ALLGEMEINER TEIL
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Willenserklärung kraft Zurechnung, §§ 145, 133, 157 BGB
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BGHZ 91, 324; NJW 1984, S. 2279 Trotz ...
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ALLGEMEINER TEIL
1
Willenserklärung kraft Zurechnung, §§ 145, 133, 157 BGB
1.
BGHZ 91, 324; NJW 1984, S. 2279 Trotz fehlenden Erklärungsbewußtseins kann dem Erklärenden sein Verhalten als Willenserklärung zugerechnet werden, wenn der Erklärende bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt erkennen konnte, daß sein Verhalten vom Empfänger als Willenserklärung verstanden wurde. An die Stelle des Erklärungsbewußtseins tritt die Erklärungsfahrlässigkeit.
Sachverhalt: L und S stehen in Geschäftsbeziehung. S verlangt von L die Beibringung einer Bankbürgschaft , um Forderungen aus dieser Geschäftsbeziehung zu sichern. Wenig später teilt die Bank B der L schriftlich mit, sie habe für die S eine Bankbürgschaft übernommen und bittet um Mitteilung der Höhe der zu sichernden Forderung. L teilt B den Zugang dieser Erklärung mit, und gibt ihr gleichzeitig die Höhe ihrer Forderungen gegen S bekannt. Eine Woche später bestreitet die B gegenüber L, eine Bürgschaft übernommen zu haben. Auf Nachfrage der L teilt die B nach weiteren zwei Wochen mit, sie sei irrtümlich von einer bereits bestehenden Bürgschaft ausgegangen und habe sich lediglich nach dem Umfang der Hauptschuld erkundigen wollen. L verklagt die B auf Zahlung aus der Bürgschaft.
klärungsbewußtsein durch die Erklärungsfahrlässigkeit ersetzt.
Entscheidungsgründe: Zwischen B und L ist ein Bürgschaftsvertrag zustandegekommen. B handelte zwar ohne Erklärungsbewußtsein. Das hindert nach BGH jedoch nicht die Zurechnung als Willenserklärung. Die Ansicht, daß das Erklärungsbewußtsein konstitutives Merkmal der Willenserklärung sei und sein Fehlen nach dem Rechtsgedanken des § 118 BGB auch ohne Anfechtung Nichtigkeit zur Folge habe, wird abgelehnt.
Nach BGH ist die Folgenverantwortung notwendiges Korrelat der Privatautonomie. Sie rechtfertige es, dem Erklärenden und nicht dem Erklärungsempfänger das Erklärungsrisiko anzulasten. Ein Verhalten, das sich für den Erklärungsempfänger als Abgabe einer Willenserklärung darstelle, sei dem Erklärenden auch dann als Willenserklärung zuzurechnen, wenn er kein Erklärungsbewußtsein hatte, aber bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, daß der Empfänger seine Erklärung tatsächlich als Willenserklärung auffassen mußte.Der Erklärende werde dann dadurch geschützt, daß er die ihm nach normativen Gesichtspunkten zugerechnete Willenserklärung analog § 119 I 2. Alt. anfechten könne.
Ebenso abgelehnt wird die Möglichkeit, die für die Auslegung einer wirklich vorhandenen Willenserklärung geltenden Vorschriften der §§ 133, 157 BGB entsprechend auch auf die Frage anzuwenden, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt. Eine solche Deutung nur nach dem Empfängerhorizont sei mit dem Gedanken eines gerechten Ausgleichs zwischen Privatautonomie und Folgenverantwortung (Vertrauensschutz) nicht vereinbar. Jedoch werde im vorliegenden Fall das fehlende Er-
In dem bloßen „Bestreiten“ der Bürgschaftsübernahme durch B liege jedoch keine eindeutige Anfechtungserklärung. Es lasse nämlich nicht erkennen, daß –1–
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das Rechtsgeschäft gerade infolge eines Willensmangels nicht gelten solle. Im letzten Schreiben erkläre die B zwar
eindeutig die Anfechtung, jedoch nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 121 I BGB.
„HEMMER-METHODE“: Regelmäßig werden sich in den Bürgschaftsfällen auch Probleme der gesetzlichen Schriftform der Bürgschaftserklärung ergeben (§ 766 BGB). Denken Sie dann immer an die Abgrenzung zur formfrei möglichen Schuldmitübernahme und zum Garantievertrag, sowie an die Formprivilegien der §§ 350, 351 HGB. In der Klausur kommt es meist darauf an, das Vorliegen eines Bürgschaftsvertrags zu bejahen, um sich weitere Problemkreise - insbesondere der Akzessorietät, § 767 BGB und der Bürgeneinreden, §§ 768, 770 BGB - nicht abzuschneiden. Banken sind regelmäßig Juristische Personen (GmbH o. AG): Für sie handeln dann die organschaftlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter. Fehlt diesen das Erklärungsbewußtsein, so erfolgt die Zurechnung des Mangels im Rahmen des § 119 BGB entweder analog § 31 BGB oder über § 166 I BGB i.V.m. § 125 I S.2 HGB analog. Denken Sie überdies daran, daß der rechtsgeschäftliche Vertreter selbst nur dann anfechten kann, wenn er auch insoweit Vertretungsmacht hat. Beachten sie aber auch die wichtige Einschränkung durch BGH, NJW 1995, 953: keine Rechtsfolgen zu Lasten Dritter aus tatsächlichem Verhalten ohne Erklärungsbewußtsein. (Fall des Widerrufs einer postmortalen Vollmacht)
Zur Vertiefung: Erklärungsbewußtsein: Hemmer/Wüst, Primäranspruch I, Rn. 49 ff., insbes. 68 ff. Schriftform: Hemmer/Wüst, Handelsrecht, Rn. 260 ff. Hemmer/Wüst, Kreditsicherungsrecht, Rn. 11 Garantievertrag: Hemmer/Wüst, Kreditsicherungsrecht, Rn. 17 ff. Wissenszurechnung: Hemmer/Wüst, Gesellschaftsrecht, Rn. 159, 334 ff.
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Abgrenzung von Gefälligkeitsverhältnis und Vertrag; Haftung im Gefälligkeitsverhältnis
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BGHZ 21, 102: Rechtsbindungswille Ob eine rechtsgeschäftliche Bindung der Parteien vorliegt, bestimmt sich nach deren Rechtsbindungswillen. Dieser ist anhand von objektiven Kriterien zu ermitteln.
Sachverhalt: Im Transportgeschäft des G war ein Fahrer ausgefallen. Da G einen dringenden Transport durchzuführen hatte, bat er den Transportunternehmer T, ihm durch Überlassung eines Fahrers auszuhelfen. T schickte daraufhin den F, der erst kurze Zeit bei T angestellt war und noch keinen LKW selbstveranwortlich gefahren hatte. Infolge der Unerfahrenheit des T blieb der LKW des G auf der Strecke liegen und mußte abgeschleppt werden. G verlangt von T Schadensersatz.
faltspflichten, im vorliegenden Fall insbesondere, einen zuverlässigen Fahrer auszusuchen. Diese Pflicht hat der T hier schuldhaft verletzt, so daß grundsätzlich ein Anspruch des G gegen T aus pVV dieses Dienstverschaffungsvertrages in Betracht kommt. Ein solcher Anspruch wäre jedoch dann ausgeschlossen, wenn eine Haftungsbeschränkung vorläge. Da der Dienstverschaffungsvertrag keinem der gesetzlich geregelten Gefälligkeitsverträge (Auftrag, Leihe, Schenkung, etc.) entspricht, stellt sich hier die Frage, ob die bei den unentgeltlichen Verträgen z.T. bestehenden Haftungsbeschränkungen (z.B. §§ 599, 621, 690) entsprechend auf den vorliegenden Dienstverschaffungsvertrag anzuwenden sind.
Entscheidungsgründe: Der BGH prüft zunächst, ob ein Vertrag über die Überlassung des Fahrers zustande gekommen ist. Aufgrund der Unentgeltlichkeit der Fahrerüberlassung ist fraglich, ob ein entsprechender Rechtsbindungswille der Parteien vorlag. Der subjektive Rechtsbindungswille ist nach der Rechtsprechung anhand von objektiven Kriterien zu ermitteln. Zu diesen Kriterien zählen vor allem die Art der Gefälligkeit, ihre wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, insbesondere für den Empfänger, die Umstände, unter denen sie erwiesen wird, und die dabei bestehende Interessenlage der Parteien. Im vorliegenden Fall spricht nach Ansicht des BGH der enorme Wert des zu führenden LKW und die Wichtigkeit des auszuführenden Auftrages für einen Rechtsbindungswillen der Parteien. Dieses Rechtsverhältnis kann als Dienstverschaffungsvertrag qualifiziert werden. Die rechtsgeschäftliche Verpflichtung des T bestand nach Auslegung des BGH zwar nicht darin, den Fahrer zur Verfügung zu stellen, so daß ein Ausführungsanspruch des G gegen T nicht bestand. Entschließt sich der T aber zur Ausführung, so bestehen für ihn dennoch rechtsgeschäftliche Sorg-
Der BGH führt dazu aus, daß sich die Frage des Haftungsumfangs nach den Umständen des Einzelfalles richtet. Da vorliegend der Dienstverschaffungsvertrag einem Vertrauensverhältnis entspringt, besteht eine dem Auftragsverhältnis vergleichbare Interessenlage, so daß T auch für leichte Fahrlässigkeit haftet, da im Auftragsrecht eine Haftungsbeschränkung nicht vorgesehen ist. Auch ein stillschweigender Haftungsauschluß für leichte Fahrlässigkeit
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lehnt der BGH als dem Parteiwillen nicht entsprechend ab, da sich der G erkennbar darauf verließ, einen zuverlässigen Fahrer zu erhalten. G hat somit
gegen T einen Anspruch auf Schadensersatz aus pVV des Dienstverschaffungsvertrages.
„HEMMER-METHODE“: Machen Sie sich die Unterscheidung des BGH klar: Ist ein entsprechender Rechtsbindungswille der Parteien anhand der genannten objektiven Kriterien festzustellen, so liegt ein Vertragsverhältnis vor. Hier unterscheidet der BGH zwischen Gefälligkeitsverträgen, bei denen sowohl vertragliche Leistungs- als auch Sorgfaltspflichten bestehen, und solchen, bei denen zwar kein Ausführungsanspruch, aber dennoch bei Ausführung vertragliche Sorgfaltspflichten bestehen. Letztere bezeichnet der BGH etwas verwirrend als sog. rechtserhebliche Gefälligkeitsverhältnisse. Im Grunde genommen handelt es sich hierbei aber auch um Gefälligkeitsverträge, bei denen mangels Rechtsbindungswillens lediglich keine Leistungspflicht (Primäranspruch) besteht. Es muß im weiterhin durch Auslegung ermittelt werden, wie weit der Rechtsbindungswille reicht. Bei gesetzlich nicht geregelten Gefälligkeitsverträgen muß dann im Einzelfall festgestellt werden, ob eine Haftungsbeschränkung entsprechend der gesetzlich geregelten Gefälligkeitsverträge anzuwenden ist. Wenn nicht, ist die Frage einer stillschweigenden Haftungsbeschränkung zu diskutieren. Daneben stehen die reinen Gefälligkeitsverhältnisse, bei denen mangels Rechtsbindungswillen weder vertragliche Leistungsnoch Sorgfaltspflichten bestehen. Die Haftung bestimmt sich hier nur nach Delikt. Eine Haftungsbeschränkung analog der gesetzlichen Bestimmungen der §§ 599, 521 oder § 670 lehnt der BGH hier grds. ab. Jedoch greift er in diesem Bereich aus Billigkeitsgründen immer häufiger auf einen stillschweigend vereinbarten Haftungsausschluß zurück, insbesondere, wenn dem Schädiger der Versicherungsschutz fehlte. (Interessant insofern der „Reitpferdfall“; BGH, NJW 1992, 2474) Immer wenn in der Klausur unentgeltliche Leistungen ins Spiel kommen, müssen Sie das Problem des Rechtsbindungswillens ansprechen, und das Parteihandeln anhand der objektiven Kriterien in eine der Kategorien einteilen! Beachte: Daneben wird in der Literatur im Bereich des reinen Gefälligkeitsverhältnisses ein gesetzliches Vertrauensverhältnis aus gesteigertem sozialem Kontakt diskutiert, das analog der Grundsätze der c.i.c. behandelt werden soll, also auch gewisse vertragsähnliche Sorgfaltspflichten begründen soll. Ein solches wird vom BGH jedoch abgelehnt und sollte daher auch in der Klausur nur kurz andiskutiert werden.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch I, Rn. 70 ff.
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Rechtsbindungswille
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BGH, NJW 1974, 1705: Lottofall Wer in einer Lottospielgemeinschaft die Lottoscheine ausfüllt und einreicht, übernimmt diesbezüglich in der Regel keine rechtsgeschäftliche Verpflichtung.
Sachverhalt: A, B, C und D hatten eine Lottospielgemeinschaft gebildet. Dabei sollte A von jedem Teilnehmer wöchentlich 10 DM einziehen und die Beträge auf eine vereinbarte Zahlenkombination setzen. Eines Tages veränderte A eigenmächtig die Zahlenkombination. Bei der Ziehung entfiel auf die verabredeten Zahlen ein Gewinn von über 10000 DM. B, C und D verlangen Ersatz für den ihnen entgangenen Anteil.
den beauftragten Spieler erheblich belasten, ohne daß dies durch dringende Interessen der anderen Mitspieler erfordert werde. Die möglicherweise existenzbedrohende Schadensersatzpflicht des A für entgangene Gewinne sei unzumutbar. Ein solch hohes Haftungsrisiko hätte keiner der Spieler übernommen, wenn er sie vorher bedacht hätte. Ein Schadensersatzanspruch der anderen Mitspieler scheidet daher aus.
Entscheidungsgründe:
Der BGH bejaht hier eine rechtliche Bindung der Parteien, soweit sie zur Leistung der vereinbarten Beiträge verpflichtet seien, und A die erzielten Gewinne verteilen müßte. Eine vertragliche Pflicht sei hingegen insoweit abzulehnen, als A beauftragt war, die Spielscheine in verabredeter Weise auszufüllen und einzureichen. Ein entsprechender Rechtsbindungswille des A läge nicht vor. Eine derartige vertragliche Bindung würde
„HEMMER-METHODE“: Da der BGH eine nur teilweise rechtliche Bindung der Mitspieler erreichen will, konstruiert er für die Pflicht zur Abgabe der ordnungsgemäß ausgefüllten Lottoscheine ein gesondertes Auftragsverhältnis, das jedoch am fehlenden Rechtsbindungswillen scheitert. Anspruchsgrundlage für den BGH wäre daher eine pVV des Auftragsverhältnisses gewesen. Entgegen der Auffassung des BGH führt hier aber die Annahme eines Gesellschaftsvertrages (§§ 705 ff) zu sachgerechteren Ergebnissen und läßt sich überzeugender begründen. Art und Dauer der Vereinbarung, der von den Mitspielern getätigte regelmäßige Spieleinsatz, die Förderung des gemeinsamen Zwecks, sowie der dauerhafte Zusammenschluß lassen auf einen Rechtsbindungswillen der Beteiligten hinsichtlich einer GbR schließen. Anspruchsgrundlage ist dann eine pVV des Gesellschaftsvertrages: In der nicht ordnungsgemäßen Ausfüllung der Tippscheine liegt eine Sorgfaltspflichtverletzung, die fahrlässig und daher trotz des Haftungsprivilegs des § 708 zu vertreten war. Jedoch wird man angesichts des existenzbedrohenden Risikos für den beauftragten Mitspieler einen stillschweigenden Haftungsausschluß annehmen müssen. Kein Spieler hätte sonst das existenzvernichtende Risiko übernehmen wollen. Denken Sie daran: "Probleme schaffen, nicht wegschaffen"! Nur bei Annahme einer BGB-Gesellschaft kommen Sie zu den Folgeproblemen, wie Haftungsmaßstab gemäß § 708 und stillschweigender Haftungsausschluß!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch I, Rn. 79 –5–
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Zustandekommen eines Vertrages; Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Form
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BGH, NJW 1965, 812 Die Nichtbeachtung gesetzlicher Formvorschriften führt grds. zur Nichtigkeit des Vertrages gem. § 125 S.1. Eine Ausnahme ist gem. § 242 nur zu machen, wenn die Nichtigkeit für eine Partei ein nicht bloß hartes, sondern schlechthin untragbares Ergebnis darstellt. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, kann die Partei, auf deren Fahrlässigkeit der Formmangel zurückgeht, verpflichtet sein, der geschädigten Partei Schadensersatz aus c.i.c. zu leisten. Der Schadensersatzanspruch geht dabei ausnahmsweise auf das Erfüllungsinteresse, d.h. auf den Betrag, der erforderlich ist, um ein vergleichbares Grundstück zu erwerben.
Sachverhalt: Das gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen V verkaufte an K ein Einfamilienhaus. In einem privatschriftlichen Vorvertrag wurden die Verpflichtungen der Parteien bezüglich des Verkaufes festgehalten, ein endgültiger Vertrag sollte später geschlossen werden. Auf bestehende Formvorschriften wies die V den K nicht hin. K glaubte, mit der Unterzeichnung des Vorvertrages alles für den Eigentumserwerb Erforderliche getan zu haben. Das Grundstück wurde dem K übergeben, zum Abschluß eines formgültigen Kaufvertrages und einer Eigentumsübertragung kam es jedoch nicht mehr. Vielmehr fühlt sich die V nicht mehr an den Vorvertrag gebunden und verlangt das Grundstück von K nach § 985 heraus. K beruft sich auf ein Recht zum Besitz aus dem Vorvertrag.
lassen werden dürfen. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn es mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, das Rechtsgeschäft am Formmangel scheitern zu lassen. Eine solche Ausnahme ist nicht schon dann gegeben, wenn die Nichtigkeit des Vertrages für die betroffene Partei zu einem harten Ergebnis führen würde, das Ergebnis muß vielmehr schlechthin untragbar sein.
Entscheidungsgründe: Nach BGH bedurfte schon der Vorvertrag gem. § 313 der notariellen Beurkundung, da er die Pflicht zur Übertragung von Grundstückseigentum enthielt (siehe zum Begriff und der Formbedürftigkeit des Vorvertrages: Hemmer/Wüst Primär II, Rn. 89 f). Da diese Form nicht eingehalten wurde, ist der Vorvertrag grds. gem. § 125 S.1 nichtig, so daß K hieraus auch kein Besitzrecht i.S.d. § 986 herleiten kann. Fraglich ist jedoch, ob der Vorvertrag nicht gem. § 242 so behandelt werden muß, als ob er formgültig abgeschlossen worden wäre.
Der BGH hat vorliegend eine solche Untragbarkeit nicht angenommen. Daß V die Formnichtigkeit verschuldet habe, reiche hierfür nicht aus, da seitens der V nur Fahrlässigkeit, nicht aber Arglist vorlag. Auch ein wirtschaftlich untragbares Ergebnis ist zu verneinen, da dem K ein Schadensersatzanspruch aus c.i.c. gegen V zusteht: Zwischen V und K bestand aufgrund der Vertragsverhand-
Der BGH führt dazu aus, daß gesetzliche Formvorschriften im Interesse der Rechtssicherheit nicht aus bloßen Billigkeitserwägungen außer Betracht ge-
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lungen ein vorvertragliches Schuldverhältnis. V hat die Formnichtigkeit fahrlässig veranlaßt, da sie den K nicht über die Formbedürftigkeit des Vertrages aufgeklärt hat. Diese Aufklärungspflicht oblag der V jedoch aufgrund ihrer Vertrauensstellung als gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen. Die Voraussetzungen der c.i.c. liegen daher vor.
Dieser geht bei der c.i.c. normalerweise nur auf das negative Interesse. Dies gilt aber dann nicht, wenn das Geschäft ohne die c.i.c. mit dem vom Geschädigten erstrebten Inhalt zustande gekommen wäre. Dann geht der Ersatzanspruch ausnahmsweise auf das Erfüllungsinteresse. Da der Vertrag vorliegend ohne das Verschulden der V formgültig zustande gekommen wäre, kann K also Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises eines vergleichbaren Grundstücks verlangen. Wegen dieses Anspruchs kann K also gegen den Herausgabeanspruch aus § 985 ein Zurückbehaltungsrecht i.S.d. § 273 geltend machen und die Herausgabe vorläufig verweigern.
Fraglich ist jedoch der Umfang des Schadensersatzanspruches. Ein Anspruch auf Naturalrestitution (Überlassung des Grundstücks) kommt dem BGH zufolge nicht in Betracht, da sonst die Formvorschrift des § 313 unterlaufen würde. Daher ist der Umfang des Schadensersatzanspruches zu klären.
„HEMMER-METHODE“: Eine Unbeachtlichkeit des Formmangels nach § 242 kommt nach dem BGH in drei Fallgruppen in Betracht: Arglist, schwere Treupflichtverletzung und Existenzgefährdung. In allen Fällen muß jedoch sorgfältig geprüft werden, ob ein "schlechthin untragbares Ergebnis" vorliegt. Dies ist bei Arglist einer Vertragspartei grds. zu bejahen, in den anderen Fallgruppen jedoch meistens zweifelhaft. In einem solchen Fall ist dann auf die c.i.c. und § 812 I 1, 1.Alt einzugehen, da hierdurch weitere Folgeprobleme geschaffen werden. Unterscheiden Sie diese Fälle aber von der bewußten Nichtbeachtung der Form: Hier kommt keine Korrektur über § 242 in Betracht: Wer das Rechtsgeschäft bewußt nicht dem Recht unterstellen will, dem hilft das Recht auch nicht! (Siehe hierzu der bekannte Edelmannfall, RGZ 117, 121; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 181.) Denken Sie in diesem Zusammenhang auch an den Mangel der gewillkürten Schriftform: Gem. § 125 S.2 tritt hier die Nichtigkeit nur im Zweifel ein. Wichtige Rechtsprechung hierzu: Die Parteien können die Schriftformvereinbarung jederzeit formlos aufheben, dies kann auch stillschweigend geschehen, und ist immer dann anzunehmen, wenn die Parteien die Maßgeblichkeit der mündlichen Vereinbarung übereinstimmend gewollt haben. Dies gilt nach dem BGH sogar dann, wenn die Parteien gar nicht an den Formzwang gedacht haben.(Hemmer/Wüst, Der Primäranspruch I, Rn. 166; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 187 ff.). Mit dieser Rechtsprechung bleibt natürlich im Endeffekt von § 125 S.2 nicht mehr viel übrig!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch I, Rn. 174 ff.
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Verhältnis von Anscheinsvollmacht und § 179
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BGHZ 86, 273 Eine Haftung des Vertreters scheidet aus, wenn der Vertretene aufgrund einer Anscheinsvollmacht in Anspruch genommen werden kann.
Sachverhalt: Hauseigentümer E ließ sich von B vertreten, der wiederum C mit der Hausverwaltung beauftragte. C schloß im Namen des E mit Bauunternehmer A einen Vertrag über die Renovierung des Hauses, obwohl ihm hierfür die Vertretungsmacht fehlte. Da E die Bezahlung der Werklohnforderung aus diesem Grunde verweigert, nimmt B den C als Vertreter ohne Vertretungsmacht aus § 179 in Anspruch. C beruft sich darauf, daß E den Vertrag zumindest aus Anscheinsvollmacht gegen sich gelten lassen müsse. Es ist davon auszugehen, daß die Voraussetzungen für eine Anscheinsvollmacht vorliegen.
das Recht abzusprechen, sich gegenüber dem Geschäftsgegner auf eine Rechtsscheinshaftung des Vertretenen zu berufen. § 179 I stelle dem Gläubiger nur für den Fall, daß die Begründung der Vertragsverpflichtung an einem Vertretungsmangel scheitert, in der Person des Vertreters einen anderen Schuldner bereit. Hierfür bestehe aber kein Bedürfnis, wenn der Gläubiger den angeblich Vertretenen, sei es auch nur kraft Rechtsscheins, in Anspruch nehmen kann.
Entscheidungsgründe: Die Frage des Verhältnisses der Anscheinsvollmacht zur Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht ist umstritten. Nach einer Ansicht liegt es allein in der Hand des Geschäftsgegners, auf welches der beiden Institute er sich berufen will (Wahlrecht). Dagegen lehnt die h.M. die Anwendung der § 177 ff ab, wenn sich der Vertretene den Vertrag nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht zurechnen lassen muß. Der BGH schließt sich der h.M. an. Der Vertretene muß sich bei einer Anscheinsvollmacht so behandeln lassen, als hätte er eine echte Vollmacht erteilt. Er haftet dem Geschäftspartner daher nicht nur auf den Vertrauensschaden, sondern wird durch das Vertretergeschäft gebunden. Steht aber die Bindungswirkung einer Vollmacht kraft Rechtsscheins der einer rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht gleich, so bestehe kein hinreichender Grund, dem Vertreter
Allerdings setzt eine Haftung kraft Rechtsscheins voraus, daß der Geschäftsgegner auf den Rechtsschein hier die angebliche Bevollmächtigung vertraut hat. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall jedoch gegeben, so daß A den C nicht aus § 179 I in Anspruch nehmen kann. Er muß sich vielmehr an den kraft Anscheinsvollmacht gebundenen E halten.
„HEMMER-METHODE“: Eine Vollmacht kraft Rechtsscheins liegt sowohl bei der Duldungs- als auch bei der Anscheinsvollmacht vor. Eine Duldungsvollmacht ist dann gegeben, wenn der Vertretene weiß, daß ein anderer ohne Vollmacht für ihn handelt, aber in zurechenbarer Weise nichts dagegen unternimmt. Eine Anscheinsvollmacht liegt dagegen vor, wenn der Vertretene das Handeln des angeblichen Vertreters zwar nicht kennt, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen und verhindern kön–9–
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In beiden Fällen wird die fehlende Vollmacht durch den Rechtsscheinstatbestand ersetzt: Der "Vertretene" wird so behandelt, als habe er eine wirksame Vollmacht erteilt, er wird aus dem Vertrag berechtigt und verpflichtet. Nach anderer Literaturansicht ist die Duldungsvollmacht nichts anderes als eine echte Vollmachtserteilung durch konkludentes Handeln. Einer Rechtsscheinshaftung bedürfe es daher nicht. Dies kann jedoch nicht überzeugen, da der Vertretene in diesen Fällen ja gerade keinen Willen zur Bevollmächtigung hat. Auch die Anscheinsvollmacht wird in der Literatur vielfach abgelehnt. Bei der Anscheinsvollmacht liege kein einer Vollmachtserteilung gleichzusetzendes Verhalten vor, sondern nur Nachlässigkeit. Diese könne aber die Vollmachtserteilung nicht ersetzen, da Verschulden einer Willenserklärung nicht gleichgestellt werden kann. Vielmehr sollen sich die Rechtsfolgen gegenüber dem Vertretenen auf Ansprüche aus c.i.c. beschränken. Hiergegen spricht aber wiederum, daß nur das Erfüllungsinteresse dem gesetzten Rechtsschein entspricht. Die bloße Haftung aus c.i.c., die i.d.R. nur auf das negative Interesse geht, gewährt keinen ausreichenden Schutz des Geschäftsgegners!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch I, 248 ff.
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ALLGEMEINER TEIL
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Genehmigung eines formbedürftigen Rechtsgeschäfts, § 182 II
6.
BGHZ 125, 218 Ein durch einen vollmachtlosen Vertreter formwirksam abgeschlossener Grundstückskaufvertrag kann vom Vertretenen gem. § 182 II formlos genehmigt werden. Eine teleologische Reduktion dieser Vorschrift kommt nicht in Betracht.
Sachverhalt: Durch notariellen Vertrag kaufte der K von V eine Eigentumswohnung. Bei der Beurkundung des Vertrages trat der B für alle Beteiligten als Vertreter auf, für den V aufgrund einer bestehenden Vollmacht, für den K als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Der K genehmigte den Vertrag und zahlte den Kaufpreis. Er verlangt nun Rückzahlung des Kaufpreises, da die Genehmigung nicht notariell beurkundet wurde.
Gesichtspunkt der Warn- und Schutzfunktion beurkundungsbedürftig.
Entscheidungsgründe:
Der Anspruch kann nur gem. § 812 I 1, 1. Alt begründet sein. Problematisch ist hierbei das Nichtvorliegen eines rechtlichen Grundes. Der Vertrag war zwar zunächst gem. § 177 I schwebend unwirksam, könnte jedoch durch die Genehmigung des K rückwirkend wirksam geworden sein, § 184 I. Fraglich ist, ob die Genehmigung entgegen dem Wortlaut des § 182 II der notariellen Form bedurfte. Der BGH lehnt dies ab, da der Wortlaut des § 182 II insoweit eindeutig sei. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift kommt nach BGH nicht in Betracht: Der Gesetzgeber hat sich bewußt für die Formfreiheit auch in den Fällen entschieden, in denen das Vertretergeschäft beurkundungsbedürftig ist. Es besteht daher schon keine Lükke, die durch eine restriktive Auslegung geschlossen werden müßte. Hinzu kommt, daß der Schutz des § 313 S.1 nur unvollkommen ausgestaltet ist, wie schon die Heilungsmöglichkeit in § 313 S.2 zeigt. Daher kann aus § 313 nicht der generelle Schluß gezogen werden, alle Vorgänge die zu einer Änderung der Eigentumsordnung an Grundstücken führen, seien unter dem
Auch die Rechtsprechung zur Beurkundungsbedürftigkeit bindender Vollmachten, die sich entgegen dem Wortlaut des § 167 II gebildet hat, ist kein zwingendes Argument für eine Änderung der Rechtsprechung im Bereich des § 182 II. Beide Problemkreise sind nämlich nur bedingt miteinander vergleichbar. Eine Formbedürftigkeit entgegen § 167 II wird nur in bestimmten Ausnahmefällen angenommen, so daß der Kernbereich des § 167 II unangetastet bleibt. Da die Genehmigung aber stets sofort bindet, den Vertrag wirksam macht und unwiderruflich ist, wäre sie bei Anwendung des § 313 ausnahmslos beurkundungsbedürftig und damit der Anwendungsbereich des § 182 II auf Null reduziert. Außerdem erwirbt bzw. veräußert der Vertretene über eine Vollmacht bereits ein Grundstück, ohne die Einzelheiten des Vertrages im voraus zu kennen. Im Unterschied dazu kann derjenige, der genehmigt, sich über den Vertragsinhalt erkundigen. Damit war die formlose Genehmigung wirksam. Es besteht kein Rückforderungsanspruch aus § 812 I 1, 1.Alt. – 11 –
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„HEMMER-METHODE“: In der Literatur wird teilweise eine teleologische Reduktion des § 182 II dahingehend vertreten, daß die Genehmigung eines nach § 313 S.1 formbedürftigen Rechtsgeschäfts ebenfalls der notariellen Form bedürfe. Begründet wird dies mit der Warn- und Schutzfunktion des § 313 und der entsprechenden Auslegung des § 167 II. Angesichts der eindeutigen Rechtsprechung ist diese Ansicht in der Klausur aber abzulehnen. Beachten Sie das Parallelproblem bei der Formbedürftigkeit einer Vollmacht: Trotz des Wortlauts des § 167 II ging schon das Reichsgericht, und ihm folgend der BGH, in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Vollmacht zum Abschluß eines gem. § 313 S.1 formbedürftigen Vertrages selbst formbedürftig ist, wenn diese unwiderruflich erteilt wird oder zwar widerruflich ist, aber eine rechtliche oder tatsächliche Bindung des Vollmachtgebers zur Grundstücksveräußerung bzw. Erwerb begründet. Entscheidend ist, ob nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis, eine solche Bindung besteht. Das kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Bevollmächtigte den Weisungen des Geschäftsgegners zu folgen hat oder vom Verbot des § 181 befreit wurde.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch I, Rn. 237 ff., 290 ff.
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ALLGEMEINER TEIL
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Anfechtung eines Darlehensvertrages wegen arglistiger Täuschung 7.
BGHZ 33, 302 : "Dritter" i.S.d. § 123 II Als Dritter i.S.d. § 123 II ist nicht anzusehen, wer gegenüber dem Erklärenden als Vertrauensperson des Erklärungsempfängers auftritt.
Sachverhalt: Verkäufer V und Käufer K vereinbarten einen von der Bank B zu finanzierenden Ratenzahlungskauf. V und B standen für solche Finanzierungen in dauernder Geschäftsverbindung. Infolge einer arglistigen Täuschung durch V gab K im Darlehensvertrag wahrheitswidrig an, V habe die gekaufte Ware bereits geliefert. B zahlte daraufhin das Darlehen für Rechnung des K an V aus. Dieser lieferte nicht und fiel in Konkurs. B verlangt von K Rückzahlung des Darlehens. K ficht daraufhin den Darlehensvertrag wegen arglistiger Täuschung an. Ist die Anfechtung wirksam?
Entscheidungsgründe: Da vorliegend nicht die (Darlehens)Vertragspartnerin B selbst arglistig getäuscht hat, hängt die Entscheidung davon ab, ob man den V als Dritten i.S.d. § 123 II ansieht. Der BGH verneint dies. Dritter in diesem Sinne soll danach nicht sein, wer Vertrauensperson des Erklärungsempfängers ist.
Da die B eine ständige Geschäftsbeziehung mit V dahingehend eröffnet hatte, daß sie von V vermittelte Darlehensverträge im Zuge von Ratenkäufen abwikkelte, stellte sich V gegenüber K als Vertrauensperson der B dar. V war somit nicht Dritter i.S.d. § 123 II, so daß K den Darlehensvertrag wirksam gem. § 123 I anfechten kann, ohne daß es auf die Einschränkung des § 123 II ankäme.
„HEMMER-METHODE“: Kein Dritter ist, wer auf Seiten des Erklärungsempfängers steht und maßgeblich am Zustandekommen des Vertrages mitgewirkt hat. Dies ist immer der Fall beim Vertreter. Merken Sie sich daher: Der Vertreter ist immer sog. Nichtdritter. Der BGH hat den Begriff des Dritten aber immer mehr eingeschränkt und so die Anfechtungsmöglichkeit nach § 123 I erweitert. So läßt er in dieser Entscheidung auch genügen, daß der Täuschende zwar nicht als Vertreter aber doch als Vertrauensperson des Erklärungsempfängers auftrat. Zur Abgrenzung kann § 278 herangezogen werden (sog. "Lagertheorie"): Nichtdritter ist daher, wer als Erfüllungsgehilfe i.S.d. § 278 anzusehen ist. Relevant ist diese Problematik insbesondere im Verhältnis Bürge, Hauptschuldner, Gläubiger. Täuscht der Hauptschuldner den Bürgen über seine Kreditwürdigkeit kann der Bürge den Bürgschaftsvertrag nicht gem. § 123 anfechten, da der Hauptschuldner im Verhältnis zum Gläubiger (Bank) Dritter i.S.d. § 123 II ist. Der Hauptschuldner steht nicht im "Lager" des Gläubigers. Beide stehen auf verschiedenen Seiten und verfolgen unterschiedliche Interessen. Der Hauptschuldner nimmt allein seine eigenen Interessen wahr, wenn er sich um einen Bürgen bemüht.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Jede andere Auslegung des Begriffs des Dritten würde auch dem Sicherungszweck der Bürgschaft widersprechen, da der Bürge durch die Bürgschaft ja gerade das Risiko übernimmt, daß der Hauptschuldner seine Verbindlichkeit nicht erfüllen kann!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch III, Rn. 501 ff.; Hemmer/Wüst, Kreditsicherungsrecht, Rn. 15
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ALLGEMEINER TEIL
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Nichtigkeit eines Vertrages aufgrund Sittenwidrigkeit, § 138 I BGB 8.
BGHZ 125, 206: Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft des Kindes für dessen Eltern; ebenso BGH, NJW 1997, 52 Ein Bürgschaftsvertrag kann gem. § 138 I BGB nichtig sein, wenn zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Bürgen ein besonders grobes Mißverhältnis besteht und der Bürge durch weitere dem Gläubiger zurechenbare Umstände belastet wird, die zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragspartner führen.
Sachverhalt: Der vermögenslose Student S übernahm für seine Eltern gegenüber der Bank B eine selbstschuldnerische Bürgschaft für alle bestehenden und künftigen Ansprüche der B gegen die Eltern. In diesem Zeitpunkt bestanden Verbindlichkeiten in Höhe von 2.3 Mio. DM. Da die Eltern später zahlungsunfähig wurden, nimmt die B den S in Höhe eines Teilbetrages von 500000 DM in Anspruch. Insgesamt bestehen noch Verpflichtungen der Eltern gegenüber der B in Höhe von 2 Mio. DM.
Entscheidungsgründe: Fraglich ist, ob die von S übernommene Bürgschaft gem. § 138 I sittenwidrig und damit nichtig ist. Früher ging der BGH davon aus, daß eine Bürgschaft nicht deshalb als sittenwidrig angesehen werden könne, weil sie voraussichtlich zu einer Überschuldung des Bürgen führe. Das BVerfG hat dann jedoch entschieden, daß diese Privatautonomie nicht schrankenlos gewährt wird, vielmehr sind auch in ihrem Rahmen die Grundrechte zu beachten (BVerfGE 89, 214, NJW 1994, 36). Eine sittenwidrige Mißachtung der Grenzen der Privatautonomie liegt nach dem BVerfG immer dann vor, wenn der Bürgschaftsvertrag aufgrund einer strukturell ungleichen Verhandlungsstärke der Parteien zustande gekommen ist, d.h. die Bank ihre überlegene Verhandlungsstärke ausgenutzt hat. Dieser Rechtsprechung hat sich nun auch der BGH angeschlossen. Verpflichtet sich danach der Bürge in einem Umfang, der seine gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Vermögensverhältnisse weit übersteigt, kann ein – 15 –
solcher Vertrag gem. § 138 I nichtig sein, wenn der Bürge durch weitere Umstände in einer dem Gläubiger zurechenbaren Weise zusätzlich erheblich belastet wird, die zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragspartner führen. Solche Belastungen können sich nach dem BGH insbesondere daraus ergeben, daß der Gläubiger die geschäftliche Unerfahrenheit oder eine seelische Zwangslage des Bürgen ausnutzt oder ihn auf andere Weise in seiner Entscheidung unzulässig beeinträchtigt. In besonders krassen Ausnahmefällen kann die Bürgschaft auch schon wegen des Umfangs der Verpflichtung sittenwidrig sein, nämlich dann, wenn die Verbindlichkeit so hoch ist, daß bereits bei Vertragsschluß feststeht, der Bürge werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Forderung des Gläubigers nicht einmal zu großen Teilen tilgen können. Das soll nach neuer BGHRechtsprechung immer dann der Fall sein, wenn der Bürge innerhalb von fünf Jahren nicht einmal ein Viertel der Hauptschuld abzahlen könne. (Vgl.
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
BGH, NJW 1996, 2088 (2091) und NJW 1997, 1005) Der Bürgschaft von so außergewöhnlichem Umfang standen keinerlei Rechtfertigungsgründe in der Person des S gegenüber. Er hatte diese nur aus Hilfsbereitschaft gegenüber seinen Eltern übernommen, hatte also aus Geschäftsunerfahrenheit und ohne wesentliches Eigeninteresse gehandelt. Der Bürgschaftsvertrag war demnach schon aus diesem Grunde gem. § 138 I nichtig. Die Bürgschaft verstößt aber noch aus einem anderen Grunde gegen § 138 I: Dadurch, daß die Eltern ihren Sohn dazu veranlaßt haben, diese Bürgschaft einzugehen, haben sie ihre
familienrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 1618 a verletzt. Diese unzulässige Einwirkung auf die Entschließungsfreiheit des S muß sich die B zurechnen lassen, wenn sie ein solches Handeln der Eltern gekannt oder grob fahrlässig außer acht gelassen hat. Die B macht sich nämlich die persönliche Verbundenheit des S zu seinen Eltern zunutze, wenn sie eine Darlehenshingabe von der Bürgschaftsübernahme durch das Kind abhängig macht. Der Bürgschaftsvertrag war daher in zweifacherweise sittenwidrig. S kann also nicht aus der Bürgschaft in Anspruch genommen werden.
„HEMMER-METHODE“: Ein weiteres examensrelevantes Problem in diesem Zusammenhang ist die Frage der Anwendbarkeit des HaustürWG auf den Bürgschaftsvertrag. Kam die Bürgschaft z. B. in den Privaträumen des Bürgen zustande, so könnte diesem ein Widerrufsrecht nach § 1 HaustürWG zustehen. Der BGH ging jedoch früher davon aus, daß die Bürgschaft kein entgeltlicher Vertrag i.S.d. § 1 HaustürWG sei, sondern eine einseitig übernommene Verbindlichkeit des Bürgen. Infolge einer EG-Richtlinie legt der BGH diese Bestimmung heute weit aus und läßt als „Entgelt“ i.d.S. genügen, daß zumindest dem Hauptschuldner ein Vorteil aus der Bürgschaft erwächst. Bei einseitiger Leistungsverpflichtung ist die Schutzbedürftigkeit nämlich viel größer als bei echten entgeltlichen Geschäften, da der Bürge im Gegenzug zu seiner Verpflichtung ja nichts erhält. Wird der Bürge jedoch von einem anderen Familienmitglied, z.B. dem Ehegatten, in der gemeinsamen Wohnung zur Eingehung der Bürgschaft veranlaßt, greift § 1 HaustürWG nach seinem Schutzzweck nicht ein: Der hauptschuldnerische Ehegatte ist nicht Verhandlungsgehilfe der Bank. Das HaustürWG bezweckt jedoch nicht, den Bürgen vor dem psychischen Druck des Ehegatten zu schützen. (Vgl. BGH, NJW 1993, 1594) Bei der Ehegattenbürgschaft stellt sich aber noch ein weiteres Problem: Anders als bei der Kindesbürgschaft reicht hier ein krasses Mißverhältnis zwischen Verpflichtung und Leistungsfähigkeit nach dem BGH für eine Sittenwidrigkeit nicht aus, da der Gläubiger ein berechtigtes Interesse an der Haftung des Bürgen hat, nämlich die Gefahr der Vermögensverschiebungen zwischen den Ehegatten. Der Bürgschaftsvertrag soll jedoch so auszulegen sein, daß er ein stillschweigendes pactum de non petendo enthalte, d.h. der Gläubiger darf den Bürgen erst in Anspruch nehmen, wenn tatsächlich eine Vermögensverschiebung stattgefunden hat. Kann der Zweck der Bürgschaft, Vermögensverschiebungen zu verhindern nicht mehr erreicht werden, weil die Lebensgemeinschaft endgültig aufgelöst wurde, so ist hier das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage anzuwenden, das im Ergebnis zu einem Wegfall der Zahlungsverpflichtung des Bürgen führt. Dies gilt grundsätzlich auch bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft. (Vgl. BGH, NJW 1997, 1005) Machen Sie sich also die unterschiedlichen Wertungen bei Kindes- und Ehegattenbürgschaft klar mit den daraus resultierenden Rechtsfolgen: Bei ersterem ist der Vertrag gem. § 138 I BGB von Anfang an nichtig, bei letzterem hilft nur noch § 242 in der Ausprägung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage! „Wer bürgt, wird erwürgt“, gilt also nicht mehr immer; dem BGH sei’s gedankt! – 16 –
ALLGEMEINER TEIL
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Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch II, Rn. 121 ff., insb. Rn. 134 ff.; Hemmer/Wüst, Kreditsicherungsrecht, Rn. 15 a
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Das lediglich rechtlich vorteilhafte Rechtsgeschäft im Minderjährigenrecht; § 107 BGB im Zusammenspiel mit § 181 BGB 9.
BGHZ 78, 28: Schenkungen der Eltern an ihr minderjähriges Kind Bei Schenkungen des gesetzlichen Vertreters an das minderjährige Kind muß die Frage, ob die schuldrechtliche Schenkung lediglich rechtlich vorteilhaft ist, aus einer Gesamtbetrachtung des schuldrechtlichen und dinglichen Vertrages heraus beantwortet werden.
Sachverhalt: Der Vater V schenkte seinem Kind K seinen Miteigentumsanteil an einem Wohnungseigentum. Die Gemeinschaftsordnung der Wohnungseigentümer enthielt jedoch Verpflichtungen der Wohnungseigentümer, die über das gesetzliche Maß des Wohnungseigentumsgesetzes hinausgingen. Ist der Schenkungsvertrag wirksam?
Entscheidungsgründe: Der Erwerb von Wohnungseigentum weist die Besonderheit auf, daß der Erwerber mit dem dinglichen Rechtserwerb zugleich kraft Gesetzes gem. §§ 10 ff WEG in die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eintritt, woraus erhebliche Rechte und Pflichten resultieren können. Im vorliegenden Fall enthielt die Gemeinschaftsordnung sogar noch über das Gesetz hinausgehende Pflichten, wodurch es auch zu einer persönlichen Haftung des Minderjährigen kommen konnte. Da dieser rechtliche Nachteil jedoch nur mit dem dinglichen Rechtsgeschäft verknüpft ist, stellt sich hier das Problem des Zusammenspiels von § 107 und § 181. Der schuldrechtliche Schenkungvertrag als lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft kann vom Minderjährigen grds. ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters selbst geschlossen werden, § 107 BGB. Das dingliche Rechtsgeschäft bringt dem Minderjährigen durch die persönliche Verpflichtung aus der Gemeinschaftsordnung auch rechtliche Nachteile. Hier müssen also seine Eltern als gesetzliche Vertreter für ihn handeln. Zwar gilt für diese über
§ 1629 II i.V.m. § 1795 II auch § 181. Durch die isolierte Betrachtung des Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäfts würde ihnen aber auch der Vollzug dieses rechtlich nachteilhaften Erfüllungsgeschäfts nicht verwehrt, da sie in Erfüllung einer Verbindlichkeit, nämlich des zustimmungsfreien wirksamen Schenkungsvertrages handeln, § 181 a.E. Damit würde der von den §§ 107, 181 bezweckte Schutz weitgehend entfallen. Der BGH hat daher im vorliegenden Fall entschieden, daß bei Schenkungen des gesetzlichen Vertreters die Frage des rechtlichen Vorteils aus einer Gesamtbetrachtung des obligatorischen und dinglichen Geschäftes beantwortet werden muß. Zur Ermittlung der Frage, ob das schuldrechtliche Rechtsgeschäft lediglich rechtlich vorteilhaft ist kommt es daher auch auf das dingliche Rechtsgeschäft an. Da das dingliche Rechtsgeschäft im vorliegenden Fall aufgrund der persönlichen Verpflichtung des K durch die verschärfte Gemeinschaftsordnung auch rechtlich nachteilhaft war, bedarf es also zum Abschluß eines wirksamen Schenkungsvertrages der
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Bestellung eines Ergänzungspflegers
gem. § 1909.
„HEMMER-METHODE“: Vorsicht: Die Rechtsprechung zur "Gesamtbetrachtung" wird häufig mißverstanden. Auf eine Gesamtbetrachtung kann es immer nur dann ankommen, wenn es um die Wirksamkeit des schuldrechtlichen Vertrages geht! Dadurch soll ja letztendlich nur verhindert werden, daß rechtlich nachteilige Erfüllungsgeschäfte durch Vollzug eines an sich rechtlich vorteilhaften Schenkungsvertrages über § 181 ohne Beteiligung eines Pflegers durchgeführt werden können. Dies wird dadurch verhindert, daß über die Gesamtbetrachtung auch schon der Schenkungsvertrag als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft behandelt wird. Sie dürfen aber auf keinen Fall bei der Betrachtung eines vorteilhaften dinglichen Rechtsgeschäfts das schuldrechtliche mit einbeziehen! Auch hier gilt wieder, nicht einfach auswendiggelernte Standardsätze abzuspulen, sondern sich die dahinterstehenden Wertungen klar zu machen. Nur so können Sie sich vom Durchschnitt absetzen und in der Klausur punkten! Denken Sie in diesem Zusammenhang an die anderen klausurrelevanten Konstellationen, insbesondere beim Grundstückserwerb seitens des Minderjährigen: Ein rechtlicher Nachteil ist immer nur dann gegeben, wenn mit der Annahme der Zuwendung eine persönliche Verpflichtung des Minderjährigen verbunden ist. Beachten Sie hier jedoch den neu eingeführten § 22a WHG, wodurch sich nunmehr die Frage stellt, ob der Grundstückserwerb eines Minderjährigen nicht stets als rechtlich nachteilig zu beurteilen ist. Ist der geschenkte Gegenstand dagegen lediglich mit einer Hypothek oder Grundschuld belastet, liegt darin kein rechtlicher Nachteil, da es lediglich zu einer Verwertung des Grundstücks selbst kommen kann, das ursprüngliche Vermögen des Minderjährigen bleibt dagegen unberührt. Eine Ausnahme hierzu macht der BGH jedoch wiederum im Fall einer Vermögensübernahme gem. § 419. Zwar ist auch hier die Haftung gem. § 419 II 1 auf den Bestand des übernommenen Vermögens beschränkt, jedoch soll aufgrund des erhöhten Prozeßrisikos auch das übrige Vermögen des Übernehmers bedroht und dadurch ein rechtliche Nachteil gegeben sein. Rechtlich nachteilig kann ein Grundstückserwerb auch wegen § 571 sein. Machen sie sich also diesen Regel - Ausnahme - Mechanismus klar.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch I, Rn. 120 ff.
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Wissenszurechnung bei juristischen Personen
10.
BGHZ 109, 327: Organtheorie Eine Wissenszurechnung kommt bei juristischen Personen auch dann in Betracht, wenn der Organvertreter von dem Rechtsgeschäft nichts weiß oder sogar schon aus dem Amt ausgeschieden ist.
Sachverhalt: Die Gemeinde G verkaufte K im Jahre 1982 ein Schlachthausgrundstück unter Ausschluß der Gewährleistung. Die G war im Jahre 1965 vom Landratsamt darauf hingewiesen worden, daß durch die Verwendung schlechter Materialien eine Einsturzgefahr der Decken bestand. Aus diesem Grund verfügte das Landratsamt gegenüber K bis zur Sanierung die Unterlassung der Nutzung. K verlangt die erforderlichen Kosten für die Sanierung von der G ersetzt. Von denen im Jahre 1965 tätigen Organvertretern der G war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses niemand mehr im Dienst.
Entscheidungsgründe: In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch aus § 463 S.2 i.V.m. §§ 31, 89 wegen arglistigen Verschweigens eines Mangels. Problematisch ist jedoch, daß die Voraussetzungen der Arglist im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei keinem der Organe der G vorlagen, da alle Organvertreter, die davon Kenntnis hatten, bereits ausgeschieden waren. Nach BGH schließt dieser Umstand eine Haftung der Gemeinde nicht aus. Vielmehr müsse sich eine juristische Person das Wissen aller ihrer vertretungsberechtigten Organwalter zurechnen lassen. Das Wissen schon eines in der Angelegenheit vertretungsberechtigten Organmitglieds sei als Wissen des Organs und damit der juristischen Person aufzufassen. Dies gelte auch dann, wenn das Organmitglied an dem betreffenden Rechtsgeschäft nicht mit-
gewirkt und von dem Rechtsgeschäft auch gar nichts gewußt habe. Auch das Ausscheiden des Organvertreters aus dem Amt stehe einer Wissenszurechnung nicht entgegen. Dies ergebe sich aus einer wertenden Betrachtung. Der Verkehrsschutz gebiete eine fortdauernde Wissenszurechnung bereits ausgeschiedener Organvertreter. Nur so lasse sich die strukturelle Besonderheit der organisatorischen Aufspaltung bei juristischen Personen ausgleichen. Der Bürger, der mit der Gemeinde einen Vertrag schließt und ihr dabei in der Regel sogar erhöhtes Vertrauen entgegenbringt, darf im Prinzip nicht schlechter gestellt werden, als wenn er es nur mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte. Die G muß sich daher so behandeln lassen, als hätte sie den Mangel gekannt und ihn trotz Offenbarungspflicht verschwiegen. Damit ist der Schadensersatzanspruch des K begründet.
„HEMMER-METHODE“: Die verfassungsmäßigen Vertreter juristischer Personen sind keine Vertreter i.S.d. § 278. Ihr Verschulden wird der juristischen Person aber als Organverschulden gem. § 31 entspr. (eventuell i.V.m. § 89) zugerechnet. „Ein faules Ei – 20 –
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verdirbt den Brei.“ § 31 ist nach h.M. auf die Personenhandelsgesellschaften OHG und KG entsprechend anzuwenden. Eine Anwendung auf die GbR wird vom BGH abgelehnt, in der Literatur aber teilweise befürwortet. Geht es dagegen um eine Wissenszurechnung wie bei § 463 S.2, gilt in der Regel § 166. Dieser scheidet jedoch aus, wenn derjenige, der Kenntnis hat, am Geschäft gar nicht beteiligt war, insbesondere, wenn er schon ausgeschieden war. Allerdings gilt dann nach der sog. Organtheorie beim Verein und der juristischen Person das Wissen, das ein Organ hat, als Wissen der juristischen Person selbst und bleibt auch dann bestehen, wenn das Organ schon ausgeschieden ist. Dies gebietet der Gedanke der Repräsentation: "Einmal gewußt - immer gewußt". Beachten Sie aber auch die Einschränkung der Organtheorie durch die neue BGHRechtsprechung (NJW 1996, 1339), die in der Entscheidung eine GmbH & Co KG betraf, in der sich aber ein Verallgemeinerung auf alle juristischen Personen andeutet: Es muß sich um typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen handeln. Entscheident für die Wissenszurechnung ist nicht mehr die Stellung eines Organwalters oder Wissensvertreters, sondern die sog. Organisationspflichten. Der Vertragspartner einer juristischen Person darf nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen, als wenn er mit einer natürlichen Person kontrahiert hätte (sog. Gleichstellungsargument). Insofern betont der BGH neuerdings auch, daß die Wissenszurechnung nicht zu einer reinen Fiktion entarten darf. (Eine lesenswerte Zusammenfassung findet sich in JuS 1996, 747)
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht I, Rn. 61 ff.; Hemmer/Wüst, Basics Zivilrecht, Rn. 491
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Anfechtung einer Tilgungsbestimmung
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BGHZ 106, 163 Die bei der Leistung vorgenommene Tilgungsbestimmung des Schuldners ist wegen Irrtums anfechtbar.
Sachverhalt: A hatte dem B 15000 DM in der Absicht überwiesen, eine eigene Schuld gegenüber dem B zu tilgen (Werklohnforderung). Durch die geschickte Manipulation des C sah es für den B aber so aus, als hätte A eine Schuld des C tilgen wollen. A hat nach Aufdeckung des Sachverhalts seine Tilgungsbestimmung angefochten. Er weigert sich nun, den noch offenen Werklohn an B zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
A befand sich bei der Vornahme der Leistung an B in einem Irrtum über den Inhalt der Erklärung (§ 119 I 1.Alt.). Er glaubte zu erklären, mit der Leistung eine eigene Schuld zu tilgen, während er tatsächlich vom objektiven Empfängerhorizont erklärt hat, die Überweisung betreffe eine Schuld des C ( 267 I). Auch bei der Auslegung einer Tilgungsbestimmung kommt es nicht auf den inneren Willen des Leistenden an, sondern darauf, wie der Gläubiger das Verhalten verstehen durfte (objektiver Empfängerhorizont).
kenntnis berufen könnte. Eine entsprechende Anwendung des § 166 I kommt nach ständiger BGH-Rechtsprechung nur in Betracht, wenn sich der „Vertretene“eines anderen als eines Vertreters bedient (Gedanke der Zurechenbarkeit). Solche Voraussetzungen waren vorliegend nicht gegeben. Durch die begründete Anfechtung nach § 119 I wurde die Tilgungswirkung daher rückwirkend beseitigt. Die darin ursprünglich liegende Leistung eines Dritten auf fremde Schuld gem. § 267 I, d.h. die Tilgung der Schuld des C, entfiel.
Der BGH geht davon aus, daß die Tilgungsbestimmung eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ist. Selbst wenn sie nur als rechtsgeschäftsähnliche Erklärung gelten könnte, wäre das Ergebnis dasselbe. Die allgemeinen Vorschriften über Willenserklärungen finden nämlich auf geschäftsähnliche Erklärungen entsprechende Anwendung. Daher sei die Anfechtung der Tilgungsbestimmung zumindest in entsprechender Anwendung der §§ 119 ff möglich. Die Anfechtung sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich A die Kenntnis des C nach § 166 I zurechnen lassen müßte, so daß er sich nicht auf die eigene Un-
Die Frage. ob die von A wirklich gewollte Tilgungsbestimmung rückwirkend auf den Zeitpunkt der Leistung nachgeholt werden könne, kann nach BGH hier offenbleiben. Denn jedenfalls ergab sich aus der Anfechtung ein Bereicherungsanspruch des A gegen B, mit dem er gegen die noch offene Werklohnforderung aufrechnen kann (§ 389). Der direkte Bereicherungsanspruch gegen B ergebe sich aus der Wirkung der Anfechtung, wodurch die Tilgungsbestimmung rückwirkend entfallen sei. Der Schutz des Anfechtungsgegners würde durch den Schadensersatzanspruch des § 122 und durch § 818 III gewährleistet.
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„HEMMER-METHODE“: Eine Tilgungsbestimmung ist grundsätzlich dann erforderlich, wenn dem Gläubiger gegenüber dem Schuldner mehrere Ansprüche bzw. Forderungen zustehen, vgl. § 366, oder aber ein Dritter nach §267 leistet. Daneben kann der Schuldner über eine sog. „negative Tilgungsbestimmung“ verhindern, daß die Bewirkung einer Leistung zum Erlöschen einer bestimmten Leistungspflicht führt. Sehr umstritten ist dagegen die Vornahme einer nachträglichen Tilgungsbestimmung bzw. die Änderung einer bereits vorgenommenen Tilgungsbestimmung. Auch in der vorliegenden Entscheidung hat der BGH diese Problematik angesprochen, im Ergebnis aber offengelassen. Machen Sie sich klar, daß die bloße Anfechtung der Tilgungsbestimmung nicht automatisch dazu führt, daß auf die eigene Schuld geleistet wurde. Dieses Ergebnis könnte nur über eine vom Schuldner vorgenommene nachträgliche Tilgungsbestimmung erreicht werden. Der BGH läßt eine nachträgliche Tilgungsbestimmung in den Grenzen des § 242 zu. Allerdings handelt es sich hierbei überwiegend um die umgekehrte Konstellation, in der der Schuldner zunächst auf eine vermeintliche eigene Schuld leistet. Aufgrund einer nachträglichen Tilgungsbestimmung will er seine Zahlung dann zur Drittzahlung i.S.d. § 267 „umfunktionieren“. Er erhält damit statt der Leistungskondiktion gegen den Empfänger eine Rückgriffskondiktion gegen den - nunmehr befreiten - wahren Schuldner. Durch die Möglichkeit der nachträglichen Tilgungsbestimmung wird ihm letztlich also ein Wahlrecht hinsichtlich der Person seines Kondiktionsschuldners verschafft.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Anfängliches Unvermögen
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BGH, DB 1972, 1336 Im Falle des anfänglichen Unvermögens ist der Vertrag wirksam. Der Gläubiger hat dann einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, weil der Schuldner für sein anfängliches Leistungsvermögen verschuldensunabhängig einzustehen hat (Garantiehaftung).
Sachverhalt: E verkaufte sein Grundstück notariell an V. Noch bevor es diesem aufgelassen wurde, verkaufte V weiter an K. Später stellte sich heraus, daß der Kauf E-V wegen Dissens nichtig war. E will das Grundstück nun behalten. K verlangt deshalb von V Schadensersatz.
Entscheidungsgründe: Verkauft jemand eine ihm nicht gehörende Sache, so liegt kein Fall der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit vor (§ 306). Vielmehr handelt es sich um einen Fall des anfänglichen Unvermögens, da die Erbringung der Leistung nur dem Verkäufer unmöglich ist. Ein auf eine solche Leistung gerichteter Vertrag ist nach BGH wirksam und gewährt dem Käufer, wenn das Unvermögen ein dauerndes ist, einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Dieser Anspruch besteht nach BGH verschuldensunabhängig, weil der Schuldner mit der Leistungsverpflich-
tung zugleich die Haftung für sein Leistungsvermögen übernehme. Eine Einschränkung der Haftung dahingehend, daß der Schuldner nur für die Zulänglichkeit des eigenen Geschäftskreises einzustehen habe (beschränkte Garantiehaftung), lehnt der BGH ab. Eine Ausnahme könne nur dann gemacht werden, wenn das Einstehenmüssen für die Erfüllung dem Schuldner unzumutbar wäre. Diese Fälle seien aber unter dem Gesichtspunkt des § 242 zu lösen. K hat somit gegen V einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung.
„HEMMER-METHODE“: Die Problematik des anfänglichen Unvermögens ist in der Literatur umstritten. Einigkeit besteht jedoch darüber, daß der Vertrag wirksam ist, weil § 306 hier nicht gilt. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluß zu § 275 II, da diese Norm die nachträgliche Unmöglichkeit dem nachträglichen Unvermögen ausdrücklich gleichstellt. Eine solche Gleichstellung fehlt jedoch bei § 306! Da das anfängliche Unvermögen also im Gesetz nicht geregelt ist, ergeben sich drei verschiedene Ansätze, bei denen die Rechtsfolge natürlich auf Schadensersatz gerichtet ist, da wegen des Unvermögens ja nicht erfüllt werden kann: Nach e.A. sind die Regeln über die nachträgliche Unmöglichkeit entsprechend anzuwenden. Danach wird auch für anfängliches Unvermögen nur bei Vertretenmüssen auf Schadensersatz gehaftet. Das Vertretenmüssen soll dabei untechnisch verstanden werden, da der Eintritt des Unvermögens vor Entstehung der Leistungspflicht nicht pflichtwidrig sein könne. Der BGH und ein Teil der Literatur gehen dagegen wie in der vorliegenden Entscheidung von der Garantiehaftung des Schuldners aus. Im Bereich des Kaufvertrages wird dieses Ergebnis überwiegend damit formuliert, § 440 I sei insoweit – 24 –
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Rechtsfolgeverweisung allein auf § 325. Ein Teil der Literatur vertritt eine vermittelnde Ansicht, die sog. beschränkte Garantiehaftung: Den Schuldner treffe eine Garantiehaftung nur für solche Umstände, die innerhalb seines Geschäftskreises liegen und nur soweit sich der Gläubiger auf die Zusage des Leistungsvermögens verlassen durfte. Insbesondere bei Einwirkungen eines Dritten, die der Schuldner bei Anwendung der verkehrsgerechten Sorgfalt nicht zu verhindern vermag und bei sonstigen Umständen, die sich für ihn als "höhere Gewalt" darstellen, soll seine Verantwortlichkeit entfallen. Achten Sie in der Klausur auf die juristisch korrekte Ausdrucksweise! Der Begriff des Unvermögens bezeichnet von vornherein nur die Fälle der subjektiven Unmöglichkeit. Die Bezeichnung "subjektives Unvermögen" ist daher nicht nur überflüssig, sondern macht auf den Korrektor auch einen schlechten Eindruck!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Basics Zivilrecht, Rn. 147 ff.
