das Job-Search-Modell ist auf diesen Typus kaum anwendbar. Abbildung 1:
Altersspezifische Quantile geschätzten Lohndifferentialsa eines Jobwechsels, 2004, Westdeutsche Betriebswechsel
Berufswechsel 0,5 0,45 0,4 0,35 0,3 0,25 0,2 0,15 0,1 0,05 0
-0,05 -0,15 -0,25 -0,35 -0,45 -0,55 -0,65 -0,75 15-24
25-34
10%-Quantil a
35-44 Median
45-54
55+
90%-Quantil
15-24
25-34
10%-Quantil
35-44 Median
45-54
55+
90%-Quantil
Das geschätzte Lohndifferential, welches auf der Ordinate abgetragen ist, wird durch das logarithmierte Verhältnis des geschätzten Lohnes der Wechsler zu den Nicht-Wechslern definiert. Quelle: IABS-R04, Eigene Darstellung.
122
Zusammenfassend lässt sich schlussfolgern, dass die Schätzungen die Hypothese (1) zumindest für die berufliche Mobilität belegen, für die rein betriebliche Mobilität scheinen das Alter und die damit korrelierten Erfahrungsgrößen hingegen weniger relevant zu sein. Dies wiederum steht in Einklang mit Hypothese (4), wonach die Alterseffekte bei der beruflichen Mobilität stärker ausgeprägt sein sollten. Die Gültigkeit von Hypothese (2), wonach das Alter die betriebliche und die berufliche Mobilität hemmt, lässt sich auf Basis der Reduzierten-Form-Prognose für die Wechselwahrscheinlichkeit überprüfen. In Abbildung 2 sind die 10 %, 50 % und 90 %-Quantile der Prognose der Wechselwahrscheinlichkeit dargestellt. Es ist ein deutlich negativer Alterseffekt erkennbar. Er scheint darüber hinaus für die berufliche Mobilität ausgeprägter zu sein, was erneut für Hypothese (4) spricht. Abbildung 2:
Altersspezifische Quantile der geschätzten Wahrscheinlichkeit eines Jobwechsels, 2004, Westdeutsche Betriebswechsel
Berufswechsel 0,07
0,12
0,06
0,1
0,05
0,08
0,04
0,06
0,03
0,04
0,02
0,02
0,01
0
0,00 15-24
25-34
10%-Quantil
35-44 Median
45-54
55+
90%-Quantil
15-24
25-34
10%-Quantil
35-44 Median
45-54
55+
90%-Quantil
Quelle: IABS-R04, Eigene Berechnungen.
In Tabelle 3 werden nun die eigentlichen Wechselgleichungen dargestellt. Es zeigt sich zunächst, dass ein erwarteter Lohnzuwachs tatsächlich als Mobilitätsanreiz wirkt. Dies spricht für die Plausibilität der Schätzmethode, ein anderes Ergebnis wäre theoretisch kaum zu rechtfertigen. Dabei sollte die Tatsache, dass der Schätzer für den Lohn in der Gleichung für die Berufswechsler größer ist als in der Gleichung für Betriebswechsel mit Vorsicht interpretiert werden, da sich die 95 % Konfidenzbänder beider Schätzer deutlich überdecken und von einem statistisch signifikanten Unterschied nicht gesprochen werden sollte. Die Schätzung macht ferner deutlich, dass das Alter selbst nach Kontrolle des Einkommenseffektes 123
negativ auf die Wahrscheinlichkeit einer betrieblichen oder beruflichen Neuorientierung wirkt. Ältere sind also nicht nur deswegen weniger mobil, weil ein weiterer Wechsel für sie kaum noch Einkommensverbesserungen verspricht. Vielmehr wirken über den fehlenden Lohnanreiz hinaus weitere Faktoren dämpfend auf die Wechselneigung älterer Beschäftigter, womit Hypothese (3) als bestätigt gelten kann. Tabelle 2: Probit-Regression der Wechselgleichunga,b
Lohndifferential-Erwartung Arbeitsmarkterfahrung Berufserfahrung Betriebserfahrung Arbeitslosigkeitserfahrung Anzahl vorheriger Wechsel Alter 15-24 Jahre Alter 25-34 Jahre Alter 35-44 Jahre Alter 45-54 Jahre Frau Deutsche Staatsangehörigkeit Ohne berufliche Bildung Mit Hochschulabschluss Ausbildung unbekannt Facharbeiter Meister Angestellter McFadden R² Beobachtungen
(1) Betriebswechsel 1,858*** 0,067* 0,161*** -0,021 0,169*** 0,031*** 0,354*** 0,319*** 0,188*** 0,111*** -0,154*** 0,004 0,147*** -0,019 0,009 0,030* 0,126*** 0,022 0,036 0,039 213.046
(2) Berufswechsel 2,178*** 0,272*** -0,209*** -0,337*** 0,185** 0,022*** 0,272*** 0,278*** 0,096* -0,036 -0,303*** -0,097*** 0,035 0,007 -0,027 -0,183*** 0,309*** 0,202*** 0,233*** 0,087 205.337
a Konstante, Wirtschaftszweig- und Regionstypen-Dummies enthalten. Als Referenz fungiert: Alter 55+ Jahre, Mann, Ausländer, Berufliche Bildung, Nicht-Facharbeiter. b * 5 %, ** 1 %, ***0,1 % Signifikanzniveau. Quelle: IABS-R04, Eigene Berechnungen.
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Worin diese – über den Einkommenseffekt hinaus – mobilitätshemmenden Faktoren des Alters bestehen, kann auf Basis der vorliegenden Analyse nicht abschließend entschieden werden. Aus theoretischer Sicht, aber auch aufgrund bisheriger empirischer Analysen lassen sich mehrere grundlegende Aspekte anführen. Erstens erhöhen institutionelle Regelungen die Mobilitätsbarrieren für Ältere, wobei dem Kündigungsschutz ein großes Gewicht beizumessen ist, insofern die Dauer der Betriebszugehörigkeit ein substantielles Kriterium bei der Sozialauswahl im Falle von Kündigungen aus betrieblichen Erfordernissen darstellt (§ 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz). Aber auch betriebsgebundene Pensionsansprüche dürften eine mobilitätsdämpfende Rolle spielen (Rabe, 2007). Zweitens mag es auf Seiten der Arbeitsnachfrage Einstellungsvorbehalte gegenüber älteren Bewerbern geben, so dass bestimmte Jobs für Beschäftigte über einer gewissen Altersschwelle gar nicht verfügbar sind. Somit kann bei den Beschäftigten eine grundsätzliche Bereitschaft zum Wechsel vorliegen, diese kann aber aufgrund fehlender Arbeitsnachfrage gar nicht zum Tragen kommen. Indes zeigen Bellmann und Brussig (2008), dass drei Vierteln der Firmen, welche Stellen zu besetzen hatten, gar keine Bewerbungen von Älteren (50+) vorlagen und dass das übrige Viertel immerhin zur Hälfte Ältere einstellte. Die Autoren verweisen allerdings darauf, dass bereits die fehlende aktive Arbeitssuche dem Eindruck Älterer geschuldet sein kann, schlechte Bewerbungschancen zu haben. Drittens dürften versunkene Kosten den Verbleib im alten Betrieb befördern. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass Ältere über eine lange Betriebszugehörigkeit Reputation und Sozialkapital aufgebaut haben, das bei einem Jobwechsel abgeschrieben werden müsste und im neuen Kontext nur zu hohen Kosten wieder hergestellt werden könnte. Viertens wird von einigen Autoren auch auf eine geringere Risikopräferenz Älterer hingewiesen (Cohen/Einav, 2007). Das Zusammenspiel dieser Faktoren dürfte die verminderte Wechselpräferenz Älterer, welche über Lohnaspekte hinausgeht, erklären. Es muss jedoch weiteren Analysen vorbehalten bleiben, das Gewicht der einzelnen Gesichtspunkte näher zu bestimmen.
7. Diskussion
Die anhand der theoretischen Diskussion abgeleiteten Hypothesen haben sich in der empirischen Analyse weitgehend bestätigt. Die Alterung der Erwerbstätigen wird die Beschäftigtenmobilität dämpfen. Dies liegt einerseits daran, dass sich der Lohn Älterer durch einen Wechsel nur vergleichsweise wenig oder überhaupt nicht verbessern lässt. Andererseits wirkt das Alter aber auch nach Kontrolle dieses Lohneffektes immer noch signifikant negativ auf die Wechselneigung – Ältere ziehen aus einem Verbleib im Betrieb bzw. im Beruf Nutzenkomponenten, die nicht direkt entlohnt werden, die aber bei einem Wechsel verloren gehen. 125
Vor dem Hintergrund der geschilderten theoretischen Konzepte sollte deutlich geworden sein, dass die verringerte Mobilität Älterer nicht per se problematisch sein muss. Die Ansätze legen den Schluss nahe, dass die reduzierte Wechselneigung auch Ausdruck einer guten Passung von Stelle und Inhaber oder aber einer erheblichen Akkumulation spezifischer Erfahrung sein dürfte. Unter diesem Blickwinkel könnte die Alterung der Beschäftigten gar mit einer effizienteren Faktorallokation einhergehen. Die mit der Alterung verbundenen Probleme zeigen sich indes, wenn man die Dynamik des Arbeitsmarktes berücksichtigt. Liquide Arbeitsmärkte sind Hebel des technologischen und sektoralen Wandels, Technologieführer können aufgrund höherer Produktivität attraktive Löhne anbieten, die Beschäftigten wandern aus den niedrig produktiven Bereichen in die Hochlohnbetriebe ab. Dieser Kanal der technologischen und sektoralen Erneuerung einer Ökonomie kann qua Alterung versanden. Es steht zu befürchten, dass Ältere weniger sensibel auf Lohnsignale reagieren und selbst durch attraktive Angebote nicht zu einem Wechsel bewegt werden können. Dies kann Arbeitsnachfrager mit Beschäftigungspotenzial vor erhebliche Probleme stellen und – im ungünstigsten Fall – zur Konsequenz zwingen, andere Standorte zu suchen. Indes ließe sich auch argumentieren, dass unter gegenwärtigen Bedingungen Ältere in dem Glauben keine Suchanstrengungen unternähmen, gegenüber derzeit noch vorhandenen jüngeren Mitbewerbern keine wirklichen Chancen zu besitzen, selbst wenn der Job auch für Ältere attraktiv wäre. Wäre dies der Fall, könnte die bevorstehende demografiebedingte Ausdünnung der jüngeren Altersgruppen zu einer Anpassung des Verhaltens Älterer führen. Ähnliches gilt mit Blick auf potentiell negative Einschätzungen von Arbeitgebern in Bezug auf Fähigkeiten Älterer. In einer Ökonomie, deren Erwerbspersonenpotenzial sich zum größten Teil aus den über 50-Jährigen speist, werden derartige Stereotypen erheblich unter Druck geraten, was das Einstellungsverhalten auf Seiten der Arbeitsnachfrage altersfreundlicher machen sollte. Insofern wären neben den Alters- auch Kohorteneffekte zu berücksichtigen. Unter diesem Blickwinkel ist nicht auszuschließen, dass das Mobilitätsverhalten der Älteren von heute ein ungenauer Schätzer des Mobilitätsverhaltens der Älteren von morgen ist.
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Motivation älterer Arbeitnehmer Victoria Büsch, Dennis Dittrich, Uta Lieberum
1. Einleitung
Der demografische Wandel in Deutschland wie auch in vielen anderen Industriestaaten zählt zu den bedeutsamsten Herausforderungen in näherer und ferner Zukunft (Deutscher Bundestag, 1998: 5). Er ist durch eine Schrumpfung der Bevölkerung gekennzeichnet und wird primär durch das Geburtendefizit determiniert (vgl. Birg, 2005: 44). Diese Entwicklung führt zu einer veränderten Erwerbspersonenstruktur: Zum einen wird ein Rückgang der Anzahl der Erwerbspersonen prognostiziert; zum anderen nimmt die Zahl der älteren Arbeitnehmer zu. Aus diesem Grund rückt die Betrachtung der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft von Älteren in den Blickpunkt der Überlegungen. Die Erkenntnisse der Gerontologen zeigen, dass die körperliche Leistungsfähigkeit bereits im relativ frühen Alter erheblich abnimmt, während die Entwicklung der geistigen Leistungsfähigkeit erst im Alter von 70 Jahren einen negativen Einfluss auf die Produktivität aufweist. Die Ausführung von geistigen Tätigkeiten ist insbesondere im Dienstleistungssektor erforderlich, dessen Anteil im Zeitverlauf zunimmt und in dem bereits mehr als 70 % aller Erwerbstätigen beschäftigt sind. Vor diesem Hintergrund ist von großer wirtschaftlicher Bedeutung herauszufinden, ob das Alter für die Leistungsbereitschaft und die Leistungsfähigkeit tatsächlich eine Rolle spielt. Zur Identifikation der Leistungsbereitschaft werden in der vorliegenden Arbeit Ansätze der Inhalts- und Prozesstheorien der Motivation (vgl. Vroom, 1964) verwendet. Ein zentrales Element der Leistungsbereitschaft ist demnach die Ergebniserwartung. Je höher die Wahrscheinlichkeit eingeschätzt wird, dass das jeweilige Ziel erreicht wird, desto höher ist die Leistungsbereitschaft. Dabei spielt für die Ergebniserwartung sowohl der eigene Beitrag zur Zielerreichung (endogen) als auch die Einschätzung von exogenen Faktoren, die das Ziel determinieren können eine Rolle. Zusätzlich wirkt sich eine durch das Individuum eingeschätzte positive Wertigkeit (die Valenz) des zu erreichenden Zieles verstärkend auf seine Leistungsbereitschaft aus.
131
Für die Erhebung der Leistungsfähigkeit werden in Analogie zum Work Ability Index/Arbeitsbewältigungsindex drei Fragen zur persönlichen Einschätzung der Leistungsfähigkeit heute, vor fünf Jahren und in fünf Jahren gestellt. Die in dieser Arbeit verwendeten Daten wurden auf Grundlage eines gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) entwickelten Fragebogens erhoben. Dabei wurden auch die Weiterbeschäftigungswünsche im Alter abgefragt. Insgesamt 1.500 Personen wurden im Mai 2008 im Alter von 55-64 Jahren von infratest befragt. Basierend auf diesen Daten wird ein Strukturgleichungsmodell geschätzt, das es erlaubt, die Motivatoren zu gewichten. Weiterhin wird eine Typologisierung entwickelt, um eine altersunabhängige Erfassung der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft aller Mitarbeiter zu ermöglichen. Insgesamt werden dabei neun Mitarbeitertypen unterschieden, die durch verschiedene Ausprägungen von Leistungsfähigkeit (hoch, mittel, niedrig) und Leistungsbereitschaft (hoch, mittel, niedrig) gekennzeichnet sind. Diese Identifikation soll es ermöglichen, unabhängig vom Alter den Handlungsbedarf zur Steigerung der Motivation zu erkennen. 2. Demografischer und struktureller Wandel
Gemäß dem Modell des demografischen Übergangs durchläuft jede Bevölkerung einen idealtypischen Transformationsprozess, der ursprünglich durch vier Phasen gekennzeichnet ist, die einen jeweils unterschiedlichen Grad an „Modernisierung“ aufweisen. Auch wenn in der Theorie der Begriff „Modernisierung“ nicht genau definiert wird, hat das Modell makrohistorisch eine große Erklärungskraft für die tatsächliche Entwicklung der Bevölkerung eines Landes (vgl. Hauser, 1990: 24f). Die erste Phase begann in Deutschland ca. 1815, so dass Deutschland nach diesem Modell bereits alle vier Phasen des ersten demografischen Übergangs durchlaufen hat. Aktuell befinden wir uns im so genannten zweiten demografischen Übergang. Andere erweitern das Modell um eine fünfte Phase (post-transformative Phase), die in Deutschland ab ca. 1960 begann. Sie ist durch ein Einpendeln von Geburtenund Sterberate auf niedrigem Niveau gekennzeichnet. Es kommt somit zu einem fertilitätsgeleiteteten Altern der Bevölkerung als Konsequenz des Geburtenrückgangs zwischen 1965 und 1975 direkt in Anschluss an die geburtenstarken Jahrgänge in den 1950ern (vgl. BiB, 2004: 13). Die Schrumpfung der Bevölkerung ist somit ein stabiler Trend, der vor mehr als 30 Jahren in Deutschland begonnen hat und auch durch einen Anstieg der Fertilität kurzfristig nicht aufzuhalten ist (vgl. BiB, 2004: 13).
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Diese Schrumpfung der Bevölkerung impliziert einen Rückgang der Erwerbspersonen. Prognos errechnet, dass das Erwerbspersonenpotenzial von 41,6 Millionen im Jahr 1998 auf 32,6 Millionen im Jahr 2040 sinken wird (vgl. Schäfer/Seyda, 2005: 100). Der Rückgang der Bevölkerung gerade im Haupterwerbsalter zwischen 25 und 54 Jahren ist gleichzusetzen mit einer Abnahme der Beitragszahler für die sozialen umlagefinanzierten Sicherungssysteme. Dieser Druck auf die Versicherungssysteme macht sich bereits heute bemerkbar und wird sich weiter verschärfen. Daher gibt es Bestrebungen, den Rückgang der Erwerbstätigenzahl zu kompensieren. Hierfür lassen sich im Wesentlichen drei Maßnahmen unterscheiden (vgl. Schäfer/Seyda, 2005: 110): 1. Migration 2. Verstärkte Frauenerwerbstätigkeit 3. Längere Dauer der Erwerbstätigkeit Gemäß den Analysen des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung wäre zur Vermeidung des Rückganges der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis 2050 ein jährlicher Wanderungsgewinn von 485.000 Personen erforderlich (vgl. BiB, 2004: 64). Die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist innerhalb von zehn Jahren von 55,4 % auf 62,2 % im Jahr 2006 in Deutschland gestiegen und lag im gleichen Jahr für Männer bei 72,8 % (vgl. Wingerter, 2008: 6; Bundeszentrale für politische Bildung, 2008: 5). Dieser Anstieg ist insbesondere auf eine Zunahme der Teilzeitbeschäftigungen zurückzuführen (vgl. Puch, 2009: 1). Für die weitere Anpassung der Erwerbstätigenquote von Frauen und Männern ist die allmähliche Angleichung des Ausbildungsniveaus (Schul- und Hochschulausbildung) eine grundlegende Voraussetzung. Allerdings ist der Arbeitsmarkt sowohl durch eine horizontale als auch eine vertikale Geschlechtersegregation gekennzeichnet. (Kurz-Scherf et al., 2006: 5). Neben der rein quantitativen Veränderung, d. h. der Schrumpfung der Bevölkerung, gilt es aber zu berücksichtigen, dass sich aufgrund des demografischen Wandels die Struktur der Erwerbspersonen fundamental verändert. Diese Entwicklung zeigt sich schon heute: Zwischen 1991 und 2001 ist die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt um zwei Prozent gesunken und der Anteil der über 55-Jährigen im selben Zeitraum um rund 17 % gestiegen (vgl. BiB, 2004: 64). Auch war 2006 erstmals der Jugendquotient (Anzahl der Personen unter 15 Jahren in Bezug zu Personen zwischen 15 und 65 Jahren) kleiner als der Altenquotient (Anzahl der Personen über 65 Jahre in Bezug zu Personen zwischen 15 und 65 Jahren; vgl. Statistisches Bundesamt, 2006: 25). Diese veränderte Erwerbspersonenstruktur trifft auf eine sich im strukturellen Wandel befindende Arbeitswelt. Der Dienstleistungssektor hat im Zeitverlauf stetig zugenommen und bereits heute werden 70 % der Erwerbstätigen in Deutschland zum Dienstleistungs-
133
sektor hinzugerechnet. Diese Entwicklung ist sehr dynamisch, denn noch vor 30 Jahren waren lediglich 41,5 % der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor tätig (vgl. Rürup/Sesselmeier, 2001: 248). Prognosen über die künftigen Entwicklungen gehen davon aus, dass der Dienstleistungssektor noch weiter wachsen wird und somit auch verstärkt Möglichkeiten für eine verlängerte Lebensarbeitszeit bietet.1 Begründet wird das Wachstum des Dienstleistungssektors auch durch eine neue Arbeitsteilung zwischen öffentlichen und privaten Anbietern z. B. im Gesundheitswesen (vgl. Schnurr, 1999: 3). Gerade die Nachfrage nach Dienstleistungen aus dem Gesundheitswesen nimmt vor dem Hintergrund des demografischen Wandels weiter zu. Zum einen haben hochbetagte Menschen einen höheren Bedarf an Gesundheitsleistungen und zum anderen steigt die Anzahl der älteren Menschen, die keine eigenen Kinder haben, um ihre Pflege zu übernehmen. Die Hauptursache für das Wachstum des Dienstleistungssektors ist nach Schnurr allerdings die Ausgliederung von Unternehmensteilen und Betriebsfunktionen (vgl. Schnurr, 1999: 3). So weisen vorwiegend unternehmensnahe Dienstleistungen in Deutschland im Zeitraum von 1991 bis 2003 die größte Beschäftigungsdynamik auf. Der Anteil der Erwerbstätigen bei den direkten Unternehmensdienstleistungen – wie zum Beispiel Beratungsdienstleistungen – stieg um 93 % an und im Bereich der Datenverarbeitung und Datenbanken sogar um insgesamt 140 % (vgl. Grömling, 2006: 14). Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung unterscheidet innerhalb des Dienstleistungssektors zwischen Tätigkeiten der primären Dienstleistungen (Handelstätigkeiten, Bürotätigkeiten und andere Dienste, z. B. Reinigen, Bewirten, Transportieren) sowie der sekundären Dienstleistungen (Forschen/Entwickeln und Organisation/Management sowie u. a. Betreuen/Beraten/Lehren und Publizieren; vgl. Dostal/Reinberg, 1999: 2). Gerade die sekundären Dienstleistungen weisen einen wachsenden Trend auf und werden von 1995 bis 2010 von 26,3 % auf 61,6 % wachsen (vgl. Dostal/Reinberg, 1999: 2).
1 Ergänzend sei angemerkt, dass bereits mehr als 50 % der Arbeitsplätze durch IuK-Techniken geprägt sind. Daher favorisiert die OECD die Vier-Sektoren-Hypothese (Rürup/Sesselmeier, 2001: 250 f.).
134
3. Entwicklung der Leistungsfähigkeit im Alter
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kann es zu Engpässen auf dem Arbeitsmarkt kommen. Auf jeden Fall wird in Konsequenz die Lebensarbeitszeit heraufgesetzt: in Deutschland wird bereits 2012 das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre erhöht. Daher ist es für das Personalmanagement von grundlegender Bedeutung, eine hohe Produktivität der Arbeitnehmer bis zum Ende ihrer Karriere zu fördern. Gerontologische Studien zeigen schon lange, dass in Bezug auf die Leistungsfähigkeit von Älteren das so genannte Defizitmodell keine Gültigkeit mehr hat. Lehr (1990) führt dazu aus: „Je höher die Anforderungen an Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit (allerdings ohne Zeitdruck) und je größer die Verantwortung, umso stärker zeigt sich eine zunehmende Leistungsverbesserung bis in das sechste Jahrzehnt hinein. Da hochtechnisierte Arbeitsplätze gerade diese spezifischen Anforderungen stellen, wird der ältere Arbeitnehmer in Zukunft zumindest nicht benachteiligt sein“ (vgl. Lehr, 1990: 112 f.). Hierbei unterscheiden Gerontologen und Psychologen zwischen kristalliner (erfahrungsgebundener Intelligenz) und fluider Intelligenz (Mechanik der Intelligenz bzw. Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung). Die erste Form wird durch das Alter nicht beeinträchtigt bzw. kann sogar zunehmen, während die fluide Intelligenz, wenn auch nur im geringen Maße, bereits ab dem dritten Lebensjahrzehnt abnehmen kann, wenn es z. B. nicht genug Anregungen in der Umwelt, insbesondere in der Berufswelt gibt (vgl. Kruse/Maier, 2000: 72 f.). Dies gilt beispielsweise, wenn ein Individuum eine Tätigkeit ausführt, die auf wenige Aktivitäten beschränkt ist. Diese Berufswelt führt in Konsequenz zu einer zunehmenden Dequalifizierung. Aber das jeweilige Individuum ist in der Lage, diese Leistungseinschränkung durch Erfahrungen/Routine zu kompensieren. Warr hat in einer Meta-Untersuchung mehr als 100 Studien zur beruflichen Leistungsfähigkeit analysiert und herausgearbeitet, dass es keine generellen Unterschiede der Leistungsfähigkeit älterer und jüngerer Arbeitnehmer in derselben Tätigkeit gibt (vgl. Kruse/Maier, 2000: 76). Der von Ilmarinen (2005) entwickelte Altersbewältigungsindex (inzwischen in 25 Sprachen übersetzt), aber auch andere Studien zeigen, dass die Leistungsunterschiede weniger zwischen den verschiedenen Kohorten, sondern gerade innerhalb von Gruppen besonders groß sind und die Heterogenität der Leistungsfähigkeit während des Alterungsprozesses einer Kohorte, insbesondere ab dem biographischen Alter von ca. 45 Jahren, zunimmt (vgl. Ilmarinen, 2005: 133 f.). Die Zunahme der Varianz im Alter wird in Abbildung 1 dargestellt.
135
Abbildung 1:
Entwicklung der Leistungsfähigkeit
Leistngsfähigkeit
Ø
ca. 45
Alter
Aus diesen Erkenntnissen kann abgeleitet werden, dass das biographische Alter kein geeigneter Indikator für die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft eines Mitarbeiters ist, sondern insbesondere bei älteren Mitarbeitern ganz unterschiedliche Ausprägungen auftreten können. Da also von keiner homogenen Leistungswandlung im Lebensverlauf gesprochen werden kann, ist es für das Personalmanagement wichtig zu identifizieren, welche Leistungsfähigkeit und welche Leistungsbereitschaft der jeweilige Mitarbeiter innerhalb des eigenen Unternehmens hat, um die personalpolitischen Instrumente optimal einsetzen zu können. Warr stellt 1994 fest, dass die Mehrzahl der Studien von Psychologen der Frage nachgehen, wie sich das Alter auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt, und nicht, wie sich die Arbeit auf die Leistungsfähigkeit im Alter auswirkt (vgl. Warr, 1994: 538). In einer aktuellen Studie von Inifes, in der 5.400 Beschäftigte interviewt wurden, ging es aber gerade um die Frage: „Was ist gute Arbeit?“ (Vgl. Inifes, 2008). In dieser Studie wurde deutlich, dass Gesundheit primär vorhanden sein muss und dass das Einkommen als Existenz sichernd und gerecht empfunden werden muss. Gleichzeitig muss die Arbeit durch ein „hohes Niveau von Entwicklungs-, Einflussund Lernmöglichkeiten“ sowie gute soziale Beziehungen geprägt sein. Es stellt sich also die zentrale Frage, welche Motivation der Arbeitnehmer hat.
136
4. Motivationale Voraussetzungen der Leistungsbereitschaft
Motivation kann als Frage nach dem „Warum“ des menschlichen Verhaltens betrachtet werden (vgl. von Rosenstiel, 1999). Daher kennzeichnet dieser Begriff die Suche nach den Beweggründen des Handelns und des Verhaltens eines Menschen. Motivation selbst ist nicht direkt messbar oder beobachtbar; nur die situativen oder persönlichen Bedingungen (Input) und das direkte Verhalten eines Individuums (Output) sind beobachtbar und damit messbar. Durch Motivationstheorien sollen Beschreibungen und Erklärungen geliefert werden, die zum einen Richtung, Intensität und Dauerhaftigkeit eines Verhaltens darstellen und zum anderen den Aufbau, die Aufrechterhaltung und den Abbau von Leistungsbereitschaft analysieren (vgl. Stähle, 1999). Hier stellt das Bedürfnis, das befriedigt werden soll, die Grundlage dar (z. B. Sicherheit des Arbeitsplatzes). Zusätzlich werden in Bezug auf die persönliche Leistungsbereitschaft die Rahmenbedingungen, die im Unternehmen vorliegen, sowie der individuelle Beitrag, der dazu geleistet werden kann, betrachtet. Zur Erklärung der Leistungsbereitschaft, insbesondere im betrieblichen Umfeld, wurden Inhalts- und Prozesstheorien entwickelt. Die Inhaltstheorien (z. B. Maslow, Herzberg, Alderfer, McClelland) befassen sich damit, welche Bedürfnisse die entsprechenden Motive bestimmen und damit Handlungen auslösen. Die Motive ergeben sich dann als eine Klassifikation von angestrebten Zielzuständen, die sich im Laufe der Sozialisation herausgebildet haben (vgl. Scholz, 2000). So wird z. B. das Sicherheitsbedürfnis bei Maslow auf der 2. Stufe seiner Rangfolge eingeteilt und stellt somit eher ein Defizit- als ein Wachstumsbedürfnis dar. Auch in der Untersuchung von Herzberg wird dieser Faktor als Hygienefaktor und nicht als Motivator bezeichnet. Diese Einteilungen helfen dabei, die entsprechenden Bedürfnisse in Bezug auf die Wertigkeit besser einordnen zu können (vgl. Vroom, 1964). Die Prozesstheorien befassen sich mit der Beantwortung der Frage, wie der Ablauf, ein erstrebenswertes Ziel zu erreichen, beschrieben und erklärt werden kann. Das Individuum hegt bestimmte Erwartungen zum Eintritt bestimmter Umweltzustände sowie zu den Folgen der eigenen Handlungen. Wenn diese Erwartungen wiederholt enttäuscht werden, werden langfristig auch das Zielniveau und damit auch die Leistungsbereitschaft gesenkt (vgl. Vroom, 1964). Einige Vertreter der Prozesstheorien greifen diese Fragestellungen auf. Die Zieltheorie von Locke beispielsweise bezieht das Ziel in Bezug auf Akzeptanz und Identifikation ein und sieht zusätzlich noch die individuellen Fähigkeiten und die Leistung sowie das Feedback für die Richtung und Intensität der Erreichung dieses Ziels als entscheidend an. Auch das Modell von Porter und Lawler sieht die Anstrengung und damit die Leistung durch die Art der Belohnungen determiniert. Die mit der
137
Belohnung verbundene, wahrgenommene Gerechtigkeit beeinflusst dann zusätzlich die Zufriedenheit, die wiederum auf die Anstrengung und damit auf die Leistung wirkt (vgl. Scholz, 2000; Stähle, 1999). In der Valenz-Instrumentalitäts-Erwartungs-Theorie von Vroom wird spezifiziert, wie Valenzen und Erwartungen (der Wert der Ziele, die Instrumente, diese Ziele zu erreichen, und die Beurteilung des eigenen Verhaltens in Bezug auf die Zielerreichung) kombiniert werden und wie sie die Bevorzugung einzelner Ziele determinieren. In Anlehnung an Vroom werden zur Schätzung der Leistungsbereitschaft mit Hilfe des Strukturgleichungsmodells die einzelnen Variablen wie folgt definiert: x Endogen bedingte Ergebniserwartung: Wahrscheinlichkeit, dass das eigene Verhalten tatsächlich zur Erreichung des gewünschten Ziels führt. Das Erreichen des Ergebnisses ist durch die eigene Anstrengung beeinflussbar und hängt somit von den Persönlichkeitsmerkmalen des Individuums ab. Die maximale Anstrengung wird eingesetzt, wenn eine subjektive Sicherheit (hohe Wahrscheinlichkeit) besteht, dass ein bestimmtes Ziel erreicht werden kann. x Exogen bedingte Ergebniserwartung: Wahrscheinlichkeit, dass die Rahmenbedingungen im Unternehmen (z. B. Aufgabengestaltung, Arbeitsbedingungen, Personalentwicklung, Führung, Unternehmenskultur, Unternehmensstrategie) dazu führen können, das gewünschte Ziel zu erreichen. Die Zielerreichung ist somit für den Betroffenen nicht sicher und von ihm selbst nur zum Teil beeinflussbar. x Valenz: Beschreibung der Attraktivität eines Zieles für das Individuum. Ein Individuum hat Präferenzen für bestimmte Ziele. Eine höhere Valenz ergibt sich daraus, dass ein Individuum ein Ziel dem anderen vorzieht. Eine hohe Leistungsbereitschaft ergibt sich nur dann, wenn das Individuum eine hohe Erwartung hat, dass das gewünschte Ziel auch erreicht werden kann, und dem zu erreichenden Ziel eine hohe Valenz zuordnet. Dabei muss zusätzlich betrachtet werden, dass ein Individuum gleichzeitig mehrere (auch konkurrierende) Ziele verfolgen kann und dass durch die höhere Erwartung einem oder auch mehreren Zielen der Vorzug gegeben werden kann. In der folgenden Abbildung 2 wird dieser Zusammenhang veranschaulicht.
138
Abbildung 2:
Das Konzept der Leistungsbereitschaft
Endogene Ergebniserwartung
+ Ziele 1…n
+
Leistungsbereitschaft
~ -
Exogene Ergebniserwartung
Quelle: Eigene Darstellung.
Dieser Zusammenhang soll im Folgenden anhand eines Beispieles verdeutlicht werden. Angenommen, im Vordergrund steht ein persönliches Ziel des Mitarbeiters wie z. B. die Sicherheit des Arbeitsplatzes. In Bezug auf die Inhaltstheorien wird das Sicherheitsbedürfnis als wichtig angesehen und somit kann der Erreichung dieses Ziels eine hohe Valenz zugeordnet werden. Eine hohe Valenz kann aber auch daraus resultieren, dass das direkte Geschäftsziel des Unternehmens selbst als sehr wertvoll erachtet wird oder dass das Unternehmen zusätzlich zum Geschäftsbetrieb soziale oder kulturelle Ziele verfolgt, wie z. B. in sozialen Einrichtungen oder in Unternehmen, die sich sozial, gesellschaftlich oder umweltpolitisch engagieren. Die endogene Ergebniserwartung wird durch den eigenen Beitrag zur Zielerreichung, wie z. B. zuverlässiges und engagiertes Arbeiten sowie wenig Fehlzeiten, beeinflusst, kann aber auch durch eine starke Einbindung in die Unternehmensentscheidungen positiv beeinflusst werden. Die exogene Ergebniserwartung kann z. B. durch strategische Entscheidungen der Unternehmensleitung determiniert werden. Im negativen Fall werden z. B. marktrelevante Entwicklungen in der Unternehmensplanung nicht aufgegriffen, so wird die Erwartung, das Ziel zu erreichen, geringer ausfallen. Werden die Entscheidungen der Unternehmensleitung als adäquat und erfolgversprechend angesehen, so ist auch die exogene Ergebniserwartung eine positive. Die exogene Ergebniserwartung kann sich z. B. auch durch die Einschätzung der Qualifizierungen im Unternehmen ergeben. Wird diese eher gering eingestuft, so wird in Konsequenz die Ergebniserwartung auch eher gering sein.
139
Dieser Zusammenhang zeigt zwei entscheidende Handlungsstränge für die Unternehmen auf, die durch die Gestaltungsspielräume – insbesondere im Personalmanagement – gegeben werden, die die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter beeinflussen können. Zum einen kann die Leistungsbereitschaft dadurch erhöht werden, dass die endogene Ergebniserwartung gesteigert wird. Dies kann insbesondere dadurch erreicht werden, wenn dem Arbeitnehmer Aufgaben zugeordnet werden, die den individuellen Fähigkeiten entsprechen. Das bedeutet, dass das Wissen und die Fähigkeiten der Individuen als wichtige Größen bei der Gestaltung der objektiven Aufgabe zu berücksichtigen sind (vgl. Lawler, 1969). Zum anderen kann die Steigerung der exogenen Ergebniserwartung dadurch erreicht werden, dass die Rahmenbedingungen bzw. Konzepte im Unternehmen als sinnvoll oder sogar als optimal eingeschätzt werden. Daher sind der Grad der Einbindung der Mitarbeiter in die Unternehmensentscheidungen und die Gestaltung des Personalmanagementinstrumentariums Möglichkeiten, um die Leistungsbereitschaft zu beeinflussen. 5. Hypothese und Befragungskonzept
Aus den theoretischen Überlegungen ergeben sich zwei Hypothesen, die anhand der empirischen Untersuchung überprüft werden sollen. Hypothese I „Je höher die Ergebniserwartung, desto höher die Leistungsbereitschaft.“ Hypothese II „Je höher die Valenz, desto höher die Leistungsbereitschaft“ Um diese Hypothesen zu überprüfen, wurden für die einzelnen Konstrukte „endogene Ergebniserwartung“, „exogene Ergebniserwartung“, „Valenz“ und „Leistungsbereitschaft“ verschiedene Items abgefragt. Die zur Schätzung des Strukturmodells notwendigen Items konnten im Zusammenhang mit einer größeren Befragung des BiB zu Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nach dem Rentenalter mit abgefragt werden. Die Befragung wurde im Jahr 2008 von infratest durchgeführt und umfasste 1.500 Personen in Privathaushalten in Deutschland im Alter von 55 bis unter 65 Jahren, die abhängig beschäftigt waren oder sind. Für jedes der oben aufgeführten Konstrukte wurden Einschätzungen von den Befragten zu drei Items abgefragt. Dabei wurde nach einer Skalierung von 1 (sehr wichtig) bis 5 (sehr unwichtig) unterschieden.
