Rainer E. Wiedenmann Tiere, Moral und Gesellschaft
Rainer E. Wiedenmann
Tiere, Moral und Gesellschaft Elemente und E...
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Rainer E. Wiedenmann Tiere, Moral und Gesellschaft
Rainer E. Wiedenmann
Tiere, Moral und Gesellschaft Elemente und Ebenen humanimalischer Sozialität
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
. 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8100-2527-2
Für Dagmar, Emmi und Karl (1923-2004)
Inhalt
Vorwort........................................................................................................... 11 1
Spiegel und Fenster .......................................................................... 15 1.1 1.2 1.2.1 1.3
2
Cartesianische Ordnung und tierliche Ambiguität .............. 61 2.1 2.2 2.3
3
Gesellschaft ohne Tiere? Humanimalische Sozialität und die Ratlosigkeit der Soziologie .............................................. 17 Der Pluralismus der Disziplinen und die Einheit der Human-Animal Studies ................................................................ 34 Disparitäten der Forschungslage .................................................. 41 Thema und Aufbau der Arbeit ...................................................... 51
Die langen Schatten des Cartesianismus ...................................... 61 Das „schlechthin Fremdartige“ der Tiere ..................................... 75 Grenzen sozial- und kulturtheoretischer Zugänge......................... 89
Zum Mehrebenenaufbau humanimalischer Sozialität ..... 109 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3
Methodologische Vorüberlegungen ........................................... 119 Zur „Anthropomorphologie“ verhaltenswissenschaftlicher Tierkonzepte ............................................................................... 123 Exkurs: Methodische Probleme tierexperimenteller Forschung ................................................................................... 140 Prinzipien und Probleme einer systemtheoretischen Mehrebenenkonzeption .............................................................. 144 Interpenetration und Systemökologie.......................................... 145 Doppelte Kontingenz, Selbstreferenz und Interaktionsemergenz ................................................................. 152 Zur Semiotik humanimalischer Kommunikation ....................... 156
8
Inhalt
4
Humanimalische Interaktionssysteme .................................... 173 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.4.1 4.2.4.2 4.2.4.3 4.2.4.4 4.2.5 4.2.5.1 4.2.5.2 4.2.5.3 4.2.5.4
5
Talcott Parsons’ Handlungssystem: Heuristik und Grenzen eines tiefengegliederten Theorieprogramms ................ 174 Funktionsbezüge humanimalischer Interaktionsprozesse ........... 179 Exkurs: Selbstreferenzielle und fremdreferenzielle Systemprozesse .......................................................................... 180 Das leibliche Apriori des Verhaltensorganismus: Biosoziale Möglichkeitsbedingungen interspezifischen Verhaltens ............ 183 Die performative Kompetenz des Persönlichkeitssystems ......... 191 Koordinaten interspezifischer Sozialsysteme ............................. 202 Affektive und emotionale Aspekte interaktiver Realitätskonstruktion .................................................................. 203 Interaktionsfiguration und „biologisches Radikal“ .................... 210 Grundpolaritäten humanimalischen Sozialverhaltens ................ 213 „Wie Hund und Katz“: Zwei Beziehungstypen .......................... 218 Das kulturelle Bezugssystem: Framing und Situationsdefinition .................................................................... 225 Wider ein kulturalistisch halbiertes Kulturkonzept .................... 227 Primärrahmen und Rahmungsprobleme ..................................... 233 Exkurs: Rahmenanalyse und Sozialphänomenologie multipler Sinnprovinzen ............................................................................. 238 Situationsdefinition in Rahmungsprozessen humanimalischer Interaktion .................................................................................. 241
Tiermoralische Orientierungsmuster: Kontexte und Konstitutionsbedingungen .................................................. 249 5.1 5.1.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3
Tiermoralische Generalisierung und Achtungskommunikation . 250 Moral als Achtungskommunikation ........................................... 251 Kulturelle Bezüge der Generalisierung tiermoralischer Muster ............................................................... 254 Zur Semantik tierlicher Subjektivität ......................................... 254 Kosmologische Deutungshorizonte tierlicher Subjektivität: Immanenz und Transzendenz ..................................................... 268 Zeitliche Generalisierung: Zur Internalisierung tiermoralischer Muster im Zivilisationsprozess .......................... 275
Inhalt
9
5.4
Soziale Generalisierung mittlerer Reichweite: Sozialstrukturelle Kontexte tiermoralischer Muster ................... 280 5.4.1 Grenzen des Grid-Group-Schemas ............................................. 282 5.4.2 Zur Funktion des Kultursystems im Interpenetrationsbezug „schwach“ strukturierter Sozialsysteme ..................................... 288 5.4.3 Zu einer sozialökologischen Konzeption sozialstruktureller Kontexte ..................................................................................... 294 5.4.3.1 Offene und geschlossene Rollenmuster ...................................... 295 5.4.3.2 Gruppendruck ............................................................................. 302 5.4.4 Tiermoralische Orientierungsmuster der sozialen Mesoebene: Eine Typologie ........................................................................... 311 5.5 Tiermoralische Orientierungsniveaus im Horizont soziokultureller Interpenetration ................................................ 322 5.6 Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien als makrosoziale Bezugskontexte humanimalischer Sozialität ........ 332 5.6.1 Funktionsaspekte symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien ............................................................ 333 5.6.2 Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien als Codes und Selektionsraster tierbezogener Verhaltenskontexte ............. 344
6
Milieuspezifische Tiermoralen der Frühneuzeit: Zwei Fallstudien ............................................................................... 357 6.1
6.2
7
Die „doppelte Tiermoral“ frühmoderner Höfe: Empathie und symbolische Herrschaftsreproduktion im hierarchischen Kollektivismus ............................................................................ 360 Religiöse Wertbindung und Liebessemantik. Tierethische Motive im kommunalistischen Milieu des nonkonformistischen Protestantismus ........................................ 378
Schlussbemerkung: Humanimalische Sozialität, Moral und gesellschaftlicher Wandel .................................................... 401
Literatur ...................................................................................... 409
Vorwort
Das Thema der vorliegenden Arbeit sind die Sozialverhältnisse, die durch Menschen und Tiere gestiftet werden. Wir werden dafür häufig den soziologisch noch unbelasteten Begriff der „humanimalischen“ Sozialität verwenden. Zum einen deswegen, weil dieser Begriff für das Spektrum der Phänomene, um die es geht, offener ist als z.B. die soziologisch kanonisierte Kategorie der sozialen „Beziehung“. Der Beziehungsbegriff ist manchmal keine glückliche Wortwahl, weil sie den soziologisch instruierten Leser leicht auf eine falsche Fährte führt. Vor allem aber will das Konzept einer humanimalischen Sozialität einer im Ganzen doch verhängnisvollen humansoziologischen Engführung entgegenwirken. In humansoziologischer Perspektive werden Tiere leicht als Teil einer der Gesellschaft entgegengesetzten „Natur“ angesehen, sie kommen allenfalls als – letztlich passive – Gegenstände gesellschaftlicher Produktions- und kultureller Konstruktionsprozesse in den Blick. Eine „Zugehörigkeit“ der Tiere zur Gesellschaft bleibt dabei meist rein äußerlich, eine Zugehörigkeit im schwachen Sinn des Wortes. Tiere werden den gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen zu-, aber nicht eingeordnet. Tiere sind hier quasi „nicht gesellschaftsfähig“. Davon ist eine alternative, theoretisch wie methodisch aber schwer einzulösende Sicht von Gesellschaft zu unterscheiden. Hier wird davon ausgegangen, dass Tiere an konstitutiven Aspekten der betreffenden „Gesellschaftsfähigkeit“ so hinreichend partizipieren, dass soziale Inklusionsverhältnisse vorliegen: Tiere „nehmen“ demnach an Interaktionsprozessen, an Organisationen und an der modernen Gesellschaft „teil“. Sicher: Es handelt sich bei diesen Einordnungen um oftmals hochgradig ambivalente und „hybride“ Positionierungen, die von charakteristischen Merkmalen soziokultureller Marginalität nie ganz frei sind. Die vorliegende Arbeit möchte dafür plädieren, dass dann, wenn wir Gesellschaft über die sie konstituierenden kommunikativen Prozesse ins Auge fassen, es eigentlich nicht mehr angehen kann, Tiere als „dumb animals“ auszugrenzen. Um nun überall dort, wo Kommunikation interspezifische Sozialitätsverhältnisse stiftet, die letztlich uneinholbare Verschränkung von humanen und animalischen Sozialitätsaspekten auch semantisch auszuflaggen, wird im Folgenden der hybride Begriff des „Humanimalischen“ verwendet. Der Begriff des Humanimalischen will also Leserinnen und Leser dazu einladen, Sozialverhältnisse unter
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Vorwort
dem Vorzeichen einer „refusal of the human/animal binary“ (Mitchell 2003: xiii) neu anzudenken. Die vorliegende Text ist die gründlich überarbeitete Fassung einer Arbeit, die im November 1997 von der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt als Habilitationsschrift angenommen wurde. Obwohl damit keine Auflagen für eine Veröffentlichung verknüpft waren, konnte die – schon seit mehreren Jahren angekündigte – Publikation leider erst jetzt realisiert werden. Das hatte zum einen zur Folge, dass die Arbeit an vielen Stellen aktualisiert und ergänzt werden musste. Andererseits eröffnete das die Chance, hier und dort die Argumentationsführung etwas zu glätten und neue Akzente zu setzen. Für wichtige Hinweise möchte ich mich bei den vier Gutachtern der Arbeit bedanken. Ihre Anregungen haben sich bei der Überarbeitung der Arbeit als sehr hilfreich erwiesen. Es ist wohl unmöglich, alle diejenigen zu nennen, die mir bei diesem Thema im Verlauf der Jahre auf die eine oder andere Weise – besonders durch wertvolle Fingerzeige und Anregungen – geholfen haben. Stellvertretend möchte ich hier Reiner Flik, Alois Hahn, Stefan Hirschauer, Heide Inhetveen, Doris Janshen †, Rainer A. Müller †, Paul Münch, Rudolf Stichweh sowie Gotthard Teutsch meinen Dank aussprechen. Dank gebührt auch den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Eichstätter Universitätsbibliothek, die mich bei der Beschaffung wichtiger Quellen immer tatkräftig unterstützt haben. Dem Deutschen Tierschutzbund und der „Royal Society for the Provention of Cruelty to Animals“ (Horsham) danke ich, dass sie mir in den neunziger Jahren die Gelegenheit zu Archivforschungen gegeben haben. Danken möchte ich auch Frau Hildegard Kreutz, die mir während der Endredaktion des Manuskripts beim Aufspüren formaler Fehler behilflich war. Bei Zitaten aus historischen Quellen wurde übrigens die ursprüngliche Schreibweise beibehalten. Für die verbleibenden Fehler und Ungenauigkeiten bin ich natürlich selbst voll verantwortlich. Profitiert habe ich zudem von den anregenden Diskussionen mit Studierenden, die an meinen „Tier-Seminaren“ an der Universität Eichstätt-Ingolstadt und der Universität Essen teilgenommen haben. Dank schulde ich außerdem der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Gerade beim vorliegenden Thema dürfen die vielfältigen Anregungen nicht unerwähnt bleiben, die mir im der Lauf der Jahre unsere lieben „Stubentiger“ Mia, Melly und Gilly vermittelt haben. Auf ihre unnachahmliche Art haben sie mich während der Arbeit an dieser Untersuchung immer wieder auf die „Lebensweltvergessenheit“ mancher meiner Überlegungen aufmerksam gemacht. Last not least: Das allergrößte Dankeschön gehört natürlich meiner Frau Dagmar. Sie hat mir nicht nur geholfen, bei der Endredaktion des Manuskripts
Vorwort
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verschachtelte Satzkonstruktionen aufzulösen und Formfehler zu finden. Vor allem hat sie das Auf und Ab während der Entstehung und Überarbeitung des Manuskripts über viele Jahre mit der allergrößten Geduld und einer nie ermüdenden Gesprächsbereitschaft begleitet. Ihr und meinen Eltern – Karl Wiedenmann † und Emmi Wiedenmann – widme ich dankbar diese Arbeit.