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Von beiden Parteien zu vertretene Unmöglichkeit
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RGZ 94, 140 Liegt ein Fall der von beiden Parteien zu vertretenden Unmöglichkeit vor, so wird der jeweils gegebene Anspruch aus § 324 oder § 325 nach Maßgabe des Mitverschuldens des Berechtigten entsprechend § 254 gekürzt.
Sachverhalt: V verkaufte sein Fuhrunternehmen an K und bot diesem mehrfach die Übergabe an. K bestritt zu Unrecht den Kaufvertragsabschluß und verweigerte die Übernahme und Kaufpreiszahlung. Daraufhin veräußerte V den Betrieb zu einem geringeren Preis an D. V verlangt von K die Kaufpreiszahlung, abzüglich des von D gezahlten Preises gem. § 324.
Entscheidungsgründe: Das RG geht davon aus, daß der Kaufvertrag zwischen V und K wirksam zustande gekommen ist. Da V die Sache an D verkauft hat, hat er sein nachträgliches Unvermögen grundsätzlich auch zu vertreten, § 275 II. Daran ändert auch die Haftungsmilderung nach § 300 I nichts (Annahmeverzug des K!), da V nicht bloß leicht fahrlässig handelte. Jedoch treffe auch den K ein Verschulden hinsichtlich des Unvermögens des V. Da er die Abnahme unberechtigterweise verweigerte, befand er sich im Annahmeverzug gem. §§ 293, 295. V dagegen sei trotz des vertragswidrigen Verhaltens des K während eines erheblichen Zeitraums erfüllungsbereit und erfüllungsfähig gewesen. Damit ist nach Ansicht des RG das Verschulden des K mitursächlich, wenn nicht sogar ausschlaggebend für das Unvermögen des V geworden. In einem solchen Fall richte sich die Anwendung der §§ 324, 325 nach den Grundsätzen des § 254. Nur auf diesem Wege ließe sich eine
einwandfreie, dem Inhalt und Zweck der §§ 324, 325 entsprechende Lösung finden. Der Gesetzgeber habe zwar den Fall der schuldhaften Mitwirkung beider Parteien an dem späteren Unvermögen einer Partei nicht ausdrücklich geregelt. Er brauchte es nach Ansicht des RG aber auch nicht, weil der dem § 254 zugrundeliegende allgemeine Rechtsgedanke die Möglichkeit biete, das Verschulden beider Parteien in gerechter Weise abzuwägen. Nach dem RG ist daher je nach überwiegendem Verschulden entweder § 324 oder § 325 anzuwenden, wobei die Rechte der Partei, die den Anspruch geltend macht, durch § 254 modifiziert werden. Da den K ein überwiegendes Verschulden treffe, stehe dem V also der Anspruch auf den Kaufpreis aus § 324 abzüglich des von D gezahlten Preises grundsätzlich zu. Der verbleibende Restanspruch sei aber nach Maßgabe des § 254 entsprechend seinem eigenen Verschulden zu mindern.
„HEMMER-METHODE“: Die von beiden Parteien zu vertretende Unmöglichkeit ist im Gesetz nicht geregelt. Die Rechtsprechung geht, wie der vorliegende Fall zeigt, von der alternativen Anwendung der §§ 324, 325 aus. Sie wählt in diesen Fällen schon die Ausgangsvorschrift nach dem Verhältnis des beiderseitigen Verschuldens aus. Danach ist von § 323 auszugehen, wenn das Verschulden auf beiden Seiten gleich
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schwer wiegt. Dann können die Parteien nichts mehr voneinander verlangen. Bei überwiegendem Verschulden des Schuldners wird von § 325 ausgegangen, jedoch das Mitverschulden des Gläubigers nach § 254 berücksichtigt. Der Schadensersatzanspruch mindert sich also entsprechend dem eigenen Mitverschulden des Gläubigers. Überwiegt dagegen das Verschulden des Gläubigers, wird von § 324 ausgegangen, der wiederum durch § 254 modifiziert wird. Das neuere Schrifttum tritt dagegen für eine kumulative Anwendung der §§ 324, 325 ein, wobei die Einzelfragen streitig sind. Die §§ 324, 325 sind danach jeweils insoweit anzuwenden, als der Verantwortungsteil des Gläubigers oder Schuldners reicht (Berechnungsbeispiel bei Pal. v.§ 323, Rn. 5). Wegen des klaren Ausgangspunktes entweder § 324 oder § 325 - empfiehlt es sich in der Klausur jedoch, der Rechtsprechung zu folgen!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch III, Rn. 553 ff.
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Verhältnis von Schadensersatz und Rücktritt bei § 326 BGB 14.
BGHZ 88, 46: Ersatz des Verzugschadens trotz Rücktritt Der Rücktritt vom Vertrag gem. § 326 BGB steht dem Anspruch auf Ersatz des bereits entstandenen Verzugsschadens nach § 286 I BGB nicht entgegen.
Sachverhalt: V verkaufte seine Eigentumswohnung an K. K sollte den Kaufpreis bis zu einem bestimmten Termin auf ein vereinbartes Konto überweisen. Als die Überweisung bis zu diesem Termin nicht erfolgte, mahnte der V den K zur Zahlung. Da K auch weiterhin nicht zahlte, trat V wirksam vom Kaufvertrag nach § 326 I BGB zurück. V verlangt von K den Ersatz seines bis zum Rücktritt entstandenen Verzugsschadens.
Entscheidungsgründe: Durch den Rücktritt nach § 326 I BGB wurde das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt. Damit entfallen nicht nur alle primären Erfüllungsansprüche, sondern auch alle auf das Erfüllungsinteresse gerichteten sekundären Schadensersatzansprüche. Nach Ansicht des BGH gilt dies aber nicht für bereits entstandene Ansprüche aus § 286 I BGB auf Ersatz des Verzugsschadens. Hierfür führt er zwei Gründe an: Einerseits hat der Rücktritt das Ziel, den vor Vertragsschluß bestehenden Zustand wiederherzustellen. Ohne Vertragsschluß wäre
es aber auch nicht zu einer verzugsbedingten Schädigung des Rücktrittsberechtigten gekommen, so daß auch dieser Schaden zu ersetzen ist. Andererseits muß derjenige Schuldner, der zwar verspätetet, aber noch vor Ablauf der gesetzten Nachfrist leistet, zweifellos den Verzugsschaden ersetzen, da es nicht zum Rücktritt vom Vertrag kommt. Eine Besserstellung desjenigen Schuldners, der gar nicht leistet und damit den Rücktritt herbeiführt, wäre dann unbillig. Daher kann V von K den Ersatz seines bereits entstandenen Verzugsschadens gem. § 286 I BGB verlangen.
„HEMMER-METHODE“: Bei dieser Entscheidung müssen sie sich klar machen, daß der Standartsatz "Entweder Schadensersatz oder Rücktritt" in dieser Absolutheit nicht stimmt. Der Rücktritt schließt nur Schadensersatzansprüche aus, die auf das Erfüllungsinteresse gerichtet sind, da nach Rücktritt keine primären Leistungspflichten mehr bestehen. Anders ist die Situation jedoch bei Schadensersatzansprüchen, die sich auf Schäden außerhalb des Erfüllungsinteresses beziehen, wie der Anspruch aus § 286 I BGB. Bei § 286 handelt es sich um einen typischen Begleitschaden. Ist hier bereits vor Ausübung des Rücktrittsrecht ein Verzugsschaden eingetreten, kann dieser nicht mehr rückwirkend entfallen. Diese Ansicht ließe sich höchstens vertreten, wenn man mit der früher herrschenden Meinung im Rücktritt eine rückwirkende Aufhebung des Vertragsverhältnisses im Ganzen sieht (hierzu: Pal. Einf. v. § 346, Rn. 2 ff). Heute ist jedoch ganz herrschende Meinung, daß der Rücktritt das Vertragsverhältnis nicht aufhebt, sondern nur in ein Rückabwicklungsverhältnis umgestaltet.
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Gleiches gilt für Begleitschäden, die aus pVV zu ersetzen sind. Auch diese sind unabhängig von der Frage zu beurteilen, ob der Vertrag erfüllt oder rückabgewickelt wird. Insofern greifen dieselben Argumente (vgl. hierzu auch Fall 18). Machen sie sich diese Grundsätze klar, dann ist die Lösung dieses Falles eigentlich eine Selbstverständlichkeit! Ein weiteres klausurrelevantes Problem stellt sich in diesem Rahmen, wenn der Gläubiger bei § 326 BGB statt Rücktritt Schadensersatz wegen Nichterfüllung wählt: Auch hier bleibt die Anspruchsgrundlage für den bis zum Ablauf der Nachfrist eingetretenen Verzugsschaden § 286 I BGB. Man läßt aber zu, daß der Gläubiger als Zeitpunkt der Schadensermittlung bei § 326 I BGB statt Ablauf der Nachfrist den Verzugseintritt wählt und somit den Verzugsschaden in seinen Nichterfüllungsschaden mit einbezieht. Der reine Verzugsschaden nach § 286 I wird damit zum Rechnungsposten in Rahmen des § 326 I BGB. In Zusammenhängen denken! Diese Möglichkeit, den Verzugsschaden als Rechnungsposten geltend zu machen, besteht auch bei § 325 BGB. War der Schuldner vor Eintritt der Unmöglichkeit in Verzug, so kann der Gläubiger auch hier bei der Ermittlung seines Nichterfüllungsschadens wahlweise auf den Eintritt der Unmöglichkeit oder den Verzugseintritt abstellen.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht II, Rn. 654
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung bei § 326 I BGB
15.
BGH, NJW 1992, 235: Erfüllungsverweigerung Im Rahmen des § 326 I ist eine Nachfristsetzung dann entbehrlich, wenn der Schuldner sich beharrlich weigert, die Leistung zu erbringen. Dafür reicht die Erklärung des Schuldners, er könne wegen Abhängigkeit vom Vorlieferanten keinen genauen Liefertermin nennen, nicht aus.
Sachverhalt: A kaufte im März 1989 bei B eine Motoryacht, die in "ca. 8-10 Wochen" aus den USA geliefert werden sollte. Zur Übergabe des Bootes war B erst im August 1989 in der Lage. Im Juni 1989 "kündigte" A den Bootskauf, da er bis dahin noch keine Nachricht erhalten hatte, wann das bezahlte Boot ausgeliefert werden sollte. Hierzu hielt A sich für berechtigt, da B auf mehrere Anfragen erklärt habe, er könne nicht sagen, wann das Boot geliefert werde. A verlangt nun Rückzahlung des Kaufpreises von B.
Entscheidungsgründe:
Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises könnte sich aus §§ 326, 327 S.1, 346 ergeben, da die von A erklärte Kündigung als Rücktrittserklärung ausgelegt werden muß. Fraglich ist aber, ob A wirksam nach § 326 zurückgetreten ist. Da A den B mehrmals zur Leistung aufgefordert hat, befand sich dieser im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung in Verzug. Weitere Voraussetzung für § 326 I ist aber, daß der Gläubiger dem Schuldner eine Nachfrist setzt und ihm für den Fall des fruchtlosen Versteichenlassens die Ablehnung der Leistung androht. Da A keine Nachfrist gesetzt hat, ist zu prüfen, ob diese entbehrlich war. Eine Nachfristsetzung ist nach BGH nur dann entbehrlich, wenn der Schuldner sich beharrlich weigert, die Leistung zu erbringen. Erklärt der Schuldner, er werde nicht leisten, so wäre eine Fristsetzung reiner Formalismus. Im vorliegenden Fall hat sich B
aber nicht geweigert, die Leistung zu erbringen. Er hat sich auch nicht geweigert, einen genauen Liefertermin zu nennen, sondern erklärt, er könne keine genauen Angaben machen. Hierzu der BGH: Nur die Äußerung des Schuldners, innerhalb angemessener Nachfrist die Leistung keinesfalls erbringen zu können, steht einer Leistungsverweigerung gleich. Erklärt aber der Schuldner lediglich, wegen der eigenen Abhängigkeit vom Vorlieferanten nicht zu wissen, ob er innerhalb der Nachfrist werde liefern können, so steht nicht von vornherein fest, daß die Bestimmung einer Nachfrist auf leere Förmelei hinausläuft. Im Interesse der Rechtssicherheit und des Schuldners, für den die Nachfristsetzung klare Verhältnisse schaffen soll, ist hier die Nachfristsetzung nicht entbehrlich. Ein Rücktritt gem. § 326 I scheidet damit mangels Nachfristsetzung aus. A kann nicht die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen.
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„HEMMER-METHODE“: Die Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung ist ein häufiges Klausurproblem. Es bestehen drei Fallgruppen: 1. Verzicht (§ 326 ist dispositiv), 2. Interessenfortfall gem. § 326 II und 3. ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung. Um die Regelvoraussetzungen des § 326 I nicht auszuhöhlen, sind an diese Ausnahmetatbestände aber strenge Anforderungen zu stellen. So ist eine Erfüllungsverweigerung nur anzunehmen, wenn der Schuldner die Erfüllung bestimmt, ernstlich und endgültig verweigert, die Fristsetzung also offensichtlich zwecklos wäre. Die Weigerung des Schuldners muß als sein letztes Wort aufzufassen sein! Erfolgt die Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit (damit auch noch kein Verzug des Schuldners), sind dagegen die Grundsätze der pVV anzuwenden, die auch zu Rücktritt führen können. Auch an den Interessenfortfall nach § 326 II sind strenge Maßstäbe anzulegen. Voraussetzung ist der Kausalzusammenhang von Verzug und Interessenfortfall (vgl. Wortlaut „infolge“). Das Interesse des Gläubigers muß also gerade infolge des Verzuges weggefallen sein und nicht, weil der Gläubiger aus einem anderen Grund kein Interesse mehr an der Leistung hat. Schulbeispiel hierfür ist die verspätete Lieferung von Saisonware. § 326 ist eine Vorschrift, die in der Fallbearbeitung regelmäßig große Schwierigkeiten bereitet, da sie viele Tatbestandsmerkmale (auch ungeschriebene: eigene Vertragstreue des Gläubigers) enthält, zu denen wiederum Einzelprobleme existieren, die über den Wortlaut hinausgehen und folglich Wissen voraussetzen. Lesen Sie deshalb zu diesem Problemkomplex: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht II, Rn. 689 ff!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht II, Rn. 692 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Culpa in contrahendo
16.
BGHZ 66, 51: Gemüseblattfall Begleitet ein Kind seine Mutter in einen Selbstbedienungsladen, so können ihm, wenn es dort zu Fall kommt, unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluß zustehen.
Sachverhalt: Die minderjährige Tochter T begleitete ihre Mutter M in einen Selbstbedienungsladen. Als die M an der Kasse wartete, rutschte die T auf einem Gemüseblatt aus, und verletzte sich. Die T verlangt vom Ladeninhaber nach vier Jahren Schadensersatz.
Entscheidungsgründe: Da im vorliegenden Fall Deliktsansprüche der T nach § 852 BGB verjährt waren, war fraglich, ob der T ein eigener Anspruch aus c.i.c. gegen den Ladeninhaber zustand, da für die c.i.c. die lange Verjährungsfrist des § 195 BGB gilt. Nach BGH findet die aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis hergeleitete Haftung für die Verletzung von Schutz und Obhutspflichten ihre Rechtfertigung darin, daß sich der Geschädigte zum Zwecke der Vertragsverhandlungen in den Einflußbereich des anderen Teils begibt und damit redlicherweise auf eine gesteigerte Sorgfalt seines Vertragspartners vertrauen kann. Der Anspruch aus c.i.c. ist jedoch dann nicht gegeben, wenn die betreffende Person von vornherein gar keine Kaufabsicht hat. Dies trifft neben dem Fall des Ladendiebes bei Personen zu, die die Geschäftsräume ausschließlich zum Schutz vor Witterungseinflüssen aufsuchen oder als Durchgang zu einer anderen Straße oder als bloßer Treffpunkt mit anderen Personen nutzen. Auch die T kam als Käuferin nicht in Betracht, sondern begleitete nur ihre Mutter. Da-
mit scheidet eine unmittelbare Anwendung der c.i.c. aus. Allerdings sind nach Ansicht des BGH hier die Grundsätze des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter heranzuziehen. Wenn der abgeschlossene Kaufvertrag Schutzwirkungen für Dritte entfaltet hätte, so muß dies auch schon für die Haftung aus c.i.c. gelten, da die vertragliche Haftung sonst von reinen Zufall abhängig wäre, ob die Vertragsverhandlungen zum Zeitpunkt der Schädigung schon zum endgültigen Vertragsabschluß geführt hätten oder nicht. Der beabsichtigte Kaufvertrag hätte im vorliegenden Fall Schutzwirkung für die T entfaltet, da die M für "Wohl und Wehe" der T verantwortlich war, so daß ein personenrechtlicher Einschlag vorlag. Dies war auch für den Ladeninhaber erkennbar, so daß er durch die Einbeziehung der T in den Schutzbereich des Kaufvertrages nicht unbillig belastet wird. Die T hat somit gegen den Ladeninhaber einen eigenen Schadensersatzanspruch aus c.i.c. i.V.m.. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
„HEMMER-METHODE“: Diese BGH-Entscheidung liefert klausurtypisches Fallmaterial, da in Klausuren Drei-Personenverhältnisse besonders beliebt sind. Die c.i.c. wurde
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erstmals durch eine Entscheidung des Reichsgerichts eingeführt (sog. LinoleumrollenFall, RGZ 78, 239).
Sie basiert auf einer Gesamtanalogie zu den §§ 122, 179, 306, 307, 463 S.2, 663. Grund dafür war die Schwäche des Deliktsrechts, insbesondere die Nichteinbeziehung des Vermögens als solches in § 823 I, die kurze Verjährungsfrist des § 852 und die Exkulpationsmöglichkeit bei § 831. Da die c.i.c. aber nur der Lückenschließung dient und daher subsidiär ist, muß in der Klausur immer erst geklärt werden, ob nicht abschließende gesetzliche Sonderregelungen aus Unmöglichkeit, Verzug und Gewährleistungsrecht bestehen, die die c.i.c. verdrängen! Denken Sie daran: In der Klausur kommt häufig § 823 und hier § 831 in Betracht. Es genügt der dezentralisierte Entlastungsbeweis.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht II, Rn. 810 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Die Eigenhaftung des Vertreters oder Verhandlungsgehilfen aus c.i.c. 17.
BGHZ 79, 281 ff: Die Eigenhaftung des Kfz-Händlers Die Haftung aus c.i.c. trifft grds. allein den Partner des angebahnten Vertrages. Der Vertreter oder Verhandlungsgehilfe ist aber persönlich aus c.i.c. haftbar, wenn er am Vertragsschluß ein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse hat oder wenn er ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und hierdurch die Vertragsverhandlungen beeinflußt hat.
Sachverhalt: K erwarb von E einen gebrauchten Pkw unter Ausschluß der Gewährleistung. Als Vertreter des E trat der Gebrauchtwagenhändler V auf, mit E selbst hatte K keinerlei Kontakt. K sollte auch den Kaufpreis direkt an V bezahlen. V sicherte dem K bei den Vertragsverhandlungen wahrheitswidrig zu, der Motor sei generalüberholt. Kurz nach Übergabe des Pkw trat an diesem ein Motorschaden auf, dessen Reparatur 1500 DM kostete. K verlangt von V Ersatz.
Entscheidungsgründe:
Gewährleistungsansprüche kann K gegen V nicht geltend machen, da dieser nicht Partei des Kaufvertrages, sondern nur Vertreter war. In Betracht kommt dagegen eine Haftung aus c.i.c. Aber auch aus c.i.c. haftet grds. nur, wer selbst Vertragspartner ist. Eine Ausnahme besteht nach BGH dann, wenn der Vermittler oder Abschlußvertreter beim Vertragsschluß ein besonderes, über die normale Verhandlungsloyalität hinausgehendes Vertrauen in Anspruch nimmt. Dazu kommt es angesichts der Geschäftspraxis im Gebrauchtwagenhandel leicht, weil der Käufer mit dem eigentlichen Verkäufer regelmäßig nicht in Kontakt kommt. Vertrauen kann daher überhaupt nur gegenüber dem Gebrauchtwagenhändler entstehen. Dies ist nach BGH insbesondere dann der Fall, wenn der Gebrauchtwagenhändler sich als Fachhändler bezeichnet und besondere Fachkenntnisse und Sachkunde im Verkaufsgespräch einsetzt. Selbst wenn ein solches gesteigertes Vertrauen im Einzelfall abgelehnt wird, kommt eine Haftung des Vermittlers
bzw. Vertreters dann in Betracht, wenn dieser ein eigenes wirtschaftliches Interesse (reines Provisionsinteresse ist hingegen nicht ausreichend) am Abschluß des Kaufvertrages hatte. Die im Gebrauchtwagenhandel übliche Vertragsgestaltung, die den Gebrauchtwagenhändler (lediglich) in die Rolle des Vermittlers bringt, wurde nur deswegen gewählt, um das Entstehen einer Mehrwertsteuer zu vermeiden. Diese Praxis ändert nach BGH nichts daran, daß der Gebrauchtwagenhändler wirtschaftlich nach wie vor die Stellung eines Verkäufers innehat ("Quasi-Verkäufer"). Dies zeigt sich vorliegend auch daran, daß der Kaufpreis direkt an den V zu zahlen war. Diesem sollte also der Anspruch auf die Gegenleistung aus dem Kaufvertrag zustehen, nachdem er dem Eigentümer den Gegenwert schon vorher erbracht hatte. Damit steht das eigene wirtschaftliche Interesse des V am Abschluß des Kaufvertrages fest. Die Voraussetzungen einer c.i.c. sind im vorliegenden Fall daher erfüllt. K kann also von V Schadensersatz in Höhe von 1500 DM verlangen.
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„HEMMER-METHODE“: Zu beachten ist vorliegend, daß nach Ansicht des BGH das gleichzeitige Bestehen eines Schadensersatzanspruchs gegen den Verkäufer aus Gewährleistungsrecht (§ 463 S.1) einen Schadensersatzanspruch gegen den Vermittler bzw. Vertreter aus c.i.c. nicht ausschließt. Die Haftung des Vertreters darf aber nicht weiter gehen, als die Haftung des Verkäufers aus dem Vertrag. Soweit also der vertragliche Gewährleistungsausschluß reicht, kann auch der Vertreter nicht aus c.i.c. in Anspruch genommen werden. Da sich ein allgemeiner Gewährleistungsauschluß jedoch nicht auf zugesicherte Eigenschaften bezieht („Man kann nicht mit der einen Hand geben und mit der anderen Hand nehmen“, s. u. Fall 21), ist auch die Inanspruchnahme des Gebrauchtwagenhändlers aus c.i.c. möglich. Der BGH hat den Kreis der aus c.i.c. ersatzpflichtigen Personen im Laufe der Zeit immer mehr erweitert. So fällt hierunter auch der sog. Sachwalter einer Partei, der nicht als Vertreter aufgetreten war und auch kein "unmittelbares" Eigeninteresse am Vertragsabschluß hatte. Es genüge, daß der Sachwalter (z.B. Finanz- und Grundstücksmakler) in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen beeinflußt hat.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht II, Rn. 879
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Rücktrittsrecht aufgrund pVV
18.
BGH, NJW 1978, 260 Bei gegenseitigen Verträgen kann die pVV für den anderen Teil ein Rücktrittsrecht begründen. Voraussetzung dafür ist, daß die pVV den Vertragszweck derart gefährdet, daß dem anderen Teil nach Treu und Glauben das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Sachverhalt: V verkaufte dem K ein fabrikneues Kfz. Vor der Auslieferung wechselte V ohne Wissen des K neue Teile des Kfz gegen gebrauchte aus. Als K davon erfährt, tritt er noch vor der Auslieferung des Kfz vom Kaufvertrag zurück. Er will den Wagen weder abnehmen noch bezahlen.
Entscheidungsgründe:
Der BGH nimmt vorliegend einen Fall der pVV an, der den K zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtige. Unter die pVV fallen nach BGH alle schuldhaften Vertragsverletzungen, die gesetzlich nicht geregelt sind und die weder Unmöglichkeit noch Verzug zur Folge haben. Hierzu zählen insbesondere Verstöße gegen die Leistungstreuepflicht des Schuldners, d.h. die Pflicht, den Vertragszweck und Leistungserfolg weder zu gefährden noch zu beeinträchtigen. Ein Rücktrittsrecht wegen Verstoßes gegen die Leistungstreuepflicht ist nach BGH aber nur dann gegeben, wenn dem anderen Teil die Fortsetzung des Vertrages nicht zuzumuten ist. Ein Unterfall des Verstoßes gegen die Leistungstreuepflicht ist nach BGH auch eine schwerwiegende Unzuverlässigkeit des Schuldners (wie im vorliegenden Fall). Was im einzelnen als Verstoß gegen die Leistungstreuepflicht anzusehen sei, lasse sich jedoch nicht im allgemeinen festlegen. Es komme auf die Umstände
des Einzelfalles an. Bei einem einfachen Austauschgeschäft sei die Leistungstreuepflicht i.d.R. schwächer als bei einem Dauerschuldverhältnis. Indessen könne auch bei einem einfachen Austauschgeschäft ein Verstoß vorliegen, wenn es sich nicht um einen alltäglichen Kauf, sondern wie hier um den Kauf eines Luxusgegenstandes handele. In einem solchen Fall könnten Verstöße gegen die Leistungstreuepflicht, die unter anderen Umständen nicht allzu schwer ins Gewicht fielen, erheblich sein. Das Verhalten des V mußte bei K erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit und Vertragstreue seines Vertragspartners wecken. Der Austausch der neuen Teile gegen gebrauchte hat nach BGH bei K zu einem derartigen Vertrauensschwund geführt, daß er unter dem Gesichtspunkt der pVV vom Vertrag zurücktreten konnte. Ein weiteres Festhalten am Vertrag war ihm nicht zuzumuten.
„HEMMER-METHODE“: Die Rechtsfolge der pVV ist in der Regel ein Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 249 ff. Der Geschädigte kann Ersatz aller Schäden verlangen, die auf der Pflichtverletzung beruhen. Dieser Anspruch auf Ersatz der "Begleitschäden" tritt neben den Primäranspruch auf Erfüllung des Vertrages. Bei gegenseitigen Verträgen kann der Geschädigte in Analogie zu §§ 325, 326 unter bestimmten
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Voraussetzungen aber auch Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen oder vom Vertrag zurücktreten.
Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß die pVV die Vertrauensgrundlage des Vertrages zerstört hat. Die entsprechenden Rechte stehen dem Geschädigten natürlich auch im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen wie z.B. Dienstvertrag oder Miete zu. Allerdings tritt bei vollzogenen Dauerschuldverhältnissen wegen ihres besonderen Charakters an die Stelle des Rücktritts die Kündigung aus wichtigem Grund. Das Schuldverhältnis wird durch die Kündigung dann nur für die Zukunft beendet, bisher ausgetauschte Leistungen werden nicht rückabgewickelt. Anders als der Schadensersatzanspruch wegen bloßer Begleitschäden, treten Rücktritt bzw. Kündigung und Schadensersatz wegen Nichterfüllung an die Stelle des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs, so daß hier nicht länger Erfüllung verlangt werden kann. Andererseits kann neben Rücktritt oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung weiter Ersatz der bis dahin entstandenen Begleitschäden verlangt werden. Die Problematik ist die gleiche wie in Fall 14. Dort blieb auch ein bereits entstandenen Verzugsschaden nach § 286 vom Rücktritt nach § 326 unberührt. Da die pVV also unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen kann, müssen Sie hierauf in der Klausur unbedingt eingehen und dürfen nicht pauschal "Schadensersatz" zusprechen!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Basics Zivilrecht, Rn. 234 ff.; Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht II, Rn. 728 ff.
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Schadensersatz wegen Nichterfüllung
19.
BGH, NJW 1977, 35: Schadensersatz wegen Nichterfüllung beim Sukzessivlieferungsvertrag Bei einem Sukzessivlieferungsvertrag kann der Gläubiger unter dem Gesichtspunkt der pVV von der weiteren Vertragserfüllung Abstand nehmen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung hinsichtlich der noch ausstehenden Lieferungen verlangen. Dabei muß der Gläubiger dem Schuldner aber in entsprechender Anwendung des § 326 eine Nachfrist unter Ablehnungsandrohung setzen.
Sachverhalt: K bestellte bei V im Herbst 4 Mio. Blumentöpfe. Diese sollten in Teillieferungen geleistet werden. Nachdem V einige - dem vertraglich vereinbarten Umfang nicht entsprechende - Teillieferungen geleistet hatte, erklärte er gegenüber K, daß ihm die fristgerechte Leistung der noch ausstehenden Lieferungen nicht möglich sei. K verlangt von V Schadensersatz wegen Nichterfüllung hinsichtlich aller noch ausstehenden Teillieferungen. Entscheidungsgründe:
Bei dem Vertrag zwischen V und K handelte es sich nach BGH um einen ("echten") Sukzessivlieferungsvertrag (Abgrenzung s.u. Hemmer/Methode). Nach der Vereinbarung waren nämlich vertretbare Sachen gegen Entgelt zu liefern, mit der Besonderheit, daß die von vornherein bestimmte Menge in Teillieferungen erfolgen sollte. Nach Auffassung des BGH kann der Käufer bei einem Sukzessivlieferungsvertrag unter dem Gesichtspunkt der pVV von der weiteren Vertragserfüllung Abstand nehmen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung hinsichtlich der noch ausstehenden Lieferungen verlangen, sofern der Verkäufer durch sein schuldhaftes Verhalten den Zweck des Vertrages und seine reibungslose Durchführung ernsthaft gefährdet hat, und dem anderen Teil ein Festhalten am Vertrag nicht zuzumuten ist. Denn dem Gläubiger könne bei einem Sukzessivlieferungsvertrag nicht zugemutet werden, bis zur Fälligkeit der jeweiligen Teillieferung abzuwarten, um erst dann nach § 326 vorzugehen. Der
Gläubiger muß die Möglichkeit haben, sich in dieser Situation über die pVV vom (Rest-)Vertrag zu lösen, damit er sich um entsprechende Deckungsgeschäfte bemühen kann, was auch im Interesse des Schuldners liege. Dann müsse der Gläubiger dem Schuldner aber i.d.R. hinsichtlich der noch nicht fälligen Leistungen in entsprechender Anwendung des § 326 unter Ablehnungsandrohung eine Frist zur Erklärung setzen, ob er den Vertrag vereinbarungsgemäß erfüllen werde. Die entsprechende Anwendung der Voraussetzungen des § 326 auf die pVV gebiete Treu und Glauben. Denn der Schuldner, der seine Leistung nicht endgültig verweigert, darf nicht durch den Rücktritt des Gläubigers bzw. dessen Verlangen auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung überrascht werden. Eine Fristsetzung entsprechend § 326 erübrige sich nur dann, wenn der Verkäufer die weiteren Leistungen endgültig und ernsthaft verweigert hat. An die Voraussetzungen der Erfüllungsverweigerung sind aber strenge Anforderungen zu stellen, die Erfüllungsverweige-
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rung muß als "das letzte Wort" des Schuldners aufzufassen sein (s.u. Fall?). Im vorliegenden Fall hatte V die Erfüllung nicht ernsthaft und endgültig verweigert. K hätte ihm somit eine Nachfrist setzen und die Ablehnung al-
ler weiterer Teillieferungen androhen müssen. Da es an dieser Voraussetzung fehlt, kann K auch nicht Schadensersatz wegen Nichterfüllung hinsichtlich der noch ausstehenden Lieferungen verlangen.
„HEMMER-METHODE“: Der Sukzessivlieferungsvertrag ist ein einheitlicher Kaufoder Werkvertrag, der auf die Erbringung von Leistungen in zeitlich aufeinanderfolgenden Raten gerichtet ist. Er kommt in zwei Unterarten vor: Beim Ratenlieferungsvertrag ("echter" Sukzessivlieferungsvertrag) wird eine von vornherein bestimmte Menge geschuldet, die in Teilmengen zu liefern ist. § 266 ist abbedungen. Der Bezugsvertrag wird dagegen auf unbestimmte, längere Zeit ohne Festlegung einer bestimmten Liefermenge geschlossen (z.B. Bierlieferungs- oder Versorgungsvertrag). Da der Bezugsvertrag die ständige Leistungsbereitschaft des Schuldners voraussetzt, ist er im Gegensatz zum Ratenlieferungsvertrag ein echtes Dauerschuldverhältnis. Kommt der Schuldner mit einer oder mehreren Teilleistungen in Verzug, ergeben sich beim Ratenlieferungs- und Bezugsvertrag unterschiedliche Rechtsfolgen. Beim Ratenlieferungsvertrag hat der Gläubiger im Falle des Verzugs des Schuldners mehrere Möglichkeiten: 1. Er kann weiterhin Erfüllung verlangen und den Ersatz seines Verzugschadens nach § 286 geltend machen. 2. Er kann hinsichtlich der verzögerten Einzelrate Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Rücktritt nach § 326 wählen, wenn er eine Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung vorgenommen hat. 3. Er kann die Rechte des § 326 aber auch hinsichtlich aller noch ausstehender Raten geltend machen (siehe vorliegender Fall). Da die noch ausstehenden Raten aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig sind, liegt kein echter Fall des § 326 vor, sondern ein Fall der pVV. Diese führt in der Rechtsfolge aber wie § 326 zu Rücktritt oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung, wenn das pflichtwidrige Verhalten des Schuldners den Vertragszweck und die Vertrauensgrundlage ernsthaft gestört hat. In der Literatur wird darüber hinaus zum Teil noch ein Interessenfortfall auf Seiten des Gläubigers verlangt, der quasi die mangelnde Fälligkeit der noch ausstehenden Teilleistungen ersetzen soll. Da die Voraussetzungen des § 326 in diesem Fall entsprechend auf die pVV anzuwenden sind, setzt dieses Vorgehen jedoch eine entsprechend erweiterte Ablehnungsandrohung voraus. Beim Bezugsvertrag beschränken sich die Rechte des Gläubigers grundsätzlich auf die gestörte Teilleistung. Er kann aber unter dem Gesichtspunkt der pVV auch vom gesamten Vertrag Abstand nehmen, wenn ihm ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht zuzumuten ist. Da es sich beim Bezugsvertrag um ein echtes Dauerschuldverhältnis handelt, tritt an die Stelle des Rücktritts nach 326 aber das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund.
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Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht II, Rn. 710; Hemmer/Wüst, Basics Zivilrecht, Rn. 234 ff.
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C.i.c. beziehungsweise pVV. des Schenkungsvertrages. Geltung von gesetzlichen Haftungsmilderungen (§ 521) auch im Rahmen von Schutzpflichtverletzungen.
20.
BGHZ 93, 23: Kartoffelpülpe-Fall Die Haftungsmilderung des § 521 BGB greift nur da ein, wo es um die Verletzung von Schutzpflichten geht, die im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Schenkung stehen. Ist danach die Haftung im Rahmen der c.i.c. oder pVV. gem. § 521 gemildert, muß diese Haftungsbeschränkung auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung durchschlagen.
Sachverhalt: Die S stellte Kartoffelchips her. Dabei entstand als Abfallprodukt flüssige Kartoffelpülpe. Diese überließ S dem Landwirt G unentgeltlich als Viehfutter. G verfütterte die Kartoffelpülpe in so erheblichen Mengen an seine Bullen, daß diese eingingen. G verlangt von der S Schadensersatz, weil diese ihn nicht darüber aufgeklärt hat, daß die Kartoffelpülpe gefahrlos nur in geringen Mengen verfüttert werden durfte.
Entscheidungsgründe: Eine Sachmängelhaftung der S aus § 524 kommt vorliegend nicht in Betracht, da die Kartoffelpülpe nicht an sich mangelhaft, sondern nur vorsichtig zu dosieren war. Zu prüfen ist daher ein Anspruch des G aus c.i.c. oder pVV. des Schenkungsvertrages. Da die S nach Feststellung des BGH nicht grob fahrlässig gehandelt hat, kommt es entscheidend darauf an, ob § 521 im vorliegenden Fall auch auf Ansprüche aus Schutzpflichtverletzungen anzuwenden ist. Der BGH vertritt hierzu eine differenzierende Auffassung: Die auf die primären Leistungspflichten zugeschnittene Haftungsmilderung des § 521 soll nur da eingreifen, wo es um die Verletzung von Schutzpflichten geht, die im Zusammenhang mit dem Vertragsgegenstand stehen. Ein derartiger Zusammenhang ist im vorliegenden Fall gegeben, da es sich um einen Schaden handelt, der im aufgrund des im Vertrag vorausgesetzten Verbrauchs der Pülpe entstanden
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ist. Eine volle Haftung des Schenkers erscheint hier unbillig, da diese Schutzpflichten im engen Zusammenhang mit der Freigebigkeit des Schenkers stehen, die durch § 521 privilegiert werden soll. Der BGH begründet dies auch mit einem Wertungswiderspruch zu § 524: Hiernach beschränkt sich die Haftung des Schenkers für Mangelhaftigkeit auf die Fälle der Arglist. Damit wäre es nicht in Einklang zu bringen, wenn der Schenker einer fehlerfreien Sache sogar für eine leicht fahrlässige Verletzung von Aufklärungspflichten einzustehen hätte. Folglich entfällt eine Haftung der S aus c.i.c. und/oder PVV. wegen § 521, da der S nur leichte Fahrlässigkeit zur Last fällt. Damit entfallen aber auch deliktische Ansprüche des G, da die Haftungsmilderung des § 521 auch auf diese Ansprüche durchschlagen muß, da sonst die Privilegierung im Rahmen der c.i.c. und PVV. unterlaufen und hinfällig würde.
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"HEMMER-METHODE“: Auch hier zeigt sich wieder das Prinzip der aristotelischen Mitte: Die volle Haftung des Schenkers wäre in Einzelfällen genauso unbillig wie die Nichthaftung in allen Fällen. Daher entscheidet sich der BGH wieder einmal für die goldene Mitte, indem er einen differenzierendenLösungsansatz wählt. Steht die Schutzpflichtverletzung nicht im Zusammenhang mit dem Vertragsgegenstand, z.B. der Schenker überfährt bei Anlieferung des geschenkten Gegenstandes ein Huhn des Landwirts, greift § 521 nicht ein, da diese Schutzpflichtverletzung außerhalb der eigentlichen unentgeltlichen Leistungspflicht liegt. Anders dagegen im vorliegenden Fall. Die Anspruchsgrundlage – c.i.c. oder PVV.– konnte hier dahinstehen, da der Anspruch im Endeffekt jedenfalls wegen § 521 nicht bestand. Je nach Argumentation ließen sich hier beide Anspruchsgrundlagen vertreten. Da es sich vorliegend um eine unentgeltliche Leistung der S handelte, müssen Sie in der Klausur unbedingt zumindest kurz auf das Problem des Rechtsbindungswillens eingehen! (Vgl. Fall 2) Auch hier heißt es wieder: Probleme schaffen, nicht wegschaffen. Stürzen Sie sich nicht gleich auf das offensichtlichste Problem! Durch die Diskussion des Rechtsbindungswillens verschaffen Sie sich eine zusätzliche Möglichkeit zu punkten! Bei der sich anschließenden Frage der deliktischen Haftung müssen Sie sich klarmachen, daß sich vertragliche Haftungsbeschränkungen in den allermeisten Fällen auch auf die deliktische Haftung erstrecken, denn die vertragliche Haftunsbeschränkung wäre sinnlos, wenn der Schädiger dann doch aus Delikt in vollem Umfang haften würde! Anderes gilt wiederum für vertragliche Verjährungsregeln, hier bleibt es im Grundsatz dabei, daß sich diese nicht auf deliktische Ansprüche erstrekken. Hier gilt nur § 852!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 256
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Voraussetzungen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter; Abkehr von der sog. „Wohl und Wehe“ Formel
21.
BGH, NJW RR 1986, 485: Konsulfall Ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist nicht nur dann zu bejahen, wenn der Gläubiger für das Wohl und Wehe des Dritten mitverantwortlich ist. Ein Drittschutz besteht auch dann, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für einen auf den Schutz des Dritten gerichteten Parteiwillen ergeben.
Sachverhalt: Der dänische Konsul K erkundigte sich unentgeltlich bei dem Sachverständigen S nach dem aktuellen Wert eines Grundstücks wegen einer Beleihung der Bank B. Die daraufhin erteilte unrichtige Auskunft führte dazu, daß die B das Grundstück zu hoch belieh und ihr dadurch Schaden entstand. Die B verlangt von S Schadensersatz.
Entscheidungsgründe: In Betracht kommt hier ein Schadensersatzanspruch aus pVV des Auskunftsvertrages. Der Erteilung einer Auskunft kann nach BGH dann ein stillschweigender Auskunftsvertrag zugrunde liegen, wenn für den Auskunftsgeber zu erkennen ist, daß die Auskunft für den Empfänger von erheblicher Bedeutung ist und von ihm zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse gemacht werden soll (wirtschaftliches Interesse!). Das gilt insbesondere dann, wenn der Auskunftgeber über besondere Sachkunde verfügt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da S Sachverständiger war und von der anstehenden Beleihung wußte. Da die B aber selbst nicht Partei des Auskunftsvertrages war, sondern K, könnte sie Schadensersatzansprüche aus pVV nur geltend machen, wenn sie in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen war. Voraussetzung nach BGH war bisher, daß der Gläubiger für Wohl und Wehe des Dritten verantwortlich war, ein sog. „personenrechtlicher
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Einschlag“ bestand. Ein solcher fehlt vorliegend. Hier verzichtet der BGH aber erstmals auf dieses Erfordernis und läßt es - jedenfalls im Bereich der Vermögensschäden - genügen, daß der Dritte in den Schutzbereich des Vertrages stillschweigend einbezogen worden sei. Die "Wohl und Wehe“ - Formel sei nur dann erforderlich, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für den Parteiwillen vorhanden sind, um die Haftung nicht ausufern zu lassen. Da die Ausgestaltung eines schuldrechtlichen Vertrages im freien Belieben der Parteien stehe (Privatautonomie!), bliebe es diesen aber unbenommen, bei entsprechendem Parteiwillen einen Dritten aus dem Schutzbereich eines Vertrages auszuschließen oder mit einzubeziehen. Dies könne auch, wie vorliegend, stillschweigend geschehen. Da dem S bekannt war, daß K die Auskunft im Hinblick auf die Beleihung durch die B begehrte, wurde diese in den Schutzbereich des Auskunftsvertrages mit einbezogen. Die B hat somit gegen S einen Schadensersatzanspruch aus pVV.
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Da die Auskunft unentgeltlich erteilt wurde, ist zunächst der Rechtsbindungswillen hinsichtlich eines Auskunftsvertrages fraglich. Zu beachten ist hier die gesetzliche Wertung des § 676: Wer einem anderen Rat oder Auskunft erteilt, haftet grundsätzlich nur aus Delikt. Lesen Sie die anzuwendende Vorschrift aber immer genau! § 676 hat rein deklaratorischen Charakter und schließt eine vertragliche Haftung nicht aus. Daher ist unabhängig von § 676 anhand der BGH-Kriterien der Rechtsbindungswille der Beteiligten zu prüfen! Dies ist unproblematisch bei einem ausdrücklichen Auskunftsvertrag. Die Rechtsprechung nimmt jedoch häufig - wie vorliegend - einen konkludenten Vertragsschluß an, wenn die vom BGH genannten Voraussetzungen vorliegen (s.o.). Eine rechtliche Bindung kann nach BGH sogar eintreten, wenn eine Partei die Bindung ausdrücklich ablehnt (BGHZ 7, 371, 374 f). Die Annahme des Rechtsbindungswillens ist also letztlich Wertungsfrage: Der Beratende haftet nicht, wo er will, sondern wo er soll! Die Einbeziehung der B in den Schutzbereich des Auskunftsvertrages trotz fehlendem personenrechtlichen Einschlag wird in der Literatur kritisiert: Durch die Aufgabe der "Wohl und Wehe“ - Formel und die Möglichkeit stillschweigender Haftungserweiterungen verliere die vertragliche Haftung ihre Grenzen und werde unkalkulierbar. Der BGH verlangt allerdings, daß es für den Auskunfterteilenden erkennbar ist, daß die Information für einen Dritten bestimmt ist. Andernfalls kommt auch ein Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der Drittschadensliquitation nicht in Betracht, obwohl an sich die „klassische“ Fallgruppe der mittelbaren Stellvertretung vorliegt (BGH, NJW 1996, 2734). Die unterschiedlichen Ansichten von Literatur und Rechtsprechung sind letztlich auf die umstrittene Rechtsgrundlage des Vertrages mit Schutzwirkung zurückzuführen: Während die Literatur annimmt, es handele sich um eine auf § 242 beruhende richterliche Rechtsfortbildung, geht der BGH davon aus, daß Rechtsgrundlage eine ergänzende Vertragsauslegung ist. Die Rechtsprechung macht damit den (hypothetischen) Parteiwillen zur Grundlage des Anspruchs und ermöglicht dadurch auch die stillschweigende Einbeziehung Dritter ohne personenrechtlichen Einschlag. In der Klausur sollten Sie aber grundsätzlich am Erfordernis des personenrechtlichen Einschlags festhalten und mit stillschweigenden Einbeziehungen vorsichtig sein. Sie können den Vertrag mit Schutzwirkung mit der Begründung abzulehnen, daß die vertragliche Haftung dadurch zu stark ausgeweitet wird!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch I, Rn. 81 ff.; Hemmer/Wüst, Basics-Zivilrecht, Rn. 513 ff.
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Drittschadensliquidation
22.
BGHZ 40, 91: Drittschadensliquidation bei einer Käuferkette Bei einer Käuferkette ist der Erstkäufer grds. nicht dazu berechtigt, den Schaden seines Abnehmers zu liquidieren, um damit eigene Schadensersatzansprüche gegen den Verkäufer geltend zu machen. In solchen Fällen fehlt es bereits an einer zufälligen Schadensverlagerung.
Sachverhalt: V lieferte an K Leder, aus dem dieser Gürtel herstellte. Diese Gürtel verkaufte K weiter an A. Als A die Gürtel für Kleider verwendete, verfärbte sich der Stoff an der Stelle, an der die Kleider mit den Gürteln in Berührung kamen. K will den dem A entstandenen Schaden zum Gegenstand eines eigenen Schadensersatzanspruchs gegen V machen. K selbst wurde von A nicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen.
Entscheidungsgründe: Da K einen eigenen Schadensersatzanspruch geltend machen will, kommt nur ein Anspruch über die Drittschadensliquidation in Betracht. Dem K stehen gegenüber V die Gewährleistungsrechte aus den §§ 459 ff zu, er selbst hat aber keinen Schaden, sondern A. K müßte also berechtigt sein, den Schaden des A zu liquidieren. Der BGH weist daraufhin, daß eine Drittschadensliquidation bisher nur in drei Fallgruppen anerkannt ist: Mittelbare Stellvertretung, obligatorische Gefahrentlastung und sog. Obhutsfälle. Hier liegt keiner dieser Fälle vor. Eine Drittschadensliquidation außerhalb der genannten Fallgruppen kommt aber zumindest vorliegend nicht in Betracht. Entscheidend ist nämlich, daß gar keine Schadensverlagerung i.S.d. Drittschadensliquidation vorliegt. Der Schaden hätte genauso bei K als Erstkäufer eintreten können. Die Drittschadensliquidation betrifft aber nur Fälle, in denen der Schaden statt beim Anspruchsinhaber - aus Sicht des Schuldners zufällig -
bei einem Dritten eintritt. (Tritt der Schaden typischerweise bei einem Dritten ein, ist dies gerade kein Fall der Drittschadensliquitation, vgl. Fall 57!) In Betracht kommt daher nur, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine Abrede im Verhältnis V-K zu konstruieren, die K gegenüber V berechtigt, den Schaden des A zu liquidieren. Eine ergänzende Vertragsauslegung scheitert jedoch schon an einer Vertragslücke. Auch bei Kettenverkäufen werden die Kaufverträge regelmäßig ohne eine solche Vereinbarung geschlossen. Dies bedeutet nicht, daß alle diese Verträge lückenhaft wären. Das Gesetz geht vielmehr davon aus, daß nur der Schaden zu ersetzen ist, der der Vertragspartei selbst entstanden ist. Letztlich läßt sich der Anspruch des K auch nicht aus § 242 herleiten. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, daß der Schädiger keinen Vorteil daraus haben dürfe, daß sein Vertragspartner selbst keinen Schaden erleidet, besteht nicht. K hat somit keine Ansprüche gegen V.
„HEMMER-METHODE“: Die Fallgruppen, in denen die Drittschadensliquidation anerkannt ist, müssen Sie kennen. Ist ein derartiger Fall nicht gegeben, dann sollten Sie eine Lösung über die Drittschadensliqudation nur diskutieren, wenn eine Lösung über – 45 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
andere Rechtsinstitute ausgeschlossen ist und ein Wertungswiderspruch verbleibt.
Allerdings ist die Drittschadensliquidation als Lösungsansatz in vielen Fällen zu diskutieren, aber im Ergebnis abzulehnen. Bei der Prüfung der Drittschadensliquidation in der Klausur bauen Sie nach dem Dreischrittschema auf: 1. Anspruchsberechtigter ohne Schaden 2. Geschädigter ohne Anspruch 3. Zufällige Schadensverlagerung. Häufig ist in diesem Zusammenhang auch der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu prüfen. Der Unterschied zwischen den beiden Rechtsinstituten liegt in der Rechtsfolge: Bei der Drittschadensliquidation wird der Schaden zum Anspruch gezogen, beim Vertrag mit Schutzwirkung der Anspruch zum Schaden. Der Inhaber der Schadensersatzanspruchs kann also bei der Drittschadensliquidation den Schaden des Dritten beim Schädiger geltend machen. Da er weiterhin Anspruchsinhaber bleibt, kann er vom Schädiger Leistung an sich oder den Dritten verlangen. Der geschädigte Dritte selbst kann aber gem. § 281 vom Anspruchsinhaber Abtretung des Schadensersatzanspruchs verlangen, bzw. Herausgabe des erlangten Schadensersatzes. Merken Sie sich für den Fall einer zufälligen Schadensverlagerung den der mittelbaren Stellvertretung.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht III, Rn. 221 ff.
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Kreditsicherungsrecht, Regreß beim Zusammentreffen von Bürgschaft und Sicherungsgrundschuld
23.
BGH, NJW 1989, 2530 Zwischen mehreren auf gleicher Stufe stehenden Sicherungsgebern besteht bei Fehlen einer besonderen Vereinbarung eine Ausgleichsverpflichtung entsprechend den Regeln über die Gesamtschuld.
Sachverhalt: Die A-Bank hat dem D ein Darlehen gewährt, wollte dafür aber Sicherheiten. Der E bestellte daraufhin eine Sicherungsgrundschuld und der B eine Bürgschaft. Aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des D zahlt der E zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an die A und will nun Regreß von B.
Entscheidungsgründe: Treffen Bürge und Grundschuldbesteller als Sicherungsgeber zusammen, stellt sich das Problem, daß streng nach Gesetz die volle Haftung jeweils denjenigen träfe, der vom Gläubiger zuerst in Anspruch genommen wird, ohne daß ein Regreß möglich wäre. Zahlt der Bürge, so gehen nach §§ 774 I 1, 412, 401 I mit der Hauptforderung die akzessorischen Nebenrechte auf ihn über. Die Grundschuld wird als nichtakzessorisches Recht von § 401 aber nicht erfaßt. Zahlt der Grundstückseigentümer auf die Grundschuld, erlischt die gesicherte Forderung zunächst nicht, sie geht indes auch nicht kraft Gesetzes auf den Grundschuldbesteller über, so daß auch die Bürgschaft nicht gem. §§ 412, 401 übergeht. Eine entsprechende Anwendung des § 1143 I i.V.m. § 1192 I auf die Grundschuld ist nämlich ausgeschlossen, da diese Vorschrift auf der untrennbaren Verbindung zwischen Hy-
pothek und gesicherter Forderung beruht. Dies hat jeweils die völlige Regreßlosigkeit zur Folge. Der zuerst in Anspruch Genommene trägt die ganze Last allein. Um dieses unbillige Ergebnis zu vermeiden, nimmt der BGH an, daß mehrere auf gleicher Stufe stehende Sicherungsgeber entsprechend den Gesamtschuldregeln gem. § 426 zum Ausgleich verpflichtet sind. Der BGH leitet die Ausgleichspflicht nach § 426 dabei aus den schuldrechtlichen Sicherungsverträgen über § 242 her. Allein dies entspreche dem hinter § 426 stehenden allgemeinen Rechtsgedanken der anteiligen Haftung bei gleichrangigem Risiko. Alle Sicherungsgeber verfolgten schließlich den gemeinsamen Zweck, die Hauptschuld des Gläubigers zu sichern. E kann somit von B anteiligen Ausgleich entsprechend § 426 verlangen.
„HEMMER-METHODE“: Die Problematik ergibt sich vorliegend daraus, daß ein akzessorisches Sicherungsmittel mit einem nichtakzessorischen zusammentrifft. Die Lösung solcher Fälle ist in der Literatur umstritten. Neben der Ansicht des BGH (Gesamtschuld) wird vertreten, ohne besondere Vereinbarung im Innenverhältnis gebe es keinen Rückgriff. Nur diese Lösung entspreche dem Gesetzeswortlaut. Die Last treffe daher allein den zuerst in Anspruch genommenen. Eine andere Auffassung nimmt ein einseitiges Rückgriffsrecht des Bürgen an. Zur Begründung wird auf die Vorzugsstel-
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lung des Bürgen gegenüber anderen Sicherungsgebern verwiesen, wie sie in §§ 776, 768, 771 zum Ausdruck kommt. Eine interessengerechte Lösung ergibt sich aber nur über die vom BGH vertretene Lösung über die Gesamtschuld. Beachten Sie, daß E einen schuldrechtlichen Anspruch aus dem Sicherungsvertrag auf Übertragung der Forderung hat. Grund: Hypothek und Grundschuld müssen im Ergebnis wirtschaftlich gleichgestellt werden. Bei Vollzug dieses Anspruchs würde dann gem. § 401 die Bürgschaft mit übergehen. Treffen dagegen zwei akzessorische Rechte zusammen (z.B. Bürge/Hypothekenschuldner, Bürge/Verpfänder) stellt sich das Problem des sog. "Wettlaufs der Sicherungsgeber": Nach dem Gesetz würde der zuerst Zahlende jeweils die Forderung erwerben (vgl. §§ 774 I, 1143, 1225) und damit auch das andere Sicherungsmittel in voller Höhe. Der zuerst in Anspruch genommen bliebe letztlich leistungsfrei. Auch hier nimmt die überwiegende Ansicht einen gesamtschuldnerähnlichen Ausgleich entsprechend § 426 an. Andere Auffassungen sprechen sich für eine Privilegierung des Bürgen aus oder befürworten einen hälftigen Ausgleich analog § 774 II. In der Regel kommen Sie aber über die entsprechende Anwendung des § 426 immer zu einem interessengerechten Ergebnis!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Kreditsicherungsrecht, Rn. 270 ff.
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§§ 459 ff. BGB bei übereinstimmender Falschbezeichnung
24.
RGZ 99, 147: Haakjöringsköd-Fall Bei übereinstimmender Falschbezeichnung gilt das wirklich von den Parteien gewollte als Vertragsinhalt. Wird daraufhin die nicht gewollte, aber im Kaufvertrag bezeichnete Sache geliefert, stehen dem Käufer die Rechte aus den §§ 459 ff zu.
Sachverhalt: V verkaufte dem K 214 Faß Haakjöringsköd, die auf dem Dampfer Jessika verladen waren. Beide glaubten, daß Haakjöringsköd Walfischfleisch bedeutet. In Wirklichkeit bedeutet das norwegische Wort aber Haifischfleisch. K verlangt daher von V Wandelung.
Entscheidungsgründe: Das Reichsgericht nahm hier einen Fall der falsa demonstratio an, da beide Parteien einen Kaufvertrag über Walfischfleisch abschließen wollten, sich dabei aber irrtümlich des Wortes Haakjöringsköd bedienten. In einem solchen Fall gilt das von den Parteien wirklich Gewollte als Vertragsinhalt. Das Rechtsverhältnis zwischen K und V ist damit so zu behandeln, als hätten sich die Parteien der Bezeichnung Walfischfleisch bedient. Fraglich ist, ob Gewährleistungsrechte des Käufers bestehen. Nach dem objektiven Fehlerbegriff, dem das Reichsgericht ursprünglich folgte, ist eine Sache nur dann fehlerhaft, wenn sie von der normalen Beschaffenheit anderer Sachen abweicht, die derselben Gattung angehören. Im vorliegenden Fall läge hiernach kein Fehler i.S.d. § 459 I BGB vor, da Haifischfleisch kein minderwertiges Walfischfleisch ist, sondern einer anderen Gattung angehört. Dieser Fall hat deshalb
auch das Reichsgericht zur Aufgabe des objektiven Fehlerbegriffs bewogen, so daß nach dem nunmehr herrschenden subjektiven Fehlerbegriff auf die Abweichung der Ist- von der vertraglich vereinbarten Sollbeschaffenheit abzustellen ist. Im vorliegenden Fall fehlte der gelieferten Ware damit die vertraglich vereinbarte Sollbeschaffenheit, Walfischfleisch zu sein. Damit liegt ein Fehler i.S.d. § 459 I BGB vor, dem Käufer stehen daher die Gewährleistungsrechte aus §§ 459 ff BGB zu. Er ist insbesondere zur Wandelung gem. § 462 berechtigt. Beachten Sie: § 480 I kommt vorliegt nicht in Betracht, da es sich nicht um einen Gattungskauf, sondern um einen Spezieskauf handelt. Hier verkauft V nicht Walfischfleisch mittlerer Art und Güte, sondern die konkrete Ladung auf dem Dampfer Jessica.
„HEMMER-METHODE“: Der Haakjöringsködfall wirft zwei Problemkreise auf: Einerseits ist schon fraglich, ob überhaupt ein wirksamer Vertrag zustande gekommen ist. Wenn ja, mit welchem Inhalt? Der Grundsatz „falsa demontratio non nocet“ stellt hierbei einen klausurrelevanten Sonderfall der Auslegung dar. Merken Sie sich: Dieser ist sogar bei formbedürftigen Rechtsgeschäften anwendbar, obwohl es hier an einer Andeutung des wirklichen Parteiwillens i.S.d. der sog. Andeutungstheorie im formbedürftigen Vertrag fehlt. Auf die notwendige Beurkundung des beiderseits Gewollten wird – 49 –
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hier also verzichtet, da zumindest das objektiv Erklärte der Form genügt und damit die Warnfunktion der Beurkundung erfüllt ist (Siehe hierzu: Primäranspruch I, Rn. 177).
Denken Sie aber immer daran, daß dieser Grundsatz der falsa demonstratio immer nur bei unabsichtlicher Falschbezeichnung gilt. Haben die Parteien bewußt Unrichtiges beurkunden lassen, gilt § 117 BGB-Scheingeschäft! (Hemmer/Wüst, Primäranspruch I, Rn. 180.) Der weitaus schwierigere Problemkreis liegt hier bei der Frage der Anwendung des Gewährleistungsrechts! Unter den Vertretern des objektiven Fehlerbegriffs war die Lösung des Falles nämlich streitig: Nach dieser Ansicht war eine Lösung über die Anfechtung nach § 119 II BGB wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft in Betracht zu ziehen oder sogar anfänglicher Unmöglichkeit nach § 306 BGB, da niemand Haifischfleisch als Walfischfleisch liefern kann. Denken Sie aber in der Klausur daran, daß der Streit um den Fehlerbegriff heute an Bedeutung verloren hat, da der subjektive Fehlerbegriff ganz herrschende Meinung ist. Eine ausführliche Darstellung des Meinungsstands kann nur sinnvoll sein, wenn er sich auf das Ergebnis auswirkt. Denken Sie an den genervten Korrektor! Im Normalfall ist es besser, nur kurz durchblicken zu lassen, daß der Meinungsstreit bekannt ist. Geben Sie zu erkennen, daß sie Wesentliches von Unwesentlichem trennen können und verärgern Sie nicht den Korrektor mit überflüssigen Ausführungen!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 9 ff.
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Bürgerlich-rechtlicher Gattungskauf; Rechte des Käufers bei Falschlieferung
25.
BGH, NJW 1989, 218: Glykolfall Bei einer Falschlieferung (aliud) greifen die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften nicht ein. Die Rechte des Käufers bestimmen sich vielmehr nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 320 ff. Hierfür gilt die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195. Die Lieferung eines als "Auslese" gekauften Weins stellt eine Falschlieferung dar, wenn er die Merkmale einer Auslese nur aufgrund einer Glykolzugabe aufweist
Sachverhalt: K bestellte bei V 200 als Auslese bezeichnete Flaschen Wein. V lieferte daraufhin im März 1985 Wein, der mit Glykol versetzt war. Dieser Wein erreichte erst durch die Zugabe des Glykols die Merkmale einer Auslese. Wegen des im Sommer 1985 aufgedeckten Glykol-Skandals verweigerte K im Dezember 1985 die Kaufpreiszahlung und verlangte Wandelung. V fordert weiterhin Kaufpreiszahlung.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung hängt nach BGH davon ab, ob der mit Glykol versetzte Wein lediglich eine mangelhafte Auslese oder eine Falschlieferung (aliud) darstellt. Im ersten Fall wäre K zur Zahlung verpflichtet, weil er den Mangel erst im Dezember, nach Ablauf der Verjährungsfrist, angezeigt hat. Er könnte daher weder Wandelung beanspruchen, noch gem. § 478 die Zahlung des Kaufpreises verweigern. Handelt es sich dagegen um ein aliud, so greift die kaufrechtliche Gewährleistung und damit auch die Verjährungsvorschrift des § 477 nicht ein. Vielmehr richten sich die Rechte des K nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 320 ff. Es gilt die 30jährige Verjährung nach § 195. Eine Falschlieferung liegt bei nur gattungsmäßiger Bestimmung vor, wenn die gelieferten Waren einer anderen als der geschuldeten Gattung entstammen.
Welche Gattung geschuldet ist bestimmt sich unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung in erster Linie nach der Parteivereinbarung. Die Parteien haben hier das Gattungsmerkmal "Auslese" gewählt. Der von V gelieferte, mit Glykol versetzte Wein entspricht aber nicht der Gattung "Auslese". Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Wein schon vor dem Glykolzusatz die Anforderungen einer Auslese erfüllt hätte. Hier erhielt der Wein aber erst durch den Glykolzusatz die Merkmale einer Auslese. Damit wurde der einer niedrigeren Qualitätsstufe zugehörige Wein jedoch nicht zu einer Auslese. Aufgrund der Falschlieferung stehen dem K damit die Rechte aus §§ 320 ff zu. K konnte also gem. § 326 wirksam vom Vertrag zurücktreten, so daß der Zahlungsanspruch des V erloschen ist.
