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Geleitwort Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Wintersemester 2006/2007 an der Wirtschaftsuniversität Wien angenommen worden ist. Ich habe den Text gegenüber der eingereichten Fassung überarbeitet und aktualisiert. Insbesondere im 2. Teil habe ich auch Eingriffe in die Struktur vorgenommen. Die Arbeit befindet sich nunmehr auf Stand Sommer 2007. Die Schrift beschäftigt sich nur mit ausgewählten Themenbereichen, die freilich entweder theoretisch oder praktisch besonders relevant sind. Das Prinzip der Auswahl gilt auch für die Fundstellennachweise; Vollständigkeit war weder beabsichtigt noch ist sie erreichbar, weswegen ich mich auf zentrale Werke und besonders aktuelle Arbeiten konzentriert habe. Wer sich nicht wiederfindet, möge es mir verzeihen. Die Erstellung der Habilitationsschrift wurde durch ein drei-jähriges APART-Stipendium der österreichischen Akademie der Wissenschaften von 2002 bis 2005 wesentlich gefördert; für die Möglichkeit, die Arbeit ohne die üblichen Belastungen des Universitätsbetriebs vorantreiben zu können, danke ich sehr herzlich. Für die Drucklegung war ein Druckkostenzuschuss des FWF sehr wichtig. Das Team des Verlags Springer, insbesondere Frau Mag. Sabine Warschitz und Herr Mag. (FH) Ing. Karim Ernst Karman, hat die Drucklegung vorbildlich betreut. Ohne weitere Danksagungen kommt kein Geleitwort aus. Zunächst danke ich den Gutachtern in meinem Habilitationsverfahren, Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Josef Aicher, Frau Univ.-Prof. Dr. Susanne Kalss, LL.M. (Florenz), Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Peter Rummel und Herrn Univ.-Prof. Dr. Andreas Wiebe, LL.M. (Virginia); ich habe mich bemüht, ihre kritischen und konstruktiven Anmerkungen so weit wie möglich aufzugreifen. Zahlreiche Kollegen am Institut für Bürgerliches und Handelsrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien haben mir in Gesprächen geholfen, insbesondere Herr Ass.-Prof. MMag. Dr. Thomas Bachner, LL.M., Ph.D. (Cambridge), Herr Dr. Georg Eckert und Herr DDr. Martin Gelter. Unterstützt haben mich in wichtigen Detailaspekten auch Herr Dr. Mario Gall und Herr Mag. Edmund-Philipp Schuster. Frau LStA Dr. Sonja Bydlinski danke ich für die Möglichkeit, zusätzliche praktische Erfahrungen zu erlangen. Die notwendige freundschaftlich-kollegiale Unterstützung durch gemeinsame Gespräche über das universitäre Umfeld, die Rechtswissenschaften und manche verwandten Themenbereiche haben mir Herr Prof. DDr. Walter
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Geleitwort
Blocher, Herr MMag. Dr. Christoph Diregger und Herr RA Mag. Reinhard Prugger gewährleistet. Stets gefördert hat mich mein Habilitationsbetreuer und langjähriger Dienstvorgesetzter, Herr em. Univ.-Prof. Dr. Peter Doralt, LL.M. (Harvard). Mir den nötigen Freiraum und Gestaltungsspielraum zu gewähren, war ihm selbst in konfliktträchtigen Situationen ein Anliegen. Seine hohen ethischen Ansprüche an Juristen im Allgemeinen und Rechtswissenschafter im Besonderen werden mir – hoffentlich! – immer ein Vorbild bleiben. Nicht nur Dank, sondern Dankbarkeit gebührt meiner Frau, Josefina Carro Durández. Sie hat es einerseits gut ertragen, wenn ich in einer für uns beide bewegten Zeit manchmal kein so offenes Ohr für ihre Anliegen hatte. Andererseits hat sie mir in der Entstehungsphase dieser Arbeit den liebevollen Rückhalt gegeben, der ein – zumindest subjektiv – großes Projekt erst bewältigbar erscheinen läßt. Tirana, im Oktober 2007
Martin Winner
Inhaltsübersicht Plan der Untersuchung 1. Teil: Bewertung im Zivilrecht 2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen 3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung 4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung 5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
Inhaltsverzeichnis Geleitwort ................................................................................................................V Abkürzungsverzeichnis.................................................................................... XIX Literaturverzeichnis ......................................................................................XXIII Plan der Untersuchung ....................................................................................1 1. Teil: Bewertung im Zivilrecht .....................................................................3 I. Der Wertbegriff des ABGB ......................................................................3 II. Wert und Preis in den Wirtschaftswissenschaften ................................6 A. Der Unterschied zwischen Preis und Wert ....................................6 B. Der Wert in Klassik und Neoklassik ...............................................7 C. Der Zugang der heutigen Bewertungslehre....................................9 III. Der Wert im Zivilrecht als Normwert................................................11 IV. Grundlegende Aussagen zur Bewertung in den zu behandelnden Rechtsgebieten........................................................................13 V. Methodischer Exkurs: Rechtsökonomik und Rechtsdogmatik.........15 A. Rechtsökonomik und Rechtsdogmatik.........................................15 B. Rechtsökonomik und Gerechtigkeit .............................................17 1. Grundposition nach dem Effizienzkriterium...........................17 2. Kritik .............................................................................................18 C. Folgerungen für Rechtsdogmatik und Rechtspolitik ..................22 2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen ......................................25 I. Vorbemerkungen......................................................................................25 A. Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit ..................................25 B. Untersuchungsgegenstand ..............................................................26 C. Drei Beispiele ...................................................................................28 D. Gliederung dieses Teils...................................................................28 II. Rechtshistorischer Überblick ................................................................30 A. Vom römischen Vertragsrecht zur Naturrechtslehre..................30 B. Die österreichische Entwicklung bis zum ABGB........................35 C. Vom ABGB zum 1. Weltkrieg.......................................................41 D. Zusammenfassung ...........................................................................45 III. Laesio enormis und Wucher im Überblick ........................................46 A. Die laesio enormis ...........................................................................46 1. Der gemeine Wert........................................................................47 a) Allgemeines .............................................................................47 b) Marktpreise oder wahrer Wert .............................................48 c) Laesio enormis und Gewährleistung ....................................50 2. Das Irrtumselement .....................................................................51 3. Der zwingende Charakter und der Hoffnungskauf ................53
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Inhaltsverzeichnis 4. Die besondere Vorliebe...............................................................56 B. Der Wucher ......................................................................................58 1. Grundlagen...................................................................................58 2. Äquivalenzstörung ......................................................................60 3. Störung der Willensbildung........................................................62 4. Ausbeutung ..................................................................................64 5. Sittenwidrigkeit als Auffangtatbestand .....................................65 IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund.....................................................67 A. Der Wertirrtum ...............................................................................68 1. Der Wertirrtum als Motivirrtum ...............................................68 2. Zur Funktion des Motivirrtums.................................................70 3. Arglist............................................................................................72 4. Aufklärungspflichten...................................................................73 a) Rechtsdogmatische Bedeutung .............................................73 aa) Irrtumsanfechtung ...........................................................73 bb) Culpa in contrahendo .....................................................74 b) Geltender Marktpreis.............................................................76 aa) Rechtsprechung ................................................................76 bb) Rechtsökonomische Begründung..................................77 c) Zukünftiger Marktpreis .........................................................78 d) Ausnahmen .............................................................................79 B. Der Eigenschaftsirrtum des Käufers..............................................81 1. Der „geschäftliche Eigenschaftsirrtum“....................................81 2. Veranlassung des Irrtums............................................................83 3. Das Verhältnis Gewährleistungsrecht – Irrtumsanfechtung ...............................................................................................85 4. Gattungsschuld ............................................................................87 5. UN-Kaufrecht..............................................................................88 C. Der Eigenschaftsirrtum des Verkäufers ........................................90 1. Geschäfts- und Motivirrtümer ...................................................90 2. Aufklärungspflicht.......................................................................93 a) Grundsatz ................................................................................93 b) Strukturelle Informationsasymmetrie..................................96 D. Der gemeinsame Irrtum..................................................................97 1. Irrtumsrechtliche Beurteilung ....................................................97 2. Keine Anwendbarkeit der Lehre von der Geschäftsgrundlage ......................................................................................99 E. Vergleichende Zusammenfassung ................................................101 V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung ..........................103 A. Objektiver oder subjektiver Wert?..............................................103 B. Die laesio enormis..........................................................................104 1. Gestehungskosten oder Marktpreis?.......................................104 a) Problemaufriss ......................................................................104 b) Irrelevanz der Gestehungskosten .......................................106
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c) Irrelevanz der Gestehungskosten auch bei fehlendem Marktpreis.............................................................................108 d) Der Fehler in der Willenssphäre.........................................109 2. Der relevante Markt ..................................................................110 3. Die Bedeutung des Ertragswerts..............................................114 a) Die Leibrentenfälle ...............................................................115 b) Der Unternehmenskauf .......................................................116 c) Fazit........................................................................................117 C. Die Behandlung von Monopolsituationen .................................118 1. Allgemeines ................................................................................118 2. Anspruchsgrundlage..................................................................119 a) Wucher...................................................................................119 b) Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung.............121 c) Die europäische Entwicklung .............................................126 3. Vergleichsmaßstab .....................................................................127 a) Allgemeines ...........................................................................127 b) Gewinnspannenbegrenzung................................................129 c) Vergleichsmarktkonzept ......................................................133 4. Zusammenfassung......................................................................137 VI. Subjektive Elemente der laesio enormis............................................139 A. Grundsätzliche Überlegungen .....................................................139 1. Selbstbestimmung als ökonomischer Wert.............................139 2. Irrtum und Wohlfahrt ...............................................................142 B. Der Anfechtungsgegner bei der laesio enormis..........................145 C. Der Zweck der laesio enormis .....................................................148 D. Keine teleologische Reduktion ....................................................152 E. Abweichende Vereinbarungen .....................................................154 1. Das Grundproblem ...................................................................154 2. Der Wert der besonderen Vorliebe..........................................155 3. Anhaltspunkte für abweichende Vereinbarungen..................159 F. Sicherheitsnetz: Bereicherungsrecht ............................................161 1. Bereicherungsanspruch des Verkäufers...................................162 2. Bereicherungsanspruch des Käufers ........................................164 G. Schadenersatzansprüche des Verkürzenden?.............................166 H. Zusammenfassung.........................................................................168 VII. Laesio enormis und Gewährleistung ...............................................169 A. Käufer- und Verkäuferirrtum ......................................................169 B. Anspruchskonkurrenz ..................................................................171 C. Bedeutung der laesio enormis für den Käufer............................174 VIII. Der zukünftige Marktpreis .............................................................175 A. Grundlagen.....................................................................................175 B. § 1048 ABGB..................................................................................178 C. Vertragsauslegung und Wegfall der Geschäftsgrundlage..........179 D. Der Wuchertatbestand..................................................................180 E. Zu Optionsverträgen .....................................................................183
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Inhaltsverzeichnis IX. Laesio enormis und unternehmerisches Rechtsgeschäft.................187 A. Alte Rechtslage vor dem UGB.....................................................187 1. § 351a HGB................................................................................187 2. Kritische Würdigung .................................................................189 a) Die Problematik der Fiktion ...............................................189 b) Der Eigenschaftsirrtum .......................................................190 c) Informationsasymmetrie......................................................191 B. Neue Rechtslage seit dem UGB ...................................................192 1. Reform durch das UGB ............................................................192 2. Kritische Würdigung .................................................................193 X. Alternative Regelungsmodelle.............................................................195 A. Deutschland ...................................................................................195 1. Allgemeines ................................................................................195 2. Wertirrtum .................................................................................196 a) Dogmatische Grundlagen ....................................................196 b) Anwendung auf den Wertirrtum........................................198 3. Eigenschaftsirrtum.....................................................................201 a) Zum Nachteil des Käufers ...................................................201 b) Zum Nachteil des Verkäufers .............................................205 aa) Gemeinsamer Irrtum .....................................................205 bb) Informationsasymmetrie ..............................................208 4. Die Hälftegrenze und das wucherähnliche Rechtsgeschäft ...........................................................................................210 a) Die Rechtsprechung in ihrer Entwicklung ........................211 b) Die Bedeutung der subjektiven Elemente .........................216 c) Der Zweck der Vermutungsregel........................................220 d) Der Vergleichsmaßstab ........................................................222 aa) Allgemeines.....................................................................222 bb) Marktabgrenzung ..........................................................224 cc) Fehlender Markt.............................................................226 dd) Kostenstruktur des Anbieters......................................227 ee) Zukünftige Entwicklungen ...........................................228 ff) Gespaltene Märkte ..........................................................229 5. Zusammenfassung......................................................................230 B. England ...........................................................................................232 1. Allgemeines ................................................................................232 2. Mistake und frustration.............................................................235 a) Mistake...................................................................................235 aa) Einseitiger Irrtum...........................................................235 bb) Gemeinsamer Irrtum ....................................................236 b) Frustration .............................................................................238 3. Misrepresentation.......................................................................240 a) Grundlagen und Rechtsfolgen ............................................240 b) Voraussetzungen ..................................................................243 aa) Wesentlichkeit ................................................................243
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bb) Aktives Handeln............................................................244 cc) Keine Aufklärungspflichten..........................................245 dd) Fiduciary Relationships .................................................247 ee) Zum Verständnis des aktiven Handelns ......................249 4. „Fairness“ ...................................................................................251 a) Duress.....................................................................................252 b) Undue influence in Grundzügen ........................................253 c) Unconscionability und undue influence .............................257 5. Der Vergleichsmaßstab .............................................................261 6. Zusammenfassung......................................................................262 XI. Zusammenfassung und Überlegungen de lege ferenda...................265 A. Laesio enormis und Informationsasymmetrie ...........................265 B. Laesio enormis und gemeinsame Fehlvorstellungen..................266 C. Laesio enormis und Ausnutzungsvermutung ............................266 D. Selbstinformationspflicht .............................................................267 3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung .......................................269 I. Enteignung und Vertragsrecht..............................................................269 A. Der Eingriff in die Abschlussfreiheit im Allgemeinen ..............269 B. Abschlusszwang und Enteignung ................................................271 C. Abgrenzung des weiteren Untersuchungsgegenstandes ...........272 II. Rechtsgrundlagen im Überblick .........................................................274 A. Die bundesverfassungsrechtliche Regelung des Entschädigungsanspruchs..............................................................................274 B. Die einfachgesetzliche Rechtslage zum Entschädigungsanspruch..........................................................................................277 1. Rechtsquellen .............................................................................277 a) Eisenbahnenteignungsgesetz ...............................................278 b) Bundesstraßengesetz ............................................................279 c) Exkurs: Liegenschaftsbewertungsgesetz ............................280 2. Verfahren der Enteignung und Entschädigungsfestsetzung........................................................................................281 III. Funktion der Entschädigung in der Rechtsdogmatik .....................283 A. Ansätze der Rechtsprechung........................................................283 1. Ersatzbeschaffung......................................................................283 2. Ausgleich der Vermögensdifferenz..........................................284 3. Entgelt für Rechtsverlust ..........................................................285 B. Die Lehre von der Sozialbindung des Eigentums ......................286 C. Beurteilung .....................................................................................288 IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung......................288 A. Wohlfahrtstheoretische Beurteilung ...........................................289 B. Zweck der Enteignung ..................................................................291 C. Steuerungswirkungen der Entschädigungspflicht .....................293 1. Entschädigung und Verhaltenssteuerung................................293 2. Gegenargumente und Leistungsgrenzen.................................295
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Inhaltsverzeichnis D. Umverteilungsaspekte der Entschädigungspflicht ....................297 1. Verhaltenssteuerung für die Liegenschaftseigentümer..........297 2. Versicherungslösung?................................................................298 3. Zwischenresümee.......................................................................299 E. Die Höhe der Entschädigung .......................................................300 1. Ersatz des subjektiven Nutzenentgangs..................................300 2. Praktische Grenzen ...................................................................303 3. Keine Teilung des Effizienzgewinns .......................................304 F. Rechtsdogmatische Folgerungen..................................................306 V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse .......................................307 A. Die Schadensberechnung und der entgangene Gewinn ............308 1. Grundlegung ..............................................................................308 2. Abstrakte oder konkrete Berechnung? ...................................309 3. Positiver Schaden oder entgangener Gewinn? .......................313 a) Grundlagen............................................................................313 b) Alternative Veräußerungsmöglichkeiten ...........................316 c) Alternative Nutzungen ........................................................318 aa) Allgemeines.....................................................................318 bb) Umwidmungen von Liegenschaften ...........................319 4. Besondere Vorliebe....................................................................321 B. Bewertungszeitpunkt.....................................................................323 1. Überblick ....................................................................................323 2. Qualitätsstichtag und Folgeschäden ........................................323 a) Grundsatz ..............................................................................323 b) Vorwirkungen.......................................................................325 c) Nachwirkungen ....................................................................326 3. Bewertungsstichtag und Valorisierung ...................................328 a) Allgemeines ...........................................................................328 b) Bewertungsstichtag ..............................................................328 c) Kaufkraftverlust ....................................................................330 C. Bewertungsmethoden ...................................................................332 1. Zur Methodenwahl....................................................................332 2. Vergleichswertverfahren ...........................................................336 3. Ertragswertverfahren.................................................................338 4. Sachwertverfahren .....................................................................339 D. Wertminderung und Werterhöhung des Restgrundstücks ......341 1. Wertminderungen......................................................................341 2. Werterhöhungen ........................................................................343 3. Stellungnahme ............................................................................346 E. Moral hazard-Probleme................................................................347 VI. Zusammenfassung ...............................................................................349
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung ............................351 I. Die einfachgesetzliche Rechtslage ........................................................352 A. Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern ...............................352
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1. Österreichische Rechtsgrundlagen ..........................................353 a) Überblick über die Rechtsentwicklung..............................353 b) Gesellschafterausschluss nach GesAusG...........................354 c) Umwandlung nach UmwG .................................................359 d) Nicht verhältniswahrende Spaltung ...................................360 e) Vergleichbare Fragestellungen ............................................362 2. Europäische Rechtsgrundlagen ................................................364 a) Entwicklung ..........................................................................364 b) Übernahmerichtlinie ............................................................365 c) Reform der Kapitalrichtlinie ...............................................367 3. Deutsche Rechtsgrundlagen .....................................................367 a) Entwicklung ..........................................................................367 b) Squeeze-out ...........................................................................368 c) Mehrheitseingliederung........................................................370 d) Übertragende Auflösung .....................................................371 e) Abfindung bei Abschluss eines Unternehmensvertrags ........................................................372 f) Umsetzung der Übernahmerichtlinie .................................375 B. Verschmelzung...............................................................................376 1. Österreichische Rechtsgrundlagen ..........................................376 a) Zweck der Verschmelzung ..................................................376 b) Die Beschlussfassung über die Verschmelzung im Überblick ..............................................................................378 c) Vergleichbare Fragestellungen ............................................381 2. Überblick über die Rechtsgrundlagen in Deutschland .........382 II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis ...................................................................................................384 A. Die angemessene Abfindung und das Verfassungsrecht ...........384 1. Enteignung oder Eigentumsbeschränkung? ...........................386 2. Öffentliches Interesse................................................................390 3. Zu schützende Interessen..........................................................394 a) Bestandsinteresse ..................................................................395 aa) Ausschlussschwelle ........................................................395 bb) Erfasste Gesellschaften .................................................396 b) Vermögensinteresse..............................................................400 4. Schlussfolgerungen ....................................................................401 B. Das angemessene Umtauschverhältnis bei der Verschmelzung.................................................................................................403 1. Grundlagen.................................................................................403 2. Meinungsstand ...........................................................................404 3. Konzernverschmelzung/Verschmelzungen mit sonstigen Interessenkonflikten ..........................................................405 a) Volle Kontrolle des Umtauschverhältnisses ......................405 b) Exkurs: Zur Mehrheitsbildung ...........................................408 4. Konzentrationsverschmelzung.................................................410
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Inhaltsverzeichnis a) Ausgangslage .........................................................................410 b) Stellungnahme.......................................................................411 aa) Ausgabe junger Aktien als Regelungsproblem ...........411 bb) Keine größere Gefährdung bei Verschmelzung ........411 cc) Mangelnde Abgrenzbarkeit von Konzern- und Konzentrationsverschmelzung.....................................413 5. Verschmelzung und zivilrechtliche Rechtsinstitute (laesio enormis, Wucher) ..........................................................415 6. Zwischenfazit .............................................................................416 III. Der Unternehmenswert......................................................................416 A. Bewertungsanlässe und Bewertungszwecke...............................418 B. Methodenfragen der Unternehmensbewertung .........................419 1. Objektivierte Werte und Typisierung .....................................419 2. Zukunftsbezogenheit.................................................................423 3. Ertragswert- und DCF-Bewertung .........................................430 a) Allgemeines ...........................................................................430 b) Bewertung von Minderheitsanteilen ..................................433 4. Stichtag und Wertaufhellung ....................................................434 a) Bedeutung des Stichtagsprinzips.........................................434 b) Rechtliche Festlegung ..........................................................436 5. Prinzip der Vollausschüttung...................................................439 C. Teilung des Transaktionsgewinns................................................441 1. Allgemeines ................................................................................441 2. Gesellschafterausschluss ...........................................................442 a) Meinungsstand ......................................................................443 aa) Rechtswissenschaften.....................................................443 bb) Bewertungslehre ............................................................445 b) Stellungnahme.......................................................................447 c) Verteilungsschlüssel..............................................................450 d) Praktische Bedeutung ..........................................................452 3. Verschmelzung...........................................................................453 a) Meinungsstand ......................................................................453 b) Stellungnahme.......................................................................455 aa) Konzentrationsverschmelzung .....................................455 bb) Konzernverschmelzung................................................457 cc) Schlussfolgerung.............................................................459 D. Offene Fragen ................................................................................459 IV. Der Börsekurs......................................................................................460 A. Relevanz für den Gesellschafterausschluss.................................460 1. Anteilswert und Börsekurs.......................................................460 a) Meinungsstand ......................................................................460 b) Börsekurs und Unternehmenswert ....................................463 c) Börsekurs und Normwert ...................................................466 aa) Minderheitsabschläge und Bewertung.........................466 bb) Minderheitsabschläge im Börsekurs ...........................467
Inhaltsverzeichnis
XVII
d) Börsekurs als Untergrenze ..................................................469 2. Zur Berechnung des Börsekurses.............................................473 a) Stichtag für den Börsekurs...................................................473 b) Referenzzeitraum .................................................................475 c) Ausnahmen von der Maßgeblichkeit des Börsekurses .....477 3. Exkurs: Ungleichbehandlung bei der Anteilsbewertung ......479 B. Relevanz für die Verschmelzung..................................................482 1. Meinungsstand ...........................................................................482 a) Österreich ..............................................................................482 b) Deutschland ..........................................................................483 aa) Heranziehung von Börsekursen ...................................483 bb) Art der Berücksichtigung .............................................484 2. Stellungnahme ............................................................................486 V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe...............................................488 A. Das übernahmerechtliche Modell................................................488 1. Einleitung....................................................................................488 2. Österreichische Rechtsgrundlagen ..........................................488 a) Preisbestimmungen...............................................................488 b) Abstimmung durch die Angebotsadressaten ....................492 3. Europäische Rechtsgrundlagen ................................................492 4. Der Zweck der Gleichbehandlung...........................................494 a) Kritik an der Gleichbehandlungspflicht.............................494 b) Effizienz der Gleichbehandlung.........................................495 c) Attraktivität des Kapitalmarkts...........................................497 d) Exkurs: Börsekurse als Untergrenze..................................500 e) Übernahmeangebote.............................................................502 B. Gesellschafterausschluss................................................................506 1. Meinungsübersicht ....................................................................506 2. Grundsätzliche Überlegungen .................................................507 3. Dogmatische Begründung ........................................................509 4. Zeitraum für die Berücksichtigung..........................................513 C. Verschmelzung ..............................................................................514 1. Allgemeines ................................................................................514 2. Zahlungen unter den Gesellschaftern......................................515 a) Problemstellung ....................................................................515 b) Grundsatz..............................................................................516 c) Details ....................................................................................518 VI. Akzeptanz der Transaktionsbedingungen........................................521 A. Einleitung .......................................................................................521 B. Die angemessene Abfindung nach einem Übernahmeangebot................................................................................................521 1. Zur europarechtlichen Beurteilung..........................................522 2. Zur Widerlegung der Vermutung ............................................523 C. Versuch einer Verallgemeinerung................................................526 1. Grundsätzliches .........................................................................526
XVIII
Inhaltsverzeichnis 2. Vorerwerbe durch den Hauptgesellschafter ...........................527 3. Abstimmung durch die außenstehenden Aktionäre ..............529 a) Grundsatz ..............................................................................529 b) Schwelle .................................................................................530 c) Praktische Folgen..................................................................532 4. Zusammenfassung......................................................................533 VII. Rechtslage in England .......................................................................535 A. Vorbemerkung...............................................................................535 B. Unternehmenszusammenschlüsse im Allgemeinen ...................536 1. Zustimmung der Aktionäre ......................................................537 2. Schemes of Arrangement ..........................................................539 3. Reorganisation nach Insolvency Act 1986..............................542 4. Rechtsschutz gegen unangemessene Geschäfte mit dem Großaktionär .............................................................................544 a) Nach common law................................................................544 b) Unfair Prejudice ...................................................................546 c) Zusammenfassung und Reformpläne .................................549 5. Fazit: Untergeordnete Bedeutung der Angemessenheitsprüfung ...............................................................................550 C. Übernahmeangebot .......................................................................551 1. Allgemeines ................................................................................551 2. Abstimmung durch die Angebotsadressaten..........................552 3. Gleichbehandlung......................................................................554 a) Tender offer...........................................................................555 b) Mandatory bid ......................................................................557 4. Zusammenfassung......................................................................558 D. Squeeze-out....................................................................................558 1. Als Rechtsfolge eines Übernahmeangebots............................558 a) Allgemeines ...........................................................................558 b) Voraussetzungen ..................................................................559 c) Rechtsfolgen ..........................................................................560 d) Das Übernahmeangebot als Verschmelzungsäquivalent..................................................563 2. Andere Möglichkeiten...............................................................563 a) Satzungsänderung? ...............................................................563 b) Kapitalherabsetzung?...........................................................564 c) Scheme of arrangement ........................................................565 d) Übertragende Auflösung .....................................................566 VIII. Zusammenfassung ............................................................................567 A. Gesellschafterausschluss ...............................................................567 B. Verschmelzung...............................................................................569
5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ..........................571 Zitierte Judikatur ................................................................................................579 Stichwortverzeichnis ..........................................................................................593
Abkürzungsverzeichnis Die verwendeten Abkürzungen richten sich nach Friedl/Loebenstein, AZR, 5. Auflage (2001). Das Abkürzungsverzeichnis enthält nur zusätzliche oder allenfalls abweichende Abkürzungen. AC Ad & El All ER Am Econ Rev App Cas BCC BCLC BLR BMwA B&S Cal L Rev Camp CB CBNS ChApp ChD CLJ CLR
Law Reports, Appeal Cases, Third Series (England, ab 1891) Adolphus & Ellis’ Queen’s Bench Reports (England, 1834-1840) All England Law Reports (England, 1936) American Economic Review (USA) Law Reports, Appeal Cases, Second Series (England, 1875-1890) British Company Cases (England, ab 1990) Butterworths Company Law Cases (England, ab 1983) Building Law Reports (England, ab 1975) Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Best & Smith’s Queen’s Bench Reports (England, 1861–1869) California Law Review (USA) Campbell’s Nisi Prius Cases (England, 1808– 1816) Manning & Scott’s Common Bench Reports (England, 1845–1856) Common Bench Reports, New Series (England, 1856–1865) Law Reports, Chancery Appeal Cases (England, 1865–1875) Law Reports, Chancery Division, Second Series (England, 1875–1890) Cambridge Law Journal (England) Commonwealth Law Reports (Australien, ab 1903)
XX
Abkürzungsverzeichnis
Colum L Rev CoxEqCas Cr&Ph
Columbia Law Review (USA) Cox’s Equity Cases (England, 1745–1797) Craig & Phillips’ Chancery Reports (England, 1841)
De GF&J
DE Gex, Fisher and Jones’ Chancery Reports (England, 1859–1862) De Gex, Jones & Smith’s Chancery Reports (England, 1862–1866)
DJ & S EB & E
Ex
Ellis, Blackburn & Ellis’ Queen’s Bench Reports (England, 1858) European Company and Financial Law Review Estates Gazette Law Reports (England, ab 1985) Espinasse’s Nisi Prius Reports (England, 1793– 1807) Et sequitur, fortfolgende Court of Appeal (Civil Division) (England, ab 2000) Exchequer Reports (England, 1847–1856)
FSA
Financial Service Authority (England)
H&C
Hurlstone & Coltman’s Exchequer Reports (England, 1862–1866) Hare’s Chancery Reports (England, 1841–1853) Harvard Law Review (USA) Historisch-kritischer Kommentar zum BGB Hofstra Law Review (USA) Clark & Finnelly’s House of Lords Reports New Series (England, 1847–1866)
ECFR EGLR Esp Et seq EWCA Civ
Hare Harv L Rev HKK BGB Hofstra L Rev HLC ICR
Industrial Cases Reports (England, ab 1975)
J Econ Lit J L & Econ J Leg Studies J Pol Econ
Journal of Economic Literature (USA) Journal of Law and Economics (USA) Journal of Legal Studies (USA) Journal of Political Economy (USA)
KB KBB Keen
Law Reports, King’s Bench (England, 1901–1952) Koziol/P Bydlinski/Bollenberger, ABGB Keen’s Rolls Court Reports (England, 1836– 1838)
Abkürzungsverzeichnis
XXI
Lloyd’s Rep
Lloyd’s Law Report (England, ab 1968)
LQR
Law Quarterly Review (England, ab 1885)
LR [Nummer] Ch App
Law Reports, Chancery Appeal Cases (England, 1865–1875)
LR [Nummer] Ex
Law Reports, Exchequer Cases (England, 1865– 1875)
LR [Nummer] HL
Law Reports, English & Irish Appeals (England, 1866–1875)
LR [Nummer] QB
Law Reports, Queen’s Bench, First Series (England, 1865–1875)
LR [Nummer] Sc & Div
Law Reports, House of Lords Scotch & Divorce Appeal Cases (England, 1866–1875)
LT
Law Times Reports (England, 1859–1947)
Macq
Macqueen’s Scotch Appeal Cases (Schottland, 1851–1865)
mN
mit Nachweisen
Nw U L Rev
Northwestern University Law Review (USA)
NZLR
New Zealand Law Reports (Neuseeland, ab 1883)
P
Law Reports, Probate (England, 1891–1971)
PCC
Palmer’s Company Cases (England, 1985–1989)
P&CR
Property, Planning & Compensation Reports (England, ab 1986)
PECL
Principles of European Contract Law, Prinzipien des Europäischen Privatrechts
QB
Law Reports, Queen’s Bench, Third Series (England, 1891–1901, ab 1952)
QBD
Law Reports, Queen’s Bench, Second Series (England, 1875–1890)
Rand J Econ
Rand Journal of Economics (USA)
RTR
Road Traffic Reports (England, ab 1970)
s, ss
Section, sections
Sim
Simons’ Vice Chancellor’s Reports (England, 1826–1850)
SMG
(deutsches) Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
StrG
Straßengesetz
XXII
Abkürzungsverzeichnis
Taunt
Taunton’s Common Pleas Reports (England, 1807–1819)
TLR
The Times Law Report (England, 1884–1952)
Tulane J Int & Comp L
Tulane Journal of International and Comparative Law (USA)
U Chi L Rev
University of Chicago Law Review (USA)
UKPC
United Kingdom Privy Council (England, ab 2000)
U Pa L Rev
University of Pennsylvania Law Review (USA)
Vand L Rev
Vanderbilt Law Review (USA)
VesSen
Vesey Senior’s Chancery Reports (England, 1741– 1756)
Wheat
Wheaton, Entscheidungen des US Supreme Court (USA, 1816–1827)
WLR
Weekly Law Reports (England, ab 1953)
Yale LJ
Yale Law Journal (USA)
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Plan der Untersuchung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Bewertungsfragen in ausgewählten zivilrechtlichen Zusammenhängen. Das Erkenntnisziel ist vor allem rechtsdogmatisch: Welcher Wert einer Sache ist nach der geltenden Rechtslage für die rechtliche Beurteilung im jeweiligen Zusammenhang heranzuziehen? Aus der Analyse werden im Einzelfall aber auch rechtspolitische Empfehlungen gewonnen. Drei inhaltliche Bereiche werden im Detail untersucht: 1. Privatautonom abgeschlossene Verträge werden in verschiedenen Zusammenhängen einer inhaltlichen Kontrolle unterzogen. Bei dieser kommt es häufig auf das Verhältnis zwischen dem Wert der Leistung und demjenigen der Gegenleistung an. Wenn ein Wert den anderen deutlich übersteigt, kann der Vertrag für den Benachteiligten unverbindlich sein. Um zu beantworten, welche Werte zu vergleichen sind, muss der Zweck der entsprechenden Bestimmungen untersucht werden (2. Teil „Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen“). 2. Vermögensübertragungen erfolgen nicht nur aufgrund von Verträgen. Häufig räumt die Rechtsordnung einer Partei die Möglichkeit ein, eine solche Übertragung einseitig herbeizuführen. Paradigma ist die Enteignung, bei der die Eigentumsübertragung durch behördlichen Akt auf Antrag des Enteignungswerbers erfolgt. Für die Bemessung der Eigentumsentschädigung stellt sich die Frage nach dem Wert des Enteignungsobjekts, üblicherweise einer Liegenschaft. Der 3. Teil „Die Entschädigung bei der Enteignung“ wird zeigen, dass gegenüber der Vertragskontrolle unterschiedliche Aspekte im Vordergrund stehen. 3. Diese Überlegungen zur Enteignung dienen gleichzeitig als Überleitung für den 4. Teil „Gesellschafterausschluss und Verschmelzung“, der ausgewählte gesellschaftsrechtliche Probleme der Wertfeststellung untersucht. Damit begibt sich die Arbeit in den Bereich der Unternehmensbewertung. Dabei werden zwei Problembereiche herausgegriffen. Einerseits geht es um den Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern durch die Mehrheit der Anteilseigner. Welcher Wert der entzogenen Gesellschaftsanteile ist zu ersetzen? Andererseits wird die Verschmelzung näher behandelt, bei der den Gesellschaftern zwar keine Anteile entzogen werden, sich ihr Investment der Sache nach aber ändert. Aufgrund welcher Unternehmenswerte ist das angemessene Umtauschverhältnis festzulegen? Damit sind nur einige wenige Bewertungsfragen im Zivilrecht angesprochen. Eine vollständige Untersuchung wird nicht angestrebt. Freilich schneidet die vorgenommene subjektive Auswahl zwei unterschiedliche reale
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Plan der Untersuchung
Grundkonstellationen an: die Überprüfung freiwilliger Vertragsabschlüsse und die Festlegung von Abfindungen. Damit sind die zwei grundlegenden Fragenkreise anhand einer Auswahl angesprochen; alle anderen Rechtsgebiete sind in der Sache Variationen über dasselbe Thema. Die Grundthemen sind vor allem: (1) Welches Verhältnis zwischen Wert der Leistung und Wert der Gegenleistung akzeptiert das allgemeine Vertragsrecht, was sind die Gründe dafür und nach welchem Maßstab ist dieses Verhältnis zu berechnen? Anders gewendet: Ab welcher Grenze führt ein Missverhältnis zu einem Lösungsrecht für den Benachteiligten? Hier geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Privatautonomie und Vertragsgerechtigkeit. (2) Welcher Wert ist zu ersetzen, wenn dem Eigentümer die Sache entzogen wird, entweder zu Gunsten der Allgemeinheit (so bei der Enteignung) oder zu Gunsten eines Individuums (zum Beispiel beim Gesellschafterausschluss)? Dazu kommt als Sonderkonstellation, dass dem Aktionär in manchen Fällen als Gegenleistung eine Weiterbeteiligung an einem umgestalteten Rechtsträger angeboten wird, ohne dass er individuell über die Annahme entscheiden kann (Verschmelzung). In der Sache geht es der Untersuchung daher vor allem um Vertragsrecht oder doch um vertragsrechtsnahe Fragen. Denn auch die Enteignung und der Gesellschafterausschluss haben in der ökonomischen Analyse bedeutende Querbeziehungen zum Vertragsabschluss, wie noch zu zeigen sein wird.
Ein wichtiges Ergebnis kann schon hier angekündigt werden: Die Suche nach „dem“ Wertbegriff ist nicht zielführend. Was der ausschlaggebende Wert ist, muss normspezifisch unter Berücksichtigung der Ziele des jeweiligen Regelungszusammenhangs beantwortet werden. Wo das Recht von „Wert“ spricht, meint es zB oft auch „Preis“. Und selbst wenn nach der Absicht des historischen Gesetzgebers tatsächlich „Wert“ gemeint sein sollte, kann es angezeigt sein, für die Beurteilung auf Preise – so wie sie am Markt tatsächlich erzielt worden sind – zurückzugreifen. Ob Marktpreise bei der Bewertung heranzuziehen sind und welche Rolle solche Marktpreise spielen, ist daher anhand der im konkreten Zusammenhang maßgeblichen Wertungen zu bestimmen. Gerade in dieser Frage wird sich zeigen, dass wesentliche Unterschiede zwischen der Überprüfung der Äquivalenz freiwillig abgeschlossener Verträge einerseits und der Festlegung einer Abfindung beim Entzug des Eigentums andererseits bestehen.
1. Teil: Bewertung im Zivilrecht I. Der Wertbegriff des ABGB Angesichts der umfassenden Bedeutung von Bewertungsproblemen in zahlreichen zivilrechtlichen Zusammenhängen wäre es auf ersten Blick nahe liegend, den Wert einer Sache in allgemeingültiger Art und Weise festzulegen. Das Thema würde solcherart regelungstechnisch vor die Klammer gezogen und könnte bei der Regelung der einzelnen Sachfragen außer Acht gelassen werden. Dies war anscheinend die Absicht des Gesetzgebers des ABGB von 1811, der meinte, die entsprechenden Fragen allgemein regeln zu können. §§ 304 bis 306 ABGB enthalten Regelungen über den Wert von schätzbaren Sachen. Diese Normen werden noch heute unmittelbar herangezogen, um Rechtsfolgen für Detailprobleme abzuleiten.1 Sie haben daher einige Bedeutung, insbesondere im „klassischen“ Zivilrecht. Das gilt zB für bereicherungs- und schadenersatzrechtlichen Fragen, aber auch für die in der vorliegenden Untersuchung zentrale laesio enormis. Die entsprechenden Texte lauten: „Maßstab der gerichtlichen Schätzung. § 304. Der bestimmte Werth einer Sache heißt ihr Preis. Wenn eine Sache vom Gerichte zu schätzen ist, so muß die Schätzung nach einer bestimmten Summe Geldes geschehen. Ordentlicher und außerordentlicher Preis. § 305. Wird eine Sache nach dem Nutzen geschätzt, den sie mit Rücksicht auf Zeit und Ort gewöhnlich und allgemein leistet, so fällt der ordentliche und gemeine Preis aus; nimmt man aber auf die besonderen Verhältnisse und auf die in zufälligen Eigenschaften der Sache gegründete besondere Vorliebe desjenigen, dem der Werth ersetzt werden muß, Rücksicht, so entsteht ein außerordentlicher Preis. Welcher bey gerichtlichen Schätzungen zur Richtschnur zu nehmen. § 306. In allen Fällen, wo nichts Anderes entweder bedungen, oder von dem Gesetze verordnet wird, muß bey der Schätzung einer Sache der gemeine Preis zur Richtschnur genommen werden.“
Der bestimmte Wert einer Sache wird in § 304 ABGB zunächst mit ihrem Preis gleichgesetzt. Das entsprach auch dem seinerzeitigen Verständnis der
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Aus der Rsp OGH ecolex 2004/57 (Reich-Rohrwig); dazu auch Beiser, SWK 2004, W 55. Aus dem betriebswirtschaftlichen Schrifttum Seicht, RWZ 2004, 257 ff.
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1. Teil: Bewertung im Zivilrecht
Rechtswissenschaft.2 Heute merkt die juristische Standardliteratur hingegen kritisch an, dass diese Gleichsetzung der Begriffe entgegen dem nunmehr normalen Sprachgebrauch erfolgt.3 Diese Festlegung des historischen Gesetzgebers entspricht auch nicht der in den Wirtschaftswissenschaften üblichen Unterscheidung zwischen Werten und Preisen (vgl unten II). In der Folge unterscheidet der Gesetzestext zwischen ordentlichem (= gemeinem) und außerordentlichem Preis und hält fest, dass der gemeine Preis ausschlaggebend ist, wenn nicht ein Gesetz oder ein Vertrag etwas anderes festlegt (§ 306 ABGB). Wenn das Gesetz vom gemeinen Preis (Wert) spricht, ist die Definition in § 305 ABGB heranzuziehen. Dort ist der gemeine Preis als derjenige Nutzen einer Sache definiert, den sie mit Rücksicht auf Zeit und Ort gewöhnlich und allgemein leistet; besondere Verhältnisse und die in zufälligen Verhältnissen gegründete besondere Vorliebe sind nicht zu berücksichtigen. Der außerordentliche Preis bestimmt sich hingegen nach den individuellen Verhältnissen des Bewertungssubjekts und damit auch nach seinen Nutzungsmöglichkeiten; der Gesetzestext („dem der Werth ersetzt werden muß“) zeigt, dass die Verfasser vor allem das Haftpflichtrecht im Auge hatten, wie es sich auch in § 1332 ABGB widerspiegelt. Die Gesetzgebungsgeschichte ist lehrreich. Der Entwurf Martini4 und der Ur-Entwurf5 enthielten dem heutigen § 305 ABGB ganz ähnliche Bestimmungen. Freilich stellten diese Normen für den gemeinen Preis entgegen dem 1811 beschlossenen Text nicht auf die besonderen Zeit- und Ortsumstände ab, sondern setzten den Preis mit dem Nutzen gleich, den eine Sache für gewöhnlich und allgemein leistet. Damit wird der Preis (= Wert) einer Sache grundsätzlich mit ihrem Gebrauchswert gleichgesetzt.6 Marktfaktoren bleiben bei diesem Ansatz weit gehend außer Betracht.7 Wie der Nutzen letztlich zu bemessen ist, bleibt nach den Vorläufern zum ABGB offen. Es ist nicht auszuschließen, dass ganz im Einklang mit damals wichtigen Ansichten auf die Produktionskosten abgestellt werden sollte. Demgegenüber bringt das ABGB eine wesentliche Neuerung, weil auch Ort- und Zeitumstände berücksichtigt werden. Die Änderung ist auf das Insistieren von Zeiller zurückzuführen, der seinen Standpunkt gegen erheblichen Widerstand letztlich8 durchzusetzen vermochte.9 Über die Gründe für diese
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Vgl Martini, Lehrbegriff § 516. Klicka in Schwimann II § 304 Rn 1; Eccher in KBB § 304 Rn 1. Zweiter Teil Erstes Hauptstück § 24 Entwurf Martini. Weder der Codex Theresianus noch der Entwurf Horten enthielten vergleichbare Vorschriften. 2. Teil § 26 Ur-Entwurf; vgl Ofner, Ur-Entwurf I XXXII. Vgl Martini, Lehrbegriff § 516. Auch Martini verkennt freilich die Bedeutung der Knappheit für die Bildung des üblichen Preises nicht; vgl dens, Lehrbegriff § 520. Das heißt bei einer zweiten Beratung vier Jahre nach der ersten Diskussion und in einer wesentlich veränderten Zusammensetzung der Kommission; vgl Ofner, Ur-
I. Der Wertbegriff des ABGB
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Änderung schweigen die Protokolle. Zeiller schreibt freilich in seinem Kommentar: „Auf Zeit- und Ortsverhältnisse muß man schon bey Bestimmung des ordentlichen Preises Rücksicht nehmen, weil Sachen häufig schon allgemein, jedem Besitzer in einem bestimmten Zeitpuncte oder Orte einen größeren Nutzen bereiten, als zu einer andern Zeit oder an einem anderen Orte. So steht z.B. der gemeine Preis des Getreides auf dem flachen Lande, oder in einem fruchtbaren Jahre viel niedriger, als in einem entlegenen Gebiet, oder zur Zeit eines Mißwachses.“
Das zeigt, dass die Änderung gegenüber dem Entwurf Martini eine Abwendung von einer Theorie des Gebrauchswerts bedeutet. Vielmehr sollte auf das abgestellt werden, was wir heute als Markpreise bezeichnen würden.10 Wie insbesondere das Getreidebeispiel zeigt, geht es nicht nur um die variierenden Produktionskosten,11 die allenfalls den Unterschied des Preises zwischen „flachem Land“ und entlegenen Gebieten erklären können; vielmehr ist das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage zu berücksichtigen, wie insbesondere das Knappheitsargument bei Missernten zeigt. Die Norm stellt somit zumindest auch auf Marktfaktoren ab. Trotzdem ist das Gesamtbild nicht wirklich klar. Das spiegelt sich noch in der heutigen Lehre wider. So heißt es in der neuesten Kurzkommentierung zum ABGB bei der Erläuterung von § 30512 zunächst eher beliebig: „Der Nutzen kann unter verschiedenen Blickpunkten gesehen werden, insbesondere der Möglichkeit des Austausches, des Ertrags oder der Herstellungskosten, woraus sich die verschiedenen Bewertungsarten ergeben […].“, um dann ganz richtig fortzufahren: „Die Wahl der Bewertungsmethode ergibt sich aus dem Zweck der zur Anwendung gelangenden Bestimmungen […].“ Andere Kommentatoren wollen vor allem auf die Natur des zu bewertenden Gutes abstellen; so komme bei bäuerlichen Liegenschaften vor allem die Ertragsbewertung in Betracht.13 „Bei marktgängigen Waren richtet sich hingegen der gemeine Wert nach ihrem von Angebot und Nachfrage abhängigen Preis (Verkehrswert).“14
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Entwurf I 223 f, II 368. Nach Ansicht mancher Teilnehmer sollte auch die Berücksichtigung von Ort und Zeit nur für den außerordentlichen Wert erfolgen. Vgl auch schon die Überlegungen bei Zeiller, Natürliches Privat-Recht § 129 in der Fn. Ganz ähnlich aus dem Standardschrifttum gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch Stubenrauch, Commentar II6 389; Hasenöhrl, Obligationenrecht I 271. Vgl die zeitgenössischen Produktionskostentheorien des Werts von Adam Smith und David Ricardo. Eccher in KBB § 305 Rn 2 und 4. Ähnlich Kleteþka in Koziol/Welser I 245. Spielbüchler in Rummel § 305 Rn 3. Klicka in Schwimann II § 305 Rn 2.
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1. Teil: Bewertung im Zivilrecht
Die Aussagekraft von §§ 304 ff ABGB ist daher eher gering. Ob Preise maßgeblich sein sollen oder welche Bewertungsmethoden anzuwenden sind, ist der Norm nicht unmittelbar zu entnehmen. Aus § 305 ABGB lässt sich jedoch mit einiger Zertität ableiten, dass es auf individuelle Verhältnisse des Bewertungssubjekts nicht ankommen soll, wenn eine konkrete Norm auf den gemeinen Wert im Sinne dieser Bestimmung verweist. Solche Normen finden sich zB in §§ 332, 417 ff, 934 und 1332 ABGB. Diese individuellen Verhältnisse sind nur beim außerordentlichen Preis zu berücksichtigen; darauf stützt sich auch die Unterscheidung zwischen objektiv-abstrakter und subjektivkonkreter Berechnung im Schadenersatzrecht bei Ersatz des Interesses. Von diesem Interesse ist wiederum die besondere Vorliebe zu unterscheiden, die sich nach § 305 ABGB auf „zufällige Eigenschaften“ der Sache gründet. Damit wird auf nicht ohne weiteres bewertbare, ideelle Aspekte, wie das so genannte Affektionsinteresse,15 verwiesen. Auch dieses ist vom außerordentlichen Preis umfasst,16 wird aber insbesondere im Haftpflichtrecht im Regelfall nicht ersetzt (vgl § 1331 ABGB).
II. Wert und Preis in den Wirtschaftswissenschaften A. Der Unterschied zwischen Preis und Wert Für den modernen Wirtschaftswissenschafter ist jede Gleichsetzung von Wert und Preis und damit auch diejenige im ABGB schon dem Ansatz nach verfehlt.17 Preise sind nach dem heute herrschenden Verständnis beobachtete Transaktionsbedingungen.18 Die Aussage: „Der Kauf einer Liegenschaft ist zum Preis X erfolgt.“ bezieht sich auf eine abgewickelte Transaktion. Werden vertretbare Güter regelmäßig gehandelt, ergeben sich daraus Marktpreise, insbesondere an institutionalisierten Märkten. Streng genommen können Marktpreise nur existieren, wenn es sich um vertretbare Güter handelt. Es ist daher aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht wohl unzulässig, bei Heiligenstatuen von einem Marktpreis zu sprechen, wie es die österreichische Rechtsprechung tut.19 Das gleiche gilt für Liegenschaften. Wenn der Preis für ein vergleichbares, aber nicht gleiches Gut für die Bestimmung des Marktpreises eines anderen Gutes herangezogen wird, so geht es nicht mehr um 15 16
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Zu diesem vgl Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/105 f. Unzutreffend daher Stabentheiner, LBG § 2 Rn 8, der das Berücksichtigungsverbot für den Wert der besonderen Vorliebe nach § 2 Abs 3 LBG mit der Unterscheidung zwischen ordentlichem und außerordentlichem Wert im ABGB gleichsetzt. Das ist überschießend, weil es beim außerordentlichen Wert auch um die Berücksichtigung besonderer, aber ohne weiteres bewerbarer subjektiver Vorteile geht, die vom Berücksichtigungsverbot nach LBG nicht erfasst sind. Vgl zB G Tichy, RWZ 2000, 170; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 25, 31; Moxter, Grundsätze 31. Für alle Moxter, Grundsätze 132; Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 18. OGH RZ 1962, 83. Ähnlich zu einer wertvollen Münzsammlung schon GlU 125.
II. Wert und Preis in den Wirtschaftswissenschaften
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Preisbeobachtung, sondern um Aussagen über hypothetische Sachverhalte. Es wird anhand vergleichbarer Transaktionen geschätzt, welcher Preis sich am Markt bilden könnte. Für praktische Zwecke ist diese Aufgabe freilich häufig wichtiger als die Beobachtung von Marktpreisen im engeren Sinn, so insbesondere bei der Liegenschaftsbewertung. Obwohl die theoretische Basis für dieses Vorgehen zweifelhaft ist, soll im Rahmen dieser Arbeit davon ausgegangen werden, dass sich unter bestimmten Bedingungen mittels einer Vergleichsmethode Transaktionsbedingungen hinreichend genau schätzen lassen, um sie bei pragmatischem Zugang als Annäherung an einen Marktpreis gelten lassen zu können.
Von Preisen sind Werte zu unterscheiden.20 Der Wert einer Sache ist grundsätzlich unabhängig von den tatsächlichen Transaktionsbedingungen. Ein Gut kann einen höheren oder einen niedrigeren Wert haben, als es sein Preis ausdrückt. Das kann an Liquiditätsengpässen beim Verkäufer liegen, die ihn zwingen, das Gut unter seinem Wert abzugeben. Genau so ist es aber möglich, dass ein Vertragspartner über mehr Informationen über das Wirtschaftsgut verfügt und daher eine für ihn günstige Abweichung von Preis und Wert herbeiführen kann. Es ist daher grundsätzlich unzulässig, aus dem Preis einer Sache Aussagen über ihren Wert abzuleiten.21 Andererseits ergibt sich aus dem Wert auch noch kein Preis; der Wert ist allenfalls ein potenzieller Preis,22 weil zumindest aus Sicht eines Bewertungssubjekts eine Transaktion zu diesen Bedingungen zustande kommen könnte.
B. Der Wert in Klassik und Neoklassik Was ist aber der Wert einer Sache? Frühe Wertlehren gingen von einem objektiven Wert einer Sache aus. Nach diesem Ansatz ist der Wert eine Eigenschaft, die dem Gut so anhaftet wie seine Farbe; er richtet sich nach der Nützlichkeit der Sache. Das ist die Idee des Gebrauchswerts, wie sie Martini vorschwebte und die sich auf viel ältere Traditionen23 zurückführen lässt. Dieser Gebrauchswert muss nach jenem Ansatz grundsätzlich auch den Preis bestimmen. Unter diesen Bedingungen sind Abweichungen der Preise vom „wahren“ Wert nur durch Störungen des Marktmechanismus zu erklären. Bei vollkommener Information und unter Vernachlässigung von Verkaufsdruck und Knappheit können Wert und Preis nicht voneinander abweichen. Der Gebrauchswert war freilich nie der einzige Wertbegriff. Die Rechtswissenschaft hat seit jeher auch auf den Tauschwert abgestellt und ihn zum 20
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Aus ökonomischer Sicht ist es daher zumindest unglücklich von „Marktwerten“ zu sprechen; vgl aber Moxter, Grundsätze 132 ff (allerdings auch unter Anführungszeichen). Für alle Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 13. Moxter, Grundsätze 1. Vgl Aristoteles, Politica I 6 und 9. Lesenswert zur Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert immer noch Menger, Grundsätze 213 ff.
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1. Teil: Bewertung im Zivilrecht
Teil mit dem Marktpreis gleichgesetzt; vgl 2. Teil II. Die klassische Ökonomie des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts griff die Unterscheidung auf und entwickelte sie in der Dichotomie von natürlichem Preis und Marktpreis fort.24 Der natürliche Preis (in heutiger Terminologie: der natürliche Wert) wird durch die Aufwendungen für die Produktion des Gutes bestimmt, wobei Adam Smith25 Lohn, Zins und Rente berücksichtigen wollte, während David Ricardo26 die Arbeitskosten in den Vordergrund stellte.27 Die Wertlehre der Klassiker war daher objektiv; der natürliche Preis ist so wie der Gebrauchswert ein intrinsischer Wert. In der Sache geht es um den Gleichgewichtspreis der Güter bei vollständiger Konkurrenz. Der tatsächliche Marktpreis bildet sich nach Ansicht der Klassiker auf der Basis des natürlichen Preises; er wird aber durch Angebot und Nachfrage, also auch auf Basis der Knappheit, näher determiniert.28 Dieser Tauschwert entspricht in der heutigen Terminologie der Wirtschaftswissenschaften dem Preis. Die klassische Ökonomie scheiterte freilich am berühmten Wertparadoxon von Adam Smith:29 Es gibt Gegenstände mit hohem Gebrauchs-, aber niedrigem Tauschwert (zB Wasser) und umgekehrt (zB Edelsteine). Adam Smith wollte dies mit der höheren Arbeit lösen, die in der Produktion des Diamanten steckt;30 damit konnte er aber nur erklären, warum zu einem Preis verkauft wird, aber nicht, warum eine entsprechende Nachfrage besteht. Auch die Knappheit des Diamanten kann den Preis nur erklären, wenn man eine bestimmte Nachfrage voraussetzt. Theoretisch fundierter ist aber ein ganz unterschiedlicher Zugang: Der Wert einer Sache lässt sich ohne Berücksichtigung des Bewertungssubjekts nicht ermitteln. Ein und dieselbe Sache hat für unterschiedliche Eigentümer auch einen unterschiedlichen Wert. Der Käufer kann mit dem Unternehmen mehr anfangen als der Verkäufer. Dem Hungrigen ist das Brot mehr wert als dem Gesättigten. Die theoretische Fundierung dieses Konzepts erfolgte durch die marginalistische Revolution der Mikroökonomie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – die Erkenntnis, dass der Wert Ausdruck einer Subjekt-ObjektBeziehung zwischen Bewerter und Gegenstand ist, ist freilich viel älter.31 Nach
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Vgl Adam Smith, Wealth I, 4, 13. Adam Smith, Wealth I, 6, 10. Ricardo, Principles 5, 1 ff. So auch die Marx’sche Wertlehre; vgl Marx, Lohn Kapitel 5. Scharf dagegen bekanntlich Böhm-Bawerk, Geschichte VI, III. Adam Smith, Wealth I, 7, 7 ff; David Ricardo, Principles 4, 8. Adam Smith, Wealth I, 4, 13. Vgl Adam Smith, Wealth I, 5, 1 ff. Vgl zu Christian Thomasius unten 2. Teil A. Allgemein siehe auch Weber/Albert/Kade in Handwörterbuch der Sozialwissenschaften (1961) 11. Band 645.
II. Wert und Preis in den Wirtschaftswissenschaften
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der Wiener Grenznutzenschule richtet sich der Wert einer Sache einerseits nach dem individuellen Ziel- und Präferenzsystem des konkreten Subjekts, andererseits nach den verfügbaren Ressourcen. So schon Carl Menger in seinen „Grundsätzen der Volkswirtschaftslehre“ aus 1871:32 „Der Werth ist demnach nichts den Gütern anhaftendes, keine Eigenschaft derselben, eben so wenig aber auch ein selbstständiges, für sich bestehendes Ding. Derselbe ist ein Urtheil, welches die wirthschaftenden Menschen über die Bedeutung der in ihrer Verfügung befindlichen Güter für die Aufrechthaltung ihres Lebens und ihrer Wohlfahrt fällen, und demnach ausserhalb des Bewusstseins derselben nicht vorhanden.“
Die Kosten, die für die Herstellung des Gutes aufgewandt wurden, haben hingegen für den Wert desselben nach der Wiener Schule keine Bedeutung.33 Diese Wertlehre der Wiener Schule34 (neben Menger auch Wieser, Der natürliche Wert, 1889,35 und Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Band II: Positive Theorie des Kapitales, 1889) löst auch das Smith’sche Wertparadoxon. Diamanten sind nicht wegen ihrer intrinsischen Eigenschaften wertvoll, sondern weil sie einerseits der Bedürfnisbefriedigung dienen (zB persönlicher Schmuck)36 und andererseits selten sind. Auf dieser Basis kann unter anderem auch der Vertragsabschluss zwanglos erklärt werden. Ein Vertrag kommt zustande, wenn der Wert der Sache für den Käufer denjenigen für den Verkäufer übersteigt. Der Preis liegt zwischen den unterschiedlichen subjektiven Wertvorstellungen und damit in diesem positiven Transaktionsbereich. Insofern ist die Gleichstellung von Wert und Preis völlig verfehlt. Während eine Transaktion einen Preis hat, der auch durch das Verhandlungsgeschick der Parteien erklärbar ist, hat das zugrunde liegende Gut für jede der Vertragsparteien einen unterschiedlichen Wert.
C. Der Zugang der heutigen Bewertungslehre Gedanklicher Ausgangspunkt der älteren Betriebswirtschaftslehre war ebenfalls die Unterscheidung zwischen Gebrauchs- und Tauschwert. Auch in die32
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Menger, Grundsätze 86. Zum abnehmenden Grenznutzen zuvor schon Gossen, Entwickelung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fließenden Regeln für menschliches Handeln (1854). Menger, Grundsätze 128 ff; Böhm-Bawerk, Kapital VI, III. Die freilich in der Sache parallel dazu auch von Walras, Elements d'economie politique pure ou Theorie de la richesse sociale. Lausanne, 1874-77, und Jevons, The Theory of Political Economy, 1871, entwickelt wurde. Mit der „Entdeckung“ der Opportunitätskosten. Anzumerken ist, dass es nicht um die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse geht, für die intrinsische Eigenschaften (zB Essbarkeit von Getreide) Bedeutung haben, sondern um soziale Bedürfnisse, die nicht vorgegeben sind, sondern erst durch die soziale Interaktion entstehen. Diese Phänomene sind durch das Konzept eines objektiven Gebrauchswerts schwer zu erklären.
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1. Teil: Bewertung im Zivilrecht
ser Wissenschaftsdisziplin waren daher zunächst objektive Vorstellungen vorherrschend.37 Die Anerkennung subjektiver Werte erfolgte nur zögerlich. Für die praktische Anwendung und die Themen der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung der Unternehmensbewertung besonders wichtig. In dieser war die längste Zeit die objektive Bewertung dominierend, bei welcher der Wert des Unternehmens „an sich“ beurteilt wird.38 Erst ab ungefähr 1960 begann sich die subjektive Bewertung durchzusetzen, bei der der Wert der Unternehmung eignerbezogen ermittelt wird.39 Damit ging der Übergang von der Substanzwert- zur Ertragswertmethode Hand in Hand; dazu unten 4. Teil III. Heute ist die Berücksichtigung der subjektiven Ertragserwartungen eines konkreten Bewertungssubjekts zumindest für die Ermittlung des Entscheidungswerts ganz herrschend; da bei diesem festgestellt werden soll, was (aus Sicht des Käufers) der höchste noch zu zahlende Kaufpreis bzw (aus Sicht des Verkäufers) der niedrigste zu akzeptierende Verkaufspreis ist, muss auf die individuellen Wertvorstellungen der Beteiligten Rücksicht genommen werden. Abweichende subjektive Werteinschätzungen können sich einerseits aus der unterschiedlichen Beurteilung möglicher Zukunftserfolge ergeben; das ist insbesondere der Fall, wenn ein neues Managementteam das Unternehmen übernimmt. Aber auch die größere Risikoneigung des Erwerbers kann ausschlaggebend sein. Schließlich können gerade dem Erwerber besondere Nutzungsmöglichkeiten für das Unternehmen offen stehen; dann spricht man in der Bewertungslehre zumeist von Verbund- oder Synergieeffekten. Damit ist freilich nur ein Teil der wertbestimmenden Faktoren angesprochen.40
Seit ungefähr 30 Jahren ist im deutschen Sprachraum ein differenzierender Ansatz vorherrschend, der üblicherweise als funktionale Unternehmensbewertung bezeichnet wird41 und auf die so genannte Kölner Schule zurückgeht. Bestimmend waren in weiterer Folge die erstmals 1976 erschienenen „Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung“ von Adolf Moxter.42 Nach diesem Ansatz können je nach dem Zweck der Bewertung unterschiedliche Grundsätze zur Anwendung kommen; je nach Aufgabenstellung kann ein und dasselbe Unternehmen unterschiedliche Werte haben.43 Dabei ist nach heuti37 38
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Vgl den Überblick bei Schneider, Betriebswirtschaftslehre 4, 668 ff. Vgl aus der zeitgenössischen Literatur Mellerowicz, Wert 11 ff. Aus der aktuellen Literatur vgl den Überblick bei Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 14 mwN; siehe auch Moxter, Grundsätze 26 f. Zu früheren Ansätzen vgl Schneider, Betriebswirtschaftslehre Band 4 777 ff. Für einen Überblick über die Entwicklung vgl Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 5 ff. Standardwerke aus jener Zeit sind Münstermann, Wert passim; Busse von Colbe, Zukunftserfolg passim. Vgl aus der rechtsökonomischen Literatur Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 20 f. So zB Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 9; Bertl/Schiebel, RWZ 2003, 353 f. Vgl auch Matschke, Entscheidungswert passim; ders, Arbitriumwert passim. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 23.
III. Der Wert im Zivilrecht als Normwert
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gem Verständnis vor allem44 zwischen der Ermittlung von Entscheidungswerten, von Marktwerten45 und von Schiedswerten zu unterscheiden. Für die im 4. Teil zu behandelnde und besonders bedeutende Ermittlung des Unternehmenswerts für die Bemessung von Abfindungen ist die Frage komplizierter. In diesem Zusammenhang werden häufig so genannte „Objektivierungen“ bei der Bewertung vorgenommen; dabei geht der Bewerter davon aus, dass das Unternehmen im Rahmen des bisherigen Unternehmenskonzepts von einem durchschnittlich befähigten Management fortgeführt wird. Unter „Typisierung“ wird hingegen im Regelfall verstanden, dass eine Maßfigur aus Vereinfachungsgründen herangezogen werden darf, wenn sich genauere Daten über subjektive Entscheidungswerte nicht oder doch nur mit unvertretbarem Aufwand ermitteln lassen.46 Neben diesen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen sind für die Unternehmensbewertung in Abfindungskonstellationen aber insbesondere rechtliche Wertungen zu berücksichtigen.
III. Der Wert im Zivilrecht als Normwert Eine grundlegende Frage der folgenden Ausführungen ist, inwieweit aus rechtlicher Sicht anstelle der Wertermittlung eine Preisbeobachtung gesetzt werden kann. Die betriebswirtschaftliche Bewertungslehre lehnt dies zwar ab; das ist aber letztlich nicht ausschlaggebend. Denn rechtliche Bewertungsgrundsätze sind aus Vorgaben des geltenden Rechts und nicht aus dem Erkenntnisstand einer anderen Sozialwissenschaft abzuleiten. Das gilt auch für die Frage, welcher Wertbegriff heranzuziehen ist – oder, aus Sicht der Praxis, welche Bewertungsgrundsätze einzuhalten sind. Dem ABGB ist keine Antwort auf diese Fragen zu entnehmen. Das liegt nicht primär daran, dass die Aussagekraft des gemeinen Werts begrenzt ist (oben I.). Ausschlaggebend ist vielmehr, dass nicht eine abstrakte Definition, sondern der Normzweck des jeweiligen Regelungszusammenhangs das anwendbare Wertkonzept determiniert. §§ 304 ff ABGB können die unterschiedlichen Probleme der einzelnen Materiengesetze nicht berücksichtigen. Der beizulegende Wert kann im Zusammenhang des Enteignungsrechts daher anders als bei der Überprüfung der Angemessenheit privatrechtlicher Transaktionen zu beurteilen sein.47 Ob individuelle Nutzungsmöglichkeiten 44
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Weiters zB die Ermittlung von Argumentationswerten, von Buch- oder Bilanzwerten bzw von Steuerbemessungsgrundlagen; vgl Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 17. Die Berücksichtigung der Marktwerte ist eine verhältnismäßig junge Antwort auf amerikanische shareholder value-Ansätze. Zur Verwendung von Marktwerten für die Entscheidungswertermittlung äußerst kritisch Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 25 ff. Vgl Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 398 f; Moxter, Grundsätze 25; Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 170 ff. Vgl zum LBG zB Kerschner, JBl 2006, 358.
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1. Teil: Bewertung im Zivilrecht
bei der Enteignung einerseits oder dem Entzug der Mitgliedschaftsrechte eines Minderheitsgesellschafters andererseits für die Bemessung des Wertersatzes zu berücksichtigen sind oder nicht, kann auch nicht §§ 304 ff ABGB entnommen werden. Sind Vorteile aus der Enteignung oder dem Gesellschafterausschluss zu berücksichtigen? Die (abweichenden) Antworten ergeben sich aus den Materiengesetzen, nicht aus einem allgemeinen rechtlichen Wertbegriff. Noch ein Beispiel: Die Bewertung im Bilanzrecht dient – unter anderem über Ausschüttungssperren – dem Schutz der Gläubiger einer Kapitalgesellschaft; das spricht für einen möglichst niederen Wertansatz für die Aktiva, um den Ausweis ausschüttbarer Gewinne aus Aufwertungen möglichst hintanzuhalten. Wenn es aber darum geht, welche Abfindung ein ausgeschlossener Gesellschafter erhalten soll, muss diese Überlegung nicht ausschlaggebend sein, insbesondere wenn die Abfindung nicht die Gesellschaft selbst, sondern ein Dritter zahlt. Hier geht es vor allem um die Frage, welcher Wert(ersatz) aus Sicht des Ausgeschlossenen angemessen ist – was grundsätzlich zu einem höheren Wert als im bilanzrechtlichen Zusammenhang führt. Die Beispiele ließen sich beliebig fortführen. Sie genügen aber, um klarzustellen, dass die jeweils anwendbaren Bewertungsgrundsätze unter Berücksichtigung des spezifischen Regelungszusammenhangs abzuleiten sind. Alle Versuche, Rechtsfolgen direkt aus §§ 304 ff ABGB abzuleiten,48 verkennen dies. Das gilt nicht nur für „junge“ Rechtsmaterien, wie das Gesellschaftsrecht, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch nicht oder bloß in rudimentärer Form existierten. Auch im Kernbereich des Zivilrechts sind die Grundsätze der Bewertung primär der jeweils anwendbaren Norm zu entnehmen. So kann sich die Bewertung im Vertrags- und im Erbrecht signifikant unterscheiden. Das sieht im Ergebnis auch die herrschende Lehre; nach dieser hält § 306 ABGB zwar fest, dass der gemeine Preis der Schätzung zugrunde zu legen ist, wenn eine konkrete Norm nichts anderes bestimmt; allerdings sind dafür nicht nur der Wortlaut der Norm, sondern auch ihr Sinn und Zweck zu berücksichtigen.49 Das alles gilt schon im Rahmen des Zivilrechts. Bewertungsfragen stellten sich aber auch in anderen Rechtsgebieten. So enthält zB das Bewertungsgesetz50 zahlreiche Bestimmungen über die Wertermittlung in steuerrechtlichen Zusammenhängen. Diese Bewertungsgrundsätze verfolgen allerdings auch steuerrechtliche Ziele; es geht nicht um den gerechten Ausgleich zwischen Parteiinte48 49
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So zB zur Unternehmensbewertung OGH ecolex 2004/57 (Reich-Rohrwig). Spielbüchler in Rummel I § 306 Rn 1. Auch deswegen unrichtig OGH ecolex 2004/57 (Reich-Rohrwig). Bundesgesetz vom 13. Juli 1955 über die Bewertung von Vermögenschaften, BGBl 1955/148 idgF. Daneben ist auch das Bodenschätzungsgesetz (Bundesgesetz vom 9. Juli 1970 über die Schätzung des landwirtschaftlichen Kulturbodens, BGBl 1970/233 idgF) zu beachten.
IV. Grundlegende Aussagen zur Bewertung
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ressen, dem die Wertermittlung im Zivilrecht grundsätzlich dient, sondern um die Ermittlung der Grundlagen für die Steuerbemessung.51 Diese Zielsetzung schlägt sich auch in unterschiedlichen materiellen Bestimmungen nieder – zB bei der so genannten Einheitsbewertung. Die bewertungsrechtlichen Bestimmungen sind keine Basis für die folgenden Ausführungen.
IV. Grundlegende Aussagen zur Bewertung in den zu behandelnden Rechtsgebieten Es ist nicht Ziel der vorliegenden Arbeit, eine allgemeine Theorie der Bewertung oder gar des Werts im Zivilrecht zu leisten. Das ist wegen der soeben angeführten Zusammenhänge auch kaum möglich. Vielmehr geht es um die Beurteilung von Bewertungsfragen in einzelnen, spezifischen Rechtsgebieten, in denen sich wegen der unterschiedlichen Regelungszusammenhänge auch unterschiedliche Fragen stellen bzw unterschiedliche Antworten auf die gleiche Frage ergeben können. Das macht es schwer, allgemeine Aussagen zu treffen. Dennoch lassen sich einige rote Fäden für die folgenden Untersuchungen ausmachen: 1. Ein wesentlicher Unterschied in der Bewertungspraxis besteht in der Unterscheidung zwischen objektiven Werten, die für alle Teilnehmer am Rechtsverkehr Bedeutung haben, und subjektiven Werten, die sich gerade aus der Stellung des Bewertungsobjekts im Gesamtvermögen des Bewertenden ergeben. Die Arbeit wird zeigen, dass die Bewertung im Ausgangspunkt objektiv ist; das gilt insbesondere für die Überprüfung privatrechtlicher Rechtsgeschäfte auf Äquivalenzstörungen. Die subjektive Bewertung spielt hier zumindest bei der laesio enormis nur eine geringe Rolle: Die subjektive Bewertung wird aber umso wichtiger, je mehr die Willensfreiheit eines Vertragspartners beeinträchtigt ist. Das zeigt sich schon beim Wucher, geht aber noch weit darüber hinaus: Tendenziell sind subjektive Werte dann ausschlaggebend, wenn kein Vertragsabschluss vorliegt, sondern dem Eigentümer eine Sache entzogen wird wie insbesondere bei der Enteignung von Liegenschaften.52 Dann ist grundsätzlich der volle Vermögensnachteil beim Enteigneten zu ersetzen. Auch das ist freilich nur eine Tendenz. Im Einzelfall kann sich aus den Wertungen eines Rechtsgebiets ergeben, dass subjektive Nachteile nicht zu ersetzen sind. Ein solcher Grundsatz ist das gesellschaftsrechtliche Prinzip der Gleichbehandlung, das einer diesbezüglichen Differenzierung zwischen einzelnen ausgeschlossenen Gesellschafter entgegensteht.
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Zu den Zielen vgl nur Doralt/Ruppe, Steuerrecht II Rn 3. §§ 1323 ff ABGB sind aus dieser Sicht eine Ausnahme. Freilich ist sich die Rechtswissenschaft weitgehend einig, dass diese Normen reformiert und ähnlich wie die entsprechenden Normen im BGB werden sollten.
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1. Teil: Bewertung im Zivilrecht
2. Soweit objektive Werte ausschlaggebend sind, ist es nahe liegend, auf am Markt erzielte Preise abzustellen, anstatt eine Bewertung im eigentlichen Sinn vorzunehmen. Das gilt insbesondere bei Instrumenten wie der laesio enormis, die mit grobem Schnitt eine willkürlich gewählte und nur durch historische Überlieferung legitimierte Abweichung über die Hälfte des Werts aufgreift. Hier macht es Sinn, auf einen mit verhältnismäßig hoher Zertität ermittelbaren Wert als Basis für den Wertvergleich aufzusetzen. Marktpreise haben aber grundsätzlich auch dann noch Bedeutung, wenn der subjektive Wert aus Sicht des Bewertenden ermittelt werden soll. Denn der Marktpreis muss immer die Untergrenze für die Bewertung sein: Wenn es keine anderen, höherwertigen Verwendungsmöglichkeiten gibt, steht dem Eigentümer nämlich immer der Verkauf am Markt zu den dort geltenden Konditionen offen. 3. Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob derjenige, der die Sache übernimmt, auch die bei ihm anfallenden Vorteile ganz oder teilweise weitergeben muss. Das passiert beim frei ausgehandelten Vertrag automatisch, weil dem Verkäufer mehr geboten werden muss, als die Sache für ihn subjektiv wert ist, wenn er das Kaufangebot annehmen soll. Die Verhandlung führt modellhaft automatisch zu einer Teilung der Vorteile aus einer Transaktion. Für die Enteignung und den Gesellschafterausschluss ist die Frage differenziert zu beantworten. Soweit der Eingriff wie bei der klassischen Enteignung zugunsten der öffentlichen Hand vor allem im öffentlichen Interesse erfolgt, genügt es, den subjektiven Wert der Sache bei demjenigen zu ersetzen, dem sie entzogen wird. Es ist geradezu Zweck der Enteignung, diese Vorteile der Gemeinschaft zu Lasten des Enteigneten zuzuweisen. Je stärker jedoch das öffentliche Interesse hinter dem privaten Interesse an der Maßnahme zurücktritt, desto weniger ist es gerechtfertigt, vom Verhandlungsmodell abzuweichen. Vorteile aus der Transaktion sind vor allem beim Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern mit diesen zu teilen. Der Wert darf in diesen Fällen nicht allein aus Sicht desjenigen bestimmt werden, dem die Sache entzogen wird. Letztlich kommt ein weiterer, eher genereller Aspekt hinzu: Je geringer die Richtigkeitsgarantie einer privatrechtlichen Transaktion ist, weil zB die Willensbildung der Vertragsparteien nicht unabhängig voneinander oder unter unzureichenden Informationen erfolgt ist, desto größerer Bedeutung kommt einem materiellen Verständnis der Vertragsgerechtigkeit zu. Das ist für das klassische Zivilrecht nichts Neues, muss aber im Gesellschaftsrecht gesondert betont werden. Insbesondere bei der Verschmelzung zweier Gesellschaften geht die (noch?) herrschende Lehre und auch der Gesetzestext undifferenziert von einer vollen Überprüfung der Transaktionsbedingungen aus – selbst wenn der Verschmelzung eine freie Verhandlungssituation vorausgegangen ist.
V. Methodischer Exkurs: Rechtsökonomik und Rechtsdogmatik
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V. Methodischer Exkurs: Rechtsökonomik und Rechtsdogmatik Für die rechtsdogmatische Beurteilung der hiemit angesprochenen Themen sind ökonomische Ansätze und Denkmuster unentbehrlich. Über Wert und Preis lassen sich keine rechtlichen Aussagen treffen, ohne die diesbezüglichen Erkenntnisse der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre zu berücksichtigen. Für die vorliegende Arbeit sind die Wirtschaftswissenschaften daher wichtig; sie sind freilich nur Hilfswissenschaften für die rechtsdogmatische Analyse, ohne dass ein eigener Erkenntnisgewinn für die Ökonomie angestrebt wird. Die Arbeit zielt auch nicht auf eine rechtsökonomische Untersuchung des geltenden Rechts ab; wohlfahrtsökonomische Argumente werden für heuristische Zwecke zwar herangezogen, aber immer kritisch überprüft und zum Teil auch für die dogmatische Beurteilung verworfen. Für die vorliegende Arbeit wird zum Teil auf Gedankengänge der ökonomischen Analyse des Rechts zurückgegriffen, wenn einzelne rechtliche Regeln oder größere Problemfelder analysiert werden. Die Analyse wird aber an keiner Stelle dem in diesem Zusammenhang zumeist ausschlaggebenden Ziel der Wohlfahrtssteigerung eine absolute Stellung einräumen. Hier ist kurz auf die Gründe dafür einzugehen.53 Die folgende Skizze soll zunächst eine Rechtfertigung für den heuristischen Wert der ökonomischen Analyse im Rahmen der folgenden Arbeit geben, darüber hinaus aber auch die aus meiner Sicht besonders zu hinterfragenden Aspekte dieses Ansatzes hervorheben, die für die dogmatische Analyse auch Grenzen der Leistungsfähigkeit dieser Methode aufzeigen.
A. Rechtsökonomik und Rechtsdogmatik Die ökonomische Analyse des Rechts hat sowohl normative als auch positive Bedeutung;54 neben Handlungsempfehlungen an den Gesetzgeber soll sie auch beantworten, was rechtens ist. Im Rahmen der folgenden Arbeit wird schon wegen ihrer dogmatischen Zielsetzung die positive Bedeutung im Vordergrund stehen; freilich ist es nicht schwer, aus den zu einzelnen Aspekten ver-
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Es geht nicht darum, grundsätzlich die Folgenorientierung bzw die ex anteBeurteilung dieses Ansatzes anzugreifen oder auch nur die Anwendung des Effizienzprinzips auf die Rechtsordnung generell darzustellen. Zu all dem gibt es ausreichend Stellungnahmen, sowohl positive (nur aus dem deutschsprachigen Schrifttum: Schäfer/Ott, Lehrbuch passim; Weigel, Rechtsökonomik passim; Ruffner, Grundlagen 3 ff; Ott/Schäfer, JZ 1986, 213) als auch negative (nur aus dem deutschsprachigen Schrifttum: die ausgewogene Kritik bei Eidenmüller, Effizienz passim; Assmann in Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse 17 ff; F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 283 ff. Scharf ablehnend Fezer, JZ 1986, 817; ders, JZ 1988, 223). Für alle Posner, Economic Analysis 24 ff (freilich vor dem grundsätzlich unterschiedlichen Hintergrund eines Fallrechtssystems).
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1. Teil: Bewertung im Zivilrecht
tretenen Positionen auch rechtspolitische Aussagen abzuleiten, so dies nicht ohnehin explizit erfolgt. Die radikale Anwendung des wohlfahrtsökonomischen Ansatzes auf das positive Recht bedeutet, dass durch rechtliche Regelungen Ressourcen immer zu demjenigen Rechtssubjekt gebracht werden, das den höchsten Nutzen aus ihnen zieht.55 Das Rechtssystem stellt zumindest für die Vertreter der Chicagoer Schule grundsätzlich auf die Wohlfahrtssteigerung ab. Das gilt insbesondere für das Zivilrechtssystem, während Verteilungsaspekte im Steuerrecht und bei der Gewährung staatlicher Transferleistungen zu berücksichtigen sein sollen. Die Verteilung von property rights zielt nach diesen Vorstellungen weder auf eine gerechte Verteilung der Verfügungsrechte noch auf eine gleich bleibende Verteilung im Sinne einer ausgleichenden Gerechtigkeit ab; ihr Ziel ist vielmehr die Steigerung des gesellschaftlichen Nutzens, der sich wiederum aus den Nutzen der einzelnen Wirtschaftssubjekte ergibt (Individualismus).56 Das Gleiche gilt dann auch für das Vertragsrecht. Eine bescheidenere positive Zielsetzung des rechtsökonomischen Programms erkennt zumindest grundsätzlich an, dass das Rechtssystem nicht zur Gänze auf ein Ziel ausgerichtet ist.57 Diese abweichenden Ziele können jedoch schon aufgrund der angewandten Methode bei der ökonomischen Analyse nicht berücksichtigt werden.58 Ein wesentlicher Bedeutungsinhalt rechtlicher Normen wird damit von vornherein aus der Betrachtung ausgeklammert. Zahlreiche zivilrechtliche Bestimmungen sollen zB einen Ausgleich für besondere Belastungen erreichen, wie im Vertragsrecht unter anderem die in der Folge ausführlich zu behandelnden Institute des Wuchers und der laesio enormis.59 Solche Lösungsrechte von grundsätzlich privatautonom abgeschlossenen Verträgen lassen sich nur beschränkt durch Rückgriff auf die Wohlfahrtsökonomik erklären, sondern besser dadurch, dass die Ergebnisse einer bloß auf Effizienzsteigerung ausgerichteten Norm zu untragbaren Nachteilen für einzelne Teilnehmer am Rechtsverkehr führen würden. Andere Normen, die quantitativ wohl überwiegen, sollen Produktionsfaktoren dem besten Nutzer zuordnen. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen sind bei der Beurteilung des geltenden Rechts anzuerkennen; das ergibt sich schon aus dem Primat des gesetzgeberischen Willens. 55
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Das gilt zumindest dann, wenn Transaktionskosten bestehen. In einer Welt ohne Transaktionskosten ist die ursprüngliche Ressourcenverteilung nach dem berühmten Coase-Theorem für die effiziente Ressourcenallokation (nicht aber für Verteilungsfragen) ohne Bedeutung. Für alle Shavell, Foundations 597 f. Zu den Berücksichtigungsverboten verschiedener „unerwünschter“ Präferenzen vgl zB Schäfer/Ott, Lehrbuch 45 ff; Eidenmüller, Effizienz 326 ff. Posner, Economic Analysis 14 f. F Bydlinski, Methodenlehre 331; ders, Rechtsgrundsätze 283; Mercuro/Medema, Economics 24. Vgl instruktiv F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 284 in Fn 431.
V. Methodischer Exkurs: Rechtsökonomik und Rechtsdogmatik
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Die Aussagen der ökonomischen Analyse sind also im klassischen Auslegungskanon zu berücksichtigen und zwar im Rahmen der teleologischen Methode. Auch dort können sie aber keine Ausschließlichkeit beanspruchen.
B. Rechtsökonomik und Gerechtigkeit 1. Grundposition nach dem Effizienzkriterium Die Ökonomische Analyse des Rechts steht nach wohl herrschender Ansicht60 auf der Basis des Utilitarismus. Wie für alle utilitaristischen Ansätze stellt sich auch für sie das von Robbins61 scharf umrissene Problem des interpersonellen Nutzenvergleichs.62 Wenn beurteilt werden soll, ob durch eine Transaktion oder durch eine Norm der Gesamtnutzen gesteigert wird, dann müssen etwaige Nutzenverluste bei einem Rechtssubjekt mit Nutzengewinnen bei einem anderen in Beziehung gesetzt werden können. Das erfordert zunächst63 einen Maßstab, mit dem „Nutzen“ gemessen wird. Für die praktische Anwendung im Rahmen der ökonomischen Analyse des Rechts wird der Nutzen zumeist mit der Zahlungsbereitschaft gleichgesetzt.64 Dies ist zwar nicht zwingend mit der rechtsökonomischen Betrachtung verbunden,65 sondern grundsätzlich bloß der (frühere) Ansatz der Chicagoer Schule;66 da es jedoch an anderen Maßstäben für die Nutzenmessung fehlt, wird die Maximierung des Gesamtvermögens selbst von sonst kritischen Rechtsökonomen in der konkreten Anwendung regelmäßig als Annäherung an die Maximierung des Nutzens eingesetzt.67 Die zweite wesentliche Wertungsfrage ist, ob bei einzelnen Individuen Wohlfahrtsverluste eintreten dürfen oder nicht, damit von einer Steigerung der Wohlfahrt gesprochen werden kann. Diese Problematik ist unter den Stichworten „Pareto-Superiorität“ und „Kaldor/Hicks-Kriterium“ einzuordnen. Ein Zustand ist Pareto-superior, wenn zumindest ein Rechtssubjekt ge-
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Näher Eidenmüller, Effizienz 173 ff. Vgl aber Posner, Overcoming Law 387 ff (Pragmatismus als Fundierung für law and economics). Robbins, Essay passim. Instruktiv Cooter/Rappaport, 22 J Econ Lit 507 (1984). Vgl aus der rechtswissenschaftlichen Literatur kurz und prägnant F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 269 ff; zum Problem bei ideellem Schaden vgl dens, aaO 280 f; Schäfer/Ott, Lehrbuch 40 f. Zu ordinalem und kardinalem Nutzenvergleich näher Eidenmüller, Effizienz 42 ff 189 ff. Daneben muss die ökonomische Analyse auch mit dem Problem der verzerrten Präferenzbildung wegen mangelnder Information oder mangelnder Kapazität zur Informationsverarbeitung zu Rande kommen. Vgl im Überblick Kaplow/Shavell, Fairness 410 ff. Vgl Weigel, Rechtsökonomik 21 f; Schäfer/Ott, Lehrbuch 33 f, 38 ff. Vgl Kaplow/Shavell, Fairness 35 ff; Calabresi, 8 Hofstra L Rev 553 (1980). Vgl zB Posner, 8 J Leg Studies 103 (1979). Im Überblick Mercuro/Medema, Economics 59 f. Kaplow/Shavell, Fairness 36 f.
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1. Teil: Bewertung im Zivilrecht
genüber dem ursprünglichen Zustand besser gestellt wird, aber kein anderes schlechter.68 Soweit also ein neuer Umweltzustand oder eine rechtliche Regel zu einer Schlechterstellung einzelner Teilnehmer führen könnte, muss diese durch die Bessergestellten tatsächlich ausgeglichen werden. Das kann nur passieren, wenn der Nutzen der Gewinner die Nachteile bei den Verlierern übersteigt. Zu Recht wird jedoch angemerkt, dass eine Entscheidung über den Inhalt einer rechtlichen Norm69 auf dieser Basis in den meisten Fällen nicht möglich ist, weil nahezu jede neue Norm einzelne Teilnehmer am Rechtsverkehr gegenüber anderen bevorzugt, ohne dass faktisch ein Ausgleich erfolgen kann.70 Daher wird für die praktische Anwendung im Rahmen von law and economics von den meisten Autoren das so genannte Kaldor/Hicks-Kriterium bevorzugt.71 Nach diesem ist ein Zustand einem anderen vorzuziehen, wenn die Vorteile der Gewinner so groß sind, dass sie die Nachteile der Verlierer kompensieren könnten; es kommt jedoch nicht darauf an, dass diese Kompensation auch tatsächlich erfolgt.72 Besonders häufig wird auch eine zentrale Modellannahme der ökonomischen Analyse in Zweifel gezogen, nämlich die Annahme, dass die Akteure rational handelnde Nutzenmaximierer sind.73 In jüngster Zeit rücken Phänomene der bounded rationality vermehrt in den Mittelpunkt der Forschungsanstrengungen, was untrennbar mit Herbert Simon und den von ihm beeinflussten behavioral law and economics verbunden ist.74
2. Kritik Wenn Vor- und Nachteile monetär bewertet werden, wird erstens die Maximierung des Nutzens durch diejenige des Gesamtvermögens ersetzt. Der Nutzenbegriff des Utilitarismus wird auf monetär bewertbare Positionen 68 69 70
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Für alle Varian, Grundzüge 14 f. Sei diese Entscheidung rechtsdogmatisch, sei sie rechtspolitisch. Vgl Feldmann in Palgrave III 9. Das gilt allerdings nicht, wenn der Benachteiligte die Möglichkeit hat, seine zusätzlichen Kosten auf Dritte abzuwälzen, wie dies insbesondere im Vertragsrecht häufig der Fall ist; vgl Schäfer/Ott, Lehrbuch 25 f. Zu diesem zB Feldman in Palgrave II 417 ff; Eidenmüller, Effizienz 51 ff; Schäfer/Ott, Lehrbuch 31 ff. Kritisch zB Kaplow/Shavell, Fairness 458 ff. Vgl treffend Polinski in Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse 108 ff. Vgl aus jüngerer Zeit zB Eidenmüller, JZ 2005, 216; Rittner, JZ 2005, 668; antikritisch zB Kirchner, Theorie 13 ff. Vgl im Überblick Sunstein, 64 U Chi L Rev 1175 (1997); Kreps in Palgrave I 168 ff; Eisenberg in Palgrave I 282 ff; Ulen in Grundmann, Party Autonomy 111 ff; Jolls/Sunstein/Thaler in Sunstein, Behavioral Law and Economics 13 ff; jüngst auch Jolls/Sunstein, 35 J Leg Studies 203 ff (2006); aus dem deutschsprachigen Schrifttum vgl den Überblick bei Schäfer/Ott, Lehrbuch 65 ff; Eidenmüller, JZ 2005, 216.
V. Methodischer Exkurs: Rechtsökonomik und Rechtsdogmatik
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reduziert.75 Auch immaterielle Werte werden aus der Betrachtung ausgeklammert. Daran ändert sich nichts, wenn man die Vermögensvermehrung nur als Indikator für die Wohlfahrtssteigerung ansieht; im Modell ist für abweichende Kriterien, die nicht ohne weiteres quantifizierbar sind, kein Platz. Auch wenn explizit nur Aussagen über die Vermögensmaximierung getroffen werden, wird implizit doch die Botschaft vermittelt, dass eine vermögensmaximierende Regel sozial zu präferieren ist. Alles andere kann schließlich nicht gemessen werden. Kaplow und Shavell76 erkennen zB an, dass die Berücksichtigung von soft variables teilweise unterbleibt, verstehen das aber als Aufruf zu besserer Analyse und nicht als grundsätzliches Gegenargument. Es kann aber nicht gelingen, alle ideellen Werte in überzeugender Weise in eine quantitative Beurteilung einzubeziehen; daher geht es um die Grenzen des rechtsökonomischen Ansatzes, nicht aber um seine Verbesserung. Völlig unverständlich wäre es aber, aus dem Partialcharakter dieser Analyse ein grundsätzliches Gegenargument gegen ihre Anwendung abzuleiten.
Wenn man die Effizienz anhand der Zahlungsbereitschaft misst, werden zweitens Einkommenseffekte vernachlässigt.77 Denn die Zahlungsbereitschaft eines Individuums steigt mit den ihm zur Verfügung stehenden monetären Mitteln; mit anderen Worten: Der Grenznutzen des Geldes nimmt mit zunehmendem Reichtum ab. Hinzu kommen Besitzeffekte (endowment effects):78 Hält ein Individuum eine Rechtsposition, so bewertet es diese empirisch belegbar höher, als wenn sie erst erworben werden soll;79 in der Sache hängt die Entscheidung über den Wert davon ab, wie die zu beantwortende Frage gestellt wird (framing-Effekt). Solche Einkommens- und Besitzeffekte treten tendenziell bei Privaten auf.80 Wenn sie nicht berücksichtigt werden, führt dies zu einer systematischen Benachteiligung dieser Teilnehmer am rechtsgeschäftlichen Verkehr gegenüber Unternehmen. Damit hängt das Ergebnis der rechtsökonomischen Analyse auch von der ursprünglichen Verteilung ab.81 75 76 77
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Eidenmüller, Effizienz 181 ff. Kaplow/Shavell, Fairness 454 f Vgl Eidenmüller, Effizienz 116 ff; Assmann in Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse 40 f; Cooter/Rappaport, 22 J Econ Lit 526 (1984). So auch F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 273. Zu diesen zB Kahnemann/Knetsch/Thaler, 98 J Pol Econ 1325 (1990); dies in Sunstein, Behavioral Law and Economics 211; Korobkin in Sunstein, Behavioral Law and Economics 116; Eidenmüller, JZ 2005, 218 f mwN. Dieses Phänomen steht zu dem aus den Wirtschaftswissenschaften bekannten Opportunitätskostendenken in krassem Gegensatz; vgl Schäfer/Ott, Lehrbuch 67; Ruffner, Grundlagen 49 f. Vgl zu Besitzeffekten Arlen/Spitzer/Talley, 31 J Leg Studies 1 (2002); Jolls/Sunstein, 35 J Leg Studies 222 ff (2006). Vgl auch Posner, Economic Analysis 16.
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1. Teil: Bewertung im Zivilrecht
Der ökonomische Ansatz ist gegenüber diesen Aspekten blind. Verteilungsaspekte werden bei der Maximierung des Gesamtnutzens ausgeklammert.82 Das gilt natürlich nicht grundsätzlich, aber doch immer dann, wenn – wie regelmäßig in der praktischen Anwendung – auf die Zahlungsbereitschaft83 abgestellt und das Kaldor/Hicks-Kriterium herangezogen wird. Der diesem Kriterium inhärente Verzicht auf die tatsächliche Entschädigungsleistung wird auch mit sonst anfallenden Transaktionskosten der Entschädigung gerechtfertigt.84 Im Übrigen trete bei wiederholter Anwendung des Kaldor/Hicks-Kriteriums eine Generalkompensation ein: Gewinne und Verluste gleichen sich langfristig aus.85 Das setzt freilich in der Sache voraus, dass es keine systematischen Gewinner und Verlierer gibt, was in dieser Allgemeinheit wohl zu bezweifeln ist und insbesondere nur anhand der realen Umstände im zu beurteilenden Lebensbereich beurteilt werden kann.86 Das heißt freilich nicht, dass das Ziel der Verteilung des Vermögens von (allen) Rechtsökonomen generell negiert wird.87 Zumeist geht es nur um die Frage, welches Rechtsgebiet für diese Verteilung zuständig sein soll. Effizienzorientierte Wissenschafter treten für eine arbeitsteilige Organisation der Rechtsgebiete ein: Aufgabe des Zivilrechts solle es lediglich sein, die Ressourcen an den Ort ihrer besten Verwendung zu lenken, während untragbare Belastungen durch gesonderte Transferleistungen ausgeglichen werden sollen.88 In der Sache wird damit auf das Steuer- und Sozialrecht verwiesen, deren Zweck geradezu im Ausgleich von Benachteiligungen liege. Durch diese Aufgabenteilung würden im Regelfall Transaktionskosten eingespart und Effizienzverluste vermieden. Soweit also in einer konkreten Situation ein Zielkonflikt zwischen Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit besteht, ist dieser im
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Vgl F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 159 f. Stellt die ökonomische Analyse auf den Nutzen ab, so kann sie Verteilungsaspekte theoretisch berücksichtigen; vgl Kaplow/Shavell, Fairness 28 ff. Schäfer in Ott/Schäfer, Allokationseffizienz 3. Vgl Kaplow/Shavell, Fairness 33; Ruffner, Grundlagen 40 ff. Angemerkt sei, dass es bei den meisten Verteilungsfragen im zivilrechtlichen Zusammenhang nicht um die Frage der austeilenden Gerechtigkeit geht, sondern um das viel engere Konzept der ausgleichenden Gerechtigkeit, nach dem die ursprüngliche Verteilung des Gesamtvermögens durch das Recht zu respektieren ist. Darauf werde ich im 2. Teil zurückkommen. Manche Ökonomen – wie zB Hayek – lehnen die Umverteilung hingegen grundsätzlich ab. Man kann versuchen, das mit dem (nicht überzeugenden) Generalkompensationsargument zu begründen; das verkennt, dass es häufig systematische Gewinner und Verlierer gibt; so zu Recht Schäfer/Ott, Lehrbuch 35 ff (siehe auch aaO 52 f). Kaplow/Shavell, 23 J Leg Studies 667 (1994); dies, Fairness 33 f; Polinsky, Introduction 147 ff; Shavell, Foundations 647 ff; Cooter/Ulen, Law & Economics 111 f; Polinsky/Shavell, Economic Analysis 32 f; Schäfer/Ott, Lehrbuch 7, 30 f; Ott/Schäfer, JZ 1988, 221 f.
V. Methodischer Exkurs: Rechtsökonomik und Rechtsdogmatik
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Zivilrecht zugunsten der Effizienz zu lösen; private Allokationsentscheidungen werden somit nicht verzerrt. Ich halte diese Argumentation – gemeinsam mit Vertretern neuerer Ansätze der rechtsökonomischen Verhaltensforschung –89 nicht für tragfähig. Erstens gibt es Eingriffe, die wegen ihres Gewichts für die Vermögenspositionen des Einzelnen nur schwerlich durch Transferleistungen ausgeglichen werden können; hier schlägt mE das Argument des Primats der Allokationseffizienz des Zivilrechts nicht mehr durch. Zweitens und damit zusammenhängend kommen Transferleistungen häufig zu spät, so es überhaupt möglich sein sollte, alle wünschenswerten Fälle zu erfassen. Drittens ist es nicht auszuschließen, dass es bei rein effizienzorientierter Ausgestaltung des Zivilrechts systematische Verlierer gibt; das sind wohl insbesondere jene Marktteilnehmer, deren Verhalten von der Rationalitätshypothese abweicht.90 Wenn aber ganze Verkehrskreise ihr Vertrauen in die Angemessenheit des Marktmechanismus für ihre persönliche Bedürfnisbefriedigung verlieren,91 ist es wohl nicht ausreichend, sie unter Bezugnahme auf einen Wohlfahrtsgewinn bei Dritten auf den Ausgleich durch Transferleistungen zu verweisen. Abgesehen davon, dass diese selbst mit hohen Transaktionskosten verbunden sind und ihr Erhalt nicht mit Sicherheit gegeben ist, kann so ein Vertrauensverlust dazu führen, dass sich die Beteiligten von der Teilnahme am Markt verabschieden. Ausschlaggebend für das Funktionieren des Marktes ist auch der Erwartungshorizont der Marktteilnehmer, der nicht auf abstrakte Wohlfahrtsgewinne, sondern vor allem auf persönliche Bedürfnisbefriedigung gerichtet ist.92 Das wird auch dahingehend umschrieben, dass durch mangelnde Kompensation die Investitionsanreize der Verlierer sinken können.93 Freilich wären auch diese Aspekte theoretisch in einem Modell eines effizienten Zivilrechts zu berücksichtigen. Dann verliert das Konzept einerseits wegen der mangelnden Messbarkeit, andererseits aber auch wegen der zunehmenden Komplexität rasch an operationaler Brauchbarkeit. Es kann daher auch nicht überraschen, dass die entsprechenden Aspekte bei der Analyse von Detailproblemen zumeist nicht berücksichtigt werden.94
Richtig ist allerdings der Hinweis der ökonomischen Analyse des Rechts, dass die Verfolgung der (ausgleichenden oder austeilenden) Gerechtigkeit mit Mitteln des Zivilrechts häufig in einem Zielkonflikt mit der Allokationseffi-
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Vgl Jolls in Sunstein, Behavioral Law and Economics 288; dies, 51 Vand L Rev 1653 (1998). Dazu zB im Überblick Kreps in Palgrave I 168 ff; Schäfer/Ott, Lehrbuch 65 ff. In vergleichbarem Zusammenhang siehe Kaplow/Shavell, Fairness 217. Zumindest diese Argumentationslinie, wenn auch nicht das Ergebnis, müsste mit der Ansicht der meisten Wohlfahrtsökonomen übereinstimmen; vgl Shavell, Foundations 608 ff. Eidenmüller, Effizienz 158 ff mwN. Zur Beschränkung auf Partialmärkte vgl Eidenmüller, Effizienz 161 ff.
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1. Teil: Bewertung im Zivilrecht
zienz steht. Die Wohlfahrtsverluste einzelner Entscheidungen werden durch die Anwendung dieser Methode offen gelegt, was grundsätzlich zu rationaler Rechtsfindung beiträgt.95
C. Folgerungen für Rechtsdogmatik und Rechtspolitik Die genannten Kritikpunkte und weitere, die nicht näher ausgeführt wurden, rechtfertigen es nicht, die ökonomische Analyse rechtlicher Normen aus dem Blickwinkel der Allokationseffizienz abzulehnen. Diese Analyse ist ein wichtiger Aspekt für die Beurteilung rechtlicher Normen. Das gilt nicht nur für die rechtspolitische, sondern auch für die rechtsdogmatische Analyse. Die soeben aufgezeigten Grenzen verbieten es jedoch, die Ergebnisse der wohlfahrtstheoretischen Beurteilung für verbindlich zu halten, insbesondere wenn sie unter Anwendung des Kaldor/Hicks-Kriteriums auf die Vermögensmaximierung abstellt. Diese Skepsis wiederum gilt nicht nur für die Rechtsdogmatik, sondern auch für die Rechtspolitik. Im Zentrum der folgenden Untersuchungen steht die rechtsdogmatische Betrachtung. Bei dieser unterliegt die Entscheidung über die Bedeutung des Effizienzprinzips dem Rechtsanwender. Dieser muss auf Basis der im konkreten Zusammenhang aufzufindenden Wertungen entscheiden. Wohlfahrtsökonomische Überlegungen und hierbei vor allem Gesichtspunkte der Allokationseffizienz sind umso eher ausschlaggebend, je eher dies dem Zweck einer Norm oder eines Rechtsgebiets entspricht. Die Entscheidung über die mit einer Norm verfolgten Zwecke ist aber in einem auf Gesetzesrecht basierenden Rechtssystem grundsätzlich ein Prärogativ des Gesetzgebers. An den von ihm vorgegebenen Zielen ist die vorliegende Untersuchung daher orientiert – soweit diese Ziele erkennbar sind. Das ist soweit ersichtlich grundsätzlich unumstritten. Das Problem der richtigen Auslegung stellt sich vor allem dann, wenn der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck nicht eindeutig ermittelbar ist.96 Hier kann dem Effizienzprinzip aus meiner Sicht vor allem dann Bedeutung zukommen, wenn das dem geregelten Lebenssachverhalt angemessen ist;97 Ökonomie ist eben nicht nur Methode,98 die sich mit Bedürfnissen bei Ressourcenknappheit beschäftigt. 95
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Vgl F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 287 ff; Schwintowski, JZ 1998, 587; Gelter, Unabhängigkeit 22. Vgl Eidenmüller, Effizienz 454 ff. Vgl F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 283: „Ihr [der ökonomischen Analyse] einfacher Kerngedanke ist es, die Normen und Institute der Rahmenordnung des Marktes mit dessen Meßinstrumenten, also auf ihre wirtschaftliche Effektivität, zu überprüfen.“ [Hervorhebung durch den Verfasser] Ähnlich auch Eidenmüller, Effizienz 457 f: Anwendung des Effizienzprinzips bei der ergänzenden Vertragsauslegung, wenn die Vertragspartner homines oeconomici sind. Freilich hat gerade die Anwendung der ökonomischen Analyse auf marktferne Themenbereiche dem Rechtsökonomen der Chicago-school Gary S Becker 1992
V. Methodischer Exkurs: Rechtsökonomik und Rechtsdogmatik
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Ihre höchste Überzeugungskraft entwickelt der ökonomische Ansatz in Bereichen, in denen die von ihm ausgeblendeten Faktoren tendenziell wenig Bedeutung haben. Das sind im Kern Marktprozesse, an denen typischerweise auf Gewinn gerichtete, professionelle Akteure teilnehmen, wie zB am Kapitalmarkt; hier kommt der Forderung nach effizienter Ausgestaltung des Rechts auch de lege lata ganz überragende Bedeutung zu.99 Hier stört auch kaum, dass andere als Vermögenseffekte ausgeblendet werden. In Bereichen, in denen die bei einer konkreten ökonomischen Analyse vernachlässigten Aspekte aber nach allgemeiner Überzeugung größere Bedeutung haben, können auch ihre Ergebnisse weniger Bedeutung beanspruchen. Das gilt einerseits schon bei Geschäften mit privaten Marktteilnehmern,100 vor allem aber bei gänzlich marktfernem Verhalten.101
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den Nobelpreis eingebracht. Vgl zum expandierenden Gegenstandsbereich auch Kirchner, Theorie 10 ff. Ähnlich Eidenmüller, JZ 2001, 1041 (mit Einschränkungen auf 1045). Vgl die oben (B. 2.) angesprochenen Aspekte der bounded rationality. Vgl Ulen in Grundmann, Party Autonomy 110 f.
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen I. Vorbemerkungen A. Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit In diesem Teil geht es um den zivilrechtlichen Kern des Themas: Unter welchen Umständen versagt die Rechtsordnung abgeschlossenen Verträgen ausnahmsweise die rechtliche Wirksamkeit, wenn Leistung und Gegenleistung nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen? Kernthema ist die ausgleichende Gerechtigkeit im aristotelischen Sinn;1 gerecht ist der Vertrag nach diesem Konzept, wenn der Anteil jedes Vertragspartners an den Gesamtressourcen der Gesellschaft durch den Vertragsabschluss nicht beeinflusst wird. Damit geht es nicht um die richtige Verteilung der Ressourcen auf die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft; diese austeilende Gerechtigkeit bleibt für Zwecke dieser Arbeit ausgeklammert, unter anderem weil ich – insofern ganz im Einklang mit der herrschenden rechtsökonomischen Ansicht – meine, dass diese Verteilung der Ressourcen nicht mit Mitteln des Vertragsrechts erfolgen soll. Mit diesem Thema begibt sich die Arbeit mitten in ein grundlegendes Spannungsverhältnis des Vertragsrechts, nämlich in dasjenige zwischen Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit. Ich meine, dass dies zwei nicht mit einander vereinbare Prinzipien sind. Von einer „materiellen Vertragsfreiheit“ zu sprechen, verschleiert den Gegensatz mE nur. Es ist nicht möglich, den einen Grundsatz mit dem anderen zu erklären. Vielmehr ist zu entscheiden, welchem Prinzip in einem gegebenen Zusammenhang der Vorrang zukommen soll. Keiner der beiden Grundsätze ist im ABGB in seiner reinen Form verwirklicht; das gilt auch für alle anderen Zivilrechtsordnungen. Es ist unbestritten, dass es keine generelle Kontrolle der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung gibt; insoweit hat sich die Vertragsfreiheit durchgesetzt. Ebenso wenig ist es aber möglich, die andere Vertragspartei durch Lug und Trug zum Abschluss eines für sie nachteiligen Vertrags zu bringen; hier kommt die Idee der Vertragsgerechtigkeit zum Durchbruch. Das könnte den Rechtsanwender zu der Feststellung führen, dass grundsätzlich Vertragsfreiheit herrscht; diese gelte nur dann nicht, wenn der Vertragsabschluss selbst fehlerhaft gewesen ist und dadurch die Willensfreiheit der im Ergebnis benachteiligten Partei beeinträchtigt gewesen ist. Freilich 1
Zu den Gerechtigkeitsbegriffen ausführlich F Bydlinski, Methodenlehre 335 ff (zur ausgleichenden Gerechtigkeit 357 ff). Zur aristotelischen Gerechtigkeitskonzeption vgl jüngst Harke, Vorenthaltung 11 ff; Oechsler, Gerechtigkeit 55 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
verschiebt dieses Konzept der procedural justice2 das Problem nur auf eine andere Ebene.3 Denn die Frage muss hier lauten: Unter welchen Bedingungen liegt eine relevante4 Beeinträchtigung der Willensfreiheit vor? Mit anderen Worten: Unter welchen Nebenbedingungen sind Äquivalenzstörungen aufzugreifen? Diese zentrale Frage soll in den folgenden Ausführungen behandelt werden. Es gibt in diesem Bereich viele Grauzonen, die womöglich sogar im Vergleich zu den mit Sicherheit beantwortbaren Fragen überwiegen. Das überrascht zunächst, weil die hier angesprochenen Probleme weder besonders komplex noch in ihrem Kern erst durch die jüngere sozial- und rechtspolitische Entwicklung nach oben gekehrt worden sind. Jedoch berührt die Äquivalenzstörung beim Kaufvertrag tiefe menschliche Grundüberzeugungen über die grundlegenden Zwecke nicht nur der Rechtsordnung, sondern auch der menschlichen Gesellschaft; dies wird besonders deutlich, weil aufgrund der Griffigkeit der Problematik die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zu diesen Themen nach meiner Erfahrung ungewöhnlich heftig vorgetragen wird. Diese soeben angesprochenen Grundüberzeugungen variieren sehr stark zwischen den einzelnen Individuen, weswegen letztlich auch die rechtliche Beantwortung der Fragen bisher nicht eindeutig erfolgt ist – und wohl auch in Zukunft immer ein verschieden beantworteter Dauerbrenner der juristischen Diskussion bleiben wird.
B. Untersuchungsgegenstand In der folgenden Untersuchung soll die fehlerhafte Durchführung eines rechtsgültig abgeschlossenen Vertrags außer Betracht bleiben; hier ist nicht der Vertrag an sich unangemessen, sondern (bloß) die Vertragserfüllung nicht vereinbarungsgemäß. Demzufolge unterscheidet sich auch der juristische Zugang: Prinzipiell geht es in jenen Fällen darum, den Vertragspartner zur vertragskonformen Leistung zu bewegen; nur wenn dies versagt, wird der Vertrag angepasst5 oder auch ganz aufgehoben. In dieser Arbeit geht es hingegen nicht um das soeben angesprochene Recht der Leistungsstörungen, sondern um die Willensbildung. Die Grundfrage ist: Wenn ein Teil durch den Vertrag übervorteilt wird, kann er sich von diesem lösen oder stehen ihm sonst Rechtsbehelfe zu? Und damit zusammen-
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Zu diesem zB Gordley, 69 Cal L Rev 1633 ff (1981) mwN. Überzeugend Harke, Vorenthaltung 63. Zu deterministischen Vorstellungen, die in manchen Ausprägungen die Existenz von Willensfreiheit schlechthin abstreiten, vgl aus verfassungsrechtlicher Sicht jüngst Heun, JZ 2005, 853. Dies kann zB durch die gewährleistungsrechtliche Preisminderung, aber auch durch Schadenersatzpflichten (Naturalrestitution, in einem untechnischen Verständnis auch durch Geldersatz) geschehen.
I. Vorbemerkungen
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hängend: Wann ist man überhaupt übervorteilt? Das ist die zentrale Frage der Austauschgerechtigkeit. Bei diesem Ansatz sind die oft im Mittelpunkt stehenden vertraglichen Nebenbestimmungen, die einen Vertragsteil benachteiligen können und in der Konsumentenschutzgesetzgebung der letzten Jahrzehnte zunehmend aufgegriffen wurden,6 nicht zentral; sie werden in der Folge auch nicht behandelt. Untersuchungsgegenstand sind nur die zentralen Vertragsbestandteile: Leistung und Gegenleistung.7 Die Untersuchung erfolgt anhand des Kaufvertrags,8 welcher auch sonst Prototyp nicht nur für Zielschuldverhältnisse, sondern ganz allgemein für antagonistische Verträge9 ist. Untersuchungsgegenstand soll auch nur die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sein. Später auftretende Disparitäten sind nach anderen Regeln zu beurteilen: bei synallagmatischen Verträgen nach dem Gewährleistungsrecht, im Kauf- und Tauschrecht anhand der nachträglichen laesio enormis (§ 1048 ABGB), allenfalls auch unter Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.10 Und schließlich möchte ich auch die Frage des Zwangs und vergleichbarer Tatbestände11 weit gehend ausschließen, weil andere Probleme auftreten als bei „irrtumsinduzierten“ Äquivalenzstörungen. Wenn es für den gegebenen Untersuchungsgegenstand eine zentrale Norm des österreichischen Zivilrechts gibt, so ist es die Anfechtung des Vertrags wegen Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB). Wie aber schon der einleitende historische Überblick zeigen wird, geht es nicht an, dieses Institut isoliert zu behandeln; vielmehr führt die ratio der Norm direkt zu verwandten Instrumenten, die subjektive Elemente hervorheben: die Freiheit der Willensbildung von Irrtümern (arglistig herbeigeführt oder anders entstanden) und das Ausnützen subjektiver Willensschwächen bzw der (situationsbedingten, charakterlichen oder intellektuellen) Unterlegenheit des Vertragspartners. Die entsprechenden Normen sind daher an gegebener Stelle in die Untersuchung 6 7
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Vgl nur § 879 Abs 3 ABGB und § 6 KSchG. Ein Vertrag kann auch unangemessen sein, weil er gegen einen gesetzlich oder behördlich vorgeschriebenen Preis verstößt; für die Rechtsfolgen kommt es darauf an, ob der Vertragspartner (dann § 917a ABGB) oder der jeweilige Berufsstand (dann Wettbewerbsrecht bzw allenfalls Sittenwidrigkeit der Vereinbarung) geschützt werden soll. Das ist hier nicht auszuführen; dazu grundlegend MayerMaly in FS Demelius 139 ff. Freilich in einem untechnischen Sinn, der auch den Werklieferungsvertrag einschließt. Vgl terminologisch auch Gschnitzer in Klang IV/1 112: Geschäfte des wirtschaftlichen Kampfes. Überschneidungen werden sich auch hier ergeben, insbesondere bei Irrtümern über den zukünftigen Marktpreis. Vgl vor allem die Anfechtung wegen Drohung (§ 870 ABGB), aber auch die Wucheranfechtung wegen Ausnützung einer Zwangslage (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB).
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
zu integrieren, wobei insbesondere zum Wuchertatbestand (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB) wesentliche dogmatische Erkenntnisse herausgearbeitet werden sollen.
C. Drei Beispiele Für die folgenden Überlegungen ist es hilfreich, sich einige Leitbeispiele vor Augen zu halten, auf die im Folgenden immer wieder zurückgegriffen wird: Beispiel 1: Ein Getreidehändler erreicht eine Stadt in Hungersnot mit seinem besonders schnellen Lastschiff, während der Rest der Versorgungsflotte noch außer Sichtweite ist. Er verkauft sein Getreide zum (hohen) geltenden Marktpreis, obwohl er weiß, dass die Marktpreise auf einen Bruchteil fallen werden, sobald die restlichen Schiffe eintreffen.12 Beispiel 2: Eine Erdölgesellschaft entdeckt aufgrund ihrer Prospektionsbemühungen Erdölvorkommen unter fremden Grundstücken. Sie erwirbt die entsprechenden Liegenschaften (über einen Treuhänder) zu den gängigen Marktpreisen, ohne über die Bodenschätze aufzuklären.13 Beispiel 3: Zwei Briefmarkenfreunde schätzen den Wert einer Briefmarkensammlung aufgrund einer (angemessenen) Stichprobe. Nach dem Erwerb durch den einen stellt sich heraus, dass alle wertvollen Marken in der Stichprobe waren und die Sammlung insgesamt weniger als die Hälfte des Erwerbspreises wert ist.14
D. Gliederung dieses Teils Den Anfang der weiteren Untersuchung macht ein rechtshistorischer Überblick (II.). Dieser ist aber mehr als eine bloße Pflichtübung. Denn bereits anhand der großen geschichtlichen Diskussionslinien lassen sich die zentralen Themenkomplexe festmachen, die ein wesentlicher Teil der weiteren Untersuchung sein werden. Das sind vor allem der Vergleichsmaßstab für die Verkürzung über die Hälfte und den Wucher (Marktwert oder intrinsischer Wert) und die Bedeutung subjektiver Elemente auf Seiten des Verkürzenden und des Verkürzten. Es folgt ein kurzer rechtsdogmatischer Aufriss von laesio enormis und Wucher unter Berücksichtigung des Meinungsstandes (III.). Dieser darstellende Teil soll als Orientierung für die weiteren (Detail)Überlegungen dienen. 12
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Nach Cicero, De officiis 3,12,50. Vgl auch Thomas v Aquin, Summa Theologica II-II, q 77, a 3 ad 4. Nach SEC v Texas Sulphur Co, 401 F.2d 833 [2d Cir. 1968]. Vgl auch die Analyse bei Kronman, 7 J Leg Studies 20 f (1978); aus dem deutschsprachigen Schrifttum zB Grechenig, JRP 2006, 16 f. Der Fall dient der beispielhaften Verdeutlichung der zivilrechtlichen Rechtsfragen. Daher bleiben Fragen des Mineralrohstoffgesetzes (BGBl I 1999/38) ausgeklammert. Nach OGH JBl 1972, 611.
I. Vorbemerkungen
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Die laesio enormis ist nur vor dem Hintergrund des Irrtumsrechts zu verstehen; sie ist ein vertypter Irrtumsfall, wie insbesondere § 935 ABGB zeigt. Unter IV. wird daher die irrtumsrechtliche Behandlung von Äquivalenzstörungen untersucht. Dadurch sollen einerseits die Unterschiede zur laesio enormis hervorgehoben werden, andererseits dient dieser Teil der Aufgliederung des Phänomens „durch Unwissenheit verursachte Äquivalenzstörungen“ in vier unterschiedliche Sachverhalte: Wertirrtümer einer Partei, Eigenschaftsirrtümer des Käufers, Eigenschaftsirrtümer des Verkäufers und gemeinsame Irrtümer beider Parteien. Damit wird ein wichtiger Grundstein für die nun folgende Detailuntersuchung von laesio enormis und Wucher gelegt: Als nächstes geht es um die Frage, welcher Referenzwert für den Wertvergleich bei Wucher und laesio enormis zugrunde gelegt werden soll (V.). Das ist grundsätzlich der Marktpreis; so es einen solchen gibt, kommt ein Rückgriff auf andere Werte nicht in Frage. Für die laesio enormis, insbesondere bei Leibrentenverträgen und dem Unternehmenskauf, kann auch auf Ertragswerte zurückgegriffen werden. Hingegen scheidet für jene Norm ein Vergleich mit den Einstandskosten plus angemessenen Gewinn aus. Das Kapitel schließt mit ausführlichen Überlegungen zur Behandlung nicht funktionierender Märkte, wobei auf die Wucherbestimmung und auf das Wettbewerbsrecht zurückgegriffen werden kann. Unter VI. werden die subjektiven Elemente der laesio enormis in den Blick genommen. Dabei geht es insbesondere um die Situation des Verkürzenden, die vom Wortlaut der Norm überhaupt nicht berücksichtigt wird. Das Kapitel zeigt, inwiefern die diesbezüglichen Probleme mit dem Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe gelöst werden können, aber auch die Grenzen dieses Ansatzes. Schließlich werden auch bereicherungs- und schadenersatzrechtliche Aspekte in die Untersuchung einbezogen. Es schließt ein kurzes Kapitel über das Verhältnis von laesio enormis und Gewährleistungsrecht an (VII.). Dem Käufer steht die laesio enormis immer dann zu, wenn er Gewährleistungsansprüche hat, sofern die Verkürzung über die Hälfte geht. Unter VIII. geht es um die Berücksichtigung zukünftiger Marktpreise. Diese können bei der laesio enormis nicht berücksichtigt werden; für den Wertvergleich geht es immer um den Marktpreis bzw allenfalls den Wert im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Das hat für die Beurteilung von Optionsverträgen besondere Bedeutung. Im Einzelfall können zukünftige Marktentwicklungen aber über das Wucherverbot aufgegriffen werden. Anschließend (IX.) wird eine Neuentwicklung untersucht, die freilich ein Thema des 19. Jahrhunderts wieder aufgreift: Alle Unternehmer, also auch Kaufleute nach altem Recht können sich seit In-Kraft-Treten des UGB auf die laesio enormis berufen. In der Sache überzeugt die Neuregelung aber nicht, insbesondere weil der Ausschluss der laesio enormis zu Lasten eines Unternehmers auch in Fällen von Informationsasymmetrie erfolgen kann.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Zur Kontrastierung der österreichischen Lösung, aber auch zur Vorbereitung der in der Zusammenfassung enthaltenen rechtspolitischen Empfehlungen werden zwei Referenzordnungen untersucht (X.): Deutschland und England. Das deutsche Irrtumsrecht führt zu ähnlichen Ergebnissen wie das ABGB, auch wenn die Anfechtung bei Informationsasymmetrien nach hL grundsätzlich leichter möglich ist als in Österreich. Wichtig ist aber das Konzept des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts gem § 138 Abs 1 BGB, das zwar nach der Rsp aus der Verkürzung über die Hälfte eine Vermutung der Sittenwidrigkeit ableitet, aber wegen seiner höheren Flexibilität besser für Situationen der Informationsasymmetrie nutzbar gemacht werden kann und Fälle des gemeinsamen Irrtums sachadäquat aus dem Anwendungsbereich der Norm ausscheidet. Geradezu einen Gegenentwurf zur österreichischen Rechtslage bietet das englische Recht, dessen Haltung gegenüber der Anfechtbarkeit von Verträgen wegen Äquivalenzstörungen seit jeher restriktiver war. Die Entwicklung ist hier im Rahmen der undue influence erst in jüngerer Zeit ein wenig in Fluss gekommen, weswegen die diesbezüglichen Unsicherheiten noch groß sind. Hinzu kommt, dass Aufklärungspflichten kaum anerkannt werden; auch die Anfechtung wegen misrepresentation scheidet daher häufig aus. Der liberale Zugang bei der Frage, wann ein Irrtum aktiv veranlasst wurde, kann dem Verkürzten aber in manchen Bereichen helfen. Das Kapitel schließt mit rechtspolitischen Anmerkungen (XI.).
II. Rechtshistorischer Überblick Das Problem der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung beschäftigt Rechtsordnungen in unterschiedlichem Gewand seit Jahrtausenden; die historische Dimension ist daher im gegebenen Zusammenhang kurz darzustellen. Als zentraler Punkt dient im Folgenden die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte, also ein zumindest grundsätzlich an starre Schranken anknüpfender Tatbestand, der zur Vertragsanfechtung wegen Unangemessenheit von Leistung und Gegenleistung berechtigt; an passender Stelle wird die Betrachtung auf verwandte Institute, insbesondere den Wuchertatbestand, ausgedehnt.
A. Vom römischen Vertragsrecht zur Naturrechtslehre Das klassische15 römische Vertragsrecht ging beim Kaufvertrag vom Recht der handelnden Parteien aus, den Vertragspartner zu übervorteilen (invicem se
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Zur abweichenden naturrechtlichen Position Ciceros vgl aber Harke, Vorenthaltung 26 ff; Fleischer, Informationsasymmetrie 21 ff.
II. Rechtshistorischer Überblick
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circumscribere).16 Damit war aber nicht arglistiges Handeln (dolus) erlaubt;17 vielmehr treffen den Verkäufer − neben seiner Haftung bei Zusicherung der Mangelfreiheit − bei jedem Kaufvertrag Aufklärungspflichten über bestimmte verborgene Mängel der zu verkaufenden Sache.18 Aufklärungspflichten über den heutigen oder den zu erwartenden Marktpreis bestanden jedenfalls nicht; das klassische römische Recht lehnt in Beispiel 1 über den Getreidehändler eine Aufklärungspflicht ab.19 Auch eine Wertlehre im modernen Sinn war dem klassischen römischen Recht fremd.20 Die nachklassische Entwicklung lud das klassische Recht ethisch auf;21 geistesgeschichtlich lässt sich dies auf stoische und christliche Lehren zurückführen. So begegnet im Codex Justinians22 in der so genannten lex secunda erstmals die laesio enormis; freilich wurde die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte nur dem Verkäufer eines Grundstücks zugestanden.23 Dem Käufer kam ein Wahlrecht auf Aufzahlung zu. Ein Wertirrtum war nicht Voraussetzung für die Anfechtung,24 lag der Vertragsanfechtung aber nach neueren Forschungsergebnissen vertypt zugrunde.25 Die Glossatoren und Kommentatoren entdecken das Institut der laesio enormis wieder, nachdem es mit dem Untergang des weströmischen Reichs
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D 4,4,16,4 (Ulpian); D 19,2,22,3 (Paulus). Vgl Kaser, Römisches Privatrecht I 459 mwN; Zimmermann, Obligations 255 ff. Vgl Mayer-Maly, Iura 6 (1955) 128; Zimmermann, Obligations 256 ff. Dem Irrtumsrecht wird in der historischen Linie in der Folge nicht näher nachgegangen; vgl zB jüngst Schermaier in HKK BGB §§ 116-124 Rn 51 ff. Aus der neuen Literatur vgl die Darstellungen bei Zimmermann, Obligations 305 ff und Fleischer, Informationsasymmetrie 23 ff. Selbst wenn eine moralische Verpflichtung zur Offenlegung bestehen sollte; vgl Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht I 646; Zimmermann, Obligations 257. Gordon, Economic Analysis before Adam Smith (1975) 128 ff, 238 ff. Kaser, Das römische Privatrecht II 38 ff; Schulze, Laesio enormis 8 f. Vgl auch das bekannte Höchstpreisedikt Diokletians, das freilich nicht zur Nichtigkeit des Geschäfts führte, sondern die Überschreitung mit (Todes)Strafe bedrohte; vgl näher Zimmermann, Obligations 260 f. Cod Iust 4,44,2 (vgl auch 4,44,8). Strittig ist, inwieweit die Normen auf Diokletian zurückgehen; vgl Mayer-Maly in FS Demelius 146; ders in FS Larenz 395 f; Kalb, Laesio enormis 13; Schulze, Laesio enormis 5 ff; Zimmermann, Obligations 259 ff jeweils mwN. Vgl dazu Kaser, Römisches Privatrecht II 283 f; Grund war der durch Besteuerung herbeigeführte Zwang, Grundstücke zu verkaufen, mit der daraus resultierenden Verschlechterung der Verhandlungsposition der Verkäufer („Bauernlegen“). Vgl auch Broggini, ZfRV 1997, 222 f; Oechsler, Gerechtigkeit 60 ff; Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 199. Vgl Ehrenzweig, System II/12 237. Harke, Vorenthaltung 38 f.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
weit gehend in Vergessenheit geraten war.26 Das gegenseitige Übervorteilen sei zwar (rechtlich, nicht moralisch) abgesehen vom Betrug grundsätzlich zulässig, finde aber seine Grenze, wenn der Vorteil mehr als den Wert der Gegenleistung betrage. Mit der Zeit wurde das Institut auf andere Verkaufsgegenstände als Grundstücke und auf andere Geschäftstypen ausgedehnt und auch der Käufer konnte wegen der Verkürzung anfechten,27 selbst wenn die zweite Ausdehnung den Romanisten noch im 19. Jahrhundert als Fremdkörper erschien.28 Die laesio enormis wurde als objektivierte Arglist verstanden (dolus ex re ipsa), die keine weiteren Nachweise einer Täuschung erfordert;29 die Arglist lag also im Ergebnis, nicht im Prozess!30 Kannte der benachteiligte Teil den angemessen Preis, so schied die Anfechtung konsequenterweise aus. Damit wurde die laesio enormis einem rechtserheblichen Irrtum über den angemessenen Preis angenähert. Der angemessene Preis in diesem Sinn war der am Kaufort und zum Vertragszeitpunkt übliche Preis;31 es ging den Glossatoren und Kommentatoren also nicht um einen Wert, der einer Sache als Eigenschaft anhaftet und der sich zum Beispiel aus den Produktionskosten ergibt.32 Bedeutende Impulse bekam die Diskussion durch die Spätscholastiker (de Soto, de Molina, Lessius). Die Austauschgerechtigkeit trat bei ihnen in das Zentrum der Betrachtung.33 Darin folgten sie Thomas von Aquin, der als Grundlage für den Austauschvertrag den gemeinsamen Nutzen der Vertragsparteien am Austausch ausmachte und daraus das Erfordernis der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa) ableitete.34 Das Konstrukt dolus
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Zur Entwicklung bis zum 12. Jahrhundert vgl Kalb, Laesio enormis 13 ff; zu den Volksrechten Schulze, Laesio enormis 10 ff. Vgl Gordley, Philosophical Origins 65 mwN; Zimmermann, Obligations 262 f; Schulze, Laesio enormis 13 f. Vgl auch die Bemerkung von Zeiller, Commentar III/1 141 in der FN. Vgl zum damaligen Streit über die arithmetische oder geometrische Berechnung Schulze, Laesio enormis 15 ff. Vgl Esmarch, Pandekten-Rechtes 112: „Betrug der Kaufpreis weniger als die Hälfte vom Taxwerth der Waare, so ist nach den Gesetzen der Verkäufer, war umgekehrt der Werth der Waare um mehr als die Hälfte geringer als der Kaupfreis, ist nach der Praxis der Käufer berechtigt, die Aufhebung des Vertrags mit allen Wirkungen zu verlangen.“ Gordley, Philosophical Origins 56, 65 f; Kalb, Laesio enormis 112 ff. Hingegen kam es beim bewussten Betrug (fraus ex proposito) nicht auf das Ausmaß des Nachteils an; vielmehr war jeder Unterschied einklagbar. Nach einem anderen Ansatz liegt der dolus nicht im Vertragsabschluss, sondern erst in der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs in Kenntnis des Missverhältnisses; vgl Harke, Vorenthaltung 40 f. Accursius, Glosse zu D 13,4,3. Vgl auch Gordley, Philosophical Origins 65. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Petrus Olivi (1248-1298), der eine subjektive Wertlehre ganz wesentlich begründete. Sie leiteten sie aus der Natur des gegenseitigen Vertrags und nicht primär aus der Parteienvereinbarung ab; vgl Oechsler, Gerechtigkeit 104 ff. Näher zB Harke, Vorenthaltung 34 ff; Gordley, Philosophical Origins 13 ff.
II. Rechtshistorischer Überblick
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ex re ipsa wird damit als Begründungsansatz aufgegeben. Die lex humana greift nach Thomas aber nicht jede Verletzung der iustitia commutativa auf, sondern gewährt mit der laesio enormis Rechtsschutz aus Praktikabilitätsüberlegungen erst bei groben Abweichungen des Werts von Leistung und Gegenleistung. Über Jahrzehnte war strittig, welchen Maßstab diese scholastische Schule der Beurteilung der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung zugrunde legte.35 Lange Zeit war in der rechtshistorischen Lehre vorherrschend, dass die Spätscholastiker auf Produktionskosten abstellten, also einen objektiven Wert zugrunde legten; heute ist hingegen weit gehend anerkannt, dass der wesentliche Bestimmungsfaktor für sie ganz so wie für die Glossatoren der jeweils herrschende Marktpreis war.36 Ausdrücklich stellten sie auf das Ausmaß der Nachfrage und die Knappheit als wichtige Faktoren für die Preisbestimmung ab und nahmen damit skizzenhaft neue Markttheorien vorweg. Langfristig würden durch die Preise auch die Produktionskosten gedeckt; denn sonst würden die Produzenten ihre Arbeit einstellen. Dass diese Kostendeckung nur im Schnitt, aber nicht bei jeder einzelnen Transaktion erfolgt, war nach ihrer Vorstellung zu akzeptieren, weil die Preise auch Knappheit und Nachfrage reflektieren müssen.37 Die laesio enormis wurde daher anhand eines Vergleichs mit Marktpreisen vorgenommen. Wenn der Markt nicht funktionierte, so sollte primär eine staatliche Preisregulierung dem Übel abhelfen.38 Im Übrigen war der vertragliche (auch formularhafte) Verzicht auf das Institut möglich; nur bei laesio enormissima, also noch viel stärkeren Wertverkürzungen als derjenigen über die Hälfte, war der Verzicht zumindest nach kanonischem Recht wirkungslos.39 Spätestens mit den Spätscholastikern war das entwickelt, was man heute als Lehre des iustum pretium bezeichnet: Von subjektiven Willensmängeln wurde weit gehend abstrahiert, allein die fehlende Austauschgerechtigkeit machte den Vertrag anfechtbar oder nichtig. Aber schon das Konzept des dolus ex re ipsa zeigt, dass es nicht nur um die objektive Äquivalenzstörung ging, sondern konzeptuell aus dem Missverhältnis ein Schluss auf Mängel der Willensbildung gezogen wurde.
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Grundlegend Gordley, 69 Cal L Rev 1604 ff (1981).
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Zimmermann, Obligations 265 ff; v Mehren in International Encyclopedia of Comparative Law VII/1-84; Gordley, Philosophical Origins 94 ff; ders, 69 Cal L Rev 1604 ff (1981); so auch schon Bartholomeyczik, AcP 1966, 42; Hayek, Recht 23.
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Näher Gordley, Philosophical Origins 99.
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Vgl Gordley, 69 Cal L Rev 1608 f (1981).
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Zur laesio enormissima Kalb, Laesio enormis 220 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Die Wissenschafter des frühen Naturrechts (Grotius40, Pufendorf41, Wolff42) sahen die Sache nicht wesentlich anders als ihre scholastischen Vorgänger. Die laesio enormis diente der Verwirklichung der Austauschgerechtigkeit und war als Einrichtung des positiven Rechts weiterhin akzeptiert. Insbesondere bei Hugo Grotius wird auch eine neue Begründung in den Mittelpunkt gestellt: Der Parteiwille sei im Regelfall gerade auf den Austausch gleichwertiger Leistungen gerichtet43 – ein Ansatz, der auch noch bei Franz von Zeiller nachklingt (unten B.). Der Wert dieser auch empirisch schwer belegbaren Annahme ist gering; sollte sie normativ zu verstehen sein, so kommt ihr kein selbständiger Erklärungswert zu. So kann es nicht überraschen, dass sich bereits in dieser Zeit zwei wesentliche Gegenstimmen regten: Thomas Hobbes und Christian Thomasius. Hobbes stellt die Willensübereinkunft der Parteien als Geltungsgrund für den Vertrag ganz in den Mittelpunkt; der Inhalt dieser Willensübereinkunft sei der rechtlichen Kontrolle entzogen.44 Insbesondere lehnt er auch die Fiktion ab, dass der Parteiwille auf den Austausch gleichwertiger Gegenleistungen gestützt sei. Dieses starre Festhalten am Grundsatz pacta sunt servanda hängt wohl unmittelbar damit zusammen, dass es Hobbes nicht primär um privatrechtliche Verträge, sondern um die staatsrechtliche Konzeption des Gesellschaftsvertrags ging; diese Grundlage der Gesellschaftsordnung muss ohne Ausnahme gelten, wenn sie ihre friedensstiftende Funktion erfüllen soll. Eine wesentliche Neuorientierung erfolgte auch durch Christian Thomasius. Er lehnte die laesio enormis ab, weil der Wert einer Sache keine intrinsische Eigenschaft derselben sei, sondern von den Verhältnissen des Bewertenden (hier also der Vertragsparteien) abhänge.45 Daher sei ein Vergleich von Gegenleistung und Wert nicht möglich. Die bis dahin herrschende Ansicht, nach der es ja auf einen Vergleich mit Marktpreisen ankommen sollte, wurde dadurch (bewusst oder unbewusst) unterdrückt. Diese neue, kritische Haltung der Naturrechtslehre hat auf die naturrechtlichen Kodifikationen nicht sofort eingewirkt. So sah der Codex Maximilia-
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Vgl aus dem Schrifttum Wieacker, Privatrechtsgeschichte 295 ff; Kalb, Laesio enormis 200 ff; Luig in FS Coing 174 Fn 16 mwN; Harke, Vorenthaltung 49 f. Wieacker, Privatrechtsgeschichte 311; Harke, Vorenthaltung 59 f; Kalb, Laesio enormis 202 ff. Kalb, Laesio enormis 206 ff; Harke, Vorenthaltung 60 f. Vgl Harke, Vorenthaltung 49 f. Näher Harke, Vorenthaltung 44 ff. Thomasius, Dissertatio LXXIII in: Dissertationum Academicorum varii inprimis iuridici argumenti (1777) iii.43. Vgl Gordley, Philosophical Origins 95, 201; ders, 69 Cal L Rev 1592 (1981); Bäuerle, Vertragsfreiheit 50 f; Oechsler, Gerechtigkeit 71 ff. Auf Thomasius berief sich im Übrigen auch Suarez anlässlich der Vorarbeiten für das preußische Allgemeine Landrecht; vgl Gordley, Philosophical Origins 202; Kalb, Laesio enormis 214 f.
II. Rechtshistorischer Überblick
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neus Bavaricus Civilis von 1756 (bis 1861) die Läsionsklage vor.46 Auch das Allgemeine Landrecht von 1794 kannte − entgegen den Vorentwürfen und der zumindest skeptischen Ansicht von Suarez47 − die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte,48 allerdings nur zugunsten des Käufers und ohne die gemeinrechtlich mögliche Alternative der Ausgleichszahlung durch den Verkürzenden. Die neuen naturrechtlichen Lehren der Willensfreiheit spiegeln sich vor allem darin wider, dass die laesio enormis ausdrücklich in einen irrtumsrechtlichen Zusammenhang gestellt wurde: „Ist jedoch dieses Mißverhältniß so groß, daß der Kaufpreis den doppelten Betrag des Werths der Sache übersteigt, so begründet dieses Mißverhältniß, zum Besten des Käufers, die rechtliche Vermutung eines den Vertrag entkräftenden Irrthums […].“49
B. Die österreichische Entwicklung bis zum ABGB Der Codex Theresianus50 sah grundsätzlich vor, dass das Kaufgeld billig zu sein habe; die Gegenleistung habe dem gemeinen Wert der Sache zu entsprechen. Zur „Vermeidung unzähliger Strittigkeiten, wodurch Handel und Wandel gestöret würden,“ kam dem Verkürzten aber nur ein Rechtsmittel zu, wenn die Grenzen der laesio enormis überschritten waren; die Klage war (dem Gesamtbild des Codex entsprechend) ausgesprochen detailfreudig geregelt. Abzustellen war im Übrigen nicht auf einen intrinsischen Wert der Sache, sondern auf den Marktpreis.51 Eingeschränkt war die Läsionsklage freilich insofern, als sie nur bei Kaufverträgen über Liegenschaften und über Fahrnisse mit einem Wert von mindestens einhundert Gulden zustand.52 Darüber hinaus war auch ein Irrtumselement erforderlich: Wer den wahren Wert der Sache kannte, durfte nicht anfechten.53 Bei den Rechtsfolgen wurde nach dem Verschulden des Verkürzenden differenziert: Bei Arglist durfte der Verkürzte zwischen Rückabwicklung oder bloßem Schadenersatz wählen, sonst stand 46 47
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4. Teil 3. Kapitel §§ 19-22. Suarez erkannte die laesio enormis nur an, weil dadurch der Nachweis der fast immer vorliegenden List erleichtert wurde; vgl Schulze, Laesio enormis 84 f; Kalb, Laesio enormis 214 f; Gordley, 69 Cal L Rev 1592 (1981). Erster Teil elfter Titel §§ 58 ff. Erster Teil elfter Titel § 59. Dritter Teil, 9. Kapitel §§ 57 ff, 345 ff; abgedruckt bei Harrasowsky, Codex Theresianus Band 3 144 f, 185 ff. Vgl Mayer-Maly in FS Larenz II 395, 396 f. Vgl aaO §§ 63: Es sei der Mittelanschlag der Sache „zur Richtschnur zu nehmen, deren Werth aber nicht etwa nach der selbsteigenen Neigung oder Anständigkeit des einen oder des anderen Contrahenten, sondern nach der gemeinen Schätzung mit Rucksicht auf die Zeit und das (sic) Ort des Contracts abzumessen ist.“ Vgl auch aaO §§ 354 ff. Dritter Teil, 9. Kapitel §§ 346. Daneben waren auch andere entgeltliche Geschäfte erfasst; aaO § 376. AaO § 359 f.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
dem Verkürzenden ein Wahlrecht zwischen Rückabwicklung und Wertausgleich zu. Der ausdrückliche Verzicht auf das Rechtsmittel war möglich. Der Entwurf Horten hielt an all dem im Wesentlichen fest. 54 Martini lehnte nach gängiger Lesart55 die laesio enormis in seinen theoretischen Schriften ab, denn die Gleichwertigkeit der Leistung solle nur aus Parteiensicht zu beurteilen sein56 Weiters erkannte er ganz deutlich, dass der Wert keine intrinsische Eigenschaft ist, sondern auch von der Knappheit abhängt.57 Ganz so eindeutig ist die Position Martinis jedoch nicht, denn er schreibt:58 „Ein billiger Preis ist derjenige, welcher beym Tausche durch Uebereinstimmung beyder Theile bestimmt wird. Widrigenfalls wenn, z.B. bey dieser Bestimmung Irrthum oder Betrug unterläuft, ist er unbillig.“ Damit verschob er freilich das Problem nur auf eine andere Ebene. Denn ein Irrtum liegt einer Äquivalenzstörung häufig zugrunde und sei es nur ein solcher über den üblichen Marktpreis der Leistung; die Rechtsordnung müsste nach dem Martini’schen Ansatz daher bestimmen, welche Irrtümer in solchen Fällen beachtlich sein sollen.59 Der Entwurf Martini zum ABGB sah allerdings die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte entgegen dem theoretischen Ansatz seines Namensgebers weiterhin vor, betonte aber das Irrtumselement.60 Die Vorschrift wurde gegenüber den Vorentwürfen stark vereinfacht, ihre Grundkonzeption aber beibehalten; der notwendige Mindestverlust betrug in allen Fällen – und daher auch bei Liegenschaften – 50 Loth Silber. Ganz parallel dazu hatte auch die theoretische Ansicht von Zeiller auf seine gesetzgeberische Tätigkeit keinen erkennbaren Einfluss. In seinen naturrechtlichen Schriften lehnte er das Institut (auch unter Berufung auf Thomasius und entgegen Grotius und Wolff) ab.61 Er erkennt zwar an, dass der Wille der Parteien im Regelfall auf Gleichheit des Werts abstellt;62 im Gegensatz zur Grotius hält er aber die Äquivalenzstörung nicht für rechtlich aufgreifbar, sondern allenfalls für moralisch problematisch. Der Gerechtigkeit sei durch die Einwilligung der Parteien in die Vertragsbedingungen genüge getan, es sei denn, die Einwilligung wurde auf widerrechtliche Weise durch Irrtum, Zwang 54
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Vgl 3. Teil 9. Kapitel §§ 189 ff; abgedruckt bei Harrasowsky, Codex Theresianus Band 4 407 ff. Vgl zB Kalb, Laesio enormis 212 f. Martini, Lehrbegriff § 530. Vgl das Wasserbeispiel bei Martini, Lehrbegriff § 520. Martini, Lehrbegriff § 526. So legte er dem Verkäufer die Pflicht auf, alle verborgenen Mängel zu offenbaren; Martini, Lehrbegriff § 530. Vgl 3. Teil, 5. Hauptstück, §§ 21-23, 6. Hauptstück §§ 12 f, 18. Hauptstück § 38; abgedruckt bei Harrasowsky, Codex Theresianus Band 5 177 ff. Vgl Das natürliche Privatrecht (1802) § 128 f. AaO § 129: „Bey zweyseitig verbindlichen Verträgen muß man im Zweifel annehmen, daß die Vertragsschließenden rechtliche Gleichheit (des Werthes) beobachtet haben wollen“.
II. Rechtshistorischer Überblick
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oder Betrug herbeigeführt. An dieser Ansicht hielt Zeiller auch noch nach Schaffung des ABGB fest.63 In den Beratungen zum ABGB forderte Zeiller die laesio enormis hingegen vehement ein: „In einem Zeitalter jedoch, wo die an listigen Ränken unerschöpfliche Gewinnsucht sich so sehr der Gemüther bemächtiget, daß man neuerdings durch Wuchergesetze dem Uebel zu steuern suchte, wäre es bedenklich, eine Vorschrift aufzuheben, die wenigstens das Gute bewirken kann, daß sie den nicht ganz verderbten Bürger auf das nahe an Ungerechtigkeit gränzende unbillige Ebenmaaß aufmerksam macht, und am mindesten von der schamlosesten Gewinnsucht zurückhält.“64
Zeiller betonte das subjektive Element auf Seiten des Begünstigten;65 damit steht die laesio enormis unserem heutigen Wuchertatbestand nahe. Damals kam der Bestimmung eine wichtige Auffangrolle zu: Wucher im damaligen Sinn war Zinswucher;66 § 1000 ABGB verwies dazu auf die besonderen Gesetze, insbesondere auf das Wuchergesetz 1803, das iVm § 994 ABGB aF einen Höchstzinsfuß von 6 % vorschrieb.67 Der Sachwucher war hingegen (anders als in § 879 Abs 2 Z 4 ABGB idgF) in der Urfassung des ABGB grundsätzlich ungeregelt; hier kam §§ 934 f ABGB eine wichtige Auffangfunktion zu. Der Fall der wucherischen Ausnützung einer Zwangslage war in der Urfassung des ABGB hingegen gar nicht erfasst, weil es nach § 935 ABGB Voraussetzung für das Rechtsmittel war (und ist), dass dem Verkürzten der wahre Wert der Leistung nicht bekannt war.68 Ursprünglich war wegen des Zinsverbots nach kanonischem Recht69 und der herrschenden Bibelinterpretation eine eigene Gesetzgebung nicht erforderlich; auch den Geldverleihern war aufgrund ihrer prekären Position als Außenseiter, die als Juden noch dazu vom Wohlwollen ihrer wichtigsten Klienten, der Fürstenhäuser, besonders abhängig waren, eine Bewucherung im Sinne marktunüb-
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Das natürliche Privatrecht, 3. Auflage (1819) § 128 f. Vgl Ofner, Ur-Entwurf II 76. Vgl auch Swoboda, ABGB 92. Vgl dazu Zeiller, Commentar III/1 253 f. Das ist auch heute noch zB die Bedeutung von usury im Englischen; vgl auch die berühmte Streitschrift Jeremy Benthams gegen das Zinswucherverbot: In Defence of Usury (1787). Vgl zur Entwicklung der Zinswuchergesetzgebung bis dahin insbesondere Harrasowsky, Band 4 340 ff (in der Fn); siehe auch Ehrenzweig, System II2 32 f. Vgl auch das Mietkutschenbeispiel (überhöhter Mietpreis bei Regen) bei Zeiller, Commentar III/1 146, das nach heutigem Verständnis unter Wuchergesichtspunkten zu beurteilen wäre, nach richtiger Ansicht Zeillers jedoch von den damaligen §§ 934 f ABGB nicht erfasst war, weil und wenn der Mieter über den wahren Wert Bescheid weiß. Wie hier ganz deutlich auch Ehrenzweig, System II/12 237: Die Norm tritt „nicht der Ausbeutung der Notlage, sondern der gewissenlosen Ausnützung der Unerfahrenheit“ entgegen. Vgl zB Goldschmidt, Handbuch 1. Band 1. Abteilung 1. Lieferung3 137 ff. Vgl auch Oechsler, Gerechtigkeit 105 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen licher Zinssätze im Regelfall nicht möglich. Im Reichsrecht des 17. Jahrhunderts wurde das Zinsverbot durch gesetzliche Höchstzinssätze ersetzt.70 Insofern ist auch in der oben zitierten Passage Zeillers die Verwendung des Worts „neuerdings“ im Zusammenhang mit der Wuchergesetzgebung irreführend; zwar war relativ knapp vor seinem Vortrag vor der Kommission (am 13. Mai 1805) das Wuchergesetz 1803 verabschiedet worden, aber dieses griff der Sache nach auf ältere Vorbilder zurück. Zur weiteren Entwicklung der Wuchergesetzgebung vgl unten C.
Vehement wendet sich Zeiller in seinem Vortrag71 im Übrigen gegen das ALR, das bloß den Käufer für besonders schutzwürdig hält und dem Verkäufer das Rechtsmittel mit dem Argument verweigert, dass dieser den Wert seiner Sache besser kennen müsse; rechtstatsächlich hält er fest, dass dieses bessere Wissen des Verkäufers in vielen Sachlagen nicht gegeben ist. Das ABGB übernahm die Läsionsanfechtung des Entwurfs Martini daher im Wesentlichen unverändert; sogar der nach jenem noch erforderliche Mindestverlust beim Benachteiligten fiel weg.72 Erforderlich war weiterhin ein Irrtum über den Wert der Kaufsache;73 der Verzicht auf das Rechtsmittel war (bis zum KSchG) zulässig. Im Gegensatz zu den Vorentwürfen fehlte die (in jenen aber nur als lex imperfecta ausgestaltete) Verpflichtung, dass das Kaufgeld generell billig zu sein habe.74 Die Norm ist zwar systematisch bei den Leistungsstörungen angesiedelt, allerdings betont auch Zeiller in seiner Kommentierung zum ABGB, dass sachlich große Verwandtschaft zu den Wurzelmängeln besteht: „Der Grund des zugestandenen Rechtsmittels ist theils der Irrthum und die Unwissenheit des Uebernehmers, der in die Redlichkeit und Billigkeit des Uebergebers vertrauet, theils die Noth oder Zwangslage, in der bald der eine, bald der andere Theil sich befindet, theils endlich, wenn in dem Staate ein Wuchergesetz über das entgeldliche Darleihen besteht (§. 1000.), die Analogie und die Vorsicht, daß der Wucher nicht durch andere, keiner Einschränkung unterliegende, entgeldliche Verträge bemäntelt werde.“75
Welcher Wert nach Ansicht der Verfasser des ABGB als Vergleichsmaßstab dienen sollte, ist fraglich. Wiederum hat der Interpret die Wahl zwischen 70
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Rechtshistorische Vorbilder fanden sich schon in der Zwölf-Tafel-Gesetzgebung; vgl Zimmermann, Obligations 166 ff. Vgl Ofner, Ur-Entwurf II 77. Wenngleich auch nur nach einiger Diskussion; vgl Ofner, Ur-Entwurf II 78 und die Textierung von 3. Teil § 164 Ur-Entwurf bei Ofner, Ur-Entwurf I CIV. In den Beratungen sehr strittig und gegen die Stimme Zeillers durchgesetzt; vgl Ofner, Ur-Entwurf II 78 ff, 560. Vgl im Überblick Mayer-Maly in FS Demelius, 145. Zeiller, Commentar III/1 144. Damit ist es wohl nicht richtig, wenn Gordley, 69 Cal L Rev 1601 (1981), meint, dass erst die Juristen des späteren 19. Jahrhunderts die Läsion als Indikator für Willensmängel verstanden.
II. Rechtshistorischer Überblick
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dem Marktpreis und einem intrinsischen inneren Wert der Sache, der sich zB an den Produktionskosten orientiert. Die Vorentwürfe und Lehranschauungen der Zeit sind widersprüchlich; entgegen der Ansicht Gschnitzers76 ist es nicht eindeutig, dass für Fragen der Angemessenheit nach allgemeiner Überzeugung bei Schaffung des ABGB auf einen objektiven Wert abzustellen war. Einerseits ist sowohl dem Codex Theresianus77 als auch dem Entwurf Horten78 zu entnehmen, dass man an die Tradition seit dem Hochmittelalter anknüpfen und auf den Marktpreis abstellen wollte. So lautet § 197 Entwurf Horten: „Auch ist bei der Schätzung bloßerdings auf jenen Preis zu sehen, den die Sache an dem Orte, wo der Contract geschlossen worden, und zu jener Zeit, da der Contract geschlossen worden, gehabt hat. Wenn dahero eine Sache, obgleich durch zufällige und plötzliche Ursachen über die Hälfte ihres Werthes herabgefallen, oder über ihren wahren Wert mehr als Doppelt im Preise gestiegen wäre, so kann Derjenige, der die Sache zu einer solchen Zeit so hoch gekaufet, oder so niedrig verkaufet hat, sich über keine Verkürzung beklagen […].“ Der Zusammenhang zeigt deutlich, dass die Kontrahenten den kalten Winden der Marktentwicklung grundsätzlich ausgesetzt sein sollten, ohne dass ihnen der Rückgriff auf einen „wahren Wert“ offen stünde. Andererseits fehlt es ab dem Entwurf Martini an entsprechenden Anordnungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der laesio enormis; denn dort (Zweiter Teil Erstes Hauptstück § 24) heißt es, dass der gemeine Preis der Nutzen ist, den die Sache allgemein gewähren kann, ohne dass es auf besondere Zeit- und Ortsumstände ankommen solle. Auch die ablehnende Stellungnahme Martinis79 stellt im Ergebnis darauf ab, dass es keinen intrinsischen Wert einer Sache gibt und der für die Verkürzung über die Hälfte notwendige Vergleich daher zum Scheitern verurteilt sein muss. Bedeutend könnte allenfalls sein, dass in den Beratungen zum ABGB ausdrücklich verworfen wurde, auf den gerechten Preis anstatt auf den gemeinen Wert abzustellen.80 Sucht man nach allgemeinen Bestimmungen über den Wert einer Sache im ABGB, so stößt man insbesondere auf §§ 304–306. Dort wird zunächst der bestimmte Wert einer Sache mit ihrem Preis gleichgesetzt.81 In der Folge wird zwischen ordentlichem (= gemeinem) und außerordentlichem Preis unterschieden und festgehalten, dass immer dann der gemeine Preis ausschlaggebend sein soll, wenn nicht Gesetz oder Vertrag anderes festlegen. Das gilt auch
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ZBl 1937, 850. So auch Jud in Egger et al, Unternehmensbewertung 191. Wie hier aber Kramer, Krise 30 in Fn 77a. Dritter Teil, 9. Kapitel §§ 63, 354 ff. 3. Teil 9. Kapitel §§ 196-198 (der letzte Paragraph stellt mE auf jene Fälle ab, in denen es nicht um einen Irrtum über den Marktpreis geht, sondern die Fehlvorstellung wertbestimmende Eigenschaften betrifft. Vgl Martini, Lehrbegriff § 530. Vgl Ofner, Ur-Entwurf II 77. Zur wirtschaftswissenschaftlichen abweichenden Sichtweise vgl oben 1. Teil II.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
für § 934 ABGB, der zwar vom gemeinen Wert spricht, was aber wegen der soeben erwähnten Gleichsetzung von Wert und Preis keinen Unterschied macht.82 Dieser gemeine Preis ist definiert als derjenige Nutzen einer Sache, den sie mit Rücksicht auf Zeit und Ort gewöhnlich und allgemein leistet; besondere Verhältnisse und die besondere Vorliebe sind nicht zu berücksichtigen (§ 305 ABGB). Die Norm hat ihre Vorbilder – wie bereits erwähnt - in Zweiter Teil Erstes Hauptstück § 24 Entwurf Martini83 und 2. Teil § 26 Ur-Entwurf.84 Danach sollte es aber auf besondere Zeit- und Ortsumstände gerade nicht ankommen. Diese wichtige Änderung ist auf das Insistieren von Zeiller zurückzuführen, der gegen erheblichen Widerstand seinen Standpunkt letztlich85 durchzusetzen vermochte.86 Über die Gründe dieser Änderung schweigen die Protokolle. Zeiller schreibt freilich in seinem Kommentar: „Auf Zeit- und Ortsverhältnisse muß man schon bey Bestimmung des ordentlichen Preises Rücksicht nehmen, weil Sachen häufig schon allgemein, jedem Besitzer in einem bestimmten Zeitpuncte oder Orte einen größeren Nutzen bereiten, als zu einer andern Zeit oder an einem anderen Orte. So steht z.B. der gemeine Preis des Getreides auf dem flachen Lande, oder in einem fruchtbaren Jahre viel niedriger, als in einem entlegenen Gebiet, oder zur Zeit eines Mißwachses.“
Das zeigt mE, dass die Änderung gegenüber dem Entwurf Martini eine Abwendung von einer Theorie eines objektiven Werts bedeutet. Vielmehr sollte (auch im Zusammenhang mit der laesio enormis) auf das abgestellt werden, was wir heute als Markpreise bezeichnen.87 Wie insbesondere das Getreidebeispiel zeigt, geht es nicht nur um die Produktionskosten, die allenfalls den Unterschied des Preises zwischen „flachem Land“ und entlegenen Gebieten erklären können; vielmehr ist das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage zu berücksichtigen, wie insbesondere das Knappheitsargument bei Missernten zeigt.88 Der Auffassung Gschnitzers,89 dass den Redaktoren des ABGB ein objektiver Wert einer Sache vorgeschwebt habe, der sich im Wesentlichen aus den 82 83
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Wie hier Gschnitzer, ZBl 1937, 849. Weder der Codex Theresianus noch der Entwurf Horten enthalten vergleichbare Vorschriften. Vgl Ofner, Ur-Entwurf I XXXII. Das heißt bei einer zweiten Beratung vier Jahre nach der ersten Diskussion und in einer wesentlich veränderten Zusammensetzung der Kommission. Vgl Ofner, Ur-Entwurf I 223 f, II 368. Vgl auch schon die Überlegungen bei Zeiller, Natürliches Privat-Recht § 129 in der Fn. Ganz ähnlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch die Interpretation durch Stubenrauch, Commentar II6 389; Hasenöhrl, Obligationenrecht I 271. Auch der Ertragswert des Getreides ist am flachen Land nicht höher als am Berg! ZBl 1937, 849. Abweichend aber Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 411 f.
II. Rechtshistorischer Überblick
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Produktionskosten ergebe, ist aus diesen Gründen daher nicht zu folgen. Ausschlaggebend waren nach dem Konzept des ABGB jedenfalls Marktpreise. Freilich wurden die bereits von den Spätscholastikern im Ansatz erkannten Probleme nicht funktionierender Märkte nicht explizit berücksichtigt. Aus derselben Epoche stammt der französische Code Civil. Art 1118 hält fest, dass die Läsionsanfechtung grundsätzlich nicht stattfindet. Eine Ausnahme besteht nach Art 1674 Code Civil lediglich für den Verkäufer bei Liegenschaftstransaktionen, wenn Land zu weniger als fünf Zwölftel seines Werts verkauft wird. Diese Ausnahme für Liegenschaften wurde erst auf Drängen Napoleons eingefügt.90 Diese Grundsatzentscheidung gegen die Läsionsanfechtung spiegelt sich in den durch den Code Civil geprägten Kodifikationen wieder; vgl zB Art 1293 spanischer Código Civil.
C. Vom ABGB zum 1. Weltkrieg Die weitere österreichische Entwicklung war durch das ABGB zunächst in ruhige Bahnen gelenkt; die Sinnhaftigkeit der laesio enormis wurde im 19. Jahrhundert soweit ersichtlich nicht ernstlich bestritten.91 Der Einfluss der deutschen Pandektenwissenschaft machte sich freilich dadurch bemerkbar, dass Ausführungen über die Austauschgerechtigkeit bei Verträgen im führenden System Ungers92 fehlten bzw die Erörterung der laesio enormis (wie die aller Normen des österreichischen ABGB) in die Fußnoten verbannt wurde. Die deutsche Wissenschaft des frühen 19. Jahrhunderts stand der Verkürzung über die Hälfte zunächst neutral gegenüber. Savigny erkannte die Rezeption des Instituts an, stellte es jedoch nicht in die Nähe der Irrtumsanfechtung, sondern meinte, dass die begünstigte Partei bei groben Äquivalenzstörungen typischerweise Schwächen (insbesondere auch Notlagen) des Verkürzten ausnützt. Konsequenterweise sah er das Institut als Parallelregelung zum Zinswucher.93 Dann ist es nahe liegend, das Institut auf den zu beschränken, der typischerweise einer solchen Notlage unterliegt; Savigny gewährte den Schutz daher wie das spätrömische Recht nur dem Verkäufer. Die Analogiefähigkeit der lex secunda verneint er zum Großteil. In der weiteren deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts stieß das Institut auf wenig Gegenliebe,94 obwohl die Rezeption dem Grundsatz
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Vgl Gordley, 69 Cal L Rev 1593 f (1981). Vgl aus der Zeit unmittelbar nach dem ABGB positiv zB Winiwarter, Bürgerliches Recht Teil 4: Persönliches Sachenrecht2 § 70 f. Für den Abschluss des 19. Jahrhunderts siehe zB Stubenrauch, Commentar II6 120. Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, 4. Auflage (1876). Savigny, System VIII 440 f; vgl auch System III 358 in Fn (a). Vgl zB Gierke, Deutsches Privatrecht III 443 f; Windscheid, Lehrbuch § 396; Goldschmidt, Handbuch 1. Band 2. Abteilung 114 ff; Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I9 (1903) 922 in Fn 30.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
nach anerkannt wurde.95 Der Vertrag beruhe prinzipiell auf der Willensübereinstimmung der Parteien und werde durch diese legitimiert;96 die laesio enormis normiere eine Ausnahme von diesem grundlegenden Prinzip, die allenfalls aus Gerechtigkeitsüberlegungen gerechtfertigt werden könne. Ganz untergegangen ist die Vorstellung, dass der Vergleichsmaßstab für die Verkürzung über die Hälfte der Marktpreis ist; vielmehr scheint ein Teil der Ablehnung durch die Pandektistik darin begründet zu liegen, dass man den Vergleich mit einem nicht feststellbaren objektiven Wert der Sache vornehmen wollte.97 Zu dieser Zeit war die subjektive Wertlehre in der Ökonomie im Vormarsch und die Ablehnung unter dieser Prämisse daher nur konsequent; vgl oben 1. Teil II. Diese Ablehnung liegt auch auf einer Linie mit der liberalen Grundeinstellung jener Epoche, vor allem in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Der Eingriff in die Vertragsfreiheit, in die freie Willensübereinkunft der Parteien sollte nur in ganz außerordentlichen Fällen zulässig sein. Das schlug sich auch in der gesetzgeberischen Tätigkeit nieder: Einerseits wurde die Bestimmung der laesio enormis im Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis 1861 aufgehoben, andererseits enthielt auch das neue Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863 keine entsprechende Bestimmung.98 Auch das BGB übernahm die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte nicht.99 Eine auch für Österreich bedeutsame Einschränkung der laesio enormis erfolgte durch Art 286 ADHGB 1863: „Wegen übermäßiger Verletzung, insbesondere wegen Verletzung über die Hälfte, können Handelsgeschäfte nicht angefochten werden.“ Das galt (bis 1979) auch für einseitige Handelsgeschäfte und auch für den Nicht-Kaufmann.100 Das erste Ziel dieser Maßnahme war die handelsrechtliche Rechtsangleichung; denn einzelne Partikularrechte sahen die Anfechtung wegen laesio enormis vor, andere nicht. Daneben wurde aber die Zweckmäßigkeit von starren Wertgrenzen ohne subjektive Elemente ganz
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Vgl zB Thibaut, System des Pandektenrechts § 197. Vgl zB Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I9 (1903) 921. Zur Rolle der Privatautonomie für diese Begründungsmuster vgl Gordley, 69 Cal L Rev 1599 ff (1981). Vgl Gordley, Philosophical Origins 205 f. Scharf auf den Vergleich mit dem Marktpreis abstellend aber zB Goldschmidt, Handbuch 1. Band 2. Abteilung 113 ff. Vgl Gordley, Philosophical Origins 202; ders, 69 Cal L Rev 1593 (1981); Schulze, Laesio enormis 107 ff. Vgl Motive II, 321 = Mugdan II, 178. Siehe auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte 481 f. Vgl Löbl in Pisko II3 Art 286 § 1; Goldschmidt, Handbuch 1. Band 2. Abteilung 117 in Fn 10 jeweils mwN. Anderes galt im Anwendungsbereich des Ratengesetzes für den Kreditkauf; vgl Löbl in Pisko II3 Art 286 § 4.
II. Rechtshistorischer Überblick
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allgemein bezweifelt.101 Insofern war das ADHGB auch ein willkommener Anlass, eine nicht mehr als zeitgemäß empfundene Regelung soweit kompetenzrechtlich möglich zurückzudrängen. Zulässig blieb die Anfechtung aber auch für den Kaufmann, wenn andere Tatbestandsmerkmale zum bloßen Missverhältnis hinzutraten, wobei ursprünglich an beachtlichen Irrtum und Betrug gedacht wurde;102 später kam der Wucher hinzu.103 Die Verkürzung konnte nach diesem Ansatz allenfalls als Indikator für solche Willensbeeinträchtigungen dienen. Die damit angesprochene Wuchergesetzgebung erlebte ab Mitte des 19. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum eine wechselhafte Entwicklung.104 Während der Hochblüte des Liberalismus wurden in den 60er-Jahren die bis dahin bestehenden Höchstgrenzen für Kreditzinsen abgeschafft;105 damit wurde (in der Formulierung Ehrenzweigs)106 dem Zinswucher Tür und Tor geöffnet.107 Lang blieb das Tor aber nicht offen, denn die krisenhafte Entwicklung ab 1873 führte zu einem raschen Umdenken. In Deutschland wurden mit dem Wuchergesetz 1880108 für den Zinswucher zwar keine Höchstzinssätze eingeführt, aber ein materieller Wucherbegriff statuiert, der auf ein auffälliges Missverhältnis und ein subjektives Element auf Seiten des Wucherers abstellt. Ein Jahr später zog auch der cisleithanische Teil der Monarchie mit einem Strafgesetz über den Kreditwucher109 nach, das auch die zivilrechtliche Nichtigkeit des wucherischen Kreditgeschäfts festlegte; neben dem im Wesentlichen auch heute noch in § 879 Abs 2 Z 4 ABGB enthaltenen Element des Ausnützens
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Vgl Nürnberger Protokolle Band III 1314. Siehe auch Schulze, Laesio enormis 105 ff; Gordley, 69 Cal L Rev 1593, 1600 (1981). Goldschmidt, Handbuch 1. Band 2. Abteilung 117 in Fn 10. Löbl in Pisko II3 Art 286 § 2. Vgl Luig in FS Coing 175 ff. Für Österreich Gesetz vom 14.6.1868, RGBl 1868/62; aus dem zeitgenössischen Schrifttum Jaques, Wuchergesetzgebung passim. Für Deutschland 1864 in Sachsen, 1866 in Preußen, 1867 im Norddeutschen Bund (freilich mit Kündigungsrecht des Schuldners bei hohen Zinsen; vgl Flume, Allgemeiner Teil II4 380) und 1871 für das gesamte Reich; vgl zB Cosack, Lehrbuch I 310; Oechsler, Gerechtigkeit 62 ff. Für Kaufleute siehe auch schon Art 292 ADHGB. In System II/12 32. Das ist freilich dahin gehend zu relativieren, dass zumindest deutsche Gerichte überhöhte Zinsen als sittenwidrig qualifizierten; vgl Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I9 689 in Fn 1. Andererseits dürften auch Zinssätze von 1.000 % gerichtlich eingeklagt worden sein; vgl Rühle, Wucherverbot 27. DRGBl 1880/109; näher Haferkamp in HKK BGB § 138 Rn 12. Gesetz vom 28. Mai 1881 betreffend Abhilfe wider unredliche Vorgänge bei Creditgeschäften, RGBl 47; dazu zB Krasnopolski, Obligationenrecht 98 ff. Bereits 1877 war eine Norm in Galizien erlassen worden (RGBl 1877/66); vgl Ehrenzweig, System II/12 170. Zur zeitgenössischen rechtspolitischen Diskussion vgl zB Stein, Wucher passim.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
war eine Maßlosigkeit der Zinsen erforderlich, die geeignet war, den Kreditnehmer in das wirtschaftliche Verderben zu stürzen. Der Sachwucher wurde in Deutschland 1893 unter Strafe gestellt, sofern er gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begangen wurde.110 Das BGB 1896111 stellte schließlich in § 138 Abs 2 alle wucherischen Geschäfte unter die Nichtigkeitssanktion, ohne dass es auf die Begehungsform ankam; der Wucher wurde und wird als Sonderfall der Sittenwidrigkeit gedeutet.112 Durch diese Einbeziehung des Sachwuchers war im Ergebnis ein teilweiser Ausgleich dafür gefunden, dass die Anfechtung wegen laesio enormis nicht aus dem gemeinen Recht übernommen wurde.113 Hinzu kommt, dass bereits unter dem Wuchergesetz 1880 die Judikatur dazu überging, bei auffallend überhöhten Kreditzinsen die subjektiven Elemente des Wuchertatbestandes zu vermuten, was unter der Geltung des BGB fortgeführt wurde;114 diese Rechtsprechung wurde für den Sachwucher recht bald nachvollzogen.115 Schließlich hat die Rechtsprechung objektive Äquivalenzstörungen auch direkt dem Regime der allgemeinen Sittenwidrigkeitsklausel in § 138 Abs 1 BGB unterstellt; zu all dem unten X. A. 4. Für die Dogmatik des 19. Jahrhunderts war der Wucher leichter zu verstehen als die Verkürzung über die Hälfte, weil durch die erforderliche Ausnützung der Willensschwäche das Element des Willensmangels klarer in den Vordergrund rückte; damit war das bis heute herrschende Verständnis des Vertrags als Verwirklichung des Willens der Parteien leichter in Einklang zu bringen. Diese deutsche Entwicklung strahlte auch auf Österreich aus. Durch Kaiserliche (Not)Verordnung vom 12.10.1914116 wurde ein Wucherverbot erlassen, das sowohl Kredit- als auch Sachwucher erfasste. Der zivilrechtliche Inhalt dieses Gesetzes ist nahezu unverändert noch in Kraft. Der Verbotstatbestand wurde durch die 3. Teilnovelle 1916117 in § 879 Abs 2 Nr 4 ABGB eingefügt; die Bestimmungen über die Rechtsfolgen und das Verfahren finden sich heute in §§ 7 ff WucherG,118 durch das die kaiserliche Notverordnung in der 2. Republik wiederverlautbart wurde.
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Rühle, Wucherverbot 28. Die Bestimmung ist bis heute im Wesentlichen unverändert. Durch dBGBl 1976 I S 2034 wurde der Tatbestand verändert, ohne dass sich wesentliche Unterschiede ergaben; vgl näher Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 140. Vgl Mugdan, Kommissionsbericht I 979 f. Vgl Gierke, Deutsches Privatrecht III 444. RGZ 25, 177; vgl Haferkamp in Historisch-kritischer Kommentar zum BGB § 138 Rn 12 f. RGZ 150, 1. RGBl 1914/275. RGBl 1916/69. BGBl 1949/271 idF BGBl I 2001/98.
II. Rechtshistorischer Überblick
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Das führte jedoch nicht dazu, dass die laesio enormis in Österreich durch den Wuchertatbestand ersetzt worden wäre, auch wenn dies mehrfach gefordert wurde.119 Vielmehr existieren beide Institute nebeneinander, ohne dass von einem Miteinander, einer gegenseitigen Abstimmung gesprochen werden kann. Diese Koexistenz ist im internationalen Vergleich ganz ungewöhnlich.120 Vielleicht ist das geradezu erstaunliche Überleben der österreichischen Bestimmung über die laesio enormis auch dadurch zu erklären, dass sie nicht allein auf das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung abstellt, sondern mit § 935 relativ deutlich Elemente des Willensmangels in Bezug nimmt und damit zumindest den gröbsten Einwänden gegen eine objektive Äquivalenzkontrolle entgegengetreten werden konnte. Wie insbesondere die jüngere Rechtsprechung zum BGB zeigt (unten X. A. 4.), sind die praktischen Unterschiede zwischen Wucher und Gute-Sitten-Klausel einerseits und laesio enormis andererseits nicht so groß, wie dies die Normtexte suggerieren. Wie auch sonst häufig, sind die Abweichungen im dogmatischen Ausgangspunkt zwischen ABGB und BGB größer als diejenigen in den Ergebnissen der Rechtsprechung.
Die einzigen materiellen121 Veränderungen bis in jüngste Zeit ergaben sich durch das KSchG 1979. Einerseits konnte sich seit der Novellierung durch das KSchG (nur) der Nichtkaufmann beim einseitigen Handelsgeschäft auf die Verkürzung berufen (vgl § 351a HGB in der Fassung vor dem UGB). Andererseits wurde durch dieselbe Novelle die Anfechtung wegen laesio enormis im Bürgerlichen Recht durch eine Änderung von § 935 ABGB entgegen kritischen Stimmen122 zwingend gestellt, während zuvor der Verzicht zulässig war.123 Die jüngsten Änderungen nahm mit 1. Jänner 2007 das UGB vor; dazu unten IX. B.
D. Zusammenfassung Die wesentliche Entwicklung der hier untersuchten Institute war für Österreich mit dem 1. Weltkrieg abgeschlossen. In Deutschland und den meisten Ländern wurde ein Institut des römischen Rechts (laesio enormis) im Zeitlauf durch eine Bestimmung mit kanonistischen Wurzeln (Wucher) ersetzt. In 119
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Schöndorf, AcP 1932, 175 f mit Antikritik von Klang, JBl 1932, 236; ablehnend auch Hendel, ZBl 1928, 668; Gschnitzer in Klang IV/1 560 mwN; vgl jüngst Riedler, JBl 2004, 218; siehe auch Grechenig, JRP 2006, 15. Vgl Probst in International Encyclopedia of Comparative Law Volume VII Chapter 11 S. 183 f. Art 286 ADHGB wurde durch Art 8 Nr 6 EVHGB ersetzt, ohne dass dies aber zu inhaltlichen Änderungen führte, wenn man davon absieht, dass die absoluten Handelsgeschäfte durch das HGB abgeschafft wurden. Doralt/Koziol, Stellungnahme 122 ff. Zumindest außerhalb des Ratengesetzes; vgl zur Privilegierung des Käufers näher Mayrhofer, Abzahlungsgeschäft 232 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Österreich wurde dieser Prozess durch das ADHGB zwar begonnen und durch die 3. Teilnovelle fortgeführt, aber nicht mehr abgeschlossen. Das hat zu mancher Verwerfung geführt.124 Aus dem historischen Überblick werden bereits drei Problemkreise deutlich, die in jeder Untersuchung der Äquivalenzstörung (egal ob Wucher oder ob Verkürzung über die Hälfte) einen zentralen Punkt einnehmen müssen und dies auch in der vorliegenden Arbeit tun werden: (1) Welcher Vergleichsmaßstab ist heranzuziehen? Marktpreise oder objektive Werte?125 (2) Bedarf es neben der objektiven Äquivalenzstörung auch subjektiver Tatbestandsmerkmale, auf Seiten des Benachteiligten, aber insbesondere auf Seiten des Begünstigten?126 (3) Sollen solche Rechtsbehelfe allen Teilnehmern am Rechtsverkehr zustehen oder sollen Ausnahmen für Kaufleute/Unternehmer bestehen?
III. Laesio enormis und Wucher im Überblick A. Die laesio enormis Erhält ein Vertragsteil bei einem synallagmatischen Geschäft127 weniger als die Hälfte dessen, was er dem anderen gegeben hat, so kann er das Geschäft innerhalb von drei Jahren ab Vertragsabschluss gerichtlich128 anfechten, wenn der andere Teil nicht den Wertunterschied zur Gänze ausgleicht (§ 934 ABGB); das Anfechtungsrecht steht sowohl dem Käufer als auch dem Verkäufer zu,129 auch wenn vor allem die Formulierung der Aufzahlungsbefugnis dafür spricht, dass die Redaktoren des ABGB primär den verkürzten Verkäufer im Auge hatten.130 Zur Rechtslage für Kaufleute vgl unten IX. 124
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So war die Anfechtung wegen laesio enormis für Kaufleute auch unter dem HGB bis zum Inkrafttreten des neuen UGB weiterhin ausgeschlossen; bewuchert können hingegen auch Kaufleute werden. Sofern man davon ausgeht, dass ein grobes Missverhältnis die subjektiven Tatbestandsmerkmale des Wuchers indizieren kann, ist das in höchstem Maß inkonsequent. Der Einwand von Christian Thomasius, dass Sachen keinen wahren Wert haben, richtet sich im Übrigen nicht nur gegen die laesio enormis, sondern auch gegen die Wucherbestimmung; denn ein Wertvergleich muss auch bei dieser vorgenommen werden, selbst wenn zusätzliche subjektive Elemente erforderlich sind. Vgl rechtsvergleichend zu diesen zwei Grundfragen Probst in International Encyclopedia of Comparative Law Volume VII Chapter 11 S 183. So ist der Ausdruck „zweiseitig verbindlich“ in § 934 ABGB zu verstehen; SZ 42/136 mwN; Gschnitzer in Klang IV/1 557 f; so auch schon Hasenöhrl, Obligationenrecht I 418 f. Die Norm findet auch auf Dauerschuldverhältnisse (SZ 43/11 zu Bestandsverträgen) und auf die (nach hL aber entgeltsfremden) Gesellschaftsverträge (OGH GesRZ 1977, 23; aM Jud in Egger et al, Unternehmensbewertung 192) Anwendung. Die gerichtliche Geltendmachung ablehnend aber Kerschner, Irrtumsanfechtung 64; Hendel, ZBl 1928, 667 ff. Für alle P Bydlinski, JBl 1983, 419. Vgl Gschnitzer in Klang IV/1 565.
III. Laesio enormis und Wucher im Überblick
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Manche sehen in der laesio enormis eine Leistungsstörungsnorm.131 Die systematische Platzierung im ABGB direkt nach den Gewährleistungsvorschriften legt das auch nahe. Nach herrschender Meinung ist die laesio enormis jedoch ein vertypter Willensmangeltatbestand;132 das wird durch § 935 ABGB (sogleich unten 2.) und historisch durch die Analyse der Entstehung des ABGB (oben II. B.) gestützt. Aus dieser Sicht ist im Übrigen die neuere Rechtsprechung des 2. Senats des OGH133 dogmatisch konsequent; das Höchstgericht räumt der Anfechtung nach § 934 ABGB im Gegensatz zu Vorjudikaten134 so wie der Irrtumsanfechtung und anders als der Wandlung oder dem Rücktritt dingliche Wirkung ex tunc ein. Freilich trägt eine jüngere und wenig überzeugende Entscheidung des 7. Senats des OGH nicht zur Klarstellung bei, wenn diese davon spricht, dass der Anfechtung nach § 934 ABGB obligatorisch Wirkung ex tunc, sachenrechtlich aber Wirkung ex nunc beizumessen ist.135 Richtigerweise setzt auch die dingliche Wirkung ex tunc ein. Bedeutung hat die Frage vor allem bei Veräußerungsgeschäften.136
1. Der gemeine Wert a) Allgemeines Der Wertvergleich ist nach dem ABGB nach der so genannten geometrischen Methode vorzunehmen, wie es sich unmittelbar aus dem Normtext ergibt: Daher ist der Verkäufer verletzt, wenn er für einen Verkaufsgegenstand im Wert von 10 weniger als 5 erhält, der Käufer aber erst, wenn er für denselben
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Für viele Welser in Koziol/Welser II 93 (jedoch mit Zweifeln, weil es für das Missverhältnis der Werte auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ankommt); Gschnitzer/Faistenberger/Barta/Eccher, Schuldrecht AT 163. Zu § 1048 ABGB („nachträgliche laesio enormis“) vgl. noch VIII. B. ZB Koziol, AcP 1988, 194; Krejci in Rummel II/1 §§ 1267-1274 Rn 85; Binder in Schwimann IV § 934 Rn 7; P Bydlinski JBl 1983, 412 f; ders in KBB § 934 Rn 5; Kramer, Irrtum Rn 82 in Fn 405, Rn 142 (mit explizit irrtumsrechtlicher Einordnung); Krejci in Bydlinski et al, Bewegliches System 134 f; Noll, AnwBl 2002, 262 f; Böhler, ÖBA 2004, 439; vgl auch Wilburg, Bewegliches System 20; Bydlinski, Privatautonomie 103 in Fn 201; offen lassend Schauer in FS Kramer 628. Aus dem älteren Schrifttum zB Unger, System II 39 in Fn 30; v Stubenrauch, Commentar II 119 in Fn 1, die das Institut auch dem Irrtum zur Seite stellen; ähnlich Pfersche, Irrthumslehre 111 ff. OGH JBl 1998, 41 (Holzner); OGH JBl 1999, 537 (Rummel). Dazu näher Reischauer in Rummel I § 934 Rn 8; Binder in Schwimann IV § 934 Rn 26; P Bydlinski JBl 1983, 417; ders, RdW 2003, 429; ders in KBB § 934 Rn 5; Kerschner, Irrtumsanfechtung 40 ff (vor allem Fn 112); Riedler, JBl 2004, 222. SZ 17/134; SZ 55/21. Anders auch noch Gschnitzer in Klang IV/1 562. OGH ecolex 2003, 168. Dazu Riedler, JBl 2004, 221 f. Binder in Schwimann IV § 934 Rn 26.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Kaufgegenstand mehr als 20 bezahlt – und nicht etwa bloß mehr als 15.137 Damit ist der absolute Wertverlust, den ein Käufer tragen muss, größer, zumindest wenn man auf den Wert des Kaufgegenstands abstellt. Rückt man hingegen die Geldleistung in den Mittelpunkt, so trägt bei einem Kaufpreis von 10 nach §§ 934 f ABGB der Käufer das Risiko bis zu einem Wert der Sache von 5, der Verkäufer hingegen bis zu einem Wert von 20.138 Aus diesem Blickwinkel wirkt sich die geometrische Methode zum Nachteil des Verkäufers aus. Daran zeigt sich, dass sich die auf ersten Blick deutliche Ungleichbehandlung bei der Anwendung der geometrischen Methode stark relativiert, wenn man auch das Geld als hingegebene Ware betrachtet, wenn man mit anderen Worten den Tauschcharakter jedes Kaufs in den Vordergrund stellt und jeweils auf die eigene Leistung des Verkürzten abstellt. Die geometrische Berechnung ist daher nicht unsachlich, auch wenn sie nicht die einzige sachlich gerechtfertigte Berechnungsmethode ist. Es kommt für die Äquivalenz nur auf die Wertverhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, nicht auf diejenigen zum Zeitpunkt der Vertragserfüllung an (§ 934 letzter Satz ABGB);139 später auftretende Äquivalenzstörungen können grundsätzlich nur mit dem Leistungsstörungsrecht aufgegriffen werden.140 Freilich kommt es nicht darauf an, wann bereits ursprünglich vorhandene werterhöhende Tatsachen, wie zB Ölvorkommen auf einem veräußerten Grundstück, zum Vorschein kommen; die Anfechtung nach § 934 ABGB steht offen, wenn diese Eigenschaften erst nach Vertragsschluss zum Vorschein kommen, aber zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden waren.141 b) Marktpreise oder wahrer Wert Ausschlaggebend für den Wertvergleich ist nach § 934 S 1 ABGB der gemeine Wert der Leistung(en); beim Tausch sind die Werte von Leistung und Gegenleistung zu vergleichen. Dieser gemeine Wert ist wegen § 304 ABGB (1. Teil I.) der Nutzen, den eine Sache „mit Rücksicht auf Zeit und Ort gewöhnlich und allgemein leistet“; er ist vom Richter, gegebenenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen, festzustellen.142 Die Rechtsprechung143 und der Groß137
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Im Mittelalter war hingegen diese arithmetische Berechnungsmethode vorherrschend, nach welcher der absolute Wertverlust für Käufer und Verkäufer gleich hoch sein musste; vgl Schulze, Laesio enormis 16 ff. Vgl das Beispiel bei Reischauer in Rummel I § 934 Rn 2. Vgl schon Zeiller Commentar III/1 142; Gschnitzer, ZBl 1937, 54. Jüngst P Bydlinski, RdW 2003, 429; ders in KBB § 934 Rn 1. Insofern allgM; zB SZ 61/162; OGH RdW 1999, 18; OGH 3 Ob 79/97g; P Bydlinski, JBl 1983, 413 ff; Welser in Koziol/Welser II 93; Gschnitzer/Faistenberger/Barta/Eccher, Schuldrecht AT 164. Dieser Eigenschaftsirrtum als Basis der Anfechtung wird im jüngeren Schrifttum kaum erörtert; vgl Fleischer, Informationsasymmetrien 73 mN zur Pandektenwissenschaft. SZ 5/36.
III. Laesio enormis und Wucher im Überblick
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teil des heutigen Schrifttums144 stellen dafür grundsätzlich auf den Marktpreis bzw auf das marktübliche Entgelt ab; vor allem F Bydlinski hat wiederholt betont, dass eine Äquivalenzkontrolle nur anhand der aggregierten subjektiven Bewertungen, anhand des Marktpreises vorgenommen werden darf.145 Funktioniert die Preisbildung am Markt nicht (zB bei temporären Marktverzerrungen oder Monopolstellungen) oder fehlt es an einem Markt, so soll es nach dem Großteil des Schrifttums auf den angemessenen Preis iSv § 1151 ABGB bzw auf „den Ertrags- oder Gestehungskostenwert“ ankommen.146 Ein Teil der Rechtsprechung stützt dies zumindest in obiter dicta: „Wenn sich kein wahrer Markt gebildet hat oder dieser im Verdacht ungerechter Preisbildung steht, ist auf den Ertrags- oder Gestehungskostenwert abzustellen.“147 Diejenigen, die nur auf den Marktpreis abstellen, ohne andere Vergleichsmaßstäbe zu nennen, müssen konsequenterweise davon ausgehen, dass bei fehlendem Marktpreis §§ 934 f ABGB nicht anwendbar sind; der eigentliche Wert lässt sich nicht mehr erheben, was wegen § 935 ABGB zu Lasten des Verkürzten geht. In diesem Zusammenhang ist auch ein jüngeres Urteil des OGH von Bedeutung,148 das freilich nicht zum Kauf-, sondern zum Mietvertrag ergangen ist: Einem subjektiv verkürzten Mieter misslang der Nachweis der Verkürzung über die Hälfte gegenüber dem Marktpreis, weil ortsübliche Mietsätze nicht festgestellt werden konnten. Alle drei entscheidenden Gerichte griffen nicht die Errichtungskosten bzw auf die Amortisationsdauer zurück, um den Wertvergleich vorzunehmen; die Berufung auf die laesio enormis schied aus. Zwar ist der Entscheidung unmittelbar nichts für den Kaufvertrag zu entnehmen, allerdings lässt der Senat durchaus Skepsis gegenüber der in manchen obiter dicta positiv beurteilten Gestehungskostentheorie anklingen.
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Vgl zB OGH JBl 1928, 151; OGH EvBl 1956/232 (434); OGH RZ 1984/29 (95); OGH 6 Ob 187/99i; OGH JBl 2006, 39; grundsätzlich auch zu Dauerschuldverhältnissen SZ 64/183. Reischauer in Rummel I § 934 Rn 3; Gschnitzer/Faistenberger/Barta/Eccher, Schuldrecht AT 164; Graf, Vertrag 80 f; Kramer, Krise 29 f; Zemen, ÖJZ 1989, 592; wohl auch Binder in Schwimann IV § 934 Rn 12; grundsätzlich auch Jud in Egger et al, Unternehmensbewertung 190. So früher auch ganz klar Hasenöhrl, Obligationenrecht II 420 iVm I 271. F Bydlinski, Privatautonomie 154; ders in FS Mayer-Maly 137; ganz deutlich ders, System 160; ders, Rechtsgrundsätze 274, 292; ders, Methodenlehre 359 f. Vgl zum Wucher aber dens, Methodenlehre 360. Reischauer in Rummel I § 934 Rn 4; in der Sache auch Binder in Schwimann IV § 934 Rn 12; wohl auch P Bydlinski in KBB § 934 Rn 1; Zemen, ÖJZ 1989, 593. OGH 6 Ob 187/99i. Zurückhaltend aber OGH JBl 2006, 39. OGH JBl 2006, 39 (unter Berufung auf die frühere Rsp zum Bestandvertrag).
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Einen anderen Ausgangspunkt wählt Gschnitzer,149 der sich auf die Entstehungsgeschichte des ABGB stützen möchte. Der gemeine Wert nach § 305 ABGB sei nicht primär der Verkehrswert, sondern ein objektiver Wert, der sich aus Arbeitswert, Produktionskosten und einem mäßigen (nicht: angemessenen!) Gewinn zusammensetze. Der Marktpreis sei nur unter normalen Verhältnissen und nur bei marktgängigen Waren ein angemessener Indikator für den Wert; für Grundstücke scheide er zB überhaupt aus (wobei freilich offen bleibt, was „Arbeitswert, Produktionskosten und mäßiger Gewinn“ bei Grundstücken bedeuten soll). Diese marktskeptische Ansicht Gschnitzers war hingegen bereits bei Abfassung seines Beitrags 1937 (also nach den für Vertreter der Marktwirtschaft besonders ernüchternden 20er und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts) nicht herrschend, wie er auch selbst hervorhebt. Dennoch dürfte der als Standardsatz in der späteren Literatur ständig wiederholte Vergleich des Preises mit dem Ertrags- oder Gestehungskostenwert im Ergebnis auf Gschnitzer zurückzuführen sein. c) Laesio enormis und Gewährleistung Der Käufer kann nach der Rechtsprechung150 auch anfechten, wenn das Missverhältnis entsteht, weil der Kaufgegenstand bereits bei Vertragsabschluss (nicht erst danach!) mangelhaft ist, während bei Mangelfreiheit kein die Anfechtbarkeit begründetes Missverhältnis bestünde.151 Die herrschende Lehre152 teilt diese Ansicht. Liegt also der Fehleinschätzung nicht bloß ein Irrtum über Marktpreise zugrunde, sondern die Tatsache, dass der Kaufgegenstand vorausgesetzte Eigenschaften nicht aufweist und dass deswegen der Wert der fehlerhaften Sache weniger als die Hälfte der Gegenleistung beträgt, so schadet das nach herrschender Lehre für die Anwendung von § 934 ABGB nicht. Der Käufer hat somit bei besonders krassen Mängeln die Wahl zwischen den Rechtsbehelfen nach Gewährleistungsrecht und denjenigen nach § 934 ABGB,
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In Klang IV/1 558 unter Rückgriff auf ZBl 1937, 849 (wo Gschnitzer zwar zum Wucher schreibt, was er aber auf die laesio enormis überträgt). Ablehnend zB F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 275. ZB OGH GlUNF 1.069; SZ 2/24; OGH JBl 1934, 304; LG Wien EvBl 1937/1028; SZ 8/74; OGH ecolex 2003, 168; SZ 2003/70; offen lassend aber SZ 61/162; obiter dictum (weil dort das Missverhältnis erst nach Vertragsabschluss wegen Konkretisierung einer Gattungsschuld entstand) ablehnend OGH 3 Ob 79/97g. Es geht um folgende Konstellation: Preis 100, Wert der mangelfreien Sache 100 (oder auch nur 60), Wert der mangelhaften Sache 45. Im Wesentlichen betrifft diese Frage die Speziesschuld; vgl Riedler, JBl 2004, 219. Gschnitzer in Klang IV/1 559; Welser in Koziol/Welser II 84; Binder in Schwimann IV § 934 Rn 7; referierend Kramer in Straube, HGB I § 351a Rn 5; Kerschner in Jabornegg, HGB § 351a Rn 1; Gschnitzer/Faistenberger/Barta/ Eccher, Schuldrecht AT 166; Dullinger, BR II Rn 3/152; Riedler, JBl 2004, 216 ff (mit Hinweisen auf die diesbezügliche Intention der Redaktoren der 3. Teilnovelle); Zemen, ÖJZ 1997, 215 f.
III. Laesio enormis und Wucher im Überblick
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wobei diese Norm im Gegensatz zum Gewährleistungsrecht auch außerhalb des KSchG nicht abbedungen werden kann. Eine beachtliche Gegenmeinung verneint für diesen Fall die Anspruchskonkurrenz von laesio enormis und Gewährleistung und geht von einem Primat der gewährleistungsrechtlichen Rechtsbehelfe aus. Sonst könnten bei wesentlichen Mängeln die Gewährleistungsfristen nach § 933 ABGB umgangen werden.153 Konkurrenzen können sich aber auch nach der Mindermeinung ergeben, wenn die Sache mangelhaft ist, aber auch der Wert der mangelfreien Sache zur Anwendbarkeit von § 934 ABGB führt.154 Soweit ersichtlich ist es aber unstrittig, dass Irrtümer über die Eigenschaften des Kaufgegenstands dann mit § 934 ABGB aufgegriffen werden können, wenn der Verkäufer werterhöhende Eigenschaften nicht kennt; das Gewährleistungsrecht ist hier nicht einschlägig. Das war rechtshistorisch teilweise anders; so haben werterhöhende Schätze unter dem Grundstück, die erst vom Käufer entdeckt werden, in manchen Entwicklungsphasen nicht die Anfechtung eröffnet.155
Ohne jeden Zweifel können Mängel bei Gattungssachen nur sehr begrenzt mit der laesio enormis aufgegriffen werden.156 Denn die Mangelhaftigkeit einzelner Stücke der Gattung ist keine Äquivalenzstörung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, wie sie von § 934 ABGB verlangt wird, sondern bloß eine solche im Zeitpunkt der Erfüllung. Sollte jedoch die gesamte Gattung mangelhaft sein, so ist die Lage dieselbe wie beim Spezieskauf und es ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Mangelhaftigkeit vorlag; war dies bereits vor dem Vertragsabschluss der Fall, so steht die Anfechtung wegen laesio enormis nach der herrschenden Lehre bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen offen. Ähnliche Konkurrenzfragen wie zum Gewährleistungsrecht stellen sich auch bei der Irrtumsanfechtung; vgl unten IV. B. Zur Beurteilung der Frage im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts vgl unten IV. B. 5.
2. Das Irrtumselement Dem Verkürzten darf der wahre Wert bei Vertragsabschluss nicht bekannt sein: § 934 ABGB „ist jedoch dann nicht anzuwenden, […] wenn er [der Verkürzten], obgleich ihm der wahre Wert bekannt war, sich dennoch zu dem 153
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P Bydlinski JBl 1983, 415 f; ders, RdW 2003, 430 f; ders in KBB § 934 Rn 3; Koziol/Welser I, 10. Auflage, 271 (anders aber heute Welser in Koziol/Welser II 84); krit auch Reischauer in Rummel § 934 Rn 15; früher auch Ehrenzweig, System II/1 218; v Stubenrauch, Commentar II 121; die Verlängerung der Fristen hält Gschnitzer in Klang IV/1 559 hingegen für unbedenklich. Vgl näher P Bydlinski JBl 1983, 420. Vgl Schulze, Laesio enormis 126; Kundert in FS Coing 153 (anscheinend gab es aber bereits früher Gegenausnahmen für Metalladern, also für besonders wertvolle Bodenschätze). Reischauer in Rummel I § 934 Rn 15: P Bydlinski, RdW 2003, 430.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
unverhältnismäßigen Werte verstanden hat“ (§ 935 ABGB). Zu Recht wird in diesem subjektiven Element das ausschlaggebende Argument dafür gesehen, die Verkürzung über die Hälfte unter die Willensmängel einzuordnen.157 Wer behauptet, dass die objektive Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung geschützt werden solle, verkürzt den Zweck der Norm.158 Denn der Schutz erfasst nur denjenigen, der sich bei Vertragsabschluss über den Wert der ihm oder von ihm zu erbringenden Leistung in ganz außerordentlichem Ausmaß irrt.159 Nach herrschender Lehre ist dadurch sowohl der echte Wertirrtum als auch der Irrtum über wertbildende Eigenschaften, der den Irrtum über den Wert bloß nach sich zieht, erfasst;160 das wurde bereits im Zusammenhang mit der Anspruchskonkurrenz zur Gewährleistung implizit ausgesprochen. Damit die Anfechtung nach § 934 ABGB ausgeschlossen ist, muss der Verkürzte den wahren Wert161 positiv kennen.162 Es genügt daher, wenn der Verkürzte gar keine Wertvorstellung hat; eine falsche Vorstellung ist nicht zwingend erforderlich.163 Ebenso kann (wohl im Gegensatz zur Irrtumsanfechtung) wegen laesio enormis angefochten werden, wenn bloße Zweifel über den Wert bestehen und dies „billigend in Kauf genommen wird“.164 Es schadet für die Anfechtungsmöglichkeit auch nicht, wenn der Verkürzte den wahren Wert bei sorgfältiger Information hätte erkennen können, die erforderlichen Nachforschungen aber nicht angestellt hat;165 es geht um positives Wissen, nicht um bloßes Wissen-Müssen. Die Kenntnis ist überdies vom Anfechtungsgegner zu beweisen, was im Vergleich zum Irrtumsrecht zu einer Beweislastumkehr führt.166 § 935 ABGB ist nach geltendem Recht nicht so zu verstehen, dass die Anfechtung bereits dann ausgeschlossen ist, wenn der Verkürzte weiß, dass ein Missverhältnis vorliegt, das zur Anfechtung nach § 934 ABGB berechtigt, ohne jedoch das genaue Ausmaß dieses Missverhältnisses zu kennen. Denn das volle
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Krejci in Rummel II/1 §§ 1267-1274 Rn 85; P Bydlinski, JBl 1983, 412 f. Vgl Grechenig, JRP 2006, 15 mN. Vgl SZ 68/152. Welser in Koziol/Welser II 93; Reischauer in Rummel I § 934 Rn 15. Anders wohl Koziol in Koziol/Welser I, 12. Auflage, 149: § 934 regelt Irrtum über Verkehrswert. Offen auch P Bydlinski in KBB § 934 Rn 2. Der Marktpreis muss bekannt sein, nicht Einschätzungen, wie der Marktpreis liegen könnte. Daher behauptet Zemen (ÖJZ 1997, 217) zu Unrecht, dass die Anfechtung nach § 934 ABGB bei Kunstauktionen ausscheide, wenn der (private) Bieter über dem höchsten Schätzpreis bietet. Daher hilft es nicht, in AGB die Kenntnis des wahren Werts festzuhalten. Zu Sonderproblemen der Kausalität der Fehlvorstellung vgl P Bydlinski, JBl 1983, 417 f. Vgl P Bydlinski, JBl 1983, 413. P Bydlinski, JBl 1983, 413. SZ 68/152; Reischauer in Rummel I § 935 Rn 1. P Bydlinski, JBl 1983, 412.
III. Laesio enormis und Wucher im Überblick
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Ausmaß der Verkürzung muss dem Benachteiligten nach dem Gesetzeszweck beim Geschäftsabschluss bewusst sein.
3. Der zwingende Charakter und der Hoffnungskauf Seit dem KSchG 1979 ist gem § 935 ABGB ein Verzicht auf das Rechtsmittel der laesio enormis bei Vertragsschluss nicht möglich;167 das wurde im Schrifttum für den − bis dahin anscheinend häufig auftretenden − formularmäßigen Verzicht zwar begrüßt, für einzeln ausgehandelte Verzichtserklärungen allerdings (auch wegen der dennoch möglichen Typenvermischung) für zu weit gehend gehalten.168 Die Norm ist einseitig zwingend, weil es zulässig ist, die Anfechtungsmöglichkeit auch bei geringeren Wertabweichungen vertraglich zu eröffnen oder den Vergleichsmaßstab zugunsten des Verkürzten zu verändern.169 Wegen des zwingenden Charakters ist die Bedeutung der Norm daher zumindest seit dem KSchG deutlich gestiegen. Gemischte Schenkungen und ähnliche Verträge mit unentgeltlichen Elementen können nicht wegen Verkürzung über die Hälfte angefochten werden (§ 935 ABGB). Für das Vorliegen einer gemischten Schenkung ist jedenfalls auf den Willen der Parteien abzustellen. Der wesentliche Unterschied zum verpönten Verzicht auf das Rechtsmittel ist aber, dass sich die Parteien auf einen anderen Geschäftstyp verständigt haben, dem ein beachtliches Element der Freigiebigkeit innewohnt. Dieser Zuwendungswille wird vom österreichischen Zivilrecht (selbstverständlich) respektiert.
Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift hängt aber unter anderem davon ab, wie man die Ausnahme für den Hoffungskauf (§§ 1275 f ABGB) versteht; wegen § 1268 ABGB ist die laesio enormis (nicht aber die Anwendung der Wucherregeln!170) bei Glücksverträgen für beide Vertragsteile ausgeschlossen. Der Hoffnungskauf ist in § 1276 ABGB als Erwerb der künftigen Nutzungen einer Sache in Pausch und Bogen bzw als Erwerb einer bloß erhofften, noch nicht entstandenen Sache171 definiert; der Erwerber „trägt die Gefahr der ganz vereitelten Erwartung“.172 167
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Für das Wohnungseigentum gleichsinnig § 38 Abs 1 Z 4 WEG 2002, BGBl I 2002/70; vgl auch § 21 Abs 1 Z 2 WGG, BGBl 1979/139 idF BGBl I 2002/71. Schon früh gegen die Abdingbarkeit Caro, ZBl 1917, 645. Doralt/Koziol, Stellungnahme 122 ff. Für ein Beispiel bei der Umwidmung von Bauland vgl unten VIII. A. SZ 24/306; vgl Krejci in Rummel II/1 §§ 1267-1274 Rn 88. Das ist nach hL analoge Anwendung der Bestimmung; vgl Mayer-Maly in Klang IV/2 705; Krejci in Rummel II/1 §§ 1275-1277 Rn 17. Der Wortlaut lässt es aber zu, die Worte „die Hoffnung derselben“ auch auf das Wort „Sache“ zu beziehen; damit wäre die unmittelbare Anwendung eröffnet. Anderes gilt für den „Kauf der gehofften Sache“, bei dem ein verhältnismäßiger Preis je nach Ausmaß der künftigen Erträgnisse versprochen wird oder die Zahlung des Kaufpreises für eine künftige Sache von deren Existenz abhängig gemacht wird; vgl Krejci in Rummel II/1 §§ 1275-1277 Rn 4 ff. Dieser ist nach
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Ein Beispiel für den Erwerb zukünftiger Sache ist der Erwerb noch nicht bestehender Aktien einer in Gründung befindlichen Gesellschaft.173 Für den Erwerb der künftigen Nutzungen wäre zB an einen Abbauvertrag zu denken, bei dem der Erwerber das Recht hat, Bodenschätze aus einen Grundstück zu gewinnen, soweit der Abbau möglich ist,174 oder an den Erwerb der Erträgnisse aus dem Verkauf von Programmen eines Vergnügungsunternehmens.175 Ganz nahe verwandt ist ein älterer Fall, nach dem der Erwerb einer Rechtsanwaltskanzlei (also nicht bloß der Erträge aus dieser Kanzlei!)176 wegen des aleatorischen Elements künftiger Vorteile ein Hoffnungskauf sein soll.177 Wie die Beispiele zeigen, ist es nach der Absicht der Parteien zu beurteilen, ob ein Hoffnungskauf vorliegt.178 Je nach vertraglicher Risikoverteilung ist das Geschäft das eine Mal kaufähnlicher Glücksvertrag, das andere Mal reiner Kaufvertrag; das eine Mal finden §§ 934 f ABGB keine Anwendung, das andere Mal schon.179 Damit wäre die Anwendbarkeit der laesio enormis im Ergebnis der Parteiendisposition anheimgestellt, was natürlich in einem Spannungsverhältnis zur Intention der Novelle 1979 stünde. Die Auflösung dieses Spannungsverhältnisses zwischen vertraglicher Risikoverteilung und zwingendem Charakter von § 934 ABGB wird uns noch ausführlich beschäftigen. Jedenfalls kann aus der angeblich besonderen Natur der Glücksgeschäfte kein Argument gegen die Anwendung der Verkürzung über die Hälfte auf diese abgeleitet werden! Natürlich wäre es geradezu absurd, den bezahlten Preis mit dem Ergebnis nach Eintritt des vom Zufall abhängenden Ereignisses zu vergleichen180 Das ist schon deswegen unzulässig, weil die Beurteilung ex ante, dh im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, vorzunehmen ist. Sinnvoll und möglich ist es aber, den Kaufpreis mit dem Wert der Chance auf Nutzung in Bezug zu setzen.181 Das Mittel dazu ist der Erwar-
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§ 1275 ABGB wegen (Rück)Verweisung auf das Kaufrecht kein Glücksvertrag, weswegen auch das Rechtsmittel der laesio enormis offen steht; Aicher in Rummel I § 1065 Rn 2; Krejci in Rummel II/1 §§ 1275-1277 Rn 15. OGH GlU 5599. SZ 9/198. OGH GlUNF 7200 (zu Unrecht als bloßer „hoffnungsähnlicher“ Kauf bezeichnet); kritisch Wolff in Klang IV/2 1007; Aicher in Rummel I § 1065 Rn 4. Deswegen kritisch Krejci in Rummel II/1 §§ 1275-1277 Rn 21. OGH GlUNF 948 (die Anwendbarkeit der laesio enormis ausdrücklich ausschließend). Mayer-Maly in Klang IV/2 704, der völlig zu Recht ausdrücklich vor einer aus der Natur des Gegenstands schließenden naturalistischen Betrachtungsweise warnt. So zB Wolff in Klang IV/2 983. Das scheint Grassl-Palten in FS Bydlinski 156 f vorzuschweben; damit ist das Ergebnis (Ausschluss der laesio enormis ist „geradezu selbstverständlich mit ihrem [der Glücksverträge] Wesen verknüpfte Konsequenz“) schon durch die Fragestellung unausweichlich bestimmt. Schon Gschnitzer (in Klang IV/1 559) will bei Lotto und Toto das Entgelt mit der Aussicht auf Gewinn vergleichen; vgl auch Gschnitzer/Faistenberger/Barta/
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tungswert, bei dem die zu erwartenden Erträge mit der Wahrscheinlichkeit ihres Anfalls multipliziert werden.182 Der Irrtum iSv § 935 ABGB kann daher einerseits aus einer falschen Einschätzung der Erträge, andererseits aber auch aus einer falschen Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten resultieren. Dagegen spricht auch nicht, dass diese Einschätzungen bei der Schaffung des ABGB nicht berücksichtigt wurden, denn das war noch nicht möglich: Obwohl der Beginn der Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsrechnung bereits auf das 17. Jahrhundert zurückgeht, war das hier ausschlaggebende Konzept des Erwartungswerts zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch nicht als operationalisiertes Rechenverfahren bekannt.183 Die jüngere Lehre bejaht daher entgegen dem Gesetzeswortlaut die Anwendbarkeit der Bestimmungen auf den Hoffnungskauf bzw auf Glücksgeschäfte ganz allgemein.184 Die Rechtsprechung hat die Anwendung von §§ 934 f ABGB für den Hoffnungskauf generell (noch) offen gelassen,185 für die Leibrentenverträge als spezieller Ausprägung dieses Geschäftstyps allerdings in jüngerer Zeit zunehmend bejaht.186 Damit zeigt sich, dass die Ausnahme vom grundsätzlich zwingenden Charakter von § 934 ABGB für den Hoffnungskauf bei richtiger Betrachtung nur eine vermeintliche und vor allem historisch bedingte ist. Aus § 1268 ABGB ist für die Frage, ob die Anfechtung wegen laesio enormis durch die vertragliche Risikoverteilung vermieden werden kann (wie es der Fall des Kaufs der Brief-
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Eccher, Schuldrecht AT 165. Die Bedeutung des Ertragswerts erkennt auch Wolff (in Klang IV/2 983) ganz klar, ohne sich jedoch den dann nahe liegenden Folgerungen zu öffnen. Vgl auch Binder, wbl 1992, 386 f. Das sieht die Rsp zum Wucher, der auch bei Glücksverträgen vorliegen kann, schon seit jeher so; vgl die Nachweise bei Joeinig, ÖJZ 2003, 5. Zeiller spricht in seiner Kommentierung der Glücksgeschäfte (Kommentar III/2 663 f) zwar vom Vergleich von „Hoffnung des Gewinns mit [der] Gefahr des Verlusts“, stellt dann aber anscheinend auf einen Vergleich des Werts des Gegenstandes mit der Gegenleistung ohne Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit ab − und lehnt die Anwendung dann (natürlich) ab. Krejci in Rummel II/1 §§ 1267-1274 Rn 88, §§ 1275-1277 Rn 23; Binder in Schwimann V § 1268 Rn 3; Gschnitzer in Klang IV/1 433, 559; enger Reischauer in Rummel I § 934 Rn 1; skeptisch auch Wenusch, AnwBl 2001, 133. Früher zB für den Loskauf klar verneint in OGH GlU 7029. Erstmals in diese Richtung OGH NZ 1994, 206. Diesbezüglich ganz deutlich OGH ecolex 1997, 924 (Urbanek); OGH NZ 2006/11. Aus der Literatur Reischauer in Rummel I § 934 Rn 1b; Krejci in Rummel II/1 §§ 1284-1286 Rn 28; Binder in Schwimann V § 1268 Rn 3, § 935 Rn 6. Der Sache nach gleich, aber dem Wortlaut nach ablehnend SZ 24/306 (aus der Größe des Missverhältnisses wurden Rückschlüsse auf das Bestehen der subjektiven Elemente der Wucherbestimmung gezogen!). Vgl zum Problem schon Codex Theresianus Dritter Teil 9. Kapitel § 358. Entgegen Reischauer (in Rummel I § 934 Rn 1) kommt es aber mE nicht darauf an, ob das Risiko durch eine Risikogemeinschaft ausgeglichen werden kann.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
markensammlung nahe legen könnte; Beispiel 3), nichts zu gewinnen. Dazu noch ausführlich unten VI. 4. Die besondere Vorliebe Eine dem Verzicht ähnliche Funktion könnte allenfalls auch § 935 Halbsatz 2 ABGB erfüllen:187 § 934 „ist jedoch dann nicht anzuwenden, wenn jemand erklärt hat, die Sache aus besonderer Vorliebe um einen außerordentlichen Wert zu übernehmen.“ Damit kann nicht die bewusste Überzahlung gemeint sein; denn dann wäre § 934 schon wegen gemischter Schenkung oder wegen Kenntnis des wahren Werts nicht anzuwenden.188 Blickt man auf die Rechtsprechung, so kann man folgende Urteile, die auf den Erwerb aus besonderer Vorliebe abstellen, exemplarisch hervorheben: Bei einem Briefmarkenverkauf wurde ein Drittel der Sammlung untersucht sowie geschätzt und aufgrund einer Hochrechnung der Preis für die gesamte Sammlung festgelegt; die wesentlichen Werte fanden sich alle im untersuchten Drittel, wodurch die Sammlung weniger als die Hälfte des Kaufpreises wert war (vgl oben I. C. Beispiel 3).189 Der OGH befand, dass der Erwerb der Sammlung zum Wert der besonderen Vorliebe erfolgte bzw ein (damals zulässiger) Verzicht auf die laesio enormis vorlag. Dieser liege nach dem OGH beim Kauf in Pausch und Bogen nahe. In einem ähnlich gelagerten Fall verneinte der OGH hingegen den Erwerb aus besonderer Vorliebe:190 Der Erwerber eines unfallbeschädigten Autos focht den Vertrag an, weil der Wagen bei einem Kaufpreis von 20.000 nur maximal 9.000 wert war. Dem Einwand des Verkäufers, dass der Erwerber aus besonderer Vorliebe gekauft habe, weil er das Fahrzeug „im Pfusch“ reparieren wollte, wurde nicht stattgegeben. Vielmehr habe der Käufer durch den Vertragsabschluss die besondere Vorliebe nicht implizit erklärt und das Risiko daher nicht übernommen. Bekannt sind die Kunstfälle. Bis weit in das 20. Jahrhundert hatte der OGH judiziert, dass der Erwerb von Kunstgegenständen immer zum Wert der besonderen Vorliebe erfolge.191 Später wurden Ausnahmen für „alte Meister“ gemacht, bei denen ein ordentlicher Preis bestehen könne, wenn ausreichend Werke vorhanden seien; dieser Preis sei durch die erfolgten Umsätze mithilfe von Sachver-
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Vgl Welser, JBl 1979, 453; Hackl, ÖJZ 1980, 651 f. AM anscheinend P Bydlinski in KBB § 935 Rn 2. OGH JBl 1972, 611. Die weiteren Sachverhaltselemente sind im gegebenen Zusammenhang nicht wesentlich. OGH JBl 1988, 449. OGH JBl 1930, 322 (Groß); kritisch Gschnitzer in Klang IV/1 558. Ähnliche Tendenzen auch in OGH GlU 15598 (freilich war dort letztlich ausschlaggebend, dass der Wert des Gemäldes zum Verkaufszeitpunkt nicht mehr feststellbar war; vgl § 935 ABGB).
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ständigen festzustellen.192 Ebenso haben Heiligenstatuen wegen des Handels in größerem Umfang im Regelfall einen ermittelbaren Marktwert.193 Hingegen bestehe bei Verkauf von Werken durch den Künstler selbst kein Marktwert, der zum Vergleich herangezogen werden könne;194 das gilt, wie aus der Entscheidung hervorgeht, jedenfalls dann, wenn es um einen unbekannten Künstler geht, dessen Werke noch nicht regelmäßig verkauft werden. Hier erwerben die (ersten) Käufer zum Wert der besonderen Vorliebe.195 In einem jüngeren und sehr instruktiven Fall ging es um die (nicht besonders aufwändige) Ausbildung zur sog „Reiki-Meisterin“ zur „Energieübertragung zwischen Personen“.196 Die Ausbildung kostete 10.000 $ und vermittelte das „Recht“, selbst Reiki-Meister entgeltlich auszubilden, wodurch neben den spirituellen Aspekten auch handfeste Geschäftsinteressen im Spiel waren. Der Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte wurde nicht stattgegeben; die subjektive Bewertung der Leistung durch die Auszubildende trete hier so in den Vordergrund, dass ein Geschäft zum Wert der besonderen Vorliebe vorliege.
Diesen Fällen ist gemeinsam, dass der Verkürzte nicht ausdrücklich erklärt hat, zum Wert der besonderen Vorliebe erwerben zu wollen. Der Geschäftsabschluss zum Wert der besonderen Vorliebe wurde vielmehr implizit aus dem Geschäftsinhalt erschlossen.197 Auf die nach dem Normtext erforderliche Erklärung198 wird daher verzichtet. Vielmehr scheinen in der Rechtsprechung zwei Überlegungen im Vordergrund zu stehen: Zum einen geht es um Fälle, in denen kein Marktpreis für eine bestimmte Leistung besteht. Dies wird insbesondere in den Kunstfällen deutlich; aber auch bei der Ausbildung zur Reiki-Meisterin bestand eine diesbezügliche Monopolstellung durch die Ausbilder,199 weswegen keine vergleichbaren Anbote anderer spiritueller Vereinigungen herangezogen werden konnten. Hier wurde gerade nicht auf den in der Lehre postulierten Vergleich mit Ertragsund Herstellungskostenwerten abgestellt, obwohl dies allenfalls möglich ge-
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RG EvBl 1943/87 (in den wesentlichen Passagen zugänglich bei Zemen, ÖJZ 1989, 590 f). OGH RZ 1962, 83. Ähnlich zu einer wertvollen Münzsammlung schon GlU 125. SZ 39/206. Jedoch ist die konkrete Falllösung zweifelhaft: Denn der Sachverständige stellte im erstinstanzlichen Prozess sehr wohl einen Marktwert fest. OGH 6 Ob 187/99i. Ablehnend noch Zeiller Kommentar III/1 146, der eine ausdrückliche Erklärung für zwingend hält. Standarderklärungen in AGB sind mE im Regelfall nach § 879 Abs 3 ABGB nichtig. Im Übrigen liegt hier häufig in Wirklichkeit ein verbotener Ausschluss des Anfechtungsrechts nach § 934 ABGB vor. Vgl tendenziell anders Welser, JBl 1979, 453. So ausdrücklich OGH 6 Ob 187/99i.
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wesen wäre.200 Vielmehr wurde durch einen recht pauschalen Verweis auf den Wert der besonderen Vorliebe der Wertvergleich ganz abgelehnt;201 dies mag vielleicht beim Kunsthandel und im Esoterikgeschäft wegen der besonderen emotionalen Bedeutung der Geschäftsgegenstände auch besonders nahe liegen. Im Briefmarkenfall wäre hingegen ein Marktpreis für die Sammlung bei vollständiger Erhebung der Entscheidungsgrundlagen feststellbar gewesen; die Parteien haben dies nur unterlassen. Ebenso ist die Sachlage beim Kauf des Unfallwagens. Hier geht es im Ergebnis darum, ob die verkürzte Partei das Risiko der Abweichung der vereinbarten Gegenleistung vom Marktpreis übernehmen kann; das Problem wurde soeben auch in Zusammenhang mit dem Hoffnungskauf erörtert. Diese Berücksichtigung der vertraglichen Risikoverteilung rückt den Briefmarkenfall freilich nahe an den (heute, nicht zum Entscheidungszeitpunkt) verbotenen Ausschluss der laesio enormis. Ob dieses Spannungsverhältnis durch Verweis auf die Natur des Geschäfts, also die für solche Geschäfte natürliche Risikoverteilung aufgelöst werden darf, ist fraglich; die Antwort (unten VI.) kann mE nur anhand wesentlicher Strukturmerkmale des Rechts der Willensmängel erfolgen. Keine im gegebenen Zusammenhang relevante Ausnahme ist § 935 Halbsatz 5 ABGB: Die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte scheidet aus, wenn sich der eigentliche Wert nicht mehr ermitteln lässt. Die Wertermittlung muss ursprünglich noch möglich gewesen sein, wurde aber zwischenzeitlich verhindert. Das ist eine Beweislastregel, die dem Verkürzten den Nachweis des gemeinen Werts auferlegt.202 Der Ausschluss der laesio enormis wegen Kenntnis des wahren Werts oder Erwerbs aus besonderer Vorliebe ist hingegen durch den Verkürzenden zu beweisen.
B. Der Wucher 1. Grundlagen Neben der laesio enormis bietet vor allem die Anfechtung wegen Wuchers ein Mittel, um sich wegen einer Äquivalenzstörung von einem unerwünschten Vertrag zu lösen. Auf den Wucher können sich sowohl der ungünstig Verkaufende als auch der benachteiligte Käufer berufen.203
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Bei der Reiki-Meisterin zB durch Vergleich mit dem Ertragswert der „Lizenz“ zur zukünftigen Ausbildung. Dazu mit Recht kritisch Zemen, ÖJZ 1989, 594, mit Verweis auf die Unterscheidung zwischen objektivem Liebhaberwert (= Marktpreis) und subjektivem Liebhaberwert (= Bereitschaft, auch über dem Marktpreis zu zahlen). So auch Reischauer in Rummel I § 935 Rn 4. Es geht nur um Geschäfte, bei denen ein Austauschverhältnis vorliegt, nicht aber um unentgeltliche Geschäfte; vgl OGH SZ 67/123; Bollenberger in KBB § 879 Rn 18; grundsätzlich auch Krejci in Rummel I § 879 Rn 215 (vgl aber dens, aaO Rn 226c).
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Positiv-rechtlich ist der Wucher in § 879 Abs 2 Z 4 ABGB (und § 1 WuchG) geregelt. Obwohl die Bestimmung systematisch ein Sonderfall der Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit ist, geht es in der Sache um den Schutz zwangs- und fehlerfreier Willensbildung.204 Die Norm steht in gewisser Weise zwischen der Irrtumsanfechtung und der laesio enormis: Die Äquivalenzstörung muss zwar vorhanden, aber nicht so stark ausgeprägt sein wie nach § 934 ABGB; allerdings muss eine Störung der rechtlich geschützten Freiheit der Willensbildung hinzutreten, die aber wiederum der Art nach nicht dem Irrtum entsprechen muss.205 Hinzu tritt der Vorwurf der Rechtsordnung an den Vertragspartner des Bewucherten, der diese Situation ausgenützt hat. Damit sind auch die drei Elemente des Wuchertatbestandes genannt. Als Unterschied im Wortlaut zur Irrtumsanfechtung und laesio enormis ist festzuhalten, dass wucherische Rechtsgeschäfte nichtig und nicht anfechtbar sind. Das wird systemkonform zu Recht als relative Nichtigkeit und von der herrschenden Lehre darüber hinausgehend als (gerichtlich geltend zu machende) Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts verstanden.206 Dem entspricht im Ansatz, dass das wucherische Geschäft nicht wegen der mangelnden Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung, sondern wegen der Beeinträchtigung der Willensbildung beim Bewucherten rechtlich verpönt ist. Ebenso wenig besteht ein besonderes öffentliches Interesse am Nichtbestand des wucherischen Geschäfts; nur das Interesse des Bewucherten ist zu berücksichtigen. Nach ganz herrschender Lehre und Rechtsprechung führt Wucher grundsätzlich schon wegen § 7 Abs 1 WucherG zur Gesamtnichtigkeit des Geschäfts; das wird rechtspolitisch kritisiert,207 weil dem in Bewucherten damit im Regelfall nicht gedient ist, vor allem wenn er sich in einer Zwangslage befindet und auf die Leistung angewiesen ist. Diese Rechtsfolge steht aber in Einklang mit derjenigen bei der Verkürzung über die Hälfte. Etwas anderes gilt nur für den Kreditwucher, für den § 7 Abs 2 WucherG von der Gültigkeit des Vertrags ausgeht, den Zinssatz aber mit dem Doppelten des Basiszinssatzes zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beschränkt.
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Für alle Krejci in Rummel I § 879 Rn 214. Es ist mE unzutreffend zu sagen, dass die Willensbildungsstörungen schwächer ausgeprägt sind als beim Irrtum; so aber Krejci in Rummel I § 879 Rn 214c; ihm folgend Joeinig, ÖJZ 2003, 6. Vielmehr liegt bei „Verstandesschwäche“ etc etwas qualitativ anderes vor. Aus der jüngeren Rsp zB SZ 58/150; SZ 60/69. Aus der Literatur Gschnitzer in Klang IV/2 207 (mwN zu früheren Gegenmeinungen); Krejci in Rummel I § 879 Rn 252; Bollenberger in KBB § 879 Rn 21; zusammenfassend jüngst, aber wieder mit Gegenargumenten gegen die gerichtliche Geltendmachung Joeing, ÖJZ 2003, 11 ff. Vgl F Bydlinski in FS Mayer-Maly 122 ff; Koziol, AcP 1988, 223; Illedits, Teilnichtigkeit 83 ff; Joeinig, ÖJZ 2002, 14 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Rechtsvergleichend ist bereits hier anzumerken, dass die Bedeutung des Wucherverbots in Rechtsordnungen, die keinen der laesio enormis vergleichbaren Tatbestand kennen, ungleich größer ist; dieses Fehlen wirkt sich auch auf die Interpretation des Wuchertatbestands aus. So weicht die deutsche Rechtsprechung für die Bewältigung grober Äquivalenzstörungen unter anderem208 auf den Wuchertatbestand aus209 bzw zieht im Rahmen des „wucherähnlichen Rechtsgeschäfts“ die allgemeine Sittenwidrigkeitskontrolle heran (alles in § 138 BGB). Eine Verkürzung über die Hälfte indiziert im Ergebnis die Sittenwidrigkeit gem § 138 Abs 1 BGB (näher unten X. A. 4.). Bei der Übernahme dieser und ähnlicher Figuren aus der deutschen Diskussion ist zu bedenken, dass die Wucherbestimmung in Österreich weniger Funktionen erfüllen muss; denn daneben besteht immer noch die laesio enormis nach § 934 ABGB. 2. Äquivalenzstörung Wucher setzt zwar nicht eine Verkürzung über die Hälfte, aber doch ein auffallendes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses210 voraus. Das Missverhältnis muss die beiderseitigen Hauptleistungen betreffen; sind Nebenbestimmungen nicht angemessen, so bietet nicht der Wuchertatbestand, sondern § 879 Abs 3 ABGB eine Rechtsgrundlage, um die unangemessene Bestimmung zu beseitigen. Zu vergleichen ist nach dem Gesetzeswortlaut der Vermögenswert der dem Bewucherten zu gewährenden Gegenleistung mit dem Wert der von ihm zu erbringenden Leistung. Im Gegensatz zu § 934 ABGB stellt die Norm damit nicht auf den gemeinen Wert, sondern nur auf den Wert bzw den Vermögenswert ab. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, dass es auf die subjektive Bewertung durch den Bewucherten ankäme;211 vielmehr geht aus § 306 ABGB212 hervor, dass auch in diesem Fall auf den gemeinen Wert abzustellen ist, weil nicht ausdrücklich angeordnet wird, dass die subjektiven Verhältnisse („außerordentlicher Wert“) zu berücksichtigen sind.213 Damit gelten für die Wucherbestimmung dieselben Grundsätze wie im Rahmen von § 934 ABGB. Ausschlaggebend ist für den Wert der Sachleistung grundsätzlich der Markt-
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Wichtig ist auch die Störung der Geschäftsgrundlage. Was im Übrigen auch Savignys Deutung der laesio enormis als vertyptem Wuchertatbestand entspricht; oben II. C. Daher ist es unzulässig, aus der späteren Verwirklichung eines vertraglich einer Partei zugeordneten Risikos auf die Unangemessenheit zu schließen. So zutreffend Ehrenzweig, System II 171. Auch wenn die Norm bereits der Urfassung des ABGB entstammt, ist sie wegen der Einheit des Gesetzbuches grundsätzlich auch für den erst mit der 3. Teilnovelle eingeführten Wuchertatbestand heranzuziehen. Insofern zutreffend Gschnitzer, ZBl 1937, 849, 854 f; vgl auch Joeinig, ÖJZ 2003, 3.
III. Laesio enormis und Wucher im Überblick
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wert,214 nach herrschender Meinung bei nicht funktionierenden Märkten auch der „Ertrags- oder Gestehungskostenwert“.215 Das Missverhältnis muss auffallend sein, um zur Nichtigkeit zu führen. Es ist nahe liegend, dass „auffallend“ weniger ist als eine Verkürzung über die Hälfte;216 denn dann würde schon § 934 ABGB eingreifen, bei dessen Anwendung die weiteren Merkmale des Wuchertatbestandes nicht vorliegen müssen. Die Rechtsprechung hält häufig fest, dass die Äquivalenzstörung übermäßig und leicht erkennbar217 sein muss, ohne dass durch die besonderen Umstände des Falls gerechtfertigt wäre, dass der Wert der Leistung denjenigen der Gegenleistung übersteigt.218 Die „besonderen Umstände“ scheinen vor allem auf eine vom Üblichen abweichende Risikoverteilung hinzuweisen.219 Gleichzeitig deuten die Rechtsprechung220 und die herrschende Lehre221 aber eine weit gehende Flexibilität an: Das Ausmaß der Äquivalenzstörung stehe mit den anderen Elementen, insbesondere der Störung der Willensbildung in einem beweglichen System. Daher soll bei sehr schwerwiegenden Eingriffen in die Willensbildung auch ein verhältnismäßig wenig gewichtiges Missverhältnis der gegenseitigen Leistungen für die Nichtigkeit genügen. Wegen dieser größeren Flexibilität im Tatbestand hat auch die Frage, was genau der Vergleichsmaßstab ist, weniger Bedeutung als für die Anfechtung wegen laesio enormis. Umgekehrt ist es nicht richtig, bei besonders groben Äquivalenzstörungen die Willensbeeinträchtigung beim Bewucherten zu vermuten, auch wenn ein vereinzeltes Judikat222 darauf abstellt. Dem steht für Österreich der vertypte Tatbestand des § 934 ABGB entgegen.223
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Anders Gschnitzer in Klang IV/1 206, der den Marktpreis nur als Indikator des wahren Werts heranzieht. Zusammenfassend jüngst Joeinig, ÖJZ 2003, 3 f. Anders aber Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 711 f; Faistenberger und Barta lehnen den Vergleich bei fehlendem Marktpreis anscheinend ab! Krejci in Rummel I § 879 Rn 226; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 879 Rn 21, 24. Das ist als Erkennbarkeit durch einen verständigen Betrachter zu verstehen; vgl Joeinig, ÖJZ 2003, 4. Vgl zB OGH 1 Ob 624/85; SZ 66/41; SZ 67/99. Aus der Lit vgl Bollenberger in KBB § 879 Rn 18. Vgl OGH 1 Ob 624/85; SZ 67/123; Krejci in Rummel I § 879 Rn 226; Joeinig, ÖJZ 2003, 4. So auch schon Ehrenzweig System II 171. SZ 66/41. Krejci in Rummel I § 879 Rn 230; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 879 Rn 21; Bollenberger in KBB § 879 Rn 18; Koziol, AcP 1988, 188 f; Joeinig, ÖJZ 2003, 10 f. OGH 3 Ob 816/53 (wo aber aufgrund der Wertverhältnisse ohnehin die Anfechtung wegen laesio enormis offen gewesen wäre); in diese Richtung vielleicht auch Apathy/Riedler in Schwimann IV § 879 Rn 25. Davon ist die Vermutung des
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
3. Störung der Willensbildung Neben dem objektiven Missverhältnis müssen subjektive Elemente auf Seiten des Bewucherten vorliegen (Leichtsinn, Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung). Allerdings ist die Aufzählung in § 879 Abs 2 Z 4 nach allgemeiner Meinung nicht taxativ.224 Die einzelnen subjektiven Merkmale sind analogiefähig; ausschlaggebend ist eine „unwirtschaftliche Eigenschaft“225 des Bewucherten, die ausgenützt wird, so auch die Dankbarkeit gegenüber dem Wucherer.226 Die Ausbeutung einer Zwangslage des Bewucherten hat für den Vergleich mit der laesio enormis keine unmittelbare Bedeutung; denn in diesen Fällen ist das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung dem Bewucherten regelmäßig bewusst, weswegen der Ausschluss der Läsionsanfechtung nach § 935 ABGB zur Anwendung kommt. Das stärkt die These der irrtumsrechtlichen Wurzel jenes Instituts in einem gewissen Ausmaß und spricht gegen eine pauschale Zurückführung auf den Wucher. Etwas anderes gilt jedoch für die weiteren subjektiven Tatbestandselemente: Leichtsinn, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung. Mit diesen geht häufig (wenn auch nicht immer) Hand in Hand, dass dem Bewucherten die Äquivalenzstörung nicht bewusst ist, dass er den wahren Wert der Leistung nicht kennt. Unerheblich ist es im Übrigen, ob diese Unkenntnis ein (irrtumsrechtlich unbeachtlicher; vgl unten IV. A.) Wertirrtum ist oder wertbildende Eigenschaften betrifft. Für den hier besonders bedeutsamen Wertirrtum ändert sich also die Beurteilung, wenn er wucherisch herbeigeführt wurde: Wegen der qualifizierten Willensschwäche beim Bewucherten, die zum Irrtum hinzutritt, und deren Ausbeutung durch den Wucherer führt auch diese Irrtumskategorie zur Anfechtung. Vielleicht lässt sich dies am besten dadurch beschreiben, dass für den Wuchertatbestand zum situativen Willensmangel „Wertirrtum“ ein konstitutives Element der Willensschwäche hinzutreten muss. Der Unerfahrenheit wird in solchen Fällen besondere Bedeutung zukommen; diese liegt nach allgemeiner Ansicht jedenfalls dann vor, wenn Lebenser-
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„Ausbeutens“ zu unterscheiden (sogleich unten 4.); diesbezüglich ist wegen des subjektiven Tatbestandsmerkmals auf Seiten des Anfechtungsgegners eine Vermutung eher gerechtfertigt. Auch in Deutschland trifft die Vermutung der verwerflichen Gesinnung bei der Anwendung von § 138 BGB im Regelfall erst bei Überschreiten der Grenze von 100 % ein; vgl Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 114 ff. Krejci in Rummel I § 879 Rn 216; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 879 Rn 25; Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 711. Vgl zB SZ 44/71; Krejci in Rummel I § 879 Rn 214; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 879 Rn 25. Für Deutschland Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 153.
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fahrung oder allgemeinen Geschäftskenntnisse fehlen.227 Besonders strittig ist, ob auch eine bloß bereichspezifische Unerfahrenheit zur Anfechtung berechtigen kann.228 Teile der Rechtsprechung lehnen dies mit dem Argument ab, dass der Anwendungsbereich des Wuchers dadurch uferlos ausgedehnt würde.229 Als Illustration können die Bodenschatzfälle dienen, bei denen üblicherweise die Initiative zum Vertragsabschluss vom Käufer ausgeht, der sich darüber hinaus zur Verschleierung seiner Identität zumeist eines Treuhänders bedient. Hier kann man im Regelfall keineswegs von einer allgemeinen Unerfahrenheit des Verkäufers sprechen; dieser mag auch eine gute Vorstellung über die üblichen Marktpreise für Liegenschaften haben. Seine Unerfahrenheit betrifft lediglich einen spezifischen Realitätsausschnitt, nämlich das Vorkommen von Bodenschätzen, was sich der Käufer im Rahmen seines planmäßigen Vorgehens und durch die Initiative zur Kontaktaufnahme zu Nutze macht. Nach der herrschenden Lehre müsste die Wucheranfechtung wegen Unerfahrenheit in solchen Fällen wohl ausscheiden. Daran ist sicherlich richtig, dass der Wuchertatbestand vor allem denjenigen Verkehrsteilnehmer schützen soll, der sich einer ökonomisch gefährlichen Situation ausgesetzt sieht, ohne dass ihn daran bei wertender Betrachtung ein besonderes Verschulden trifft. Der Bewucherte ist zwar nicht geschäftsunfähig, aber doch besonders schutzbedürftig. Es geht um persönliche Defizite des Bewucherten, vor denen er geschützt werden soll. Das spricht grundsätzlich dafür, die Fälle auszuschließen, in denen sich eine grundsätzlich ausreichend erfahrene Person in ein Geschäftsumfeld einlässt, das ihm fremd ist. Wer alte Möbel auf einem Flohmarkt feilbietet und dabei unbesehen ein wertvolles Stück an einen Spezialisten verkauft, kann sich im Rahmen des Wuchertatbestandes nicht auf seine Unerfahrenheit im Antiquitätenhandel berufen. Deswegen ist auch ein älteres Judikat sehr bedenklich, nach dem auch die Unkenntnis des Bewucherten über den Wert seiner Leistung genügen soll, weil „Wucher […] die bewusste Ausnützung des Schwächeren [sei], um übermäßigen Gewinn zu erzielen.“230 Das entspricht der Rechtsprechung und herrschender Lehre in Deutschland zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft nach § 138 Abs 1 BGB (unten X. A. 4.). Die Einbettung in das Gefüge des österreichischen Vertragsrechts ist aber steinig. Zunächst ist fraglich, wie das mit der soeben angesprochenen Einschränkung auf allgemeine Geschäftsuner227 228
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Krejci in Rummel I § 879 Rn 222 mwN. Befürwortend für Österreich Gschnitzer in Klang IV/1 204; für Deutschland zB Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 151; Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 207 f. Vgl zur zunehmenden Bedeutung der bereichsspezifischen Unerfahrenheit Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 208. So SZ 71/94; billigend wohl Krejci in Rummel I § 879 Rn 222; Ehrenzweig System II 172; Bollenberger in KBB § 879 Rn 20; Joeinig, ÖJZ 2003, 8. SZ 27/19 (dem Fall lag ein echter Wertirrtum zugrunde); so schon Gschnitzer in Klang IV/1 204; vgl auch Krejci in Rummel I § 879 Rn 216; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 879 Rn 25; Joeinig, ÖJZ 2003, 6.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
fahrenheit zusammenpassen soll; im Regelfall wird die Unkenntnis des Werts der eigenen Leistung ja auf einer Unerfahrenheit bloß in einem bestimmten Geschäftsbereich beruhen. Ebenso ist kaum miteinander vereinbar, dass eine Aufklärungspflicht über den Wert des Gegenstandes nach der Rechtsprechung nicht besteht,231 aber bei Unterlassen der Aufklärung allein wegen der Unkenntnis über diesen Wert eine Anfechtung nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB möglich sein soll. ME muss die zur Anfechtung berechtigende Unerfahrenheit daher mehr sein als die bloße Unkenntnis über den Marktwert der eigenen Leistung. Etwas anderes könnte gelten, wenn die Kontaktaufnahme für den geschäftlichen Verkehr nicht durch den Bewucherten, sondern wie im Erdölbeispiel durch den Wucherer erfolgt. Hier besteht eine qualifizierte Form der Ausnützung der (Bereichs)Unerfahrenheit, weil die Verkaufssituation nicht auf Initiative des Bewucherten herbeigeführt wird. Für solche Fälle kann das bereits angesprochene bewegliche System Abhilfe leisten. Es ist anerkannt, dass bei besonders groben Äquivalenzstörungen auch bloß geringfügige Willensbeeinträchtigungen zur Nichtigkeit führen.232 Das muss aber auch gelten, wenn das Element des Ausnützens besonders stark ausgeprägt ist. In solchen Fällen sind die Anforderungen an die subjektiven Willensschwächen beim Bewucherten zurückzunehmen; auch die bloße bereichsspezifische Unerfahrenheit kann genügen. Jedenfalls bietet der Wuchertatbestand ein wichtiges Korrektiv vor allem für Fälle des Irrtums des Verkäufers über die von ihm zu erbringende Leistung.233 Wie das damit vereinbar ist, dass Aufklärungspflichten in diesen Fällen nicht bestehen, wird uns in der Folge noch beschäftigen (zB unten VIII. D.). 4. Ausbeutung Die Willensschwäche muss ausgenützt werden („ausbeuten“). Das kann nach in Österreich234 herrschender Lehre235 und Rechtsprechung236 nicht nur vorsätzlich erfolgen; es genügt, wenn dem Wucherer das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung fahrlässig nicht bekannt ist. Mit dem Wortsinn von „ausbeuten“ ist diese Auslegung nicht vereinbar; gegen sie spricht auch der
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Wie es für den echten Wertirrtum allgemein anerkannt ist; vgl unten IV. A. 4. Krejci in Rummel I § 879 Rn 230; Wilburg, Bewegliches System 19 f; F Bydlinski, Methodenlehre 536; Koziol, AcP 1988, 187 ff. Vgl Fleischer, Informationsasymmetrie 284. Anders die hL zum Wucher in Deutschland; vgl Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 154; Henssler, Risiko 207. Krejci in Rummel I § 879 Rn 229; Ehrenzweig, System II 172 f; Bollenberger in KBB § 879 Rn 18; Joeinig, ÖJZ 2003, 8 ff (mit Nachweisen zur historischen Entwicklung). SZ 8/181; SZ 44/71.
III. Laesio enormis und Wucher im Überblick
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besondere, im Tatbestand enthaltene Vorwurf, zur eigenen Bereicherung die Schwäche des anderen auszunützen. Dem bloßen Fahrlässigkeitskriterium liegt, wie Gschnitzer237 zu Recht anführt, vor allem die Überlegung zugrunde, dem Bewucherten den Nachweis des Vorsatzes des Wucherers zu ersparen. Diesem Anliegen wäre freilich besser gedient, wenn die Rechtsprechung bei grobem Missverhältnis und subjektiver Willensschwäche beim Bewucherten die Ausbeutung widerlegbar vermutete.238 Im Übrigen ist „Ausbeuten“ keineswegs auf Vorsatz zu reduzieren; vielmehr liegt dem Begriff auch ein rechtliches Unwerturteil über das Verhalten des Wucherers zugrunde, das für die Beurteilung des Sacheverhalts entscheidend ist. 5. Sittenwidrigkeit als Auffangtatbestand Als Auffangtatbestand dient heute auch die allgemeine Nichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte (§ 879 Abs 1 ABGB); für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit ist unzweifelhaft auch auf Äquivalenzstörungen abzustellen.239 Historischer Ansatzpunkt waren zunächst jene Fälle, in denen die Äquivalenzstörung nicht unmittelbar aus Leistung und Gegenleistung zu erschließen war, sondern sich erst aus Nebenbestimmungen ergab;240 das gilt für individuell ausgehandelte Nebenbedingungen noch heute, wird nunmehr durch § 879 Abs 3 ABGB241 für in AGB enthaltene Nebenbedingungen unmittelbar geregelt und soll hier nicht im Zentrum der Betrachtung stehen. Bei der Anwendung auf grobe Äquivalenzstörungen, die sich aus der Natur der gegenseitigen Hauptleistungen ergeben, ist heute242 anerkannt, dass ein grobes Missverhältnis allein nicht zur Anfechtung wegen Sittenwidrigkeit berechtigt, wenn die Grenze nach § 934 ABGB nicht überschritten wird; sonst würde das Erfordernis eines subjektiven Elements, wie es das Wucherverbot fordert, contra legem beseitigt.243 Vielmehr müssen nach herrschender Lehre244 und Rechtsprechung245 zur groben Äquivalenzstörung andere, der (ausgenütz-
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In Klang IV/1 207. So die deutsche Rsp zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft; dazu unten X. A. 4. Für alle Krejci in Rummel I § 879 Rn 90 mwN. Vgl Bydlinski in FS Kastner I 62; ders, Privatautonomie 213 ff. Vgl für Deutschland § 307 BGB idF SMG. Vielleicht noch anders Gschnitzer in Klang IV/1 203. Aus der Rsp zB SZ 41/32. Vgl Krejci in Rummel I § 879 Rn 214b; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 879 Rn 20; Bollenberger in KBB § 879 Rn 19; F Bydlinski, Methodenlehre 447; Koziol, AcP 1988, 191; Hackl, ÖJZ 1980, 650 f; Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 702; weiter gehend Gschnitzer in Klang IV/1 203. SZ 42/2; SZ 58/43.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
ten) Willensschwäche des Wuchers vergleichbare Elemente hinzutreten, um ein Rechtsgeschäft sittenwidrig zu machen. Beispiele solcher vergleichbaren Elemente sind das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klient246 oder die Bedrohung der Existenz durch die übernommenen Verpflichtungen, zB bei einem Vergleich anlässlich einer Ehescheidung.247 Für das Kaufrecht kommen Vertrauensverhältnisse üblicherweise nicht auf Ebene des Berufsstandes, sondern aufgrund der konkreten Beziehungen zwischen Käufer und Verkäufer in Betracht, wie es auch für die Irrtumsanfechtung anerkannt ist. Vielleicht von ebenso großer Bedeutung sind Äquivalenzstörungen, wenn sich der Abnehmer einem Monopolisten gegenüber sieht. Dabei liegt bei Gütern, auf die der Abnehmer angewiesen ist, ohnehin häufig eine Zwangslage vor. Anwendungsfälle in der Praxis waren vor allem die Aufteilung der Kosten für zu errichtende oder zu verstärkende Trafostationen für Elektrizitätsversorgung von Großkunden; für Elektrizitätsversorgungsunternehmen mit Monopolistenstellung ist es nach dem OGH unzulässig, dem ersten Anschlusswerber alle Kosten aufzuerlegen, wenn auch weitere neue Abnehmer angeschlossen werden können.248 Bei diesen Fällen sind die Abnehmer für die Verwirklichung ihres Geschäftszweckes auf die Stromversorgung angewiesen; würde der Monopolist zB mit Luxusgegenständen handeln, die nicht der notwendigen oder doch (zeit)üblichen Bedarfsbefriedigung dienen, so könnte eine andere Beurteilung angebracht sein. Auch für Glücksverträge (Leibrentenverträge) beruft sich die Rechtsprechung zum Teil statt auf die laesio enormis auf die Sittenwidrigkeit;249 das könnte auch für den Hoffnungskauf gelten. Die angegebenen Beispiele für die Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB zeigen, dass die meisten Fälle sich auf einer Skala von objektiver Inäquivalenz und beeinträchtigter Selbstbestimmung zwanglos einordnen lassen. Wohl wäre es auch in den meisten Fällen möglich, diese Fälle wucherrechtlich zu lösen; so könnte insbesondere bei den Monopolistenfällen von einer Zwangslage gesprochen werden, ohne dem Begriff Gewalt anzutun. Abseits solcher eher begrifflicher Differenzierungen hat sich durch die Anwendung von § 879 Abs 1 ABGB zumindest für das Kaufrecht keine neue Dimension eröffnet.