Schwabenheim, Anfang April 2009
Rainer E. Wiedenmann
1 Spiegel und Fenster
„Why look at animals?“ – am Anfang steht eine Frage, die dem soziologisch geschulten Blick etwas zu abseitig oder sperrig vorkommen mag, um im Fach diskursiv anschlussfähig zu sein. Und in der Tat: Der gleichnamige Essay, in dem John Berger (1980: 1ff.) vor vielen Jahren über unsere Mensch-Tier-Beziehungen nachdachte, hatte ein breites Publikum im Auge, – auch wirkt der Gestus, mit dem Berger hier lieber Fragen abtastet als fertige Antworten zu präsentieren, eher poetisch als „wissenschaftlich-professionell“. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – enthält dieser Essay Fingerzeige, die eine erste Annäherung an das Themenfeld der „Mensch-Tier-Sozialverhältnisse“ erleichtern können. Bergers Zugang: „Sehen kommt vor Sprechen“ (Berger u.a. 1974). Die Intelligenz der visuellen Wahrnehmung lässt sich zwar durch Worte ein- und umkreisen, in ihrer Eigenart und Vielfalt aber nicht wirklich treffen, geschweige denn erschöpfend darstellen. Ob man zur Begründung dieser Auffassung eher auf Rudolf Arnheims (1972) Untersuchungen zum „anschaulichen Denken“ oder auf phänomenologische Untersuchungen zur lebensweltlichen Vorzugsstellung des Sehens (Merleau-Ponty 1986) verweisen will, ist in diesem Kontext weniger wichtig. Was zählt, ist die Einsicht, dass auch Mensch-Tier-Begegnungen zwar nach sprachlichen Kriterien beurteilt, aber letztlich nur unzureichend verstanden werden können. Berger stellt sich diesem Problem, er sucht jenen unfruchtbaren Logozentrismus zu vermeiden, der das kommunikative Potential von MenschTier-Beziehungen auf eine Frage nach der tierlichen Partizipation an unserer Sprachkompetenz verengt. Auge und Blick, bei Jean-Paul Sartre (1970: 338ff.) genuin menschliche Chiffren intersubjektiver Selbstbehauptung, sind für Berger keineswegs exklusiv human: Ich blicke ein Tier an, – und umgekehrt: Auch ich werde von ihm angeblickt, bin Gegenstand seiner aufmerksamen Beobachtung. Im Chiasma des Sehens ereignet sich die Urszene jeder Begegnung: Wo Blicke sich kreuzen, ist das Auge des Gegenüber nicht nur Fenster zu seiner Seele, es ist auch ein Fenster zu meiner Seele, spiegelt dieser Blick doch auch sein Bild von mir, und insofern auch meine Haltungen und Erwartungen (Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen usf.). Hinzu kommt, dass Tierblicke auch unsere überkommenen Vorstellungen über Ich-Identität ins Wanken bringen können: Dass ein erkennendes
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Kapitel 1
Selbstbewusstsein im Prinzip auch ohne menschliche Sprachkompetenz aufkeimen kann, – dafür gibt seit längerer Zeit ernst zu nehmende Hinweise.1 In solchen Fällen erfasst ein Tier, dass sein Blick in den Spiegel es nicht mit dem Blick eines anderen Artgenossen konfrontiert, sondern mit sich selbst. Ein solches Tier ist mehr als nur „anders“, es ist ein Anderer. Als soziale Begegnung schlechthin hat das Chiasma der Blicke nicht zuletzt eine eminent „moralische“ Dimension. Gemeint ist: Der Blickwechsel stiftet wechselseitige Ansprüche, und zwar schon insofern, als dem Blick des Anderen eine gewisse „Unnahbarkeit“ und „Unantastbarkeit“ anhaftet. Von seinem Gesicht geht eine Art „ethischer Widerstand“2 aus, als ein Zentrum des Ausdrucks bündelt es Haltungen und Intentionen, die das Gesicht des anderen als ein „sakrales Wesen“ (Merleau-Ponty 1976: 192) erscheinen lassen. An der „Tabuzone“, die Blick und Antlitz um sich verbreiten (Waldenfels 2000: 298), setzt eine moralische Verstrickung ein, die dem, was Erving Goffman (1994: 58) die „folgenschwere Offensichtlichkeit“ der Interaktionsordnung nennt, erst ihre Pointe gibt. Sie bedingt, dass das Chiasma der Blicke immer auch Verantwortungsübernahme impliziert, eine – wenigstens minimale – Verpflichtung zu Selbstachtung und Rücksichtnahme, zu Achtsamkeit den Ansprüchen des anderen gegenüber. Wenn diese moralische Verstrickung eine generelle Bedingung von Interaktionen darstellt, dann bleibt zu fragen, unter welchen Bedingungen Begegnungen mit Tieren vom Ethos dieser folgenschweren Offensichtlichkeit affiziert werden. Der Blick eines Tieres ist irgendwie geheimnisvoll: Dieses merkwürdige Wesen, das mich da aufmerksam fixiert, ist irgendwo „wie ich“: Geboren „wie ich“, fühlt es offenbar ähnlich „wie ich“, es ist sterblich „wie ich“, es kann sich „wie ich“ ängstigen, es kann Freude empfinden, Vertrauen fassen, erschrecken oder sein Erstaunen ausdrücken. Anders freilich, wenn das Tier einen „abwesenden“ Blick zeigt, – der vielleicht damit zu erklären ist, dass seine Aufmerksamkeit durch andere, artspezifisch oder momentan „interessantere“ Sinnesseindrücke (z.B. des Gehörs oder Geruchs) gefesselt wird. In solchen Fällen kann die Idee einer echten Mensch-Tier-Beziehung prekär, trügerisch, ja unmöglich erscheinen. Meine Distanz zum Tier nimmt sich dann wie eine unüberbrückbare Barriere aus, und dieser Abstand scheint sich noch zu vergrößern, wenn ich merke, wie aussichtslos es ist, das Geheimnis dieser Begegnung in Worte zu fassen. Und dennoch versuche ich, im Blick des Tieres Spuren meiner eigenen Vergangenheit auszumachen, mich dem Rätsel meines tierlichen Ursprungs, meiner vorsprachlichen Existenz anzunähern. Vielleicht spiegelt dieser Blick eine vorsprachliche „Lebensform“, die von der conditio humana nicht ausgelöscht, son1 2
Vgl. etwa bereits F. Buytendijk (1958: 73f.), für jüngere Befunde F. de Waal (2000: 87ff.) oder die weiter unten (Kapitel 3, Fußnote 125) angeführte Literatur. So die Formulierung bei B. Waldenfels (2000: 391f.) und E. Levinas (1987: 286).
Spiegel und Fenster
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dern nur überlagert und in mancher Hinsicht fortgeführt wird. So gesehen wären Tiere ziemlich erstaunliche Wesen, die wahren „aliens“ unserer Sozialwelten. Wie Berger (1980: 4; Herv. Berger) einmal schreibt: „Animals interceded between man and their origin because they were both like and unlike man. – Animals came from over the horizon. They belonged there and here.”
1.1 Gesellschaft ohne Tiere? Humanimalische Sozialität und die Ratlosigkeit der Soziologie Das Thema der vorliegenden Arbeit ist der Versuch, Bausteine einer soziologischen Konzeption humanimalischer Sozialverhältnisse und ihrer Moralen zu skizzieren. Um sich den vorläufigen und in vieler Hinsicht „elliptischen“ Charakter dieses Unterfangens zu vergegenwärtigen, genügt es, einige Fragen anzuführen, die sich schon im Vorfeld eines derartigen Unternehmens aufdrängen: Was haben Tiere überhaupt in der Soziologie verloren? Oder anders: Unter welchen Voraussetzungen ist die Frage nach Mensch-Tier-Beziehungen im soziologischen Diskurs überhaupt „sinnvoll“ bzw. „anschlussfähig“? In welchem Sinne erscheint es geboten oder zweckmäßig, die moralische Dimension zu berücksichtigen? Und schließlich: An welchen Forschungsstand könnte ein solches Unternehmen anknüpfen, und zwar nicht nur im Feld der eigenen Disziplin, sondern womöglich auch in anderen, thematisch relevanten Disziplinen? Erst wenn mögliche Missverständnisse und Vorbehalte, die sich mit derartigen Fragen verbinden, ausgeräumt sind, ist es sinnvoll den hier verfolgten Forschungsansatz und die daraus sich ergebenden Argumentationsschritte eingehender zu explizieren. – „Sociologists (...) unfortunately have not taken into account the permeating social influence of animals in our larger cultural fabric, and our more idiosyncratic individual modes of interaction and relationships, in their analyses of social life. With very few exceptions, the sociological literature is silent on this topic” (Bryant 1979: 400).
Noch vierzehn Jahre nach dieser Bestandsaufnahme Clifton Bryants kommt ein anderer Soziologe zu einer ähnlichen Diagnose:3 In seiner „Editor’s Introduction“ („Bringing Animals into Social Scientific Research“) zur Zeitschrift „Society & Animals“ schreibt Arnold Arluke (1993: 5):4 3 4
Eklatante Forschungslücken beklagten damals auch H. Meyer (1975) und E. Ludwig/D. Jamieson (1981). Ein anderes Beispiel: J. Serpell (1990: 29) bemerkt zum Thema Heimtierhaltung, dass es angesichts der „geringen Forschungsaktivitäten (...) kaum gelungen (ist), das Problem auch nur
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Kapitel 1 „While there is abundant popular literature about the place of animals in society, the academic social science community has been slow to demonstrate much interest in this topic until recently. It is ironic that so little research interest has been paid to studying the human experience of them when animals occupy such a commanding presence in our society.“
In der Tat: Bis vor einiger Zeit hatte es beinahe den Anschein, als könne der Leser soziologischer Fachliteratur allenfalls nebenbei mit Tieren konfrontiert werden, – etwa, wenn Robert Merton vierbeinige Zeitgenossen in einer Buchwidmung erwähnt.5 Zwar ist heute die Forschungslücke einer Soziologie humanimalischer Sozialverhältnisse nicht mehr so tief und klaffend wie noch vor wenigen Jahren, – doch zu behaupten, der soziologische Diskurs habe seine „Tiervergessenheit“ hinter sich gelassen, wäre vor allem mit Blick auf die deutschsprachige Soziologie ein ziemlich kühner Euphemismus. Nun ist die bloße Nichtthematisierung freilich nur eine Facette der soziologischen Ratlosigkeit der Tierwelt gegenüber. Eine andere Facette tritt hervor, wenn man sich die Etikettierungen ansieht, mit denen soziologische Mensch-Tier-Studien im Fach selbst versehen werden. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht das despektierliche Wort von der „boutique sociology“.6 In dieser Wendung klingt eine verbreitete Variante soziologischer Tiervergessenheit an. Denn soziologisch ausgerichtete Human-AnimalStudies so zu etikettieren meint offenbar zweierlei: Einmal soll dadurch angezeigt werden, dass diese Studien lediglich „modische“ Vorlieben des Zeitgeschmacks bedienen, zum anderen wird suggeriert, dass sie wenig mehr als „Luxusveranstaltungen“ sind, von denen keine substantiellen oder wegweisenden Impulse für das Fach insgesamt zu erwarten sind. Zunächst fällt auf, dass das Wort von der „boutique sociology“ auf einen empirisch aufweisbaren Trend der letzten Jahre anspielt. So ist nicht zu überse-
5
6
oberflächlich anzureißen.“ Speziell bei den Sozialwissenschaften sei ein „Mangel an Interesse“ offensichtlich. Vgl. zum damaligen Forschungsstand auch meine Sammelbesprechung in der ÖZfS (Wiedenmann 1993b). So widmete R. K. Merton sein Buch „Auf den Schultern von Riesen“ nicht nur seinen drei Kindern, sondern auch deren Katzenschar: „Für die ausgesprochenen Drei – Stephanie, Robert C., Vanessa – und ihre unaussprechlichen Fünfzehn“. Vgl. dazu A. Arluke im Sonderheft zum 10-jährigen Bestehen von „Society & Animals“ (Arluke 2002: 370; Herv. R.W.): „(...) Sociologist have not acknowledged the importance of the animal studies; indeed some have belittled it as a mere ‚boutique sociology.“ Arluke spielt hier u.a. auf eine Bemerkung Ch. Perrows (2000: 743) an, der sich anlässlich der geplanten (und 2001 dann vollzogenen) Gründung der neuen ASA-Sektion „Animals & Society“ „alarmiert“ darüber zeigte, dass durch „boutique issues as animal rights“ altehrwürdige soziologische Themen wie Armut und soziale Ungerechtigkeit in den Hintergrund gedrängt werden könnten, – eine Gefahr, von der aber selbst die amerikanische Soziologie sicherlich noch weit entfernt ist!