„HEMMER-METHODE“: Die Abgrenzung Sachmangel - aliud beim nicht handelsrechtlichen Kauf ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten: Nach BGH dient zur Abgrenzung zwischen Fehler und aliud beim Gattungskauf neben der Parteivereinbarung die Verkehrsauffassung. Eine Analogie zu §§ 377, 378 HGB verbiete sich dage– 51 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
gen, da diese gerade nur für Kaufleute gelten. Die Literatur kritisiert die Ansicht des BGH und geht daher auch bei Nichtkaufleuten vom erweiterten Fehlerbegriff des § 378 HGB aus. Ein aliud liegt danach nur vor, wenn die gelieferte Sache so erheblich von der geschuldeten abweicht, daß der Verkäufer die Genehmigung des Käufers als ausgeschlossen betrachten muß. Im vorliegenden Fall kann aber ohne weiteres aufgrund der weinrechtlich unerlaubten Zugabe von Glykol Genehmigungsunfähigkeit angenommen werden, so daß das Ergebnis das gleiche wäre. Beim Spezieskauf ist die Abgrenzung zwischen Schlecht- und Falschlieferung dagegen unproblematisch. Ein aliud liegt nur vor, wenn der Verkäufer eine andere als die konkret vertraglich bestimmte Sache liefert, sog. Identitätsabweichung. Liefert er dagegen die vertraglich festgelegte Sache, so kann nie ein aliud vorliegen, mag die gelieferte Sache auch noch so schlecht sein! (So gerade im Haakjöringsköd-Fall) Es gilt immer Gewährleistungsrecht.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 70 ff.
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Stillschweigende Zusicherung einer Eigenschaft
26.
BGHZ 59, 158 Eigenschaften i.S.d. § 459 II können auch stillschweigend oder durch schlüssiges Verhalten zugesichert werden. Voraussetzung ist, daß der Verkäufer dem Käufer zu erkennen gibt, daß er für das Vorhandensein der Eigenschaft und alle Folgen ihres Fehlens einstehen will.
Sachverhalt: K stellte fabrikmäßig Holzfenster her. Da er die Fenster in Zukunft auch selbst lackieren wollte, wandte er sich an die Lackfabrik des V, um den geeigneten Lack zu finden. K informierte den V darüber, daß er fachkundigen Rat suche, da er sich selbst mit Lacken nicht auskenne. K kaufte schließlich einen Lack, der nach Auskunft des V am besten geeignet war. Nach der Verwendung des Lackes traten an den Fenstern Fäulnisschäden auf, die auch das Holz erfaßten. K verlangt von V Schadensersatz.
Entscheidungsgründe:
Der BGH prüft einen Schadensersatzanspruch aus § 480 II i.V.m. § 459 II, wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft (bei den Lacken handelt es sich um eine Gattungssache). Voraussetzung dafür ist, daß V die uneingeschränkte Geeignetheit der Lacke vertraglich zugesichert hat. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß Eigenschaften i.S.d. § 459 II auch stillschweigend oder durch schlüssiges Verhalten zugesichert werden können. Dazu genügen allerdings weder allgemeine Anpreisungen in der Werbung noch der bloße Hinweis auf die Eignung für den vertragsgemäß vorausgesetzten Gebrauch. Entscheidend ist vielmehr, daß der Verkäufer die Gewähr für das Vorhandensein dieser Eigenschaft übernimmt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen einzustehen, die sich aus dem Fehlen dieser Eigenschaft ergeben. Abzustellen ist hierbei auf den Empfängerhorizont. V wußte vorliegend, daß K mit dem Umgang von Lakken keine Erfahrung hatte und gerade
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deshalb den fachkundigen Rat suchte. V erforschte deshalb die Wünsche des K eingehend und nahm sogar mehrere Lackierungsversuche vor. Damit ist in dem Verhalten des V und dessen Erklärung, der Lack sei für die vorgesehenen Zwecke bestens geeignet, eine Zusicherung i.S.d. § 459 II zu sehen. Da diese Zusicherung uneingeschränkt abgegeben wurde, erfaßt sie auch die entstandenen Mangelfolgeschäden am Holz. Daß V nicht mit dem Auftreten derartiger Mangelfolgeschäden gerechnet hat, ist für die Haftung des V unerheblich. Die Gewährleistung beruht auf der mit der Zusicherung übernommenen Garantie, für alle Folgen des Fehlens einzustehen, und ist daher von einem Verschulden oder der Voraussehbarkeit der Schäden unabhängig. Will der Verkäufer ein solch weitreichendes Risiko nicht eingehen, so ist es seine Sache, die Zusicherung entsprechend einzuschränken. K kann somit von V Schadensersatz auch für die eingetretenen Mangelfolgeschäden aus § 480 II verlangen.
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„HEMMER-METHODE“: Ob eine Zusicherung i.S.d. § 459 II vorliegt, muß immer durch Auslegung gem. §§ 133, 157 ermittelt werden. Dies gilt auch für den Umfang einer Zusicherung. Letztlich geht es bei dieser Frage um einen Ausgleich zwischen dem Schutz des Käufers und den Interessen des Verkäufers. Aus diesem Grund ist nur eine flexible und einzelfallbezogene Argumentation sachgerecht. Eine schematische Vorgehensweise verbietet sich. Als Grundregel gilt aber, daß bei der Annahme einer konkludenten oder stillschweigenden Zusicherung Zurückhaltung angebracht ist. Eine Ausnahme hiervon ist wiederum beim Gebrauchtwagenhandel zu machen, da sich der Verkäufer hier nach § 476 (§ 11 Nr.10 AGBG ist von vorneherein nicht einschlägig) umfassend freizeichnen kann. Um auch den Käufer zu schützen, ist der BGH umgekehrt mit der Annahme einer stillschweigenden Zusicherung großzügiger. Bei Einschaltung eines Vertreters auf Verkäuferseite ist scharf zwischen § 463 S.1 und S.2 zu differenzieren: Während die Zusicherung des Vertreters gem. § 164 I zugerechnet wird, erfolgt die Zurechnung der Arglist im Falle des § 463 S.2 gem. § 166 I ! Beachten Sie, daß die Zusicherung vorliegend auch die Mangelfolgeschäden umfaßte (vgl. Sie hierzu die Rechtslage bei Miet- und Werkvertrag, Gewährleistungsrecht, Rn. 92 ff). Für Schadensersatzansprüche aus pVV ist daher mangels Regelungslücke kein Raum. Grundsätzlich ist aber auch bei der Beantwortung der Frage, ob die Zusicherung vor dem Eintritt von Mangelfolgeschäden schützen wollte, ein strenger Maßstab anzulegen!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 10 ff., 89
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Kaufrechtliches Gewährleistungsrecht; Abgrenzung zwischen Beschaffenheitsangaben (§ 459 I BGB) und zugesicherten Eigenschaften gem. (§ 459 II BGB)
27.
BGH, NJW 1991, 912 Das Vorhandensein einer bestimmten Wohnfläche kann Beschaffenheitsangabe (§ 459 I) oder zugesicherte Eigenschaft (§ 459 II) sein. Für die Annahme einer Zusicherung genügt nicht, daß die Eigenschaft bindend vereinbart wurde.
Sachverhalt: V verkaufte mit notariellem Vertrag ein Hausgrundstück an K. In der Vertragsurkunde war bestimmt, daß die Wohnfläche des Hauses ca. 130 qm beträgt. Ferner war ein Gewährleistungsauschluß enthalten. Die Angabe über die Wohnfläche wurde auf ausdrücklichen Wunsch des K, der sie auch selbst vermessen hatte, in den Vertrag aufgenommen. Tatsächlich beträgt die bewohnbare Fläche des Hauses aber nur 105 qm. K macht aus diesem Grund Minderung i.H.v. 40 000 DM geltend und verlangt den entsprechenden Teil des gezahlten Kaufpreises heraus.
Entscheidungsgründe: Fraglich ist, ob die Voraussetzungen für eine Minderung gem. § 462 gegeben sind. Die Größe der Wohnfläche ist vertragliches Beschaffenheitsmerkmal des gekauften Hausgrundstücks. Daher stellt die Abweichung einen Fehler i.S.d. § 459 I dar. Dieser Mangel wird jedoch vom vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschluß erfaßt. Ein Gewährleistungsausschluß erstreckt sich aber nicht auf eine etwaige in demselben Vertrag gewährte Zusicherung. Es wäre ein widersprüchliches Verhalten des Verkäufers, wenn er eine ausdrückliche Zusage durch die allgemeine Freizeichnung zunichte machen würde. Entscheidend ist daher, ob die Bestimmung der Wohnfläche die Zusicherung einer Eigenschaft i.S.d. § 459 II oder lediglich eine Beschaffenheitsangabe i.S.d. § 459 I enthält. Der BGH stellt zunächst fest, daß die Sonderbestimmung des § 468 S.1 hier nicht anwendbar ist. § 468 stellt lediglich klar, daß die Grundstücksgröße eigentlich bloße Mengen- nicht aber Eigenschaftsangabe ist, daß diese bei ei– 55 –
ner Zusicherung aber als Eigenschaft behandelt werden soll. Die Wohnfläche ist aber zweifelsfrei Eigenschaft und nicht bloße Mengenangabe, da sie auf die Bewohnbarkeit des Hauses abstellt, und somit einen wertbildenden Faktor der Kaufsache darstellt. Für die Annahme einer Zusicherung ist es erforderlich, daß der Verkäufer die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft übernommen hat. Entscheidend ist daher ein entsprechender Rechtsbindungswille und die Auslegung des Vertrages. Die Wohnfläche wurde zwar ausdrücklich im Vertrag niedergelegt. Die bloße bindende Vereinbarung einer Eigenschaft reicht nach BGH jedoch für die Annahme einer Zusicherung nicht aus. Für eine Zusicherung ist darüber hinaus die Erklärung erforderlich, für die Beschaffenheit ohne Verschulden einstehen zu wollen. Eine solche Einstandspflicht des V kann dem Vertrag nicht entnommen werden. Im übrigen bestand kein berechtigtes Vertrauen des K auf die Übernahme einer umfassenden Gewähr durch V, da er die Wohnung selbst vermessen hatte. Da
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ein bloßer Fehler vorliegt, war der Haftungsausschluß wirksam, der K hat kei-
nen Anspruch auf Rückzahlung der 40 000 DM.
„HEMMER-METHODE“: Diese Entscheidung zeigt wieder einmal, daß bei der Annahme einer Zusicherung wegen der damit verbundenen weitreichenden Folgen Vorsicht geboten ist. Das Verhältnis von Zusicherung und Gewährleistungsausschluß ist beliebter Prüfungsstoff. Hier gilt die Regel, daß sich ein Gewährleistungsausschluß nicht auf zugesicherte Eigenschaften bezieht: Der Verkäufer darf dem Käufer nicht mit der einen Hand (Haftungsausschluß) das nehmen, was er ihm mit der anderen Hand (Zusicherung) gegeben hat. Der Verkäufer kann daher zwar die Zusicherung beschränken, nicht aber die Haftung aus derselben, sofern diese einmal abgegeben ist. (Nach a.A. soll bei Gewährleistungsausschluß eine Gesamtschau ergeben, daß schon gar keine Zusicherung vorliegt.) Dies entspricht dem aus § 242 abgeleiteten grundsätzlichen Verbot des widersprüchlichen Verhaltens im Rechtsverkehr (sog. venire contra factum proprium). Ist der Gewährleistungsausschluß in AGB's enthalten, ergibt sich dies für die Schadensersatzansprüche des Käufers aus § 11 Nr. 11 AGBG.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 10 ff.; 170 ff.
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Verhältnis der Gewährleistungsvorschriften der §§ 459 ff. BGB zu den Anfechtungsregeln
28.
BGHZ 34, 32: Irrtumsanfechtung gem. § 119 II BGB vor Gefahrübergang Der Käufer kann den Kaufvertrag vor Gefahrübergang auch dann wegen Irrtums nach § 119 II BGB anfechten, wenn er ausnahmsweise vor diesem Zeitpunkt zur Geltendmachung der Rechte nach den §§ 459 ff BGB berechtigt ist.
Sachverhalt: V hatte an K ein Grundstück verkauft. K stellte noch vor seiner Eintragung als Eigentümer ins Grundbuch und der Übergabe fest, daß das Grundstück im Bereich einer geplanten Umgehungsstraße lag und hierfür notfalls enteignet werden würde. K will den Kaufvertrag wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft nach § 119 II BGB anfechten.
Entscheidungsgründe:
Problematisch ist, daß K den Kaufvertrag noch vor Gefahrübergang anfechten will. Der BGH stellt fest, daß die Gewährleistungsvorschriften der §§ 459 ff BGB als Sondervorschriften für die Rechte des Kaufs die Anwendung des § 119 II BGB ausschließen. Das Anfechtungsrecht soll aber erst ab Gefahrübergang entfallen, da die §§ 459 ff BGB überhaupt erst ab diesem Zeitpunkt Anwendung finden.
len an sich logisch konsequent wäre, mit der Vorverlegung der Gewährleistungsansprüche auch den Ausschluß des Anfechtungsrechts vorzuverlegen. Diese Konsequenz will der BGH aber aus folgendem Grunde gerade nicht ziehen: Die Vorverlegung der Gewährleistungsansprüche soll für den Käufer nur eine Vergünstigung darstellen. Nachteilige Folgen, wie den Verlust des Anfechtungsrechts, soll er dadurch aber nicht hinnehmen müssen.
In Ausnahmefällen kann der Käufer jedoch schon vor Gefahrübergang zur Geltendmachung der Gewährleistungsrechte berechtigt sein, nämlich wenn der Mangel wie im Fall nicht behebbar ist oder der Verkäufer die Beseitigung endgültig ablehnt. Hier ist es dem Käufer nicht zuzumuten, die Sache erst anzunehmen, um sie nach Geltendmachung der Gewährleistungsrechte gleich wieder zurückzugeben. Der BGH weist darauf hin, daß es in diesen Fäl-
Die Möglichkeit der Geltendmachung der Gewährleistungsansprüche vor Gefahrübergang tritt vielmehr neben das bestehende Anfechtungsrecht aus § 119 II BGB. Nach Ansicht des BGH kann K somit den Kaufvertrag nach § 119 II BGB anfechten, obwohl die Durchführung der geplanten Umgehungsstraße einen unbehebbaren Mangel darstellt, der den K zur Wandelung schon vor Gefahrübergang berechtigen würde.
„HEMMER-METHODE“: Liegt ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft vor, die gleichzeitig einen Sachmangel i.S.d. §§ 459 ff darstellt, so wird bei Anfechtung des Kaufs nach § 119 II durch die §§ 459 ff ausgeschlossen, da sonst die kurze Verjährung des § 477 und der Gewährleistungsausschluß in § 460 S.2 bei grober Fahrlässigkeit des Käufers unterlaufen wird. Ab welchem Zeitpunkt die Verdrängung – 57 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
erfolgt, ist jedoch strittig. Nach Ansicht des BGH entfällt das Anfechtungsrecht immer erst ab Gefahrübergang, auch wenn, wie diese Entscheidung zeigt, die Gewährleistungsrechte ausnahmsweise schon vor Gefahrübergang geltend gemacht werden können. Nach anderer Ansicht soll das Anfechtungsrecht jedoch immer schon ab Abschluß des Kaufvertrages ausgeschlossen sein, weil sich der Käufer sonst entgegen der Wertung in § 460 S.2 auch bei grober Fahrlässigkeit vom Kaufvertrag lösen könnte. Für die Ansicht des BGH spricht jedoch, daß Anfechtung und Gewährleistung unterschiedliche Schutzzwecke haben : Das Anfechtungsrecht schützt die freie Willensbildung, wogegen das Gewährleistungsrecht das Äquivalenzinteresse, d.h. das Interesse an der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung schützt. Denken Sie in der Klausur aber immer daran, daß die §§ 459 ff BGB im Regelfall für den Käufer günstiger sind, da z.B. auch Schadensersatz wegen Nichterfüllung gewährt wird. Die Anfechtung kann damit für den Käufer zur Falle werden, da er sich hierdurch die Rechte der §§ 459 ff wegen der Wirkung des § 142 I selbst entzieht! Ihm verbleibt dann nur das Bereicherungsrecht. Erklärt der Käufer in der Klausur die Anfechtung und verlangt gleichzeitig Schadensersatz, so ist diese Erklärung laiengünstig dahin auszulegen, daß Schadensersatz gem. § 463 bzw. § 480 II BGB begehrt wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Anfechtung seitens des Verkäufers. Diese ist nur dann ausgeschlossen, wenn er sich auf diese Weise seiner Gewährleistungspflichten aus den §§ 459 ff entziehen will, da die §§ 459 ff in diesem Fall nicht leges speciales sind: Sie regeln nur Rechte des Käufers (vgl. hierzu BGH NJW 1988, 2597: Leibl-Fall). Bezieht sich die Anfechtung dagegen nicht auf einen Sachmangel, ist die Anfechtung mangels Konkurrenzsituation problemlos möglich!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 48 ff.
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SCHULDRECHT-BT-KAUFRECHT
29
Verhältnis der Gewährleistungsvorschriften gem. §§ 459 ff zur pVV
29.
BGHZ 77, 215: Verjährung von Ansprüchen aus pVV beim Kauf Die §§ 459 ff begründen eine abschließende Sonderregelung für Mangelschäden. Der Käufer kann aber Schadensersatz aus pVV verlangen, soweit er durch die Schlechtlieferung Schäden an anderen Rechtsgütern als an der Kaufsache selbst erlitten hat - sog. Mangelfolgeschäden. Die Ansprüche aus pVV unterliegen der kurzen Verjährung des § 477 I, soweit sich die Pflichtverletzung auf einen Sachmangel bezieht. Die Verjährungsfrist des § 477 I beginnt in jedem Falle mit Gefahrübergang.
Sachverhalt: V verkaufte K Spanplatten zur Herstellung eines Holzfußbodens. Die Platten wurden verarbeitet und anschließend mit PVC belegt. Nach Ablauf von 6 Monaten zeigten sich erste Schäden am Fußboden, die auf die Fehlerhaftigkeit der Platten zurückzuführen waren. K mußte daraufhin den Fußboden erneuern lassen und anschließend mit neuem PVC-Belag ausstatten. K verlangt von V Schadensersatz in Höhe der ihm entstandenen Kosten.
Entscheidungsgründe: In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch aus pVV. Nach ständiger Rechtsprechung ist die pVV neben den §§ 459 ff anwendbar, soweit der Käufer durch die Schlechtlieferung Schaden an anderen Rechtsgütern erlitten hat - sog. Mangelfolgeschäden. Das Kaufrecht enthält nur hinsichtlich Mangelschäden, also Schäden an der Kaufsache selbst, eine abschließende Sonderregelung, die den Rückgriff auf die pVV ausschließt. Das Gewährleistungsrecht schützt also nur das Interesse des Käufers an der Gleichwertigkeit der Leistungen (sog. Äquivalenzinteresse), nicht aber das Interesse des Käufers an der Erhaltung seiner sonstigen Rechtsgüter (sog. Integritätsinteresse). Zu den Mangelfolgeschäden zählen also z.B. Schäden an Gesundheit, Leben, Eigentum, aber auch am sonstigen Vermögen des Käufers. Durch die erforderlichen Wiederherstellungskosten hat K einen Schaden an seinem sonstigen Vermögen erlitten, der sich als Mangelfolgeschaden darstellt. Der An– 59 –
wendungsbereich der pVV ist daher eröffnet. Die Schadensersatzansprüche aus pVV sind jedoch verjährt. Nach BGH unterliegen die Ansprüche aus pVV, soweit sie sich unmittelbar auf einen Sachmangel gründen, der kurzen Verjährung des § 477 I. Denn auch hier ist der Zweck des § 477 I, im Kaufrecht baldigen Rechtsfrieden herzustellen, zu beachten. Da die auf mangelhafter Lieferung gründenden Mangelfolgeschäden am meisten ins Gewicht fallen, würde die Regelung des § 477 in weiten Bereichen leerlaufen, wenn Ansprüche aus pVV nicht von ihr erfaßt würden. Unterstellt man aber diese Ansprüche dem § 477 I, so beginnt auch die Verjährungsfrist mit Gefahrübergang zu laufen. Dies mag zwar zu unbilligen Ergebnissen führen, da Mangelfolgeschäden den Käufer in der Regel härter und nachhaltiger belasten als bloße Mangelschäden, muß aber aufgrund der gerechtfertigten Verkäuferinteressen hingenommen werden. Auch bei versteckten Mängeln, die sich erst nach Ablauf der Verjährungsfrist
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
zeigen, ist der Käufer daher schutzlos gestellt. Dies kann aber keine unterschiedliche Handhabung des Verjährungsbeginns rechtfertigen, da der Wortlaut des § 477 I insoweit eindeutig ist. Der Gesetzgeber hat mit § 477 I eine Regelung getroffen, an die auch die
Gerichte gebunden sind. Konsequenzen aus den auftretenden Unbilligkeiten kann wiederum nur der Gesetzgeber ziehen. Damit ist der Schadensersatzanspruch des K aus pVV gem. § 477 I verjährt.
„HEMMER-METHODE“: Ansprüche aus pVV unterliegen grds. der regelmäßigen Verjährung gem. § 195 (30 Jahre). Etwas anderes kann sich allerdings im Zusammenhang mit einer gesetzlich verkürzten Verjährungsfrist für bestimmte vertragliche Ansprüche ergeben, wie im Kaufrecht. Die Regelung des § 477 ist aber nur auf Pflichtverletzungen anzuwenden, die mit einem Sachmangel in Zusammenhang stehen. Andere Pflichtverletzungen, die sich nicht auf die Beschaffenheit der Kaufsache beziehen, verjähren regelmäßig nach § 195 (z.B. die Hilfsperson des Verkäufers beschädigt bei der Anlieferung das Eigentum des Käufers). Daher sollten Sie bei "Kaufrechtsklausuren", in denen pVV-Ansprüche in Betracht kommen, besonderes Augenmerk auf die Verjährungsproblematik richten. Letztlich geht es darum, ob entstandene Schäden trotz Fristablauf i.S.d. § 477 noch zu ersetzen sind oder nicht. Kommen Sie zu dem Ergebnis, daß Gewährleistungsansprüche und Ansprüche aus pVV verjährt sind, so denken Sie an die § 823 ff. Die Frist des § 477 wird regelmäßig nicht auf das Deliktsrecht angewandt, hier gilt nur § 852 !
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 83 ff.; Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht II, Rn. 807 ff.
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SCHULDRECHT-BT-KAUFRECHT
30
Verjährung von Schadensersatzansprüchen aus pVV wegen Nebenpflichtverletzung im Kaufrecht
30.
BGHZ 107, 249: Superbenzinfall Die Abfüllung von gekauftem Benzin in einen dafür nicht vorgesehen Tank ist keine Eigenschaft der Kaufsache selbst. Eine solche Nebenpflichtverletzung steht nicht mit einem Sachmangel in Zusammenhang, so daß hieraus resultierende Ansprüche aus pVV nicht der kurzen Verjährung des § 477 unterliegen.
Sachverhalt: K bezog von V Normal- und Superbenzin für seine Tankstelle. V füllte versehentlich das Superbenzin in den für Normalbenzin vorgesehen Tank. Dem K entstanden deshalb erhebliche Schäden. Diese verlangt er nach 4 Jahren von V ersetzt.
Entscheidungsgründe: Da das von V gelieferte Benzin an sich nicht mangelhaft war, sondern nur in den falschen Tank gefüllt wurde, kommt nur ein Anspruch aus pVV in Betracht. Fraglich ist jedoch, ob dieser Anspruch gem. § 477 verjährt ist. Im Kaufvertragsrecht ist § 477 nur dann auf die pVV anwendbar, wenn sich die Pflichtverletzung auf einen Mangel der Kaufsache bezieht. Die Vorinstanz wendete daher § 477 mit dem Argument an, die Nebenpflichtverletzung der Tankverwechslung habe zu einem Sachmangel geführt. Denn das als Superbenzin erscheinende Normalbenzin sei zur bestimmungsgemäßen Verwendung als Normalbenzin ungeeignet gewesen. Diese Argumentation ist nach BGH jedoch nicht zutreffend: Das Benzin
selbst war nicht fehlerhaft i.S.d. §§ 459 ff. Die Verwechslung des Tanks war daher bloße Nebenpflichtverletzung. Die Nebenpflichtverletzung führte auch nicht zu einem Sachmangel, da die Abfüllung in den richtigen Tank keine Eigenschaft des Kraftstoffes darstellt. Die Einlagerung der Kaufsache in einen bestimmten Behälter ist nämlich kein Umstand, der der Sache selbst anhaftet. Die Kaufsache ist in einem solchen Fall weiterhin an sich für den vertragsgemäßen Zweck verwendbar. Da also eine Nebenpflichtverletzung vorliegt, die nicht mit einem Sachmangel in Zusammenhang steht, ist § 477 nicht anwendbar. Der Schadensersatzanspruch des K aus pVV ist damit nicht verjährt, § 195.
„HEMMER-METHODE“: Im Kaufrecht kommt die pVV in zwei Varianten in Betracht: Einmal kann die Pflichtverletzung des Verkäufers unmittelbar in der Lieferung der mangelhaften Sache selbst liegen (Schlechtleistung, s.o. Fall 23), zum anderen kann der Verkäufer eine Nebenpflicht verletzen, die sich nicht unmittelbar auf die Mangelhaftigkeit der Sache bezieht. Während die Anwendung der pVV im Falle einer Schlechtleistung grundsätzlich nur bezüglich Mangelfolgeschäden anwendbar ist (s.o. Fall 23), findet die pVV bei Nebenpflichtverletzungen uneingeschränkte Anwendung, da die §§ 459 ff insoweit keinen eigenen Regelungsgehalt besitzen. In Betracht kommt insoweit die Verletzung – 61 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
von Aufklärungs-, Beratungs-, Sorgfalts- und Obhutspflichten des Verkäufers. Die Schadensersatzansprüche des Käufers aus pVV verjähren nur dann nach § 477, wenn die Verletzung der Nebenpflicht zu einem Sachmangel führt oder in unmittelbarem Zusammenhang mit einem solchen steht, ansonsten gilt § 195. Im vorliegenden Fall wurde ein Sachmangel aber gerade verneint, da das Benzin trotz Tankverwechslung an sich mangelfrei blieb. Da sich die Pflichtverletzung des Verkäufers für den Käufer aber letztendlich genauso auswirkt wie die Lieferung mangelhaften Benzins, wird die Entscheidung des BGH in der Literatur teilweise als zu begrifflich kritisiert. Hinter einer solcher Rechtsprechung stehe letztlich die Absicht des BGH, den oft unbilligen § 477 zurückzudrängen (vgl. Medicus, BR, Rn. 363).
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht II, Rn. 769 ff.; Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 83 ff.
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SCHULDRECHT-BT-LEASING
31
Gewährleistungspflicht des Leasinggebers
31.
BGHZ 81, 298 Es verstößt nicht gegen § 9 AGBG, wenn sich der Leasinggeber von den mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften freizeichnet und dem Leasingnehmer die kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte gegen den Lieferanten abtritt. Er ist dann aber an die rechtlichen Folgen, die sich aus der Geltendmachung der Gewährleistungsrechte durch den Leasingnehmer ergeben, gebunden. Mit Vollzug der Wandelung des Kaufvertrages entfällt die Geschäftsgrundlage des Leasingvertrages von Anfang an.
Sachverhalt: Leasinggeber L hatte mit M einen Leasingvertrag über eine Funkausrüstung abgeschlossen. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen des L enthielten folgende Klausel: " Für Mängel des Mietgegenstandes leistet der Vermieter in der Weise Gewähr, daß er alle Gewährleistungsansprüche gegen den Lieferanten an den Mieter abtritt. Der Mieter ist verpflichtet, die ihm abgetretenen Ansprüche fristgerecht geltend zu machen". Da der Funkausrüstung eine zugesicherte Eigenschaft fehlte, hat M gegen den Lieferanten seinen Anspruch auf Vollzug der Wandelung durch Urteil erwirkt. L verlangt weiterhin die Zahlung der Leasingraten, da er sich an das Urteil, das nur im Verhältnis M - Lieferant erging, nicht gebunden fühlt.
Entscheidungsgründe: Zunächst ist fraglich, ob die im Leasingvertrag enthaltene Klausel wirksam ist. Die Freizeichnung von mietrechtlichen Gewährleistungsansprüchen gem. §§ 535 ff und die Verweisung auf die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften gegen den Lieferanten könnte eine unangemessene Benachteiligung des Leasingnehmers i.S.d. § 9 AGBG sein. Die Freizeichnung von den mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften beim Leasingvertrag wird aber vom BGH grds. gebilligt. Eine solche Ausgestaltung der Gewährleistung entspricht nämlich den typischen Besonderheiten des Finanzierungsleasings und stellt den Leasingnehmer nicht rechtlos. Die Verweisung auf einen anderen als den eigentlichen Vertragspartner ist daher wirksam, wenn darüber hinaus keine weitere Schlechterstellung des Leasingnehmers erfolgt. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Leasinggeber an ein vom Leasingneh– 63 –
mer erstrittenes Wandelungsurteil gegenüber dem Lieferanten gebunden ist. Zwar gilt grds., daß die Rechtskraft eines Urteils allein zwischen den Parteien wirkt. Anders nur, wenn ein Fall der Rechtskrafterstreckung gegeben ist, vgl. §§ 325 ff ZPO. Für den vorliegenden Fall ist aber im Gesetz keine Rechtskrafterstreckung geregelt. Der BGH nimmt aber dennoch eine Bindung des Leasinggebers an das Urteil zwischen M und dem Lieferanten aus Treu und Glauben an: Eine interessengerechte Auslegung des Leasingvertrages ergebe, daß der Leasinggeber die rechtlichen Folgen aus der Geltendmachung der Gewährleistungsrechte als für sich verbindlich hinnehme. Ohne eine solche Auslegung würde die Freizeichnungsklausel nämlich wegen unangemessener Benachteiligung dann doch gegen § 9 AGBG verstoßen. Der Leasinggeber kann also z.B. nicht mehr einwenden, es habe gar kein Sachmangel vorgelegen. Aus der
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Wandelung des Kaufvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des BGH der Wegfall der Geschäftsgrundlage für den Leasingvertrag. Dabei ist zu beachten, daß die Geschäftsgrundlage nach BGH von Anfang an fehlte,
nicht erst ab Vollzug der Wandelung. Der Leasingnehmer war daher von Anfang an nicht zur Zahlung der Leasingraten verpflichtet, so daß ein Zahlungsanspruch des L vorliegend ausscheidet.
„HEMMER-METHODE“: Die Klausur wird häufig so gestellt sein, daß der Leasingnehmer zunächst die Leasingraten noch gezahlt hat, und nach Vollzug der Wandelung die Rückzahlung der Raten verlangt. Dann müssen sie, bevor sie auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage kommen, § 537 I 1 und Bereicherungsrecht prüfen. (siehe hierzu: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 178 ff.). Beachten Sie auch, daß der BGH bei Wegfall der Geschäftsgrundlage nach Bereicherungsrecht und nicht nach §§ 346 ff abwickelt. Damit können sich noch zahlreiche Probleme im Rahmen des § 818 III ergeben, wenn sich der Leasinggeber auf Entreicherung beruft. Der Leasinggeber kann sich nach Ansicht des BGH z.B. nicht auf den an den Lieferanten bezahlten Kaufpreis berufen, da der Leasinggeber aufgrund der Haftungsfreizeichnung umgekehrt das Insolvenzrisiko des Lieferanten tragen muß. An sich handelt es sich hierbei nur um die allg. Grundsätze des Bereicherungsrechts, daß Einwendungen nicht auf außenstehende Vertragsverhältnisse durchschlagen dürfen und daß jeder das Insolvenzrisiko desjenigen tragen muß, den er sich als Vertragspartner ausgesucht hat. Rein dogmatisch bestehen ja zwischen dem Lieferanten und dem Leasingnehmer keine Vertragsbeziehungen - insofern stellt das Finanzierungsleasing nach h.M: auch kein verbundenes Geschäft i.S.d. § 9 VerbrKrG dar, da der Leasingnehmer gar nicht der Inanspruchnahme durch zwei Vertragspartner ausgesetzt ist.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 178 ff.
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SCHULDRECHT-BT-MIETRECHT
32
Mietrecht, Abgrenzung von § 538 I 1. Alt BGB zur anfänglichen Unmöglichkeit
32.
BGHZ 93, 142 § 538 I 1. Alt. verdrängt auch dann die Bestimmungen über die anfängliche Unmöglichkeit, wenn der Mangel unbehebbar oder die Mietsache dem Mieter noch nicht überlassen worden ist.
Sachverhalt: V war Eigentümer eines Grundstücks mit Bimsvorkommen. Er schloß mit P einen Pachtvertrag, in dem er sich verpflichtete, dem P den Bimsabbau zu gestatten. Noch vor Überlassung des Grundstücks versagte die zuständige Behörde die Genehmigung zum Bimsabbau, da das Grundstück in einem Wasserschutzgebiet lag. P verlangt von V Schadensersatz wegen Nichterfüllung.
Entscheidungsgründe: In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch aus § 538 I 1. Alt i.V.m.. 581 II, da öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen, die - wie hier - auf der Beschaffenheit der Sache beruhen, einen Sachmangel nach §§ 537 ff darstellen. Voraussetzung hierfür ist ein wirksamer Pachtvertrag. Der Pachtvertrag könnte aber gem. § 306 wegen anfänglicher objektiver Unmöglichkeit nichtig sein. Für den BGH stellt sich also das Problem des Verhältnisses zwischen § 306 und § 538 I 1. Alt. Nach BGH wird § 306 durch § 538 I 1. Alt verdrängt. Das gilt, trotz entgegenstehender Literaturansichten, sowohl bei behebbaren als auch bei unbehebbaren Mängeln der Miet- oder Pachtsache. Die fehlende Genehmigungsfähigkeit stellt einen solchen unbehebbaren Mangel dar. Eine Unterscheidung zwischen behebbaren und unbehebbaren Mängeln sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Sie widerspreche auch dem Willen des Gesetzgebers, der den Vermieter auch dann nach § 538 I 1. Alt. haften lassen will, wenn die Beseitigung des Mangels objektiv unmöglich ist. Entgegen der früheren BGHRechtsprechung soll § 538 I 1. Alt aber auch dann eingreifen, wenn die Mietsa-
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che dem Mieter noch gar nicht übergeben wurde. Begründung: Der Mieter darf gerade in den besonders schwerwiegenden Fällen nicht auf das negative Interesse gem. § 307 beschränkt werden, weil dies dem Zweck der in § 538 I 1. Alt angeordneten Garantiehaftung widerspreche. Nach h.M. findet § 306 keine Anwendung, wenn der Schuldner eine besondere Garantie für seine Leistungsfähigkeit übernommen hat. Er haftet dann trotz §§ 306, 307 auf das positive Interesse. Die gleiche Wirkung muß auch eine gesetzliche Garantiehaftung haben. Würde man hinsichtlich der Zeit vor und nach Überlassung der Mietsache differenzieren, wäre auch das Ergebnis widersinnig: Vor Überlassung wäre der Mietvertrag gem. § 306 nichtig, mit Übergabe würde er aber plötzlich wirksam mit der Folge, daß dem Mieter die Rechte aus § 538 zustehen. Auch dogmatisch wäre schwer zu begründen, wie ein nichtiger Vertrag durch den bloßen Realakt der Überlassung der Mietsache wirksam werden soll. Daher steht dem P auch schon vor Übergabe des Grundstücks der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung aus § 538 I 1. Alt. zu.
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Überprüfen Sie Ihr gefundenes Ergebnis also immer auf der Wertungsebene. Bejaht man § 306, dann hat der Mieter unter den Voraussetzungen des § 307 nur einen Anspruch auf den Ersatz des negativen Interesses, während § 538 I 1. Alt. auf das positive Interesse gerichtet ist. Stellen Sie in der Klausur das Spannungsverhältnis zwischen § 538 I 1. Alt. und § 306 fest! Es gilt entweder § 306, dann entfällt § 538 (da dieser einen wirksamen Vertrag voraussetzt), oder § 538. Es ist nicht einzusehen, warum der Mieter bei unbehebbaren Mängeln oder wenn ihm die Sache noch nicht überlassen worden ist, auf das negative Interesse beschränkt sein soll. Gerade in diesen Fällen („schwerer Mangel“) ist er besonders schutzwürdig. Beachten Sie immer, daß § 538 I 1. Alt. eine Garantiehaftung des Vermieters beinhaltet, d.h. ein Verschulden wird nicht vorausgesetzt. Der Schadensersatzanspruch erfaßt auch (anders als § 635) Mangelfolgeschäden, so daß ein Anspruch aus pVV oder cic mangels Regelungslücke ausscheidet. Diese strenge Einstandspflicht des Vermieters wird teilweise für unbillig gehalten. Es wird daher vorgeschlagen, die Garantiehaftung bei solchen Mängeln abzulehnen, die trotz äußerster Sorgfalt des Vermieters nicht erkennbar waren. Diese Ansicht mag zwar rechtspolitisch diskutabel sein, findet aber im Gesetzeswortlaut keine Stütze und ist daher abzulehnen. Entsteht der Mangel dagegen erst nach Vertragsschluß, so ist Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung, daß der Vermieter den Mangel zu vertreten hat (§ 538 I 2. Alt.) oder daß er mit der Mangelbeseitigung in Verzug kommt (§ 538 I 3. Alt.). In beiden Fällen wird also ein Verschulden des Vermieters gefordert!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht I, Rn. 184 ff.; Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 62
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SCHULDRECHT-BT-MIETRECHT
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Mietrecht, Verhältnis des § 537 I BGB zu den §§ 323 ff. BGB bei nachträglicher Unmöglichkeit
33.
BGH, NJW RR 1991, 204: Muldenkipperfall Wird die Mietsache nach deren Überlassung an den Mieter ohne dessen Verschulden derart beschädigt, daß dem Vermieter die Wiederherstellung nicht zumutbar ist, werden die Parteien nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 275, 323 I von ihren vertraglichen Pflichten frei. Eine Anwendung des § 537 I scheidet aus.
Sachverhalt: Der V vermietete an den M einen gebrauchten Muldenkipper. An diesem Fahrzeug brach später ohne Verschulden einer Partei die Vorderachse. Der Mietzins für diesen Monat war bereits im voraus bezahlt worden. Die Reparaturkosten hätten den Wert des Fahrzeugs bei weitem überstiegen. M verlangt Rückzahlung des Mietzinses.
Entscheidungsgründe:
Dem M könnte ein Rückzahlungsanspruch aus §§ 537 I, 812 I zustehen, wenn die Voraussetzungen für eine Mietminderung vorliegen. Fraglich ist aber, ob die mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften auch dann Anwendung finden, wenn die Mietsache nach der Übergabe so beschädigt wird, daß ein nicht mehr behebbarer Mangel vorliegt. Dies ist in Literatur und Rechtsprechung streitig. Nach BGH kommen die mietrechtlichen Gewährleistungsansprüche im Fall eines Totalschadens nicht zur Anwendung. Das Vorliegen einer Minderungsmöglichkeit setze nämlich gem. § 537 I voraus, daß es sich um einen Fehler der Mietsache handele. Von einem solchen Fehler könne aber nur dann gesprochen werden, wenn der Vermieter überhaupt noch die Gebrauchsüberlas-
sung schulde. Gerade dies ist aber bei einem Totalschaden nicht mehr der Fall, da der Vermieter zur Wiederherstellung der Mietsache nur solange verpflichtet sei, wie dies für ihn noch zumutbar ist. Diese Zumutbarkeit entfällt nach BGH insbesondere dann, wenn der erforderliche Aufwand - wie hier - die "Opfergrenze" übersteigt. Dann liegt nämlich ein Fall der wirtschaftlichen Unmöglichkeit vor, der den Vermieter über § 275 I frei werden läßt. (Beachten Sie, daß der BGH den Fall der wirtschaftliche Unmöglichkeit ansonsten nicht mehr unter § 275, sondern unter das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage faßt insofern ist die vorliegende Entscheidung in diesem Punkt etwas „antiquiert“).
„HEMMER-METHODE“: Einigen Literaturmeinungen zufolge gilt nach Überlassung der Mietsache ausschließlich Mietrecht. § 537 I findet somit auch dann Anwendung, wenn dem Vermieter die Beseitigung des Mangels nicht zuzumuten ist. Der Mietzins ist demnach wegen des Totalschadens gem. § 537 I auf Null gemindert. Denken Sie daran, daß beim Mietvertrag die Minderung - anders als beim Kauf- oder Werkvertrag - kraft Gesetzes eintritt (vgl. § 537 I "ist befreit"). Der zuviel gezahlte Mietzins kann dann gem. § 812 I 1, 1. Alt zurückgefordert werden. Der BGH lehnt die Anwendbarkeit
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
von Gewährleistungsrecht ab, da bereits der Tatbestand eines Fehlers i.S.d. § 537 I nicht vorliegt, wenn der Vermieter zur Behebung des Schadens nicht mehr verpflichtet ist.
Das Verhältnis des § 537 I zum allgemeinen Unmöglichkeitsrecht ist examensrelevant, da meistens ein Grenzfall vorliegt. Machen Sie sich bewußt wie dieses Verhältnis grundsätzlich aussieht: Vor Gebrauchsüberlassung ist § 537 I schon von seinem Wortlaut her nicht einschlägig, so daß die §§ 323 ff gelten. Nach Überlassung geht § 537 I als Spezialregelung grundsätzlich vor. Ausnahme: Ist die nachträgliche Unmöglichkeit vom Mieter zu vertreten, gilt § 324, ist sie von keiner Partei zu vertreten gelten die §§ 275, 323!
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SCHULDRECHT-BT-MIETRECHT
34
Mietrecht, Ansprüche des Vermieters bei vorzeitigem Auszug des Mieters, § 552 S.3 BGB
34.
BGHZ 122, 163: Mietzinsanspruch trotz Gebrauchsüberlassung an einen Dritten Unter den Voraussetzungen des § 552 S.3 ist der Mieter von der Mietzahlung befreit. Er hat grds. auch keine Mietdifferenz zu zahlen. Der Mieter kann sich jedoch nicht auf § 552 S.3 berufen, wenn dies einen Rechtsmißbrauch darstellt. Ein rechtsmißbräuchliches Verhalten liegt dann vor, wenn der Mieter ohne nachvollziehbare Gründe auszieht und der Vermieter dem Mieter mitgeteilt hat, er wolle die Mietsache in dessen Interesse weitervermieten.
Sachverhalt: A verpachtete der B ein Ladenlokal zum Betrieb eines Bäckereifachgeschäftes. Im Pachtvertrag wurde eine Pachtzeit von 8 Jahren vereinbart. Nach 4 Jahren beschließt B, die Filiale aufzugeben. Nach mehreren Gesprächen zwischen den Parteien räumt B das Pachtlokal und zahlt keinen Pachtzins mehr. B ist zu Unrecht der Meinung, das Pachtverhältnis sei einvernehmlich aufgelöst worden. A verpachtet daraufhin die Filiale an C zu einem deutlich niedrigeren Pachtzins. A verlangt nun von B die Differenz zwischen dem alten und dem neuen Pachtzins.
Entscheidungsgründe: Da ein Aufhebungsvertrag nicht zustandekam, bestand grds. der Anspruch auf Pachtzinszahlung aus § 581 I 2. Fraglich ist aber, ob der Anspruch gem. §§ 552 S.3, 581 II entfällt. Durch die erneute Verpachtung hat A die Gebrauchsgewährung an B unmöglich gemacht. Die Frage, ob der Mieter dem Vermieter die Differenzmiete zahlen muß, wenn er vorzeitig auszieht und der Vermieter ohne den Mietvertrag zu kündigen - die Räume zu einem geringeren Mietzins an einen Dritten weitervermietet, ist umstritten. Der BGH ist der Auffassung, daß der Anspruch des Vermieters auf Zahlung der Differenzmiete nur dann nicht gem. § 552 S.3 entfällt, wenn der Vermieter vor der Weitervermietung dem Mieter gegenüber deutlich gemacht hat, daß er in dessen Interesse die Mietsache an einen Dritten weitervermieten will. Zwar spreche der Wortlaut des § 552 S.3 für
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das Erlöschen des gesamten Mietzinsanspruchs. Dies kann aber zu grob unbilligen Ergebnissen führen, wenn der Mieter, der ohne Rücksicht auf den bestehenden Mietvertrag ausgezogen ist, nur deshalb von der Verpflichtung zur Mietzinszahlung frei werde, weil der Vermieter versucht hat, aus der durch den Mieter geschaffenen Situation das Beste zu machen. Der BGH hat daher schon mehrfach entschieden, daß es dem Mieter im Einzelfall nach Treu und Glauben versagt sein kann, sich auf § 552 S.3 zu berufen. Hat der Mieter durch seinen Auszug eine grobe Vertragsverletzung begangen, so handelt er regelmäßig rechtsmißbräuchlich (§ 242), wenn er die Zahlung der Differenzmiete mit der Begründung verweigert, der Vermieter sei wegen der Weitervermietung zu einer Gebrauchsüberlassung nicht mehr in der Lage. Ist der Mieter jedoch aus nachvollziehbaren Gründen davon ausgegangen, das Mietverhältnis sei beendet,
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
so kann man ihm keinen groben Vertragsbruch anlasten, wenn sich später herausstellt, daß er sich geirrt hat. Entscheidende Bedeutung hat in solchen Fällen die Mitteilung des Vermieters, er werde versuchen, die Mietsache im beiderseitigen Interesse weiterzuvermieten. Reagiert der Mieter auf eine solche Mitteilung nicht, so kann er sich nach-
träglich nicht darauf berufen, er habe die Mietsache gar nicht aufgegeben, sondern nur vorübergehend nicht genutzt. Da B vorliegend nicht davon ausgehen durfte, daß das Pachtverhältnis beendet war, und ihm von A die geplante Weitervermietung mitgeteilt wurde, muß er trotz § 552 S.3 die Differenzmiete an A bezahlen.
„HEMMER-METHODE“: Die Frage, ob der Mieter dem Vermieter die Differenzmiete bezahlen muß, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Nach einer Ansicht entfällt regelmäßig der gesamte Mietzinsanspruch gegen den ursprünglichen Mieter nach § 552 S.3. Nur solange der Vermieter selbst erfüllungsbereit ist, gebührt ihm der Mietzins. Nach anderer Auffassung entspreche es nicht der Billigkeit, wenn sich der vertragsuntreue Mieter auf § 552 S.3 berufen könne und die Mietdifferenz nicht zahlen müsse. Denn der Vermieter habe durch die Weitervermietung zumindest auch und entscheidend im Interesse des Mieters gehandelt, weil auf diese Weise der wirtschaftliche Schaden verringert werde.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 28, 35, 41, 151 ff.
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Mietrecht, Ansprüche des Vermieters bei unberechtigter Untervermietung
35.
BGH, NJW 1964, 1853 Bei unberechtigter Untervermietung ist der Mieter nicht verpflichtet, dem Vermieter den gezogenen Untermietzins herauszugeben.
Sachverhalt: Der Eigentümer eines Hausgrundstücks hatte an den M Ladenräume vermietet. M vermietete diese Räume unter, ohne nach dem Mietvertrag dazu berechtigt zu sein. Der Untermieter zahlte an M eine höhere Miete, als dieser an den Eigentümer. Nach den Ende der Vertragsbeziehungen verlangt der Eigentümer von M den aus der Untervermietungen bezogenen Mietzins heraus. Entscheidungsgründe: Nach BGH kann der Vermieter die Herausgabe des gezogenen Untermietzinses unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt fordern. Der BGH befaßt sich in seiner Entscheidung jedoch nur mit dem Anspruch aus angemaßter Eigengeschäftsführung gem. § 687 II und bereicherungsrechtlichen Ansprüchen. Ein Anspruch aus § 687 II scheide aus, da die Untervermietung kein Geschäft des Vermieters, sondern vielmehr eigenes Geschäft des Mieters sei. Der Mieter, der vertragswidrig untervermietet, übe
nur den ihm überlassenen Gebrauch in einer ihm nicht zustehenden Weise aus. Er könne daher dem Vermieter zwar zum Schadensersatz verpflichtet sein, sei aber, wenn der Vermieter durch die Untervermietung keinen Schaden erleide, nicht etwa verpflichtet, den durch die Untervermietung gezogenen Gewinn herauszugeben. Bereicherungsrechtliche Ansprüche bestehen nicht, da der Mieter gegenüber dem Vermieter nicht ungerechtfertigt bereichert sei, da der vertraglich vereinbarte Mietzins aus dem Untermietverhältnis nicht dem Vermieter, sondern dem Mieter zustehe.
„HEMMER-METHODE“: In der Klausur müssen Sie anders als der BGH alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen durchprüfen, aber im Ergebnis ablehnen. Ein Anspruch aus § 535 S.2 besteht nicht. Dann müßte vereinbarter Mietzins i.S.d. § 535 S.2 auch der Untermietzins sein. Zu höheren Geldleistungen ist der Mieter jedoch selbst im Fall der genehmigten Untervermietung nicht verpflichtet. Eine Ausnahme stellt § 549 II 2 dar; hier fehlt aber die einverständliche Änderung des Mietvertrages. Auch pVV entfällt. Zwar liegt in der vertragswidrigen Untervermietung eine pVV. Schaden könnte der entgangene Gewinn gem. § 252 sein, wenn der Mieter einer Vertragsänderung zustimmen müßte. Der Mieter ist aber nur verpflichtet, die Untervermietung zu unterlassen, nicht aber einem geänderten Vertrag zuzustimmen, vgl. § 549 II. Verweigert der Vermieter die Erlaubnis, kann der Mieter kündigen, § 549 I 2. Es fehlt die Kausalität zwischen Untervermietung und unterbliebener Mietzinserhöhung. Außerdem ginge die Vertragsänderung i.d.R. nicht auf den geforderten Untermietzins. Auch §§ 987, 990 auf Wertersatz für die Nutzungen (§ 100) entfällt. Der Mieter ist aufgrund des Mietvertrages zum Besitz berechtigt. Daß er " nicht so berechtigter Be– 71 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
sitzer" ist, genügt nach h.M. für die Anwendung der §§ 987 ff nicht. Eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 I ist gegeben. Wegen fehlender Kausalität von unberechtigter Untervermietung und Schaden entfällt jedoch der Anspruch. Die §§ 687 II, 681, 667 kommen nicht in Betracht, da der Vermieter nach Vermietung gar nicht mehr befugt ist, den Besitz an einen Dritten zu überlassen, dies ist eigenes Geschäft des Mieters. § 816 I 1 scheidet aus, da die Vermietung keine Verfügung ist. § 816 I 1 analog wird von der h.M. abgelehnt, da eine Verfügung einen endgültigen Vermögensübergang voraussetzt, eine vergleichbare Interessenlage liegt somit nicht vor. Eine Eingriffskondiktion gem. § 812 I 1, 2. Alt scheitert am fehlenden Eingriff in den Zuweisungsgehalt eines fremden Rechts. Die Nutzung der Mietsache durch Untervermietung ist dem Mieter und nicht dem Vermieter zugewiesen! Die Rechtsprechung des BGH muß mittlerweile als gefestigt bezeichnet werden, zumal sie durch BGH, NJW 1996, 838 bestätigt wurde. In dieser Entscheidung setzt sich der BGH ausführlich mit den in der Literatur vertretenen Ansichten auseinander, kommt aber zum gleichen Ergebnis wie im Jahr 1964. Wegen der instruktiven Diskussion sollten Sie auch die neuere Entscheidung einmal lesen!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 330
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SCHULDRECHT-BT-MIETRECHT
36
Mietrecht, § 571 BGB
36.
BGH, NJW 1989, 451: Schadensersatzansprüche gegen Mieter nach Eigentumserwerb § 571 I bezieht sich nicht auf solche Ansprüche gegen den Mieter, die schon vor dem Eigentumserwerb entstanden und fällig geworden sind. Auch eine Auflassungsvormerkung führt nicht dazu, daß der für § 571 maßgebliche Zeitpunkt vom Eigentumserwerb auf die Eintragung vorverlagert wird.
Sachverhalt: M hatte von V ein Haus gemietet. In dem Mietvertrag war vereinbart, daß der M die Schönheitsreparaturen durchführen müsse. Am 20. März schließt V mit E einen Kaufvertrag über das Haus und bewilligt dem E eine Auflassungsvormerkung, die eingetragen wird. Am 5. April erklärt der M dem V gegenüber, daß er keinesfalls die nach dem Vertrag fällige Pflicht zur Übernahme der Schönheitsreparaturen erfüllen werde. Am 20. April erfolgten Auflassung und Eintragung des E als Eigentümer des Hauses. E beauftragt eine Firma mit den Schönheitsreparaturen und verlangt die Kosten von M ersetzt. Entscheidungsgründe:
Mögliche Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch des E ist vorliegend § 571 I i.V.m. § 326 I (dazu unten: HEMMER-METHODE). Fraglich ist jedoch, wer Inhaber des Schadensersatzanspruches ist. Daher ist zunächst das Wesen des § 571 zu klären: Nach BGH ist der Grundstückserwerber hinsichtlich der mietvertraglichen Rechte und Pflichten nicht Rechtsnachfolger des Veräußerers. Statt dessen ordnet § 571 einen unmittelbaren Vertragseintritt kraft Gesetzes als Folge des Eigentumserwerbs an. § 571 bezieht sich aber nur auf solche Ansprüche, die sich "während der Dauer" des Eigentums des Erwerbers ergeben. Durch den Eigentumserwerb tritt eine Zäsur ein: Vorher schon entstandene Ansprüche bleiben beim Veräußerer mit Ausnahme der erst nach dem Zeitpunkt des Eigentumserwerb fällig werdenden Ansprüche. Entscheidend ist daher, wann die Schadensersatzansprüche entstanden und fällig geworden sind. Nach BGH ist dies schon im Moment
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der endgültigen Erfüllungsverweigerung der Fall. Da in einem solchen Fall eine Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung entbehrlich ist, entsteht der Schadensersatzanspruch unmittelbar mit der Erfüllungsverweigerung. Damit ist E nicht Inhaber des Schadensersatzanspruchs nach § 571 I I.V.m.. § 326, da dieser schon vor Eigentumsübergang entstanden ist. Anspruchsinhaber bleibt also der V. Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Umstand, daß zugunsten des E eine Auflassungsvormerkung eingetragen war. § 883 II führt nach Ansicht des BGH nicht dazu, daß der für § 571 maßgebliche Zeitpunkt vom Eigentumserwerb auf die Eintragung vorverlagert wird. Hiergegen spreche zum einen der klare Wortlaut des § 571. Etwas anderes ergebe sich aber auch nicht aus der in der Literatur verbreiteten Ansicht, wonach der Grundstückserwerber schon ab dem Zeitpunkt der Eintragung der Vormerkung in entsprechender Anwendung des § 883 II davor geschützt werden müsse, daß der Veräußerer nachträglich noch einen
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Mietvertrag abschließe, der nach § 571 auf den Erwerber übergehe. Da der BGH diese Ansicht in ständiger Rechtsprechung ablehnt, kann daraus auch nicht der Grundsatz gewonnen werden, daß der nach § 571 maßgebliche Stichtag immer derjenige der Eintragung der Vormerkung sei. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer eventuellen Drittschadensliquidation. Zwar wäre deren Anwendungsbereich möglicherweise gegeben, da der An-
spruch bei V, der Schaden aber bei E liegt. Bei der Drittschadensliquidation wird aber der Schaden zur Anspruchsgrundlage gezogen, nicht die Anspruchsgrundlage zum Schaden. E könnte daher über die Drittschadensliquidation nur vorgehen, wenn V ihm zuvor seinen Anspruch abgetreten hätte. Hierfür ist nach dem Sachverhalt aber nichts ersichtlich. E hat somit keinen Schadensersatzanspruch gegen M.
„HEMMER-METHODE“: Nach anderer Ansicht verlegt die Vormerkung den für § 571 maßgeblichen Zeitpunkt nach vorne. Sie leitet dies aus der vom BGH abgelehnten Ansicht ab, daß auch eine nach Eintragung der Vormerkung vorgenommene Vermietung analog § 883 II im Verhältnis zum Erwerber unwirksam sei und daher der Mietvertrag entgegen § 571 nicht auf den Erwerber übergeht. Diese Ansicht wird damit begründet, daß der vorgemerkte Anspruchsinhaber durch eine nachträgliche Vermietung wegen § 571 in gleicher Weise gebunden werde wie durch die nachträgliche Bestellung eines Nießbrauchs oder eines dinglichen Wohnrechts. Es wäre widersinnig, wenn das obligatorische Mietrecht den Mieter stärker schützen würde als ein dingliches Gebrauchsrecht. Aus diesem Grunde soll im Rahmen des § 571 immer auf den Zeitpunkt der Vormerkungseintragung abzustellen sein. Als Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz war hier § 326 heranzuziehen, da die Pflicht zur Vornahme von Schönheitsreparaturen grundsätzlich Hauptleistungspflicht des Vermieters nach § 536 ist. Die Ausführung der Schönheitsreparaturen bleibt nach BGH auch dann Hauptleistungspflicht, wenn sie der Mieter vertraglich übernommen hat!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 449 ff.
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SCHULDRECHT-BT-WERKVERTRAGSRECHT
37
Werkvertragsrecht; Abnahme des Werkes
37.
BGH, NJW 1994, 942: Abnahme beim Werkvertrag Die Abnahme gem. § 640 besteht regelmäßig darin, daß der Besteller das hergestellte Werk körperlich hinnimmt und zu erkennen gibt, er wolle die Leistung als in der Hauptsache dem Vertrag entsprechend annehmen. Allein in der Ankündigung und in der Durchführung einer Ersatzvornahme gem. § 633 III ist noch keine Abnahme zu sehen.
Sachverhalt: Die A befaßt sich mit Entstaubungstechnik. Die B betreibt eine Kupolofenanlage und beauftragt die A damit, die bestehende "Naßentstaubung Kupolofen" betriebssicher zu machen. Nach Einbau mehrerer Ersatzteile durch die A beanstandete die B überhöhten Staubauswurf. Die A lehnte die Beseitigung der Mängel ab, da sie von ihr nicht zu verantworten seien. Gleichzeitig mahnte sie den noch offenen Werklohn an. Hierauf kündigte die B durch Anwaltsschreiben unter Hinweis auf die Ablehnung an, die Mängel auf Kosten der A anderweitig beheben zu lassen. Die daraufhin von zwei Fremdfirmen durchgeführte Mängelbeseitigung stellte die B der A in Rechnung. A verlangt von B Zahlung des noch offenen Werklohnes.
Entscheidungsgründe: Anspruchsgrundlage für die Werklohnvergütung ist §§ 631 I. Der Werklohnanspruch ist aber gem. § 641 I erst fällig, wenn eine Abnahme erfolgt ist. Die Ankündigung der B, die behaupteten Mängel auf Kosten der A anderweitig beheben zu lassen, könnte sich als Abnahme darstellen, wenn B damit zum Ausdruck gebracht hat, daß sie das Werk behalten wolle und der Hauptsache nach als vertragsgemäße Leistung anerkenne. Eine solche Auslegung des Anwaltschreibens widerspricht jedoch der Regelung des § 633 III. Die Befugnis zur Ersatzvornahme gemäß § 633 III ist nicht auf den Zeitpunkt nach Abnahme beschränkt. § 633 III knüpft an das in § 633 I 1 vorgesehene Recht des Bestellers an, die Beseitigung des Mangels verlangen zu können. Es handelt sich hierbei um einen Erfüllungsanspruch (s.o. Fall 31). Das dem Besteller in § 633 III eingeräumte Recht, vor Ab-
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nahme eine Ersatzvornahme durchzuführen, darf nicht leerlaufen. Daher liegt nicht schon in jeder bestimmungsgemäßen Benutzung des Werkes eine Abnahme. Dies v.a. dann nicht, wenn die Benutzung nur probeweise geschieht, durch eine Zwangslage verursacht ist oder wenn das Werk offensichtlich schwere Mängel aufweist. Da die Ersatzvornahme gem. § 633 III dem Besteller aber gerade den Weg eröffnet, vor Abnahme das Werk mangelfrei und damit nutzbar zu machen, wäre es nach BGH denkgesetzwidrig, in einem solchen Vorgehen wegen der anschließenden Benutzung eine konkludente Abnahme zu sehen. Das würde dazu führen, daß entgegen der gesetzlichen Regelung § 633 III auf den Zeitpunkt nach Abnahme der Werkes beschränkt würde. Da eine Abnahme der Leistungen der A nicht angenommen werden kann, ist deren Werklohn auch nicht fällig.
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Etwas anderes gilt nach BGH, wenn die Abnahme grundlos verweigert wird. Dann wird der Zahlungsanspruch im Zeitpunkt der endgültigen Abnahmeverweigerung fällig. Dies ergibt sich nach BGH aus Treu und Glauben, § 242. Es kann nämlich nicht hingenommen werden, daß sich eine Vertragspartei durch willkürliche Lossagung vom Vertrag ihrer vereinbarten Leistungspflicht entzieht. Ein solcher Fall liegt aber natürlich nicht vor, wenn die Abnahme - wie hier - gerade wegen der Mangelhaftigkeit verweigert wird!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 19 ff.
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SCHULDRECHT-BT-WERKVERTRAGSRECHT
38
Werkvertragsrecht, modifizierter Erfüllungsanspruch gem. § 633 II 1 BGB
38.
BGHZ 96, 111: Nachbesserung durch Neuherstellung Der Nachbesserungsanspruch gem. § 633 II 1 kann auch nach Abnahme des Werkes auf Neuherstellung gerichtet sein, wenn der Mangel nicht auf andere Weise beseitigt werden kann.
Sachverhalt: B beauftragte U, in seinem Haus neue Fenster und Türen einzubauen. Dabei wurde eine besondere Wärmedämmung vereinbart. Da die eingebauten Türen und Fenster diese Wärmedämmung nicht erreichen, forderte B nach Abnahme des Werkes den Austausch aller eingebauten Teile. U verweigert diese Nachbesserung, da sie auf Neuherstellung des Werkes hinausliefen, zu der er nach Abnahme des Werkes nicht mehr verpflichtet sei.
Entscheidungsgründe: Die Frage, ob nach Abnahme des Werkes noch Neuherstellung gem. § 633 II 1 gefordert werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der BGH hat bisher einen so weitgehenden Anspruch nach Abnahme des Werkes verneint. Er hat dabei darauf abgestellt, daß § 633 II 1 einen Erfüllungsanspruch gewähre, der sich durch die Abnahme inhaltlich ändere, indem er sich auf das abgenommene Werk beschränke, so daß der Unternehmer nur dessen Mängel abzustellen habe. Der BGH gibt in dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung auf. Der Nachbesserungsanspruch kann auch auf Neuherstellung gerichtet sein, wenn nur auf diese Weise Mängel endgültig zu beseitigen sind. Die bisherige Rechtsprechung stellte zu sehr auf die begrifflichen Unterschiede zwischen Neuherstellung und Nachbesserung ab und vernachlässigte daher den Zweck der Mängelbeseitigung. Dabei bedeutet Neuherstellung der Sache nach lediglich Nachbesserung im größtmöglichen erforderlichen Umfang.