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SZ 42/2; wohl strenger aber OGH EvBl 1963/180. Zum Problemkreis „Standeswidrigkeit – Sittenwidrigkeit“ vgl Krejci in Rummel I § 879 Rn 63. Vgl zum englischen Recht unten X. B. 3. b) bb). SZ 58/43. SZ 52/52; so auch SZ 59/49. So vor allem OGH EvBl 1958/94.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund Die laesio enormis soll nach manchen Meinungen wegen ihrer starren und schematischen Bewertungstechnik als übergeordnetes Wertungsprinzip des gesamten Vertragsrechts unbrauchbar sein.250 Das ist als isolierte Aussage richtig. Um der Norm und den ihr zugrunde liegenden Prinzipien gerecht zu werden, darf man aber nicht bloß auf die Bewertungstechnik abstellen, sondern muss die rechtlichen Zusammenhänge näher erforschen, in welche die Norm eingebettet ist. Es ist für die weitere Untersuchung hilfreich, den rechtlichen Hintergrund auszubreiten, in den die bisher vorgestellten Instrumente zur Bewältigung von Äquivalenzstörungen eingebettet sind. Dabei ist die Irrtumsanfechtung zentral. Denn erstens liegt schon dem Tatbestand der laesio enormis positivrechtlich ein Irrtumselement, nämlich ein Irrtum über den Wert der Sache, zugrunde.251 Zweitens dient der Praxis auch die Irrtumsanfechtung zur Bekämpfung von Äquivalenzstörungen,252 denn sie steht in Anspruchskonkurrenz zu laesio enormis und Wucher.253 Neben die Irrtumsanfechtung tritt bei vorsätzlicher Täuschung auch die Arglistanfechtung nach § 870 ABGB, die auch als zivilrechtlicher Betrug bezeichnet wird.254 Das österreichische Recht auf Aufhebung des Vertrags wegen Irrtums stellt im Übrigen weder auf das Verschulden des Irrenden noch auf dasjenige des Anfechtungsgegners ab.255 Es ist im gegebenen Zusammenhang nicht zielführend, eine grundlegende Darstellung des Irrtumsrechts nach der vertrauenstheoretischen Grundkonzeption des ABGB zu geben.256 Die Arbeit berührt daher nur jene Teilbereiche, die für die Anfechtung wegen Äquivalenzstörungen von unmittelbarem Interesse sind. Damit werden vor allem der Geschäftsirrtum im engeren Sinn und seine Abgrenzung zum Motivirrtum in den Mittelpunkt des Interesses rücken. 250 251
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So zB Henssler, Risiko 204. Das berücksichtigt Henssler, aaO, nicht. In Erinnerung ist freilich zu rufen, dass für die laesio enormis auch bloße Zweifel über den Wert der Sache ausreichend sind, während ein solches „billigend in Kauf nehmen“ die Irrtumsanfechtung ausschließt. Vgl zB OGH RdW 2003, 199. Kritisch zu diesem Einsatz vor allem Kramer, Grundfragen 208 ff. Ganz hM; Reischauer in Rummel I § 934 Rn 15; Binder in Schwimann V § 934 Rn 9; Kramer in Straube, HGB § 351a Rn 4. Abweichend (wegen seiner divergierenden Beurteilung von Eigenschaftsirrtümern für den Käufer) P Bydlinski in KBB § 934 Rn 6. So zB Gschnitzer in Klang IV/1 110. F Bydlinski in FS H Stoll 122. Anders tendenziell nur Thurnart, ÖJZ 2000, 447 ff; dagegen überzeugend Vonkilch, JBl 2004, 760 f. Immer noch lesenswert Wellspacher, Vertrauen passim, insbesondere 267 ff. Zur rechtshistorischen Entwicklung der Vertrauenstheorie vgl zB Schermaier, ZEuP 1998, 73 ff; Luig in Selb/Hofmeister Forschungsband Zeiller 153 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Dieser Irrtum kann ganz unterschiedliche Lebenssachverhalte betreffen: Er kann sich einerseits auf den Wert der (fehlerfreien) Sache beziehen, also ein bloßer Wertirrtum sein. Andererseits kann der Irrtum aber auch darin liegen, dass den Wert bestimmende Eigenschaften der Sache vom Käufer zwar vorausgesetzt wurden, aber in der Realität nicht vorhanden sind; der Irrtum des Verkäufers besteht spiegelbildlich darin, dass den Wert bestimmende Eigenschaften vorhanden, aber dem Verkäufer nicht bekannt sind. Das ist der so genannte Eigenschaftsirrtum. An diesen Unterscheidungen orientiert sich die folgende Darstellung; beide Irrtümer berechtigen nach herrschender Lehre zur Anfechtung nach §§ 934 f ABGB (oben III. A. 1.). Im Einzelfall kann sich das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung auch aus einem Irrtum über die tatsächliche Bedeutung einer abgegebenen und grundsätzlich bindenden Erklärung ergeben.257 Dieser echte Erklärungsirrtum bleibt im Folgenden außer Betracht; es geht nur um Irrtümer über den Inhalt des Rechtsgeschäfts.
A. Der Wertirrtum Der Wertirrtum ist im Regelfall ein Irrtum über den Marktpreis. So kann der Käufer über den Verkehrswert eines erworbenen Bilds irren,258 der Verkäufer über den Listenpreis des von ihm abgegebenen Kraftfahrzeugs259 oder der Erwerber über den Marktwert einer Briefmarkensammlung.260 Auch der aktuelle Börsenkurs eines Wertpapiers fällt hierunter. Der Irrtum kann nicht bloß den gegenwärtigen Marktzustand betreffen, sondern sich auf zukünftige Wertentwicklungen beziehen; das ist im Einleitungsbeispiel 1 über den Getreidehändler der Fall. Der Irrtum betrifft daher nicht intrinsische Eigenschaften der Sache wie die Eignung für einen bestimmten Verwendungszweck. Schon deswegen ist es beim bloßen Wertirrtum – im Gegensatz zum Irrtum über Eigenschaften der Kaufsache – nicht untypisch, dass der Verkäufer dem Irrtum unterliegt; er steht dem Marktpreis nicht näher als der Käufer. 1. Der Wertirrtum als Motivirrtum Der reine Wertirrtum ist nach in Österreich ständiger Rechtsprechung261 und heute ganz herrschender Meinung262 irrtumsrechtlich grundsätzlich nicht be257 258 259 260 261
P Bydlinski in KBB § 934 Rn 6. SZ 39/206. OGH RdW 1999, 779. OGH JBl 1972, 611. Vgl zB SZ 23/272; OGH EvBl 1964/317 (465); SZ 39/206; OGH ecolex 1998, 197 (Wilhelm); OGH RdW 1999, 779. Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang auch SZ 25/279 zitiert; jedoch geht es in dieser Entscheidung um die Wirkungen des Irrtums über das zugrunde liegende Rechtsverhältnis auf ein konstitutives Anerkenntnis, was mit der Frage des Wertirrtums nur mittelbar zusammenhängt.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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achtlich. Er ist vielmehr bloßer Motivirrtum und daher nur unter den weiteren Voraussetzungen von §§ 870, 901 ABGB aufzugreifen. Das ist grundsätzlich richtig. So ist der Wertirrtum üblicherweise kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung, wie es § 871 Abs 1 ABGB voraussetzt. Nur ausnahmsweise kann sich die Erklärung auch auf den Erwerb zum Verkehrspreis richten.263 Das ist durch Auslegung zu ermitteln. Daneben wird der Ausschluss der Irrtumsanfechtung auch damit begründet, dass sonst die engen Grenzen von § 934 ABGB umgangen würden.264 Mit anderen Worten: Der Irrtum über den Wert soll nach § 934 nur dann beachtlich sein, wenn er besonders krass ist; irrtumsrechtlich führt das zwingend zur Einordnung als Motivirrtum. Der OGH265 und einige Autoren266 gehen auch über die Begründung anhand einzelner Normen hinaus: Die Einschätzung des (heutigen oder zukünftigen) Werts der zu erbringenden Leistung sei typisches Vertragsrisiko des die Einschätzung vornehmenden Vertragsteils und ein Irrtum sei daher auch von diesem zu tragen. Hingegen wird das begriffliche Argument, dass der Wert einer Sache keine „Eigenschaft“ oder „wesentliche Beschaffenheit“ derselben sei, in Österreich kaum verwendet, wie das Problem des „Eigenschaftsirrtums“ ja ganz generell im System des ABGB keinen Platz hat. 267 Die Gegenansicht wird vor allem von Gschnitzer268 vertreten:269 Zur Anfechtung nach § 871 ABGB (unter den weiteren Voraussetzungen dieser Bestimmung) berechtige „ein sehr erheblicher Unterschied zwischen vermeintlichem und wirklichem Marktpreis und ein Irrtum über den Wert des Kaufge-
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Kleteþka in Koziol/Welser I 152 f; Rummel in Rummel I § 871 Rn 11; Bollenberger in KBB § 871 Rn 10; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 11; F Bydlinski, System 747; Mayer-Maly, Einführung 48; P Bydlinski, JBl 1983, 412; Jud in FS Wagner 220 ff; Kramer, Irrtum Rn 82. Rummel in Rummel, ABGB I § 871 Rn 11. Vgl zB OGH EvBl 1964/317 (465); Rummel in Rummel I § 871 Rn 11; P Bydlinski, JBl 1983, 412. OGH ecolex 1998, 197 (Wilhelm); SZ 66/25. Kleteþka in Koziol/Welser I 153; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 11. Für Deutschland vgl Fleischer Informationsasymmetrie 357. Entgegen § 119 BGB kommt es in Österreich nicht darauf an, ob der Wert eine Eigenschaft der Sache ist; vgl Rummel in Rummel § 871 Rn 11; wohl abweichend Jud in FS Wagner 220. Gschnitzer in Klang IV/1 121 f, 127. Zur Gewährleistung auch derselbe aaO 503; zum BGB ders, AcP 1923, 202 ff. Vgl auch Kramer in Straube, HGB I § 351a Rn 6, der freilich den gemeinsamen Wertirrtum im Rahmen des HGB ausschließen will; Sympathie dafür auch bei F Bydlinski, Privatautonomie 153. Differenzierend und auf den Vertrag, nicht das Ausmaß des Irrtums abstellend aber Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 665 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
genstandes.“ Diese Meinung geht im Ergebnis zumindest auf Pisko270 zurück und stützt sich vor allem auf zwei Urteile des OGH aus dem 19. Jahrhundert. Jedoch wendet das eine Judikat271 in einem Fall des Wertirrtums gerade die laesio enormis an, das andere272 betrifft hingegen keinen Wert-, sondern einen Eigenschaftsirrtum. Diese Ansicht Gschnitzers hat sich letztlich nicht durchgesetzt. Die Einordnung des Wertirrtums als Motivirrtum durch die herrschende Meinung bedeutet, dass der Wertirrtum auch dann nicht beachtlich ist, wenn er vom Vertragspartner (fahrlässig) veranlasst wurde, wenn er diesem hätte auffallen müssen273 oder wenn res integra vorliegt. Auch ein Motivirrtum ist aber beachtlich, wenn das Motiv zum Vertragsbestandteil bzw zur Bedingung erhoben wird (§ 901 ABGB). Es ist daher ohne weiteres möglich, die Werthaltigkeit als Vertragsbedingung zu vereinbaren;274 dann ist der Erwerb zum Marktpreis eben Inhalt der Erklärung geworden. Eine solche Vereinbarung kann im Einzelfall auch durch ergänzende Vertragsauslegung ermittelt werden. Dazu gehören auch jene Fälle, in denen der Börsen- oder Marktpreis dem Geschäft erkennbar zugrunde gelegt wurde und die Parteien bei Vertragsabschluss davon ausgingen, dass der Marktpreis X betrage, was sich in Folge als unrichtig herausstellt.275 Eigentlich geht es dabei nicht um Anfechtungsmöglichkeiten, sondern zunächst um Ermittlung des Vertragsinhalts (arg „Bedingung“). Sofern erkennbar der Marktpreis dem Geschäft zugrunde liegen soll, die Parteien dann aber bei dessen Feststellung irren, ist der Fehler zu berichtigen.276 Sofern die Parteien sowohl Marktpreis generell als auch einen konkreten Kaufpreis als Vertragsinhalt festlegen, ohne dass feststellbar wäre, was ausschlaggebend sein soll, fehlt es an der Bestimmtheit. 2. Zur Funktion des Motivirrtums Ein scheinbar schlagendes Argument der Gegenansicht liegt darin, dass der Irrtum in Österreich (im Gegensatz zu Deutschland) gem § 871 ABGB nur 270
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In Klang 1. Auflage II/2 118. Vgl aber dens, aaO 122, wo er Irrtümer über die zukünftige Wertentwicklung und die Absatzfähigkeit als Motivirrtümer einordnet. OGH GlUNF 42. OGH GlUNF 503. Oder auch aufgefallen ist. Das ist schon bemerkenswert, wenn man die vertrauenstheoretische Grundposition des ABGB bedenkt; vgl Kramer, Grundfragen 22 Vgl zB SZ 39/206; Stefula/Thunhart, NZ 2002, 194 f. Vgl Rummel in Rummel I § 871 Rn 11; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 11; Graf, Vertrag 289. Zu behaupten, Rummel, aaO, vertrete, dass Irrtümer über feste Börsen- oder Marktpreise zur Anfechtung berechtigen, verkürzt dessen Ansicht unzulässig; so aber Kleteþka in Koziol/Welser I 137; Fleischer, Informationsasymmetrie 614. Vgl Kramer, Irrtum Rn 68.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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dann die Vertragsaufhebung eröffnet, wenn er vom Geschäftspartner veranlasst wird, ihm auffallen kann oder doch rechtzeitig aufgeklärt wird.277 Wegen dieser subjektiven Zurechnungselemente beim Anfechtungsgegner sei die Anfechtung auch bei bloßen Wertirrtümern zuzulassen. Deswegen möchte Kramer nicht zwischen Motiv- und Geschäftsirrtum differenzieren; jeder Irrtum soll nach ihm beachtlich sein, bei dem die Zurechnung zum Vertragspartner nach § 871 ABGB möglich ist.278 Konsequenz dieser Ansicht wäre, dass bei jedem Fall von Informationsasymmetrie – und sohin auch beim Wertirrtum – die Irrtumsanfechtung offen stünde. Denn der Irrtum des Vertragspartners ist dem Anfechtungsgegner in diesem Fall aufgefallen, was zur Anfechtung nach der zweiten Variante des § 871 ABGB berechtigt.279 Das widerspricht erkennbar dem Konzept von § 871 ABGB selbst; denn in Abs 2 wird die Anfechtung bei Informationsasymmetrie nur dann zugelassen, wenn eine Aufklärungspflicht besteht. Solche Aufklärungspflichten wären aber bedeutungslos, wenn es für die Anfechtung jedenfalls nur auf die Erkennbarkeit für oder das tatsächliche Erkennen (irgend)eines Irrtums durch den Anfechtungsgegner ankäme.280 Dann würde es aber an der Möglichkeit fehlen, situationsadäquate Abwägungen auch im Irrtumsrecht vorzunehmen.281 Das spricht entschieden dafür, die Trennung zwischen Motiv- und Geschäftsirrtum beizubehalten. Im Ergebnis führt auch Kramer eine ähnliche Abgrenzung wieder ein, wenn er das Erfordernis der „Wesentlichkeit“ des Irrtums betont und dafür auf die konkrete Absicht beider Parteien, hilfsweise auf das objektive Kriterium des redlichen Verkehrs abstellt.282 Das leitet dann zu einem von Kramer für § 119 Abs 2 BGB in einer späteren Arbeit stärker betonten und auch für das ABGB wichtigen Aspekt über. Kramer will die verkehrswesentlichen Eigenschaften, die zur Anfechtung berechtigen, aus der vertraglichen Risikotragung ableiten;283 das ist ein auch
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Kramer in Straube I, HGB I § 351a Rn 6. Kramer, ÖJZ 1974, 457. Das tatsächliche Auffallen steht nach Größenschluss dem Auffallen-Müssen gleich. Zu diesem Problem rechtsvergleichend Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 287 f. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang natürlich die nach hL geltende, ungeschriebene vierte Anfechtungsvoraussetzung: der gemeinsame Irrtum. Vgl auch Kramer in Straube, HGB I § 351a Rn 6. Kramer, ÖJZ 1974, 458. Kramer dürfte „wesentlich“ im Übrigen nicht im üblichen Sinne der Rechtsfolgenabgrenzung verstehen, sondern als eigenes objektives Kriterium sehen. Vgl Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 113 ff; vgl auch Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 280 f. Im Ansatz zum ABGB ähnlich F Bydlinski in FS H Stoll 119; Bollenberger in KBB § 871 Rn 7.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
rechtsvergleichend bedeutender Ansatz284 und hat daneben rechtshistorische Wurzeln.285 Daher ist anhand des konkreten Vertrags festzustellen, wer das Irrtumsrisiko bezüglich des Vorliegens bestimmter Eigenschaften zu tragen hat. Ist dies der Irrende, so liegt kein Geschäftsirrtum, sondern bloß ein Motivirrtum vor.286 Dem entspricht auch der Ansatz des OGH,287 der für den Wertirrtum argumentiert, dass es typisches Vertragsrisiko des die Einschätzung vornehmenden Vertragsteils ist, über den Wert des Kaufgegenstandes zu irren. Letztlich entspricht dies auch am besten dem Gesetzestext, der ja für die Irrtumsanfechtung auf den „Inhalt der Erklärung“ abstellt. 3. Arglist Die Anfechtung wegen eines Wertirrtums ist aber heute288 (auch bei Einordnung als Motivirrtum) möglich, wenn dieser arglistig herbeigeführt wurde (§ 870 ABGB).289 Die aktive und vorsätzliche Herbeiführung eines solchen Irrtums berechtigt jedenfalls zur Anfechtung.290 Das erklärt sich nicht durch die aufgrund des Vorsatzes besonders starke Zuordnung zum Anfechtungsgegner, sondern damit, dass sein Verhalten mit einem Unwerturteil versehen wird. Ein „Recht zur Lüge“ ist im Übrigen auch wohlfahrtsökonomisch nicht zu begründen. Das geminderte Vertrauen in die Richtigkeit von Auskünften würde Wohlfahrtsverluste als Folge höherer Kosten für die Vorbereitung der Transaktion (zB Nachprüfungen) oder als Folge des völligen Ausbleibens von Transaktionen herbeiführen.291
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Für das common law ganz in diese Richtung Smith, Contract Theory 297 ff, insbesondere 302. Spätestens seit der Scholastik wurde auf den Zweck des Vertrags abgestellt; vgl näher Schermaier, ZEuP 1998, 63 f; Luig in Selb/Hofmeister, Forschungsband Zeiller 160 f. Vgl zB Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 11; Rummel in Rummel I § 871 Rn 9. OGH ecolex 1998, 197 (Wilhelm). Anders bis zur dritten Teilnovelle, weil nach der Urfassung des § 870 ABGB auch der arglistig herbeigeführte Motivirrtum unbeachtlich war. Vgl Wehli, Bestimmungen 13 f; Ehrenzweig, Privatrecht, Allgemeiner Teil § 90; Kramer, Grundfragen 26 f; abweichend aber auch schon vor der 3. TN Krainz, System 262 f. Vgl auch Art 28 Abs 1 OR: „Ist ein Vertragsschließender durch absichtliche Täuschung seitens des anderen zum Vertragsschluss verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.“ SZ 23/272; SZ 68/152; OGH ecolex 1998, 197 (Wilhelm); Rummel in Rummel I § 870 Rn 3; Bollenberger in KBB § 870 Rn 1; Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 621; Iro, JBl 1974, 232 ff. OGH ecolex 1998, 197 (Wilhelm); OGH RdW 1999, 779. Vgl zB Posner, Economic Analysis of Law 122; Cooter/Ulen, Law & Economics 276; Kronman, 7 J Leg Studies 15 (1978); Adams, AcP 1986, 469; Fleischer, Informationsasymmetrie 261 ff mwN auch zur Gegenmeinung.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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Der informationell unterlegene Vertragspartner kann sich daher in gewissem Ausmaß durch Nachfrage schützen, weil die Verweigerung einer Antwort zumindest besondere Vorsicht nahe legen muss. Aber auch Angaben ohne Nachfrage sind selbstverständlich tatbestandsmäßig. Aktive Herbeiführung ist nicht nur die falsche Aussage über den Marktpreis der Leistung; vielmehr genügt es, wenn der Irrende an der Kenntnisnahme des Marktpreises gehindert wird292 bzw wenn der gemeine Wert verschleiert wird293. Die Abgrenzung zum Verschweigen, also der noch zu behandelnden Begehung durch Unterlassung, kann schwierig sein; im Einzelfall kann dem Schweigen auch eine Bedeutung als aktive Täuschungshandlung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände beigemessen werden.294 4. Aufklärungspflichten a) Rechtsdogmatische Bedeutung aa) Irrtumsanfechtung Eine andere Beurteilung des Wertirrtums könnte sich ergeben, wenn bei fehlerhaften oder fehlenden Wertvorstellungen einer Vertragspartei eine Aufklärungspflicht der besser informierten anderen Vertragspartei bestünde.295 Die Anfechtung ließe sich dann auf zwei Rechtsgrundlagen stützen: Erfolgt das Unterlassen der gebotenen Aufklärung vorsätzlich, so kommt die Anfechtung wegen Arglist nach § 870 ABGB in Betracht. Zusätzlich sind Irrtümer über Umstände, über welche die andere Vertragspartei hätte aufklären müssen, gem § 871 Abs 2 ABGB (idF KSchG 1979) immer beachtlich; auch die Veranlassung (durch Unterlassen der gebotenen Aufklärung) ist gegeben,296 ebenso im Regelfall die erforderliche Kausalität. Daher berechtigt auch die bloß fahrlässige und sogar die schuldlose Verletzung der Aufklärungspflicht den Irrenden zur Anfechtung. Dass solche Aufklärungspflichten nicht positiv-rechtlich normiert sind, sondern sich erst aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis ergeben, stört für die Anwendung von § 871 Abs 2 ABGB nach heute nahezu einhelliger Auffassung nicht,297 auch wenn das nicht die Absicht des Gesetzge-
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OGH ZBl 1924/121; Kleteþka in Koziol/Welser I 166; Gschnitzer in Klang IV/1 110; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 870 Rn 3. OGH ecolex 1998, 197 (Wilhelm); OGH RdW 1999, 779. Vgl Gschnitzer in Klang IV/1 110. Für Deutschland Fleischer, Informationsasymmetrie 251 f mwN. Vgl OGH ecolex 1998, 197 (Wilhelm); OGH RdW 1999, 779. Für alle SZ 28/103; SZ 53/13; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 21; Rummel in Rummel I § 871 Rn 15. Kritisch zur Verknüpfung von Veranlassung und Aufklärungspflichten aber Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 640 f. SZ 55/51; SZ 58/69; OGH ecolex 1998, 197 (Wilhelm); OGH RdW 1999, 779. Aus dem Schrifttum zB Rummel in Rummel I § 871 Rn 14; Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 634; Bollenberger in KBB § 871 Rn 13; Welser, JBl
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
bers des KSchG war, der nur auf positivierte Aufklärungspflichten abstellen wollte.298 Neben die Anfechtung gem § 870 ABGB tritt der in § 874 leg cit normierte Schadenersatzanspruch. Daher ist jedenfalls bei vorsätzlich und aktiv herbeigeführten Wertirrtümern das Vertrauensinteresse zu ersetzen;299 dieses kann insbesondere darin liegen, dass der Marktpreis zwischenzeitlich gestiegen ist und das Ersatzgeschäft daher zu ungünstigeren Konditionen vorgenommen werden muss.300 Freilich ist der Schadenersatzanspruch nicht an die Anfechtung geknüpft; er kann auch statt ihr begehrt werden, nur die Berechnungsmethode ändert sich dann.301 bb) Culpa in contrahendo In Österreich ist die Vertragsaufhebung mit Hilfe der culpa in contrahendo bisher wenig thematisiert worden. Das hat einen guten Grund: Denn auch die fahrlässige oder schuldlose302 Verletzung von Aufklärungspflichten303 eröffnet wegen § 871 Abs 2 ABGB die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung. Ein Rückgriff auf eine Verschuldenshaftung ist daher im Regelfall nicht erforderlich, weswegen die Bedeutung der culpa in contrahendo in diesem Zusammenhang gemindert ist.304 Anderes gilt selbstverständlich für Schadenersatzansprüche, die über den unerwünschten Vertragsschluss selbst hinausgehen; dass die fahrlässige Fehlinformation bei Vertragsabschluss zur Haftung führen kann, ist heute unbestritten.305 Aber auch die unterschiedlichen Verjährungsbestimmungen im
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1979, 451; Kramer, Irrtum 53; Kalss/Schauer, ÖBA 2002, 350. Anders Pletzer, JBl 2002, 559 f. Vgl JAB zum KSchG, 1223 BlgNR 14. GP. Zum Umfang des Ersatzes vgl für alle Rummel in Rummel I § 874 Rn 3. Vgl Apathy/Riedler in Schwimann IV § 874 Rn 4. AllgM; SZ 64/32; Rummel in Rummel I § 874 Rn 3; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 874 Rn 6. Bei Vorsatz steht immer die Arglistanfechtung nach § 870 ABGB offen. Ebenso die aktive Fehlinformation über Geschäftsinhalte, wobei besonders zu beachten ist, dass die Fehlinformation über Eigenschaften oder besondere Eignungen der Sache durch den Verkäufer im Regelfall dazu führt, dass diese Vertragsinhalt werden. Die aktive, fahrlässige Fehlinformation bei Motivirrtümern ist im Regelfall kein Problem der objektiven Äquivalenz und kann daher hier ausgeklammert bleiben. Vor allem im Vergleich zu Deutschland; Pletzer, JBl 2002, 558 ff (allerdings mit unrichtiger Rechtsmeinung zur Bedeutung der Aufklärungspflicht im Rahmen von § 871 Abs 2 ABGB). Aus dem österreichischen Schrifttum näher Schuhmacher, Verbraucherschutz 177 f. Zur deutschen Rechtslage vgl ausführlich Fleischer, Informationsasymmetrie 428 ff; Henssler, Risiko 156 ff. Aus der Rsp vgl die Leitentscheidung SZ 48/102. Aus der Literatur Rummel in Rummel I § 874 Rn 2; Welser, ÖJZ 1973, 281; ders in FS Wagner 367 ff.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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Irrtums- und Schadenersatzrecht können im Einzelfall eine Rolle spielen; denn während die Anfechtung nach § 871 ABGB wegen § 1487 ABGB nur innerhalb von drei Jahren ab Vertragsabschluss geltend gemacht werden kann, verjähren Schadenersatzansprüche wegen § 1489 ABGB erst innerhalb von drei Jahren ab Kenntnis von Schaden und Schädiger mit einer absoluten Ausschlussfrist von 30 Jahren ab der schädigenden Handlung.306 Es kann daher durchaus ein Interesse des Irrenden daran bestehen, für die Vertragsaufhebung auf die schuldhafte Verletzung der Aufklärungspflichten zurückzugreifen. Dabei stellen sich zwei Probleme: Kann der Vertrag wegen culpa in contrahendo aufgelöst werden? Bedarf es dafür über den unerwünschten Vertragsabschluss hinaus eines anderen Schadens? Die erste Frage wurde vom OGH verneint;307 denn es dürften über den Umweg der culpa in contrahendo nicht die Voraussetzungen der Anfechtung wegen Arglist und Irrtums umgangen werden.308 Das könnte sich im gegebenen Zusammenhang allenfalls auf die Verjährungsvorschriften beziehen, weil die Verletzung einer Aufklärungspflicht innerhalb der irrtumsrechtlichen Anfechtungsfrist ohnehin immer die Anfechtung wegen Geschäftsirrtums eröffnet; das gilt auch für die falsche Information über Geschäftsinhalte.309 Jedoch ist die Verlängerung der Fristen für die Gewährleistung keineswegs willkürlich: Denn der Zeitrahmen für die Geltendmachung im Schadenersatzrecht ist gegenüber dem Irrtumsrecht erweitert, weil der Gegner des Irrenden den Irrtum schuldhaft herbeigeführt hat und deswegen weniger schutzwürdig ist.310 Die Naturalrestitution über einen schuldrechtlichen Anspruch auf Vertragsaufhebung ist daher (wie auch sonst im Schadenersatzrecht) mit der auch in Österreich ganz herrschenden Lehre zuzulassen.311 Die zweite Frage zielt darauf ab, ob in jenen (wohl vereinzelten) Fällen, in denen nur der Vertragsschluss selbst ungewollt ist, ohne dass damit ein eigener Vermögensschaden verbunden wäre, eine Aufhebung des Vertrags möglich sein soll; das kann insbesondere der Fall sein, wenn der Leistungsgegenstand für einen bestimmten Verwendungszweck nicht geeignet ist, ohne dass deshalb bereits bei objektiver Betrachtung eine Äquivalenzstörung vorliegt. Hier
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Pletzer, JBl 2002, 558 f. Zur parallelen Problematik in Deutschland vgl Henssler, Risiko 164 ff. OGH HS 26.382. Freilich kann die Vertragsaufhebung bei vorsätzlichem Handeln des Täuschenden jedenfalls auf Naturalrestitution nach § 874 ABGB gestützt werden. Vgl Bollenberger in KBB § 874 Rn 4; Pletzer, JBl 2002, 547 f mwN. Vgl auch Pletzer, JBl 2002, 532 f. Vgl auch die Frist von 30 Jahren für Arglist; § 1478 iVm § 1487 ABGB. IE wie hier Reischauer in Rummel I Vor §§ 918-933 Rn 16 (auf S 1679 f); Kleteþka in Koziol/Welser I 170; Schuhmacher, Verbraucherschutz 177 f; Pletzer, JBl 2002, 549 ff mwN; Kalss/Schauer, ÖBA 2002, 350; ähnlich Rummel in Rummel I § 874 Rn 4.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
geht die wohl herrschende Lehre312 davon aus, dass dieser Eingriff in das Persönlichkeitsrecht „Willensfreiheit“ einen ideellen Schaden verursacht; ideelle Schäden sind zwar nicht durch Geld auszugleichen, die Naturalrestitution ist jedoch auch bei diesen möglich.313 Damit wird im Ergebnis die Vertragsaufhebung auch ohne Vermögensschaden eröffnet. b) Geltender Marktpreis aa) Rechtsprechung Nach der häufigen Spruchformel des OGH kommt es für die Aufklärungspflicht im vorvertraglichen Schuldverhältnis darauf an, ob der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung über den Wert erwarten durfte;314 die Spruchformel hilft nicht wirklich weiter.315 Bei den hier zu untersuchenden Kaufverträgen als Umsatzgeschäfte sind Aufklärungspflichten jedenfalls nur in geringem Ausmaß anzuerkennen;316 das gilt wohl auch für andere antagonistische Verträge. Ein generelles „Rücksichtnahmeprinzip“ oder „Prinzip der Solidarität“, das zur Information über alle entscheidungserheblichen Umstände verpflichtete, gibt es im allgemeinen Vertragsrecht trotz vereinzelter Gegenstimmen317 nicht;318 auch der OGH lehnt eine allgemeine Aufklärungspflicht über alle für die Entscheidung des Vertragspartners wesentlichen Umstände in der Sache ganz zu Recht ab.319 Eine Verkehrspflicht zur Aufklärung über den Wert wird in Rechtsprechung320 und Lehre321 für solche Verträge grundsätzlich verneint: „Über den Wert der Kaufsache muss jeder ohne Hilfe des natürlichen Widerparts auf eigenes Risiko spekulieren, daher darf es keine Aufklärungspflichten geben,
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Reischauer in Rummel I Vor §§ 918-933 Rn 16 (auf S 1680); Pletzer, JBl 2002, 565; im Ergebnis auch Schuhmacher, Verbraucherschutz 178. Dazu allgemein Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 9/14 f. Vgl zB OGH ecolex 1998, 197 (Wilhelm); Bollenberger in KBB § 870 Rn 1. Vgl auch Pletzer, JBl 2002, 554. Die deutsche Rsp stellt demgegenüber und angesichts § 242 BGB nahe liegend auf Treu und Glauben ab, ohne dass damit eine inhaltliche Präzisierung einhergeht; näher zB Breidenbach, Voraussetzungen 9. Vgl OGH JBl 1982, 86; OGH JBl 1992, 450; SZ 56/11; Gschnitzer in Klang IV/1 112; Reischauer in Rummel I Vor §§ 918-933 Rn 15; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 870 Rn 6 mwN; F Bydlinski, JBl 1980, 394 f. Vor allem Lurger, Solidarität 128 ff; dies, Grundfragen 373 ff; dies in FischerCzermak/Hopf/Schauer, ABGB 128 f; dies in FS Mantl 307 ff. Deutlich Kalss/Schauer, ÖBA 2002, 349. SZ 56/11; OGH JBl 1982, 86. SZ 56/11; OGH JBl 1982, 86. Rummel in Rummel I § 870 Rn 4 mwN; Bollenberger in KBB § 871 Rn 10; F Bydlinski, System 747 f.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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daher liegt auch kein Geschäftsirrtum vor.“322 Die Pflicht zur Selbstinformation über den Wert der Kaufsache trifft daher prinzipiell sowohl Käufer als auch Verkäufer. Für diese Beurteilung ist es unerheblich, ob die Aufklärung bloß fahrlässig unterlassen wurde oder ob das Wissensgefälle vorsätzlich ausgenützt wurde.323 Die für eine Arglistanfechtung erforderliche Aufklärungspflicht ergibt sich nicht bereits daraus, dass der Vertragspartner den Marktpreis gekannt hat; denn der objektive Tatbestand der Aufklärungspflicht bei § 870 und § 871 ABGB ist grundsätzlich gleich.324 Daher eröffnet vorsätzliches Verschweigen alternativer günstigerer Beschaffungsmöglichkeiten durch den Verkäufer nicht automatisch die Irrtumsanfechtung. Wegen dieser strengen Ansicht der Rsp ist nicht zu behandeln, ob diese Aufklärungspflichten nur bei bestehender Informationsasymmetrie zum Tragen kommen oder ob eine Vertragspartei verpflichtet ist, Informationen über den Marktpreis auch zu beschaffen.
bb) Rechtsökonomische Begründung Rechtsökonomisch wird das Risiko eines Wertirrtums als Motivirrtum dem Irrenden zugeordnet, weil die Tatsache, dass zu billig verkauft und zu teuer gekauft wird, zumindest grundsätzlich zugleich Folge eines funktionierenden Marktes und dessen Funktionsvoraussetzung ist; eine Anfechtungsmöglichkeit würde diesen Mechanismen ihr Fundament entziehen. Der Irrtum über den Wert ist in diesem Sinn Voraussetzung für den Marktprozess.325 Daran kann auch die bloße Veranlassung durch die andere Vertragspartei nichts ändern; insbesondere darf wegen der grundsätzlich wichtigen Funktion des Arbitragegeschäfts auch keine Aufklärungspflicht der besser informierten Partei postuliert werden.326 Denn wie die Informationsökonomik betont, ist das Aufspüren von Preisunterschieden für sich allein (also auch ohne dass neue Eigenschaften der Sache entdeckt werden) das Erkennen neuer, wertvollerer Nutzungsmöglichkeiten.327
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Wilhelm in seiner Anmerkung zu OGH ecolex 1998, 197. Freilich bleibt dadurch offen, warum dies in die Risikosphäre jedes Einzelnen fallen soll; vgl Breidenbach, Voraussetzungen 68. Wie hier für Deutschland Flume, Rechtsgeschäft 492 f. SZ 68/152; Für alle Rummel in Rummel § 870 Rn 4 mwN. Rechtsvergleichend Grigoleit in Schulze, Informationspflichten 210. Anders vielleicht Pletzer, JBl 2002, 555. Kirzner, Unternehmer 230. Eindringlich und überzeugend für Käufer- und Verkäuferirrtum Fleischer, Informationsasymmetrie 321 ff. Kirzner, Unternehmer 242 ff; aus der neueren Literatur zB Kötz/Schäfer, Iudex oeconomicus 169, 175.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen Ein Teil der ökonomischen Literatur vernachlässigt diese Signalfunktion des Preises als Voraussetzung für den Marktprozess und stellt darauf ab, ob das schlichte Vorauswissen bloß zu einer Umverteilung zwischen den Parteien führt, und will dann eine Aufklärungspflicht bejahen.328
c) Zukünftiger Marktpreis Diese irrtumsrechtliche Unbeachtlichkeit gilt im Ergebnis auch für Fehlvorstellungen von Käufer oder Verkäufer über die zukünftige Wertentwicklung. Denn durch die Transaktion selbst wird diese Information über zukünftige Nutzungsmöglichkeiten mit Hilfe des Marktmechanismus grundsätzlich in die Bepreisung einfließen und der Marktpreis daher in die richtige Richtung getrieben. Das rechtfertigt es zumindest grundsätzlich, eine diesbezügliche Aufklärungspflicht zu verneinen. Der Getreidehändler in Beispiel 1 muss seine potentiellen Vertragspartner aus ökonomischer Sicht nicht über den vorauszusehenden Verfall der Marktpreise informieren. Freilich bestehen auch bei ökonomischer Sicht grundlegende Vorbehalte, die aber besondere Fallkonstellationen betreffen: Dass eine Vertragspartei bloß „geringfügig schnelleren“ Zugang zu Informationen über zukünftige Marktentwicklungen hat als der Rest der Marktteilnehmer, kann nach mancher Ansicht extreme Gewinne nicht rechtfertigen; denn diese stünden in solchen Fällen völlig außer Verhältnis zu den geringen Wohlfahrtsgewinnen, die durch die geringfügig frühere Einpreisung der Information in den Markt entstehen.329 Für die praktische Anwendung ist aber zu fragen, wo die Grenze zu ziehen ist; ab welcher besonders kurzen Zeitspanne sind welche Gewinne nicht mehr gerechtfertigt? Die bessere Ansicht lehnt daher auch in diesem Zusammenhang Aufklärungspflichten ab und verweist für Einzelfälle auf die Wucheranfechtung.330 Dadurch ist freilich auch nicht viel gewonnen, weil die notwendige Abwägung von Willensschwäche und objektivem Missverhältnis dann eben bei der Anwendung jener Gesetzesstelle vorzunehmen ist. Der ökonomische Befund über Aufklärungspflichten über zukünftige Marktverhältnisse ist daher zwiespältig.
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Grundlegend Hirshleifer, 61 Am Econ Rev 561 ff (1971); Cooter/Ulen, Law & Economics 272 ff; für den deutschen Sprachraum Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse 500 ff; Schäfer in Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme 138 f; Grechenig, JRP 2006, 19. Für eine Aufklärungspflicht bloß des Verkäufers mit Sonderwissen Shavell, 25 Rand J Econ 21 (1991). Samuelson, Weltwirtschaftliches Archiv 1957, 209; Kirzner, Unternehmer 245; Schäfer in Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme 139; Kötz/Schäfer, Iudex oeconomicus 176. Vgl Fleischer, Informationasymmetrie 328 ff (ohne freilich die auch im Zusammenhang mit dem Wucher notwendige Abwägung vorzunehmen).
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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d) Ausnahmen Freilich können im Einzelfall aus verschiedenen, bisher nicht angesprochenen Aspekten Aufklärungspflichten geboten sein. Soweit es dabei um die Vertragsauslegung geht, ist aber beim Kaufvertrag Vorsicht geboten. Selbst wenn der Verkäufer als Berater des Käufers auftritt,331 werden sich diese Beratungsleistung und die daraus resultierenden Aufklärungspflichten üblicherweise nur auf die Eigenschaften der Sache, allenfalls auch auf die Verwendbarkeit für den Käufer, aber nicht auf alternative und günstigere Beschaffungsmöglichkeiten (= Marktpreis) erstrecken. Das kann anders sein, wenn das Vertragsverhältnis über den Austausch von Leistung und Gegenleistung deutlich hinausgeht, weil dem Kaufvertrag eine gemeinsame Zweckverfolgung zugrunde liegt.332 Bei anderen Vertragstypen, bei denen eine gemeinsame Interessenverfolgung im Vordergrund steht oder bei denen der Vertragspartner sogar zur Interessenverfolgung des über den Wert Irrenden eingesetzt wird, kann dies selbstverständlich anders zu beurteilen sein. So wird es wohl außer Zweifel stehen, dass ein externer Berater zur Angemessenheit eines Geschäftsabschlusses den Irrenden auch ohne Nachfrage nicht nur auf den Wert beeinflussende Eigenschaften, sondern zB auch auf alternative, preisgünstigere Beschaffungsmöglichkeiten aufmerksam machen muss.
Anders sind auch jene Fälle zu behandeln, in denen die vorsätzliche Ausnützung des Informationsvorsprungs im Einzelfall aufgrund gesonderter gesetzlicher Anordnung untersagt ist. Paradigma ist das börserechtliche Insiderhandelsverbot (§§ 48a ff BörseG333).334 Der Insider nützt eine Fehlvorstellung seines Vertragspartners über die zukünftige Entwicklung des Marktpreises bewusst aus; seine bessere Informationslage335 gründet auf einem strukturellen Wissensvorteil, der durch den Vertragspartner bis zur öffentlichen Bekanntgabe der Informationen gar nicht überwunden werden kann.336 In Österreich
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Vgl dazu SZ 55/51. Vgl zB die Erwägungen im bekannten Daktari-Fall des BGH (MDR 1979, 730; dazu Kötz/Schäfer, Iudex oeconomicus 161 ff; Fleischer, Informationsasymmetrie 321 ff), wo aufgrund der Umstände allenfalls die Annahme eines solchen, gesellschaftsähnlichen Verhältnisses in Frage gekommen wäre. IdF BGBl I 2004/127. Vgl zur deutschen Rechtslage ausführlich Fleischer, Informationsasymmetrie 296 ff, 548 ff; für Österreich zuletzt (und kritisch) Noll/Klimscha, ÖJZ 2005, 658. Diese bezieht sich (im Regelfall, anders zB bei Kenntnissen über Übernahmepläne etc) freilich nicht unmittelbar auf die zukünftigen Marktverhältnisse für die betroffenen Anteile, sondern auf die zugrunde liegenden Fundamentaldaten des Unternehmens. In der Sache ist der Irrtum dennoch ein Wertirrtum, weil zB die verbesserten und noch nicht öffentlich bekannten Gewinndaten des Unternehmens keine wesentlichen Beschaffenheiten der Aktie selbst sind. Hinzu kommt, dass die Information (im Gegensatz etwa zum Verschweigen des eigenen Entschlusses, in der Folge ein Übernahmeangebot abzugeben) nicht unmittelbar dem eigenen Willensbereich entstammt.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
ist unstrittig, dass das strafrechtlich verpönte Insidergeschäft wegen § 879 ABGB auch zivilrechtlich (relativ) nichtig ist.337 Daneben hat aber der Insider auch eine Aufklärungspflicht verletzt, nämlich sein Wissen über die zukünftige Wertentwicklung gesetzwidrig ohne Offenlegung ausgenützt; deswegen ist dem Irrenden die Arglistanfechtung in diesem Fall auch bei Irrtum über den Wert (genauer: über die voraussichtliche Wertentwicklung) zu gewähren.338 Es gibt zahlreiche vergleichbare Fälle, in denen die Fehlvorstellungen einer Partei von ihr auch bei bestem möglichen Informationsstand nicht behoben werden können, weil die andere Partei einen exklusiven Zugang zu den relevanten Informationen hat; sie werden als strukturelle Informationsasymmetrien bezeichnet. Ob das börserechtliche Insiderhandelsverbot eine Analogiebasis für solche informationelle Schieflagen bieten kann, ist ungeklärt und zweifelhaft.339 Dafür ist es weniger ausschlaggebend, dass es dem Insiderrecht um den Schutz eines besonderen organisierten Markts, nämlich der Börse, geht; denn mittlerweile gilt das Insiderhandelsverbot auch für außerbörsliche Geschäfte.340 Allerdings geht insbesondere das Verbot für Sekundärinsider von der Prämisse aus, dass die Ausnützung der Information keinen sozialen Vorteil generiert, weil die zugrunde liegende, nicht öffentlich bekannte Tatsache sich bereits im Geschäftsbereich der Gesellschaft verwirklicht hat und in Kürze ohnehin bekannt werden wird (vgl die börserechtliche Ad-hoc-Publizität in § 48d BörseG), mit anderen Worten nur ein relativ geringer zeitlicher Informationsvorsprung ausgenützt wird. Im gegebenen Zusammenhang lässt sich jedenfalls festhalten, dass es einen strukturell exklusiven Zugang zu Informationen über den heutigen Wert der Ware nicht gibt;341 Preisinformationen sind prinzipiell frei zugänglich. Etwas anderes gilt für den zukünftigen Wert, auch soweit sich die Wertänderung nur aus sich wandelnden Marktverhältnissen ergibt. So kann der Verkäufer einer Ware durchaus wissen, dass aufgrund verstärkten, allenfalls sogar durch ihn veranlassten Nachschubs der Marktpreis in Zukunft fallen wird, und dies noch durch Verkäufe zum alten Marktpreis ausnützen. Ähnliche Probleme stellen sich, wenn der Produzent noch alte Produktlinien an den Wiederverkäufer verkauft, obwohl er weiß, dass durch von ihm neu lancierte Linien die Marktpreise demnächst fallen werden, was nicht öffentlich bekannt ist. Freilich wären diese Fälle auch durch das Insiderrecht nicht erfasst; denn dort ist die 337 338 339 340
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Vgl Kalss, Anlegerinteressen 335 mwN. Im Ergebnis wie hier Kalss, Anlegerinteressen 335. Optimistischer die Einschätzung bei Fleischer, Informationsasymmetrie 560 ff. Vgl § 48b Abs 1 BörseG idF BGBl I 2004/127; zur Rechtslage nach der Marktmissbrauchsrichtlinie Gall, ecolex 2003, 560. Zuvor ging die in Österreich hL davon aus, dass solche Geschäfte nicht vom strafrechtlichen Verbot erfasst waren (vgl Winner, Zielgesellschaft 121 mwN), woraus aber ohnehin keine zwingenden Rückschlüsse für die zivilrechtliche Wirksamkeit gezogen werden durften. Irrtümer über Eigenschaften der Kaufsache können hier freilich anders zu beurteilen sein.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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Ausnützung eigener Entschlüsse, zB ein Übernahmeangebot abzugeben, was wiederum zu Kurssteigerungen führen wird, erlaubt.342 Diese Wertung schlägt auch auf das allgemeine Vertragsrecht durch, wenn dieses Aufklärungspflichten bei solchen Situationen im Allgemeinen verneint.343
B. Der Eigenschaftsirrtum des Käufers Die Fehlvorstellung bezieht sich beim Eigenschaftsirrtum auf wertbildende Eigenschaften der Sache selbst; das zieht den Irrtum über den Wert nur nach sich. Dieser den Wert beeinflussende Eigenschaftsirrtum ist für die praktische Anwendung eine Grundfrage des Irrtumsrechts.344 Seit jeher ist fraglich, welche Fehlvorstellungen über Eigenschaften der Sache einen beachtlichen Geschäftsirrtum iSv § 871 ABGB herbeiführen können. Jedenfalls geht es nur um (fehlende) Eigenschaften bei Vertragsabschluss; nachträglich auftretende Mängel rufen keinen Willensmangel bei Vertragsabschluss hervor und unterliegen nur dem Recht der Leistungsstörungen. 1. Der „geschäftliche Eigenschaftsirrtum“ Nach einem in Rechtsprechung345 und Literatur346 verbreiteten Satz gehören jene Eigenschaften der Kaufsache, die für das Geschäft wertbildend waren, also die Gegenleistung maßgeblich bestimmt haben, zum Inhalt des Vertrags; der Irrtum über diesen Vertragsinhalt ist nach § 871 ABGB Irrtum über den Inhalt der Erklärung und daher Geschäftsirrtum. Das bedeutet nach einem bekannten Diktum Flumes zunächst, dass „der Grund der Beachtlichkeit […] nicht der Irrtum, sondern das Abweichen des Leistungsgegenstandes von der vereinbarten Beschaffenheit“ ist; „[d]er Irrtum hat für die Beachtlichkeit nicht kausale, sondern nur konditionale Bedeutung: Wenn der Leistungsgegenstand von der vereinbarten Beschaffenheit abweicht, findet wegen dieses Abweichens von der vereinbarten Beschaffenheit der Irrtum Beachtung.“347 Damit eröffnet sich jedoch ein Problem: Wenn die zu leistende Sache zwar bei Vertragsabschluss nicht die in Frage stehenden Eigenschaften aufweist, diese Eigenschaften aber doch Vertragsinhalt geworden sind, wäre es auf den 342 343 344 345
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Vgl zB Assmann/Cramer in Assmann/Schneider, WpHG § 14 Rn 27a. Insofern wie hier Fleischer, Informationsasymmetrie 565. Rechtsvergleichend siehe Kramer, Irrtum 87. SZ 46/84 (Fahrtüchtigkeit des Gebrauchtwagens); SZ 53/108 (Irrtum über die Grundfläche einer Wohnung). Kleteþka in Koziol/Welser I 152; Bollenberger in KBB § 871 Rn 7; F Bydlinski in FS H Stoll 119. Vgl auch Gschnitzer in Klang IV/1 124: „Es wäre unnatürlich, den Einfluss einer Eigenschaft auf den Wert des Hauptgegenstandes außer acht zu lassen.“ Im Ergebnis auch schon Hasenöhrl, Obligationenrecht II 610 ff. Flume, Eigenschaftsirrtum 87. Damit war die Lehre Zitelmanns (Irrtum 434 ff) überwunden, nach der sich der Wille nicht auf die Beschaffenheit der Sache, sondern nur auf ihre Identität richten kann.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
ersten Blick nahe liegend, die Behebung der Ungleichgewichtslage dem Gewährleistungsrecht zu überantworten. Denn über den Vertragsinhalt wurde nicht geirrt.348 Das Irrtumsrecht wäre dann allenfalls nur auf jene Irrtümer über Eigenschaften der Sache anzuwenden, die gerade nicht Vertragsinhalt geworden sind. Wie aber für Österreich Pisko349 und für Deutschland Flume350 argumentiert haben, sind beim Spezieskauf die Eigenschaften des Kaufgegenstandes von der Willenserklärung miterfasst; daher ist das Abweichen der Sache vom Vertragsinhalt zumindest prinzipiell ein Willensmangel.351 Deswegen berechtige auch der Irrtum über Eigenschaften des konkreten Erfüllungsgegenstandes, die an und für sich auch Vertragsinhalt geworden sind, grundsätzlich zur Anfechtung nach §§ 871 ff ABGB. Demzufolge legen die herrschende Lehre352 und die Rechtsprechung353 auch den Maßstab für die Beachtlichkeit des Eigenschaftsirrtums auf Käuferseite analog zu den Gewährleistungsregeln an: Irrtumsrechtlich beachtlich ist primär ein Abweichen des Vertragsgegenstandes von den vertraglich (explizit oder implizit) vereinbarten, sekundär dasjenige von den gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften. So formulierte auch Zeiller, dass der Anfechtungsgegner kein Recht erlangen könne, „wenn es der Sache an den Eigenschaften mangelt, die man ausdrücklich, oder vermöge ihrer natürlichen, gewöhnlichen oder vermöge der besonders beygesetzten (nicht bloß innerlich gedachten) Beschaffenheit oder Bestimmung gefordert hat“.354 Die Rechtsprechung stützt diese Auslegung. So ist es zB ein Geschäftsirrtum, wenn beim Wohnungskauf im Innenhof des Objekts entgegen den Zusicherungen ein Parkplatz errichtet wird (vereinbarte Bedingung)355 oder wenn das erworbene Gebäude entgegen der Verkehrserwartung nicht in Massivbauweise, sondern als Holzriegelbau errichtet wurde (gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft).356 Hingegen ist ein Irrtum über nicht vertraglich vereinbarte Eigenschaften, also zB solche Beschaffenheitsvorstellungen, die lediglich geäußert, aber weder durch ausdrückliche Vereinbarung noch aufgrund der Verkehrsauffassung Vertragsbestandteil wurden, kein Geschäfts-, sondern ein Motivirrtum. Denn die nach § 901 ABGB grundsätzlich unbeachtlichen Motivirrtümer sind eben jene, die nicht (auch nicht durch ergänzende Vertragsauslegung) in das Ge-
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So im Ergebnis zB noch Stubenrauch, Commentar II6 121. Gewährleistungsfolgen 74 ff. Eigenschaftsirrtum passim; vgl auch dens, Rechtsgeschäft 472 ff. Deutlich zB Kramer, JBl 1971, 299; Honsell, JBl 1989, 205; Bydlinski in Klang IV/2 154. Vgl Rummel in Rummel I § 871 Rn 10; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 9. Für alle SZ 48/102. Zeiller, Commentar III/1 34. SZ 47/148. SZ 28/103.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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schäft „hineingetragen“ werden können; der Motivirrtum bezieht sich nach herrschender Lehre auf jene Eigenschaften, die außerhalb des Geschäfts liegen.357 Etwas anderes gilt freilich, wenn der Irrende meint, besondere subjektive Vorstellungen seien Vertragsinhalt geworden, ohne dass dies der Fall ist; dann kann ein unter den sonstigen Voraussetzungen beachtlicher Erklärungsirrtum vorliegen! Dann muss sich die Veranlassung durch den Vertragspartner aber auch auf diesen Irrtum (und nicht auf die Abweichungen der Sache) beziehen.358 2. Veranlassung des Irrtums Die Veranlassung des Irrtums durch den Verkäufer kann durch aktive Fehlinformation erfolgen, wobei bei einer Gesamtbetrachtung auch das Verschweigen einzelner Eigenschaften bei gleichzeitiger Nennung anderer eine Veranlassung durch aktives Tun sein kann: Wer einzelne Mängel eines Kraftfahrzeuges nennt, andere aber nicht, unterlässt nicht die gebotene Aufklärung, sondern informiert aktiv falsch.359 Fragen über wertbildende Eigenschaften sind wahrheitsgemäß zu beantworten; die Beantwortung kann freilich verweigert werden. Hinzu kommt, dass den Verkäufer Aufklärungspflichten treffen, wenn die Kaufsache nicht die vertraglich vereinbarten360 oder die verkehrsüblichen361 Eigenschaften aufweist.362 Dazu gehören auch rechtliche Umstände, die für die Nutzung des Leistungsgegenstandes erheblich sind, insbesondere behördliche Genehmigungen.363 Das alles entspricht im Grundsatz dem gewährleistungsrechtlichen Mangelbegriff.364 Es kommt auch nicht darauf an, ob der Käufer wusste, dass der Vertragsgegenstand nicht diese Eigenschaften aufweist; wie sich aus den gewährleistungsrechtlichen Wertungen ergibt, trifft ihn diesbezüglich nicht nur eine Aufklärungs-, sondern auch eine Nachforschungspflicht. Die Verletzung dieser Pflichten führt zur Anwendung von § 871 Abs 2 ABGB; der Irrtum gilt als veranlasst (vgl schon oben A. 4.).
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Vgl SZ 47/148; Kleteþka in Koziol/Welser I 151. AM für Deutschland Fleischer, Informationsasymmetrie 342 ff; aus rechtshistorischer Sicht auch Schermaier in HKK BGB §§ 116-124 Rn 55 ff. Vgl dazu den englischen Fall Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 597; dazu Treitel, Contract 283. Näher Fleischer, Informationsasymmetrien 250 ff. SZ 47/148. SZ 28/103; SZ 48/102. Dazu gehört unabhängig von der Begehungsform wohl auch SZ 37/76, wo ein „Seegrundstück“ ohne Seezugang verkauft wurde. Vgl auch F Bydlinski JBl 1980, 393 f. OGH JBl 1992, 450; OGH JBl 1988, 581; OGH MietSlg 34.115. Deutlich Pisko, Gewährleistungsfolgen 85; Kramer, JBl 1971, 300; OGH RZ 1963, 154.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Für den Käuferirrtum über die Eigenschaften des Leistungsgegenstandes ist die Funktion des Gewährleistungsrechts häufig beschrieben worden.365 Das lässt sich wegen der soeben festgestellten parallelen Anwendbarkeit ohne weiteres auf das Irrtumsrecht und die Aufklärungspflichten übertragen. Erstens sind diese Mechanismen eine Versicherung für risikoaverse Nachfrager durch im Regelfall risikoneutrale Anbieter; zweitens ist die Übernahme einer Qualitätsgarantie durch Zusicherung von Eigenschaften dem Anbieter entsprechender Güter im Regelfall zu geringeren Kosten möglich, als dem Nachfrager für eigene Informations- und Überprüfungsanstrengungen entstehen würden. Das entspricht dem wohlfahrtsökonomischen Grundsatz, Informationspflichten so zu verteilen, dass die Transaktionskosten minimiert werden.366 Wegen dieser Informationspflicht des Verkäufers geht die Erwartungshaltung der Käufer dahin, dass die am Markt angebotenen Produkte die standardisierten Qualitätserwartungen mangels Ausweis des Gegenteils erfüllen: Somit ist es wohlfahrtsökonomisch konsequent, dem Verkäufer eine Aufklärungspflicht bei Abweichen von diesen Standards aufzuerlegen. Die Problemlösung kann man gedanklich auch mit der Figur des vollständigen Vertrags bewältigen: Welche Vertragsgestaltung hätten die Parteien gewählt, wenn alle Bedingungen (wegen fehlender Transaktionskosten)367 vollständig ausformuliert worden wären? Dieser vollständige Vertrag wäre dann durch die Rechtsordnung nachzubilden, wenn es im Einzelfall wegen der Transaktionskosten an einer ausdrücklichen Vereinbarung fehlt. Das entspricht in der Sache dem Instrument der (ergänzenden) Vertragsauslegung in Verbindung mit dem dispositiven Recht.368 Auch nach diesem Ansatz würde im Ergebnis diejenige Partei ein bestimmtes Risiko übernehmen, die es im Einzelfall kostengünstiger beherrschen kann. Das ist im Gewährleistungsfall bzw beim beachtlichen Eigenschaftsirrtum im Regelfall der Verkäufer. Einerseits hätte er durch eine abweichende Leistungsbeschreibung die versprochenen Eigenschaften ohne größeren Aufwand einschränken können369 und andererseits ist ihm über die qualitative Kontrolle die Beherrschbarkeit des Risikos einer Abweichung im Regelfall zu geringeren Kosten möglich als dem Erwerber. Vor allem kann der professionelle Marktteilnehmer und damit zumeist der Verkäufer das Risiko unvermeidbarer Schlechtlieferungen über die Preisgestaltung auf die Kunden abwälzen (superior risk bearer).370
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Vgl für den deutschen Sprachraum zusammenfassend Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse 473 ff. Vgl zB Posner, Economic Analysis 111 f; Kötz/Schäfer, Iudex oeconomicus 173 f. Zusammenfassend Adams, AcP 1986, 457 f. Vgl zB Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse 426 ff. Das entspricht der Idee, dass die Zusicherung von Eigenschaften bei Gewährleistung für diese (oder bei vertraglicher Garantieübernahme) ein Signal für die Verlässlichkeit der Leistung ist; vgl Grossman, J L & Econ 24 (1981) 461. Vgl Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse 412 ff.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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3. Das Verhältnis Gewährleistungsrecht – Irrtumsanfechtung Damit liegt die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis zwischen Irrtumsanfechtung und gewährleistungsrechtlichen Rechtsbehelfen nahe, soweit es den Irrtum über Eigenschaften des Erfüllungsgegenstandes seitens des Käufers betrifft.371 Die alternative Anspruchskonkurrenz beider Institute wird in der österreichischen Rechtsprechung durchwegs bejaht.372 Die herrschende Meinung373 hat sich dem angeschlossen; sie lässt die Irrtumsanfechtung daher auch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist und auch bei behebbaren Mängeln374 zu. Voraussetzung der Irrtumsanfechtung ist schon aus Kausalitätsgründen freilich, dass die Kaufsache bereits bei Vertragsabschluss mangelhaft war. Mängel, die erst danach, aber vor der Übergabe entstehen, müssen mit gewährleistungsrechtlichen Behelfen aufgegriffen werden. Die Gegenmeinung stützt sich vor allem auf das Argument, dass die kurzen Ausschlussfristen für die Gewährleistung für bewegliche Sachen umgangen werden können, wenn die Irrtumsanfechtung in solchen Fällen parallel zur Gewährleistung offen steht.375 Dieses Argument hat an Bedeutung verloren, seitdem eine Annäherung durch die Ausweitung der Gewährleistungsfrist von sechs Monaten auf zwei Jahre erfolgt ist (vgl § 933 Abs 1 ABGB);376 freilich besteht immer noch eine Lücke von bis zu377 einem Jahr.
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Freilich kann der Verkäufer nicht mit dem Argument anfechten, dass die Kaufsache zum Nachteil des Käufers nicht die vereinbarten Eigenschaften aufweist, weil er sich sonst den Rechtsfolgen des Gewährleistungsrechts entziehen könnte; vgl Flume, Eigenschaftsirrtum 146. Das Problem stellt sich in Österreich wegen der Anfechtungsvoraussetzungen nach § 871 ABGB im Regelfall überhaupt nicht. SZ 11/255; SZ 28/69; EvBl 1966/352; SZ 48/56; SZ 49/56; SZ 68/152. Welser in Koziol/Welser II 83; Gschnitzer in Klang IV/1 514 ff; Bollenberger in KBB § 871 Rn 21; F Bydlinski in Klang IV/2 155; ders in Doralt, UNCITRALKaufrecht 86; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 36; Rummel in Rummel I § 871 Rn 22; Kramer in Straube I § 351a Rn 5 (referierend); P Bydlinski, JBl 1993, 561; Kerschner, JBl 1989, 541 f; ders in Jabornegg HGB §§ 377, 378 Rn 120; Böhler, Grundwertungen 243; Fitz in FS Ostheim 242; Dullinger, BR II Rn 3/151. Ausdrücklich Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 38 in Fn 290 mwN; Rummel in Rummel I § 871 Rn 22; aM Kerschner, JBl 1989, 542. Pisko, Gewährleistungsfolgen 69 ff; Kramer, JBl 1971, 298 ff (vgl auch dens, ÖJZ 1974, 453 in Fn 6); Honsell, JBl 1989, 205 ff; Haselberger, ÖJZ 1968, 315 ff. Für Deutschland die ganz hM; bahnbrechend auch hier Flume, Eigenschaftsirrtum 132 ff; jüngst ausführlich P Huber, Irrtumsanfechtung passim; vgl auch Fleischer, Informationsasymmetrie 347 ff. Rechtsvergleichend Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 267 ff; Ranieri, Obligationenrecht 332 ff; Schwenzer/Müller-Chen, Rechtsvergleichung 166 ff. Daher auch das Argument seit der Verlängerung der Gewährleistungsfristen für Deutschland ablehnend Larenz/Wolf AT BR § 36 Rn 48 ff Nämlich beim sofort erfüllten Kaufvertrag; vgl den unterschiedlichen Beginn des Fristlaufs nach § 1487 und § 933 Abs 1 ABGB.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Daneben wird insbesondere zum BGB geltend gemacht (für welches die hM die Anspruchskonkurrenz ablehnt378), dass die Anspruchskonkurrenz auch in krassem Widerspruch zum Ausschluss der Gewährleistung bei offenkundigen Mängeln (§ 442 BGB; vgl § 928 ABGB) stehe.379 Denn auch der fahrlässig Irrende könne schrankenlos anfechten,380 wobei die Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens (§ 122 BGB) keine ausreichende Abhilfe bringe. Das gilt freilich in Österreich nicht gleichermaßen, weil neben der Beachtlichkeit des Irrtums auch noch eine der anderen Voraussetzungen nach § 871 ABGB vorliegen muss. Diese sind aber nicht nur kausal, sondern auch wertend zu verstehen:381 Bei offenkundigen Mängeln ist die Veranlassung daher nur unter erschwerten Voraussetzungen zu bejahen382 und ebenso wenig muss der Irrtum über einen offenkundigen Mangel dem Anfechtungsgegner ohne weiteres auffallen. Von res integra abgesehen bestehen daher insofern keine Unterschiede zwischen Irrtumsanfechtung und Gewährleistung.383 Ein Gegenargument zur Anspruchskonkurrenz könnte auch noch darin liegen, dass das neue Gewährleistungsrecht in allen Fällen den Vorrang der Nacherfüllung gegenüber der Wandlung vorsieht (§ 932 ABGB), während §§ 871 f ABGB immer Vertragsaufhebung oder Preisminderung vorsehen. Dabei würde aber übersehen, dass nach allgemeiner Meinung384 die Anfechtung unzulässig ist, wenn der Gegner den Vertrag so gelten lässt, wie ihn der Irrende gemeint hat; der Beschwerdegrund fällt weg. Daher hat es der Ge378 379
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Vgl dazu jüngst zusammenfassend G Müller in FS u Huber 449. Für Deutschland Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 33; Hefermehl in Soergel, BGB § 119 Rn 78. Für Österreich Honsell, JBl 1989, 206. § 119 BGB geht von einem zur Anfechtung berechtigenden „Eigenschaftsirrtum“ aus, während das vernunftrechtlich geprägte ABGB unter dem weiten Dach des „Geschäftsirrtums“ die Anfechtung zwar generell zulässt, aber an zusätzliche Voraussetzungen, die an die Position des Geschäftspartners anknüpfen, abhängig macht. Der Begriff des Eigenschaftsirrtums dient daher in Deutschland der Eingrenzung des Anfechtungsrechts, eine Funktion, die in Österreich durch die drei Voraussetzungen in § 871 ABGB erfüllt wird. Näher unten X. A. 2. und 3. Rummel in Rummel I § 871 Rn 15;L im Ergebnis auch Thunhart, ÖJZ 2000, 448 f. Damit wird den Bedenken Honsells, JBl 1989, 206, weit gehend Rechnung getragen. Vgl auch Rummel in Rummel I § 870 Rn 4 aE. Dass der Verkäufer den Irrtum nach § 871 ABGB veranlasst haben muss, gewährleistungsrechtlich aber kein Verschulden am Mangel vorliegen muss, ist hingegen prinzipiell kein Argument, dass die parallele Anwendbarkeit rechtfertigen kann. Denn die Veranlassung muss nicht verschuldet erfolgen; hinzukommt, dass den Verkäufer über Mängel der Kaufsache eine Aufklärungspflicht trifft und dass jede Verletzung einer solchen Pflicht eine Veranlassung im irrtumsrechtlichen Sinn darstellt. Damit wird in jedem Gewährleistungsfall der Irrtum auch veranlasst; gleichsinnig Fitz in FS Ostheim 247 f. Rummel in Rummel I § 871 Rn 21; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 35; Kleteþka in Koziol/Welser I 161; Gschnitzer in Klang IV/1 144. Aus der Rsp zB SZ 55/160; SZ 61/53.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
87
währleistungspflichtige bei behebbaren Mängeln in der Hand, durch Verbesserung oder Austausch der Irrtumsanfechtung den Boden zu entziehen. Ein Wertungswiderspruch besteht daher nicht. Abgesehen von der Verlängerung der gewährleistungsrechtlichen Ausschlussfrist sind daher keine wesentlich unterschiedlichen Rechtsfolgen der beiden Rechtsbehelfe zu erkennen. Die Aufweichung der gewährleistungsrechtlichen Rechtsbehelfe durch die Anfechtungsmöglichkeit nach § 871 ABGB sollte daher mE nicht überschätzt werden.385 Im Übrigen nahm sich die Gewährleistungsreform des Problems nicht an,386 auch wenn die maßgeblichen Gestalter sich der Problematik wohl bewusst waren. Auch das spricht dafür, dass die bisherige, die alternative Anspruchskonkurrenz bejahende Rechtsprechung beibehalten werden sollte. Ob ein Verzicht auf die Gewährleistung dem Verkürzten auch die Irrtumsanfechtung verschließt, ist für den Verzicht auf die Geltendmachung einzelner Typen von Mängeln aus der Gewährleistung ohne weiteres zu bejahen.387 Bei generellem Verzicht ist die Rechtslage strittig;388 im Regelfall ist der Ausschluss auch der Irrtumsanfechtung das Gewollte und damit zu bejahen,389 wogegen freilich im Einzelfall der Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit sprechen kann. Wegen § 935 ABGB ist aber (für Nicht-Unternehmer) klar, dass ein Ausschluss der Gewährleistung jedenfalls nicht auf die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte durchschlagen kann.390 Unterlassen Kaufleute die rechtzeitige Mängelrüge nach § 377 UGB, so verlieren sie im Übrigen neben den Gewährleistungsansprüchen auch den Anspruch auf Anfechtung wegen Irrtums. 4. Gattungsschuld Dies alles gilt zunächst nur für die Speziesschuld. Der Irrtum über eine Eigenschaft der Kaufsache kann zumindest prinzipiell auch bei der Gattungsschuld
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Davon ist die in der deutschen Lehre strittige Frage zu unterscheiden, ob die Haftung wegen culpa in contrahendo (mit dem Rücktritt vom Vertrag als Naturalrestitution) bei Verletzung von Aufklärungspflichten über verkehrswesentliche Eigenschaften gegenüber dem Gewährleistungsrecht zurücktritt; vgl zB Emmerich in MünchKomm BGB § 311 Rn 124 ff. Auch das ist für Österreich wohl zu verneinen. Vgl die Feststellung von Ranieri, Obligationenrecht 350. Für alle Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 37. Gegen Auswirkungen auf die Irrtumsanfechtung zB SZ 46/84; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 37; Gschnitzer in Klang IV/1 516. Rummel in Rummel I § 871 Rn 23; P Bydlinski, JBl 1993, 562 f (mit Ausnahme für das Auffallen-Müssen des Irrtums); Kerschner, JBl 1989, 542; Honsell, JBl 1989, 207. Rechtsvergleichend Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 267. P Bydlinski, JBl 1993, 563 (der freilich davon ausgeht, dass Gewährleistungsfälle ohnehin nicht § 934 ABGB unterliegen).
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
neben den Gewährleistungsansprüchen zur Irrtumsanfechtung berechtigen.391 Für den Käuferirrtum ist zu unterscheiden: Entspricht nur das gelieferte Stück nicht den vertraglichen Vereinbarungen, ist jedoch die vertragsgemäße Lieferung aus der Gattung möglich, so ist für die Irrtumsanfechtung neben den Rechtsbehelfen bei Leistungsstörungen tatsächlich kein Raum.392 Denn Vertragsinhalt beim Gattungskauf ist nur irgendein, nicht näher bestimmtes Stück aus der Gattung; ist nur das gelieferte Stück fehlerhaft, so kann ein beachtlicher Irrtum im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gar nicht vorliegen, weil die Lieferung genau dieses Stücks nicht Vertragsinhalt war. Wenn hingegen die ganze Gattung nicht der vertraglichen Spezifikation entspricht, ist die Irrtumsanfechtung unter den sonstigen Voraussetzungen möglich.393 So ist zB die Ertragskraft des gekauften Unternehmens eine Eigenschaft, hinsichtlich der Fehlvorstellungen zu einem Geschäftsirrtum führen können.394 Daran ändert es nichts, wenn nicht das Unternehmen selbst, sondern einzelne (nicht alle) Aktien am Unternehmensträger (also Gattungssachen) verkauft werden und Fehlvorstellungen bezüglich der zugrunde liegenden Unternehmensdaten, die auch vertraglich als Grundlage festgelegt werden, bestehen. Hier kommt sowohl ein Anspruch aus Gewährleistung als auch die Irrtumsanfechtung wegen Veranlassung eines beachtlichen Geschäftsirrtums in Betracht.
5. UN-Kaufrecht Soweit ein Kaufvertrag dem UN-Kaufrecht395 unterliegt, sind die Rechtsfolgen von Vertragsverletzungen des Verkäufers in Art 45 ff iVm Art 35 ff geregelt. Die Mangelhaftigkeit der Ware ist davon erfasst. Andererseits normiert Art 4 UN-Kaufrecht, dass die Gültigkeit des Vertrags nicht nach UN-Kaufrecht, sondern nach den gemäß dem internationalen Privatrecht anwendbaren Normen zu beurteilen sind; das inkludiert grundsätzlich auch das Irrtumsrecht und andere Willensmängel.396 Freilich sind Willensmängel nur ausgenommen, soweit das UN-Kaufrecht selbst nicht etwas anderes bestimmt. Eine solche andere Bestimmung könnte für den Eigenschaftsirrtum des Käufers eben in den Rechtsfolgen der Ver-
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Anders Welser in Koziol/Welser II 83. Historisch war der Irrtum über die Eigenschaften der Gattung im Gegensatz zur Rechtslage bei der Speziesschuld schon lange anerkannt; vgl Pisko, Gewährleistungsfolgen 73 ff. SZ 2003/70; in diesem Sinn F Bydlinski in Klang IV/2 156; Aicher in Rummel I § 1053 Rn 34; Kerschner, JBl 1989, 541; P Bydlinski, RdW 2003, 430 mwN. SZ 2003/70; Bollenberger in KBB § 871 Rn 8. OGH wbl 1987, 97; OGH JBl 1991, 43 (jeweils zur Abtretung von GmbHGeschäftsanteilen). BGBl 1988/96. Für alle Posch in Schwimann IV Art 4 UNK Rn 6; Schlechtriem, UN-Kaufrecht Rn 34. Vgl auch EB zur RV 94 BlgNR 17. GP 51.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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tragsverletzung des Käufers liegen.397 Das entspricht auch der ganz herrschenden Meinung in Deutschland,398 wobei diese Ansicht von der dort herrschenden Dogmatik, nach der das Gewährleistungsrecht die Irrtumsanfechtung verdrängt, wohl nicht völlig unbeeinflusst ist.399 Ebenso konsequent ist die bisher herrschende österreichische Meinung davon ausgegangen, dass die Irrtumsanfechtung wegen Eigenschaftsirrtümern des Käufers auch bei Anwendung des UN-Kaufrechts grundsätzlich nach nationalem Recht zu entscheiden ist.400 Denn die Anfechtung wegen Irrtums betrifft nach dieser Ansicht eben nicht die Vertragsdurchführung, sondern die Gültigkeit des Vertrages; noch dazu ist die Irrtumsanfechtung wegen § 871 ABGB an verhältnismäßig enge Voraussetzungen gebunden, welche die parallele Anwendung rechtfertigen sollen. Freilich gibt es auch eine gegenläufige Entscheidung eines österreichischen Berufungsgerichts, die vom OGH unwidersprochen zur Kenntnis genommen wurde.401 Die Frage ist daher in Österreich offen. Faktisch wird durch die Parallelität von nationaler Irrtumsanfechtung und harmonisierter Folgen der Vertragsverletzung die durch das UN-Kaufrecht angestrebte Vereinheitlichung im Bereich der Vertragsverletzung teilweise vereitelt.402 Das spricht mE doch recht deutlich für den Vorrang des UN-Kaufrechts. Als vermittelnde Lösung wäre es auch denkbar, die Anwendung der Irrtumsanfechtung mit der herrschenden Lehre zu bejahen, den Vereinheitlichungszweck aber bei der Auslegung von §§ 871 ff ABGB zu berücksichtigen. Nach diesem Ansatz kann bei unterlassener Rüge nach Art 38, 43 Abs 1 UN-Kaufrecht auch die Irrtumsanfechtung abgeschnitten sein.403
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So zB jüngst Note 4 zu Art 4 des Draft UNCITRAL Digest (abgedruckt bei Ferrari et al, Draft UNCITRAL Digest 522). Ein entsprechender Vorschlag, durch den die Verdrängung des nationalen Irrtumsrechts durch die Regeln der Nichterfüllung nach UN-Kaufrecht festgeschrieben worden wäre, wurde nicht in das UN-Kaufrecht aufgenommen; vgl Ranieri, Obligationenrecht 375 f. Schlechtriem, UN-Kaufrecht Rn 36a; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, UNKaufrecht Art 4 Rn 24; Fleischer, Informationsasymmetrie 966 ff; Kramer, Irrtum Rn 132; Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 269; P Huber, Irrtumsanfechtung 275 ff. Vgl F Bydlinski in Doralt, UNCITRAL-Kaufrecht 86. F Bydlinski in Doralt, UNCITRAL-Kaufrecht 84 ff; Rummel in Hoyer/Posch 188; Lessiak, JBl 1989, 490 ff; Karollus, UN-Kaufrecht 42. Differenzierend nach Erkennbarkeit der Mängel Gstoehl, ZfRV 1998, 9. Offen lassend Wittwer, Vertragsschluss 232 f. Vgl OGH IPRAX 2001, 149; dazu Schlechtriem, IPRax 2001, 161; Ranieri, Obligationenrecht 376 f. Vgl Art 7 Abs 1 UN-Kaufrecht; Siehr in Honsell, UNK Art 4 Rn 6 (mit Hinweis auf die geringe Bedeutung bei Gattungssachen); ablehnend zu diesen Argumenten Lessiak, JBl 1989, 493 ff. Welser in Doralt, UN-Kaufrecht 112; Karollus, UN-Kaufrecht 42; aM Lessiak, JBl 1989, 495 f; F Bydlinski in Doralt, UN-Kaufrecht 86 in Fn 90.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Soll im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts aber auch die Berufung auf die laesio enormis abgeschnitten sein, wenn die Verkürzung auf einem Eigenschaftsirrtum des Käufers beruht? Dabei ist zu bedenken, dass die Arglistanfechtung nach auch in Deutschland allgemeiner Meinung aus solchen Gründen zulässig ist (weswegen im Übrigen auch die Frage der parallelen Anwendung der Irrtumsanfechtung zumindest zum Teil entschärft ist).404 Beim Wucher als Unterfall der Sittenwidrigkeit ist die Anwendbarkeit nationalen Rechts aufgrund von Art 4 UN-Kaufrecht ebenfalls unstrittig.405 Bedenkt man die typologische Nähe der laesio enormis zu diesen Rechtsbehelfen, so kann grundsätzlich für diese nichts anderes gelten; das gilt auch deswegen, weil die objektive Äquivalenzstörung, die im Vergleich zur Irrtumsanfechtung zwingend und mit großem Gewicht hinzutreten muss, eine eigenständige Beurteilung nahe legt. Auch bei Anwendung des UN-Kaufrechts kann sich der Käufer daher bei einem Irrtum über die Eigenschaften des Leistungsgegenstandes auf § 934 ABGB berufen, wenn die sonstigen Voraussetzungen dieses Anspruchs gegeben sind.
C. Der Eigenschaftsirrtum des Verkäufers Ganz andere Probleme als die Abgrenzung gegenüber der Gewährleistung stellen sich bei der Beurteilung jener Fälle, in denen nicht der Käufer, sondern der Verkäufer über wertbildende Eigenschaften der Kaufsache irrt. Hier geht es um Einleitungsfall 2, also die vom Käufer entdeckten Erdölvorkommen unter dem Grundstück. Oder: Der Käufer findet am Flohmarkt das Notenblatt eines bekannten Komponisten, wobei die Herkunft dem Verkäufer unbekannt ist. 1. Geschäfts- und Motivirrtümer Irrtumsrechtlich ist fraglich, ob in solchen Fällen ein Motiv- oder ein Geschäftsirrtum vorliegt. Unter welchen Voraussetzungen erstreckt sich, um die Terminologie des ABGB zu benutzen, der Inhalt der Erklärung des Verkäufers auch darauf, dass bestimmte Eigenschaften gerade nicht gegeben sind? Dieser Ansatz würde zunächst einmal eine restriktive Beurteilung nahe legen. Im Regelfall gibt der Verkäufer gerade keine Erklärung darüber ab, dass bestimmte Eigenschaften nicht vorliegen sollen, an die er ja überhaupt nicht denken kann. Rechtsprechung zu dieser Thematik fehlt soweit ersichtlich. Der Standardsatz in Rechtsprechung406 und Literatur407, wonach Irrtümer über jene Eigen404
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Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, UN-Kaufrecht Art 4 Rn 25; Fleischer, Informationsasymmetrie 965 ff. Für alle Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, UN-Kaufrecht Art 4 Rn 18. SZ 46/84 (Fahrtüchtigkeit des Gebrauchtwagens); SZ 53/108 (Irrtum über die Grundfläche einer Wohnung). Kleteþka in Koziol/Welser I 152; Bollenberger in KBB § 871 Rn 7.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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schaften, welche die Gegenleistung maßgeblich bestimmt haben, Geschäftsirrtümer sind, hilft hier nicht weiter; er stellt auf den Käuferirrtum ab, während es beim Verkäuferirrtum darum geht, dass diese Eigenschaften die Gegenleistung maßgeblich beeinflusst hätten, wenn sie dem Verkäufer bekannt gewesen wären. Diese Abwandlung ist natürlich denkbar. Vom Ausgangspunkt einer festgestellten objektiven Äquivalenzstörung her würde gefragt, ob die Fehlvorstellung des Verkäufers über eine bestimmte Eigenschaft für das Entstehen dieses Missverhältnisses kausal war; ist dies zu bejahen, so liegt ein Geschäftsirrtum vor. Das wäre für die beiden oben angeführten Beispiele gegeben. Auch Gschnitzer – einer der wenigen, der sich mit dem Irrtum des Verkäufers befasst hat – ordnet solche Fälle als Geschäftsirrtümern ein; so sieht er im Verkauf der goldenen, aber vermeintlich bloß vergoldeten Uhr einen Geschäftsirrtum des Verkäufers.408 Zu anderen Ergebnissen muss kommen, wer die Abgrenzung zwischen Motiv- und Geschäftsirrtum für eine Frage der vertraglichen Risikozuteilung hält.409 Unter dieser Prämisse ist zumindest für den Fall des Notenblatts die Einordnung als Motivirrtum unter Berücksichtigung der Begleitumstände relativ klar; denn durch das Feilbieten am Flohmarkt setzt sich der Verkäufer geradezu typischerweise der Gefahr aus, wertvolle Sachen aus Unkenntnis zu billig zu verkaufen. Aber auch die noch verborgenen Bodenschätze könnten in diese Kategorie gehören; dass Grundstücke Bodenschatzvorkommen enthalten, ist zwar kein alltägliches Problem bei Liegenschaftstransaktionen, muss aber doch als zumindest mögliches Risiko des Verkaufs, das nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegt, angesehen werden. Für diese methodische Anknüpfung spricht im gegebenen Zusammenhang des Verkäuferirrtums in der Tat viel, erlaubt sie doch (ähnlich wie die verkehrstypischen Eigenschaften, die Vertragsinhalt werden und nach denen sich mangels anderer Vereinbarung nicht nur die Gewährleistungsansprüche des Käufers, sondern auch sein Recht auf Irrtumsanfechtung richten) unter Beachtung des konkreten Vertrags festzustellen, wem die Wertsteigerung zusteht. Die Frage ist im Ergebnis daher offen. Ihre dogmatische Bedeutung lässt sich gut an den folgenden Überlegungen zeigen: Hält man solche Irrtümer des Verkäufers für Geschäftsirrtümer, so eröffnet jede Veranlassung des Irrtums die Anfechtbarkeit. Veranlasst ist der Irrtum wegen § 871 Abs 2 ABGB jedenfalls dann, wenn eine dementsprechende Aufklärungspflicht verletzt wurde. Der springende Punkt ist jedoch ein anderer: Sind diese Irrtümer des Verkäufers Geschäftsirrtümer, so kommt es für die Irrtumsanfechtung auf eine Verletzung von Aufklärungspflichten gar nicht
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Gschnitzer in Klang IV71 123. So zum BGB insbesondere Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 113 ff; für Österreich Rummel in Rummel I § 871 Rn 9; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 11.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
mehr an.410 Denn dann steht die Anfechtung auch offen, wenn der Irrtum dem Käufer hätte auffallen müssen (§ 871 Abs 1 ABGB); nach allgemeiner Meinung steht das tatsächliche Kennen des Irrtums – wie in den gebrachten Beispielen – dem Auffallen-Müssen gleich.411 Der Vertrag wäre daher bei Kenntnis des Käufers über die werterhöhenden Eigenschaften jedenfalls und ohne weitere Überlegungen anfechtbar.412 Das kann nicht rechtsrichtig sein. Denn dadurch wäre jede Überlegung, ob Aufklärungspflichten in einem konkreten Fall bestehen oder nicht, bedeutungslos. Allein das Vorliegen der Informationsasymmetrie würde dem Verkäufer die Irrtumsanfechtung eröffnen. Auch wenn der Erwerb des Notenblatts von einem spezialisierten und mit Fachwissen ausgestatteten Händler erfolgt, der im Einzelfall die Herkunft des Blattes nicht erkannte, würde bei Wissen des Vertragspartners (= ein anderer Händler) die Irrtumsanfechtung jedenfalls offen stehen. Das wäre aber inkonsequent: Denn durch die Wertung, dass keine Aufklärungspflicht besteht, wird dem Vertragspartner des Irrenden durch § 871 ABGB ein Recht zum Schweigen eingeräumt; das darf nicht durch die Berufung auf die Kenntnis des Irrtums des Vertragspartners abgeschnitten werden.413 Das Verneinen der Aufklärungspflicht geht Hand in Hand damit, dass die Kenntnis des zugrunde liegenden Irrtums nicht schaden kann, so wie umgekehrt die Kenntnis (aber nicht nur diese!) schädlich ist, wenn eine Aufklärungspflicht besteht. Diese Harmonisierung von Aufklärungspflichten und Irrtumsrecht414 ist zwingend erforderlich, will man nicht Wertungswidersprüche in Kauf nehmen; das gilt selbstverständlich unabhängig davon, ob man im konkreten Fall (Notenblatt bzw Bodenschätze) eine Aufklärungspflicht bejaht. Insofern trifft Kramer das Richtige, wenn er die Abgrenzung zwischen
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Im Ergebnis wie hier Iro, JBl 1974, 235 f (in Fn 70). Vgl Kleteþka in Koziol/Welser I 157; Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 643; Bollenberger in KBB § 871 Rn 15; F Bydlinski in FS H Stoll 121. Der von F Bydlinski (Privatautonomie 165 f) und Kramer (Grundlagen 74 ff) aufgezeigte Widerspruch zwischen § 863 ABGB und der Anfechtung wegen „Auffallen-Müssens“ betrifft vor allem den Erklärungsirrtum und kann daher hier außer Acht bleiben. Auch Gschnitzer vollzog seine Einordnung solcher Irrtümer als Geschäftsirrtümer nicht in letzter Konsequenz. Für den Aktienkäufer, der Verbesserungen der Auftragslage der Gesellschaft kennt, verneint er eine Aufklärungspflicht und schneidet deshalb auch die Anfechtung ab (Gschnitzer in Klang IV/1 111 f). Konsequenterweise müsste er im nächsten Satz aber auf die Irrtumsanfechtung wegen Kenntnis des Irrtums verweisen. Insofern auch nicht ganz klar Rummel, JBl 1989, 4, der für die Anfechtung bei ausgenutztem Geschäftsirrtum auf Aufklärungspflichten abstellen möchte, was aber bei Kenntnis überflüssig ist. Zu dieser auch in anderem rechtlichen Zusammenhang, aber bei vergleichbarer Problemstellung Fleischer, Informationsasymmetrie 378 f.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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Geschäfts- und Motivirrtum nach der Risikoverteilung aufgrund des konkreten Vertrags vornimmt.415 Erkennt man, dass solche Irrtümer des Verkäufers je nach vertraglicher Risikozuordnung Motiv- oder Geschäftsirrtümer sein können, so erfolgt die Harmonisierung mit den Aufklärungspflichten automatisch. Besteht keine Aufklärungspflicht, so scheidet die Anfechtung nach § 871 ABGB aus; auch eine Arglistanfechtung kommt nicht in Frage, weil das Schweigen mangels Aufklärungspflicht nicht listig war. Wird die Aufklärungspflicht hingegen bejaht, so steht die Anfechtung nach § 871 offen, weil ihre Verletzung als Veranlassung gilt. Darauf, ob die Pflicht vorsätzlich oder auch nur schuldhaft verletzt wurde, kommt es gar nicht an;416 bei vorsätzlicher Verletzung steht freilich auch die Arglistanfechtung offen. 2. Aufklärungspflicht Nun tritt der Kern des Problems in aller Klarheit hervor: Bestehen in einer konkreten Situation Aufklärungspflichten des Käufers oder nicht? Inwiefern ist es zu berücksichtigen, dass der Verkäufer der Sache näher steht als der Käufer, sich also im Regelfall auch besser über sie informieren kann?417 Der Aufklärungspflicht kommt in diesen Fällen für den Irrtum des Verkäufers besondere Bedeutung zu; denn ein Instrument, das der Gewährleistung vergleichbar wäre, durch die der Käufer in solchen Fällen vor für ihn nachteiligen Abweichungen vom Marktstandard geschützt wird, gibt es zugunsten des Verkäufers nicht. a) Grundsatz Die Rechtswissenschaft beschäftigt sich selten mit Aufklärungspflichten des Käufers; tut sie dies doch, so fehlen zumeist klare Linien. Als Beispiel kann Gschnitzer dienen, wenn er ausführt: „Wer zB ein als echt erkanntes, vom Verkäufer für unecht gehaltenes Schmuckstück um den begehrten geringen Preis kauft, hat sicher den Irrtum des anderen Teiles listig ausgenutzt“ und deswegen stehe die Anfechtung nach § 870 ABGB offen.418 Dem stellt Gschnitzer den Fall gegenüber, dass ein Aktienkäufer weiß, dass die Gesellschaft einen großen Auftrag erhalten wird und dies bei Vertragsschluss verschweigt; hier soll keine Aufklärungspflicht bestehen. Der Grund für diese Differenzierung ist (auch ohne Berücksichtigung der heute bestehenden insiderrechtlichen Wertungen) nicht unmittelbar ersichtlich; auch der Verweis, 415 416
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Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 113 ff. Ein Rückgriff auf Vertragsanfechtung aus culpa in contrahendo ist daher mE nie erforderlich. So in Zusammenhang mit dem gemeinsamen Irrtum eindringlich Rummel, JBl 1981, 5; auch Graf, Vertrag und Vernunft 289. In Klang IV/1 111 f; vgl auch aaO 123, wo der Verkäufer eine goldene Uhr bloß für vergoldet hält.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
dass in einem Fall die Anschauung des redlichen Verkehrs eine Aufklärung erheische, im anderen nicht, hilft nicht weiter. Hinzu kommt, dass Gschnitzer anscheinend für das Bestehen einer diesbezüglichen Aufklärungspflicht des Käufers auf die Umstände des Einzelfalls abstellen will, insbesondere auch darauf, wie der Käufer die Information erlangt hat.419 Im Ergebnis ist daher auch den Ausführungen Gschnitzers keine einheitliche Linie zu entnehmen. Das herrschende ökonomische Dogma verneint beim Verkäuferirrtum für den Regelfall eine Pflicht des Käufers zur Information der Gegenseite über ihr unbekannte werterhöhende Eigenschaften. Denn das Entdecken neuer wertvollerer Verwendungsmöglichkeiten einer Ressource und das damit einhergehende Ausnützen von Informationsvorsprüngen steigert die ökonomische Wohlfahrt.420 Damit dieser Entdeckungsprozess in Gang bleibt, ist es notwendig, dass der Käufer von dem von ihm entdeckten (!) Wissen profitieren kann, weil sonst die notwendigen Handlungsanreize fehlen.421 Aus diesem Blickwinkel ist der produktive Prozess derjenige des Entdeckens; daher ist der Finder grundsätzlich auch ethisch als Besitzer der Information zu ihrer Verwertung berechtigt.422 Insofern trifft sich die Verneinung von Aufklärungspflichten auch mit dem Ansatz, der das Ausnutzen von Informationsvorsprüngen nur bei Kenntnis werterhöhender Tatsachen (und nicht bei bloßer Umverteilung) zulassen will.423 Hinzu kommt, dass der Käufer keine Möglichkeit hat, die Information zu verwenden, wenn er zur Offenlegung verpflichtet ist (Informationsparadoxon);424 ihm steht ja keine andere Verwertungsmöglichkeit hinsichtlich der noch fremden Sache offen. Insbesondere scheidet auch der Verkauf der Information aus, weil (im Fall der Erdölvorkommen) schon die bloße Ankündigung, dass man über besondere Informationen über die Liegenschaft verfügt und bereit ist, diese allenfalls gegen Entgelt mitzuteilen, den Verkäufer stutzig machen und zu eigenen Nachforschungen veranlassen wird. Auch ein Abwälzen der Informationskosten über die Preise (wie es vor allem dem professionellen Marktteilnehmer auf Verkäuferseite möglich ist) kommt für den Käufer normalerweise nicht in Betracht. Eine Aufklärungspflicht könnte deswegen zu einer unerwünschten Verminderung der Anreize zur volkswirtschaftlich produktiven, weil wohlfahrtssteigernden Informationsbeschaffung führen.425 Das 419 420
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Gschnitzer in Klang IV/1 112 unten. So grundlegend Hayek, Individualismus 107 ff mit weitreichenden Rückschlüssen auf die Funktion des Preises als Informationsträger. Vgl zB Kronman, 7 J Leg Studies 1 (1978). Aus dem rechtsökonomischen Schrifttum jüngst Grechenig, JRP 2006, 15 ff. Kirzner, Unternehmer 234 ff; Fleischer, Informationsasymmetrie 106 f. Vgl zB Schäfer in Ott/Schäfer, Probleme 133ff; Ott in Ott/Schäfer, Probleme 153 f. Grundlegend Arrow in Arrow, Essays 144 ff; Shavell, 25 Rand J Econ 20 (1994). Eindringlich Fleischer, Informationsasymmetrie 281 ff mwN; Adams, AcP 1986, 469 f.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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spricht aus wohlfahrtsökonomischer Sicht entscheidend dagegen, dem besser informierten Käufer eine Aufklärungspflicht wegen einer diesbezüglichen „Übung des redlichen Verkehrs“ aufzuerlegen. Bei einer wohlfahrtsökonomischen Betrachtung macht es mE nur wenig Unterschied, wenn der Informationsvorsprung nicht (auch nicht indirekt über Ausbildungskosten) durch Einsatz von Mitteln entstanden ist; auch durch Zufall entstandene Asymmetrien sollen durch den Begünstigten genützt werden dürfen. Denn auch dies gewährleistet, dass der Kaufgegenstand über den Preismechanismus an den besten Nutzer gerät; sonst würde die nutzensteigernde Transaktion allenfalls zur Gänze unterbleiben.426 Das Argument des Anreizes zur Informationsbeschaffung fällt in solchen Konstellationen freilich weg, was den Großteil der Rechtsökonomie zu einer abweichenden Beurteilung dieses Sachverhalts veranlasst.427 Auch der Vergleich zum Insiderrecht hilft für diese Fälle nicht weiter. Das Ausnützen überlegenen Wissens über den Kaufgegenstand durch den Käufer wäre zwar nach Insiderrecht die unerlaubte Ausnützung einer Information über den Kaufgegenstand, die er in Erfahrung gebracht hat. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass die insiderrechtliche Information zumindest potenziell auch ohne die in Frage stehende Transaktion über die Information der Öffentlichkeit durch die Geschäftsführung der Gesellschaft an den Markt gelangen würde; die zu beurteilende Transaktion ist nicht Vehikel für die Einpreisung am Markt, sondern nimmt diese allenfalls zeitlich vorweg. Das unterscheidet sich grundlegend vom hier behandelten Erwerb der Sache, wo erst durch den Kauf die wertsteigernde Nutzung erschlossen wird.
Dem steht freilich mit großem Gewicht gegenüber, dass das Naheverhältnis des Verkäufers zu seiner Sache und die dadurch bestehende Möglichkeit, den Wert zu ermitteln oder ermitteln zu lassen, in der Realität nicht gegeben sein kann. Gerade das Beispiel der Vorkommen von Bodenschätzen zeigt dies, weil solche Vorkommen nur durch aufwändige, für einzelne Grundstücke428 nicht wirtschaftlich sinnvoll durchzuführende Untersuchungen festzustellen sind; das gilt auch, wenn es um besondere Verwertungschancen geht, die nur dem Käufer aufgrund besserer Branchenkenntnis zugänglich sind.429 Das kann den Vertrag zwar nicht aus wohlfahrtsökonomischen, aber doch aus Gesichtspunkten der Verteilung des Wohlfahrtsgewinns angreifbar machen; er ist in
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Smith, Contract Theory 296; Fleischer, Informationsasymmetrie 153, 288 f mwN; Grechenig, JRP 2006, 18. Kronman, 7 J Leg Studies 13 ff (1978); Posner, Economic Analysis 109; Shavell, 25 Rand J Econ 35 (1994); Adams, AcP 1986, 474; Kötz/Schäfer, Iudex oeconomicus 177; Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 306. Für Österreich wohl auch Pletzer, JBl 2002, 555 f. Jedenfalls soweit sie durch Private gehalten werden; vgl den Grundgedanken von Fried, Contract 79 ff. Vgl BGH MDR 709, 730 (Daktari).
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
diesem Sinn ungerecht. Ähnliche Probleme wie beim Wertirrtum (oben A. 4. c) stellen sich, wenn es um Informationen geht, die nur geringfügig nach dem Vertragsschluss ohnehin an den Markt gekommen wären. Wie noch zu zeigen ist, haben diese Elemente, sozusagen als Korrektur der Wohlfahrtsökonomik durch Erwägungen über die Verteilungsgerechtigkeit, im Wege der laesio enormis und des Wucherverbots Eingang in die österreichische Rechtsordnung gefunden. Nicht der Prozess der Entdeckung neuer Nutzungen wird durch das Zivilrecht abgeschnitten; nur für besonders krasse Einzelfälle gibt es mit § 879 Abs 2 Z 4, § 934 ABGB ein Korrektiv. Beim Wucher ist durch die Voraussetzung des „Ausnützens“ der Willensschwäche wegen des damit einhergehenden Unwerturteils eine rechtsethische Fundierung auch leichter möglich als im Irrtumsrecht, wo man zusätzlich bei Bejahen der Veranlassung durch Verletzung einer Aufklärungspflicht auf das Ausmaß der Vermögensverteilung nicht gut Bedacht nehmen kann.430 b) Strukturelle Informationsasymmetrie Bereits mehrfach wurden die Sonderfälle der strukturellen Informationsasymmetrie besprochen. Ich meine, dass im Wesentlichen zwei unterschiedliche Überlegungen für die Beurteilung dieser Fälle einfließen sollten: Zunächst ist es – wie beschrieben – eine Grundlage der Marktwirtschaft, dass Informationsvorsprünge über bessere Verwertungsmöglichkeiten ausgenützt werden dürfen. Diese besseren Verwertungsmöglichkeiten sollten aber nicht Resultat einer Änderung der Rahmenbedingungen durch hoheitlichen Akt des Käufers selbst sein. Ein Beispiel: Eine Gemeinde kauft ein als Grünland gewidmetes Grundstück, bei dem schon die Umwidmung auf Bauland in Vorbereitung ist, um es nach dieser sogleich mit Gewinn zu verkaufen; dieser Sachverhalt ist dem Veräußerer nicht bekannt.431 Hier wird keine neue Information ausgenützt, sondern die vertragliche Richtigkeitsgewähr mittels Hoheitsgewalt verzerrt. Eine Informationspflicht des Trägers der Hoheitsgewalt ist für diese Fälle ohne weiteres zu bejahen und führt nicht zu volkswirtschaftlichen Effizienzverlusten.432 Zweitens gibt es Fälle, in denen nicht die Ausnützung der Information an sich getadelt wird, sondern das Verbot maßgeblich auf die Herkunft der Information abstellt. Damit geht es vor allem um den so genannten Primärinsider (vgl § 48b Abs 4 BörseG).433 Wer Wissen, das er aufgrund einer berufli430 431 432
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Vgl Fleischer, Informationsasymmetrie 284; Trebilcock, Limits 108 ff. Ähnlich Fleischer, Informationsasymmetrie 565. Mit Vertragsauslegung ist dem Fall deswegen relativ schwer beizukommen, weil zumindest die Gemeinde nicht davon ausgeht, dass die Widmung als Grünland bestehen bleibt und genau dies auch ausnützen will. Darüber hinaus gehend Fleischer, Informationsasymmetrie 562 f, der auch im allgemeinen Zivilrecht das zufällige Erlangen der Information dem Ausnützungsverbot unterwerfen will.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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chen Vertrauensstellung erwirbt, für andere Geschäfte nützt, darf sich auf die vertragliche Bindung seines Gegenübers nicht verlassen.434 Dies gilt für das Gemeinderatsmitglied, das von geplanten Umwidmungen erfährt und dieses Wissen für sich ausnützt, aber auch für den mit der Untersuchung von Bodenschatzvorkommen beauftragten Geologen, der nach der Untersuchung die Grundstücke selbst und nicht für seinen Auftraggeber erwirbt. Freilich kommen zwei Gesichtspunkte zusammen, die in ihrem Zusammenspiel die Anfechtung rechtfertigen. Einerseits geht es um den Schutz des Vertragspartners; für diesen ist die Situation aber gleich, unabhängig davon, ob die Ölgesellschaft selbst erlaubt kauft oder ihr Geologe unerlaubt. Das verstärkende Element liefert der Schutz der Ölgesellschaft oder der Gemeinde435 vor dem Verhalten ihres Agenten; dieser Schutz wird dadurch erreicht, dass ihm der Gewinn aus dem Geschäft entzogen und dadurch die Motivation zum Abschluss genommen wird.436 Das Wechselspiel dieser unterschiedlichen Interessen rechtfertigt es, im Unterschied zur gesellschaftsrechtlichen Lösung (vgl zB § 113 UGB) den Agenten nicht zur Herausgabe des Gewinns zu verpflichten, sondern den Vertrag aufzulösen.437
D. Der gemeinsame Irrtum 1. Irrtumsrechtliche Beurteilung Die dogmatische Behandlung des gemeinsamen Irrtums ist bekanntlich strittig. Das gilt freilich nur für den Geschäftsirrtum; denn der gemeinsame Irrtum ist bei Motivirrtümern und damit auch beim Wertirrtum jedenfalls nicht beachtlich,438 es sei denn die Wertvorstellungen wurden zum Inhalt des Geschäfts gemacht. Auch in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der gemeinsame Wertirrtum beider Parteien nicht zur Anfechtung berechtigt.439 Das Irrtumsrisiko über den Wert der Sache ist somit auch bei gleichem Irrtum auf Verkäufer- und Käuferseite vom benachteiligten Vertragsteil zu tragen. Anders beurteilt die herrschende Meinung den gemeinsamen Irrtum über wertbestimmende Eigenschaften, die bereits bei Vertragsabschluss vorhanden waren, aber erst nachträglich entdeckt wurden. Gedanklich sind aus dieser 434 435
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Vgl zB Adams, AcP 1986, 472. Für die Gemeinde kann es nicht um Schutz der Chance gehen, das Geschäft abzuschließen, weil ihr selbst dieser Abschluss auch verboten wäre; der Schutz kann sich nur auf das Vertrauen in die Integrität der Institution beziehen. Dies hilft ex post der Ölgesellschaft nicht, weil die Information über die Vorkommen nun beim Grundeigentümer ist. Auch die auftragsrechtliche Pflicht zur Herausgabe der Vorteile steht dem nicht entgegen; denn diese setzt voraus, dass das Geschäft nicht vom Dritten aufgelöst wird; vgl P Bydlinski in KBB § 1009 Rn 4 mwN. Vgl allgemein zum gemeinsamen Motivirrtum Kramer, JZ 1974, 457 f mwN (insbesondere in Fn 50); Rummel in Rummel I § 871 Rn 9 aE. OGH RdW 1999, 779; auch nicht erwogen in OGH JBl 1972, 611.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Kategorie jene Fälle auszuscheiden, bei denen zum Nachteil des Käufers von der vertraglichen Leistungsbeschreibung abgewichen wird, also ein Gewährleistungstatbestand gesetzt wird; denn hier liegt im Regelfall ohnehin ein Fall des Veranlassens durch mangelhafte Aufklärung seitens des Käufers vor.440 Damit ist in der praktischen Anwendung der gemeinsame Irrtum über Eigenschaften vor allem für den Schutz des Verkäufers wichtig. Dieser gemeinsame Geschäftsirrtum ist nach herrschender Lehre441 und Rechtsprechung442 beachtlich, ohne dass eine der drei Voraussetzungen des § 871 ABGB vorliegen muss. So geht Ehrenzweig443 ausdrücklich davon aus, dass ohne weitere Voraussetzungen angefochten werden kann, wenn der Stein eines Ringes von beiden Seiten für unecht gehalten wird, sich im Nachhinein aber als Diamant entpuppt. Das führt im Ergebnis dazu, dass diese Chance der Wertsteigerung innerhalb der Frist für die Geltendmachung des Irrtums von drei Jahren ab Vertragsschluss (§ 1487 ABGB) nicht dem Eigentümer, sondern seinem Vormann, der unter der fehlerhaften Vorstellung verkauft hat, zusteht. Der schuldhaft Irrende wird aber wohl zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet sein. Dem wird entgegengehalten, dass das Vertrauen auf den Bestand des Vertrags auch bei gemeinsamem Irrtum über den Vertragsinhalt Schutz verdient.444 Die Anfechtung ist nach dem Konzept des ABGB nur zulässig, wenn der Anfechtungsgegner ebenfalls nicht schutzwürdig ist, entweder weil er am Entstehen des Irrtums kausal beteiligt war, weil er ihm hätte auffallen müssen oder weil die Aufklärung rechtzeitig war. Beim gemeinsamen Irren gibt es aber keinen Grund, den Irrtum und damit die nachteiligen Folgen dem Anfechtungsgegner zuzurechnen; eine durch Analogie zu schließende Lücke liegt nicht vor.445 Der zufällige Irrtum ist vielmehr grundsätzlich von demjenigen zu tragen, den er trifft. Das entspricht im Übrigen auch der klaren Rechtslage
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Vgl Rummel, JBl 1981, 4 f. Erstmals Ehrenzweig System I/1 237 ff; Gschnitzer in Klang IV/1 133 f; Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 658; Mayer-Maly, Einführung 49; Kramer, ÖJZ 1974, 457 f. So auch Wittwer, Vertragsschluss 241 f. ZB SZ 11/255; SZ 36/22, SZ 56/96; SZ 61/53; OGH ecolex 2004, 606. Weitere Nachweise bei Rummel in Rummel I § 871 Rn 18; Bollenberger in KBB § 871 Rn 17. System I/1 239. Vgl vor allem Rummel, JBl 1980, 1 ff; ders in Rummel I § 871 Rn 18; Bollenberger in KBB § 871 Rn 17. Siehe auch Apathy/Riedler in Schwimann IV § 871 Rn 28. Differenzierend F Bydlinski in FS H Stoll 131 ff. Im Ergebnis grundsätzlich auch Kleteþka in Koziol/Welser I 158; Fenyves, Geänderte Umstände 89; Kerschner, JBl 1989, 541; Lessiak, JBl 1989, 491; Graf, Vertrag 289; Thunhart, ÖJZ 2000, 449; vgl auch Honsell, JBl 1989, 207. Zumindest kritisch auch Mayer-Maly in FS Ostheim 209 f.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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vor der 3. Teilnovelle 1916, der diesbezüglich kein Wille zur Änderung entnommen werden kann.446 In eine ähnliche Richtung gehen F Bydlinski,447 Kleteþka448 und Bollenberger.449 Sie wollen bei gemeinsamen Irrtümern und groben Äquivalenzstörungen auch die Redintegration zulassen, womit im Ergebnis die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung wesentlich erweitert wird. Es ist aber doch zu fragen, warum eine grobe Äquivalenzstörung, die weder der laesio enormis noch dem Wucherverbot unterliegt, nur deshalb privilegiert sein soll, weil beide Parteien irren. ME sollte die grobe Äquivalenzstörung abgesehen vom Wucher grundsätzlich nur bei laesio enormis aufgegriffen werden – dann aber ohne weitere Voraussetzungen, insbesondere auch ohne Pflicht zur Redintegration.
Der Wille der Parteien bei Vertragsabschluss wird dieses Ergebnis im Regelfall stützen. Nach der üblichen vertraglichen Risikozuordnung sind Fehlvorstellungen über Eigenschaften der Kaufsache, die weder mit den Instituten des Gewährleistungsrechts noch des allgemeinen Irrtumsrechts (vor allem wegen Verletzung von Aufklärungspflichten) aufzugreifen sind, eben der Sphäre des jeweils Irrenden zuzuordnen. Wollen die Parteien das Risiko des Irrtums anders verlagern, so haben sie grundsätzlich den Vertrag entsprechend zu gestalten. Das bedarf nicht zwingend einer ausdrücklichen Vereinbarung: Auch aus ergänzender Vertragsauslegung kann sich ergeben, dass eine bestimmte gemeinsame Vorstellung, die sich später als unrichtig erweist, zur Anpassung oder Aufhebung des Vertrags berechtigen soll.450 Die Rechtsfolgen gemeinsamer Fehlvorstellung sind somit nicht mit dem Irrtumsrecht, sondern mit der vertraglichen Risikoverteilung zu lösen. 2. Keine Anwendbarkeit der Lehre von der Geschäftsgrundlage Im Einzelfall kann noch die Lehre von der (subjektiven) Geschäftsgrundlage451 zu einer abweichenden Beurteilung führen. Wenn gemeinsame Vorstellungen,452 von denen beide Parteien bei Geschäftsabschluss ausgegangen sind, die 446
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Vgl Zeiller, Commentar § 875 Anm 2; Luig in Selb/Hofmeister, Forschungsband Zeiller 165 f. In FS H Stoll 133 ff. In Koziol/Welser I 158 (anders aber noch Koziol in Koziol/Welser I, 12. Auflage 141). In KBB § 871 Rn 16 f. Für alle Apathy/Riedler in Schwimann IV § 901 Rn 12; Kramer, ÖJZ 1974, 457. Zu dieser in Österreich grundlegend Pisko in Klang1 II/2 348 ff. Heute zB Kleteþka in Koziol/Welser I 161 ff; Rummel in Rummel I § 901 Rn 4 ff; Fenyves, Geänderte Verhältnisse passim (mit weiterer Literatur 36 f in Fn 174); F Bydlinski, ÖBA 1996, 499; Rummel, JBl 1981, 5 ff; Graf, Vertrag und Vernunft 126 ff. Zur Anwendung auf die ursprünglich fehlende Geschäftsgrundlage vgl zB Koziol in Koziol/Welser I, 12. Auflage, 149; für Deutschland heute § 313 Abs 2 BGB. Typizität der Vorstellungen ist nach heute herrschender Meinung nicht erforderlich; Rummel, JBl 1981, 6 f; Kleteþka in Koziol/Welser I 165; Fenyves, Geänderte
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
aber in den Vertrag nicht einmal implizit als Bedingung Eingang gefunden haben, sich in der Folge als ursprünglich unrichtig herausstellen, so kann mit dieser Lehre die Anpassung des Vertrags oder – so diese nicht möglich ist – die Vertragsaufhebung begehrt werden.453 Das Institut wird überwiegend als Methode der Lückenfüllung aus objektivem Recht verstanden und ist unabhängig vom Parteiwillen,454 was auch die Parallele zu anderen Fällen der Vertragsauflösung wegen der fehlenden Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung nahe legt, die zumeist (außer bei Zweckverfehlung) auch den Geschäftsgrundlagenfällen zugrunde liegt.455
Dabei ist aber im gegebenen Fall die Abgrenzung zum Irrtumsrecht schwierig. Das rechtliche Umfeld ist anders als beim Wegfall der ursprünglich gegebenen Geschäftsgrundlage, bei dem das Irrtumsrecht wegen des nicht erfassten Irrtums über Zukünftiges keine Lösungen bietet.456 Hingegen ist das ursprüngliche Fehlen der Geschäftsgrundlage ein Kernthema des Irrtumsrechts. Es wäre daher unzulässig, wenn die Grundwertungen jenes Instituts für solche unbeachtlichen Geschäfts- oder Motivirrtümer über Eigenschaften der Sache unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beiseite geschoben würden;457 schließlich ist das Risiko, dass die abgegebene Sache neue, wertvolle Eigenschaften aufweist, dasjenige des Verkäufers, weil die Rechtsordnung die Nutzungsmöglichkeiten grundsätzlich dem (hier: dem neuen) Eigentümer zuweist. Nach wohl überwiegender Auffassung scheidet die Berufung auf die Geschäftsgrundlagenlehre daher aus, wenn das Irrtumsrecht eine abschließende Regelung trifft.458 Darüber hinaus ist im Schrifttum allgemein anerkannt, dass bei Anwendung der Lehre von der Geschäftsgrundlage die vertragliche Risikoverteilung besonders zu berücksichtigen ist.459 Dieser Zusammenhang von Risikoverteilung und Geschäftsgrundlage wird zB auch in § 313 BGB deutlich; denn für die Entscheidung, ob dem Belasteten in Geschäftsgrundlagenfällen eine An-
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Verhältnisse 91; aM heute noch Apathy/Riedler in Schwimann IV § 901 Rn 8; wohl auch F Bydlinski, AcP 2004, 321; früher Pisko in Klang II/2 348 ff. Bollenberger in KBB § 901 Rn 12. Vgl OGH SZ 62/4; Kleteþka in Koziol/Welser I 165 f; Fenyves, Geänderte Verhältnisse 79 ff. Für Verständnis als Vertragsauslegung Rummel in Rummel I § 901 Rn 6; dagegen zB Roth in MünchKomm BGB § 313 Rn 130 ff. Koziol in Koziol/Welser I, 12. Auflage, 149 f und Fenyves, Geänderte Verhältnisse 91 ff, die freilich rechtsdogmatisch die Äquivalenzstörung nur in geringem Ausmaß für erforderlich halten. Ähnlich Bollenberger in KBB § 901 Rn 6. Restriktiv auch Roth in MünchKomm BGB § 313 Rn 5. Bollenberger in KBB § 901 Rn 8 mwN. Kleteþka in Koziol/Welser I 165 f; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 901 Rn 8; Rummel in Rummel § 901 Rn 6; Graf, Vertag 147 f; P Bydlinski, JBl 1993, 562 in Fn 23; Bollenberger in KBB § 901 Rn 8, 10. Für Deutschland zB Köhler in FS 50 Jahre BGH 299 ff. Rechtsvergleichend Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 289 ff.
IV. Der irrtumsrechtliche Hintergrund
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passung zu gewähren ist, ist insbesondere auf die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung abzustellen. Das darf freilich nicht so verstanden werden, dass vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung jedenfalls ausschlaggebend sein sollen; denn jedes Risiko ist dadurch irgendwie verteilt und für die Lehre wäre dann kein Raum mehr. Vielmehr geht es wohl darum, inwieweit Risiken durch bestimmte Normen bewusst einer Partei zugeordnet wurden; ist dies der Fall, so wurden diese Risiken auch abgegolten und für eine Vertragsanpassung bleibt auch bei Vorliegen der sonstigen Anwendungsvoraussetzungen460 kein Raum.461 Solch eine Risikoverteilung findet sich im Übrigen für den Käuferirrtum in der Regelung der Gewährleistung; das Zielschuldverhältnis Kaufvertrag ist im Regelfall für den Käuferirrtum dadurch abschließend geregelt und damit regelmäßig auch „geschäftsgrundlagenfest“. Eine Berufung auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage kann daher allenfalls dann zulässig sein, wenn beide Parteien bei Vertragsabschluss nachweislich davon ausgingen, dass eine bestimmte werterhöhende Eigenschaft des Kaufgegenstandes nicht vorliegt, ohne dass dies jedoch Vertragsinhalt geworden wäre. Das ist üblicherweise nicht der Fall. Ebenso kann die Berufung auf bestimmte Wertannahmen offen stehen, wenn diese nachweislich beiden Parteien gemeinsam waren, aber nicht als Bedingung in den Vertrag aufgenommen wurden.462
E. Vergleichende Zusammenfassung Bildet man eine Gerade, auf der Rechtsinstitute zum Schutz eines Vertragspartners danach abgebildet werden, ob sie vor allem objektive Äquivalenzüberlegungen oder die Freiheit der Willensbildung, also ein subjektives Element der Fehlerhaftigkeit, in den Vordergrund stellen, so findet sich an einem Ende die laesio enormis, bei der das Willensbildungselement im Vergleich zur Bedeutung der Äquivalenzstörung nur relativ schwach ausgeprägt ist (vgl § 935 ABGB); doch auch hier müssen zumindest Zweifel über den wahren Wert der Gegenleistung vorliegen. Am anderen Ende sind Irrtums- und Arglistanfechtung aufzutragen, die keine Äquivalenzstörung, jedoch ein besonders intensives subjektives Element voraussetzen. Auch bloß geringe Äquivalenzstörungen können daher aufgegriffen werden, wenn das Element der Willensbeeinträchtigung stark ausgeprägt ist und dem Vertragspartner eher zugerech-
460 461 462
Vgl zB Fenyves, Geänderte Verhältnisse 74 ff. Vgl zB Roth in MünchKomm BGB § 313 Rn 28, 35 ff. So ist die Annahme, dass der Börsenkurs einer Aktie bei Vertragsabschluss X ist, ein wesentliches Motiv für Vertragsparteien, auch wenn sich der Irrtum nur zum Nachteil einer Partei auswirkt. Für Zulässigkeit zB Henssler, Risiko 38 f; Roth in MünchKomm BGB § 313 Rn 224 f.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
net werden kann als dem Irrenden.463 Eine Zwischenstellung nehmen Wucheranfechtung und allgemeine Sittenwidrigkeitskontrolle ein. Als Erkenntnis bleibt aber auch unter Berücksichtigung der laesio enormis: Es gibt keine rechtlich relevante Äquivalenzstörung, wenn nicht zumindest im Ansatz auch ein Willensmangel vorhanden ist. Eine freiheitliche Rechtsordnung kann sich kaum anders entscheiden. Erweitert man den Blick und nimmt auch den Anfechtungsgegner in Betracht, so fällt auf, dass ihm in fast allen Instituten Aufmerksamkeit gewidmet wird. Er muss arglistig täuschen, eine Zwangslage ausnützen oder doch den Irrtum veranlassen bzw dieser muss ihm auffallen können. Zwischen Irrtum und Arglist wird weitergehend hinsichtlich der subjektiven Einstellung des Anfechtungsgegners differenziert: Führt dieser den Irrtum vorsätzlich und aktiv herbei, berechtigen auch sonst unbeachtliche (Motiv)Irrtümer zur Anfechtung. Nur die laesio enormis klammert die Zurechnung zum Anfechtungsgegner im Tatbestand464 aus und lässt damit seine Schutzwürdigkeit grundsätzlich außer Betracht. Die Rechtsfolgen der einzelnen Institute sind unterschiedlich. Hier ist nur auf ganz grundlegende Abweichungen einzugehen. Verkürzung über die Hälfte, Sittenwidrigkeit und Wucher führen prinzipiell zur Beseitigung des gesamten465 Vertrags; der Gegner kann die Nichtigerklärung freilich durch Herstellung des Gleichgewichts abwenden.466 Etwas anderes gilt für die Irrtumsanfechtung, die wegen § 872 ABGB ein wesentlich flexibleres Instrument als die bisher genannten ist; denn eine Vertragsanpassung zur Herstellung der gestörten Äquivalenz kommt nach dem hypothetischen Parteiwillen schon dann in Betracht, wenn dem Anfechtungsgegner bei normativer Betrachtung die Anpassung zumutbar ist, weil wesentliche Interessen nicht beeinträchtigt werden.467
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Vgl zur wechselseitigen Beeinflussung von objektiven Äquivalenzstörungen und subjektiven Faktoren vor allem Bydlinski, Privatautonomie 141 ff, 151 ff. Siehe auch Krejci, ZAS 1983, 207. Nicht hingegen in den Rechtsfolgen, wo ihm die Aufzahlungsmöglichkeit eröffnet wird. Vgl § 7 Abs 1 WucherG; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 879 Rn 37. Anders aber für Kreditvereinbarungen § 7 Abs 2 WucherG. § 917a ABGB ist für in jener Norm nicht geregelte Fälle objektiver Äquivalenzstörungen nicht analogiefähig. Zum Wucher vgl Krejci in Rummel I § 879 Rn 252a. Vgl Gschnitzer in Klang 143 f; Koziol, JBl 1967, 64; Bydlinski, Privatautonomie 183. Aus der Rsp SZ 45/38; SZ 48/112.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
103
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung A. Objektiver oder subjektiver Wert? Die moderne Bewertungslehre geht einhellig davon aus, dass es einen wahren Wert eines Leistungsgegenstandes im Sinne einer objektiv gültigen und intersubjektiv vergleichbaren Bewertung nicht gibt (vgl oben 1. Teil II. C.).468 Das gilt grundsätzlich nicht nur für Unternehmen, sondern auch für alle anderen Objekte des Leistungsaustausches. Akzeptiert man dies, so geht die Frage nach „dem“ Wert bzw dem gemeinen Wert des Leistungsgegenstandes, wie sie sich vor allem bei der laesio enormis und der Wucheranfechtung nach dem Wortlaut des Gesetzes stellt, am Problem vorbei. Daher scheidet auch ein früher gern beschrittener und auf den ersten Blick auch attraktiver Lösungsweg aus: Der Vertragsinhalt sei wesentlich durch das Vorverständnis der Parteien geprägt, nach dem Leistung und Gegenleistung (ungefähr) in einem wertmäßigen Gleichgewicht stehen müssen.469 Da der Wert aber eine subjektive Einschätzung ist, fehlt schon die Grundlage für diesen Ansatz.
Vielmehr könnte es nahe liegen, auf den subjektiven Wert abzustellen, den der Leistungsgegenstand gerade für den konkreten Erwerber oder Veräußerer hat. Das wäre freilich verfehlt.470 Denn rechtsdogmatisch471 stellt der Wortlaut von § 305 ABGB für den gemeinen Wert ganz klar auf gewöhnliche und allgemeine Umstände ab; der aus den besonderen Verhältnissen resultierende außerordentliche Wert ist gemäß dem österreichischen Bürgerlichen Recht nur unter besonderen Umständen Maßstab.472 Auch aus ökonomischen Überlegungen ist die Maßgeblichkeit des subjektiven Werts für die Kontrolle der Angemessenheit des Vertrags abzulehnen. Das ergibt sich zunächst schon aus der nur schwer möglichen Vergleichbarkeit der subjektiven Nutzungen, soweit es nicht um unternehmerisch tätige Subjekte geht. Gravierender ist jedoch, dass geradezu notwendigerweise die Informationslage der Parteien in das Zentrum gerückt würde; wählt man den subjektiven Wert des Erwerbers als Basis, so wäre eine Läsionsanfechtung immer ausgeschlossen, wenn der Erwerber vor dem Kauf über alle subjektiven Faktoren auf seiner Seite ausreichend informiert war, weil dann der vereinbarte Kaufpreis selbst den subjektiven Wert indiziert.473 Damit wäre die Bedeutung der Läsionsanfechtung zu Gunsten des Käufers aber äußerst eingeschränkt; entsprechende Überlegungen gelten auch für den Verkäufer.
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Anders aus dem juristischen Schrifttum im gegebenen Zusammenhang noch Gschnitzer, ZBl 1937, 854 f. Vgl zB Larenz, Richtiges Recht 66; Oechsler, Gerechtigkeit 92 ff mwN. Ablehnend auch F Bydlinski, Privatautonomie 153; Hackl, ÖJZ 1980, 651. Zur rechtshistorischen Sicht Gordley, Philosophical Origins 94. Vgl zB im Schadenersatzrecht §§ 1323 f ABGB. Gordley, 69 Cal L Rev 1616 (1981).
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Erkennt man dies, so verbleiben nur zwei Ansätze:474 Einerseits könnten die Anfechtungstatbestände prinzipiell auf ein Abweichen der vereinbarten Gegenleistung vom Marktpreis abstellen, andererseits könnte es primär um eine Begrenzung des maximal zulässigen Gewinns gehen; letzteres entspricht vielleicht am ehesten einem laienhaften Verständnis vom „angemessenen Preis“. Und schließlich sind Mischformen denkbar, wonach primär auf eine Obergrenze für den Gewinn abzustellen ist, diese aber durch Marktpreise bei funktionierenden Märkten indiziert wird.
B. Die laesio enormis 1. Gestehungskosten oder Marktpreis? a) Problemaufriss Wer auf die Gestehungskosten als Vergleichsmaßstab abstellt,475 der muss zwei Fragen beantworten: Welche Gestehungskosten sind heranzuziehen? und: Wann ist der Gewinn angemessen? Das gilt ganz unabhängig davon, ob sich die Frage im Zusammenhag der laesio enormis oder des Wuchers stellt. Es wäre denkbar, für die Gestehungskosten auf die individuellen Kosten gerade desjenigen abzustellen, dessen Leistung bewertet werden soll. Diese schwanken freilich je nach Hersteller und Marktlage. So sind die Kosten eines handwerklich produzierten Tisches im Regelfall höher als diejenigen des entsprechenden Industrieprodukts; aber auch der wirtschaftlich arbeitende Industriebetrieb ist mit geringeren Kosten belastet als sein schlechter haushaltender Konkurrent. Die individuellen Kosten sind ein sehr fragwürdiger Vergleichsmaßstab; denn der ineffiziente Anbieter mit hohen Kosten wäre im Vorteil.476 Letztlich ist die Kostenbelastung aber auch eine Frage der betrieblichen Auslastung; je geringer diese ist, desto höher ist der Fixkostenanteil, mit dem das einzelne Produkt belastet wird. Davon ganz unabhängig ist ohnehin zweifelhaft, ob eine objektiv nachvollziehbare Aufteilung der Fixkosten möglich ist.477 Eine solche Auslegung, die auf die individuellen Kosten des Unternehmens abstellt, steht aber in einem unüberbrückbaren Spannungsverhältnis zum Gesetzeswortlaut; denn § 305 iVm § 934 ABGB stellt erkennbar auf objektive
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Auszuscheiden ist für die Angemessenheit des Kaufpreises – nicht aber zwingend auch für die Durchsetzbarkeit der Kaufpreisschuld – wohl ein Ansatz, der grundsätzlich auf die individuellen Vermögensverhältnisse des Kunden für die Angemessenheit abstellen möchte. ZB Gschnitzer in Klang IV/1 558. Vgl F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 275. Skeptisch zB Dirksen in Langen/Bunte, Kartellrecht Art 82 Rn 96; Tahedl, Missbrauch 165.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
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Verhältnisse ab.478 Will man überhaupt Kosten heranziehen, so wären nach dem Konzept des ABGB zunächst „angemessene“ Gestehungskosten zu ermitteln, die ein Produzent nach „vernünftigen“ wirtschaftlichen Grundsätzen aufwenden darf. Schon das allein dürfte Schwierigkeiten bereiten. Geradezu unlösbar wird die Lage, wenn es um Gestehungskosten bei Dienstleistungen geht.479 Von diesen Umsetzungsproblemen abgesehen ist der österreichischen Rechtsordnung kein Maßstab zu entnehmen, wann ein Gewinn angemessen ist. Muss er „mäßig“ sein480 oder geht es um eine Exzesskontrolle? Jedenfalls könnte die Ableitung nur dezisionistisch erfolgen.481 Oder soll es um die üblichen Gewinnmargen einer bestimmten Branche gehen?482 Darf der Gewinnaufschlag daher bei bekannten Künstlern höher sein als bei Neueinsteigern? Wenn ja, um wie viel? All diese Unsicherheiten legen es nahe, die Theorie des aus den Kosten abgeleiteten angemessenen Preises vor allem als Kind ihrer Zeit zu verstehen: Gschnitzers Ausführungen483 stehen in zeitlichem Zusammenhang mit den Inflationsjahren nach dem 1. Weltkrieg, der Weltwirtschaftskrise nach 1929 und dem dadurch verursachten generellen Misstrauen in die Marktkräfte.484 Das soll nicht bedeuten, dass diese Ansätze nicht für gewisse Fallkonstellationen brauchbar sein können, sondern nur dass sie nicht zur laesio enormis gehören, sondern zur rechtlichen Beurteilung von Marktversagen. Die Rechtsprechung nimmt solche Überlegungen auch nicht vor. Das sieht man am Kauf von Kunstwerken unbekannter Künstler, bei denen sich (noch) kein Markt gebildet hat. Nähmen die Richter das Abstellen auf Gestehungskosten und angemessenen Gewinn ernst, so wären Materialaufwand und Arbeitszeit, allenfalls über einen Gemeinkostenzuschlag auch die nicht unmittelbar zuzuordnenden Ausbildungskosten zu kalkulieren und diese mit angemessenem Gewinnaufschlag dem Verkaufspreis gegenüberzustellen. Die Rechtsprechung485 tut das nicht, sondern operiert mit dem Wert der besonderen Vorliebe: Bei fehlendem Markt scheidet die Anfechtung wegen laesio enormis daher aus.
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Dabei bleibt zunächst noch ganz unberücksichtigt, dass § 305 ABGB bei historischer Analyse wohl den Marktpreis im Auge hat. Mit Recht ohne nähere Erörterung OGH 6 Ob 187/99i. So (im Wucherzusammenhang) Gschnitzer, ZBl 1937, 855. F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 275. So wohl Zemen, ÖJZ 1989, 593 und die wettbewerbsrechtliche Diskussion (unten C. 3. a) ZBl 1937, 849. Vgl die weiteren Nachweise zu ähnlichen Ansätzen bei Bartholomeyczik, AcP 1966, 46 ff. Zuletzt SZ 39/206. Vgl weiter Nachweise oben III. A. 4.
106
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
b) Irrelevanz der Gestehungskosten Dieser robusten Haltung ist für die laesio enormis zu folgen. Erstens ergibt die rechtshistorische Analyse, dass Marktpreise ausschlaggebend sein sollten (oben II. B.). Aber auch andere Argumente sprechen für den Marktpreis als Maßstab: Rechtspraktisch spricht gegen einen Vergleich mit den Gestehungskosten vor allem die Tatsache, dass in einer entwickelten Marktwirtschaft die meisten Rechtsgeschäfte nicht zwischen Produzenten und Konsumenten stattfinden, sondern dass der wirtschaftliche Güterumlauf über Mittelsleute abgewickelt wird. Welcher Gewinn ist angemessen, wenn die einzige Leistung des Verkäufers im Halten der Ware und in ihrem Umschlag besteht? Soll man hier auf eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals abstellen? Und: Welches Kapital soll als eingesetzt betrachtet werden? Da im Rahmen von § 934 iVm § 305 ABGB auf objektive Werte abgestellt werden dürfte, kann hier bei konsequenter Betrachtung nur ein objektiv angemessener Erwerbspreis und dürfen nicht die tatsächlich aufgewendeten Mittel eingesetzt werden, weil das Problem der Angemessenheit des Wiederverkaufspreises kaum befriedigend gelöst werden kann, wenn schon der Basiswert „verfälscht“ ist. Wenn die Rechtsprechung auf einen gerechten Preis in dem hier abgelehnten Sinne abstellte, käme sie in einer dynamischen Rechtsordnung,486 in der die meisten Transaktionen nicht mit dem Produzenten unmittelbar geschlossen werden, zunehmend in Schwierigkeiten.487 Ein weiterer, rechtsökonomischer Einwand ist aber grundlegender: Gleichgewichtspreise werden in einer funktionierenden Marktwirtschaft, wie sie der österreichischen (Privat)Rechtsordnung zugrunde liegt,488 nicht nur von den Produktionskosten, sondern auch vom Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bestimmt.489 Sie signalisieren Knappheit bzw den Wert der letzten noch profitablen Verwendungsmöglichkeit. Diese wichtigen Funktionen, gesamtwirtschaftlich die Steuerung von Angebot und Nachfrage, einzelwirtschaftlich die Basis für Investitionsentscheidungen, könnten nicht wahrgenommen werden, wenn sich das Konzept des gerechten Preises und damit der Vertragsgültigkeit an den Produktionskosten orientieren würde, ohne das Zusammenspiel der Marktkräfte zu beachten.490
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Vgl die rechtsantropologischen Hinweise auf statische Preise in Gesellschaften ohne entwickelten Handel bei Gordley in Palgrave II 410. Vgl aus rechtshistorischer Sicht wie hier mit Hinweisen auf die spanische Spätscholastik (und hier vor allem auf Soto, De iustitia et iure libri decem (1553) n.9, lib. 6, q. 2, a.3) Gordley, Philosophical Origins 100. Korinek, WiPolBl 1976/5, 87. Vgl dazu in historischer Perspektive Gordley in Palgrave II 411 f; ders, Philosophical Origins 97 ff; ders, 69 Cal L Rev 1605 ff (1981). Insofern richtig, aber zugleich zu skeptisch Mayer-Maly in FS Larenz II 397: „Ohne Orientierung an objektiven Wertkriterien hat man als Anhaltspunkt aber
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
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In diesem Sinn ist der Marktpreis auch ein gerechter Preis. Denn erstens ermöglicht er es bei funktionierender Konkurrenz, angemessene Kosten über den Verkaufspreis hereinzubringen, nicht aber überhöhte Kosten. Und zweitens liegt die Gerechtigkeit eben darin, dass sich im Marktpreis die Erwartungen der Verkäufer und der Käufer, also der beteiligten Verkehrskreise, widerspiegeln.491 All das soll nicht bedeuten, dass überhöhte Gewinnspannen unter keinen Umständen zu berücksichtigen sind. Rechtssystematisch wäre es allerdings falsch, diese Faktoren bei §§ 934 f ABGB einfließen zu lassen. Denn jene Norm erfordert einen einfach zu handhabenden Maßstab, der für einen grob geschnitzten Wertvergleich mit starren Grenzen herangezogen werden kann. Damit bleibt freilich noch ganz unbeantwortet, welchem Zweck die Norm dient, welchem Missstand durch sie abgeholfen werden soll; dazu unten VI. Als unterstützendes Argument kann auch Folgendes vorgebracht werden: Die Anfechtung scheidet wegen § 935 ABGB aus, wenn dem Verkürzten der wahre Wert bekannt ist. Sollte es dafür um die (angemessenen) Produktionskosten samt angemessenem Gewinn gehen, wäre daher bei Verkürzung des Käufers Kenntnis dieser Daten erforderlich. Denn „wahrer Wert“ in § 935 ist wohl sinngleich mit „gemeinem Wert“ in § 934 ABGB. Dann würde auch die Kenntnis des Marktpreises nicht ausreichen, um die Anfechtung auszuschließen. Es ist aber soweit ersichtlich unbestritten, dass die Kenntnis des Marktpreises für den Ausschluss der laesio enormis immer genügt. Dann sollte aber auch für § 934 ABGB auf den Marktpreis abgestellt werden.492 Am Beispiel des angemessenen Preises als Summe von Einstandskosten und angemessenem Gewinn sieht man im Übrigen ganz deutlich, dass diese Lehre ganz überwiegend den verkürzten Käufer im Auge hat. Sofern der Verkäufer verkürzt wird, hilft der Ansatz ganz generell nicht weiter. Dem Verkürzenden ist es mE auch nicht möglich, sich auf eigene, besonders hohe Kosten zu berufen, wegen derer er über dem Marktpreis verkaufen muss.493 Rechtsdogmatisch ist das schon damit zu begründen, dass § 934 ABGB keine „Rechtfertigung“ höherer Preise ohne Kenntnis oder doch Zustimmung des Vertragspartners vorsieht. Rechtsökonomisch würde eine solche Regel dazu führen, dass gerade die besonders Unerfahrenen oder die in Not Befindlichen unwirtschaftliche Unternehmen subventionieren; denn andere Marktteilnehmer schließen in der Regel mit den preisgünstigeren Konkurrenten ab.
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meist nur den Markt und damit das Resultat von Kräftekonstellationen und Verhandlungserfolgen.“ Vgl rechtshistorisch Gordley, 69 Cal L Rev 1610 f (1981). Gänzlich abzulehnen ist die Überlegung, dass bei Verkürzung des Verkäufers dieser über seine eigenen Kalkulationsgrundlagen geirrt haben soll, damit ihm die Anfechtungsmöglichkeit zukommt. So aber für den Wucher bzw das wucherähnliche Rechtsgeschäft Henssler, Risiko 221 ff; Canaris, ZIP 1980, 716.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
c) Irrelevanz der Gestehungskosten auch bei fehlendem Markpreis Dieses ablehnende Zwischenergebnis gilt im Ergebnis auch für die These, dass zwar grundsätzlich auf Marktpreise abzustellen ist, jedoch dann für die Zwecke von §§ 934 f ABGB auf den angemessenen Gewinn zurückgegriffen werden muss, wenn es keinen Marktpreis für die entsprechenden Güter gibt oder der Markt nicht funktioniert, weil zB die Preisbildung wegen Monopolsituationen verzerrt ist („Massenwucher“).494 Als Spruchformel verwendet die Rechtsprechung folgenden Satz: „Wenn sich kein wahrer Markt gebildet hat oder dieser im Verdacht ungerechter Preisbildung steht, ist auf den Ertragsoder Gestehungskostenwert abzustellen.“495 Es fällt aber auf, dass diese Regel nie angewendet wird. Kommt es nämlich tatsächlich auf diesen Gesichtspunkt an, so legt der OGH grundsätzlich Robustheit an den Tag: Fehlt es an einem Markt, so erfolgt der Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe und die Anfechtung nach § 934 ABGB scheidet überhaupt aus. Darauf basiert die Rechtsprechung zu Kunstwerken unbekannter Künstler496 und zu Ausbildungsangeboten ohne Konkurrenzanbieter („Reiki-Meisterin“).497 Das ist sachrichtig: Auch bei fehlendem Markt ist es nicht angemessen, eine starre Berechnungsmethode auf unsicheren und nur mit erheblichen Schwierigkeiten feststellbaren Merkmalen zu basieren. Freilich sollte die dogmatische Begründung eher auf den fehlenden Vergleichsmaßstab als auf eine (fiktive) „besondere Vorliebe“ abstellen; das fällt freilich im Ergebnis nicht ins Gewicht. In einer Gesamtbetrachtung bietet die laesio enormis daher Schutz, wenn der Marktmechanismus zwar grundsätzlich funktioniert, im Einzelfall eine Transaktion aber abweichend vom Marktpreis abgeschlossen wurde.498 Das Zwischenergebnis lautet daher: Der Wertvergleich ist für die laesio enormis nie anhand der Gestehungskosten plus angemessenem Gewinn, sondern grundsätzlich nur anhand des Marktpreises vorzunehmen.499 Freilich spricht die soeben wiedergegebene Spruchformel des OGH ein Phänomen an, dem sich die Rechtsanwendung nicht verschließen kann: Auch wenn kein funktionierender Markt besteht, können Äquivalenzstörungen auftreten; Monopole stehen geradezu im Verdacht, unangemessene Preise zu verlangen und die Konsumentenrente abzuschöpfen.500 Insofern ist Oechsler 494
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Vgl zB Gschnitzer, ZBl 1937, 849. Grundsätzlich wohl auch vgl Gordley, 69 Cal L Rev 1621 f (1981). OGH 6 Ob 187/99i. OGH JBl 1930, 322 (Groß); OGH DR A 1943, 315; OGH RZ 1962, 83; SZ 39/206. OGH 6 Ob 187/99i. Zu ähnlichen Gedanken zum englischen Recht vgl Collins, Contract 282 f. Vgl auch Reischauer in Rummel I § 934 Rn 3: „Kosten und Wert sind verschiedene Größen.“ Das war auch seit dem Mittelalter in der juristischen Literatur unbestritten; vgl Gordley, Philosophical Origins 98. Rechtsvergleichend v Mehren in International Encyclopedia of Comparative Law VII/1-74.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
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Recht zu geben, wenn er feststellt, dass der Markpreis durch die Multiplikation von Äquivalenzstörungen entstehen kann.501 Glaubt man aber an die grundsätzliche Eignung des Marktmechanismus zur Bedürfnisbefriedigung, so ist es richtig, die Angemessenheit des Marktpreises nur dann in Frage zu stellen, wenn es konkrete Indikatoren für Fehler des Funktionierens gibt. Für diese Monopolprobleme und vergleichbare Sachverhalte sind daher Lösungen zu finden; die Verortung sollte wegen der Starrheit der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen aber nicht bei § 934 ABGB erfolgen. Vielmehr sind andere Anspruchsgrundlagen zu identifizieren; dazu unten C. d) Der Fehler in der Willenssphäre Mit der herrschenden Lehre502 ist daher für die laesio enormis auf den Marktpreis als Vergleichsmaßstab abzustellen. Damit ist auch für die Anwendung der starren Hälfteregel eine verhältnismäßige sichere Basis gewonnen. Gleichzeitig führt die Regel auch nicht zu einem „Einfrieren“ der Marktpreise, da nicht jegliche Abweichung vom letzten Ergebnis des Preisbildungsprozesses verboten wird, sondern nur besonders drastische Abweichungen korrigiert werden.503 Das ist auch juristisch durchaus konsequent: Von demjenigen, der wesentlich über dem Marktpreis kauft, kann im Regelfall angenommen werden, dass er einem Irrtum erlegen ist oder ein sonstiger Einfluss auf seine Willensbildung zu seinem Nachteil erfolgt ist. Denn der Käufer hätte sein Bedürfnis bei Kenntnis der wahren Marktbedingungen ohne weiteres auch zu einem geringeren Kaufpreis befriedigen können;504 um eine subjektive Wertschätzung, die eine hohe Gegenleistung rechtfertigen könnte, geht es bei Abweichen vom Marktpreis im Regelfall daher überhaupt nicht.505 Dieselbe Logik gilt für den Irrtum des Verkäufers. Die laesio enormis greift diesen Irrtum über Marktpreise auf, wegen des in § 935 verankerten irrtumsrechtlichen Elements jedoch nicht sonstige Willensbeeinträchtigungen wie insbesondere Zwangslagen; für letztere ist der Wu501
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Oechsler, Gerechtigkeit 97 ff. Soweit er aber behauptet, dass der Marktpreis generell „kaum zum Maßstab einer Inhaltskontrolle“ tauge, weil auf Verbrauchermärkten geradezu systematisch ungerecht behandelt würde, übergeht er, dass auf den meisten Märkten weit gehend unbestritten gerade im Preisbereich Wettbewerb besteht. Für alle F Bydlinski in FS Mayer-Maly 137. Siehe auch oben III. A. 1. Vgl die Bedenken gegen den iustum pretium bei Remien, Zwingendes Vertragsrecht 399. Vgl Graf, Vertrag 68; v Mehren in International Encyclopedia of Comparative Law VII/1-74. Vgl Gordley, 69 Cal L Rev 1617 ff (1981). Gordley schiebt diese irrtumsrechtliche Betrachtung in der Folge aber wieder in den Hintergrund, da er alle Ansätze ablehnt, die in der laesio enormis einen Nachweis einer Störung der Willensbildung sieht; vgl dens, 69 Cal L Rev 1625 ff (1981).
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
chertatbestand heranzuziehen. Das andere Element liegt mE doch in der vertypten Vorwerfbarkeit des Verhaltens: Bei besonders groben Missverhältnissen, nämlich einem Abweichen von mehr als der Hälfte (bzw mehr als dem Doppelten) vom Marktpreis, liegt es nahe, dass durch den Begünstigten der Willensmangel des Verkürzten auch ausgenützt wurde. Was beim Wucher noch Tatbestandsmerkmal ist, liegt der laesio enormis zumindest noch vertypt zugrunde. Dieser Gedanke rechtfertigt es, den Willensmangel dem Anfechtungsgegner zuzurechnen. Zu dieser Problematik noch unten VI. Wiederholend möchte ich darauf hinweisen, dass sich hinter dem Irrtum über alternative Beschaffungs- oder Absatzmöglichkeiten zwei unterschiedliche reale Sachverhalte verbergen können: einerseits der echte Wertirrtum, andererseits der Irrtum über wertrelevante Eigenschaften. Für beide Fälle ist mE grundsätzlich auf den Marktpreis abzustellen, allenfalls unter Berücksichtigung der Eigenschaften, über die geirrt wurde. Das kann freilich an praktische Grenzen stoßen.
Auch für den Wucher bzw die allgemeine Kontrolle der Sittenwidrigkeit ist nach der herrschenden Lehre506 grundsätzlich der Marktpreis ausschlaggebend. Die Richtigkeit dieser Ansicht ergibt sich schon daraus, dass wie oben (III. B. 2.) gezeigt der Vergleichsmaßstab bei rechtsdogmatischer Betrachtung grundsätzlich derselbe ist wie bei der laesio enormis. Die Bedeutung des Wuchers ist wegen der einfacher geltend zu machenden laesio enormis zwar eingeschränkt, aber nicht beseitigt. Zunächst muss sich der Verkürzte immer auf den Wucher berufen, wenn es um den Vorwurf der Ausbeutung einer Zwangslage geht, weil es dann am für die Verkürzung über die Hälfte erforderlichen Irrtum fehlt. Andererseits kann der Wuchertatbestand auch erfüllt sein, wenn die Verkürzung zwar grob ist, aber nicht über die Hälfte geht. 2. Der relevante Markt Was ist aber der Marktpreis, der als Vergleichsmaßstab heranzuziehen ist? Wie sind die relevanten Märkte voneinander abzugrenzen? Die Frage hat eine sachliche, eine räumliche507 und eine zeitliche508 Dimension; hinzu kommt noch die Frage der jeweiligen Handelsstufe.509 Im Folgenden möchte ich mich auf die sachliche Dimension beschränken, weil diese eine Schlüsselfrage im gegebenen Zusammenhang ist.
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F Bydlinski, System 160; Graf, Vertrag 80; grundsätzlich auch Gschnitzer in Klang IV/1 206. Vgl auch für Deutschland Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 144. Besonders anschaulich kann dies am Phänomen der „Lage“ am Immobilienmarkt erläutert werden, die bei sonst gleicher Ausstattung des Objekts seinen Marktwert ganz wesentlich beeinflusst. Vgl das anschauliche Beispiel des Marktwerts einer geschnittenen Tanne entweder knapp vor oder knapp nach dem Heiligen Abend. Vgl dazu zB Zemen, ÖJZ 1989, 593.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
111
Mit Recht wird festgehalten, dass sich ein hoher Preis um so eher rechtfertigen lässt, je enger der relevante Markt gefasst wird.510 An einem praktischen Beispiel erläutert: Ist der relevante Markt für die Beurteilung des Preises eines Markenwaschmittels derjenige für Markenwaschmittel oder derjenige für alle Waschmittel, also unter Berücksichtigung von no-name-Produkten (Produktdifferenzierung)?511 Zu beachten ist, dass Produktdifferenzierung zu Situationen monopolistischer Konkurrenz führt512 und daher ihr Ergebnis nicht immer effizient ist;513 zusätzlich schöpfen die Produzenten die Konsumentenrente weit gehend ab. Dadurch gleicht die Produktdifferenzierung der Preisdiskriminierung mittels differenzierter Preisgestaltung nach Kundenklassen.514 Typisches Instrument ist die Markenpolitik, durch die physisch ähnliche oder gar gleiche Produkte zu unterschiedlichen Konditionen abgesetzt werden. So werden Eigenmarken der Zwischenhändler zu günstigeren Konditionen angeboten als die eigenschaftsgleichen Markenartikel; der Produzent ist für beide Produkte gleich, auch die Produktionskosten entsprechen sich weit gehend. Die Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes ist keine faktische Entscheidung.515 Der Rechtsanwender beobachtet nicht, sondern muss werten. Zu entscheiden ist nämlich, welche Differenzierungsmerkmale zwischen verschiedenen Leistungen rechtlich relevant sind. Dabei muss man sich folgende Überlegung vor Augen halten: Akzeptiert man die Produktdifferenzierung bei sonst im Wesentlichen austauschbaren Leistungen als Bildung eines Sondermarkts, so wird die subjektive Sicht des Konsumenten, die erst durch das (vielleicht sogar manipulative) Verhalten des oder der Anbieter geschaffen worden ist, auch normativ verbindlich.516 Zu prüfen ist daher, wie sich der in Frage stehende Teilmarkt gebildet hat.517 Soweit dadurch nur höhere Preise durchgesetzt werden sollen, kann schon nach den Normzwecken von § 879 Abs 2 Z 4 und § 934 ABGB dieser höhere Preis auf dem Teilmarkt nicht ausschlaggebend sein.
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Henssler, Risiko 212. Vgl zum Beispiel der deutschen Teilzahlungsbanken auch Koziol, AcP 1988, 196 ff. Die folgenden Überlegungen gelten spiegelbildlich auch für die Verkürzung des Verkäufers; auch für ihn ist eine weite Definition des Marktes von Vorteil. Wegen der größeren praktischen Bedeutung beschränke ich mich aber auf die Untersuchung der Preisdifferenzierung auf Absatzseite. Varian, Mikroökonomik 464. Bishop/Walker, Economics Rn 2.39 f. Zu dieser zB Bishop/Walker, Economics Rn 6.24. Das Problem der Marktspaltung wurde in Deutschland vor allem anhand der ungünstigen Konditionen von Teilzahlungsbanken im Vergleich zu normalen Geschäftsbanken diskutiert; vgl näher v Olshausen, ZHR 1982, 269 ff; Henssler, Risiko 212 ff mwN auch zur deutschen Rsp. Vgl deutlich v Olshausen, ZHR 1982, 271. Kritisch auch schon Schuhmacher, Verbraucherschutz 59 f, 86 f. Henssler, Risiko 214.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Vielmehr kommt es mE auf die völlige oder weit gehende Substituierbarkeit der angebotenen Leistungen an.518 Die subjektive Sicht des Erwerbers (und damit das durch die Marke vermittelte Prestige) bleiben auf dieser Stufe außer Betracht. Die Substituierbarkeit muss freilich nicht vollkommen sein; es genügt eine im Wesentlichen gleichwertige Eignung zur Bedürfnisbefriedigung aus der Sicht des durchschnittlichen, aber informierten Verbrauchers. Soweit hingegen die unterschiedlichen Produkte auch unterschiedliche Eigenschaften aufweisen, ist die Teilung der Märkte zu akzeptieren. So werden zB mit den unterschiedlichen Buchungsklassen innerhalb der Economy Class unterschiedliche Produkte angeboten; dies betrifft insbesondere die Flexibilität der Reisenden.519 Hingegen wäre es nicht zulässig zu argumentieren, dass die Leistung völlig unterschiedlich ist, je nachdem ob sie in einem Geschäft erbracht wird oder ob der Verkauf im Haustürgeschäft erfolgt;520 die entsprechenden Leistungen sind durchaus substituierbar und allein der Vertriebsweg kann nicht ausschlaggebend sein. Das bedeutet freilich nicht, dass jegliche Markenpolitik unzulässig wäre. Zunächst zieht die laesio enormis nur eine obere Grenze für den Preis des Markenprodukts, die mit 100 % noch dazu recht liberal ist. Der Zwischenhändler kann daher weiter differenzieren, nur eben nicht übermäßig. Hinzu kommt, dass die Anfechtung wegen laesio enormis auch bei Überschreiten dieser weiten Grenzen bei Kenntnis des Käufers vom wahren Wert ausgeschlossen ist (§ 935 ABGB). Für die vorliegende Problematik bedeutet das wohl: Kauft der Abnehmer, obwohl er die Substituierbarkeit durch preiswertere Produkte kennt, so kann er nicht nach § 934 ABGB anfechten. Ähnliches gilt für die Wucheranfechtung. Dadurch hat es der Anbieter in gewissem Ausmaß selbst in der Hand, durch Information einer Anfechtung vorzubeugen; das Verkaufsargument kann immer noch im durch die Marke vermittelten Prestige liegen. In vielen Sachverhalten legt im Übrigen die Lebenserfahrung Kenntnis der Substituierbarkeit durch den Erwerber nahe; ein gutes Beispiel sind zB die weit gehend durch namenlose Produkte substituierbaren Markenjeans. Für die Preisdifferenzierung und damit auch für die Produktdifferenzierung werden aber ebenso Argumente vorgebracht. So kann in Einzelfällen ohne Preisdifferenzierung die Bereitstellung eines Produktes unterbleiben, weil der
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Henssler, Risiko 215; v Olshausen, ZHR 1982, 270. Diesbezüglich kritisch Varian, Mikroökonomik 454 f. Vgl eindrücklich die US-amerikanische Entscheidung Toker v. Westerman, 13 NJ Super 452, 274 A 2d 78 (1970): Verkauf einer Kühlschrank-TiefkühltruheKombination im Haustürgeschäft um $ 574, während der Ladenpreis $ 400 betrug; die Klage auf Zahlung der Restsumme wurde auf Basis von Sec 2-302 UCC (unconscionability) abgewiesen.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
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Produzent nicht kostendeckend produzieren kann;521 hingegen würde durch Differenzierung die Wohlfahrt aller Beteiligten gesteigert, weil auch diejenigen, die zum höheren Preis kaufen, einen subjektiven Nutzen aus der Transaktion ziehen.522 Das mag unter bestimmten Annahmen523 zutreffen; freilich kann die bloße Hypothese, dass dies im Einzelfall passieren könnte, keine ausreichende Grundlage dafür bieten, die Grundwertung der laesio enormis, nämlich den Schutz desjenigen, der über alternative Beschaffungsmöglichkeiten nicht Bescheid weiß, beiseite zu schieben.
Freilich bleibt offen, welcher Marktpreis heranzuziehen ist. Soll der Marktpreis der alternativen Nutzungsmöglichkeit allein ausschlaggebend sein oder ist ein fiktiver Mittelwert zwischen den unterschiedlichen Marktpreisen heranzuziehen? Ein ungewichteter Durchschnitt scheidet jedenfalls aus; nimmt man an, dass es ein Markenprodukt und eine Eigenmarke gibt, die dasselbe Bedürfnis befriedigen, kann der Preis des Markenprodukts schon rechnerisch nicht mehr als die Hälfte dieses Durchschnitts betragen. In Frage käme daher allenfalls ein mit Marktanteilen gewichteter Durchschnitt. Zweck der laesio enormis ist es aber, dem Verkürzten Abhilfe zu gewähren, wenn er über alternative Möglichkeiten der Befriedigung seines Bedürfnisses irrt (näher unten VI.); angesichts dieses Ausgangspunktes kann der Vergleichsmaßstab konsequenterweise nur der Marktpreis dieser alternativen Bedürfnisbefriedigung sein. Ausschlaggebend ist daher im Waschmittelbeispiel der Preis der Eigenmarke (bzw allenfalls ein Durchschnittspreis aller Eigenmarken), ohne dass die Markenprodukte zu berücksichtigen wären. Für Gattungssachen ist festzuhalten, dass unter diesen Annahmen besondere subjektive Elemente für die Festlegung der Substituierbarkeit außer Acht bleiben. So kann wegen individueller Vorlieben die sonst für den Markt anzunehmende Substituierbarkeit bei einzelnen Nachfragern atypischerweise nicht gegeben sein. Das ist freilich keine Frage der Definition des Marktes. Vielmehr ist dies im Zusammenhang mit der laesio enormis als Frage des Erwerbs zum Wert der besonderen Vorliebe zu behandeln, für dessen Vorliegen freilich der Verkürzende beweispflichtig ist; letzteres ist wegen der Atypizität auch gerechtfertigt. Im Übrigen kann es auch Marktpreise bei Speziessachen geben. Das zeigt sich ganz deutlich an einem Beispiel aus der Rechtsprechung, nämlich dem Verkauf von Heiligenstatuen:524 Sofern eine hinreichende Vergleichbarkeit der
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Ebenso ist es denkbar, dass die Gesamtproduktion des Gutes ohne Preisdifferenzierung zurückgeht; vgl Bishop/Walker, Economics Rn 6.28 f. Vgl Wenusch, Illusion 104 f: Fixe Kosten 30.000, variable Kosten 2,50; Markt A 1.000 Stück zu 10, Markt B 9.000 Stück zu 5. Bei Preisdifferenzierung rechnet sich die Produktion, bei Verkauf zu 5, dem nicht differenzierten Preis, hingegen nicht. Insbesondere wird unterstellt, dass die Nachfragekurve einen bestimmten Verlauf aufweist und dass hohe Fixkosten vorliegen. Siehe OGH RZ 1962, 83.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
einzelnen Objekte gegeben ist, sofern ein Stück bei objektiver Betrachtung525 durch das andere substituiert werden kann, gibt es einen Marktpreis für die Zwecke von § 934 ABGB. Dieser Marktpreis ist durch Sachverständigengutachten festzustellen; dieses kann nur eine Bandbreite für den Wert festhalten.526 Für die laesio enormis ist hier mE vom Mittelwert auszugehen, weil diesen auch der Verkürzte im Regelfall bei seiner Berechnung zugrunde legen würde.527 Ich glaube, dass mit dieser Leitlinie für die praktische Anwendung ein ausreichender Anhaltspunkt gegeben ist. Fehlt es jedoch an der Vergleichbarkeit der Erwerbsgegenstände beim Spezieskauf völlig, so kann von einem Marktpreis nicht gesprochen werden; das ist insbesondere bei Unternehmen und vergleichbaren Gesamtsachen der Fall. Zu beachten ist, dass es häufig Ein- und Verkaufsmärkte mit unterschiedlichen Preisen gibt (zB Listenpreise bei Gebrauchtfahrzeugen). Hier ist es im Regelfall angemessen, auf den jeweiligen Markt abzustellen.528 Dies rechtfertigt sich beim Gebrauchtwagenhändler dadurch, dass dieser eine eigene Leistung erbringt. Dabei geht es einerseits um die Überprüfung des Fahrzeuges, Reparaturen oder die Garantieübernahme; schon wegen letzterer bietet der Kauf vom Händler mehr Sicherheit als der Kauf von einem Privaten. Andererseits wirkt der Gebrauchtwagenhändler als Mittler und erspart dem Privaten Suchkosten; auch deswegen kann für den Verkäufer eines Gebrauchtwagens der Verkauf an den Gebrauchtwagenhändler nicht durch Verkauf an einen Privaten substituiert werden. Diese eigenen Leistungen werden auch durch unterschiedliche Marktpreise honoriert. Das gilt für andere Märkte analog; es kommt somit nicht nur auf die jeweilige Absatzstufe an, sondern auch auf die Rolle, welche die Vertragspartner im konkreten Geschäft einnehmen.
3. Die Bedeutung des Ertragswerts Ein Sonderproblem bei der Anwendung der laesio enormis ist, ob für den Wertvergleich auch auf den Ertragswert der erbrachten Leistung zurückgegriffen werden kann? Allenfalls: Soll dies nur gelten, wenn ein Marktpreis nicht ermittelt werden kann?
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Es kommt also nicht darauf an, dass aus subjektiver Sicht eine Statue schöner sein kann als die andere. Vgl Zemen, ÖJZ 1989, 594. AM Zemen, ÖJZ 1989, 595, der für Kunstwerke bei dieser Auslegung ein Überhandnehmen der Anfechtung nach § 934 ABGB befürchtet und auf die für den Verkürzten jeweils ungünstigere Schätzung abstellen will (also zB für den Käufer die Obergrenze der Bandbreite). An anderer Stelle (ÖJZ 1997, 215) relativiert Zemen diese Aussage aber und führt aus, dass „die Grenze der laesio enormis etwas oberhalb der 50 % der Untergrenze, aber unter 50 % des Mittelwerts bestimmt wird, und etwas unterhalb der 200 % der Obergrenze, aber über 200 % des Mittelwerts.“ Wo soll die Grenze aber genau liegen? So zu § 138 Abs 2 BGB auch BGH NJW 2000, 1254.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
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a) Die Leibrentenfälle Praktische Anwendungsfälle in der Rechtsprechung finden sich insbesondere im Zusammenhang mit Leibrentenverträgen,529 bei denen gegen Übertragung einer Sache periodisch Leistungen bis zum Ableben des Bezugsberechtigten erbracht werden. In der Rechtsprechung besteht eine Tendenz in diesen Fällen eine Art der Ertragswertberechnung heranzuziehen: Um den Wert der versprochenen Rentenleistungen ex ante zu bestimmen, werden die zu erwartenden Leistungen abgezinst und addiert. In diesem Zusammenhang ist bisher in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet worden, auf welcher Basis die zu erwartenden Leistungen berechnet werden sollen: die mögliche Obergrenze des menschlichen Lebens nach Meyers Lexikon (!)530, die mögliche Lebenserwartung unter Ausschluss ganz vereinzelter Höchstlebensalter531 oder die durchschnittliche Lebenserwartung angesichts des Alters des Leibrentenberechtigten.532 Hinzu kommen nach einem Judikat individuelle Zu- und Abschläge in Bezug auf den Gesundheitszustand und gesonderte Risikofaktoren.533 Richtigerweise kann für eine Ertragswertermittlung nur auf die durchschnittliche Restlebenserwartung abgestellt werden; dabei ist das Alter des Leibrentenberechtigten doppelt zu berücksichtigen, weil es einerseits vom zu erwartenden Ablebensalter abzuziehen ist und andererseits Letzteres mit zunehmendem Lebensalter im Schätzungszeitpunkt steigt. Wenn der auf dieser Basis ermittelte Ertragswert um mehr als 100 % von der gewährten Gegenleistung abweicht, so kann nach § 934 ABGB angefochten werden.534 Wenn diese Wertung richtig ist, so könnte sie auch allgemein auf Hoffnungskäufe übertragen werden: Soweit ein Erwartungswert feststellbar ist, steht einer Anwendung von § 934 ABGB auch bei Hoffnungskäufen nichts entgegen, sofern nicht dem Vertrag (wie im Regelfall) entnommen werden kann, dass das Risiko eines Irrtums vom Irrenden zu tragen ist (dazu unten VI.). Methodisch sind diese Fälle eine teleologische Reduktion von § 1268 ABGB.
In der Sache ist diese Maßgeblichkeit des Ertragswerts für die Leibrentenverträge zutreffend. Im Ergebnis ist in diesen Fällen der Ertragswert, ermittelt anhand der Lebenserwartung eines Menschen des entsprechenden Alters und versicherungsmathematisch mit dem entsprechenden Abzinsungsfaktor diskontiert, ein geeigneter Indikator für den Marktwert. Berücksichtigt man dazu noch den markttypischen Risikozuschlag und den für das Versicherungsgeschäft typischen Gewinnanteil, so verdichtet sich die Richtigkeitschance dieser 529 530 531 532
533 534
Zur Anwendung der laesio enormis vgl grundsätzlich schon oben III. A. 3. OGH NZ 1994, 206. SZ 67/99. So wohl OGH ecolex 1997, 924 (Urbanek). Zustimmend Karner in KBB §§ 12841286 Rn 9. SZ 71/59. Mit Bedenken Reischauer in Rummel I § 934 Rn 1b. Im Ergebnis daher richtig OGH NZ 2006/11.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Bewertung in einem Ausmaß, das die Anwendung der laesio enormis zulässt. Es geht nicht darum, dass durch die Berücksichtigung der statistischen Daten ein „wahrer“ innerer Wert des Leibrentenversprechens ermittelt werden soll,535 sondern darum, über die Bestimmung des Ertragswerts die üblichen Konditionen am Markt näherungsweise festzustellen. Das ist bei der Leibrente verhältnismäßig einfach, weil die zukünftigen Erträgnisse kaum von den individuellen Verhältnissen des Erwerbers abhängig sind; vor allem die unterschiedliche Risikoneigung der Vertragsparteien bewirkt, dass sowohl Käufer als auch Verkäufer einen subjektiven Vorteil aus der Transaktion ziehen.536 Hinzu kommt, dass die Beurteilung der Restlebenserwartung eines Menschen eine relativ standardisierte Aufgabe ist, für deren Bewältigung auch ausreichend Datenmaterial besteht.537 Deswegen werden diese Daten auch regelmäßig von professionellen Marktteilnehmern bei Festlegung der Gegenleistung herangezogen. Da die Grundlagen der Ertragswertberechnung weit gehend außer Streit stehen und das entsprechende Datenmaterial auch regelmäßig von den beteiligten Verkehrskreisen verwendet wird, bietet der Ertragswert eine gute Grundlage für die Annäherung an den Marktpreis. b) Der Unternehmenskauf Die Rechtsprechung ließ den Rückgriff auf den Ertragswert für die Verkürzung über die Hälfte zuletzt in zwei jüngeren Entscheidungen auch beim Unternehmenserwerb zu:538 Der Erwerber eines Unternehmens könne den Vertrag nach § 934 ABGB anfechten, wenn der durch betriebswirtschaftliches Gutachten zu ermittelnde Ertragswert weniger als die Hälfte des Erwerbspreises beträgt. Anzumerken ist, dass in diesen Fällen eine Veranlassung des Irrtums durch eine unrichtige Auskunft häufig gerade nicht festzustellen ist; vielmehr werden dem Erwerber die Unterlagen, aus denen der richtige Ertragswert erkennbar oder doch zumindest ableitbar ist, zumeist offen gelegt. Sollte der Irrtum des Erwerbers über den Ertragswert vom Verkäufer arglistig veranlasst worden sein, sei es durch aktive Falschauskunft oder durch Verletzung einer Aufklärungspflicht, steht ohnehin die Arglistanfechtung offen, für die es auf das Ausmaß der Wertverletzung nicht ankommt. Auch bei Fehlen garantierter Eigenschaften bedarf es des Rückgriffs auf § 934 ABGB nicht; hier
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Deswegen sind auch die Bedenken Wenuschs, Illusion 126 f, sowie ders, AnwBl 2001, 136 f, dass nämlich die Statistik rückwärtsgerichtet ist und nichts über zukünftige Lebenserwartungen aussagen kann, nicht ausschlaggebend. Zu diesem Problem im Zusammenhang mit der Risikoübernahme vgl zB ausführlich Henssler, Risiko 232 ff. Faktisch problematisch, insbesondere bei Leibrentenverträgen mit erwarteter langer Laufzeit, kann allenfalls die Festlegung des Diskontierungssatzes sein. SZ 68/152; SZ 74/123. Ähnlich Jud in Egger et al, Unternehmensbewertung 191, 193 (unter Berücksichtigung des Substanzwerts).
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
117
liegen – ganz abgesehen von den gewährleistungsrechtlichen Folgen – veranlasste Eigenschaftsirrtümer vor.539 Es geht also im Wesentlichen um jene Fälle, in denen der Kläger keine Einsicht in ihm vorgelegte Unterlagen über die Ertragskraft des Unternehmens genommen hat, obwohl sie vorgelegt wurden, Fälle also, in denen eine Anfechtung nach §§ 870 ff ABGB mangels Veranlassung ausscheidet.
Ich meine, dass dieses Vorgehen trotz gewisser grundsätzlicher Probleme zulässig ist.540 Zunächst ist fraglich, aus welchem Blickwinkel die Bewertung des Unternehmens vorgenommen werden soll: Muss das Unternehmen aus der Sicht einer Maßfigur, eines durchschnittlichen Erwerbers bewertet werden? Oder geht es um den (üblicherweise höheren) Wert des Unternehmens gerade für den konkreten Erwerber?541 Richtig kann es – so wie auch in anderen Zusammenhängen – nur sein, auf den objektivierten Unternehmenswert aus der Sicht eines Erwerbers ohne besondere Verwendungsmöglichkeiten abzustellen; dafür spricht schon § 305 ABGB. Soweit freilich der Käufer teuer kauft, weil er besondere subjektive Verwertungsmöglichkeiten hat oder zu haben vermeint, liegt eine zulässige Risikoübernahme vor, welche die Anwendung der laesio enormis ausschließt (dazu unten VI. E.). Hat er darüber hinaus sogar positive Kenntnis über den geringeren objektivierten Wert, so kommt die Anfechtung nach § 934 ABGB überhaupt nicht in Betracht. Es ist nicht abzustreiten, dass die Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung größer sind als bei den Leibrentenverträgen. Das liegt insbesondere daran, dass die zukünftigen Erträge wesentlich schwieriger zu schätzen sind und darüber hinaus von zahlreichen, zum Teil auch noch interdependenten Faktoren abhängen. Freilich bedient sich die Rechtsordnung auch in anderen Zusammenhängen trotz dieser allgemeinen bekannten Probleme der Unternehmensbewertung; es sprechen wenige Gründe dafür, warum dies gerade im Zusammenhang mit der laesio enormis anders sein soll. Näher zur Unternehmensbewertung und zur Anwendung der laesio enormis auf Gesellschafterausschluss und Verschmelzung vgl den 4. Teil dieser Arbeit. c) Fazit Es bleibt für die Verkürzung über die Hälfte dabei, dass der Marktpreis jedenfalls ausschlaggebend ist, soweit ein solcher existiert und feststellbar ist; dann darf man einen etwa abweichenden, rechnerisch ermittelten Ertragswert nicht 539
540
541
Auch gemeinsame beachtliche Fehlvorstellungen würden nach hL zur Irrtumsanfechtung berechtigen. In der eingereichten Version meiner Habilitationsschrift habe ich noch einen anderen Standpunkt vertreten. Die im Habilitationsverfahren daran geäußerte Kritik hat mich veranlasst, meine Meinung zu ändern. Vgl zu diesen Fragen ausführlich im 4. Teil.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
heranziehen. Deswegen ist es unzulässig, statt auf den Marktpreis der (börsenotierten) Aktien für die Anwendung der laesio enormis auf die Bewertung des Unternehmens abzustellen. Die Anfechtung nach § 934 ABGB richtet sich auch nicht nach dem subjektiven Ertragswert des erworbenen Gegenstands beim Erwerber, wenn dieser größer als der Marktpreis ist. Denn auch hier bleibt der grundlegende Irrtum über die alternative, günstigere Beschaffungsmöglichkeit mittels anderer Bezugsquellen bestehen. Nur wenn auch dieser Irrtum ausgeschaltet ist, weil der Benachteiligte den Marktpreis kannte, scheidet die Anfechtung nach § 935 ABGB aus. Subsidiär ist es aber zulässig, auf den Ertragswert abzustellen.542 Damit sind auch die wichtigen Fälle der Eigenschaftsirrtümer praktisch zu bewältigen. Das gilt insbesondere für den Eigenschaftsirrtum des Verkäufers. Hier käme man mit einem Ansatz, der konsequent nur auf den Marktpreis abstellt, schwierig zu Rande. Wie soll man den Marktpreis eines Grundstückes, unter dem Erdölvorkommen liegen, anders feststellen als durch eine Berechnung des Ertragswerts?543 Denn unmittelbar feststellbare Marktpreise (im Sinn von Austauschbedingungen bei Grundstücken mit vergleichbaren Vorkommen) wird es im Regelfall nicht geben. Würde man nicht auf den Ertragswert ausweichen, so müsste man die Anwendung von § 934 ABGB auf solche Fälle ablehnen – ein Ergebnis, dass dem Sinngehalt der Norm wohl nicht entspricht.
C. Die Behandlung von Monopolsituationen 1. Allgemeines Besteht eine Monopolsituation, so hilft die laesio enormis wenig. Denn der Marktpreis wird durch den Monopolisten und nicht durch den Wettbewerb bestimmt. Der Monopolist maximiert die Differenz aus Umsatz und Gesamtkosten. Da wegen Markteintrittsbarrieren zusätzliche Anbieter nicht auf den Markt drängen, kann der Monopolist die Konsumentenrente weit gehend abschöpfen; gleichzeitig entsteht ein Wohlfahrtsverlust wegen eines ineffizient niedrigen Produktionsniveaus.544 Ähnliches gilt in abgeschwächter Form auch für Oligopole; der sich in Oligopolsituationen ergebende Marktpreis ist zwar niedriger als in einem Monopol, liegt aber dennoch über den Grenzkosten; die effiziente Outputmenge wird
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543
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Dabei ist im Übrigen auf die üblicherweise am Markt erzielten Erträge abzustellen und nicht etwa auf angemessene Gewinne auf den Absatzmärkten. Denn es geht hier nicht um den Schutz der Marktgegenseite, sondern um denjenigen des Käufers des Unternehmens. Im Übrigen stellt auch das LBG ausdrücklich auf die Ertragswertberechnung als einer Form der Bewertung einer Liegenschaft ab; näher unten 3. Teil V. C. Vgl aus der Standardliteratur zB Varian, Mikroökonomik 428 ff.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
119
nicht erreicht. Ähnliches gilt für monopolistische Konkurrenz durch Produktdifferenzierung.545
Nimmt man in solchen Fällen den Marktpreis, den der Monopolist fordert, als Ausgangspunkt für die Überprüfung der Äquivalenz, so wäre dem Massenwucher (bei dem also alle Geschäfte über den Leistungsgegenstand zu unangemessenen Bedingungen erfolgen) nicht beizukommen; nur der Individualwucher wäre rechtlich bekämpfbar.546 Sollen aber gerade diese Fälle wirklich dadurch privilegiert werden, dass Äquivalenzstörungen, wie auch immer man sie definiert, nicht aufgegriffen werden können?547 Soll dem von einem Monopol Benachteiligten wirklich die Möglichkeit genommen werden, sich zivilrechtlich zu wehren? Auch wenn klar ist, dass der Schwerpunkt der Monopolbekämpfung bei der öffentlichen Hand liegt (wie zB durch die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht), sind deswegen noch keine zwingenden Rückschlüsse für die Rechtsdurchsetzung durch Private zu ziehen. Im Einzelnen sind zwei Fragen zu beantworten, die zwar miteinander verwoben sind, aber analytisch doch getrennt werden sollten. (1) Was ist die geeignete Anspruchsgrundlage, um eine unangemessene Preisfestlegung durch den Monopolisten zivilrechtlich zu bekämpfen? (2) Da der Marktpreis nicht ausschlaggebend sein kann, welcher Vergleichsmaßstab soll herangezogen werden? 2. Anspruchsgrundlage a) Wucher Die traditionelle Ansicht will Monopolfälle mit der Wucherbestimmung aufgreifen. Insbesondere Gschnitzer548 hat diese Meinung wegen der Flexibilität von § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vertreten. Grundsätzlich ist dem zuzustimmen, auch wenn diese Ansicht zwingend nach sich zieht, dass in solchen Fällen entgegen der herrschenden Lehre549 nicht der Marktpreis ausschlaggebend sein kann (dazu unten 3.). Für diese Auslegung spricht vor allem, dass es beim Wucherverbot um die wertende Betrachtung des Einzelfalls geht, wie insbesondere daraus hervorgeht, dass neben dem auffallenden Missverhältnis auch ein vorwerfbares Verhalten des Begünstigten vorliegen muss; das bewegliche System der Kriterien des Wuchers erlaubt es, das „auffallende Missverhältnis“ dem Zusammenhang angepasst und flexibel zu interpretieren.
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Für alle Bishop/Walker, Economics Rn 2.32 ff. Vgl ähnlich v Olshausen, ZHR 1982, 264. Daher gegenüber dem Marktpreis als Gerechtigkeitsindikator generell kritisch Oechsler, Gerechtigkeit 97 ff. Wbl 1937, 854. Für Deutschland wohl auch Henssler, Risiko 216; v Olshausen, ZHR 1982, 290 ff. F Bydlinski, System 160; Graf, Vertrag 80.
120
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
So besteht keine fixe Schwelle für die Abweichung, ab welcher ein auffallendes Missverhältnis vorliegt. Vielmehr liegt ein bewegliches System vor:550 Je größer die Zwangslage oder andere Störung der Willensbildung ist und je stärker die Monopolstellung ausgenützt wird, desto geringer kann die Äquivalenzstörung sein, um dennoch vom Verbot in § 879 Abs 2 Z 4 ABGB erfasst zu sein. Ein völliger Verzicht auf ein Tatbestandselement ist aber nicht zulässig; auch noch so hohe Gewinnzuschläge begründen darüber hinaus mE keine Vermutung, dass eine Monopolstellung samt Zwangslage besteht. Denn das stünde in Widerspruch zu § 934 ABGB, weil jene Norm nur bei ganz besonders krassen Abweichungen subjektive Tatbestandselemente weit gehend ausklammert. Die Monopolstellung und damit zusammenhängend die Zwangslage (die im Übrigen durch § 934 ABGB ohnehin nicht aufgegriffen werden könnte) sind daher im Einzelfall zu beweisen. Hingegen ist die Vermutung, dass diese Zwangslage auch ausgenützt wurde, wohl zulässig (näher schon oben III. B. 4.).
Die praktische Bedeutung dieser Auslegung des Wuchertatbestandes dürfte jedoch nicht allzu groß sein. Denn keinesfalls sind alle Geschäfte des Monopolisten mit unangemessenen Preisen nichtig. Erforderlich ist zusätzlich eine Willensschwäche auf Seiten des Benachteiligten, insbesondere eine Zwangslage. Deswegen wäre die Bestimmung zB auf Luxuswaren oder Kunstwerke im Regelfall nicht anwendbar, da keine objektive Notwendigkeit besteht, die angebotene Leistung zu konsumieren, und deswegen nur selten eine Zwangslage vorliegt. Auch die sonstigen in § 879 Abs 2 Z 4 ABGB aufgezählten Möglichkeiten der Willensbeeinträchtigung scheiden hier im Regelfall aus; denn auch eine bloße Bereichsunerfahrenheit (so diese denn überhaupt ausreichend ist; oben III. B. 4.) ist rechtlich umso weniger beachtlich, je geringer die Notwendigkeit der Bedarfsdeckung durch den Vertragsabschluss ist. Daher ist es konsequent, wenn der OGH im Fall der „Reiki-Meisterin“551 (oben III. A. 4.), also einer spirituellen Ausbildung (mit der freilich Geschäftsinteressen verbunden waren), die Anwendung des Wuchertatbestandes verneint; denn an einer Zwangslage fehlt es. Anders hat der OGH entschieden, soweit es um für Großkunden zu errichtende Trafostationen geht, wenn in solchen Fällen die Errichtungskosten zur Gänze auf den ersten Nutzer abgewälzt werden, obwohl auch andere Abnehmer angeschlossen werden können (vgl oben III. B. 5.);552 in solchen Fällen kann die Errichtung der Infrastruktur eine Notwendigkeit für die Betriebsaufnahme sein.
Unabhängig von der Beurteilung einzelner Fälle gibt es aber auch ein grundlegendes Wertungsproblem: Wenn die Ausübung von Monopolmacht sozial unerwünscht ist, warum soll es dann auf eine besondere Willensschwäche ankommen, um Verträge anzufechten? Dem kann man auch nicht dadurch begegnen, dass man die laesio enormis entgegen der oben (B.) vertretenen 550 551 552
Vgl für alle Krejci in Rummel I § 879 Rn 230. OGH 6 Ob 187/99i. SZ 52/52; so auch SZ 59/49.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
121
Ansicht für solche Fälle instrumentalisiert; denn dann stellt sich die Frage, warum demjenigen, der von einer Monopolstellung betroffen ist, nur bei ganz besonders krassen Missverhältnissen ein Lösungsrecht vom Vertrag eingeräumt wird. Daher ist de lege lata nach anderen Anspruchsgrundlagen zu suchen. b) Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung Eine Lösung findet sich seit relativ kurzer Zeit im Kartellrecht. § 5 Abs 1 Z 1 KartG 2005553 verbietet es einem marktbeherrschenden Unternehmer, unangemessene Einkaufs- oder Verkaufspreise unmittelbar oder mittelbar zu erzwingen; das ist eine Form des Ausbeutungsmissbrauchs.554 Diese Preise können zu hoch, aber (im Verdrängungswettbewerb) auch zu niedrig sein;555 im gegebenen Zusammenhang interessiert der übermäßig hohe Preis. Die Marktbeherrschung ist in § 4 KartG 2005 näher definiert und kann die Position als Nachfrager oder als Anbieter betreffen; die hier interessierenden Monopolisten und Oligopolisten sind jedenfalls vom Begriff umfasst. Details des Beherrschungsbegriffs sind für die Zweck dieser Untersuchung nicht zu behandeln.556 Zu beachten ist jedoch, dass die Bedeutung der Marktabgrenzung genau gegenläufig zu der ähnlichen Frage im Rahmen der laesio enormis ist (dazu oben B. 2.). Während dort eine weite Marktdefinition zu verstärktem Schutz der Verkürzten führt, ist für die kartellrechtliche Frage die Ausgangslage umgekehrt: Eine marktbeherrschende Stellung liegt umso eher vor, je enger die Marktabgrenzung erfolgt.557 Für das Verständnis von § 5 KartG 2005 ist es notwendig, zunächst auf die Rechtslage gem § 35 KartG vor der Novelle 2002558 einzugehen. Das Kartellgericht hatte auf Antrag dem Unternehmer aufzutragen, den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung abzustellen. Damit war nach herrschender Meinung kein Verbot missbräuchlichen Handelns ohne kartellgerichtliche Verfügung verbunden;559 deswegen musste die Nichtigkeit solcher Verträge
553 554
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558 559
Bis 31.12.2005 wortgleich § 35 Abs 1 Z 1 KartG. Zur Unterscheidung zwischen Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauch vgl OGH ÖBl 1999, 50; KOG ÖBl 1993, 125; KOG ÖBl 1993, 271. Vgl Reidlinger/Hartung, Kartellrecht 122 f. Vgl (allerdings von der Gesetzgebung überholt) Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 10 ff. Aus der deutschen Literatur zum weit gehend vergleichbaren § 19 Abs 2 und 3 GWB vgl Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 17 ff. Vgl zB KOG ÖBl 1993, 125: Aus Sicht der FIAT-Vertragshändler ist der Markt nicht der Automarkt generell, sondern nur derjenige in FIAT-Automobilen, weswegen dem Alleinimporteur eine marktbeherrschende Stellung zukommt. BGBl I 2002/62. Vgl Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 46; Zehetner, Ges 2002, 24. Zweifelnd aber doch Barfuß/Wollmann/Tahedl, Kartellrecht 98; Barbist/Görg, ecolex 2002, 406.
122
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
wegen Gesetzwidrigkeit ausscheiden560 und auch die Sittenwidrigkeit wurde großteils verneint.561 Die Norm war damit zivilrechtlich nicht sanktionsbewehrt, sofern nicht eine Untersagungsverfügung erlassen wurde; bei Verhalten, das gegen eine solche Verfügung verstößt, waren jedoch Schadenersatzpflichten anerkannt562 – wobei nicht klar war, ob dies nur für zukünftige Verstöße563 oder auch rückwirkend für Handlungen vor Erlass der Unterlassungsverfügung gelten sollte. Strittig war im Übrigen, ob missbräuchliches Handeln des marktbeherrschenden Unternehmers durch Mitbewerber mittels des UWG angegriffen werden konnte.564 Durch die KartG-Novelle 2002 wurde der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in § 35 Abs 1 KartG (= § 5 Abs. 1 KartG 2005) ausdrücklich verboten; nach den Materialien sollte damit „deutlicher als bisher zum Ausdruck gebracht werden, dass der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein verbotenes Verhalten ist.“ Das ist auch die Rechtslage nach dem KartG 2005. Das hat einerseits Bedeutung für Bußgelder (§ 29 KartG 2005), die nunmehr auch als Sanktion für Handlungen vor einer Untersagungsverfügung verhängt werden können.565 Andererseits stehen wegen der Verbotswidrigkeit auch zivilrechtliche Ansprüche ab Verstoß und nicht erst ab Erlass einer Untersagungsverfügung zu. Das ist erstens für Schadenersatzansprüche wegen Schutzgesetzverletzung566 relevant,567 zweitens aber auch für § 879 Abs 1 ABGB: Da bereits der Missbrauch gegen ein Verbot verstößt, kommt als Sanktion grundsätzlich auch die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts wegen Gesetzwidrigkeit in Betracht. Damit unterscheidet sich der rechtsdogmatische Ansatzpunkt gegenüber der Wucherbestimmung: Während der Wucher als Variante der Sittenwidrigkeit behandelt wird, ist der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach heutiger Rechtslage gesetzwidrig. Das steht auch in Einklang mit der Gesetzesentwicklung. Die KartG-Nov 2002 wollte mit der Neuformulierung in der Sache der deutschen 6. GWBNovelle568 folgen. Bis zu jener Reform enthielt § 22 GWB kein Verbot des 560 561
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AM Tahedl, Missbrauch 149 f. So auch Tahedl, Missbrauch 147 ff. Anders Barfuß/Wollmann/Tahedl, Kartellrecht 108. Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 58 ff; Tahedl, Missbrauch 246 f; Barfuss/Wollmann/Tahedl, Kartellrecht 108; Barbist/Görg, ecolex 2002, 406. Stockenhuber, ÖZW 2002, 81. Vgl Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 54 f mwN; Reich-Rohrwig/Zehetner, Kartellrecht I § 35 E 25 ff. Dazu jüngst Reidlinger/Zellhofer, ecolex 2004, 114; Reidlinger/Hartung, Kartellrecht 140 f. Barbist/Görg, ecolex 2002, 406; Stockenhuber, ÖZW 2002, 81; Zehetner, Ges 2002, 24. Zum Schutzgesetzcharakter vgl schon KOG ÖBl 1991, 132; allgemein Reidlinger/Hartung, Kartellrecht 215 f. Stockenhuber, ÖZW 2002, 81. D BGBl 1998 I S 2346.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
123
Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, sondern nur eine Eingriffsmöglichkeit für die Kartellbehörden; deswegen war der Vertrag nach damals herrschender Lehre weder nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig569 noch war das Missbrauchsverbot ein Schutzgesetz im schadenersatzrechtlichen Sinn.570 1998 erhielt der neue § 19 Abs 1 GWB ein ausdrückliches Verbot des Missbrauchs. Für Deutschland war es ein ausdrückliches Ziel der Novelle, zivilrechtliche Ansprüche zu eröffnen.571 Deswegen wurde die Zuständigkeit der Zivilgerichte als logische Folge dieses gesetzgeberischen Aktes gesehen.572 Ein verbotswidriges Rechtsgeschäft kann grundsätzlich wegen Gesetzwidrigkeit nach § 134 BGB nichtig sein.573 Auch der Schutzgesetzcharakter ist nunmehr für den Ausbeutungsmissbrauch nach allgemeiner Meinung zu bejahen.574 Auch wenn der österreichische Gesetzgeber weniger den zivilrechtlichen Rechtsschutz im Auge hatte, sondern auf die zeitlich frühere Sanktionierung missbräuchlichen Verhaltens durch Bußgelder abzielte, ist nicht zu erkennen, dass das KartG 2005 die gerichtliche Zuständigkeit anders regeln soll als das deutsche GWB. Im Übrigen ist diese parallele Zuständigkeit ohnehin zumindest zum Teil gegeben; denn in der Praxis werden bereits derzeit Kartellrechtsverstöße über § 1 UWG vor den Zivilgerichten geltend gemacht.575 Freilich ist noch anhand des Normzwecks zu untersuchen, ob der Verbotsverstoß tatsächlich zur Nichtigkeit führt.576 Eine in Deutschland gewichtige Auffassung will zunächst nach den betroffenen Kreisen differenzieren: Die Norm diene vor allem dem Schutz der Wettbewerber und der Angehörigen vor- oder nachgelagerter Wirtschaftsstufen; der Schutz der Verbraucher erfolge nur indirekt durch Gewährleistung hinreichend freier Wettbewerbsprozesse. Demzufolge können sich die genannten Unternehmer auf die Nichtigkeit nach § 134 BGB berufen, nicht aber die Endverbraucher.577
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Vgl näher Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 10; K Schmidt, AcP 2006, 174 f. Für alle Möschel, Wettbewerbsbeschränkungen Rn 583 f; Sack in Staudinger, BGB § 134 Rn 248; K Schmidt, Kartellverfahrensrecht 226 ff, 271 ff (aber doch teilweise differenzierend); differenzierend auch v Olshausen, ZHR 1982, 292 f. Begründung 6. GWB-Novelle BT-Drucksache 13/9720, 35 f; vgl auch Langen in Langen/Bunte, Kartellrecht Einführung zum GWB Rn 20. So Bunte in Langen/Bunte, Kartellrecht, Einführung zum GWB Rn 20. Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 248; grundsätzlich auch Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 181 iVm § 20 Rn 207. Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 249; Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 181. Vgl Reidlinger/Zellhofer, ecolex 2004, 114. Allgemein zB Krejci in Rummel, ABGB I § 879 Rn 28 ff. So wohl Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 11, 156, 248 (freilich sprachlich nicht völlig klar); vgl auch die Darstellung des Meinungsstands bei Wagner, AcP 2006, 406 f.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
In Österreich könnte für diese Auslegung sprechen, dass nur Unternehmer, die ein wirtschaftliches oder rechtliches Interesse an der Entscheidung haben, vor dem Kartellgericht einen Auftrag zur Abstellung des missbräuchlichen Verhaltens gem § 26 KartG 2005 beantragen können (§ 36 Abs 4 Z 4 KartG 2005); den Verbrauchern kommt ein individuelles578 Antragsrecht nicht zu. Jedoch ist zu bedenken, dass die Missbrauchsaufsicht in Österreich auch Verbraucherschutz bezweckt, wie es sich schon aus § 5 Abs 1 Z 2 KartG 2005 unmittelbar ergibt.579 So lehnt auch Koppensteiner für § 35 KartG in der vor der KartG-Novelle 2002 geltenden Fassung die Auffassung ab, dass nur diejenigen Schadenersatzansprüche geltend machen können, die im kartellrechtlichen Verfahren antragsberechtigt sind.580 Freilich war bis 2002 der Anspruch noch an die Unterlassungsverfügung des Kartellgerichts gebunden; ohne eine solche Verfügung bestand ohnehin kein Anspruch, womit es letztlich die Antragsberechtigten in der Hand hatten, solche Ansprüche (auch für Dritte) herbeizuführen. Die materiell zu beantwortende Frage ist demgegenüber heute, ob Verbraucher ihr fehlendes Antragsrecht dadurch substituieren können, dass sie die Nichtigkeit des unter marktmissbräuchlichem Verhalten abgeschlossenen Vertrags vor den Zivilgerichten geltend machen können. In einer Gesamtbetrachtung sprechen die besseren Gründe wohl für die Zulässigkeit. Denn zunächst ist der Verfahrensgegenstand ein anderer: Während es vor dem Kartellgericht um die Untersagung des marktmissbräuchlichen Verhaltens ganz generell geht, werden durch den Anspruch nach § 879 Abs 1 ABGB nur die Folgen eines konkreten marktmissbräuchlichen Vertragsabschlusses zugunsten des Benachteiligten rückgängig gemacht. Im Ergebnis besteht damit zumindest grundsätzlich die (konkurrierende) Zuständigkeit der Zivilgerichte für die Entscheidung, ob ein konkretes Verhalten marktmissbräuchlich ist oder nicht.581 Soweit daher ein Preis durch einen marktbeherrschenden Unternehmer unangemessen festgelegt wurde, ist der Vertrag wegen Gesetzwidrigkeit nichtig. Fraglich ist bloß, ob dies Gesamtnichtigkeit bedeutet oder ob der Vertrag mit einem angemessenen Preis aufrecht bleibt. Der Tatbestand von § 917a ABGB ist nach herrschender Meinung nicht erfüllt, weil der Höchstpreis (beim Anbietermonopol) nicht ohne weiteres aufgrund einer objektivabstrakten Norm betragsmäßig präzise bestimmbar ist.582 Die Lösung ist daher 578
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582
Verbraucherinteressen sollen durch das Antragsrecht der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte (§ 36 Abs 4 Z 3 KartG) geschützt werden. Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 35. Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 59. Das ist freilich ein auch schon zuvor bestehendes, grundsätzliches Problem des Kartellrechts; vgl Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 14 Rn 15. Vgl aus der Diskussion nach SZ 59/65 zB P Bydlinski, ÖZW 1987, 3; ders, ÖZW 1989, 77; Binder in Schwimann, ABGB IV § 917a Rn 6; P Bydlinski in KBB § 917a Rn 2.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
125
auf Grundlage der allgemeinen Lehren zu § 879 ABGB zu suchen. Damit kommt es auf den Zweck der Verbotsnorm an, wobei der Teilnichtigkeit nach österreichischem Recht grundsätzlich der Vorzug zu geben ist.583 Vor diesem Hintergrund besteht im gegebenen Zusammenhang kein Zweifel an der Teilnichtigkeit, weil dies dem durch § 5 Abs 1 Z 1 KartG 2005 (auch) bezweckten Schutz des Vertragspartners besser dient als die Gesamtnichtigkeit; die gesetzlich angeordnete Gesamtnichtigkeit in § 7 Abs 1 WucherG und die ähnliche Regelung bei der laesio enormis sind daher nicht analogiefähige Ausnahmen.584 Damit sind auch die Rechtsfolgen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung für den Anfechtenden günstiger als diejenigen des Wuchers.585 Hinzu kommt: Eine marktbeherrschende Stellung wird grundsätzlich nicht nur ausgenutzt, wenn ein grob unangemessener Preis verlangt wird, sondern bei jeder Äquivalenzstörung.586 Auf den ersten Blick scheint dies ganz wesentlich, weil für den Wuchertatbestand ein „auffallendes Missverhältnis“ erforderlich ist. In einer Gesamtbetrachtung dürfte dieser Unterschied jedoch nicht ausschlaggebend sein. Denn die Feststellung des Vergleichsmaßstabes ist (mangels Marktpreis) mit erheblichen Unsicherheiten behaftet (dazu unten 3.), wobei sich Unklarheiten im Ergebnis zugunsten des belangten Unternehmens auswirken. Und auch die Wendung „Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung“ legt nahe, dass nur bei deutlichem Abweichen von der Norm ein missbräuchliches Verhalten vorliegen kann.587 All das spricht zumindest im Ergebnis dafür, dass nur deutliche Äquivalenzstörungen mit dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung aufgegriffen werden können. Die Bestimmungen des PreisG 1992588 bleiben im Folgenden wegen der geringen praktischen Bedeutung aus der Untersuchung ausgeklammert. Im gegebenen Zusammenhang ist vor allem § 5 PreisG 1992 einschlägig. Der BMwA kann unter anderem einen volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preis für die Dauer 583
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Grundlegend Mayer-Maly in GedS Gschnitzer 265; im Zusammenhang mit dem Preisrecht ders in FS Demelius 150 ff. Vgl auch Krejci in Rummel, ABGB § 879 Rn 250; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 879 Rn 37; Bollenberger in KBB § 879 Rn 29 mwN. Vgl Illedits, Teilnichtigkeit 85. In Deutschland ist die kartellrechtliche Rechtslage strittig, obwohl bei Höchstpreisen im Regelfall Teilnichtigkeit eintritt; vgl Heinrichs in Palandt, BGB § 134 Rn 27. Möschel (in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 248) geht von Gesamtnichtigkeit aus, bejaht aber einen (verschuldensabhängigen) Anspruch auf Vertragsabschluss via Naturalrestitution gem § 249 BGB. Vgl zu § 19 dGWB Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 248. Vgl für Deutschland R Fischer, ZGR 1978, 248; Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 159. Dem entspricht auch, dass für den Rechtsmissbrauch iSv § 1295 Abs 2 ABGB ein krasses Missverhältnis zwischen den vom Schädiger verfolgten Interessen und denen der anderen Vertragspartei erforderlich ist, bzw dass bei Schikane der Schädigungszweck augenscheinlich im Vordergrund stehen muss; vgl näher F Bydlinski in FS Krejci 1087, 1089. BGBl 1992/145.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
von höchsten sechs Monaten bestimmen, wenn das Kartellgericht einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung festgestellt hat (§ 5 Abs 6 PreisG); das gilt auch, wenn der BMwA selbst eine unangemessene Preiserhöhung feststellt (vgl § 5 Abs 1 und 5 PreisG). § 6 PreisG enthält nähere Determinanten für die volkswirtschaftliche Rechtfertigung des Preises.589 § 5 PreisG ist seit 1990 nicht mehr angewandt worden.590 Die der Festlegung des volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preises zugrunde liegenden Überlegungen591 können aber auch für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gem § 5 KartG 2005 herangezogen werden.
c) Die europäische Entwicklung Die hier vertretene Ansicht entspricht auch einem europäischen wettbewerbsrechtlichen Trend bei der Anwendung der Art 81 f EGV. Nach den Vorstellungen der Kommission soll es den Wettbewerbern, aber auch den Verbrauchern verstärkt möglich sein, auf Wettbewerbsverstöße mit zivilrechtlichen Mitteln zu reagieren.592 Erste Schritte wurden schon gesetzt: Die neue Kartellverfahrens-Verordnung593 hebt die Schadenersatzansprüche der Opfer von Wettbewerbsverstößen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts vermehrt hervor. Der EuGH hat in seiner Courage-Entscheidung594 festgehalten, dass die Aufrechterhaltung des wirksamen Wettbewerbs erfordere, dass jedermann Ersatz des ihm zugefügten Schadens verlangen kann.595 Das spricht für eine Legitimation auch des Verbrauchers. In ihrem Grünbuch zu Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts596 geht die Kommission anscheinend davon aus, dass Verbraucher solche Ansprüche geltend machen können und sucht nur nähere Wege, um diese Ansprüche effektiver zu machen.597 Für die hier interessierende Frage der Nichtigkeit des Vertrags bei Verstoß gegen Art 82 EGV (der im hier interessierenden Bereich des Ausbeutungsmissbrauchs wortgleich mit Art 5 Abs 1 Z 1 KartG 2005 ist) ergibt sich daher, dass die entsprechenden Verträge keinen Bestand haben dürfen. Eine beachtli-
589 590 591
592 593 594 595 596 597
Dazu näher Kneihs in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht II 766 ff. Kneihs in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht II 750. Zu diesen vgl zB Korinek, WiPolBl 1975/2, 86 ff; Rill, ÖZW 1975, 102, 105; Kneihs in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht II 766; Raschauer, ÖZW 1003, 33. Klauser, ecolex 2005, 87 mwN; Reidlinger/Hartung, Kartellrecht 214 f. VO (EG) 2003/1, ABl L 1 vom 4.1.2003, S 1. EuGH Slg 2001, I-6297. Vgl näher Wagner, AcP 2006, 404 ff. KOM (2005) 672 endg; Ratsdok 5127/06. Vor allem Sammelklagen durch Verbraucherverbände.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
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che Meinung geht von Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit aus,598 was aber wohl noch eine Nachwirkung des in Deutschland und Österreich früher fehlenden Verbots solcher Geschäfte sein dürfte. Die besseren Gründe sprechen mit der herrschenden Meinung für die Nichtigkeit nach § 134 BGB bzw § 879 ABGB in der Variante der Gesetzwidrigkeit.599 Ob ein überhöhter Preis zur Aufrechterhaltung des Vertrags zum angemessenen Preis oder zur Gesamtnichtigkeit führt, ist für Deutschland nicht entschieden.600 Unabhängig von der genauen Anspruchsgrundlage erscheint es angesichts der neueren Entwicklungen richtig, dass diese Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen Art 82 EGV nicht nur von Mitbewerbern bzw Unternehmern der voroder nachgelagerten Wirtschaftsstufe geltend gemacht werden darf, sondern dass dieses Recht auch Verbrauchern zusteht. 3. Vergleichsmaßstab a) Allgemeines Ganz unabhängig von der rechtlichen Grundlage, auf deren Basis der Vertrag in Monopolfällen angefochten wird, ist zu klären, welcher Vergleichsmaßstab herangezogen werden soll, wenn es an einem aussagefähigen Marktpreis fehlt. In der kartellrechtlichen Praxis haben sich zwei Vergleichsmaßstäbe als zumindest grundsätzlich operabel herausgestellt: die Gewinnspannenbegrenzung und Vergleichsmarktkonzepte. Beide Ansätze können auch für die Anwendung der Wucherbestimmung fruchtbar gemacht werden. Zwar stellt die herrschende Lehre601 auch in Wucherfällen ganz wie bei der laesio enormis grundsätzlich auf Marktpreise als Vergleichsmaßstab ab. Dabei kann sie sich dogmatisch auf §§ 304 f ABGB 598
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Dirksen in Langen/Bunte, Kartellrecht Art 82 Rn 208; Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 18 Rn 21. So zB Armbrüster in MünchKomm BGB § 134 Rn 37; Sack in Staudinger, BGB § 134 Rn 227; Geiger, EUV/EGV Art 82 EGV Rn 13; Grill in Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag Art 83 Rn 44; Baur/Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, EG-Vertrag Art 82 Zivilrechtsfolgen Rn 23 f; Jung in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 278 ff. Anders Möschel in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht Art 86 Rn 30, der ganz so wie für das deutsche Recht die Nichtigkeit bei Massengeschäften grundsätzlich ablehnt. Auf Basis von § 134 BGB für die Anpassung zB Baur/Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, EG-Vertrag Art 82 Zivilrechtsfolgen Rn 34; Jung in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 282; zumindest für Unternehmer auch Möschel in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht Art 86 Rn 31. Die Rsp des EuGH zu Art 81 Abs 2 EGV ist nicht unmittelbar heranzuziehen, weil es dort um abtrennbare Abreden geht, wie sie beim Preis nicht vorliegen. Jedenfalls ist aus dieser Rsp die prinzipielle Bereitschaft des EuGH abzuleiten, Verträge so weit als möglich bestehen zu lassen. Vgl zu dieser Rsp Bunte in Langen/Bunte, Kartellrecht Art 81 Rn 209 f. F Bydlinski, System 160; Graf, Vertrag 80.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
stützen, auch wenn jene Normen aus einer anderen Epoche stammen als die durch die 3. Teilnovelle eingeführte Wucherbestimmung.602 Jedoch setzt dies einen funktionierenden Markt stillschweigend voraus. Die Probleme bei Marktverzerrungen sind überhaupt nicht berücksichtigt. Das hängt auch damit zusammen, dass nach traditioneller Ansicht die Bekämpfung unpassender Marktpreise kein Problem des Zivilrechts war, sondern grundsätzlich durch öffentlich-rechtliche Preisfestlegung erfolgen sollte.603 Diese strikte Trennung ist heute nicht mehr herrschend, wie es sich insbesondere aus der Verbotswidrigkeit des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Position ergibt, auch wenn ohne Zweifel in diesem Bereich der Rechtsdurchsetzung durch die Kartellrechtsbehörden im Vergleich zu zivilrechtlichen Rechtsmitteln eine dominierende Position zukommt. Diese Wertung schlägt mit Gschnitzer604 auch auf das Wucherverbot durch; dieses ist daher – zumindest bei Monopolstellungen – offen gegenüber anderen Vergleichswerten als dem Marktpreis. Auch bei F Bydlinski, der sich grundsätzlich für die Maßgeblichkeit des Marktpreises beim Wuchertatbestand ausspricht, finden sich Ansatzpunkte für die hier vertretene Auffassung. So bezeichnet er den heranzuziehenden Marktpreis als Ergebnis der „Gesamtheit freier Tauschakte“;605 an solchen Akten fehlt es freilich in Monopolsituationen. Ganz ähnlich hält er für „mehr oder weniger geschlossene Märkte“ fest:606 „Mit entsprechender, nämlich sehr großer Vorsicht wird hier gegebenenfalls eine Preiskontrolle auf deutliche Ungerechtigkeit mit Hilfe von annäherungsweise ermittelten ‚Als-ob-Marktpreisen’ möglich sein, bei deren Berechnung man die Marktbeherrschung als Störungsfaktor zu eliminieren trachtet.“
In Wucherfällen ist daher der Marktpreis entgegen § 305 ABGB in jenen Fällen nicht ausschlaggebend, in denen mangels funktionierenden Wettbewerbs eine für diese Norm stillschweigend vorausgesetzte Bedingung nicht gegeben ist. Bei Monopolen und ähnlichen Verzerrungen des Marktmechanismus kann daher nicht nur für die kartellrechtlichen Missbrauchsregelungen, sondern auch für den Wuchertatbestand auf andere Vergleichsmaßstäbe als den Marktpreis zurückgegriffen werden. Das gilt sowohl bei Monopolstellungen auf Seiten der Anbieter als auch auf Seiten der Nachfrager. In der Folge wird nur auf Monopole auf der Absatzseite explizit eingegangen, wobei die Ausführungen im Prinzip auch für Monopol-
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Vgl Gschnitzer, ZBl 1937, 851. Gordley, Origins 99. ZBl 1937, 851. F Bydlinski; System 160. F Bydlinski, Methodenlehre 360.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
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stellungen auf der Nachfrageseite gelten.607 Freilich sind hier die Hindernisse für die Feststellung des Ausbeutungsmissbrauchs groß.608
b) Gewinnspannenbegrenzung Bei der Gewinnspannenbegrenzung werden Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags dem tatsächlich erzielten Preis609 gegenüber gestellt. Für den Massenwucher hat sich Gschnitzer für diesen Maßstab ausgesprochen; er stellt auf einen objektiven Wert ab, der sich aus Arbeitswert, Produktionskosten und einem mäßigen Gewinn zusammensetzen soll.610 Reste dieser Auffassung finden sich auch in der österreichischen Lehre und Rechtsprechung zur laesio enormis, die hilfsweise neben dem Marktpreis auf den Ertrags- oder Gestehungskostenwert Bezug nimmt (diesbezüglich kritisch oben B.). Ganz ähnlich ist auch im Preisrecht für den volkswirtschaftlich angemessenen Preis auf die Kosten Bedacht zu nehmen. Anders als für die hier interessierenden Fragen stellen die marktüblichen Kosten nach einer älteren Entscheidung des VfGH611 keine absolute Untergrenze dar; die Unternehmer müssen im Einzelfall aus volkswirtschaftlichen Gründen Verluste in Kauf nehmen. Nach der jüngeren Rechtsprechung muss die Kostendeckung jedoch möglich sein.612
Im Zusammenhang mit dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung wird dieser Ansatz vor allem vom EuGH verfolgt. Ausbeutungsmissbrauch gem Art 82 EGV liegt vor, wenn der wirtschaftliche Wert der Gegenleistung in keinem angemessenen Verhältnis zum Preis steht. Dazu stellt der EuGH zwar einerseits auf Vergleichsmärkte ab,613 zieht aber andererseits auch die Produktionskosten heran: Soweit sich die aus dem Vergleich mit dem Preis ergebenden Gewinne übermäßig sind, liegt Ausbeutungsmissbrauch nahe.614 Übermäßig scheinen Gewinne zu sein, wenn sie unter normalen Wettbewerbsverhältnissen nicht erzielbar sind.615 Hingegen überwiegt in der Praxis zum deutschen GWB das Vergleichsmarktkonzept (vgl § 19 Abs 2 Z 2 leg cit),616 auch wenn das Gesetz letztlich für die Feststellung des unangemessenen 607
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Vgl im kartellrechtlichen Zusammenhang zB Deselaers in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 295. Näher mwN Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 174 ff. Bishop/Walker, Economics Rn 6.19 argumentieren, dass kurzfristige Schwankungen der erzielten Preise ausgeschlossen werden müssen. Gschnitzer in Klang IV/1 206 unter Rückgriff auf ZBl 1937, 849. VfSlg 7220. VfSlg 12564; VwSlg 10.491 A; dazu Gutknecht, ÖZW 1991, 48; Raschauer, ÖZW 1003, 33 f; Mayer, ÖJZ 2000, 206. Näher zB Jung in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 287 ff. EuGH „Chiquita“ bzw „United Brands“ Slg 1978, 207. Vgl Dirksen in Langen/Bunte, Kartellrecht Art 82 Rn 93 mwN; Jung in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 286. Für eine Übersicht über deutsche Stellungnahmen zum Gewinnbegrenzungskonzept vgl Weiser, Preismissbrauch 50 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Entgelts methodenoffen ist.617 Für das österreichische Kartellrecht fehlt einschlägige Rechtsprechung; die Lehre lehnt das Gewinnspannenkonzept durchwegs ab.618 Das Gewinnspannenkonzept ist dem Grundsatz nach sowohl für das Wettbewerbsrecht als auch für den Wucher plausibel. Der hohe Gewinn des Monopolisten resultiert daraus, dass der Preis höher als die Grenzkosten ist; dadurch und durch den geringeren Output (vgl den berühmten Cournot’schen Punkt) entsteht ein gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsverlust.619 Hinzu kommt die Umverteilung der Rente von Abnehmern zum Monopolisten.620 Durch das Missbrauchsverbot im Sinn der Rechtsprechung des EuGH werden die Gewinne tendenziell in Richtung auf die Grenzkosten gedrückt,621 die ohnehin einen angemessenen Unternehmerlohn enthalten. Damit ist dem Problem des ineffizient geringen Outputs freilich noch nicht beigekommen, weil der Monopolist nicht motiviert ist, seine Produktion auszudehnen.622 Der Vorwurf, dass dadurch das dynamische Konzept des Wettbewerbs zugunsten einer statischen Betrachtungsweise aufgegeben wird,623 ist mE nicht zutreffend; es handelt sich erstens um Fälle, in denen es an Wettbewerb fehlt, und zweitens greift eine Exzesskontrolle – was auch die Rechtsprechung des EuGH im Ergebnis ist – nicht in das grundlegende Funktionieren des Marktprozesses ein.624 Die Probleme sind vor allem praktischer Natur. Erstens geht es – ganz wie schon bei B. 1. dargestellt – darum, welche Kosten für den Vergleich ausschlaggebend sein sollen.625 Die individuellen Einstandskosten des marktbeherrschenden Unternehmens sind ein Ausgangspunkt,626 bei dem man aber nicht stehen bleiben kann, weil diese Kosten Teil der unternehmerischen Ent617
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Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 95; Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 154. Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 43; Tahedl, Missbrauch 165 f. Zu gegenläufigen Tendenzen aufgrund von Erweiterungs- und Rationalisierungsinvestitionen vgl Weiser, Preismissbrauch 170 ff. Vgl zB Varian, Mikroökonomik 428 ff. Das entspricht in der Sache dem Ansatz von Eucken, Grundsätze 295 ff. Bishop/Walker, Economics Rn 6.18 halten fest, dass an diesem Ansatz problematisch ist, dass nur das durchschnittliche Unternehmen am Wettbewerbsmarkt keinen Gewinn macht, profitablere hingegen schon. So auch Weiser, Preismissbrauch 168 f. Möschel in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht Art 82 Rn 140; Jung in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 146. Im Übrigen hält Möschel (in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 157; so auch Tahedl, Missbrauch 166) zu Unrecht fest, dass dieses Konzept in der scholastischen Tradition des iustum pretium wurzele; wie gezeigt (oben II: A.) stellte diese Tradition aber prinzipiell auf Marktpreise als Vergleichsmaßstab ab. So grundsätzlich Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 43. Vgl auch Weiser, Preismissbrauch 179 ff. Knöpfle, BB 1979, 1101.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
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scheidung sind und daher vom Willen des Monopolisten abhängen.627 Daher dürfen atypisch hohe Einstandskosten nach wohl herrschender Meinung nicht als Rechtfertigung für höhere Preise herangezogen werden.628 Denn sonst fehlten die Anreize, kostengünstig zu produzieren;629 gerade Monopolisten könnten hohe Einstandskosten auf die Abnehmer abwälzen.630 Deswegen ist es weder im kartellrechtlichen noch im zivilrechtlichen Zusammenhang zulässig, dem Verkäufer die Berufung auf eigene höhere Kosten zu gestatten. Damit ist aber zu beantworten, welche Kosten „angemessen“ sind.631 Unangemessen sind Kosten, denen jegliche betriebliche Rechtfertigung bereits ex ante fehlt; jedoch kann nicht jede ex post falsche Investitionsentscheidung dazu führen, dass die nun „nutzlosen“ Kosten nicht in Anschlag gebracht werden dürfen. Hier können allenfalls grobe Fehlentscheidungen aufgegriffen werden;632 es reicht nicht, dass die Kostenstruktur von derjenigen bei vergleichbaren Unternehmen bloß abweicht. Andererseits geht es um die Höhe der Kosten, auch wenn die Aufwendung grundsätzlich gerechtfertigt ist; hier sind besonders konzerninterne Transferpreise zu hinterfragen.633 Diesbezüglich kann der Vergleich mit Marktkosten für die Produktionsfaktoren weiterhelfen, was freilich dann nur begrenzt hilft, wenn auch auf dieser Ebene Monopolstellungen bestehen. Fehlt es an solchen Vergleichswerten, so müssen letztlich doch die individuellen Kosten den Ausschlag geben. Zweitens geht es um die Aufteilung der Fix- und Gemeinkosten;634 diese machen zB im Dienstleistungssektor und bei Pharmaunternehmen einen großen Teil der Gesamtkosten aus.635 Das Problem ist hier ein Doppeltes: Soweit die Fixkosten (also Kosten, die unabhängig von der produzierten Menge anfallen) bestimmten Produkten zugeordnet werden können, ist die Auslastung der Unternehmung eine Schlüsselfrage, weil bei geringer Auslastung die Belastung je Produktionseinheit größer ist. Hinzu kommt, dass die Aufteilung der (an-
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Vgl F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 275: „manipulierbar“; ähnlich Henssler, Risiko 222. So im Wettbewerbsrecht zB EuGH „Tournier“ Slg 1989, 2521; Jung in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 286 mwN; Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 157; Dirken in Langen/Bunte, Kartellrecht Art 82 Rn 94; Knöpfle, BB 1974, 864 ff. Ganz ähnlich auch die hL zum volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preis nach dem PreisG; vgl VwSlg 10.491 A; Korinek, WiPolBl 1975/2, 86 ff; Rill, ÖZW 1975, 102, 105; Kneihs in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht II 766; Raschauer, ÖZW 1003, 33. F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 275. Dirksen in Langen/Bunte, Kartellrecht Art 82 Rn 94. Vgl Jung in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 286. Skeptisch Tahedl, Missbrauch 165. Ähnlich Knöpfle, BB 1974, 865, der freilich auf die Intentionalität abstellt. Vgl Dirksen in Langen/Bunte, Kartellrecht Art 82 Rn 96. Vgl Jung in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 286. Bishop/Walker, Economics Rn 6.19.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
gemessenen) Gemeinkosten (also Verwaltungskosten, die nicht unmittelbar bestimmten Produkten zugeordnet werden können) auf die Produkte kaum rational überprüfbar ist:636 nach Deckungsbeiträgen, nach der Menge, nach der Arbeitszeit? Unter anderem deswegen arbeitet die betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre auch mit Deckungsbeiträgen, die Gemeinkosten außer Acht lassen.637 Die Zuordnung der Gemeinkosten ist aber in unserem Zusammenhang kein Problem der Entscheidungslehre, sondern der rechtlichen Wertung.638 Dennoch stößt die Rechtsordnung bei der Überprüfung, ob eine Zuordnung der Gemeinkosten angemessen ist, rasch an ihre Grenzen. Freilich können zumindest deutlich unangemessene Aufteilungen aufgegriffen werden.639 Eine solche könnte zB vorliegen, wenn die Aufteilung der Gemeinkosten nur nach der Höhe der Deckungsbeiträge erfolgt, obwohl Produkte mit geringeren Deckungsbeiträgen nach allen anderen Methoden wesentlich höhere Gemeinkostenanteile tragen müssten. Drittens ist zu beantworten, welcher Gewinn angemessen ist.640 Entgegen Gschnitzer641 kann es nicht darum gehen, dass dieser Gewinn „mäßig“ sein muss; der Rechtsordnung ist keine diesbezügliche Wertung zu entnehmen. So hält auch Koppensteiner fest, dass aus hohen Gewinnen nicht ohne weiteres auf Missbrauch zu schließen ist.642 Mit dem marktwirtschaftlichen System ist eine Gewinnkontrolle nur konform, wenn sie auf marktübliche Gewinne abstellt; auch hier kommt man daher ohne einen Vergleichsmarkt ähnlicher Produkte oder der gleichen Produkte in anderen regionalen Märkten nicht aus.643 Wenn man diesen Vergleichsmarkt aber einmal identifiziert hat, kann
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Vgl EuGH „Chiquita“ Slg 1978, 207; VwSlg 10.491 A (im Preisrecht). Aus dem Schrifttum Dirksen in Langen/Bunte, Kartellrecht Art 82 Rn 96; Tahedl, Missbrauch 165; vgl auch Wenusch, Laesio enormis 88. So will Hoffmann, DB 1975, 339, auch die Deckungsbeitragsrechnung für die Gewinnbegrenzung fruchtbar machen, was aber zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Aufteilung der Gemeinkosten nach der Höhe der Deckungsbeiträge führt. So zutreffend Knöpfle, BB 1975, 1610. Wie hier Knöpfle, BB 1974, 866; optimistischer aber ders, BB 1975, 1610 f. Daneben besteht ein (allerdings bewältigbares) Praxisproblem darin, dass es keine allgemein anerkannten Regeln für die Gewinnermittlung gibt; vgl Möschel in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht Art 82 Rn 140; Bishop/Walker, Economics Rn 6.21. Zum Problem im Preisrecht VfSlg 12564; Gutknecht, ÖZW 1001, 48 f; Raschauer, ÖZW 1003, 34. In Klang IV/1 206. Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 43. Ganz ähnlich Weiser, Preismissbrauch 155 f; auch dessen Bedenken (aaO 175 ff), dass durch die „hoheitliche Gewinnaufsicht“ die Gewinnfunktionen eingeschränkt würden, werden durch eine Berücksichtigung der marktüblichen Gewinnspannen zumindest weit gehend vermieden. Skeptisch Jung in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 286: erheblich schwankende Gewinnspannen möglich; ähnlich Weiser, Preismissbrauch 189; Bishop/Walker, Economics Rn 6.21.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
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man in vielen Fällen ohnehin einen Marktpreisvergleich vornehmen – was sich dann auch empfehlen wird. ME wäre es aber unzulässig, den Ertrag des marktbeherrschenden Unternehmens mit der üblichen Gewinnspanne der „Industrie im allgemeinen“ zu vergleichen;644 denn dadurch würde die unterschiedliche Risiko- und damit Ertragsstruktur auf verschiedenen Märkten völlig ausgeblendet, während man sich bei der Identifikation von Vergleichsmärkten zumindest noch mit Zu- oder Abschlägen in rational nachvollziehbarer Weise behelfen kann.645 Eine Ausnahme von der Gewinnspannenbegrenzung muss aber gelten, wenn zwar außergewöhnliche Gewinne erzielt werden, die Preise im Vergleich zu ähnlichen Märkten aber nicht überhöht sind.646 Dann wirtschaftet das Unternehmen besonders effizient, missbraucht aber keine Stellung durch überhöhte Preise.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der Ansatz der Gewinnspannenbegrenzung zwar grundsätzlich möglich ist, aber im Regelfall an den praktischen Hindernissen scheitern wird, insbesondere wenn die Kostenstruktur des Unternehmens mangels nachweisbarer Unangemessenheit647 dem gerichtlichen Verfahren zugrunde gelegt wird. Für praktische Zwecke wird dieser Ansatz daher ausscheiden – wenn schon die Kartellbehörden mit der Anwendung des Konzepts ernsthafte Schwierigkeiten haben, so werden diese Schwierigkeiten angesichts der Beweislastverteilung umso eher im Zivilprozess ausschlaggebend sein. c) Vergleichsmarktkonzept Neben oder anstelle einer Gewinnspannenbegrenzung kann auch ein Vergleichsmarktkonzept treten.648 Von der praktischen Bedeutung her steht dieses Konzept in der Rechtsprechung des BGH zum GWB im Vordergrund.649 § 19 Abs 4 Z 2 GWB stellt für die Feststellung der Unangemessenheit des Entgelts insbesondere auf „die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb ab“; Z 3 definiert es als Ausbeutungsmissbrauch, wenn das Unternehmen „ungünstigere Entgelte […] fordert, als 644
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Insofern wie hier Möschel in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht Art 82 Rn 141. Derselbe Einwand gilt auch gegen die „angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals“ iSv Knöpfle, BB 1974, 866 f. Auch für die Frage des volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preises im Sinne des PreisG wird der Vergleich mit Gewinnen von Unternehmen anderer Sparten allgemein abgelehnt; Kneihs in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht II 766. Fragend auch Tahedl, Missbrauch 162. Zu diesen Problemen auch im preisrechtlichen Zusammenhang kritisch Rill, ÖZW 1975, 105. Dieses hat auch die grundsätzliche Billigung F Bydlinskis (Methodenlehre 360) für die Anwendung der Wucherbestimmung in Monopolsituationen gefunden. Vgl zB R Fischer, ZGR 1978, 246 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
sie das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert, es sei denn, dass der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist.“ Damit kommt es sowohl auf die Preisdifferenzierung durch das Unternehmen selbst als auch auf die Verhaltensweisen vergleichbarer Unternehmen an. Die österreichische Rechtsprechung hat die unsachliche Preisdifferenzierung zwischen verschiedenen Abnehmergruppen grundsätzlich als Ausbeutungsmissbrauch anerkannt;650 nähere Festlegungen fehlen soweit ersichtlich noch. In der österreichischen Lehre wird primär die Preisdifferenzierung durch das marktbeherrschende Unternehmen selbst herangezogen, um unangemessene Preise iSv § 5 Abs 1 Z 1 KartG 2005 festzustellen; subsidiär wird mit anderen Unternehmern verglichen.651 Betrachtet man zunächst die Preisspaltung, wie die Preisdifferenzierung durch das Unternehmen selbst auch genannt wird, so kann diese Ungleichbehandlung im Verhältnis zu unterschiedlichen Abnehmergruppen erfolgen;652 genauso ist aber auch eine regionale Differenzierung in unterschiedlichen räumlichen Märkten möglich.653 Jedoch kann nicht jede Differenzierung ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sein; das erkennt auch die Rechtsprechung durchwegs an, indem sie nur in der unsachlichen Preisdifferenzierung einen Ausbeutungsmissbrauch sieht.654 Grundsätzlich kommt es auf unterschiedliche (sachlich gerechtfertigte) Kosten auf verschiedenen Märkten an.655 Jedenfalls müssen die auf den Vergleichsmärkten geforderten niederen Preise gewinnbringend sein.656 Weiters kann die Preisdifferenzierung auch bei gleichen Kosten gerechtfertigt sein, wenn sie zu einer Erhöhung der Gesamtwohlfahrt führt, weil die bereitgestellte Menge der Produkte bzw Leistungen größer ist. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Bereitstellung einer Leistung unterbleiben kann, wenn eine Preisdiskriminierung nicht erfolgt, vor allem wenn die Fixkosten verhältnismäßig hoch sind.657
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KOG ÖBl 1993, 125; KOG ÖBl 1993, 271. Aus der Lehre Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 42. Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 43; Tahedl, Missbrauch 161 ff. Bekanntes Beispiel in der deutschen Rsp war die unterschiedliche Preisgestaltung bei Flügen der Lufthansa zwischen Berlin-Frankfurt und Berlin-München; vgl BGHZ 142, 239. Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 42. KOG ÖBl 1993, 125; KOG ÖBl 1993, 271. Für Deutschland ausdrücklich § 19 Abs 4 Z 3 GWB. Zu Art 82 EGV vgl Deselaers in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 287 mwN. Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 42. Vgl zu Art 82 EGV EuGH „Chiquita“ Slg 1978, 207. Zu § 19 GWB BGHZ 142, 239 (kein Missbrauch, wenn auch die höheren Preise der Strecke Berlin-Frankfurt nicht einmal die Selbstkosten decken); ausführlich dazu Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 171. Bishop/Walker, Economics Rn 6.34.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
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Nimmt das Unternehmen selbst keine Preisdifferenzierung vor, so sind nach ganz herrschender Ansicht auch die Preise anderer Anbieter auf vergleichbaren Märkten zu berücksichtigen.658 Das ist der so genannte „Als-obWettbewerb“. Dabei stört es nicht, wenn auch die solcherart ermittelten Vergleichspreise nicht unter Bedingungen vollkommenen Wettbewerbs zustande kommen.659 Jedenfalls kann aber der Vergleich nicht nur mit den Preisen der Wettbewerber auf den vom Unternehmer beherrschten Markt vorgenommen werden; wegen des umbrella-Effekts werden sich die von diesen Anbietern geforderten Preise im Regelfall an diejenigen des marktbeherrschenden Unternehmers anpassen.660 Freilich wird es „den“ Marktpreis häufig nicht geben.661 Sofern unterschiedliche Preise auf dem Vergleichsmarkt verlangt werden, ist zu entscheiden, welche Preise zum Vergleich herangezogen werden sollen. Individuelle Preise einzelner Außenseiter sollen außer Acht gelassen werden; sonst sind – bei Marktbeherrschung durch einen Anbieter – zu seinen Gunsten die höchsten durchgesetzten Preise heranzuziehen.662
Der Vergleichsmarkt kann räumlich definiert werden,663 was für die praktische Anwendung in Deutschland der wichtigste Fall ist.664 Völlige Vergleichbarkeit ist nie gegeben; deswegen arbeitet die Praxis auch mit – mehr oder weniger willkürlichen – Zu- und Abschlägen, mit denen ein Ausgleich für Strukturunterschiede gefunden werden soll.665 Dabei soll es nicht um unternehmerische Mehrkosten gehen, sondern bloß um unternehmensunabhängige Mehrkosten (wegen unterschiedlicher Packungsgrößen im Medikamentenhandel etc). Je größer diese Zu- und Abschläge sind, desto fragwürdiger ist auch das Ergebnis.666 Berücksichtigt man mit der deutschen Praxis zugunsten des marktbeherrschenden Unternehmens auch einen Erheblichkeits- oder
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Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 43. So für Deutschland deutlich § 19 Abs 2 Z 2 GWB; dazu zB Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 161 ff; Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 96 ff. Ablehnend aber Bishop/Walker, Economics Rn 6.20. Vgl Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 164; Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 98; aM Weiser, Preismissbrauch 240, 245 f. Deselaers in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 289. Vgl kritisch Knöpfle, BB 1974, 863; Tahedl, Missbrauch 163 f. So im Ergebnis auch Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 98. AllgM; vgl zB Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 162 ff; Weiser, Preismissbrauch 245 ff; Deselaers in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 288. Vgl KG BB 1975, 1270 „Vitamin-B-12“. Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 163; Deselaers in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 287. Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 102. Sehr kritisch auch Tahedl, Missbrauch 164.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Sicherheitszuschlag (teilweise bis zu 25 %),667 durch den geringfügige Überschreitungen jedenfalls aus der Betrachtung ausgeklammert werden, so sinkt die Überzeugungskraft des Vergleichsmarktkonzeptes.668 Aber auch sachliche Vergleichsmärkte können gefunden werden, wenn die Produkte gut substituierbar sind.669 Sehr zweifelhaft ist aber mE, ob die Preise von Produkten, die durch ähnliche Produktionsprozesse hergestellt werden, aber ganz unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen, als Vergleichsmaßstab dienen können;670 das ist im Regelfall nicht zielführend, weil damit die Nachfrage als den Preis mitbestimmender Faktor ausgeklammert wird.671 Im Einzelfall kann aber bei ganz ähnlichen Leistungen ein Vergleich auch ohne Substituierbarkeit vorgenommen werden: So ist es wohl angreifbar, wenn die Preise für die technische Begutachtung für Kraftfahrzeuge mit Linkslenkung ungefähr sechsmal so hoch festgesetzt werden wie für Fahrzeuge mit Rechtslenkung,672 auch wenn die eine Leistung nicht durch die andere ersetzt werden kann. Dabei muss man sich aber bewusst sein, dass der Grundsatz, dass der Preis nur durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bestimmt wird, außer Acht gelassen wird. Teilweise wird auch ein intertemporärer Vergleich mit früheren Preisen desselben Unternehmers vorgenommen („Sockeltheorie“).673 Das Abweichen des aktuellen Preises vom Sockelwert ist auch bei diesem Konzept über Zuschläge wegen Strukturänderungen zu berücksichtigen bzw durch Kostenänderungen des Unternehmens zu rechtfertigen. Dagegen wird die willkürliche Auswahl des Vergleichsmoments674 und vor allem die Vernachlässigung eines geänderten Angebotsverhaltens675 ins Feld geführt; das spricht grundsätzlich gegen einen Vergleich, vor allem wenn im Vergleichszeitpunkt die marktbeherrschende Stellung bereits bestand. Andererseits ist für das Missbrauchsverdikt wohl zu berücksichtigen, wenn Preise steigen, nachdem der Wettbewerber aus dem Markt aus-
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Vgl R Fischer, ZGR 1978, 247 f. Kritisch dazu Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 104. Zu all dem näher Weiser, Preismissbrauch 254 ff. So zB für Deutschland BKartA WuW/E 1526 „Valium-Librium“ (Valium mit einem ähnlichen Produkt auf einem patentschutzfreien Wettbewerbsmarkt); KG BB 1975, 1270 „Vitamin-B-12“. So Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 100. Im Ergebnis auch ablehnend Weiser, Preismissbrauch 240 f. Nach EuGH „British Leyland“ Slg 1986, 3263. Darin liegt eigentlich ein Fall der Preisdifferenzierung durch denselben Anbieter. Vgl Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 168 f; Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 99; Weiser, Preismissbrauch 221 ff jeweils mwN. Zum EGV Deselaers in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 292. Dem durch Vergleich mit mehreren Preisen über Referenzperioden theoretisch abgeholfen werden kann; vgl Weiser, Preismissbrauch 222 f mwN. Nachdrücklich Weiser, Preismissbrauch 227 f, 230.
V. Der Vergleichsmaßstab für die Äquivalenzstörung
137
scheidet, wenn also die marktbeherrschende Stellung zwischenzeitlich entstanden ist.676
Bei all diesen Konzepten (Preisdifferenzierung, Vergleichsmärkte) sind aber zusätzlich auch die individuellen Kosten des Unternehmens zu berücksichtigen, weil diese eine Rechtfertigung für höhere Preise bieten können.677 Nur ungerechtfertigt hohe Preise können missbräuchlich im Sinne des Wettbewerbsrechts sein;678 ein Missbrauch kann aber nicht vorliegen, wenn die Preise durch die Kostenstruktur hervorgerufen werden. Dasselbe muss auch für das subjektive Element der „Ausbeutung“ im Rahmen des Wuchertatbestands nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB gelten. Damit stellen sich auf Ebene der sachlichen Rechtfertigung aber ganz ähnliche Probleme wie bei der Kostenfeststellung für die Gewinnspannenbegrenzung.679 Grundsätzlich können nur angemessene Kosten des Unternehmens berücksichtigt werden.680 Deswegen kann es durchaus vorkommen, dass das Preisniveau unter die Selbstkosten des Unternehmens gesenkt wird.681 Diese Probleme der Kostenfestlegung sind zwar etwas geringer als bei der Gewinnspannenbegrenzung, weil nicht alle Kosten der Produktion heranzuziehen sind, sondern nur im Untersuchungsmarkt abweichende Kosten, die auch einen abweichenden Preis rechtfertigen können; dies ändert aber nichts an der prinzipiellen Problematik. 4. Zusammenfassung Angesichts der geschilderten Probleme ist eine gewisse Skepsis bezüglich beider Ansätze, sowohl der Gewinnspannenbegrenzung als auch des Vergleichsmarktkonzepts, angebracht.682 Knackpunkt beider Ansätze sind die Kosten des Unternehmens, die einmal Basis für die Gewinnbestimmung sind, das andere Mal als Rechtfertigungsargumente für das Abweichen der Preise vom Vergleichsmarkt dienen. Dem entspricht, dass Fälle festgestellten Ausbeutungsmissbrauchs schon in der kartellbehördlichen Praxis rar sind; im Standardwerk zum österreichischen Wettbewerbsrecht683 ist keine einzige
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Deselaers in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 292. AllgM; für Österreich zB Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 43. Für Deutschland Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 160 mwN. Zum EGV Deselaers in Grabitz/Hilf, Europäische Union Art 82 EGV Rn 287. Zum „Unwerturteil“ zB Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 171; differenzierend Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 105 f. So zB auch Weiser, Preismissbrauch 259 ff. Ähnlich zB Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 108. Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 Rn 108. Vgl auch R Fischer, ZGR 1978, 249 f; Bishop/Walker, Economics Rn 6.22. Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 42 ff.
138
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Entscheidung zu finden, in dem unangemessene Preise als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung eingestuft wurden.684 Dem Rechtsanwender bleibt daher nichts anderes übrig, als eklektisch vorzugehen und sich aufgrund der Ergebnisse der einzelnen Methoden ein Gesamtbild zu machen.685 Allerdings zwingt die Unsicherheit bei der Methodenauswahl und -anwendung zu äußerster Zurückhaltung; nur wenn das Gesamtbild ganz deutlich in Richtung unangemessener Preisfestlegung weist, kann die Nichtigkeit des Vertrags wegen Gesetzwidrigkeit aus Kartellrechtsverstoß oder wegen Wuchers in Betracht kommen. Zu viel sollte man sich wegen dieser Unsicherheiten nicht von der Eröffnung des Zivilrechtswegs für den Ausbeutungsmissbrauch versprechen. Wenn es schon staatlichen Behörden nur in Ausnahmefällen möglich ist, die Festlegung unangemessener Preise nachzuweisen,686 dann wird dieser Nachweis für den Verbraucher im Regelfall unmöglich bzw mit prohibitiv hohen Kosten verbunden sein; das gilt vermehrt, wenn nur verhältnismäßig geringe Schäden bei den einzelnen Mitgliedern der Marktgegenseite anfallen.687 Deswegen wird auch in Zukunft die Nichtigkeit wegen Gesetzwidrigkeit wohl nur nach einem kartellgerichtlichen Verfahren, das in eine Untersagungsverfügung gemündet ist, geltend gemacht werden; dann ist aber das Ergebnis der kartellrechtlichen Untersuchung unabhängig von der angewandten Methode im Regelfall auch vom Zivilgericht zu akzeptieren. Die überwiegende Zahl der (ohnehin seltenen) Fälle wird weiterhin Ausbeutungsmissbrauch in vertikalen Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmern betreffen. Als Rechtsfolge einer Untersagungsverfügung bietet die Nichtigkeit allerdings einen großen Vorteil, weil der Anspruch nach § 879 ABGB nicht von zukünftigen Entwicklungen abhängig ist und insofern effektiver sein kann als die Untersagungsverfügung selbst. Denn deren Rechtskraft ist durch die tatsächlichen Feststellungen, die der Entscheidung zugrunde liegen, begrenzt;688 die Verhältnisse auf Märkten ändern sich aber rasch, weswegen die praktische 684
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Zur skeptischen Einschätzung für Deutschland vgl Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 152; zur diesbezüglich anscheinend etwas effektiveren Rsp der Kommission vgl zB Dirksen in Langen/Bunte, Kartellrecht Art 82 EGV Rn 92 ff. So auch Tahedl, Missbrauch 166 f; Barfuß/Wollmann/Tahedl, Kartellrecht 101. Vgl für Österreich Reidlinger/Hartung, Kartellrecht 122; für Deutschland R Fischer, ZGR 1978, 249; Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 152. Näher Wagner, AcP 2006, 408 ff, der aus diesen Gründen die Rechtsverfolgung dem unmittelbaren Vertragspartner, insbesondere dem Zwischenhändler überantworten möchte und deswegen dem Monopolisten die so genannte Passing-ondefense (der Zwischenhändler habe die erhöhten Preise ohnehin an seine Kunden weitergeben können und sei daher nicht geschädigt) nehmen möchte. Vgl auch das Grünbuch der Kommission wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts, KOM (2005) 672 endg; Ratsdok 5127/06 Vgl Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB § 19 Rn 150.
VI. Subjektive Elemente der laesio enormis
139
Bedeutung der Untersagungsverfügung selbst dann nicht allzu hoch sein dürfte, wenn der Nachweis des überhöhten Preises im Einzelfall geglückt ist. In diesem Fall kann aber die Nichtigkeit bereits abgeschlossener Verträge eine scharfe Sanktion sein; ob sie präventive Wirkung entfalten kann, muss aber wegen der geringen Wahrscheinlichkeit, dass solche Verstöße verfolgt werden, bezweifelt werden.
VI. Subjektive Elemente der laesio enormis In der Folge geht es um die Frage, inwieweit subjektive Elemente bei der Anwendung der laesio enormis zu berücksichtigen sind. Dabei soll in der Folge aber nicht so sehr der Verkürzte, sondern vielmehr der Begünstigte im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Die Verkürzung über die Hälfte blendet nach dem Gesetzestext aus, ob dieser zum Entstehen der Äquivalenzstörung etwas beigetragen hat oder ob ihm diese doch bewusst war. Das ist rechtspolitisch nicht befriedigend. Zwar können wichtige Fälle durch Auslegung sachgerecht gelöst werden, allerdings ist eine teleologische Reduktion nicht zulässig, nach der etwa die Anfechtung nach § 934 ABGB nur dann in Frage kommt, wenn dem Anfechtungsgegner die Äquivalenzstörung zumindest bewusst war. Das spricht mE rechtspolitisch dafür, § 934 ABGB zu ändern. Der entsprechende Vorschlag bleibt freilich dem Schluss dieses Teils vorbehalten (XI.), nachdem die besonders wichtigen deutschen Parallelregelungen, vor allem zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft, untersucht werden (X.). In der Folge geht es zunächst um die rechtsdogmatische Analyse der Vorschrift auf der Basis einiger grundlegender Überlegungen.
A. Grundsätzliche Überlegungen 1. Selbstbestimmung als ökonomischer Wert Die Privatautonomie und damit die freie Selbstbestimmung haben neben den unzweifelhaften ethischen Vorzügen und wettbewerbserhaltenden Funktionen689 auch einen unmittelbaren ökonomischen Wert. Denn die Maximierung des Nutzens des einzelnen Rechtssubjekts ist ein legitimes Ziel der Gesetzgebung; dieses Ziel kann am besten durch die Anerkennung der eigenen Entscheidung der Betroffenen erreicht werden.690 Da die Nutzungen der Subjekte (jedenfalls abgesehen von professionell wirtschaftlich Handelnden) nicht unmittelbar miteinander vergleichbar sind, gibt es grundsätzlich auch keine an-
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Raiser, Aufgabe 88. Vgl auch Zeiller, Commentar III, 316 f: „Für jeden Bürger, der die natürliche, allgemeine Fähigkeit, seine Geschäfte zu besorgen, besitzt, streitet die in dem Naturtriebe, und der Vernunft gegründete Vermuthung, daß er das, was ihm nützlich ist, nicht außer Acht lassen werde …“
140
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
dere Instanz als den betroffenen Menschen selbst, um die Eignung einer Entscheidung zur Verfolgung dieses Ziels festzustellen.691 Die freie Selbstbestimmung ist angesichts dieser Rahmenbedingungen allen anderen Entscheidungsmechanismen überlegen. Funktioniert darüber hinaus auch der Preismechanismus, so werden die Ressourcen durch die privatautonomen Entscheidungen an den Ort ihrer wertvollsten Verwendung geleitet.692 Dieser ökonomischen Erkenntnis entspricht der gängige und prinzipiell unbestrittene juristische Stehsatz, nach dem für die Bedürfnisbefriedigung die Anerkennung der Privatautonomie unverzichtbar ist.693 Sätze wie „Das vertraglich Vereinbarte gilt, weil es gewollt ist.“ oder „Über den gerechten Ausgleich entscheidet in erster Linie der Wille der Beteiligten.“694 sind auch ökonomisch haltbar. In Einklang mit diesem privatrechtlichen Credo besteht auch eine verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidung für eine marktwirtschaftliche Ordnung.695 Spiegelbild dieser Selbstbestimmung ist die Selbstverantwortung.696 Wer im Rahmen der Selbstbestimmung Verträge schließt, um seine eigenen Ziele zu verfolgen, der muss die durch den Vertragsschluss erklärte Selbstbindung später auch dann gegen sich gelten lassen, wenn das Ergebnis dieser Bindung nicht oder nicht mehr seinen Vorstellungen entspricht.697 Chance, die mit der Willenserklärung verfolgt wird, und Gefahr, die mit der Erklärung verbunden ist, gehen grundsätzlich Hand in Hand. Nur dadurch kann das für Kooperation erforderliche Vertrauen des Vertragspartners geweckt werden. Ohne diese Selbstverantwortung würden sozial wünschenswerte Transaktionen wesentlich behindert; die Durchsetzbarkeit von vertraglichen Ansprüchen, von Verpflichtungsgeschäften698 ist in diesem Sinn Schmiermittel der
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Vgl dazu allgemein jüngst Roth in FS Kramer 977; siehe auch schon Kramer, Grundfragen 204; v Mehren in International Encyclopedia of Comparative Law VII/1-72, 74. Für alle Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse 393 f; Adams, AcP 1986, 455; Kötz/Schäfer, Iudex oeconomicus 166 f. Vgl F Bydlinski, Privatautonomie 126 ff; Graf, Vertrag und Vernunft 5. Vgl F Bydlinski, Methodenlehre 358. Vgl für alle jüngst Koppensteiner, JBl 2005, 138 f mwN. Zu dieser Flume, Rechtsgeschäft 59 ff; F Bydlinski, Privatautonomie 53 ff; ders, System 99 ff, 164 ff; Kramer, Grundfragen 207; ders, ÖJZ 1971, 119; Wiebe, Elektronische Willenserklärung 78 f, 81. Im verbraucherschutzrechtlichen Zusammenhang relativierend Schuhmacher, Verbraucherschutz 201 ff. Jüngst auch M Auer, Materialisierung 12 ff. Aus dieser Verantwortung darf grundsätzlich auch der Verbraucher nicht entlassen werden. Rücktrittsrechte sind daher rechtsökonomisch problematisch, weil und sofern sie die konkreten Verhältnisse nicht ins Auge nehmen und den Rücktritt auch dann ermöglichen, wenn die Willensbildung im konkreten Fall fehlerfrei war. Zu Rücktrittsrechten vgl allgemein Kalss/Lurger, JBl 1998, 89, 153 und 219 (mit wohl zu positiver Einschätzung der Wirkungen auf 232 f). Vgl dazu F Bydlinski, Privatautonomie 66 ff.