Spiegel und Fenster
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hen, dass Studien zum Mensch-Tier-Verhältnis vor allem in der englischsprachigen Soziologie zu einem vergleichsweise „ernsthaften“ Forschungsthema avancieren konnten. Will man sich einen groben Überblick über diese Entwicklung verschaffen, so genügt schon ein Blick in einschlägige Fachbibliographien wie z.B. die breit angelegten und recht zuverlässigen „Sociological Abstracts“. Man gewinnt hier den Eindruck, dass seit Mitte der achtziger Jahre der Anteil der Publikationen, für die thematisch ein Bezug auf Tiere („animal(s)“) oder auf Tier-Mensch-Beziehungen („animal-human-relations“) wesentlich ist, insgesamt – d.h. trotz eines zeitweiligen Rückgangs Mitte der neunziger Jahre – deutlich zulegen konnte.7 Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn ein breiteres Disziplinen-Spektrum ins Auge gefasst wird. Einige Soziologinnen und Soziologen der Stanford University haben vor wenigen Jahren eine Untersuchung über US-Dissertationen aus dem Bereich der Human-Animal-Studies publiziert (Gerbasi u.a. 2002). Die Untersuchung zeigt, dass die Anzahl dieser Studien in den letzten beiden Jahrzehnten nicht nur absolut, sondern auch relativ, d.h. anteilig an der Gesamtzahl der angefertigten Dissertationen, deutlich zugenommen hat. Die Forscherinnen und Forscher durchforsteten die Titel und Abstracts auf sprachliche Wendungen hin, die unterschiedliche Aspekte sozialer Beziehungen zwischen Menschen und Tieren betreffen (z.B. „animal-assisted therapy“, „bereavement and pets“, „human-companion animal bond“). Dabei zeigte sich, dass die Zahl der Dissertationen, die Themen aus der Human-Animal-Studies bearbeitet haben, in den neunziger Jahren (gegenüber den Achtzigern) um etwa das Zweieinhalbfache angestiegen ist. Im Vergleichszeitraum hat die Gesamtzahl der von den „Dissertations Abstracts International“ erfassten Dissertationen nur knapp ein Viertel zugelegt. Eine isolierte Betrachtung dieser Befunde könnte nun die Vermutung nahelegen, dass die Rede von der „Tiervergessenheit in der Soziologie“ heute allemal überholt ist. Das dem letztlich aber nicht so ist, dafür lassen sich mehrere Gründe anführen. Erstens ist nicht zu übersehen, dass sich die absolute Anzahl der publizierten Arbeiten8 sich im Promillebereich bewegt: Ihr Anteil an der gesamten For7
8
So lassen sich für die Jahre 1988/89 nur etwa 0,7 Promille der erfassten Publikationen den „animal-human-relations“ zurechnen, zehn Jahre später (1998/99) sind es 1,7 Promille (vgl. dazu Wiedenmann 2002: 10f.). – Diese Zunahme hat natürlich auch damit zu tun, dass seit den achtziger Jahren eine Reihe von interdisziplinär angelegten Fachzeitschriften erscheinen, die auch Arbeiten akzeptieren, die ausschließlich sozial- und kulturwissenschaftliche Aspekte des Mensch-Tier-Verhältnisses behandeln. Hervorzuheben sind hier z.B. die Zeitschriften wie „Anthrozoös“ oder „Environmental Ethics“. Dem französischen Leser steht mit der 1984 gegründeten Zeitschrift „Anthropozoologica“ ein vergleichbares Periodikum zur Verfügung. Wie es hier um unveröffentlichte Arbeiten steht, muss offen bleiben. Im deutschsprachigen Raum z.B. gibt es zwar (nur vereinzelt?) thematisch einschlägige, aber unpublizierte soziologi-
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Kapitel 1
schung ist zwar angestiegen, bleibt aber insgesamt quantitativ unbedeutend, – jedenfalls verglichen mit den Anteilen, die andere neuere Forschungszweige der letzten Jahrzehnte erreichen konnten (z.B. die Frauen- und Geschlechterforschung). Ganz zu schweigen davon, dass die in den erwähnten Arbeiten sich widerspiegelnden Forschungsaktivitäten natürlich weit hinter denen der bereits fest „etablierten“ speziellen Soziologien (z.B. soziale Ungleichheit, Familie, Bildung usw.) zurückbleiben. Zweitens verteilen sich die Human-Animal-Studies (HAS) auf Publikationsplattformen, die im Fach selbst oftmals als eher „randständig“, weniger bedeutend eingestuft werden. So ist es eher die Ausnahme, dass eine einschlägige Arbeit zum Mensch-Tier-Verhältnis überhaupt in einer führenden bzw. renommierten soziologischen Fachzeitschrift abgedruckt wird. Ein ähnliches Reputationsdefizit kommt bei fachwissenschaftlich zentralen Kongressen, Tagungen, Schriftenreihen usw. zum Vorschein. So überrascht es auch nicht, dass Kathleen Gerbasi u.a. (2002: 345) resümieren „that the field (of HAS dissertations) is lacking support and recognition from key academic and professional institutions.“ Eine dritte Einschränkung betrifft die „unausgewogene“ fachliche Verteilung der Forschungsbeiträge. Im Vergleich zu anderen Sozial- und Humanwissenschaften sind genuin soziologische HAS-Dissertationen eher selten anzutreffen: Im Unterschied etwa zur Psychologie, zur Pädagogik oder zu sprach- und literaturwissenschaftlichen Fächern fällt der Anteil soziologischer Dissertationen, die thematisch Mensch-Tier-Beziehungsaspekte fokussieren, erstaunlich bescheiden aus. So lassen sich nur 4% (!) der zwischen 1980 und 1999 eingereichten HAS-Dissertationen dem Fach Soziologie zurechnen (zum Vergleich: Psychology 27%, Education 17%, Literature 10%, Anthropology 7%, Agriculture 4%, Philosophy 3%, Social Work 3%) (Gerbasi u.a. 2002: 342). Festzuhalten bleibt somit: Mensch-Tier-Sozialverhältnisse sind für die gegenwärtige Soziologie letztlich (noch) kein Thema, – und zwar im offensichtlichen Gegensatz zu dem beträchtlichen öffentlichen Interesse, das sie in der nichtsoziologischen Welt in den vergangenen Jahren hervorgerufen haben. Gemeint ist hier nicht allein der Medienrummel um das Berliner Eisbärenbaby „Knut“, auch BSE- oder MKS- Skandale sind hier zu nennen oder die zum Teil recht emotionalisierten Debatten, die im Jahre 2002 die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz begleitet haben. Wie ist nun die erwähnte Indifferenz großer Teile der Soziologie zu beurteilen? Ist sie vielleicht ein (weiteres) Indiz für den Zustand eines Faches, das sich sche Magister- und Diplomarbeiten, doch liegen dem Verfasser keine Angaben darüber vor, wie sich ihre Zahl in den vergangenen Jahren genau verändert hat. Einige dieser Arbeiten sind in der Zwischenzeit jedenfalls publiziert worden (vgl. Mütherich 2000; Pohlheim 2006).
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in der jüngsten Zeit auch im deutschsprachigen Raum mit sehr kritischen und unbequemen Anfragen konfrontiert sieht? Erinnert sei hier an die Überlegungen von Warnfried Dettling (1996), der vor mehreren Jahren etwas provokant von einer tiefgreifenden „Entzauberung“ einer „immer langweiliger“ werdenden Soziologie sprach und damit eine weithin beachtete Kontroverse auslöste. Solche despektierlichen Einwürfe kommen aber nicht nur „von außen“, sie kommen auch aus der Mitte des Faches, z.B. von Pierre Bourdieu, der die Soziologie aufforderte, zu ihrer Rolle als gesellschaftlicher „Störenfried“ zurückzufinden, die „träge Gewalt“ der sozialer Strukturen zu denunzieren und sich nicht zu genieren, dabei auch die Folgen für die „Leidenden“ zu thematisieren (Bourdieu 1996). Ist die Ratlosigkeit, mit der viele Soziologen und Soziologinnen das Themenfeld der humanimalischen Sozialität vermeiden, vielleicht auch ein Indiz für das in solchen „unbequemen“ Diagnosen sich artikulierende Unbehagen? Ist es möglich, dass diese Ratlosigkeit auch daher rührt, dass sich weite Teile einer szientistisch verhärmten Soziologie von der „Utopie einer ‚guten Gesellschaft“ (Kaesler 1996) verabschiedet haben, dass sie der „Frage nach dem guten Leben“ aus dem Weg gehen? Derartige Fragen aufzuwerfen ist natürlich einfacher als sie zu beantworten. Schon von daher scheint es zweckmäßig zu sein, erst einmal einen Schritt zurückzutreten und sich einigen vorgelagerten Fragen zuzuwenden: Was hat Soziologie überhaupt mit Tieren zu schaffen? Können wir Soziologie nicht schlichtweg mit Humansoziologie gleichsetzen? Ist die Tiervergessenheit der Soziologie z.B. kein „selbstverständliches“ Echo auf gesellschaftliche Entwicklungen bzw. Modernisierungsprozesse? Nun scheint die soziologische Vernachlässigung der Tiere auf den ersten Blick nicht besorgniserregend zu sein, entspricht es doch einer verbreiteten wandlungssoziologischen Erwartung, dass mit dem Heraufziehen industrialisierter Gesellschaften das „Maschinenzeitalter“ anbricht, und mit ihm die „nüchterne Ethik“ einer „Machbarkeit der Sachen“.9 Vor allem auf dem Gebiet des Transportwesens ist seit dem späten 19. Jahrhundert eine breit angelegte „Verdrängung der Tiere aus der Öffentlichkeit“10 offensichtlich. Wer heute verreist, 9
10
In diesem Sinne schreibt H. Freyer (1955: 20): „Eine sehr nüchterne Ethik gilt im Umgang mit den Sachen. Materie blickt uns nicht mit den Augen an wie ein Tier, geht auf keine Liebkosung ein, zuckt nicht zurück, wenn sie geschunden wird. Sie folgt ihren Gesetzen; in diese unabänderliche Logik muss sich das Machen einfügen.“ Siehe dazu den Essay von A. Bimmer (1991). Als Beispiele sind hier die Verdrängung des Pferdekutschers durch den „Automobilisten“ (Scharfe 1991) oder das Verschwinden des „Fuhrwerks des kleinen Mannes“, des Hundekarrens, anzuführen (vgl. Kaiser 1993: 91ff.). Das bedeutet freilich keineswegs, dass Tiere in anderen Segmenten der zeitgenössischen Kultur kein Thema mehr sind. So deutet eine Auswertung von 1700 Gemälden aus 17 bedeutenden Museen Europas und Amerikas zwar darauf hin, dass Werke, „in which depictions of live ani-
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spannt nicht mehr Pferde an, sondern benutzt Auto, Flugzeug oder Bahn. Solche Befunde werden freilich von gegenläufigen Entwicklungen begleitet: Zum einen zeitigt der Verlauf der Industrialisierung insgesamt eine deutliche Zunahme der Nutztierbestände,11 zum anderen leben heute Millionen von Heimtieren in Privathaushalten. Beides deutet darauf hin, dass das Wort von der „Verdrängung“ weniger als gänzliche Exilierung, sondern vielleicht eher als eine „Emigration“ in andere gesellschaftliche Lebensbereiche (z.B. die Freizeitwelt) zu sehen ist.12 Gleichzeitig gibt es Hinweise aus dem Bereich der neuen sozialen Bewegungen, die für die Bedeutung der Tiere in der „larger cultural fabric“ unserer Zeit sensibilisieren können. Unter Losungen wie „putting animals in politics“13 hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in zahlreichen Ländern der westlichen Welt eine neue Tierschutzbewegung formiert. Robert Garner (1993: 333f.) diagnostiziert z.B. für Großbritannien eine „revitalisation of the animals protection movement“ und ein bedeutendes quantitatives Wachstum, das sich seit den frü-
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mals are central to the meaning or theme of the painting“, von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (anteilsbezogen) fast kontinuierlich zurückgehen, dann aber in der Malerei des 20. Jahrhunderts wieder deutlich zunehmen (Baenninger 1988: bes. 186f.). – C. List (1993: 232) spricht in einem ähnlichen Sinne von der „ungeminderten künstlerischen Bedeutung“ der Tier-Themen im 20. Jahrhundert. Über den – etwa im Sinne von E. Panofsky (1996) ikonographisch und ikonologisch zu präzisierenden – Wandel der Sinnbezüge dieser Tierbilder ist damit natürlich noch nichts ausgesagt. Für Deutschland z.B. ist insgesamt fast eine Verdoppelung des Nutztierbestandes (hier: Pferde, Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen) zwischen 1800 (33,2 Mill. Tiere) und 1913 (60,3 Mill.) festzustellen (vgl. Henning 1996: 927). Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Zunahme nicht für alle diese Tierarten gilt bzw. sehr unterschiedlich ausfiel. So ist bei der Schafhaltung insgesamt sogar ein starker Rückgang zu verzeichnen (1800: 16,2 Mill.; 1913: 5,5, Mill.), die Schweinehaltung hingegen konnte enorm expandieren (1800: 3,8 Mill.; 1913: 25,7 Mill.). In diesem Sinne äußert sich A. Mack (1995: 416) im Editorial des Schwerpunktheftes „In the Company of Animals“ der Zeitschrift „Social Research“: „In contemporary, post-industrialized society, we know animals primarily as pets and objects of occasional observation in moments of leisure.“ Nach Angaben der Bundesregierung (BMVEL 2001: 33) lebten vor einigen Jahren insgesamt ca. 90 Millionen Heimtiere in Deutschland, darunter Zierfische, Kleinnager, Vögel, Hunde (ca. 4,8 Millionen) und Katzen (ca. 5,5 bis 6 Millionen). Für 2007 schätzt der Industrieverband Heimtierbedarf (2008), dass in Deutschland ca. 23 Millionen Heimtiere (ohne Fische) gehalten werden, 7,9 Millionen davon sind Katzen, nur noch 5,3 Millionen sind Hunde. So der Aufruf von R. Ryder (1996), einem Protagonisten der neuen Tierrechtsbewegung. Als eigentliche publizistische Initialzündung der neuen Tierrechtsbewegung gilt die Erstauflage der „Animal Liberation“ von P. Singer im Jahre 1975. Im Verlauf der nächsten Jahre folgten u.a. Arbeiten von St. Clark (1977), T. Regan (1984) und R. Ryder (1983; 1989). Singers „Animal Liberation“ ist wohl auch heute noch die (in Großbritannien und den USA) am meisten verbreitete Programmschrift der „Animal Rights Movement“ (vgl. zu den bis Anfang der neunziger Jahre steigenden Auflagen- und Verkaufszahlen dieses Buches J. Jasper/D. Nelkin 1992: 177). Vgl. zu Frankreich exemplarisch G. Chapouthier (1992); für die italienische Tierrechtsdiskussion hat sich die von P. Cavalieri edierte Zeitschrift „Etica & Animali“ Verdienste erworben (vgl. auch Cavalieri 2002). Vgl. zu jüngeren Debatten C. Sunstein/M. Nussbaum (2004).