140
Folgende Items wurden für das Konstrukt „endogene Ergebniserwartung“ einbezogen: 1. 2. 3.
Ich führe immer alle Aufgaben fachgerecht aus. Ich leiste einen großen Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele. Meine Arbeit bringt eine hohe Verantwortung mit sich.
Für das Konstrukt „exogene Ergebniserwartung“ sind die nachfolgenden Items hinzugezogen worden: 1. 2. 3.
Mein Unternehmen wird die sich gesteckten Ziele dieses Jahr erreichen. Mein Vorgesetzter trifft oft nicht die richtigen Entscheidungen. Beschwerden und Vorschläge von meinen Kollegen und mir werden meistens nicht beachtet.
Das Konstrukt „Valenz“ wurde durch folgende Items erfasst: 1. 2. 3.
Ich identifiziere mich mit den Zielen des Unternehmens. Meine Arbeit ist sinnvoll. Nach getaner Arbeit habe ich öfter das Gefühl, etwas geleistet zu haben.
Das Konstrukt „Leistungsbereitschaft“ wurde anhand der folgenden drei Items identifiziert: 1. 2. 3.
Meine Arbeitsmotivation ist sehr hoch. Wenn ich könnte, würde ich gern den Beruf wechseln. Ich bin mit meiner Arbeit sehr zufrieden.
Durch das hier konzipierte Befragungskonzept wird ermittelt, ob eine hohe, eine mittlere oder eine niedrige Leistungsbereitschaft vorliegt und inwiefern diese mit der Ergebniserwartung oder Valenz korreliert. Darüber hinaus wurden in Anlehnung an den WAI von Ilmarinen folgende Fragen zur Leistungsfähigkeit gestellt: 1. 2. 3.
Wie hoch schätzen Sie Ihre jetzige Leistungsfähigkeit ein? Wie hoch war Ihre Leistungsfähigkeit vor fünf Jahren? Wie hoch, glauben Sie, wird Ihre Leistungsfähigkeit in fünf Jahren sein?
Die empirischen Daten konnten für 796 Fälle ausgewertet werden, da nicht jeder Befragte alle Fragen durchgängig beantwortet hat. Im verwandten Strukturgleichungsmodell (siehe Abbildung 3) wurde die Varianz der latenten Konstrukte endogene und exogene Ergebniserwartung, Valenz und Leistungsbereitschaft jeweils auf 1 gesetzt, um die Identifikation aller Modellparameter zu gewährleisten. Ferner wurde eine eventuelle empirische Korrelation zwischen einzelnen Items bei der Aufstellung des Modells berücksichtigt.
141
Abbildung 3: Valenz 1 Valenz 2
Ergebnisse des Strukturgleichungsmodells 0,53 0,53 Valenz 0,61
Valenz 3
Endogen 1
0,79
0,14 0,57
Endogen 2 0,52
0,67 Endogene Ergebniserwartung
0,43
Leistungsbereitschaft
-0,55
Leistung 1 Leistung 2
0,75 Leistung 3
Endogen 3
0,57 Exogen 1
0,24 -0,65
Exogen 2 -0,77
Exogene Ergebniserwartung
Exogen 3
Zur besseren Vergleichbarkeit wurden die standardisierten Koeffizienten des Strukturgleichungsmodells sowie in Tabelle 1 die dazugehörigen z-Werte angegeben.
142
Tabelle 1:
Koeffizienten und z-Werte des Strukturgleichungsmodells
Endogene Ergebniserwartung 1. Ich führe immer alle Aufgaben fachgerecht aus 2. Ich leiste einen großen Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele 3. Meine Arbeit bringt eine hohe Verantwortung mit sich Exogene Ergebniserwartung 1. Mein Unternehmen wird die sich gesteckten Ziele dieses Jahr erreichen 2. Mein Vorgesetzter trifft oft nicht die richtigen Entscheidungen 3. Beschwerden und Vorschläge von meinen Kollegen und mir werden meistens nicht beachtet Valenz 1. Ich identifiziere mich mit den Zielen des Unternehmens 2. Meine Arbeit ist sinnvoll 3. Nach getaner Arbeit habe ich öfter das Gefühl, etwas geleistet zu haben Leistungsbereitschaft 1. Meine Arbeitsmotivation ist sehr hoch 2. Wenn ich könnte, würde ich gern den Beruf wechseln 3. Ich bin mit meiner Arbeit sehr zufrieden Leistungsbereitschaft Endogene Ergebniserwartung Exogene Ergebniserwartung Valenz
Koeffizient
z-Wert
0.14
3.02
0.57
11.27
0.52
10.53
0.24
5.81
-0.65
-14.66
-0.77
-14.96
0.53
8.31
0.53
9.27
0.61
8.15
0.67
17.65
-0.55
-13.89
0.75
21.02
0.43 0.57 0.79
6.36 10.04 7.72
*Modell Chi2 = 100.03 Df=40 Pr(>Chi2)< 0.001 Chi2 (Null Model) = 1476.2 Df=66 Goodness-of-fit Index = 0.980 Adjusted goodness-of-fit Index= 0961 RMSEA Index = 0.0434 90 % CI: (0.0329, 0.0542) Bentler-Bonnett NFI = 0.943 Tucker-Lewis NNFI = 0.941 Bentler CFI = 0.964 SRMR = 0.0389 BIC = -167.15
143
Alle geschätzten Modellparameter sind statistisch hoch signifikant, wie an den zWerten, die alle deutlich größer als zwei sind, abzulesen ist. Die verschiedenen Prüfkriterien weisen auf einen guten bis sehr guten Modell-Fit hin (vgl. Medsker et. al., 1994; Hu/Bentler, 1999). Damit wird das von uns unterstellte Modell von den erhobenen Daten gestützt. Die Auswertung zeigt, dass die endogene Ergebniserwartung am stärksten durch den eigenen Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele beeinflusst wird. Dementsprechend ist auch die eigene Verantwortlichkeit vergleichbar stark für die endogene Ergebniserwartung determinierend. Die exogene Ergebniserwartung hingegen wird am stärksten durch den Umgang mit Beschwerden und Vorschlägen vom Vorgesetzten determiniert. Die wahrgenommene Kompetenz des Vorgesetzten weist zwar im Vergleich zu dem Umgang mit den Beschwerden einen geringeren Einfluss auf die Ergebniserwartung aus, trotzdem hat sie noch einen sehr hohen Einfluss auf die exogene Ergebniserwartung. Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass das Gefühl, etwas geleistet zu haben, das höchste Gewicht für die Valenz hat. Die Identifikation mit dem Unternehmen und die empfundene Sinnhaftigkeit der Arbeit haben ein geringeres Gewicht und sind für die Valenz jeweils gleich bedeutend. Alle Faktoren haben den von uns unterstellten positiven Einfluss auf die Leistungsbereitschaft. Die zentrale Erkenntnis des Strukturgleichungsmodells ist jedoch, dass die Valenz eine signifikant höhere Bedeutung für die Leistungsbereitschaft hat als die Ergebniserwartungen. Ein weiteres Ergebnis ergibt sich aus einer Kontrollfrage, in dem der Befragte ein Ranking für die drei wichtigsten Aspekte für Arbeit und Beruf angeben soll. Antwortmöglichkeiten waren hohes Einkommen, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Aufstiegsmöglichkeiten, kurze Arbeitszeit und viel Freizeit, persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, eine sinnvolle Tätigkeit. Es zeigt sich, dass „Sicherheit“, gefolgt von „Sinnhaftigkeit der Arbeit“, als wichtigste Kriterien angesehen werden. Erst dann kommen Einkommen und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten. Die Auswertung zur Leistungsfähigkeit zeigt statistisch signifikant, dass diese im Verlauf der Zeit als immer geringer von den Individuen eingeschätzt wird. Die Einschätzung der aktuellen Leistungsfähigkeit erlaubt mit der ermittelten Leistungsfähigkeit die Zuordnung der Häufigkeiten für die bereits skizzierte Typologie. Die Verteilung der Angestellten auf die verschiedenen Kategorien der Typologisierung offenbart eine signifikante negative Korrelation von Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit. Personen mit hoher Leistungsfähigkeit weisen eine Leistungsbereitschaft unterhalb ihres Erwartungswertes auf, während Personen mit niedriger Leistungsfähigkeit eine Leistungsbereitschaft oberhalb ihres Erwartungswertes aufweisen.
144
Tabelle 2:
Typologisierung in Bezug auf Leistungsfähigkeit und -bereitschaft Leistungsbereitschaft
niedrig
mittel
hoch
niedrig (Square)
7%
15 %
6%
mittel (Circle)
19 %
29 %
8%
hoch (Star)
8%
6%
2%
Leistungsfähigkeit
N=796
Ausgehend von der Typologisierung wird deutlich, dass 27 % der Befragten ihre Leistungsbereitschaft als niedrig erachten, aber gleichzeitig ihre Leistungsfähigkeit als hoch bzw. mittel erachten. Zusätzlich gibt es ein großes Potenzial an leistungsfähigen Mitarbeitern, die sich nur durch eine mittelgroße Leistungsbereitschaft kennzeichnen. Dies zeigt einen hohen Handlungsbedarf für das Personalmanagement. Ausgehend von dieser Typologisierung ist es möglich, zunächst zu entscheiden, welche Mitarbeiter besonders gefördert werden müssen, um durch gezielte Maßnahmen die Leistungsbereitschaft und damit auch die Passung von Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft zu erhöhen.
6. Fazit
Die beiden Hypothesen, dass die Ergebniserwartung und die Valenz einen positiven Einfluss auf die Leistungsbereitschaft haben, konnten verifiziert werden. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die Valenz eine höhere Bedeutung für die Leistungsbereitschaft hat, als die Ergebniserwartung. Bei der Einbeziehung der Verteilung auf die einzelnen Typen (vgl. Tabelle 1) ist zu erkennen, dass besonders häufig eine mittlere bis niedrige Leistungsbereitschaft mit einer mittleren bis niedrigen Einschätzung der Leistungsfähigkeit einhergeht und dass Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit negativ korreliert sind. Gerade Personen mit hoher Leistungsfähigkeit weisen eine vergleichsweise niedrige Leistungsbereitschaft auf. Es existiert hier also ein noch zu aktivierendes Potenzial zur Steigerung der Produktivität.
145
Die Erkenntnisse aus dem Strukturgleichungsmodell lassen die Vermutung zu, dass durch Maßnahmen, die die Valenz der Unternehmensziele und die Identifikation mit dem Unter nehmen erhöhen, auch die Leistungsbereitschaft erhöht werden kann. Auch die Global Workforce Studie kommt zu dem Ergebnis, dass beispielsweise der Ruf des Unternehmens, soziale Verantwortung zu übernehmen für Nicht-Führungskräfte der wichtigste Treiber für Motivation ist (vgl. Towers, 2007: 11). Diese Ergebnisse legen nahe, dass dies dadurch geschehen kann, indem die Mitarbeiter mehr bei der Entwicklung von Zielen bzw. Teilzielen für das Unternehmen einbezogen werden und durch geeignete interne Kommunikation eine höhere Identifikation mit den Zielen erreicht werden kann. Dazu stehen dem Unternehmen eine Reihe von Personalmanagement- und Führungsinstrumenten zur Verfügung (wie z. B. Zielvereinbarungen, Mentorenprogramme, Weiterbildungs- und Laufbahnentwicklung), die, individuell auf die Unternehmen bzw. Belegschaften zugeschnitten, implementiert werden können.
146
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148
Do older workers earn more than they deserve? Laura Romeu Gordo, Antje Mertens
1. Introduction
Over the past decades, life expectancy in OECD countries has increased strongly, a fact that is obviously beneficial for OECD citizens. However, combined with decreasing birth rates this development has led to the well-known problem of population ageing. Sustainability of pension systems, and – linked to this problem – the employability of older workers, are issues that need to be dealt with in the years to come. Germany is no exception: the Statistisches Bundesamt has estimated that by 2050, 40 % (10 percentage points more than currently) of the working-age population will be 50 to 64 years old (Statistisches Bundesamt, 2006). While increases in the official retirement age have already been introduced, firms still often prefer younger workers over older ones, especially in recruitment (see for example Eichhorst, 2006; Heywood et al., 2008). One of the main problems in German labour markets is early exit. Participation rates decline rapidly after the age of 60, dropping to 25 % for men at an age of 63 and to 10 % for women (OECD, 2005). Moreover, not only are the labour-force participation rates of those between 55 and 64 lower, but the unemployment and long term unemployment rates in that age group are also higher than on average. 1 As a result, an important segment of the working population is not working. The OECD (2005) has estimated that 11.7 % of the German working-age population are ‘mobilisable labour resources’; and two-thirds of this percentage is attributable to excess non-employment of older workers. Quite a few studies have investigated the factors which affect the employment of older workers, all showing that the institutional context is of high relevance. On the labour supply side the generosity of unemployment compensation and pension systems influence participation and employment decisions (Schmidt, 1995; Riphahn/Schmidt, 1997; Eichhorst et al., 2004). On the labour demand side companies have to deal with relatively non-transparent age-specific regulations (Pfarr et al., 2005; Brussig et al., 2006; RWI/ISG, 2005).
1 See Figure A1 in the Appendix.
149
Wage rigidity and increasing age-earnings profile have also been identified as a possible determinant of low employment rates of older workers in Germany. Wages for older workers could be higher due to wage bargaining and /or the prevalence of delayed payment contracts2, potentially leading to age-earning profiles which differ from age-productivity profiles. This paper uses cognitive abilities as an indicator of productivity potential in order to see whether productivity decreases with age and how wages adapt to this profile. Moreover, we will decompose wage differentials between older and younger workers in explained and unexplained components in order to test whether older workers earn more or less than younger workers, controlling for a standard set of covariates known to influence wages and our cognitive ability variables. Section 2 below gives a brief overview of the literature to date and discusses evidence on age-productivity and age-earnings profiles. In section 3 our data, the German Socio-economic Panel Study and our methodology is described. Section 4 presents our results and the final section 5 concludes. 2. Age-earnings and productivity profiles
2.1 Age-productivity profiles The main difficulty in establishing the relationship between age and productivity is the measurement of productivity. Skirbekk (2004) offers an extensive review of productivity measurement and age productivity profiles. The most common measurement used in the studies on age and productivity are supervisors’ ratings of employees’ productivity. These studies show little or no relationship between productivity and the age of employees. However, this measurement of productivity may be biased, since supervisors may evaluate older workers more generously as a reward for past achievements or as a reward for loyalty (Salthouse/Maurer, 1996). Furthermore, there is a selection problem, since poorly rated individuals may lose their job before reaching older ages. Early studies from the 1950s and 1960s are based on more objective measures of productivity like production records. In this case productivity is measured counting the number of items produced by an individual within a given time. Analyses based on this measurement of productivity show increase in performance with age until the middle of the working life and decline of productivity after this peak (Mark, 1957; Kutscher/Walker, 1960). The problem with this measurement is that output is not always easy to measure for all employees. 2 Implicit contracts between employer and employees, which imply that employees are underpaid at the beginning and overpaid at the end of the contract. The purpose of such contracts is to discourage worker shirking (Lazear, 1979).
150
Some recent studies are based on employer-employee datasets and analyse the impact of the age structure of a firm’s labour force on the firm’s output (Crepon et al., 2002; Ilmakunnas et al., 2004). These studies show that firms with an older age structure are less productive than firms with a younger age structure. However, it is difficult to isolate the effect of age structure on the firm’s output from other components. Productivity for exceptional performers (like scientists and writers), also suggest an inverted U-shaped productivity function. The peak of the productivity function is between 20 and 40 varying according to the discipline (Jones, 2005; Lehman, 1953; Simonton, 1997). As we see, productivity is difficult to measure and this constrains the analysis of the relationship between productivity and wages. Instead of analysing the effects of productivity on wages, the empirical labour economics literature has therefore often focused on the relationship between age and wages. This is perhaps the closest possible related link as productivity seems to be correlated with age. The next section will present some of the most important evidence from that literature with special reference to interpretations linking age earnings profiles and productivity. 2.2 Age earnings profiles and productivity In empirical research the link between age and wages has been investigated innumerable times. The standard way of analysing this relationship is based on Becker's human capital model (Becker, 1962) and Mincer's application of the theoretical human capital framework in the form of wage regressions (Mincer, 1962, 1974). In its original form a wage regression explains earnings as a function of education and experience, with experience in practice often being proxied by age. According to the theory of human capital an increase in wages with experience is explained by the acquisition of general skills (and therefore increasing productivity) while working. Positively sloped experience-earnings profiles are interpreted as being caused by increases in worker productivity. However, the increase is usually found to decline with further experience. Hurd was the first to propose that there is an inverse U-shaped age earnings profile (Hurd, 1971). However, it has not been clarified whether the negative effect of age at the end of the working life is due to the decline in cognitive abilities or to other factors (Myck, 2007).
151
Figure 1:
Average hourly earnings
25 23 21 19 17 15 13 11 9 7
Age
5 20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
Source: SOEP (own calculations).
Along the same lines wage regressions usually include tenure, which is typically found to have a positive effect on wages as well (holding experience constant). This is sometimes explained by the acquisition of skills on the job, with workers building up firm (and/or job) specific human capital. Within the context of human capital models the problems surrounding the financing of transferable skills may lead to problems in interpreting the estimated coefficients on the tenure variable. As firm specific skills are not transportable, investments should be shared by the firm and the worker (Becker, 1962; Parsons, 1972; Hashimoto, 1981). The resulting earnings profile will hence be relatively steep and will not reflect productivity. Moreover, there are also other potential explanations for steep earnings profiles, including matching and efficiency wage theory. In matching models, individuals switch jobs as long as they are able to receive job offers which provide a better fit between their skills and the job (Burdett, 1978; Jovanovic, 1979; Flinn, 1986). Once a good match has been found, tenure starts to increase as there is no further incentive to leave the firm, leading to positively sloped tenure-earnings profiles independent of worker skill. According to Lazear (1979) and Hutchens (1986) there are implicit contracts between employer and employees which imply that employees are underpaid at the beginning and overpaid at the end of the contract. The purpose of such contracts is to discourage worker shirking. The honest worker will remain with the firm in order to receive her reward of a high wage, while the worker who shirks runs the risk of being caught out and fired
152
before obtaining the high wage. These contracts are more suited to firms where output cannot be costlessly observed. Hutchens (1986) argues that longer contracts are preferred by firms who require such payment schemes so that there is no interest in hiring new older workers. Freeman (1977) and Harris/Holmstrom (1982) argue that the growth of wages with tenure has an insurance motive. According to the authors, firms insure workers against low productivity later in their careers. The expected value of the wage later in their careers exceeds expected marginal productivity and this gap is financed by an excess of marginal productivity over wages in early periods (Altonji/Shakotko, 1985). Guasch/Weiss (1980, 1982) argue that increases in wages with tenure help to solve adverse selection problems when recruiting workers. The authors assume that workers know more about their abilities than firms do; therefore, firms may offer wages below marginal product in the period during which workers are evaluated and a wage above marginal product in subsequent periods to those workers who present higher productivity. This wage structure will discourage unproductive workers from applying (Altonji/Shakotko, 1987). There is also another way of interpreting the increasing cross-sectional wagetenure profile. It can also be the case that better workers are more likely to remain longer in their jobs, therefore increasing wages with tenure would not be explained by the theories outlined above but by the fact that good labour market matches are related to longer tenures. Altonji/Shakotko (1987) suggest estimation approaches that account for this endogeneity problem and they conclude that indeed job shopping and general labour market experience (as suggested by the human capital theory) account for most wage growth over a career. The effect that tenure has on wages can also be country specific. There are several factors that may help German workers in maintaining their earnings (and returns to tenure) when they change jobs in comparison to the US (Couch, 2003).3 Given that the rate of unionization in Germany is approximately four times that of the US, transportability of tenure premiums might be stronger for German workers. On the other hand, worker displacement in Germany is potentially costly, implying that employers will be more selective when they hire a worker. In this context, workers who lose their jobs may be marked as undesirable, which has an effect on their future earnings. Figure 2 shows that the wage tenure profile is not as obvious as the wage-age profile. Accordingly the evidence is very mixed. Couch (2003) reports that tenure profiles in Germany peak later than in the U.S. – an incentive for German workers to stay with their firm. Likewise, Zwick (2008) reports that German firms pay
3 For a recent study on returns to tenure in the US see Shaw/Lazear 2007.
153
relatively high seniority wages in international comparison. Dustmann/Meghir (2005), however, find returns to tenure for skilled workers only. Using the AltonjiShakotko approach, Orlowski/Riphahn (2007) are even unable to detect some significant returns to tenure for Germany. Figure 2:
Average hourly earnings
30 25 20 15 10 Tenure
5 0
5
10
15
20
25
30
35
40
Source: SOEP (own calculations).
In order to have a more complete picture about wage formation, not only returns to tenure (specific skills) and experience (general skills) are necessary but also returns to cognitive skills as an indicator of productivity potential. In this study we analyse whether wage formation responds to cognitive abilities and whether the remuneration of cognitive abilities differs between groups of workers. In this way, we contribute to the debate about how wage formation responds to productivity developments. 2.3 Cognitive abilities as an indicator of productivity potential Cognitive or mental abilities refer to broad aspects of intellectual functioning (Skirbekk, 2004). These include reasoning, spatial orientation, numerical capabilities, verbal abilities and problem solving.4 These abilities together with physical abilities,
4 The most commonly used measurement of cognitive abilities is the IQ score.
154
education and job experience determine an individual’s productivity potential. This, combined with the company’s characteristics, determine job performance. Figure 3:
Outline of Factors Affecting Job Performance
Physical Abilities
Age
Mental Abilities
Productivity Potential
Education
Job Experience
Job Performance
Company Characteristics
Source: Skirbekk (2004).
In modern societies, where physical strength has lost much of its importance, cognitive skills are a good indicator of productivity (Skirbekk 2008). In most jobs what determines productivity potential is the ability to acquire new knowledge in a rapidly changing workplace. It has been tested in the literature how mental abilities affect job performance. Schmidt/Hunter (1998) analyse how different individual characteristics, such as education, work experience and general mental abilities, relate to job performance. The authors find that mental ability predicts a person’s job performance better than any other observable characteristic. Currie/Thomas (1999) and Tyler et al. (2000) find that mental abilities at young ages determine adult income levels after adjusting for socio-economic status. A large body of evidence supports the idea that cognitive abilities decline from some stage in adulthood (e.g. van Ours, 2009; Czaja/Sharit, 1993; Gelderblom/De Koning, 2002). Verhaegen/Salthouse (1997) present a meta-analysis of 91 studies that describe how mental abilities develop with age. These studies show that important cognitive abilities like reasoning, speed and episodic memory decline significantly by the age of 50. However, not all abilities follow the same pattern. While fluid abilities (learning, perceptual speed and reasoning abilities) decline
155
considerably over the life cycle, crystallized abilities (vocabulary size and semantic meaning) remain stable (Schaie, 1994). This indicates that during normal ageing there will be a decrease in productivity in certain tasks; but there will be other tasks in which productivity will remain stable or even increase. Furthermore, according to the literature (e.g. Roßnagel, 2009; 2010) the right lifelong learning strategies enable workers to maintain the relevant competences over working life. Skirbekk (2008) in an innovative study estimates changes in productivity potential by analysing not only the age variation in individuals’ abilities but also the changing importance of these abilities in the labour market. The assumption of the author is that the age-productivity curve is not static but changes with labour market requirements (e.g. Autor et al., 2009; Spitz-Oener, 2006). The author concludes that taking into account both aspects, the productivity potential decreases in the latter half of the working life. In the next section we will now introduce the data we use to measure cognitive abilities. 3. Analysis
3.1 Data We use two indicators for cognitive abilities from the German Socio-Economic Panel (SOEP) to analyse whether wages respond to productivity changes with age. 5 The SOEP is a representative, interdisciplinary and longitudinal survey of the German population (SOEP Group 2001).The panel was started in 1984, and has been repeated yearly since then. The only year for which cognitive tests are available is the year 2006. In that year the survey covered a total of some 22,000 individuals from about 12,500 households. Approximately a quarter of all respondents participated in the cognitive tests, of whom almost 40 % were older than 50. Measuring productivity is a difficult task and traditional studies using supervisor ratings, piece rates, employer-employee data sets or simply age specific wage and employment patterns are plagued with the problem that "In general, there does not exist any definite way of estimating how productivity varies by age which does not entail a large degree of uncertainty or where the findings are universally valid" Skirbekk (2004). In order to supply researchers with information on productivity potential, the SOEP study offers two ultra-short tests for application, which use the theoretical framework of life-span psychology (Lang, 2005; Lang et al., 2007). This theoretical framework distinguishes between two components of
5 It is beyond the scope of the paper to review psychological discussions surrounding the definition and measurement of cognitive abilities. See e.g. Carroll (1993); Lang (2005) and Lang et al. (2007).
156
intellectual functioning: the mechanics and the pragmatics of intellectual ability, corresponding to the concept of crystallized and fluid abilities. The mechanics of cognition are capacities related to information processing, and the pragmatics of intellectual ability refer to educational and experience-related competences. Both components, taken together, represent the cognitive abilities that are required for performing competently over the life course. The mechanics of cognition are tested using the Symbol-Digit-Test (SDT) which requires individuals to match numbers with graphical symbols as quickly as possible. The test end after 90 seconds, and the maximum amount of correctly assigned digits provides an estimate of the respondent’s perceptual informationprocessing speed (Smith, 1995; Lang et al., 2007). Knowledge-based word fluency is assessed with the Animal Naming Task. The participants name as many different animals as possible during a 90 second interval (Lindenberger/Baltes, 1995; Lang et al., 2007). For our analysis, we select only individuals who carry out these tests. Furthermore, selection was restricted to men of working age (20-65) who are in employment. Samples B, D and G of the SOEP were excluded; these are WestGerman foreigners, immigrants and high income sample respectively. Finally, self employment and public employment were also excluded. These selections were carried out in order to generate a homogenous group in terms of wage formation. In the final sample approximately 1,000 individuals were included. In Table A1, some descriptive of the sample is presented. In Figures 4 and 5 we plot the relationship between the average results of these tests and the average age of the respondents. We observe that while the results of the SDT decrease dramatically with age, the results of the Animal Naming Test present more variation and the decline with age is not that pronounced.6 These results fit well with what the literatures says. While fluid abilities decline dramatically with age, crystallized abilities remain more stable over the life cycle. Anger and Heineck (2006, 2008) were the first to use this data set. They report a positive effect of the fluid intelligence (or mechanics of cognition) on wages that vanishes once occupational status and industry are controlled for. Pragmatics of cognition did not influence earnings positively in their estimations, but they also detected a negative relationship between cognitive abilities and unemployment.
6 Appendix Table A2 reports means and standard deviations for different age groups used later on in our analysis.
157
Figure 4:
Average Symbol-Digit-Test results
35 30 25 20 15 Age
10 20
25
Figure 5:
30
35
40
45
50
55
60
65
70
Average Animal Naming Test results
30
25
20
15 Age
10 20
25
30
Source: SOEP (own calculations).
158
35
40
45
50
55
60
65
70
3.2 Methodology In order to investigate whether differentials in wages between younger and older individuals are ‘justified’, we use the methodology developed by Oaxaca (1973) and Blinder (1973). According to Oaxaca and Blinder, any wage differential between two groups of people (defined by gender, race, ethnicity etc.) can be decomposed into two parts. The first is explained by differences in the human capital endowments of both groups, the second reflects differences in prices, that is the remuneration of these endowments. This latter element is often interpreted as an estimate of wage discrimination (Beblo et al., 2003). According to this differentiation, potential differences in the wages of younger and older individuals may be derived from both differences in human capital endowments and other job-related variables (endowment effect) and from a difference in the values that are assigned to older and younger workers’ characteristics (remuneration effect). Among the endowment factors considered in the literature are educational attainment, work experience, tenure, occupational status and firm characteristics. We consider furthermore the cognitive abilities of the individuals. It is important to have a wage determination model which is as precise as possible in order to determine whether there is wage discrimination. The basic method applies to the determination of wage differentials at the mean, and it was developed for cross-sectional data. Wage regressions of younger and older workers are estimated:
ln WiO
X iO E O H iO
(1)
ln W iY
X iY E Y H iY ,
(2)
where the superscripts O and Y indicate older and younger respectively. The wage at the mean for each group is:
ln W ln W
O
O X Eˆ O
(3)
Y
Y X Eˆ Y .
(4)
Where ln W
O
NO
¦ ln Wi / N O and NO stands for the number of older workers in
i 1
O
the sample. The vector X represents the average human capital characteristics of
159
the older workers. If we assume that the competitive price vector in the market is the wage structure of the younger workers Eˆ Y , we can compute the predicted mean wage for older workers with coefficient estimates from the young workers’ wage regression and average characteristics of older workers: ln W 1
O
O X Eˆ Y
(5)
The wage gap can be decomposed by calculating two differences. The first difference ln W
Y
O
ln W 1 indicates by how much the mean wage for young
workers exceeds the mean hypothetical wage for older workers in the absence of O
O
discrimination. The second term, ln W 1 ln W shows the distance between the hypothetical wage for older workers and their actual mean wage:
^ ln W ln W ` Y
^
O
wagegap
O O Y O½ 1 ½ 1 ln W ¾ ®ln W ln W ¾ ®ln W ¿ ¿ ¯ ¯
`^
Eˆ Y X Y Eˆ Y X O Eˆ Y X O Eˆ O X O
(6)
`
O Eˆ Y X Y X O X O Eˆ Y Eˆ . endowment effect
remunerati on effect
The first term of the right side of the equation (6) presents the endowment effect of the wage differential between older and younger workers; it arises from differences in the average characteristics. The second term represents the remuneration effect due to differences in estimated coefficients (discrimination). If older and younger workers had the same characteristics at the mean, the existing wage gap would only be caused by the difference in the remuneration of these characteristics.
160
4. Results
4.1 Wage regressions Before decomposing wage differentials by age, we present wage regression estimates for all workers. Apart from the more or less standard controls, we include the two covariates SDT (Symbol-Digit-Test) and ANT (Animal-Naming-Test). As discussed above, SDT controls for fluid abilities or the mechanics of intellectual ability and ANT controls for crystallized abilities or knowledge based pragmatics. In order to see whether these indicators of productivity potential have different effects for different groups, we also test whether interactions between cognitive abilities and other characteristics (like age, occupational status, tenure, education and unemployment experience) are significant. In Table 1a we present the results of the basic specification (without interaction terms). Being older, living in West Germany, education, tenure and working in a large firm have positive effects on hourly earnings. On the other hand, unemployment history and lower occupational status have a negative effect on wages. In this first model we also observe that cognitive abilities have no significant effect on wages. This corresponds to Anger/Heineck (2008), who report that effects vanish once occupation and industry are controlled for. Still, it could be possible that cognitive abilities (or our measures thereof) are relevant for some sub-groups only. In order to test this, we run the same model with interactions. In Table 1b we interact cognitive abilities with age, occupational status and tenure. Just a few interactions are significant, which we are going to discuss in turn. We observe that the interaction terms of the Animal Naming Test with our age dummies are positive and significant. Taking into account that the reference category is the youngest age group (20-30 years old) this means that crystallized abilities become more relevant with age. Or in other words, while for the youngest workers crystallized abilities are of less relevance in the determination of wages, older individuals with better crystallized abilities earn more. However, this result is stronger for workers between 31 and 40 than for those between 41 and 65.
161
Table 1a:
Wage regressions for men. Basic model (without interactions)
Age 31-40 Age 41-50 Age 51-65 Region (=1 west) Vocational Training College Education 0 < Unemp. experience <=1 1 < Unemp. experience <=3 Unemp. experience >3 1 < Tenure <=5 5 < Tenure <=10 Tenure >10 Occ. status (lower professionals) Occ. status (clerical and service) Occ. status (skilled manual) Occ. status (manual) Firm size >=20 & <200 Firm size >=200 & <2000 Firm size >=2000 Symbol Digit Test Animal Naming Test Constant N. r2
Basic Model Coefficient Std. Error 0.193*** (0.05) 0.205*** (0.05) 0.212*** (0.06) 0.353*** (0.04) 0.148*** (0.05) 0.353*** (0.06) -0.038 (0.04) -0.138** (0.05) -0.265*** (0.08) 0.115** (0.05) 0.207*** (0.06) 0.255*** (0.06) -0.178*** (0.05) -0.306*** (0.05) -0.313*** (0.04) -0.506*** (0.07) 0.156*** (0.04) 0.259*** (0.04) 0.300*** (0.04) -0.000 (0.00) 0.001 (0.00) 1.921*** (0.09) 743.000 0.505
Note: Unemployment experience and tenure in years. Reference categories: age 20-30, basic schooling, no unemployment experience, tenure < 1 year, higher professionals, small firm with less than 20 employees. *** indicates significance at the 1 %-level, ** at the 5%-level and * at the 10 % level. Source: Own calculations based on SOEP data for 2006.
The other clearly significant interaction we find is between the Symbol Digit Test and tenure. Once workers have been in the firm for more than a year, they get paid more as their fluid ability increases. We find the largest positive effect of fluid abilities on hourly earnings for workers who have been with their firm for over ten years. It is, however, not possible to tell from these estimations whether the positive interaction is simply the result of individuals with better fluid abilities being more likely to stay in the firm. If more productive individuals stay (which is what we would expect) they are also likely to be paid more. 162
Finally, we also observe some significant interactions of both fluid and crystallized abilities with occupational status. Manual workers with higher cognitive abilities earn less than those with lower cognitive abilities. Cognitive abilities seem to be less important in those occupations and potentially even negative for earnings, although the effects are relatively minor. Tentatively, we could also argue that for manual workers other productivity factors apart from cognitive abilities still seem to matter more. Overall, our results confirm that remuneration adapts to productivity potential at least for some groups of workers, with a higher productivity potential leading to higher wages. We also experimented with interactions between education and unemployment experience. These interaction terms have no significant effect on earnings as can be seen from Table 1c. Table 1b:
Wage regressions for men. Interactions of cognitive abilities with age, occupational status, and tenure
SDT u Age 31-40 SDT u Age 41-50 SDT u Age 51-65 ANT u Age 31-40 ANT u Age 41-50 ANT u Age 51-65 SDT u Lower professionals SDT u Clerical and service SDT u Skilled manual SDT u Manual
Interactions with Age -0.005 (0.00) -0.004 (0.00) -0.001 (0.00) 0.012*** (0.00) 0.009** (0.00) 0.008* (0.00) . . . . . . .