VI. Subjektive Elemente der laesio enormis
141
Wirtschaft oder sogar – in den Worten Streißlers699 – Wirtschaftsermöglichung. Insbesondere Kaufverträge (bzw Werklieferungsverträge),700 die gesonderte, nur schwer anderwärtig verwertbare Investitionen eines Vertragspartners vor Vertragserfüllung verlangen, würden sonst in sozial unerwünscht niedrigem Maß abgeschlossen werden.701 Als Beispiel für die Gefahr bei Vorleistungen kann die Anfertigung eines Maßanzugs dienen. Wenn das Verpflichtungsgeschäft nicht durchsetzbar ist, würde sich der Schneider bei Anfertigung ohne Vorschusszahlung der Gefahr einer hold-up-Situation aussetzen, weil der Kunde beim Abholen nachverhandeln könnte; wegen der sonst nur schlechteren Verwertbarkeit des Anzugs käme es wohl zu einem Preisabschlag. Umgekehrt würde auch die Bevorschussung der Leistung in diesen Fällen ausscheiden; denn der Schneider könnte ohne Sanktion den Vorschuss einstreifen, ohne die gewünschte Ware zu fertigen.702
Diese Gesichtspunkte sprechen prinzipiell dagegen, Verträgen wegen mangelnder objektiver Äquivalenz allein die Wirksamkeit zu versagen.703 Denn die Selbstverantwortung birgt auch das Risiko in sich, objektiv ungünstige Verträge zu schließen. Und grundsätzlich ist festzuhalten: Da der Benachteiligte beim Abschluss des Vertrags seine Interessen verfolgt hat, war selbst dieses objektiv ungünstige Geschäft für ihn noch immer wohlfahrtssteigernd; sonst hätte er den Vertrag zu den konkreten Vertragsinhalten nicht abgeschlossen.704 Insofern ist das berühmte Diktum Schmidt-Rimplers von der (subjektiven) Richtigkeitsgewähr des Vertrags705 zutreffend706 und bedarf in einer Modellwelt auch keiner weiteren Einschränkungen. Es besteht auch und gerade bei ökonomischer Betrachtung kein hinreichender Grund, bloße Äquivalenzstörungen ohne zusätzliche Elemente aufzugreifen.707
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In F Bydlinski/Mayer-Maly, Grundlagen 154.
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Das gilt freilich neben dem Kauf Zug-um-Zug noch ganz verstärkt für Kreditierungen oder vergleichbare Geschäfte mit einseitiger Vorleistung.
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Vgl Shavell in Palgrave II 437 mwN; Noll, AnwBl 2002, 260. Vgl Shavell, Foundations 297 ff. Vgl allgemein zB Koziol, AcP 1988, 193 ff; Kötz/Flessner, Vertragrecht I 190 ff; Graf in Holoubek/Lienbacher, Rechtspolitik 151 ff. Vgl Grechenig, JRP 2006, 16. Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130. Vgl zur objektiven Richtigkeitsgewähr in den Schriften Schmidt-Rimplers jüngst Oechsler, Gerechtigkeit 125 ff; Busche, Privatautonomie 77 ff. Vgl Flume, Rechtsgeschäft 7 f; Bartholomeyczik, AcP 1966, 54 ff. Vgl auch F Bydlinski in FS Mayer-Maly 136 f: „Das vertragliche Äquivalenzprinzip als Unterfall ausgleichender Gerechtigkeit spielt daher im Rechtsgeschäftsrecht nur eine zwar wichtige, aber – vom Konsensprinzip abgesehen – im Vergleich zur Privatautonomie doch nur ergänzende und kontrollierende Rolle.“
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Beachtlich ist aber der Vorwurf,708 dass Schmidt-Rimpler versuche, zwei völlig unterschiedliche und unvereinbare Prinzipien zu harmonisieren: Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit. Diese Kritik bezieht sich aber vor allem darauf, dass Schmidt-Rimpler ursprünglich meinte, dass die Vertragsfreiheit zur Förderung der Gemeinschaftsordnung beitrage.709 Versteht man „Richtigkeitsgewähr“ im Gegensatz zur ursprünglichen Ansicht Schmidt-Rimplers als Möglichkeit zur Verwirklichung individueller Präferenzen, wie das die vorliegende Arbeit tut, ist dieser Einwand nicht einschlägig; definiert man die Förderung der Gemeinschaftsordnung als Maximierung der aggregierten individuellen Nutzen, wie es die ökonomische Analyse des Rechts vorschlägt, so ist der Einwand auch dem Grunde nach nicht gerechtfertigt.
Als Extrembeispiel dient die Schenkung; auch die unentgeltliche Hingabe von Sachen steigert die subjektive Wohlfahrt, auch sie ist Verwirklichung der subjektiven Präferenzen des Schenkenden,710 die sich in diesem Fall eben auf die Zuwendung an den Schenkungsbegünstigten erstrecken.711 In einer Welt ohne Informationsdefizite und Zwangslagen kann man jedes Abweichen von der objektiven Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung auch als Verzicht einer Partei auf ein ausgewogenes Verhältnis deuten. Ökonomisch dient auch dieser Verzicht der Präferenzverwirklichung; juristisch liegt in solchen Fällen teilweise eine gemischte Schenkung vor. Von der objektiven Äquivalenz ist freilich die Frage zu unterscheiden, ob aus sozialen Gründen eine Befreiung aus dem Schuldverhältnis möglich sein soll, wenn die Erfüllung den Schuldner in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht. Diese Frage stellt sich freilich ganz unabhängig vom Verhältnis von Leistung und Gegenleistung und ist Ergebnis einer Betrachtung ex post, die im gegebenen Zusammenhang nicht interessiert.712
2. Irrtum und Wohlfahrt Diese Überlegungen setzen freilich voraus, dass die Selbstbestimmung auch frei war. Die Freiheit der Selbstbestimmung ist eine Doppelte: einerseits Freiheit von Drohung und Zwangslage, andererseits Irrtumsfreiheit. Sofern eine in diesem Sinn fehlerhafte Willensbildung eine rationale Abwägung zwischen verschiedenen Alternativen nicht zulässt, kann die Rechtsordnung nicht davon
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Busche, Privatautonomie 82 f. Sehr kritisch auch Enderlein, Rechtspaternalismus 119 ff. Vgl Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 132 ff; dazu L Raiser, Aufgabe 75 f. Es ist mE unzulässig, altruistische Tendenzen aus der Präferenzbetrachtung auszuklammern; anders Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse 423; kritisch zum Ansatz Schäfers und Otts zB F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 284 in Fn 431; kritisch auch Eidenmüller, JZ 2005, 217. Vgl F Bydlinski in FS Mayer-Maly 136 f; ders, Privatautonomie 130 f; Koziol, AcP 1988, 193 f. Vgl aus ökonomischer Sicht auch Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse 438.
VI. Subjektive Elemente der laesio enormis
143
ausgehen, dass die angestrebte individuelle Nutzenmaximierung durch den Vertragsabschluss auch tatsächlich erfolgen kann; denn die fehlerhafte Willensbildung führt dazu, dass die persönlichen Präferenzen entweder nicht richtig erkannt werden oder die Eignung des Vertrags zu ihrer Befriedigung fehlerhaft eingeschätzt wird. Pareto-Effizienz713 kann unter diesen Bedingungen nicht erreicht werden. Dabei ist es (zunächst noch) völlig unbeachtlich, ob der Vertragspartner an dieser Fehlerhaftigkeit in irgendeiner Form teilhat. Unter Berücksichtigung von Fehlern der Willensbildung (zB Irrtum und Zwangslage) wohnt dem Vertrag eher eine „Richtigkeitschance“ inne;714 eine Richtigkeitsgewähr kann der privatautonomen Einigung in der Realität nicht zukommen.715 Das spricht aus ökonomischer Sicht zunächst grundsätzlich dafür, Fehler der Willensbildung als Grund für die Vertragsaufhebung anzuerkennen.716 Darin sieht F Bydlinski717 mit Recht den richtigen Kern der Irrtumsregeln nach §§ 119 ff BGB (und damit der Willenstheorie), welche ja die Lage des Anfechtungsgegners für die Irrtumsanfechtung selbst nicht berücksichtigen, sondern ihm nur einen (vom Verschulden des Irrenden unabhängigen) Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens einräumen, wenn er auf den Bestand des irrtümlich abgeschlossenen Vertrags vertraut hat und ihn dabei kein Verschulden trifft. Äquivalenzstörungen sind aus diesen Gründen nur beachtlich, wenn ein subjektives Element, ein Willensmangel beim Benachteiligten hinzutritt.718 Das lässt sich ohne weiteres mit dem geltenden österreichischen Recht der Anfechtung wegen Wuchers oder wegen Verkürzung über die Hälfte vereinbaren; denn auch nach § 934 ABGB muss der Verkürzte in Unkenntnis des wahren Werts handeln. Daneben ist aber auch die Position der anderen Vertragspartei zu berücksichtigen; denn die Durchführung des versprochenen Leistungsaustauschs
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Also der Zustand, bei dem kein Individuum besser gestellt werden kann, ohne dass dies zu einer Schlechterstellung eines anderen führt; vgl aus der Standardliteratur zB Varian, Mikroökonomik 14 f. So im juristischen Schrifttum Schmidt-Rimpler in FS L Raiser 1; F Bydlinski, AcP 2004, 373; in der Sache auch ders, Privatautonomie 62 ff; Kramer, Krise 32 ff; ders, Irrtum Rn 3; Wiebe, Elektronische Willenserklärung 40 ff. Insofern überschießend die Kritik Busches, Privatautonomie 88 ff, weil die Rahmenbedingungen des Vertragsabschlusses von Schmidt-Rimpler durchaus berücksichtigt werden. Vgl dazu auch M Auer, Materialisierung 36 ff, die betont, dass die Lehre SchmidtRimplers geradezu als Rechtfertigung für den Einfluss materieller Gerechtigkeitserwägungen dient. Das gilt verstärkt dann, wenn man auf ein Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung die Vermutung eines Fehlers in der Willensbildung beim Vertragsabschluss stützt. Vgl auch Shavell in Palgrave I 440. Privatautonomie 126 ff. Vgl für alle Duggan in Palgrave III 638.
144
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
dient auch der Verwirklichung ihrer Präferenzen.719 Schon allein deswegen ist es nicht ausreichend, bloß auf die Präferenzen des Irrenden abzustellen; denn wenn jeder Willensmangel zur Anfechtung berechtigte, wäre der Funktion des Vertrags als Schmiermittel der Wirtschaftsordnung und als Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Preismechanismus der Boden entzogen.720 Käme es nur auf den Mangel in der vom Irrenden selbst beherrschbaren und kontrollierten Willenssphäre an, so könnten im Übrigen ex post verhältnismäßig einfach für den Irrenden unerwünschte Ergebnisse durch das Vorschützen von Willensmängeln korrigiert werden.721 Dieses rechtspraktische Argument ist für sich allein zwar nicht ausschlaggebend, unterstützt aber einen vorsichtigen Ansatz bei der Berücksichtigung von Willensmängeln. Es kann also ökonomisch gerechtfertigt sein, den Irrenden an seinem Versprechen festzuhalten. Daher bedarf es der Abwägung: Unter welchen Voraussetzungen kann die Willensbeeinträchtigung der einen Partei es rechtfertigen, der anderen Partei den ihr durch den Vertrag in Aussicht gestellten Wohlfahrtsgewinn zu entziehen? Erkennt man an, dass die Präferenzen der einen Partei nicht wertend mit denen der anderen verglichen werden können, dass mit anderen Worten eine kardinale Nutzenmessung und ein interpersonaler Nutzenvergleich nicht möglich sind (oben 1. Teil V. B.), so kann diese Frage wohlfahrtstheoretisch722 nur mit großen Einschränkungen auf Ebene der konkreten Vertragsparteien beantwortet werden. Zu fragen ist vielmehr, unter welchen Bedingungen generell der Abschluss wohlfahrtssteigernder Transaktionen begünstigt wird.723 Das ist in der Sache durchaus auch rechtlich anerkannt: Wenn die Rechtsordnung seit Langem auf die Übung des redlichen Geschäftsverkehrs abstellt, dann hat sie diese generalisierende und verhaltenssteuernde Betrachtung zumindest im Auge, wenn sie auch nicht explizit in den Vordergrund gestellt wird. Keineswegs bedeutet dieser Zugang daher eine Abkehr vom Mikromodell der Jurisprudenz hin zum Makromodell der ökonomischen Analyse.724 Exkurs: Die rechtzeitige Aufklärung des Irrtums Rechtsökonomisch ganz kritisch sehe ich den (sonst im Rahmen dieser Arbeit nicht zu behandelnden) dritten, durch die 3. Teilnovelle eingefügten725 Tatbestand nach § 871 ABGB: Die Irrtumsanfechtung ist auch möglich, wenn der Irr-
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So deutlich in allgemeinem Zusammenhang wiederum F Bydlinski, AcP 2004, 341 ff; ders, Privatautonomie 143 (im Zusammenhang mit der Irrtumsanfechtung nach §§ 119 ff BGB); Kramer, Irrtum Rn 4. Vgl Fleischer, Informationsasymmetrie 104. Vgl die diesbezüglichen Sorgen bei Duggan in Palgrave III 638. Anderes gilt für Ansätze, die auf rechtsethisch fundierte Gerechtigkeitsaspekte abstellen. Das ist der übliche Ansatz der wohlfahrtsökonomischen Theorie in diesem Zusammenhang; vgl Shavell, Foundations 330 f. Dazu zB Fleischer, Informationsasymmetrie 209 ff. Zur Entwicklung vgl Mayer-Maly in FS Wesener 303, insbesondere 311 ff.
VI. Subjektive Elemente der laesio enormis
145
tum rechtzeitig aufgeklärt wird. Das ist nach herrschender Lehre der Fall, wenn der Erklärungsempfänger noch keine rechtlichen oder wirtschaftlichen Dispositionen im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrags getroffen oder unterlassen hat.726 Es darf, mit anderen Worten, noch kein Vertrauensschaden entstanden sein. Diese res-integra-Lehre blendet aus, dass es nicht nur um den Vertrauensschaden geht, sondern auch darum, dass der Anfechtungsgegner durch die Irrtumsanfechtung an der Verwirklichung seiner Präferenzen gehindert wird;727 bei der rechtzeitigen Aufklärung ist die Anfechtung trotz der Bindung des Irrenden im Rahmen seiner Selbstverantwortung möglich, ohne dass der Anfechtungsgegner dem Irrtum nahe stehen muss.728 Rechtspolitisch ist die res-integraLehre daher abzulehnen.729 Die über die gängige Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals hinaus gehende Lösung Ehrenzweigs,730 der über die rechtzeitige Aufklärung hinaus auch die Redintegration zulassen will, ist schon aus systemimmanenten Gründen abzulehnen, weil dadurch eine Lösung wie nach §§ 119 ff BGB (nämlich Beachtlichkeit von [Eigenschafts]Irrtümern gegen Ersatz des Vertrauensschadens) verwirklicht würde, was erkennbar gegen die Grundentscheidung des ABGB verstößt.731
B. Der Anfechtungsgegner bei der laesio enormis Sowohl im Rahmen der Irrtumsanfechtung als auch beim Wucher wird die Stellung des Anfechtungsgegners berücksichtigt: Er muss sich die Aufhebung des Vertrags nur gefallen lassen, wenn er dem Irrtum oder der Willensschwäche seines Vertragspartners nahe gestanden ist. Das steht in einer Linie mit dem von F Bydlinski wiederholt732 herausgearbeiteten Prinzip der „beiderseitigen Begründung“ von Rechtsregeln des Privatrechts:
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Für alle Kleteþka in Koziol/Welser I 157 mwN. Zu der Differenzierung allgemein ganz klar Vonkilch, JBl 2004, 760. Vgl auch die (diesbezüglich) überzeugende Kritik Kramers, Grundfragen 81 ff, 207 f; sowie vor der 3. Teilnovelle Pfersche, Irrthumslehre 271; rechtsvergleichend Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 292 in Fn 89; zu den UNIDROIT-Prinzipien Kramer, ZEuP 1999, 217 f; kritisch auch Wittwer, Vertragsschluss 279 ff. Antikritisch, aber nicht überzeugend Thunhart, ÖJZ 2000, 450. Das müsste auch dem Zugang Rummels, JBl 1981, 1, entsprechen, weil die von ihm dargestellten Grundgedanken der Irrtumsanfechtung diese Anfechtungsvoraussetzung nicht erklären können. System I/1, Allgemeiner Teil, 234. Mit Sympathien zB Thunhart, ÖJZ 2000, 450 f. Gschnitzer/Faistenberger/Barta, AT 645. Vgl aber F Bydlinski, Privatautonomie 180 ff (mit Differenzierungen bei Vorliegen von Äquivalenzstörungen; ihm diesbezüglich folgend P Bydlinski, RdW 2003, 432; Bollenberger in KBB § 871 Rn 16); ders in FS H Stoll 134 ff (die Redintegration insbesondere beim gemeinsamen Irrtum weit gehend zulassend). F Bydlinski, System 92 ff; ders, AcP 2004, 341.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
„Für eine privatrechtliche Regelung genügen also zur Begründung nie noch so starke Argumente allein für eine Sanktionierung des einen oder für eine Begünstigung des anderen Beteiligten. Es ist vielmehr stets auch notwendig, zu rechtfertigen, warum der durch eine Regelung belastete Teil diese Belastung gerade gegenüber einem bestimmten anderen Privatrechtssubjekt tragen soll und umgekehrt, warum der Begünstigte seine Begünstigung gerade auf Kosten eines bestimmten anderen erlangen soll.“733
Anders ist der Tatbestand der laesio enormis: Dieser stellt nur auf die objektive Äquivalenzstörung (§ 934 ABGB) und die subjektive Lage des Verkürzten (§ 935 ABGB) ab, ohne einen Ausgleich mit den Interessen des Anfechtungsgegners vorzunehmen.734 Nur typisierend geht die Norm davon aus, dass der Begünstigte im Regelfall keine „weiße Weste“ hat.735 Noch dazu kann der über den Marktpreis Irrende im Rahmen von § 934 ABGB auch bei selbstverschuldetem Irrtum anfechten, mit anderen Worten: Es besteht für die Anwendung der laesio enormis keine Obliegenheit, sich über den Marktwert der fraglichen Leistung zu informieren. Auch dem unschuldig Verkürzenden kann zumindest nach dem Wortlaut der Norm seine Wohlfahrtssteigerung entzogen werden. Bei beiderseitigem, gemeinsamem Irrtum scheint also die Anfechtung nach § 934 ABGB offen zu stehen. Die Lage kann für den Wertirrtum (also den Irrtum über den Marktpreis) beider Vertragsparteien auch so beschrieben werden: Der geringfügige Wertirrtum trifft irrtumsrechtlich denjenigen, der die wertvolle Sache aufgegeben hat (oben IV. A.), der besonders grobe nach § 934 ABGB aber denjenigen, dem prinzipiell nach Durchführung des Kaufvertrags die Nutzungen zugeordnet sind. Das ist eine gravierende Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen, die offensichtlich allein vom Ausmaß der Wertabweichung getragen ist. Das ist nicht das einzige Problem. Hinzu kommt, dass nach herrschender Lehre auch Eigenschaftsirrtümer zur Anfechtung nach § 934 ABGB berechtigen. Der geringfügige Eigenschaftsirrtum des Anfechtenden gereicht dem Anfechtungsgegner nach § 871 ABGB nur zum Nachteil, wenn er ihn veranlasst hat oder wenn ihm der Irrtum hätte auffallen müssen; den besonders krassen Irrtum hat er aber wegen § 934 ABGB jedenfalls zu tragen. Bedenkt man zB den Fall des vermeintlich vergoldeten Ringes, der sich später als golden und mindestens doppelt so wertvoll herausstellt, so steht dieser verbesserte Nutzen entgegen der allgemeinen Regel, welche Nutzungsmöglichkeiten dem jeweiligen Eigentümer zuordnet, für drei Jahre weiterhin demjenigen zu, der sonst durch den Verkauf auf alle Verwertungsmöglichkeiten für die Zu-
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735
F Bydlinski, AcP 2004, 342. Kritisch auch Probst in International Encyclopedia of Comparative Law VII/11 (2001) Rn 377. P Bydlinski, JBl 1983, 418.
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kunft verzichtet hat. Dieses Ergebnis bedürfte mE einer eingehenden Rechtfertigung. Ganz besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass dem Anfechtungsgegner auch dann die Anfechtung droht, wenn er über den Gegenstand disponiert oder ihn verbraucht hat. So kann der nicht als wertvoll erkannte Wein konsumiert worden sein, obwohl bei Kenntnis des wahren Werts die Flasche aufgehoben worden wäre; ebenso ist eine Weiterveräußerung auf Basis der unzutreffenden Wertvorstellung und damit zu einem ebenfalls zu geringen Preis736 möglich. Da die Rückstellung des Kaufgegenstandes nach heute allgemeiner Ansicht nicht Tatbestandselement, sondern bloße Rechtsfolge der Verkürzung ist,737 steht die Anfechtung nach § 934 ABGB auch hier offen. Soweit die Rückstellung aus diesen oder aus anderen Gründen nicht möglich ist, zieht die Vertragsaufhebung bereicherungsrechtliche Folgen gestützt auf § 1435 ABGB (condictio causa finita) bzw § 877 ABGB (condictio sine causa) nach sich. Auch dieser Problembereich wird uns noch beschäftigen; unten F. Erschwerend kommt hinzu, dass die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte wegen § 935 ABGB zwingend ist. Daher besteht die Gefahr, dass die laesio enormis den Parteien ein Korsett auferlegt, dessen sie sich auch dann nicht entledigen können, wenn eine andere Regelung im Einzelfall angemessen wäre. Zu denken ist an den Briefmarkenfall (oben Beispiel 3). Ist es wirklich richtig, dass die Anfechtung wegen laesio enormis offen stehen soll, obwohl die Parteien eine sachkundige Schätzung, also ein Preisermittlungsverfahren durchführen ließen und sich nur das typische Risiko einer solchen Schätzung verwirklich hat, dass sie nämlich falsch war? Warum der Anfechtungsgegner in solchen Fällen des gemeinsamen Irrtums zwingend das Risiko tragen soll, ist fraglich; der Nutzen aus dem Vertrag wird ihm entzogen, ohne dass er dem Irrtum des Vertragspartners nahe steht. Auch ein Vorwurf ist ihm kaum zu machen; im Ergebnis würde ihm durch diese Regelung die Obliegenheit auferlegt, den wahren Wert der Sache zu ermitteln. All dem kann man auch nur zum geringsten Teil dadurch begegnen, dass dem Begünstigten ja die Möglichkeit offen steht, bis zum wahren Wert aufzuzahlen, um die Vertragsaufhebung zu vermeiden. Erstens stellt sich die Frage, warum dem Begünstigten der ganze Vorteil genommen werden soll und nicht bloß derjenige, der die Wertgrenze nach § 934 ABGB übersteigt; mit Verhaltenssteuerung kann man das in denjenigen Fällen nicht erklären in denen auch
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Der aber nicht notwendigerweise selbst unter den Grenzen der laesio enormis liegt. Für alle Reischauer in Rummel I § 934 Rn 10 mwN auch zur Rsp; Gschnitzer in Klang IV/1 562 f; früher anders OGH Rv III 86/20, SZ 2/24; Hasenöhrl, Obligationenrecht I 423; Ehrenzweig, System II/1 238; Stubenrauch II6 120; kritisch dazu Pfersche, Irrthumslehre 113; Caro, ZBl 1911, 648. Rechtshistorisch zu diesem Problem vor allem Kalb, Laesio enormis 29 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
dem Begünstigten der wahre Wert nicht bekannt ist. Zweitens besteht gerade bei der Entdeckung besonders wertvoller Informationen kein Anreiz, diese auch zu nützen, wenn die volle Wertdifferenz auszugleichen ist. Angesichts dieser Ausgangslage ist es unbefriedigend, sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, dass der Gesetzgeber sich eben entschieden habe, den übermäßigen Vorteil eines Teils nicht aufrecht zu lassen. Vielmehr ist zu untersuchen, ob und inwieweit Auslegungsergebnisse gefunden werden können, die dem Postulat der beiderseitigen Begründung der Rechtsnorm so weit als möglich entsprechen. Vielleicht können aus der Savigny’schen Einstufung der laesio enormis als vertyptem Wuchertatbestand738 doch bestimmte Rückschlüsse für subjektive Anforderungen auf Seiten des Anfechtungsgegners gezogen werden.739 Dazu ist es freilich zunächst erforderlich, den telos der Bestimmung näher herauszuarbeiten.
C. Der Zweck der laesio enormis740 Gehen wir für den Moment davon aus, dass die Anknüpfung für die Anfechtung nach § 934 ABGB auch am Verhalten bzw zumindest am Wissen des Anfechtungsgegners über die Äquivalenzstörung ansetzt und nicht bloß am Irrtum des Verkürzten. Worin soll die Vorwerfbarkeit des Verhaltens liegen? Denn sowohl rechtsdogmatisch als auch rechtsökonomisch wurde bereits festgehalten, dass eine Aufklärungspflicht über den Wert der Leistung im Regelfall gerade nicht besteht.741 Vielmehr ist es grundsätzlich zulässig, Wissensvorsprünge auszunützen. Warum soll das bei Wissensvorsprüngen von besonderem Gewicht, wie sie der laesio enormis in solchen Fällen zugrunde liegen, anders sein? Allenfalls könnte man zu einer Lösung kommen, wenn man die subjektive Eigenschaft des Verkürzten ähnlich wie beim Wucher reinterpretiert. Bei diesem kann der Wertirrtum aufgegriffen werden, weil nicht nur ein Irrtum, sondern darüber hinaus ein besonderes konstitutionelles Element der Willensschwäche ausgenützt wurde (hier vor allem: Unerfahrenheit, Verstandesschwäche, Gemütsaufregung). Wenn man nun annähme, dass der laesio enormis über das in § 935 ABGB angeordnete irrtumsrechtliche Element hinaus auch eine solche Willensschwäche vertypt zugrunde liegt, wäre eine Rechtfertigung gefunden. Dieser Weg ist rechtsdogmatisch aber versperrt: § 935 ABGB enthält als einziges subjektives Merkmal auf Seiten des Verkürzten, dass diesem der wahre Wert bei Vertragsschluss nicht bekannt ist.
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Savigny, System VIII 440 f. Vgl aus ökonomischer Sicht in diese Richtung auch Gordley in Palgrave II 413. Die folgenden Überlegungen nehmen vor allem den Irrtum des Verkäufers in den Blick. Für das Verhältnis von Käuferirrtum und laesio enormis vgl noch unten VII. Oben IV.
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Auch wohlfahrtstheoretisch ist § 934 schwer erklärbar. Wer wertvolle Erdölvorkommen entdeckt hat, das Grundstück aber ohne Offenlegung dieser Information billig erwirbt, bewirkt dadurch im Regelfall neben den damit verbundenen Wohlfahrtsgewinnen eine wesentliche Wertsteigerung des Grundstücks, welche die Grenzen der laesio enormis übersteigt. Nach dem rechtsökonomischen Ansatz sollten gerade diese besonders wertvollen „Entdeckungen“ gefördert und gegen Ansprüche des Vertragspartners abgesichert werden.742 Das gilt sowohl für den echten Wertirrtum als auch für die überlegene Information des Käufers über Eigenschaften des Kaufgegenstandes. Aus wohlfahrtstheoretischer Sicht kann allein das Ausmaß des Irrtums die Aufklärungspflicht nicht rechtfertigen. Es gibt keinen ökonomischen Grund, warum eine Aufklärungspflicht des Verkäufers beim Erwerb zum Doppelten des Marktpreises nicht bestehen soll, wenn ein Cent mehr gezahlt wird, jedoch schon. Die Aufklärungspflicht ist sogar kontraproduktiv: Um die Anfechtung zu vermeiden, muss der Entdecker der Erdölvorkommen einen Preis bieten, der gerade bei der Hälfte des wahren Werts des Grundstücks mit Erdölvorkommen liegt; schon dieses Angebot, das weit über dem üblichen Marktwert liegen wird, ist ein Signal, das den Vertragspartner vorsichtig werden lässt und unter Umständen dazu führt, dass der Prospektor seinen Wissensvorsprung offen legen muss.743 Die Verwertung besonders wertvoller Entdeckungen wird daher im Vergleich zu minder wohlfahrtssteigernden Sachverhalten erschwert. Damit gewährt die laesio enormis nicht, dass der Kaufgegenstand zum besten Wirt wandert. Vielmehr fehlen wegen des Informationsparadoxon (oben IV. C. 2. a) Anreize zur Investition in die Informationsgewinnung. Wenn man bloß das einzelne Rechtsgeschäft untersucht, mangelt es daher an einer rechtsökonomischen Begründung für § 934 ABGB. Freilich spricht das noch nicht ausschlaggebend gegen die Norm.744 Rechtsökonomische Gesichtspunkte vermögen nicht immer gegen rechtsethische Wertungen durchzuschlagen.745 Das gilt umso mehr, wenn nicht das Funktionieren des die Wohlfahrt mehrenden Marktmechanismus an sich angegriffen wird, sondern durch eine Exzesskontrolle nur seine sozial unverträglichen Kanten abgeschliffen werden. Die laesio enormis zielt aus dieser Sicht darauf ab, unerträgliche Belastungen für Einzelne durch wohlfahrtssteigernde Normen abzuschwächen. Insofern geht es nicht um die Beurteilung der Folgen einer Norm ex ante, sondern um den Ausgleich ex post. Welcher Grundsatz könnte der Norm zugrunde liegen? Zunächst muss jeder Teilnehmer am Markt ein gewisses Maß an Übervorteilung hinnehmen, 742 743 744
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Vgl Grechenig, JRP 2006, 18. Siehe schon Grechenig, JRP 2006, 17 f. Vgl dazu am Beispiel der Nichtigkeit wegen Wuchers kurz aber prägnant F Bydlinski, Rechtsgrundsätze 283 in Fn 431. Vgl zB Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse 6 f.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
damit der Marktprozess seine Funktion erfüllen kann, nämlich Ressourcen den besten Nutzern zuzuordnen.746 Ein Irrtum über den Marktpreis einer Leistung trifft daher prinzipiell den Irrenden; auch der besser informierte Vertragspartner darf sein Wissen ausnützen und ist nicht zur Aufklärung verpflichtet. Bei langfristiger Betrachtung gleichen sich Verlust- und Gewinngeschäfte in diesem Sinn aus.747 Dieser Ausgleich kann aber nicht mehr gelingen, wenn ein einziger Eingriff von solchem Gewicht ist, dass die (hier einmal unterstellte) Normalverteilung von guten und schlechten Geschäften für dieses Rechtssubjekt grundlegend gestört wird. Daher soll nach dem System des Gesetzes das Opfer, das jeder zum allgemeinen Besten erbringen muss, eine Grenze haben:748 Besonders krasse Verkürzungen durch einen über das Ungleichgewicht wissenden Vertragspartner hat kein Teilnehmer im Markt hinzunehmen, auch nicht um des Funktionierens des Marktprozesses Willen.749 Die Bereicherung auf Kosten des schlechter informierten Vertragspartners ist daher nicht prinzipiell zu beanstanden, sondern aus rechtsethischen Gründen nur dann, wenn sie ein vertretbares Ausmaß übersteigt. Der soziale Schutzgedanke schlägt gegen das Effizienzprinzip durch.750 Insofern liegt der laesio enormis ein dem Grundsatz nach materielles Verständnis der Vertragsgerechtigkeit751 zugrunde, das mit dem Irrtumserfordernis in § 935 ABGB aber nicht völlig auf den Willensmangel verzichtet. Die Beeinträchtigung des Einzelnen zu Gunsten des Gesamtnutzens wird auch teilweise als Begründung für das Bestehen von Aufklärungspflichten herangezogen; so vertritt Scheppele, dass Aufklärungspflichten bestehen, wenn durch sie große Schäden für den Einzelnen abgewendet werden können.752 Das trifft sich für Äquivalenzstörungen mit dem hier Vertretenen und kann sich auf die Rawl’sche Sozialvertragstheorie753 berufen.754
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Vgl dazu auch Kötz/Flessner, Vertragsrecht I 207. Das setzt freilich voraus dass der Irrende prinzipiell zur Informationsbeschaffung und -verwertung im gleichen Maße befähigt ist, wie sein durchschnittlicher Vertragspartner; das rechtfertigt unter anderem auch den besonderen Wuchertatbestand. Ganz ähnlich Smith, 112 LQR 138, 152 (allerdings überschießend, weil er den Vertragspartner bewusst ausblendet). Vgl auch Reuter in F Bydlinski/Mayer-Maly, Grundlagen 118: „Die Selbstverantwortung, die mit der Freiheit verbunden ist, schließt das Ansinnen zumutbarer Opfer bei der selbsttätigen Wahrnehmung der Interessen ein.“ (Hervorhebung im Original). Dazu allgemein zB Schuhmacher, Verbraucherschutz 196; Breidenbach, Voraussetzungen 43. Dazu jüngst M Auer, Materialisierung 25 ff. Scheppele, Legal Secrets 63 ff. Rawls, A Theory of Justice (1971). Graf in F Bydlinski/Mayer-Maly, Grundlagen 89 ff.
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Das vertretbare Ausmaß für den hinzunehmenden Eingriff hat der österreichische Gesetzgeber in § 934 ABGB mit einem Verhältnis von Wert und Marktpreis im Verhältnis von 2:1 bzw 1:2 dezisionistisch festgelegt. Diese Grenzziehung ist eine nicht zu beanstandende Wertung. Das Ausmaß ist historisch gefestigt und auch in Deutschland im vergleichbaren Zusammenhang der Wucheranfechtung durchaus gebräuchlich.755 Auch wohlfahrtsökonomisch lassen sich aber Argumente finden, die eine solcherart verstandene laesio enormis stützen können. Freilich führen diese tentativen, nicht scharf geschnittenen Überlegungen – wie gleich hier zuzugestehen ist – nur zu Denkansätzen, nicht aber zu gesicherten Lösungen. Ein Wechsel des Blickwinkels ist erforderlich: Die bisher vorgenommene effizienzorientierte Analyse stellt nämlich nur auf das einzelne Rechtsgeschäft ab und lässt das Funktionieren des Marktes an sich außer Betracht. Das Vertrauen in die Gerechtigkeit des Vertragsmechanismus hilft zunächst ganz generell, Transaktionskosten zu sparen.756 Obwohl jede Partei grundsätzlich selbst verantwortlich ist, alternative Möglichkeiten zum Vertragsabschluss zu bewerten, ist die maximale Höhe des Verlusts, den eine Partei erleiden kann, wenn sie dieses Gebot missachtet, durch die laesio enormis begrenzt. Dadurch werden die für die Selbstinformation erforderlichen Nachforschungen und damit auch die Kosten der Partei begrenzt. Vertrauen in die Angemessenheit der Ergebnisse des Marktmechanismus ist deshalb wohlfahrtsfördernd. Das leitet zu einem weiteren Aspekt über: Ethische Aspekte des Rechts sind kein (oder doch nicht nur) Selbstzweck, sondern weisen auch evolutionäre Vorteile auf.757 Damit wird freilich der Maßstab der Nutzenmaximierung des einzelnen Individuums zunächst verlassen; denn das Funktionieren der Märkte als Mechanismus, der den Fortbestand des menschlichen Daseins erleichtert, ist für den einzelnen Nutzenmaximierer nicht bedeutend. Soweit diese Aspekte freilich als moralische Normen durch die einzelnen Rechtssubjekte internalisiert werden, fließen sie auch in die wohlfahrtstheoretische Beurteilung (wieder) ein.758 Freilich zeigt dies den teilweise künstlichen Zugang, wenn wohlfahrtsökonomische Überlegungen um typischerweise nicht ökonomische Faktoren ergänzt werden sollen.
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Eine solche Übersteigung indiziert ein grobes Missverhältnis für die Anwendung von § 138 Abs 1 BGB (nicht nur Abs 2, wo auch noch subjektive Elemente erforderlich sind); vgl unten VI. B. 4. und Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 114. Vgl zB Smith, 112 LQR 138, 145 ff (1996). Aus der rechtsökonomischen Literatur Shavell, Foundations 605 f mwN; Kaplow/Shavell, Fairness 63 ff. Vgl Shavell, Foundations 608.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Aus dieser Sicht ist auch verständlich, warum selbst im Austauschverhältnis außerhalb langfristiger (Geschäfts)Beziehungen759 die Kooperation zwischen den Vertragsparteien nicht völlig zu Gunsten der kurzfristigen Nutzenmaximierung zurückgedrängt wird.760 Dadurch wird das Vertrauen der schwächeren Teilnehmer in den Markt gesteigert; Elemente der Kooperation können also dazu führen, dass die Bereitschaft zur Teilnahme am Marktprozess erst geschaffen wird – insbesondere auch auf der Seite der potenziellen Verlierer. Erst die Teilnahme auch dieser Verkehrskreise ermöglicht die Preisbildung und steigert die Gesamtwohlfahrt.761 Diese minimale Kooperation im Austauschverhältnis kann aber ohne rechtliche Normen nicht garantiert werden, wenn die Parteien des Vertrags nicht wiederholt in Kontakt treten und deswegen kurzfristig opportunistisches Verhalten attraktiv ist. Hier greift die laesio enormis ein und schafft innerhalb gewisser Grenzen auch bei einmaligen Geschäften kooperative Rahmenbedingungen. Das steigert das Vertrauen in den Markt, weil dieser aus der Sicht des Einzelnen nicht mehr nur dazu dient, die Wohlfahrt ganz generell (und im Einzelfall diejenige der anderen) zu fördern, sondern auch Ergebnisse ausgeschlossen werden, welche die eigene Wohlfahrt gröblich vermindern. Zu einem rechtspolitischen Vorschlag, durch den die oben angesprochenen rechtsökonomischen Probleme zum Teil abgeschwächt werden könnten, vgl unten XI.
D. Keine teleologische Reduktion Zurück zur rechtsdogmatischen Auslegung der laesio enormis: Ist es zulässig, den Tatbestand von §§ 934 f ABGB in Einklang mit der bisherigen Analyse dahin gehend zu reduzieren, dass die Anfechtung nur dann offen steht, wenn dem Anfechtungsgegner der wahre Wert bzw die wertbildende Eigenschaft der Kaufsache bekannt ist? Soweit beide Parteien den Marktwert nicht kennen (gemeinsamer Irrtum entweder über den Marktpreis oder über preisbestimmende Eigenschaften), wäre der Ausschluss der laesio enormis bei Richtigkeit dieser Rechtsauffassung nicht erforderlich. Gegen eine solche Auslegung spricht zunächst, dass dadurch laesio enormis und Wuchertatbestand weit gehend gleich gestellt würden.762 Nur auf die besondere Willensschwäche auf Seiten des Bewucherten würde verzichtet; aber auch das wäre kein besonderes Unterscheidungsmerkmal, wenn man eine
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Vgl Eidenmüller, Effizienz 88. Siehe auch Ruffner, Grundlagen 65. Vgl in vergleichbarem Zusammenhang Kaplow/Shavell, Fairness 217. Vgl auch Gschnitzer in Klang IV/1 560, der den wesentlichen Unterschied der Bestimmungen gerade in dem bei der laesio enormis fehlenden subjektiven Element auf Seiten des Bereicherten sieht.
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bloße Bereichsunerfahrenheit zulässt. Der Nachweis, dass der Begünstigte von der Äquivalenzstörung gewusst hat, ist daher nicht erforderlich. Daneben wäre es allenfalls denkbar, § 934 ABGB so zu verstehen, dass bei einer Verkürzung über die Hälfte der Informationsvorsprung vermutet wird; der Begünstigte könnte daher der Anfechtung entgehen, indem er nachweist, dass auch er demselben Irrtum erlegen ist. Mit anderen Worten: Bei Vorliegen der Voraussetzungen der laesio enormis wird die Bewucherung vermutet. Es ist methodisch nicht zulässig, diesen Schritt zu machen. Denn im ABGB fehlt es an einem Anhaltspunkt für eine solche Auslegung; § 934 ABGB enthält keinen Nebensatz wie „es sei denn, der Anfechtungsgegner weist nach, dass die Verkürzung nicht vorsätzlich (allenfalls: fahrlässig) erfolgt ist.“ Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass § 935 ABGB eine Aufzählung von Ausnahmetatbeständen kennt, die noch dazu erst vor verhältnismäßig junger Zeit, nämlich 1979763 einer Revision unterzogen wurde; die in diesen Ausnahmetatbeständen enthaltene Wertung ist mE (von Einzelanalogie abgesehen) abschließend. In der rechtsdogmatischen Analyse ist daher daran anzusetzen, ob ein Sachverhalt unter die Ausnahmetatbestände eingeordnet werden kann; das ist im gegebenen Zusammenhang nicht der Fall. Zu bedenken ist auch, dass sich die Vermutung nur darauf erstrecken kann, dass Kenntnis der Störung der objektiven Äquivalenz vorliegt. Das ist aber etwas grundlegend anderes als die Ausbeutung einer Willensschwäche, wie sie dem Wuchertatbestand zugrunde liegt. Auf dieses Argument, das gegen das hier angesprochene Verständnis der laesio enormis spricht, komme ich im Zusammenhang mit der Erörterung der deutschen Rechtslage zurück; vgl X. A. 4. b). Das Gesetz nimmt es daher in Kauf, dass in Einzelfällen dem Verkürzenden nicht der Vorwurf eines Fehlverhaltens gemacht werden kann.764 Zumindest das ist an der Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte rechtspolitisch unbefriedigend und spricht für eine Neuformulierung von §§ 934 f ABGB. Für einen dementsprechenden Vorschlag vgl unten XI. Dennoch bleibt zu untersuchen, ob nicht doch mittels Vertragsauslegung in zahlreichen Fällen des gemeinsamen Irrtums Abhilfe geschaffen werden kann (E.). Ist auch dies nicht möglich, so kann mit Mitteln des Bereicherungsrechts für besonders problematische Fallgestaltungen eine angemessene Lösung herbeigeführt werden (F.).
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Durch das KSchG, BGBl 1979/140. So auch P Bydlinski, JBl 1983, 418 in Fn 65.
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E. Abweichende Vereinbarungen 1. Das Grundproblem Die Möglichkeit der Anfechtung wegen laesio enormis ist zwingendes Recht (oben III. A. 3.). Das ist rechtshistorisch eine Neuerung des KSchG 1979, auch wenn bereits von alters her Bedenken gegen die Gültigkeit des formularmäßigen Ausschlusses bestanden haben.765 Wegen dieses zwingenden Charakters ist es fraglich, inwieweit abweichende Vereinbarungen zulässig sein können. Im Briefmarkenfall (Beispiel 3 bei I. C.)766 könnte nämlich in der Festlegung des Preisbestimmungsmechanismus durch Sachverständigenschätzung eine abweichende Vereinbarung gesehen werden. Aufgrund einer Bewertung eines Teils einer Briefmarkensammlung wird der Gesamtpreis hochgerechnet; später stellt sich entweder heraus, dass die wertvollsten Marken geschätzt wurden oder dass sich alle wertvollen Teile im ungeschätzten Teil befanden. Hier kann der Parteienabsicht durchaus entnommen werden, dass das Ergebnis der Schätzung für die Parteien bindend sein und ein Irrtum nicht zur Vertragsanfechtung berechtigen soll. Stellt man aber auf den zwingenden Charakter der laesio enormis ab, so stünde die Anfechtungsmöglichkeit offen, wenn die Abweichung besonders grob ist; eine abweichende Risikoverteilung wäre nicht möglich. Einfacher sind Fälle zu beurteilen, in denen die Risikoübernahme als zusätzliche Leistung zum zentralen Vertragsgegenstand hinzutritt. Wenn der Gebrauchtwagenverkäufer zusätzliche Garantien oder Serviceverpflichtungen übernimmt, können diese Leistungen zumindest grundsätzlich gesondert bepreist werden; übernimmt die Gemeinde die Kosten der Umwidmung bei bisherigem Grünland, das nun als Bauland dienen soll, so stehen auch hier die anfallenden Kosten fest. In solchen Fällen ist nur fraglich, ob diese gesonderten Leistungen selbst einen Marktpreis haben, was für marktübliche (Neben)Leistungen regelmäßig zu bejahen ist. Bei Nebenleistungen ohne Marktpreis kommt es (wenn überhaupt ein Gesamtpreis vereinbart wurde) auf das Verhältnis im Vergleich zur Gesamtleistung an; ist dieses untergeordnet, ist es aus Praktikabilitätsüberlegungen mE zulässig, einen Abschlag vom Preis der Gesamtleistung vorzunehmen.767
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Vgl Gordley, Philosophical Origins 102 mit Nachweisen aus der spanischen Spätscholastik. Vgl auch Kalb, Laesio enormis 220 ff, mit Nachweisen zum ungültigen Ausschluss der laesio enormissima. Für Österreich zum KSchG auch Doralt/Koziol, Stellungnahme 122. OGH JBl 1972, 611. Fraglich ist dieses Vorgehen aber bei den Umwidmungsfällen, bei denen Aufschließungskosten von „3 bis 5 Millionen“ (OGH BBl 1998, 43 [Egglmeier]) einem Grundwert von 12,5 Mio. gegenüberstehen können. Schon die fehlende Genauigkeit spricht hier dagegen, solche Kostenschätzungen bei der Anwendung der laesio enormis zu berücksichtigen.
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2. Der Wert der besonderen Vorliebe Weiterhin zulässig ist aber die Erklärung, zum Wert der besonderen Vorliebe zu kaufen (§ 935 ABGB). Das könnte für solche Fälle des gemeinsamen Irrtums Abhilfe schaffen. So hält Reischauer in einer aufschlussreichen Passage fest:768 „Ist das Geschäft aus Parteiensicht ein Risikogeschäft, so steckt darin unter Umständen ein Kauf aus besonderer Vorliebe […]“; er verweist dann ausdrücklich auf den Briefmarkenfall. Mit anderen Worten: Übernimmt eine Partei aufgrund der vertraglichen Vereinbarung das Risiko der Abweichung vom wahren Wert, so soll für diese Partei die Anwendung der laesio enormis ausscheiden. Diese vereinbarte Risikoverteilung ginge der laesio enormis vor. Neben der grundsätzlichen Frage, ob diese Auslegung des Begriffs „besondere Vorliebe“ in § 935 ABGB überhaupt richtig ist, sind freilich auch zwei rechtstechnische Hindernisse zu überwinden, wenn die Norm für diesen angeführten Zweck instrumentalisiert werden soll: Zunächst verlangt der Wortlaut der Norm eine Erklärung, dass die Sache aus besonderer Vorliebe um einen außerordentlichen Wert übernommen wird. Manche Autoren unterstreichen, dass diese Erklärung besonderen Warncharakter haben soll und dass sie daher in deutlicher Form (und insbesondere nicht durch Unterfertigung von AGB) vorgenommen werden muss;769 nach dieser Ansicht wäre diese Erklärung wohl eine Wissenserklärung, so wie dies für die Erklärung, den wahren Wert der Sache zu kennen, allgemein anerkannt ist.770 Demgegenüber lässt die Rechtsprechung771 auch implizite Erklärungen zu und beurteilt im Ergebnis aufgrund der Gesamtumstände des abgeschlossenen Geschäfts, ob angesichts der sonstigen rechtsgeschäftlichen Erklärungen des Verkürzten ein solcher Wille zum Erwerb aus besonderer Vorliebe angenommen werden kann. Nach dieser heute wohl herrschenden Meinung ist die Erklärung nach § 935 1. Fall keine Wissenserklärung, sondern eine Manifestation des rechtsgeschäftlichen Willens der Parteien.772 Diese implizite Vereinbarung steht auch mit den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen für Willenserklärungen in Einklang, wo die Verwendung von rigiden Spruchformeln von Ausnahmen abgesehen773 nicht erforderlich ist, um rechtliche Effekte herbeizuführen. Der Weg, auf die vertragliche Risikoverteilung abzustellen, ist damit eröffnet.
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In Rummel I § 935 Rn 2; ähnlich Binder in Schwimann V § 935 Rn 2. Ablehnend aber Doralt/Koziol, Stellungnahme 123. Vgl zB Krejci in HB KSchG 182 f. Dazu Reischauer in Rummel I § 935 Rn 1. Vgl oben III. A. 4. mit Nachweisen zur ablehnenden Ansicht Zeillers. Vgl ganz typisch Kosenik-Wehrle et al, KSchG § 935 ABGB Rn 1: „Eine derartige Absicht des Käufers muss aber ausdrücklich erklärt werden oder zumindest aus den Umständen des Falles in eindeutiger Weise hervorgehen.“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Vgl zB Art 1 Z 1 WechselG.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Darüber hinaus ist aber zu bedenken, dass der Wortlaut der Norm774 nur den Kauf zu einem überhöhten Preis betrifft; der Verkauf zu einem zu niedrigen Preis ist nicht unmittelbar erfasst. Nehmen wir an, im Briefmarkenfall wären die wertvollen Stücke nicht in der Stichprobe gelegen, sondern allesamt außerhalb derselben. Sollte man in diesem Fall den Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe nur deshalb verneinen, weil nicht der Käufer, sondern der Verkäufer verkürzt ist? Die Sachlogik der Bestimmung gilt auch für die zu billige Veräußerung; so wie der Erwerber aus besonderen Gründen bereit sein kann, einen überhöhten Erwerbspreis zu bezahlen, kann auch der Veräußerer bereit sein, bei Beurteilung ex post zu billig verkauft zu haben, ohne dass deswegen eine gemischte Schenkung vorliegen muss. Akzeptiert man daher die Anwendung der Bestimmung auf abweichende Vereinbarungen, dann muss dies auch zugunsten des Käufers gelten. Ist diese Auslegung von § 935 ABGB aber grundsätzlich sachgerecht? Ökonomisch lassen sich gute Gründe für sie anführen. Die Preisfestlegung aufgrund einer Stichprobe im Briefmarkenfall kann effizient sein, vor allem wenn der Informationsstand der Parteien gleich ist und die Kosten der zusätzlichen Informationsbeschaffung den Grenznutzen dieser Suche (die erwartete Annäherung des Preises an den wahren [Markt]Wert mit jeder zusätzlich untersuchten Briefmarke) übersteigen.775 Damit ist das Festhalten am Vertrag zwar effizient, aber aus völlig anderen Gesichtspunkten als bei der einseitigen Ausnützung von Fehlvorstellungen durch eine Vertragspartei. Denn die Kaufsache wandert beim gemeinsamen Irrtum nicht wie in jenem Fall automatisch zu demjenigen, der ex ante die besseren Verwertungsmöglichkeiten hat; der neue Eigentümer streift vielmehr bloße Zufallsgewinne ein. Die Rechtfertigung, den Vertrag aufrecht zu halten, ergibt sich einfach daraus, dass durch dieses Arrangement über die Aufwandsoptimierung ex ante der Gesamtnutzen gesteigert wurde. Es besteht kein Anlasspunkt, grundsätzlich anzunehmen, dass Parteien bei der Vereinbarung vertraglicher Nebenbestimmungen nicht auch die Maximierung der aus dem Vertrag zu ziehenden Nutzungen effizient verfolgen würden.776 Aber auch Verträge, in denen die Risken unterschiedlich verteilt wurden, können den Ausschluss der laesio enormis rechtfertigen. ZB kann die Chance, vom Irrtum zu profitieren, aufgrund der vertraglichen Vereinbarung nur einer Seite zukommen, weil der Wertirrtum nur zugunsten des Verkäufers beachtlich sein soll, der Käufer hingegen das Risiko, zu teuer zu kaufen, tragen muss. Das macht ökonomisch Sinn, wenn die Risikoneigung der Parteien unterschiedlich ist, und fließt auch in die Kaufpreisbestimmung ein.777 Denn die 774
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Die laesio enormis ist nicht anzuwenden, „wenn jemand erklärt hat, die Sache aus besonderer Vorliebe um einen außerordentlichen Wert zu übernehmen.“ Vgl dazu im Zusammenhang mit der Risikoverteilung Graf, Vertrag 95. Vgl auch Graf, Vertrag 85 f. Vgl wiederum Graf, Vertrag 99 ff. Rechtsvergleichend Kramer, Irrtum Rn 54.
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Übernahme dieses Risikos ist eine eigenständige Leistung. Rechtsökonomisch spricht also viel dafür, die Vertragsfreiheit der Parteien nicht übermäßig einzuschränken.778 Jedenfalls kann das grobe Schwert der laesio enormis in diesem Zusammenhang nicht die ausreichende Feinarbeit leisten. Auch rechtsethisch und rechtssystematisch wäre die Vertragsfreiheit die überzeugende Lösung: Wieso soll der Anfechtungsgegner zwingend das Risiko einer groben Fehlschätzung tragen, wenn er selbst über den wahren Wert nichts wusste? Wie bereits des Öfteren angeführt, steht dies in krassem Widerspruch zu allen Wertungen des Irrtumsrechts und vergleichbarer Rechtsinstitute. Der Wucher fordert „Ausbeutung“, der beachtliche Irrtum „Veranlassung“ oder „Auffallen-Müssen“, die culpa in contrahendo schuldhafte Verletzung von Aufklärungspflichten. Es gibt keine tragende Begründung, warum dies bei der laesio enormis zwingend anders sein soll – insbesondere wenn man zu diesem Ergebnis über die Auslegung des gemeinsamen Willens der Vertragsparteien kommt. Rechtsdogmatisch lässt sich dieses Ergebnis wie folgt begründen: § 935 ABGB geht mit dem Verbot des vertraglichen Ausschlusses der Verkürzung über die Hälfte grundsätzlich davon aus, dass dem Anfechtungsgegner der wahre Wert bekannt ist. Dann ist die Anfechtungsmöglichkeit nur beseitigt, wenn auch dem Verkürzten der wahre Wert bekannt ist (§ 935 2. Alternative ABGB). Der Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe geht aber offensichtlich davon aus, dass dem potenziell Verkürzten der wahre Wert gerade nicht bekannt ist; sonst wäre die Norm angesichts § 935 2. Alternative ABGB überflüssig.779 Diese Norm muss daher in diesem Fall zur Abgrenzung von zulässigen und unzulässigen Vereinbarungen nutzbar gemacht werden. Unzulässig ist die Vereinbarung, wenn dem Begünstigten, nicht aber dem Verkürzten der wahre Wert bekannt ist, denn das würde die Norm in ihrem Kernbereich der Willkür der Parteien überlassen. Was wäre denn vom zwingenden Charakter der Norm übrig, wenn die bloße Erklärung, zum Wert der besonderen Vorliebe zu kaufen, genügte, um die Anfechtbarkeit auszuschließen? Auf die Eingangsbeispiele bezogen: Weder der alexandrinische Getreidehändler780 noch die Ölgesellschaft können sich durch entsprechende Vertragsklauseln über den Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe gegen die Anfechtung nach § 934 ABGB schützen. Bei beiden Vertragsparteien gemeinsamen Irrtümern sprechen hingegen keine grundsätzlichen Überlegungen gegen die Zulässigkeit abweichender 778
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Vgl die diesbezüglich scharfe Kritik des KSchG bei Doralt/Koziol, Stellungnahme 122 f. Unzutreffend daher Zemen, ÖJZ 1989, 594, wenn er für den Erwerb aus besonderer Vorliebe Kenntnis des Marktpreises voraussetzt. Freilich unter der Annahme, dass der Wissensvorsprung den aktuellen Getreidepreis betrifft.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Vereinbarungen. Ob das Risiko eines Irrtums über den Wert bei gemeinsamer Unkenntnis von § 934 ABGB abweichend verteilt wurde, ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Vertragsauslegung zu ermitteln. Die Verwendung der Worte „Wert der besonderen Vorliebe“ oder ähnliches ist daher ausreichend, aber nicht notwendig, um die Risikoverteilung zu verschieben. Für den Briefmarkenfall, bei dem die vertragliche Risikoverteilung annahmegemäß nicht durch das bessere Wissen einer Partei in Frage gestellt ist, scheidet die Anfechtung daher aus. Auch der Unfallwagenkauf (oben III. A. 4.) ist dadurch sachgerecht zu lösen: Allein aus der Tatsache, dass ein Unfallwagen gekauft wurde, ist nicht zu schließen, dass der Käufer auch das Risiko der mangelnden Werthaltigkeit übernehmen wollte.
Ist das aber auch mit den Intentionen des Gesetzgebers des KSchG vereinbar? Ein Blick in die Erläuterungen781 belegt das: „Der formale, sachlich nicht begründete Ausschluss dieses Rechtsbehelfs [=der laesio enormis] ist weder angemessen noch erforderlich. Dort, wo Zweifel über den Wert von Leistung und Gegenleistung bestehen, kann er im Vertrag so ausgedrückt werden, dass dieser Rechtsbehelf schon nach dem Gesetz ausgeschlossen ist.“
Dem ersten Satz ist zu entnehmen, dass es vor allem um den Ausschluss in AGB geht, sachlich begründeten Konstruktionen aber kein Riegel vorgeschoben werden soll. Der zweite Satz konkretisiert zunächst, dass bei Zweifeln über das Wertverhältnis eine abweichende Gestaltung möglich ist; gemeint ist, dass beide Seiten zweifeln. Darüber hinaus zeigt dieser Satz aber auch den Weg, über den ein Abweichen möglich ist: Der Wert könne im Vertrag so ausgedrückt werden, dass die laesio enormis ex lege nicht zur Anwendung kommt. Das bezieht sich auf den Erwerb zum außerordentlichen Wert aus besonderer Vorliebe. Die Frage der Beweislast ist in diesem Zusammenhang bedeutend. Muss der Anfechtende darlegen, dass der Anfechtungsgegner den Marktwert kannte oder ist der Anfechtungsgegner beweispflichtig? Die Frage ist im ersten Sinn zu entscheiden. Ficht der Verkürzte nach § 934 ABGB an, so obliegt es dem Anfechtungsgegner darzulegen, dass das Risiko einer Verkürzung aufgrund der vertraglichen Risikoverteilung nach § 935 ausnahmsweise den Anfechtenden trifft; geht wiederum der Anfechtende davon aus, dass diese vertragliche Bestimmung wegen Informationsasymmetrie nicht anwendbar sein soll, so obliegt der diesbezügliche Beweis ihm. Geht man davon aus, dass bei überlegenem Wissen des Verkürzenden ohnehin kein Schutz vor der Anfechtung vereinbart werden kann, so verliert die Frage an Bedeutung, ob die Erklärung über den Erwerb aus besonderer Vorliebe auch in AGB abgegeben werden kann bzw ob diese Erklärung besondere Deutlich-
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744 BlgNR 14. GP 49.
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keitserfordernisse erfüllen muss.782 Meines Erachtens kann § 864a ABGB der Verwendung unklarer Bestimmungen in AGB weit gehend Einhalt gebieten, sodass ein generelles Verbot nicht erforderlich sein sollte.
Als Zwischenergebnis bleibt: Bei gemeinsamer Unkenntnis der wahren Begebenheiten, das heißt des Marktwerts oder bestimmter wertbildender Eigenschaften, kann vertraglich vereinbart werden, dass die Chance besonders vorteilhafter Änderungen im Vergleich zur gemeinsamen Vorstellung dem Käufer zugewiesen wird bzw dass dieser die Gefahr besonders nachteiliger Änderungen tragen muss. Die vom Normalfall abweichende Risikoverteilung geht einer Anwendung der laesio enormis vor. Zur Ermittlung des diesbezüglichen Vertragsinhalts sind alle Instrumente der Auslegung heranzuziehen. Für diese Auslegung spricht letztlich auch, dass für Glücksgeschäfte nach § 1268 ABGB die Anfechtung wegen laesio enormis ausgeschlossen ist. Für solche Geschäfte ist die Übernahme des Risikos typisch;783 insofern lässt sich § 1268 ABGB als gesetzliche Vertypung einer abweichenden Vereinbarung verstehen. Eine nachgelagerte Frage ist folgende: Angenommen, die vertragliche Risikozuordnung wurde abweichend von § 934 ABGB gestaltet. Kann die Partei, die durch die Änderung nachteilig betroffen ist, wegen Irrtums über den Inhalt ihrer Erklärung anfechten?784 Das ist unter den weiteren Voraussetzungen des § 871 ABGB wohl zu bejahen; diese dürften freilich nur in wenigen Fällen vorliegen.
3. Anhaltspunkte für abweichende Vereinbarungen Wenn man anerkennt, dass der Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe nicht durch Erklärung erfolgt, sondern die Feststellung des rechtsgeschäftlichen Willens erfordert, so muss man versuchen, klare Anhaltspunkte zu finden, welche die Feststellung dieses Willens nahe legen. Freilich ist dabei Vorsicht angebracht: Wenn es darum geht, eine vom gesetzlichen Modell abweichende Risikoverteilung festzustellen, bedarf es dafür recht deutlicher Indizien.785 Das ist insbesondere für die ergänzende Vertragsauslegung zu beachten. Folgende Gesichtspunkte sind bei der Suche nach diesbezüglichen Anhaltspunkten zu berücksichtigen:786 Es kann bei der Auslegung des Vertrags nicht ausschlaggebend sein, ob entweder der Käufer oder der Verkäufer mit geringerem Aufwand Informati-
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Vgl dazu Welser, JBl 1979, 453; Krejci in Krejci, HB KSchG 183. Vgl Karner in KBB §§ 1267-1274 Rn 10. In anderem Zusammenhang vgl Schermaier in HKK BGB §§ 116-124 Rn 65 f; Schmidt-Rimpler, Eigenschaftsirrtum 213 ff. Vgl Henssler, Risiko 24. Im Folgenden sind weder vollständige Aufzählungen noch trennscharfe Abgrenzungen beabsichtigt; das Ziel ist die Identifikation argumentativer Topoi.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
onen über den wahren Wert vor Vertragsschluss hätte erlangen können. Das wäre zwar ökonomisch grundsätzlich sinnvoll, weil dadurch das Risiko demjenigen zugeordnet würde, der es zu geringen Kosten beherrschen kann.787 Unter der Annahme, dass dies dem Käufer aufgrund besonderer Fachkunde leichter möglich gewesen wäre als dem Verkäufer, ist ein Anfechtungsrecht des Käufers wohlfahrtstheoretisch kontraproduktiv, weil das Risiko nicht vom cheapest cost avoider zu tragen ist. Rechtsdogmatisch steht einer die Kosten der Informationsbeschaffung berücksichtigenden Vertragsauslegung aber entscheidend § 935 ABGB im Wege, weil die Anfechtung dort nur dann ausgeschlossen wird, wenn der wahre Wert tatsächlich bekannt ist, nicht aber wenn er bekannt sein müsste;788 eine Berücksichtigung ist allenfalls über Schadenersatzansprüche möglich (unten G.). Dieser Gedanke hat insbesondere für den Verkäufer Bedeutung. So kann zwar aus seiner Sachherrschaft über den Kaufgegenstand nicht abgeleitet werden, dass er den Marktverhältnissen näher steht als der Erwerber; für den Irrtum über den Marktpreis ist die Sachherrschaft nicht einschlägig. Sie könnte aber in jenen Fällen ein Kriterium sein, in denen der Kaufgegenstand werterhöhende Eigenschaften hat; denn diese kann der Verkäufer aufgrund seiner Sachherrschaft vor Vertragsabschluss besser erkennen. Da aber aus § 935 ABGB klar hervorgeht, dass die Anfechtung nur bei Wissen über solche Eigenschaften ausgeschlossen sein soll, kann man nur wegen der Sachherrschaft nicht annehmen, dass der Verkäufer das Risiko, dass eine Sache werterhöhende Eigenschaften aufweisen könnte, vertraglich übernommen hat. Vielmehr bedarf es konkreter Anhaltspunkte, um eine von § 934 ABGB abweichende Risikoverteilung zu rechtfertigen. Ein solcher Indikator kann die Spekulationsabsicht sein. Wissen die Parteien über das mögliche Vorliegen einer Eigenschaft, nehmen sie aber bewusst ohne nähere Überprüfung in Kauf, dass diese Eigenschaft vorliegen kann oder nicht („bewusste Wissenslücke“), so wollen sie im Regelfall in der Folge auch an diese Entscheidung gebunden sein, selbst wenn diese Eigenschaft zum Vorschein kommt. Das gilt auch, wenn die Unsicherheit bloß die Marktverhältnisse betrifft. Je offensichtlicher das mögliche Vorliegen oder Fehlen der fraglichen Eigenschaften für die Parteien daher war, desto eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass sie dieses Risiko bewusst in Kauf genommen haben. Dann sollen sie dieses Ergebnis auch nicht durch die laesio enormis korrigieren können. Umgekehrt ist eine Übernahme eines Risikos normalerweise zu verneinen, wenn die möglicherweise wertbildenden Eigenschaften von den Vertragsparteien überhaupt nicht erkennbar waren. Bezüglich solcher deep risks789 ist die Annahme, dass die Parteien von der allgemeinen Grundregel einer Anfech787 788 789
Vgl grundsätzlich Schäfer/Ott, Lehrbuch 226 ff. SZ 68/152; Reischauer in Rummel I § 935 Rn 1. Scheppele, Secrets 72 ff. Vgl auch Fleischer, Informationsasymmetrie 213 ff.
VI. Subjektive Elemente der laesio enormis
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tungsmöglichkeit nach § 934 ABGB bei gemeinsamem Irrtum abweichen wollten, im Regelfall nicht angemessen. Es zeigt sich daher mE, dass es gar nicht darum geht, ob die Anfechtung nach § 934 ABGB schlechthin ausgeschlossen sein soll, sondern darum, ob bestimmte Risken vertraglich zwischen den Parteien so verteilt worden sind, dass bezüglich dieser Risken die Berufung auf § 934 ABGB ausscheidet. An einem Beispiel verdeutlicht: Vereinbaren die Parteien bei Kauf einer Liegenschaft, dass der Käufer das Risiko von Altlasten zu tragen hat, kann er aus diesen Gründen die laesio enormis nicht geltend machen, wenn solche Altlasten tatsächlich auftreten; ihm ist die Anfechtung nach § 934 ABGB aber nicht genommen, soweit es darum geht, dass er mehr als das Doppelte des Marktpreises für ein vergleichbares nicht kontaminiertes Grundstück bezahlt hat. Daneben sind auch die Rahmenbedingungen des Vertragsabschlusses zu beachten: Haben sich die Parteien bewusst einer Situation ausgesetzt, in der typischerweise das Risiko besteht, Sachen unter ihrem Wert zu verkaufen bzw über ihrem Wert zu kaufen? Wer auf einem Flohmarkt ohne nähere Überprüfung das am Dachboden Angesammelte veräußert, setzt sich typischerweise dem Risiko aus, entweder den Marktpreis zu verfehlen oder wertvolle Eigenschaften (Herkunft des Notenblatts von einem berühmten Komponisten) nicht zu erkennen. Diese situative Komponente legt eine vertragliche Übernahme des Risikos nahe, auch wenn den (= beiden) Parteien konkrete Eigenschaften, die vorliegen könnten, gar nicht bewusst sind. Diese allgemeine Risikoübernahme deckt in dieser Konstellation mE auch besonders krasse Äquivalenzstörungen entgegen § 934 ABGB ab. Das bedeutet aber nicht, dass man sich diesem Risiko automatisch aussetzt, wenn man aktiv eine Abschlussmöglichkeit sucht. Wer sein Grundstück am Immobilienmarkt verkauft, rechnet nicht damit, dass dieses besondere werterhöhende und unbekannte Eigenschaften im Vergleich zu anderen Liegenschaften aufweisen könnte. Wer einen Ring an einen Juwelier verkauft, rechnet nicht damit, dass sich dieser später als golden statt vergoldet herausstellt. Man muss damit auch nicht rechnen. Die Anfechtung nach § 934 ABGB steht in diesen Fällen offen.
F. Sicherheitsnetz: Bereicherungsrecht Ist hingegen auch in ergänzender Vertragsauslegung nicht festzustellen, dass das Risiko des gemeinsamen Irrtums abweichend von der Grundwertung der laesio enormis verteilt sein soll, so bleibt es bei der Anfechtbarkeit zu Lasten des Begünstigten. Das kann diesen hart treffen; das gilt insbesondere in jenen Fällen, in denen der zu billig Kaufende über die Sache bereits verfügt hat, weil er sie entweder verbraucht oder weiterveräußert hat. Das Anfechtungsrecht nach § 934 ABGB besteht auch in diesen Fällen; die Rechtsfolgen der Anfechtung bedürfen aber näherer Erörterung. Nach der herrschenden Lehre wirkt die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
sachenrechtlich ex tunc (oben III. A.); damit ist für die hier zu behandelnde Konstellation nichts gewonnen, weil die Eigentumsklage aus § 366 ABGB mangels Zugriff auf die Sache nicht mehr helfen kann.790 Daher ist für die Rückabwicklung des erfolgreich beseitigten Vertragsverhältnisses auf das Recht der Leistungskondiktionen791 zurückzugreifen. Wegen der sachenrechtlichen ex tunc-Wirkung kommt vor allem die condictio sine causa (§ 877 ABGB) als Anfechtungsgrundlage in Betracht,792 wenn man diese Kondition nicht ohnehin als Unterart der condictio causa finita (§ 1435 ABGB) begreift.793 Praktische Unterschiede zwischen den beiden Anspruchsgrundlagen bestehen nicht.794 So schadet es bei beiden Kondiktionen nicht, wenn die Leistung in Kenntnis des Anfechtungsgrundes erfolgt,795 auch der in § 877 ABGB enthaltene Grundsatz der Abwicklung Zug-um-Zug wird von der herrschenden Lehre auf alle Kondiktionen zur Rückabwicklung eines Leistungsaustausches erstreckt.796 1. Bereicherungsanspruch des Verkäufers § 1437 ABGB unterscheidet für den Umfang des Anspruchs zwischen dem redlichen und dem unredlichen Besitzer und verweist bezüglich der Rechtsfolgen zumindest grundsätzlich797 auf §§ 329 ff ABGB. Die Redlichkeit bezieht sich auf das Bestehen des Kondiktionsanspruchs.798 Wer als Erwerber so wie der Verkürzte über den Wert des Kaufgegenstandes irrt, ist daher grundsätzlich bis zu jenem Zeitpunkt redlich, in dem ihm das Vorliegen der Voraussetzungen bekannt wird. Dem Erwerber wird dieses Vorliegen einerseits durch Erheben der Klage bekannt, andererseits aber nach herrschender Meinung auch schon dadurch, dass er ernsthaft mit der Rückstellungspflicht rechnen muss.799 Nimmt man das wörtlich, so reicht es für die Unredlichkeit nicht, 790
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Allenfalls bei der Weiterveräußerung an einen Dritten kann die rei vindicatio noch offen stehen, wenn dieser (trotz Erwerb des Fahrnisses vom Vertrauensmann) nicht gutgläubig war (vgl § 367 ABGB, §§ 62 ff GBG). Offen lasse ich den Anspruch auf die Früchte und ähnliche Problembereiche; vgl zB F Bydlinski, JBl 1969, 252. Vgl zum Anwendungsbereich Welser in Koziol/Welser II 276 f; Mader in Schwimann VI Vorbem zu §§ 1431 ff Rn 10. Zur Anwendung von § 877 ABGB bei Rückabwicklung wegen laesio enormis auch kurz Wolff, ZBl 1917, 771. So Apathy/Riedler in Schwimann IV § 877 Rn 2. Für eine Anwendung von § 1435 ABGB auf die laesio enormis aber Mader in Schwimann VI § 1435 Rn 4; Rummel in Rummel I § 1435 Rn 2. Vgl Rummel in Rummel II/3 Vor § 1431 Rn 21. Bollenberger in KBB § 877 Rn 2. Rummel in Rummel I § 877 Rn 4. Vgl Wilburg in Klang VI 474; F Bydlinski in Klang IV/2 518; Spielbüchler in Rummel I § 329 Rn 2; Kerschner, JBl 2001, 756 f. Rummel in Rummel IV/3 § 1437 Rn 2; Koziol in KBB § 1437 Rn 1. Rummel in Rummel IV/3 § 1437 Rn 2; Mader in Schwimann VI § 1437 Rn 7; Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III: Schuldrecht Besonderer Teil Rn 15/28.
VI. Subjektive Elemente der laesio enormis
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dass dem Anfechtungsgegner bloß der tatsächliche Marktpreis der Kaufsache und damit der gemeinsame Irrtum bekannt werden. Grundsätzlich ist auch der redliche Bereicherungsschuldner zur Herausgabe der erlangten Vorteile verpflichtet, wenn die Rückgabe nicht möglich ist.800 Für die näheren Rechtsfolgen ist aber nach dem Grund der Unmöglichkeit zu differenzieren: Hat der redliche Bereicherte den Leistungsgegenstand verkauft, so ist grundsätzlich der Verkaufserlös Zug-um-Zug gegen Ersatz des seinerzeitigen Kaufpreises herauszugeben.801 Der Redliche hat aber nicht den gesamten objektiven Wert des billig Erworbenen zu ersetzen, sondern nur dasjenige herauszugeben, was ihm selbst aus dem Verkauf zugeflossen ist;802 das Fehlen eines Gegenwerts steht insofern dem zufälligen Untergang der Sache gleich. Einen Überschuss über den wahren Wert darf der Redliche nach herrschender Meinung zumindest dann behalten, wenn sein Erfolgsbeitrag überwiegt;803 für die laesio enormis ergibt sich das im Ergebnis schon daraus, dass er jederzeit seine Ersetzungsbefugnis ausüben kann und gegen Leistung des Differenzbetrags am Vertrag festhalten kann. Bei zufälligem Untergang wird der Bereicherte hingegen nach allgemeiner Meinung frei, wenn dieser Untergang ersatzlos804 ist;805 das diesbezügliche Risiko trägt daher der Verkürzte. Wird die Sache bestimmungsgemäß verbraucht,806 also der billig erworbene, aber tatsächlich teure Wein ohne Wissen um seinen Wert getrunken, so soll § 1041 ABGB sinngemäß zur Anwendung kommen.807 Das würde im gegebenen Zusammenhang dazu führen, dass der redliche Verbraucher den ihm nicht bekannten Marktwert der Sache ersetzen muss, obwohl seine Verwendungsentscheidung auf Basis seiner fehlerhaften Markteinschätzung erfolgt ist, obwohl er den teuren Wein bei Kenntnis des wahren Werts vielleicht gar nicht getrunken, sondern gewinnbringend verkauft hätte. Dieses Ergebnis kann nicht rechtsrichtig sein.808 Vielmehr ist im gegebenen Zusammenhang auf die Ersparnis abzustellen, die dadurch entstanden ist, dass der Bereicherte kein 800 801
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Für alle Koziol in KBB § 1437 Rn 3. SZ 25/167; Rummel in Rummel IV/3 § 1437 Rn 3; Mader in Schwimann VI § 1437 Rn 9; P Huber, Wegfall 110 ff. Vgl Welser in Koziol/Welser II 265 f; Kerschner, JBl 1990, 569; Koziol in KBB § 1437 Rn 4; zu § 1041 ABGB auch Apathy, Verwendungsanspruch 113 f; aM zB Harrer, JBl 1983, 248 f; P Huber, Wegfall 119. Wilburg, Bereicherung 138 f; Bollenberger, Stellvertretendes Commodum 319 ff. Bei Untergang gegen Ersatz kann es allenfalls wieder sinnvoll sein, die Ersetzungsbefugnis nach § 934 ABGB auszuüben. Wilburg, Bereicherung 138; Welser in Koziol/Welser II 279; Rummel in Rummel II/3 § 1437 Rn 3; Koziol in KBB § 1437 Rn 3; Mader in Schwimann VI § 1437 Rn 10. Rechtshistorisch Kundert in FS Coing 155; Schulze, Laesio enormis 55. Zum Benützungsentgelt vgl Koziol in KBB § 1437 Rn 4 mwN. Kerschner, JBl 1988, 629 mwN. Grundsätzlich ähnlich Koziol in KBB § 1437 Rn 4 unter Berufung auf § 417 ABGB. Vgl auch den Kohlefall OGH SZ 7/150; Apathy, Verwendungsanspruch 106 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
eigenes Rechtsgut aufgewendet hat;809 diese Ersparnis ist der bereicherungsrechtlich ausschlaggebende subjektive Vorteil.810 Im Weinbeispiel führt dies im Ergebnis dazu, dass der Verkürzte bereicherungsrechtlich im Regelfall keinen Ersatz erhält; denn der bereicherte Käufer hätte ohne das Rechtsgeschäft nur eine Flasche Wein getrunken, die dem fälschlich angenommenen Wert der verbrauchten Flasche entsprochen hätte. Der Redliche ist damit weit gehend geschützt. Dieser Schutz verträgt sich aber nicht mit der referierten Ansicht, dass es für die Redlichkeit nicht darauf ankommt, ob der Bereicherte die Verkürzung kannte, sondern darauf, ob er wusste, dass die Anfechtung nach § 934 ABGB mit hoher Wahrscheinlichkeit geltend gemacht wird.811 Wer den Wein in Kenntnis des Marktpreises812 verbraucht oder veräußert, ist nicht gleichermaßen schutzwürdig wie derjenige, der ohne diese Kenntnis über ihn verfügt. Schließlich ist dessen Konsumentscheidung unverzerrt zustande gekommen; er konnte bei der Veräußerung den ihm nun bekannten Marktpreis ins Kalkül ziehen. Daher besteht kein Grund, ihn anders zu behandeln als denjenigen, der die noch vorhandene Sache auf Klage nach § 366 ABGB herausgeben muss. Das alles gilt freilich nur, wie nochmals zu betonen ist, wenn die Vertragsauslegung keine abweichende Risikoverteilung vorsieht. Unredlich ist daher, wer den Marktpreis bzw die wertbildenden Eigenschaften der Kaufsache kennt. Dieser Unredliche hat jedenfalls den vollen Wert und damit den Marktpreis der Sache zu ersetzen; das gilt aus schadenersatzrechtlichen Gründen auch dann, wenn der von ihm erzielte Verkaufserlös geringer war.813 Auch der zufällige Untergang führt zu dieser Ersatzpflicht, es sei denn, dieser wäre auch beim Verkürzten erfolgt. 814 2. Bereicherungsanspruch des Käufers Ganz ähnliche Probleme stellen sich auch, wenn derjenige, der zu teuer gekauft hat, den Vertrag anfechten möchte, obwohl er über die Sache nicht mehr verfügen kann. Die Anfechtung nach § 934 ABGB ist ihm deswegen nach richtiger und heute herrschender Ansicht nicht genommen.
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Das ist für den zufälligen Untergang, aber nicht für die bestimmungsgemäße Verwendung auch das Ergebnis Kerschners, JBl 1988, 629 f. Zur Schenkung wie hier Koziol in KBB § 1437 Rn 4. So allgemein Koziol in KBB § 1437 Rn 4. Ähnlich Koziol in KBB § 1437 Rn 1, der auf Kenntnis des Anspruchs abstellt. Nach dem es wohl keine Informationsobliegenheit gibt, wird das Problem der fahrlässigen Unkenntnis, die ebenfalls die Redlichkeit verhindern würde, im Regelfall nicht vorliegen; vgl ähnlich in anderem Zusammenhang Apathy, NZ 1989, 139. SZ 57/44; OGH JBl 1992, 388 Welser in Koziol/Welser II 266; Mader in Schwimann VI § 1437 Rn 30; Apathy, Verwendungsanspruch 112 f. Vgl für alle Mader in Schwimann VI § 1437 Rn 35; Kerschner, JBl 1988, 625.
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Redlich ist nach allgemeiner Meinung, wem als Anfechtungsberechtigtem die Verkürzung nicht bekannt ist.815 Hat der Verkürzte die Sache verbraucht, so spricht beim redlichen Besitzer mE alles dafür, ihm bei Geltendmachen der Bereicherung eine Wertersatzpflicht bloß in Höhe des tatsächlichen Marktpreises aufzuerlegen; denn vor seiner falschen Präferenzentscheidung soll er geschützt werden. Der Sache nach macht es in diesem Fall daher keinen Unterschied, ob der Verkürzende seine Ersetzungsbefugnis ausübt oder nicht. Der Unredliche ist mE aber überhaupt nicht schutzwürdig, weil er dem Bereicherten jede Möglichkeit genommen hat, die Sache durch ein anderes Rechtsgeschäft zu einem höheren als dem Marktwert zu verwerten; ein Bereicherungsanspruch besteht daher nicht. Etwas anderes gilt mE bei Veräußerung. Angenommen, die Sache mit Wert von 100, aber seinerzeitigem Kaufpreis von 210 wird durch einen noch Redlichen um 110 weiterveräußert. Bestünde hier die Möglichkeit, den Vertrag gegen Leistung des durch den Weiterverkauf Erlangten anzufechten, so wäre dies eine Möglichkeit, subjektiv ungünstige Geschäfte nachträglich zu korrigieren. Denn beim Verkauf ging der Verkürzte redlicherweise ja noch von einem Wert von 210 aus! Das spricht mE dagegen, die Ersatzpflicht mit dem Erlangten zu begrenzen. Das gilt noch mehr, wenn man annimmt, dass der Verkauf im Beispiel zu 90 erfolgte; sonst würde dem (unschuldig!) Verkürzenden nicht einmal der wahre Wert der Kaufsache ersetzt werden. In diesen Fällen ist der Vermögensverlust nicht allein durch das anfechtbare Rechtsgeschäft erfolgt, sondern eigentlich erst durch die spätere Verfügung verfestigt worden; diese war aber nicht mehr durch eine beachtliche Fehlvorstellung verfälscht. Daher meine ich, dass das Verschieben von Verlusten auf den ebenfalls irrenden Vertragspartner nicht zulässig ist; die Geltendmachung der Bereicherung scheidet daher aus, sofern vom Verkürzten über die Sache im Sinne des Beispiels rechtsgeschäftlich verfügt wurde. Dies gilt umso mehr, sofern dem Verkürzten der wahre Wert bereits bekannt ist, er also unredlich ist; ganz so wie beim Verbrauch wird noch dazu dem ersten Verkäufer die Möglichkeit einer anderen Verwertung genommen. Bei zufälligem Untergang und Unredlichkeit des Verkürzten scheidet die Bereicherungsklage aus.816 Das gilt jedenfalls so lange, als die Anfechtungsklage nicht erhoben wurde. Traditionell strittig ist, ob der zufällige Untergang beim Redlichen diesem die Geltendmachung der Bereicherung teilweise abschneidet oder nicht. Das ist die Kontroverse um die Saldotheorie oder die Zwei-Kondiktionen-Theorie.817 Um auf das Beispiel im vorigen Absatz zu815 816 817
Für alle Rummel in Rummel II/3 § 1437 Rn 2. F Bydlinski, System 289; Kerschner, JBl 1988, 631 f. Vgl dazu zB Welser in Koziol/Welser II 280 f; Wilburg in Klang VI 485; F Bydlinski in Klang IV/2 699 f; Rummel in Rummel II/3 Vor § 1431 Rn 24; Mader in Schwimann VI § 1437 Rn 23 ff; Koppensteiner/Kramer, Bereicherung 136 ff; P Huber, Wegfall 222 ff; Graf, Vertrag 170 ff; Harrer, JBl 1983, 238; Kerschner, JBl 1988, 541 und 624.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
rückzukommen: Erhält der Verkürzte bei zufälligem Untergang 210 oder bloß 110818? F Bydlinski819 folgend sprechen zumindest in Fällen der sachenrechtlichen Rückabwicklung820 die besseren Gründe dafür, die Gefahr des zufälligen Untergangs dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzuweisen, mit anderen Worten die Zwei-Kondiktionen-Theorie anzuwenden. Denn auch das „faktische Synallagma“821 ist durch denjenigen Wurzelmangel beeinträchtigt, der das Rechtsgeschäft selbst betrifft.822 Im Ergebnis ist die Kontroverse für die laesio enormis jedoch ohne große Relevanz; dem Begünstigten steht ja schon nach § 934 ABGB die Option zu, durch Aufzahlung der Wertdifferenz (= 110) am Vertrag festzuhalten. Das gilt auch noch nach Untergang der Sache. Dieses Resultat entspricht in der praktischen Anwendung der Differenztheorie. Bisher ist die vorstehende Analyse davon ausgegangen, dass der verkürzende Verkäufer selbst demselben Irrtum unterlegen ist wie der verkürzte Käufer, der den Vertrag anficht. Ist das – so wie häufig – nicht der Fall, so ist der Verkäufer in bereicherungsrechtlicher Terminologie unredlich. Für Verbrauch und zufälligen Untergang bedarf es keiner Modifikationen der oben erzielten Ergebnisse. Lediglich das Veräußerungsrisiko kann wegen der mangelnden Schutzwürdigkeit des Vertragspartners mE auf diesen übertragen werden.
G. Schadenersatzansprüche des Verkürzenden? Beim gemeinsamen Irrtum ist nicht auszuschließen, dass dem Verkürzten der Vorwurf gemacht werden kann, dass ihm die Kenntnis des Marktpreises oder der fraglichen Eigenschaften ohne weiteres möglich gewesen wäre. Da § 935 ABGB als Grund für den Ausschluss der Anfechtung wegen laesio enormis nur Wissen über den Marktpreis vorsieht, hat die Vorwerfbarkeit des Irrtums keine Auswirkungen auf die Anfechtungsbefugnis wegen Verkürzung über die Hälfte. Dann stellt sich (ganz parallel zum Irrtumsrecht) die Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein Schadenersatzanspruch entstehen kann. Klar ist, dass dieser Anspruch auf die culpa in contrahendo zu stützen ist, sofern er überhaupt besteht. Aus dieser Anspruchsgrundlage ergibt sich, dass der Anspruch nur auf das Vertrauensinteresse gerichtet ist. Dass dem Anfechtungsgegner kein Anspruch auf das Erfüllungsinteresse zusteht, ergibt sich im
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Nämlich den seinerzeitigen Kaufpreis abzüglich des Werts der untergegangenen und nicht mehr rückstellbaren Sache. System 287 ff. So auch Aicher in Rummel I §§ 1048-1051 Rn 17. Darüber hinausgehend und die getrennte Beurteilung der Kondiktionen auch bei schuldrechtlicher Rückabwicklung bejahend zB Kerschner, JBl 1988, 541; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 877 Rn 11. Die natürlich hypothetisch ist, weil die Sache untergegangen ist. Vgl dazu zB Harrer, JBl 1983, 238. So für Irrtumsfälle (denen nach dem hier Vertretenen die Anfechtung nach § 934 ABGB entspricht) letztlich auch Graf, Vertrag 187 f.
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Übrigen schon aus der Anfechtbarkeit des Vertrages gem § 934 ABGB;823 ob aber auch der Ersatz des Vertrauensschadens ausgeschlossen sein soll, ist dieser Norm nicht zu entnehmen. Es spricht nichts dagegen, diese Schadenersatzpflicht ähnlich zum Irrtumsrecht zu behandeln. Dieses stellt für das Recht auf Aufhebung des Vertrags weder auf das Verschulden des Irrenden noch auf dasjenige des Anfechtungsgegners ab.824 Daher kann auch der schuldhaft Irrende anfechten, haftet jedoch nach heute herrschender Meinung auf den Vertrauensschaden aus culpa in contrahendo.825 Im Ergebnis verliert der Anfechtungsgegner daher auf jeden Fall den Geschäftsgewinn, bekommt bei schuldhaftem Irren des Anfechtenden nach herrschender Lehre aber seine Investitionen ersetzt.826 Durch eine diesbezügliche Schadenersatzpflicht auch bei der Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte können zumindest die widrigsten Folgen des ungültigen Vertragsschlusses, nämlich die sunk costs, also die Kosten unwiederbringlicher Investitionen, demjenigen auferlegt werden, der diese Schäden durch Selbstinformation kostengünstig hätte vermeiden könnte (cheapest cost avoider). Hätte der Verkürzte daher den Marktpreis oder den Mangel erkennen können, hat er dies aber nicht getan, so muss er dem Vertragspartner alle jenen Aufwendungen ersetzen, die dieser nicht eingegangen wäre, wenn der rückwirkend vernichtete Vertrag nicht abgeschlossen worden wäre. Es gibt zahlreiche Anwendungsbeispiele: Der Bieter bei einer Kunstauktion, der über dem höchsten Schätzwert bietet, muss sich dessen Bedeutung als Indikator für den Marktwert bewusst sein.827 Sollte er nach § 934 ABGB anfechten, so muss er das Vertrauensinteresse ersetzen. Wem es ohne weiteres möglich gewesen wäre, sich über Eigenschaften der von ihm veräußerten Sache zu informieren, hat dem Bieter den Schaden zu ersetzen, wenn er das nicht
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Vgl gleichsinnig zum Irrtumsrecht Vonkilch, JBl 2004, 760. F Bydlinski in FS H Stoll 122. Anders tendenziell nur Thurnart, ÖJZ 2000, 447 ff; dagegen überzeugend Vonkilch, JBl 2004, 760 f. So schon Zeiller, Natürliches Privatrecht 147 (§ 100). Vgl Kleteþka in Koziol/Welser I 148; Rummel in Rummel I § 871 Rn 16; F Bydlinski, Privatautonomie 83; Thunhart, ÖJZ 2000, 452 f; Kerschner, Irrtumsanfechtung 114 ff; Bollenberger in KBB § 871 Rn 4; F Bydlinski in FS H Stoll 122; ausführlich jüngst Vonkilch, JBl 2004, 759; historisch Kramer, Grundfragen 27 f. AM zB Apathy/Riedler in Schwimann IV § 874 Rn 2; P Bydlinski, Bürgerliches Recht, Allgemeiner Teil2 Rn 8/26; Ostheim, JBl 1980, 579. Zu diesem Problem rechtshistorisch Schermaier, ZEuP 1998, 65 ff; Wesener in Selb/Hofmeister, Forschungsband Zeiller 260. So ausdrücklich auch § 122 BGB (allerdings bei fehlenden subjektiven Voraussetzungen für die Irrtumsanfechtung auf Seiten des Vertragspartners des Irrenden) und Art 26 schweizerisches OR. Freilich nur nach dem 1. und 2. Fall in § 871, weil unter der 3. Variante nach hL die Redintegration nicht zulässig ist. Vgl Zemen, ÖJZ 1997, 217 (freilich will Zemen dem Bieter in diesen Fällen die Anfechtung zu Unrecht überhaupt nehmen).
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
getan hat. All dies setzt natürlich voraus, dass keine abweichende Vereinbarung über die Risikoverteilung (konkludent) getroffen worden ist. Das bedeutet freilich nicht, dass bei Fahrlässigkeit jeder Vertrauensschaden zu ersetzen wäre. Vielmehr kommt es für die Ersatzpflicht ganz entscheidend auf die Mitverantwortung des Geschädigten an (§ 1304 ABGB). So hebt ein weitaus überwiegendes Verschulden des Geschädigten die Ersatzpflicht nach allgemeiner Meinung auf.828 Daraus ist im gegebenen Zusammenhang abzuleiten, dass bei Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Anfechtungsgrund (Informationsasymmetrie) eine Schadenersatzpflicht für den Vertrauensschaden auch dann nicht besteht, wenn die Verkürzung für den Benachteiligten bei gehöriger Vorsicht erkennbar gewesen wäre.829 Im Kernbereich der laesio enormis, dem Schutz vor überlegenem Wissen und daraus resultierenden groben Äquivalenzstörungen, erfolgt damit keine schadenersatzrechtliche Korrektur des Ergebnisses der Anfechtung. Randkorrekturen kommen hingegen in Betracht, soweit der Irrtum beiden Parteien gemeinsam ist. Hier kann es zum gänzlichen Ersatz der Aufwendungen kommen, die im Vertrauen auf den Vertragsschluss erfolgt sind. Kann auch dem insofern Geschädigten der Vorwurf gemacht werden, dass ihm die Äquivalenzstörung erkennbar gewesen wäre, so kommt es zur Schadensteilung, die nach § 1304 ABGB im Zweifel zu gleichen Teilen erfolgt.
H. Zusammenfassung § 934 ABGB ist rechtspolitisch nicht befriedigend. Die Norm berücksichtigt den Verkürzenden nicht ausreichend, weil sie die Anfechtung grundsätzlich auch dann zulässt, wenn dieser demselben Irrtum unterliegt wie der Verkürzte. Zwar kann man mittels Vertragsauslegung die schärfsten Kanten abschleifen; denn der Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe bietet ein Instrument, um einer abweichenden vertraglichen Risikoverteilung auch über die Grenzen von § 934 ABGB hinaus Rechnung zu tragen. Freilich werden sich nicht immer Anhaltspunkte für solche vertraglichen Gestaltungen finden lassen, wenn man der Vertragsauslegung nicht Gewalt antun möchte. In vielen Fällen wird die Möglichkeit einer gravierenden Fehlvorstellung einer Partei nicht, auch nicht implizit in den Vertrag eingeflossen sein. Dann kann nur
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Vgl Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rn 12/17 mwN. Es muss nicht erörtert werden, ob dem Verkürzenden in diesen Fällen der Vorwurf des rechtswidrigen Handelns gemacht werden kann; denn die Rechtswidrigkeit ist nicht Voraussetzung für die Minderung der Ersatzpflicht (vgl Koziol; Haftpflichtrecht I3 Rn 12/3 ff). Im Ergebnis handelt er aber auch rechtswidrig, weil bei ihm erkennbarer Verkürzung über die Hälfte der Vertragsabschluss verpönt ist, mit anderen Worten eine Aufklärungspflicht über die Wertverhältnisse (eben auch in Abkehr von allgemeinen Grundsätzen) besteht.
VII. Laesio enormis und Gewährleistung
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noch über das Bereicherungs- bzw das Schadenersatzrecht Linderung für besonders problematische Konstellationen gefunden werden. Dennoch sollten diese Probleme Grund für eine Neukonzeption der laesio enormis bieten. Ein Anhaltspunkt kann die deutsche Lehre zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft bieten. Unter XI. werden diesbezügliche Reformvorschläge zusammengefasst dargestellt.
VII. Laesio enormis und Gewährleistung A. Käufer- und Verkäuferirrtum Bereits oben (IV. B.) wurde gezeigt, wie sehr Gewährleistungsrecht und Irrtumsanfechtung miteinander verwoben sind, insbesondere beim Erwerb von Speziessachen. Beide Institute stehen nach der herrschenden Meinung in Anspruchskonkurrenz zueinander. Ansprüche aus Gewährleistung können aber – wieder nach der herrschenden Meinung – auch in Konkurrenz zur Anfechtung nach § 934 ABGB stehen.830 Das Gewährleistungsrecht sanktioniert jedes Abweichen des Kaufgegenstandes vom Vertrag zum Nachteil des Käufers; dieser kann geltend machen, dass die Sache nicht die ausdrücklich vereinbarten oder nicht die verkehrstypischen Eigenschaften aufweist. Die laesio enormis hat so wie die Irrtumsanfechtung in diesem Zusammenhang bloß eine subsidiäre Funktion. §§ 934 f ABGB sind aber ungleich bedeutender, wenn der durch den Eigenschaftsirrtum Verkürzte der Verkäufer ist. Denn dieser erfährt keinen der Gewährleistung vergleichbaren Schutz, wenn die Sache andere, nicht als Leistungsinhalt vereinbarte, aber doch wertvolle Eigenschaften aufweist. Für den Verkäufer ist der Anspruch wegen laesio enormis in vielen Fallkonstellationen der einzige Rechtsbehelf. Denn auch über Aufklärungspflichten und damit mit der Irrtums- oder Arglistanfechtung kann keine Abhilfe gefunden werden,831 weil solche Pflichten grundsätzlich nicht bestehen (oben IV. C. 2.). Diese Ungleichbehandlung ist dadurch gerechtfertigt, dass es dem Verkäufer im Regelfall zu geringeren Kosten als dem Käufer möglich ist, diese werterhöhenden Eigenschaften festzustellen; er steht der Sache näher.832 Bei öko830
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Der für die Anwendung der laesio enormis vorzunehmende Vergleich bei mangelhaften Sachen ist einfach, wenn ein Marktwert für diesbezüglich fehlerhafte Produkte ermittelt werden kann. Auch die Schätzung ist zulässig. So gibt es durchaus Erfahrungswerte für Abschläge für Unfallautos im Handel; diese handelstypischen Abschläge sind vom Marktpreis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorzunehmen. Bejaht man im Einzelfall eine Aufklärungspflicht, so kommt es auf das Ausmaß der Verletzung gar nicht an, weil ohnehin ein Geschäftsirrtum nach § 871 ABGB veranlasst wurde bzw sogar die Arglistanfechtung nach § 870 ABGB Anwendung findet. Hier ist anzumerken, dass aus dieser Sicht konsequent das ALR die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte nur dem Käufer zugestand. Denn der Verkäu-
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
nomischer Betrachtung genauso bedeutend ist, dass es wegen der Anreizfunktion für die Suche grundsätzlich effizient ist, dem Käufer die Verwertung des Wissens durch den „billigen“ Erwerb zu ermöglichen. Der Korrektur für krasse Fälle dient aber die laesio enormis. Die oben dargestellte Begründung für diese Norm gilt hier im Besonderen: Das Opfer, das der Verkäufer zur sozial wertvollen Entdeckung neuer Nutzungsmöglichkeiten erbringen muss, ist dem Umfang nach begrenzt. Die mögliche Härte des Marktes wird durch die Rechtsordnung abgefedert. Die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte bietet für diese Fälle daher ein Korrektiv dafür, dass den Käufer keine Aufklärungspflichten treffen. Nach einer Ansicht kann das Bereicherungsrecht in gewissen Situationen zugunsten des Verkäufers korrigierend eingreifen. So vertritt Flume,833 dass dem verkürzten Verkäufer ein Bereicherungsanspruch nach § 812 BGB zusteht, wenn sich der Vorteil ohne weiteres von der Hauptsache lösen lässt; denn diesbezüglich sei ohne rechtlichen Grund geleistet worden. In Fortführung dieses Gedankens könnte bei unentdeckten Erdölvorkommen vertreten werden, dass der Erlös aus der Förderung bzw das Erdöl selbst weiterhin dem Verkäufer zusteht. Dem kann ich für das österreichische Recht nicht folgen. Anspruchsgrundlage könnte nur die condictio indebiti (§ 1431 ABGB) sein. Der Rechtsgrund zum Übergang auch bloßer Verwendungsmöglichkeiten ist aber gegeben, weil grundsätzlich die Sache selbst Gegenstand des Kaufvertrags ist, nicht aber einzelne Eigenschaften derselben. Daran ändert nichts, dass Rohstoffe als selbständige Bestandteile (bzw ebenso Zubehör) allenfalls ein eigenes rechtliches Schicksal erleiden können. Grundsätzlich ist an dieser Ansicht bedenklich, dass dadurch den Bereicherungsansprüchen eine eigenständige Bedeutung als Mittel zur Korrektur unerwünschter Ergebnisse aus Billigkeit gegeben wird, während sie bloß technische Rückabwicklungsinstrumente für jene Fälle sein sollen, in denen das Behaltendürfen aufgrund anderer Normen rechtlich nicht gedeckt ist.834
Für den Käufer ist die laesio enormis bei Ansprüchen aus Gewährleistung hingegen ein zusätzlicher Rechtsbehelf, der für besonders krasse Gewährleistungsfälle erleichterte Aufgriffsvoraussetzungen und erweiterte Rechtsfolgen bietet. Diese Funktion wird von jenen abgelehnt, die im Gewährleistungsrecht eine lex specialis auch gegenüber der laesio enormis sehen.835 Hingegen ist es soweit ersichtlich unstrittig, dass die Anfechtung wegen Wuchers neben der Gewährleistung zum Zuge kommt. Das liegt sicherlich daran, dass der Wucher vorsätzliches, ja „ausbeutendes“ Handeln des Wucherers voraussetzt;
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fer könne (so Suarez) die Kaufsache hinlänglich prüfen; vgl Schulze, Laesio enormis 86. Eigenschaftsirrtum 137. Vgl Mader in Schwimann VI Vorbem zu §§ 1431 ff Rn 5. Vgl vor allem P Bydlinski JBl 1983, 415 f; ders, RdW 2003, 430 f; krit auch Reischauer in Rummel § 934 Rn 15.
VII. Laesio enormis und Gewährleistung
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dieses zusätzliche Element gegenüber der Gewährleistung – bei der es für die Rechtsbehelfe auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Verkäufers nicht ankommt – rechtfertigt jedenfalls die parallele Anwendung.
B. Anspruchskonkurrenz Wenn daher die Tatbestandsvoraussetzungen von laesio enormis und Gewährleistung – vom erforderlichen Ausmaß der Verkürzung abgesehen – im Wesentlichen gleich sind, ist der Blick auf die Rechtsfolgenseite zu wenden. Soweit dort merkbare Unterschiede bestehen, wird die Frage nach der Verdrängung der laesio enormis durch die Gewährleistung zu Recht gestellt. Betrachtet man diese Unterschiede genauer, so sind es zunächst nur wenige; die tatsächlich bestehenden Unterschiede sind auch nicht derart bedeutend, dass die alternative Anspruchskonkurrenz schlechthin verneint werden muss. Soweit Wertungswidersprüche bestehen, sind sie vielmehr durch eine entsprechende Auslegung und durch Anpassung der Rechtsfolgen zu bewältigen. Das bedeutet im Einzelnen: Heute ist für das Gewährleistungsrecht anerkannt, dass Austausch bzw Verbesserung aus Effizienzgründen bei normativer Betrachtung der Vorzug gegenüber der Wandlung zu geben ist, weil sonst der Gewährleistungsberechtigte die Mangelhaftigkeit zum Anlass nehmen kann, aufgrund sonst unbeachtlicher Motivirrtümer vom Vertrag zurückzutreten.836 Das österreichische Recht sieht demzufolge seit der Gewährleistungsreform 2001 einen Vorrang der Mangelbeseitigung gegenüber den sekundären Rechtsbehelfen (Preisminderung, Wandlung) vor; letztere greifen nur ein, wenn der Mangelbeseitigung tatsächliche oder wirtschaftliche Hindernisse entgegenstehen, wenn sie nicht rechtzeitig erfolgt oder wenn sie dem Übernehmer nicht zumutbar ist (vgl § 932 ABGB). Diese innerstaatliche837 Rechtslage scheint auf den ersten Blick in einem Wertungswiderspruch zu § 934 ABGB zu stehen; denn nach dieser Bestimmung ist dem Verkürzten die Anfechtung des Vertrags immer, also auch bei behebbaren Mängeln möglich.838 Diese Besorgnis ist nicht gerechtfertigt. Denn der Anfechtungsgegner kann die Anfechtung nach § 934 ABGB abwehren, wenn „er den Abgang bis zum gemeinen Werte zu ersetzen bereit ist.“ Mit anderen Worten: Er muss bereit
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Vgl Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse 483 f. Unproblematisch ist hingegen nach hA, dass Art 2 Abs 3 der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf (1999/44/EG, ABl L 171 vom 7.7.1999, S 12) ebenfalls ein Primat der Mängelbeseitigung vorsieht. Denn diese Bestimmung soll dem Verbraucher nur einen Mindestschutz bieten, weswegen eine strengere Regelung (wie die Wandlungsmöglichkeit zu seinen Gunsten) zulässig sein soll. Vgl Welser/Jud, Gewährleistung § 932 Rn 3 f P Bydlinski, ecolex 2003, 430 f.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
sein, die objektive Äquivalenz herzustellen. Die einfachste839 Möglichkeit, dies zu tun, ist aber, den Mangel zu beheben.840 Ein grundsätzlicher Widerspruch zum Vorrang der Verbesserung nach Gewährleistungsrecht besteht daher nicht; auch im Rahmen der laesio enormis hat der Verkürzende eine zweite Chance, die vereinbarte Leistung vertragsgemäß zu erbringen. Probleme könnten sich aber stellen, wenn eine Verbesserung bzw Mangelbehebung nicht möglich ist und der Anfechtungsgegner durch Rückzahlung eines Teils des Kaufpreises den Preis mindern möchte, um der Anfechtung nach § 934 ABGB zu entgehen. Hier hat P Bydlinski darauf aufmerksam gemacht, dass bei Rückzahlung bis zum gemeinen Wert im Gegensatz zur bloß relativ vorzunehmenden Preisminderung der Gewährleistung841 der gesamte Geschäftsgewinn herauszugeben ist; diese Ungleichbehandlung spreche für einen Ausschluss von § 934 ABGB für Gewährleistungsfälle.842 Freilich kann in diesen Fällen der Verkürzte den Vertrag auch mit den gewährleistungsrechtlichen Behelfen beseitigen, weil bei solch krassen unbehebbaren Mängeln immer ein nicht geringfügiger Mangel iSv § 932 Abs 4 ABGB vorliegt und der Verkürzte deshalb wandeln kann.843 Gegen diesen gewährleistungsrechtlichen Wandlungsanspruch kann sich der Verkäufer aber überhaupt nicht wehren;844 denn ob der Käufer Wandlung oder Preisminderung geltend macht, liegt in seinem Ermessen.845 Daher ist kein Wertungswiderspruch zu erkennen: Nach heutigem Gewährleistungsrecht ist der Verkäufer dem Wandlungsbegehren ausgeliefert, nach laesio enormis ist er sogar besser gestellt, weil er durch volle Aufzahlung die Vertragsaufhebung verhindern kann. Schwierig ist die Rechtslage, wenn die Behebung des Mangels zwar möglich ist, zusätzlich zum Mangel (= Eigenschaftsirrtum) aber eine Fehleinschätzung des Käufers über den Wert vorliegt, wobei allein für sich weder der Eigenschafts- noch der Wertirrtum die Grenze nach § 934 ABGB übersteigen 839
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Eine Verpflichtung dazu besteht freilich nicht; auch die Aufzahlung ist möglich. Will der Verkürzte die Aufzahlung vermeiden, so hat er sich auf Gewährleistungsansprüche und nicht auf die laesio enormis zu berufen. Vgl auch Riedler, JBl 2004, 220. Vgl auch Steinwenter, JBl 1950, 200. Gschnitzer in Klang IV/1 565 lehnt zwar die Nachlieferung als Mittel der Herstellung der objektiven Äquivalenz im Rahmen von § 934 ABGB ab, hat aber ersichtlich nicht den Quantitätsmangel im Auge, sondern stellt auf den Wertmangel ab, der selbstverständlich nicht durch Nachlieferung ausgeglichen werden kann. Vgl Welser in Koziol/Welser II 75. P Bydlinski, JBl 1983, 414 ff: Eine mangelhafte Sache habe einen Wert von 45, mangelfrei betrage der Wert 60; der Kaufpreis betrage 100. Bei relativer Preisminderung sei der Kaufpreis um 25 zu mindern, bei Aufzahlung auf den wahren Wert um 55. Wie hier Riedler, JBl 2004, 220 f. Und zwar auch nicht durch Ausübung der Aufzahlungsbefugnis nach § 934 ABGB; so völlig zu Recht Riedler, JBl 2004, 219 f. Welser/B Jud, Gewährleistung § 932 Rz 36; Welser in Koziol/Welser II 74.
VII. Laesio enormis und Gewährleistung
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würde. In dieser Konstellation kann durch die Behebung des Mangels allein die objektive Äquivalenz nicht hergestellt werden, wie das § 934 ABGB für die Ersetzungsbefugnis fordert, vielmehr ist auch eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises erforderlich.846 In dieser (allerdings nicht typischen) Konstellation kann der Verkürzte über § 934 ABGB wegen der Kombination des sonst unbeachtlichen Motivirrtums über den Wert mit einem Gewährleistungsfall auch die Folgen des Wertirrtums beseitigen; genau dieses Ergebnis hält die herrschende Lehre aber zu Recht für unbillig, wenn der Verkäufer den Vertrag noch erfüllen kann. Diese atypische Fallgestaltung ist freilich kein Grund, die Konkurrenz schlechthin abzulehnen. Ist der Mangel behebbar (oder geringfügig iSv § 932 Abs 4 ABGB), so kann der Verkürzende im Sinne einer einwirkenden Anspruchskonkurrenz847 daher die Anfechtung ähnlich wie nach § 932 ABGB dadurch abwenden, dass er die Behebung des Mangels vornimmt. Ein Unterschied besteht in der Frist für die Geltendmachung der Rechtsbehelfe. Für unbewegliche Sachen ist die Frist für die Geltendmachung der Gewährleistung im Vergleich zur laesio enormis grundsätzlich gleich lang (drei Jahre); berücksichtigt man den Beginn des Fristlaufs, so bietet der gewährleistungsrechtliche Rechtsbehelf sogar einen Vorteil für den Käufer, weil die Frist bei Sachmängeln mit Übergabe der Sache bzw bei Rechtsmängeln mit Erkennbarkeit des Mangels (und nicht wie bei der laesio enormis mit Vertragsschluss) zu laufen beginnt. Für bewegliche Sachen beträgt die Frist nach § 933 Abs 1 ABGB nur zwei Jahre ab Übergabe bzw Erkennbarkeit, weswegen die Anfechtungsfrist von drei Jahren ab Vertragsschluss bei der laesio enormis im Regelfall eine Verlängerung bedeutet: bei Sachmängeln, wenn die Übergabe innerhalb eines Jahres ab Vertragsschluss erfolgt, sowie bei Rechtsmängeln, wenn diese innerhalb des ersten Jahres nach Vertragsschluss entdeckt werden. In beiden Fällen kann die Verlängerung von zwei Jahren auf maximal drei Jahre erfolgen. Das kann im Einzelfall bedeutend sein, rechtfertigt aber nun nicht mehr die Besorgnis, dass besonders kurze Fallfristen beliebig umgangen werden können.848 Weiters ist zu berücksichtigen, dass diese Verlängerung nach der herrschenden Lehre im Ergebnis bereits durch die Anspruchskonkurrenz von Irrtumsanfechtung und Gewährleistung bewirkt wird; akzeptiert man dies, so bestehen auch gegen die parallele Anwendbarkeit der laesio enormis keine durchgreifenden Bedenken. Letztlich könnte noch vorgebracht werden, dass die Gewährleistungsvorschriften außerhalb des KSchG grundsätzlich dispositiv sind; lässt man die Anspruchskonkurrenz mit der laesio enormis zu, so würden besonders grobe, auf Mängeln beruhende Äquivalenzstörungen systemwidrigerweise zwingend 846 847 848
Vgl P Bydlinski, RdW 2003, 431. Siehe auch Riedler, JBl 2004, 221. Zu dieser im gegebenen Zusammenhang zB P Huber, Irrtumsanfechtung 236 ff. Vgl vor der Gewährleistungsreform Reischauer in Rummel I § 934 Rn 15.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
aufgreifbar sein. Dabei ist jedoch zu fragen, was denn das System und was systemwidrig ist. Aufgrund von § 934 ABGB kann man nämlich ebenso gut behaupten, dass besonders grobe Äquivalenzstörungen zwingend aufzugreifen sind und zwar auch dann, wenn sie auf Mängeln beruhen. So will auch P Bydlinski, der ja die Anwendung der laesio enormis auf Mängel grundsätzlich ablehnt, die Wertung der laesio enormis bei der Beurteilung von Vertragsbestimmungen berücksichtigen, mit denen die Gewährleistung ausgeschlossen wird;849 für grobe Mängel, die über die Hälfte verkürzen, sei der Ausschluss nicht wirksam.
C. Bedeutung der laesio enormis für den Käufer Kann der Käufer hingegen nicht auf Gewährleistungsansprüche zurückgreifen, so steht ihm bei Eigenschaftsirrtümern im Regelfall auch keine Anfechtung wegen laesio enormis zu. Sähe man dies anders, so würde dies zu seltsamen Ergebnissen führen: In einem Vertrag über den Erwerb einer Liegenschaft wird vereinbart, dass der Verkäufer keine Haftung für zu sanierende Altlasten übernimmt, ohne dass solche Altlasten bekannt sind; der Kaufpreis ist dementsprechend niedriger. Später stellt sich heraus, dass zu sanierende Altlasten vorhanden sind und der Marktpreis des solcherart belasteten Grundstücks weniger als die Hälfte des Kaufpreises beträgt. Die Anfechtung nach § 934 ABGB muss hier wegen der Risikoübernahme durch den Käufer ebenso ausgeschlossen sein wie Gewährleistungsansprüche; dogmatisch ist dies als Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe zu sehen. Diese Lösung lässt sich auch gut am Beispiel des Spekulationsgeschäfts erörtern. Bauerwartungsland wird regelmäßig zu höheren Preisen als ein bloß landwirtschaftlich nutzbares Grundstück erworben, obwohl die Umwidmung noch nicht erfolgt ist. Was soll gelten, wenn die Umwidmung hernach nicht erfolgt, obwohl Käufer und Verkäufer davon ausgegangen sind? Eine Zusicherung der Umwidmung durch den Verkäufer erfolgt in diesen Fällen im Regelfall nicht; allenfalls wenn der Kaufpreis denjenigen für gewidmetes Bauland erreichen sollte, kann sich daraus implizit eine Zusage dieser Eigenschaft ergeben, was dann gewährleistungsrechtliche Folgen nach sich zieht.850 Sonst besteht kein Anspruch nach §§ 922 ff ABGB. Aber auch die Anfechtung nach § 934 ABGB scheidet im Regelfall aus. Denn dem Käufer war dieses Risiko typischerweise bewusst;851 die vertragliche Risikoverteilung ergibt, dass der Käufer bei Spekulationsgeschäften das Risiko einer negativen Entwicklung 849 850
851
P Bydlinski, JBl 1993, 569 f, 636. Damit geht im Regelfall das für Fleischer (Informationsasymmetrie 386 f) für die Irrtumsanfechtung besonders wichtige Argument einher, dass beide Parteien subjektiv davon ausgegangen seien, dass die Umwidmung sicher erfolgen würde; denn diese Sicherheit spiegelt sich im Preis wider. Auf diesen Gesichtspunkt für die irrtumsrechtliche Beurteilung besonders abstellend Fleischer, Informationsasymmetrie 386 ff.
VIII. Der zukünftige Marktpreis
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übernimmt. Sollte der Verkäufer jedoch gewusst haben, dass die Umwidmung nicht erfolgen würde, so liegt kein Risikogeschäft vor und dem Verkürzten steht die Anfechtung wegen laesio enormis, aber auch wegen Arglist offen.852 Auch der Briefmarkenfall (oben I. C.) gehört hierzu. Vereinbart war ein Kaufvertrag über eine Briefmarkensammlung. Es wurde nicht zugesichert, dass die Stichprobe repräsentativ ist und ein gleicher Anteil wertvoller Marken auch im nicht von der Stichprobe erfassten Teil vertreten ist. Dafür bedürfte es angesichts der Umstände und des Zwecks der Stichprobe, die verbindliche Festlegung des Kaufpreises zu erleichtern, besonderer Anhaltspunkte. Daher stehen keine gewährleistungsrechtlichen Behelfe zu. Wegen dieser besonderen Risikoverteilung ist aber auch die laesio enormis grundsätzlich ausgeschlossen; es liegt ein Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe vor. Diese vertragliche Risikoverteilung hat freilich keine Kraft, wenn der Verkürzende Kenntnis davon hat, dass alle wertvollen Marken in der Stichprobe enthalten sind.
Die Bedeutung der laesio enormis für Eigenschaftsirrtümer des Käufers ist daher nach der hier vertretenen Auffassung verhältnismäßig gering. Sie erfasst nur jene Konstellationen, in denen ohnehin gewährleistungsrechtliche Rechtsbehelfe zustehen. Im Ergebnis kann sie beim Spezieskauf beweglicher Sachen unter bestimmten Voraussetzungen (bereits bei Vertragsabschluss vorhandener Mangel, Lieferung innerhalb eines Jahres ab Vertragsabschluss) dazu führen, dass die Frist für die Geltendmachung des Eigenschaftsirrtums verlängert wird.
VIII. Der zukünftige Marktpreis A. Grundlagen Neben Fehlvorstellungen über die Marktpreise zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses können auch falsche Erwartungen über zukünftige Marktverhältnisse vorliegen (vgl Beispiel 1 oben I. C.).853 Irrtumsrechtlich sind solche Irrtümer über die zukünftige Wertentwicklung unbeachtlich; sie können nur ausnahmsweise mit dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufgegriffen werden.854 Auch für § 934 ABGB ist der Marktpreis zum Zeitpunkt des
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ME reicht es für die Bejahung der Irrtumsanfechtung jedoch nicht aus, dass der Käufer dem Verkäufer bloß mitgeteilt hat, dass die Umwidmung nach seiner Einschätzung sicher bevorstehe, ohne diese Aussage jedoch wider besseren Wissens gemacht zu haben; zumindest verbal anders Fleischer, Informationsasymmetrie 389 f, der aber im Ergebnis über das normative Element der Risikozurechnung nicht wesentlich abweicht, weil dazu ebenfalls auf die Bedingungen des Geschäfts (im Grünlandfall also insbesondere auf den Kaufpreis) abzustellen ist. Es geht im Folgenden also um den echten Wertirrtum, dem nicht auch ein Eigenschaftsirrtum zugrunde liegt. Vgl F Bydlinski, ÖBA 1996, 502 f mwN.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Vertragsabschlusses ausschlaggebend;855 denn es geht um die Richtigkeitsgewähr des Vertrags, nicht um dessen Abwicklung. Das ergibt sich unmittelbar aus § 934 letzter Satz: „Das Missverhältnis des Wertes wird nach dem Zeitpunkt des geschlossenen Geschäfts bestimmt.“856 Rechtsdogmatisch ist die Sachlage klar. Auch rechtsökonomisch ist dem nicht entgegen zu treten. Denn dass zukünftige Wertveränderungen grundsätzlich im Guten und im Schlechten demjenigen zugeordnet sind, der die Verfügungsbefugnis über den Gegenstand hat und der damit auch rechtzeitig disponieren kann, ist offensichtlich. Der Zweck des Instituts, nämlich der Schutz vor dem Irrtum über alternative Beschaffungs- oder Absatzmöglichkeiten, kann eine Erweiterung auf zukünftige Entwicklungen ebenso wenig stützen. Kaufen oder verkaufen kann man nur zu den im Kaufzeitpunkt geltenden Marktpreisen. Auch die Folgen einer abweichenden Ansicht wären äußerst bedenklich, denn wegen § 1487 ABGB wären Änderungen der Marktverhältnisse innerhalb von drei Jahren ab Vertragsabschluss durch eine Anfechtung angreifbar. Verbessern sich die Marktverhältnisse wesentlich, wäre die Anfechtung möglich. Das bedeutet freilich nicht, dass im Einzelfall eine Anfechtung wegen zukünftiger Entwicklungen nicht möglich ist, wenn eine Partei über Informationen zur künftigen Entwicklung des Marktpreises verfügt. Dafür ist aber nicht § 934 ABGB einschlägig, sondern es ist auf den Wuchertatbestand abzustellen; dazu gleich unten D. In Sonderkonstellationen, insbesondere bei Insiderfällen, sind auch Aufklärungspflichten zu bejahen; dann steht bereits die Anfechtung wegen Arglist zu, allenfalls auch die Irrtumsanfechtung nach § 871 Abs 2 ABGB. Damit ist der Irrende aber ohnehin besser gestellt als bei der Anfechtung wegen laesio enormis. Denn jede und nicht nur eine besonders grobe Verkürzung berechtigt unter diesen Voraussetzungen zur Anfechtung. Exkurs: Raumordnungsrecht Dieser Befund wird auch durch landesrechtliche Sondernormen bestätigt. Ein geradezu klassisches Problem liegt in der Veräußerung eines als Grünland gewidmeten Grundstücks, das in der Folge in Bauland umgewidmet wird. Dazu sieht § 34 Abs 9 Stmk ROG 1974857 vor, dass eine solche spätere Änderung zur
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AllgM; vgl nur Binder in Schwimann IV § 934 Rn 15; Reischauer in Rummel I § 934 Rn 5; Gschnitzer in Klang IV/1 559; auch schon Zeiller, Commentar III/1 142. In SZ 5/15, welche Entscheidung auf ersten Blick gegen diese Rechtsauffassung sprechen könnte, wird nur eine Verzinsungspflicht bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis normiert, was angesichts des Entscheidungsdatums (1923!) nahe lag. Sprachlich richtig wäre es freilich auf den „Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses“ abzustellen. Stmk LGBl 1974/127.
VIII. Der zukünftige Marktpreis
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Anfechtung des Vertrags führen kann, wenn die Veräußerung im Vertrauen858 auf die Wirkung des Flächenwidmungsplans erfolgte, innerhalb von 15 Jahren nach Veräußerung eine Umwidmung in Bauland in Kraft tritt und der Kaufpreis „nicht die Hälfte des Kaufpreises erreicht, der angemessen gewesen wäre, wenn die Bebauung des Grundstückes schon zum Zeitpunkt der Veräußerung möglich gewesen wäre.“ Das Recht besteht jedoch nur, wenn der Käufer die Liegenschaft innerhalb der Frist und nach Änderung des Bebauungsplans weiterveräußert oder wenn eine Baubewilligung rechtsgültig erteilt wird; der Käufer kann die Aufhebung dadurch abwenden, dass er die Wertverkürzung ausgleicht. Die oberösterreichische Raumordnung enthält eine ähnliche Bestimmung.859 Der Zweck der Norm könnte einerseits darin liegen, dass die Anfechtungsfrist für die laesio enormis von drei (§ 1487 ABGB) auf fünfzehn Jahre erstreckt wird; dann wären die Landesgesetzgeber davon ausgegangen, dass die laesio enormis ohnehin auf diese zukünftigen Marktpreisentwicklungen abstellt. Dagegen spricht aber, dass das Rechtsmittel nur dann zusteht, wenn der Erwerber selbst Nutzen aus der Umwidmung zieht, entweder durch Bebauung oder durch Verkauf. Daher sind die diesbezüglichen Bestimmungen der Raumordnung etwas anderes als die laesio enormis, auch wenn der Tatbestand auf den ersten Blick große Ähnlichkeit mit jener Norm des allgemeinen Zivilrechts aufweist: Der Irrtum über Zukünftiges wird durch die raumordnungsrechtlichen Normen erfasst, wenn der Vertragspartner von der Entwicklung profitiert. Aus den Normen ist daher für die Anfechtung nach § 934 ABGB nichts abzuleiten. Vielleicht soll die Norm insbesondere vor dem „Bauernlegen“ gutgläubiger Veräußerer durch besser informierte Dritte schützen. Freilich werden auch jene Fälle einbezogen, in denen der Erwerb gutgläubig erfolgt; hier ist es doch bedenklich, die Wertsteigerung dem derzeitigen Eigentümer zu entziehen und dem ehemaligen Eigentümer zuzuordnen.860 Dem kann nur teilweise entgegengehalten werden, dass eine Vertragsaufhebung nur erfolgt, soweit der Erwerber auch Nutzen aus ihr zieht. Vielmehr zeigt sich dadurch erst recht, dass die Norm ungenügend ist. Wer bösgläubig ist, veräußert entweder nicht innerhalb der Frist oder hat bereits vor der Umwidmung an einen Geschäftspartner oder Strohmann verkauft, womit die Norm praktisch leer läuft. Aber auch derjenige, dem ein Zufallsgewinn in den Schoß fällt, muss nur zuwarten, um den Gewinn lukrieren zu können, was ihm schon deswegen leicht fallen wird, weil er mit dem Erlös ohnehin nicht gerechnet hat. Die Effektivität der Norm und damit auch ihre sachliche Rechtfertigung sind daher zweifelhaft.
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Es kommt wohl auf das Vertrauen des Verkürzten an, auch wenn die Norm das nicht ausdrücklich vorsieht. § 38 oö ROG 1994, oö LGBl 1993/114 (mit Frist von 10 Jahren). Auch die Lehre der Geschäftsgrundlage würde hier im Regelfall nicht zu einer Vertragsauflösung führen.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
B. § 1048 ABGB Eine abweichende Beurteilung könnte sich, insbesondere für den Fall des gemeinsamen Irrtums, aus § 1048 ABGB ergeben. Diese Norm enthält für den Tauschvertrag eine Sonderregel, die vor Wertverlusten schützen soll; § 1064 ABGB erstreckt die Norm auf den Kaufvertrag. Soweit der Kaufgegenstand nach Vertragsabschluss, aber vor Übergabe „zufälliger Weise ganz oder doch über die Hälfte am Werte zugrunde gerichtet“ wird, gilt der Vertrag als nicht geschlossen. Die Norm schützt daher nur den Käufer.861 Sie ist auf Speziesschulden zugeschnitten,862 hat aber bei Gattungsschulden auch Bedeutung, wenn die ganze Gattung an Wert verliert oder die Konzentration (zB wegen Annahmeverzuges) bereits vor der Übergabe erfolgt. Über die Ursache des Wertverlusts schweigt sich die Norm aus. Daher wäre es auch denkbar, Veränderungen der Marktpreise unter diesen Begriff zu subsumieren. Diese Auslegung hat der OGH in einer älteren Entscheidung863 indes abgelehnt: Verlieren verkaufte Aktien nach Abschluss des Kaufvertrages, aber vor dem Lieferungstag mehr als die Hälfte ihres Kurswerts, so berechtige dies nicht zum Rücktritt vom Vertrag nach § 1048 ABGB. Das leitet der OGH zunächst aus dem begrifflichen Argument ab, dass der Kurswert keine Eigenschaft der Aktien sei; nur Änderungen der Eigenschaften würden jedoch die Anwendbarkeit von § 1048 ABGB rechtfertigen. Daneben führt das Höchstgericht jedoch in wertender Betrachtung aus, dass aus dem Spekulationsgeschäft Aktienkauf die Parteienabsicht folgt, dass der Käufer die Gefahr des Kursrückgangs der Aktien ebenso in unbeschränktem Maße zu tragen hat, wie ihm auch eine Kurssteigerung zugute kommt; anderes könne selbstverständlich vereinbart werden. Das ist im Ergebnis richtig. § 1048 ABGB erfasst die bloße Änderung der Wertverhältnisse gerade nicht; vielmehr muss der Wertverlust, an den die Bestimmung anknüpft, auf Änderungen der Eigenschaften der Sache zurückzuführen sein.864 Das erklärt sich wohl aus der grundsätzlichen Überlegung, dass die Einschätzung zukünftiger Marktverhältnisse den Parteien überlassen bleiben soll und zwar wegen der grundsätzlichen Unvorhersehbarkeit zukünftiger Entwicklungen auch über die Hälftegrenze hinaus, also auch in Fällen, in denen bei einem Irrtum über den derzeitigen Wert die Anfechtung nach § 934 ABGB zulässig wäre. Das spricht grundsätzlich dagegen, der benachteiligten Partei bei besonders schwerwiegenden Änderungen des Werts ein Lösungsrecht über § 1048 861
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864
Bzw denjenigen, dem die Leistung, die an Wert verliert, beim Tauschvertrag erbracht werden soll. Vgl Aicher in Rummel I §§ 1048-1051 Rn 4. OGH Rsp 1926/209 (204). Die grundlegende Frage offen lassend hingegen OGH Rsp 1931/244 (161). Nicht einschlägig ist OGH GlU 8861, weil dort die Entwertung erst nach dem bedungenen Zahlungstermin erfolgte. Wahle in Klang IV/2 56 f.
VIII. Der zukünftige Marktpreis
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ABGB zu gewähren. Ausschlaggebend muss vielmehr der Parteiwille sein. Der OGH stellt in der soeben zitierten Entscheidung auch auf den konkreten Vertrag ab. Im Übrigen könnte § 1048 ABGB allenfalls Wertänderungen betreffen, die dem Käufer zur Last fallen; für den umgekehrten Fall, nämlich das Steigen der Preise zu Lasten des Verkäufers, trifft die Norm ohnehin keine Aussage. Für die darüber hinaus gehende Frage, ob Wertänderungen nach Erfüllung Auswirkungen auf den Vertrag haben können, ist § 1048 ABGB auch nichts zu entnehmen.
C. Vertragsauslegung und Wegfall der Geschäftsgrundlage Die Parteien können selbstverständlich anderes vereinbaren. Eine abweichende Vereinbarung kann sich implizit aus ergänzender Vertragsauslegung ergeben. Ein Beispiel dafür sind die so genannten Baulandsicherungsmodelle.865 In den einschlägigen Fällen kauft die Gemeinde Grundstücke, die als Grünland gewidmet sind; für beide Parteien ist aufgrund des Baulandsicherungsmodells klar, dass die Umwidmung in Bauland erfolgen wird.866 Hier spricht nichts gegen die Annahme, dass die Parteien diese Eigenschaft als Bauland und damit die Bewertung unter Berücksichtigung dieser Widmung dem Vertrag zugrunde gelegt haben,867 was sich natürlich auch im Preis niederschlägt. In diesen Fällen kann man den Vertrag ergänzend dahingehend auslegen, dass der Beurteilungsmaßstab von § 934 ABGB zugunsten des verkürzten Verkäufers geändert wurde.868 Somit ist für den Wertvergleich auf den Wert von Bau-, nicht von Grünland abzustellen. Scheitert auch die ergänzende Vertragsauslegung, weil die Erwartungen der Parteien über die zukünftige Wertentwicklung im Vertrag keinen Niederschlag gefunden haben, so kann im Einzelfall noch die Lehre des Wegfalls der Geschäftsgrundlage einen Ausweg bieten. Dann wird der gemeinsame Motivirrtum ausnahmsweise doch berücksichtigt, was schon zeigt, dass diese Lehre nur mit Vorsicht angewandt werden darf. Wie insbesondere Fleischer869 herausgearbeitet hat, kann es bei subjektiver Risikolosigkeit gerechtfertigt sein, ein Auflösungsrecht zu gewähren, wenn sich der als sicher vorausgesetzte Sachverhalt wider Erwarten nicht verwirklicht.
865
866
867 868
869
Vgl OGH BBl 1998, 43 (Egglmeier); dazu auch Binder, ZfV 1995, 609; Reischauer in Rummel I § 934 Rn 3 (auf Seite 1898 f). Freilich geht es hier bei strenger Betrachtung nicht um Wertirrtümer, sondern um Eigenschaftsirrtümer. Allenfalls abzüglich der Aufschließungskosten; vgl Binder, ZfV 1995, 612. Wie hier Egglmeier in ihrer Anmerkung zu OGH BBl 1998, 43. Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob der Käufer, also die Gemeinde, vom Vertrag zurücktreten kann, wenn die Umwidmung nicht erfolgt. Informationsasymmetrie 386 ff. ME müssen jedoch entgegen Fleischer Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Fehlvorstellung eine gemeinsame war; es reicht nicht, dass eine Partei ihre Vorstellung der anderen bloß mitteilt.
180
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Für Fehlvorstellungen über die zukünftige Marktentwicklung wird das freilich nur in den seltensten Fällen gelten können, weil die Tatsache, dass sich Marktpreise bzw Kurse ändern, allgemein bekannt ist. So scheidet dieser Einwand aus, wenn es um den Erwerb auf regelmäßig volatilen Märkten geht; dazu gehört neben dem Wertpapiermarkt wohl auch der Immobilienmarkt. Gerechtfertigt könnte der Einwand sein, wenn der Markt nach Ansicht der betroffenen Verkehrskreise statisch ist und plötzliche, durch exogene und für die Verkehrsteilnehmer überraschende Störungen bedingte Schwankungen auftreten;870 ebenso ist es denkbar, dass die exogene Störung zwar voraussehbar war, ihr Einfluss auf den Markt aber nicht. Im Einzelfall können auch Änderungen nach dem vereinbarten Erfüllungszeitpunkt die Anfechtung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage eröffnen.871 Die Schlüsselfrage in diesem Zusammenhang ist, wie lange solche Störungen geltend gemacht werden können. Der Streit über die Verjährungsfrist872 hilft nicht weiter, weil es bei diesem vor allem um Dauerschuldverhältnisse geht, bei denen die Geschäftsgrundlage auch noch mehr als 30 Jahre nach Vertragsabschluss wegfallen und damit Auswirkungen auf künftige Leistungen zeigen kann. Beim Kaufvertrag geht es jedoch um die Rückabwicklung bereits erbrachter Leistungen. Eine starre Ausschlussfrist gibt es jedenfalls nicht. Bei der richterlichen Wertung ist jedoch darauf Bedacht zu nehmen, dass die (wenigen) grundsätzlich beachtlichen Wertänderungen um so weniger zur Auflösung des Vertrags berechtigen können, je später sie nach Erfüllung des Vertrags erfolgen. Jedoch kann man bei verbrauchbaren Gütern aus § 934 ABGB wohl auch für den Wegfall der Geschäftsgrundlage ableiten, dass eine Änderung der Verhältnisse nach der Hälfte der Nutzungsdauer jedenfalls unbeachtlich ist, weil diesbezüglich (lineare Abschreibung der Anschaffungskosten vorausgesetzt) eine Verkürzung um mehr als die Hälfte gar nicht mehr möglich ist. Sonst muss die Verkürzung jedenfalls gröblich sein; sie muss sich umso mehr dem Totalverlust annähern, als sich die Änderung der Marktverhältnisse in der Zeit nach hinten verlagert.
D. Der Wuchertatbestand Auch bei der Wucheranfechtung ist nach herrschender Meinung der Marktpreis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschlaggebend.873 Zukünftige Wertentwicklungen sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.
870 871
872 873
ZB eine überraschende Ölkrise auf den Gebrauchtwagenmarkt. Dem steht auch nicht entgegen, dass bei Dauerschuldverhältnissen die Rückabwicklung im Regelfall nur ex nunc, das heißt bloß bezüglich zukünftiger Leistungen erfolgt; denn bei jenen Rechtsverhältnissen stehen sich häufig vergangene, „abgeschlossene“ Nutzungen und erbrachte Leistungen gegenüber (zB Miete und Nutzung), was eine Rückabwicklung ex tunc nicht notwendig erscheinen lässt. Vgl Rummel in Rummel I § 901 Rn 8. SZ 23/335; Krejci in Rummel I § 879 Rn 224; Bollenberger in KBB § 879 Rn 19; Joeinig, ÖJZ 2003, 4.
VIII. Der zukünftige Marktpreis
181
Beispiele aus der Rechtsprechung, die im Schrifttum teilweise herangezogen werden, um diese Rechtsmeinung zu stützen, betreffen hier nicht einschlägige Sachverhalte. Einmal ging es um eine Wertsicherungsklausel, bei der die Restkaufpreisforderung für ein Unternehmen mit dem jeweiligen Marktpreis für Mauerziegel wertgesichert wurde; der OGH lehnte es ab, die spätere – für beide Parteien nicht absehbare – hohe Preissteigerung für diese Baustoffe im Rahmen der Wucheranfechtung zu berücksichtigen.874 In einem anderen Fall stellte der OGH bloß fest, dass die Sache nicht spruchreif sei, weil der Wert eines Grundstücks im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht festgestellt worden war.875 Soweit ersichtlich ging es in keinem Fall darum, dass ein Vertragsteil die zukünftige Preisentwicklung kannte und die andere Partei in die Irre führte.
Für die Beantwortung der Frage, ob diese Auslegung sachgerecht ist, muss man zunächst die Wertungen des Wuchertatbestandes in den Blick nehmen. Besonders sollen diejenigen geschützt werden, deren Willensfreiheit beeinträchtigt ist. Normalen Teilnehmern am Rechtsverkehr käme grundsätzlich kein Schutz zugute, wenn der Vertragspartner über Informationen über den zukünftigen Marktpreis verfügt.876 Weder bestehen Aufklärungspflichten noch kann die laesio enormis helfen. Zukünftige nachteilige Wertentwicklungen muss daher grundsätzlich jeder selbst tragen. Was kann dafür sprechen, denjenigen, die sich in einer wirtschaftlichen oder psychischen Notlage befinden, einen diesbezüglich weiteren Schutz einzuräumen? Der Wuchertatbestand geht davon aus, dass die Willensbeeinträchtigung die Möglichkeit ausschließt, den Vergleich zwischen erbrachter Gegenleistung und Marktpreis vorzunehmen oder aus ihm die angemessenen Folgen zu ziehen; dies wird nur dem unbeeinflussten Teilnehmer am Rechtsverkehr zugemutet, während der Beeinträchtigte gegen den wissentlich Vorgehenden durch die Wucherbestimmung ein Rechtsmittel erhält. Dieselben Überlegungen gelten aber mE auch, weil und sofern der Bewucherte in seinen Überlegungen über mögliche zukünftige Preisentwicklungen beeinträchtigt ist. Da der Wucherer diese Schwächesituation bewusst ausnützt, ist er nicht schutzwürdig.877 Für den eingangs (Beispiel 1) geschilderten Getreidefall ist damit die Anfechtung nach § 879 ABGB grundsätzlich zu bejahen, soweit eine in § 879 Abs 2 Z 4 ABGB angeführte Willensbeeinträchtigung vorliegt. Im gegenständlichen Fall besteht wegen der Hungersnot eine Zwangslage. Wenn der Käufer bei Wissen über das baldige Eintreffen der Versorgungsflotte mit der Beschaffung noch zugewartet hätte, besteht diese Zwangslage in Wirklichkeit nicht; sie wird durch das Verschweigen des zu erwartenden Einlangens erst herbei874 875 876
877
SZ 23/335. OGH JBl 1961, 417. Vgl auch OGH MietSlg XIX/23. Unterliegen beide Parteien der Fehlvorstellung über die zukünftige Wertentwicklung, so scheidet die Wucheranfechtung bei zukünftigen Änderungen des Marktpreises mangels Ausbeutung ohnehin aus. Im Ergebnis wie hier Fleischer, Informationsasymmetrie 329 f.
182
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
geführt. Das spricht doch deutlich für die Berücksichtigung der zukünftig fallenden Preise. Vom Eingangsbeispiel abgehend sind aber Fälle denkbar, in denen durch das Verschweigen der Information die Zwangslage nicht herbeigeführt wird. Angenommen, der Käufer des Getreides muss dieses auf jeden Fall kaufen, weil die Flotte für seinen Bedarf zu spät kommt. Dann wird eine nun tatsächlich bestehende, nicht etwa bloß vorgetäuschte Zwangslage ausgenützt. Hier kommt für die wucherrechtliche Beurteilung dem Kriterium der Kausalität der Handlung besondere Bedeutung zu. Ist die Verspätung für den Großteil der Bevölkerung unerheblich und nur aufgrund der besonderen Umstände des Käufers für ihn ausschlaggebend, so wäre bei Bekanntgabe des zukünftigen Eintreffens der Flotte der Marktpreis gefallen. Die Zwangslage, nämlich bei diesem Getreidehändler zu diesem hohen Preis zu kaufen, besteht auch in diesem Fall nur wegen des Verschweigens der Information. Bei solcherart geringfügig schnellerem Informationszugang des Getreidehändlers kann man daher auf zukünftige Preisentwicklungen abstellen. Die Sachlage ist freilich anders, wenn die Flotte für die meisten Einwohner zu spät eintreffen würde. Die Information würde dann nicht eingepreist werden. In diesem Fall sind schwerlich Argumente zu finden, die es rechtfertigen, den jetzigen Marktpreis prinzipiell als „unrichtig“ zu sehen und unbedingt auf relativ weit878 in der Zukunft liegende Veränderungen abzustellen. Insbesondere die Knappheit als Einflussfaktor wird durch den Marktpreis hier zutreffend widergespiegelt. Dann kann aber auch kein Wucher vorliegen. Besteht in dieser Situation ein Monopol (was häufig der Fall sein wird), so ist es freilich eventuell gerechtfertigt, auf Kosten abzustellen (vgl oben V. C.). Sonst bleibt mE nur der Verweis auf eine öffentlich-rechtliche Preisregelung, die über § 917a ABGB dann unmittelbar auf den Vertrag anwendbar ist. Die Erfahrung zeigt, dass in Notlagen, insbesondere in Kriegszeiten, von diesen Instrumenten auch Gebrauch gemacht wird.879
Wenn man diese Gedanken verallgemeinert, so geht es in der Sache um unmittelbar bevorstehende Änderungen, die zu neuen Marktpreisen führen, wenn diese Änderungen einer Vertragspartei bekannt sind. Dadurch wird auch der Wuchertatbestand nicht unübersehbar ausgedehnt. Das steht in Einklang mit denjenigen Stimmen in der Ökonomie, die Zweifel daran anmelden, ob derjenige, der Informationen nur geringfügig schneller in den Markt bringt, wirklich den Schutz der Rechtsordnung verdient, weil er eine sozial wertvolle Funktion erfüllt.880
878 879
880
Vor allem im Vergleich zur Bedeutung für die unmittelbare Nachfrage. Vgl Mayer-Maly in FS Demelius 140: „Ist der Krieg auch nicht der Vater aller Dinge, so doch jedenfalls des Preisrechts.“ Vgl die Nachweise oben IV. A. 2. c).
VIII. Der zukünftige Marktpreis
183
E. Zu Optionsverträgen Die bisherigen Erkenntnisse lassen sich sehr gut für die Beurteilung der schwankenden Entscheidungspraxis bei der Behandlung von Optionsverträgen im Rahmen von § 934 ABGB verwerten. Bei diesen ist der Stillhalter regelmäßig dem Risiko ausgesetzt, dass der Optionsberechtigte die Option nur dann zieht, wenn der Ausübungspreis für ihn günstiger als die Marktverhältnisse ist. Insofern ist dieses Risiko für den Stillhalter geschäftstypisch. Dennoch scheint die jüngere Rechtsprechung des OGH besonders grobe Missverhältnisse korrigieren zu wollen. Nach einem Urteil des 2. Senats aus 1997 ist bei Optionsverträgen die Anfechtung nach § 934 ABGB allerdings nur dann zulässig, wenn das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Abschlusses des Optionsvertrages gegeben war; das ergebe sich aus der Parallelbehandlung zum Vorvertrag, wo auch auf den Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags und nicht auf den des Hauptvertrags abgestellt würde.881 Am Beispiel einer Option zum Erwerb einer Liegenschaft bedeutet das, dass die Anfechtung aus Sicht des Stillhalters einer Call-Option möglich ist, wenn der Marktpreis der Liegenschaft im Zeitpunkt der Einräumung der Option wenig mehr als das Doppelte des Optionspreises beträgt. Hingegen soll es für die Anwendung der laesio enormis unerheblich sein, wenn das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nur im Moment der Optionsausübung vorliegt. Der 4. Senat ist dieser Rechtsprechung 2001 nicht gefolgt.882 Für eine Option des Mieters auf den Erwerb einer Betriebsliegenschaft wurde eine maximale Laufzeit von 20 Jahren vereinbart und der Kaufpreis wertgesichert vereinbart. Bei Ziehen der Option knapp vor Ablauf der Ausübungsfrist war die Wertentwicklung der Liegenschaften weit über derjenigen des für die Valorisierung herangezogenen Index gelegen. Der OGH stellte nunmehr auf den Zeitpunkt der Ausübung der Option ab, wobei er sich im Ergebnis auf die Zweiaktigkeit des Rechtsgeschäfts berief (Optionsvertrag plus spätere Optionsausübung) und festhielt, dass der Vergleich wegen der bloß einseitigen Bindung nicht mit dem Vorvertrag, sondern mit der bindenden Offerte erfolgen müsse; auch bei dieser sei für die Anwendung der laesio enormis auf die Wertverhältnisse im Zeitpunkt des endgültigen Vertragsabschlusses abzustellen. Im Ergebnis stand dem Stillhalter die Anfechtung nach § 934 ABGB offen, weil die Liegenschaft bei Ausübung der Option einen Marktwert von mehr als dem Doppelten des Ausübungspreises hatte. Von diesem Ausgangspunkt aus völlig folgerichtig hat der 1. Senat in der bisher letzten einschlägigen Entscheidung883 eine gesellschaftsrechtliche Frage gelöst. Bei Gründung einer GmbH bot ein Gesellschafter dem anderen unwi881 882
883
Vgl SZ 70/28. 4 Ob 159/01p. Dazu Noll, AnwBl 2002, 511 f; kritisch Pfersmann, ÖJZ 2005, 534 f; zustimmend Binder in Schwimann IV § 934 Rn 15. 1 Ob 67/03i.
184
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
derruflich die Abtretung seines Anteils an; bei Annahme des Angebots acht Jahre später lag der (Ertrags)Wert des Unternehmens weit über dem vereinbarten (wertgesicherten) Abtretungspreis. Der OGH qualifizierte den Sachverhalt zwar (durchaus zweifelhaft) als Optionsvertrag, führte aber im Ergebnis wiederum an, dass die richtige Parallele bei einem einseitig bindenden Offert liege. Deswegen komme es auf das Wertverhältnis im Zeitpunkt der Geltendmachung der Abtretungsverpflichtung an. Dieser Rechtsprechung kann man zunächst damit entgegentreten, dass damit auf die zukünftige Marktentwicklung abgestellt wird, § 934 ABGB aber den Vergleich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorschreibt. Auf dieser Ebene muss man sich freilich entgegenhalten lassen, dass der relevante Vertragsabschluss dem Wortsinn nach sowohl derjenige des Optionsvertrags als auch derjenige des zur Durchführung der Option dienenden Kaufvertrages sein kann. Die Anwendung der laesio enormis ist dann im Ergebnis von vielen, mehr oder weniger zufälligen Fallgestaltungen abhängig: Darf der Begünstigte bei Ziehen der Option unmittelbar die Leistung verlangen, weil ein bedingter Kaufvertrag vorliegt, so muss bei diesem Ansatz die Anfechtung ausscheiden, wenn das Missverhältnis erst im Ausübungszeitpunkt besteht.884 Liegt hingegen konstruktiv ein bindendes Offert mit langer Annahmefrist vor, so ist der einzige Vertragsschluss derjenige des „Haupt“vertrags im Zeitpunkt der Optionsausübung; einen Optionsvertrag, auf den man abstellen könnte, gibt es gar nicht. In der Parallelbehandlung dieser unterschiedlichen rechtstechnischen Gestaltungsvarianten liegt auch der richtige Ansatz der Rechtsprechung des OGH.885 Den „richtigen“ Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses festzustellen, ist aber nach der hier vertretenen Ansicht ein falscher Ansatzpunkt für die Lösung der Rechtsfrage. Vielmehr ist zunächst auf die vertragliche Risikoverteilung abzustellen. Geht man davon aus, dass die zukünftige Wertentwicklung beiden Parteien bei Abschluss der Optionsvereinbarung unbekannt ist, so wird deutlich, dass häufig ein Spekulationsgeschäft vorliegt; jede Partei spekuliert auf eine bestimmte zukünftige Wertentwicklung. Insofern liegt jeder Optionsvereinbarung eine bestimmte Risikoverteilung zugrunde; steigt der Wert des Kaufgegenstandes über den vereinbarten Preis, so trägt zB bei der CallOption der Verkäufer das Risiko des Verlusts, wobei ihm dieses Risiko im Zeitpunkt der Optionseinräumung im Regelfall auch abgegolten wird. Wenn wie zumeist eine solche vertragliche Risikoverteilung zu erkennen ist, so darf diese rechtsdogmatisch nicht durch Rückgriff auf die Anfechtung wegen laesio enormis umgangen werden;886 das ist oben (VI. E.) für den Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe schon allgemein ausgeführt worden. 884
885 886
Freilich ist das entgegen dem OGH (4 OB 159/01p) nicht die einzige Gestaltungsvariante, mit der eine Option vereinbart werden kann. Vgl 1 Ob 67/03i. Ähnlich im Ergebnis Pfersmann, ÖJZ 2005, 534 f.
VIII. Der zukünftige Marktpreis
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Im gegebenen Zusammenhang ist die Fragestellung bei grundsätzlich gleicher inhaltlicher Wertung nur dogmatisch etwas verschoben; aus der Risikoverteilung ergibt sich, dass für die Beurteilung grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Abschluss des Optionsvertrags abzustellen ist. Dem benachteiligten Vertragsteil soll kein Recht zustehen, sich von dem ihm ex post ungünstigen Geschäft entgegen seiner ursprünglichen rechtsgeschäftlichen Absicht zu lösen, wenn keine besonderen Umstände über die bloße Nachteiligkeit hinaus vorliegen, die ein solches Lösungsrecht rechtfertigen können. Das gilt jedenfalls für die gegen Entgelt eingeräumte Option.887 Der richtige Ansatzpunkt stellt daher mit der ursprünglichen Rechtsprechung des OGH auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Optionsvereinbarung ab. Freilich wäre es ökonomisch verfehlt, den Vergleich zwischen dem Ausübungspreis und dem Marktwert der Sache im Zeitpunkt dieser Vereinbarung vorzunehmen, wie es der OGH anzudeuten scheint;888 einem rationalen Teilnehmer am Verkehrsgeschehen ist dieser Wert gleichgültig. Vielmehr kommt es auf den erwarteten Wert im Zeitpunkt der Optionsausübung an. Der Vergleich kann daher allenfalls zwischen Preis für die Option und dem Wert dieser Option, wie er nach den Grundsätzen der Optionsbewertung ermittelt werden kann,889 vorgenommen werden. Zur grundsätzlichen Haltung des ABGB gegenüber Optionsvereinbarungen vgl bereits oben III. A. 3. Der soeben skizzierte Vergleich scheitert aber in vielen Fällen daran, dass bei Einräumung der Option keine ohne weiteres bewertbare Gegenleistung eingeräumt wurde, wie es auch den vom OGH entschiedenen Fällen entspricht;890 vielmehr werden Optionen häufig im Gesamtzusammenhang komplexer Rechtsverhältnisse gewährt. In dem einen vom OGH entschiedenen Fall wurde die Option im Rahmen der Miete einer Betriebsliegenschaft eingeräumt,891 in dem anderen ging es um die Option zum Aufgriff eines Gesellschaftsanteils, die im Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung vereinbart wurde.892 Indem der OGH in solchen Zusammenhängen mit grobem Schnitt ein-
887 888
889
890
891 892
Vgl auch Noll, AnwBl 2002, 510. SZ 70/28, wo der OGH dem Berufungsgericht zur Ergänzung der Beweisaufnahme aufträgt, den Wert der Liegenschaft im Zeitpunkt des Abschlusses der Optionsvereinbarung zu ermitteln. Vgl dazu aus der betriebswirtschaftlichen Standardliteratur Brealy/Myers, Corporate Finance 583 ff. Damit kann die Optionsgewährung entweder entgeltlich, aber ohne genau festlegbares Entgelt sein, oder entgeltsfremd, wenn sie im Bereich des Gesellschaftsrechts stattfindet. Warum bei solchen Sachverhalten, aber Unentgeltlichkeit vorliegen soll, wie Noll (AnwBl 2002, 511 f) anzudeuten scheint, will mir nicht unmittelbar einleuchten. OGH 4 Ob 159/01p. OGH 1 Ob 67/03i. Die Entscheidung steht im Übrigen in einem Spannungsverhältnis zur hL zu den Buchwertklauseln bei Gesellschafteraustritt; vgl näher Koppensteiner, GmbHG Anh § 71 Rn 9 mwN.
186
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
fach auf den Zeitpunkt der Ausübung der Option für den Wertvergleich abstellt, greift er in komplexe Rechtsverhältnisse ein, ohne sich der Mühe zu unterziehen, die Interessenlagen der Parteien zu untersuchen. Die laesio enormis ist für solche Fälle überhaupt kein geeignetes Instrument, weil sie ein klar vorgezeichnetes Synallagma von Leistung und Gegenleistung voraussetzt, das einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden kann; § 934 ABGB findet daher auf die den Entscheidungen des OGH zugrunde liegenden Sachverhalte gar keine Anwendung. Letztlich spricht auch ein dogmatischer Grund gegen die Ansicht des OGH. Nach § 935 ABGB scheidet die Anfechtung wegen laesio enormis aus, wenn der Verkürzte das Geschäft abgeschlossen hat, obwohl ihm das Missverhältnis bekannt war. Das zeigt deutlich, dass es um einen Willensmangel beim Verkürzten geht, der seine rechtsgeschäftliche Erklärung betrifft. Damit ein Willensmangel vorliegen kann, muss der Verkürzte aber eine Willenserklärung abgeben. Die einzige Willenserklärung des Verkürzten wurde aber in den vom OGH entschiedenen Fallen bei Abschluss der Optionsvereinbarung abgegeben. Das zeigt, dass nur dieser Zeitpunkt für die Beurteilung des Rechtsgeschäfts in Frage kommt. Hingegen stellt der OGH auf die zweite Willenserklärung des Begünstigten (nicht des Verkürzten!) ab, die bei Ausübung der Option erfolgt; das findet keine Stütze im Gesetz. Erkennt man, dass es maßgeblich um die Mangelfreiheit der Willenserklärung des Verkürzten geht, so erklärt sich auch das vom OGH893 zu Recht angesprochene, im Ergebnis aber falsch gelöste Problem der Offerte mit langer Bindungsdauer, durch die eine Option nachgebildet werden kann. Die Fälle sind parallel zu behandeln;894 auch bei dieser ist auf die Einräumung der Offerte abzustellen, soweit nicht ohnehin stillschweigend ein Optionsvertrag abgeschlossen wird. § 934 Satz 3 ABGB ist daher teleologisch zu reduzieren. Dafür spricht zunächst, dass auch bei dieser Gestaltung im Regelfall eine Risikoübernahme durch den Offerenten gewollt ist. Freilich wird man bei einer Auslegung der Offerte, also bei der Bestimmung ihrer Bindungswirkung besonders berücksichtigen müssen, was gewollt ist und welche Umstände vorausgesetzt wurden. Mit einer mechanischen Anwendung des Wertvergleichs ist es aber nicht getan.
Das bedeutet freilich nicht, dass der Stillhalter bei solchen Optionen jedenfalls schutzlos gestellt ist, sondern nur, dass der Schutz nicht über § 934 ABGB erreicht werden kann. Denn auf Optionen kann das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in seiner in § 936 ABGB festgehaltenen Form Anwendung finden, was insbesondere bei langen Laufzeiten der Option 893 894
OGH 4 Ob 159/01p; OGH 1 Ob 67/03i. Freilich wäre es auch denkbar, eine Ungleichbehandlung zuzulassen. In diesem Sinn wäre die Wahl des Optionsvertrags oder der Offerte mit langer Bindungswirkung daher ein Optieren für eines der beiden Regelungsmodelle. Ich meine aber, dass damit die häufig zufällige Wahl eines der beiden Modelle nicht hinreichend berücksichtigt würde.
IX. Laesio enormis und unternehmerisches Rechtsgeschäft
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schlagend werden kann.895 So wäre zB im Fall der Option für die Betriebsliegenschaft896 zu fragen gewesen, ob das Risiko einer Umwidmung von den Parteien vorgesehen wurde oder für sie doch vorhersehbar war; das hat der OGH im Übrigen ausdrücklich bejaht. Warum er dennoch, also trotz der subjektive Vorhersehbarkeit der Entwicklung, die Vertragsanfechtung zugelassen hat, erklärt sich aus einem Satz des Urteils: „Das Rechtsinstitut der laesio enormis (§ 934 ABGB) beruht auf dem Gedanken der objektiven Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung.“ Die subjektiven Elemente, die der Bestimmung zugrunde liegen, hat der OGH ignoriert und damit in ungerechtfertigter Weise in die Vertragsfreiheit eingegriffen. Besonders bedenklich ist aber, dass der OGH keinerlei Einschränkungen vorgenommen hat und sich seine Rechtsansicht daher prima facie auch auf Optionen erstreckt, bei denen der Stillhalter das Risiko gegen eine Prämie übernommen hat.897 Die Grundlagen einer ganzen Branche sind daher in Frage gestellt. Das gilt umso mehr, als sich in Zukunft auch Kaufleute auf die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte berufen können.
IX. Laesio enormis und unternehmerisches Rechtsgeschäft A. Alte Rechtslage vor dem UGB 1. § 351a HGB Bereits einleitend wurde festgehalten, dass Handelsgeschäfte nach Art 286 ADHGB 1863 wegen Verkürzung über die Hälfte nicht angefochten werden konnten (oben II. C.). Das deutsche HGB 1899 enthielt keine entsprechende Bestimmung, da die laesio enormis ohnehin nicht in das BGB übernommen worden war. 1938 musste für Österreich der Ausschluss der Anfechtung nach § 934 ABGB für Handelsgeschäfte in Art 8 Nr 6 EVHGB jedoch ausdrücklich festgeschrieben werden, da das ABGB in Kraft blieb. Bemerkenswert an der damaligen Rechtslage war, dass nach herrschender Lehre auch dem NichtKaufmann die Berufung auf die laesio enormis abgeschnitten war. 898 Letzteres änderte sich durch die Neuregelung der laesio enormis durch das KSchG; Art 8 Nr 6 EVHGB wurde durch § 351a HGB aF ersetzt: „Derjenige, für den der Vertrag ein Handelsgeschäft ist, kann ihn nicht nach § 934 ABGB 895 896 897
898
Vgl Noll, AnwBl 2002, 510 f; Binder in Schwimann IV § 936 Rn 13 ff. OGH 4 Ob 159/01p. Auch in diesem Zusammenhang ist es ganz besonders erschwerend, dass der OGH die Anfechtung trotz Vorhersehbarkeit der zukünftigen Wertentwicklungen zugelassen hat. Vgl SZ 68/66 mwN; Ehrenzweig, System II/1 238; Caro, ZBl 1911, 644; Hämmerle, Handelsrecht 871; Stölzle, AnwBl 1980, 472; aM Gschnitzer in Klang IV/568. Historisch ergibt sich dies eindeutig aus den Nürnberger Protokollen (Band III, 1313 f), weil ein der Ansicht der Mindermeinung entsprechender Gegenantrag, der das Rechtsmittel nur dem Kaufmann nehmen wollte, abgelehnt wurde.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
wegen Verkürzung über die Hälfte anfechten.“ Damit war nur dem Kaufmann die Berufung auf die Verkürzung über die Hälfte verwehrt;899 das galt sowohl für Voll- als auch für Minderkaufleute.900 Der Ausschluss der Anfechtung nach §§ 934 f ABGB war freilich nur dispositiv.901 Sonstigen Unternehmern ohne Kaufmannseigenschaft stand die Anfechtungsmöglichkeit nach § 934 ABGB hingegen zwingend zu; die analoge Anwendung von § 351a HGB wurde – soweit ersichtlich – nicht vertreten.902 Versucht man den Sachgrund für diesen Ausschluss zu finden, so hilft ein Blick in die Nürnberger Protokolle zum ADHGB.903 Die dort artikulierte grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Institut ist freilich aus heutiger Sicht nicht ausschlaggebend; offensichtlich hätte die Mehrheit der Mitglieder die laesio enormis auch im allgemeinen Zivilrecht am liebsten abgeschafft, wenn nur die Kompetenz dazu gegeben gewesen wäre. Schon wichtiger, aber im Ergebnis auch nicht mehr ausschlaggebend ist das Ziel der Überwindung der Rechtszersplitterung im kaufmännischen Handelsverkehr; diese Aufgabe müssen heute andere Institutionen als ein für Österreich und Deutschland einheitliches Handelsrecht erfüllen. Bedeutend ist aber, was in der Kommission als Argument für den (abgelehnten) Alternativvorschlag, nur dem Kaufmann die Berufung auf die Verkürzung über Hälfte zu verwehren, vorgebracht wurde; denn das war ab 1979 bis zum UGB die Rechtslage in Österreich. Die Proponenten des Änderungsvorschlags brachten vor, „daß man bei Kaufleuten eine gründliche Kenntniß des Werthes der verkauften Waaren voraussetzen könne“ und dies beim am Handelsgeschäft beteiligten „nicht spekulirenden“ Nichtkaufmann nicht der Fall sei. Diese Rechtfertigung für den Ausschluss, nämlich dass der Kaufmann typischerweise den Wert der Kaufsache gut einschätzen kann, wurde auch als Begründung für den späteren § 351a HGB weit gehend anerkannt.904 899 900
901
902
903 904
OGH wbl 2002, 579. OGH RdW 1998, 199; OGH wbl 2002, 579; Krejci, Handelsrecht 243; Kramer in Straube, HGB I § 351a Rn 1; Kerschner in Jabornegg, HGB § 351a Rn 2; Jud in FS Wagner 214. Kramer in Straube, HGB I § 351a Rn 3; Kerschner in Jabornegg, HGB § 351a Rn 1. Probleme bereiteten in diesem Zusammenhang Gründungsgeschäfte. Obwohl diese bereits Handelsgeschäfte sind, stand nach hM insbesondere wegen § 1 Abs 3 KSchG die Anfechtung nach § 934 ABGB noch offen. Vgl SZ 68/66; SZ 68/152; OGH wbl 2002, 579. Befürwortend zB Kalss/Schauer, Handelsrecht Rn 9/11; Kerschner in Jabornegg, HGB § 351a Rn 2; P Bydlinski in KBB § 935 Rn 1; iE auch Kramer in Straube, HGB I § 351a Rn 1 iVm §§ 343, 344 Rn 12. Kritisch Reischauer in Rummel I § 934 Rn 1a; Längle in FS Krejci 227 ff. Zum Unternehmenserwerb SZ 68/152; OGH wbl 2002, 579; Jud in FS Wagner 215 ff; ders in Egger et al, Unternehmensbewertung 191 f. Band III 1313 f. Kerschner in Jabornegg, HGB § 351a Rn 1; P Bydlinski, JBl 1993, 563; ders, RdW 2003, 431; ders in KBB § 935 Rn 1. Aus der Rsp SZ 68/66.
IX. Laesio enormis und unternehmerisches Rechtsgeschäft
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Jedenfalls konnte auch der Kaufmann anfechten, wenn sich eine andere Anspruchsgrundlage finden ließ, mit der die grobe Äquivalenzstörung aufgegriffen werden konnte.905 Das gilt für alle hier dargestellten Rechtsbehelfe, also zB für Irrtumsanfechtung und Gewährleistung, aber auch für die Wucheranfechtung, wenn die Voraussetzungen nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vorliegen.906 Allerdings gehen und gingen Gewährleistungsansprüche und Irrtumsanfechtung verloren, wenn die Rügeobliegenheit nach §§ 377 f HGB versäumt wird.907
2. Kritische Würdigung Dieser Ausschluss der laesio enormis für Kaufleute war in sich unschlüssig und mit schwerwiegenden Mängeln behaftet. Die Grundidee ist freilich richtig: Wer den Markt besser beobachten kann, der soll auch die Folgen tragen, wenn er diese Marktbeobachtung nicht ausreichend durchgeführt hat.908 Dieser Gedanke war freilich nicht ausreichend verwirklicht. Zumindest909 drei Problembereiche lassen sich ausmachen: (a) die Problematik der Fiktion an sich; (b) die Anwendung auf den Eigenschaftsirrtum; (c) die Geltung auch bei Informationsasymmetrie. a) Die Problematik der Fiktion Von Kaufleuten wird nach den Nürnberger Protokollen angenommen, dass sie den Wert der Kaufsache besonders gut einschätzen können. Diese Formulierung verdeckt freilich, dass es nicht um die Feststellung eines Sachverhalts, sondern um eine Wertung geht: Weil Kaufleuten typischerweise die Selbstinformation leicht möglich ist, sollen sie diese auch vornehmen. Verletzen sie diese Obliegenheit, so steht ihnen auch bei grobem Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht das Recht zu, sich vom Vertrag zu lösen. Es ist bemerkenswert, dass im Bereich des allgemeinen Zivilrechts diese Argumentation nicht gilt; denn auch derjenige, der den Wert an und für sich kennen muss, kann nach § 934 ABGB anfechten, weil nur positive Kenntnis des wahren Wertes schadet (§ 935). Während es daher im Zivilrecht keine Obliegenheit zur Selbstinformation gibt, musste sich der Kaufmann nach dem HGB typologisch den Vorwurf gefallen lassen, dass ihm die Informationsbeschaffung durch Marktbeobachtung möglich gewesen gewesen sei und er
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AllgM; vgl Löbl in Pisko, ADHGB II3 Art 286 § 2; Hämmerle, Handelsrecht 871; Kerschner in Jabornegg, HGB § 351a Rn 4; Kramer in Straube, HGB I § 351a Rn 4, 7. Kramer in Straube, HGB I § 351a Rn 7; Kerschner in Jabornegg, HGB § 351a Rn 4; Löbl in Pisko, ADHGB II3 Art 286 § 2. Ausnahmen bestehen bei Arglist; vgl Kramer in Straube, HGB I §§ 377, 378 Rn 17 mwN. Vgl im internationalen Kontext ähnlich Dalhuisen 269 ff. Dass § 351a HGB nur für Kaufleute, nicht aber für andere Unternehmer galt, kann wegen der Neuorientierung durch das UGB hier unbehandelt bleiben.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
daher die nachteiligen Folgen jedenfalls selbst zu tragen hätte. Das galt sogar dann, wenn er im Einzelfall zur Einschätzung des Werts gerade nicht in der Lage war! Das war äußerst streng und regte die Frage an, ob nicht die zulässigen Grenzen einer Typisierung910 überschritten sind. Denn wenn es auch richtig ist, dass der Kaufmann bei für ihn branchentypischen Geschäften im Normalfall (aber auch hier keinesfalls immer!) zur Einschätzung der Marktverhältnisse in der Lage ist, gilt dies bei nicht branchentypischen Geschäften keineswegs. Welche realen Anhaltspunkte soll es dafür geben, dass ein Gemischtwarenhändler den Immobilienmarkt gut beobachten kann, wenn er eine neue Geschäftsimmobilie sucht? Hinzu kommt, dass völlig außer Acht blieb, dass im Einzelfall gerade dem konkreten Geschäftspartner eine Information besser (und zu geringeren Kosten) möglich sein kann als dem Verkürzten; dennoch war auch unter diesen Voraussetzungen die Anfechtung nach § 934 ABGB ausgeschlossen. Warum soll der Gemischtwarenhändler nicht anfechten dürfen, wenn sein Geschäftspartner ein Immobilienunternehmen ist? Doch sicher nicht, weil er eher zur Selbstinformation befähigt ist als dieser. Aufgrund dieser Zweifel würde es nahe liegen, für die Anwendung von §§ 934 f ABGB darauf abzustellen, ob der Verkürzte den wahren Wert hätte kennen müssen. Dafür fehlt freilich de lege lata jeder Anhaltspunkt. b) Der Eigenschaftsirrtum Das Rechtsmittel der laesio enormis ist aber nicht nur auf den bisher besprochen Wertirrtum anwendbar, sondern auch dann, wenn der Irrtum nicht den Marktpreis an sich betrifft, sondern jene Eigenschaften, die wertbestimmend sind. Die referierte Begründung für die Norm, dass dem Kaufmann nämlich typischerweise der Wert der Sache besser bekannt sei, hat aber offensichtlich den Fall im Auge, dass die zu bewertende Sache mangelfrei ist. Als ratio legis könnte nun postuliert werden, dass es dem Kaufmann auch typischerweise besser als anderen Teilnehmern am Rechtsverkehr möglich ist, die Mangelhaftigkeit der Sache zu erkennen, und dass deswegen ein Ausschluss der Anfechtung nach § 934 ABGB gerechtfertigt ist. Das ist aber nicht zutreffend.911 Denn auch die Gewährleistungsvorschriften sind zu Gunsten der Kaufleute nicht ausgeschlossen. §§ 377 f HGB zeigt, was Kaufleuten (beim beiderseitigen Handelsgeschäft) zuzumuten ist: Die Ware umgehend auf Fehlerhaftigkeit zu überprüfen.912 Daraus ergibt sich aber im Umkehrschluss, dass
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Dazu (im Zusammenhang mit dem Verbraucherbegriff) jüngst F Bydlinski, AcP 2004, 380 ff. So im Ergebnis auch (allerdings mit anderem Ausgangspunkt) P Bydlinski, JBl 1993, 563. P Bydlinski, RdW 2003, 431 f.
IX. Laesio enormis und unternehmerisches Rechtsgeschäft
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ihnen Mängel vor Übergabe und damit auch vor Vertragsabschluss (wie bei der Anwendung der laesio enormis) nicht leichter auffallen müssen als anderen Verkehrsteilnehmern. Erkennt man daher grundsätzlich an, dass mit der laesio enormis auch auf Mängel beruhende Äquivalenzstörungen aufgegriffen werden können, so fehlt eine Rechtfertigung, weswegen die laesio enormis in diesen Fällen ausgeschlossen sein sollte. Ähnliches gilt, wenn der Kaufmann werterhöhende Eigenschaften der Sache nicht kennt und die Sache deswegen zu weniger als der Hälfte des wahren Werts verkauft. Es ist jedem Teilnehmer am Rechtsverkehr grundsätzlich zuzumuten, die Eigenschaften der Kaufsache zu kennen, so auch dem Kaufmann. Es ist aber kein Grund ersichtlich, aus dem der Kaufmann abweichend vom allgemeinen Zivilrecht die Folgen dieses Irrtums grundsätzlich auch dann tragen soll, wenn er besonders grob ist. Allenfalls ließe sich sagen, dass Kaufleute diejenigen Waren besonders gut kennen, mit denen sie regelmäßig handeln und dass es deswegen für diese Waren vertretbar ist, den Kaufleuten auch den Nachteil zuzuweisen, dass besonders wertvolle Eigenschaften später entdeckt werden. Jedenfalls zeigt sich deutlich, dass § 351a HGB nur den echten Wertirrtum im Blick hatte, nicht aber den Eigenschaftsirrtum. Auch ist nicht erkennbar, worin sich der Eigenschaftsirrtum des Kaufmanns in sachlich beachtlicher Weise von demjenigen des normalen Rechtsgenossen unterscheidet; die handelsrechtliche Sondernorm war in diesem Zusammenhang nicht gerechtfertigt. c) Informationsasymmetrie Besonders bedenklich war aber, dass durch § 351a HGB auch echte Fälle von Informationsasymmetrie privilegiert wurden, sofern der Verkürzte Kaufmann war. Es ging also keineswegs nur darum, dass das Risiko eines für beide Seiten unerwarteten Ereignisses zwischen den Parteien verteilt wird. Ganz im Gegenteil durfte der Gemüsehändler, der sein Geschäftslokal zu billig veräußert, auch dann nicht nach § 934 ABGB anfechten, wenn seinem Geschäftspartner der wahre Wert der Immobilie bekannt ist. Ich möchte an den zentralen Normzweck der Verkürzung über die Hälfte erinnern: Jeder muss ein gewisses Maß an Übervorteilung hinnehmen, damit der Marktprozess seine Funktion erfüllen kann, Ressourcen den besten Nutzern zuzuordnen. Besonders krasse Verkürzungen durch einen über das Ungleichgewicht wissenden Vertragspartner hat aber kein Teilnehmer am Geschäftsverkehr hinzunehmen, auch nicht um des Funktionierens des Marktprozesses willen. Zumindest in diesem Kernbereich ist es mE nicht ersichtlich, warum die Wertung für Kaufleute grundlegend anders ausfallen soll als für andere Teilnehmer am Geschäftsverkehr.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
B. Neue Rechtslage seit dem UGB 1. Reform durch das UGB Grundlegend anders ist die Rechtslage seit Inkrafttreten des Unternehmensgesetzbuchs.913 Gemäß § 351 UGB steht die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte dem Unternehmer grundsätzlich offen.914 Sie kann aber zu seinen Lasten vertraglich ausgeschlossen werden. Der Ausschluss ist prinzipiell auch durch AGB möglich.915 Nach den Erläuterungen zu § 351 UGB916 ist auch der Unternehmer, dem eine besonders grobe Äquivalenzstörung unbekannt geblieben ist, schutzwürdig. Allerdings sei das sich aus der Abbedingung ergebende Risiko dem Unternehmer eher zuzumuten als gewöhnlichen Teilnehmern am Geschäftsverkehr. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage für Kaufleute geht das UGB nicht mehr davon aus, dass dem Unternehmer typischerweise die Feststellung des Werts leicht möglich ist – oder zumindest leichter als dem normalen Teilnehmer am Rechtsverkehr. Anscheinend kann der Unternehmer aber die Bedeutung der Klausel, mit der die laesio enormis vertraglich ausgeschlossen wird, besser einschätzen; solche Klauseln sollen allerdings immerhin der Sittenwidrigkeits- und Inhaltskontrolle unterliegen. Der Anwendungsbereich unterscheidet sich von der bisherigen Rechtslage. Schlüsselnorm ist § 343 Abs 1 UGB;917 danach sind das Vierte Buch und damit auch § 351 UGB auf alle Unternehmer im Sinne des KSchG anzuwenden, selbst wenn sie dem UGB sonst nicht unterliegen. Deswegen sind insbesondere auch die Angehörigen der freien Berufe und land- und forstwirtschaftliche Unternehmen erfasst. Die Eintragung in das Firmenbuch verliert daher ihre Bedeutung.918 Für Vorbereitungsgeschäfte von Einzelunternehmern ist durch 913
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BGBl I 2005/120 (vgl auch die RV, 1058 BlgNR 22. GP); in der Folge als UGB bezeichnet. Zuvor schon Ministerialentwurf eines Handelsrechts-Änderungsgesetzes, JMZ 10.000K/27-I.3/2003. Zur Neuregelung rechtspolitisch kritisch Grechenig, JRP 2006, 14. Vgl Schauer, ÖJZ 2006, 73; ders in Krejci, RK UGB § 351 Rz 5. Ablehnend jedoch P Bydlinski in seiner Stellungnahme zum Ministerialentwurf des UGB (3/SN-81/ME, XXII. GP; http://www.parlinkom.gv.at/portal/page?_pageid= 908,200136&_dad=portal&_schema=PORTAL). 1058 BlgNR 22. GP 55. Vgl dazu auch vorsichtig kritisch Schauer in Krejci, RK UGB § 351 Rz 3. Zur Regelungstechnik kritisch K Schmidt, JBl 2004, 32 f, 34 f; U Torggler, Abschied 8 f, 53. Anders noch § 343 Abs 3 Ministerialentwurf eines Handelsrechts-Änderungsgesetzes, JMZ 10.000K/27-I.3/2003, wonach zum Nachteil von Einzelunternehmern wegen § 343 Abs 3 UGB die Anfechtung wegen laesio enormis zu ihrem Nachteil nur ausgeschlossen werden konnte, wenn sie in das Firmenbuch eingetragen sind. Nachdem eine Eintragungspflicht nicht bestand, und zwar auch nicht für diejenigen, die bisher nach § 2 HGB verpflichtet waren, sich dem Handelsrecht durch Eintragung zu unterwerfen (vgl § 8 Abs 3 Ministerialentwurf; U
IX. Laesio enormis und unternehmerisches Rechtsgeschäft
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§ 343 Abs 3 UGB klargestellt, dass sie wegen laesio enormis zwingend anfechtbar sind.919 Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage stellt dies einerseits eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der laesio enormis dar, weil sich nach dem UGB auch diejenigen, denen der Zugang zu diesem Institut aufgrund ihrer Eigenschaft als Kaufmann bisher verschlossen war, auf die Verkürzung berufen können. Das gilt freilich nur, wenn der Ausschluss nicht vertraglich vereinbart wurde. Andererseits wird der Anwendungsbereich der laesio enormis auch eingeschränkt: Denn eingetragene Einzelunternehmer und Unternehmergesellschaften, die keine Kaufleute sind, können sich mit In-Kraft-Treten des UGB des Rechtsmittels durch vertragliche Vereinbarung begeben. Insofern wird der zwingende Charakter der Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte gem § 935 ABGB nur noch für diejenigen beibehalten, die nicht dem 4. Buch des UGB unterliegen. 2. Kritische Würdigung Die Entscheidung, dass die Anfechtung nach § 934 ABGB in Zukunft auch Kaufleuten so wie anderen Unternehmern offen stehen soll, ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn man systemimmanent die Argumente zur Rechtfertigung der laesio enormis berücksichtigt. Dass die Logik des Ausschlusses auf wackeligen Beinen steht, wurde bereits oben (A. 2.) begründet. Das gilt insbesondere, wenn die laesio enormis auf einem Eigenschaftsirrtum beruht. Aber auch für den Wertirrtum ist es wohl besser, abweichende Risikoverteilungen, also die volle Übernahme des Irrtumsrisikos, einer vertraglichen Gestaltung zu überlassen, als das Irrtumsrisiko dem Kaufmann oder Unternehmer generell zu übertragen.920 Kritisch ist mE zu beurteilen, dass sich der Unternehmer auch Konsumenten gegenüber auf die Verkürzung über die Hälfte berufen kann. Ist es wirklich richtig, dass einem Auktionshaus nach der Versteigerung eines Kunstwerks die Anfechtung gegen den privaten Käufer offen stehen soll, wenn die Sachverständigen des Auktionshauses den Wert des Werks nicht erkannt haben?921 Es ist nicht auszuschließen, dass im Ergebnis die laesio enormis beim beiderseitigen Unternehmergeschäft im Regelfall ausgeschlossen wird, während dies aufgrund der größeren Marktmacht der Unternehmer gegenüber
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Torggler, Abschied 53; allgemein kritisch dazu zB Roth, RdW 2003, 611 f), hing die Anwendung von § 934 ABGB von der freien Entscheidung über die Eintragung ab. Vgl ausführlich Erläuterungen zu § 1 Abs 3 KSchG idF UGB; Schauer, JBl 2004, 26; jüngst Keinert, JBl 2007, 300. Zur darüber hinaus gehenden Idee, nicht auf die Kenntnis des wahren Werts als Ausschlussgrund für die laesio enormis abzustellen (so derzeit § 934 ABGB), sondern dafür auch das Kennen-Müssen genügen zu lassen, vgl unten XI. Vgl zur Thematik näher Zemen, ÖJZ 1997, 213.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Konsumenten nicht erfolgt. Dadurch wird eine bedenkliche Situation herbeigeführt: Gerade in jenen Fällen, in denen nach der bisherigen Logik des HGB einer Partei die Erkundung der Marktgegebenheiten eher zugemutet werden kann als der anderen, wird dieser Partei in Zukunft eine Berufung auf Verkürzung über die Hälfte offen stehen, während dies bei typologisch gleicher Informationsmöglichkeit nicht der Fall wäre. Hinzu kommt, dass gerade der „schwache“ Unternehmer im Regelfall keine AGB verwendet, durch die der Ausschluss von §§ 934 f ABGB erfolgen würde; einseitige Klauseln in AGB, durch die nur die Möglichkeit der Anfechtung der Gegenpartei ausgeschlossen wird, würden der schwächeren Partei die Anfechtung nehmen, nicht aber ihrem „mächtigeren“ Gegenüber. Es spricht viel dafür, dass jedenfalls solche einseitige AGB-Klauseln nach § 879 Abs 3 ABGB wegen gröblicher Benachteiligung nichtig sind; in der Rechtsprechung ist es anerkannt, dass Gestaltungen, die den Parteien ungleiche Rechte einräumen, der Bestimmung unterliegen können.922 Generell ist es freilich fraglich, ob es wirklich sinnvoll ist, den Parteien die Möglichkeit zu geben, die Anwendung von § 934 ABGB vertraglich auszuschließen. Wie in dieser Arbeit vertreten (oben VI.) und von P Bydlinski in seiner Stellungnahme zum Ministerialentwurf des UGB angeführt923 gibt es auch nach bürgerlichem Recht im Rahmen von § 935 ABGB Möglichkeiten für abweichende Gestaltungen. § 351 UGB lässt den Ausschluss aber auch dann wirken, wenn die begünstigte Partei von der Verkürzung wusste, also in Fällen echter Informationsasymmetrie. Das ist nur schwer mit dem rechtsethischen Gehalt der laesio enormis in Einklang zu bringen. Daher wäre es wohl besser gewesen, § 351 UGB ersatzlos zu streichen und für die Novellierung gleich im ABGB anzusetzen;924 dazu unten XI. Ein weiteres Problem ist zumindest kurz anzusprechen: Wird die Mängelrüge innerhalb angemessener Frist beim beidseitig unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft nicht abgegeben, so entfallen gem § 377 Abs 2 UGB nahezu alle Ansprüche wegen des Mangels; die Anfechtung nach § 934 ABGB, die dem Kaufmann nach neuem Recht nun erstmals offen steht, wird aber nicht genannt. Der Käufer kann daher nach dem Wortlaut der Norm bei den meisten wesentlichen Mängeln auf die Anfechtung wegen laesio enormis zurückgreifen, wenn man nicht – mit der Mindermeinung; oben III. A. 1. c) - die Anspruchskonkurrenz zwischen Verkürzung über die Hälfte und Gewährleistungsansprüchen überhaupt ablehnt. Freilich scheint eine Auslegung angezeigt, nach der § 377 Abs 2 UGB analog auch auf die Anfechtung nach § 934 ABGB erstreckt wird; denn nur dadurch kann die durch § 377 UGB angestrebte Rechtsfolge, wonach die
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Vgl SZ 56/62. Aus dem Schrifttum vgl Krejci in Rummel I § 879 Rn 240. 3/SN-81/ME, XXII. GP; http://www.parlinkom.gv.at/portal/page?_pageid= 908,200136&_dad=portal&_schema=PORTAL. Vorsichtig auch Schauer in Krejci, RK UGB § 351 Rz 3.
X. Alternative Regelungsmodelle
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Mangelhaftigkeit bei sonstigem Verlust aller Rechtsbehelfe zu rügen ist, erreicht werden.925
X. Alternative Regelungsmodelle Der rechtsvergleichende Überblick wird jene Institute der untersuchten ausländischen Rechtsordnungen aufspüren, die ähnliche Zielsetzungen wie die österreichische laesio enormis haben. Damit folgt die Arbeit dem funktionalen Ansatz der Rechtsvergleichung926 mit folgender Ausgangsfrage: Wie und unter welchen Voraussetzungen schützt die ausländische Rechtsordnung denjenigen, der einen grob inäquivalenten Vertrag abgeschlossen hat? Besonderes Augenmerk wird dabei auf die für das österreichische Recht in der bisherigen Untersuchung identifizierten Kernfragen gelegt: der anzuwendende Vergleichsmaßstab, die Abwägung der Zurechnungsmomente zu den Parteien und Sonderregeln für kaufmännische bzw unternehmerische Rechtsgeschäfte. Aufgrund dieser rechtsvergleichenden Untersuchungen soll die österreichische Dogmatik schärfer konturiert werden.927 Es gelten im Übrigen die in der Einleitung zu diesem Teil gemachten näheren Einschränkungen (vgl oben I.).
A. Deutschland 1. Allgemeines Die Strukturunterschiede zwischen deutschem und österreichischem Recht sind in den hier interessierenden Teilen des Zivilrechts gering. Beide Rechtsordnungen kennen Irrtums- und Arglistanfechtung; beide enthalten einen Wuchertatbestand mit nahezu gleichem Wortlaut. Freilich kennt die deutsche Rechtsordnung die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte nicht; die Übernahme des gemeinrechtlichen Institutes wurde durch die Redaktoren des BGB ausdrücklich abgelehnt (oben II. C.). Damit fehlt es dem Grundsatz nach an einer objektiven Äquivalenzkontrolle von Verträgen. Es ist nicht sinnvoll, an dieser Stelle einen Überblick über die Institute des deutschen Rechts zu gewähren. Denn einerseits sind die Unterschiede zur österreichischen Rechtslage trotz einem irrtumsrechtlich ganz unterschiedlichen Ausgangspunkt im Ergebnis nicht allzu groß; andererseits ist die Rechtslage im Gegensatz zB zur englischen durch die überaus reichhaltige deutsche
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So Schauer in Krejci, RK UGB § 377 Rz 11 ff mit überzeugenden Argumenten gegen die in der Manuskriptfassung dieser Schrift auf Seite 189 vertretene Ansicht. Vgl Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung 33 ff. Zu darüber hinaus gehenden Ansätzen vgl Großfeld, Kernfragen passim. Vgl Großfeld, Macht 29 ff; Sacco, Einführung Rn 13 ff. Zum heuristischen Wert der Rechtsvergleichung vgl auch F Bydlinski, Methode 385 ff, 459 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Literatur ohnehin zur Genüge aufbereitet.928 Eine eigene Darstellung kann nichts Neues bieten. Vielmehr möchte ich zunächst einen Überblick über die Behandlung von Wert- und Eigenschaftsirrtum geben, den Blick also von vornherein auf die Sachprobleme und nicht so sehr auf die Institute richten. In einem zweiten Schritt geht es mir dann um ein Spezialproblem: Inwieweit haben die Wertungen der laesio enormis auch ohne ausdrückliche Nennung im Gesetz bzw trotz ausdrücklicher Ablehnung durch den historischen Gesetzgeber des BGB nicht doch einen gewissen Niederschlag in der Rechtspraxis gefunden? 2. Wertirrtum a) Dogmatische Grundlagen Damit der Irrtum über eine Eigenschaft der Sache zur Anfechtung berechtigt, muss die fragliche Eigenschaft im Verkehr als wesentlich angesehen werden (§ 119 Abs 2 BGB). Weitere Voraussetzungen für die Irrtumsanfechtung bestehen nicht (abgesehen von einer objektiv zu bestimmenden Kausalität des Irrtums für den Geschäftabschluss; § 119 Abs 1 BGB); es kommt auch nicht darauf an, ob der Irrtum den Parteien gemeinsam war. Den Irrenden trifft allerdings eine verschuldensunabhängige Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens, wenn der anderen Vertragspartei der Irrtum nicht hätte auffallen müssen (§ 122 BGB). Das Erfüllungsinteresse wird dem Anfechtungsgegner damit bei jedem beachtlichen Eigenschaftsirrtum genommen. § 119 BGB stellt zumindest konzeptionell den Willen des Erklärenden ganz in den Vordergrund. Die Norm ist historisch vor dem Hintergrund der Diskussion des 19 Jahrhunderts zu sehen.929 Savigny knüpfte in seinem System des heutigen römischen Rechts930 mit seinem „ächten Irrthum“ an den römischen Substanzirrtum an; dieser berechtige zur Anfechtung, wenn die Sache aufgrund des Irrtums nach der Verkehrsauffassung eine andere sei als ohne diesen. Damit stellte Savigny im Gegensatz zum römischen Recht931 für die Beachtlichkeit des Eigenschaftsirrtums nicht auf eine metaphysische „Natur der Sache“ ab, sondern rückte die Einschätzung durch die Verkehrsteilnehmer in den Mittelpunkt. Die Gegenposition in der weiteren Entwicklung nahm Zitelmann im Rahmen seiner so genannten „psychologischen Handlungslehre“ ein:932 Der Eigenschaftsirrtum sei ein Irrtum im Vorfeld der Willensbildung und als solcher im Gegensatz zum Erklärungsirrtum grundsätzlich un928
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Vgl die umfassende Aufarbeitung vieler hier behandelter Probleme bei Fleischer, Informationsasymmetrie. Jüngst im Überblick Schermaier, JZ 2006, 336 ff. Bd III (1840) 263 ff. Vgl Ulpian, D 18,1,9,2 und 11 sowie D 18,1,14. Irrtum und Rechtsgeschäft (1879) 430 ff, 549 ff. Freilich dürfte das eine Widergabe des damals geltenden Rechts und keine Empfehlung de lege ferenda gewesen sein; vgl Schermaier in HKK BGB §§ 116–124 Rn 57.
X. Alternative Regelungsmodelle
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beachtlich. Dieser Anschauung Zitelmanns folgt das BGB nicht. Denn einerlei, ob man § 119 Abs 2 BGB als Zweifelsregel, wann ein Erklärungsirrtum vorliegt,933 oder als Normierung eines ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtums934 versteht,935 können Eigenschaftsirrtümer beachtlich sein. Mit dem Verweis auf die Verkehrsauffassung ist für die Praxis freilich nicht viel gewonnen; dass § 119 Abs 2 BGB als Leitlinie mangelhaft ist, hat der Norm auch harsche Kritik eingetragen.936 Die Rechtsprechung ist bei der Anerkennung relevanter Eigenschaftsirrtümer im Ergebnis restriktiv: Die Eigenschaft muss unmittelbare Bedeutung für die Bewertung des Leistungsgegenstands haben, sie muss also ein unmittelbar wertbildender Faktor sein.937 In anderen Urteilen wird eher auf die Typizität der Eigenschaften für die Bewertung abgestellt.938 Am schwersten wiegt jedoch, dass durch die Wortwahl der Norm nur Eigenschaften der Kaufsache von ihr erfasst sind; andere Irrtümer vergleichbaren Gewichts (zB Kalkulationsirrtum,939 gemeinsamer Irrtum über bloße Rahmenbedingungen des Geschäfts) berechtigen dem Wortlaut nach nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs 2 BGB.940 Die Rechtsprechung hat diese Fälle entweder in weiter Auslegung dem Erklärungsirrtum nach § 119 Abs 1 BGB unterstellt oder ist auf den Topos von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgewichen. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass die Einordnung eines Eigenschaftsirrtums unter § 119 Abs 2 BGB automatisch die Irrtumsanfechtung nach sich zieht; der Begriff „Eigenschaftsirrtum“ dient damit vor allem der Einschränkung des Anfechtungsrechts, was den diesbezüglich restriktiven Zugang der deutschen Rechtsprechung erklären kann. Diese Funktion wird in Österreich zumindest teilweise durch die zusätzlichen Anfechtungsvoraussetzungen nach § 871 ABGB übernommen. Auch beim einseitigen Irrtum bedarf es in Deutschland keines weiteren Zurechnungsmoments beim Anfechtungsgegner; der Vertragsgewinn wird ihm entzogen, wogegen auch der Ersatz des Vertrauensschadens nicht abhelfen kann. Schließlich ist zu beachten, dass der gemeinsame Irrtum eine Sonderbehandlung durch die Rechtsprechung und neuerdings auch durch die Gesetzgebung erfährt. Die Schadenersatzpflicht nach § 122 BGB erscheint in solchen Fällen häufig unbillig. Deswegen wurden Fälle des gemeinsamen Eigenschaftsirrtums häufig als „Fehlen der Geschäftsgrundlage“ gedeutet und damit § 242 933 934 935 936
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ZB Schmidt-Rimpler in FS Lehmann 213 ff; Hefermehl in Soergel § 119 Rn 25 f. ZB Larenz/Wolf, AT BGB § 36 Rn 35 ff; Heinrichs in Palandt § 119 Rn 23. Näher Schermaier in HKK BGB §§ 116–124 Rn 56 ff. „Sie [=die Norm; Anm d Verf] ist eine Fahrt ins Blaue, ein Sprung ins Dunkle, eine Vorschrift aufs Geratwohl“; Raape, AcP 1949, 501. Vgl zB RGZ 149, 235; BGHZ 16, 54. BGH DB 1972, 479. Zu diesem zB Fleischer, RabelsZ 2001, 264. Vgl Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 115.
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BGB unterstellt.941 Seit dem SMG erkennt § 313 Abs 2 BGB dies ausdrücklich an.942 Darüber hinaus wird durch diese Norm die Irrtumsanfechtung bei gemeinsamen Irrtümern auch auf solche im bloßen Motiv erweitert.943 b) Anwendung auf den Wertirrtum Die Problematik des deutschen Irrtumsrechts zeigt sich deutlich am Beispiel des bloßen Wertirrtums. Irrtümer über den Marktpreis oder den Verkehrswert sind nach ganz herrschender Meinung944 und einhelliger Rechtsprechung945 im Gegensatz zu Irrtümern über wertbildende Faktoren nicht beachtlich. Dies ist im Ergebnis auch für den einseitigen Irrtum über den Kurs bei Wertpapieren unstrittig.946 Was für den heutigen Wert gilt, muss erst recht auf zukünftige Wertentwicklungen Anwendung finden; hinzu kommt, dass nach (noch) herrschender Lehre ein Irrtum über zukünftige Entwicklungen irrtumsrechtlich nie beachtlich sein kann;947 allenfalls sollen solche Sachverhalte als Wegfall der Geschäftsgrundlage aufzugreifen sein. Die Begründung dieser Rechtsauffassung erfolgt einerseits mit begrifflichen Erwägungen: Der Wert selbst sei keine der Sache innewohnende Eigenschaft, sondern bloß ein Ergebnis anderer wertbildender Eigenschaften.948 Soweit ein Irrtum über diese wertbildenden Eigenschaften vorliegt, komme eine Irrtumsanfechtung aber in Frage. Diese formale Begründung greift freilich zu kurz,949 weil es nach dem Konzept des BGB vor allem auf die Verkehrsaufassung und nicht auf die Begrifflichkeit ankommt. Deswegen stellt die moderne Lehre auf die typische Risikoverteilung ab; die Folgen des Irrtums über den Marktwert hat in einer freien Marktwirtschaft nach diesem Begründungsansatz grundsätzlich der Irrende zu tragen.950 Denn die Kenntnis einer 941 942
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Roth in MünchKomm BGB § 313 Rn 138. Kritisch zu dieser Zuordnung zB Schmidt in Staudinger, BGB § 242 Rn 374 ff; Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 117. Für alle Heinrichs in Palandt, BGB § 313 Rn 20; Roth in MünchKomm BGB § 313 Rn 137. Heinrichs in Palandt § 119 Rn 27; Larenz/Wolf, AT BGB § 36 Rn 40; Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 132; Flume; Rechtsgeschäft 480 f (weil Wert nicht Gegenstand des Rechtsgeschäfts sei); Fleischer, Informationsasymmetrie 354 ff. AM Hefermehl in Soergel, BGB § 119 Rn 51, für den der Wert dann eine Eigenschaft der Sache ist, wenn er im Zeitverlauf verhältnismäßig konstant ist. RGZ 64, 266; BGHZ 16, 54; BGH MDR 1979, 730. Kritisch zu den Begründungsmustern der Rsp Adams, AcP 1986, 463 ff. RG JW 1906, 378; Hefermehl in Soergel, BGB § 119 Rn 61; Larenz/Wolf, BGB AT § 36 Rn 40; Fleischer, Informationsasymmetrie 361 f. Hefermehl in Soergel, BGB § 119 Rn 64 mN aus der Rsp. AM zB Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 118; Fleischer, Informationsasymmetrie 385 ff. So insbesondere RGZ 64, 266; BGHZ 16, 54. So auch Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 132; Fleischer, Informationsasymmetrie 354. Larenz/Wolf, AT BGB § 36 Rn 40; Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 132.
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besseren Wiederverkaufsmöglichkeit oder eines höheren Marktpreises ist eine sozial wertvolle Information, weil durch die daraus resultierende Transaktion die Sache einer besseren Nutzung zugeführt wird.951 Damit wird zumindest der Wertirrtum des Verkäufers mit einer überzeugenden Begründung für unbeachtlich gehalten. Systematisch lässt sich dieses Ergebnis nach einer Ansicht auch durch § 138 BGB stützen, weil jene Norm eine abschließende Regelung von Äquivalenzstörungen enthalte;952 das kann freilich nicht restlos überzeugen, ist doch der Irrtum an sich nicht Voraussetzung für die Anfechtung wegen Wuchers. Treffend ist mE die rechtsdogmatische Begründung, dass derjenige, der es versäumt sich über die Marktverhältnisse zu erkundigen, auch die Folgen seiner fehlenden Marktuntersuchung tragen muss;953 das trifft sich im Ergebnis mit dem Risikoverteilungsargument.954 Vertraglich kann das Risiko fehlerhafter Wertvorstellungen anders verteilt werden; auch die ergänzende Vertragsauslegung kann dieses Ergebnis stützen. Dann können aber die Rechtsfolgen nicht mehr nach Irrtumsrecht festgelegt werden; insbesondere der Ersatz des Vertrauensschadens passt häufig nicht.955 Flexiblere Rechtsbehelfe (Vertragsanpassung, Lösungsrecht ohne Ersatz des Vertrauensschadens), so wie sie auch im Rahmen von § 313 Abs 2 BGB zum Wegfall der Geschäftsgrundlage zur Anwendung kommen, entsprechen zumeist dem Ergebnis der Vertragsauslegung am besten. Eine andere Frage ist, ob bei Informationsasymmetrie die über den Wert besser informierte Partei den anderen darüber aufklären muss. Bejaht man dies, so steht dem Verkürzten wie nach österreichischem Recht die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem § 123 Abs 1 BGB offen, sofern die Aufklärungspflicht vorsätzlich verletzt wurde. Bei bloß fahrlässiger Verletzung muss die deutsche Dogmatik den Anspruch auf Vertragsaufhebung als Naturalrestitution aus der culpa in contrahendo ableiten,956 während sich die Anfechtung in Österreich wegen § 871 Abs 2 ABGB automatisch auf das Irrtumsrecht stützen kann.
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Adams, AcP 1986, 468 ff. Fleischer, Informationsasymmetrie 356 f. Fleischer, Informationsasymmetrie 357 ff. Aus dem Fehlen der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs 2 BGB) ergibt sich im Regelfall nichts Abweichendes. Denn auch in diesem Zusammenhang ist so wie im Irrtumsrecht vor allem auf die vertragliche Risikoverteilung abzustellen (vgl § 313 Abs 1 BGB). Das erkennt auch Kramer in MünchKomm BGB § 122 Rn 12 ff, der für diese Fälle des gemeinsamen Sachverhaltsirrtums die Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens teleologisch reduziert. Wegweisend BGH NJW 1962, 1196; zusammenfassend jüngst Singer in FS 50 Jahre BGH 403 f; Fleischer, Informationsasymmetrie 428 ff; ders, AcP 2000, 93 ff jeweils mwN.
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Solche Aufklärungspflichten werden auch für das deutsche Recht grundsätzlich verneint;957 das gilt unabhängig davon, ob die Nichtaufklärung vorsätzlich oder fahrlässig erfolgte, weil der Umfang von Aufklärungspflichten nicht vom inneren Zustand desjenigen abhängt, den sie treffen.958 Eine Leitentscheidung in diesem Zusammenhang ist der so genannte Daktari-Fall:959 Eine Fernsehanstalt hatte die Lizenz, die Fernsehserie diesen Namens auszustrahlen. Die Lizenzgeberin war berechtigt, 50 % der Einnahmen bei einem Weiterverkauf der Lizenz zu erhalten; dieses Recht wurde mehrere Jahre nach Beginn des Lizenzverhältnisses für 10.000.- DM abgelöst. Kurze Zeit später übertrug die Fernsehanstalt die Lizenz an das ZDF um 8,3 Mio DM. Die Lizenzgeberin focht die Ablösevereinbarung wegen Arglist an. Der BGH folgte den Argumenten der Lizenzgeberin. Freilich tat er dies nur aufgrund der besonderen Umstände des Sachverhalts: Er stellte fest, dass zwischen den Parteien aufgrund der langjährigen Geschäftsbeziehung ein besonderer Vertrauenstatbestand bestand.960 Mit anderen Worten: Normalerweise, das heißt ohne eine solche Vertrauensbeziehung, ist eine Vertragspartei nicht verpflichtet, die andere über bessere Wiederverkaufsmöglichkeiten aufzuklären. Das muss dann auch für bessere Kenntnisse der allgemeinen Marktverhältnisse gelten. Auch bei besserer Kenntnis über zukünftige Preisentwicklungen fehlt es grundsätzlich an einer Pflicht zur Aufklärung.961 Der alexandrinische Getreidehändler ist damit nicht zur Aufklärung über die heransegelnde Getreideflotte verpflichtet. Das wird freilich von manchen Autoren in Zweifel gezogen, wenn der Informationsvorsprung nur sehr kurzfristig ist. Schäfer/Ott962 haben in diesem Zusammenhang zum berühmten amerikanischen Fall Laidlaw v Organ963 Stellung genommen. Ein Tabakhändler erfuhr kurz vor den anderen Marktteilnehmern, dass die Blockade von New Orleans durch die Engländer im Krieg von 1812 wegen des Friedensschlusses beendet werden würde, und kaufte noch rasch vor dem zu erwartenden Preisanstieg Tabak. Diese Vorausinformation sei, so Schäfer/Ott, sozial wertlos; deswegen bestehe eine Pflicht zur Aufklärung. Andere verweisen auf die wichtige Funktion solcher Geschäfte, weil die Information, dass Tabak wertvoller wird, durch den resultierenden Preisanstieg in den Markt gebracht wird.964 Für extreme Fälle haben aber auch die Vertreter dieser Ansicht Zweifel an der Richtigkeit des Arguments; der 957
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962 963 964
Jüngst zB BGH NJW 2003, 2529; Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 132; Hefermehl in Soergel, BGB § 123 Rn 14; Fleischer, Informationsasymmetrie 321 ff; Henssler, Risiko 150. Wie hier Flume, Rechtsgeschäft 492 f. BGH MDR 1979, 730. Kritisch zu dieser Argumentation Kötz/Schäfer, Judex oeconomicus 177 ff. RGZ 111, 233; Hefermehl in Soergel, BGB § 123 Rn 14. Das gilt jedenfalls, soweit diese Kenntnis nicht auf Insiderwissen beruht. Schäfer/Ott, Lehrbuch 501 f; ähnlich Kötz/Schäfer, Judex oeconomicus 175 f. 15 US (2 Wheat) 178 (1817). Vgl Kronman, 7 J Leg Studies 9 ff (1978). Fleischer, Informationsasymmetrie 287.
X. Alternative Regelungsmodelle
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Verkürzte wird dann auf den Wuchertatbestand verwiesen, weil dieser wegen der größeren Flexibilität des Tatbestands besser geeignet sei, solche Fälle adäquat zu erfassen.965 3. Eigenschaftsirrtum a) Zum Nachteil des Käufers Die Behandlung des Eigenschaftsirrtums des Käufers nach deutschem Recht wurde bereits oben (IV. B.) angesprochen. Bahnbrechend für die spätere Entwicklung war Flumes Arbeit über den Eigenschaftsirrtum beim Kauf aus dem Jahr 1948; nach ihm ist das Abweichen des Leistungsgegenstandes von der Vereinbarung Basis der Irrtumsanfechtung.966 Diese Abweichung von der vertraglichen Sollbeschaffenheit rechtfertigt die Irrtumsanfechtung sowohl des Käufers als auch des Verkäufers, je nachdem zu wessen Ungunsten sich die Abweichung auswirkt. Das hat sich durchgesetzt.967 Gewährleistungsrecht und Irrtumsrecht sind beim Käuferirrtum daher zumindest dem Grundsatz nach parallel anwendbar, wenn der Vertragsgegenstand von den vertraglich (explizit oder implizit) vereinbarten, bei Fehlen einer vertraglichen Vereinbarung von den gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften abweicht. Die herrschende Lehre968 und Rechtsprechung969 verneinen aber in einem zweiten Schritt im Gegensatz zu Österreich im Ergebnis das Vorliegen alternativer Anspruchskonkurrenz zwischen Irrtumsanfechtung und Gewährleistung; das gilt insbesondere auch nach Ablauf der sachmängelrechtlichen Verjährungsfrist. Bestehen Gewährleistungsansprüche, so kann sich der Käufer nicht wahlweise auf die Irrtumsanfechtung berufen; auch der Verkäufer kann sich nicht durch Vertragsauflösung qua § 119 Abs 2 BGB seiner Pflicht zur Mängelbeseitigung entziehen.970 Freilich gibt es auch Gegenstimmen,971 die angesichts der eindeutigen Rechtsprechung aber nur schwach zu hören sind. Erstes Argument für die Ablehnung der Anspruchskonkurrenz ist (so wie für die gleichsinnige österreichische Mindermeinung), dass sonst die kürzeren Ausschlussfristen für die Geltendmachung der Gewährleistung umgangen
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Vgl Fleischer, Informationsasymmetrie 329 f. Flume, Eigenschaftsirrtum 87; vgl auch dens, Rechtsgeschäft 472 ff. Vgl Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 33, 119 f mwN. Flume, Eigenschaftsirrtum 132 ff; Raape, AcP 1949, 499 f; jüngst ausführlich P Huber, Irrtumsanfechtung passim; vgl auch Fleischer, Informationsasymmetrie 347 ff (aber doch mit gewissen Sympathien für die Gegenauffassung bei verdeckten Sachmängeln bei 352 f). Aus der Kommentarliteratur Hefermehl in Soergel, BGB § 119 Rn 78; Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 33 ff; Westermann in MünchKomm BGB § 437 Rn 53; Heinrichs in Palandt, BGB § 119 Rn 28. Vgl zB RGZ 61, 171; BGHZ 16, 54; BGHZ 78, 216. Zur Entwicklung vgl zB Ranieri in Falk/Mohnhaupt, Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter 207. So auch Larenz/Wolf, BGB AT § 36 Rn 51. Vgl vor allem Larenz/Wolf, BGB AT § 36 Rn 48 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
werden könnten.972 Daneben wird geltend gemacht, dass eine Anspruchskonkurrenz auch in krassem Widerspruch zum Ausschluss der Gewährleistung bei offenkundigen Mängeln (§ 442 BGB) steht, weil auch der fahrlässig Irrende schrankenlos anfechten kann und nur den Vertrauensschaden ersetzen muss.973 Weiters sei die Irrtumsanfechtung mit dem gewährleistungsrechtlichen Vorrang des Nacherfüllungsanspruchs nach § 439 BGB nicht vereinbar.974 Das alles gilt jedenfalls nach Übergabe der Sache durch den Verkäufer. Hingegen ist die Rechtslage davor strittig. Eine beachtliche Meinung geht nämlich davon aus, dass die Anwendung der Regeln des Gewährleistungsrechts einen erfolgten Leistungsaustausch voraussetzt, weswegen vor der Übergabe die Anfechtung möglich sein soll.975 Die Rechtsprechung dürfte das indes anders sehen und auch vor Übergabe von einem Vorrang der Gewährleistungsansprüche ausgehen.976 Äußerst strittig ist in Deutschland977 schließlich, ob der Käufer mit § 119 Abs 2 BGB auch Irrtümer über solche Eigenschaften aufgreifen kann, die gerade nicht Vertragsgegenstand geworden sind.978 Wer mit Flume der Regel des geschäftlichen Eigenschaftsirrtums folgt, muss dies verneinen; zumindest eine implizite Beschaffenheitsvereinbarung im Rahmen der Erwartungen des Geschäftsverkehrs ist für die Irrtumsanfechtung erforderlich.979 Das gilt im Ergebnis auch für jene Autoren, die auf die vertragliche Risikoverteilung abstellen.980 Dagegen wird eingewendet, dass dadurch das Irrtumsrecht beim Irrtum des Käufers zu einem sekundären (weil ab Übergabe nicht anwendbaren) Leistungsstörungsrecht denaturiert wird.981 Larenz hat daher vertreten, dass auch einseitige Eigenschaftsirrtümer selbst dann zur Anfechtung berechtigen, wenn die Eigenschaften nicht Vertragsinhalt werden.982 Wer in einem
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Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 33; Huber in Soergel, BGB Vor § 459 BGB Rn 187 f; wegen der Verlängerung der Gewährleistungsfristen und der Pflicht zur unverzüglichen Geltendmachung der Irrtumsanfechtung kritisch Larenz/Wolf AT BR § 36 Rn 50; Schur, AcP 2004, 898 ff; relativierend auch Westermann in MünchKomm BGB § 437 Rn 53. Vgl zB Westermann in MünchKomm BGB § 437 Rn 53; Huber in Soergel, BGB Vor § 459 BGB Rn 187 f; Honsell in Staudinger Vorbem zu §§ 459 ff Rn 28. Heinrichs in Palandt, BGB § 119 Rn 28; Schur, AcP 2004, 901 ff. Westermann in MünchKomm BGB § 437 Rn 53; Putzo in Palandt, BGB § 437 Rn 53; mit Sympathien wohl auch Fleischer, Informationsasymmetrie 352. Vgl zB BGHZ 16, 54. Gleichsinnig Flume, Rechtsgeschäft 485; Hefermehl in Soergel, BGB § 119 Rn 78. Für Österreich vgl oben IV. B. Vgl zB aus der Rsp BGHZ 78, 216. Vgl Raape, AcP 1949, 500 ff. So zB Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 120. Fleischer, Informationsasymmetrie 345. Larenz, BGB AT 387.
X. Alternative Regelungsmodelle
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Geschäft für antike Möbel einen Nachbau eines Barockleuchters kauft und meint, ein echtes Barockstück erworben zu haben, soll demnach auch dann zur Anfechtung berechtigt sein, wenn keine näheren Umstände (Preis, Art der üblicherweise in dem Geschäft verkauften Möbel etc) dafür sprechen, dass die Echtheit Geschäftsgegenstand sein soll; nicht einmal auf die Erkennbarkeit des Irrtums für den Geschäftspartner soll es ankommen.983 Insbesondere dieses letzte Kriterium hat verstärkte Kritik hervorgerufen.984 Eine vermittelnde Auffassung verlangt daher, dass die irrende Partei die erwarteten Eigenschaften zumindest offen gelegt haben muss, selbst wenn diese letztlich nicht Vertragsinhalt geworden sind.985 Im Ergebnis ist diese Ansicht mE zumindest für das österreichische Recht überschießend. Sonst wäre es dem Käufer möglich, durch bloße Nennung subjektive Erwartungen zur Basis des abgeschlossenen Geschäfts zu machen; hingegen sollen die Parteien im Regelfall eine vertragliche Festlegung solcher Eigenschaften vornehmen, an denen sie Interesse haben. Damit ist freilich noch nicht beantwortet, inwieweit die Aufnahme als Vertragsinhalt auch konkludent erfolgen kann; das ist (nur) anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
Fehlende, aber vertraglich zugesicherte Eigenschaften lassen sich nicht nur als Problem von Gewährleistungs- und Irrtumsrecht, sondern auch als Verletzung von Aufklärungspflichten über die Eigenschaften der Kaufsache begreifen. Dass Aufklärungspflichten bestehen, wenn die Kaufsache mangelhaft ist, wird in Deutschland so wie in Österreich (oben IV. B.) allgemein anerkannt. Die Rechtsfolgen dieser Pflichtverletzung richten sich bei Vorsatz nach der Arglistanfechtung (§ 123 BGB),986 bei bloßer Fahrlässigkeit vor allem nach culpa in contrahendo. Auch für diese Rechtsinstitute ist daher das Verhältnis zur Gewährleistung nach deutschem Recht zu überprüfen. Verschweigt der Verkäufer vorsätzlich, dass vertraglich zugesicherte Eigenschaften nicht gegeben sind, so steht nach wohl allgemeiner Meinung neben den Gewährleistungsansprüchen auch die Arglistanfechtung offen; die Ansprüche stehen in voller Konkurrenz.987 Denn der arglistig Täuschende soll sich nicht auf die Privilegierungen des Leistungsstörungsrechts berufen können (Ausschlussfrist, Anspruch auf Nacherfüllung). Strittig ist die Rechtslage hingegen für den Anspruch auf Vertragsauflösung aus Naturalrestitution im Rahmen der culpa in contrahendo. Die wohl 983
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987
Anders heute Larenz/Wolf, BGB AT § 36 Rn 45: Eigenschaft muss erkennbar dem Vertrag zugrunde gelegt worden sein. Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 108. Fleischer, Informationsasymmetrie 344 ff. Freilich steht auch hier die culpa in contrahendo zur Verfügung; für alle Heinrichs in Palandt, BGB § 123 Rn 27. Heinrichs in Palandt, BGB § 123 Rn 29; Hefermehl in Soergel, BGB § 123 Rn 62; Kramer in MünchKomm BGB § 123 Rn 35; Westermann in MünchKomm BGB § 437 Rn 55.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
überwiegende Auffassung geht dafür (auch nach dem SMG) ab Gefahrübergang von einem Anwendungsvorrang des Leistungsstörungsrechts aus.988 Das soll freilich nicht bei Vorsatz gelten,989 was sich im Ergebnis damit deckt, dass dann auch die Anfechtung wegen Arglist offen steht. Diesem Postulat des Anwendungsvorrangs des Leistungsstörungsrechts sind in jüngerer Zeit einige Autoren entgegen getreten; culpa in contrahendo setze Verschulden voraus und könne daher nicht durch die verschuldensunabhängige Gewährleistung verdrängt werden.990 Als Beispiel für die nachteiligen Auswirkungen dient diesen Autoren die Rechtsprechung zum Unternehmenskauf. Dort wird der Umsatz nicht als zugesicherte Eigenschaft im gewährleistungsrechtlichen Sinn behandelt.991 Das dient aber nicht etwa dem Ausschluss von Rechtsbehelfen, sondern ermöglicht einen zeitlich längeren Schutz. Denn weil falsche Angaben über diesen Umsatz aus dem Gewährleistungsrecht herausgenommen werden, kann der Benachteiligte auf Schadenersatzansprüche wegen culpa in contrahendo zurückgreifen; damit steht eine längere Frist zur Geltendmachung dieser nur schwer erkennbaren Mängel zu. Besser wäre es, die Anspruchskonkurrenz bei schuldhaftem Verhalten ganz allgemein zu eröffnen. Denn dann wäre es für die Anfechtung aus culpa in contrahendo nicht schädlich, den Umsatz als zugesicherte Eigenschaft zu bezeichnen.
Von den oben (I. C.) gebrachten Beispielen ist in diesem Zusammenhang der Briefmarkenfall einschlägig. In aller Kürze: Dem benachteiligten Käufer steht kein Rechtsbehelf zu; in Frage käme mangels Verschuldens des Verkäufers ohnehin nur ein Anspruch aus Gewährleistung oder wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage. Erstere scheidet nach der einschlägigen österreichischen Entscheidung992 allerdings aus, weil ein Kauf in Pausch und Bogen vorliegt (vgl § 930 ABGB). Das deutsche BGB kennt zwar keine vergleichbare Beschränkung der Gewährleistung; der Gewährleistungsanspruch scheitert jedoch auch in Deutschland daran, dass in dem Schätzgutachten eines Dritten keine Zusicherung des Verkäufers gesehen werden kann, dass die Sammlung als Ganzes auch tatsächlich diesen Wert hat. Etwas anderes würde gelten, wenn der Verkäufer einen bestimmten Katalogwert der Briefmarkensammlung als Eigenschaft zusichert; dann hat er auch grundsätzlich für die Richtigkeit Gewähr zu leisten. Das war auch der Sachverhalt in einer älteren Entscheidung des OLG Stuttgart,993 wo der Verkäufer den
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Vor dem SMG zB BGHZ 60, 319; BGHZ 140, 111; nach dem SMG aus dem Schrifttum zB Heinrichs in Palandt, BGB § 311 Rn 25 ff mwN. BGHZ 136, 102. AM zB Heinrichs in Palandt, BGB § 311 Rn 26. Emmerich in MünchKomm BGB § 311 Rn 124 ff; Singer in FS 50 Jahre BGH 397 ff. Vgl zB Singer in FS 50 Jahre BGH 391 f. OGH JBl 1972, 611. OLG Stuttgart NJW 1969, 610.
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so genannten „Michel-Wert“ einer Markensammlung gegenüber dem Käufer schriftlich festgehalten hatte; da der Käufer keine Möglichkeit hatte, die Richtigkeit dieser Behauptung zu überprüfen, sich deswegen darauf verlassen musste und dies auch tatsächlich tat, wurde darin eine gewährleistungsrechtliche Zusicherung von Eigenschaften gesehen.
Das Recht der Geschäftsgrundlage führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Risikoverteilung des Vertrags ist wegen § 313 Abs 1 BGB im Ergebnis ausschlaggebend. Da sich im Briefmarkenfall wegen der Preisfindung auf Basis einer Schätzung durch einen Dritten ergibt, dass jede Partei das Risiko eines diesbezüglichen Fehlers tragen soll, besteht kein Grund, dem Vertrag durch Rückgriff auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs 2 BGB den Bestand zu nehmen. Eine Korrektur dieses Ergebnisses erfolgt auch bei einem krassen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht. Denn eine Bestimmung nach Art der laesio enormis, die sich zu diesem Zweck allenfalls instrumentalisieren ließe (ablehnend oben VI.), fehlt im deutschen Recht; das Wucherverbot ist mangels Ausnützen eines Irrtums nicht einschlägig. b) Zum Nachteil des Verkäufers Irrt der Verkäufer über wertbestimmende Eigenschaften der Kaufsache, also über den Inhalt der eigenen Leistung, so ist dies kein gewährleistungsrechtlich relevanter Eigenschaftsirrtum. Deswegen ist auch in Deutschland allgemein anerkannt, dass das Gewährleistungsrecht der Geltendmachung solcher Irrtümer des Verkäufers nicht entgegensteht.994 Das gilt zumindest dann, wenn der Verkäufer zu seinem Nachteil über den Wert der Kaufsache irrt, diese mit anderen Worten zu billig verkauft. Nimmt er aber fälschlich an, dass bestimmte Eigenschaften tatsächlich gegeben sind und sichert er sie dem Käufer auch zu, so darf er sich nach in Deutschland ganz herrschender Lehre nicht über die Irrtumsanfechtung den Gewährleistungsansprüchen des Käufers entziehen.995 aa) Gemeinsamer Irrtum Der gemeinsame Irrtum, der sich zum Nachteil des Verkäufers auswirkt, soll diesen nach in Deutschland herrschender Meinung zur Anfechtung berechtigen.996 Denn wertsteigernde Eigenschaften seien nach der Verkehrsanschauung 994
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BGH NJW 1988, 2597; Flume, Eigenschaftsirrtum 146 f; Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 34; Hefermehl in Soergel, BGB § 119 Rn 80; Westermann in MünchKomm BGB § 437 Rn 55. BGH NJW 1988, 2597; Flume, Eigenschaftsirrtum 147 f; Heinrichs in Palandt, BGB § 119 Rn 28; Putzo in Palandt, BGB § 437 Rn 53; Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 34; Hefermehl in Soergel, BGB § 119 Rn 80; Westermann in MünchKomm BGB § 437 Rn 55; Larenz/Wolf, BGB AT § 36 Rn 51. Flume, Rechtsgeschäft 488; Heinrichs in Palandt, BGB § 119 Rn 27; Hefermehl in Soergel, BGB § 119 Rn 80; Schmidt in Staudinger, BGB § 242 Rn 394 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
jedenfalls wesentlich iSv § 119 Abs 2 BGB; der irrende Verkäufer sei nur gem § 122 BGB zum Ersatz des Vertrauensinteresses verpflichtet.997 Die herrschende Meinung stützt sich vor allem auf ein jüngeres Judikat des BGH.998 Dort war ein Bild, das von beiden Parteien Duveneck zugeschrieben wurde, verkauft worden; später stellte sich heraus, dass der Maler Leibl war, was den Wert des Bildes erhöhte. Die Urheberschaft am Bild sei jedenfalls verkehrswesentlich und die Anfechtung des Verkäufers wegen Eigenschaftsirrtums daher zuzulassen. Näher reflektiert wird diese Ansicht jedoch in der Standardliteratur nicht. Ich habe bereits oben zum gemeinsamen Irrtum (IV. D.) grundsätzlich Bedenken gegen diese Ausnahme von der Regel dargelegt, dass zufällige Wertsteigerungen dem sachenrechtlich Berechtigten zufallen. Auch in Deutschland regen sich zunehmend Stimmen, die für solche Fälle die Irrtumsanfechtung grundsätzlich ablehnen. So hält Flume es für unverständlich, dass die später veränderte Zuschreibung des Bildes im soeben genannten Fall dem Verkäufer zu Gute kommen soll; das gelte zumindest dann, wenn im Verkaufszeitpunkt nach allgemeiner Ansicht das Bild demjenigen zugeschrieben wird, den auch die Vertragsparteien für den Urheber gehalten haben, denn ganz allgemein komme es auf den Wissensstand im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an.999 Mit ausführlicher Begründung hat sich jüngst auch Fleischer gegen den BGH und die herrschende Lehre gewandt.1000 Für den rechtsvergleichenden Befund interessieren nicht so sehr seine systematischen Erwägungen. Wichtiger ist vielmehr, dass es mit Fleischer nicht einzusehen ist, warum die Chance der Wertsteigerung für 30 Jahre (vgl § 121 Abs 2 BGB) dem Verkäufer zugeordnet sein soll; dadurch wird rechtsökonomisch dem Käufer jeder Anreiz genommen, nach Erwerb nähere Untersuchungen des Kaufgegenstandes vorzunehmen, weil man den erlangten Vorteil ohnehin herausgeben müsse.1001 Dem kann – so weiter Fleischer – auch die Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 BGB nicht abhelfen, weil dem Eigentümer dennoch der Gewinn aus der Entdeckung genommen wird. Kramer möchte dieses Problem mit einem Ansatz lösen, der die Irrtumsanfechtung nach BGB vor allem als Frage der vertraglichen Risikoverteilung versteht1002 womit er sich auch mit modernen Ansätzen der anglo997
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999 1000 1001 1002
Flume, Rechtsgeschäft 488. Gegen eine Schadenersatzpflicht aber zB Schmidt in Staudinger, BGB § 242 Rn 396 f. BGH NJW 1988, 2597. Ähnlich zuvor schon RGZ 124, 115: chinesische Vasen, die sich nach dem Verkauf als wertvolle Kunstwerke aus der Ming-Dinastie herausstellten. Anders aber AG Coburg NJW 1993, 938: am Flohmarkt verkauftes Notenblatt stellt sich als Mozart-Original heraus; keine Anfechtung wegen Irrtums, weil kein relevanter Irrtum iSv § 119 Abs 2 BGB. Flume, JZ 1991, 633 f. Fleischer, Informationsasymmetrie 370 ff. So auch Kötz, Europäisches Vertragsrecht 275 in Fn 36. Vgl zB Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 113 ff.
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amerikanischen Vertragstheorie im Einklang befindet.1003 Ob bestimmte Eigenschaften wesentlich iSv § 119 Abs 2 BGB sind, richtet sich mangels abweichender Vereinbarung nach der Verkehrsanschauung; damit kann ohne Zwang auch die übliche vertragliche Risikoverteilung gemeint sein. Die Feststellung der für ihn relevanten Eigenschaften der Sache obliegt dem Verkäufer, bevor er seine Verkaufsentscheidung trifft; das Risiko diesbezüglicher Fehler trägt grundsätzlich er, weswegen die Irrtumsanfechtung ausscheidet.1004 Herrschend ist dieses Normverständnis von § 119 Abs 2 BGB jedoch nicht.1005 Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgte schon Raape in einem häufig zitierten Aufsatz aus 1949.1006 Er stellt am Beispiel des Kaufs eines goldenen Rings darauf ab, ob der Irrtum des Verkäufers geschäftlich oder außergeschäftlich ist; mit anderen Worten geht es darum, ob (irgend)ein Ring verkauft wurde, der sich nachher als golden herausstellt, oder ob die Parteienvereinbarung auf den Kauf eines vergoldeten Rings abstellte. Im zweiten Fall ist die Anfechtung nach § 119 Abs 2 BGB nach Meinung Raapes zulässig. Auch diese Ansicht stellt im Ergebnis auf die vertragliche Risikoverteilung ab. Allerdings soll es nach Raape wohl unzulässig sein, aus dem bezahlten Preis Rückschlüsse auf die Risikoverteilung zu ziehen, was wohl insbesondere bezüglich fehlender Eigenschaften gelten soll. So bringt er als Beispiel eines außergeschäftlichen Irrtums, der den Verkäufer nicht zur Anfechtung berechtigt, wenn nach dem Verkauf eines Grundstücks unter diesem Bodenschätze entdeckt werden; in diesem Fall spiegelt der Preis den Parteien nicht bekannte Vorkommen nicht wieder, ohne dass nach Ansicht Raapes der Irrtum deswegen geschäftlich wäre.
Dennoch ist festzuhalten: Nach in Deutschland klarer Rechtsprechung und herrschender Lehre kann der Verkäufer den Vertrag nach § 119 Abs 2 BGB anfechten, wenn nach Vertragsabschluss werterhöhende Eigenschaften zum Vorschein kommen. Das gilt jedenfalls, wenn diese Umstände dem Käufer nicht bekannt sind.
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Smith, Contract Theory 281 ff. Im Ergebnis auch Fleischer, Informationsasymmetrie 374 f. Für die dogmatische Richtigkeit des Ansatzes Kramers spricht folgende Überlegung: Die Bedeutung der vertraglichen Risikoverteilung wurde vom Gesetzgeber jüngst in der Regelung der Störung der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB idF SMG angesprochen. Aufgrund dieser Norm ist klar, dass eine Anpassung oder ein Rücktritt nur in Frage kommt, wenn der benachteiligten Partei aufgrund der vertraglichen Risikoverteilung ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht mehr zumutbar ist. Dass das Fehlen der Geschäftsgrundlage und der Irrtum vom Sachverhalt her nahe beieinander liegen (Schmidt in Staudinger, BGB § 242 Rn 374 ff.), spricht für eine rechtlich parallele Behandlung. Insofern ist es jedenfalls seit dem SMG gerechtfertigt, auch für die Anfechtung nach § 119 Abs 2 BGB verstärkt die vertragliche Risikoverteilung im Auge zu behalten. AcP 1949, 504 f.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
bb) Informationsasymmetrie Rechtsprechung für Fälle anfänglicher Informationsasymmetrie, in denen dem Käufer die werterhöhenden Eigenschaften des Kaufgegenstandes im Gegensatz zum Verkäufer bekannt sind, fehlt soweit ersichtlich. Irrtumsrechtlich wäre der Fall wohl gleich zu behandeln wie derjenige des gemeinsamen Irrtums; denn eine verkehrswesentliche Eigenschaft iSv § 119 Abs 2 BGB liegt unabhängig davon vor, ob dem Anfechtungsgegner diese Eigenschaft bekannt ist oder nicht. Schon § 122 Abs 2 BGB zeigt, dass die Rechtsfolge der Kenntnis des Vertragspartners nicht der Verlust des Anfechtungsrechts des Irrenden ist; vielmehr verliert der Anfechtungsgegner allenfalls seinen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens. Die herrschende Lehre müsste daher folgerichtig zum Ergebnis kommen, dass die Irrtumsanfechtung auch im Fall der durch den Käufer entdeckten Ölvorkommen (Einleitungsbeispiel 2; oben I. C.) zuzulassen ist.1007 Hingegen vertritt Fleischer mit unterstützenswerten Argumenten die Ansicht, dass die Irrtumsanfechtung mit den vorvertraglichen Aufklärungspflichten abzustimmen ist.1008 Denn es wäre nicht konsequent, wenn man einerseits eine Aufklärungspflicht verneint, andererseits aber dem Irrenden die Anfechtung wegen Irrtums eröffnet, wenn der nicht Aufklärungspflichtige tatsächlich nicht aufgeklärt hat. Damit wäre das Bestehen von Aufklärungspflichten nach dieser neueren Auffassung nicht nur für die Anfechtung wegen Arglist oder die Vertragsaufhebung mittels culpa in contrahendo von Bedeutung, sondern hätte auch eine irrtumsrechtliche Dimension. Dieses Ergebnis erscheint nach österreichischem Recht auf den ersten Blick selbstverständlich, weil der Irrtum nur dann iSv § 871 ABGB veranlasst wurde, wenn das Schweigen über einen bestimmten Sachverhalt eine Aufklärungspflicht verletzt (arg § 871 Abs 2 ABGB). Freilich stellt sich das Problem in ganz vergleichbarer Weise auch in Österreich: Wenn man eine Aufklärungspflicht verneint, aber den Irrtum über die Ölvorkommen unter dem Grundstück als Geschäftsirrtum versteht, so steht die Anfechtung bei Informationsasymmetrie offen, weil der Irrtum dem Vertragspartner aufgefallen ist und deswegen (bzw wegen Größenschlusses) die zweite Variante von § 871 Abs 1 ABGB erfüllt ist. Im Ergebnis ist die Fragestellung für Österreich und Deutschland daher gleich: Ist der Irrtum des Verkäufers über werterhöhende Eigenschaften eine Eigenschaftsirrtum (Deutschland) bzw ein Geschäftsirrtum (Österreich)?
Die Frage lautet also: Ist der Käufer zur Aufklärung verpflichtet, wenn er von werterhöhenden Eigenschaften der Kaufsache weiß? Die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente wurden schon oben zum österreichischen Recht dargestellt; oben IV. C. 2. Zumindest in der jüngeren, von öko1007
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In diese Richtung wohl Kramer in MünchKomm BGB § 119 Rn 122, der in allen Irrtümern, die aufgefallen sind, einen Eigenschaftsirrtum iSv § 119 Abs 2 BGB sehen will. Fleischer, Informationsasymmetrie 378 f.
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nomischen Überlegungen beeinflussten Lehre scheint die überwiegende Ansicht davon auszugehen, dass durch Mitteleinsatz erworbene Informationen durch den Käufer beim Geschäftsabschluss verwertet werden dürfen, ohne dass diese dem Verkäufer gegenüber offen gelegt werden müssen.1009 Aus der jüngeren Rechtsprechung ist hier insbesondere ein Urteil des AG Coburg hervorzuheben.1010 Eine Partei erwarb auf einem Flohmarkt ein Bündel Notenpapiere, unter denen sich auch Originale von Mozart befanden. Es konnte nicht geklärt werden, ob dem Käufer diese Eigenschaft der Kaufsache bekannt war. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, so führt das Gericht aus, käme eine Anfechtung wegen Arglist mangels Aufklärungspflicht nicht in Betracht, weil der Verkäufer seine Interessen hätte selbst verfolgen müssen. Unterstützend führt das Gericht an, dass solche Funde gerade bei Flohmarktgeschäften typisch seien, wobei nicht klar wird, ob das Gericht die Sache anders beurteilt hätte, wenn die Initiative zum Kauf vom Erwerber ausgegangen wäre, indem er den Verkäufer zB in seiner Wohnung aufgesucht hätte.
Freilich besteht ein erkennbares Unbehagen für bestimmte Fallgestaltungen. Zunächst wird bezweifelt, ob der Anfechtungsausschluss auch gelten soll, wenn die Information nicht aufwändig erlangt wurde,1011 sondern dem Käufer durch Zufall in den Schoß gefallen ist;1012 jedenfalls ist das Anreizargument hier nicht einschlägig. Bemerkenswert ist aber, dass diese kritischen Stimmen vor allem das vom Verkäufer kostenlos erworbene Wissen im Auge haben; hier spricht in der Tat viel für eine Offenlegung, wie sie das Gewährleistungsrecht auch fordert. Verlangt man aber, dass der Käufer zufällig erworbenes Wissen offen legt, so verhindert man, dass wohlfahrtssteigernde Transaktionen erfolgen und dass die Ware zum besten Wirt wandert; das spricht dafür, den Käufer mit Aufklärungspflichten selbst dann nicht zu belasten, wenn ihm ein „Zufallsgewinn“ in den Schoß fällt.1013 Ebenso fordert der bereits vom AG Coburg angesprochene Aspekt die deutsche Lehre zur Differenzierung heraus: Wenn sich der Verkäufer der Gefahr eines Verkaufs unter dem Wert wie im Flohmarktbeispiel aussetzt, scheint er wenig schutzwürdig zu sein, wenn sich diese Gefahr letztlich realisiert. Etwas anderes könnte gelten, wenn der Käufer die „schadensstiftende 1009
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Kötz, Europäisches Vertragsrecht 304; Kötz/Schäfer, Judex oeconomicus 168 ff; Adams, AcP 1986, 453 ff; Schäfer/Ott, Lehrbuch 487; Fleischer, Informationsasymmetrie 284. NJW 1993, 938. Wobei hier üblicherweise nicht nur direkte Kosten, sondern auch zB Ausbildungskosten berücksichtigt werden (wie zB des Musikspezialisten, der nur aufgrund seiner aufwändigen Ausbildung das Originalnotenblatt Mozarts am Flohmarkt „im Vorbeigehen“ entdecken konnte); vgl Fleischer, Informationsasymmetrie 288. Schäfer/Ott, Lehrbuch 523; Adams, AcP 1986, 474; Kötz, Europäisches Vertragsrecht 306; Kötz/Schäfer, Judex oeconomicus 177; Adams, AcP 1986, 474 f. Wie hier Fleischer, Informationsasymmetrie 288 f.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Ausgangssituation“ herbeigeführt hat, indem die Initiative zum Vertragsschluss von ihm ausgeht.1014 In Frage gestellt wird auch, ob Aufklärungspflichten nicht ausnahmsweise bestehen sollen, wenn das besondere Wissen des Käufers nur ein Vorauswissen ist, das innerhalb kurzer Zeit ohnehin in den Markt geraten würde. Dabei kann es einerseits um Wissen über zukünftige Marktentwicklungen gehen, andererseits aber auch um Wissen über Eigenschaften des Vertragsgegenstandes. Musterbeispiel ist die Ausnützung von Insiderinformationen am Kapitalmarkt. Hier besteht unstrittig eine Aufklärungspflicht, weil das Informationsdefizit einerseits strukturell ist und andererseits das Funktionieren des Kapitalmarkts, das durch das Verbot geschützt werden soll, nur erreicht werden kann, wenn es auch einen zivilrechtlichen Anspruch auf Ausgleich der Informationsasymmetrie gibt.1015 Der Grund für diesen Anspruch liegt aber mE nicht darin, dass die Information nur geringfügig rascher an den Markt gelangt, sondern darin, dass die Art der Informationsbeschaffung verpönt ist. Dass eine nur geringfügig rascher zum Vorschein gekommene Information zur Irrtumsanfechtung berechtigen soll, wird schon wegen der schwierigen Abgrenzung im Ergebnis von den meisten Autoren nicht vertreten. Der Befund beim Irrtum des Verkäufers über werterhöhende Eigenschaften ist daher für Deutschland unsicher: Zunächst besteht schon keine Klarheit darüber, ob der Käufer zur Aufklärung verpflichtet ist bzw in welchen speziellen Situationen diese Pflicht bestehen kann. Hinzu kommt, dass neben die Anfechtung wegen culpa in contrahendo auch die Irrtumsanfechtung tritt; bejaht man mit der wohl herrschenden Lehre, dass werterhöhende Eigenschaften iSv § 119 Abs 2 „im Verkehr als wesentlich angesehen werden“, so kann sich der irrende Verkäufer gegen Ersatz des Vertrauensschadens jedenfalls vom Vertrag lösen. 4. Die Hälftegrenze und das wucherähnliche Rechtsgeschäft Die bisher erörterten Zweifelsfälle lassen sich allesamt nicht nur als Probleme der Verletzung von Aufklärungspflichten oder als solche des Irrtumsrechts verstehen, sondern auch aus dem Blickwinkel des Wuchertatbestandes untersuchen. Das gilt freilich nicht für den Briefmarkenfall (Einleitungsbeispiel 3; oben I. C.); hier fehlt es aufgrund des gemeinsamen Irrtums schon am Ausnützen der Willensschwäche durch den vom Geschäft Begünstigten. Der Wuchertatbestand nach § 138 Abs 2 BGB steht nicht im Zentrum der Untersuchung. Hier gibt es zwar etliche Unterschiede zu § 879 Abs 2 Z 4 ABGB; diese sind aber in einer Gesamtbetrachtung nicht von großer Bedeutung.
1014
1015
Zweifelnd Fleischer, Informationsasymmetrie 282, unter Berufung auf Kühne, Geschäftstüchtigkeit oder Betrug 36 ff. Ausführlich Fleischer, Informationsasymmetrie 299 ff.
X. Alternative Regelungsmodelle
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Einige Unterschiede: Auffällig iSv § 138 Abs 2 BGB ist ein Missverhältnis nach herrschender Lehre1016 und Rechtsprechung1017, wenn es um 100 % oder mehr über dem Marktpreis liegt; für Österreich muss die Grenze niedriger liegen, weil die Wucherbestimmung sonst wegen der laesio enormis keinen eigenen Anwendungsbereich hätte. Für die Ausbeutung muss der Wucherer nach der deutschen Bestimmung sich die Zwangslage bewusst zu Nutze machen und das Missverhältnis kennen;1018 hingegen ist in Österreich nach herrschender Lehre die Ausbeutung auch fahrlässig möglich (oben III. B. 4.). Nach in Deutschland herrschender Lehre ist schon die Unerfahrenheit auf einem bestimmten Lebensgebiet ausreichend,1019 während die Bereichsunerfahrenheit für Österreich mehrheitlich als nicht ausreichend angesehen wird (oben III. B. 3.). Die Nichtigkeit des wucherischen Geschäfts erfasst in Deutschland anders als in Österreich nicht das (in Deutschland abstrakte) Verfügungs-, sondern nur das Verpflichtungsgeschäft; die Rückabwicklung erfolgt nach Bereicherungsrecht.1020
Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist eine andere Frage von größerer Bedeutung: Die Rechtsprechung hat § 138 Abs 1 BGB, also die allgemeine Regelung der Sittenwidrigkeit, instrumentalisiert, um Geschäfte mit der Nichtigkeitssanktion zu belegen, bei denen zwar ein grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung gegeben ist, die anderen Elemente des Wuchertatbestandes aber nicht nachweisbar sind. Diese Rechtsprechung gilt es in einem ersten Schritt in ihrer historischen Entwicklung nachzuzeichnen. Hernach ist zu überlegen, welche Bedeutung die subjektive Tatseite hat; dabei wird die Regelung auch mit der laesio enormis nach §§ 934 f ABGB kontrastiert. In einem dritten Schritt möchte ich den Zweck der Hälftegrenze als Vermutungsregel untersuchen. Zum Schluss geht es mir darum, welcher Vergleichsmaßstab von der Rechtsprechung der deutschen Gerichte bisher zugrunde gelegt wird bzw welche Maßstäbe im Rahmen des deutschen Konzepts angewendet werden können. a) Die Rechtsprechung in ihrer Entwicklung Die Wende weg vom Wuchertatbestand und hin zur allgemeinen Sittenwidrigkeitskontrolle ist untrennbar mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Kreditwucher verbunden.1021 Erste Ansätze in der Rechtsprechung gehen
1016 1017
1018 1019 1020 1021
Für alle Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 67. BGH NJW-RR 89, 1068; für eine niedrigere Grenze von 50 % bei bestimmten Mietverträgen BGH NJW 1997, 1845; dazu zB Henssler, Risiko 217 f. Zur Bedeutung der Hälftegrenze im Rahmen von § 138 Abs 1 BGB vgl gleich unten. Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 74 mwN. Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 71 mwN. Vgl zB BGHZ 146, 298. Dazu allgemein Haferkamp in HKK BGB § 138 Rn 12 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
auf die Zeit vor Inkrafttreten des BGB zurück;1022 in der Folge wurde der allgemeine Sittenwidrigkeitsbegriff mit näheren Konturen versehen.1023 Der Schlüssel für die spätere Entwicklung ist eine Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des Reichsgerichts aus dem Jahr 1936,1024 die in der Sache bis heute Bestand hat, auch wenn die kollektivistische Begründung, nämlich die Verhinderung des „dem Ganzen nachteiligen Eigennutz[es] des einzelnen Volksgenossen“, heute dem Grundsatz nach wieder durch den Schutz der Interessen der benachteiligten Vertragspartei ersetzt ist.1025 Das Reichsgericht hielt fest, dass ein Rechtsgeschäft nicht allein wegen einer groben Unangemessenheit von Leistung und Gegenleistung sittenwidrig iSv § 138 Abs 1 BGB sein könne und widersetzte sich damit einer damals entstehenden Rechtsprechungslinie, die – ganz im Sinne des nationalsozialistischen Parteiprogramms – zur „Brechung der Zinsknechtschaft“ durch eine objektive Äquivalenzkontrolle antrat;1026 vielmehr müsse neben der Äquivalenzstörung eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten vorliegen, damit der Verkürzte den Vertrag beseitigen kann. In der Sache ließ das Gericht freilich offen, worin sich diese „verwerfliche Gesinnung“ von der Ausbeutung iSd Wuchertatbestands unterscheidet; das ist bis heute der wichtigste Streitpunkt. Besonders bedeutend sind aber zwei Aspekte: Erstens kann die verwerfliche Gesinnung auch darin liegen, dass sich der Begünstigte grobfahrlässig der Kenntnis über die missliche Lage des Vertragspartners verschließt, womit das Vorsatzerfordernis des Wuchertatbestandes aufgegeben wird. Zweitens hält das Gericht fest, dass aus dem Maß des Missverhältnisses auch Schlüsse auf die verwerfliche Gesinnung gezogen werden können; bei besonders groben Verkürzungen könne dieser Schluss auch zwingend sein. Mit dem Urteil wird im Ergebnis die subjektive Lage des Bewucherten nicht näher untersucht; der subjektive Tatbestand auf Seiten des Wucherers tritt ganz in den Vordergrund. Der BGH ist nach 1945 dieser Rechtsprechung gefolgt und hat zunächst wiederholt, dass ein verwerfliches Verhalten auch bei grob fahrlässigem Handeln vorliegen kann.1027 Entscheidend ist aber, dass der BGH etwa ab Ende der 70er-Jahre1028 zunehmend begonnen hat, aus dem objektiven Missverhältnis Rückschlüsse auf die subjektive Vorwerfbarkeit des Verhaltens zu ziehen, wie 1022 1023 1024 1025 1026 1027 1028
RGZ 25, 177. Vgl zB RGZ 64, 181; RGZ 83, 109. RGZ 150, 1. Ausführlich Haferkamp in HKK BGB § 138 Rn 17. Vgl die Nachweise bei Haferkamp in HKK BGB § 138 Rn 16. BGH NJW 1951, 397. Es ist kein Zufall, dass sich diese Tendenz in der Blütezeit des Verbraucherschutzgedankens manifestierte. Vereinzelte Vorjudikate versuchten schon in den 60er-Jahren aus dem Missverhältnis allein die restlichen Voraussetzungen des Wuchertatbestandes abzuleiten; vgl BGH WM 1969, 1255. Dabei wurde aber im Regelfall auf eine feste Zinshöhe von ca. 30 % abgestellt, die ein wucherähnliches Rechtsgeschäft indizieren sollte; vgl Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 182.