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hen siebziger Jahren zu beschleunigen scheint. Zu nennen sind hier Neugründungen von regionalen und überregionalen Tier- und Naturschutzorganisationen, die seither zum Teil vergleichsweise „spektakuläre“ Mitgliederzuwächse verzeichnet haben. Dass die neue Tierrechtsbewegung – auch im Vergleich mit anderen „ökologisch orientierten“ sozialen Bewegungen – in der Lage ist, oft erhebliche (z.B. personelle, finanzielle) Ressourcen zu mobilisieren, dafür spricht besonders die Expansion der US-amerikanischen Tierrechtsorganisation PETA („People for the Ethical Treatment of Animals“). PETA zählte 1984 8 000 Mitglieder, 1987 bereits 84 000, 1990 etwa 300 000 und im Jahre 1994 knapp 400 000 Mitglieder. Anfang 1995 ist von „über 500 000“ Mitgliedern14 (weltweit) die Rede, Anfang 2004 wird auf der PETA-Homepage der Mitgliederbestand mit „über 750 000“ angegeben. Drei Jahre später (Mai 2007) nennt PETA sogar die Zahl von 1,6 Millionen Unterstützern weltweit, im Februar 2009 „über zwei Millionen“.15 Selbst wenn man derartige Wachstumsangaben mit einiger Vorsicht behandeln sollte,16 so deuten sie doch langfristig auf eine Zunahme hin, die man insgesamt kaum in Zweifel ziehen kann. Ähnliches gilt offenbar auch für mehrere ältere Tierschutzorganisationen, etwa für den Deutschen Tierschutzbund, der nach eigenen Angaben17 2005 mit „mehr als 800.000 Mitgliedern“ Europas „größte Tier- und Naturschutzdachorganisation“ darstellt. 1991 wurde die Gesamtmitgliederzahl (unter Einschluss von 47 Tierschutzvereinen aus den neuen Bundesländern) noch mit „über 600 000“ angegeben (Deutscher Tierschutzbund 1991: 19).18 In Übereinstimmung damit lässt sich für Großbritannien und die Vereinigten Staaten eine regelrechte „Gründungswelle“ von Tierschutzorganisationen 14 15 16
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Angaben nach J. Jasper/D. Nelkin (1992: 31) und einer telephonischen Auskunft von PETA Deutschland vom 21.3.95. Vgl. PETA-Homepage (www.peta.de/ueberpeta/ueber_peta_2.33.html (Zugriff vom 6. Juni 2007) sowie www.peta.de/p7/peta.html (Zugriff 11. Februar 2009). Als Gründe für diesen Vorbehalt seien genannt: unbekannter Umfang von Mehrfachmitgliedschaften, zeitweiliger Rückgang der Mitgliederzahlen, – zudem sind „Unterstützer“ nicht mit „Mitgliedern“ oder Aktivisten gleichzusetzen. Vgl. dazu die Website des TSB (www.tierschutzbund.de/00008.html vom 1.2.2005). In den USA konnte die seit 1954 bestehende „Humane Society of the United States“ zwischen 1978 und 1984 einen alljährlichen Zuwachs von durchschnittlich 15 000 Mitgliedern verbuchen, von 1985 bis 1988 aber einen Zustrom von durchschnittlich etwa 100 000 Mitgliedern pro Jahr (Jasper/Nelkin 1992: 38, vgl. 26ff.). – Die in der veterinärmedizinischen Disseration von M. Martin (1989: 96ff.) veröffentlichten Daten deuten darauf hin, dass in Deutschland die neue Tierrechtsbewegung ihre entscheidende Anschubentwicklung in den siebziger Jahren genommen hat. Bei einer Befragung Ende der achtziger Jahre gaben 64 von 71 auskunftsbereiten Tierschutzorganisationen an, ihre Gründung sei nach 1970 erfolgt. Doch ist diese Zahl womöglich zu niedrig angesetzt, denn die Gesamtzahl der eigenständigen Tierschutzorganisationen, bei denen angefragt wurde, war immerhin doppelt so hoch (143).
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feststellen, eine Gründungswelle, die interessanterweise schon vor dem allgemeinen Revival der Tierschutzbewegung einsetzt, also bereits vor dem Aufbruch der frühen und mittleren siebziger Jahre (Garner 1993: 43). Auch in Frankreich gibt es seit den siebziger Jahren eine deutliche Wiederbelebung von Tierschutzbestrebungen. Sie führte zu Organisationsneugründungen (z.B. 1977 zur Gründung der „Ligue française des droits de l’animal“) und zu Versuchen, dem Tierschutzgedanken auch innerhalb der Kirchen ein größeres Gewicht zu verschaffen.19 Es ist für die neue Bewegung symptomatisch, dass 1978 auf Veranlassung der „Ligue“ der Öffentlichkeit und der UNESCO eine „Déclaration universelle des droits de l’animal“ präsentiert wird, in der die Überzeugung zum Ausdruck gebracht wird, dass „tous les animaux naissent égaux devant la vie et ont les mêmes droits à l’existence“.20 Auch veränderte Eßgewohnheiten in den westlichen Industrienationen lassen tierethische Einflüsse erkennen. Eine Studie aus den USA weist z.B. aus, dass die in den siebziger und achtziger Jahren zu beobachtende Ausbreitung vegetarischer Diät offenbar eng mit dem Verdruss über die Leiden der Schlachttiere und mit Tierrechtsvorstellungen zusammenhängt, obwohl daneben auch Rücksichten auf die eigene Gesundheit oder religiös motivierte Speiseverbote eine Rolle spielen (Amato/Partridge 1989: 34f.).21 Im gleichen Zusammenhang ist die seit Jahren geführte Diskussion um den Sinn und die wissenschaftliche und ethische Legitimation zoologischer Gärten zu erwähnen. Kritiker wie Emilio Sanna (1992) stellen die Frage nach den Leiden der Zootiere in den Vordergrund, andere (so Bostock 1993: 140-154) plädieren für eine ethische Neuorientierung der zeitgenössischen Zootierhaltung. Angesichts des weltweiten Artensterbens sollen Zoos nun verstärkt „Arche-Noah“-Aufgaben übernehmen, beson-
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Vgl. für Frankreich bes. É. Baratay (1995), zur historischen Aufarbeitung der vielfältigen Facetten des Tierverhältnisses der katholischen Kirche seine vorzügliche Studie „L’Eglise et l’animal“, die differenziert die entscheidenden Umbrüche und Wendungen seit 1600 nachzeichnet (Baratay 1996); dort auch umfangreiche Literaturangaben zum generellen Wandel des Mensch-Tier-Verhältnisses in Frankreich. Zitiert nach der UNESCO-Version, die L. Ferry/C. Germé (1994: 518-21) abdrucken (vgl. zur Entstehung ergänzend L. Ferry 1992: 37). Ein Verzeichnis vegetarischer Restaurants, das die amerikanische „Vegetarian Times“ herausbrachte, umfasste bereits 1987 mehr als 1000 Einträge, die Auflage von 1978 verzeichnete noch 350 (Amato/Partridge 1989: 1). Vgl. zur relativ starken Zunahme des Vegetarismus im Großbritannien der achtziger Jahre auch N. Fiddes (1991: 28f.). Tierschützerische Motive spielen nicht nur bei der Hinwendung zum Vegetarismus häufig eine bedeutende Rolle (Beardsworth/Keil 1992), sie haben auch für VeganerInnen – vermutlich sogar in einem noch höheren Ausmaß – eine konstitutive Bedeutung. Das mag damit zusammenhängen, dass die vegane Lebensweise in vielen Fällen als eine konsequente Weiterführung des durch den Vegetarismus eingeleiteten Wandels der persönlichen Lebensführung gesehen wird (vgl. dazu McDonald 2000).
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ders also der Erhaltungszucht dienen.22 Gerade in diesem Zusammenhang wird meist eine möglichst biotopnahe Präsentation der Zootiere angestrebt, nicht selten flankiert von dem ergänzenden Argument, auf diese Weise könne man dem subjektiven Wohlbefinden der tierlichen „Insassen“ besser Rechung tragen.23 Bei den erwähnten Trends lässt sich – von Fall zu Fall verschieden stark ausgeprägt – eine Renaissance des Tierschutzgedankens ausmachen. In einer ersten Annäherung lassen sich Tierschutzbestrebungen, wie sie für moderne Gesellschaften typisch sind, dadurch charakterisieren, dass sie erstrangig an der Subjektivität des Tieres, an Zuständen seines „subjektiven Bewusstseinslebens“ und an seinen individuellen Lebensinteressen, orientiert sind. Vor allem die Tierrechtsinitiativen der letzten Jahrzehnte fokussieren diesen Gesichtspunkt, wobei die ethischen und rechtlichen Implikationen dieses Ansatzes im Allgemeinen weitaus entschiedener herausgestellt werden als von herkömmlichen Tierschutzorganisationen der „Animal-Welfare“-Richtung.24 Trotz dieses Unterschieds ist es für das Verständnis der folgenden Ausführungen wichtig festzuhalten, dass diese „Tiersubjekt-Orientierung“ für beide Richtungen letztlich unabdingbar ist. Sie bezeichnet ein „punctum saliens“ moderner Tierschutzmoral, einen Kernaspekt, der z.B. für den Natur- oder Artenschutz keineswegs typisch ist. Denn Artenschutz richtet sich vorwiegend auf die Erhaltung einer gefährdeten Tierart, auf die Erhaltung ihres natürlichen Lebensraums und/oder ihres genetischen Reservoirs.25 Die Verpflichtung gegenüber dem Tiersubjekt kann nun eher direkt oder indirekt ausgestaltet sein, d.h. sie kann (a) der entscheidende, bestimmende Orien22 23
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Vgl. T. Maple/E. Archibald (1993: bes. 19ff.), mit Blick auf den Pariser Zoo auch P. Pellegrini (1995: bes. 230). Wie E. Baratay/E. Hardouin-Fugier (2000: 200ff.) zeigen, hat die von einer „naturnahen“ Tierpräsentation geschürte „Illusion der Freiheit“ schon die Zeitgenossen C. Hagenbecks beeindruckt; so wurde sein 1907 eröffneter Privatzoo von manchen wie eine „Befreiung der Tiere“ empfunden. Doch ist kaum zu leugnen, dass auch Tiere, die in solchen „illusionistischen Zoos“ leben, mit z.T. erheblichen psychischen und physischen Leiden zu kämpfen haben (vgl. Baratay/Hardouin-Fugier 1998: 219-22.). Vgl. zur Geschichte tiergärtnerischer Präsentationsformen auch H. Hediger (1965: bes. 200ff.). Vgl. dazu zusammenfassend G. Francione (1996), programmatisch T. Regan (1988: 266ff.). Dabei wäre es allerdings sehr irreführend, Tierrechtsideen als eine „Entdeckung“ der letzten Jahrzehnte auszugeben, vgl. etwa die 1892 publizierte Programmschrift „Animals’ Rights” von H. Salt (1980) oder die 1824 erschienenen „Moral Inquiries“ von L. Gompertz (1992). – Auf die in den letzten Jahren stark angewachsene tierethische Literatur kann hier allenfalls punktuell verwiesen werden. Zu nennen sind hier etwa C. Magel (1981; 1989), G. Teutsch (1987), U. Wolf (1990), J.-C. Wolf (1993), als weitere Übersichten z.B. M. Linnemann (1999), H. Baranzke (2002a) oder J. Nida-Rümelin (1996). Tierschutz und Artenschutz können so natürlich leicht konfligieren, etwa, wenn die Erhaltung einer Tierart durch Leiden von Tierindividuen erkauft wird (vgl. zur Diskussion Bostock 1993).