Interactions with Occupational Status . . . . . . . . . . . . -0.004 (0.00) 0.001 (0.00) 0.003 (0.00) -0.010*
Interactions with Tenure . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163
Table 1b:
Wage regressions for men. Interactions of cognitive abilities with age, occupational status, and tenure (continued)
ANT u Lower professionals ANT u Clerical and service ANT u Skilled manual ANT u Manual SDT u Tenure (>1 and <=5) SDT u Tenure (>5 and <=10) SDT u Tenure (>10) ANT u Tenure (>1 and <=5) ANT u Tenure (>5 and <=10) ANT uTenure (>10) Constant N. r2
Interactions with Age . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.018*** (0.10) 743.000 0.512
Interactions with Occupational Status (0.01) -0.002 (0.00) 0.000 (0.00) -0.006* (0.00) 0.006 (0.01) . . . . . . . . . . . . 1.911*** (0.09) 743.000 0.513
Interactions with Tenure . . . . . . . . . 0.011** (0.00) 0.009** (0.00) 0.013*** (0.00) 0.002 (0.00) -0.002 (0.00) -0.004 (0.00) 2.113*** (0.11) 743.000 0.517
Note: SDT = Symbol-Digit-Test; ANT = Animal Naming Test. For other controls see Table 1a. Standard errors in parentheses. *** indicates significance at the 1 %-level, ** at the 5 %-level and * at the 10 % level. Source: Own calculations based on SOEP data for 2006.
164
Table 1c:
Wage regressions for men. Interactions of cognitive abilities with education and unemployment experience Interactions with Education -0.001 (0.00) 0.005 (0.00) 0.005 (0.00) 0.005 (0.00) . . . . . . . . . . . . 2.005*** (0.11)
Interactions with Unemployment Experience . . . . . . . . -0.004 (0.00) -0.005 (0.00) -0.010 (0.01) 0.003 (0.00) 0.004 (0.01) 0.003 (0.01) 1.903*** (0.09)
N.
743.000
743.000
r2
0.510
0.508
SDT u Vocational Training SDT u College Education ANT u Vocational Training ANT u College Education SDT u Unemp. exp. (>0 and <=1) SDT u Unemp. exp.(>1 and <=3) SDT u Unemp. exp.(>3) ANT u Unemp. exp. (>0 and <=1) ANT u Unemp. exp. (>1 and <=3) ANT u Tenure (>3) Constant
Note: SDT = Symbol-Digit-Test; ANT = Animal Naming Test. For other included controls see Table 1a. Standard errors in parentheses. *** indicates significance at the 1 %-level, ** at the 5 %-level and * at the 10 % level. Source: Own calculations based on SOEP data for 2006.
165
4.2 Oaxaca-Blinder decomposition Next, we decompose wage differentials between older and younger workers in explained and unexplained components. This decomposition is based on our basic specification without interactions (compare Table 1a above), but now we split up the sample by age groups instead of including age dummies. The results are presented in Table 2. We observe that older individuals (51-65) earn slightly more than younger individuals (aged 31-50). The log wage is 2.77 for older and 2.72 for younger workers, although this difference is not significant. Decomposing the wage differential we find that endowments and remuneration work in different directions. Table 2:
Oaxaca-Blinder decomposition: older workers (51-65) vs. younger workers (31-50) Coeffient
Robust Std. Err.
z
P>z
Prediction_1
2.732
0.022
126.080
0.000
Prediction_2
2.775
0.039
70.700
0.000
Difference
-0.044
0.045
-0.970
0.330
Differential
Decomposition
a
Explained
-0.106
0.051
-2.070
0.038
Unexplained
0.063
0.047
1.340
0.179
Prediction_1 = predicted wages of younger workers (31-50).
b
Prediction_2 = predicted wages of older workers (51-65) Note: For included controls see Table 1a. Source: Own calculations based on SOEP data for 2006.
The first explained part of the wage differential reflects the mean change in older workers' wages if they had the same characteristics as younger workers. The effect is negative and significant, showing that with the same characteristics as younger workers, older workers would earn considerably less. As theory predicts, older workers have moved on in their career which leads to higher earnings. The second term quantifies the change in older workers' wages when applying younger workers' coefficients to older workers characteristics. According to our estimate, older workers compensation should be higher if remuneration were the same. By comparing the wages of older workers (51-65) with those of middle aged workers (41-50) we obtain similar results. Older workers earn slightly more, but this difference would be larger if coefficients for older and younger workers were the same. Summing up, we find that although older workers' endowment and wages are 166
higher, they are still being discriminated against on average and would earn more if treated as younger workers.7 Table 3:
Oaxaca-Blinder decomposition: older workers (51-65) vs. middle aged workers (41-50) Coef.
Robust Std. Err.
z
P>z
Prediction_1
2.733
0.030
91.010
0.000
Prediction_2
2.775
0.039
70.690
0.000
Difference
-0.042
0.049
-0.850
0.395
Explained
-0.130
0.074
-1.77
0.077
Unexplained
0.088
0.064
1.370
0.172
Differential
Decomposition
a
Prediction_1 = predicted wages of younger workers (41-50).
b
Prediction_2 = predicted wages of older workers (51-65) Note: For included controls see Table 1a. Source: Own calculations based on SOEP data for 2006.
5. Conclusions
Older workers have left the German labour market in large numbers over the past decades. Apart from institutional settings, wages paid to older workers are an important determinant of labour market participation. High seniority wages may even lock out older employees from jobs (Zwick, 2008). In this paper we moved one step further in trying to understand the determinants of older workers wages. Based on the theory of human capital and job search, we first use cognitive abilities as indicators of productivity potential in our wage regressions. Certainly, our measures of cognitive abilities and productivity are not undisputed, but the effects we found are plausible and fit in with economic theory, although productivity indicators as available in the German Socio-Economic Panel (SOEP) are only minor determinants of individual wages (compare also Heineck/Anger 2008). By introducing interactions in the wage regressions, we find that cognitive abilities are a
7 Obviously older workers are more likely to have achieved higher tenure. So we also experimented with our specification, leaving out our tenure dummies (<1 year, 1-5, 5-10, >10). The pattern of results remains the same.
167
significant determinant of worker compensation, but only for certain groups. As theory and common sense predict, older workers with better crystallized abilities (or knowledge-based word fluency) earn more. Moreover, workers that have been in the firm for more than a year, get paid more the higher their fluid ability. In a second stage, we analyse wage differentials between younger and older workers using the Blinder-Oaxaca decomposition. What we obtain is that older workers earn slightly more than younger workers. Although this wage differential can be explained by older workers' endowments – considering as endowments standard wage determinants and cognitive abilities – older workers would earn even more if they were paid as younger workers. Our estimates show that returns to endowments differ between both groups to the disadvantage of older workers, even when controlling for productivity. Whether this is really discrimination or still unmeasured ability, we cannot say, as the available data just allows a cross sectional analysis. From what we have learned from the SOEP data, we conclude that older workers have more problems in achieving high returns to their endowments than younger workers. This negative effect of age at the end of the working life does not fit in with the theory of deferred payment. As even better measures of productivity and longitudinal data sets will hopefully become available in the future, we will be able to learn more about the linkages between wages, productivity and old age. Only longitudinal studies that measure abilities and wages over the working life could potentially settle the disputes about seniority wages.
168
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172
Appendix
Table A1:
Descriptives
Hourly earnings Age Region (=1 west) No vocational training Vocational training College education No unemployment experience Unemployment experience (>0+<=1) Unemployment experience (>1+<=3) Unemployment experience (>3) Tenure (<=1) Tenure (>1+<=5) Tenure (>5+<=10) Tenure (>10) Occ. St. (higher prof.) Occ. St. (lower prof.) Occ. St. (clerical and serv.) Occ. St. (skilled manual) Occ. St. (manual) Firm size <20 Firm size >=20 & <200 Firm size >=200 & <2000 Firm size >=2000
Mean 16.04 42.20 83.79 9.88 71.54 18.58 65.99 21.44 8.38 4.19 11.59 23.71 22.21 42.49 21.85 15.65 12.95 42.57 6.98 25.08 28.67 22.28 23.96
Std. Dev. 9.41 10.28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173
Table A2:
Descriptives
Symbol-Digit-Tests results
Animal Naming Tests results
Average hourly earnings
Figure A1:
Mean 22,87 24,59 22,86 18,53 17,00 22,70 21,32 18,47 9,17 16,35 16,47 17,64
Age 20-30 Age 31-40 Age 41-50 Age 51-65 Age 20-30 Age 31-40 Age 41-50 Age 51-65 Age 20-30 Age 31-40 Age 41-50 Age 51-65
Std. Dev. 18,40 14,12 13,96 14,66 14,95 14,27 13,28 14,06 3,94 6,64 7,20 8,55
Unemployment rates (in %), age 55-64
14 12 10 8 6 4 2 0 1994
2004
2005 Germany
Source: OECD, both sexes.
174
2006 Total OECD
2007
Wer nutzt die Altersteilzeit? Eine Analyse der Inanspruchnahme nach betrieblichen, persönlichen und beruflichen Merkmalen Susanne Wanger
Einleitung
Ein spezifischer Pfad in den Ruhestand prägt die Beschäftigungsentwicklung der Älteren inzwischen besonders – die Altersteilzeit. Mittlerweile befindet sich jeder sechste sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Alter zwischen 55 und 64 Jahren in Altersteilzeit. Das Altersteilzeitgesetz sollte ursprünglich älteren Arbeitnehmern den gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ermöglichen, um die Arbeitsbelastungen im Alter zu reduzieren und einen „Ruhestandsschock“ zu vermeiden. Außerdem wollte man so der gängigen Frühverrentungspraxis der 1980er und 1990er Jahre (vgl. Klammer/Weber, 2001) begegnen. Auch der Wissenstransfer zwischen den Generationen war ein Ziel: Arbeitsplätze sollten frei werden, um Arbeitslose zu integrieren, Auszubildende einzustellen oder Ausgebildete zu übernehmen. Denn in diesen Fällen zahlt die Bundesagentur für Arbeit (BA) Zuschüsse. Allerdings gilt diese Förderung nur noch für Eintritte in die Altersteilzeit bis Ende des Jahres 2009, danach wird die Regelung auslaufen. Wurden die an die Altersteilzeit geknüpften Erwartungen erreicht und wird sie den Anforderungen der Arbeitsmarktpolitik – insbesondere in Zeiten des demografischen Wandels – gerecht? Um diese Fragen zu beantworten, stellen wir im Folgenden zunächst die gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen zur Altersteilzeit vor und zeigen mit Daten der Beschäftigten-Historik des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sowie der Leistungsstatistik der BA, wie sich die Altersteilzeit in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Daran schließen sich Strukturanalysen an, u. a. untersuchen, welchen Einfluss die Betriebsgröße, der Wirtschaftszweig oder die Arbeitsbelastungen des ausgeübten Berufs auf die Inanspruchnahme der Altersteilzeit bzw. auf ihre Dauer haben. Zum Schluss werden Ansätze aufgezeigt, wie die Altersteilzeit „zukunftsgerecht“ umgestaltet werden könnte und welche Maßnahmen dies flankieren sollte.
175
1. Gesetzliche und tarifliche Bestimmungen
Die Altersteilzeit wird durch das 1996 in Kraft getretene Altersteilzeitgesetz geregelt.1 Es sieht u. a. vor, dass Altersteilzeitarbeitsverhältnisse, die bis zum 31. Dezember 2009 beginnen, von der BA gefördert werden können (vgl. Exkurs). Der Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung ist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer freiwillig, ein Rechtsanspruch besteht nicht. Das Altersteilzeitgesetz legt nur die Mindeststandards für Bedingungen und Leistungen fest, die weitere Ausgestaltung obliegt den Tarifvertragsparteien. Die meisten Tarifverträge gelten ebenfalls bis zum 31. Dezember 2009, dem letztmöglichen Eintrittszeitpunkt in die geförderte Altersteilzeit. Das Altersteilzeitgesetz allerdings gilt weiter, so dass nicht geförderte Altersteilzeit auch nach 2009 noch vereinbart werden kann. Dementsprechend gibt es in vielen Branchen bereits Tarifabschlüsse, die auch weiterhin Altersteilzeit ermöglichen – zumeist auf Basis der bisherigen finanziellen Konditionen. So haben z. B. die Chemische Industrie sowie die Kunststoffverarbeitende Industrie die Altersteilzeit bis Ende 2015 verlängert. Auch die Metallund Elektroindustrie ermöglicht die Altersteilzeit noch bis Ende 2016 – jedoch vorrangig für Arbeitnehmer mit besonderen Arbeitsbelastungen und grundsätzlich nur im Blockmodell. Eine Vielzahl weiterer Branchen hat die Altersteilzeit in ihren Tarifverträgen spezifisch geregelt. Den Arbeitnehmern bringt die tarifliche Ausgestaltung des gesetzlichen Rahmens häufig bessere Bedingungen. Dazu gehört etwa eine höhere Aufstockung des Teilzeitentgelts oder der Beiträge zur Rentenversicherung durch den Arbeitgeber. Auch Ausgleichszahlungen für spätere Rentenabschläge sehen einige Tarifverträge vor. Den Betrieben verbleiben bei der geförderten Altersteilzeit als Nettokosten nur die zusätzlichen tariflichen Leistungen – falls solche gewährt werden. Andernfalls ist die Altersteilzeit für sie kostenneutral. Je nach Branche sind diese tarifvertraglichen Leistungen sehr unterschiedlich und die Anreize, die davon ausgehen, variieren entsprechend. So stehen den Beschäftigten im Baugewerbe nur die gesetzlichen Regelungen zu, d. h. ihr Regelarbeitsentgelt wird um 20 % aufgestockt. In der Chemischen Industrie oder in Teilen der Eisen- und Stahlindustrie beträgt die Aufstockung dagegen 35 %, der Ausstieg wird also finanziell besser abgesichert. Im Durchschnitt stocken die Unternehmen immerhin um rund 23 % des Regelentgeltes auf (Klammer/Weber, 2001).
1 Zum Entstehungskontext des Altersteilzeitgesetzes siehe auch Barkholdt (2001), Kaldybajewa/Kruse (2007) sowie Klammer/Weber (2001).
176
Exkurs:
Das Altersteilzeitgesetz – die wichtigsten Regelungen
Personenkreis Der Arbeitnehmer muss zu Beginn der Altersteilzeit das 55. Lebensjahr vollendet haben und innerhalb der letzten 5 Jahre vor Beginn der Altersteilzeit mindestens 1.080 Tage versicherungspflichtig gearbeitet haben (Ansprüche auf Arbeitslosengeld bzw. Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II stehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gleich). Ausgestaltung Die bisherige durchschnittliche Arbeitszeit muss auf die Hälfte reduziert werden; die Verteilung der Arbeitszeit (Teilzeitmodell versus Blockmodell) ist Vereinbarungssache, allerdings muss die Beschäftigung weiterhin sozialversicherungspflichtig sein. Außerdem muss nach dem Ende der Altersteilzeit ein unmittelbarer Übergang in eine (ggf. auch durch Abschläge geminderte) Altersrente möglich sein. Im Teilzeitmodell reduziert der Arbeitnehmer über den gesamten Zeitraum seine bisherige Arbeitszeit auf 50 %. Vereinzelt wird die Arbeitszeit auch schrittweise verringert. Im Blockmodell leistet der Beschäftigte in der ersten Hälfte des Zeitraums seine volle Arbeitszeit und wird in der zweiten Hälfte freigestellt. Bedingung ist, dass über den Gesamtzeitraum (bis zu 10 Jahre sind möglich) die bisherige Arbeitszeit im Durchschnitt halbiert wird. Auch in der Freistellungsphase, in der keine „echte“ Beschäftigung mehr besteht, gilt der Altersteilzeitbeschäftigte weiterhin als sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Da der Arbeitnehmer im Blockmodell mit seiner Arbeitsleistung in Vorleistung geht, wurde eine spezielle Insolvenzsicherung der Zeitwertguthaben vorgeschrieben.
Fördervoraussetzungen für Leistung Die Grundlage für die individuelle Vereinbarung eines Altersteilzeitmodells sind ein entsprechender Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder eine einzelvertragliche Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Während der Altersteilzeit wird das Regelarbeitsentgelt um mindestens 20 % aufgestockt, außerdem werden für den Arbeitnehmer zusätzlich Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet (für mindestens 80 % des Regelarbeitsentgelts in der Altersteilzeit). Diese Leistungen können erstattet werden, wenn im Gegenzug ein arbeitslos gemeldeter bzw. von Arbeitslosigkeit bedrohter Arbeitnehmer oder eine Person nach Abschluss ihrer Ausbildung (in Unternehmen mit bis zu 50 Arbeitnehmern auch ein Auszubildender) auf dem frei werdenden Arbeitsplatz beschäftigt wird. Das Regelarbeitsentgelt ist das für die Altersteilzeitarbeit regelmäßig zu zahlende sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelt. Dabei handelt es sich in etwa um die Hälfte des Arbeitsentgeltes vor der Altersteilzeit. 177
Leistungen der Bundesagentur für Arbeit Die Bundesagentur erstattet dem Arbeitgeber für längstens sechs Jahre den Aufstockungsbetrag in Höhe von max. 20 % des für die Altersteilzeitarbeit gezahlten Regelarbeitsentgelts und den für den Arbeitnehmer zusätzlich gezahlten Mindestbeitrag zur Rentenversicherung. Die Aufstockungsbeträge sind steuer- und sozialversicherungsfrei. 2. Entwicklung und Strukturen der Altersteilzeit
Den folgenden Ausführungen zur Entwicklung sowie zu den Strukturen der Altersteilzeit liegen zwei Datenquellen zugrunde. Die Leistungsstatistik „Altersteilzeit nach dem Altersteilzeitgesetz“ der BA erfasst für den Zeitraum ab 1997 Zugang und Bestand an anerkannten Altersteilzeitfällen. Das sind alle Fälle, bei denen eine Wiederbesetzung schon stattgefunden hat und die durch die BA finanziell gefördert werden. Als zweite Quelle verwenden wir eine Stichprobe aller 55- bis 64-jährigen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus der IAB-Beschäftigten-Historik (BeH V8.00). Diese wird aus dem Meldeverfahren der Arbeitgeber zur Sozialversicherung generiert. Die verwendete Stichprobe deckt einen Zeitraum von 9 Jahren ab (1999 bis 2007) und enthält Daten zu über 1,1 Mio. Altersteilzeitbeschäftigten. Allerdings kann nicht zwischen geförderten und ungeförderten Fällen unterschieden werden, da die Beschäftigten-Historik keine Angaben zu Leistungen der BA an die Arbeitgeber nach dem Altersteilzeitgesetz enthält. Ebenso liegen keine Informationen darüber vor, welches Arbeitszeitmodell während der Altersteilzeit (Teilzeitmodell/Blockmodell) gewählt wurde. 2.1 Entwicklung der Altersteilzeit – insgesamt und gefördert Die Altersteilzeit hat seit ihrer Einführung 1996 kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Ende 2007 befanden sich insgesamt knapp 540.000 Personen im Alter von 55 bis 64 Jahren in einer Altersteilzeitbeschäftigung – gefördert und nicht gefördert (vgl. Tabelle 1). Zugleich nahm die reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Älteren (ohne Altersteilzeit) seit Mitte des Jahres 2004 wieder zu. Die verbesserte Arbeitsmarktsituation der Älteren insgesamt war nicht allein konjunkturell bedingt. Gesetzliche Änderungen, die Einschränkung der Frühverrentung und Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre spielten zusätzlich eine wichtige Rolle (Arlt et. al., 2009). Die Zahl der älteren Beschäftigten ist aber auch deshalb gestiegen, weil geburtenstarke Jahrgänge in die höheren Altersgruppen aufrücken. Dagegen war die Beschäftigung insgesamt bis Anfang des Jahres 2006 rückläufig. 178
179
Tsd. % % Tsd. Mio. €
SVB in Altersteilzeit
Altersteilzeit-Anteil an SVB
Altersteilzeit-Anteil an 55- bis 64-jährigen SVB
Durch BA geförderte Altersteilzeit
Leistungen der BA nach dem Altersteilzeitgesetz …
109,7
25
4,6
0,5
128
2.794
27.756
43
273,8
43
8,1
0,8
218
2.690
27.980
2000
42
513,6
58
11,2
1,1
295
2.641
27.864
2001
Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik, Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen
%
Tsd.
55-bis 64-jährige SVB
Wiederbesetzungsquote, geschätzt
Tsd.
1999
42
673,6
67
13,2
1,3
349
2.651
27.360
2002
39
863,6
76
15,4
1,5
410
2.657
26.746
2003
97
17,9
1,9
509
2.844
26.206
2005
102
17,7
2,0
536
3.034
26.636
2006
105
16,5
2,0
538
3.256
27.224
2007
38
36
35
34
985,8 1.111,2 1.259,8 1.378,6
87
17,4
1,8
477
2.739
26.382
2004
Entwicklung ausgewählter Kenngrößen von 1999 bis 2007, jeweils zum Stichtag 31.12.
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (SVB), insgesamt
Tabelle 1:
Von allen Beschäftigten in der anspruchsberechtigten Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen stand Ende 2007 jeder Sechste in Altersteilzeit (16,5 %), bei den 60- bis 64-Jährigen sogar jeder Vierte. Bis Anfang 2006 ist dieser Anteil kontinuierlich gestiegen, zuletzt nahm er leicht ab. So hat wohl die kräftige Arbeitsnachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften im konjunkturellen Aufschwung der Jahre 2006/2007 den Einsatz von Altersteilzeit verringert (vgl. Abbildung 2). Zwar scheint die Inanspruchnahme der Altersteilzeit ihren Höhepunkt überschritten zu haben, wie die Entwicklung bis 2007 veranschaulicht. Vermutlich wird die Altersteilzeit in der gegenwärtigen Krise aber wieder vermehrt von Betrieben eingesetzt, um Personal sozialverträglich abzubauen. Somit ist zu erwarten, dass der Bestand an Altersteilzeitbeschäftigten aktuell wieder steigt. Zusätzlich kann auch das Auslaufen der Regelung Ende 2009 zu Vorzieheffekten führen, weil Beschäftigte und Betriebe die Förderung noch nutzen möchten. Ende 2007 waren fast 420.000 Beschäftigte in West- sowie 120.000 Beschäftigte in Ostdeutschland in Altersteilzeit. Die Anteile der Altersteilzeitbeschäftigten an den Beschäftigten der entsprechenden Altersgruppe liegen in West und Ost relativ nahe beieinander, seit Ende 2002 liegt der Anteil im Osten etwas höher. Das ist zum einen auf die höhere Inanspruchnahme der Altersteilzeit zurückzuführen. Zum anderen ist die Beschäftigung Älterer außerhalb der Altersteilzeit im Osten generell etwas langsamer gestiegen als im Westen. Die konjunkturellen Impulse wirkten auf die Beschäftigung von Älteren im Osten weniger stark als im Westen. Für Beschäftigte in Altersteilzeit gibt es Zuschüsse von der BA, wenn im Gegenzug (Teil-)Arbeitsplätze mit Arbeitslosen oder Auszubildenden – auch über Umsetzungsketten – besetzt werden. Die möglichen Arbeitsmarkteffekte treten meist mit großer Verzögerung ein. Nur im selten genutzten Fall des Teilzeitmodells fallen der Übergang in die Altersteilzeit und – sofern vorgesehen – die Besetzung des teilweise freien Arbeitsplatzes zusammen. Beim Blockmodell – und dies betrifft den Großteil der Fälle – erfolgt eine Wiederbesetzung in der Regel erst in der Freistellungsphase. Somit kommt es zu einem time-lag zwischen Beginn der Altersteilzeit und der Wiederbesetzung. So stieg der Bestand an geförderten Altersteilzeitfällen bis Dezember 2007 erst auf rd. 105.000, weil viele Fälle erst später, nämlich zum Zeitpunkt der Wiederbesetzung, statistisch erfasst werden. Die Förderstatistik der BA gibt zwar das Zeitprofil der Wiederbesetzung und die Entlastungseffekte der Altersteilzeit im wirkungsanalytischen Zusammenhang wieder, aber die Daten können nicht ohne weiteres sinnvoll und zeitpunktgenau mit anderen Statistiken in Beziehung gesetzt werden – etwa um für die Altersteilzeit eine Wiederbesetzungsquote2 zu errechnen. Hierfür müssten die geförderten Altersteil-
2 In der IAB-Beschäftigten-Historik werden alle Altersteilzeitbeschäftigten – unabhängig vom Modell –
180
zeitfälle in der Variante des Blockmodells bereits in der Arbeitsphase statistisch berücksichtigt werden. Schätzungen (vgl. Wanger, 2009) zeigen, dass die Gesamtzahl der geförderten Altersteilzeitfälle – einschließlich der noch nicht realisierten, aber zu erwartenden geförderten Fälle – Ende 2007 fast doppelt so hoch war wie die in der Förderstatistik ausgewiesene Zahl (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1:
Inanspruchnahme und Förderung der Altersteilzeit (Personen in Tausend, jeweils Bestand am Quartalsende)
600 500 400 300 200 100 0 Jun Dez Jun Dez Jun Dez Jun Dez Jun Dez Jun Dez Jun Dez Jun Dez Jun Dez 99 99 00 00 01 01 02 02 03 03 04 04 05 05 06 06 07 07 gesamt
gefördert
gefördert inkl. Verzögerung
Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik, Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.
Das bedeutet, dass bei einem Bestand von über einer halben Million Personen in Altersteilzeit im Jahr 2007 in etwa 35 % der Fälle angenommen werden kann, dass die Stelle wiederbesetzt wurde oder noch wird. Etwas mehr als die Hälfte des Wiederbesetzungseffektes ist schon realisiert, der Rest wird in der Folgezeit eintreten und kann den Arbeitsmarkt entlasten. Allerdings ist zu bedenken, dass es sich bei den wiederbesetzten Stellen nicht um zusätzliche Arbeitsplätze handelt. Außerdem kann bei Nachweis einer Umsetzungskette die Stellenbesetzung auch in
mit Beginn der Altersteilzeit erfasst. Die Wiederbesetzungsquote gibt somit an, wie viele Stellen prozentual von Altersteilzeitbeschäftigten gefördert, sprich wiederbesetzt wurden.
181
anderen Funktionsbereichen des Unternehmens erfolgen. Mitnahmeeffekte sind somit nicht auszuschließen, die Unternehmen hätten evtl. auch ohne den zusätzlichen Anreiz der BA-Förderung Personen eingestellt. Die Wiederbesetzungsquote ist somit als Obergrenze eines möglichen betrieblichen Beschäftigungseffektes anzusehen. Diese Quote ist in den vergangenen Jahren leicht gesunken (vgl. Tabelle 1). So wird die Altersteilzeit von den Betrieben überwiegend genutzt, um Personalabbau umzusetzen. Viele Unternehmen stellen weder Arbeitslose noch Auszubildende ein und verzichten auf die Zuschüsse der BA. 2.2 Wiederbesetzung und Arbeitszeitform bei der geförderten Altersteilzeit Nicht immer wurde die Altersteilzeit tarifvertraglich im Sinne der eigentlichen Ziele des Gesetzes geregelt. Zwar besteht in knapp der Hälfte der privaten Betriebe eine Wahlmöglichkeit zwischen Block- und Teilzeitmodell; im öffentlichen Dienst sogar in drei Vierteln. Häufig kann aber nicht frei zwischen beide Varianten gewählt werden: So ist in 48 % der privatwirtschaftlichen Betriebe nur das Blockmodell möglich, im öffentlichen Dienst in 20 % der Dienststellen. Dagegen haben sich nur fünf Prozent der privatwirtschaftlichen bzw. sechs Prozent der staatlichen Dienststellen ausschließlich auf das Teilzeitmodell festgelegt (Klammer/Weber, 2001). Das ursprüngliche Ziel, den älteren Arbeitnehmern einen gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu ermöglichen, kann damit freilich nicht erreicht werden. Nach dem ersten Regierungsentwurf des Altersteilzeitgesetzes (Dt. Bundestag, 1996) sollte nur die echte Teilzeit mit halbierter Arbeitszeit gefördert werden. Jedoch sprachen sich Arbeitnehmer- wie Arbeitgebervertreter nachdrücklich für eine Option der Verblockung aus, wie sie sich dann auch in der verabschiedeten Fassung des Gesetzes wiederfand.3 Betriebe können so einen klaren Schnitt machen sowie die Altersstruktur sozialverträglich umbauen und Arbeitnehmer können ohne große finanzielle Einbußen vorzeitig in den Ruhestand treten. Außerdem spiegelt sich hier auch die gering ausgeprägte Teilzeitorientierung vor allem in männerdominierten Branchen wider. So hatte das Teilzeitmodell in der Praxis von vorneherein eine geringere Chance als das Blockmodell, was auf gleichgerichtete Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zurückzuführen sein kann. Tatsächlich ist die Altersteilzeit in der Regel nicht das was ihr Name verspricht: Sie ist meist keine Teilzeit und sie führt auch nur selten gleitend in den Ruhestand.
3 So wird die unbefriedigende Inanspruchnahme eines Vorläufers des Altersteilzeitgesetzes, dem „Gesetz zur Förderung des gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand“ (1989-1992), u. a. darauf zurückgeführt, dass – bei sonst im jetzigen Altersteilzeitgesetz ähnlichen Gestaltungselementen – nur das Teilzeitmodell möglich war (Barkholdt, 2001; Bäcker/Naegele, 1995).
182
Fast immer wird sie zu einem übergangslosen vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben genutzt. In den letzten Jahren hat der Anteil des Blockmodells weiter zugenommen. Bereits Ende März 2001 waren es 80 % der geförderten Fälle, bis Ende Dezember 2007 stieg der Anteil auf rd. 88 %.4 Zugleich sank der Anteil echter Teilzeit – also mit halbierter Arbeitszeit – während dieser Dauer auf zuletzt zwölf Prozent. In Ostdeutschland war der Anteil des Blockmodells von Anfang an geringer (vgl. Abbildung 2). Das lag zum einen an dem höheren Anteil von Frauen, die häufiger das Teilzeitmodell vereinbaren, zum anderen an dem höheren Anteil von Altersteilzeitbeschäftigten in Kleinbetrieben. So belegen IAB-Erhebungen (Ellguth/Koller, 2000), dass kleinere Betriebe häufiger die echte Teilzeit vereinbaren, da sie vermehrt darauf angewiesen sind, erfahrene und damit schwer zu ersetzende Arbeitskräfte möglichst lange im Betrieb zu halten. Dagegen favorisieren größere Betriebe das Blockmodell, das insbesondere arbeitsorganisatorisch vorteilhafter ist. Durch das Altersteilzeitgesetz sollten die Beschäftigungschancen bestimmter Personengruppen erhöht werden. Stellt der Betrieb aufgrund des durch Altersteilzeit frei werdenden Stellenkontingentes Arbeitslose ein oder Personen nach Abschluss der Ausbildung (in Kleinbetrieben auch Auszubildende), erstattet die BA dem Arbeitgeber die gesetzlichen Aufstockungsbeträge für maximal 6 Jahre. Davon haben Arbeitslose und Auszubildende im Schnitt der vergangenen Jahre etwa gleichermaßen profitiert, aber die Relationen haben sich allmählich verschoben. Wurden Ende 2001 noch 51 % der geförderten Arbeitsplätze mit Arbeitslosen besetzt, waren es Ende 2007 nur noch 41 % (Westdeutschland 38 %; Ostdeutschland 56 %). Dagegen hat die Wiederbesetzung mit frisch Ausgebildeten bzw. in Kleinbetrieben mit Auszubildenden von 49 % auf 59 % zugenommen (vgl. Abbildung 2). Letzteres kann darauf hindeuten, dass es vermehrt zu Mitnahmeeffekten durch Unternehmen kam, die Auszubildende sowieso eingestellt bzw. übernommen hätten. Die Hoffnung, dass die Altersteilzeit als Beschäftigungsbrücke zwischen älteren und jüngeren Beschäftigten dient, hat sich nur zum kleineren Teil erfüllt. Auch Untersuchungen zu Berufsverläufen deuten darauf hin, dass Frühverrentungen nicht die Arbeitsmarktchancen von jungen Berufseinsteigern verbessern (Sackmann, 1997)
4 Verschiedene Erhebungen (Ellguth, 2000; Klammer/Weber, 2001; Klammer, 2003) zeigen, dass der Anteil des Blockmodells auch bei der ungeförderten Altersteilzeit ähnlich hoch sein dürfte.
183
Abbildung 2:
Art der Wiederbesetzung und Altersteilzeitmodell bei geförderten Altersteilzeitfällen nach Region 2001 und 2007, jeweils zum 31.12. Altersteilzeitmodell
Art der Wiederbesetzung 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
3 40
51
40
58
19
19
27
6
34
38
14
15
48
41
19
Dez 01 Dez 07 Dez 01 Dez 07 West
Ost
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
1
1
86
90
13
9
2
70
79
28
19
Dez 01 Dez 07 Dez 01 Dez 07 West
arbeitslose Leistungsempfänger sonstige Arbeitslose Ausgebildete Auszubildende
2
Ost
mit sonstigem Altersteilzeitmodell mit Beschäftigungsblockzeit mit wöchentlich halbierter Arbeitszeit
Quelle: Bundesagentur für Arbeit.
2.3 Kosten der Altersteilzeit Die Ausgaben der BA zur Förderung der Altersteilzeit sind Jahr für Jahr gestiegen und summieren sich seit Beginn der Regelung bis Ende 2007 auf über 7,2 Mrd. Euro. Wie Abbildung 3 zeigt, kostete jeder geförderte Altersteilzeitfall im Jahr 2007 etwas über 13.000 Euro.5 Mit dem Bestand der Altersteilzeitbeschäftigung ist auch ihre Dauer gestiegen: im Jahr 2007 war der Großteil für 5 Jahre und länger vereinbart. Damit tendieren auch die Folgekosten aufwärts. Aufgrund der
5 Monatlich ergibt sich rechnerisch ein relativ hoher Wert von ca. 1.100 € je geförderten Fall. Allerdings ist hier zu beachten, dass beim Blockmodell – und dies betrifft fast 90 % aller geförderten Fälle – erst mit der Wiederbesetzung, also zu Beginn der Freistellungsphase, ausgezahlt wird, dann aber in doppelter Höhe.
184
Wiederbesetzung der Arbeitsplätze durch Arbeitslose werden jedoch Zahlungen der Arbeitslosenversicherung eingespart, die aus einer gesamtfiskalischen Perspektive von den Bruttokosten abzuziehen sind. Die Mehrzahl der Unternehmen finanziert die Altersteilzeit zwar ohne staatliche Förderung; da jedoch die Aufstockungsbeträge – unabhängig von einer Förderung – von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen befreit sind, entstehen der Allgemeinheit auch hier Kosten, die gesamtfiskalisch zu Buche stehen. Insgesamt wurden die Nettokosten der Altersteilzeit allein für das Jahr 2007 vom Institut der deutschen Wirtschaft (Pimpertz/Schäfer, 2009) auf 900 Mio. Euro geschätzt. Nicht berücksichtigt ist hier allerdings, dass auf der anderen Seite durch die Altersteilzeitbeschäftigung auch die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer vermieden worden sein könnte, wenn sie ansonsten ihren Arbeitsplatz verloren hätten. Denn die Altersteilzeit ist betriebswirtschaftlich oft günstiger als die Zahlung hoher Abfindungen. Abbildung 3:
Entwicklung des Bestands an geförderten Altersteilzeitfällen 2002 bis 2007 (Jahresdurchschnitte) nach vereinbarter Dauer sowie Leistungen (in €) der BA pro Person und Jahr
120.000 12.403 €
100.000
12.020 € 12.325 €
80.000 60.000
13.232 €
10.910 €
12.328 €
40.000 20.000 0 2002 2003 5 Jahre und länger 2 bis unter 3 Jahre
2004 2005 4 bis unter 5 Jahre unter 2 Jahre
2006 2007 3 bis unter 4 Jahre
Quelle: Bundesagentur für Arbeit.