X. Alternative Regelungsmodelle
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es sich schon in der referierten Entscheidung des Reichsgerichts angekündigt hatte. Zunächst blieb noch offen, ab welchem Missverhältnis ein solcher Schluss angebracht war1029 bzw es wurde bloß von einem „krassen“1030 oder „auffallenden“1031 Missverhältnis gesprochen. So trat der BGH auch dem OLG Stuttgart entgegen, das sich an § 934 ABGB orientieren wollte;1032 denn die Übernahme der laesio enormis aus dem gemeinen Recht sei vom Gesetzgeber des BGB ausdrücklich abgelehnt worden.1033 Im Ergebnis stellte er aber bei einem Verhältnis von ca 3:1 zugunsten einer Teilkreditbank fest, dass ein sittenwidriges Rechtsgeschäft vorlag, ohne sich über die Ausbeutung durch die Bank oder Fahrlässigkeit der Bank in der Sache Gedanken zu machen; lediglich die unangemessenen AGB wurden zur Beurteilung noch herangezogen. 1988 legte sich der BGH schließlich weit gehend fest: Auch bei einem Missverhältnis von knapp weniger als 2:1 sei die Vermutung einer verwerflichen Gesinnung zulässig, wenn der absolute Zinsunterschied zum normalen Marktpreis außergewöhnlich hoch sei,1034 wobei später ein absoluter Zinsunterschied von 12 % genannt wurde.1035 In der Folge wurde die Grenze von 2:1 als Faustregel anerkannt; ein relevantes Missverhältnis, das die verwerfliche Gesinnung indiziert, kann auch vorliegen, wenn das Missverhältnis „knapp“ unter dieser Grenze liegt, wobei als Maßstab häufig 190 % genannt werden.1036 Freilich ist es gegenläufig zu berücksichtigen, wenn die absolute Wertdifferenz relativ gering ist; so hat der BGH in einem obiter dictum die Anwendung der Vermutung in Frage gestellt, wenn Grundstücke im Wert von DM 30.000.um DM 9.000.- verkauft werden.1037
1029
1030 1031 1032
1033 1034 1035
1036
1037
In einer Entscheidung aus 1979 akzeptierte der BGH (NJW 1979, 758) als im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens gelegen, dass das Berufungsgericht bei einem Missverhältnis von 1:2,5 im Rahmen eines Abzahlungsgeschäfts eine verwerfliche Gesinnung nicht angenommen hat. BGH WM 1981, 404. BGH NJW 1984, 2292; in der Folge zB BGHZ 98, 174. BGHZ 80, 153; ausführlich Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 182; zum damaligen Stand der Rsp auch v Olshausen, ZHR 1982, 277 ff. So auch BGH NJW 2002, 3165. BGHZ 104, 102. BGHZ 110, 336; BGHZ 128, 255; Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 119. Ablehnend zB Canaris, ZIP 1980, 716 f. BGHZ 110, 336; BGH NJW 1995, 2635; BGHZ 154, 47; BGH ZIP 2004, 549; vgl Heinrichs in Palandt § 138 Rn 27 ff mwN; siehe auch die Flut von Nachweisen bei BGHZ 146, 298. Eine Überteuerung von 80 % genügt im Regelfall nicht; BGH NJW 2003, 2529. Aus dem Schrifttum zB Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 114; Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 34a; Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 182. BGH NJW 2003, 283.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
In der Folge wurden diese Grundsätze auch auf andere Geschäftstypen als den Kreditvertrag erstreckt, zB auf Liegenschaftstransaktionen,1038 Maklerprovisionen1039 und Anwaltshonorare.1040 Die Vermutung kommt daher grundsätzlich bei allen Kaufverträgen1041 wie auch bei anderen synallagmatischen Geschäften zum Tragen. Aufsehen erregte schließlich eine Entscheidung des V. Zivilsenats aus dem Jahr 2001.1042 Dieser geht davon aus, dass man sich auch dadurch fahrlässig der Kenntnis der Bewucherung verschließen könne, auch wenn man das Missverhältnis selbst nicht kennt; daher sei es nicht möglich, sich der Vermutung des verwerflichen Handelns bei Vorliegen der objektiven Äquivalenzstörung zu entziehen, indem man nachweist, dass man von der Äquivalenzstörung keine Kenntnis hatte. Dies veranlasste Flume, dem BGH in einer Entscheidungsbesprechung den Vorwurf zu machen, dass er mit diesem Rechtssatz die laesio enormis wieder eingeführt habe.1043 Freilich hielt der BGH in seiner Entscheidung ausdrücklich fest, dass die Vermutung grundsätzlich widerlegbar sei, aber nicht durch fahrlässige Unkenntnis.1044 Kurze Zeit später nahm sich der V. Zivilsenat selbst beim Wort und ließ den Gegenbeweis zu:1045 Bei einer Liegenschaftstransaktion war vom Verkäufer zunächst eine Schenkung (an einen potenziell Erbberechtigten) beabsichtigt gewesen, dann wurde durch den Rechtsanwalt des Verkäufers ein für diesen nachteiliger Kaufpreis festgelegt; das Verhalten der Kläger war hier in einer Gesamtbetrachtung trotz groben objektiven Missverhältnisses nicht verwerflich. Damit ist der Weg für die Einzelfallbetrachtung geöffnet.1046 So kann die Vermutung der verwerflichen Gesinnung nicht greifen, wenn beide Parteien davon ausgingen, dass ein Grundstück nicht bebaubar sei, auch wenn zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund geänderter Umstände die Bebaubarkeit dann gegeben ist;1047 die Besonderheit dürfte hier wohl im gemeinsamen Irrtum über zukünftige Entwicklungen liegen, der den Blick auf die vertragliche Risikoverteilung nahe legt. Diesem Irrtum ist der Begünstigte auch nicht fahrlässig erlegen. Schon früher hat der BGH den Rückschluss auf verwerfliche Gesinnung aus dem groben Missverhältnis abgelehnt, wenn die Parteien auf Basis eines gemeinsam eingeholten Verkehrsgutachtens kontrahiert haben, das 1038
1039 1040
1041 1042 1043 1044 1045 1046 1047
Vgl BGH NJW 1992, 899; BGH NJW 2000, 1487. Dazu zB Hefermehl in Soergel, BGB § 138 Rn 86a. BGHZ 125, 135; BGH NJW 2000, 2669. BGH NJW 2000, 2669; BGH NJW 2003, 3486 (Siebzehnfache der gesetzlichen Gebühren). So auch Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 113. BGHZ 146, 298. Flume, ZIP 2001, 1621 f. So auch Bork, JZ 2001, 1139. BGH NJW 2002, 3165. Freitag, EWIR 2003, 8. BGH NJW 2003, 283.
X. Alternative Regelungsmodelle
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nicht offensichtlich unrichtig ist.1048 Und schließlich scheidet die subjektive Vorwerfbarkeit aus, wenn sich der scheinbar Verkürzte in Kenntnis des Missverhältnisses bewusst dazu entschlossen hat, den Vertragspartner zu begünstigen.1049 Das gilt jedenfalls, wenn keine Zwangslage vorliegt. Bemerkenswert ist aus der Rechtsprechung zum Kreditvertrag schließlich, dass das objektive Missverhältnis die Vermutung des verwerflichen Handelns nur nach sich zieht, wenn der benachteiligte Kreditnehmer Verbraucher ist. Daher gilt die Vermutung nach der Rechtsprechung zB nicht, wenn der Kreditnehmer Kaufmann,1050 Landwirt1051 oder Freiberufler1052 ist; die Lehre geht davon aus, dass auch andere Gewerbetreibende nicht in den Genuss der Vermutung kommen.1053 Aber auch bei anderen Geschäftstypen als dem Kreditvertrag muss der durch das Geschäft benachteiligte Unternehmer nachweisen, dass der Begünstigte verwerflich gehandelt hat.1054 Für diesen Nachweis dürfte es wohl genügen, dass der Richter zur Überzeugung kommt, dass das Missverhältnis für den Begünstigten erkennbar war; dies hat der BGH in einer Entscheidung zur Geschäftsraummiete ausdrücklich festgehalten.1055 Erforderlich ist also auch unter Unternehmern weder der Nachweis einer Schwächeposition des Verkürzten noch des vorsätzlichen Ausbeutens; es genügt fahrlässiges Nichterkennen des Missverhältnisses. Ein Unterschied zum österreichischen Recht besteht darin, dass nach der Rechtsprechung des BGH in manchen Fällen auch auf die Person des Begünstigten abzustellen ist, wobei die Rechtsprechung freilich schwankt. Bei nicht gewerbsmäßigen Darlehensgebern findet die Vermutung keine Anwendung.1056 Anderes gilt anscheinend für Grundstücksgeschäfte; hier kann die Vermutung auch bei Geschäften zwischen Ehegatten aus Anlass einer Scheidung wirken.1057 Für § 934 ABGB ist die Person des Vertragspartners hingegen unerheblich.
1048 1049 1050 1051 1052 1053 1054 1055 1056
1057
BGH ZIP 1997, 931. Dazu Hefermehl in Soergel, BGB § 138 Rn 86a. BGHZ 146, 298; Palandt, BGB § 138 Rn 34b. BGHZ 128, 255; BGH NJW 2003, 2230. Vgl Canaris, ÖBA 1990, 895. BGH NJW 1991, 1810. Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 30. Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 186. BGH NJW 2003, 2230. BGH NJW 2002, 55. ZB BGH NJW 1994, 1056; Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 187; Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 32. BGHZ 154, 47.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
b) Die Bedeutung der subjektiven Elemente Die stark rechtsfortbildende Rechtsprechung des BGH wird im Schrifttum großteils gebilligt.1058 Klar festgehalten wird aber,1059 dass die Vermutung des sittenwidrigen Handelns ab einer Verkürzung von knapp weniger als 100 % in einem Spannungsverhältnis zu der Entscheidung des BGB-Gesetzgebers steht, die laesio enormis nicht aus dem gemeinen Recht zu übernehmen, weil kein Bedarf an einer solchen Norm bestünde.1060 Dass Bedarf zumindest an einer Orientierungshilfe, an einem Indikator für das Vorliegen der Sittenwidrigkeit besteht, belegt die Rechtsprechung des BGH eindrucksvoll. Der BGH ist jedenfalls insofern strenger als das gemeine Recht, als nach diesem die laesio enormis im Gegensatz zur Vermutung der Sittenwidrigkeit durch Parteienvereinbarung abbedungen werden konnte.1061 Diese Rechtsprechung hat Mayer-Maly bewogen, von einer Renaissance der laesio enormis in Deutschland zu sprechen.1062 Ähnlich spricht Zimmermann vom Leben nach dem Tod der laesio enormis.1063 Jedoch ist zu beachten, dass in verschiedener Hinsicht ein Funktionswandel festzustellen ist. Denn im Ergebnis gelingt es der Rechtsprechung des BGH, wesentlich flexiblere Lösungen zu erreichen, als dies im Rahmen der gemeinrechtlichen Norm möglich war. Auch für die österreichische Situation lassen sich de lege lata und de lege ferenda wichtige Hinweise aus der deutschen Rechtslage gewinnen. Zunächst ist festzuhalten, dass die deutsche Rechtsprechung grundsätzlich eine „verwerfliche Gesinnung“ verlangt, die nur unter gewissen Voraussetzungen vermutet wird. Die stark moralisierende Wortwahl ist nicht glücklich, stammt sie doch soweit ersichtlich aus RGZ 150, 1; dort steht sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem „gesunden Volksempfinden“, das mit der nationalsozialistischen Weltanschauung gleichgesetzt wird. Jedoch ist das Urteil des Reichsgerichts zwar in der Diktion und in Teilen der Begründung, nicht aber im Ergebnis ein Beispiel nationalsozialistischer „Rechtspflege“. Unabhängig von der Wortwahl ist aber der genaue Inhalt dieses Begriffs unklar. Worin soll der Unterschied zum „Ausbeuten“ des Wuchertatbestands liegen? Jedenfalls muss das Verhalten vorwerfbar sein, weil es sonst nicht als verwerflich qualifiziert werden kann.
1058
1059 1060 1061 1062 1063
Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 34a; Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 117; Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 229; Roth in MünchKomm BGB § 242 Rn 426; Henssler, Risiko 224 ff. Kritisch aber Canaris, ÖBA 1990, 893; Koziol, AcP 1988, 190 ff. ZB vereinfachend Flume, Rechtsgeschäft 381. Motive zum BGB-Entwurf II 321. Insofern also zu verkürzt Motive zum BGB-Entwurf II 321. Mayer-Maly in FS Larenz II 395. Zimmermann, Obligations 268.
X. Alternative Regelungsmodelle
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Eines ist klar: Soweit dem Begünstigten das grobe Missverhältnis nicht bekannt ist, kann er die Vermutung grundsätzlich widerlegen.1064 Freilich darf diese Unkenntnis nicht schuldhaft erfolgen,1065 weil man sich – wieder mit den Worten des Reichsgerichts1066 – der Kenntnis nicht fahrlässig verschließen darf. Der BGH hat auch ausdrücklich festgehalten, dass sich die fahrlässige Unkenntnis nicht auf die Willensschwäche beim Verkürzten, eine Zwangslage oder ähnliches beziehen muss; es geht allein um das Missverhältnis an sich:1067 „Nach dem geschilderten Satz der Lebenserfahrung, dass außergewöhnliche Gegenleistungen nicht ohne Not zugestanden werden, kann sich der Begünstigte der Kenntnis der ‚misslichen Lage’ des anderen Teils nicht nur dadurch verschließen, dass er bei erkanntem Missverhältnis dessen Zwangslage oder einen anderen ihn hemmenden Umstand nicht zur Kenntnis nimmt, sondern auch dadurch, dass er sich schon des objektiv besonders groben Missverhältnisses nicht bewusst wird.“ Damit wird klar, dass es nicht um eine Vermutung geht, dass der Begünstigte die Willensschwäche beim Verkürzten gekannt hat; vermutet wird vielmehr die Kenntnis des groben Missverhältnisses selbst. Denn aus diesem Missverhältnis müssen sich nach Ansicht des BGH zumindest Zweifel ergeben, dass das Geschäft unter Umständen aufgrund einer Notlage abgeschlossen wurde.1068 Die Vermutung der Kenntnis des Missverhältnisses wird widerlegt, indem der Begünstigte nachweist, dass ihm das Missverhältnis nicht bekannt war und aufgrund der Umstände auch nicht bekannt sein musste, weil zB aufgrund eines Gutachtens abgeschlossen wurde. Hingegen reicht es nicht aus, dass der Begünstigte schuldlose Unkenntnis einer Willensschwäche des Vertragspartners nachweist, was wohl reichen müsste, wenn durch das auffallende Missverhältnis eine Vermutung begründet würde, dass die subjektiven Tatbestandsmerkmale nach § 138 Abs 2 BGB erfüllt sind. Vielmehr nennt der BGH selbst als Sachverhaltselemente, welche die Vermutung erschüttern, das besondere Affektionsinteresse des Erwerbers oder die bewusste Begünstigung des Vertragspartners durch den Benachteiligten.1069 Es geht daher nicht um Elemente, welche die Kenntnis einer subjektiven Willensschwäche des Vertragspartners widerlegen; der Begünstigte muss vielmehr umgekehrt wissen, warum der Vertragpartner trotz eines objektiven Missverhältnisses das Geschäft eingeht. Das ist etwas anderes als der Wuchertatbestand.
1064 1065 1066 1067 1068
1069
BGH ZIP 1997, 931; BGH NJW 2002, 3165; BGH NJW 2003, 283. BGHZ 146, 298. RGZ 150, 1. BGHZ 146, 298, 303 f. Widerlegbar müssen natürlich beide Schlüsse sein, weil die gemischte Schenkung weiterhin zulässig sein soll. Vgl Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 237. BGHZ 146, 298.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Der rechtliche Vorwurf beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft lautet daher: Es ist sittenwidrig, Verträge abzuschließen, wenn dem Begünstigten bewusst ist oder sein muss, dass die eigene Leistung in einem Missverhältnis zur Gegenleistung steht, wenn nicht ausnahmsweise Rechtfertigungsgründe bestehen. Wenn diese Aussage richtig ist, darf man konsequenterweise davon ausgehen, dass dieses Missverhältnis dem Begünstigten ab einem gewissen, dezisionistisch festgelegten Ausmaß der Äquivalenzstörung im Regelfall bekannt ist. Die Vermutung selbst ist daher rechtlich nicht zu beanstanden (vgl noch unten c). Fragwürdig ist aber diese im Vergleich zum Wuchertatbestand verschobene Wertung, worauf schon Koziol1070 und Canaris1071 hingewiesen haben. Denn wenn diese Anwendung von § 138 Abs 1 BGB auf das wucherähnliche Rechtsgeschäft gerechtfertigt sein soll, muss zum groben Missverhältnis ein anderes, dem „Ausbeuten der Willensschwäche“ iSv § 138 Abs 2 BGB gleichwertiges Element hinzutreten, damit das Verhalten verwerflich ist. Das Wissen über das Missverhältnis ist gegenüber dem Ausnützen der Willensschwäche aber kein aliud, sondern ein minus. Denn für den Wucher gem § 138 Abs 2 muss der Wucherer sich seine Kenntnis von Missverhältnis und Willensschwäche vorsätzlich zunutze machen;1072 diese Handlung ist sittlich vorwerfbar. Dann kann aber das bloße Ausnutzen der Äquivalenzstörung ohne besonderen Rechtfertigungsgrund allein nicht sittlich vorwerfbar sein.1073 Eine Willensschwäche auf Seiten des Bewucherten ist nach der Rechtsprechung des BGH gar nicht mehr tatbestandsmäßig.1074 Der rechtsdogmatische Versuch, die Rechtsprechung des BGH allein aus dem Wuchertatbestand abzuleiten, befriedigt daher nicht; zusätzliche Elemente sind zu identifizieren. Dazu ist in Erinnerung zu rufen, dass die Regel bei Rechtsgeschäften zwischen Unternehmern und Verbrauchern besondere Bedeutung hat; zugunsten von Kaufleuten, wohl ganz allgemein von Unternehmern, wirkt die Vermutung der Kenntnis des Missverhältnisses hingegen nicht. Daher könnte die Sittenwidrigkeit bei Äquivalenzstörungen in der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers begründet sein; auf subjektive Elemente wäre daher konsequenterweise zu verzichten. Ganz ähnlich hebt Hefermehl1075 hervor, dass an die Stelle der Zwangslage beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft die wirtschaftlich schwächere Lage trete. Canaris1076 und Koziol1077 lehnen diesen
1070 1071 1072 1073 1074
1075 1076 1077
AcP 1988, 191. ÖBA 1990, 895. Für alle Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 212 ff. Ähnlich Koziol, AcP 1988, 207; v Olshausen, ZHR 1982, 286 f. So wohl auch Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 236 (vgl aber aaO Rn 233); v Olshausen, ZHR 1982, 287 f. In Soergel, BGB § 138 Rn 86, 87. ÖBA 1990, 895. AcP 1988, 197 ff.
X. Alternative Regelungsmodelle
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Ansatz im Ergebnis ab, unter anderem weil durch die Anwendung auf Konsumenten auf das konkrete Machtgefälle keine Rücksicht genommen werden kann. Ein rechtsdogmatisch tragfähiger Erklärungsansatz wäre es aber dennoch, dass das Ausnützen des Wissens über das Missverhältnis dann vorwerfbar ist, wenn ein typisiertes Machtgefälle zwischen den Vertragsparteien besteht. Tragfähig ist dieser Erklärungsansatz vor allem deswegen, weil die Verbraucherschutzgesetzgebung der letzten Jahrzehnte andeutet, dass die regelmäßig vorliegende Verhandlungsschwäche des Verbrauchers rechtlich beachtlich ist; deswegen ist es wohl zulässig, den diesbezüglichen Wandel der Auffassung auch durch ein neues Verständnis der guten Sitten im Rahmen von § 138 BGB aufzugreifen.1078 Demzufolge wäre es methodisch korrekt, die Schwächesituation des Verbrauchers auch im Rahmen der Auslegung des Sittenwidrigkeitsbegriffs zu berücksichtigen; das wirft freilich die Folgefrage auf, ob nur die Beziehung Verbraucher – Unternehmer erfasst ist oder auch vergleichbare Ungleichgewichtslagen aufgegriffen werden können.1079 Auch mit diesem Ansatz lässt sich die deutsche Rechtsprechung aber nicht erklären. Zunächst wird die Kenntnis des Missverhältnisses (außerhalb des Kreditgeschäfts; oben a) auch vermutet, wenn keine der beteiligten Parteien Unternehmer ist.1080 Vor allem genügt es aber, dass der benachteiligte Unternehmer die Kenntnis des Begünstigten vom Missverhältnis nachweist; auch ohne weitere Untersuchung der Ausbeutung einer Willensstörung ist das Geschäft dann wegen § 138 Abs 1 BGB sittenwidrig.1081 Es ändert sich somit nur die Vermutungsregel, nicht aber der grundsätzliche Ansatz der Norm. Daher wirkt das neue Verständnis der Sittenwidrigkeit nicht nur zugunsten von Konsumenten. Es zeigt sich, dass sich die Rechtsprechung doch weit von den Wertungen des Wuchertatbestandes entfernt hat.1082 Entgegen dem ersten Anschein gilt das jedoch mE nicht so sehr für die Hälftegrenze als Vermutungstatbestand; diese stellt eine durchaus sinnvolle Verteilung der Beweislast dar (dazu sogleich unten c). Das Problem liegt eher in der Frage, womit der Begünstigte den dann erforderlichen Gegenbeweis erbringen kann, dass er nicht verwerflich gehandelt hat. Nach der Rechtsprechung scheint das nur möglich zu sein, indem er nachweist, dass er das objektive Missverhältnis nicht gekannt hat und auch nicht kennen musste. Ein strenger am Normtext von § 138 Abs 2 BGB haftender Interpret muss hingegen zu dem Ergebnis kommen, dass auch der
1078
1079 1080 1081 1082
Zur Bedeutung des Wandels der guten Sitten zB Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 77 f. Vgl Koziol, AcP 1988, 197 ff. Vgl zB BGHZ 154, 47. BGH NJW 2002, 55. Anders aber Henssler, Risiko 208 f unter Berufung auf die Materialien.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Nachweis genügt, dass man nicht von der Zwangslage oder einer vergleichbaren Willensschwäche des Verkürzten wusste bzw wissen musste. Der Vergleich mit § 934 ABGB zeigt sofort den wesentlichen Unterschied: Nach der österreichischen Norm ist es dem Begünstigten nicht möglich, sich der Anfechtung durch den Nachweis zu entziehen, dass er von dem Missverhältnis nicht wusste. Die Anfechtung ist auch beim gemeinsamen Irrtum grundsätzlich möglich. Ich habe bereits oben (VI.) ausgeführt, warum ich dieses Ergebnis für sachlich unangemessen halte, und auch gezeigt, welche Lösung sich anbietet: Beim gemeinsamen Irrtum geht eine besondere vertragliche Risikoverteilung § 934 ABGB vor, weil insofern ein Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe iSv § 935 ABGB vorliegt. Das hilft jedoch nicht, sofern sich dem Vertrag auch in ergänzender Auslegung keine Anhaltspunkte für eine solche Risikoverteilung entnehmen lassen. Hier erscheint es mir de lege ferenda richtig, dem deutschen Modell zu folgen und die laesio enormis als Vermutung einer Informationsasymmetrie auszugestalten. Soweit der Begünstigte nachweist, dass ihm das Missverhältnis nicht bekannt war, bleibt der Vertrag aufrecht. Im Ergebnis ist daher keine der ursprünglichen Konzeptionen der Gesetzbücher wirklich gelungen. Wo das BGB das Ausnützen eines Informationsvorsprunges dem Gesetzeswortlaut nach zulässt, greift das ABGB auch gemeinsame Irrtümer weit gehend auf. Eine Annäherung scheint erforderlich; diese hat der BGH in der Sache vollzogen, auch wenn die dogmatische Basis für diesen Schritt zumindest nach einem konservativen Methodenverständnis unklar ist. Es ist zu bezweifeln, dass § 934 ABGB einer ähnlich mutigen Auslegung (Vermutungsregel für das Vorliegen von Wucher) durch österreichische Gerichte zugänglich ist. c) Der Zweck der Vermutungsregel Damit wurde versucht zu klären, welches Konzept der Rechtsprechung des BGH zugrunde liegt und welches Verhalten dem Begünstigten zum Vorwurf gemacht wird. In der Folge geht es um Inhalt und Zweck der Vermutungsregel. Der BGH spricht in mehreren Entscheidungen von einer tatsächlichen Vermutung der verwerflichen Gesinnung,1083 während in anderen von einem „Schluss“ auf die verwerfliche Gesinnung die Rede ist.1084 Ähnliche Begriffe haben sich im Schrifttum eingebürgert.1085
1083 1084 1085
ZB BGH NJW 2002, 3165. BGHZ 154, 47. So auch schon RGZ 150, 1. Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 34a („tatsächliche Vermutung“); Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 237 („Vermutung“); Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 116 („tatsächliche Vermutung“).
X. Alternative Regelungsmodelle
221
Die Rechtsfolgen dieser Vermutung sind in Deutschland nicht restlos geklärt.1086 Nach einer Ansicht soll die tatsächliche Vermutung einen vollen Anscheinsbeweis begründen, der nur durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden kann.1087 Daneben kommt auch der schwächere Indizienbeweis in Betracht, wonach nicht nur der mittelbare Sachverhalt zu beweisen ist, sondern auch glaubhaft gemacht werden muss, warum ein Rückschluss vom nachgewiesenen Sachverhalt auf das eigentliche Beweisthema bestehen soll.1088 Zur Verteidigung gegen einen Indizienbeweis genügt es, die Glaubwürdigkeit der Kausalität in Zweifel zu ziehen. Die Rechtsprechung hat die Frage bisher offen gelassen.1089 Einzelne Judikate deuten allerdings auf einen bloßen Indizienbeweis hin, weil der BGH die Kausalität in Frage stellt, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen abweichenden Verlauf bestehen, ohne dass die Partei – soweit ersichtlich – den vollen Beweis für einen solchen erbracht hat.1090 Jede Vermutungsregel bedeutet, dass die Beweislast abweichend vom allgemeinen Grundsatz verteilt wird, nach dem der Kläger den vollen Beweis zu erbringen hat. Derjenige, der einen Anspruch durchsetzen will, muss nur nachweisen, dass diejenigen Sachverhaltselemente vorliegen, aus denen eine bestimmte Tatsache vermutet wird; der Anspruchsgegner muss die Vermutung widerlegen, womit ihn im Ergebnis der Beweis trifft, dass die Tatsache nicht vorliegt. Aus dieser Neuverteilung folgt, dass die Vermutungsregel bei einer Durchschnittsbetrachtung auch angemessen sein muss, damit sie sachlich gerechtfertigt ist und letztlich auch verfassungsrechtlich Bestand haben kann. Der Schluss von den Sachverhaltselementen auf den Tatbestand muss somit im Regelfall richtig sein, wobei natürlich ein gewisser Beurteilungsspielraum des Rechtssetzers besteht. Die Vermutung der verwerflichen Gesinnung bei Überschreiten der Hälftegrenze entspricht diesem Kriterium. Im Regelfall weiß der Begünstigte eines grob inäquivalenten Geschäfts über das Missverhältnis Bescheid.1091 Dass die Grenze für grobe Äquivalenzstörung mit der Hälftegrenze (bzw knapp darunter) festgelegt wurde, ist aus Sachlichkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Etwas anderes könnte allerdings gelten, soweit man aus der groben Äquivalenzstörung ableiten wollte, dass die Tatbestandselemente des § 138 Abs 2 BGB gegeben sind – ein Schluss, den der BGH in letzter Zeit nicht mehr zieht, der aber
1086
1087 1088 1089 1090 1091
§ 292 Satz 1 deutsche ZPO („Stellt das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung auf, so ist der Beweis des Gegenteils zulässig, sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.“) kann nicht unmittelbar angewandt werden, weil diese Norm nur gesetzliche Vermutungen erfasst. Zum Anscheinsbeweis näher Zöller, ZPO § 826 Rn 16. Zum Indizienbeweis näher Zöller, ZPO § 826 Rn 9. Vgl zB BGH V ZR 270/99; BGHZ 146, 298. Vgl zB BGH ZIP 1997, 931. So ausdrücklich zB BGH V ZR 270/99.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
in früheren Judikaten nahe gelegt wurde, insbesondere in der schon mehrfach zitierten Entscheidung des Reichsgerichts aus 1936:1092 „Es [das Missverhältnis] kann so groß sein, dass es den Schluss auf bewusste oder doch grobfahrlässige Ausnutzung irgendeines den Vertragsgegner hemmenden Tatumstandes zwingend nahe legt.“ Nach Meinung des Reichsgerichts kann also aus dem groben Missverhältnis (zwingend?) geschlossen werden, dass eine Willensschwäche ausgenutzt wurde. Das erscheint mir problematisch. Ich bezweifle, dass der Begünstigte bei Vorliegen eines Missverhältnisses im Regelfall nicht nur dieses selbst erkennt, sondern im Regelfall auch vermutet, dass sein Vertragspartner sich in einer Zwangslage befindet oder an einer der in § 138 Abs 2 BGB genannten Willensschwächen leidet. Aber das ist ohnehin nicht der dogmatische Zugang des BGH.
Darüber hinaus versuchen Vermutungsregeln weitgehende Einzelfallgerechtigkeit zu verwirklichen, gleichzeitig aber über die Verteilung der Beweislast Rechtssicherheit zu gewähren. Dem Bestreben nach Rechtssicherheit wäre natürlich durch eine starre Grenze (laesio enormis ohne Wuchertatbestand) am Besten gedient;1093 das würde aber zu Ergebnissen führen, die dem Normzweck nicht gerecht werden1094 bzw bei denen der Normzweck wegen der absoluten Schwelle gar nicht mehr klar erkennbar ist. Durch die Vermutungsschwelle wird zwar keine absolute Rechtssicherheit gewährt, weil auch unter der Schwelle ein die Rechtsfolge der Nichtigkeit auslösender Sachverhalt verwirklich werden kann. Jedoch trifft unter der Schwelle die volle Beweislast den Anfechtenden, insbesondere auch bezüglich subjektiver Tatbestandselemente auf Seiten des Begünstigten (arg „Ausbeuten“). Das ist zwar nur eine abgeschwächte Rechtssicherheit, aber in vielen Situationen der bestmögliche Kompromiss zwischen (Planungs)Sicherheit und Einzelfallgerechtigkeit. d) Der Vergleichsmaßstab aa) Allgemeines Um das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung festzustellen, das ein wucherähnliches Rechtsgeschäft gem § 138 Abs 1 BGB indiziert, ist grundsätzlich auf den Marktwert der Leistung bzw bei Dienstleistungen auf das marktübliche Entgelt abzustellen. Das hat die Rechtsprechung des BGH für den Kaufvertrag,1095 den Kreditvertrag,1096 die Geschäftsraummiete,1097 Operationen in einer Privatklinik1098 und die Maklerprovision1099 ausdrücklich 1092 1093 1094 1095 1096 1097 1098 1099
RGZ 150, 1. Vgl Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 230. Vgl Zimmermann, Obligations 270 in Fn 226. BGH NJW 2000, 1254, BGHZ 154, 47; BGH NJW 2004, 2671. BGH NJW 1979, 758 („Verkehrswert“); BGHZ 80, 153; BGHZ 104, 102. BGH NJW 2002, 55. BGHZ 154, 154. BGHZ 125, 135; BGH NJW 2000, 2669.
X. Alternative Regelungsmodelle
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festgehalten. „Der Marktvergleich, der auf das üblicherweise für eine Leistung bezahlte Entgelt abstellt, bietet die Gewähr dafür, dass sich die juristische Äquivalenzkontrolle nicht abkoppelt von der marktwirtschaftlichen Preisbildung.“1100 Die deutsche Lehre problematisiert dies nicht weiter, teilt die Ansicht der Rechtsprechung aber im Ergebnis.1101 Dieses entspricht der für Österreich zur laesio enormis gewonnenen Erkenntnis, dass die Markpreise ausschlaggebend sind (oben V. A.); funktional ist dies schon dadurch zu erklären, dass bei einem Vermutungstatbestand jene Sachverhalte, durch welche die Vermutung begründet wird, relativ einfach feststellbar sein sollen. Besonders deutlich wird dies an einem neuen Urteil zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft bei einer Immobilientransaktion.1102 Zunächst führt der BGH unter Berufung auf Vorjudikate1103 aus, dass die Gerichte grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen entscheiden, welche Bewertungsmethode anzuwenden ist. Für die Beurteilung des groben Missverhältnisses im Rahmen von § 138 Abs 1 BGB sei jedoch immer auf Vergleichspreise abzustellen, selbst wenn eine Bewertung nach der Ertragswertmethode zu abweichenden Ergebnissen führt.1104 Denn für die Annahme einer verwerflichen Gesinnung ist ein Abweichen vom Verhalten der anderen Marktteilnehmer erforderlich: „Klüger oder rücksichtsvoller als die anderen Marktteilnehmer braucht er [der Verkäufer] nicht zu sein.“ Und ganz deutlich stellt der BGH in einem anderen Urteil1105 darauf ab, dass Märkte durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage operieren und dies auch im Rahmen der Sittenwidrigkeitskontrolle anzuerkennen ist, weswegen Ertragswerte grundsätzlich nicht heranzuziehen sind. Dem Marktwert der Leistung sind die Gesamtkosten für die andere Partei gegenüberzustellen. Deswegen sind bei Krediten auch die Vermittlungskosten und Bearbeitungsgebühren mit einzubeziehen;1106 hingegen ist die Restschuld-
1100
1101
1102 1103 1104
1105 1106
BGHZ 154, 154, 163 mit Verweis auf Jung, Das wucherähnliche Rechtsgeschäft (2001) 53, 189. Vgl zB Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 113; Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 232 iVm Rn 175 ff. BGH NJW 2004, 2671. BGH NJW 1997, 129; BGH WM 2001, 997. Gleichsinnig schon BGHZ 141, 257. Zustimmend Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 34b. BGHZ 141, 257, 264 f; vgl auch BGH NJW 2002, 55. BGHZ 80, 153. Zustimmend zB Hefermehl in Soergel, BGB § 138 Rn 89; Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 183; Armbrüster, in MünchKomm BGB § 138 Rn 119; Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 26; aM zB Canaris, ZIP 1980, 714; differenzierend Koziol, AcP 1988, 214 ff. Eine Ausnahme besteht jedenfalls, wenn die Vermittlung ausnahmsweise vor allem im Interesse des Kreditnehmers erfolgt ist; BGH NJW 1987, 181.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
versicherung nach neuerer Rechtsprechung überhaupt nicht zu berücksichtigen, weil sie im Interesse beider Parteien erfolgt.1107 Davon ist das grobe Missverhältnis im Rahmen des (für die Praxis nicht übermäßig bedeutenden) Wuchertatbestandes gem § 138 Abs 2 BGB zu unterscheiden. Es gibt keine Sachlogik, warum der Vergleichswert im Rahmen eines Vermutungstatbestandes unbedingt gleich zu ermitteln ist wie beim Grundtatbestand des Wuchers, bei dem auch die Beweislast anders verteilt ist. Die herrschende Lehre1108 und wohl auch Rechtsprechung1109 will in Deutschland aber auch für den Wuchertatbestand nach § 138 Abs 2 BGB auf Marktpreise abstellen. Völlig zu Recht wird in der Lehre festgehalten, dass das besondere Risiko eines Geschäfts auch ein Abweichen um mehr als 100 % von der marktüblichen Gegenleistung rechtfertigen kann;1110 das ist schon deshalb richtig, weil dann der allgemeine Marktpreis mangels Identität der Leistungen nicht Vergleichsmaßstab sein kann,
bb) Marktabgrenzung Wenn der Marktpreis in jedem Fall ausschlaggebend ist, so erlangt die Ermittlung des Vergleichsmarktes überragende Bedeutung; die Marktabgrenzung ist auch rechtlich eine wesentliche Frage, weil die Überschreitung der Grenze von 100 % des Werts der Leistung umso unwahrscheinlicher ist, je enger der Vergleichsmarkt definiert wird.1111 Zwei Beispiele aus der Rechtsprechung des BGH können dieses Phänomen verdeutlichen: (1) Bei einer minimal-invasiven Bandscheibenoperation eines privatversicherten Klägers in einer Privatklinik seien als Vergleichsmaßstab für die marktübliche Gegenleistung nicht die von öffentlichen Krankenhäusern an die Versicherungen verrechneten Tagsätze heranzuziehen. Denn von den öffentlichen Krankenhäusern würden nicht alle Kosten weitergegeben, insbesondere nicht der Großteil der Investitionskosten. Deswegen kämen als Vergleichsbasis nur die von anderen Privatkrankenhäusern verrechneten Kosten in Betracht. Ausdrücklich abgelehnt wurde es, den von öffentlichen Krankenhäusern verrechneten Kosten fiktive Investitionskosten bzw einen Gewinnanteil aufzuschlagen.1112 Den Fall könnte man zunächst als Bildung eines Teilmarkts 1107
1108
1109
1110
1111 1112
BGHZ 104, 102; BGH NJW 1990, 1048; anders noch BGHZ 80, 153. Vgl dazu Hefermehl in Soergel, BGB § 138 Rn 90; Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 183; Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 119; Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 26. Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 67; Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 179; Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 144. Vgl zB RG JW 1909, 167; jüngere Rsp fehlt wegen der relativ geringen Bedeutung des Wuchertatbestands großteils. Allgemein zB Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 177, 179. Zu Teilzahlungskrediten vgl sogleich unten bb). Vgl v Olshausen, ZHR 1982, 271; Henssler, Risiko 213. BGHZ 154, 154.
X. Alternative Regelungsmodelle
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verstehen; dagegen spricht, dass die Behandlung in einer Privatklinik und diejenige in einem öffentlichen Krankenhaus zumindest grundsätzlich das gleiche Bedürfnis, nämlich im konkreten Fall die Behebung des Bandscheibenvorfalls, befriedigen. Ausschlaggebend dürfte sein, dass es keinen Marktpreis für die Leistungen der öffentlichen Krankenhäuser gibt, den man als Vergleichsbasis heranziehen kann, weil die Kostenverrechnung mit den Versicherungsträgern gesetzlich reglementiert ist. In dieser Situation hat der BGH sich in der Sache zu Recht geweigert, durch Ermittlung von Kosten und Gewinnaufschlägen einen Marktpreis zu simulieren. Die Entscheidung ist daher im Ergebnis richtig. (2) Bekannt ist die Rechtsprechung des BGH zu den Darlehen von Teilzahlungsbanken.1113 Das Höchstgericht stellt für die Kontrolle der Äquivalenz nicht auf den üblichen Zinssatz der Teilzahlungsbanken ab, sondern auf den so genannten Schwerpunktzins der Bundesbank, dh den durchschnittlichen Monatszins für Ratenkredite, zuzüglich der üblichen Bearbeitungsgebühr.1114 Der BGH lehnt die Ansicht, dass wegen der unterschiedlichen Kosten- und Risikostruktur diesbezüglich ein Sondermarkt für Teilzahlungskredite besteht, ausdrücklich ab; denn Teilzahlungsbanken bedienen dieselbe Kundenstruktur wie Geschäftsbanken und stehen mit diesen zumindest grundsätzlich im Wettbewerb.1115 Der BGH lässt anklingen, dass er den Sachverhalt eventuell anders beurteilt hätte, wenn Teilzahlungsbanken nur jene Kunden erreichen würden, die bei einer normalen Geschäftsbank keinen Kredit erlangt hätten.1116 Diese Begründung entspricht vollkommen dem hier zum österreichischen Recht vertretenen Modell (oben V. B.), demzufolge es für die Definition des Marktes für Zwecke der laesio enormis auf die Substituierbarkeit der Leistungen ankommt, selbst wenn die Substituierbarkeit von den betroffenen Marktteilnehmern gar nicht wahrgenommen worden ist.1117 Vollkommene Homogenität des Marktes wird freilich kaum gegeben sein, ist aber auch nicht erforderlich; auch verschiedene, aber untereinander weit gehend substituierbare Güter sind zu berücksichtigen.1118
1113
1114 1115
1116
1117 1118
BGHZ 80, 153. Aus der reichhaltigen Literatur Koziol, AcP 1988, 183; v Olshausen, ZHR 1982, 269 ff mwN. Aus der Folgerechtsprechung vgl zB BGHZ 98, 174; BGHZ 104, 102. Zustimmend wegen der künstlichen Marktspaltung zB Henssler, Risiko 215; Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 119 (allerdings mit Zweifeln an der Homogenität des Kapitalmarkts). Vorsichtig zustimmend auch Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 26. Ablehnend Koziol, AcP 1988, 195 ff; Canaris, ZIP 1980, 715 f. Vgl auch Hefermehl in Soergel, BGB § 138 Rn 93; Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 119. In diese Richtung argumentiert auch Canaris, ZIP 1980, 715; grundsätzlich auch v Olshausen, ZHR 1982, 272. Vgl v Olshausen, ZHR 1982, 270. Näher Henssler, Risiko 212 f.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Auch für Kontokorrentkredite1119 und mit Lebensversicherungen gekoppelte Konsumentenkredite1120 hat der BGH in der Folge auf diesen Schwerpunktzinssatz abgestellt. Für das Finanzierungsleasing stellt das Höchstgericht hingegen primär auf die marktüblichen Leasingraten ab; fehlt es an solchen, kann hilfsweise auch auf den Schwerpunktzinssatz für Ratenkreditverträge zurückgegriffen werden.1121 Auch das überzeugt wegen der Austauschbarkeit der Leistungen aus Sicht des Kunden grundsätzlich, wobei die Subsidiarität des Vergleichs aber zweifelhaft ist. Konsequenterweise lehnt der BGH aber den Vergleich mit den üblichen Zinssätzen für Hypothekenkredite ab, weil diesbezüglich die Risikostruktur und auch der angesprochene Kundenkreis gegenüber dem unbesicherten Kredit unterschiedlich sind.1122 cc) Fehlender Markt Unklar ist für Deutschland, was gelten soll, wenn Marktpreise fehlen oder wenn sie nicht unverzerrt zustande gekommen sind. Wenn auch hier in jedem Fall Marktpreise als Vergleichsmaßstab heranzuziehen wären, so würde der „Massenwucher“ bei nicht funktionierendem Markt aus der Anwendung der Wuchervorschrift ausgeklammert; dadurch würde dem einzelnen Teilnehmer am Rechtsverkehr ein Mittel zur Monopolbekämpfung genommen (vgl für Österreich oben V. C.). In der praktischen Bedeutung überwiegen die wettbewerbsrechtlichen Missbrauchstatbestände gegenüber dem Wuchertatbestand und dem wucherähnlichen Rechtsgeschäft freilich bei weitem: Verlangt eine Monopolist Preise, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden, so liegt ein verbotener Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vor (§ 19 Abs 4 Z 2 GWB). Einerseits ist das entsprechende Rechtsgeschäft nach § 134 BGB wegen Gesetzwidrigkeit nichtig. Andererseits ist die Norm Schutzgesetz; ihre Verletzung kann Schadenersatzpflichten auslösen und über die Naturalrestitution kommt es auch auf diesem Weg zur Vertragsauflösung.1123 Gegenüber dem Wuchertatbestand iSv § 138 Abs 2 BGB hat dies den Vorteil, dass die subjektiven Elemente jener Norm nicht nachzuweisen sind. Dennoch: Soweit die Voraussetzungen von § 138 BGB gegeben sind, kommt
1119 1120
1121
1122 1123
BGH NJW 1991, 832. BGHZ 111, 117 (mit Details zur Berechnung); vgl Hefermehl in Soergel, BGB § 138 Rn 95; Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 188 mwN zur Rsp. Vgl zB BGHZ 128, 255 (höhere Refinanzierungskosten oder die zusätzlich zu entrichtende Gewerbesteuer sind zu berücksichtigen); Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 189 f; Armbrüster in MünchKomm BGB § 138 Rn 121; Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 33. NJW 1994, 1275. Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 26. Vgl Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 GWB Rn 181.
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häufig auch die Anfechtung wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung in Betracht.1124 Daneben gibt es aber auch Fälle, in denen ein Marktpreis fehlt, ohne dass Marktbeherrschung vorliegt: In der Entscheidung zum Immobilienkauf1125 hat der BGH festgestellt, dass grundsätzlich ein Vergleich mit Marktpreisen vorzunehmen ist, dabei aber gleichzeitig auch zugestanden, dass Marktpreise zwar für Wohnungen und unbebaute Grundstücke gut ermittelbar ist, es bei bebauten Grundstücken aber an vergleichbaren Objekten fehlen kann. Ob ein Vergleich mit dem Ertragswert für Zwecke des § 138 Abs 1 BGB möglich ist, hat der BGH offen gelassen. Schon deutlichere Aussagen enthält ein Urteil zur Gaststättenpacht:1126 Wenn vergleichbare Objekte nicht zur Verfügung stehen, so sind gegebenenfalls andere Erfahrungswerte heranzuziehen, wobei aber auch hier soweit als möglich Vergleichselemente zu wählen sind. In einem Folgeurteil1127 wird dann die Ertragswertmethode (bzw eine aus dieser abgeleitete „EOP-Methode“) auch bei fehlenden Vergleichsobjekten abgelehnt; vielmehr hat der Sachverständige zu schätzen, welcher Mietzins für so ein Objekt erzielt werden kann. Die Bedeutung dieser Rechtsprechung ist fraglich. Wenn damit gemeint ist, dass in bestimmten Fällen Zu- bzw Abschläge von den Marktpreisen aufgrund von Besonderheiten des Objekts vorzunehmen sind, dürfte das unstrittig sein. Fehlt es aber überhaupt an einem vergleichbaren Objekt, so sollte die Vermutung der verwerflichen Gesinnung nicht oder allenfalls sehr zurückhaltend angewandt werden, weil der Sachverständige durch Schätzung nicht Angebot und Nachfrage simulieren kann. dd) Kostenstruktur des Anbieters Es ist nach dem bisher Gesagten nur konsequent, dass es der BGH ablehnt, die individuelle Kostenstruktur der Anbieter zu berücksichtigen.1128 Wenn es nämlich für die Vergleichbarkeit von Leistungen auf ihre Substituierbarkeit ankommt, so spielt die Angebotsseite allein grundsätzlich keine Rolle. Dennoch gibt es Bedenken gegen diese Auffassung, weil mit dem wucherähnlichen Rechtsgeschäft ein Sittenwidrigkeitsurteil verbunden ist. Worin soll aber die verwerfliche Gesinnung desjenigen liegen, dessen Kostenstruktur besonders ungünstig ist und der deswegen im Vergleich zur Konkurrenz überteuert anbietet? So will ein beachtlicher Teil der Lehre höhere Einstandskos1124
1125 1126 1127 1128
Vgl Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht § 19 GWB Rn 181. Das war früher strittig, weil die wettbewerbsrechtliche Norm ursprünglich keine Verbotsnorm war, sondern bloß eine Untersagungsermächtigung enthielt; vgl näher v Olshausen, ZHR 1982, 290 ff mwN. BGH NJW 2004, 2671. BGHZ 141, 257. BGH NJW 2002, 55. Deutlich zB BGHZ 154, 163.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
ten in das Gesamturteil über die Sittenwidrigkeit zugunsten des Anbieters mit ungünstiger Kostenstruktur einfließen lassen.1129 Der Gegenstandpunkt lehnt dies ab,1130 denn sonst würden ineffizient produzierende Unternehmen gegenüber dem anderen Marktteilnehmern bevorzugt behandelt. Im Ergebnis sind die individuellen Kosten wohl nicht zu berücksichtigen. Gegen eine Berücksichtigung spricht nicht, dass diese individuellen Kosten nur erschwert beweisbar sind; hier kann dem Begünstigten ein substantiierter Nachweis seiner Kosten auferlegt werden.1131 Schon wichtiger ist, dass ohnehin viel Spielraum für die Erwirtschaftung von Deckungsbeiträgen besteht; denn nicht jedes Missverhältnis löst die Vermutung der Sittenwidrigkeit aus, sondern nur eine Verkürzung um mehr als 100 %.1132 Ausschlaggebend ist aber, dass sonst ein schwerer Widerspruch zu den grundsätzlichen Wertungen von § 138 BGB hervorgerufen würde; diese Norm will grundsätzlich diejenigen schützen, die nicht ausreichend in der Lage sind, ihre Interessen selbst zu verfolgen. Ließe man die Berufung auf höhere individuelle Kosten zu, dann wären diejenigen besonders betroffen, die wegen ihrer individuellen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, nach einem Marktvergleich nicht mit dem zu überhöhten Kosten Operierenden, sondern mit effizienteren Mitbewerbern zu kontrahieren; in einer Durchschnittsbetrachtung müssten gerade die schwächsten Marktteilnehmer mit einem Sonderopfer das Überleben ineffizienter Anbieter ermöglichen. Das stünde in Widerspruch zu grundlegenden Wertungen des Wuchertatbestands und rechtfertigt die wirtschaftslenkenden Effekte der hier vertretenen Auslegung.1133 ee) Zukünftige Entwicklungen Als Grundregel gilt ganz wie in Österreich, dass für das auffällige Missverhältnis auf den Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses abzustellen ist.1134 Eine Änderung der Verhältnisse nach Vertragsschluss (zB fallende Kreditzinsen)1135 kann die Anfechtbarkeit wegen Wuchers, aber auch wegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nicht begründen. Das hat das Reichsgericht ausdrücklich 1129
1130 1131
1132 1133 1134
1135
Canaris, ZIP 1980, 715 f; Koziol, AcP 1988, 196; Hefermehl in Soergel, BGB § 138 Rn 93; Henssler, Risiko 221 ff; wohl auch v Ohlshausen, ZHR 1982, 282. Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 184. Henssler, Risiko 222. Die Auslagerung eines bestimmten Geschäfts in Tochtergesellschaften mit unangemessener Einstandskostenberechnung kann die Vermutung der Sittenwidrigkeit nicht entkräften. Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 184. Abweichend Canaris, ZIP 1980, 716. BGHZ 107, 92 mwN; Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 180; Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 66; Hefermehl in Soergel, BGB § 138 Rn 75; Flume, Rechtsgeschäft 377. Ein davon zu unterscheidendes Problem ist, inwieweit der Wandel des Sittenwidrigkeitsbegriffs auf bereits abgeschlossene Geschäfte zurückwirkt; dazu Koziol, AcP 1988, 208 ff.
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zu den hohen Zinssätzen bei Kreditverträgen aus dem Inflationsjahr 1924 festgehalten,1136 wobei jedoch § 313 BGB der Durchsetzung weiterer Ansprüche auf Zinszahlung entgegensteht.1137 Ganz auf dieser Linie liegt eine jüngere BGH-Entscheidung.1138 Ein Grundstück konnte nicht bebaut werden, weil es zu schmal war und deswegen eine gemeinsame Grenzbebauung durch die Nachbarn voraussetzte, wozu keine Bereitschaft bestand. Es wurde als Grünland verkauft. Knapp drei Jahre danach verstarb der Nachbar und veräußerte an den Käufer des ersten Grundstücks; darauf wurde neu parzelliert und das nunmehr entstandene Bauland mit großem Gewinn weiter verkauft. Der Verkäufer des ersten Grundstücks berief sich auf Nichtigkeit des Kaufvertrags nach § 138 Abs 1 BGB. Der BGH stellte auf die Verhältnisse zum Vertragszeitpunkt ab und zog als Vergleichswert den Wert für Gartenland (und nicht für Bauerwartungsland) heran.
Dass zukünftige Entwicklungen nicht ausschlaggebend sein sollen, gilt nicht nur für die Vermutung der verwerflichen Gesinnung, sondern nach herrschender Lehre auch für den Wuchertatbestand nach § 138 Abs 2 BGB. Dem tritt (insbesondere mit Blick auf das Beispiel 1 über den alexandrinischen Getreidehändler) ein Teil der jüngeren Lehre entgegen und fordert eine Ausdehnung auf zukünftige Marktpreise, wenn dies Hand in Hand mit dem Ausnützen einer Zwangslage oder einer ähnlichen subjektiven Willensschwäche geht.1139 Die Ergebnisse dieser mE richtigen Auslegung habe ich bereits oben zum österreichischen Recht dargestellt (VII. D.). ff) Gespaltene Märkte Ein gespaltener Markt liegt vor, wenn die Verkaufspreise der Händler regelmäßig höher sind als ihre Einkaufspreise. Im Prinzip ist jeder Markt mit professionellen Marktteilnehmern gespalten; besonders krasse Fälle dürften aber bei Sammelgütern (Sondermünzen, wohl auch Briefmarken) vorliegen. Nach Rechtsprechung1140 und Lehre1141 muss der Vergleich immer mit dem jeweiligen Submarkt erfolgen. Daher ist es unzulässig, den Kauf von Sondermünzen mit dem Argument anzufechten, dass man beim Verkauf der Münzen an einen Händler nur weniger als die Hälfte das Kaufpreises erzielen kann; der Vergleich muss vielmehr mit den marktüblichen Verkaufspreisen der Händler erfolgen.1142 Dem ist uneingeschränkt zu folgen, auch wenn die beachtlichen Unterschiede von Ein- und Verkaufspreisen intuitiv eine andere Beurteilung nahe 1136 1137 1138 1139 1140 1141 1142
RG JW 1936, 2129. Vgl Sack in Staudinger, BGB § 138 Rn 180 aE. BGH NJW 2003, 283. Fleischer, Informationsasymmetrie 329 f. BGH NJW 2000, 1254. Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn 34a. BGH NJW 2000, 1254.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
legen können.1143 Alles andere würde eine Bewertung der Mittlerfunktion des Händlers bedeuten, welche die Rechtsordnung nicht zu leisten vermag. Etwas anderes muss aber – wie bereits mehrfach ausgeführt – in Monopolsituationen gelten; denn hier gibt es keinen marktüblichen Verkaufspreis, der als Vergleichswert herhalten kann. Daher sind im Rahmen des beweglichen Systems in § 138 Abs 2 BGB die Einstandskosten mit einem „angemessenen“ Gewinnaufschlag heranzuziehen. Das ist in der Sache problematisch, aber vertretbar, weil ja noch andere Elemente der subjektiven Willensschwäche beim Verkürzten vorliegen müssen, um die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zu bewirken. Nicht jeder Vertragspartner des Monopolisten ist zivilrechtlich geschützt, sondern nur derjenige, der dieses Schutzes aufgrund subjektiver Defizite besonders bedarf. Für den Fall des Kaufs von Sondermünzen wird der in der Praxis wohl wichtigste Fall der Zwangslage zumeist schon wegen des HobbyCharakters des Münzsammelns ausscheiden. 5. Zusammenfassung In einer Gesamtbetrachtung sind die Abweichungen zwischen deutschem und österreichischem Recht nicht allzu groß. Unterschiede bestehen einerseits darin, dass nach dem BGB auch grobe Äquivalenzstörungen bei gemeinsamen Irrtümern nur irrtumsrechtlich (bzw über das Institut der Geschäftsgrundlage gem § 313 BGB) aufgegriffen werden können; eine Auffangregel nach Art der laesio enormis fehlt im deutschen Recht. Damit kommt die Bedeutung der vertraglichen Risikoverteilung im Ergebnis deutlicher zum Vorschein als nach ABGB. Das ist in der Sache zu begrüßen; die Ergebnisse habe ich anhand des Briefmarkenfalls (Einleitungsbeispiel 3; oben I. C.) bereits dargestellt (oben 3. a). Aber auch bei Informationsasymmetrien bestehen Unterschiede. Einerseits ist die traditionelle Lehre durchwegs bereit, dem Käufer Aufklärungspflichten aufzuerlegen, wenn er über die Eigenschaften der Kaufsache besser informiert ist als der Verkäufer. Das bedeutet: Die Erdölgesellschaft (vgl Einleitungsbeispiel 2; oben I. C.) muss das bessere Wissen über die entdeckten Ölvorkommen dem Verkäufer gegenüber prinzipiell offen legen; als Ergebnis des Informationsparadoxons würden bei Richtigkeit dieser Auffassung die Anreize, Suchkosten aufzuwenden, niedrig sein. Diese Ansicht ist freilich in der jüngeren Lehre alles andere als unbestritten und kann beim derzeitigen Diskussionsstand nicht als gesichert bezeichnet werden. Wenn man mit der jüngeren Lehre Aufklärungspflichten im Fall der Ölvorkommen ablehnt, so stellt sich die Frage, ob damit der Ausnutzung von Wissensvorsprüngen keine Grenzen mehr gesetzt sind. Hier zeigt sich die Bedeutung des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs 1 BGB. Im Gegensatz zum Wucher (§ 138 Abs 2 BGB) müssen für dieses keine besonde1143
Vgl BGH NJW 2000, 1254: typischer Einkaufspreis einer Münzsammlung 2.250 DM (= Metallwert), Verkaufpreis des Händlers knapp über 20.000 DM.
X. Alternative Regelungsmodelle
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ren Schwächemomente nachweislich ausgenutzt werden; für ein wucherähnliches Rechtsgeschäft genügt es nach der rechtsfortbildenden Rechtsprechung des BGH, dass sich der Begünstigte des Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung bewusst ist, mit anderen Worten genügt die Informationsasymmetrie. Das gilt unabhängig davon, ob sich das bessere Wissen allein auf den Wert der Leistung oder auch auf wertbildende Eigenschaften bezieht. Von Bedeutung ist aber, dass die Rechtsfolgen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts in der Praxis nur zum Tragen kommen, wenn der Wert der dem Begünstigten erbrachten Leistung mehr als das Doppelte des Werts seiner eigenen Leistung beträgt; denn dann besteht eine „tatsächliche Vermutung“ einer „verwerflichen Gesinnung“, die zur Anfechtung berechtigt. Sofern der Grundstückspreis weniger als die Hälfte des Marktwerts beträgt, kann der Verkäufer daher den Vertrag auflösen. Besondere Probleme bereitet der Fall des Getreidehändlers (Einleitungsbeispiel 1; oben I. C.). Nach herrschender Lehre ist der Irrtum des Käufers nicht beachtlich, weil Zukünftiges keine Tatsache sein soll, über die man irren kann; ganz abgesehen davon ist der Wertirrtum ohnehin generell unbeachtlich. Auch Aufklärungspflichten bestehen nach herrschender Lehre nicht; das gilt jedenfalls dann, wenn nicht bloß ein ganz temporärer Informationsvorsprung ausgenutzt wird, was im Getreidehändlerfall freilich fraglich sein könnte. Die Vermutung der verwerflichen Gesinnung nach § 138 Abs 1 BGB kann nicht greifen, weil nur auf die Wertverhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist. Dieser Vergleichsmaßstab gilt nach der herrschenden, aber nicht unbestrittenen Lehre auch für den Wuchertatbestand selbst (§ 138 Abs 2 BGB); folgt man dem, so ist der Vertrag auch bei einer Zwangslage des Käufers des Getreides nicht rechtlich zu beanstanden, was bei ergebnisorientiert denkenden Juristen doch erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Auffassung aufkommen lässt. Ist der Verkürzte ein Kaufmann bzw ein Unternehmer, so besteht ein wesentlicher Unterschied: Aus einem groben Missverhältnis wird nicht automatisch der Schluss gezogen, dass dem Vertragspartner des Unternehmers die Äquivalenzstörung auch bekannt war. Die Logik des Schlusses ist nicht unmittelbar einsichtig, er führt aber zu ähnlichen Ergebnissen wie § 351a HGB idF vor dem UGB, wonach dem Kaufmann die Anfechtung nach § 934 ABGB verwehrt war. Freilich kann sich nach der Rechtsprechung des BGH auch der Kaufmann auf die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts berufen, wenn seinem Vertragspartner das Missverhältnis bekannt war;1144 in Österreich muss der bewucherte Kaufmann hingegen alle Tatbestandselemente nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB nachweisen – was ihm freilich wiederum dadurch erleichtert wird, dass die Bewucherung nach der österreichischen Rechtsprechung auch fahrlässig erfolgen kann.
1144
BGH NJW 2002, 55.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Letztlich ist auch auf die unterschiedlichen Auslöseschwellen hinzuweisen. § 138 BGB fordert für alle Tatbestände ein „auffälliges Missverhältnis“. Dieses wird für Wucher und wucherähnliches Rechtsgeschäft gleich mit einer Verkürzung über die Hälfte bzw knapp darunter festgelegt. Die österreichische Abgrenzung ist anders: Für die Verkürzung über die Hälfte kommt es auf dieselbe Grenze wie in Deutschland für das wucherähnliche Rechtsgeschäft an. Für den Wuchertatbestand gem § 879 Abs 2 Z 4 ABGB genügt wegen der zusätzlich erforderlichen subjektiven Elemente aber auch ein geringeres Missverhältnis, wobei weder Rechtsprechung noch Lehre konkrete Anhaltspunkte geben, sondern das Ausmaß des Missverhältnisses im Rahmen eines beweglichen Systems mit der Schwere der Willensbeeinträchtigung abwägen wollen. Rechtspolitisch ist das Konzept von § 138 BGB iVm der rechtsfortbildenden Tätigkeit des BGH jedenfalls schlüssig und dem österreichischen Zusammenspiel von laesio enormis und Wuchertatbestand überlegen. Der Unterschied zeigt sich vor allem beim gemeinsamen Irrtum, der in Deutschland nicht zur Nichtigkeit wegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts führt, jedenfalls sofern er entschuldbar ist. Die laesio enormis ist hier das starrere Rechtsmittel, das sich nur mit hohem interpretatorischem Aufwand situationsadäquat einsetzen lässt.
B. England 1. Allgemeines Das englische law of contract geht wie das österreichische Zivilrecht vom Grundsatz der Vertragsfreiheit und damit zusammenhängend auch von demjenigen der Selbstverantwortung aus. Der Vertrag ermöglicht es, subjektive Präferenzen zu verwirklichen; das ist sein einziger Zweck. Eine inhaltliche Kontrolle des Vertrags auf substantive fairness scheidet daher nach klassischem Vertragsrecht grundsätzlich aus, sofern beide Parteien frei in den Vertrag eingewilligt haben; die Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung bzw der gerechte Preis werden durch die Rechtsordnung grundsätzlich nicht durchgesetzt.1145 Auch wenn das englische Vertragsrecht für die rechtliche Durchsetzbarkeit formfrei gegebener Versprechen eine Gegenleistung (consideration) erfordert,1146 wird die Angemessenheit der Gegenleistung (jedenfalls soweit es den Schutz des Vertragspartners betrifft)1147 nach englischem Vertragsrecht nicht überprüft.1148 Das gilt jedenfalls, soweit es um die beiderseiti1145
1146 1147
1148
Vgl zB Collins, Contract 6 f, 24, 270; McKendrick, Contract Law 793; Capper, 114 LQR 479, 499 f (1998). Anders vor allem (früher) Smith, 112 LQR (1996) 138, 145 ff; vgl aber abweichend jüngst dens, Contract Theory 354 ff. Dazu jüngst Bucher, ZVglRWiss 2006, 164. Vgl für den Schutz der Gläubiger zB ss 238, 243 Insolvency Act 1986; zum Schutz Dritter allgemein Treitel, Contract 71. Haigh v Brooks (1840) 10 Ad & El 309; Westlake v Adams (1858) 5 CBNS 248; Beatson, Anson’s 96 f; ausführlich auch Gordley, 69 Cal L Rev 1594 ff (1981). Vgl
X. Alternative Regelungsmodelle
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gen Hauptleistungen geht; wenn sich die inhaltliche Unausgewogenheit jedoch aus nicht individuell ausgehandelten Nebenbestimmungen des Vertrags ergibt, gilt die Nebenbestimmung so wie nach § 879 Abs 3 ABGB als nicht geschrieben.1149 Die fehlende inhaltliche Ausgewogenheit kann daher nur aufgegriffen werden, wenn weitere Umstände hinzutreten. Vor allem setzt die angestrebte Wahrung der subjektiven Äquivalenz die freie Einwilligung der Parteien voraus. Das common law greift daher ein, wenn der Willensentschluss der Partei nicht frei war und folgt damit dem System der procedural fairness; die Unausgewogenheit der Transaktion dient nur als Indikator für einen Willensmangel.1150 Im Ergebnis werden die Regeln über Willensmängel instrumentalisiert, um Äquivalenzstörungen aufzugreifen.1151 Ausgangspunkt der folgenden Ausführungen zum englischen Recht sind mistake und misrepresentation, also Institute, die im Ergebnis ähnliche Funktionen wie die österreichische Irrtums- und Arglistanfechtung erfüllen, wobei die Grenzen zwischen den Instituten freilich anders verlaufen. Soweit es um das Ausnützen von Schwächen des Vertragspartners geht, sind die Fronten stärker in Bewegung als im klassischen Recht der Willensmängel. Hier spielt sich seit vielen Jahren ein Ringen darum ab, inwieweit Aspekten der Vertragsfreiheit oder inwieweit Gerechtigkeitsüberlegungen der Vorrang eingeräumt werden sollen. Dabei geht es auf einer ersten Ebene darum, ob es eine eigene Doktrin der unconscionable dealings gibt oder ob die entsprechenden Sachverhalte unter bereits bekannte Kategorien des common law einzuordnen sind. Viel wichtiger ist aber die anschließende Frage, welche zusätzlichen Elemente zur objektiven Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Gegenleistung hinzutreten müssen, damit der Vertrag beseitigt werden kann. Genügt eine Zwangslage oder ist darüber hinaus ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien bzw eine habituelle Willensschwäche beim Verkürzten erforderlich? Ich möchte diese Fragen aufgrund von common law und equity untersuchen. Gesetzgeberische Ansätze sollen bei der folgenden Betrachtung ausgeklammert werden. Unmittelbare gesetzliche Regelungen der hier einschlägigen Probleme der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung beim Kauf-
1149
1150
1151
aber zur bloßen nominal consideration Midland Bank & Trust Co Ltd v Green [1981] AC 513 sowie Treitel, Contract 71 f. Auch Ansprüche in equity stehen demjenigen nicht zu, der bloß für eine nominelle Gegenleistung erwirbt; Jefferys v Jefferys (1841) Cr&Ph 138; Treitel in Birks, Private Law Rn 8.37. S 5 (1) Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1999. S 6 (2) schließt die Kontrolle von Leistung und Gegenleistung explizit aus. Zur Abgrenzung zB Beale in Beatson/Friedmann, Good Faith 240 ff. Collins, Contract 275. Zum Einfluss dieser Theorie auf die Rechtsprechung in equity vgl Gordley, 69 Cal L Rev 1598 f (1981). Collins, Contract 279 ff.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
vertrag gibt es – soweit ersichtlich – nicht. Insbesondere gibt es auch keine Wuchergesetzgebung im Sinne einer Regelung des Sachwuchers; usury erfasst nur den Kreditwucher, ist terminologisch heute durch extortionate credit bargains ersetzt1152 und bietet keine geeignete Analogiebasis für Kaufverträge. Denn die englische Auslegungstradition hält fest, dass diesbezügliche „statutes and statutory instruments apply only to transactions that fall within their scope. They cannot be applied by way of analogy to cases that fall outside their scope and the courts have generally not been willing to rely on Acts of Parliament when developing the common law.“1153 Diese restriktive Auslegung von Gesetzen ist zwar nicht unbestritten,1154 aber zumindest im hier interessierenden Bereich herrschend.1155 Außer Acht bleiben jene Institute des englischen Rechts, die nur in seltenen Fällen zu einer Anfechtung von unausgewogenen Verträgen führen können. So kann ein Kaufvertrag mit einem nicht geschäftsfähigen Erwachsenen nichtig sein, wenn der Dritte die fehlende Geschäftsfähigkeit kannte;1156 Äquivalenzstörungen in solchen Fällen werden direkt in s 3(2) Sales of Goods Act 1979 angesprochen, wo es heißt, dass beim Kaufvertrag mit einem nicht geschäftsfähigen Erwachsenen über necessaries1157 ein angemessenes Geld als geschuldet gilt, wenn der Vertragspartner die Geschäftsunfähigkeit kannte. Nicht unmittelbar für den Kaufvertrag einschlägig, aber durchaus für Fragen der Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung von Interesse ist die Rechtsprechung zu restraints of trade. Vertragsbestimmungen, durch die der Wettbewerb eingeschränkt wird (zB Konkurrenzverbote in Arbeitsverträgen oder beim Unternehmensverkauf, horizontale und vertikale Bindungen), sind illegal und damit nichtig, wenn sie nicht auf die Parteiinteressen und das öffentliche Interesse ausreichend Bedacht nehmen.1158 Hiebei ist in einigen Entscheidungen die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung des Vertrags in den Mittelpunkt gestellt worden.1159
1152
1153
1154 1155
1156 1157 1158 1159
Vgl ss 137 et seq Consumer Credit Act 1974. Rechtshistorisch vgl Simpson, History 113 ff, 510 ff. McKendrick, Contract Law 812; vgl auch National Westminster Bank plc v Morgan [1985] AC 686. Beatson, Anson’s 269. Vgl allgemein zur Analogie bei der Gesetzesauslegung in England Vogenauer, Auslegung 780 ff, insbesondere zB 1018 ff, 1054 ff. Vgl Hart v O’Connor [1985] AC 1000. Dazu zB Treitel, Contract 499 f. Leitentscheidung Nordenfeldt v Maxim Nordenfeldt [1894] AC 535. Vgl A Schroeder Music Publishing Co Ltd v Macaulay (formerly Instone) [1974] 1 WLR 1308. Vgl Collins, Contract 28 f; Treitel in Birks, Private Law Rn 8.238.
X. Alternative Regelungsmodelle
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2. Mistake und frustration a) Mistake Die komplexe1160 Rechtsprechung zu mistake kann für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung in zwei unterschiedliche Bereiche eingeteilt werden: einseitiger und beidseitiger Irrtum, unilateral und common (bzw mutual) mistake. Zusätzlich ist zu beachten, dass Rechtsbehelfe sowohl nach common law als auch nach equity zustehen können. Die englische Rechtsprechung stellt besonders auf den Verkehrsschutz ab.1161 Deswegen wird mistake nur in wenigen Fällen als Grund anerkannt, um die Gültigkeit des Vertrags in Frage zu stellen. Denn Rechtsfolge von mistake nach common law ist die (ursprüngliche) Nichtigkeit des Vertrags (void);1162 Bedeutung hat dies vor allem, weil der Gutglaubenserwerb nicht bekannt ist und bei Nichtigkeit des Vertrags der Verkäufer die Kaufsache daher auch von einem gutgläubigen Dritten, an den die Sache weiterverkauft wurde, herausverlangen kann.1163 aa) Einseitiger Irrtum Der einseitige Irrtum ist nur in wenigen Fallgruppen nach common law beachtlich, selbst wenn er für den Vertragsabschluss kausal war. Von diesen ist der Großteil im gegebenen Zusammenhang nicht einschlägig (das Folgende in österreichischer Terminologie): (i) Fälle des versteckten Dissens;1164 (ii) bestimmte Irrtümer über die Person des Vertragspartners, insbesondere beim schriftlichen Vertragsabschluss (unbeachtlich ist aber der Irrtum über seine Kreditwürdigkeit);1165 (iii) aufgefallene oder herbeigeführte Irrtümer über den Vertragsinhalt.1166 Hier interessiert vor allem, ob der Irrtum über bestimmte Eigenschaften1167 der Kaufsache zur Nichtigkeit des Vertrags führen. Das wird im Allgemeinen 1160 1161 1162
1163
1164 1165
1166
1167
Vgl Fleischer, Informationsasymmetrie 846 f mwN. Siehe Lord Atkin in Bell v Lever Brothers Ltd [1932] AC 161. Associated Japanese Bank (International) Ltd v Crédit du Nord SA [1989] 1 WLR 255; Treitel, Contract 262. McKendrick, Contract Law 613 f; Beatson, Anson’s 294 f; Fleischer, Informationsasymmetrie 853 f. Raffles v Wichelhaus (1864) 2 H & C 906; Falck v Williams [1900] AC 176. Cundy v Lindsay (1878) 3 App Cas 459; Phillips v Brooks [1919] 2 KB 243; Ingram v Little [1961] 1 QB 31; Lewis v Averay [1972] 1 QB 198; neuerdings Shogun Finance Ltd v Hudson [2004] 1 AC 919. Dazu Treitel, Contract 274 ff. Hartog v Colin & Shields [1939] 3 All ER 566 (Preis pro Fell oder pro Pfund); Woodhouse A. C. Israel Cocoa Ltd. v Nigerian Produce Marketing Co. [1972] AC 741 (Pfund Sterling oder andere Pfund-Währung); vgl auch Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 597 (dazu zB McKendrick, Contract 576; Treitel, Contract 283; Fleischer, Informationsasymmetrie 852 f). Im weitesten Sinn, also auch über den Wert des Kaufgegenstandes.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
verneint, selbst wenn der Irrtum der anderen Vertragspartei aufgefallen ist.1168 Etwas anderes gilt bei besonders gravierenden Irrtümern: „A mistake as to quality can negative consent only if it is a mistake as to a fundamental quality by which the thing is identified.”1169 Ein Beispiel ist, dass der Käufer vermeint, Hanf zu kaufen, während bei objektiver Auslegung der Vertrag auf den Erwerb von Werg gerichtet ist; hat der Verkäufer diesen Irrtum wenigstens fahrlässig herbeigeführt, so ist der Vertrag void.1170 Freilich ist die genaue Abgrenzung unklar und erinnert – nicht bloß zufällig1171 – an die Problematik der gemeinrechtlichen Irrtumskategorien;1172 ebenso unklar ist, ob diese Fälle von mistake nicht tatsächlich solche von misrepresentation sind. Für die Frage, ob Äquivalenzstörungen wegen unilaterial mistake aufgegriffen werden können, bleibt es aber bei der Feststellung, dass dies nur ausnahmsweise erfolgen kann, insbesondere aber nicht wegen bloßen Wertirrtümern oder Eigenschaftsirrtümern wie in unseren Einleitungsbeispielen 1 und 2 (oben I. C.). bb) Gemeinsamer Irrtum Ganz Ähnliches gilt für Fehlvorstellungen, die beiden Parteien gemeinsam sind. Die gemeinsame Fehlvorstellung muss fundamental sein, um Auswirkungen auf den Vertrag zu haben. Solche fehlerhaften Vorstellungen betreffen zunächst die Fälle, in denen der Kaufgegenstand untergegangen ist,1173 die Erfüllung des Vertrags aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist1174 oder ein gemeinsamer Irrtum über die Identität des Kaufgegenstandes vorliegt.1175 1168
1169 1170 1171
1172
1173
1174
1175
Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 597; Dip Kaur v Chief Constable of Hampshire [1981] 1 WLR 578. Treitel, Contract 279. Scriven Brothers & Co. v Hindley & Co. [1913] 3 KB 564. Vgl auch Kennedy v Panama, etc, Royal Mail Co (1867) LR 2 QB 646, wo Blackburn J auf die römisch-rechtliche Doktrin des error in substantia verweist. Siehe auch Beatson, Anson’s 302 f. Vgl zur Entwicklung Gordley, Origins 198 f (mit Verweisen auf die verwandten Gedankengänge Pollocks und Savignys): Während zunächst noch von Fehlern bezüglich essence und substance gesprochen wurde, die den Fehler material machen, gingen später die gemeinrechtlichen Begriffe verloren und es blieb bei der materiality. Strickland v Turner (1852) 7 Ex 208; Couturer v Hastie (1856) 5 HLC 673. Freilich wird zu Couturer v Hastie festgehalten, dass hier nur dem Verkäufer der Anspruch auf den Kaufpreis genommen wurde, weil er selbst nicht liefern konnte; Collins, Conract 124 f. Ganz anders aber die australische Entscheidung McRae v Commonwealth Disposals Commission (1951) 84 CLR 377, wo ein Tanker, der verkauft wurde, nicht existierte; der Vertrag hatte Bestand. Cooper v Phibs (1867) LR 2 HL 149 (Rechtsübertragung an einen bereits Berechtigten); vgl § 878 ABGB. Die Tatsache, dass der Verkäufer nicht Eigentümer der Kaufsache ist, beeinträchtigt die Gültigkeit des Vertrags aber nicht (Treitel, Contract 263). Vgl Treitel, Contract 263.
X. Alternative Regelungsmodelle
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Gemeinsame Fehlvorstellungen über Eigenschaften der Kaufsache machen den Vertrag hingegen im Regelfall1176 nicht nichtig: „A mistake as to quality will not affect assent unless it is the mistake of both parties, and is as to the existence of some quality which makes the thing without the qualitiy essentially different from the thing as it was believed to be.“1177
Auch Fehlvorstellungen über die Geschäftsgrundlage sind im Regelfall unbeachtlich; so wurde in der Leitentscheidung Bell v Lever Bros Ltd1178 die Anfechtung einer entgeltlichen Auflösungsvereinbarung eines Managementvertrags nicht zugelassen, obwohl der Gesellschaft und den Managern unbekannt war, dass jene bereits einen Kündigungsgrund gesetzt hatten. Diese Doktrin schließt die meisten gemeinsamen Fehlvorstellungen als Anfechtungsgründe aus. So ist ein Kaufvertrag nicht wegen common mistake nichtig, wenn ein Gemälde, das ohne Garantie als Constable verkauft wurde, sich im Nachhinein als Kopie erweist;1179 ebenso wenig, wenn beim Aktienkauf die Gesellschaft eine wesentliche Geschäftsbeziehung entgegen den Parteiannahmen nicht hatte.1180 Diese Abgrenzung ist jedenfalls nach common law keineswegs trennscharf.1181 Früher wurde in equity die Anfechtung wegen Qualitätsmängeln eher zugelassen1182 – wohl auch, weil die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit ohne Auswirkungen auf die eigentumsrechtliche Position Dritter dem Verkehrsschutz besser entspricht. Durch Great Peace Shipping Ltd v Tsavliris Salvage (International) Ltd1183 wurde aber der Standard in equity dem common law angeglichen. Die Bedeutung der Anfechtung wegen mistake in equity ist damit deutlich zurückgegangen. Es zeigt sich am Fall des verkauften Gemäldes ganz deutlich, dass die Beachtlichkeit des gemeinsamen Fehlers eng mit der Risikoverteilung zwischen den Parteien zusammen hängt; geht ein Rechtssystem wie das englische vom Grundsatz caveat emptor aus, so ist es nur konsequent, auch die Berufung auf mistake abzuschneiden. Etwas anderes gilt, sofern die Eigenschaft des Gegenstands entweder ausdrücklich oder implizit garantiert wird (implied condition).1184 Eine moderne Lehrrichtung lehnt die Berufung auf common mistake auch zur Gänze ab und will vor allem auf die vertragliche Risikoverteilung 1176
1177 1178 1179
1180 1181 1182 1183 1184
Eine Ausnahme scheint Grist v Bailey [1967] AllER 1 zu sein: gemeinsamer Irrtum beim Kauf eines Zinshauses, dass ein mietengeregelter Vertrag aufrecht sei, während der Mieter in Wirklichkeit verstorben war. Bell v Lever Bros Ltd [1932] AC 161, 218. [1932] AC 161. Leaf v International Galleries [1950] 2 KB 86. Differenzierend aber Treitel, Contract 268 f. Kennedy v Panama Royal Mail Co LR 2 QB 580. So auch Treitel, Contract 267 ff. Leitentscheidung war Solle v Butcher [1950] 1 KB 671. [2002] EWCA Civ 1407. Graves v Graves [2007] EWCA Civ 660.
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abstellen1185 – ein Ansatz, der für das österreichische Recht grundsätzlich auch in dieser Arbeit verfolgt wird. Auch die neue Leitentscheidung Great Peace Shipping Ltd v Tsavliris Salvage (International) Ltd des Court of Appeal scheint in diese Richtung zu deuten.1186 b) Frustration Der Zeitpunkt, zu dem der Sachverhalt erstmals von den Vorstellungen der Parteien abweicht, ist für die Abgrenzung von mistake und frustration wesentlich. Ändern sich die Umstände erst nach Vertragsschluss, so muss auf frustration zurückgegriffen werden.1187 Diese im englischen Recht verhältnismäßig junge Doktrin1188 setzt voraus, dass die Folgen der Änderung der Umstände nicht vertraglich geregelt sind,1189 dass die Änderung nicht als wahrscheinlich vorhersehbar war1190 und dass sie nicht auf das Verhalten der geschädigten Vertragspartei zurückzuführen ist.1191 Darüber hinaus muss die Änderung der Umstände wesentliche Auswirkungen auf die Vertragserfüllung haben. Besonders an dieser Stelle wird die Nähe zu mistake deutlich, wo die Fehlvorstellung fundamental sein muss. Dennoch scheint eine gewisse Bereitschaft der Gerichte zu bestehen, dieses Erfordernis im Zusammenhang mit frustration großzügig auszulegen; das wird damit begründet, dass Parteien realtypisch eher das Risiko übernehmen, dass die vorausgesetzten Umstände bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu ihrem Nachteil unrichtig sind.1192 Das reiche Fallmaterial stellt vor allem1193
1185
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Collins, Contract 123 ff; Beatson, Anson’s 298 f. Vgl auch die australische Entscheidung McRae v Commonwealth Disposal Committee (1950) 84 CLR 377. [2002] EWCA Civ 1407 in Rn 84; ähnlich Associated Japanese Bank v Crédit du Nord SA [1988] 3 AllER 902; Graves v Graves [2007] EWCA Civ 660; vgl McKendrick, Contract 633 f. Für alle McKendrick, Contract 635 f. Leitentscheidung ist Taylor v Caldwell (1863) 3 B&S 826. Aus neuerer Zeit zB Davis Contractors Ltd v Fareham Urban District Council [1956] AC 696. Zur Bedeutung von force majeure clauses in diesem Zusammenhang vgl zB Metropolitan Water Board v Dick, Kerr & Co [1918] AC 119; The ‚Super Servant Two’ [1990] 1 Lloyd’s Rep 1; Bremer Handelsgesellschaft mbH v Vanden-Avenne Izegem PVBA [1977] 1 Lloyd’s Rep 133. Der erforderliche Grad der Vorhersehbarkeit ist strittig; vgl Treitel, Contract 841 f. Aus der Rsp Walton Harvey Ltd v Walker & Homfrays Ltd [1931] 1 Ch 274; W J Tatem Ltd v Gamboa [1939] 1 KB 132; The Eugenia [1964] 2 QB 226. Bank Line Ltd v Arthur Capel Ltd [1919] AC 435; The ‚Super Servant Two’ [1990] 1 Lloyd’s Rep 1. Great Peace Shipping Ltd v Tsavliris Salvage (International) Ltd [2002] EWCA Civ 1407; Treitel in Birks, Private Law Rn 8.480. Daneben wird zB auch die spätere Gesetzwidrigkeit unter die Doktrin eingeordnet; vgl Fibrosa Spolka Akcyjna v Fairbairn Lawson Combe Barbour Ltd [1943] AC 32.
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auf Unmöglichkeit bzw Unerschwinglichkeit1194 und Zweckvereitelung ab. Während die Unerschwinglichkeit eher den Verkäufer (bzw denjenigen, der die charakteristische Leistung bereitstellt) im Auge hat, stellt die Zweckvereitelung auf den Sinn des Vertrags für den Käufer ab.1195 Die Unerschwinglichkeit ist vor allem bei Dauerschuldverhältnissen anerkannt.1196 Für die Zweckvereitelung ist auf den gemeinsamen Vertragszweck beider (!) Parteien abzustellen; die Vereitelung des gemeinsamen Zwecks wurde in den bekannten Krönungszugfällen bejaht,1197 aber im Fall einer Schiffscharter für die geplante, aber dann abgesagte Flottenparade in Spithead verneint, weil die Kriegsschiffe auch ohne Parade zu sehen waren.1198 Damit kommt es auch für frustration auf die vertragliche Risikoverteilung an: „Contracting parties can expressly provide that the risk of specified supervening events is to be borne by one of them […]. A risk-allocating provision may also be implied from the nature of the transaction.”1199 Nur wenn sich dem Vertrag nicht entnehmen lässt, dass das Risiko von demjenigen zu tragen ist, der durch den Eintritt der Umstände benachteiligt wird, kommt eine Vertragsauflösung in Frage. Das zeigt sich besonders deutlich beim Wegfall des gemeinsamen Vertragszwecks. Freilich ist in diesem Zusammenhang noch besonders zu beachten, dass die Rechtsfolgen der frustration dem Richter keinen Entscheidungsspielraum lassen: Der Vertrag wird aufgelöst und die Parteien treffen keine weiteren Verpflichtungen;1200 bereits geleistete Zahlungen sind rückabzuwickeln, bereits erbrachte Leistungen, die zu einer Bereicherung führten, sind angemessen zu vergüten.1201 Eine Vertragsanpassung
1194 1195 1196
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1199 1200 1201
Dazu zB Treitel in Birks, Private Law Rn 8.435 ff. Treitel, Contract 824. Staffordshire Area Health Authority v South Staffordshire Waterworks Co [1978] 1 WLR 1387; allgemein zur abweichenden Beurteilung von Dauerschuldverhältnissen zB McKendrick in Beatson/Friedmann, Good Faith 305. Erstaunlich zurückhaltend sind die englischen Gerichte bei der Anerkennung von Inflation als frustration (British Movietonenews Ltd v London and District Cinemas [1952] AC 166; Wates Ltd v GLC (1983) 25 BuildLR 1); das mag auch daran liegen, dass die Hyperinflation der 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts England nicht gleichermaßen betroffen hat wie die deutschsprachigen Länder. Krell v Henry [1903] 2 KB 740; vgl auch den Irrtumsfall Griffith v Brymer (1903) 19 TLR 434, bei dem der Vertrag über die Raummiete erst nach Verkündung der Verschiebung abgeschlossen wurde. Herne Bay Steam Boat Company v Hutton [1903] 2 KB 683. Zur Unterscheidung Treitel, Contract 824 f. Treitel in Birks, Private Law Rn 8.459. Hiriji Mulji v Cheong Yue Steamship Co Ltd [1926] AC 497. Section 1 (2) und (3) Law Reform (Frustrated Contracts) Act 1943; dazu BP Exploration Co (Lybia) Ltd v Hunt (No 2) [1979] 1 WLR 783. Zur Rechtslage nach common law vor 1943 vgl Chandler v Webster [1904] 1 KB 493; teilweise overruled durch Fibrosa Spolka Akcyjna v Fairbairn Lawson Combe Barbour Ltd [1943] AC 32.
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kommt nicht in Betracht, wenn der Vertrag keine dementsprechenden Bestimmungen enthält.1202 Im Vergleich zur Lehre des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, aber auch zur hardship nach Art 6.111 PECL ist die englische Doktrin daher wesentlich weniger flexibel. Daraus erklärt sich auch (zumindest zum Teil), dass die Gerichte bei der Feststellung von frustration tendenziell zurückhaltend sind.1203 3. Misrepresentation a) Grundlagen und Rechtsfolgen Das Institut der misrepresentation1204 nimmt eine Mittelstellung zwischen der Arglistanfechtung und dem Irrtumsrecht ein. Verträge können angefochten werden, wenn eine Fehlvorstellung durch den Vertragspartner des Irrenden veranlasst wurde, wobei es für das Anfechtungsrecht heute1205 grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob diese Veranlassung verschuldet war oder nicht.1206 Die Vertragsaufhebung wegen misrepresentation steht grundsätzlich in Anspruchskonkurrenz zur Vertragsverletzung (s 1 (a) Misrepresentation Act 1967). Soweit also eine Aussage des Verkäufers aufgrund der objektiv zu bestimmenden Parteienabsicht1207 dazu führt, dass der Kaufvertrag einen implied term über Eigenschaften des Kaufgegenstandes enthält, kann sich der Käufer wahlweise auf breach of contract oder auf misrepresentation berufen.1208 Rechtsfolge ist grundsätzlich die Vertragsaufhebung durch Erklärung gegenüber dem Vertragspartner (recission).1209 Diese Aufhebung wirkt zwar sachenrechtlich.1210 Im Gegensatz zur österreichischen Anfechtung ist die Aufhebung aber von vornherein nicht zulässig, wenn Rechte Dritter berührt werden;1211 soweit ein (gutgläubiger) Dritter daher vor der Aufhebungserklärung Eigentum oder andere Rechte an der Kaufsache erworben hat, werden seine Rechtspositionen durch nachfolgende Anfechtungserklärungen nicht
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Vgl McKendrick, Contract 902. Bank Line Ltd v Arthur Capel Ltd [1919] AC 435. Zur Entwicklung bis zum 19. Jahrhundert vgl Simpson, History 535 ff. Diese Entwicklung geht auf die Rechtsprechung in equity zurück, während ursprünglich at law der Rücktritt nur bei fraudulent misrepresentation zustand; für alle Treitel, Contract 342. Redgrave v Hurd (1881) 20 ChD 1. Vgl zB Oscar Chess Ltd. v Williams [1957] 1 WLR 370. Treitel, Contract 348 f; McKendrick, Contract 658 f; Beatson, Anson’s 233, 254 f. Redgrave v Hurd (1881) 20 ChD 1. Zu Sonderformen, wenn der Vertragspartner nicht mehr verfügbar ist, vgl Treitel in Birks, Private Law Rn 8.176; Beatson, Anson’s 248 f. Vertragsdurchführung ist seit dem Misrepresentation Act 1967 kein Hindernis mehr; vgl Treitel, Contract 349 f. Collins, Contract 192.
X. Alternative Regelungsmodelle
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berührt.1212 Deswegen sprechen Verkehrsschutzgründe nicht im gleichen Ausmaß wie bei mistake dagegen, den Anwendungsbereich der Anfechtung wegen misrepresentation auszudehnen.1213 War der Dritte bei Erwerb seiner Rechtsposition nicht gutgläubig, weil er Kenntnis von der misrepresentation hatte, so kann sich der Geschädigte auch ihm gegenüber auf sie berufen. In der bedeutenden Entscheidung Barclays Bank plc v O’Brien1214 hatte es die Bank unterlassen, durch verkehrsübliche Maßnahmen sicherzustellen, dass der Ehemann seine Frau bei der Verpfändung des gemeinsamen Heims für Geschäftsschulden nicht über die Bedingungen des Pfandrechts in die Irre führt; diese verschuldete Nichtkenntnis wurde tatsächlicher Kenntnis gleichgestellt (constructive notice), weswegen die Anfechtung der Einräumung des Pfandrechts auch der Bank gegenüber offen stand.1215
Das Recht auf Vertragsaufhebung kann einerseits durch Bestätigung des Rechtsgeschäfts in Kenntnis des Irrtums verloren gehen,1216 andererseits – zumindest bei schuldlos veranlassten Irrtümern – auch durch Verstreichen einer vernünftigen Frist zur Überprüfung der Angaben.1217 Praktisch wichtig und auch rechtsvergleichend von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob die Aufhebung nur gegen Rückgabe des Kaufgegenstandes bzw der sonst erhaltenen Leistungen zulässig ist.1218 Unstrittig ist, dass die Anfechtung zulässig ist, wenn der Kaufgegenstand durch Zufall untergeht; das diesbezügliche Risiko trägt der misrepresentor.1219 Etwas anderes galt at law die längste Zeit, wenn die Sache durch Handlungen des Käufers unterging1220 oder entwertet wurde1221. Aber auch hier hat sich die herrschende Vorstellung in equity im Ergebnis durchgesetzt: Die Aufhebung ist zulässig, sofern erlangte Vorteile herausgegeben werden und die Rückabwicklung zumindest grundsätzlich möglich
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White v Garden (1851) 10 CB 919; sehr anschaulich Car and Universal Finance Co v Caldwell [1965] 1 QB 525; vgl Treitel, Contract 343 f, 355. Vgl auch Worthington, Equity 189. [1994] 1 AC 180. Die Entscheidung ist freilich, soweit es den genauen Inhalt der Verhaltenspflichten der Bank betrifft, durch Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021 weit gehend überholt. Erwirbt der Dritte nicht gutgläubig, so kann dem Getäuschten als equitable owner auch ein Herausgabeanspruch gegen den Dritten aus einem constructive trust zustehen, wenn zwischen dem Täuschenden und dem Getäuschten fiduciary duties bestehen; Bristol & West Building Society v Mothew [1998] Ch 1, 23. United Shoe Machinery Co of Canada v Brunet [1909] AC 330; Western Bank of Scotland v Addie (1867) LR 1 Sc & Div 145; Kennard v Ashamn (1894) 10 TLR 213. Näher Treitel, Contract 355 ff. Leaf v International Galleries [1950] 2 KB 86. Ausführlich Treitel, Contract 350 ff; Beatson, Anson’s 250 ff. Head v Tattersall (1871) LR 7 Ex 7; Armstrong v Jackson [1917] 2 KB 822. Clarke v Dickson (1858) EB & E 148. Sheffield Nickle Co. Ltd. v Unwin (1872) 2 QBD 215.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
ist;1222 freilich besteht kein Rechtsanspruch hierauf, der Richter kann die Aufhebung jedoch aus Gründen der „practical justice“ zulassen.1223 Eine wesentliche Einschränkung des weiten Rechts auf Vertragsaufhebung enthält jedoch s 2 (2) Misrepresentation Act 1967. Ist die misrepresentation nicht betrügerisch erfolgt, so kann1224 der Richter Schadenersatz statt der Vertragsaufhebung zusprechen, wenn das unter Berücksichtigung der Art der Irreführung, des Schadens des Irregeführten bei aufrechtem Vertrag und der Nachteile für den misrepresentor aus der Vertragsaufhebung equitable ist. Dadurch wird vermieden, dass sich der Irregeführte aus wirtschaftlich ungünstigen Verträgen wegen bloß relativ unerheblicher, aber veranlasster Irrtümer lösen kann. Das war zB in William Sindall plc v. Cambridgshire County Council1225 der Fall, wo der Käufer wegen einer verhältnismäßig kleinen Altlast (Deponie) einen wegen Preisverfall ungünstigen Kaufvertrag über ein Grundstück beseitigen wollte; das Gericht sprach bloß Schadenersatz in Höhe der Kosten der Beseitigung der Altlast zu. Damit erfüllt s 2 (2) Misrepresentation Act 1967 ähnliche Zwecke wie die Vertragsanpassung nach § 872 ABGB. Spätere Preisentwicklungen, wie insbesondere Wertverluste des Kaufgegenstandes zwischen Vertragsabschluss und Anfechtungszeitpunkt, bleiben nach beiden Vorschriften bei der Berechnung des Ersatzes außer Betracht.1226 Neben der Vertragsaufhebung kommen auch Schadenersatzansprüche gegen den Vertragspartner in Betracht. Heute ist die übliche1227 Anspruchsgrundlage s 2 (1) Misrepresentation Act 1967, wonach Schadenersatz1228 verschuldensunabhängig zusteht, sofern nach common law bei vorsätzlichem Handeln eine Ersatzpflicht bestünde. Der misrepresentor haftet aber nicht, wenn „he proves that he had reasonable grounds to believe and did believe up to the time that the contract was made that the facts represented were true.”
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Erlanger v New Sombrero Phosphate Co (1878) 3 App Cas 1218 (nach Erwerb teilweise abgebaute Phosphatmine). McKendrick, Contract 688. Der Richter hat Ermessen; McKendrick, Contract 709 f; Treitel, Contract 331. [1994] 1 WLR 1016. Das ist in Österreich Folge der relativen Berechnungsmethode; vgl Rummel in Rummel I § 872 Rn 5. Zur Rechtslage bei Arglist, wo nach Section 2 (2) Misrepresentation Act 1967 die Vertragsanpassung ausgeschlossen ist vgl Rummel in Rummel I § 870 Rn 7. Daneben kommen auch Ansprüche aus dem tort of deceit (Derry v Peek (1889) 14 App Cas 337) und aus dem tort of negligence (Hedley Byrne & Co Ltd v Heller [1964] AC 465) in Betracht. Das Ausmaß des zu ersetzenden Schadens ist freilich strittig, weil unklar ist, ob auch unvorhersehbare Schäden (wie bei fraud) zu ersetzen sind oder nicht. Vgl Royscot Trust Ltd v Rogerson [1991] 2 QB 297; dazu McKendrick, Contract 695 f; Treitel in Birks, Private Law Rn 8.167; Collins, Contract 194 ff. Zu Kausalitätsfragen (Vertrauens- oder Erfüllungsinteresse) vgl Treitel, Contract 333 f.
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Damit wird die allgemeine Beweislastverteilung zum Nachteil des misrepresentor geändert.1229 b) Voraussetzungen aa) Wesentlichkeit Zunächst ist es erforderlich, dass die misrepresentation den Irrtum veranlasst hat; der Irregeführte muss auf die Richtigkeit der Aussage vertraut haben.1230 Das ist ein Kausalitätskriterium. Dass der Irrende mit seinem Vertrauen auf die Aussagen des Partners fahrlässig gehandelt hat, stört für die Vertragsaufhebung nach älterer Rechtsprechung nicht.1231 Andererseits lässt Smith v. Eric S Bush1232 offen, ob bei bloß fahrlässiger misrepresentation ein Unterlassen der Nachforschung nicht doch die Anfechtung ausschließt, wenn ein vernünftiger Vertragspartner (unter anderem angesichts des Transaktionsvolumens) nachgeforscht hätte. Bei extremer Sorgfaltswidrigkeit kann es jedenfalls an der Kausalität des Irrtums fehlen.1233 Davon ist ein anderer Aspekt zu unterscheiden: Die misrepresentation muss auch wesentlich (material) sein.1234 Die misrepresentation berechtigt nur zur Anfechtung, wenn sie auch einen verständigen Dritten in seiner Entscheidung, den Vertrag abzuschließen, beeinflusst hätte. Damit werden neben der subjektiven Überprüfung der Veranlassung auch objektive Kriterien für die Bestimmung der Wesentlichkeit herangezogen.1235 Das erscheint manchen englischen Rechtslehrern im Vergleich zur klassischen Einteilung der verschiedenen Arten von statements (dazu gleich unten) überhaupt als der bessere Weg: „[…] it is clear that these distinctions1236 represent conclusions of law
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Vgl insbesondere Howard Marine and Dredging Co Ltd v A Odgen & Sons (Excavations) Ltd [1978] QB 574, wo es nicht ausreichte, dass sich der misrepresentor bei der Angabe über die Tonnage eines Schiffes auf das als zuverlässig bekannte Lloyd’s Register stützte, weil sich die Gesellschaft (aber nicht der Erklärende) im Besitz der Schiffspapiere befand, aus denen die in Wirklichkeit niedrigere Tonnage hervorging. Vgl Treitel, Contract 324. Es ist nicht erforderlich, dass die misrepresentation der einzige Grund war, den Vertrag zu schließen; Edginton v Fitzmaurice (1885) 29 ChD 459 (zwei kausale Irrtümer, von denen nur einer durch den Beklagten veranlasst wurde). Redgrave v Hurd (1881) 20 ChD 1. [1990] 1 AC 831; vgl Treitel, Contract 314. Atiyah, Introduction 260. Traill v Baring (1864) 4 DJ&S 318; Bisset v Wilkinson [1927] AC 177; Redgrave v Hurd (1881) 20 ChD 1. Vgl McKendrick, Contract 660 f; Treitel, Contract 316; ähnlich Treitel in Birks, Private Law Rn 8.162. Zwischen statements of fact, of law, of opinion, of intention.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
about whether or not reliance was reasonable in the circumstances rather than an analysis of the words employed.“1237 Das Kriterium der Wesentlichkeit erinnert an die Unterscheidung zwischen Geschäfts- und Motivirrtum im ABGB. Freilich ist nicht jeder Motivirrtum auch immaterial; so ist der Irrtum über den Wert des Kaufgegenstandes nach englischem Recht jedenfalls material und berechtigt daher entgegen dem österreichischen Recht auch bei aktiver, aber nicht vorsätzlicher Veranlassung durch den Vertragspartner zur Beseitigung des Vertrags. Von Lehrbuchbeispielen abgesehen (Irrtum über die geplatzte Hochzeit beim Kauf des Geschenks) gibt es kaum Fälle, in denen ein Irrtum, der den Wert der Kaufsache betrifft, immaterial ist.1238 So wie Motivirrtümer nach ABGB berechtigen aber arglistig veranlasste Irrtümer auch dann zur Anfechtung, wenn sie nicht material sind.1239 bb) Aktives Handeln Grundsätzlich muss die misrepresentation durch aktives Handeln gegenüber dem Irregeführten erfolgen.1240 Ausreichend sind nach der gängigen Einteilung zunächst ausdrückliche statements of fact. Ausgegrenzt bleibt damit grundsätzlich die Wiedergabe einer Meinung,1241 wobei dies aber nach neuer Rechtsprechung nicht gilt, wenn diese Meinung auf überlegenem Wissen der auskunftgebenden Partei basiert;1242 auch die Lüge bei Meinungsäußerungen ist sanktioniert.1243 Auch die bloß teilweise Offenlegung kann eine aktive Täuschung bezüglich nicht offen gelegter Sachverhalte sein;1244 das gilt auch, wenn eine Aussage zwar isoliert betrachtet richtig ist, aber im Gesamtzusammenhang der Erklärung dennoch täuscht.1245 Absichtserklärungen (statements of intention) führen hingegen nur dann zur Vertragsaufhebung, wenn bereits zum Zeitpunkt der Erklärung die kund1237
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Collins, Contract 184 (mit besonderer Betonung des damit verbundenen Werturteils aaO). Vgl Treitel, Contract 312 mit Verweis auf Museprime Properties Ltd v Adhill Properties Ltd [1990] 2 EGLR 196. Smith v Kay (1859) 7 HLC 484. Zu den näheren Abgrenzungen vgl zB Treitel, Contract 305 ff; McKendrick, Contract 659 ff. Bisset v Wilkinson [1927] AC 177. Zum mere puff Dimmock v Hallett (1866) LR 2 Ch App 21. Das für misrepresenation erforderliche statement of fact liegt dann im überlegenen Wissensstand derjenigen Partei, welche die Auskunft gibt; vgl Smith v Land and House Property Corporation (1884) 28 ChD 7; Esso Petroleum Ltd v Mardon [1976] QB 801. Jendwine v Slade (1797) 2 Esp 571. Lee v Jones (1864) 17 CBNS 482; Arkwirght v Newbold (1881) 17 ChD 301. Vgl zB Dimmock v Hallett (1866) LR 2 ChApp 21; Robertson v Dicicco [1972] RTR 43; Spice Girls Ltd v Aprilia World Service BV [2002] EWCA Civ 15.
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getane Absicht in Wirklichkeit nicht bestand.1246 Etwas anderes gilt, wenn die Absicht als Bedingung Vertragsbestandteil wird;1247 dann ist der Vertragspartner an sie gebunden. Bei unrichtigen Auskünfte über die Rechtslage (statements of law) war es lange unklar, ob ein Rechtsbehelf wegen misrepresentation zusteht;1248 ein neueres Judikat des House of Lords scheint eine Trendwende eingeleitet zu haben, indem es einen solchen Anspruch grundsätzlich bejaht. 1249 cc) Keine Aufklärungspflichten Grundsätzlich trifft keine Vertragspartei die Verpflichtung, die andere vor Vertragsabschluss über für deren Entscheidung wesentliche Umstände aufzuklären.1250 Aufklärungspflichten über Eigenschaften der Kaufsache1251 werden sowohl für den Verkäufer1252 als auch für den Käufer1253 verneint: „Mere silence, however morally wrong, will not support an action of deceit;“1254 „[t]he general rule is that mere non-disclosure does not constitute misrepresentation, and that in the absence of a duty to speak there can be no liability in fraud, however dishonest the silence.“1255 Die Anfechtung wegen misrepresentation scheidet damit aus; das gilt sowohl at law als auch nach dem Misrepresentation Act 1967.1256 Dieser restriktive Zugang entspricht – jedenfalls soweit es um Aufklärungspflichten des Verkäufers geht – dem alten Grundsatz caveat emptor1257 des common law. Dieser ist jedoch heute im Kern nur noch für Sachmängel beim
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Vgl Bowne LJ in Edgington v Fitzmaurice (1885) 29 ChD 459, 482: „The state of a man’s mind is as much a fact as the state of his digestion” Allenfalls über einen collateral contract. Vgl näher Treitel, Contract 307 ff; Collins, Contract 184 f. Kleinwort Benson Ltd v Lincoln City Council [1999] 2 AC 349 (allerdings zum mistake). Vgl auch Deutsche Morgan Grenfell Group Plc v Inland Revenue
Commissioners [2005] EWCA Civ 78; Sempra Metals Ltd (former Metallgesellschaft Ltd) v Inland Revenue Commissioners [2007] 3 WLR 354. 1250
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Beatson, Anson’s 232. Vgl historisch Ibbetson, Historical 252. Aus dem deutschen Schrifttum Fleischer, Informationasymmetrie 821 ff; kurz auch Zimmermann, AcP 2002, 273. Anderes gilt für die Aufklärung über die Vertragsbedingungen; vgl Collins, Contract 200 ff. Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 587. Ward v Hobbs (1878) 4 App Cas 13. Bradford Third Equitable Benefit Building Society v Borders [1941] 2 AllER 205, 211. Vgl auch Keates v Cadogan (1851) 10 CB 591. HIH Casualty and General Insurance Ltd v Chase Manhattan Bank [2001] EWCA Civ 1250 para 48. Für alle Treitel, Contract 372 f. Chandelor v Lopus (1603) CroJac 4, 79 ER 3.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Liegenschaftskauf gültig.1258 Für den Fahrniskauf im Geschäftsverkehr1259 ist der Grundsatz caveat emptor mit s 14 (2) Sales of Goods Act 1979 durch eine Haftung des Verkäufers für gewöhnliche1260 Eigenschaften ersetzt worden.1261 Das ändert aber nichts daran, dass Rechtsbehelfe aus misrepresentation selbst dann nicht zustehen, wenn eine Aufklärungspflicht nach dem Sales of Goods Act 1979 besteht; die Rechtsbehelfe richten sich dann bloß nach jenem, in österreichischer Denkschule gewährleistungsrechtlichen Normengefüge, auf das in der Folge nicht näher eingegangen wird.1262
So führt besseres Wissen des Käufers über Eigenschaften des Kaufgegenstands nicht zur Aufklärungspflicht; die Rechtsprechung hatte sich vor allem mit Bodenschatzvorkommen unter der verkauften Liegenschaft zu beschäftigen.1263 Auch über den Marktpreis besteht generell keine Aufklärungspflicht;1264 das wird im Schrifttum damit begründet, dass das Ausnützen solcher Wissensvorsprünge dazu führt, dass die Ressourcen über den Marktprozess an den Ort ihrer besten Nutzung gelangen.1265 Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zur österreichischen Rechtslage, nach der Aufklärungspflichten immer dann bestehen, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung über den jeweiligen Umstand erwarten durfte (oben IV. A. 4.). Das englische Recht sieht in Aufklärungspflichten moralische Gebote; wenn man diese in das common law einfließen ließe, so würde dies zu einer unerwünschten und der Rechtssicherheit abträglichen Überprüfung der vertraglichen fairness führen.1266 Hinzu komme, dass die Abwägung schwierig sei, welche bekannten Tatsachen offen zu legen sind und welche nicht.1267 Auch informationsökonomische Gesichtspunkte werden berücksichtigt.1268 An diesem restriktiven Zugang zu Aufklärungspflichten zeigt sich, dass jede rechtliche Entscheidung über die Zulässigkeit von bestimmten Verhaltensweisen bei Vertragsabschluss nicht nur eine Entscheidung darüber ist, welche Verhandlungsmethoden ein-
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Keates v Cadogan (1851) 10 CB 591. Für schwer erkennbare Rechtsmängel bestehen zumindest im Ergebnis auch bei diesen Kaufgegenständen Aufklärungspflichten (gedrängt Fleischer, Informationsasymmetrie 837 f; Treitel, Contract 363). Aber nicht zwischen Privaten! Oder für gesondert bekannt gegebene, s 14 (3) Sales of Goods Act 1979. Dazu zB Bridge, Sale 272 ff. Dazu zB jüngst Linder, Gewährleistung in England und Österreich passim. Fox v Macbeth (1788) CoxEqCas 320; Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 597. Treitel, Contract 363; Fleischer, Informationsasymmetrie 824 f. Moody v Cox & Hatt [1917] 2 Ch 17; Fleischer, Informationsasymmetrie 825 f. Collins, Contract 198. Banque Financière de la Cité SA v Westgate Insirance Co Ltd [1989] 2 AllER 952; Fleischer, Informationsasymmetrie 871. Treitel in Birks, Private Law Rn 8.189. Atiyah, Introduction 247; Collins, Contract 198 f.
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gesetzt werden dürfen; vielmehr spricht die Rechtsprechung zumindest im Ergebnis auch über die Zulässigkeit von Verhandlungsergebnissen ab.1269 Ausnahmen von diesem Grundsatz gibt es beim Kaufvertrag1270 nur wenige; selbst wenn eine solche vorliegt, besteht im Regelfall nur die Pflicht, bekannte oder geradezu evidente1271 Tatsachen mitzuteilen, nicht aber, eigene Nachforschungen anzustellen.1272 Unbestritten besteht eine Aufklärungspflicht, wenn eine ursprünglich richtige Aussage noch vor Vertragsabschluss unrichtig wird1273 und dies dem Vertragspartner auch bekannt wird.1274 Aufklärungspflichten können sich auch aus gesetzlichen Bestimmungen ergeben; Paradigma ist die Prospektpflicht beim Börsehandel.1275 Auch wegen einer Verkehrssitte kann die Aufklärung geboten sein.1276 Rechtspolitisch werden Aufklärungspflichten bei Informationsasymmetrien hingegen eingefordert; sie ließen sich auch ohne weiteres in das System der Anfechtungsrechte des common law eingliedern.1277
dd) Fiduciary Relationships Ebenso sind Aufklärungspflichten anerkannt, wenn neben dem fraglichen Rechtsgeschäft auch noch andere Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien bestehen.1278 Entspringen aus jenen Rechtsverhältnissen fiduciary relationships, so können diese die Offenlegung der Information erfordern.1279 Die Verletzung dieser Pflicht hat aber nicht nur Auswirkungen auf jenes Rechtsverhältnis, sondern schlägt nach der englischen Vertragsdoktrin auch auf das Ver-
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Collins, Contract 13. Weitere Ausnahmen bestehen bei contracts uberrimae fidei (Versicherungsverträge, Verträge innerhalb der Familie), Bürgschaften und Ähnlichem. Vgl Treitel, Contract 366 ff; Beatson, Anson’s 258 ff; Fleischer, Informationsasymmetrie 831 ff. Blackburn, Low & Co v Vigors (1887) 12 AppCass 531: „willfully shut his eyes”. Näher Treitel, Contract 363 f. Oder die ursprüngliche Unrichtigkeit nachträglich erkannt wird; Davies v London and Provincial Marine Insurance Co (1878) 8 ChD 469. Das gilt jedenfalls für statements of fact; Davies v London and Provincial Marine Insurance Co (1878) 8 ChD 469; Spice Girls Ltd v Aprilia World Service BV [2002] EWCA Civ 15. With v O’Flanagan [1936] Ch 575. Zu statements of intention vgl Treitel, Contract 365 f; Fleischer, Informationsasymmetrie 830 f. S 146 Financial Service Act 1986; vgl im Überblick Fleischer, Informationsasymmetrie 844 ff. Jones v Bowden (1813) 4 Taunt 847. Smith, Contract Theory 305. Damit ist freilich nicht das gemeint, was im deutschen Rechtskreis als vorvertragliches Schuldverhältnis bezeichnet wird. Dazu allgemein Fleischer, Informationsasymmetrie 838 ff.
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kehrsgeschäft durch: Dieses kann wegen misrepresentation aufgelöst werden.1280 Fiduciary relationships bestehen in Fällen, in denen einer Person Entscheidungsmacht eingeräumt wird, durch die ein Risiko entsteht, dass die Interessen eines Geschäftsherrn verletzt werden: „A fiduciary is someone who has undertaken to act for and on behalf of another in a particular matter in circumstances which have given rise to a relationship of trust and confidence.“1281 Dazu gehört unter anderem agency im technischen Sinn des common law, also Fragen, die man im österreichischen Recht im Wesentlichen dem Vertretungsrecht zuordnet. Will der agent mit seinem principal im Rahmen seiner Vertretungsmacht kontrahieren, so muss er ihm in equity als Ausfluss seiner duty of loyalty alle vertragsrelevanten Informationen offen legen.1282 Das Ergebnis ist daher abweichend zum österreichischen Recht, wo das Selbstkontrahieren zu keinem wirksamen Geschäftsabschluss führt, wenn der Geschäftsherr gefährdet ist;1283 in England bedarf es der Vertragsaufhebung wegen misrepresentation.1284 Der Dritte, der die Kaufsache gutgläubig erworben hat, ist im Ergebnis nach der englischen Rechtsordnung besser geschützt, weil die Vertragsaufhebung ihm gegenüber keine Wirkung zeigt (oben a). Dem entspricht die Möglichkeit des gutgläubigen Eigentumserwerbs nach § 367 ABGB durch den Dritten, wenn der Bevollmächtigte die Sache nach einem Insichgeschäft weiterveräußert; fraglich ist aber die Rechtsstellung des Dritten bei der wegen Interessenkollision unzulässigen Doppelvertretung, weil es hier wegen der fehlenden Vertretungsmacht1285 an einem gültigen Titel fehlt, weswegen nach allgemeinen Grundsätzen nicht nur der derivative, sondern auch der gutgläubige Eigentumserwerb ausscheiden muss.
Eine fiduciary relationship mit entsprechenden Aufklärungspflichten besteht aber auch im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten,1286 unter den Gesellschaftern einer Personengesellschaft1287 und unter den promo1280 1281 1282
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Reynolds in Birks, Private Law Rn 9.141. Bristol & West Building Society v Mothew [1998] Ch 1, 18. Regier v Campbell-Stuart [1939] Ch 766; Dunne v English (1874) LR 18 Eq 524. Vgl näher Reynolds in Birks, Private Law Rn 9.135 ff. Darüber hinaus gehend Millett LJ in Bristol and West Building Society v Mothew [1998] 1, 18, der in einem obiter dictum neben der Aufklärung auch fairness des Geschäfts als Gültigkeitsvoraussetzung ansieht. Vgl nur Kleteþka in Koziol/Welser I 215 f. Daneben kommt auch die Aufhebung aus undue influence bei solchen Rechtsverhältnissen in Betracht; vgl unten 4. b). OGH EvBl 1993/47. Fox v Mackreth (1788) 2 CoxEqCas 320; Demerera Bauxite Co v Hubbard [1923] AC 673. Vgl s 28 Partnership Act: „Partners are bound to render true accounts and full information of all things affecting the partnership to any partner or his legal representatives.” Vgl Fleischer, Informationsasymmetrie 841 f mwN.
X. Alternative Regelungsmodelle
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tern und der Gesellschaft;1288 freilich bedarf es immer eines Zusammenhangs mit dem jeweiligen Rechtsverhältnis (also zB Beratungsverhältnis bezüglich einer Liegenschaftstransaktion und Erwerb der Liegenschaft durch den Anwalt; Erwerb der Anteile der anderen durch einen Gesellschafter1289 bzw Abschluss von Geschäften mit der Personengesellschaft1290). Strittig ist, ob duties of loyalty zwischen den Geschäftsführern und den Gesellschaftern1291 beim Management Buy-out1292 bestehen. Die Leitentscheidung Perceival v Wright1293 hat solche Pflichten für jene Fälle verneint, in denen die Verkaufsinitiative von den Gesellschaftern ausgeht, sie also den Managern den Kauf der Anteile anbieten. Anders wurde entschieden, wenn die Initiative für die Transaktion bei einer kleinen Familiengesellschaft, bei der die Gesellschafter regelmäßig durch die directors beraten wurden, von letzteren ausgeht und sie die Annahme ausdrücklich empfehlen.1294 Es scheint also ganz auf die Umstände des Einzelfalls anzukommen; auch bei Übernahmeangeboten des Management nach dem City Code auf die Anteile der Gesellschaft könnte wegen der Informationspflichten nach Rule 25 des City Code on Takeovers and Mergers etwas anderes gelten.1295 ee) Zum Verständnis des aktiven Handelns Es wäre jedoch verkürzt, die Analyse hier mit dem Schluss abzubrechen, dass all jene Fälle, in denen ein österreichisches Gericht die Irrtumsanfechtung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten zulässt, in England im Ergebnis grundsätzlich anders entschieden würden. Als Ausgleich zur restriktiven Haltung gegenüber Aufklärungspflichten besteht ein sehr liberaler Zugang, wenn es um die Frage geht, ob aktives Handeln vorliegt. Die fehlende Aufklärungspflicht wird zumindest teilweise durch eine großzügige Auslegung der aktiven Veranlassung substitutiert.1296 Als Ausgangspunkt dient, dass die Veranlassung 1288 1289
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Erlanger v New Sombrero Phosphate Co (1879) 3 AppCas 1218. Maddeford v Austwick (1826) 1 Sim 89; Law v Law [1905] 1 Ch 140; Sachs v Johnston (1915) 17 GLR 511. Aas v Benham [1891] 2 Ch 244. Für Geschäfte des Managements mit der Gesellschaft sind solche Pflichten jedenfalls schon wegen der agency-Beziehung anerkannt. Vgl auch s 317 Companies Act 1985. Hier nicht einschlägig sind jene Entscheidungen über Aufklärungspflichten des Management, die Fälle betreffen, in denen die Gesellschafter an Dritte verkaufen; solche Pflichten bestehen grundsätzlich nicht (vgl Peskin v Anderson [2001] 1 BCLC 372). Anderes gilt, wenn das Management ermächtigt wird, einen Erwerber für die Anteile zu suchen; Gower and Davies, Company Law 374 f. [1902] 2 Ch 421. Vgl die neuseeländische Entscheidung Coleman v Myers [1977] 2 NZLR 225; gebilligt durch Peskin v Anderson [2001] 1 BCLC 372. Dazu zB Davies, Introduction 232. Vgl auch Re A Company [1986] BCLC 382. Im Ansatz auch Fleischer, Informationsasymmetrie 819.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
nicht bloß durch Worte, sondern auch durch Verhalten, also konkludent, erfolgen kann. All jene Handlungen, die nach der Verkehrsauffassung Erklärungsfunktion haben können, werden erfasst: „a nod or a wink, or a shake of the head, or a smile from the purchaser intended1297 to induce the vendor to believe the existence of a non-existing fact, which might influence the price of the subject to be sold.“1298 Dabei wird der Erklärungswert von Handlungen im Einzelfall durchaus bis an die Grenzen des Vertretbaren strapaziert, um die fehlende Aufklärungspflicht zu ersetzen. Ein schönes Beispiel dafür findet sich in Bodger v Nicholls.1299 Ein Käufer brachte eine Kuh zum Verkauf auf den Markt; nach der Geschäftsabwicklung stellte sich heraus, dass das Tier an einer Krankheit litt. Obwohl der Verkäufer keine diesbezügliche Erklärung abgegeben hatte und schon gar kein implied term des Vertrags vorlag, ließ der Richter abweichend von caveat emptor die Anfechtung wegen misrepresentation zu: „The defendant, by taking the cow to a public market to be sold […] thereby furnishes evidence of a representation that, so far as his knowledge goes, the animal is not suffering from any infectious disease.“1300 Daraus wird zumindest für die Gefährdung des sonstigen Eigentums des Käufers (arg ansteckende Krankheit) über misrepresentation by conduct im Ergebnis eine Aufklärungspflicht statuiert.1301 Das geht über Fälle hinaus, in denen nachteilige Eigenschaften der Kaufsache bewusst verborgen werden.1302 Hinzu kommt, dass auch die Offenlegung richtiger Tatsachen eine aktive misrepresentation sein kann, wenn andere Sachverhalte verschwiegen werden. Viele Fälle, die in Österreich als Verletzung einer Aufklärungspflicht eingeordnet werden, sind daher auch durch das englische Verbot der misrepresen1297
1298 1299 1300
1301 1302
Da auch die innocent misrepresentation genügt, kommt es auf die Absicht eigentlich gar nicht an. Walters v Morgan (1861) 3 De GF&J 718, 723 f. (1873) 28 LT 441. Bodger v Nicholls (1873) 28 LT 441, 445. Vgl auch Ward v Hobbs (1878) 4 AppCas 13, wo kranke Schweine auf einem Markt verkauft wurden und nur deswegen keine misrepresentation vorlag, weil der Verkauf ausdrücklich with all faults erfolgte; heute wäre dieser Ausschluss in diesem Fall nach s 3 Misrepresentation Act 1967 auf sachliche Rechtfertigung zu untersuchen. Vgl Collins, Contract 205. Vgl Schneider v Heath (1813) 3 Camp 506: Der Kläger kaufte ein Schiff und stellte später fest, dass (unter anderem) der Kiel bereits im Kaufzeitpunkt gebrochen war. Wegen des Prinzips caveat emptor bestanden weder Aufklärungspflichten noch Gewährleistungsansprüche. Allerdings hatte der Verkäufer vor der Besichtigung das Schiff aus dem Trockendock genommen und zu Wasser gebracht, wodurch der Defekt schwerer erkennbar war. Nach österreichischem Recht wäre in diesem Fall die Anfechtung wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht zulässig; nach englischem Recht wurde eine aktive misrepresentation by conduct angenommen. Vgl auch Beatson, Anson’s 234.
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tation erfasst.1303 Ganz wie nach österreichischem Recht dürfte aber das Verhalten des Getreidehändlers im Einleitungsbeispiel 1 (oben I. C.) keine representation sein, dass die Preise sich auch in Zukunft nicht dramatisch ändern werden, ebenso wenig wie nach der Rechtsprechung der Grundstückskäufer (Einleitungsbeispiel 2) zusichert, dass sich unter der Liegenschaft keine Bodenschätze befinden.1304 Ob ein Unterschied bei der rechtlichen Beurteilung dieser Fälle besteht, kann man daher erst beurteilen, wenn man sich der Bedeutung der objektiven Äquivalenzstörung im englischen Recht noch einmal zuwendet (gleich unten 4.). Aufklärungspflichten spielen auch in einem verwandten Zusammenhang eine Rolle:1305 In equity kann das Gericht die (ohnehin nur ausnahmsweise zulässige)1306 Erfüllung des Vertrags (specific performance) verweigern, wenn der verkürzte Vertragspartner nicht über für ihn wesentliche Umstände aufgeklärt wird und das Informationsgefälle unfair ausgenützt wird, zB weil der Verkäufer unter Verkaufsdruck gesetzt wird1307 oder weil er betrunken ist.1308 Sofern der Vertrag aber nicht nach anderen Rechtsregeln ungültig ist, steht dem Begünstigten in einem solchen Fall zwar kein Anspruch auf Erfüllung, aber doch einer auf Geldersatz (damages) zu.1309
4. „Fairness“ Weder mistake noch misrepresentation setzen eine Äquivalenzstörung voraus, auch wenn im Prozessfall typischerweise eine solche vorliegt. Unter welchen Umständen eine Äquivalenzstörung selbst zur Anfechtbarkeit oder gar Nichtigkeit des Vertrags führen kann, ist im Ergebnis äußerst strittig. Selbst wenn man die österreichische laesio enormis aus der vergleichenden Betrachtung ausklammert, gibt es im englischen Recht keine Doktrin, die all jene Fälle erfasst, die man in Österreich dem Wuchertatbestand zuordnen würde. Insbesondere gibt es auch keine Entsprechung zur US-amerikanischen unconscionability (vgl § 2-302 Uniform Commercial Code).1310 Am nächsten kommt dem noch die Ansicht von Lord Denning in Lloyds Bank Ltd v Bundy,1311 1303 1304
1305 1306
1307 1308 1309 1310 1311
Ähnliche Tendenz bei Collins, Contract 204. Im Ergebnis auch Fox v Macbeth (1788) CoxEqCas 320; Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 597. Vgl Ibbetson, Historical 208 f. Nach englischem Recht ist die Erfüllungsklage nur zulässig, wenn eine Geldleistung im Ausmaß des Werts der zu erbringenden Leistung aufgrund der besonderen Umstände der Transaktion nicht angemessen ist; klassisches Beispiel sind Landtransaktionen, heute kommt vor allem der Spezieskauf hinzu (s 52 Sale of Goods Act 1979). Vgl näher zB Treitel, Contract 949 ff; Collins, Contract 427 ff. Walters v Morgan (1861) 3 De GF&J 718. Malins v Freeman (1837) 2 Keen 25. Vgl Beatson, Anson’s 247. Rechtsökonomisch dazu Cooter/Ulen, Law & Economics 280 ff. [1975] QB 326.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
wonach bei extremen Äquivalenzstörungen und einer groben Beeinflussung der Verhandlungsposition des Verkürzten, die vom Vertragspartner auch ausgenützt wird, eine Anfechtung des Vertrags in Betracht kommt. Geltung und genauer Anwendungsbereich dieser Doktrin sind aber strittig; insbesondere hängt dies auch davon ab, wieweit der Anwendungsbereich jener anderen, unumstrittenen Einrichtungen gefasst wird, mit denen Äquivalenzstörungen allenfalls aufgegriffen werden könnten: duress und undue influence. a) Duress Die Grenzen von duress und undue influence sind in Bewegung. Das gilt insbesondere für die jüngere Rechtsprechung; historisch ist duress Teil des common law, während undue influence eine Schöpfung der equity-Rechtsprechung ist.1312 Während die Vertragsanfechtung1313 wegen duress ursprünglich nur bei Drohung gegen Leib und Leben zur Anwendung kam,1314 ist in der jüngeren Rechtsprechung anerkannt, dass auch economic duress die Vertragsaufhebung rechtfertigen kann;1315 in den typischen Fällen, mit denen sich die Rechtsprechung beschäftigen muss, wird eine Vertragsänderung durch Androhung des Vertragsbruchs durchgesetzt.1316 Nach überwiegender Ansicht muss die Drohung rechtswidrig (illegitimate) sein.1317 Die Rechtswidrigkeit kann in dem angedrohten Akt selbst liegen (Gesetzes- oder Vertragswidrigkeit) oder in der Tatsache, dass mit der Androhung einer an sich rechtmäßigen Handlung ein nicht konnexes Verlangen durchgesetzt werden soll, wie insbesondere bei Erpressung.1318 Damit entspricht duress grundsätzlich dem Tatbestand der Drohung des österreichischen Rechtssystems. Es genügt im Gegensatz zum österreichischen Wuchertatbestand nicht, dass eine Zwangslage durch den Begünstigten bloß sittenwidrig ausgenützt wird. Dagegen spricht auch nicht, dass einige Entscheidungen in der Begründung die Zwangslage der benachteiligten Partei ganz in den Vordergrund
1312 1313
1314 1315 1316
1317
1318
Treitel, Contract 375. Der Vertrag ist nach der überwiegenden Rsp voidable, nicht void; vgl The Atlantic Baron [1979] QB 705; Pao On v Lau Yiu Long [1980] AC 614; The Universe Sentinel [1983] 1 AC 366. Anders aber Barton v Armstrong [1976] AC 104. Skeate v Beale (1841) 11 Ad&El 983. The Siboen and The Sibotre [1976] 1 Lloyd’s Rep 293. The Atlantic Baron [1979] QB 705; Pao On v Lau Yiu Long [1980] AC 614; B & S Contracts and Design Ltd v Victor Green Publications Ltd [1984] ICR 419. The Universe Sentinel [1983] 1 AC 366; The Evia Luck [1992] 2 AC 152. Beide Fälle betrafen gewerkschaftliche Sperren von Schiffen. Vgl auch CTN Cash and Carry Ltd v Gallaher [1994] 4 AllER 714. The Universe Sentinel [1983] 1 AC 366; CTN Cash and Carry Ltd v Gallaher [1994] 4 AllER 714; R v Attorney-General for England and Wales [2003] UKPC 22 (Privy Council); vgl Collins, Contract 140.
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stellen;1319 denn in jenen Fällen war die Rechtswidrigkeit der Drohung zweifellos gegeben. Wenn ein Wanderer von der Nacht überrascht wird und den übertriebenen Forderungen eines Autobesitzers nachgeben muss, um ein Dorf zu erreichen,1320 fällt das nach gängiger Lesart nicht unter die Anfechtung wegen duress: „On the other hand, […] English courts have wisely not accepted any general principle that a threat not to contract with another, except on certain terms, may amount to duress.”1321 Dagegen spricht auf den ersten Blick, dass in einer Reihe von Fällen eine Zwangslage ausgenützt wurde, ohne dass dieses Ausnützen rechtswidrig war oder die Zwangslage rechtswidrig herbeigeführt wurde. Alle diese Fälle wurden jedoch durch admiralty courts entschieden und betrafen die Rettung von Schiffen gegen Entgelt.1322 Nach gängiger Lesart sind diese Fälle jedoch durch ein besonderes öffentliches Interesse an angemessenen Vertragsbedingungen (ähnlich wie im öffentlichen Verkehrswesen) gerechtfertigt und deswegen einer Verallgemeinerung nicht zugänglich.1323
Gegenmeinungen haben sich bisher nicht durchgesetzt. Einerseits wurde vertreten, dass durch Anfechtung wegen duress auch diejenigen geschützt werden, denen keine echte Wahlmöglichkeit offen steht, weil sie sich einem Monopolisten gegenüber sehen;1324 dem hat der Court of Appeal eine klare Absage erteilt.1325 Andererseits soll nach einzelnen Meinungen der Willensmangel allein aufgrund der Zwangslage zur Vertragsanfechtung wegen duress berechtigen;1326 das wäre auch rechtsvergleichend eine außergewöhnliche Position des englischen Rechts. b) Undue influence in Grundzügen In der Rechtsprechung in equity hat die common law-Doktrin des duress eine Entsprechung mit dem Institut des undue influence. Damit ein Anspruch auf Vertragsauflösung wegen undue influence vorliegt, müssen zwei Sachverhaltselemente vorliegen: eine Machtposition und Ausnützen dieser Machtposition.1327 Der Nachweis ist von der benachteiligten Partei zu erbringen. Insofern entspricht die Rechtslage durchaus dem Anspruch nach common law wegen duress. Die Parallelität ist vor allem historisch zu erklären, weil ur1319
1320 1321
1322 1323 1324 1325 1326 1327
Pao On v Lau Yiu Long [1980] AC 614. In diese Richtung auch Birks, Restitution 177. Collins, Contract 141. CTN Cash and Carry Ltd v Gallaher [1994] 4 AllER 714. Vgl auch Beatson, Anson’s 276. The Medina (1876) 1 P 272; The Port Caledonia and The Anna [1903] P 184. Collins, Contract 142 f. Anders aber Beatson, Anson’s 276 f. Collins, Contract 141 ff. CTN Cash and Carry Ltd v Gallaher [1994] 4 AllER 714. Smith [1997] CLJ 343, 358 ff. Howes v Bishop [1909] 2 KB 390.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
sprünglich duress nur vorlag, wenn sich die Drohung gegen Leib und Leben richtete. Hier hatte undue influence große Bedeutung.1328 Im Gegensatz zu duress – und parallel zum österreichischen Wuchertatbestand - ist es aber nicht erforderlich, dass das Ausnützen der Machtposition an sich rechtswidrig war.1329 So erfolgte die Vertragsauflösung wegen undue influence in einem Fall, in dem der Sohn Unterschriften des Vaters auf einem Wechsel fälschte und der Vater in der Folge durch Androhung einer Strafanzeige dazu gebracht wurde, die Schulden des Sohnes zu begleichen.1330
Heute ergibt sich die Bedeutung dieses Anspruchs in equity vor allem daraus, dass im Gegensatz zu duress bei bestimmten Fallgestaltungen eine Vermutung besteht, dass undue influence ausgenützt wurde (presumed undue influence). Leitentscheidung ist Allcard v Skinner.1331 Eine Ordensschwester trat nach Eintritt ihr gesamtes Vermögen gemäß den Ordensregeln an den Orden ab. Nach dem Austritt focht die Spenderin den Vertrag erfolgreich an, obwohl sie (vom Zwang zur Einhaltung der Ordensregeln abgesehen) nicht unter Druck gesetzt wurde. Damit die Vermutung eingreift, sind zwei Elemente erforderlich.1332 Erstens muss nach überwiegender Meinung1333 das Ausnützen dadurch indiziert sein, dass die schwächere Partei den Vertrag ohne die Einflussnahme so nicht abgeschlossen hätte. Die Rechtsprechung hat dafür Fallgruppen entwickelt, so zB bei Äquivalenzstörungen,1334 wenn eine Leistung ganz ohne Gegenleistung in angesichts der Beziehung der Vertragsparteien unüblich hohem Ausmaß erbracht wird1335 (hierzu zählen auch die für die Praxis bedeutenden Fälle der Ehegattenbürgschaft)1336 oder wenn der Vertragsabschluss angesichts der Gesamtumstände deutlich zum Nachteil des Leistenden ist, selbst wenn keine Äquivalenzstörung vorliegt.1337 Zweitens ist aber auch eine besondere Beziehung zwischen den Vertragsparteien erforderlich, die das Vorliegen einer Machtposition indiziert. Hier stehen sich zwei grundsätzlich differierende Positionen gegenüber. Die tradi1328 1329 1330 1331 1332
1333
1334 1335 1336 1337
Vgl Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021, Rn 6 f. Treitel, Contract 378; McKendrick, Contract 754. Williams v Bayley [1866] LR 1 HL 200. (1887) 36 ChD 145. Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021, Rn 14; McKendrick, Contract 783. R v Attorney-General for England and Wales [2003] UKPC 22, Rn 22; anders aber CIBC Mortgages plc v Pitt [1994] 1 AC 200. Vgl Treitel, Contract 378 f mN zur Gegenansicht. Collins, Contract 144; Worthington, Equity 195. Allcard v Skinner (1887) 36 ChD 145. Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021. Lloyds Bank v Bundy [1975] QB 326; National Westminster Bank plc v Morgan [1985] AC 686; vielleicht anders Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021. Vgl Beatson, Anson’s 282 f.
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tionelle Position stellt darauf ab, dass zwischen den Parteien eine besondere Vertrauensbeziehung bestand (relationship of trust and confidence):1338 zB Kind und Eltern, Vormund und Mündel, Doktor und Patient, Anwalt und Klient, trustee und Begünstigter, religiöser Berater und Gläubiger (nicht jedoch zwischen Ehegatten).1339 Aber selbst wenn keine dieser besonderen Beziehungen vorliegt, der Verkürzte aber nachweist, dass er im konkreten Fall dem anderen besonders vertraut hat, kann nach überwiegender Ansicht undue influence vermutet werden;1340 das hat besondere Bedeutung für Ehegatten und andere Lebenspartnerschaften,1341 aber auch für die Beziehung Bankangestellter und Klient1342 oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer.1343 Nach der neueren Ansicht genügt es, dass der Vertrag durch den Charakter der Beziehung zwischen dem Benachteiligten und der anderen Vertragspartei aus dem normalen Marktprozess herausgenommen wird.1344 Dann könnte zB auch der Fall der Ausnützung eines Monopols unter undue influence subsumiert werden. Der neuere Fall Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2)1345 stützt dies: „The principle is not confined to cases of abuse of trust and confidence. It also includes, for instance, cases where a vulnerable person has been exploited.” Auf diese Gedanken möchte ich noch zurückkommen (unten c). Sind diese zwei Bedingungen erfüllt, so besteht eine widerlegliche Vermutung, dass undue influence ausgenützt wurde und dass die Willensfreiheit deswegen beeinträchtigt war. Die Widerlegung kann in den meisten Fällen dadurch erfolgen, dass vor Abschluss des Rechtsgeschäfts unabhängiger und sachverständiger Rat eingeholt wurde.1346
1338 1339 1340
1341
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Zuletzt Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021, Rn 10. Vgl Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021 Rn 18 f. Lord Nicholls in Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021, Rn 16 f; R v Attorney-General for England and Wales [2003] UKPC 22, Rn 22; Treitel, Contract 380 f (anders aber ders in Birks, Private Law Rn 8.203); Worthington, Equity 196 f. Zweifelnd aber McKendrick, Contract 783 unter Berufung auf Lord Scott und Lord Clyde in Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021, Rn 107, 161: In diesen Fällen sei zu beweisen, dass undue influence tatsächlich vorliegt. Treitel in Borks, Private Law Rn 8.203; vgl Hansen v Barker-Benfield [2006] EWHC 1119. Lloyds Bank Ltd v Bundy [1975] QB 326; vgl Collins, Contract 145 f. Credit Lyonnais Bank Nederland NV v Burch [1997] 1 AllER 144. Vgl Collins, Contract 144. [2001] 3 WLR 1021, Rn 11. Allcard v Skinner (1887) 36 ChD 145; Hammond v Osborn [2002] EWCA Civ 885. Relativierend Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021, Rn 20; R v Attorney-General for England and Wales [2003] UKPC 22, Rn 23.
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In der Rechtsprechung wird unterschiedlich beantwortet, inwieweit es darauf ankommt, ob dem Begünstigten ein Vorwurf unkorrekten Verhaltens gemacht werden kann. Dann wäre es nämlich möglich, dass der Begünstigte durch den Nachweis korrekten Vorgehens die Vermutung widerlegt. Zahlreiche jüngere Fälle stellen das Ausnützen des Vorteils in den Mittelpunkt;1347 in einem Fall wurde undue influence auch verneint, weil dem britischen Militär beim Abschluss einer Vereinbarung mit einem Soldaten nicht der Vorwurf gemacht werden konnte, dass es ein bestehendes Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt hat.1348 Eine Reihe von Fällen, allen voran die Leitentscheidung Allcard v Skinner,1349 klammert das Verhalten des Begünstigten jedoch aus der Betrachtung aus: „The court scrutinises the circumstances in which the transaction, under which the benefits were conferred on the recipient, took place and the nature of the continuing relationship between the parties, rather than any specific act or conduct on the part of the recipient. A transaction may be set aside by the court, even though the actions and the conduct of the person who benefits from it could not be criticised as wrongful.“1350
Das steht zwar in einem bestimmten Spannungsverhältnis zum Ziel der Doktrin (Vermeiden des Ausnützens) erklärt sich aber daraus, dass man sonst geradezu zwingend zwischen zulässigem und unzulässigem Verhalten bei der Beurteilung der Rechtfertigung unterscheiden muss, was die Vermutung gerade vermeiden soll. So wäre der Vorwurf des rechtswidrigen Handelns gegenüber den Verantwortlichen des Klosters (Armutsgelübde; implizite, aber nicht geäußerte Erwartung der Schenkung des Vermögens an den Orden) in Allcard v Skinner1351 nur schwer möglich gewesen. Rechtsfolge von undue influence ist grundsätzlich die Vertragsauflösung. Wie bei allen Rechtsbehelfen in equity steht dem Richter aber ein weiterer Spielraum zu: Er kann auch über Schadenersatzansprüche die objektive Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung herstellen.1352 Damit entsprechen die Rechtsfolgen nicht der österreichischen Regelung des Wuchers, bei dem die Vertragsanpassung außerhalb des Kreditwuchers nach herrschender Meinung nicht möglich ist, sondern nur die Geltendmachung der Nichtigkeit in Betracht kommt (oben III. B. 1.).
1347
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1349 1350 1351 1352
Vgl Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021; National Commercial Bank (Jamaica) Ltd v Hew [2003] UKPC 51 (Privy Council). R v Attorney-General for England and Wales [2003] UKPC 22 (anders aber die Mindermeinung von Lord Scott). (1887) 36 ChD 145. Pesticcio v Huet [2004] EWCA Civ 372. Kritisch auch Birks (2004) 120 LQR 34. (1887) 36 ChD 145. Mahoney v Purnell [1996] AllER 61.
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Wie bei der Anfechtung wegen misrepresentation (oben 3. a) kommt die Vertragsauflösung nicht in Betracht, wenn ein Dritter bereits gutgläubig Rechte aus dem Vertrag erworben hat.1353 Bösgläubigkeit des Dritten liegt nicht nur bei tatsächlichem Wissen über undue influence vor, sondern auch dann, wenn er die Umstände kennt, aus denen der Richter die Einflussnahme abgeleitet hat.1354 Besonderes gilt bezüglich der Verhaltenspflichten der Bank, wenn ein Ehegatte (Lebensgefährte)1355 die Schulden des anderen oder dessen Unternehmens besichert; hier trifft die Bank jedenfalls die Verpflichtung sicherzustellen, dass durch unabhängige Beratung undue influence vermieden wird.1356 Unterlässt die Bank dies, so hat sie constructive notice des Sachverhalts und der verkürzte Ehegatte kann sich ihr gegenüber auf undue influence des anderen Gatten berufen1357. Das gilt nicht, wenn der besicherte Kredit an die Ehegatten gemeinsam erteilt wird,1358 weil hier die Transaktion nicht offensichtlich nur zum Vorteil eines Gatten dient, selbst wenn der Kredit später verwendet wird, um Unternehmensverbindlichkeiten zu begleichen. c) Unconscionability und undue influence Im Gegensatz zur US-amerikanischen Entwicklung gibt es keine allgemeine Regel, nach der unconscionable bargains angefochten werden können. Am weitesten in diese Richtung ging Lord Denning in Lloyds Bank Ltd v Bundy:1359 Ein Vertrag könne bei grober Äquivalenzstörung angefochten werden, wenn des Verkürzten „bargaining power is grievously impaired by reason of his own needs or desires, or by his own ignorance or infirmity, coupled with undue influences or pressures brought to bear on him by or for the benefit of the other”. Diese Doktrin wurde mit inequality of bargaining power bezeichnet und fand zum überwiegenden Teil keinen Zuspruch. Das House of Lords lehnte sie in der Folge ausdrücklich ab.1360
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Bainbridge v Browne (1881) 18 ChD 188; Coldunell Ltd v Gallon [1986] 1 AllER 1184. Bainbridge v Browne (1881) 18 ChD 188. Vgl Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021, Rn 84: “[T]he only practical way forward is to regard banks as ‘put on inquiry’ in every case where the relationship between the surety and the debtor is noncommercial.” Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021; Barclays Bank v O’Brien [1994] 1 AC 180. Vgl § 25d KSchG, der ähnlichen Zwecken dient; näher dazu und zur Rsp des OGH vgl Eigner, Interzedentenschutz 273 ff. CIBC Mortgages Ltd v Pitt [1994] 1 AC 200. [1975] QB 326, 339. Später ders in Arrale v Costain Civil Engineering Ltd [1976] 1 Lloyd’s Rep 98; Levison v Patent Steam Carpet Cleaning Co Ltd [1978] QB 69. National Westminster Bank plc v Morgan [1985] AC 686. Vgl auch Alec Lobb (Garages) Ltd v Total Oil (Great Britain) Ltd [1985] 1 WLR 173.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Freilich geht es in der Diskussion auch darum, wo die Lösung der entsprechenden Fälle zu verorten ist.1361 Die traditionelle Auffassung spricht sich dafür aus, aus der Doktrin des undue influence Lösungen abzuleiten,1362 so auch Lord Nicholls in Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2),1363 wenn er auch das Ausnützen besonders schwacher Personen dort einreiht (oben b). Lord Denning wollte aus einzelnen Fällen hingegen induktiv ein neues Prinzip herleiten.1364 Geht man mit der herrschenden Meinung von der Einbindung in undue influence aus, so stellt sich die Frage, ob bei einem festgestellten Verhandlungsungleichgewicht eine Vermutung besteht, dass eine Äquivalenzstörung durch Ausnützen dieses Ungleichgewichts herbeigeführt wurde. Autoren, die einer Fairnesskontrolle offen gegenüberstehen,1365 bejahen dies.1366 Sie sehen in der Anfechtung wegen undue influence vor allem ein Mittel, um wettbewerbsverzerrende Handelspraktiken zu unterbinden, und geben unumwunden zu, dass sie sich damit von den Grundgedanken des klassischen englischen Vertragsrechts entfernen und dieses funktional zum Schutz der Märkte einsetzen. Die herrschende Gegenansicht verneint diesen Ansatz im Ergebnis, indem sie die Anfechtung nur in engen Fallgruppen zulässt.1367 Voraussetzung ist auch in diesen Fällen, dass eine Äquivalenzstörung vorliegt.1368 Die erste, in unserem Zusammenhang nicht im Zentrum der Untersuchung stehende Fallgruppe enthält Geschäfte, die typischerweise in Vertrauen auf eine zukünftige Erbschaft geschlossen werden.1369 Solche Geschäfte können einerseits Kredite sein,1370 andererseits aber auch der Verkauf einer Anwartschaft auf die Erbschaft.1371 Die ratio der Rechtsprechung ist nicht ganz klar, es scheint aber um den Schutz des adeligen Familienvermögens zu gehen.1372 Angesichts
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Vgl deutlich Smith, Contract Theory 358. Vgl zB Treitel, Contract 382 ff, der unconscionable bargains als Unterfall des undue influence einordnet. Ebenso Collins, Contract 275. [2001] 3 WLR 1021, Rn 11. Von der Einordnung her ähnlich Beatson, Anson’s 287 ff. Für diejenigen, die generell für eine Kontrolle der objektiven Äquivalenz eintreten (zB Smith, (1996) 112 LQR 145 ff), stellt sich die Frage des Verhandlungsungleichgewichts gar nicht. Collins, Contract 144, 155 f. Vgl auch den Erklärungsansatz bei Smith, Contract Theory 348 ff. Differenzierend Worthington, Equity 201. Alec Lobb (Garages) Ltd v Total Oil (Great Britain) Ltd [1985] 1 WLR 173. Vgl Treitel, Contract 383 ff. Collins, Contract 275. Vgl auch s 174 Law of Property Act 1925. Earl of Aylesford v Morris (1873) 8 ChApp 484. Ähnlich Chesterfield v Janssen (1750) 2 VesSen 125. Fry v Lane (1888) 40 ChD 312. Vgl Lord Selborne in Earl of Alyesford v Morris (1873) 8 ChApp 484: „Great judges have said that there is a principle of public policy in restraining this; that
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der sehr spezifischen Sachverhalte und geschützten Interessen ist es daher mE nicht zulässig, aus diesen Fällen allgemeine Prinzipien abzuleiten.1373 Freilich wird auch die gegenteilige Ansicht im Schrifttum vertreten: Collins1374 geht davon aus, dass die Doktrin des undue influence auch vor der Ausnützung von Monopolsituationen schützt und beruft sich zur Stützung seiner Ansicht insbesondere auf Earl of Aylesford v Morris.
Die im gegebenen Zusammenhang wichtige Fallgruppe nimmt ihren Ausgang von der Entscheidung Fry v Lane.1375 Der Verkauf einer Anwartschaft auf eine Erbschaft unter ihrem Wert wurde vom Verkäufer erfolgreich angefochten, denn dieser war poor and ignorant. Damit ist sowohl der dringende Bedarf angesprochen als auch die Unkenntnis. Sofort stechen die Parallelen zum Wuchertatbestand ins Auge, der unter anderem auf die Zwangslage oder die Verstandesschwäche bzw Unerfahrenheit des Verkürzten abstellt; ein Unterschied zum österreichischen Recht würde vor allem dann bestehen, wenn Armut und Unkenntnis – wie es der Wortlaut nahe legt – kumulativ vorliegen müssten, um die Anfechtung wegen undue influence zu ermöglichen, weil selbst der Erfahrenste in eine Zwangslage geraten kann. Die Frage wird im Schrifttum aber zumeist dahingehend beantwortet, dass entweder eine Zwangslage oder Unkenntnis gegeben sein müsse.1376 Die Rechtsprechung ist diesbezüglich gespalten. Creswell v Potter1377 hielt an einer kumulativen Notwendigkeit fest; auch in Alec Lobb (Garages) Ltd v Total Oil (Great Britain) Ltd1378 scheint es für die eine Anfechtung des Vertrags ablehnende Entscheidung vor allem ausschlaggebend gewesen zu sein, dass neben der Zwangslage keine weiteren subjektiven Faktoren auf Seiten des Verkürzten vorlagen (freilich fehlte es auch an einer Ausbeutung durch den Vertragspartner). Andererseits bieten die Fälle der Rettung Schiffbrüchiger bzw gefährdeter Schiffe Beispiele dafür, dass auch das Vorliegen einer
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this system of undermining and blasting, as it were, in the bud the fortunes of families, is a public as well as a private mischief; that it is a sort of indirect fraud upon the heads of families from whom these transactions are concealed, and who may be thereby induced to dispose of their means for the profit and advantage of strangers and usurers, when they suppose themselves to be fulfilling the moral obligation of providing for their own descendants.” Vgl auch Dillon LJ in Alec Lobb (Garages) Ltd v Total Oil (Great Britain) Ltd [1985] 1 WLR 173: “Lord Selbourne was not there [dh in Aylesford; Anm des Verf] seeking to generalise”. Contract 148 f. Ähnlich Beatson, Anson’s 288. (1888) 40 ChD 312. Zuvor schon Evans v Llewellin (1787) CoxEq 333. Treitel, Contract 383; Beatson, Anson’s 288; Smith, Contract Theory 343 f. Offen lassend aber McKendrick, Contract 802. [1978] 1 WLR 255. Credit Lyonnais Bank Nederland NV v Burch [1997] 1 AllER 144 ist entgegen einer häufigen Einordnung unter poor and ignorant (zB McKendrick, Contract 808 ff) eher ein Fall einer Beziehung von trust and confidence; Treitel, Contract 383. [1985] 1 WLR 173.
260
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
Zwangslage allein genügen kann, um einen inäquivalenten Vertrag anzufechten;1379 freilich ist diese Rechtsprechung Teil der admiralty-Gerichtsbarkeit (oben a) und als solche nicht ohne weiteres verallgemeinerungsfähig. Aber auch die bereits angesprochene Entscheidung Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2)1380 deutet darauf hin, dass die Zwangslage allein genügen kann, ohne dass ignorance (oder ein besonderes Vertrauensverhältnis) hinzukommen muss. Die Parallele zum österreichischen Wucherrecht1381 wird im Übrigen auch dadurch verstärkt, dass die Vertragsanfechtung nicht in Betracht kommt, wenn dem Begünstigten die mangelnde Erfahrung seines Vertragspartners nicht bekannt ist; denn dann fehlt es am Vorwurf des unlauteren Handelns.1382 Leitentscheidung ist zumindest indirekt Hart v O’Connor,1383 wonach sogar der Vertragsabschluss mit einem Nicht-Geschäftsfähigen zu einem gültigen Vertrag führt, wenn die mangelnde Geschäftsfähigkeit dem Vertragspartner nicht bekannt war. Das entspricht dem Vorwurf des „Ausnützens“ der Willensschwäche gem § 879 Abs 2 Z 4 ABGB. Die Kenntnis der mangelnden Erfahrung kann nach englischem Recht wiederum aus dem Ungleichgewicht der Transaktion (widerleglich) geschlossen werden,1384 ganz so wie nach österreichischem Recht die Ausbeutung beim Wucher auch fahrlässig erfolgen kann (oben III. B. 4.).
Da diese Fälle unter undue influence eingeordnet werden, steht dem Anfechtungsgegner der Nachweis offen, dass der Einfluss tatsächlich nicht ausgenützt wurde. Das kann durch den Nachweis unabhängiger Beratung des Verkürzten erfolgen.1385 Das ist aber nicht in allen Fällen ausreichend.1386 So wird teilweise verlangt, dass dem Ratschlag auch Folge geleistet wird,1387 was zumindest für jene Fälle nahe liegend sein könnte, in denen die ignorance des schwächeren Teils schon nahe der Geschäftsunfähigkeit ist.1388 Darüber hinaus ist ganz generell fraglich, warum die unabhängige Beratung in einer Zwangslage, die in diesen Fällen der undue influence vorliegen muss (arg poor), abhelfen
1379 1380 1381
1382 1383 1384
1385 1386
1387 1388
The Medina (1876) 1 P 272; The Port Caledonia and The Anna [1903] P 184. [2001] 3 WLR 1021, Rn 11. Damit ist auch der Kontrast zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft nach § 138 Abs 1 BGB deutlich. Collins, Contract 147 f. [1985] AC 1000. Vgl auch Boustany v Piggot (1995) 69 P&CR 298. Für alle Collins, Contract 148; Capper (1998) 114 LQR 499 f. Anders vielleicht Beatson, Anson’s 288. Fry v Lane (1888) 40 ChD 312. Vgl zB Boustany v Piggott [1995] 69 P&CR 298, wo die Anfechtung trotz unabhängiger Beratung zugelassen wurde; R v Attorney-General for England and Wales [2003] UKPC 22, Rn 23. Kritisch auch Worthington, Equity 196. Vgl Treitel, Contract 382 mwN. McKendrick, Contract 808.
X. Alternative Regelungsmodelle
261
soll; diesbezügliche Zweifel wurden von Dillon LJ in Alec Lobb (Garages) Ltd v Total Oil (Great Britain) Ltd1389 als obiter dictum festgehalten.1390 Letztlich ist die Frage der Behandlung von Äquivalenzstörungen auf Basis der undue influence damit nicht geklärt und hier auch nicht zu klären. Denn im Gegensatz zum österreichischen Recht sind nicht bloß Detailfragen der Anfechtungsvoraussetzungen strittig, sondern die ganz grundlegenden Parameter für die Überprüfung eines Vertrags auf Äquivalenzstörungen. 5. Der Vergleichsmaßstab Obwohl es im englischen Recht kein Instrument gibt, das der laesio enormis oder dem Wuchertatbestand unmittelbar vergleichbar wäre, kommt es doch in vielen Fällen auf den Vergleich mit einer „fairen“ Gegenleistung an. Insbesondere kann eine Äquivalenzstörung indizieren, dass undue influence innerhalb einer besonderen Vertrauensbeziehung zwischen den Parteien ausgenützt wurde (oben 4.). Damit hat die Frage, unter welchen Bedingungen eine Äquivalenzstörung vorliegt, zwar nicht die gleiche Bedeutung wie nach österreichischem Recht, ist aber dennoch in vielen Fällen zu beantworten. Das gilt umso mehr, wenn man mit der Mindermeinung davon ausgeht, dass bei groben Äquivalenzstörungen schon eine ungleiche Verhandlungsposition zur Vertragsaufhebung führen kann. Damit stellt sich auch für das englische Recht die Frage, womit die tatsächlich gewährte Gegenleistung verglichen werden muss. Die Lehre lehnt es durchwegs ab, auf einen objektiven Wert abzustellen: „The subjective nature of values prevents the general acceptance of any objective criterion of value by which the courts may assess unfairness.”1391 Nach wohl allgemeiner Meinung ist der Marktpreis der Vergleichsmaßstab;1392 das ist natürlich insbesondere von Bedeutung, wenn bei funktionierendem Markt schon allein das Ungleichgewicht der jeweiligen Verhandlungsposition die Anfechtung rechtfertigen kann. Freilich ist den Autoren klar, dass das nur ein Ausgangspunkt, aber keine endgültige Antwort sein kann. Zunächst dürfte es unstrittig sein, dass der relevante Markt nicht zu eng gezogen werden darf;
1389 1390
1391 1392
[1985] 1 WLR 173. Ähnlich wie bei der Frage der Aufklärungspflichten ist fairness auch für die Frage wesentlich, ob ein Anspruch auf specific performance zusteht. Das Gericht kann einen Erfüllungsanspruch nämlich in allen Fällen ablehnen, wenn die fehlende Adäquanz von Leistung und Gegenleistung mit anderen Faktoren, wie Überraschung oder fehlender Aufklärung gekoppelt ist; Vgl Treitel, Contract 956 f mN aus der Rsp; Beatson, Anson’s 97. Da der Vertrag gültig ist, bleibt der Vertragsanspruch auf damages. Collins, Contract 281. Ähnlich Smith, Contract Theory 354. Smith, Contract Theory 343, 354; Smith (1996) 112 LQR 138, 145 ff; Collins, Contract 282.
262
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
sind die angebotenen Produkte im Wesentlichen substituierbar, so können auch ihre Marktpreise in Vergleich gesetzt werden.1393 Ganz offen bleibt aber, was gelten soll, wenn der Marktpreis selbst verzerrt ist, zB weil ein Monopol besteht.1394 Nach einer Ansicht ist der Ausgleich von Strukturschwächen des Marktes primär Aufgabe des Wettbewerbsrechts; im Einzelfall können Monopolsituationen allerdings zur Anfechtung wegen duress oder undue influence führen.1395 Das ist freilich in der englischen Rechtsprechung genauso wenig wie in der österreichischen gesichert. Offen bleibt jedenfalls der Vergleichsmaßstab, der dann wohl nur anhand von cost plusAnsätzen gefunden werden kann. Dasselbe wird im Übrigen auch vertreten, wenn überhaupt kein Marktpreis besteht; auch hier soll es auf Kosten und normalen Gewinn ankommen.1396 Dieser flexible Ansatz entspricht durchaus der Rechtslage beim österreichischen Wuchertatbestand. In welchem Zusammenhang zukünftige Marktpreise herangezogen werden können, bleibt offen. Unstrittig ist als Ausgangspunkt, dass eine Täuschung über zukünftige Marktentwicklungen durch aktives Handeln erfolgen kann; dann steht die Anfechtung wegen misrepresentation zu. Ebenso ist klar, dass ein Irrtum über den zukünftigen Wert nicht zur Anfechtung wegen mistake berechtigt. Rechtsdogmatisch wichtiger ist die Frage, inwieweit in Fällen von undue influence oder duress solche zukünftigen Entwicklungen heranzuziehen sind. Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass eine Äquivalenzstörung überhaupt nicht erforderlich ist, wenn undue influence tatsächlich ausgeübt wurde. Die Äquivalenzstörung hat nur insofern Bedeutung, als undue influence vermutet wird, wenn ein für den Verkürzten nachteiliges Geschäft mit einem bestimmten Verhältnis zu der begünstigten Vertragspartei zusammentrifft. Zweifelsfrei nachteilig (to the manifest disadvantage) kann das Geschäft aber auch dann sein, wenn zukünftige Marktentwicklungen zum Tragen kommen. Strittig ist dann bloß, ob der Begünstigte die Vertragsauflösung durch den Nachweis abwenden kann, dass er keine Kenntnis von den zukünftigen Marktentwicklungen und auch sonst keine Anhaltspunkte für diese hatte. Wird dies bejaht, so führt dies zum Einklang mit der Tatsache, dass grundsätzlich undue influence auch ausgenützt werden muss. 1397 6. Zusammenfassung Es ist bei einer Gesamtbetrachtung deutlich zu erkennen, dass das englische Recht Äquivalenzstörungen im Vergleich zur österreichischen und deutschen 1393 1394 1395
1396 1397
Collins, Contract 282. Smith, Contract Theory 354. Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021; Collins, Contract 155, auch 282 f. Smith, Contract Theory 343. Für alle Beatson, Anson’s 279 f.
X. Alternative Regelungsmodelle
263
Rechtslage nur unter erschwerten Voraussetzungen aufgreift. Das liegt weniger daran, dass es keinen eigenen Wuchertatbestand gibt. Denn mit der undue influence besteht ein mächtiges Instrument, um Äquivalenzstörungen aufzugreifen. Das gilt insbesondere, wenn man undue influence mit der neueren Rechtsprechung – aber freilich entgegen der traditionellen Auffassung – auf Fälle der Not- oder Zwangslage, die nicht mit kognitiven Schwächemomenten verbunden ist, ausdehnt.1398 Unterschiede bestehen dann eher im Detail. Gravierender sind die Unterschiede aber, wenn es an undue influence fehlt. Hier kommt zunächst zum Tragen, dass das englische Recht der misrepresentation im Gegensatz zum österreichischen Recht keine Aufklärungspflichten anerkennt. Das wird zwar am Rande dadurch korrigiert, dass dem Verhalten häufig in Fällen ein Erklärungsweg unterstellt wird, in denen ein österreichischer Jurist von der Verletzung einer Aufklärungspflicht ausgehen würde; letztlich bleibt hier aber eine wesentlich abweichende Rechtslage. Eine robuste Haltung nimmt die englische Rechtsprechung auch ein, soweit es um gemeinsame Fehlvorstellungen geht. Diese sind – jedenfalls soweit sie Eigenschaften der Kaufsache betreffen – im Regelfall unbeachtlich, es sei denn, die Vertragsauslegung ergibt etwas anderes. Das entspricht dem hier für das österreichische Recht vertretenen Ansatz, wonach die Frage, ob gemeinsame Fehlvorstellungen beachtlich sind, auf Basis der vertraglichen Risikoverteilung zu beantworten ist. Die Doktrin des „gemeinsamen Irrtums“ als vierte Anfechtungsvoraussetzung nach § 871 ABGB zeigt sich auch im Vergleich zum englischen Recht als Sonderweg der österreichischen Rechtsprechung und Lehre. In all diesen Fällen bleibt aber als gravierender Unterschied, dass das österreichische Zivilrecht mit der Hälfteregel der laesio enormis eine Obergrenze für die hinzunehmende Benachteiligung normiert. Diese Grenze ist zumindest in Fällen des bloß einseitigen Irrtums nicht disponibel. Wenn man den Blick auf die drei Eingangsbeispiele (oben I. C.) wendet, so bietet sich im Überblick angesichts dieser Ausgangslage folgendes Bild: Dem Getreidehändler, der rechtzeitig vor Einlangen der Versorgungsflotte seine Ware noch zum hohen Marktpreis veräußert, droht nach traditionellem Zugang keine Vertragsaufhebung. Der Irrtum ist nicht fundamental, weswegen die Anfechtung aus mistake ausscheidet; ebenso wenig wird durch den Preisverfall der gemeinsame Vertragszweck vereitelt, was die Aufhebung aus frustration rechtfertigen könnte. Aufklärungspflichten gibt es keine, ebenso wenig kann im Anbieten des Getreides – selbst bei sehr großzügigem Zugang zum Erklärungswert von Handlungen – eine Aussage über zukünftige Preisentwicklungen gesehen werden; die Anfechtung wegen misrepresentation scheidet daher aus, sofern der Getreidehändler keine weiteren Zusicherungen gegeben hat. Ob die Vertragsauflösung wegen undue influence offen steht, ist zumindest fraglich. Stellt man mit der traditionellen Position auf ein besonderes Vertrauensverhältnis ab, so scheidet die Anfechtung aus; sollten jedoch 1398
Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021, Rn 11.
264
2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
auch Monopolfälle erfasst sein, so könnte die Anfechtung in Frage kommen, wobei es keine Rolle spielt, ob diese Fälle als undue influence oder unconscionable dealings einzuordnen sind. Klarer ist der Fall der Erdölgesellschaft, die ihre eigenen Explorationsanstrengungen durch günstige Liegenschaftskäufe verwerten möchte.1399 Der diesbezügliche Irrtum des Verkäufers ist nicht beachtlich. Eine Aufklärungspflicht des Käufers besteht – wie auch sonst – nicht;1400 die Rechtsprechung hält dies für ganz vergleichbare Fälle entdeckter Bodenschätze ausdrücklich fest,1401 sofern der Käufer von den Vorkommen nicht in rechtswidriger Weise, zB durch verbotenen Abbau Kenntnis erlangt hat.1402 Der Grund wird allgemein darin gesehen, dass Anreize zur Informationsgewinnung gegeben sein müssen. Deswegen werden Aufklärungspflichten von einzelnen Stimmen im englischen Schrifttum zumindest erwogen, wenn die entsprechenden Informationen durch Zufall erlangt werden.1403 Die Ölgesellschaft setzt sich daher bei entsprechenden Explorationsanstrengungen nicht der Gefahr der Anfechtung wegen misrepresentation aus. Aber auch die Anfechtung wegen undue influence scheidet wohl aus, selbst wenn man dieses Institut auf Monopolsituationen ausdehnt; denn es spricht wenig dafür, auch (Nachfrage)Monopole in einem weiteren Sinn, die durch wirtschaftlich sinnvolle Informationsgewinnung geschaffen wurden, als rechtlich missbilligtes Ausnützen eines besonderen Verhältnisses zu qualifizieren. Das gilt jedenfalls, sofern keine besondere Zwangslage beim Verkäufer hinzutritt. Dieses Ergebnis unterscheidet sich vom österreichischen Recht, auch wenn der Ausgangspunkt, nämlich die fehlende Aufklärungspflicht, gleich ist; denn die laesio enormis schiebt für Österreich diesem Vorgehen mit der Hälftegrenze im Ergebnis einen Riegel vor. Ähnlich ist die Rechtslage wieder im Briefmarkenfall mit der fehlerhaften Stichprobe und dem gemeinsamen Irrtum beider Vertragsparteien. Die gemeinsame Fehlvorstellung ist nicht fundamental; die Anfechtung wegen mistake scheidet daher aus. Es bleibt zu untersuchen, ob der Vertrag eine von dieser „normalen“ Risikoverteilung abweichende Regelung enthält, wobei diese auch ein implied term sein kann. Damit tritt die vertragliche Risikoverteilung in den Vordergrund, ganz so wie das oben (VI.) für das österreichische 1399
1400 1401
1402 1403
Vgl aus dem deutschsprachigen Schrifttum Fleischer, Informationsasymmetrie 824 f. Treitel, Contract 363; Beatson, Anson’s 257. Leitentscheidung ist heute Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 587; zuvor zB Fox v Mackreth (1788) 2 CoxEqCas 320. Phillips v Homfray (1871) 6 ChApp 770. Beatson, Anson’s 257. Dass auch in diesen Fällen eine Rechtfertigung für die Verwertung des Informationsvorsprungs darin liegen kann, dass die Ressource (nur) durch die Transaktion einer besseren Verwendung zugeführt wird, mit anderen Worten dass nur dann die Bodenschätze zum Besten der Gesellschaft auch tatsächlich gewonnen werden, wird in der Standardliteratur nicht als Rechtfertigung gesehen.
XI. Zusammenfassung und Überlegungen de lege ferenda
265
Recht vertreten wurde, dem sich dieses Ergebnis freilich nur mit einiger interpretatorischer Mühe abringen lässt. Der Unterschied liegt daher nicht im konkreten Ergebnis, sondern im unterschiedlichen Ausgangspunkt: Lässt sich dem Vertrag nichts entnehmen, trägt nach englischem Recht das Risiko eines Irrtums der Verkürzte. Das gilt zwar nach österreichischem Recht mangels vertraglichen Anhaltspunkts grundsätzlich auch; soweit freilich der Irrtum so gravierend ist, dass Kaufpreis und Marktpreis der Sache um mehr als die Hälfte voneinander abweichen, kann der Vertrag nach § 934 ABGB aufgelöst werden.
XI. Zusammenfassung und Überlegungen de lege ferenda F Bydlinski hat festgehalten, dass die Gewährung gleicher positiver Freiheit, also eines überprüfbaren Gleichmaßes an realisierbaren Handlungsalternativen nicht möglich ist. Nur wenn ein Ungleichgewicht der Wahlmöglichkeiten (auch wegen fehlender Information) im Einzelfall festgestellt werden kann, sollte die Rechtsordnung einem Rechtsgeschäft die Anerkennung versagen; das gilt insbesondere, wenn das Äquivalenzprinzip verletzt ist.1404
A. Laesio enormis und Informationsasymmetrie In dieses Konzept fügt sich die laesio enormis dem Grundsatz nach ein. Denn die Anfechtung wegen der Äquivalenzstörung ist jedenfalls dann möglich, wenn der Verkürzte den üblichen Marktpreis nicht gekannt hat. Aus rechtsethischer Sicht kann die Anfechtung gerechtfertigt werden, wenn eine Informationsasymmetrie vorliegt; rechtsökonomisch werden dadurch jedoch einige wohlfahrtssteigernde Transaktionen unterbunden (oben VI.). De lege ferenda wäre eine abweichende Regelung möglich, durch die zwar ein teilweiser Ausgleich der Nachteile erfolgt, die Anreizsteuerung zur Auffindung neuer Nutzungen jedoch nicht völlig außer Kraft gesetzt wird. Da der Verkürzte den Nachteil bis zur Hälfte des Werts trägt, weil und sofern keine Aufklärungspflicht besteht, wäre es vertretbar, dem Verkürzenden die Abwendung der Anfechtung durch Aufzahlung bis zur Hälfte des Werts zu ermöglichen. Durch eine solche Ausgleichspflicht können Transaktionsgewinne trotz des Informationsparadoxons geteilt werden; damit bestünde ein Anreiz für Käufer, in die Auffindung wertvoller Information zu investieren. Auch die für den Käufer gefährliche Signalwirkung eines freiwilligen höheren Angebots würde durch den Ausgleich erst nach Vertragsschluss wegfallen. Das kann aber nur gelten, soweit „sozial nützliche“ Informationen gehoben werden, also insbesondere nicht beim Ausnützen bloß kurzfristiger Informationsvorsprünge; die genaue Abgrenzung wäre freilich noch zu leisten.
1404
F Bydlinski; System 158 f.
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2. Teil: Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
B. Laesio enormis und gemeinsame Fehlvorstellungen Etwas anderes gilt aber, wenn beide Parteien über den wahren Wert der Kaufsache geirrt haben. Denn hier liegt keine Ungleichheit der Wahlmöglichkeiten im Bydlinski’schen Sinn vor. Die richtige Frage in diesem Fall lautet daher: Welcher der Parteien ist nach dem Vertrag das Risiko eines abweichenden Werts der Sache zuzuordnen? Deswegen ist mE die noch herrschende Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit wegen gemeinsamen Irrtums im Ansatz unrichtig. Folgt man diesem Gedanken, so kann man im Übrigen alle Fälle des Irrtums1405 und auch der Geschäftsgrundlage als Problem der vertraglichen Risikoverteilung verstehen.1406 Vielleicht verstellt die gesetzliche Regelung des Irrtumsrechts bei manchen Fallkonstellationen den Blick auf die zu beachtenden Zusammenhänge eher, als dass sie weiterhilft. Daher ist auch die Rechtfertigung dafür dünn, dass bei krassen gemeinsamen Irrtümern über den Wert der Verkürzte den Vertrag gem § 934 ABGB jedenfalls anfechten kann; auch dies sollte eine Frage der Vertragsauslegung sein. Dies lässt sich ansatzweise schon im Rahmen der geltenden Rechtslage („besondere Vorliebe“) erreichen. Besser wäre es jedoch, de lege ferenda die Anfechtung nach § 934 ABGB generell auszuschließen, wenn auch der Begünstigte die Äquivalenzstörung nicht gekannt hat. Damit wird die Anfechtung wegen laesio enormis weiter dem Wuchertatbestand angenähert, wobei die Sittenwidrigkeit aber im Gegensatz zu jener Norm bereits darin liegt, dass der Begünstigte in Kenntnis einer groben Äquivalenzstörung den Vertrag abgeschlossen hat.
C. Laesio enormis und Ausnutzungsvermutung Das ändert aber nichts daran, dass die Vermutung sachgerecht ist, dass bei einem besonders krassen Missverhältnis dem Begünstigten die Verkürzung bewusst ist; das entspricht in der Sache der Lösung, die der BGH für Deutschland entwickelt hat. Dies wäre rechtstechnisch einfach zu erreichen, indem § 934 Satz 1 ABGB um einen Nebensatz ergänzt wird: „es sei denn, dem anderen Teil war die Verkürzung nicht bekannt.“ Der Erwerb um einen außerordentlichen Wert aus besonderer Vorliebe sollte in § 935 ABGB dann aber gestrichen werden. Damit könnte den Bedenken Rechnung getragen werden, die bei Erlass des KSchG gegen die Verkürzung über die Hälfte als zwingendes Recht geäußert wurden.1407 Denn der Norm geht es bei dieser Interpretation nicht um die Fürsorge des Staates für den Bürger, um die Eindämmung der Spekulation und des Glücksgeschäfts; vielmehr soll der Teilnehmer am Geschäftsverkehr 1405 1406
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Nicht aber der Arglist! So aus dem englischen Schrifttum Smith, Contract Theory 306. Für den deutschen Rechtskreis vgl vor allem Kramer (zB in MünchKomm BGB § 119 Rn 113 ff). Vgl Doralt/Koziol, Stellungnahme 122 ff.
XI. Zusammenfassung und Überlegungen de lege ferenda
267
davor geschützt werden, dass sein Vertragspartner wissentlich unter dem Wert kauft bzw über dem Wert verkauft. Berücksichtigt man zusätzlich, dass es im Regelfall um eine Abweichung vom Marktpreis der Sache geht, so wird der Verkürzte im Ergebnis vor einem wissentlich veranlassten Irrtum über alternative Vertragsabschlussmöglichkeiten geschützt, wenn der Irrtum besonders gravierend ist. Das so verstandene Äquivalenzprinzip hat mit einer Überprüfung der objektiven Austauschgerechtigkeit zwar noch viel zu tun, geht aber darüber hinaus:1408 Denn die individuellen Umstände von Verkürztem und Verkürzenden werden gleichermaßen berücksichtigt.
D. Selbstinformationspflicht Fraglich ist die Behandlung der Kaufleute bzw sonstiger Unternehmer. Einerseits erscheint die Logik des alten § 351a HGB, wonach Kaufleute über den Wert der Kaufsache besser informiert sind, nicht völlig sachgerecht; andererseits kann auch die grundsätzliche Geltung für Unternehmer nicht gänzlich überzeugen. Das Problem würde durch den soeben vorgeschlagenen Ausschluss des gemeinsamen Irrtums teilweise entschärft. Daneben wäre es aber auch für Fälle des Informationsgefälles zwischen den Vertragsparteien denkbar, die Anfechtung auszuschließen, wenn der Verkürzte den wahren Wert der Kaufsache zwar nicht gekannt hat, wenn er ihn aber hätte kennen müssen; das wäre durch eine Änderung in § 935 ABGB zu erreichen. Dadurch wäre ein einzelfallgerechter Ausschluss der Anfechtung nicht nur für Kaufleute und Unternehmer, sondern auch in vergleichbaren Fällen möglich, in denen die grundsätzlich mögliche Selbstinformation nicht vorgenommen wurde. Dem Verkäufer in Beispiel 2 (Erdölvorkommen unter dem Grundstück) würde die Anfechtung bei dieser Auslegung nicht genommen. Etwas anderes könnte aber für den Verkäufer am Flohmarkt gelten, unter dessen Angebot der Musikkenner das Notenblatt von der Hand Mozarts entdeckt; denn hier hat der Anbieter die ihm mögliche Selbstinformation unterlassen und sich dem Risiko bewusst ausgesetzt, weswegen ihm der Wertirrtum normativ zuzurechnen ist.
1408
Darauf stellt in der Sache auch Harke (Vorenthaltung 104) ab.
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung I. Enteignung und Vertragsrecht A. Der Eingriff in die Abschlussfreiheit im Allgemeinen Nicht jeder Vertrag wird freiwillig abgeschlossen. Die Rechtsordnung erlegt einem Rechtssubjekt in zahlreichen Fällen die Pflicht auf, einen Vertrag abzuschließen; daraus folgt auch, dass ein Rechtsgut aufgegeben werden muss. Die Privatautonomie ist in diesen Fällen nicht bloß hinsichtlich der Inhaltsfreiheit, sondern auch hinsichtlich der Abschlussfreiheit eingeschränkt. Dieser Eingriff in die Abschlussfreiheit erfolgt im Interesse der anderen Vertragspartei. Letztlich muss jedoch schon aus verfassungsrechtlichen Gründen immer auch ein öffentliches Interesse an der Maßnahme bestehen, selbst wenn der unmittelbare Vertragspartner nicht die öffentliche Hand oder ein von ihr beherrschter Rechtsträger ist. Denn wegen des Rechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art 5 StGG; Art 1 des 1. ZPEMRK) bedarf jeder Eingriff in die Privatautonomie1 einer sachlichen Rechtfertigung; er muss deswegen im öffentlichen Interesse liegen sowie verhältnismäßig sein. Das gilt ganz unabhängig davon, wer dadurch begünstigt sein soll. Jeder Abschlusszwang bringt es mit sich, dass auch der Vertragsinhalt näher determiniert werden muss;2 ein Eingriff in die Abschlussfreiheit negiert gleichzeitig auch die Inhaltsfreiheit. Die Rechtsordnung kann sich nicht – wie beim freien Abschluss eines Austauschvertrags – mit einer Exzesskontrolle begnügen, sondern muss das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung – und nur dieses interessiert im Folgenden – zumindest grundsätzlich festlegen. Ein solcher Kontrahierungszwang kann auf ganz unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen beruhen. Einige Beispiele mögen genügen:3 § 3 Eisenbahnbeförderungsgesetz4 erlegt den Eisenbahnunternehmen eine Beförderungspflicht auf; § 63 LuftfahrtG5 sieht einen Kontrahierungszwang für die Betreiber von Zivilflugplätzen vor. Gem § 4 NahVG6 können Unternehmer, die
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Die vom Schutzbereich des Grundrechts umfasst ist; vgl VfGH 12.227; Berka, Grundrechte Rn 712. Vgl aus der Rsp SZ 68/154; aus dem Schrifttum F Bydlinski, AcP 1980, 5; Rummel in Rummel I § 861 Rn 11 auf Seite 1255. Das kann freilich auch dadurch erfolgen, dass der Abschluss zum Marktpreis vorgenommen werden muss. Vgl auch Rummel in Rummel I § 861 Rn 10 auf Seite 1255; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 861 Rn 15. BGBl 1988/180. BGBl 1957/253. BGBl 1977/392.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
üblicherweise an Letztverkäufer liefern, zum Vertragsabschluß verpflichtet sein, wenn durch die Nichtbelieferung eines Letztverkäufers die Nahversorgung gefährdet oder die Wettbewerbsfähigkeit des Letztverkäufers wesentlich beeinträchtigt wird; § 5 NahVG enthält eine Abschlusspflicht des Letztverkäufers gegenüber dem Verbraucher für übliche Mengen lebensnotwendiger Waren. Auch im Bereich der Energieversorgung soll ein Kontrahierungszwang zumindest indirekt die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen.7 Letztlich gehört auch das Pflichtangebot nach § 22 ÜbG in diese Fallgruppe. Wer eine kontrollierende Beteiligung erlangt, der muss auch den anderen Aktionären und sonstigen Beteiligungspapierinhabern ein Anbot auf Kauf ihrer Wertpapiere unterbreiten.8 Zweck des Pflichtangebots ist es, den Angebotsadressaten eine Austrittsmöglichkeit zu gewähren, wenn ein neuer Kontrollaktionär vorliegt und ihre Vermögensposition gefährdet ist (Konzerneingangsschutz). Dazu näher unten 4. Teil V. A. Von gleicher Bedeutung wie die gesetzlichen Detailregelungen ist der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang.9 Heute ist in Lehre10 und Rechtsprechung11 unbestritten, dass ein Monopolist oder ein vergleichbares Unternehmen, das für einen Durchschnittsmenschen notwendige bzw übliche Güter anbietet („Normalbedarf“)12, zum Vertragsabschluss mit einzelnen Abnehmern verpflichtet ist. Die jüngere Rechtsprechung gibt die Einschränkung auf Arten von Gütern im Ergebnis auf:13 Auch Monopolanbieter von Glücksspielen14 oder der einzige Gasthausbetrieb eines Dorfs15 dürfen aus unsachlichen Gründen den Vertragsabschluss nicht verweigern; damit unterliegen wohl auch über den normalen und bescheidenen Verbrauch hinausgehende Verträge bei Monopolstellung des Anbieters dem Kontrahierungszwang.16 Die dogmatische Grundlage ist nicht restlich geklärt.17 In Frage
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Vgl zB §§ 4, 15 ElWOG; Potacs in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht 771. Dazu zB Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht Rn 123 ff; Gall, Angebotspflicht passim; Zollner, Kontrollwechsel passim. Für Österreich grundlegend F Bydlinski, AcP 1980, 1. Für alle Kleteþka in Koziol/Welser I 141 f; Bollenberger in KBB § 861 Rn 11. Grundlegend für die jüngere Rsp SZ 44/138 (freilich zur öffentlichen Hand; zur Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Vertragsabschluss durch die öffentliche Hand vgl SZ 44/138; SZ 65/166; F Bydlinski in FS Klecatsky 129); SZ 59/130. Vgl F Bydlinski, AcP 1980, 41; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 861 Rn 16. Bollenberger in KBB § 861 Rn 11. SZ 2002/15 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rsp. SZ 59/130, wobei sich der OGH allerdings argumentativ auf den Normalbedarf stützt. Ablehnend noch F Bydlinski, AcP 1980, 42; für Deutschland auch heute zB Heinrichs in Palandt, BGB Einf v § 145 Rn 10. Wie die Rsp aber schon Hackl, Vertragsfreiheit 105 f.
I. Enteignung und Vertragsrecht
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kommt ein Rückgriff auf die Naturalrestitution aus Schadenersatz wegen sittenwidriger Schädigung (§ 1295 Abs 2 ABGB; § 826 BGB).18 F Bydlinski hat die Grenzen dieses haftungsrechtlichen Ansatzes aufgezeigt;19 die Rechtsprechung erkennt den Anspruch auch ganz unabhängig von einer verschuldeten Schädigung an. Deswegen soll – ausnahmsweise – eine „vorbeugende Handlungsklage“ zulässig sein.20 Jedenfalls zwischen Unternehmern kommt als Anspruchsgrundlage für einen Kontrahierungszwang auch § 35 KartG in Betracht, weil die Abschlussverweigerung durch einen Monopolisten diesen Tatbestand erfüllen kann.21
Im gegebenen Zusammenhang interessiert vor allem die dogmatische Deutung des Kontrahierungszwangs. Er wird heute im Regelfall als Anspruch auf Vertragsabschluss aufgefasst;22 es wäre auch denkbar, einen direkten Leistungsanspruch des Begünstigten vorzusehen.23 Keineswegs muss selbst bei vertragsrechtlicher Interpretation zwingend mit Klage auf Zustimmungserklärung vorgegangen werden; nach allgemeiner Meinung ist die Klage auf unmittelbare Leistung zulässig.24 Im Ergebnis ist die vertragsrechtliche Auslegung zutreffend. Denn nur der Vertrag kann den gesamten Inhalt des Leistungsaustausches zureichend regeln.25
B. Abschlusszwang und Enteignung § 365 ABGB hält fest: „Wenn es das allgemeine Beste erheischt, muss ein Mitglied des Staates gegen eine angemessene Schadloshaltung selbst das vollständige Eigentum einer Sache abtreten.“26 Verfassungsrechtliche Schranken für Enteignungen enthalten Art 5 StGG und Art 1 des 1. ZPEMRK. Diese Ent17
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Die Analogie aus den heterogenen gesetzlichen Vorschriften wird von der hL abgelehnt; vgl näher Rummel in Rummel I § 861 Rn 11 auf Seite 1256. In diese Richtung aber Apathy/Riedler in Schwimann IV § 861 Rn 15. Nipperdey, Kontrahierungszwang 53 ff. F Bydlinski, AcP 180, 10 ff. So auch Rummel in Rummel I § 861 Rn 10 auf Seite 1256; Kramer in MünchKomm BGB5 Vor § 145 Rn 13. Hingegen stellt Hackl (Vertragsfreiheit 105) auf einen Unterlassungsanspruch ab. Vgl Koppensteiner, Wettbewerbsrecht § 12 Rn 37, 40. Für Deutschland im Überblick Kramer in MünchKomm BGB5 Vor § 145 Rn 15. So die einflussreiche Schrift Nipperdeys, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag (1920); F Bydlinski, AcP 1980, 15 ff; Rummel in Rummel I § 861 Rn 10 auf Seite 1256; für Deutschland Kramer in MünchKomm BGB5 Vor § 145 Rn 12; M Wolf in Soergel, BGB Vor § 145 Rn 51. So Oberndorfer in FS Eichler 443. SZ 64/116; F Bydlinski, AcP 1980, 23 f; Rummel in Rummel I § 861 Rn 10 auf Seite 1256; Apathy/Riedler in Schwimann IV § 861 Rn 18. Wie hier F Bydlinski, AcP 1980, 18; ders, JZ 1980, 384. Zur historischen Entwicklung vgl insbesondere Meissel/Oberhammer, ÖJZ 1996, 921.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
eignung wird in der Folge im Zentrum der Betrachtung stehen. In der Sache ist auch dies nichts anderes als ein Kontrahierungszwang. Ein Rechtsträger hat die Möglichkeit, ein Gut eines anderen Rechtsträgers zu erwerben, ohne dass es des Einverständnisses dieses anderen Rechtsträgers bedarf. Die dogmatische Konstruktion der Enteignung weicht freilich vom Kontrahierungszwang ab. Denn die Enteignung erfolgt nicht auf vertragsrechtlicher Basis durch Anspruch auf Vertragsabschluss,27 sondern im Regelfall durch Bescheid einer Behörde. Dem entspricht, dass auch der Eigentumserwerb nicht derivativ, sondern originär und damit im Regelfall lastenfrei erfolgt.28 Rechtsgrund für den Eigentumserwerb ist der Enteignungsbescheid, Modus nach heute29 herrschender Lehre die Besitzerlangung;30 die zwangsweise Besitzerlangung ist im Regelfall31 an den Nachweis der Erlegung der Entschädigungssumme gebunden. Auch bei Liegenschaften ist die später nachfolgende Grundbuchseintragung nur deklarativ.32 Die früher herrschende Übertragungstheorie ist damit zivilrechtlich überholt.33 Dem entspricht, dass die zu leistende Entschädigung nach heute herrschender Lehre kein vertragsrechtliches Entgelt ist.34 Auch ein Schadenersatzanspruch liegt nach dem OGH nicht vor.35 Dazu noch unten III. A. 2.
C. Abgrenzung des weiteren Untersuchungsgegenstandes Ich möchte mich im Weiteren – dem Thema der Arbeit entsprechend – auf Fragen der Entschädigung bei im Übrigen rechtmäßiger Enteignung beschränken. Zunächst werde ich kurz die verfassungs- und einfachgesetzlichen
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So die frühere Lehre; zu dieser Holzner, „Enteignung“ 20 ff mwN; anders aber schon Ehrenzweig, Sachenrecht 229. SZ 40/110; SZ 53/51; SZ 57/23; Eccher in KBB § 365 Rn 5; Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 6; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 7 mwN auch zur Gegenansicht; aM zB Kühne, ÖJZ 1983, 535. Zum gutgläubigen Erwerb vgl Holzner, „Enteignung“ insbesondere 91 ff. Früher wurde die Leistung bzw der Erlag der Entschädigungssumme als Modus verstanden; SZ 57/23 mwN; Ehrenzweig, Sachenrecht 228 f. So ausdrücklich § 35 Abs 1 EisbEG; dazu SZ 47/152. Nach hL gilt das aber auch außerhalb des Anwendungsbereichs jenes Gesetzes; vgl Eccher in KBB § 365 Rn 5; Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 5; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 7; Pauger in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 86 ff; Holzner, „Enteignung“ 45 ff. § 35 Abs 2 EisbEG. Näher Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 5; Eccher in KBB § 365 Rn 5. Vgl Koziol, JBl 1966, 333 f. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 195 ff; Ehrenzweig, Privatecht I/2 229. Anders aber Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 10: Enteignungspreis, nicht Schadenersatzanspruch; Feil, Enteignungsgesetze 14; Hellbling JBl 1960, 356; anders auch noch SZ 5/68. SZ 53/51. Klang in Klang II 194; Eccher in KBB § 365 Rn 8; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 19; Jesch, ÖJZ 1962, 535.
I. Enteignung und Vertragsrecht
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Grundlagen der Enteignungsentschädigung vorstellen. Der theoretischen Fundierung dient dann ein ökonomischer Überblick, der für die folgenden Detailuntersuchungen grundlegend sein wird. Die weitere Untersuchung werde ich auf die Enteignung von Liegenschaften einschränken. Das sind praktisch die bedeutendsten Fälle.36 Denn erstens ist Land ein knappes, nicht produzierbares Gut, weswegen der Erwerb bestehender Stücke nicht durch Produktion substituierbar ist. Für vertretbare Güter liegt der Kauf nahe, ist wegen der verfassungsrechtlich angeordneten Subsidiarität der Enteignung dann aber auch rechtlich zwingend vorzunehmen. Der zweite Grund für die besondere Bedeutung ist, dass man trotz Enteignungsgefahr Liegenschaften dem staatlichen Zugriff nicht entziehen kann, während Kapital oder bewegliche Sachen bei drohendem Staatszugriff ins Ausland verschafft werden können;37 deswegen ist die Enteignung von Liegenschaften mit weniger negativen Anreizen verbunden als bei anderen Gütern. Mir geht es im Folgenden auch nur um die Enteignung ieS, das ist die Übertragung der Befugnis, „mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkür zu schalten, und jeden anderen davon auszuschließen“ (§ 354 ABGB).38 Ausgeklammert bleibt damit zumindest grundsätzlich die Einschränkung der Befugnis, mit der Sache nach Willkür zu schalten; das sind die so genannten Eigentumsbeschränkungen. Ob und inwieweit eine Entschädigungspflicht für solche Beschränkungen besteht bzw bestehen soll, ist sowohl rechtsökonomisch 39 als auch rechtsdogmatisch40 höchst umstritten. Rechtsdogmatisch werde ich Eigentumsbeschränkungen zumindest am Rande im Zusammenhang mit dem squeeze-out behandeln, dessen Einordnung als Enteignung von der herrschenden Meinung (im Gegensatz zum intuitiven Sprachgebrauch und zum Zugang in der Rechtsökonomik) abgelehnt wird; vgl unten 4. Teil II. A. 1.
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Für alle Hüffer/Schmidt-Assmann/Weber, Anteilseigentum 43 f. Vgl Fischel in Palgrave II 35. Ähnlich die Rsp des VfGH; vgl VfSlg 1.123; Berka, Grundrechte Rn 723; Korinek in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 11 f. Epstein in Palgrave III 566 ff; Fischel in Palgrave II 37 f; Schäfer/Ott, Lehrbuch 581 ff, Posner, Economic Analysis 58 f; Shavell, Foundations 130, 134 ff jeweils mwN. Dabei geht es auch um den Anreiz, Enteignungen weit gehend durch Eigentumsbeschränkungen zu substituieren, wenn letztere entschädigungslos möglich sind; dazu Fischel, Dartmouth Economics Working Paper No. 02–06. Korinek in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 37 ff; Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 9; Aicher, Bestimmungen 14 ff; Berka, Grundrechte Rn 724 ff.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
II. Rechtsgrundlagen im Überblick A. Die bundesverfassungsrechtliche Regelung des Entschädigungsanspruchs Das Eigentum ist in Österreich41 durch Art 5 StGG und Art 1 des 1. ZPEMRK geschützt. Nach der Rechtsprechung42 sind nur vermögenswerte Privatrechte erfasst, während die Lehre großteils auch vermögenswerte Ansprüche des öffentlichen Rechts einbezieht.43 Dem Eigentumsschutz kommt nach allgemeiner Meinung eine Doppelfunktion zu: Einerseits geht es um die Sicherung der Freiheit des Einzelnen, andererseits wird durch das Eigentum (vor allem an Produktionsmitteln) auch die Grundlage für die marktwirtschaftliche Ordnung garantiert.44 Der Entzug des Eigentums kann daher nur eine Ausnahme sein und bedarf auch einer besonderen Rechtfertigung. Eine Enteignung liegt nach der ständigen Spruchformel des VfGH vor, „wenn eine Sache durch Verwaltungsakt oder unmittelbar kraft Gesetzes dem Eigentümer zwangsweise entzogen wird und auf den Staat, eine andere Körperschaft oder gemeinnützige Unternehmung übertragen wird […].“45 Daran wird kritisiert, dass mit dieser Übertragungstheorie zwar der Regelfall erfasst ist, dass es aber primär auf den Entzug des Eigentums ankommt;46 darauf stellt auch Art 1 des 1. ZPEMRK ab. Nach richtiger Ansicht ist die Übertragung nicht Voraussetzung. Art 5 StGG bindet die Enteignung an eine gesetzliche Ermächtigung; § 365 ABGB allein genügt nicht. Diese Ermächtigung für den Eigentumsentzug muss nach der ständigen Grundrechtsformel des VfGH dem öffentlichen Interesse dienen und verhältnismäßig sein; die Verhältnismäßigkeit eines konkreten Enteignungsbescheids ist darüber hinaus nur gegeben, wenn ein konkreter Bedarf vorliegt, das Objekt zur Bedarfsdeckung geeignet ist und es unmöglich ist, den Bedarf anders als durch die Enteignung zu decken.47 Im gegebenen Zusammenhang ist dabei besonders wichtig, dass dem Enteignungsverfahren der Versuch vorangehen muss, einen privatrechtlichen Vertrag über den Erwerb der Liegenschaft abzuschließen.48 Wird der verfolgte Enteignungszweck verfehlt, so besteht ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf 41
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Die europäische Dimension der Frage werde ich unbehandelt lassen; vgl Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 11 ff. Vgl zB VfSlg 7.160. Vgl Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Rn 1371 mwN; Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 17 ff; Berka, Grundrechte Rn 712 ff; Korinek in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 6 ff; Aicher, Bestimmungen 30 ff. Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 2 f. ZB VfSlg 2.934; VfSlg 11.209. Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 29; Rill, VVDStRL 51 (1992) 191. VfSlg 3.666; VfSlg 8.981. VfSlg 13.579. Näher Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 317 f.
II. Rechtsgrundlagen im Überblick
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Rückübereignung.49 Diese Maßstäbe eröffnen die verfassungsrechtliche Nachprüfung des Enteignungsbescheids.50 Damit besteht grundsätzlich eine Bestandsgarantie des Eigentums, die nur in bestimmten Fällen durchbrochen wird. Strittig ist die Frage, ob eine verfassungsrechtliche Wertgarantie besteht, wenn im Einzelfall enteignet wird. Der VfGH verneint diese verfassungsrechtliche Entschädigungspflicht bei Enteignungen grundsätzlich.51 Er bejaht eine solche Pflicht seit den 70er-Jahren aber, wenn die Enteignung ein Sonderopfer herbeiführt; im Anlassfall ging es darum, dass einzelne Grundeigentümer Liegenschaftsteile für den Straßenbau ohne Entschädigung abtreten mussten, andere hingegen ohne Eigentumseingriff von den Vorteilen der Aufschließung profitierten.52 Das Verfassungsgericht greift damit vor allem die Ungleichbehandlung auf.53 Auch die ständige Rechtsprechung des OGH verneint im Ergebnis eine verfassungsrechtliche Entschädigungspflicht.54 Die Lehre stellt demgegenüber auf den historischen Enteignungsbegriff in § 365 ABGB ab, der eine Pflicht zur Entschädigung vorsieht; dieser Begriff sei durch Art 5 StGG rezipiert worden.55 Nach einem anderen Ansatzpunkt ergibt sich die Entschädigungspflicht aus Art 1 des 1. ZPEMRK.56 Diese Norm verweist für die Entschädigungspflicht auf die Regeln des Völkerrechts; nach 49
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VfSlg 8.981; Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 35. Ausführlich ist dieser Anspruch zB in § 20a BundesStrG geregelt. Anders noch Zeiller, Commentar II 128, der den Rechtsweg nur für die Angemessenheit der Entschädigung eröffnen will, dagegen festhält: „Ob die Umstände so beschaffen seyn, daß die Aufopferung gefordert werden könne, ist eine Frage, worüber der Unterthan mit der öffentlichen Verwaltung nicht rechten darf […].“ VfSlg 2.572; VfSlg 7.234. Vorsichtig den Akzent verschiebend aber schon VfSlg 8.981: „Denn das öffentliche Interesse erfordert nur die Sache, nicht aber den Wert.“ VfSlg 6.884; VfSlg 7234. Aus jüngerer Zeit ähnlich VfSlg 13.006. Zustimmend Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 9; kritisch Aicher, Bestimmungen 14 ff. Vgl zB OGH EvBl 1962/55; OGH JBl 1977, 37. Vgl zB Korinek in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 28 ff; ders in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 45 ff (jeweils für Enteignungen, für Eigentumsbeschränkungen aber der Rsp des VfGH folgend); Aicher, Grundfragen 32 ff; ders, Bestimmungen 14 ff, 65 ff; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Rn 1375; Ermacora, Handbuch 155; Kleteþka in Koziol/Welser I 342; Koziol, JBl 1966, 334; Rummel in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 27 ff; Berka, Grundrechte Rn 734; Bachmann, AnwBl 1991, 615 f; früher schon Gschnitzer, Sachenrecht 114; vgl auch die Zusammenstellung von Meinungen bei Kühne, Eigentumsgarantie 121 ff. Ablehnend Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 9; wohl auch Postl, Eigentum 155 ff. Für die hL spricht das Verständnis im 19. Jahrhundert; vgl Meissel/Oberhammer, ÖJZ 1996, 930 f. Vgl zB Hellbling, JBl 1960, 355 f. Ablehnend Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 9. Zur Rsp des EuGH vgl Postl, Eigentum 148 mwN; Kühne, Eigentumsgarantie 154 ff.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
diesen ist eine entschädigungslose Enteignung von Ausländern unzulässig.57 Schon nach genuin österreichischem Verfassungsrecht ist eine Enteignung darüber hinaus nur bei Verhältnismäßigkeit zulässig, die im Regelfall nur bei Entschädigung gegeben ist.58 Nach dieser herrschenden Ansicht ergibt sich die Entschädigungspflicht – ganz unabhängig von der konkreten dogmatischen Begründung – unmittelbar aus Art 5 StGG, ohne dass es einer Umsetzung durch Gesetz bedarf.59 Dieser Ansatz überzeugt im Ergebnis; insbesondere Rill hat geltend gemacht, es nicht Intention des liberalen Gesetzgebers 1867 war, hinter den Standard des Polizeistaats des ABGB zurückzugehen.60 Im Ergebnis ist die Kontroverse zumindest für die Enteignung nicht allzu bedeutend. Erstens werden nahezu alle Enteignungen zu einem Sonderopfer führen, das nach der Rechtsprechung des VfGH die Entschädigungspflicht nach sich zieht; nur eine gleichmäßige Enteignung aller Betroffenen kann ohne Entschädigung erfolgen.61 Zweitens bestehen für nahezu alle Bereiche Sondergesetze (gleich unten B. 1.), die eine Entschädigung zumindest dem Grunde nach vorsehen. Ungleich komplexer ist die verfassungsrechtliche Rechtslage, wenn es um bloße Eigentumsbeschränkungen geht;62 dazu noch im 4. Teil II. A. 1. Nimmt man an, dass der Enteignete verfassungsrechtlich grundsätzlich zu entschädigen ist, so stellt sich – ganz unabhängig von der gewählten Begründung – die Frage, ob Art 5 StGG auch eine Aussage über das Ausmaß der Entschädigung zu entnehmen ist. Die wohl herrschende Lehre lehnt dies im Ergebnis ab; vielmehr habe der Gesetzgeber das Ausmaß der Entschädigung unter Abwägung der berührten Interessen festzulegen, wobei er sich nur grundsätzlich am Wert der enteigneten Sache zu orientieren habe.63 Fehlt es an einer gesetzlichen Regelung, so ist die Regelungslücke durch analoge Anwendung des EisbEG zu schließen.64 Die Gegenansicht geht davon aus, dass der historische Gesetzgeber in Art 5 StGG auch hinsichtlich des Ausmaßes der Entschädigung die zivilrechtlichen Wertvorstellungen rezipiert hat; aus dem 57 58 59
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Berka, Grundrechte Rn 737 mN zur Judikatur des EGMR. Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Rn 1375; Berka, Grundrechte Rn 737. Korinek in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 32 ff; ders in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 47; Aicher, Grundfragen 54 ff; ders, Bestimmungen 66 jeweils unter Berufung auf die Judikatur des VfGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit des verfassungsrechtlichen Rückübereignungsanspruchs bei Zweckverfehlung. AM (nur Regelungsauftrag an den Gesetzgeber) Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 9. Rill, VVDStRL 51 (1991) 192. Früher schon Hellbling, JBl 1960, 354 f. Vgl Berka, Grundrechte Rn 735. Dazu zB Korinek in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 37 ff; ders in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 49 ff. Korinek in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 34 ff; ders in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 48; ähnlich Berka, Grundrechte Rn 738. Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 48.
II. Rechtsgrundlagen im Überblick
277
ungefähr zeitgleichen EisbEG gehe hervor, dass der Entschädigungsbegriff nicht nur den Marktpreis erfasst, sondern volle Schadloshaltung und damit den Ersatz des konkreten Vermögensnachteils erfordere.65 Sieht ein Gesetz nicht volle Schadloshaltung vor, so ist es nach dieser Ansicht verfassungswidrig. Sollte der Vertrag über eine Verfassung für Europa66 in Kraft treten, so besteht auch eine europarechtliche Eigentumsgarantie. Art II-77 leg cit sieht unter anderem vor, dass die Enteignung nur gegen eine rechtzeitige und angemessene Entschädigung zulässig ist.
Aussagen über das Ausmaß der Entschädigung sind dem österreichischen Verfassungsrecht nicht mit Sicherheit zu entnehmen. Das rechtfertigt es, die Frage primär auf Basis der einfachgesetzlichen Rechtslage zu klären.
B. Die einfachgesetzliche Rechtslage zum Entschädigungsanspruch 1. Rechtsquellen Diese einfachgesetzliche Rechtslage ist höchst zersplittert, weil der Entschädigungsanspruch grundsätzlich in den jeweiligen Materiengesetzen des Bundes oder der Länder67 näher geregelt ist. Es ist nicht Aufgabe dieser Arbeit, alle diese Normen darzustellen;68 vielmehr möchte ich Grundstrukturen anhand einiger besonders wichtiger Regelungsvorbilder darstellen. Als Beispiele dienen das Eisenbahnenteignungsgesetz und das BundesStrG 1971.69 An geeigneter Stelle werden darüber hinausgehend Vergleiche mit anderen Regelungsbereichen erfolgen; von einer systematischen Erfassung dieser Normen nehme ich aber Abstand. § 365 ABGB selbst hat eher verfassungsrechtliche Bedeutung als einen eigenen zivilrechtlichen Gehalt. Denn die wichtigsten Inhalte der Norm (Enteignung zum allgemeinen Besten gegen Entschädigung) ergeben sich nach dem herrschenden Verständnis schon aus Art 5 StGG. Nur wenn man davon ausgeht, dass jener Norm keine Entschädigungspflicht zu entnehmen ist, kann sich überhaupt die Frage stellen, ob sich eine solche einfachgesetzlich aus § 365 ABGB ergibt. Das ist jedenfalls für landesrechtlich vorgesehene Enteignungen zu verneinen, weil die Festlegung der Entschädigung kompetenzrechtlich demjenigen zusteht, der im Rahmen des Materiengesetzes den Enteig-
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Rummel in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 30 ff, 66 ff, 95; Aicher, Bestimmungen 72 ff; ders, Bestimmungen 65 ff. ABl 2004 C 310/1. Kompetenzrechtlich wird die Enteignung vom jeweiligen Materiengesetzgeber mitgeregelt. Vgl den Überblick bei Pauger in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 106 ff. Zu den Bemühungen um eine Neugestaltung de lege ferenda vgl zB Rummel, Bundes-Enteignungsgesetz passim; Korinek, RdW 1985, 298.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
nungsanspruch normiert.70 Für den Bereich der Bundesverwaltung kann man jedoch davon ausgehen, dass schon durch das allgemeine Zivilrecht die Entschädigungspflicht festgelegt wird, wenn die verwaltungsrechtliche Norm sich (ausnahmsweise) über diese Frage ausschweigt. a) Eisenbahnenteignungsgesetz Ein Regelungsvorbild ist das EisbEG71; das Eisenbahnwesen hat auch historisch eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Enteignungsrechts im 19. Jahrhundert gespielt. Die Bedeutung der Norm erschöpft sich aber nicht in der historischen Vorbildfunktion, sondern ergibt sich vor allem auch aus der Tatsache, dass zahlreiche Normen die Regelung des EisbEG ganz oder teilweise übernommen haben. Das ist zumeist durch Wiederholung einschlägiger Passagen erfolgt; Verweise auf das EisbEG finden sich nur teilweise.72 Aber auch ohne Wiederholung oder Verweis hat das EisbEG Bedeutung: Art 13 VEG73 ordnet im Verfahren in Enteignungsangelegenheiten die subsidiäre Geltung des EisbEG an. Die Bedeutung des Verweises ist freilich umstritten. Er bezieht sich nach herrschender Lehre nicht nur auf das Verfahrensrecht, sondern auch auf die materiellrechtlichen Festlegungen zum Entschädigungsanspruch. Dem ist Pauger mit kompetenzrechtlichen Überlegungen entgegengetreten:74 Für den Bundesbereich ließe sich die Frage mit den normalen Auslegungsmethoden nicht ermitteln, für den Landesbereich ergebe sich bei Fehlen eigener Vorschriften aus dem Verweis des Art 13 VEG weder die gerichtliche Zuständigkeit für die Entschädigungsfestsetzung noch die Pflicht zur Entschädigung selbst. Da sich die Entschädigungspflicht aber nach herrschender Lehre ohnehin direkt aus Art 5 StGG ergibt, besteht der Entschädigungsanspruch schon kraft Verfassung; fehlt es an einer Festlegung, so ist das EisbEG zumindest analog anzuwenden.75 Zu beachten ist jedoch, dass durch die Verwaltungsverfahrensnovelle 200176 das VEG mit 31. Dezember 2006 aufgehoben ist, wobei die lange Frist damit erklärt wurde, dass Zeit bestehen soll, die notwendigen Ersatzregelungen zu schaffen.77
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Pauger in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 54. BGBl 1954/71 (Wv). Vgl § 23 StadtEG, BGBl 1974/287 und § 20 Abs 1 BodBG, BGBl 1974/288 (jeweils auf §§ 4 bis 7 EisBG); § 20 BundesStrG (subsidiär); § 15 Sbg Landesstraßengesetz 1972, LGBl 1972/119 (zum Verfahren); § 36 OÖ StrG 1991, LGBl 1991/84; § 38 Knt StrG 1991, LGBl 1991/72; § 50 Stmk Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1964, LGBl 1964/154 (jeweils zu Ausmaß und Verfahren). BGBl 1925/227. Pauger in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 55 ff; vgl auch Brunner, ÖJZ 1993, 687. Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 47. BGBl I 2001/137. 723 BlgNR 21. GP 12.
II. Rechtsgrundlagen im Überblick
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Das EisbEG regelt einerseits eisenbahnspezifische Fragen, insbesondere zu welchem Zweck eine Enteignung in diesem Zusammenhang vorgenommen werden kann (§§ 2 f leg cit). Vorbildwirkung haben vor allem die Bestimmungen über die zu leistende Entschädigung. Auch die Zweiteilung des Verfahrens, nämlich Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Enteignung, aber (letztlich) gerichtliche Festsetzung der Entschädigungshöhe geht dem Grunde nach auf das EisbEG zurück, auch wenn ursprünglich die Feststellung der Entschädigung jedenfalls durch das Gericht erfolgte (vgl unten 2.). b) Bundesstraßengesetz Praktisch wohl am wichtigsten ist die Enteignung nach dem BundesStrG 197178 zum Zwecke der „Herstellung, Erhaltung und Umgestaltung von Bundesstraßen samt den zugehörigen baulichen Anlagen sowie aus Verkehrsrücksichten“ (vgl § 17 BundesStrG). Entschädigung und Entschädigungsverfahren sind in §§ 18 bis 20 leg cit näher geregelt; subsidiär ist für das Verfahren der Enteignung das EisbEG anzuwenden (§ 20 Abs 1). Die Ermittlung der Entschädigung hat durch Sachverständigenschätzung zu erfolgen, wobei die Bundesstraßenverwaltung schon bei dem Versuch einer privatrechtlichen Einigung vor der eigentlichen Enteignung an das Ergebnis der Schätzung aufgrund einer Dienstanweisung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten gebunden ist.79 § 18 enthält nähere Bestimmungen über die Entschädigungsfestsetzung, die grundsätzlich der Rechtslage nach EisbEG entsprechen. Darüber hinaus ist die Entschädigung gemäß § 20 Abs 2 BundesStrG „unter Beobachtung [sic!] der in den §§ 4 bis 8 des Eisenbahnenteignungsgesetzes 1954, BGBl. Nr. 71, aufgestellten Grundsätze zu ermitteln.“ Aus dieser Beachtung der Grundsätze ergibt sich vor allem, dass die Entschädigung grundsätzlich in bar zu erfolgen hat und dass Investitionen, die absichtlich zur Erhöhung der Entschädigung erfolgten, nicht zu ersetzen sind. Eine fugitive Enteignungsbestimmung von Bedeutung für die Planung von Bundesstraßen, aber auch von Hochleistungsstrecken findet sich in § 24h Abs 15 UVP-G.80 Nach dieser Norm ist eine Enteignung bei UVP-pflichtigen Projekten auch zulässig, wenn dies zur Durchführung von Maßnahmen, die für die Genehmigung erforderlich sind, notwendig ist; gedacht ist dabei insbesondere an naturschutzrechtliche Ausgleichsflächen.81
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BGBl 1971/286. Vgl Resch in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht I 831. BGBl 1993/697. Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob bei UVP-Pflicht der sukzessive Instanzenzug zum Gericht für Entschädigungsfragen bestehen bleibt; dazu Killmann, wbl 1998, 155 mwN. Resch in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht I 830.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
Ähnliche Bestimmungen enthalten alle Landesstraßengesetze.82 Diese unterscheiden sich hinsichtlich der Entschädigung vor allem in Details von den Bestimmungen des BundesStrG. So hält § 11 Abs 4 NÖ StraßenG fest, dass bei der Entschädigung einer Fläche oder eines Bauwerks der Verkehrswert „heranzuziehen“ ist, auch wenn der Entschädigte gleichzeitig für alle vermögensrechtlichen Nachteile schadlos gestellt werden soll. Eine ausführliche Regelung der zu leistenden Entschädigung und ihrer Bestandteile enthält § 65 Tir StrG.
c) Exkurs: Liegenschaftsbewertungsgesetz Für die praktische Arbeit ist das Liegenschaftsbewertungsgesetz (LBG)83 besonders wichtig. Dieses gilt im gegebenen Zusammenhang gemäß § 1 LBG nicht nur für die gerichtliche Bewertung von Liegenschaften, sondern auch für die üblicherweise vorangehende behördliche Festlegung der Enteignungsentschädigung. Das LBG enthält Grundsätze der Bewertung, ohne sich mit Details auseinanderzusetzen. Festgeschrieben wird, dass grundsätzlich der Verkehrswert der Sache zu ermitteln ist, soweit gesetzlich oder vertraglich nichts anderes vorgesehen ist (§ 2 Abs 1 LBG). Das Gesetz regelt in der Folge die Verfahren, mit denen dieser Verkehrswert ermittelt werden kann (§§ 3 ff LBG), und die Rolle des Sachverständigen (§§ 8 ff LBG). Das LBG enthält aber keine Regelung, welcher Wert zur Beantwortung einer Frage heranzuziehen ist. Dies bleibt den einzelnen Materiengesetzen überlassen.84 Welcher Ersatz bei der Enteignung von Liegenschaften zu leisten ist, richtet sich daher grundsätzlich nicht dam LBG, sondern zunächst nach dem jeweiligen Enteignungsgesetz. Dem LBG kommt eigener normativer Gehalt nur zu, wenn dem jeweiligen Materiengesetz keine spezifische Anordnung zu entnehmen ist. Die Bedeutung des LBG ist dennoch groß. So zeigt § 1 Abs 2 leg cit, dass der Gesetzgeber Enteignungsfälle im Visier gehabt hat.85 Insofern kommt der Auslegung des LBG großes Gewicht für die Beurteilung der Ersatzfähigkeit einzelner Positionen zu, wie in der Folge noch zu zeigen sein wird.
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§§ 19 ff Bgld Straßenverwaltungsgesetz, LGBl 1927/43; §§ 36 ff Knt StrG 1991, LGBl 1991/72; § 11 NÖ StrG 1999, 8500/00; §§ 35 ff OÖ StrG 1991 LGBl 1991/84; §§ 12 ff Sbg Landesstraßengesetz 1972, LGBl 1972/119; §§ 47 ff Stmk Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1964, LGBl 1964/154; §§ 61 ff Tir StrG, LGBL 1989/13; §§ 43 ff Vbg Gesetz über den Bau und die Erhaltung öffentlicher Straßen sowie über die Wegefreiheit, LGBl 1969/8; § 39 Wr BauO, LGBl 1930/11. BGBl 1992/150. Vgl Stabentheiner, LBG § 2 Anm 4. Zur Anwendung des LBG insbesondere bei Enteignungen auf Basis von Landesrecht vgl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 240 f.
II. Rechtsgrundlagen im Überblick
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2. Verfahren der Enteignung und Entschädigungsfestsetzung Die Festlegung der Entschädigung bei der Enteignung obliegt im Regelfall den Gerichten. Ein Rechtszug innerhalb der Verwaltung ist, soweit ersichtlich, nicht vorgesehen. Die früheren konkurrierenden Regelungsmodelle von EisbEG und Bundesstraßenrecht wurden mit 1. Jänner 2005 harmonisiert. Durch die Novellierung des EisbEG im Rahmen der Reform des Außerstreitrechts86 wurde nämlich die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts für die Festsetzung der Entschädigung abgeschafft;87 nunmehr ist auch im Anwendungsbereich des EisbEG die sukzessive Kompetenz eröffnet. Das bedeutet im Anwendungsbereich des EisbEG im Einzelnen: Die Enteignung wird durch die zuständige Behörde88 mit Bescheid ausgesprochen; auch über die Entschädigung ist im Bescheid abzusprechen (§ 17 EisbEG; § 20 Abs 1 BundesStrG). Sofern ein Übereinkommen über die Höhe der Entschädigung zwischen den Parteien besteht (für die Zulässigkeit vgl § 22 EisbEG und den Verweis in § 20 Abs 5 BundesStrG),89 ist dieses dem Bescheid zugrunde zu legen.90 Eine Berufung im Verwaltungsrechtsweg kann zwar gegen den Enteignungsbescheid an sich, nicht aber gegen die Höhe der Entschädigung ergriffen werden.91 Vielmehr können der Enteignete oder der Enteignungswerber beim Landesgericht92 die Festsetzung der Entschädigung begehren; mit der Anrufung tritt die verwaltungsbehördliche Entscheidung über die Entschädigung außer Kraft (§ 22 Abs 1 EisbEG; § 20 Abs 3 BundesStrG).93 Diese sukzessive Kompetenz ist nach der Rechtsprechung des VfGH94 und herrschender Lehre95 zulässig, auch wenn dadurch im Ergebnis die Trennung
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BGBl I 2003/112. Dazu näher Kathrein, ZVR 2006, 70. Zur damaligen Rechtslage noch Pauger in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 97 f. Rechtspolitisch früher Kühne, ÖJZ 1983, 536 ff. Die Zuständigkeit richtet sich nach den Materiengesetzen; für den Eisenbahnbau ist zB die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig (§ 12 Eisenbahngesetz 1957, BGBl 1957/60, iVm § 11 Abs 2 EisbEG), für die Bundesstraßenverwaltung der Landeshauptmann (§ 20 Abs 1 BundesStrG). Dazu Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 321 f. Vgl auch § 69 Tir StrG. Klicka in Schwimann II § 365 Rn 42; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 313, 318. Nach neuerer Rsp gilt die sukzessive Zuständigkeit auch, wenn die Entschädigung im Bescheid überhaupt verweigert wird; vgl SZ 73/128 mwN. Die Zuständigkeit liegt zT auch beim Bezirksgericht; vgl § 74 Abs 1 Tir StrG. Zur strittigen Frage, ob die Anrufung auch zulässig ist, wenn ein Übereinkommen über die Entschädigung getroffen wurde vgl Kühne, ÖJZ 1981, 141; ders, JBl 1983, 623; ders, JBl 1986, 347; Brunner, ÖJZ 1976, 337; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 318 ff; Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 8; Aicher, Bestimmungen 85 ff. VfSlg 3121; VfSlg 3.236; VfSlg 10.452.
282
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung der Justiz von der Verwaltung (Art 94 B-VG) zum Teil aufgehoben wird. Die gerichtliche Zuständigkeit kann damit begründet werden, dass die enteignende Behörde häufig in einem Naheverhältnis zum Enteignungswerber (zB Gebietskörperschaft als Mehrheitsgesellschafter) steht; ebenso kann der Behörde die Durchführung der Maßnahmen ein besonderes Anliegen sein, weil durch sie öffentliche Interessen verfolgt werden. Beide Faktoren lassen es angezeigt erscheinen, die behördliche Entscheidung einer Prüfung durch eine unabhängige Entscheidungsinstanz zu unterziehen. Darüber hinaus ist der Anspruch auf Enteignungsentschädigung ein civil right iSv Art 6 MRK, weswegen ein Tribunal entscheiden muss, was aus verfassungsrechtlichen Gründen eine gerichtliche Entscheidung ohnehin nahe legt.96
Das Gericht hat – schon wegen Art 94 B-VG – ein gänzlich neues Verfahren zur Festlegung der Entschädigung durchzuführen;97 dieses richtet sich auch im Bereich der Bundesstraßenverwaltung nach EisbEG (vgl § 20 Abs 5 BundesStrG).98 Die Höhe der behördlich festgesetzten Entschädigung ist auch dann nicht die Untergrenze für die gerichtliche Festlegung, wenn nur der Enteignete die gerichtliche Festsetzung begehrt hat.99 Das gilt nur dann nicht, wenn der Enteignungsbegünstigte die Entschädigung vorbehaltlos gezahlt hat (§ 23 Abs 1 EisbEG); dies gilt anscheinend als Anerkenntnis.100 Das Anerkenntnis könnte man aber auch schon darin sehen, dass eine Partei das Gericht nicht anruft.101 Der Antrag kann nur im Einvernehmen mit der Gegenseite zurückgezogen werden; in diesem Fall gilt der im Bescheid festgesetzte Entschädigungsbetrag als vereinbart (§ 23 Abs 3 EisbEG; § 20 Abs 3 BundesStrG).102 Auch ein gerichtlicher Vergleich ist in diesem Stadium noch möglich, wenn dies nicht zum Nachteil Dritter erfolgt, die aus der Entschädigungssumme Befriedigung suchen (vgl § 29 Abs 1 und 2 iVm § 22 Abs 2 EisbEG). Die Entschädigung wird durch gerichtlichen Beschluss festgesetzt; Rekurs ist innerhalb von vier Wochen zu erheben (§ 30 Abs 3 EisbEG). Mit 95
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Vgl Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Rn 558 mwN. Kritisch im gegebenen Zusammenhang zB Kühne, ÖJZ 1983, 536 ff. VfGH G 1, 2 und 74 – 81/88; vgl Kühne, ÖJZ 1988, 684. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 313. Weitere Beispiele: § 117 Abs 6 WRG; § 74 Abs 4 Tir StrG; § 19 Abs 6 Stadterneuerungsgesetz. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 314. Anders § 117 Abs 4 WRG, was aus Sicht der sukzessiven Kompetenz verfassungsrechtliche Probleme aufwirft; vgl Kühne, ÖJZ 19989, 619. Anders die frühere Rechtslage; vgl dazu Klicka in Schwimann, ABGB II § 365 Rn 42; Kühne, ÖJZ 1983, 537; Pfersmann, ÖJZ 1984, 319; Swoboda, ÖJZ 1984, 626. So § 117 Abs 4 WRG 1959. Das gilt jedoch nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen wohl nur, wenn die Parteien nichts Abweichendes vereinbaren (so auch ausdrücklich § 74 Abs 3 Tir StrG), und im Übrigen dann nicht, wenn Dritte nachteilig betroffen sind (vgl § 22 EisbEG).
III. Funktion der Entschädigung in der Rechtsdogmatik
283
dem Rekurs kann ein so genannter Augenschein beantragt werden, bei dem die tatsächlichen Verhältnisse für die Entschädigung neuerlich ermittelt werden (näher § 31 EisbEG).
III. Funktion der Entschädigung in der Rechtsdogmatik A. Ansätze der Rechtsprechung Rechtsdogmatisch ist weit gehend unbestritten, dass eine Enteignung nur gegen Entschädigung erfolgen darf. Auch soweit unterschiedliche Grundpositionen vertreten werden, wirkt sich das für die Enteignung – im Gegensatz zur Eigentumsbeschränkung – in der praktischen Tätigkeit nicht aus. Die Funktion der Entschädigung ist jedoch ungeklärt. 1. Ersatzbeschaffung Nach einem Teil der Rechtsprechung geht es bei der Enteignungsentschädigung darum, dem Enteigneten die Möglichkeit zu geben, sich einen gleichwertigen Ersatzgegenstand zu verschaffen.103 Konsequenterweise hält die Rechtsprechung fest, dass der Einkaufswert und nicht der Verkaufswert zu ersetzen ist.104 Damit ist freilich nicht gemeint, dass dem Entschädigten der Ersatz tatsächlich möglich sein muss; vielmehr ist dasjenige zuzusprechen, was aufzuwenden wäre, wenn ein entsprechendes Grundstück am Markt angeboten würde.105 So hat der OGH in einer Entscheidung festgehalten, dass bei Enteignung eines Grundstücksteils von 166 m2 der übliche Quadratmeterpreis hochzurechnen sei, auch wenn tatsächlich kein Grundstück unter 500 m2 am Markt erhältlich ist.106 Diese Ansicht läuft im Ergebnis primär auf den Ersatz des Marktpreises hinaus, auch wenn die Rechtsprechung daneben auch andere Schäden ausgeglichen hat.107 Für den Ersatz einer Wohnung hat der OGH freilich die Finanzierungskosten für eine teurere Wohnung als von der Entschädigung umfasst angesehen, wenn eine vergleichbare Wohnung in zumutbarer Nähe nicht aufzufinden ist.108 Das ist teilweise auch im gesatzten Recht festgehalten, so zB in § 18 Abs 3 BundesStrG und Abs 2 lit c) Tir StrG109. Nimmt man die frühere Rechtsprechung des OGH beim Wort, die den Zweck der Enteignungsentschädi-
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SZ 48/54; OGH EvBl 1976/255; SZ 50/158; OGH EvBl 1987, 79. So auch Eccher in KBB § 365 Rn 7; Kerschner, JBl 2006,358. EvBl 1976/255; SZ 71/175; OGH EvBl 1987/79. So auch Brunner, Enteignung 139; Morscher, Bestimmungen 59 f. Vgl Brunner, Enteignung 139. OGH EvBl 1976/255. SZ 48/54; OGH EvBl 1976/255; OGH JBl 1983, 432; OGH EvBl 1987/79. SZ 55/56. LGBl 1989/13.
284
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
gung in der Möglichkeit der Ersatzbeschaffung sieht, so dürften solche Kosten und ganz allgemein Folgeschäden nicht ersetzt werden.110 Auch der Gesetzestext zeigt sehr deutlich, dass die Erklärung des OGH nicht überzeugen kann; denn zu ersetzen sind nach der klaren gesetzgeberischen Wertung die vermögensrechtlichen Nachteile, ganz unabhängig von der Möglichkeit der Ersatzbeschaffung. Das bedeutet freilich nicht, dass der Ersatz nicht auch ein Ziel der Entschädigungsleistung sein kann; als alleiniger Begründungsansatz vermag er nicht zu überzeugen. 2. Ausgleich der Vermögensdifferenz Einen zweiten, mit dem Gesetzestext besser vereinbaren Begründungsansatz verfolgt der OGH in einigen Entscheidungen neueren Datums. Der Zweck der Enteignungsentschädigung sei der Ausgleich der enteignungsbedingten Vermögensdifferenz.111 Dadurch soll das Sonderopfer des Enteigneten in seinen vermögensrechtlichen Auswirkungen rückgängig gemacht werden.112 Damit wird klar, dass der Marktpreis der enteigneten Liegenschaft zwar ein wichtiger – und für die Praxis ohne Zweifel der wichtigste – Anhaltspunkt für die Entschädigungsbemessung ist, dass aber auch andere Faktoren zu berücksichtigen sind. Der Erklärungswert dieses – rechtsdogmatisch nahe liegenden – Ansatzes ist freilich gering; es bleibt nämlich gerade offen, warum der Vermögensnachteil zu ersetzen ist, warum das Sonderopfer ausgeglichen werden muss. Die Enteignungsentschädigung ist nach der Rechtsprechung113 und dem Großteil der Lehre114 kein Anspruch auf Schadenersatz. Jedoch bestehen unverkennbar Parallelen zwischen den beiden Ansprüchen, wenn man den Zweck der Entschädigung im Ausgleich des Vermögensnachteils sieht. § 18 Abs 1 BundesStrG enthält – im Gegensatz zum EisbEG – auch einen entsprechenden Verweis auf § 1323 ABGB; dadurch werden die Wertungen des Haftpflichtrechts für den Ausmaß des Ersatzes zumindest zum Teil auf die Enteignungsentschädigung übertragen. Aber auch soweit die entsprechenden Enteignungsgesetze keine näheren Festsetzungen für die Ermittlung der Entschädigung enthalten, sind nach der herrschenden Lehre die Wertungen des Haftpflichtrechts für die Bemessung der Enteignungsentschädigung heranzuzie-
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Nach Floßmann, Eigentumsschutz 71, soll die Entscheidung des OGH daraus abzuleiten sein, dass der Staat im Fall der Gefährdung der Existenzgrundlage durch die Enteignung (aber wohl nicht in anderen Fällen) mehr als den Marktpreis zu zahlen habe. SZ 55/56. So auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 198; Krzizek, ÖJZ 1969, 567. SZ 55/175. Klicka in Schwimann II § 365 Rn 19. OGH JBl 1974, 202; OGH EvBl 1976/252. Klicka in Schwimann II § 365 Rn 19. Anders wohl Rummel in Korinek/Pauger/ Rummel, Handbuch 195 ff.
III. Funktion der Entschädigung in der Rechtsdogmatik
285
hen.115 Das dient vor allem dem Zweck, den vollen Ersatz der erlittenen Nachteile zu erreichen, um nicht – wie in Deutschland116 – bloß den Marktpreis zu ersetzen.117 Zu der Gleichsetzung ist kritisch anzumerken, dass wesentliche Unterschiede zwischen Enteignung und Schadenersatz bestehen. Dabei geht es freilich nicht um die fehlende Rechtswidrigkeit der Enteignung.118 Vielmehr steht die Sache dem Enteignungswerber nach der Maßnahme zur Verfügung; das ergibt sich schon aus dem öffentlichen Interesse, aufgrund dessen die Enteignung erst zulässig ist (vgl Art 5 StGG; § 365 ABGB). Damit ist das Ergebnis der Enteignung gleich demjenigen nach Abschluss eines Vertrages. Beim Schadenersatzanspruch kann die Sache zwar dem Schädiger nützen oder doch genützt haben, das ist aber keineswegs der Regelfall und vor allem zur Begründung der Ersatzpflicht nicht erforderlich. Dieser bedeutende Unterschied ist zu beachten, wenn man aus dem postulierten Schadenersatzcharakter der Entschädigung konkrete Rechtsfolgen ableiten möchte.119 Die Parallele könnte daher eher im Bereicherungsrecht liegen. Auch dieses scheidet jedoch aus, weil dort im Regelfall eine ungerechtfertigte Bereicherung vorausgesetzt wird. Das passt für die Enteignung nicht, weil die Rechtfertigung der Maßnahme Voraussetzung für die Enteignung ist; die Parallele kann aber vor allem dann Bedeutung haben, wenn ein Rückübereignungsanspruch besteht,120 die enteignete Sache aber nicht mehr herausgegeben werden kann.
3. Entgelt für Rechtsverlust Ein dritter Ansatz sieht in der Entschädigung ein Entgelt für den Rechtsverlust. Diese Überlegungen tauchten zunächst in der Literatur121 und in einigen Entscheidungen auf,122 wurden insbesondere von Rummel scharf abgelehnt,123 erleben aber in jüngeren Entscheidungen des OGH eine Renaissance: „Die Enteignungsentschädigung bildet das Entgelt für die durch die Aufhebung des enteigneten Rechts eintretenden vermögensrechtlichen Nachteile.“124 Die 115
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EvBl 1979/54; Eccher in KBB § 365 Rn 8; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 195 ff; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 19. Die kurze Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB ist jedoch nicht anwendbar; SZ 53/51. Vgl BGHZ 39, 198; dazu unten B. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 196 ff. So zu Recht Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 198. Diesbezüglich vorsichtig auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 195. Insbesondere weil der Enteignungszweck nicht erreicht wurde. ZB Layer, Principien 318; Jesch, ÖJZ 1962, 534 („Enteignungspreis“); Brunner, Enteignung 127. Vgl JBl 1974, 202. Rummel, Enteignungsentschädigung 62; ders in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 195. SZ 73/128; OGH RZ 2004/10.
286
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
Formulierung der Rechtsprechung ist seltsam. Als Entgelt versteht man im Regelfall die Gegenleistung für die Übertragung einer Sache bei Vertragserfüllung; man setzt das Entgelt aber nicht mit den Nachteilen in eine unmittelbare Beziehung. Der Sachzusammenhang ist bei einem Vertragsabschluss vielmehr folgender: Wer verkauft, berücksichtigt, welche vermögensrechtlichen Nachteile ihm durch den Entgang der Nutzung der Sache in Folge der Erfüllung des Kaufvertrags entstehen; diese bewerteten Nachteile sind die Untergrenze für seine Kaufpreisforderung. Mittelbar fließen die Nachteile damit in die Entgeltsfestlegung ein. In diesem Sinn ist die Gleichsetzung von Entgelt und Nachteilen nahe liegend, auch wenn bei einem Vertragsabschluss diese Opportunitätskosten den Kaufpreis nicht bestimmen, sondern nur den Verhandlungsspielraum des rational handelnden Verkäufers begrenzen. Die Entgeltstheorie ist daher grundsätzlich nicht unvereinbar mit der gesetzlichen Normierung der vollen Entschädigung und einem Verweis auf § 1323 ABGB. Denn wer verkauft, tut dies nur, wenn er aus seiner subjektiven Sicht durch die Transaktion keinen vermögensmäßigen Nachteil erleidet. Aus der Entgeltstheorie lässt sich insbesondere nicht ableiten, dass die Entschädigung zum Marktpreis erfolgen muss.125 Denn der Marktpreis zeigt nur an, dass andere Kaufverträge zu diesen Bedingungen abgeschlossen wurden; nicht aber, dass auch der Enteignete bereit wäre, den Vertrag zum marktüblichen Entgelt abzuschließen. Insofern ist die auf den ersten Blick unglückliche Formulierung „Entgelt für die vermögensrechtlichen Nachteile“ nicht ganz unpassend.
B. Die Lehre von der Sozialbindung des Eigentums Ein Teil der Lehre – aber nicht der Rechtsprechung – geht von einer grundsätzlich abweichenden Prämisse aus. § 365 ABGB verlange nicht eine volle, sondern bloß eine „angemessene“ Entschädigung.126 Der Anspruch auf Eigentumsentschädigung sei daher sozialgebunden in Abwägung von Einzelinteresse und Allgemeininteresse zu bestimmen. Das gelte nicht nur auf Ebene des Verfassungsrechts, sondern wirke wegen des Verweises auf § 365 ABGB in § 4 Abs 1 EisbEG auch im Anwendungsbereich dieses Gesetzes.127 Historisch geht diese Auffassung für Österreich auf die Zeit unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg zurück, als angesichts der allgemeinen Not und der Erfolge des Rätegedankens die Sozialisierung als Alternative zum privatwirtschaftlichen Eigentum an Produktionsmitteln erschien. So hat insbesondere Swoboda in ei-
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Anders grundsätzlich Brunner, Enteignung 127 in Fn 2. Gschnitzer, Sachenrecht 114; ähnlich Ermacora, Handbuch 155 f. Floßmann, Eigentumsschutz 68 f. Ähnlich Beck, JBl 1969, 24 f, der auch auf die Enge der Beziehung Unternehmer-Unternehmen abstellen will (sic!).
III. Funktion der Entschädigung in der Rechtsdogmatik
287
nem 1919 erschienenen Aufsatz für einen neuen Begriff der Enteignung plädiert, für den eine volle Entschädigung nicht erforderlich sei.128
Im neueren Schrifttum wird diese Ansicht insbesondere von Floßmann vertreten, die vom vollen Marktpreis der Entschädigung in bestimmten Fallkonstellationen129 das abziehen möchte, was wertmäßig einer noch zulässigen entschädigungslosen Eigentumsbeschränkung entspricht; zu entschädigen sei nur die Nettobelastung des Enteigneten.130 Dem ist rechtsdogmatisch vor allem Rummel entschieden entgegengetreten.131 Soweit wie zumeist die Enteignung zugunsten eines Unternehmens erfolgt, gehe es ohnehin nicht an, den Enteigneten durch weniger als die volle Entschädigung zur Subventionierung des Unternehmens heranzuziehen; aber auch sonst sei die bloße Möglichkeit einer entschädigungslosen Eigentumsbeschränkung bereits durch den Markt eingepreist, weswegen es bei dem von Floßmann vorgeschlagenen Abzug zu einer Doppelberücksichtigung komme.132 Auch ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot liege bei voller Entschädigung nicht vor, weil der schwerere Eingriff etwas tatsächlich anderes als die bloße Eigentumsbeschränkung sei. Vom Ansatz her ähnelt diese österreichische Mindermeinung der deutschen verfassungsrechtlichen Dogmatik. Art 14 Abs 3 Grundgesetz lautet: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“
Aus dieser Sozialbindung des Eigentums wird nicht geschlossen, dass ein Ersatz nicht erforderlich sei.133 Die gerechte Abwägung der Interessen soll aber zu einem Ersatz des Marktwerts führen. Dem Enteigneten soll mit der Entschädigung die Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzliegenschaft ermöglicht werden. Dadurch wird die Anwendung schadenersatzrechtlicher Grundsätze ausgeschlossen; während nach deutschem Schadenersatzrecht jedenfalls – also unabhängig vom Grad der Fahrlässigkeit – das gesamte Interesse samt entgangenem Gewinn zu ersetzen ist (vgl § 249 Abs 1 iVm § 252
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Swoboda, GZ 1919, 241. Vgl auch Kühne/Hofmann/Nugent/Roth, EisbEG 35 f. Bei existenznotwendigen Gütern sei allenfalls auch mehr als der Marktpreis zu leisten; Floßmann, Eigentumsschutz 71. Floßmann, Eigentumsschutz 62 ff, insbesondere 72. Aus der rechtsökonomischen Literatur vgl Serkin, 99 Nw U L Rev 692 ff, 713 f (2005). Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 199 ff; vgl auch Aicher, Bestimmungen 71 f. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 202. Vgl zB Bassenge in Palandt, BGB Überbl vor § 903 Rn 18; Rinne in MünchKomm BGB4 Vor § 903 Rn 24 f; A Lorenz in Ermann, BGB Vor § 903 Rn 13; J F Baur in Soergel, BGB § 903 Rn 247.
288
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
BGB),134 sind diese Faktoren bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung nicht heranzuziehen.
C. Beurteilung Die rechtsdogmatischen Begründungsansätze berücksichtigen im Wesentlichen Verteilungsgesichtspunkte. Das gilt insbesondere für die Ersatzbeschaffung und den Ausgleich der Vermögensdifferenz. Beide Ansätze setzen sich aber nicht mit den anreiztheoretischen Aspekten auseinander. Die Frage muss aus dieser Sichtweise lauten: Welche Entschädigungsregel führt dazu, dass nur, aber doch möglichst alle sozial wünschenswerte Enteignungsprojekte durchgeführt werden. Damit setzen sich die folgenden Ausführungen auseinander. Aus dieser Sicht ist die Entgeltstheorie meines Erachtens richtungweisend; denn in ihrem Rahmen lässt sich gut integrieren, dass die Enteignung ein Ersatz für den Vertragsabschluss dient, wenn dieser im konkreten Fall nicht abgeschlossen werden kann. Auf Basis dieses Ansatzes lässt sich im Übrigen gut erklären, warum auch die subjektiven Nachteile in vielen enteignungsrechtlichen Zusammenhängen zu ersetzen sind – ein Umstand, mit dem ein Ansatz, der auf bloße Schadloshaltung abstellt und damit schadenersatzrechtliche Denkmuster bemüht, naturgemäß Schwierigkeiten haben muss, weil er sich nur schwer aus §§ 1323 ff ABGB im Zusammenhang mit rechtmäßigen Eingriffen ableiten lässt.
IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung Für die Entschädigung kommt der Marktpreis, ein darüber hinaus gehendes subjektives Interesse des Veräußerers oder eine Beteiligung am Nutzen des Erwerbers in Betracht. Soweit im Folgenden von „Marktpreisen“ gesprochen wird, ist dies in Zusammenhang mit der Enteignung, die im Regelfall Liegenschaften betrifft, eine ökonomisch zumindest unscharfe Begriffsbildung. Marktpreise gibt es nur für vertretbare Güter und nicht für Liegenschaften; bei diesen gibt es einen Preis im Sinne von in der Realität beobachteten Transaktionsbedingungen nur für jede einzelne Liegenschaft. Wenn der Jurist von „Marktpreisen bei Liegenschaften“ spricht,135 dann meint er im Regelfall, dass die für vergleichbare Liegenschaften üblichen Transaktionsbedingungen als Vergleichsmaßstab herangezogen werden. Damit wird freilich die Unterscheidung zwischen Preisbeobachtung und Bewertung (vgl 1. Teil II. A.) verwischt. Für die Zulässigkeit des Vergleichs kommt es in der Sache vor allem auf die Ähnlichkeit der Liegenschaften an. Bei Liegenschaften ähnlicher Größe und fast gleicher Lage ohne Besonderheiten 134
135
So genannte „Differenzhypothese“ nach Mommsen; vgl für alle Oetker in MünchKomm BGB5 § 249 Rn 16 ff. Vgl zB die Auseinandersetzung um Märkte und Teilmärkte bei Kerschner, JBl 2006, 362.
IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung
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spricht aus pragmatischer Sicht nichts dagegen, diese Vergleichswerte als „Marktpreise“ zu behandeln. Je größer die realen Unterschiede sind, desto fragwürdiger wird freilich dieses Vorgehen (und nicht bloß die terminologische Vermischung).
Um zu beantworten, was vom Ersatz umfasst sein soll, sind aber zunächst der generelle Zweck der Enteignung und die Funktion der Entschädigung in den Blick zu nehmen. Der Ansatzpunkt dafür ist wohlfahrtstheoretisch. Damit wird das Effizienzkriterium als Maßstab genommen, wobei die Beurteilung grundsätzlich auf die Zahlungsbereitschaft abstellen muss. Grundsätzliche Prämissen dieses Ansatzes wurden – gemeinsam mit seinen Schwächen – bereits unter 1. Teil V. behandelt. Hier geht es nur darum, den enteignungsrechtlichen Zusammenhang zu betonen. Damit soll nicht etwa behauptet werden, dass alle Vor- und Nachteile aus der Enteignung unmittelbar quantifiziert werden können und eine KostenNutzen-Rechnung in jedem Einzelfall funktioniert. Es ist durchaus zutreffend, dass ein solcher Ansatz für viele Sachverhalte keine praktikable Lösung bieten kann. Darum geht es aber nicht. Vielmehr sollen grundsätzliche Überlegungen die Überlegenheit eines bestimmten Entschädigungsregimes aus ökonomischer Sicht darlegen. Schädlich sind diese Überlegungen jedenfalls nicht. Im Ergebnis kann dagegen nicht eingewendet werden, dass es sich um eine nachträgliche Ökonomisierung des Enteignungsrechts handle. Erstens ist dem gesetzgeberischen Willen, so er erkennbar ist und auch in der heutigen sozialen Realität noch Geltung beanspruchen kann, Vorrang einzuräumen; ist deutlich, dass die Entschädigung danach möglichst gering ausfallen soll, so ist das vom Interpreten zu respektieren, auch wenn das ökonomisch kontraproduktiv sein sollte. So deutlich ist dieser gesetzgeberische Wille aber im Regelfall nicht, wie die durchaus intensive literarische Auseinandersetzung zeigt. Zweitens geht es darum, rechtliche Phänomene auf ihre Auswirkungen hin zu analysieren. Denn der Verweis auf den Willen des historischen Gesetzgebers erklärt noch nicht, welche Funktion eine rechtliche Regel erfüllt und welche Auswirkungen sie hat. Dies festzustellen, ist aber ein legitimes Ziel rechtswissenschaftlicher Bemühungen. Letztlich ist die subjektiv-historische Interpretation nur eine Auslegungsmethode, die (zumindest im zivilrechtlichen Verständnis) keineswegs in jedem Fall Vorrang gegenüber anderen, mehr funktional orientierten Methoden verlangen kann.