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tierungsaspekt der tierbezogenen Handlung selbst sein, oder (b) sie ist nur eine (allerdings erwünschte) Nebenfolge einer Handlung, die ansonsten an rein binnenmenschlichen Sozialverhältnissen orientiert sein mag. Bei der indirekten Variante wird das Leiden von Tieren hauptsächlich deswegen verurteilt, weil dadurch (besonders rechtlich geschützte) Interessen von Menschen oder Belange von Organisationen usw. berührt werden (wenn z.B. Eigentumsrechte verletzt werden, wenn die Tierquälerei öffentlich erfolgt und Ärgernis erregt).26 Diese Tierschutzkonzeption, wird oft als „anthropozentrischer Tierschutz“ bezeichnet. Tierschutznormen werden hier durch Argumente begründet, die durchweg „einen Umweg über die menschlichen Interessen am Tier als einem zu schützenden Objekt nehmen“ (Caspar 1999: 99). Die anthropozentrische Tierschutzkonzeption weist eine starke Affinität zu anthropozentrischen Naturauffassungen auf, häufig werden Mensch-Tier-Sozialverhältnisse sogar als bloßer „Unterfall“ des Mensch-Natur-Verhältnisses begriffen.27 Authentische Tierschutzkonzeptionen argumentieren anders: Sie setzten an der tierlichen Erlebnis- und Leidensfähigkeit an und werden deswegen auch als „pathozentrisch“ bezeichnet (Caspar 1999: 109ff.). Diese „direkten“ Konzeptionen werden manchmal auch unter dem (vielleicht etwas missverständlichen) Begriff des „ethischen Tierschutzes“ subsumiert (vgl. etwa Teutsch 1987: 18f., 59f.). Der pathozentrische bzw. ethische Tierschutz betrachtet Tiere als Lebewesen, die als empfindende, wollende, gedächtnisbegabte usw. Subjekte zu schützen sind: Er verknüpft damit normative Postulate, die dem subjektiven Wohlbefinden des Tieres und seinen – nach arttypischen Maßstäben beurteilten – individuellen Lebens- und Entfaltungsbedürfnissen höchste Priorität einräumen. Hier kommen also Wertorientierungen ins Spiel, die die Würde eines Tieres sehr eng mit seinem Subjekt-Status verknüpfen, – wie auch immer dessen charakteristische Besonderheiten präzisiert und gewichtet werden.28 Man geht davon aus, 26
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Beim anthropozentrischen Tierschutz gibt es Grenzfälle, bei denen von einem genuinen Tierschutz nicht mehr die Rede sein kann. Ein drastisches Beispiel aus der englischen Rechtsgeschichte mag dies illustrieren. John Lawrence teilt in seinem „Treatise on Horses“ eine Urteilsbegründung zu einem Fall aus dem Jahre 1794 mit, bei dem ein gewisser William Parker verurteilt wurde, weil er einer Stute bei lebendigem Leib die Zunge herausgerissen hatte. Parker, so die Auffassung von Lawrence, hätte mit einem Freispruch rechnen können, wäre die Stute nicht Eigentum eines anderen gewesen! Vgl. zu diesem Fall H. Maehle (1992: 135). Vgl. zu den anthropozentrischen Tierschutzvarianten ausführlich J. Caspar (1999: 98ff.). Man kann die Subjektivität eines Lebewesens z.B. an seinen subjektiven „Interessen“ festmachen und ergänzend feststellen, dass „die Fähigkeit zu Leid und Freude (..) eine Voraussetzung dafür (ist), überhaupt Interessen zu haben“ (so Singer 1982: 27; Herv. i. O.). Anders T. Regan, für den dieses pathozentrische Leitmotiv zwar ein notwendiges, aber noch kein hinreichendes Kriterium dafür abgibt, ob einem Individuum ein inhärenter Wert zuerkannt werden kann. Das für Regan entscheidende Beurteilungsmerkmal ist hier das „subject-of-a-life criterion“: „Individuals are subjects of a life if they are able to perceive and remember; if they have beliefs, de-
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dass ein tierhaftes „Fürsichsein“ im Grunde um seiner selbst willen zu achten ist, – und ihm deswegen auch eigene, individuell zurechenbare Rechte einzuräumen sind. Schließlich gibt es aus dem rechtlichen Bereich Hinweise, dass sich in den Mensch-Tier-Verhältnissen westlicher Gegenwartsgesellschaften langfristige Veränderungen vollziehen, Veränderungen, die – besonders bei höheren Wirbeltieren – mehr und mehr „direkte“, tierethische Kriterien in den Vordergrund rücken.29 Es ist dies freilich keine lineare Entwicklung, auch hat sie sich nicht widerspruchsfrei oder unbeeinflusst von politischen „Großwetterlagen“ vollzogen.30 Im Unterschied zu den ersten reichsweiten Tierschutzgesetzesnormen, die die „anthropozentrischen“ Aspekte der Tierschutzidee in den Mittelpunkt rückten (insbesondere das sachbezogene Eigentumsrecht am Tier), fasst § 1 des deutschen Tierschutzgesetzes von 1986 das Tier explizit als ein „Mitgeschöpf“ ins Auge, dessen „Leben und Wohlbefinden“ als schutzwürdig anerkannt werden. Derartige Formulierungen stützen die Auffassung Johannes Caspars (1999: 517), es gebe eine „strukturelle Affinität des Tierschutzgesetzes zum subjektiven Pathozentrismus“. Vergleichbare Indizien für eine rechtsnormative Institutionalisie-
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sires, and preferences; if they are able to act intentionally in pursuit of their desires or goals; if they are sentient and have an emotional life; if they have a sense of the future, including a sense of their own future; if they have a psychophysical identity over time; and if they have an individual experiential welfare that is logically independent of their utility for, and the interests of, others“ (Regan 1984: 264). – Eine Erörterung dieser Merkmale muss an dieser Stelle unterbleiben. Einige wichtige Aspekte werden weiter unten, im Zusammenhang mit der cartesianischen Tradition in der Soziologie und ethologischen Forschungsergebnissen (vgl. Kapitel 2 und 3) zu diskutieren sein. Vgl. zur Unterscheidung von anthropozentrischem und ethischem Tierschutz im jüngeren deutschen Recht den Abriss von R. Morié (1984: 35ff.) sowie E. v. Loeper/W. Reyer (1984), E. v. Loeper (1996). Eine vorzügliche Darstellung der Entwicklung des deutschen Tierschutzrechts bietet das auf eine rechtswissenschaftliche Habilitationsschrift zurückgehende Buch von J. Caspar (1999). Ein für die deutsche Rechtsentwicklung besonders prekäres Beispiel ist die nationalsozialistische Tierschutzgesetzgebung von 1933: Man kann wohl nicht leugnen, dass für das Reichstierschutzgesetz vom 24. November 1933 eine im Grunde „direkte“ Tierschutznorm leitend war; so wird in der Begründung ausgeführt (vgl. Laufs 1985: 128), dass „das Tier des Tieres wegen geschützt werden muss“. In diesem Sinne schreibt z.B. W. Eberstein (1999: 369), dass dieses Gesetz „nach seinem Inhalt und Geist (…) ausschließlich den Schutz des Tieres“ bezweckt habe. In L. Ferrys (1992: 147ff.) Diskussion wird dieses Gesetz dezidiert als ein direkter Ausdruck einer „l’écologie nazie“ eingestuft. Ferry scheint aber zu vernachlässigen, dass Forderungen nach einer rechtlichen Berücksichtigung genuin tierethischer Motive schon in der juristischen Diskussion des 19. Jahrhunderts eine nicht unerhebliche Rolle spielten (vgl. z.B. Salkowski 1911; v. Hippel 1891; Juchem 1940). Im Gesetz von 1933 kommt wohl eher eine Entwicklung zum Abschluss, die vom Nationalsozialismus zwar forciert wurde, die er aber in weiten Teilen nicht für sich reklamieren kann (vgl. die Diskussion bei Caspar 1999: 269ff.).
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rung des pathozentrisch ausgerichteten Tierschutzes lassen sich daher auch in anderen westlichen Gegenwartsgesellschaften ausmachen.31 Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang auch verfassungsrechtliche Aufwertungen des Tierschutzes. So nahmen bereits 1992 die Schweizer Kantone die „Würde der Kreatur“32 als Verfassungsgrundsatz in ihre Bundesverfassung auf. Zu erwähnen sind hier auch Initiativen in der Bundesrepublik Deutschland, die zunächst darauf abziel(t)en, den Tierschutz in einigen Landesverfassungen (z.B. des Freistaates Bayern, des Landes Nordrhein-Westfalen) zu verankern. Von kaum zu überschätzender Tragweite aber ist sicher die am 1.8.2002 in Kraft getretene Ergänzung des Grundgesetzes: In der Neufassung des Art. 20a GG wird der Tierschutz als ein staatlicher Handlungsauftrag bestimmt.33 Die Aufnahme dieser Staatszielbestimmung in das Grundgesetz erlaubt es nun, dem Tierschutz gegenüber verschiedenen Rechtsgütern mit Verfassungsrang (wie Religions-, Berufs-, Kunst- und Forschungsfreiheit) eine echte Abwägungschance einzuräumen.34 Aus der Begründung des interfraktionellen Gesetzesantrags geht hervor, dass der Gesetzgeber hier eine ethische Tierschutzkonzeption, den Tierschutz um des einzelnen Tieres willen, im Auge hatte. So kommt in der Begründung des Antrags ein im Kern pathozentrisches Problemverständnis zum Tragen. Demnach ist es die „Leidens- und Empfindungsfähigkeit insbesondere von höheren Tieren“, die ein „ethisches Mindestmaß für das menschliche Verhalten“ einfor31
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Vgl. z.B. zu England und Italien V. Pocar (1993: 224ff.). Nicht nur in Europa ist die Implementierung tierethischer Normen in die Jurisdiktion ein Prozess mit mannigfaltigen Ungleichzeitigen (und auch Gegenläufigkeiten). In den Vereinigten Staaten lässt sich eine tierethische Tendenz ebenfalls ausmachen, doch ist dort das Bild (vor allem im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechungspraxis der verschiedenen Einzelstaaten) weniger übersichtlich (vgl. Tannenbaum 1995; Beary u.a. 1990). Auffällig ist freilich, dass pathozentrische Motive schon im 19. Jahrhundert in Urteilsbegründungen gegen Tierquälerei eine gewisse Rolle spielen, vgl. z.B. eine Entscheidung des Louisiana Supreme Court von 1897, die J. Tannenbaum (1995: 581f.) zitiert. – Auch in Frankreich setzt im 19. Jahrhundert eine vergleichbare Entwicklung hin zum „zoozentrischen“ Tierschutz ein. So fasst É. Baratay (1996: 310) zusammen: „La période 1890-1950 voit la transformation de la zoophilie anthropocentrique en un sentiment zoocentrique, mais avec des chevauchements, des inflexions, des temps morts“. Einen knappen Abriss der tierschutzrechtlichen Entwicklung auf der Ebene der Europäischen Union geben R. Goddard-Svendsen (1996) und J. Caspar (1999: 373ff.). Siehe dazu G. Teutsch (1995), zur Diskussion der ideengeschichtlichen Wurzeln grundlegend H. Baranzke (2002). Der neu gefasste Art. 20a GG im Wortlaut: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Vgl. zum verfassungsrechtlichen Kontext und zur (bislang) eher „zurückhaltenden“ Berücksichtigung des Verfassungsgutes Tierschutz in der aktuellen Rechtsprechung im Einzelnen H.G. Kluge (2004).
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dert. „Daraus folgt die Verpflichtung, Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit zu achten und ihnen vermeidbare Leiden zu ersparen. (…) Durch das Einfügen der Worte ‚und die Tiere in Art. 20a GG erstreckt sich der Schutzauftrag auch auf die einzelnen Tiere.“35 Im Lichte derartiger Veränderungen überrascht es auch nicht, dass von rechtswissenschaftlicher Seite zunehmend eine striktere Differenzierung von Umwelt- und Tierschutz angemahnt wird, ausgehend von der Überlegung, dass Tiere im Unterschied zu anderen „Naturgegenständen“ „subjektiv auf ihr Wohl und Wehe bezogen“ sind (Huster 1993: 329; ähnlich Redford 1996: bes.81-83). Die skizzierten Veränderungen zeigen, dass in westlichen Gegenwartsgesellschaften wichtige Aspekte der Mensch-Tier-Sozialverhältnisse einem einschneidenden Wandel unterworfen sind. Die Soziologie kann an diesen Wandel ganz unterschiedliche Fragestellungen herantragen, z.B.: Ob bzw. inwieweit sich hier ein spät- oder postmoderner Umbruch des „Naturbildes“ ankündigt, wie veränderte Mensch-Tier-Beziehungen überhaupt mit längerfristigen Prozessen des Wertwandels in Zusammenhang stehen, ob hier modernisierungstypische Wandlungsimpulse (z.B. Urbanisierungs- und gesellschaftliche Differenzierungsprozesse) oder (auch) veränderte Zivilisationsstandards eine Rolle spielen, in welcher Weise wissenschaftliche Diskurse auf alltagweltliche Tierbilder zurückwirken, wie sich langfristige Machtverschiebungen bzw. Umstrukturierungen zwischen sozialen Milieus oder zwischen den Geschlechtern auf unsere Tierverhältnisse auswirken, inwieweit Veränderungen der privaten oder familialen Lebensformen Mensch-Tier-Beziehungsmuster vorprägen usw. Im Lichte solcher Fragen nehmen sich die bisherigen Ergebnisse (kultur)-soziologischer Mensch-Tier-Studien immer noch sehr bescheiden aus. Die Forschungslücke, die Clifton Bryant eingangs feststellt, beginnt sich zwar – wie oben ausgeführt – allmählich zu schließen,36 doch bleibt die Forschungslage in vielen Bereichen immer noch unbefriedigend.37 Führende soziologische Fachzeitschriften drucken nur vereinzelt Arbeiten ab, die vorwiegend oder ausschließ-
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Zitiert nach der Bundestagsdrucksache 14/8860. Vgl. zu den Implikationen und Perspektiven dieser Verfassungsänderung auch E. v. Loeper (2003). Ein Beispiel sind hier Arbeiten, die sich der Soziologie abweichenden Verhaltens bzw. einer soziologisch ausgerichteten Kriminologie zuordnen lassen. P. Beirne (2002) resümiert, die „visibility of animals other than humans“ habe hier seit etwa 1970 spürbar zugenommen. Besonders wichtig sind in diesem Kontext Studien, die Mensch-Tier-Beziehungen im Hinblick auf familiale Gewaltverhältnisse thematisieren, z.B. Zusammenhänge zwischen Tierquälerei, sexuellem Missbrauch und Gewalt gegen Frauen (Beirne 1995; zudem mehrere Beiträge in Lockwood/Ascione 1998). So meint A. Arluke (2002: 369f.) (ein wenig resignativ?): „Although sociologists have shown increasing interest in this topic (animal studies research, R.W.), it hardly can be called a flood. (…) Other social science disciplines, however, have run with the ball.“
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lich Fragen des Mensch-Tier-Verhältnisses behandeln.38 Freilich: Auch an diesen Arbeiten fällt auf, dass theoretische Schlüsselprobleme einer Soziologie humanimalischer Sozialität, insbesondere (bio-)semiotische oder interaktionstheoretische Probleme, in der Regel ausgespart werden.39 Selbst bedeutende wissenschafts- und techniksoziologische Untersuchungen, die den Leser bis dicht an die Schwelle solcher Fragen heranführen,40 bleiben hinsichtlich der Besonderheiten humanimalischer Sozialverhältnisse merkwürdig stumm oder vage.41 Sieht man einmal von thematisch relevanten Arbeiten aus dem Umfeld der Land- und Agrarsoziologie42 ab, dann stehen in der Regel doch Arbeiten im Vordergrund, die dezidiert soziokulturelle Einzelaspekte des Mensch-Tier-Sozialverhältnisses fokussieren (z.B. mit dem Heimtier als Familienmitglied, mit (rechts-)politischen Aspekten des Tierschutzes, mit Tiersymbolismen der Massenmedien, mit tierbezogenen Einstellungsmustern, mit dem Tier als „Statussymbol“ usw.). Andere Untersuchungen behandeln die zeitgenössische Tierrechtsbewegung und ihre
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Vgl. etwa J. Bergmann (1988), N. Herpin/D. Verger (1992) oder R. Wiedenmann (1993a; 1996). Auch Schwerpunkthefte zum Thema, wie z.B. Heft 3 von „Social Research“ des Jahres 1995, bleiben Ausnahmen. Andererseits gibt es einschlägige Beiträge relativ „prominenter“ Fachvertreter, die sich dann freilich nicht – oder nicht in erster Linie – an das eigene Fachpublikum wenden (vgl. z.B. Scheuch 1986). In wieder anderen Fällen wurden Forschungsergebnisse, die für eine Soziologie humanimalischer Sozialverhältnisse wegweisende Anregungen enthielten, im Kontext von (in dieser Hinsicht) eher „unverdächtigen“ Untersuchungen präsentiert. Ausnahmen sind hier Arbeiten, wie sie z.B. von C. Sanders oder A. Arluke vorgelegt wurden (Sanders 1999; Sanders/Arluke 1993). Es gibt hier eine deutliche Divergenz zur einschlägigen (sozial-)psychologischen Literatur, die sich solchen Fragen oft viel unbefangener zuwendet (vgl. als Überblick Melson 2002, zudem einschlägige Beiträge in Podberscek u.a. 2000). Gemeint sind hier bes. B. Latours Ausführungen zur modernen Fehldeutung der „hybriden“ Mischwesen, die ja wesentlich auf einer Kaschierung der asymmetrischen Trennung von Menschheit und „Nicht-Menschheit“ („Dinge oder Objekte oder Tiere“) basiert (Latour 1998: 22). Die Kritik dieser Asymmetrie bliebe aber auf halbem Wege stehen, würde sie sich nicht auch auf die Formen und Voraussetzungen der impliziten, sozusagen sekundären Asymmetrien erstrecken – hier: auf die asymmetrischen Verteilungen zwischen Dingen, Objekten und Lebewesen, – Pflanzen wie Tieren. Obwohl solche – gerade tiersoziologisch relevanten – Differenzierungen bei B. Latour im Ansatz vorkommen (vgl. etwa zum Verhältnis Gaston-MöweKatze-Tür Latour 1996: 17ff.), so bleiben die spezifischen Interaktionskompetenzen tierlicher Akteure in der Akteur-Netzwerk-Theorie in der Regel doch sehr schemenhaft oder gar ausgeblendet. In diesem Punkt könnte eine Soziologie humanimalischer Sozialität sogar als eine gewisse „Radikalisierung“ des Programms einer symmetrischen Anthropo(zoo)logie angesehen werden. Dies auch insofern, als jene vielleicht die interspezifischen Macht- und Herrschaftsaspekte solcher Konfigurationen schärfer fokussieren kann. Vgl. zu den Grenzen von B. Latours Machtanalysen auch die Bemerkungen von R. Keller/C. Lau (2008: 328f.). Dies ist auch bei wissenschaftssoziologischen Untersuchungen anzutreffen, die die Verwandlung von Tieren in epistemische Laborkonstrukte herausarbeiten (vgl. z.B. Amann 1994). Siehe z. B. K. Jürgens (2002), H. Inhetveen (2001) oder R. Girtler (2002). Eine instruktive Übersicht zur Mensch-Nutztier-Beziehung bietet K. Jürgens (2005).