2.4 Verbreitung nach Betriebsmerkmalen In größeren Unternehmen sind häufiger Altersteilzeitbeschäftigte zu finden als in kleineren und mittleren Betrieben. So ist in Betrieben ab 200 Beschäftigten der 185
Anteil der Altersteilzeitbeschäftigten weitaus größer als ihr Anteil an den Beschäftigten insgesamt. Allein auf die Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten entfällt ein Drittel der Altersteilzeitbeschäftigten. Ihr Beschäftigtenanteil ist knapp halb so groß, wie Abbildung 4 veranschaulicht. In den kleineren Betrieben liegt der Anteil der Altersteilzeit dagegen deutlich unter ihrem Beschäftigtenanteil. So finden sich in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten nur knapp 15 % aller Personen in Altersteilzeit, obwohl dort fast 40 % aller älteren Arbeitnehmer beschäftigt sind. In Großbetrieben dürften Betriebsräte bei der Umsetzung von Altersteilzeitregelungen eine größere Rolle spielen. Sie haben außerdem mehr organisatorische und personalpolitische Möglichkeiten, um den reibungslosen Betriebsablauf bei Altersteilzeit aufrechtzuerhalten. In Kleinbetrieben führt geringere Flexibilität möglicherweise zu finanziellen Einschränkungen, so dass diese die Kosten der Vereinbarungen zur Altersteilzeit nicht tragen können. Somit ist die Chance auf Frühverrentung in größeren Betrieben höher als in kleineren. Abbildung 4: 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Struktur der Altersteilzeitbeschäftigten und der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Betriebsgröße zum Stichtag 30.06.2007 12,8
13,9
8,2
9,1
14,1 23,9 13,8
15,2 25,1 13,5
12,8 29,0
8,2 14,1
14,8 19,4
23,9 13,8
21,5
27,2
23,2
8,2 7,2
27,2
SVB(insgesamt)
SVB(55-64 Jahre)
ATZ
SVB ohne ATZ (5564 Jahre)
mehr als 1000 SVB 50 bis 199 SVB
500 bis 999 SVB 20 bis 49 SVB
200 bis 499 SVB 1 bis 19 SVB
Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik, Bundesagentur für Arbeit.
Die Betrachtung nach Wirtschaftszweigen zeigt, dass die meisten Altersteilzeitbeschäftigten – in Absolutzahlen – den Branchen Verarbeitendes Gewerbe und Öffentliche Verwaltung zuzuordnen sind. Ende 2007 gehörten über die Hälfte aller Beschäftigten in Altersteilzeit diesen Wirtschaftszweigen an. 186
Relativ gesehen hatte Ende 2007 die Branche Energie- und Wasserversorgung mit 44 % den höchsten Anteil an Altersteilzeitbeschäftigten bezogen auf alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der entsprechenden Altersklasse, gefolgt von der Öffentlichen Verwaltung und dem Kredit- und Versicherungsgewerbe mit jeweils 36 %. Insgesamt zeigt sich, dass in Branchen mit sehr hoher Tarifbindung die meisten Altersteilzeitbeschäftigten zu finden sind – die Tarifbindung 2007 lag hier jeweils über 80 %. Einen sehr geringen Verbreitungsgrad von unter vier Prozent hatte die Altersteilzeit dagegen im Baugewerbe sowie im Gastgewerbe. Die Rangfolge der „altersteilzeitaktiven“ Branchen hatte sich zwischen 1999 und 2007 kaum verändert. In den meisten Wirtschaftszweigen ist ein steigender Trend zu beobachten, der der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Altersteilzeit entspricht (vgl. Abbildung 5). Abbildung 5:
Anteil der Altersteilzeitbeschäftigten an den 55- bis 64-jährigen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 1999 und 2007 nach Wirtschaftszweigen, jeweils zum Stichtag 31.12. 16,6%
Insgesamt 6,3%
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
17,2%
Bergbau, Steine und Erden
18,6%
Verarbeitendes Gewerbe
44,1%
Energie- und Wasserversorgung 3,6%
Baugewerbe
6,4%
Handel 2,4%
Gastgewerbe
13,5%
Verkehr und Nachrichten
36,2%
Kredit und Versicherung 10,0%
Vermietung, UnternehmensDL
36,4%
Öff. Verw., Verteid., Sozialversicherung 24,5%
Erziehung und Unterricht 12,5%
Gesundheits-, Veterinär- u. Sozialwesen
13,5%
Erbring. sonst. öff. u. persönl. DL 0%
10%
Stichtag 31.12.2007
20%
30%
40%
50%
Stichtag 31.12.1999
Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik, Bundesagentur für Arbeit.
187
2.5 Verbreitung nach Beschäftigtenmerkmalen Der Frauenanteil an den Altersteilzeitbeschäftigten in Deutschland hatte sich von Anfang 1999 bis Ende 2007 auf 44 % verdoppelt und liegt in Ostdeutschland (61 %) weitaus höher als in Westdeutschland (39 %) (vgl. Abbildung 6). Hier kann die hohe, von Vollzeitarbeit geprägte Erwerbsbeteiligung von Frauen zu DDRZeiten nachwirken, die Altersteilzeit für Frauen finanziell attraktiv macht. Seit das Altersteilzeitgesetz im Jahr 2000 novelliert wurde, kann es auch von Teilzeitbeschäftigten genutzt werden. Nach dieser Änderung erhöhte sich der Frauenanteil in Westdeutschland deutlich. Abbildung 6:
Entwicklung des Frauenanteils an den Altersteilzeitbeschäftigten nach Region, jeweils zum Quartalsende
70 60 50 40 30 20 10 0
West
Ost
Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik.
Insgesamt waren 22 % aller Personen, die Mitte 2007 in Altersteilzeit beschäftigt waren, bereits vorher in Teilzeit tätig; bei den westdeutschen Frauen in Altersteilzeit kamen sogar 42 % aus Teilzeitarbeitsverhältnissen. Die nach wie vor vergleichsweise geringe Nutzung der Altersteilzeitarbeit von Frauen in Westdeutschland ist auch auf die Wirtschaftsstruktur zurückzuführen: Denn Altersteilzeit konzentriert sich hier – neben dem öffentlichen Dienst – auf den industriellen Bereich mit seinem traditionell niedrigen Frauenanteil. Zudem können sich Männer die Altersteilzeit eher leisten, da sie im Durchschnitt auch höhere Entgelte erzielen. Denn Altersteilzeit scheint für Personen im höheren Einkommensbereich sowie für Beschäftigte mit höherer Qualifikation attraktiver zu sein.
188
So beziehen vormals Altersteilzeitbeschäftigte mit die höchsten durchschnittlichen Altersrenten (vgl. Tabelle 2). Höheres Einkommen geht in der Regel mit höherer Qualifikation einher. Dementsprechend sind Altersteilzeitbeschäftigte durchwegs gut ausgebildet: drei Viertel haben eine betriebliche Berufsausbildung, weitere 12 % einen Fachhochschulabschluss. Nur 13 % haben keine Berufsausbildung – häufig handelt es sich hier um Frauen in Westdeutschland. Im Osten liegt der Anteil der Personen ohne Berufsausbildung nur bei 3,6 % (West 15,9 %). Auch die Biographien aus der Rentenstatistik zeigen, dass altersteilzeitbeschäftigte Männer und Frauen im Vergleich zu Arbeitslosen und sonstigen versicherungspflichtig Beschäftigten in ihrem Erwerbsleben länger versichert waren, mehr verdient haben und kürzere Zeit erwerbslos waren – sich also insgesamt als eine nach sozialen Kriterien relativ starke Gruppe erweisen (Kaldybajewa/Kruse, 2007). Tabelle 2:
Durchschnittlicher monatlicher Rentenzahlbetrag der Rentenzugänge 2007 in Euro
Rentenzugänge 2007
Männer
Frauen
Regelaltersrente
683,55 €
267,31 €
für langjährig Versicherte
1.011,54 €
475,37 €
für schwerbehinderte Menschen
1.063,31 €
718,16 €
920,10 €
538,42 €
1.244,17 €
776,04 €
---
618,13 €
Altersrenten
wegen Arbeitslosigkeit
nach Altersteilzeitarbeit für Frauen für langjährig unter Tage Beschäftigte Renten wegen Alters insgesamt
1.447,93 €
---
869,19 €
469,37 €
Quelle: Deutsche Rentenversicherung.
Ab dem 55. Lebensjahr können ältere Arbeitnehmer Altersteilzeit vereinbaren, allerdings muss nach deren Ende ein unmittelbarer Übergang in eine (ggf. auch durch Abschläge geminderte) Altersrente möglich sein. Im Jahr 2006 waren Männer bei Eintritt in die Altersteilzeit durchschnittlich 57,6 Jahre alt (vgl. Tabelle 3). Frauen sind bei Eintritt im Schnitt jünger als Männer – der Altersdurchschnitt der Frauen lag 2006 bei 57,0 Jahren – allerdings ist der Altersunterschied seit 1999 kleiner
189
geworden ist (1999: Männer 58,3 Jahre; Frauen 57,0 Jahre). Auch aufgrund von rentenrechtlichen Regelungen6 gehen Altersteilzeitbeschäftigte im Durchschnitt zwei Jahre früher in Rente als die restlichen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Kaldybajewa/Kruse, 2007). Infolge ihrer Einkommenssituation können sich Altersteilzeitbeschäftigte oftmals die Abschläge für den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand eher leisten. Tabelle 3:
Ein- und Austrittsalter der Beschäftigten in Altersteilzeit im Jahr 2006 nach Geschlecht und Betriebsgröße
Betrieb mit … sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
Alter bei Eintritt in die Altersteilzeit
Alter bei Austritt aus der Altersteilzeit
Insges.
Männer
Frauen
Insges.
Männer
Frauen
1 bis 19
57,4
58,0
57,0
61,7
61,9
61,4
20 bis 49
57,5
58,1
56,9
61,8
62,1
61,5
50 bis 199
57,6
58,1
57,1
61,8
62,1
61,5
200 bis 499
57,5
57,9
57,1
61,8
62,0
61,5
500 bis 999
57,4
57,8
56,9
61,7
62,0
61,4
mehr als 1000
56,9
57,0
56,8
61,3
61,3
61,3
57,3
57,6
57,0
61,6
61,8
61,4
Insgesamt
Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik.
Das durchschnittliche Austrittsalter ist zwischen 1999 und 2006 gestiegen, wohl auch aufgrund der Anhebung der Altersgrenzen für die vorzeitige Inanspruchnahme der Rente nach Altersteilzeit. Bei Austritt waren die Männer 2006 durchschnittlich 61,8 und Frauen 61,4 Jahre alt (1999: Männer 60,9 Jahre; Frauen 59,5 Jahre). Allerdings können sich hier auch Kohorteneffekte zeigen, d. h. die
6 In der Regel ist die Altersteilzeitarbeit mit einem vorgezogenen Renteneintritt verbunden, da die Altersrente nach Altersteilzeitarbeit bislang noch eine vorzeitige, mit Abschlägen reduzierte Rente ermöglicht. Für die Geburtsjahrgänge bis 1945 ist eine vorzeitige mit Abschlägen reduzierte Rente ab 60 Jahren möglich, die in den Jahren 2006 bis 2008 stufenweise auf den 63. Geburtstag angehoben wurde. Außerdem können Frauen, die vor 1952 geboren wurden, eine mit Abschlägen reduzierte Altersrente für Frauen mit 60 Jahren in Anspruch nehmen. Für die Geburtsjahrgänge 1952 und jünger gibt es die vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit sowie die Altersrente für Frauen allerdings nicht mehr. Für sie gilt dann die Regelaltersgrenze von 65 Jahren, welche ab 2012 schrittweise auf 67 Jahre angehoben wird. Für bestimmte Alters- und Personengruppen gelten allerdings Vertrauensschutzregelungen (vgl. Hirschenauer, 2007).
190
betroffenen Jahrgänge weisen unterschiedliche Stärken auf. Selten dauert die Altersteilzeit länger als bis zum 63. Lebensjahr: 99 % der Frauen und 94 % der Männer beenden bis dahin die Altersteilzeit. Insbesondere größere Betriebe (ab 1.000 Beschäftigte) nutzen die Altersteilzeit offensichtlich als einen Weg, die Belegschaft zu verjüngen. So gehen die Beschäftigten in den Großbetrieben sowohl früher als in den anderen Betrieben in die Altersteilzeit – mit durchschnittlich 56,9 Jahren – als auch jünger in die Altersrente – mit durchschnittlich 61,3 Jahren (vgl. Tabelle 3). Auffallend ist in diesem Kontext die Branche Energie- und Wasserversorgung, die mit 44,1 % den höchsten Anteil von Altersteilzeitbeschäftigten an den 55- bis 64-jährigen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten inne hatte (vgl. Abbildung 5). Die Analyse des Ein- und Austrittsalters nach Wirtschaftszweigen zeigt, dass Altersteilzeitbeschäftigte in dieser Branche zum einen das jüngste Eintritts- (56,5 Jahre) sowie das niedrigste Austrittsalter (61,0 Jahre) im Vergleich zu allen anderen Wirtschaftszweigen hatten. Zudem werden in der Branche Energie- und Wasserversorgung vergleichsweise weniger Altersteilzeitfälle durch die BA gefördert, also wiederbesetzt. Hier dient die Altersteilzeit somit als klassisches Frühausgliederungsinstrument. 2.6 Verbreitung nach Berufsmerkmalen Ein Ziel des Altersteilzeitgesetzes war es, dem zum Teil eingeschränkten Leistungsvermögen von älteren Beschäftigten gerecht zu werden, denn nicht jede Berufstätigkeit kann ohne weiteres in vollem Umfang bis ins hohe Alter ausgeübt werden. So gelten Büroberufe gemeinhin als „verschleißfrei“ gegenüber Berufen mit starken körperlichen Belastungen, wie etwa im Baugewerbe. Aber nicht nur die physischen, sondern auch die psychischen Arbeitsanforderungen können als Belastung empfunden werden. So sind z. B. immer mehr Zugänge in die Erwerbsminderungsrente mit psychischen Erkrankungen begründet (Hoffmann/Hofmann, 2007). Welche beruflichen Tätigkeiten dominieren nun bei den Altersteilzeitbeschäftigten? Sind Altersteilzeitberufe vor allem Wissensberufe oder sind es Arbeitsplätze mit starken physischen Belastungen? Die Altersteilzeit verteilt sich bei Frauen und Männern sehr unterschiedlich auf die Berufsgruppen (vgl. Abbildung 7). So arbeiteten im Jahr 2007 von den rd. 240.000 altersteilzeitbeschäftigten Frauen fast 41 % in Büroberufen (Bürofachund Bürohilfskräfte), mit Abstand gefolgt von weiteren sieben Prozent in Bankund Versicherungsberufen. Auf den Plätzen 3 bis 5 stehen soziale Berufe (sozialpflegerische Berufe und sonstige Gesundheitsdienstberufe) sowie Lehrerinnen. Insgesamt entfallen auf diese fünf Berufsgruppen zwei Drittel aller weiblichen Altersteilzeitbeschäftigten (zum Vergleich: Bei allen sozialversicherungspflichtig 191
beschäftigten Frauen der entsprechenden Altersgruppe liegt dieser Wert bei 50 %). Den höchsten Anteil an Altersteilzeitbeschäftigten verzeichnen die Bank- und Versicherungskauffrauen mit 46 %, gefolgt von den Lehrerinnen mit 34 %. Im Durchschnitt waren 17 % aller sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen im Alter von 55 bis 64 Jahren in Altersteilzeit. Tabelle 4:
Die fünf häufigsten Berufe der Altersteilzeitbeschäftigten (ATZ) nach Geschlecht zum Stichtag 30.06.2007 Anteil in % an weiblichen Altersteilzeitbeschäftigten Bürofach-, Bürohilfskräfte
40,8
Bank-/Versicherungskaufleute
7,2
Sozialpflegerische Berufe
6,9
Übrige Gesundheitsdienstberufe
6,5
Lehrerinnen
5,9
Anteil in % an männlichen Altersteilzeitbeschäftigten Bürofach-, Bürohilfskräfte
11,0
Techniker
10,2
Bank-/Versicherungskaufleute
5,7
Ingenieure
5,6
Schlosser
4,6
Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik, BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2005/2006, eigene Berechnungen.
Bei den altersteilzeitbeschäftigten Männern entfallen auf die fünf größten Berufsgruppen zusammen nur 37 %. Auch hier finden sich auf Platz 1 die Büroberufe mit elf Prozent, gefolgt von den Technikern mit 10 %. Jeweils 6 % der männlichen Altersteilzeitbeschäftigten gehören zur Gruppe der Bank- und Versicherungskaufleute bzw. der Ingenieure, weitere 5 % stellen die Schlosser. Bei den 55- bis 64-jährigen Arbeitnehmern insgesamt belegen diese fünf Berufe 27 %. Auch bei den Männern haben mit 37 % die Bank- und versicherungskaufmännischen Berufe den höchsten Altersteilzeitanteil, gefolgt von den Chemiearbeitern mit 34 %. Durchschnittlich waren – wie bei den Frauen – 17 % der Männer im Alter von 55 bis 64 Jahren in Altersteilzeit. Damit zeigt sich, dass die Altersteilzeit vorwiegend für Beschäftigte aus Angestelltenberufen, weniger aus Arbeiterberufen ein Weg in den Ruhestand ist. Bedeutet dies auch, dass Altersteilzeitbeschäftigte häufiger aus Berufen mit 192
vergleichsweise geringen Arbeitsbelastungen kommen? Um dies zu untersuchen, wurden Ergebnisse einer Erwerbstätigenbefragung zu den Arbeitsbedingungen (vgl. Wanger, 2009) mit den IAB-Daten verknüpft und drei Indikatoren gebildet. Der erste misst die körperlichen Belastungen der Beschäftigten im ausgeübten Beruf, ein zweiter misst den „Stressfaktor“, also die Arbeitsanforderungen, die im jeweiligen Beruf als belastend empfunden werden. Ein dritter Indikator gibt an, ob von einer Berufsgruppe häufig ungewöhnliche Arbeitszeiten wie Schicht-, Nachtund Wochenendarbeit geleistet werden müssen. Ingesamt arbeiteten im Jahr 2007 etwa 28 % aller Altersteilzeitbeschäftigten in Berufen mit hohen körperlichen Belastungen. Für die restlichen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Altersgruppe 55 bis 64 Jahre ergibt sich hier ein Referenz-Wert von 37 % (vgl. Abbildung 8). Bei den körperlichen Belastungen handelt es sich vorrangig um Arbeiten unter Lärm, unter ungünstigen Temperaturoder Witterungsverhältnissen sowie um das Tragen schwerer Lasten. Dies betrifft in erster Linie Fertigungs- und Bauberufe sowie Gesundheitsdienstberufe. Dagegen arbeiteten 44 % der Altersteilzeitbeschäftigten in Berufen mit niedrigen körperlichen Belastungen, wie Büro- und Wissensberufen. Bei allen 55- bis 64-jährigen Beschäftigten waren es nur 32 %. Beschäftigte mit hohen körperlichen Belastungen scheiden allerdings tendenziell schon früher über eine Erwerbsminderungsrente aus. So zeigen Analysen zu den beruflichen Tätigkeiten, dass hier z. B. Bau- und Pflegeberufe häufiger vertreten sind (Höhne, 2007). Da diese Berufe in der Regel niedriger entlohnt werden, können sich die Beschäftigten die Altersteilzeit eventuell nicht leisten. Zu einem ähnlichen Ergebnis führt die Analyse nach Arbeitszeiten: Berufe mit häufig ungewöhnlichen Arbeitszeiten finden sich unter den Altersteilzeitbeschäftigten seltener: Während 28 % der Altersteilzeitbeschäftigten in Berufen mit belastenden Arbeitszeiten arbeiten, waren es bei den sonstigen 55- bis 64-jährigen Beschäftigten 35 %. Dies betrifft vor allem Beschäftigte in Fertigungsberufen, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor. Betrachtet man die Belastungen, die sich aus den Arbeitsanforderungen im ausgeübten Beruf ergeben, zeigt sich ein anderes Bild. Während 32 % der älteren sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ohne Altersteilzeit) in Berufen mit stark belastenden Anforderungen arbeiten, ist dies mit 38 % bei den Altersteilzeitbeschäftigten öfter der Fall. Häufig werden das Arbeiten unter Termin- und Leistungsdruck, Störungen bzw. Unterbrechungen, das Arbeiten bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit sowie sehr schnelles Arbeiten als Belastung empfunden. Neben Beschäftigten in Fertigungsberufen charakterisieren auch viele Beschäftigte aus Wissensberufen sowie aus Berufen des Gesundheitsbereiches ihren Arbeitsplatz mit diesen Stressfaktoren.
193
Abbildung 7:
45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%
Arbeitsbelastungen der Altersteilzeitbeschäftigten sowie der 55- bis 64-jährigen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zum Stichtag 30.06.2007 37%
36%
38% 33%
32%
28%
28%
- hohe körperliche Belastungen
35%
34%
- hohe berufliche Arbeitsanforderungen
Alle SV-Beschäftigte 55-64 Jahre
- häufig belastende Arbeitszeiten
Altersteilzeitbeschäftigte
SVB ohne ATZ 55-64 Jahre Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik, BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2005/2006, eigene Berechnungen.
Die körperlichen und psychischen Belastungen sind sehr unterschiedlich zwischen den Berufsgruppen verteilt. Die Nutzung der Altersteilzeit nach Berufsgruppen lässt erahnen, dass nicht unbedingt körperlich angeschlagene Beschäftigte diese Ausstiegsmöglichkeit nutzen, sondern besonders häufig Personen in Büroberufen mit relativ niedrigen Belastungswerten (vgl. Abbildung 8). Da sich Betrieb und Arbeitnehmer auf die Altersteilzeit verständigen müssen, hängt es zudem oft von ganz anderen Faktoren ab, wer in Altersteilzeit geht – z. B. von den betrieblichen Gegebenheiten. 3. Kaplan-Meier-Schätzungen: Dauer der Altersteilzeit
Die Ausgestaltung der Altersteilzeitarbeit, insbesondere auch deren Dauer wird von den Tarifvertragsparteien (bzw. von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in einer Einzelvereinbarung) im Rahmen der gesetzlichen und tariflichen Vorgaben geregelt. Welche Zeiträume werden von Beschäftigten und Betrieben favorisiert? Gibt es Unterschiede nach Geschlecht, Betriebsgröße oder Qualifikation? Mit Hilfe von
194
Überlebensraten bzw. Verbleibswahrscheinlichkeiten lässt sich auf Basis der Daten der IAB-Beschäftigten-Historik die Dauer der Altersteilzeit-Beschäftigungsverhältnisse berechnen und grafisch darstellen. Die Verbleibswahrscheinlichkeiten nach Kaplan-Meier7 schätzen die Wahrscheinlichkeit, einen Ausgangszustand in einem bestimmten Zeitintervall nicht verlassen zu haben. Der Kurvenverlauf in Abbildung 9 veranschaulicht, wie lange Beschäftigte nach Beginn der Altersteilzeit in dieser Beschäftigungsform verbleiben. Abbildung 8:
Verbleibswahrscheinlichkeit in Altersteilzeit (Kaplan-Meier-Schätzung)
100% 80% 60% 40% 20% 0% 0
12
24
36
48
60
72
84
96
108
Monate seit Beginn der Altersteilzeit Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik, eigene Berechnungen.
7 Die Daten der Beschäftigten-Historik sind prozessproduzierte Daten der BA, sie enthalten taggenaue Informationen zu den Variablen. Wir beziehen nur die Personen in die Analyse ein, die nach dem 31.12.1998 die Altersteilzeit begonnen haben. Diese Personen werden über einen Zeitraum von (maximal) neuen Jahren bis zum Ende des Stichprobenzeitraums (31.12.2007) beobachtet. Zu diesem Zeitpunkt sind viele Fälle rechtszensiert, d. h. es ist nicht klar, ob die Altersteilzeitbeschäftigung fortgeführt oder zu diesem Zeitpunkt beendigt wurde. Das sogenannte „Kaplan-Meier-Verfahren“ (vgl. Blossfeld/Rohwer, 2002) bietet hier eine Möglichkeit, adäquat mit solchen rechtszensierten Informationen umzugehen, und ist in die Statistiksoftware STATA implementiert. Die Überlebensrate wird bis zu dem Zeitpunkt errechnet, an dem die erste Rechtszensierung auftritt; nach diesem Zeitpunkt werden nicht nur die beobachtbaren Austritte sowie der rechtszensierte Fall aus der Beobachtungsgruppe herausgenommen, sondern gleichzeitig wird auch die ursprüngliche Risikomenge um eine Einheit reduziert. Auf Basis dieser modifizierten Risikomenge werden dann erneut die Überlebensraten zu den folgenden Zeitpunkten errechnet, bis wieder ein zensierter Fall auftritt und im Anschluss daran die Risikomenge erneut angepasst wird. Somit werden im Unterschied zur „einfachen“ Überlebensrate die zensierten Informationen dazu genutzt, eine möglichst realitätsnahe Überlebensrate zu schätzen (Erlinghagen/Mühge, 2002).
195
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Altersteilzeitbeschäftigung beendet wird, ist in den ersten Monaten der Altersteilzeit nur gering. Der erste entscheidende Einschnitt erfolgt nach Ablauf von 2 Jahren (24 Monaten), 17 % der Arbeitsverhältnisse werden zu diesem Zeitpunkt beendet. Hier drücken sich aber auch Vereinbarungen in Tarifverträgen aus, die zum Teil Mindestdauern vorsehen, mit im Schnitt etwa zwei Jahren (Klammer/Weber, 2001). Ohne tarifvertragliche Grundlage beträgt der höchstzulässige Verteilzeitraum bei der Altersteilzeit im Blockmodell drei Jahre. Nach Ablauf von drei Jahren sind ein Drittel der begonnenen Altersteilzeitbeschäftigungen wieder beendet. Auch förderrechtliche Regelungen zum vorzeitigen Ruhestand haben einen Einfluss auf die Dauer der Altersteilzeit. So beträgt der längstmögliche Förderzeitraum für die geförderte Altersteilzeit sechs Jahre (bis zum Jahr 2000 waren es fünf Jahre) – und wurde von den Altersteilzeitbeschäftigten, die im Jahr 2007 gefördert wurden, mit 61 % auch am häufigsten gewählt (vgl. Kap. 2.3, Abbildung 3). Dementsprechend ist auch bei der Betrachtung aller Altersteilzeitbeschäftigungen nach dem 5. Jahr (60 Monate) – mit 21 % – das stärkste Absinken der Verbleibsrate erkennbar. Insgesamt kann zwar eine Periode von maximal zehn Jahren vereinbart werden, aber nur neun Prozent der untersuchten Altersteilzeitfälle dauerten länger als sechs Jahre. Abbildung 9:
Verbleibswahrscheinlichkeit in Altersteilzeit nach Geschlecht (Kaplan-Meier-Schätzung)
100% 80% 60% 40% 20% Männer
0% 0
12
24
Frauen 36
48
60
72
84
96
108
Monate seit Beginn der Altersteilzeit Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik, eigene Berechnungen.
Die Kurve in Abbildung 10 veranschaulicht die Verbleibsrate in Altersteilzeit nach Geschlecht. Es zeigen sich deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Verweildauern. Nach einer Dauer von zwei Jahren sinkt die Verbleibsrate der
196
Männer deutlich schneller als die für Frauen: 87,5 % der Frauen, aber nur noch 73,4 % der Männer verbleiben länger in der Altersteilzeit. Mit fortlaufender Dauer der Altersteilzeitbeschäftigung gleichen sich die Veränderungen bei Männern und Frauen an. Die Verbleibsquoten sind nach fünf Jahren deutlich gesunken. Dann haben über 80 % der Männer und 73 % der Frauen ihre Altersteilzeitbeschäftigung beendet. Die Altersteilzeit der Männer endet also im Schnitt früher als die von Frauen. Hier können auch Branchen- und Betriebsgrößeneffekte eine Rolle spielen. Denn in größeren Unternehmen ist die Verweildauer etwas länger als in Kleinstund Kleinbetrieben mit bis zu 20 Beschäftigten: Nach vier Jahren sind hier bereits 60 % der Altersteilzeitbeschäftigten wieder ausgeschieden, bei größeren Unternehmen erst die Hälfte. Exemplarisch haben wir auch für zwei Wirtschaftszweige, die über die Hälfte aller Altersteilzeitnehmer beschäftigen, Verweildauern berechnet. So sind in der öffentlichen Verwaltung die Beschäftigten für deutlich längere Zeiträume in Altersteilzeit als im Verarbeitenden Gewerbe. Dies kann – neben branchenspezifischen Einflüssen von Tarifverträgen – auch mit den vorherrschenden Arbeitsbelastungen zusammenhängen: Während in Berufen mit hohen körperlichen Arbeitsbelastungen die Altersteilzeit früher endet, sinkt in Berufen mit geringen Belastungen die Verweildauer langsamer. Berechnet man die Kaplan-Meier-Schätzungen für die Dauer der Altersteilzeit differenziert nach dem Eintrittsjahr in die Altersteilzeit, zeigt sich, dass die Verbleibsraten in den Jahren nach 1999 immer langsamer sinken, die Verweildauer steigt also kontinuierlich an (vgl. Abbildung 11). Die Altersteilzeit wird demzufolge für immer längere Zeiträume vereinbart. Hier kann auch der Abbau eines Nachfragerückstaus wirken: Ein Teil der Beschäftigten, die nach Einführung der Regelung (mit kürzerer Laufzeit) in Altersteilzeit gewechselt sind, wäre vermutlich schon früher in Altersteilzeit gewesen (mit längerer Laufzeit), hätte die Option Altersteilzeit schon eher offen gestanden. Auch Befunde zur geförderten Altersteilzeit belegen, dass die vereinbarten Perioden in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben (vgl. Kap. 2.3, Abbildung 3). Nicht nur das Alter der Altersteilzeitbeschäftigten bei Eintritt und Austritt ist in den vergangenen Jahren gestiegen – auch die Dauer ihrer Beschäftigungsverhältnisse. Trotzdem zeigen verschiedene Studien, dass Altersteilzeitbeschäftigung tendenziell früher zu einem Renteneintritt führt; sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ohne Altersteilzeit scheint dagegen die beste Basis für einen späteren Renteneintritt zu sein (Kaldybajewa/Kruse, 2007). So ist das Verrentungsrisiko für Altersteilzeitbeschäftigte dreifach höher als für sonstige sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Zudem erfolgt der Rentenzugang aus Altersteilzeit meist im Anschluss an eine mehrjährige Freistellungsphase. Altersteilzeitbeschäftigte scheiden daher häufig schon weit vor dem Rentenzugang aus dem Erwerbsalltag aus (Hoffmann, 2007). Somit hat die Altersteilzeit in ihrer gegenwärtigen Nutzung von 197
vorneherein den vorzeitigen Eintritt in die Altersrente zum Ziel. Auch aktuelle Forschungsergebnisse aus anderen Ländern (Graf et. al., 2009) bestätigen, dass Altersteilzeitregelungen, die eine Option der Verblockung vorsehen, häufig zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben und nur selten zu einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit führen. Abbildung 10:
Verbleibswahrscheinlichkeit in Altersteilzeit nach Eintrittsjahr (Kaplan-Meier-Schätzung)
100% 80% 60% 40%
Eintrittsjahr 1999 Eintrittsjahr 2000 Eintrittsjahr 2001 Eintrittsjahr 2002
20% 0% 0
6
12
18
24
30
36
42
48
54
60
Monate seit Beginn der Altersteilzeit Quelle: IAB-Beschäftigten-Historik, eigene Berechnungen.
4. Fazit
Es spricht vieles dafür, die Förderung der Altersteilzeit in heutiger Form nicht weiter zu verlängern. Zwar erleichtert sie personelle Anpassungen und ein Teil der frei gewordenen Stellen wird mit Arbeitslosen oder Auszubildenden wiederbesetzt, dies geht jedoch mit Mitnahmerisiken einher. Die starke Nutzung des Blockmodells und die Analysen zum Durchschnittsalter bei Beendigung der Altersteilzeit zeigen außerdem, dass diese vorrangig zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit genutzt wird. Die Inanspruchnahme der Altersteilzeit hängt von vielfältigen Kriterien ab, insbesondere von den Gegebenheiten des Betriebes. Die ursprünglich anvisierte Zielgruppe wird nur selten erreicht. Denn insbesondere Beschäftigte mit unterdurchschnittlicher Belastung am Arbeitsplatz sowie Personen mit höheren Einkommen nutzen die Altersteilzeit. Im Jahr 2007 kostete die Altersteilzeit der BA knapp 1,4 Mrd. Euro. Allerdings stehen dem auch Einsparungen, z. B. beim Arbeitslosengeld gegenüber. Per Saldo überwiegen jedoch die Kosten. Da die Abgabenfreiheit auch noch für Altersteilzeitfälle gilt, die 2010 begonnen werden, 198
sind diese Kosten auch nach Auslaufen der Förderung weiterhin von Steuer- und Beitragszahlern zu leisten. In ihrer gegenwärtigen Form gibt die Altersteilzeit die falschen Signale und reduziert den Druck auf Unternehmen, rechtzeitig umfassende Konzepte für ein altersgerechtes Arbeiten zu entwickeln. Aufgrund des demografischen Wandels werden es Betriebe aber zunehmend mit alternden Belegschaften zu tun haben. Deshalb gewinnen Maßnahmen an Bedeutung, die dazu beitragen, die Beschäftigungsfähigkeit der älteren Mitarbeiter zu erhalten. Vor allem für Arbeitnehmer in körperlich oder psychisch belastenden Berufen müssen Erwerbsverlaufsperspektiven eröffnet werden, die z. B. beizeiten einen Tätigkeitswechsel ermöglichen (Arlt et al., 2009). Auf längere Sicht sollte die Arbeitsmarktpolitik den Fokus auf die Beschäftigung möglichst bis an die Ruhestandsgrenze legen – gerade bei einer bis zum 67. Lebensjahr verlängerten Lebensarbeitszeit. Dazu könnte eine „echte Altersteilzeit“ beitragen – z. B. mit verkürzten Wochenarbeitszeiten der älteren Beschäftigten oder über die Option der Teilrente. Die bisher geringe Inanspruchnahme dieser Möglichkeit dürfte auch auf die konkurrierende und bevorzugte Möglichkeit der Altersteilzeit zurückzuführen sein. Es bedarf hier zusätzlich eines grundlegenden Einstellungswandels zur Teilzeitarbeit, wie die geringe Akzeptanz des Teilzeitmodells auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite zeigt. Durch einen gleitenden Übergang im Rahmen flexibler Arbeitszeiten könnten Beschäftigte bis zur Rente in den Betrieben gehalten werden. Zu flankieren wäre dies mit einer früh ansetzenden und stetigen Weiterbildung, aber auch durch eine intensivierte betriebliche Gesundheitsförderung. Denn beides schafft die Voraussetzungen für eine möglichst lange Lebensarbeitszeit und damit für ein Existenz sicherndes Alterseinkommen. Dagegen wäre es auf längere Sicht ein falsches Signal, die Förderung des Blockmodells zu verlängern. Auch für die echte Altersteilzeit stellt sich die Frage, inwiefern sie einer Förderung durch die BA oder aus Steuermitteln bedarf. Statt unspezifischer finanzieller Zuschüsse kann die Arbeitsmarktpolitik hier einen spezifischen realen Beitrag leisten, etwa durch betriebs- und damit marktnahe Weiterbildungen für Ältere – z. B. im Rahmen des Programms WeGeBAU. Es spricht auch einiges dafür, nach Regelungen für Übergänge aus Beschäftigung in den Ruhestand auf betrieblicher Ebene zu suchen – etwa im Rahmen von Lebensarbeitszeitkonten, die noch wenig verbreitet sind. Solche Regelungen wären tarifvertraglich abzusichern.
199
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200
Retirement and mortality in Norway – Is there a real connection? Vegard Skirbekk, Kjetil Telle, Erik Nymoen, Helge Brunborg
1. Decreasing mortality and the need to raise the average retirement age
The growth in life expectancy has lead to growing concerns about the need to raise the retirement age in order to stabilize the ratio between the economically active and the inactive, particularly in order to sustain the viability of social security systems (NOU, 2004; Palmer, 2003). Strong increases in the retirement age are needed to keep dependency ratios constant if the projected life expectancy growth will materialize (UN, 2007a; Eurostat, 2008). National Statistical Offices (including Statistics Norway), Eurostat and the United Nations assume that the life expectancy at birth will continue to increase by 1 to 2 years per decade (de Beer, 2006; UN, 2007; Eurostat, 2008; Alho et al., 2005). Statistics Norway (2009a, 2009b) assumes that the life expectancy at birth is going to continue to increase from 2008 to 2060, i.e. between 1.1 and 2.3 years per decade for men and between 0.8 and 2 years for women.1 The age at retirement may have an independent effect on the remaining life expectancy if early (or late) retirement leads to an increase or decline in life expectancy. If later retirement causes life expectancy to increase, the average retirement age needs to rise even more to reduce the growth in the ratio between the economically active and inactive. In this chapter, we investigate the impact of retirement age on mortality using registry data that comprises the whole working population of Norway over several decades. Norway is an egalitarian rich country with an extensive welfare system. The Norwegian labour market is highly regulated, with rigorous safety standards and low levels of physical demands and hazards, implying that the health risks of being employed are low. Norwegian pensions are generous and universally available, and retirement is not associated with large increases in poverty risks (NOU, 2009; UN, 2007b; Aaberge et al., 1996). Norway can be an interesting country to study as it
1 The life expectancy at birth is assumed to increase from 78.3 years for men and 83.0 years for women, to between 84.0 and 90.2 years for men and between 87.1 and 93.4 years for women by 2060 (Statistics Norway 2009b).