A. Wohlfahrtstheoretische Beurteilung Enteignungen sollen grundsätzlich nur dann durchgeführt werden, wenn mit ihnen eine Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt erreicht werden kann. Auch die Entschädigungspflicht ist aus diesem Gesichtspunkt nur gerechtfertigt, wenn sie dazu beiträgt, dass bloß effiziente Enteignungen erfolgen. Sie hat aber, zumindest wenn man das Kaldor/Hicks-Kriterium für die
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
Beurteilung heranzieht, keinen rechtsökonomischen Wert an sich. Wie zu zeigen ist, verlangt das Kaldor/Hicks-Kriterium eine Internalisierung der Kosten der Enteignung, wobei dazu insbesondere die vom Enteigneten erlittenen Nachteile gehören. Ob die Entschädigung hingegen tatsächlich erfolgt, ist eine Frage der Umverteilung und daher bei dieser wohlfahrtsökonomischen Beurteilung nicht relevant. Das ist nur dann anders, wenn die Möglichkeit einer entschädigungslosen Enteignung negative Anreize für die Grundeigentümer setzt; werden wohlfahrtsfördernde Investitionen unterlassen, weil die Eigentümer befürchten, dass ihnen auch diese Investitionen ohne Vermögensausgleich entzogen werden, so ist dies bei der Beurteilung der Entschädigungspflicht zu berücksichtigen. Wählt man als anwendbares Effizienzkriterium die Pareto-Superiorität, so verändert sich die Beurteilung. Denn der Enteignete muss bereit sein, der Maßnahme zuzustimmen, oder ihr doch zumindest indifferent gegenüberstehen. Das wird er aber nur tun, wenn ihm voller Ersatz für die von ihm erlittenen Nachteile geleistet wird. Die tatsächliche Entschädigungsleistung ist nach diesem Kriterium daher erforderlich. Freilich geht die folgende Analyse von einigen Prämissen aus, die offen zu legen sind. Insbesondere wird die Untersuchung auf die unmittelbar an der Enteignung Beteiligten, nämlich den Enteignungswerber und den Enteigneten, reduziert. Damit bleiben positive oder negative Auswirkungen auf Dritte (externe Effekte) unberücksichtigt.136 Das ist zwar beim öffentlichen Interesse grundsätzlich mitzuberücksichtigen,137 wird aber wegen der unterschiedlichen Entscheidungsträger im Regelfall nicht erfolgen. Weiters werden die Präferenzen der Steuerzahler vernachlässigt. Es ist durchaus denkbar, dass einzelne Steuerzahler aufgrund einer abweichenden Präferenzstruktur die Errichtung der geplanten Bundesstraße ablehnen, auch wenn die Verwirklichung für den durchschnittlichen Betrachter nutzensteigernd ist. Freilich stellt auch die ParetoEffizienz auf Normfiguren ab. Jedenfalls ist klar, dass sich diese Probleme nur zum Teil – wenn überhaupt – über die Entschädigungspflicht lösen lassen. Diese kann daher nur auf eine effiziente Enteignung hinwirken, sie aber nicht garantieren.
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Ein Beispiel: Nehmen wir an, die bisherige Nutzung einer Liegenschaft erfolgte durch eine die Umwelt verschmutzende Fabrik in einer Welt ohne funktionierende Emissionszertifikate. Bei der Enteignung entfällt als Nutzen der Ertrag aus der Fabrik; freilich treten durch die Enteignung auch Wohlfahrtsgewinne auf, weil die Emissionen unterbleiben (und sofern diese bisher entschädigungslos erfolgt sind). Allgemein: Soweit die Kosten der bisherigen Tätigkeit nicht beim bisherigen Nutzer anfallen, sondern von anderen zu tragen sind, sind diese aus wohlfahrtstheoretischer Sicht vom Wert der Nutzung beim Enteigneten abzuziehen. Vgl Fischel in Palgrave II 36.
IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung
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B. Zweck der Enteignung Zunächst könnte die Enteignung dem Staat helfen, die im öffentlichen Interesse erforderlichen Liegenschaften billig oder gar kostenlos zu erlangen. Die Radikalvariante, nämlich die entschädigungslose Enteignung, hat nur geringe Bedeutung. Freilich spielt das Argument auch im Zusammenhang mit dem Ausmaß des Ersatzes eine Rolle, wie es insbesondere die deutsche verfassungsrechtliche Dogmatik zeigt (oben III. B.). Die Enteignung ist nach deutschem Recht zwar nicht ohne Entschädigung möglich, aber doch zu Bedingungen, wie sie bei einem privaten Vertragsabschluss nicht erfolgt wären. Denn bei diesem hätte der Liegenschaftseigentümer jedenfalls den Ersatz aller seiner Nachteile gefordert und sich nicht bloß mit dem Marktpreis für die Liegenschaft zufrieden gegeben. Das Interesse des Enteigneten am Werterhalt wird also bei diesem Verständnis der Enteignung dem öffentlichen Interesse am Enteignungsprojekt ganz oder doch in einem bestimmten Ausmaß untergeordnet. Die Enteignung lässt sich aber auch ganz anders erklären. Grundsätzlich könnte der Enteignungswerber die Liegenschaft käuflich erwerben, wenn er bereit ist, den entgangenen Nutzen beim Eigentümer zu ersetzen und ihm noch eine kleine Prämie zu bezahlen; nach der ökonomischen Logik sollte die Transaktion auch ohne Enteignung zustande kommen. Sofern bei der Enteignung ohnehin der subjektive entgangene Nutzen zu ersetzen ist, kommt der Enteignung auf den ersten Blick nur wenig Bedeutung zu. Das verkennt jedoch die reale Situation. Enteignungswerber und zu Enteignender stehen sich nicht in einem vollkommenen Markt gegenüber. Vielmehr liegt ein bilaterales Monopol vor, bei dem Anbieter und Nachfrager wechselseitig voneinander abhängig sind.138 Der Projektbetreiber benötigt das entsprechende Grundstück für die Durchführung des Projekts; eine Ersatzbeschaffung ist nicht möglich.139 Andererseits ist der Eigentümer auch vom Projektbetreiber abhängig, weil nur dieser ihm die konkrete Absatzchance bietet.140 In der Sache haben beide Teilnehmer Interesse an einem Vertragsabschluss, wenn der Nutzen der Liegenschaft für den Projektbetreiber höher ist als für den Eigentümer. Dieses gemeinsame Interesse wird aber scharf durch ein unterschiedliches Interesse an der Verteilung der „Prämie“ kontrastiert. In dieser Situation treten zwei Phänomene auf:141 − Einerseits ist der Liegenschaftseigentümer in einer hold-out-Position142 („Akkordstörerposition“).143 Wenn ein Grundstückseigentümer zB weiß, 138
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Zu den Verhandlungspositionen in bilateralen Monopolen vgl zB Rasmussen, Model passim. Sonst wäre die Enteignung auch unzulässig. Sonst wäre dem Eigentümer bloß der Verkauf zum Marktpreis möglich. Vgl auch Kerschner, JBl 2006, 366. Dazu allgemein zB Cohen in Palgrave II 236 ff; im Zusammenhang mit Enteignungen vgl Cooter/Ulen, Law & Economics 164 f.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung dass seine Liegenschaft für die Errichtung einer Eisenbahnlinie erforderlich ist,144 kann er versuchen, den Nutzen der öffentlichen Hand über den Kaufpreis weit gehend abzuschöpfen.
− Andererseits besteht diese Gefahr besonders dann, wenn die öffentliche Hand bereits Vorinvestitionen getätigt hat, die nicht anders verwertbar sind – wie dies zumindest bei großen Projekten zumeist der Fall ist.145 Denn ohne solche spezifische Vorinvestitionen muss der Liegenschaftseigentümer befürchten, dass der Projektbetreiber die Realisierung ganz unterlässt, wenn zu viel des Gewinns abgeschöpft wird. Diese so genannte hold-up-Position146 verschlechtert die Verhandlungsposition des Projektbetreibers daher signifikant. Der Projektbetreiber läuft damit Gefahr, aufgrund seiner schlechten Verhandlungssituation beim Vertragsabschluss eine für ihn nachteilige Verteilung der Gewinne in Kauf nehmen zu müssen. Wie nachteilig diese ist, hängt freilich auch von den konkreten Umständen, insbesondere von den alternativen Veräußerungsmöglichkeiten durch den Liegenschaftseigentümer ab. Vor dieser Gefahr schützt die Enteignung.147 Sie verhindert der Sache nach, dass der soziale Nutzen des Enteignungsprojekts von der Allgemeinheit auch nur teilweise148 zum Grundeigentümer umverteilt wird. Die Enteignung ist daher primär auf die Verteilung des Nutzens gerichtet. Darüber hinaus kann aber das Projekt auch zur Gänze verhindert werden, insbesondere wenn mehrere Grundeigentümer versuchen, in eine hold-outPosition zu kommen und deswegen zunächst nicht bereit sind, zu verkaufen.149 Insofern geht es nicht nur um die Umverteilung von der Allgemeinheit zum
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Übersetzung vorgeschlagen von Schäfer/Ott, Lehrbuch 575 (bei 577 f auch zur freerider-Problematik). Der Eisenbahnbau war angesichts dieses Problems nicht von ungefähr die Wiege des modernen Enteignungsrechts; vgl Schäfer/Ott, Lehrbuch 577. ZB durch Planungs- und Beratungskosten. Vgl Klein in Palgrave II 241 ff; Mercuro/Medesma, Economics 148. Posner, Economic analysis 55 (mit Diskussion der Auswirkungen auf die Produktionsmenge); Shavell, Foundations 124 f; Epstein in Palgrave III 564. Es ist ohnehin fraglich, ob sich der Liegenschaftseigentümer auch ohne die Berücksichtigung des hold-outs mit einer ganz minimalen Prämie über seinem eigenen Nachteil zufrieden geben würde. Jüngere Forschungsergebnisse aus behavioral law and economics deuten darauf hin, dass „ungerechte“ Verteilungen, bei denen einem Vertragsteil nur ein geringer Teil des Transaktionsgewinns zukommt, häufig zur Gänze abgelehnt werden; vgl Eidenmüller, JZ 2005, 219; Jolls/Sunstein/Thaler in Sunstein, Behavioral Law and Economics 22 ff. Schäfer/Ott, Lehrbuch 577. Man kann daher mit gutem Grund sagen, dass der Eigentümer, der versucht, in eine hold-out-Situation zu kommen, ein freerider der Verkaufstransaktionen der anderen Liegenschaftseigentümer ist; Cohen in Palgrave II 240.
IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung
293
Liegenschaftseigentümer, sondern auch darum, die Durchführung wohlfahrtsökonomisch zu befürwortender Projekte erst zu ermöglichen.
Dieser Ansatz lässt sich auch rechtsdogmatisch stützen. Erstens können nicht etwa alle Gegenstände enteignet werden, sondern nach den einschlägigen Materiengesetzen im Wesentlichen nur Liegenschaften. Bei diesen tritt das hold-out-Problem wegen der Unmöglichkeit der Produktion von neuem Grund und Boden besonders verstärkt auf. Sollen zum Beispiel Boote erworben werden, so kann ihr Eigentümer den Gewinn nicht im gleichen Ausmaß abschöpfen, weil er damit rechnen muss, dass der Enteignungswerber entweder an anderem Ort kauft oder selbst produziert. Die Enteignung ist zumindest dort nicht erforderlich, wo es einen Markt für das entsprechende Gut gibt. Damit hängt zweitens zusammen, dass der Enteignung der Versuch einer vertraglichen Einigung vorangehen muss (oben II. A.).150 Nur wenn dieser Versuch erfolglos bleibt, kann das Eigentum entzogen werden.
C. Steuerungswirkungen der Entschädigungspflicht 1. Entschädigung und Verhaltenssteuerung Die Pflicht zur Entschädigung führt grundsätzlich dazu, dass die öffentliche Hand bzw der Enteignungswerber die Kosten des Handelns internalisieren muss; solche Kosten sind insbesondere die bei den von der Enteignung Betroffenen entstehenden Nachteile. Diese externen Effekte werden beseitigt. Das Enteignungsprojekt wird daher nur durchgeführt, wenn der zu erwartende Nutzen den Nachteil aus der Sicht des Enteignenden übersteigt. Dadurch werden – zumindest modellhaft – auch gleichzeitig nur jene Enteignungen vorgenommen, durch welche die Gesamtwohlfahrt gesteigert wird. Ineffizientem Staatshandeln wird ein Riegel vorgeschoben. Ohne Pflicht zur angemessenen Entschädigung könnte die Enteignung in Situationen eingesetzt werden, in denen eine vertragliche Lösung überhaupt nicht zu finden wäre, weil die Gewinne für die Allgemeinheit den Verlust des Enteigneten nicht aufwiegen.151 Eine solche Enteignung ohne Wohlfahrtsgewinn ist nicht nur Pareto-suboptimal, sondern erfüllt auch das Kaldor-HicksKriterium nicht.152 Aus dieser Sicht dient die Entschädigung vor allem der Verhaltenssteuerung. Das Staatshandeln kann durch eine Entschädigungspflicht in Richtung effizientes Handeln gelenkt werden.153 Das wäre freilich überflüssig, wenn 150
151 152
153
Aus verfassungsrechtlicher Sicht vgl VfSlg 13.579; aus dem Schrifttum Berka, Grundrechte Rn 731; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 317 f. Für alle Shavell, Foundations 126; Serkin, 99 Nw U L Rev 705 ff (2005). Damit zusammenhängend scheint auch der Demoralisierungs-Effekt solcher ineffizienter Enteignungen höher zu sein; vgl Fischel in Palgrave II 37. Cooter/Ulen, Law & Economics 166; Epstein in Palgrave III 564; Fischel in Palgrave III 35; grundsätzlich auch Shavell, Foundations 126.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
man davon ausgeht, dass Enteignungen ohnehin nur vorgenommen werden, wenn sie im allgemeinen Besten sind. Berücksichtigt die öffentliche Hand bei der Beurteilung von Enteignungsprojekten ohnehin auch immer die Nachteile aus dem Enteignungsprojekt, die bei Dritten wie dem Enteigneten anfallen, so zeigt die Entschädigungspflicht keine Steuerungs-, sondern nur Umverteilungswirkung; dazu unten D.154 Gegen diese wohlwollende Annahme spricht die moderne Theorie der Bürokratie,155 wonach nicht „die“ öffentliche Hand das Gemeinwohl verfolgt, sondern einzelne Akteure im Rahmen der staatlichen Verwaltung (auch) versuchen, ihren eigenen Nutzen zu maximieren. Soweit zumindest die Kosten internalisiert werden müssen, kann dies zwar effiziente Enteignungsprojekte nicht garantieren, wohl aber auf höhere Effizienz hinwirken. Damit hängt zusammen, dass die Möglichkeit der Enteignung ohne Entschädigung dazu führen kann, dass sie in hohem Umfang als Belohnung für Mitglieder der herrschenden politischen Koalition verwendet wird;156 die Entschädigungspflicht ist mit anderen Worten auch ein Mittel zum Schutz der politischen Minderheit. Schon aus diesem Grund ist die Frage, ob die Enteignung auch ohne Entschädigung zulässig ist, nicht nur eine zivilrechtliche, sondern auch und vielleicht vor allem eine zutiefst verfassungsrechtliche bzw -politische Problemstellung. Hinzu kommt, dass die unmittelbar Begünstigten aus der Enteignung zumeist erwerbswirtschaftlich orientierte Unternehmen sind, auch wenn die von ihnen erfüllten Aufgaben im öffentlichen Interesse liegen. Selbst wenn die Enteignung durch Verwaltungsakt erfolgt, bei dem das öffentliche Interesse an der Maßnahme und daher auch die externen Effekte zu berücksichtigen sind, verfügt die bescheiderlassende Behörde doch nicht über die erforderlichen Informationen und ist deswegen vom Enteignungswerber abhängig. Eine Enteignung ohne Entschädigung würde darüber hinaus dazu führen, dass jene Faktoren verstärkt eingesetzt würden, die tatsächlich enteignet werden können. Im Ergebnis würde Arbeitskraft durch andere Produktionsfaktoren, insbesondere Land – das der Enteignung auch nicht physisch entzogen werden kann –, ersetzt werden. Diese Verdrängung würde aber ganz losgelöst von den Preisen der einzelnen Produktionsfaktoren erfolgen, weswegen die Verschiebung unter ihnen tendenziell ineffizient wäre.157
Die Enteignung soll aus diesen Gründen nicht dazu dienen, den Vertragsmechanismus zugunsten des Staates außer Kraft zu setzen; die Enteignung soll daher gerade nicht dazu dienen, dass die öffentliche Hand die zu enteignenden 154 155
156 157
Vgl Serkin, 99 Nw U L Rev 713 f (2005). Public Choice Theory, begründet vor allem von James Buchanan und Gordon Tullock; vgl im Überblick Macey in Palgrave III 171 ff; Mercuro/Medema, Economics 84 ff. Epstein in Palgrave III 563 f; Fischel in Palgrave II 35, 37. Posner, Economic Analysis 57; Fischel in Palgrave II 35.
IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung
295
Gegenstände billiger erlangen kann. Der Vorrang des Vertrags zeigt sich auch an der Tatsache, dass nach österreichischem Recht die Enteignung nur zulässig ist, wenn ein Vertrag nicht abgeschlossen werden kann. Das macht ökonomisch Sinn, weil die Transaktionskosten bei Vertragsabschluss üblicherweise geringer sind als bei einem behördlichen bzw für die Entschädigungsfestsetzung bei einem gerichtlichen Enteignungsverfahren.158 Die Enteignung soll im Ergebnis nicht billiger – aber auch nicht teurer – sein als eine Vertragslösung außerhalb einer hold-up-Situation. Das Zwischenfazit lautet somit: Eine Enteignung ohne Kosteninternalisierung durch den Projektbetreiber würde ineffiziente Enteignungen fördern. Diese Internalisierung kann aber auf unterschiedliche Weise erfolgen; die Zahlung einer Entschädigung gerade an den Enteigneten ergibt sich daraus noch nicht zwingend. Bevor ich auf diesen Aspekt zurückkommen werde, möchte ich noch die Bedeutung einiger zentraler Gegenargumente gegen die hier vertretene Position untersuchen. 2. Gegenargumente und Leistungsgrenzen Die Kosteninternalisierung kann effiziente Enteignungen freilich nicht garantieren. Das liegt einerseits an Planungsfehlern, die den öffentlichen Nutzen betreffen. Andererseits lehrt die bereits angesprochene moderne Theorie der Bürokratie, dass die auf Seiten des Staates handelnden Personen neben dem oder anstelle des öffentlichen Wohls mit ihrem Handeln andere Ziele verfolgen. Dies können persönliche Ziele der Organwalter oder auch private Interessen von special interest groups sein. Die Entschädigungspflicht kann die ihr zugedachte Steuerungswirkung nicht zur Gänze entfalten, wenn die handelnden Personen einen anderen Nutzen als das Gemeinwohl verfolgen.159 Auch ineffiziente Enteignungen können durchgeführt werden, wenn die tatsächlich aus der Enteignung Begünstigten nicht auch die Kosten tragen müssen. Die Entschädigung führt aber zumindest dazu, dass die Begünstigung einzelner Träger von Sonderinteressen nicht auf Kosten des Enteigneten, sondern auf Kosten der Allgemeinheit erfolgt. Das leitet zu einem nächsten wichtigen Einwand über. Nach Ansicht einiger Autoren fördert erst die Entschädigungspflicht ineffiziente Maßnahmen, weil das einzige Gegengewicht gegen die special interest group, nämlich der betroffene Eigentümer, durch den finanziellen Ausgleich ruhig gestellt wird.160 Das ist sicher richtig. Wer deswegen jedoch die Entschädigungspflicht ablehnt, der geht davon aus, dass alle oder doch zumindest die Mehrzahl der Enteignungsprojekte tatsächlich nicht dem öffentlichen Interesse dienen. Denn ohne Entschädigungspflicht würden auch wohlfahrtssteigernde Projekte den gleichen Widerstand der entschädigungslos Enteigneten hervorrufen. Im Ergebnis 158 159 160
Fischel in Palgrave II 38. Vgl Shavell, Foundations 130; Schäfer/Ott, Lehrbuch 579. Serkin, 99 Nw U L Rev 726 f (2005) mwN.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
muss nach diesem Konzept immer das zuständige Gericht im Nachprüfungsverfahren die sachliche Rechtfertigung der Enteignung überprüfen. Das wäre wegen der hohen damit verbundenen Kosten meines Erachtens keine effiziente Regelung. Geht man davon aus, dass die meisten Fälle von Enteignungsprojekten zumindest grundsätzlich im öffentlichen Interesse liegen, so steuert die Entschädigungspflicht das Verhalten besser als der Widerstand der Betroffenen ohne Entschädigungslösung. Schäfer und Ott leiten aus der letztlich nicht perfekten Anreizsteuerung zu Recht ab, dass eine Entschädigungsregel allein nicht genügt. Daneben ist eine behördliche oder gerichtliche Kontrolle der Notwendigkeit der Enteignung erforderlich.161 Je besser jedoch schon die Entschädigungsregel das Handeln der öffentlichen Hand in Richtung Effizienzsteigerung lenkt, desto weniger ist aus wohlfahrtstheoretischer Sicht die Kontrolle des Enteignungszwecks selbst erforderlich. Zur ökonomischen Rechtfertigung einer Regelung genügt es grundsätzlich, dass sie auf eine Wohlfahrtssteigerung hinwirkt. Es ist hingegen nicht erforderlich, dass diese in jedem Fall auch erreicht wird. Diesen Test besteht die Entschädigungspflicht ohne jeden Zweifel. Neben diesen grundsätzlichen Überlegungen werden im rechtsökonomischen Schrifttum weitere Einwände gegen die Pflicht zur Entschädigung geltend gemacht: − Die Festlegung der angemessenen Entschädigung verursacht Transaktionskosten und damit Effizienzverluste. Das ist grundsätzlich richtig. Die Frage muss aber erstens lauten, was größere Effizienzverluste verursacht: ein Regime ohne oder eines mit Entschädigungspflicht. Empirische Untersuchungen dazu stehen aus. Zweitens hängen die Kosten eng mit dem anzuwendenden Maßstab für die Entschädigung zusammen. Soweit zum Marktpreis zu entschädigen ist, kommt dem Argument bei der Liegenschaftsenteignung nicht viel praktische Überzeugungskraft zu, weil sich die Kosten der Feststellung in Grenzen halten. Problematisch ist freilich die Feststellung des subjektiven Werts, den die Liegenschaft gerade für den Enteigneten hat.162 Das ist allerdings mE kein prinzipieller Einwand; vielmehr ist dies bei Detailfragen der Ersatzfähigkeit, insbesondere aber auch bei der Verteilung der Beweislast gebührend zu berücksichtigen (vgl unten V. A.). − Transaktionskosten entstehen auch bei der Finanzierung der Entschädigung. Diese ergeben sich durch Effizienzverluste im System der Besteuerung, durch welches die notwendigen Mittel aufgebracht werden.163 Soweit die Kosten nicht ohnehin geringer sind als bei der Möglichkeit, ohne Ent161 162 163
Schäfer/Ott, Lehrbuch 579. Dazu auch Fischel in Palgrave II 38. Shavell, Foundations 126. Fischel in Palgrave II 36; Shavell, Foundations 129.
IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung
297
schädigung zu enteignen,164 setzt das Besteuerungsargument freilich voraus, dass die Geldmittel unmittelbar von der öffentlichen Hand zu erbringen sind. Das ist aber nicht zwingend. So ist zB nach § 4 Abs 1 EisbEG die Entschädigung durch das begünstigte Eisenbahnunternehmen zu leisten; auch wenn zuzugestehen ist, dass das Steuersystem über die Subventionierung in Anspruch genommen wurde. Soweit Kosten entstehen, sind sie im Übrigen nur schwer quantifizierbar; noch dazu ist es schwierig, in rational nachvollziehbarer und insbesondere überprüfbarer Weise den Anteil eines bestimmten Enteignungsvorgangs an den Gesamtkosten der Besteuerung zu bestimmen. Operationalisierbar dürfte daher der Einwand auch dann nicht sein, wenn er grundsätzlich richtig sein sollte. − Letztlich bestehen für die Vereinigten Staaten empirische Zweifel, ob ein Entschädigungsregime funktioniert.165 Nach einer amerikanischen Studie werden hochwertige Grundstücke regelmäßig über dem Marktpreis entschädigt, niedrigwertige jedoch unter diesem.166 Das wird vor allem damit begründet, dass die relative Stärke der Verwaltung schwindet, je wertvoller das zu enteignende Grundstück ist, unter anderem weil die Kosten für anwaltliche Beratung des zu Enteignenden als Prozentsatz des Liegenschaftswerts abnehmen. Ob das für die österreichische Realität so zutrifft, ist freilich eine andere Frage. Die Gegenargumente sind mE nicht so durchschlagend, dass sie grundsätzlich gegen eine Entschädigungspflicht sprechen würden; darauf zielen sie aber in Wirklichkeit auch nicht ab. Vielmehr geht es darum, ob der Verwaltung oder einem Gericht167 das Recht zukommen soll, diese Faktoren bei der Festsetzung der Entschädigungspflicht einzubeziehen, um im Einzelfall keine Entschädigung zuzusprechen.168 Dagegen spricht der Grundsatz der Rechtssicherheit;169 mE sollte die Einzelfallgerechtigkeit in gewissen Grenzen bei der Festlegung der Höhe der Entschädigung verfolgt werden, aber keine Auswirkungen auf das grundsätzliche Bestehen der Entschädigungspflicht haben.
D. Umverteilungsaspekte der Entschädigungspflicht 1. Verhaltenssteuerung für die Liegenschaftseigentümer Neben der Verhaltenssteuerung bewirkt die Entschädigung auch eine Umverteilung: Wird keine Entschädigung gewährt, so fällt nicht nur die Wohlfahrts164 165 166 167
168 169
Vgl Cooter/Ulen, Law & Economics 163. Vgl Posner, Economic Analysis 59 f; Fischel in Palgrave II 38. Munch, 84 J Pol Econ 473 (1976). Ebenso könnte man das Problem auch als verfassungsrechtliche Frage verstehen: Darf der einfache Gesetzgeber im Einzelfall eine Enteignung ohne Entschädigung festsetzen? Fischel in Palgrave II 41 f. Vgl auch Rose-Ackermann, 88 Colum L Rev 1697 (1988).
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
steigerung der Allgemeinheit (oder allenfalls der begünstigten Personengruppe) zu, sondern auch der Nutzen, der beim bisherigen Eigentümer anfiel; bei Enteignung unter einem Entschädigungsregime behält der Eigentümer zumindest einen Teil seines Nutzens (bei einer Marktpreisregel) bzw den gesamten Nutzen (bei voller Entschädigung). In der ökonomischen Literatur wird die Begründung der Entschädigungspflicht aus Umverteilungsgesichtspunkten teilweise bejaht. Letztlich geht es auch in diesem Zusammenhang um Anreize, zwar nicht für den Enteignungswerber,170 aber für den Liegenschaftseigentümer: Die Enteignung ist ein Sonderopfer, das einzelne zum Wohl der Gemeinschaft auf sich nehmen müssen.171 Soweit sie entschädigungslos erfolgt, führt dies zur Demoralisierung der Eigentümer, weil die Enteignung im Gegensatz zu anderen Schadensfällen nicht zufällig erfolgt, sondern Ergebnis einer bewussten planerischen Entscheidung ist.172 Tendenziell werden unter diesen Voraussetzungen produktive Investitionen in die entsprechenden Grundstücke vermieden, auch wenn noch kein konkretes Enteignungsvorhaben bekannt ist.173 Das ist besonders dann der Fall, wenn die entsprechende Liegenschaft samt Investition einen hohen Anteil des Gesamtvermögens des Rechtssubjekts ausmachte. Gerade die Nutzung von Liegenschaften durch zumeist risikoaverse Private würde tendenziell benachteiligt.174 Gegen die Entschädigungspflicht kann in diesem Zusammenhang nicht vorgebracht werden, dass sie Anreiz für ökonomisch ineffiziente Verbesserungsinvestitionen schafft.175 Das ist zwar grundsätzlich richtig, fällt aber für praktische Zwecke kaum ins Gewicht, weil die Wahrscheinlichkeit einer Enteignung ex ante im Regelfall sehr gering ist.176 Ist die Enteignungswahrscheinlichkeit hingegen im Investitionszeitpunkt groß, so spricht viel dafür, diese Investition nicht zu ersetzen. § 7 Abs 1 EisbEG bietet dafür eine geeignete Grundlage (vgl unten V. E.). Ein generelles Argument gegen die Entschädigung ist daraus nicht abzuleiten. 2. Versicherungslösung? Einige Vertreter der law and economics-Schule bringen dagegen vor, dass die negativen Anreize und die Umverteilungsprobleme besser durch Versicherun170
171 172 173 174 175
176
Für die Verhaltenssteuerung des Enteignungswerbers genügt – wie bereits ausgeführt – die Internalisierung der Kosten, ohne dass es erforderlich wäre, dass der entsprechende Betrag als Entschädigung gerade an den Enteigneten ausgezahlt wird. Vgl aus der österreichischen Rsp VfSlg 6.884. Fischel in Palgrave II 35. Fischel in Palgrave II 36. Schäfer/Ott, Lehrbuch 585 (vgl auch das instruktive Beispiel bei aaO 580). Vgl Shavell, Foundations 131 f; Cooter/Ulen, Law & Economics 166 ff mit Beispielen. So auch Shavell, Foundations 132 f.
IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung
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gen als durch die Entschädigungspflicht gelöst werden können.177 Der risikoaverse Eigentümer würde diese Versicherung kaufen, um einen Vermögensverlust durch die mögliche Enteignung abzuwenden; Umverteilungswirkungen würden dadurch abgefangen, wobei noch dazu die persönliche Risikoneigung der einzelnen Eigentümer reflektiert würde. Jedenfalls der heutige178 private Versicherungsmarkt179 soll nach Meinung mancher ausreichend sein, um diese Aufgabe zu erfüllen. Ein Effekt dieser Versicherungslösung wäre, dass die Kosten der Enteignung von der Gemeinschaft der Versicherten, also der Grundeigentümer, getragen werden, während bei einer Entschädigungspflicht die (weitere) Gemeinschaft der Steuerzahler die Kosten zu tragen hat. Ob der Markt wirklich Versicherungslösungen dieser Art anbieten kann, ist freilich zu bezweifeln. Dagegen spricht vor allem die Seltenheit von Enteignungen und die deswegen wohl geringe Nachfrage. Fraglich ist weiters, ob eine Versicherungslösung wirklich kostengünstiger als eine Entschädigung ist.180 Das Problem dürfte gering sein, wenn als Ersatzmaßstab der Marktpreis der Liegenschaft festgelegt wird. Sofern jedoch die Versicherung vollen Ersatz des Interesses leisten soll, kann dessen Feststellung ex ante als Grundlage für die Prämienberechnung prohibitive Kosten verursachen.181 Ganz besonders wichtig ist aber, dass die Versicherungslösung keine Anreizwirkung zeigen kann. Zweck der Entschädigungspflicht ist gerade die Kosteninternalisierung beim Enteignungswerber, damit Enteignungen nur dann vorgenommen werden, wenn das öffentliche Interesse höher zu bewerten ist als das private Interesse des bisherigen Eigentümers. Das würde durch eine Versicherungslösung verfehlt, weil die Kosten der Versicherung nicht beim Enteignungswerber bzw der öffentlichen Hand, sondern bei den Liegenschaftseigentümern anfallen. 3. Zwischenresümee Im Ergebnis sprechen daher unter Effizienzgesichtspunkten in einer Gesamtbetrachtung die überwiegenden Argumente für eine Entschädigung bei Enteignung, auch wenn einzelne Gegenargumente beachtlich sind.182 Das gilt bereits bei einer rein effizienzorientierten Analyse; Gerechtigkeitsüberlegungen wurden in diesem Zusammenhang noch gar nicht berücksichtigt. Denn durch die Entschädigungspflicht wird die ausgleichende Gerechtigkeit im aristotelischen Sinn verwirklicht. Der Anteil jedes Bürgers am Gesamtvermö-
177
178 179
180 181 182
Shavell, Foundations 127 f; Posner, Economic Analysis 56 f; im Ergebnis ablehnend Schäfer/Ott, Lehrbuch 579 f. Historisch vgl Posner, Economic Analysis 56 f. Zu Recht merken Cooter/Ulen, Law & Economics 166 an, dass auch die Entschädigungspflicht des Staates von den Ergebnissen her einer Versicherungslösung entspricht. Zweifelnd Schäfer/Ott, Lehrbuch 580. Ähnlich Posner, Economic Analysis 56. Ähnlich Epstein in Palgrave III 565.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
gen bleibt bei Entschädigung einer Enteignung, aber auch eines sonstigen Eigentumseingriffs unverändert. Für denjenigen, der Enteignungen einsetzen möchte, um seine Vorstellungen der austeilenden Gerechtigkeit zu verwirklichen, ist die Pflicht zur vollen Entschädigung freilich ein Hindernis.
E. Die Höhe der Entschädigung 1. Ersatz des subjektiven Nutzenentgangs Aus diesen Ausführungen lassen sich unmittelbar Schlüsse für die Höhe der zu leistenden Entschädigung gewinnen.183 Wenn die Enteignung nur das holdout-Potenzial der Eigentümer beseitigen soll, ohne sonst in den Marktmechanismus einzugreifen,184 dann darf das Ergebnis grundsätzlich nur ein solches sein, das bei einem Vertragsabschluss zumindest theoretisch möglich wäre. Ein Vertrag wird nur abgeschlossen, wenn aus Sicht des Verkaufenden das Gebot höher ist als seine subjektive Nutzeneinschätzung; aus Sicht des Käufers muss der Kaufpreis wiederum geringer sein als der bei ihm anfallende Nutzen aus der Kaufsache. Unter diesen Rahmenbedingungen ist der Vertrag auch effizienzsteigernd, weil die Situation jedes der beiden Vertragspartner nach der Transaktion besser ist als zuvor. Deswegen hat Rummel mE nicht Recht, wenn er meint, dass der Ersatz von Nachteilen, denen kein Vermögensäquivalent beim Enteignungswerber gegenüber steht, nicht mit Mitteln des Vertragsrechts zu erklären ist; aus diesem Grund plädiert er für ein schadenersatzrechtliches Verständnis.185 Der Ersatz solcher Nachteile ist aber auch auf vertragsrechtlicher Basis damit zu erklären, dass ein Vertrag ohne diesen Ersatz nicht abgeschlossen wird.
Dieser vertragsrechtliche Erklärungsansatz stellt auf den Marktpreis überhaupt nicht ab; das ist auch konsequent.186 Denn der Verlust muss konzeptionell größer sein als der Marktpreis. Wäre nämlich der subjektive Wert der Liegenschaft beim Enteigneten der Marktpreis gewesen oder gar unter diesem gelegen, dann hätte er zu diesem bzw zu einem geringfügig darüber liegenden Preis – in einer Welt ohne Transaktionskosten – ohnehin verkauft. Unverständlich ist die Ansicht Brunners, dass sich die Enteignung nicht vom Kauf unterscheide und es an einem telos fehle, warum die Entschädigung über dem angemessenen Kaufpreis, dem Verkehrswert, liegen soll, nur weil ein freiwilliger Verkauf zum Marktpreis nicht zustande gekommen ist.187 Das suggeriert, dass derjenige, der sich weigert, zum Marktpreis zu verkaufen, nicht rati-
183
184 185 186 187
Vgl zur Höhe der Entschädigung aus ökonomischer Sicht und ausführlich jüngst Serkin, 99 Nw U L Rev 677 (2005). Anders und unrichtig Brunner, ÖJZ 1973, 428. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 195. Vgl auch Posner, Economic Analysis 55. Brunner, Enteignungsentschädigung 131.
IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung
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onal agiert bzw unangemessene Vorteile herausschlagen möchte. Das ist unrichtig, weil die Bewertung der Liegenschaft nicht moralisch überprüfbar ist; wer nicht zum Marktpreis verkaufen will, weil er den Wert subjektiv höher einschätzt, handelt rational und auch nicht subjektiv vorwerfbar. Wer ihm die Sache unter seinem persönlichen Wert in dieser Situation entziehen möchte, der verstößt – so wie Brunner – gegen Grundprinzipien des Kaufrechts, insbesondere auch hinsichtlich des Preises, und muss dies besonders begründen.
Das entspricht auch wohlfahrtsökonomischen Grundsätzen. Für die Frage, ob die Wohlfahrt durch eine Enteignung gesteigert wird, ist der subjektive Nutzenverlust beim Enteigneten mit dem Nutzen des Projekts zu vergleichen. Soll die Entschädigung daher einen Anreiz für den Staat darstellen, nur effiziente Enteignungen vorzunehmen, so ist auch der den Marktpreis übersteigende subjektive entgangene Nutzen zu ersetzen.188 Letztlich geht es somit auch bei der Höhe der Entschädigung um ganz grundsätzliche Gesichtspunkte.189 Soweit man darauf vertraut, dass Enteignungen auch ohne besondere Anreize nur vorgenommen werden, wenn sie im öffentlichen Interesse liegen, fehlt es an einer theoretischen Rechtfertigung für die volle Entschädigung; dann kann man sich auf andere Steuerungsmechanismen verlassen, wie die Kontrolle der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts oder auch die politische Kontrolle durch Opposition und Wähler. Der Theorie der Entschädigung zu Markpreisen wegen der Sozialbindung des Eigentums liegen zumindest implizit solche Annahmen zugrunde. Wer wie die public-choice-Schule der Nationalökonomie der Verwaltung (und bezüglich der verfassungsrechtlichen Dimension der Frage auch dem Gesetzgeber) in dieser Frage eher skeptisch gegenübersteht, wird geradezu zwingend für die Pflicht zur vollen Entschädigung plädieren: „Increasing the cost to the government of burdening private property will systematically reduce the government’s appetite for acting in the first place.“190 Dass der Staat nicht die Mittel zur Verfügung hat, um wohlfahrtssteigernde Enteignungen bei Pflicht zur vollen Entschädigung durchzuführen, ist kein valides Argument. Denn die öffentliche Hand kann sich wegen ihrer Steuerhoheit innerhalb des politisch Machbaren nötige Geldmittel beschaffen. Das ist auch ein wichtiger Fingerzeig für ein weiteres, häufig auftretendes Problem. Wenn die Enteignung nicht zugunsten des Staates, sondern zugunsten eines Unternehmens erfolgt, muss dieses die vollen Kosten der Enteignung tragen, während die ökonomischen Vorteile in seiner internen Kostenrechnung nicht aufscheinen (positive externe Effekte), sondern der Allgemeinheit zugute kommen.191 Das ist aber kein Argument gegen die Pflicht zur vollen Entschädigung; viel-
188 189 190 191
Cooter/Ulen, Law & Economics 164; Serkin, 99 Nw U L Rev 706 (2005). Vgl dazu Serkin, 99 Nw U L Rev 708 ff, 713 ff (2005). Serkin, 99 Nw U L Rev 709 (2005). Vgl Polinsky/Shavell, Economic Analysis 4.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung mehr muss der Staat in diesen Fällen beim Enteignungswerber über Subventionen helfen, diese externen Effekte zu internalisieren.
Nicht zu übersehen ist aber, dass sich die Bedeutung des Ausmaßes der Entschädigung nicht in Anreizargumenten erschöpft. Es geht auch um Verteilungsgesichtspunkte, wie schon Zeiller erkannt hat.192 Der Ersatz bloß des Marktpreises ist im Ergebnis eine Besteuerung der subjektiven Werte.193 Gleichzeitig kann dieser Nutzenverlust in der Praxis höchstens bei Unternehmen durch Versicherungslösungen aufgefangen werden. Das trifft insbesondere diejenigen besonders hart, die als einzigen Vermögenswert die betroffene Liegenschaft halten, weil sie ihr Risiko nicht gestreut haben und an der Effizienzsteigerung durch die Enteignung nur in geringem Ausmaß partizipieren. Selbst wenn man also davon ausgeht, dass eine Verhaltenssteuerung durch die Entschädigung nicht möglich ist oder kein Bedarf danach besteht, spricht dies nicht gegen die Pflicht zur vollen Entschädigung. Das (ohnehin schwache)194 fiskalische Argument, dass Enteignungen die öffentliche Hand möglichst wenig belasten sollen, schlägt auch hier nicht durch. Die Frage lautet: Ist es ein unbilliges Sonderopfer, wenn der Vermögensnachteil des Einzelnen nicht ersetzt wird, sondern er nur den Marktpreis der Liegenschaft erhält? Diese Frage entzieht sich einer wohlfahrtsökonomischen Beurteilung. Jedenfalls ist die volle Entschädigung ein dem Rechtssystem entsprechender Grundsatz.195 Das ist insbesondere auch in anderen Vorschriften zum Ersatz des Schadens bei rechtmäßigen Eingriffen anerkannt (zB § 364a ABGB);196 da keine Möglichkeit besteht, den Eingriff abzuwehren, soll wenigstens voller Ausgleich zuerkannt werden. All das das spricht dafür, subjektive Nutzungsmöglichkeiten des Enteignungsgegenstandes im Rahmen der angemessenen Entschädigung zu ersetzen und diese nicht nach oben mit dem Marktpreis zu begrenzen. Damit erhält der Enteignete zumindest denjenigen Wert, der bei Vertragsverhandlungen seine Untergrenze beim Verkauf gewesen wäre. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass die gesamte Wohlfahrtssteigerung durch diese Lösung der Allgemeinheit zugewiesen wird; dazu noch unten 3. 192 193 194 195
196
Zeiller, Commentar II 128. Posner, Economic Analysis 56. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 200 f. Auch die Argumentation, dass – ähnlich wie oben für die laesio enormis vertreten; vgl 2. Teil V. - der Marktpreis ausschlaggebend sein soll, weil sonst die öffentliche Hand über eine alternative Beschaffungsmöglichkeit irrt, ist nicht einschlägig. Denn soweit es um vertretbare Güter geht, ist die Enteignung ohnehin unzulässig, weil der Erwerb über den Markt ohne weiteres möglich ist. Vielmehr hat die öffentliche Hand im Regelfall keine Wahl, sondern benötigt diese Liegenschaft, weil nur so der Enteignungszweck verwirklicht werden kann. Vgl für alle Eccher in KBB § 364a Rn 5; Klicka in Schwimann II § 364a Rn 10 mwN.
IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung
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Der Marktpreis muss jedenfalls die Untergrenze der Entschädigung sein; denn wäre die subjektive Wertschätzung niedriger, so hätte der zu Enteignende bereits über den Markt verkauft. Mit anderen Worten: Es gibt keinen geringeren subjektiven Wert als den Verkaufspreis, weil und sofern der Verkauf offen steht. Deswegen ist aus ökonomischer Sicht immer zumindest der Marktwert zu ersetzen.197 2. Praktische Grenzen Mit der Feststellung des subjektiven Nutzenentgangs sind schwierige Feststellungsprobleme verbunden. Dahinter stehen die bereits angesprochenen Probleme der intersubjektiven Vergleichbarkeit des Nutzens (vgl oben 1. Teil V. B.). Es ist daher nicht richtig, dass ein Regime der angemessenen Entschädigung den interpersonellen Nutzenvergleich vermeidet;198 das ist nur der Fall, wenn bloß der Marktpreis ersetzt wird, was aber zumindest konzeptuell ein unvollständiger Maßstab ist.
Für Unternehmer ist die intersubjektive Vergleichbarkeit der individuellen Bewertungen im Regelfall gewährleistet, weil ihr Nutzen wegen des idealtypisch unterstellten und zumeist auch tatsächlich gegebenen Ziels der Ertragsmaximierung ohne weiteres mittels eines einfachen Maßstabs festzustellen ist, nämlich in Geldeinheiten. Das Ziel der Verhaltenssteuerung spricht mE ganz deutlich auch für den Ersatz des entgangenen Gewinns; denn auch dieser muss im Sinne einer Opportunitätskostenbetrachtung beim Enteignenten in Ansatz gebracht werden, wenn sichergestellt werden soll, dass die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt durch die Enteignung gesteigert wird. Der Nutzen nicht unternehmerisch tätiger Personen ist hingegen nicht ohne weiteres auf Geldeinheiten reduzierbar; an Stelle der kardinalen tritt die ordinale Nutzenmessung (üblicherweise mit Indifferenzkurven). Damit fehlt es häufig an der interpersonellen Vergleichbarkeit des Nutzens. Die Berechnung des subjektiven Werts scheidet dann bei privaten Eigentümern in der Praxis aus.199 Aus diesem Grund wird teilweise vorgebracht, dass eine Enteignung unzulässig sein solle, wenn ein besonderes subjektives Interesse bestehe, dieses aber nicht in Geldeinheiten „übersetzt“ werden kann.200 Dann sei zu versuchen, eine Lösung über den Marktmechanismus herbeizuführen. Jedenfalls fallen auch bei
197
198 199 200
Vgl auch die hM im Schadenersatzrecht, wonach der objektiv-abstrakt berechnete Schaden das Minimum für die Ersatzpflicht darstellt; vgl F Bydlinski, System 191 f. So aber Epstein in Palgrave III 563. Ähnlich Cooter/Ulen, Law & Economics 164. Vgl Serkin, 99 Nw U L Rev 722 ff mwN, 739 ff (2005) mN aus der Rsp.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung Privaten durch den Eigentumsentzug konkret bestimmbare Kosten an (zB Umzugskosten); diese sind aus ökonomischer Sicht grundsätzlich zu ersetzen.
Die angesprochenen Probleme bei der Feststellung des subjektiven Werts verursachen Kosten.201 Das kann in Einzelfällen dafür sprechen, grundsätzlich den Marktpreis – ohne Berücksichtigung des Wertes der hold-out-Position –202 als Ausgangsbasis heranzuziehen. Es spricht im Übrigen nichts dagegen, die Kosten der Feststellung des subjektiven Werts dem zu Enteignenden anzulasten; das geschieht rechtsdogmatisch im Regelfall über Beweislastregeln. 3. Keine Teilung des Effizienzgewinns Freilich bleibt ein wesentlicher Unterschied zum Vertrag: Der Wohlfahrtsgewinn aus der Enteignung wird bei bloßem Ersatz der subjektiven Nachteile zur Gänze dem Enteigneten entzogen.203 Hingegen wirkt der subjektive Wert der Sache beim Verkäufer im Rahmen des Vertragsabschlusses bloß als Untergrenze für ein Verhandlungsergebnis; liegt die subjektive Wertschätzung des Käufers höher, so ist jedes Ergebnis zwischen diesen beiden Werten möglich. Der Verkäufer kann als Preis für die Aufgabe des Eigentumsrechts einen Teil des höheren Nutzens des Käufers für sich beanspruchen. Die Enteignung ist daher aus diesem Blickwinkel für die öffentliche Hand günstiger als ein Vertragsabschluss, sofern nur die Vermögensnachteile beim Enteigneten zu ersetzen ist. Dass dieser Gewinn nicht geteilt werden muss, ist ohne jeden Zweifel die rechtsdogmatische Ausgangslage.204 Denn sowohl § 4 Abs 1 EisbEG als auch § 18 Abs 1 BundesStrG sprechen nur von Schadloshaltung für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile. Mehr kann der Enteignete nicht verlangen. Damit wird aber auch das Ergebnis der Vertragsverhandlungen beeinflusst, nach deren Scheitern die Enteignung erst durchgeführt werden kann. Denn wenn der Staat bzw das Unternehmen, zu dessen Gunsten die Enteignung vorgenommen werden soll, bei Scheitern der Verhandlungen auf den zwangsweisen Eigentumsentzug zurückgreifen kann, so hängt das Verhandlungsergebnis davon ab, zu welchen Bedingungen die Enteignung erfolgen kann. Muss die öffentliche Hand nur den subjektiven Wert beim Liegenschaftseigentümer ersetzen, so wird dieser im Regelfall auch dem Vertrag zugrunde gelegt werden, wobei allenfalls noch der Vorteil früherer Räumung kalkuliert wird.205 Auch dieser Vertrag unterscheidet sich daher deutlich von einer normalen Markttransaktion. Aus ökonomischer Sicht ist eine Beteiligung des Liegenschaftseigentümers an den Wohlfahrtsgewinnen aus dem Blickwinkel der Anreizsteuerung für die
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Für alle Fischel in Palgrave II 36. Epstein in Palgrave III 564. Zum Problem auch Serkin, 99 Northwestern Law Journal 688 f (2005). Brunner, Enteignung 127 f; Kerschner, JBl 2006, 359. Vgl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 320.
IV. Rechtsökonomische Beurteilung der Entschädigung
305
enteignende öffentliche Hand nicht erforderlich. Es genügt der Ersatz des subjektiven Werts. Daher geht es für die Ausgleichspflicht auch eher um Verteilungs- und damit Gerechtigkeitsgesichtspunkte als um die Steigerung der Gesamtwohlfahrt bzw Effizienzüberlegungen. Für diese Beurteilung ist nach der wohl überwiegenden ökonomischen Auffassung ausschlaggebend, dass die Enteignung nur im öffentlichen Interesse zulässig ist. Der Enteignete nimmt zumindest idealtypisch ohnehin an der Wohlfahrtssteigerung teil, zumindest sofern er Mitglied der begünstigten Personengruppe ist. Diese Möglichkeit soll die grundsätzliche Rechtfertigung dafür liefern, den Enteigneten im Gegensatz zur Lage beim privatrechtlichen Vertrag von einer unmittelbaren Teilhabe an den Transaktionsgewinnen auszuschließen:206 Bei einem Eisenbahnprojekt sei zu erwarten, dass alle Bürger und damit auch der Enteignete an der Verbesserung des Verkehrsnetzes teilhaben; dies gilt auch für die Errichtung neuer Bundesstraßen. Diese Logik kann dem Enteigneten freilich zynisch erscheinen. Weil er theoretisch teilhaben kann, muss er auf die Effizienzgewinne auch dann verzichten, wenn er konkret nicht partizipiert. Besser ist es daher mE, die Dinge beim Namen zu nennen: Bei der Enteignung im öffentlichen Interesse hat das Interesse des Einzelnen an der gewinnbringenden Verwertung seiner Rechtsposition zurückzutreten. Der Effizienzgewinn aus dem Enteignungsprojekt soll der Gemeinschaft zukommen.207 Soweit der Eigentümer nur mehr sehr mittelbar an den Wohlfahrtsgewinnen aus einem Eigentumseingriff teilhat, weil die unmittelbaren Gewinne aus der Transaktion zunächst bei einem anderen Privaten anfallen, ist die soeben wiedergegebene Rechtfertigung nicht mehr überzeugungskräftig. Dann ist zu untersuchen, ob es alternative Begründungen gibt bzw ob der Vertragsgewinn über alternative Mechanismen angemessen verteilt werden kann. So kann der zusätzliche Nutzen, der bei einem Bereitsteller eines Telekommunikationsnetzes auf fremden Grund entsteht, wenn er neben Kabel-TV auch Internetdienste anbietet, eine zusätzliche Entschädigungspflicht für die Grundeigentümer auslösen.208 Hier liegt die Maßnahme zwar grundsätzlich auch im öffentlichen Interesse, freilich fällt der Gewinn aus der Maßnahme in einer ersten Stufe beim Anbieter an. Soweit daher die Enteignung zugunsten eines gewinnorientierten Privaten erfolgt, die Vorteile aus der Enteignung einigermaßen sicher quantifizierbar sind, keine entgegenstehende gesetzliche Anordnung besteht209 und auch historisch nichts gegen diese Auslegung spricht, kommt eine Teilung bei der Einräumung der Vorteile beim Unternehmen aus zusätzlichen Nutzungen (bei Eigentumseingriffen) oder der Enteignung durchaus in Betracht. 206 207 208 209
Wie hier Epstein in Palgrave III 564; ähnlich Fischel in Palgrave III 37. So auch Moxter, Grundsätze 17 f. Ablehnend wohl Kerschner, JBl 2006, 359. Problematisch ist am entschiedenen Fall, dass § 5 Abs 5 TKG von einer der Wertminderung entsprechenden Abgeltung spricht.
306
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung Dieser Aspekt ist für den Gesellschafterausschluss nach GesAusG und andere Formen des squeeze-out zugunsten des Mehrheitsgesellschafters, der sich der für ihn lästigen Gesellschafterminderheit entledigt, im 4. Teil III. C. erneut aufzugreifen.
F. Rechtsdogmatische Folgerungen Die rechtsdogmatischen, insbesondere auch die verfassungsrechtlichen Implikationen dieser ökonomischen Überlegungen über die Verhaltenssteuerung durch Entschädigungspflicht liegen auf der Hand. Diese Pflicht kann darauf hinwirken, dass tendenziell nur enteignet wird, wenn das öffentliche Interesse an der Enteignung gegeben ist. Setzt man das öffentliche Interesse mit der Wohlfahrtsmaximierung gleich, so ist die Entschädigungspflicht ein wichtiger Baustein, der die Verfolgung des öffentlichen Interesses garantieren kann. Diese Gleichsetzung von öffentlichem Interesse und Wohlfahrtsmaximierung kann freilich nicht in allen Fällen angezeigt sein, weil das öffentliche Interesse im Einzelfall auch auf andere Ziele gerichtet sein kann. Im Regelfall wird sie aber doch zutreffen. Denn zumeist werden durch die Projekte, zu deren Durchführung enteignet wird, Infrastrukturverbesserungen angestrebt; diese dienen regelmäßig einer Wohlfahrtssteigerung. Sollte freilich im Einzelfall eine Enteignung aus Umverteilungsgründen vorgenommen werden,210 so kann ein Ansatz, der auf Wohlfahrtssteigerung abstellt, die ratio legis der Enteignungsbestimmung nicht erfassen.
Hinzu kommt das oben (C.) bereits angesprochene Problem des Schutzes der Minderheit vor einer Enteignung durch die Mehrheit; durch eine Entschädigungspflicht ist zumindest sichergestellt, dass selbst bei rechtswidrigen, weil nicht im öffentlichen Interesse liegenden Enteignungen ein vermögensmäßiger Schutz besteht; das dient gleichzeitig als Bremse für den Einsatz der Enteignung als politischer Waffe. Demgegenüber vermag die Gefahr, dass die Enteignung im Interesse einzelner Gruppen durch eine Entschädigungspflicht eher gefördert werden kann (oben C. 2.), mE nicht durchzuschlagen. Im Ergebnis ist die Entschädigungspflicht gegenüber der nachprüfenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Maßnahme durch die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts das bessere Mittel. Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, die Akzente der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung weg von der Überprüfung und hin zum Entschädigungserfordernis zu verschieben, weil dieses nicht ex post eingreift, sondern tendenziell wohlfahrtsmindernde Enteignungen ex ante vermeidet. Freilich geht es ohne die ex post-Kontrolle auch nicht. Denn die oben (C. 2.) angesprochenen Defizite der Verhaltenssteuerung durch ökono-
210
Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen Maßnahme wäre wohl auch besonders zu hinterfragen.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
307
mische Anreize innerhalb der Bürokratie erlauben es nicht, allein auf die Entschädigung zu setzen. Auf die abweichende Ausgangslage beim Ausschluss der Minderheitsgesellschafter werde ich im 4. Teil II. A. zurückkommen.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse § 365 ABGB ist über das Ausmaß der Enteignungsentschädigung nicht viel zu entnehmen; dort heißt es nur, dass die Entschädigung angemessen zu sein hat. Eine nähere Determinierung erfolgt erst durch die einzelnen Enteignungsgesetze und hier insbesondere durch die Leitgesetze EisbEG und das Bundesstraßenrecht (vgl oben II. B. 1.). § 4 Abs 1 EisbEG lautet: „Das Eisenbahnunternehmen ist verpflichtet, den Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile gemäß § 365 ABGB schadlos zu halten.“ Ganz ähnlich hält § 18 Abs 1 BundesStrG fest: „Dem Enteigneten gebührt für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile Schadloshaltung (§ 1323 ABGB).“ Die meisten anderen Enteignungsgesetze enthalten vergleichbare Normen, so zB §§ 65 f Tir StrG,211 § 23 StadternG, § 20 BodenBG (jeweils iVm §§ 4 ff EisbEG) und § 99 LFG. Die Art der Entschädigung, also ob neben dem üblichen Geldersatz auch Naturalersatz durch Zur-Verfügung-Stellen eines anderen Grundstücks geschuldet sein kann, bleibt hier ausgeklammert.212 § 8 Abs 1 EisbEG schreibt die Barabfindung jedenfalls ausdrücklich vor, was wegen des Verweises auf das EisbEG in anderen Enteignungsgesetzen (zB § 20 Abs 2 BundesStrG) nach wohl herrschender Lehre auch für diese gilt.213 In der Folge geht es mir nur um die Entschädigung des Liegenschaftseigentümers als zentraler Frage des Entschädigungsrechts. Ausgeklammert bleibt damit die Entschädigung für so genannte „Nebenberechtigte“, denen dingliche oder obligatorische Rechte an der Liegenschaft zustehen; vgl zB § 4 Abs 2 und § 5 EisbEG.214
Rechtsökonomische Gründe sprechen – wie soeben gezeigt – dafür, § 4 Abs 1 EisbEG sowie § 18 Abs 1 BundesStrG beim Wort zu nehmen und im Rahmen der Enteignungsentschädigung alle subjektiven Nachteile des Enteigneten zu ersetzen, auch wenn diese den Marktpreis übersteigen. Die dogmatische Umsetzung dieser Gedanken ist in der Folge zu untersuchen. 211 212 213
214
LGBl 1989/13. Vgl dazu zB Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 205 ff. Brunner, Enteignung 127; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 19; aM Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 206. Aus dem Schrifttum zB Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 270 ff; ders in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 133 ff; Brunner, Enteignung 161 ff; Aicher, Bestimmungen 91 ff.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
A. Die Schadensberechnung und der entgangene Gewinn 1. Grundlegung Die ältere Rechtsprechung215 und Teile der Literatur216 halten fest, dass dem Enteigneten nicht nur der gemeine Wert der enteigneten Sache, sondern der außerordentliche Wert des besonderen Interesses gebührt, also nicht nur der Ertragswert, sondern auch ein diesen übersteigender Verkehrswert. Spekulationspreise und der entgangene Gewinn seien vom Ersatz ausgeschlossen. Diese Aussagen machen weder rechtsdogmatisch noch ökonomisch217 Sinn. Zunächst wird der gemeine Wert mit dem Ertragswert gleichgesetzt, während der Verkehrswert ein außerordentlicher Wert zu sein scheint. Neuere Bewertungsgesetze zeigen aber, dass die Ertragswertmethode neben dem Vergleichswert- und dem Sachwertverfahren rechtsdogmatisch ein Weg zur Berechnung des Verkehrswerts ist (vgl § 3 Abs 1 LBG).218 Damit entspricht der Verkehrswert grundsätzlich auch dem gemeinen Wert (= Preis; vgl § 304 ABGB) in § 305 ABGB, worunter der allgemeine Ertrag einer Sache unter Berücksichtigung der örtlichen und zeitlichen Verhältnisse zu verstehen ist. Freilich kommt im gegebenen Zusammenhang des Telos der zu untersuchenden Bestimmungen nicht nur die Festlegung des Verkehrswerts anhand von Marktpreisen oder allgemeiner Nutzungsmöglichkeiten in Betracht, wie in der Folge zu zeigen sein wird. Im Übrigen sind §§ 304 ff ABGB keine unmittelbaren Aussagen zu Rechtsfolgen zu entnehmen; vgl schon 1. Teil III. Vielmehr sind der Wortlaut und der Zweck der einzelnen Norm heranzuziehen: Welcher Wertbegriff muss angesichts des Zwecks der Enteignungsentschädigung ausschlaggebend sein? Denn §§ 304 ff ABGB sind trotz der auf den ersten Blick abweichenden Anordnung in § 306 leg cit auch dann nicht anwendbar, wenn Sinn und Zweck einer Norm abweichende Rechtsfolgen verlangen.219
Auch ökonomisch will es nicht einleuchten, warum der Verkehrswert und damit auch der Marktpreis (also ein Ergebnis der durchschnittlichen Erwartungen der Marktteilnehmer) mit dem außerordentlichen Wert des besonderen Interesses gleichgesetzt werden; damit scheinen vielmehr die subjektiven Nutzungen bzw Nutzungsmöglichkeiten des Enteigneten angesprochen zu sein.220 In der Sache werden zwei Aspekte vermischt, die besser getrennt behandelt 215
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OGH EvBl 1966/203; OGH ZVR 1967/77; SZ 46/94; OGH EvBl 1976/255; OGH EvBl 1976/256. Klicka in Schwimann II § 365 Rn 21; früher Klang in Klang II 195 (auf den die Formulierung anscheinend zurückgeht); Krzizek, ÖJZ 1969, 567. Vgl Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 11: „verwirrender Satz“. So schon vor dem LBG Brunner, JBl 1975, 594; ders, Enteignung 138; Rummel in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 91. Spielbüchler in Rummel I § 306 Rn 1. Auch deswegen unrichtig OGH ecolex 2004/57 (Reich-Rohrwig). Rummel in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 91.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
309
werden sollten. Einerseits geht es darum, wie der Wert der betroffenen Liegenschaft festzustellen ist; das ist eine Bewertungsfrage im eigentlichen Sinn (unten C.). Anderseits ist zu beantworten, welche Nachteile überhaupt zu ersetzen sind. Geht es nur um den Wert der Sache selbst oder auch um andere Vermögenseinbußen beim Enteigneten? Zu Recht bemüht sich die Lehre – wenn auch mit unterschiedlichen Ergebnissen – die Rechtsfragen zu systematisieren. Sie bedient sich dazu – wie bereits angesprochen – des Modells des Schadenersatzrechts;221 dies ist schon wegen der Terminologie in § 365 ABGB („Schadloshaltung“) nahe liegend, wird aber auch durch die Verweise in Sondergesetzen, wie insbesondere in § 18 Abs 1 BundesStrG, angeregt. Freilich ist aber bei der Suche nach einem System zu bedenken, dass es bei der Enteignungsentschädigung primär um die Neuzuordnung einer Nutzungsmöglichkeit und nicht um die Beseitigung einer erlittenen Beschädigung geht; vgl schon oben III. A. 2. Den schadenersatzrechtlichen Ansätzen entsprechend wird die Frage einerseits danach gegliedert, ob der Schaden abstrakt oder konkret zu berechnen ist (unten 2.), und andererseits danach, ob sich der Ersatz auf den positiven Schaden beschränkt oder auch den entgangenen Gewinn umfasst (unten 3.). 2. Abstrakte oder konkrete Berechnung? Der Schaden wird abstrakt berechnet, wenn nur der Wert der beschädigten Sache vor und nach der Enteignung gegenüber gestellt wird;222 konkrete Berechnung bedeutet, dass das Gesamtvermögen des Geschädigten in den Blick genommen wird und nicht nur die isolierten Auswirkungen auf einen Vermögensgegenstand betrachtet werden.223 Nach der herrschenden schadenersatzrechtlichen Lehre wird der Schaden wegen § 1323 iVm § 1332 ABGB objektiv-abstrakt berechnet, wenn der Schädiger bloß leicht fahrlässig gehandelt hat;224 objektiv bedeutet im Ergebnis, dass das besondere Interesse des Geschädigten an der Sache nicht berücksichtigt wird, sondern nur Marktkonditionen herangezogen werden. Hingegen ist bei grober Fahrlässigkeit225 die Berechnung konkret vorzunehmen, weswegen ein Gesamtvermögensvergleich
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Vgl zB Brunner, Enteignung 127 ff; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 216 ff. Vorsichtig auch Kühne/Hofmann/Nugent/Roth, EisbEG 43 f, 82. Für alle Koziol Haftpflichtrecht I Rn 2/56. Das führt üblicherweise auch zum Ersatz des entgangenen Gewinns; vgl Koziol Haftpflichtrecht I Rn 2/77. Für alle Koziol Haftpflichtrecht I Rn 2/56 ff; Karner in KBB § 1293 Rn 8; Danzl in KBB § 1332 Rn 1 jeweils mwN. Und unter Unternehmern nach § 349 UGB generell ganz unabhängig vom Verschulden. Bisher galt der Ersatz des entgangenen Gewinns auch beim einseitigen Handelsgeschäft; vgl Art 8 Nr 2 EVHGB. Warum durch diese Änderung der Reform des Schadenersatzrechts nicht vorgegriffen wird (so die Materialien 1058 BlgNR 20. GP 54 f), ist freilich nicht ersichtlich; vgl näher Schauer, ÖJZ 2006, 72.
310
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
erfolgt;226 allerdings bildet auch hier der objektiv-abstrakte Schaden die Untergrenze des Ersatzes, weil der Geschädigte nicht schlechter gestellt werden soll als bei bloß leichter Fahrlässigkeit des Schädigers. Dass die richtige Art der Berechnung des Schadens überhaupt strittig sein kann, ist angesichts der klaren Anordnungen in § 4 Abs 1 EisbEG und § 18 Abs 1 BundesStrG verwunderlich. Dort heißt es nämlich, dass alle vermögensrechtlichen Nachteile zu ersetzen sind und nicht nur solche am entzogenen Rechtsgut selbst. Brunner argumentiert demgegenüber, dass durch die Verwendung des Begriffs „Schadloshaltung“ implizit auf § 1323 ABGB verwiesen werde und dass deswegen die objektiv-abstrakte Berechnung so wie im Anwendungsbereich jener Norm vorzunehmen sei; das soll auch gelten, wenn kein unmittelbarer Verweis auf § 1323 ABGB wie in § 18 Abs 1 BundesStrG erfolgt.227 § 18 Abs 3 BundesStrG, wo eine konkrete Berechnung für die Entschädigung bei Verlust der Wohnmöglichkeit vorgeschrieben ist, sei ein nicht verallgemeinerungsfähiger Sonderfall.228 Diese begriffliche Abgrenzung überzeugt nicht. Denn die Schadloshaltung hat im Zusammenhang der Enteignung eine andere Funktion als bei leicht fahrlässiger Schädigung. Die Sache steht dem (vorsätzlich handelnden) Enteignungswerber zur Verfügung; das spricht doch für eine Pflicht, alle Nachteile beim Enteigneten und nicht nur den Marktpreis der Sache zu ersetzen.229 Das gilt umso mehr, wenn man die Funktion der Entschädigung als Verhaltenssteuerung anerkennt. Auch die herrschende Lehre geht davon aus, dass das Wort „Schadloshaltung“ allenfalls Bedeutung für die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns haben kann, sich aus ihm aber nichts für die Frage gewinnen lässt, ob grundsätzlich der Gesamtschaden beim Enteigneten zu berücksichtigen ist. Auch dieser ist nach EisbEG zu ersetzen.230 Wie insbesondere Rummel aufgezeigt hat, machen auch die Anordnungen in §§ 5 ff EisbEG gar keinen Sinn, wenn
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230
Für alle Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/77 ff; F Bydlinski, System 191; Karner in KBB § 1293 Rn 9 jeweils mwN. Brunner, Enteignungsentschädigung 133 ff; vgl schon dens, ÖJZ 1969, 141 f. Dieses Argument lehnen neben Rummel auch Kühne/Hofmann/Nugent/Roth, EisbEG 43 ab. Wie Brunner im Ergebnis heute noch Seicht, RWZ 2004, 265 f unter selektiver Angabe älterer Judikatur. Dagegen Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 223 f. So auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 220 f; ders in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 84. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 224 f; ders in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 89; Kleteþka in Koziol/Welser I 343; Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 10; Eccher in KBB § 365 Rn 8; Kühne/Hofmann/Nugent/Roth, EisbEG 82 f; Kerschner, ZfV 1085, 23; Aicher, Bestimmungen 77 ff; Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 11; referierend auch Brunner, ÖJZ 1993, 685. Im Ergebnis auch schon Randa, Eigenthumsrecht 183.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
311
man von objektiv-abstrakter Schadensberechnung ausgeht.231 Die Berechnung erfolgt somit konkret und zwar, wie noch zu zeigen sein wird, ohne eine Berücksichtigung des Werts der besonderen Vorliebe und insofern „objektivkonkret“.232 Diese objektiv-konkrete Berechnung entspricht damit im Ergebnis der schadenersatzrechtlichen Abgrenzung zwischen konkreter Berechnung des Schadens und Affektionsinteresse.233
Die Rechtsprechung folgt mittlerweile wieder234 dieser herrschenden Lehre, während eine Zeit lang einzelne Entscheidungen bloß den Verkehrswert der enteigneten Liegenschaft heranziehen wollten.235 Exemplarisch ist SZ 73/128: „Nach ständiger Rechtsprechung sind enteignungsbedingte Vermögensnachteile […] unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Enteigneten, jedoch unter Heranziehung eines objektiven Wertermittlungsmaßstabes heranzuziehen […]. Maßgeblich für die Höhe der Entschädigung ist somit das Maß der verursachten vermögensrechtlichen Nachteile, die dem Enteigneten erwachsen, soll doch durch die zu gewährende Entschädigung dem Enteigneten grundsätzlich der Unterschied zwischen seiner Vermögenslage vor und nach der Enteignung ausgeglichen werden.“236 Und noch deutlicher: „[D]ie Feststellung der enteignungsbedingten Nachteile […] hat konkret unter Berücksichtigung eines objektiven Maßstabs bei der Wertermittlung zu erfolgen […].“237 Der grundsätzliche Streit über abstrakte oder konkrete Berechnung ist für praktische Zwecke somit erledigt. Aus der konkreten Berechnung ergibt sich zwingend, dass auch Folgeschäden238 zu ersetzen sind, die über den Wert des enteigneten Gegenstandes hinausgehen.239 Das erkennt die Rechtsprechung grundsätzlich an.240 Ebenso
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Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 222 f; ders in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 83 ff. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 227, ders in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 93 f; Aicher, Bestimmungen 74 f; Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 10; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 25; Kerschner, JBl 2006, 358 f. Zur „objektiv-konkreten“ Berechnung im Schadenersatzrecht vgl Koziol, Haftpflichtrecht Rn 10/32. Vgl Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/106. Vgl früher zB SZ 6/109; SZ 34/119. EvBl 1976/256. So im Ergebnis auch SZ 48/54; SZ 55/56; SZ 68/41; SZ 68/121. In der Sache auch EvBl 1987/79. SZ 71/4. Für eine Fallgruppenbildung vgl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 268 ff. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 252 ff. Vgl zB SZ 48/54 (Kosten der Übersiedlung und Wertminderung der übersiedelten Gegenstände); SZ 55/175 (Betriebsverlegungs- und Übersiedlungskosten); OGH JBl 1983, 432 (Kosten der Betriebsverlagerung und Umsiedlung eines Unterneh-
312
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
enthalten einige Enteignungsgesetze entsprechende Bestimmungen; vgl zB § 65 Abs 1 und 2 Tir StrG.241 Aber auch diejenigen Autoren, die sonst für eine objektiv-abstrakte Berechnung eintreten, folgen in diesem Zusammenhang der Anordnung in § 4 Abs 1 EisbEG und lassen den Ersatz solcher „persönlicher Schäden“ oder „Folgeschäden“ zu.242 Das mag inkonsequent erscheinen; zu erinnern ist aber daran, dass bei objektiv-abstrakter Berechnung im Schadenersatzrecht der Ersatz von Folgeschäden zumeist nicht abgelehnt wird und bei Aufwendungen ohnehin nur eine konkrete Berechnung in Frage kommt.243 Insofern ist die Kombination von objektiv-abstrakter Berechnung des Schadens am Rechtsgut und (objektiv-)konkreter Berechnung der Folgeschäden nicht ungewöhnlich. Soweit die Folgeschäden daraus resultieren, dass wegen der Enteignung das auf der Liegenschaft betriebene Unternehmen aufgegeben werden muss, ist die Abgrenzung zum entgangenen Gewinn vorzunehmen, weil der Ertragswert des Unternehmens, um dessen Ersatz es häufig geht, auch bloße Erwerbschancen berücksichtigt. Im Ergebnis ist der Ersatz dieser Folgeschäden aber ganz unabhängig vom dogmatischen Ausgangspunkt heute unstrittig.244 Folgeschäden treten freilich nur auf, soweit die Nachteile nicht ohnehin schon bei Feststellung des Verkehrswerts berücksichtigt werden.245 Das passiert aber regelmäßig, soweit eine Ertragswertberechnung vorgenommen wird, weil dort Nachteile im Regelfall im Rahmen der Feststellung der Überschüsse als Kosten berücksichtigt werden. Die Frage der Tragung der Verfahrenskosten und des Kostenersatzes für Rechtsberater und Gutachter war lange Zeit strittig.246 Heute ist die Frage durch § 44 EisbEG247 weit gehend geregelt. Die Verfahrenskosten sind durch den Enteignungswerber zu tragen, wenn sie nicht durch ein ungerechtfertigtes Einschreiten des Enteigneten hervorgerufen wurden; darunter wird von der heute
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mens); ähnlich zur Unternehmensübersiedlung OGH EvBl 1976/255; OGH EvBl 1987/79 (zu Finanzierungskosten bei früherer Anschaffung). Tir LGBl 1989/13. Brunner, Enteignung 141 ff. Vgl Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/62 ff mwN; siehe auch Kerschner, ZfV 1985, 23. Vgl SZ 55/175; vgl die Zusammenstellung der Rsp bei Klicka in Schwimann II § 365 Rn 24 ff; so auch (bzw sogar) Brunner, Enteignung 201 ff (beschädigte Sache sei das Unternehmen, nicht die Liegenschaft); zu den dogmatischen Unschärfen Kerschner, ZfV 1985, 23 f. Vgl Klicka in Schwimann II § 365 Rn 25. SZ 59/229; SZ 60/17; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 308 ff; Bachmann, AnwBl 1991, 612 und 690; Brunner, NZ 1967, 89; ders, JBl 1975, 588; ders, Enteignung 111 f; Dullinger, JBl 1984, 641; Kühne, ÖJZ 1981, 561; ders, ÖJZ 1993, 733. IdF BGBl 1995/297.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
313
wohl herrschenden Meinung fahrlässiges Einschreiten verstanden.248 Auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Anwalts- und Sachverständigenkosten sind grundsätzlich zu ersetzen, wobei beim Ersatz der „ersiegte Entschädigungsbetrag“ zu berücksichtigen ist; das ist die Differenz zwischen dem gerichtlich festgelegten Betrag und demjenigen, was der Enteignungswerber zu zahlen bereit war.
3. Positiver Schaden oder entgangener Gewinn? a) Grundlagen Eine parallele Problemstellung besteht hinsichtlich der Frage, ob bei einer Enteignung nur der positive Schaden oder auch der entgangene Gewinn zu ersetzen ist. Soweit einzelne Gesetze diesbezügliche Anordnungen enthalten, vor allem den Ersatz des entgangenen Gewinns ausschließen, besteht kein Anlass zu weiterer Diskussion. Das ist aber zumeist, insbesondere im hier untersuchten Bereich, nicht der Fall. Regelmäßig wird bloß der Terminus „Schadloshaltung“ verwendet. Auch hier wird darauf verwiesen, dass der entgangene Gewinn nicht vom Begriff der Schadloshaltung erfasst ist, so wie ihn neben § 4 Abs 1 EisbEG auch § 1323 ABGB verwendet (und deswegen bei bloß leichter Fahrlässigkeit nicht ersetzt werden muss); vielmehr spricht das Gesetz von „voller Genugtuung“, wenn auch der entgangene Gewinn ersetzt werden soll.249 Die Wortwahl ist – wie dem Bericht der Herrenhauskommission und der Regierungsvorlage zu entnehmen ist –250 nicht zufällig erfolgt; vielmehr wurde der belegte Begriff des ABGB bewusst verwendet.251 Aus dem Wort „Schadloshaltung“ wird denn auch von einem Teil des Schrifttums gefolgert, dass der entgangene Gewinn bei einer Enteignung nicht zu ersetzen ist; das gelte umso mehr, wenn wie in § 18 Abs 1 BundesStrG ein Verweis auf § 1323 ABGB enthalten ist.252 Die Rechtsprechung folgt im Anwendungsbereich des EisbEG und vor allem des BundesStrG253 dieser Meinung zum Teil.254 248 249 250 251
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Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 310 f. Vgl allgemein zB Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/34 ff; P Doralt, JBl 1972, 121. Vgl Kühne/Hofmann/Nugent/Roth, EisbEG 99. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 229 ff; Brunner, Enteignungsentschädigung 129. Brunner, Enteignung 127 ff; ders, ÖJZ 1969, 141; ders, ÖJZ 1993, 684 f; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 22; zum BundesStrG Aicher, Bestimmungen 76 f in Fn 331, 81; unklar Feil, Enteignungsrecht 94 ff. Früher schon Winiwarter, ABGB II 120. Vgl ZVR 1967/205, wo zwischen BundesStrG und EisbEG bezüglich der Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns differenziert wird. SZ 48/54; OGH EvBl 1976/256; SZ 51/175; OGH JBl 1983, 432; OGH JBl 1992, 392. Im Ergebnis auch die Rsp zu alternativen Verkaufsmöglichkeiten, zB OGH EvBl 1976/255; vgl unten b).
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung Dennoch ist auch nach dieser Auffassung der Wert des von der Liegenschaftsenteignung betroffenen Unternehmens zu ersetzen, soweit die Unternehmung nicht an anderer Stelle reproduzierbar ist;255 die dogmatische Begründung ist bei diesem Ausgangspunkt freilich schwer.
Dem ist mit dem anderen Teil des Schrifttums256 und in Einklang mit einem Teil der Rechtsprechung257 entgegenzuhalten, dass aus dem gegliederten Schadensbegriff für die Festlegung der Entschädigung bei der Enteignung nichts zu gewinnen ist. Es muss zumindest stutzig machen, dass für den vergleichbaren Fall eines rechtmäßigen, aber im Regelfall intentionalen Eingriffs, nämlich § 364a ABGB, der entgangene Gewinn grundsätzlich zu ersetzen ist.258 In der Enteignung liegt aber ein der Immission vergleichbarer Fall des intentionalen, wenn auch rechtmäßigen Eingriffs in fremdes Eigentum, der die Entschädigungspflicht auslöst.259 Ebenso ergibt sich nach dieser Auffassung aus dem Ausschluss der Ersatzfähigkeit bloß des Werts der besonderen Vorliebe, dass der entgangene Gewinn jedenfalls zu ersetzen sei.260 Aus ökonomischer Sicht ist die Ansicht, dass Erwerbschancen nicht zu ersetzen sind, abzulehnen. Entgegen Rummel,261 der freilich grundsätzlich für den Ersatz des entgangenen Gewinns eintritt, lässt sich der Ersatz von Erwerbschancen durchaus mit der Tatsache des Übergangs der enteigneten Sache erklären: Für den Eigentümer bildet seine subjektive Erwerbsmöglichkeit einen Teil des Werts der Liegenschaft. Sofern die Erwerbsmöglichkeit untrennbar mit der Liegenschaft verbunden ist,262 würde er sich nur von dieser
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Brunner, Enteignung 201 ff. Vgl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 228 ff; für den Ersatz des entgangenen Gewinns sprechen sich auch aus: Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 10; Eccher in KBB § 365 Rn 8; Klang in Klang II 195; Kühne/Hofmann/Nugent/Roth, EisbEG 41, 83; Hellbling, JBl 1960, 356; Jesch, ÖJZ 1962, 534 f; Kerschner, ZfV 1985, 23; Randa, Eigenthumsrecht 184 f; Ehrenzweig, Privatecht I/2 227; Swoboda, GZ 1919, 244; Feil, Enteignungsgesetze 14; grundsätzlich auch Geuder, ZVR 1970, 144. SZ 6/109. Im Ergebnis auch SZ 55/175. Eccher in KBB § 364a Rn 5 mwN. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 232 f; F Bydlinski, System 204, sieht auch in der Enteignung einen Fall der Eingriffshaftung. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 231; antikritisch mit diesbezüglich guten Argumenten Brunner, Enteignung 130. Ebenso wenig überzeugt es mE, aus der Tatsache, dass einige Enteignungsgesetze die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns ausdrücklich ausschließen (§ 57 Abs 4 Wr Bauordnung, LGBl 1930/11), den Umkehrschluss zu ziehen, dass ein Ersatz immer dann in Frage kommt, wenn es an einem ausdrücklichen Ausschluss fehlt; so aber Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 233. In Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 232. Zur Argumentation Brunners, Enteignung 131, bereits oben III. A. 3. Vgl dazu Posner, Economic Analysis 58.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
315
trennen, wenn der Barwert263 dieser Möglichkeit vom Erwerber im Kaufpreis abgegolten wird. Soll die Enteignung effizient sein, so muss der Wert der Liegenschaft für die Allgemeinheit höher sein als für den Käufer. Das Argument der Verhaltenssteuerung spricht dafür, dass die Entschädigung auch solche individuellen Erwerbschancen umfassen muss.264 Etwas anderes gilt, wenn die besonderen subjektiven Gewinnmöglichkeiten auch auf einer anderen Liegenschaft reproduziert werden können. Diesbezüglich führt die Enteignung nicht zum Verlust dieser Chance, weswegen ein Ersatz ausscheidet.265 Im Ergebnis ist daher im Rahmen der Enteignungsentschädigung nicht nur der positive Schaden, sondern auch der entgangene Gewinn zu ersetzen. Bloß völlig hypothetische Erwerbschancen fallen freilich nicht darunter; diesbezügliche Probleme sollten freilich nicht Anlass bieten, den Ersatz des entgangenen Gewinns generell zu verneinen, sondern über die Beweislast gelöst werden. Exkurs: Zur Bedeutung der Diskussion Hält man den entgangenen Gewinn wegen der angeordneten „Schadloshaltung“ in Analogie zur schadenersatzrechtlichen Begriffsbildung für nicht ersatzfähig, so ist die komplexe schadenersatzrechtliche Rechtsprechung zur Abgrenzung von positivem Schaden und entgangenem Gewinn zu berücksichtigen. Das Problem ist freilich insoweit aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, als allgemeine Nutzungsmöglichkeiten ohnehin bereits im Verkehrswert der Liegenschaft eingepreist sind, auch wenn diese Art der Nutzung vom Enteigneten nicht vorgenommen wird;266 heranzuziehen sind die nachhaltigen Erträge bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung (§ 5 LBG). Damit ist die Einordnung solcher Nutzungsmöglichkeiten als positiver Schaden unstrittig. Würde man diese Möglichkeit noch zusätzlich als entgangenen Gewinn berücksichtigen, so käme es zu einer Doppelverwertung.267 Die Rechtsprechung zur Enteignungsentschädigung ersetzt solche allgemeinen Erwerbschancen im Regelfall als Teil des Verkehrswerts und beruft sich dazu häufig auf die herrschende Lehre zum Schadenersatzrecht: Verlorene Erwerbschancen sind dann positiver Schaden, wenn sie nach der Verkehrsauffassung bereits werterhöhend berücksichtigt werden; es liegt dann ein sicherer Vermö-
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Abgezinster Wert der mit Eintrittswahrscheinlichkeiten multiplizierten Ergebnisse. Freilich ist besonders auf die Gefahr der Doppelberücksichtigung zu achten: Die durchschnittlichen, mit einem Betriebsobjekt verbundenen Erwerbsmöglichkeiten sind von der gesamten individuellen Erwerbschance abzuziehen; denn erstere sind bereits bei der Berechnung des Verkehrswerts, der auf die objektiven Möglichkeiten abstellt, berücksichtigt worden. Zu den Bewertungsmethoden unten C. Für alle Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 11. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 233 f; Aicher, Grundfragen 76; im Ergebnis auch Klicka in Schwimann II § 365 Rn 22; Brunner, Enteignung 140. Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/39 mwN.
316
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung genswert vor.268 Die schadenersatzrechtliche Mindermeinung, nach der Gewinnmöglichkeiten nur dann zu ersetzen sind, wenn eine rechtliche gesicherte Position besteht (zB Vertrag oder bindendes Angebot),269 hat sich somit auch im enteignungsrechtlichen Zusammenhang nicht durchsetzen können.270 Solche rechtlich gesicherten Gewinnmöglichkeiten sind aber jedenfalls zu ersetzen.271 Die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns betrifft daher nur besondere, subjektive Nutzungsmöglichkeiten des Enteigneten, die sich gerade nicht in allgemeinen Verkehrserwartungen widerspiegeln. Denn wenn diese Möglichkeiten beim Erwerb vom Käufer nicht reproduzierbar sind, weil die Nutzung durch die besonderen Eigenschaften des Unternehmers (und nicht der Liegenschaft) bedingt ist, würde bei Verkauf des auf der Liegenschaft betriebenen Unternehmens im Verkehr keine Abgeltung erfolgen.272 Für diesen Fall ist die Frage, ob bloß positiver Schaden oder auch entgangener Gewinn zu ersetzen sind, jedenfalls von Bedeutung.273
b) Alternative Veräußerungsmöglichkeiten Die Rechtsprechung lehnt es regelmäßig ab, alternative Veräußerungsmöglichkeiten zu berücksichtigen: „Nicht als Verkehrswert kann allerdings ein Preis in Betracht gezogen werden, den zu bezahlen sich nur ein einzelner Käufer bereitfindet.“274 Der Ersatz kommt freilich in Frage, wenn auch tatsächlich ein Kaufvertrag zu diesem höheren Preis abgeschlossen wurde.275 Nach einem Teil der Rechtsprechung kann auch ein ernstlich gemeintes Angebot berücksichtigt werden, wenn der Vertragsabschluss nur wegen des Bedarfs der enteignenden Gebietskörperschaft unterblieben ist.276 Ausgangspunkt dieser Entscheidungskette war jedoch ein – auch in allen Folgeurteilen zitierter – Fall, in dem dieser Rechtssatz zugunsten des Enteigneten aufgestellt wurde.277 Für Hochspannungsleitungen über einer Liegenschaft hatte der Sachverständige einen Abschlag vom Liegenschaftswert von 10 % ermittelt; dieser Wertverlust musste ersetzt werden. Das Gericht führte aus, dass ein Abschlag von bloß 5 % nicht damit gerechtfertigt werden kann, dass der Eigentümer allenfalls einen anderen Käufer gefunden hätte, der bereit
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SZ 51/175. Zum Schadenersatzrecht vgl zB SZ 65/94; Karner in KBB § 1293 Rn 5. Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/38 mwN. Aber auch nach dieser Ansicht sind bei objektiv-abstrakter Berechnung von Sachschäden Gewinnchancen insoweit zu ersetzen, als sie sich bereits im Verkehrswert der beschädigten Sache widerspiegeln; Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/39. SZ 65/13. Zum Schadenersatzrecht vgl SZ 57/173. So auch Brunner, Enteignung 140 f. Vgl auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 236. OGH RZ 1973/88. So auch OGH EvBl 1976/255; SZ 51/175. SZ 65/13. OGH 5 Ob 296/71. OGH EvBl 1965/423.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
317
gewesen wäre, einen geringeren Abschlag zu akzeptieren. Erst die späteren Entscheidungen haben den Rechtssatz zum Nachteil des Enteigneten angewandt. Derjenige Teil der Lehre, der den Ersatz des entgangenen Gewinns ablehnt, folgt dieser Haltung der Rechtsprechung.278 Das ist nicht konsequent, soweit man den Schaden objektiv-abstrakt berechnet. Denn auch die Berücksichtigung vertraglich abgesicherter Veräußerungsmöglichkeiten über dem gemeinen Wert ist eine Vermögensminderung und kann als solche nur bei konkreter Schadensberechnung ersetzt werden.279 Der Ausgangspunkt Brunners muss also zu einer fiskalfreundlicheren Auslegung als derjenigen der Rechtsprechung führen. Rummel, der von der Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns ausgeht, hält solche alternativen Verkaufsmöglichkeiten hingegen grundsätzlich für ersatzfähig;280 auf den Abschluss des Vertrags kommt es überhaupt nicht an, sondern es genüge ein bindendes Kaufangebot. Der Manipulationsgefahr sei durch die Anwendung von § 7 Abs 1 EisbEG zu begegnen, wonach Verhältnisse nicht zu berücksichtigen sind, wenn sie ersichtlich in der Absicht hervorgerufen wurden, die Entschädigungssumme zu erhöhen; dazu gehören insbesondere bloß vorgetäuschte Angebote. Aus ökonomischer Sicht ist der Ersatz des Preises einer alternativen Veräußerungsmöglichkeit mE zu bejahen, jedenfalls soweit sich darin ökonomische Nutzungsmöglichkeiten widerspiegeln. Es geht zwar nicht darum, den subjektiven Wert der Liegenschaft für den Enteigneten zu ersetzen; jedoch gibt es ein anderes Rechtssubjekt, dessen subjektive Bewertung der Liegenschaft höher ist als diejenige des Enteigneten. Wenn die Enteignung wohlfahrtssteigernd sein soll, muss das öffentliche Interesse am Projekt höher zu bewerten sein als dieses partikulare Interesse. Aus dem Blickwinkel der Verhaltenssteuerung der öffentlichen Hand spricht daher viel dafür, auch diese alternative Veräußerungsmöglichkeit bei der Festlegung der angemessenen Entschädigung zu berücksichtigen. Der Gefahr der Manipulation ist am besten durch eine Beweislastregel vorzubeugen; damit werden die ökonomischen Kosten der Wertbestimmung dem Enteigneten auferlegt. Jedenfalls wäre es mE nicht gerechtfertigt, wegen der Manipulationsgefahr den Anspruch auf Ersatz an sich zu verwehren. Als dogmatischer Ansatzpunkt kann § 7 Abs 1 EisbEG dienen, auch wenn jene Norm keine Beweislastregeln enthält; im Rahmen der freien Beweiswürdigung kann der Richter aber verdächtige Angebote, die zeitnahe zum Enteignungsvorgang abgegeben wurden, aus der Betrachtung ausscheiden.281
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Brunner, Enteignung 140; ders, ÖJZ 1973, 429. Koziol, Haftpflichtrecht Rn 2/54; so auch Karner in KBB § 1293 Rn 6. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 236 f; ders in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 188. So auch Kerschner, JBl 2006, 360. Näher Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 236 f.
318
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
c) Alternative Nutzungen aa) Allgemeines Nach einem Standardsatz der Lehre ist nicht die augenblickliche Verwendung der enteigneten Sache im Verwendungszeitpunkt ausschlaggebend, sondern die beste wirtschaftliche Verwendungsmöglichkeit.282 Auch die Rechtsprechung wiederholt dies in zahlreichen Entscheidungen.283 Es komme darauf an, dass der Enteignete die Liegenschaft in Zukunft nicht mehr weiterhin so nutzen kann, wie es ihm rechtlich zusteht, nicht aber so, wie er es bisher getan hat.284 Ein schönes Beispiel dafür bietet SZ 54/45: Ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück wäre aufgrund der Nähe zum Stadtgebiet auch intensiver nutzbar gewesen, zB als Erholungs- oder Kleingartenfläche. Diese abweichende Nutzungsmöglichkeit wurde vom Sachverständigen berücksichtigt, was der OGH nicht beanstandet hat.285
Aus ökonomischer Sicht bedeutet dies, dass der Erwerber nicht nur die derzeitige Nutzung ersetzen muss, sondern die bestmögliche Nutzung. Es ist ökonomisch selbstverständlich und in der Rechtsprechung auch berücksichtigt,286 dass die Kosten der Erschließung dieser Nutzung von ihrem Wert abzuziehen sind, zB bei einer potenziell möglichen Errichtung eines Einkaufszentrums auf der Liegenschaft. Das Problem dieses Zugangs liegt aber darin, dass der Enteignungswerber bei diesem Vorgehen mit sämtlichen Risken der Durchführung des Projekts belastet würde, während bei Vertragsabschluss die Risken über die Festlegung des Kaufpreises zwischen den Parteien verteilt würden.287 Dadurch würde der Enteignungswerber eher auf den Abschluss von Kaufverträgen abweichen,288 wobei aber auch in diesem Zusammenhang der mögliche Kaufpreis durch die Höhe der im Enteignungsverfahren zu erwartenden Entschädigung beeinflusst wird. Die Lösung ist verhältnismäßig einfach, soweit sich diese Nutzungsmöglichkeit in Marktpreisen widerspiegelt; denn dann gibt es eine typische Risiko282
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Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 11; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 29; Brunner, Enteignung 140 f; Rummel in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 92; Jesch, ÖJZ 1962, 535; Krzizek, ÖJZ 1969, 568. Ablehnend Klang in Klang II 195; Geuder, ZVR 1970, 144. SZ 50/158; SZ 51/175; SZ 54/45; SZ 55/53; SZ 55/133; OGH EvBl 1987/79; SZ 73/128; OGH RZ 2004/10. Zumindest verbal anders aber SZ 40/11. Zur USamerikanischen Rsp vgl Serkin, 99 Nw U L Rev 689 f (2005). So SZ 73/128. Freilich führt der OGH zu Recht an, dass für die Wertminderung der Restliegenschaft wegen der Einheit des Bewertungsansatzes in diesem Fall auch nicht auf die bereits bisher vorgenommene Nutzung abgestellt werden dürfe. Vgl SZ 55/133. Näher Serkin, 99 Nw U L Rev 690 ff (2005). Serkin, 99 Nw U L Rev 710 f (2005).
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
319
verteilung, die eingepreist worden ist. Soweit zB Verkehrswerte pro Quadratmeter von größeren zusammenhängenden Liegenschaften höher sind als bei kleineren,289 spiegelt sich darin die bessere Verwendungsmöglichkeit größerer Grundstücke wider, auch wenn die bisherige Verwendung durch die Größe der Liegenschaft nicht beeinflusst war.290 Dasselbe gilt, wenn ein konkreter Käufer nachweislich ein Angebot für die Liegenschaft gestellt hat; dieses Angebot stellt eine alternative und grundsätzlich zu ersetzende Nutzungsmöglichkeit dar; die Verteilung des Projektverwirklichungsrisikos ist nach Marktgesichtspunkten erfolgt und daher bei Festsetzung der Enteignungsentschädigung zu akzeptieren. Probleme bestehen vor allem, wenn die Nutzungsmöglichkeit nur vom Enteigneten behauptet wird, sich aber nicht in Preisen widerspiegelt. Neben dem Problem des Nachweises solcher Nutzungen geht es hier vor allem um die Belastung des Enteignungswerbers mit den Projektrisken. Sind bei der Ertragswertberechnung (dazu unten C. 3.) auch mögliche, aber derzeit nicht betriebene Nutzungen mit ihren Aufwendungen und Kosten zu berücksichtigen? Das wird man grundsätzlich nicht verneinen können. Denn jede Ertragswertberechnung enthält eine Bewertung unter Berücksichtigung einer zukünftigen und daher mit Risken verbundenen Entwicklung; auch die Berücksichtigung der derzeitigen Nutzung geht von der Annahme aus, dass sich diese derzeitigen Nutzungen fortführen lassen bzw bestimmte Erträge erbringen. Risken werden mittels des Erwartungswerts berücksichtigt. Lässt man die Ertragswertberechnung daher grundsätzlich als Bewertungsmethode zu, woran angesichts des LBG keine Zweifel bestehen, dann ist auch die Entscheidung über die Berücksichtigung von subjektiven Einschätzungen zukünftiger Entwicklungen bereits gefallen. Der Unterschied, ob die Nutzung bereits derzeit vorgenommen wird oder bloß geplant ist, ist nur noch gradueller Natur. Fraglich kann angesichts dieser Ausgangslage nur sein, welchen Konkretisierungsgrad solche Pläne haben müssen. ME lässt sich aus § 7 Abs 1 EisbEG zumindest implizit ableiten, dass konkrete Pläne für zukünftige Nutzungen gefasst sein müssen, bevor die Enteignungsabsicht bekannt geworden ist. Auch die vorgelegten Unterlagen müssen vor diesem Zeitpunkt aufgestellt worden sein; das gilt insbesondere für die Planungsrechnung und die ihr zugrunde liegenden Daten. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Zweck der Bewertung nicht mehr die Ermittlung des Entscheidungswerts für den Liegenschaftseigentümer ist, sondern in der Beeinflussung der Entschädigungssumme liegt. bb) Umwidmungen von Liegenschaften Ein Sonderproblem in diesem Zusammenhang hat die Gerichte bereits häufig beschäftigt. Welcher Wert soll ausschlaggebend sein, wenn eine Liegenschaft
289 290
Vgl den Sachverhalt in SZ 55/153; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 33. Allgemein auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 283 f.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
noch als Grünland und nicht als Bauland gewidmet ist, eine Umwidmung aber grundsätzlich möglich bzw zu erwarten ist: Marktpreise für Bauerwartungsland291 oder für Grünland? Dem Grundsatz nach ist die mögliche Nutzung nämlich aufgrund der rechtlichen Gegebenheiten zum Bewertungszeitpunkt zu bestimmen. Jedoch ist nicht in jedem Zusammenhang der Zeitpunkt der Bewertung ausschlaggebend. Besteht zB eine Bausperre für die Liegenschaft, die aber kurz nach der Enteignung abgelaufen wäre, so ist der Wert der Liegenschaft ohne Berücksichtigung der Bausperre zu ermitteln.292 Das entspricht der üblichen Marktbewertung.
Diese Vorwirkung erst zukünftiger Flächenwidmungen wurde in der Rechtsprechung zunächst abgelehnt;293 vielmehr sollte auch für die Bewertung als Bauerwartungsland eine baldige Parzellierung und Aufschließung erforderlich sein, die sich schon in der Marktbewertung niedergeschlagen hat.294 In späteren Entscheidungen wurde diese Vorwirkung aber anerkannt; freilich sei zu berücksichtigen, inwieweit typische Käufer das Risiko, dass in der Folge die Umwidmung dann doch nicht erfolgt, bei ihren Preisberechnungen als mindernden Faktor einbeziehen.295 Ganz ähnlich stellt Brunner darauf ab, ob der Grundverkehr eine bereits konkret geplante Umwidmung berücksichtigt; analog sei die Wahrscheinlichkeit einer Ausnahmebewilligung für die Bebauung von Grünland zu beurteilen.296 Rummel hält die Flächenwidmung hingegen für grundsätzlich nicht unmittelbar ausschlaggebend; es komme nur auf die Einschätzung durch die Marktteilnehmer an.297 Im Ergebnis liegen die beiden Meinungen nicht weit auseinander. Grundsätzlich sind die Erwartungen der Marktteilnehmer ausschlaggebend, auch wenn die Umwidmung noch nicht erfolgt ist. Diese Teilnehmer gehen im Regelfall bei der Preisfestlegung von der Möglichkeit einer Umwidmung aus, wenn entsprechende Pläne bekannt sind; dann ist die Bewertung als Bauerwartungsland unter Berücksichtigung eines Risikoabschlags heranzuziehen. Grundsätzlich ist diese Bewertung auch vorher möglich; in solchen Fällen
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Bauerwartungsland sind Liegenschaften, die zwar schon entsprechend gewidmet, aber noch nicht aufgeschlossen sind und bei denen der Markt die grundsätzlich mögliche Bebauung einpreist; vgl zB Brunner, Enteignung 190. Zum Bauerwartungsland vgl schon Brunner, ÖJZ 1969, 143. SZ 50/158. OGH RZ 1969, 107. So auch Krzizek, ÖJZ 1969, 568; Klang in Klang II 195; streng auch Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 11. SZ 51/175. Zustimmend Brunner, Enteignung 190. SZ 55/133. Brunner, Enteignung 190 f. Ähnlich wohl Eccher in KBB § 365 Rn 9. Rummel in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 191; ders in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 247.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
321
müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, wegen derer der Markt von einer zukünftigen Bebaubarkeit ausgeht.298 Daneben ist es soweit ersichtlich unbestritten, dass eine Korrektur erforderlich ist, wenn die sonst wahrscheinlich vorgenommene Umwidmung nur wegen des bereits bekannten Enteignungsprojekts unterblieben ist; dann ist für Zwecke der Entschädigungsbemessung zu fingieren, dass die Umwidmung erfolgt ist.299
4. Besondere Vorliebe Das Affektionsinteresse, wie der Wert der besonderen Vorliebe auch genannt wird, bestimmt sich im Gegensatz zur konkreten Berechnung nicht aus der Stellung der Sache im Gesamtvermögen des Enteigneten. Vielmehr ist der ideelle Wert einer Sache ausschlaggebend, der sich nach der Gefühlsverbundenheit mit der Sache bestimmt.300 Damit ist der Wert der besonderen Vorliebe ein Unterfall des ideellen Schadens301 und als solcher nach Schadenersatzrecht nur bei Schädigung mittels einer durch Strafgesetz verbotenen Handlung oder aus Mutwillen und Schadensfreude zu ersetzen (§ 1331 ABGB). Der Ersatz dieses Werts der besonderen Vorliebe ist in den Enteignungsgesetzen durchwegs ausgeschlossen; vgl § 7 Abs 2 EisbEG, § 18 Abs 1 BundesStrG oder § 65 Abs 3 lit a) Tir StrG.302 Auch § 2 Abs 3 LBG enthält für die Liegenschaftsbewertung einen entsprechenden Grundsatz. Das würde sich wohl auch schon aus allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung ergeben;303 einer besonderen Regelung in den Enteignungsgesetzen bedürfte es daher eigentlich überhaupt nicht. Privaten sind damit ihre besonderen Nutzungsmöglichkeiten immer dann nicht zu ersetzen, wenn sie nicht ohne weiteres monetär bewertet werden können. Das ist der Regelfall; soweit nicht unternehmerische Nutzungen vorliegen, scheidet die Bewertung in Geldeinheiten im Regelfall aus. Das ist ökonomisch grundsätzlich problematisch: Denn auch das Affektionsinteresse ist ein subjektiver Wert, der ersetzt werden muss, um effiziente Enteignungen weit gehend zu gewährleisten. Freilich sprechen praktische Überlegungen,
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Ähnlich Rummel in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 192. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 248, 283; Brunner, Enteignung 191. Danzl in KBB § 1331 Rn 2; Spielbüchler in Rummel II/2b § 1331 Rn 2. Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/105. Siehe zB SZ 51/175; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 22; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 268; Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 10; Feil, Enteignungsgesetze 14; Ehrenzweig, Privatecht I/2 227. Vgl § 1331 ABGB, der das Affektionsinteresse nur bei qualifizierten Beschädigungen ersetzt. Diese Norm ist jedenfalls dann anwendbar, wenn der ideelle Schaden nur mittelbar durch Beschädigung eines Vermögensgutes entstanden ist, was bei der Enteignung jedenfalls der Fall ist; vgl Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 11/6.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
insbesondere der erhöhte Aufwand bei der Feststellung, grundsätzlich gegen die Berücksichtigung. Aus ökonomischer Sicht wird die Rechtfertigung des Ausschlusses freilich dort dünn, wo die monetäre Bewertung der subjektiven Nutzungen durch den Enteigneten an und für sich ohne weiteres feststellbar ist. Das ist im Zusammenhang mit Liegenschaften in zwei Konstellationen der Fall: − Erstens kann der zu Enteignende die Liegenschaft selbst zeitnah zur Enteignung erworben haben. Dieser seinerzeitige Kaufpreis kann mE einen Indikator für die subjektive Bewertung durch den Enteigneten bieten, wenn sich die Marktverhältnisse nicht zwischenzeitlich so geändert haben, dass ein Vergleich nicht mehr möglich ist. Die herrschende Lehre lehnt die Berücksichtigung des vom Enteigneten selbst bezahlten Kaufpreises ab, wenn er über dem Marktpreis liegt.304 Das ist unstreitig richtig, wenn der Erwerb zu überhöhten Preisen zu einem Zeitpunkt durchgeführt wurde, zu dem das Enteignungsprojekt schon bekannt oder immerhin doch absehbar war; der Berücksichtigung steht in diesem Fall § 7 Abs 1 EisbEG entgegen. − Zweitens geben auch frühere Vertragsangebote, die vom zu Enteignenden bereits abgelehnt wurden,305 einen wichtigen Indikator für den subjektiven Nutzen der Liegenschaft. Sie zeigen nämlich, dass die dort gebotene Gegenleistung zumindest nicht über der Wertschätzung der Liegenschaft durch den Eigentümer liegt.306 Dogmatisch sind diese Transaktionen oder Transaktionsmöglichkeiten bei Privaten nicht zu berücksichtigen. Denn das Affektionsinteresse ist nicht etwa bloß dann nicht zu ersetzen, wenn es nicht nachgewiesen werden kann, sondern grundsätzlich nicht. Bei Unternehmern, die auf Gewinn gerichtet sind, zeigen solche Sachverhalte jedoch subjektive Einschätzungen über zukünftige Gewinnmöglichkeiten an; solche Unternehmer werden im Regelfall nur erwerben oder den Erwerb ablehnen, wenn sie ihre alternativen Verwendungsmöglichkeiten höher bewerten. Da der entgangene Gewinn zu ersetzen ist, sind solche Sachverhalte als Indikatoren heranzuziehen, ohne jedoch eine feste Untergrenze zu bilden. In der Sache wird deutlich, dass die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns einerseits, der Ausschluss des Affektionsinteresses andererseits in der Sache zu einer Ungleichbehandlung von Unternehmern und Privaten führt. 304
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Ablehnend Brunner, Enteignung 140. Das von Brunner verwiesene Urteil (GlUNF 5868) vermag seine Auslegung freilich nicht zu stützen, weil dort die Liegenschaft in der Absicht erworben wurde, eine Erhöhung des Entschädigungsanspruchs herbeizuführen. Steht das Angebot jedoch noch zur Annahme offen, so bildet der Angebotspreis jedenfalls die Untergrenze für die Entschädigung, weil diese konkrete Verwertungsmöglichkeit dem Enteigneten jedenfalls noch offen steht. Serkin, 99 Nw U L Rev 724 (2005).
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
323
Während der Unternehmer seinen besonderen Vorteil ersetzt bekommt, weil und sofern der entgangene Gewinn berücksichtigt wird, werden die besonderen Nutzungsmöglichkeiten des Privaten, die sich häufig nur in besonderen ideellen Werten ausdrücken, regelmäßig nicht ersetzt. Dafür sprechen sicherlich Praktikabilitätsgesichtspunkte,307 die aber jene Phänomene nicht erklären können, bei denen subjektive Wertvorstellungen von Privaten nachgewiesen werden können.
B. Bewertungszeitpunkt 1. Überblick Die Frage des Bewertungszeitpunktes ist in mehrfacher Hinsicht umstritten. Einerseits geht es darum, welcher Zeitpunkt für die Bewertung der Qualität der Liegenschaft ausschlaggebend ist; damit hängt die verwandte Frage nach Vor- und Nachwirkungen der Enteignung zusammen. So kann zB bereits vor dem Enteignungsbeschluss aufgrund der Enteignungsabsicht der Wert der Liegenschaft sinken, weil bei Bekanntwerden dieser Absicht der Markt die eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten antizipiert. Andererseits geht es auch darum, welcher Zeitpunkt für die Bewertung der Liegenschaft herangezogen wird. Das gilt insbesondere bei Anwendung des Vergleichsmarktkonzepts für die Feststellung der Marktpreise. Auch nach dem Bewertungszeitpunkt können weitere Nachteile auftreten, vor allem auch durch die Änderung der Kaufkraft bis zur Auszahlung der Entschädigung. 2. Qualitätsstichtag und Folgeschäden a) Grundsatz Die wertbestimmenden Verwendungsmöglichkeiten sind grundsätzlich für den Zeitpunkt des hoheitlichen Eingriffs zu ermitteln.308 Denn in diesem Zeitpunkt tritt der nach § 4 Abs 1 EisbEG und anderen vergleichbaren Normen zu ersetzende Vermögensverlust ein.309 Welcher Zeitpunkt damit genau gemeint sein soll, bleibt weit gehend offen. Die Rechtsprechung spricht zumeist unscharf vom „Zeitpunkt der Enteignung“.310 Nach der heute herrschenden Lehre kommt es für den Qualitätsstichtag311 auf den Zeitpunkt an, zu dem die Enteignung vollstreckbar ist; wegen § 35
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Diese werden zB von Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/103 betont. Für alle OGH JBl 1974, 202. Brunner, Enteignung 153. Vgl OGH EvBl 1976/255; SZ 50/158; OGH JBl 1978, 541. Zur Rechtsprechung in den USA vgl Serkin 99 Nw U L Rev 696 ff (2005). Aber auch für den Gefahrenübergang; vgl Brunner, Enteignung 154.
324
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
Abs 2 EisbEG312 bzw § 20 Abs 4 BundesStrG ist dafür die Leistung bzw die gerichtliche Hinterlegung der im Enteignungsbescheid festgelegten Entschädigungssumme erforderlich.313 Dieser Zeitpunkt liegt bei Erlass des Enteignungsbescheids noch in der Zukunft. Für die nachfolgende gerichtliche Festlegung der Entschädigung ist – jetzt rückblickend – derselbe Zeitpunkt ausschlaggebend.314 Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht ist auf den ersten Blick sehr fraglich. Die Verwaltungsbehörde, welche die Enteignungsentschädigung zunächst festlegt, muss nämlich für die Bewertung auf einen Zeitpunkt nach ihrer Entscheidung abstellen.315 Dieser ist bei Bescheiderlassung auch nicht näher bestimmt, sondern kann wegen § 33 iVm § 18 Abs 1 EisbEG bis zu sechs Monate nach dieser liegen. Deswegen soll es nach manchen Stimmen316 sowohl nach EisbEG als auch nach BundesStrG für den Qualitätsstichtag auf den Zeitpunkt der Erlassung des Enteignungsbescheids ankommen.317 Dagegen spricht aber, dass sich der Vermögensnachteil beim Enteigneten, auf den § 4 EisbEG abstellt, grundsätzlich erst bei Vollzug der Enteignung verwirklicht. Hinzu kommt, dass auch Verschlechterungen der enteigneten Liegenschaft zwischen Bescheiderlassung und Vollzug vom Enteignungswerber zu tragen wären, obwohl er mangels Verfügungsgewalt noch keinen Einfluss darauf nehmen kann; denn ein dem Gewährleistungsrecht vergleichbares Institut gibt es für die Enteignung nicht.318 So betont auch die Lehre, dass die Gefahr erst mit der Leistung der Entschädigungssumme und damit der Vollstreckbarkeit des Enteignungsbescheides auf den Enteignungswerber übergeht.319 Mit der Gefahrtragung sollte aber der Zeitpunkt für die Bestimmung der Entschädigungssumme Hand in Hand gehen; sollte daher eine Verschlechterung gegenüber den behördlichen Annahmen erfolgen, so kann der Enteig-
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§ 35 Abs 2 EisbEG wurde durch BGBl I 2003/112 weit gehend an die Rechtslage nach BundesStrG angeglichen. Vgl Brunner, Enteignung 152 f; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 282; Krzizek, ÖJZ 1969, 596. SZ 34/119; OGH JBl 1974, 202; Brunner, Enteignung 152. Für Parallelität (allerdings bei abweichender Festlegung des Bewertungszeitpunkts) auch SZ 51/175. Es kommt daher nicht mehr auf den späteren Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz bzw auf die mündliche Verhandlung ebendort an; anders vor der Novelle des EisbEG zB Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 282; Kühne in Kühne/Hofmann/Nugent/Roth, EisbEG 83 f. Anderluh, JBl 1961, 311. SZ 51/175; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 28 (aber in der Sache widersprüchlich, weil er gleichzeitig auf den Zeitpunkt der Enteignung abstellt); Eccher in KBB § 365 Rn 9. § 65 Abs 4 Tir StrG sieht dies ausdrücklich vor. Ehrenzweig, Privatecht I/2 229 f. Brunner, Enteignung 154; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 282.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
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nungswerber das gerichtliche Verfahren einleiten.320 Spekulativen werterhöhenden Änderungen an der Liegenschaft durch den Enteigneten wird durch § 7 Abs 1 EisbEG weit gehend vorgebeugt; vgl unten E. Diese Regel ist freilich nur ein Ausgangspunkt, von dem Abweichungen diskutiert werden: b) Vorwirkungen Das Enteignungsvorhaben kann Vorwirkungen zeigen. Diese können einerseits darin liegen, dass die Liegenschaft schon durch das geplante Enteignungsprojekt an Wert verliert und daher der Wert zum Enteignungsstichtag bereits durch die Enteignung beeinflusst ist; so kann die Widmung einer Liegenschaft bereits in Hinsicht auf das Enteignungsprojekt erfolgen321 und den Wert der Liegenschaft mindern. Aber schon allein die Tatsache, dass voraussichtlich enteignet werden wird, beeinflusst den Marktpreis der betroffenen Liegenschaft.322 Es ist in der österreichischen Dogmatik unbestritten, dass Vorwirkungen der Enteignung, die zu einer Wertminderung der Liegenschaft selbst führen, grundsätzlich zu ersetzen sind.323 Dies lässt sich aus § 7 Abs 2 EisbEG gewinnen; wenn Werterhöhungen des Grundstücks aufgrund des Enteignungsprojekts außer Acht bleiben (dazu unten D. 2.), kann für Wertminderungen nichts anderes gelten. Die Ersatzfähigkeit gilt unabhängig vom Ausmaß der Wertminderung; daher ist auch dann Ersatz zu leisten, wenn aufgrund der Umwidmung ein Marktpreis zwar noch gebildet werden kann, aber für eine Liegenschaft anderer Qualität als zuvor.324 Bei sonstigen Vorwirkungen, die nicht die Liegenschaft selbst betreffen, sondern die konkreten Nutzungsmöglichkeiten des Eigentümers schmälern, ist die Berücksichtigung hingegen strittig. So ein Fall würde zB vorliegen, wenn der Eigentümer wegen der Umwidmung bereits vor der Enteignung eine von ihm vorgenommene und besonders einträgliche Nutzung der Liegenschaft aufgeben muss. Brunner – angesichts seines Ausgangspunkts der objektiv-abstrakten Berechnung konsequent – hält solche „vorwirkenden 320
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Freilich nur innerhalb der Frist von drei Monaten ab Rechtskraft des Enteignungsbescheids. Die hier vertretene Rechtsaufassung führt dazu, dass der Enteignungswerber die Frist nach § 33 EisbEG tendenziell nicht ausnützen wird, was sicher eine prinzipiell sinnvolle Beschleunigungswirkung mit sich bringt. Zur Kausalität vgl Brunner, Enteignung 160. Im Einzelfall ist freilich zu prüfen, ob bereits die Umwidmung selbst die Entschädigungspflicht auslöste; vgl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 258. Serkin 99 Nw U L Rev 696 f (2005); Brunner, Enteignung 159. SZ 56/82; OGH EvBl 1987/79; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 283; ders, JBl 1998, 24; Brunner, Enteignung 159 f; Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 10; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 30. So im Ergebnis Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 283; anders vielleicht BGHZ 28, 160.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
Folgeschäden“ für nicht ersatzfähig.325 Wer wie Rummel auf den konkreten Schaden abstellt, kommt zwangsläufig zur Ersatzfähigkeit auch dieser Nachteile.326 Wenn man voraussetzt, dass die Entschädigungshöhe vor allem das Verhalten des Enteignungswerbers steuern und auf wohlfahrtssteigernde Enteignungen hinwirken soll, so kann die Ersatzfähigkeit der nachteiligen Vorwirkungen der Enteignung nicht bezweifelt werden.327 Das gilt sowohl für den Ersatz des Wertverlusts an der Liegenschaft selbst als auch für sonstige Vermögensnachteile, insbesondere auch für den entgangenen Gewinn bei unternehmerischer Nutzung der enteigneten Liegenschaft. Das Problem liegt für beide Bereiche in der Art der Berechnung. Die herrschende Lehre will einen früheren Stichtag für die Wertberechnung heranziehen, wenn die Enteignung nachteilige Vorwirkungen zeigt. Freilich ist eine bestimmte Wahrscheinlichkeit des Eigentumseingriffs immer eingepreist.328 Ökonomisch sollte auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem ein konkretes Enteignungsprojekt wahrscheinlich wird. Rechtsdogmatisch kann dies auf § 7 Abs 1 und 2 EisbEG gestützt werden;329 was für die Frage gilt, ob herbeigeführte Wertänderungen zu ersetzen sind bzw ob werterhöhende Vorwirkungen zu berücksichtigen sind, muss auch für die Berücksichtigung von wertmindernden Vorwirkungen des Enteignungsprojekts rechtens sein. Bei einfacher Vorverlegung des Stichtags haftet der Enteignungswerber allerdings für alle Wertverluste in der Zwischenzeit, auch wenn sie nicht auf sein Enteignungsprojekt zurückzuführen sind.330 Als alternative Vorgehensweise könnte man auch den normalen Qualitätsstichtag beibehalten, also auf den Zeitpunkt des Rechtsverlusts abstellen, aber die negativen Vorwirkungen, die auf den Eingriff zurückzuführen sind, herausrechnen und der Entschädigung hinzuschlagen.331 Praktikabel ist das indes wohl nicht.
c) Nachwirkungen Die Enteignung kann auch Nachwirkungen zeigen; das sind Vermögensverluste, die erst lange nach dem Enteignungszeitpunkt auftreten. Das ist kein spezifisches Problem des Enteignungsrechts. Auch im Schadenersatzrecht treten vergleichbare Konstellationen auf. Dort ist beim Interesseersatz der Zeitpunkt der Bewertung möglichst spät im Prozess anzusetzen, um alle 325 326 327 328 329
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Brunner; Enteignung 160 f. Vgl zB Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 256 ff. Serkin 99 Nw U L Rev 710 (2005). Serkin 99 Nw U L Rev 698 (2005). Wie hier Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 257 f; ablehnend Brunner, Enteignung 160 f. Serkin 99 Nw U L Rev 697 (2005). Serkin 99 Nw U L Rev 697 (2005) mN aus der amerikanischen Rsp.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
327
Folgeschäden zu erfassen; darüber hinaus ist nach herrschender Lehre auch noch die Schadensentwicklung bis zur Erfüllung der Ersatzpflicht zu berücksichtigen.332 Im Übrigen sind auch weitere, erst später erkennbare Schäden innerhalb der langen Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB gesondert einklagbar. Dem ist grundsätzlich auch für den Bereich des EisbEG und des BundesStrG zu folgen. Das ergibt sich schon aus der konkreten Schadensberechnung, die dem Gesetz zugrunde liegt. Darüber hinaus weist § 9 EisbEG333 in dieselbe Richtung, wonach in angemessenen Zeitabschnitten von mindestens einem Jahr die Festsetzung der für die Zwischenzeit hervorgekommenen Nachteile verlangt werden kann; drei Jahre nach Aufnahme des Betriebs der Eisenbahn muss es auf Antrag einer Partei aber zur endgültigen Festlegung der Entschädigung kommen. Die Norm stellt zwar auf die Wertminderung des Restgrundstücks ab,334 kann aber auch für andere Folgeschäden nutzbar gemacht werden. Als Grundsatz ergibt sich aus dieser verfahrensrechtlichen Norm aber auch, dass später auftretende oder später erkennbare335 Nachteile unter Umständen zu berücksichtigen sind. Das steht freilich in einem gewissen Spannungsverhältnis zum oben herausgearbeiteten Zweck der Enteignung. Soweit durch diese ein Ergebnis erzielt werden soll, das auch bei einem freiwilligen Kaufvertragsabschluss erreicht werden könnte, müssen nicht alle zukünftig auftretenden Folgeschäden ersetzt werden. Aus der Perspektive vernünftig handelnder Vertragsparteien kann es nur um jene Folgeschäden gehen, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zumindest grundsätzlich voraussehbar waren; denn nur diese Schäden fließen in die Preisgestaltung ein. Das ist freilich entgegen dem ersten Anschein keine Frage der grundsätzlichen Ersatzfähigkeit von Folgeschäden. Vielmehr geht es um die normative Zurechnung zukünftiger Nachteile zum Enteignungsprojekt.336 Hier scheint die haftungsrechtliche Adäquanzgrenze der Schadenszurechnung nicht zutreffend zu sein.337 Versteht man die Enteignung als Vertragssimulation, so kann nur die Voraussehbarkeit des Schadenseintritts aus Sicht des Enteigneten für die Zurechnung ausschlaggebend sein.
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Für alle Koziol, Haftpflichtrecht Rn 10/31 mwN. Die Anwendung von § 9 EisbEG auch in Entschädigungsverfahren nach dem BundesStrG ist strittig, wird aber von der hL bejaht; vgl Brunner, Enteignung 112 ff. Anders implizit Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 298. Das ergibt sich daraus, dass die Inbetriebnahme der Eisenbahn in den Vordergrund gerückt wird. Vgl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 297. Vgl auch Aicher, Grundfragen 401 ff mwN. Anders aber Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 267 f.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
3. Bewertungsstichtag und Valorisierung a) Allgemeines Wenn zwischen Enteignung, Bewertung und Zahlung der Entschädigungssumme längere Zeit vergeht, sind Änderungen der Kaufkraft zu berücksichtigen. Die Problematik kann einerseits als Frage der Valorisierung untersucht werden, wenn zwischen dem Wertermittlungsstichtag und der tatsächlichen Zahlung der Entschädigungssumme Zeit verstreicht.338 Dafür wird üblicherweise auf die allgemeine Kaufkraftänderung abgestellt; daher bleiben davon abweichende Änderungen der Marktpreise für die jeweiligen Immobilienarten am jeweiligen Ort unberücksichtigt.339 Etwas anderes gilt, wenn man als Valorisierungsfaktor die Preisentwicklung des jeweiligen Liegenschaftstyps ansetzt; das ist aber unüblich und soll auch hier unterbleiben. Daneben hat auch die Festlegung des Bewertungsstichtags für diese Frage Bedeutung. Dieser ist konzeptuell vom Stichtag für die Qualitätsfeststellung zu unterscheiden. Während es bei jenem um die Eigenschaften des Grundstücks zu einem bestimmten Zeitpunkt geht, nimmt der Bewertungsstichtag diese Eigenschaften als gegeben hin und beurteilt nur den Wert des Eigenschaftsbündels zu diesem Stichtag. Die Unterscheidung ist für Deutschland unbestritten,340 hat sich im Ergebnis aber auch für Österreich durchgesetzt.341 Je weiter der Bewertungsstichtag sich dem Zeitpunkt der Leistung der Entschädigung nähert, desto weniger wird der Enteignete von für ihn nachteiligen Änderungen betroffen. Andererseits kann sich die Verschiebung bei Preisverfall auch zum Nachteil des Enteigneten auswirken. Durch die Wahl des Bewertungsstichtags werden jedenfalls auch die Änderungen der Preise gerade dieser Grundstücksart erfasst.342 b) Bewertungsstichtag343 Das EisbEG enthält im Gegensatz zu anderen Normen (vgl § 23 StadterneuerungsG § 20 BodenbeschaffungsG)344 keine einschlägige Bestimmung. Die
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Brunner, Enteignung 156. So ausdrücklich OGH EvBl 1976/255. Vgl auch Rummel in Korinek/Pauger/ Rummel, Handbuch 286 f. Für alle Bassenge in Palandt, BGB Überbl v § 903 Rn 31 mwN. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 284; grundsätzlich auch Brunner, Enteignung 156. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 284. Im Folgenden gehe ich davon aus, dass das Enteignungsprojekt den Marktpreis nicht durch eine Erweiterung der Nachfrage beeinflusst; bei Massenenteignungen kann diese Annahme unrealistisch sein. Vgl zu den dann zu lösenden Wertungsfragen Posner, Economic Analysis 58. Dazu kritisch Aicher, Bodenbeschaffungsgesetz 57 ff; Rummel in Korinek/ Pauger/Rummel, Handbuch 285.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
329
herrschende Lehre345 und die Rechtsprechung346 stellen so wie für die Qualitätsfeststellung (ohne immer zu unterscheiden) auf den Zeitpunkt der Enteignung ab, was im Regelfall als der Zeitpunkt der Erlassung des Enteignungsbescheids verstanden wird. Andere Autoren plädieren für Einheitlichkeit und ziehen so wie für die Qualitätsfeststellung den Zeitpunkt des möglichen Rechtsentzugs durch Leistung bzw Hinterlegung der Entschädigungssumme heran.347 Beide Ansätze wählen damit einen frühen Zeitpunkt; dadurch soll spekulativen Anträgen auf Entschädigungsfestsetzung bei Gericht durch den Enteigneten vorgebeugt werden.348 Freilich kann der Enteignete überhaupt nur spekulieren, wenn die voraussichtliche Marktpreisentwicklung über der Rendite für sichere Anleihen liegt.349 Eine Mindermeinung stellt hingegen auf einen möglichst späten Zeitpunkt ab. Da es Zweck der Enteignungsentschädigung sei, dem Enteigneten die (hypothetische) Beschaffung eines Ersatzgrundstückes zu ermöglichen, müsse zumindest grundsätzlich die Entscheidung in der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz ausschlaggebend sein.350 Dadurch würde sowohl ein Schaden als auch eine Bereicherung vermieden. Das stehe im Übrigen in Einklang mit dem möglichst späten Zeitpunkt der Schadensfeststellung beim Interessenersatz.351 Die Prämisse, dass die Ersatzbeschaffung der Zweck der Enteignungsentschädigung sei, ist schon zweifelhaft; vgl oben III. A. 1. Aber selbst wenn man ihre Richtigkeit unterstellt, kann aus ihr nicht unbedingt abgeleitet werden, dass die gerichtliche Festsetzung ausschlaggebend sein muss, wie schon Rummel zutreffend festgestellt hat.352 Soweit die Ersatzbeschaffung schon vor der gerichtlichen Feststellung erfolgt ist, müssen die konkreten Marktverhältnisse zu diesem Zeitpunkt herangezogen werden. Auf die konkrete Ersatzbeschaf345
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Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 11; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 28; Anderluh, JBl 1961, 312 ff; Eccher in KBB § 365 Rn 9; Ehrenzweig, Privatecht I/2 227; wohl auch Feil, Enteignungsgesetze 19. SZ 34/119; OGH JBl 1974, 202, OGH EvBl 1976/255; OGH EvBl 1976/256. Brunner, Enteignung 156; Krzizek, ÖJZ 1969, 596; ablehnend Anderluh, JBl 1961, 312; so auch (freilich mit anderem Ergebnis) SZ 5/68; Ertl, Inflation 192. Anderluh, JBl 1961, 313. Daneben wird von Ertl, Inflation 194, vorgebracht, dass der Enteignungswerber bei Festfrieren der Preise ein Verfahren spekulativ einleiten kann, um im Zeitpunkt der Auszahlung das Grundstück unter Wert zu erhalten (so auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 286). SZ 5/68; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 286 ff. Anders noch Klang in Klang II 196 (dazu Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 288 f mit Erwägungen aus dem Außerstreitrecht). Gegen das Argument, dass gespaltene Bewertungszeitpunkte zwischen behördlicher und gerichtlicher Festlegung sinnwidrig seien (so Anderluh, JBl 1961, 313) zB Ertl, Inflation 194 f; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 287. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 288. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 289 f. Ähnlich Kerschner, ZfV 1985, 24.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
fung kommt es aber gar nicht an; vielmehr ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem sich der Enteignete aus dem Entschädigungserlös Ersatz beschaffen könnte: Wegen § 35 Abs 2 EisbEG und § 20 Abs 4 BundesStrG ist es Voraussetzung für den Vollzug der Enteignung, dass die im Enteignungsbescheid festgesetzte Entschädigung entweder ausbezahlt oder gerichtlich hinterlegt wird. Der Enteignete kann diesen Betrag übernehmen und eine Ersatzbeschaffung tätigen; er wird durch die Übernahme des Betrags auch nicht an der weiteren Geltendmachung von darüber hinausgehenden Ansprüchen gehindert. Auch die bloße gerichtliche Hinterlegung genügt, weil der Enteignete nach richtiger Ansicht Zugriff auf diese Summe hat, selbst wenn er eine Neufestsetzung der Entschädigung beantragt.353 Insofern trifft sich die Ansicht Rummels, der auf die Möglichkeit der Ersatzbeschaffung abstellt, mit der herrschenden Lehre. Ein Unterschied besteht nur noch hinsichtlich des Restwerts, der erst nach der gerichtlichen Feststellung der (erhöhten) Entschädigung ausgezahlt wird; hier muss der Feststellungszeitpunkt für die Bewertung ausschlaggebend sein.354 Dieses Ergebnis wird auch gedeckt, wenn man die Enteignungsentschädigung als Simulation des Ergebnisses eines Vertragsabschlusses versteht. Bei diesem wird auf die Wertverhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abgestellt, wenn die Auszahlung des Kaufpreises rasch nachfolgt. Wenn hingegen die Auszahlung des ganzen Kaufpreises oder von Teilen davon erst in fernerer Zukunft vorgenommen werden soll, wird häufig eine Wertsicherungsklausel vereinbart. Fraglich kann dann nur noch sein, woran die Wertsicherungsklausel gebunden wird: an allgemeine Inflationsindikatoren oder an spezifische Änderungen in einzelnen Sektoren.
c) Kaufkraftverlust Geht man von dieser Rechtsauffassung aus, so kommt der Valorisierung der Enteignungsentschädigung nur verhältnismäßig geringe Bedeutung zu.355 Denn diese kommt nur in Frage, wenn zwischen Bewertungszeitpunkt und tatsächlicher Entschädigungsleistung ein längerer Zeitraum liegt. Wenn der Bewertungszeitpunkt mit dem Zeitpunkt der Auszahlung zusammenfällt, bedarf es grundsätzlich keiner Valorisierung. Das gilt auch für den Betrag, um den die gerichtliche Entschädigung die behördliche Festsetzung übersteigt, weil diesbezüglich die Entscheidung der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz ausschlaggebend ist. Ein Kaufkraftverlust kann daher vor allem eintreten, wenn der Mehrbetrag nicht rechtzeitig gezahlt wird. Diesbezüglich enthält § 33 EisbEG eine eindeutige Regel, nach der gesetzliche Verzugszinsen in der Höhe von vier Prozent 353 354
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OGH 1 Ob 263/03p; anders noch OGH SZ 61/97. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 289 f. Vielleicht auch Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 11. Ähnlich Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 291.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
331
(außerhalb des beidseitig unternehmerischen Geschäfts; vgl § 1333 Abs 1 iVm § 1000 Abs 1 ABGB) ab Beginn der Leistungsfrist zu zahlen sind; die Leistungsfrist beginnt drei Monate nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung und endet 14 Tage später. Das ist eine abschließende Regelung; eine darüber hinaus gehende Valorisierung findet nicht statt.356 Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn die Geldentwertung exorbitant ist, weil dann die werterhaltende Funktion des Geldes völlig ausgehöhlt ist, oder wenn wegen Revisionsrekurses die Zahlung erst nach der Entscheidung des OGH erfolgt, der aber nicht mehr die volle Kognitionsbefugnis einer Tatsacheninstanz hat.357 Nach der Gegenansicht, die auch für den gerichtlich zugesprochenen Mehrbetrag als Bewertungsstichtag auf den Zeitpunkt der Hinterlegung abstellen möchte, kommt der Frage der Valorisierung wesentlich größere Bedeutung zu. Denn zwischen dem Bewertungsstichtag und der Auszahlung dieses Mehrbetrags liegt zumeist ein langer Zeitraum, während dessen empfindliche Wertänderungen auftreten können.358 Bezüglich des bereits in Vollzug des Enteignungsbescheids geleisteten Betrags kann sich aber auch nach dieser Auffassung die Frage nach der Anpassung nicht stellen; denn nach der tatsächlichen Ersatzleistung kann keine Inflationsanpassung mehr erfolgen.359 Die Auffassungen zur Berücksichtigung der Inflation sind schwankend. Im Ergebnis dürfte sie nach neuerer Rechtsprechung nur unter besonderen Umständen, nämlich bei außergewöhnlich großer und rascher Geldwertänderung in Betracht kommen; nur dann verliere das Geld seine Funktion als beständiger Wertmesser.360 Damit wurde das berühmte Judikat 15 neu361 auf die historische Dimension starker Inflation reduziert. Dieser Hyperinflation stellt eine jüngere Entscheidung gleich, wenn die Entwertung zwar nicht rasch erfolgt ist, aber zwischen Enteignung und gerichtlicher Feststellung ein langer Zeitraum lag (konkret ungefähr 12 Jahre) und deswegen eine relativ große Wertänderung erfolgte.362 Außerhalb dieser Fälle scheint aber nach derzeitigem
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Anders vielleicht Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 291, der dies nur auf Basis der damals geltenden Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung anerkennen wollte. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 291. Brunner, Enteignung 157. So im Ergebnis zB OGH EvBl 1976/255. OGH EvBl 1976/256; SZ 50/158; SZ 51/175; OGH JBl 1978, 541; OGH JBl 1983, 432. Dazu Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 290 f; zustimmend auch Brunner, Enteignung 158 (de lege ferenda jedoch für einen Verzinsungsanspruch); Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 11; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 31; Eccher in KBB § 365 Rn 9. SZ 6/226. Dazu zB Ertl, Inflation 170 ff. Für eine Anwendung von Judikat 15 neu im gegebenen Zusammenhang Klang in Klang II 196. SZ 71/4.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
Stand der Rechtsprechung eine Abgeltung des Kaufkraftverlustes nicht in Frage zu kommen.363
C. Bewertungsmethoden 1. Zur Methodenwahl Die Methode für die Ermittlung des Werts des enteigneten Objekts ist gesetzlich nicht geregelt.364 Das LBG enthält zwar Bestimmungen für die Ermittlung des Werts von Liegenschaften,365 schreibt aber keine Methode vor, sondern stellt drei verschiedene Methoden (Vergleichswertverfahren, Ertragswertverfahren, Sachwertverfahren) für die Bestimmung des Verkehrswerts zur Wahl. Hinzu kommt, dass die Aufzählung in § 3 Abs 1 LBG nicht taxativ ist, so dass auch andere, im Einzelfall angemessene Verfahren zur Anwendung kommen können.366 Die Festlegung der anzuwendenden Methode obliegt nach der Rechtsprechung dem Bewertenden, der dabei den Zweck der Bewertung berücksichtigen muss.367 Soweit der OGH vertritt, dass die Festlegung der Bewertungsmethode Tatsachenfrage ist und daher von ihm nicht zu überprüfen ist,368 kann dem nicht gefolgt werden. Wenn nämlich mit der Bewertung nach einer Methode die Ziele eines Rechtsgebiets verfehlt werden, dann darf sie nicht gewählt werden. § 7 Abs 1 LBG, der die Wahl der Methode grundsätzlich dem Sachverständigen überantwortet, ist im enteignungsrechtlichen Zusammenhang nicht wörtlich zu nehmen. Der Bewerter mag zwar zunächst die Methode bestimmen, ob diese richtig ist, hat letztlich aber das Gericht aus rechtlichen Erwägungen selbst zu entscheiden.369 Der für die Bemessung der Enteignungsentschädigung heranzuziehende370 Verkehrswert ist nach § 2 Abs 2 LBG der Preis, der bei einer Veräußerung der Sache üblicherweise im redlichen Geschäftsverkehr erzielt werden kann. Das 363
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Anders nur OGH EvBl 1976/255. Diese Entscheidung beruft sich zu Unrecht auf SZ 5/68, weil jene Entscheidung nur den Wertermittlungsstichtag betraf; richtig Brunner, Enteignung 157. Der steuerrechtliche Einheitswert kann wegen des anderen Bewertungszwecks nicht herangezogen werden; OGH JBl 1966, 149. Jedenfalls im Ergebnis ist es auch anwendbar, wenn es um die Bewertung des auf der Liegenschaft betriebenen Unternehmens geht. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 242; Steinschaden, immolex 2005, 134. SZ 49/118; SZ 55/56; OGH EvBl 1987/79; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 238 mwN. SZ 71/4 mwN; die Entscheidung stellt im Ergebnis freilich auf den recht banalen Fall ab, dass die Ertragswertmethode nicht heranzuziehen war, weil keine Erträge nachgewiesen wurden. Anders wohl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 243. Vgl zB ausdrücklich § 66 Abs 1 Tir StrG, LGBl 1989/13.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
333
soll der Sache nach dem gemeinen Wert nach § 305 ABGB entsprechen.371 An der Definition stört für das Enteignungsrecht nicht, dass der Verkehrswert nach LBG nicht nur durch Vergleichswerte, sondern auch durch ein Ertragswertverfahren festgestellt werden kann; auch das ist durch § 305 ABGB gedeckt (vgl 1. Teil I). Allerdings passt die Definition von § 2 Abs 2 LBG für das Enteignungsverfahren nicht; sie stellt nämlich auf den Wert aus Sicht des Verkäufers ab („bei einer Veräußerung der Sache“). Zweck der Enteignungsentschädigung ist es aber nach der herrschenden Lehre, den Vermögensschaden des Enteigneten zu ersetzen, primär indem ihm die Möglichkeit gegeben wird, sich eine vergleichbare Liegenschaft zu beschaffen, wie es auch dem Grundsatz der Naturalrestitution entspricht. Dann kann aber nicht der Veräußerungswert ausschlaggebend sein, sondern es muss auf die Aufwendungen für die Wiederbeschaffung ankommen. Diesem Postulat entspricht auch die Rechtsprechung; sie hält fest, dass es für die Enteignungsentschädigung nicht auf den Verkaufswert, sondern auf den Ankaufswert einer hypothetischen Ersatzliegenschaft samt Vertragserrichtungskosten und Gebühren372 ankommt.373 Welche der im LBG genannten Methoden bevorzugt heranzuziehen ist, wird durch die Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Die Urteile sind darüber hinaus von terminologischen Unklarheiten geprägt.374 Missverständnisse kann ich daher nicht völlig ausschließen. In der Sache bleiben wohl drei verschiedene Ansätze des Verhältnisses von Markt- zu Ertragswert375 über: Nach einem Ansatz der Rechtsprechung soll es primär auf den Vergleichswert,376 also auf den Marktpreis ankommen; nur wenn ein solcher nicht festgestellt werden kann, ist ein Ertragswert zu ermitteln.377 Das läuft auf eine Subsidiarität von Ertragswerten gegenüber dem durch ein Vergleichswertverfahren festgestellten Marktpreis hinaus,378 ein Ansatz, den ich in anderem Zusammenhang (oben 2. Teil V.) für richtig halte. Nach anderen Entscheidun-
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Stabentheiner, LBG § 2 Anm 5; Kerschner, JBl 2006, 357. Diesbezüglich für die Vertragserrichtungskosten nach Ortsüblichkeit differenzierend Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 254 f. Neuerdings werden die Nebenkosten der Wiederbeschaffung mit 9 % des Verkehrswertes der Liegenschaft pauschaliert; vgl OGH RdW 2006/213, 216. OGH EvBl 1987/79; SZ 51/175. Vgl Brunner, Enteignung 139. So zB OGH RZ 1973/88; OGH JBl 1974, 202; heute auch noch Klicka in Schwimann II § 365 Rn 21. Vgl schon oben A. 1. Zur Bedeutung des Sachwertverfahrens vgl unten 4. Die Entscheidungen sprechen zwar zum Teil terminologisch unglücklich vom Verkehrswert, es ist jedoch klar, dass der Vergleich mit anderen Transaktionen gemeint ist. OGH JBl 1974, 202; SZ 51/23; im Ergebnis auch SZ 51/175; ähnlich EvBl 1976/256; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 21. Vgl auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 239 mwN in Fn 204. So ausdrücklich auch Brunner, Enteignung 140, 171.
334
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
gen ist die für den Enteigneten günstigere Methode anzuwenden.379 Das wird zum Teil auch so formuliert, dass die Ergebnisse des Ertragswertverfahrens die Untergrenze für die Verkehrswertfestlegung bildet.380 Nach der dritten Variante obliegt die Auswahl der heranzuziehenden Methode grundsätzlich dem Enteigneten.381 Es ist unrichtig, dass der Ertragswert nur dann heranzuziehen ist, wenn es an Vergleichswerten fehlt. Wenn man anerkennt, dass es um die Feststellung des konkreten Vermögensverlusts beim Enteigneten geht,382 so ist grundsätzlich der Ertragswert als Basis der Bewertung heranzuziehen; denn dieser spiegelt die Verluste des Enteigneten wider. Wer bloß auf den Ersatz des Vergleichswerts auch bei höheren individuellen Erträgen abstellt, schiebt die Pflicht zum Ersatz aller Nachteile gemäß § 4 Abs 1 EisbEG beiseite. Das gilt, soweit aus der Liegenschaft Erträgnisse, das heißt monetär bewertbare Nutzungen gezogen werden.383 Dass ideelle Faktoren nicht zu berücksichtigen sind, ergibt sich aus § 7 Abs 2 EisbEG und aus § 2 Abs 2 LBG.384
Soll aber umgekehrt der höhere Vergleichswert auch dann ersetzt werden, wenn der Ertragswert darunter liegt? Das ist zu bejahen, weil der Marktpreis immer der Wert der Sache für den Enteigneten ist; denn die Veräußerung zu diesem Preis wäre ihm offen gestanden.385 Ökonomisch wird dadurch sichergestellt, dass der enteignende Staat das öffentliche Interesse wertvoller einschätzt als der Markt die allgemein offen stehenden Nutzungen. Gegen den Marktpreis als Untergrenze spricht auch nicht, dass ein rationaler Eigentümer bei niedrigeren Erträgen ohnehin verkaufen würde und durch den Ersatz des Marktpreises im Ergebnis entgegen § 7 Abs 1 EisbEG die besondere Vorliebe ersetzt würde; wenn das richtig wäre, müsste jede Entschädigung zum Marktpreis in Frage gestellt werden, sofern der Eigentümer nicht bereit ist, zu diesem zu verkaufen und bloß geringere monetär bewertbare Nutzungen zieht.
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SZ 55/56. Klicka in Schwimann II § 365 Rn 20; ablehnend Brunner, Enteignung 140. OGH RZ 1973/88; wohl auch OGH EvBl 1987/79, OGH EvBl 1976/255. OGH RH 1969, 107. So auch Klicka in Schwimann II § 365 Rn 21, der damit im Ergebnis alle drei Varianten vertritt, was doch recht schwer nachvollziehbar ist, wenn die Ausführungen nicht nur als Referat zu verstehen sein sollen. In diesem Zusammenhang auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 239 in Fn 203. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 240. Unrichtig freilich Stabentheiner, LBG § 2 Anm 8, wo ideelle Werte mit dem außerordentlichen Preis in § 305 ABGB gleichgesetzt werden, während es bei diesem in Wirklichkeit um die Berücksichtigung der Stellung der entzogenen Sache im Gesamtvermögen des Enteigneten geht (relativierend denn auch ders, § 2 Anm 9); vgl Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 2/105 in Fn 312. Ähnlich Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 248 in Fn 243
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
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Im Ergebnis spricht daher alles dafür, die für den Enteigneten günstigere Bewertungsmethode heranzuziehen;386 § 7 Abs 2 LBG, wonach bei Anwendung mehrerer Wertermittlungsverfahren aus den Ergebnissen der Wert unter Berücksichtigung der Verhältnisse im redlichen Geschäftsverkehr zu ermitteln ist, lässt dieses Vorgehen jedenfalls zu.387 Der höhere Wert wird für unternehmerisch genutzte Liegenschaften und hier vor allem für betriebsnotwendiges Vermögen häufig, aber nicht immer der Ertragswert sein; für privat genutzte Grundstücke bleibt es mangels monetär bewertbarer Erträge zumeist bei der Bestimmung durch die Vergleichswertmethode. Damit scheidet auch der Ansatz aus, bei abweichenden Ergebnissen mehrerer Methoden einen Mittelwert heranzuziehen.388 Auch die dritte Variante, wonach die Festlegung der Methode dem Enteigneten obliegt, ist nicht rechtsrichtig.389 Versteht man den Ansatz so, dass der Enteignete das Ergebnis einer Methode auswählen kann, besteht kein Unterschied zur soeben vorgeschlagenen Auslegung. Sollte der Ansatz freilich darauf abstellen, dass der Enteignete zu Beginn des Verfahrens eine Methode bestimmt und die Bewertung dann nur nach dieser Methode durchgeführt wird, wird er mit dem Risiko einer Fehleinschätzung unzulässigerweise belastet. Das bedeutet jedoch nicht, dass zwingend beide Bewertungen vorzunehmen sind, auch wenn dieses Vorgehen nach § 3 Abs 2 LBG natürlich zulässig ist. Das ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn aufgrund der Verhältnisse klar ist, dass eine bestimmte Bewertungsmethode zu einem höheren Ergebnis führt. Das kann der Fall sein, wenn nur wenige oder keine monetär bewertbaren Erträgnisse vorliegen bzw wenn der Verkehrswert aufgrund einer spezifischen und höherwertigen Nutzung durch den Enteigneten mit der Ertragswertmethode festzustellen ist. Sollten jedoch diesbezüglich Zweifel bestehen, so sind beide Bewertungen vorzunehmen. Das gilt vor allem dann, wenn der Enteignete eigene hohe Erträge substantiiert vorbringt. Der Zweck der in § 7 Abs 1 LBG angeordneten Nachkontrolle des Ergebnisses der Bewertung „unter Berücksichtigung der Verhältnisse im redlichen Geschäftsverkehr“ ist unklar. Angeblich soll es auch um das Sachproblem der Schwarzmarktgeschäfte gehen; dazu bedarf es freilich dieser Norm nicht, weil schon § 4 Abs 1 LBG auf die tatsächlich erzielten Preise und damit auf die ge386
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Unklar Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 244, der für den Regelfall ein Primat der Vergleichswertmethode annimmt. Das hängt freilich damit zusammen, dass die ortstypischen Nutzungen üblicherweise eingepreist sind und Rummel scheinbar davon ausgeht, dass besonders positive subjektive Nutzungen nicht unmittelbar über das Ertragswertverfahren zu ersetzen sind. Vgl Stabentheiner, LBG § 7 Anm 7 zur Entstehungsgeschichte des LBG in diesem Zusammenhang. Kritisch auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 239. Wohl nicht gänzlich ablehnend aber Stabentheiner LBG § 7 Anm 7. So auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 238.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung samte, auch die „schwarz“ gezahlte Summe abstellt (vgl sogleich unten). Soweit damit ein kritisches Hinterfragen der Ergebnisse des Rechenwerks390 anhand anderer, nicht erwähnter Methoden oder der konkreten Marktverhältnisse gefördert werden soll, ist das zwar zu begrüßen, wegen der Methodenoffenheit des LBG (§ 3 Abs 1 leg cit) aber nicht erforderlich.391 Um bloßem mechanischem Rechnen vorzubeugen, bedarf es der Norm nicht. Nicht näher begründete Abweichungen aufgrund subjektiver Einschätzungen können mit § 7 Abs 1 LBG jedenfalls nicht gerechtfertigt werden.392 Denn ein großes Problem jeder Bewertung ist die Nachvollziehbarkeit; gerade § 7 Abs 1 LBG lädt ein, ohne näherer Begründung unter Berufung auf den redlichen Geschäftsverkehr von den Ergebnissen abzuweichen. Der OGH scheint im Übrigen davon auszugehen, dass § 7 Abs 1 LBG besondere Bedeutung für die all dem vorgelagerte Frage der Methodenwahl hat.393 Eine Klärung durch den Gesetzgeber wäre hilfreich.
2. Vergleichswertverfahren Beim Vergleichswertverfahren wird der Wert der Sache durch Beobachtung der tatsächlich erzielten Kaufpreise für vergleichbare Liegenschaften ermittelt (§ 4 Abs 1 LBG). In der Sache versucht man, einen Wert durch Beobachtung tatsächlicher Markttransaktionen zu ermitteln. Der Vergleichswert wird oft unscharf als „Marktwert“ oder gar „Marktpreis“ der Liegenschaft bezeichnet; vgl schon oben IV. Die Problematik dieser Bewertungsmethode liegt vor allem darin, sachlich und örtlich vergleichbare Objekte zu identifizieren;394 das gilt verschärft, soweit die Liegenschaft bebaut ist, ohne dass deswegen das Vergleichswertverfahren schon ausscheiden muss.395 Die Vergleichbarkeit ist anhand der typischerweise wertbestimmenden Faktoren zu ermitteln (§ 7 Abs 1 LBG); hier kommt es auf die Lage, die Aufschließung, bei Gebäuden insbesondere auf die Ausführung, das Alter und den Zustand an. Geringere Abweichungen sind durch Zu- oder Abschläge zu berücksichtigen, gröbere schließen den Vergleich überhaupt aus. Ein wichtiger Praxisbehelf ist der von der Wirtschaftskammer Österreich herausgegebene Immobilienpreisspiegel.396
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396
In diesem Sinn wohl Stabentheiner, LBG § 7 Anm 4. Durch § 3 Abs 1 LBG wird im Übrigen angeordnet, dass grundsätzlich von den im LBG genannten Methoden auszugehen ist; eine Abweichung ist wohl besonders zu begründen. Dies wird durch § 7 Abs 1 leg cit wieder umgedreht. Anders vielleicht Stabentheiner, LBG § 7 Anm 7. OGH JBl 2007, 315. Daneben ist auch der Zeitpunkt des Abschlusses der Vergleichsgeschäfte zu berücksichtigen; Preisschwankungen sind auszugleichen (§ 4 Abs 2 LBG) So aber SZ 55/56; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 23. Wie hier aber Kranewitter in Stabentheiner, LBG 156. Vgl zB Steinschaden, immolex 2004, 164.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
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Hypothetische Preise dürfen nicht herangezogen werden.397 § 4 Abs 2 LBG setzt tatsächlich erbrachte Kaufpreise voraus; es geht um Beobachtung, nicht um Schätzung. Die Preise müssen im redlichen Geschäftsverkehr erzielt werden; aus steuerrechtlichen Gründen verfälschte Preisangaben sind aus der Vergleichsmenge auszuscheiden und jedenfalls nicht unkorrigiert heranzuziehen.398 Soweit bei solchen Scheinpreisen der tatsächlich gezahlte Kaufpreis dennoch ermittelbar ist, muss er herangezogen werden;399 eine Korrektur der Scheinpreise nach Ermessen des Sachverständigen ist aber unzulässig. Kaufpreise, die durch ungewöhnliche Umstände beeinflusst wurden, dürfen nur herangezogen werden, wenn sich dieser Einfluss „herausrechnen“ lässt (§ 4 Abs 3 LBG) – was im Regelfall ausgeschlossen ist. Solche besonderen Umstände können zB sein: Wert der besonderen Vorliebe seitens des Käufers; besondere Nutzungsmöglichkeit durch den Käufer wie bei Erwerb einer Nachbarliegenschaft; persönliche Beziehungen zwischen den Vertragsteilen, wie zB Familienverhältnisse, aber bei sinngemäßer Anwendung auch Transaktionen in einem Konzern. Im Ergebnis sind all jene Geschäfte auszuschließen, die Elemente einer gemischten Schenkung aufweisen oder bei denen sonst die subjektive Richtigkeitsgewähr des Vertrags zweifelhaft sein kann. Deswegen sind jedenfalls Geschäfte, die nach § 934 ABGB anfechtbar sind, auch dann auszuscheiden, wenn die Anfechtung tatsächlich nicht erfolgt ist.400 In anderen Verfahren bezahlte Enteignungsentschädigungen können nach herrschender Lehre als Vergleichswert herangezogen werden. Das entspricht der so genannten „Teilmarkttheorie“.401 Allerdings soll dies nur zulässig sein, wenn besondere subjektive Umstände, welche die Höhe der Enteignungsentschädigung bestimmt haben, entweder nicht vorliegen oder ihre Auswirkungen aus der bezahlten Summe herausgerechnet werden können.402 Die besseren Gründe sprechen gegen diese Auffassung und dafür, Enteignungsentschädigungen überhaupt nicht heranzuziehen.403 Soweit die Entschädigungen nach dem Vergleichswertverfahren bestimmt worden sind, kann ohnedies unmittelbar auf jenes zurückgegriffen werden; sollten sie aber Ergebnis einer Ertragsbewertung sein, überwiegen zumindest bei unternehmerisch genutzten Lie-
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399 400
401 402 403
Vgl Brunner, Enteignung 170; aM vor dem LBG noch Rummel in Rummel/ Schlager, Enteignungsentschädigung 195 f. Brunner, Enteignung 170; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 244 ff mwN zur Gegenmeinung. Stabentheiner, LBG § 4 Anm 4. Zum Problem auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 244 mN aus der Rsp. Dazu ausführlich Kerschner, JBl 2006, 359 ff. OGH EvBl 1987/79 mwN. Ablehnend auch Brunner, Enteignung 175; ders, ÖJZ 1974, 428 (jeweils zu landwirtschaftlich genutzten Grundstücken); Kerschner, JBl 2006, 359 ff; kritisch auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 244.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
genschaften die subjektiven Elemente der Wertbildung und können nicht mit klarem Schnitt von den objektiven Elementen getrennt werden.404 3. Ertragswertverfahren § 5 LBG sieht als alternative Methode für die Feststellung des Verkehrswerts das Ertragswertverfahren vor. Dabei werden die Reinerträge (Rohertrag minus Aufwendungen) ermittelt, addiert und mit einem angemessenen Zinssatz diskontiert (§ 5 Abs 1 LBG). Die zu bewertende Sache ist nicht nur die Liegenschaft selbst, sondern auch das auf ihr betriebene Unternehmen.405 Was sollen Erträge der Liegenschaft anderes sein, als die durch ein Unternehmen im weiteren Sinn aus ihr gezogenen Früchte? Was aber für die Land- und Forstwirtschaft sowie das Zinshaus unstrittig ist, muss auch für andere Arten unternehmerischer Betätigung gelten. Fraglich ist freilich, welche Erträge der Bewertung zugrunde gelegt werden sollen. Geht man davon aus, dass das Verfahren zur Feststellung des Preises dient, der im redlichen Geschäftsverkehr üblicherweise erzielt werden kann, so wäre es angemessen, auf die von einem ordentlich Wirtschaftenden, also einer Normalfigur, erzielbaren Erträge abzustellen. Die besonderen Erträge des Enteigneten, der die Liegenschaft besonders gut nützt, könnten jedoch außer Betracht gelassen werden, weil sie auch durch andere Verkehrsteilnehmer mangels Reproduzierbarkeit nicht abgegolten würden. Das entspricht der Lehre vor dem LBG.406 Ob der darüber hinaus gehende Vermögensverlust aus der besonderen subjektiven Nutzungsmöglichkeit als entgangener Gewinn zu ersetzen ist, war damals strittig; vgl oben A. 3. § 5 Abs 2 LBG stellt jedoch auf die tatsächlich erzielten Erträge nach Abzug des tatsächlichen Aufwands ab. Diese angeordnete subjektive Sicht steht in einem Spannungsverhältnis zur angestrebten Bestimmung des Verkehrswerts. Zu korrigieren sind nämlich nicht besonders hohe407 subjektive Erträge an sich; die Korrektur findet nur statt, wenn diese Erträge nicht nachhaltig sind und daher auf Raubbau beruhen (§ 5 Abs 3 LBG).408 Wie man bei der Berechnung des Ertragswerts vorgeht, ist am besten zu beantworten, wenn man die Ziele der Enteignungsentschädigung im Auge behält.409 Korrekturen sind nämlich bei beiden Ansätzen erforderlich: Stellt man auf die „objektiven Erträge“ ab, so sind besondere subjektive Ertragschancen als entgangener Gewinn (oben A. 3.) zusätzlich zu ersetzen, soweit sie untrennbar mit der Liegenschaft verbunden sind und daher durch die Ent404 405 406 407 408
409
Kerschner, JBl 2006, 366. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 250 f. Vgl Brunner, Enteignung 171; ders, ÖJZ 1973, 429 ff. Sehr wohl aber ungewöhnlich niedrige; vgl § 5 Abs 3 LBG. Vgl RV zum LBG abgedruckt bei Stabentheiner, LBG § 5 Anm 11; Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 248. Eindringlich auch Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 239, 253 f.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
339
eignung verloren gehen; sind diese Erträge hingegen auch an anderer Stelle reproduzierbar, so scheidet der Ersatz mangels Vermögensnachteils aus.410 Werden subjektive Erträge und damit der gesamte Unternehmensgewinn ersetzt, so ist das Ergebnis der Ertragswertberechnung nach unten zu korrigieren, soweit diese Erträge auch auf einer anderen Liegenschaft reproduziert werden können.411 Die zweite und in der Praxis ganz wesentliche Streitfrage ist die Wahl des Kapitalisierungszinssatzes. Dieser hat sich nach der bei Sachen dieser Art üblicherweise erzielbaren Kapitalverzinsung zu richten (§ 5 Abs 4 LBG) und ist vom Sachverständigen besonders zu begründen (§ 10 Abs 2 LBG). Die Wahl des Zinssatzes ist eine Schlüsselfrage für die Bestimmung des Ertragswerts, weil bereits geringe Änderungen zu großen Schwankungen bei den Ergebnissen führen.412 § 5 Abs 4 LBG stellt auf marktübliche Zinssätze ab, die zunächst je nach Nutzung der Liegenschaft unterschiedlich sein können.413 Die beste Basis für die Berechnung des Kapitalisierungszinssatzes ist die Beobachtung von Transaktionen bei Liegenschaften ähnlicher Art, bei denen sowohl der Kaufpreis als auch die Erträge bekannt sind. Dazu kommen lageund objektspezifische Zu- oder Abschläge, soweit sich solche schätzen lassen.414 Zur Problematik im Zusammenhang mit der Unternehmensbewertung vgl ausführlich 4. Teil III. B. 2. 4. Sachwertverfahren Das Sachwertverfahren (§ 6 LBG) dient der Wertermittlung bei bebauten Liegenschaften. Zunächst wird ein Bodenwert für die Liegenschaft ermittelt, wobei der Wert unbebauter Liegenschaften ermittelt und die Bebauung durch Zu- oder Abschläge berücksichtigt wird; als Wertermittlungsmethode wird in der Regel das Vergleichsmarktkonzept gewählt (§ 6 Abs 2 LBG). Hinzu kommt (neben dem Wert sonstiger Bestandteile und gegebenenfalls des Zubehörs) der Bauwert. Dieser basiert im Regelfall auf den Wiedererrichtungskosten415 der baulichen Anlagen, die aber um die Wertminderung wegen Abnut-
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414 415
Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 234, 240. Im Ergebnis wie hier Klicka in Schwimann II § 365 Rn 26. Für alle Großfeld, Unternehmensbewertung 114 ff. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 249 f. Großfeld, Unternehmensbewertung 121 f, lehnt es ab, einen für die bisherige Gesellschaft typischen Zinssatz bei der Festlegung der Abfindung für Gesellschafter als Berechnungsbasis festzulegen; denn es solle dem Gesellschafter die Investition mit gleichem Ertrag, nicht aber in der gleichen Branche ermöglicht werden. Die Enteignungsentschädigung soll aber gerade diese Ersatzinvestition ermöglichen (vgl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 250); andererseits berücksichtigt auch Großfeld ähnliche Faktoren über Risikozuschläge. Vgl aus der Praxis zB Müller, immolex 2003, 207. Vgl Stabentheiner, LBG § 6 Anm 7.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
zung und unzeitgemäßen Aufbaus sowie um sonstige „wertbeeinflussende Umstände“ zu bereinigen ist (§ 6 Abs 3 LBG). Die theoretische Berechtigung des Ansatzes ist zweifelhaft. Verschiedene Zugänge werden vermischt. Das Grundstück wird durch Vergleichswerte bewertet; das ist nicht zu beanstanden. Die Ermittlung des Verkehrswerts des Gebäudes erfolgt hingegen in einer Art Substanzbewertung; diese ist für die Preisbildung am Markt (Verkehrswert!) aber nicht relevant, zumindest wenn man rational handelnde Akteure voraussetzt. Denn für die Bereitschaft, zu einem gewissen Preis zu verkaufen bzw zu kaufen, kommt es nicht auf unwiederbringlich aufgewendete Kosten an (sunk costs); ausschlaggebend sind bei unternehmerisch genutzten Liegenschaften vielmehr die Erwartungen über zukünftige Erträge. Aber auch der Ersatz der Errichtungskosten beim Privaten ist nicht zulässig, wenn sie zu einem über dem Marktpreis liegenden Wert führen sollen; denn darin läge wohl ein nach § 7 Abs 2 EisbEG verbotener Ersatz des Werts der besonderen Vorliebe. Andererseits ist anzuerkennen, dass der Markt dieses Verfahren zur Wertermittlung bei bebauten Liegenschaften auch abseits der Anordnungen des LBG anwendet. Daher kann die Methode nicht als „verfehlt“ abgelehnt werden. Dennoch meine ich, dass das Sachwertverfahren nur hilfsweise zur Ermittlung des Verkehrswerts herangezogen werden sollte, wenn die anderen Verfahren nicht durchgeführt werden können. Das Verfahren ist gegenüber Vergleichswert- und Ertragswertmethode subsidiär.416 Die Anwendung kommt insbesondere bei bebauten Grundstücken in Frage, bei denen die nicht unternehmerische Nutzung im Vordergrund steht.417 Denn hier scheiden häufig sowohl das Vergleichswertverfahren (wegen fehlender Vergleichsobjekte) als auch das Ertragswertverfahren (wegen fehlender monetär messbarer Erträge) aus. Auch die Praxis sieht bei diesen Objekten den Hauptanwendungsbereich des Sachwertverfahrens.418 Auch der Gesetzgeber war sich dieser Problematik wohl bewusst. Denn die Kosten sollen um die wirtschaftliche Wertminderung und „sonstige wertbeeinflussende Umstände“ berichtigt werden. Damit wird die Methodenvermischung, wie sie schon in § 7 Abs 1 LBG (Korrektur der Bewertungsergebnisse nach den Verhältnissen des redlichen Geschäftsverkehrs) angelegt ist, weiter fortgeführt, weil Substanzwerte mit Elementen einer Marktbewertung angereichert werden. Wie dieses Vorgehen zu rational nachvollziehbaren Ergebnissen führen soll, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Auch das spricht
416 417
418
Insofern wie hier Brunner, Enteignung 172. AM Klicka in Schwimann II § 365 Rn 23, der bei bebauten Grundstücken von einem Primat des Sachwertverfahrens auszugehen scheint; ähnlich Rummel in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 203 f. Diesen Meinungen folgend SZ 55/56; distanzierter schon OGH EvBl 1987/79. Kranewitter in Stabentheiner, LBG 157.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
341
dafür, das Sachwertverfahren nur anzuwenden, wenn kein anderes Verfahren zur Verfügung steht.
D. Wertminderung und Werterhöhung des Restgrundstücks 1. Wertminderungen Häufig wird nicht die ganze Liegenschaft enteignet, sondern nur ein Teil derselben. Die nicht enteignete Restliegenschaft verliert in diesen Fällen meistens durch das Projekt an Wert. § 6 EisbEG spricht diese Frage an: „Wird nur ein Teil eines Grundbesitzes enteignet, so ist bei der Ermittlung der Entschädigung nicht nur auf den Wert des abzutretenden Grundstückes, sondern auch auf die Verminderung des Wertes, die der zurückbleibende Teil des Grundbesitzes erleidet, Rücksicht zu nehmen.“ § 18 Abs 1 BundesStrG enthält eine ähnliche Anordnung. Die Schäden durch die Enteignung selbst sind von denjenigen Schäden zu unterscheiden, die durch die Durchführung des nachfolgenden Projekts herbeigeführt werden. Die Wertminderung des Restgrundstücks kann sich aus der verringerten Größe und der dadurch fehlenden bisherigen oder potenziellen Nutzbarkeit (zB Bebaubarkeit) ergeben. Die davon abzugrenzenden Schäden aus der Projektdurchführung werden auch – etwas missverständlich – Unternehmensschäden genannt.419 Üblicherweise geht es dabei um vermehrte Immissionen durch den Bau oder das Heranrücken einer Straße; auch andere Projektarten (Eisenbahn, Flughafen, Kraftwerk) führen typischerweise zu einer Wertminderung der Restliegenschaft. Dass Wertminderungen der Liegenschaft420 durch die Enteignung selbst zu ersetzen sind, ist der Kerngehalt von § 6 EisbEG, § 18 Abs 1 BundesStrG421 und vergleichbarer Normen.422 Wesentlich interessanter ist die Frage, ob der Enteignete unter Umständen vom Enteignungswerber verlangen kann, dass dieser auch das Rechtsgrundstück übernimmt. § 18 Abs 1 BundesStrG schreibt das vor:423 „Ist dieser Grundstücksrest unter Berücksichtigung seiner bisherigen Verwendung nicht mehr zweckmäßig nutzbar, so ist auf Verlangen des Eigentümers das ganze Grundstück einzulösen.“ Die Norm ist analog anwendbar, wenn keine Teilenteignung vorgenommen wird, sondern das Grundstück durch eine Dienstbarkeit belastet werden soll.424 Damit wird dem Eigentümer das Risiko abgenommen, die Restliegenschaft auch nicht zu dem
419 420
421 422 423 424
Vgl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 259. Bzw benachbarter Grundstückskörper, die eine wirtschaftliche Einheit bilden; vgl Brunner, Enteignung 144 f. Vgl zB OGH NZ 1969, 30. Vgl zB auch § 65 Abs 1 lit b) iVm Abs 2 lit b) Tir StrG; LGBl 1989/13. Vgl auch § 63 Abs 5 Tir StrG, LGBl 1989/13; § 99 Abs 2 LuftfahrtG. Brunner, Enteignung 18.
342
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
verminderten Wert verkaufen zu können.425 Im Bereich des EisbEG fehlt eine entsprechende Anordnung; eine analoge Anwendung der straßenrechtlichen Norm kommt wohl nicht in Betracht. § 65 Abs 3 lit c) Tir StrG enthält eine ausdrückliche Regelung für den Ersatz des Unternehmensschadens:426 Bei der Ermittlung der Entschädigung haben Wertminderungen427 außer Betracht zu bleiben, die der von der Enteignung betroffene Gegenstand erst durch die Maßnahme erfährt, deren Verwirklichung die Enteignung dient. Soweit es an solch einer entsprechenden Anordnung fehlt, ist die Frage in der Rechtsprechung strittig. Großteils wird die Entschädigungspflicht für solche Eingriffe mit dem Argument abgelehnt, dass der Schaden nicht unmittelbar aus der Enteignung folgt; solche mittelbaren Schäden seien von der Ersatzpflicht nicht erfasst.428 Andere Entscheidungen halten solche Wertminderungen allerdings für ersatzfähig,429 wobei sie sich zum Teil auch auf Kausalitätsüberlegungen berufen.430 Lehnt man den Ersatz im Rahmen des Enteignungsverfahrens ab, so folgt daraus freilich noch nicht, dass gar keine Ersatzpflicht besteht. Diese richtet sich nach der gesetzlichen Regelung der jeweiligen Eigentumsbeschränkung. Entschädigungspflichten finden sich zB in § 21 Abs 3, § 24 Abs 5 BundesStrG oder § 19 Abs 2 Eisenbahngesetz.431 Auch § 364a ABGB kann bei behördlich genehmigten Anlagen im Sinn dieser Bestimmung432 zu einer Ersatzpflicht führen. Fehlt es freilich an einer vergleichbaren gesetzlichen Bestimmung, so werden die Schäden bei keinem der betroffenen Grundeigentümer ersetzt und somit auch nicht bei dem oder den zuvor Enteigneten.433
Die Stellungnahmen in der Lehre verlaufen entlang der zu erwartenden Fronten. Brunner beruft sich insbesondere auf § 4 Abs 1 EisbEG434 und leitet aus jener Norm ab, dass nur die unmittelbar durch die Enteignung entstandenen Wertminderungen, nicht aber Unternehmensschäden zu ersetzen sind.435 425 426 427 428
429 430 431 432 433
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435
Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 211. Tir LGBl 1989/13. Aber auch Werterhöhungen; vgl unten 2. OGH RZ 1967, 74; SZ 50/158; SZ 68/121; so im Ergebnis auch OGH JBl 1966, 149. Vgl auch die bei Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 263 f gesammelten Entscheidungen. OGH RZ 1976/86. OGH ZVR 1966/41. BGBl 1957/60. Vgl Spielbüchler in Rummel I § 364a Rn 4; Winner, ZfV 1996, 812 ff. Dazu Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch261 f; vgl auch Kerschner, ZfV 1985, 24. Die verfassungsrechtliche Problematik der Entschädigungspflicht für Eigentumsbeschränkungen wird hier außer Acht gelassen. Auch die Materialien zu § 7 Abs 1 EisbEG stützen diese Auslegung; vgl Kühne/Hofmann/Nugent/Roth, EisbEG 99. Brunner, Enteignung 146 ff; ders, ÖJZ 1993, 685; ähnlich Klicka in Schwimann II § 365 Rn 27, 37; Spielbüchler in Rummel I § 365 Rn 10; Kerschner, JBl 2006, 361.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
343
Auch Aicher verneint die Ersatzfähigkeit der Nachteile aus dem Enteignungsprojekt; dabei ist aber zu beachten, dass er aus Art 5 StGG eine Pflicht ableitet, schwere Eigentumsbeeinträchtigungen zu entschädigen, und deswegen bei der Frage der Berücksichtigung des Unternehmensschadens im Rahmen der Enteignungsentschädigung einen restriktiveren Standpunkt einnehmen kann.436 Dass der Ausschluss nicht auf Kausalitätsüberlegungen beruhen kann, hat Rummel gezeigt;437 denn ohne die Enteignung wäre auch das Projekt nicht oder zumindest nicht so durchgeführt worden. Aus Kausalitätsgründen ist es daher zB nur gerechtfertigt, die Immissionen zu berücksichtigen, die auch ohne die Enteignung (zB bei alternativem, weiter entferntem Straßenverlauf) aufgetreten wären.438 Das zentrale Problem ist aber wohl ein anderes: Warum soll der Enteignete die Wertminderung seiner Restliegenschaft ersetzt bekommen, nur weil er bezüglich eines anderen Grundstücks(teils) enteignet wurde, während alle anderen betroffenen Grundstückseigentümer die Beeinträchtigung entschädigungslos hinnehmen müssen (sofern nicht eine sondergesetzliche Entschädigungsnorm besteht)? Dem wird entgegengehalten, dass die Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung im Eigentumsentzug liegt, durch welchen die Projektdurchführung erst ermöglicht wird. Denn der Enteignete werde durch den Teilentzug seiner Liegenschaft im Vergleich zu den anderen Eigentümern besonders schwer betroffen, was den Ersatz auch des sonst entschädigungslos hinzunehmenden „Sockelbetrags“ rechtfertige.439 Hinzu komme, dass dem Liegenschaftseigentümer auch die Chance einer Werterhöhung bezüglich der enteigneten Liegenschaft genommen sei, weswegen wenigstens die Wertminderung bezüglich der Restliegenschaft ausgeglichen werden müsse.440 Bevor ich zur Problematik Stellung nehme, möchte ich die parallel zu behandelnde Frage der Werterhöhungen ansprechen. 2. Werterhöhungen Die Restliegenschaft des Enteigneten kann durch das durchzuführende Projekt nicht nur an Wert verlieren, sondern auch gewinnen. Das historisch wichtigste Beispiel liegt in der besseren Verkehrsanbindung von Liegenschaften durch den Eisenbahnbau; die Wertsteigerungen der benachbarten Grundstücke dürften beachtlich gewesen sein. Heute kommt vor allem die Enteignung eines Teils einer Liegenschaft zum Zweck des Straßenbaus in Betracht, wenn durch die Aufschließung der Wert des Restgrundstücks steigt und diese Wert436 437 438
439 440
Aicher, Bestimmungen 82 ff. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 260 f. Näher Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 264 ff (mit Parallelen zur schadenersatzrechtlichen Figur des rechtmäßigen Alternativverhaltens); Kerschner, ZfV 1985, 24. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 262 ff, insbesondere 266. Kerschner, ZfV 1985, 24.
344
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
steigerung höher ist als der Marktpreis des enteigneten Liegenschaftsteils.441 Soll diese Werterhöhung der Restliegenschaft mit dem entzogenen Wert der enteigneten Sache verrechnet werden? Dann könnte die Enteignung im Einzelfall auch entschädigungslos erfolgen.442 Das EisbEG enthält nach herrschender Lehre keine entsprechende Regel. § 7 Abs 2 leg cit (ähnlich § 18 Abs 1 BundesStrG; § 65 Abs 3 Tir StrG443) hält fest, dass die Werterhöhung, die der Gegenstand der Enteignung infolge der Anlage der Eisenbahn (= der Projektdurchführung) erfährt, bei der Berechnung der Entschädigung außer Acht bleibt. Daraus schließt die herrschende Lehre, dass es nur um diejenigen Werterhöhungen der enteigneten Liegenschaft geht, die schon durch die Pläne über die Enteignung der Liegenschaft vor deren Durchführung aufgetreten sind.444 Zwingend ist diese Auslegung freilich nicht; ebenso ist es denkbar, die Worte „Gegenstand der Enteignung“ weit auszulegen. Damit wäre die Norm als Ergänzung zu § 6 EisbEG zu verstehen; neben den Nachteilen würden auch die Vorteile bezüglich der Restliegenschaft in Anrechnung gebracht.445 Das Schrifttum ist – je nach gewähltem Ausgangspunkt – konsequent. Brunner will auch die Werterhöhung der Restliegenschaft, die aus dem Projekt resultiert, nicht zu Lasten des Enteigneten in Anrechnung bringen.446 Rummel hingegen kommt aufgrund der von ihm propagierten konkreten Schadensberechnung zu einer Anrechnung der Werterhöhung;447 freilich sei streng zu prüfen, inwieweit die Enteignung kausal für die Projektdurchführung gewesen ist, weil sonst eine Anrechnung nicht in Frage komme. Der VfGH hat ganz in Rummels Sinn festgehalten, dass eine Enteignung nicht unentgeltlich erfolgt, wenn zwar keine Entschädigung erfolgt, die Grundabtretung zur Anlage von Verkehrsflächen sich auf den Wert der Restliegenschaft aber positiv auswir-
441
Serkin, 99 Nw U L Rev 694 ff (2005).
442
Vgl Fischel in Palgrave II 40.
443
LGBl 1989/13. Eine Vorteilsanrechnung könnte auch durch Art 10 Abs 3 Sbg LVerf gestützt werden: „Eine landesgesetzlich vorgesehene Enteignung darf nur gegen angemessene Entschädigung erfolgen, soweit die Maßnahme, für die die Enteignung erfolgt, nicht auch im unmittelbaren besonderen Interesse des Enteigneten liegt.“
444
So (zu § 18 Abs 1 BundesStrG) Brunner, Enteignung 151; ders, ÖJZ 1969, 142. Vgl aus der Rsp OGH EvBl 1967/205; OGH JBl 2007, 315.
445
So anscheinend OGH EvBl 1974/66; wohl auch Kerschner, ZfV 1985, 24.
446
Brunner, Enteignung 148.
447
Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 306 ff (auch schon 203); ders in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 89, 168 ff; so auch Hellbling, JBl 1960, 356; ähnlich Floßmann, Eigentumsschutz 66.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
345
ken.448 Auch der OGH scheint sich den Argumenten Rummels anzuschließen.449 Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist eine Norm daher unbedenklich, wenn sie eine Anrechnung der Werterhöhung vorsieht; etwas anderes gilt aber, wenn die Norm in pauschalierter Form davon ausgeht, dass sich Vor- und Nachteile ausgleichen werden und deswegen von einer Entschädigung ganz absieht.450 Auch Korinek meint, dass Vorteile aus dem Projekt nur bei der konkreten Entschädigungsbemessung berücksichtigt werden dürfen.451
In der rechtsökonomischen Literatur ist umstritten, inwieweit Werterhöhungen des restlichen Grundbesitzes durch das Enteignungsprojekt zu berücksichtigen sind. Nach einer Ansicht soll in diesem Fall keine Entschädigung zu zahlen sein bzw verringert sich die zu leistende Entschädigung entsprechend.452 Dadurch finanzieren im Ergebnis diejenigen das Projekt, die auch Nutzen aus ihm ziehen. Aus diesem Blickwinkel ist gegen eine Vorteilsanrechnung ökonomisch nichts einzuwenden; sie ist auch vorteilhaft gegenüber einer sonst häufig vorzunehmenden Steuerfinanzierung.453 Durch die Vorteilsanrechnung sind auch keine negativen Auswirkungen auf die Verhaltenssteuerung des Staates bzw des Enteignungswerbers zu befürchten; denn die Anrechnung der Werterhöhung internalisiert nur die erfolgte Wohlfahrtssteigerung bei demjenigen, bei dem sie anfällt. Gegen die Berücksichtigung der Vorteile spricht allerdings, dass die Wertsteigerung des Restgrundstücks nicht bei allen Liegenschaftseigentümern spürbar wird. Wer weder verkaufen möchte noch den Wertzuwachs anders (zB über höhere Erträge) lukrieren kann, muss im Ergebnis einen Verlust an realer Substanz hinnehmen, wenn ihm die Werterhöhung angerechnet wird. Hinzu kommt die mit der Vorteilsanrechnung einhergehende Ungleichbehandlung:454 Nur diejenigen, deren Liegenschaften enteignet werden, haben zur Finanzierung über den Verlust der Entschädigung beizutragen, während alle anderen, die auch Vorteile aus dem Projekt ziehen, unbelangt bleiben.455
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449
450 451 452 453
454 455
VfSlg 3.475; dazu Hauer, ZfV 2002, 331 f mit kritischen Anmerkungen zur Kausalität der Grundabtretung für die Wertsteigerung. OGH JBl 2007, 319. Freilich bezieht der OGH § 7 Abs 2 EisbEG unmittelbar auch auf das Restgrundstück, schränkt die Norm aber auf Projektvorteile im engeren Sinne ein. Wie hier Hauer, ZfV 2002, 332 f. Anders wohl VfSlg 3.475. Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 46. So zB Epstein in Palgrave III 564; vgl auch Serkin, 99 Nw U L Rev 698 (2005). Freilich kann die Finanzierung in vielen Fällen auch über Tarife erfolgen (zB Eisenbahn), wodurch im Ergebnis auch wieder die Begünstigten für die Kosten der Enteignung aufkommen. Dazu in vergleichbarem Zusammenhang VfSlg 6.884. Vgl Fischel in Palgrave II 40. Zugunsten der Vorteilsanrechnung wird vorgebracht, dass diese im Ergebnis zu einer Umverteilung zu den sozial Benachteiligten bei-
346
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
3. Stellungnahme Die in der Literatur durchwegs vorgenommene Parallelbehandlung der Wertminderung des Restgrundstücks und der Vorteilsanrechnung überzeugt. Beide Ansichten – Ersatz des Unternehmensschadens mit Vorteilsanrechnung einerseits, kein Ersatz, aber auch keine Vorteilsanrechnung andererseits – sind konsistent. Das Argument der Ungleichbehandlung des Enteigneten gegenüber den anderen vom Projekt betroffenen Liegenschaftseigentümern ist nicht ausschlaggebend: Wenn dem Enteigneten anders als den anderen Eigentümern die Vermögensnachteile ersetzt werden, muss er sich – ebenfalls anders als diese – auch eine Anrechnung der Vorteile aus dem Projekt gefallen lassen.456 Rechtsökonomisch spricht viel für die Berücksichtigung des Unternehmensschadens. Auch dieser ist ein Nutzenverlust beim Enteigneten, der für die Frage der Wohlfahrtssteigerung durch das Projekt zu berücksichtigen ist; der beste Weg dazu ist es, diese Kosten beim Enteignungswerber durch eine Entschädigungspflicht zu internalisieren. Dagegen spricht auch nicht, dass die Schäden nur beim Enteigneten, nicht aber bei den anderen Betroffenen zu ersetzen sind; ausschlaggebend ist, dass durch die Berücksichtigung der Stellung zumindest des Enteigneten die Kosten-Nutzen-Rechnung in die richtige Richtung gelenkt wird. Tendenziell kommt daher einer Berücksichtigung der Nachteile samt Anrechnung der Vorteile die höhere Richtigkeitsgewähr zu. Auch rechtsdogmatisch sprechen die besseren Gründe für diese Auffassung. Wenn das Gesetz von der Berücksichtigung aller durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile spricht, was anderes als die Kausalität der Enteignung für den Schaden soll gemeint sein? Auch die Durchführung des Projekts erfolgt nur, weil die Liegenschaft enteignet worden ist. Für die Anrechnung der Werterhöhung spricht entgegen der herrschenden Meinung daher wohl auch § 7 Abs 2 EisbEG, der ebenso wie § 18 Abs 1 BundesStrG zumindest per analogiam eine Aussage auch für die Restliegenschaft enthält. Ein Problem besteht somit vor allem für diejenigen, die ihre Restliegenschaft nicht verkaufen wollen; denn sie müssen sich die Anrechnung der Vorteile auf die Entschädigungssumme gefallen lassen, ohne die Werterhöhung unmittelbar in Barmittel umsetzen zu können. Das ist freilich kein Sonderproblem der Enteignung, sondern eine Strukturfrage jeder Vorteilsanrechnung. Insofern lohnt der Blick auf das Schadenersatzrecht: Auch dort werden vermögensrechtliche Vorteile aus dem schädigenden Ereignis im Regelfall angerechnet; in wertender Betrachtung werden nur bestimmte Fälle aus der Vorteilsanrechnung ausgeschlossen, wie insbesondere
456
trage, weil bei diesen durch eine Enteignung keine Vorteile bei sonstigem Vermögen anfallen (vgl Serkin, 99 Nw U L Rev 718 ff [2005]). Deutlich Kerschner, ZfV 1985, 24.
V. Enteignungsentschädigung – Detailanalyse
347
Zweckzuwendungen von Dritten oder steuerliche Begünstigungen.457 Freilich hat der Geschädigte immer die Möglichkeit, die Anrechnung werterhöhender Umstände in seinem Restvermögen abzuwenden: Da nach herrschender Lehre der objektiv-abstrakte Schaden die Untergrenze auch beim Interesseersatz bildet, kann er den Wert der beschädigten Sache selbst ohne Berücksichtigung der Auswirkungen auf sein Restvermögen immer verlangen.458 Dies wird damit begründet, dass der Geschädigte durch die konkrete Berechnung bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz gegenüber geringerem Verschulden besser gestellt werden soll; der Ersatz des Verkehrswerts der Sache muss daher immer stattfinden. Wer entgegen der herrschenden Lehre auch bei leichter Fahrlässigkeit auf eine konkrete Berechnung abstellt, der steht solchen Argumenten natürlich kritisch gegenüber.459 Im gegebenen Zusammenhang hilft diese Ausgangsbasis, die zu einer Besserstellung des Geschädigten führt, aber nicht weiter. Denn es fehlt für Enteignungsfälle an einer nach Verschulden abgestuften Haftung und deswegen auch an der Basis für den im Schadenersatzrecht vorgenommenen Größenschluss. Der Enteignete hat sich daher die Parallelbehandlung gefallen zu lassen und kann sich nicht auf eine objektiv-abstrakte Schadensberechnung zurückziehen, wenn die Ergebnisse der konkreten Berechnung für ihn nachteilig sind.
E. Moral hazard-Probleme Bei der Ermittlung der Entschädigung ist gemäß § 7 Abs 1 EisbEG auf Verhältnisse keine Rücksicht zu nehmen, die ersichtlich in der Absicht hervorgerufen wurden, sie als Grundlage für die Erhöhung des Entschädigungsanspruchs zu benutzen. § 20 Abs 2 BundesStrG verweist auf jene Norm. § 65 Abs 3 lit b) Tir StrG normiert ähnlich, dass Aufwendungen außer Betracht bleiben, die ein Enteigneter oder Nebenberechtigter zur Erhöhung des Wertes des enteigneten Gegenstandes gemacht hat, obwohl er wusste oder hätte wissen müssen, dass die Enteignung des Gegenstands bereits beantragt wurde. Die Normen versuchen abzugrenzen, welche vor der Enteignung vorgenommenen Investitionen bei der Entschädigungsbemessung zu berücksichtigen sind. Diese klassische Frage des Enteignungsrechts wird im angloamerikanischen Schrifttum üblicherweise als Problem des moral hazard bezeichnet460 und dort häufig behandelt. Der Begriff kommt ursprünglich aus dem Versicherungsrecht;461 wer versichert ist, hat wenig Anreize, Schadensprävention zu 457 458 459 460
461
Näher Koziol, Haftpflichtrecht Rn 10/33 ff; Karner in KBB § 1295 Rn 16 f. Für alle Welser in Koziol/Welser II 304 mwN. Vgl zB Reischauer in Rummel II/2b § 1332 Rn 11. Vgl im gegebenen Zusammenhang Serkin, 99 Nw U L Rev 714 ff (2005); Fischel in Palgrave II 36, 39; ohne die Terminologie zu verwenden, aber in der Sache ähnlich Posner, Economic Analysis 57; Schäfer/Ott, Lehrbuch 580 f. Vgl im Überblick Cooter/Ulen, Law & Economics 50 f.
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3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
betreiben, weil er grundsätzlich Ausgleichszahlungen ganz unabhängig vom eigenen Verhalten erwarten darf. Die Entschädigungspflicht bei der Enteignung ähnelt im Ergebnis einer Versicherung; daher besteht die Gefahr, dass weiterhin investiert wird, auch wenn die Enteignungsabsicht bekannt ist oder die Enteignung zumindest wahrscheinlich geworden ist, wenn der Enteignete auf jeden Fall Ersatz für seine Investitionen erhält. Im Einzelnen differenziert die rechtsökonomische Analyse freilich: Soweit die in Kenntnis der Enteignungsabsicht vorgenommene Investition auch für die öffentliche Hand nützlich ist, besteht aus rechtsökonomischer Sicht kein Grund, die Ersatzpflicht abzulehnen,462 es sei denn, die öffentliche Hand hätte die Investition kostengünstiger vornehmen können. Anderes gilt, wenn nach der Enteignung die Nutzung der Liegenschaft geändert werden soll. Dann soll nach herrschender rechtsökonomischer Auffassung die fehlgeleitete Investition bereits ex ante verhindert werden. Das geschieht am besten dadurch, dass der Ersatz verweigert wird, sollte sie dennoch vorgenommen werden.463 Nach einem anderen rechtsökonomischen Ansatz soll der Ausmaß des Ersatzes von der Risikoneigung des Enteigneten abhängen, um moral hazard-Probleme zu vermeiden; da diese Bereitschaft, Risken einzugehen, proportional mit dem Vermögen steige, solle auch der Ersatz der Investitionen mit zunehmenden Reichtum abnehmen.464 Da das Enteignungsrecht keine „Schadens“teilung vorsieht, scheidet diese Lösung de lege lata aus.
Vor diesem ökonomischen Hintergrund ist § 7 Abs 1 EisbEG zu verstehen. Es bestehen durchaus Parallelen zur schadenersatzrechtlichen Figur des Mitverschuldens bzw der Mitverantwortung (§ 1304 ABGB);465 hier wie dort geht es darum, das Entstehen eines Schadens bzw einer zu ersetzenden Aufwendung von vornherein durch Verhaltenssteuerung zu verhindern, wobei in diesen Fällen das Verhalten des Geschädigten selbst in den Blickpunkt gerät.466 Freilich kommt es dort zur Schadensteilung, während im Enteignungsrecht – ähnlich wie nach dem Prinzip der Kulpakompensation – die Ersatzfähigkeit ganz ausgeschlossen wird. Im Ergebnis geht es § 7 Abs 1 EisbEG also vor allem467 darum, spekulative Werterhöhungen der Liegenschaft vor Rechtskraft des Enteignungsbescheids von der Ersatzpflicht auszuschließen.468 Daher sind Investitionen erfasst, die 462 463 464 465
466 467
468
Schäfer/Ott, Lehrbuch 586. Schäfer/Ott, Lehrbuch 580 f, 582 ff, 586. Näher Serkin, 99 Nw U L Rev 714 ff (2005). Vgl zB Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 300 f; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 20. Vgl zum Schadenersatz Koziol, Haftpflichtrecht I Rn 12/1. Daneben enthält die Norm auch Aussagen über die mangelnde Ersatzfähigkeit unangemessener Aufwendungen zur Beseitigung von Folgeschäden; vgl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 302; Klicka in Schwimann II § 365 Rn 20. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 301.
VI. Zusammenfassung
349
zwar bei Fortführung der bisherigen Nutzung sinnvoll und damit werterhöhend wären, nach dem Nutzungswechsel aber nicht mehr zweckmäßig sind. Diese Rechtfertigung fehlt aber, wenn die bisherige Nutzung ausnahmsweise fortgeführt wird bzw die Investition auch im Rahmen der neuen Nutzungsart zielführend sein sollte. Dann kann es nicht um die Frage der Ersatzfähigkeit an sich gehen, sondern nur darum, ob der Enteignungswerber die Investition selbst kostengünstiger hätte vornehmen können; für solche Investitionen bieten daher die Kosten, die der Enteignungswerber hätte aufwenden müssen, die Obergrenze für den Ersatz. Für den Zeitpunkt ist es falsch, so wie in § 65 Abs 3 lit b) Tir StrG auf die Einleitung des Enteignungsverfahrens abzustellen; dieses formale Kriterium ist kein geeigneter Ansatzpunkt für die Verhaltenssteuerung. Vielmehr ist der Zeitpunkt ausschlaggebend, zu dem eine Enteignung absehbar wird;469 ab diesem Zeitpunkt ist die von § 7 Abs 1 EisbEG vorausgesetzte Absicht, die Verhältnisse nur für die Erhöhung des Entschädigungsanspruchs herbeigeführt zu haben, mE zu vermuten.470 Wann dieser Zeitpunkt vorliegt, ist eine Tatsachenfragen;471 die Einleitung des Enteignungsverfahrens ist nur derjenige Zeitpunkt, zu dem dies spätestens der Fall sein muss.472
VI. Zusammenfassung Die hier angegeben Grundsätze für die Entschädigungspflicht richten sich grundsätzlich nach rechtsökonomischen Kriterien, wobei die Anreizwirkung für den Enteignungswerber in der Vordergrund gestellt werden. Die vertretene Auffassung führt automatisch auch dazu, dass die Ziele der ausgleichenden Gerechtigkeit verfolgt werden, selbst wenn die Analyse nicht darauf abstellt. Der daraus resultierende möglichst weit gehende Ersatz der eingetretenen Nachteile wirkt andererseits auch als Bremse für Umverteilungsprojekte. Wenn der Ersatz aller Nachteile erforderlich ist, kann allenfalls noch der echte Vorteil aus dem Enteignungsprojekt einzelnen Interessensgruppen zugeführt werden. Die Analyse des Ausmaßes der Entschädigungspflicht hat sich auf die einfachgesetzliche Rechtslage und hier im Wesentlichen auf das EisbEG und das BundesStrG 1971 beschränkt. Ob verfassungsrechtliche Vorgaben gemäß Art 5 StGG für das Ausmaß bestehen, wird von einigen Autoren bejaht,473 von anderen aber verneint.474 Nach meiner Ansicht wird dem einfachen Gesetzge469 470 471 472 473
474
Im Ergebnis auch Brunner, Enteignung 158 f. Ähnlich Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 301. Vgl zu typischen Fallgestaltungen im Straßenbau Brunner, Enteignung 158 f. Vgl Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 301. Rummel in Rummel/Schlager, Enteignungsentschädigung 30 ff, 66 ff, 95; Aicher, Bestimmungen 72 ff. Korinek in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 34 ff; ders in Korinek/ Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 48; Berka, Grundrechte Rn 738.
350
3. Teil: Die Entschädigung bei der Enteignung
ber diesbezüglich zu Recht Ermessensspielraum eingeräumt. Denn die zu berücksichtigenden Aspekte sind zu vielfältig, als dass die Antwort auf jede Detailfrage bereits verfassungsrechtlich vorgezeichnet sein könnte. Ob der ideelle Schaden zu ersetzen ist oder ob bloß Marktpreise heranzuziehen sind, inwieweit Wertsteigerungen der Restliegenschaft anzurechnen sind, ist verfassungsrechtlich grundsätzlich ebenso wenig vorgezeichnet wie vergleichbare Detailfragen.475 Eine abweichende verfassungsrechtliche Frage ist aber, ob der einfache Gesetzgeber in der Folge an eine einmal gefällte Entscheidung gebunden sein soll. Ohne Zweifel darf der einfache Gesetzgeber von einmal getroffenen Entscheidungen in anderen Gesetzen auch wieder abweichen, er kann also unterschiedliche Ordnungssysteme schaffen.476 In diesem Sinn sind sicherlich nicht alle Detaillösungen des EisbEG (keine Anrechnungen von Werterhöhungen, Regelung des moral hazard in § 7 Abs 1 leg cit etc) als historischer Ausgangspunkt und Leitbild für den Gesetzgeber bindend. Andererseits enthält die Rechtsordnung häufig grundsätzliche rechtliche Wertungen für die Lösung von Ordnungsproblemen; eine Ungleichbehandlung kann dann unsachlich sein.477 Diese Funktion könnte der grundsätzlichen Bestimmung von § 4 Abs 1 EisbEG zukommen, wonach der Enteignete für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile schadlos zu halten ist. Dafür spricht auch, dass diese Grundsatzentscheidung von den Materiengesetzgebern im Regelfall rezipiert wurde. Bei dieser Betrachtung ergibt sich die verfassungsmäßige Bindung an die Pflicht zum Ersatz des subjektiven Nachteils aus der Vorbildwirkung des EisbEG. Das hat zwei wichtige Konsequenzen: Erstens kann diese einfachgesetzliche Wertungsentscheidung zB durch Ersatz bloß des Marktpreises geändert werden, ohne dass dies verfassungsrechtlich bedenklich ist; es ist nur erforderlich, dass die Änderung gleichmäßig in allen Enteignungsgesetzen erfolgt. Zweitens bedeutet die Regelung des EisbEG keine absolute Sperre, sondern nur, dass jedes Abweichen von der dort angeordneten vollen Ersatzpflicht besonders zu rechtfertigen ist. 475
476
477
Damit hängt zusammen, dass aus dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot (abgeleitet aus Art 7 Abs 1 B-VG) nicht zu folgern ist, dass nur eine Lösung eines Problems durch den einfachen Gesetzgeber verfassungsgemäß sein kann. Auch wenn die genauen Grenzen unklar sind, besteht doch grundsätzlich rechtspolitischer Gestaltungsspielraum. Für alle Berka, Grundrechte Rn 930 ff mwN zur Rsp des VfGH. Als Beispiel kann dienen, dass ein unangemessenes Umtauschverhältnis im Verschmelzungsrecht im außerstreitigen Verfahren zu überprüfen ist und zu einer Ausgleichszahlung führt (unten 4. Teil I. B.), während nach wohl herrschender Lehre bei ganz ähnlicher Ausgangslage dem Aktionär bei der Einbringung mittels einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage nur die Anfechtungsklage und damit die Beschlussbeseitigung zur Verfügung steht. Vgl dazu Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 115 f mwN auch zur Gegenmeinung. Aus der gesellschaftsrechtlichen Rsp des OGH vgl GesRZ 2004, 387.
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung Im folgenden und letzten Teil geht es um den Wert von Gesellschaftsanteilen. Im Vordergrund stehen gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen, insbesondere die Verschmelzung und der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern; die Aussagen lassen sich selbstverständlich auch auf die Spaltung zur Aufnahme und andere vergleichbare Fälle übertragen. Die zu beantwortende Frage lautet: Wie bestimmt sich die zu erbringende Gegenleistung, wenn ein Gesellschafter gezwungen wird, seine gesellschaftsrechtliche Beteiligung aufzugeben, sei es, weil er in bar abgefunden wird, sei es, weil er Aktien eines anderen Rechtsträgers zwangsweise erhält? Ähnliche Probleme treten auch bei Unternehmensübernahmen auf; anhand der rechtlichen Regelung in diesem Zusammenhang lassen sich exemplarisch wichtige Überlegungen anstellen; darüber hinaus ist das Übernahmerecht derzeit ein wichtiger Motor auch für die Fortentwicklung der allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Dogmatik. Ob übernahmerechtliche Wertungen im Einzelfall auf den Gesellschafterausschluss oder das Verschmelzungsrecht ausstrahlen, wird im Folgenden untersucht. Die nachfolgende Darstellung versucht grundsätzlich, sowohl die Aktiengesellschaft als auch die Gesellschaft mit beschränkter Haftung einzubeziehen. Aus sprachlichen Gründen wäre es aber zu mühsam, bei jeder Aussage unterschiedliche Bezeichnungen zu berücksichtigen. Die folgende Darstellung wählt als Leitbild die Aktiengesellschaft. Soweit daher nicht rechtsformneutrale Begriffe („Gesellschafter“) verwendet werden, beziehen sich die aktienrechtlichen Termini auch auf ihr GmbH-rechtliches Pendant.1
Im Folgenden möchte ich zunächst (I.) die rechtlichen Grundlagen für den Gesellschafterausschluss und die Verschmelzung ansprechen; Vergleiche mit der Rechtslage in Deutschland erfolgen wegen der ganz ähnlichen Regelung immer gleich im jeweiligen Zusammenhang. Bei dieser Darstellung wird der Regelung des Gesellschafterausschlusses etwas breiterer Raum eingeräumt; das ist vor allem wegen der Neuregelung der Materie erforderlich, durch die alte Regelungsprobleme in einem neuen Zusammenhang sichtbar werden. In der Folge geht es (II.) um die richtige Einordnung der Frage: Wann ist die Abfindung oder das Umtauschverhältnis angemessen. Dabei ist der Zugang für den Gesellschafterausschluss verfassungsrechtlich, während für die Verschmelzung vor allem die unterschiedlichen Realphänomene, die dieser 1
Die Schrifttumshinweise zielen im Folgenden auch nicht annähernd auf Vollständigkeit ab. Das wäre aufgrund der umfangreichen Literatur (insbesondere in Deutschland) ein nahezu unmögliches Unterfangen.
352
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Maßnahme zugrunde liegen können („Konzentrationsverschmelzungen“ und „Konzernverschmelzungen“), in den Vordergrund gestellt werden. Danach geht es um die Unternehmensbewertung im eigentlichen Sinn (III.). Dieses ist die Basis für die Ermittlung sowohl der angemessenen Abfindung als auch des angemessenen Umtauschverhältnisses. Neben methodischen Fragen werde ich insbesondere der Frage nach der angemessenen Verteilung der Synergiegewinne nachgehen. In den folgenden Bereichen geht es um alternative Ansätze zur Unternehmensbewertung. Ich werde für Börsekurse (IV.) argumentieren, dass diese zum Teil als Untergrenze für die Angemessenheit heranzuziehen sind. Auch Vorerwerbe durch einzelne an der Strukturmaßnahme beteiligte Personen (V.) haben Bedeutung; nach einer ausführlichen Vorstellung und Rechtfertigung des übernahmerechtlichen Modells werde ich Rückschlüsse für den Gesellschafterausschluss und die Verschmelzung ziehen. Abschließend wird untersucht, inwieweit aus dem Verhalten der außenstehenden Aktionäre Rückschlüsse auf die Angemessenheit der gebotenen Gegenleistung gezogen werden können (VI.). Den Abschluss bietet ein rechtsvergleichender Teil (VII.). Anhand des englischen Rechts wird sich zeigen, dass viele der für Österreich ausgeführten Ansichten auch in jener Rechtsordnung Entsprechungen finden.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage A. Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern Ein der „klassischen“ Enteignung vergleichbares Problem besteht im Bereich des Gesellschaftsrechts. Aus verschiedenen Gründen kann der Mehrheitsgesellschafter Interesse daran haben, 100 % der Anteile zu übernehmen, so zB bei Sanierungsübernahmen, zur Konzernumgestaltung, für den Abgang vom Kapitalmarkt etc. Über Kaufverträge ist dies im Regelfall bei einem etwas breiteren Gesellschafterkreis nicht möglich, weil nicht alle Minderheitsgesellschafter verkaufswillig sind; ebenso können einzelne Gesellschafter versuchen, durch anhaltenden Widerstand einen möglichst hohen Kaufpreis zu erzielen (vgl schon grundsätzlich zur Enteignung oben 3. Teil IV. B.). Deswegen besteht ein grundsätzlich anerkannter Bedarf, die Minderheitsgesellschafter aus der Gesellschaft auch gegen ihren Widerstand auszuschließen.2 Problematisch ist bei diesem Ausschluss in der Praxis vor allem die Informationsasymmetrie zwischen dem Mehrheitsaktionär und den Auszuschließenden. Denn ersterer hat regelmäßig3 Einblicke in die Geschicke der Gesell-
2
3
Kalss, Verschmelzung Vorb UmwG Rn 7 mwN; Gall/Potyka/Winner, Squeezeout Rz 1. In den meisten Fällen gilt das schon wegen der Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
353
schaft, die den Minderheitsaktionären verwehrt sind. Deswegen kann er den Gesellschafterausschluss zu einem Zeitpunkt vornehmen, der für ihn besonders günstig ist, zB weil er über werterhöhende Informationen verfügt, die er nicht offen legt. Die Festlegung der angemessenen Abfindung hängt daher zu einem Gutteil von der Gesellschaft und damit auch von denjenigen ab, die sie kontrollieren, aber ihrerseits ein besonderes Interesse daran haben, werterhöhende Informationen nicht offen zu legen. Insofern darf die Postulierung materieller Regeln, welche die Minderheit schützen, nicht zu dem Trugschluss verleiten, dass diese Regeln auch tatsächlich durchgesetzt oder eingehalten werden. Das kann freilich kein Argument dagegen sein, auf Basis des geltenden Rechts, dem diese Informationsasymmetrien inhärent sind, eine richtige Lösung zu finden. 1. Österreichische Rechtsgrundlagen a) Überblick über die Rechtsentwicklung4 Der Ausschluss einer Minderheit ist in Österreich im Ergebnis seit 1954 durchgehend gesetzlich geregelt. Das UmwG 19545 – Nachfolgegesetz des reichsdeutschen UmwG 19346 – sah mit der verschmelzenden Umwandlung ein diesbezügliches Instrument vor, das freilich den Ausschluss nur als Nebenfolge einer Vermögensübertragung regelte.7 Zunächst war es auf 10 Jahre zeitlich befristet, die Befristung wurde zunächst verlängert und dann ganz aufgehoben.8 Für mehr als 40 Jahre blieb dies die Basis für den Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern. Änderungen ergaben sich erst durch das EU-GesRÄG.9 Das lag weniger daran, dass das UmwG neu erlassen wurde, sondern vor allem an der Neugestaltung des Spaltungsrechts. Dort wurde nämlich auch die nicht verhältniswahrende Spaltung zugelassen, durch die eine Trennung der Gesellschafterkreise möglich sein sollte. Die Praxis erkannte schnell, dass diese Spaltungsart auch für den Ausschluss von Gesellschaftern gebraucht werden konnte; die Verwerfungen beim Rechtsschutz haben Lehre und Rechtsprechung beschäftigt.10 In der Sache war diese Rechtslage unbefriedigend. Insbesondere war nur schwer erklärbar, warum eine Vermögensübertragung erforderlich ist, wenn es 4
5 6 7 8
9 10
Dazu auch Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 6 ff; Kalss/Zollner, Squeeze-out Einleitung Rz 1 ff. BGBl 1954/187. Siehe dRGBl 1934 I 569. Ganz ähnlich funktioniert übrigens der US-amerikanische freeze-out. Zur Entwicklung vgl Kalss/Burger/Eckert, Entwicklung 326 f, 351 f; Kalss, Verschmelzung Vor UmwG Rn 2; Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Umgründungen Art 2 Umwandlung – Handelsrecht Rn 20 f. BGB l996/304. Zusammenfassend Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 12 ff.
354
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
in Wirklichkeit in vielen Fällen vor allem darum geht, Aktionäre mit weniger als 10 % des Grundkapitals aus der Gesellschaft auszuschließen. Hinzu kommt, dass diese Vermögensübertragung steuerliche Folgen zeigen kann, wie zB durch die Grunderwerbssteuerpflicht bei Übertragung von Liegenschaften11 oder beim Übergang von Verlustvorträgen.12 Auch der Übergang öffentlich-rechtlicher Berechtigungen kann ein Problem darstellen.13 Deswegen und zur Vereinheitlichung der Rechtslage führte das ÜbRÄG 200614 eine Neuorientierung herbei. Einerseits wurde der Gesellschafterausschluss auf neue Beine gestellt, indem durch ein neues Bundesgesetz über den Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern (GesAusG) der Ausschluss von der Vermögensübertragung entkoppelt wurde. Andererseits versuchte das ÜbRÄG 2006, die Verwerfungen beim Rechtsschutz, aber auch bei den Voraussetzungen für den Ausschluss weit gehend zu beseitigen. In der Folge wird die neue Rechtslage knapp dargestellt, wobei entgegen der historischen Genese das GesAusG als zentrales Element in den Mittelpunkt gestellt wird. In der Folge wird auf die Umwandlung und auf die Spaltung eingegangen, wobei sowohl die alte als auch die neue Rechtslage kurz angesprochen wird. Das Kernproblem dieser Arbeit, nämlich das Ausmaß der angemessenen Abfindung stellt sich unabhängig davon, welche Ausschlusstechnik eingesetzt werden soll, in gleicher Weise. Dafür kommt es nämlich nur auf das Ergebnis an, nämlich den Verlust der Beteiligung gegen Barabfindung – und dieses ist in allen Fällen gleich. Wenn ich in den weiteren Ausführungen den Gesellschafterausschluss nach GesAusG sprachlich in den Vordergrund stelle, so gelten die benutzten Argumente aber grundsätzlich und unabhängig davon, welche Technik für den Ausschluss der Minderheit gewählt wird. b) Gesellschafterausschluss nach GesAusG Das GesAusG soll einerseits Art 15 der Übernahmerichtlinie der Europäischen Union15 umsetzen. Art 15 leg cit verpflichtet die Mitgliedsstaaten, eine Möglichkeit zum squeeze-out der restlichen Aktionäre nach einem erfolgreichen16 Übernahmeangebot vorzusehen. Das GesAusG geht aber darüber hinaus. Es soll beim Gesellschafterausschluss nach dementsprechenden rechtspolitischen Anregungen17 der Gleichklang mit der deutschen Entwicklung herge11 12 13
14 15
16 17
Vgl VwGH GesRZ 1996, 131. Hügel, wbl 2001, 391. VwGH ecolex 2003, 781; Kalss, GesRZ 2000, 213; Grünwald, Verschmelzung 335 ff. BGBl I 2006/75. Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl 2002 L 142 S 12. Vgl näher Art 15 Abs 2 der RL. Vgl zB Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht, 1. Auflage (2003) Rn 223.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
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stellt werden. Der Ausschluss soll (ähnlich wie nach §§ 327a ff deutsches AktG, aber nicht auf die Aktiengesellschaft beschränkt) nur auf Gesellschafterebene durch Aktienübertragung erfolgen, ohne dass das Vermögen der Gesellschaft unmittelbar betroffen ist, wie es bisher bei der Umwandlung nach UmwG der Fall war. Diese Lösung vermeidet daher die umständliche Konstruktion einer Vermögensübertragung auf den Hauptgesellschafter, sondern regelt nur das, worauf es der Praxis ankommt: den Ausschluss der Minderheitsaktionäre. Dieser Ausschluss kann verlangt werden, wenn der Hauptgesellschafter mehr als 90 % des Nennkapitals hält (§ 1 Abs 2 GesAusG). Freilich ist eine Anteilsvereinigung nicht erforderlich; es genügt nach § 1 Abs 3 GesAusG, dass die Aktien von verbundenen Unternehmen gehalten werden, wenn die Verbindung zumindest seit einem Jahr bestanden hat.18 Dadurch soll der Ausschluss auch durch einen Konzern möglich sein, ohne dass die Anteile zuerst bei einem Gesellschafter konzentriert werden müssen.19 Es ist hingegen nicht möglich, dass der Beschluss nur durch irgendeine Mehrheit von Gesellschaftern gefasst werden kann; damit kann eine Minderheit nicht durch eine beliebige Mehrheit ausgeschlossen werden. Grundsätzlich kann zwar eine Holdinggesellschaft errichtet werden, die dann den Ausschluss durchsetzt; im Einzelfall kann darin allerdings (insbesondere bei nahem zeitlichen Zusammenhang von Gründung und Ausschluss) ein rechtsmissbräuchliches Verhalten liegen.20 Der Gesellschafterausschluss ist im Übrigen dispositives Recht (§ 1 Abs 4 GesAusG). Für den Ausschluss ist ein Hauptversammlungsbeschluss mit Zustimmung des Hauptgesellschafters (§ 4 Abs 1 GesAusG) erforderlich. Es geht freilich nicht um das Ergebnis der Beschlussfassung, das von vornherein klar ist. Vielmehr dient der Beschluss als Anknüpfungspunkt für die Information und den Rechtsschutz der Ausgeschlossenen. Die Vorbereitung der Hauptversammlung entspricht im Wesentlichen dem Recht der Verschmelzung (vgl § 3 GesAusG); im Gegensatz zur dortigen Rechtslage wird der Sachverständige, dessen Hauptaufgabe in der Beurteilung der Angemessenheit der Barabfindung liegt, zwingend21 vom Gericht auf gemeinsamen Vorschlag des Vor18
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Zu den diesbezüglichen Auslegungsproblemen vgl Gall/Potyka/Winner, Squeezeout Rz 119 ff; Kalss/Zollner, Squeeze-out § 1 Rz 16 ff; Hödl in HB M & A 538 ff. Was angesichts des Vereinigungstatbestands in § 1 Abs 3 GrEStG auch nachteilige steuerrechtliche Folgen nach sich ziehen würde. Vgl Erläuterungen zu § 1 GesAusG; 1334 BlgNR 22. GP; Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 148 ff; Kalss/Zollner, Squeeze-out § 1 Rz 24 ff. Das gilt erst recht bei Übertragung auf einen Treuhänder. Zur Wertpapierleihe vgl aus der deutschen Rsp OLG München AG 2006, 296; OLG München AG 2007, 173; LG Landshut AG 2006, 513. Bei der Verschmelzung ist dies wegen § 220b Abs 2 AktG nur erforderlich, wenn die Gesellschaften für die Verschmelzung einen gemeinsamen Prüfer bestellen wollen.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
stands der Gesellschaft und ihres Hauptgesellschafters bestellt.22 Der Informationsasymmetrie soll dadurch entgegengewirkt werden, dass Bewertungsgutachten, auf denen die Festlegung der Abfindung beruht, den Aktionären vorzulegen sind (§ 3 Abs 5 Z 3 GesAusG); allzu viel sollte man sich davon freilich nicht versprechen, weil die entsprechenden Gutachten dann entweder nicht erstellt werden oder die vorgelegten Gutachten nicht sehr aussagekräftig sein werden. Rechtsfolge des Ausschlusses ist, dass der Hauptgesellschafter allen anderen Gesellschaftern23 eine angemessene Barabfindung leisten muss (§ 2 Abs 1 GesAusG); eine Abfindung in Wertpapieren ist – entgegen manchen Forderungen24 – nicht zugelassen. Der Stichtag und die gesonderte Abfindung von Sonderrechten bei der GmbH werden ausdrücklich behandelt; dazu unten III. B. 4. Nähere Details zur Bemessung der Abfindung sind der Bestimmung nicht zu entnehmen.25 Die Erläuterungen zu § 2 Abs 1 halten freilich fest: „Unter welchen Voraussetzungen die Barabfindung angemessen ist, welche Bewertungsmethoden anzuwenden sind und ob die Transaktions- bzw. Synergiegewinne bei der Festlegung der Abfindung zu berücksichtigen sind, soll wie bisher der Rechtsprechung überlassen werden; das gilt auch für die Frage, ob Börsekurse zu berücksichtigen sind. Aus § 7 [dazu sogleich; Anmerkung des Verfassers] ergibt sich aber, dass am Markt erzielten Preisen eine besondere Bedeutung auch im Rahmen des Gesellschafterausschlusses zukommt.“
Ab dem Bewertungsstichtag (Tag der Hauptversammlung) ist die Barabfindung mit jährlich zwei Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz zu verzinsen. Das dient als Ausgleich dafür, dass die Zuflüsse ab diesem Zeitpunkt dem Hauptgesellschafter zustehen.26 Die Verzinsungsregel bedeutet auch, dass im wirtschaftlichen Ergebnis spätere Gewinnausschüttungen nur dem Hauptgesellschafter zustehen. Muss die Auszahlung trotzdem auch an die Auszuschließenden erfolgen, weil der Ausschluss noch nicht ins Firmenbuch eingetragen und deswegen gesellschaftsrechtlich nicht wirksam geworden ist (vgl § 5 Abs 4 GesAusG), so sind die erfolgten Ausschüttungen bei Auszahlung der Barabfindung nach der Eintragung abzuziehen. Eine wesentliche Änderung die Abfindung betreffend gibt es aber: Nach § 7 Abs 3 GesAusG darf die Abfindung jedenfalls nicht unter dem Preis eines vorangehenden (Voll)Angebots nach dem ÜbG liegen; hat der Bieter im Rah22 23
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Zur Bestellung des Prüfers zuletzt Winner/Oberhofer, GesRZ 2007, 34. Aber auch den Berechtigten aus von der Gesellschaft begebenen Rechten zum Bezug von Anteilen, wie insbesondere von Umtausch-, Bezugs-, Optionsrechten oder ähnliche Rechten. Vgl Stellungnahme der WKÖ zum ÜbRÄG 2006, 19/SN-363/ME (http://www.parlinkom.gv.at/portal/page?_pageid=908,997389&_dad=portal&_sc hema=PORTAL). So ganz zu Recht „Der Standard“ vom 5.12.2006, 2. So ausdrücklich die Erläuterungen zu § 2 Abs 2 GesAusG.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
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men des Angebots mehr als 90 % der ausstehenden Aktien erworben, so wird vermutet, dass die (bei mehreren Gegenleistungen: die höchste) Gegenleistung ein angemessener Wert für die Barabfindung ist. Dies folgt grundsätzlich den Bestimmungen der 13. Richtlinie; näher unten 2. b). Zur Art der Gegenleistung enthält § 7 GesAusG keine unmittelbaren Vorgaben; aus dem Gesamtzusammenhang ist klar, dass auch hier eine Barabfindung zu leisten ist. Im Vergleich zum allgemeinen Ausschlussrecht wird insbesondere auch der Schwellenwert geändert. Für den Ausschluss genügt nach § 7 Abs 2 GesAusG nämlich auch, dass der Hauptgesellschafter über 90 % der stimmberechtigten Aktien und 90 % der Stimmrechte verfügt; Letzteres hat Bedeutung, wenn Beschränkungen der Stimmmacht durch Höchststimmrechte bestehen. Diese Ausschlussmöglichkeit ist zwingend, weil dadurch eine Richtlinienvorgabe umgesetzt wird.
Für den Rechtsschutz der Ausgeschlossenen greift das GesAusG auf bereits bestehende Bestimmungen zurück. Dabei verkennt der Gesetzgeber nicht, dass die Regelung nach nahezu zehn Jahren Erfahrung mit der praktischen Anwendung gewisser Korrekturen bedarf. Zu Recht wird aber festgehalten,27 dass eine Neuregelung in einem eigenen Reformprojekt für alle umgründungsrechtlichen Fragen gemeinsam erfolgen sollte. Das gilt wohl auch für eine gewisse institutionelle Neuorientierung. In der Sache ist die Zielrichtung des Rechtsschutzes klar: Bei einer rechtlichen Abwägung der Interessen von Mehrheit und Minderheit müssen jedenfalls die Vermögensinteressen der auszuschließenden Gesellschafter ausreichend geschützt werden, wenn schon in ihr Interesse an der Fortführung der Mitgliedschaft eingegriffen wird. Zunächst sollen die Minderheitsgesellschafter wie erwähnt dadurch geschützt werden, dass die Angemessenheit der Barabfindung von einem unabhängigen Prüfer überprüft werden muss (§ 3 Abs 2 GesAusG); der Bericht ist vor der Beschluss fassenden Hauptversammlung zur Einsicht auszulegen (§ 3 Abs 5 GesAusG). Ist der Beschluss einmal gefasst, so kann er grundsätzlich zwar im streitigen Verfahren angefochten werden. Für die Praxis gibt es jedoch zwei wesentliche Beschränkungen: Erstens bedarf der Beschluss grundsätzlich keiner sachlichen Rechtfertigung.28 Das hat die Rechtsprechung29 und die ganz herrschende Meinung30 27 28 29 30
Erläuterungen zu § 6 GesAusG. Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 146; Kalss/Zollner, Squeeze-out § 4 Rz 4. OGH wbl 1998, 546; OGH ecolex 1998, 711; OGH GesRZ 2004, 387. Koppensteiner, GmbHG Anh § 102 Rn 23; Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht, 1. Auflage (2003) Rn 216 mwN; Hügel, Verschmelzung 538 f in Fn 31; ders, wbl 2001. 391; Rüffler, Lücken 160 f, 277 ff; Schummer in Helbich/Wiesner/ Bruckner, Umgründungen Art 2 Umwandlung – Handelsrecht Rn 87; Terlitza, Teilfusionen 82 ff. Zu Rechtsmissbrauchüberlegungen vgl zB Grunewald in FS Röhricht 131 ff.
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bereits zum UmwG vertreten. Dass eine materielle Beschlusskontrolle nicht stattfindet, ergibt sich vor allem aus der Intention des Gesetzes.31 Die Gegenmeinung zu UmwG32 vernachlässigt, dass die Umwandlung samt Ausschluss der Minderheitsgesellschafter zwingend dazu führt, dass das Unternehmen zukünftig im Interesse des Mehrheitsgesellschafters geführt wird; für eine Abwägung mit den Interessen der überstimmten Gesellschafter bleibt dann kein Platz. Wie soll man diese widerstreitenden Interessen rational überprüfbar miteinander abwägen, ohne dass dies nicht durch die Bewertung der angemessenen finanziellen Abfindung erfolgen kann? Der richtige Kern dieser Ansicht ist, dass es bei der GmbH ungleich schwieriger als bei einer börsenotierten Aktiengesellschaft ist, die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit des Gesellschafterausschlusses ohne wichtigen Grund sachlich zu rechtfertigen; darauf ist in der Folge näher einzugehen (unten II. A. 3.). Zweitens kann die Anfechtung auch nicht darauf gestützt werden, dass die Entschädigung nicht angemessen festgelegt wurde oder dass die Informationen über die Festlegung der Entschädigung mangelhaft waren (§ 6 Abs 1 GesAusG). Die Angemessenheit der Entschädigung kann nur in einem eigenen gerichtlichen Verfahren überprüft werden (§ 225c AktG iVm § 6 Abs 2 GesAusG), das keine Sperrwirkung für die Eintragung des Beschlusses entfaltet und daher dessen Wirksamwerden nicht verhindert. In diesem Verfahren kommt eine Herabsetzung zum Nachteil der Ausgeschlossenen nicht in Betracht.33 Antragsberechtigt ist jeder einzelne Aktionär (§ 6 Abs 2 GesAusG nimmt § 225c Abs 3 AktG und damit die verschmelzungsrechtliche Zugangsbeschränkung vom Verweis aus). Die Entscheidung wirkt nicht nur für die Antragsteller, sondern für alle Aktionäre (§ 225i AktG iVm § 6 Abs 2 GesAusG; sog Wirkung erga omnes). Damit ist die Rechtslage derjenigen beim Enteignungsverfahren nicht unähnlich. Auch dort berührt die Unangemessenheit der Entschädigung die Rechtskraft des Enteignungsbescheids nicht, sondern ist in einem eigenen Verfahren geltend zu machen. Da wie dort geht es darum, dass die Maßnahme rasch durchgeführt werden soll, ohne dass ihre Gültigkeit mit den oft jahrelangen Rechtsstreitigkeiten über die Angemessenheit der Entschädigung belastet werden soll. Da wie dort geht es darum, den zu Enteignenden das Erpressungspotenzial zu nehmen oder doch zu mildern; faktisch dürfte diese Gefahr im Gesellschaftsrecht allerdings noch größer sein. 31
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Die für die Beschlussfassung erforderliche hohe Mehrheit ist hingegen nicht ausschlaggebend, sondern lediglich Ergebnis des Abwägungsprozesses zwischen den Interessen; vgl Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, § 47a Rn 39; Rüffler, Lücken 279; insofern wie hier U Torggler; Ges 2006, 63 f. Anders OGH wbl 1998, 546; für Deutschland Lutter, ZGR 1981, 177. Reich-Rohrwig, GmbH, 1. Auflage, 761 ff; Enzinger, wbl 1997, 5 f; Koppensteiner, wbl 2001, 9 f; U Torggler, Treuepflichten 135 ff. Neuerdings auch U Torggler, Ges 2006, 62 ff, 109 ff. Zur verschmelzenden Umwandlung vgl Kalss, Verschmelzung § 2 UmwG Rn 27.
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c) Umwandlung nach UmwG Daneben ist der Ausschluss auch durch eine verschmelzende Umwandlung nach §§ 2 ff UmwG möglich. Mit In-Kraft-Treten des GesRÄG 200734 wird diese Möglichkeit freilich an Bedeutung verlieren, weil die Umwandlung auf Kapitalgesellschaften untersagt wird. Die verschmelzende Umwandlung bleibt aber der einzige Weg, das Vermögen von Kapitalgesellschaften auf Genossenschaften etc im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zu übertragen. Im Unterschied zum GesAusG muss bei dieser Umwandlung ein einziger Gesellschafter einer Aktiengesellschaft oder einer GmbH mindestens 90 % des Grund- bzw Stammkapitals halten; eine Zusammenrechnung im Konzern scheidet aus. Der Hauptgesellschafter kann durch Hauptversammlungsbeschluss die Übertragung des Unternehmens der Gesellschaft auf sich selbst beschließen. Das Vermögen der Gesellschaft geht durch Universalsukzession auf den Hauptgesellschafter über und die Gesellschaft erlischt (alles § 1 UmwG). Die Minderheitsgesellschafter scheiden anders als bei der Verschmelzung zwangsweise aus; sie haben Anspruch auf angemessene Barabfindung gegen den Hauptgesellschafter (§ 2 Abs 2 Z 3 UmwG). Das Verfahren, die Rechtsfolgen und der Rechtsschutz entsprechen im Wesentlichen den Regelungen im GesAusG; Abweichungen ergeben sich durch die verschmelzungsrechtliche Konstruktion. Weiterhin ist der Ausschluss auch durch eine so genannte errichtende Umwandlung möglich (§ 5 UmwG). Altgesellschafter, deren Beteiligung mindestens 90 % am Grundkapital beträgt, müssen an der Gesellschaft wieder beteiligt sein; auch der Beschluss bedarf im Ergebnis dieser Mehrheit. Die übrigen Gesellschafter scheiden aus.35 Die Bezeichnung solcher Vorgänge als „Umwandlung“ ist im Übrigen irreführend. Unter Umwandlung versteht man nach österreichischer Terminologie36 normalerweise einen identitätswahrenden Rechtsformwechsel (vgl zB §§ 239 ff AktG); ein solcher ist bei der Umwandlung nach UmwG nicht gegeben.37 Für die Verschmelzung ist hingegen typisch, dass nicht nur die Vermögen zweier Gesellschaften, sondern auch ihre Gesellschafterkreise zusammengeführt werden; das ist bei der verschmelzenden Umwandlung gerade nicht der Fall.
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BGBl I 2007/72. Näher Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 581 ff. Anders in Deutschland; vgl das Umwandlungsgesetz, das alle Arten von Umgründungsmaßnahmen regelt. Ein Rechtformwechsel im Sinne einer Übertragung auf einen Rechtsträger anderer Rechtsform ist bei einer Umwandlung nach § 1 UmwG möglich, aber nicht Voraussetzung; identitätswahrend ist er – genauso wenig wie bei der Umwandlung auf eine Personengesellschaft nach § 5 UmwG – jedenfalls nicht.
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d) Nicht verhältniswahrende Spaltung Die Praxis hatte vor dem ÜbRÄG 2006 häufig den Umweg über die nicht verhältniswahrende Spaltung nach § 8 Abs 3, § 9 SpaltG (so genannte squeezeout-Spaltung) gewählt.38 Dabei wird Bargeld oder nicht betriebsnotwendiges Vermögen in eine neu gegründete Gesellschaft (sog cash box) abgespalten; die auszuschließenden Aktionäre verlieren ihre Mitgliedschaft in der abspaltenden Gesellschaft und werden Gesellschafter der cash box. In dieser wird dann ein Liquidationsbeschluss gefasst, so die Gesellschaft nicht ohnehin nur zeitlich befristet gegründet wird. Dieses Vorgehen hatte aus Sicht derjenigen, die den Ausschluss herbeiführen wollen, eine Reihe von Vorteilen: Erstens wurden die aus der Vermögensübertragung resultierenden Probleme vermieden, weil nur Geld den rechtlichen Eigentümer wechselt. Zweitens floss die Abfindung auch nicht beim Mehrheitsaktionär ab, sondern wurde von der Gesellschaft selbst bezahlt. Drittens war zwar auch eine Mehrheit von 90 % des gesamten Nennkapitals erforderlich (§ 8 Abs 3 SpaltG). Diese muss aber im Gegensatz zur verschmelzenden Umwandlung nicht von einem Gesellschafter gehalten werden; vielmehr konnte durch den Spaltungsplan innerhalb des Maximums von 10 % beliebig gesteuert werden, wer ausgeschlossen wurde und wer nicht. Letztlich ergaben sich ernsthafte Regelungsunterschiede bei der zu leistenden Abfindung und ihrer Überprüfung. Nur diejenigen Gesellschafter, die mit der Abspaltung nicht einverstanden sind und Widerspruch zu Protokoll erklären, hatten ein Austrittsrecht gegen angemessene Barabfindung (§ 9 Abs 1 SpaltG); ohne Widerspruch blieb der Ausgeschlossene in der abgespaltenen Gesellschaft (cash box) gefangen. Er konnte nicht überprüfen lassen, ob das Umtauschverhältnis angemessen war; denn die Überprüfungsbefugnis hatten nur diejenigen, die Widerspruch erhoben hatten. Der Gesellschafter in der cash box profitierte auch nicht von einem von anderen eingeleiteten Überprüfungsverfahren, weil sich die Wirkung erga omnes nach dem OGH nur auf diejenigen erstreckte, die Widerspruch zu Protokoll erhoben hatten.39 Wer dies verabsäumt hatte (oder trotz Widerspruchs das Angebot nicht angenommen hatte), der konnte das Barangebot, um dessen Verbesserung es geht, nicht mehr annehmen (vgl § 9 Abs 1 SpaltG). Angesichts der rationalen Apathie der Minderheitsaktionäre war dieses Ergebnis rechtspolitisch nicht tragbar. Im Übrigen konnte die Angemessenheit der Abfindung nach der ursprünglichen Fassung nach § 9 Abs 2 SpaltG iVm § 225c Abs 3 AktG nur auf Antrag einer Minderheit von 1 % des Grundkapitals oder von Aktien mit einem anteiligen Betrag von mindestens 70.000 Euro überprüft werden; diese Mindestschwelle hatte der VfGH auf Anregung des OGH schon vor dem ÜbRÄG 2006 als verfassungswidrig aufgehoben.40 Damit wurde die Problematik aber nur teil38 39 40
Zu dieser ausführlich Terlitza, Teilfusionen 72 ff. OGH ecolex 2002, 260. VfGH wbl 2005, 484; dazu zB Herbst, RdW 2005, 526.
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weise entschärft, weil die anderen oben angeführten Unterschiede weiterhin bestehen bleiben Ein Teil der Lehre hatte wegen der gleichartigen Auswirkungen der squeeze-out-Spaltung weit gehende Analogien zum UmwG eingefordert, insbesondere bezüglich des Antragserfordernisses und der Erstreckung der Urteilswirkungen;41 einige Autoren42 und auch der OGH43 sind dem jedoch nicht gefolgt. Die Möglichkeit zur squeeze-out-Spaltung wurde durch das ÜbRÄG 2006 weit gehend eingeengt. Zunächst bedarf nach § 8 Abs 3 Z 2 SpaltG nF die Spaltung der Einstimmigkeit, wenn eine oder mehrere Gesellschaften eine cash box sind, wobei die Norm nicht nur auf Bargeld, sondern auch auf Wertpapiere, flüssige Mittel oder andere nicht betrieblich genutzte Vermögensgegenstände (wie zB Liegenschaften) abstellt. Daneben wäre es denkbar, dass der Mehrheitsgesellschafter überwiegend unattraktive Betriebe abspaltet und die Minderheit in diese Gesellschaft abdrängt; in diesem Fall wäre die Minderheit gezwungen, das Austrittsrecht gegen angemessene Abfindung anzunehmen, wenn sie nicht in der (schlecht ausgestatteten) Gesellschaft gefangen bleiben will, was im Ergebnis ebenfalls auf einen Ausschluss hinausläuft. Auch für diesen Fall soll nach § 8 Abs 3 Z 1 SpaltG daher die Einstimmigkeit erforderlich sein. Damit bleibt es bei der Mehrheit von 90 % nur, wenn überwiegend Betriebe abgespalten werden und die Mehrheitsgesellschafter in der abgespaltenen Gesellschaft weiterhin die Mehrheit der Anteile halten. Das ÜbRÄG 2006 hat hingegen davon Abstand genommen, nur die Rechtsfolgen der Verschmelzung und den Rechtsschutz anzugleichen. Denn ein wichtiges Ziel war es, den Ausschluss durch eine beliebig zusammengesetzte Gesellschaftermehrheit zu unterbinden.44 Das wäre durch eine Angleichung der Rechtsfolgen allein nicht zu erreichen gewesen. Eine Angleichung beim Rechtsschutz erfolgt freilich insofern, als es für das Recht auf Barabfindung nicht mehr erforderlich sein soll, Widerspruch zu Protokoll zu erklären. Vielmehr genügt es, dass der Gesellschafter nicht zugestimmt hat und die entsprechenden Anteile nachweislich (vor allem durch Depotauszug) zwischen Beschlussfassung und Geltendmachung des Austrittsrechts gehalten hat (§ 9 Abs 1 SpaltG nF). Im Ergebnis ist freilich auch die entflechtende Spaltung deutlich erschwert worden, auch wenn nicht wie nach § 128 deutsches UmwG (und dem Ministerialentwurf des ÜbRÄG 2006) die Einstimmigkeit erforderlich ist. Soweit die Entflechtung zu einer völligen Trennung von 90 %-Mehrheit und 10 %41
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Bachner, Bewertungskontrolle 142 ff; ders, ecolex 2000, 361; ders, ecolex 2002, 258; Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht, 1. Auflage (2003) Rn 222; Terlitza, Teilfusionen 80 ff. Hügel, wbl 2001, 390 f; H Torggler/U Torggler, wbl 2001, 199 ff. OGH ecolex 2000, 123 (Terlitza); OGH ecolex 2000, 399 (Bachner). Zu den Gründen dafür vgl unten II. A.
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Minderheit führen soll, wird dies nur mit Zustimmung der Minderheit möglich sein. e) Vergleichbare Fragestellungen Mit dem Ausschluss von Minderheitsaktionären auf gesetzlicher Grundlage ist freilich nur ein Teil der zu behandelnden Fragestellungen angesprochen. Zunächst ist der squeeze-out auch auf anderem Weg möglich: Bei der so genannten übertragenden Auflösung45 wird das Vermögen der Gesellschaft gegen Barleistung durch Einzelrechtsnachfolge auf den Mehrheitsgesellschafter übertragen. Dazu ist gemäß § 237 AktG die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich; darüber hinaus ist das Verbot der Einlagenrückgewähr zu beachten. In einem zweiten Schritt wird die Auflösung der Gesellschaft beschlossen; die Aktionäre werden über ihre aliquote Beteiligung am Liquidationserlös, der in der baren Gegenleistung für die Vermögensübertragung besteht, im Ergebnis gegen eine Abfindung aus der Gesellschaft gedrängt. Das GesAusG entfaltet keine Sperrwirkung gegen solche Vorgänge.46 Nach richtiger Ansicht sind die Regeln über die Beschlussvorbereitung und die Beschlussmehrheit von 90 % des Grundkapitals nach GesAusG auf diese Sachverhalte analog anzuwenden; auch für den Rechtsschutz ist das Verfahren zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses analog anzuwenden, wie ich an anderer Stelle näher dargestellt habe.47 Ganz abgesehen vom Gesellschafterausschluss im engeren Sinn haben die folgenden Ausführungen zur Angemessenheit der Barabfindung auch für andere Bewertungssituationen Bedeutung, die in der Betriebswirtschaftslehre als „dominiert“ bezeichnet werden, weil eine Partei durch ihre Willenserklärung den Übergang der Anteile herbeiführen kann.48 Die wichtigsten Fälle sind – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die folgenden: − Häufig sind in Verträgen Aufgriffsrechte vorgesehen, durch die einem Gesellschafter die Möglichkeit eingeräumt wird, die Anteile eines anderen zu erwerben; dies kann bei allen Gesellschaften in einer Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern erfolgen, bei der GmbH grundsätzlich auch im Gesellschaftsvertrag.49 Die Vereinbarung kann die Höhe bzw die Berechnung der Abfindung näher regeln;50 insbesondere so genannte Buchwert45 46
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Zu dieser Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 622 ff. Ähnlich für Deutschland zum squeeze-out nach §§ 327 a ff dAktG zB Stein in MünchKomm AktG § 179a Rn 74. Winner in MünchKomm AktG § 179a Rn 109 ff (freilich noch mit Analogie zum UmwG); nunmehr Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 622 ff. Vgl auch Rüffler, Lücken 232 ff; Bachner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 237 Rn 7 ff. Zum Teil aM Szep in Jabornegg/Strasser, AktG § 237 Rn 18 f. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 13. Die genauen Grenzen einer solchen Satzungsbestimmung sind freilich strittig; vgl näher Koppensteiner, GmbHG Anh § 71 Rn 2, 6; Rüffler in Kalss/Rüffler 71 ff. Vgl Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 512.
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klauseln haben in der Praxis zu Problemen geführt.51 Fehlt es (auch bei ergänzender Vertragsauslegung) an einer Regelung, so ist der volle Wert des Anteils zu ersetzen.52 Damit stellen sich ähnliche Probleme wie beim Gesellschafterausschluss.53 − Es ist bekanntlich strittig, ob bei der GmbH einzelne Gesellschafter aus wichtigem Grund ausgeschlossen werden können; die überwiegende Lehre bejaht dies.54 Auch in diesem Zusammenhang ist im Regelfall der volle Wert der Anteile zu vergüten.55 − § 102a BWG eröffnet Kreditinstituten die Möglichkeit, Partizipationskapital auch gegen den Willen der Anteilseigner einzuziehen. Die Barabfindung hat zu einem angemessenen Preis zu erfolgen. Das BWG fingierte, dass bei börsenotierten Partizipationsscheinen die Abfindung zum durchschnittlichen Börsekurs während der letzten 20 Handelstage vor Beschlussfassung über die Einziehung jedenfalls angemessen sei; diese Bestimmung hat der VfGH56 aufgehoben. Die Angemessenheit richtet sich nach der (grundsätzlich zutreffenden) Auffassung der Höchstgerichte nunmehr nach dem anteiligen Unternehmenswert. Zur Problematik noch unten IV. A. 1. a). − Für den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags enthält § 238 AktG nur Regeln über die Beschlussfassung der Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit. Nach ganz herrschender Meinung in Österreich57 genügt dies zum Schutz der Minderheitsgesellschafteraber nicht. Denn der Vertragsabschluss greift in ihre Rechte in einem Ausmaß ein, wie es normalerweise nur mit ihrer Zustimmung erfolgen kann; daher muss ihnen als Ausgleich ein Austrittsrecht gegen Aktien der Muttergesellschaft
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Jüngst zusammenfassend (und grundsätzlich für die Zulässigkeit) Rüffler in Kalss/Rüffler 88 ff. Koppensteiner, GmbHG Anh § 71 Rn 8 mwN. Vgl auch die angeregte Diskussion, die in diesem Zusammenhang OGH ecolex 2004/57 (Reich-Rohrwig) ausgelöst hat: Bertl/Schiebel, RWZ 2003, 353; dies, RWZ 2004, 8; Seicht, RWZ 2004, 161; Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 170; Seicht, RWZ 2004, 257; Bertl/Schiebel, 2004, 268. Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriss 425; Koppensteiner, GmbHG Anh § 71 Rn 4 jeweils mwN. Koppensteiner, GmbHG Anh § 71 Rn 8. Probleme nicht nur der Finanzierung, sondern auch der Berechnung der Abfindung können sich ergeben, wenn der Abfindungsschuldner die Gesellschaft ist und sich deren Vermögensbasis dann vermindert; das ist hier nicht näher darzustellen. VfSlg 16.636; vgl auch OGH ÖBA 2002, 135 (Kalss). Für Deutschland sehen §§ 304 f dAktG weitere Maßnahmen zum Schutz der Minderheit vor, insbesondere Ausgleichs- und Abfindungsansprüche.
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oder gegen Barabfindung eingeräumt werden.58 Die Frage nach der Angemessenheit der Abfindung stellt sich auch hier in gleicher Weise wie beim squeeze-out.59 Zusätzlich sind bei der Abfindung in Aktien auch diese zu bewerten.60 2. Europäische Rechtsgrundlagen a) Entwicklung Die Geschichte des Ausschlusses der Minderheitsgesellschafter im europäischen Recht ist verhältnismäßig jung. Art 33 ff des Vorschlags einer Konzernrechtsrichtlinie61 aus 1984 normierten ein Recht auf Übernahme der Aktien durch einseitige Erklärung eines Unternehmens62, das mindestens 90 % des Kapitals der Tochtergesellschaft erworben hatte; im Kerngehalt entsprach dies der deutschen Eingliederung. Jedoch gedieh die Diskussion über den Entwurf nie sehr weit. Ein neuer Anlauf erfolgte erst wegen des drohenden Scheiterns der Übernahmerichtlinie. Zur Rettung des im Europäischen Parlament 2001 zunächst abgelehnten Harmonisierungsversuchs63 wurde eine Expertengruppe („Winter-Gruppe“) eingesetzt, die einen Weg aus der Krise finden sollte. Im Jänner 2002 legte diese Gruppe ihren ersten Bericht vor.64 Dieser schlug unter anderem ein Ausschlussrecht vor, wenn der Bieter in Folge des Übernahmeangebots mehr als 90 bzw 95 % des Grundkapitals hält.65 Bei 90 % sei der Eingriff in die Eigentumsrechte der Minderheitsgesellschafter noch angemessen; 95 % sei die Obergrenze, weil es praktisch äußerst schwierig sei, mehr Anteile zu erlangen. Daneben sollte es zulässig sein, den Ausschluss ähnlich wie in England (unten VII. D. 1.) vorzusehen, wenn die Annahmequote eines Übernahmeangebots mindestens 90 % der stimmberechtigten Aktien und der 58
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Doralt/Diregger in MünchKomm AktG öKonzernR Rn 51; Bachner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 238 Rn 8, 15; Rüffler, Lücken 86 ff; Kalss, Anlegerinteressen 488 ff; 501 ff; Artmann, Organschaft 256 ff. Zu Synergiegewinnen vgl Artmann, Organschaft 262 f. Vgl dazu eingehend Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 37 ff, 78 ff; Hüffer, AktG § 305 Rn 24g f; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 110 f. Vorentwurf einer neunten Richtlinie von 1984 (Konzernrechtsrichtlinie) DOK Nr III/1639/84 = ZGR 1985, 444; vgl dazu zB Lutter, Europäisches Unternehmensrecht 239 ff. Daher konnte ein Aktionär, der kein Unternehmen betreibt, nach der konzernrechtlichen Konzeption der Richtlinie nicht ausschließen. Vgl zB Winner, Zielgesellschaft 26 f. Bericht der hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten, 10. Januar 2002; http://europa.eu.int/comm/internal_market/company/docs/takeoverbids/200201-hlg-report_de.pdf. Vgl für das Folgende S 74 ff des Berichts.