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Vorgeschichte.43 Im Forschungskontext „soziale Bewegungen“ haben diesbezügliche soziologische Untersuchungen zwar einen festen Platz (Kruse 2002: 375f.), aber auch im Umkreis solcher Arbeiten trifft man kaum einmal auf sozialtheoretisch angelegte Untersuchungen, die neben den moralischen auch die relevanten soziokulturellen Wandlungsaspekte von Mensch-Tier-Beziehungen einbeziehen würden.44 Bereits Mitte der siebziger Jahre traten freilich zwei deutsche Soziologen mit wichtigen Arbeiten hervor, die im Fach allerdings nur unzureichend rezipiert worden sind: Zum einen Heinz Meyers (1975a) Aachener Habilitationsschrift, die die kultursoziologischen und anthropologischen Aspekte des Mensch-Tier„Biozönose“ ausleuchtet, und zum anderen die Arbeit von Gotthard Teutsch (1975), die von Beginn an ethischen Fragen der Mensch-Tier-Beziehung ein besonderes Augenmerk schenkt. Bei der letztlich kultursoziologisch angelegten Arbeit von Heinz Meyer hat vielleicht eine gewisse „Vorzeitigkeit“ einer breiteren Rezeption im Wege gestanden. Vorzeitig in doppelter Hinsicht: Einmal mit Blick auf die politische Öffentlichkeit, die damals – im englischsprachigen Raum – eben erst begonnen hatte, die aufkeimende neue Tierrechtsbewegung zur Kenntnis zu nehmen. Mit Blick auf den soziologischen Diskurs war diese Habilitationsschrift vielleicht auch deswegen „verfrüht“, weil in der deutschsprachigen Soziologie erst seit den frühen achtziger Jahren wieder stärker kultursoziologische Fragestellungen in den Vordergrund drängten.45 Es mag auch eine Rolle gespielt haben, dass Meyers Arbeit einen – prima vista – allzu „naturwissenschaftlich angehauchten“ Gegenstand behandelt, ein Thema, das mit den vorherrschenden Referenzdiskursen der damaligen Kultursoziologie – wie den verstehenden Ansätzen, der Religions- und Wissens-, der Literatur- und Kunstsoziologie – nur wenige Berührungspunkte aufzuweisen schien. Bei dem Buch „Soziologie und Ethik der Lebewesen“ von Gotthard Teutsch (1975) mögen Anhänger einer strikten Werturteilsfreiheit eine zu enge und/oder unübersichtliche Verknüpfung von soziologischen und „moralischen“ Aspekten befürchtet haben. In dieser Sicht wird das – oft auch für den Bereich der Umweltsoziologie herausgestellte – „konstitutive Spannungsfeld zwischen Moralisierung und Professionalisierung“ (Kneer/Rink 1999: 390) oft als ein Nullsummenverhältnis aufgefasst. Anders gesagt: Wo „Soziologie als Moral“ stattfindet, 43 44
45
Vgl. etwa K. Tester (1992), R. Garner (1993), J. Jasper, D. Nelkin (1992). L. & S. Finsen (1994), J. M. Groves (1997); H. Kean (1998); H. Guither (1998). Eine wichtige Ausnahme ist hier die relativ breit angelegte Untersuchung von A. Franklin (1999). Daneben lassen sich auch einzelne ältere wichtige Aufsätze zum Mensch-TierVerhältnis anführen, Texte, die z. T. von recht prominenten Fachvertretern abgefasst wurden, so die fast schon programmatischen Aufsätze von H. Schelsky (1950) oder T. Geiger (1931). Eine gewisse Zäsur markiert hier sicher der programmatische Aufsatz von W. Lipp/F. Tenbruck (1979).
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kann letztlich keine „Soziologie der Moral“46 gedeihen – und umgekehrt. Das Moralthema wirkt dann schon wegen seiner inhärent ideologischen Bezüge höchst suspekt, besonders natürlich bei tierbezogenen Moralthemen: Z.B. können Argumente, die mit einer Haltung der „Tierliebe“ in Verbindung gebracht werden, eo ipso als „überzogen“ oder nur „begrenzt“ relevant abgetan werden.47 Eine andere Facette dieses Problems ist wohl darin zu sehen, dass – wie (un-)begründet auch immer – solche Themen auch den Generalverdacht nähren können, es würden Moralprobleme biologistisch kurzgeschlossen: Man bzw. frau glaubt dann Ambitionen entgegentreten zu müssen, die Kurt Lüschen (1998: 11) einmal die „autoritären Ansprüche der Soziobiologie“ genannt hat.48 Zudem fällt auf, dass Arbeiten aus dem – schon seit Jahren expandierenden – Feld der Natur- und Umweltsoziologie merkwürdigerweise nur sehr selten, beiläufig oder allzu „abstrakt“ Fragen des Mensch-Tier-Verhältnisses berühren.49 Unübersehbar ist hier der Kontrast zu Abhandlungen, die thematisch oder methodologisch eng an sozialanthropologische oder ethnologische Untersuchungen anschließen, z.B. an die klassischen Arbeiten von Claude Lévi-Strauss, Edmund Leach oder Mary Douglas. Hier stößt man nicht nur im soziologischen, sondern z.B. auch im geschichtswissenschaftlichen Schrifttum häufiger auf Beiträge, die ausführlich humanimalische Sozialverhältnisse behandeln.50 Dieser Befund ist an 46 47 48
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Vgl. zur Gegenüberstellung Soziologie als Moral/Soziologie der Moral im Einzelnen J. Weiß (1998: 234-36). Vgl. in diesem Sinne etwa die Vorbehalte der Kulturwissenschaftlerin K. Harrasser (2006: 447) gegen D. Haraways „Companion Species Manifesto“ (Haraway 2004). K. Lüschen (1998a: 11) erwähnt die Soziobiologie hier als einen Impuls, der – neben anderen (wie z.B. Arbeiten von J. Piaget, L. Kohlberg, J. Habermas oder K. Lorenz) – dafür verantwortlich ist, dass „das Moralische nach einer langdauernden Vernachlässigung eine hohe Aktualität in (…) (der) Soziologie“ gewonnen hat. Dem ist sicher zuzustimmen. Für Soziobiologen wie E. Wilson gilt freilich weithin, was auch für die ethologische Aggressionskonzeption von K. Lorenz festzustellen ist: Beide förderten eine soziologische Reaktualisierung der Moralthematik vor allem ex negativo, als „Provokationen“, die dann seitens des soziologischen Mainstream in die Schranken zu weisen war. Vgl. z.B. die Beiträge in A. Diekmann (1996) sowie M. Groß (2001) oder B. Gill (2003). Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass Tiere, sofern sie heute im umweltsoziologischen Diskurs überhaupt ins Spiel kommen (wie z.B. in einigen risikosoziologisch angelegten Studien zum BSE-Skandal), eben typischerweise nicht als soziale Akteure thematisiert werden. Auch Autoren, die das konzeptionelle Naturdefizit der zeitgenössischen Soziologie zu Recht und sehr dediziert herausstellen (wie z.B. Feldmann 1989: Murphy 1995; Grundmann 1997), bleiben mit Blick auf die sozialtheoretische Herausforderung der „tierlichen Natur“ stumm oder höchst zurückhaltend. Hier fällt ein gewisser Kontrast gegenüber einigen älteren „natursoziologischen“ Arbeiten ins Auge, z.B. gegenüber der Arbeit von H. Kelsen (1943: 24ff.), der sich im Kontext von Animismus und anthropomorpher Tierwahrnehmung ausführlich auf ethnozoologische Befunde einlässt. In diesem Sinne äußert sich auch A. Franklin (1999: 9). So schenkt z.B. auch K. Tester (1992: 31ff.), der thematisch Tierschutzdiskurse und die Tierrechtsbewegung fokussiert, den relevan-
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sich wenig überraschend, zeigt er doch, wie stark der auf vielen Gebieten weitaus entwickeltere Forschungsstand sozial- und kulturanthropologischer „animal studies“ (vgl. bes. Mullin 1999) gerade auch soziologische Forschungen inspirieren und herausfordern kann.51 Fasst man das Gesagte zusammen, so bestätigt sich das Gesamtbild eines im Großen und Ganzen (noch) immer „gestörten“ Verhältnisses der Soziologie – und insbes. der soziologischen Theorie – zum Forschungsgebiet der MenschTier-Studien. Die soziologiehistorischen Hintergründe dieser Vernachlässigung sollen hier nicht weiter erörtert werden. Anzuführen ist allenfalls, dass hier einmal mehr jene „industriesoziologische Schlagseite“ der Soziologie zutage tritt, die Robert Hettlage (1988: 14) einmal anlässlich der soziologischen Geringschätzung bäuerlicher Lebenswelten beklagt hat. Luke Martells Kritik der modernen „Soziologie des Industrialismus“ zielt in eine ähnliche Richtung, wenn er anführt, diese Soziologie habe durch ihren „internalist focus“ nicht nur die Umwelt- und Naturbezüge gesellschaftlicher Prozesse aus den Augen verloren, sie habe zudem gerade Tiere häufig auf eine bloße „Ressource“ dieser Prozesse reduziert.52 Eine letzte Überlegung mag verdeutlichen, dass eine soziologische Erforschung der Mensch-Tier-Beziehungen keineswegs redundant oder randständig ist. Wenn man im Rahmen einer akteurstheoretischen Perspektive einmal unterstellt, dass Tiere als Interaktionspartner von Menschen (auch) in der Gegenwartsgesellschaft einen quantitativ und qualitativ bedeutenden Stellenwert einnehmen, dann wird man kaum in Abrede stellen, dass diese Beziehungen immer auch etwas über die sozialen Beziehungen zwischen menschlichen Akteuren aus-
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52
ten sozial- und kulturanthropologischen Ansätzen große Aufmerksamkeit. Für die deutschsprachige Soziologie können hier z.B. Arbeiten von K. Eder (1988) oder vom Verf. (Wiedenmann 1993a; 1997) angeführt werden. Wie bedeutend der (auch unterschwellige) Einfluss sozial- und kulturanthropologischer Konzepte auf soziologische Mensch-Tier-Studien ist, zeigt auch eine Reihe von Tagungs- und Sammelbänden (vgl. Ingold 1988 oder die tierbezogenen Beiträge in Descola/Pálsson 1996). Ein Grund dafür ist sicher, dass man hier die ethnozentrischen Implikationen wichtiger westlicher Begriffsdichotomien (z.B. Natur versus Gesellschaft/Kultur, Mensch/Person versus Tier/Tierautomat) wohl eher durchschaut (ähnlich Mullin 1999: 202). Ein weiterer Grund ist wohl, dass sich sozial- und kulturanthropologische Forschungen doch recht früh der sozialen Beziehungsdimension von Mensch-Tier-Verhältnissen geöffnet haben. Schon E. Shanklin (1985: 380) schreibt, dass „the investigation of human and animal interaction may well be one of the most fruitful endeavors of anthropology“. Vor einiger Zeit hat M. Mullin (2002: 390) diese allmähliche Abkehr von „approaches that depicted animals as passive objects of human agency“ abermals angemahnt. Vgl. L. Martell (1994: 16ff., 21ff., 86ff.). Vgl. zur Kritik der marxistischen Variante der „Soziologie des Industrialismus“ L. Martell (1994: 152ff.). Wie J. O’Neill (1993: 149-52) betont, wächst mit der Abkehr von einer ressourcenfixierten Wahrnehmung der Natur auch die Chance, dass ihre genuine „strangeness“ entdeckt werden kann.