201
allows us to investigate the relation between retirement and mortality in a setting where the economic conditions of those who retire are fairly similar to those who remain in the labour market to a later age. On the other hand, retiring in Norway could lead to particular challenges to health, as it is a country where the risk of social isolation could be relatively high (which may affect health and longevity), with high levels of family dissolution and a relatively high suicide rate (Kravdal, 2007; UN, 2007b; WHO, 2003). The Norwegian welfare system is seriously challenged by the rising dependency ratio. When the universal pension system was introduced in Norway in 1967 the pension age was 70 (see Figure 1). Figure 1: Observed and projected remaining life expectancy at age 62, 67 and 701 28 26,5
26
2010- : age 62
24 21 ,9
22,0
22 20 17,8
18 1973-2009: age 67
16 14.1
14 12
12.1 1967-1972: age 70
year
10 1960
1970
1980
1990
2000
2010
2020
2030
2040
2050
2060
Registered 1967-2008 and projected 2009-2060 (according to the medium mortality assumptions, see Statistics Norway 2008). Source: Brunborg et al. (2008).
1
At that time a new retiree could expect to live another 12.1 years (e70). This increased to 14.1 years in 1973 when the minimum pension age was lowered to 67 years. Since then the remaining life expectancy (e67) for early retirees has increased to 17.7 years in 2008 (16.0 for men and 19.1 for women). If the projected mortality decline continues as projected in the national population forecast, e67 will increase 202
to 22.0 years in 2060 (Brunborg and Texmon 2009). The number of persons entitled to old age pension rose from 295,000 in 1967 to 617,000 in 2009, and is expected to increase further to 1.5 million in 2060. In the reformed pension system to be introduced in 2011 the annual pension will be adjusted to life expectancy improvements, with approximately 8 months of additional work compensating for a one-year increase in e62 (Brunborg et al., 2008). If a later timing of retirement would affect the age of death, this would affect the increases in the age at retirement needed to offset population ageing. 2. Theoretical perspective on why retirement can affect health and mortality
How retirement affects mortality is determined by on the health impact of working versus being a pensioner. Ending work may per se provide health benefits for some workers, particularly in employment sectors such as agriculture, fishing, mining and industries, although these gains are decreasingly important in Norway, particularly from the late 20th century. Withdrawing from work is still for some likely to represent an escape from certain health risks associated with dangerous work environment, such as heavy physical loads. Nevertheless, the share working in occupations with potentially high health risks has declined at the same time as physical requirements and mortality within every type of job are at historically low levels (Borgan/Kristofersen, 1986; Ilmarinen et al., 1991; Spitz-Oener, 2006). Remaining occupational mortality differences (Borgan, 2009) can be caused by working life influences as well as selection effects in recruitment to different occupations. Retirement may be followed by more unhealthy lifestyles which increases mortality risks, such as a more sedentary lifestyle, unhealthy diet, less socialisation and more use of alcohol. Retirement has been found to be associated with changes in life style that could affect health, as retirement can involve fundamental changes in daily routines, eating habits, calorie use and socialisation patterns (Carp, 1967; Minkler, 1981; Neuman, 2007). Retirement may lead to lifestyle changes which may affect morbidity (physical and psychological) and consequently mortality through an increase in the risk of poor sleep, medicine and alcohol use, excessive eating and lack of exercise, which can weaken the immune system and increase the risk of depression, infections and cardio-vascular disease (Cohen et al., 2007; Perreire/Sloan, 2001). E.g., Chung et al. (2009) find that retirement leads to a weight gain (of 0.24 BMI on average), which is more pronounced for those who already are overweight. On the other hand, retirement is not necessarily a stressful event; many will perceive retirement to be a deserved relief from a long working life or an end to stressful employment.
203
Lack of social interaction, for example caused by social isolation following retirement, may increase risk of psychological illness and exacerbate decline in cognitive functioning (Cohen, 2004; Cole et al., 2002; Glass et al., 1999; Melchior et al., 2003). Cognitive decline due to reduced socialisation after retirement is particularly evident among men (Sugisawa et al., 1997). Maier et al. (2003) find, for the case of Germany, that a low cognitive level and a rapid cognitive decline increase mortality at older ages. Remaining in work to higher ages, particularly as work is increasingly related to problem-solving, is in several longitudinal surveys found to improve cognitive functioning (Salokangas/Joukamaa, 1991; Bosse et al., 1987; Dave et al., 2007; Engelhardt et al., 2008). On the other hand, retirement has been found to both reduce smoking (possibly due to less work related stress) and lead to more exercise (possibly due to more leisure time) (Lang et al., 2007, Midanik et al. 1995). Agahi and Parker (2008) identify sex differences in retirement wellbeing in a Swedish longitudinal dataset 1991/2-2003/4: Women engaging in organizational activities and study circles and men engaging in hobby activities and gardening have lower mortality, while isolation and passivity are health risks. 3. Empirical evidence on the effect of retirement on mortality
Health clearly affects retirement behaviour, and given the choice, the less healthy tend to retire younger. Consequently, their subsequent higher mortality may not be caused by their retirement per se. E.g., a study of Norwegian disability retirees by Gjesdal et al. (2007) find that the mortality of early disability is 2.2 for women and 1.9 for men compared to the rest of the population, controlling for age and socioeconomic factors. Most studies have access to only a limited set of control variables when trying to disentangle the effect of retirement on mortality, which leaves the possibility that the effect estimate is seriously biased upwards. In addition, earlier studies tend to use relatively small samples, typically ranging from 2 to 20 thousand individuals. In Greece, Bamia et al. (2008) find that late labour market exit relates to an older age at death, where in comparison to subjects still employed, retirees had 51 per cent higher all-cause mortality. In a study of British men, Morris et al. (1994) find that mortality is higher for those who retire at younger ages, controlling for preretirement health. In Israel no significant relationship was found (Litwin, 2007). Waldron (2001) concludes that there is a significant positive relation between pension age and life expectancy, concurrent to findings from other investigations in the U.S. (Social Security Administration 1982, Wolfe 1983). Tsai (2005) stresses the differential impact of the timing of retirement and finds that Shell employees who retired at 55 had higher mortality than those who continued working, but no significant difference was found between those who retired at age 60 and at age 65.
204
Dave et al. (2007) control for selection into retirement by considering the preretirement diagnosis, and find significant negative health effects of retirement, both on depression, chronic conditions and daily activities. Behncke (2009), using 20022007 English longitudinal data and applying matching methods to identify the impact of retirement health status compared with those still employed, finds that retirement increases the risk of chronic conditions, including cardiovascular disease diagnosis of cancer compared to those still employed. She also notes that the effects are heterogeneous, with many retirees being unaffected from continuing to work, although the follow-up period is too short to be able to identify long-term consequences. Various methods have been used to attempt to disentangle the causal effect of retirement on health and mortality. Some investigations use instruments that are believed to cause exogenous variation in retirement age, such as retirement windows or early retirement opportunities (Coe/Zamarro, 2008; Coe/Lindeboom, 2008; Bound/Waidmann, 2007; Neumann, 2007). These studies tend to find that earlier retirement depresses life expectancy. Snyder and Evans (2006) use an unexpected change in U.S. social security benefits that induced persons born just after 1917 to increase latter-life employment. They find reduced mortality rates for those who postponed their retirement. Retirement can be voluntary, but also involuntary. Many studies have documented negative correlations between layoffs and subsequent health (Kasl/Jones, 2002). A few studies use more sophisticated methods to handle the fact that less healthy workers may be more likely to be laid off than healthy workers. Eliason and Storie (2009) use Swedish data and find that exposure to plant closure increases mortality, and Rege et al. (2009) reach similar findings using Norwegian data. Von Wachter and Sullivan (2009) find that exposure to mass layoffs increases mortality using U.S. data. Results from these type of studies may not be representative for the overall population. It is possible that the instruments used to identify exogenous variation in retirement timing (pension eligibility, retirement windows, statutory pension age variation) have a direct effect on health, invalidating the identification strategy. The results usually apply to special population subgroups, concealing to what extent similar effect (in terms of size or direction) would apply to the general population. For instance, Coe and Lindeboom (2008) find health gains from early retirement in the U.S. However, only about 10 percent of the workforce were eligible for this type of retirement, and it is unknown whether the results hold for the overall population. Some researchers have taken into consideration the health of individuals before they retire in an attempt to minimize bias from health-related selection that affects the timing of both retirement and death (Bamia et al., 2008; Benchke, 2009; Litwin, 2007; Morris et al., 1994; Social Security Administration, 1982; Tsai, 2005; Wolfe, 1983; Waldron, 2001). These studies find that later retirement improves 205
health and lengthens life expectancy. A major problem is, however, that many health problems either are undiagnosed or not recorded (particularly in the case of selfreported health statements), but may still affect both retirement and morbidity/mortality. A general problem with most studies is that they are based on relatively small samples. A low number of individuals is particularly worrying when there is a comparison of groups who retired at different ages. Moreover, selective attrition in the follow-up waves (where particularly those of poor and worsening health are less likely to respond) may bias the results. A few studies have used large national administrative registers, which minimize problems of representativity and attrition. A study by Wolfson et al. (1993) uses Canadian pension plan data in a large study (n>500,000), though the province of Quebec (which constitutes about a quarter of the Canadian population) is not included and only men are considered. They conclude that retirement tends to benefit health. Quaade et al. (2002) use data for all Danes belonging to the 1926-36 cohorts and observe them for the period 1986-96. They find that the standardized mortality ratio for employed persons was higher among the early retirement recipients (0.88 and 0.72 for men and women, respectively) than among employees (0.59 and 0.51). Our study differs from these previous studies in several respects. Our observation window is substantially wider than in previous studies. We study men and women born 1900-1939 and how their timing of retirement (observed 19702003) affects their risk of mortality (from 1970 to 2007). Earlier analyses are based on a small number of birth cohorts (not above 11) which are observed for a relatively short period (up to 13 years) (Health and Retirement Survey (USA), ELSA (English Longitudinal Study of Ageing), SHARE (Survey of health and retirement in Europe, 15 European countries), Danish administrative registers and Canadian national social security data). We investigate fully 40 birth cohorts, with mortality observed for up to 38 years. We have a larger sample size than most previous studies, as well as an extensive set of control variables taken from official national administrative registers which implies that there is no attrition.. Unlike earlier studies, we include information on the spouse, such as her/his education, occupation and retirement age (if retired), in addition to marital status. A spouse could affect the health of the partner through for example influencing daily routines, diet, smoking or exercise patterns. Moreover, we are able to exclude all subjects receiving a disability pension, possibly reducing the likelihood that variation in the retirement age is influenced by differences in health status.
206
4. The Norwegian pension system
All residents of Norway are covered by the public pension system (Folketrygden).2 Participation in the program is mandatory, and the program is funded through taxes, i.e. pay-as-you-go. The system secures a legal right to benefits like old-age and disability pension. Recently, early retirement programs have been introduced, covering a large proportion of employees. All residents above the age of 67 are entitled to an old-age pension. The pension comprises a minimum pension that is independent of previous earnings, and an additional component that increases in previous earnings. The minimum pension is meant to secure a minimum level of income for all residents, while the additional component secures a certain relationship between retirement benefits and previous income and number of years in the labour force. For a single person who has lived in Norway most of his adult life, the minimum pension was about 13,000 Euros (NOK 105,000) in 2005.3 The additional component is a complicated convex and capped function of the earnings history. A person earns pension points per calendar year if his/her annual income from labour exceeds an income threshold (about 7,588 Euros in 20054). Although this may seem high, the income threshold is low by Norwegian earnings standards, and it is adjusted annually by the Norwegian Parliament to compensate for price and earnings growth. For a person with median earnings, the annual pension payment is about 2/3 of the annual pre-retirement earnings. In addition, the tax rates are lower for pensioners. An early retirement scheme (AFP) was gradually introduced in some sectors from 1989. It first allowed early retirement at age 66, but during the following decade the earliest retirement age declined to 62. At the end, all public employees are covered by the scheme as well as a substantial proportion of private employees, now covering about 60 percent of the labour force (Røed/Haugen, 2003; Midtsundstad, 2006). Røed and Haugen estimate that approximately two out of three retirees would have stayed employed longer without the early retirement programme. Thus, this scheme has lowered the average retirement age substantially. One of the reasons for introducing the early retirement scheme was health concerns (see e.g., Midtsundstad, 2002), which implies that it is important to study
2 Minor groups of residents, like foreign citizens who are paid employees of a foreign state or international organization, are excluded from the program. 3 The minimum pension is reduced proportionally if the person has been resident of Norway for less than 40 years between the age of 16 and 66. The size of the minimum pension also depends on family composition. 4 The income threshold (referred to as ”G” in Norwegain) was NOK 60,699 at the end of 2005, with 1 Euro (equal to approximately 8 NOK).
207
the relation between retirement, health and mortality. Another reason for why the early retirement system was introduced was to compensate for the tendency that those who retire at younger ages have a shorter remaining life expectancy (Midtsundstad, 2002; Bratberg et al., 2004), which implies that variation in the retirement age reduces inequalities in pension life expectancy. For a detailed explanation of the Norwegian pension schemes and the ongoing reforms see NOU (2004, 2009) (in Norwegian). 5. Methodological considerations
To investigate the effect of retirement on mortality we first need to define retirement. The retirement age can be defined as either the age a person receives the first pension or the age when a person no longer receives income from work (earnings5). Our analysis is derived from use of the second definition, for the following reasons: a) It may approximate the actual age of ending work better than the first age of receiving a pension, as one could exit the labour market a considerable period before receiving the first pension. However, if somebody receives unemployment benefits or sick leave benefits (and is still economically active), they will not be registered with a substantial decline in income and we would not count this as being retired. b) It gives us a much longer observation window for Norwegian data, since pension benefits are only available from 1992, while earnings data are registered annually from 1967. We concentrate on elderly retirement by excluding subjects who retire at 60 or below. Moreover, we restrict the sample to subjects that retire according to our definition, leaving out people who have been outside the labour markets for shorter or longer periods, like housewives, students and disability pensioners. Persons withdrawing from the labour market at considerably younger ages than normal retirement ages often do that because they are unhealthy or ill. If there is such a selection of less healthy subjects into early retirement, we would expect to find that those retiring at early ages are more likely to die at any subsequent age than those retiring at older ages. This has been the main challenge to a causal interpretation of findings of most previous studies, since it is very difficult to observe the health immediately before retirement.
5 Income derived from capital, like interest, or income from pensions is not included in our earnings measure. Earnings from self-employment is included.
208
A simple way to estimate the impact of retirement age on mortality is to compare mortality of persons of same age that have and have not retired. The result of such a comparison could be given a causal interpretation under the assumption that retired and non-retired persons have the same health. But this assumption is clearly unwarranted as illness is a main reason for retirement. Indeed, some persons retire in anticipation of an impending death. When such selection processes tend to be present, we would estimate a positive effect of early retirement and mortality even in the absence of any causal effect of retirement on death. Our sample, which includes only persons who eventually withdraw from the labour market, could accentuate this challenge. To illustrate, a person in our sample who retires at age 60 could die at age 61, while a person retiring at age 62 is in the sample because he did not die at age 61. Thus, those retiring at older ages in our dataset cannot, by construction, die at younger ages, while this is not the case for those retiring at younger ages. To minimize problems with health related selection into retirement, we exclude disability pensioners and those who die before the age of 70.6 We will focus on mortality after age 70, i.e. after everyone in our sample has retired. This implies that we avoid any selection into retirement that affects mortality differences before age 70. In our situation, this means that we compare the mortality of those retiring early and late, given survival to 70. This approach may reduce our concern that higher mortality for those retiring early is simply due to early retirees being less healthy. Assuming that subjects retiring early do so because they are ill or unhealthy, we would expect the sickest of them to be dead by 70. However, if a 69-year old retires because she has become seriously ill, she may still be alive and in our sample at age 70. A sample contingent on everyone surviving until 70 will, therefore, comprise few persons who retired early because of an imminently impending death, while there is less reason to believe that there are any similarly strong selection out of the sample due to illness for those retiring at old ages. Or put differently, those in our sample that retired at early ages may be healthier than those retiring at older ages: Death has had more time to select the less healthy of the early retirees out of the sample. If this mechanism is strong, estimates of the effect of retirement age on mortality may be downward biased. Thus, the mortality of those retiring at early age may, in fact, be even higher than what we find. We also try to address the selection problems by controlling for a number of individual characteristics. Controlling for education and income is likely to capture some of the unobserved heterogeneity influencing both retirement and mortality,
6 Disability pensions are very common in the period we consider. For example, the number of disability pensioners grew from 130 to 228 thousand from 1970 to 1990, compared to a growth in old age pensioners from 335 to 613 thousand, reflecting both population ageing and changing entry into retirement and disability pension status) (Statistics Norway 1994).
209
including health related behaviour and retirement preferences (Flegal et al., 1998; WHO, 1988; Ugreninov, 2005; Strand/Steiro, 2003). Education and income may also have a direct effect on mortality (Snyder/Evans, 2008; Lleras-Muney, 2005; Spasojevic, 2003; Ohrem Naper/Dahl, 2007; Sosial- og helsedirektoratet, 2005; Nasjonalt folkehelseinstitutt, 2007; Borgan, 2009; Tysse, 2001; Gruber/Wise, 2004; Gough et al., 2008). To the extent that the included covariates are correlated with unobserved health status, controlling for them should reduce any health-related selection bias. Since we expect this bias to contribute to an exaggeration of any true effect, including these controls should reduce the bias. This has an observable implication: The effect estimate from a regression including these covariates should be lower than the effect estimate from a regression where these covariates are not included. Moreover, since we are able to exclude all subjects receiving disability pension, we reduce the effect of differences in health on the retirement age. To estimate the relationship between mortality and age at retirement we apply survival analysis. To illustrate, consider the following Cox proportional hazard model: h(t) = h0(t)exp(xbx),
(1)
where t is age at time of death (or censoring of emigrants and those who survive throughout the observation period). x is a vector of covariates including the age at retirement, which is the variable of main interest in the present study. 6. Dataset and descriptive statistics
To investigate the effect of retirement on mortality we analyse the resident population of Norway born 1900-1939, for whom we observe withdrawal from the labour market (i.e. retirement) during 1970-2003 and death during 1970-2007. Individual level information on sex, birth, marital status, characteristics of spouse, occupation and education are compiled from decennial censuses (1960-2001) and population register data (1967-2007) maintained by Statistics Norway. Data on every resident’s annual earnings, pension points earned and indicator of receipt of any disability pension during 1967-2004, are obtained from FD-Trygd (Statistics Norway’s events database). To merge the datasets we use the unique personal identity number which has been assigned to every resident of Norway since 1964. For completed education and occupation we use the most recent non-missing observation. Spouse is defined as the spouse one had at age 55 (or in the year 1975 if missing at age 55).
210
Unless otherwise noted, we include a number of control variables in all regressions: 1. Sex (dummy) 2. Earnings, mean over last 3 years (5 dummies: number of pension points [2,3), [3,4), [4,5), [5,6), 6 and above) 3. Education, highest completed (4 dummies: compulsory school, high school, more than high school, missing) 4. Occupation (11 dummies: service, industry, transport and communications, mining, agriculture and fishing, business work, office work, administration, technical and artistic work, other, missing) 5. Year of birth (40 dummies: one for each year 1900-1939) 6. County of birth (19 dummies + foreign born) 7. Marital status (5 dummies: unmarried, married, formally separated or divorced, widowed, missing) 8. Year of birth of spouse (8 dummies: <=1920, 1921-1924, …,1937-1940, >=1941, missing) 9. Earnings of spouse, mean over last three years (7 dummies: number of pension points (0,1), [1,2), [2,3), [3,4), [4,5], above 5, missing) 10. Education of spouse, highest completed (4 dummies: as for own education) 11. Occupation of spouse (11 dummies: as for own occupation) 12. Age at retirement of spouse (7 dummies: below 50, 50-55, 55-60, 60-63, 63-67, 67 and above, missing) 13. Retired after spouse (dummy) As discussed in the previous section, we take several efforts in an attempt to reduce the selection bias caused by those retiring early tending to be of inferior health. First, to avoid comparing those staying in the labour market with those retiring, we restrict the sample to people who live past the age of 60 and who are observed to withdraw from the labour market before they die. Specifically, we require that mean earnings over the three years before retirement were at least three pension points (i.e. annual income of 22,764 Euros), and that the earnings then declined to below one pension point (7,588 Euros). As persons above 70 do not have registered earnings in our dataset, someone retiring after age 70 will be registered as retiring at 70. To make sure that persons in our sample were reasonably active in the labour market, we also require that they earned pension points in at least 90 percent of the calendar years from 1967 to year of retirement.7 Since our annual earnings
7 This admittedly implies that individuals retiring in 1970 were required to have minimum 3 years in the labour force, while those who retire later were required to have more years. This requirement assures that our sample comprises persons for whom leaving the labour force represents a new way of life, and not persons who have tended to move in and out of the labour force during adulthood. However, we also
211
observations start in 1967 we can only consider retirement from 1970 to 2004. Second, to reduce heterogeneity with respect to health status, we exclude everyone receiving disability pensions. Finally, and as elaborated on in the previous section, we also define a sample where we impose the additional requirement that the pensioner survived past the age of 70. The sample that includes those who die in their 60s comprises 352,315 pensioners, while the subset of those who die after age 70 comprises 324,979 pensioners. Summary statistics on the retirement age in our sample is provided in Table 1, where we show the retirement age by age and gender for each decade from 1970 to 2000. We find that the modal age of retirement is age 67 for both men and women for the three 10-year periods. A considerable proportion also retires around ages 68 and 69, particularly in the 1970s and 1980s. Table 1:
Distribution of retirement age for Norwegian cohorts born 1900-1939 that retire above age 60, by period and sex (per cent) 1970-79
Age
All
1980-89
Men Women
All
1990-99
Men Women
All
Men Women
61
2.1
2.0
2.6
1.7
1.8
1.5
2.9
3.1
2.2
62
2.7
2.6
3.2
2.9
3.1
1.9
3.2
3.3
2.9
63
3.7
3.5
4.6
3.8
4.0
3.2
5.3
5.3
5.0
64
3.1
2.9
4.0
2.0
1.9
2.5
7.2
7.1
7.6
65
5.2
4.9
6.6
3.7
3.4
4.8
11.8
11.4
13.4
66
7.0
6.7
8.7
5.6
5.5
6.4
11.4
11.0
12.9
67
18.2
18.2
18.0
30.9
30.9
31.1
24.0
24.2
23.1
68
17.6
18.1
15.2
26.7
27.0
25.9
20.0
20.1
19.4
69
24.2
24.6
22.0
14.3
14.3
14.4
9.0
9.1
8.6
70
16.3
16.5
15.2
8.3
8.3
8.5
5.2
5.3
5.1
Sum 100 % 100 %
100 %
100 % 100 %
100 %
100 % 100 %
100 %
Note: Based on our largest sample as described in data section (N=352,315), and note that disability pensioners are not included. The early retirement scheme was introduced in 1989 and expanded during the 1990s, see comments in text.
tried to drop this requirement and then reran all models reported in Tables 2 and 3. This had a very small impact on the reported estimates, leaving the main picture unchanged.
212
7. Findings
We will now provide the estimates of how mortality depends on age at retirement. Figure 2 shows the Kaplan-Meier survival estimates by retirement age for our sample of persons surviving past age 60 and 70. For those surviving past age 60, we see that proportion of retirees that survives a couple of years after retiring seems to depend on retirement age: For those retiring early (61-62), the survival function tends to decline more just after retirement than later. This means that of those retiring in their early 60s, a higher proportion dies during a year or two after retirement, while such a rapid drop in survival rates are not similarly pronounced for persons retiring later in their 60s. This indicates a tendency that some of those who retire in their early 60s do so because of illness or anticipation of impending death. Moreover, most of those retiring because they are seriously ill appear to die during a short period, resulting in the survival estimates being more similar across retirement age given survival past age 70. Thus, if we were to include everyone who survives past 60 in estimating effects of retirement age on death, selection of unhealthy persons into early retirement could make us seriously overestimate the impact of retirement. Figure 2:
Kaplan-Meier survival estimates by age at retirement Survives past 70
1.00
1.00
Survives past 60
0.00
0.00
0.25
0.25
0.50
0.50
0.75
0.75
Retire at age 61-62 Retire at age 63-70
60
70
80 90 Age in Years
100
110
60
80
90 Age in Years
213
In Table 2 we report the impact of age at retirement on mortality estimated using Cox proportional hazard models. In columns 1 through 3 we use the sample of everyone who survived past age 60, while in columns 4 through 6 we restrict the sample to those who survived past age 70. In both columns 1 and 4, where no control variables are included in the Cox proportional hazard model, we see that those who retire late tend to have lower mortality hazards. But as already indicated by Figure 2, this tendency is much more pronounced in the sample most vulnerable to serious health-selection (column 1; survival past 60). Importantly, however, even in the sample of retirees who have survived past age 70, those who retired at older ages have a lower mortality than those who retire at younger ages. Adding control variables (columns 2-3 and 5-6) has limited impact on this result; if anything; it tends to increase the estimated beneficial impact of late retirement on mortality. Summing up, we have shown that those who retire at earlier ages die younger. This also holds if we try to exclude those who might retire in anticipation of imminently impending death by restricting the sample to retirees who survive past the age of 70. Overall, this indicates that retiring early could reduce life expectancy. Table 2:
Table 2. Estimated impacts of age at retirement on mortality given survival past age 60 and 70
Sample that survives past age 60 No Some Full set of covariates covariates covariates included included Retirement age 61 Ref.Cat. Ref.Cat. Ref.Cat. 62 0.90 0.88 0.88 63 0.83 0.81 0.79 64 0.77 0.77 0.79 65 0.69 0.69 0.69 66 0.66 0.66 0.65 67 0.65 0.62 0.60 68 0.64 0.61 0.58 69 0.61 0.59 0.53 70 0.60 0.59 0.52 Sex, Included covariates: None All Education, Income N 352,315 352,315 352,315
Sample that survives past age 70 No Some Full set covariates covariates of included included covariates Ref.Cat. Ref.Cat. Ref.Cat. 0.97 0.94 0.94 0.95 0.93 0.91 0.89 0.90 0.91 0.86 0.87 0.86 0.86 0.86 0.84 0.88 0.84 0.81 0.87 0.84 0.79 0.87 0.84 0.75 0.86 0.84 0.73 Sex, None Education, All Income 324,979 324,979 324,979
Note: Hazard ratios from Cox proportional hazard models, with covariates included as indicated (results not reported). Bald figures indicate significance at the 5 percent level. Norwegian women and men born 1900-1939, mortality observed 1970-2007.
214
The increase in female labour force participation during the period we investigate in Norway (from 44.8% in 1975 to 62.4% in 1990) for women 16-74 years of age (Statistics Norway 1994) and the strong rise in the use of the early retirement alternatives in the 1990s, implies that we can observe the retirement-mortality relation during a long period with great changes both in the share and selectivity of those who worked and retired and the timing of retirement. The results in Table 3, including only the sample that survives past age 70, show that the reduced mortality following later retirement holds true for both men and women and is robust to variation over time, with a possible exception for women in the 1990s. Hence our results are robust to the large changes taking place over the period we consider, and for all periods and both genders we find a decline in mortality from retirement at older ages.
215
216 0.909 0.910 0.863 0.834 0.800 0.784 0.738 0.725
0.911
0.913
0.857
0.836
0.806
0.791
0.746
0.733
63
64
65
66
67
68
69
70
R.C. 0.929
R.C.
0.936
62
Men
Men and Women
61
Pensio n age
1970-2007
0.781
0.799
0.838
0.843
0.859
0.86
0.948
0.933
0.965
R.C.
Women
0.753
0.774
0.800
0.805
0.867
0.866
0.956
0.927
0.968
R.C.
Men and Women
0.719
0.74
0.759
0.768
0.831
0.83
0.921
0.907
0.934
R.C.
Men
0.852
0.875
0.925
0.898
0.968
0.978
1.053
0.994
1.068
R.C.
Women
1970-1979
0.754
0.768
0.828
0.847
0.881
0.886
0.912
0.918
0.941
R.C.
Men and Women
0.741
0.760
0.824
0.842
0.883
0.899
0.906
0.915
0.945
R.C.
Men
1980-1989
0.840
0.824
0.869
0.891
0.897
0.871
0.984
0.964
0.906
R.C.
Women
0.692
0.694
0.759
0.767
0.775
0.818
0.880
0.920
0.898
Men and Women R.C.
0.724
0.713
0.777
0.785
0.801
0.859
0.908
0.936
0.915
R.C.
Men
:
18,985
0.449
0.504
0.569
0.581
0.549
0.529
0.628
0.720
0.688
R.C.
Women
1990-1999
Estimated impacts of age at retirement on mortality given survival past age 70, by sex and period
N 324,979 262,069 62,910 97,523 79,244 18,279 109,047 87,346 21,701 95,812 76,827 Note: Hazard ratios from Cox proportional hazard models, with full set of covariates included in all models (results not reported). Bald figures indicate significance at the 5 percent level. Norwegian women and men born 1900-1939, mortality observed 1970-2007.
Table 3:
8. Discussion and conclusion
We have investigated the impact of age at retirement on subsequent mortality in Norway. The individual-level dataset covers everyone in the cohorts 1900-1939 who retired after the age of 60. Retirement is defined as withdrawal from the labour market, identified by a substantial drop in earnings, and we observe the time of death up till 2007. We find that those retiring at an early age have significantly higher mortality than those retiring late. The inherently difficult question to answer is whether the higher mortality among those retiring early is a result of selection or whether there is also an unfavourable (or favourable) causal effect of retirement on mortality. There is clearly a selection problem as those retiring early often to do so because their health is deteriorating or even in anticipation of an imminently impending death. We have attempted to amend this selection problem in two ways. First, we include only those who survived to age 70. Someone retiring at age, say, 63 because of seriously deteriorating health have a higher probability of dying before age 70. Conditioning on survival past age 70 implies that we exclude many of those retiring early because of serious illness. While this reduces the concern that our estimated effect is simply picking up that the sicker retire earlier, it may introduce the opposite bias. Many of the unhealthy who retire at early ages may be dead before reaching 70, while most of the unhealthy retiring at older ages may still be alive. This would imply that those in our sample who retired at older ages may have had a more inferior health just before retirement than those who retired at younger ages (as they need to have survived longer after retirement). If those retiring at older ages are relatively sicker at time of retirement, this selection would tend to bias our effect estimate downwards: Those who retire late may be observed with a higher mortality even if there were in fact no causal effect of retirement age on mortality. Second, we control for a number of individual characteristics. Our finding that mortality is higher for those retiring at early ages becomes even more clear when we include covariates in the Cox proportional hazard model. This is the opposite of what we would expect if our finding were driven by those retiring early being less healthy. The gain from continuing to work, which we have estimated, may in part be caused by relatively ‘old-age friendly’ work conditions: The Norwegian labour market is highly regulated, with strong safety standards, high standards in the labour market and low levels of physical demands. In addition, the health condition of senior employees is comparatively good, with relatively low levels of mortality (UN, 2007a). Moreover, retirement may be followed by more unhealthy lifestyles, such as a more sedentary lifestyle, unhealthy diet, increasing body mass and less socialisation, which could increases mortality risks. The 37-year observation period allows us to investigate the retirement agemortality relation over a period with substantial changes in age at retirement in 217
Norway: It starts from the establishment of a national insurance scheme for everybody (“folketrygden”, introduced in 1967), and covers a period with increasingly generous pensions, rising flexibility regarding the timing of retirement, and a trend towards younger retirement. In the period we investigate, there has also been a strong growth in female labour force participation (Statistics Norway 1994) and hence a change in the selection of women who work and retire during this period. Our finding that mortality tends to be higher for those retiring at younger ages holds for both men and women and the general pattern does not change over time. From the late 1960s until the early 2000s the retirement age decreased while the remaining life expectancy increased. Our findings, however, suggest that life expectancy could have increased even more if the age at retirement had stayed constant or risen in this period. To the extent that our findings reflect causal relations, the policy-related implications learned from this study are that pension and labour market policies that effectively increase the retirement age can reduce mortality in old age. When a later pension age implies a somewhat later age at death, an increase in the timing of retirement implies a somewhat faster population ageing. However, a later retirement would not increase the pensioner-worker ratio since a one year increase in retirement relates to a much lower rise in the age of death. Governments’ focus on raising old age health should incorporate retirement policies as a way of achieving this aim. A later entry into retirement can improve survival of both our seniors as well as our social security system.
218
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Absatz- und Personalpolitik mittelständischer Unternehmen im Zeichen des demografischen Wandels – Eine empirische Bestandsaufnahme Peter Kranzusch, Olga Suprinoviÿ, Frank Wallau
1. Einleitung
Die Bevölkerung in Deutschland wird in den nächsten Jahrzehnten erheblich altern und zahlenmäßig schrumpfen. Diese als demografischer Wandel bezeichneten Prozesse haben Auswirkungen auf die Güternachfrage, die Verfügbarkeit und Preise von Produktionsfaktoren wie Arbeitskräfte und Kapital sowie außerbetriebliche Faktoren wie Liefernetzwerke und Infrastruktur. So wird die Nachfrage zukünftig stärker von älteren Kunden dominiert werden. Das Durchschnittsalter der Belegschaften wird sich erhöhen und die Zahl junger, qualifizierter Stellenbewerber wird sinken. Infolgedessen werden Arbeitskräfteressourcen wie Migranten, Frauen und ältere Beschäftigte an Bedeutung gewinnen, wozu Maßnahmen in den Bereichen Familienfreundlichkeit, Qualifizierung und Gesundheitsfürsorge nötig sind. Während einige Auswirkungen des demografischen Wandels in Westdeutschland voraussichtlich erst ab dem Jahr 2020 spürbar werden, sind ostdeutsche Unternehmen schon heute mit dem Schwund der erwerbsfähigen Bevölkerung konfrontiert. Die Bevölkerungsabnahme betrifft zudem städtische Regionen weniger als ländliche. Da der demografische Wandel ein schleichender Prozess ist, kann nicht unterstellt werden, dass sich bereits alle Unternehmen diesem Thema zugewandt haben. Demografische Veränderungen zu erkennen und rechtzeitig Produktneuentwicklungen oder präventive Maßnahmen zur Vermeidung eines vorhersehbaren Fachkräftemangels einzuleiten, kann jedoch in der näheren Zukunft über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen entscheiden. Angesichts der strategischen Bedeutung des Themas für die Unternehmen stellt sich die Frage, wie gut diese über demografische Prozesse informiert sind, ob sie den Handlungsbedarf bereits erkannt und Anpassungen vorgenommen haben. Zwar liegen zahlreiche demografische Prognosen vor (z. B. Statistisches Bundesamt, 2006; Schulz/Hannemann, 2007; Fuchs/Dörfler, 2005), doch nur wenige wissenschaftliche Studien über die betrieblichen Auswirkungen und das Problembewusstsein in den Unternehmen. Für den absatzpolitischen Bereich sei 223
hier die Studie von Capgemini (2005) genannt, die sich als einzige uns bekannte Studie auf Basis einer großzahligen Erhebung mit den Erwartungen der Unternehmen und demografisch bedingten Produktanpassungen befasst.1 Es liegen zudem einige Erfahrungsberichte vor, die darlegen, wie v. a. große Unternehmen bestimmter Branchen in die Schaffung neuer seniorengerechter Produkte investieren (z. B. Krause, 2007; Breid, 2007). Studien, die sich mit personalpolitischen Anpassungen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels befassen, sind zwar zahlreicher (z. B. Ganz, 2002; Baigger et al., 2003; BIBB, 2005; Bellmann et al., 2007), sie legen aber selten einen Fokus auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Angesichts der Bedeutung, die das Thema demografischer Wandel in den letzten Jahren in den Medien erlangte, ist zudem von einer höheren Sensibilisierung der Unternehmen als zu Beginn des neuen Jahrtausends auszugehen. Das IfM Bonn führte daher im Herbst 2007 eine Bestandsaufnahme bei KMU hinsichtlich des Informationsstandes und der Aktivitäten, die die Unternehmen im Hinblick auf die alternde Gesellschaft eingeleitet haben, durch.2 Dabei wurde der Schwerpunkt erstmalig sowohl auf den Managementbereich Absatz als auch auf die Personalpolitik gelegt. Die Datengrundlage dazu lieferte eine repräsentative Befragung unter Unternehmen ab fünf Beschäftigten in Deutschland. Als Abgrenzungskriterium für KMU diente eine Beschäftigtenzahl von unter 250 Personen (gemäß der EUDefinition3). Größere Unternehmen wurden als Kontrollgruppe in die Befragung einbezogen. Der Beitrag fasst die Befragungsbefunde zusammen. Er gliedert sich wie folgt: Kapitel 2 beschreibt kurz das Erhebungsdesign der Studie. In Kapitel 3 wird auf die Trends der demografischen Entwicklung in Deutschland und die Herausforderungen, die sich dadurch für die Unternehmen ergeben, eingegangen. Kapitel 4 bis 7 stellen die Ergebnisse der Befragung vor. Zunächst werden der Informationsstand der Unternehmen bezüglich des demografischen Wandels und die von ihnen erwarteten Auswirkungen auf die eigene Tätigkeit untersucht (Kapitel 4 und 5). Kapitel 6 und 7 befassen sich mit der Frage, inwiefern die Unternehmen von der demografischen Entwicklung im absatz- und personalpolitischen Bereich betroffen sind und ob sie bereits Antwortstrategien entwickeln. Kapitel 8 fasst schließlich die zentralen Erkenntnisse der Untersuchung zusammen.