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Stimmrechte beträgt. Bei einer so hohen Annahmequote sei der Angebotspreis eine angemessene Abfindung, wenn der Ausschluss zeitnahe zum Angebot erfolgt. Diese Annahme sollte zumindest grundsätzlich „anfechtbar“, also wohl widerlegbar sein. Die Expertengruppe gab keine weiteren Anhaltspunkte, wann eine Widerlegung in Frage kommen soll. Bei einem Pflichtangebot solle aber jedenfalls der Angebotspreis als angemessen gelten; denn bereits dieser selbst sei angemessen festzulegen. In einem zweiten Bericht Ende 2002 ging die Expertengruppe über den Übernahmekontext hinaus und schlug weitere Änderungen des europäischen Gesellschaftsrechts vor.66 Diese sollen auch den squeeze-out betreffen:67 Wenn der Hauptaktionär mehr als 90 bis 95 % des Kapitals der Gesellschaft hält, so soll ihm der Ausschluss ganz unabhängig davon möglich sein, wie und wann er die Mehrheit erworben hat. Für geschlossene Gesellschaften seien nach Ansicht der Expertengruppe vor einer Umsetzung noch nähere Untersuchungen erforderlich. Das Ergebnis des ersten Berichts wurde in der Übernahmerichtlinie umgesetzt; für den zweiten Bericht sprach sich die Kommission in ihrem Aktionsplan 200368 dafür aus, ein allgemeines Recht auf squeeze-out in der Kapitalrichtlinie zu verankern. b) Übernahmerichtlinie Art 15 der Übernahmerichtlinie69 sieht vor, dass der Bieter die verbleibenden Aktionäre unter bestimmten Voraussetzungen ausschließen kann, wenn er die zu beachtende Auslöseschwelle durch ein Übernahmeangebot überschritten hat; das Ausschlussrecht muss innerhalb von drei Monaten ab Ablauf der Annahmefrist ausgeübt werden. Die beiden Schwellen des Winter-Berichts werden durch die Richtlinie übernommen (Art 15 Abs 2);70 die Mitgliedstaaten müssen eine der beiden, aber nicht beide bis zum 20. Mai 2006 umsetzen. Damit kann sowohl die für Kontinentaleuropa als auch die für Großbritannien typische Regelung grundsätzlich beibehalten werden. Eine Sperrwirkung 66
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Bericht der hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, 4. November 2002; http://europa.eu.int/comm/internal_market/company/docs/ modern/report_de.pdf. Vgl S 119 ff des Berichts. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, 21. Mai 2003,KOM(2003)284 endg (http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/com/2003/com2003_ 0284de01.pdf). Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl L 142, 12. Das Ausschlussrecht kann auch an die Überschreitung der Schwelle in der jeweiligen Aktiengattung geknüpft werden.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
derart, dass der Gesellschafterausschluss nur noch nach einem Übernahmeangebot zulässig sein soll, ist der Richtlinie nicht zu entnehmen. Besonders wichtig für die Zielrichtung der vorliegenden Arbeit sind die Festlegungen über die Gegenleistung (Art 15 Abs 5). Die Abfindung muss die gleiche Form aufweisen wie die Gegenleistung des Angebots oder in bar erfolgen; jedoch können die Mitgliedstaaten eine Baralternative zwingend vorschreiben. Die Gegenleistung hat ihrer Höhe nach angemessen zu sein; ob dadurch die volle Entschädigung im Sinne des bisherigen österreichischen Verständnisses gemeint sein soll, ist freilich zweifelhaft. Denn unter bestimmten Bedingungen „gilt“ der Angebotspreis eines vorangehenden Übernahmeangebots als angemessen; der deutsche Wortlaut legt nahe, dass eine (unwiderlegliche) Fiktion gemeint ist.71 Das trifft aber nicht zu; denn in der englischen Version der Richtlinie heißt es „the consideration offered in the bid shall be presumed to be fair“. Dieser Wortlaut legt eine widerlegliche Vermutung nahe, wie es auch der Intention der Expertengruppe und der englischen Rechtsprechung entspricht (zu dieser unten VII. D. 1. c).72 Auch wenn man die Norm als widerlegliche Vermutung versteht, ist ihre Praxisbedeutung groß. Beim Pflichtangebot gilt die im Angebot vorgesehene Gegenleistung auch für das Ausschlussverfahren als angemessen. Das wird damit begründet, dass bereits das Angebot selbst nach Art 5 der Richtlinie eine angemessene Gegenleistung enthalten muss; ein Markttest für diese Gegenleistung fehlt freilich, wenn man als Ausschlussschwelle nicht auf die Annahmequote des Angebots, sondern auf die Beteiligung am Grundkapital abstellt. Anderes gilt bei freiwilligen Angeboten zur Kontrollerlangung, bei denen nach der Richtlinie nicht zwingend ein Mindestpreis vorzusehen ist.73 Bei diesen „gilt“ der Angebotspreis nur als angemessen, wenn der Bieter durch die Annahme des Angebots Wertpapiere erworben hat, die mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen stimmberechtigten Kapitals entsprechen. Dieser Markttest spricht in einem pragmatischen Zugang für die Angemessenheit; damit wird die Gegenleistung des Angebots auch für diejenigen verbindlich, die es zunächst nicht angenommen haben.
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So auch Krause, BB 2004, 118; Wiesner, ZIP 2004, 349. Bachner, GesRZ-Sonderheft „Squeeze-out“ 7 f. Ähnlich schon Mülbert, NZG 2004, 634; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 317; Schüppen/Tretter in Haarmann/Schüppen WpÜG Vor § 327a Rn 41 aE. Ähnlich auch die Umsetzung im neuen schwedischen Gesellschaftsrecht; vgl Skog, AG 2006, 242. Freilich ist die Normierung eines Mindestpreises durch den Gesetzgeber zulässig; vgl Erläuterungen zu § 26 ÜbG idF des ÜbRÄG 2006, 1334 BlgNR 22. GP; aM Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 111; Mülbert, NZG 2004, 640 f.
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c) Reform der Kapitalrichtlinie In Umsetzung ihres Aktionsplans legte die Kommission im September 2004 einen Richtlinienvorschlag für die Änderung der Kapitalrichtlinie vor.74 Der squeeze-out ist nach Art 39a Kapitalrichtlinie idF des Vorschlags auch ohne vorangehendes Übernahmeangebot zulässig, wenn ein Aktionär zumindest 90 % des gezeichneten Kapitals75 hält; die Mitgliedstaaten können diese Schwelle bis auf 95 % hinaufsetzen. Der Anwendungsbereich ist auf börsenotierte Gesellschaften beschränkt; der von der Expertengruppe andiskutierten Ausweitung auf geschlossene Gesellschaften wurde damit eine Absage erteilt. Der Mehrheitsaktionär kann verlangen, dass ihm die außenstehenden Aktionäre ihre Aktien zu einem angemessenen Preis verkaufen. Die Ausgeschlossenen können die Überprüfung der Angemessenheit durch eine unabhängige Verwaltungsbehörde, durch ein Gericht oder durch einen Sachverständigen verlangen (Art 39a Abs 4 Kapitalrichtlinie idF des Vorschlags). Der Vorschlag enthielt keine näheren Aussagen darüber, welcher Preis bei Fehlen von Referenztransaktionen als angemessen gilt; die Festlegung obliegt nach den Erläuterungen den Mitgliedstaaten.76 Damit wäre die Diskussion „Unternehmensbewertung versus Börsekurs“ auch auf europäischer Ebene eröffnet worden. Der Vorschlag der Kommission war jedoch in der Ratsarbeitsgruppe politisch nicht durchsetzbar. Die letztlich beschlossene Änderungsrichtlinie77 enthält kein Recht zum Gesellschafterausschluss. 3. Deutsche Rechtsgrundlagen a) Entwicklung Eine ausdrückliche Regelung eines Ausschlusses der Minderheitsgesellschafter enthielt erstmals das reichsdeutsche Umwandlungsgesetz78 samt seinen Durchführungsverordnungen. Im Ergebnis konnte der Hauptgesellschafter schon bei einer Beteiligung von 75 % des Grundkapitals die Minderheit durch Umwandlung der Gesellschaft auf sich selbst ausschließen.79 Die entsprechenden 74
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Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals (http://europa.eu.int/comm/internal_market/company/docs/capital/2004proposal/proposal_de.pdf). Oder der entsprechenden Aktiengattung; vgl näher Art 39a Abs 3 Kapitalrichtlinie idF des Vorschlags. Arbeitsunterlage der Kommission – Ausführliche Erläuterungen 8 (http://europa. eu.int/comm/internal_market/company/docs/capital/2004-proposal/explanation_ de.pdf). RL 2006/68/EG ABl vom 25.9.2006, L 264/32. Siehe dRGBl 1934 I 569. Vgl näher Kalss/Burger/Eckert, Entwicklung 326 f.
368
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Bestimmungen wurden in der Sache unverändert durch die deutschen Umwandlungsgesetze 1956 und 1969 übernommen. Das BVerfG erklärte in seiner „Feldmühle“-Entscheidung die entsprechenden Bestimmungen ausdrücklich für verfassungsgemäß.80 Die Beschlussmehrheit von 75 % des gesamten Grundkapitals liege gerade noch innerhalb der Grenze des Zulässigen; allerdings müssten die Vermögensinteressen der Ausscheidenden ausreichend geschützt werden. Das erfolge nur durch eine volle Abfindung; denn die sonst anerkannte Sozialbindung des Eigentums, die eine Enteignung nach deutschem Verfassungsrecht auch ohne volle Entschädigung zulässt, könne nicht ausschlaggebend sein, wenn der Eigentumseingriff nicht im öffentlichen, sondern vor allem im privaten Interesse des Mehrheitsaktionärs erfolge.81 Dennoch wurde die Möglichkeit des Gesellschafterausschlusses im Zuge der Reform des Umwandlungsrechts 1994 abgeschafft.82 Denn der Ausschluss der außenstehenden Anteilsinhaber gegen ihren Willen und ohne wichtigen Grund entspreche nicht dem Stand des Anlegerschutzes.83 Jedoch konnten die Aktionäre weiterhin durch gesetzlich nicht näher geregelte Maßnahmen, insbesondere die übertragende Auflösung, ausgeschlossen werden (dazu unten d). Auch die konzernrechtliche Maßnahme der Eingliederung kann zu ähnlichen Ergebnissen führen (unten c). Im Rahmen des WpÜG84 wurde mit 1.1.2002 die Möglichkeit des Ausschlusses der Minderheit positiv-rechtlich (wieder) geregelt; der wirtschaftliche Bedarf nach einer Ausschlussmöglichkeit scheint also doch stärker als der Stand des Anlegerschutzes zu sein. Im Gegensatz zu Österreich besteht diese Möglichkeit freilich nur für Aktiengesellschaften (und Kommanditgesellschaften auf Aktien). b) Squeeze-out Die Regelung des Gesellschafterausschlusses in §§ 327a ff dAktG entspricht grundsätzlich der Neuregelung durch das ÜbRÄG 2006 in Österreich. Der Ausschluss erfolgt aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung, der nur auf Verlangen des Hauptaktionärs zulässig ist. Die Schwelle liegt freilich bei 95 % des Grundkapitals (§ 327a Abs 1 dAktG). Im Konzern kommt es zur Zusammenrechnung der Anteile (vgl § 327a Abs 2 iVm § 16 Abs 4 dAktG), 80 81
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BVerfGE 14, 263 „Feldmühle“. Zustimmend zB Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 57; Hirte/ Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 67. Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts vom 28.10.1994, dBGBl I S 3210. Vgl Karollus in Lutter, UmwG § 120 Rn 2. Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz vom 20. Dezember 2001, dBGBl I S 3822. Zur Vorgeschichte vgl zB Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327a Rn 9 f.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
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ein bloß gemeinsames Verlangen mehrerer nicht konzernverbundener Rechtsträger reicht nicht. Mit der Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister gehen die Aktien der Minderheitsgesellschafter auf den Hauptaktionär über (§ 327e Abs 3 dAktG). Der Beschluss unterliegt keiner materiellen Beschlusskontrolle; nur Rechtsmissbrauch kann eingewendet werden.85 Die Aktionäre haben Anspruch auf eine angemessene Barabfindung durch den Hauptaktionär, welche die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung in der Hauptversammlung angemessen zu berücksichtigen hat (§ 327a Abs 1 iVm § 327b Abs 1 dAktG). Nach herrschender Lehre ist der volle Wert des Unternehmens, das von der Gesellschaft betrieben wird, für die zu leistende Abfindung bestimmend.86 Der Börsekurs87 ist die Untergrenze für die Abfindung, es sei denn, er ist wegen einer besonderen Marktenge nicht aussagekräftig.88 Dadurch wird die Rechtsprechung der deutschen Höchstgerichte im Zusammenhang mit der nach § 305 dAktG zu leistenden Abfindung (unten e) auf den Gesellschafterausschluss übertragen. Die Höhe der Abfindung wird durch den Hauptaktionär festgelegt und ist Inhalt des Hauptversammlungsbeschlusses.89 Die Minderheit kann die Maßnahme allerdings nicht blockieren; ihr Rechtsschutz erfolgt so wie in Österreich nicht über das Anfechtungsrecht (§ 327f dAktG).90 Vielmehr steht das Spruchverfahren nach dem SpruchG offen.91 Jeder ausgeschlossene Aktionär (vgl § 3 Z 1 SpruchG) kann nach dem Ausschluss beim Landgericht einen Antrag auf angemessene Festsetzung der zu zahlenden Abfindung stellen.92 Die Entscheidung wirkt erga omnes (§ 13 SpruchG); für die Antragsberechtigten, die nicht Antragsteller sind, ist ein gemeinsamer Vertreter zu bestellen
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Näher dazu Grunewald in MünchKomm AktG § 327a Rn 18 ff mit Diskussion zahlreicher Detailprobleme und wN; Emmerich/Habersack, KonzernR § 327a Rn 26 ff; ähnlich auch Schüppen/Tretter in Haarmann/Schüppen WpÜG Vor § 327a Rn 7. Aus der Rsp vgl OLG München AG 2006, 296; OLG München AG 2007, 173; LG Landshut AG 2006, 513. Hüffer, AktG § 327b Rn 5; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 327b Rn 7 iVm § 305 Rn 50 ff; Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 17. Strittig ist jüngst freilich, wie der Börsekurs zu berechnen ist; vgl BVerfG NZG 2007, 228; OLG Stuttgart BB 2007, 682; dazu unten IV. A. 2. a). Hüffer, AktG § 327b Rn 5; Grunewald in MünchKomm AktG § 327b Rn 9; Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 18. Hüffer, AktG § 327a Rn 10. Das gilt nach der Rsp im Zusammenhang mit vergleichbaren Ansprüchen bei der Verschmelzung und nach § 305 dAktG auch für bewertungsbezogene Informationsmängel; BGHZ 146, 179; BGH AG 2001, 263. Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren vom 12. Juni 2003, dBGBl I S 838. Zum Inhalt der Entscheidung vgl zB Volhard in MünchKomm AktG § 11 SpruchG Rn 2.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
(§ 6 SpruchG). Die Verfahrenskosten93 trägt grundsätzlich die Gesellschaft, es sei denn, das Gericht legt sie aus Gründen der Billigkeit dem Antragsteller auf (§ 15 Abs 2 SpruchG). Vier Jahre nach dem Inkrafttreten der Regelung ist ihre Praxisrelevanz ganz unbestritten. Das zeigt sich schon daran, dass das Volumen der Rechtsprechung insbesondere auf Ebene der Instanzgerichte groß ist. Der BGH hat unter Verweis auf die „Moto Meter“-Entscheidung des BVerfG (unten d) und im Einklang mit der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum94 ausgesprochen, dass die Regelung über den Gesellschafterausschluss verfassungsgemäß ist.95 Jüngst hat sich das BVerfG dem angeschlossen.96 c) Mehrheitseingliederung Auch die Mehrheitseingliederung nach § 320 deutsches AktG führt im Ergebnis zu einem Ausschluss der Minderheitsgesellschafter. Der Mehrheitsgesellschafter muss ebenso wie die Tochtergesellschaft eine Aktiengesellschaft sein und mindestens 95 % des Grundkapitals selbst halten (vgl § 320 Abs 1 iVm § 320a dAktG). Als Abfindung sind jedenfalls Aktien der Hauptgesellschaft zu bieten, wenn diese eine abhängige Gesellschaft ist, darüber hinaus auch Bargeld.97 Daher ist der „Ausschluss“ nur zu erreichen, wenn die Barabfindung attraktiver ist als die Tauschvariante. Freilich gehen die Rechtsfolgen über den Ausschluss der Aktionäre hinaus; die Regelung ist deutlich Teil des Konzernrechts. Einerseits steht dem neuen Alleingesellschafter ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Gesellschaft zu (§ 323 dAktG), andererseits trifft ihn eine Außenhaftung für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 322 dAktG). Im Ergebnis ist die Mehrheitseingliederung daher keine Alternative zum squeeze-out;98 vielmehr kommt die Maßnahme hinsichtlich der Wirkungen auf Gesellschafterebene der Verschmelzung sehr nahe.99 Bei der Mehrheitseingliederung stellen sich für die Barabfindung ähnliche Bewertungsprobleme wie 93
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Einschließlich der zweckmäßigen Kosten der Antragsteller; vgl § 15 Abs 4 SpruchG. Vgl zB Hüffer, AktG § 327a Rn 4 mwN; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 327a Rn 6 f; Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327a Rn 11; Grunewald in MünchKomm AktG Vor § 327a Rn 6; Fleischer, ZGR 2002, 763 ff. BGH WM 2006, 286. Aus der instanzgerichtlichen Rsp zB KG AG 2005, 478. Für nähere Nachweise vgl Jäger, NZG 2006, 173. Eine ausführliche Diskussion findet sich bei Lenz/Leinekugel, Eigentumsschutz passim. BVerfG BB 2007, 1515. Vgl auch Grunewald in MünchKomm AktG Vor § 327a Rn 9. Vgl auch die überblicksartige Diskussion weiterer untauglicher bzw nicht gleichermaßen geeigneter Mittel (zB Zwangseinziehung oder Zusammenlegung von Aktien), bei Halm, NZG 2000, 1162; Land/Hasselbach, DB 2000, 557; Emmerich/Habersack, KonzernR § 327a Rn 8; detailliert Rühland, Ausschluss 27 ff. Vgl auch Habersack, ZIP 2001, 1230 f.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
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beim Gesellschafterausschluss; für die Tauschalternative bietet sich dieselbe Beurteilung wie bei der Konzernverschmelzung an. d) Übertragende Auflösung Bis zum In-Kraft-Treten von §§ 327a ff dAktG musste die deutsche Praxis auf nicht gesetzlich geregelte Gestaltungen ausweichen, um die Minderheit auszuschließen. Die nicht verhältniswahrende Spaltung scheidet nach deutschem Recht als Mittel zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre aus; denn nach § 128 UmwG bedarf sie der Zustimmung aller Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers.100 Das typische Vorgehen ist nach Lutter und Drygala101 als „übertragende Auflösung“ oder seit einer entsprechenden Entscheidung des BVerfG102 auch als „Moto Meter-Methode“ bekannt.103 Das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen wird vor oder nach einem Liquidationsbeschluss dabei an den Mehrheitsgesellschafter104 verkauft; der vom Mehrheitsaktionär gezahlte Kaufpreis wird in der Liquidation an die Aktionäre verteilt. Die Aktionäre müssen der Veräußerung nach § 179a dAktG zustimmen, wenn die Veräußerung wie im Regelfall das gesamte Gesellschaftsvermögen erfasst. Das BVerfG105 hielt diese Vorgehensweise für zulässig. Eine Kontrolle der sachlichen Rechtfertigung des Beschlusses sei nicht erforderlich.106 Die Vermögensrechte der Ausgeschlossenen müssen allerdings geschützt sein. Das BVerfG lässt grundsätzlich offen, in welcher Art dieser Schutz erfolgen soll. So kann der Beschluss gemäß § 179a dAktG angefochten werden; dabei könnte die Angemessenheit der vom Hauptaktionär beim Kauf gewährten Gegenleistung zu berücksichtigen sein. Andererseits liegt eine nach § 57 dAktG verbotene Einlagenrückgewähr vor, wenn der Hauptgesellschafter das Unternehmen zu billig erwirbt.107 Beide Rechtsmittel wären grundsätzlich auf Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts gerichtet. Die wohl herrschende Meinung geht davon aus, dass das aktienrechtliche Spruchverfahren analog anzuwenden
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Vgl näher zB Priester in Lutter, UmwG § 128 Rn 17 ff. Spezifisch zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre Rühland, Ausschluss 69 f. In FS Kropff 191. BVerfG NJW 2001, 279. Aus dem Schrifttum zB Stein in MünchKomm AktG § 179a Rn 71 ff; Rühland, Ausschluss 74 ff. Oder an eine von ihm beherrschte Gesellschaft. BVerfG NJW 2001, 279. Vgl auch BGHZ 103, 184. Aus dem Schrifttum zB Stein in MünchKomm AktG § 179a Rn 76. Rühland, Ausschluss 95 ff. Für Österreich Winner in MünchKomm AktG § 179a Rn 111.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
ist;108 dann führt das Obsiegen der Minderheit zu einer Erhöhung des ihr zustehenden Liquidationserlöses. Für diese Lösung spricht, dass der BGH die Analogiefähigkeit des Spruchverfahrensrechts im Zusammenhang mit dem Delisting bereits bejaht hat.109 Offen ist, ob die Kontrolle am Zustimmungsbeschluss, am Auflösungsbeschluss oder an der jeweils früheren Beschlussfassung ansetzt. Nach einer beträchtlichen Meinung erfordert der Beschluss nach § 179a dAktG entgegen dem Gesetzeswortlaut aus einem Analogieschluss zu § 327a dAktG eine Mehrheit von 95 % des gesamten Grundkapitals.110 Das wird von der wohl herrschenden Meinung abgelehnt.111 Dagegen spricht auch die bereits erwähnte, allerdings nicht gerade rezente „Feldmühle“-Entscheidung des BVerfG,112 durch die ein Ausschluss von 21 % für zulässig gehalten wurde. Davon abgesehen befürwortet ein Großteil des Schrifttums die Anwendung der umwandlungsrechtlichen Schutzvorschriften,113 insbesondere über die Information der Aktionäre vor der Hauptversammlung.114 Die übertragende Auflösung hat aus Sicht des Mehrheitsaktionärs freilich gravierende Nachteile. So wird das Unternehmen im Wege der Einzelrechtsnachfolge erworben. Steuerrechtlich tritt eine Gewinnrealisierung mit den entsprechenden steuerrechtlichen Konsequenzen ein.115 Die Bedeutung der übertragenden Auflösung ist daher gering. Gerade im strittigen Bereich, wenn mehr als 5 % des Grundkapitals ausgeschlossen werden sollen, kann sie aber mangels anderer Alternativen wichtig bleiben.116 e) Abfindung bei Abschluss eines Unternehmensvertrags Im gegebenen Zusammenhang ist auch auf den Abfindungsanspruch nach § 305 dAktG einzugehen, obwohl diese Norm im Gegensatz zu §§ 327a ff 108
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Vgl Stein in MünchKomm AktG § 179a Rn 78 ff mwN; Emmerich/Habersack, KonzernR § 327a Rn 10. Ablehnend aber Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 306 Rn 4. BGHZ 153, 47 „Macrotron“. Vgl zB Lutter/Drygala in FS Kropff 220; Rühland, Ausschluss 77 ff. Vgl zB Stein in MünchKomm AktG § 179a Rn 75; Mülbert in FS Ulmer 437; Roth, NZG 2003, 1000; Fleischer, ZGR 2002, 789. Implizit auch Schüppen/Tretter in Haarmann/Schüppen WpÜG Vor § 327a Rn 13. BVerfGE 14, 263. Das UmwG steht der Gestaltung im Übrigen nicht entgegen, auch wenn im Ergebnis eine Übertragung des Unternehmens (freilich ohne Vereinigung der Gesellschafterkreise) erfolgt; vgl Stein in MünchKomm AktG § 179a Rn 73; Rühland, Ausschluss 83 ff. Vgl Rühland, Ausschluss 90 ff mwN. Für Österreich zB Rüffler, Lücken 249 ff; Winner in MünchKomm AktG § 179a Rn 110. Rühland, Ausschluss 104. Vgl Koppensteiner in KölnerKomm AktG Vorb § 327a Rn 5; Emmerich/Habersack, KonzernR § 327a Rn 10.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
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dAktG kein Ausschlussrecht normiert, sondern nur die Pflicht, bei Abschluss eines Unternehmensvertrags eine Abfindung anzubieten. Bewertungsfragen bei Abfindungen werden aber im deutschen Standardschrifttum im Kontext dieses Abfindungsanspruchs diskutiert.117 Auch die wesentlichen Entscheidungen der Rechtsprechung zu Bewertungsfragen sind in diesem Zusammenhang ergangen. Deswegen soll zunächst in einigen Sätzen der Regelungszusammenhang von § 305 dAktG geschildert, dann die jüngere Rechtsprechung dargestellt werden. Beherrschungsverträge und Gewinnabführungsverträge werden ebenso wie andere Unternehmensverträge118 nach §§ 291 ff dAktG nur mit Zustimmung der Hauptversammlung der Untergesellschaft wirksam. Allerdings kann der Beschluss mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden. Deswegen bedarf es eines zusätzlichen Schutzes für die außenstehenden Aktionäre, deren vermögensrechtliche Ansprüche durch den Abschluss des Unternehmensvertrages mit den korrespondierenden Einflussmöglichkeiten bzw der Abführung des Gewinns beeinträchtigt werden. Daher muss ihnen nach § 304 dAktG ein angemessener Ausgleich durch wiederkehrende Ausgleichszahlungen geboten werden. Die richtige Festlegung der Höhe solcher Ausgleichszahlungen ist jedoch schwierig; deswegen räumt § 305 dAktG den außenstehenden Aktionären alternativ zum Vermögensausgleich auch die Möglichkeit ein, gegen eine angemessene Abfindung aus der Gesellschaft auszuscheiden. Als Art der Abfindung sind Aktien des anderen Vertragspartners des Unternehmensvertrags (Obergesellschaft) zu gewähren, wenn dieser nicht seinerseits konzernabhängig ist; ist das jedoch der Fall, so hat die Abfindung nach Wahl der Obergesellschaft entweder in Aktien der Konzernspitze oder in einer Barabfindung zu bestehen. Auch über den Maßstab für die Höhe der Abfindung enthält § 305 Abs 3 dAktG Aussagen: Beim Tausch in Aktien ist sie in gleicher Weise wie das Umtauschverhältnis bei der Verschmelzung festzulegen, die Barabfindung hat die Verhältnisse der Tochtergesellschaft im Zeitpunkt des Hauptversammlungsbeschlusses zu berücksichtigen. Die Überprüfung der Angemessenheit erfolgt im bereits angesprochenen Spruchstellenverfahren (vgl § 305 Abs 5 dAktG). Vor diesem Hintergrund eines Austrittsrechts, aber keiner Austrittspflicht der außenstehenden Aktionäre hat sich ein Großteil der bewertungsrechtlichen Diskussion bisher abgespielt. Die Wertungen lassen sich ohne weiteres
117
118
Vgl zB Hüffer, AktG § 305 Rn 17 ff; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 50 ff; Bilda in MünchKomm AktG § 305 Rn 58 ff; Emmerich/Habersack, KonzernR § 305 Rn 36 ff; jüngst besonders ausführlich Hasselbach/Hirte in GroßKomm AktG § 305 Rn 54 ff. Zu den Begriffen vgl zB Hüffer, AktG § 291 Rn 5 ff; aus österreichischer Sicht Doralt/Diregger in MünchKomm AktG Bd 9/1 öKonzernR Rn 88 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
auch auf den Gesellschafterausschluss übertragen.119 Denn im einen wie im anderen Fall geht es darum, den Aktionären angemessene Bedingungen für einen Ausstieg zu gewähren, der aufgrund einer Strukturentscheidung des Mehrheitsaktionärs erfolgt. Dass die Minderheitsaktionäre im Fall des angemessenen Ausgleichs ein Recht auf Verbleib in der Gesellschaft haben, rechtfertigt keinen abweichenden Bewertungsmaßstab. Die derzeit wichtigsten Entscheidungen betreffen die so genannten „DAT/Altana“-Fälle. Über Jahrzehnte war es einhellige Rechtsprechung, dass die Börsekurse für die Angemessenheit der Abfindung nicht zu berücksichtigen sind.120 Dem trat das BVerfG 1999 entgegen:121 Die zu wahrenden Interessen der Minderheitsaktionäre erfordern eine angemessene Abfindung im Sinne der „Feldmühle“-Entscheidung (oben a), wenn der Mehrheitsaktionär von seinem Ausschlussrecht Gebrauch macht. Grundsätzlich stelle der Börsekurs der betroffenen Gesellschaften die Untergrenze der Abfindung dar; dies ergebe sich aus der Verkehrsfähigkeit der Aktie. Sollte der Börsekurs freilich den Verkehrswert der Aktie nicht widerspiegeln, so könne er aus der Betrachtung ausgeklammert werden; dies sei insbesondere der Fall, wenn der Verkauf zu diesem Kurs wegen der Marktenge faktisch nicht möglich oder der Kurs manipuliert sei. Es sei verfassungsrechtlich im Übrigen zulässig, angemessene Durchrechnungszeiträume für die Bestimmung des maßgeblichen Börsekurses zu wählen. Ebenso sei es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn beim Abfindungsangebot in Aktien der Börsekurs der Muttergesellschaft bei der Bewertung ihrer Aktien nicht herangezogen wird. Ebenso wenig seien außerhalb der Börse vom Mehrheitsaktionär gezahlte Preise zu berücksichtigen; denn diese würden nur seine persönlichen Nutzenerwartungen widerspiegeln.122 Der Großteil der Lehre hält die Berücksichtigung der Börsekurse zumindest dem Grundsatz nach für richtig.123 In der Folge konkretisierte der BGH in einer weiteren „DAT/Altana“-Entscheidung die verfassungsrechtlichen Vorgaben.124 Als „Börsekurs“ sei der Durchschnittskurs der letzten drei Monate vor der beschlussfassenden Hauptversammlung heranzuziehen;125 außer119
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AllgM; vgl Grunewald in MünchKomm AktG § 327b Rn 9; Emmerich/ Habersack, KonzernR § 327b Rn 9. BGH AG 1967, 264; BGHZ 71, 40; zuletzt OLG Celle NZG 1998, 987. BVerfGE 100, 289. Ähnlich in der Folge BVerfG AG 2000, 40. Vgl zB Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 32 ff, 103 f; Hüffer, AktG § 305 Rn 20a ff; Bilda in MünchKomm AktG § 305 Rn 66; Grunewald in MünchKomm AktG § 327b Rn 9; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 46; K Schmidt, Gesellschaftsrecht 950 f. Früh zB schon Drukarczyk, AG 1973, 361 ff. Kritisch zur Rsp aber Großfeld, Unternehmensbewertung 190 f (bloß Indikator für Unternehmenswert); Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 51 ff. BGHZ 147, 108. Vorher schon BayObLG AG 1999, 43. Kritisch jüngst OLG Stuttgart BB 2007, 682.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
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gewöhnliche Kurse müssen unberücksichtigt bleiben. Soweit im Börsekurs auch Erwartungen über Synergieeffekte enthalten sind, schlagen diese indirekt auch auf die Bestimmung der Abfindung durch. Darüber hinaus geht der BGH davon aus, dass zwar nicht von Verfassung wegen, aber doch aufgrund der einfachgesetzlichen Rechtslage der Börsekurs der Aktien der Obergesellschaft zu berücksichtigen ist, soweit ihre Aktien als Abfindung angeboten werden. Freilich könne auch hier der Verkehrswert vom Börsekurs abweichen; das könne durch ein bloßes Sachverständigengutachten jedoch nicht nachgewiesen werden. Die instanzgerichtliche Rechtsprechung konkretisierte die vom BGH angeführten Maßstäbe in der Folge.126 Die durch die „DAT/Altana“-Rechtsprechung aufgeworfenen Fragen werden in den folgenden Ausführungen auch für die Beurteilung der österreichischen Rechtslage von Bedeutung sein. Das betrifft insbesondere die Berücksichtigung von Synergiegewinnen (unten III. C.), die grundsätzliche Bedeutung des Börsekurses (unten IV. A. 1. d), die Berechnung des maßgeblichen Durchschnittskurses und Ausnahmen von der Maßgeblichkeit (unten IV. A. 2.), die Bedeutung des Börsekurses bei der Obergesellschaft (unten IV. B.) und die Berücksichtigung von Vorerwerben (unten V. B.). f) Umsetzung der Übernahmerichtlinie Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie erfolgte in Deutschland durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz127. Im Gegensatz zur Rechtslage in Österreich enthalten die §§ 39a f WpÜG nF ein eigenes Ausschlussverfahren, auf das §§ 327a ff dAktG nicht anwendbar sind. Anders als beim allgemeinen squeeze-out ist kein Hauptversammlungsbeschluss erforderlich; das Verlangen des Mehrheitsaktionärs genügt. Die Übertragung der Aktien der Minderheit erfolgt durch Gerichtsbeschluss. Ein Ausschluss der stimmberechtigten Aktionäre ist im Einklang mit der Richtlinie schon zulässig, wenn der Bieter nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot mehr als 95 % der stimmberechtigten Aktien hält. § 39a Abs 3 WpÜG nF enthält eine Sonderregel für die Preisbestimmung, die grundsätzlich der österreichischen Lösung entspricht. Eine Geldleistung ist stets anzubieten; im Gegensatz zu § 7 GesAusG muss jedoch auch eine Tauschalternative geboten werden, wenn das Angebot eine solche enthalten hat. Die Höhe der Gegenleistung beim Übernahme- oder Pflichtangebot ist auch für den Ausschluss angemessen, wenn der Bieter mehr als 90 % des Angebotsvolumens durch das Angebot oder im Rahmen von Paralleltransaktionen erworben hat; das ist dem Wortlaut nach anders als in Österreich keine 126
127
In der Folge OLG Düsseldorf AG 2000, 421; OLG Düsseldorf AG 2000, 422; OLG Düsseldorf AG 2003, 329; OLG Düsseldorf AG 2004, 212; OLG Frankfurt/Main AG 2003, 581; OLG Hamburg AG 2001, 479; OLG Hamburg NZG 2003, 89; OLG Stuttgart AG 2000, 428; OLG Stuttgart AG 2004, 43. BGBl I 2006/31.
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Vermutung, sondern eine Fiktion, weswegen fraglich ist, ob im Einzelfall der Nachweis möglich ist, dass der Angebotspreis nicht für die Abfindung genügt. Die Schwelle ist nach den Erläuterungen für jede Aktiengattung gesondert zu berechnen.
B. Verschmelzung Ganz wie beim Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern ist auch bei der Zusammenführung bisher getrennter Unternehmen die Frage der Angemessenheit der Gegenleistung, die den (überstimmten) Gesellschaftern gewährt wird, von zentraler Bedeutung. Freilich bleibt bei der Verschmelzung im Unterschied zum squeeze-out die Stellung als Aktionär grundsätzlich erhalten. Die Beteiligung am Unternehmen bleibt, wenn auch in anderer Form und durch einen anderen Rechtsträger vermittelt, grundsätzlich erhalten (so genannte mitgliedschaftserhaltende Konzeption der Verschmelzung). Diesen Unterschieden und der deswegen teilweise abweichenden Auslegung des Begriffs „angemessen“ im gegebenen Zusammenhang sind die folgenden Überlegungen gewidmet.128 1. Österreichische Rechtsgrundlagen a) Zweck der Verschmelzung Die Zusammenführung von unternehmerischen Einheiten kann zunächst durch Anteilserwerb erfolgen, wenn zumindest einer der Rechtsträger eine Gesellschaft ist. Dabei bleiben die unterschiedlichen Rechtsträger bestehen; die Unternehmen bleiben rechtlich selbstständig. Durch diesen Vorgang der Konzernierung wird daher weit gehend eine wirtschaftliche, aber keine rechtliche Einheit herbeigeführt. Sollen die Unternehmen auch demselben Rechtsträger zugeordnet werden, so kommt zunächst der Erwerb des Unternehmens vom Rechtsträger selbst in Frage. Dabei wird im Rahmen eines Verkehrsgeschäfts das Unternehmen gegen Bargeld oder Sachgegenleistung übertragen.129 Diese Vorgangsweise hat zumindest zwei Nachteile. Erstens bedarf es für jede Sache, die im Rahmen der Veräußerung der Gesamtsache Unternehmen übertragen werden soll, eines eigenen Verfügungsgeschäfts. Zweitens bleibt der Rechtsträger, dem das übertragene Unternehmen bisher gehörte, grundsätzlich bestehen; die Zusammenführung der Gesellschafterkreise ist – nach einem vorangegangenen Tauschgeschäft - nur durch eine Abwicklung mit Sachauskehr möglich, der ihrerseits rechtliche Hindernisse entgegen stehen können.130 128 129
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Fragen des Gläubigerschutzes werden im Folgenden nicht behandelt. Freilich bedarf die Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens häufig besonderer Vorkehrungen; vgl § 237 AktG. Insbesondere ist strittig, ob die Sachauskehr wegen § 209 Abs 1 AktG der Zustimmung jedes betroffenen Gesellschafters bedarf. Vgl einerseits Berger in
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
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Die geschilderten Nachteile werden durch die Verschmelzung zweier Gesellschaften vermieden. Bei dieser gehen alle Vermögenswerte, aber auch alle Rechtsverhältnisse der übertragenden Gesellschaft(en) mit der Eintragung der Maßnahme im Firmenbuch durch Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Gesellschaft über, ohne dass es einzelner Verfügungsgeschäfte bedarf. Gleichzeitig geht die übertragende Gesellschaft ohne Abwicklung (und damit grundsätzlich ohne besonderen Schutz der Gläubiger) unter und ihre Gesellschafter werden – zumindest im Regelfall; vgl § 224 AktG – Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft. Diese drei zentralen Rechtsfolgen der Verschmelzung131 werden in §§ 219 und 225a Abs 3 AktG ausdrücklich festgehalten.132 In der Praxis dient die Verschmelzung aber entgegen dem gesetzlichen Leitbild133 häufig nicht der Zusammenführung bisher wirtschaftlich getrennt betriebener Unternehmen; diese Konzentrationsverschmelzung ist realtypisch die Ausnahme. Zumeist wird die Verschmelzung eingesetzt, um innerhalb eines bereits bestehenden Konzerns eine Umstrukturierung vorzunehmen (so genannte Konzernverschmelzung).134 Die Sachlage unterscheidet sich ganz wesentlich. Während bei der Konzentrationsverschmelzung grundsätzlich voneinander unabhängige Vertragspartner einander gegenüberstehen und daher dem Vertrag eine gewisse Richtigkeitschance zukommt, kann bei der Konzernverschmelzung von einer unabhängigen Willensbildung in der Tochtergesellschaft keine Rede sein. Diese Unterschiede schlagen mE unmittelbar auf die rechtliche Beurteilung durch. Die Verschmelzung kann einerseits durch Übertragung des Vermögens auf einen bereits bestehenden Rechtsträger erfolgen (so genannte Verschmelzung durch Aufnahme). Andererseits kann der übernehmende Rechtsträger auch eine Gesellschaft sein, die im Zuge der Verschmelzung erst gegründet wird (Verschmelzung durch Neugründung). Die Unterschiede sind für die hier interessierenden Themenbereiche der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses nicht zentral. Leitbild wird daher die auch in der praktischen Anwendung im Vordergrund stehende135 Verschmelzung durch Aufnahme sein.
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Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 209 Rn 20 ff; andererseits Hüffer, AktG § 268 Rn 4 sowie ders in MünchKomm AktG § 268 Rn 19 f. Vgl dazu aus historischer Sicht ausführlich Hügel, Verschmelzung 33 ff. Die Regelungen des AktG sind wegen § 96 Abs 2 GmbHG auch bei Verschmelzungen unter GmbHs anzuwenden. Daneben enthalten §§ 97 ff GmbHG Sonderregeln für GmbHs. Vgl Kalss, Verschmelzung Vor § 219 AktG Rn 8; Grünwald in Helbich/ Wiesner/Bruckner, Handbuch Art I Verschmelzung – Handelsrecht Rn 2. Dazu ausführlich Hügel, Verschmelzung 21 f und passim. Vgl Grünwald in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art I Verschmelzung – Handelsrecht Rn 10.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Die Verschmelzung ist in Österreich nicht für alle Rechtsträger geregelt. Leitnormen sind §§ 219 ff AktG mit Regeln über die Verschmelzung mehrerer Aktiengesellschaften, aber auch von GmbHs auf Aktiengesellschaften. Durch diese Normen wurde 1996 für die Aktiengesellschaft die Verschmelzungsrichtlinie umgesetzt.136 Hingegen war der umgekehrte Weg, nämlich die Übertragung des Vermögens einer Aktiengesellschaft auf eine GmbH unter Gesamtrechtsnachfolge bisher nicht mit dem Recht der Verschmelzung, sondern nur mithilfe der verschmelzenden Umwandlung oder (näherungsweise) einer Spaltung zur Aufnahme möglich. Dies ändert sich freilich durch das vor kurzem beschlossene GesRÄG 2007137; der Rechtsformwechsel soll gem § 234a AktG auch auf die GmbH möglich sein, freilich wird in allen Fällen der rechtsformübergreifenden Verschmelzung, also auch bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaft auf GmbH, den widersprechenden Anteilsinhabern ein Austrittsrecht eingeräumt (§ 234b AktG). Die Verschmelzung von GmbHs untereinander war bisher und ist auch weiterhin in §§ 96 ff GmbHG geregelt, die wiederum auf die aktienrechtlichen Normen verweisen. Auf diese Normen soll sich die folgende Untersuchung beschränken; sie geht von der Verschmelzung zweier Aktiengesellschaften aus. Die Regelungen für andere Rechtsformen, namentlich Genossenschaften,138 Sparkassen139 und Versicherungsvereine,140 bleiben im Folgenden außer Betracht. Das gilt auch für diverse Verschmelzungen auf Basis von Sondergesetzen.141 b) Die Beschlussfassung über die Verschmelzung im Überblick Die Verschmelzung bringt zahlreiche Gefahren für die Aktionäre der betroffenen Gesellschaften mit sich. Zunächst können durch das Umtauschverhältnis die Aktionäre einer Gesellschaft gegenüber denjenigen der anderen bevorzugt werden. Darüber hinaus wird aber auch das Risiko, das mit der unternehmerischen Tätigkeit verbunden ist, durch die Zusammenführung der bisher getrennten Gesellschaftsvermögen in einer einheitlichen Haftungsmasse wesentlich verändert. Deswegen bedarf die Verschmelzung grundsätzlich einer Entscheidung der Gesellschafter. Im Gegensatz zur Kapitalerhöhung ist es auch nicht möglich, die Verwaltungsorgane zur Durchführung einer Verschmelzung zu ermächtigen, was zumindest für die übernehmende Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen auch europarechtlich möglich wä136
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Dritte Richtlinie 78/855/EWG gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften vom 9. Oktober 1978, ABl L 295/36. Die Richtlinie wurde durch das EU-GesRÄG, BGBl 1996/304 umgesetzt. BGBl I 2007/72. Genossenschaftsverschmelzungsgesetz, BGBl 1980/223 idgF. §§ 25 und 27c Sparkassengesetz, BGBl 1979/64 idgF. §§ 59, 72 Versicherungsaufsichtsgesetz, BGBl 1978/569 idgF. Vgl zB § 2 Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH-Errichtungsgesetz (Forschungsförderungs-Strukturreformgesetz), BGBl I 2004/73.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
379
re.142 Rechtspolitisch sollte hier mE ein Gleichklang zwischen Kapitalerhöhung und Verschmelzung hergestellt werden. Rechtstechnisch erfolgt die Verschmelzung in Österreich143 mittels eines durch die beteiligten Gesellschaften geschlossenen Vertrags, der aber für seine Wirksamkeit144 der Zustimmung der Hauptversammlung der beteiligten Gesellschaften bedarf (vgl § 221 Abs 1 AktG). Der Beschluss muss mit einer Mehrheit von drei Vierteln des abstimmenden Grundkapitals erfolgen, wenn die Satzung keine höhere Beschlussmehrheit vorsieht. Aus Sicht des Mehrheitsaktionärs wird die Grundlagenentscheidung Verschmelzung daher von seiner Zustimmung abhängig. Aus Sicht derjenigen Aktionäre, die aufgrund ihres Stimmgewichts die Abstimmung nicht beeinflussen können, bietet die Behandlung in der Hauptversammlung zumindest Kontroll- und Informationsmöglichkeiten;145 auch ihr Rechtsschutz knüpft in der technischen Ausgestaltung an der Beschlussfassung an. Am Verschmelzungsvertrag setzt auch die Regelung der den Aktionären vor der Beschlussfassung zu gewährenden Information an; dieser ist nämlich – zumindest im Entwurf – gemäß § 221a AktG den Aktionären zugänglich zu machen. In dem Vertrag ist insbesondere das hier interessierende Umtauschverhältnis anzugeben. Der (rechtlichen, aber auch wirtschaftlichen) Erläuterung dieses Verhältnisses dienen die Berichte der Vorstände der Gesellschaften (§ 220a AktG), aber auch ihrer Aufsichtsräte (§ 220c AktG). Den Aktionären soll aufgrund der Angaben zumindest eine Plausibilitätskontrolle möglich sein.146 Schließlich soll ein unabhängiger Verschmelzungsprüfer insbesondere das Umtauschverhältnis kontrollieren, wie es schon in Art 10 Verschmelzungsrichtlinie vorgezeichnet ist: Bei der Prüfung „ist insbesondere anzugeben, 1. nach welchen Methoden das vorgeschlagene Umtauschverhältnis ermittelt worden ist; 2. aus welchen Gründen die Anwendung dieser Methoden angemessen ist; 3. welches Umtauschverhältnis sich bei der Anwendung verschiedener Methoden, sofern mehrere angewendet worden sind, jeweils ergeben würde; zugleich ist dazu Stellung zu nehmen, welche Gewichtung diesen Methoden bei der Bestimmung des Umtauschverhältnisses beigemessen wurde, und darauf hinzuweisen, ob und welche besonderen Schwierigkeiten bei der Bewertung aufgetreten sind“ (§ 220b Abs 4 AktG). Aufgrund dieser besonderen Betonung ist klar, dass die Prüfpflicht die Gesellschafter insbesondere vor 142 143
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Vgl Art 8 Verschmelzungs-RL. Diese rechtstechnische Anknüpfung ist durch Art 5 der Verschmelzungsrichtlinie nicht vorgegeben. Für alle Grünwald in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art I Verschmelzung – Handelsrecht Rn 87. Vgl Kalss, Verschmelzung § 221 AktG Rn 3 f. Grünwald in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art I Verschmelzung – Handelsrecht Rn 53.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
einer Fehlbewertung schützen soll, hingegen weniger auf die Vergrößerung des Risikos und andere Gefahren für die Aktionäre abstellt. Für die Bestellung des Prüfers ist grundsätzlich der Aufsichtsrat zuständig;147 eine Gerichtszuständigkeit besteht nur bei der GmbH ohne Aufsichtsrat (§ 100 Abs 2 öGmbHG) oder bei Bestellung eines einzigen Prüfers für beide Gesellschaften (§ 220b Abs 2 öAktG). Für die Konzernverschmelzung bestehen Ausnahmen vom Beschlusserfordernis (§§ 231 f AktG). Die Zustimmungspflicht der Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft entfällt, wenn maximal 10 % des Grundkapitals der übertragenden Gesellschaft in Händen Dritter sind; das unternehmerische Risiko werde dann ohnehin schon von der Gesellschaft getragen, weswegen die Zusammenführung der Haftungsmassen dann nicht von gleicher Bedeutung sei.148 Die Begründung überzeugt (abseits der Aufnahme einer 100 %igen Tochtergesellschaft) nicht restlos, weil die Übernahme des Risikos, insbesondere aber die Änderung des Aktionärskreises beachtliche Auswirkungen auf die Obergesellschaft haben kann.149 Abgemildert wird diese Gefahr freilich dadurch, dass auf Verlangen von 5 % des Grundkapitals eine Beschlussfassung auch in der übernehmenden Gesellschaft herbeizuführen ist. Das Beschlusserfordernis entfällt auch, wenn die zu gewährenden Aktien maximal 10 % des (allenfalls erhöhten) Grundkapitals betragen. Nach dieser Ausnahme kommt es auf die Bedeutung der Transaktion für die Änderung des Gesellschafterkreises in der Obergesellschaft an („Bagatellverschmelzung“), was teleologisch überzeugt; im Ergebnis beruft man sich (wegen des Ausgabeverbots in § 224 Abs 1 Z 1 AktG) auch auf diese Norm vor allem bei Konzernverschmelzungen. Am hier zentralen Thema der materiellen Festlegung des Umtauschverhältnisses ändern die Fragen der Hauptversammlungszuständigkeit nichts. Etwas anderes gilt freilich für die Übernahme einer 100 %igen Tochtergesellschaft (upstream-merger). Hier bedarf es keiner Überlegung über das Umtauschverhältnis, weil die Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft verboten ist (§ 224 Abs 1 Z 1 AktG). Auch beim down-stream-merger stellen sich in dieser Konstellation trotz Aktienauskehr (§ 224 Abs 3 AktG) keine Bewertungsprobleme; bloß Fragen des Spitzenausgleichs können sich stellen.
Sollte das Umtauschverhältnis unangemessen festgelegt worden sein, so kann der Beschluss nicht angefochten werden; das gilt auch für Informationsfehler (§ 225b AktG). Vielmehr entscheidet das Gericht ganz so wie beim Squeeze-out im außerstreitigen Verfahren, wobei das Gremium zur Überprü147 148
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Rechtspolitisch kritisch Winner/Oberhofer, GesRZ 2007, 38 ff. Vgl Kalss, Verschmelzung § 231 AktG Rn 4; Grünwald in Helbich/Wiesner/ Bruckner, Handbuch Art I Verschmelzung – Handelsrecht Rn 217; siehe näher Hügel, Verschmelzung 517 ff. Vgl auch die rechtspolitische Diskussion zu § 62 dUmwG; Grunewald in Lutter, UmwG § 62 Rn 1 mwN.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
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fung des Umtauschverhältnisses beigezogen wird (§§ 225c ff AktG); der Anspruch richtet sich grundsätzlich nicht auf die Gewähr von Aktien, sondern auf bare Zuzahlungen, wobei die Gesellschaft aber ermächtigt werden kann, statt der Zuzahlungen eigene Aktien zu leisten. Anspruchsberechtigt sind grundsätzlich – dem Grundsatz der Gleichbehandlung beider Gesellschaften entsprechend – sowohl die Gesellschafter der übertragenden als auch diejenigen der übernehmenden Gesellschaft. Bemerkenswert ist, dass die Eröffnung des Rechtsschutzes von einer Mindestbeteiligung von einem Prozent am Grundkapital oder Aktien im anteiligen Wert von € 70.000 abhängt. Eine ähnliche Bestimmung im SpaltG zur nicht verhältniswahrenden Spaltung wurde vom VfGH aufgehoben (oben A. 1. d); freilich sind dieser Entscheidung nicht unbedingt Schlussfolgerungen für die mitgliedschaftserhaltend konzipierte Verschmelzung zu entnehmen. c) Vergleichbare Fragestellungen Ähnlich wie beim Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern lassen sich die mit einer Verschmelzung angestrebten Effekte auch durch andere Maßnahmen erreichen oder doch weit gehend nachbilden. In allen Fällen stellt sich die Frage der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung in vergleichbarer Form. Die wichtigsten Instrumente sind die Folgenden: Bei der Spaltung zur Aufnahme kommt es gleichzeitig mit dem Spaltungsvorgang zu einer Übertragung des abgespaltenen Vermögens durch „partielle Gesamtrechtsnachfolge“ auf eine aufnehmende Gesellschaft; die Gesellschafterkreise werden in dieser zusammengeführt, womit sich die Probleme der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses in gleicher Weise wie bei der Verschmelzung stellen.150 Als einziger wichtiger Unterschied bleibt, dass nicht das gesamte Vermögen der ab- oder aufspaltenden Gesellschaft auf die aufnehmende Gesellschaft übertragen wird; im gegebenen Zusammenhang hat dies nur Auswirkungen auf den Gegenstand der Bewertung, nicht aber auf die grundsätzlichen Fragen. Die Voraussetzungen der Beschlussfassung und der Rechtsschutz sind dementsprechend grundsätzlich gleich wie bei der Verschmelzung ausgestaltet.151 Im Grundsatz die gleiche Frage stellt sich bei der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage.152 Auch bei dieser geht es vor allem153 darum, dass angemessen 150
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Hinzu kam bei der nicht verhältniswahrenden Spaltung bisher die Überprüfung der angemessenen Aufteilung der Vermögensmassen auf die aus der Spaltung hervorgehenden Gesellschaften angesichts der an ihr bestehenden Beteiligungen. Diese Problematik entfällt, soweit die nicht verhältniswahrende Spaltung der einstimmigen Beschlussfassung bedarf; oben I. A. 1. d). Vgl zB § 17 Z 5 SpaltG; ausführlich Terlitza; Teilfusionen passim. Daran ändert auch die problematische und teilweise durch Auslegung zu korrigierende Einschränkung in § 17 Z 5 SpaltG auf die übernehmende Gesellschaft nichts. Aus dem Schrifttum Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 72 ff; Hügel, Verschmelzung 272 f; Bachner, Bewertungskontrolle 16 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
festgelegt wird, wie viele Aktien der Sacheinleger angesichts des Werts des eingebrachten Gegenstands erhalten soll. Dass die Einlage durch Einzelrechtsnachfolge erfolgt, rechtfertigt keine unterschiedliche Beurteilung, was besonders augenscheinlich wird, wenn nicht das Unternehmen selbst, sondern Anteile am Unternehmensträger eingelegt werden. Die Angemessenheit ist daher grundsätzlich gleich wie bei der Verschmelzung zu beurteilen.154 Die Probleme stellen sich auch eher auf der Rechtsschutzseite, wo die Analogiefähigkeit der umgründungsrechtlichen Vorschriften bei Kapitalerhöhungen gegen Einbringung von Unternehmen ein Brennpunkt rechtswissenschaftlicher Diskussion ist. Davon wird im Folgenden freilich nicht die Rede sein.155 Auch bei internationalen Zusammenschlüssen stellen sich ähnliche Probleme. Das wird insbesondere nach der Umsetzung der Richtlinie über internationale Verschmelzungen156 durch das am 15. 12. 2007 in Kraft tretende GesRÄG 2007157 gelten. Dasselbe gilt natürlich auch bei der Gründung einer SE durch Verschmelzung nationaler Aktiengesellschaften oder durch Bildung einer Holding-SE. 2. Überblick über die Rechtsgrundlagen in Deutschland Das Verschmelzungsrecht ist in Deutschland rechtsformübergreifend im Umwandlungsgesetz aus 1994158 kodifiziert. Der Zweck der Verschmelzung und ihre Grundcharakteristika entsprechen der österreichischen Rechtslage. Für das Verfahren ergeben sich aus den vielen erfassten Gesellschaftsformen (vgl § 3 dUmwG) zahlreiche Besonderheiten. Soweit es die hier interessierenden Kapitalgesellschaften betrifft, stellt sich die Rechtslage im Überblick wie folgt dar: Die Verschmelzung erfolgt aufgrund eines zwischen den beteiligten Gesellschaften abgeschlossenen Gesellschaftsvertrags;159 für dessen Wirksamkeit bedarf es aber der Beschlussfassung durch die Gesellschafter beider beteiligten Rechtsträger (§ 13 Abs 1 dUmwG). Zur Vorbereitung der Beschlussfassung müssen die Vertretungsorgane der beteiligten Gesellschaften grundsätzlich160 getrennt oder gemeinsam über den Verschmelzungsvertrag berichten, wobei
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Zur angemessenen Festlegung des Ausgabekurses angesichts der Differenzhaftung vgl Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 77. Im Ansatz daher auch schon Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 79 ff. Vgl dazu Rüffler, Lücken 323 ff; Bachner, Bewertungskontrolle 32 ff, 86 ff, 159 ff; differenzierend Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 108 ff. RL 2005/56/EG, ABl vom 25.11.2005, L 310/1. BGBl I 2007/72. Umwandlungsgesetz vom 28. Oktober 1994, dBGBl I S 3210. Für den Inhalt vgl §§ 5, 46 dUmwG. Der Bericht ist verzichtbar; § 8 Abs 3 dUmwG.
I. Die einfachgesetzliche Rechtslage
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insbesondere auf das Umtauschverhältnis und die allenfalls zu bietende Barabfindung einzugehen ist (§ 8 Abs 1 dUmwG). Über die Berichterstattung hinaus ist bei der Aktiengesellschaft – vom Verzicht abgesehen - immer eine Verschmelzungsprüfung erforderlich (§ 60 dUmwG), bei der GmbH nur, wenn dies ein Gesellschafter verlangt (§ 48 dUmwG). Die Zuständigkeit für die Bestellung liegt in Deutschland immer beim Gericht auf Antrag des Vorstands (oder der Geschäftsführung); vgl § 10 Abs 1 dUmwG. Der Prüfungsbericht hat insbesondere auf die Angemessenheit einzugehen und entspricht in der Sache (schon wegen Art 10 Abs 2 Verschmelzungs-RL) § 220b Abs 4 öAktG. Die Beschlussfassung erfolgt mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen bei der GmbH (vgl § 50 Abs 1 dUmwG) bzw drei Vierteln des abstimmenden Grundkapitals bei der Aktiengesellschaft (§ 65 Abs 1 dUmwG). Bei der Konzernverschmelzung darf der Gesellschafter, auf den verschmolzen werden soll, nach der überwiegenden Auffassung seine Stimme abgeben;161 denn durch die vorgesehenen Mechanismen werde der Schutz der (überstimmten) Minderheit anders, aber ausreichend verwirklicht. Auch das Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung des Beschlusses wird von der überwiegenden Auffassung mit ähnlichen Argumenten, insbesondere unter Berufung auf die Überprüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses, verneint.162 Den Anteilsinhabern der übertragenden Gesellschaft stehen Anteile der übernehmenden Gesellschaft zu. Ein Austrittsrecht gegen angemessene Barabfindung besteht bei der rechtsformübergreifenden Verschmelzung; das gilt auch, wenn die Anteile, die gewährt werden, Verfügungsbeschränkungen unterworfen sind (§ 29 dUmwG). Sonst können die Gesellschafter nur ein nicht angemessenes Umtauschverhältnis aufgreifen. Die Anfechtungsbefugnis wegen Bewertungsfehlern geht aber anders als nach österreichischem Verschmelzungsrecht nur den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers verloren (§ 14 Abs. 2 dUmwG). Die Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers können hingegen auch aus diesen Gründen den Beschluss anfechten, was rechtspolitisch kritisiert wird.163 Die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers haben gemäß § 15 dUmwG bloß Anspruch auf Ausgleich des unangemessenen Umtauschverhältnisses durch bare Zuzahlung
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Lutter/Drygala in Lutter/Winter, UmwG § 13 Rn 20; Gehling in Semler/Stengel, UmwG § 13 Rn 38 mwN; Reichert in Semler/Stengel, UmwG § 50 Rn 15. Anders aber zB Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG § 47 Rn 90. Vgl zB Lutter/Drygala in Lutter/Winter, UmwG § 13 Rn 31 ff; Diekmann in Semler/Stengel, UmwG § 65 Rn 20; Gehling in Semler/Stengel, UmwG § 13 Rn 36. Gehling in Semler/Stengel, UmwG § 14 Rn 31.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
(§ 15 Abs 1); das Verfahren zur Ermittlung der Höhe richtet sich nach dem SpruchG.164 Die Bestimmung der Angemessenheit erfolgt so wie in Österreich auch auf Basis einer Bewertung der Unternehmen der beteiligten Gesellschaften. Freilich geht es dem Grundsatz nach nicht um die Richtigkeit absoluter Werte, sondern um die Ermittlung von Wertrelationen, weswegen auch das Erfordernis der Methodengleichheit besonders betont wird.165
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis A. Die angemessene Abfindung und das Verfassungsrecht166 Wann eine Abfindung beim Gesellschafterausschluss angemessen ist, kann ohne eine Untersuchung der sachlichen Rechtfertigung des Gesellschafterausschlusses nicht beantwortet werden. Die Fragen sind eng miteinander verwoben; die Höhe der Abfindung erlaubt Rückschlüsse auf die Rechtfertigung des Gesellschafterausschlusses selbst und umgekehrt. Im Folgenden wird für die Beurteilung ein verfassungsrechtlicher Zugang gewählt. Das ist wegen des ins Auge fallenden Eingriffs in das Eigentumsrecht der ausgeschlossenen Gesellschafter besonders nahe liegend. Der VfGH hat sich bisher in zwei Erkenntnissen mit dem Entzug von Gesellschafterrechten oder gesellschafterähnlichen Rechtspositionen beschäftigt. In beiden Fällen hat er die entsprechenden Bestimmungen unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Eigentumsrecht (Art 5 StGG bzw Art 1 des 1. ZPMRK) auf Antrag des OGH untersucht und aufgehoben. In einem Erkenntnis vom September 2002167 ging es um die Einziehung von Partizipationskapital, also von Genussrechten spezieller Art, die von Kreditinstituten ausgegeben werden. Nach § 102a Abs 4 BWG können Partizipationsscheine nach einem Beschluss der Gesellschaft eingezogen werden. Den Inhabern dieser Wertpapiere ist eine angemessene Abfindung in bar zu bieten, wobei die Angemessenheit so wie bei der verschmelzenden Umwandlung durch das Gremium nach § 225g ff AktG zu überprüfen war. Ein wesentlicher Unterschied zur Rechtslage bei der verschmelzenden Umwandlung bestand jedoch, wenn die Partizipationsscheine börsenotiert waren; in diesem Fall hatte die Abfindung zum durchschnittlichen Börsekurs der Partizipationsscheine an den der Beschlussfassung über die Einziehung vorausgehenden
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Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren (Spruchverfahrensgesetz – SpruchG) vom 12.6.2003, dBGBl I S 838. Für alle Lutter/Drygala in Lutter/Winter, UmwG § 5 Rn 19. Die folgenden Ausführungen finden sich im Wesentlichen auch in Winner, GesRZ-Sonderheft „Squeeze-out“ 9. VfSlg 16.636.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
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20 Börsetagen zu erfolgen. Eine Überprüfung der Angemessenheit war nicht vorgesehen. Der VfGH hielt fest, dass die Einziehung des Partizipationskapitals im öffentlichen Interesse liegen muss; der Gesetzgeber dürfe es „als im öffentlichen Interesse liegend betrachten, die Kapitalstruktur bei Kreditinstituten auch in rechtlicher Hinsicht zu bereinigen.“ Allerdings sei ein Eingriff in die Vermögensrechte der Inhaber von Partizipationsscheinen unzulässig. Der Börsenkurs sei zwar Indikator für den Unternehmenswert – hier zitiert der VfGH das BVerfG168 und erwähnt den Börsekurs als Untergrenze der Abfindung, ohne sich aber diesbezüglich festzulegen –, dieser Indikator dürfe aber nicht die Kontrolle ausschließen, ob die Abfindung zum Börsenkurs im Einzelfall auch tatsächlich angemessen ist. Das gelte insbesondere, wenn es das Kreditinstitut wie im gegebenen Fall in der Hand hat, den Referenzzeitraum zu bestimmen; denn durch die Festlegung des Tages der Beschlussfassung, sei es ohne weiteres möglich, Börsephasen mit besonders niedriger Bewertung für die Einziehung der Partizipationsscheine auszunützen. Der VfGH hob die entsprechenden Passagen über die Maßgeblichkeit des Börsekurses auf; seitdem ist die Abfindung auch bei börsenotierten Partizipationsscheinen bei der Einziehung jedenfalls auf die Angemessenheit zu überprüfen. Das zweite, bereits oben erwähnte Erkenntnis vom Juni 2005 betrifft die nicht verhältniswahrende Spaltung.169 Im Ergebnis hob der VfGH auf Antrag des OGH jene Bestimmung170 auf, durch die der Antrag auf Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung an einen Mindestanteilsbesitz gebunden wurde und dem nur gering beteiligten Gesellschafter der Zugang zum Rechtsschutz abgeschnitten wurde. Anlässlich dieser Aufhebung machte der VfGH auch generelle Anmerkungen zum Ausschluss von Gesellschaftern. Zunächst wiederholte er, dass das Hinausdrängen der Gesellschafter ein Eigentumseingriff sei. Dieser sei zu rechtfertigen; dafür seien öffentliches Interesse, Adäquanz und Verhältnismäßigkeit erforderlich. Das öffentliche Interesse liege in der Verbesserung der Unternehmensstrukturen; allerdings sagt der VfGH, dass er an die Bedenken des OGH gebunden sei und deswegen vom Bestehen dieses öffentlichen Interesses ausgehe und die Frage nicht prüfe. Das deutet Distanz gegenüber diesen Argumenten an. Weiters merkt der VfGH an, dass die Maßnahme vor allem im Interesse des Hauptgesellschafters liege, der durch den Ausschluss der Minderheit unmittelbar begünstigt wird. Mit anderen Worten: Der VfGH hat im Ergebnis offen gelassen, ob ein öffentliches Interesse am Ausschluss der Minderheitsgesellschafter bestehe.
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BVerfG BVerfGE 100, 289. VfGH wbl 2005, 484. Die Aufhebung betraf die Wortfolge „§ 225c Abs. 3 und 4 sowie“ in § 9 Abs 2 SpaltG.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
In der Folge führt der VfGH aus, dass es bei einander gegenüberstehenden Interessen von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern besonders auf einen angemessenen Ausgleich zwischen den Positionen ankomme. Deswegen sei es besonders wichtig, dass die Barabfindung angemessen festgelegt wird; das allein genüge aber nicht, vielmehr müsse auch besonderes Gewicht auf die prozessuale Durchsetzbarkeit dieser Ansprüche gelegt werden. Als Zwischenfazit kann man festhalten: Der VfGH hat über das öffentliche Interesse nicht abgesprochen, verfolgt aber jedenfalls einen strengen Maßstab, was den Schutz der Vermögensinteressen der Ausgeschlossenen betrifft. 1. Enteignung oder Eigentumsbeschränkung? Die verfassungsrechtliche Beurteilung des Ausschlusses der Minderheitsgesellschafter ist in Österreich171 nicht zur Gänze geklärt. Die Materialien zum EUGesRÄG schneiden die Problematik nur an, indem sie referieren, dass die verschmelzende Umwandlung nach Meinung mancher „einer verfassungsrechtlich bedenklichen Enteignung der ausscheidenden Minderheitsgesellschafter ähnle.“172 Als Ausgangspunkt ist nahezu173 unstrittig: Gesellschaftsanteile sind vermögenswerte Privatrechte und unterliegen grundsätzlich dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz174 nach Art 5 StGG und Art 1 des 1. ZPEMRK175. Der Entzug des Eigentums an den Anteilsrechten ist ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit. Die Bedeutung des Eigentumsschutzes ist im Vergleich zum Liegenschaftseigentum aber eine andere. Bei jenem wird das Bündel von mit dem Eigentum verbundenen Benutzungs- und Herrschaftsrechten grundsätzlich von außen an die Rechtsordnung herangetragen.176 Die Rechte, die durch die gesellschaftsrechtliche Beteiligung vermittelt werden, müssen hingegen erst durch den Gesetzgeber definiert werden.177 Die Definition der Eigentumsbeschränkung muss für das Anteilseigentum von der Rechtslage beim Grundeigentum jedenfalls in171 172 173
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Für Deutschland vgl aber jüngst BVerfG AG 2007, 544. 32 BlgNR 20. GP 57. Vgl aber Mülbert/Leuschner, ZHR 2006, 615, welche nur den Schutz derjenigen aus der Eigentumsgarantie ableiten, die zum Zeitpunkt der Einführung des squeeze-out bereits Gesellschafter sind. Sonst soll die in Art 2 deutsches GG festgehaltenen Garantie der Privatautonomie für den Schutz der Mitgliedschaft einschlägig sein. Freilich wird der Schutz der Privatautonomie in Österreich ebenfalls auf die Eigentumsgarantie gestützt; vgl VfGH 12.227; Berka, Grundrechte Rn 712. VfSlg 16.636; VfGH wbl 2005, 484; OGH GesRZ 2004, 387; Kalss, JBl 1995, 430; dies, Verschmelzung Vor UmwG Rn 4; Enzinger, wbl 1997, 6. Für Deutschland zB BVerfGE 14, 263. Zur EMRK Fleischer/Schoppe, Der Konzern 2006, 329. Vgl aus verfassungsrechtlicher Sicht ähnlich Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 24. Vgl ähnlich Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 48 ff.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
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soweit abweichen, als es die Ausgestaltung des Anteilseigentums betrifft. Das ist im gegebenen Zusammenhang nicht zu vertiefen.
Eine Enteignung liegt nach der Rechtsprechung des VfGH und der herrschenden Lehre178 vor, „wenn eine Sache durch Verwaltungsakt oder unmittelbar kraft Gesetzes dem Eigentümer zwangsweise entzogen wird und auf den Staat, eine andere Körperschaft oder gemeinnützige Unternehmung übertragen wird“.179 Die Tatsache, dass der Staat normalerweise nicht Begünstigter ist, verhindert die Einordnung als Enteignung nicht. Zunächst genügt nach dem VfGH auch die Übertragung an Körperschaften. Aber auch wenn natürliche Personen begünstigt sind, kann eine Enteignung vorliegen.180 Ob die Übertragung an den konkreten Begünstigten gerechtfertigt ist, darf erst bei Untersuchung der Rechtfertigung überprüft werden. Jedoch beruht der Entzug des Eigentums beim Gesellschafterausschluss nicht auf einem Bescheid, sondern auf einem privatrechtlichen Akt, nämlich der Beschlussfassung in der Hauptversammlung. Damit fehlt es an dem Verwaltungsakt, der Teil der verfassungsgerichtlichen Definition der Enteignung gem Art 5 StGG ist. Daraus schließt die herrschende Meinung, dass die verschmelzende Umwandlung181 (und damit auch der Ausschluss nach GesAusG) keine Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinn ist; vielmehr liege eine bloße Eigentumsbeschränkung vor.182 Bei ganz gleicher Ausgangslage ordnen OGH183 und VfGH184 auch die squeeze-out-Spaltung als Eigentumsbeschränkung ein. Diese Auffassung verdient Kritik: Der Enteignungsbegriff des VfGH entspringt – wie insbesondere Aicher gezeigt hat185 – der Diskussion um den kompetenzrechtlichen Enteignungsbegriff in Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG und ist daher versteinerungstheoretisch konzipiert. Wenn es aber darum geht, wann eine Enteignung im Sinne des grundrechtlichen Eigentumsschutzes vorliegt, überzeugt
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Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 29; Berka, Grundrechte Rn 723. Historisch auch Hellbling, JBl 1960, 353 f. Abweichend zB Bachmann, AnwBl 1991, 614, die nur auf den Entzug und die Übertragung des Eigentums abstellt. VfSlg 2.934; VfSlg 11.209. So im Ergebnis auch das deutsche BVerfG, BVerfGE 14, 263 „Feldmühle“; vgl Rühland, Ausschluss 113. So in der Sache auch Korinek in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 19; Rill, VVDStRL 51 (1992) 202; Pauger in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 78. Gleiches gilt für die – praktisch freilich unbedeutende – Verstaatlichung nach § 235 AktG, die ebenfalls auf Aktionärsbeschluss beruht; Kalss, JBl 1995, 433 in Fn 124. Kalss, JBl 1995, 432 f; Kalss/Zollner, Squeeze-out Einl Rz 10. Für Deutschland BVerfGE 14, 263; BVerfG NJW 2005, 2363; BVerfG AG 2007, 544; Lenz/Leinekugel, Eigentumsschutz 11 ff. OGH GesRZ 2004, 387. VfGH wbl 2005, 484. Aicher, Grundfragen 144 ff iVm 70 ff; ders, Bestimmungen 17 ff.
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dieser Ansatz nicht. Aus grundrechtlicher Sicht muss der Entzug von Eigentum durch Maßnahmen, die dem Entzug durch Verwaltungsakt oder durch Gesetz186 gleichwertig sind, ebenfalls Art 5 StGG unterliegen. Schutz des Eigentums bedeutet, wie die Lehre hervorhebt,187 Schutz vor Entzug der Sache oder der Rechtsposition. Ebenso wenig wie es für den Enteigneten darauf ankommt, wem das Eigentum in der Folge zugeordnet wird, ist aus seiner Sicht der Rechtsakt ausschlaggebend, auf dem der Eigentumsentzug beruht.188 Hinzu kommt, dass sich Art 5 StGG primär an den Gesetzgeber richtet, nicht an die Vollziehung;189 wieso dieser aber anders gebunden sein soll, wenn er einem Privaten die Rechtsmacht einräumt, in das Eigentum einzugreifen, ist nicht ersichtlich. Hier wie dort wird das Interesse am Erhalt des Eigentums einem fremden Interesse an der Sache subordiniert. Im Ergebnis ist daher mE davon auszugehen, dass der Gesellschafterausschluss eine Enteignung iSv Art 5 StGG ist.190
Im Ergebnis – und allein dieses ist ausschlaggebend – kommt es für die Rechtsfolgen jedoch nicht darauf an, ob der Gesellschafterausschluss Enteignung oder Eigentumsbeschränkung ist. Denn in der Sache geht es nicht um die begriffliche Einordnung, sondern um die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Ausschluss verfassungsrechtlich zulässig ist bzw was seine Rechtsfolgen sind. Eigentumsbeschränkungen sind so wie Enteignungen nur zulässig, wenn sie im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismäßig sind.191 Der VfGH stützt dies für Eigentumsbeschränkungen üblicherweise auf Art 1 Abs 2
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Die hier geschilderte Diskussion erinnert im Übrigen an die Diskussion, ob der Entzug des Eigentums durch Gesetz (Legalenteignung) Art 5 StGG unterliegt; auch hier wurde zunächst geltend gemacht, dass die Enteignung mittels Bescheid erfolgen müsse. Vgl Ermacora/Klecatsky/Ringhofer, ÖJZ 1959, 8; Hellbling, JBl 1960, 354; dagegen zB Aicher, Grundfragen 139. Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 29; Aicher, Grundfragen 141 f. Das Argument der hL führt auch zu seltsamen Ergebnissen: Nehmen wir an, Eisenbahnunternehmen müssten nicht das Verfahren nach EisbEG mit Enteignung durch die Behörde durchführen, sondern würden gesetzlich ermächtigt, durch einseitige Willenserklärung Grundstücke zu erwerben, die sie für ihre Anlagen benötigen. Ist diese abweichende legistische Gestaltung wirklich keine Enteignung? Vgl eindringlich Griller, JBl 1992, 210 f. So (allerdings obiter) auch OGH ecolex 1998, 557. Im Ergebnis ähnlich Walter/ Mayer, Bundesverfassungsrecht Rn 1376, nach denen der Entzug oder die Beschränkung „wesentlicher Eigentümerbefugnisse“ eine Enteignung iSv Art 5 StGG ist; darunter würde der Gesellschafterausschluss ohne weiteres fallen. Freilich schränken sie den Schutzbereich von Art 5 StGG auf die solcherart verstandenen Enteignungsfälle ein und schließen andere Eigentumsbeschränkungen aus. Grundlegend VfSlg 9.911; später zB VfSlg 12.227; aus der Lehre Aicher, Grundfragen 60 ff.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
389
1. ZPEMRK.192 Die Höchstgerichte haben das „allgemeine Interesse“193 bzw das „öffentliche Interesse“194 an der verschmelzenden Umwandlung ebenso wie die Adäquanz und die Verhältnismäßigkeit als Voraussetzung ihrer Zulässigkeit auch ausdrücklich hervorgehoben.195 Nach der Rsp196 ist der Beurteilungsspielraum für den Gesetzgeber bei Eigentumsbeschränkungen größer als bei der Enteignung; das gilt sowohl für das Vorliegen der öffentlichen Interessen als auch für die Folgeabschätzung. ME ist diese Rsp aber für unser Problem, nämlich den Eigentumsentzug durch privatrechtlichen Akt, nicht unmittelbar einschlägig. Denn diese permissivere Haltung wird damit begründet, dass eine Eigentumsbeschränkung ein geringerer Eingriff als der Eigentumsentzug ist;197 gerade dies kann aber für den squeeze-out nicht gelten, weil der Eingriff genau so schwer ist wie bei einer Enteignung ieS. Freilich wird sich zeigen, dass aufgrund der vor allem zu schützenden Vermögensinteressen keine sehr hohen Anforderungen an das öffentliche Interesse am Eingriff gestellt werden sollten. Eigentumsbeschränkungen können grundsätzlich auch ohne Entschädigung vorgenommen werden. Die Lehre geht aber – mit Unterschieden im Einzelnen – davon aus, dass besonders schwere Eigentumsbeschränkungen („materielle Enteignungen“) so wie Enteignungen nur gegen Entschädigung zulässig sind.198 Der VfGH, der eine generelle Entschädigungspflicht bei Enteignungen bekanntlich abgelehnt hat,199 stellt für die Entschädigungspflicht hingegen darauf ab, ob mit der Eigentumsbeschränkung ein „verfassungswidriges Sonderopfer“ verbunden ist,200 nimmt also eine Verhältnismäßigkeitskontrolle vor201 und scheint damit auf Wertungen des Gleichheitssatzes zu rekurrieren.202 In der Sache geht es unabhängig vom dogmatischen Ansatzpunkt um die Entscheidung, ab welchem Schweregrad der Beeinträchtigung des Eigentums eine Entschädigung geboten ist. Für die Abgrenzung sind zahlreiche Theorien entwickelt worden;203 nach allen Abgrenzungsversuchen ist der gänzliche Entzug des Eigentums und damit auch der squeeze-out nur gegen Entschädigung zulässig. Auch der VfGH muss nahezu zwingend zur 192 193 194 195 196 197 198
199 200 201 202 203
Vgl Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rn 38. OGH GesRZ 2004, 387. VfGH wbl 2005, 484. Aus der Lehre zB Kalss, JBl 1995, 433 f. VfGH VfSlg 9.911. Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG 1. ZPEMRK Art 1 Rz 14. Vgl zB Aicher, Grundfragen passim, insbesondere 137 ff; Berka, Grundrechte Rz 725; Korinek in Korinek/Pauger/Rummel, Enteignungsrecht 37 ff; Rill, VVDStRL 51, 193. VfSlg 2.572 ua; vgl Berka, Grundrechte Rz 733 ff. So zB VfGH VfSlg 13.006. Ausgangspunkt war VfGH VfSlg 7.759. So ausdrücklich VfSlg 13.587. Vgl Holoubek, Gewährleistungspflichten 182 f. Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG Art 5 StGG Rz 44, 50. Vgl Aicher, Gutachten zum 9. ÖJT 19 ff.
390
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Entschädigungspflicht kommen, wenn das Eigentum entzogen wird, sei es durch Bescheid, sei es durch privatrechtlichen Gestaltungsakt.204 Auch die Höchstgerichte folgen im gegebenen Zusammenhang dieser Auffassung: Der OGH hält den Gesellschafterausschluss für eine unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung, wenn die Barabfindung für die Ausgeschlossenen dem Ausmaß nach unzureichend ist;205 damit hält der OGH eine Entschädigung jedenfalls für erforderlich. Der VfGH hält fest, dass der Gesetzgeber beim squeeze-out in besonderer Weise für einen Interessenausgleich zu sorgen habe, indem ausscheidende Gesellschafter angemessen abgefunden werden.206 Damit lautet das Zwischenergebnis für den Gesellschafterausschluss: Der Ausschluss oder zumindest die gesetzliche Möglichkeit des squeeze-out muss im öffentlichen Interesse liegen, die Adäquanz und Verhältnismäßigkeit müssen gewahrt bleiben und es hat grundsätzlich eine Entschädigung zu erfolgen. Auf dieser dogmatischen Fundierung soll nun aufgebaut werden. Dabei ist zu beachten, dass auf Ebene der Umsetzung der gesetzlichen Ausschlussmöglichkeit in die Wirklichkeit keine Kontrolle mehr möglich ist.207 Denn der Beschluss über die verschmelzende Umwandlung muss nach nicht sachlich gerechtfertigt sein, womit eine materielle Beschlusskontrolle ausscheidet.208 Das gilt grundsätzlich auch für den Gesellschafterausschluss nach GesAusG;209 dieses Gesetz soll den Ausschluss ohne nachweisbaren wichtigen Grund ermöglichen. Daher kommt eine Prüfung des konkreten Eingriffs in das Eigentum im Gegensatz zur Enteignung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht; Ausnahmen gelten für den Rechtsmissbrauch.210 Es ist daher nach der generellen Rechtfertigung für den Ausschluss einer Minderheit von bis zu 10 % des Grundkapitals zu suchen. 2. Öffentliches Interesse Das öffentliche Interesse am squeeze-out ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Auch die Rechtsprechung zieht sich auf sehr allgemeine Argumentationen zurück. So hat der OGH in einer Entscheidung aus 1998 zur ver-
204 205
206 207 208
209 210
Vgl Korinek in Korinek/Holoubek, B-VG 1. ZPEMRK Art 1 Rz 18. OGH GesRZ 2004, 387. Der OGH hatte dabei wohl noch seinen letzten gesellschaftsrechtlichen Antrag an den VfGH im Auge, bei dem es um die Angemessenheit der Höhe der Abfindung für das Partizipationskapital ging; vgl VfSlg 16.636. VfGH wbl 2005, 484. In diesem Sinn auch BVerfGE 14, 263 „Feldmühle“. OGH wbl 1998, 546; OGH ecolex 1998, 711; Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht Rn 347; Hügel, Verschmelzung 538 f in Fn 31; Koppensteiner, GmbHG Anh § 101 Rn 23. AM nunmehr Koppensteiner, wbl 2001, 9 f; U Torggler, GeS 2006, 109 ff. Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 146; Kalss/Zollner, Squeeze-out § 4 Rz 4. Näher Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 146 ff.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
391
schmelzenden Umwandlung nur vage auf „sachliche (wirtschaftspolitische) Gründe“ abgestellt, die den Eingriff in Mitgliedschaftsrechte rechtfertigen können.211 Der VfGH hat in seinem Erkenntnis zur squeeze-out-Spaltung212 angeführt, dass nach Ansicht des OGH ein Interesse an Strukturbereinigung bei Kapitalgesellschaften besteht. Der VfGH hat von einer eigenen Beurteilung dieser Frage ausdrücklich Abstand genommen, weil er an die vom OGH geltend gemachten Bedenken gebunden sei. Dass der VfGH ein obiter dictum offensichtlich bewusst vermieden hat, könnte Zweifel andeuten. Als Ausgangspunkt gilt jedenfalls: Die Maßnahme liegt auf einer ersten Ebene der Beurteilung im privaten Interesse des durch den Gesellschafterausschluss begünstigten Mehrheitsaktionärs.213 Denn dieser muss danach in der Tochtergesellschaft nicht mehr auf Minderheitsgesellschafter Rücksicht nehmen; das Unternehmen gehört bei wirtschaftlicher Betrachtung nur ihm. Es besteht auch keine Gefahr, dass bei wirtschaftlich bedeutenden Entscheidungen der Hauptversammlung Anfechtungsklage erhoben wird;214 damit kann es zu keiner Aussetzung der Eintragung in das Firmenbuch (vgl § 19 Abs 1 FBG) und den damit verbundenen Verzögerungen kommen. Der Interessenkonflikt zwischen Mehrheit und Minderheit wird durch das UmwG durch den Ausschluss „lästiger“ Minderheitsaktionäre zugunsten des Mehrheitsgesellschafters entschieden.215 Die Führung des Konzerns wird vereinfacht. Dieses vorrangige private Interesse sieht auch der VfGH klar, wenn er festhält, dass der Mehrheitsgesellschafter ein Interesse habe, die Minderheitsgesellschafter hinauszudrängen – und das zu möglichst günstigen Bedingungen.216 Aus der Tatsache, dass primär das Interesse des Mehrheitsgesellschafters geschützt wird, folgt aber noch nicht, dass die Maßnahme nicht doch auch im öffentlichen Interesse liegt, wie schon Ehrenzweig festgehalten hat: „Aber auch der Widerstreit von Privatinteressen kann durch Enteignung gelöst werden, sofern vom volkswirtschaftlichen Standpunkt einem der widerstreitenden Interessen (zB dem der Bergbau- oder der Verkehrsunternehmung) gegen-
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OGH ecolex 1998, 557. Ähnlich unbestimmt zB auch Hügel, wbl 2001, 392. VfGH wbl 2005, 484. In VfSlg 16.636 zum Partizipationskapital ging er ohne Qualifikation von einem öffentlichen Interesse aus, die Kapitalstruktur von Kreditinstituten zu bereinigen. So ganz klar EB zum ÜbRÄG 2006 1334 BlgNR 22. GP 26. So auch BVerf AG 2007, 544; Begründung zum Entwurf eines deutschen Umwandlungsgesetzes 1956, BT II/1953 Ds 2402 (zitiert nach BVerfGE 14, 267 „Feldmühle“); Nowotny, RdW 1999, 761; Forum Europaeum, Konzernrecht 732 ff (wo das Interesse des Mehrheitsgesellschafters in den Mittelpunkt gestellt wird); Lenz/Leinekugel, Eigentumsschutz 61; ähnlich der Bericht der Winter-Gruppe vom 10. Januar 2002 (http://europa.eu.int/comm/internal_market/company/docs/takeoverbids/200201-hlg-report_de.pdf) 70 f. Die an kein Quorum gebunden ist (vgl § 196 Abs 1 Z 1 AktG). Kalss, JBl 1995, 434 f. VfGH wbl 2005, 484.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
über dem andern (etwa dem der landwirtschaftlichen Unternehmung) überwiegende Bedeutung zugeschrieben wird (mittelbares öffentliches Interesse).“217
Dieses öffentliche Interesse liegt darin, dass die Berücksichtigung der Interessen der Minderheit in Zukunft unterbleiben kann. Dadurch können entscheidungsfähige Unternehmensorganisationen geschaffen werden,218 die in einer zusehends schnelllebigen Wirtschaft, in der auch strategische Grundsatzentscheidungen häufig rasch zu fällen sind, einen Wettbewerbsvorteil genießen. Durch diese Flexibilisierung der Unternehmensstruktur kann die Gesellschaft veränderten Wettbewerbsbedingungen besser Rechnung tragen.219 Das liegt grundsätzlich im wohlverstandenen volkswirtschaftlichen Interesse. Ob diese „Strukturverbesserung“ sinnvoll ist, wird durch das UmwG allerdings in das Ermessen des Mehrheitsgesellschafters gestellt.220 Hinzu kommt, dass Synergiegewinne häufig erst durch die Stellung als Alleineigentümer gehoben werden können.221 Diese Synergiegewinne steigern grundsätzlich die soziale Wohlfahrt, wobei es aus effizienzorientierter Sicht nicht entscheidend ist, bei wem die Gewinne anfallen. Das öffentliche Interesse allein genügt freilich nicht. Der Eingriff ins Eigentum muss auch erforderlich sein. Das ist für den squeeze-out nicht sofort ersichtlich. Denn wenn der Ausschluss wertsteigernd ist, dann wäre an und für sich auch ein Vertragsabschluss möglich. Der aus dem positiven Transaktionsbereich resultierende Gewinn würde zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern geteilt. Das würde aber dem verfassungsrechtlichen Grundsatz widersprechen, dass ein Eigentumseingriff nur zulässig ist, wenn ein privatrechtlicher Rechtserwerb scheitert.222 Aber schon modelltheoretisch wird bei rationalem Verhalten der ihren Nutzen maximierenden Marktteilnehmer ein Vertragsabschluss ausbleiben, 217 218 219
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Ehrenzweig, Privatrecht I/2 223. Vgl EB zum ÜbRÄG 2006 1334 BlgNR 22. GP 26 f; Kalss, JBl 1995, 435. Vgl auch für Deutschland BVerfG 100, 289; Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327a AktG Rn 11; Rühland, Ausschluss 121 f; Lenz/Leinekugel, Eigentumsschutz 65. Mit Privatautonomie ieS hat das freilich nichts zu tun (anders Kalss, JBl 1995, 434, 436); denn im Regelfall ist die Privatautonomie des einen ebenso zu respektieren wie die des anderen, weswegen es der Willenseinigung bedarf, um Rechtsfolgen herbeizuführen. Vgl zB Coates, 147 U Pa L Rev 1327 ff (1999): Soweit ein Gesellschafter an einer Gesellschaft mit 100 % beteiligt ist, an einer anderen aber nur mit 90 %, kann er versucht sein, seine Ziele nur mit der ersten Gesellschaft zu verfolgen und die wohlfahrtssteigernden Synergien deswegen nicht auszunützen, weil er sie zum Teil den Minderheitsaktionären abtreten müsste. Insofern kann der Entzug der Gesellschaftsanteile wohlfahrtsfördernde Folgen zeigen. So ist auch für die eigentliche Enteignung Voraussetzung, dass zuvor ein privatrechtlicher Rechtserwerb versucht wurde; VfGH VfSlg 13.579, VfSlg 13.659; Berka, Grundrechte Rn 729.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
393
wenn Minderheitsgesellschafter versuchen, den Transaktionsgewinn weit gehend abzuschöpfen.223 Ganz wie bei der Enteignung (vgl oben 3. Teil IV. B.) geht es um die Gefahr des hold-out. Weiß der Minderheitsaktionär, dass der Mehrheitsgesellschafter gerade seine Aktie braucht, um die unternehmerischen Pläne ungehindert durchsetzen zu können, so befindet er sich in einer Monopolsituation. Damit kommt es zu einer weit gehenden Umverteilung des Nutzens aus der Maßnahme weg von demjenigen, der sie ergreifen kann, und hin zu denjenigen, die substantiell nichts dazu beigetragen haben; in der Sache ist dies ein Problem der free-rider. Wenn Transaktionsgewinne abgeschöpft werden, sinken letztlich die Anreize, wohlfahrtssteigernde Transaktionen vorzunehmen.224 Davor schützt die Möglichkeit des squeeze-out.225 Den Minderheitsaktionären wird durch Verkaufszwang die Möglichkeit strategischen Verhaltens abgeschnitten, durch das sie einen übermäßigen Teil der Gewinne aus der Transaktion für sich beanspruchen können. Diese Schwäche einer Verhandlungslösung lässt sich nur durch einen Eingriff beheben. Hinzu kommt, dass eine sinnvolle Konzentration der Anteile in einer Hand überhaupt unterbleiben kann, wenn mehrere Minderheitsaktionäre versuchen, den Transaktionsgewinn weit gehend abzuschöpfen. Das lässt sich spieltheoretisch nachweisen.226 Gerade dieses unkoordinierte Vorgehen mehrerer Minderheitsgesellschafter ist bei Kapitalgesellschaften noch viel wahrscheinlicher als bei der klassischen Enteignung. Die Pflicht zur Gleichbehandlung, die mit einem gesetzlich geregelten Ausschluss einhergeht, verhindert auch dies. Letztlich ist die Möglichkeit, Minderheitsgesellschafter auszuschließen, auch für das Funktionieren des Markts für Unternehmenskontrolle wesentlich.227 Wenn der Übernehmer einer Aktiengesellschaft oder einer GmbH Transaktionsgewinne schaffen kann, dann muss er auch die Möglichkeit haben, diese Gewinne in der Folge zur Gänze an sich zu nehmen. Das kann er nicht, wenn er weiter auf Minderheitsgesellschafter Rücksicht nehmen muss. Deswegen kann die (wohlfahrtssteigernde) Übernahme im Einzelfall ganz unterbleiben.
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Dh sie wollen nicht nur über ihrem Grenzpreis verkaufen, sondern sich dem Grenzpreis des Käufers weit gehend annähern. Würde es bloß um die Umverteilung des Transaktionsgewinnes zwischen Mehrheit und Minderheit ohne Steuerungseffekte gehen, so wäre dies mE nicht ausschlaggebend. Anders als bei der im öffentlichen Interesse liegenden Enteignung ist die Verteilung der Vorteile zwischen zwei eigennützigen Marktteilnehmern grundsätzlich keine Rechtfertigung für einen Eigentumseingriff. Freilich ist diese Verteilung rechtlich zu regeln, wenn der Eingriff zugelassen wird; unten III. C.2. Für Deutschland Rühland, Ausschluss 125 f. Für England Davies, Introduction 248. Vgl Schäfer/Ott, Lehrbuch 577. Coates, 147 U Pa L Rev 1328 (1999).
394
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Diese Aspekte (Hebung von Synergiegewinnen bzw die Förderung entscheidungskräftiger Unternehmensstrukturen) scheint das GesAusG auch im Auge zu haben. Ein Indiz dafür ist – neben den bereits zitierten Erläuternden Bemerkungen228 –, dass nach § 1 Abs 2 und 3 GesAusG der Ausschluss nur zulässig ist, wenn die Anteile von einem Gesellschafter oder doch innerhalb eines Konzerns gehalten werden. Der Ausschluss durch eine beliebige Mehrheit von 90 % des Grundkapitals wird dadurch grundsätzlich unterbunden. Dabei darf nicht verkannt werden, dass die Gesellschaftermehrheit ihre Anteile in eine Holdinggesellschaft einbringen kann, um dann den Ausschluss herbeizuführen. Das GesAusG behandelt dies nicht; allerdings weisen die Materialien229 darauf hin, dass in solchen Fällen ein Rechtsmissbrauch vorliegen kann.230 Die deutsche Rechtsprechung hat in ähnlicher Weise als denkbaren Fall des Rechtsmissbrauchs angeführt, wenn die dortige Schwelle von 95 % erst aufgrund einer Wertpapierleihe überschritten wird.231
Diese Gründe deuten ein mittelbares, allerdings doch recht schwaches öffentliches Interesse am squeeze-out an; für eine Enteignung zugunsten der öffentlichen Hand könnten sie jedenfalls nicht genügen, weil für diese die strenge Kontrolle am Maßstab der öffentlichen Aufgaben schon deswegen ganz unerlässlich ist, weil dem Staat selbst die Vorteile aus der von ihm sowohl abstrakt als auch individuell vorbereiteten Maßnahme zufließen. Im Vordergrund beim squeeze-out steht hingegen der Interessenausgleich zwischen Ausschließendem und Ausgeschlossenen. Vor einer endgültigen Beurteilung ist es daher erforderlich, auch die zu schützenden Interessen der ausscheidenden Gesellschafter zu untersuchen und zum erforderlichen öffentlichen Interesse in Beziehung zu setzen. Damit ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme angesprochen. 3. Zu schützende Interessen Bei den Interessen der ausscheidenden Gesellschafter, die zu beachten sind, werden üblicherweise Bestands- und Vermögensinteressen unterschieden. Das Vermögensinteresse bezieht sich auf den Wert des Anteils, aber nicht auf seine Substanz. Das Bestandsinteresse hingegen erschöpft sich nicht im wertmäßigen Erhalt der Beteiligung, sondern ist auf die Beteiligung selbst gerichtet. Es liegt auf der Hand, dass der Ausschluss von Gesellschaftern umso leichter zu rechtfertigen ist, je schwächer das Bestandsinteresse ausgeprägt ist.232 Im um-
228 229 230
231
232
EB zu § 1 GesAusG 1334 BlgNR 22. GP 26 f. EB zu § 1 Abs 3 GesAusG 1334 BlgNR 22. GP 27 f. Näher Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 158 ff; Kalss/Zollner, Squeeze-out § 1 Rz 24 ff. OLG München AG 2006, 296; OLG München AG 2007, 173; LG Landshut AG 2006, 513. So auch BVerfG AG 2005, 544.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
395
gekehrten Fall bedarf der Eigentumsentzug aber einer besonders intensiven sachlichen Begründung. Der Ausschluss einer nur kleinen Minderheit erscheint aus dieser Sicht eher gerechtfertigt.233 Denn zumindest der typische Minderheitsaktionär ist kein Unternehmer, sondern entspricht im Regelfall dem Typus „Anleger“, dem es um eine angemessene Rendite bzw um Kurssteigerungen geht.234 Für diesen Gesellschaftertyp ist die Veranlagung in einer anderen, „guten“ Gesellschaft grundsätzlich gleichwertig.235 Bei diesem schwachen Bestandsinteresse kommt es nicht so sehr auf den Schutz der Beteiligung an sich an, sondern auf den Ersatz ihres Wertes, mit anderen Worten: auf die angemessene Entschädigung. Für solche Anleger ist die Vermögensgarantie tendenziell wichtiger als die Bestandsgarantie.236 a) Bestandsinteresse Für die Diskussion, ob der Gesetzgeber sich dem Ziel verschrieben hat, den Ausschluss nur bei geringem Bestandsinteresse der Ausgeschlossenen zu ermöglichen, sind zwei Aspekte zu unterscheiden: einerseits die Höhe der Schwelle, andererseits die vom Ausschlussrecht erfassten Gesellschaften. aa) Ausschlussschwelle Die Schwelle liegt gem § 1 Abs 1 GesAusG bei 90 % des gesamten Grundkapitals; bis zu 10 % können daher ausgeschlossen werden. Das entspricht der österreichischen Regelungstradition,237 ist im internationalen Vergleich aber relativ niedrig; so liegt die erforderliche Beteiligung etwa nach §§ 327 a ff dAktG bei 95 % des Grundkapitals, in der Schweiz sogar bei 98 %.238 Auch in der rechtspolitischen Diskussion vor dem GesAusG wurde verschiedentlich die Anhebung auf 95 % gefordert. 233
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238
Auch das Interesse des Mehrheitsaktionärs am Ausschluss ist natürlich umso stärker, je größer seine Beteiligung ist. Denn die Beteiligung bloß weniger Minderheitsaktionäre verursacht aus seiner Sicht Kosten bzw behindert ihn in seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, ohne seine Finanzierungslast merklich zu erleichtern. So im Ansatz auch schon, aber mit unzulässiger Generalisierung auf „den“ Minderheitsaktionär BVerfGE 14, 263 „Feldmühle“. Differenzierender (insbesondere für Aktionäre aus dem Familienkreis bei Familienunternehmen) BVerfG 2007, 544. Vgl Kalss, JBl 1995, 436. Für Deutschland zB BVerfG NJW 2001, 279 „MotoMeter“; BVerfG AG 2007, 544. Vgl in anderem, aber vergleichbarem Zusammenhang auch Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 153 Rn 131 f. Auch wer vor dem In-Kraft-Treten des GesAusG eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft mit einem Gesellschafter, der mehr als 90 % des Grundkapitals hält, erworben hat, musste mit dem Ausschluss rechnen. Vgl Kraftloserklärung nach Art 33 Börsen- und Effektenhandelsgesetz (BEHG).
396
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Über keinen Schwellenwert lässt sich mit Sicherheit sagen, dass er richtig festgelegt ist; aus verfassungsrechtlicher Sicht kann es ohnehin nur um eine Grobprüfung gehen. Es besteht heute wohl Einigkeit, dass eine Ausschlussbefugnis zugunsten eines Gesellschafters, der bloß über 75 % des Grundkapitals verfügt, problematisch wäre; die Rechtslage nach dem reichsdeutschen UmwG 1934 wäre wohl verfassungswidrig.239 Denn wenn die Minderheit (oder gar nur ein Gesellschafter) die Sperrminorität nur knapp verfehlt, ist es nicht sachrichtig, automatisch davon auszugehen, dass mit einer solchen Beteiligung typischerweise keine unternehmerischen Zielsetzungen verfolgt werden. Die Festlegung der Schwelle mit 90 % dürfte hingegen noch sachgerecht sein. In einer Durchschnittsbetrachtung verfolgen Aktionäre, die mit weniger als 10 % des Grundkapitals beteiligt sind, keine besonderen unternehmerischen Interessen, was dafür sprechen würde, dass neben dem Vermögensinteresse auch das Bestandsinteresse besonders zu schützen wäre. Auch besondere Minderheitenrechte stehen einem Aktionär oder einer Aktionärsgruppe mit einer Beteiligung von weniger als 10 % nicht zu. Dass die Schwelle nicht unsachlich ist, zeigt sich letztlich auch daran, dass die hochrangige Expertengruppe der Europäischen Union für den Bereich des Gesellschaftsrechts240 die Einführung einer Ausschlussschwelle von 90 % nahe gelegt hat. Und Ähnliches sieht Art 15 der Übernahme-RL für den Ausschluss als Folge eines Angebots vor – was freilich aufgrund des im Vergleich zum GesAusG engeren Anwendungsbereich (Ausschlussmöglichkeit als Folge eines Übernahmeangebots für eine börsenotierte Gesellschaft) nicht ohne weiteres verallgemeinert werden kann. Die rechtspolitische Diskussion über die konkrete Höhe der Schwelle ist sicherlich nicht beendet. Verfassungswidrig ist der vom Gesetzgeber gewählte Wert deswegen aber nicht. bb) Erfasste Gesellschaften Für die Umsetzung der Übernahme-RL wäre es nur erforderlich gewesen, das Ausschlussrecht bei börsenotierten Gesellschaften – und auch hier nur als Folge eines Übernahmeangebots – vorzusehen. Für diese Gesellschaften kann der Ausschluss einer kleinen Minderheit verhältnismäßig leicht gerechtfertigt werden. Denn der Minderheitsaktionär, der über die Börse Anteile gekauft hat, ist nicht unternehmerisch interessiert, sondern entspricht im Regelfall dem Typus „Anleger“. Das Leitbild für den Ausschluss ist dann die börsenotierte AG, die als Sammelstelle für anlagesuchendes Kapital dient.
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Kein Problem sah jedoch das BVerfG in seiner (wohl diesbezüglich nicht mehr ganz aktuellen) „Feldmühle“-Entscheidung (BVerfGE 14, 263). Bericht der Winter-Gruppe vom 4. November 2002 (http://ec.europa.eu/internal_ market/company/docs/modern/report_de.pdf) 75. So auch der letztlich gescheiterte Änderungsvorschlag für die Kapital-Richtlinie.
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Das GesAusG geht aber weit darüber hinaus. Auch die nicht börsenotierte AG ist erfasst und241 auch die GmbH. Deswegen darf das Ausschlussrecht nicht nur im kapitalmarktrechtlichen Zusammenhang gesehen werden. Bei der GmbH – und das gilt im Grundsatz auch für die nicht börsenotierte AG – liegt jedoch häufig ein gewisses unternehmerisches Interesse des Minderheitsgesellschafters vor, selbst wenn auch hier die Vermögensinteressen typischerweise überwiegen. Bei beiden Gesellschaftsarten befinden sich die Anteile von weniger als 10 % noch dazu üblicherweise nicht im Streubesitz, sondern in wenigen Händen oder gar bei nur einem Gesellschafter. Nicht einmal Sonderrechte des Minderheitsgesellschafters (zB auf Geschäftsführung) verhindern den Ausschluss,242 obwohl solche Sonderrechte Ausdruck eines Bestandsinteresses sind. Der Gesellschafterausschluss ist unter diesen Rahmenbedingungen wesentlich schwieriger zu rechtfertigen als bei der börsenotierten AG. Das könnte ein ablehnendes Verdikt nahe legen; so lehnen auch Teile des Schrifttums den squeeze-out für diese Gesellschaften ab bzw wollen den Ausschluss zumindest bei der GmbH nur aus wichtigem Grund zulassen.243 Der Gesetzgeber war gegenüber diesen Überlegungen nicht blind,244 versucht die Bedenken aber mit anderen Argumenten zu entkräften. Als Hintergrund ist zunächst noch einmal in aller Klarheit festzuhalten: Die neue Rechtslage hat den squeeze-out auch für diese Gesellschaften nicht eingeführt, sondern im Gegenteil eine deutliche Verschärfung bei den Ausschlussvoraussetzungen vorgenommen. Es wurde bereits angesprochen, dass nunmehr der Ausschluss nicht mehr durch eine beliebige Mehrheit erfolgen kann. Ganz generell wird die Rechtslage für die Minderheit verbessert.245 Letztlich ausschlaggebend ist das aber nicht, weil auch die für Minderheitsgesellschafter vorteilhaftere Rechtslage immer noch den Eigentumsentzug unter den im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen ermöglicht. Die Materialien verweisen zunächst für die GmbH bzw die nicht notierte AG darauf, dass der Ausschluss nach GesAusG dispositives Recht ist. Denn gem § 1 Abs 4 GesAusG kann die für den Ausschluss erforderliche Anteilsquote des Hauptgesellschafters in der Satzung bzw im Gesellschaftsvertrag angehoben werden, ebenso kann der Ausschluss der Minderheitsgesellschafter überhaupt untersagt werden.246 Daneben kommen auch andere, in § 4 Abs 1 241 242
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Im Gegensatz zu §§ 327 ff deutsches AktG. Vgl § 2 Abs 1 GesAusG sowie (zur verschmelzenden Umwandlung) OGH wbl 1998, 546. Für eine Einschränkung des squeeze-out ohne wichtigen Grund auf börsenotierte Gesellschaften zB U Torggler, GeS 2006, 118; für Deutschland zB Hüffer, AktG§ 327a Rz 4a; Fleischer, ZGR 2002, 770 ff. Vgl ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 27. Zusammenfassend Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 60 ff. Eine Ausnahme davon besteht für den Ausschluss nach einem Übernahmeangebot für eine börsenotierte AG, weil für diesen Fall das Ausschlussrecht der Übernahme-RL umzusetzen war; vgl näher § 7 GesAusG.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
GesAusG zumindest zum Teil angesprochene Gestaltungen in Betracht, mit denen der Ausschluss erschwert oder an die Zustimmung einzelner Gesellschafter gebunden werden kann. So können bei der GmbH die Stimmgewichte247 abweichend von der kapitalmäßigen Beteiligung verteilt werden; sowohl bei der GmbH als auch bei der AG kann die Beschlussfassung über bestimmte Tagesordnungspunkte an die Anwesenheit bestimmter Gesellschafter gebunden werden.248 Die Bedeutung der Norm wird damit relativiert. Es geht für die sachliche Rechtfertigung nur darum, was die angemessene Gestaltung ist, wenn die Gesellschafter nichts anderes privatautonom vereinbart haben. Damit kann die Frage zumindest rechtspolitisch nicht gänzlich beiseite geschoben werden; denn auch dispositives Recht muss angemessen sein.249 Allerdings kann das Interesse des Hauptgesellschafters an einer straffen Konzernführung ohne Rücksichtnahme auf Minderheitsgesellschafter eine gesetzliche Norm umso eher rechtfertigen, als die in ihrem Bestandsinteresse betroffene Minderheit sich dagegen wehren kann. Gerade wenn das Bestandsinteresse der Minderheit besonders stark ist, kann ihr diese Aktivität auch zugemutet werden! Wer investieren möchte, kann sein Engagement daher von der Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in den Gesellschaftsvertrag abhängig machen. Das gilt in der Sache nicht nur für neue Investitionen.250 Denn bereits bisher mussten Minderheitsgesellschafter befürchten, zwar nicht nach den Bestimmungen des GesAusG, aber doch durch eine verschmelzende Umwandlung251 oder eine nicht verhältniswahrende Spaltung252 ausgeschlossen zu werden; bereits bisher war es unstrittig, dass die verschmelzende Umwandlung durch den Gesellschaftsvertrag erschwert, aber auch ausgeschlossen werden kann.253 Solche Klauseln wurden Auskünften aus der Praxis zufolge auch des Öfteren in Statuten aufgenommen. § 10 GesAusG ordnet an, dass diese Bestimmungen auch für den squeeze-out nach GesAusG sinngemäß gelten.
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Generell oder nur für diesen Beschlussgegenstand. Vgl zB § 20 Abs 13 der Satzung der Bank Austria Creditanstalt AG betreffend die Anwesenheitspflicht aller Namensaktien bei einer verschmelzenden Umwandlung nach § 2 Abs 1 UmwG; http://www.ba-ca.com/informationspdfs/Satzung_BACA_03_05_07_aktuell.pdf (Stand 13. 9. 2007). Vgl zu Recht U Torggler, Ges 2006, 117. Diesen Aspekt des Eingriffs in bereits bestehende Mitgliedschaftsrechte durch eine gesetzliche Neuregelung des squeeze-out rücken Mülbert/Leuschner, ZHR 2006, 615 in ihrer Abhandlung zum deutschen Verfassungsrecht für den Eigentumsschutz der Mitgliedschaft in den Mittelpunkt. Und dies durchgängig seit 1954; vgl zur Entwicklung Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 6 ff. Seit dem EU-GesRÄG, BGBl 1996/304. § 2 Abs 3 UmwG iVm § 221 Abs 2 AktG; für alle Kalss, Verschmelzung, § 2 UmwG Rz 18.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
399
Weiters verweisen die Materialien auf die missbräuchliche Ausübung des Ausschlussrechts als Rettungsanker für die Rechtsanwendung.254 Es ist angesichts der bekannten Zurückhaltung der Rechtsprechung freilich fraglich, ob dadurch für die Praxis etwas gewonnen ist. Das gilt insbesondere, weil die wissenschaftliche Diskussion zu diesem Problembereich in Österreich255 erst im Anfangsstadium ist.256 Den letzten und mE ganz wesentlichen Punkt schneiden die Materialien nur am Rande an: Wird die Möglichkeit des Ausschlusses nicht gesetzlich geregelt, besteht aber ein diesbezüglicher Bedarf der Mehrheitsaktionäre, so werden in der Praxis andere Mechanismen herangezogen, ohne dass es ein gesetzliches Leitbild gibt, anhand dessen man die Zulässigkeit von und Voraussetzungen für den Einsatz dieser anderen Mechanismen beurteilen könnte. Damit beziehe ich mich zunächst auf die übertragende Auflösung, also den Ausschluss der Minderheit über die Liquidation der Gesellschaft, die zwar rechtstechnisch mühsamer ist, aber zivilrechtlich zum selben Ergebnis führt (oben I. A. 1. e). Fehlt es an einem gesetzlichen Leitbild, so fällt es schwer, Regeln in jenem Zusammenhang zu entwickeln.257 Andere alternative, vielleicht auch besser geeignete Mechanismen würden von der Kautelarjurisprudenz sicher entwickelt werden. Die Materialien sprechen dieses Problem im Zusammenhang mit der formwechselnden Umwandlung einer GmbH in eine Aktiengesellschaft an.258 Wird der Ausschluss auf die Aktiengesellschaft beschränkt, so kann er nach der Umwandlung nicht ohne weiteres zulässig sein, weil der Hauptgesellschafter diese mit seinen Stimmen im Regelfall259 durchsetzen kann.260
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In der Tendenz für die GmbH ähnlich schon Terlitza, Teilfusionen 108 f. Für Deutschland vgl aber die eingehende Diskussion in den aktienrechtlichen Standardwerken, zB Grunewald in MünchKomm AktG § 327a Rn 19 ff. Vgl bisher Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 146 ff; Kalss/Zollner, Squeezeout § 1 Rz 24 ff; Kaindl/Rieder, GesRZ 2006, 261 f; Althuber/Krüger, AG 2007, 197 f; Althuber/Krüger, ecolex 2007, 521; Hödl in HB M & A 541 ff. So auch die Materialien zum GesAusG; vgl ErlRV 1334 BlgNR 22.GP 26. Aus Analogie zum GesAusG bzw zur verschmelzenden Umwandlung gehe ich davon aus, dass diese übertragende Auflösung nur mit einer Mehrheit von 90 % des Grundkapitals beschlossen werden kann; vgl näher zur Analogie zu § 2 UmwG Winner in MünchKomm AktG § 179a Rn 110; Rüffler, Lücken 265 ff; Bachner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 237 Rn 8. 1334 BlgNR 22. GP 27. Etwas anderes gilt, wenn Sonderrechte einzelner Gesellschafter bestehen oder wenn in der GmbH Mehrstimmrechte für die Minderheitsgesellschafter vorgesehen sind; vgl § 245 Abs 2 AktG iVm §§ 50, 99 GmbHG. Vgl die dementsprechende Diskussion in Deutschland, wo der Ausschluss nur bei der Aktiengesellschaft zulässig ist; für alle Grunewald in MünchKomm AktG § 327a Rn 25.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Dagegen kann nicht eingewendet werden, dass der Gesetzgeber solche Vorgehensweisen unterbinden solle, wenn sie entgegen allgemeinen Grundsätzen des Gesellschaftsrechts zu einem Verlust der Mitgliedschaft von Minderheitsaktionären führen. Das erscheint angesichts der zahllosen Möglichkeiten, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann, nahezu unmöglich. So kann nicht am Liquidationsbeschluss angesetzt werden, weil andernfalls eine Übertragung des Unternehmens auf den Hauptgesellschafter dann nicht erfasst wäre, wenn der Liquidationsbeschluss in der Folge unterbleibt. Die Beurteilung solcher und ähnlicher Sachverhalte sollte besser der Rsp überlassen bleiben, der durch das GesAusG immerhin ein Maßstab in die Hand gelegt wird, mit der auch andere Gestaltungen beurteilt werden können. In einer Gesamtbetrachtung erscheint mir die Möglichkeit des Ausschlusses auch bei der GmbH trotz einiger Zweifel als richtig.261 Die Eröffnung unternehmerischer Handlungsfreiheit für den Hauptaktionär und die davon erhofften Wohlfahrtsgewinne vermögen auch bei dieser Gesellschaftsform den Ausschluss zu rechtfertigen, insbesondere angesichts der soeben dargestellten Randbedingungen.262 b) Vermögensinteresse Ist das Bestandsinteresse nach dem soeben Gesagten aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht ausschlaggebend, so bedarf es aber immer noch des Schutzes der Vermögensinteressen der ausscheidenden Gesellschafter. Dieser Zusammenhang ist der richtige Kern der (an sich problematischen)263 Auffassung, dass in der Angemessenheit der Abfindung auch die sachliche Rechtfertigung für den Eingriff ins Eigentum liegt.264 Jedenfalls liegt in der Angemessenheit der Entschädigung eine Schlüsselfrage für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Gesellschafterausschlusses; denn ist die Vermögensgarantie für die Minderheit besonders wichtig, so kann das nur schwach ausgeprägte öffentliche Interesse jedenfalls nur dann genügen, wenn zumindest die vermögensrechtlichen Folgen für die Anleger nicht nachteilig sind.265 Die Entschädigung hat in jedem Fall in dem Sinne „voll“ zu sein, dass den auszuschließenden Minderheitsgesellschaftern alle Vermögensnachteile ersetzt werden; so sind die Worte „angemessene Barabfindung“ in § 1 Abs 1 und § 2 Abs 1 GesAusG jedenfalls zu verstehen. Dem Gesellschafter ist somit zumin-
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Im Ergebnis wie hier (aber ohne nähere Reflexion) schon Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht, 1. Auflage (2003) Rn 223. Vgl Lenz/Leinekugel, Eigentumsschutz 76 ff. Vgl allgemein U Torggler, Ges 2006, 64. Vielleicht OGH ecolex 1998, 557 (der VfGH scheint die Rsp des OGH jedenfalls so zu interpretieren; vgl VfGH wbl 2005, 484); ähnlich Kalss, JBl 1995, 434; dies, ÖBA 2002, 139. So auch das deutsche BVerfG (NJW 2001, 279 „MotoMeter“). Vgl Fleischer/Schoppe, Der Konzern 2006, 336 ff.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
401
dest derjenige Wert zu ersetzen, den sein Anteil hätte, wenn das Unternehmen selbstständig weitergeführt werden würde. Erkennt man an, dass das Privatinteresse am Ausschluss der Minderheitsaktionäre überwiegt, so stellt sich die Frage, ob der Maßstab für die Angemessenheit der Entschädigung nicht sogar strenger sein muss als bei Enteignungen im öffentlichen Interesse.266 Das führt mE zur Annäherung an dasjenige, was bei freiwilligem Verkauf ein typisches Verhandlungsergebnis wäre; dazu näher unten III. C. 2.
Ich habe bei der Diskussion der Enteignungsentschädigung bereits angesprochen, dass die Pflicht zur vollen Entschädigung aller beim Aktionär eintretenden Nachteile auch dazu führt, dass nur wohlfahrtssteigernde Transaktionen durchgeführt werden (oben 3. Teil IV.). Das gilt auch für den Gesellschafterausschluss (hier vielleicht wegen des im Regelfall auf Gewinnmaximierung gerichteten Interesses der Akteuere ganz besonders) und muss hier nicht wiederholt werden.267 Der VfGH hat in seiner Entscheidung zur Squeeze-out-Spaltung268 besonderen Wert auf den Rechtsschutz gelegt. Diese Aspekte hat auch das deutsche BVerfG jüngst besonders betont.269 Dieser Schutz ist durch das GesAusG verbessert worden. Insbesondere ist der sachverständige Prüfer, der vor allem die Angemessenheit der Barabfindung kontrollieren soll, nunmehr vom Gericht zu bestellen und auch auszuwählen (§ 3 Abs 2 GesAusG);270 ebenso sind Gutachten, auf die der Hauptgesellschafter seine Bewertung stützt, offen zu legen (§ 3 Abs 5 Z 3 GesAusG). Der Untersuchung des angemessenen Schutzes der Vermögensinteressen wird der Rest dieses Abschnittes gewidmet sein. Zunächst sind die verfassungsrechtlichen Überlegungen noch zusammenzufassen und die Schlüsse aus ihnen darzustellen. 4. Schlussfolgerungen Öffentliche Interessen am Gesellschafterausschluss bestehen zwar (oder können doch zumindest typischerweise bestehen), sind aber nicht deutlich ausgeprägt. Eine Kontrolle im Einzelfall scheidet aus, weil der Gesellschafterbe266
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So im Ergebnis auch BVerfGE 14, 263 „Feldmühle“. Das BVerfG geht freilich von einem anderen Ausgangspunkt aus, weil nach in Deutschland hL wegen der Sozialbindung des Eigentums bei der Enteignung im öffentlichen Interesse auch weniger als die volle Entschädigung verfassungsrechtlich genügt; dies hat er für die verschmelzende Umwandlung nach UmwG 1956 jedoch verneint. Vgl Subramanian, 115 Yale L J 35 (2005). VfGH wbl 2005, 484. BVerfG AG 2007, 544. Die diesbezügliche Norm führte zu einer Änderung der Firmenbuchpraxis bei der Bestellung sachverständiger Prüfer im Umgründungs- bzw Sacheinlagenrecht führen; vgl näher Winner/Oberhofer, GesRZ 2007, 34.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
schluss nicht auf sachliche Rechtfertigung (anhand welchen Maßstabs?) zu überprüfen ist. Das erscheint auf den ersten Blick bedenklich. Ich meine jedoch, dass der Aspekt des Entzugs im öffentlichen Interesse im gegebenen Zusammenhang nicht übermäßig betont werden sollte. Zu Recht wird angemerkt,271 das nicht der gleiche Maßstab wie beim grundrechtlichen Schutz des Eigentums vor Zugriffen durch den Staat angewendet werden darf, wenn es in der Sache um den Interessenausgleich zwischen Privaten geht. Vielmehr gehe es beim Eigentumsschutz in diesem Zusammenhang um zwei Gebote für den Gesetzgeber: praktische Konkordanz – der Erfassung und Begrenzung der kollidierenden Grundrechtspositionen – und Äquidistanz zu den einander gegenüberstehenden Interessen.272 Die Zugriffsbefugnisse des Mehrheitsaktionärs sind mit ausreichenden Schutzmechanismen für die Minderheit zu versehen.273 Daraus ist freilich nicht der Umkehrschluss zu ziehen, dass das öffentliche Interesse am Entzug des Eigentums als grundrechtliche Voraussetzung in solchen Fällen völlig übergangen werden kann und nur auf einen angemessenen Vermögensschutz abzustellen ist. In der Sache sollte zumindest im gegebenen Zusammenhang des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre274 für verfassungsrechtliche Zwecke ein bewegliches System beachtet werden. Die Elemente des Systems sind: − Öffentliches Interesse; − Bestandsinteresse des vom Entzug des Eigentums Betroffenen; − Angemessenheit des Ausgleichs der Vermögensinteressen. Ein nur schwach vorhandenes Element kann durch ein anderes, stark ausgeprägtes kompensiert werden. Ein schwaches öffentliches Interesse vermag nach dieser Ansicht für die Verfassungsmäßigkeit des Gesellschafterausschlusses zu genügen, wenn auch das Bestandsinteresse der Gesellschafter nur schwach ausgeprägt ist und der Schutz der Vermögensinteressen in einer Art und Weise gewährleistet ist, wie sie dem Vertragsabschluss grundsätzlich gleichwertig ist. Das gilt mE auch, wenn es den Minderheitsgesellschaftern möglich ist, ihre Bestandsinteressen durch privatautonome Akte abzusichern. Das hat letztlich auch Auswirkungen für die Auslegung der einfachgesetzlichen Rechtslage: Soweit Unklarheiten bestehen, ist jene Auslegung zu wählen, die dem Vermögensschutz der Minderheitsgesellschafter am besten entspricht.
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Freilich zur diesbezüglich etwas abweichenden deutschen Rechtslage; vgl jüngst die Überlegungen des BVerfG (AG 2007, 544) zum „legitimen Zweck“. Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 51 ff. Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 57. Freilich könnten diese Gedanken auch im Zusammenhang mit anderen Fragen des Eigentumsentzugs fruchtbar gemacht werden.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
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B. Das angemessene Umtauschverhältnis bei der Verschmelzung 1. Grundlagen Die Verschmelzung dient typischerweise anderen Zwecken als der Gesellschafterausschluss. Beim squeeze-out kommt es grundsätzlich zu keiner Änderung des betriebenen Unternehmens; die Übertragung erfolgt zumeist auf eine Holding, die kein eigenes Unternehmen betreibt. Die Minderheitsgesellschafter scheiden gegen eine bare Abfindung aus. Die Parallelen zur Enteignung liegen auf der Hand. Ganz anders die Verschmelzung. Beabsichtigt ist – zumindest beim gesetzlichen Leitbild der Konzentrationsverschmelzung – die Zusammenführung bisher getrennt betriebener Unternehmen. Auch bei der Konzernverschmelzung kommt es im Regelfall zu einer Zusammenführung von zwar in derselben Unternehmensgruppe, aber durch unterschiedliche Rechtsträger betriebenen Unternehmen. Normalerweise liegt auch der Konzernverschmelzung daher eine Änderung des organisatorischen Aufbaus zugrunde; anderes gilt nur, wenn an der Verschmelzung reine Holding-Gesellschaften oder doch Gesellschaften ohne eigenes betriebliches Vermögen beteiligt sind. Aber nicht nur die Unternehmen werden bei einer Verschmelzung zusammengeführt, sondern auch die Aktionärskreise der Gesellschaften; die Verschmelzung ist mitgliedschaftserhaltend konzipiert. In der Sache liegt daher aus Sicht der Aktionäre kein Entzug des Eigentums vor, sondern eine Änderung der betriebenen unternehmerischen Substanz und eine Verbreiterung des Aktionariats, ganz ähnlich wie bei der Aufnahme neuer Gesellschafter im Rahmen einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage. Es gibt keinen „Verlust einer Rechtsposition“.275 Damit ist dem Vergleich mit der Enteignung oder der enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkung der Boden entzogen. Die verfassungsrechtlichen Fragen stellen sich auch nicht annähernd mit gleicher Schärfe wie beim Gesellschafterausschluss und sollen in der Folge daher nicht vertieft werden. Die Festlegung des Umtauschverhältnisses ist aus Sicht der Aktionäre der beteiligten Gesellschaften die bedeutendste Entscheidung bei der Verschmelzung. Das Umtauschverhältnis ist, wie es das Gesetz im Zusammenhang mit der Verschmelzungsprüfung und dem Rechtsschutz erwähnt (vgl zB § 220b Abs 4, § 225c Abs 1 AktG), angemessen festzulegen.276 Was soll aber „angemessenes Umtauschverhältnis“ in diesem Zusammenhang bedeuten? Ist eine ähnlich strikte Determinierung wie beim squeeze-out erforderlich oder genügt es, ähnlich wie im allgemeinen Zivilrecht, eine Exzesskontrolle vorzunehmen und im Übrigen auf die Richtigkeitschance des Vertragsmechanismus zu vertrauen?
275 276
Anders aber BVerfG WM 2007, 1520. Für alle Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 10.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Die Interessenlage ist klar: Für die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft geht es darum, dass die von ihnen aufgegebene Beteiligung nicht mehr wert sein soll als diejenigen Anteile, die sie nach der Verschmelzung halten. Aus Sicht der Anteilsinhaber der übernehmenden Gesellschaft geht es – ganz so wie bei der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage –277 darum, dass ihre Beteiligung nach der Einbringung des Vermögens nicht weniger wert sein soll als davor. 2. Meinungsstand Nähere Determinierungen finden sich zum Begriff „angemessenes Umtauschverhältnis“ nicht. Aus § 220b AktG über die Verschmelzungsprüfung geht aber hervor, dass die Festlegung des Umtauschverhältnisses aufgrund von „Methoden“ zu erfolgen hat; damit ist die im Regelfall erforderliche Unternehmensbewertung angesprochen.278 Das Umtauschverhältnis ist also nach den tatsächlichen Werten der Unternehmen der beteiligten Gesellschaften zu bestimmen, ohne dass die Methode der Bewertung vorgegeben ist; Vorrang genießt nach herrschender Lehre allerdings die Ertragswertmethode.279 Was das konkret bedeutet, ist durchaus strittig. Einerseits könnten die Unternehmenswerte auf Basis einer Bewertung stand alone zueinander in Beziehung gesetzt werden, woraus sich das Umtauschverhältnis für alle Anteilsrechte an der übertragenden Gesellschaft ergibt; durch Division durch die Aktienzahl ergibt sich das Umtauschverhältnis pro Aktie. Etwaige Spitzen sind bei der Aktiengesellschaft280 durch bare Zuzahlungen auszugleichen, die aber insgesamt nicht mehr als 10 % des anteiligen Betrags der als „Tauschwährung“ verwendeten Aktien betragen dürfen (§ 224 Abs 5 AktG). Nach dieser Ansicht,281 der in der Praxis der Bewertungsgutachten und Prüfberichte zumeist gefolgt wird, ist das Umtauschverhältnis grundsätzlich nicht Verhandlungssache, sondern ergibt sich automatisch aus der Bewertung.282 Die Strenge der Auffassung wird freilich dadurch abgemildert, dass die Bewertung üblicherweise nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt, sondern nur eine Bandbreite angibt, innerhalb derer der Unternehmenswert liegt. Im Ergebnis wird bei den natürlich dennoch stattfindenden Verhandlungen über das Umtauschverhältnis in Wirklichkeit über die vorgelagerten Unternehmensbewertungen diskutiert.
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Vgl schon Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 81. Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 11. Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 11. Bei der GmbH können die Geschäftsanteile auf beliebige Beträge lauten, weswegen ein Barausgleich nach richtiger Ansicht nicht zulässig ist; vgl Koppensteiner, GmbHG § 96 Rn 10 mwN. Vgl die Darstellung bei Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 11; Kalss/Winner, ÖBA 2000, 62. Sehr kritisch zu diesen Modellvorstellungen Hügel, Verschmelzung 161 ff.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
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Demgegenüber halten wichtige Stimmen in der Literatur fest, dass die relativen Unternehmensbewertungen nur ein Anhaltspunkt für die Festlegung des Umtauschverhältnisses sein können. Vielmehr seien auch das unterschiedliche Verhandlungsgeschick und die jeweiligen Machtpositionen zu berücksichtigen.283 Freilich bleibt bei diesem Ansatz letztlich offen, wie weit diese Berücksichtigung gehen darf, damit das Verhältnis noch angemessen ist. Einen bedeutenden Schritt hat für Österreich284 – soweit ersichtlich – erstmals Hügel unternommen.285 Er lehnt die Überprüfung des Umtauschverhältnisses für die Konzentrationsverschmelzung bisher nicht verbundener Unternehmen als nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Privatautonomie überhaupt ab. Das Umtauschverhältnis sei Ergebnis eines Verhandlungs- und Preisbildungsprozesses und dieser trage so wie im allgemeinen Zivilrecht eine Richtigkeitsgewähr in sich; nach Hügels Schlussfolgerung muss daher jedes oder doch nahezu jedes Verhandlungsergebnis angemessen sein. Im Übrigen führt Hügel an, dass sich die überstimmten Gesellschafter in vergleichbaren Situationen, wie zB dem Verkauf des gesamten Vermögens, ganz ähnliche Verwässerungen gefallen lassen müssen, ohne dass ihnen ein Anspruch auf Ausgleich zukäme; das eröffnet freilich grundsätzlich die Frage, ob in solchen Fällen nicht ohnehin Analogien zum Verschmelzungsrecht vorzunehmen sind.286 Angesichts der seit den Ausführungen Hügels geänderten Rechtslage kann die Einschränkung der Überprüfungsmöglichkeit auf Konzernverschmelzungen nur ein rechtspolitisches Desideratum sein. Freilich kann man als wesentliche Erkenntnis aus seinen Ausführungen mitnehmen, dass für die Beurteilung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses im Rahmen der Zusammenführung unabhängiger Gesellschaften andere, liberalere Maßstäbe anzulegen sind als bei Verschmelzungen bei bereits bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen. Das soll den folgenden Ausführungen eine wichtige Leitlinie sein. 3. Konzernverschmelzung/Verschmelzungen mit sonstigen Interessenkonflikten a) Volle Kontrolle des Umtauschverhältnisses Zunächst kann eine Richtigkeitschance überhaupt nur bestehen, wenn die Parteien des Vertragsabschlusses voneinander unabhängig sind. Das ist aus der zivilrechtlichen Dogmatik bekannt; auch dort führen Ungleichgewichtslagen
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Grünwald in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art I Verschmelzung – Handelsrecht Rn 29. Ähnlich Szep in Jabornegg/Strasser, AktG § 220 Rn 9. Für Deutschland vgl schon Immenga, BB 1970. 631 ff; Martens in FS Röhricht 987 ff, insbesondere 1001 ff. Hügel, Verschmelzung 157 ff. Dazu auch Bachner, Bewertungskontrolle 121 f. Vgl zu diesem Thema vor allem Rüffler, Lücken 203 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
zwischen den Parteien zu einer vertieften inhaltlichen Kontrolle der Angemessenheit des Vertrags (vgl oben 2. Teil VI.). Ganz ähnlich ist es im Gesellschaftsrecht schon beim normalen Vorstandshandeln. Vom Vorstand abgeschlossene Rechtsgeschäfte unterliegen grundsätzlich keiner vollen Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit; auch unangemessene Rechtsgeschäfte der Gesellschaft mit einem Dritten werden nicht rückabgewickelt, sondern können allenfalls Haftungsfolgen für den Vorstand nach § 84 AktG auslösen. Das gilt grundsätzlich auch für den Unternehmenskauf, sei es als asset deal sei es als share deal. Das gilt freilich nicht, soweit die Rechtsgeschäfte mit dem Großaktionär selbst abgeschlossen werden. Hier führt das Verbot der Einlagenrückgewähr gemäß § 52 AktG, § 82 GmbHG im Ergebnis zu einer Überprüfung der inhaltlichen Angemessenheit des Rechtsgeschäfts: Das Rechtsgeschäft hat dem so genannten Drittvergleich standzuhalten, muss also im Regelfall zu marktüblichen Bedingungen abgeschlossen werden.287 Fehlt es an der so verstandenen Angemessenheit, so hat das Rechtsgeschäft mit dem nach der gesetzgeberischen Wertung nicht schutzwürdigen Aktionär keinen Bestand.288 Der Schutz der Minderheit erfordert nach dieser gesellschaftsrechtlichen Konzeption eine volle richterliche Überprüfung von Verkehrsgeschäften daher nur, wenn der Vertragspartner bereits mit der Gesellschaft als Aktionär289 verbunden ist. Die besondere Bedeutung des Verbots der Einlagenrückgewähr ergibt sich für Österreich daraus, dass Gesellschaften (auch bei Börsenotierung) üblicherweise nicht im Streubesitz stehen, sondern von einem Mehrheits- oder Kernaktionär beherrscht werden.290 Gerade in dieser Situation bedarf es eines besonderen Schutzes der Minderheit. Damit allein ist es freilich nicht getan, wenn die Rechtsdurchsetzung aus rechtlichen Gründen291 oder doch aufgrund der ökonomischen Anreize292 durch die Minderheit nicht effektiv sein kann.293
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Zur Darstellung der unterschiedlichen Konzeptionen vgl Doralt/Winner in MünchKomm AktG § 57 Rn 235 ff. Zu den strittigen Rechtsfolgen vgl zB Doralt/Winner in MünchKomm AktG § 62 Rn 120 ff; Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 56 Rn 8 ff; Reich-Rohrwig, Einlagenrückgewähr 133 ff. Oder doch zumindest als dem Aktionär nahe stehende Person. Jüngst dazu Wackerbarth, ZGR 2005, 686. Vgl aber die Geltendmachung durch eine Minderheit von 10 % gemäß § 122 Abs 1 AktG. Vgl das Risiko der vollen Kostentragung gemäß § 123 Abs 4 und 5 AktG, wohingegen auch bei erfolgreichem Ausgang die Gesellschafter nur anteilsmäßig profitieren, da die Klage zur Leistung des Aktionärs an die Gesellschaft und nicht an die Gesellschafter führt. Im Überblick zur österreichischen Rechtslage Doralt/Winner in MünchKomm AktG § 62 Rn 149 ff.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
407
Das eröffnet auch für die Verschmelzung wertvolle Erkenntnisse. Bei einer Konzernverschmelzung ist die Sachlage dem Verkehrsgeschäft mit dem Aktionär vergleichbar; die Minderheitsaktionäre der übertragenden Gesellschaft sind davor zu schützen, dass der (oder die) Aktionär(e) der übernehmenden Gesellschaft sich durch die Festlegung unangemessener Verschmelzungsbedingungen einen Vorteil zuwendet (zuwenden). Denn erhalten die Minderheitsaktionäre der übertragenden Tochtergesellschaft294 weniger Aktien, als ihnen angesichts des Wertverhältnisses der Gesellschaft zustehen würde, so steigt der Wert der Beteiligung der Altaktionäre der übernehmenden Gesellschaft proportional zu der Verkürzung. Dazu kommt die Verteilung der Beschlusszuständigkeiten. Im Gegensatz zum Verkehrsgeschäft zwischen der Gesellschaft und ihrem Aktionär kommt dem Vorstand der Tochtergesellschaft bei der Verschmelzung auch theoretisch nur ein geringer eigenständiger Handlungsspielraum zu, weil für die Verschmelzung das Einverständnis des Hauptaktionärs, der letztlich auch über das weitere berufliche Schicksal des Vorstandsmitglieds entscheidet, erforderlich ist. Die Bedingungen, zu denen die Zusammenführung stattfindet, und hier insbesondere das Umtauschverhältnis richten sich weit gehend nach den Vorstellungen des Hauptaktionärs. Mit dem Blick auf die Konzernverschmelzung allein ist es aber nicht getan. In der Sache geht es um alle jene Fälle, in denen die Willensbildung in den beiden Gesellschaften nicht unabhängig voneinander erfolgt.295 Dazu bedarf es nicht zwingend eines Konzernverhältnisses. Schon Personenidentitäten oder Organverflechtungen zwischen den Gesellschaften genügen. So ist es zB für den MBO typisch, dass die Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft gleichzeitig Manager der Zielgesellschaft sind; soll der MBO über eine Verschmelzung ablaufen, kontrollieren diese Manager den Informationsfluss an die Gesellschafter der Zielgesellschaft. Die Beispiele ließen sich nahezu beliebig fortführen. Solche Fallkonstellationen genügen, um das Vertrauen in die Richtigkeitsgewähr des Vertragsabschlusses so zu erschüttern, dass jedenfalls eine volle Kontrolle der Bedingungen des Rechtsgeschäfts auf Basis klarer Maßstäbe erforderlich ist. Besondere Bedeutung hat dies mE für die Beurteilung der Zuordnung von Synergien und für den zu wählenden Bewertungsstichtag; vgl dazu unten III. C. und III. B. 4. Abzustellen ist daher auf die unabhängige Willensbildung zwischen den Gesellschaften. Wenn in den folgenden Ausführungen die Verschmelzung innerhalb eines Konzerns in den Mittelpunkt gestellt wird, dann sollen andere Fallkonstellationen nicht verdrängt werden. Vielmehr werden anhand des
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Auch wenn die Tochtergesellschaft übernehmende Gesellschaft ist, ändert sich an der Argumentation in der Sache nichts. Kalss, Gutachten 16. ÖJT 45 f.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Idealtypus der abhängigen Willensbildung die Probleme für die Festlegung des Umtauschverhältnisses fokussiert. b) Exkurs: Zur Mehrheitsbildung Die Verschmelzung ist grundsätzlich ein Vertrag zwischen den betroffenen Gesellschaften. Daher bedarf die Konzernverschmelzung auch der Zustimmung des Mehrheitsaktionärs. Davon ist die Frage zu unterscheiden, wie die Beschlussfassung auf Ebene der abhängigen Gesellschaft erfolgt. Dieser Beschluss ist im Regelfall von vornherein zum Erfolg verurteilt, weil der Gesellschafter und damit der Verschmelzungspartner der Konzernverschmelzung nach ganz herrschender Lehre bei der Abstimmung über die Verschmelzung mitstimmen darf. Die nahe liegende Lösung, dass das Stimmrecht der Konzernobergesellschaft in der Gesellschafterversammlung der Konzerntochter in diesen Fällen ruht, kommt zumindest bei der Aktiengesellschaft nicht in Betracht.296 Denn § 114 Abs 5 AktG enthält seit dem AktG 1937297 kein Stimmverbot, wenn es um die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit einem Aktionär geht.298 Ein allgemeines Prinzip des Stimmrechtsausschlusses bei Interessenkollision ist aus § 114 Abs 5 AktG nicht abzuleiten;299 vielmehr ist nur die begrenzte Einzelanalogie zulässig, wenn ausreichend formalisierte Regeln aufgestellt werden können, unter welchen Voraussetzungen das Stimmrecht ruht.300 Die Analogiebasis fehlt bei der Verschmelzung. Anderes könnte auf den ersten Blick für die Beschlussfassung über die Verschmelzung bei der GmbH gelten, wo ein Stimmverbot eines Gesellschafters besteht, wenn über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit ihm Beschluss gefasst wird (§ 39 Abs 4 GmbHG). Die ganz überwiegende deutsche Lehre verneint aber ein solches Stimmverbot,301 im Ergebnis wohl weil der Schutz der Minderheit auf andere Art verwirklich wird. Die Mindermeinung302
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Vgl Kalss, Verschmelzung § 221 AktG Rn 6. Zur Entwicklung vgl Zöllner, Grenzen 149 ff. S Schmidt in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 114 Rn 11; vgl auch Immenga, BB 1970, 631; Hüffer, AktG § 136 Rn 17. OGH RdW 1996, 207. S Schmidt in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 114 Rn 56. Lutter/Drygala in Lutter/Winter, UmwG § 13 Rn 20; Gehling in Semler/Stengel, UmwG § 13 Rn 38 mwN; Reichert in Semler/Stengel, UmwG § 50 Rn 15; Koppensteiner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG §47 Rn 72. Das hängt auch mit der traditionellen Einteilung der Verschmelzung als „sozialrechtliches Rechtsgeschäft“ zusammen; vgl Zöllner, Schranken 225 ff; Römermann in Michalski, GmbHG § 47 Rn 225 ff. Vor allem Zöllner, Schranken 252 f; ders in Baumbach/Hueck, GmbHG § 47 Rn 90; Römermann in Michalski, GmbHG § 47 Rn 286 f (allerdings seine Ansicht fälschlich als hM bezeichnend); Immenga, BB 1970, 631 f. Vorsichtig auch Roth in
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
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spricht sich für ein Stimmverbot aus und stellt vor allem auf die Interessenkollision ab, die derjenigen bei Kaufverträgen entspricht. Für Österreich ist es mE klar, dass die Konzernobergesellschaft bei der Verschmelzung ihr Stimmrecht ausüben kann.303 Das ergibt sich zunächst schon dadurch, dass mit der Aufgabe des Einstimmigkeitserfordernisses die Verhinderung der Beschlussfassung nicht mehr in die Hände der Minderheit gelegt werden sollte – ein ähnliches Ergebnis würde aber durch eine Abstimmung bloß der außenstehenden Gesellschafter erreicht. Zum gleichen Ergebnis kommt man, wenn man der vom OGH vertretenen Abgrenzung nach dem Nachteiligkeitskriterium folgt;304 denn das Verfahren zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses dient gerade der Vermeidung dieser Nachteiligkeit für die überstimmte Minderheit.305 Im Ergebnis entscheidet daher der Mehrheitsaktionär sowohl bei der Aktiengesellschaft als auch bei der GmbH für beide vertragsschließenden Parteien. Diese Möglichkeit wird in der neueren rechtsökonomischen Literatur kritisch beurteilt.306 Die Überlegungen gehen zwar nicht unmittelbar von Verschmelzungen aus, sondern erfassen Fallgestaltungen, bei denen bei Abschluss eines normalen Rechtsgeschäfts ein Interessenkonflikt zwischen dem Mehrheitsaktionär und der Gesellschaft besteht, insbesondere weil der Mehrheitsaktionär aus dem Geschäftsabschluss Vorteile zieht. Das307 wird üblicherweise als self dealing bezeichnet. Zahlreiche Staaten, insbesondere des angloamerikanischen Rechtskreises,308 verlangen in diesem Zusammenhang die Zustimmung der unabhängigen Aktionäre vor Durchführung der Transaktion, mit anderen Worten das Ruhen der Stimmrechte des beherrschenden Aktionärs bei der entsprechenden Abstimmung. Andere versuchen über – mehr oder weniger wirksame – Austrittsrechte (appraisal rights) den Schutz der Minderheitsaktionäre herbeizuführen. Möchte die österreichische Rechtsordnung und hier insbesondere das Aktienrecht nicht im Wettbewerb um das anlagesuchende Kapital ins Hintertreffen geraten,309 so könnte hier rechtspolitisch eine Neu-
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Roth/Altmeppen, GmbHG § 47 Rn 67. Früh schon Müller-Erzbach, Umgestaltung 12 f. Wie hier Kalss, Verschmelzung § 98 Rn 1; Koppensteiner, GmbHG § 98 Rn 3; Rüffler; Lücken 146; S Schmidt, Stimmverbote 50 f. Vgl zB SZ 47/143; SZ 59/53; SZ 69/254. Kritisch zu diesem Ansatz zB Rüffler, Lücken 144 ff. Darauf abstellend auch Rüffler, Lücken 146. Vgl auf Basis einer allerdings abweichenden Fallgestaltung Djankov/La Porta/ Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing passim. Ich danke Georg Eckert für den Hinweis auf diese Studie. Teilweise wird auch eine engere Begriffsbildung vorgezogen und self dealing auf Transaktionen mit Interessenkonflikt der directors beschränkt; so vor dem Hintergrund des englischen Rechts zB Davies, Introduction 170 ff. Vgl insbesondere Punkt 11 der Listing Rules der FSA für börsenotierte Gesellschaften; dazu unten VII. B. 1. In einem recht rohen, aber eventuell einflussreichen „anti-self-dealing-Index“ in der genannten Studie von Djankov et al liegt Österreich auf einem der schlechtes-
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
orientierung angezeigt sein. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit, die sich vor allem mit der lex lata beschäftigt, kann hingegen allenfalls eine gewisse Akzentverschiebung erreicht werden; unten VI. B. 4. Konzentrationsverschmelzung a) Ausgangslage Anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn der Übergang in ein anderes Rechtsverhältnis zwar aufgrund der Wirkung des Abstimmungsergebnisses gegen den Willen des Betroffenen, aber zumindest dem Grundsatz nach durch eine Verhandlungslösung zwischen voneinander unabhängigen Gesellschaften erfolgt. Damit ist die Konzentrationsverschmelzung gemeint, in der Praxis unscharf auch „merger of equals“ genannt,310 bei der zwei Gesellschaften mit unabhängigen Gesellschafterkreisen zusammengeführt werden. Hier spricht der Vergleich mit normalen Verkehrsgeschäften und mit dem Unternehmenskauf durch die Gesellschaft dafür, dass auch für die Beurteilung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses eine mehr an allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts orientierte Lösung angebracht ist. Denn warum soll die Entscheidung über die Bedeutung des Äquivalenzprinzips in der Sache wesentlich anders sein, wenn bei der Übernahme eines Unternehmens statt Geld junge Aktien angeboten werden? Auf diese Wertungsprobleme hat insbesondere Hügel in seiner Habilitationsschrift, die freilich vor dem EU-GesRÄG entstanden ist, aufmerksam gemacht.311 Die Konzentrationsverschmelzung will er grundsätzlich von der Überprüfung des Umtauschverhältnisses frei gestellt sehen. Nur eine Überprüfung des Umtauschverhältnisses auf „Stichhaltigkeit“ kommt für ihn in Frage,312 womit er sich den Grundsätzen des allgemeinen Privatrechts annähern möchte. Dass eine Überprüfung des Umtauschverhältnisses auf Angemessenheit vorzunehmen ist, ergibt sich bereits aus dem Gesetzestext, der in den relevanten Passagen (oben I. B. 1.) nicht zwischen Konzern- und Konzentrationsverschmelzungen unterscheidet. Freilich kann die Frage der Rechtfertigung einer Angemessenheitskontrolle von Verschmelzungsverträgen nicht mit diesem Argument als für die lex lata nicht ausschlaggebend abgetan werden; das gilt ganz abgesehen von der rechtspolitischen Dimension der Frage. Denn es ist zumindest denkbar, dass das Wort „angemessen“ eine unterschiedliche Bedeutung haben kann, je nachdem, ob dem Vertrag eine Richtigkeitsgewähr bzw -
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ten Plätze gemeinsam mit Rechtsordnungen, mit denen sich Österreich normalerweise nicht vergleicht. So zB Lutter/Drygala in Lutter/Winter, UmwG § 5 Rn 24. Verschmelzung 161 ff. Hügel, Verschmelzung 174 f.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
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chance zukommen kann oder – wie vor allem bei der Konzernverschmelzung – nicht.313 b) Stellungnahme Wenn bei der Konzentrationsverschmelzung eine besondere Überprüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses vorgesehen ist, so müsste sich dies grundsätzlich mit einer besonderen Gefährdung der (überstimmten) Aktionäre erklären, wie sie bei anderen Transaktionen vergleichbaren Gewichts nicht gegeben ist. Es ist, mit anderen Worten, zu identifizieren, warum die Konzentrationsverschmelzung so viel gefährlicher ist als der Erwerb des Unternehmens gegen Barzahlung. aa) Ausgabe junger Aktien als Regelungsproblem Im Ergebnis ist die grundsätzliche Fragestellung freilich nicht auf die Verschmelzung beschränkt. Vielmehr geht es bei allen Fällen der Ausgabe von jungen314 Aktien gegen Einbringung eines Unternehmens grundsätzlich um dasselbe Problem.315 Rechtlich werden die Fälle insofern auch gleich behandelt, als ein Aktionärsbeschluss erforderlich ist; auch ist in allen Fällen anerkannt, dass die Ausgabe der jungen Aktien nur zu angemessenen Bedingungen erfolgen soll. Unterschiede bestehen aber – zumindest nach den relevanten Gesetzestexten – bezüglich der Information der Aktionäre und den Rechtsschutzmechanismen. Hierbei geht es insbesondere darum, ob der besondere Rechtsschutz des Verschmelzungsrechts auch auf die Einbringung des Unternehmens gegen Sachkapitalerhöhung anwendbar ist oder ob es diesbezüglich bei der Anfechtung des Beschlusses bleibt, wenn Leistung und Gegenleistung nicht angemessen sind.316 Jedenfalls geht es in all diesen Fällen darum, dass der überstimmte Gesellschafter ein von ihm nicht gewolltes Beschlussergebnis vermögensmäßig mittragen muss und dass ihm deswegen ein Schutz gegen unangemessene Bedingungen zukommen soll. Rechtspolitisch ist eine Vereinheitlichung jedenfalls angezeigt. bb) Keine größere Gefährdung bei Verschmelzung Vergleichen wir die Gefährdung des überstimmten Aktionärs in diesen Fällen mit dem Kauf eines Unternehmens, der nur auf einer Verwaltungsentschei313
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So in der Sache schon (allerdings zur Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage) Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 79 ff. Wie § 65 Abs 1b AktG zeigt, stellen sich dieselben Fragen aber auch bei der Veräußerung eigener Aktien, wenn der Vorstand diese als Akquisitionswährung einsetzen möchte. Und zwar letztlich auch dann, wenn die Gesellschafter ihre Kompetenz durch eine Ermächtigung nach § 169 AktG an die Verwaltung delegieren. Vgl dazu zB Bachner, Bewertungskontrolle 162; Rüffler, Lücken 367 ff; Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 115 f.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
dung beruht. Gefährdet ist die Vermögensposition der Gesellschafter in beiden Fällen, wenn der Vorstand das zu übernehmende Unternehmen317 zu hoch bewertet. In beiden Fällen erleiden die Aktionäre eine vermögensmäßige Verwässerung; bei der Verschmelzung kommt hinzu, dass die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft nach der Transaktion an der übernehmenden Gesellschaft mit einem überproportionalen Anteil im Vergleich zum Wert ihres Unternehmens beteiligt sind. Zunächst zum Argument der Verwässerung der Vermögenssituation. Hier besteht für die Aktionäre der korrekt bewerteten Gesellschaft bei der Verschmelzung keineswegs eine größere Gefahr als beim Kauf des Unternehmens gegen Barzahlung. Ganz im Gegenteil: Da die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft am neuen Unternehmen weiterhin beteiligt sind, tragen sie den Verlust zumindest zum Teil mit. Die Minderheitsgesellschafter der übernehmenden Gesellschaft sind daher bei der Verschmelzung besser gestellt, als wenn die Transaktion durch einen Kauf erfolgt wäre; ihr Vermögensverlust ist ceteris paribus geringer. Ein besonderer Schutz bei der Verschmelzung ist aus diesem Blickwinkel nicht gerechtfertigt. Die Akquisitionsmethoden sind grundsätzlich gleich zu behandeln. Wenn überhaupt ein Unterschied gemacht werden sollte, so müsste der Kaufvertrag strenger kontrolliert werden. Beispiel: Die übernehmende Gesellschaft A habe einen Wert von 100, an ihr sei die Minderheit mit 25 % beteiligt. Das Ziel B wird mit 50 bewertet; nach Durchführung der Transaktion stellt sich heraus, dass das Unternehmen nur 25 wert ist. Beim Unternehmenskauf gegen Barzahlung wird der Wert der Anteile der Minderheitsgesellschafter in A von 25 auf 18,75 verwässert. Werden die Gesellschaften (auf Basis der Werte stand alone) verschmolzen, so erfolgt die Verwässerung nur auf 20,83; die Altgesellschafter von A tragen ein Drittel des Wertverlustes auch nach der Verschmelzung mit.
Der Unterschied in der rechtlichen Behandlung ist daher allenfalls wegen der Veränderung des Aktionärskreises gerechtfertigt.318 Die neuen Aktionäre, die ihr Unternehmen überteuert eingebracht haben, haben so wie beim Kaufvertrag auf Kosten der anderen Aktionäre eine zu hohe Gegenleistung erhalten. Nur die Art der Gegenleistung unterscheidet sich bei der Verschmelzung; dadurch, dass sie Aktien erhalten, treten sie der Gesellschaft hinzu. Offensichtlich scheint hier ein wichtiger Grund für die Differenzierung zu liegen; die einbringenden Dritten werden Gesellschafter und sollen ihre Stellung nicht auf Kosten ihrer neuen Mitgesellschafter erreichen. Das wird in der Literatur
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Die Argumentation geht im Folgenden zur Vereinfachung davon aus, dass das überbewertete Unternehmen in die aufnehmende Gesellschaft übertragen wird. Ausschlaggebend ist dies für die weitere Argumentation freilich nicht. Rechtsvergleichend Kraakman et al, Anatomy 152 f.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
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auch als Grundsatz der „Gleichbehandlung der Anteilsinhaber der übertragenden Rechtsträger“ bezeichnet.319 Die Pflicht zur angemessenen Festlegung des Umtauschverhältnisses setzt somit auf klassischen Gerechtigkeitsüberlegungen des Gesellschaftsrechts auf. Die nähere Begründung dieser Vorstellung fällt freilich hie wie dort schwer. Denn es kann nicht darum gehen, dass erst durch diese Möglichkeit Informationsasymmetrien abgebaut werden können; das müsste für den Kauf gleichermaßen gelten. Vielmehr scheinen das Gleichbehandlungsgebot allgemein und damit auch die Regelung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses davon auszugehen, dass die Gesellschaft als Zweckgemeinschaft vom zielgerichteten Zusammenwirken der Gesellschafter abhängig ist. Wenn einzelne Gesellschafter zugunsten anderer aber übervorteilt werden, so ist dieses gedeihliche Zusammenwirken nicht mehr gewährleistet; die Vertrauensbasis ist für die Zukunft gestört. Diese Begründung geht freilich davon aus, dass tatsächlich ein enges Band zwischen den Gesellschaftern besteht und ist damit für die GmbH im Normalfall auch zutreffend. Für die Aktiengesellschaft, insbesondere die Publikumsaktiengesellschaft, die auch das gesetzgeberische Leitbild ist, vermag die Begründung aber weniger zu überzeugen, weil hier ohnehin kein besonderes Vertrauen zwischen den Gesellschaftern (oder zumindest zwischen denjenigen, die nicht syndikatsvertraglich verbunden sind) vorliegt. Schließlich sollte man bei der echten Konzentrationsverschmelzung auch davon ausgehen können, dass sich Gewinne und Verluste eines durchschnittlich diversifizierten Investors aus Verschmelzungen ohne angemessenes Umtauschverhältnis über den Zeitlauf ausgleichen.
cc) Mangelnde Abgrenzbarkeit von Konzern- und Konzentrationsverschmelzung Es könnte daher auch darum gehen, dass Konzern- und Konzentrationsverschmelzung in den realen Erscheinungsformen nur ungenügend voneinander abgegrenzt werden können.320 Ob die Beschlussfassung in den beiden Gesellschaften wirklich unabhängig voneinander erfolgt, ist tatsächlich in vielen Fällen nur schwer einschätzbar. Eine Norm, durch die beide Erscheinungsformen gleich streng behandelt werden, regelt zwar zuviel, aber zumindest mit Sicherheit auch diejenigen Tatbestände, die nach dem Zweck einer Norm von ihr auch erfasst werden sollen. Dieses Vorgehen ist rechtspolitisch akzeptabel, wenn die zusätzlichen Kosten der strengeren Regelung geringer sind als die Schäden, die auftreten
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Semler/Stengel in Semler/Stengel, UmwG Einleitung A Rn 93; Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 11. Kalss, Verschmelzung Vor §§ 225b, c AktG Rn 8; Reich-Rohrwig, ecolex 1996, 260; kritisch aber Bachner, Bewertungskontrolle 126.
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würden, wenn aufgrund einer unscharfen Abgrenzung nicht alle Fälle von Abhängigkeiten zwischen den an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften von der Überprüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses erfasst würden. Tatsächlich dürfte es nahezu unmöglich sein, generellabstrakte Definitionen der Abhängigkeit zu erstellen, wenn diese einerseits alle relevanten Fälle erfassen sollen, andererseits es aber doch mit hinreichender Zuverlässigkeit ermöglichen sollen, jene Konstellationen auszuscheiden, bei denen eine volle Überprüfung jedenfalls nicht stattfindet. Dieses Argument wird noch glaubwürdiger, wenn man die zahlreichen Interessenskonflikte in den Blick nimmt, die abseits einer konzernmäßigen Verbindung bestehen können (oben 3.a). Diese sind im Regelfall nicht oder nur mit sehr großem Aufwand ex ante nachweisbar, aber in der Sache äußerst bedeutend. Die Sorge vor solchen Interessenkonflikten ist umso eher in einer kleinen Gesellschaft wie der österreichischen begründet, weil auf vielen Ebenen wechselseitige Abhängigkeiten unterschiedlicher Art zwischen den Akteuren bestehen. Schon allein aus diesem Grund wäre der Gesetzgeber mE schlecht beraten gewesen, wenn er in generell-abstrakter Form eigene Regelungen für Konzentrationsverschmelzungen hätte schaffen wollen, durch die der Rechtsschutz generell abgeschnitten würde. Vielmehr spricht vieles dafür, den Rechtsschutz zwar grundsätzlich bei beiden Sachverhalten gleich zu gestalten, aber einen unterschiedlichen Maßstab anzulegen, wenn im Einzelfall die zusammengeführten Gesellschaften unabhängig voneinander Beschluss gefasst haben. Hinzu kommt, dass die nachprüfende Kontrolle zumindest im Ergebnis auch die Frage erfasst, ob die Gesellschafter einer Gesellschaft untereinander gleich behandelt wurden321. Eine Ungleichbehandlung droht auch bei der Konzentrationsverschmelzung immer dann, wenn ein einflussreicher Gesellschafter seine Zustimmung von der Gewährung von Sonderkonditionen abhängig macht. Erfolgt eine solche Sonderleistung an einen Gesellschafter unmittelbar durch die andere an der Verschmelzung beteiligte Gesellschaft, so stellt diese verbotene Ungleichbehandlung ohne Zweifel ein Indiz für eine unangemessene Festlegung des Umtauschverhältnisses dar. Ob auch Leistungen auf Gesellschafterebene, die mit der Umgründung in einem sachlichen Zusammenhang stehen, in die Überprüfung des Umtauschverhältnisses einzubeziehen sind, wird unten V. C. behandelt. Letztlich ist auch das Beschlusserfordernis rechtspolitisch zu hinterfragen, obwohl es natürlich europarechtlich vorgegeben ist. Eine Mindestforderung sollte es wegen der Vergleichbarkeit der Sachverhalte sein, dass die Gesellschafter die Geschäftsführung so wie bei der Kapitalerhöhung und innerhalb derselben
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Vgl Bachner, Bewertungskontrolle 126.
II. Angemessene Abfindung und angemessenes Umtauschverhältnis
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Grenzen322 auch zur Durchführung einer Verschmelzung ermächtigen können. Darüber hinaus ist langfristig mE zu hinterfragen, ob die Gefährdung der Beteiligungsquote der einzelnen Gesellschafter jedenfalls eine Beschlussfassung durch die Gesellschafter erfordert oder ob nicht vielmehr Publizität gekoppelt mit einer nachfolgenden Kontrolle genügen kann. Der damit einhergehenden Entwertung der Sperrminorität könnte durch Einräumung von Satzungsautonomie begegnet werden.
5. Verschmelzung und zivilrechtliche Rechtsinstitute (laesio enormis, Wucher) Freilich bleibt noch zu beantworten, warum bei der Verschmelzung nicht – so wie beim Vertragsabschluss im allgemeinen Zivilrecht – die Überprüfung nach §§ 879, 934 ABGB genügen kann. Dann wäre die Verschmelzung nur zu beanstanden, wenn die einem Aktionär zustehenden Aktien weniger als die Hälfte als sein Aktienbesitz vor der Verschmelzung wert sind. Zunächst spricht schon der Wortlaut gegen eine solche Auslegung. Ein „angemessenes Umtauschverhältnis“, wie es das AktG in den relevanten Bestimmungen323 fordert, ist etwas anderes als eine Verkürzung über die Hälfte oder ein auffallendes Missverhältnis. Die verschmelzungsrechtliche Angemessenheitskontrolle muss deutlich früher einsetzen. Das ist auch in der Sache gerechtfertigt: Bei der Konzernverschmelzung oder vergleichbaren Maßnahmen, bei denen Interessenskonflikte bestehen, ergibt sich das schon daraus, dass der Verschmelzungsvertrag von einer Vertragspartei diktiert ist. Das ist ein noch viel stärkerer Eingriff in die Willensbildung als beim Wucher, bei dem trotz Notlage bzw sonstiger Willensstörung die benachteiligten Vertragspartei zumindest noch grundsätzlich einen eigenen Willen bilden kann. Daher darf nicht bloß eine grob gestörte Äquivalenz aufgegriffen werden, sondern muss der Verschmelzungsvertrag einer vollen Inhaltskontrolle unterzogen werden. Ähnliches gilt für die Konzentrationsverschmelzung. Bei dieser geht es zwar nicht um den Schutz aller Gesellschafter, weil die Willensbildung in den beiden Gesellschaften zumindest grundsätzlich unabhängig voneinander erfolgt. Allerdings müssen auch die Gesellschafter geschützt werden, die gegen die Verschmelzung gestimmt haben, aber überstimmt wurden und daher von den Rechtsfolgen der Verschmelzung erfasst werden. Mit anderen Worten geht es gerade um den Schutz derjenigen, die den Vertragsbedingungen nicht zugestimmt haben. Zu ihren Gunsten wird das Umtauschverhältnis überprüft. Diese Situation bei der Verschmelzung erinnert allenfalls auf den ersten Blick an den zivilrechtlich unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter. Denn die überstimmten Gesellschafter stehen gerade nicht außerhalb des Rechtsverhältnisses,
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Vgl derzeit bloß § 231 AktG mit deutlich engeren Grenzen. Vgl zB § 220b Abs 4, § 225c Abs 1 AktG.
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das sich aus dem Verschmelzungsvertrag ergibt, sondern sind über ihren freiwilligen Beitritt zur Gesellschaft und die dann anwendbaren gesetzlichen Regeln über die Willensbildung in der Gesellschaft in das Rechtsverhältnis eingebunden.
Fragwürdig ist angesichts dieses Befundes, ob die Wirkung der Verbesserung der Gegenleistung durch die gerichtliche Entscheidung sowohl bei der Konzern- als auch bei der Konzentrationsverschmelzung auch für diejenigen Aktionäre gelten soll, die der Verschmelzung zugestimmt haben (vgl § 225i Abs 1 AktG);324 rekurriert man auf zivilrechtliche Grundsätze, so sollte hier allenfalls eine Korrektur bei ganz besonders groben Missverhältnissen bzw überhaupt nicht erkennbaren Sachverhalten in Betracht kommen. Dementsprechend erschiene es grundsätzlich angemessen, in der Zustimmung zur Verschmelzung einen (zulässigen) Verzicht auf eine Verbesserung des Umtauschverhältnisses zu sehen; dem steht de lege lata freilich die besondere Formvorschrift in § 225d AktG entgegen.325 Diese radikale Umsetzung des Gleichbehandlungsgebots durch den Gesetzgeber überzeugt rechtspolitisch nicht. 6. Zwischenfazit Der hier verfolgte Weg versucht daher, so weit als möglich einen Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts für die Konzentrationsverschmelzung herzustellen. Zwar ist in beiden Fällen, sowohl bei der Konzernals auch bei der Konzentrationsverschmelzung, eine Überprüfung des Umtauschverhältnisses auf Angemessenheit möglich; das ist auch zu begrüßen. Allerdings ist damit noch nicht zwingend gesagt, dass „angemessen“ in beiden Fällen auch dasselbe bedeuten muss. Gerade die Wahl dieses Wortes macht deutlich, dass es für die Beurteilung auf die Umstände des Einzelfalls ankommen soll. Zu diesen Umständen gehört aber auch die Situation, in der die Beschlussfassung erfolgt ist. Ist das Umtauschverhältnis Resultat eines Verhandlungsprozesses können Ergebnisse angemessen sein, die bei Fusionen im Konzern nicht zulässig sind.
III. Der Unternehmenswert Für die Angemessenheit von Entschädigung und Umtauschverhältnis ist somit zumindest grundsätzlich auf den Unternehmenswert abzustellen. Das Umtauschverhältnis bei der Verschmelzung bestimmt sich nach herrschender Meinung aus dem Verhältnis der Unternehmenswerte. Für die angemessene
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Unangemessen hohe Vergleiche und damit erpresserisches Aktionärsverhalten werden durch diese Auslegung letztlich auch nicht verhindert, weil Teilvergleiche mit einzelnen Aktionären ohne Wirkung erga omnes entgegen dem Gesetzeswortlaut wohl möglich sind; vgl Kalss, Verschmelzung § 225i AktG Rn 14. Vgl Kalss/Winner, ÖBA 2000, 55 f.
III. Der Unternehmenswert
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Abfindung beim Gesellschafterausschluss ist zwar der Anteilswert heranzuziehen; dieser bestimmt sich aber wiederum aus dem anteiligen Unternehmenswert (unten IV. A. 1.). Im Folgenden ist daher unter Berücksichtigung der betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse auf im gegebenen Zusammenhang relevante Fragen der Unternehmensbewertung einzugehen. Letztlich ist aber nicht die Betriebswirtschaftslehre ausschlaggebend; die einschlägigen rechtlichen Erwägungen geben dem Bewerter die Bewertungsziele vor. Es geht in diesem Sinn um die Ermittlung von „Normwerten“.326 Die Bewertung muss daher nicht realitätsgerecht sein, sondern rechtsrichtig,327 wie es sich zB daran zeigt, dass Minderheitsabschläge in der Realität vorkommen, rechtlich aber im Wesentlichen328 nicht akzeptiert werden. Freilich vermögen die betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse wichtige Hinweise für die rechtliche Beurteilung zu geben. So wurde die in der rechtspraktischen Anwendung lange vorherrschende Substanzbewertung aufgrund lang anhaltender Kritik des betriebswirtschaftlichen Schrifttums letztlich auch aufgegeben. Daher soll der betriebswirtschaftliche Diskussionsstand neben die rechtlichen Ausführungen gestellt werden. Dazu steht es in einem gewissen Widerspruch, wenn die rechtswissenschaftliche Lehre betont, dass die Wahl der Bewertungsmethode keine Rechtsfrage sei, sondern der Gutachter autonom bestimme, mit welcher Methode der vorgegebene Bewertungszweck am Besten erreicht werden kann.329 Soweit es sich um Details der Bewertungstechnik handelt, ist dem ohne weiteres zuzustimmen. Grundlegende Fragen, wie insbesondere die Gesamtbewertung und Zukunftsorientierung, aber auch die Behandlung der Synergieeffekte sind aber so untrennbar mit dem Zweck der Bewertung verbunden, dass sich rechtlich eindeutige Vorgaben gewinnen lassen.330 Dem ist auch der OGH jüngst grundsätzlich gefolgt.331 Für die deutsche und österreichische Praxis sind die einschlägigen Fachgutachten von großer Bedeutung, die in Österreich von der Kammer der Wirt-
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So schon Kropff, DB 1962, 155; Großfeld, Unternehmensbewertung 27 ff; Hügel, Verschmelzung 187; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 62 ff; ähnlich auch Bachl, GesRZ 2000, 82. Anders verwenden Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 10 f, den Begriff „Normwert“, die so einen Wert bezeichnen, dem vor allem Informationsfunktion zukommt, wie im Rahmen der Rechnungslegung. Großfeld, Unternehmensbewertung 21. Ausnahme: § 26 Abs 1 ÜbG idF vor dem ÜbRÄG 2006. Vgl Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 38 mwN; ablehnend für Deutschland zB Piltz, Unternehmensbewertung 121 ff; Luttermann NZG 2007, 613. Ähnlich auch Bachl, GesRZ 2000, 82. OGH RdW 2007, 409.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
schaftstreuhänder (im Folgenden: Fachgutachten)332 und in Deutschland vom Institut der Wirtschaftsprüfer (im Folgenden: IDW S 1)333 erstellt werden. Sie enthalten allgemeine Grundsätze für die ordentliche Bewertung, aber auch Aussagen über die anzuwendenden Methoden.
A. Bewertungsanlässe und Bewertungszwecke Nach heute herrschender Ansicht kann ein Unternehmen je nach Fragestellung einen unterschiedlichen Wert haben. Nach der so genannten Funktionenlehre der Bewertung ist der Unternehmenswert zweckabhängig zu ermitteln.334 Die Art der Ermittlung und auch die Rolle des Bewertenden richten sich nach dem Bewertungsanlass.335 Unstrittig unterscheidet die Bewertungslehre zwischen der Ermittlung von Entscheidungswerten bei privatautonom vorgenommenen Transaktionen und derjenigen des angemessenen Preises bei so genannten dominierten Bewertungsanlässen, bei denen keine Verhandlungen statt finden, sondern ein Gesellschafter gegen seinen Willen zur Aufgabe (zB squeeze-out) oder Veränderung (zB Verschmelzung) seines Anteils gezwungen wird;336 auch die Praxis kennt diese Differenzierung.337 Die Bestimmung der Entscheidungswerte der einzelnen Partner dient zunächst der Beratung der Parteien; es soll der jeweilige Grenzpreis ermittelt werden.338 Damit kann der Käufer seine maximale Zahlungsbereitschaft ermitteln, während der Verkäufer den Wert erfährt, unter dem er bei rationaler
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Fachgutachten zur Unternehmensbewertung vom 27. 2. 2006 (mit Wirkung vom 1. 5. 2006); dazu zB Mörtl/Schiebel/Wirth in WP-JB 2005, 127; Knoll/Rasinger/ Wala, ecolex script 34 (2006). Dieses neue Fachgutachten ersetzt das alte KFS/BW 1: Fachgutachten des Fachsenats für Betriebswirtschaft und Organisation des Instituts für Betriebswirtschaft, Steuerrecht und Organisation der Kammer der Wirtschaftstreuhänder über die Unternehmensbewertung vom 20.12.1989; abgedruckt zB bei Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 414 ff. IDW S 1 vom 18. Oktober 2005: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, abgedruckt WpG 2005, 1303. Dadurch wurde die Vorfassung IDW S 1 vom 28. Juni 2000 (abgedruckt WpG 2000, 825) ersetzt. Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass nach der Neufassung die zu gewährenden Abfindungen tendenziell sinken werden; vgl Presseinformation 11/04 des IDW vom 30. November 2004; http://www.idw.de. Vgl Moxter, Grundsätze 5 ff; Drukarczyk, Unternehmensbewertung 128 f; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 12 ff. Zu diesen näher Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 75 ff. Großfeld, Unternehmensbewertung 25 f; Drukarczyk, Unternehmensbewertung 122 ff; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 12 ff (die daneben auch auf die hier nicht interessierenden nicht transaktionsbezogenen Bewertungsanlässe, wie zB aus steuerrechtlichen Gründen, hinweisen). IDW S 1 Rn 8 ff; früher auch Punkt 2 KFS/BW 1. Für alle Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 8; Hügel, Verschmelzung 185.
III. Der Unternehmenswert
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Entscheidungsfindung nicht verkaufen sollte.339 Übersteigt der Grenzpreis des Käufers denjenigen des Verkäufers, so besteht ein so genannter „Einigungsbereich“ und die Transaktion wird im Regelfall stattfinden; wie die aus dem Einigungsbereich resultierende Wertsteigerung verteilt wird, ist keine Frage der Bewertung, sondern ein Ergebnis der Verhandlung zwischen den Vertragsparteien. Ermittelt wird im Rahmen der Beratungsfunktion somit kein rechtlich verbindlicher Wert, sondern nur eine Entscheidungsgrundlage für jede an der Transaktion beteiligte Partei. Die Beratungsfunktion bietet aus rechtlicher Sicht keine besonderen Probleme, weil sie an keiner Rechtsbeziehung ansetzt.340 Problematischer ist die Ermittlung des angemessenen Preises bei dominierten Transaktionsanlässen. Häufig muss ein Anteil an der Gesellschaft bewertet werden; das kann entweder direkt (zB durch den Börsekurs des jeweiligen Anteils) oder indirekt (durch Bewertung des Unternehmens als Einheit und anschließender Herunterrechnung) erfolgen.341 Man spricht in diesem Zusammenhang alternativ von der Schiedswertermittlung342 oder (soweit es um die indirekte Wertermittlung geht) von der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts;343 schon die Wortwahl ist symptomatisch für die gewählte Betrachtungsweise.
B. Methodenfragen der Unternehmensbewertung 1. Objektivierte Werte und Typisierung In der Bewertungslehre ist so wie allgemein in den Wirtschaftswissenschaften heute dem Grundsatz nach anerkannt, dass es keinen objektiven Wert gibt, der einer Sache als Eigenschaft anhaftet; der Wert des Unternehmens ist vielmehr eignerbezogen zu ermitteln.344 Er kann je nach Eigentümer unterschiedlich sein, weil die konkreten Verwertungsmöglichkeiten differieren können. Das kann einerseits an besonderen Verbundvorteilen liegen, die nur eine Person verwerten kann, aber andererseits zB auch an den steuerlichen Rahmenbedingungen. Welche Folgerungen dies für die Ermittlung von Werten bei dominierten Transaktionen nach sich zieht, ist freilich umstritten. 339
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Freilich sind neben der Bewertung für die Entscheidung über die Veräußerung häufig auch Liquiditätsüberlegungen ausschlaggebend, die im Folgenden ausgeklammert bleiben. Großfeld, Unternehmensbewertung 19. Großfeld, Unternehmensbewertung 31 ff. Vgl Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 21 f; Bertl/Schiebel, RWZ 2003, 353 unter dem Titel: „Es gibt keinen objektivierten Unternehmenswert! Auch wenn es sich die betriebswirtschaftliche Praxis bei der Schiedswertermittlung noch so sehr wünscht.“ ZB Seicht, RWZ 2004, 161 unter dem Titel: „Und es gibt ihn doch, den 'objektivierten Unternehmenswert'“. Großfeld, Unternehmensbewertung 24 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Zumindest drei grundsätzliche Ansätze sind erkennbar. Versteht man die Schiedswertermittlung als fairen Interessenausgleich zwischen den Betroffenen und legt dieses Konzept den rechtlichen Bewertungsanlässen zugrunde,345 so sind die jeweiligen Entscheidungswerte zu ermitteln und der Transaktionsgewinn, das heißt die Spanne zwischen diesen Werten, ist angemessen zwischen den Vertragsteilen oder zwischen Mehrheitsgesellschafter und ausscheidenden Minderheitsgesellschaftern zu verteilen. Von diesem Konzept abweichend kann man auch nur auf die subjektiven Werte desjenigen abstellen, dessen Anteile entzogen oder verändert werden, ohne die Seite des Begünstigten zu berücksichtigen.346 Schließlich ist es auch möglich, subjektive Verhältnisse weit gehend auszublenden und auf eine objektivierte Bewertung abzustellen, die einen durchschnittlichen Anteilseigner heranzieht.347 Auch für Anhänger der subjektiven Bewertungslehre ist der „Wert der besonderen Vorliebe“ bei der Feststellung des Einigungswerts im Übrigen nicht maßgeblich,348 obwohl er bei der Ermittlung eines Entscheidungswerts zu berücksichtigen wäre; der Grund dafür liegt nicht darin, dass es diese Wertbestandteile nicht gibt, sondern dass sie nicht ersetzt werden sollen. Denn die intersubjektive Vergleichbarkeit wäre sonst nicht gegeben; hinzukommt, dass diesen Effekten bei Minderheitsgesellschaftern nur selten eine bedeutende Rolle zukommt.349 Damit hängt unmittelbar zusammen, dass die Bewertung von der Annahme ausgeht, dass eine Geldeinheit bei jedem Bewertungssubjekt denselben Nutzen stiftet.350 Ohne diese Annahme wäre eine intersubjektiv gültige Bewertung erstens gar nicht möglich; zweitens geht es aber auch bei der Feststellung der Angemessenheit von Abfindung letztlich um die Wahrung der bestehenden Vermögensverhältnisse, um ausgleichende Gerechtigkeit, nicht um eine Umverteilung nach dem Maßstab des Bedarfs.
Welchen Standpunkt die Bewertungspraxis einnimmt, ist offen. Sowohl das Fachgutachten als auch IDW S 1 kennen den neutralen, unparteiischen Gutachter, der einen objektivierten, von den individuellen Wertvorstellungen betroffener Parteien unabhängigen Unternehmenswert ermittelt.351 Daneben 345
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Moxter, Grundsätze 16 ff; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 21; Bertl/ Schiebel, RWZ 2003, 354; im Ergebnis auch Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung 54. Ablehnend zB Hüttemann, ZHR 1998,580, 582 f. So als Minimum Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 8 ff. Seicht, RWZ 2004, 161; Hüttemann, ZHR 1998, 582 ff. So auch Presseinformation des IDW 11/04 vom 30. November 2004 zur Vorbereitung des IDW ES 1; http://www.idw.de. Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 172. Anders allerdings zu den Personengesellschaften und zur GmbH Großfeld, Unternehmensbewertung 175 f. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 489. Vgl Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 173 in Antikritik zu Seicht, RWZ 2004, 163. So IDW S 1 Rn 12; ähnlich Fachgutachten Rn 14 iVm Rn 17. Ablehnend zum Konzept des neutralen Gutachters zB Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 25 ff.
III. Der Unternehmenswert
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gibt es aber auch den Schiedsgutachter, der subjektive Wertvorstellungen in die Bewertungen einfließen lässt, um auf dieser Basis einen Einigungswert durch einen fairen Interessenausgleich zu ermitteln.352 Den Standards ist nicht unmittelbar353 zu entnehmen, in welcher Bewertungssituation der Gutachter die Rolle eines neutralen Gutachters einnehmen soll und wann er Schiedsgutachter sein muss; aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich aber, dass die Schiedsgutachterfunktion vor allem dann einzunehmen ist, wenn der bewertende Sachverständige von den Parteien mit der Feststellung eines Einigungswerts beauftragt wurde.354 Diese Vorgabe ist bei rechtlich veranlassten Bewertungsanlässen aus Sicht der Fachgutachten allerdings exogen, weil durch die Rechtsordnung vorgegeben. Die Diskussion ist mE in der bisher geführten Form nicht sinnvoll. Einerseits bestreitet niemand, dass bei der Bewertung keinesfalls alle subjektiven Faktoren der Vertragsparteien zu berücksichtigen sind, andererseits verdeckt die Bezeichnung „objektivierter Unternehmenswert“ aber, dass dahinter gewichtige Grundannahmen über die Verteilung des Transaktionsgewinns bei dominierten Bewertungsanlässen stehen; dazu näher unten C. Zunächst ist klar, dass der Gutachter objektiv im Sinne von unparteiisch sein muss, wenn es um die Ermittlung von Abfindungen geht;355 das ist aber nicht das Problem. Vielmehr geht es darum, inwieweit die subjektive Situation gerade desjenigen berücksichtigt werden soll, in dessen Eigentumsposition eingegriffen werden soll. Soweit der Bewertungsanlass ein gesellschaftsrechtlicher ist, stehen dieser individuellen Betrachtungsweise wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes, wie er zB in § 47a AktG kodifiziert ist,356 Hindernisse entgegen.357 Ausschlaggebend ist aber etwas anderes: Grundlage jeder Bewertung ist der Anspruch
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Fachgutachten Rn 16 f; IDW S 1 Rn 12. Allerdings scheint das Fachgutachten Rn 14 davon auszugehen, dass „rechtliche Vorgaben“ im Regelfall bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts bestehen, was dafür sprechen könnte, dass nach Ansicht des Fachsenats dieser Wert rechtlichen Bewertungsanlässen zugrunde zu legen ist. Zweifelnd aber OGH ecolex 2004/57 (Reich-Rohrwig). Für alle Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 395 f. Diese Norm gilt zwar nach hL nur für das Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft, fließt aber über Treuepflichtüberlegungen auch in das Verhältnis zwischen Haupt- und Minderheitsgesellschaftern ein; für alle Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 47a Rz 32 ff. Hinzu kommt, dass nach § 3 Abs 1 GesAusG die Gesellschaft selbst an dem Bericht über die Angemessenheit der Barabfindung mitwirken muss, womit § 47a AktG auch in gewissen Grenzen direkt anwendbar ist Vgl Großfeld, Unternehmensbewertung 30 f; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 402; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 488; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 109; Bachl, GesRZ 2000, 82 f. Insofern ganz richtig Seicht, RWZ 2004, 162. Im Ergebnis auch Piltz, Unternehmensbewertung 95.
422
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
der Gesellschafter auf die zukünftigen betrieblichen Überschüsse. Dieser ist gem § 53 Abs 1 AktG für gleiche Anteile am Grundkapital grundsätzlich auch gleich hoch. Soweit keine abweichende Verteilung in der Satzung bestimmt ist,358 muss dieser anteilige Anspruch auch das Bewertungsergebnis determinieren. Damit ist nicht jedem Gesellschafter der ihm spezifische subjektive Wert zu ersetzen. Eine Preisdifferenzierung ist unzulässig, sofern die Gesellschafter nicht Anteile mit unterschiedlicher rechtlicher Ausgestaltung halten. Die Abfindung ist für alle gleich.359 Insbesondere bei der börsenotierten Aktiengesellschaft muss man daher von einem „Normgesellschafter“ ausgehen,360 ohne bei der Ermittlung von Einigungswerten bei rechtlichen Bewertungsanlässen die steuerliche Situation der einzelnen Gesellschafter oder ihre Risikoneigung zu berücksichtigen. Denn sowohl rechtlicher Typus als auch Realstruktur einer solchen Gesellschaft sprechen gegen eine Berücksichtigung individueller Verhältnisse. Damit sind also bestimmte Annahmen über typische Gesellschafter zu treffen.361 Das gilt in der Sache wohl auch für die GmbH; schon die Materialien zum GmbHG 1906 sehen im Grundsatz der Gleichbehandlung einen zentralen Baustein des GmbH-Rechts und bezeichnen ihn sogar als ein Sonderrecht jedes Gesellschafters.362 Soll eine anteilsmäßige Gleichbehandlung nicht erwünscht sein, so muss dieser Wunsch auch bei der GmbH im Gesellschaftsvertrag seinen Niederschlag finden.363 So kann einzelnen GmbH-Gesellschaftern zB ein Sonderrecht eingeräumt werden; hier kommt insbesondere das Recht auf Geschäftsführung in Betracht. Nach § 2 Abs 1 GesAusG sind solche Sonderrechte abfindungserhöhend zu berücksichtigen.364 Das ist eine abschließende Anordnung zur Berücksichtigung individueller Verhältnisse auch bei der GmbH. Sonstige bloß faktische Unterschiede zwischen einzelnen Gesellschaftern, die im Gesellschaftsvertrag keinen Niederschlag gefunden haben, sind nicht in die Bewertung einzubeziehen. Wegen des anteiligen Anspruchs auf die Überschüsse (§ 82 Abs 2 GmbHG) steht daher auch GmbHGesellschaftern die gleiche Abfindung pro Anteil zu. Matscke/Brösel haben demgegenüber vorgeschlagen, dass der höchste Grenzpreis aller auszuschließenden Aktionäre Basis für die (gleiche) Abfindung aller
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Vgl § 53 Abs 3 AktG sowie §§ 115 ff AktG. Vgl auch Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 11. So zum GesAusG zB Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 11. Vgl auch Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 103. In diese Richtung ging früher auch KFS/BW 1 Punkt 3.2. Kritisch zur verwendeten Formulierung Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 26. 236 BlgHH XVII. Session, S 72 (abgedruckt bei Kalss/Eckert, Zentrale Fragen des GmbH-Rechts [2005] 581). Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 11. Vgl auch Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 208.
III. Der Unternehmenswert
423
sein soll.365 Das Abstellen auf einen Grenznachfrager vermag für eine Publikumsgesellschaft aufgrund ihrer rechtlichen Ausgestaltung nicht zu überzeugen. Aber auch im GmbH-Recht sollte man mE besser auf einen Durchschnittswert aller Gesellschafter abstellen. Jedenfalls zeigt sich deutlich, dass Gleichbehandlungsgrundsatz und Förderung der Effizienz in einem gewissen Spannungsverhältnis stehen. Erhalten alle Gesellschafter eine Abfindung, die dem durchschnittlichen Gesellschafternutzen entspricht, so können ineffiziente Transaktionen zustande kommen, weil einzelnen Gesellschaftern mehr entzogen werden kann, als der begünstigte Mehrheitsgesellschafter gewinnt. Ist hingegen der höchste Grenzertrag ausschlaggebend, so kann im Einzelfall eine nutzenstiftende Transaktion unterbleiben, weil einige Gesellschafter mehr als ihren subjektiven Nutzen erhalten. Eine nähere Untersuchung dieser Effekte steht noch aus. Allenfalls können sie bei geschlossenem Gesellschafterkreis im Einzelfall eine Differenzierung nach Gesellschaftertyp rechtfertigen.
In diesem Sinn geht es also tatsächlich um die Ermittlung eines allgemeingültigen Werts, der für die Abfindung aller Gesellschafter ausschlaggebend ist; mit einem wahren Wert im Sinne einer Richtigkeit des Ergebnisses hat das freilich nichts zu tun.366 Diese Suche nach einem für alle Abfindungen maßgeblichen Wert kann man mit gutem Grund als „Objektivierung“ bezeichnen,367 weil dadurch bestimmte individuelle Verhältnisse aus Gründen der Gleichbehandlung der Gesellschafter von vornherein ausgeklammert werden, selbst wenn sie an und für sich ermittelbar wären. Unter „Typisierung“ wird hingegen im Regelfall verstanden, dass eine Maßfigur aus Vereinfachungsgründen dann herangezogen werden kann, wenn sich genauere Daten über subjektive Entscheidungswerte nicht oder doch nur mit unvertretbarem Aufwand ermitteln lassen.368 Ermittelt wird dadurch der „unvollkommen subjektorientierte Entscheidungswert.“369 Letztlich ist die Terminologie aber nicht entscheidend.370 2. Zukunftsbezogenheit Nach heute einhelliger Auffassung bestimmt sich der Wert eines Unternehmens nach seiner Eignung, zukünftig Überschüsse für das Bewertungssubjekt 365 366
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Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 488 ff. Vielleicht anders, zumindest aber mit abweichender Wortwahl und unter Berufung auf § 305 ABGB in vergleichbarem Zusammenhang OGH ecolex 2004/57 (Reich-Rohrwig); dazu auch Beiser, SWK 2004, W 55. So zB Seicht, SWK 1999 W 7. Vgl auch Bachl, Unternehmensbewertung 9; Moxter, Grundsätze 33 f; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 103; W Müller in Kallmeyer, UmwG § 9 Rn 25. Vgl Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 398 f; Moxter, Grundsätze 25. Vgl Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 170 f. Offen lassend denn auch Großfeld, Unternehmensbewertung 29.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
zu erwirtschaften.371 Damit wird klargestellt, dass der Wert sich nicht aus den historischen Herstellungs- oder Anschaffungskosten (unter Berücksichtigung der Abnutzung und nach Abzug der Schulden) herleiten lässt;372 auch die Wiederherstellungs- oder Wiederbeschaffungskosten373 sind nicht ausschlaggebend, weil eine unproduktive Investition nicht wiederholt werden würde.374 Ein in diesem Sinn verstandener Substanzwert375 scheidet für erwerbswirtschaftliche Unternehmen376 in allen Zusammenhängen – also auch für das nicht betriebsnotwendige Vermögen – aus.377 Etwas anderes gilt nur, wenn die Substanzbewertung vertraglich vereinbart worden ist. Dieser Einschätzung folgt im Ergebnis auch die Rechtsprechung. Zwar wird häufig festgehalten, dass die Methode zur Ermittlung des Unternehmenswerts ein Problem der Betriebswirtschaftslehre sei; das Beweisergebnis sei vom Tatsachenrichter frei zu würdigen und einer höchstrichterlichen Revision nicht zugänglich.378 Aus dieser Aussage darf aber nicht abgeleitet werden, dass der Substanzwert eine rechtlich mögliche Bewertungsmethode sei; denn es ging in den fraglichen Entscheidungen um andere, wesentlich weniger rechtlich determinierte Fragen. So hielt der OGH fest, dass sich die Preisvorstellungen wesentlich an den zu erwartenden Erträgen orientieren und trug den Untergerichten die Ermittlung des Ertragswerts auf.379 Die Bewertung eines bei der Gründung einer GmbH eingelegten Unternehmens hat nach der Ertragswertmethode zu erfolgen.380 Auch der Wert der Anteile für denjenigen, dem sie auf rechtlicher Basis entzogen werden sollen, hängt dann von den bei ihm voraussichtlich anfallenden Einnahmen ab.381 Aus rechtlicher Sicht wäre es daher grob unangemessen, eine Einzelbewertung nach Substanzwerten, aber auch eine Einzelbewertung auf Basis von Veräußerungswerten vorzunehmen.382
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Vgl Fachgutachten Rn 9, 21; IDW S 1 Rn 4. Großfeld, Unternehmensbewertung 50 f. Vgl IDW S 1 Rn 180; Moxter, Grundsätze 41 f. Großfeld, Unternehmensbewertung 222. Zu den Substanzwertbegriffen vgl Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 261 f. Für Non-profit-Unternehmen vgl Fachgutachten Rn 121. Fachgutachten Rn 24; IDW S 1 Rn 6, 181. Großfeld, Unternehmensbewertung 36 ff; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 46 ff; Moxter, Grundsätze 41 ff; aus dem juristischen Schrifttum Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 127 f. OGH ecolex 2004/57 (Reich-Rohrwig) mwN; SZ 53/172. SZ 53/172. OGH RWZ 2007, 86. Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 35. So auch Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 71; Hügel, Verschmelzung 191.
III. Der Unternehmenswert
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Es kommt also rechtlich auf die zukünftigen Verwertungsmöglichkeiten der getätigten Investitionen in ihrer Gesamtheit383 an; es werden nicht die einzelnen Gegenstände bewertet. Diese Nutzungen können einerseits in der Nutzung der Sache, andererseits in ihrem Verkauf liegen. Daraus resultieren zwei grundsätzliche Ansätze, die bereits anhand der Liegenschaftsbewertung (oben 3. Teil V. C.) dargestellt wurden. Erstens kann auf Vergleichstransaktionen abgestellt werden, zweitens kann der Ertrag des Unternehmens zur Wertbestimmung herangezogen werden. Die Vergleichswertmethode kommt jedoch zumeist aus praktischen Überlegungen für den Unternehmenswert nicht in Frage, weil es üblicherweise an einem entsprechenden Marktpreis mangels ausreichend vergleichbarer Unternehmen fehlt;384 die dennoch angewandten Vergleichsverfahren (multiples etc)385 sind für die Praxis nicht ausreichend genau und werden zumeist nur zur Plausibilisierung eingesetzt.386 Jedenfalls darf man die Vergleichswertmethode aber nicht von vornherein abtun; wenn es günstiger wäre, das Unternehmen zu verkaufen, als es fortzuführen, so ist dies zu berücksichtigen. Ein möglicher Verkaufspreis kann daher als Untergrenze für die Bewertung dienen, wenn der Ertragswert diesen nicht übersteigt (vgl schon oben 3. Teil V. C.). Das gilt insbesondere, wenn alternative Kaufangebote, die das Unternehmen (bei der Entscheidungswertfindung) bzw den in Frage stehenden Anteil (bei der Schiedswertfindung) betreffen, vorliegen. Soweit es das betriebsnotwendige Vermögen betrifft, also das Gesellschaftsvermögen, mit dem die Erträge erwirtschaftet werden, stellt man daher auf die zukünftigen Überschüsse unter der Annahme der Erhaltung der unternehmerischen Substanz387 ab. Diese werden periodisch ermittelt, abgezinst und aufaddiert. Ausschlaggebend ist grundsätzlich nur dieser Ertragsüberschuss; Mischverfahren wie die Mittelwertmethode (bei der ein Mittelwert aus Substanzwert und Ertragswert gebildet wird) oder das Stuttgarter Verfahren bzw die Übergewinnmethode (bei denen der Substanzwert und ein zeitlich begrenzter Ertragswert Berücksichtigung finden) werden heute388 durchgängig abgelehnt.389
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IDW S 1 Rn 18; ähnlich Fachgutachten Rn 5; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 73 ff. Für alle Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 18, 29; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 137. Vgl aus der Standardliteratur zB Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 42 ff, 258 ff. Ganz deutlich Fachgutachten Rn 113 f. Aus juristischer Sicht Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 163. Also unter Berücksichtigung der für die nachhaltige Leistungserbringung erforderlichen Reinvestitionen; Großfeld, Unternehmensbewertung 74. Vgl aber früher noch KFS/BW 1 Pkt 9.2 und 10.3.3, wo die Übergewinnmethode als alternative Vorgangsweise für die Berechnung des Unternehmenswerts auf-
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Damit bekommen freilich die Prognose und die unternehmerische Planrechnung besonderes Gewicht.390 Die Bewertung ist wegen der Zukunftsbezogenheit zwangsläufig in einem hohen Maße unsicher;391 das bilanzrechtliche Imparitätsprinzip gilt jedoch nicht.392 Vielmehr soll393 dem Risiko einer Fehleinschätzung in der Praxis zumindest zum Teil durch die Verwendung von (wahrscheinlichkeitsgewichteten) Erwartungswerten und von Sensitivitätsanalysen Rechnung getragen werden.394 Je weiter die Prognose in die Zukunft greift, desto größer wird die Unsicherheit; was in mehr als fünf Jahren der Fall sein wird, lässt sich häufig nicht prognostizieren. Deswegen unterscheidet man in der Praxis zumeist zwischen Phase 1 und 2 und schreibt die durch genaue Prognose ermittelten Ergebnisse der ersten in der zweiten Phase fort.395 Freilich sinkt wegen der Diskontierung die Wichtigkeit der ermittelten Ergebnisse, je entfernter die betreffende Periode in der Zukunft liegt; deswegen sollte dieses Problem nicht übermäßig betont werden. Da die Bewertung von Erwartungen ausgeht, kann eine Aussage über die Richtigkeit im Bewertungszeitpunkt nicht anhand späterer Entwicklungen getroffen werden; abweichende Entwicklungen können allenfalls den Schluss nahe legen, dass getroffene Annahmen bereits im Bewertungszeitpunkt nicht plausibel waren. Die Praxis arbeitet heute zumeist mit Nominalwerten, das heißt sie berücksichtigt das Wachstum von Aufwendungen und Erträgen, das sich aus den zukünftigen Preissteigerungen bei diesen Posten ergibt.396 Das erleichtert die Berücksichtigung der Steuerbelastung und führt auch dazu, dass bei der Wahl der Kapitalisierungssätze (sogleich unten) die Inflationsabgeltung nicht gesondert herauszurechnen ist.397 Die Realrechnung wird heute kaum noch verwendet.398
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rechterhalten wurde. Dazu sehr kritisch, weil auch diese Methode den Substanzwert als Normalwert ansetzt, Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 280 f. Fachgutachten Rn 109; Großfeld, Unternehmensbewertung 42 f, 52 f; Mandl/ Rabel, Unternehmensbewertung 49 ff; Moxter, Unternehmensbewertung 56 ff; aus der rechtswissenschaftlichen Rezeption Hügel, Verschmelzung 197 f; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 122 f. Zur Prognose bei der Unternehmensbewertung näher Fachgutachten Rn 47 ff; Großfeld, Unternehmensbewertung 77 ff; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 141 ff; Moxter, Grundsätze 97 ff. Für alle Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 76; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 130 ff. Für alle Fachgutachten Rn 32. Vgl das von Moxter, Grundsätze 116 ff, propagierte „Mehrwertigkeitsprinzip“. Fachgutachten Rn 57. Vgl mit einem gut lesbaren Überblick Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 172 ff. Fachgutachten Rn 54 ff; Großfeld, Unternehmensbewertung 91 ff. Vgl Fachgutachten Rn 74; IDW S 1 Rn 103. Großfeld, Unternehmensbewertung 83, 146. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 209.
III. Der Unternehmenswert
427
Neben den prognostizierten Erträgen ist der Kapitalisierungszinssatz der zweite wesentliche Einflussfaktor für die Bewertung. Der erst zukünftig zufließende Ertrag muss durch Abzinsung mit alternativen Veranlagungen zum heutigen Zeitpunkt vergleichbar gemacht werden.399 Je höher der Zinssatz angesetzt wird, desto niedriger sind der Barwert zukünftiger Auszahlungen und damit auch der Unternehmenswert. Die Festlegung des Zinssatzes ist im Einzelnen mit großen Unsicherheiten behaftet, die angesichts der besonderen Bedeutung dieses Faktors für das Bewertungsergebnis400 äußerst gravierend sind. Nach dem bisher herrschenden Vorgehen wird als Basiszinsfuß die Rendite einer Veranlagung in (möglichst) langfristigen festverzinslichen Anlagen von Schuldnern erster Bonität herangezogen.401 Zum Basiszinssatz wurden bisher üblicherweise anhand der subjektiven Risikoneigung des Bewertungssubjekts bestimmte402 Zuschläge addiert.403 Diese sind zumeist nur beschränkt intersubjektiv nachprüfbar und werden daher häufig zu Lasten des Abfindungsberechtigten manipuliert;404 die Höhe der Zuschläge dürfte nach den Nachweisen in der Rechtsprechung zwischen 0,5 % und 4 %,405 ja sogar bis 4,5 %406 schwanken.407 Vereinzelt werden Risikozuschläge aber auch abgelehnt, weil den Risiken in gleicher Höhe auch Chancen gegenüberstehen;408 dagegen spricht allerdings die empirisch zu beobachtende Risikoaversion der Anleger.409 Verringert wird der Kapitalisie399
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Fachgutachten Rn 59; IDW S 1 Rn 123. Zu Sonderproblemen bei der Ermittlung von Umtauschverhältnissen vgl Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 196 ff. Vgl Großfeld, Unternehmensbewertung 115 f für ein einfaches Beispiel. Fachgutachten Rn 68 (mit der Effektivrendite einer Staatsanleihe mit einer Laufzeit von 10 bis 30 Jahren als Leitlinie für die Praxis); so bisher auch IDW S 1 Rn 120 f aF; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 133 ff; Großfeld, Unternehmensbewertung 117 ff. Zur Bedeutung der Besteuerung vgl IDW S 1 Rn 99 ff. Drukarczyk, Unternehmensbewertung 137. Vgl bisher KFS/BW 1 Pkt 7.2; so bisher auch IDW S 1 Rn 122 und 94 ff aF. Im Überblick auch Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 208 ff. Nach dem Fachgutachten Rn 89 ist die Berücksichtigung der subjektiven Renditevorgaben nur bei der Bestimmung des subjektiven Unternehmenswerts herangezogen werden. Kritisch daher Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 234 f; Moxter, Grundsätze 155 ff; Seicht in JB Controlling 2001 20 ff; aus der Rsp OLG Celle NZG 1998, 987. Positiver Großfeld, Unternehmensbewertung 124 ff. Diesen Wert nennt Seicht (in JB Controlling 2001 23) als typischen Wert der österreichischen Praxis. Das OLG München, ZIP 2007, 375, nennt hingegen 2 % als typischen Wert der deutschen Gerichtspraxis; ablehnend aber wieder OLG Stuttgart, NZG 2007, 112. Vgl für das zweite Halbjahr 2002 OLG Stuttgart, NZG 2007, 112. Vgl die Nachweise bei OLG Stuttgart NZG 2007, 302; LG Frankfurt/Main AG 2007, 42; Großfeld, Unternehmensbewertung 130 mwN. OLG Celle NZG 1998, 987; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 81. Großfeld, Unternehmensbewertung 126 f.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
rungszinssatz allenfalls um einen Wachstumsabschlag, durch den das Unternehmenswachstum in der zweiten Phase abgebildet wird.410 Denkbar ist es auch, über Sicherheitsäquivalenzmethoden das Risiko bereits bei Ermittlung der Unternehmensergebnisse zu berücksichtigen; dann kann der Basiszinssatz ohne subjektive Zuschläge herangezogen werden. Sicherheitsäquivalente sind nicht mit dem Ertragswert gleichzusetzen, sondern berücksichtigen darüber hinaus die individuelle Risikoneigung des Investors.411
Dieses Vorgehen soll grundsätzlich auch nach der Neufassung der deutschen und österreichischen Bewertungsstandards zulässig bleiben; nur die Risikoprämie soll mit Hilfe von Kapitalmarktpreisbildungsmodellen bestimmt werden.412 Üblicherweise kommt das so genannte „capital asset pricing model“ (CAPM)413 zum Einsatz, bei dem zunächst die durchschnittliche Prämie eines Aktienindizes gegenüber der „sicheren“ Vergleichsinvestition über einen längeren Zeitraum rückblickend ermittelt wird. Dieser markttypische Aufschlag wird dann mit dem so genannten „Beta-Faktor“ multipliziert; als Ergebnis ergibt sich die für das Unternehmen anwendbare Risikoprämie. Der BetaFaktor bestimmt sich nach der Volatilität der Aktien im Vergleich zum Gesamtmarkt414 und spiegelt damit das mit dem Wertpapier verbundene Risiko wieder; eine hohe relative Volatilität führt zu einem Beta-Faktor von mehr als 1 und erhöht damit den Risikozuschlag.415 Es geht nicht um subjektive Einschätzungen der Risiken, sondern um ihre Einschätzung durch den Markt.
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Vgl Fachgutachten Rn 77; IDW S 1 Rn 107; OLG Stuttgart NZG 2007, 302; LG Frankfurt/Main AG 2007, 42; vorsichtig Großfeld, Unternehmensbewertung 143 ff. Vgl Fachgutachten Rn 65; IDW S 1 Rn 97; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 218 ff; Großfeld, Unternehmensbewertung 123 f; Moxter, Grundsätze 146 ff; Seicht in JB Controlling 2001 20 ff. Fachgutachten Rn 69 ff; IDW S 1 Rn 100, 128. Die deutsche instanzgerichtliche Rsp zieht den CAPM-Ansatz bereits heran; vgl OLG Düsseldorf AG 2006, 287; OLG Düsseldorf NZG 2007, 302. Änderungen haben sich auch beim Abzug der Steuerbelastung vom Kapitalisierungszinssatz ergeben, was hier nicht näher zu vertiefen ist; zur alten Sachlage vgl IDW S 1 Rn 99 ff aF und Großfeld, Unternehmensbewertung 142 f; zur neuen Bewertungspraxis IDW S 1 Rn 101 f nF und Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WpG 2004, 892 ff. Zum CAPM allgemein vgl zB Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 289 ff; Großfeld, Unternehmensbewertung 134 ff; Brealy/Myers, Principles 195 ff; Drukarczyk, Unternehmensbewertung 363 ff (mit mathematischer Orientierung). Die alternative arbitrage pricing theory hat sich nicht durchgesetzt; vgl Matschke/ Brösel, Unternehmensbewertung 563 mwN. Vgl Fachgutachten Rn 70 f; IDW S 1 Rn 131. Zur Ermittlung des Beta-Faktors vgl zB Drukarczyk, Unternehmensbewertung 363 ff. Vgl für eine Sensitivitätsanalyse einer Bewertung aufgrund unterschiedlicher Schätzung des Beta-Faktors Erhardt/Nowak, AG Sonderheft/2005, 5 (unter Ablehnung so genannter Peer-group-Betas).
III. Der Unternehmenswert
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Der CAPM-Ansatz ist zumindest für börsenotierte Gesellschaften416 hilfreich, aber auch scheingenau.417 Zunächst wird durch die am Markt überprüfbaren Sätze nur die Vergangenheit ermittelt und diese in die Zukunft fortgeschrieben, was bei geänderten Geschäftsstrategien verzerrt, aber auch bei geändertem Geschäftsumfeld problematisch ist.418 Das zeigt, wo das Problem liegt: implizit (durch Fortschreibung der Vergangenheitswerte) oder explizit sind zukünftige Beta-Faktoren419 zu schätzen. Erfolgt die Schätzung explizit, führt dies zu einem Zugewinn an Rationalität, vermag das grundlegende Problem der Zukunftsorientiertheit aber nicht zu beseitigen.420 Schließlich wird die Kursbeeinflussung, die insbesondere auf engen Märkten zu Verzerrungen führen kann, ebenso wie andere Marktunvollkommenheiten völlig ausgeblendet.421 All das spricht dagegen, die subjektive Bestimmung der Risikozuschläge völlig in den Hintergrund zu drängen oder gar als unzulässig anzusehen.422 Die Berücksichtigung der persönlichen Steuern beim Anteilseigner ist noch nicht endgültig geklärt. Traditionellerweise werden sie aus der Betrachtung ausgeklammert. Ein neuerer Ansatz will die Erträge um einen Durchschnittsteuersatz kürzen, muss dann aber auch einen Abschlag vom Diskontierungszinssatz vornehmen.423 Auch das CAPM wurde unter Berücksichtigung der persönlichen Steuern zum Tax-CAPM fortentwickelt.424 Für die hier interessierenden grundsätzlichen Fragen macht dies wenig Unterschied.
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Ist das Bewertungsobjekt nicht börsenotiert, so muss man eine Vergleichsgesellschaft finden, von der anzunehmen ist, dass sie ein ähnliches Beta wie das Bewertungsobjekt aufweist; vgl Großfeld, Unternehmensbewertung 134 f; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 309. Vgl zur Kritik Großfeld, Unternehmensbewertung 138 f; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 291 (zu den Prämissen) und 308 ff. Siehe auch LG Frankfurt/Main AG 2007, 42. Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 87. Jüngst Gleißner, AG Report 2006, R 256. Unterschieden wird für Zwecke der Schätzung zwischen dem operating beta, durch welches das Geschäftsrisiko abgebildet wird, und einem financial beta, das mit der Kapitalstruktur verbundene Risiken wiedergibt; vgl Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 299 ff. Ähnlich Großfeld, Unternehmensbewertung 137 f; Maul in FS Drukarczyk 280. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 308 f; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 25 ff, 32 ff; Seicht in JB Controlling 2001 23. Vgl auch Reuter, AG 2007, 5 f. Instruktiv jüngst OLG Stuttgart NZG 2007, 302. Vgl IDW S 1 Rn 129; Fachgutachten Rn 78 ff und auch den Anhang zum IDW S 1; Knoll/Rasinger/Wala, ecolex script 34 (2006) 2 ff; Knoll¸ ZBB 2007, 169; kritisch dazu zB Wenger, AG Sonderheft 2005, 12 ff. Aus rechtlicher Sicht Reuter, AG 2007, 6 ff.
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Zum Abschluss noch zwei Nachbemerkungen. Erstens wurde bisher nur das für die Leistungserbringung tatsächlich benutzte425 Vermögen behandelt; für das nicht betriebsnotwendige Vermögen, das veräußert werden kann, ohne dass die Unternehmensaufgabe berührt wird,426 gelten allerdings andere Grundsätze. Dieses ist grundsätzlich nach den erwarteten (Netto-)Veräußerungserlösen zu beurteilen;427 diesbezüglich kommt es daher zu einer Einzelbewertung,428 freilich nicht nach den Substanzwerten. Für die Grundstücksbewertung gelten die Grundsätze des LBG; oben 3. Teil V. C. Zweitens muss der (Netto-)Liquidationswert auch beim betriebsnotwendigen Vermögen jedenfalls die Untergrenze der Bewertung bilden.429 Denn ein rationaler Eigner würde nicht fortführen, wenn die Liquidation erwartungsgemäß einen höheren Ertrag bringen würde; insofern gehört zu den Überschüssen auch der Liquidationserlös.430 Das kann freilich nur gelten, wenn der Liquidation keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Im Ergebnis muss der Liquidationswert auch bei einzelnen Betrieben oder auch Teilbetrieben ausschlaggebend sein, wenn sich ihnen ein eigener Ertrag zuordnen lässt und die Herauslösung aus der Unternehmensgesamtheit ohne Wertvernichtung möglich ist.431 3. Ertragswert- und DCF-Bewertung a) Allgemeines Im Wesentlichen stehen zwei unterschiedliche Verfahren zur Bewertung aufgrund von zukünftigen Einnahmeüberschüssen zur Verfügung: das Ertragswertverfahren und das discounted cash flow-Verfahren (DCF-Verfahren). Das Ertragswertverfahren ist in der deutschsprachigen Lehre allgemein anerkannt, das DCF-Verfahren aufgrund der Dominanz der US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaften und -praktiken allerdings derzeit im Vordringen.432 Nach den anwendbaren Standards sind beide Verfahren zulässig; denn ihr 425
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Vgl zur Problematik der Notwendigkeit zur Leistungserbringung oder der tatsächlichen Nutzung zu dieser zB Großfeld, Unternehmensbewertung 168 f mwN. Fachgutachten Rn 25; IDW S 1 Rn 67. Zur Abgrenzung vgl zB Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 83. Fachgutachten Rn 26; IDW S 1 Rn 68 f. Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 11; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 227 ff. IDW S 1 Rn 5. Großfeld, Unternehmensbewertung 168 ff. OGH 4 Ob 188/00a; Fachgutachten Rn 110, 119; IDW S 1 Rn 5; Großfeld, Unternehmensbewertung 203 ff mwN auch aus der Rsp; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 148 ff; Elsner, ecolex 1996, 922 f. Ähnlich in der Sache Szep in Jabornegg/Strasser, AktG § 220 Rn 10. Großfeld, Unternehmensbewertung 205. Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 84. Vgl Großfeld, Unternehmensbewertung 159 f, 166 f. Siehe auch den konzisen Überblick bei Ballwieser, WpG 1995, 119. Zu neuen Strömungen, insbesondere der Anwendung von Realoptionen vgl Ballwieser in FS Loitlsberger 24 ff.
III. Der Unternehmenswert
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Bewertungsziel ist zumindest grundsätzlich gleichermaßen die Ermittlung der zukünftigen Erträge aus dem Bewertungsobjekt.433 Die Unterschiede der beiden Ansätze sind durchaus strittig. Nach einer Ansicht ist auf die Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes abzustellen.434 Während beim Ertragswertverfahren ein subjektiver Risikozuschlag vorzunehmen ist, soll bei dem „amerikanischen“ DCF-Verfahren der Risikozuschlag mit dem CAPM bestimmt werden. Dem wird mit gutem Recht entgegengesetzt, dass sich das CAPM ebenso gut bei einem Ertragswertverfahren einsetzen lässt;435 das erkennt auch die Bewertungspraxis an.436 Nach einer anderen Ansicht ist ausschlaggebend, dass das DCF-Verfahren zahlungsstromorientiert ist,437 das Ertragswertverfahren hingegen auf Periodenerfolge abstellt und damit in der praktischen Anwendung vom bilanziellen Ergebnis aufgrund von Aufwendungen und Erträgen ausgeht. Das Vorgehen bei der Ertragsbewertung wird in der betriebswirtschaftlichen Lehre als grobe Vereinfachung kritisiert,438 unter anderem weil Buchungsvorgänge und Zahlungsströme zeitmäßig auseinander fallen können; dies soll allenfalls über eine Finanzplanrechnung zu berücksichtigen sein.439 Die Bewertungspraxis ging bisher vereinfachend davon aus, dass sich die Abweichungen von Zahlungsströmen und Periodenerfolgen im Regelfall kompensieren; nur bei erkennbaren Unterschieden ist nach ihr eine Korrektur erforderlich.440 Nach einer beachtlichen Meinung soll auch für die Ertragswertberechnung auf den cash flow abgestellt werden.441 Dann muss aber so wie beim DCF-Verfahren der free cash flow ermittelt werden, also dasjenige, worauf der Eigner zugreifen kann (shareholder value-Ansatz); eine handelsrechtliche Nebenrechnung muss aufgestellt werden, um die Ausschüttungsfähigkeit von Gewinnen festzustellen.442
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Fachgutachten Rn 85; IDW S 1 Rn 110. Ähnlich Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 85. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 37; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 25 ff; Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 37. Großfeld, Unternehmensbewertung 134. Vgl Fachgutachten Rn 88; IDW ES 1 Rn 123 ff, wo der CAPM-Ansatz beim Ertragswertverfahren angewandt wird. So zB Fachgutachten Rn 90. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 32 ff. So aus der rechtlichen Rezeption auch Hügel, Verschmelzung 192. Großfeld, Unternehmensbewertung 39. So früher KFS/BW 1 Pkt 5; ähnlich IDW S 1 Rn 116 aF: Die Finanzplanung hat sich aus Gründen der Praktikabilität auf wesentliche Vorgänge zu beschränken. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 33. So wohl auch Fachgutachten Rn 86, das den Ertragswert durch Kapitalisierung der Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner ermittelt. Großfeld, Unternehmensbewertung 162 f.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Diese Auffassungsunterschiede zeigen, dass es um Idealtypen von Bewertungsverfahren geht, denen eine konkrete Bewertung mehr oder weniger entsprechen kann. Das DCF-Verfahren ist jedenfalls zahlungsstromorientiert und stellt auf Marktrisikoprämien ab; das Ertragswertverfahren berücksichtigt die Periodenerfolge und berechnet Risikozuschläge subjektiv. Das Ertragswertverfahren ist aber gegenüber cash flows und der Berücksichtung der marktüblichen Prämien in der praktischen Anwendung offen. Für das DCF-Verfahren wird im Übrigen in der Praxis zunächst ein Gesamtwert für alle Kapitalgeber ermittelt (entity-Verfahren).443 Daher sind – sofern man vom EBIT ausgeht – die Zinszahlungen an Fremdkapitalgeber nicht in Abzug zu bringen bzw sind diese dem Jahresergebnis hinzuzurechnen.444 Die so ermittelten Zahlungsströme können nicht mit dem Abzinsungssatz für Eigenkapital diskontiert werden, vielmehr ist ein so genannter weighted average cost of capital (WACC) zu bestimmen, bei dem die vereinbarten oder wahrscheinlichen Zinssätze für Fremdkapital anteilig im Gesamtdiskontierungssatz berücksichtigt werden.445 Vom Gesamtwert ist dann der mit dem Diskontierungssatz für Fremdkapital ermittelte Wert des Fremdkapitals abzuziehen, um den Unternehmenswert zu erhalten.446 Die Schwäche dieser indirekten Methode liegt vor allem in der Bestimmung des WACC, weil hierbei häufig eine konstante Kapitalstruktur vorausgesetzt wird.447 Der equityAnsatz, bei dem der Marktpreis des Eigenkapitals direkt anhand der Nettocash-flows beim Eigner ermittelt wird, ist demgegenüber weniger verbreitet. 448 Im Folgenden werden Modelle der strategischen Unternehmensbewertung außer Acht gelassen; in der Praxis hat insbesondere das Realoptionsmodell Bedeu-
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Vgl Fachgutachten Rn 92 ff; IDW S 1 Rn 134. Zur Berechnung des free cash flow vgl zB Fachgutachten Rn 95 ff; IDW S 1 Rn 137; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 316 ff. Die Formel lautet (nach Großfeld, Unternehmensbewertung 141): Diskontierungssatz = rEK * EK/GK + rFK * FK/GK, wobei EK = Eigenkapital, FK = Fremdkapital, GK = Grundkapital (jeweils nach Marktwerten), rEK = Kostensatz des Eigenkapitals nach CAPM, rFK = Kostensatz des Fremdkapitals. Zur Erweiterung des Modells um Steuern vgl Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 321 ff. Vgl Fachgutachten Rn 92, 94; IDW S 1 Rn 136. Großfeld, Unternehmensbewertung 164 f. Zur Anpassungspflicht vgl Fachgutachten Rn 102 f; IDW S 1 Rn 143. Kritisch in diesem Zusammenhang unter Rückführung auf das Modigliani/Miller-Theorem (Irrelevanz des Verschuldungsgrads für den Unternehmenswert) Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 41 ff, 557 ff (mit Zusammenfassung auf 584 ff); teilweise antikritisch Drukarczyk, Unternehmensbewertung 179 ff, 259 ff. Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 86; Großfeld, Unternehmensbewertung 161. Zum Konzept des angemessenen Barwerts vgl IDW S 1 Rn 146 f; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 372 ff; Großfeld, Unternehmensbewertung 165 f; Drukarczyk, Unternehmensbewertung 209 ff. Zum APV-Ansatz vgl Fachgutachten Rn 104 ff.
III. Der Unternehmenswert
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tung erlangt.449 Dieses versteht den Unternehmenswert als Kombination eines Grundwerts, der sich aus den diskontierten Erträgen ergibt, mit einem Optionswert, der die neuen Handlungsalternativen für den Übernehmer berücksichtigt. Damit werden Grundsätze der Bewertung von Finanzoptionen auf die Unternehmensbewertung übertragen.450 Die Tragfähigkeit dieses Ansatzes ist schon für die Bestimmung von Entscheidungswerten strittig,451 wohl schon deswegen, weil er tendenziell zu höheren Unternehmenswerten führt;452 das Realoptionsmodell wird vor allem für die Bewertung von Wachstumsunternehmen eingesetzt und hat nach dem Platzen der Internet-Blase wohl ein wenig an Anziehungskraft verloren. Für die Bestimmung des angemessenen Abfindungspreises bzw des angemessenen Verschmelzungsverhältnis wird dieser Ansatz soweit ersichtlich nicht herangezogen.
b) Bewertung von Minderheitsanteilen Nach bisher allgemeiner Auffassung ist die Bewertung des Unternehmens nach der Ertragswertmethode vorzunehmen, wenn es um die Ermittlung der angemessenen Abfindung von Minderheitsaktionären geht.453 Zumindest für Deutschland ist grundsätzlich anerkannt, dass für diese Zwecke auch eine DCF-Bewertung vorgenommen werden kann.454 Demgegenüber vertritt eine neuere Linie im österreichischen Schrifttum die Ansicht, dass für die Bewertung der Anteile der auszuschließenden Minderheitsaktionäre grundsätzlich der DCF-Methode der Vorzug zu geben sei, da diese durch die Bestimmung der Risikozuschläge auf Grundlage der Kapitalmarktdaten (CAPM) besser geeignet sei, die typischen Vorstellungen solcher Anleger widerzuspiegeln.455 Das kann nur bedingt überzeugen. Erstens ist die Anwendbarkeit auf nicht börsenotierte Unternehmen fraglich. Denn für diese ist ein börsenotiertes Vergleichsunternehmen zu finden, dessen historischer (oder gar geschätzter!) Beta-Faktor auf das zu bewertende Unternehmen übertragen werden kann; in dieser Übertragung besteht im Ergebnis dieselbe Gefahr der Willkür wie bei der Bestimmung des subjektiven Risikozuschlages, die das DCF-Verfahren gerade vermeiden soll. Der angestrebte Zugewinn an Rationalität ist bei nicht börsenotierten Gesellschaften nicht ersichtlich.
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Zu diesem Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 55 ff; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 593 ff. Kritisch Großfeld, Unternehmensbewertung: „Man weiß aber nicht so recht, inwieweit Vermögensgegenstände und Chancen als Optionen gelten können.“ Ablehnend zB Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 602. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 593 f. In Österreich zur Verschmelzung Kalss, Verschmelzung § 219 Rn 11; zum Bezugsrecht SZ 53/172. Vgl zB Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 85 ff. Mandl/Rabel in FS Loitlsberger 217 ff; Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 37.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Damit kann der Vorrang der DCF-Methode allenfalls für börsenotierte Unternehmen gelten und auch für diese nur, wenn man die Skepsis gegenüber der Vollkommenheit realer Kapitalmärkte nicht teilt. Bei breiten Märkten, an denen kein Anhaltspunkt für Kursbeeinflussungen vorliegt, kann der Risikozuschlag allenfalls mit CAPM ermittelt werden. Für das Abstellen auf die marktübliche Risikoprämie spricht aus juristischer Sicht vor allem, dass eine subjektive Festlegung der Zuschläge streng genommen dazu führen müsste, dass die Zuschläge und damit auch die zu leistende Abfindung je nach Investor variieren würde; dagegen spricht aber zwingend die gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Gleichbehandlung (vgl § 47a AktG). Für die vorzunehmende Objektivierung kann unter den geschilderten Voraussetzungen ohne weiteres auf die marktübliche Risikoprämie zurückgegriffen werden. Wenn der Gutachter sich in solchen Fällen auf marktübliche Risikoprämien stützt, so kann das vom Richter im Verfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung aus rechtlichen Gründen nicht beanstandet werden.456 4. Stichtag und Wertaufhellung a) Bedeutung des Stichtagsprinzips Jede Bewertung ist auf einen Stichtag zu beziehen:457 Was ist das zu bewertende Unternehmen bzw der zu bewertende Gesellschaftsanteil am relevanten Stichtag wert? Zu beurteilen sind die Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt. Was bis dahin bereits zugeflossen ist, scheidet aus der Bewertung aus. „Zukünftige Erträge“ sind Erträge, mit denen an diesem Stichtag gerechnet werden konnte; es kommt also auf den Informationsstand an, „der bei angemessener Sorgfalt zum Bewertungsstichtag hätte erlangt werden können.“458 Die zu bewertenden Erfolgsfaktoren müssen zu diesem Zeitpunkt bereits gegeben sein; dafür stellt man in der Praxis üblicherweise darauf ab, ob eine diesbezügliche Planung besteht.459 Alles, was erst später hinzutritt, wird nicht berücksichtigt, sondern steht allein den verbleibenden Aktionären zu. Das Problem liegt nun darin, dass dieser Bewertungsstichtag bei Streitigkeiten zwischen den Betroffenen häufig bereits in der Vergangenheit liegt. Das gilt insbesondere bei gerichtlichen Verfahren zur Überprüfung der Angemessenheit einer Barabfindung oder des Umtauschverhältnisses. Dürfen nun spätere Entwicklungen, die im Beurteilungszeitpunkt bereits bekannt sind, für die Beurteilung der Planung herangezogen werden? Das Spannungsverhältnis mit dem Prinzip der Bewertung ex ante ist nicht abzustreiten.
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Insofern wie hier Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 38. Für alle Moxter, Grundsätze 168; Fachgutachten Rn 19; IDW S 1 Rn 22. Fachgutachten Rn 20; IDW S 1 Rn 23. Fachgutachten Rn 35; IDW S 1 Rn 42 (mit Unterschieden im Grad der erforderlichen Konkretisierung auch schon früher IDW S 1 Rn 41 aF).
III. Der Unternehmenswert
435
Die Rechtsprechung hat in diesem Zusammenhang460 die so genannte „Wurzeltheorie“ entwickelt;461 die Faktoren müssen zumindest in der Wurzel462 bereits zum Bewertungsstichtag angelegt gewesen sein, damit sie später bei der Unternehmensbewertung berücksichtigt werden können.463 Dem wird entgegen gehalten, dass das Stichwort „Wurzeltheorie“ verdeckt, dass letztlich alle zukünftigen Entwicklungen in irgendeiner Form in der Vergangenheit angelegt sind;464 bei diesem Ausgangspunkt versteht man die Wurzeltheorie wörtlich als Abgrenzung nach Kausalitätsgesichtspunkten. Das ist freilich nicht zwingend. ME geht es der Rechtsprechung in Wirklichkeit um die Plausibilisierung der ursprünglich vorgenommenen Schätzung.465 Welche Entwicklungen waren zum Bewertungsstichtag erkennbar?466 Daraus wird von manchen eine praktisch ganz wesentliche Schlussfolgerung gezogen:467 Soweit keine wesentlichen Änderungen der Geschäftspolitik vorgenommen wurden, soll das später tatsächlich Eingetretene eine gewisse Indizwirkung dafür entfalten, was am Bewertungsstichtag auch vorauszusehen war; das gilt jedenfalls dann nicht, wenn die wertbeeinflussenden Ereignisse solcherart waren, dass sie nicht erkennbar waren.468 Damit ähnelt das Vorgehen der so genannten Wertaufhellung im Bilanzrecht (§ 201 Abs 2 Z 4 lit b) HGB),469 die freilich mit dem Imparitätsprinzip in engem Zusammenhang steht, das für die Unternehmensbewertung nicht gilt. Freilich muss dabei Vorsicht walten: Immer muss untersucht werden, ob sich aus den eingetretenen Tatsachen auch tatsächlich Rückschlüsse auf die Erwartungen zum Beurteilungsstichtag ziehen lassen, wenn man nicht die Perspektive ex ante durch eine rückschauenden Betrachtung ersetzen will.470 460
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Daneben kann man die Wurzeltheorie auch verwenden, um auf die Frage der Zuteilung von Transaktionsgewinnen zwischen den Vertragsparteien eine Lösung zu finden; so zB Kalss, Anlegerinteressen 517. Das wird sogleich unter C. behandelt. Leiturteil war BGH NJW 1973, 509; später zB BGHZ 138, 136; OLG Düsseldorf AG 1977, 168; jüngst zB OLG Celle NZG 1998, 987 (Bungert). Bildlich besser wohl: im Keim. Vgl zB Hüffer, AktG § 305 Rn 23; Großfeld, Unternehmensbewertung 59 ff; Piltz, Unternehmensbewertung 114 ff. Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 61; kritisch auch Großfeld, Unternehmensbewertung 60 ff; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 405 f. So in der Tendenz zB Großfeld, Unternehmensbewertung 60 ff; Bilda in MünchKomm AktG § 305 Rn 69. Vgl Fachgutachten Rn 20; IDW S 1 Rn 23; Seicht in JB Controlling 2001 4; aus dem deutschen juristischen Schrifttum zB Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 56a. So in der Tendenz zB Großfeld, Unternehmensbewertung 60 ff mit zahlreichen wN. Vgl BGHZ 138, 136; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 57, 59. Vgl Seicht in JB Controlling 2001 4; Großfeld, Unternehmensbewertung 61. Moxter, Grundsätze 168 ff; Großfeld, Unternehmensbewertung 63; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 406.
436
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
b) Rechtliche Festlegung Die Festlegung des Stichtags ist in den hier interessierenden Fällen der Rechtsordnung vorbehalten. In Deutschland stellen § 30 Abs 1 UmwG, § 305 Abs 3 Satz 2 und § 327b dAktG für die Barabfindung bei Verschmelzung, Abschluss eines Beherrschungsvertrags und squeeze-out auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung ab,471 während für die Verschmelzung eine nähere Festlegung fehlt.472 Daraus schließt die herrschende Lehre in Deutschland, dass bei der Verschmelzung der Bewertungsstichtag von den Parteien zu bestimmen ist, wobei dieser aber vor der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung liegen müsse; angebracht sei es, auf den Verschmelzungsstichtag auch für die Bewertung abzustellen.473 Im österreichischen gesatzten Recht der Verschmelzung und der verschmelzenden Umwandlung fehlte bisher eine unmittelbare Festlegung des Stichtages.474 Nach herrschender Lehre kann der Stichtag bei der Verschmelzung bis spätestens zum Tag der Beschlussfassung frei festgelegt werden, wobei bei der Verschmelzung auf die Beschlussfassung in der übertragenden Gesellschaft abgestellt wird.475 Andererseits ist nach ständiger Praxis des Gremiums nach § 225g AktG beim Gesellschafterausschluss auf den Tag der Beschlussfassung abzustellen. Dem entspricht in gewisser Weise auch die Rechtslage bei der Verschmelzung. Der Vorstand hat der Hauptversammlung über Änderungen der Vermögens- oder Ertragslage, die zwischen dem Abschluss oder Entwurf des Verschmelzungsvertrags eingetreten sind, mündlich zu berichten (§ 221 Abs 5 AktG). Das ist zwar nicht ausschlaggebend, weil auch gut vertretbar ist, dass den Gesellschaftern nur die Bedeutung eines abweichenden Stichtags offen gelegt werden soll, spricht aber doch dafür, dass der Gesetzgeber für den Normalfall davon ausgeht, dass der Tag der Beschlussfassung für die Festlegung der Bedingungen der Umgründung ausschlaggebend sein soll. Ganz wie in Deutschland476 wird es auch in Österreich zumindest implizit abgelehnt, den Bewertungsstichtag mit dem Ende des gerichtlichen Verfahrens zur Überprüfung der Angemessenheit festzulegen,477 obwohl das den Vorteil hätte, dass auch später auftretende bzw erkennbare Entwicklungen zwanglos berücksichtigt werden könnten. Denn sonst wäre die Bewertung von der Dauer der
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Kritisch zur Scheingenauigkeit Großfeld, Unternehmensbewertung 57. Vgl Lutter/Drygala in Lutter/Winter, UmwG § 5 Rn 21. Lutter/Drygala in Lutter/Winter, UmwG § 5 Rn 21. Vgl Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 12. Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 12; Szep in Jabornegg/Strasser, AktG § 220 Rn 10; Kalss/Winner, ÖBA 2000, 63. Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 60; auch Lutter/Drygala in Lutter/Winter, UmwG § 5 Rn 21 stellen darauf ab, dass die Bewertung eine gesicherte Basis für die Beschlussfassung über die Verschmelzung sein solle, weswegen ein späterer Stichtag nicht in Betracht komme. Vgl Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 12.
III. Der Unternehmenswert
437
gerichtlichen Verfahren abhängig; ebenso wäre es unbillig, wenn das, was bei Durchführung der Maßnahme aufgrund der damals gegebenen Verhältnisse noch rechtmäßig war, später im Laufe des Verfahrens rechtswidrig würde.
Anders ist die Rechtslage nach dem GesAusG: Gemäß § 2 Abs 1 leg cit gilt der Tag der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung als Stichtag für die Feststellung der Angemessenheit der Barabfindung. Daran wurde in der Begutachtung Kritik geübt;478 nur die freie Festlegung des Stichtags sei mit den Grundwertungen des Verschmelzungsrechts vereinbar. Um dieser Kritik Rechnung zu tragen, ist zu fragen, welche sachlichen Gründe für oder gegen eine freie Festlegung im jeweiligen Zusammenhang sprechen? Zunächst ist es sachgerecht, die Konzentrationsverschmelzung (zwischen bisher nicht konzernverbundenen Gesellschaften) von den anderen Fällen (Konzernverschmelzung, Gesellschafterausschluss) zu unterscheiden. In jenen anderen Fällen findet keine Verhandlung statt; die Maßnahme ist in das Belieben des Ausschlussberechtigten gestellt. Hingegen kann man zumindest bei der Konzentrationsverschmelzung davon ausgehen, dass wegen des Verhandlungsmechanismus eine für alle Parteien akzeptable Lösung gefunden wird. Die freie Wahl des Bewertungsstichtags zwischen Verschmelzungsstichtag (= Tag, auf den die der Verschmelzung zugrunde liegenden Bilanzen aufgestellt werden) und Beschlussfassung in der Hauptversammlung vermag für diese Fälle zu überzeugen. Fehlt es hingegen an einer realen Verhandlungsmöglichkeit, weil der Hauptgesellschafter die Transaktion faktisch allein durchsetzen kann (zB beim squeeze-out, aber auch bei der Verschmelzung zwischen Konzerngesellschaften), so ist der Stichtag für die Bewertung rechtlich zu determinieren. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Durchführung der Maßnahme jedenfalls ins Belieben des Hauptgesellschafters gestellt sei, weswegen er ohnehin einen für ihn günstigen Zeitpunkt suchen würde, zu dem nämlich der Unternehmenswert stand alone besonders niedrig ist. Das ist zwar (bedingt)479 richtig, geht aber am Problem vorbei. Wird nämlich eine rückwirkende Bewertung zugelassen, so kann der Erwerber nicht nur seine eigene überlegene Information über den Unternehmenswert nützen, sondern auch solche Informationen über den Unternehmenswert, die schon öffentlich geworden sind. Damit würde ein früher Stichtag die Möglichkeit der Manipulation ganz wesentlich verschärfen. Steigt der Wert zwischen Bewertungsstichtag und später möglicher Beschlussfassung, so könnte zB der Ausschluss gerade wegen dieser vorteilhaften Entwicklung durchgeführt werden, weil sich der Mehrheitsaktionär die entsprechenden Vorteile aneignen könnte. Das gilt noch dazu nicht 478
479
Vgl zB die Stellungnahme der WKÖ zum ÜbRÄG 2006, 19/SN-363/ME (http://www.parlinkom.gv.at/portal/page?_pageid=908,997389&_dad=portal&_sc hema=PORTAL). Bedingt dann, wenn man davon ausgeht, dass Transaktionsgewinne ohnehin zu teilen sind.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
nur für geänderte Erwartungen, sondern für werterhöhende Ereignisse, die in der Zwischenzeit bereits mit Sicherheit eingetreten sind (zB Fund von Rohstoffvorkommen). Jede Ausschlussmöglichkeit durch Mehrheitsbeschluss ist eine Call-Option zu Lasten der Minderheit; durch die Möglichkeit der rückwirkenden Bewertung würde dies unerträglich verschärft. Dasselbe gilt sinngemäß auch für die Konzernverschmelzung, bei der einer der beteiligten Rechtsträger die Abstimmung in der Hauptversammlung des anderen beherrscht. Prinzipiell ist es daher richtig, ganz so wie es für Deutschland vertreten wird, auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Maßnahme in der Hauptversammlung480 abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt endet zwar die unternehmerische Beteiligung der Minderheit noch nicht, weil dazu die Eintragung der Maßnahme im Firmenbuch erforderlich ist (vgl zB § 2 Abs 2 Z 1 UmwG, § 5 Abs 4 GesAusG); freilich nähert sich dieser Bewertungsstichtag dem so weit als möglich an, ohne dass dadurch die Sicherheit des Bewertungsergebnisses beeinflusst wäre. Das Problem verringert sich freilich, je näher Bewertungsstichtag und Beschlussfassung über die Maßnahme zusammenrücken. Aus praktischen Gründen besteht insbesondere ein Bedarf, den Bewertungsstichtag spätestens einen Monat vor der Hauptversammlung festzulegen, weil zu diesem Zeitpunkt der Verschmelzungsvertrag bzw Umwandlungsplan sowie der oder die Berichte der Verschmelzungsprüfer vorliegen müssen (§ 221a Abs 2 AktG allein bzw in Verbindung mit § 2 Abs 3 UmwG). Einer Berichterstattung mit diesem Zeitpunkt steht nichts entgegen; soweit sich freilich die Bewertungsparameter bis zum Zeitpunkt der Beschlussfassung maßgeblich geändert haben, sind die Berichte anzupassen bzw in der Hauptversammlung zu ergänzen (vgl (§ 221 Abs 5 AktG, § 3 Abs 7 GesAusG); die Abfindung ist dementsprechend anzupassen. Alternativ kommt es bei Änderungen natürlich in Betracht, vom Vorhaben gänzlich Abstand zu nehmen; auch der Verschmelzungsvertrag zwischen Ober- und Untergesellschaft kann dann (wohl wegen Änderung der Geschäftsgrundlage) einseitig aufgelöst werden.481 Ein Sonderproblem liegt vor, wenn das Tochterunternehmen bereits qualifiziert abhängig war; in diesen Fällen des „qualifiziert-faktischen Konzerns“ soll nach Teilen der deutschen Rechtsprechung482 und Lehre483 der Bewertungsstichtag
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Bei einer Verschmelzung ist auf die Hauptversammlung in der übertragenden Gesellschaft abzustellen. Vgl auch Lutter/Drygala in Lutter/Winter, UmwG § 5 Rn 21, die dieser Gefahr in vergleichbarem Zusammenhang durch Aufnahme einer auflösenden Bedingung in den Verschmelzungsvertrag Rechnung tragen wollen. Vgl OLG Stuttgart AG 1994, 564; relativierend OLG Stuttgart NZG 2000, 744. Vgl Großfeld, Unternehmensbewertung 58; Hüffer, AktG § 304 Rn 10; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 56a; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 101.
III. Der Unternehmenswert
439
zurückverlegt werden. Das wird von der herrschenden Lehre zu Recht abgelehnt.484 Denn sonst wird allein wegen der qualifizierten Konzernierung die Ausnützung der Tochtergesellschaft vermutet und der Stichtag vorverlegt. Richtig ist es vielmehr, die Bewertung um konkrete Eingriffe, durch welche die abhängige Gesellschaft geschädigt wurde, zu bereinigen.485 Das führt freilich dazu, dass im Prozess der ausgeschlossenen Minderheit der Nachweis solcher Eingriffe obliegt; dem kann freilich im Ergebnis durch die Vorverlegung des Stichtags auch nicht abgeholfen werden, weil dann nachzuweisen ist, ab welchem Zeitpunkt solche Eingriffe erfolgt sind. Problemen bei der Feststellung der Höhe des Schadens kann zumindest in gewissem Ausmaß durch sachverständige Schätzung beigekommen werden.
5. Prinzip der Vollausschüttung Nach noch herrschender Meinung in der betriebs-486 und rechtswissenschaftlichen487 Lehre ist der Bewertung bei rechtlichen Bewertungsanlässen die Fiktion der Vollausschüttung488 zugrunde zu legen; es kommt also nicht darauf an, welche Ausschüttungspolitik die Hauptversammlung tatsächlich verfolgen würde. Das bedeutet, dass all jene Mittel, die nicht für Reinvestitionen zur Erhaltung (oder Verbesserung) der unternehmerischen Substanz erforderlich sind, auch tatsächlich an die Unternehmenseigner ausgeschüttet werden; die in Zukunft mögliche Thesaurierung von Gewinnen in freien Rücklagen darf daher grundsätzlich nicht berücksichtigt werden.489 Begründet wird dies damit, dass sonst die in der Gesellschaft verbleibenden Gesellschafter übermäßig profitieren würden, und damit im Ergebnis mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz.490 Die Rücklagenbildung ist daher zulässig, soweit dies zur Erhaltung der Unternehmenssubstanz erforderlich ist. Sonst kommt die Rücklagenbildung allenfalls in Betracht, wenn die Steuerbelastung bei Thesaurierung geringer ist.491 Aber auch diese Rücklagen sind langfristig auszuschütten, können also nicht ewig im Unternehmen gebunden werden. 484
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Vgl Bilda in MünchKomm AktG § 304 Rn 70, 89; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 304 Rn 47. Vgl auch OLG Düsseldorf AG 1991, 106. Moxter, Grundsätze 85 ff; Mandel/Rabel, Unternehmensbewertung 115; Seicht in JB Controlling 2001 6 ff. Großfeld, Unternehmensbewertung 68 ff; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 78; Piltz, Unternehmensbewertung 22 f. Bei Orientierung an Zahlungsströmen muss es um den maximal möglichen Nettocash-flow an den Unternehmenseigner gehen; Vgl Mandel/Rabel, Unternehmensbewertung 115. Großfeld, Unternehmensbewertung 69. Moxter, Grundsätze 85 (vgl die Überschrift von § 11); Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 78; Großfeld, Unternehmensbewertung 228 f. Großfeld, Unternehmensbewertung 69.
440
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Dem entsprach auch die bisherige Bewertungspraxis. KFS/BW 1 enthielt keine näheren Aussagen, aber zumindest den Grundsatz der „Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens“.492 Der deutsche IDW S 1 hielt in seiner alten Fassung fest, dass unter Berücksichtigung des Erhalts der Unternehmenssubstanz davon auszugehen sei, dass im Rahmen der rechtlichen Restriktionen alle für die Ausschüttung zur Verfügung stehenden Mittel auch ausgeschüttet würden; bei nachweisbarer unterschiedlicher steuerlicher Behandlung thesaurierter und nicht thesaurierter Mittel könne im Einzelfall die Rücklagenbildung zulässig sein.493 Der neue IDW S 1 wendet sich hingegen von der Vollausschüttungsfiktion ab.494 Der Standard beruft sich dabei auf das steuerliche Halbeinkünfteverfahren, wegen dessen die Thesaurierung für die Anteilseigner nunmehr häufiger als früher steuerlich vorteilhaft sei.495 Das rechtfertige es, auf das prognostizierte Ausschüttungsverhalten des Bewertungsobjekts während der Detailplanungsphase abzustellen. Für die zweite Phase der Bewertung, also für die Phase der konstant fortgeschriebenen Erträge, soll auf das Ausschüttungsverhalten der Alternativanlage auch für die Unternehmensbewertung abgestellt werden; üblich sind Ausschüttungsquoten von 40 bis 70 %.496 Diese Neuorientierung führt tendenziell zu niedrigeren Unternehmenswerten, wie es das IDW selbst anerkennt.497 In der Sache enthält das neue österreichische Fachgutachten ähnliche Anweisungen.498 Grundsätzlich ist zu bedenken, dass letztlich alle vom Unternehmen erwirtschafteten Mittel den Gesellschaftern zugute kommen müssen und zwar nach der rechtlichen Wertung auch zu gleichen Teilen. Freilich ist die sofortige Ausschüttung nur eine mögliche Maßnahme; auch durch die betriebswirtschaftlich sinnvolle Thesaurierung steigt im Ergebnis der Wert des Unternehmens und damit letztlich derjenige der Anteile. Das ist aber nur der Fall, weil auch die thesaurierten Mittel den Eignern letztlich zur Verfügung stehen; eine Abkehr von der Vollausschüttung kommt daher allenfalls kurzbis mittelfristig in Betracht. Diese Kursanstiege wegen thesaurierter Mittel können aber in einer Unternehmensbewertung nicht sinnvoll abgebildet werden. Wenn sich die Bewertungslehre daher von der Vollausschüttungsfiktion abwendet, bringt sie bei der Abfindung von Minderheitsaktionären von vornherein nur einen Teil der vom Unternehmen erwirtschafteten Erträge in die 492 493 494
495 496 497 498
KFS/BW 1 Pkt 6.2. IDW S 1 Rn 44 f aF. IDW S Rn 45 ff. Vgl schon zuvor Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WpG 2004, 894 ff. Vgl auch Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 166 ff. Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WpG 2004, 895. Presseinformation des IDW vom 30. November 2004, http://www.idw.de. Fachgutachten Rn 36 f.
III. Der Unternehmenswert
441
Berechnung ein. Der Rest wird wirtschaftlich gesehen dem Mehrheitsaktionär zugeordnet. Damit wird im Ergebnis der so genannte und von der herrschenden Lehre abgelehnte Minderheitsabschlag (unten IV. A. 1. c)) durch die Hintertür der Annahmen über das Ausschüttungsverhalten wieder eingeführt. Wem es mit der Gleichbehandlung ernst ist, der darf daher auch in Zukunft nicht auf die geplante Ausschüttungspolitik des Unternehmens abstellen, sondern darf die Rücklagenbildung wie bisher nur dann zulassen, wenn aufgrund von Steuereffekten nachweislich der Unternehmenswert bei Thesaurierung steigt.499
C. Teilung des Transaktionsgewinns 1. Allgemeines Der Unternehmenswert ist objektiviert und damit grundsätzlich für alle Gesellschafter gleich; oben B. 1. Freilich geht das herrschende Verständnis der objektivierten Bewertung darüber hinaus. So formuliert das Fachgutachten zur Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts:500 „Es ist darauf zu achten, dass die Unternehmensplanungsrechnung mit den daraus resultierenden Erfolgsprognosen auf dem zum Bewertungsstichtag bestehenden Unternehmenskonzept aufbaut. Dies bedeutet, dass Maßnahmen, die zu strukturellen Veränderungen des Unternehmens führen sollen, nur dann berücksichtigt werden dürfen, wenn sie zu diesem Zeitpunkt bereits eingeleitet bzw. hinreichend konkretisiert sind.“ Synergiegewinne (Verbundvorteile) und andere Vorteile aus der Transaktion, die den dominierten Bewertungsanlass gibt, sind nicht zu berücksichtigen. Vorteile können zB daraus resultieren, dass der Mehrheitsgesellschafter nach dem squeeze-out den Konzern straffer führen kann als zuvor, weil er auf die Belange der Minderheitsgesellschafter keine Rücksicht nehmen muss.501 So kann die Konzerntochter nach dem Ausschluss der Minderheit als unselbständige Betriebsabteilung geführt werden, solange auf die Interessen der Gläubiger Bedacht genommen wird. Neben diesen Synergieeffekten im engeren Sinn, gibt es ganz allgemein Transaktionsvorteile (zB effizientere Unternehmensführung); auch für diese stellt sich grundsätzlich die gleiche Frage.502 Durch die Verschmelzung können zB Größenvorteile erzielt werden.
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Grundsätzlich wie hier Großfeld, Unternehmensbewertung 228 f. Rn 35. Zu den Grenzen der Einflussnahme beim faktischen Konzern vgl jüngst Doralt/Diregger in MünchKomm AktG (Band 9/1) öKonzernR Rn 68 ff. Letztlich können die abweichenden Grenzpreise von Käufer und Verkäufer auch bloß auf einer unterschiedlichen Einschätzung der zukünftigen Erfolge bzw der Risikoneigung beruhen, ohne dass der Käufer besondere Vorteile haben muss; vgl Drukarczyk, AG 1973, 359 f.