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Zwischen Neuherstellung und Mängelbeseitigung besteht also kein wesensmäßiger, sondern nur dem Umfang nach ein Unterschied. Daran ändert auch das Wesen der Abnahme nichts, mit der der Besteller zu erkennen gibt, daß er das Werk in der Hauptsache als vertragsgemäße Erfüllung gelten lassen will. Denn das bezieht sich nur auf den Kenntnisstand bei der Abnahme, erst später erkannte oder aufgetretene Mängel werden dadurch nicht von der Nachbesserungspflicht ausgenommen. Der Unternehmer wird durch diese Erweiterung nicht schutzlos gestellt, da sich der Nachbesserungsanspruch danach richtet, was wirklich erforderlich ist. Ferner kann der Unternehmer die Mängelbeseitigung nach § 633 II 3 verweigern, wenn sie einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. Damit werden unbillige Ergebnisse im Einzelfall vermieden. B kann daher von U den Austausch aller eingebauten Teile (= Neuherstellung) verlangen, da eine Mängelbeseitigung auf andere Weise nicht möglich ist.
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Die Abnahme nach § 640 stellt im Werkvertragsrecht eine wichtige Zäsur dar: Damit endet die Vorleistungspflicht des Unternehmers, der Werklohn wird fällig. Dem Besteller steht ab diesem Zeitpunkt nur noch der modifizierte Erfüllungsanspruch aus § 633 II 1 zu, der sich grundsätzlich auf das abgenommene Werk beschränkt. Eine Ausnahme hiervon kommt nach dieser Entscheidung nur in Betracht, wenn die vollständige Erneuerung des Werkes zur Mängelbeseitigung erforderlich ist. Letztlich geht es hier um den Interessenausgleich zwischen den Werkvertragsparteien. Da es nicht auf die begriffliche Unterscheidung ankommen kann, ob eine Maßnahme noch als Nachbesserung oder schon als Neuherstellung anzusehen ist, werden die Bestellerinteressen hier vorrangig geschützt. Unterstützt wird diese Argumentation auch durch den Wortlaut des § 633 II 1, der nur von der "Beseitigung des Mangels" spricht, und nicht zwischen Nachbesserung und Neuherstellung unterscheidet. Der Schutz der Unternehmerinteressen ergibt sich im Falle der Unverhältnismäßigkeit dann aus § 633 II 3, d.h. der Unternehmer kann die Nachbesserung verweigern, wenn der Aufwand bei Abwägung aller Umstände in keinem vernünftigen Verhältnis zum erzielbaren Erfolg stehen würde. Dabei kommt es nicht allein auf die Höhe der entstehenden Kosten an, sondern darauf, in welchem Verhältnis diese Aufwendungen zu dem Vorteil stehen, den der Auftraggeber durch die Mängelbeseitigung erlangt. D.h. ein erheblicher Vorteil rechtfertigt auch erhebliche Kosten!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 19 ff.
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SCHULDRECHT-BT-WERKVERTRAGSRECHT
39
Gewährleistungsrecht beim Werkvertrag, enger und weiter Mangelfolgeschaden
39.
BGHZ 67, 1: Mangelfolgeschäden beim Werkvertrag Dem Schadensersatzanspruch aus § 635 I unterfallen auch sog. enge Mangelfolgeschäden. Ein solcher liegt vor, wenn der Schaden eng mit dem Mangel zusammenhängt, wobei der enge Zusammenhang nicht "kausal", sondern am Leistungsobjekt orientiert "lokal" zu ermitteln ist. Weite Mangelfolgeschäden fallen unter die pVV. Auf diese ist die kurze Verjährungsfrist des § 638 I nicht anzuwenden, es gilt vielmehr § 195.
Sachverhalt: B beauftragte den Architekten A, ein Gutachten über den Wert eines Grundstückes zu fertigen. A bewertete das Grundstück schuldhaft zu hoch. B belieh dieses Grundstück aufgrund des Gutachtens zu hoch und verlor dadurch einen Teil seines Geldes. B verlangt nach 8 Jahren von A Schadensersatz in Höhe seines Verlustes. A beruft sich auf Verjährung.
Entscheidungsgründe: Zwischen A und B ist ein Werkvertrag zustandegekommen. Gegenstand war die Erstellung eines Gutachtens über den Wert des Grundstücks. Das ist ein Werk i.S.d. §§ 631 ff. Ein Schadensersatzanspruch des B könnte jedoch verjährt sein: Bei dem eingetretenen Vermögensverlust handelt es sich um einen Mangelfolgeschaden, da er außerhalb der Werkleistung am übrigen Vermögen des B eingetreten ist. Inwieweit Mangelfolgeschäden nach § 635 oder nach pVV zu ersetzen sind, ist strittig. Wäre vorliegend § 635 einschlägig, der eigentlich nur auf Mangelschäden zugeschnitten ist, so wäre der Anspruch gem. § 638 I 1 1.Alt verjährt (sechsmonatige Verjährungsfrist). Fällt der Schaden dagegen in den Anwendungsbereich der pVV, so wäre noch keine Verjährung eingetreten (30jährige Verjährungsfrist gem. § 195). Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß nur sog. enge Mangelfolgeschäden unter § 635 fallen. Der BGH stellt darauf ab, ob der Schaden unmittelbar durch den Mangel des Werks verursacht ist und eng mit ihm – 79 –
zusammenhängt. Zur Feststellung des engen Zusammenhangs bedarf es aber immer einer Bewertung des Sachverhalts im Einzelfall. Nur wo eine Güterund Interessenabwägung im Hinblick auf die unterschiedliche Verjährung dies nötig macht, sind nächste Mangelfolgeschäden in den Schadensbegriff des § 635 einzubeziehen. Der BGH weist in dieser Entscheidung ausdrücklich darauf hin, daß der erfoderliche "enge Zusammenhang" nicht "kausal", sondern am Leistungsobjekt orientiert "lokal" zu ermitteln sei. Aufgrund dieser Kriterien hat der BGH hier keinen engen Mangelfolgeschaden angenommen. Er stellt im wesentlichen darauf ab, daß Mangelfolgeschäden aus unrichtigen Gutachten oder Auskünften gewöhnlich erst lange nach Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 638 I zu entstehen pflegen. Die Interessen des Gutachtenerstellers werden damit nicht unangemessen verkürzt, da auch dieser mit einer späten Entstehung der Schäden rechnen muß und daher nicht schutzwürdig ist. Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch des B ist daher die pVV. Da hierfür die regel-
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
mäßige Verjährungfrist des § 195 gilt,
ist der Anspruch nicht verjährt.
„HEMMER-METHODE“: Die Frage, inwieweit Mangelfolgeschäden nach § 635 I oder pVV zu ersetzen sind, ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten. Diese Abgrenzung ist beim Werkvertrag aber entscheidend, da der BGH, anders als im Kaufrecht, die kurze Verjährungsfrist des § 638 nicht auf die pVV anwendet. Während eine Mindermeinung alle Schäden, also sowohl Mangel- als auch Mangelfolgeschäden nach § 635 I behandeln will, will eine andere Ansicht den Mangelfolgeschaden stets unter die pVV fallen lassen. Der BGH versucht mit seiner Differenzierung zwischen engem und weiten Mangelfolgeschaden wieder einmal die „goldene Mitte“. Ein enger Mangelfolgeschaden liegt vor, wenn der Schaden unmittelbar durch den Mangel des Werkes verursacht ist und eng mit ihm zusammenhängt, weil es unbrauchbar, wertlos oder minderwertig ist, einschließlich des dadurch verursachten entgangenen Gewinns. Ein weiter Mangelfolgeschaden ist dagegen bei mittelbaren, entfernteren Schäden anzunehmen, die außerhalb der Werkleistung, insbesondere am sonstigen Vermögen des Bestellers, entstanden sind. Zwar ist der Schaden im vorliegenden Fall außerhalb der Werkleistung am sonstigen Vermögen des B eingetreten, dennoch hat die Entscheidung Kritik erfahren: Das Gutachten sollte ja gerade den eingetretenen Schaden verhindern, der eingetretene Schaden beruht daher unmittelbar auf der Mangelhaftigkeit des Werkes. Dagegen spricht aber wieder das Argument des BGH, daß solche Schäden typischerweise nach Ablauf der Frist des § 638 I auftreten und daher im Rahmen der Interessenabwägung der pVV zuzuordnen sind. Mit der gleichen Argumentation ordnet der BGH nun auch Diebstahlschäden aufgrund einer mangelhaft installierten Alarmanlage den weiten Mangelfolgeschäden zu (BGHZ 115, 32): Der Auftraggeber könne die Mängel einer Alarmanlage typischerweise erst dann erkennen, wenn es zum Einbruch kommt. Daher heißt es auch in der Klausur: Hervorheben der Wertungsaspekte. Ob ein enger oder weiter Mangelschaden angenommen wird, ist zweitrangig, wenn Sie Ihre Entscheidung vertretbar darstellen. Zeigen Sie, daß sie die Interessenlage im Einzelfall gesondert prüfen und nicht nur Schlagworte verwenden!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht I Rn. 354 ff.; Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 93 ff.
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SCHULDRECHT-BT-WERKVERTRAGSRECHT
40
Erfüllungsgehilfe beim Kauf- und Werklieferungsvertrag
40.
BGHZ 48, 118: Trevira-Fall Der Lieferant des Verkäufers ist nicht dessen Erfüllungsgehilfe (§ 278) im Verhältnis zum Käufer, da der Verkäufer nur Übergabe und Übereignung, nicht aber Herstellung der Sache schuldet. Dieser Grundsatz gilt entsprechend beim Werklieferungsvertrag gem. § 651 I.
Sachverhalt: Die Weberei V lieferte dem Konfektionsbetrieb des K mangelhaften Trevira-Stoff. Durch die Mangelhaftigkeit entstanden dem K Mangelfolgeschäden, da er den Regreßansprüchen seiner Kunden ausgesetzt war. Der Mangel ging darauf zurück, daß der von V mit der Herstellung des Stoffes beauftragte D schuldhaft schlecht gearbeitet hatte. K verlangt von V Schadensersatz.
Entscheidungsgründe: Zwischen V und K ist ein Werklieferungsvertrag über eine vertretbare Sache i.S.d. § 651 I zustandegekommen. Auf einen solchen Vertrag finden nach § 651 I 2 1.HS die Vorschriften über den Kauf Anwendung. Da K einen Mangelfolgeschaden geltend macht, sind nicht die Gewährleistungsansprüche gem. §§ 459 ff einschlägig, sondern die Grundsätze der pVV. Fraglich ist damit, ob V für das Verschulden des D nach § 278 einstehen muß. Erfüllungsgehilfe ist, wer bei Erfüllung der dem Schuldner obliegenden Pflichten als seine Hilfsperson tätig wird. Bei Vorliegen eines Kaufes müßte V nach Ansicht des BGH nicht für den Lieferanten D nach § 278 haften, da der Verkäufer nur die Übergabe und Übereignung der Sache schuldet, nicht aber dessen Herstellung. Die Herstellung gehört schon nicht zum Pflichtenkreis des Verkäufers. Diese Grundsätze gelten nach BGH nun auch für den Werklieferungsvertrag über eine vertretbare Sache. Da auf solche Verträge Kaufrecht angewendet
wird, schulde der Unternehmer nicht nach § 631 die Herstellung, sondern nach § 651 I 1 Übergabe und Übereignung des Werkes. Damit wurde der Hersteller D schon gar nicht in die Pflichten des V gegenüber K eingeschaltet, so daß die Anwendung des § 278 und damit ein Schadensersatzanspruch aus pVV ausscheidet. Der BGH hält aber einen Schadensersatzanspruch aus § 651 I iVm. § 463 wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft für möglich. Eine Zusicherung könnte sich hier aus der besonderen Art der Werbung für die TreviraEndprodukte ergeben, da diesen Produkten durch die aufwendige Herstellung der Stoffe besondere Eigenschaften zugeschrieben wurden. Besitzen die Trevira-Endprodukte daher nicht die Eigenschaften, die sich bei ordnungsgemäßer Trevira-Herstellung in den verschiedenen Produktionsstufen ergeben, so muß V auch für solche Mangelfolgeschäden haften, die durch die Nichteinhaltung der Herstellungsrichtlinien entstehen.
„HEMMER-METHODE“: Inhalt des Werklieferungsvertrages nach § 651 I ist grundsätzlich die Herstellung eines Werkes aus Stoffen des Unternehmers, sowie die Übereignung des fertigen Werkes an den Besteller. – 81 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Im Gegensatz zum reinen Werkvertrag nach § 631 steht nicht die Schöpfung des Werkes gerade für den Besteller, sondern die mit dem Warenumsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz im Vordergrund. Dagegen erfolgt die Abgrenzung zum Kaufvertrag danach, ob lediglich die Beschaffung der fertigen Sache im Vordergrund steht, oder ob zusätzlich auch die Herstellung des Vertragsgegenstandes geschuldet ist. Damit wird auch die Kritik der Literatur an der Entscheidung des BGH deutlich: Auch beim Werklieferungsvertrag schulde des Unternehmer nicht nur Übergabe und Übereignung der Sache. Dagegen spreche schon der Wortlaut des § 651 I 1: "Verpflichtet sich der Unternehmer, das Werk...herzustellen". Die Vorschrift leugne also keineswegs die Pflicht des Unternehmers zur Herstellung des Werkes. Daher wäre D auch bei Annahme eines Werklieferungsvertrages Erfüllungsgehilfe des V gewesen, so daß ein Schadensersatzanspruch aus pVV gegeben wäre. Etwas anderes soll jedoch auch nach dieser Ansicht dann gelten, wenn der vom Unternehmer beauftragte Dritte bloß Einzelteile für die Herstellung des Produkts liefere. Hier bestehe eine dem Kauf entsprechende Situation, so daß der Unternehmer für ein Verschulden seines Lieferanten nicht nach § 278 einzustehen habe (vgl. hierzu: Medicus, BR, Rn. 805). Eine Ausnahme stellt in dieser Entscheidung auch die Annahme des BGH dar, V hätte mit seiner Werbung für die Trevira-Stoffe eine Zusicherung i.S.d. § 459 II abgegeben. Denn grundsätzlich enthalten Werbeerklärungen mangels Rechtsbindungswillen keine verbindlichen Zusicherungen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Verkäufer bzw. Unternehmer die Ware nicht selbst herstellt und daher die Richtigkeit der Herstellerangaben in der Werbung gar nicht überprüfen kann. Diese Ausnahmeentscheidung rechtfertigt der BGH aber mit der besonderen Art der Werbung für die Trevira-Stoffe. Diese stellte darauf ab, daß dieser Stoff seine Qualitäten nur durch die Einhaltung eines ganz besonderen Herstellungsverfahrens entfalten könnte, das seitens des Herstellers genau überwacht wird. Wird dieses Verfahren nicht eingahlten, muß der Verkäufer auch für die sich daraus ergebenden Mängel haften.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 246 ff.; Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht I, Rn. 57 ff.
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SCHULDRECHT-BT-REISEVERTRAGSRECHT
41
Gewährleistungsrecht beim Reisevertrag; Abgrenzung zu den allgemeinen Vorschriften nach §§ 323 ff. BGB
41.
BGHZ 97, 255 Wird bei einer Pauschalreise eine nach dem Vertrag geschuldete Leistung aus Gründen, die nicht allein in der Person des Reisenden liegen, ganz oder teilweise nicht erbracht, liegt ein Reisefehler vor, für den der Reiseveranstalter nach den §§ 651c ff haftet. Das gilt auch dann, wenn bereits die erste Reiseleistung ausfällt und damit die gesamte Reise vereitelt wird.
Sachverhalt: A buchte eine Pauschalreise beim Reiseveranstalter V. A bezahlte den Reisepreis im voraus und erhielt dafür die Reisepapiere. Am Tag des Reisebeginns erfuhr A am Flughafen, daß die für ihn gebuchte Maschine überbucht war. A konnte daher die Reise nicht antreten. Vor Ablauf eines Monats verlangte A von V Schadensersatz in Höhe des Reisepreises und diverser anderer nutzloser Aufwendungen. Da V nicht zahlt, erhebt A fast 1 Jahr später Zahlungsklage.
Entscheidungsgründe: Entscheidend ist vorliegend, ob sich der Schadensersatzanspruch nach Reisevertragsrecht richtet (651f I), da der Anspruch dann nach § 651g II verjährt ist, oder ob die allgemeinen Unmöglichkeitsregeln gem. §§ 323 ff (hier § 325) eingreifen, da hierfür die regelmäßige Verjährung nach § 195 gilt. Problematisch ist hier, daß das Ausfallen bereits der ersten Reiseleistung zur Vereitelung der gesamten Reise geführt hat. Die Rechtslage ist in diesem Punkt umstritten. Dazu der BGH: Wird bei einer Pauschalreise eine Leistung aus Gründen, die nicht allein in der Person des Reisenden liegen, ganz oder teilweise nicht erbracht, so liegt ein Reisefehler vor, für den der Reiseveranstalter nach den §§ 651c ff haftet. Das gilt auch dann, wenn bereits die erste Reiseleistung ausfällt, und damit die gesamte Reise vereitelt wird. Zur Begründung führt der BGH aus, daß das Gewährleistungsrecht des Reisevertrags mehr noch als das allgemeine Werkvertragsrecht die Regeln der Leistungsstörungen ver– 83 –
drängt. Entgegen anderer Literaturansichten erfolgt die Verdrängung der allgemeinen Vorschriften nicht erst ab Reisebeginn, sondern schon ab Vertragsschluß. Dieses Haftungsrisiko für den Erfolg der Reise trägt der Reiseveranstalter nämlich bereits ab Vertragsschluß. Das Ergebnis ist auch sach- und interessengerecht. Es schafft Rechtsklarheit angesichts der sonst bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten, wann im Einzelfall ein Reisemangel, Teilunmöglichkeit oder Unmöglichkeit anzunehmen ist. Auch die daraus folgende umfassende Anwendung der kurzen Verjährungsfrist des § 651g II ist nach BGH sachgerecht. § 651g II findet seine Rechtfertigung im Erfordernis möglichst schneller Abwicklung von Reiseverträgen, bei denen die Aufklärung der Vorgänge später wesentlich erschwert wäre. Andererseits ist es auch dem Reisenden zumutbar, seine Ansprüche unmittelbar geltend zu machen. Für ihn stellt es vielmehr eine Erleichterung dar, wenn er alle Ansprüche einheitlich auf Gewährleistungsrecht stützen kann und
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
sich nicht teilweise in einem für ihn nicht übersehbaren Umfang auf Unmöglichkeit berufen muß. Die umfassende Anwendung des § 651g liegt daher im bei-
derseitigen Interesse der Vertragspartner. Die nach Ablauf der Sechsmonatsfrist eingeklagten Ansprüche des A sind daher verjährt.
„HEMMER-METHODE“: Die Abgrenzung zwischen Nichterfüllung (323 ff) und §§ 651c ff bereitet kaum lösbare Schwierigkeiten. Daher ist die Rechtsprechung mit dieser Entscheidung dazu übergegangen, sämtliche Störungen des Reiseverlaufs unter die §§ 651c ff einzuordnen. Dem entspricht auch die gesetzliche Regelung des Reisevertragsrechts, die keine Unterscheidung trifft zwischen Fällen, die sonst der Unmöglichkeit oder der Mangelhaftigkeit zugerechnet werden (vgl. §§ 651e, j). Schließlich umfaßt der Schadensersatzanspruch des § 651f nach Abs.2 ausdrücklich die Vereitelung, also den völligen Ausfall der Reise und damit die Unmöglichkeitsfolge! Zu bedenken ist, daß in jedem Fehler schon eine Teilunmöglichkeit vorliegt, wenn man darauf abstellt, daß unter Leistung der Leistungserfolg zu verstehen ist. Gewährleistungsrecht ist dann grundsätzlich ab Gefahrübergang das speziellere Recht. Das Reisevertragsrecht ist dem Werkvertragsrecht nachgebildet. Es bestehen daher in vieler Hinsicht Ähnlichkeiten. Trotzdem ist dieser Grundsatz mit Vorsicht zu genießen, da auch entscheidende Unterschiede bestehen. Z.B. umfaßt der Schadensersatzanspruch des § 651f auch alle Mangelfolgeschäden, für welche im Werkvertragsrecht vielfach die pVV gilt. Beachten Sie auch die Beweislastumkehr in § 651f I: Nach der neuen gesetzlichen Regelung wird das Verschulden des Reiseveranstalters nunmehr vermutet, d.h. dieser muß beweisen, daß er den Mangel der Reise nicht i.S.d. §§ 276, 278 zu vertreten hat.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Gewährleistungsrecht, Rn. 76
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SCHULDRECHT-BT-MÄKLERVERTRAGSRECHT
42
Entsprechende Anwendung des § 656 BGB auf Partnerschaftsvermittlungsverträge
42.
BGHZ 112, 122 § 656 ist auf Partnerschaftsvermittlungsverträge entsprechend anzuwenden.
Sachverhalt: V betrieb ein Institut für Partnervermittlung. K beauftragte den V, ihm durch Übersendung von Vorschlägen eine passende Partnerin zu vermitteln. Nachdem ihm die vermittelten Partnerinnen nicht zusagten, stellt er seine Zahlungen ein. V verlangt weiterhin Bezahlung. Entscheidungsgründe:
Entscheidend ist hier die rechtliche Einordnung des Partnervermittlungsvertrages. Handelt es sich hierbei um einen Dienstvertrag gem. §§ 611 ff, so könnte V seinen restlichen Lohnanspruch einklagen. Findet dagegen § 656 Anwendung, so wurde keine Verbindlichkeit begründet. Eine Vergütungsvereinbarung nach § 656 I ist bloße Naturalobligation, die erfüllt, aber nicht eingeklagt werden kann. Der BGH bejaht hier eine entsprechende Anwendbarkeit des § 656, der vom Wortlaut her auf Heiratsvermittlung zugeschnitten ist, auf die bloße Partnerschaftsvermittlung. Die entsprechende Anwendung auf diese Verträge ist nach Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift geboten: Für den Gesetzgeber des BGB bestand keine Veranlassung, diesen Fall ausdrücklich zu regeln. Die entgeltliche Anbahnung außerehelicher sexueller Beziehungen war nach dem damaligen § 180 I StGB strafbar, sie konnte daher nach § 134
nicht Gegenstand eines wirksamen Vertrages sein. Hätte der Gesetzgeber die gesellschaftliche Entwicklung jedoch gekannt, so hätte er die Vorschrift auch auf Verträge zur Herbeiführung einer außerehelichen Partnerschaft erstreckt. Nach wie vor ist hier der Schutzzweck des § 656 einschlägig: § 656 will die Intimsphäre der Beteiligten schützen und so Peinlichkeiten bei einer mit der Klage verbundenen Beweisaufnahme vermeiden. Dies ist letztlich Ausfluß der grundgesetzlichen Wertung des Art.1 I GG. Die Würde des Menschen umfaßt auch das hier bestehende Diskretionsbedüfnis des Kunden, ohne Rücksicht darauf, ob eine Ehe angestrebt wird oder nicht. Ob es letztendlich zu einer Ehe kommt, entzieht sich dem Einfluß des Partnerschaftsvermittlers, die Gefahr der Umgehung des § 656 wäre zu groß. V kann daher wegen der entsprechenden Anwendung von § 656 I 1von K nicht die Bezahlung der vereinbarten Vergütung verlangen.
„HEMMER-METHODE“: Neben den durch Klage und Zwangsvollstreckung erzwingbaren Forderungen kennt das BGB Verbindlichkeiten, die zwar frei erfüllt, aber nicht gegen den Willen des Schuldners durchgesetzt werden können (so neben den Ehemäklervertrag gem. § 656 Spiel und Wette gem. § 762). Diesen unvollkommenen Verbindlichkeiten (Naturalobligationen) ist gemeinsam, daß sie einen Erwerbsgrund darstellen, so daß das freiwillig Geleistete nicht nach § 812 zurückgefordert werden kann
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
(§§ 656 I 2, 762 I 2). Ferner sind Schuldanerkenntnisse unwirksam (§§ 656 II, 762 II).
Der Schutzzweck der §§ 656, 762 verlangt, ihn auf Neben- und Hilfsverträge auszudehnen, die mit dem Hauptvertrag in engem Zusammenhang stehen. Auch diese begründen dann keine Verbindlichkeit. Wichtig: Nimmt der Kunde zum Zwecke der Erfüllung der Lohnvereinbarung ein Darlehen bei einem Dritten auf, und handelt es sich bei dem Ehemakler- und Darlehensvertrag um ein verbundenes Geschäft i.S.d. § 9 I VerbrKrG, so kann der Darlehensnehmer gegenüber dem Darlehensgeber die Rückzahlung des Darlehens als bloße Naturalobligation analog § 656 verweigern. Dies ergibt sich aus einer dem Zweck des § 9 III, IV VerbrKrG gerecht werdenden Auslegung, den Darlehensnehmer so zu stellen, als hätte er es nur mit dem Ehemakler als Vertragspartner zu tun!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch I, Rn. 297 ff., 350 (AGBG), Hemmer Wüst, Primäranspruch III, Rn. 327 ff., 344 (VerbrKrG)
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SCHULDRECHT-BT-GoA
43
Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff.
43.
BGHZ 40, 28: Funkenflugfall Bei einem objektiv fremden Geschäft wird der Fremdgeschäftsführungswille vermutet. Dies gilt auch für das sog. "auch fremde Geschäft", bei dem der Geschäftsführer vornehmlich im eigenen Interesse tätig wird und nur nebenbei das objektiv fremde Geschäft eines anderen führt.
Sachverhalt: Die Feuerwehr der Gemeinde G löschte mehrere Waldbrände, die durch den Funkenflug aus den vorbeifahrenden Lokomotiven der Bundesbahn verursacht worden waren. Die G verlangt von der Bundesbahn Ersatz der ihr entstandenen Aufwendungen.
Entscheidungsgründe:
Der BGH prüft einen Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 677, 683 S.1, 670. Bei den Voraussetzungen einer berechtigten GoA ist hier jedoch der Fremdgeschäftsführungswille fraglich. Die Feuerwehr der G wollte ja vorrangig ihre eigene öffentlich-rechtliche Verpflichtung erfüllen, also ein eigenes Geschäft führen. Zwar ist eine Fremdgeschäftsführung i.S.d. §§ 677 ff auch dann möglich, wenn der Handelnde vornehmlich zur Wahrnehmung eigener Interessen und nur nebenbei im Interesse eines anderen tätig wird. Dieser Wille muß aber grds. nach außen in Erscheinung getreten sein, was vorliegend nicht der Fall war.
Eine Ausnahme von der Erkennbarkeit des Fremdgeschäftsführungswillens macht der BGH jedoch bei einem objektiv fremden Geschäft, der Geschäftsführungswille wird hier vermutet. Nach BGH gilt diese Vermutung nun auch für sog. "auch fremde Geschäfte". Vorliegend hat die G einerseits ihre eigene Pflicht erfüllt. Es handelte sich andererseits aber auch um ein Geschäft der Bundesbahn, da diese zum Ersatz des Brandschadens verpflichtet war (§ 1 HaftpflG). Da insofern auch ein objektiv fremdes Geschäft vorliegt, der Fremdgeschäftsführungswille vermutet. Da die weiteren Voraussetzungen der §§ 677, 683 S.1, 670 vorliegen, ist die Bundesbahn der G zum Ersatz ihrer Aufwendungen verpflichtet.
„HEMMER-METHODE“: Diese Entscheidung des BGH erstreckt die Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens (FGW) beim objektiv fremden Geschäft auch auf sog. "auch fremde Geschäfte". Ein objektiv fremdes Geschäft liegt vor, wenn die Rechtsordnung eine andere Zuständigkeit als die des Geschäftsführers begründet. So insbesondere bei absoluten Rechten (z.B. die Veräußerung und Nutzung einer Sache, die regelmäßig ein Geschäft des Eigentümers ist). Zu unterscheiden hiervon sind objektiv neutrale Geschäfte, d.h. Geschäfte, die jedermann vornehmen darf, wie z.B. der Erwerb einer Sache. Damit wird auch die Vermutung des BGH verständlich: Nimmt jemand ein Geschäft vor, das in den Zuständigkeitsbereich eines anderen fällt (sog. objektiv fremdes Geschäft), so ergibt sich sein FGW schon aus der Natur des Geschäfts. Es ist daher Sache des Geschäftsherrn, den Gegenbeweis zu führen. Bei einem neutralen Geschäft ergibt sich aus der Natur des Geschäfts dagegen kein FGW. Derjenige, der ihn für sich in Anspruch nimmt, muß ihn daher auch beweisen. – 87 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Die Entscheidung des BGH ist in der Literatur auf Kritik gestoßen: Die Entscheidung darüber, ob die Löschkosten vom Brandstifter zu ersetzen sind, sei Sache des Gesetzgebers, eventuelle gesetzliche Lücken sollten nicht über die GoA geschlossen werden. Außerdem vermenge die Argumentation des BGH den Fremdgeschäftsführungswillen gem. § 677 mit der Berechtigung gem. § 683. Die Nützlichkeit des Geschäfts für einen anderen ersetze nicht den fehlenden Fremdgeschäftsführungswillen. In der Klausur erweist sich die Vermutung des BGH aber als praktisch, da der Fremdgeschäftsführungswille nicht anhand langer Ausführungen und im Sachverhalt vielleicht gar nicht vorhandener Indizien begründet werden muß.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Basics Zivilrecht, Rn. 332 ff.
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SCHULDRECHT-BT-GoA
44
Geschäftsführung ohne Auftrag, Ersatz von Zufallsschäden gem. § 670 analog
44.
BGHZ 38, 270: Selbstaufopferung im Straßenverkehr Ein Kraftfahrer, der sich in einer Gefahrenlage selbst schädigt, um einen anderen vor Schaden zu bewahren, kann von diesem gem. §§ 677, 683 S.1, 670 Ersatz seines Schadens verlangen. Der Anspruch setzt voraus, daß sich der Kraftfahrer nach § 7 II StVG entlasten kann. Bei der Bemessung der Entschädigung ist die vom Kraftfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr entsprechend § 254 zu berücksichtigen.
Sachverhalt: G fuhr mit seinem Pkw mäßig schnell auf einer geraden und übersichtlichen Staße, als ihm der Radfahrer H entgegenkam. Da H einem anderen Radfahrer ausweichen mußte, geriet er auf die Fahrbahn des G. G riß das Lenkrad herum, um den H nicht zu überfahren, und fuhr gegen einen Baum. G, der erheblich verletzt wird, verlangt von H Ersatz.
Entscheidungsgründe: Ein Anspruch aus § 823 I scheidet mangels Verschulden des H aus, da H selbst einem Radfahrer ausweichen mußte. Der BGH prüft daher einen Ersatzanspruch aus §§ 677, 683 S.1, 670. Der BGH setzt dabei als allgemein anerkannt voraus, daß § 670, der seiner Natur nach ein Aufwendungsersatzanspruch ist, als Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Zufallsschäden herangezogen werden kann (Zur Begründung s.u.: Hemmer-Methode). Ein Schadensersatzanspruch scheidet nach BGH aber aus, wenn der Halter den Entlastungsbeweis gem. § 7 II StVG nicht führen kann (unabwendbares Ereignis). Das Gesetz läßt den Kraftfahrzeughalter in einem solchen Fall gem. § 7 I StVG für den Schaden einstehen, der einem anderen durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs entsteht. Dann muß der Halter aber erst recht den eigenen Schaden tragen, der aus dem Versuch entsteht, den ihm sonst zur Last fallenden fremden Schaden zu vermeiden. Der BGH geht aber vorliegend von einem unabwendbaren Ereignis für G aus. – 89 –
Fraglich ist jedoch, ob die Voraussetzungen der berechtigten GoA in übrigen gegeben sind. Eine Geschäftsbesorgung liegt nach dem weit zu verstehenden Begriff, der auch Handlungen tatsächlicher Art umfaßt, vor. Es liegt ferner ein objektiv fremdes Geschäft vor, da G durch sein Handeln die Interessen des H gewahrt hat. Dies vor allem dann, wenn wegen § 7 II StVG die Haftung des G als Halter ausgeschlossen war. Die Selbstaufopferung im Straßenverkehr ist nicht dem Rechtskreis des Kraftfahrers zuzurechnen, da dieser nach Straßenverkehrsrecht nicht verpflichtet ist, bei Anwendung der äußersten Sorgfalt sein eigenes Leben für einen anderen zu opfern. Selbst wenn G mit dem Ausweichmanöver auch eine eigene Pflicht erfüllen wollte, liegt zumindest ein "auch fremdes Geschäft" vor, bei dem der Fremdgeschäftsführungswille nach BGH vermutet wird. Problematisch ist jedoch der Umfang des Schadensersatzanspruches. Der BGH empfindet es als unbillig, dem H den ganzen Schaden aufzubürden, da der Schaden durch eine für beide Beteiligten zufällige Gefahrenlage ent-
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
stand, schließlich wurde ja auch ein Verschulden des H verneint. Hinzu kommt, daß G sich als Kraftfahrer seine eigene Betriebsgefahr anrechnen lassen muß, da diese die Gefahr mitverursacht hat. Würde man in solchen Fällen eine uneingeschränkte Ersatzpflicht annehmen, könnte G auch bei Mißlingen der Rettungshandlung vollen Ersatz verlangen. Dieses offenbar unbillige Ergebnis vermeidet der BGH dadurch, daß er auf den Ersatzanspruch nach
§ 670 den § 254 entsprechend anwendet. Eine direkte Anwendung scheidet dagegen aus, da § 670 seiner Natur nach weiterhin ein Aufwendungsersatzanspruch bleibt, so daß die Vorschriften des Schadensersatzrechts eigentlich nicht passen. Unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr des G kann dieser daher nur die Hälfte seines Schadens von H nach §§ 677, 683 S.1, 670 ersetzt verlangen.
„HEMMER-METHODE“: Der Ersatz von Zufallsschäden des Geschäftsführers ohne Auftrag bzw. des Beauftragten ist gesetzlich nicht geregelt. Das Bedürfnis für einen Ersatzanspruch ist allgemein anerkannt (dem „Guten“ soll geholfen werden), umstritten ist nur die rechtliche Konstruktion. Die frühere Ansicht, die einen stillschweigend geschlossenen Garantievertrag annahm, wird heute nicht mehr vertreten, da ein entsprechender Parteiwille idR nicht vorhanden ist. Die h.M. wendet daher § 670 analog an. Ersatzfähig sollen nur die Schäden sein, die typischerweise mit der Ausführung verbunden sind. Der freiwilligen Erbringung eines Vermögensopfers (Aufwendung) wird damit der Fall gleichgesetzt, daß der Geschäftsführer das Schadensrisiko freiwillig auf sich nimmt. Auch diese Ansicht wird in der Literatur kritisiert, da sich der Geschäftsführer häufig der Möglichkeit eines Schadenseintritts gar nicht bewußt ist. Zudem ist auch die Anwendung des § 254 methodisch unsauber, da § 670 ein Aufwendungsersatzanspruch ist. Nach einer vordringenden Meinung soll sich der Ersatzanspruch daher aus dem Grundsatz der Risikozurechnung bei Tätigkeit im fremden Interesse ergeben, wie er im Dienstvertragsrecht entwickelt wurde und in § 110 I 2.Alt HGB seinen Ausdruck gefunden hat. Danach hat der Geschäftsherr bzw. Auftraggeber das mit der Ausführung verbundene spezifische Schadensrisiko zu tragen. Da es sich bei dieser Konstruktion um einen Schadensersatzanspruch handelt, sind die §§ 249 ff., insb. § 254 unbedenklich anwendbar.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Basics Zivilrecht, Rn. 338
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
45
Anweisungsfälle: Durchgriff oder "Rückabwicklung über's Eck"
45.
BGHZ 111, 382 Eine Bank, welche eine wegen Geschäftsunfähigkeit des Anweisenden nichtige Anweisung durchführt, erwirbt keinen Bereicherungsanspruch gegen den Anweisenden.
Sachverhalt: Die Bank B gewährte dem unerkannt geschäftsunfähigen A ein Darlehen. Einen Teil des Darlehensbetrages überwies die B auf Anweisung des A direkt an C. Nach Bekanntwerden der Geschäftsunfähigkeit fordert die B das Darlehen von A aus ungerechtfertigter Bereicherung zurück, einschließlich des an C ausgezahlten Teilbetrages. A verweigert die Rückzahlung dieses Teilbetrages.
Entscheidungsgründe: Die B hat die Zahlung an C in der Annahme einer wirksamen Anweisung des A geleistet. Bei einem Anweisungsverhältnis ist die tatsächliche Zahlung des Angewiesenen an den Dritten rechtlich eine Leistung des Angewiesenen an den Anweisenden (sog. Deckungsverhältnis) und eine Leistung des Anweisenden an den Dritten (sog. Valutaverhältnis), wobei B als sog. Leistungsmittler tätig wird. Grundsätzlich findet eine Rückabwicklung innerhalb der jeweiligen Leistungsverhältnisse statt. Bei einem Fehler im Deckungsverhältnis (hier unwirksame Anweisung aufgrund fehlender Geschäftsfähigkeit) ist daher die Rückabwicklung in diesem Verhältnis vorzunehmen. Die B könnte daher Zahlung von A verlangen. Allerdings steht der BGH auf dem Standpunkt, daß sich bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung im 3Personen-Verhältnis jede schematische Lösung verbiete. Es komme stets auf die Besonderheiten des Einzelfalles an. So sei z.B. ein direkter Bereicherungsanspruch der Bank gegen den Empfänger möglich, wenn es von vornherein an einer wirksamen Anweisung fehle und dies dem Empfänger bekannt war. Da die Anweisung dem vermeintlich Anwei-
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senden dann nicht zugerechnet werden kann, ist dieser auch aus der Rückabwicklung herauszuhalten. Diese Grundsätze sind nun nach BGH auch auf den Fall der Geschäftsunfähigkeit des Anweisenden zu übertragen: Unter Leistung i.S.d. § 812 I ist die bewußte und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens zu verstehen. Da die Zweckbestimmung der Leistung rechtsgeschäftsähnlichen Charakter hat, ist hierfür die Geschäftsfähigkeit des Leistenden erforderlich. Fehlt diese, so ist die Zahlung des Angewiesenen an den Dritten keine Leistung des Anweisenden. Der Anweisende kann daher weder durch die Erfüllung einer im Valutaverhältnis bestehenden Verbindlichkeit bereichert werden, noch einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen den Dritten erwerben. Damit hat er nichts erlangt, was B von ihm kondizieren könnte. Der Angewiesene muß sich daher an den Zahlungsempfänger halten (können). (Eine andere Sichtweise ließe sich auch mit dem vom Gesetz vorgesehenen Schutz des Geschäftsunfähigen nicht vereinbaren.) Da A im Zeitpunkt der Anweisung geschäftsunfähig war, wurde er durch die Ausführung der Anweisung nicht bereichert. Die B hat daher keinen Anspruch
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen A. Sie muß sich vielmehr im We-
ge des Durchgriffs gem. § 812 I 1, 2.Alt. an den Empfänger C halten.
„HEMMER-METHODE“: Die Anweisungsfälle sind die wichtigste Fallgruppe der bereicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnisse. In der Klausur müssen Sie drei Prüfungsschritte vornehmen: 1. Zwischen welchen Personen bestehen Leistungsbeziehungen? 2. In welcher Leistungsbeziehung fehlt der Rechtsgrund? In diesem Leistungsverhältnis ist dann grds. rückabzuwickeln. 3. Gegenprobe anhand von Wertungskriterien: Der Durchgriff der Bank gegen den Empfänger wird immer dann zugelassen, wenn Wertungskriterien dies verlangen. Dies ist z.B. bei Geschäftsunfähigkeit bzw. beschränkter Geschäftsfähigkeit des Anweisenden der Fall, da der Schutz dieses Personenkreises verlangt, diese aus der Rückabwicklung herauszuhalten. Ferner gilt dies, wenn eine Anweisung von vornherein gefehlt hat oder aus anderen Gründen unwirksam ist. Hier ist allerdings umstritten, ob der Durchgriff nur dann zugelassen werden soll, wenn der Empfänger das Fehlen bzw. die Nichtigkeit der Anweisung kannte. Dabei ist nach wohl h.M. beim Durchgriff von einer Nichtleistungskondiktion auszugehen (§ 812 I S.1, 2.Alt). Bereicherungsrechtlich wird die Zuwendung der Bank nämlich nicht dadurch zu einer Leistung i.S.d. § 812 I 1, 1.Alt., daß sie dem Anweisenden nicht zugerechnet werden kann. Der Grundsatz der Subsidiarität greift dann aus oben gezeigten Wertungsgründen nicht ein.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 158 ff.
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
46
Durchgriffskondiktion
46.
BGHZ 88, 232: Bereicherungsausgleich bei unentgeltlicher Leistung Liegt im Valutaverhältnis (Schenker-Beschenkter) eine unentgeltliche Leistung vor, so kann der Angewiesene direkt vom Zahlungsempfänger kondizieren (Durchgriffskondiktion). Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung ist nach dem allgemeinen Rechtsgedanken der §§ 822, 816 I 2 weniger schutzwürdig, so daß es ihm zuzumuten ist, sich ausnahmweise nicht allein mit seinem Vertragspartner auseinanderzusetzen.
Sachverhalt: A wies die Bank B an, 1000 DM an den C zu zahlen. Die Anweisung wurde rechtzeitig widerrufen, ohne daß der C dies erfuhr. Im Valutaverhältnis A - C sollte eine Schenkung vorliegen. Nach Durchführung der Überweisung bemerkt die Bank B den Widerruf der Anweisung und will nun direkt von C kondizieren.
Entscheidungsgründe: Hier liegt eine Leistung (bewußte, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens) der Angewiesenen B an den Anweisenden A vor (Deckungsverhältnis) und eine Leistung des A an den Empfänger C (Valutaverhältnis). Grundsätzlich wäre also innerhalb der jeweiligen Leistungsverhältnisse rückabzuwickeln (Abwicklung übers Eck). Der BGH nimmt aber an, hier sei ausnahmsweise eine Direktkondiktion der B von C möglich. Das Gesetz zeige in den §§ 822, 816 I 2, daß der unentgeltliche Erwerb weniger schutzwürdig sei. Bei unentgeltlichem Erwerb müßten die Interessen des Empfängers zurücktreten. Zwar ist § 822 hier nicht direkt anwendbar, da keine zwei hintereinandergeschalteten Vermögensverschiebungen
vorliegen, wie sie die Vorschrift voraussetzt. Aber:der Grundgedanke der Norm spricht auch hier für einen Durchgriff. Der hinter §§ 822, 816 I 2 stehende Rechtsgedanke bewirkt nach BGH, daß es dem Empfänger hier zuzumuten ist, sich ausnahmsweise nicht allein mit seinem eigenen Vertragspartner auseinanderzusetzen. Dies soll nach BGH jedenfalls dann gelten, wenn in der Person des Anweisenden die Voraussetzungen der §§ 819, 818 IV nicht vorliegen, da § 822 aufgrund seiner Subsidiarität dann auch bei direkter Anwendung ausgeschlossen wäre (s.u. Fall 50). Das mit dem Leistungsbegriff gefundene Ergebnis wird also über die Wertung der §§ 822, 816 I 2 korrigiert. Die B kann die 1000 DM direkt von C kondizieren.
„HEMMER-METHODE“: Wenden Sie hier die drei Prüfungsschritte an (s.o. Fall 39), so kommen Sie zum gewünschten Ergebnis: Das mit dem Leistungsbegriff gefundene Ergebnis wird auf der „dritten Stufe“ aus Wertungsgründen korrigiert. Die §§ 822, 816 I 2 enthalten den allgemeinen Rechtsgedanken, daß beim bereicherungsrechtlichen Ausgleich die Interessen des unentgeltlichen Empfängers zurücktreten müssen. Bei der direkten Anwendung der §§ 822, 816 I 2 ist die Abgrenzung beider Anspruchsgrundlagen nicht schwierig: Der entscheidende Unterschied liegt darin, daß im Falle des § 816 I 2 ein Nichtberechtigter verfügt hat, während bei § 822 ein Berechtigter verfügt hat, gegen den der Bereicherungsanspruch aber nur wegen Entreicherung – 93 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
(§ 818 III) scheitert. Diese klausurrelevante Unterscheidung müssen Sie sich unbedingt klar machen!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 191
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
47
Ausnahme vom Vorrang der Leistungskondiktion bei Einbaufällen; Wertungsmodell der §§ 932 ff. BGB
47.
BGH, NJW RR 1991, 343 Verwendet ein Bauunternehmer Baustoffe, die er unter Eigentumsvorbehalt bezogen hat, so haftet der Bauherr dem Baustofflieferanten bei Gutgläubigkeit nicht. Bei Bösgläubigkeit des Bauherrn kommt jedoch eine Eingriffskondiktion gem. § 951 I iVm. § 812 I 1, 2.Alt. in Betracht.
Sachverhalt: Der Baustofflieferant E verkaufte Baumaterial unter Eigentumsvorbehalt an den Bauunternehmer U. Noch vor vollständiger Kaufpreiszahlung an E baute U das Material in das Grundstück des B ein. Da U in Konkurs fällt, verlangt E Bezahlung von B.
Entscheidungsgründe: Der Bauherr B hat gem. § 946 gesetzlich Eigentum an den Baustoffen des E erworben. Ein Schadensersatzanspruch des E aus §§ 989, 990 scheidet nach BGH aber aus, da B jedenfalls nicht bösgläubig i.S.d. § 990 war. Auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch aus § 823 I wegen Eigentumsverletzung wird vom BGH mangels Verschulden abgelehnt. Es besteht keine allgemeine Erkundi-
gungspflicht des Bauherrn, in welcher Weise sich der Bauunternehmer die erforderlichen Baustoffe besorgt. Damit kommt folglich eine Eingriffskondiktion gem. § 951 I iVm § 812 I 1, 2.Alt in Betracht. Diese scheitert jedoch vorliegend am Vorrang der Leistungbeziehung U - B, da der Rechtsverlust des E auf einer Leistung des U, nämlich dem vertragsgemäßen Einbau beruht.
„HEMMER-METHODE“: Das Ergebnis des BGH ist wertungsmäßig überzeugend. Hätte U dem B das Material vor Einbau übereignet, so wäre wegen der Gutgläubigkeit des B ein Eigentumserwerb gem. §§ 929, 932 möglich gewesen. Der gutgläubige Eigentumserwerb darf aber durch das Bereicherungsrecht nicht aus den Angeln gehoben werden und ist daher kondiktionsfest. Es kann daher keinen Unterschied machen, daß U vorliegend direkt einbaut und B somit kraft Gesetzes erwirbt. Auch dieser Erwerb muß dann kondiktionfest sein. Das Ergebnis ist auch mit dem Leistungsbegriff zu vereinbaren, da man die Einbauhandlung des U als Leistung i.S.d. Bereicherungsrechts ansehen kann. Eine bewußte zweckgerichtete Vermehrung des Vermögens des B liegt vor. Dem Leistungsbegriff steht nicht entgegen, daß das Eigentum dabei nicht rechtsgeschäftlich, sondern kraft Gesetzes übergeht. Komplizierter ist der Fall, wenn B bösgläubig ist. Ein rechtsgeschäftlicher Eigentumsübergang gem. §§ 929, 932 wäre nicht möglich. Geleistet wird also nur der Besitz, bezüglich des Eigentums, das kraft Gesetzes gem. § 946 übergeht, wäre also wie beim Jungbullenfall eine Eingriffskondiktion möglich (s.o.Fall 81). Wird nicht erst ein Übereignungsversuch unternommen, sondern gleich eingebaut, kann dann aber wiederum nichts anderes gelten. Zwar leistet auch hier der U durch den Einbau an B, so daß die Nichtleistungskondiktion subsidiär wäre. Hier muß man aber das Subsidiaritätsprinzip wegen der Wertung des § 932 II einschränken. – 95 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Da der Eigentumserwerb bei vorheriger rechtsgeschäftlicher Übertragung nicht kondiktionsfest wäre, kann er dies auch nicht bei direktem Einbau sein. Die Nichtleistungskondiktion gemäß § 951 I iVm § 812 I 1, 2.Alt. wird dann nicht von der Leistungskondiktion verdrängt. Der Baustofflieferant kann also vom bösgläubigen Bauherrn Wertersatz verlangen. Gleiches muß gelten, wenn die Voraussetzungen des § 935 vorliegen und die Sachen vom Dieb oder dessen Abnehmer eingebaut werden. Dieser Ansicht scheint jetzt auch der BGH zuzuneigen, da er sie in der vorliegenden Entscheidung anspricht. Da B aber gutgläubig war, mußte sich der BGH mit dieser Frage nicht auseinandersetzen. Denken Sie in der Klausur also auch an das Wertungsmodell der §§ 932, 935, das im Bereicherungsrecht zu Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion führen kann!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 315 ff., 371 ff.
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
48
Condictio ob rem, § 812 I 2, 2.Alt BGB
48.
BGHZ 108, 256 Bereicherungsansprüche des Mieters unterfallen nicht der kurzen Verjährung des § 558, wenn die Leistung des Mieters keinerlei rechtlichen Bezug zum Mietverhältnis hat.
Sachverhalt: M bewohnte zusammen mit seiner Frau F aufgrund eines Mietvertrages das Hausgrundstück seiner Schwiegermutter S. Nachdem S die F zur Alleinerbin eingesetzt hatte, nahm er in der - für die S erkennbaren - Erwartung des Erbes umfangreiche Restaurierungsarbeiten am Haus vor. Kurz vor ihrem Tod setzte die S völlig überraschend eine andere Tochter T zur Erbin ein. Nach dem Tod der S begehrt M von T Wertersatz für die Restaurierung. Diese verneint das Bestehen des Anspruchs und beruft sich hilfsweise auf Verjährung.
Entscheidungsgründe:
Der BGH lehnt einen Verwendungsersatzanspruch aus § 547 II iVm §§ 677 ff. wegen § 685 (Schenkungsabsicht) ab. M hatte im Zeitpunkt der Verwendungsvornahme nicht die Absicht, von der S Ersatz zu verlangen. Soweit M notwendige Verwendungen erbracht hat, scheidet § 547 I als Anspruchsgrundlage aus, da M die Verwendungen nicht im Rahmen des Mietverhältnisses, sondern im Hinblick auf die erwartete Erbschaft gemacht hat. Nach BGH sind solche Verwendungen nicht nach Mietrecht, sondern rechtlich selbständig zu beurteilen. M hat jedoch einen Anspruch auf Wertersatz gem. § 812 I 2, 2.Alt. Erforderlich ist hierbei eine tatsächliche Einigung der Beteiligten über den bezweckten Erfolg, die jedoch nicht den Charakter einer vertraglichen Bindung haben darf. Hierfür reicht ein einseitiger, vom Leistenden nicht offengelegter Zweck zwar nicht aus. Eine tatsächliche Einigung idS liegt jedoch vor, wenn der eine Teil mit seiner Leistung einen bestimmten Zweck verfolgt, der andere dies erkennt und durch die Annahme der Leistung billigt.
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Die S hat erkannt, daß M die Verwendungen im Hinblick auf den späteren Eigentumserwerb seiner Frau vorgenommen hat und dies gebilligt. Wollte sie die Leistungen unter diesen Voraussetzungen nicht annehmen, so hätte sie das nach Treu und Glauben offenbaren müssen. Der Wertersatzanspruch des M ist daher in dem Zeitpunkt entstanden, als der Nichteintritt des bezweckten Erfolges feststand. Fraglich ist jedoch, ob der Bereicherungsanspruch des M der mietrechtlichen Verjährung gem. § 558 unterliegt. § 558 wird grundsätzlich weit ausgelegt, so daß nicht nur Ansprüche aus Mietvertrag, sondern sämtliche konkurrierenden Ansprüche erfaßt werden. Die weite Auslegung findet nach BGH aber dort ihre Grenze, wo die Aufwendungen keinerlei rechtlichen Bezug zum Mietverhältnis haben. M hat die Verwendungen nicht in seiner Eigenschaft als Mieter erbracht, sondern im Hinblick auf den Eigentumserwerb seiner Frau. Da die Verwendungen dem Mietverhältnis also nicht zugeordnet werden können, gilt § 558 hier nicht. Der Bereicherungsanspruch des M ist daher nicht verjährt, § 195.
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Die Entscheidung des BGH wird in der Literatur kritisiert: Die Restaurationsarbeiten seien keine Leistung an die S gewesen, da M und F das Haus alleine nutzen wollten. Die condictio ob rem setze aber als Sonderfall der Leistungskondiktion eine Leistung voraus. Diese Argumentation überzeugt nicht. Wegen der fehlenden Sonderechtsfähigkeit des Hauses und der damit verbundenen wesentlichen Bestandteile kommen die Restaurationsarbeiten zunächst der Erblasserin S zugute, so daß auch eine Leistung an sie vorliegt. § 812 I 2, 2.Alt. ist wegen seiner Abgrenzungsprobleme besonders examensrelevant. Examensklausuren sind im Regelfall kritische Grenzfälle. Da § 812 I 2, 2.Alt zwischen vertraglicher Vereinbarung und Wegfall der Geschäftsgrundlage liegt, ist i.d.R. ein Grenzfall gegeben!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 271 ff.
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
49
Grenzen der condictio ob rem
49.
BGHZ 111, 125 Ein Anspruch aus § 812 I 2, 2.Alt scheidet aus, wenn der Zweck der Leistung die Schaffung einer Familienwohnung ist und dieser Zweck eintritt. Daran ändert sich nichts, wenn der Leistende später die Familie verläßt, diese aber die Familienwohnung weiter benutzt.
Sachverhalt: M wohnte mit seiner Frau F im Haus seiner Schwiegermutter zur Miete. Als der M die Wohnung umbaute, um mehr Wohnraum für die Familie zu schaffen, war die Schwiegermutter S damit einverstanden, daß er nun keinen Mietzins mehr zahlen sollte. Später trennte sich der M von F und zog aus dem Haus aus, während F weiter dort wohnte. Ein halbes Jahr später schloß F mit der S einen Mietvertrag. M verlangt von S Wertersatz für den Umbau.
Entscheidungsgründe: Ein mietvertraglicher Verwendungsersatzanspruch aus § 547 scheidet aus, da zum Zeitpunkt des Umbaus schon kein Mietverhältnis mehr bestand. Dieses wurde einvernehmlich durch einen Leihvertrag ersetzt. Einem leihvertraglichen Verwendungsersatzanspruch gem. § 601 II i.V.m. § 677 ff. steht § 685 (Schenkungsabsicht) entgegen. Auch bestehen keine Ansprüche wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Auch wenn der Fortbestand der Ehe zwischen M und F die Geschäftsgrundlage für die Vereinbarungen der Beteiligten gewesen ist, so ist deren Scheitern allein dem Risikobereich des M - nicht der S zuzuordnen. Ferner scheidet ein Bereicherungsanspruch aus § 812 I 2, 2.Alt. aus. Zwar bestand zwischen M und S eine tatsächliche Zweckvereinbarung. Zweck war die Schaffung eines besseren Wohnraums für die Familie des M. Dieser Zweck ist nach BGH aber erreicht worden. Daß M die Familie ver-
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lassen habe, ändere daran nichts, da die Familie weiterhin dort wohne. M hat aber einen Bereichterungsanspruch aus § 812 I 2, 1.Alt. wegen späteren Wegfalls des Rechtsgrundes, der hier in dem Leihvertrag bestand. Die vereinbarte lebenslange unentgeltliche Nutzung der umgebauten Wohnung im Hause der S durch M und seine Familie war das entscheidende Motiv und die Rechtfertigung für die durch die Ausbauleistungen entstandene Vermögensverschiebung zugunsten der S. Dieser Rechtsgrund ist zwar noch nicht mit Auszug des M weggefallen, da die F ja weiter dort wohnte. Stattdessen aber mit Abschluß des Mietvertrages zwischen F und S, da hierdurch der Leihvertrag einvernehmlich aufgelöst wurde. Eine etwa notwendige Zustimmung des M zur Aufhebung des Leihvertrages ist jedenfalls darin zu sehen, daß sich M selbst auf den Abschluß des Mietvertrages beruft, um daraus Ansprüche herzuleiten.
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: In solchen Fällen ist also Vorsicht geboten! Nicht jedesmal, wenn Aufwendungen auf ein fremdes Grundstück in einer bestimmten Erwartung vorgenommen werden, ist § 812 I 2, 2.Alt. einschlägig (so aber oben Fall 48). Sie müssen also genau prüfen, ob der vereinbarte Erfolg tatsächlich ausgeblieben ist! Bei der Prüfung der Höhe des Anspruchs erörtert der BGH auch die Problematik der „ersparten Aufwendungen“. Er tut dies im Rahmen des § 818 III. Dies steht im Widerspruch zu seiner - stark kritisierten - Rechtsprechung im „Flugreisefall“, wo er die Ersparnis von Aufwendungen als Bereicherungsgegenstand i.S.d.§ 812 angesehen hatte (vgl. Fall 50).
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 271 ff.
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
50
Bereicherungshaftung des Minderjährigen
50.
BGHZ 55, 128: Flugreisefall Wer eine geldwerte Leistung ohne Rechtsgrund in Anspruch nimmt, kann sich auf Luxusaufwendungen nicht berufen, wenn er den Mangel des rechtlichen Grundes beim Empfang der Leistung kannte (§ 819 I). Im Rahmen des § 819 I kommt es auf die Kenntnis des Minderjährigen an, wenn er sich trotz erforderlicher Einsichtsfähigkeit durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung in den Genuß der Leistung gebracht hat.
Sachverhalt: Der fast 18jährige M flog als "blinder Passagier" nach New York. Als ihm dort die Einreise in die USA verweigert wurde, befördert ihn die Lufthansa (L) wieder zurück nach München. Die L verlangt nun von M den tariflichen Flugpreis für Hin- und Rückflug. Die Mutter des M verweigert die Genehmigung für etwaige Rechtsgeschäfte zwischen M und L.
Entscheidungsgründe: 1. Hinflug: Der BGH lehnt vertragliche Ansprüche der L gegen M ab, da die Mutter als gesetzliche Vertreterin jedenfalls die Genehmigung gem. § 108 verweigert hat. Auch ein sog. faktisches Vertragsverhältnis aus sozialtypischem Verhalten im Massenverkehr ist nicht entstanden. Ein solches Massengeschäft liegt angesichts der Gepflogenheit im Flugverkehr, jeden einzelnen Fluggast persönlich zu erfassen, nicht vor. Ferner scheidet nach BGH ein Anspruch aus unerlaubter Handlung aus, da der L gar kein Schaden entstanden ist. Da die Maschine nicht ausgebucht war, stünde sie ohne das schädigende Ereignis nicht besser (Differenzhypothese). Sie hätte daher nachweisen müssen, daß sie wegen M einen zahlungswilligen Fluggast zurückweisen mußte (dann entgangener Gewinn gem. § 252). In Frage kommt daher nur ein Bereicherungsanspruch gem. § 812 I 1, 2. Alt. Für den BGH stellt sich hier das Problem, ob M überhaupt bereichert ist, da er den Bereicherungsgegenstand in der Ersparnis von Aufwendungen sieht. Da es sich hier aber um eine Luxusaufwendung für M handelte, habe dieser
gar keine Aufwendungen erspart, und sei daher auch nicht bereichert. Hier greife aber § 819 I ein, weil M den Mangel des rechtlichen Grundes beim Empfang der Leistung kannte. Im Rahmen des § 819 I ist jedenfalls auch bei einer Leistungskondiktion auf die Kenntnis des Minderjährigen abzustellen, wenn dieser eine unerlaubte Handlung begangen hat. Hier ist entsprechend der Wertung des § 828 II auf die Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen abzustellen. Dann könnte sich M aber vorliegend wegen § 819 I nicht auf einen nachträglichen Wegfall der Bereicherung gem. § 818 III berufen. Das gleiche muß dann auch für die Frage der Entstehung der Bereicherung gelten: M kann sich also wegen § 819 I nicht darauf berufen, er sei mangels ersparter Aufwendungen gar nicht bereichert worden. L hat somit gegen M einen Anspruch auf Zahlung des tariflichen Flugpreises aus §§ 812 I 1, 1. Alt, 818 II, IV, 819 I, 292, 987. 2. Rückflug: Hinsichtlich des Rückflugs stützt der BGH den Anspruch der L auf §§ 677, 683 S.1, 670. Da M selbst für seine Rückkehr nach Deutschland zu sorgen hatte, lag ein objektiv fremdes
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Geschäft für die L vor, wonach deren Fremdgeschäftsführungswille vermutet wird. Daß die L sich zur Rückführung des M verpflichtet fühlte, ändert daran nichts, da die Vermutung auch für bloße "auch fremde Geschäfte" gilt. Die Rückbeförderung habe auch dem mutmaßli-
chen Willen der Mutter entsprochen, auf die es als gesetzliche Vertreterin insofern ankomme, §§ 166, 107. Damit besteht auch ein Anspruch auf das tarifliche Entgelt für den Rückflug aus berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag.
„HEMMER-METHODE“: Diese BGH-Entscheidung ist sehr verwirrend und hat daher auch heftige Kritik in der Literatur erfahren. Die Ersparnis von Aufwendungen sei ein Problem des § 818 III und nicht des Tatbestandsmerkmals der Bereicherung. Die vom Gesetz vorgesehene Trennung zwischen der Frage der Entreicherung und der Bereicherung i.S.d. § 812 würde nach BGH unzulässigerweise miteinander vermengt. Zudem handele es sich um eine völlig überflüssige Konstruktion: Erlangt ist schon der Wert der geleisteten Dienste als vermögenswerte Position, so daß der Tatbestand des § 812 nach der Literatur problemlos gegeben ist. Daran sollten Sie sich auch in der Klausur halten. Ansonsten laufen Sie Gefahr, daß Ihre Prüfung völlig unübersichtlich und unverständlich wird. Hinzu kommt der Gesichtspunkt der Retardation: Zu dem Problem der ersparten Aufwendungen kommen Sie ja noch bei § 818 III! Bei der Frage, auf wessen Kenntnis im Rahmen des § 819 I abzustellen ist, herrscht dagegen überwiegend Einigkeit: Bei der Leistungskondiktion ist die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters entscheidend. Die Leistungkondiktion dient regelmäßig der Abwicklung eines unwirksamen Vertrages, daher müssen auch hier die im Vertragsrecht geltenden Wertungen (§§ 107, 108) beachtet werden, sonst käme man über § 819 zu einer quasivertraglichen Haftung des Minderjährigen. Bei der Eingriffskondiktion wird auf die Kenntnis des Minderjährigen zurückgegriffen, da die Eingriffskondiktion deliktsähnlich ist.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 63, 112, 127, 511
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
51
Berücksichtigung der Wertungen der §§ 350, 351 im Bereicherungsrecht 51.
BGHZ 57, 137: Bereicherungsausgleich nach Untergang der Kaufsache Die Saldotheorie kann nicht zu Lasten des arglistig Getäuschten angewendet werden. Dies gilt auch dann, wenn dieser seine eigene Entreicherung verschuldet hat.
Sachverhalt: K kaufte bei V einen gebrauchten Pkw. V sicherte dabei wahrheitswidrig zu, der Wagen sei unfallfrei. 3 Wochen später erlitt der Pkw durch Alleinverschulden des K Totalschaden. Danach ficht K den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an und verlangt Rückzahlung des Kaufpreises.