1 Ferner soll hier auf die kürzlich erschienene Studie der Commerzbank (2009) hingewiesen werden, deren Forschungsdesign an das der Erhebung des IfM Bonn angelehnt ist. 2 Ausführliche Ergebnisse und Handlungsempfehlungen siehe Kay et al. (2008). 3 Zur Mittelstandsdefinition bzw. zu der Bedeutung des Mittelstandes für die deutsche Wirtschaft vgl. http://www.ifm-bonn.org.
224
2. Erhebungsdesign
Die Grundgesamtheit für die vorliegende Studie bilden rechtlich selbstständige Unternehmen ab fünf Beschäftigte mit Sitz in Deutschland.4 Zur Adressenziehung wurde auf die Unternehmensdatenbank "Markus", die größte deutsche Auskunftei Creditreform, zurückgegriffen. Aufgrund von Erfahrungswerten aus früheren Befragungen erschien eine Rücklaufquote von sieben Prozent als realistisch. Um einen Rücklauf von 760 Fragebögen zu erhalten, wurde aus der Menge der Unternehmen eine Zufallsstichprobe von rund 11.500 gezogen. Vor der Stichprobenziehung wurden die Adressen nach vier Wirtschaftsbereichen5 und drei Größenklassen (5 bis 49 Beschäftigte, 50 bis 249, 250 u. m.) geschichtet, um in den einzelnen zu untersuchenden Segmenten jeweils ausreichende Rückläufe erwarten zu können (zur Struktur der Grundgesamtheit vgl. Kay et al., 2008: 29). Nach einer sog. Dublettenbereinigung lagen schließlich knapp 11.000 Unternehmensadressen vor. Die Datenerhebung erfolgte mittels einer Online-Befragung, die Mitte Oktober bis Ende November 2007 durchgeführt wurde. An der Befragung haben sich insgesamt 782 Unternehmen beteiligt. Davon verwertbar sind 725 Fragebögen. Damit beträgt die Netto-Rücklaufquote 6,6 %. Aufgrund der Schichtung bei der Stichprobenziehung weicht die Branchenund Beschäftigtengrößenstruktur im Sample von der bundesweiten Unternehmensstruktur ab. Aus diesem Grund werden die Unternehmen bei der Auswertung so gewichtet, dass die Ergebnisse die Struktur der Grundgesamtheit der Unternehmen mit mindestens fünf Beschäftigten in Deutschland widerspiegeln6 3. Demografischer Wandel als Herausforderung für die betriebliche Absatzund Personalpolitik
3.1 Demografische Entwicklung in Deutschland Im Jahr 2007 lebten rund 82 Millionen Menschen in Deutschland, darunter 50 Millionen im Erwerbsalter. Wie in Abbildung 1 dargestellt, wird die Bevölkerungs-
4 Die Fokussierung auf Unternehmen ab fünf Beschäftigte wurde deswegen gewählt, weil Anpassungen im personalpolitischen Bereich einen der Schwerpunkte der Studie darstellen. 5 (1) Produzierendes Gewerbe, (2) Handel, Gastgewerbe, Verkehr, (3) Unternehmensnahe Dienstleistungen und (4) Sonstige Dienstleistungen. 6 Für die Berechnung der Gewichte wurden Angaben zur Wirtschaftsstruktur aus dem Unternehmensregister (Stand 31.12.2006) - der umfassendsten bundesweiten Unternehmensstatistik herangezogen.
225
zahl in Deutschland bis zum Jahr 2020 voraussichtlich um 2,9 % zurückgehen und sich damit nur unwesentlich ändern.7 Das Gleiche gilt für die Zahl der Personen im Erwerbsalter (von 20 bis unter 65 Jahren), die bis 2020 um 4,2 % sinkt. Nach 2020 setzt jedoch eine verstärkte Abnahme ein. Bis zum Jahr 2050 sinkt die Gesamtbevölkerung voraussichtlich um 16,6 % auf 69 Mio. Das Erwerbspersonenpotenzial geht noch stärker zurück: auf 36 Mio. (-29,1 %). Abbildung 1:
Bevölkerungsentwicklung in Deutschland bis 2050 nach Altersgruppen (Index: 2005=100)
150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 2005
unter 20 Ja hre
2010
2020
20 b is unter 65 Jahre
2030
2040
65 Jahre und älter
2050
insgesamt © IfM B onn 08 20 017
Quelle: Statistisches Bundesamt (2006), Prognose: mittlere Variante, Untergrenze, eigene Darstellung.
Diese Gesamtbetrachtung verdeckt aber erhebliche qualitative Veränderungen. Bis zum Jahr 2020 wird sich vor allem die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung verändern. Wie aus Abbildung 1 ersichtlich, geht insbesondere die Zahl der Jüngeren im Alter von unter 20 Jahren in der nächsten Dekade stark zurück. Die Zahl der Älteren ab 65 Jahre nimmt hingegen deutlich zu. Im Ergebnis geht der Anteil der Jüngeren an der Gesamtbevölkerung von 20 % im Jahr 2005 auf 17 % im Jahr 2020 zurück, während der Anteil der Älteren von 19 % auf 23 % ansteigt.
7 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes, Variante „mittlere Bevölkerung“, Untergrenze (vgl. Statistisches Bundesamt, 2006).
226
Die Alterung betrifft auch den erwerbsfähigen Teil der Bevölkerung. In den nächsten Jahren nimmt die Zahl der Erwerbspersonen im Alter von 50 und mehr Jahren überproportional zu, weil die Arbeitskräfte aus der sog. BabyboomGeneration, d. h. den geburtenstarken Jahrgängen der 50er und 60er, bis 2020 allesamt ihr 50. Lebensjahr überschritten haben werden. Ab 2015 ist mit ihrem Wechsel in die Altersrente zu rechnen. Die Zahl der erwerbsfähigen Personen unter 50 Jahren wird hingegen bis 2020 abnehmen. So wird die Zahl der 20- bis 29-Jährigen voraussichtlich um elf Prozent und die der 30- bis 49-Jährigen um 21 % sinken. Die Altersstruktur der erwerbsfähigen Bevölkerung wird sich insgesamt deutlich hin zu den Älteren verschieben. 3.2 Implikationen für die Unternehmen Wie in Kapitel 3.1 gezeigt, führt der demografische Wandel in Deutschland voraussichtlich zu einer Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung. Für die Entwicklung der Gesamtnachfrage ergeben sich hierdurch – ceteris paribus – zwei Effekte: zum einen den mengenbedingten Rückgang der Nachfrage, zum anderen strukturelle Veränderungen aufgrund der Verschiebung im Altersaufbau. Während der schrumpfungsbedingte Mengeneffekt auf kurze und mittlere Sicht eher als vernachlässigbar einzuschätzen ist (eine Ausnahme bilden bestimmte, v. a. ostdeutsche und ländliche Regionen mit stark sinkender Bevölkerungszahl), wird sich die strukturelle Änderung der Nachfrage bereits bis 2020 deutlich bemerkbar machen. Unternehmen, deren Zielgruppe schrumpfende Bevölkerungsgruppen wie Kinder/Jugendliche oder Personen mittleren Alters bilden, gehören nach Bräuninger et al. (2002) zu strukturellen Verlierern des demografischen Wandels. Zu diesen Unternehmen zählen z. B. der familienorientierte Wohnungsbau, der Bereich Nahrungs- und Genussmittel oder der Kinderbekleidung. Die Anbieter von Gütern/Dienstleistungen, die von älteren Menschen bzw. von Menschen, die sich auf das Alter vorbereiten, gekauft werden, profitieren hingegen von der demografischen Entwicklung und können daher als "Struktur-Gewinner" bezeichnet werden. Dazu gehören das Gesundheitswesen, Finanzdienstleister (im Zusammenhang mit dem Aufbau privater Altersvorsorge) sowie die Dienstleistungsbereiche Freizeit/ Unterhaltung/Kultur oder Haushaltsführung. Bieten Branchen ihre Produkte unterschiedlichen Altersgruppen an, gelten sie als "strukturneutral".8
8 Gleichwohl kann es auch in diesen Branchen zu Nachfrageverschiebungen kommen, weil ältere Verbraucher andere Bedürfnisse aufweisen als jüngere, z. B. hinsichtlich Sicherheit und Bedienfreundlichkeit (vgl. Adlwarth, 2008). Dies sollten Anbieter altersübergreifender Güter und Dienstleistungen bei der Produktgestaltung sowie beim Marketing und Vertrieb berücksichtigen.
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Die Entwicklung der Nachfrage nach bestimmten Gütern bzw. Dienstleistungen hängt aber nicht nur von der Größe der Kundengruppe ab, sondern auch von ihrer Kaufkraft. Sollte z. B. das Einkommensniveau der älteren Bevölkerung in Zukunft deutlich unter dem der erwerbstätigen Bevölkerung liegen, fallen die erwarteten Nachfragegewinne bei den Produkten für Ältere geringer aus. Neben der Verteilung der Einkommen zwischen Erwerbstätigen und Rentnern bestimmen aus demografischer Sicht Faktoren wie die durchschnittliche Haushaltsgröße in den einzelnen Altersgruppen, ihre Konsumneigung sowie die altersabhängige Präferenzstruktur den Konsum (vgl. Bräuninger et al., 2002: 31). Vorausberechnungen der zukünftigen Konsumnachfrage privater Haushalte, die u. a. Einflussfaktoren wie die Einkommensentwicklung und kohortenspezifische Präferenzunterschiede berücksichtigen, zeigen, dass die Konsumanteile der Haushalte der 50-Jährigen und Älteren in den kommenden Jahrzehnten stark ansteigen und die der jüngeren Haushalte sinken werden (vgl. Buslei et al., 2007; Schaible et al., 2007). Es ist daher davon auszugehen, dass das Marktpotenzial der älteren Bevölkerungsgruppen, das bereits heute mit 50 % Konsumanteil als hoch einzuschätzen ist, weiterhin wachsen wird. Für die Unternehmen folgt daraus, ältere Kunden zunehmend in das Blickfeld der betrieblichen Produktpolitik und Marketingbemühungen zu rücken. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, deren Angebot sich bislang vorwiegend an Bevölkerungsgruppen richtet, die zahlenmäßig schrumpfen, denn diese Unternehmen werden - demografisch bedingt - mit einem verschärften Wettbewerb um Kunden konfrontiert sein. Aber auch Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen für Personen jeden Alters anbieten, würden von einer Anpassung ihres Angebots an die Bedürfnisse älterer Kunden profitieren. Wie in Kapitel 3.1 erwähnt, ändern sich im Zuge des demografischen Wandels nicht nur Umfang und Struktur der Gesamtbevölkerung, sondern auch Umfang und Struktur des erwerbsfähigen Teils der Bevölkerung. Die Unternehmen werden dabei mit folgenden zwei Entwicklungen konfrontiert sein: (1) einem starken Anstieg des Anteils älterer Erwerbsbevölkerung bis 2020 und einem langfristigen Einpendeln des durchschnittlichen Alters auf einem höheren Niveau sowie (2) einem allmählichen Ausscheiden von geburtenstarken Jahrgangskohorten – mit einem Höhepunkt zwischen 2020 und 2040 – bei einem sinkenden Ersatzpotenzial Jüngerer. Zu erheblichen demografisch bedingten Ersatzproblemen dürfte es bereits im Zeitraum zwischen 2015 und 2025 kommen, wenn die 50er-Jahre-Kohorte ihr Rentenalter erreicht (vgl. Kay et al., 2008: 19-23). Für die Unternehmen folgt aus diesen Arbeitsmarktentwicklungen zum einen, dass sie sich auf zunehmend alternde Belegschaften einstellen müssen. Dabei rückt die Frage in den Vordergrund, wie die Betriebe ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit trotz älter werdender Belegschaften aufrechterhalten können. Eine unabdingbare Voraussetzung dafür bildet die langfristige Erhaltung der Arbeits-
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fähigkeit der Beschäftigten. Dies erfordert mehr kontinuierliche Investitionen in das Personal im Hinblick auf Gesundheit, Motivation und berufliche Kompetenz als bisher. Zum anderen zeichnet sich ein Arbeitskräftemangel ab, der einen verstärkten Wettbewerb um Nachwuchs- und Fachkräfte zur Folge haben wird und zu einem steigenden Lohnniveau sowie einer stärkeren Lohndifferenzierung führen kann. Vor allem mittelständische Unternehmen könnten davon betroffen sein. Allein ein aktiveres Bemühen um jüngere Nachwuchskräfte wird zukünftig nicht ausreichen, um den Personalbedarf zu decken. Vielmehr sind alternative Strategien wie etwa die Wiedereingliederung und die Weiterbildung von Berufsrückkehrerinnen, die Gewinnung ausländischer Fachkräfte oder die längere Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu erwägen. 4. Informationsstand der Unternehmen
Der demografische Wandel ist ein sich langsam vollziehender Prozess, dessen Auswirkungen zurzeit noch wenig spürbar sind. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass sich bereits alle Unternehmen mit den Folgen der demografischen Entwicklung auseinandergesetzt haben. Dies kann auch deswegen nicht erwartet werden, weil KMU i. d. R. einen Planungshorizont von höchstens ein bis zwei Jahren aufweisen. Eine strategische Planung über einen Zeitraum von zehn oder mehr Jahren hinweg ist angesichts der Dynamik der Märkte eher unüblich.9 Nach dem Informationsgrad bezüglich des Themas demografischer Wandel befragt, antworten hochgerechnet auf die Gesamtheit aller deutschen Unternehmen ab fünf Beschäftigten rund 45 % der Unternehmen, dass sie schon davon gehört, sich aber noch nicht mit den möglichen Auswirkungen auseinandergesetzt haben. Rund 37 % der Unternehmen haben sich schon intensiver mit möglichen Folgen für den Betrieb beschäftigt. Jedes sechste Unternehmen hat sich dagegen noch gar nicht mit dem Thema befasst. Zwischen den Unternehmen in West- und Ostdeutschland ergeben sich insgesamt betrachtet keine signifikanten Unterschiede bezüglich des Wissensstandes. Allerdings sind in den alten Bundesländern mehr kleinere Unternehmen nicht informiert. Für die neuen Bundesländer konnte kein Zusammenhang zwischen der Unternehmensgröße und dem Informationsstand festgestellt werden. Das Wissen der Unternehmen betrifft vornehmlich die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und in der Heimatregion. Rund 20 % der Unternehmen geben an, diesbezüglich eine umfassende Vorstellung zu haben (Abbildung 2).
9 Zum Planungshorizont von Unternehmen vgl. z. B. impulse/S-Finanzgruppe (2005: 46 ff.) oder Schirrmeister et al. (2003: 81).
229
Hinsichtlich der demografischen Entwicklung im Ausland ist das Wissen weniger gut ausgeprägt. Dabei ist der Wissensstand selbst unter exportierenden Unternehmen nicht signifikant besser. Abbildung 2:
Information über demografische Entwicklung nach Räumen (in % der Unternehmen)
Region
Deutschland
58,4
24,4
15,2
Weltweit
gar keine Vorstellung
17,2
66,1
49,2
18,1
46,2
eine ungefähre Vorstellung
4,6
umfassend informiert
n = 723
95 % der befragten Unternehmen haben ihre Informationen aus Massenmedien bezogen. Andere Informationsquellen werden deutlich seltener genutzt: z. B. Wirtschaftskammern, Branchenverbände, das Internet, die Fachliteratur (zu je rund 25 %) oder Konferenzen/Veranstaltungen, Landes-/Bundesregierungen oder Sozialversicherungen (zu je rund 16 %). Kommunen sowie Arbeitsagenturen dienen noch seltener als Informationsquelle. 5. Erwartungen der Unternehmen bezüglich der Auswirkungen des demografischen Wandels
Bei der Betrachtung der Erwartungen soll zwischen den Bereichen außerbetriebliche bzw. marktliche Auswirkungen und Auswirkungen im Personalbereich unterschieden werden. Im Bereich der Zulieferer- und Absatzmärkte sowie bei der Infrastrukturausstattung erwarten rund 80 % aller Unternehmen Veränderungen. An erster Stelle
230
stehen dabei mit einem Anteil von 53,5 % veränderte Kundenbedürfnisse (Abbildung 3), gefolgt von der Verteuerung von kommunalen Leistungen, wie z. B. Wasserversorgung, Abwasser- oder Müllentsorgung, mit einem Anteil von 43,3 %. Knapp ein Drittel der Unternehmen erwartet eine sinkende Nachfrage in Deutschland, wohingegen ein Fünftel von einer steigenden Nachfrage auf deutschen Märkten ausgeht. Als weitere Folgen werden die Verschlechterung der Infrastruktur, ein Ausdünnen regionaler Liefernetzwerke, eine nachwachsende Nachfrage im Ausland sowie eine sinkende Auslandsnachfrage genannt. Welche außerbetrieblichen Folgen des demografischen Wandels erwartet werden, hängt mit einer Ausnahme nicht von der Unternehmensgröße ab. Von einer "Wachsenden Nachfrage im Ausland" gehen Unternehmen umso häufiger aus, je größer sie sind. Die Betrachtung der erwarteten Auswirkungen, nach dem Sitz der Unternehmen in Ost- oder Westdeutschland unterschieden, zeigt, dass der Unternehmenssitz mit zwei Ausnahmen keine Rolle spielt: Eine Verschiebung von Kundenbedürfnissen erwarten westdeutsche Unternehmen häufiger als ostdeutsche (56,0 % vs. 45,5 %), wohingegen ostdeutsche Unternehmen häufiger mit einem Ausdünnen ihrer Liefernetzwerke rechnen (15,6 % vs. 9,4 %). Abbildung 3:
Mittel- bis langfristig erwartete außerbetriebliche Folgen (Mehrfachantworten, in % der Fälle)
Veränderte Kundenbedürfnisse
53,5
Verteuerte kommunale Leistungen
43,3 32,2
Sinkende Nachfrage in Deutschland Wachsende Nachfrage in Deutschland
19,1
Verschlechterte Infrastruktur
18,2
Ausdünnung regionaler Liefernetzwerke
10,9
Wachsende Nachfrage im Ausland
10,1
Sinkende Nachfrage im Ausland
1,4
Sonstige außerbetriebliche Folgen
1,3
Keine Weiß nicht
13,7 5,1
n = 715
231
Ebenfalls rund 80 % der Unternehmen erwarten mittel- und langfristige Folgen für ihre Personalarbeit (Abbildung 4). An erster Stelle steht dabei ein Mangel an Fachund Führungskräften (49,4 %), gefolgt von steigenden Personalkosten aufgrund höherer Entlohnung (44,5 %). Am dritthäufigsten wird die Alterung der Belegschaft, am vierthäufigsten ein Mangel an Auszubildenden angeführt. Einen steigenden Fortbildungsbedarf sowie einen Mangel an Flexibilität, Kreativität oder Innovationsfähigkeit erwartet noch jedes vierte Unternehmen. Seltener geben die Unternehmen einen steigenden Krankenstand oder eine Verknappung von Hochschulabsolventen als Folge an. Abbildung 4:
Mittel- und langfristig erwartete personalpolitische Folgen (Mehrfachantworten, in % der Fälle)
Mangel an Fach-/Führungskräften
49,4
Steigende Personalkosten
44,5 38,0
Starke Alterung der Belegschaft Mangel an Auszubildenden
28,9
Steigender Fortbildungsbedarf Geringere Flexibilität/Kreativität/ Innovationsfähigkeit Höherer Krankheitsstand
25,8 24,6 17,1
Mangel an Hochschulabsolventen Sonstige personalpol. Folgen
12,4 0,8 17,5
Keine Weiß nicht
3,2
n = 719
Dabei nimmt der Anteil der Unternehmen, die Folgen im Personalbereich erwarten, mit steigender Unternehmensgröße signifikant zu. Speziell sehen größere Unternehmen häufiger als kleine einen Mangel an Fach- und Führungskräften, einen steigenden Fortbildungsbedarf, einen steigenden Krankenstand sowie ein Unterangebot an Hochschulabsolventen für die Zukunft voraus. Einzig bei den steigenden Personalkosten besteht kein linearer Zusammenhang mit der Unternehmensgröße. Hier zeigt sich vielmehr, dass Unternehmen mit 10 bis 249 Mitarbeitern häufiger als kleinere oder größere Unternehmen von einem Anstieg der Personalkosten ausgehen.
232
Welche personalpolitischen Auswirkungen des demografischen Wandels erwartet werden, hängt kaum von regionalen Merkmalen ab, mit zwei Ausnahmen: So wird häufiger von ostdeutschen Unternehmen ein Unterangebot an Hochschulabsolventen erwartet als von westdeutschen (16,8 % vs. 11,2 %). Letztere wiederum erwarten häufiger einen erhöhten Fortbildungsbedarf (28,4 % vs. 17,4 %). 6. Betriebliche Anpassungsstrategien im Absatzbereich
6.1 Betroffenheit aufgrund der Altersstruktur der Zielgruppe Rund 70 % der befragten Unternehmen geben an, dass zu ihren Kunden Personen und Haushalte gehören. Bei lediglich 1,5 % der Unternehmen sind dies vorwiegend Kinder/Jugendliche bzw. bei 12,4 % Personen im mittleren Alter. Diese Unternehmen können daher als tendenziell risikobehaftet bezeichnet werden. Etwa sechs Prozent aller Unternehmen richten ihr Angebot an ältere Kunden. Sie profitieren insofern von der demografischen Entwicklung. Das Gros der Unternehmen wird auf kurze bis mittlere Sicht weniger von altersbedingten Veränderungen auf den Absatzmärkten betroffen sein, weil sie keine altersspezifischen Produkte/Dienstleistungen anbieten oder weil sie vorwiegend Unternehmen bzw. Organisationen beliefern10 (Abbildung 5). Gemessen an den Zielgruppen ist insbesondere für Teile des Gesundheits- und Sozialwesens sowie der sonstigen/personenbezogenen Dienstleistungen, darunter v. a. die Branchen Erziehung/Bildung und Finanzierung/Versicherung von einem demografisch bedingten Nachfragerückgang auszugehen. Andererseits zählt rund ein Drittel der Unternehmen des Gesundheits- und Sozialwesens zu den Gewinnern, weil deren Angebot sich speziell an ältere Personen richtet. Unter den potenziellen Gewinnern und Verlierern sind gleichermaßen große wie kleine Unternehmen zu finden. Die Mehrheit der Unternehmen, die altersspezifische Produkte/Dienstleistungen anbieten, hat ihren Sitz in Westdeutschland.
10 Auf lange Sicht wird der demografische Wandel zu Veränderungen in der Unternehmenslandschaft führen und sich daher auch für Unternehmen, zu deren Kunden Unternehmen/Organisationen gehören, bemerkbar machen. Die Erwartungen der Unternehmen deuten darauf hin, dass sie sich dieser Entwicklung bewusst sind (vgl. Kay et al., 2008: 67).
233
Abbildung 5:
Zielgruppenausrichtung der befragten Unternehmen (in % von insgesamt)
Kunden/Endverbraucher sind... keine Personen/Haushalte
30,3
Personen/Haushalte
69,7
darunter vorwiegend: Kinder/Jugendliche
1,5
Personen mittleren Alters Ältere
12,4 5,9
Personen unterschiedlichen Alters
49,9
n = 724
6.2 Ergriffene bzw. geplante absatzpolitische Maßnahmen Eine der Möglichkeiten, auf die demografisch bedingte Veränderung der Nachfrage zu reagieren, stellt die Anpassung des Unternehmensangebots, der Kommunikation und des Vertriebs an die älter werdende Bevölkerung dar. Viele Unternehmen berücksichtigen bereits die Alterung der Bevölkerung in ihrer Produkt- und Vermarktungspolitik (Abbildung 6). 43,4 % der Unternehmen, die Personen/ Haushalte beliefern, haben ihr Angebot entsprechend verändert und 20,1 % planen dies zu tun. Etwa ein Fünftel der Unternehmen hat bereits völlig neue Produkte speziell für ältere Kunden entwickelt, ein weiteres Fünftel plant dies. Darüber hinaus gibt ein Drittel der Unternehmen an, Bedürfnisse älterer Kunden verstärkt bei der Kundenbetreuung und -beratung zu berücksichtigen. Etwa ein Fünftel hat das in der Zukunft vor. Gut 20 % planen zudem, ältere Kunden zunehmend im Rahmen ihrer Werbekampagnen bzw. der Kommunikation anzusprechen. In fast jedem fünften Unternehmen ist das bereits heute der Fall. Eine Anpassung der Lokalitäten (z. B. Verkaufsräume, Parkplätze) bzw. der Vertriebswege, etwa in Form von Lieferservices, Hausbesuchen oder mobilen Verkaufseinrichtungen, wurde ebenfalls in fast jedem fünften Unternehmen vorgenommen und steht in jedem zehnten Unternehmen auf dem Plan.
234
Ordnet man die ersten zwei Maßnahmen dem Bereich Produktpolitik und die letzten vier dem Bereich Vermarktung zu, ergibt sich, dass jeweils lediglich rund ein Drittel (34,0 % bzw. 29,3 %) der Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen für Personen anbieten, weder entsprechende Anpassungsmaßnahmen bereits ergriffen noch solche geplant hat. Der Anteil bereits aktiv handelnder Unternehmen liegt in den beiden Bereichen bei jeweils gut 45 %, der der Planer bei gut einem Fünftel. Abbildung 6:
Maßnahmen zur Gewinnung bzw. Erhaltung älterer Kunden - nur Unternehmen mit der Zielgruppe Personen/Haushalte (in %)
Entwicklung völlig neuer Produkte
20,0
Anpassung der Vermarktung insgesamt2)
Mehrfachnennungen möglich n = 403 1) 2)
57,6
70,4
11,7
67,2
12,8 23,8
46,9 ergriffen
44,8
21,5
33,6 18,0
34,0
20,1
23,1
19,3
Vertriebswege1)
Anpassung der
57,1
45,9
Anpassung der Lokalitäten
36,4
21,4
21,4
Anpassung oder Neuentwicklung
Anpassung von Werbung/Kommunikation Anpassung der Kundenbetreuung/-beratung
20,1
43,4
Anpassung bisheriger Produkte
geplant
29,3
weder/noch
Lieferservice, Hausbesuche, mobile Verkaufseinrichtungen, etc. Anpassung in mindestens einem der vier untersuchten Vermarktungsbereiche.
Im Hinblick auf die Anpassungen im Bereich Produktpolitik lassen sich branchenspezifische Besonderheiten identifizieren.11 Der Anteil der Unternehmen, die mindestens eine der beiden Maßnahmen ergriffen haben oder solche planen, ist zwar in den einzelnen Wirtschaftsbereichen in etwa gleich groß, Unterschiede bestehen jedoch bezüglich der gewählten Maßnahmen und der zeitlichen Umsetzung. Eine Anpassung des bestehenden Angebots an ältere Kunden wird im Gesundheits-/Sozialwesen und Verarbeitenden Gewerbe sowie in den Branchen
11
Genauere Darstellungen siehe Kay (2008: 70 f.).
235
Einzelhandel und Finanzierung/Versicherung bereits besonders häufig vorangetrieben. Das Gesundheits- und Sozialwesen sowie die Finanzierungs- und Versicherungsbranche erweisen sich neben dem Gastgewerbe ebenfalls als Vorreiter bei der Produktneuentwicklung. Anders als im Produktbereich bestehen bei der Vermarktung nicht nur branchenspezifische Unterschiede bei den Einzelmaßnahmen, sondern auch beim Anteil der in diesem Bereich überhaupt aktiven Unternehmen und der Planer. Dieser Anteil erweist sich mit 75 % bis 80 % als besonders hoch im Baugewerbe, im Bereich Handel/Gastgewerbe/Verkehr/Nachrichten und im Gesundheits- und Sozialwesen. Überdurchschnittlich viele Unternehmen dieser Branchen haben ihre Pläne bereits umgesetzt. Die Wirtschaftsbereiche Verarbeitendes Gewerbe und sonstige/ personenbezogene Dienstleistungen greifen insgesamt signifikant seltener auf diese Strategie zurück (64 % und 55 %). Bezüglich der Anpassung des bestehenden Angebots ergeben bivariate Tests keine signifikanten größenspezifischen Unterschiede. Lediglich bei der Entwicklung völlig neuer Produkte erweisen sich größere Unternehmen als tendenziell aktiver. In Westdeutschland finden sich mehr Unternehmen, die jeweils entsprechende Maßnahmen ergriffen oder geplant haben, als in Ostdeutschland. Unter den Unternehmen, die aufgrund ihrer Absatzorientierung auf schrumpfende Bevölkerungsgruppen einen Nachfragerückgang erwarten müssen, ist v. a. bei solchen mit der Zielgruppe Personen mittleren Alters eine hohe Aktivität festzustellen (80,1 %). Unternehmen mit einer Orientierung auf Kinder/Jugendliche haben bislang seltener entsprechende Anpassungsmaßnahmen vorgenommen bzw. geplant (62,5 %). Neben der Anpassung des Unternehmensangebots wurden die Unternehmen gebeten anzugeben, ob sie beabsichtigen, ihre Marktpräsenz zukünftig auszubauen. Dies planen insgesamt etwa 60 % der Unternehmen, davon jedes dritte aus demografischen Gründen. Auf diese Möglichkeit greifen besonders oft Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten zurück. Ostdeutsche Unternehmen verfolgen diese Strategie deutlich häufiger als westdeutsche. Zu den überdurchschnittlich aktiven Branchen können tendenziell das Verarbeitende Gewerbe, das Baugewerbe, das Gastgewerbe und der Bereich Erziehung/Bildung gezählt werden. Die geplante Marktausdehnung konzentriert sich überwiegend auf den deutschen Binnenmarkt und – bei den 20 % der Unternehmen, die zukünftig verstärkt exportieren wollen – auf das ebenfalls bevölkerungsalternde und -schrumpfende Europa. Ähnlich wie bei der Anpassung der Produkte und der Vermarktung erweisen sich die Unternehmen, die ihre Produkte/Dienstleistungen vorwiegend an Personen mittleren Alters absetzen, auch im Hinblick auf Markterweiterungen als überdurchschnittlich rege: 52,8 % planen eine Marktausdehnung. Unternehmen, deren Angebot sich an Kinder oder Jugendliche richtet, reagieren deutlich verhaltener (18,2 %).
236
7. Anpassungen im Personalbereich
7.1 Betroffenheit aufgrund der Altersstruktur der Belegschaften Nahezu jede Belegschaft wird von der Alterung und einem zunehmenden Ersatzbedarf im Personalbereich betroffen sein. Die Gruppe der 30- bis 49-Jährigen stellt zurzeit branchen- und größenklassenübergreifend mehr als die Hälfte der Belegschaften. 50-Jährige und ältere machen gegenwärtig im Schnitt 20 % der Belegschaften aus, nur im Baugewerbe und im Gesundheitswesen ist der Anteil der älteren Beschäftigten etwas niedriger (Abbildung 7). Somit liegt der altersbedingte Ersatzbedarf bis 2020 im Durchschnitt aller Unternehmen bei etwa einem Fünftel und nimmt danach kontinuierlich zu. Abbildung 7:
Altersstruktur der Beschäftigten insgesamt nach Wirtschaftszweigen (Anteil der Altersgruppen in %)
Verarbeitendes Gewerbe, Bergbau, Energie-/Wasserversorgung
17,7
Handel, Gastgewerbe, Verkehr, Nachrichten
20,6
55,6
23,8
Sonstige/Personenbezogene Dienstleistungen
20,6
58,2
21,2
Unternehmensnahe Dienstleistungen
21,2
Baugewerbe Gesundheits-/Sozialwesen Insgesamt
Unter-30-Jährige
26,5
55,8
58,6
30,0 27,7 21,4
51,1
18,9
54,4
17,9
56,0
30- bis 49-Jährige
20,2
22,6
50-Jährige und Ältere
n = 593
7.2 Allgemeine Maßnahmen im Hinblick auf die Alterung Unter den Maßnahmen, die die Unternehmen im Hinblick auf die kommende Alterung der Belegschaft ergriffen bzw. geplant haben, werden am häufigsten eine Verbesserung der technischen Ausstattung, die Förderung des lebenslangen Lernens
237
aller Mitarbeiter sowie die Rekrutierung Jüngerer genannt.12 Diese Maßnahmen werden jeweils in mindestens jedem zweiten Unternehmen umgesetzt bzw. stehen auf dem Plan (Abbildung 8). Gut 40 % der Unternehmen wollen generationenübergreifende Arbeitsteams bilden. Ebenfalls rund 40% streben eine betriebsinterne Weiterbildungsberatung an. Unter den Maßnahmen für ältere Beschäftigte dominiert die flexible Arbeitszeitgestaltung: Insgesamt 35,9 % der Unternehmen wollen der Alterung der Belegschaft mit dieser Maßnahme begegnen. Spezifische Qualifizierungsmaßnahmen für Ältere sind in lediglich jedem vierten Unternehmen vorgesehen. Rund 13 % der Unternehmen wollen mit einer Schaffung von Arbeitsplätzen mit geringeren körperlichen oder psychischen Belastungen auf die kommende Alterung reagieren. Jedes zehnte Unternehmen setzt auf eine Frühverrentung von älteren Mitarbeitern. Abbildung 8:
Maßnahmen im Hinblick auf die kommende Alterung der Belegschaft, in % der Unternehmen (Mehrfachantworten)
Verbesserung der technischen Ausstattung
42,4
Förderung lebenslangen Lernens aller
35,0
Generationenübergreifende Arbeitsteams
Personalentwicklung/ individuelle Laufbahngestaltung Qualifizierungsmaßnahmen für Ältere
56,6
12,7
21,1
13,8
50,0
7,7
29,2
17,0
45,9
19,5
35,7
Betriebsinterne Weiterbildungsberatung
43,6
19,1
30,5
Rekrutierung Jüngerer
Flexible Arbeitszeitgestaltung für Ältere
14,1
58,1
14,8
64,1
12,8
70,2
11,5
74,7
Arbeitsplätze mit geringerer körperlicher/ 7,5 5,5 psychischer Belastung Frühverrentung älterer Mitarbeiter 5,9 4,5 ergriffen
87,0 89,6 geplant
weder/noch
n = 652
12 Im Hinblick auf die Anpassungen der technischen Ausstattung bleibt offen, ob diese allgemein auf Produktivitätssteigerungen (ggf. in Verbindung mit einer Reduzierung des Personalbedarfs) bzw. auf eine Senkung der Arbeitsbelastungen (für alle oder auch ältere Mitarbeiter) zielen.