442
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Dieser Ausgangspunkt ist sowohl für den Gesellschafterausschluss als auch für die Verschmelzung problematisch – freilich aus unterschiedlichen Gründen. 2. Gesellschafterausschluss Bei einer Bewertung stand alone wird für die Ermittlung der angemessenen Abfindung nur das Unternehmen der Gesellschaft bewertet, deren Minderheitsaktionäre ausscheiden sollen, ohne dass die Vorteile berücksichtigt werden, die sich erst aus dem Ausschluss ergeben. Dieses Vorgehen bedeutet im Ergebnis, dass der Transaktionsgewinn nicht zwischen den Parteien der dominierten Transaktion, dem Ausschließenden einer- und den Ausgeschlossenen andererseits, aufzuteilen ist; der Transaktionsgewinn kommt zur Gänze demjenigen zu Gute, der die zu bewertenden Gesellschaftsanteile übernimmt.503 Bei Richtigkeit dieser Annahme geht jede Objektivierung immer zu Lasten desjenigen, der seine bisherige Position aufgeben muss.504 Alternativ ist es denkbar, dass zwischen den Grenzpreisen der Parteien ein angemessener Ausgleich zu finden ist, wobei der Entscheidungswert des Ausgeschlossenen freilich die Untergrenze darstellen muss.505 Dann wird zwar der Grenzpreis der Ausscheidenden anhand objektiver Faktoren bestimmt, stellt aber nur einen Eckpfeiler für die Bestimmung des Schiedswerts dar, der unter Berücksichtigung der subjektiven Faktoren auf Seite der Gegenpartei festgelegt wird.506 Wie der Schiedswert aber konkret zu ermitteln ist, also welcher Teil des Transaktionsgewinns bei fairer Bewertung denjenigen zusteht, deren Anteile entzogen werden, ist betriebswirtschaftlich nicht zu beantworten;507 der Gutachter kann ohne rechtliche Wertungen nur feststellen, dass zu einem bestimmten Preis eine Einigung möglich gewesen wäre, weil dieser Preis zwischen den Entscheidungswerten der Bewertungssubjekte liegt. Schon daran zeigt sich, dass die Beantwortung der Frage, ob und – wenn ja – in welcher Weise Synergieeffekte zu berücksichtigen sind, nicht dem Gutachter überlassen werden kann, sondern ihm von der Rechtsordnung vorzugeben ist.508 Es geht um die Ermittlung eines Normwerts.509
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So ganz deutlich Seicht, RWZ 2004, 164. Vgl Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 17. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 407. So Großfeld, Unternehmensbewertung 27; ähnlich zB Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 171. Warum Seicht (RWZ 2004, 168) sich auf Großfeld berufen möchte, um die objektivierte Unternehmensbewertung und damit auch die Nicht-Berücksichtigung der Wertsteigerung zu stützen, ist nicht ersichtlich. Vgl insofern zu Recht Seicht, RWZ 2004, 165. Wie hier Fleischer, ZGR 1997, 374 ff; aM Mertens, AG 1992, 322 f. Für Österreich Bachl, GesRZ 2000, 82; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 396 f; Mandl/Rabel in FS Loitlsberger 206. Großfeld, Unternehmensbewertung 27; Hügel, Verschmelzung 186 ff.
III. Der Unternehmenswert
443
a) Meinungsstand aa) Rechtswissenschaften Die herrschende Meinung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum in Österreich510 und Deutschland511 lehnt die Berücksichtigung von Synergieeffekten ab. Der Gesellschafter sei durch die volle Abfindung vermögensmäßig gleich zu stellen wie vor dem Ausschluss; die Synergiegewinne wären ihm auch zuvor nicht zugestanden. Die bisherige deutsche Rechtsprechung512 folgte dieser Meinung; zumindest „echte Verbundvorteile“ (zB Absatzsynergien), die nur aus der spezifischen Kombination mit dem Übernehmer erzielt werden können, sind nicht zu berücksichtigen. Freilich hat der BGH in seiner Entscheidung zur Berücksichtung der Börsekurse die Frage der Verteilung echter Verbundeffekte letztlich offen gelassen.513 Hingegen sollen so genannte „unechte Verbundvorteile“ abzugelten sein;514 diese sind mit jedem Übernehmer oder doch mit vielen realisierbar (zB Verlustvorträge).515 Allgemeine Rationalisierungspotenziale sind daher auch nach der herrschenden Lehre zu berücksichtigen, weil sie unechte Verbundvorteile darstellen, die mit grundsätzlich jedem (effizient wirtschaftenden) Vertragspartner zu erreichen sind. Wenn man dieser Auslegung folgt, so ist die Frage der Berücksichtigung von Synergien schon wesentlich entschärft, in der Sache aber nicht bedeutungslos. Restlich geklärt ist aber auch das nicht, weil sich argumentieren lässt, dass diese Rationalisierung vor allem auf der Anstrengung durch den Mehrheitsgesellschafter beruht und deswegen die Früchte der Bemühungen ihm zustehen sollen.
Aus pragmatischer Sicht wird geltend gemacht, dass echte Verbundvorteile nur schwer quantifizierbar sind.516 Das überzeugt nicht; denn diese Probleme 510
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Koppensteiner in FS Ostheim 424 f; Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 39; Hödl in HB M & A 546 f. Hüffer, AktG § 305 Rn 22; Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 32, 40; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 64 ff; Bilda in MünchKomm AktG § 305 Rn 82; Piltz, Unternehmensbewertung 159 f; Kort, ZGR 1999, 415; Hüttemann, ZHR 1998, 593; Martens, AG 1992, 321; Wirth in Gesellschaftsrecht 2003 269 f; für den Anspruch nach § 304 dAktG auch Spindler/Klöhn, Der Konzern 2003, 519 ff. Für die Vereinigten Staaten zB Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J 728 (1981). BGHZ 138, 136; BayObLG AG 1996, 127; BayObLG 1996, 176; OLG Celle NZG 1998, 987 (Bungert); OLG Stuttgart AG 2000, 428; OLG Düsseldorf AG 2000, 323. Offen lassend aber OLG Düsseldorf AG ZIP 1984, 589 f. BGHZ 147, 119. BGHZ 147, 119; OLG Celle NZG 1998, 987 (Bungert); OLG Stuttgart AG 2000, 428; Hüttemann, ZHR 1998, 593; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 66; Piltz, Unternehmensbewertung 160. Dazu für Österreich Artmann, Organschaft 268; Bachl, ecolex 1996, 918. Zur problematischen Abgrenzung im Einzelfall vgl Großfeld, Unternehmensbewertung 65, 67; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 66. Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 65. Ähnlich zB Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J 728 (1981).
444
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
sind jeder Bewertung, die auf zukünftige Ereignisse abstellt, inhärent, ohne dass deswegen die Ertragswertmethode abgelehnt würde.517 Die Problematik der Messbarkeit von Synergieeffekten ist nicht grundsätzlich anders. Schwerer wiegt hingegen die Tatsache, dass die quantitativ richtige Verteilung der Synergiegewinne auf Ober- und Untergesellschaft nicht unmittelbar rechtlich vorgegeben ist.518 Die Gegenmeinung gewinnt jedoch Anhänger519 und ist in Österreich stärker als in Deutschland. Insbesondere520 Doralt521 und Kalss522 haben sich für die Berücksichtigung von Synergiegewinnen bei Ausschlussrechten ausgesprochen, freilich ohne nähere Maßstäbe für ihre Aufteilung festzulegen. Die Begründungsmuster sind unterschiedlich. Einerseits bezieht man sich auf die Gleichbehandlung von Mehrheits- und ausscheidenden Minderheitsgesellschaftern.523 Andererseits wird die Gleichbehandlung des Ausschlusses mit dem Verkauf hervorgehoben, bei dem der Gesellschafter am Synergiegewinn beteiligt würde, weil er im Regelfall mehr als seinen Grenzpreis erhält.524 Volle Entschädigung ist nach diesem Ansatz mehr als der Grenzwert des Ausscheidenden und impliziert zumindest eine Beteiligung an den Transaktionsgewinnen und daher auch an den Synergieeffekten.525 Auch das GesAusG lässt die Frage offen; die Materialien zu § 2 GesAusG halten fest, dass die Beantwortung der Frage, ob Transaktions- bzw Synergiegewinne zu teilen sind, wie bisher der Rechtsprechung überlassen bleiben
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Fleischer, ZGR 1997, 379 f. Vgl Fleischer, ZGR 1997, 381 mwN; Seicht, RWZ 2004, 165; Drukarczyk, Unternehmensbewertung 132 f. Großfeld, Unternehmensbewertung 67 f; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 70 ff; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 70 ff; Krieger in MünchHB des GesR IV § 70 Rn 107; Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 83; Fleischer, ZGR 1997, 386 ff; ders, ZGR 2001, 27; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB Einl v § 1 Rn 37; Böcking in FS Drukarczyk 68 ff; Lenz/Leinekugel, Eigentumsschutz 27 ff; Adolff, Unternehmensbewertung 386 ff. Wohl auch schon Lutter, ZGR 1979, 418; wohl auch Rühland, Ausschluss 179. Für die Vereinigten Staaten zB Brudney/Chirelstein, 87 Yale L J 1359 ff (1978). Zur Verschmelzung (und damit wohl auch zur verschmelzenden Umwandlung), nicht aber zu § 305 dAktG auch Hügel, Verschmelzung 195 f, 202 ff. Allgemein auch Bachl, GesRZ 2000, 82; Bachl, wbl 2000, 297. Vorsichtig in diese Richtung auch Artmann, Organschaft 268. ZGR 1991, 258 f, 275. Anlegerinteressen 517 f; wohl auch dies, JBl 1995, 437. Jetzt auch Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 14. Kalss, Anlegerinteressen 517. Ablehnend Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 65. Großfeld, Unternehmensbewertung 68; Fleischer, ZGR 1997, 389 ff. Zu den möglichen Bedeutungen des Begriffs „volle Entschädigung“ vgl Fleischer, ZGR 1997, 385.
III. Der Unternehmenswert
445
soll.526 Die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Synergieeffekten bestehen freilich: Das Auskunftsrecht des Prüfers besteht gegenüber dem Hauptgesellschafter (§ 3 Abs 2); ebenso ist den Aktionären über alle wesentlichen Angelegenheiten des Hauptgesellschafters Auskunft zu geben (§ 3 Abs 8). So hält auch das bisherige Standardschrifttum zum GesAusG eine Teilung der Synergiegewinne zwischen Mehrheitsaktionär und Ausgeschlossenen für angemessen.527 bb) Bewertungslehre Das österreichische betriebswirtschaftliche Schrifttum geht tendenziell in eine andere Richtung. Bei dominierten Bewertungsanlässen wie zB beim Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern sei ein Schiedswert zu ermitteln, der die subjektiven Entscheidungswerte von Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter berücksichtigen muss; zwischen den gegenläufigen Interessen dieser Parteien sei ein angemessener Kompromiss zu finden.528 Ob daraus folgt, dass Synergiegewinne abfindungserhöhend zu berücksichtigen sind, wird von manchen Autoren offen gelassen.529 Teilweise wird aber auch festgehalten, dass sich aus § 2 Abs 2 Z 3 UmwG – und damit aus § 2 Abs 1 GesAusG – nur ergibt, dass die Minderheitsgesellschafter durch den Ausschluss vermögensmäßig nicht schlechter gestellt werden sollen, weswegen der Transaktionsgewinn nicht zu berücksichtigen sei;530 wie das zu den allgemeinen Grundsätzen der Schiedswertermittlung passt, wird freilich offen gelassen. Dem Ansatz der Schiedswertermittlung entsprechend531 wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur in Deutschland heute überwiegend vertreten, dass Synergieeffekte zu berücksichtigen sind.532 Denn der erforderliche Interessenausgleich führe ganz zwangsläufig dazu, dass die Entscheidungswerte beider Parteien zu berücksichtigen sind. Nach diesem Ansatz dient die volle Entschädigung bei dominierten Bewertungsanlässen im Ergebnis der Simulation möglicher Vertragsergebnisse. Damit wird freilich die Frage der angemes526 527
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1334 BlgNR 22. GP 28. Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 222 ff; Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 14. Anders aber Hödl in HB M & A 546 f. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 397 ff; Bertl/Schiebel, RWZ 2003, 354. Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 12; G Tichy in FS Loitlsberger 153 f. Mandl/Rabel in FS Loitlsberger 210; anders aber im Ansatz noch dies, Unternehmensbewertung 410. Im Ergebnis sind auch die Anhänger des objektivierten Unternehmenswerts für den Ausschluss der Synergieeffekte; vgl Seicht, RWZ 2004, 162, 164. So deutlich Böcking in FS Moxter 1417 ff. Busse von Colbe, ZGR 1994, 602 ff; Drukarczyk, AG 1973, 357; Maul in FS Drukarczyk 267; Moxter, Grundsätze 91 ff: „Verbundberücksichtigungsprinzip“; Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 13; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 486 ff; Böcking in FS Moxter 1409. So auch Großfeld, Unternehmensbewertung 63 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
senen Aufteilung des Transaktionsgewinns nicht gelöst. In Frage kommt vielmehr die hälftige Teilung, eine Teilung nach den Ertragswerten oder nach den jeweils erzielten Zugewinnen der Ertragswerte.533 Rationale Begründungen für die Vorzugswürdigkeit einer Methode fehlen zumeist; dazu noch unten c). Die deutsche Bewertungspraxis legt sich nicht fest. IDW S 1 hält fest, dass unechte Synergieeffekte bei der Feststellung des objektivierten Unternehmenswerts zu berücksichtigen sind, wenn „die synergiestiftenden Maßnahmen bereits eingeleitet“534 oder doch „im Unternehmenskonzept dokumentiert sind.“535 Bei der Ermittlung des subjektiven Entscheidungswerts des Käufers sind echte Synergieeffekte jedenfalls zu berücksichtigen.536 Inwieweit Synergieeffekte bei der Feststellung der Angemessenheit der Abfindung zu berücksichtigen sind, bleibt letztlich offen; denn der Standard enthält keine Aussage, ob im Rahmen von §§ 305, 327b AktG auf objektive Werte als „neutraler Gutachter“ abzustellen ist oder ob eine Schiedsgutachterrolle einzunehmen ist, bei der unter Berücksichtigung der individuellen Werte ein Einigungswert festgestellt wird.537 Letztlich hat damit die Rechtsordnung dem Bewerter die dementsprechenden Vorgaben zu machen. Der neutrale Gutachter hat auch nach den österreichischen Standards objektivierte Unternehmenswerte festzustellen.538 Unechte Synergien sind nur zu berücksichtigen, wenn das Unternehmen bereits einschlägige Maßnahmen getroffen hat, echte Synergien wegen der Fortführung des bisherigen Unternehmenskonzepts jedoch nicht.539 Hingegen sind Synergieeffekte bei der Ermittlung des subjektiven Unternehmenswerts anzusetzen.540 Für die Schiedswertermittlung fehlen ausdrückliche Feststellungen; da jedoch die unterschiedlichen Wertvorstellungen der Parteien bei der Ermittlung des Schiedswerts zu berücksichtigen sind,541 fließen Synergieerwartungen wohl grundsätzlich ein. Welche Rolle der Sachverständige bei gesetzlichen oder vertraglichen Bewertungsanlässen einnehmen soll, bleibt letztlich offen. Der Teil des betriebswirtschaftlichen Schrifttums, der für diese Fälle auf objektivierte Un533 534
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Vgl Fleischer, ZGR 1997, 381. IDW S 1 Rn 43 aF. Kritisch zu dieser engen Betrachtungsweise mit Recht Großfeld, Unternehmensbewertung 66. So jüngst IDW S 1 Rn 44. IDW S 1 Rn 58. Vgl IDW S 1 Rn 12. Das ergab sich noch ganz klar aus KSF/BW 1 Pkt 3.2; vgl Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 25 ff; Seicht, RWZ 2004, 167; Mühlehner in Kranebitter, Unternehmensbewertung 49. In der Sache dürfte sich daran durch das Fachgutachten Rn 13 ff nichts geändert haben, auch wenn die Verknüpfung zwischen neutralem Gutachter und objektiviertem Unternehmenswert nicht mehr so deutlich ist. Vgl Fachgutachten Rn 35. Siehe auch die in Rn 38 angeordnete Fortführung des bisherigen Managements. Fachgutachten Rn 42. Fachgutachten Rn 16.
III. Der Unternehmenswert
447
ternehmenswerte abstellt, gelangt zwangsläufig zur Nichtberücksichtigung von Synergien.542 b) Stellungnahme Aus den Normtexten lässt sich nichts für die eine oder für die andere Auffassung gewinnen.543 Der Maßstab, nach dem sich die Angemessenheit zu richten hat, bleibt offen. Jedenfalls muss die Abfindung so wie im Enteignungsrecht bei typisierender bzw objektivierter Betrachtung zumindest den Wert aus Sicht der ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre widerspiegeln. Mit der ganz herrschenden Lehre sind unechte Verbundeffekte zu ersetzen. Denn diese Effekte sind bereits in der Gesellschaft angelegt, ohne dass es einer besonderen Kooperation mit gerade diesem Hauptgesellschafter bedarf. Hinzu kommt, dass die Geschäftsführung der Gesellschaft ganz generell (auch)544 im Interesse der Gesellschafter zu erfolgen hat545 und Rationalisierungspotenziale daher jedenfalls dann wahrzunehmen sind, wenn die Berücksichtigung von langfristigen (!) Arbeitnehmerinteressen dem nicht entgegenstehen. Weswegen der Mehrheitsgesellschafter einen Vorteil erlangen soll, wenn die Geschäftsführung dies – vielleicht sogar aufgrund seiner Einflussnahme – unterlassen hat, ist nicht ersichtlich. Deswegen ist es entgegen IDW S 1 bzw dem österreichischen Fachgutachten auch nicht ausschlaggebend, ob die entsprechenden Maßnahmen schon eingeleitet oder „konkretisiert“ wurden. Die regelmäßig auftretenden Beweisprobleme546 können es aber nicht rechtfertigen, die Ersatzfähigkeit bestimmter Posten generell abzulehnen. Für die Einbeziehung spricht auch, dass unechte Verbundvorteile547 im Börsekurs, der nach der hier vertretenen Ansicht zu berücksichtigen ist (unten IV.), eingepreist sein können548 und daher auch von dieser Seite Einfluss finden.
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ZB Seicht, RWZ 2004, 165. Anders insofern § 305 Abs 3 dAktG, weil nach jener Norm vor allem die Verhältnisse der abhängigen Gesellschaft zu berücksichtigen sind. Vgl die anderen in § 70 AktG genannten Interessen. Vgl zum shareholder value Doralt, ÖBA 2000, 639. Zur Bedeutung der Regelung des IDW S 1 aus Gesichtspunkten der Beweislast Fleischer, ZGR 1997, 379 f. Auch echte Verbundvorteile können eingepreist sein, wenn der Ausschluss der Minderheitsgesellschafter angekündigt oder sonst bekannt ist; vgl Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 67; Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 67 f. Das sollte nach dem hier vorgesehenen Endtermin für die Durchschnittskursberechnung (oben IV. A. 2. a) allerdings großteils ausgeschlossen sein, wobei nicht auszuschließen ist, dass bereits die Erwartung des möglichen squeezeout Kurseffekte zeigt, welche freilich im Regelfall eher kursdämpfend sind. Das gilt insbesondere bei informationseffizienten Märkten.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Für die Beurteilung der Ersatzfähigkeit echter Verbundvorteile ist weiter auszuholen.549 Beim squeeze-out können die Minderheitsgesellschafter nicht selbst über die Aufgabe ihrer Rechtsposition entscheiden; daher streitet kein Vertragsabschluss für die subjektive Richtigkeit der gebotenen Abfindung. Gerade diese individuelle Verfügungsmacht ist auch nicht gewollt: Denn sie könnte im Extremfall von einem Zwerggesellschafter genutzt werden, um nahezu den ganzen Transaktionsgewinn des Mehrheitsgesellschafters abzuschöpfen. Dieser soll vor einer hold-out-Situation geschützt werden. Wenn die Minderheit so handelt, wird das Verhältnis von Mitteleinsatz des Zwerggesellschafters zu Beteiligung an den Synergien in ein nicht mehr faires Verhältnis gesetzt. Das Ausschlussrecht vermeidet diesen Effekt.550 Will man den Mehrheitsaktionär davor schützen, nahezu den gesamten Transaktionsgewinn herausgeben zu müssen, um die letzten Anteile aufzusammeln, so darf daraus freilich nicht der Schluss gezogen werden, dass er den Transaktionsgewinn zur Gänze einstreifen darf.551 Exzessen in eine Richtung darf nicht durch einen Exzess in die andere begegnet werden. Die Rechtsordnung hat einen fairen Kompromiss zwischen den zu beurteilenden Interessen zu erreichen.552 Erkennt man die vertragsrechtliche Wurzel des Gesellschafterausschlusses an, so muss der Enteignungsbegünstigte seine höheren subjektiven Nutzungsmöglichkeiten („Synergiegewinne“)553 zumindest zum Teil an die Enteigneten abgeben.554 Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht gelangt man auch zu diesem Ergebnis, wenn man argumentiert, dass Synergieeffekte zum Teil im Unternehmen der betroffenen Tochtergesellschaft angelegt sind. Daher sei die Aneignung dieser Vorteile allein durch den Mehrheitsgesellschafter eine unzulässige Ausnützung von corporate opportunities.555 Das ist aber eine petitio principii. 549
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Vom Ansatz her ähnlich Fleischer, ZGR 1997, 389 ff, der freilich vor allem auf die (in Österreich nicht in dieser Art bestehenden) Unterschiede zwischen der deutschen Rechtslage zur Aktiengesellschaft und zur GmbH bei Abschluss eines Beherrschungsvertrags abstellt. Vgl auch Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 13; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 85. Ablehnend zum Verhandlungsmodell Bilda in MünchKomm AktG § 305 Rn 82; seine Argumente beziehen sich jedoch vor allem auf die Parallelität von Abfindung und Ausgleich nach §§ 304 f dAktG und sind für die österreichische Rechtslage nicht einschlägig. So auch Adolff, Unternehmensbewertung 404 f. So zur Schiedspreisermittlung eindringlich Moxter, Grundsätze 19. Zum Ausschluss ähnlich wie hier Rühland, Ausschluss 179. Für die Abzinsung des Erwartungswerts der Synergien auf Seiten des Erwerbers ist im Übrigen nicht die martkübliche Risikoprämie, sondern das (plausibilisierte) subjektive Risikokalkül des Erwerbers heranzuziehen; vgl Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 48. AM zB Hüttemann, ZHR 1998, 580. Skeptisch auch Armbrüster, ZGR 2006, 696 ff. Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 83.
III. Der Unternehmenswert
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Auch eine bereits angedeutete verfassungsrechtliche Überlegung (oben II. A. 4.) stützt diese Argumentation. Bei der klassischen Enteignung bietet das öffentliche Interesse an gerade dem Projekt, das durch den Eigentumsentzug ermöglicht werden soll, eine Rechtfertigung, den Wohlfahrtsgewinn aus der Enteignung dem Enteigneten zu entziehen.556 Der Nutzen aus dem Enteignungsprojekt soll der Gemeinschaft zukommen. Diese Rechtfertigung fehlt aber völlig, wenn der Gesellschafterausschluss im privaten Interesse des bisherigen Mehrheitsgesellschafters erfolgt. Damit muss jede strukturelle Besserstellung gegenüber dem Ergebnis einer privatautonomen Verhandlung verfassungsrechtliche Bedenken auslösen; denn gerade das nur sehr mittelbare öffentliche Interesse erfordert nach dem hier entwickelten Gedanken einen besonders intensiven Schutz der Vermögensinteressen der Ausgeschlossenen. Auch verfassungsrechtlich sprechen daher gute Gründe für eine Teilung der Verbundvorteile. Von manchen Autoren wird auch geltend gemacht, dass ordnungspolitischen Erwägungen eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung zu entnehmen ist.557 Ich halte das nicht für zutreffend. Konzentrationen werden nicht zu billig, wenn bloß der Ersatz der subjektiven Nachteile ohne Abgabe eines Teils der Synergiegewinne erforderlich ist. Als Maßstab, wann die Konzentration „zu billig“ ist, kommt vor allem ein wohlfahrtstheoretischer Ansatz in Betracht. Es wurde bereits argumentiert (oben 3. Teil IV. E. 3.), dass der Ersatz des subjektiven Werts beim Enteigneten grundsätzlich genügt, um ineffiziente Enteignungen zu verhindern;558 das gilt auch für den Ausschluss der Minderheitsgesellschafter. Ob die Synergiegewinne geteilt werden, hat daher vor allem Umverteilungswirkungen; ausschlaggebend sind Gerechtigkeitsgesichtspunkte. „Zu teuer“ könnte der Ausschluss bei Teilung der Synergieeffekte aus Effizienzgesichtspunkten dann sein, wenn die Kosten der Feststellung der Verbundvorteile regelmäßig oder doch häufig höher als diese Vorteile selbst sind; dieser Gefahr ist freilich besser auf verfahrensrechtlicher Ebene zu begegnen. Daneben besteht die Gefahr, dass effiziente Maßnahmen verhindert werden, wenn Verbundvorteile herauszugeben sind, weil dann keine Anreize vorliegen, diese Vorteile auch zu heben.559 Das kann ohnehin nur für Synergien gelten, die nur mit Mühe entdeckt und/oder gehoben werden können.560 Aber
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Vgl 3. Teil IV. E. 3. So zB Großfeld, Unternehmensbewertung 67 mwN; Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 83 f; vorsichtig auch Fleischer, ZGR 1997, 388 f. So auch Koppensteiner in FS Ostheim 424; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung 487 f. Allgemein Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J (1982) 698 ff, insbesondere 728. Subramanian, 115 Yale L J 43 (2005) in Fn 175.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
auch hier gewinnt dieses Argument vor allem dann an Gewicht, wenn der Verteilungsschlüssel zu Gunsten der Minderheit ausfällt.561 c) Verteilungsschlüssel Offen bleibt, wie die Verbundvorteile zwischen Mehrheit und Minderheit aufgeteilt werden sollen, Es ist zugegebenermaßen sehr schwierig, rechtliche Wertungen für eine angemessene Aufteilung zu finden.562 Aus diesen Problemen darf freilich nicht abgeleitet werden, dass die Verbundvorteile nicht zu berücksichtigen sind und daher dem herrschenden Unternehmen zustehen; das ist auch eine Aufteilung, allerdings keine angemessene.563 Es gibt zahlreiche Vorschläge. Neben der nahe liegenden Aufteilung zu gleichen Teilen564 wird auch die Aufteilung 2:1 oder 3:1 zu Gunsten des Mehrheitsaktionärs wegen dessen größerer Verantwortung für die Verbundvorteile vertreten.565 Die Aufteilung kann auch nach den Ertragswerten der beteiligten Gesellschaften oder nach den Ertragswertzuwächsen erfolgen.566 Soweit sich synergieeffektive Vermögensbestandteile ausmachen lassen, kommt auch eine Teilung nach dem Verhältnis der Werte dieser Bestandteile in Betracht.567 Alle Ansätze sind in gewissem Maß willkürlich.568 Andere Autoren präferieren ergebnisoffenere Ansätze. So stellen Kübler/Schmidt569 auf die Steigerung der Anreize zur effizienzsteigernden Verschmelzung ab, Fleischer570 hingegen auf die unternehmerischen Leistungen des Mehrheitsaktionärs bei Entdeckung und Verwirklichung der Verbundeffekte. Bei diesen Ansätzen bleibt zunächst großteils unbeantwortet, zwischen wem zu teilen ist,571 zwischen den beteiligten Gesellschaften oder unmittelbar zwischen Minderheitsaktionären und Mehrheitsaktionär. Eine gleiche Teilung zwischen den Gesellschaften572 ist aus gesellschaftsrechtlicher Sicht zwar konsequent, weil beide zu den Verbundeffekten beitragen. Das führt aber ohnehin dazu, dass dem Mehrheitsaktionär mindestens 95 % der Synergiegewinne
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Vgl Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 23 bei Fn 17. Deswegen scheint Seicht (RWZ 2004, 165) darin bloß eine Aufgabe für „theoretisierende, philosophierende[…] Literat[en]“ zu sehen. Vgl Fleischer, ZGR 1997, 383; Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 13. Moxter, Grundsätze 18 f; Drukarczyk, Unternehmensbewertung 133; Böcking in FS Moxter 1424 ff; Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 13; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 407. Kritisch Fleischer, ZGR 1997, 381. Großfeld, Unternehmensbewertung 68. Adolff, Unternehmensbewertung 410 f. Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 87. Fleischer, ZGR 1997, 382. Gesellschaftsrecht 83 f. ZGR 1997, 398 f. Ähnlich im Ansatz Großfeld, Unternehmensbewertung 68. Vgl Böcking in FS Moxter 1424 ff. Dafür Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 14.
III. Der Unternehmenswert
451
zukommen.573 Schon wegen dieses Effekts ist es nicht angezeigt, der Obergesellschaft mehr als die Hälfte der Synergiegewinne zukommen zu lassen.574 Denn die maßgebliche Rolle der Obergesellschaft wird bei der Durchrechnung ihrer Gesellschafterstellung ohnehin berücksichtigt. Die Aufteilung nach den Ertragswerten der beteiligten Gesellschaften überzeugt hingegen generell nicht. Diese sind als Abwägungskriterium nicht geeignet, weil die relative Größe der beteiligten Unternehmen nichts darüber aussagt, welche Gesellschaft für Verbundvorteile in welchem Ausmaß kausal ist.575
Aus spieltheoretischer Sicht ist eine Hälfteteilung freilich allenfalls zwischen den Verhandlungspartnern, aber nicht zwischen den Unternehmensträgern zu begründen;576 denn die Abzufindenden wären mit einer äußerst geringen Zuteilung der Synergien im Regelfall nicht einverstanden. Nur bei einer Teilung unmittelbar zwischen Mehrheitsgesellschafter und Ausgeschlossenen kann sich die Lösung möglichen Verhandlungsergebnissen annähern.577 Eine Hälfteteilung zwischen diesen kann freilich dazu führen, dass der „Synergiebestandteil“ der Abfindung pro Aktie den Anteil am stand alone-Wert bei weitem übersteigt, auch wenn die Synergiegewinne an sich wesentlich geringer als dieser sind.578 Das ist eine deutliche Schlechterbehandlung des Mehrheitsaktionärs der Untergesellschaft. Die Hälfteteilung unmittelbar zwischen Mehrheit und Minderheit scheidet daher mE aus. Als alternativer Maßstab könnte sich die Teilung nach dem Ausmaß der von Hauptgesellschafter und Minderheit gehaltenen Beteiligungen anbieten579 – ein Ansatz, der im Gesellschaftsrecht ohnehin nahe liegt. Im Ergebnis kann man aber ohnehin nicht erwarten, eine richtige Lösung zu finden. Plausibel sind aus meiner Sicht beide Ansätze – hälftige Teilung
573
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579
Dem Mehrheitsaktionär stehen einerseits 50 % als Obergesellschaft zu, aufgrund seiner Beteiligung von 90 % an der Untergesellschaft aber im Ergebnis auch 45 % der dort anfallenden Synergiegewinne. Vgl Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 23 in Fn 17. So aber Großfeld, Unternehmensbewertung 68. Ähnlich Fleischer, ZGR 1997, 382. Anders Adolff, Unternehmensbewertung 410 f. So Böcking in FS Moxter 1427 mwN. Anzumerken ist, dass diese Argumentation nur für echte Verbundeffekte gültig sein kann. Unechte Verbundvorteile sind kein Transaktionsgewinn, sondern bestehen unabhängig von dem Gesellschafterausschluss; daher stehen diese (zB als Rationalisierungspotenziale) den Minderheitsgesellschaftern aus gesellschaftsrechtlichen Gründen anteilsmäßig zu. Die Verteilung des Transaktionsgewinns ist hingegen mE nicht gesellschaftsrechtlich determiniert, sondern grundsätzlich (zB bei einer Konzentrationsverschmelzung) einer Verhandlungslösung zugänglich. Beispiel: Unternehmenswert A: 600, Tochtergesellschaft B: 200, die auszuschließenden Aktionäre halten 5 % an B; Synergiegewinne 100. Anteil der Ausgeschlossenen am Wert stand alone 10, Anteile an den Synergiegewinnen 50, Abfindung 60. Vgl Brudney/Chirelstein, 87 Yale L J (1978) 1359 ff.
452
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
zwischen Ober- und Untergesellschaft580 und unmittelbare proportionale Teilung zwischen Hauptgesellschafter und Ausgeschlossenen. Die Unterschiede können freilich durchaus spürbar sein.581 Beide Regeln haben eine gewisse Rechtfertigung als Zweifelsregel; beide Regeln laufen direkt oder indirekt auf eine anteilige Verteilung hinaus.582 In dem von ihnen gebildeten Korridor hat sich die Abfindung im Regelfall zu bewegen. Synergiegewinne können nicht kausal einer oder der anderen Gesellschaft zugeordnet werden, sondern entstehen erst aus der Zusammenführung der Unternehmen. Im Einzelfall können bei wertender Betrachtung die Wurzeln der Synergiegewinne aber eher in einer Gesellschaft liegen. Dann ist es gerechtfertigt, von den soeben dargestellten Grundsätzen abzuweichen.
Die angemessene Verteilung im Rahmen dieser Vorgaben hat der Sachverständige vorzunehmen. Auch dieser Sachverständige „bewertet“ und muss damit Wertungen vornehmen.583 Er hat diese freilich offen zu legen, um dem Richter eine abweichende Beurteilung zu ermöglichen. Dafür bedarf es neben der Bewertung von Verbundvorteilen und ihrer Verteilung auch eines Katalogs der Kriterien für diese Verteilung. d) Praktische Bedeutung Die praktische Bedeutung dieser soeben aufgestellten Grundsätze darf nicht unter-, aber auch nicht überschätzt werden. Eine Unterschätzung läge darin, wenn man die Diskussion auf Synergiegewinne reduzierte. Diese sind nicht der einzige Antrieb für den squeeze-out, vielleicht nicht einmal der wichtigste. Vielmehr geht es um jede Wertsteigerung, welche der Mehrheitsaktionär durch den Ausschluss erzielt; diese ist zu einem (mäßigen) Teil weiterzugeben. Diese Position wäre unverständlich, wenn es um die Bedingungen eines privatautonom abgeschlossenen Vertrags ginge; das ist im gegebenen Zusammenhang aber gerade nicht der Fall. Vielmehr geht es um einen Eingriff in Eigentumspositionen, der zu entschädigen ist. Überschätzen kann man den Vorteil für die ausgeschlossenen Gesellschafter, wenn man die Probleme der Informationsasymmetrie vernachlässigt. Denn die Information über die möglichen Transaktionsgewinne und damit die subjektiven Wertvorstellungen liegt beim Mehrheitsaktionär; es ist nicht zu
580 581
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So Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 14. Beispiel: Unternehmenswert A: 600, Tochtergesellschaft B: 200, die auszuschließenden Aktionäre halten 5 % an B; Synergiegewinne 100. Hälftige Teilung zwischen den Gesellschaften mit anschließender Aufteilung unter den Gesellschaftern der Untergesellschaft: Anteile der Tochter an den Synergiegewinnen: 50; Anteile der Minderheitsgesellschafter an den Synergiegewinnen: 2,5; Abfindung: 12,5. Anteilsmäßige Aufteilung unmittelbar unter den Gesellschaftern: Anteile der Minderheitsgesellschafter an den Synergiegewinnen: 5; Abfindung: 15. Dafür auch Busse v Colbe, ZGR 19945, 604. AM Seicht, RWZ 2004, 163: „Rechenknecht“ (sic!).
III. Der Unternehmenswert
453
erwarten, dass er solche Informationen ohne weiteres offen legt, wenn er Teile dieser Gewinne abgeben muss.584 In der Praxis des Gremialverfahrens nach §§ 225c ff AktG wird die Frage daher aller Voraussicht nach eine geringe Rolle spielen. Es wäre aber (wie häufig in den Rechtswissenschaften) unzulässig, aus in der Praxis auftretenden Schwierigkeiten bei der Beweisführung zu schließen, dass die zugrunde liegende Regel an sich verfehlt wäre.585 Soweit daher bei der Bestimmung der Angemessenheit der Abfindung glaubwürdige Aussagen in dieser Hinsicht nicht erlangt werden können, ist auf den allgemeinen Grundsatz für solche Fälle zurückzugreifen: Hilfsweise ist bei der Unternehmensbewertung mit Typisierungen vorzugehen.586 Das mag im Einzelfall unbefriedigend sein; andere Lösungen gibt es aber nicht. Die Diskussion ist dennoch nicht nur akademisch. Denn in manchen Fällen können die zu erwartenden Vorteile ganz auf der Hand liegen, wie insbesondere in einer GmbH mit dem dementsprechenden Einblick der Gesellschafter in das Unternehmen. Andererseits ist die Diskussion der Verteilung der Synergieeffekte ein Hintergrund für einen weiteren wichtigen und in der Praxis häufig leichter nachweisbaren Sachverhalt: den Kauf von Gesellschaftsanteilen durch den Hauptgesellschafter (dazu unten V. B.). 3. Verschmelzung a) Meinungsstand Nach der vor allem in Deutschland in der Rechtsprechung der Instanzgerichte587 und dem Schrifttum588 überwiegenden Meinung sind für die Ermittlung des angemessenen Umtauschverhältnisses bei der Verschmelzung die objektiven Werte der beteiligten Unternehmen heranzuziehen; subjektive Vorstellungen der Beteiligten sind nach dieser Ansicht nicht zu berücksichtigen. Dem wird auch für Österreich zum Teil gefolgt.589 584
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Zu Recht Großfeld, Unternehmensbewertung 27 f; Maul in FS Drukarczyk 268. In diese Richtung auch Seicht, RWZ 2004, 163. So zu Recht Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 398. Auch das soziale Unwerturteil für Straftaten hängt nicht von der Aufklärungsquote, sondern von der Art des Eingriffs in die Sphäre des Betroffenen ab. So allgemein Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 399; Moxter, Unternehmensbewertung 19. OLG Düsseldorf AG 1984, 216 (obiter dictum); jüngst wohl auch OLG Düsseldorf AG 2006, 287. Häufig zitiert werden in diesem Zusammenhang auch OLG Hamburg, DB 1980, 77; BayObLG AG 1996, 176, die aber nicht zur Verschmelzung, sondern zu Abfindungsfällen ergangen sind, weswegen sie mE nicht einschlägig sind. Vgl zB Lutter/Drygala in Lutter, UmwG § 5 Rn 31; Zeidler in Semler/Stengel, UmwG § 9 Rn 48; Großfeld, Unternehmensbewertung 64; Mertens, AG 1992, 321. So in der Sache wohl Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 11; Szep in Jabornegg/Strasser, AktG § 220 Rn 12.
454
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Die damit angeordnete Bewertung stand alone führt aber im Gegensatz zur Lage beim Gesellschafterausschluss nicht dazu, dass Synergiegewinne nur einem der Beteiligten zugeordnet werden.590 Denn die Gegenleistung, welche die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft erhalten, besteht in Aktien der neuen unternehmerischen Einheit; die Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft geben demgegenüber (wirtschaftlich betrachtet) Beteiligungen ab, erhalten aber wiederum das eingebrachte Unternehmen. Insofern profitieren beide Gesellschafterkreise von tatsächlich eintretenden Verbundeffekten. Auch der Schlüssel der Verteilung ist nach dieser Formel vorgegeben, wie sich an einem Beispiel einfach zeigen lässt. Angenommen der Wert von Gesellschaft A beträgt ohne Berücksichtigung der Verbundeffekte 100, derjenige der übernehmenden Gesellschaft B 200; das Umtauschverhältnis beträgt daher 1:2 aus Sicht der Aktionäre der übertragenden Gesellschaft. Es sei unterstellt, die Transaktion führt zu erwarteten Synergiegewinnen von 30; der gesamte Unternehmenswert der neuen Gesellschaft beträgt daher 330. Die Altaktionäre von A sind zu einem Drittel am Unternehmen beteiligt; der Wert ihrer Beteiligung beträgt daher 110, derjenige der Altaktionäre daher 220. Aus dem Beispiel folgt unmittelbar: Wenn das Umtauschverhältnis nach den Werten stand alone bestimmt wird, so werden auch die Synergiegewinne automatisch nach diesem Verhältnis den verschiedenen Gesellschafterkreisen zugeteilt.591 Es ist daher nicht richtig, wenn man annimmt, dass Synergiegewinne bei der Verschmelzung auf Basis der Unternehmenswerte stand alone nicht berücksichtigt werden.592 Vielmehr enthält dieser Schlüssel eine implizite Wertung, welche Aufteilung dieser Transaktionsgewinne angemessen ist. Nach dieser Auffassung darf über die Verteilung von Synergien eigentlich nicht verhandelt werden.593 Der ins Auge springende Vorteil dieses Vorgehens ist freilich, dass die Synergiegewinne nicht quantifiziert werden müssen;594 ihre Feststellung ist aufgrund der besonderen Prognoseschwierigkeiten, aber vor allem auch wegen der Gefahr einer übermäßig optimistischen Einstellung der Akteure, die den Zusammenschluss betreiben, in jedem Fall mit besonderen Problemen behaftet.
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594
Vgl OLG Stuttgart AG 2006, 420; Fleischer, ZGR 1997, 387; Bachl, GesRZ 2000, 10; Adolff, Unternehmensbewertung 480. Für Deutschland OLG Düsseldorf AG 1984, 216. Aus dem Schrifttum Dirrigl, DB 1990, 189; Busse v Colbe, ZGR 1994, 605; Fleischer, ZGR 1997, 387; Hirte/ Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 76; W Müller in Kallmeyer, UmwG § 9 Rn 36; Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 80; Mühlehner in Kranebitter, Unternehmensbewertung 49. Diesbezüglich unklar daher noch Kalss/Winner, ÖBA 2000, 62. Vgl typisch Mühlehner in Kranebitter, Unternehmensbewertung 49: „Eine abweichende Aufteilung bedarf einer besonderen Begründung, da sie zu einer überproportionalen Beteiligung einer Partei an den Verbundvorteilen führt.“ Dirrigl, DB 1990, 191; Hügel, Verschmelzung 207 f.
III. Der Unternehmenswert
455
Dem treten naturgemäß diejenigen entgegen, die das Umtauschverhältnis primär als Verhandlungsergebnis verstehen. Vorreiter war ein Teil des deutschen betriebswirtschaftlichen Schrifttums, welcher die „implizit-ertragswertanteilige“ Zurechnung der Synergiegewinne595 ablehnte. Freilich vermögen die alternativ vorgeschlagenen Konzepte, wie hälftige Teilung, Verteilung im Verhältnis der Ertragswertzuwächse596 auch nur zum Teil zu überzeugen. Angesichts dieser Sachlage kommt es einerseits in Frage, jede Verteilung der Synergiegewinne zu akzeptieren. Andererseits soll die Aufteilung nach manchen auch anhand einer „wertenden Zurechnung“ im Einzelfall vorgenommen werden, die im Ergebnis die kausalen Beiträge jeder Gesellschaft zu den Verbundvorteilen würdigt;597 im Ergebnis läuft dies wohl vor allem auf die Berücksichtigung tatsächlich getätigter und auch zielführender Aufwendungen hinaus. Freilich wird zugestanden, dass die richterliche Nachprüfbarkeit nur mehr sehr eingeschränkt gegeben ist, wenn auf topische Gesichtspunkte zurückgegriffen wird.598 b) Stellungnahme aa) Konzentrationsverschmelzung Ich meine, dass die richtige Lösung für die Konzentrationsverschmelzung nicht durch die Vorgabe eines starren Verhältnisses für die Verteilung gefunden werden kann. Dadurch wird der Verhandlungs- und Vertragscharakter der Verschmelzung ignoriert. Denn Gegenstand der Verhandlung ist nicht nur das Ob der Verschmelzung, sondern sind auch ihre konkreten Bedingungen. Mir erscheint es daher richtig, den Begriff „angemessenes Umtauschverhältnis“ anders und liberaler auszulegen.599 Angemessen ist mE all das, was eine vernünftige Partei noch akzeptiert hätte. Die Lösung ist durch den Rückgriff auf ein hypothetisches Verhandlungsmodell zu finden. Nehmen wir an, alle Anteile der beiden miteinander zu verschmelzenden Unternehmen würden durch zwei voneinander unabhängige Alleingesellschafter gehalten. Nehmen wir weiters an, dass der Wert der übertragenden Gesellschaft A und der übernehmenden Gesellschaft B je 100 Geldeinheiten sei (verteilt auf je 100 Stückaktien); Synergiegewinne würden im Ausmaß von 50 erwartet. Die übernehmende Gesellschaft ist daher nach der Verschmelzung 250 wert. Jeder der beiden Alleingesellschafter hat einen Entscheidungswert von 100;600 soll ihm die Transaktion einen Vorteil bringen, so muss der Wert seines Anteils am neuen Unternehmensträger mehr als 100 595 596 597 598
Begriffsbildung nach Dirrigl, DB 1990, 189. Für eine Diskussion vgl Dirrigl, DB 1990, 190 f; Hügel, Verschmelzung 203 ff. Dafür zB Hügel, Verschmelzung 206. Hügel, Verschmelzung 206. Auch vorsichtig für eine Berücksichtigung Zöchling,
RWZ 1997, 155 f. 599 600
Ähnlich in der Sache Fleischer, ZGR 1997, 386. Das Beispiel lässt damit Transaktionskosten außer Acht.
456
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
betragen. Da der zu verteilende Kuchen insgesamt wächst, ergibt sich ein Verhandlungsspielraum. Gesellschafter A würde jedes Umtauschverhältnis ab ca. 1:0,67 akzeptieren; damit der Wert seines Anteils mehr als 100 beträgt, muss er mehr als 40 % der Anteile an der übernehmenden Gesellschaft halten. In ähnlicher Weise bildet ein Umtauschverhältnis 1:1,5 für A die Grenze der Verhandlungsbereitschaft von B; auch er muss weiterhin 40 % der Anteile halten. Jedes Umtauschverhältnis bei dem pro A-Aktie zwischen 0,67 und 1,5 B-Aktien gewährt werden, ist in unserem Beispiel aus rechtlicher Sicht zu akzeptieren. Allgemein gewandt: Jedes Verhandlungsergebnis, bei dem − aus Sicht der Gesellschaft, die ihr Kapital erhöht − den Aktionären nach der Sachkapitalerhöhung derselbe Wert verbleibt wie vor ihr, führt bei der Konzentrationsverschmelzung zu einem angemessenen Verhandlungsergebnis. Die Verteilung der Synergiegewinne ist Verhandlungssache; es besteht kein Anlass, diesen Verhandlungsspielraum zu beschneiden.601 Die Rechtsordnung muss sich im Rahmen der ausgleichenden Gerechtigkeit jedenfalls darauf beschränken, die jeweilige Ausgangsposition der Vertragsparteien aufrecht zu erhalten.602 Die Verteilung der Synergiegewinne ist aber jedenfalls in den Berichten gemäß §§ 220a ff AktG darzustellen, weil sie ein wesentlicher Faktor für die Meinungsbildung der Gesellschafter ist. Die überstimmte Minderheit muss sich jedoch mit jeder Verteilung abfinden. Das gilt auch, wenn die betroffene Gesellschaft beherrscht wird – jedenfalls von jemand anderem als dem Verschmelzungspartner. Denn der für die Abstimmung ausschlaggebende Gesellschafter ist vom Umtauschverhältnis grundsätzlich genau so betroffen wie die überstimmte Minderheit; seine Zustimmung macht das Umtauschverhältnis daher noch nicht verdächtigt.603 Der Maßstab der Überprüfung ist damit strenger als im allgemeinen Zivilrecht. Von besonderen Störungen der Willensbildung abgesehen ist ein normaler Vertrag nur bei Verkürzung über die Hälfte rechtswidrig, während im gegebenen Zusammenhang jeder Wertverlust zur Überprüfung führt. Diese im Vergleich zum Zivilrecht veränderte Wertung ergibt sich bei rechtsdogmatischer Analyse aus der in § 225c Abs 1 AktG enthalten Pflicht, das Umtauschverhältnis angemessen festzulegen. Hinter dieser Normierung liegt – wie bereits oben II. B. 4. ausgeführt – die Sorge um die Auswirkung kollektiver Entscheidungen auf Einzelne. Im Vergleich zum von der herrschenden Lehre vertretenen tiefen Eingriff in die Vertragsfreiheit entspricht der hier vorgetragene Ansatz jedenfalls eher allgemeinen zivilrechtlichen Prinzipien. Der hier vertretene Ansatz führt auch nicht dazu, dass die Synergiegewinne zwingend zu quantifizieren sind; das wäre wegen der operationalen
601 602 603
So jetzt auch Adolff, Unternehmensbewertung 488 ff. AM im gegebenen Zusammenhang Hügel, Verschmelzung 204, 206. Vgl Adolff, Unternehmensbewertung 489.
III. Der Unternehmenswert
457
Schwierigkeiten sicher problematisch. Die Bestimmung des Umtauschverhältnisses nach den stand alone-Werten führt jedenfalls zu einer angemessenen Verteilung; eine Quantifizierung kann daher unterbleiben, wenn man sich mit der Zuteilung nach Ertragswerten zufrieden gibt. Wenn die Synergieeffekte quantifiziert werden können, dürfen sie aber in die Berechnung einbezogen werden; ob das der Fall ist, muss vom Verschmelzungsprüfer untersucht werden. Daher ist mE das Umtauschverhältnis bei der Konzentrationsverschmelzung entgegen der herrschenden Lehre nicht zwingend auf Basis einer stand alone-Bewertung der beteiligten Unternehmen vorzunehmen; die Synergiegewinne sind somit nicht unbedingt im Verhältnis der Unternehmenswerte zu verteilen. Vielmehr ist jede Verteilung zu akzeptieren, sofern eine Seite nicht unangemessen übervorteilt wird; dies ist der Fall, wenn die Gesellschafter eines Verschmelzungspartners in absoluten Werten weniger erhalten, als sie vor der Verschmelzung hielten.604 In der Praxis ist mE die Bewertungsfrage anders zu stellen. Es geht nicht darum, ob die prozentuelle Beteiligung an der übernehmenden Gesellschaft nach der Verschmelzung dem Wertverhältnis der Unternehmen von übertragender und übernehmender Gesellschaft entsprechen muss. Die Frage ist vielmehr: Entspricht der absolute Wert der Beteiligung nach der Verschmelzung zumindest dem absoluten Wert der Beteiligung davor? bb) Konzernverschmelzung Etwas anders gilt bei der Konzernverschmelzung.605 Hier fehlt es an der Verhandlung, die eine Legitimation für eine freie Verteilung der Synergiegewinne bietet. Würde man auch hier vertreten, dass die Aufteilung nicht rechtlich determiniert ist, so wäre das Ergebnis vorbestimmt: Die Synergiegewinne werden der Obergesellschaft zugeordnet. Dies wäre im Ergebnis eine unangemessene Aneignung von Geschäftschancen zu Lasten der Tochtergesellschaft. Daher müssen bei der Konzernverschmelzung rechtliche Determinanten für die Verteilung der Synergiegewinne bestehen. Eine wertende Zurechnung nach den Umständen des Einzelfalls606 würde das Gremium im Verfahren zur Überprüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses wohl überfordern; klare Maßstäbe sind festzusetzen. Erkennt man an, dass es um den Schutz der Minderheitsgesellschafter in der Konzerntochter geht, so kann sich dieser Schutz im Vergleich zur Konzentrationsverschmelzung freilich nicht zu ihren Lasten auswirken. Mit anderen Worten kann die Rechtsordnung nur festlegen, welcher Anteil der Syner604
605
606
Vgl schon Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG §150 Rn 79 ff zur ganz vergleichbaren Sachkapitalerhöhung gegen Unternehmenseinbringung. Wie hier grundsätzlich Fleischer, ZGR 1997, 386 f; Adolff; Unternehmensbewertung 492 ff. Hügel, Verschmelzung 206.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
giegewinne ihnen jedenfalls zustehen muss, ohne jedoch eine Obergrenze festzulegen. Für den Schutz der Aktionäre der Obergesellschaft bleibt es mE diesbezüglich bei der Rechtslage für die Konzentrationsverschmelzung; das Umtauschverhältnis ist nur unangemessen, wenn ihnen gar kein Anteil an den Synergiegewinnen zusteht. Die Untergrenze für das Umtauschverhältnis ergibt sich bei der Konzernverschmelzung mit der herrschenden Meinung grundsätzlich aus dem Verhältnis der Unternehmenswerte stand alone. Die Verteilung der Synergien nach der Größenordnung der beteiligten Unternehmen ist zwar willkürlich; sie hat aber den in dieser Situation unschätzbaren Vorteil, dass ein Nachweis der Synergien nicht notwendig ist. Der Minderheit wäre dieser Nachweis im Streitfall in der Regel nicht möglich, da die Information über die entsprechenden Synergieeffekte bei der Obergesellschaft liegt. Gelingt der überstimmten Minderheit freilich die Quantifizierung von Synergieeffekten oder gesteht die Mehrheit solche ohne weiteres zu, so steht diese Auslegung in einem Spannungsverhältnis zu meiner Rechtsmeinung zum squeeze-out (oben 2. c). Denn wenn die Untergesellschaft wie im Regelfall erheblich kleiner ist als die Obergesellschaft, führt eine Zurechnung nach den Ertragswerten zwingend zu einer nachteiligeren Auslegung als wenn man von einer Teilung zwischen den Gesellschaftern nach den Verhältnissen ihrer Beteiligung607 ausgeht. Beispiel:608 M mit Marktwert 500609 ist zu 90 % an T mit Marktwert 100 beteiligt; Synergiegewinne in Höhe von 60 fallen an. Bei einem Squeeze-out in T fällt nach den unter 2. c) erläuterten Grundsätzen eine Abfindung zwischen 13 und 16 bei den Minderheitsaktionären von T an. Erfolgt die Verteilung bei einer Verschmelzung auf M nach dem Verhältnis der Marktwerte, so hält die Minderheit nach der Maßnahme 1,96 % an M (= 10/510); die Anteile haben einen Marktwert von bloß 11,18 (1,96 % von 570).
Dies ist zu harmonisieren. ME sprechen in der Sache dieselben Argumente gegen die Zurechnung nach Ertragswerten wie beim Squeeze-out; über die relative Verursachung von Synergien geben die Ertragswerte keine Auskunft, weil eine solche Zurechnung jedenfalls scheitern muss. Ganz so wie beim Squeezeout ist die Verteilung der Synergien durch ein Verhandlungsmodell zu lösen. Dieses führt wohl zu einer proportionalen Teilung zwischen den Gesellschaftern, allenfalls unter Berücksichtigung der Gesellschaften (oben 2. c). Demgegenüber hat die Bestimmung des Umtauschverhältnisses nach den Ertragswertrelationen konzeptionell eine geringe Bedeutung. Für die Praxis wird sie aber wegen der angesprochenen Informationsasymmetrie und den aus ihr resultierenden Beweisschwierigkeiten eine wichtige Auffangregel bleiben. 607 608 609
Entweder mit oder ohne hälftige Teilung zwischen den beteiligten Gesellschaften. Mit herzlichem Dank an Edmund Schuster für die Diskussion dieser Frage. Davon sind 90 der Wert der Beteiligung an T.
III. Der Unternehmenswert
459
cc) Schlussfolgerung Für die Konzernverschmelzung bleibt es damit mit der soeben ausgeführten Modifikation bei der herrschenden Meinung; für die Verschmelzung voneinander unabhängiger Gesellschaften ist aber anzuerkennen, dass die Synergieeffekte der freien Verteilung unter den beteiligten Rechtsträgern unterliegen. Das von der herrschenden Meinung abweichende Ergebnis ist freilich für die praktische Bedeutung eher eine Akzentverschiebung als ein Paradigmenwechsel. Denn die ganz überwiegende Zahl der Verschmelzungen findet in der Praxis innerhalb eines Konzerns statt.
D. Offene Fragen Die Angemessenheit von Abfindungen ist regelmäßig strittig; vieles ist in der Bewertung darstellbar, wenn der Auftraggeber das wünscht. Viele der bestehenden Probleme sind angesprochen und hoffentlich auch theoretisch gefördert worden. Für die praktische Anwendung bleibt es freilich dabei, dass diese Zweifelsfragen zu erheblichen Unsicherheiten führen. Ganz abseits richtig zu lösender Rechts- und Bewertungsfragen verbleiben aber zwei grundsätzliche Probleme: Erstens ist jede Bewertung mit Aussagen über zukünftige Entwicklungen verbunden. Solche Aussagen sind immer mit einer erheblichen Unsicherheit verbunden und allenfalls einer Plausibilisierung zugänglich. Hinzu kommt zweitens, dass der Zugang zu Informationen über den Wert von demjenigen kontrolliert wird, der ein Interesse an der Leistung möglichst geringer Abfindungen hat. Wegen dieser inhärenten Schwächen gleich von der Illusion einer angemessenen Abfindung zu sprechen,610 geht zu weit. Sie rechtfertigen es aber, nach alternativen Ansätzen für die Ermittlung angemessener Abfindungen oder angemessener Umtauschverhältnisse Ausschau zu halten. Drei verschiedene Aspekte sollen im weiteren Verlauf der Untersuchung berücksichtigt werden: 1.
Häufig haben Gesellschaftsanteile, insbesondere Aktien, nicht nur einen Wert, sondern auch einen Marktpreis. Genügt es, statt einer Bewertung solche Marktpreise, insbesondere Börsekurse zu beobachten? Wenn nein, können Börsekurse als Untergrenze für die Bewertung herangezogen werden?
2.
Häufig finden parallel zu einem Gesellschafterausschluss bzw einer Verschmelzung oder vor einer solchen freiwillige Anteilskäufe statt. Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form sind solche Transaktionen bei der Bestimmung der Gegenleistung zu berücksichtigen?
3.
Häufig ist ein Großteil der Gesellschafter mit der gebotenen Abfindung oder dem gebotenen Umtauschverhältnis einverstanden, während nur eine
610
U Torggler Stellungnahme zum MinEntw eines ÜbRÄG 2006 (http://www. parlinkom.gv.at/portal/page?_pageid=908,1008493&_dad=portal&_Schema= PORTAL); ders, GeS 2006, 115.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung kleine Minderheit opponiert. Welche Bedeutung kommt dieser „Abstimmung“ unter den Gesellschaftern für die Frage der Angemessenheit zu?
IV. Der Börsekurs Neben der Bewertung des Unternehmens ist im gesellschaftsrechtlichen Kontext häufig auch der einzelne Anteil, also das quotale Eigentum am Unternehmensträger, zu bewerten. Die Ermittlung des Anteilswerts kann grundsätzlich direkt oder indirekt erfolgen, je nachdem, ob man den Gesamtwert des Unternehmens quotal und zwar nach der kapitalmäßigen Beteiligung der einzelnen Gesellschafter aufteilt oder unmittelbar den Wert des Anteils erfasst.611 Diese unterschiedlichen Ansatzpunkte sind ebenso alt wie der Handel mit Anteilen an Unternehmen und in jüngerer Zeit zumeist durch die Gegenüberstellung von „gesellschaftsrechtlichem“ und „kapitalmarktrechtlichem“ Zugang charakterisiert worden.612 In der Bewertungspraxis stand bisher die indirekte Anteilsbewertung im Vordergrund: „Der Anteilswert ist grundsätzlich ein abgeleiteter Unternehmenswert.“613 Der Unternehmenswert ist proportional auf die einzelnen Anteilsinhaber aufzuteilen, weil und sofern sie rechtlich auch den gleichen Anspruch auf Zuflüsse haben, sei es aufgrund der Gewinnverteilung, sei es aufgrund des Anspruches auf Liquidationserlös. Die Bewertung der pekuniären Zuflüsse unmittelbar beim Anteilsinhaber ist auch der eigentliche Ursprung der direkten Anteilsbewertung; die Praxis versteht aber unter der direkten Anteilsbewertung im Regelfall die Orientierung am Börsekurs. Das ist freilich sprachlich unscharf; denn der Kurs ist kein Wert, sondern ein beobachteter Preis. Als solcher kann er allenfalls einen Indikator für den Anteilswert abgeben.614 Die Sachprobleme, die hinter dieser nur anscheinend terminologischen Abweichung liegen, sind in der Folge näher darzustellen.
A. Relevanz für den Gesellschafterausschluss 1. Anteilswert und Börsekurs a) Meinungsstand Den auszuschließenden Gesellschaftern gebührt bei der verschmelzenden Umwandlung eine angemessene Barabfindung (§ 2 Abs 1 GesAusG; § 2 Abs 2 Z 3 UmwG). Das kann gesellschaftsvertraglich für den gesetzlichen Gesellschafterausschluss nicht anders (zB durch eine Buchwertklausel) geregelt wer-
611 612 613 614
Vgl IDW S 1 Rn 13. Vgl Großfeld, Unternehmensbewertung 186 mwN. Großfeld, Unternehmensbewertung 227. Vgl zB Böcking in FS Drukarczyk 85 mwN.
IV. Der Börsekurs
461
den;615 freilich ist es möglich, zwischen den Gesellschaftern Aufgriffsrechte zu vereinbaren und in dieser Vereinbarung auch den Preis, zu dem der Aufgriff erfolgen kann, anders zu definieren. Daher ist die Regelung der Barabfindung beim Gesellschafterausschluss zwar an sich zwingend, aber durch Gestaltung vermeidbar.616 Unter angemessener Barabfindung versteht man allgemein die Pflicht zur vollen Entschädigung. Das entspricht dem allgemeinen enteignungsrechtlichen Grundsatz, dass bei der Enteignung zugunsten eines privaten Rechtsträgers617 dieser jedenfalls volle Entschädigung zu leisten hat, weil sonst seine Tätigkeit faktisch durch die Enteigneten subventioniert wird.618 Demzufolge hält das (herrschende) gesellschaftsrechtliche Schrifttum fest, dass die Gesellschafter den Grenzpreis zu erhalten haben, bei dem sie ohne Verlust aus der Gesellschaft ausscheiden können.619 Entzogen wird die Aktie bzw der Geschäftsanteil. Was ist aber der subjektive Wert dieses Anteils? Einerseits kann auf den Verkehrswert des Anteils selbst abgestellt werden; dann geht es um den Marktpreis, insbesondere den Börsekurs. Andererseits kann auch der anteilige Wert des Unternehmens ausschlaggebend sein, wie er nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Unternehmensbewertung festgestellt wird (oben III.). Nach herrschender Ansicht ist für den squeeze-out nicht bloß der Wert der Anteile heranzuziehen, sondern jedenfalls der anteilige Unternehmenswert zu berücksichtigen.620 So stellt auch der OGH für die nicht verhältniswahrende Spaltung darauf ab, dass eine Bewertung der übertragenden Gesellschaft vorzunehmen ist, um die angemessene Barabfindung für die widersprechenden Aktionäre zu ermitteln.621 Auch die herrschende Meinung in Deutschland stellt für den squeeze-out nach §§ 327a ff dAktG,622 aber auch für die insofern ganz vergleichbare Barabfindung bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsver-
615 616 617 618 619 620
621 622
Kalss, Verschmelzung § 2 UmwG Rn 5. Vgl zum Recht von Delaware ähnlich Coates, 147 U Pa L Rev 1287 f (1999). Selbst wenn dessen Tätigkeit im öffentlichen Interesse liegt. Rummel in Korinek/Pauger/Rummel, Handbuch 201. Vgl Kalss, JBl 1995, 437; Hüffer, AktG § 305 Rn 18 mwN. Kalss, Verschmelzung § 2 UmwG Rn 27; dies, JBl 1995, 437; dies, Anlegerinteressen 516; Koppensteiner, GmbHG Anh § 101 Rn 25; Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Umgründungen Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 35 (referierend); Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 393; dies in FS Loitlsberger 213 ff; Jud in Egger/Jud/Lechner/Wünsch, Unternehmensbewertung 194 f. Für Deutschland vgl Hüffer, AktG § 305 Rn 24c, § 327b Rn 5. OGH GesRZ 2004, 387; referierend auch VfGH wbl 2005, 484. Hüffer, AktG § 327b Rn 5; Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 17; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 327b Rn 7 iVm § 305 Rn 94.
462
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
trags623 auf den Unternehmenswert ab; der Wert des Anteils ist eine Quote vom Gesamtwert des Unternehmens (indirekte Ermittlung).624 Dass es auch für die Anteilsbewertung auf den Unternehmenswert ankommt, ist nicht selbstverständlich; es liegt vielmehr nahe, eine direkte Bewertung des Anteils vorzunehmen. Stellt man auf die konkreten Verwertungsmöglichkeiten ab, so kann es eigentlich nur auf den Börsekurs zum oder nahe dem Ausschlusszeitpunkt ankommen.625 Eine Mindermeinung in Deutschland setzt für die Bewertung daher grundsätzlich direkt am Anteil an und stellt grundsätzlich auf den Börsekurs ab.626 So möchte auch Schummer627 für die Bewertung nur auf Marktpreise des Anteils selbst abstellen: „Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Börsekurs den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt. Nur wenn der Markt ausnahmsweise bei der Ermittlung des Verkehrswerts versagt, hat eine Schätzung durch eine Unternehmensbewertung zu erfolgen.“
Die indirekte Ermittlung des Anteilswerts ist nach diesem Ansatz gegenüber der direkten Ermittlung subsidiär. Die (im Vergleich zum Unternehmenswert) relativ einfache Ermittlung des Börsekurses ist sicherlich ein großer Vorteil.628 Wenn die Regeln der Berechnung festgelegt sind, können die Ergebnisse in ohne weiteres nachprüfbarer Art und Weise festgestellt werden. Freilich kann aus dieser höheren Genauigkeit nicht automatisch der Schluss auf größere Richtigkeit gezogen werden. Sowohl OGH629 als auch VfGH630 haben aber anlässlich der Regelung für die Abfindung bei Einziehung des Partizipationskapitals in § 102a BWG große Skepsis gegenüber der bloßen Maßgeblichkeit von Börsekursen anklingen lassen.631 Die Fiktion, dass ein leicht manipulierbarer Börsekurs (Durch-
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BVerfGE 100, 289; Bilda in MünchKomm AktG § 305 Rn 59; Hüffer, AktG § 305 Rn 18; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 94; Hüffer/SchmidtAßmann/Weber, Anteilseigentum 18. Großfeld, Unternehmensbewertung 227. So auch VfSlg 16.636. Busse von Colbe, FS Lutter 1053, insbesondere 1064 f; W Müller, FS Bezzenberger 714 ff; ders in FS Röhricht 1020 ff; Stilz, ZGR 2001, 892; Luttermann, ZIP 1999, 45; ders, NZG 2007, 615 ff. Für die Vereinigten Staaten vgl zB Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J 723 ff (1981); dies, Economic Structure 134 ff. In Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 45. Vielleicht ähnlich Bachl, wbl 2000, 299: „ideologischer Umschwung von einer Abfindung des Abschichtungsguthabens in Richtung Verkehrswertabgeltung“. Vgl Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 25 mwN. OGH ÖBA 2002, 135 (Kalss). VfSlg 16.636. Kritisch auch Laurer in Fremuth et al, BWG § 102a Rn 4.
IV. Der Börsekurs
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schnittskurs der letzten 20 Börsentage vor Ankündigung der Einziehung) jedenfalls eine angemessene Abfindung darstellt, ist nach Ansicht des VfGH verfassungswidrig. Der OGH hat zum UmwG unter Verweis auf Kalss632 festgehalten: „Nach herrschender Auffassung ist eine Bewertung des Unternehmens notwendig. Der Kurswert der Aktien reicht nicht aus.“633 Nach § 13 BewG ist für die steuerrechtliche Wertermittlung grundsätzlich der Kurswert, also der Börsekurs ausschlaggebend; dieser kann nur überschritten werden, wenn aufgrund besonderer Umstände, wie insbesondere der Größe des Pakets, bei der Veräußerung ein höherer Erlös erzielt werden kann (Paketzuschlag). Fehlt es an einem Börsekurs, so ist der gemeine Wert des zu bewertenden Anteils maßgeblich, der im Regelfall aus Vergleichstransaktionen abzuleiten ist,634 fehlt es an solchen, so ist er zu schätzen (§ 13 Abs 2 BewG). Die Schätzung erfolgt im Regelfall anhand des Wiener Verfahrens; errechnet wird daher ein Mischwert von Substanz- und Ertragswert. Auch eine ordnungsgemäße Unternehmensbewertung ist zulässig.635 Es ist deutlich erkennbar, dass die Unternehmensbewertung gegenüber der Preisbildung durch den Markt subsidiär ist. Auch Vergleichstransaktionen gehen der Bewertung vor.
b) Börsekurs und Unternehmenswert Wer Börsekurse heranzieht, bewertet nicht; vielmehr werden am Markt tatsächlich gezahlte Preise festgestellt. Diese sagen grundsätzlich nichts über die Erwartungen des von der Maßnahme betroffenen Bewertungssubjekts aus, sondern spiegeln die durchschnittlichen Erwartungen derjenigen wieder, die tatsächlich Abschlüsse im Beobachtungszeitraum getätigt haben. Das könnte dem Konzept der objektivierten Unternehmensbewertung grundsätzlich entsprechen. Dieser objektivierte Wert ergibt sich grundsätzlich aus den Erträgen, die aus dem Anteil zu erwarten sind. Diese können sich einerseits aus dem Verkauf des Anteils ergeben, was durch den Börsekurs zumindest grundsätzlich wiedergegeben wird, andererseits aber auch aus den erwarteten zukünftigen Erträgnissen aus der Aktie. Sollten diese höher sein als der Börsekurs, so verkauft der rational handelnde Aktionär nicht. In einem informationseffizienten Markt sollte dies aber nicht geschehen.636 Der Kapitalmarkt preist unter diesen Voraussetzungen sämtliche Informationen über das Unternehmen automatisch ein, womit die durchschnittlichen Ertragserwartungen ohnehin im Börsekurs wiedergegeben werden. Damit 632 633 634 635 636
JBl 1995, 437. OGH ÖBA 2002, 135 (Kalss). Zu den Grenzen vgl Doralt/Ruppe, Steuerrecht II Rn 27. Doralt/Ruppe, Steuerrecht II Rn 27. Freilich ist ein informationeffizienter Markt nicht automatisch auch allokationseffizient, was aber Voraussetzung dafür ist, dass der Börsekurs den fundamentalen Unternehmenswert widerspiegelt; vgl Ruffner, Grundlagen 369. Vgl auch Gude, Strukturänderungen 240 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
sollten die erwarteten Auszahlungen auf die Aktie diskontiert im Börsekurs eingepreist sein. Man spricht von strenger Informationseffizienz, wenn (neben vergangenen Preisen) alle, auch nicht öffentlich zugänglichen Informationen im Börsekurs verarbeitet sind, von halbstrenger Informationseffizienz, wenn dies bloß, aber immerhin doch für alle öffentlich verfügbaren Informationen gilt.637 Die strenge Informationseffizienz erfordert die Ausnützung von Insiderwissen. In dieser Modellwelt besteht kein Anlass, eine Unternehmensbewertung vorzunehmen, wenn von den subjektiven Erwartungen einzelner Marktteilnehmer abstrahiert werden soll. Ob der Börsekurs vom Unternehmenswert abweicht, hängt also von den Annahmen über die Informationseffizienz des Kapitalmarkts ab.638 An dieser Informationseffizienz des Kapitalmarkts – insbesondere, aber nicht nur in ihrer strengen Form – bestehen aber begründete Zweifel.639 Das gilt insbesondere bei kurz- und wohl auch bei mittelfristiger Betrachtung:640 Börsekurse weichen von fundamentalen Werten ab, wenn und soweit sich Marktteilnehmer irrational verhalten, vor allem weil Informationen nicht oder systematisch falsch verarbeitet werden.641 Das Investitionskalkül des rationalen Anlegers richtet sich in diesem Fall nicht primär auf das Unternehmen selbst, sondern die Investitionsentscheidung wird durch seine Erwartungen über das (irrationale) Verhalten der anderen Anleger bestimmt.642 Solche Wertschwankungen, die nicht auf Veränderungen im Unternehmenswert zurückzuführen sind, könnten zwar theoretisch durch Durchschnittskurse geglättet werden; freilich stellt sich die Frage, wie solche Durchschnittskurse richtig berechnet werden sollen: Ist die Referenzperiode zu kurz, so wird nicht ausreichend geglättet, je länger sie ist, desto eher sind Kursänderungen aber auf Änderungen im Unternehmenswert zurückzuführen. Studien legen darüber hinaus nahe, dass die Bewertung an Kapitalmärkten kurzfristige Aspekte übermäßig
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Vgl Brealy/Myers, Finance 357 f; Perridon/Steiner, Finanzwirtschaft 261, Böcking in FS Drukarczyk 74. Vgl aus juristischer Sicht ausführlich Adollf, Unternehmensbewertung 11 ff; Cheffins, Company Law 55 ff; Reul, Gleichbehandlung 138 ff; Ruffner, Grundlagen 359 ff. Vgl auch Großfeld, Unternehmensbewertung 183 ff; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 46a; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 53; Roth in FS Ostheim 335 ff. Setzt man hingegen ein langfristiges Konzept der Informationseffizienz voraus, so stellt sich das Problem, dass sich die Zielgröße, der Unternehmenswert, im Zeitverlauf ändert. Die Kurse können sich langfristig daher allenfalls in Richtung fundamentaler Effizienz bewegen. Aus der Literatur vgl Schäfer/Ott, Lehrbuch 65 ff; Ruffner, Grundlagen 373 ff; Breuer/Pest/Stotz, ÖBA 2005, 153; Kreps in Palgrave I 168 ff. So schon Keynes, General Theory 153 ff. Vgl auch Ruffner, Grundlagen 370 f, 381 f.
IV. Der Börsekurs
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betont;643 sollte das richtig sein, so sind die resultierenden Abweichungen auch durch die Bildung eines Durchschnittskurses nicht auszugleichen. Beim hier im Zentrum stehenden Gesellschafterausschluss sind aber nicht diese zuletzt angesprochenen Irrationalitäten, sondern die geheimen Informationen der Kern des Problems: Werterhöhende Informationen kennt in den meisten Fällen zunächst nur die Gesellschaft bzw ihr Hauptgesellschafter. Gerade diese Akteure haben vor einem Gesellschafterausschluss aber ein besonderes Interesse, solche Informationen vom Markt fern zu halten. Der Börsekurs wird sie daher häufig nicht widerspiegeln – für die Beurteilung der Angemessenheit der Abfindung sind sie bei wertender Betrachtung dennoch zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass der Markt nur informationseffizient sein kann, wenn der Handel breit genug ist; denn die Einpreisung der Information setzt voraus, dass professionell informierte Handelsteilnehmer ein wirksames Handelsvolumen einsetzen können.644 Theorien, die auf der Informationseffizienz aufbauen, setzen daher einen liquiden Markt voraus.645 Es ist kein Zufall, dass diese Ansätze vor allem im angloamerikanischen Raum entstanden sind, der sich durch einen hohen Grad an Finanzierung durch den Kapitalmarkt und daher entsprechender Tiefe auszeichnet. Gerade an der Wiener Börse dürfte diese erforderliche Liquidität aber nicht bei allen Titeln gegeben sein. Daneben ist die Gefahr der Kursmanipulation zu bedenken: Der Hauptgesellschafter muss nämlich nicht unbedingt warten, bis das Kursniveau niedrig ist; er kann dieses auch selbst beeinflussen, insbesondere durch Verkäufe nach unten drücken. Dieses Vorgehen ist bei geringer Liquidität auch ohne sonderlich großen Mitteleinsatz möglich – und die Liquidität ist gerade bei Kandidaten für den squeeze-out im Regelfall gering. Es bestehen daher begründete Zweifel, ob der Börsekurs außerhalb einer Modellwelt den Unternehmenswert tatsächlich widerspiegelt und diese Zweifel gelten verstärkt, wenn die Voraussetzungen für einen squeeze-out gegeben sind.646 Die Hypothese, dass Aktienkurse durchwegs unter den fundamentalen Werten liegen,647 ist (zumindest außerhalb von Phasen allgemeiner Euphorie) nicht unplausibel. Freilich sind diese Zweifel an der Informationseffizienz des Kapitalmarkts in der Sache nicht ausschlaggebend. Denn der Börsekurs kann allenfalls ein Indikator für den Anteilswert sein; denn er ist kein „Wert“, sondern ein beobachteter Preis, der zwischen den Entscheidungswerten von Käu-
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Vgl Ruffner, Grundlagen 384 ff mwN. Ruffner, Grundlagen 361 f. Zum deutschen Kapitalmarkt vgl die Untersuchung von Gude, Strukturänderungen 257 ff, nach der bei Nebenwerten die Effizienz „schwächer“ ist. So aus der Praxis auch Hödl in HB M & A 548. Was sich aus dem Risiko der zyklischen Über- und Unterbewertung zumindest bei Risikoaversion automatisch ergibt; vgl Ruffner, Grundlagen 408 ff mwN.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
fer und Verkäufer liegt.648 Als solcher gibt er auch Wertfaktoren wieder, die bei einer rechtlich veranlassten Bewertung nicht akzeptiert werden können: c) Börsekurs und Normwert aa) Minderheitsabschläge und Bewertung Die herrschende Lehre geht davon aus, dass bei der Anteilsbewertung – jedenfalls bei gesellschaftsrechtlichen Bewertungsanlässen – der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten ist.649 Anteile mit gleicher rechtlicher Ausgestaltung sind gleich viel wert, weil sie zumindest grundsätzlich den gleichen Anteil an den Unternehmensüberschüssen gewähren. Denn die gesellschaftsrechtliche Beteiligung vermittelt zwar keinen Anteil am Unternehmen der Gesellschaft, aber doch einen Anteil am Gesellschaftsvermögen.650 Damit einher geht ein Anteil an den vom Unternehmen erwirtschafteten Überschüssen, der grundsätzlich gleich ist, wenn der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung enthält. Diese Überschüsse sind aber für die Bewertung letztlich ausschlaggebend. Aus diesem Grund ist nach nahezu einhelliger Meinung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ein Minderheitsabschlag nicht vorzunehmen, wenn es um die Bewertung einzelner Aktien oder nicht kontrollierender Pakete geht.651 Dem folgt auch die überwiegende betriebswirtschaftliche Lehre652 und Praxis.653 Einzelne Stimmen des betriebswirtschaftlichen Schrifttums wollen Minderheitsabschläge hingegen grundsätzlich zulassen.654 Es ist jedenfalls nicht ausschlaggebend, dass Minderheitsabschläge bzw Paketzuschläge bei nicht dominierten Transaktionen tatsächlich bezahlt werden.655 Das ist bei der Findung eines Entscheidungswerts im Rahmen eines freiwilligen Verkaufs zu berücksichtigen,656 nicht bei rechtlich determinierten 648 649
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Vgl Böcking in FS Drukarczyk 85 mwN. Für alle Großfeld, Unternehmensbewertung 230. Auch die Abkehr von der Vollausschüttungsfiktion würde zu einer Ungleichbehandlung führen und ist daher abzulehnen; vgl schon oben III. B. 5. Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriss 193. Anders und verfehlt Busse von Colbe in FS Lutter 1064. Vgl zB Großfeld, Unternehmensbewertung 230; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 95 f; ders in FS Ostheim 424; Artmann, Organschaft 267 (zum Austrittsrecht beim Beherrschungsvertrag); Piltz, Unternehmensbewertung 236; so schon früh Kropff, DB 1962, 155 ff. Moxter, Grundsätze 89; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 413; dies in FS Loitlsberger 216. Fachgutachten Rn 132 für die objektivierte Bewertung. Anders in Österreich und ohne nähere Begründung Seicht, SWK 1999, W 19 f; ders, RWZ 2004, 164; ders, RWZ 2004, 263. Vgl auch Coates, 147 U Pa L Rev 1263 f (1999), der in der Sache wie hier zwischen financial discounts und legal discounts unterscheidet. Vgl Fachgutachten Rn 134; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 244 f.
IV. Der Börsekurs
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Bewertungsanlässen. Die Unzulässigkeit von Minderheitsabschlägen ist nicht mit faktischen Beobachtungen zu widerlegen, die noch dazu andere Bewertungsanlässe betreffen. Minderheitsabschläge sind aus normativen Überlegungen unzulässig; der Normwert ist dasjenige, was das Unternehmen aus rechtlichen Erwägungen wert sein soll.657 Zuzugestehen ist aber, dass die Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nur bei rechtsdogmatischer Betrachtung befriedigend ist. Aus ökonomischer Sicht ist sie eine petitio principii.658 Die Frage muss lauten: Warum sollen die Gesellschafter gleich behandelt werden? Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht fehlen soweit ersichtlich klare Antworten ebenso wie empirische Studien.659 Auf den ersten Blick geht es nur um die Verteilung zwischen Mehrheits- und Minderheitsaktionär, die bei Anwendung des Effizienzkriteriums – zumindest wenn man das Kaldor/Hicks-Kriterium für die Messung der Effizienz zugrunde legt – nicht zu berücksichtigen wäre. Letztlich ist es aber nicht auszuschließen, dass auch das Angebot an anlagesuchendem Kapital sinkt, wenn Minderheitenabschläge zugelassen werden. Das Thema wird im Zusammenhang mit der Berücksichtigung von Paralleltransaktionen vertieft; unten V. A. 4. bb) Minderheitsabschläge im Börsekurs Gerade der Börsekurs enthält allerdings im Regelfall solche Minderheitsabschläge.660 Denn Voraussetzung für den Gesellschafterausschluss ist, dass sich zumindest 90 % des Grundkapitals in einer Hand befinden; die an der Börse verfügbaren Aktien können daher de facto nicht die Kontrolle über die Gesellschaft vermitteln. In diesem Fall notieren die Aktien der Gesellschaft häufig niedriger. Der Börsekurs spiegelt die fehlende Kontrollmöglichkeit wider. Es gibt zahlreiche Gründe für solche Minderheitsabschläge an der Börse.661 Zunächst kann der Börsekurs außerrechtliche oder sogar rechtswidrige Sachverhalte widerspiegeln. So ist die Aneignung von corporate opportunities durch den Mehrheitsaktionär ebenso wie die normale Einlagenrückgewähr zwar rechtswidrig (§ 52 AktG),662 wird aber im Börsekurs mindernd berücksichtigt, wenn die Minderheitsaktionäre nicht dagegen vorgehen. Letzteres ist – trotz der Regelung in § 122 Abs 1 AktG – wegen der Probleme der collective action und des free-riding der Regelfall; die Anreize für die Erhebung der Klage sind nicht ausreichend.663 Solche Rechtswidrigkeiten treten tendenziell besonders 657 658 659 660 661 662
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Großfeld, Unternehmensbewertung 27. Vgl Coates, 147 U Pa L Rev 1338 ff (1999). Näher Coates, 147 U Pa L Rev. 1311 ff (1999). Vgl Coates, 147 U Pa L Rev 1251 ff (1999). Vgl Coates 147 U Pa L Rev 1274 ff (1999) für eine Klassifikation. Vgl dazu näher zB Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 52 insbesondere Rn 51; Doralt/Winner in MünchKomm AktG § 57 Rn 233, 243. Vgl näher Doralt/Winner in MünchKomm AktG § 62 Rn 152 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
häufig bei Gesellschaften mit ganz besonders starken Mehrheitsaktionären auf, die häufig die Vollintegration anstreben. Wird nun der Börsekurs als allein maßgeblicher Maßstab herangezogen, so können rechtswidrig erlangte Vorteile das Ergebnis mindern;664 das gilt vor allem dann, wenn die erbrachten Vorteile nicht mehr erlangt werden können und/oder wenn absehbar ist, dass der Mehrheitsaktionär auch in Zukunft so vorgehen wird. Hinzu kommt, dass abseits jeder rechtswidrigen Einflussnahme auch die Möglichkeit des Gesellschafterausschlusses bereits eingepreist ist, wenn weniger als 10 % von außenstehenden Aktionären gehalten werden. Darauf haben insbesondere Bebchuk und Kahan hingewiesen.665 Lässt man einen Ausschluss zum Marktpreis zu, so führt dies tendenziell zu einem Absinken der Marktpreise. Denn wenn der Ausschluss zum Marktpreis nicht erfolgt, so sendet der Mehrheitsaktionär ein Signal, dass nach seiner (im Regelfall überlegenen) Information der Unternehmenswert unter dem Marktpreis liegt. Das führt dazu, dass sich die Spirale weiter nach unten dreht (lemons effect). Muss hingegen der Ausschluss zum Unternehmenswert erfolgen, so wird der Börsekurs von diesen Einflüssen weit gehend entkoppelt. Wer Börsekurse für ausschlaggebend hält, erkennt im Ergebnis die unterschiedliche Bedeutung der Aktie an, je nachdem ob sie mehrheitsvermittelnd sein kann oder nicht. Mit dem Börsekurs würden Minderheitsabschläge indirekt über die Bewertungsmethode wieder eingeführt.666 Erschwerend kommt hinzu, dass diese Abschläge gerade dann besonders hoch ausfallen, wenn die Minderheit von weniger als 10 % keinen realen Einfluss auf die Geschäftsgeschicke vermitteln kann, sondern vielmehr vom jederzeitigen Ausschluss bedroht ist. Der Börsekurs scheidet daher als allein maßgeblicher Bestimmungsfaktor für die volle Entschädigung aus.667 Das gilt selbstverständlich schon für all jene und in der Zahl ganz überwiegende Gesellschaften, bei denen ein (aussagekräftiger) Börsekurs oder doch zumindest ein Marktpreis ganz fehlt.668 Aber auch für börsenotierte Gesellschaften kann der teilweise geforderte Konzeptionswechsel hin zu einer reinen Börsekursbetrachtung nicht rechtsrichtig sein.669 Denn im Börsekurs eingepreiste Minderheitsabschläge dürfen wegen des
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Vgl auch Reul, Gleichbehandlung 226. In Morck, Concentrated Corporate Ownership 247. Vgl auch Subramanian, 115 Yale L J 35 ff (2005). Coates, 147 U Pa L Rev 1285 (1999). So deutlich Kalss, Anlegerinteressen 518 ff; Großfeld, Unternehmensbewertung 186 f, 191 f. Vgl Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 19 f. Aus meiner Sicht ist es freilich sekundär, dass es sonst gespaltene Bewertungsmethoden für börsenotierte und andere Gesellschaften gibt (kritisch aber Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 20). Das wäre nur eine Folge des besser beobachtbaren Marktes.
IV. Der Börsekurs
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Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht berücksichtigt werden; rechtlich ist jede Aktie gleich, unabhängig davon, ob sie in einem mehrheitsvermittelnden Paket gehalten wird oder nur Teil einer Minderheit von weniger als 10 % ist.670. Es bleibt daher grundsätzlich bei der Maßgeblichkeit des anteiligen Unternehmenswerts; eine gespaltene Rechtslage für börsenotierte und börseferne Gesellschaften besteht nicht.671 Ebenso wäre es auch denkbar, bei der Bewertung des Anteils auf die aus Sicht des Anteilsinhabers zu erwartenden Ausschüttungen abzustellen. Damit wäre freilich ein unzureichender Beurteilungsmaßstab gefunden. Denn der Wert der Aktien darf nicht dadurch beeinflusst werden, dass der Mehrheitsgesellschafter die Ausschüttungen verweigert (und sich selbst seine Vorteile anderswo holt), obwohl ausschüttungsfähiges Vermögen vorhanden wäre. Deswegen geht die allgemeine Meinung auch für die Bewertung des Minderheitsanteils von der These der Vollausschüttung aus.672 Damit stellt sich das Problem, die nachhaltig ausschüttbaren Überschüsse zu ermitteln; dieses ist freilich keine Sonderfrage der Anteilsbewertung, sondern ein Grundproblem jeder Unternehmensbewertung.673
Letztlich spricht auch gegen die ausschließliche Maßgeblichkeit von Börsekursen, dass allenfalls unechte Verbundvorteile in diesem eingepreist sind. Echte Synergieeffekte können im Börsekurs nur dann enthalten sein, wenn diese vom Ausschließenden zu ersetzen sind. Wäre ausschließlich der Börsekurs – ohne Rückgriff auf eine Bewertung - für die Festlegung der angemessenen Abfindung ausschlaggebend, so könnten Synergiegewinne in deren Festlegung nicht einfließen. Rechtlich ist eine Berücksichtigung aber erforderlich; oben III. C. 2. d) Börsekurs als Untergrenze Eine von der ausschließlichen Maßgabe des Börsekurses zu unterscheidende Frage ist, ob dieser die Untergrenze für die Abfindung beim Gesellschafterausschluss darstellt. Das wird von der jüngeren674 deutschen verfassungs-675
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Eindringlich Großfeld, Unternehmensbewertung 230; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 95 f; Artmann, Organschaft 267 (zum Austrittrecht beim Beherrschungsvertrag); so schon früh Kropff, DB 1962, 155 ff; so auch Moxter, Grundsätze 89; Mandl/Rabel in FS Loitlsberger 216. Anders in Österreich nur und ohne nähere Begründung Seicht, SWK 1999, W 19 f; ders, RWZ 2004, 164; ders, RWZ 2004, 263. So auch Koppensteiner, JBl 2003, 710 f. Vgl Moxter, Grundsätze 85 ff. Großfeld, Unternehmensbewertung 68 ff iVm 228. Anders noch BGH AG 1967, 264; BGHZ 71, 40; zuletzt OLG Celle NZG 1998, 987. Früh aber schon Drukarczyk, AG 1973, 361 ff. BVerfGE 100, 289; BVerfG AG 2000, 40.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
und gesellschaftsrechtlichen676 Rechtsprechung, aber auch vom Großteil der Lehre677 bejaht. Dabei stützt sich die Entscheidungspraxis vor allem auf die Verkehrsfähigkeit der Aktie. Die Angemessenheit der Abfindung wird durch einen Vergleich mit dem Erlös bei einer freien Deinvestitionsentscheidung ermittelt.678 Ausnahmen werden gemacht, wenn der Börsekurs ausnahmsweise den Verkehrswert der Aktie nicht widerspiegelt. Die wohl herrschende Lehre in Österreich folgt diesem Ansatz heute,679 während die Berücksichtigung von Börsekursen früher großteils abgelehnt wurde.680 Auch das neue Fachgutachten berücksichtigt diese Entwicklung mittlerweile, wenn auch vorsichtig: „Im Rahmen der Bewertung von Unternehmensanteilen börsenotierter Unternehmen ist zu prüfen, inwieweit der Börsekurs als Wertuntergrenze relevant ist.“681 Es ist grundsätzlich schlüssig, den Börsekurs als Untergrenze heranzuziehen. Denn dieser spiegelt den Wert des Anteils aus Sicht des Aktionärs wider; um diesen Preis hätte er die Aktie veräußern können.682 Wenn aus gesellschaftsrechtlichen Überlegungen auf den quotalen Anteil am Unternehmenswert abzustellen ist, so bedeutet das nicht, dass der Marktpreis nicht auch zu
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BGHZ 147, 108. Vorher schon BayObLG AG 1999, 43. In der Folge OLG Düsseldorf AG 2000, 421; OLG Düsseldorf AG 2000, 422; OLG Düsseldorf AG 2003, 329; OLG Düsseldorf AG 2004, 212; OLG Frankfurt/Main AG 2003, 581; OLG Hamburg AG 2001, 479; OLG Hamburg NZG 2003, 89; OLG Stuttgart AG 2000, 428; OLG Stuttgart AG 2004, 43. Vgl zB Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 32 ff, 103 f; Hüffer, AktG § 305 Rn 20a ff; Bilda in MünchKomm AktG § 305 Rn 66; Grunewald in MünchKomm AktG § 327b Rn 9; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 46; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 153; K Schmidt, Gesellschaftsrecht 950 f; Böcking in FS Drukarzyk76 f; Adolff, Unternehmensbewertung 290 ff. Kritisch aber Großfeld, Unternehmensbewertung 190 f (bloß Indikator für Unternehmenswert); ders, BB 2000, 261 ff; Henze in FS Lutter 1101; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 51 ff. Vgl auch Hüffer, AktG § 305 Rn 20b. Kalss, Anlegerinteressen 518 ff; Kalss, Verschmelzung § 2 UmwG Rn 3; Kalss/ Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 15; Nowotny, RdW 1999, 762; Nowotny, wbl 2001, 383; Bachl, wbl 2000, 298; Bachner, Bewertungskontrolle 12 f; Gall/Potyka/ Winner, Squeeze-out Rz 230 ff; zumindest positiv auch Kalss/Winner, ÖBA 2000, 62; Hödl in HB M & A 547 ff; Terlitza, Teilfusionen 144 ff; Mühlehner in Kranebitter, Unternehmensbewertung 54 f. Offen lassend OGH ÖBA 2002, 135; positiv zum Börsekurs als Untergrenze wohl auch VfSlg 16.636. Skeptisch Koppensteiner, JBl 2003, 711 f; G Tichy, RWZ 2000, 168. Aus der betriebswirtschaftlichen Literatur zB Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 174. Kalss, JBl 1995, 437. Anders aber schon Hügel, Verschmelzung 200 f (zu § 305 dAktG, ablehnend aber für die Verschmelzung); Zöchling, RWZ 1997, 158. Fachgutachten Rn 133. Ähnlich schon Hügel, Verschmelzung 200 f. Jüngst zB Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 153.
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berücksichtigen ist. Die alternative Veräußerungsmöglichkeit des Aktionärs ist abzugelten, wenn die Entschädigung voll sein soll. Auch die effizienztheoretische Beurteilung spricht dafür, den Börsekurs heranzuziehen. Ganz ähnlich wie für das klassische Enteignungsrecht683 (oben 3. Teil V. A. 3. b) besteht wenig Grund, dem Mehrheitsaktionär Anteile rechtlich zuzuordnen, wenn die durchschnittliche Einschätzung des Werts durch die Marktteilnehmer höher ist als die vom Ausschlussberechtigten gebotene Entschädigung. Im Regelfall bedeutet dies nämlich, dass die Erwartung des Marktes bezüglich der Unternehmensaussichten besser ist als diejenige des Mehrheitsaktionärs. Alternativ kann das auch daran liegen, dass der Mehrheitsaktionär den Markt nicht mit ausreichenden Informationen versorgt hat; auch das soll sanktioniert werden.684 Wenn der subjektive Wert der Anteile für den begünstigten Mehrheitsgesellschafter niedriger ist als für die auszuschließenden Anteilseigner, ist dies für die Bemessung der angemessenen Abfindung daher unbeachtlich.685 Aus rechtlicher Sicht ist daher entscheidend, ob der Abfindungsberechtigte seine Aktie zu diesem Wert hätte veräußern können; der Börsekurs indiziert diese Veräußerungsmöglichkeit jedenfalls. Es geht daher nicht darum, dass der Börsekurs ein Indikator für den inneren Wert der Aktie sein soll.686 Der Börsekurs ist nicht „wahrer“ als irgendein anderer Preis. Vielmehr bietet der Markt die Möglichkeit, die Aktien zum Börsekurs zu veräußern; das allein genügt, um ihn als Mindestgrenze für die volle Abfindung zu wählen.687 In dieser Berücksichtigung sowohl des Börsekurses als auch des Unternehmenswerts wird die Doppelnatur der Aktie erkennbar. Sie ist nämlich sowohl selbständig handelbares Wirtschaftsgut als auch quotale Beteiligung an der Gesellschaft.688 Im Regelfall muss somit eine Unternehmensbewertung erfolgen. Nur wenn – ganz ausnahmsweise – auch ohne eigene Ermittlung
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Im Vergleich zum Enteignungsrecht gibt es aber eine wichtige Einschränkung: Wegen des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (gleiche Abfindung für alle Gesellschafter) ist nicht die Einschätzung jedes einzelnen Gesellschafters ausschlaggebend; vielmehr müssen typisierte Erwartungen zugrunde gelegt werden. Damit steht die Pflicht zur Gleichbehandlung in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Gebot der vollen Entschädigung. Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 12. In der Sache wie hier Großfeld, Unternehmensbewertung 231; Drukarczyk, Unternehmensbewertung 133 f; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 407. So aber zB Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 53; wohl auch BGHZ 147, 108. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 40, 43. Vorsichtig, aber wohl ähnlich auch Koppensteiner, JBl 2003, 711. Vgl auch Adolff, Unternehmensbewertung 324 f.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
sicher ist, dass der Unternehmenswert unter dem Börsekurs liegt, kann die gesonderte Bewertung unterbleiben.689 Man darf freilich beim Börsenkurs, also den Preise an geregelten Märkten, nicht stehen bleiben. Grundsätzlich ist jeder Marktpreis für Gesellschaftsanteile als Untergrenze anzuerkennen;690 ein solcher ist freilich auf einem organisierten Markt leichter feststellbar. Jedenfalls für Aktiengesellschaften können sich aber ohne weiteres auch ohne Börsenotierung Marktpreise bilden.691 Häufig scheitert die Beurteilung von Markpreisen jedoch daran, dass Gesellschaftsanteile, insbesondere bei der GmbH, keine standardisierten Werte sind. Das Problem ist aus dem Enteignungsrecht bekannt; die Liegenschaft ist eine individualisierte Sache, für welche die Ermittlung eines Marktpreises im ökonomischen Sinn nicht in Betracht kommt. In jenem Zusammenhang werden vielmehr die Gegenleistungen bei Transaktionen über vergleichbare Liegenschaften ermittelt. Ebenso könnte beim Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern einer GmbH auf Transaktionen in vergleichbaren Gesellschaften abgestellt werden; der solcherart ermittelte Wert wäre die Untergrenze für die Abfindung. Das scheidet im gegebenen Zusammenhang aus zahlreichen Gründen aus. Im Vergleich zu Liegenschaften sind die unternehmensspezifischen Faktoren bei der Preisbestimmung noch weitaus wichtiger; deswegen kann ein Vergleichstransaktionen-Konzept zwar ein wichtiger Anhaltspunkt für die Plausibilisierung des ermittelten Unternehmenswerts sein,692 muss aber als Untergrenze für die volle Abfindung ausscheiden. Hinzu kommt, dass die Basis für den Vergleich häufig äußerst gering ist, weil es nur wenige Transaktionen gibt. In der Praxis wird zur Verbreiterung der Basis häufig auf „nicht mehr ganz ähnliche“ Gesellschaften zurückgegriffen; das Ergebnis wird entweder als Multiplikator-Bandbreite dargestellt oder mit mehr oder weniger nachprüfbaren Korrekturfaktoren vergleichbar gemacht. Selbst wenn die Vergleichbarkeit im Einzelfall gegeben ist, so spricht gegen die Berücksichtigung, dass beim Erwerb anderer Gesellschaften die Synergieerwartungen eines Dritten preis689
690
691
692
Nowotny, RdW 1999, 762; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 46a. Damit wird den Bedenken Koppensteiners, JBl 2003, 712 sowie dess in KölnerKomm AktG § 305 Rn 54, der in der Maßgeblichkeit des Börsekurses als Untergrenze eine sachlich nicht gerechtfertigte Bevorteilung börsenotierter Aktien sieht, teilweise entgegen getreten: Es geht nicht um die Börsenotierung, sondern um die Beobachtbarkeit von Markttransaktionen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ähnlich Bertl/Schiebel, RWZ 2004, 175. Außerhalb des hier interessierenden Kapitalgesellschaftsrechts kann die Ermittlung eines Marktpreises zB bei der Beteiligung als Kommanditist in einer Publikums-KG gelingen. Das ist die allgemein anerkannte Rolle von Marktwertverfahren bei der Unternehmensbewertung (zumeist auf Basis so genannter multiples); vgl zB Fachgutachten Rn 113 f; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 265.
IV. Der Börsekurs
473
bildend waren, die sich aber unter Umständen nur mit dieser Gesellschaft verwirklichen lassen. Die angemessene Abfindung für entzogene Gesellschaftsanteile ist daher grundsätzlich durch eine anteilige Unternehmensbewertung nach allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Das kann durch die Beobachtung der Bedingungen von tatsächlich getätigten Transaktionen (Börsekurs, aber auch sonstige Marktpreise) nicht ersetzt werden.693 Allerdings bildet der Marktpreis die Untergrenze für eine angemessene Abfindung, weil dem Gesellschafter die Veräußerung zu diesen Bedingungen jedenfalls möglich gewesen wäre. 2. Zur Berechnung des Börsekurses Der für die Untergrenze der Abfindung maßgebliche Börsekurs kann starken Schwankungen ausgesetzt sein. Der Mehrheitsgesellschafter bestimmt den Zeitpunkt des Ausschlusses der anderen Gesellschafter; kommt es zB auf den Schlusskurs zum Zeitpunkt der Beschlussfassung an, so kann er versuchen, die Hauptversammlung in einer für die Gesellschaft ungünstigen Börsestimmung abzuhalten, um die Untergrenze möglichst niedrig zu halten. Hinzu kommt, dass typischerweise ein enger Markt vorliegt, wenn die Voraussetzungen für den Ausschluss (Beteiligung des Hauptgesellschafters von mehr als 90 %) gegeben sind; wegen der geringen Handelsvolumina können die Börsekurse leicht durch den Hauptgesellschafter manipuliert werden,694 weil bereits der Verkauf verhältnismäßig weniger Aktien Einfluss auf den Börsekurs haben kann. Zu Recht wird daher angeführt, dass der Glaube an die „Richtigkeit“ des Börsekurses in diesem Regelungszusammenhang auf tönernen Füßen steht.695 Drei Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang: Wie ist der Stichtag festzusetzen? Inwieweit ist nicht auf Kurse einzelner Tage, sondern auf Durchschnittskurse abzustellen? Kann ein Börsekurs im Einzelfall nicht berücksichtigt werden, weil er „das maßgebliche quotale Unternehmenseigentum zu teuer abbildet“?696 a) Stichtag für den Börsekurs Im Rahmen der Ertragswertmethode ist der Tag der Beschluss fassenden Hauptversammlung Bewertungsstichtag; oben III. B. 4. Dieser Stichtag kommt nach dem BGH auch zur Anwendung, wenn es um die Festlegung des maßgeblichen Börsekurses geht; es kommt auf den Durchschnittskurs einer gewissen Referenzperiode an, die bis zum Tag der Hauptversammlung
693 694 695 696
Vgl Böcking in FS Drukarczyk 86. Vgl OGH ÖBA 2002, 135 (Kalss); VfSlg 16.636. Koppensteiner, JBl 2003, 712. Hüffer, AktG § 327b Rn 5.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
reicht.697 Die Entscheidung erging zu § 305 dAktG, kann aber für den Gesellschafterausschluss nach § 327a dAktG nicht anders lauten.698 Ganz unabhängig von der Frage, ob der Tageskurs an einem Stichtag gelten soll oder ein Durchschnittskurs, kann diese Wahl des Stichtages nicht überzeugen; sie wird auch im Schrifttum durchgängig kritisiert.699 Zwar hat das BVerfG700 der Rechtsansicht des BGH aus verfassungsrechtlicher Sicht seinen Segen erteilt (allerdings mit vorsichtig-distanzierten Worten zur einfachgesetzlichen Rechtslage). Allerdings hat das OLG Stuttgart jüngst dem BGH die Gefolgschaft verweigert und in einer wichtigen Entscheidung auf den Tag der Bekanntgabe der Maßnahme abgestellt;701 die Beschwerde beim BGH ist zur Zeit der Drucklegung dieses Buches noch anhängig. Die Rechtsansicht des OLG Stuttgart ist richtig: Am Tag der Hauptversammlung sind die Zukunftserwartungen betreffend die Höhe der Abfindung im Börsekurs nämlich bereits eingepreist; man schafft dadurch ein selbstreferenzielles System.702 Ebenso gravierend ist aber, dass der Kurs zu diesem Stichtag manipuliert werden kann.703 Beide Aspekte verlieren zwar an Bedeutung, wenn man auf Durchschnittskurse abstellt, sollten aber auch dann nicht völlig außer Acht gelassen werden. Hinzu kommt aus rechtstechnischer Sicht, dass die Höhe der Abfindung bereits im Bericht gemäß § 3 Abs 1 GesAusG zu begründen ist. Dieser ist bei der Aktiengesellschaft während eines Monats vor der Hauptversammlung aufzulegen (§ 3 Abs 5 GesAusG). Die Kursentwicklungen müssten im Bericht für diesen Zeitraum geschätzt werden,704 etwaige Änderungen wären nach § 3 Abs 7 GesAusG in der Hauptversammlung zu berichten. Das ist ohne Zweifel nicht beabsichtigt.705 Die Barabfindung soll im Bericht grundsätzlich fixiert werden; nur wenn sich die Verhältnisse ausnahmsweise ändern, kommt eine Berichtigung in Betracht. Stellt man aber auf die Börsekurse im Zeitpunkt der 697
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700 701
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BGHZ 147, 108. Ähnlich zB OLG Hamburg NZG 2003, 89. Auf den Stichtagskurs zum Tag der Hauptversammlung (!) will anscheinend W Müller in FS Röhricht 1032 abstellen. Vgl Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 20. Für alle Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 47a ff; Böcking in FS Drukarczyk 81 ff; Weber, ZGR 2004, 284 ff; Adolff, Unternehmensbewertung 334 ff. BVerfG NZG 2007, 228. OLG Stuttgart NZG 2007, 302; zuvor schon KG NZG 2007, 71; zur Entscheidung des OLG Stuttgarts Wasmann, BB 2007, 680. Vgl Großfeld, Unternehmensbewertung 195 f. Hüffer, AktG § 305 Rn 24e; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 102. Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 102. Vgl Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 46 mit Hinweisen auf (durch geplantes Vorgehen) vermeidbare Kursveränderungen zwischen dem Zeitpunkt der Einreichung des Umwandlungsplans zum Firmenbuch und demjenigen seiner Veröffentlichung.
IV. Der Börsekurs
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Beschlussfassung ab, so wäre die Änderung des Berichts nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In der Sache ist es daher richtig, auf den Tag der ersten Bekanntmachung der Absicht des Ausschlusses abzustellen.706 Zu diesem Zeitpunkt ist einerseits die Kursbildung vom Ausschlussplan noch unbeeinflusst, andererseits kann die Berücksichtigung ohne weiteres in die jeweiligen Verfahren integriert werden. In der Sache entspricht dies auch der Wertung nach § 26 Abs 1 Satz 3 ÜbG,707 wonach der Referenzzeitraum für die Berücksichtigung der Börsekurse beim Angebotspreis endet, wenn die Angebotsabsicht bekannt gemacht wird.708 Dies kann auf die Situation beim squeeze-out mE ohne weiteres übertragen werden. b) Referenzzeitraum Der Schlusskurs am letzten Tag vor der Bekanntmachung des Ausschlusses soll nach ganz herrschender Lehre sowohl in Österreich709 als auch in Deutschland710 nicht ausschlaggebend sein. Vielmehr sei auf den Durchschnittskurs während einer näher zu bestimmenden Referenzperiode abzustellen.711 Auch das deutsche BVerfG hat es in seiner Grundsatzentscheidung „DAT/Altana“ für aus verfassungsrechtlicher Sicht unproblematisch gehalten, wenn auf einen Referenzzeitraum abgestellt wird.712 Der BGH hat den Referenzzeitraum in der Folge mit drei Monaten (allerdings vor dem Tag der Hauptversammlung) fixiert.713 706
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So auch Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 15; Hödl in HB M & A 547 ff. Zur verschmelzenden Umwandlung: Kalss, Anlegerinteressen 519 f; Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 46. Für Deutschland zB Hüffer, AktG § 305 Rn 24e; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 104; Großfeld, Unternehmensbewertung 193. 1334 BlgNR 22. GP. Für Deutschland mit Ableitung aus dem WpÜG zB Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 20. Vor dem ÜbRÄG 2006 war die Frage nicht geklärt; allerdings bot die übernahmerechtliche Praxis zum freiwilligen Vollangebot einen Ansatzpunkt. Dort wurde nämlich – angesichts einer bis dahin bestehenden Lücke im Gesetzestext – auf die Bekanntmachung der Angebotsabsicht als Endpunkt der Periode von sechs Monaten abgestellt (vgl Diregger/Winner, WM 2002, 1588; Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht, 1. Auflage [2003] Rn 200). Kalss, Anlegerinteressen 519 f; Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 45 f. Hüffer, AktG § 305 Rn 24d f; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 105´; Großfeld, Unternehmensbewertung 193 f. Anders Bilda in MünchKomm AktG § 305 Rn 68; Böcking in FS Drukarczyk 83 f; OLG Düsseldorf AG 2000, 422. Kritisch M Weber, ZGR 2004, 290 ff. BVerfGE 100, 289. BGHZ 147, 108. Vgl auch OLG Hamburg AG 2001, 479; OLG Düsseldorf AG 2003, 329; OLG Frankfurt/Main AG 2003, 581.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Die herrschende Lehre begründet dies damit, dass der Schlusskurs eines bestimmten Tages ein durch Angebot und Nachfrage geprägter Marktpreis sei; dieser spiegele den Unternehmenswert höchstens zufälligerweise wider.714 Das ist zwar richtig; allerdings wird das durch die Wahl eines Durchschnittskurses nicht gelöst. Je kürzer die Referenzperiode ist, desto wichtiger sind die Markttrends; je länger sie festgelegt wird, desto eher hat sich das Unternehmen gegenüber früheren Zeitpunkten geändert, weswegen die historischen Börsekurse für die Bewertung im Zeitpunkt der Umwandlung nicht ausschlaggebend sein können.715 Diese beiden gegenläufigen Tendenzen wirken immer gleichzeitig; es gibt keinen „richtigen“ Referenzzeitraum, in dem sie sich typischerweise ausgleichen. Darum geht es aber auch nicht: Der Börsekurs ist nach der hier vertretenen Ansicht nur ausschlaggebend, weil der Aktionär zu diesem hätte verkaufen können. Deswegen sollte es zwar prinzipiell auf den Tageskurs am Stichtag ankommen. Dann wären die Auszuschließenden allerdings der Manipulation des Kurses durch den Mehrheitsaktionär ausgeliefert.716 Wegen dieser Gefahr, nicht aber wegen einer größeren Richtigkeitsgewähr für die Ermittlung des Unternehmenswerts, ist auf Durchschnittskurse während eines Referenzzeitraums abzustellen. Diese Überlegungen sprechen tendenziell dagegen, lange Referenzperioden festzulegen.717 Referenzzeiträume von einem Jahr bis zu mehreren Jahren vor dem Ankündigungszeitpunkt718 sind nicht erforderlich, um Manipulationen durch den Abfindungsverpflichteten zu vermeiden. Vielmehr kann hier je nach Handelsvolumen auch eine deutlich kürzere Frist reichen. Aufgrund vergleichbarer Wertungen (siehe § 26 ÜbG) empfiehlt es sich, grundsätzlich auf eine Frist von sechs Monaten vor der Ankündigung der Umwandlung abzustellen.719 Diese Frist kann im Einzelfall verkürzt werden, wenn aufgrund
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So zB tendenziell Hüffer, AktG § 305 Rn 24d f; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 105; in diese Richtung vielleicht auch Kalss, Anlegerinteressen 519 f. Deswegen will Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 109, auch eine Trendanalyse heranziehen, um solche Entwicklungen auszublenden. Vgl Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 103; deutlich auch OLG Düsseldorf AG 2003, 329. Wie hier Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 15. Kalss, Anlegerinteressen 520 (ein bis zwei Jahre); Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 106 (höchstens drei Jahre, bei kontinuierlichem Kursverlauf auch kürzer); referierend auch Großfeld, Unternehmensbewertung 194 f. Im Ansatz auch OLG Stuttgart NZG 2000, 744; gute Meinungsübersicht bei LG Dortmund AG 2001, 544. Vgl Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 15; Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 46. Ähnlich schon Hüffer/Koch, NZG 2000, 748 f.
IV. Der Börsekurs
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der konkreten Umstände eine Manipulation nachweislich ausgeschlossen ist; Entsprechendes gilt für die Verlängerung.720 Der Durchschnittskurs und nicht der höchste Kurs in der Referenzperiode ist heranzuziehen.721 Die Durchschnittskurse sind mE zu gewichten,722 damit nicht einzelne Tage mit wenigen Transaktionen überproportional Gewicht bekommen. Solcherart kann auch den Bedenken des BGH weit gehend Rechnung getragen werden, der zur Vermeidung solcher Effekte „außergewöhnliche Tagesausschläge oder sprunghafte Entwicklungen binnen weniger Tage“ unberücksichtigt lassen will;723 besser geht man mit Gewichtung vor, zieht im Übrigen aber alle Kurse heran.724 Grundsätzlich – das heißt, sofern nicht große Kursbewegungen im Verlauf des Handelstages erfolgt sind – ist es zur Vereinfachung zulässig, den Schlusskurs mit dem gesamten Handelsvolumen des Tages zu multiplizieren. c) Ausnahmen von der Maßgeblichkeit des Börsekurses Im Einzelfall kann es nach der herrschenden Lehre erforderlich sein, bestimmte Börsekurse aus der Berechnung auszuscheiden.725 So hält Hüffer fest, dass es bei Marktenge möglich sei, dass der „Börsenkurs das maßgebliche quotale Unternehmenseigentum zu teuer abbildet“, was freilich der Mehrheitsaktionär zu beweisen habe; dann komme eine Unterschreitung des Börsekurses in Betracht.726 Im Ergebnis wird damit geltend gemacht, dass die Marktkapitalisierung über dem Unternehmenswert liegen könne, was eine Minderung rechtfertigen soll.727 Dieser Ansatz ist angesichts der Rechtsprechung des BVerfG nicht zu verfolgen. Denn diese stellt darauf ab, dass die besondere Verkehrsfähigkeit der Aktien eine jederzeitige Veräußerung zum Börsekurs ermöglicht; das Ergebnis der freien Deinvestitionsentscheidung, nämlich Bargeld in Höhe des Börse720
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Zur Verlängerungsmöglichkeit wie hier (allerdings mit anderem Ausgangspunkt) Hüffer, AktG § 305 Rn 24f. Zutreffend Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 107. Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 15. Für Deutschland Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 19; M Weber, ZGR 2004, 297. Wobei diese Bedenken freilich mit der Auffassung zu tun haben, der ermittelte Börsekurs müsse den Wert des Unternehmens widerspiegeln. Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 108 will dies durch längere Referenzperioden bewältigen. Ähnlich im Ergebnis OLG Hamburg NZG 2003, 89; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 47d. Ablehnend aber OLG Düsseldorf AG 2003, 329. Für alle BVerfGE 100, 289; Hüffer, AktG § 305 Rn 20c. Hüffer, AktG § 327b Rn 5. Ähnliche Zweifel bei Koppensteiner, JBl 2003, 711; Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 18; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 327b Rn 9.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
kurses, müsse auch bei Ausschluss der Gesellschafter erhalten werden.728 Daher ist der Börsekurs als Verkehrswert des Anteils zu ersetzen. Aus dem ist nicht ersichtlich, dass eine Ausnahme zulässig ist, wenn der Börsekurs den Unternehmenswert nachweislich übersteigt.729 Dadurch wird nämlich der Börsekurs wieder auf eine Rolle als Indikator für den Unternehmenswert reduziert. Es kommt jedoch auf die Veräußerungsmöglichkeit an.730 Nimmt man die Ansicht des BVerfG als Ausgangspunkt, so ist vor allem auf die Liquidität des Handels in den betroffenen Titeln abzustellen.731 Wenn ein Aktionär ein größeres Aktienpaket hält, so ist ihm die Veräußerung des gesamten Pakets zum aktuellen Börsekurs zumeist nicht möglich, weil sein Verkaufsangebot den Kurs für ihn nachteilig beeinflussen würde.732 Dieser Aspekt ist umso eher beachtlich, je enger der Markt ist – und dieser ist üblicherweise eng, wenn der Streubesitz unter 10 % des Grundkapitals liegt. Deswegen hat das BVerfG733 bei einer Unverkäuflichkeit von 95 % der Aktien angedeutet, dass die Aktionäre unter Umständen wegen der Marktenge nicht verkaufen können.734 Anscheinend soll hier der Börsekurs kein Indikator für den Verkehrswert der Aktien sein. Ähnlich meint Kalss, dass eine ausreichende Liquidität, um die Börsekurse heranzuziehen, jedenfalls bei den zehn stärksten ATX-Titeln vorliege, vertritt sonst aber eine eher restriktive Linie und stellt auf die Zahl der Abfindungsberechtigten im Vergleich zur Liquidität des Papiers ab;735 damit schließt sie die Heranziehung von Börsekursen für Fälle des squeeze-out de facto aus. Das ergibt sich schon daraus, dass die Zahl der Abfindungsberechtigten regelmäßig hoch im Vergleich zur Liquidität ist, weil nur diese Marktteilnehmer mit den Aktien handeln.
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BVerfGE 100, 289. Deutlich auch LG Dortmund AG 2001, 544. Das gilt auch für die Ansicht, einzelne unpassende Börsekurse seien aus der Durchschnittsberechnung auszuklammern. Vgl auch OLG Düsseldorf AG 2003, 329. So auch Großfeld, Unternehmensbewertung 188. LG Hamburg AG 2005, 822. Vgl auch Böcking in FS Drukarczyk 79 ff mit Parallelen zur WpÜG-AngVO. Koppensteiner, JBl 2003, 711. BVerfGE 100, 289; Grunewald in MünchKomm AktG § 327b Rn 9; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 327b Rn 9. Referierend auch OLG Düsseldorf AG 2003, 329. Freilich ist das Abstellen auf prozentuelle Verhältnisse problematisch. Für die Liquidität kommt es weniger darauf an, als auf die absolute Zahl der gehandelten Aktien. So zu Recht LG Dortmund AG 2001, 544. Vgl Kalss, Anlegerinteressen 519, insbesondere in Fn 411. Ähnlich im Ergebnis auch Schummer in Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch Art II Umwandlung – Handelsrecht Rn 45.
IV. Der Börsekurs
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Es ist grundsätzlich richtig, auf die Liquidität abzustellen.736 Freilich sprechen aus meiner Sicht die besseren Gründe dagegen, einen allzu strengen Maßstab anzulegen. Unzulässig wäre die Frage, ob auch ein Verkauf aller Aktien der Minderheitsaktionäre zum Börsekurs erfolgen hätte können. Diese zu stellen, heißt, sie zu verneinen – und damit auch die Heranziehung des Börsekurses für den squeeze-out. Der Vergleich des Ausschlusses aller Minderheitsaktionäre mit dem gleichzeitigen Verkauf aller ihrer Anteile überzeugt auch in der Sache nicht;737 denn es geht darum, ob ein einzelner Aktionär seine Aktie hätte verkaufen können, nicht um die Simulation eines Angebotsüberhangs, den es in der Realität nicht gegeben hätte. Wo soll aber die Mindestliquidität liegen? Ich meine, dass es grundsätzlich nicht zielführend ist, auf größere oder kleinere738 Pakete oder ähnliche Aspekte abzustellen. Dagegen spricht, dass die Feststellung des hypothetischen Ereignisverlaufs („Hätte ein Paket von Größe X zum Preis Y verkauft werden können?“) kaum möglich ist. Vielmehr stellt das Aktienrecht grundsätzlich auf eine Aktie als Gegenstand des Rechtsverkehrs ab. Dabei sollte es auch bei Ermittlung der Abfindung bleiben. Ich würde daher grundsätzlich nicht auf Mindestliquiditäten, die am vorhandenen Anteilsbesitz anknüpfen, abstellen. Es gibt aber dennoch Grenzen für die Maßgeblichkeit des Börsekurses. Kann der Markt nicht einmal den Verkauf einzelner Aktien garantieren, weil Kurse nicht täglich zustande kommen, so kann der Börsekurs keine Untergrenze für die Angemessenheit der Abfindung darstellen.739 Es ist daher ein Grenzfall, wenn der BGH Börsekurse als Untergrenze herangezogen hat, obwohl in zwei Monaten nur an acht Börsetagen und in einem nur an 15 Börsetagen Handel stattgefunden hat.740 Damit ist die Verkaufsmöglichkeit zwar grundsätzlich gegeben, wegen der Enge des Marktes musste der Aktionär in den zwei schwächeren Monaten aber im Schnitt fast drei Tage warten, bis ein Verkauf möglich war. Damit dürfte die Grenze des Vertretbaren erreicht wenn nicht gar überschritten sein.741 3. Exkurs: Ungleichbehandlung bei der Anteilsbewertung Grundsätzlich sind alle Anteile der Gesellschaft gleich zu bewerten. Bloß faktische Unterschiede dürfen nicht in einer unterschiedlichen Bewertung
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So auch Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 15. Anders aber Großfeld, Unternehmensbewertung 190. So aber Hödl in HB M & A 549. Insofern allgM; vgl deutlich Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 18; Grunewald in MünchKomm AktG § 327b Rn 9 jeweils mit Verweis auf § 5 Abs 4 WpÜG-AngVO. Für Deutschland allgemein BVerfGE 100, 289; BGHZ 147, 108; Großfeld, Unternehmensbewertung 188; Emmerich in Emmerich/ Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 47e. BGHZ 147, 108. Ablehnend in der Instanz auch noch OLG Düsseldorf, NZG 2000, 1074.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Niederschlag finden. Das gilt freilich nur, wenn die rechtliche Ausgestaltung der Anteile auch gleich ist.742 Bei der Aktiengesellschaft gibt es unterschiedliche Aktiengattungen; in der Praxis geht es vor allem um Unterschiede bei der Gewinnberechtigung743 wie insbesondere744 zwischen Stamm- und stimmrechtslosen Vorzugsaktien. Hier ist eine unterschiedlich hohe Abfindung nach herrschender Auffassung zulässig.745 Dagegen lässt sich freilich mit guten Gründen einwenden, dass bloß die unterschiedliche Ausstattung mit Vermögensrechten, nicht aber die mit Stimmrechten in Abfindungsfällen ausschlaggebend sein soll.746 Folgt man dem, so kommt ein Abschlag für Vorzugsaktien auch dann nicht in Betracht, wenn solche Abschläge am Kapitalmarkt regelmäßig auftreten. Lässt man den Abschlag mit der herrschenden Meinung zu, so ist dennoch der Maßstab für den Unterschied unklar. Richtig wäre es wohl, zunächst den gesamten Unternehmenswert zu bestimmen; dieser ist in einem zweiten Schritt zwischen den Stamm- und Vorzugsaktien aufzuteilen, wobei sich die Relation für die Aufteilung mE am Verhältnis der Börsekurse der beiden Aktiengattungen orientiert.747 Sind die betroffenen Aktien notiert, so sind die Kursdifferenzen gerade dieser Aktien für einen angemessenen Durchrechnungszeitraum vor dem Bewertungsstichtag ausschlaggebend; das führt regelmäßig zu einem Abschlag für stimmrechtslose Vorzugsaktien.748 Sonst können die typischen Kursdifferenzen zwischen Stammaktien und Vorzugsaktien vergleichbarer Ausstattung zumindest einen Anhaltspunkt geben, wobei bei schmaler Vergleichsbasis auch der Blick in ähnliche Märkte erforder-
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Vgl Fachgutachten Rn 132; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 97. Unterschiede im Stimmgewicht können mit den Aktien rechtlich nicht verbunden werden, weil Mehrstimmrechtsaktien in Österreich unzulässig wegen § 12 Abs 2 AktG sind und Höchststimmrechte auf die vom Stimmberechtigten gehaltenen Aktien abstellen, aber den Aktienurkunden ebenso wenig anhaften. Denkbar ist auf Basis von § 53 Abs 3 AktG eine von der quotalen Aufteilung abweichende Art der Gewinnbeteiligung. Vgl Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 206; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung 413; Großfeld, Unternehmensbewertung 234 f. Grundsätzlich auch Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 97. In Österreich zur Verschmelzung zB Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 11. Adolff, Unternehmensbewertung 381 f. Ähnlich Großfeld, Unternehmensbewertung 235. Vgl zu den üblichen Kursabschlägen und den zugrunde liegenden Faktoren Jung/Wachtler, AG 2001, 513. Das entspricht im Übrigen auch der Praxis nach österreichischem ÜbG, wo für Stammaktien bezahlte Preise auch für den Mindestpreis des Pflichtangebots für die Vorzugsaktien heranzuziehen sind; den dabei erforderlichen Abschlag leitet man üblicherweise aus den Börsekursrelationen ab. Vgl ÜbK 15.1.2001, GZ 2000/2/6-81; Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht Rn 309.
IV. Der Börsekurs
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lich ist.749 Für Verfügungsbeschränkungen, insbesondere bei Vinkulierung nach § 62 AktG wird ein Abschlag überwiegend abgelehnt. 750 Das Problem stellt sich bei der Bewertung von Geschäftsanteilen an einer GmbH wegen der dort in weitem Rahmen möglichen privatautonomen Gestaltung in größerem Ausmaß. Bei Regelungen, welche die Gewinnverteilung betreffen, ist angesichts der konkreten Vertragsbestimmung unmittelbar der Zufluss beim Gesellschafter zu bewerten; steht ihm gesellschaftsvertraglich ein höherer Gewinnanspruch als sein quotaler Anteil am Unternehmenserfolg zu, so erhöht sich der Wert der Anteile dementsprechend. Auch Mehrfachstimmrechte und ähnliche Erhöhungen der Stimmkraft sind bei der GmbH zulässig und wegen der rechtlichen Anerkennung nach herrschender Meinung grundsätzlich auch werterhöhend751 zu berücksichtigen;752 dagegen soll auch nicht sprechen, dass diese Stimmmacht nicht treuwidrig zur Erlangung von Sondervorteilen ausgenutzt werden darf. Ebenso sind Abschläge für Stimmrechtsbeschränkungen zulässig. Auch Sonderrechte auf Geschäftsführung oder auf Ernennung von Geschäftsführern können einen eigenen wirtschaftlichen Wert haben, der dann auch zu berücksichtigen ist. Die Bewertungsrelevanz solcher Ausgestaltungen ist zumindest zum Teil gesetzlich anerkannt sein. Das gilt freilich nur, soweit diese Rechtsposition nicht ohnehin nur mit Zustimmung des Berechtigten durch eine Umgründung beseitigt werden kann; so sieht § 99 Abs 1 GmbHG vor, dass eine Verschmelzung, durch die Sonderrechte auf Geschäftsführung oder ähnliche Gestaltungen, insbesondere auch Veto- oder Mehrstimmrechte,753 beseitigt werden, nur mit Zustimmung der Verkürzten beschlossen werden kann. Ähnliches gilt für die Spaltung (vgl § 10 Abs 1 SpaltG). Anderes gilt nach der Rechtsprechung für den Ausschluss von Gesellschaftern durch die verschmelzende Umwandlung;754 denn auf § 99 GmbHG wurde nach der bisherigen Rechtslage durch § 2 Abs 3 UmwG gerade nicht verwie749
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Skeptisch zur Heranziehung von typischen Marktwerten aber Großfeld, Unternehmensbewertung 235, weil dadurch nicht die Verhältnisse der konkreten Gesellschaft wiedergegeben werden. Dann bleibt aber mangels Anhaltspunktes für den Abschlag nur die gleiche Bewertung, was auch nicht sachgerecht ist. Vgl BGH ZIP 1987, 291; Großfeld, Unternehmensbewertung 233 f; Mandl/Rabel in FS Loitlsberger 216; Piltz, Unternehmensbewertung 242. Anders in familienund erbrechtlichen Zusammenhängen BGH AG 1980, 158; BGH NJW 1987, 321, weil es in diesem Zusammenhang um die Verkehrswertfeststellung des Anteils geht, ohne dass gesellschaftsrechtliche Bedenken gegen die Anerkennung solcher Abschläge zwingend durchschlagen müssen; vgl Piltz, Unternehmensbewertung 237. Bzw wertmindernd, wenn sie denjenigen Gesellschaftern zustehen, deren Anteile nicht bewertet werden. Großfeld, Unternehmensbewertung 234. Kalss, Verschmelzung § 99 GmbHG Rn 4. OGH wbl 1998, 546.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
sen. An dieser Ausgangslage knüpft die Neuregelung dieser Rechtsmaterie an. Gesellschafter mit Sonderrechten können den Ausschluss auch weiterhin nicht verhindern, allerdings sehen § 2 Abs 1 GesAusG und § 2 Abs 2 Z 3 UmwG idF des ÜbRÄG 2006755 vor, dass der Entzug von Sonderrechten bei der Festlegung der Abfindung beim Gesellschafterausschluss werterhöhend zu berücksichtigen ist. Deswegen ist bei der GmbH jedenfalls auch eine zusätzliche Stimmenmacht zu berücksichtigen. Die Bewertung solcher Faktoren ist allerdings nur beschränkt auf Richtigkeit überprüfbar, insbesondere weil im Regelfall Vergleichswerte fehlen; mehr als eine Plausibilitätskontrolle kommt im Regelfall nicht in Frage. Die Erläuternden Bemerkungen zu § 1 GesAusG halten daher fest, dass der Entzug solcher Rechte bei der Bemessung zu berücksichtigen ist, soweit eine Bewertung des entzogenen Rechts erfolgen kann.756
B. Relevanz für die Verschmelzung 1. Meinungsstand a) Österreich Die in Österreich herrschende Lehre geht davon aus, dass für die Festlegung des angemessenen Umtauschverhältnisses grundsätzlich auf den Unternehmenswert abzustellen ist. Der Börsekurs sei als alleiniger Maßstab unbrauchbar und könne allenfalls einen gewissen Anhaltspunkt für die Angemessenheit darstellen.757 Wegen der vom Unternehmenswert teilweise losgelösten Kursentwicklung sei bei der ausschließlichen Berücksichtigung von Börsekursen das Prinzip der Gleichbehandlung der Gesellschaftergruppen der beiden Unternehmen gefährdet.758 Nowotny sieht dies anscheinend anders:759 Die Ermittlung des Umtauschverhältnisses unter Berücksichtigung der Marktpreise sei dem Grunde nach geboten, was mehr als die allgemein vertretene Plausibilisierung der Ergebnisse der Bewertung durch den Börsekurs sei. Stimmen aus der Bewertungspraxis halten den Börsekurs nicht für ausschlaggebend; freilich sei jede Unternehmensbewertung immer unter Bedachtnahme auf den Börsekurs vorzunehmen.760
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1334 BlgNR 22. GP. Erläuterungen zu § 2 GesAusG; 1334 BlgNR 22. GP. Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 11; Grünwald in Helbich/Wiesner/ Bruckner, Handbuch Art I Verschmelzung – Handelsrecht Rn 29; Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 85 (zur Sachkapitalerhöhung). Offen lassend Szep in Jabornegg/Strasser, AktG § 220 Rn 11. Fragend auch Bachner, Bewertungskontrolle 13. Hügel, Verschmelzung 201 f. Wbl 2001, 382 ff. Vgl Mühlehner in Kranebitter, Unternehmensbewertung 52.
IV. Der Börsekurs
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b) Deutschland Das Meinungsspektrum in Deutschland ist äußerst vielfältig. Früher wurde der Börsekurs generell nicht berücksichtigt.761 Im Zuge der bereits beim Gesellschafterausschluss angesprochenen „DAT/Altana“-Entscheidung des BVerfG762 ist die Diskussion neu entflammt, auch wenn die Entscheidung sich nicht unmittelbar auf die Rechtslage bei der Verschmelzung, sondern auf die Abfindung im Rahmen von § 305 dAktG bezieht. aa) Heranziehung von Börsekursen Drei Grundpositionen lassen sich bezüglich der Bedeutung von Börsekursen ausmachen: Eine weiterhin dominierende Meinung im Schrifttum hält daran fest, dass der Börsekurs nicht zu berücksichtigen ist.763 Denn im Gegensatz zu Abfindungsfällen sei die Verschmelzung grundsätzlich mitgliedschaftserhaltend angelegt; sowohl Mehrheits- als auch Minderheitsaktionäre bleiben nach der Verschmelzung mitgliedschaftlich verbunden, weswegen die Börsekursrechtsprechung nicht heranzuziehen sei.764 Das gelte insbesondere auch für die Konzernverschmelzung, weil der Mehrheitsaktionär vom Umtauschverhältnis in gleicher Weise betroffen ist wie die Minderheitsaktionäre.765 Die Gegenmeinung möchte die Börsekurse hingegen bei allen Verschmelzungen als Maßstab für die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses heranziehen.766 Dem wird für die Konzentrationsverschmelzung im Schrifttum767 und in der Rechtsprechung entgegengetreten. So hat das BayObLG festgehalten, dass die „Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung des Börsekurses […] daher auf eine solche Fallgestaltung [bei der keines der beteiligten Unternehmen einen beherrschenden Einfluss auf das andere ausüben kann, Anmerkung des Verfassers] nicht in dem Sinne herangezogen werden, dass der (wie auch immer ermittelte) Börsekurs eine Unter- oder
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Für alle BGH AG 1967, 264; Decher in FS Wiedemann 787 mwN in Fn 1; Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG § 340 Rn 23. BVerfGE 100/289. Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 98 ff; Hüffer, AktG § 305 Rn 24j; Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 162 (zur Abfindung in Aktien nach § 305 dAktG); Bungert, BB 2003, 699; ders/Eckert, BB 2000, 1845; Hüttemann, ZHR 2001, 454; Riegger, DB 1999, 1889; Wilm, NZG 2000, 234; Wirth in Gesellschaftsrecht 2003 285 f; W Müller in FS Röhricht 1029 f; Adolff, Unternehmensbewertung 462 ff. So zB Hüffer, AktG § 305 Rn 24k. So zB Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 108 ff. ZB Gehling in Semler/Stengel, UmwG § 8 Rn 26; Behnke, NZG 1999, 934; Erb, DB 2001, 523; Piltz, ZGR 2001, 210; Reuter, DB 2001, 2483. Decher in FS Wiedemann 787 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Obergrenze für die Bewertung einer Gesellschaft darstellt oder ein für die Vertragsparteien bindendes Umtauschverhältnis vorgibt.“768 Eine dritte, vermittelnde Ansicht differenziert: Der Börsekurs sei bei Konzernverschmelzungen heranzuziehen, bei Konzentrationsverschmelzungen hingegen nicht.769 Denn bei letzteren fehle es an jenem Interessenswiderstreit zwischen Mehrheit und Minderheit, der die besondere Gefährdung der außenstehenden Aktionäre begründet. Das lasse sich insbesondere darauf stützen, dass die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH im Kontext von beherrschten Gesellschaften entstanden ist. bb) Art der Berücksichtigung Wer sich für die Heranziehung von Börsekursen ausspricht, muss auch beantworten, was das im Kontext der Verschmelzung bedeuten soll. Als Ausgangspunkt kann zunächst dienen, dass der Börsekurs des abhängigen Unternehmens das Minimum der Bewertung darstellen soll. Das ist auch die Kernaussage der Rechtsprechung des BVerfG im Zusammenhang mit der Abfindung nach § 305 dAktG. Wer freilich davon ausgeht, dass auch bei der Konzentrationsverschmelzung die Börsekurse heranzuziehen sind, der wird geradezu zwingend zum Schluss kommen müssen, dass diese Kurse der beteiligten Gesellschaften jedenfalls das Umtauschverhältnis determinieren, ohne dass der Unternehmenswert noch einschlägig ist.770 Der Unternehmenswert kann dann allenfalls noch ausschlaggebend sein, wenn nicht beide Gesellschaften notieren – dann ist freilich zu entscheiden, ob bei Notierung bloß eines Unternehmens die Berücksichtigung der Börsekurse oder die Befolgung des Grundsatzes der Methodengleichheit der ausschlaggebende Faktor ist.771
Geht man vom Börsekurs der Untergesellschaft als Minimum aus, so lassen sich daran drei unterschiedliche Konsequenzen für die Bewertung der Obergesellschaft knüpfen: Einerseits wird als Folge der Rechtsprechung des BGH772 zur Abfindung in Aktien nach § 305 dAktG vertreten, dass der Börsekurs des herrschenden Unternehmens zusätzlich ein Maximum für dessen Bewertung darstellen soll.773 Verfolgt man den Ansatz konsequent, so führt dies dazu, dass die He768 769
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BayObLG ZIP 2003, 253. So Lutter/Drygala in Lutter, UmwG § 5 Rn 23 ff; Paschos, ZIP 2003, 1017; im Ergebnis wohl auch Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 16. So tendenziell wohl Luttermann; ZIP 2001, 869. Vgl Piltz, ZGR 2001, 211; Lutter/Drygala in Lutter, UmwG § 5 Rn 26 (allerdings dann anscheinend für eine Mischmethode in Rn 27 aE). BGHZ 147, 108. Das BVerfGE 100, 289 hat in dieser Richtung keine Vorgaben enthalten. Krieger in MünchHB GesR IV § 70 Rn 106; Emmerich/Habersack, KonzernR § 305 Rn 48.
IV. Der Börsekurs
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ranziehung des Börsekurses immer zum Nachteil des herrschenden Unternehmens erfolgt, da diesem die Berufung auf einen höheren Unternehmenswert abgeschnitten ist, den außenstehenden Aktionären der abhängigen Gesellschaft jedoch nicht.774 Aus diesem Grund wird dieser Ansatz von zahlreichen Autoren nicht nur für die Abfindung in Aktien nach § 305 dAktG,775 sondern auch für die Verschmelzung abgelehnt.776 Andererseits kann aus dem Grundsatz der Methodengleichheit abgeleitet werden, dass die Bewertung auch der Obergesellschaft immer dann anhand des Börsekurses vorzunehmen ist, wenn dieser aufgrund der Minimum-Regel des BVerfG auch bei der Untergesellschaft ausschlaggebend ist.777 Das führt bei einer Unterbewertung der Obergesellschaft zwar zum selben Ergebnis wie die Interpretation des Börsekurses als Obergrenze, ist aber für diese doch vorteilhaft, falls ihr Börsekurs über dem Unternehmenswert liegt. Problematisch ist die Lage dann, wenn die Obergesellschaft nicht an der Börse notiert.778 Andere Autoren interpretieren die Rechtsprechung des BGH anders. Dieser gehe bei der Maßgeblichkeit des Börsekurses für die Bewertung der Obergesellschaft eher von einer Regelung bei unklaren Sachverhalten aus. Nach dieser Auslegung werde die Berufung auf den höheren Unternehmenswert nicht abgeschnitten, sondern müsse nur besonders untermauert werden. Danach trägt der Börsekurs mit anderen Worten die Vermutung der richtigen Bewertung in sich.779 Diese Vermutung soll nach dem BGH durch ein bloßes Sachverständigengutachten aber jedenfalls nicht entkräftet werden können; vielmehr scheint insbesondere die schlechte Verfassung des Kapitalmarkts darzulegen zu sein.780 Das trifft sich insofern mit dem dritten denkbaren Ansatz: Auch wenn die Bewertung der Untergesellschaft mit dem Börsekurs zu erfolgen hat, so ist dennoch für die Obergesellschaft weiterhin auf den Unternehmenswert abzustellen.781 Auch dieser Ansatz kann mit der Rechtsprechung des BGH harmo774 775 776
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Vgl Hüffer, AktG § 305 Rn 24h: Belastungsverdoppelung. Großfeld, Unternehmensbewertung 191 f; Hüffer, AktG § 305 Rn 24h. Vgl dazu (ablehnend) Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 38 f, 120 f. So zB OLG Düsseldorf AG 2003, 329; Emmerich in Emmerich/Habersack, KonzernR § 305 Rn 48 f; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 110. Ablehnend Hommel/Braun, BB-Beilage 6/2002, 16. Vgl Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 157; Lutter/Drygala, UmwG § 5 Rn 26. So insbesondere Röhricht, VGR Band 5 (2002) 3. In dieselbe Richtung auch Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 110. BGHZ 147, 108; dazu Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 160. Kritisch Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 111. So im Ansatz zB Mühlehner in Kranebitter, Unternehmensbewertung 52. Sofern dieser höher ist als der Börsekurs gleich Martens in FS Röhricht 989 f („Meistbegünstigung“ der jeweiligen Gesellschaftergruppe).
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
nieren, wenn man bei der Interpretation von BGHZ 147, 108 vor allem auf die Beweislastverteilung abstellt. 2. Stellungnahme Als Rechtfertigung für die Berücksichtigung des Börsekurses kommen – wie bereits zum Gesellschafterausschluss dargestellt – grundsätzlich zwei Argumente in Betracht: Der Börsekurs stellt einerseits eine Verkaufsmöglichkeit für die Minderheitsgesellschafter dar, andererseits kann er auch deswegen heranzuziehen sein, weil er den Unternehmenswert widerspiegelt. Im Gegensatz zur Abfindung im Rahmen des Gesellschafterausschlusses ist die Verkaufsmöglichkeit für den Minderheitsgesellschafter nicht ausschlaggebend. Es geht bei der Verschmelzung gerade nicht um die Bewertung eines Anteils, der einem Gesellschafter durch Entscheidung des Mehrheitsgesellschafters entzogen wird.782 Bei der Verschmelzung wird die Mitgliedschaft – wenn auch in anderer Form – fortgeführt. Der Vermögensverlust, der beim Gesellschafterausschluss zu ersetzen ist783 und bei dessen Berechnung man auch die Verwertungsmöglichkeit durch Verkauf über die Börse berücksichtigen muss, tritt bei der Verschmelzung erst gar nicht ein. Das gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob eine Konzentrations- oder ob eine Konzernverschmelzung vorliegt. Der Börsekurs muss aus diesem Grund jedenfalls nicht die Untergrenze für die Bewertung der Tochtergesellschaft bei der Konzernverschmelzung bilden. Die Rechtfertigung kann sich daher allenfalls daraus ergeben, dass Börsekurse grundsätzlich den Unternehmenswert widerspiegeln. Wenn das der Fall wäre, wären die Börsekurse für die Bildung des Umtauschverhältnisses unmittelbar heranzuziehen; eine Funktion als Unter- oder Obergrenze käme ihnen nicht zu. Gegen die Ansicht, dass der Börsekurs den Unternehmenswert widerspiegelt, sprechen freilich viele Gründe. Das gilt verstärkt, wenn es um die Ermittlung eines Normwerts geht. Die Argumente wurden oben (A. 1.) näher dargelegt. Schon deswegen kann der Börsekurs auch bei der Verschmelzung eine Unternehmensbewertung allenfalls ergänzen, nicht aber ersetzen. Wenn daher die ausschließliche Berücksichtigung von Börsekursen bei der Ermittlung des Umtauschverhältnisses nicht in Betracht kommt und der Börsekurs auch keine Untergrenze für die Bewertung der Tochtergesellschaft bei der Konzernverschmelzung darstellt, so wäre es doch zu weit gehend, die Bedeutung des Börsekurses ganz generell zu bestreiten. Jedenfalls bei liquiden Märkten kann er einen verlässlichen Indikator für den bei der Bestimmung des Umtauschverhältnisses zu berücksichtigenden Unternehmenswert geben,
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Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 85 (zur Sachkapitalerhöhung). Vgl Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum 100. Grundsätzlich auch Lutter/Drygala in Lutter, UmwG § 5 Rn 24.
IV. Der Börsekurs
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wenn sich die Mehrheit des Grundkapitals im Streubesitz befindet. Bei dieser Beteiligung, haben die Streubesitzgesellschafter zumindest theoretisch die Möglichkeit, für sie besonders nachteilige Beschlüsse zu verhindern, weil für diese im Regelfall eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Minderheitsabschläge dürften in dieser Situation noch verhältnismäßig gering sein. Der Börsekurs kann daher mE in diesen Fällen für die Berechnung des Umtauschverhältnisses normalerweise herangezogen werden. Sollten jedoch Ansatzpunkte dafür bestehen, dass die Fundamentalbewertung völlig abweichende Ergebnisse bringen würde, so ist eine solche vorzunehmen. In allen anderen Fällen kann der Börsekurs zur Plausibilisierung des Ergebnisses der Unternehmensbewertung herangezogen werden.784 Das ist mE der richtige Kern der DAT/Altana-Rechtsprechung des BGH:785 Wenn die Unternehmensbewertung wesentlich vom Börsekurs abweicht, so bedarf dies zumindest dann einer besonderen Rechtfertigung, wenn das zum Nachteil der überstimmten Minderheit erfolgt. Insbesondere für die Konzernverschmelzung bedarf so ein Vorgehen daher guter Argumente. Bei dieser ist es zum Nachteil der Minderheit, wenn der Börsekurs der Untergesellschaft bei der Bewertung unterschritten wird; das gilt auch, wenn die Obergesellschaft höher als ihr Börsekurs bewertet wird. Beides kann aber nicht grundsätzlich unzulässig sein. Überbewertungen sind für eine Hausse typisch, Unterbewertungen für eine Baisse. Je nach Börseklima kann beides glaubhaft gemacht werden. Wenn der BGH meint, dass ein bloßes Sachverständigengutachten für die Widerlegung der Angemessenheit des Börsekurses nicht ausreicht, dann ist das zu streng. Wie sonst als durch Gutachten soll man einen solchen Sachverhalt nachweisen? Sofern damit freilich darauf abgestellt wird, dass eine normale Unternehmensbewertung nicht ausreicht, geht es eigentlich schon um den Inhalt des Gutachtens. Dieses hat neben der bloßen Bewertung darzulegen, warum der Börsekurs in der konkreten Situation kein angemessener Wertindikator sein kann.786 Diese Grundsätze gelten auch, wenn nur eine der beiden Gesellschaften börsenotiert ist.787 Es geht nicht um die Methodengleichheit der Bewertung, sondern um die Plausibilisierung von Bewertungsergebnissen durch den Börsekurs.
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So auch Fachgutachten Rn 112. BGHZ 147, 108. Das wird leichter fallen, wenn es um den Nachweis geht, dass der Wert der Obergesellschaft in Wirklichkeit über dem Börsekurs liegt. Hingegen wird es für die Praxis nur schwer möglich sein, eine Überbewertung eines der beteiligten Unternehmen zu monieren. Nowotny, wbl 2001, 383 f.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe A. Das übernahmerechtliche Modell 1. Einleitung Wer an einer börsenotierten Gesellschaft eine kontrollierende Beteiligung erlangt, muss den anderen Aktionären788 nach § 22 ÜbG789 grundsätzlich ein Angebot für alle ihre Aktien unterbreiten. Eine kontrollierende Beteiligung ist nach neuer Rechtslage und unter Außerachtlassung aller Details eine Beteiligung von mehr als 30 % der stimmberechtigten Aktien; die Angebotspflicht besteht freilich nur, wenn die nominell kontrollierende Beteiligung auch tatsächlich die Kontrolle vermittelt (vgl § 24 ÜbG mit weiteren Ausnahmen). Für die folgenden Ausführungen ist die Höhe der Gegenleistung zentral. Diese war lange Zeit strittig; insbesondere die Frage der Zulässigkeit eines Paketzuschlags hat den Gesetzgeber der Urfassung 1998 beschäftigt.790 Der zulässige Abschlag wurde mit 15 % festgelegt; dieser politische Kompromiss ebnete erst den Weg für das Pflichtangebot. Der Abschlag wurde in der Folge durch das ÜbRÄG 2006791 in Umsetzung der Übernahmerichtlinie abgeschafft. Die Darstellung beschränkt sich auf die zentralen Fragen; Details werden vernachlässigt. 2. Österreichische Rechtsgrundlagen a) Preisbestimmungen Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist die tragende Säule des Übernahmerechts (§ 3 Z 1 ÜbG). Er gilt für den Bieter und verpflichtet ihn, Aktionäre in gleichen Verhältnissen und insbesondere innerhalb einer Gattung gleich zu behandeln. Das betrifft natürlich insbesondere die Gegenleistung für die Aktien. Zunächst muss die Gegenleistung des Angebots für alle Aktien der gleichen Gattung gleich hoch sein. Das allein genügt aber nicht, weil es dem Bieter grundsätzlich unbenommen ist, außerhalb des Angebots an der Börse oder auch durch außerbörsliche Transaktionen Aktien zu erwerben. Daher gilt für alle Übernahmeangebote: Paralleltransaktionen zu höheren Gegenleistungen792 sind ohne gleichzeitige Verbesserung des Angebots grundsätzlich verboten 788
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Aber auch den Inhabern anderer Beteiligungspapiere (vgl § 1 Z 4); dieser Aspekt bleibt im Folgenden ausgeklammert. Für Deutschland enthält seit 1.1.2002 das WpÜG (Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz vom 20. Dezember 2001, dBGBl I S 3822) entsprechende Bestimmungen. Zu den Unterschieden auch in den hier besprochenen Bereichen vgl Diregger/Winner, WM 2002, 1587 ff. Aus dem damaligen Schrifttum zB P Doralt in FS Kropff 66 f; Huber, ecolex 1997, 763; P Doralt/Winner, ecolex 1997, 937 f. BGBl I 2006/75. Oder zu anderen besseren Bedingungen; vgl ÜbK 24.6.1999, GZ 1999/2/3-21; Winner/Gall, wbl 2000, 5 f.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
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(§ 16 Abs 1 ÜbG); wird eine entsprechende Transaktion dennoch vorgenommen, so ist sie nicht wegen Gesetzwidrigkeit nichtig (§ 879 Abs 1 ABGB), sondern führt zu einer automatischen Verbesserung des Angebots – auch für diejenigen Adressaten, die das Angebot bereits angenommen haben (§ 16 Abs 2 iVm § 15 Abs 2 ÜbG). Die Gleichbehandlung wird ab der ersten Bekanntmachung über ein Angebot durchgesetzt – auch wenn zunächst nur Überlegungen bekannt gemacht werden;793 sie gilt aber spätestens ab der Anzeige des Angebots bei der Übernahmekommission und bis zum Ende der Nachfrist.794 Durch das Verbot werden Transaktionen des Bieters, aber auch der mit ihm gemeinsam vorgehenden Rechtsträger erfasst. Es kommt auf die Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen durch diese Personen, aber nicht auf den Abschluss des Vertrages795 oder gar dessen sachenrechtliche Erfüllung an. Für Kreditinstitute bestehen für die Praxis wichtige Ausnahmen; denn diese gehen häufig mit Bietern gemeinsam vor, sollen aber dadurch nicht in ihrer normalen Geschäftstätigkeit gehindert werden.796
Das Verbot der Paralleltransaktionen gilt für alle Angebote. Für Pflichtangebote bzw freiwillige Angebote zur Kontrollerlangung ist auch auf börsliche und außerbörsliche Vorerwerbe des Bieters oder mit ihm gemeinsam vorgehender Rechtsträger abzustellen; der zeitliche Anwendungsbereich der Gleichbehandlungspflicht wird erstreckt. Die höchste von ihnen innerhalb der letzten zwölf Monate in Geld gewährte oder vereinbarte797 Gegenleistung für die Aktien bildet die Untergrenze für die zu bietende Gegenleistung (§ 26 Abs 1 ÜbG); es kommt für den Stichtag auf die Anzeige des Angebots bei der Übernahmekommission an.798 Im Ergebnis gilt für Sachgegenleistungen dasselbe: Ihr Wert bildet die Untergrenze für das Angebot.799 Dadurch werden Paketaktionär und Angebotsadressaten im Ergebnis gleichbehandelt. Auch Synergiegewinne fließen in den Mindestpreis des Angebots ein;800 denn bei
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Zur Problematik vgl Winner, Zielgesellschaft 140. Winner, Zielgesellschaft 101; Zollner in Huber, ÜbG § 16 Rn 9. Deswegen ist es keine unzulässige Paralleltransaktion, wenn der Bieter als Stillhalter einer bereits abgeschlossenen Put-Option zum Abschluss eines Kaufvertrags verpflichtet wird. Näher zB Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht Rn 70; Zollner in Huber, ÜbG § 16 Rn 11. Vgl § 16 Abs 4 ÜbG. Damit kommt es nicht nur auf die dingliche Übertragung, sondern auch auf schuldrechtliche Vereinbarungen in diesem Zeitraum an. Für Deutschland vgl Krause in Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG § 4 WpÜG-AngVO Rn 23 f; Kremer/Osterhaus in KölnerKomm WpÜG Anh § 31 § 4 WpÜG-AngVO Rn 10. Vgl zur Begründung 1334 BlgNR 22. GP 17 f. Zur alten Rechtslage war die Frage strittig; vgl ÜbK 17.12.2001, GZ 2001/2/3-395; Diregger/Winner, WM 2002, 1588. Vgl Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht Rn 302. Einzelne Stimmen im deutschen Schrifttum wollen die Vorerwerbe um Synergien bereinigen und erst dann heranziehen; den Aktionären stehe nur der Wert ihrer
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dem zu berücksichtigenden Paketerwerb wird der Transaktionsgewinn zwischen den Vertragspartnern geteilt. Es gibt zahlreiche wichtige Details, die hier nur anzudeuten sind. Auch in diesem Zeitraum abgeschlossene Optionsvereinbarungen sind zu berücksichtigen (§ 26 Abs 1 Satz 2 ÜbG).801 Bestehen neben Stamm- auch Vorzugsaktien, so muss der für Vorzugsaktien gebotene Preis auch in angemessenem Verhältnis802 zum Preis des vorangehenden Paketerwerbs und damit zu der für Stammaktien gewährten Gegenleistung stehen (§ 26 Abs 2 ÜbG);803 im Gegensatz zum deutschen Recht804 sind Vorerwerbe daher bei der Preisberechnung auch dann heranzuziehen, wenn sie in Aktien einer anderen Gattung erfolgt sind. Für die Praxis besonders wichtig war in letzter Zeit die Berechnung des Angebotspreises beim mittelbaren Kontrollerwerb, bei dem nur Aktien der Obergesellschaft erworben werden; hier stellt sich in Österreich805 die Frage, welcher Anteil des Kaufpreises auf die Aktiva der Obergesellschaft und welcher auf diejenigen der Untergesellschaft entfällt.806
Hinzu kommt bei Pflichtangeboten und freiwilligen Angeboten zur Kontrollerlangung der durchschnittliche Börsekurs der letzten sechs Monate als
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Anteile stand alone zu; vgl Haarmann in Haarmann/Schüppen, WpÜG § 31 Rn 68 (vgl auch Rn 28); Steinmayer/Häger, WpÜG § 31 Rn 17. Die hL lehnt das auf Basis der lex lata zu Recht ab; Marsch-Barner in Baums/Thoma, WpÜG § 31 Rn 30; Wackerbarth in MünchKomm AktG § 31 WpÜG Rn 29. Unklar ist die Art der Berücksichtigung; vgl ÜbK 16.2.2001, GZ 2001/2/2-47a; Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht Rn 307. Dieses Verhältnis kann sich – zumindest bei liquidem Handel und unverzerrten Kursen – aus dem typischen Abschlag des Börsekurses der Vorzugsaktien gegenüber den Stammaktien bestimmen; vgl näher ÜbK 15.1.2001, GZ 2000/2/6-81. Näher zB P Huber in Huber, ÜbG § 26 Rn 32 ff. Die Mindestpreise sind dort für jede Gattung gesondert zu berechnen. Daher sind Preise, die für Stammaktien beim Paketerwerb bezahlt wurden, nicht für den Mindestangebotspreis für Vorzugsaktien heranzuziehen; denn dadurch kämen Vorzugsaktionäre in den Genuss einer Prämie für eine Herrschaftsposition, die ihnen aber schon nach der Ausgestaltung dieser Aktiengattung (fehlendes Stimmrecht) nicht zusteht. Vgl § 3 Satz 3 WpÜG-AngVO; BVerfG AG 2004, 607. Dazu zB Habersack, ZIP 2003, 1123; Krause in Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG § 4 WpÜG-AngVO Rn 12; Haarmann in Haarmann/Schüppen, WpÜG § 31 Rn 68; Diregger/Winner, WM 2002, 1587 in Fn 56. Da das WpÜG nur auf die für die entsprechende Aktiengattung bezahlten Preise abstellt, hat das auch zur Konsequenz, dass der Erwerb von Aktien an der Muttergesellschaft beim mittelbaren Kontrollerwerb keine Referenztransaktion für das nachgehende Pflichtangebot ist. Krause in Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG § 4 WpÜG-AngVO Rn 20 mit Hinweisen auf Umgehungen bei einer Holding, die außer der Beteiligung an der Zielgesellschaft keinen anderen Vermögensgegenstand hält. Vgl das Angebot der UniCredito Italiano SpA für die Bank Austria Creditanstalt AG; http://www.takeover.at/anbot_master.cgi?id=anbot_BACA.inc.
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zweite Untergrenze.807 Heranzuziehen sind vom Angebot unbeeinflusste Börsekurse; deswegen gilt der Tag der Bekanntgabe der Absicht, ein Angebot abzugeben, nach § 26 Abs 1 ÜbG als Stichtag.808 Ab dem Ende der Nachfrist gab es bis zum ÜbRÄG 2006 keine gesetzliche Verpflichtung zur Gleichbehandlung;809 die Übernahmekommission hat jedoch angeregt, rechtsgeschäftliche Nachzahlungsverpflichtungen in das Übernahmeangebot aufzunehmen. Mit dem ÜbRÄG 2006 änderte sich die Rechtslage – wiederum für alle Angebotstypen. Der Bieter muss eine Ausgleichszahlung leisten, wenn er oder ein mit ihm gemeinsam vorgehender Rechtsträger innerhalb von neun Monaten ab Ablauf der Angebotsfrist oder der Nachfrist einen höheren Preis als im Angebot für Aktien gewährt oder vereinbart (§ 16 Abs 7 ÜbG).810 Das gilt nicht für die Ausübung des gesetzlichen Bezugsrechts; dem Beteiligten soll es möglich sein, seine Beteiligungsquote zu halten, ohne eine Nachzahlung leisten zu müssen. Auch Leistungen, die im Rahmen des Ausschlusses nach GesAusG erbracht werden, sind nicht erhöhend zu berücksichtigen. Wenn sich die Verhältnisse zwischen dem Angebotsverfahren und der später erfolgenden Paralleltransaktion wesentlich ändern, ist dies (insbesondere nachzahlungsmildernd) zu berücksichtigen (vgl § 16 Abs 7 iVm § 26 Abs 3).811 Ähnlich wie bei Paralleltransaktionen gibt es auch Ausnahmen für Kreditinstitute (§ 16 Abs 8 ÜbG).
In dieser Frist löst nicht nur der Erwerb zu besseren Bedingungen, sondern auch die Veräußerung einer kontrollierenden Beteiligung durch den Bieter eine Nachzahlungsverpflichtung aus (§ 16 Abs 7 ÜbG).812 Die Ausgleichspflicht besteht in Höhe des Veräußerungsgewinns, also unter Berück807
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Durch das ÜbRÄG 2006 wird im Übrigen klargestellt, dass die Börsekurse mit den jeweiligen Handelsvolumina zu gewichten sind; im Regelfall werden die Preise der einzelnen Transaktionen mit dem jeweiligen Transaktionsvolumen gewichtet. Auch in Deutschland erfolgt die Berechnung nicht nach Schlusskursen gewichtet mit dem Gesamtvolumen des Tages, sondern es wird jedes Geschäft einzeln gewichtet; Krause in Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG § 5 WpÜGAngVO Rn 17; Marsch-Barner in Baums/Thoma, WpÜG § 31 Rn 35. Zur Rechtslage zuvor vgl Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht, 1. Auflage (2003) Rn 187. Anders § 31 Abs 5 WpÜG für außerbörsliche Erwerbe durch den Bieter und mit ihm gemeinsam vorgehender Personen innerhalb eines Jahres ab Veröffentlichung des Ergebnisses. Die Gleichbehandlung der verbleibenden Aktionäre durch den Erwerb an der Börse kann die Schlechterbehandlung der ausgeschiedenen Aktionäre freilich nicht rechtfertigen; anders noch Diregger/Winner, WM 2002, 1589. Zur Diskussion vgl auch Krause in Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG § 31 Rn 135 mwN. Er ist jedoch nicht verpflichtet, das Angebot neuerlich für Annahmen zu öffnen. Ähnlich § 31 Abs 5 WpÜG, wonach höhere Zahlungen nicht zur Nachzahlungspflicht führen, wenn der Erwerb börslich erfolgt. Der Verkauf der Anteile durch den Bieter ist nach WpÜG im Gegensatz zu § 16 Abs 7 ÜbG nicht erfasst.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
sichtigung der Kosten des Bieters und der Steuerwirkungen.813 Dahinter steht der Schutz vor Umgehung der Gleichbehandlung durch folgende Konstruktion: Der bereits kontrollierende Aktionär gibt ein (erfolgreiches) freiwilliges Angebot ohne Preisbindung für die restlichen Aktien ab; in der Folge veräußert er das gesamte Paket (allenfalls nach einem Verfahren nach GesAusG) und streift die Prämie zur Gänze ein. Die Norm hat demzufolge weniger bei Pflichtangeboten, als insbesondere bei freiwilligen Angeboten Bedeutung. Soweit der zeitliche Zusammenhang zwischen der Referenztransaktion und dem Angebot gelockert ist, können sich die Verhältnisse zwischenzeitlich ändern; dann geht die Rechtfertigung für die Gleichbehandlung verloren. Das gilt sowohl für Vorerwerbe als auch für die Nachzahlungspflicht. § 26 Abs 3 (iVm § 16 Abs 7) trägt dem Rechnung. Soweit sich die Umstände seit der zu beurteilenden Referenztransaktion814 wesentlich geändert haben, ist der Preis des Angebots angemessen festzulegen. Die Änderung muss außerhalb des Üblichen liegen; die Materialien zum ÜbG815 nennen eine Branchen- oder Unternehmenskrise. b) Abstimmung durch die Angebotsadressaten Für das Pflichtangebot begnügt sich das ÜbG – so wie für freiwillige Angebote ohne Kontrollbezug – mit den soeben erläuterten Bestimmungen. Anderes gilt für freiwillige Angebote zur Kontrollerlangung. Bei diesen versucht das ÜbG mit § 25a Abs 2 zusätzlich, über eine Rechtsbedingung einen attraktiven Preis herbeizuführen.816 Die Norm stellt darauf ab, dass dem Bieter im Rahmen des Angebots Annahmeerklärungen von zumindest 50 % der vom Angebot erfassten Aktien zugehen; Paralleltransaktionen zählen für die Bestimmung als Annahmeerklärungen. Dadurch kommt es zu einer Abstimmung der außenstehenden Aktionäre über das Angebot.817 3. Europäische Rechtsgrundlagen Die 13. Richtlinie über Übernahmeangebote818 sieht die Angebotspflicht zwar grundsätzlich vor; die Festlegung der Auslösetatbestände wird den Mitglied813 814
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1334 BlgNR 22. GP 10. Entgegen dem insofern missverständlichen Wortlaut kommt es nicht jedenfalls auf eine Änderung innerhalb der letzten zwölf Monate an. 1276 BlgNR 20. GP 48. Vgl 1276 BlgNR 20. GP 44. Zum Zweck vgl auch ÜbK 15.1.2005, GZ 2004/3/13178. Bis zum ÜbRÄG 2006 stand das Angebot unter der Bedingung, dass der Bieter und mit ihm gemeinsam vorgehende Rechtsträger nach dem Angebot über mehr als 50 vom Hundert der auf die ständig stimmberechtigten Aktionäre entfallenden Stimmrechte verfügt. Der vom Gesetz angestrebte Markttest konnte dadurch nur unvollständig erreicht werden. Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl L 142/12.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
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staaten weit gehend ins Ermessen gestellt. Art 5 Abs 4 enthält nähere Bestimmungen über den Mindestpreis des Pflichtangebots:819 Dieser muss angemessen sein; das führt jedoch nicht zu einer Bewertung der Gesellschaft. Denn als angemessene Gegenleistung gilt der höchste Preis, den der Bieter oder mit ihm gemeinsam vorgehende Personen innerhalb eines Referenzzeitraums für dieselben Wertpapiere bezahlt haben. Der Referenzzeitraum muss nach Wahl der Mitgliedstaaten mindestens sechs und höchstens zwölf Monate betragen. Paralleltransaktionen mit höheren Gegenleistungen führen ebenfalls zur Anpassung des Angebots.820 Unter bestimmten, genau festzulegenden Voraussetzungen können es die Mitgliedstaaten zulassen, dass die Aufsichtsstellen Abweichungen von diesem Mindestpreis ermöglichen; Art 5 Abs 4 enthält eine (nicht leicht verständliche)821 Aufzählung von berücksichtigungswürdigen Kriterien. Für die Umsetzung stellt sich die Frage, ob Art 5 Abs 4 der RL abschließend ist oder abweichende Regelungen zulässt.822 Das hat immer dort Bedeutung, wo das ÜbG zusätzliche Bestimmungen enthält: die Berücksichtigung von Gegenleistungen für andere Wertpapiere gemäß § 26 Abs 2, die Berücksichtigung von beim mittelbaren Beteiligungserwerb gezahlten Preisen gemäß § 26 Abs 3, die Berücksichtigung des durchschnittlichen Börsekurses gemäß § 26 Abs 1. In der Sache spricht nichts gegen die Zulässigkeit der österreichischen Normen. Einerseits liegen darin strengere Normen zum Schutz der Beteiligungspapierinhaber (vgl Art 3 Abs 2 lit b der Richtlinie);823 andererseits ist dies auch eine Anordnung an die Aufsichtsbehörden, den Mindestpreis nach der Richtlinie abzuändern, wie es durch Art 5 Abs 4 leg cit ermöglicht werden soll. Die österreichischen Normen sind europarechtskonform.824 Darüber hinaus ist zB die Heranziehung der Börsekurse als Untergrenze nach ÜbG unverzichtbar, wenn es an Referenztransaktionen fehlt, wie zB beim Abschluss eines Syndikatsvertrags. Diese Fälle sind von der Richtlinie gar nicht erfasst, weil diese für die Angebotspflicht darauf abstellt, dass die Kontrolle durch Erwerb von Wertpapieren erlangt wurde.
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Nicht jedoch des Übernahmeangebots; dazu unten 4. e). Diese Rechtsfolge gilt nach der Stellung der Norm nur bei Pflichtangeboten, nicht aber bei Angeboten zur Kontrollerlangung. Vgl Gall/Winner, GeS 2003, 103. ZB soll eine Korrektur zulässig sein, wenn der Höchstpreis in einer Vereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer gemeinsam festgelegt worden ist; das hat zum Missverständnis geführt, dass ein Paketabschlag zulässig ist (vgl Krause, BB 2002, 2343). Allerdings geht es in der Sache um geheime Nebenabsprachen zwischen den Parteien; vgl Gall/Winner, aaO mwN. Vgl auch Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 230 f. Vgl die Materialien zum ÜbRÄG 2006, 1334 BlgNR 22. GP 18. Im Übrigen enthält § 26 Abs 3 Ausnahmen vom Mindestpreis, die Art 5 Abs 4 der Richtlinie entsprechen.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
4. Der Zweck der Gleichbehandlung Das ÜbG normiert einen Kontrahierungszwang. Wie bei jedem solchen Zwang ist auch in diesem Zusammenhang der Preis festzulegen, zu dem die Transaktion stattfinden soll. Das ÜbG nimmt dazu mangels des zwangsweisen Entzugs nicht den Vermögensverlust beim bisherigen Eigentümer in den Blick. Vielmehr soll ihm ein Angebot zu angemessenen Bedingungen gemacht werden, ohne dass das ÜbG das in dieser Form ausdrücklich festhält; die Gegenleistung ist nicht „angemessen festzulegen“.825 Vielmehr wird festgelegt, dass ein Angebot, das den beiden Mindestschwellen entspricht, wie sie sich aus dem Börsekurs und aus Vorerwerben ergeben, aus rechtlicher Sicht genügt. Der Bieter hat nach deutschem Recht den Aktionären bei Pflicht- und Übernahmeangeboten eine angemessene Gegenleistung zu bieten (§ 31 Abs 1 WpÜG). Freilich ist diese Norm nach herrschender Meinung ein bloßer Programmsatz;826 neben den gesonderten Regeln für die Berücksichtigung von Börsekursen und Vorerwerben, die durch § 31 Abs 1 in Aussicht genommen und in §§ 4 ff WpÜG-AngVO827 näher ausgeführt werden, bleibt kein Raum für den Rückgriff auf § 31 Abs 1 WpÜG. Die Gegenmeinung will das Ergebnis einer Unternehmensbewertung entweder bloß preismindernd828 oder auch preiserhöhend829 berücksichtigen.830
a) Kritik an der Gleichbehandlungspflicht Die zu berücksichtigenden Referenztransaktionen spiegeln die subjektiven Wertvorstellungen von Veräußerer und Erwerber wider. Die Ertragserwartungen des Käufers müssen höher als der Kaufpreis sein, diejenigen des Verkäufers niedriger, damit die Transaktion zustande kommt. Der Transaktions-
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Vgl Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht Rn 185. Vgl Krause in Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG § 31 Rn 34 ff; Marsch-Barner in Baums/Thoma, WpÜG § 31 Rn 15 f; Wackerbarth in MünchKomm AktG § 31 WpÜG Rn 19; Habersack, ZIP 2003, 1124 ff. Siehe auch schon Diregger/Winner, WM 2002, 1588. Verordnung über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten und die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots (WpÜG-AngVO) vom 27.12.2001, dBGBl I S 4263. Haarmann in Haarmann/Schüppen, WpÜG § 31 Rn 25; Kremer/Oesterhaus in KölnerKomm WpÜG § 31 Rn 16. Thun in Geibel/Süßmann, WpÜG § 31 Rn 76; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, WpÜG § 31 Rn 8. Damit soll einem Defizit des WpÜG abgeholfen werden: Anders als nach § 26 Abs 3 ÜbG sind nach deutschem Recht nämlich geänderte Verhältnisse zwischen einem Vorerwerb und der Angebotslegung nicht preisändernd zu berücksichtigen. Das ist freilich wegen der kurzen Periode für Referenztransaktionen von drei Monaten nach deutschem Recht nicht gleich bedeutend.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
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gewinn wird geteilt. Dieses Verhandlungsergebnis ist auch für den Preis des Pflichtangebots wegen der Pflicht zur Gleichbehandlung ausschlaggebend. Gegen diese Pflicht zur gleichmäßigen Verteilung des Transaktionsgewinns wird geltend gemacht, dass durch sie effizienzsteigernde Transaktionen verhindert werden können. Die noch heute maßgebliche Argumentationslinie wurde vor 25 Jahren von Easterbrook und Fischel entwickelt.831 Der hohe private Wert, den das kontrollierende Aktienpaket für den Eigner hat, ist diesem zu ersetzen, damit er überhaupt bereit ist, seine Anteile zu verkaufen. Wenn die bezahlte Prämie zur Gänze auch an die anderen Aktionäre weitergegeben werden muss, können effizienzsteigernde Transaktionen unterbleiben, weil der Effizienzgewinn diese Weitergabe nicht abdeckt.832 Es entsteht ein Wohlfahrtsverlust. Beispiel: Die Sondervorteile eines Aktionärs, der ein Paket von 50 % mit Kurswert 400 hält, betragen 100. Die Vorteile für den Erwerber betragen 150.833 Ohne Angebotspflicht kommt die Transaktion zu Stande; die Gesamtwohlfahrt steigt, freilich wird der Erwerber die alten und neuen Sondervorteile ausnützen. Auch gemäß § 26 Abs 1 ÜbG aF (mit Paketabschlag von 15 %) kann die Transaktion durchgeführt werden.834 Bei voller Gleichbehandlung müsste der Erwerber freilich zumindest 1000 aufwenden, was seine Vorteile aus der Transaktion übersteigt.
Von effizienzsteigernden Transaktionen profitieren nach Easterbrook und Fischel auch Minderheitsaktionäre. Denn erstens können im Einzelfall gerade sie die Aktien halten, welche die Kontrolle vermitteln; zweitens sei der Börsekurs durch die Möglichkeit der Ungleichbehandlung generell höher. Deswegen würden auch die Minderheitsaktionäre ex ante die Ungleichbehandlung bevorzugen.835 Dem Verlustrisiko könne am besten durch Diversifizierung beigekommen werden.836 b) Effizienz der Gleichbehandlung Die Gegenargumente gegen diese Position sind treffend dargelegt worden.837 Grundlegend ist, dass der Erwerber bei ökonomisch rationalem Handeln nicht
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91 Yale L J 698 (1981). Vgl auch dies, Economic Structure 109 ff. Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J 709 f, 716 (1981); P Huber, ecolex 1997, 766; Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 33. Diese Vorteile sind echte Effizienzgewinne und nicht Ergebnis einer weiteren Entwertung der Anteile der Minderheit. Die Sondervorteile des Altaktionärs gehen hingegen verloren. Mindestpaketpreis: 500; Anbot an Minderheitsaktionäre: 425. Einem Gesamtpreis von 925 würde ein Wert für den Erwerber von 950 gegenüberstehen (Kurswert Paket + Kurswert Minderheit + Sondervorteile). Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J 711 f (1981). Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J 713 f (1981). Ähnlich Cheffins, Theory 271 f. Vgl Reul, Gleichbehandlung 128 ff; Bebchuk, 98 Harv L Rev 1693 ff (1985).
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
primär an der Effizienzsteigerung des Unternehmens interessiert ist; vielmehr geht es ihm darum, die Erträge aus dem Erwerbsgegenstand zu optimieren. Ist der Käufer nur verpflichtet, das kontrollierende Paket zu erwerben, so wird das Unternehmen an sich nicht effizienter geführt; eine Transaktion kann auch nur deswegen zustande kommen, weil der Erwerber finanzielle Sonderinteressen besser auf Kosten der Minderheit verfolgen kann.838 Die Angebotspflicht samt Gleichbehandlung durch die Verteilung der Kontrollprämie verhindert solche ineffizienten Übernahmen jedenfalls. Unbestritten ist, dass bei Pflicht zur vollen Gleichbehandlung effizienzsteigernde Transaktionen im Einzelfall unterbleiben können. Der Käufer muss die Prämie auf mehr Aktien aufteilen, weswegen für den verkaufenden Paketaktionär weniger und im Einzelfall zu wenig zur Verfügung steht. Zu Recht weist aber Reul auf den Zielkonflikt zwischen Effizienzsteigerung und Verbot der Ausnützung von Sondervorteilen hin.839 Denn Voraussetzung für das Zustandekommen solcher Transaktionen ist, dass der Erwerber die Sondervorteile weiterhin ausnützt. Ob es bei dogmatischer Betrachtung systemgerecht ist, dem Erwerber diese Möglichkeit zu geben, ergibt sich aus der Natur dieser Sondervorteile. Klassische „Ausbeutung“ ist schon nach den Wertungen des Verbots der Einlagenrückgewähr untersagt; auch wenn sich der Erwerber einseitig die Synergiegewinne aneignet, sprechen die besseren Gründe für die Rechtswidrigkeit des Vorgehens.840 Es lässt sich damit in einer Gesamtwürdigung nicht eindeutig bejahen, dass solche effizienzsteigernden Transaktionen auch rechtlich erwünscht sind. Hinzu kommt, dass im Regelfall auch die Effizienzsteigerung selbst als Sondervorteil nur beim Erwerber anfallen wird. Damit sprechen die besseren Gründe für die Pflicht zur vollen Gleichbehandlung. Ineffiziente Transaktionen werden durch sie jedenfalls verhindert – was die wichtigste Leistung der Norm ist –, wohlfahrtssteigernde Transaktionen allenfalls dann, wenn sie auf einer Ausnützung von Sondervorteilen beruhen. Das ist zwar wohlfahrtsökonomisch nicht unbedingt beachtlich, aufgrund der Wertungen des Gesellschaftsrechts über die Verteilungsgerechtigkeit aber im gegebenen Zusammenhang ein ausschlaggebendes Argument. Damit führt die Gleichbehandlungspflicht im Einzelfall dazu, dass der Kontrollaktionär seine Kontrollposition zwar weiterhin ausbeuten kann, aber ihr Verkauf erschwert wird. Damit ist den Aktionären im konkreten Fall zwar auch nicht geholfen – diese Aufgabe kommt weiterhin dem gesellschaftsrechtlichen Schutzinstrumentarium zu. Immerhin müssen sie aber nicht befürchten, dass es ihnen unter einem Erwerber, der die bezahlte Kontrollprämie amortisieren muss, noch schlechter geht.
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Vgl P Huber, ecolex 1997, 766; Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 33 f. Reul, Gleichbehandlung 213 ff. Ähnlich Reul, Gleichbehandlung 220 f.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
497
Ein weiteres Argument ist zu berücksichtigen: Aus Sicht der Minderheitsaktionäre ist jedes Angebot von Vorteil, wenn es nur über dem Marktpreis liegt. Das spricht auf den ersten Blick dafür, ähnlich wie nach § 26 Abs 1 ÜbG aF einen Paketabschlag zuzulassen. Denn durch einen Abschlag werden mehr effizienzsteigernde Transaktionen ermöglicht; vgl auch das Beispiel oben. Aus diesem Blickwinkel würde es genügen, den Marktpreis plus einer geringen Prämie als Mindestpreis für das Pflichtangebot vorzuschreiben.841 Dieses Argument geht jedoch davon aus, dass Marktpreise für Aktien ceteris paribus bei Geltung der Gleichbehandlungsregel und bei Zulässigkeit des Paketabschlags gleich sind. Davon ist jedoch nicht auszugehen; vielmehr hat gerade die Möglichkeit, an der Kontrollprämie zu partizipieren, positive Auswirkungen auf die Höhe des Börsekurses. Die beiden Sachverhalte sind also nicht zu vergleichen, weil bereits die Ausgangsbasis unterschiedlich ist. Sichere Aussagen lassen sich auf dieser Ebene nicht treffen. c) Attraktivität des Kapitalmarkts Ausschlaggebend ist für Österreich etwas anderes. Alle Argumente gegen die Pflicht zur Gleichbehandlung haben als zentralen Punkt, dass es am Kapitalmarkt keine systematischen Gewinner und Verlierer gibt. Die etwa möglichen Nachteile im Einzelfall können durch Diversifikation der gehaltenen Anteile – entweder direkt durch den Anleger oder durch Veranlagung in Fonds - ausgeschlossen werden.842 Nachteilige Auswirkungen auf das Kursniveau sind nach dieser Annahme nicht zu befürchten. Das kann jedenfalls für Österreich nicht überzeugen.843 Auch börsenotierte Gesellschaften haben im Regelfall einen Mehrheits- oder Kernaktionär. Die Anteile, welche die Kontrolle vermitteln, können daher nicht am Kapitalmarkt erworben werden. Daher besteht für den Anleger nicht die Chance, einmal auch auf der gewinnenden Seite zu stehen, weil der Bieter gerade seine Aktien für die Kontrollerlangung benötigt und daher ihm eine Prämie zahlt. Vielmehr kommt die Prämie immer den Paketaktionären zugute. Die Diversifikation ist auch nicht dadurch möglich, dass man eine Beteiligung am Paketaktionär erwirbt und solcherart indirekt von der bezahlten Kontrollprämie profitiert; die Paketaktionäre sind nämlich im Regelfall nicht börsenotiert.844 Auch auf dieser Ebene muss eine Diversifikationsstrategie daher versagen. Ohne Gleichbehandlungspflicht wären die Anleger am Kapitalmarkt wegen der Gesellschafterstruktur daher systematische Verlierer. Damit erklärt sich die besondere Bedeutung von § 26 ÜbG im österreichischen Zusammen841 842 843
844
Ähnlich im Ergebnis Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J 714 f (1981). Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J 713 f (1981). Generell kritisch auch Reul, Gleichbehandlung 210 f. Vgl auch Bebchuk, 98 Harv L Rev 1781 f (1985), der auch für die Vereinigten Staaten von systematischen Verlierern ausgeht. Ähnlich P Huber, ecolex 1997, 767.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
hang: Sie dient der Steigerung der Attraktivität des österreichischen Kapitalmarkts für die Anbieter von anlagesuchendem Kapital.845 Das hat natürlich unmittelbare Auswirkungen auf die Bedingungen der Finanzierung österreichischer Unternehmen. Diese Attraktivitätssteigerung ist auch erklärtes Ziel des ÜbG846 - und sie ist ohne Zweifel durch die in den letzten Jahren in Summe gesetzten kapitalmarktpolitischen Maßnahmen auch zumindest zum Teil gelungen. Insofern hat die Gleichbehandlungsregel in Österreich, aber auch auf anderen von Kernaktionären dominierten Kapitalmärkten eine andere Bedeutung als im Vereinigten Königreich oder in den Vereinigten Staaten. 847 Für die Funktionalität des Kapitalmarkts ist freilich nicht nur die Angebotsseite, sondern auch die Nachfrage nach anlagesuchendem Kapital zu berücksichtigen. Wenn die Finanzierung durch Ausgabe neuer Aktien aus Sicht der bestehenden Paketaktionäre mit gravierenden Nachteilen verbunden ist, besteht die Gefahr, dass die geforderte Steigerung der Attraktivität des Kapitalmarkts nicht erreicht wird.848 Ob die Nachteile für den Kernaktionär durch den Verlust der Kontrollprämie schwerer wiegen als die Vorteile aus der erleichterten Finanzierung, lässt sich schwer beantworten. Freilich gibt es empirische Daten, die nahe legen, dass die Nachfrage nach anlagesuchendem Kapital durch die Unternehmen nicht übermäßig leidet. Bereits nach der Rechtslage bis zum ÜbRÄG 2006 hatten börsenotierte Gesellschaften die Möglichkeit, durch Satzungsänderung die Pflicht zur vollen Gleichbehandlung einzuführen (§ 27 Abs 1 Z 2 ÜbG). Ein Paketabschlag kommt in diesem Fall nicht zur Anwendung. Mit Stichtag 15. März 2006 haben 20 Gesellschaften von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.849 Zu diesem Stichtag unterlagen 78 Gesellschaften dem ÜbG. 17 der Gesellschaften, die den Abschlag ausgeschlossen haben, kommen aus dem höchsten Marktsegment, dem prime market (von 41 Teilnehmern). Die meisten der ganz großen Gesellschaften in diesem Segment haben von der Option Gebrauch gemacht.850
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Vgl P Huber, ecolex 1997, 767. 1276 BlgNR 20 GP 4. Wo sie (zumindest auf Ebene des Bundes) ohnehin nicht existiert. Vgl auch P Doralt in FS Kropff 67: Paketabschlag von 15 % als Kompromiss zwischen verkaufswilligen Paketaktionären und Großaktionären, welche am Kapitalmarkt in Zukunft Mittel aufbringen wollen. Vgl die Aufstellung auf der Website der Übernahmekommission; http://www.takeover.at/emittenten.html. Auf Basis der Marktkapitalisierung Ende 2005 haben von den zehn größten Gesellschaften im prime market sechs den Abschlag ausgeschlossen, darunter vier der – mit Abstand – größten fünf (OMV, BA-CA, Erste, Telekom; nicht aber die Verbund, bei der ein Machtwechsel aber schon aufgrund der gesetzlichen Ausgangslage sehr unwahrscheinlich ist). (Eigene Berechnungen aufgrund der Daten auf der Website der Wiener Börse; http://www.wienerboerse.at.)
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
499
Der durch diese Möglichkeit angestrebte Wettbewerb der Satzungen scheint daher zu funktionieren.851 Ein Mitgrund für diese hohe Zahl der Gesellschaften, die von dem Ausschluss des Paketzuschlags Gebrauch gemacht haben, ist wohl auch Punkt 3 des ÖCGK, der in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung empfahl, den Paketabschlag auszuschließen. Denn 15 der 20 Satzungsänderungen wurden nach dem In-Kraft-Treten des ÖCGK gefasst. Punkt 3 war freilich lediglich eine Empfehlung, weswegen Abweichungen nicht offen gelegt oder begründet werden müssen.
Zusätzlich fällt auf, dass gerade diejenigen Gesellschaften, die in den letzten Jahren massiv Eigenkapital nachgefragt haben,852 eine entsprechende Satzungsbestimmung aufgenommen haben. Das spricht einerseits dafür, dass sich dadurch die Finanzierungsbedingungen verbessern, andererseits spricht es aber auch dagegen, dass die Nachteile für die Mehrheitsaktionäre die Vorteile für die Paketaktionäre überwiegen. Es ist nämlich keineswegs so, dass diese Gesellschaften im Schnitt keinen Mehrheitsaktionär haben; vielmehr werden auch sie im Regelfall beherrscht. Auffallend ist lediglich, dass die wenigsten der großen Familiengesellschaften853 den Abschlag ausgeschlossen haben; die Tatsache, dass konkrete physische Personen von Kontrollprämien unmittelbar begünstigt sind, scheint hier ausschlaggebend zu sein. Das tatsächliche Verhalten der Gesellschaften, die Kapital nachgefragt haben, legt also die Sinnhaftigkeit der Gleichbehandlungspflicht nahe. Wenn man davon ausgeht, dass Gesellschaften, die am Kapitalmarkt auftreten, grundsätzlich auch Interesse an effizienten Regelungen haben, so spricht dies grundsätzlich auch für eine gesetzliche Regelung der Gleichbehandlung. Fraglich kann dann daher allenfalls sein, ob die Gleichbehandlung zwingend vorgeschrieben werden oder ob ein Hinausoptieren möglich sein soll. Angesichts der Funktion der Norm, nicht effiziente Übernahmen zu verhindern, sprechen die besseren Gründe mE für eine zwingende Normierung, wie sie durch §§ 16, 26 Abs 1 ÜbG nF in Umsetzung der Übernahme-Richtlinie erfolgt. Es ist nach diesem Konzept konsequent, dass die Gegenleistung beim Pflichtangebot nach österreichischem Recht nicht „angemessen“ sein muss. Es geht eben nicht darum, dass den Minderheitsaktionären wie beim Gesellschafterausschluss der Wert der Anteile ersetzt werden muss, die ihnen entzogen
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Skeptisch noch P Huber, ecolex 1997, 768. Sei es über Neunotierungen (zB BA-CA, Raiffeisen), sei es über weitere Kapitalmaßnahmen (zB Erste Bank, Böhler-Uddeholm, Wiener Städtische). Insofern richtig die Analyse von P Huber, ecolex 1997, 768, der freilich vernachlässigt, dass auch bereits notierte Unternehmen den Kapitalmarkt in Anspruch nehmen. Eine Ausnahme ist zB die Constantia Packaging AG.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
werden.854 Vielmehr ist der Käufer in der Preisfindung grundsätzlich frei; er muss den einmal gefundenen Preis auch allen Aktionären anbieten, mit anderen Worten die Kontrollprämie gleichmäßig aufteilen. Es ist daher auch grundsätzlich richtig, wenn die herrschende Lehre zum deutschen WpÜG betont, dass § 31 Abs 1 leg cit mit der Pflicht, den Aktionären eine angemessene Gegenleistung zu bieten, ein bloßer, durch die konkreten Preisregeln umgesetzter Programmsatz, aber keine eigene Anspruchsgrundlage ist.855 d) Exkurs: Börsekurse als Untergrenze Freilich darf nicht übersehen werden, dass mit dem durchschnittlichen Börsekurs als zweiter Untergrenze für den Angebotspreis eine Einfallspforte für die angemessene Festlegung des Angebotspreises vorliegt. Aus der Norm ergibt sich nämlich (anders als bei der Gleichbehandlungsregel) unmittelbar ein Wert für ein Angebot, das am Tag X angekündigt wird, ohne dass es auf eine Handlung des Bieters ankommt. Die dementsprechende deutsche Norm856 wird daher auch zum Teil kritisiert.857 Die Bedeutung des Börsekurses ergibt sich aus verschiedenen Überlegungen. Zunächst ist der Börsekurs in jenen Fällen der einzige Anhaltspunkt, in denen keine Vorerwerbe vorliegen, die für die Preisbestimmung herangezogen werden können. Das ist zB der Fall, wenn der Kontrollwechsel durch den Abschluss oder die Auflösung eines Syndikatsvertrags herbeigeführt wird (vgl § 22a ÜbG nF) bzw wenn dem Bieter bloß Stimmrechte zur Ausübung übertragen werden (vgl § 23 Abs 2 Z 2 ÜbG nF). Auch hier muss für den Kontrahierungszwang ein Preis festgelegt werden; er muss freilich nicht angemessen sein, sondern bestimmt sich nach dem Börsekurs. Freilich ist der Durchschnittskurs bei positiver Marktentwicklung für die Angebotsadressaten im Regelfall nicht attraktiv – es sei denn, die Marktteilnehmer befürchten eine Ausbeutung durch den neuen kontrollierenden Aktionär; denn in diesem Fall 854
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Wie hier Krause in Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG § 31 Rn 14; ähnlich Marsch-Barner in Baums/Thoma, WpÜG § 31 Rn 33. Offensichtlich aM Wackerbarth in MünchKomm AktG § 31 Rn 37. Im Übrigen ist die Referenzperiode nach WpÜG mit drei Monaten vor der Veröffentlichung des Angebots (vgl näher Diregger/Winner, WM 2002, 1589) zu kurz angesetzt, um zu verhindern, dass Paketprämien bezahlt werden, ohne diese an die Angebotsadressaten weiterzugeben; vgl auch Marsch-Barner in Baums/Thoma, WpÜG § 31 Rn 26. Der Referenzzeitraum wird im Rahmen der Umsetzung der Übernahme-Richtlinie auf sechs Monate verlängert werden. § 5 Abs 1 WpÜG-AngVO: Die gewichteten durchschnittlichen (inländischen) Börsekurse der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Entscheidung, ein Angebot abzugeben, bzw der Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle bilden die Untergrenze für die Gegenleistung. § 6 WpÜG-AngVO über die Berücksichtigung ausländischer Börsekurse wird im Rahmen der Umsetzung der Übernahme-Richtlinien aufgehoben. Habersack, ZHR 2002, 624; Krause in Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG § 31 Rn 13.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
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sind die durchschnittlichen Börsekurse als garantierte Gegenleistung eine Untergrenze für den drohenden Kursverfall. Zum zweiten bestehen für den Regelfall Zweifel, dass Übernahmen unter dem Börsekurs effizient sind. Denn im Börsekurs spiegeln sich (zumindest auch) die durchschnittlichen Ertragserwartungen der Anleger wider; der Bieter sollte im Regelfall höhere Ertragserwartungen aufweisen. Das wird durch die Berücksichtigung der Börsekurse zumindest grundsätzlich vermieden. Die Aktionäre bekommen zumindest den Marktpreis ihrer Anteile ersetzt.858 Die Ertragserwartungen sind freilich nur eingepreist, wenn die Liquidität ausreichend ist; soweit die Kursbildung überwiegend auf die Knappheit zurückzuführen ist, fehlt es an dieser Rechtfertigung, den Kurs als Mindestpreis heranzuziehen. In dieser Situation kommen auch Paketabschläge auf den Börsekurs in Betracht. Das wird durch § 5 WpÜG-AngVO berücksichtigt, der festlegt, unter welchen Umständen Börsekurse nicht heranzuziehen sind, auch wenn die Starrheit der dort festgelegten Berechnungsregel859 im Einzelfall zu unangemessenen Ergebnissen führen kann. Nach österreichischem Recht kann man solche Börsekurse nicht vernachlässigen; auch § 26 Abs 3 Z 3 ÜbG bietet keine Grundlage, weil keine Änderung der Verhältnisse vorliegt, wenn nur die Liquidität fehlt. Das Problem wird freilich dadurch entschärft, dass für den typischen Fall des Paketabschlags, nämlich der Sanierungsübernahme, ohnehin eine Ausnahme von der Angebotspflicht besteht (vgl § 25 Abs 1 Z 2 ÜbG nF). In der Sache führt diese Untergrenze jedoch teilweise zu Problemen. Vor allem geht es um Fälle der Baisse; der Bieter bietet eine Prämie über dem aktuellen Börsekurs, der Preis liegt aber wegen des Kursverfalls unter den durchschnittlichen Kursen; hier kann die Anwendung von § 26 Abs 2 Z 3 ÜbG Abhilfe schaffen, auch wenn die Norm eher auf die Änderung der Verhältnisse seit einem Vorerwerb abzielt, wie insbesondere der Verweis auf die nur dort anwendbare Frist von zwölf Monaten zeigt. Die Wertung der Bestimmung ist aber jedenfalls bei einem groben Kursverfall einschlägig.
Erkennt man an, dass die Gegenleistung abgesehen von der Berücksichtigung des Börsekurses grundsätzlich nicht angemessen sein muss, so ist es nicht erkennbar, warum bei fehlenden Börsekursen eine Unternehmensbewertung vorzunehmen sein soll, wie das § 5 Abs 4 WpÜG-AngVO vorsieht. Dagegen sprechen nicht so sehr praktische Bedenken.860 Problematisch ist zunächst, dass der Maßstab für die anzuwendende Unternehmensbewertung unklar ist: 858 859
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Gall/Winner, GeS 2003, 103. Die Kurse sind nicht heranzuziehen, wenn während der letzten drei Monate vor Veröffentlichung der Absicht, ein Angebot abzugeben, an weniger als einem Drittel der Börsetage Börsekurse festgestellt wurden und mehrere hintereinander festgestellte Börsekurse um mehr als fünf Prozent voneinander abweichen. Vgl dazu zB Wackerbarth in MünchKomm AktG § 31 WpÜG Rn 50; Krause in Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG § 5 WpÜG-AngVO Rn 21. Antikritisch zB Haarmann in Haarmann/Schüppen, WpÜG § 31 Rn 42 f.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Sollen Synergien einbezogen werden oder nicht?861 Gegen die Einbeziehung spricht, dass diese Synergien prinzipiell über die Berücksichtigung der Vorerwerbe des Bieters in die Preisbildung einfließen sollen; dagegen spricht auch, dass die konkreten Synergien mit dem Bieter in den Börsekurs nicht eingeflossen sind. Zweitens ist ganz unklar, warum Börsekurse durch eine Unternehmensbewertung ersetzt werden können; wie bereits mehrfach angesprochen, gibt es zwar eine Verbindung zwischen diesen beiden Werten, deren Ausmaß aber alles andere als eindeutig ist. Soweit es an aussagekräftigen Börsekursen fehlt, ist es daher besser, die unmittelbare Suche nach der angemessenen Gegenleistung aufzugeben und sich ganz auf die Berücksichtigung der Vorerwerbe des Bieters zu verlassen. Probleme können dann allenfalls noch entstehen, wenn es an solchen Referenztransaktionen fehlt. e) Übernahmeangebote Insbesondere im deutschen Schrifttum wird kritisiert, dass die Regelung über den Mindestpreis (§ 31 WpÜG) nicht nur auf Pflichtangebote, sondern auch auf Übernahmeangebote zur Kontrollerlangung anwendbar ist.862 Denn der Bieter sei bei solchen Angeboten ohnehin daran interessiert, einen angemessenen Preis zu bieten, weil er die Aktionäre zur Annahme des Angebots bewegen müsse. Offensichtlich sollen nach dieser Ansicht auch Paralleltransaktionen zu höheren Konditionen bei Übernahmeangeboten ohne Anpassungspflicht zulässig sein. Einzig durch eine Mindestannahmequote nach Art von § 25a Abs 2 ÜbG nF solle die Angemessenheit der Gegenleistung durchgesetzt werden.863 Vorschläge zur Einführung einer Mindestannahmequote haben sich im deutschen Gesetzgebungsverfahren freilich nicht durchsetzen können. Damit verlässt sich das WpÜG zur Durchsetzung angemessener Angebote allein auf die Vorschriften über den Mindestpreis, ohne (alternativ864 oder zusätzlich865) einen Markttest vorzusehen.
Die herrschende Meinung hält die Regelung über den Mindestpreis hingegen auch für Übernahmeangebote für angemessen.866 Denn ein solches Übernahmeangebot befreie von der auf den Kontrollwechsel durch das Angebot an und für sich folgenden Angebotspflicht; deswegen müsse es auch den Preisbil-
861 862
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Ablehnend zB Haarmann in Haarmann/Schüppen, WpÜG § 31 Rn 40 f. Mülbert, ZIP 2001, 1224 f; Wackerbarth in MünchKomm AktG § 31 WpÜG Rn 6 ff (der darüber hinaus gleich für eine entsprechende teleologische Reduktion von § 31 WpÜG eintritt). Mülbert, ZIP 2001, 1224 f. So Mülbert, aaO. So § 25a iVm § 26 ÜbG; Rule 6.1 und Rule 10 City Code (dazu unten VII. C. 2.). Für Österreich Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht Rn 9, 198; Gall/Winner, GeS 2003, 103.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
503
dungsregeln für das Pflichtangebot entsprechen.867 Das hat sicher einiges für sich. Vorerwerbe vor dem Übernahmeangebot (zB zum Aufbau eines launching pads) würden sonst nicht berücksichtigt werden; die Gleichbehandlung wäre insofern nicht verwirklicht. Freilich lässt sich dagegen einwenden, dass eine Pflicht zur Gleichbehandlung dann überschießend ist, wenn die Mehrheit der Angebotsadressaten mit den Bedingungen einverstanden ist. Wovor sollen sie geschützt werden? Ist die übernahmerechtliche Gleichbehandlung Selbstzweck? Jedenfalls ist beim echten Übernahmeangebot zur Kontrollerlangung die privatautonome Entscheidung der Angebotsadressaten wichtiger als eine Regelung des Mindestpreises.868 Im Gegensatz zum Pflichtangebot geht es gerade nicht darum, Aktionären eine Austrittsmöglichkeit bei geänderten Verhältnisse zu gewähren, sondern darum, dass die Aktionäre die Änderung der Verhältnisse durch ihr Annahmeverhalten herbeiführen. In diesem Zusammenhang ist für die angemessene Preisbildung die erforderliche Annahmequote zentral. Das erklärt die große Bedeutung von § 25a Abs 2 ÜbG; vgl schon oben 2. b). Ein Effekt der Norm ist es, dass der Bieter nach dem Angebot die Möglichkeit hat, die normale Beschlussfassung in der Gesellschaft zu kontrollieren. Dieser Bieterschutz ist aber im Ergebnis nicht ausschlaggebend, da es dem Bieter ja ohnehin unbenommen ist, eine entsprechende Schwelle in seine Angebotsunterlage aufzunehmen (dazu gleich unten). In der Sache geht es um etwas anderes: Das Angebot soll so attraktiv sein, dass die Mehrheit der Angebotsadressaten bereit ist, ihre Aktien abzugeben.869 Es geht also um den Schutz der Aktionärsmehrheit vor einer Kontrollergreifung aufgrund des Verkaufs einer Minderheit von Aktionären; denn aufgrund der Probleme der collective action kann sich die unorganisierte Mehrheit gegen die Ausübung der Kontrolle durch die Minderheit nicht wehren. Dadurch wird der Grundgedanke des Übernahmerechts, die Entscheidung über den Erfolg des Angebots in die Hände der Aktionäre zu legen,870 auf eine tragfähige Basis gestellt. In der Praxis werden bei Übernahmeangeboten häufig höhere Annahmequoten als Bedingung für die Wirksamkeit des Angebots gewählt. Denn der Bieter hat im Regelfall Interesse, nach dem Angebot die verbleibenden Aktionäre auszuschließen oder doch Satzungsänderungen beschließen zu können; dazu genügt die Annahme durch 50 % der Angebotsadressaten in der Praxis nicht. Bei Pflichtangeboten ist die Festlegung dieser Bedingung allerdings unzulässig. Da-
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Krause in Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG § 31 Rn 13; Marsch-Barner in Baums/Thoma, WpÜG § 31 Rn 18. Vgl auch die unterschiedlichen Regelungen des City Code für diese Sachverhalte; unten VII. C. 3. Vgl Kenyon-Slade, Mergers Rn 9.59; ausführlich zur österreichischen Parallelbestimmung ÜbK 15.1.2005, GZ 2004/3/13.178 („VA Tech“). Vgl dazu jüngst im Rechtsvergleich zu den USA Kraakman et al, Anatomy 163 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
her ist es wirtschaftlich häufig empfehlenswert, Transaktionen auch bei Vorliegen eines Mehrheitsaktionärs als Übernahmeangebot zu gestalten; auch die praktischen Erfahrungen zeigen diese Tendenz im österreichischen Übernahmerecht.
Das allein würde aber nicht genügen. Denn wenn die Angebotsadressaten befürchten müssen, nach einem erfolgreichen Übernahmeangebot in einer Minderheitsposition eingeschlossen zu werden, wenn sie das Angebot nicht annehmen, so ist ihre Entscheidung nicht nur von der Angemessenheit der gebotenen Gegenleistung bestimmt. Vielmehr beeinflussen die Annahmen über das Verhalten der anderen Angebotsadressaten die Veräußerungsentscheidung. § 25a Abs 2 ÜbG könnte in diesem Fall das gesteckte Ziel nicht erreichen. Davor schützt § 19 Abs 3 ÜbG – im deutschen Schrifttum als Zaunkönigsregel bezeichnet. Wenn nämlich das Angebot von der Annahme durch eine bestimmte Zahl von Angebotsadressaten abhängig ist – so wie dies bei freiwilligen Angeboten zur Kontrollerlangung von Gesetzes wegen der Fall ist –, dann verlängert sich nach der Bekanntgabe des Ergebnisses eines erfolgreichen Angebots die Annahmefrist um drei Monate.871 Damit wird die Entscheidung über die Angemessenheit des Angebots von der Prognose über das Verhalten der anderen Marktteilnehmer entkoppelt. Erst dadurch kann der Abstimmungsmechanismus funktionieren.872 Aus dieser primären Bedeutung der Regelung über die Annahmequote darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die Vorschriften über den Mindestpreis bei Übernahmeangeboten überflüssig wären. Dieses Argument übersieht vor allem die zahlreichen praktischen Gestaltungsmöglichkeiten, mit denen sonst die Vorschriften für das Pflichtangebot umgangen werden könnten. Denn da grundsätzlich Übernahmeangebote auch eingesetzt werden können, wenn ein kontrollierender Aktionär besteht,873 sind zahlreiche Vorgehensweisen denkbar, wie bei Gestaltung als ein Übernahmeangebot eine Kontrollprämie geleistet werden kann. So kann nicht ernsthaft gefordert werden, dass Paralleltransaktionen mit höheren Gegenleistungen nicht preiserhöhend zu berücksichtigen sein sollen. Denn sonst stellt der Bieter ein Angebot und verpflichtet sich gleichzeitig dem Kontrollaktionär gegenüber zur Zahlung einer Prämie, ohne dass dadurch eine Anpassungspflicht entsteht. Dieses Ergebnis würde den Zweck des Pflichtangebots konterkarieren. Daher sind jedenfalls Paralleltransaktionen bei Übernahmeangeboten zur Kontrollerlangung zu untersagen, wie dies durch § 16 Abs 4 ÜbG und § 31 Abs 4 WpÜG auch geschieht. Ganz generell stellt sich aber die Frage, ob eine bevorzugte Behandlung einzelner Aktionäre während eines laufenden Angebots nicht so wie in Österreich 871
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Durch diese Norm wird im Übrigen auch die Vorschrift über den sell-out in Art 16 der Übernahme-RL umgesetzt. Näher Winner, Zielgesellschaft 192 ff. Vgl schon Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht Rn 198.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
505
aber anders als in Deutschland874 bei allen Angeboten untersagt sein soll und zwar unabhängig davon, ob sie kontrollerelevant sind oder nicht. Wenn Aktionäre größerer Pakete, die zB den Gesellschafterausschluss mit ihren Anteilen verhindern können, regelmäßig besser behandelt werden, als Kleinanleger, so ist dies nicht geeignet, deren Vertrauen in die adäquate Behandlung am Kapitalmarkt zu fördern. Ein generelles Verbot von Paralleltransaktionen zu besseren Bedingungen ist eine Maßnahme, durch die Gleichbehandlung zumindest in einem bestimmten Zeitraum durchgesetzt werden kann. Aus diesem Blickwinkel ist die österreichische Rechtslage angemessener als die deutsche, nach der Paralleltransaktionen bei einfachen freiwilligen Angeboten ohne Kontrollbezug nicht zur Anpassung der Gegenleistung führen.
Das allein genügt aber nicht. Wenn Vorleistungen zu einem höheren Preis möglich sind, so wäre es möglich, dem Paketaktionär zunächst nur einen Teil seines Pakets zu einem überhöhten Preis abzukaufen, ohne die Kontrollschwelle zu überschreiten und damit die Angebotspflicht auszulösen; mit seinen restlichen Anteilen nimmt der verkaufende Paketaktionär das Angebot an. Nur durch die Berücksichtigung von Vorerwerben lassen sich dieser und vergleichbare Sachverhalte angemessen lösen. Mit Umgehungslehren allein lässt sich angesichts der Möglichkeit, solche Maßnahmen in andere wirtschaftliche Zusammenhänge einzubetten und dadurch die Umgehungseignung für ein etwaiges Überprüfungsverfahren zu verschleiern, nicht auskommen. Die Frist von einem Jahr zwingt dazu, solche Vorgänge wenigstens zeitlich gestreckt durchzuführen.875 Auch die Pflicht zur Weitergabe von höheren Gegenleistungen, die nach dem Ende der Annahmefrist geleistet werden, ist aus dieser Sicht konsequent. Eine andere Frage ist, ob höhere Gegenleistungen beim Übernahmeangebot auch dann weitergegeben werden müssen, wenn es nicht um die Verschleierung der Kontrollprämie geht, sondern die hohen Preise gezahlt wurden, um (möglichst geheim) eine günstige Startrampe für das Übernahmeangebot (launching pad) zu bilden. Hier ist den Kritikern grundsätzlich Recht zu geben, dass eine Pflicht zur Weitergabe dieser höheren Preise nicht einleuchtend ist. Freilich ist es nicht möglich, durch eine generelle Norm das eine vom anderen zu trennen. Im Vergleich zur Gefahr von Umgehungen ist die Weitergabe dieser „Prämien“ aber mit Sicherheit das geringere Übel. Soweit die Kurse stark fallen, kann auch durch die Anwendung von § 26 Abs 3 Z 3 ÜbG, der Ausnahmen von der Maßgeblichkeit bei sich ändernden Verhältnissen ermöglicht, Abhilfe gefunden werden. Dogmatisch könnte es auch fraglich sein, ob das nationale Recht für freiwillige Übernahmeangebote zur Kontrollerlangung Preisregelungen vorsehen darf;
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So ausdrücklich Baums/Hecker in Baums/Thoma, WpÜG § 3 Rn 22; Versteegen in KölnerKomm WpÜG § 3 Rn 25; Diregger/Winner, WM 2002, 1588. Vgl auch ÜbK 16.2.2001, GZ 2001/2/2-47a zum Einsatz von Optionen.
506
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
denn Art 5 Abs 4 der Richtlinie ist nur auf Pflichtangebote anwendbar.876 Diese Richtlinienbestimmung entfaltet aber keine Sperrwirkung; vielmehr ist die Preisbildung beim Übernahmeangebot eben europarechtlich nicht geregelt. Deswegen ist es dem nationalen Gesetzgeber nicht verwehrt, über einen Mindestpreis auch beim freiwilligen Angebot Normen zum Schutz der Aktionäre aufzustellen.
B. Gesellschafterausschluss 1. Meinungsübersicht Für den Gesellschafterausschluss lehnt es die in Deutschland herrschende Lehre ab, Vorerwerbe des Hauptgesellschafters selbst für die Bestimmung der Angemessenheit der Abfindung heranzuziehen.877 Denn wenn ihm nur noch wenige Aktien auf die Ausschlussschwelle fehlen, wird er wohl bereit sein, überproportional dafür zu zahlen; damit sei der gezahlte Preis vom Unternehmenswert entkoppelt.878 Es komme eben nicht auf einen angemessenen Schiedswert, sondern nur auf den Grenzpreis des ausgeschlossenen Aktionärs an.879 Die deutsche Rechtsprechung folgt dem. Nach dem BVerfG haben solche Preise zu dem wahren Wert des Anteils in der Hand des Minderheitsaktionärs regelmäßig keine Beziehung, sondern spiegeln nur den Grenznutzen des Erwerbers wider. Der Preis werde nur bezahlt, um die für den Ausschluss notwendige Schwelle zu erreichen. Eine Berücksichtigung sei daher verfassungsrechtlich nicht geboten.880 Ein Verstoß gegen § 53a dAktG (§ 47a AktG) liegt nach der Rechtsprechung der deutschen Instanzgerichte nicht vor; denn das direkte Verhältnis zwischen Mehrheits- und Minderheitsaktionär sei von jener Vorschrift nicht betroffen.881 Als Hintergrund für diese Ansicht dient ganz offensichtlich die Auffassung, dass Transaktionsgewinne anlässlich des Gesellschafterausschlusses nicht zwischen Mehrheit und Minderheit zu teilen sind.882 Diejenigen Stimmen im Schrifttum, die Synergiegewinne prinzipiell für berücksichtigungswürdig halten, gehen daher auch davon aus, dass Vorerwerbe bei der Bestimmung der 876
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So vor allem Mülbert, NZG 2004, 640 f, der im Übrigen Preisberechnungsregeln für freiwillige Angebote ganz unabhängig vom Inhalt der Richtlinie immer schon abgelehnt hat (vgl Mülbert, ZIP 2001 1223 ff). Hüffer, AktG § 305 Rn 21; Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 24; Bilda in MünchKomm AktG § 305 Rn 65; Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 73; Piltz, ZGR 2001, 197 ff. Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 73. Hüffer, AktG § 305 Rn 21. BVerfGE 100, 289. OLG Düsseldorf WM 1995, 757. Vgl Hüffer, AktG § 305 Rn 21 für Rsp der deutschen Instanzgerichte. Besonders deutlich Hüffer, AktG § 305 Rn 21.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
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Abfindung grundsätzlich heranzuziehen sind.883 So hält Großfeld ausdrücklich fest, dass in den vom Hauptaktionär bezahlten Preisen grundsätzlich auch Synergiegewinne enthalten sind, und spricht sich ausdrücklich für die Weitergabe des Preises aus.884 Die österreichische Lehre sieht das anders. Beide Standardwerke zum GesAusG sprechen sich zumindest grundsätzlich für eine Berücksichtigung von Parallelerwerben aus.885 Offen bleibt, ob dies nur für börsenotierte Gesellschaften gelten soll bzw in welchem Rahmen die Ausdehnung einer Gleichbehandlungspflicht auf andere Gesellschaften möglich ist. 2. Grundsätzliche Überlegungen Zunächst scheinen ganz so wie im Übernahmerecht (oben A. 4. a) effizienztheoretische Überlegungen gegen die Pflicht zur Weitergabe zu sprechen: Der hohe private Wert, den die Anteile für den einzelnen Eigner haben, sei diesem zu ersetzen, damit er bereit ist, den Gesellschafterausschluss hinzunehmen, ohne sich im Verfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der gebotenen Abfindung zur Wehr zur setzen. Wenn diese bezahlte Prämie zur Gänze auch an die anderen ausgeschlossenen Gesellschafter weitergegeben werden muss, könne im Einzelfall eine effizienzsteigernde Transaktion nicht stattfinden, wenn der Effizienzgewinn niedriger als die weiterzugebende Prämie ist; die Pflicht zur Gleichbehandlung könne ökonomisch sinnvolle Transaktionen verhindern. Diese Argumentation übersieht aber, dass höhere Zahlungen beim Gesellschafterausschluss häufig aus Gründen erfolgen, die mit der Abgeltung eines hohen privaten Nutzens beim Veräußerer wenig zu tun haben. Erfolgt die Transaktion parallel zum Ausschlussverfahren, so geht es im Regelfall darum, lästige Aktionäre auszukaufen, die sonst ein langwieriges Nachprüfungsverfahren durchführen könnten. Das kann auch bereits vor dem Gesellschafterausschluss erfolgen. Hier geht es in Wirklichkeit nicht um einen höheren Entscheidungswert des verkaufenden Gesellschafters, sondern darum, dass er seine hold out-Position nur gegen gesonderte Entlohnung aufzugeben bereit ist. Er kann zwar den Gesellschafterausschluss nicht mehr verhindern, aber doch durch Verzögerung des Überprüfungsverfahrens und Kostenanhäufung886 dem Hauptgesellschafter erhebliches Ungemach verursachen. Wenn der Hauptgesellschafter bereit ist, diese Anteile zu einem höheren
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Vgl zB Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 305 Rn 49 f; jüngst Hirte/Hasselbach in GroßKomm AktG § 305 Rn 144 f. Diese Parallelität betont auch Piltz, ZGR 2001, 199. Großfeld, Unternehmensbewertung 202. Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 17 ff; Gall/Potyka/Winner; Squeeze-out Rz 235 ff. Aus dem sonstigen Schrifttum Kalss, GesRZ-Sonderheft „Squeeze-out“ 51; Hödl in HB M & A 549 f. In diese Richtung auch schon zur Rechtslage nach dem UmwG Kalss/Zollner, ÖBA 2004, 242 ff. Natürlich außerhalb der Grenzen von § 225l AktG.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Preis zu erwerben, dann hat das nicht unmittelbar etwas mit dem Wert des Unternehmens zu tun. Die Obergrenze für die Prämie, die der Hauptgesellschafter zu zahlen bereit ist, bestimmt sich vielmehr durch die Kosten, die bei Vermeidung eines Nachprüfungsverfahrens nicht anfallen. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass solche Zahlungen für die Bestimmung der Abfindung nicht relevant sein können. Bedenkt man, dass es gerade Ziel des GesAusG ist, den Hauptgesellschafter vor der Ausnützung von hold out-Situationen zu schützen (oben II. A. 2.), so muss dies auch im vorliegenden Fall gelten. Der beste Schutz gegen die Gefahr eines hold out ist aber, den Hauptgesellschafter zur Weitergabe der Prämie zu verpflichten. Kann er glaubhaft machen, dass ihm eine erhöhte Zahlung nur an den blockierenden Gesellschafter nicht möglich ist, so wird diesem das Erpressungspotenzial genommen. Das funktioniert natürlich nur, wenn der Hauptgesellschafter glaubwürdig machen kann, nicht zur versteckten Zahlung, zB über „Beratungshonorare“ etc, bereit zu sein.887 In der Sache spricht dieses Argument dafür, bei solchen Parallel- und Vorerwerben die Gleichbehandlung zu fordern.888 Andererseits führt jede Erhöhung der Leistung an einen Gesellschafter auch dazu, dass die Abfindung für die anderen Gesellschafter zurückgeht. Das gilt zumindest dann, wenn man davon ausgeht, dass die Zahlungsbereitschaft des Hauptgesellschafters insgesamt nicht steigt. Die Besserstellung des einen Gesellschafters erfolgt in diesem Nullsummenspiel daher zwingend auf Kosten der anderen Gesellschafter. Ein unerwünschtes Resultat dieser Rechtsansicht kann freilich sein, dass einzelne Gesellschafter das Nachprüfungsverfahren nicht anstrengen, weil als Entschädigung für ihre Mühewaltung die bloße Verbesserung des Angebotspreises ökonomisch nicht ausreicht. Denn die Kosten des Verfahrens haben sie zur Gänze zu tragen,889 während ihnen der Verbesserungsanspruch nur anteilsmäßig zugute kommt; die anderen Gesellschafter sind freerider. Deswegen wird von verschiedener Seite eine Art Ergreiferprämie für denjenigen gefordert, der
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Ähnliche Probleme bestehen im Übernahmerecht. Der Bieter hat oft ein Interesse daran, glaubhaft zu kommunizieren, dass er zu einer Verbesserung des Angebotspreises nicht bereit ist. Freilich wissen die Akteure, dass er von dieser Entscheidung jederzeit wieder abgehen kann. § 15 Abs 1 ÜbG idF ÜbRÄG 2006 versucht diesem Problem gegenzusteuern, indem er die Erklärung des Bieters, nicht verbessern zu wollen, für bindend erklärt. Ausnahmen von dieser Regel sind allerdings mit Zustimmung der Übernahmekommission (und bei Vorliegen konkurrierender Angebote) möglich; das ist der Schwachpunkt der Regelung, weil nur schwer vorstellbar ist, dass die Übernahmekommission einer für die Angebotsadressaten positiven Verbesserung der Gegenleistung die Zustimmung verweigert. So im Ergebnis auch Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 236; Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 19; Hödl in HB M & A 549 f; Winner, JBl 2007, 442. Freilich ist das Kostenrisiko im Vergleich zu einem Anfechtungsprozess insbesondere wegen § 225l AktG deutlich geringer.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
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ein Nachprüfungsverfahren anreißt und auch erfolgreich zu Ende bringt. Es wäre durchaus lohnend, wenn der Gesetzgeber sich dieser Aspekte annähme. Grundvoraussetzung einer sinnvollen Regelung ist aber, dass solche Vorgänge transparent erfolgen und sich auch tatsächlich zugunsten der anderen Gesellschafter auswirken. Lässt man nämlich bloß Paralleltransaktionen zu besseren Bedingungen zu, so ist keinesfalls gesichert, dass auch andere Gesellschafter von den Bemühungen des „lästigen Gesellschafters“ profitieren; ganz im Gegenteil wird dieser bemüht sein, seinen eigenen Vorteil zu maximieren – und dies allenfalls auf Kosten der anderen Gesellschafter. Auch ein mehr oder weniger willkürlicher Ersatz von „Aufwendungen“ des die Verbesserung betreibenden Gesellschafters entspricht diesen Anforderungen nicht.
In einer zweiten Fallgruppe wird ein hoher Preis bezahlt, um die Schwelle für den Ausschluss erst zu überschreiten. Dieser Erwerb kann einerseits mit der Kontrollerlangung verbunden sein; dann überschneidet sich die Begründung in der Sache mit derjenigen für die Gleichbehandlung nach dem Übernahmegesetz. Andererseits ist es denkbar, dass der Gesellschafter die Gesellschaft zwar bereits bisher kontrolliert hat, aber die für den Ausschluss erforderliche Mehrheit nicht hält; er zahlt einen hohen Preis, um diese Schwelle zu überschreiten.890 Auch in diesem Fall geht es im Regelfall nicht darum, dass dem verkaufenden Gesellschafter ein besonders hoher individueller Nutzen aus dem Paket zu ersetzen ist, um ihn zum Verkauf zu bewegen. Die Zahlung einer Prämie über dem Börsekurs erklärt sich vielmehr aus der relativen Verhandlungsposition der Parteien. Wenn daher die Prämie weiterzugeben ist, ändert dies tendenziell nur die Verteilung unter den Gesellschaftern, hat aber auf die Durchführung eines wohlfahrtssteigernden Ausschlussverfahrens keine Auswirkungen. 3. Dogmatische Begründung Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen ist noch die dogmatische Herleitung dieser Ergebnisse vorzunehmen. Das gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgebot in der in § 47a kodifizierten Form ist dafür nicht tauglich, weil es sich nur auf das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Aktionären bezieht.891 Dass jedoch die Pflicht zur Gleichbehandlung nur für dieses Verhältnis positiv-rechtlich geregelt ist, bedeutet nicht, dass sie im Verhältnis anderer Rechtssubjekte untereinander jedenfalls nicht besteht;892 das rechtsdogmatische Instrumentarium zur Bewältigung dieser Fragen ist die Treue-
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Wie hier differenzierend Piltz, ZGR 2001, 197. Für alle Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 47a Rn 8. Weiter aber zB Großfeld, Unternehmensbewertung 31, der den Gleichheitssatz auch auf die Auseinandersetzung der Gesellschafter untereinander anwenden will. Vgl auch Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 47a Rn 32: allgemeiner Grundsatz der relativen Gleichbehandlung.
510
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
pflicht unter den Gesellschaftern.893 Freilich ist damit noch nicht beantwortet, aus welchen Überlegungen sich die Pflicht zur Gleichbehandlung ableiten lässt. Im gegebenen Zusammenhang ergibt sich das aus allgemeinen Grundsätzen des Ausschlussrechts. Die Abfindung muss nämlich grundsätzlich für alle Gesellschaftsanteile mit gleichen Rechten auch gleich hoch sein;894 oben III. B. 1. Das darf aber nicht dadurch umgangen werden, dass der Hauptgesellschafter einzelnen Gesellschaftern während des Ausschlussverfahrens, aber außerhalb desselben ihre Anteile zu einem höheren Preis abkauft. Die Angemessenheit der Abfindung darf sich nicht nach dem „Lästigkeitswert“ eines bestimmten Gesellschafters richten, sondern ergibt sich aus der anteiligen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen. Positivrechtlich wird diese Auffassung durch die Normen über die Entscheidung im Nachprüfungsverfahren gestützt. Die Entscheidung über die Anpassung der Abfindung nach § 225i Abs 1 iVm § 6 Abs 2 GesAusG wirkt für und gegen alle ausgeschlossenen Gesellschafter; dasselbe gilt für gerichtlich abgeschlossene Vergleiche.895 Diese Wirkung erga omnes und die dadurch angestrebte Gleichbehandlung896 („Es ist allen Aktionären für jede Aktie die gleiche Zuzahlung […] zuzusprechen […].“) würden entwertet, wenn durch parallele Transaktionen höhere Zahlungen geleistet werden können. Das alles erklärt zunächst freilich nur die Berücksichtigung von Paralleltransaktionen während des laufenden Ausschlussverfahrens. Das umwandlungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot ist aber schon aus Gesichtspunkten des Umgehungsschutzes auf einen gewissen Zeitraum vor dem Gesellschafterbeschluss über den Ausschluss auszudehnen.897 Sonst wäre es ohne weiteres möglich, zunächst einzelnen Aktionären, die Widerstand gegen den Ausschluss angekündigt haben, ihre Aktien abzukaufen und in der Folge eine bloß geringere „volle“ Entschädigung den anderen Gesellschaftern anzubieten. Das spricht dafür, jene Vorerwerbe zu berücksichtigen, die der Bieter in sachlichem Zusammenhang mit dem Angebot getätigt hat. Ein solcher Zusammenhang kann jedenfalls vermutet werden, wenn der Bieter zum Zeitpunkt der maßgeblichen Transaktion die Ausschlussschwelle bereits überschritten hatte. Die dann gegebene Ungleichbehandlung der Gesellschafter ist typischerweise
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Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 47a Rn 34. Kalss, Verschmelzung § 2 UmwG Rn 5 (mit Ausnahmen für unterschiedliche Aktiengattungen; dazu oben IV. A. 3.); Großfeld, Unternehmensbewertung 31. Die freilich allen Aktionären für die Zustimmung offen stehen müssen. Vgl näher Bachner in Kalss, Verschmelzung § 225j AktG Rn 14. Vgl zB Bachner, Bewertungskontrolle 128 f; Grünwald in Helbich/Wiesner/ Bruckner, Handbuch Art I Verschmelzung – Handelsrecht Rn 180; Szep in Jabornegg/Strasser, AktG § 225i Rn 1. So auch Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 17. Vgl auch Winner, JBl 2007, 443.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
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nicht auf andere, rechtlich anzuerkennende Motive, sondern auf die bloße Besserstellung einzelner lästiger Gesellschafter zurückzuführen. Damit ist der oben geschilderte erste Sachverhalt behandelt: Einzelnen „lästigen“ Aktionären wird eine höhere Abfindung gezahlt. Hier ergibt sich für alle Gesellschaften, nicht nur für börsenotierte, die Pflicht zur Gleichbehandlung. Aus dogmatischer Sicht heikler ist die zweite Fallgestaltung: Der höhere Preis wurde gezahlt, um die Schwelle von 90 % zu überschreiten. Das Gleichbehandlungsgebot für den Gesellschafterausschluss gibt hier nichts her. Denn es geht gerade nicht um die Gleichbehandlung aller Gesellschafter, die vom Ausschluss bedroht sind; vielmehr werden diejenigen Gesellschafter besser behandelt, deren Aktien erst die Ausschlussmöglichkeit vermitteln. §§ 16, 26 ÜbG geben nur in begrenztem Ausmaß eine dogmatische Grundlage für die grundsätzliche Pflicht zur Gleichbehandlung ab.898 Ihr Anwendungsbereich ist nämlich auf börsenotierte Gesellschaften beschränkt. Dort ergibt sich die Pflicht zur Gleichbehandlung zum Teil schon aus § 7 Abs 3 GesAusG: Folgt der Gesellschafterausschluss auf ein Übernahmeangebot899, so muss die Barabfindung zumindest der höchsten Gegenleistung des Übernahmeangebots entsprechen.900 Das gilt auch, wenn die Ausschlussschwelle überschritten wird, weil ein bisher beherrschender Aktionär sein Paket an den nunmehrigen Hauptgesellschafter veräußert hat; in diesem Fall wird nämlich vom dann erforderlichen Pflichtangebot nur suspendiert, wenn der Beteiligte innerhalb von fünf Monaten den Gesellschafterausschluss herbeiführt und dabei die Preisbestimmungsregeln des ÜbG (und damit die Gleichbehandlung) einhält (§ 25 Abs 1 Z 6 ÜbG).901 Dahinter steht der unmittelbar einleuchtende Gedanke, dass die Aktionäre beim zwangsweisen Ausscheiden nicht schlechter behandelt werden dürfen, als wenn ihnen nur ein Angebot gelegt werden muss. Eine Lücke besteht lediglich, wenn bei einer börsenotierten Gesellschaft die Schwelle durch einen Paketerwerb überschritten wird, obwohl die Kontrolle über die Gesellschaft schon zuvor bestand, oder wenn der Ausschluss auf § 1 GesAusG gestützt wird, obwohl grundsätzlich auch § 7 GesAusG einschlägig wäre.902 Hier ist nach nun allgM903 die aus 898
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901
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So auch Hödl in HB M & A 550. Diese Analogie wird auch von der deutschen hM abgelehnt; vgl Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 24; Krieger, BB 2002, 57 (mit rechtspolitischen Zweifeln); aM tendenziell Großfeld, Unternehmensbewertung 201 f. Übernahmeangebot ist im weiten Sinn des § 1 Z 1 ÜbG zu verstehen; das Angebot muss daher nicht auf die Kontrollerlangung abzielen oder ihr nachfolgen. § 7 Abs 3 GesAusG hat im Übrigen auch Auswirkungen auf den Ausschluss nach einem Übernahmeangebot, der nicht auf § 7, sondern direkt auf § 1 GesAusG gestützt wird, wenn der Ausschluss in den dort angegebenen zeitlichen Grenzen vorgenommen wird. Auch die Pflicht, Paralleltransaktionen werterhöhend zu berücksichtigen, wird in dieser Bestimmung ausdrücklich festgehalten. Zur alternativen Anwendbarkeit vgl Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 381.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
§ 7 Abs 3 GesAusG iVm § 25 Abs 1 Z 6 ÜbG abzuleitende Wertung klar: Auch in diesen Fällen sind Vorerwerbe als Untergrenze heranzuziehen, weil bei börsenotierten Gesellschaften eine weit gehende Geltung der Gleichbehandlung angestrebt wird. Für nicht börsenotierte Gesellschaften können das ÜbG und § 7 GesAusG nicht als Grundlage herangezogen werden. Die Gleichbehandlungspflicht ist bei jenen Gesellschaften generell schwächer ausgeprägt. Soweit daher die Ausschlussschwelle durch Erwerbe überschritten wird, können diese nicht als starre, keinesfalls zu unterschreitende Untergrenze für den Preis des Pflichtangebots herangezogen werden. Allerdings kann ihnen Bedeutung als Indikator für den Unternehmenswert zukommen.904 Soweit daher die angebotene Abfindung die Gegenleistung bei vom Bieter getätigten Käufen unterschreitet, ist zu begründen, warum dieser Kaufpreis nicht durch den Unternehmenswert, sondern durch andere Aspekte begründet ist.905 Das wird verhältnismäßig einfach möglich sein, wenn es um den Kauf bloß weniger Aktien geht, mit denen die Schwelle überschritten wird.906 Je größer das Paket ist, umso eher wird die Vermutung aber dafür sprechen, dass der Preis auch die Erwartungen des Käufers über die Ertragskraft des Unternehmens widerspiegelt, mit anderen Worten den Unternehmenswert samt einen Teil des Transaktionsgewinns enthält. Das gilt insbesondere, wenn das Paket die Kontrolle vermittelt hat. Die Verteilung der Transaktionsgewinne zwischen Hauptgesellschafter und auszuschließender Minderheit ist eine schwierig zu beantwortende Frage, für die es letztlich keinen sicheren Maßstab gibt (oben III. C. 2. c). Es lässt sich aber argumentieren, dass die Verteilung, die der Hauptgesellschafter selbst im Rahmen eines Paketerwerbs vorgenommen hat, für ihn auch angemessen ist. Daher kann der Paketpreis in den im letzten Absatz angesprochenen Grenzen als Leitlinie für die angemessene Verteilung der Transaktionsgewinne dienen und ist dann als Untergrenze für die Bestimmung der angemessenen Abfindung auch bei nicht börsenotierten Gesellschaften zu berücksichtigen. Dadurch wird die Abfindung nicht über das aus Sicht des Hauptgesellschafters wirtschaftlich vertretbare Ausmaß hinaus verteuert. Denn angesichts der Pflicht zur gleichmäßigen Verteilung wird der Hauptgesellschafter schon seine Kaufangebote dementsprechend anpassen. Aus Sicht des Hauptgesellschafters ändert sich bei richtiger Planung des Prozesses an der Gesamtsumme der zu leistenden Abfindungen nichts; nur die Verteilung unter den anderen Gesellschaftern wird beeinflusst.
903 904 905 906
Kalss/Zollner, Squeeze-out § 2 Rz 18; Winner, JBl 2007, 443. Dem folgend Hödl in HB M & A 550. In der Argumentation ähnlich Nowotny, wbl 2001, 384. Insofern wie hier Koppensteiner in KölnerKomm AktG § 305 Rn 73; ähnlich Piltz, ZGR, 2001, 198.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
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In der Sache gibt es damit mE drei verschiedene Ansätze, die eine Berücksichtigung von Vorerwerben rechtfertigen:907 1. Die Umgehung der Gleichbehandlung durch Auskauf lästiger Aktionäre. 2. Die Pflicht zur Gleichbehandlung nach GesAusG und ÜbG bei börsenotierten Gesellschaften. 3. Die angemessene Verteilung von Synergiegewinnen durch Berücksichtigung von Paketerwerben bei allen übrigen Gesellschaften. 4. Zeitraum für die Berücksichtigung Verhältnismäßig klar ist die Rechtslage, wenn der Ausschluss in Folge eines Übernahmeangebotes passiert; § 7 Abs 3 GesAusG findet nur Anwendung, wenn der Ausschluss innerhalb von drei Monaten nach dem Übernahmeangebot beschlossen wird; nur für diese Frist gilt die unbedingte Maßgeblichkeit des Preises des Übernahmeangebots. Danach kann das Angebot allenfalls noch ein Indikator für den Unternehmenswert sein. Erfolgt der Ausschluss als Folge eines Kontrollerwerbs, so sind für die Preisbildung des Übernahmeangebots – neben Paralleltransaktionen – alle Erwerbe zu berücksichtigen, die innerhalb der letzten zwölf Monate vor dem Kontrollerwerb erfolgt sind (§ 25 Abs 1 Z 6 ÜbG); Änderungen der Verhältnisse sind nach § 26 Abs 3 ÜbG freilich zu berücksichtigen. Soweit es um die Umgehung der Pflicht zur Gleichbehandlung aller Ausgeschlossenen durch Erwerb einzelner Aktienpakete geht, sind Parallelerwerbe jedenfalls zu berücksichtigen. Die richtige Frist für Vorerwerbe ist schwer zu finden. In Frage kommt die Berücksichtigung aller Transaktionen, die innerhalb des letzten Jahres vor dem Ausschluss durchgeführt worden sind. Von Transaktionen, die vor diesem Zeitpunkt vorgenommen wurden, kann man regelmäßig nicht annehmen, dass durch sie in Hinblick auf einen späteren squeeze-out einzelnen Gesellschaftern eine bessere Ausstiegsmöglichkeit gewährt werden sollte. Allenfalls wäre es auch möglich, auf die Frist von drei Monaten nach § 7 Abs 1 GesAusG abzustellen. Der Zweck dieser Frist liegt aber vor allem darin, die Wirkung der Vermutung der Angemessenheit der im Angebot gebotenen Gegenleistung (näher unten VI. B.) zum Schutz der Aktionäre zu begrenzen. Es würde dem Telos des Gesetzes nicht entsprechen, die Norm durch Analogie auf Sachverhalte zu übertragen, in denen eine Berücksichtigungsfrist für Vorerwerbe zum Schutz der Aktionäre normiert wird.
Grundsätzlich würde der Zweck der Berücksichtigung, nämlich die angemessene Verteilung von Synergiegewinnen, zwar dafür sprechen, jeden Paketerwerb, durch den die Kontrolle erlangt wurde, unabhängig von seinem Zeitpunkt heranzuziehen. Dabei würde aber übersehen, dass sich der Unterneh907
Zusammenfassend auch Winner, JBl 2007, 442 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
menswert im Zeitablauf umso eher geändert hat, je länger diese Transaktion zurückliegt. Die Praxis hat im ähnlichen übernahmerechtlichen Zusammenhang gelernt, mit einer Frist von einem Jahr umzugehen. Diese Frist ist freilich nicht richtig im engeren Sinn, sie ist aber dem Sachverhalt angemessen, weil grundlegende Änderungen, die den Unternehmenswert beeinflussen, in diesem Zeitrahmen (noch) nicht die Regel sind. Aus Gründen der Systemkonsistenz sollte man diese für einen vergleichbaren Fall gesetzlich geregelte Frist auch im gegebenen Zusammenhang anwenden. Freilich kann nicht ausnahmslos jede Transaktion in diesem Zeitraum beachtlich sein. § 26 Abs 3 ÜbG enthält einen Kriterienkatalog, der für die Berücksichtigung von Pakettransaktionen im Rahmen von § 25 Abs 1 Z 6 ÜbG ohnehin unmittelbar anzuwenden ist. Aber auch für die Berücksichtigung von Vorerwerben in anderen Konstellationen verdient die Norm Beachtung. Insbesondere sind Vorerwerbe immer dann nicht zu berücksichtigen, wenn sich zwischen dem Transaktionszeitpunkt und der Bekanntmachung der Ausschlussabsicht die Verhältnisse der Gesellschaft wesentlich geändert haben, zB weil diese zwischenzeitlich in eine Krise geraten ist. In diesen Fällen ist die historische Gegenleistung mE zur Gänze aus der Betrachtung auszuscheiden.908 Auch in anderen Zusammenhängen kann das Übernahmerecht wichtige Hinweise für die Anwendung bieten, so zB bei der Festlegung der Erwerbe durch Dritte, die dem Bieter zugerechnet werden (vgl § 23 ÜbG), bei der Frage der Bedeutung von Gegenleistungen, die für eine Aktiengattung bezahlt wurden, für die Mindestabfindung für Aktien anderer Gattungen (§ 26 Abs 2 ÜbG)909 oder bei der Berücksichtigung von Transaktionen, die Aktien einer Holding oder Muttergesellschaft betreffen (vgl § 26 Abs 3 Satz 1 AktG).910 Details sind hier nicht darzustellen.
C. Verschmelzung 1. Allgemeines Auch im Zusammenhang mit einer Verschmelzung kann es vorkommen, dass ein Gesellschafter der Gesellschaft A Zahlungen an Gesellschafter der Gesellschaft B leistet. Zahlreiche Zusammenhänge sind denkbar: Wie beim Gesellschafterausschluss kann durch eine Pakettransaktion im Vorfeld der Verschmelzung ein Verschmelzungspartner eine Beteiligung am 908
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Dass in diesen Fällen eine angemessene Gegenleistung zu ermitteln ist, wie dies § 26 Abs 3 ÜbG vorsieht, wird ohnedies durch § 2 Abs 1 GesAusG normiert. Dazu ÜbK 15.1.2001, GZ 2000/2/6-81 (http://www.takeover.at); Diregger/Kalss/ Winner, Übernahmerecht Rn 193 mwN. Vgl dazu das Angebot der UniCredit SpA für die Bank Austria – Creditanstalt AG; http://www.takeover.at.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
515
anderen erworben haben; die Frage, inwieweit der beim Vorerwerb gezahlte Preis zu berücksichtigen ist, ist mE wie beim Gesellschafterausschluss zu beantworten. Der Kaufpreis, der für das Kontrollpaket bezahlt wurde, ist ein Indikator für den bei der Berechnung des Umtauschverhältnisses beizulegenden Unternehmenswert.911 Denn auch bei der Konzernverschmelzung sind die Gesellschafter der Tochtergesellschaft vor einer unangemessenen Verteilung von Synergien zu schützen. Dagegen spricht auch nicht die Tatsache, dass dadurch die Kontrollprämie weitergegeben werden muss, was nach den Wertungen des ÜbG nur bei börsenotierten Gesellschaften erforderlich ist. Denn zwischen dem ÜbG und der hier vertretenen Auslegung besteht ein wesentlicher Unterschied: Beim ÜbG ist die Kontrollprämie über das Pflichtangebot zwingend zu verteilen. Hingegen ist die Durchführung der Verschmelzung in das Ermessen der (neuen) Obergesellschaft gestellt. Nur wenn die Umgründung vorgenommen wird, kommt es zur Verteilung der Kontrollprämie. In der Folge soll eine andere, verschmelzungstypische Fallkonstellation untersucht werden: Durch eine Zahlung anlässlich der Verschmelzung kann nämlich zugunsten einzelner Gesellschafter das Umtauschverhältnis aufgebessert werden. 2. Zahlungen unter den Gesellschaftern a) Problemstellung Bei der Verschmelzung kann es vorkommen, dass die Zustimmung eines Gesellschafters erst dadurch zustande kommt, dass ihm von einem Gesellschafter der anderen an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaft eine Zahlung oder eine Leistung sonstiger Art erbracht wird. So könnten zB bei der Verschmelzung zweier von unterschiedlichen Gebietskörperschaften beherrschten Unternehmen Kompensationsleistungen über den Finanzausgleich erfolgen; ebenso ist es denkbar, dass der beherrschende Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft A für einen Gesellschafter von B das Umtauschverhältnis aufbessert, indem er ihm zusätzlich Aktien von A aus dem eigenen Bestand abtritt. Solche Paralleltransaktionen auf Gesellschafterebene werfen zunächst Probleme aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten auf; denn nur ein Gesellschafter erfährt eine Besserstellung. Andererseits sind sie ein Indikator für die subjektiven Wertvorstellungen der Beteiligten; das Umtauschverhältnis allein war aus Sicht des bevorzugten Gesellschafters nicht ausreichend günstig, während für den abgebenden Gesellschafter offensichtlich noch Spielraum bestand.
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Wie hier Nowotny, wbl 2001, 384, der freilich offen lässt, inwieweit dieser subjektive Wert weiterzugeben ist.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Unstrittig ist, dass Zuzahlungen durch Dritte grundsätzlich zulässig sind und insbesondere nicht den Beschränkungen von § 224 Abs 5 AktG unterliegen.912 Ganz ungeklärt ist es aber, ob diese Paralleltransaktionen im Rahmen der Festlegung des Umtauschverhältnisses zu berücksichtigen sind.913 Näher geäußert hat sich zu diesem Thema soweit ersichtlich nur Bachner;914 er hat sich für die Berücksichtigung ausgesprochen. Zu diesbezüglichen Überlegungen hat auch die Übernahme der Bank Austria Creditanstalt durch die Bayerische HypoVereinsbank915 Anlass gegeben.916 Die herrschende Meinung zur Ermittlung des Umtauschverhältnisses geht wie bereits erwähnt (oben III. C. 3. a) davon aus, dass das Umtauschverhältnis auf Basis einer Bewertung stand alone zu bestimmen ist. Für die Berücksichtigung von parallelen Zahlungen auf Gesellschafterebene bleibt dabei wohl kein Raum. b) Grundsatz Paralleltransaktionen oder andere Leistungen unter den Gesellschaftern sind von den verschmelzungsrechtlichen Vorschriften des AktG nicht unmittelbar erfasst. Aus der Tatsache, dass das Umtauschverhältnis angemessen festzulegen ist, folgt noch nicht automatisch, dass auch Paralleltransaktionen zu berücksichtigen sind. Ähnlich wie das GesAusG soll das Verschmelzungsrecht die Gleichbehandlung aller Gesellschafter der beteiligten Gesellschaften sicherstellen; keinem Anteilsinhaber soll ein Vorteil aus der Verschmelzung entstehen.917 Das gilt vor allem innerhalb der beiden unterschiedlichen Gesellschafterkreise. Über die Pflicht, das Umtauschverhältnis angemessen festzulegen, kommt es aber letztlich auch zu einer „angepassten Gleichbehandlung“ zwischen den Gesellschafterkreisen.918 In der Folge interessiert vor allem die Gleichbehandlung unter den Gesellschaftern einer der beteiligten Gesellschaften. Diese Pflicht zur Gleichbehandlung bezieht sich zunächst nur auf die beteiligten Gesellschaften: Ein Gesellschafter der Gesellschaft A darf nicht mehr neue Anteile der Gesellschaft B von dieser erhalten als die anderen Gesellschafter; das gilt sinngemäß auch für bare Zuzahlungen. Wird einem Gesellschafter anlässlich der Verschmelzung von einem Dritten etwas geleistet, so
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Vgl Kalss, Verschmelzung § 224 AktG Rn 14; Szep in Jabornegg/Strasser, AktG § 224 Rn 23. Vgl zB (offen lassend) Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht Rn 73. Bewertungskontrolle 126 ff. Für den Sachverhalt vgl ÜbK 12.9.2000, GZ 2000/1/4-171, GesRZ 2000, 253 = NZG 2001, 282. Siehe zB Doralt, GesRZ 2000, 197; Kalss/Winner, ÖBA 2000, 51; Diregger/ Ulmer, wbl 2001, 97; Nowotny; wbl 2001, 379 ff. Für alle Semler/Stengel in Semler/Stengel, UmwG Einl A Rn 93; Lutter/Drygala in Lutter/Winter, UmwG § 5 Rn 18 mwN. Vgl zB W Müller in Kallmeyer, UmwG § 9 Rn 24.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
517
wird dadurch die Gleichbehandlungspflicht grundsätzlich919 nicht verletzt. Erfolgt die Leistung durch einen Gesellschafter, so ist zu untersuchen, ob dies eher der Besserbehandlung durch die Gesellschaft selbst oder eher einer Zuwendung durch einen Dritten entspricht. Dazu sind die wirtschaftlichen Effekte einer Zahlung durch einen dominierenden Gesellschafter A1 der Gesellschaft A an einen Gesellschafter B1 der Gesellschaft B zu untersuchen. Diese Zahlung wird in die Berechnung der Gesamtkosten des Gesellschafters A1 einfließen; diese resultieren einerseits aus der abgegebenen Beteiligung am Unternehmen der Gesellschaft A, andererseits aus der erbrachten Sonderleistung. Wenn man davon ausgeht, dass sich seine Zahlungsbereitschaft nicht ändert, so wirkt sich jede Sonderleistung nachteilig auf das Umtauschverhältnis aus. Die Situation des Gesellschafters B1 verbessert sich auf Kosten seiner Mitgesellschafter – genau dieses Ergebnis möchte das Verschmelzungsrecht aber vermeiden.920 Mit anderen Worten: Die Zahlung an sich stört nicht, nur ihre Folgen für die Minderheit. Die Argumentation wäre nicht mehr gültig, wenn man davon ausgeht, dass auch die Zahlungsbereitschaft von A jedenfalls im Ausmaß der erbrachten Sonderleistung steigt. Dann würde B1 zwar besser behandelt, aber nicht auf Kosten seiner Mitgesellschafter; die Situation entspräche der Leistung durch Dritte. Der Entscheidungswert des Gesellschafters A1 ändert sich durch eine parallele Aktiengewähr aber in der Realität nicht. Vielmehr geht es nur um die Verteilung unter den Gesellschaftern der Gesellschaft B. Hingegen ändert sich die Verhandlungssituation nicht solcherart, dass anzunehmen ist, dass ein größerer Teil des Transaktionsgewinns den Gesellschaftern von B insgesamt zukommt.