Entscheidungsgründe:
Der BGH prüft zunächst einen Schadensersatzanspruch des K aus § 823 II i.V.m. § 263 StGB. Fraglich ist allerdings, ob der Schaden kausal durch den Betrug verursacht wurde. Der BGH hat dies bejaht. Ohne Täuschung hätte K den Wagen nicht gekauft und diesen Unfall nicht erlitten. Auch liege Adäquanz vor, da es nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liege, daß jemand mit einem aufgrund einer Täuschung gekauften Kfz einen Unfall erleide. Der Schaden falle auch unter den Schutzzweck der Norm, da dem K kein Nachteil daraus entstehen dürfe, daß ihm durch Täuschung ein Kfz "aufgeschwatzt" wird. Das Verschulden des K ist daher nur nach § 254 zu berücksichtigen.
cherungsanspruch des Käufers in vollem Umfang ausgesetzt ist. Nach BGH gilt dies auch dann, wenn der Käufer den Untergang der Kaufsache verschuldet hat. Der BGH stützt seine Argumentation dabei auf § 819 I: Die Saldotheorie sei letztlich Ausfluß der folgerichtigen Anwendung des § 818 III bei gegenseitigen Verträgen. Die gegenseitige Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung beeinflußt die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung insoweit, als sich der Bereicherungsgläubiger seine eigene Entreicherung auf seinen Bereicherungsanspruch anrechnen lassen muß. Sonst würde der Bereicherungsschuldner stärker belastet, als dies dem Grundgedanken des § 818 III entspräche.
Daneben besteht ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung aus § 812 I 1, 1. Alt auf Rückerstattung des Kaufpreises. Fraglich ist hierbei, ob gemäß der Saldotheorie der Wert des Wagens als Entreicherung von diesem Anspruch abgezogen werden muß. Der BGH geht dabei grundsätzlich davon aus, daß die Saldotheorie zu Lasten des arglistig Getäuschten nicht anwendbar ist. Der Verkäufer ist in einem solchen Fall nicht schutzwürdig. Vielmehr ist hier auf die Zweikondiktionentheorie zurückzugreifen, wonach der Verkäufer dem Berei-
Dieser Grundgedanke der Saldotheorie hat seine Grenzen aber dort, wo § 818 III gar nicht zur Anwendung kommt. Das ist immer bei der verschärften Haftung gem. § 819 der Fall. Bei V liegen die Voraussetzungen des § 819 I vor: Wegen § 142 II wird V so gestellt, als habe er den Mangel des rechtlichen Grundes beim Empfang der Leistung gekannt. Damit entfällt wegen § 819 die innere Rechtfertigung für die Anwendung der Saldotheorie. V muß also grds. den empfangenen Kaufpreis zurückgewähren. Das Verschulden des K soll aber
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
gem. § 242 anspruchsmindernd auf seinen Bereicherungsanspruch angerechnet werden. Da § 254 im Bereicherungsrecht keine Anwendung findet,
wendet der BGH § 242 an, von dem § 254 nur eine besondere Ausprägung sei.
„HEMMER-METHODE“: Die Argumentation des BGH wird in der Literatur sowohl hinsichtlich des deliktischen als auch des bereicherungsrechtlichen Anspruchs abgelehnt. Richtigerweise falle der Schaden des K nicht mehr unter den Schutzzweck der Norm des § 823 II i.V.m. § 263 StGB. Das Verbot von Täuschungen soll nicht vor Unfällen schützen, die mit der Täuschung nichts zu tun haben. Ein innerer Zusammmenhang zwischen Täuschung und Schaden wäre nur gegeben, wenn der Unfall durch den Sachmangel verursacht wurde, über den getäuscht wurde. Auch die Ablehnung der Saldotheorie sei hier unbillig. Sie widerspricht der Wertung des § 351, wonach bei zu vertretendem Untergang der Sache ein Rücktritt bzw. die Wandelung ausgeschlossen ist. Zieht man diese Wertung auch im Bereicherungsrecht heran, so muß zu ungunsten des K die Saldotheorie angewendet werden. Die Ansicht der Literatur ist vorzugswürdig. Was für die Rückabwicklung eines Vertrages nach Wandelung oder Rücktritt gilt, muß auch für das Bereicherungsrecht gelten. Liegt also ein Fall des § 351 vor, muß die Saldotheorie angewendet werden. Hat der Käufer die Entreicherung dagegen nicht zu vertreten, darf die Saldotheorie wegen der Wertung des § 350 nicht angewendet werden, der Käufer kann den Kaufpreis also in voller Höhe zurückfordern (Zweikondiktionentheorie). Sonst würde die Möglichkeit der Anfechtung für den Laien zur Falle, da durch sie der Schutz des § 350 verloren geht. Achten Sie in der Klausur also auf das Regel-Ausnahme–Prinzip bei der Problematik der Saldotheorie im Verhältnis zu §§ 350, 351: Bei der Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wird grundsätzlich die Saldotheorie angewendet. Ausnahmen: Nicht zu Lasten des arglistig Getäuschten und des Minderjährigen! Ausnahme von der Ausnahme wiederum: Entgegenstehende Wertung der §§ 350, 351!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 502 ff.
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
52
Verschärfte Haftung gem. §§ 819, 818 IV, 279
52.
BGHZ 83, 293: Verschärfte Haftung des Bereicherungsschuldners bei Gattungsschulden Im Rahmen des § 819 ist eine Kenntniszurechnung entsprechend § 166 I möglich. § 818 IV verweist auch auf § 279 als Vorschrift des allgemeinen Schuldrechts. Der nach §§ 819, 818 IV verschärft haftende Bereicherungsschuldner hat daher nach § 279 stets für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen.
Sachverhalt: Die Bank B hatte einen Betrag auf das Konto des M überwiesen, weil dessen Frau F mit der B einen Darlehensvertrag geschlossen hatte. Dabei war die F im eigenen Namen und im Namen des M aufgetreten. M hatte ihr dafür keine Vollmacht erteilt. Die F hatte aber Kontovollmacht für das Konto des M und tätigte auch die sonstigen Bankgeschäfte. Sie hob den Betrag sofort ab und verbrauchte ihn. Nun will die B den Betrag von M zurück, der von all dem nichts wußte.
Entscheidungsgründe:
Ein Anspruch aus § 607 I scheidet aus, da die F ohne Vertretungsmacht handelte und keine Genehmigung vorliegt. Auch § 1357 I erfaßt das Darlehen nicht. Fraglich ist daher der Bereicherungsanspruch nach § 812 I 1, 1. Alt. Der M hat einen Auszahlungsanspruch erlangt, da der Betrag kurzfristig seinem Konto gutgeschrieben war. Die Bank hat auch an ihn geleistet. Ein Rechtsgrund hierfür bestand nicht (s.o.). Durch das Abheben des Geldes durch die F wurde M aber gem. § 818 III entreichert. Fraglich ist jedoch, ob § 819 eingreift und die Berufung auf Entreicherung ausschließt. Haftungsverschärfende Kenntnis lag allerdings nur bei der F vor. Diese wußte, daß sie das Darlehen nicht dauernd behalten durfte, was für die Anwendung des § 819 ausreicht. Nach BGH muß sich M diese Kenntnis entsprechend § 166 I zurechnen lassen. § 166 ist im Rahmen des § 819 zumindest entsprechend anwendbar, da er den allgemeinen Rechtsgedanken enthält, daß derjenige, der einen anderen mit der Wahrnehmung seiner Interessen
betraut, sich dessen Wissen zurechnen lassen muß. Für die Zurechnung genügt hier, daß die F Kontovollmacht hatte und M selbst sich nicht um das Konto kümmerte. Die F hatte daher eine vertreterähnliche Stellung. Eine Haftung gem. §§ 819, 818 IV, 292, 989, 990, 278 scheidet jedoch aus, da die F nicht Erfüllungsgehilfin des M war. Die Darlehensaufnahme und der Verbrauch lag nicht im Rahmen der Geschäfte, für die M der F freie Hand gelassen hatte. M haftet aber verschuldensunabhängig gem. §§ 819, 818 IV i.V.m. § 279. Nach BGH soll auch § 279 von der Verweisung in § 818 IV erfaßt sein. Dieser verweise nämlich auf alle Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts. Eine Besserstellung des verschärft haftenden Bereicherungsschuldners gegenüber dem nach allgemeinem Schuldrecht haftenden Schuldner sei nicht gerechtfertigt. M hat somit gem. §§ 819, 818 IV, 279 für seine Leistungsfähigkeit einzustehen, so daß der Bereicherungsanspruch der B in voller Höhe begründet ist.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Die Entscheidung wird in der Literatur kritisiert. § 166 I könne dann nicht angewendet werden, wenn der vermeintliche Vertreter seine Vertretungsmacht überschreite. Die Wertung der §§ 177, 179 müsse dann dem § 166 analog vorgehen. Die Kontovollmacht dürfe nicht dazu führen, daß de facto eine Haftung begründet wird, die der aus dem - eindeutig unwirksamen - Vertrag entspricht. Auch die Anwendung des § 279 wird überwiegend abgelehnt. Bei Geldschulden als sog. Wertschulden ist § 279 überhaupt nicht einschlägig. Hier gilt nur der allgemeine Rechtsgrundsatz, daß der Schuldner für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat. Dieser allgemeine Grundsatz habe aber nichts mit der Frage zu tun, ob jemand über § 819 bereicherungsrechtlich haften müsse. Zweifelhaft erscheint auch, § 166 I wegen der vertreterähnlichen Stellung zu bejahen, § 278 aber mangels Erfüllungsgehilfenstellung abzulehnen. Beachten Sie, daß § 818 IV nach BGH auch auf § 281 verweist, so daß der Bereicherungsschuldner auch das rechtsgeschäftliche Surrogat herausgeben muß! (siehe Fall 54)
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 504 ff.
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
53
Verschärfte Haftung gem. §§ 819 I, 818 IV, 281
53.
BGHZ 75, 203: Verschärfte Haftung des Bereicherungsschuldners bei Veräußerung des Bereicherungsgegenstandes Ist der nach §§ 818 IV, 819 I verschärft haftende Bereicherungsschuldner außerstande, den Bereicherungsgegenstand herauszugeben, weil er ihn veräußert hat, so kann der Gläubiger gemäß § 281 den erzielten Erlös herausverlangen.
Sachverhalt: V verkaufte an K einen LKW zum Preis von 12 000 DM. Der Kaufvertrag war allerdings unwirksam, hingegen die Übereignung wirksam. Der LKW hatte einen objektiven Wert von 10 000 DM. K erfährt nun von der Unwirksamkeit des Kaufvertrages und davon, daß ihn der V zurückhaben will. Dennoch veräußert er ihn an den D, wobei er aufgrund seines Verhandlungsgeschickes einen Preis von 13 000 DM erzielt. V verlangt von K nun Herausgabe von 13 000 DM.
Entscheidungsgründe: V hatte zunächst einen Anspruch aus § 812 I 1, 1. Alt auf Rückübereignung und Rückgabe des Lkws. Hätte der K den LKW ohne Kenntnis von der Unwirksamkeit des Kaufvertrages an den D veräußert, wäre einzig § 818 I und II anwendbar: Da das rechtsgeschäftliche Surrogat von § 818 I nicht erfaßt ist, hätte er nur den objektiven Wert ersetzen müssen, also 10 000 DM. Da K im Zeitpunkt der Veräußerung bösgläubig i.S.d. § 819 I war, könnte er aber zur Herausgabe des rechtsgeschäftlichen Surrogats verpflichtet sein. Dies hängt davon ab, ob §§ 819 I, 818 IV auch auf § 281 verweist. Der BGH bejaht dies, da § 281 zu den allgemeinen Vorschriften gehöre, auf die § 818 IV verweise. Dem stehe nicht entgegen, daß § 818 IV eindeutig auch auf § 292 verweise, und der wiederum auf §§ 987 ff. Da es dort nur um Schadens.-, Nutzungs.- und Verwen-
dungsersatz gehe, spreche nichts dafür, daß hiermit der § 281 ausgeschlossen sein sollte. Das Ergebnis sei auch sach- und interessengerecht: Wäre K nicht Eigentümer des Lkws geworden, dann wäre wegen seiner Bösgläubigkeit § 687 II anwendbar gewesen. Dieser Anspruch wäre aber gem. §§ 681, 667 auf Herausgabe des Erlangten gegangen, so daß hier 13 000 DM herauszugeben gewesen wären. Nach BGH ist aber kein Grund ersichtlich, warum der Bereicherungsschuldner hier weniger scharf haften soll, als wenn er nach § 687 II herauszugeben hätte. Letztlich sei entscheidend, daß er wisse, daß er den Gegenstand nicht behalten dürfe. Damit ist § 281 im Rahmen des § 818 IV anwendbar. K muß also 13 000 DM herausgeben.
„HEMMER-METHODE“: In der Klausur müßten Sie eine Saldierung mit dem Gegenanspruch in Höhe von 12 000 DM vornehmen, da K gegen V auch einen Bereicherungsanspruch aus § 812 I 1, 1.Alt in Höhe des Kaufpreises hat. Die Saldotheorie wäre nur bei arglistiger Täuschung oder Minderjährigkeit des V ausgeschlossen. Hier ist nichts dafür ersichtlich. Ansonsten wäre auch schon die Übereignung nach § 107 unwirksam (kein ausschließlich rechtlicher Vorteil für V) bzw. gem. § 123 anfechtbar – 107 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
(Fehleridentität) gewesen. Dann wäre der Fall einfach über § 816 I 1 bzw. § 687 II zu lösen gewesen. Beachten Sie, daß sich die Herausgabepflicht gem. § 818 I auf Nutzungen und Surrogate erstreckt. Anders als bei § 281 sind im Rahmen des § 818 I nicht die rechtsgeschäftlichen Surrogate gemeint, sondern nur das, was in bestimmungsgemäßer Ausübung des Rechtes erlangt wird. Ist Bereichungsgegenstand z.B. eine Forderung, die der Bereicherungsschuldner dann einzieht, wird der eingezogene Geldbetrag von § 818 I erfaßt.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 464 ff., 520
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
54
§ 816 I 2 BGB
54.
BGHZ 37, 363: Unentgeltlich = Rechtsgrundlos? § 816 I 2 ist entsprechend anwendbar, wenn der Nichtberechtigte rechtsgrundlos verfügt hat und der Empfänger an den Nichtberechtigten keine vermögenswerte Gegenleistung erbracht hat.
Sachverhalt: Der Buchhalter B veruntreute 50000 DM seines Arbeitgebers A und verspielte diese in der Spielbank des C. Dabei handelte es sich um ein illegales Spiel, das unter § 134 fiel. A verlangt das Geld unmittelbar von C zurück. Entscheidungsgründe: Eine unmittelbare Anwendung des § 816 I 2 scheidet aus, weil die Hingabe des Geldes nicht unentgeltlich geschah: "Entgelt" i.S.d. war die Gewinnchance. Wegen § 134 war die Verfügung über das Geld allerdings rechtsgrundlos. Daher stellt sich die Frage, ob § 816 I 2 entsprechend anzuwenden ist. Der BGH bejaht dies, da die Interessenlage die gleiche sei wie bei Unentgeltlichkeit. B habe durch die Verfügung keinen Gegenwert erhalten. Die bloße Gewinn-
chance hat selbst keinen wirtschaftlichen Wert, wenn sie sich nicht verwirklicht. Zudem war der Spielvertrag nichtig, so daß gar kein Rechtsanspruch auf den Einsatz bestand. Da weder A einen Gegenwert erhalten, noch C ein Vermögensopfer von wirtschaftlichem Wert erbracht hat, stehen der analogen Anwendung des § 816 I 2 keine schutzwürdigen Interessen des C entgegen. A hat somit gegen C einen Anspruch in Höhe von 50000 DM aus § 816 I 2 analog.
„HEMMER-METHODE“: Von der h.M. wird eine Analogie entweder insgesamt oder zumindest für den Fall abgelehnt, daß der Empfänger tatsächlich ein Vermögensopfer erbracht hat. Hauptargument ist die Tatsache, daß andernfalls eine vom Gesetz nicht vorgesehene Direktkondiktion möglich wäre. Mit den §§ 816 I 2, 822 zeige der Gesetzgeber gerade, daß die Direktkondiktion der Ausnahmefall sein soll. Eine solche Direktkondiktion hätte für den Betroffenen die Gefahr des Verlustes von Einwendungen zur Folge. Das gleiche Problem stellt sich im Rahmen des § 988. Auch hier bejaht der BGH die analoge Anwendung beim rechtsgrundlosen Besitzerwerb. Wäre nur der schuldrechtliche Vertrag, nicht aber die Übereignung nichtig, bestünde kein EBV, so daß der Besitzer die Nutzungen mangels Sperrwirkung nach §§ 818 I 1, 1. Alt, 818 I herausgeben müßte. Wäre aber auch die Übereignung nichtig, dürfte der Besitzer die Nutzungen behalten. Derjenige, der auch sein Eigentum verliert, würde also besser stehen, als derjenige, der es behält. Dieses Ergebnis ist unbillig. Da die §§ 987 ff nach Ansicht des BGH aber eine abschließende Sonderregelung darstellen, die den Rückgriff auf das Bereicherungsrecht ausschließen, ist die analoge Anwendung des § 988 auf den rechtsgrundlosen Erwerb konsequent. Demgegenüber wird auch hier die Gleichstellung von der Literatur abgelehnt. Sie läßt daher Bereicherungsansprüche neben den §§ 987 ff zumindest im Bereich der Leistungskondiktion zu. as EBV sei insoweit nicht abschließend. Im Zweipersonenverhältnis ist dieser Streit i.d.R. nicht entscheidungserheblich, da beide Auffassungen zum gleichen Ergebnis führen. Im Dreipersonenverhältnis fallen die Ergebnisse jedoch auseinander, so daß Sie sich dann in der Klausur ausführlich mit den unterschiedlichen Auffassungen auseinander– 109 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
setzen müssen!
Zur Vertiefung: zu § 816 1 2 analog: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 394 zu § 988 analog: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 242 ff.
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
55
Sittenwidrigkeit gem. § 138 I BGB; Anwendbarkeit des § 817 S.2 BGB; Mitverschulden gem. § 254 BGB
55.
BGH, NJW 1992, 310: Ausschluß des Rückforderungsrechts nach § 817 Der Ausnahmecharakter des § 817 S.2 verbietet es, ihm einen allgemeinen Rechtsgedanken zu entnehmen und ihn auf andere als bereicherungsrechtliche Ansprüche auszudehnen. Gegenüber einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 ist grobe Fahrlässigkeit des Geschädigten nicht anspruchsmindernd anzurechnen.
Sachverhalt: K kaufte von V einen Pkw weit unter dem Normalpreis. Der Verkauf erfolgte auf der Straße. V behauptete, er habe den Pkw von W erworben, der ihn wegen Spielschulden verkaufen mußte. In Wirklichkeit war der Pkw gestohlen, was V auch wußte. Im gefälschten Kraftfahrzeugbrief war W als Halter eingetragen. Nach der Entdeckung des Diebstahls wurde der Pkw beschlagnahmt und an den Eigentümer herausgegeben. K verlangt von V Rückzahlung des Kaufpreises.
Der BGH stellt fest, daß der Kaufvertrag gem. § 138 I wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist. Es liege ein Hehlergeschäft vor, das gegen strafrechtliche Normen verstoße. Ein solches Geschäft ist nur dann gem. § 138 I sittenwidrig, wenn alle Beteiligten sittenwidrig handeln, also die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder sich ihrer Kenntnis zumindest grob fahrlässig verschließen. Da keine Kenntnis des K vorlag, kommt grobe Fahrlässigkeit in Betracht. Der BGH versteht unter grober Fahrlässigkeit ein Handeln, bei dem die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt worden ist und bei dem das unterblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
gestohlenen Fahrzeugs mindert. Unter Berücksichtigung des viel zu niedrigen Kaufpreises bestand für K also eine Nachforschungspflicht in der Weise, bei der Kraftfahrzeugzulassungsstelle oder der Polizei nachzufragen. Damit hat sich K grob fahrlässig den Umständen, die die Sittenwidrigkeit begründen, verschlossen. Der von den Parteien geschlossene Kaufvertrag ist also gem. § 138 I nichtig. Damit sind eigentlich die Voraussetzungen des Bereicherungsanspruchs aus § 812 I 1, 1. Alt gegeben.
Entscheidend ist hier, ob für K eine Nachforschungspflicht bezüglich der Herkunft des Pkw bestand. Das hat der BGH bejaht: Einerseits war V selbst nicht als Halter im Kraftfahrzeugbrief eingetragen, obwohl er behauptete, den Wagen von W erworben zu haben. Hinzu kommt, daß es sich vorliegend um einen Straßenverkauf handelte, der erfahrungsgemäß die Entdeckung eines
V schuldet dem K aber Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises aus § 826: V hat den K über die Herkunft des Kfz und die Eigentumsverhältnisse arglistig getäuscht. Eine solche Täuschung verpflichtet nach BGH stets zum Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung. K muß sich sein leichtfertiges Verhalten nicht nach § 254 anspruchsmindernd anrechnen lassen.
Entscheidungsgründe:
Dem Anspruch steht jedoch das Rückforderungsverbot gem. § 817 S.2 entgegen, da auch hier ausreicht, daß sich der Leistende der Sittenwidrigkeit seines Handelns leichtfertig verschließt.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Im Grundsatz gilt nämlich, daß gegenüber einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung eine grob fahrlässige Schadensmitverursachung nicht ins Gewicht fällt. Ausnahmen hiervon können nur in besonders gelagerten Einzelfällen gemacht werden. Ferner steht der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs § 817 S.2 nicht entge-
gen. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift verbietet es, ihr einen über das Bereicherungsrecht hinausgehenden allgemeinen Rechtsgedanken zu entnehmen und das Rückforderungsverbot auf andere Ansprüche auszudehnen. K hat somit gegen V einen Schadensersatzanspruch aus § 826 in Höhe des gezahlten Kaufpreises.
„HEMMER-METHODE“: Bei der Anwendung des § 817 S.2 sind mehrere Dinge zu beachten: § 817 S.2 ist nicht auf die seltenen Fälle des § 817 S.1 beschränkt, sondern enthält eine allgemeine Regel, die für alle Leistungskondiktionen gilt. Ferner kommt § 817 S.2 entgegen dem Wortlaut auch dann zur Anwendung, wenn allein dem Leistenden ein Sittenverstoß zur Last fällt. Da es sich bei § 817 S.2 wegen seines Strafcharakters um einen Fremdkörper im Zivilrecht handelt, ist er grundsätzlich eng auszulegen und weder auf die Nichtleistungskondiktion noch auf andere Rechtsgebiete auszudehnen. Eine weitere Einschränkung erfährt § 817 S.2 durch § 242: § 817 S.2 darf nicht eine Vermögensverschiebung als endgültig sanktionieren, die als unbillig angesehen werden müßte. Ein von der Rechtsordnung nicht gebilligter Zustand darf nicht durch den Ausschluß eines Rückforderungsrecht legalisiert werden. Daher kann die Berufung auf § 817 S.2 im Einzelfall gem. § 242 ausgeschlossen sein (Lesen Sie hierzu: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 454 ff). Denken Sie in diesem Kontext auch stets an den Schwarzarbeiterfall, vgl. Rn. 455.
Zur Vertiefung: § 138 BGB: Hemmer/Wüst, Primäranspruch II, Rn. 121 ff. § 817 BGB: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 444 ff.
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SCHULDRECHT-BT-BEREICHERUNGSRECHT
56
§ 822 BGB
56.
BGHZ 106, 354: Notbedarf des Schenkers Auf den Rückforderungsanspruch des bedürftigen Schenkers nach § 528 ist § 822 entsprechend anwendbar.
Sachverhalt: Die G schenkte und übereignete ein wertvolles Hausgrundstück an ihren Sohn S. S starb und wurde von F beerbt. Die F wiederum schenkte das Grundstück ihrem Bekannten B. G wurde zum Pflegefall und kann nun die Kosten für das Pflegeheim nicht mehr bezahlen. Sie verklagt daraufhin B auf Übereignung des Grundstücks.
Entscheidungsgründe:
Gegenüber dem S bzw. der F (1967 I) hätten die Voraussetzungen des § 528 I 1 vorgelegen. Maßstab für die Notbedürftigkeit des Schenkers ist, ob der eigene angemessene Unterhalt gefährdet wäre. Die Herausgabe des Grundstücks ist der F jedoch nicht mehr möglich. Auch Wertersatz nach § 818 II scheidet aus, da wegen der unentgeltlichen Weggabe § 818 III eingreift. Fraglich ist daher, ob die G statt dessen die Herausgabe des Grundstücks von B entsprechend § 822 verlangen kann. Dann müßte die Verweisung des § 528 I 1 auch die Vorschrift des § 822 erfassen. Problematisch ist hierbei der Wortlaut des § 528 I 1, der im Gegensatz zu § 527 I ausdrücklich von "dem Beschenkten" als Anspruchsgegner spricht. Der BGH bejaht dennoch die entsprechende Anwendbarkeit des
§ 822: Zweck des § 528 ist es, der Unterhaltssicherung des Schenkers Vorrang vor dem Vertrauen des Beschenkten in die Beständigkeit der Schenkung zu gewähren. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn der Anspruch ausschließlich gegen den Beschenkten selbst gerichtet werden könnte. Der Dritte sei nicht schutzwürdiger als der ursprünglich Beschenkte. § 822 enthalte genauso wie § 528 I 1 den Rechtsgedanken, daß der unentgeltliche Erwerber geringeren Schutz verdiene. Die Vorschrift des § 822 füge sich somit "sinnfällig" in die Regelung des § 528 I 1 ein. Da die F als Gesamtrechtsnachfolgerin des S zur Herausgabe verpflichtet wäre, ist damit auch der Durchgriff auf B entsprechend § 822 möglich. B muß also das Grundstück an die G übereignen.
„HEMMER-METHODE“: Eine unmittelbare Anwendung des § 822 war dagegen nicht möglich. Ein Anspruch der G gegen S bzw. F aus § 812 I 1, 1.Alt bestand nicht, da der Schenkungsvertrag Rechtsgrund war. Auch § 812 I 2, 1.Alt. greift nicht ein, weil ein Vorgehen nach § 528 nicht zur Unwirksamkeit des Schenkungsvertrages führt, vielmehr ist § 528 I 1 nur Rechtsfolgeverweisung. Nicht vom BGH entschieden wurde, was wäre, wenn der Beschenkte S bzw. F sich nicht auf § 818 III berufen könnte, weil § 819 I vorläge (z.B.: Weiterverschenkung nach Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs). Hier wäre § 822 sicherlich abzulehnen. Grund: Bei unmittelbarer Anwendung ist § 822 subsidiär, also nicht anwendbar, wenn vom Primärschuldner doch noch gem. § 818 II Wertersatz zu leisten ist. Die entsprechende Anwendung des § 822 kann aber nicht weiter gehen als die unmittelbare. Bei der direkten Anwendung des § 822 gilt die Subsidiarität auch dann, wenn der Primärschuldner zahlungsunfähig – 113 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
ist. § 822 entsprechend kann dann nicht anders behandelt werden! Tip: Kommentieren Sie sich § 822 bei § 528 an den Rand.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 411 ff.
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SACHENRECHT
57
Beweislastumkehr bei der Produzentenhaftung
57.
BGHZ 51, 91: Hühnerpestfall Wird bei bestimmungsgemäßer Verwendung eines Industrieerzeugnisses eine Person oder Sache dadurch geschädigt, daß das Produkt fehlerhaft hergestellt war, so muß der Hersteller beweisen, daß ihn hinsichtlich des Fehlers kein Verschulden trifft (Beweislastumkehr). Erbringt der Hersteller diesen Beweis nicht, so haftet er aus Deliktsrecht.
Sachverhalt: Der Tierarzt T hatte die Hühner des Bauern B gegen Hühnerpest geimpft. Einige Tage danach brach die Hühnerpest aus und die Tiere verendeten. Das vom Hersteller H bezogene Serum war nämlich durch eine bakterielle Verunreinigung wieder aktiv geworden. Ob die Verunreinigung auf ein Verschulden des H zurückging, ließ sich nicht feststellen. B verlangt von H Schadensersatz.
Entscheidungsgründe: Vertragliche oder vertragsähnliche Ansprüche des B gegenüber dem Produzenten H scheiden nach BGH aus. Für eine Drittschadensliquidation fehlt es vorliegend schon an einer zufälligen Schadensverlagerung, da H mit einem Schadenseintritt bei T nicht rechnen mußte, Es war erkennbar, daß T nicht seine eigenen Hühner impfen würde. Da der Schaden also typischerweise (!) nur beim Endabnehmer eintreten konnte, fehlt es schon an einer zufälligen Schadensverlagerung. Ferner ist abzulehnen, daß es sich bei dem Vertrag zwischen T und H um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des B handelt, da es an einem ausreichenden Schutzinteresse des T für B fehlt. T war nicht im Sinne der Rechtsprechung für Wohl und Wehe des B verantwortlich, da das Vertragsverhältnis zwischen T und B keinen personenrechtlichen Einschlag hatte. Der BGH lehnt auch einen zwischen Hersteller und Endabnehmer stillschweigend geschlossenen Garantievertrag aufgrund von Werbeerklärungen, Markenbezeichnungen, etc. ab, da derartige Anpreisungen keine rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen dar-
stellen, da es an Rechtsbindungswillen fehlt. Aus den gleichen Gründen ist auch eine teilweise vertretene Haftung des Herstellers aus § 122 BGB analog oder c.i.c. analog abzulehnen, da ein gesteigerter sozialer Kontakt zwischen Hersteller und Endabnehmer auch nicht durch Werbeerklärungen zustandegekommen ist und die Einführung solcher Haftungsinstitute dem BGB fremd wäre. Der Endabnehmer ist folglich wie jeder Dritte auf deliktische Ansprüche beschränkt. Um daraus entstehende Unbilligkeiten zu vermeiden, begründet der BGH in dieser Grundsatzentscheidung erstmals die Beweislastumkehr bezüglich des Verschuldens im Bereich der Produzentenhaftung: Nach den allgemeinen Beweislastregeln müßte der Geschädigte eigentlich das Verschulden des Herstellers nachweisen. Hierfür fehlt dem Geschädigten regelmäßig die fachliche Kenntnis sowie der nötige Einblick in den Produktionsablauf. Hat der Geschädigte daher den Nachweis geführt, daß der Fehler im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers ausgelöst wurde, so trägt der Hersteller die volle Beweislast dafür, daß er seinen Pflichten nachgekommen ist, also nicht schuldhaft gehandelt hat.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Diesen Entlastungsbeweis konnte H vorliegend nicht führen, so daß er dem
B zum Schadensersatz gem. § 823 I verpflichtet ist.
„HEMMER-METHODE“: Diese Rechtsprechung hat der BGH später weiterentwickelt und differenziert bezüglich der verschiedenen Fehlerquellen ausgestaltet: Bei Konstruktions- und Fabrikationsfehlern gilt die Beweislastumkehr in vollem Umfang, wobei der Hersteller im Bereich der Fabrikationsfehler nicht für sog. Ausreißer haftet, d.h. solche Fehler, die trotz aller zumutbarer Vorkehrungen unvermeidbar sind. Im Bereich der Instruktionsfehler galt früher die Beweislastumkehr nicht. Neuerdings gilt jedoch auch hier, daß der Geschädigte lediglich die Notwendigkeit einer Instruktion zu beweisen hat, den Hersteller trifft dann die Beweislast für sein fehlendes Verschulden. Vergessen Sie aber nicht: Es handelt sich im Bereich der Produzentenhaftung nach wie vor um die Prüfung des allgemeinen Tatbestandes des § 823, der lediglich bei der Beweislast bezüglich des Verschuldens Besonderheiten aufweist! Durch die Einführung des ProdHaftG sind diese Grundsätze nicht obsolet geworden, da die Gefährdungshaftung nach § 1 ProdHaftG nur als weitere Anspruchsgrundlage neben die §§ 823 ff (vgl. § 15 II ProdHaftG) tritt! In der Klausur müssen Sie dann beide Ansprüche prüfen, wobei die Produzentenhaftung nach Deliktsrecht im Hinblick auf § 11 ProdHaftG für den Geschädigten günstiger sein kann, auch wenn der Hersteller hier nicht verschuldensunabhängig haftet! Außerdem gewähren die §§ 823 ff. einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Eine dem § entsprechende Regelung fehlt nämlich im ProdHaftG.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht II, Rn. 347 ff. (ProdHaftG); zur deliktischen Produzentenhaftung Rn. 385 ff.
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SACHENRECHT
58
Eigentumsverletzung trotz Mangelhaftigkeit der Sache beim Erwerb, sog. Stoffgleichheit
58.
BGHZ 86, 256: Gaszugfall Dem Käufer einer Sache können gegen den Hersteller auch dann deliktische Schadensersatzansprüche aus Eigentumsverletzung zustehen, wenn die Sache nach ihrem Erwerb infolge eines fehlerhaften Einzelteils beschädigt wird. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn sich der geltend gemachte Schaden mit dem Unwert, welcher der Sache wegen ihrer Mangelhaftigkeit von Anfang an anhaftete, deckt (sog. Stoffgleichheit).
Sachverhalt: K erwarb bei V einen Pkw des Herstellers H. Aufgrund einer fehlerhaften Konstruktion des Gaszuges bewegte sich das Gaspedal nach Betätigung nicht mehr in seine Ausgangsstellung zurück, so daß der Wagen weiter beschleunigte. Aufgrund dieses Mangels verursachte K einen Unfall, bei dem der Pkw erheblich beschädigt wurde. K verlangt von H Ersatz der Reparaturkosten.
Entscheidungsgründe: Vertragliche oder vertragsähnliche Ansprüche des Endabnehmers K gegen den Hersteller H scheiden nach BGH aus (siehe hierzu Fall 57!). Die Bejahung eines deliktischen Anspruchs hängt davon ab, ob im vorliegenden Fall eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 I gegeben ist. Der BGH sieht in der bloßen Verschaffung mangelhaften Eigentums noch keine Eigentumsverletzung, da hierdurch nur das Äquivalenzinteresse des Käufers betroffen ist, d.h. das Interesse der Käufers an der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung. Diesem Äquivalenzinteresse wird nach der gesetzlichen Wertung nur durch die Gewährleistungsvorschriften Rechnung getragen, die durch das Deliktsrecht nicht unterlaufen werden dürfen. Das Deliktsrecht schützt ausschließlich das Integritätsinteresse des Käufers, d.h. das Interesse am unbeeinträchtigten Fortbestand des vorhandenen Eigentums. Das Integritätsinteresse des Käufers ist immer dann betroffen, wenn sich der geltend gemachte Schaden nicht mit dem Unwert, welcher der Sache wegen ihrer Mangelhaftigkeit schon
bei ihrem Erwerb anhaftete, deckt, mit diesem nach BGH also nicht stoffgleich ist. Sind Mangelunwert und Schaden demnach identisch, liegt Stoffgleichheit vor und es ist nur das Äquivalenzinteresse betroffen, so daß ein Anspruch aus § 823 I ausscheidet. Ist dagegen der Schaden höher als der Mangelunwert, liegt keine Stoffgleichheit vor, mit der Folge, daß das Integritätsinteresse betroffen ist und eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 I vorliegt. Die Frage der Stoffgleichheit ist nach BGH durch eine natürliche und wirtschaftliche Betrachtungsweise zu beantworten. Die Stoffgleichheit ist demnach im vorliegenden Fall zu verneinen, da hier ein Mangel an einem Einzelteil vorlag, der das Kfz nicht etwa von Anfang an wertlos machte, sondern vielmehr erst später zur Beschädigung des im Verhältnis zum Gaszug viel wertvolleren Kfz führte. Der Defekt am Gaszug hätte ohne besondere wirtschaftliche Aufwendungen behoben werden können, wodurch die Beschädigung verhindert worden wäre. Mangels Stoffgleichheit liegt also eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 I vor, so daß H dem K
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Schadensersatz in Höhe der Reparatur-
kosten leisten muß.
„HEMMER-METHODE“: Der BGH hatte zuvor im sog. Schwimmschalterfall (BGHZ 67, 359) entscheidend darauf abgestellt, daß nur ein funktionell begrenztes Einzelteil innerhalb der Gesamtsache defekt war. Diese Ansicht wurde aber wieder aufgegeben, vielmehr kommt es entscheidend nur auf die vom BGH hier entwickelte Stoffgleichheit an. In der Klausur wird von Ihnen nicht erwartet, daß Sie sämtliche Entscheidungen des BGH zu dieser Problematik kennen. Sie müssen zu erkennen geben, daß Sie die Grundaussagen verstanden haben. §§ 459 ff. schützen das Äquivalenzinteresse, §§ 823 ff. das Integritätsinteresse. Ob auch das fehlerfreie Resteigentum geschützt wird, ist der kritische Grenzfall, der auch den Klausurersteller reizt. Sie müssen lernen, die Grenze zu erkennen: Wie weit geht das Gewährleistungsrecht, wo beginnt das Deliktsrecht?
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 34 ff., zu den teilweise konträren Literaturmeinungen Rn. 36
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SACHENRECHT
59
Körperverletzung i.S.d. § 823 I BGB bei Schockschäden
59.
BGHZ 56, 163 Ein Schockschaden, den jemand durch die Nachricht vom Tod eines Angehörigen erleidet, ist grds. dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen. Eine Körper- bzw. Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 I liegt nur dann vor, wenn die Gesundheitsbeschädigung nach Art und Schwere deutlich über das hinausgeht, was Nahestehende als mittelbar Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden.
Sachverhalt: Der Ehemann der G wird bei einem Verkehrsunfall durch das Verschulden des S tödlich verletzt. Die G erleidet bei der Nachricht vom Tod ihres Mannes einen seelischen Schock und verlangt daher von S Schmerzensgeld in Höhe von 5000 DM.
Entscheidungsgründe:
Der BGH verneint einen Schmerzensgeldanspruch der G, da es schon an einer Körper- oder Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 I fehle. Zwar ist es in der Rechtsprechung anerkannt, daß eine Gesundheitsbeschädigung i.S.d. § 823 I keine physische Einwirkung auf den Körper des Verletzten voraussetzt, sondern vielmehr auch psychisch vermittelt werden kann. Dabei kann es, wenn eine adäquate Verursachung gegeben ist, keinen Unterschied machen, ob der Geschädigte durch eigenes Mitansehenmüssen oder durch die "schockierende" Nachricht selbst geschädigt worden ist.
zes jedoch nicht zu vereinbaren. Vielmehr ist eine Beschränkung auf solche Schäden erforderlich, die nicht nur in medizinischer Sicht, sondern auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden. Deshalb müssen Beeinträchtigungen ersatzlos bleiben, die zwar medizinisch erfaßbar sind, aber nicht über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Der Schutzzweck des § 823 I deckt nur Gesundheitsschädigungen, die nach Art und Schwere den normalen Rahmen überschreiten.
Der BGH gibt aber zu bedenken, daß nach allgemeiner Erkenntnis durch alle starken negativen Erlebnisse physiologische Abläufe und seelische Funktionen gestört würden. Schon solche Störungen als Gesundheitsbeschädigung i.S.d. § 823 I anzuerkennen, ist nach BGH mit der Entscheidung des Geset-
Da die G vorliegend den Beweis für einen schweren seelischen Schock mit zahlreichen Begleiterscheinungen nicht erbracht hat, scheidet ein Anspruch auf Schmerzensgeld mangels rechtserheblicher Körper- und Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 I aus.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Immer wenn in der Klausur ein Schockschaden auftaucht, müssen Sie eine zweiteilige Prüfung im Rahmen des § 823 I vornehmen. Zunächst muß eine Körper- oder Gesundheitsverletzung vorliegen. Diese ist anhand der oben aufgezeigten Kriterien zu ermitteln. Wird eine solche Rechtsgutverletzung bejaht, muß im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität zusätzlich geprüft werden, ob diese Rechtsgutverletzung auch unter den Schutzzweck der Norm fällt. Der Anspruch steht nach der Rechtsprechung nur dem nahen Angehörigen zu. Darüber hinaus muß der Schock im Hinblick auf seinen Anlaß verständlich sein, wobei der Angehörige das Ereignis nicht selbst miterlebt haben muß, sondern auch eine den Schock auslösende Benachrichtigung ausreicht. Erst wenn Sie auch diese Voraussetzungen bejaht haben, der Schaden also unter den Schutzzweck der Norm fällt, besteht der Schadensersatzanspruch des Angehörigen aus § 823 I bzw. § 847. Nicht zu verwechseln sind diese Fälle jedoch mit der Konstellation, in der der eigentliche Unfallbeteiligte selbst einen Schock erleidet. Hier ist jeweils nur eine Gesundheitsverletzung sorgfältig zu untersuchen. Die Frage der Kausalität bzw. Schutzzweck der Norm ist hier unproblematisch zu bejahen, da ja nicht der Anspruch eines nur mittelbar Betroffenen in Frage steht! Andererseits darf die Gefahr von Ausuferungen nicht verkannt werden. Zwar ist die Tendenz erfreulich das Tier nicht mehr als bloße Sache anzusehen; vielmehr wird auch der Mensch–Tier–Beziehung eine Qualität zugesprochen, doch erscheint es fraglich, ob es noch dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen ist, wenn eine alte Dame bei der Nachricht, daß ihr Hund von einem Auto überfahren wurde, einen Schock erleidet. Nach NJW 1994, 804 wohl nicht.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 75 ff.
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SACHENRECHT
60
Schadensersatzanspruch des krank geborenen Kindes und der Eltern gegen den behandelnden Arzt 60.
BGHZ 86, 240: Wrongful life Ist die Gefahr der Schädigung eines Ungeborenen, die den Wunsch der Mutter auf Unterbrechung der Schwangerschaft gerechtfertigt hätte, von dem behandelnden Arzt schuldhaft nicht erkannt worden, haftet dieser den Eltern auf Ersatz der durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen. Ein Ersatzanspruch des Kindes besteht dagegen nicht.
Sachverhalt: Während einer Schwangerschaft verkannte der behandelnde Arzt fahrlässig eine Rötelerkrankung der Mutter. Daher unterblieb eine Abtreibung, die aus medizinischen Gründen indiziert und von der Mutter bei Kenntnis auch gewollt gewesen wäre. Das Kind kam gesundheitlich schwer geschädigt auf die Welt. Die Mutter, der Vater und das Kind verlangen vom Arzt Schadensersatz.
Entscheidungsgründe: 1. Ansprüche der Mutter: Die Mutter hat einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Arzt aus pVV des Behandlungsvertrages (Dienstvertrag), da sich vorliegend das Risiko verwirklicht hat, hinsichtlich dessen der Arzt seine Pflichten verletzt hat. Ersatzfähig sind nach BGH jedenfalls die durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen, da das Kind so, d.h. in seinem behinderten Zustand, nicht hätte geboren werden sollen. (Über den Ersatz des normalen Unterhalts war vorliegend nicht zu entscheiden, siehe dazu unten). Der BGH lehnt jedoch einen Schadensersatzanspruch aus § 823 I wegen Körper- oder Gesundheitsverletzung aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft und Entbindung ab. Vorliegend beruht nämlich die Schwangerschaft als solche nicht auf dem Versagen des Arztes, sondern auf dem freien Willensentschluß der Mutter. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld besteht jedoch dann, wenn wegen der Schädigung des Kindes eine besondere Belastung auf die Frau bei der Entbindung zukommt, wie z.B. ein Kaiserschnitt.
Darüber hinaus lehnt der BGH Schmerzensgeldansprüche der Mutter aus direkter oder entsprechender Anwendung des § 847 ab, soweit es darum geht, daß die Mutter von nun an mit der Sorge um ein behindertes Kind belastet ist. Ein Schadensersatzanspruch aufgrund der seelischen Belastung durch das Haben eines schwer geschädigten Kindes ist der deutschen Rechtsordnung fremd und kann auch nicht durch eine Ausdehnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herbeigeführt werden. 2. Ansprüche des Vaters: Auch dem Vater steht nach Ansicht des BGH ein Schadensersatzanspruch in Höhe der unterhaltsrechtlichen Mehraufwendungen aus pVV des Behandlungsvertrages i.V.m. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu, da er erkennbar in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages mit einbezogen war. Ansprüche aus Deliktsrecht kommen dagegen nicht in Betracht, da der Vater nicht in seiner körperlichen Unversehrtheit verletzt wurde. 3. Ansprüche des Kindes: Dem geschädigten Kind stehen nach Ansicht des BGH dagegen keine Schadensersatzansprüche zu. Zwar entfaltetet der
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Behandlungsvertrag auch Schutzwirkung zugunsten des Kindes, ein Schadensersatzanspruch aus pVV kann das Kind daraus jedoch nicht herleiten, da die verletzte Vertragspflicht gerade nicht dem Schutz des Kindes diente: Hätte der Arzt sich pflichtgemäß verhalten, so wäre ja eine Abtreibung vorgenommen worden und das Kind gar nicht zur Welt gekommen. Es bestanden folglich nur die Alternativen beeinträchtigtes Leben oder Nichtexistenz. Nach unserer Rechtsordnung gilt aber der Grundsatz des absoluten Lebensschutzes, woraus auch folgt, daß das Kind keinen Anspruch auf Nichtexistenz hat. Diese Problematik wird in Anlehnung an andere Rechtsordnungen als "wrongful life" bezeichnet. Die behinderte Existenz kann nicht wertloser sein als die Nichtexistenz. Würden die Gerichte dann ein behindertes Leben grundsätzlich als Schaden anerkennen,
würden sie sich ein Urteil über den Lebenswert eines fremden Lebens anmaßen, was gerade im Hinblick auf die nationalsozialistische Vergangenheit als keineswegs wünschenswert erscheint. Aufgrund dieser ethischen Bedenken und der nicht zu beantwortenden Frage, ob die Nichtexistenz besser ist als ein behindertes Leben, muß ein Schadensersatzanspruch des Kindes letztlich abgelehnt werden. Aus dem gleichen Grunde besteht auch kein Ersatzanspruch aus Deliktsrecht: Schutzgut i.S.d. § 823 I ist nur das Leben, wie es von der Natur gestaltet ist und nicht der Anspruch auf Nichtexistenz! Darüber hinaus besteht nach unserer Rechtsordnung wegen eben aufgeführter Gründe keine unmittelbare deliktsrechtliche Pflicht des Arztes, die Geburt wegen zukünftiger Gebrechen zu verhindern.
„HEMMER-METHODE“: Inzwischen hat auch das BVerfG zu dieser Frage in seiner Entscheidung vom 28. 05. 1993 (NJW 1993, 1751) Stellung genommen und Bedenken gegen die Rechtsprechung des BGH erhoben. Das BVerfG hat ausgeführt, eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle komme von Verfassungs wegen (Art. 1 I GG) nicht in Betracht. Die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschen um seiner selbst willen zu achten, verbiete es, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Haftung für ärztliche Beratungsfehler oder für fehlgeschlagene Schwangerschaftsabbrüche bedürfe deshalb der Überprüfung. Die bisherige Rechtsprechung des BGH, die die Unterhaltspflicht gegenüber einem ungewollten oder geschädigten Kind als Vermögensschaden ansah, wurde durch diese BVerfG-Entscheidung jedoch nicht aufgehoben. Dies führt der BGH ausdrücklich in BGH NJW 1994, 788 ff aus: Zum einen handelte es sich bei dem BVerfG-Ausspruch nicht um einen tragenden Teil der Entscheidung, sondern um ein "obiter dictum", das von der Bindungswirkung gemäß § 31 I BVerfG nicht erfaßt ist. Zum anderen ist das Urteil des BVerfG in dieser Hinsicht auch unklar und in sich widersprüchlich, da das BVerfG für den Fall der Pflichtverletzung eines Arztes "vertrags- und deliktsrechtliche Sanktionen" fordert. Diese Sanktionen können jedoch schwerlich wirken, wenn der Ersatz der Unterhaltspflicht gleichzeitig verfassungsrechtlich verboten sein soll. Daher bleibt der BGH auch nach Überprüfung der verfassungsrechtlichen Bedenken bei seiner Rechtsprechung, daß der Unterhalt als materieller Schaden vom Arzt bei pflichtwidrigem Verhalten zu ersetzen ist. Das gilt sowohl in den Fällen, in denen die ärztliche Behandlung die Geburt von vornherein verhindern sollte, z.B. Sterilisation oder Schwangerschaftsabbruch, als auch in den Fällen, in denen, wie hier, ein Kind grundsätzlich gewünscht ist, aber die vom Arzt festzustellende Behinderung des Kindes nicht erkannt wurde und das Kind daher geschädigt zur Welt kommt. In letzteren Fällen können die Eltern nach Ansicht des BGH sogar den gesamten Unterhalt geltend – 122 –
SACHENRECHT
machen, also nicht nur die durch die Behinderung bedingten Mehrkosten, da sich der Unterhaltsaufwand nicht aufteilen läßt in einen solchen, der für ein hypothetisch gesundes Kind geschuldet ist, und einen weiteren, der durch den Gesundheitsschaden des Kindes zusätzlich bedingt ist. In der Klausur kann man daher mit der BGH-Rechtsprechung die Unterhaltskosten als materiellen Schaden im Rahmen der pVV und des Deliktsrechts anerkennen oder man schließt sich mit entsprechender Begründung der Ansicht des BVerfG an. Wie so oft zählt auch hier die Argumentation, nicht das Ergebnis! Denken Sie aber immer daran, daß das Kind selbst keinen Schadensersatzanspruch hat - weder nach BVerfG noch nach BGH-Rechtsprechung - da nach unserer Rechtsordnung kein Anspruch auf Nichtexistenz besteht. Die unterschiedliche BVerfG- und BGH-Rechtsprechung bezüglich der Unterhaltskosten kommt also immer nur bei den Schadensersatzansprüchen der Eltern relevant wird!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 22 ff.; Kritisch zur beibehaltenen BGH-Rechtsprechung: Palandt, BGB, Vorbem. v. § 249, Rn. 47 f., 88 f.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Werbung!!!! Werbung!!!
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SACHENRECHT
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Geldentschädigung wegen des immateriellen Schadens bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 61.
BGHZ 35, 363: Ginsengfall Der durch eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung seines Persönlichkeitsrechts Betroffene kann Ersatz des immateriellen Schadens beanspruchen, wenn die Umstände, insbesondere die Schwere der Verletzung oder des Verschuldens, eine solche Genugtuung erfordern.
Sachverhalt: Der Professor P betrieb Forschungen über Ginsengwurzeln. S vertrieb ein Kräftigungsmittel, das Ginseng enthielt. Für dieses warb er mit der angeblichen Aussage des P, daß Ginseng als sexuelles Kräftigungsmittel unter anderem bei Potenzschwäche aufbauend wirke. P sieht hierin eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts, da diese Werbung seinen Ruf als Gelehrter in der Öffentlichkeit lächerlich mache. Er verlangt daher von S Schadensersatz in Höhe von 10.000 DM.
Entscheidungsgründe: Der BGH erkennt das aus Art. 1 I und 2 I GG abgeleitete Persönlichkeitsrecht als Schutzgut i.S.d. § 823 I an. Fraglich ist jedoch, ob P deshalb einen Anspruch auf Ersatz seines immateriellen Schadens hat. Der BGH dazu: Zwar besagt § 253, daß Geldentschädigung für immaterielle Schäden nur in den durch das Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen gefordert werden kann. Indem die Rechtsprechung das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Schutzgut des § 823 I anerkannte, zog sie für das Zivilrecht die Folgerungen, die sich aus dem hohen Rang ergeben, die das GG der Würde des Menschen und dem Schutz der freien Entfaltung beimißt. Der Persönlichkeitsschutz wäre jedoch lückenhaft und unzureichend, wenn eine Verletzung desselben keine ad-
äquate Sanktion auslösen würde. Soweit daher die Naturalrestitution gem. § 249 nicht ausreiche, müsse entgegen dem Wortlaut des § 253 Geldersatz zugesprochen werden. Eine solche Genugtuung kann aber lediglich in schweren Fällen der Persönlichkeitsrechtsverletzung gefordert werden, und auch nur dann, wenn die Einbuße nicht auf andere Art auszugleichen ist. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen nach BGH gegeben. S hat leichtfertig aus materiellem Gewinnstreben in das Persönlichkeitsrecht des G eingegriffen und diesen in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht. Da S durch den Eingriff Geld verdienen wollte, ist es nur gerecht wenn, er dafür auch den Schaden in Geld ausgleichen muß. G kann somit von S Schadensersatz aus § 823 I verlangen.
„HEMMER-METHODE“: In der Klausur müssen Sie bei der Problematik des Persönlichkeisrechts immer zwei Prüfungsschritte vornehmen: Zunächst muß im Rahmen des § 823 ein rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vorliegen. Die Rechtswidrigkeit muß hierbei durch eine umfassende Abwägung der betroffenen Rechtsgüter positiv festgestellt werden, da es sich beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht um einen sog. „offenen Tatbestand“ handelt, bei welchem die Rechtswidrigkeit nicht durch die Rechtsgutverletzung indiziert ist. – 125 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Bejahen Sie diesen Eingriff und liegt ein Verschulden vor, so stellt sich auf der Rechtsfolgenseite die Frage, ob in diesem Fall auch Geldersatz für den immateriellen Schaden verlangt werden kann. Grds. wird durch § 823 I i.V.m. § 249 nur der materielle Vermögensschaden ersetzt. Art. 1 I und 2 I erfordern jedoch, daß Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht zivilrechtlich nicht sanktionslos bleiben. Der BGH leitet den Schadensersatzanspruch daher auch direkt aus Art. 1 I, 2 I GG ab, und nicht etwa aus einer Analogie zu § 847. Da hierdurch aber entgegen § 253 Geldersatz für immaterielle Schäden gewährt wird, bestehen nach ständiger Rechtsprechung zwei Schranken: Es muß sich zum einen um eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts handeln und eine anderweitige Genugtuung, wie z.B. Unterlassen, Gegendarstellung oder Widerruf dürfen nach Art der Verletzung nicht ausreichend sein. Es handelt sich hierbei also um eine verfassungskonforme Auslegung des § 253. Erst wenn beide Prüfungsschritte zu einem positiven Ergebnis führen, ist der Schadensersatzanspruch begründet. Aus der Rechtsprechung gibt es zahlreiche Fälle zu dieser Problematik, auch hier gilt aber wieder, daß Sie diese nicht auswendig lernen sollen, vielmehr gilt es, die Grundaussagen zu verstehen. Das Ergebnis ist regelmäßig nicht ausschlaggebend für eine gute Klausur, wichtig ist vielmehr eine nachvollziehbare Argumentation und im Fall des Persönlichkeitsrechts vor allem eine umfassende Güter- und Interessenabwägung! Furore hatten in letzter Zeit vor allem die Entscheidungen zu Caroline von Monaco gemacht. Wegen der „Zwangskommmerzialisierung der Persönlichkeit unter vorsätzlichem Rechtsbruch“ hatte der BGH das Berufungsgericht aufgehoben, welches das beklagte Presseunternehmen lediglich zu einem Schadensersatzanspruch i. H. v. 30.000,-- DM verpflichtete. Daraufhin sprach das OLG Hamburg der Klägerin schließlich Schadensersatz i. H. v. 180.000,-- DM zu. Damit hat die deutsche Rechtsprechung zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine neue Dimension erhalten (vgl. hierzu BGH, NJW 1995, 861 und OLG Hamburg, NJW 1996, 2870).
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 49 ff.
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SACHENRECHT
62
Eigentumsverletzung durch Stromausfall
62.
BGHZ 41, 123: Bruteierfall Wer fahrlässig eine Freileitung des Elektrizitätswerks durchtrennt, haftet dem angeschlossenen Abnehmer für die Eigentumsverletzung, die dieser durch die unterbrochene Stromzufuhr erleidet.
Sachverhalt: Der Baggerführer V des S beschädigt ein zum Betrieb des G führendes Stromkabel. Der Betrieb war eine Geflügelzucht. Durch die Beschädigung fiel u.a. der Strom für den Betrieb des Brutapparates aus, so daß die schon angebrüteten Eier verdarben. G verlangt von S Schadensersatz in Höhe von 1800 DM aus §§ 823, 831.
Entscheidungsgründe:
Der BGH stellt zunächst fest, daß für die Verletzung einer Person oder Sache nach § 823 I unabhängig davon gehaftet werde, ob die gesetzte Ursache den Schaden unvermittelt oder erst durch eine Ursachenkette hervorrufe. So liegt es auch im vorliegenden Fall.
weit handelt es sich nämlich um einen reinen Vermögensschaden. Sein Ersatz kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes verlangt werden, weil die Durchtrennung des Kabels keinen unmittelbaren betriebsbezogenen Eingriff darstellt (s.o. Fall 63!).
Zwar hat das Handeln des B zunächst nur das Eigentum des Elektrizitätswerks am Kabel verletzt. Diese Eigentumsverletzung setzte sich jedoch in der Eigentumsverletzung an den Bruteiern fort. Bedarf eine Sache zur Erhaltung ihrer Substanz der ständigen Zufuhr von Wasser, Strom oder dergleichen, so bewirke auch derjenige ihre Zerstörung, der sie durch Abschneiden dieser Zufuhr vernichte.
Der Unterschied im vorliegenden Fall besteht also darin, daß die Stromunterbrechung zu einer Eigentumsverletzung (!) geführt hat. Der eingetretene Schaden falle auch unter den Schutzzweck der Norm. Das Gebot, fremdes Eigentum nicht zu beschädigen, bezwecke bei Einrichtungen von weitreichender Bedeutung nicht nur den Schutz ihrer Substanz, sondern auch ihrer Funktion. Es soll also nicht nur den eigentlichen Wiederherstellungsaufwand vermeiden, sondern gerade auch vor typischen Folgen schützen. G kann somit von S Schadensersatz wegen Eigentumsverletzung verlangen.
Anders liege es nur, wenn der Stromausfall nicht den Untergang von Sachen bewirkt, sondern nur dazu führt, daß die Fertigung bestimmter Produkte vorübergehend unterbrochen wird. Inso-
„HEMMER-METHODE“: Bei den Stromkabelfällen ist also Vorsicht geboten. Sie müssen zunächst herausarbeiten, welche Rechtsgutverletzung eigentlich in Betracht kommt. Führt die Unterbrechung der Stromzufuhr schon zu einer Eigentumsverletzung, so kommt die Verletzung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes hinsichtlich dieser Schäden nicht mehr in Betracht, da dieses Rahmenrecht subsidiär ist. Bezüglich des bloßen Produktionsausfalls liegt kein Eigentumsschaden (bloße Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeit des Eigentums), sondern ein Vermögensschaden vor. – 127 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Hinsichtlich dieses Schadens müssen Sie das Schutzgut des Gewerbebetriebes anprüfen, aber wegen fehlender Betriebsbezogenheit ablehnen (s.o. Fall 64!). Vorliegend ist auch kein echter Drittschaden gegeben, der in der Regel durch § 823 I nicht ersetzt wird. B hat vielmehr durch die Beschädigung des Kabels eine Ursachenkette hervorgerufen, durch die auch der G unmittelbar geschädigt wurde. Für die Haftung des Schädigers ist es bedeutungslos, ob die Eigentumsverletzung unvermittelt oder im Wege einer Kettenreaktion bewirkt worden ist. So haftet beispielsweise derjenige, der auf ein Kraftfahrzeug auffährt, das seinerseits auf einen vorausfahrenden Wagen prallt, für die Schäden an beiden Fahrzeugen. Der Vorausfahrende ist nicht lediglich mittelbar geschädigter Dritter, vielmehr sind beide Eigentümer unmittelbar Geschädigte. Dieser Grundsatz gilt nach BGH auch dann, wenn es wie hier an der besonderen Beschaffenheit der zunächst betroffenen Sache liegt, daß weitere Gegenstände in Mitleidenschaft gezogen werden!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 55
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SACHENRECHT
63
Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht 63.
BGHZ 29, 65: Stromkabelfall Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb kann nur durch unmittelbare und betriebsbezogene Eingriffe verletzt werden. Bertriebsbezogen sind solche Eingriffe, die sich gegen den Betrieb als solchen richten und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen.
Sachverhalt: Der Baggerführer des S hat durch Unachtsamkeit ein zur Fabrik des G führendes Stromkabel zerrissen. Die Fabrik lag daher einen Tag lang still. G verlangt von S Ersatz des ihm entstandenen Schadens gem. §§ 831, 823 I.
Entscheidungsgründe: Eine Eigentumsverletzung lag hier nicht vor, da lediglich das Stromkabel beschädigt wurde, das im Eigentum des Elektrizitätswerk steht. Schon das Reichsgericht hatte das Recht am Gewerbebetrieb als sonstiges Recht i.S.d. § 823 I anerkannt (RGZ 58, 24). Der BGH hat diese Rechtsprechung übernommen und sogar ausgedehnt. Das Reichsgericht hatte lediglich einen Bestandsschutz gewährt, hingegen der BGH auch Eingriffe in den Schutzumfang mit einschließt, die sich nicht gegen den Bestand als solchen, sondern gegen eine seiner Erscheinungsformen richten, die dem Gewerbetrieb spezifisch und als solchem eigen sind (also z.B. auch Geschäftsverbindungen, Kundenkreis und Außenstände). Da das von der Rechtsprechung entwickelte Schutzgut des Gewerbebetriebes aber nur einen Auffangtatbestand darstellt (siehe unten), darf der Schutzumfang nicht zu weit gezogen werden: Der BGH beschränkt deshalb den Schutzbereich in der vorliegenden Entscheidung dadurch, daß nur sog unmittelbare und betriebsbezogene Eingriffe eine Schadensersatzpflicht auslösen können. Schon das Reichsgericht verlangte eine
unmittelbare Beeinträchtigung des Gewerbebetriebes als solchen. Der BGH stellt aber daneben auch noch auf die Betriebsbezogenheit ab. Betriebsbezogen ist ein Eingriff, wenn er sich gegen den Betrieb als solchen richtet, also spezifisch in den betrieblichen Organismus oder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingreift. Nicht ausreichend ist dagegen ein Eingriff in vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter. In der vorliegenden Entscheidung hat der BGH die Betriebsbezogenheit verneint: Die Lieferung elektrischen Stroms über ein Stromkabel ist kein dem Gewerbebetrieb wesenseigenes Merkmal, sondern eine auf der Energielieferungspflicht der Versorgungsunternehmen beruhende Beziehung, die derjenigen gleichartig ist, die auch die anderen Stromabnehmer mit dem Elektrizitätswerk verbindet. Die Beschädigung des Stromkabels traf nach Ansicht des BGH nur zufälligerweise den Betrieb des G, hätte aber genausogut einen anderen Abnehmer treffen können. Verletzt wurde hierdurch nur der schuldrechtliche Stromlieferungsanspruch des G, welcher nicht unter den Schutzbereich des Gewerbebetriebes fällt, da keinesfalls auf dem Umweg über den Gewerbebe-
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
trieb ein Schutz von Forderungsrechten
eingeführt werden darf.
„HEMMER-METHODE“: Der Schutz des Gewerbebetriebes als sog. Rahmenrecht dient im wesentlichen der Schließung von Lücken und ist daher subsidiär, wenn andere Vorschriften mit Erfolg eingreifen. Der Gewerbebetrieb wird nach der Rechtsprechung jedoch nicht umfassend, sondern nur gegen bestimmte Verhaltensweisen geschützt. Besteht in dieser Hinsicht schon ein Schutz durch besondere gesetzliche Bestimmungen (z.B. UWG, GWG oder andere Rechte aus § 823 I) dann entfällt der subsidiäre Schutz des Gewerbebetriebes. Die Kriterien der Unmittelbarkeit und der Betriebsbezogenheit bringen weitere Einschränkungen. Seien Sie deshalb in der Klausur vorsichtig bei der Anwendung und insbesondere bei der Bejahung des Eingriffs in den Gewerbebetrieb, da oftmals auch schon der Eigentumsschutz des § 823 I genügt. Auch bei dem Recht am Gewerbebetrieb handelt es sich um einen sog. "offenen Tatbestand", bei welchem die Rechtswidrigkeit nicht indiziert ist, sondern positiv festgestellt werden muß (vgl. §§ 240 II, 253 II StGB). Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ist daher wie beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Einzelfall durch umfassende Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln. (S.o. Fall 61).