238
Für den aktuellen Stand der Aktivitäten lässt sich – bis auf die Bereiche technische Verbesserungen, Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsplätze mit geringerer Arbeitsbelastung und Frühverrentung – feststellen, dass eine Maßnahme umso eher ergriffen wird, je größer ein Unternehmen ist. Darunter fällt u. a. die Qualifizierung, der vor dem Hintergrund der Alterung des Erwerbspersonenpotenzials eine wichtige Bedeutung zukommt. Es zeigen sich zudem einige Branchenunterschiede: Während das Verarbeitende Gewerbe – aufgrund der vielen Großunternehmen – fast die ganze Bandbreite der Maßnahmen intensiv nutzt bzw. nutzen will, sind die Dienstleistungsunternehmen eher im Bereich Weiterbildung bzw. Arbeitsplatz- oder Arbeitszeitgestaltung aktiv. Eine Auswertung der Maßnahmen, nach Ost-/ Westdeutschland unterschieden, zeigt, dass ostdeutsche Unternehmen im Gesamtbild vergleichsweise verhalten reagieren. Sie setzen signifikant weniger als westdeutsche Unternehmen Modelle lebenslangen Lernens, Weiterbildungsberatungen und flexible Arbeitszeitmodelle für Ältere um. Angesichts erwarteter Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit älterer Personen gewinnt der vorbeugende Gesundheitsschutz an Bedeutung. Die Unternehmen wurden daher gebeten anzugeben, ob sie bereits heute entsprechende Präventionsmaßnahmen ergreifen (Tabelle 1). Insgesamt jedes zweite Unternehmen gibt an, Arbeitsschutzmaßnahmen zu ergreifen, ergonomische Arbeitsplatzveränderungen vorzunehmen bzw. Untersuchungen oder Beratungen durch Werksärzte oder medizinische Experten anzubieten. Da Arbeitsschutzmaßnahmen bzw. Untersuchungen zu den gesetzlichen Fürsorgepflichten der Arbeitgeber gehören, hätten hier abgesehen von wenigen Branchen nahezu alle Unternehmen aktiv sein müssen. Zehn Prozent der Unternehmen planen zumindest für die Zukunft arbeitsschutzrelevante Arbeitsplatzumgestaltungen, sechs Prozent werksärztliche Konsultationen. Weitaus seltener werden Maßnahmen genutzt, die stärker einen voluntären Charakter haben, z. B. Gesundheitskurse und -schulungen oder betriebseigene Sportangebote bzw. eine Förderung von außerbetrieblichen Sportaktivitäten. Insgesamt knapp ein Viertel der Unternehmen gibt an, dass sie keine Maßnahmen im Bereich Gesundheitsförderung ergriffen haben oder zukünftig ergreifen wollen. Eine größenspezifische Analyse des Anwendungsgrades der einzelnen Maßnahmen zeigt den zum Teil auf den gesetzlichen Vorgaben beruhenden Größenklasseneffekt. Die beiden ersten Maßnahmen in Tabelle 1 werden ab einer Unternehmensgröße von 50 Mitarbeitern zumindest von ¾ der Unternehmen ergriffen. Ein Größeneffekt ist aber auch bei den anderen Maßnahmen erkennbar. Davon abgesehen neigen die Unternehmen auch nach Branchenzugehörigkeit zu einem differenzierten Einsatz gesundheitsfördernder Maßnahmen. So bieten vor allem die Unternehmen im Gesundheits- und Sozialwesen und im Produzierenden 239
Gewerbe ihren Mitarbeitern solche Maßnahmen an. Ergonomische Arbeitsplatzgestaltungen bzw. Arbeitsschutzmaßnahmen sind wiederum in vielen Dienstleistungsbranchen üblich. Tabelle 1:
Betriebliche Gesundheitsschutzmaßnahmen nach Unternehmensgrößenklassen, in % der Unternehmen je Klasse
Unternehmen mit … Mitarbeitern 5 bis 9 10 bis 49 50 bis 250 u. m. Insgesamt 249 Untersuchung/Beratung durch Werksärzte/Experten*** ergriffen 24,6 53,7 77,6 83,3 46,6 Maßnahmen/Aktivitätsgrad
nicht ergriffen, aber geplant
4,9
7,3
3,4
0,0
6,1
Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung/Arbeitsschutzmaßnahmen*** ergriffen
43,8
53,7
73,7
84,6
52,7
6,7
13,5
8,8
7,7
10,7
12,0
22,5
29,8
53,8
20,2
6,2
8,5
17,5
15,4
8,6
ergriffen
1,8
3,2
10,5
41,7
4,0
nicht ergriffen, aber geplant
1,8
3,7
7,0
8,3
3,4
nicht ergriffen, aber geplant Gesundheitskurse/-schulungen*** ergriffen nicht ergriffen, aber geplant Betriebseigene Sportangebote
Förderung außerbetrieblicher Sportaktivitäten ergriffen
3,1
5,3
14,0
33,3
5,8
nicht ergriffen, aber geplant
4,9
9,3
8,8
8,3
7,7
39,3
16,0
5,2
0,0
22,5
Keinerlei Maßnahmen*** n=671 *; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 Prozent.
7.3 Nachwuchssicherung Die Befragungsergebnisse zeigen, dass viele Unternehmen den Mangel an jungen Fachkräften antizipieren und sich bereits aktiv um den Nachwuchs bemühen. Dies trifft v. a. auf den Facharbeiterbereich zu: Knapp 60 % der befragten Unternehmen geben an, Ausbildungsplätze anzubieten. Maßnahmen zur Sicherung des 240
Akademikernachwuchses werden hingegen seltener ergriffen. So bietet etwa ein Viertel der Unternehmen Studentenpraktika an und knapp ein Sechstel betreut Diplomarbeiten. Für nahezu jede Maßnahme gilt, dass sie mit zunehmender Unternehmensgröße häufiger genutzt wird (Tabelle 2). Tabelle 2:
Maßnahmen zur Nachwuchssicherung nach Unternehmensgrößenklassen, Anteil der Unternehmen in % (Mehrfachantworten)
Maßnahmen
Unternehmen mit ... Mitarbeitern Signifi Insgesamt 50 bis kanz 5 bis 9 10 bis 49 250 u. m. 249
im Bereich Ausbildung Ausbildung im Betrieb
42,2
62,0
79,7
91,7
57,4
***
Schülerpraktika
43,5
57,6
68,3
69,2
54,1
***
Kooperation mit Schulen Betriebsbesichtigungen für Jugendliche Gründung/Sponsoring einer Schule im Bereich Hochschulabsolventen
15,5
18,4
33,3
46,2
19,2
**
7,8
20,4
31,7
50,0
17,7
***
1,7
1,5
5,1
8,3
2,0
Studentenpraktika
16,8
25,7
49,2
75,0
25,6
***
Diplomarbeitsbetreuung
5,2
16,9
38,3
69,2
15,8
***
Traineeprogramme
1,7 1,7
8,3 2,3
11,9 8,5
41,7 38,5
7,0 3,3
*** ***
0,9
2,3
11,9
25,0
3,0
***
0,0
3,8
1,7
15,4
2,6
**
0,4
1,3
3,4
15,4
1,4
30,6
16,1
5,1
0,0
19,7
Teilnahme an Hochschulmessen Forschungsprojekte mit Lehrstühlen Gründung/Sponsoring einer Hochschule (Werks-)Stipendien für Studenten Keine der o.g. Maßnahmen
***
n=696 *; **; *** Signifikanzniveau von 5; 1; 0,1 Prozent.
7.4 Familienfreundlichkeit Eine Gruppe, die zukünftig stärker als Arbeitskraftressource an Bedeutung gewinnen wird, sind Frauen, v. a. solche mit Kindern. Sollen die Beschäftigungs241
reserven weiblicher Arbeitskräfte mit Kindern erschlossen werden, kommt es u. a. darauf an, dass Berufs- und Familienleben zu vereinbaren sind. Ein Angebot an unterstützenden Maßnahmen zur Kinderbetreuung und von Arbeitszeitregelungen, die Freiräume zur Organisation der Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen ermöglichen, sind Voraussetzungen für die Arbeitsfähigkeit. Aber auch Väter sind z. B. aufgrund der neuen Regelungen zur Elternzeit auf die Berücksichtigung familienspezifischer Bedürfnisse in den Betrieben angewiesen. Wie Tabelle 3 verdeutlicht, bieten relativ wenige Unternehmen Maßnahmen zur Vereinbarung von Beruf und Familie an, die über die gesetzlichen Normen hinausgehen. Rund sieben Prozent der Unternehmen gewähren Mitarbeitern mit Kindern über den gesetzlichen Anspruch hinausgehenden Sonderurlaub. Den Themen Kinderbetreuung im Betrieb bzw. Förderung von Kinderbetreuungsangeboten außerhalb des Betriebs widmen sich nur wenige Unternehmen. Alles in allem bietet höchstens ein Zehntel der Unternehmen Eltern Sonderurlaubstage oder eine Unterstützung bei der Kinderbetreuung an oder plant dies für die nahe Zukunft. Tabelle 3:
Freiwillige familienfreundliche Sozialleistungen (Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in %
Sonderurlaub für Mitarbeiter mit Kindern Geförderte Kinderbetreuungsplätze außerhalb des Betriebs Betriebskindergarten
angeboten 7,1
geplant 3,7
weder noch 89,2
3,6
3,3
93,1
1,1
1,2
97,7
n=636
Für alle Maßnahmen gilt tendenziell, dass sie von größeren Unternehmen häufiger als von kleineren genutzt werden. Unternehmen des Baugewerbes bieten ebenso wie die im Bereich Handel/Gastgewerbe/Verkehr/Nachrichten insgesamt seltener solche Maßnahmen an. Neben den oben genannten familienfreundlichen Aktivitäten wurden die Unternehmen auch nach Arbeitszeitformen gefragt, die Mitarbeitern mit Familien mehr Freiräume für familiäre Belange bieten. Am häufigsten sind im Jahr 2007 in deutschen Unternehmen Arbeitszeitkonten verbreitet sowie Modelle mit Gleitzeit, in denen Arbeitnehmer bei Beachtung einer Kernzeit die Lage der Arbeitszeit individuell gestalten können (Tabelle 4). In rund 36 % der Unternehmen sind ferner Teilzeitformen üblich, bei denen die Mitarbeiter den Arbeitsbeginn bzw. das -ende mitbestimmen. Relativ selten ist Telearbeit. Insgesamt wird in rund 80 % der befragten Unternehmen wenigstens eine der vier genannten, tendenziell arbeitnehmerfreundlichen Arbeitszeitformen eingesetzt. 242
Tabelle 4:
Arbeitszeitformen mit hohem Gestaltungsfreiraum für Mitarbeiter (Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in % angeboten
geplant
weder noch
Arbeitszeitkonten
47,1
7,5
45,4
Gleitende Arbeitszeit (mit Kernzeit) Teilzeit, deren Start/Ende der Mitarbeiter (mit-)bestimmt
42,7
3,1
54,2
35,8
3,6
60,6
9,8
5,0
85,2
Telearbeit n=672
Bis auf die Telearbeit werden die aufgeführten Arbeitszeitformen eher in größeren als in kleineren Unternehmen angeboten. In Unternehmen mit über 250 Mitarbeitern sind die drei ersten Formen in wenigstens 75 % der Unternehmen zu finden, in Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern meist nur in jedem dritten Unternehmen. Telearbeitsplätze bieten dagegen auch kleinere Unternehmen vergleichsweise häufig an. Gleitzeitmodelle sind im Baugewerbe und im Bereich Handel/Gastgewerbe/Verkehr/Nachrichten unterdurchschnittlich verbreitet. Arbeitszeitkonten werden in allen Dienstleistungsbranchen unterdurchschnittlich angeboten, die dafür überdurchschnittlich häufig Teilzeitarbeitsplätze einrichten. Telearbeit ist noch bei unternehmensnahen, personenbezogenen bzw. sonstigen Dienstleistern häufiger verbreitet. 7.5 Erschließung ausländischer Arbeitskräfte Ausländer bzw. Migranten stellen eine weitere potenzielle Arbeitskräfteressource für Unternehmen dar. Die Unternehmen können zum einen versuchen, die Beschäftigungspotenziale der bereits in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergrund zu erschließen, zum anderen können sie direkt im Ausland nach Fachkräften suchen.
243
Abbildung 9:
Ausländeranteil nach Unternehmensgrößenklassen, Anteil der Unternehmen in %
Unternehmen mit ... Beschäftigten 5 bis 9 10 bis 49
23,9
42,5
50 bis 249 250 und mehr
7,1 10,6
72,9
Insgesamt
20,0
50,0
10,0 49,5
18,6
12,9 5,7
15,1 15,7
41,2
23,5
12,8
9,4
11,8 7,8 10,0 10,0 12,0 7,1
Ausländeranteil an der Belegschaft 0%
über 0 bis unter 10%
10 bis unter 20%
20 bis unter 40%
40 bis 100%
n=560
Wie aus Abbildung 9 ersichtlich, beschäftigt die Hälfte aller Unternehmen ab fünf Beschäftigten in Deutschland keine Ausländer bzw. Personen mit Migrationshintergrund. Die übrigen 50 % der Unternehmen haben bereits mindestens einen Mitarbeiter mit Migrationshintergrund13 eingestellt. Der Anteil der Unternehmen, die ausländische Mitarbeiter aufweisen, ist in allen Branchen in etwa gleich hoch. Kleinere Unternehmen beschäftigen insgesamt seltener Ausländer. Ausländische Mitarbeiter bilden in kleineren Unternehmen zudem prozentual einen geringeren Anteil an der Belegschaft. Der durchschnittliche Ausländeranteil an allen Mitarbeitern steigt von rund 10 % bei Unternehmen mit bis zu 49 Beschäftigten auf ca. 17 % bei Unternehmen mit 250 oder mehr Beschäftigten. Rund 15 % der befragten Unternehmen geben an, in den letzten fünf Jahren eine Bewerbersuche im Ausland gestartet oder in Erwägung gezogen zu haben. Dass die Rekrutierung im Ausland lebender Fachkräfte bislang eine untergeordnete Rolle spielt, hat vielfältige, u. a. politische und rechtliche Gründe. Die spezifischen Hürden einer Bewerbersuche im Ausland bzw. einer Integration dieser Arbeitskräfte in die Arbeitsprozesse liegen aus Sicht der Unternehmen v. a. in Kommunikations-
13 Wir können hier aufgrund des Fragebogendesigns nicht zwischen Migranten und Ausländern, die von den Unternehmen direkt im Ausland angeworben wurden, unterscheiden.
244
und damit Qualifikationsdefiziten bei potenziellen Bewerbern (Abbildung 10). Daneben werden aber auch noch vergleichsweise häufig administrative Hürden genannt. So erwartet jedes vierte Unternehmen Probleme bei der Erteilung einer Arbeitserlaubnis und jedes fünfte beklagt das gesetzlich vorgeschriebene Mindestgehalt von 85.500 €/Jahr14 für hoch qualifizierte Bewerber. Abbildung 10: Hürden bei der Suche oder Einstellung ausländischer Fachkräfte (Mehrfachantworten), Anteil der Unternehmen in % Unzureichende Deutschkenntnisse
68,6
Sprachliche Hürden bei der Personalsuche
51,0 24,0
Erhalt der Arbeitserlaubnis für Deutschland Ges. Mindestgehalt von 85.500 € für Hochqualifizierte
19,4
Kulturelle Unterschiede
19,4
Wohnungssuche/Umzug
11,1
Probleme bei der Einwanderung der Familie
10,9
Steuerliche, sozialversicherungsrechtliche Regelungen
10,5
Vorbehalte in der Bevölkerung
10,3
Zu hohe Gehaltsforderungen der Bewerber
9,5
Vorbehalte in der eigenen Belegschaft
9,4
Sonstiges
4,8
n = 699
Eine Auswertung der Hürden in Abhängigkeit vom Vorhandensein von Erfahrungen einer Bewerbersuche im Ausland zeigt, dass Unternehmen, die eine solche Erfahrung bereits gemacht haben, seltener sprachliche Defizite oder kulturelle Unterschiede und häufiger administrative oder bürokratische Barrieren als Problem benennen. Obwohl große Unternehmen häufiger über Sucherfahrungen im Ausland verfügen, erweisen sich die Einschätzungen der damit einhergehenden Probleme als nicht von der Unternehmensgröße abhängig. 14 Mit dem Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz, das am 01.01.2009 in Kraft getreten ist, wurde die Mindesteinkommensgrenze für ausländische Fachkräfte gesenkt. Der vor 2009 geltende Wert entsprach dem Doppelten der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung. Der neue Wert entspricht der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung beträgt diese im Jahr 2009 für die alten Bundesländer 64.800 €/Jahr.
245
8. Zusammenfassung
Im Hinblick auf den Informationsstand der Unternehmen bezüglich des demografischen Wandels lässt sich festhalten, dass das Gros der Unternehmen bereits eine zumindest ungefähre Vorstellung von den demografischen Trends in Deutschland besitzt. Der Informationsstand bezüglich der weltweiten Bevölkerungsentwicklung erweist sich als deutlich defizitärer. Breites Faktenwissen ist insgesamt eher selten anzutreffen. Die Hauptinformationsquelle stellen Massenmedien dar. Andere Informationsquellen, wie z. B. Wirtschaftskammern, Branchenverbände, das Internet oder die Fachliteratur, werden deutlich seltener genutzt. Die Mehrheit der Unternehmen geht davon aus, dass der demografische Wandel sowohl personalpolitische als auch außerbetriebliche Folgen haben wird. Gemessen an der absatzpolitischen Zielgruppenausrichtung scheinen sich die meisten Unternehmen der Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung auf die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen bewusst zu sein. Viele Unternehmen, v. a. in Westdeutschland, haben bereits mit der Anpassung des Produktangebots und des Marketings an die Bedürfnisse älterer Kunden reagiert: Jeweils 45 % der Unternehmen, die personenorientierte Produkte oder Dienste anbieten, haben Anpassungsmaßnahmen im Sortiment/Service bzw. im Bereich Vermarktung ergriffen und jeweils gut ein Fünftel hat dies vor. Dabei lassen sich in bivariaten Tests keine signifikanten Größenunterschiede feststellen. Eine Marktausdehnung aus demografischen Gründen planen insgesamt etwa 20 % aller Unternehmen, darunter insbesondere Unternehmen aus den neuen Bundesländern. Im Hinblick auf die Herausforderungen des demografischen Wandels im personalpolitischen Bereich scheint das Problembewusstsein, gemessen am Betroffenheitsgrad, weniger ausgeprägt zu sein. Dies äußert sich u. a. darin, dass noch relativ wenige Unternehmen eine aktive Strategie verfolgen, die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter auf lange Sicht aufrechtzuerhalten. Die meisten Unternehmen setzten eher auf einen Austausch Alt gegen Jung oder auf eine Verbesserung der technischen Ausstattung der Betriebe als Strategie zur Lösung des Problems der Alterung der Belegschaft. Maßnahmen, die auf eine Steigerung der Qualifikation der älteren Beschäftigten oder den Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit zielen, sind seltener vorgesehen. Angesichts des vorhersehbaren Fachkräftemangels, der den Mittelstand in besonderer Weise treffen wird, besteht hier für viele KMU noch erheblicher Nachholbedarf.
246
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248
Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk Eine Analyse im Zeichen des demografischen Wandels
Kurt-Dieter Koschmieder, Klaus Müller
1. Einleitung
Anliegen des Beitrages ist es, erstmalig der Öffentlichkeit ausgewählte Ergebnisse einer Ende 2008 abgeschlossenen Studie zum Thema „Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk – Eine Analyse im Zeichen des demografischen Wandels“ vorzustellen.1 Fragen und Probleme, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben, werden seit einigen Jahren in aller Breite diskutiert. Aber bislang kaum untersucht wurden die Auswirkungen, die durch den demografischen Wandel auf den Generationenwechsel von Unternehmen zukommen. Dieses Thema scheint aus zwei Gründen brisant: Zum einen verlieren durch die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung diejenigen Bevölkerungsgruppen an Gewicht, die als besonders gründungsfreudig gelten. Dies sind in erster Linie Personen zwischen 30 und 39 Jahren; in jüngeren und in älteren Jahren nimmt das Interesse an einer Selbständigkeit dagegen wieder ab. Zum anderen kommt ein vergleichsweise großer Teil der Betriebsinhaber in das Ruhestandsalter und steht vor der Frage, ob der Betrieb an einen Nachfolger übergeben werden kann oder ob er stillgelegt werden muss. In den neuen Bundesländern dürfte diese Situation noch eine größere Brisanz aufweisen, da sich in den nächsten Jahren die Auswirkungen des Geburtenrückgangs nach der Wende von 1989 massiv bemerkbar machen werden. Dadurch wird auch die Zahl der Personen im gründungsrelevanten Alter zukünftig vergleichsweise stark zurückgehen. Folglich öffnet sich die Schere zwischen Gründern und Betriebsinhabern, die in das Ruhestandsalter kommen, in den neuen Ländern noch stärker als in den alten Ländern.
1 Die Studie wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie durch das Volkswirtschaftliche Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Unterstützung der Thüringer Handwerkskammern durchgeführt. Autoren der Studie sind Klaus Müller, Kurt-Dieter Koschmieder, Denise Tromska, Annelie Zapfe und Kerstin Rötzler; Kurzzitierweise hier: Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge Handwerk Thüringen, 2009).
249
Die Wirtschaft der neuen Länder ist besonders geprägt durch mittelständische Unternehmen und durch das Handwerk. Während für den Bereich des gesamten Mittelstandes Fragen des Generationenwechsels schon gelegentlich analysiert wurden2, war das Handwerk und speziell das Handwerk in den neuen Bundesländern bisher nicht Gegenstand umfangreicher empirischer Untersuchungen. Hier liegt auch deshalb eine Forschungslücke vor, weil sich die Existenzbedingungen und die Wettbewerbssituation durch die Novellierung der Handwerksordnung erheblich verändert haben. Das Untersuchungsgebiet erstreckt sich – exemplarisch für eines der fünf neuen Länder – auf den Freistaat Thüringen. Im Einzelnen werden mit der Studie folgende Forschungsaufgaben verfolgt: Quantitative
und qualitative Bestandsaufnahme zum Übergabeprozess und zu den Unterstützungsleistungen im Handwerk. Prognose der Entwicklung des Generationenwechsels bis zum Jahre 2020. Aufdeckung der Handlungsfelder und Ableitung von Handlungsempfehlungen für das Thüringer Handwerk. Die Untersuchung fußt auf zwei empirischen Erhebungen für das Jahr 2007. Adressat der ersten Erhebung waren die ehemaligen Inhaber von Handwerksbetrieben, die aus einer der drei Thüringer Handwerksrollen in 2007 gelöscht wurden. Adressat der zweiten Erhebung waren die Existenzgründer, die in 2007 in die Handwerksrollen neu aufgenommen wurden. Allein diese „doppelseitige“ Erhebung stellt eine Besonderheit im Gegensatz zu den bisherigen empirischen Untersuchungen dar, die nur Betriebsinhaber – z. T. nur eines bestimmten Alters (z. B. ab 50 Jahre) - befragen.3 Zur vertiefenden Analyse des Ablaufs und der Problemfelder bei der Übergabe von Handwerksbetrieben wurden ergänzende Experteninterviews mit Erfahrungsträgern durchgeführt, die die Zielgruppe Handwerker betreuen und mit der spezifischen Thematik der Betriebsübergabe durch ihre Beratungstätigkeit vertraut sind. Hierbei handelt es sich um Betriebsberater der Thüringer Handwerkskammern, Steuerberater aus Thüringen und um Unternehmensberater und Finanzinstitutionen wie die Thüringer Aufbaubank.4 Die Umfragen fanden im Frühjahr 2008 statt. Die Ergebnisse beziehen sich insgesamt auf das Jahr 2007.
2 Vgl. hierzu die ausführliche Literaturanalyse in Müller/Koschmieder Thüringer Handwerk, 2009: 23-50). 3 Zur Methodik der empirischen Erhebung vgl. Müller/Koschmieder Thüringer Handwerk, 2009: 343-361). 4 Es wurden 13 Einzel- oder Gruppeninterviews mit insgesamt 17 Methodik und Vorgehensweise bei den Experteninterviews (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 361-367).
250
(Unternehmensnachfolge im (Unternehmensnachfolge im Experten durchgeführt. Zur vgl. Müller/Koschmieder
2. Befunde zum Handwerk und zur demografischen Entwicklung in Thüringen
2.1 Stellung des Thüringer Handwerks In Thüringen waren zum 31.12.2007 insgesamt 31.391 Handwerksbetriebe in die Handwerksrollen der drei Thüringer Kammern eingetragen. Seit 1993 ist die Zahl der Handwerksbetriebe von 24.535 relativ stark um etwa 7.000 angestiegen. Insgesamt betrug der Zuwachs knapp 30 %. Dieser Anstieg war höher als im gesamtdeutschen Durchschnitt von knapp 26 %, aber geringer als im Durchschnitt der neuen Länder von 35 % (vgl. Tabelle 1).5 Tabelle 1:
Entwicklung des Thüringer Handwerks in der Gesamtwirtschaft: Zahl der Handwerksbetriebe von 1993 bis 2007
Jahr
Thüringen
Neue Bundesländer
Deutschland
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
24.535 25.827 26.692 27.618 28.611 28.923 29.225 29.165 28.705 28.494 29.615 29.714 30.605 31.145 31.391
130.871 137.950 142.865 146.352 150.931 154.193 157.011 157.230 154.118 152.326 154.420 164.184 170.753 174.781 176.883
765.406 790.045 811.166 823.788 3838.170 850.586 856.279 858.277 850.696 843.661 846.588 887.300 923.046 947.381 961.732
Anteil Thüringen ggü. Neuen Deutschland Bundesländer 18,7 % 3,2 % 18,7 % 3,3 % 18,7 % 3,3 % 18,9 % 3,4 % 19,0 % 3,4 % 18,8 % 3,4 % 18,6 % 3,4 % 18,5 % 3,4 % 18,6 % 3,4 % 18,7 % 3,4 % 18,5 % 3,4 % 18,1 % 3,3 % 17,9 % 3,3 % 17,8 % 3,3 % 17,7 % 3,3 %
Quelle: Deutscher Handwerkskammertag; eigene Berechnungen.
5 Zum Betriebsbestand und dessen Entwicklung in den letzten 15 Jahren vgl. Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 80-94, 371-381).
251
Nimmt man die Zahl der Betriebe je 1.000 Einwohner und damit die Betriebsdichte als Maßstab, so lag Thüringen 2007 im bundesweiten Vergleich nach Brandenburg und Bayern an dritter Stelle. Auch die Beschäftigtendichte und der Umsatz je Kopf der Bevölkerung liegen in Thüringen über dem Durchschnitt aller Bundesländer und auch dem der neuen Länder (vgl. Tabelle 2). Die Betriebsgröße liegt im Thüringer Handwerk mit durchschnittlich 5,4 Personen pro Betrieb (ohne handwerksähnliches Gewerbe) leicht unter dem Durchschnitt. Sie hat sich gegenüber der Handwerkszählung von 1995 fast halbiert (damals durchschnittlich 10,1 Personen). Auch die Zahl der Beschäftigten ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Heute arbeiten im Thüringer Handwerk etwa 136.000 Personen, 1994 waren es noch knapp 200.000. Dabei fiel der Rückgang noch etwas stärker als im Bundesdurchschnitt aus. Der nominelle Umsatz im Thüringer Handwerk ist von 1994 bis 2007 etwa gleich geblieben. Real ist ein Rückgang um etwa 22 % zu verzeichnen. Der Umsatz pro Beschäftigten ist um etwa 43 % von 60.000 (1994) auf gut 83.000 Euro gestiegen. Anders ausgedrückt heißt dies, dass heute im Thüringer Handwerk etwa der gleiche nominale Umsatz wie 1994 erzielt wird, jedoch nur mit etwa zwei Dritteln der Beschäftigten. Bei realer Betrachtungsweise liegt die Steigerung bei etwa 18 %. Der Umsatz je Beschäftigten liegt heute zwar unter dem Bundesdurchschnitt, aber über dem Durchschnitt der neuen Länder (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2:
Stellung des Thüringer Handwerks in der Gesamtwirtschaft: Kennzahlen zu Besatz, Umsatz je Kopf und je Beschäftigten 2007
Betriebsdichte Thüringen (TH) Bundesdurchschnitt Neue Bundesländer
137 Betriebe/10.000 Einwohner 117 135
Beschäftigtendichte Thüringen Bundesdurchschnitt Neue Bundesländer
591 Beschäftigte/10.000 Einwohner 548 560
Umsatz je Kopf der Bevölkerung TH Bundesdurchschnitt Neue Bundesländer
4.920 € 4.904 € 4.465 €
Umsatz je Beschäftigte Thüringen Bundesdurchschnitt Neue Bundesländer
83.260 € 89.550 € 79.730 €
Quellen: Deutscher Handwerkskammertag; Statistisches Bundesamt (2007), Rudolph/Müller (1997); eigene Berechnungen.
252
Im Thüringer Handwerk dominieren nach wie vor die zulassungspflichtigen Betriebe. Der Anteil der zulassungsfreien Handwerke ist vergleichsweise gering. Das handwerksähnliche Gewerbe liegt etwa auf dem Niveau des Bundesdurchschnitts. In den letzten Jahren haben die zulassungsfreien Handwerke aber auch hier erheblich an Gewicht gewonnen.6 Bezogen auf die einzelnen Handwerksgruppen ist der Betriebsbestand seit 2000 am stärksten im Ausbaugewerbe und bei den Handwerken für persönliche Dienstleistungen (vor allem Friseure) gestiegen. Einen Rückgang gab es dagegen bei den Nahrungsmittelhandwerken (starker Konzentrationsprozess), bei den Handwerken für den gewerblichen Bedarf und im Bauhauptgewerbe. Die Betriebsdichte ist im Vergleich zum Bundeswert fast in allen Handwerksgruppen höher. Das gilt insbesondere für das Baugewerbe. Ein geringerer Besatz ist nur bei den Dienstleistungshandwerken (Gesundheitsgewerbe, Handwerke für persönliche Dienstleistungen) zu beobachten7 (vgl. Abbildung 3). Abbildung 1:
Entwicklung des Thüringer Handwerks: Veränderung der Anzahl der Betriebe nach Handwerksgruppen von 2000 bis 2007, in Prozent
Handwerk gesamt 7,6
Handw. f. persönliche Dienstleistungen Gesundheitsgewerbe
15,9 2,4 -16,1
Nahrungsmittelhandwerke
1,7
Kraftfahrzeuggewerbe
-6,5 20
Handwerke für d. gewerbl. Bedarf Ausbaugewerbe Bauhauptgewerbe
-5,3
-20
-10
0
10
20
Quelle: Deutscher Handwerkskammertag; eigene Berechnungen.
6 Vgl. Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 95-97). 7 Vgl. Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 97-102).
253
Fazit Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass das Thüringer Handwerk einen beachtlichen Stellenwert in der Gesamtwirtschaft aufweist. Fast jeder dritte Betrieb und jeder vierte Existenzgründer kommen aus dem Handwerk. Der Anteil an den Beschäftigten liegt bei 13 %8. Insgesamt ist das Thüringer Handwerk heute mit durchschnittlich 5,4 Personen sehr kleinbetrieblich strukturiert und sein Erscheinungsbild hat sich, bezogen auf die Zahl der Betriebe je Handwerksgruppe, erheblich verändert. Im Vergleich zum Bundesgebiet weist das Thüringer Handwerk sowohl nach der Zahl der Betriebe und der Gründer als auch der Beschäftigten einen vergleichsweise hohen Anteil an der Gesamtwirtschaft aus. Die Wirtschaft des Freistaates Thüringen ist in besonderer Weise durch das Handwerk geprägt. Hieraus resultiert auch die zentrale Bedeutung eines „verwerfungsfreien“ Übergangs der Betriebe beim Generationenwechsel. 2.2 Demografische Entwicklung in Thüringen Im Jahr 2007 wurden für Thüringen 2,3 Millionen Einwohner registriert. Die Bevölkerung ist seit 2002 um 4,3 % gesunken und sank damit stärker als im Durchschnitt der neuen Länder (-2,7 %; zum Vergleich alte Bundesländer +0,4 %).9 Bis zum Jahr 2020 dürfte die Thüringer Bevölkerung um etwa 10 % zurückgehen.10 Absolut gesehen sinkt die Anzahl der Personen von derzeit knapp 2,3 Mio. auf gut 2 Mio. Dieser Verlust ist größer als in den neuen Bundesländern insgesamt (minus 7,5 %) oder im gesamten Bundesgebiet (minus 2,5 %). Innerhalb Thüringens dürfte der Bevölkerungsrückgang in den Landkreisen erheblich größer als in den kreisfreien Städten ausfallen. Für die Städte Weimar und Jena wird sogar ein leichter Bevölkerungszuwachs erwartet. Im zentralen Gebiet zwischen Eisenach und Jena ist die Bevölkerungsentwicklung voraussichtlich besser als in der Peripherie dieses Bundeslandes.11
8 Vgl. Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 117). 9 Vgl. Müller/ Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 51-53). 10 Die Prognose der demografischen Entwicklung erfolgt anhand der Daten der 11. Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamtes und der Variante 1 des Thüringer Landesamtes für Statistik. Vgl. Statistisches Bundesamt 2006 sowie Thüringer Landesamt für Statistik (2007a). 11 Zur Entwicklung der Geburten- und Sterberate sowie zu Wanderungsverlusten vgl. Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 24-27).
254
Mit dem Bevölkerungsrückgang wird eine Verschiebung der Altersstruktur einhergehen. Eine Zunahme ist bei der Zahl der über 50-Jährigen zu erwarten, stark sinken wird dagegen die Zahl der Personen bis 30 Jahre und die Altersgruppe von 41 bis 50 Jahre (vgl. Abbildung 2). Bei den 30- bis 40-Jährigen zeigt sich zuerst ein Rückgang und dann wieder ein leichter Anstieg. Abbildung 2:
Entwicklung der Altersgruppenstruktur bis 2020 in Thüringen gegenüber 2007 (= 100)
120 110 100 90 80 70 60 50 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020
< 30
31-40
41-50
51+
GESAMT
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik, Basis 31.12.2005.
Die Veränderung der Altersstruktur hat auch Auswirkungen auf die Zahl der Erwerbspersonen. Deren Zahl wird bis 2020 deutlich abnehmen, wobei der Rückgang noch stärker als bei der Bevölkerung ausfällt. Innerhalb der Erwerbspersonen dürfte die Zahl der Personen unter 30 Jahre am stärksten sinken. Dafür wird das Gewicht der älteren Personen ab 45 Jahre stark zunehmen. Auch im Geschlechterverhältnis zwischen Männern und Frauen treten erhebliche Veränderungen ein. In allen Altersgruppen bis 60 Jahre, aber insbesondere in den mittleren Altersgruppen gibt es einen Männer-, im höheren Alter dagegen einen Frauenüberschuss. Dies liegt mit daran, dass die Wanderungsverluste im hohen Maße durch Frauen verursacht werden.12 Wagt man einen Blick in die fernere Zukunft bis zum Jahr 2050, zeigt sich, dass sich die beschriebenen Trends noch verstärken werden. Die Bevölkerung wird
12
Vgl. Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 131 f.).