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sagen, – und umgekehrt: Es ist a limine ebenso wenig auszuschließen, dass wir diese Beziehungen „besser“ verstehen und erklären können, wenn wir sie auch als Ausdruck von Mustern begreifen, die den Sozialkosmos des Humanen überschreiten. Anders gewendet: Gibt es soziale Systeme, die sich über selbstreferenzielle Kommunikationen reproduzieren, dabei Interpenetrationen oder strukturelle Koppelungen53 in Anspruch nehmen, die nicht nur auf menschliche, sondern auch auf tierliche psychische Umweltsysteme verweisen? Dabei wird sich zeigen, dass diese grundbegriffliche Weichenstellung nicht ausschließt, „MenschTier-Beziehungen“ bei Bedarf auch akteurstheoretisch zu untersuchen. So kann man annehmen, dass hier „ein seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer“ (Weber 1980: 13, Herv. Weber) vorliegt. Anders als bei Max Weber wird dieses wechselseitig aufeinander eingestellte Sichverhalten hier aber als Teilaspekt eines – wesentlich gesellschaftlich verfassten – Kommunikationsgeschehens begriffen, das in seinen sozialen und semiotischen Bezügen über akteurstheoretische Konzepte (wie Handeln, Verhalten, Interaktion) allein nur unzureichend zu erfassen ist. Damit zeichnet sich eine merkwürdige, humanimalische Doppelseitigkeit ab: Kommunikation, die auf dieser Weise menschliche und tierliche Bewusstseinsereignisse voraussetzt, ist offenbar ein Grenzphänomen par excellence. Sie kombiniert Geschlossenheit mit Offenheit und ähnelt darin Spiegeln, die als Fenster, und Fenstern, die als Spiegel fungieren können (Mullin 1999): Sie reflektieret das Drinnen der binnenmenschlichen Kultur- und Sozialverhältnisse auf eine Weise, die einen Blick nach „draußen“ freigeben kann, – immanenter Sinn, der sich fortlaufend selbst transzendiert.
1.2. Der Pluralismus der Disziplinen und die Einheit der Human-Animal Studies Schon die Tatsache, dass die soziokulturellen Ausformungen der Mensch-TierVerhältnisse einen in Raum und Zeit beinahe unerschöpflichen Facettenreichtum aufweisen, eine Vielgestaltigkeit, die selbst in modernen Gesellschaften ganz unterschiedliche Lebenssphären und Institutionen (z.B. Recht, Sprache, Esskultur, Wirtschaft, Religion, Kunst, Öffentlichkeit/Privatheit usw.) einschließt, legt es nahe, hier von einem „phénomène social total“ (Mauss 1978: 137ff.) zu sprechen. Dies bedeutet, dass wir es bei humanimalischen Konstellationen letztlich mit „Ganzheiten“ zu tun haben, die gerade auch dann, wenn sie sich in unter53
Vgl. im Anschluss an H. Maturana/F. Varela (1987: 85ff.) dazu N. Luhmann (1998: 100ff.).
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schiedlichen Lebenssphären unterschiedlich, ja widersprüchlich ausformen, eine übergreifende Einheit bilden. So kann man das gesellschaftliche „Totalphänomen“ zwar in scheinbar isolierte Einzelfragen aufspalten und in multidisziplinär aufgefächerten „Tierstudien“ bearbeiten,54 doch wird auf diese Weise die ganzheitliche Organisation, die „Struktur“ des Totalphänomens eigentlich erst dann hervortreten können, wenn diese Einzelperspektiven in interdisziplinären55 Kooperationen zusammengeführt werden können. Im Idealfall entpuppt sich Interdisziplinarität dann vielleicht als Chance zur Transdisziplinarität, als Chance, an einem bestimmten Problemzusammenhang die „ursprüngliche Einheit der Wissenschaft“ (Mittelstraß 1989: 77) wiederherzustellen. Betrachtet man in dieser Hinsicht die in den vergangenen Jahren publizierten „Tierstudien“, dann zeigt sich freilich, dass eine interdisziplinäre Zusammenarbeit bislang eher zögernd oder nur begrenzt in Gang gekommen ist. Zwar gibt es mittlerweile eine beachtliche Zahl von Tagungs- und Sammelbänden, die tierbezogene Forschungserträge aus sehr unterschiedlichen Fächern zusammenführen. Der Generalnenner „Tier“ ist hier oft wenig mehr als ein Klammerbegriff, unter dem die in einem bestimmten Fach oder Arbeitsgebiet gewonnenen Befunde und Erkenntnisse recht additiv vorgestellt werden (man erhält z.B. einen Überblick über das „Tier im Alten Ägypten“ oder über das „Pferd in der althochdeutschen Literatur“). Von diesen, für die wissenschaftliche Sondierung des binnendisziplinären Kenntnisstands sicherlich unverzichtbaren Arbeiten sind Forschungen zu unterscheiden, deren Problemzuschnitt eine vergleichsweise intensive interdisziplinäre Kooperation begünstigt. Solche Arbeiten, die komparativ oder auch theoretisch-systematisch angelegt sein können, sind demgegenüber (immer noch) selten. Man gewinnt den Eindruck, dass eingespielte (binnen-)disziplinäre Spezialisierungen hier nur selten den Mut zum „Querdenken“56 aufkommen lassen. An dieser Stelle ist allerdings eine wichtige Einschränkung vorzunehmen: In den vergangenen Jahrzehnten sind nicht wenige „Tierstudien“ entstanden, die ihr Thema zwar monodisziplinär behandeln, aber bei den zentralen Vorannahmen, der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes und den Forschungszielen 54 55
56
Z.B. die Stellung der Tiere im Recht, in der Familie, in der Landwirtschaft, im religiösen Leben usw. Vgl. zum Verhältnis von Multidisziplinarität und Interdisziplinarität vor allem F.-X. Kaufmann, der betont: „Es (interdisziplinäres Arbeiten, R.W.) vollzieht sich wesentlich in der Identifikation vergleichbarer Fragestellungen, Begrifflichkeiten und Forschungsergebnisse im Kontext unterschiedlicher disziplinärer Grundannahmen, Fachsprachen und Methoden“ (Kaufmann 1987: 70; Herv. v. K.). J. Mittelstraß (1989: 76; Herv. i. O.) schreibt treffend: „Interdisziplinarität muss vielmehr im eigenen Kopf beginnen – als Querdenken, Fragen, wohin noch niemand gefragt hat, Lernen, was die eigene Disziplin nicht weiß.“
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erkennen lassen, dass sie stark von Annahmen oder Problemstellungen der zeitgenössischen Tierrechtsdiskussion beeinflusst sind, insbesondere von den z.T. viel beachteten philosophischen Arbeiten auf diesem Gebiet.57 Unter diesen Arbeiten findet sich besonders häufig ein Typ von Tierstudien, für den man den Terminus der „Human-Animal Studies“ (HAS) reservieren kann. Damit sind – in Anlehnung an Kenneth Shapiro (2002: 332f.) – Arbeiten gemeint, die nicht nur beiläufig berücksichtigen, dass Tiere Lebewesen mit subjektiven Erfahrungen und eigenen „Interessen“ sind. Mit diesem Grundsatz werden vielmehr zwei eng miteinander zusammenhängende Annahmen verknüpft. Zum einen (a) wird davon ausgegangen, dass das Mensch-Tier-Verhältnis letztlich auch eine soziale Beziehung einschließt, zum anderen (b), dass tierbezogene Forschung der Subjektivität des Tieres dadurch Rechnung tragen sollte, dass sie seinen Erlebnissen und Bedürfnissen ein Mindestmaß an moralischem Respekt schuldet.58 Hier zeigt sich ein emanzipatorischer Impuls, der ohne die korrespondierende soziale Protestbewegung kaum vorstellbar ist. Die „twin emergence of the contemporary animal rights movement (ARM) and HAS“ (Shapiro 2002: 336) ist von daher sicher ebenso wenig ein Zufall wie das „Zwillingsverhältnis” von Frauenbewegung und „Women’s Studies“.59 Was bedeutet das Gesagte nun mit Blick auf das Thema der vorliegenden Arbeit? Zunächst einmal ist festzustellen, dass eine soziologische Arbeit aus dem Bereich der HAS selbstverständlich keine multi- oder interdisziplinären Forschungen ersetzen kann. Andererseits ist auch klar, dass eine Soziologie der Mensch-Tier-Beziehungen, die sich für den Wandel dieser Beziehungsmuster interessiert, dabei nicht nur einzelne, isolierte Lebensbereiche oder die typisch „modernen“ Aspekte berücksichtigen kann. Sie wird natürlich keine „Allkompetenz“ beanspruchen können (und wollen). Sie sich aber auch davor hüten, einschlägige Forschungsergebnisse sowohl (a) der historischen Wissenschaften und der Kulturanthropologie (bzw. der Europäischen Ethnologie/Volkskunde) wie auch (b) der Zoologie bzw. der vergleichenden Ethologie auszublenden. Mit Blick auf den ersten Punkt werden wir vor allem im letzten Teil, wo es darum geht, die Tragfähigkeit unseres Ansatzes anhand zweier Fallstudien zu veranschaulichen, da und dort gezwungen sein, Trennmauern zu unterminieren 57 58
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Vgl. hierzu bes. die Texte von P. Singer (1990) und T. Regan (1984), zu weiteren Hinweisen M. Bekoff (1998: 42ff.). Ein Beispiel: Eine Studie aus der klinischen Psychologie, die sich mit den therapeutischen Wirkungen von Tieren auf Menschen befasst, dabei aber die Erlebnisse und Eigeninteressen der beteiligten Tiere ignoriert, erfüllt nur das erste Kriterium. Siehe zu diesem Themenfeld den Beitrag von D. Janshen (1996), zum Vergleich zwischen Women’s Studies und Human-Animal Studies näher L. Birke (2002) sowie C. Adams/J. Donovan (1995).