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 54 ff.
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SACHENRECHT
64
Elterliche Sorge als absolutes Recht i.S.d. § 823 I BGB
64.
BGHZ 111, 168 Das Recht der elterlichen Sorge ist ein absolutes Recht i.S.d. § 823 I. Wegen § 254 II sind Aufwendungen des Geschädigten aber nur dann zu ersetzen, wenn sie aus der Sicht eines verständigen Menschen in der Lage des Geschädigten erforderlich erscheinen.
Sachverhalt: Die Ehegatten M und F leben getrennt. Der F war das Sorgerecht für das gemeinsame fünfjährige Kind K übertragen worden. M weigerte sich jedoch, den K an die F herauszugeben (§ 1632). Da M und K nach mehrmaligem Wechsel des Wohnsitzes nicht mehr auffindbar waren, beauftragte die F einen Privatdetektiv mit der Suche. Die F verlangt nun Schadensersatz in Höhe von 97 000 DM, die sie dem Privatdetektiv zahlen mußte.
Entscheidungsgründe: In Betracht kommt nur ein Schadensersatzanspruch aus § 823 I. In der Rechtsprechung des BGH ist das Recht der elterlichen Sorge (§§ 1626 ff) als absolutes Recht i.S.d. § 823 I anerkannt. Daß es sich hierbei um ein absolutes Recht handelt, komme im Gesetz selbst zum Ausdruck, da gem. § 1632 die Personensorge das Recht umfasse, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen. Ohne den Schutz durch § 823 I wäre die Personensorge gegenüber Störungen durch Dritte einschließlich des nicht sorgeberechtigten Elternteils nur unvollkommen zu verwirklichen. Dies werde nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Sorgeberechtigte bei der Ausübung des Sorgerechts seinerseits dem Wohl des Kindes verpflichtet sei. Die elterliche Sorge sei ein Recht mit "wechselseitiger Innenwirkung", jedoch absoluter Außenwirkung im Verhältnis zu Dritten. Eine Grenze bestehe nur dort, wo die Gewährung deliktsrechtlichen Schutzes mit dem Wohl des Kindes nicht zu vereinbaren sei. In diesem Fall wäre der Arglisteinwand nach § 242 gegeben.
dieses Recht widerrechtlich und schuldhaft verletzt, so daß der Anspruch aus § 823 I dem Grunde nach gegeben ist. Fraglich ist jedoch der Umfang des Schadensersatzanspruchs. Nach BGH stellen Aufwendungen des Sorgeberechtigten, die der Wiedererlangung des Kindes dienen, einen aus der Sorgerechtsverletzung entstandenen Schaden dar. Es sei das "Essentiale" des Sorgerechts, daß der Sorgeberechtigte über den Aufenthalt des Kindes Bescheid weiß. Solche Aufwendungen seitens des Geschädigten seien aber nach § 254 II nur zu ersetzen, wenn sie aus der Sicht eines verständigen Menschen in der Lage des Geschädigten erforderlich erscheinen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Art der Aufwendung (Beauftragung eines Detektivs) als auch hinsichtlich des Umfanges der Aufwendungen (Höhe der Kosten). Im Ergebnis hat der BGH hier sowohl die Beauftragung des Privatdetektivs als auch die Höhe der entstandenen Kosten für erforderlich i.d.S. gehalten. F kann somit die entstandenen Kosten von M aus § 823 I ersetzt verlangen.
Im vorliegenden Fall war der F das Sorgerecht allein übertragen. Durch die Verweigerung der Herausgabe hat M – 131 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Achten Sie bei der Verletzung sonstiger Rechte i.S.d. § 823 I besonders auf die haftungsausfüllende Kausalität, da eingetretene Schäden oftmals nicht vom Schutzzweck der Norm erfaßt sind. Für den Schutzzweck der Norm darf keinesfalls pauschal auf § 823 I als solchen abgestellt werden. Statt dessen ist zu fragen, welche Art von Schäden speziell durch den deliktsrechtlichen Schutz des verletzten Rechtsguts - hier also elterliche Sorge - verhindert werden sollen. Der Schädiger ist dabei nach Ansicht des BGH auch bei der Verletzung eines nichtvermögensrechtlichen absoluten Rechts, wie es das Sorgerecht ist, zum Ausgleich der Vermögensnachteile verpflichtet, die durch die Verletzung des Rechts verursacht worden sind. Die entstandenen Detektivkosten fielen danach in den deliktischen Schutzbereich des elterlichen Sorgerechts. Da das Sorgerecht absolutes Recht i.S.d. § 823 I ist, kann analog § 1004 auch derjenige, der das Sorgerecht beeinträchtigt, auf Unterlassung in Anspruch genommen werden! Keine Verletzung des Sorgerechts ist es beispielsweise, wenn die Eltern mit einem Auslandsaufenthalt einverstanden sind und das Kind hierbei verletzt wird.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Familienrecht, Rn. 130 ff.
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SACHENRECHT
65
Zurechnung bei Herausforderung des Verletzten (psychisch vermittelte Kausalität) 65.
BGHZ 63, 189: Verfolgerfall Der bei einer Festnahme flüchtende Schädiger haftet für die bei seiner Verfolgung entstehenden Schäden, sofern der Verletzte in vorwerfbarer Weise zur Verfolgung herausgefordert worden ist und sich im Schaden ein verfolgungstypisches Risiko verwirklicht hat.
Sachverhalt: Der Polizist G wollte den Straftäter S in dessen Wohnung festnehmen. S flüchtete durch ein Fenster. G wollte S verfolgen und fiel, da er die örtlichen Verhältnisse nicht kannte, in einen unter dem Fenster befindlichen Schacht und brach sich das Bein. G verlangt von S die ihm entstandenen Arzt- und Behandlungskosten.
Entscheidungsgründe: In Betracht kommt vorliegend ein Anspruch aus § 823 I wegen Körperverletzung. Problematisch ist hierbei jedoch, daß G das Schadensrisiko durch seinen Entschluß zur Verfolgung selbst eingegangen ist. Damit könnte der haftungsbegründende Kausalzusammenhang fraglich sein. Nach dem BGH liegt die äquivalente und adäquate Kausalität vor. Insbesondere führt der eigene Entschluß des Verletzten nicht zur Inadäquanz des Ursachenzusammenhangs, da der Entschluß nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht so besonders eigenartig und unwahrscheinlich ist, daß das Verhalten des Flüchtenden als Ursache außer Betracht zu lassen wäre. Eine Einschränkung muß in solchen Fällen vielmehr auf der Ebene des Schutzzwecks der Norm aufgrund einer wertenden Betrachtung im Einzelfall erfolgen. Der Schutzzweck der Norm liegt nach BGH nur unter folgenden Voraussetzungen vor: Der Flüchtende muß das Verhalten des Verfolgers herausgefordert haben. Dabei genügt es jedoch nicht, daß sich der Verletzte tatsächlich zum Eingreifen hat bewegen lassen, vielmehr ist es notwendig, daß sich der Eingreifende zum Handeln herausge-
fordert fühlen durfte. Unter diesem Gesichtspunkt ist insbesondere von Belang, ob der Zweck der Verfolgung mit den damit verbundenen Risiken in einem angemessenen Verhältnis steht, d.h. vom Verfolger dürfen nicht unverhältnismäßig hohe Risiken in Kauf genommen worden sein. Ferner muß sich in der Schadensfolge ein spezifisches Verfolgungsrisiko verwirklicht haben, die bloße Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos reicht nicht aus, da Grund der Haftung die geschaffene erhöhte Gefahrenlage ist. Nach diesen Kriterien hat der BGH im vorliegenden Fall eine Ersatzpflicht des S bejaht: G durfte sich durch die Flucht des S zur Verfolgung herausgefordert fühlen, da er insbesondere als Polizist auch dienstrechtlich zur Verfolgung berechtigt und verpflichtet war. Der Verfolgungszweck stand auch in einem angemessenen Verhältnis zum eingegangenen Verletzungsrisiko, da G nur versuchte, dem S durch das Fenster zu folgen, nachdem S diesen Weg ohne Verletzung genommen hatte. Durch die Fensterflucht lag ferner ein gesteigertes Verfolgungsrisiko vor, das sich im Verletzungserfolg letztlich auch realisiert hat. Diese Umstände waren dem Verfolgten S aufgrund seiner Kenntnis der
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
örtlichen Gegebenheiten erkennbar, so daß ihm der Verletzungserfolg auch unter dem Gesichtspunkt des Schutz-
zwecks der Norm voll zuzurechnen ist. G kann somit von S Schadensersatz aus § 823 I verlangen.
„HEMMER-METHODE“: Die Zurechnung verfolgungstypischer Risiken ergibt sich auch aus der Wertung des § 254: Ein eventuelles Mitverschulden des Verletzten soll nicht schon im Grundsatz zum Ausschluß der Haftung führen, da hierdurch ein nicht sachgerechtes "Alles-oder-Nichts“ - Prinzip geschaffen und eine differenzierte Abwägung im Einzelfall verhindert würde. Eine solche dem Einzelfall gerecht werdende Wertung ist aber bereits in der Bestimmung des § 254 vorgesehen mit der Reichweite der vollen Haftung bis zu ihrer Verneinung. Daher läßt sich eine befriedigende Einzelfallgerechtigkeit nicht durch eine Verneinung der Haftung schon im Grundsatz, sondern nur über eine Korrektur des Ergebnisses über § 254 herstellen. Beachten Sie zu diesem Aspekt auch die neue Entscheidung des BGH ( NJW 1996, 1533), die einen nahezu identischen Sachverhalt betrifft. In der Klausur kommt es also auch hier wieder auf eine umfassende Interessenabwägung anhand der vom BGH aufgestellten Kriterien an. In Examensklausuren müssen Sie solche Herausforderungsfälle erkennen, auch wenn es sich dabei nicht immer um die typischen Verfolgungsfälle handelt. Immer wenn ein freiwilliger Entschluß des Geschädigten auftaucht, z.B. der Betroffene beauftragt selbst einen Abschleppunternehmer, um einen vor seiner Garage stehenden Pkw abschleppen zu lassen, müssen Sie die Grundsätze der Herausforderung anwenden!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 72 ff.
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SACHENRECHT
66
Schadenszurechnung bei Herausforderung
66.
BGHZ 101, 215: Herausforderung bei Rettungshandlungen - Nierenfall Der Arzt, der schuldhaft die einzige Niere des Kindes entfernt und damit eine Nierenspende durch die Mutter herausfordert, haftet für den dadurch entstehenden Schaden.
Sachverhalt: Der Arzt A behandelte die 13jährige T nach einem Sportunfall und entfernte ihr die vermeintlich nicht zu rettende linke Niere. Kurz darauf stellte sich heraus, daß die T von Geburt an keine rechte Niere besaß, ihr also die einzige Niere entfernt wurde. Deshalb entschloß sich ihre Mutter M, eine ihrer Nieren zu spenden. Die M verlangt von A Schadensersatz.
Entscheidungsgründe: In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch aus § 823 I. Eine Körper- und Gesundheitsverletzung liegt vor. Die haftungsbegründende Kausalität ist wie in Fall 65 zu bejahen, da der freiwillige Entschluß der M den Kausalzusammenhang nicht unterbricht. Eine sog. psychisch vermittelte Kausalität reicht hierfür aus. Fraglich ist aber der Schutzzweck der Norm. Auch hier wendet der BGH die in den "Verfolgerfällen" aufgestellten Grundsätze der Herausforderung an: Das Fehlverhalten des A hatte eine Gefahrenlage geschaffen, in der sich die M zu Recht zur Nierenspende herausgefordert fühlen durfte. Im Hinblick auf die Lebensgefahr der T war die Rettungshandlung der M ein verhältnismäßiges Mittel. Die M verfolgte durch die Rettungshandlung auch einen billigens-
werten Zweck. Im Gegensatz zu den "Verfolgerfällen" hat die M das Gesundheitsopfer zwar ganz bewußt erbracht. Dies ändert nach BGH aber nichts an der Herausforderungssituation und führt damit nicht zu einer haftungsbegrenzenden Wertung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die M in die Operation eingewilligt hat und die operative Entfernung der Niere durch den damit beauftragten Arzt deswegen rechtmäßig war. Denn die M hat nach BGH nicht auch in die durch A herbeigeführte Situation eingewilligt, die sie dazu bewog, zur Rettung ihres Kindes das Opfer an ihrer Gesundheit zu bringen. Die ihr gegenüber begangene unerlaubte Handlung bleibt deswegen rechtswidrig. Die M kann somit von A Schadensersatz aus § 823 I fordern.
„HEMMER-METHODE“: Beachten Sie, daß sich Herausforderungsfälle in vielen verschiedenen Varianten zeigen. Letztlich findet jedoch immer eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Neben den typischen "Verfolgerfällen" kommen daher auch Rettungshandlungen in Betracht, die einer Nothilfe oder rechtlich bzw. sittlich gebotenen Handlung entsprechen. Der Schädiger hat hier für die Schäden einzustehen, die Dritte aufgrund der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage bei der Rettungshandlung erleiden. Letztlich findet immer eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Die Folgen einer fehlenden gesteigerten Gefahrenlage zeigt Fall 67!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 72 ff. – 135 –
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SACHENRECHT
67
Abgrenzung Herausforderung - allgemeines Lebensrisiko
67.
BGH, NJW 1986, 1865: Rohrfall Ein Geschädigter, der sich einer Selbstgefährdung freiwillig ausgesetzt hat, kann seinen Schaden von einem Beteiligten nur dann ersetzt verlangen, wenn dieser einen zusätzlichen Gefahrenkreis für die Schädigung eröffnet hat.
Sachverhalt: Zwei 14jährige Realschüler A und B mischten Kaliumpermanganat und Schwefel, um einen Raketentreibstoff herzustellen. Die Stoffe stammten aus dem Chemiekasten des A, der auch die Mischung vornahm. Als A kurzzeitig den Raum verließ, spannte B das Rohr mit dem Gemisch in einen Schraubstock und trieb mit dem Hammer ein dünneres Rohr von oben hinein. Es kam zur Explosion, bei der B ein Auge verlor. B verlangt unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens einen Teil seines Schadens von A ersetzt.
Entscheidungsgründe: Der BGH hat hier trotz Bejahung der Deliktsfähigkeit (§ 828 II) eine Haftung des A aus § 823 I abgelehnt. Es gebe weder ein Gebot, andere vor Selbstgefährdung zu bewahren, noch ein Verbot, sie zu einer Selbstgefährdung psychisch zu veranlassen. Eine Ausnahme bestehe nur, wenn das selbstgefährdende Verhalten durch Hervorrufen einer billigenswerten Motivation herausgefordert worden ist. Daran fehle es hier: B hat den Schaden aus freiem Entschluß selbst ausgelöst, für ihn hat sich also nur das entschädi-
gungslose allgemeine Lebensrisiko verwirklicht. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß A seinen Chemiekasten zur Verfügung gestellt hatte und die Mischung zubereitete. A hatte hierbei gegenüber B keine übergeordnete Rolle im Sinne einer Garantenstellung. Das Handeln entsprach dem gemeinsamen Plan der Schüler und hätte daher auch von B selbst durchgeführt werden können. A hat somit keine zusätzliche Gefahrenquelle für die Schädigung des B eröffnet, was aber Voraussetzung für eine Zurechnung in Herausforderungsfällen ist.
„HEMMER-METHODE“: Dieser Fall stellt sozusagen das Gegenstück zu den "klassischen" Herausforderungsfällen dar. Da der in Anspruch genommene A schon keinen zusätzlichen Gefahrenkreis geschaffen hatte, ist der entstandene Schaden dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen. Bei dieser Sachlage muß der Geschädigte sich ein venire contra factum proprium (Ausfluß aus § 242) entgegenhalten lassen, wenn er den Schaden, den er durch seine freiwillige Selbstgefährdung herbeiführt, auf einen anderen abwälzen will.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 72 ff.
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SACHENRECHT
68
Verrichtungsgehilfe gem. § 831 BGB
68.
BGHZ 24, 21: Verkehrsrichtiges Verhalten Wer als Verrichtungsgehilfe i.S.d. § 831 I im Staßenbahnverkehr einen anderen an Leben, Körper, Gesundheit oder Eigentum verletzt, handelt rechtswidrig, es sei denn, daß er sich verkehrsrichtig (ordnungsgemäß) verhalten hat. Dabei hat der Geschädigte die Verletzungshandlung und ihre Folgen, der Geschäftsherr das verkehrsrichtige Verhalten des Verrichtungsgehilfen zu beweisen.
Sachverhalt: A war gerade im Begriff, die vordere Plattform einer Straßenbahn zu besteigen, als diese anfuhr. A stürzte vor die Straßenbahn. Dabei wurde sein rechter Fuß so schwer verletzt, daß sein Unterschenkel amputiert werden mußte. Der Straßenbahnfahrer V behauptet, es sei für ihn nicht erkennbar gewesen, daß A die Straßenbahn noch besteigen wollte, da es dafür schon zu spät war. A verlangt von der Bahngesellschaft Schadensersatz aus § 831 I.
Entscheidungsgründe:
Voraussetzung für eine Haftung des Geschäftsherrn aus § 831 I ist, daß der Verrichtungsgehilfe eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige unerlaubte Handlung i.S.d. §§ 823 ff begangen hat. Ein Verschulden des Verrichtungsgehilfen ist dagegen nicht erforderlich, da die Haftung des § 831 an das vermutete eigene Verschulden des Geschäftsherrn anknüpft. Fraglich ist vorliegend die Rechtswidrigkeit des Handelns des V. Nach BGH bringt der Gesetzgeber durch die Umschreibung des Unrechtstatbestands in § 823 I zum Ausdruck, daß er die Verletzung der in § 823 I genannten Rechtsgüter i.d.R. als widerrechtlich ansieht (Lehre vom Erfolgsunrecht, s.u. HEMMER-METHODE). Durch den Zusatz "widerrechtlich" weise er jedoch darauf hin, daß die Widerrechtlichkeit auch aus besonderen Gründen entfallen kann (Rechtfertigungsgründe). Darüber, wann ein Rechtfertigungsgrund gegeben ist, habe das BGB jedoch keine erschöpfende Regelung getroffen. Durch die Entwicklung des technischen Verkehrs wurden die Pflichten der Verkehrsteilnehmer im
Laufe der Zeit durch gesetzliche Bestimmungen genau geregelt. In dem die Rechtsordnung diese Regelungen aufstellt, spreche sie aber gleichzeitig auch aus, daß sich ein Verhalten unter Beachtung dieser Vorschriften im Rahmen des Rechts hält. Es gehe daher nicht an, ein Verkehrsverhalten, das den Ge- und Verboten der Verkehrsordnung voll Rechnung trägt, trotzdem mit dem negativen Werturteil der Rechtswidrigkeit zu versehen. Deshalb sei der Satz aufzustellen, daß bei verkehrsrichtigem Verhalten eines Teilnehmers am Straßenverkehr eine rechtswidrige Schädigung nicht vorliegt. Da jedoch dem Schädiger bzw. Geschäftsherrn die Beweislast für das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes obliegt, gelte dies auch bezüglich des Rechtfertigungsgrundes des verkehrsrichtigen Verhaltens. Demgemäß müsse der Geschädigte beweisen, daß der Verrichtungsgehilfe eines der in § 823 I geschützten Rechtsgüter durch eine adäquat kausale Handlung verletzt hat. Der Beweis, daß das Verhalten des Verrichtungsgehilfen verkehrsrichtig und
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
daher rechtmäßig war, obliege dagegen Wird also im vorliegenden Fall ein verkehrsrichtiges Verhalten des V angenommen, so fehlt es bereits an einer
dem Geschäftsherrn. Anspruchsvoraussetzung des § 831 I 1, so daß auch eine eventuelle Exkulpation nach § 831 I 2 irrelevant ist.
„HEMMER-METHODE“: In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 823 I auf die Verhaltensweise (Handlungsunrecht) oder auf den Erfolg (Erfolgsunrecht) zu beziehen ist. Die Lehre vom Erfolgsunrecht geht sowohl bei vorsätzlicher als auch bei fahrlässiger Begehung davon aus, daß der Verletzungserfolg die Rechtswidrigkeit indiziert. Die Rechtswidrigkeit entfällt nur ausnahmsweise beim Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes. Die in der Literatur vertretene Lehre vom Handlungsunrecht knüpft dagegen an die zum Erfolg führende Handlung an. Die Rechtsgutsverletzung ist danach nur rechtswidrig, wenn der Handelnde gegen eine von der Rechtsordnung aufgestellte spezielle Verhaltensregel verstoßen hat. Die Rechtsprechung folgt grundsätzlich der Lehre vom Erfolgsunrecht. Z.T. wird die vorliegende Entscheidung über das verkehrsrichtige Verhalten als Annäherung an die Lehre vom Handlungsunrecht gewertet. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich aber deutlich, daß dies vom BGH nicht gewollt war. Vielmehr wollte es am Erfolgsunrecht festhalten, und das verkehrsrichtige Verhalten nur als besonderen Rechtfertigungsgrund einordnen. In der Klausur wird der Streit im Regelfall nicht entscheidend sein, da bei verkehrsrichtigem Verhalten der § 823 I auch nach der Lehre vom Erfolgsunrecht jedenfals am fehlenden Verschulden scheitert. Ob eine Handlung rechtswidrig, aber schuldlos oder schon rechtmäßig ist, ist i.d.R. belanglos. Stellen sie ihn aber trotzdem kurz dar, wenn der Schwerpunkt im Deliktsrecht liegt. Führen Sie eine Scheindiskussion und entscheiden Sie sich wertkonservativ für die Lehre vom Erfolgsunrecht!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 79 ff.
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SACHENRECHT
69
§ 830, Mehrheit von Deliktsbeteiligten
69.
BGHZ 72, 355: Ausschluß des § 830 I 2 bei erwiesener Haftung eines Beteiligten Eine Haftung aus § 830 I 2 scheidet aus, wenn einer der Beteiligten aufgrund erwiesener Kausalität bereits aus § 823 I haftet. Die Vorschrift soll den Geschädigten bei nicht nachweisbarer Verursachung vor Verlust seines Anspruchs schützen, nicht aber ihm einen zusätzlichen Anspruchsgegner liefern.
Sachverhalt: A fuhr den Mofafahrer M an, so daß dieser auf die Fahrbahn stürzte und verletzt liegenblieb. Wenig später erfaßte der Wagen des B den M und schleifte ihn 13m weit mit. M starb bald darauf an seinen Verletzungen. Wer von beiden den Tod des M verursacht hat, läßt sich nicht feststellen, da beide Unfälle geeignet waren, den Tod herbeizuführen. Die Hinterbliebenen des M verlangen von B Schadensersatz.
Entscheidungsgründe: M ist vorliegend sowohl von A als auch von B erheblich verletzt worden. Da jedoch nicht festzustellen ist, welcher von beiden letztendlich den Tod des M verursacht hat, bietet sich hier die Anwendung des § 830 I 2 an. Der BGH hat jedoch einen Schadensersatzanspruch gegen B aus § 830 I 2 abgelehnt. Die Besonderheit des Falles besteht darin, daß sich der Erstschädiger A nicht nur die unmittelbare Verletzung zurechnen lassen muß, sondern auch die darauf beruhende hilflose Lage des Verletzten, die den zweiten Unfall mitverursacht hat. Wurde der Tod also noch nicht durch den ersten Unfall herbeigeführt, haftet A trotzdem für ihn, weil sich der zweite Unfall als Folgeschaden der ersten Verletzung darstellt. Das Verhalten des A ist daher
in jedem Fall kausal für den eingetretenen Tod, so daß dieser aus § 823 I haftet. Eine Haftung nach § 830 I 2 muß aber nach Sinn und Zweck der Regelung ausscheiden, wenn einer der Beteiligten aufgrund nachweisbarer Kausalität bereits aus einer anderen Rechtsnorm haftet. Die Vorschrift soll den Geschädigten bei unklärbar gebliebener Verursachung davor schützen, daß er leer ausgeht. Sie soll ihm dagegen nicht einen zusätzlichen Anspruchsgegner liefern. Auch die bloße Ungewißheit, ob zusätzlich (!) ein anderer verantwortlich ist, reicht für ihre Anwendung nicht aus. Damit haftet B weder aus § 830 I 2 noch direkt aus § 823 I, da hierfür der Beweis der Kausalität fehlt.
„HEMMER-METHODE“: Wie aus der Entscheidung zu ersehen ist, bedeutet nicht jede Unklarheit im Schadensverlauf auch ein Nichtbestehen der Kausalität i.S.d. § 830 I 2! Denken Sie daran: Sobald der eingetretene Schaden einem von mehreren Schädigern zurechenbar ist, entfällt eine Anwendung des § 830 I 2. Nach inzwischen ganz h.M. handelt es sich bei § 830 in allen drei Fallgruppen um eine selbständige Anspruchsgrundlage. Dies gilt insbesondere für § 830 I 2, der von der früheren Rechtsprechung als bloße prozessuale Beweislastregel behandelt wurde. Häufiger Klausurfehler ist es daher, § 830 I 2 im Rahmen der haftungsbegründenden oder haftungsausfüllenden Kausalität zu prüfen. Vielmehr müssen Sie alle in Betracht kommenden Rechtsnormen mangels nachweisbarer Kausalität ablehnen und dann § 830 I – 141 –
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2 als eigenständige Rechtsgrundlage prüfen. Erst im Rahmen des § 830 I 2 werden dann die Zweifel bezüglich der Kausalität überwunden. § 830 entfällt jedoch, wenn sich nicht einmal eine Beteiligung nachweisen läßt.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 156 ff.
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SACHENRECHT
70
Mitverschulden der Eltern bei Verletzung ihres Kindes; Haftung des Schädigers bei gestörter Gesamtschuld 70.
BGHZ 103, 338 Die Ersatzpflicht des Schädigers für die Verletzung eines Kindes wird nicht dadurch berührt, daß an der Schädigung die Eltern des Kindes mitbeteiligt gewesen sind, diese aber wegen des milderen Sorgfaltsmaßstabes des § 1664 I dem Kind nicht haften. Dem Schädiger steht in diesem Falle auch nicht ein fingierter Ausgleichsanspruch gegen die Eltern zu.
Sachverhalt: Das knapp 2jährige Kind K besuchte mit seinen Eltern den Spielplatz der Stadt S. Aufgrund einer kurzen Unaufmerksamkeit des Vaters V stürzte K dort von der 1,50m hohen Rutsche auf den Boden, der an dieser Stelle aus Asphaltbeton bestand, und verletzte sich erheblich. K verlangt von der S Schadensersatz wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht. Die S ist dagegen der Ansicht, K müsse sich zumindest das Mitverschulden des V aus der Verletzung der Aufsichtspflicht entgegenhalten lassen.
Entscheidungsgründe: Nach BGH hat die S ihre Verkehrssicherungspflicht dadurch verletzt, daß sie nicht für einen geeigneten aufprallhemmenden Bodenbelag im Bereich der Rutsche gesorgt hat. Der Anspruch des K aus § 823 I besteht damit dem Grunde nach. K muß sich auch nicht gem. § 254 I bzw. II i.V.m. § 278 ein Verschulden des V als Mitverschulden anrechnen lassen, da die Benutzung eines Kinderspielplatzes kein Sonderrechtsverhältnis i.S.d. § 278 (§ 254 II 2 ist nach h.M. Rechtsgrundverweisung) begründet. Zwar war die Benutzung des Spielplatzes durch Satzung geregelt, jedoch kann hieraus nicht die Begründung eines vertragsähnlichen Benutzungsverhältnisses gefolgert werden, das besondere über das allgemeine Deliktsrecht hinausgehende Rechtspflichten zur Folge hätte. Damit kommt der BGH nun zu der Frage, ob der Anspruch des K aus § 823 I aus dem Gesichtspunkt des gestörten Innenausgleichs unter Gesamtschuldnern zu kürzen ist. Da auch der V dem K wegen Verletzung seiner Aufsichts-
pflicht aus § 823 I haften müßte, wäre grundsätzlich ein Gesamtschuldverhältnis i.S.d. § 840 gegeben. Diese Gesamtschuldverhältnis entfällt aber vorliegend, da der V wegen des milderen Sorgfaltsmaßstabs des § 1664 i.V.m. § 277 gar nicht haftet, er handelte nämlich nur leicht fahrlässig. Der BGH ging bisher in solchen Fällen einer "gestörten" Gesamtschuld mit der h.M. in der Literatur davon aus, daß in derartigen Fällen die gesetzliche Haftungsprivilegierung nicht zu Lasten des nicht privilegierten Schädigers gehen dürfte. Vielmehr müßte sie durch eine entsprechende Kürzung der Ersatzansprüche des Geschädigten in Höhe des Haftungsanteils des privilegiert Haftenden aufgefangen werden. Die Haftungsprivilegierung soll also letztlich zu Lasten des Geschädigten gehen, da dessen Interessen durch den gesetzlichen Haftungsausschluß ohnehin abgewertet sind. Diesen Grundsätzen folgt der BGH vorliegend jedoch nicht, da ein Gesamtschuldverhältnis von vornherein nicht entstanden wäre: In den Fällen, in de-
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
nen die Mithaftung an § 1664 scheitert, wachse der "privilegierte" Mitschädiger schon gar nicht in die Regelung des § 840 hinein, es fehle also schon an den Grundlagen für ein Gesamtschuldverhältnis, das "gestört" werden könne. Eine Kürzung des Anspruchs des K aus Gründen der gestörten Gesamtschuld kommt damit nicht in Betracht. Genausowenig kann der S hier ein Rückgriff gegen V über die Fiktion eines Gesamtschuldverhältnisses zugebilligt werden, da die Haftungsmilderung vorliegend nicht auf einer vertraglichen Vereinbarung, sondern auf der gesetzgeberi-
schen Bewertung der Familiengemeinschaft in § 1664 beruhe und damit auch das "außenstehende" Rechtsverhältnis als solches angehe. Eine Korrektur des Ergebnisses über eine fingierte Gesamtschuld verbietet sich hiermit. Der BGH hat hier also der S weder einen Rückgriff gegen die Eltern zugebilligt noch die Haftung gemindert, so daß die S endgültig den ganzen Schaden tragen muß. K kann somit von der S Schadensersatz aus § 823 I in vollem Umfang verlangen.
„HEMMER-METHODE“: Machen Sie sich klar, daß es bei der Problematik der gestörten Gesamtschuld drei Lösungsmöglichkeiten gibt: Entweder zu Lasten des privilegiert Haftenden durch die fingierte Gesamtschuld und der daraus folgenden Rückgriffsmöglichkeit. Dies ist jedoch unbillig, da der privilegiert Haftende sonst besser stehen würde, wenn er den Schaden allein verursacht hätte. Oder zu Lasten des nicht privilegierten Schädigers, d.h. er bleibt wie hier auf dem ganzen Schaden sitzen. Dies ist wiederum unbillig, da die Mitverursachung des Zweitschädigers völlig außer Betracht bleibt. Am gerechtesten ist daher die Lösung zu Lasten des Geschädigten, dessen Interessen ja durch die Haftungsprivilegierung ohnehin abgewertet sind. Daher folgt die h.M. der Literatur auch durchweg dieser dritten Lösung, ohne zwischen vertraglichen und gesetzlichen Haftungsprivilegierungen zu unterscheiden. Der BGH wählt dagegen für gesetzliche Haftungsprivilegierungen die zweite Lösung, d.h. volle Haftung. Dabei überzeugt die Argumentation des BGH nicht wirklich: Wegen des Haftungsausschlusses entsteht regelmäßig kein Gesamtschuldverhältnis, also auch nicht bei vertraglichen Haftungsbeschränkungen! Auch die Begründung, § 1664 beruhe auf einer speziellen gesetzgeberischer Wertung und gehe daher das Außenverhältnis an, widerspricht schon dem klaren Wortlaut des § 1664:“...dem Kinde gegenüber...“! Die Lösung des BGH läßt sich daher nur vom Ergebnis her rechtfertigen, da der BGH eine Privilegierung der Familienmitglieder und die Erhaltung des Familienfriedens erreichen will. In der Klausur erschließt sich dieses Problem der gestörten Gesamtschuld oft nur auf den zweiten Blick: Wenn die grundsätzliche Haftung des in Anspruch genommenen Schädigers feststeht, kommen Sie erst beim Umfang des Schadensersatzanspruches zur Frage, ob dieser aufgrund eines bestehenden gestörten Gesamtschuldverhältnisses nach der Lösung der h.M. zu kürzen ist. Im Rahmen dieser Frage gehen Sie dann auf die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten und die Ansicht der Rechtsprechung ein. Hüten Sie sich aber davor, sich immer dann, wenn eine Mehrheit von Schädigern auftritt, auf diese Problematik zu stürzen, sondern prüfen Sie genau, ob überhaupt eine solche Konstellation der gestörten Gesamtschuld gegeben ist!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht III, Rn. 267 ff.
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SACHENRECHT
71
Probleme des Schadensersatzumfangs; haftungsausfüllende Kausalität bei sog. Vorhaltekosten 71.
BGHZ 75, 230: Schadensersatzpflicht des Ladendiebes Kosten von Überwachungs- und Sicherungsmaßnahmen, wie z.B. Vorbeugemaßnahmen gegen Ladendiebstähle, sind kein zu ersetzender Schaden i.S.d. §§ 249 ff. Dies gilt auch für Bearbeitungskosten, da diese als Müheverwaltung bei der Feststellung und Abwicklung eines Schadens zum eigenen Pflichtenkreis des Geschädigten gehören. Dagegen sind Fangprämien zu ersetzen, soweit sie in einem angemessenen Verhältnis zum Wert der gestohlenen Sache stehen.
Sachverhalt: S wurde in einem Kaufhaus beim Ladendiebstahl erwischt. Die von S entwendeten Waren hatten einem Gesamtwert von 12 DM. Der Ladeninhaber G verlangt von S Schadensersatz, insb. Erstattung einer "Fangprämie" in Höhe von 550 DM und einer Bearbeitungsgebühr in Höhe von weiteren 550 DM, bestehend aus Personalkosten und allgemeinen Bürounkosten.
Entscheidungsgründe:
Der BGH hält eine Fangprämie im Rahmen der §§ 249 ff. in vernünftigen Grenzen für erstattungsfähig. Problematisch ist hierbei nur, daß die Fangprämie vorsorglich vor Begehung des Diebstahls versprochen wird und damit auch präventiven Zwecken, insbesondere der Abschrekkung, dient. Daher wird die Erstattungsfähigkeit der Fangprämie fraglich, da reine Vorsorgemaßnahmen grds. nur den Geschäftsinhaber treffen und nicht auf den Dieb abgewälzt werden können. Bei reinen Vorsorgemaßnahmen fehlt es nämlich am Bezug zur konkreten Rechtsverletzung, da solche Maßnahmen das Eigentum nur allgemein gegen Diebe schützen sollen. Die Fangprämie weist dagegen einen konkreten Bezug zum einzelnen Ladendiebstahl auf, da sie erst durch diesen verursacht wird. Ist dieser konkrete Bezug gegeben, dann hindert auch der zusätzliche präventive Zweck die Erstattungsfähigkeit nicht, da der Schutzzweck der Norm auch Aufwendungen umfaßt, die der Eigentümer macht, um sein Eigentum
vor einem konkret drohenden(!) Schaden zu schützen, sofern sie aus der Sicht eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen zweckmäßig erscheinen. Damit der Grundsatz gewahrt bleibt, daß rein präventive Maßnahmen ohne konkreten Diebstahlsbezug nicht erstattungsfähig sind, bedarf es hier aber einer Begrenzung der Ersatzpflicht: Die Fangprämie ist daher nur insoweit zu ersetzen, als sie in einem angemessenen Verhältnis zum Wert der gestohlenen Sache steht. Der BGH hält im Normalfall eine Prämie bis zu 50 DM für angemessen. Im Einzelfall kann auch eine höhere Prämie ersatzfähig sein, die bei besonders wertvollen Sachen verhältnismäßig zugesagt ist. In Bagatellfällen ist die Erhebung einer pauschalen Fangprämie dagegen unzulässig. Die vom Schädiger geforderten Bearbeitungskosten sind jedoch nicht erstattungsfähig. Es handelt sich hierbei nach Ansicht des BGH um eine sog. Mühewaltung des Geschädigten, die dieser außergerichtlich zur Wahrung seiner Entschädigungsansprüche, also zu Feststellung und Ab-
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
wicklung seines Schadens, regelmäßig tätigen muß. Diese Mühewaltung bei der Rechtswahrung gehört ausschließlich zum Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der Geschädigten und liegt daher außerhalb des Schutzzwecks der Haftung des Schädigers. Hieran ändert sich auch nichts, wenn der Ladeninhaber wegen der Vielzahl
der Diebstähle eine Abteilung ausschließlich für diese Aufgaben eingerichtet hat, da der Schädiger nur für die eigene Tat haftet und ihm die Masse der weiteren Diebstähle nicht zugerechnet werden darf. G kann somit von S nur Schadensersatz in Höhe von 50 DM aufgrund der ausgesetzten Fangprämie verlangen.
„HEMMER-METHODE“: In der Klausur müssen Sie das Problem der Erstattungsfähigkeit von sog. Vorhaltekosten erstmals im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität aufwerfen. Die Überwachungs- und Sicherungsmaßnahmen wurden nämlich schon gar nicht adäquat kausal durch den konkreten Diebstahl hervorgerufen, sondern durch die allgemeine Diebstahlskriminalität. Auf den Punkt gebracht meint der BGH die fehlende haftungsausfüllende Kausalität, wenn er vom fehlenden konkreten Bezug redet. Anders bei der Fangprämie: Diese wurde adäquat kausal durch den konkreten Diebstahl verursacht. Als weitere Frage müssen Sie dann allerdings klären, ob diese wegen ihres auch präventiven Zwecks noch unter den Schutzzweck der Norm fällt. Dies ist mit der Begründung des BGH und den dort angegeben Grenzen zu bejahen. Sie sehen also: Das sture Auswendiglernen von BGH-Entscheidungen bringt gar nichts, wenn es Ihnen nicht gelingt, dieses Wissen an der richtigen Stelle in die Klausur einzubringen! Maßgebliche Frage ist dann: Ist es Sinn und Zweck des § 823 vor solchen Schäden (Fangprämie) zu schützen? Lernen Sie nicht den Fall, sondern versuchen Sie das Problem an sich zu verstehen! Nur so sind Sie in der Klausur erfolgreich.
Zur Vertiefung: Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 862 ff.; Hemmer/Wüst, Deliktsrecht I, Rn. 103 ff.
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SACHENRECHT
72
Herleitung eines materiellen Vermögensschadens über den Kommerzialisierungsgedanken 72.
BGHZ 117, 260 Schadensersatz für den Nutzungsausfall einer Wohnung kann vom Geschädigten nur verlangt werden, wenn der Raum für seine Lebensführung von zentraler Bedeutung war und er ihn auch selbst bewohnen wollte.
Sachverhalt: B veräußerte und übereignete dem K im Oktober 1983 ein Hausgrundstück mit Einliegerwohnung im Kellergeschoß. Im notariellen Kaufvertrag versicherte B, daß ihm keine versteckten Mängel bekannt wären. Gleichzeitig wurde jegliche Gewährleistung für den baulichen Zustand ausgeschlossen. 1987 traten Feuchtigkeitsschäden in der vom erwachsenen Sohn des K gelegentlich als Zweitwohnung genutzten Einliegerwohnung auf. In einem Sachverständigengutachten wurde eine fehlende Außenisolierung als Ursache festgestellt. Dem B war bekannt, daß diese Isolierung fehlte. K verlangt von B eine Entschädigung wegen der Nichtbenutzbarkeit der Einliegerwohnung ab 1987.
Entscheidungsgründe: Der Schadensersatzanspruch aus § 463 S.2 besteht dem Grunde nach: Ein Fehler i.S.d. § 459 I lag bei Gefahrübergang vor. Wegen positiver Kenntnis ist Arglist des B gegeben. Damit greift weder die Verjährung gem. § 477 ein, noch ist der Gewährleistungsausschluß wirksam, § 476. Voraussetzung für einen Schadensersatz wegen Nichterfüllung wäre jedoch das Vorliegen eines Schadens. Ein materieller Vermögensschaden kann aber allenfalls über den sog. Kommerzialisierungsgedanken hergeleitet werden. Nach BGH gehören zum Vermögen i.S.d. des Schadenersatzrechts alle Lebensgüter, die kommerzialisiert sind. Kommerzialisiert sind alle vermögenswerten Güter, die im wirtschaftlichen Verkehr gegen Entgelt erworben werden können, also auch Gebrauchsvorteile. Wird ein solches Gut beeinträchtigt oder entzogen, stellt der entstandene, in Geld meßbare Nachteil auch dann einen Vermögensschaden
dar, wenn sich bei einer auf das Gesamtvermögen bezogenen Differenzberechnung keine bleibende Einbuße feststellen läßt. Da in unserer Wirtschaftsordnung aber praktisch jedes Rechtsgut kommerzialisiert ist, bedarf diese Formel nach BGH einer Einschränkung. Die Anerkennung eines ersatzfähigen Schadens beschränkt sich demnach nur auf solche Sachen, auf deren ständige Verfügbarkeit die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung des Geschädigten typischerweise angewiesen ist. An diese Voraussetzungen ist auch der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung zu knüpfen. Da die Einliegerwohnung nur gelegentlich vom Sohn benutzt wurde, der gar nicht mehr zum Haushalt des K gehörte, zählte sie nicht zum Kreis der Sachen, die für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung des K von zentraler Bedeutung waren. Damit ist dem K kein ersatzfähiger materieller Schaden entstanden.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Ob ein Vermögensschaden vorliegt ist grds. anhand der Differenzhypothese zu ermitteln. Dabei wird ein Vergleich angestellt zwischen der Vermögenslage, die ohne das schädigende Ereignis bestehen würde, und der tatsächlichen Vermögenslage. Ergibt sich rechnerisch kein Unterschied zwischen den Vermögenslagen, so müssen Sie auf den Kommerzialisierungsgedanken zurückgreifen. Es handelt sich hierbei aber keinesfalls um den Ersatz eines Nichtvermögensschadens, sondern um die Herleitung eines materiellen Vermögensschadens aufgrund der Kommerzialisierung. In der Literatur werden auch andere Lösungsansätze vertreten. Nach der sog. Frustrationstheorie kann der Vermögensschaden in den fehlgeschlagenen Aufwendungen des Geschädigten liegen. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Dem Frustrationsgedanken entsprechend sind Aufwendungen nicht nur dann fehlgeschlagen, wenn die geschädigte Sache unbenutzbar ist, sondern auch dann, wenn der Geschädigte die Sache aufgrund des schädigenden Ereignisses nicht benutzen kann. Der Geschädigte könnte so z.B. während seines Krankenhausaufenthalts die vergebliche Miete mit allen Nebenkosten bis hin zur Fernsehgebühr verlangen. Bei aufwendigem Lebensstil steigt die Summe der vergeblichen, gebrauchsunabhängigen Aufwendungen ins Unermeßliche. Diese uferlose Ausweitung der Ersatzpflicht hätte die völlige Aushöhlung des § 253 zur Folge, da bloße Handlungsmöglichkeiten zum ersatzfähigen Schaden würden. Daher stellt der Kommerzialisierungsgedanke zu Recht darauf ab, daß nur Lebensgüter geschützt werden, deren ständige Verfügbarkeit für die Lebensführung des Geschädigten von zentraler Bedeutung sind, und daß der Eingriff zu einer fühlbaren Beeinträchtigung geführt haben muß! Auf Seiten des Geschädigten sind daher Nutzungswille und Nutzungsmöglichkeit erforderlich (also nicht bei Krankenhausaufenthalt bzgl. PKW und Haus). Oder anders formuliert: Der Anspruch besteht eben nicht bei Personenschäden, sondern nur dann, wenn in den Gegenstand des Gebrauchs eingegriffen wird.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht III, Rn. 131 ff.
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SACHENRECHT
73
Kommerzialisierung des Urlaubs
73.
BGHZ 86, 212 Wird der Geschädigte durch eine Körperverletzung daran gehindert, einen Urlaub zu genießen, führt dies nicht zum Ersatz eines Vermögensschadens aufgrund einer "Kommerzialisierung" des Urlaubsgenusses. Die Urlaubsbeeinträchtigung kann jedoch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden.
Sachverhalt: G wurde während seines Urlaubs von dem Kraftfahrer S angefahren und erlitt erhebliche Verletzungen. G verlangt deshalb von S Schadensersatz wegen des "vergeudeten" Urlaubs.
Entscheidungsgründe:
Der BGH lehnt einen Schadensersatzanspruch des G wegen der vertanen Urlaubs ab. Da die vertane Urlaubszeit ein nichtvermögensrechtlicher Schaden sei, könne sie nur unter den Voraussetzungen des § 253 ersatzfähig sein. Da eine dem § 651f II entsprechende Regelung für das Deliktsrecht nicht bestehe, könne die vertane Urlaubszeit nur im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes gem. §§ 847, 253 Berücksichtigung finden. Von der Kommerzialisierung des Urlaubsgenusses könne nur in den Fällen ausgegangen werden, in denen dieser unmittelbar oder mittelbar zum Gegenstand einer vertraglichen Leistung ge-
macht worden war. Nur in diesen Fällen bestehe ein so enger Bezug zwischen der vertraglichen Verhaltenspflicht und dem Interesse am Urlaubsgenuß, daß hier von einer durch den Vertragskonsens geprägten Kommerzialisierung des Urlaubsgenusses auszugehen sei. Wird aber die Genußentbehrung nur durch die Verletzung eines anderen Rechtsguts vermittelt, dann führt die Regelung des § 253 dazu, daß kein Ersatz verlangt werden kann. G kann von S also nicht Schadensersatz für den vertanen Urlaub verlangen. Diese Tatsache kann jedoch bei der Bemessung seines Schmerzensgeldanspruches berücksichtigt werden.
„HEMMER-METHODE“: Im Reisevertragsrecht hat der BGH den Urlaub vor Inkrafttreten des § 651f als ein vermögenswertes Gut angesehen und seine Beeinträchtigung daher als Vermögensschaden gewertet. Schadensersatz wegen nutzlos aufgewandter Urlaubstage konnten entsprechend dem Kommerzialisierungsgedanken aber nur Erwerbstätige (Arbeitnehmer und Selbständige) einschließlich der Hausfrauen verlangen, nicht dagegen Kinder, Studenten, Arbeitslose und Rentner. Dementsprechend hat der BGH diese Rechtsprechung teilweise auch auf das Deliktsrecht übertragen und den vertanen Urlaub als Vermögensschaden anerkannt. Inzwischen hat sich die Rechtslage durch das Inkrafttreten des § 651f aber verändert. Nach § 651f II steht auch den Nichterwerbstätigen wegen nutzlos aufgewandter Urlaubszeit eine Entschädigung in Geld zu. Damit weist der Gesetzgeber die Ansprüche wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit aber dem nichtvermögensrechtlichen Bereich zu. § 651f stellt daher nach überwiegender Ansicht eine gesetzliche Ausnahme– 149 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
bestimmung i.S.d. § 253 dar. Die Rechtsprechung zur Kommerzialisierung des Urlaubs ist damit überholt. Es kann nicht überzeugen, den fehlgeschlagenen Urlaub im Rahmen des § 651f als Nichtvermögensschaden zu behandeln, im Bereich des Deliktsrechts aber als Vermögensschaden zu qualifizieren. Aus diesem Grunde ist auch der BGH in dieser Entscheidung von der Kommerzialisierung des Urlaubs abgerückt und hat den Schadensersatzanspruch verneint. Eine Ausnahme wird nur bei reisevertragsähnlichen Verträgen gemacht, bei denen die Vermittlung von Urlaubsfreude Vertragszweck ist. Hier haben die Parteien sozusagen selbst eine Kommerzialisierung des Urlaubs im Vertrag vereinbart. Bei Verträgen über einzelne Reiseleistungen (kein Reisevertrag i.S.d § 651a) kann nach BGH § 651f auch analog angewendet werden!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht III, Rn. 145 ff.
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SACHENRECHT
74
§§ 249 ff, Fragen des Schadensersatzumfangs; Differenzierung von Personen- und Sachschäden beim Ersatz fiktiver Wiederherstellungskosten 74.
BGHZ 97, 14 Für eine noch nicht durchgeführte Operation kann der Verletzte den erforderlichen Geldbetrag gem. § 249 S.2 nur verlangen, wenn er die Absicht hat, die Operation tatsächlich durchführen zu lassen.
Sachverhalt: G erlitt bei einem von S verschuldeten Verkehrsunfall erhebliche Verletzungen. Da bei G unfallbedingte Narben zurückgeblieben sind, verlangt er von S den für eine Narbenkorrektur erforderlichen Geldbetrag, obwohl er sich wegen des ungewissen Erfolges bislang noch nicht zu dieser Operation entschließen konnte.
Entscheidungsgründe: Der Schadensersatzanspruch des G besteht dem Grunde nach (§§ 7, 18 StVG, §§ 823 ff. BGB). Fraglich ist also nur der Umfang des Schadensersatzanspruches.
Reparaturkosten der Vermögensstand des Geschädigten wiederhergestellt, wie der Geschädigte dann sein Vermögen konkret gestaltet, unterliegt seiner Dispositionsfreiheit.
Gem. § 249 S.2 kann der Geschädigte im Fall einer Körperverletzung oder Sachbeschädigung statt der nach § 249 S.1 geforderten Naturalrestitution den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Im Bereich der Sachschäden ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, daß der Geschädigte die Wiederherstellungskosten auch dann verlangen kann, wenn er gar nicht die Absicht hat, die erforderliche Reparatur tatsächlich durchführen zu lassen. Dies führt zum Ersatz sog. fiktiver Kosten. Begründung des BGH: Dem Geschädigten stehe hier eine Dispositionsfreiheit zu. Die Reparaturbedürftigkeit der Sache schlägt sich als Minus im Vermögen des Geschädigten nieder, gleichgültig, ob er sie reparieren läßt oder nicht. Läßt er die Sache reparieren, wird er mit den dafür erforderlichen Kosten belastet. Unterläßt er dagegen die Reparatur, so bleibt sein Vermögen durch den Schaden geschmälert, er kann z.B. auch nur einen geringeren Verkaufserlös für die Sache erzielen. Letztendlich wird mit der Zahlung der erforderlichen
Dieser Grundsatz läßt sich nach dem BGH jedoch nicht auf den Ersatz von Personenschäden übertragen. Die Ersatzpflicht gem. § 249 S.2 ist hier auf die Beseitigung eines Nichtvermögensschadensschaden gerichtet und betrifft damit eine andere Ebene als die der Vermögensdisposition. Solange der Geschädigte die Operation noch nicht durchführt, liegt noch kein materieller Schaden vor, dieser entsteht erst mit deren Durchführung, da er dann mit den Operationskosten belastet wird. Verlangt der Verletzte die Behandlungskosten, obwohl er die Behandlung gar nicht durch führen lassen will, so verlangt er in Wahrheit eine Entschädigung für die fortwährende Beeinträchtigung seiner Gesundheit. Eine derartige Kompensation billigt die Rechtsordnung dem Geschädigten aber gem. § 253 nur unter den Voraussetzungen des § 847 zu. Die Zuerkennung fiktiver Heilungskosten würde also zu einer Umgehung des § 253 führen. Der BGH folgert daraus, daß es bei Personenschäden grundsätzlich keine
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Dispositionsfreiheit des Geschädigten bezüglich der Verwendung der Herstellungskosten gibt. Die Herstellungskosten sind in diesem Bereich vielmehr zweckgebunden. Solange G also nicht
die feste Absicht hat, die Narbenkorrektur vornehmen zu lassen, kann er von S auch nicht den dazu erforderlichen Betrag gem. § 249 S.2 verlangen.
„HEMMER-METHODE“: Machen Sie sich die unterschiedlichen Wertungen klar: Beim Sachschaden geht die Entscheidung des Geschädigten darüber, wie er den Geldbetrag verwendet, wesensmäßig nicht über eine Umschichtung des Schadens in seinem Vermögen hinaus und diese unterliegt seiner freien Vermögensdisposition. Bei Personenschäden ist die Naturalrestitution auf Herstellung der körperlichen Integrität gerichtet, also auf die Beseitigung eines Nichtvermögensschadens. Läßt der Geschädigte die Operation ausführen, so liegt ein materieller Schaden in Höhe der Behandlungskosten vor. Führt er sie dagegen nicht durch, erhielte er also auch in den Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 847 nicht gegeben sind (z.B. der Geschädigte hat nur einen vertraglichen Schadensersatzanspruch) ein gesetzlich nicht vorgesehenes Schmerzensgeld, § 253 wäre damit ausgehebelt!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht III, Rn. 107 ff.
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SACHENRECHT
75
Umfang des Schadensersatzes, § 249 S.2
75.
BGH, NJW 1993, 1793: Ersatz fiktiver Reparaturkosten bei Grundstücken Der deliktische Anspruch auf Ersatz fiktiver Reparaturkosten bei Grundstücken aus §§ 823 ff I.V.m.. § 249 S.2 geht mit Veräußerung des Grundstücks unter.
Sachverhalt: K ist Eigentümer eines Hausgrundstücks, das an einem Hang oberhalb des Geländes liegt, das dem A gehört. Der A beauftragte den B, auf seinem Grundstück ein Haus zu errichten. Nach wochenlangen Regenfällen begann B mit dem Aushub der Baugrube, ohne daß die Standsicherheit der Baugrube rechnerisch nachgewiesen war. Dabei wurde der Hangfuß angeschnitten, so daß Teile des Grundstücks des K abrutschten und sich am Haus des K Risse zeigten. K hat inzwischen das Grundstück veräußert. Er verlangt nunmehr von B Ersatz der fiktiven Kosten für die Sanierung von Haus und Rasen.
Entscheidungsgründe: Ein entsprechender Schadensersatzanspruch des K könnte sich aus § 823 I wegen Eigentumsverletzung ergeben. B hat den Schaden fahrlässig i.S.d. § 276 verursacht. Problematisch ist indes die Ersatzfähigkeit des geltend gemachten Schadens, da es sich um fiktive Reparaturkosten handelt. Der BGH hält dabei an seiner Rechtsprechung fest, daß der Schadensersatzanspruch des K mit der Veräußerung des Grundstücks untergegangen ist. Begründung: Der Anspruch auf Ersatz der Herstellungskosten gem. § 249 S.2 ist nach dem Wortlaut und der Konzeption des Gesetzes nur eine besondere Form der Naturalherstellung und daher grundsätzlich davon abhängig, daß eine solche Herstellung noch erfolgen kann. Veräußert der Eigentümer die beschädigte Sache, bevor er den Anspruch nach § 249 S.2 durchsetzt, so kann der mit § 249 verfolgte Zweck, das Interesse des Geschädigten an der Integrität seines Rechtsguts zu schützen, nicht mehr erreicht werden. Für die Aufrechterhaltung des Herstellungsanspruchs in einer seiner beiden Erschei-
nungsformen ist dann auch aus dem Gesichtspunkt der Dispositionsfreiheit kein Raum mehr. Soweit der BGH hiervon Ausnahmen zugelassen hat, betreffen sie andere, nicht vergleichbare Sachverhalte, nämlich die Beschädigung von beweglichen Sachen, vor allem im Bereich der Kraftfahrzeuge. Die Rechtsprechung zu den Kraftfahrzeugen beruht nämlich auf dem Gedanken, daß die wirtschaftlich sinnvolle Nutzung eines Pkws die Wiederherstellung seiner Gebrauchsfähigkeit praktisch voraussetzt und die Reparaturpreise wegen ihrer Standardisierung leicht taxierbar sind. Diese Gesichtspunkte sind auf Grundstücke nicht übertragbar. Diese Auffassung führt nach BGH auch nicht zu einem unbilligen Ergebnis, da die Beschädigung eines Grundstücks in der Regel dessen Wert mindert und etwa erforderliche Wiederherstellungskosten bei der Bemessung des Minderwertes gem. § 251 Berücksichtigung finden können. Die geltend gemachten fiktiven Reparaturkosten stellen somit nach BGH keinen ersatzfähigen Schaden dar.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Der Anspruch aus § 249 S.2 setzt voraus, daß die Herstellung objektiv möglich ist (Arg. § 251 I). Ansonsten bleibt nur der Anspruch aus § 251 I, der sich auf das Wertinteresse des Geschädigten beschränkt. Allerdings ist zweifelhaft, ob der Anspruch aus § 249 S.2 auch im Falle zwischenzeitlicher subjektiver Unmöglichkeit ausgeschlossen ist, z.B. wenn die Sache unrepariert veräußert worden ist. Auch bei Weiterveräußerung bleibt die Reparatur ja objektiv möglich. Der Geschädigte könnte auch hier auf Schadensersatz gem. § 251 I beschränkt sein, weil das Unvermögen der Unmöglichkeit grds. gleichsteht. Die Rechtsprechung zu dieser Frage ist uneinheitlich. Sie geht aber im Grundsatz davon aus, daß der Herstellungsanspruch aus § 249 S.2 auch bei (subjektivem) Unvermögen ausgeschlossen ist. § 249 S.2 soll nach seinem Zweck ermöglichen, daß der Geschädigte die Herstellung selbst in die Hand nimmt. Damit endet der Anspruch aus § 249 S.2, wenn Herstellung in eigener Regie nicht mehr durchführbar ist. Der Geschädigte ist dann auf § 251 I beschränkt. Anders entscheidet der BGH jedoch bei der Weiterveräußerung eines beschädigten Kfz. Hier soll der Ersatzberechtigte auch weiterhin nach § 249 S.2 Ersatz der fiktiven Reparaturkosten verlangen können. Eine weitere Ausnahme besteht, wenn gegen einen Werkunternehmer ein Schadensersatzanspruch wegen mangelhafter Bauleistung nach § 635 besteht. Hier bleibt der Unternehmer verpflichtet, den zur Mängelbeseitigung erforderlichen Betrag zu zahlen, auch wenn der Besteller die Mängel nicht beseitigt und das Grundstück veräußert. Begründet wird dies damit, daß der Schadensersatzanspruch nach § 635 von vornherein nur auf Geld gerichtet ist. § 249 findet im Rahmen des § 635 gar keine Anwendung, so daß hier auch nicht die Möglichkeit der Wiederherstellung gegeben sein muß. Wegen der unterschiedlichen Rechtsprechung in diesem Punkt ist in der Klausur nur wichtig, daß Sie dem Korrektor Problemverständnis und Argumentationsfähigkeit signalisieren. Das Ergebnis ist dann - wie so oft - nicht entscheidend!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht III, Rn. 109 ff.
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SACHENRECHT
76
Rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb gem. § 929 BGB; Übergabeprobleme 76.
BGH, NJW 1979, 714 Für eine Eigentumsübertragung nach § 929 S.1 i.V.m. § 854 II ist die völlige Besitzaufgabe des Veräußerers erforderlich. Eine solche fehlt, wenn der Veräußerer durch einen Besitzdiener weiterhin Besitz an der Sache ausübt. Durch die bloße Einräumung von Mitbesitz kann eine Eigentumsübertragung nicht erfolgen.
Sachverhalt: S befand sich im Krankenhaus. Er wollte seiner Nichte N vier Bilder schenken, die sich in seiner als Anwaltskanzlei dienenden Wohnung befinden. Er händigte der N seinen Wohnungsschlüssel aus, damit diese während ihres Aufenthalts die Wohnung benutzen konnte. N sollte dann die Bilder gleich mitnehmen. Die Bürovorsteherin T besaß einen weiteren Schlüssel zur Wohnung. Da der S bald darauf starb, kam es nicht mehr zur Abholung der Bilder durch N. Vielmehr nahm die Witwe W des S die Bilder an sich. N verlangt von W Herausgabe der Bilder.
Entscheidungsgründe:
Der BGH lehnt einen Herausgabeanspruch der N aus § 985 ab, da diese nicht Eigentümerin der Bilder geworden ist. Da keine direkte Übergabe erfolgt ist, kommt hier nur ein Eigentumserwerb gem. § 929 S.1 i.V.m. § 854 II in Betracht. Eine Einigung i.S.d. § 929 S.1 liegt vor. Die erforderliche Einigung über den Besitzerwerb gem. § 854 II kann hierbei mit der Einigung über den Eigentumsübergang zusammenfallen. Voraussetzung für einen Eigentumserwerb nach § 929 S.1 i.V.m. § 854 II ist allerdings, daß der bisherige Besitzer die tatsächliche Gewalt über die Sache aufgibt und der Erwerber sogleich in der Lage ist, die alleinige Gewalt über die Sache auszuüben. Nach BGH hat S seinen unmittelbaren Besitz jedoch nicht aufgegeben, sondern durch seine Besitzdienerin T weiterhin ausgeübt. Zur Aufgabe des Besitzes genügt nicht der bloße Aufgabewille, vielmehr muß der Aufgabewille nach außen erkennbar werden. Dazu kann im Einzelfall zwar die Überlassung
eines Schlüssels ausreichend sein. Behält der Besitzer jedoch einen weiteren Wohnungsschlüssel, so ist nach der Verkehrsanschauung davon auszugehen, daß eine alleinige Gewaltausübung durch den Erwerber nicht möglich ist. Hier hatte die Bürovorsteherin T, die als Besitzdienerin des S anzusehen ist, einen weiteren Schlüssel, und damit Zugang zu allen Räumen. Sie machte davon auch weiterhin Gebrauch. Damit hat die T den Besitz an der Wohnung und damit auch an den sich darin befindlichen Bildern weiter für S ausgeübt. Die Besitzlage ist nicht anders anzusehen, als ob S selbst weiterhin die tatsächliche Gewalt über seine Wohnung ausgeübt hätte. Der N konnte durch die Übergabe der Schlüssel also nur Mitbesitz eingeräumt worden sein. Ein Eigentumsübergang nach § 929 S.1 i.V.m. § 854 II, der die Übertragung des Alleinbesitzes voraussetzt, scheidet daher aus. Die N kann daher von W nicht die Herausgabe der Bilder nach § 985 verlangen.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Eine Eigentumsübertragung hätte aber nach §§ 929 S.1, 930 stattfinden können. S hätte mit N ein Besitzkonstitut vereinbaren können, vermöge dessen S den unmittelbaren Besitz behält und der N der mittelbare Besitz eingeräumt wird. Dabei hätte wiederum die T als Besitzdienerin für S eingeschaltet werden können. Zur Vereinbarung eines solchen Besitzmittlungsverhältnisses hatte das Berufungsgericht aber keine Feststellungen getroffen, so daß der BGH hierüber nicht entscheiden konnte. Es bedarf aber bei einem Eigentumserwerb nach §§ 929, 930 einer entsprechenden Vereinbarung. Denken Sie also in der Klausur daran: Auch bei einer Eigentumsübertragung nach § 929 S.1 i.V.m.. § 854 II ist die völlige Besitzaufgabe der Veräußerers erforderlich. Nicht zwingend erforderlich ist hierfür das Erlangen der tatsächlichen Gewalt selbst, die N hätte sich also nicht unbedingt in die Wohnung des S begeben müssen. Die Übergabe scheiterte aber daran, daß S selbst durch seine Besitzdienerin T weiterhin an seiner Wohnung und den Bildern Besitz ausübte und die Bilder damit durchgehend in seinem Herrschaftsbereich blieben.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht I, Rn. 98 ff.