255
insgesamt um 34 % zurückgehen, die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter sogar um fast 50 %. Das Verhältnis zwischen jung und alt bzw. zwischen Erwerbstätigen und Senioren wird sich noch weiter zuspitzen. Ein Abgleich der demografischen Entwicklung mit der Altersstruktur der Inhaber Thüringer Handwerksbetriebe macht deutlich, dass zeitgleich bis 2020 ca. 50 % der Thüringer Handwerksbetriebe einen Generationenwechsel vollziehen müssen oder dieser unmittelbar bevorsteht.13 3. Befunde und Prognosen zu Übergabe- und Übernahmequoten
3.1 Übergabe- und Übernahmequote – Ist 2007 Übergabequote – Ist 2007 Aus Sicht der ehemaligen Inhaber, also der Personen, die im Jahr 2007 ihren Betrieb übergeben oder stillgelegt haben, war die wirtschaftliche Entwicklung der Betriebe in den letzten zwei Jahren eher negativ. So sank in knapp 60 % der Betriebe die Zahl der Beschäftigten; nur in 20 % war eine Steigerung zu verzeichnen. Auch der Umsatz nahm eher ab als zu. Diese Entwicklung betraf sowohl die Betriebe, die stillgelegt wurden, als auch diejenigen, die übergeben wurden. Ein solches Ergebnis fällt jedoch nicht aus dem Rahmen, denn auch bei der Gesamtheit der Thüringer Handwerksbetriebe verlief die wirtschaftliche Entwicklung ähnlich negativ. Der Abgang aus der Selbstständigkeit wurde von den Altinhabern in fast 50 % der Fälle nicht geplant, sondern geschah plötzlich. Meist waren wirtschaftliche Gründe für den schnellen Rückzug maßgeblich. Etwa jeder fünfte aus dieser Gruppe gab einen persönlichen Schicksalsschlag (Krankheit, Unfall) an. In diesen Fällen musste der Betrieb häufig stillgelegt werden, weil keine praktikable Nachfolgeplanung vorhanden war. Nur ein Viertel der Betriebsinhaber hat die Beendigung seiner Unternehmertätigkeit längerfristig geplant. Nur 20 % der ehemaligen Betriebsinhaber fanden 2007 einen Nachfolger; davon etwa die Hälfte innerhalb der Familien. Der Rest der Betriebe wurde stillgelegt oder in Ausnahmefällen an einen bereits bestehenden Betrieb verkauft. Die übergebenen Betriebe hatten mehr Beschäftigte als die stillgelegten. Ab einer Betriebsgröße von fünf Personen wurden mehr Betriebe übergeben als stillgelegt. Allerdings konnten auch einige größere Betriebe identifiziert werden, die keinen Nachfolger fanden.
13 Zur weiteren Differenzierung der Altersstruktur nach Handwerkssektoren Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 137-144).
256
vgl.
Von den stillgelegten Betrieben hatten 20 bis 25 % der Altinhaber ursprünglich vorgehabt, einen Nachfolger für den Betrieb zu finden. Für das Scheitern dieser Absicht sind sicher verschiedene Gründe maßgeblich, so vor allem die wirtschaftliche Situation des Betriebes oder zu hohe Preisvorstellungen. Häufig schätzen Altinhaber die Lage ihres Betriebes nicht realistisch ein. Insgesamt lässt sich aus den Ergebnissen der Erhebung eine Typologie der Altinhaber, also der Personen, die im Jahr 2007 ihren Betrieb stillgelegt oder übergeben haben, ableiten (vgl. Abbildung 3). Abbildung 3:
Typologisierung der Altinhaber im Thüringer Handwerk*, die 2007 ihre Unternehmertätigkeit beendet haben Beendigung Unternehmertätigkeit 100 %
Altersgründe 20 % (40%)
persönliche, familiäre Gründe (incl. Tod Inhaber) 15-20 % (15-20%)
Andere Lebensplanung, Wechsel in abh. Beschäftigungsverhältnis 15-20% (10-15%)
Übergabe 20 % (29%)
wirtschaftliche Gründe 40-55 % (30-40%)
Stilllegung 80 % (71%)
davon grundsätzlich übergabefähig ca. 2 % (2%) Übergabepotenzial ca. 22 % ( ca. 31%)
*gesamtes Handwerk (zulassungspflichtiges Handwerk).
Für die Abmeldung des Betriebes bzw. für die Beendigung der Unternehmertätigkeit waren vor allem wirtschaftliche Gründe maßgeblich, wobei diese Betriebe sämtlich stillgelegt wurden. Danach folgen zu fast gleich großen Teilen Altersgründe, persönliche Gründe und eine Veränderung der Lebensplanung,
257
so z. B. ein Wechsel in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Wie hoch der Übergabeanteil bei jedem dieser Gründe ist, lässt sich nicht genau ermitteln. Insgesamt liegt er – wie bereits erwähnt – bei 20 %. Da von den stillgelegten Betrieben noch einige übergabefähig sind, ergibt sich insgesamt ein Übergabepotenzial von 22 %. Dieses Ergebnis gilt für das gesamte Handwerk. Betrachtet man nur die zulassungspflichtigen Betriebe, ergeben sich nicht unbeträchtliche Unterschiede. So spielen hier Altersgründe eine größere, wirtschaftliche Gründe dagegen eine geringere Rolle. Auch eine veränderte Lebensplanung kommt nicht so häufig vor. Insgesamt ist die Übergabequote mit 29 % erheblich höher als im zulassungsfreien Handwerk mit elf Prozent oder gar im handwerksähnlichen Gewerbe mit fünf Prozent. Keinen größeren Unterschied zum Gesamthandwerk gibt es bei dem Anteil der stillgelegten Betriebe, die potenziell übergabefähig sind. Hier wird von den zulassungspflichtigen Handwerken ein Anteil von drei Prozent der stillgelegten Betriebe erreicht. Bezogen auf alle Betriebe sind dies zwei Prozent, so dass sich bei den zulassungspflichtigen Betrieben insgesamt ein Übergabepotenzial von 31 % ergibt. Bei den nicht zulassungspflichtigen Betrieben liegt dieses Potenzial dagegen nur bei etwa zehn Prozent. Übernahmequote – Ist 2007 Betrachtet man den Generationenwechsel nun aus Sicht der Existenzgründer, so handelt es sich bei nur 18 % aller Existenzgründungen um die Übernahme eines bereits bestehenden Unternehmens; die restlichen 82 % sind Neugründungen. Wenn ein Betrieb übernommen wurde, geschah dies zu 35 % vom Vater (oder der Mutter). Zählt man Verwandte und Ehepartner hinzu, kommt man auf eine familiäre Übergabequote von etwa 50 %. Ein Viertel der Übernahmen erfolgt vom ehemaligen Chef und bei 27 % der Übernahmen war der bisherige Inhaber vorher nicht bekannt, wobei etwa die Hälfte dieser Übernahmen über eine Betriebsbörse lief. Als Grund für den Schritt in die Selbstständigkeit wurden am häufigsten die gewünschte Unabhängigkeit bzw. eine Selbstverwirklichung genannt. Ein knappes Drittel der Gründer äußerte, dass sie nur wegen drohender Arbeitslosigkeit den Schritt in die Selbstständigkeit vollzogen hatten: hierbei dürfte es sich in vielen Fällen um Gründungen aus der Not handeln. Von den Personen, die einen Betrieb neu gegründet hatten, wollte ein kleinerer Teil, nämlich 13 %, ursprünglich einen Betrieb übernehmen. Diese Gründer können als mögliche Übernehmer tituliert werden. Bei einem Nachfolgemangel muss überlegt werden, inwieweit dieser Personenkreis für eine Übernahme in Frage kommt.
258
Aufgrund dieser Ergebnisse lässt sich eine Typologie der Existenzgründer erstellen (vgl. Abbildung 4). Daraus wird deutlich, dass zu den 18 % Übernehmern noch ein Anteil von 13 % „möglicher Übernehmer“ addiert werden muss, so dass sich insgesamt ein Übernahmepotenzial von 31 % ergibt. Abbildung 4:
Typologisierung der Existenzgründer im Thüringer Handwerk* E x is te n z g r ü n d e r 100 %
Ü b ern eh m er 1 8 % (2 8 % )
N eu grü n d er 8 2 % (7 2 % )
m ö g lic h e Ü b ern eh m er 1 3 % (1 5 % )
N eu grü n d er a u s P r in z ip 4 3 % (4 0 % )
K le in s tg r ü n d e r 2 6 % (1 7 % )
Ü b e r n a h m e p o te n tia l 3 1 % (4 3 % )
*gesamtes Handwerk (zulassungspflichtiges Handwerk).
Betrachtet man nur die zulassungspflichtigen Handwerke, verändert sich der Übernehmeranteil auf 28 %. Dies ist vergleichsweise ebenso hoch wie auch der Anteil der möglichen Übernehmer von 15 %, so dass sich insgesamt ein Übernahmepotenzial von 43 % ergibt. Bei den nicht zulassungspflichtigen Handwerken liegt dieses Potenzial dagegen nur bei 18 % (sechs Prozent Übernehmer und zwölf Prozent mögliche Übernehmer). Aber auch darüber hinaus unterscheiden sich die Gründer aus den verschiedenen Handwerkssektoren. So ist die Qualifikation der Gründer im zulassungspflichtigen Bereich höher. Trotzdem liegt der Meisterprüfungsanteil mit etwa 56 % erstaunlich niedrig. Der Rest dürfte sich bei diesen Handwerken mit einem Hochschulabschluss oder mit Hilfe der Betriebsleiterregelung selbstständig machen. In dem zulassungsfreien und dem handwerksähnlichen Gewerbe ist die Qualifikation der Inhaber deutlich geringer. So weisen nur etwa zehn Prozent der Gründer eine Meisterprüfung, aber immerhin etwa zwei Drittel eine (nicht immer fachspezifische) Gesellenprüfung auf. 259
Des Weiteren ist der Anteil männlicher Gründer in den zulassungspflichtigen Berufen höher und die Gründungsvorhaben sind größer. Ebenso haben diese Gründer schon mehr Erfahrungen gesammelt. Viele sind bereits jenseits der 40 (fast 50 %); jeder Fünfte sogar über 50 Jahre. Sie kommen relativ selten aus der Arbeitslosigkeit (nur 16 %). Eine Familientradition spielt in etwa der Hälfte der Fälle eine entscheidende Rolle. Fazit Sowohl die Übergabequote mit 20 % bei allen Handwerksbetrieben und 29 % beim zulassungspflichtigen Handwerk als auch die Übernahmequote im Vergleich zur Neugründungsquote mit 18 % bei allen Handwerksbetrieben und 28 % beim zulassungspflichtigen Handwerk fallen relativ niedrig aus. Auch das Übergabepotenzial liegt mit 22 % bzw. 31 % nur geringfügig über der Übergabequote. Dem gegenüber ist das Übernahmepotenzial um rund 13-15 Prozentpunkte höher als die Übernahmequote. 3.2 Übergabe- und Übernahmeprognose bis 2020 Eine Prognose über die Entwicklung der Existenzgründungen und die Übernahmen im Thüringer Handwerk in den Jahren bis 2020 gestaltet sich als außerordentlich schwierig, weil es keine fundierten Anhaltspunkte für die Veränderung der Faktoren gibt, welche die Zahl der Existenzgründungen und der Übergaben in den nächsten Jahren bestimmen.14 Lediglich für die Entwicklung der Bevölkerung, differenziert nach verschiedenen Altersgruppen liegen konkrete Daten durch die koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung der Statistischen Ämter vor. Daher erfolgt die Existenzgründungsprognose über eine Konstantsetzung der altersspezifischen Gründungs- und Übernahmequoten. Die Vorhersage der Übergaben orientiert sich an der Abgangsrate des Jahres 2007 sowie an dem aus der Umfrage ermittelten Anteil der übergabefähigen Betriebe. Als Ergebnis wurde ermittelt, dass die Zahl der Gründungen im Thüringer Handwerk von derzeit knapp 2.000 pro Jahr kontinuierlich auf weniger als 1.600 im Jahr 2020 fallen dürfte. Dabei spielt der Rückgang der Bevölkerung in diesem Bundesland eine weitaus größere Rolle als die Veränderung der Größe der Altersgruppen.
14 Zu vorliegenden Prognosemodellen und – ausführlicher – zum Aufbau des hier verwendeten Prognosemodells vgl. Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 262-270).
260
Die Zahl der Betriebe, die aus den Thüringer Handwerksrollen ausgetragen werden, ist im Zeitverlauf bis 2020 mit leichten Schwankungen fast konstant. Aus einem Vergleich mit der Entwicklung der Existenzgründungen folgt, dass sich der Gründerüberschuss, der gegenwärtig in Thüringen zu beobachten ist, etwa ab dem Jahr 2013 in ein Gründerdefizit verwandeln dürfte. Im Jahr 2020 sollte die Zahl der echten Abgänge die Zahl der Existenzgründungen um knapp zehn Prozent übersteigen. Der Betriebsbestand im Thüringer Handwerk wird danach zuerst ansteigen, um dann bis zum Jahr 2020 etwa auf das gleiche Niveau wie im Jahr 2007 zu sinken. Geht man von der im Jahr 2007 beobachteten (tatsächlichen) Übergabe- bzw. der Übernahmequote aus, dürfte sich bis 2020 aufgrund der Verschiebung der Altersstruktur ein Nachfolgedefizit ergeben. Nach dieser Prognose fehlen im Jahr 2020 etwa 50 Übernehmer; summiert über den gesamten Zeitraum ergibt sich ein Defizit von ca. 500 Nachfolgern. Vergleicht man jedoch das Übergabepotenzial mit dem Übernahmepotenzial, so ergibt sich folgendes Bild: Die Quote der übergabefähigen Betriebe lag für 2007 bei 22 %, so dass auf dieser Basis in den nächsten Jahren jährlich mit etwa 400 übergabefähigen Handwerksbetrieben zu rechnen ist. Für den gesamten Zeitraum betrifft dies um die 5.400 Nachfolgefälle. Das Übernahmepotenzial ist dagegen etwas größer. Zu den 18 % der Existenzgründer, die einen bestehenden Betrieb übernommen haben, kommen noch weitere 13 %, die sich dies grundsätzlich vorstellen können. Damit ergibt sich ein Übernahmepotenzial für den Zeitraum bis zum Jahr 2020 von fast 7.000 Personen, die für die Übernahme eines Handwerksbetriebes grundsätzlich in Betracht kommen. Die Jahreszahlen fallen allerdings kontinuierlich von gut 600 auf etwa 480 im Jahr 2020 (vgl. Abbildung 5). Auf Basis der Potenzialanalyse ergibt sich also ein Überhang von potenziell zur Verfügung stehenden Nachfolgern. Grundsätzlich sind genügend Personen vorhanden, die daran interessiert sind, einen Handwerksbetrieb zu übernehmen. Zu beachten ist allerdings, dass dieser Ausgleich bei regionaler oder sektoraler Betrachtungsweise nicht unbedingt eintreten muss, so dass in einzelnen Kreisen oder Branchen durchaus ein Nachfolgedefizit eintreten kann. Außerdem wurden nur quantitative Größen berechnet. Das heißt nicht, dass auch alle Gründer aufgrund ihrer Qualifikation in der Lage sind, einen Handwerksbetrieb erfolgreich zu leiten. Diese dargestellten Ergebnisse gelten für das Handwerk insgesamt. Differenziert man nach einzelnen Handwerkssektoren, dürfte der Gründerrückgang bei den zulassungspflichtigen Handwerken am höchsten ausfallen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Gründer in diesen Handwerksbetrieben im Durchschnitt älter sind als in den nicht zulassungspflichtigen Handwerken.
261
Abbildung 5:
Übernahme- und Übergabepotenzial im Thüringer Handwerk bis 2020, absolute Werte
600 500 400 300 200 100 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Übernahmerpotential
Übergabepotenzial
Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik, Erhebung 2008: Existenzgründer im Thüringer Handwerk, Erhebung 2008: Ehemalige Inhaber von Handwerksbetrieben in Thüringen, eigene Berechnungen.
Fazit Der Betriebsbestand des Thüringer Handwerks unterliegt bis 2020 nur geringfügigen Veränderungen. Die Zahl der Existenzgründungen sinkt allerdings jährlich kontinuierlich von derzeit 1.938 (2007) auf 1.568 (2020). Auf Basis der Prognosen und des Abgleichs von übergabefähigen Betrieben (Übergabepotenzial) und übergabewilligen Personen (Übernahmepotenzial) dürfte es trotz des Bevölkerungsrückgangs für das Thüringer Handwerk bis 2020 kein quantitatives Nachfolgeproblem geben. Hingewiesen sei aber darauf, dass nach den Erkenntnissen aus der empirischen Untersuchung und den Interviews die in Frage kommenden Nachfolger häufig nicht genügend qualifiziert sind, um einen Betrieb mit mehreren Beschäftigten erfolgreich zu führen. Schon derzeit ist die Qualifizierung der Gründer und Betriebsnachfolger sehr unterschiedlich ausgeprägt.15
15
262
Vgl. Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 309).
4. Unterstützungsleistungen für die Unternehmensnachfolge
Übergeber können im Verlauf des Übergabeprozesses16 auf verschiedene Unterstützungsleistungen17 zurückgreifen, die von privaten und öffentlichen Dienstleistern angeboten werden. Das Ziel, die Unternehmensnachfolge zu optimieren und die Unterstützungsangebote sowohl für die Übergeber der Handwerksbetriebe als auch für die Nachfolger zu verbessern, ist nur zu erreichen, wenn die bisherigen Angebote gebündelt, Beratungslücken erkannt und im Ergebnis daraus ein abgestimmtes Maßnahmenpaket von Beratungsdienstleistungen durch die Beratungspartner, d. h. durch die Handwerkskammern und Steuerberater sowie weitere Akteure, erarbeitet werden. Die Beurteilung der bisher bereitstehenden Angebote erfolgte durch Angaben der ehemaligen Betriebsinhaber und Existenzgründer sowie durch Experteninterviews. Die Anforderungen an solche Unterstützungsleistungen verändern sich im Laufe des Übergabeprozesses. Während in der Sensibilisierungsphase vor allem Informationen zum generellen Ablauf und zu den Inhalten kommuniziert werden müssen, nimmt für die Beteiligten in der Vorbereitungs- und Umsetzungsphase die inhaltliche Tiefe spezifischer Aspekte des Übergabeprozesses zu. Gleichzeitig erfordert die Weiterentwicklung der konkreten Übergabe- bzw. Übernahmevorhaben eine zunehmend individuelle Betreuung der Beratungsfälle. Zu den wichtigsten Unterstützungsleistungen im Nachfolgeprozess gehören Informationsangebote, Beratungsleistungen und Finanzierungsförderungen. Diese werden daher einer genaueren Betrachtung und Beurteilung unterzogen. Informationen Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zeigen, dass der Informationsbedarf der Übergeber und der Nachfolger sehr unterschiedlich ist. Im Vergleich zu einer Neugründung ist die Übergabe eines Handwerksbetriebes sehr viel komplexer. Die vielfältigen, bereits zur Verfügung stehenden Informationen, die für eine Unternehmensgründung durch HWK, Fördermittelgeber und andere Anbieter zur Verfügung stehen, sind für die Steuerung der Übergabeprozesse im Handwerk nicht ausreichend, da die Spezifik der zu lösenden Probleme durch die allgemeinen Informationen nicht abgebildet werden kann.
16 Zum Phasenmodell des Übergabeprozesses vgl. Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 15-18) mit der Unterteilung in Sensibilisierung, Vorbereitung, Umsetzung, Stabilisierung. 17 Ausführlich in Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 228-260.
263
Zurzeit nutzen Übergeber und Nachfolger von Handwerksbetrieben vor allem Informationsveranstaltungen der Handwerkskammern, wenn sie Fragen zum Übergabeprozess beantwortet haben wollen. Weitere Informationsquellen sind Fachzeitschriften und von den Handwerkskammern speziell angebotene Seminare. Selten wird das Internet als Informationsquelle genutzt. Für mögliche Informations- und Kommunikationsstrategien der Handwerkskammern und anderer unterstützender Institutionen sind diese Ergebnisse im Hinblick auf eine verbesserte Informations- und Kommunikationsstrategie wichtig. Es zeigt sich, dass in der Zukunft Informationsmaterialien erstellt werden müssen, die folgende Kriterien erfüllen sollten: Für jede Phase der Übergabe müssen Informationen sowohl für die Übergeber als auch für die Nachfolger bereitgehalten werden. Das Informationsmaterial sollte einfach und übersichtlich aufbereitet werden. Die Inhalte müssen auf die Bedürfnisse des Handwerks abgestimmt sein. Das Informationsmaterial sollte in einem einheitlichen Layout erstellt werden, so dass im Laufe der Zeit der Wiedererkennungswert steigt und das zur Verfügung gestellte Material auch angenommen wird. Die Verteilung der Informationsmaterialien sollte abgestimmt über alle beratenden Institutionen erfolgen. Beratung Bisher sind für Übergeber und Nachfolger die Steuerberater die wichtigsten Ansprechpartner während des laufenden Übergabeprozesses. Aus den Interviews geht hervor, dass Übergeber von Handwerksbetrieben die Qualität der Beratungsdienstleistungen eher kritisch einschätzen, während potenzielle Nachfolger mit der Beratungsleistung zufrieden sind. Die Beratungsleistungen der Steuerberater umfassen die steuerliche, betriebswirtschaftliche sowie eine auf den Übergabefall spezifisch zugeschnittene Beratung. Die Untersuchungen ergaben, dass sich eine langjährige, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Steuerberater positiv auf die Beratung auswirkt. In diesen Fällen kann auch der Steuerberater spezifische Übergabeprobleme gemeinsam mit Übergeber und Übernehmer zur Zufriedenheit beider lösen. Seine umfassenden Kenntnisse und Daten zur betriebswirtschaftlichen Situation des jeweiligen Betriebes sind dafür Voraussetzung. Das vorrangige Interesse der Nachfolger besteht darin, umfassende Informationen zu Fragen, die mit der Existenzgründung verbunden sind, zu Förderangeboten und zu betriebswirtschaftlichen Problemen zu erhalten. Die Steuerberater begleiten in der Regel den gesamten Übergabeprozess.
264
Die Beratungsleistungen der Steuerberater sind kostenpflichtig, wobei die Kosten abhängig sind vom Umfang der in Anspruch genommenen Beratungsleistungen. Besonders kleineren Betrieben fällt es schwer, diese Kosten aufzubringen und deshalb nutzen sie die betriebswirtschaftliche Beratung dementsprechend wenig. Die Betriebsberatung der Handwerkskammern steht den Handwerksbetrieben kostenfrei zur Verfügung. Die Beratungsangebote werden eher kurzfristig in Anspruch genommen. Aus Sicht des gesamten Nachfolgeprozesses konzentrieren sich die Angebote der Betriebsberater nur auf bestimmte Abschnitte, die besonders den Informationsbedarf in der Vorbereitungsphase und in der Umsetzungsphase der Betriebsübergaben betreffen. Die Stabilisierungsphase findet kaum Berücksichtigung, obwohl gerade für diesen wichtigen Abschnitt der Übernahme ein begleitendes Controlling entscheidend für den Erfolg ist. Insgesamt stellen sowohl Betriebsberater als auch Steuerberater fest, dass viele Handwerker eher eine Aversion oder Beratungsresistenz zeigen und glauben, die Probleme lösen sich von selbst. Bisher arbeiten Steuerberater und Betriebsberater nicht zusammen. Wünschenswert sind eine Abstimmung und ein Informationsaustausch zwischen beiden Beratergruppen. Die Betriebsberater verfügen oft über ein detailliertes Fachwissen der verschiedenen Handwerksgewerke, während die Steuerberater die betriebswirtschaftlichen Belange des Unternehmens besser beurteilen können. Eine Abstimmung über Schwerpunkte der Beratung sollte zwischen beiden Parteien über alle Phasen und Abschnitte des Übergabeprozesses hinweg erfolgen. Damit könnte eine Win-Win-Situation für beide Beratergruppen entstehen, von der vor allem die Übergeber und die Übernehmer von Handwerksbetrieben profitieren. Neben den zu lösenden Sachfragen spielen auch emotionale Faktoren im Prozess der Übergabe eine große Rolle. Diese zu erkennen und moderierend bei der Problemlösung zu helfen, stellt eine Herausforderung für alle Beratungspartner dar. Das Konfliktpotenzial ist bei der Suche familieninterner Übergangsregelungen groß. Es gilt aber auch, Konflikte zwischen Übergeber und Nachfolger zu vermeiden und, falls diese entstehen, sie zur Zufriedenheit aller zu lösen. Auf eine solche Aufgabe müssen die Berater vorbereitet werden. Dafür ist neben der inhaltlich-sachlichen Qualifizierung der Berater eine Aus- bzw. Weiterbildung im Bereich Moderation und Mediation erforderlich. Finanzierung Im Rahmen der Unternehmensnachfolge entstehen Kosten, die sich aus der Zahlung eines Kaufpreises, aus erforderlichen Investitionen in Sachanlage- oder Umlaufvermögen, aus laufenden Kosten, aus Kosten für Qualifizierung und Beratung, aber auch durch erhöhte Lebenshaltungskosten, die durch Krankenversicherung oder eine Rentenabsicherung verursacht werden, ergeben. 265
Um diese Kosten abzudecken, können verschiedene Fördermittel genutzt werden. Förderangebote, die mit der Zahlung eines Eigenanteils verbunden sind, werden eher selten in Anspruch genommen. Das betrifft z. B. Darlehen, Bürgschaften und Investitionszuschüsse. Die Gründe sind vielfältig. In manchen Fällen erfüllen die Handwerker die Anforderungen der Programme nicht oder die eingereichten Konzepte sind nicht überzeugend genug. Häufig sind den Handwerkern die Programme schlicht nicht bekannt oder sie sehen keinen Förderbedarf. Anders sieht es für Förderangebote aus, die nicht mit einer Eigenbeteiligung verbunden sind. Diese werden in der Regel gern genutzt. Programme wie der Existenzgründerpass, Coachingangebote und Förderangebote der Bundesagentur für Arbeit sind deshalb gefragt. Sie entsprechen eher den Finanzierungsbedürfnissen der Handwerksbetriebe und sind den Handwerkern bekannt. Mitunter werden die Mittel aber auch "mitgenommen", weil sie relativ einfach zu bekommen sind. Zusammenfassend ist festzustellen, dass zukünftig auch eine Aufstellung aller Förderprogramme, eine einfache und verständliche Beschreibung der Förderbedingungen, die Kontaktdaten zu Fördermittelgebern und begleitende Beratungsleistungen in entsprechenden Informationsmaterialien zur Verfügung gestellt werden müssten. Die Verteilung der Informationen sollte wiederum über alle Beratungspartner erfolgen. Betriebsvermittlung Die Handwerkskammern bieten über ihre Betriebsbörsen eine Plattform für die Betriebsvermittlung an. Dieser Service wird von den Thüringer Handwerkern nur selten genutzt. Die Ursache dafür ist, dass bisher in Thüringen größtenteils familien- oder betriebsinterne Übergaben der Handwerksbetriebe stattgefunden haben oder externe Nachfolger auf informellen Wegen gefunden werden. Zukünftig wird allerdings die externe Übergabe von Handwerksbetrieben an Bedeutung gewinnen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass auch die Betriebsbörsen entsprechend gestaltet und beworben werden. Fazit Wichtigste Beratungspartner sowohl der Altinhaber als auch der Übernehmer (Existenzgründer) sind die Betriebsberater der Handwerkskammern sowie die Steuerberater. Die Beratenden äußern sich weitgehend zufrieden über die Beratungsleistung. Die Beratung der Betriebsberater wird diskontinuierlich nachgefragt, ist ereignisgetrieben und entspricht fallweise einer Notfallberatung. Steuerberater beraten aufgrund des Dauermandates eher kontinuierlich, phasenübergreifend und bieten inhaltlich ein alle Aspekte der Übergabe bzw. Übernahme umfassendes Beratungsangebot an. Defizite bestehen vor allem in der Moderation
266
und die Mediation des Übergabeprozesses zwischen Altinhaber (und dessen Familienangehörigen) und Übernehmer sowie in der Abstimmung zwischen Betriebsberatern und Steuerberatern. Zur Finanzierung der Übernahme werden überwiegend Finanzierungsmöglichkeiten ohne Eigenleistung oder mit geringer Eigenleistung der Nachfolger genutzt. Übernehmer sind eher bereit, Zuschüsse mit höherer Eigenbeteiligung in Anspruch zu nehmen als Neugründer. 5. Handlungsbereiche
Aus den empirischen Untersuchungen sowie den Interviews konnten erfolgskritische Faktoren aus Sicht der Altinhaber und aus Sicht der Nachfolger identifiziert werden (vgl. Abbildung 6):
267
268
Sensibilisierung für die Idee der Nachfolge
Vorhandensein von qualitativ und quantitativ ausreichendem Nachwuchs für das Handwerk
Nachfolger
Notfallregelungen treffen
Familieninterne Nachfolger hinsichtlich ihrer Eignung und Bereitschaft prüfen
Frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Thema Unternehmensnachfolge
(Alt-)Inhaber
Unterstützung der Familie
Hinreichende Qualifikation des Nachfolgers in fachlicher, kaufmännischer und persönlicher Hinsicht
Übergabefähigkeit des Betriebes sichern
Rechtzeitige Vorbereitung der Betriebsübergabe (Nachfolgersuche, innere Bereitschaft zur Übergabe, eigene Lebensplanung entwickeln)
Vorbereitung
Erfolgsfaktoren im Übergabeprozess
Sensibilisierung
Abbildung 6:
Hinreichende Vertragsgestaltung bzw. Aufgabentrennung
Kaufpreisermittlung und Finanzierungsplanung/-prüfung
Vorbereitung durch Erstellung eines Businessplans sowie einer Tragfähigkeitsprüfung
Kenntnis der wirtschaftlichen Situation des zu übernehmenden Betriebs
Offene Kommunikation und konkrete Aufgabenteilung mit dem Nachfolger
Erbfolgeregelungen treffen
sachliche Bestimmung des Kaufpreises (weg vom emotionalen Unternehmenswert)
Umsetzung
Einsatz eines Controllings zur Überprüfung der laufenden Unternehmensentwicklung
Akzeptanz durch Mitarbeiter und Kunden
Regelungen zur Weiterbeschäftigung des Altinhabers
Ausreichende Einarbeitungszeit
Ausreichende Einarbeitung des Nachfolgers
Vermeidung von unerwünschter Einmischung (back-seat-driving)
Stabilisierung
Für die Ableitung konkreter Handlungsempfehlungen ergeben sich aus der Defizitanalyse und der Identifizierung der Erfolgsfaktoren folgende Leitziele: a. Bündelung und Abstimmung der Aktivitäten der einzelnen Institutionen und Zusammenführung zu einem „Beratungsnetzwerk Unternehmensnachfolge Handwerk“ unter Regie der Handwerkskammern mit dem Ziel, eine geeignete Organisationsstruktur und Transparenz für den erforderlichen Beratungsprozess zu schaffen, Synergien zu nutzen sowie Effektivitäts- und Effizienzsteigerung in der Beratung zu erreichen. b. Entwurf eines Konzepts zur „Notfallberatung“ für Inhaber von Handwerksbetrieben. Dieses Konzept muss durch Betriebsberater der Handwerkskammern (Leitcoach-Konzept) angeboten und vermittelt werden. c. Stärkung der betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Entscheidungskompetenz der Altinhaber/Übergeber sowie der Übernehmer/Neugründer zur Beurteilung der Erfolgsaussichten der Übergabe aus Sicht des Unternehmenswertes und der Tragfähigkeit des geplanten Übergabekonzeptes. Die Entscheidung kann entweder in einer „kontrollierten“ Übergabe oder auch einer „kontrollierten“ Stilllegung münden, wenn dies aus betriebs- und marktwirtschaftlicher Sicht erforderlich wird. Ziel ist es, die Qualität der Übergaben bzw. Gründungen zu verbessern. d. Berücksichtigung der spezifischen Altersstruktur – etwa ein Drittel der Inhaber von Handwerksbetrieben ist über 50 Jahre alt, in bestimmten Branchen liegt dieser Anteil bei nahezu 50 % (z. B. Elektrotechniker, Metallbauer, Feinwerkmechaniker, Gebäudereiniger) – und der demografischen Entwicklung mit einem sich abzeichnenden Mangel an Auszubildenden, Facharbeitern und jungen Ingenieuren und damit auch an potenziellen Meistern und Nachfolgern für das Handwerk. e. Verankerung der Möglichkeiten und Chancen des Handwerks als aussichtsreiche Berufsperspektive im Bewusstsein der Bevölkerung (Elternhaus, Schule, Politik, …). f. Abbau und Überwindung der psychologischen Hemmnisse, die eine rechtzeitige und langfristige Vorbereitung der Übergabe behindern. Für die Optimierung des zukünftigen Beratungsprozesses müssen diese Leitziele zu prozessbegleitenden und phasenübergreifenden Handlungsprojekten zusammengeführt werden.18
18 Ausführlich dargestellt in Müller/Koschmieder (Unternehmensnachfolge im Thüringer Handwerk, 2009: 338-342).
269
6. Zusammenfassung
Gegenwärtig ist kein Mangel an Übernehmern von Handwerksbetrieben festzustellen. Dies wird darin deutlich, dass seit einigen Jahren die Zahl der Existenzgründer die Zahl der Personen, die ihren Handwerksbetrieb wieder abmelden, übersteigt. Auch bis zum Jahre 2020 unterliegt der Betriebsbestand des Thüringer Handwerks nach den Prognoseberechnungen der Studie nur geringfügigen Veränderungen. Die Zahl der Existenzgründungen sinkt allerdings jährlich kontinuierlich von derzeit 1.938 (2007) auf 1.568 (2020). Auf Basis der Prognosen und des Abgleichs von übergabefähigen Betrieben (Übergabepotenzial) und übergabewilligen Personen (Übernahmepotenzial) dürfte es trotz des Bevölkerungsrückgangs für das Thüringer Handwerk bis 2020 kein quantitatives Nachfolgeproblem geben. Die große Herausforderung liegt jedoch nach den Erkenntnissen dieser Studie nicht im quantitativen Bereich. Vieles spricht dafür, dass die in Frage kommenden Nachfolger häufig nicht genügend qualifiziert sind, um einen Betrieb mit meist mehreren Beschäftigten zu übernehmen und erfolgreich leiten zu können. Das qualitative Problem erscheint somit viel gravierender als das quantitative. Die zentrale Fragestellung muss daher lauten: Wo bekommt das Handwerk ausreichend qualifizierte Gründer her, damit größere Handwerksbetriebe erfolgreich einen Generationenwechsel meistern und die Betriebe sich unter der neuen Leitung nicht nur am Markt behaupten, sondern auch ihre Stellung ausbauen können?
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Die Autoren
Helge Brunborg: Research Department, Statistics Norway, Norwegen. Kontakt: [email protected]. Victoria Büsch: SRH Hochschule, Berlin, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Dennis Dittrich: Jacobs University, Bremen, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Johann Fuchs: Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Nürnberg, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Michael Hüther: Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, Deutschalnd. Kontakt: [email protected]. Markus Hummel: Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Nürnberg, Deutschland. Kontakt: [email protected] Nicola Hülskamp: Sächsisches Staatsministerium für Kultus, Dresden, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Kurt-Dieter Koschmieder: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland. Kontakt: [email protected].
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Peter Kranzusch: Institut für Mittelstandsforschung, Bonn, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Uta Lieberum: SRH Hochschule, Berlin, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Elke Loichinger: Max-Plank-Institut für demografische Forschung, Rostock, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Antje Mertens: Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Klaus Müller: Volkswirtschaftliches Institut für Mittelstand und Handwerk, Universität Göttingen, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Erik Nymoen: Research Department, Statistics Norway, Norwegen. Kontakt: [email protected]. Laura Romeu Gordo: Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Thomas Salzmann: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Lutz Schneider: Institut für Wirtschaftsforschung, Halle, Deutschland. Kontakt: [email protected].
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Vegard Skirbekk: International Institute for Applied Systems Analysis, Laxenburg, Österreich und Research Department, Statistics Norway, Norwegen. Kontakt: [email protected]. Olga Suprinoviÿ: Institut für Mittelstandsforschung, Bonn, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Kjetil Telle: Research Department, Statistics Norway, Norwegen. Kontakt: [email protected] Susanne Wanger: Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Nürnberg, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Frank Wallau: Institut für Mittelstandsforschung, Bonn, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Mirjam Weiberg: Exzellenzcluster der Universität Münster, Deutschland. Kontakt: [email protected]. Gerd Zika: Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Nürnberg, Deutschland. Kontakt: [email protected].
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