Ähnlich wie bei Paralleltransaktionen beim Gesellschafterausschluss geht es also nicht primär um die Abschätzung von Synergien, sondern um die Durchsetzung der Gleichbehandlung. Die Gefahr einer Ungleichbehandlung besteht in der geschilderten Situation im Übrigen in ganz besonderem Maße bei der Konzentrationsverschmelzung, bei der die Zustimmung eines Gesellschafters erst durch eine Sonderleistung „erkauft“ werden muss. Schon allein deswegen ist das Verfahren zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses nicht nur bei der Konzern-, sondern auch bei der Konzentrationsverschmelzung erforderlich. Freilich kann eine Paralleltransaktion auch bei der Konzernverschmelzung eingesetzt werden, um eine Minderheit der Gesellschafter ruhig zu stellen oder um die Voraussetzungen für die Beschlussfassung herbeizuführen.921 Dieser Ansicht kann nicht entgegengehalten werden, dass dadurch die Trennung der Sphären von Gesellschaftern und Gesellschaft negiert wird. Das ist zunächst nichts grundsätzlich Neues; die gesamte Konzeption von Treue919
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Dh jedenfalls nicht, soweit die Leistung nicht auf Rechnung eines Gesellschafters erfolgt. Vgl dazu auch Bachner, Bewertungskontrolle 126 f. Bachner, Bewertungskontrolle 127.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
pflichten unter den Gesellschaftern erstreckt Pflichten der Gesellschaft, insbesondere den Gleichbehandlungsgrundsatz, auf die Gesellschafter.922 In der Sache ordnet sich die hier vertretene Auslegung in das Konzept der Treuepflichten ein. Das ist auch notwendig; zumindest in einer Wirklichkeit, in der Gesellschaften typischerweise von Kernaktionären beherrscht werden, würde eine strikte Trennung zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterebene nicht nur bei der Verschmelzung, sondern auch in vielen anderen Zusammenhängen zu unsachlichen Ergebnissen führen. Gegen die hier angestellten Erwägungen, die auf eine Ausgleichspflicht hinauslaufen, kann vorgebracht werden, dass in diesem Fall (zumindest bei der Aktiengesellschaft) nach dem Wortlaut des Gesetzes die Anfechtung nach § 195 Abs 2 AktG wegen Verfolgung gesellschaftsfremder Sondervorteile offen steht; denn ein inhaltlich neutral gefasster Verschmelzungsbeschluss dient der Vorteilszuwendung an einzelne Aktionäre auf Kosten anderer.923 Haftungsfolgen treten bei der Verfolgung von Sondervorteilen nicht ein (§ 101 Abs 3 AktG); auch einer Ausgleichspflicht bedarf es nach dieser Konzeption nicht. Dieser Ansatz ist jedoch abzulehnen.924 Es ist ein tragender Grundsatz des Verschmelzungsrechts, dass die fehlerhafte Festsetzung des Umtauschverhältnisses oder von Zuzahlungen nicht zur Anfechtung des Beschlusses führt (§ 225b AktG) und damit auch nicht verhindern kann, dass die Verschmelzung wirksam wird.925 Das muss aber auch für Leistungen auf Gesellschafterebene gelten; Ansprüche sind auch in diesem Zusammenhang grundsätzlich im Verfahren nach §§ 225c ff AktG geltend zu machen, das auf eine Ausgleichszahlung hinausläuft. c) Details Freilich kann nicht jede Transaktion auf Gesellschafterebene, die im Zusammenhang mit der Verschmelzung erfolgt, berücksichtigt werden. Insbesondere ist auf den Leistenden abzustellen; dieser muss kontrollierender Gesellschafter einer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften sein oder doch zumindest einer kontrollierenden Gruppe angehören. Nur diese Transaktionen bieten ein ernsthaftes Gefahrenpotenzial für die außenstehenden Gesellschafter;926 denn nur dann kann die Zahlung einen nachteiligen Einfluss auf das den anderen Gesellschaftern gewährte Umtauschverhältnis haben, das nur von einem kontrollierenden Gesellschafter maßgeblich bestimmt werden kann. Auf das Ausmaß der Beteiligung des Leistungsempfängers kommt es
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Vgl Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 47a Rn 32. Näher Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 195 Rn 76 ff. Bachner, Bewertungskontrolle 128. § 225 Abs 2 iVm § 225a Abs 3 AktG und § 19 FBG. Vgl auch Bachner, Bewertungskontrolle 126: „spezielles Problem der mehrheitlich beherrschten Aktiengesellschaft“.
V. Paralleltransaktionen und Vorerwerbe
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nicht an,927 obwohl solche Leistungen realiter zumeist vom kontrollierenden Gesellschafter der einen Gesellschaft an denjenigen der anderen erfolgen; auch das Ruhigstellen lästiger Aktionäre führt zur Anpassungspflicht. Freilich genügt es auch, wenn der Leistende auf Rechnung dieses Gesellschafters handelt oder ein von diesem kontrolliertes Unternehmen ist; ebenso kann der Leistungsempfänger ein dem begünstigten Gesellschafter nahe stehender Rechtsträger sein.928
Es ist im Rahmen der Verschmelzung nicht erforderlich, auf einen bestimmten Zeitraum abzustellen. Vielmehr genügt es, dass die Leistung im sachlichen Zusammenhang mit der Verschmelzung vorgenommen wurde. Das ist von demjenigen nachzuweisen, der sich darauf berufen möchte. Angaben zu solchen Transaktionen sind nicht ausdrücklich als zwingender Inhalt des Verschmelzungsvertrags vorgeschrieben;929 in der Sache haben aber die Vorstände der Gesellschaften auf solche Transaktionen in ihrem Bericht nach § 220a AktG einzugehen, wenn sie ihnen bekannt sind. Auch der Verschmelzungsprüfer hat bei seiner Überprüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses solche Transaktionen zu berücksichtigen. Dagegen spricht nicht, dass sich sein Auskunftsrecht nach § 220b Abs 3 AktG selbst nur auf die beteiligten Gesellschaften, nicht aber auf ihre Aktionäre erstreckt. Denn diese Norm verweist auch auf § 272 Abs 2 HGB und somit erstreckt sich das Auskunftsrecht auch auf Mutterunternehmen der beteiligten Gesellschaften.930 Damit besteht die Basis für die Kontrolle von Paralleltransaktionen zwischen den Gesellschaftern durch den Verschmelzungsprüfer. Grundsätzlich richten sich Ansprüche bei der Verschmelzung gegen die übernehmende Gesellschaft. Die Gesellschafter der übertragenden oder der übernehmenden Gesellschaft haben Anspruch auf bare Zuzahlungen, wenn das Umtauschverhältnis unangemessen festgelegt wurde; diejenigen der übertragenden Gesellschaft allenfalls auch (innerhalb der Grenzen von § 224 Abs 5 AktG) bei Spitzen. Eine Zuzahlungsverpflichtung eines Gesellschafters ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Das spricht grundsätzlich dafür, dass auch bei Leistungen auf Gesellschafterebene die Verpflichtung zum Ausgleich die übernehmende Gesellschaft trifft.931 Alternativ wäre es möglich, den leisten-
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Bachner, Bewertungskontrolle 127. Vgl zur diesbezüglich vergleichbaren Problematik bei der Einlagenrückgewähr Doralt/Winner in MünchKomm AktG § 57 Rn 241. Gem § 220 Abs 2 Z 7 AktG sind nur Angaben über Sondervorteile für Mitglieder von Verwaltungsorganen oder Prüfern aufzunehmen; dabei geht es jedoch um etwas anderes: Abfertigungen durch Abschlagszahlungen sollen offen gelegt werden (Kalss, Verschmelzung § 220 AktG Rn 18). Vgl RV zum EU-GesRÄG 32 BlgNR 20. GP 93; Kalss, Verschmelzung § 220b AktG Rn 7; Szep in Jabornegg/Strasser, AktG § 220b Rn 6; Reich-Rohrwig, ecolex 1996, 258. So wohl implizit Bachner, Bewertungskontrolle 128.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
den932 Gesellschafter zur Ausgleichszahlung zu verpflichten; schließlich hat dieser die Rechtsverletzung herbeigeführt und sollte auch ihre Folgen tragen. Das entspräche (abgesehen von der aus verschmelzungsrechtlichen Gründen ausgeschlossenen Anfechtbarkeit) auch den Rechtsfolgen für Treuepflichtverletzungen,933 zu denen die hier vertretene Pflicht zur Ausgleichsleistung große Affinität aufweist.934 Diese Variante hätte den Vorteil, den Schutz der Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft, der durch die Zuzahlungspflicht ohnehin schon geschwächt wird,935 nicht noch weiter auszuhöhlen. Die Wirkung einer Verpflichtung des leistenden Gesellschafters wäre aber überschießend. Denn alle Gesellschafter, die vor der Verschmelzung in derselben Gesellschaft wie dieser waren, wären weiterhin besser gestellt, als es bei bloßer Berücksichtigung der Unternehmenswerte richtig wäre. Diese Besserstellung seiner ehemaligen Mitgesellschafter würde von dem Gesellschafter finanziert, der die rechtswidrige Leistung erbracht hätte. Das wäre zwar effektiv für die Verhinderung solcher Leistungen, allerdings trüge die Zahlung Sanktionscharakter und würde den eigentlichen (zivilrechtlichen) Zweck der Norm, nämlich den Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen, nur unzureichend erfüllen. Dafür ist die Leistung durch die übernehmende Gesellschaft selbst wohl besser geeignet. Der Ausgleich kann grundsätzlich durch Geldzahlung oder durch Gewähr von Aktien erfolgen. § 225c Abs 1 AktG geht für Leistungen durch die Gesellschaft von einem Vorrang der baren Zuzahlungen aus; die Gesellschaft kann jedoch nach ihrer Wahl (nach gerichtlicher Ermächtigung) auch Aktien anbieten (§ 225e Abs 3 iVm § 225j Abs 2 AktG). Die Rechtfertigung für die Subsidiarität der Anteilsgewähr ist freilich dünn. Wie auch generell bei der Naturalrestitution im Schadenersatzrecht wäre es nahe liegend, die Gesellschafter zunächst so zu stellen, wie sie bei ordnungsgemäßem Vorgehen sogleich gestellt worden wären. Das spricht für ein Primat der Gewähr von zusätzlichen Anteilen. Die österreichische Regelung dürfte wohl eher ein Ergebnis des
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Letztlich wäre es aber nicht auszuschließen, dass der empfangende Gesellschafter die erhaltene Prämie an alle anderen weitergeben muss; vgl in ähnlichem Zusammenhang für die Lukrierung eines Paketzuschlags durch den veräußernden Gesellschafter bei personalistischen Aktiengesellschaften Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 47a Rn 43; zustimmend Krejci, Gesellschaftsrecht I 200. Die bloße Verpflichtung zur Teilung durch den Leistungsempfänger bietet allerdings wenig Anreize, solche Leistungen zu unterlassen. Vgl zu diesen Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 47a Rn 47 ff mwN. Der Anspruch wäre dann schadenersatzrechtlich. § 101 Abs 3 AktG wäre aber nicht einschlägig (vgl allgemein Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 47a Rn 49; es kommt hinzu, dass der Schaden nicht nur durch die Stimmabgabe entsteht, sondern auch eine Leistung unter den Gesellschaftern voraussetzt). Vgl zur Problematik Kalss, Verschmelzung § 225c AktG Rn 5; Bachner, Bewertungskontrolle 117 ff; M Tichy, RdW 1997, 330 ff.
VI. Akzeptanz der Transaktionsbedingungen
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Bemühens sein, die vorgenommene Verbesserung des Minderheitenschutzes nicht zu „übertreiben“, um die politische Zustimmung für die Verbesserung nicht zu gefährden. Insofern stellt die Tatsache, dass die Gewähr von Anteilen zwar erstmals vorgesehen, aber gleichzeitig ins Ermessen der übernehmenden Gesellschaft und damit der sie beherrschenden Gesellschafter gestellt wurde, ein weiteres Beispiel der oft zitierten936 Politik der kleinen Schritte im Gesellschaftsrecht dar.
VI. Akzeptanz der Transaktionsbedingungen A. Einleitung Es ist nahe liegend, dass die Gegenleistung, die von einer Mehrheit oder gar einer ganz überwiegenden Mehrheit der Aktionäre freiwillig angenommen wird, eher angemessen ist, als eine Gegenleistung, die mehrheitlich Ablehnung erfährt. Der Mechanismus besteht in Ansätzen schon seit längerer Zeit im Übernahmerecht: Nach § 25a Abs 2 ÜbG ist der Erfolg des Angebots von einer gewissen Akzeptanz unter den Angebotsadressaten abhängig; dazu oben V. A. 2. b). Dadurch wird freilich niemand gezwungen, das Angebot auch anzunehmen. Im gegebenen Zusammenhang soll es aber um etwas anderes gehen: Angenommen die Mehrheit der Gesellschafter billigt die Gegenleistung bei einem Gesellschafterausschluss oder das Umtauschverhältnis bei der Verschmelzung, aber eine Minderheit leitet das Überprüfungsverfahren ein. Ergeben sich aus der mehrheitlichen Billigung Rückschlüsse für die Angemessenheit der Abfindung oder des Umtauschverhältnisses? Wenn ja, wie groß muss die jeweilige Mehrheit sein? Die Rechtsvergleichung mit dem Vereinigten Königreich (unten VII.) zeigt, dass diese Ansätze international nicht unüblich sind. Bereits bei der Diskussion über die Mehrheitsbildung bei der Verschmelzung (oben II. B. 3. b) wurde aufgezeigt, dass die internationale Entwicklung generell in diese Richtung laufen könnte. Bevor aber allgemeine Aussagen getroffen werden, gilt es jenen Fall zu untersuchen, in dem seit kurzem eine entsprechende gesetzliche Regelung besteht: den Gesellschafterausschluss in Folge eines Übernahmeangebots.
B. Die angemessene Abfindung nach einem Übernahmeangebot § 7 Abs 3 GesAusG enthält einerseits eine Untergrenze, die oben (V. B. 3.) näher dargestellt wurde. Andererseits beinhaltet die Norm eine Vermutung,937 unter welchen Voraussetzungen von der Angemessenheit des Angebotspreises 936 937
Kastner, Gesammelte Aufsätze 31. Zur Bedeutung der diesbezüglichen Bestimmung der Übernahmerichtlinie vgl oben I. A. 2. b).
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
auch für die beim Ausschluss zu leistende Abfindung ohne nähere Ermittlung des Unternehmenswerts auszugehen ist. Wenn ein Übernahmeangebot von mehr als 90 % der Angebotsadressaten angenommen wird,938 so wird vermutet, dass der Angebotspreis auch eine angemessene Abfindung darstellt; die Berechnung ist für jede Angebotsgattung gesondert vorzunehmen. Die Norm gilt für alle Übernahmeangebote im weiten Sinn von § 1 Z 1 ÜbG, nicht nur für Pflichtangebote oder freiwillige Angebote zur Kontrollerlangung. Einzig ein Teilangebot genügt nicht (§ 7 Abs 1 GesAusG).939 In diesen Fällen hat der Angebotspreis einen Markttest bestanden, was für seine Angemessenheit spricht.940 Dann soll er auch für diejenigen verbindlich werden, die das Angebot nicht angenommen haben. Der Richtigkeitsgewähr des Marktmechanismus wird also durch das GesAusG mehr Vertrauen geschenkt als einer Bewertung. Der Zweck der Norm liegt in der Vermeidung von free-rider-Problemen.941 Wenn die Abfindung beim Ausschluss höher sein kann als die Gegenleistung des Übernahmeangebots, so kann eine Motivation bestehen, dieses nicht anzunehmen und sich zu einem höheren Preis auskaufen zu lassen, gerade wenn die überwiegende Mehrheit das Angebot annimmt.
1. Zur europarechtlichen Beurteilung Diese Regelung geht einerseits über Art 15 Abs 5 der Übernahmerichtlinie942 hinaus, weil die europäische Norm nur den Gesellschafterausschluss nach einem Angebot erfasst, das auf die Kontrollerlangung gerichtet war oder wegen dieser zwingend abzugeben war; vgl schon oben I. A. 2. b). Andererseits enthält die Norm aber auch einen merklichen Widerspruch zur europäischen Norm: Nach einem Pflichtangebot gilt der Angebotspreis gemäß der Richtlinie jedenfalls als angemessene Abfindung für den Ausschluss. Nur nach einem freiwilligen Angebot zur Kontrollerlangung kommt es auf die Annahmeschwelle von 90 % an.943 Damit enthält § 7 Abs 3 GesAusG944 für das Pflicht938
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ZB Bieter hält 20 %, bietet auf alle Stammaktien, Grenze ist eine Annahme durch 72 % der freien Stammaktionäre. Ein solches ist ohnehin nur bei Angeboten zulässig, die nur dem zweiten Teil des ÜbG unterliegen. Für eine solche Lösung schon früher zB Grunewald in MünchKomm AktG § 327b Rn 9; Hasselbach in KölnerKomm WpÜG § 327b AktG Rn 25 f; vgl auch den Regierungsentwurf zu § 327b dAktG (abgedruckt in ZIP 2001, 1262), der letztlich in dieser Form nicht Gesetz wurde. Vgl Easterbrook/Fischel, 91 Yale L J 710 f (1981), allerdings mit fragwürdigen Schlussfolgerungen auf 727 f; dagegen zB Brudney/Chirelstein, 87 Yale L J 1354 (1978). Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl L 142, 12. Die Schwelle wird nach der RL freilich nur aufgrund des stimmberechtigten Kapitals berechnet.
VI. Akzeptanz der Transaktionsbedingungen
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angebot eine für die Minderheitsaktionäre der Gesellschaft günstigere Bestimmung. Beim Pflichtangebot ist nicht verständlich, warum derjenige Preis, der in Verhandlungen mit dem Hauptaktionär festgelegt wurde und damit wegen § 26 ÜbG für das Angebot ausschlaggebend ist, jedenfalls auch für den Ausschluss, also den zwangsweisen Verlust der Mitgliedschaft, gültig sein soll.945 Neben diesen grundsätzlichen Einwand treten noch zahlreiche praktische: Was soll gelten, wenn Referenztransaktionen für das Pflichtangebot völlig fehlen (zB bei Abschluss eines Syndikatsvertrags) und sich der Angebotspreis daher nur nach den (noch dazu historischen) Börsekursen richtet?946 Wie sollen Änderungen des Werts oder bloß der Marktverhältnisse zwischen der Pakettransaktion und dem Monate später durchgeführten Ausschluss bewältigt werden? Manipulativen Gestaltungen wäre Tür und Tor geöffnet. Freilich wäre es gerechtfertigt, den Angebotspreis auch für die Abfindung als angemessen zu normieren, wenn die Geltendmachung des Ausschlussrechts – so wie im Vereinigten Königreich; unten VII. D. 1. b) – davon abhängig gemacht wird, dass 90 % der Angebotsadressaten, also beim Pflichtangebot der freien Aktionäre, das Angebot angenommen haben. In diesem Zusammenhang macht die Regelung der Richtlinie durchaus Sinn. Freilich werden die Mitgliedstaaten nicht gezwungen, die Ausschlussschwelle solcherart festzulegen.
Das GesAusG geht daher den richtigen Weg und setzt diese Bestimmung nicht um, sondern stellt bloß auf den Angebotspreis als Mindestgrenze ab. Sollte der durch Unternehmensbewertung festgestellte Wert der Anteile höher sein, so ist dieser Wert für die Abfindung heranzuziehen. Wenn allerdings die Annahmequote hoch genug ist, so besteht beim Pflichtangebot so wie bei allen Angeboten die Vermutung der Angemessenheit. Diese Bestimmung ist für die Minderheitsaktionäre günstiger als die Richtlinie. Eine Abweichung in diese Richtung ist nach Art 3 Abs 2 lit b RL („zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen als in dieser Richtlinie“) zulässig.947 2. Zur Widerlegung der Vermutung Unter welchen Bedingungen kann diese Vermutung widerlegt werden? Mit anderen Worten, bei welchen Sachverhalten ist nicht davon auszugehen, dass der Angebotspreis auch für die Abfindung angemessen ist, obwohl 90 % der Angebotsadressaten das Angebot auch angenommen haben?
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Der deutsche Regierungsentwurf geht im Übrigen denselben Weg. Ähnlich 1334 BlgNR 22. GP 32. Die Richtlinie braucht das freilich nicht zu kümmern, weil Art 5 Abs 1 ohnehin nur am Erwerb von Aktien als Auslösetatbestand ansetzt. Das erkennen Heidel/Lochner, DB 2005, 2564, in ihrer Kritik der RL nicht.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Zunächst liegt es nach der neuen Regel nahe, den bisher üblichen Angebotsablauf umzudrehen.948 In der österreichischen Praxis wurde bis zum ÜbRÄG 2006 zumeist949 in einem ersten Schritt das kontrollierende Paket erworben und in einem zweiten das Pflichtangebot gelegt. Geht man so vor, müssen 90 % der freien Aktionäre das Angebot annehmen, damit die Vermutung greift. Es empfiehlt sich daher, die Transaktion so zu strukturieren, dass der alte Hauptaktionär auch das Angebot annimmt, dieses also formal ein freiwilliges Angebot zur Kontrollerlangung wird, während diese tatsächlich durch eine vorangehende Vereinbarung, in der sich der Aktionär zur Annahme des Angebots verpflichtet, bereits abgesichert ist. Der Mehrheitsaktionär ist Angebotsadressat, seine Annahme zählt mit. Dadurch wird es leichter, die Schwelle zu erreichen. Auch die Tatsache, dass in Zukunft ein Paketabschlag wie nach derzeit noch geltender Rechtslage (vgl § 22 Abs 1 ÜbG nF) nicht mehr zulässig sein wird, wird diesen Trend verstärken. Das ist grundsätzlich nicht problematisch. Denn der Hauptaktionär hat die Gegenleistung auch für sich selbst akzeptiert. Probleme gibt es – ganz so wie bei der Preisberechnung des Pflichtangebots – vor allem, wenn dem Hauptaktionär in sachlichem Zusammenhang mit dem Angebot, aber außerhalb desselben weitere Gegenleistungen gewährt wurden. Diese Gefahr von Umgehungen allein rechtfertigt es aber nicht, seiner Annahmeerklärung die Bedeutung im Rahmen eines Markttests abzusprechen. Die wichtigsten Fälle, in denen der Angebotspreis trotz hoher Annahmequote keine Vermutung der Richtigkeit in sich tragen kann, ergeben sich auch aus der Rechtsvergleichung mit dem Vereinigten Königreich (unten VII. D. 1. c):950 − Die Richtigkeitsgewähr des Marktmechanismus setzt voraus, dass die Vertragsparteien ihren Willen frei bilden können; dazu schon oben 2. Teil VI. A. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Angebotsadressat nicht vom Bieter unabhängig ist.951 Annahmen durch andere Konzerngesellschaften des Bieters, durch seine Treuhänder oder durch ihm nahe stehende natürliche Personen dürfen daher nicht berücksichtigt werden. Sonst könnte eine Gesellschaft ein Angebot machen, das von einer Konzernschwester angenommen wird, die ein Paket von 90 % hält – mit der
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Vgl näher Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 430. Etwas anderes galt vor allem, wenn man die Übernahme von Bedingungen abhängig machen wollte, die nicht gesetzlich geboten sind, insbesondere weil der Bieter nach der Übernahme garantiert mindestens über einen bestimmten Prozentsatz der Anteile verfügen wollte. Vgl auch die Materialien zum GesAusG; 1334 BlgNR 22. GP 32. Aus der Literatur vgl Kalss/Zollner, Squeeze-out § 7 Rz 36; Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 432 ff; Hödl in HB M & A 559. Vgl aus der englischen Rsp Re Bugle Press Ltd [1961] Ch 270; dazu näher unten VII. D. 1. c).
VI. Akzeptanz der Transaktionsbedingungen
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Folge, dass die außenstehenden Aktionäre zu diesem Preis ausgeschlossen werden können. − Die Richtigkeitsgewähr des Marktmechanismus setzt auch voraus, dass der Vertrag ohne rechtlich missbilligte Informationsasymmetrien abgeschlossen wurde; auch dazu schon oben 2. Teil VI. A. Das Übernahmerecht enthält zahlreiche gesetzliche Vorgaben über die zu gebende Information. Soweit der Bieter (oder ein Rechtsträger, der ihm zuzurechnen ist) diese Informationspflichten verletzt, hat der Angebotspreis keinen rechtlich anzuerkennenden Markttest bestanden.952 − Eine Widerlegung ist auch möglich, wenn das Angebotsvolumen sehr gering war, weil dann Manipulationen des Annahmeverhaltens besonders leicht möglich sind.953 Daneben ruft auch folgende Konstellation Bedenken hervor: Der bereits beherrschende Aktionär erwirbt im Vorfeld954 eines Übernahmeangebots ein Paket zu einem hohen Preis. Eine Weitergabe des Preises dieses Vorerwerbs im freiwilligen Angebot ist nicht erforderlich, sofern das Angebot keinen Kontrollbezug aufweist und § 26 deswegen nicht anwendbar ist. Das öffentliche Angebot mit einer niedrigeren Gegenleistung, als sie dem Paketaktionär955 geboten wurde, wird in der Folge von mehr als 90 % der Angebotsadressaten angenommen. Hier wäre es grob unangemessen, nur auf die Annahmequote des Angebots abzustellen. Der richtige Weg dürfte darin liegen, den Nenner um die Vortransaktion zu erhöhen und die von dem Vorerwerb erfassten Aktien nicht als Annahmeerklärung zu werten.956 Fraglich ist dann bloß, für welchen Zeitraum Vorerwerbe zu berücksichtigen sind. Hier bietet sich mE die übernahmerechtliche Jahresfrist an. Meines Erachtens ist es aber nicht zulässig zu argumentieren, dass die Vermutung widerlegt werden kann, wenn sich zwischen Durchführung des Übernahmeangebotes und der Beschlussfassung die Umstände wesentlich geändert haben; § 26 Abs 3 Z 3 ÜbG ist nicht sinngemäß anzuwenden. Dagegen spricht einerseits die kurze Frist von drei Monaten; andererseits geht es der Norm aber vor allem um die Gleichbehandlung der Ausgeschlossenen mit den Angebotsadressaten. Das ist bei der Verbesserung der Umstände aus Sicht der Ausgeschlossenen natürlich nachteilig. In der Sache geht es aber um eine
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955 956
Vgl aus der englischen Rsp Fiske Nominees Ltd v Dwyka Diamond Ltd [2002] 2 BCLC 123. Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 434. Höhere Gegenleistungen bei Paralleltransaktionen sind hingegen wegen § 16 ÜbG an die Angebotsadressaten jedenfalls weiterzugeben. Oder auch einem bloß besonders lästigen Gesellschafter. Wie hier Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out Rz 431; vorsichtig auch Hödl in HB M & A 560. Es wäre jedoch überschießend, diese höchste Gegenleistung als maßgeblich zu erachten.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
fortgedachte Annahme des Angebots; die Annahmefrist ist in diesem Zusammenhang der für die Beurteilung der Abfindung ausschlaggebende Zeitpunkt.
C. Versuch einer Verallgemeinerung 1. Grundsätzliches Die Erläuternden Bemerkungen zum GesAusG führen aus, dass der Preis als „richtig“ anerkannt wird, wenn er einen Markttest bestanden hat.957 Der Richter soll bei seiner Urteilsbildung über die Gegenleistung dem Votum der Mehrheit der betroffenen Gesellschafter besonderes Gewicht geben; ihrer Einschätzung wird mehr Vertrauen als derjenigen eines Bewerters entgegengebracht, der von der Entscheidung in seinen Vermögensinteressen nicht betroffen ist. Das nähert sich dem zivilrechtlichen Grundsatz an, dass die Richtigkeitschance des Vertragsabschlusses für die Rechtfertigung der Transaktionsbedingungen grundsätzlich genügt – freilich mit dem grundlegenden Unterschied, dass sich diese Rechtfertigung nach dem GesAusG auch auf denjenigen erstrecken soll, der nicht Vertragspartner der ursprünglichen Transaktion war, sondern diese sogar abgelehnt hat. Diese Wertungsentscheidung wäre in einem allgemeinen zivilrechtlichen Zusammenhang verfehlt. Ist der Wert eines Unternehmens bzw ganz allgemein einer Sache nämlich grundsätzlich subjektiv, so kann das Urteil noch so vieler Verkäufer keine Richtigkeit für einen dritten, nicht verkaufswilligen Eigentümer beanspruchen. Der Ansatz des GesAusG erhält seine Rechtfertigung nur durch den spezifischen gesellschaftsrechtlichen Regelungszusammenhang. Denn bei der gesellschaftsrechtlich begründeten Abfindung ist wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht der subjektive Wert der Anteile gerade im Vermögen des Ausgeschlossenen ausschlaggebend; vielmehr hat die Abfindung für jeden Anteil gleich hoch zu sein (oben III. B. 1.). Noch dazu hat die ausgeschlossene Minderheit im Regelfall ohnehin keine besonderen Verwertungsmöglichkeiten, die sich im allgemein akzeptierten Angebotspreis nicht widerspiegeln können.958 Grundsätzlich überzeugt der Ansatz. Erkennt man die herrschende Informationsasymmetrie zwischen dem Hauptgesellschafter und den Ausgeschlossenen an, so wäre es verfehlt, sich von der Bewertung eine Richtigkeitsgewähr zu erwarten. Es ist vielmehr konsequent, die Einschätzung der Marktteilnehmer heranzuziehen, die im Rahmen einer freiwilligen Verkaufsentscheidung ihre Anteile abgegeben haben und die Gegenleistung damit offensichtlich für angemessen gehalten haben. In diese Verkaufentscheidung fließen im Übrigen auch all jene subjektiven Erwartungen und Einschätzungen ein, die bei einer Bewertung mangels Beweisbarkeit gar nicht berücksichtigt werden könnten.
957 958
Vgl 1334 BlgNR 22. GP 32. Steuerrechtliche Aspekte bleiben bei dieser Betrachtung freilich ausgeklammert.
VI. Akzeptanz der Transaktionsbedingungen
527
Insofern besteht aus Sicht derjenigen, die ihre Anteile abgeben, eine größere subjektive Richtigkeitsgewähr. Im Ergebnis führt § 7 Abs 3 GesAusG daher zu einer Abstimmung der Aktionäre gekoppelt mit einer Aufgabe der richterlichen Nachkontrolle. Das entspricht tendenziell auch den Forderungen, Transaktionen, an denen ein Gesellschafter ein Interesse hat, vom Abstimmungsverhalten der anderen Gesellschafter abhängig zu machen.959 Zwar wird die Transaktion selbst nicht verhindert, wenn sich die überwiegende Mehrheit der Auszuschließenden dagegen stemmt, sie wird aber erleichtert, wenn ausreichende Zustimmung erzielt werden kann. Im Folgenden wird kurz untersucht, ob die Regel von § 7 Abs 3 GesAusG einer gewissen Verallgemeinerung zugänglich ist. Unmittelbar kann die Norm auf den Gesellschafterausschluss übertragen werden, dem kein Übernahmeangebot vorausgegangen ist; fraglich ist, inwieweit andere Transaktionen zu berücksichtigen sind. Aber der Gedanke kann auch auf die Verschmelzung angewandt werden: Gilt das Umtauschverhältnis per se als angemessen, wenn eine (näher zu bestimmende) Mehrheit der Aktionäre zustimmt? 2. Vorerwerbe durch den Hauptgesellschafter Häufig, insbesondere bei konzentriertem Anteilsbesitz, geht dem Gesellschafterausschluss kein Übernahmeangebot, sondern der Erwerb von einem oder von mehreren Paketen durch verhandelte Transaktionen voraus. Das ist von der Regelung in § 7 Abs 3 GesAusG nicht erfasst. Daraus ist jedoch mE nicht der Umkehrschluss abzuleiten, dass der Kaufpreis solcher Erwerbe nicht auch für den Gesellschafterausschluss angemessen sein kann. Vielmehr sollte durch § 7 Abs 3 GesAusG bloß die Übernahmerichtlinie umgesetzt werden; für Sachverhalte, die von dieser Richtlinie nicht erfasst sind, ist die Ablehnung der Analogie daher nicht zulässig. Vielmehr kann die in jener Norm enthaltene Wertung für andere, aber vergleichbare Konstellationen fortgedacht werden. Das ist auch im Rahmen der lex lata zulässig. Zunächst setzt die Anwendung der Vermutung nach GesAusG voraus, dass allen Aktionären die Ausstiegsmöglichkeit geboten werden muss; denn § 7 Abs 1 GesAusG hält fest, dass das Angebot kein bloßes Teilangebot sein darf. Dabei geht es freilich nicht darum, dass den ausgeschlossenen Aktionären die Möglichkeit geboten werden muss, freiwillig zu verkaufen. Vielmehr gilt der Angebotspreis als angemessene Abfindung, wenn mehr als 90 % der durch das Angebot betroffenen Aktien erworben werden (§ 7 Abs 3 GesAusG). Bei einem – im Rahmen des 2. Teils des ÜbG zulässigen – Teilangebot wäre das wohl die vom Bieter festgelegte Höchstgrenze. Das will das Verbot von Teilangeboten vermeiden. Eine Wertung, nach der auch den Ausgeschlossenen zunächst der Erwerb ihrer Anteile angeboten werden muss, ist dem nicht zu entnehmen.
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Vgl Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing passim.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Welche Wertungen sind zu beachten? Zunächst ist es klar, dass es um die Akzeptanz eines Preises durch mehr als 90 % der anderen Gesellschafter geht. Diese Schwelle muss auch bei der analogen Anwendung des Gedankens ausschlaggebend sein. Sofern der Hauptgesellschafter keine Anteile hält, sind das 90 % des gesamten Grundkapitals, hält der Hauptgesellschafter zB 50 % sind es 45 % etc. Zumindest zwei zusätzliche Aspekte sind in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen: Zunächst ist es fraglich, ob alle Transaktionen im Vorfeld dieselbe Gegenleistung aufweisen müssen. Jedenfalls ist die Gleichbehandlung im Vorfeld keine zentrale Wertung; es kann nicht Zweck der Feststellung einer angemessenen Entschädigung sein, die Gleichbehandlung durch den Bieter vor dem Ausschluss sicherzustellen. Dass dies im Falle von § 7 Abs 3 GesAusG so ist, liegt an den Regeln für das vorangehende Übernahmenangebot (oben V. A.). Wenn allerdings Transaktionen mit unterschiedlichen Gegenleistungen vorgenommen wurden, stellt sich die Frage, welche dieser Gegenleistungen heranzuziehen ist. Beispiel: Die Gesellschaft A habe vier größere Gesellschafter: A1 mit 40 %, A2 mit 30 % A3 mit 21 % und A4 mit 5 %, der Rest befindet sich im Streubesitz. A1 verkauft an B um 100 pro Anteil, A2 um 90, A3 um 95 und A4 um 110. B möchte den Ausschluss unter Ausnützung einer Vermutung herbeiführen. Was muss er bieten?
Es wäre denkbar, auf diejenige Gegenleistung abzustellen, bei der 90 % der anderen Gesellschafter ein Angebot angenommen hätten, wenn ein solches gestellt worden wäre. Im gewählten Beispiel wäre das 100. Ein Anspruch, so behandelt zu werden, wie der am besten verkaufende Gesellschafter, besteht außerhalb des ÜbG nicht.960 Zweitens kann die Abgrenzung der zu berücksichtigenden Vorerwerbe problematisch sein, wenn der Bieter Anteile zeitlich gestreckt erworben hat. Welche Erwerbe sind zu berücksichtigen und welche nicht? Die richtige Lösung kann nicht von der Frist von drei Monaten ausgehen, wie sie in § 7 Abs 3 GesAusG festgeschrieben ist. Diese kurze Frist wäre – ohne vorhergehende Pflicht zur Gleichbehandlung – eine Einladung zu Umgehungen; so könnten vier Monate vor dem geplanten Ausschluss die Anteile eines Gesellschafters zu einem höheren Preis erworben werden, ohne dass dies Einfluss auf die Annahmequote hätte. So wie im Rahmen von § 7 Abs 3 GesAusG bei Vorerwerben vor freiwilligen öffentlichen Angeboten sind daher solche höheren Erwerbe innerhalb der Jahresfrist als Ablehnung zu werten.
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Das steht auch in Einklang mit der oben (V. B.) vertretenen Ansicht, dass Vorerwerbe grundsätzlich als Untergrenze für den Gesellschafterausschluss heranzuziehen sind. Dort wurde nämlich als Ausnahme der Erwerb bloß kleinerer Pakete genannt, was sich mit der hier vertretenen Ansicht für die Vermutung der Angemessenheit trifft.
VI. Akzeptanz der Transaktionsbedingungen
529
Die Vermutung kann nur für Anteile mit der gleichen rechtlichen Ausgestaltung gelten. Insbesondere ist es nicht zulässig, durch Schätzung einen angemessenen Abschlag vorzunehmen, wie es § 26 Abs 2 ÜbG für das Angebot (freilich nur als Mindestgrenze) vorschreibt. Dass die Schwelle grundsätzlich für jede Aktiengattung begrenzt zu berechnen ist, ergibt sich unmittelbar aus § 7 Abs 3 GesAusG. Daraus folgt aber auch, dass für Geschäftsanteile bei der GmbH, die mit Sonderrechten versehen sind, die Vermutung nicht zum Tragen kommen kann. Einen Markttest für nicht vergleichbare Unikate kann es nicht geben. Für solche Geschäftsanteile bleibt es somit dabei, dass die angemessene Abfindung grundsätzlich durch eine Unternehmensbewertung zu ermitteln ist.
Im Übrigen gilt so wie für Übernahmeangebote, dass die Gesellschafter, die die Transaktionsbedingungen akzeptiert haben, vom Hauptgesellschafter unabhängig sein müssen; die Abfindung muss sich am Markt als Gegenleistung bewährt haben. Inwieweit Informationsasymmetrien zu berücksichtigen sind, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden; ist der Kaufvertrag über die Gesellschaftsanteile zB wegen Irrtums angefochten, so wird die Vermutung nicht greifen können, selbst wenn noch kein rechtskräftiges Urteil über die Anfechtungsklage ergangen ist. Wesentlich scheint im Übrigen für die Richtigkeitsgewähr des Preisbildungsprozesses zu sein, dass der Hauptgesellschafter selbst auftritt und nicht durch Treuhänder agiert. Auch verfassungsrechtliche Überlegungen sprechen mE nicht gegen die hier vertretene Auslegung. Der VfGH hat die ausschließliche Orientierung am Börsekurs für die Abfindung bei Partizipationskapital zu Recht als verfassungswidrig aufgehoben.961 Seine Bedenken richten sich aber nicht generell gegen die Heranziehung des Marktes als Beurteilungsmaßstab für die Angemessenheit der Barabfindung, sondern gegen die konkrete Ausgestaltung, weil der Gesetzgeber in § 102a Abs 4 BWG aF fingierte, dass ein (Durchschnitts)Börsekurs eine angemessene Abfindung sei. Von dieser Gestaltung unterscheidet sich § 7 Abs 3 GesAusG und in der Folge auch die analoge Anwendung dieser Norm schon dadurch, dass bloß die Vermutung der Angemessenheit normiert wird. Ebenso wenig ist das Hauptbedenken des VfGH einschlägig, nämlich die leichte Manipulierbarkeit des Börsekurses kombiniert mit der Tatsache, dass der Hauptgesellschafter den Entzug des Partizipationskapitals zu einem ihm genehmen Zeitpunkt mit niedrigen Durchschnittskursen herbeiführen kann. 3. Abstimmung durch die außenstehenden Aktionäre a) Grundsatz Bei der Verschmelzung kommt eine Annahme von Kaufangeboten als Gradmesser nicht in Betracht, sollen doch grundsätzlich die Gesellschafterkreise zusammengeführt werden. Auf Markttransaktionen kann daher nicht abge961
VfSlg 16.636.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
stellt werden. Freilich gibt es auch bei der Verschmelzung einen Ansatzpunkt: Die Abstimmung der Aktionäre. Auf den ersten Blick mag es seltsam erscheinen, die Stimmabgabe mit einer Verkaufsentscheidung gleichzusetzen. Das wäre auch problematisch, wenn man der Ablehnung, der Stimmenthaltung oder gar der Nichtteilnahme einen Erklärungswert zumessen wollte. Darum geht es aber nicht. Die einzige Aussage, die richtig sein muss, lautet: Derjenige, der einer Verschmelzung zustimmt, hält das Umtauschverhältnis für angemessen. Wer der Verschmelzung zustimmt, der ist in gleicher Weise betroffen, wie derjenige, der seine Anteile verkauft; der einzige Unterschied liegt in der Art der Gegenleistung. Denn der Gesellschafter erklärt sich bereit, Gesellschaftsanteile gegen eine Gegenleistung abzugeben. Der Unterschied zwischen Verschmelzung und Kaufvertrag liegt in der Wirkung auf diejenigen Gesellschafter, die der Transaktion nicht zustimmen. Um die Beurteilung ihrer Willenserklärungen geht es aber überhaupt nicht. Stimmt die Mehrheit der unabhängigen Gesellschafter zu, so kann man also eher davon ausgehen, dass das Umtauschverhältnis angemessen ist. So hat auch das OLG Stuttgart jüngst festgestellt, dass bei Verschmelzungen voneinander unabhängiger Aktiengesellschaften und bei Billigung durch eine große Mehrheit der Gesellschafter in den jeweiligen Hauptversammlungen eine erhöhte Richtigkeitsgewähr für die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses besteht.962 Das OLG Stuttgart betont somit das Verhandlungsmodell. Das gilt freilich nur, wenn die Interessen von Haupt- und Minderheitsaktionär gleichgerichtet sind, also vor allem bei der Konzentrationsverschmelzung.963 Unter diesen Voraussetzungen müssen schwerwiegende Gründe vorliegen, um der Zustimmung durch die Gesellschaftermehrheit kein Vertrauen zu schenken. Eine Neubewertung in einem Nachprüfungsverfahren ist dann nach dem OLG Stuttgart grundsätzlich nicht vorzunehmen. Sofern also eine überwiegende Mehrheit der Gesellschafter dem Umtauschverhältnis zustimmt, wird vermutet, dass dieses auch angemessen ist. b) Schwelle Welche Schwelle ist aber angemessen? Auf § 25a Abs 2 ÜbG und die dort enthaltene Schwelle von 50 % kann nicht abgestellt werden; denn dort geht es nur darum, ob das Angebot für diejenigen, die angenommen haben, gelten soll, während hier zu beantworten ist, ob auch die widersprechenden Gesellschafter an die Gegenleistung gebunden sein sollen. In Frage kommt daher einerseits in Anlehnung an § 221 Abs 2 AktG eine Mehrheit von drei Vierteln des abstimmenden Grundkapitals, andererseits in Anlehnung an § 7 GesAusG eine Mehrheit von 90 %.
962 963
OLG Stuttgart AG 2006, 420. Grundsätzlich auch LG Stuttgart AG 2007, 52. Vgl Reuter, AG 2007, 10.
VI. Akzeptanz der Transaktionsbedingungen
531
Vorgelagert ist aber die Problematik, von welcher Grundgesamtheit die Berechnung ausgehen soll. Das Problem stellt sich insbesondere bei Gesellschaften mit breit gestreutem Anteilsbesitz. Stellt man nur auf die abstimmenden Gesellschafter ab, so bedeutet dass angesichts der niedrigen Teilnahmequoten des Streubesitzes an Hauptversammlungen, dass die Legitimationsbasis für die Entscheidung verhältnismäßig dünn ist. Zieht man hingegen das gesamte, nicht nur das abstimmende Grundkapital einer Aktiengattung heran, so ist die Schwelle bei Gesellschaften mit gestreutem Anteilsbesitz praktisch nicht zu erreichen. Denn aufgrund der rationalen Apathie nehmen Kleinanleger regelmäßig nicht an Hauptversammlungen teil;964 ihre Anteile wären im Ergebnis den die Transaktionsbedingungen ablehnenden Stimmen hinzuzurechnen. Die besseren Gründe sprechen mE für eine Berücksichtigung bloß der Gesellschafter, die an der Abstimmung teilnehmen. Gerade bei Beschlussinhalten, die unmittelbar für die Vermögensposition der einzelnen Gesellschafter ausschlaggebend sind, ist ihnen die (direkte oder über Stimmrechtsvertretungen indirekte) Teilnahme zumutbar; auch institutionelle Anleger nehmen an solchen Beschlussfassungen eher teil. Das Urteil dieser professionellen Marktteilnehmer ist aber besonders wichtig, wenn es darum geht, die Angemessenheit der Umtauschbedingungen aus Sicht des Marktes zu beurteilen. Denn sie entsprechen am ehesten dem Idealtypus des rationalen und nutzenmaximierenden Individuums. Es spricht daher nichts dagegen, diese Entscheidung vor allem in ihre Hände zu legen. Nicht anwesende oder und sich der Stimme enthaltende Gesellschafter sind somit mit ihren Anteilen im Nenner nicht zu berücksichtigen. Noch eine zweite Korrektur ist erforderlich. Es würde nämlich dem Sinn widersprechen, wenn für die Beurteilung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses bei der Konzernverschmelzung die Stimmen der Obergesellschaft mitzählten, wie das bei der Abstimmung über die Verschmelzung selbst der Fall ist (oben II. B. 3. b). Denn die Entscheidung dieses Rechtsträgers wird nicht durch die wirtschaftlichen Auswirkungen bei ihm als Gesellschafter der abstimmenden Gesellschaft bestimmt; vielmehr fallen Vorteile bei der Obergesellschaft auch deshalb an, weil sie der Vertragspartner der abstimmenden Gesellschaft ist. Die Stimmen der an der Verschmelzung beteiligten Obergesellschaft sind daher weder im Zähler noch im Nenner zu berücksichtigen; das entspricht auch der Rechtslage beim Übernahmeangebot nach § 25a Abs 2 ÜbG und beim Ausschluss in Folge eines Übernahmeangebots nach § 7 Abs 3 GesAusG. Verallgemeinert kann man festhalten: Bei der Berechnung sind die von der anderen an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaft gehaltenen
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Vgl die Untersuchungen der Übernahmekommission zur Anwesenheit des Streubesitzes in Hauptversammlungen; http://www.takeover.at/Download/ StellungnahmeUbRAG.pdf. Im Durchschnitt nehmen zwischen 12 und 18 % des Streubesitzes teil.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Anteile nicht zu berücksichtigen. Das gilt gleichermaßen für Anteile, die von mit ihr gemeinsam vorgehenden Personen, wie insbesondere Konzerngesellschaften, gehalten werden. Damit sind wir bei der Mehrheit angelangt. Die besseren Gründe sprechen mE dafür, die Schwelle von 90 % anzuwenden. Aus dem GesAusG lässt sich ableiten, dass die Annahme der Transaktionsbedingungen durch die ganz überwiegende Mehrheit der außenstehenden Gesellschafter erfolgen muss, damit sie auch für die Widersprechenden als angemessen gelten; die Norm legt diese Mehrheit mit 90 % fest. Zieht man die Gedanken des GesAusG auch für die Verschmelzung vorsichtig heran, muss auch die Schwelle jener Norm Anwendung finden, selbst wenn man mit Blick auf Publikumsgesellschaften den Nenner um die nicht an der Abstimmung teilnehmenden Gesellschafter bereinigt. Voraussetzung für diese Privilegierung ist freilich ähnlich wie im Übernahmerecht, dass die verschmelzungsrechtlichen Informationspflichten eingehalten werden (vgl insbesondere §§ 220a bis 220c, § 221a AktG). Fehlt es an gesetzlich vorgeschriebenen Informationen, so kann der Beschluss keine Richtigkeitsgewähr beanspruchen. Die Tatsache, dass höhere Paralleltransaktionen getätigt wurden, ist für die Meinungsbildung unter den außenstehenden Gesellschaftern von Bedeutung. Schon allein deswegen kann die Vermutung bei verborgen gebliebenen Paralleltransaktionen nicht greifen. Darüber hinaus geht der Gleichbehandlungsgrundsatz mE generell vor. Höhere Paralleltransaktionen sprechen daher auch bei überwiegender Zustimmung durch die Gesellschafter gegen die Anwendung der Vermutung. Im Übrigen ist es nicht erforderlich, eine eigene Abstimmung der außenstehenden Aktionäre abzuhalten. Vielmehr genügt es, wenn aufgrund des Protokolls und der ihm zugrunde liegenden Unterlagen das tatsächliche Stimmverhalten ermittelt werden kann. c) Praktische Folgen Bei der Konzernverschmelzung kommt es im Ergebnis nach der hier vertretenen Auffassung daher zu einer Art von Sonderabstimmung der außenstehenden und an der Abstimmung teilnehmenden Aktionäre. Diese ist allerdings für die Rechtswirksamkeit der Verschmelzung selbst nicht erforderlich, weswegen mit der hier vorgeschlagenen Auslegung kein Systemwechsel verbunden ist. Insbesondere besteht im Einklang mit der herrschenden Lehre bei der Beschlussfassung über die Verschmelzung kein Stimmverbot der Konzernobergesellschaft; vgl oben II. B. 3. b). Soweit die Zustimmung neben der in § 221 Abs 2 AktG vorgesehenen Mehrheit auch durch 90 % der außenstehenden Aktionäre erfolgt, kann die Konzernobergesellschaft der Überprüfung des Umtauschverhältnisses aber gelassen entgegen sehen. Soweit keine Paralleltransaktionen vorgenommen wurden, wird das solcherart beschlossene Umtauschverhältnis im Regelfall
VI. Akzeptanz der Transaktionsbedingungen
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Bestand haben. Das gilt aber auch für Konzentrationsverschmelzungen. Diese unterliegen bei hoher Zustimmung – wieder abgesehen von Paralleltransaktionen – ebenfalls keiner inhaltlichen Überprüfung. Die Überlegungen zeigen schon, dass es auf die für die Praxis im Einzelfall schwierige Unterscheidung zwischen Konzentrations- und Konzernverschmelzung bzw auf die entsprechenden Interessenskonflikte nicht ankommt. Für die Simulation eines Marktergebnisses ist es ausreichend, dass diejenigen Gesellschafter aus der Berechnung ausgeschieden werden, deren Abstimmungsverhalten durch gesellschaftsferne Interessen bestimmt sein kann. Auch das mag im Einzelfall schwierig sein, wird aber dadurch erleichtert, dass die übertragende Gesellschaft die diesbezügliche Nachweispflicht trifft, wenn sie eine Unternehmensbewertung vermeiden möchte. Im Übrigen sind die Probleme der Nachweisbarkeit dadurch abgeschwächt, dass es nicht etwa darum geht, ob die Verschmelzung rechtmäßig beschlossen wurde oder nicht, wie es Rechtsfolge eines Stimmverbots des begünstigten Gesellschafters ist.965 Vielmehr verliert die übertragende Gesellschaft im schlimmsten Fall einer falschen Beurteilung bloß eine Privilegierung gegenüber der normalen Rechtslage und muss eine Unternehmensbewertung vornehmen. In der Sache nähert sich die hier vertretene Auffassung trotz der konzeptionellen Unterschiede der Meinung Hügels, der die Konzentrationsverschmelzung grundsätzlich von der Überprüfung des Umtauschverhältnisses freistellen möchte.966 Jedoch bedarf es mE einer erhöhten Mehrheit und andererseits geht es auch nicht um den Rechtsschutz an sich, sondern nur um den Maßstab der Überprüfung; Letzteres macht insbesondere einen Unterschied, wenn parallel zur Verschmelzung Zahlungen geleistet wurden. Die Rechtsordnung ist für diese Auslegung offen. Wenn es heißt, dass das Umtauschverhältnis „angemessen“ sein muss (§ 220a Abs 4, § 225c Abs 1 AktG), so ist die Wortwahl ausreichend offen, um auch das Abstimmungsverhalten der Gesellschafter einzubeziehen. Das ist schon deswegen zulässig, weil sich das angemessene Umtauschverhältnis gerade nicht nach dem subjektiven Wert jedes Betroffenen richtet, sondern wegen des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes für alle Gesellschafter gleich sein muss. 4. Zusammenfassung Die vorgeschlagene Auslegung bringt mE eine wesentliche Erleichterung für die Praxis. Unter gewissen Voraussetzungen kann eine kleine überstimmte Minderheit der außenstehenden Gesellschaft nicht mehr versuchen, auf Kosten der übernehmenden Gesellschaft ihre eigenen Vorstellungen über die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses oder der gebotenen Abfindung durchzusetzen. Der Hauptgesellschafter oder die übernehmende Gesellschaft
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Zu den Rechtsfolgen bei der GmbH zB S Schmidt, Stimmverbote 127 ff mwN. Hügel, Verschmelzung 161 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
muss keinen weiteren Abfluss von Mitteln befürchten, wenn die Vermutung der Angemessenheit greift. Fehlt es an der erforderlichen Zustimmung, so ist das oder sind die Unternehmen nach den üblichen Grundsätzen zu bewerten, um die Angemessenheit von Umtauschverhältnis oder Abfindung zu ermitteln. Das Fehlen der Zustimmung begründet aber keine Vermutung, dass die vorgesehene Gegenleistung nicht angemessen ist. Das kann allenfalls bei ganz überwiegender Ablehnung der Transaktionsbedingungen in Betracht kommen; auch hiefür könnte sich die 90 %-Grenze anbieten. Im Zwischenbereich kann dem Abstimmungsergebnis keine Aussage über die Angemessenheit entnommen werden. Hier stoppt die vorliegende Untersuchung. Die zentralen Ergebnisse lassen sich aber de lege lata mE auf die meisten Rechtsfragen anwenden, in denen es um die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung im Gesellschaftsrecht ankommt und denen ein Gesellschafterbeschluss zugrunde liegt. Freilich fehlt es in vielen Fällen – so zB bei der Kapitalerhöhung967 – am Überprüfungsverfahren,968 in dem diese Probleme einer angemessenen Lösung zugeführt werden können. Die Akzeptanz der Transaktionsbedingungen durch die außenstehenden Gesellschafter kann zB auch für Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern, also vor allem im Konzern, Relevanz haben: Stimmt die überwiegende Mehrheit derjenigen Gesellschafter, die von einem Vertrag zwischen der Gesellschaft und einem Gesellschafter nicht begünstigt sind, den Transaktionsbedingungen zu, so wird zumindest mit Wirkung zwischen den Gesellschaftern vermutet, dass diese Transaktionsbedingungen auch angemessen sind. Das lässt auch schon die lex lata zu. Zu einer zwingenden Hauptversammlungszuständigkeit für alle Transaktionen innerhalb des Konzerns führt das bei der Aktiengesellschaft freilich nicht; die Vorlage ist außerhalb der so genannten Holzmüller-Tatbestände969 nach § 103 Abs 2 AktG freiwillig, kann aber für die Verwaltung entlastende Wirkung zeigen – birgt freilich auch das Risiko einer Anfechtungsklage mit sich. Die rechtspolitische Diskussion geht darüber hinaus. So hat eine relativ neue internationale Studie renommierter und vor allem auch einflussreicher amerikanischer Wissenschafter Österreich ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, soweit es um den Schutz der Minderheitsgesellschafter vor unangemessenen Geschäften der Gesellschaft mit ihrem Hauptgesellschafter geht.970 In der Sache geht es darum,
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Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 150 Rn 115 f; Stern, RdW 1997, 56; aM Bachner, Bewertungskontrolle 162; Rüffler, Lücken 367 ff. Wobei auch dieses durchaus verbessert werden müsste; vgl EB zum ÜbRÄG 2006, 1334 BlgNR 22. GP 30. Vgl BGHZ 83, 122 „Holzmüller“; BGHZ 159, 30 „Gelatine“; dazu aus Österreich zB Bachner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 103 Rz 28 ff. Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, The Law and Economics of Self-Dealing, Working Paper, Harvard University (2005).
VII. Rechtslage in England
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ob die Hauptversammlung zwingend für solche Konzerntransaktionen zuständig sein soll und ob der begünstigte Gesellschafter bei der Beschlussfassung mitstimmen darf.971 Auch in diesen rechtspolitischen Überlegungen können die hier entwickelten Gedanken über die Bedeutung tatsächlich bezahlter Preise ihren Platz finden, insbesondere wenn es um die Überprüfung des entsprechenden Beschlusses der Hauptversammlung im Rahmen eines etwaigen Anfechtungsprozesses geht.
VII. Rechtslage in England A. Vorbemerkung Die Plausibilität dieser Ergebnisse soll in der Folge durch die Rechtsvergleichung mit dem englischen Gesellschaftsrecht abgesichert werden. Die Behandlung zielt nicht darauf ab, alle relevanten Normen und Begründungszusammenhänge zu erfassen, sondern soll nur punktuelle Einblicke in Aspekte des englischen Rechts geben, die im gegebenen Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind.972 Das englische Gesellschaftsrecht ist grundsätzlich von anderen typischen Interessenskonflikten geprägt als kontinentaleuropäische Rechtsordnungen. Während der österreichische Gesellschaftsrechtler tendenziell den Interessenskonflikt zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter im Auge hat, stellt das englische Recht denjenigen zwischen Management und Gesellschaftern in den Mittelpunkt: „It is difficult to resist the conclusion that the law addresses the agency problems of minority shareholders less effectively than it does the agency problems of the shareholders as a class as against the board.“973
Diese Schwerpunktsetzung ist auch im englischen Schrifttum bemerkbar.974 Sie hängt mit den herrschenden Beteiligungsverhältnissen zusammen.975 Der Streubesitz ist wesentlich größer; viele, wenn nicht die meisten börsenotierten Gesellschaften haben keinen kontrollierenden Aktionär bzw keine kontrollierende Aktionärsgruppe.976 Kleinere Gesellschaften werden aber häufig von einzelnen Aktionären kontrolliert; dem englischen Gesellschaftsrecht sind 971
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Vgl Kalss in Kalss/Schauer, Die Reform des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, Gutachten zum 16. ÖJT (2006) Bd II/1 399 ff. Der squeeze-out wird wegen des englischen Regelungszusammenhangs abweichend von der für das österreichische Recht gewählten Systematik erst nach den übernahmerechtlichen Überlegungen behandelt. Davies, Introduction 253. Vgl Davies, Introduction passim, der in seinem ganz auf Interessenkonflikte ausgerichteten Einführungswerk dem Interessenkonflikt mit dem Management breiteren Raum widmet. Kraakman et al, Anatomy 60. Van der Elst in Hopt/Wymeersch, Capital Markets 32 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Schutzinstrumente auch in diesem Zusammenhang nicht fremd. Jedoch sind die Lösungsmechanismen für die Interessenkonflikte häufig anders. Das englische Kapitalgesellschaftrecht ist eine Mischung aus common law und gesatztem Recht. Der bisher geltende Companies Act 1985 wurde jüngst grundlegend reformiert977 und im Companies Act 2006 (im Folgenden: CA 2006)978 neu kodifiziert; erstmals werden viele Fragen geregelt, die bisher nur dem common law zu entnehmen waren, wie zB die Pflichten der directors.979
B. Unternehmenszusammenschlüsse im Allgemeinen Verschmelzungen im Sinne der Verschmelzungsrichtlinie sind im englischen Recht zwar in s 902 ff CA 2006 geregelt, haben aber in der Praxis zumindest bisher wenig Bedeutung erlangt. Die Anforderungen der Verschmelzungsrichtlinie seien – so liest man im Schlussbericht des Company Law Review – ein negativer Anreiz für Fusionen; der Bericht sucht nach alternativen Mechanismen, die dieselben Ergebnisse wie eine Verschmelzung im Sinn der Richtlinie erzielen, aber außerhalb ihres Anwendungsbereichs liegen.980 Auf die Frage nach der Überprüfung des angemessenen Umtauschverhältnisses bei Verschmelzungen wird man daher von englischen Juristen nur wenig Antwort erhalten. Die Frage ist in einem weiteren Kontext zu stellen. Worum es in der Sache geht, ist die Zusammenführung von Unternehmen. Einerseits wird dafür in England – so wie in Österreich – der Erwerb gegen Barzahlung oder gegen Hingabe von Aktien eingesetzt. Im englischen Recht finden sich in diesem Zusammenhang auf verschiedenen Ebenen Regelungen, welche die Rolle der Aktionäre betreffen. Andererseits können Unternehmen auch durch so genannte schemes of arrangement zusammengeführt werden (s 895 ff CA 2006). Dabei wird ein compromise oder arrangement vorgeschlagen und auf Basis der Zustimmung der Aktionäre vom Richter genehmigt. Im Ergebnis können mit diesem Mechanismus unterschiedliche Formen von Unternehmenszusammenschlüssen erreicht werden. Auch die Fusion im Sinn der 3. Richtlinie wird in England
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Besonders wichtig sind die entsprechenden Vorbereitungsarbeiten: Company Law Review, Completing the Structure (http://www.berr.gov.uk/bbf/co-act-2006/ clr-review/page25080.html); vgl Davies, Gower’s 53. Auf dessen Basis wurde ein White Paper vom DTI herausgegeben; http://www.berr.gov.uk/files/ file13958.pdf. Zur Company Law Reform Bill (http://www.publications. parliament.uk/pa/ld200506/ldbills/034/2006034.htm) aus dem deutschsprachigen Schrifttum Jänig, RIW 2006, 270. ZB verfügbar unter http://www.opsi.gov.uk/acts/acts2006/pdf/ukpga_20060046_ en.pdf. Vgl s 170 ff CA 2006. Company Law Review, Final Report 13.14.
VII. Rechtslage in England
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auf Basis solch eines schemes durchgeführt, das dann freilich auch den Vorschriften in s 904 ff CA 2006 entsprechen muss. Die dritte Möglichkeit, Unternehmen zusammenzuführen, besteht in der Abgabe eines Übernahmeangebots. Wie im Zusammenhang mit dem Ausschluss der Minderheitsaktionäre zu zeigen sein wird, können damit auf Ebene der Gesellschafter die gleichen Effekte wie bei einer Verschmelzung herbeigeführt werden (vgl unten D. 1. d). 1. Zustimmung der Aktionäre Der Kauf eines Unternehmens gegen Bargeld obliegt genau so wie der Erwerb im Tausch gegen bereits ausgegebene Aktien den directors der Gesellschaft. Die Aktionäre müssen nicht zustimmen. Das gilt nach der neuen Rechtslage auch dann, wenn ein Direktor an einem vorgeschlagenen Rechtsgeschäft ein persönliches Interesse hat.981 Freilich muss der begünstigte Direktor den Sachverhalt vor Abschluss des Rechtsgeschäfts gegenüber dem board offen legen (s 177 CA 2006). Damit ist die davor nach equity-Grundsätzen geltende noconflict rule982 gelockert,983 nach der den Direktoren ohne Zustimmung der Aktionäre jedes Rechtsgeschäft verboten war, durch das ihre persönlichen Interessen mit den Interessen der Gesellschaft in Konflikt geraten können. Eine Entscheidung der Aktionäre wird aber in einigen Fällen durch gesetzliche Vorschriften zwingend verlangt. Im gegebenen Zusammenhang ist besonders s 190 CA 2006 von Interesse. Danach ist die Zustimmung der Aktionäre für substantial property transactions mit Direktoren der Gesellschaft984 oder mit Direktoren nahe stehenden Personen erforderlich. Das Geschäft muss den Sacherwerb betreffen. Substantial ist der Vertrag oder die Absprache, wenn die betroffene Sache mehr als £ 100.000 oder mehr als 10 % des Nettovermögenswerts der Gesellschaft (bei einer Untergrenze von £ 5.000) wert ist. Ausnahmen von der Zustimmungspflicht bestehen, wenn es keine Minderheitsaktionäre gibt, die geschädigt werden können, zB bei Transaktionen zwischen der Gesellschaft und ihrem Alleingesellschafter (s 192 CA 2006). Fehlt es an der Zustimmung, so kann die Gesellschaft den Vertrag durch Aktionärsentscheid bestätigen oder ihn aufheben.985 Die Vertragsaufhebung
981 982
983 984 985
Vgl s 180 CA 2006. Vgl Aberdeen Railway v Blaikie (1854) 1 Macq 461; dazu zB Davies, Introduction 172 ff; Davies, Gower’s 391 ff; Hannigan, Company Law 245 ff. Die nach diesen Grundsätzen erforderliche Zustimmung der Aktionäre (vgl North-West Transportation Co Ltd v Beatty (1887) 12 AppCas 589) wurde in der Satzung häufig ausgeschlossen. Vgl Steffek, GmbHR 2007, 813. Oder ihrer Holdinggesellschaft. Darüber hinaus kann die Gesellschaft die Gewinne des director abschöpfen und von diesem auch Ersatz für Schäden verlangen (s 195 para 3 CA 2006); näher Davies, Introduction 180 ff.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
führt aber nur zu einem Rückabwicklungsanspruch, nicht aber zu einem proprietary remedy; dieses Recht auf Rückabwicklung steht der Gesellschaft nicht zu, wenn ein gutgläubiger Dritter Rechte erworben hat und diese durch die Rückabwicklung beeinträchtigt würden oder wenn die Rückgabe desjenigen, was die Gesellschaft erhalten hat, nicht mehr möglich ist (vgl näher s 195 CA 2006).986 Zwei wichtige Anmerkungen sind zu diesen Regeln aus österreichischer Sicht zu machen. Erstens geht es nicht darum, dass ein Aktionär durch die Transaktion begünstigt wird,987 sondern um den Schutz der Aktionäre vor der Macht des Managements. Denn Anwendungsvoraussetzung ist, dass ein director durch die Transaktion begünstigt wird. Einmal mehr zeigt sich, dass die englische Regelung durch das Leitbild der Publikumsgesellschaft und dem dort dominanten Interessenskonflikt geprägt ist. Soweit ersichtlich wird nicht generell befürwortet, die Zustimmungspflicht auf bedeutende Rechtsgeschäfte mit dem Hauptaktionär zu erstrecken.988 Freilich kann ein Aktionär erfasst sein, wenn er gleichzeitig director ist. Director ist nicht nur derjenige, der tatsächlich als solcher bestellt ist, sondern auch der so genannte shadow director.989 Das ist eine Person, aufgrund deren Anweisungen die directors der Gesellschaft üblicherweise handeln (s 251 CA 2006). Damit kann der Gesellschafter gemeint sein, wenn er – in österreichischer Terminologie – einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ausübt;990 die genauen Grenzen sind freilich nicht klar. Hinzu kommt, dass die Muttergesellschaft selbst keinesfalls ein shadow director ist, soweit es um die Genehmigung von substantial property transactions geht; denn für Zwecke von s 190 gelten nur natürliche Personen als shadow directors (s 251 para 3 CA 1006).
Zweitens ist dem betroffenen Direktor die Stimmabgabe in der Hauptversammlung nicht verboten.991 Leitentscheidung dazu ist North-West Transportation Co Ltd v Beatty:992 „[E]very shareholder has a perfect right to vote upon any such question, although he may have a personal interest in the subject matter opposed to, or different from, the general or particular interests of 986 987
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Nach der Neuregelung s 178 Company Law Reform Bill. Dann wäre auch die Genehmigung durch das board of directors eine sehr fragwürdige Strategie; vgl Kraakman et al, Anatomy 121. Vgl Davies, Introduction 236 f. Vgl s 170 para 5 (dazu Prentice in Hannigan/Prentice, CA 2006 Rn 3.14 f) und s 223 para 1. In der Praxis scheint freilich die Anwendung gegenüber Fremdkapitalgebern im Vordergrund zu stehen; vgl Ferran, Company Law 482 ff. Aus dem Schrifttum Davies, Introduction 220; Ferran, Company Law 176. Daran dürfte auch der CA 2006 nichts geändert haben; s 239 verbietet die Berücksichtigung der von Direktoren und anderen interessierten Rechtsträgern abgegebenen Stimmen nur, wenn es um die Genehmigung von Rechtsverletzungen ex post geht. (1887) 12 AppCas 589 per Baggallay J.
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the company.” Dadurch kommt es auch bei der Übertragung im (freilich nicht so häufigen) Konzern im Ergebnis nicht auf ein Votum der außenstehenden Aktionäre an. Soweit der Direktor über die erforderliche Mehrheit der Anteile verfügt, kann er die Abstimmung rechtlich gesichert beeinflussen. Eher einschlägig sind die von der Financial Services Authority erlassenen Listing Rules,993 die Corporate Governance Standards für börsenotierte Gesellschaften enthalten. Chapter 11 der Listing Rules verlangt für related party transactions994 die Zustimmung der Aktionärsversammlung nach ordnungsgemäßer und zeitgerechter Information; zur Vorbereitung der Abstimmung bedarf es auch einer Stellungnahme des board of directors zu der Transaktion, die erst nach sachverständiger Beratung erfolgen darf (13.6.1 Listing Rules). Die Norm ist zwingend. Es bestehen zwei wesentliche Unterschiede zu den Regelungen des CA 2006: (1) Related party ist nicht nur ein director, sondern auch ein Aktionär mit einer Beteiligung von mehr als 10 % der Stimmrechte oder eine Person, die wesentlichen Einfluss auf die notierte Gesellschaft ausüben kann (11.1.4 Listing Rules). Diese related party muss Vertragspartner der Gesellschaft sein oder doch durch den Vertrag begünstigt werden. (2) Die related party und mit ihr gemeinsam Vorgehende dürfen an der Abstimmung nicht teilnehmen (11.1.7 (4) Listing Rules).995 Damit kommt es zu einer Genehmigungspflicht für related party transactions durch die Mehrheit der Minderheit. Diese tritt neben die Pflicht zur Offenlegung ex post nach den IAS. Es überrascht nicht, dass eine solche Pflicht gerade in Großbritannien besteht, wo mehrheitsdominierte Gesellschaften nicht typisch sind. Aus public choice-Gesichtspunkten kann es nicht überraschen, dass diese Beschränkung der Mehrheitsmacht dort nicht akzeptiert wird, wo aufgrund der Beteiligungsstrukturen viele Mehrheitsaktionäre davon betroffen sind.996 In der Sache drängt sich freilich die Gefahr auf, dass die Minderheit die ihr eingeräumte Machtposition missbraucht. 2. Schemes of Arrangement Die Zusammenführung zweier Unternehmen gleich oder ähnlich der österreichischen Verschmelzung kann auch durch ein scheme of arrangement erreicht werden (s 895 ff CA 2006).997 Das scheme muss gerichtlich genehmigt wer993 994
995 996
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http://fsahandbook.info/FSA/html/handbook/LR. Voraussetzung ist freilich, dass das Rechtsgeschäft über eine Bagatellgrenze hinausgeht; vgl näher 11 Annex 1R Listing Rules, die auch andere privilegierte Tatbestände enthalten. Weitere Ausnahmen enthält 11.1.10 Listing Rules. Vgl Davies, Gower’s 407; Ferran, Company Law 178. Kraakman et al, Anatomy 123: Überraschend ist daher, dass eine ähnliche Verpflichtung seit kurzem in Frankreich besteht; vgl Art 225-86 Code de Commerce und dazu Kraakman et al, Anatomy 122 f. Vgl Davies, Gower’s 793 f.
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den998 und bedarf darüber hinaus der Zustimmung einer einfachen Kopfmehrheit der abstimmenden Aktionäre, die gleichzeitig drei Viertel des Kapitals nach dem Wert der Anteile berechnet repräsentieren; s 899 para 1 CA 2006. Die Abstimmung findet für jede class of members getrennt statt; auch die Mehrheiten richten sich dann nach der Grundgesamtheit der abstimmenden Gesellschafter einer class (zum Begriff gleich unten). Ein solches scheme ist inhaltlich nicht näher definiert; es herrscht Gestaltungsfreiheit. In der Praxis dient es häufig der Auseinandersetzung mit den Gläubigern bei Sanierungen. Grundsätzlich können zwei unterschiedliche Zugänge gewählt werden, wenn das scheme zur Zusammenführung von Unternehmen eingesetzt werden soll: Erstens kann ein Aktientausch durchgeführt werden, wobei das scheme im Gegensatz zum Übernahmeangebot auch für diejenigen Aktionäre wirkt, die dagegen stimmen.999 Die Aktiva werden nicht übertragen. Durch den richterlichen Beschluss werden die alten Aktien eingezogen und neue Aktien an die (neue) Muttergesellschaft ausgegeben; die Aktionäre erhalten junge Aktien der Muttergesellschaft. Im Ergebnis wird so ein Takeover daher schon bei Zustimmung von 75 % der abstimmenden Gesellschafter für alle Aktionäre bindend und nicht erst bei Zustimmung von 90 % des Angebotsvolumens wie beim normalen Übernahmeangebot;1000 vgl unten D. 1. d). Zweitens kann auch ein merger, also eine Verschmelzung im Sinne der 3. Richtlinie, mittels eines schemes durchgeführt werden.1001 Der Gerichtsentscheid kann nämlich anordnen, dass eine der Gesellschaften ohne Abwicklung aufgelöst wird und alle ihre Rechtspositionen auf die andere Gesellschaft übertragen werden (vgl s 900 para 2 CA 2007). Häufig ist dieses Vorgehen jedoch nicht. Sofern der Plan so gestaltet ist, dass die Voraussetzungen der Verschmelzungsrichtlinie erfüllt sind, müssen auch s 904 ff CA 2006, wodurch diese europarechtlichen Bestimmungen umgesetzt sind, beachtet werden. Jedoch kann der merger im Regelfall so strukturiert werden, dass er diesen Bestimmungen nicht unterliegt und der erhöhte Aufwand vermieden wird.1002 Eine Möglichkeit wäre es zB zu beantragen, dass die übertragende Gesellschaft erst nach einer Abwick-
998
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1000 1001 1002
Der Company Law Review hat vorgeschlagen, unter bestimmten Voraussetzungen auch schemes of arrangement ohne gerichtliche Genehmigung vorzusehen (Company Law Review, Completing the Structure 11.40 ff; Company Law Review, Final Report 13.14). Das Department of Trade and Industry ist in seinem White Paper (4.14) diesem Vorschlag nicht gefolgt. Davies, Gower’s 794; Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.56 f; Company Law Review, Completing the Structure 11.5; aus dem deutschsprachigen Schrifttum Prinz, Der Konzern 2005, 463. Für alle Prinz, Der Konzern 2005, 467 f. Vgl Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.57 ff. Davies, Gower’s 800; Kraakman et al, Anatomy 135.
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lung untergehen soll, weil damit die Definition der „Verschmelzung“ in Art 3 Abs 1 Verschmelzungsrichtlinie nicht erfüllt ist und die zusätzlichen Anforderungen der s 904 ff nicht eingehalten werden müssen (vgl s 902 para 3 CA 2006).
Von besonderer Bedeutung für unser Thema ist die Frage, wie die classes of members zu bilden sind, die gesondert abstimmen müssen. Dass es nicht um die unterschiedliche rechtliche Stellung der Aktionäre vor Durchführung des schemes geht, also um Aktiengattungen im eigentlichen Sinn (classes of shares), war lange klar.1003 Schlüsselentscheidung im Zusammenhang mit der Stellung der Aktionäre ist Re Hellenic and General Trust.1004 Bei einem scheme sollten alle Aktien einer Gesellschaft durch eine Bank erworben werden, die bereits zuvor (über eine Tochtergesellschaft) 53 % der Aktien hielt. Templeman J verweigerte die gerichtliche Zustimmung, weil die Abstimmung nicht in zwei unterschiedlichen Gruppen, nämlich der Begünstigten und der außenstehenden Aktionäre, vorgenommen wurde.1005 Die genauen Grenzen der Rechtsprechung sind unsicher,1006 allerdings ist zumindest bei der echten Konzernverschmelzung ein Sondervotum erforderlich. Darüber hinaus gilt wohl auch, dass bei der Konzentrationsverschmelzung der „Bieter“, so er Aktien hält, einer anderen class angehört als die übrigen Aktionäre.1007 Aus dieser Rechtsprechung für die besonderen Fälle der schemes of arrangement lässt sich nach allgemeiner Ansicht kein generelles Prinzip ableiten, nach dem Aktionäre mit einem Interessenskonflikt nicht an einer Abstimmung teilnehmen dürfen. Denn im Unterschied zu den directors trifft den Aktionär nach herkömmlicher Auffassung keine Verpflichtung, bei der Abstimmung die Interessen seiner Mitgesellschafter zu berücksichtigen.1008 Auch trotz Zustimmung der Aktionäre kann das Gericht die Genehmigung des scheme verweigern. Denn es hat bei der Entscheidung über die Genehmigung discretion. „[W]hat I have to see is whether the proposal is such that an intelligent and honest man, a member of the class concerned and acting 1003
1004 1005
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Vgl Sovereign Life Assurance Co v Dodd [1892] QB 573: “It seems plain that we must give such a meaning to the term class as will prevent the section being so worked as to result in confiscation and injustice, and that it must be confined to those persons whose rights are not so dissimilar as to make it impossible for them to consult together with a view to their common interest.” Siehe Ferran, Company Law 332 f [1976] 1 WLR 123. Dazu zB Shearman, Shackleton on Meetings Rn 18-04. Die Gerichte leiten in einem ersten Schritt die beantragte Einberufung der unterschiedlichen classes nur weiter und entscheiden erst nach Durchführung der Abstimmung, ob die Einberufung richtig erfolgt ist; das Risiko einer fehlerhaften Einberufung ist daher hoch. Vgl Re Hawk Insurance Co Ltd [2002] BCC 300; Ferran, Company Law 370 f; Company Law Review, Final Report 13.5. Vgl Re BTR Plc [1999] 2 BCLC 675. Kritisch auch S Davies et al, Meetings Rn 4.47. Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.50; Prinz, Der Konzern 2005, 469 f. Davies, Introduction 220.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
in respect of his interest, might reasonably approve.”1009 Es muss sich somit von der fairness der Transaktion überzeugen,1010 was auf eine Art Kontrolle der sachlichen Rechtfertigung des Beschlusses hinausläuft. Daraus folgt jedoch nicht zwingend, dass das Gericht auch die Angemessenheit des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung kontrollieren muss, wenn Aktionäre einer Gesellschaft ihre Aktien für Aktien der anderen und/oder Barzahlung hingeben. Vielmehr kann das Gericht ganz generell Maßnahmen zum Schutz derjenigen vorschreiben, die dem scheme widersprechen; so ausdrücklich für den merger s 900 para 3 (e) CA 2006. Dazu noch näher unten 4. b).
Der Sache nach verzichtet der CA 2006 damit auf eine genaue Festlegung der Regeln für einen merger, sondern verlässt sich auf die Mehrheitsbildung der unabhängigen Aktionäre in Kombination mit einer gerichtlichen Kontrolle der Fairness der Transaktion.1011 3. Reorganisation nach Insolvency Act 1986 Eine andere Grundlage für eine Verschmelzung ist s 110 Insolvency Act 1986. Es geht keineswegs nur um zahlungsunfähige oder überschuldete Gesellschaften; vielmehr enthält der Insolvency Act auch die Rechtsgrundlagen einer freiwilligen Auflösung der Gesellschaft. Diese erfolgt aufgrund eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses mit qualifizierter Stimmenmehrheit und angemessener Verständigung spätestens 21 Tage vor der Beschlussfassung.1012 Im Rahmen der Abwicklung kann das gesamte Vermögen auf eine andere Gesellschaft übertragen werden. Den Aktionären der aufgelösten Gesellschaft werden Aktien gewährt.1013 Für dieses Vorgehen bedarf es eines Beschlusses der Aktionäre, im Gegensatz zum scheme of arrangement aber keiner Genehmigung durch das Gericht.1014 Soll das Unternehmen auf den Hauptgesellschafter übertragen werden, also im Ergebnis eine Konzernverschmelzung 1009 1010
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1014
Re Dorman Long & Co [1934] Ch 635. Re Dorman Long & Co [1934] Ch 635; Re Alabama, New Orleans, Texas and Pacific Junction Railway Co [1891] 1 Ch 213; Re Anglo-Continental Supply Co Ltd [1922] 2 Ch 723. Aus dem Schrifttum vgl Ferran, Company Law 371; Davies, Gower’s 798; Shearman, Shackleton on Meetings Rn 18-10. Vgl Kraakman et al, Anatomy 135 f. Näher zur Einberufung Davies, Gower’s 859 f. Diese gesetzlich vorgesehene Maßnahme unterliegt nach englischer Auffassung nicht der Verschmelzungsrichtlinie. Ein Grund dafür ist, dass die Anteile nach dem englischen Modell erst nach der Abwicklung der übertragenden Gesellschaft auf die Aktionäre übertragen werden, während für die Verschmelzung im europarechtlichen Sinn vorgegeben ist, dass die übertragende Gesellschaft ohne Abwicklung untergeht (Art 3 Abs 1 Verschmelzungsrichtlinie). Eine gerichtliche Genehmigung ist allerdings erforderlich, wenn die Gesellschaft nach Auskunft des Managements seine Verbindlichkeiten nicht innerhalb von zwölf Monaten begleichen kann; s 89 f iVm s 110 para 3 Insolvency Act 1986. Vgl dazu Davies, Gower’s 860 f.
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vorgenommen werden, so darf der Hauptgesellschafter seine Stimme abgeben;1015 auch gesonderte Abstimmungen sind im Gegensatz zu schemes of arrangement1016 nicht erforderlich. Diese Form der Reorganisation hat im Vergleich zum gerichtlich genehmigten scheme of arrangement aber nur eine schwächere Wirkung. S 111 Insolvency Act 1986 sieht nämlich vor, dass Aktionäre, die gegen die Maßnahme stimmen und innerhalb von sieben Tagen nach Beschlussfassung gegenüber dem liquidator Widerspruch erheben, verlangen können, dass die Reorganisation nicht durchgeführt wird, wenn ihnen ihre Anteile nicht abgekauft werden. Das ist dem appraisal remedy ähnlich, wie es einige US-amerikanische Jurisdiktionen kennen.1017 Wenn zahlreiche Gesellschafter von diesem Recht Gebrauch machen, kann es unmöglich sein, die Transaktion durchzuführen; im Ergebnis kommen Reorganisationen dieser Art daher vor allem bei Familiengesellschaften oder anderen Gesellschaften mit geschlossenem Gesellschafterkreis vor.1018 Das englische Recht verzichtet im Ergebnis daher auf eine Überprüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses, wenn die Aktionäre der aufzulösenden Gesellschaft Aktien der übernehmenden Gesellschaft bekommen. Der Beschluss der Mehrheit, mit dem der Reorganisationsplan verbindlich gemacht wird, ist keiner materiellen Überprüfung zugänglich. Stattdessen steht den Aktionären das Austrittsrecht zu. Der beim Austritt zu zahlende Preis ist nicht näher determiniert; er wird entweder einvernehmlich festgelegt oder durch einen Schiedsrichter bestimmt.1019 Die entsprechenden Schiedsbestimmungen aus dem 19. Jahrhundert sind heute nicht mehr zeitgemäß.1020 Als Basis für den Abfindungspreis wurde im Rahmen des Company Law Review der proportionale Wert der vom Käufer gebotenen Gegenleistung vorgeschlagen.1021 Das ist problematisch, wenn das Unternehmen dem bisherigen Mehrheitsgesellschafter übertragen wird. Denn eine Abstimmung unabhängiger Aktionäre findet nicht statt. Dann ist es aber nicht angemessen, dem austrittswilligen widersprechenden Aktionär als Gegenleistung den Barwert der unangemessenen Gegenleistung anzubieten. Auch hier zeigt sich, dass die Konzernsituation nicht im Mittelpunkt des englischen Gesellschaftsrechts steht.
1015
1016 1017 1018 1019 1020 1021
North-West Transportation Co Ltd v Beatty (1887) 12 AppCas 589 per Baggallay J. Re Hellenic and General Trust [1976] 1 WLR 123. Vgl im Überblick Kraakman et al, Anatomy 140 f. Company Law Review, Completing the Structure 11.13. Dazu näher Davies, Gower’s 803. Company Law Review, Final Report 13.12. Company Law Review, Final Report 13.13.
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4. Rechtsschutz gegen unangemessene Geschäfte mit dem Großaktionär a) Nach common law Wenn der Großaktionär begünstigt wird, insbesondere indem Vermögen unter dem Wert an ihn übertragen wird, so verstößt dies gegen common law.1022 Für die Unternehmenszusammenführung ist Aveling Barford Ltd v Perion Ltd1023 einschlägig: Auf Betreiben des Mehrheitsaktionärs wurde Vermögen von der Gesellschaft an eine andere Tochtergesellschaft des Mehrheitsaktionärs unter dem Wert übertragen; der liquidator erhielt die entsprechenden Werte zurück, weil sie von der anderen Tochtergesellschaft als constructive trustee gehalten wurden. Das entsprach in der Sache dem österreichischen Verbot der Einlagenrückgewähr. Freilich war von Anfang an unklar, ob der Vergleich mit den Buchwerten oder den wahren Werten angestellt werden sollte. Denn der Gewinn aus der Transaktion gegenüber dem Buchwert wäre ohnehin ausschüttbar gewesen, wenn diesem keine Verluste entgegenstehen.1024 S 845 CA 2006 klärt die Rechtslage, wobei die entsprechenden Bestimmungen auch auf Regeln nach common law, also auf Aveling Barford, anwendbar sind (s 851 para 2). Wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Transaktion Gewinne ausschütten könnte, so ist die Gegenleistung bloß mit dem Buchwert, nicht aber mit dem Marktwert zu vergleichen. Daraus folgt, dass Aveling Barford und damit auch das Äquivalent der österreichischen Regeln über die Einlagenrückgewähr zumindest bei einer gewinnbringenden Gesellschaft nicht dem Schutz der Minderheitsgesellschafter dient. Denn sie können es nicht aufgreifen, wenn der Hauptaktionär sich den Gewinn durch eine Transaktion unter dem Marktwert aneignet. Allenfalls in einer Verlustsituation, in welcher der Vergleich offenbar nicht mit den Buchwerten, sondern mit Marktwerten vorgenommen werden soll, können Aktionäre einen Anspruch auf Rückgewähr geltend machen. Freilich ist dieser Anspruch ein solcher der Gesellschaft; so wie in Österreich ist zu beantworten, ob die Aktionäre einen solchen überhaupt geltend machen können. Die Grundsatzposition des englischen Rechts fand sich die längste Zeit in der klassischen Entscheidung Foss v Harbottle:1025 Einzelne Aktionäre können grundsätzlich keine Ansprüche geltend machen, die der Gesellschaft selbst zustehen. Die Klagserhebung erfolgt aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafter;1026 dadurch wird die Mehrheitsherrschaft festge1022
1023 1024 1025 1026
Leitentscheidung zur Rückgewähr von Gesellschaftsvermögen ist Trevor v Whitworth (1887) 12 AppCas 409. Früher wurde in solchen Fällen auch die heute abgeschaffte Doktrin von ultra vires eingesetzt; vgl Sealy, Cases 400. [1989] BCLC 626; dazu zB Ferran, Company Law 356 f; Davies, Gower’s 279 f. Vgl Bryant in Hannigan/Prentice, CA 2006 Rz 7.22. (1843) 2 Hare 461. Davies, Introduction 193 f.
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schrieben. Eine allgemein anerkannte1027 Ausnahme von Foss and Harbottle bestand, wenn die aus einer Rechtswidrigkeit Begünstigten gleichzeitig die Gesellschaft kontrollieren;1028 dies wurde als fraud on the minority bezeichnet.1029 Der Gesellschafter konnte namens der Gesellschaft klagen (derivative suit),1030 es sei denn, die Mehrheit der vom Begünstigten unabhängigen Aktionäre war gegen die Klagserhebung.1031 In einem Fall wurde die derivative suit zugelassen, weil die beherrschenden Aktionäre einer Gesellschaft das Gesellschaftsvermögen untereinander aufgeteilt haben.1032 Die derivative action wurde in s 260 ff CA 2006 neugestaltet.1033 Die Klage des Gesellschafters namens der Gesellschaft aufgrund eines vorwerfbaren Verhaltens eines directors wird grundsätzlich zugelassen.1034 Darauf, ob fraud on the minority vorliegt, kommt es nicht mehr an. Freilich wird ein Klagszulassungsverfahren eingerichtet (s 261 ff). Die Klage ist vor der Zulassung im Ergebnis auf die Erfolgsaussichten und auf ihre potenziellen Auswirkungen auf die Gesellschaft zu untersuchen (s 263). Die Klage ist abzuweisen, wenn die Handlung entweder vor oder nach ihrer Durchführung durch die Gesellschafter genehmigt wurde (s 263 para 2 lit c Company Law Reform Bill).1035 Dadurch wird die Minderheit teilweise schutzlos gestellt, wenn die Pflichtver1027
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Vgl Atwood v Merryweather (1867) LR 5 Eq 464n; Burland v Earle [1902] AC 83; Wallersteiner v Moir (No 2) [1975] QB 373; Daniels v Daniels [1978] Ch 406; Prudential Assurance Co Ltd v Newman Industries Ltd (No 2) [1982] Ch 204. Aus dem deutschsprachigen Schrifttum schon Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 43 ff. Was Kontrolle bedeutete, war freilich nicht gänzlich geklärt; vgl Prudential Assurance Co Ltd v Newman Industries Ltd (No 2) (1982] Ch 204; Davies, Gower’s 461. Unklar ist, inwieweit das mit der Frage zusammenhängt, ob eine Maßnahme durch Aktionärsentscheid genehmigt werden kann; vgl einerseits Davies, Introduction 225, und ders, Gower’s 458 ff; andererseits Prudential Assurance Co Ltd v Newman Industries Ltd (No 2) [1982] Ch 204 und Sealy, Cases 515; kritisch auch Ferran, Company Law 147 ff. Aus dem deutschsprachigen Schrifttum zB Jänig, RIW 2006, 274. Bloße Sorgfaltsverstöße ohne Begünstigung eines Aktionärs können jedenfalls nicht durch derivative suit aufgegriffen werden. Näher zur derivative suit vgl 19.9 Civil Procedure Rules 1998. Zu den Kostenfolgen vgl Gower’s, Davies 455; Wallersteiner v Moir (No 2) [1975] QB 373. Smith v Croft (No 2) [1988] Ch 114. Dazu zB Davies, Introduction 219. Menier v Hooper’s Telegraph Works (1874) 9 ChApp 350. Zur Vorgeschichte vgl Company Law Reform, Completing the Structure 5.85; Company Law Reform, Final Report 7.46 ff; Davies, Introduction 249 ff; ders, Gower’s 464 ff; Sealy, Cases 516 f. Klagsgegner muss nicht der director, sondern kann auch ein Dritter sein; s 260 para 3 CA 2006. Vgl dazu Hannigan in Hannigan/Prentice CA 2006 Rz 4.30. Hingegen ist nur besonders zu berücksichtigen, wenn das board of directors es abgelehnt hat, den Anspruch zu verfolgen; s 263 para 3 lit e Company Law Reform Bill. Anders noch Company Law Reform, Final Report 7.46; dazu Davies, Gower’s 465 f.
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letzung des directors den Mehrheitsgesellschafter begünstigt hat. Zwar enthält s 239 para 3 und 4 eine wichtige Neuregelung der nachträglichen Genehmigung (ratification); vom Stimmrecht sind nämlich diejenigen ausgeschlossen, die ein direktes oder indirektes persönliches Interesse an der Transaktion haben. Wenn die Genehmigung vor der Pflichtverletzung erfolgt (authorization), steht ihnen das Stimmrecht aber anscheinend zu. b) Unfair Prejudice S 994 ff CA 2006 haben für die englische Gesellschaftsrechtspraxis besondere Bedeutung.1036 Hier und nicht bei der Einlagenrückgewähr setzt der englische Jurist an, wenn Abhilfe für benachteiligte Minderheitsaktionäre gefunden werden soll. Die Rechtsbehelfe bei unfair prejudice haben zu interventionistischem Verhalten der Rechtsprechung in den letzten Jahrzehnten geführt.1037 Die Norm findet vor allem auf kleinere Gesellschaften Anwendung.1038 Bei diesen besteht mangels funktionierenden Marktes keine Austrittsmöglichkeit, die durch den Rechtsbehelf erst geschaffen wird. Der Richter kann auf Antrag eines Aktionärs Abhilfe gewähren, wenn „the company’s affairs are being or have been conducted in a manner which is unfairly prejudicial to the interests of its members generally or of some part of its members (including at least himself) or that any actual or proposed act or omission of the company [..] is or would be so prejudicial” (s 994 para 1 CA 2006). Insbesondere dient die Norm auch dem Schutz der Minderheit bei einem nicht angemessenen merger.1039 S 994 CA 2006 führt im Ergebnis zu einer Abkehr von der (mittlerweile überkommenen) Regel in Foss v Harbottle, weil dem einzelnen Aktionär Rechtsbehelfe eingeräumt werden, selbst wenn diese mit Ansprüchen der Gesellschaft konkurrieren.1040 Rechtsschutz besteht nicht nur bei direkten Eingriffen durch den Mehrheitsaktionär, sondern auch bei Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung, das die Interessen der Gesellschaft gröblich verletzt. Das bedeutet eine Abkehr vom common law, nach dem die Aktionäre bei der Abstimmung nicht an die Interessen der Gesellschaft gebunden sind; das Stimmrecht darf grundsätzlich eigennützig ausgeübt werden.1041 Ausnahmen bestehen nach common law nur für die Änderung der Satzung; hier hat die beschlussfassende Mehrheit „bona fide in the best interests of the company as a whole“1042 zu handeln.1043
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Vgl Davies, Gower’s 530: “crowding out” anderer Institute durch s 994 CA 2006. Cheffins, Company Law 318. Davies, Introduction 240; Cheffins, Company Law 463 f. Vgl rechtsvergleichend auch Kraakman et al, Anatomy 124. Kraakman et al, Anatomy 141. (1843) 2 Hare 461. Vgl Cheffins, Company Law 345; Davies, Introduction 241. North-West Transportation Co Ltd v Beatty (1887) 12 AppCas 589; Burland v Earle [1902] AC 83. Vgl Cheffins, Company Law 325. Allen v Gold Reefs of West Africa Ltd [1900] 1 Ch 656.
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Die Norm stellt allein auf das für den antragstellenden Aktionär nachteilige Ergebnis ab; es geht um inhaltliche, nicht um prozedurale Gerechtigkeit.1044 Es ist daher nicht erforderlich, bad faith auf Seiten des begünstigten Mehrheitsaktionärs nachzuweisen.1045 Auch aus der Tatsache, dass der Nachteil unbillig (unfair) sein muss, ergibt sich nichts anderes. Die Rechtsprechung beschäftigt sich in den meisten Fällen mit dem Verstoß gegen so genannte informal agreements zwischen den Gesellschaftern, also Absprachen außerhalb der Satzung bzw ein gemeinsames Verständnis, die eine Basis für das Investment bilden.1046 Daneben ist aber anerkannt, dass s 994 CA 2006 Anwendung finden kann, wenn self-seeking conduct des beherrschenden Gesellschafters oder der beherrschenden Gruppe vorliegt.1047 Das kann man einerseits auf die Entscheidung Allen v Gold Reefs of West Africa Ltd1048 stützen.1049 Andererseits macht die Gesetzgebungsgeschichte deutlich, dass s 994 CA 2006 gerade jene Fälle erfassen soll, in denen Gesellschafter (faktisch) ungleich behandelt werden.1050 Dadurch wird insbesondere auch das Aushungern der Minderheit durch restriktive Ausschüttungspolitik erfasst, wenn die Mehrheit über das Gehalt als director Zugriff auf den cash flow der Gesellschaft hat.1051 Auch die Ausgabe junger Aktien unter Bezugsrechtsausschluss, bei dem die Aktien aber de facto einem Gesellschafter zugeteilt wurden, ist ein Fall von unfair prejudice.1052 S 994 CA 2006 scheint auf den ersten Blick ein taugliches Mittel zu sein, um unangemessene Unternehmenszusammenschlüsse, die vom Mehrheitswillen getragen sind, zu bekämpfen. Für die nähere Beurteilung ist freilich zu differenzieren: Unfair prejudice hilft grundsätzlich im Konzern, wenn der Mehrheitsgesellschafter mit seiner Stimmmacht die Maßnahme durchsetzt.
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1044 1045 1046 1047 1048 1049 1050
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Bisher ist ungeklärt, ob durch Allen ein objektiver (Brown v British Abrasive Wheel Co Ltd [1927] 2 KB 9; Dafen Tinplate Co Ltd v Llanelly Steel Co Ltd [1920] 2 Ch 124; aus der australischen Rsp Gambotto v WPC Ltd (1995) 127 ALR 417) oder ein subjektiver (Shuttleworth v Cox Bros Co Ltd [1927] 2 KB 9; Clemens v Clemens Bros Ltd [1976] 2 AllER 268) Sorgfaltsstandard festgeschrieben wird; die hM lässt die Beschlussbeseitigung nur zu, wenn die Mehrheit wusste, dass die Satzungsänderung nicht im besten Interesse der Gesellschaft war (Davies, Introduction 235 f; ders, Gower’s 487 ff mwN; Cheffins, Company Law 227). Cheffins, Company Law 149, 318. Re Sam Weller and Sons Ltd [1989] PCC 466. Leitentscheidung ist heute O’Neill v Phillips [1999] 1 WLR 351. Cheffins, Company Law 154 f. [1900] 1 Ch 656. So anscheinend Davies, Introduction 240 f; vgl auch dens, Gower’s 521 f. Vgl Cheffins, Company Law 490 f (zur sinngleichen Vorgängerbestimmung in s 459 CA 1985). Vgl Ferran, Company Law 415. Re DR Chemicals (1989) 5 BCLC 37.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Jedoch kann das Institut wohl keinen Schutz bei Zusammenführung zweier unabhängiger Gesellschaften bieten. Hier fehlt es an der faktischen Ungleichbehandlung, die eine besondere Schutzbedürftigkeit begründen könnte, selbst wenn die Verschmelzung mit den Stimmen des Mehrheitsaktionärs durchgesetzt wurde. In zahlreichen Fallgestaltungen hat der Mehrheitsaktionär auch bei der Konzernverschmelzung über das Abstimmungsergebnis keine Kontrolle. Dann kann nicht davon gesprochen werden, dass er die Angelegenheiten der Gesellschaft geführt hat (conducted the company’s affairs).1053 Damit scheidet die Überprüfung im Regelfall1054 aus, wenn dieser Aktionär nicht abgestimmt hat, also insbesondere wenn bei einer börsenotierten Gesellschaft der Merger mit ihm erfolgen sollte oder er sonst ein besonderes Interesse an dem Zusammenschluss hatte (vgl oben 1.). Das müsste1055 auch gelten, wenn die Abstimmung wie bei schemes of arrangement in getrennten classes vorgenommen wird oder wenn der Aktionär sich der Stimme enthält. Liegt unfair prejudice vor, so kann der Richter vor allem anordnen, dass eine Maßnahme zu unterbleiben hat oder dass der Mehrheitsaktionär bzw die Gesellschaft die Anteile des benachteiligten Aktionärs zu übernehmen haben (s 996 para 2 CA 2006). Letzteres ist in der richterlichen Praxis üblich.1056 Damit taucht das Problem der Angemessenheit auf einer anderen Ebene neuerlich auf, nämlich bei der nun zu ermittelnden Abfindung.1057 Die Rechtsprechung hat sich zu einigen Bereichen näher geäußert: (1) Die Methode der Bewertung ist ungeklärt. Im soweit ersichtlich einzigen Fall, der sich unmittelbar mit dem Problem beschäftigt,1058 wandte das Gericht sowohl eine Substanz- als auch eine Ertragswertberechnung an, um die angemessene Abfindung zu berechnen. (2) Der Zeitpunkt der Bewertung ist von zentraler Bedeutung; für Österreich oben III. B. 4. Wenn das Unternehmen für den Zeitpunkt der Antragstellung oder gar für einen späteren Zeitpunkt bewertet wird, hat sich die Benachteiligung oft schon ausgewirkt. Dennoch ist nach englischem Recht grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen, es sei denn, dieser Zeitpunkt wäre aufgrund der Umstände unfair.1059 Dabei ist
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1055
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Vgl auch Davies, Gower’s 511 in Fn 2. Das gilt wohl nicht, wenn die Entscheidung der Minderheit auf der Basis unrichtiger Information über die zu beschließende Transaktion getroffen worden ist; vgl Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, Self-Dealing 13 f. Rechtsprechung gibt es zu diesen Problemen soweit ersichtlich nicht. Daher lassen sich zu den angesprochenen Fragen nur Aussagen darüber machen, was das englische Recht vorsehen könnte. Kraakman et al, Anatomy 126; Ferran, Company Law 239. Zum Folgenden auch Davies, Gower’s 525 f. Re Macro (Ipswich) Ltd [1994] BCC 781. Re London School of Electronics Ltd [1986] Ch 211; Profinance Trust SA v Gladstone [2002] 1 BCLC 141 mit Zusammenfassung der Ausnahmetatbestände (der
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besonders auf die nachteilige Einflussnahme des Mehrheitsaktionärs Bedacht zu nehmen,1060 wenn sie von Gewicht ist.1061 Auch ein Abfall des Marktpreises kann im Einzelfall zu einem früheren Bewertungszeitpunkt führen.1062 (3) Im Regelfall1063 ist die Anteilsbewertung pro ratarisch vorzunehmen; Ausgangspunkt ist der Unternehmenswert und Minderheitsabschläge sind nicht vorzunehmen.1064 Ein Abschlag ist jedoch zulässig, wenn der Antragsteller selbst schuldhaft gehandelt hat.1065 (4) Sieht eine Satzungsbestimmung vor, dass die Minderheit ein Recht auf Austritt hat, so kommt es darauf an, ob diese Bestimmung eine pro ratarische Bewertung vorsieht. Ist das nicht der Fall, so kann die benachteiligte Minderheit nicht auf diese Austrittsmöglichkeit anstelle des Rechtsmittels wegen unfair prejudice verwiesen werden.1066 c) Zusammenfassung und Reformpläne Ob einem Aktionär locus standi für eine derivative action zusteht, kann im Einzelfall schwer zu beurteilen sein. Ohnehin ist die Attraktivität der Klagserhebung durch das Problem der free-rider gemindert: Derjenige, der klagt, bekommt nur einen Teil des Erstrittenen, während all diejenigen, die passiv sind, gleichermaßen profitieren.1067 Daher ist es häufig rational, nicht zu agieren. Letztlich ist die Bedeutung der Grundsätze dadurch gemindert, dass bei Unternehmen in der Gewinnzone der Vergleich mit den Buchwerten der übertragenen Aktiva vorzunehmen ist. All dies erklärt die Popularität von s 994 CA 2006. Einerseits sind die Rechtsgrundlagen, auf denen sich der klagende Aktionär bewegt, verhältnismäßig sicher; andererseits ist der Rechtsbehelf, nämlich der Austritt zu angemessenen Bedingungen, attraktiver. Das gilt umso mehr für Gesellschaften mit geschlossenem Gesellschafterkreis, bei denen der Anspruch wegen unfair prejudice oft die einzige Möglichkeit ist, einen Anteil zu veräußern.
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spätere Bewertungszeitpunkt wirkte sich in diesem Fall zugunsten des Abfindungsberechtigten aus). Scottish Co-operative Wholesale Society Ltd v Meyer [1959] AC 324 (zu einer vergleichbaren Bestimmung). Re Elgindata Ltd [1991] BCLC 959. Re Cumana Ltd [1986] BCLC 430. Für Ausnahmen vgl Davies, Gower’s 525 f. Re Bird Precision Bellows Ltd [1984] Ch 419. Im Ergebnis auch Virdi v Abbey Leisure Ltd [1990] BCLC 342. Vgl Re DR Chemicals (1989) 5 BCLC 37. Virdi v Abbey Leisure Ltd [1990] BCLC 342; anders aber Re A Company Ex p Kremer [1989] BCLC 365. Ähnlich Davies, Introduction 251.
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5. Fazit: Untergeordnete Bedeutung der Angemessenheitsprüfung Das englische Gesellschaftsrecht ist bemüht, die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit einer Transaktion zu vermeiden. Dazu bedient es sich verschiedener Mittel: (1) Eine Überprüfung der Angemessenheit eines Rechtsgeschäfts ist sachlich erforderlich, wenn die Willensbildung der einen Vertragspartei nicht unabhängig von derjenigen der anderen Partei war. Das englische Recht setzt zum Teil bereits auf dieser Ebene an, indem in manchen Zusammenhängen die Willensbildung bei der abhängigen Gesellschaft unabhängig von ihrem Mehrheitsgesellschafter erfolgt. Das ist zwar kein allgemeiner Grundsatz, wird aber bei börsenotierten Gesellschaften durch das Stimmverbot nach den Listing Rules verwirklicht, bei schemes of arrangement durch getrennte Abstimmungen.1068 Damit wird freilich die Durchführung der Maßnahme in das Ermessen der Minderheitsgesellschafter gestellt. (2) Der zweite, auch nicht lückenlos verwirklichte, aber doch bedeutende Ansatz ist das Austrittsrecht (appraisal right). Dieses besteht bei der Reorganisation nach s 110 Insolvency Act 1986, aber auch als Rechtsfolge einer ungleichen Behandlung (unfair prejudice). Damit wird das Problem der Angemessenheitsprüfung einer Maßnahme aber nur auf eine andere Ebene verschoben: Angemessen muss in diesem Fall die Gegenleistung sein, die der Minderheit für ihre Anteile gewährt wird. Die Präferenz der englischen Rechtsprechung für das Austrittsrecht zeigt sich auch an einigen Entscheidungen zu schemes of arrangement. Bei einem solchen scheme muss für die gerichtliche Genehmigung der Schutz der widersprechenden Aktionäre sichergestellt sein. Dafür wird nicht zwingend auf das Umtauschverhältnis abgestellt; auch andere Maßnahmen sind möglich.1069 Der Schutz wurde in einigen Fällen durch ein Austrittsrecht für die widersprechende Minderheit analog zu s 110 Insolvency Act 1986 sichergestellt.1070 Das wird insbesondere eingesetzt, wenn mit dem Ausweichen auf ein scheme of arrangement das appraisal right nach Insolvency Act 1986 umgangen würde.1071 Solche Anordnungen dürften aber nicht häufig getroffen werden,1072 1068
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Dasselbe gilt auf einer anderen Ebene für Transaktionen mit einzelnen directors: Hier führt die Abstimmung der disinterested directors dazu, dass die Transaktion inhaltlich nicht mehr überprüft werden kann. Siehe rechtsvergleichend Kraakman et al, Anatomy 115. Das sieht auch s 900 para 3 CA 2006 als mögliche gerichtliche Auflage bei einem merger vor. Anglo-Continental Supply Co Ltd [1922] 2 Ch 723. Strenger Re General Motor Cab Co Ltd [1913] 1 Ch 377, wo einem scheme of arrangement, das auch auf Basis von s 192 Companies (Consolidation) Act 1908 (dem Vorläufer von s 110 Insolvency Act 1986) hätte durchgeführt werden können, die Zustimmung versagt wurde; vgl in diese Richtung auch Company Law Review, Completing the Structure 11.24. Vgl Anglo-Continental Supply Co Ltd [1922] 2 Ch 723.
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wobei dies auch auf den freiwilligen Vorschlag solcher Mechanismen durch die Proponenten des schemes zurückzuführen sein könnte. Das englische Recht verzichtet im Rahmen des Insolvency Act 1986 damit grundsätzlich auf den Schutz derjenigen, die gegen den Beschluss keinen Widerspruch erhoben haben; anders das österreichische Recht mit der erga omnesWirkung des Überprüfungsverfahrens. Es ist fraglich, ob den zustimmenden Gesellschaftern noch ein Anspruch aus unfair prejudice zusteht, wenn sich später herausstellt, dass die Transaktion unangemessen war; das könnte zu bejahen sein, wenn dies (wie zumeist) mit fehlerhafter Information Hand in Hand geht.
(3) Die Überprüfung der Angemessenheit ist demgegenüber nur Notprogramm, wenn die anderen Mechanismen nicht zur Verfügung stehen oder versagt haben. Kommt es zu einer Vorteilszuwendung an einen Gesellschafter, so kann ein Anspruch aus unfair prejudice bestehen. Aber auch in diesem Fall kommt es nicht zu einer Wiederherstellung der Angemessenheit; vielmehr wird dem benachteiligten Gesellschafter der Austritt ermöglicht.
C. Übernahmeangebot 1. Allgemeines Die große Bedeutung des Austrittsrechts im englischen Recht zeigt sich auch daran, dass dieses Institut in Form des Pflichtangebots eine europaweite Vorbildwirkung gehabt hat. Wer Aktien erwirbt, die mehr als 30 % der Stimmrechte einer Gesellschaft vermitteln, muss allen anderen Aktionären ein Angebot auf Kauf ihrer Aktien machen (Rule 9.1 City Code). Freilich wäre es falsch, der englischen Regelung des Pflichtangebots die gleiche Bedeutung zuzumessen wie vergleichbaren Normen in anderen Rechtsordnungen, die durch Mehrheitsaktionäre geprägt sind. Im Vereinigten Königreich sind aufgrund des breit gestreuten Aktionariats die meisten Angebote Mittel zu Kontrollerlangung, also Übernahmeangebote im eigentlichen Sinn (tender offer).1073 Das Pflichtangebot (mandatory bid) ist demgegenüber von der realen Bedeutung her eine Randerscheinung. Das hängt auch damit zusammen, dass es grundsätzlich1074 nicht zulässig ist, durch Aufkauf an der Börse oder außerbörslich die Kontrolle zu erlangen;1075 das Übernahmeangebot ist der normale Weg, um die Kontrolle über eine Gesellschaft zu erlangen. Die Regelung von Übernahmeangeboten findet sich im City Code on Takeovers and Mergers,1076 der keine Rechtsnormen enthält, sondern ein Beispiel 1072 1073 1074 1075 1076
Davies, Gower’s 799. Zur Typologie vgl Winner, Zielgesellschaft 17 ff. Eine wichtige Ausnahme besteht gem Rule 5.2 City Code für Paketerwerbe. Rule 5.1 City Code. Näher zB Kenyon-Slade, Mergers Rn 9.187 ff. Abrufbar unter http://www.thetakeoverpanel.org.uk/new/codesars/DATA/ code.pdf. Zum City Code generell Kenyon-Slade, Mergers Kapitel 9; Davies, Gower’s 704 ff.
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der Selbstregulierung am englischen Kapitalmarkt ist;1077 daran ändert es auch wenig, dass sich nunmehr in s 942 ff CA 2006 eine statutarische Basis für das britische Übernahmeregime findet. Vom City Code sind alle börsenotierten Gesellschaften erfasst, aber auch ehemals notierende oder am Kapitalmarkt auftretende Gesellschaften; der Satzungssitz und der Sitz der Hauptverwaltung müssen im Vereinigten Königreich sein.1078 Im Folgenden sollen die zwei wesentlichen Mechanismen geschildert werden, die der City Code für die Findung eines angemessenen Preises für die Zusammenführung zweier Unternehmen vorsieht: Abstimmung durch die Angebotsadressaten und Gleichbehandlung der Aktionäre. 2. Abstimmung durch die Angebotsadressaten Gemäß Rule 10 des City Code muss ein Angebot, das auf Kontrollerlangung gerichtet ist,1079 unter der Bedingung stehen, dass der Bieter mehr als 50 % der Stimmrechte erwirbt. Die Berechnungsbasis ist das gesamte stimmberechtigte Aktienkapital. Ausnahmen von der Regel sind in besonderen Fällen möglich.1080 Die Regel gilt sowohl für freiwillige Angebote als auch für Pflichtangebote (vgl Rule 9.3);1081 auch ein Pflichtangebot als Rechtsfolge einer Kontrollerlangung scheitert daher, wenn nicht ausreichende Annahmeerklärungen eingehen.1082 Das führt in diesem Fall zwar zu einer Beschränkung des Rechtsschutzes der Angebotsadressaten, denen ja ein Austrittsrecht bei Kontrollwechsel gewährt werden soll;1083 andererseits ist der Bieter in diesem Fall in seiner Position festgefroren, weil jeder zusätzliche Erwerb auch nur einer Aktie wegen Rule 9.1 („creeper provision“) die Angebotspflicht neuerlich auslöst.
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Vgl zu diesem Phänomen (durchaus kritisch) Cheffins, Company Law 364 ff (zum Takeover Panel insbesondere 370 f, 380 f); siehe auch Davies, Gower’s 706 ff. Introduction 3 City Code. Das ist der Fall, wenn aufgrund des Angebots mehr als 50 % der Stimmrechte der Gesellschaft erlangt werden können. Teilangebote, durch die zwar die Kontrolle erlangt wird, die aber auf weniger als 50 % der Stimmrechte gerichtet sind, sind nur nach Genehmigung durch den Takeover Panel zulässig und im Regelfall von der Zustimmung von mehr als 50 % der außenstehenden Aktionäre abhängig; vgl näher Rule 36.1 und 36.5 City Code; dazu Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.39 ff. Vgl Note 1 zu Rule 10. Vgl aber § 25a Abs 2 ÜbG, der die 50 %-Schwelle nur für freiwillige Angebote zur Kontrollerlangung vorsieht. Dazu auch ÜbK 15.1.2005, GZ 2004/3/13.178 („VA Tech“). Dem entspricht, dass die Abgabe des Pflichtangebots nicht erforderlich ist, wenn Aktionäre, die mehr als 50 % der stimmberechtigten Aktien halten, schriftlich mitteilen, dass sie das Angebot nicht annehmen werden; Note 5 a) zu den Dispensations from Rule 9. Vgl Kenyon-Slade, Mergers Rn 9.205.
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Deswegen versuchen die Bieter im Regelfall, die Schwelle von 50 % der Stimmrechte zu überschreiten. Es geht freilich nicht darum, dass der Bieter im Rahmen des Angebots mehr als die Hälfte der Stimmrechte erworben hat; vielmehr ist jeder Erwerb ausreichend, entweder parallel zum Angebot1084 oder auch schon vor dem Angebot.1085 In der Sache ist es daher ausschlaggebend, ob der Bieter nach der Durchführung des Angebots mehr als 50 % der Stimmrechte hält.1086 Damit entspricht die englische Norm der alten österreichischen Rechtslage vor dem ÜbRÄG 2006. Das steht mit dem geschilderten Zweck in einem Spannungsverhältnis. Denn eigentlich müsste es – wie häufig im englischen Recht; vgl oben B. 1. – auf die Mehrheit der vom Bieter unabhängigen Aktionäre ankommen. Das englische Recht beugt dem zum Teil dadurch vor, dass es dem Aufbau eines launching pad für das Übernahmeangebot Grenzen setzt und insbesondere durch früh einsetzende Transparenzvorschriften den verkaufenden Aktionären Kenntnis von einem bevorstehenden Angebot zu verschaffen versucht.1087 Soweit der Aktionär die Kontrolle aufgrund eines Paketerwerbs erworben hat, wird die Rolle der Annahmeschwelle ohnehin teilweise durch die Mindestpreisregelung ausgefüllt. Bemerkenswerterweise ist aber nur der Erfolg des Angebots selbst an die Erfüllung der Bedingung gebunden. Sofern Paralleltransaktionen außerhalb des Angebots getätigt werden, ist ihr Bestand nicht vom Überschreiten der Schwelle abhängig.1088
Für die Praxis hat die Bedingung nach Rule 10 außer beim Pflichtangebot1089 nur eine geringe Bedeutung.1090 Denn im Regelfall ist der Bieter daran interessiert, nicht nur die Kontrolle an der Gesellschaft zu erwerben, sondern nach dem Angebot ihr einziger Gesellschafter zu sein, um das Unternehmen nach seinen Vorstellungen und ohne Rücksichtnahme auf Minderheitsaktionäre führen zu können.1091 Der dafür erforderliche squeeze-out ist aber im Regelfall nur möglich, wenn der Bieter mehr als 90 % des Angebotsvolumens von der Vorteilhaftigkeit des Angebots überzeugen kann; vgl unten D. 1. b) und
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Vgl Rule 10: „either pursuant to the offer or otherwise“. Siehe auch Note 5 zu Rule 10. Vgl Note 1 zu Rule 9.3. Vgl implizit Davies, Gower’s 723; Kenyon-Slade, Mergers Rn 9.59. Vgl insbesondere Rule 2, aber auch Rule 5 City Code. Auch Part 22 CA 2006 sowie die Disclosure Rules and Transparency Rules der FSA zielen in dieselbe Richtung. Kenyon-Slade, Mergers Rn 9.202. Diese müssen abgesehen von kartellrechtlichen Genehmigungen unbedingt abgegeben werden (vgl Rule 9.3), weswegen die Annahmebedingung nicht hinaufgesetzt werden kann. Vgl Davies, Gower’s 723. Für alle Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.64.
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d). Diese Schwelle wird bei Übernahmeangeboten daher im Regelfall auch als Bedingung für die Wirksamkeit des Angebots gewählt. In einigen Fällen wird auch die Entscheidung über die Abgabe eines Pflichtangebots (und nicht nur über den Erfolg desselben) in das Belieben der Mehrheit der vom Kontrollerwerber unabhängigen Aktionäre gestellt (so genannter whitewash).1092 Das entspricht in der Sache der Tendenz des englischen Gesellschaftsrechts, die nicht durch eine Maßnahme begünstigten Aktionäre über ihren Erfolg abstimmen zu lassen. Solcherart begünstigt sind erstens Sachverhalte, in denen ein Aktionär bei der Ausgabe junger Wertpapiere die Schwelle von 30 % der Stimmrechte überschreitet.1093 Dadurch kann zB der Sacheinleger bei einer Kapitalerhöhung oder der Bareinleger bei Ausschluss des Bezugsrechts privilegiert werden.1094 Kapitalerhöhungen und ähnliche Maßnahmen, die typischerweise ohnehin vom Aktionärswillen getragen sind, sollen durch eine Angebotspflicht nicht übermäßig behindert werden. Zweitens kann ein whitewash durchgeführt werden, wenn ein Aktionär aufgrund eines Aktienrückerwerbs durch die Gesellschaft mehr als 30 % der Stimmrechte erlangt hat (Rule 37.1).1095 Wird die Zustimmung nicht erteilt, so muss der betroffene Aktionär das Pflichtangebot stellen oder die Aktien, mit denen die Schwelle überschritten wird, verkaufen (vgl Note 4 zu Dispensations from Rule 9). Die Wertung ist klar: Bei „Passivität“ soll man dem Angebot jedenfalls entgehen können, entweder durch Verkauf eines Teils der Aktien oder aufgrund der Zustimmung der Aktionäre.1096 Eine Sanierungsübernahme ist hingegen seit 2006 nicht mehr automatisch begünstigt; nur wenn besondere Schutzvorkehrungen für die Anleger getroffen wurden oder ein whitewash erfolgt ist, kommt die Ausnahme von der Angebotspflicht in Betracht.1097
3. Gleichbehandlung Zweite Säule der Preisbildung ist das Prinzip der Gleichbehandlung der Aktionäre derselben Gattung (General Principle 1).1098 Dies betrifft sowohl die Art der 1092 1093
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Vgl näher die Dispensations from Rule 9 und Appendix 1 zum City Code. Derjenige, der die Anteile erlangt, darf aber keine Aktien zu einem Zeitpunkt derivativ erworben haben, zu dem die Zeichnung der jungen Aktien bereits erwogen wurde; sonst ist das Prinzip der Gleichbehandlung verletzt. Panel Statement 2002/18 vom 19.8.2002. Note 1 zu den Dispensations from Rule 9. Vgl Davies, Gower’s 729 für weitere Beispiele. Siehe auch Panel Statement 2002/18 vom 19.8.2002 für einen Fall der Unternehmenseinbringung. Zu den Ausnahmen und näheren Voraussetzungen vgl die Notes zu Rule 37.1. Vgl die abweichende Wertung in § 22b ÜbG. Vgl Note 3 zu den Dispensations from Rule 9 in der neuen Fassung. Vgl Davies, Gower’s 724 f.
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Gegenleistung als auch ihre Höhe; bestimmte Transaktionen, die außerhalb des Angebots getätigt wurden oder werden, bestimmen den Angebotsinhalt. Im Übrigen ist für den City Code zwischen Übernahmeangeboten zur Kontrollerlangung und Pflichtangeboten zu unterscheiden. Die Regelung der Gegenleistung beim Übernahmeangebot ist wesentlich liberaler als § 26 österreichisches Übernahmegesetz. Für beide Angebotstypen gilt aber, dass Parallelerwerbe mit einer höheren Gegenleistung1099 zu einer Verbesserung des Angebotspreises führen (Rule 6.2 City Code).1100 Sofern parallel zu einem Tauschangebot Aktien gegen Barzahlung erworben werden, muss eine Baralternative in das Angebot aufgenommen werden (Rule 11.1 b City Code).1101 a) Tender offer (1) Der Bieter ist hinsichtlich der Art der Gegenleistung frei. Das Angebot kann daher ein Bar-, aber auch ein Tauschangebot sein.1102 Das ändert sich, wenn der Bieter oder mit ihm gemeinsam vorgehende Personen in den letzten zwölf Monaten vor der Bekanntmachung des Angebots (bzw von Überlegungen, ein Angebot zu stellen) 10 % oder mehr der Stimmrechte dieser Aktien gegen Barzahlung erworben hat (Rule 11.1). Diesfalls ist ein Barangebot bzw zumindest eine Baralternative erforderlich. Somit löst nicht bereits jeder Erwerb gegen Bargeld die Pflicht zur Gleichbehandlung aus, sondern erst der Erwerb einer größeren Beteiligung.1103 Eine Besonderheit enthält Note 5 zu Rule 11.1. Im Regelfall gilt der Erwerb von Aktien im Tausch gegen Wertpapiere außerhalb des Angebots nämlich als Barerwerb im Sinne dieser Bestimmung. Denn der Verkäufer erhält die Aktien (im Gegensatz zu denjenigen, die das Angebot annehmen) sofort und kann sie durch Verkauf zu Bargeld machen. Ein Tausch außerhalb des Ange-
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Der Parallelerwerb zu sonstigen besseren Bedingungen, die nicht in einer höheren Gegenleistung liegen, ist durch Rule 16 verboten, führt aber nicht automatisch dazu, dass diese Bedingungen auch für das Angebot gelten. Vgl Kenyon-Slade, Mergers Rn 9.83 ff. Diese Verbesserung wirkt auch zugunsten derjenigen Aktionäre, die das Angebot bereits angenommen haben; Rule 32.3. Vgl zu Paralleltransaktionen den berühmten Guiness-Fall; Statement 1989/13 vom 14.7.1989. Ausgeklammert bleibt im Folgenden die Bedeutung von weiteren Erwerben des Bieters oder mit ihm gemeinsam vorgehender Rechtsträger nach Ende der Annahmefrist; vgl Rule 35.3. Wertpapiere ohne Börsenotierung stellen im Regelfall keine angemessene Gegenleistung dar, wenn die Notierung nicht in naher Zukunft angestrebt wird (Note 7 zu Rule 6). Darüber hinaus kann das Panel ein Barangebot verlangen, wenn dies zur Durchsetzung der Gleichbehandlung erforderlich ist; in Note 4 zu Rule 11.1 findet sich als Richtlinie, dass bereits geringfügige Barerwerbe die Pflicht auslösen können, wenn die Verkäufer directors der Zielgesellschaft oder der Zielgesellschaft bzw dem Bieter nahe stehende Personen sind.
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bots gilt nur dann nicht als Barerwerb, wenn der Vertragspartner verpflichtet wird, die Aktien nicht zu veräußern, sondern sie bis zu dem Zeitpunkt zu halten, in dem auch die Angebotsadressaten die Gegenleistung im Rahmen der Abwicklung des Angebots erhalten. Eine vergleichbare Pflicht besteht seit 2002 auch, wenn der Bieter entweder in den letzten drei Monaten vor der offer period oder parallel zum Angebot mehr als 10 % der angebotsgegenständlichen Stimmrechte gegen Wertpapiere erworben hat;1104 dann sind diese Wertpapiere1105 auch im Rahmen des Angebots anzubieten (Rule 11.2 City Code). Das ist im Vergleich zur Barangebotspflicht liberaler. Für die Angebotsadressaten ist das interessant, wenn die Aktien nicht ohne weiteres erhältlich sind.1106
Im Ergebnis ist die Gleichbehandlung bezüglich der Art der Gegenleistung nicht zur Gänze verwirklicht. Denn die Barangebotspflicht wird nur ausgelöst, wenn vor dem Angebot eine bedeutende Beteiligung erworben wurde. Der Aufbau eines launching pads von bis zu 10 % des stimmberechtigten Grundkapitals wird erleichtert.1107 (2) Die Höhe der Gegenleistung richtet sich nach Rule 6.1 City Code. Der höchste innerhalb einer Frist von drei Monaten vor der ersten Bekanntmachung über ein Angebot bezahlte Preis ist für das Angebot ausschlaggebend und somit an die Angebotsadressaten weiterzugeben.1108 Transaktionen vor diesem Zeitraum sind nur in zwei Fällen zu berücksichtigen: Erstens ist der höchste innerhalb der letzten zwölf Monate bezahlte Preis ausschlaggebend, wenn der Bieter aufgrund seiner hohen Vorerwerbe zur Abgabe eines Barangebots verpflichtet ist (Rule 11.1). Dann sind diese weiter in der Vergangenheit liegenden Transaktionen in einer Gesamtbetrachtung anscheinend so von Gewicht, dass auch sie für die Berechnung des Mindestpreises heranzuziehen sind. Zweitens kann der Takeover Panel die Referenzperiode von drei Monaten verlängern, wenn dies erforderlich ist, um dem Grundsatz der Gleichbehandlung zum Durchbruch zu verhelfen (Rule 6.1). So wie bei der verwandten Frage der Barangebotspflicht kommt diese Verlängerung vor allem in Frage, wenn der Bieter in diesem Zeitraum vom Management der Zielgesellschaft oder von anderen dem Bieter oder der Zielgesellschaft nahe stehenden Personen Aktien gekauft hat. 1104
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Vgl dazu zB Kenyon-Slade, Mergers Rn 9.70 f. Ausnahmen von dieser Pflicht bestehen, wenn die Aktien dem Management der Zielgesellschaft angeboten wurden (vgl Note 4 zu Rule 11.2). Note 1 zu Rule 11.2 enthält auch eine Preisregel: Die gleiche Zahl von Wertpapieren pro Aktie wie bei der (aus Sicht der Angebotsadressaten) günstigsten Transaktion ist auch im Angebot zu bieten; Wertveränderungen in der Zwischenzeit bleiben somit außer Betracht. Davies, Gower’s 726. Vgl Davies, Gower’s 726. Für Details vgl Notes 3 bis 5 zu Rule 6. Dazu zB Kenyon-Slade, Mergers Rn 9.76 f.
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Der Panel kann in allen Fällen Ausnahmen gewähren; vgl Rule 11.1 und den Einleitungssatz von Rule 6.1. Er tut dies selten.1109 Von der Pflicht zur vollen Gleichbehandlung bei Paralleltransaktionen werden keine Ausnahmen gewährt.1110
(3) In der Sache gehört auch das Verbot der two-tier offers hiezu, also von zweistufigen Angeboten, bei denen in einem ersten Schritt den Aktionären ein Angebot zur Kontrollerlangung gemacht wird, das aber auf einen bestimmte Prozentsatz der Aktien beschränkt ist, während die übrigen Aktionäre, die das erste Angebot nicht angenommen haben, in einem zweiten Schritt nur einen geringeren Preis erhalten. Nach Rule 36.1 muss ein Angebot grundsätzlich auf den Erwerb aller Aktien gerichtet sein, womit dieses Vorgehen ausscheidet. Auch diese Norm führt zur Durchsetzung der Gleichbehandlung. Es soll kein Druck zur Annahme des ersten, attraktiven Angebots entstehen, durch den die Angebotsentscheidung verfälscht wird.1111 In der Sache wird damit ein ähnliches Ziel wie mit Rule 31.4 über die Nachfrist verfolgt. b) Mandatory bid Beim Pflichtangebot bestehen sowohl bezüglich der Art der Gegenleistung als auch bezüglich ihrer Höhe strengere Anforderungen; vgl Rule 9.5 City Code. Das Angebot muss zwingend eine Baralternative enthalten, auch wenn die Referenztransaktionen im Austausch gegen Wertpapiere vorgenommen wurden.1112 Sollte der Bieter die Kontrolle durch Tausch gegen Wertpapiere erworben haben, so kann es erforderlich sein, diese Wertpapiere auch den anderen Aktionären anzubieten; im Gegensatz zu Rule 11.2 für das freiwillige Angebot fehlen aber nähere Determinierungen für das diesbezügliche Entscheidungsermessen des Panel. Für die Höhe der Gegenleistung ist beim Pflichtangebot die höchste vom Bieter oder von mit ihm gemeinsam vorgehenden Rechtsträgern innerhalb der letzten zwölf Monate vor Veröffentlichung des Angebots gewährte Gegenleistung ausschlaggebend (Rule 9.5 a). Im Vergleich zum freiwilligen Angebot kommt es damit auch bei bloß geringfügigen Erwerben zu einer Ausdehnung der Referenzperiode. Der Takeover Panel kann Ausnahmen vom Höchstpreis gewähren (Rule 9.5 b);1113 e contrario kommt eine Ausnahme von der Barangebotspflicht nicht in Betracht.
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1113
Vgl Notes 1 zu Rule 6.1 und Rule 11.3. Dazu zB Kenyon-Slade, Mergers Rn 9.72 und 9.74. Davies, Gower’s 725 in Fn 19. Näher Cheffins, Theory 268 f. Das entspricht im Ergebnis Rule 11.1. Nach dieser Regel wäre in diesen Fällen des Paketerwerbs (bei mehr als 10 %) auch dann ein Barangebot zu stellen, wenn der alte Paketaktionär Aktien erhalten hat; denn er hätte die Aktien veräußern können (oben C. 3. a). Für die bei der Gewährung einer Ausnahme zu berücksichtigenden Sachverhalte vgl Note 3 zu Rule 9.5.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
4. Zusammenfassung Der City Code führt eine Tradition des englischen Rechts – wenn auch in veränderter Form und in unterschiedlichen Zusammenhängen – weiter: Sonderabstimmungen der unabhängigen Gesellschafter über den Erfolg einer geplanten Maßnahme. Daneben bemüht sich der City Code aber mit einem anderen Instrument um die Gleichbehandlung der Aktionäre: Die Kontrollprämie soll nicht bloß einem Aktionär zukommen, sondern auf alle Aktionäre aufgeteilt werden.1114 Damit enthält die englische Regelung des Pflichtangebots grundsätzliche Aussagen zur fairen Bewertung von Minderheitsanteilen: Ein Minderheitenabschlag ist nicht zulässig und auch die Transaktionsgewinne dürfen nicht zwischen altem Mehrheitsaktionär und Erwerber geteilt werden, sondern müssen allen Aktionären pro ratarisch zugute kommen.
D. Squeeze-out Das englische gesatzte Recht enthält eine ausdrückliche Regelung für den Ausschluss der Minderheitsaktionäre nur nach einem erfolgreichen Übernahmeangebot. Es gibt keine Norm, die den Ausschluss zulässt, wenn ein Aktionär entweder auf andere Weise die relevante Schwelle überschritten hat oder wenn er die entsprechenden Aktien immer schon gehalten hat. Entsprechende rechtspolitische Vorschläge1115 wurden auch nicht in den CA 2006 aufgenommen. Die Ablehnung wird vor allem damit begründet, dass nur bei einem Übernahmeangebot die Preisfindung durch einen Mechanismus erfolgt, der es zulässt, diesen Preis auch zur Basis für das zwangsweise Ausscheiden zu machen; in allen anderen Fällen bestünden große Bewertungsprobleme.1116 Freilich wäre der Schluss fehlerhaft, dass der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern nur nach einem erfolgreichen Übernahmeangebot möglich ist. Vielmehr ist vor der abschließenden Beurteilung jedenfalls auf den Einsatz von schemes of arrangement, aber auch auf Satzungsänderungen und die übertragende Auflösung einzugehen. 1. Als Rechtsfolge eines Übernahmeangebots a) Allgemeines Part 28 Chaper 3 CA 2006 knüpft zwei Rechtsfolgen an erfolgreiche Übernahmeangebote: Einerseits kann der Bieter die Aktien der übrigen Gesellschafter zwangsweise erwerben (squeeze-out; s 979 ff CA 2007), andererseits können die übrigen Gesellschafter verlangen, dass der Bieter ihnen ihre Aktien abkauft (sell-out; s 983 ff CA 2006). Die Abfindung entspricht in beiden Fällen grundsätzlich dem Angebotspreis. Die englische Bestimmung hat Art 15 f der 1114 1115
1116
Davies, Gower’s 730 f. Ablehnend Company Law Review, Final Report 13.21 f; vgl auch Davies, Introduction 248. Company Law Review, Final Report 13.22.
VII. Rechtslage in England
559
13. Richtlinie über Übernahmeangebote als (ein) Vorbild gedient. Die Regelung des sell-out wird im Folgenden nicht näher untersucht. Das Recht des squeeze-out wurde im CA 2006 geändert, unter anderem um die Übernahmerichtlinie umzusetzen. Die Reform, der eine ausführliche rechtspolitische Diskussion vorangegangen ist,1117 betrifft freilich kaum grundsätzliche Fragen.
b) Voraussetzungen Damit das Ausschlussrecht besteht, muss der Mehrheitsaktionär in einem Übernahmeangebot mindestens neun Zehntel der Aktien, die dem Angebot unterliegen, erworben haben; diese Aktien müssen auch mehr als 90 % der Stimmrechte vermitteln (vgl s 979 para 2 CA 2006).1118 Das Übernahmeangebot kann sich auf alle Gesellschaften beziehen, also auch auf eine private company;1119 es muss dem City Code nicht unterliegen. Das Angebot muss auf alle Aktien gerichtet sein und muss die Aktionäre – zumindest diejenigen der gleichen Gattung – gleichbehandeln; s 974 para 2 und 3 CA 2006.1120 Die Berechnung erfolgt nach dem Nominalwert. Ist das Angebot auf verschiedene Aktiengattungen gerichtet, so muss die Mehrheit pro Gattung berechnet werden; wird sie überschritten, so besteht das Recht, die Aktien dieser Gattung aufzukaufen (s 979 para 4 CA 2006).1121
Für den squeeze-out geht es nicht darum, dass der Bieter 90 % der Aktien hält; ausschlaggebend ist vielmehr die Annahmequote des Angebots. In der Sache geht es somit um eine Abstimmung der außenstehenden Aktionäre über die wirtschaftliche Attraktivität des Angebots. Wenn die überwältigende Mehrheit das Angebot annimmt, so soll es auch für die Minderheit verbindlich werden.1122 Aktien, die der Bieter vor dem Angebot bereits hält, werden daher aus der Berechnung ausgenommen; das gilt grundsätzlich auch für Aktien, zu deren Erwerb er aufgrund eines Vertrags schon berechtigt ist (vgl s 975 CA 2006).1123
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Vgl Company Law Review, Completing the Structure 11.37 ff; Company Law Review, Final Report 13.19 ff. Für die Rechtslage, wenn das Angebot von mehr als einem Bieter abgegeben wird, vgl s 987 CA 2006. Fiske Nominees Ltd v Dwyka Diamond Ltd [2002] 2 BCLC 123. Die zahlreichen Details des Angebotsbegriffs in diesem Zusammenhang interessieren nicht. Aus der Rsp vgl zB Re Chez Nico (Restaurants) Ltd [1992] BCLC 192; zu den negativen Konsequenzen dieser Rsp Davies, Gower’s 741 f. Vgl auch Art 15 Abs 3 der Übernahmerichtlinie. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob das Angebot dem Kontrollerwerb dienen soll, ob es ein Pflichtangebot ist oder bloß ein sonstiges Angebot ohne Kontrollbezug. Denn der Ausschluss ist auch ohne Preisbindung beim Angebot selbst nur möglich, wenn der Angebotspreis attraktiv war. Kay in Hannigan/Prentice, CA 2006 Rz 8.65.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Je größer die Beteiligung des Bieters vor Angebotslegung ist, desto schwieriger ist es für ihn, die relevante Schwelle zu überschreiten.1124 Das Gericht kann eine Ausnahme von der Schwelle nur dann gewähren, wenn Aktionäre nachweislich nicht auffindbar sind und das Angebot angemessen ist; s 986 para 9 CA 2006.1125
In manchen Fällen ist es angemessen, auch Rechtsgeschäfte, die außerhalb des Angebots abgeschlossen wurden, in die Berechnung der Schwelle von 90 % einzubeziehen. Der CA 2006 kennt zwei Fälle. Einerseits werden Rechtsgeschäfte, die vor dem Angebot abgeschlossen wurden, der Annahmequote hinzugezählt, wenn sich der Vertragspartner des Bieters durch sie nur verpflichtet, das Angebot anzunehmen (so genannte irrevocable commitments); freilich darf für diese Verpflichtungserklärung keine eigene oder doch bloß eine vernachlässigbare Gegenleistung gewährt werden (vgl s 975 para 2 CA 2006).1126 Andererseits können Paralleltransaktionen, also außerhalb des Angebots vom Bieter abgeschlossene Kaufverträge über die angebotsgegenständlichen Wertpapiere, hinzugezählt werden, wenn die Gegenleistung des Angebots nicht überschritten wird bzw die Gegenleistung des Angebots an den Kaufvertrag angepasst wird (vgl s 979 para 9 und 10 CA 2006). Soweit daher bei Paralleltransaktionen die Gleichbehandlungspflicht nach Rule 6.2 City Code verletzt wird, werden sie den Annahmeerklärungen des Angebots nicht hinzugerechnet.1127 c) Rechtsfolgen Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so kann der Bieter den verbleibenden Aktionären in nahem zeitlichem Zusammenhang mit dem Angebot (vgl näher s 980 para 2 CA 2006) mitteilen, dass er ihre Aktien erwerben möchte. Der Kaufpreis wird treuhänderisch bei der Gesellschaft hinterlegt und der Bieter als neuer Aktionär in das Aktionärsregister eingetragen (vgl s 981 CA 2006). Der Ausstieg erfolgt zwingend zum Angebotspreis (s 981 para 2 CA 2006). Dieser wird damit ähnlich wie bei einem scheme of arrangement für die widersprechende Minderheit verbindlich. Auch die Art der im Angebot festgelegten Gegenleistung ist für den squeeze-out ausschlaggebend. Soweit daher ein Tauschangebot gemacht wurde, bekommen die Auszuschließenden jene Aktien, soweit alternative Gegenleistungen angeboten wurden, steht die Wahl den Aktionären auch beim Ausschluss offen (vgl s 980 para 3 und 4 CA 2006). S 986 para 1 CA 2006 sieht jedoch vor, dass die Aktionäre bei Gericht beantragen können,1128 dass dem Bieter die Übernahme der Aktien untersagt 1124 1125 1126 1127 1128
Davies, Gower’s 743; Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.67. Vgl Davies, Gower’s 746; Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.71. Dazu Kay in Hannigan/Prentice, CA 2006 Rz 8.66. Vgl Davies, Gower’s 743 in Fn 38; Kay in Hannigan/Prentice, CA 2006 Rz 8.67 f. Der Aktionär trägt in diesem Fall nur ein geringes Kostenrisiko; vgl s 986 para 5 CA 2006; Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.77.
VII. Rechtslage in England
561
wird oder dass dem Erwerb andere Bedingungen zugrunde zu legen sind, als sie der Bieter zunächst festgelegt hat. Ob der Gerichtsbeschluss, mit dem eine höhere Abfindung festgelegt wird, alle Aktien oder nur diejenigen der Antragsteller erfasst, ist nicht klar; nach der neuen Rechtslage sollen anscheinend nur die Antragsteller erfasst sein, wobei die anderen Aktionäre jedoch von der Verfahrenseinleitung zu verständigen sind, damit ihnen die Möglichkeit gegeben wird, sich an dem Verfahren zu beteiligen.1129 Solche Anträge auf Verbesserung der zu bietenden Abfindung wurden bisher nahezu immer abgelehnt.1130 Denn die Beweislast, dass eine höhere Abfindung als im Übernahmeangebot angemessen1131 ist, liegt nach der Leitentscheidung Re Hoare1132 und der neuen s 986 para 4 CA 2006 beim Antragsteller. Dieser Nachweis ist schwer zu führen, wenn die überwiegende Mehrheit der Aktionäre das Angebot für angemessen gehalten hat.1133 „In all commercial matters, where commercial people are much better able to judge of their own affairs than the court is able to do, the court is accustomed to pay the greatest attention to what commercial people who are concerned with the transaction in fact decide […].”1134 Die Meinung der Mehrheit ist auch für die Minderheit ausschlaggebend.1135 Freilich können besondere Umstände die Vermutung der Angemessenheit des Angebotspreises widerlegen bzw zur Nichtanwendung der Vermutungsregel führen.1136 Bloß höhere Unternehmensbewertungen genügen dazu nicht.1137 Vielmehr geht es um Fälle, in denen der Markttest durch Abstimmung unter den Minderheitsaktionären aus verschiedenen Gründen nicht funktionieren kann:1138
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S 986 para 7 CA 2006. Zur Problematik vgl Company Law Review, Final Report 13.63 ff. Re Hoare & Co (1933) 150 LT 374; Re Press Caps Ltd [1949] Ch 434; Re Sussex Brick Co Ltd [1960] Ch 289n; Re Grierson, Oldham and Adams Ltd [1968] Ch 17. Davies, Gower’s 746; ders, Introduction 248. Die englische Terminologie ist „fair“; vgl dazu Bachner/McKinnon, GesRZSonderheft „Squeeze-out“ 32. Re Hoare & Co (1933) 150 LT 374. Vgl Re Sussex Brick Co Ltd [1960] Ch 289n: Eingriff nur, wenn “obviously unfair, patently unfair, unfair to the meanest intelligence.” Re Bugle Press Ltd [1961] Ch 270. Insbesondere ist das Abstimmungsergebnis auch ausschlaggebend, wenn der Angebotspreis nicht die zu erwartenden Synergien widerspiegelt, sondern im Ergebnis nur zu einem Ausgleich für den Verlust der Minderheitsposition führt; vgl Re Grierson, Oldham and Adams Ltd [1968] Ch 17. So grundsätzlich schon Re Hoare & Co (1933) 150 LT 374. RE Press Caps [1949] Ch 434. Näher Bachner/McKinnon, GesRZ-Sonderheft „Squeeze-out“ 32 f. Bachner/McKinnon, GesRZ-Sonderheft „Squeeze-out“ 33 f.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Das ist der Fall, wenn die Meinungsbildung unter den Aktionären nicht unabhängig vom Bieter erfolgt. Leitentscheidung ist Re Bugle Press Ltd:1139 Zwei Aktionäre, die insgesamt 90 % einer Gesellschaft hielten, gründeten eine NewCo, die ein Übernahmeangebot für die Aktien der Gesellschaft legte und nahmen dieses Angebot an. Da der Richter nicht davon ausgehen konnte, dass der Preis des Angebots angemessen war, lehnte er die Anwendung von s 209 CA 1948, der Vorgängerbestimmung von s 979 CA 2006, ab. Heute wären die Annahmen durch associates wegen s 977 para 2 bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen.1140 Nach der damaligen Rechtslage konnte der Richter den Preis nicht angemessen festlegen, sondern musste den squeeze-out untersagen.1141 Heute steht dem Richter hingegen die Wahl zwischen den beiden Vorgehensweisen offen.
Unter welchen anderen Bedingungen die Gerichte das Abstimmungsergebnis der Mehrheit durch die eigene Einschätzung der Fairness des Angebots ersetzen, ist nicht klar. So wurde zB festgehalten, dass der Angebotspreis nicht maßgeblich sein kann, wenn die Mehrheit nur erreicht wurde, weil die directors ihre Informationspflichten bei einem Übernahmeangebot nach dem City Code gravierend verletzt haben1142 oder weil sie die Annahme des Angebots aufgrund fehlerhafter Information empfohlen haben.1143 Der Preis kann auch generell nicht als fair gelten, wenn die Annahmen des Angebots durch misrepresentation oder gar fraud herbeigeführt wurden.1144 Es kann daher mit aller Vorsicht als Grundsatz anerkannt werden, dass Verletzungen von Informationspflichten die Anwendung der fairness-Vermutung verhindern können.1145 Die jüngste Entscheidung in diesem Zusammenhang, Re Diamix Plc, Fiske Nominees Ltd v Dwyka Diamond Ltd,1146 führt diese beiden Grundsätze zusammen. Es fehlte einerseits an der erforderlichen Information aller Aktionäre; andererseits waren wesentliche Teile des Aktionariats der zu übernehmenden Gesellschaft bereits mit dem Bieter in der einen oder anderen Form verbunden. In einer Gesamtbetrachtung wurde die Vermutung der Fairness trotz hoher Annahmequote daher erschüttert. Besonders interessant ist, dass der Richter als remedy keine inhaltlichen Vorgaben für die Ermittlung des angemessenen Abfindungsbetrags machte, sondern nur den Mechanismus für die 1139 1140 1141 1142
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[1961] Ch 270. Vgl Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.80 in Fn 66. Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.77 in Fn 60. Re Chez Nico (Restaurants) Ltd [1992] BCLC 192. Anders aber für die Information durch einen Bieter, der nicht director ist, Re Evertite Locknuts (1938) Ltd [1945] Ch 220. Re Lifecare International Plc [1990] BCLC 222. Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.79. So auch Bachner/McKinnon, GesRZ-Sonderheft „Squeeze-out“ 34 f. [2002] 2 BCLC 123.
VII. Rechtslage in England
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Auswahl eines Bewerters vorgab, dessen Ergebnis für die Parteien verbindlich sein sollte. d) Das Übernahmeangebot als Verschmelzungsäquivalent Ein Übernahmeangebot kann in Zusammenhang mit dem Gesellschafterausschluss nach s 979 CA 2006 ähnliche Effekte wie eine Verschmelzung herbeiführen. Das liegt vor allem daran, dass die zu bietende Gegenleistung grundsätzlich dieselbe ist wie beim Übernahmeangebot. Soweit dieses daher zulässigerweise ein reines Tauschangebot ohne Baralternative war (dazu oben C. 3.), kann auch der „Ausschluss“ gegen Gewährung von Aktien des Bieters erfolgen.1147 Der squeeze-out nach englischem Recht ist also mehr als nur ein Mittel zum Ausschluss der Gesellschafter. Das ist er nur, wenn das Übernahmeangebot ein Barangebot war. Beim Tauschangebot gegen Aktien bewirkt s 981 para 2 CA 2006 hingegen eine Zusammenführung der Aktionärskreise, die sich auch für diejenigen auswirkt, die das Angebot nicht angenommen haben. Das entspricht auf Ebene der Gesellschafter den Rechtswirkungen einer Verschmelzung. Der wesentliche Unterschied zum österreichischen Verschmelzungsrecht liegt aber in der erforderlichen Mehrheit. Nach § 221 AktG liegt diese bei drei Vierteln des abstimmenden Grundkapitals, wobei der Übernehmer mitstimmen darf. Die Mehrheit nach englischem Recht ist erstens mit 90 % höher und wird zweitens auch anders berechnet, nämlich aufgrund der Annahmequote des Angebots:1148 Im Ergebnis kommt diese „Verschmelzung“ nach englischem Recht nur nach einer Sonderabstimmung der außenstehenden Aktionäre zustande. Einmal mehr zeigt sich hierbei die abweichende Stoßrichtung des englischen Rechts der Umstrukturierung. Die Willensbildung der übertragenden Gesellschaft erfolgt unabhängig vom Übernehmer. Im Gegenzug wird die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses nicht überprüft. 2. Andere Möglichkeiten a) Satzungsänderung? Die articles of association können die Mehrheit ermächtigen, die Aktien der Minderheit durch Beschluss zu übernehmen.1149 Strittig wurde Anfang des 20. Jahrhunderts, ob solche Bestimmungen auch durch Satzungsänderung eingefügt werden können. Ausgangspunkt der Entscheidungspraxis ist der Rechtsgrundsatz, dass die Aktionäre bei Beschlüssen über Satzungsänderun-
1147 1148 1149
Das ist auch nach der Übernahmerichtlinie zulässig; vgl Art 15 Abs 5 leg cit. Vgl Davies, Introduction 248. Davies, Gower’s 488; Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.91.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
gen an das Interesse der Gesellschaft gebunden sind.1150 Eine generelle Ermächtigung zum Ausschluss im Interesse der Mehrheit hält diesem Test nicht stand.1151 Das gilt nur dann nicht, wenn der Ausschluss nach der Ausrichtung der Satzungsklausel ausnahmsweise im Interesse der Gesellschaft ist, wie zB wenn nur der Ausschluss von Konkurrenten als Gesellschafter zulässig ist.1152 Damit ist die Einführung des Ausschlussrechts durch Satzungsänderung kein geeignetes Mittel, um den Konflikt zwischen Mehrheit und Minderheit zu lösen.1153 b) Kapitalherabsetzung? Auch Kapitalherabsetzungen sind für den Ausschluss der Minderheit untauglich. Sie dienen in der Praxis vor allem der Abschaffung von Aktiengattungen; dabei geht es vor allem um eine Bereinigung der Aktienstruktur und nicht oder nur inzident um den Ausschluss einzelner Aktionäre.1154 In der jüngeren Praxis stand zumeist die Abfindung von preference shares oder ihre Umwandlung in Schuldverschreibungen im Vordergrund. Preference shares bilden Eigenkapital, das zwar am Risiko teilnimmt, aber im Regelfall – und im Gegensatz zu Vorzugsaktien nach § 115 AktG – nicht voll am Gewinn partizipiert, sondern nur einen gewinnabhängigen Anspruch auf die preference hat;1155 in Österreich wird diese Gestaltung als Genussrecht bezeichnet.1156 Um ordinary shares selektiv auszuschließen, wurde das Instrument – soweit ersichtlich – nicht eingesetzt. Dies würde im Regelfall auch daran scheitern, dass jede Kapitalherabsetzung nach englischem Recht der richterlichen Genehmigung bedarf (s 646 CA 2006); diese wird aber nur erteilt, wenn die Herabsetzung einerseits die Gläubiger ausreichend schützt, andererseits aber auch den Aktionären gegenüber fair ist.1157 Eine Ungleichbe-
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Allen v Gold Reefs of West Africa Ltd [1900] 1 Ch 656. Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht 42 f. Phillips v Manufacturers Securities Ltd (1917) 116 LT 109; Dafen Tinplate Co v Llanelly Steel Co [1920] 2 Ch 124. Sidebottom v Kershaw, Leese & Co Ltd [1920] 1 Ch 154. Davies, Gower’s 489 f (dort auch zu im Ansatz, nicht so sehr aber im Ergebnis abweichenden australischen Judikaturlinien). Scottish Insurance Corp Ltd v Wilsons & Clyde Coal Co Ltd [1949] 1 AC 462; Re Thomas de la Rue & Co Ltd [1911] 2 Ch 361; Poole v National Bank of China Ltd [1907] AC 229; Re Old Silkstone Collieries [1954] Ch 169; Re Saltdean Estate Co Ltd [1968] AllER 829. Davies, Gower’s 620 ff (insb 624); Ferran, Company Law 53, 323 ff; Winner, Zielgesellschaft 56 in Fn 305. Die Einordnung als Gewinnschuldverschreibung scheidet wegen der fehlenden Rückzahlungspflicht aus; vgl Winner in MünchKomm AktG § 221 Rn 385, 388. Re Ratners Group plc [1988] BCLC 685.
VII. Rechtslage in England
565
handlung der Aktionäre einer Gattung verhindert die Genehmigung der Kapitalherabsetzung.1158 c) Scheme of arrangement Wegen der großen Flexibilität des scheme of arrangement ist es möglich, durch die Anwendung von s 895 ff CA 2006 ähnliche Effekte wie bei einem squeezeout zu erzielen.1159 Ein scheme kann aber auch zum Ausschluss der Minderheit eingesetzt werden; denn arrangement ist ein sehr weiter Begriff, der grundsätzlich jede denkbare Transaktionsstruktur abdecken kann, sofern ein Element der gegenseitigen Erbringung von Leistungen in dem Plan enthalten ist.1160 Solche schemes of arrangement stehen in einem Spannungsverhältnis zum Ausschlussrecht nach s 979 CA 2006. Soll der Ausschluss auch möglich sein, obwohl die nach jenen Normen erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht werden? Damit hängt die Frage der Preisfestlegung und der Richtigkeitsgewähr der Mehrheitsabstimmung unmittelbar zusammen. Soweit ersichtlich wurde diese Problematik in zwei Fällen aufgegriffen. In Re National Bank Ltd1161 ging es um eine weit gehende Umstrukturierung. Unter anderem sollten alle Aktien der Gesellschaft auf einen Aktionär, der zuvor nur eine geringe Beteiligung hielt, gegen Barzahlung übergehen. Es wurde vorgebracht, dass diese Maßnahme nur unter s 209 CA 1948 (der früheren Regelung von schemes of arrangement) mit den entsprechenden Mehrheiten durchgeführt werden könnte. Plowman J lehnte diese Argumentation ab. Denn ein scheme of arrangement bedürfe der gerichtlichen Genehmigung, die nur erteilt werde, wenn die Transaktion fair ist; deswegen sei die geringere Mehrheit für die Beschlussfassung über das scheme gerechtfertigt. Mag dieser Fall noch durch die Besonderheiten einer weit reichenden Umstrukturierung zu erklären sein und durch die Tatsache, dass der begünstigte Aktionär nur eine verschwindend geringe Beteiligung an der betroffenen Gesellschaft hielt, so waren beide Faktoren in einer späteren Entscheidung, nämlich Re Hellenic and General Trust,1162 nicht mehr vorhanden. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt sollten die ausstehenden Aktien einer Gesellschaft im
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Anders aber für eine Ungleichbehandlung unter den preference shareholders Re Thomas de la Rue & Co Ltd [1911] 2 Ch 361. Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.82; darauf stellen in der deutschsprachigen Literatur auch Schüppen/Tretter in Haarmann/Schüppen WpÜG Vor § 327a Rn 16 ff ab. Eine Reorganisation nach s 110 Insolvency Act 1986 eignet sich dafür jedoch nicht, weil als Gegenleistung Aktien oder ähnliche Wertpapiere zu gewähren sind; vgl Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.85. Davies, Gower’s 794. [1966] 1 WLR 819. [1976] 1 WLR 123.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Ergebnis1163 gegen Barabfindung auf den sie beherrschenden Gesellschafter übertragen werden; das Gericht verweigerte die Genehmigung wegen der falschen Abhaltung von Sonderabstimmungen. In einem obiter dictum hielt Templeman J aber fest, dass die Genehmigung eines scheme of arrangement nicht schon deswegen zu verweigern sei, weil damit im Ergebnis ein Ausschluss der Minderheitsaktionäre erfolgt; die entsprechenden Sondervorschriften in s 979 ff CA 2006 schließen die Anwendung von s 895 ff für solche Fälle nicht grundsätzlich aus.1164 Freilich habe der Proponent des schemes of arrangement die Anwendung von s 895 trotz der geringeren erforderlichen Mehrheit besonders zu rechtfertigen. Worin diese Rechtfertigung bestehen kann, bleibt nach dieser Entscheidung offen. Im Ergebnis scheint der Ausschluss über ein scheme of arrangement unter bestimmten Voraussetzungen möglich zu sein. Die Rechtslage ist aber nicht ausreichend geklärt.1165 Fest steht, dass nach der Rechtsprechung in Re Hellenic and General Trust1166 eine Sonderabstimmung der freien Aktionäre erforderlich ist. Ein wichtiger Unterschied zum squeeze-out besteht damit vor allem in der erforderlichen Mehrheit. Während diese nach s 979 CA 2006 90 % der Aktien und der Stimmrechte erfassen muss, genügt für die Beschlussfassung über ein scheme of arrangement eine Mehrheit von drei Vierteln der Nominalwerte der relevanten class. Im Gegenzug muss das Gericht die Angemessenheit der Transaktion im Rahmen seiner Ermessensentscheidung über die Genehmigung prüfen; allgemein dazu oben B. 2. Dieses Vorgehen scheint, soweit aus der Rechtsprechung und dem Schrifttum ersichtlich, keine besondere praktische Bedeutung gewonnen zu haben. d) Übertragende Auflösung Bei der übertragenden Auflösung wird das Unternehmen der Gesellschaft auf den Hauptgesellschafter übertragen; in der Folge wird in der Tochtergesellschaft der Auflösungsbeschluss gefasst.1167 Dieses Vorgehen ist prinzipiell auch nach englischem Gesellschaftsrecht zulässig; der Liquidationsbeschluss bedarf einer Mehrheit von drei Vierteln. Freilich ist dabei eine Reihe von Besonderheiten zu beachten, die großteils schon angesprochen wurden: Zunächst bedarf es für die Übertragung des Unternehmens auf den Hauptgesellschafter zumindest bei börsenotierten Gesellschaften gemäß Chapter 11 der Listing Rules eines Beschlusses der Hauptversammlung, bei dem der begünstigte Mehrheitsaktionär nicht mitstimmen darf. Bei börsefer1163
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Es ging um die Übertragung auf die Großmuttergesellschaft, was in der Sache aber keinen Unterschied macht. Das Urteil beruft sich diesbezüglich ausdrücklich auf Re National Bank Ltd [1966] 1 WLR 819. Vgl Kenyon-Slade, Mergers Rn 8.84. [1976] 1 WLR 123. Vgl oben I. A. 1. e).
VIII. Zusammenfassung
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nen Gesellschaften bedarf es bei der Übertragung im Konzern keiner Zustimmung der Minderheit, weil juristische Personen nicht shadow directors sein können. Damit ist die Rechtslage für diese Gesellschaften liberaler als bei der österreichischen Aktiengesellschaft, weil ein Beschluss der Aktionäre nicht erforderlich ist. Sollte die vom Mehrheitsaktionär gewährte Gegenleistung nicht angemessen sein, so stehen andere Rechtsschutzinstrumente zur Verfügung. In einem ganz vergleichbaren Sachverhalt wurde festgehalten, dass derjenige, der die Gesellschaft kontrolliert, seine fiduciary duty gegenüber der Gesellschaft bricht, wenn er von ihr Gegenstände unter ihrem Wert kauft;1168 diese Leistung von Gesellschaftsvermögen an den Großaktionär kann jedenfalls vom Liquidator aufgegriffen werden. Daneben kommen Ansprüche der Minderheitsaktionäre aus unfair prejudice in Betracht; diese laufen im Ergebnis darauf hinaus, dass der Mehrheitsaktionär die Anteile der Minderheitsaktionäre zu einem angemessenen Preis abkaufen muss, wobei im Ergebnis die Bewertung der Gesellschaft vor der nachteiligen Transaktion vorzunehmen ist (vgl oben B. 4. b).
VIII. Zusammenfassung Die Beobachtung von Preisen kann die traditionelle Bewertung nicht ersetzen; ein Systemwechsel hat nicht stattgefunden und ist auch nicht angezeigt. Allerdings kann die Preisbeobachtung in Einzelfällen gut Ergänzungen für die traditionelle Bewertung liefern. Anhaltspunkte dafür im positiven Recht häufen sich in den letzten Jahren, nämlich • die Berücksichtigung von Vorerwerben und Börsekursen im ÜbG seit 1998; • die Änderung der Rechtsprechung des deutschen BVerfG und des BGH zur Maßgeblichkeit von Börsekursen bei der Festlegung der Abfindung seit dem Jahre 1999 samt der Rezeption dieses Ansatzes in Österreich; • die grundsätzliche Maßgeblichkeit der Gegenleistung eines besonders erfolgreichen Übernahmeangebots für den Gesellschafterausschluss seit 2004 in Europa bzw seit 2006 in Österreich. Im Einzelnen bedeutet das:
A. Gesellschafterausschluss Die Abfindung beim Gesellschafterausschluss ist grundsätzlich durch eine Unternehmensbewertung zu ermitteln. Ausschlaggebend ist wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung einerseits der objektivierte Unterneh-
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Aveling Barford Ltd v Perion Ltd [1989] BCLC 626.
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4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
menswert stand alone,1169 wegen der Beteiligung an den Synergiegewinnen aber auch der subjektive Wert des Unternehmens – und damit der Anteile – in der Hand des Hauptgesellschafters. Die Teilung des Synergiegewinns erfolgt unter Berücksichtigung der Anteilsverhältnisse. Ganz unabhängig von Synergiegewinnen ist jedenfalls der Wert des Anteils aus Sicht der auszuschließenden Gesellschafter zu ersetzen. Dieser Wert ergibt sich aus den beiden Handlungsmöglichkeiten, die dem Gesellschafter zur Verfügung stehen: Verkauf am Markt oder Halten der Anteile. Der Wert der Anteile aus Sicht des Gesellschafters wird durch die Alternative bestimmt, die zu einem höheren Wert führt. Deswegen ist der Börsekurs als Minimum für die Angemessenheit der Abfindung heranzuziehen. Erwirbt der Hauptgesellschafter parallel zum Ausschlussverfahren Anteile, so ist der dort bezahlte Preis wegen der Gleichbehandlung aller Aktionäre als Untergrenze der Abfindung zu berücksichtigen. Bei Vorerweben ergibt sich die Gleichbehandlungspflicht für börsenotierte Gesellschaften aus § 7 Abs 3 GesAusG; darüber hinaus kann bei allen Gesellschaften der Preis beim Paketerwerb ein Indikator für eine angemessene Verteilung der Synergiegewinne sein. Werden allerdings bloß wenige Gesellschaftsanteile zu einem hohen Preis erworben, um die Schwelle für den Ausschluss zu überschreiten, so kann aus dieser Gegenleistung nicht auf Transaktionsgewinne geschlossen werden; die Berücksichtigung scheidet bei nicht börsenotierten Gesellschaften aus. Sowohl aus praktischen als auch aus grundsätzlichen Überlegungen ist der Preis, der von einem Großteil der Gesellschafter freiwillig angenommen wurde, auch eine angemessene Abfindung für die widerstrebende Minderheit. § 7 Abs 3 GesAusG bietet einen Ansatzpunkt für diese Auslegung: Wird ein Übernahmeangebot von mehr als 90 % der Angebotsadressaten angenommen, so wird vermutet, dass die Gegenleistung des Angebots auch als Abfindung für den Ausschluss angemessen ist. Diese Wertung kann verallgemeinert werden: Nehmen zeitnah zum Ausschluss mehr als 90 % der vom Erwerber unabhängigen Gesellschafter ein Kaufangebot an, genügt dies, ohne dass ein Angebot im Sinne des ÜbG gemacht werden muss. Das gilt insbesondere auch für nicht börsenotierte Gesellschaften. Die Rechtsvergleichung bestätigt den Ansatz zum Teil. Der englische CA 2006 lässt den Ausschluss nur zu, wenn mehr als 90 % der Adressaten ein Angebot angenommen haben, gleichzeitig gilt aber auch der Angebotspreis als angemessen. Das englische Recht vermeidet damit grundsätzlich jede Unter-
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Dadurch werden ähnliche Effekte wie durch die Enteignungsentschädigung erreicht: Nur effizienzsteigernde Maßnahmen werden durchgeführt, weil die subjektiven Vorteile für den Hauptgesellschafter größer sein müssen als die zu ersetzenden Nachteile für den Ausgeschlossenen.
VIII. Zusammenfassung
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nehmensbewertung, sondern stellt nur auf den Markttest ab.1170 Das hat gegenüber der österreichischen Norm den Vorteil, dass die Probleme der Informationsasymmetrie, wenn schon nicht völlig beseitigt,1171 so doch wesentlich abgemildert werden. Das Ergebnis des englischen Rechts kann freilich für Österreich durch Auslegung nicht erzielt werden; der Ausschluss ist auch möglich, wenn der Hauptgesellschafter immer schon 90 % der Anteile gehalten hat. Der englische Ansatz könnte allenfalls durch den Gesetzgeber eingeführt werden. Ob das empfehlenswert ist,1172 hängt davon ab, für wie schwerwiegend man die Schwächen der Unternehmensbewertung bei dominierten Konfliktsituationen hält.
B. Verschmelzung Die Verschmelzung ist grundsätzlich ein Vertrag. Freilich ordnet die Rechtsordnung eine gerichtliche Nachkontrolle an, weil das Umtauschverhältnis angemessen zu sein hat. Es spricht jedoch nichts dagegen, das Wort „angemessen“ situationsadäquat auszulegen. Von jedem Umtauschverhältnis, das von 90 % der Gesellschafter jeder der beteiligten Gesellschaften gebilligt wird, wird nach der hier vertretenen Ansicht vermutet, dass es angemessen ist. Das ergibt sich aus der in § 7 Abs 3 GesAusG enthaltenen Wertung. Das gilt grundsätzlich sowohl für die Konzentrations- als auch für die Konzernverschmelzung. Freilich ist bei jeder Verschmelzung und insbesondere bei der Konzernverschmelzung das Abstimmungsergebnis um diejenigen Stimmen zu bereinigen, die durch Sonderinteressen beeinflusst werden können, wie insbesondere die Stimmen der Obergesellschaft. Die Vermutung der Angemessenheit gilt bei der Konzernverschmelzung daher nur, wenn die Mehrheit der Minderheit zustimmt. Auch Gesellschafter mit sonstigen Interessenkonflikten sind bei der Berechnung auszuscheiden. Das vermag die Bewertungsprobleme freilich nur in einigen Fällen zu lösen. Sonst ist für die Verschmelzung mE grundsätzlich auf das Verhältnis der Unternehmenswerte abzustellen. Börsekurse dienen vor allem zur Plausibilisierung der Bewertung,1173 können aber nicht an ihre Stelle treten. Nur wenn bei der Konzentrationsverschmelzung der Streubesitz groß genug ist und keine Minderheitsabschläge eingepreist sind, kommt es in Betracht, nur die Börsekurse heranzuziehen. 1170
1171 1172 1173
Ausnahmen bestehen, wenn der Ausschluss über ein scheme of arrangement oder mittels einer Übertragung des Gesellschaftsvermögens auf den Hauptaktionär herbeigeführt wird. Die Probleme bestehen bei dem Angebot fort, das dem Ausschluss vorausgeht. So zB Habersack, ZIP 2001, 1235; Fleischer, ZGR 2002, 769 f. Sollte das Bewertungsergebnis bei der Konzernverschmelzung zum Nachteil der Streubesitzaktionäre der Tochtergesellschaft von der Börsekapitalisierung abweichen, so ist nachzuweisen, warum diese Bewertung angemessen ist.
570
4. Teil: Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
Die Aufteilung der Synergiegewinne zwischen den Verhandlungspartnern ist grundsätzlich Verhandlungssache. Das gilt freilich nur, wenn eine Verhandlung auch tatsächlich stattfindet, nicht aber bei der Konzernverschmelzung. Bei dieser darf zum Nachteil der außenstehenden Gesellschafter nicht von der Verteilung nach dem Verhältnis der Unternehmenswerte stand alone abgewichen werden. Eine andere „angemessene“ Aufteilung der Synergiegewinne kann freilich – ganz so wie beim Gesellschafterausschluss – durch höhere Vorerwerbe, mit denen der Mehrheitsgesellschafter seine Kontrollposition erreicht hat, indiziert werden. In allen Fällen, also insbesondere auch bei der Konzentrationsverschmelzung und auch wenn die Mehrheit von 90 % der Transaktion zugestimmt hat, sind Paralleltransaktionen, bei denen der beherrschende Gesellschafter der einen Gesellschaft an Gesellschafter der anderen zusätzliche Leistungen im Zusammenhang mit der Verschmelzung erbringt, werterhöhend zu berücksichtigen. Das ergibt sich aus der verschmelzungsrechtlichen Gleichbehandlungspflicht. Die Leistung an den Empfänger führt nämlich im Regelfall dazu, dass sich das Umtauschverhältnis für seine Mitgesellschafter verschlechtert. Die Rechtsvergleichung mit England zeigt, dass die Regelungen dort zum Teil strenger sind. Bewertungsprobleme werden dadurch vermieden, dass die Übertragung von Vermögen auf den Mehrheitsgesellschafter bei börsenotierten Gesellschaften und beim scheme of arrangement nur zulässig ist, wenn die Mehrheit der außenstehenden Gesellschafter zustimmen. Bei anderen Gesellschaften und bei reorganizations nach dem Insolvency Act kommt es zwar zu keiner Sonderabstimmung; jedoch kann widersprechenden Aktionären das Recht zukommen, aus der Gesellschaft gegen angemessene Abfindung auszutreten. Am häufigsten ist das der Fall, wenn sich die Minderheit auf unfair prejudice beruft. Das englische Recht bemüht sich im Regelfall nicht darum, die Angemessenheit der Transaktion wiederherzustellen; freilich stellt sich die Angemessenheitsfrage im Zusammenhang mit der widersprechenden Gesellschaftern zu gewährenden Abfindung. Die Probleme der Bewertung des Unternehmens stellen sich daher auch in England. Die hier vorgebrachten Vorschläge gehen also in die Richtung, die volle Überprüfung des Umtauschverhältnisses bei Konzentrationsverschmelzungen, aber unter bestimmten Voraussetzungen auch für Konzernverschmelzungen aufzugeben; sie versuchen freilich auch, die Grenzen für dieses Vorgehen aufzuzeigen. Aus diesen Grenzen ergibt sich, dass es überschießend wäre, den Anspruch auf bare Zuzahlung und das Überprüfungsverfahren bei Konzentrationsverschmelzungen auszuschließen. Ob die liberaleren Voraussetzungen für die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses gegeben sind, ist am besten in einem Spruchverfahren bzw Gremialverfahren nach der Verschmelzung zu prüfen.
5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Einführung 1.1
Die Zivilrechtsordnung muss in vielen Zusammenhängen den Wert oder den Preis einer Sache feststellen. Worauf dabei abzustellen ist, kann nur anhand des konkreten Regelungszusammenhangs, in dem sich die Frage stellt, nicht aber allgemein für das Zivilrecht behandelt werden. Auch §§ 304 ff ABGB bieten nur eine erste Orientierung; auf diese Normen können aber nicht unmittelbar Rechtsfolgen gestützt werden, jedenfalls nicht, soweit die Zwecke einer konkreten Regelung nicht berücksichtigt werden.
1.2
Die Wirtschaftswissenschaften unterscheiden zwischen Wert und Preis. Preise sind am Markt beobachtete Transaktionsbedingungen. Der Wert eines Gutes wurde ursprünglich als eine intrinsische Eigenschaft verstanden. Seit der marginalistischen Revolution sieht die Mikroökonomie den Wert als eine Subjekt-Objekt-Beziehung. Dem folgt auch die moderne Lehre der Unternehmensbewertung. Der Wert einer Sache ist daher je nach Eigentümer verschieden.
1.3
Objektive Werte und damit im Ergebnis häufig Marktpreise haben besondere Bedeutung, wenn es um die Überprüfung privatautonom geschlossener Transaktionen geht, die ohne Beeinträchtigung der Willensfreiheit zustande gekommen sind.
1.4
Subjektive Werte erhalten besondere Bedeutung, wenn diese Willensfreiheit gestört ist oder wenn kein Vertragsabschluss, sondern ein Eingriff ins Eigentum vorliegt. Die Wertungen eines Rechtsgebiets können freilich für die Gleichbehandlung mehrerer Betroffener sprechen; dann ist eine unterschiedliche Behandlung je nach den zugefügten Vermögensnachteilen nicht zulässig. Das ist zB im Gesellschaftsrecht der Fall.
1.5
Vorteile aus zwangsweise durchgeführten Transaktionen sind grundsätzlich mit demjenigen zu teilen, dem ein Gut entzogen wird. Das gilt nur dann nicht, wenn die Vorteile unmittelbar bei der öffentlichen Hand anfallen, wie vor allem bei der klassischen Enteignung.
1.6
Die wohlfahrtsökonomische Beurteilung einer Norm hat Bedeutung für die Rechtsdogmatik, soweit es sich aus den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen ergibt oder soweit in Ermangelung solcher Vorgaben eine effizienztheoretische Beurteilung von Marktprozessen dem Regelungszusammenhang angemessen ist. Die Überzeugungskraft des An-
572
5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse satzes ist aufgrund der von ihm ausgeblendeten Faktoren bei marktfernen Sachverhalten schwächer. Äquivalenzstörungen bei Kaufverträgen
2.1
Die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte entstammt dem nachklassischen Recht. Die Norm steht in den Entwicklungslinien sowohl dem Irrtumsrecht als auch dem Wucherverbot nahe; Letzteres hat die laesio enormis im Rechtsvergleich weit gehend verdrängt.
2.2
Mit der laesio enormis kann einerseits der Wertirrtum aufgegriffen werden, bei dem der Irrtum den Marktpreis betrifft. Nach richtiger und herrschender Meinung ist andererseits auch der Eigenschaftsirrtum erfasst, bei dem nicht primär über die Marktgegebenheiten, sondern vor allem über wertbildende Eigenschaften der Kaufsache geirrt wird.
2.3
Die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte hat besondere Bedeutung, wenn in einer bestimmten Situation keine Aufklärungspflichten der besser informierten Vertragspartei bestehen. Hier zieht § 934 ABGB bei Informationsasymmetrie eine Obergrenze für den von der verkürzten Partei zu tragenden Nachteil. Vertypt liegt der Norm in diesen Fällen der Vorwurf des Ausnutzens eines Wissensvorsprungs zugrunde; dieses Element der beidseitigen Zurechnung ist aber nicht stark ausgeprägt.
2.4
Die Anfechtung nach § 934 ABGB hat für den Eigenschaftsirrtum dann besondere Bedeutung, wenn der Verkäufer werterhöhende Eigenschaften nicht kennt. Für den Käufer stellt in vergleichbaren Fällen häufig ohnehin das Gewährleistungsrecht Rechtsbehelfe zur Verfügung; für den Verkäufer fehlt es neben der laesio enormis zumeist an einer alternativen Anspruchsgrundlage, insbesondere wenn die Anfechtung wegen Irrtums mangels einer entsprechenden Aufklärungspflicht ausscheidet.
2.5
Auch der gemeinsame Irrtum, der zu einer Verkürzung über die Hälfte führt, kann grundsätzlich über die laesio enormis aufgegriffen werden. Die Rechtsprechung ordnet diese Fälle aber häufig als Erwerb zum Wert der besonderen Vorliebe ein, wodurch sie trotz des zwingenden Charakters zu einer Ausnahme von § 934 ABGB kommt. Das ist im Ergebnis richtig. In der Sache geht es aber um die vertragliche Risikoverteilung; diese geht der Anfechtung wegen laesio enormis vor, wenn kein Fall der Informationsasymmetrie vorliegt. Jedenfalls müssen sich im Vertrag Anhaltspunkte dafür finden, dass das Risiko einer von § 934 ABGB erfassten Verkürzung anders als nach dem gesetzlichen Konzept verteilt werden soll. Für Fälle der Informationsasymmetrie – dem Kern der Norm – kann von § 934 vertraglich nicht abgewichen werden.
2.6
Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage nach HGB steht die Anfechtung wegen laesio enormis nach UGB allen Unternehmern offen. Allerdings kann sie vertraglich ausgeschlossen werden. Fraglich ist jedoch,
5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
573
warum sich der Unternehmer auch gegenüber dem schutzwürdigeren Konsumenten auf die Verkürzung berufen soll; ebenso ist fraglich, warum bei Informationsasymmetrie der Ausschluss der Anfechtung möglich sein soll. Besser als die Übernahme von § 934 ABGB in das Unternehmensrecht wäre es, die Norm selbst zu novellieren. 2.7
Der Vergleichsmaßstab bei der laesio enormis ist grundsätzlich der Marktpreis; der für den Vergleich heranzuziehende Markt darf nicht eng definiert werden. Auf den Ertragswert kann nur zurückgegriffen werden, wenn kein Marktpreis besteht. Der Vergleich mit den Produktionskosten scheidet jedenfalls aus.
2.8
Die unangemessene Marktpreisbildung bei Monopolen ist grundsätzlich nicht mit der Verkürzung über die Hälfte, sondern mit dem Wucherverbot und zivilrechtlichen Ansprüchen wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung aufzugreifen. Im Rahmen dieser Bestimmungen kommen als Ansatzpunkt für den Wertvergleich die Begrenzung der Gewinnspanne und ein Vergleich mit ähnlichen Märkten in Betracht. Die praktische Anwendbarkeit dieser Konzepte ist für den zivilrechtlichen Rechtsschutz allerdings nur beschränkt gegeben.
2.9
Das bessere Wissen einer Vertragspartei über zukünftige Entwicklungen des Marktpreises kann mit der Verkürzung über die Hälfte grundsätzlich nicht geltend gemacht werden; Vergleichsmaßstab für § 934 ABGB ist der Marktpreis im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Bei der Ausnützung einer Zwangslage im Rahmen des Wuchertatbestandes kann im Einzelfall auch auf zukünftige Entwicklungen abzustellen sein.
2.10
Das deutsche BGB kennt die Anfechtung von Verträgen wegen Verkürzung über die Hälfte nicht. Allerdings führt die Rechtsprechung zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft zu ähnlichen Ergebnissen. Denn bei einer Überschreitung der Hälftegrenze wird eine „verwerfliche Gesinnung“ des Begünstigten (allerdings widerleglich) vermutet, welche die Anfechtung nach § 138 Abs 1 BGB eröffnet. Diese verwerfliche Gesinnung liegt im Ergebnis in der Kenntnis des Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Die flexiblere deutsche Definition des Tatbestands ist der laesio enormis nach ABGB überlegen, wie insbesondere der gemeinsame Irrtum zeigt.
2.11
Das englische Recht greift Äquivalenzstörungen im Vergleich zur österreichischen und deutschen Rechtslage nur unter erschwerten Voraussetzungen auf. Abseits von undue influence und der strittigen Kategorie der unconscionable bargains, die in Summe und zumindest nach neueren Auslegungsansätzen dem Wuchertatbestand nach ABGB nahe kommen könnten, liegt dies vor alle daran, dass das englische Irrtumsrecht Aufklärungspflichten grundsätzlich ablehnt und auch eine Auffangregel nach Art der österreichischen laesio enormis oder dem deutschen wucherähnlichen Rechtsgeschäft fehlt.
574
5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
2.12
Die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte sollte de lege ferenda generell ausgeschlossen werden, wenn kein Fall der Informationsasymmetrie vorliegt, also beim gemeinsamen Irrtum. Freilich sollte so wie in Deutschland vermutet werden, dass bei einer Verkürzung von mehr als 100 % ein Informationsvorsprung ausgenutzt wurde. Zu überlegen wäre darüber hinaus, ob die Anfechtung nicht auch dann ausgeschlossen sein soll, wenn der Verkürzte den wahren Wert der Sache hätte kennen sollen; dadurch würde eine Obliegenheit zur Selbstinformation geschaffen. Schließlich wäre es erwägenswert, dem Begünstigten in bestimmten Situationen die Abwendung der Vertragsaufhebung durch Aufzahlung bloß bis zur Hälfte des wahren Werts zu eröffnen; dadurch würden insbesondere für den Käufer auch weiterhin Anreize bestehen, Kosten für die Erlangung von Information über die Kaufsache aufzuwenden.
Die Entschädigung bei der Enteignung 3.1
Die Enteignung erfolgt nicht mit einem Vertrag, der durch Kontrahierungszwang zustande kommt, Basis ist vielmehr ein Bescheid einer Behörde. Dem entspricht, dass die zu leistende Entschädigung nach heute herrschender Lehre kein vertragsrechtliches Entgelt, sondern ein dem Schadenersatz ähnlicher Anspruch ist.
3.2
Die Enteignungsentschädigung dient nach einem Teil der Rechtsprechung der Ersatzbeschaffung, ein anderer Teil stellt den Ausgleich für den Vermögensverlust in den Vordergrund. Eine neuere Rechtsprechungslinie spricht von einem Entgelt für den Rechtsverlust. Die Theorie der Sozialbindung des Eigentums, nach der die Entschädigung nicht voll, sondern bloß den Umständen angemessen sein muss, hat sich nicht durchsetzen können.
3.3
Rechtsökonomisch dient die Enteignung nicht dazu, dem Staat billigen Zugriff auf Liegenschaften oder andere Güter zu eröffnen. Vielmehr soll das so genannte hold out-Problem abgeschwächt werden; wäre die öffentliche Hand zum Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages verpflichtet, wenn sie ein Grundstück erwerben möchte, so könnte der Liegenschaftseigentümer versuchen, den gesamten Nutzen des Enteignungsprojekts abzuschöpfen, der somit nicht der Allgemeinheit zugute käme.
3.4
Die Pflicht zur Entschädigung führt grundsätzlich dazu, dass die öffentliche Hand bzw der Enteignungswerber die Kosten der Enteignung internalisieren muss. Das Enteignungsprojekt wird nur durchgeführt, wenn der zu erwartende Nutzen den Nachteil aus der Sicht des Enteigneten übersteigt. Ineffizientem Staatshandeln wird dadurch ein Riegel vorgeschoben. Die public choice-Theorie legt nahe, dass dieser Riegel
5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
575
notwendig sein kann. Zusätzlich beugt die Entschädigung einer Demoralisierung der Eigentümer von Liegenschaften vor. 3.5
Zu ersetzen ist aus ökonomischer Sicht der Entgang des subjektiven Nutzens beim bisherigen Eigentümer. Das wäre auch die geringste Gegenleistung, zu welcher er bereit wäre, privatautonom zu kontrahieren. Der Effizienzgewinn aus der Enteignung selbst ist hingegen nicht zu teilen und fällt bei der Allgemeinheit an.
3.6
Rechtsdogmatisch bedeutet das, dass die Entschädigung nicht objektivabstrakt, sondern konkret anhand der Auswirkungen im Vermögen des Enteigneten zu berechnen ist. Auch der entgangene Gewinn ist zu ersetzen. Das Affektionsinteresse bleibt freilich unbeachtlich; das sehen die Enteignungsgesetze im Regelfall auch ausdrücklich vor.
3.7
Der Vermögensnachteil fällt beim Enteigneten mit dem Enteignungszeitpunkt an; ausschlaggebend ist als Qualitätsstichtag der Vollzug der Enteignung. Vorwirkungen und Nachwirkungen des Enteignungsprojekts sind zu berücksichtigen. Die Bewertung der Liegenschaft anhand der herrschenden Marktpreise hat möglichst zeitnah zur Auszahlung zu erfolgen; der Valorisierung der Entschädigungssumme kommt daher nur untergeordnete Bedeutung zu.
3.8
Der Wert kann sich gemäß LBG nach dem Vergleichswert- oder dem Ertragswertverfahren richten. Der höhere Wert ist für die Entschädigung ausschlaggebend. Das Sachwertverfahren, das wesentlich auf die Wiedererrichtungskosten abstellt, kommt nur in Betracht, wenn die anderen Bewertungsverfahren nicht durchgeführt werden können; das kann insbesondere bei nicht unternehmerisch genutzten bebauten Liegenschaften der Fall sein.
3.9
Das Enteignungsprojekt kann auch zu einer Wertminderung oder Werterhöhung der nicht von der Enteignung betroffenen Restliegenschaft des Enteigneten führen. Der konkreten Berechnung entspricht es, beide Effekte bei der Festlegung der Entschädigung zu berücksichtigen. Der Enteignete kann sich nicht auf eine objektiv-abstrakte Berechnung zurückziehen, wenn die Ergebnisse der konkreten Berechnung wegen einer Werterhöhung für ihn nachteilig sind. Jedenfalls wäre es aber unzulässig, Wertminderungen zu berücksichtigen, Werterhöhungen aber nicht oder umgekehrt. Gesellschafterausschluss und Verschmelzung
4.1
Der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern auf Wunsch des Mehrheitsgesellschafters ohne wichtigen Grund war schon bisher möglich, wird aber durch das GesAusG auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt. Verschiedene Ausschlussinstrumente werden dadurch hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Rechtsfolgen vereinheitlicht. Im Er-
576
5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse gebnis ist das neue Recht etwas minderheitenfreundlicher als die bisherige Rechtslage.
4.2
Der Gesellschafterausschluss ist eine Eigentumsbeschränkung zu Lasten der Minderheitsgesellschafter. Die Maßnahme liegt vor allem im privaten Interesse des Mehrheitsgesellschafters, der einen hold-out vermeiden kann; das öffentliche Interesse an den dadurch möglichen einfachen Konzernstrukturen ist zwar vorhanden, aber nur schwach ausgeprägt. In der Sache ist das Vermögensinteresse der Ausgeschlossenen besonders zu schützen; die volle Abfindung ist daher – auch aus verfassungsrechtlicher Sicht – unverzichtbar.
4.3
Die nachprüfende Kontrolle des Umtauschverhältnisses ist bei der Verschmelzung zwischen Konzerngesellschaften ein Ausgleich dafür, dass die Konzernmutter bei der Beschlussfassung in der Tochtergesellschaft mitstimmen darf. Die Regelung steht in einer Linie mit dem Verbot der Einlagenrückgewähr. Für die Konzentrationsverschmelzung zweier voneinander unabhängiger Unternehmen fehlt es an einer vergleichbaren Rechtfertigung. Die volle Überprüfung erklärt sich bei dieser vor allem aus der schwierigen Abgrenzung von Konzentrationsund Konzernverschmelzung und aus der Tatsache, dass auch bei der Konzentrationsverschmelzung die Gleichbehandlung unter den Gesellschaftern jeder beteiligten Gesellschaft sichergestellt werden muss.
4.4
Für die Festlegung der angemessenen Abfindung bzw des angemessenen Umtauschverhältnisses bedarf es einer zukunftsbezogenen Unternehmensbewertung. Bei dieser ist wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes objektiviert vorzugehen. Die Bewertung ist grundsätzlich stand alone, also unter Fortführung des bisherigen Unternehmenskonzeptes vorzunehmen.
4.5
Dieser Wert ist beim Gesellschafterausschluss aber nur eine erste Säule für die angemessene Abfindung. Bei einem Vertragsabschluss müssten auch die Transaktionsgewinne, also insbesondere die Synergieeffekte, geteilt werden. Wenn der Mehrheitsgesellschafter aber vor der Gefahr des hold-out und einer übermäßigen Abgabe dieser Gewinne geschützt werden soll, so folgt daraus nicht, dass er überhaupt nichts von diesen Vorteilen herausgeben muss. Die Aufteilung der Verbundeffekte kann hälftig zwischen Unter- und Obergesellschaft oder unmittelbar proportional zwischen dem Mehrheits- und den Minderheitsgesellschaftern erfolgen.
4.6
Bei der Konzentrationsverschmelzung ist das Umtauschverhältnis nicht zwingend nach dem Verhältnis der stand alone-Werte der beteiligten Unternehmen vorzunehmen, was automatisch zu einer Verteilung der Synergiegewinne nach diesem Verhältnis führt. Vielmehr können die Verbundeffekte frei zwischen den Gesellschaftergruppen verteilt werden; die Beteiligung jeder Gruppe muss absolut nach der Gesellschaft
5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
577
jedoch mindestens genau so wertvoll sein wie zuvor. Bei der Konzernverschmelzung ist hingegen die Verteilung der Synergien nach dem Verhältnis der stand alone-Werte rechtsrichtig. 4.7
Der Börsekurs bildet beim squeeze-out die Untergrenze für die angemessene Abfindung. Dabei geht es nicht darum, ob durch den Börsekurs der Unternehmenswert richtig widergespiegelt wird. Vielmehr hat der einzelne Minderheitsaktionär immer die Möglichkeit, seine Anteile zum Börsekurs zu veräußern, weswegen der Wert der Aktie aus Sicht dieses Aktionärs nicht unter den Kurs fallen kann. Ist der durch Bewertung festgestellte Unternehmenswert höher, so ist der Börsekurs jedoch nicht zu berücksichtigen. Nur von der Ankündigung des Ausschlusses unbeeinflusste Kurse sind unter Berücksichtigung eines Durchrechnungszeitraums (von sechs Monaten) heranzuziehen.
4.8
Bei der Verschmelzung sind die Börsekurse grundsätzlich nicht ausschlaggebend und zwar weder auf Seiten der übernehmenden noch der übertragenden Gesellschaft. Der Kurs ist allenfalls ein Indikator für den Unternehmenswert. Jedenfalls ist besonders zu begründen, wenn bei der Konzernverschmelzung zum Nachteil von Minderheitsgesellschaftern von Börsekursen abgewichen werden soll.
4.9
Erwirbt der Hauptgesellschafter vor dem Gesellschafterausschluss Anteile, so ist der dabei bezahlte Preis für die Bemessung der Abfindung heranzuziehen, wenn er einen Indikator für den Unternehmenswert darstellt. Das ist jedenfalls der Fall, wenn mit dem Erwerb die Kontrolle über die Gesellschaft erlangt wird, aber wohl nicht, wenn nur die Ausschlussschwelle überschritten wird. Für börsenotierte Gesellschaften ergibt sich die Pflicht zur Gleichbehandlung mit einem vorangehenden Übernahmeangebot schon aus § 7 Abs 3 GesAusG. Paralleltransaktionen zum Ausschlussverfahren sind jedenfalls zu berücksichtigen, weil sonst die Pflicht zur Gleichbehandlung umgangen würde.
4.10
Auch bei der Verschmelzung sind parallele Zahlungen unter den Gesellschaftern zu berücksichtigen. Denn solche Zahlungen können dazu führen, dass die Gegenleistung für die nicht durch die Zahlung begünstigten Gesellschafter sinkt. Das gilt insbesondere bei der Konzentrationsverschmelzung. Wenn daher kontrollierende Gesellschafter einer Gesellschaft im Zusammenhang mit der Verschmelzung Leistungen an die Gesellschafter der anderen Gesellschaft erbringen, muss die neu entstandene Gesellschaft einen Ausgleich leisten; dies wird zweckmäßigerweise durch Gewähr von Aktien erfolgen.
4.11
Für den Gesellschafterausschluss als Folge eines Übernahmeangebots sieht § 7 Abs 3 GesAusG vor, dass vermutet wird, dass die Gegenleistung des Angebots auch für die Entschädigung beim Ausschluss angemessen ist, wenn das Angebot von mehr als 90 % der Adressaten angenommen wird. Das gilt nur, wenn der Bieter seine Informationspflich-
578
5. Teil: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ten erfüllt hat und wenn die annehmenden Angebotsadressaten vom Bieter unabhängig waren. Derselbe Gedanken kann Geltung beanspruchen, wenn vor dem squeeze-out mehr als 90 % der Gesellschafter in anderer Weise an den nunmehrigen Mehrheitsgesellschafter verkauft haben. Was für die Mehrheit angemessen ist, soll auch für die Minderheit verbindlich sein.
4.12
Bei der Verschmelzung kann für die Vermutung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses auf die abgegebenen Stimmen abgestellt werden. Das Umtauschverhältnis kann als angemessen gelten, wenn die Zustimmung zur Verschmelzung mit mehr als 90 % der vertretenen Stimmen erfolgt; Zähler und Nenner sind um die Stimmen des Verschmelzungspartners zu bereinigen. Diese Vermutung kann sowohl bei Konzentrations- als auch bei Konzernverschmelzungen für die Praxis wesentliche Erleichterungen bringen. Paralleltransaktionen zu besseren Bedingungen sind freilich auch in diesem Fall erhöhend zu berücksichtigen.
4.13
Das englische Recht geht andere Wege. Es versucht zum Teil, bei Unternehmenszusammenschlüssen die Willensbildung der einen Gesellschaft durch Sonderabstimmungen unabhängig von ihrem Vertragspartner zu gestalten. Daneben stehen widersprechenden Minderheitsgesellschaftern verschiedenen Austrittsrechte zu.
4.14
Der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern ist im englischen Recht überhaupt nur als Folge von Transaktionen mit hoher Annahmequote möglich; ein bereits bestehender Gesellschafter von 90 % kann nach CA 1985 die Minderheit grundsätzlich nicht ausschließen, wobei nicht restlich geklärt ist, ob schemes of arrangement für diesen Zweck eingesetzt werden können. Es kommt aber nicht darauf an, dass der Anteilserwerb gerade durch ein Übernahmeangebot erfolgt ist; wesentlich ist nur, dass sich mehr als 90 % der vom Käufer unabhängigen Gesellschafter zum Verkauf zu diesen Konditionen bereit erklärt haben. Der Ausschlusspreis wird grundsätzlich nicht überprüft.
Zitierte Judikatur I. Österreich A. Verfassungsgerichtshof Datum 10.10.1973 16.12.1983 2.3.1992 13.10.1993 14.10.1993 17.12.1993 28.9.2002 16.6.2005 14.12.2005
Geschäftszahl B 84/73 G 46/82 B 97/91 ua B 200/92, B 1879/92 B 1633/92 G 48/93, V 13/93 G 286/01 G 129/04-17 etc B 389/05 ua
VfSlg 7.160 9.911 13.006 13.579 13.587 13.659 16.636
Fundstellen
WBl 2005, 484
B. Oberster Gerichtshof Datum 22.8.1855 13.1.1875 14.6.1878 1.2.1882 22.10.1895 23.2.1898 24.11.1898 8.2.1899 27.3.1900 26.6.1900 11.4.1912 9.7.1913 13.4.1920 23.1.1923 20.2.1923 27.3.1923 5.3.1924 18.3.1924 18.6.1924 22.4.1925 10.3.1926 1.6.1926 9.11.1926
Geschäftszahl Nr 721 Nr 13443 Nr 3111 Nr 12522 Nr 11315 Nr 2716 Nr 13482 Nr 17246 Nr 3570 Nr 9032 188/12 690/13 Rv III 86/20 Ob I 54/23 Ob II 112/23 Ob II 180/23 Ob II 154 Ob II 55/24 Präs 103/24 Ob II 318/25 Ob II 183/26 2 Ob 467/26 1 Ob 866/26
SZ
11.10.1927 22.11.1927 10.12.1929 23.4.1930
3 Ob 915/27 Ob III 1070/27 3 Ob 968/29 3 Ob 977/29
9/198
Fundstellen GlU 125 GlU 5599 GlU 7029 GlU 8861 GlU 15598 GlUNF 42 GlUNF 388 GlUNF 503 GlUNF 948 GlUNF 1069 GlUNF 5868 GlUNF 7200
2/24 5/15 5/36 5/68 ZBl 1924/121 6/109 6/226 7/150 8/74 8/181 Rsp 1926/209 (204) JBl 1928, 151 11/255 JBl 1930, 322 (Groß)
580
Zitierte Judikatur
2.6.1931
3 Ob 437/31
Rsp 1931/244 (161) JBl 1934, 304
31.1.1934 8.10.1935 28.9.1950 16.11.1950 14.11.1951 11.6.1952 24.10.1952 27.1.1954 4.3.1955 20.4.1955 5.10.1955
1 Ob 81/34 1 Ob 498/35 1 Ob 507/50 2 Ob 411/50 1 Ob 772/51 2 Ob 446/52 2 Ob 425/52 3 Ob 816/53 1 Ob 116/55 3 Ob 220/55 2 Ob 438/55
18.12.1957
2 Ob 578
27.5.1959 12.1.1961
2 Ob 17/59 6 Ob 270/60
15.11.1961 18.9.1961 22.11.1961 8.1.1963
1 Ob 453/61 2 Ob 214, 215/61 3 Ob 500/60 8 Ob 367/62
7.2.1963 2.5.1963 16.10.1963
5 Ob 8/63 7 Ob 122/63 6 Ob 267, 268/63
36/22
14.1.1964 26.5.1964 27.4.1965
8 Ob 335/63 8 Ob 175/64 8 Ob 107/65
37/8 37/76
13.5.1965 16.9.1965 17.2.1966
2 Ob 144/65 5 Ob 97/65 2 Ob 386/65
26.4.1966
8 Ob 122/66
10.5.1966 26.5.1966 30.6.1966 23.11.1966
2 Ob 426/65 5 Ob 86/66 1 Ob 155/66 7 Ob 106/66
39/88
30.11.1966
6 Ob 342/66
39/206
25.1.1967 31.8.1967 4.10.1967 24.11.1967 20.3.1968 9.10.1968 8.1.1969
5 Ob 20/67 6 Ob 187/67 6 Ob 263/67 5 Ob 248/67 6 Ob 47/68 6 Ob 207/68 6 Ob 307/68
40/11 40/110
17/134 23/272 23/335 24/306 25/167 25/279 27/19 28/69 28/103 EvBl 1956/232 (434) EvBl 1958/94 (157) JBl 1959, 455 JBl 1961, 417 = MietSlg 8558 RZ 1962, 83 34/119 EvBl 1962/55 (69) EvBl 1963/180 (265) RZ 1963,154 EvBl 1964/317 (465)
EvBl 1965/423 (633) ZVR 1966/41 (50) JBl 1966, 149 ZVR 1967/205 (250) EvBl 1966/352 (461) ZVR 1967/77 (76) RZ 1967, 74 EvBl 1967/203 (240) EvBl 1967/281 (397) = JBl 1967/620
MietSlg XIX/23 NZ 1969, 30 41/32 RZ 1969, 107 42/2
Zitierte Judikatur 24.9.1969 15.1.1970 12.5.1971 16.9.1971 17.11.1971 5.4.1972 20.6.1972 21.2.1973 5.9.1973 3.10.1973 24.10.1973 29.11.1973 4.12.1974 12.12.1974 18.12.1974 29.4.1975 30.4.1975
6 Ob 174/69 1 Ob 1/70 7 Ob 56/71 1 Ob 227/71 5 Ob 296/71 1 Ob 34/72 5 Ob 89/72 5 Ob 18/73 5 Ob 128/73 5 Ob 146, 155/73 5 Ob 176, 214/73 2 Ob 131/73 5 Ob 288/74 7 Ob 246/74 5 Ob 311/74 5 Ob 9, 10/75 1 Ob 26/75
8.10.1975 29.10.1975 9.12.1975 27.4.1976
1 Ob 191/75 1 Ob 197/75 5 Ob 230/75 3 Ob 511/76
2.6.1976
1 Ob 621/76
6.7.1976
3 Ob 509/76
21.9.1976 3.6.1976 14.10.1976 6.12.1977 20.12.1977 28.2.1978 6.12.1978 28.3.1979 30.1.1980 25.3.1980 2.9.1980 30.3.1981 13.5.1981 15.7.1981 16.2.1982 18.2.1982 21.4.1982 27.4.1982 22.9.1982 29.10.1982 10.11.1982 12.1.1983 24.1.1983 12.4.1983 13.4.1983
1 Ob 708/76 7 Ob 30/76 6 Ob 12/76 5 Ob 584/77 5 Ob 699/77 5 Ob 555/77 1 Ob 756/78 3 Ob 522/78 1 Ob 791/79 5 Ob 700/78 5 Ob 573/80 6 Ob 798/80 6 Ob 552/81 1 Ob 666/81 7 Ob 642/82 7 Ob 744/81 1 Ob 778/81 5 Ob 577/81 1 Ob 502/82 5 Ob 731/82 3 Ob 523/82 3 Ob 651/82 1 Ob 36/82 4 Ob 536/83 1 Ob 581/83
581 42/136 43/11 44/71 44/138 45/38 JBl 1972, 611 RZ 1973/88 (66) 46/84 46/94 EvBl 1974/66 JBl 1974, 202 47/143 47/148 47/152 48/54 48/56
JBl 1975, 318
JBl 1975,600 = EvBl 1976/78 (151)
48/102 48/112 49/56
RZ 1976/86 (157) EvBl 1976/238 (519) EvBl 1976/255 (576) EvBl 1976/256 (579) GesRZ 1977, 23 JBl 1977, 37
49/118 50/158 JBl 1978, 541 51/23 51/175 52/52 53/13 53/51 53/108 54/45 54/71 JBl 1982, 86 MietSlg 34.115 55/21 55/51 55/56 55/133 55/160 55/175 JBl 1984, 41 56/11 RZ 1984/29 (95) 56/62
582
Zitierte Judikatur
26.5.1983 15.6.1983 25.1.1984 29.2.1984 14.11.1984 20.3.1985 8.5.1985 3.10.1985 13.11.1985 22.1.1986 27.2.1986 13.3.1986 9.4.1986 5.6.1986
6 Ob 802/81 1 Ob 653/83 3 Ob 532-538/83 2 Ob 510/84 1 Ob 587/84 1 Ob 532/85 1 Ob 691/84 6 Ob 633/85 1 Ob 624/85 3 Ob 568/85 8 Ob 515/86 7 Ob 569/85 1 Ob 553/86 6 Ob 530/85
56/82 56/96 57/23 57/44 57/173 58/43 58/69 58/150
14.7.1986 19.12.1986
1 Ob 554/86 6 Ob 647/84
59/130 59/229
23.10.1986 5.2.1987 27.4.1987 22.12.1987 3.3.1988 19.4.1988 30.6.1988 21.5.1990
8 Ob 617/86 6 Ob 647/84 1 Ob 536/87 2 Ob 661/87 6 Ob 733/87 5 Ob 521/88 7 Ob 573/88 1 Ob 533/90
21.3.1991 12.12.1991 28.8.1991 18.12.1991 15.1.1992 29.1.1992 24.6.1992 18.12.1992 14.7.1992 25.2.1993 25.3.1993 24.6.1993 30.5.1994 13.7.1994 12.1.1995 27.2.1995 28.3.1995 27.6.1995 30.8.1995 31.8.1995 17.10.1995 14.11.1996 13.2.1997 26.2.1997 17.4.1997
6 Ob 600/90 7 Ob 625/91 9 Ob S 13/91 1 Ob 606/91 1 Ob 511/92 1 Ob 616/91 1 Ob 15/92 6 Ob 563/92 5 Ob 119/92 6 Ob 618/92 8 Ob 502/93 8 Ob 562/93 1 Ob 515/94 3 Ob 503/93 2 Ob 598/94 1 Ob 30/94 4 Ob 523/95 4 Ob 544/95 3 Ob 520/94, 559/95 3 Ob 566/95 1 Ob 510/95 2 Ob 2146/96v 2 Ob 17/97g 7 Ob 2327/96y 8 Ob 2177/96x
JBl 1986, 777
JBl 1988, 581 59/43 59/49 59/65 EvBl 1987/79 (311) JBl 1987, 237 (Rummel) wbl 1987, 97
60/17 60/69 JBl 1988, 449 61/53 61/97 61/162 JBl 1991, 43 = RdW 1990, 378 64/32 JBl 1992, 450 64/116 64/183 65/13 65/94 65/166
JBl 1992, 388 JBl 1992, 392
EvBl 1993/47 66/25 66/41 NZ 1994, 206 67/99 67/123 HS 26.382 68/41 68/66 68/121 68/152 68/154
wbl 1995, 290 EvBl 1996/8 (63) RdW 1996, 207
69/254 70/28 bbl 1998, 43 ecolex 1997, 924 (Urbanek)
Zitierte Judikatur 26.5.1997
2 Ob 522/95
11.9.1997
6 Ob 146/97g
7.10.1997 13.12.1997 19.5.1998 27.1.1998 26.2.1998
4 Ob 255/97x 2 Ob 17/97g 7 Ob 38/98h 1 Ob 148/97i 6 Ob 335/97a
25.3.1998 27.5.1998 30.6.1998 12.8.1998 16.9.1998 17.12.1998
3 Ob 8/98t 3 Ob 2199/96w 4 Ob 165/98p 4 Ob 208/98m 3 Ob 79/97g 2 Ob 325/98b,
29.6.1999 13.4.2000 29.8.2000 29.9.1999
2 Ob 82/99v 6 Ob 187/99i 1 Ob 76/00h 6 Ob 199/99d
9.3.2000
6 Ob 31/00b
19.12.2000 5.7.2001
4 Ob 188/00a 6 Ob 99/01d
10.7.2001 12.9.2001 13.9.2001 13.4.2000 31.1.2002 8.8.2002 30.10.2002 13.11.2002 25.3.2003 23.6.2003 25.9.2003
4 Ob 147/01y 4 Ob 159/01p 6 Ob 170/01w 2 Ob 100/00w 6 Ob 48/01d 2 Ob 184/02a 7 Ob 136/02d 7 Ob 251/02s 1 Ob 67/03i 9 Ob 247/02t 2 Ob 189/01k
7.10.2003 16.12.2003 26.8.2004 22.3.2004 28.2.2005 30.6.2005 19.10.2005
4 Ob 188/03f 1 Ob 263/03p 6 Ob 132/04m 1 Ob 23/04w 5 Ob 21/05g 3 Ob 324/04z 7 Ob 138/05b
31.8.2006 21.9.2006 8.3.2007
6 Ob 123/06s 2 Ob 282/05t 2 OB 220/06a
583 JBl 1998, 41 (Holzner) ecolex 1998, 197 (Wilhelm) RdW 1998, 199 70/28 ecolex 1998, 711 71/4 wbl 1998, 546, ecolex 1998, 557 71/59 71/94 ÖBl 1999, 50 RdW 1999, 18 JBl 1999, 537 (Rummel) RdW 1999, 779 73/128 ecolex 2000, 123 (Terlitza) ecolex 2000, 399 (Bachner) ÖBA 2002, 135 (Kalss) 74/123 74/152 ecolex 2002, 260 IPRAX 2001, 149 2002/15 wbl 2002, 579 RdW 2003, 199 ecolex 2003, 168 2003/70 ecolex 2004/57 (Reich-Rohrwig) RZ 2004/10 (90) GesRZ 2004, 387 ecolex 2004, 606 NZ 2006/11 (44) JBl 2006, 39 RdW 2006/213, 216 RWZ 2007/99, 86 JBl 2007, 315 RdW 2007/414, 409
584
Zitierte Judikatur
C. Verwaltungsgerichtshof Datum 27.9.1995 18.3.2002
Geschäftszahl 94/16/0142 99/17/0136
VwSlg
Fundstellen GesRZ 1996, 131 ecolex 2002, 781
D. Kartellobergericht Datum 17.6.1991 14.6.1993 14.12.1993
Geschäftszahl Okt 46/90 Okt 3/93 Okt 7/93
Fundstellen ÖBl 1991, 132 ÖBl 1993, 125 ÖBl 1993, 271
E. Landesgericht Datum Wien 1.12.1937
Geschäftszahl
Fundstellen
41 R 2262
EvBl 1937/1028
F. Übernahmekommission Die Entscheidungen der Übernahmekommission sind unter http://www.takeover.at abrufbar und (bis 2006) auch bei Diregger/Kalss/Winner, Das österreichische Übernahmerecht, 2. Auflage (2006) abgedruckt. Datum 24.6.1999 12.9.2000
Geschäftszahl GZ 1999/2/3-21 GZ 2000/1/4-171
15.1.2001 16.2.2001 17.12.2001 6.8.2002 15.1.2005 24.2.2005
GZ 2000/2/6-81 GZ 2001/2/2-47a GZ 2001/2/3-395 GZ 2002/3/3-63 GZ 2004/3/13-178 GZ 2004/1/9-112
Fundstellen GesRZ 2000, 253 = NZG 2001, 282
II. Deutschland A. Bundesverfassungsgericht Datum 7.8.1962 27.4.1999 8.9.1999 23.8.2000 2.4.2004 26.7.2005 29.11.2006 30.5.2007
Geschäftszahl 1 BvL 16/60 1 BvR 1613/94 1 BvR 301/89 1 BVR 68/95, 1 BVR 147/97 1 BvR 1620/03 1 BvR 782/94 u 1 BvR 957/96 1 BvR 704/03 1 BvR 390/04
30.5.2007
1 BvR 1267, 1280/06
BVerfGE 14, 263 100, 289
Fundstellen
AG 2000, 40 NJW 2001, 279 AG 2004, 607 NJW 2005, 2363 NZG 2007, 228 AG 2007, 544 = BB 2007, 1515 WM 2007, 1520
Zitierte Judikatur
585
B. Reichsgericht Datum 14.2.1890 9.11.1906 1.7.1905 13.10.1906 24.9.1913 7.7.1925 22.2.1929 22.11.1935 13.3.1936
Geschäftszahl III 26/90 II 173/06 V 16/05 V 154/06 III 178/13 II 494/24 II 357/28 V 77/35 V 184/35
RGZ 25, 177 64, 266 61, 171 64, 181 83, 109 111, 233 124, 115 149, 235 150, 1
Fundstellen
BGHZ
Fundstellen NJW 1951, 397
C. Bundesgerichtshof Datum 5.3.1951 18.12.1954 25.9.1958 8.11.1962 16.3.1973 13.3.1978 9.10.1980 31.1.1962 30.3.1967 22.12.1971 17.1.1973 24.1.1979 31.1.1979
Geschäftszahl IV ZR 107/50 II ZR 296/53 III ZR 82/57 III ZR 86/61 V ZR 118/71 II ZR 142/76 VII ZR 332/79 VIII ZR 120/60 II ZR 141/64 V ZR 130/68 IV ZR 142/70 VIII ZR 16/78 I ZR 77/77
10.10.1979 30.1.1981 12.3.1981 14.6.1984 10.7.1986 2.10.1986 1.10.1986 1.12.1986 24.3.1988 8.6.1988 28.2.1989 13.3.1990 3.4.1990 4.12.1990 19.2.1991 8.11.1991 16.2.1994 1.2.1994 8.2.1994 11.11.1995 23.6.1995 25.10.1996
IV ZR 79/78 V ZR 7/80 III ZR 92/79 III ZR 81/83 III ZR 133/85 III ZR 163/85 IV b ZR 31/85 II ZR 287/85 III ZR 30/87 VIII ZR 135/87 IX ZR 130/88 XI ZR 252/89 XI ZR 261/89 XI ZR 340/89 XI ZR 319/89 ZR 260/90 IV ZR 35/93 XI ZR 105/93 XI ZR 77/93 VIII ZR 82/94 V ZR 265/93 V ZR 212/95
16, 54 28, 160 39, 198 60, 319 71, 40 78, 216 NJW 1962, 1196 AG 1967, 264 DB 1972, 479 NJW 1973, 509 NJW 1979, 758 MDR 1979, 730 = LM § 123 BGB Nr 52 AG 1980, 158 WM 1981, 404 80, 153 NJW 1984, 2292 98, 174 NJW 1987, 181 NJW 1987, 321 ZIP 1987, 291 104, 102 NJW 1988, 2597 197, 92 110, 336 111, 117 NJW 1991, 832 NJW 1991, 1810 NJW 1992, 899 125, 135
128, 255
NJW 1994, 1056 NJW 1994, 1275 NJW 1995, 1019 NJW 1995, 2635 NJW 1997, 129
586
Zitierte Judikatur
21.3.1997 18.6.1997 23.4.1997 4.3.1998 27.11.1998 28.4.1999 22.7.1999 22.12.1999 4.2.2000 30.5.2000 8.12.2000 18.12.2000 12.1.2001 19.1.2001 29.1.2001 13.6.2001 12.3.2001 19.7.2002 27.9.2002
V ZR 355/95 XII ZR 192/95 VIII ZR 212/96 II ZB 5/97 V ZR 344/97 XII ZR 150/97 KVR 12/98 VIII ZR 11/99 V ZR 146/98 IX ZR 121/99 V ZR 270/99 II ZR 1/99 V ZR 420/99 V ZR 437/99 II ZR 368/98 XII ZR 49/99 II ZB 15/00 V ZR 240/01 V ZR 218/01
25.11.2002 6.5.2003 19.2.2003 12.3.2003 20.5.2003 24.7.2003 2.12.2003 2.7.2004
II ZR133/01 XI ZR 226/02 XII ZR 142/00 IV ZR 278/01 XI ZR 248/02 IX ZR 131/00 XI ZR 53/02 V ZR 213/03
25.7.2005 25.10.2005
II ZR 327/03 II ZR 327/03
ZIP 1997, 931 136, 102 NJW 1997, 1845 138, 136 140, 111 141, 257 142, 239 NJW 2000, 1254 NJW 2000, 1487 NJW 2000, 2669 146, 179 146, 298
WM 2001, 997 NJW 2001, 1127 AG 2001, 263 NJW 2002, 55
147, 108 NJW 2002, 3165 NJW 2003, 283 = WM 2003, 642 153, 47 NJW 2003, 2230 154, 47 154, 154
NJW 2003, 1596 NJW 2003, 2529 NJW 2003, 3486 ZIP 2004, 549 NJW 2004, 2671 = ZIP 2004, 1758 WM 2006, 286 EWiR § 327a AktG 4/05
D. Oberlandesgericht Datum BayObLG 19.10.1995 11.12.1995 29.9.1998 18.12.2002
Geschäftszahl
Fundstelle
3 Z 17/90 3 Z 36/91 § Z BR 159/94 3 Z BR 116/00
AG 1996, 127 AG 1996, 176 AG 1999, 43 ZIP 2003, 253
Celle 31.7.1998
9 W 128/97
NZG 1998, 987
Düsseldorf 29.10.1976 17.2.1984 16.10.1990 25.5.2000
19 W 6/73 19 W 1/81 19 W 9/88 19 W 5/93
25.5.2000 31.1.2003
19 W 1/93 19 W 9/00 AktE
AG 1977, 168 ZIP 1984, 586 AG 1991, 106 NZG 2000, 1074 = AG 2000, 421 AG 2000, 422 AG 2003, 329
Zitierte Judikatur
587
15.1.2004 20.10.2005
I.19 W 5/03 AktE I.19 W 11/04 AktE
AG 2004, 212 AG 2006, 287
Frankfurt aM 9.1.2003
20 W 434/93, 20 W 425/93
Hamburg 17.8.1979 3.8.2000 7.8.2002
11 W 2/79 11 W 36/95 11 W 14/94
DB 1980, 77 AG 2001, 479 NZG 2003, 89
KG 19.3.1975 25.11.2004 16.10.2006
2 U 44/03 2 W 148/01
BB 1975, 1270 AG 2005, 478 NZG 2007, 71
München 16.11.2005
23 W 2384/05
26.10.2006 23.11.2006
31 Wx 12/06 23 U 2306/06
Stuttgart 19.4.1968 13.3.1994 19.10.1999 4.2.2000
2 U 5/68 4 W 56/93 19 W 1/96 AktE 4 W 15/98
1.10.2003 8.3.2006 16.2.2007
4 W 34/93 20 W 5/05 20 W 6/06
AG 2003, 581
AG 2006, 296 = WM 2006, 291 ZIP 2007, 375 AG 2007, 173
NJW 1969, 610 AG 1994, 564 AG 2000, 323 NZG 2000, 744 = AG 2000, 428 AG 2004, 43 AG 2006, 420 BB 2007, 682 = NZG 2007, 302
E. Landgericht Datum Dortmund 18.11.2000
Geschäftszahl
Fundstelle
20 AktE 8/94
AG 2001, 544
Frankfurt aM 21.3.2006
3-5 O 153/04
AG 2007, 42
Hamburg 15.7.2005
414 O 99/01
AG 2005, 822 = Der Konzern 2006, 307
Landshut 1.2.2006
1 HK O 766/05
AG 2006, 513
Stuttgart 4.8.2006
32 AktE 3/99 KfH
AG 2007, 52
588
Zitierte Judikatur
F. Amtsgericht Datum Coburg 24.4.1992
Geschäftszahl
Fundstelle
14 C 1485/91
NJW 1993, 938
III. EuGH Datum 14.2.1978 11.11.1986 20.9.2001
Geschäftszahl 27/76 226/84 453/99
Slg 1978, 207 1986, 3263 2001, I-6297
IV. England Aas v Benham [1891] 2 Ch 24 Aberdeen Railway v Blaikie (1854) 1 Macq 461 A Company, Re [1986] BCLC 382 A Company Ex p Kremer, Re [1989] BCLC 365 Alec Lobb (Garages) Ltd v Total Oil (Great Britain) Ltd [1985] 1 WLR 173 Alabama, New Orleans, Texas and Pacific Junction Railway Co, Re [1891] 1 Ch 213 Allcard v Skinner (1887) 36 ChD 145 Allen v Gold Reefs of West Africa Ltd [1900] 1 Ch 656 Anglo-Continental Supply Co Ltd, Re [1922] 2 Ch 723 Arkwirght v Newbold (1881) 17 ChD 301 Armstrong v Jackson [1917] 2 KB 822 Arrale v Costain Civil Engineering Ltd [1976] 1 Lloyd’s Rep 98 A Schroeder Music Publishing Co Ltd v Macaulay (formerly Instone) [1974] 1 WLR 1308 Associated Japanese Bank (International) Ltd v Crédit du Nord SA [1989] 1 WLR 255 Associated Japanese Bank v Crédit du Nord SA [1988] 3 AllER 902 Atwood v Merryweather (1867) LR 5 Eq 464n; Burland v Earle [1902] AC 83 Aveling Barford Ltd v Perion Ltd [1989] BCLC 626 Bainbridge v Browne (1881) 18 ChD 188 Bank Line Ltd v Arthur Capel Ltd [1919] AC 435 Banque Financière de la Cité SA v Westgate Insirance Co Ltd [1989] 2 AllER 952 Barclays Bank plc v O’Brien [1994] 1 AC 180 Barton v Armstrong [1976] AC 104 Bell v Lever Brothers Ltd [1932] AC 161 Bird Precision Bellows Ltd, Re [1984] Ch 419 Bisset v Wilkinson [1927] AC 177 Blackburn, Low & Co v Vigors (1887) 12 AppCass 531 Bodger v Nicholls (1873) 28 LT 441 Boustany v Piggot (1995) 69 P&CR 298 BP Exploration Co (Lybia) Ltd v Hunt (No 2) [1979] 1 WLR 783 Bradford Third Equitable Benefit Building Societv Borders [1941] 2 AllER 205 Bremer Handelsgesellschaft mbH v Vanden-Avenne Izegem PVBA [1977] 1 Lloyd’s Rep 133 Bristol & West Building Society v Mothew [1998] Ch 1 British Movietonenews Ltd v London and District Cinemas [1952] AC 166 Brown v British Abrasive Wheel Co Ltd [1927] 2 KB 9 B & S Contracts and Design Ltd v Victor Green Publications Ltd [1984] ICR 419 BTR Plc, Re [1999] 2 BCLC 675 Bugle Press Ltd, Re [1961] Ch 270
Zitierte Judikatur
589
Burland v Earle [1902] AC 83 Car and Universal Finance Co v Caldwell [1965] 1 QB 525 Chandelor v Lopus (1603) CroJac 4, 79 ER 3 Chandler v Webster [1904] 1 KB 493 Chesterfield v Janssen (1750) 2 VesSen 125 Chez Nico (Restaurants) Ltd, Re [1992] BCLC 192 CIBC Mortgages plc v Pitt [1994] 1 AC 200 Clarke v Dickson (1858) EB & E 148 Clemens v Clemens Bros Ltd [1976] 2 AllER 268 Coldunell Ltd v Gallon [1986] 1 AllER 1184 Cooper v Phibs (1867) LR 2 HL 149 Couturer v Hastie (1856) 5 HLC 673 Credit Lyonnais Bank Nederland NV v Burch [1997] 1 AllER 144 CTN Cash and Carry Ltd v Gallaher [1994] 4 AllER 714 Cumana Ltd, Re [1986] BCLC 430 Cundy v Lindsay (1878) 3 App Cas 459 Dafen Tinplate Co Ltd v Llanelly Steel Co Ltd [1920] 2 Ch 124 Daniels v Daniels [1978] Ch 406 Davies v London and Provincial Marine Insurance Co (1878) 8 ChD 469 Davis Contractors Ltd v Fareham Urban District Council [1956] AC 696 Demerera Bauxite Co v Hubbard [1923] AC 673 Derry v Peek (1889) 14 App Cas 337 Deutsche Morgan Grenfell Group Plc v Inland Revenue Commissioners [2005] EWCA Civ 78 Dimmock v Hallett (1866) LR 2 Ch App 21 Dip Kaur v Chief Constable of Hampshire [1981] 1 WLR 578 Dorman Long & Co, Re [1934] Ch 635 DR Chemicals, Re (1989) 5 BCLC 37 DSDN Subsea Ltd v Petroleum Geo-Services ASA [2000] BLR 530 Dunne v English (1874) LR 18 Eq 524 Earl of Aylesford v Morris (1873) 8 ChApp 484 Edgington v Fitzmaurice (1885) 29 ChD 459 Elgindata Ltd, Re [1991] BCLC 959 Erlanger v New Sombrero Phosphate Co (1878) 3 App Cas 1218 Esso Petroleum Ltd v Mardon [1976] QB 801 Evans v Llewellin (1787) CoxEq 333 Evertite Locknuts (1938) Ltd, Re [1945] Ch 220 Falck v Williams [1900] AC 176 Fibrosa Spolka Akcyjna v Fairbairn Lawson Combe Barbour Ltd [1943] AC 32 Foss v Harbottle (1843) 2 Hare 461 Fox v Macbeth (1788) CoxEqCas 320 Fry v Lane (1888) 40 ChD 312 General Motor Cab Co Ltd, Re [1913] 1 Ch 377 Graves v Graves [2007] EWCA Civ 660 Great Peace Shipping Ltd v Tsavliris Salvage (International) Ltd [2002] EWCA Civ 1407 Grierson, Oldham and Adams Ltd, Re [1968] Ch 17 Griffith v Brymer (1903) 19 TLR 434 Grist v Bailey [1967] AllER 1 Haigh v Brooks (1840) 10 Ad & El 309 Hammond v Osborn [2002] EWCA Civ 885 Hansen v Barker-Benfield [2006] EWHC 1119 Hart v O’Connor [1985] AC 1000
590
Zitierte Judikatur
Hartog v Colin & Shields [1939] 3 All ER 566 Hawk Insurance Co Ltd, Re [2002] BCC 300 Head v Tattersall (1871) LR 7 Ex 7 Hedley Byrne & Co Ltd v Heller [1964] AC 465 Hellenic and General Trust, Re [1976] 1 WLR 123 Herne Bay Steam Boat Company v Hutton [1903] 2 KB 683 HIH Casualty and General Insurance Ltd v Chase Manhattan Bank [2001] EWCA Civ 1250 Hiriji Mulji v Cheong Yue Steamship Co Ltd [1926] AC 497 Hoare & Co, Re (1933) 150 LT 374 Howard Marine and Dredging Co Ltd v A Odgen & Sons (Excavations) Ltd [1978] QB 574 Howes v Bishop [1909] 2 KB 390 Ingram v Little [1961] 1 QB 31 Jones v Bowden (1813) 4 Taunt 847 Jendwine v Slade (1797) 2 Esp 571 Jefferys v Jefferys (1841) Cr&Ph 138 Keates v Cadogan (1851) 10 CB 591 Kennard v Ashamn (1894) 10 TLR 213 Kennedy v Panama, etc, Royal Mail Co (1867) LR 2 QB 646 Kleinwort Benson Ltd v Lincoln City Council [1999] 2 AC 349 Krell v Henry [1903] 2 KB 740 Law v Law [1905] 1 Ch 140 Leaf v International Galleries [1950] 2 KB 86 Lee v Jones (1864) 17 CBNS 482 Levison v Patent Steam Carpet Cleaning Co Ltd [1978] QB 69 Lewis v Averay [1972] 1 QB 198 Lifecare International Plc, Re [1990] BCLC 222 Lloyds Bank Ltd v Bundy [1975] QB 326 London School of Electronics Ltd, Re [1986] Ch 211 Macro (Ipswich) Ltd, Re [1994] BCC 781 Maddeford v Austwick (1826) 1 Sim 89 Mahoney v Purnell [1996] AllER 61 Malins v Freeman (1837) 2 Keen 25 McRae v Commonwealth Disposals Commission (1951) 84 CLR 377 Menier v Hooper’s Telegraph Works (1874) 9 ChApp 350 Metropolitan Water Board v Dick, Kerr & Co [1918] AC 119 Midland Bank & Trust Co Ltd v Green [1981] AC 513 Moody v Cox & Hatt [1917] 2 Ch 17 Museprime Properties Ltd v Adhill Properties Ltd [1990] 2 EGLR 196 National Bank Ltd, Re [1966] 1 WLR 819 National Commercial Bank (Jamaica) Ltd v Hew [2003] UKPC 51 National Westminster Bank plc v Morgan [1985] AC 686 Nordenfeldt v Maxim Nordenfeldt [1894] AC 535 North-West Transportation Co Ltd v Beaaty (1887) 12 AppCas 589. Old Silkstone Collieries, Re [1954] Ch 169 O’Neill v Phillips [1999] 1 WLR 351 Oscar Chess Ltd. v Williams [1957] 1 WLR 370 Pao On v Lau Yiu Long [1980] AC 614 Perceival v Wright [1902] 2 Ch 421 Peskin v Anderson [2001] 1 BCLC 372 Pesticcio v Huet [2004] EWCA Civ 372 Phillips v Brooks [1919] 2 KB 243 Phillips v Homfray (1871) 6 ChApp 770
Zitierte Judikatur
591
Phillips v Manufacturers Securities Ltd (1917) 116 LT 109 Poole v National Bank of China Ltd [1907] AC 229 Press Caps Ltd, Re [1949] Ch 434 Profinance Trust SA v Gladstone [2002] 1 BCLC 141 Prudential Assurance Co Ltd v Newman Industries Ltd (No 2) [1982] Ch 204 Raffles v Wichelhaus (1864) 2 H & C 906 Ratners Group plc, Re [1988] BCLC 685 Redgrave v Hurd (1881) 20 ChD 1 Re Diamix Plc, Fiske Nominees Ltd v Dwyka Diamond Ltd [2002] 2 BCLC 123 Regier v Campbell-Stuart [1939] Ch 766 Robertson v Dicicco [1972] RTR 43 Royal Bank of Scotland plc v Etridge (No 2) [2001] 3 WLR 1021 Royscot Trust Ltd v Rogerson [1991] 2 QB 297 R v Attorney-General for England and Wales [2003] UKPC 22 Sachs v Johnston (1915) 17 GLR 511 Saltdean Estate Co Ltd, Re [1968] AllER 829 Sam Weller and Sons Ltd, Re [1989] PCC 466 Schneider v Heath (1813) 3 Camp 506 Scottish Co-operative Wholesale Society Ltd v Meyer [1959] AC 324 Scottish Insurance Corp Ltd v Wislons & Clyde Coal Co Ltd [1949] 1 AC 462 Scriven Brothers & Co. v Hindley & Co. [1913] 3 KB 564 Sempra Metals Ltd (former Metallgesellschaft Ltd) v Inland Revenue Commissioners [2007] 3 WLR 354 Sheffield Nickle Co. Ltd. v Unwin (1872) 2 QBD 21 Shogun Finance Ltd v Hudson [2004] 1 AC 919 Shuttleworth v Cox Bros Co Ltd [1927] 2 KB 9 Sidebottom v Kershaw, Leese & Co Ltd [1920] 1 Ch 154 Skeate v Beale (1841) 11 Ad&El 983 Smith v Croft (No 2) [1988] Ch 114 Smith v Eric S Bush [1990] 1 AC 831 Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 597 Smith v Kay (1859) 7 HLC 484 Smith v Land and House Property Corporation (1884) 28 ChD 7 Solle v Butcher [1950] 1 KB 671 Sovereign Life Assurance Co v Dodd [1892] QB 573 Spice Girls Ltd v Aprilia World Service BV [2002] EWCA Civ 15 Staffordshire Area Health Authority v South Staffordshire Waterworks Co [1978] 1 WLR 1387 Strickland v Turner (1852) 7 Ex 208 Sussex Brick Co Ltd, Re [1960] Ch 289n Taylor v Caldwell (1863) 3 B&S 826 The Atlantic Baron [1979] QB 705 The Eugenia [1964] 2 QB 226 The Evia Luck [1992] 2 AC 152 The Medina (1876) 1 P 272 The Port Caledonia and The Anna [1903] P 184 The Siboen and The Sibotre [1976] 1 Lloyd’s Rep 293 The ‚Super Servant Two’ [1990] 1 Lloyd’s Rep 1 The Universe Sentinel [1983] 1 AC 366 Thomas de la Rue & Co Ltd, Re [1911] 2 Ch 361 Traill v Baring (1864) 4 DJ & S 318 Trevor v Whitworth (1887) 12 AppCas 409
592
Zitierte Judikatur
United Shoe Machinery Co of Canada v Brunet [1909] AC 330 Virdi v Abbey Leisure Ltd [1990] BCLC 342 Wallersteiner v Moir (No 2) [1975] QB 373 Walters v Morgan (1861) 3 De GF&J 718 Walton Harvey Ltd v Walker & Homfrays Ltd [1931] 1 Ch 274 Ward v Hobbs (1878) 4 App Cas 13 Wates Ltd v GLC (1983) 25 BuildLR 1 Western Bank of Scotland v Addie (1867) LR 1 Sc & Div 145 Westlake v Adams (1858) 5 CBNS 248 White v Garden (1851) 10 CB 919 William Sindall plc v. Cambridgshire County Council [1994] 1 WLR 1016 Williams v Bayley [1866] LR 1 HL 200 With v O’Flanagan [1936] Ch 575 W J Tatem Ltd v Gamboa [1939] 1 KB 132 Woodhouse A. C. Israel Cocoa Ltd. v Nigerian Produce Marketing Co. [1972] AC 741
V. USA Laidlaw v Organ 15 US (2 Wheat) 178 (1817) SEC v Texas Sulphur Co, 401 F.2d 833 [2d Cir. 1968]
VI. Australien Gambotto v WPC Ltd (1995) 127 ALR 417 McRae v Commonwealth Disposal Committee (1950) 84 CLR 377
VII. Neuseeland Coleman v Myers [1977] 2 NZLR 225
Stichwortverzeichnis abstrakte Berechnung 309 ff Aufgriffsrechte 362 f Aufklärungspflichten - Eigenschaftsirrtum des Käufers 83 f, 203 ff - Eigenschaftsirrtum des Verkäufers 93 ff, 207 ff - englisches Recht 245 ff - Wertirrtum 76 ff, 196 ff Arglistanfechtung 72 f Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag 363 f Bereicherungsrecht (und laesio enormis) 161 ff besondere Vorliebe 321 ff Bewertungsmethoden - Liegenschaften 332 ff - Unternehmen 419 ff Bewertungsstichtag - Enteignung 323 ff, 328 f - Unternehmensbewertung 434 ff Börsekurs - Anteilswert 460 ff - Berechnung 473 ff - DAT/Altana 374 f - Durchschnittskurse 475 f - Gesellschafterausschluss 469 ff - Minderheitsabschläge 467 ff - Stichtag 473 ff - Übernahmeangebot 500 ff - Unternehmenswert, Verhältnis zum 463 ff - Verschmelzung 482 ff CAPM 428 f culpa in contrahendo 74 ff, 203 f
derivative action 544 ff discounted cash flow 430 ff duress 252 ff Eigenschaftsirrtum - deutsches Recht 201 ff - Käufer 81 ff - Verkäufer 90 ff Eingliederung 370 f Einigungswert 421 Einkommenseffekte 19 Enteignungsentschädigung - abstrakte Berechnung 309 ff - besondere Vorliebe 321 ff - Bewertungsmethoden 332 ff - Bewertungszeitpunkt 323 ff - Effizienzgewinn 304 ff - Ertragswertverfahren 338 ff - entgangener Gewinn 313 ff - Folgeschäden 323 ff - Funktion 283 ff - Höhe 300 ff - konkrete Berechnung 309 ff - moral hazard 326 ff - Nachwirkungen 327 ff - Nutzungsart 318 ff - Rechtsgrundlagen 277 ff - Rechtsökonomie 288 ff - Sachwertverfahren 339 ff - Umverteilungswirkungen 297 ff - Umwidmung 319 ff - Valorisierung 328 ff - Veräußerungsmöglichkeiten 316 ff - Vergleichswertverfahren 336 ff - Verhaltenssteuerung 293 ff - Verfahren 281 ff
594 - Verfassungsrecht 274 ff - Vorwirkungen 325 ff - Werterhöhungen 343 ff - Wertminderung 341 ff entgangener Gewinn 313 ff Ertragswert - laesio enormis 114 ff - Liegenschaften 338 ff - Unternehmensbewertung 425 ff fiduciaries 247 ff Folgeschäden 323 ff frustration 238 ff gemeinsamer Irrtum 97 ff, 152 ff, 205 ff Geschäftsgrundslage 99 ff, 179 ff Gesellschafterausschluss - Ausschlussschwelle 395 f - Bewertungsstichtag 437 - Börsekurs 469 ff - Deutschland 367 ff - dispositives Recht 397 ff - Eigentumsbeschränkung 386 ff - England 558 ff - Entwicklung 355 ff - GmbH 396 ff - hold-out 393 - öffentliches Interesse 390 ff - Paralleltransaktionen 506 ff - Rechtfertigung 394 ff - Rechtsschutz 359 f - Synergiegewinne 442 ff - nach Übernahmeangebot 521 ff - Übernahme-Richtlinie 364 ff - unterschiedliche Abfindung 479 ff - Verfahren 357 ff - Verfassungsrecht 384 ff - Vorerwerbe 506 ff, 527 ff Gestehungskosten - laesio enormis 104 ff
Stichwortverzeichnis - Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung 129 ff - wucherähnliches Rechtsgeschäft 227 f Gewährleistung - Irrtum, Verhältnis zum 85 ff - laesio enormis, Verhältnis zur 169 ff Gewinnspannenbegrenzung 127 ff Gleichbehandlungsgrundsatz 421 f, 488 ff Handelsgeschäft und laesio enormis 42 f, 187 ff hold-up und hold-out 291 ff, 393 Informationsasymmetrie, strukturelle 96 ff Irrtum, gemeinsamer 97 ff Irrtumsanfechtung 66 ff - deutsches Recht 196 ff - Gewährleistung, Verhältnis zur 85 ff - Motivirrtum 68 ff, 90 ff - Rechtsökonomie 142 ff - UN Kaufrecht 88 f - Veranlassung 83 f Kaldor/Hicks-Kriterium 17 f, 290 Kapitalerhöhung 382 Kapitalrichtlinie 367 konkrete Berechnung 309 ff Kontrahierungszwang 269 f laesio enormis - Bereicherungsrecht, Verhältnis zum 161 ff - besondere Vorliebe 56 ff, 155 ff - BGB 210 ff - de lege ferenda 265 ff - Eigenschaftsirrtum 146 f - Entwicklung 30 ff - Ertragswert 114 ff
Stichwortverzeichnis - Gestehungskosten 104 ff - Gewährleistung, Verhältnis zur 50 f, 169 ff - Handelsgeschäft 42 f, 187 ff - Hoffnungskauf 53 f - Informationsasymmetrie 152 ff - Irrtum, Verhältnis zum 51 f, 139 ff - Mängelrüge 194 f - Marktabgrenzung 110 ff - Marktpreis 104 ff - Optionen 183 ff - Rechtsökonomie 145 ff - Schadenersatz, Verhältnis zum 166 f - Unternehmenskauf 116 ff - unternehmerisches Rechtsgeschäft 192 ff - Vergleichsmaßstab 33 f, 47 ff, 103 ff, 175 ff - Wertirrtum 146 - zukünftige Entwicklungen 175 ff - Zweck 148 ff - zwingender Charakter 53 ff, 152 ff law and economics 15 ff Leibrente 115 ff Liegenschaftsbewertungsgesetz 280 Marktabgrenzung - laesio enormis 110 ff - Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung 133 ff - wucherähnliches Rechtsgeschäft 224 ff Marktpreis - laesio enormis 48 ff, 103 ff - Liegenschaften 336 ff - Wertirrtum 68 ff - zukünftiger 78 ff, 175 ff Massenwucher 118 ff misrepresentation 240 ff
595 Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung 121 ff - EU 126 ff - Österreich 121 ff - Rechtsfolgen 121 ff - Vergleichsmaßstab 127 ff mistake 235 ff Monopole 118 ff - Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung 121 ff - Wucher 119 f Nutzenvergleich 17 ff Optionen 183 ff Paralleltransaktionen 488 ff Pareto-Superiorität 17 f, 290 Partizipationskapital 363, 384 f Pflichtangebot - Börsekurs 500 ff - Gleichbehandlung 494 ff - Mindestpreis 488 ff, 554 ff - Nachzahlung 491 f - Paralleltransaktionen 488 f - Rechtsökonomie 494 ff - Vorerwerbe 488 ff Preis 6 f Preisdifferenzierung 110 ff, 133 ff Privatautonomie 25 ff, 139 ff Raumordnungsrecht 176 ff Redintegration 144 f related party transactions 539 reorganisation 542 ff Richtigkeitsgewähr 141 f Sachwertverfahren 339 ff schemes of arrangement 539 ff, 565 ff Schiedswertermittlung 420 Selbstverantwortung 140 f Sittenwidrigkeit 65 f
596 Sozialbindung des Eigentums 286 ff Spaltung 360 f, 381 f, 385 squeeze-out s Gesellschafterausschluss substantial property transactions 537 f Synergiegewinne 392 - Gesellschafterausschluss 442 ff - Verschmelzung 453 ff - Verteilungsschlüssel 450 ff Übernahmenangebot 502 ff - England 551 ff - Gesellschafterausschluss 521 ff - Mindestannahmeschwelle 492 f, 552 ff s auch Pflichtangebot Übernahme-Richtlinie 364 ff, 492 f, 522 ff übertragende Auflösung 362, 371 f, 566 f Umwandlung, verschmelzende 355 f, 359 unconscionability 257 ff undue influence 253 ff unfair prejudice 546 ff UN-Kaufrecht, Verhältnis zum Irrtum 88 f Unternehmensbewertung 416 ff - Bewertungsanlass 418 f - Bewertungsstichtag 434 ff - CAPM 428 f - discounted cash flow 430 ff - Entwicklung 10 f - Ertragswert 423 ff - Liquidationswert 430 - Minderheitsabschläge 466 ff - nicht betriebsnotwendiges Vermögen 430 - objektiver Wert 419 ff - Synergiegewinne 441 ff - Typisierung 423 - Vollausschüttung 439 ff
Stichwortverzeichnis - Zinssatz 427 f - Zukunftsbezogenheit 423 f Unternehmenskauf 116 ff Unternehmensvertrag 363 f, 372 ff Utilitarismus 17 Vergleichsmarktkonzept 133 ff verschmelzende Umwandlung 355 f, 359 Verschmelzung - Abfindung und Abstimmungsergebnis 529 ff - Beschlussfassung 378 ff - Bewertungsstichtag 437 ff - Börsekurse 482 ff - Deutschland 382 f - England 536 ff - Interessenkonflikte 407 f - Konzentrationsverschmelzung 410 ff, 455 ff - Konzernverschmelzung 377, 405 ff, 457 ff - laesio enormis 415 f - Mehrheit 408 ff - Paralleltransaktion 514 ff - Rechtsschutz 380 f - Synergiegewinne 434 ff - Umtauschverhältnis 403 ff - Wucher 415 f Vertragsgerechtigkeit 25 ff Vergleichswertverfahren 336 ff Vorerwerbe 488 ff Wert - gemeiner 3 ff, 39 f - laesio enormis 47 ff - objektiver 103 ff - ordentlicher s Wert, gemeiner - subjektiver 103 ff - Wirtschaftswissenschaften 7 ff Wertirrtum 68 ff - Aufklärungspflichten 76 ff, 199 ff - Arglist 72 f
Stichwortverzeichnis - deutsches Recht 196 ff Wertparadoxon 8 Wohlfahrtsökonomie 15 ff Wucher - Ausbeutung 64 f - Bereichsunerfahrenheit 62 ff - bewegliches System 61 - BGB 210 f
597 Entwicklung 43 ff Marktpreis, zukünftiger 180 ff Monopolfälle 120 f Rechtsfolgen 59 Vergleichsmaßstab 60 f Willensschwäche 62 f wucherähnliches Rechtsgeschäft 210 ff - Vergleichsmaßstab 222 ff -