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SACHENRECHT
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Gutgläubiger Eigentumserwerb vom mittelbaren Besitzer gem. § 934 1.Alt. BGB; Problem des sog. Nebenbesitzes 77.
BGHZ 50, 45: Fräsmaschinenfall Veräußert der Vorbehaltskäufer die Sache gem. §§ 929, 930, 933 zur Sicherung an einen gutgläubigen Dritten, so wird dieser mittelbarer Besitzer. Es entsteht kein mittelbarer Nebenbesitz. Damit kann ein gutgläubiger Vierter das Eigentum schon mit Erwerb des mittelbaren Besitzes gem. § 934 1.Alt erwerben.
Sachverhalt: V verkaufte und übereignete eine Fräsmaschine unter Eigentumsvorbehalt an K. Noch vor vollständiger Kaufpreiszahlung übereignete K die Maschine zur Sicherung eines Kredites an C, wobei vereinbart wurde, daß K die Maschine weiter benutzen darf. C trat seinerseits alle Rechte aus der Sicherungsübereignung "sicherungshalber" an D ab. V verlangt nun "seine" Maschine von K heraus. Entscheidungsgründe: V kann die Fräsmaschine von K gem. § 985 nur herausverlangen, wenn er noch Eigentümer ist. Er hat sein Eigentum nicht an K verloren, da diese Übereignung nur bedingt erfolgte und die Bedingung (Restkaufpreiszahlung) noch nicht eingetreten ist. V hat sein Eigentum auch nicht durch die Übereignung des K an C gem. §§ 929, 930 verloren. Da K im Zeitpunkt der Übereignung Nichtberechtigter war, konnte C nur gutgläubig gem. § 933 erwerben. Die dazu erforderliche Übergabe der Sache hat jedoch nicht stattgefunden, da K weiterhin den unmittelbaren Besitz behielt. Für den BGH stellt sich daher nun die Frage, ob D gutgläubig Eigentum gem. § 929, 931, 934 1. Alt. erworben hat. Dann müßte C mittelbarer Besitzer gewesen sein. C hat mit K ein Besitzkonstitut vereinbart, das in der Sicherungsabrede zu sehen ist. Dieses Besitzkonstitut könnte jedoch, wie der BGH prüft, gem. § 139 nichtig sein, so daß C nicht mittelbarer Besitzer war. Einigung und Besitzkonstitut sind Teile des einheitlichen Rechtsgeschäfts der Übereignung. Wäre die Einigung nichtig, so könnte auch das Besitzko-
stitut gem. § 139 nichtig sein. Die Einigung war vorliegend jedoch nicht nichtig, sondern nur erfolglos, weil C kein Eigentum erwarb. Damit liegt schon der Tatbestand des § 139 nicht vor. Zwar mißlang die Eigentumsverschaffung, jedoch lag es dennoch im Interesse der Parteien, daß C jedenfalls das Anwartschaftsrecht des K erhalten sollte. Die Einigung ist in solchen Fällen gem. §§ 133, 157 so auszulegen, daß zumindest eine Anwartschaftsrechtsübertragung als minus gewollt ist. Damit war aber das Besitzkonstitut auch gerade zur Übertragung des Anwartschaftsrechts erforderlich und auch aus diesem Grunde nicht nichtig. Die Übertragung des Eigentums von C an D könnte jedoch daran scheitern, daß C nur sog. mittelbaren Nebenbesitz erlangt hat, d.h. C und V als mittelbare Besitzer gleichstufig nebeneinanderstanden. Ein solcher Nebenbesitz könnte für eine Besitzübertragung nach § 934 1. Alt nicht ausreichend sein. Der BGH verneint jedoch schon die Existenz einen solchen mittelbaren Nebenbesitzes, ohne sich in dieser Entscheidung näher damit auseinander zu setzen (s.u.). C war somit im Zeitpunkt der Eigen-
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tumsübertragung mittelbarer Besitzer, so daß D das Eigentum gutgläubig gem. § 934 1.Alt erwerben konnte. V
kann somit nicht Herausgabe gem. § 985 verlangen, da er sein Eigentum verloren hat.
„HEMMER-METHODE“: Die Existenz des sog. Nebenbesitzes ist umstritten, wird aber von der herrschenden Meinung abgelehnt. Der Nebenbesitz ist begrifflich der gleichstufige mittelbare Besitz mehrerer Personen, die nicht durch das Band des Mitbesitzes miteinander verbunden sind. Der Besitzmittler müßte also gleichzeitig für mehrere Personen besitzen. Insbesondere müßte er bereit sein, am Ende seines Besitzmittlungsverhältnisses die Sache an beide herauszugeben. Dies könnte allenfalls an beide gemeinsam erfolgen, z.B. wenn diese Mitbesitzer wären. Hier soll aber gerade kein Mitbesitz sondern Nebenbesitz vorliegen. Der Besitzmittler kann aber nicht die Sache an zwei Personen einzeln herausgeben, so daß die Konstruktion des Nebenbesitzes schon dogmatisch nicht möglich ist. Ein weiteres Argument gegen den Nebenbesitz ist, daß das BGB vier Arten des Besitzes kennt: Unmittelbarer/mittelbarer Besitz und Teil-/Mitbesitz, aber gerade keinen Nebenbesitz. Die h.M. geht daher davon aus, daß die Besitzarten im Gesetz abschließend geregelt sind. In Fällen wie diesen eignet sich in der Klausur der sog. "Märchenaufbau". Immer dann, wenn der ursprüngliche Eigentümer die Sache herausverlangt, ist diese Vorgehensweise in jedem Fall der günstigste und übersichtlichste.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht I, Rn. 219 ff.
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Unternehmerpfandrecht; Verwendungsersatzanspruch des nicht mehr berechtigten Besitzers 78.
BGHZ 34, 122: Gutgläubig erworbenes Unternehmerpfandrecht Der Herausgabeanspruch aus § 985 ist gegenüber einem vertraglichen Herausgabeanspruch nicht subsidiär. Vielmehr bestehen beide Herausgabeansprüche nebeneinander. Für die Anwendung der §§ 994 ff genügt, daß im Zeitpunkt des Herausgabeverlangens eine Vindikationslage besteht. Diese muß nicht schon im Zeitpunkt der Vornahme der Verwendungen vorgelegen haben, da der zunächst berechtigte Fremdbesitzer nicht schlechter stehen darf als der von Anfang an nicht berechtigte Fremdbesitzer.
Sachverhalt: K kaufte bei V ein Kfz unter Eigentumsvorbehalt. Im Kaufvertrag war vermerkt, daß K das Kfz in einem ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten und erforderliche Reparaturen ausführen zu lassen habe. Das Kfz wurde bei einem Unfall beschädigt. K ließ es in der Werkstatt des U reparieren. Da K die Kaufpreisraten nicht bezahlt, tritt V vom Kaufvertrag zurück und verlangt von U Herausgabe des Fahrzeugs.
Entscheidungsgründe: Fraglich ist ein Herausgabeanspruch des V aus § 985. Dieser Eigentumsanspruch tritt nicht hinter vertraglichen Herausgabeansprüchen zurück, da nach dem Willen des Gesetzgebers die beiden Herausgabeansprüche sich nicht ausschließen, sondern nebeneinander bestehen. Der BGH verwirft hiermit die von Raiser vertretene Lehre vom Vorrang der Vertragsverhältnisse. U könnte jedoch ein Recht zum Besitz i.S.d. § 986 haben. Ein eigenes Recht zum Besitz aus gesetzlichem Unternehmerpfandrecht gem. § 647 steht dem U nicht zu, da dieses nur an Sachen des Bestellers entsteht, K aber nicht Eigentümer des Fahrzeugs war. Auch ein Pfandrecht am Anwartschaftsrecht des Bestellers hilft nicht weiter, da V infolge des Zahlungsverzugs wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist, womit das Anwartschaftrecht des K und damit auch das Werkunternehmerpfandrecht am Anwartschaftsrecht erloschen ist. Das Werkunternehmerpfandrecht
könnte aber mit Wirkung gegen den Eigentümer V in Analogie zu § 185 kraft einer Verfügungsermächtigung entstanden sein, da eine Ermächtigung des V vorliegt, das Kfz reparieren zu lassen. Der BGH lehnt eine solche Analogie aber ab, da die Entstehung des Pfandrechts gerade nicht auf einer rechtsgeschäftlichen Verfügung beruht, sondern kraft Gesetzes eintritt. In Betracht kommt daher nur der gutgläubige Erwerb eines Werkunternehmerpfandrechts. Der BGH läßt jedoch den gutgläubigen Erwerb eines gesetzlichen Unternehmerpfandrechts mit dem Hinweis auf den Wortlaut des § 1257 nicht zu. (s.u.: HEMMER-METHODE). Damit scheidet ein Besitzrecht des U aus. Dieser hat jedoch ein Zurückbehaltungsrecht aus § 1000 wegen der von ihm ausgeführten Reparaturen unter dem Gesichtspunkt des Verwendungsersatzes gem. §§ 994 ff. Problematisch ist hierbei jedoch, daß U zum Zeitpunkt der Vornahme der Ver-
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wendungen rechtmäßiger Besitzer war. Er leitete sein Besitzrecht aufgrund des Werkvertrages vom unmittelbaren Besitzer K ab, der selbst zu diesem Zeitpunkt aus Kaufvertrag besitzberechtigt war. Nach BGH ist jedoch ausreichend, daß eine Vindikationslage erst zum Zeitpunkt des Herausgabeverlangens vorliegt. Nach Wortlaut und Sinn der §§ 994 ff könne es nur darauf ankommen, daß tatsächlich Verwendungen vorgenommen worden sind. Ohne Bedeutung sei es dagegen, wann die Verwendungen erfolgt seien, also ob vor oder nach Eintritt der Vindikationslage. Hauptargument des BGH: Ein zum Besitz berechtigter Fremdbesitzer darf nicht schlechter gestellt werden, als ein
von vornherein nicht zum Besitz berechtigter Fremdbesitzer. Ein solcher Besitzer ist aber nach §§ 994, 996 berechtigt, Ersatz seiner Verwendungen vom Eigentümer zu verlangen. Nach dem Sinn der §§ 994 ff soll der Eigentümer zum Ersatz der Verwendungen verpflichtet sein, da ihm diese letztendlich zugute kommen. Dies trifft auch dann zu, wenn erst im Zeitpunkt des Herausgabeverlangens eine Vindikationslage besteht. U kann somit dem Herausgabeanspruch des V ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 1000 i.V.m.. § 994 wegen der von ihm getätigten notwendigen Verwendungen entgegenhalten.
„HEMMER-METHODE“: Der gutgläubige Erwerb eines Werkunternehmerpfandrechts wird von der h.M. abgelehnt. Eine direkte Anwendung des § 1204 i.V.m.. § 1207 entfällt, da § 1257 die entsprechende Anwendung des Vertragspfandrechts nur für bereits entstandene gesetzliche Pfandrechte anordnet. Hier handelt es sich aber gerade um die Frage der Entstehung des gesetzlichen Pfandrechts. Teilweise wird aber eine analoge Anwendung des § 1257 angenommen. Zur Begründung wird angeführt, daß der Werkunternehmer wie bei einem rechtsgeschäftlichen Pfandrecht auf die Rechtsmacht des Bestellers vertraue, da dieser den Besitz habe und ihm diesen verschaffe. Auch § 366 III HGB billigt den gutgläubigen Erwerb eine gesetzlichen Pfandrechts zu. § 366 III HGB ist aber eine Ausnahmebestimmung, die der Beschleunigung des Handels dient und daher für andere Fälle nicht analogiefähig ist. Damit muß nach dem klaren Wortlaut des § 1257 der gutgläubige Erwerb eines gesetzlichen Pfandrechts abgelehnt werden. Anders stellt sich die Rechtslage nach h.M. beim gutgläubigen vertraglichen Pfandrechtserwerb aufgrund von AGB's dar. Damit kann grds. neben dem gesetzlichen Pfandrecht des § 647 ein vertragliches Pfandrecht bestellt werden. Ein solcher gutgläubiger Erwerb ist nach h.M. möglich, sofern die AGB's nicht ausdrücklich ein Pfandrecht an schuldnerfremden Sachen vorsehen, wodurch der Gläubiger bösgläubig wird. Auch die BGH-Rechtsprechung zum Verwendungsersatzanspruch des nicht-mehrberechtigten Besitzers wird in der Literatur stark kritisiert. Hauptargument der Literatur: nach der Systematik der §§ 987 ff wird das Vorliegen der Vindikationslage im Zeitpunkt der Vornahme der Handlung vorausgesetzt (Verwendungsvornahme in §§ 994 ff, Vornahme der schädigenden Handlung in §§ 989, 990) Ansonsten wäre auch die unterschiedliche Regelung bezüglich der Gut- und Bösgläubigkeit des Besitzers sinnlos. Ein berechtigter Besitzer kann weder gut- noch bösgläubig hinsichtlich seines bestehenden Besitzrechtes sein. Zudem sei das Argument der Schlechterstellung des rechtmäßigen Besitzers irreführend: Der berechtigte Besitzer stehe nicht schlechter als der nichtberechtigte, sondern nur anders. Ungeachtet dessen bietet sich die Argumentation des BGH zur Korrektur von unbilligen Ergebnissen in DreiPersonen-Verhältnissen an. Von diesem Problemkomplex zu unterscheiden ist aber
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der Fall, daß der Besitzer aufgrund eines beendeten Vertrages "nicht-mehrberechtigter" Besitzer ist. Für die Folgezeit können die §§ 987 ff grds. eingreifen. Soweit allerdings vertragliche Abwicklungsvorschriften bestehen, verdrängen diese die §§ 987 ff.!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 173 ff.
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Gutgläubiger Erwerb bei sog. Scheingeheiß; bereicherungsrechtlicher Leistungsbegriff
79.
BGH, NJW 1974, 1132: Hemdenlieferungsfall Ein Gutglaubenserwerb gem. § 929, 932 setzt Einigung und Übergabe voraus. Für die Übergabe genügt, daß der Besitzer die Sache auf Geheiß des Veräußerers übergibt. Hierfür genügt schon der Anschein der Geheißes (Scheingeheiß). Für das Vorliegen einer Leistung i.S.d. § 812 ist nicht der Wille des Leistenden, sondern der Empfängerhorizont maßgeblich.
Sachverhalt: A betrieb eine Hemdenfabrik. Als sich diese in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand, nahm der Kaufmann V, der schon früher Hemdengeschäfte für A vermittelt hatte, die Sanierung in die Hand. V schloß im eigenen Namen mit B einen Kaufvertrag über die Lieferung von Hemden. B ließ die Hemden bei A abholen. A ging bei der Lieferung davon aus, daß er eine eigene Verkäuferpflicht erfüllt, da er annimmt, V habe als Vertreter gehandelt. B bezahlt den Kaufpreis an V und veräußert die Hemden weiter. A verlangt nun Zahlung von B.
Entscheidungsgründe:
Der BGH beginnt die Prüfung direkt mit bereicherungsrechtlichen Ansprüchen und prüft zunächst einen Anspruch aus Leistungskondiktion, § 812 I 1, 1.Alt. Dieser Anspruch wird jedoch abgelehnt, da keine Leistung des A an B vorliege. Unter Leistung i.S.d. § 812 I ist eine bewußte und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens zu verstehen. Die Zweckbestimmung richtet sich aber nicht nach dem inneren Willen des Zuwendenden. Maßgebend ist vielmehr, als wessen Leistung sich die Zuwendung bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht des Empfängers darstellt. Hier hat sich die Zuwendung für den B als Leistung des V dargestellt, da dieser auch Vertragspartner war. Aus der Sicht des B hat A die Hemden lediglich auf Geheiß des V übergeben. Daß A in Wahrheit nicht auf Geheiß des V tätig war, sondern eine eigene Verbindlichkeit erfüllen wollte, hält der BGH bereicherungsrechtlich für unerheblich. Damit scheidet eine Leistungskondiktion im Verhältnis A - B aus.
Eine Eingriffskondiktion scheitert am Vorrang der Leistungsbeziehung V - B. Auch ein Anspruch aus § 816 I ist nach Ansicht des BGH nicht gegeben, da B die Hemden nicht als Nichtberechtigter weiterveräußert hat. Nach BGH hat B gutgläubig Eigentum von V erworben, ein Eigentumserwerb von A scheidet aus, da V die Einigung im eigenen Namen erklärt hat. Auch eine wirksame Übergabe ist erfolgt. Für eine Übergabe i.S.d. § 929 S.1 genügt, wenn ein Dritter die Sache auf Geheiß des Veräußerers übergibt. Zwar hat A sich dem Geheiß des V nicht wirklich unterworfen, der BGH läßt hier jedoch den Anschein des Geheißes genügen. Ausreichend ist also, daß A als Geheißperson aus der Sicht des Empfängers B dem "Scheingeheiß" des V tatsächlich folgt. Als Begründung dient auch der Vertrauensschutz, da V sich für B als "Herr der Sache" darstellt, da dieser die internen Weisungen ja nicht kennt. Damit hat B gutgläubig das Eigentum an den Hemden erworben, so daß es an einer Nichtberechtigung i.S.d. § 816 I fehlt. Wegen des Eigentumerwerbs des B
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scheiden auch Ansprüche aus §§ 989, 990 aus. Im Ergebnis hat A also keine
Ansprüche gegen B.
„HEMMER-METHODE“: Diese BGH-Entscheidung ist in der Literatur stark kritisiert worden. Nach der Lit. ist Voraussetzung für einen Gutglaubenserwerb, daß sich der Besitzer dem Geheiß wirklich unterordnet, da § 932 nicht den guten Glauben an eine nicht bestehende Weisung schützt. Nur die wirkliche Befolgung eines Geheißes entspricht dem Rechtsschein des Besitzes, der Grundlage eines Gutglaubenserwerbes ist. Geschützt wird nicht der gute Glaube bzgl. eines vermeintlichen Rechtsscheinträgers, sondern der durch den wirklich vorhandenen Rechtsscheinträger geschützte gute Glaube an das Recht selbst. Mangels Eigentumserwerb des B wäre dann auch ein Anspruch aus § 816 gegeben, B hätte als Nichtberechtigter verfügt. Entgegen dem BGH nimmt die Lit. hier teilweise auch eine Leistungskondiktion im Verhältnis A - B an, indem sie auf den Willen des Leistenden abstellt. Bereicherungsgegenstand ist dabei natürlich nur der Besitz, da B ja nach dieser Ansicht kein Eigentum erwerben konnte. Die Ablehnung der Leistungskondiktion ist nach BGH aber konsequent: Da er gutgläubigen Erwerb angenommen hat, kann er nicht einen Bereicherungsanspruch des A gegen B durchgreifen lassen, da Bereicherungsrecht den gutgläubigen Erwerb nicht aus den Angeln heben darf. Im Ergebnis gibt es keine schlagenden Argumente für die Literatur oder die Rechtsprechung. Denn je nachdem, welchen Gesichtspunkt man in den Vordergrund stellt, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Stellt man auf den Verkehrs- und Empfängerschutz ab, ist die Rspr. vorzugswürdig, stellt man auf den Besitz als Rechtsscheinträger ab, so muß man der Literatur folgen. Hier entscheidet also nicht das Ergebnis, sondern eine nachvollziehbare Argumentation. In der Klausur müssen Sie aber zwingend mit den Ansprüchen aus EBV beginnen und dort den Eigentumserwerb des B diskutieren, da sich auch das Konkurrenzproblem zum Bereicherungsrecht stellt. Der Aufbau des BGH - direkter Einstieg ins Bereicherungsrecht - würde in einer Klausur als falsch gewertet!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 204 ff.; Hemmer/Wüst, Sachenrecht, Rn. 13
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Verhältnis der §§ 994 ff. BGB zu § 951 I BGB und Bereicherungsrecht
80.
BGHZ 41, 157: Verwendungsersatz bei Bau auf fremdem Grund und Boden Die Vorschriften der §§ 994 - 1003 regeln im Verhältnis zwischen Eigentümer und nichtberechtigtem Besitzer den Ersatz von Verwendungen erschöpfend und schließen die Anwendbarkeit des allgemeinen Bereicherungsrechts aus. Der Ausschluß erstreckt sich zugleich auf § 951 I. Die Ausschlußwirkung tritt auch dann ein, wenn sich eine werterhöhende Maßnahme des Besitzers nicht als Verwendung im Rechtssinne darstellt und er infolgedessen keinen Ersatz nach §§ 994 ff. verlangen kann.
Sachverhalt: Der unrechtmäßige Besitzer B hatte auf dem Grundstück des E einen Wohnblock errichtet. E verlangt das Grundstück nach § 985 heraus, B macht dagegen ein Zurückbehaltungsrecht nach §§ 996, 1000 geltend.
Entscheidungsgründe: Fraglich ist vorliegend, ob überhaupt Verwendungen i.S.d. §§ 994 ff. vorliegen. Verwendungen liegen nach BGH nur vor, wenn eine willentliche Vermögensaufwendung vorliegt, die der Sache zugute kommt, indem sie sie wiederherstellt, erhält oder verbessert, sie aber nicht grundlegend verändert (sog. enger Verwendungsbegriff). Eine solche Zustandsveränderung liegt insbesondere im Falle der Bebauung eines vorher unbebauten Grundstücks vor. Daher scheidet ein Zurückbehaltungsrecht des B gem. §§ 996, 1000 vorliegend aus. Er stellt sich die Frage, ob wegen §§ 946, 94 (E hat Eigentum am Haus erworben) statt dessen auf § 951 I i.V.m. § 812 I 1, 2.Alt. zurückgegriffen werden kann. Nach BGH ist dies nicht möglich: Die §§ 994 ff. bilden danach eine abschließende Sonderregelung, die das allgemeine Bereicherungsrecht und damit auch § 951 I ausschließe. Dies gelte auch für Aufwendungen, die keine Verwendung i.S.d. §§ 994 ff. darstellen.
Begründung: Die Zulassung des § 951 I würde die in den §§ 994 ff enthaltene sorgfältig abgestufte Regelung und damit die gesetzgeberische Wertentscheidung unterlaufen. Dies führe insbesondere beim bösgläubigen Besitzer zu unbilligen Ergebnissen. Dieser würde bei völliger Umgestaltung Wertersatz nach § 951 verlangen können. Begnügt er sich dagegen mit weniger einschneidenden Maßnahmen, müßte er sich den engen Voraussetzungen der §§ 994 ff. unterwerfen, die beim bösgläubigen Besitzer sehr verschärft sind (§ 994 II, 996). Eine Besserstellung desjenigen, der seine Sachherrschaft wissentlich in hohem Maß übersteigt, gegenüber demjenigen, der sich in den Grenzen einer vernünftigen wirtschaftlichen Betrachtungsweise hält, erscheint aber unbillig. B kann dem Herausgabeanspruch des E somit keinen Verwendungsersatzanspruch entgegenhalten, ihm bleibt lediglich das Wegnahmerecht nach § 997.
„HEMMER-METHODE“: Diese in ständiger Rechtsprechung vertretene Ansicht wird in der Literatur überwiegend abgelehnt. Danach stehen dem Besitzer für solche Auf– 164 –
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wendungen, die nicht unter §§ 994 ff. fallen, Ansprüche auf Wertersatz nach § 951 I i.V.m. § 812 I zu. Die Sperrwirkung der §§ 994 ff. könne nur da gelten, wo es sich überhaupt um Verwendungen im Rechtssinne handele. Die sog. absolute Sperrwirkung der §§ 994 ff. führe auch zu unbilligen Ergebnissen. Die Unbilligkeit bestehe darin, daß der Besitzer für Umgestaltungsmaßnahmen nie Ersatz verlangen könne, auch wenn diese eine erhebliche Wertsteigerung des Grundstücks bewirkt hätten. Hat sich der Besitzer dagegen noch im Rahmen des Verwendungsbegriffs gehalten, kann er diese Wertsteigerung voll nach den §§ 994 ff. abschöpfen. Das Wegnahmerecht nach § 997 sei kein ausreichender Schutz, weil hiermit regelmäßig hohe Kosten verbunden seien. Außerdem werde der besitzende Verwender wesentlich schlechter gestellt als der nichtbesitzende, da für diesen mangels Anwendbarkeit der §§ 994 ff. keine Sperrwirkung bestehe. Der Schutz des Eigentümers könne in einem solchen Fall auch anders erreicht werden, nämlich über die Anwendung der Grundsätze der "aufgedrängten Bereicherung". In der Klausur erscheint es daher besser die absolute Sperrwirkung abzulehnen, da Sie nur so zu den Folgeproblemen des § 951 I und der aufgedrängten Bereicherung kommen. Die sich hieraus ergebende Lösung ist auch interessengerechter, weil sie flexibel den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung tragen kann!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 45 ff.; Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 200 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Verhältnis EBV - § 951 I BGB; § 951 I BGB als Rechtsfortwirkungsanspruch; Ausnahme vom Vorrang der Leistungskondiktion bei verschiedenen Bereicherungsgegenständen
81.
BGHZ 55, 176: Jungbullenfall Wer eine gestohlene Sache gutgläubig kauft und verarbeitet wird gem. § 950 Eigentümer der neuen Sache. Er schuldet aber dem ursprünglichen Eigentümer Wertersatz gem. § 951 i.V.m. § 812. Gegenüber diesem Anspruch kann er den an den Dieb gezahlten Kaufpreis nicht abziehen. Der Bereicherungsanspruch tritt nämlich an die Stelle des Herausgabeanspruchs nach § 985 (Rechtsfortwirkungsanspruch). Diesem gegenüber könnte sich der Besitzer auch nicht auf die einem Dritten erbrachte Leistung berufen.
Sachverhalt: D stahl dem E zwei Jungbullen und veräußerte sie an den gutgläubigen K. Dieser verwertete die Tiere in seiner Fleischwarenfabrik. E verlangt von K Wertersatz. Entscheidungsgründe:
Der BGH lehnt zunächst einen Schadensersatzanspruch des E aus §§ 989, 990 ab. Zwar bestand im Zeitpunkt der Verletzungshandlung (Verarbeitung) ein EBV (§ 935!), jedoch war K gutgläubig. Dem E könnte jedoch ein Anspruch aus § 951 I auf Wertersatz zustehen. Dann müßte § 951 I überhaupt neben den §§ 989, 990 anwendbar sein. Dies bejaht der BGH ausdrücklich, da § 951 I kein Schadensersatzanspruch ist, sondern ein Wertersatzanspruch, der nicht durch ein bestehendes EBV ausgeschlossen wird. Der BGH stellt fest, daß § 951 I eine Rechtsgrundverweisung ist, und prüft nun das Vorliegen der Voraussetzungen einer Eingriffs-
kondiktion. Diese liegt durch die unberechtigte Verarbeitung vor. Damit wird fraglich, ob der K den an D gezahlten Kaufpreis gegenüber dem Bereicherungsanspruch gem. § 818 III anrechnen kann. Dies wird vom BGH jedoch verneint: Der Bereicherungsanspruch ist an die Stelle des Herausgabeanspruchs nach § 985 getreten. Diesem gegenüber könnte der Besitzer sich nicht auf die einem Dritten erbrachte Leistung berufen. Deshalb kann er es auch nicht gegenüber dem Bereicherungsanspruch, er darf nach der Verarbeitung nicht besser stehen als vorher. E kann somit von K Wertersatz in voller Höhe verlangen.
„HEMMER-METHODE“: Auf die eigentlich interessante bereicherungsrechtliche Problematik geht der BGH in seiner Entscheidung gar nicht ein: Die Jungbullen sind dem K von D geleistet worden. Da § 951 I eine Rechtsgrundverweisung ist, erfordert ein Wertersatzanspruch den vollen Tatbestand des § 812. Damit könnte der Bereicherungsanspruch des E aus Eingriffskondiktion am Vorrang der Leistungsbeziehung D K scheitern. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. – 166 –
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Wegen § 935 hat K von D nur den Besitz erlangt. Das Eigentum hat er sich dagegen nach § 950 selbst verschafft. Die Bereicherungsgegenstände der Leistungs- und der Eingriffskondiktion fallen daher auseinander. Der Vorrang der Leistungskondiktion kann aber nur für das gelten, was gerade durch Leistung erlangt wurde. Damit ist eine Eingriffskondiktion bezüglich des Eigentums möglich. Dies ergibt sich auch aus Wertungsgesichtspunkten: § 951 I ist Rechtsfortwirkungsanspruch zu § 985. § 985 besteht aber wegen § 935 bei abhandengekommenen Gegenständen zugunsten des Eigentümers fort. Dies muß dann auch für den Rechtsfortwirkungsanspruch aus § 951 I gelten. Letztlich handelt es sich um dieselbe Problematik wie in Fall 47. Die eigentliche Problematik des Falles liegt damit im Bereicherungsrecht. Den Jungbullenfall als Klassiker müssen Sie kennen. Immer dann, wenn ein Gegenstand abhandengekommen ist und später von einem Dritten gutgläubig verbunden, vermischt oder verarbeitet wurde, müssen Sie an diese Konstellation denken!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 313
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Eigentumserwerb kraft Gesetzes gem. §§ 946 ff. BGB: Verarbeitung, Verbindung, wesentliche Bestandteile
82.
BGHZ 20, 159: Eigentumsvorbehalt und Verarbeitungsklausel Werden Rohstoffe unter Eigentumsvorbehalt mit Verarbeitungsklausel geliefert, ist im Falle einer Verarbeitung der Vorbehaltsverkäufer als Hersteller i.S.d. § 950 anzusehen. Bei der Frage einer Wesensänderung i.S.d. § 93 ist nicht auf die Gesamtsache, sondern auf die einzelnen Bestandteile abzustellen. Bei dem Begriff der Hauptsache i.S.d. § 947 II entscheidet die Verkehrsanschauung.
Sachverhalt: Die Firma K lieferte der Firma S Aluminiumbleche. Die Lieferung erfolgte unter Eigentumsvorbehalt, ferner wurde eine Verarbeitungsklausel vereinbart. Die S verarbeitete die Bleche zu Gehäusen, die dann für Hochfrequenzgeräte verwendet wurden. Die daraus hergestellten Geräte übereignete S zur Sicherung für einen Kredit an die Bank B. Die B verwertete die Geräte, um sich für ihre Forderungen zu befriedigen. K nimmt nun die B wegen Eigentumsverletzung aus § 823 I in Anspruch, da der B der Eigentumsvorbehalt bekannt gewesen sei.
Entscheidungsgründe: Eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 I durch die B setzt voraus, daß die K zum Zeitpunkt der Verwertung der Geräte noch Eigentümerin der von ihr gelierten Bleche war. Die K hat ihr Eigentum nicht durch die Übereignung an S verloren, da diese bedingt erfolgte und die Bedingung (Restkaufpreiszahlung) nicht eingetreten ist. Die S könnte jedoch durch Verarbeitung i.S.d. § 950 Eigentum erworben haben, wenn sie als Hersteller der Gehäuse anzusehen ist. Dies verneint der BGH jedoch: Die Frage, wer Hersteller der Gehäuse i.S.d. § 950 war, ist nach der Lebensanschauung zu entscheiden. Maßgebend ist hierfür der Standpunkt eines objektiven mit den Verhältnissen vertrauten Beurteilers. Werden Rohstoffe unter Eigentumsvorbehalt mit Verarbeitungsklausel geliefert, dann ist vom Standpunkt eines objektiven Betrachters in der Regel die Lieferfirma Hersteller i.S.d. § 950. Hieran würde selbst der Wille der S nichts ändern, die Bleche entgegen der getroffenen Vereinbarung für sich selbst
zu verarbeiten. Dieser Wille wäre ebenso unbeachtlich wie der Wille des im Betrieb angestellten Arbeiters, die ihm aufgetragene Arbeit nicht für den Betriebsinhaber, sondern für sich selbst zu verrichten. Damit ist die S also nicht als Hersteller anzusehen und hat kein Eigentum gem. § 950 erworben. K könnte das fortbestehende Eigentum an den Gehäusen jedoch verloren haben, wenn bezüglich der hergestellten Hochfrequenzgeräte § 947 II eingreift. Voraussetzung dafür wäre, daß die Gehäuse mit den Geräten dergestalt verbunden wurden, daß sie wesentliche Bestandteile einer einheitlichen Sache wurden und die Geräte als Hauptsache i.S.d. § 947 II anzusehen wären. Wesentliche Bestandteile sind gem. § 93 solche, die nicht voneinander getrennt werden können, ohne daß ein Bestandteil zerstört oder in seinem Wesen verändert wird. Da die Geräte durch Lösen weniger Schrauben wieder aus den Gehäusen ausgebaut werden können, liegt die Zerstörungsalternative nicht
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vor. In Betracht kommt eine Wesensveränderung. Dabei ist nach BGH nicht auf das Wesen der Gesamtsache abzustellen, vielmehr kommt es allein darauf an, ob die einzelnen Bestandteile durch die Trennung in ihrem Wesen verändert werden. Hierbei zählen in erster Linie wirtschaftliche Gesichtspunkte, insbesondere, ob die Trennung zur Vernichtung wirtschaftlicher Werte führt oder ob die Teile nach der Trennung wirtschaftlich wie bisher verwertbar sind. Da die Gehäuse ohne weiteres von den Geräten getrennt werden können und eine wirtschaftliche Verwertung weiterhin möglich ist, sind diese nicht wesentlicher Bestandteil geworden.
Unterstellt man dennoch, daß die Gehäuse wesentlicher Bestandteil der Hochfrequenzgeräte geworden wären, so bleibt fraglich, ob die Geräte als Hauptsache i.S.d. 947 II anzusehen wären. Entscheidend ist hier die Verkehrsauffassung. Eine Hauptsache liegt nach BGH nur dann vor, wenn die übrigen Bestandteile fehlen könnten, ohne daß das Wesen der Sache dadurch beeinträchtigt würde. Da das Gehäuse hier bestimmte eigene Aufgaben erfüllt, ist auch dies eher abzulehnen. Da das Berufungsgericht diese Frage aber nicht geprüft hatte, konnte der BGH nicht abschließend über diese Frage entscheiden, so daß die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung führte.
„HEMMER-METHODE“: Relevant sind Verarbeitungsklauseln insbesondere beim Verkauf unter Eigentumsvorbehalt. Ohne Verarbeitungsklausel würde der Verkäufer Gefahr laufen, das Vorbehaltseigentum gem. § 950 bereits durch Verarbeitung an den Käufer zu verlieren. Ihm bliebe dann nur ein Bereicherungsanspruch gegen den Vorbehaltskäufer (§§ 951 I, 812 I 1), der dingliche Herausgabeanspruch wäre dagegen erloschen. Um dies zu vermeiden, wird die Verarbeitungsklausel vereinbart, die festlegt, daß der Vorbehaltsverkäufer als Hersteller i.S.d. § 950 gilt. Während die Zulässigkeit einer Verarbeitungsklausel von der h.M. grds. bejaht wird, ist die dogmatische Herleitung strittig: Die Rechtsprechung hält zwar die gesetzliche Regelung des § 950 für zwingend. Allerdings läßt sie Parteivereinbarungen darüber, wer als Hersteller anzusehen ist, zu. Entscheidend hierfür ist letztlich die Verkehrsanschauung. Nach anderer Ansicht ist die Regelung des § 950 grds. abdingbar, da der dort geregelte Konflikt gar nicht besteht, wenn die Parteien darüber einig sind, wer Hersteller ist. Eine dritte Meinung hält § 950 für unabdingbar, legt aber die Verarbeitungsklausel als auflösend bedingte Sicherungsübereignung gem. §§ 929, 930 aus. Damit bleibt der Vorbehaltskäufer Hersteller i.S.d. § 950, jedoch erfolgt sofortige Rückübereignung an den Vorbehaltsverkäufer im Wege eines vorweggenommenen Besitzkonstituts. Problematisch ist hierbei natürlich, daß der Verarbeitende Durchgangseigentum erwirbt, welches in der "juristischen Sekunde" des Durchgangserwerbs mit Rechten anderer Gläubiger belastet werden kann.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht I, Rn. 290 ff.; Hemmer/Wüst, Kreditsicherungsrecht, Rn. 106 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Eigentumslage bei Überbau
83.
BGHZ 110, 298 Bei Eigengrenzüberbau gehört der überbaute Teil dem Eigentümer desjenigen Grundstücks, von dem aus überbaut wird (Stammgrundstück). Die Frage, welches der beiden Grundstücke als sog. Stammgrundstück anzusehen ist, beurteilt sich nach den Absichten des Erbauers. Indizien für diese Absichten können bestimmte objektive Gegebenheiten sein, z.B. die wirtschaftliche Interessenlage, die Zweckbeziehung des übergebauten Gebäudes und die räumliche Erschließung durch einen Zugang.
Sachverhalt: A war Eigentümer zweier nebeneinanderliegender Grundstücke Nr. 10 und Nr. 12. Im Jahr 1976 erstellte er für seinen auf dem Grundstück Nr. 12 liegenden Landwirtschaftsbetrieb eine Gerätehalle. Diese Halle wird je zur Hälfte auf beiden Grundstücken errichtet. Der Zugang zur Halle befindet sich auf dem Grundstück Nr. 12. Im Jahr 1986 verkaufte und übereignete A das Grundstück Nr. 10 an B. In der Folgezeit nimmt B an dem Teil der Gerätehalle, der auf seinem Grundstück steht, bauliche Veränderungen vor und nutzt das Gebäude als Garage. A verlangt von B Beseitigung der baulichen Veränderungen.
Entscheidungsgründe: Anspruchsgrundlage für die Beseitigung der baulichen Veränderungen ist § 1004 I 1. Dann müßte A Eigentümer des Gebäudeteils auf Grundstück Nr. 10 sein. Gem. §§ 946, 93, 94 I richtet sich das Eigentum am Gebäude nach dem Eigentum am Grundstück. Damit wäre B der Eigentümer des Gebäudeteils auf Nr. 10. Eine Ausnahme hiervon besteht nach §§ 912 ff: Wer Eigentümer des überbauten Gebäudeteils wird, regelt § 912 zwar nicht unmittelbar. Dies ergibt sich jedoch als mittelbare Folge der Vorschrift: Liegt ein Grenzüberbau i.S.d. § 912 I vor, unterliegt der übergebaute Gebäudeteil nicht der Grundregel der §§ 94 I, 946, sondern es tritt entsprechend § 95 I 2 (a.A. Pal. § 912, Rn. 12: §§ 93, 94 II) die Wirkung ein, daß er als Scheinbestandteil des überbauten Grundstücks wesentlicher Bestandteil des Grundstücks bleibt, von dem aus überbaut wurde (Stammgrundstück). Das gilt auch beim Eigengrenzüberbau.
Das Problem ist also, ob Nr. 10 oder Nr. 12 Stammgrundstück ist. Da A zum Zeitpunkt des Überbaus Eigentümer beider Grundstücke war, liegt ein Eigengrenzüberbau vor. Beim Eigengrenzüberbau ist das Stammgrundstück nach subjektiven Kriterien zu bestimmen. Stammgrundstück ist daher dasjenige, zu dessen wesentlichen Bestandteilen das Gebäude nach Willen des Erbauers gehört. Hier ist aber keine derartige Willensäußerung erfolgt. Fehlen Anzeichen für subjektive Kriterien, können diese nach BGH aus der natürlichen Betrachtungsweise aufgrund objektiver Kriterien erschlossen werden. Hier also einerseits die Zwecksetzung: Die Halle diente dem Betrieb auf Nr. 12. Andererseits die räumliche Erschließung durch den Zugang: die Halle wurde über Nr. 12 betreten. Stammgrundstück ist damit Nr. 12. Da das Eigentum am Überbau dem Eigentum an Nr. 12 folgt, ist A somit Eigentümer des Gebäudeteils auf Nr. 10. Da eine fortdauernde Beeinträchtigung des
– 170 –
SACHENRECHT
83
Eigentums vorliegt, ist der Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 gege-
ben.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
„HEMMER-METHODE“: Im Grundsatz gilt, daß ein auf Dauer mit dem Boden fest verbundenes Gebäude wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird, auf dem es steht, §§ 946, 94, 95. Ein Gebäude ist damit grds. nicht sonderrechtsfähig (Ausnahme: Wohnungseigentum). Wenn die mit einem einheitlichen Gebäude bebauten Grundstücke verschiedenen Personen gehören, müßte die Regelung zu einer Eigentumsaufteilung führen, d.h. das Haus müßte entlang der Grundstücksgrenze vertikal in zwei selbständige Eigentumshälften geteilt werden. Dies widerspricht dem Grundgedanken der §§ 93, 94, das Gebäude würde als wirtschaftliche Einheit zerschlagen. Daher nimmt die h.M. an, daß der Gedanke der wirtschaftlichen Einheit Vorrang genießt, wenn jemand entschuldigt oder berechtigt über die Grundstücksgrenze baut. Der Nachbar bleibt dann zwar Eigentümer des überbauten Grundstücks, das Gebäude gehört aber unter entsprechender Anwendung der §§ 95 I 2, 93, 94 II ganz dem Überbauenden! Unterscheiden Sie: Erstens der rechtmäßige Überbau: formfreie Zustimmung des Eigentümers des Nachbargrundstücks, § 95 I 2. Zweitens der unrechtmäßige (entschuldigte) Überbau gem. §§ 912 ff; Duldungspflicht, § 95 I 2. Drittens der unrechtmäßige unentschuldigte Überbau, § 1004 bzgl. des Besitzes des Überbaus, § 985 bzgl. der Herausgabe. Viertens der Sonderfall Eigengrenzüberbau: §§ 912 II, 915 ab Erwerb durch Käufer. Eigentum bestimmt sich nach dem Stammgrundstück.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht I, Rn. 262 ff.
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SACHENRECHT
84
Abwehransprüche des Eigentümers aus § 1004 I BGB
84.
BGHZ 54, 56: Ideelle Eigentumsbeeinträchtigungen Der lediglich das ästhetische Empfinden des Nachbarn verletzende Anblick eines Grundstücks stellt keine Eigentumsbeeinträchtigung i.S.d. § 1004 I dar.
Sachverhalt: E ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Schloßhotel betreibt. Auf dem angrenzenden Grundstück betreibt sein Nachbar N einen Schrottplatz. E verlangt von N Beseitigung und Unterlassung dieser Art der Grundstücksnutzung wegen des trostlosen Anblicks für die Hotelgäste.
Entscheidungsgründe: Anspruchsgrundlage könnte § 1004 I sein. Diese Vorschrift setzt die Beeinträchtigung des Eigentums voraus. Dabei hat aber auch N gem. § 903 grds. das Recht, mit seinem Grundstück nach Belieben zu verfahren. Im Verhältnis von Grundstücksnachbarn werden diese Rechte durch das Gebot der Rücksichtnahme begrenzt. Wo diese Grenze verläuft, ist für die Zuführung unwägbarer Stoffe und für ähnliche Einwirkungen in § 906 positiv geregelt. An dieser Vorschrift muß sich nach BGH auch die Entscheidung im Rahmen des § 1004 orientieren. Der Anblick des Schrottplatzes verstößt gegen das ästhetische Empfinden des E. Dies sei aber nicht als "ähnliche von einem
anderen Grundstück ausgehende Einwirkung" i.S.d. § 906 anzusehen. Auch ein Abwehranspruch analog §§ 1004 i.V.m. 823 I wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1, 2 GG) komme nicht in Betracht. Das Persönlichkeitsrecht sei begrenzt auf den unantastbaren persönlichen Bereich des Einzelnen, der sich in die Gemeinschaft einzufügen und auf die Rechte und Interessen anderer Rücksicht zu nehmen habe. Ein nur das ästhetische Empfinden eines anderen verletzender Anblick, dessen Darbietung sich nicht gezielt gegen den anderen richte, verletze dessen Persönlichkeitsrecht nicht. E hat somit gegen N keine Abwehransprüche aus § 1004 I.
„HEMMER-METHODE“: § 1004 I gewährt dem Eigentümer, dessen Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wird, gegen den Störer einen Anspruch auf Beseitigung gegenwärtiger und Unterlassung drohender Beeinträchtigungen. Da § 1004 I kein Verschulden voraussetzt, scheidet Geldersatz - anders als beim Schadensersatz grundsätzlich aus. Bei rechtswidriger und schuldhafter Eigentumsverletzung kann der Eigentümer nur über §§ 823 ff., 989 ff., 687 II Schadensersatz verlangen. Keine Eigentumsbeeinträchtigung stellen nach h.M. ideelle und negative Einwirkungen dar. Unter die ideellen Einwirkungen fallen, wie hier, Beeinträchtigungen des ästhetischen wie sittlichen Empfindens. Unter negativen Einwirkungen versteht man dagegen den Entzug von Vorteilen durch die Nutzung des Nachbargrundstücks (z.B. Entziehung von Licht und ungestörtem Fernsehempfang durch Errichtung eines Hochhauses). – 173 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Erhebliche Bedeutung hat die entsprechende Anwendung des § 1004 I i.V.m. § 823 I als sog. quasinegatorischer Abwehranspruch. § 1004 wird dabei auf alle durch § 823 I geschützten Rechtsgüter und absoluten Rechte entsprechend angewandt!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 276 ff.
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SACHENRECHT
85
Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 II 2 BGB 85.
BGHZ 111, 158: Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 II 2 kommt auch für andere Beeinträchtigungen als die des § 906 I in Betracht, wenn der betroffene Eigentümer Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen. Voraussetzung hierfür ist aber ein faktischer Duldungszwang, der sich u.a. daraus ergibt, daß der Betroffene die Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und auch nicht erkennen konnte.
Sachverhalt: A unterhielt seit 1966 einen behördlich genehmigten Schießstand, bei dessen Schußbetrieb Teilchen von Bleischrot auf das landwirtschaftlich genutzte Grundstück des B fielen. B ließ im Jahre 1983 Bodenproben entnehmen, die eine Bleibelastung ergaben, die 80 mal höher ist, als der tolerierbare Grenzwert. B verlangt von A Geldersatz.
Entscheidungsgründe:
Da ein Schadensersatzanspruch mangels Verschulden des A nicht gegeben ist, kommt ein Ausgleichsanspruch gem. § 906 II 2 in Betracht. Eine direkte Anwendung des § 906 II 2 scheidet aber vorliegend aus, da dieser eine Beeinträchtigung i.S.d. § 906 I voraussetzt. § 906 I erfaßt jedoch nur unwägbare Stoffe, nicht aber Grobimmissionen wie Bleischrot. Nach BGH kommt ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 II 2 aber auch für andere Beeinträchtigungen als die des 906 I in Betracht. Voraussetzungen nach BGH: Das Maß der entschädigunglsos hinzunehmenden Be-
einträchtigung muß überschritten sein. Es muß ein sog. faktischer Duldungszwang bestehen. Der faktische Duldungszwang ergibt sich unter anderem daraus, daß der Betroffene die abzuwendende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und auch nicht erkennen konnte. Hier war das Maß entschädigungslos hinzunehmender Beeinträchtigung 80fach überstiegen. B konnte die Gefahr nicht rechtzeitig erkennen, da die Bodenvergiftung durch herabfallendes Blei schleichend war und erst durch die Bodenuntersuchung offenbart wurde. Dem B steht ein Ausgleichsanspruch in Geld analog § 906 II 2 zu.
„HEMMER-METHODE“: § 906 I verpflichtet den Eigentümer, die Zuführung unwägbarer Stoffe zu dulden, sofern die Beeinträchtigung nur unwesentlich ist. Wesentliche Beeinträchtigungen sind nach § 906 II 1 zu dulden, wenn sie ortsüblich sind und durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen nicht verhindert werden können. Wesentlich ist eine Beeinträchtigung dann, wenn sie von einem "Durchschnittseigentümer" als störend empfunden wird. Ortsüblich ist eine Beeinträchtigung, wenn sie bei der Mehrheit anderer Vergleichs– 175 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
grundstücke im selben Bezirk in annähernd gleicher Weise vorkommt. § 906 begründet somit eine gesetzliche Duldungspflicht des Eigentümers, die die Abwehransprüche aus §§ 1004, 862 I ausschließt. Der verschuldensunabhängige Geldanspruch des § 906 II 2 tritt daher subsidiär an die Stelle der ausgeschlossenen Abwehransprüche, wenn die zu duldende Einwirkung eine ortsübliche Benutzung des Grundstücks oder dessen Ertrag unzumutbar beeinträchtigt. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 II 2 ist daher auch subsidiär. Ein gleiches Schutzbedürfnis wie in den Fällen des § 906 besteht nämlich nur, wenn der Eigentümer aus besonderen Gründen (hier: Nichtkenntnis der Bodenbelastung) gehindert ist, die Einwirkungen gem. §§ 1004, 862 I rechtzeitig zu unterbinden, also ein faktischer Duldungszwang besteht! Ob die Eigentumsbeeinträchtigung zu einem Schaden führt, ist für § 906 II 2 unerheblich. Da auch der Abwehranspruch aus § 1004 bei völliger Unschädlichkeit besteht, muß dies auch für den an seine Stelle tretenden Anspruch aus § 906 II 2 gelten!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 312
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SACHENRECHT
86
Anwartschaftsrecht als Recht zum Besitz
86.
BGHZ 10, 69 Ein Anwartschaftsrecht aus aufschiebend bedingter Übereignung gibt vor Eintritt der Bedingung kein dingliches, gegen jedermann wirkendes Recht zum Besitz. Für den gutgläubigen Erwerb einer aufschiebend bedingt übereigneten Sache ist es ausreichend, daß der Erwerber zur Zeit der Einigung und Übergabe gutgläubig ist.
Sachverhalt: Der Eigentümer E übereignete ein Kfz zur Sicherung eines Darlehens nach § 930 an B. Danach verkaufte E das Kfz unter Eigentumsvorbehalt an K und übergab es ihm. B verlangt von K Herausgabe des Kfz nach § 985, noch bevor K die letzte Rate an E gezahlt hat.
Entscheidungsgründe:
K könnte gegenüber E ein Recht zum Besitz i.S.d. § 986 aus dem Anwartschaftsrecht haben. Dann müßte er zunächst das Anwartschaftsrecht vom Nichteigentümer E erworben haben. Ist der Veräußerer nicht Eigentümer, so kann der Erwerber das Eigentum gutgläubig nach den §§ 932 ff. erlangen. Da beim Anwartschaftsrecht weniger als das Eigentum übertragen wird, muß erst recht ein Erwerb des Anwartschaftsrechts vom Nichteigentümer möglich sein. Übereignet der vermeintliche Eigentümer die Sache nur bedingt, ist die Interessenlage die gleiche, wie wenn er das Eigentum direkt überträgt. Daher kann der Erwerber auch nur das Anwartschaftsrecht von dem vermeintlichen Eigentümer gutgläubig unter den Voraussetzungen der §§ 932 ff. erwerben. K war jedoch nur bei Übergabe des Kfz gutgläubig, er erhielt wegen des Herausgabeverlangens des B noch vor Zahlung der letzten Rate Kenntnis von der Nichtberechtigung des E. Fraglich ist daher, ob der gute Glaube des Erwerbers auch noch bei Bedingungseintritt vorliegen muß. Dies verneint der BGH. Begründung: Das Erstarken des Anwartschaftsrechts zum Vollrecht ist nicht von weiteren
Willenserklärungen abhängig. Entscheidend für die Gutgläubigkeit der Dritten ist somit der Zeitpunkt von Einigung und Übergabe. Auch bei den §§ 933 und § 934 wird für die Frage der Gutgläubigkeit auf den Besitzerwerb abgestellt. Damit hat K das Anwartschaftsrecht vom Nichteigentümer E wirksam gem. §§ 929 S.1, 932 erworben. Nach BGH kann er hieraus jedoch kein dingliches, ein gegenüber jedermann wirkendes Recht zum Besitz ableiten. Eine solche Auffassung finde im Gesetz keine Grundlage. Zwar hat der Eigentümer, wie sich aus § 985 ergibt, ein Recht zum Besitz. Derjenige, der unter einer aufschiebenden Bedingung erwirbt, ist bis zum Bedingungseintritt aber gerade noch nicht Eigentümer. Auch hat der Bedingungseintritt gem. §§ 158 ff. keine Rückwirkung. Allerdings könne der Anwartschaftsberechtigte dem Herausgabeanspruch des Eigentümers die Einrede der Arglist gem. § 242 entgegenhalten, wenn der Bedingungseintritt unmittelbar bevorstehe, da dieser nach Bedingungseintritt die Sache sofort wieder an den Anwartschaftsberechtigten, der nunmehr Eigentümer ist, herausgeben müßte (dolo facit qui petit quod statim redditurus est).
– 177 –
BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Da K vorliegend nahezu alle Raten bezahlt hat, kann er die Herausgabe nach
§ 242 verweigern.
– 178 –
SACHENRECHT
86
„HEMMER-METHODE“: Das vorliegende Problem stellt sich nur, wenn ein Dritter das Anwartschaftsrecht erwirbt. Der Vorbehaltskäufer selbst hat gegen den Vorbehaltsverkäufer ein obligatorisches Recht zum Besitz aus dem Kaufvertrag. Hat der Vorbehaltsverkäufer die Sache einem Dritten nach § 931 veräußert, wird der Schutz des Anwartschaftsberechtigten gegenüber dem Dritten neben § 161 durch § 986 II ergänzt. Der Vorbehaltskäufer kann dem Herausgabeverlangen des Dritten sein obligatorisches Recht zum Besitz aus dem Kaufvertrag entgegenhalten. Der Vorbehaltskäufer ist somit gar nicht auf ein eventuelles dingliches Besitzrecht aus der Anwartschaft angewiesen. Erwirbt dagegen ein Dritter vom Vorbehaltskäufer das Anwartschaftsrecht, besteht mangels Rechtsbeziehungen zwischen Drittem und Eigentümer kein schuldrechtliches Besitzrecht im Verhältnis zum Eigentümer. Auch § 986 II greift nicht ein, da nicht der Eigentümer sondern der Inhaber des Anwartschaftsrechts gewechselt hat. Der Anwartschaftserwerber ist daher auf ein Besitzrecht aus der Anwartschaft angewiesen. Daher räumt ihm auch die h.L. im Gegensatz zum BGH ein dingliches Besitzrecht aus der Anwartschaft ein. Begründet wird dies damit, daß mit der Besitzübergabe das im Eigentum enthaltene Recht auf Besitz und Nutzung bereits auf den Anwartschaftsberechtigten übertragen wurde. Eine bloße Einwendung nach § 242 reiche zum Schutz des Anwartschaftserwerbers nicht aus, da dieses Mittel versage, wenn der Eigentumsübergang nicht unmittelbar bevorstehe. Eine weitere differenzierende Ansicht stellt darauf ab, ob der Vorbehaltskäufer gegenüber dem Vorbehaltsverkäufer berechtigt war, das Anwartschaftsrecht auf einen Dritten zu übertragen. In diesem Falle erwirbt der Dritte auch das obligatorische Besitzrecht aus dem Kaufvertrag, andernfalls soll ihm - wie nach Ansicht des BGH - kein Besitzrecht zustehen.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 25 ff., 37 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Schutz des Anwartschaftserwerbers vor nachträglicher Erweiterung des Eigentumsvorbehalts
87.
BGHZ 75, 221 Hat der Vorbehaltskäufer das Anwartschaftsrecht an einen Dritten übertragen, so kann er ohne dessen Zustimmung den Eigentumsvorbehalt nicht mehr erweitern.
Sachverhalt: V verkaufte dem K einen LKW unter Eigentumsvorbehalt. K übereignete den LKW zur Sicherheit an C, noch bevor er alle Kaufpreisraten bezahlt hatte. Später ergänzten K und V den Kaufvertrag dahingehend, daß der Eigentumsvorbehalt solange bestehen bleiben sollte, bis sämtliche gegenwärtige und künftige Forderungen des V gegen den K getilgt sind. Als K die letzte Kaufpreisrate bezahlt hat, verlangt C den LKW von V nach § 985 heraus. Dieser verweigert die Herausgabe, da K noch nicht alle sonstigen Forderungen des V beglichen hat.
Entscheidungsgründe:
Der BGH geht davon aus, daß das Anwartschaftsrecht auch nach Übertragung vom schuldrechtlichen Grundgeschäft abhängig bleibt. Diese Schwäche sei dem Anwartschaftsrecht immanent und müßte vom Erwerber hingenommen werden. Daher kann der Vorbehaltskäufer auch nach Übertragung des Anwartschaftsrechts alle aus dem Kaufvertrag erwachsenden Rechte wie z.B. Anfechtung, Rücktritt und Wandelung ohne Zustimmung des Erwerbes geltend machen. Anders sei aber bei willkürlicher Einwirkung auf das Grundgeschäft, wie z.B. bei nachträglicher Erweiterung des Eigentumsvorbehalts, zu entscheiden. Eine solche Einwirkung habe nichts mehr
mit den dem Anwartschaftsrecht typischerweise anhaftenden Schwächen zu tun. Eine solche Erweiterung des Eigentumsvorbehalts stelle eine Verfügung über das Anwartschaftsrecht dar, da dieses inhaltlich geändert werde. Zu einer derartigen Verfügung ist der Vorbehaltskäufer aber nach Übertragung des Anwartschaftsrechts infolge fehlender Rechtszuständigkeit (§ 185) nicht mehr befugt. Eine solche Verfügung bedürfte daher gem. § 185 der Zustimmung des Erwerbers. Da C der nachträglichen Erweiterung des Eigentumsvorbehalts nicht zugestimmt hat, war diese unzulässig, so daß C mit Zahlung der letzten Kaufpreisrate Eigentümer wurde.
„HEMMER-METHODE“: In der Literatur wurde früher meist vertreten, daß die Gestaltungsfreiheit der Parteien nicht dadurch eingeschränkt werde, daß das Anwartschaftsrecht auf einen Dritten übertragen werde. Dem Anwartschaftsrecht hafte eben die Schwäche an, daß es unlösbar mit dem zugrundeliegenden Rechtsgeschäft verknüpft sei, so daß auch der Eigentumsvorbehalt nachträglich geändert werden könne. Nach anderer Literaturansicht ist der Anwartschaftserwerber dagegen gesichert, daß ihm seine dingliche Rechtsposition ohne seine Beteiligung entzogen wird. Das Anwartschaftsrecht sei ein vollwertiges Gut des Rechtsverkehrs, und der Vorbehaltskäufer habe nach Übertragung keinerlei Zuständigkeit mehr. – 180 –
SACHENRECHT
87
Der BGH vertritt somit eine vermittelnde Ansicht, die zwischen willkürlichen und dem Vertrag immanenten Veränderungen des Kaufvertrages unterscheidet. Hiermit lassen sich interessengerechte Ergebnisse im jeweiligen Einzelfall erzielen. Die Verknüpfung mit dem schuldrechtlichen Kaufvertrag zeigt sich auch daran, daß ein Anwartschaftsrecht nicht entsteht, wenn der Kaufvertrag nicht besteht oder nichtig bzw. unwirksam ist. In einem solchen Fall scheidet unstreitig auch ein gutgäubiger Erwerb des Anwartschaftsrechts aus, da der gute Glaube an den Bestand der Kaufpreisforderung nicht geschützt wird. Dies liefe auf einen gutgläubigen Forderungserwerb hinaus, der außer im Fall des § 405 nicht möglich ist!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 44 ff.; zum gutgläubigen Erwerb des Anwartschaftsrechts Rn. 24 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Das Anwartschaftsrecht im Haftungsverband, § 1120 BGB
88.
BGHZ 35, 85: Grundpfandrecht am Anwartschaftsrecht Die Hypothek erstreckt sich gem. § 1120 auch auf das Anwartschaftsrecht am Zubehör und setzt sich damit bei Bedingungseintritt am Eigentum fort. Dies gilt auch, wenn das Anwartschaftsrecht auf einen Dritten übertragen wurde.
Sachverhalt: E kauft bei V Hotelinventar unter Eigentumsvorbehalt und richtet damit ein Hotel auf seinem Grundstück ein. An diesem Grundstück hat H eine Hypothek. Noch vor Zahlung des Restkaufpreises nimmt E bei der B ein Darlehen auf und überträgt ihr seine Anwartschaft am Hotelinventar zur Sicherheit entsprechend §§ 929, 930. Später zahlt E den Restkaufpreis an V. H betreibt jetzt die Zwangsvollstreckung in das Grundstück. Demgegenüber verlangt die B die Freigabe des ihr übereigneten Hotelinventars.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung hängt davon ab, ob das zum Sicherungseigentum erstarkte Anwartschaftsrecht der B für die Hypothek des H haftet. Nach § 1120 erstreckt sich die Hypothek unter anderem auf das Zubehör, das in das Eigentum des Grundstückseigentümers gelangt ist. Zwar ist das Inventar hier nach § 97 I Zubehör des Hotelgrundstücks geworden. Nach Ansicht des BGH wurde E jedoch niemals Eigentümer des Inventars, da die Anwartschaftserwerberin B mit Zahlung des Restkaufpreises Eigentümerin wurde. Nach BGH findet bei der Anwartschaftsübertragung kein Durchgangserwerb in der Person des Vorbehaltskäufers statt, sondern Direkterwerb des Anwartschaftserwerbers.
Ungeachtet dessen erwirbt dieser nach BGH aber kein unbelastetes Eigentum. Vielmehr wird im Rahmen des § 1120 das Anwartschaftsrecht dem Eigentum gleichgestellt. Die Hypothekenhaftung soll sich also auch auf solches Zubehör erstrecken, an dem der Grundstückseigentümer nur ein Anwartschaftsrecht erworben hat. Die Hypothek erfasse zunächst das Anwartschaftsrecht und setze sich dann bei Bedingungseintritt am Eigentum fort. Entsprechend § 1287 findet eine dingl. Surrogation statt. Da das Eigentum der B am Hotelzubehör also in den Haftungsverband der Hypothek nach § 1120 fällt, kann die B nicht dessen Freigabe fordern.
„HEMMER-METHODE“: Der BGH will hiermit den Grundsatz des Vorranges des Hypothekengläubigers vor späteren Gläubigern des Grundstückseigentümers aufrechterhalten. Der Hypothekengläubiger soll nach der gesetzlichen Regelung Vorrang vor Dritten haben, die später vom Schuldner Eigentum erwerben. Dabei hatte der Gesetzgeber die Eigentumserwerbsart über ein Anwartschaftsrecht nicht bedacht, da diese erst später von der Rechtsprechung entwickelt wurde. Da der Hypothekengläubiger aber durch die Übertragung des Anwartschaftsrecht mittelbar schon über das Eigentum verfüge, muß auch dieser Fall nach BGH dem § 1120 unterstellt werden. Ein anderes Ergebnis wäre unbillig. Das Sicherungseigen– 182 –
SACHENRECHT
88
tum des Dritten ist somit kein "der Versteigerung entgegenstehendes Recht" nach § 37 Nr. 5 ZVG. Ferner würde der Ersteher in der Zwangsversteigerung das Eigentum am Zubehör durch den Zuschlag nach §§ 90 II, 55 I, 20 II ZVG, 1120, 97 BGB (wichtige Paragraphenkette!) erwerben. Die Gleichstellung von Eigentum und Anwartschaftsrecht nimmt der BGH auch bei den gesetzlichen Pfandrechten vor (Vermieterpfandrecht nach § 559), so daß das Pfandrecht bereits das Anwartschaftsrecht erfaßt. Die Grenzen dieser Rechtsprechung zeigte aber dann BGHZ 35, 85: Danach können Vorbehaltsverkäufer und Vorbehaltskäufer das Anwartschaftsrecht auch dann nachträglich aufheben, wenn es von der Grundpfandhaftung des § 1120 erfaßt war. Eine solche Aufhebung bedürfe nicht etwa analog § 1276 I der Zustimmung des Hypothekengläubigers. Vielmehr müsse dieser schon wegen § 1121 jederzeit damit rechnen, die Haftung eines Zubehörstücks zu verlieren. Nach überwiegender Literaturansicht wird dagegen ein analoge Anwendung des § 1276 I befürwortet, da nur so die berechtigten Interessen des Grundpfandgläubigers geschützt werden könnten. § 1287 beinhaltet die dingliche Surrogation. Die schwer zu verstehende Bestimmung hat beim Anwartschaftsrecht die Bedeutung, daß die Hypothek zunächst das Anwartschaftsrecht erfaßt und sich dann bei Bedingungseintritt am Eigentum fortsetzt. Machen Sie sich den eigentlichen Anwendungsbereich des § 1287 klar! Der Gläubiger hat ursprünglich ein Pfandrecht an einer Forderung, die - wie § 433 I beispielsweise auf die Verschaffung des Eigentums an einer Sache gerichtet ist. Wird diese Forderung erfüllt, erwirbt der Pfandrechtsschuldner nach § 929 S.1 das Eigentum an der Sache, so setzt sich das Pfandrecht an der Forderung nun als Pfandrecht an der Sache fort. Gleiches muß selbstverständlich gelten, wenn der Pfandrechtsschuldner nicht bloß Inhaber einer Forderung, sonder bereits Anwartschaftsberechtigter ist. Hier ist die ge- bzw. verpfändete Rechtsposition schon größer! Im vorliegenden Fall besteht zusätzlich die Besonderheit, daß der Gedanke des § 1287 auch auf Grundpfandrechte angewendet wird. Dasselbe Problem besteht beim Vermieterpfandrecht. Dieses erstreckt sich auf das Anwartschaftsrecht und entsprechend § 1287 mit Bedingungseintritt auf die Sache. Den Bedingungseintritt kann der Vermieter entsprechend § 1287 herbeiführen.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 60 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Vorbehaltseigentum; Rückforderung der Kaufsache nach § 985 BGB trotz Besitzrechts aus verjährter Kaufpreisforderung
89.
BGHZ 70, 96: Herausgabeanspruch trotz Verjährung der Kaufpreisforderung, § 223 II analog Der Vorbehaltsverkäufer kann die Kaufsache nach § 985 trotz Verjährung der Kaufpreisforderung zurückverlangen. Da der Eigentumsvorbehalt wirtschaftlich wie eine dingliche Sicherung wirkt, ist § 223 II analog anzuwenden.
Sachverhalt: K kaufte von V einen Teppich unter Eigentumsvorbehalt. Da K den Kaufpreis nicht bezahlte, verlangt V den Teppich von K heraus. K beruft sich auf sein Recht zum Besitz aus Kaufvertrag, obwohl die Kaufpreisforderung verjährt ist.
Entscheidungsgründe: Da K sein Eigentum aufgrund des Eigentumsvorbehalts noch nicht verloren hat, prüft der BGH den Herausgabeanspruch aus § 985. Problematisch ist hierbei, daß dem K grundsätzlich ein Recht zum Besitz i.S.d. § 986 aus dem Kaufvertrag zusteht. Dieses Besitzrecht wird auch durch die Verjährung der Kaufpreisforderung nicht beseitigt. Es geht erst unter, wenn der Kaufvertrag durch Rücktritt gem. §§ 455 oder 326 beendet wird oder eine vertragliche Vereinbarung über ein Rücknahmerecht getroffen wurde. Ein Rücktritt des V ist aber schon deshalb nicht mehr möglich, weil K sich aufgrund der Verjährung nicht mehr im Verzug befindet. (Zur Erinnerung: Verzug setzt die Einredefreiheit des Anspruchs voraus. An dieser fehlt es.)Die Konsequenz hieraus wäre, daß V die Kaufsache endgültig nicht mehr herausverlangen könnte, da K sich trotz Verjährung weiterhin auf sein Besitzrecht aus Kaufvertrag berufen kann. Dies würde im Ergebnis dazu führen, daß Eigentum und Besitz an der Kaufsache auf Dauer auseinanderfallen.
Um dieses unbillige Ergebnis zu vermeiden, wendet der BGH hier den Grundgedanken des § 223 - Verwertung der dinglichen Sicherung trotz Verjährung der gesicherten Forderung - analog auf den Eigentumsvorbehalt an. Die analoge Anwendung des § 223 rechtfertigt sich insbesondere durch die ähnliche Rechtslage: Der Vorbehaltsverkäufer will mit dem Eigentumsvorbehalt ebenso Druck auf den Käufer zur Bezahlung des Kaufpreises ausüben, wie dies durch die Bestellung einer dinglichen Sicherung, wie z.B. Hypothek, Pfandrecht oder Sicherungsübereignung geschieht. Der Eigentumsvorbehalt wirkt also wirtschaftlich wie eine dingliche Sicherung. Der in § 233 II geregelten Rechtsfolge der Fortdauer des Befriedigungsrechts entspricht die Geltendmachung des vorbehaltenen Eigentums durch Vindikation. Im Ergebnis kann V somit die Kaufsache gem. § 985 herausverlangen, obwohl dem K ein Besitzrecht aus Kaufvertrag zusteht. Das Eigentum überwindet das Besitzrecht des K.
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SACHENRECHT
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„HEMMER-METHODE“: Problem erkannt, Gefahr gebannt! Es handelt sich hier um ein examenstypisches Problem! Der Herausgabeanspruch des Eigentumsvorbehaltsverkäufers steht im Spannungsfeld zur verjährten Kaufpreisforderung, da die Verjährung allein keinesfalls zum Wegfall der Besitzberechtigung führt. Dieser Problemkreis muß unbedingt erkannt werden. Da die gesetzliche Regelung zu keiner befriedigenden Lösung führt - dauerndes Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz -, bietet sich die entsprechende Anwendung einer Vorschrift an. Der Gesetzgeber hat bestimmte Problemkreise geregelt, andere vergessen oder (noch) nicht regeln können, da sie erst im Laufe der Zeit von Rechtsprechung und Literatur entwickelt wurden. Oftmals sind aber die Interessenlagen die gleichen, es bietet sich deshalb eine entsprechende Anwendung an. Wer die Vorschrift des § 223 II erst einmal gefunden hat, dem fällt die Begründung für ihre Anwendung dann nicht mehr schwer. Daher müssen Ihnen auch solche versteckten Vorschriften bekannt sein. Kommt eine Analogie in Betracht, so halten Sie sich in der Klausur an das Prüfungsschema: 1. Regelungslücke, 2. Vergleichbare Interessenlage. Damit machen Sie Ihre Klausur übersichtlich und erfreuen den Korrektor, der auf diese Schlagworte wartet! Eine mögliche Fallkonstellation: Der Anspruch aus § 326 scheitert an der Nachfristsetzung. § 455 entfällt wegen der bestehenden Einrede (Verjährung). Schon das Bestehen einer Einrede wirkt verzugshindernd. Dem Eigentümer verbleibt dann aber § 985 i.V.m. § 223 II analog. Der Herausgabeanspruch besteht nach h.M. nur zum Zwecke der Verwertung.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 89
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Anwartschaftsrecht des Auflassungsempfängers vor Eintragung
90.
BGHZ 83, 395 Ein Vertrag, durch den ein Grundstückskaufvertrag aufgehoben wird, bedarf analog § 313 S.1 der notariellen Beurkundung, wenn der Käufer ein Anwartschaftsrecht an dem Grundstück hatte.
Sachverhalt: V verkauft dem K ein Grundstück mittels notariellem Kaufvertrag und bewilligt ihm eine Auflassungsvormerkung. Danach heben V und K den Kaufvertrag mittels privatschriftlichem Vertrag wieder auf. V verlangt von K die Bewilligung der Löschung der Auflassungsvormerkung. K weigert sich.
Entscheidungsgründe: V kann von K die Bewilligung der Löschung der Auflassungsvormerkung verlangen, wenn der Aufhebungsvertrag nicht gem. §§ 313 S.1, 125 S.1 formunwirksam war. Nach bisheriger BGH-Rechtsprechung bedurfte ein Vertrag zur Aufhebung eines Grundstückskaufs erst dann der Form des § 313 S.1, wenn der Käufer schon als Eigentümer des Kaufgrundstücks eingetragen worden war. Erst dann wird ja eine Pflicht zur (Rück-) Übertragung des Eigentums an einem Grundstück begründet. In der vorliegenden Entscheidung weicht der BGH von diesem Grundsatz ab: Die Aufhebungsvereinbarung sei schon dann formbedürftig, wenn der Käufer ein Anwartschaftsrecht an dem Grundstück erworben habe. Ein Anwartschaftsrecht entsteht grds. dann, wenn vom einem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechtes schon so viele Erfordernisse erfüllt sind, daß von einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers gesprochen werden kann, die der andere Beteiligte nicht mehr durch einseitige Handlungen zu zerstören vermag. Dies ist beim Grundstückserwerb zwischen Eintragungsantrag und Eintragung der Fall, wenn der Antrag vom Grundstückserwerber ge-
stellt wurde. Denn nach § 17 GBO muß das Grundbuchamt diesen Antrag vor zeitlich nachfolgenden Anträgen erledigen, so daß der Erwerber vor anderweitigen Verfügungen des Veräußerers geschützt ist. Ein Anwartschaftsrecht des Grundstückserwerbers entsteht aber auch dann, wenn zu seinen Gunsten eine Auflassungsvormerkung eingetragen ist, da diese nach §§ 883 II, 888 Schutz vor anderweitigen Verfügungen des Veräußerers gewährt. Das Anwartschaftsrecht ist ein dem Vollrecht wesensgleiches Minus und unterliegt daher den gesetzlichen Regelungen des Vollrechts. Daher bedarf auch der Vertrag über die Verpflichtung zur Veräußerung oder zum Erwerb des Grundstücksanwartschaftsrechts entsprechend § 313 S.1 der notariellen Beurkundung, da hiermit praktisch schon über die Übertragung des Volleigentums entschieden wird. Dies muß auch bei der Aufhebung eines Grundstückskaufvertrages gelten, da der Käufer hierdurch sein Anwartschaftsrecht verliert. Wie bei der Rückübertragung des Volleigentums muß auch § 313 entsprechend angewandt werden (Warn- und Schutzfunktion des § 313 !). Damit war der Aufhebungsvertrag nach §§ 313, 125 S.1 nichtig, eine Überwindung der Formnichtigkeit nach § 242
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SACHENRECHT
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kommt vorliegend nicht in Betracht. V kann somit nicht die Bewilligung der Lö-
schung der verlangen.
Auflassungsvormerkung
„HEMMER-METHODE“: Die Entscheidung ist in der Literatur nicht unumstritten. Nach a.A. ist ein so frühzeitiger Schutz des Grundstückerwerbers nicht erforderlich. Nach der vom BGH verwendeten Definition und nach den gesetzlichen Vorschriften soll das Anwartschaftsrecht den Erwerb nur gegen Handlungen des Veräußerers sichern. Die Gewährung von Übereilungsschutz durch die Anwendung des § 313 S.1 sei demgegenüber etwas ganz anderes. Dieser Schutz könne auch auf dem vom BGH gewählten Weg gar nicht konsequent erreicht werden, der Käufer könnte ja auch zunächst sein Anwartschaftsrecht aufheben (z.B. durch Löschung der Vormerkung) und dann den Kaufvertrag formlos rückgängig machen.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 99
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Sicherungswirkung der Vormerkung, § 883 II BGB
91.
RGZ 121, 44 Der Inhaber einer gutgläubig erworbenen Vormerkung erwirbt das Grundstückseigentum auch dann, wenn vor seiner Eintragung als Eigentümer ein Widerspruch des wahren Eigentümers eingetragen wird.
Sachverhalt: B verkauft ein Grundstück, als dessen Eigentümer er fälschlicherweise im Grundbuch eingetragen ist, an den gutgläubigen K und läßt diesem eine Auflassungsvormerkung eintragen. Danach erwirkt der Eigentümer E einen Widerspruch gegen die Eintragung des B. Als K auf Bewilligung des B hin als Eigentümer eingetragen wird, verlangt E von K Herausgabe des Grundstücks (§ 985) und Zustimmung zu seiner Eintragung als Eigentümer (§ 894).
Entscheidungsgründe: Beide Ansprüche sind nur begründet, wenn E sein Eigentum nicht durch den gutgläubigen Erwerb des K verloren hat. Grundsätzlich ist bei eingetragenem Widerspruch gem. § 892 kein gutgläubiger Eigentumserwerb möglich. K hat aber die Vormerkung gutgläubig vom Nichtberechtigten B entsprechend §§ 893, 892 erworben. Der gutgläubige Ersterwerb einer Auflassungsvormerkung ist nach Ansicht des RG möglich. Da die Vormerkung aber kein Recht an einem Grundstück, sondern dingliches Sicherungsmittel eigener Art ist, wird § 893 2. Alt analog angewandt. Der gutgläubige K ist daher Inhaber der Vormerkung geworden. Fraglich ist aber, ob diese gutgläubig erworbene Vormerkung auch gegenüber dem eingetragenen Widerspruch des E wirkt. Nach § 883 II sind nachträgliche Verfügungen gegenüber dem Vormerkungsberechtigten relativ unwirksam, sofern sie den Anspruch ver-
eiteln oder beeinträchtigen würden. § 883 II paßt hier aber nicht direkt, weil die Eintragung des Widerspruchs keine Verfügung über das Grundstück ist. Dennoch läßt das RG den Widerspruch nicht gegen den gutgläubigen Vormerkungsinhaber wirken, weil die Vormerkung ihre Aufgaben nur erfüllen könne, wenn sie den Vorgemerkten nicht bloß gegen abweichende Verfügungen schützt, sondern auch gegen andere Beeinträchtigungen seines Erwerbs (sog. "große Lösung"): Mit der Vormerkung sei der Grund für die Erfüllung des Anspruchs gelegt, der Erwerb der Rechts vollziehe sich dann unabhängig von der weiteren Entwicklung des Grundbuchinhalts und dem guten Glauben des Berechtigten. K hat somit mit Hilfe der gutgläubig erworbenen Vormerkung das Grundstückseigentum erworben, obwohl vor seiner Eintragung ein Widerspruch des E im Grundbuch eingetragen wurde.
„HEMMER-METHODE“: Nach a.A. wird der Vormerkung damit eine über ihren Inhalt weit hinausgehende Wirkung zugeschrieben, der gutgläubige Vormerkungserwerb wird dem Erwerb des dinglichen Rechts gleichgesetzt, dessen Einräumung aber nur Gegenstand des gesicherten Anspruchs ist (sog. "kleine Lösung"). Der eingetragene Widerspruch hindere also auch bei der gutgläubig erworbenen Vormerkung den Ei-
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SACHENRECHT
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gentumserwerb. Die oben genannte Entscheidung entspricht aber der h.M. Ob auch der gutgläubige Zweiterwerb einer Vormerkung möglich ist, wenn zwar der Anspruch besteht, aber die Vormerkung nicht entstanden ist, ist umstritten. (Bsp.: Der Bucheigentümer B verkauft das Grundstück an den bösgläubigen K und läßt ihm eine Auflassungsvormerkung eintragen. K tritt seinen Übereignungsanspruch an den gutgläubigen D ab.) Der überwiegende Teil der Literatur verneint die Möglichkeit des gutgläubigen Zweiterwerbs. Der Erwerb der Vormerkung erfolge bei Abtretung des vorgemerkten Anspruchs nicht rechtsgeschäftlich i.S.d. § 892, sondern analog § 401 kraft Gesetzes. Ein Gutglaubenserwerb ist aber nur bei Rechtsgeschäften möglich. Dagegen läßt der BGH auch den gutgläubigen Zweiterwerb zu. Begründet wird dies damit, daß der Zweiterwerb zumindest mittelbar auf einem Rechtsgeschäft, nämlich der Forderungsabtretung nach § 398 S.1 beruhe. Auch bei der Hypothek ist ein gutgläubiger Erwerb möglich, obwohl diese ebenfalls kraft Gesetzes gem. § 1153 I auf den Zessionar übergeht. In der Klausur können Sie mit entsprechender Argumentation beide Ansichten vertreten. Klausurtaktisch müssen Sie aber der Ansicht folgen, die Sie auch zu den in der Klausur angelegten Folgeproblemen bringt.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst: Sachenrecht II, Rn. 475 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Vormerkungsfähiger Anspruch nach § 883 I 2 BGB
92.
BGHZ 54, 56: Vormerkung bei Scheingeschäft; „Schwarzkauf vor Notar“ Wird bei einem Scheingeschäft eine Vormerkung eingetragen, so bezieht sich diese nur auf den Anspruch aus dem Scheingeschäft, nicht auf den Anspruch aus dem verdeckten Geschäft. Daher ist die Vormerkung auch bei Heilung des verdeckten Vertrages nach § 313 S.2 wirkungslos. Die Heilung nach § 313 S.2 hat ferner weder Rückwirkung, noch ist die bloße Aussicht, daß es trotz Formnichtigkeit zur Vertragserfüllung kommen werde, für einen künftigen Anspruch i.S.d. § 883 I 2 ausreichend.
Sachverhalt: V verkauft sein Grundstück an K. Beide sind sich über einem Kaufpreis in Höhe von 200000 DM einig. Zur Steuerersparnis geben sie im notariell beurkundeten Kaufvertrag jedoch nur einen Kaufpreis von 175000 DM an. Für K wird eine Auflassungsvormerkung eingetragen. Drei Wochen später wird für D eine weitere Vormerkung, gerichtet auf Eintragung einer Grunddienstbarkeit, eingetragen. Danach wird K als Eigentümer eingetragen. D begehrt nun von K nach § 888 I die Zustimmung zur Eintragung der Dienstbarkeit.
Entscheidungsgründe:
Der Anspruch des D auf Zustimmung zur Eintragung der Grunddienstbarkeit aus § 888 I ist nur dann begründet, wenn die für K bestellte Auflassungsvormerkung unwirksam ist. Wäre diese Vormerkung wirksam, dann wäre nämlich die spätere Vormerkung zugunsten des D nach § 883 II unwirksam. Die Vormerkung wurde zur Sicherung des schuldrechtlichen Auflassungsanspruchs des K aus § 433 I bestellt. Fraglich ist daher, ob dem K ein schuldrechtlicher Anspruch überhaupt zustand. Der beurkundete Kaufvertrag ist von K und V übereinstimmend nicht gewollt und daher nach § 117 I nichtig. Das von den Parteien gewollte Geschäft (§117 II) ist mangels Beurkundung gem. § 313 S.1, 125 S.1 ebenfalls nichtig. Der mündliche Vertrag wurde aber gem. § 313 S.2 durch Auflassung und Eintragung wirksam. Damit könnte zum Zeitpunkt der Vormerkungsbestellung ein schuldrechtlicher Anspruch bestanden haben, wenn sich die Vormerkung auf den Auflassungsanspruch aus
dem verdeckten mündlichen Vertrag bezieht und die Heilung nach § 313 S.2 entweder zurückwirkt oder der Anspruch aus dem mündlichen Vertrag schon vor Heilung einen künftigen Anspruch i.S.d. § 883 I 2 darstellt. Der BGH verneint jedoch schon die erste Voraussetzung. Die Vormerkung beziehe sich nur auf den Auflassungsanspruch aus dem beurkundeten Vertrag (Scheingeschäft), da die Eintragung der Vormerkung unter Bezugnahme auf diesen Vertrag erfolgte. Da dieser Vertrag nach § 117 I nichtig ist, hat nie ein Auflassungsanspruch i.S.d. 883 I 2 bestanden. Eine Vormerkung ist jedoch nach BGH auch dann nicht entstanden, wenn man diese auf den Auflassungsanspruch aus dem verdeckten mündlichen Vertrag beziehen würde. Eine Rückwirkung der Heilung nach § 313 S.2 ist schon nach dem Wortlaut des § 313 S.2 ausgeschlossen ("wird...gültig"). Auch ein künftiger Anspruch i.S.d. § 883 I 2 werde durch die Heilung nicht begründet. Dazu müßte der Rechtsbo-
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den für die Entstehung des Anspruchs bereits dergestalt bereitet sein, daß die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des Berechtigten abhänge. Bei einem formunwirksamen Kaufvertrag kann der Käufer aber die Heilung nach § 313 S.2 nicht unabhängig vom Verkäufer herbeiführen, da zur Eintragung im Grundbuch dessen Mitwirkung erforderlich ist. Die bloße Aussicht, daß
es trotz der Formnichtigkeit zur Vertragserfüllung kommen werde, genügt für § 883 I 2 nicht. Danach bleibt die für K eingetragene Auflassungsvormerkung wirkungslos. Der Anspruch des D aus § 888 I auf Zustimmung zur Eintragung ist begründet.
„HEMMER-METHODE“: An das Vorliegen eines künftigen Anspruchs werden von der Rechtsprechung strenge Anfoderungen gestellt. Ein vormerkungsfähiger künftiger Anspruch liegt danach nur dann vor, wenn der Rechtsboden für seine Entstehung bereits soweit vorbereitet ist, daß die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des Berechtigten abhängt (str., nach a.A. vom Verpflichteten nicht einseitig zu lösende Bindung ausreichend). So genügt z.B. ein befristetes Angebot, das formgültig und damit bindend ist, da das Zustandekommen des Vertrages bzw. des Anspruchs nur vom künftigen Vertragspartner abhängt. Etwas anderes gilt hingegen bei einem bedingten Anspruch. Hier ist nach h.M. nicht erforderlich, daß die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des Berechtigten abhängt, ausreichend ist, daß die erforderlichen Willenserklärungen abgegeben sind und eine feste Rechtsgrundlage bilden. Der Bedingungseintritt selbst kann im Belieben des Schuldners oder des Gläubigers stehen. Daher kann auch statt der Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts ein schuldrechtliches Vorkaufsrecht mit einer Vormerkung gesichert werden. Sieht man im Vorkaufsrecht nämlich einen durch Eintritt des Vorkaufsfalles und Ausübung des Vorkaufsrechts (doppelt!) bedingten Kaufvertrag, so liegt ein bedingter Auflassungsanspruch vor. Daß der Eintritt des Vorkaufsfalles (Kaufvertragsschluß mit einem Dritten) nicht allein vom Willen des Vorkaufsberechtigten abhängt, ist unschädlich, da zumindest eine feste Rechtsgrundlage geschaffen wurde und der Vorkaufsverpflichtete den Bedingungseintritt herbeiführen kann.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Primäranspruch II, Rn. 60; Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 458 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Verhältnis zwischen Vorkaufsberechtigtem und Käufer
93.
BGHZ 87, 296: Verwendungsersatz bei Vorkaufsrecht Im Verhältnis zwischen dinglichem Vorkaufsberechtigtem und besitzendem Käufer gelten die §§ 987 ff. entsprechend. Dabei gilt der Käufer gegenüber dem Vorkaufsberechtigten schon dann als bösgläubiger Besitzer, wenn er das Grundstück in Kenntnis des Vorkaufsrechts in Besitz nimmt. Die Bösgläubigkeit setzt also nicht die Ausübung des Vorkaufsrechts und Kenntnis davon voraus.
Sachverhalt: E bestellt dem B ein dingliches Vorkaufsrecht an seinem Hausgrundstück. Am 1.12.1978 schließt E mit K einen notariellen Kaufvertrag über das Grundstück. Am 23.2.1979 übt B sein Vorkaufsrecht wirksam aus. Bereits am 2.1.1979 hatte K das Grundstück in Kenntnis des Vorkaufsrechts in Besitz genommen und mit Renovierungsarbeiten am Haus begonnen. Als K zur Herausgabe des Hausgrundstücks an K verurteilt wird, verlangt er von diesem Ersatz seiner auf das Hausgrundstück gemachten Verwendungen (Renovierungskosten).
Entscheidungsgründe:
Der BGH stellt zunächst fest, daß die §§ 987 ff. im Verhältnis Vorkaufsberechtigter und Käufer entsprechend anwendbar sind. Da K jedoch nur nützliche Verwendungen i.S.d. § 996 vorgenommen hat, ist fraglich, ab welchem Zeitpunkt er gegenüber B als bösgläubiger Besitzer gilt, da nur der gutgläubige Besitzer nach § 996 Ersatz fordern kann. Nach BGH gilt der Käufer im Verhältnis zum Vorkaufsberechtigten schon dann als bösgläubiger Besitzer, wenn er das Grundstück in Kenntnis des Vorkaufsrechts in Besitz nimmt. Das Vertrauen des Käufers darauf, der Vorkaufsberechtigte werde sein Vorkaufsrecht nicht ausüben, ist ohne besondere dafür sprechende Anhaltspunkte nicht schutzwürdig. Als Begründung zieht der BGH eine Parallele zum Rücktrittsrecht. In § 347 S.2
wird auch der Rücktrittsgegner wie ein bösgläubiger Besitzer behandelt, obwohl er die Verwendungen vor dem Rücktritt bzw. Herausgabeverlangen des Rücktrittsberechtigten gemacht hat. Diese Regelung beruht darauf, daß der Rücktrittsgegner bei einem vertraglich vorbehaltenen Rücktrittsrecht jederzeit mit dem Rückgabeverlangen rechnen muß und sich entsprechend einrichten kann. Der Käufer eines mit einem Vorkaufsrecht belasteten Grundstücks befindet sich in einer vergleichbaren Lage, da auch er mit der Ausübung des Vorkaufsrechts rechnen muß. K gilt also gegenüber V als bösgläubiger Besitzer und kann seine nützlichen Verwendungen nicht entsprechend § 996 ersetzt verlangen. Andere Verwendungsersatzansprüche scheiden aus, da die §§ 994 ff. insoweit eine abschließende Sonderregelung darstellen.
„HEMMER-METHODE“: Die Problematik des Vorkaufsrechts ist klausurrelevant, da diese Fälle immer ein Drei–Personen–Verhältnis voraussetzen (Vorkaufsverpflichteter, Vorkaufberechtigter, Käufer). Die Rechtsnatur des Vorkaufsrechts ist umstritten, nach
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wohl h.M. liegt ein doppelt bedingter Kaufvertrag vor. Die erste Bedingung liegt im Eintritt des Vorkaufsfalles, die zweite in der fristgerechten Ausübung des Vorkaufsrechts. Nach § 1098 I 1 gelten die Vorschriften über das schuldrechtliche Vorkaufsrecht auch für das dingliche Vorkaufsrecht. Dies bedeutet jedoch nicht, daß dem dinglichen Vorkaufsrecht schuldrechtlich ein persönliches Vorkaufsrecht zugrunde liegen muß. Schuldrechtliche Grundlage kann auch eine Schenkung oder ein entgeltlicher Vertrag sein. Ein unwirksames dingliches Vorkaufsrecht kann jedoch in ein schuldrechtliches Vorkaufsrecht umgedeutet werden, das durch eine Vormerkung dinglich gesichert ist. Übt der Vorkaufsberechtigte das Vorkaufsrecht aus, so erleichtern die §§ 1100, 1101 die Rückabwicklung. Nach ganz h.M. enthält § 1100 trotz fehlender ausdrücklicher Regelung einen Herausgabeanspruch des Berechtigten gegen den Dritten. Dabei kann der Dritte die Erstattung des Kaufpreises direkt vom Berechtigten verlangen. Dieser wird dann von seiner Zahlungspflicht gegenüber dem Vorkaufsverpflichteten frei, §§ 1100 S.2, 1101. Dadurch wird der Vorkaufsverpflichtete aus der Rückabwicklung aus Vereinfachungsgründen herausgehalten, eine Rückabwicklung "übers Eck" findet nicht statt. Wichtigste Wirkung des dinglichen Vorkaufsrechts ist die Vormerkungswirkung gem. § 1098 II i.V.m. § 883 II. Nach Eintritt des Vorkaufsfalles getroffene Verfügungen des Vorkaufsverpflichteten sind daher gegenüber dem Vorkaufsberechtigten relativ unwirksam, soweit sie das Vorkaufsrecht vereiteln oder beeinträchtigen! Dies betrifft insbesondere den Fall der Eintragung des Käufers als Eigentümer. Der Vorkaufsberechtigte kann von diesem dann gem. § 888 I die Zustimmung zu seiner Eintragung als Eigentümer verlangen.
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Sachenrecht II, Rn. 498 ff., insbes. Rn. 527 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Einreden gegenüber dem Erwerber einer Sicherungsgrundschuld
94.
BGHZ 59, 1 Der Grundstückseigentümer kann gegenüber der Inanspruchnahme durch den Grundschuldserwerber Einreden aus dem Sicherungsvertrag nur dann nach §§ 1192 I, 1157 entgegenhalten, wenn der Erwerber den Sicherungscharakter der Grundschuld und die konkrete Einrede kannte.
Sachverhalt: Der Grundstückseigentümer E bestellte der Bank B zur Sicherung einer Darlehensforderung eine Sicherungsgrundschuld. Das Darlehen wird dem E aber nicht ausgezahlt. Die B überträgt die Sicherungsgrundschuld auf D, der zwar vom Sicherungscharakter, aber nicht von der Nichtvalutierung der Grundschuld wußte. Als D den E aus der Grundschuld in Anspruch nehmen will, beruft sich E darauf, daß die Forderung, zu deren Sicherung er sein Grundstück belastet hat, nicht entstanden sei. Entscheidungsgründe:
D könnte gem. § 1147 von E Duldung der Zwangsvollstreckung verlangen, wenn E dagegen nicht die Einrede der Nichtvalutierung erheben kann. Gem. §§ 1192 I, 1157 S.1 kann der Sicherungsgeber dem Dritterwerber auch Einreden aus dem Sicherungsvertrag entgegenhalten. Aus dem Sicherungsvertrag ergibt sich, daß die Grundschuld nur insoweit geltend gemacht werden darf, als die Forderung besteht. Die schuldrechtlichen Abreden aus der Sicherungsabrede wirken damit auch gegen das dingliche Recht selbst. Ist die Forderung nicht entstanden, so ist die Sicherungsgrundschuld zurückzugewähren. Voraussetzung ist nach § 1157 S.2 i.V.m. § 892 ist, daß der Dritte die Einrede beim Erwerb der Grundschuld gekannt hat. Fraglich ist daher, wann eine solche Kenntnis anzunehmen ist. Das RG hatte den Erwerber schon dann als unredlich angesehen, wenn er den Sicherungscharakter der Grundschuld kannte. Dann mußte er damit rechnen, daß zwischen dem Sicherungsgeber und dem Gläubiger eine Abrede bestand, nach der der Gläubiger die Sicherungsgrundschuld zurückzugewäh-
ren hat, wenn sich der Sicherungszweck erledigt hat. Entgegen dem RG geht der BGH nun davon aus, daß gegenüber dem Erwerber einer Sicherungsgrundschuld nur solche Einreden aus dem Sicherungsvertrag möglich sind, die bei dem Erwerb bereits entstanden und dem Erwerber bekannt waren. Wäre der Erwerber schon unredlich, wenn er den Sicherungscharakter der Grundschuld kennen würde, so wäre er weniger geschützt als der Erwerber einer Verkehrshypothek. Dieser kann die Hypothek, deren Sicherungscharakter er sicher kennt, als forderungsentkleidetes Recht gem. §§ 1138, 892 erwerben, wenn die Forderung nicht besteht. Der einredefreie Erwerb wäre also bei der Grundschuld schwieriger als bei der Hypothek. Da die Grundschuld wegen ihrer fehlenden Akzessorietät umlauffähiger sein soll als die Hypothek, würde die Ansicht des RG die Verkehrsfähigkeit der Sicherungsgrundschuld zu stark einschränken. Ein gutgläubig einredefreier Erwerb des D wäre also nur dann ausgeschlossen, wenn er den Sicherungscharakter und
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die Nichtvalutierung der Grundschuld kannte.
Da dies vorliegend nicht der Fall war, kann E der Inanspruchnahme durch D keine Einrede entgegenhalten.
„HEMMER-METHODE“: Ein weiteres klausurrelevantes Problem stellt sich, wenn der Sicherungsnehmer seine gesicherte Forderung unbefugt von der Sicherungsgrundschuld trennt. Bsp.: SiG hat dem SiN für eine Darlehensforderung eine SiGS bestellt. SiN tritt die Forderung an F und SiGS an G ab. Der SiG wird nun doppelt in Anspruch genommen: von F auf Zahlung und von G auf Duldung der Zwangsvollstreckung. Hier ist der SiG gegen F geschützt, weil er diesem nach § 404 entgegenhalten kann, er brauche den Kredit nur gegen Rückgewähr der SiGS zurückzuzahlen (Auslegung der Sicherungsabrede). Dagegen muß der SiG die Inanspruchnahme durch G dulden, er kann ihm nicht gem. §§ 1192 I, 1157 entgegenhalten, er habe einen Rückübertragungsanspruch auf die SiGS, weil der Gläubiger sie nur zur Sicherung der Forderung geltend machen dürfe, die er aber gerade nicht innehabe. Hier ist nämlich auf den Sinn der Sicherungsabrede abzustellen. Durch die Sicherungsabrede soll der SiG vor einer doppelten Inanspruchnahme geschützt werden. Dagegen darf die Sicherungsabrede nicht dazu führen, daß der SiG nun überhaupt keine Leistung zu erbringen hat. Ist er also schon vor einer Inanspruchnahme durch den persönlichen Schuldner geschützt, so kann ihm nicht auch noch ein Leistungsverweigerungsrecht gegen den GS-Inhaber zugestanden werden. Sonst käme es zu dem unsinnigen Ergebnis, daß der SiG von jeder Leistungspflicht frei wäre!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Kreditsicherungsrecht, Rn. 262 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Ablösung der Grundschuld durch den Eigentümer
95.
BGHZ 80, 228 Sind im Fall einer Sicherungsgrundschuld persönlicher und dinglicher Schuldner nicht identisch, so berührt, sofern nichts Gegenteiliges vereinbart ist, eine Ablösung der Grundschuld durch den Grundstückseigentümer den Bestand der persönlichen Forderung nicht.
Sachverhalt: A und B nahmen bei der S-Bank ein Darlehen in Höhe von 40000 DM auf. Die Darlehenssumme erhielt B. Er trat als Sicherheit für die Ansprüche der S gegen ihn und A eine über 40000 DM lautende Grundschuld an die Sparkasse ab. Diese Grundschuld hatte der E als Eigentümergrundschuld an seinem Grundstück bestellt und an den B entgeltlich abgetreten, damit sich dieser mit der abgetretenen Grundschuld "refinanzieren" könne. B war jedoch nicht in der Lage das Darlehen zurückzuzahlen, so daß letztlich E die Forderung der S beglich, um die Zwangsvollstreckung in sein Grundstück abzuwenden. Die S tritt daraufhin ihre Ansprüche aus dem Darlehen an den E ab. E macht einen Teil der abgetretenen Darlehensforderung gegenüber A geltend. A beruft sich darauf, daß B ihm gegenüber allein zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet war.
Entscheidungsgründe:
E könnte durch Abtretung gem. § 398 Inhaber der Darlehensforderung gegen A und B als Gesamtschuldner geworden sein. Fraglich ist jedoch, ob die Forderung nicht schon vor der Abtretung durch die Zahlung des E erloschen ist. Der BGH verneint dies. Sind im Fall einer Sicherungsgrundschuld persönlicher und dinglicher Schuldner nicht identisch, so soll eine Ablösung der Grundschuld durch den Grundstückseigentümer nicht den Bestand der persönlichen Forderung berühren. Dies gelte freilich nur dann, wenn nichts Gegenteiliges vereinbart wurde. Durch die Zahlung auf die Grundschuld sei diese somit zur Eigentümergrundschuld geworden, während die fortbestehende Forderung zunächst bei der S verblieb. Der BGH läßt die Frage offen, ob mit der Zahlung auf die Grundschuld die gesicherte Forderung kraft Gesetzes auf den Grundstückseigentümer übergehe (§ 1143 I entsprechend, siehe da-
zu HEMMER-METHODE), da E den Rückzahlungsanspruch aus Darlehen (§ 607) jedenfalls durch rechtsgeschäftliche Abtretung erworben habe. A kann gegenüber der abgetretenen Forderung allerdings alle Einwendungen geltend machen, die er zum Zeitpunkt der Abtretung der S hätte entgegensetzen können, § 404. In Betracht kommt hier die Einrede des A, daß er gegenüber der S nur gegen Abtretung der ihr durch B übertragenen Grundschuld hätte leisten müssen. Fraglich ist, ob dem A eine solche Einrede gegenüber S überhaupt zugestanden hätte. Hätte A auf die Forderung des S gezahlt, so wäre gem. § 426 II die Forderung inklusive der für die Forderung bestehenden Sicherheiten gem. §§ 412, 401 auf ihn übergegangen. Nach Ansicht des BGH findet § 401 aber gerade keine Anwendung auf das nichtakzessorische Sicherungsmittel der Grundschuld. Der BGH hält es jedoch für geboten, daß jedenfalls dann, wenn
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die Sicherheit von dem ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner gestellt worden ist, die Vorschrift des § 401 in dem Sinn entsprechend anzuwenden sei, daß eine Verpflichtung des Gläubigers zur Übertragung einer die Forderung sichernden Grundschuld besteht. Da im vorliegenden Fall B im Verhältnis zu A ausgleichspflichtig ist, sind diese Voraussetzungen erfüllt. Daß die an die
Sparkasse zur Sicherheit abgetretene Grundschuld nicht auf einem Grundstück des Mitschuldners B lastete, sondern für ihn eine Fremdgrundschuld war, ändere nichts daran, daß diese Sicherheit von ihm gestellt worden war. A wäre also gegenüber der S nur gegen Übertragung der Grundschuld zur Zahlung verpflichtet. Diese Einrede kann er nun auch dem E gem. §§ 404, 273 entgegenhalten.
„HEMMER-METHODE“: Wenn an den Gläubiger einer durch eine Grundschuld gesicherten Forderung gezahlt wird, hängt das Schicksal der Grundschuld maßgeblich von der Frage ab, ob die Zahlung auf die Forderung oder auf die Grundschuld oder auf beide erfolgt ist. Zahlt der Sicherungsgeber auf die Grundschuld, so wandelt sich diese von einer Fremd- in eine Eigentümergrundschuld um. Die dogmatische Begründung hierfür ist jedoch strittig. Was mit der gesicherten Forderung geschieht, hängt davon ab, ob der zahlende Sicherungsgeber zugleich persönlicher Schuldner ist oder nicht. Ist er zugleich persönlicher Schuldner, so erlischt bei Tilgung der Grundschuld auch die Forderung. Ist der Sicherungsgeber mit dem persönlichen Schuldner nicht identisch, so berührt die Zahlung den Bestand der Forderung dagegen nach h.M. nicht (s.o.). § 1143 (gesetzlicher Forderungsübergang) ist in diesem Fall nicht entsprechend auf die Grundschuld anwendbar, da diese Vorschrift auf der Akzessorietät der Hypothek beruht. Da die Sicherungsgrundschuld der Hypothek im Ergebnis aber wirtschaftlich gleichgestellt werden soll, leitet die h.M aus dem Sicherungsvertrag einen Anspruch des Sicherungsgebers gegen den Gläubiger auf Abtretung der gesicherten Forderung ab. Die Pflicht zur Abtretung besteht aber nur, wenn und soweit der persönliche Schuldner im Verhältnis zum Sicherungsgeber zur Zahlung verpflichtet ist. Zahlt der Sicherungsgeber dagegen nur auf die Forderung, dann erlischt diese gem. § 362 I. Der Gläubiger bleibt zunächst Inhaber der Fremdgrundschuld. Dem Sicherungsgeber steht jedoch aus der Sicherungsabrede ein schuldrechtlicher Anspruch auf Rückgewähr der Grundschuld zu. Zahlt der Sicherungsgeber auf die Forderung und die Sicherungsgrundschuld, dann ist die Forderung nach § 362 I erloschen und die Sicherungsgrundschuld zur Eigentümergrundschuld geworden. Darüber, ob auf die Forderung oder die Grundschuld gezahlt wird, entscheidet zunächst der Wille des leistenden Sicherungsgebers. Fehlen für den Willen des Zahlenden konkrete Anhaltspunkte, so ist dieser durch Auslegung unter Berücksichtigung der Interessenlage zu ermitteln: Zahlt der persönliche Schuldner, so wird er auf die Forderung leisten wollen. Zahlt dagegen der Sicherungsgeber, so ist anzunehmen, daß er auf die Grundschuld leisten will, die er dadurch sofort zurückerhält. Machen Sie sich in diesem Zusammenhang auch die Rechtsfolgen der Zahlung bei der Hypothek klar!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Kreditsicherungsrecht, Rn. 163 ff.
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Zusammentreffen mehrerer Sicherungsmittel; Globalzession contra verlängertem Eigentumsvorbehalt
96.
BGHZ 30, 149 Eine Globalzession ist sittenwidrig und nichtig, wenn sie sich auf Forderungen erstreckt, die von einem verlängertem Eigentumsvorbehalt erfaßt werden.
Sachverhalt: V betreibt eine Lederfabrik. Als ihm die B-Bank ein Darlehen gewährt, tritt er ihr alle Forderungen aus seinen künftigen Verkäufen ab. V erhält allerdings Warenlieferungen für seine Fabrik i.d.R. nur unter verlängertem Eigentumsvorbehalt, was die B auch weiß. Ist der Abtretungsvertrag wirksam?
Entscheidungsgründe: Der Abtretungsvertrag könnte gem. § 138 I nichtig sein, weil er sich auch auf Forderungen bezieht, die V seinen Lieferanten auf Grund deren verlängerten Eigentumsvorbehalts abtreten muß. Der BGH geht zunächst vom Grundsatz der Priorität aus, wonach bei mehrfacher Abtretung nur die zeitlich erste wirksam ist. Dieser Grundsatz findet auch bei der Abtretung künftiger Forderungen Anwendung. Im Fall der Kollision einer Sicherungsglobalzession mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt ist bei uneingeschränkter Geltung des Prioritätsprinzips jedoch problematisch, daß der Geldkreditgeber gegenüber späteren Warenlieferanten immer den zeitlichen Vorrang genießt, und daher der Warenlieferant immer das Nachsehen hat.
Eine an sich vorrangige Globalzession wird daher vom BGH nach § 138 I als sittenwidrig erachtet, wenn sie nach dem Willen der Parteien auch solche Forderungen umfaßt, die der Schuldner aufgrund eines branchenüblichen verlängerten Eigentumsvorbehalts künftig abtreten müsse. Er würde in diesen Fällen zur Täuschung und zum Vertragsbruch gegenüber seinen Lieferanten verleitet, denn um weiter Lieferungen zu erhalten, müsse er die Globalzession verschweigen und die Warenlieferanten wären ihrer Sicherung beraubt (sog. Vertragsbruchtheorie). Da die B wußte, daß V i.d.R. nur unter verlängertem Eigentumsvorbehalt einkaufen konnte, ist der Abtretungsvertrag daher nach § 138 I sittenwidrig und nichtig.
„HEMMER-METHODE“: Eine Globalzession kann nach neuerer Rechtsprechung auch schon wegen Übersicherung gem. § 138 I sittenwidrig sein, wenn die Zession 50% der gesicherten Kreditforderung übersteigt. Dies kann jedoch durch eine schuldrechtliche Freigabeklausel vermieden werden, die bei Überschreitung einer zahlenmäßig bestimmten Deckungsgrenze (bei Globalzession 50%, s.o.) eine Verpflichtung der Bank zur Freigabe von Sicherheiten normiert. (Nach neuester, noch nicht gefestigter Rechtsprechung hingegen ist eine Freigabepflicht des Sicherungsnehmers in Sicherungsabreden über nichtakzessorische Sicherheiten immanent enthalten, vgl. Fall 98!)
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SACHENRECHT
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Teilweise wurde in der Literatur auch vertreten, der verlängerte Eigentumsvorbehalt habe aufgrund der Surrogation die größere Nähe zur abgetretenen Forderung und sei daher unabhängig vom Prioritätsprinzip vorrangig. Eine solche Argumentation findet im Gesetz aber keine Stütze. So ist also grundsätzlich vom Prioritätsprinzip auszugehen, das aber natürlich dann nicht greift, wenn die erste Globalzession wegen § 138 I nichtig ist. Die Sittenwidrigkeit der Globalzession tritt nach der Rechtsprechung nicht ein beim Vorliegen einer sog. dinglichen Verzichtsklausel. Eine solche bewirkt, daß bei einem Zusammentreffen mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt die Forderung von der Globalzession automatisch ausgenommen wird. Dagegen ändert eine bloß schuldrechtliche Verzichtsklausel nichts an der Sittenwidrigkeit, da diese nur die Verpflichtung der Bank enthält, die zunächst von der Globalzession erfaßten Forderungen an den Warenlieferant zu übertragen. Dem Lieferanten wird dadurch die Durchsetzung seiner Ansprüche unzumutbar erschwert. In der Klausur findet die Prüfung der Sittenwidrigkeit der Globalzession häufig im Rahmen des § 816 II statt. Zieht nämlich die Bank trotz Unwirksamkeit der Globalzession die Forderungen ein, handelt sie gegenüber dem Warenlieferant als Nichtberechtigte. Aufgrund der Wetung der §§ 407, 408 (keine Vorschrift paßt i.d.R. direkt) ist diese Einziehung wirksam, so daß die Voraussetzungen des § 816 II vorliegen!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 403; Hemmer/Wüst, Primäranspruch II, Rn. 136
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Zusammentreffen mehrerer Sicherungsmittel; Factoring contra verlängertem Eigentumsvorbehalt
97.
BGHZ 69, 254 Die globale Vorausabtretung aller künftigen Forderungen an die Factoring-Bank ist bei echtem Factoring nicht sittenwidrig.
Sachverhalt: L lieferte im Januar 1993 an V Kiefernholz unter verlängertem Eigentumsvorbehalt. Bereits im Dezember 1992 hatte V alle Forderungen, die aus dem Verkauf der von ihm hergestellten Möbel entstehen, an die Factor-Bank F unter der aufschiebenden Bedingung des späteren Ankaufs durch F abgetreten. Dabei wurde u.a. vereinbart, V hafte nur für das einredefreie Bestehen der Forderung, das Risiko der Zahlungsfähigkeit seiner Kunden sollte jedoch die F übernehmen. Im Februar kaufte K eine Büroeinrichtung aus Kiefernholz bei V und zahlte den Kaufpreis weisungsgemäß an die F, die die Forderung angekauft hatte. Nachdem V in Konkurs gefallen ist, verlangt L von F den gezahlten Kaufpreis in Höhe von 20000 DM.
Entscheidungsgründe: Fraglich ist, ob L gegen die F als Leistungsempfängerin den Anspruch aus § 816 II geltend machen kann. Die F ist dann Nichtberechtigte i.S.d. § 816 II, wenn die Factoringglobalzession nach § 138 I unwirksam war. Fraglich ist, ob auch hier die vom BGH zur Globalzession entwickelten Grundsätze über die Vertragsbruchtheorie eingreifen.(s.o.Fall 96) Der BGH verneint diese Frage. Wenn der Factor das Risiko der Zahlungsfähigkeit der Kunden trägt (sog. Delkredererisiko), handelt es sich um echtes Factoring. Rechtlich gesehen stellt das echte Factoring aber nichts anderes als einen Forderungskauf dar. V verkauft die Forderungen gegen seine Kunden und erhält dafür von F den Forderungsbetrag (abzüglich einer Provision). Die Situation ist für den V dann aber nicht anders, als wenn er von seinen Abnehmern den Kaufpreis aufgrund der
ihm vom Vorbehaltskäufer erteilten Einziehungsermächtigung einzieht und dann an den Vorbehaltsverkäufer weiterleitet. V erhält auch durch den Forderungsverkauf an F den Forderungsbetrag und kann daher sofort an den Vorbehaltsverkäufer bezahlen. Der Lieferant trägt somit in beiden Fällen nur das sog. Weiterleitungsrisiko, d.h. das Risiko, daß V das - entweder durch Einziehung oder Forderungsverkauf - erhaltene Geld auch tatsächlich an den Vorbehaltsverkäufer weiterleitet. Anders als bei der kreditsichernden Globalzession begeht V keinen Vertragsbruch gegenüber dem Vorbehaltsverkäufer. Daher ist hier die Zession an die F im Rahmen des echten Factoring nicht nach § 138 I nichtig. Ein Anspruch des L aus § 816 II gegen die Bank besteht nicht.
„HEMMER-METHODE“: Das echte Factoring ist rechtlich gesehen ein Forderungskauf. Der Factor trägt das sog. Delkredererisiko, d.h. das Risiko der Einziehbarkeit der Forderungen. Der Unternehmer haftet also gem. § 437 nur für "Verität" (den Bestand) der Forderung, nicht aber für die "Bonität" (die Durchsetzbarkeit). – 200 –
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Ist - umgekehrt als im Fall - erst die Sicherungsabtretung zugunsten des Warenlieferanten erfolgt und wird dann erneut an eine Factor abgetreten, ist diese letzte Abtretung nach BGH wirksam, da regelmäßig eine Ermächtigung des Warenlieferanten nach § 185 I vorliegt. Im Ergebnis setzt, sich anders bei der Globalszession, immer der Factor durch. Beim unechten Factoring dagegen haftet der Unternehmer auch für die Bonität der Forderungen , das Zahlungsrisiko liegt damit beim Unternehmer. Da die Gutschrift des Gegenwerts der Forderung hier ein Kreditgeschäft darstellt, handelt es sich rechtlich gesehen um einen atypischen Darlehensvertrag. Die Forderungen werden hier nur erfüllungshalber abgetreten. Kann sich der Factor wegen der Zahlungsunfähigkeit der Kunden nicht aus den abgetretenen Forderungen befriedigen, so kann er weiterhin den Unternehmer in Anspruch nehmen bzw. den bereits vorschußweise gutgeschriebenen Betrag zurückverlangen. Da es sich also um ein Kreditgeschäft handelt, ist nach Ansicht des BGH die Vertragsbruchtheorie anzuwenden. Das unechte Factoring ist bei einem Konflikt mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt daher grds. gem. § 138 nichtig. Zwar erhält auch der Unternehmer wie beim echten Factoring ein Entgelt für die Forderungen. Jedoch kann er mit Rückgriffsforderungen belastet werden, wenn die abgetretene Forderung uneinbringbar ist. Der Vorbehaltsverkäufer hat jedoch ein berechtigtes Interesse daran, daß die Zahl der Gläubiger des Unternehmers möglichst gering bleibt, insbesondere im Konkurs des Unternehmers (Quote!).
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 403 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Freigabeanspruch und Deckungsgrenze bei formularvertraglichen Globalzessionen
98.
BGH, NJW 1996, 1213, 2092 Eine formularvertragliche Globalabtretung ist auch ohne ausdrückliche und ermessensunabhängig ausgestaltete Regelung der Pflicht des Sicherungsnehmers zur Freigabe überschießender Deckung wirksam.
Sachverhalt: Bank B gewährte der H Kredit. Als Sicherheit diente eine formularmäßige Globalabtretung von Forderungen der H gegen ihre Abnehmer. Im Abtretungsvertrag verpflichtete die B sich, ihre Rechte aus der Forderungsabtretung freizugeben, soweit sie diese nach ihrem billigen Ermessen zur Sicherung ihrer Ansprüche nicht mehr benötigte. Nach Einziehung der sicherheitshalber abgetretenen Forderungen durch die B berief sich der inzwischen über das Vermögen der H eingesetzte Konkursverwalter auf die Nichtigkeit der Sicherungszession und verlangte den Gegenwert der Forderungen von der B heraus.
Entscheidungsgründe:
Der Gemeinschuldnerin steht ein Bereicherungsanspruch auf Herausgabe der Erlöse aus den abgetretenen Forderungen nicht zu. Zwar ist nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BGH eine formularvertragliche Globalabtretung dann insgesamt unwirksam, wenn darin keine konkrete Dekkungsgrenze bestimmt ist, bei deren nicht nur vorübergehender Überschreitung der Sicherungsnehmer ausdrücklich und ermessensunabhängig zur Freigabe der überschießenden Dekkung verpflichtet ist (BGHZ 109, 240, 245 ff.). Diesen Anforderungen genügt vorliegende Globalabtretung nicht, weil die Freigabepflicht nicht ermessensunabhängig ausgestaltet ist. Diese Rechtsprechung wird jedoch aufgegeben. Eine (Teil-) Freigabepflicht des Sicherungsnehmers bezüglich der überschießenden Deckung beruht unmittelbar auf dem Treuhandcharakter der nichtakzessorischen fiduziarischen Sicherheiten. Jeder Vertrag über die Bestellung einer derartigen Sicherheit begründet auch ohne ausdrückliche Vereinbarung ein Treuhandverhältnis
aus dem eine Pflicht zur Freigabe folgt. Eine Rechtsvorschrift, welche eine ausdrückliche (deklaratorische) Regelung der Freigabepflicht im Vertrag vorschreibt, besteht nicht. § 9 I AGBG scheidet insoweit von vornherein aus, da nach § 8 AGBG die §§ 9-11 AGBG nur für AGB gelten, „durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden“ gelten. Auch § 138 I BGB fordert eine ausdrückliche Regelung der Freigabepflicht nicht. Selbst wenn eine ausdrückliche (deklaratorische) Regelung der Freigabepflicht im Vertrag erforderlich wäre, würde deren Fehlen nicht die Unwirksamkeit der formularvertraglich vereinbarten Globalzession insgesamt nach sich ziehen. Ein Verstoß gegen § 9 I AGBG führt grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit des gesamten Vertrags, sondern nur zur Nichtgeltung der unangemessenen Klausel, § 6 I AGBG. An deren Stelle treten die gesetzlichen Vorschriften, § 6 II AGBG. Die Lücke welche im Falle der Unwirksamkeit einer unangemessenen Freigabeklausel entsteht, wird durch den aus dem Sicherungsvertrag folgen-
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den Freigabeanspruch geschlossen. (BGHZ 124, 380, 389). Darin liegt auch keine unzulässige geltungserhaltende Reduktion, da der Freigabeanspruch unmittelbar aus einem ungeschriebenen Satz des dispositiven Rechts beruht. Auch die eng auszulegende Ausnahme des § 6 III AGBG greift nicht ein. Dort wird eine unzumutbare Härte gerade für eine „Vertragspartei“ vorausgesetzt. Die Nichtigkeit der formularmäßigen Globalabtretung würde jedoch ausschließlich den anderen (ungesicherten) Gläubigern der Gemeinschuldnerin zugute
kommen. Deren Schutz bezwecken §§ 6 II, 9 I AGBG nicht einmal mittelbar.
Die Globalabtretung ist deshalb insgesamt wirksam. Lediglich an die Stelle der nichtigen Verpflichtung zur Freigabe nach billigem Ermessen tritt nach § 6 II AGBG die aus der Rechtsnatur des Sicherungsvertrags folgende Freigabepflicht. B hat die Erlöse aus den abgetretenen Forderugnen somit nicht ohne Rechsgrund erlangt.
„HEMMER-METHODE“: Ginge man mit der bisher ständigen Rechtsprechung von der Unwirksamkeit der Globalzession aus, so wäre in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob die Schuldner durch Zahlung an B analog §§ 407, 408 BGB freigeworden sind. Im Ergebnis könnte das jedoch offenbleiben, da in der Geltendmachung des Anspruches gegen B jedenfalls eine konkludente Genehmigung enthalten ist, § 185 II 1, 1.Alt. Von dieser Konstellation streng zu unterscheiden sind diejenigen Fälle, in denen ein Konkurrenzverhältnis zum verlängerten Eigentumsvorbehalten besteht. Hier kann nur eine dinglich wirkende (Teil-) Verzichtsklausel die Globalsicherheit dem Sittenwidrigkeitsurteil entziehen (Vertragsbruchtheorie).
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 397 ff.
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BGH-CLASSICS ZIVILRECHT
Schenkung auf den Todesfall, § 2301; Einigung i.S.d. § 929 BGB
99.
RGZ 83, 223: Bonifatiusfall Für eine Eigentumsübertragung nach § 929 S.1 ist erforderlich, daß der Eigentümer und der Erwerber im Zeitpunkt der Übergabe über den Eigentumsübergang einig sind. Daher ist eine vom Erblasser abgegebene Einigungserklärung wirkungslos, wenn der Erbe die Eigentumsübertragung im Zeitpunkt der Übergabe nicht will.
Sachverhalt: Der Priester P lag im Sterben. Kurz vor seinem Tod übergab er dem A seine Wertpapiere und erklärte, er solle diese Wertpapiere dem Bischof für den Bonifatiusverein B bringen. A übergibt die Papiere dem Bischof aber erst vier Tage nach dem Tod des P. Die Alleinerbin E verlangt vom Bonifatiusverein die Papiere heraus.
Entscheidungsgründe: Anspruchsgrundlage könnte § 985 i.V.m. § 1922 sein. Dann müßte P im Zeitpunkt des Todes noch Eigentümer der Wertpapiere gewesen sein. Dies ist der Fall, da der dingliche Erwerbstatbestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet war. A war nicht wirksamer Vertreter des B, so daß noch keine dingliche Einigung vorlag. Es fehlte auch an der Übergabe, da A nicht Besitzdiener bzw. Besitzmittler des B war. Die E könnte aber nach § 929 S.1 ihr Eigentum verloren haben, als A dem B die Papiere übergab. Eine Übergabe ist nach Ansicht des RG erfolgt. Der Bischof war als Organ des Vereines anzusehen, so daß der Verein durch die Übergabe an ihn unmittelbaren Besitz erwarb, denn er übt seinen Besitz durch seine Organe aus (sog. Organbesitz). Fraglich ist jedoch die Einigung. Ein Angebot auf dingliche Einigung, das auch über den Tod des P hinaus gem. § 130 II wirksam ist, liegt vor. Eine Annahme der Angebots könnte über §§ 153, 151 durch die Entgegennahme des Bischofs, der Organ des B ist, erfolgt sein. Das Reichsgericht stellt bei dieser Frage aber nur darauf ab, daß die Parteien
gem. § 929 S.1 im Zeitpunkt der Übergabe noch über den Eigentumsübergang einig sein mußten. Da die E, auf die nach dem Tod des P abgestellt werden muß, die Einigung im Zeitpunkt der Übergabe aber nicht wollte, lag diese Voraussetzung nicht vor. Die Einigungserklärung des P soll also vor Übergabe überhaupt keine Bindungswirkung entfalten, es komme nur auf ein Einigsein bei der Übergabe an. Die E war damit Eigentümerin der Wertpapiere und konnte den Herausgabeanspruch aus § 985 geltend machen. Das Kausalgeschäft konnte für das RG daher nur im Rahmen einer Besitzberechtigung nach § 986 eine Rolle spielen. In Betracht kam hier ein Schenkungsvertrag. Dieser ermangelte aber der gesetzlich vorgeschriebenen Form (grds. § 518 I), wobei das RG hier von einer Schenkung von Todes wegen gem. § 2301 ausging, so daß gem. § 2301 I 1 die für Verfügungen von Todes wegen geltenden Formvorschriften Anwendung finden. Da nach Ansicht des RG schon keine wirksame Übereignung vorlag, kam eine Heilung des Formmangels weder durch Vollzug der Schenkung gem. § 518 II noch durch lebzeitigen Vollzug der
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SACHENRECHT
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Schenkung auf den Todesfall gem. § 2301 II in Betracht. Damit hatte der BVerein auch kein Recht zum Besitz, so
daß E die Wertpapiere nach § 985 herausverlangen konnte.
„HEMMER-METHODE“: Die Entscheidung des RG wird heute allgemein als Fehlentscheidung angesehen. Trotzdem sollte man sich einmal den Gedankengang des RG klargemacht haben, um die nachfolgenden Diskussionen zu verstehen. Der Bonifatiusfall ist ein absoluter Klassiker, von dem jeder schon mal gehört hat. Gerade deswegen ist in der Klausur eine logisch durchdachte, systematische Lösung wichtig, da viele Bearbeiter dazu neigen, das allgemeine Wissen zum Fall mehr oder weniger zusammenhanglos darzustellen! Zunächst ist dabei der Anspruch aus § 985 zu prüfen. Nach ganz h.M. wird über die §§ 130 II, 153, 151 eine wirksame Einigung angenommen. Die Einigung ist zwar nach h.M. vor Übergabe frei widerruflich, der bloße entgegenstehende Wille der E, der nicht nach außen hervorgetreten ist, reicht für einen Widerruf aber nicht aus! Es wird vielmehr vermutet, daß eine einmal erklärte Einigung fortbesteht, solange ein entgegenstehender Wille für den anderen Teil nicht eindeutig erkennbar ist. Argument ist der Umkehrschluß aus §§ 873 II, 956 I S.2. Da der Bonifatiusverein somit Eigentümer wurde, scheidet § 985 aus. Als nächstes ist dann § 812 I 1, 1.Alt zu prüfen. Rechtsgrund für die Leistung könnte ein wirksamer Schenkungsvertrag sein (wiederum über §§ 130 II, 153, 151 zustandegekommen). Da eine Schenkung von Todes wegen vorliegt, sind die erbrechtlichen Formerfordernisse (Testament oder Erbvertrag) einschlägig. Da diese nicht eingehalten wurden, ist nun entscheidend, ob Vollzug der Schenkung i.S.d. § 2301 II vorliegt. Vollzug ist dabei nur dann anzunehmen, wenn noch der Erblasser selbst und nicht erst der Erbe das Vermögensopfer erbringt. Nach e.A. fehlt es vorliegend an dieser Voraussetzung, da P das Eigentum an den Papieren nicht zu Lebzeiten verloren hat. Erst für die Erbin bedeute der Eigentumserwerb des B ein Opfer. Nach a.A. ist der bloß formale Akt der Eigentumsübertragung hierfür nicht entscheidend. Vollzug liege vielmehr schon dann vor, wenn der Erblasser zu Lebzeiten alles Erforderliche getan hat (auch wenn noch widerruflich). Danach wäre eine vollzogene Schenkung zu bejahen, ein Anspruch aus § 812 I S.1, 1.Alt. würde wegen bestehenden Rechtsgrundes ausscheiden. Gleichgültig ist, wie Sie sich im Ergebnis entscheiden, wichtig ist nur, daß Sie sich an den Aufbau halten und strikt zwischen den Problemen auf der dinglichen Ebene im Rahmen des § 985 und denen auf der schuldrechtlichen Ebene im Rahmen des § 812 trennen!
Zur Vertiefung: Hemmer/Wüst, Erbrecht, Rn. 139 ff.
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