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und den soziologischen Ansatz um geschichtswissenschaftliche und volkskundlich-ethnologische Perspektiven zu erweitern. Von unverminderter Aktualität ist in diesem Zusammenhang eine Mahnung von Marcel Mauss, die bei der Betrachtung humanimalischer Sozialverhältnisse besonders zu beachten ist, betrifft sie doch direkt unseren konzeptionellen Zugang. Dieser betrachtet die konkreten Mensch-Tier-Verhältnisse nicht nur als Resultate der „Eigenlogiken“ unterschiedlicher Lebenssphären, sondern auch vor dem Hintergrund einer wechselseitigen Durchdringung, einer „Interpenetration von unterschiedlichen Sphären des Handelns“ (R. Münch 1992: 23). Mit den Worten von Mauss (1978: 139): „Die Historiker glauben und kritisieren zu Recht, dass die Soziologen allzu sehr abstrahieren und die vielfältigen Elemente der Gesellschaft zu sehr voneinander trennen.“ Soziale Differenzierungs- und Interpenetrationsprozesse sind aber, wenn sie die tragenden Konstitutionsbedingungen moderner Gesellschaften berühren, Prozesse der „langen Dauer“, historische Prozesse des Strukturwandels (Braudel 1984: bes. 194f.). Auch langfristige Veränderungen der Mensch-Tier-Verhältnisse sind so letztlich wohl erst im Rahmen des Zusammenhangs diverser Prozesse und Ebenen des Struktur(en)wandels angemessen zu erfassen. Ohne eine gewisse „Historisierung“ allzu geradlinig bzw. idealtypisch angelegter Modernisierungsund Interpenetrationstheorien ist dieser Anspruch aber nicht einzulösen. Die u.a. von Walter L. Bühl (2003: 3ff.) geforderte „Rückkehr zur Historischen Soziologie“ ist aus dieser Sicht keine (überflüssige) intellektuelle Spielerei. Sie ist vielmehr eine zentrale Voraussetzung, um reduktionistische Engführungen sozialund wirtschaftsgeschichtlicher Ansätze zu vermeiden.60 Von diesen Prämissen her wird die vorliegende Arbeit insofern multidisziplinär verfahren müssen, als sie nicht umhin kann, Forschungsbefunde nichtsoziologischer Disziplinen in die Argumentation hineinzunehmen. Dabei wird sich da und dort übrigens herausstellen, dass Blicke über den Zaun der eigenen Disziplin umgekehrt sehr hilfreich sein können, – auch, um die Spezifika der genuin soziologischen Fragestellungen trennschärfer herauszustellen.61 Dabei versteht es sich von selbst, dass wir im Rahmen unserer Problemstellung häufig darauf ver60
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So merkt etwa W. Reinhard (2006: 395f.) mit Blick auf die „longue durée“ F. Braudels an: „Braudels geographischer Determinismus kennt nur die menschliche Reaktion auf materielle Herausforderungen, kulturelle Aneignung kommt noch nicht vor.“ Auch Kritiker einer kurzatmigen oder bloß „modischen“ Interdisziplinarität haben m. W. diesen Punkt nicht in Zweifel gezogen. So bemerkt etwa F. Tenbruck (1988: 17): „(…) die empirischen Wissenschaften haben es nun einmal mit einem ungebrochenen Wirklichkeitszusammenhang zu tun, aus dem einzelne Bezüge, sollen sie nicht in unwirklichen Schemata enden, nur mit dem Wissen um ihre sonstigen Bedingtheiten herausgelöst werden dürfen. Das aber verlangt eine originäre Vertrautheit mit den Aufgaben und Problemen mindestens der einschlägigen Nachbarfächer.“
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zichten müssen, die methodologischen Voraussetzungen der jeweiligen „fremdwissenschaftlichen“ Befunde (z.B. Kriterien historischer Quellenkritik, volkskundliche Arbeitsmethoden, Methodenprobleme der Ethologie usw.) zu hinterfragen. Anders dort, wo wir im Bezugsrahmen systemtheoretischer Grundkonzepte oder Modellannahmen argumentieren: Hier soll versucht werden, wenigstens ansatzweise aufzuzeigen, welche interdisziplinär anschlussfähigen Zugangs- und Kooperationsmöglichkeiten sich aus dieser Theorieperspektive jeweils anbieten.62 Uns scheint, dass die Fallstricke eines methoden- und konzeptionsblinden Dilettantismus hier letztlich leichter wiegen als die heuristischen Erträge, die eine „offene“ Erforschung dieses soziologisch noch relativ wenig vorstrukturierten Themenfeldes in Aussicht stellt.63 Das Gesagte ist nicht zuletzt mit Blick auf das Verhältnis von Soziologie und Biologie zu unterstreichen. Gerade hier hat sich das Schisma von Kultur und Natur, von Geist und Materie, Verstehen und Erklären usw. auf die soziologische Erforschung der Mensch-Tier-Beziehungen insgesamt verhängnisvoll, ja lähmend ausgewirkt. Dieser Gedanke ist natürlich nicht neu, schon Theodor Geiger macht in diesem Kontext auf Restriktionen aufmerksam, die die diskursive Anschlussfähigkeit zwischen soziologischen und biologischen Erkenntnissen behindern. Für Geiger (1931: 292; Herv. i. O.) ist eine „Abstimmung“ soziologischer und biologischer Kategorien allerdings dann möglich, „wenn der Soziolog durchaus nicht auf seinem Schein besteht, alles menschliche mental zu erklären und alles nicht-mentale für soziologisch ‚irrelevant; und wenn vice versa der Biolog seinerseits bemüht ist, vor Ansätzen der Mentalität im Tierreich die physiologischen ‚Erklärungen respektvoll Halt machen zu lassen. – Verknüpfung der Methoden ist nicht Methodensynkretismus.“
62
63
Vgl. zum Verhältnis von Interdisziplinarität und Systemtheorie bes. W. Bühl (1990: 28), zum Desiderat einer (über den multidisziplinären Austausch hinausgehenden) interdisziplinären Erforschung des Mensch-Tier-Beziehungsfeldes die Bemerkungen von H. Verhoog (1993: 5255). Mit ähnlichen, wenn auch nicht systemtheoretisch motivierten Überlegungen verteidigt von historischer Seite aus z.B. E. Thompson den Forschungsansatz der historischen Anthropologie gegen Vorwürfe des Dilettantismus bzw. empiristischen Opportunismus. Für Historiker wie K. Thomas, N. Davis und ihn selbst mache sich der „Anstoß der Anthropologie nicht in der Erstellung von Modellen, sondern in der Ortung neuer Probleme, in neuen Sichtweisen alter Probleme, in der Betonung von Normen oder Wertsystemen und Ritualen, in dem Interesse an den expressiven Formen von Formen des Krawalls und des Aufruhrs sowie dem symbolischen Ausdruck von Autorität, Hegemonie und Kontrolle bemerkbar“ (Thompson 1980: 291). Vgl. zum herausragenden Stellenwert der Zusammenarbeit mehrerer Disziplinen für die Entstehung und Entwicklung der Schule der „Annales“ zusammenfassend auch P. Burke (1991: 7f., 21ff.).
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Geigers Mahnung ist heute kaum weniger aktuell als damals, zumal eine rigorose Abschottung dieser beiden Disziplinen für einflussreiche soziologische Theorierichtungen eine Art professionelles Credo darstellt. Ein Grund dafür ist sicherlich die Neigung mancher Zoologen, ihre Forschungen an relativ einfach zu handhabenden, domestizierten Versuchstieren durchzuführen (z.B. an der zurechtgezüchteten, „abstrakten Tierform“ der Laborratte) oder auf Arten (z.B. aus der Insektenwelt) zuzugreifen, die – auf den ersten Blick jedenfalls – eher einer mentalen „black box“, einem „gedankenlosen Roboter“ oder einer „Reflexmaschine“ zu gleichen scheinen als stammesgeschichtlich höher entwickelte Tierarten (Griffin 1991: 29f., 143ff.). Von daher überrascht es nicht, dass derartige Verhaltensforschungen von soziologischer Seite nicht selten mit dem Reduktionismus-Verdikt belegt oder schlicht ignoriert wurden. Andererseits würde es sich die Soziologie aber sicherlich zu leicht machen, wenn sie die Parallelen aus den Augen verlöre, die sich z.B. zwischen dem menschlichen Sozialverhalten und z.B. dem anderer Primaten feststellen lassen.64 Diese Ähnlichkeiten dürften auch denen zu denken geben, die den Erklärungsansprüchen der im engeren Sinne soziobiologischen Modelle und Leitkonzepte („reproduktive Fitnessmaximierung“, „Individualselektion“ usw.) skeptisch gegenüberstehen. Schon diese wenigen Bemerkungen mögen ausreichen, um zu verdeutlichen, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit, das „Brückenschlagen“ zwischen Soziologie und Biologie heute oftmals notwendiger, gleichzeitig aber auch schwieriger denn je ist. Klaus Immelmann (1987: 89) hat zu diesem Punkt einmal festgestellt: „Ein solches Bestreben (Brücken zwischen den Disziplinen zu schlagen, R.W.) ist gerade in Bezug auf das Verhalten von Tier und Mensch in der neueren Zeit sicher nicht leichter geworden, da diese Grenzen sich immer stärker zu verändern scheinen. Hier sei nur an die Entdeckung der Traditionsbildung, etwa an Nahrungstraditionen, und an Vorstufen von Kultur bei vielen Tieren und an das Vorkommen menschenähnlicher Kommunikationsformen bei höheren Säugetieren erinnert. (...) Werkzeugbenutzung, Symbolverständnis und selbst personale Identität sind Eigenschaften, deren stammesgeschichtliche Ursprünge auf subhumaner Stufe zu suchen sind und die sich mehr oder minder geradlinig in den menschlichen Bereich fortsetzen.“65
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Vgl. am Beispiel von Parallelen in den „politischen“ oder moralischen Verhaltenstechniken von Schimpansen und Menschen V. Falger (1989) bzw. F. de Waal (2000; 2002). Grundlegende Probleme derartiger Vergleiche diskutieren neben dem soziobiologischen „Klassiker“ E. Wilson (1975) auch C. Vogel (2000), E. Voland (2000) oder A. Paul (1998); auf soziologischer Seite sind hier Arbeiten von G. Vowinckel (1995: 1-46) oder P. Meyer (1982) herauszustellen. Vgl. dazu – am Beispiel von Primaten – auch A. Paul (1998: 205ff.). – Schon von daher scheint die Methode, über kategoriale Dualismen Fächergrenzen „begründen“ zu wollen, heute fragwürdiger denn je zu sein (vgl. van den Berghe 1982: bes. 15f.).
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Schließlich noch ein Wort zu den Schwierigkeiten einer – manchmal erzwungenermaßen – multidisziplinär-mehrgleisigen Begrifflichkeit: Trotz der oftmals eingefügten Begriffsexplikationen war es nicht immer möglich, prima vista „schwer verständlich“ erscheinende Passagen ganz zu vermeiden. Zur Rechtfertigung ist anzuführen, dass diese manchmal das kleinere Übel waren im Vergleich zur irreführenden Transparenz von Wendungen, die die semantischen Grenzlagen sachlich bedingter Mehrdeutigkeiten allzu gewaltsam bereinigt hätten. In solchen Fällen erschien es besser, einen (im vordergründigen Sinne) „unmittelbaren“ Zugang zu vermeiden, um nicht Unterscheidungen zu fixieren, wo eher Übergänge vorliegen, und nicht (vorschnell) Fraglosigkeiten zu bekräftigen, die im weiteren (noch) gravierende(re) Missverständnisse veranlassen könnten. Selbst in der wissenschaftlichen Sprache liegt ja, wie Maurice Merleau-Ponty (1984: 52) einmal schreibt, der angezielte Sinn mitunter „jenseits des Buchstabens“, – er ist insofern „immer ironisch“.66 Offenbar gibt es hier eine Nähe zum Begriff des Ironischen, wie ihn schon Friedrich von Schlegel in seinem Aufsatz „Über die Unverständlichkeit“ entwickelt. Die „höchsten Wahrheiten“, so Schlegel, sind einerseits zwar „durchaus trivial“, doch sind wir andererseits eben deshalb angehalten, sie „immer neu, und womöglich immer paradoxer auszudrücken, damit es nicht vergessen wird, dass sie noch da sind, und dass sie eigentlich nie ganz ausgesprochen werden können.“67 Schlegel greift hier ein Leitmotiv der sokratischen Ironie auf: Einsicht wird gerade durch und über das – für das „abstrakte Denken“68 des common sense – „offenbar“ Unverständliche, Unklare auf den Weg gebracht. Anders ausgedrückt: Man entdeckt Widersprüchliches und Sonderbares mit dem Gefühl des „Seltsamen, Ungemäßen, Verzwickten“, wie Romano Guardini einmal sagt. In dieser Lage, so Guardini (1956: 18), kann man das „Eigentliche nicht mehr einfachhin, sondern nur noch indirekt sagen, verhüllt, verkehrt, in der Hoffnung, der Hörende werde aufmerksam werden und selbst hindenken.“69 66
67 68
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Dort auch M. Merleau-Pontys Überlegungen zur „Unhaltbarkeit“ der Idee einer vollkommenen Kommunikation, in der die Sprache ihr Unausdrückliches einholen könnte. Vgl. zum utopiegeschichtlichen Hintergrund der Idee einer vollkommenen Sprache U. Eco (1994). F. v. Schlegel (1971: 534; Herv. R.W.). Vgl. zur kontroversen Diskussion um die Unverständlichkeit, die Schlegels Aufsatz vorausging, J. Fohrmann (1994). Vgl. dazu die kleine Arbeit „Wer denkt abstrakt?“ von G. W. F. Hegel (1977). Vgl. zur Rechtfertigung dieser Variante von Unverständlichkeit auch die Parallelen zur Ethnomethodologie, auf die N. Luhmann (1984: 165) aufmerksam macht. Von der anderen Seite, vom „Halbwissen“ her, nähert sich F. Nietzsche (1968: 242) in „Menschliches, Allzumenschliches“ dem gleichen Gedanken: „Das Halbwissen ist siegreicher als das Ganzwissen: es kennt die Dinge einfacher als sie sind, und macht daher seine Meinung fasslicher und überzeugender.“ Nicht zuletzt warnen M. Horkheimer/T. Adorno (1980: 3f.) vor der Gefahr, dass der Begriff von „Klarheit in Sprache und Denken“ geeignet sein kann, den „Geist in immer tieferer Blindheit“ gebannt zu halten.
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1.2.1 Disparitäten der Forschungslage Wer sich entschließt, in einer multidisziplinär offenen Perspektive die konstitutiven Elemente und die „Moral“ von Mensch-Tier-Sozialverhältnissen auch kulturwissenschaftlich zu beleuchten, der wird zunächst mit einem eigenartigen Literaturdilemma konfrontiert. Auf der einen Seite gibt es eine Vielzahl von kulturwissenschaftlichen Arbeiten und historischen Quellen, die zentrale Aspekte von Mensch-Tier-Beziehungen behandeln, obwohl sie „eigentlich“ gar nicht zum Thema gehören. Auf der anderen Seite aber sind Studien, die diese soziokulturell und historisch außerordentlich facettenreichen Beziehungsformen theoretisch und/oder vergleichend-systematisch untersuchen, immer noch relativ rar.70 Soziologische Arbeiten, die diesem Mangel abhelfen wollen, können nur sporadisch an fachliche Forschungstraditionen anknüpfen, wie sie für andere soziologische Spezialgebiete selbstverständlich sind. Schon von daher ist die vorliegende Arbeit nicht selten zu einer Öffnung der „diskursiven Selbstreferenzialität“ soziologischen Denkens gezwungen, zu einem oft thematisch gebotenen Rekurs auf Forschungsansätze und –befunde anderer Disziplinen. Dies kann natürlich nicht bedeuten, dass die Soziologie die Arbeit der jeweiligen anderen Disziplin irgendwie „miterledigen“ könnte, – sie würde dann nicht nur eine (berechtigte) Dilettantismus-Schelte riskieren, sondern auch ihr eigenes, genuin soziologisches Forschungsvorhaben leicht aus den Augen verlieren. Die vorliegende Arbeit ist also in besonderer Weise mit einem Problem konfrontiert, das Niklas Luhmann einmal mit Blick auf den interdisziplinären Grenzverkehr Unsicherheitsabsorption genannt hat: Gemeint ist die Schwierigkeit, Aussagen mit einem „hinreichenden Bewusstsein der Vorbedingungen, Optionen und Kontingenzen“ (Luhmann 1981: 175) auszustatten. Im Zeichen dieser Vorbehalte stehen auch die Bemerkungen dieses Abschnitts: Sie werden nur auf eine exemplarische Auswahl der kultursoziologisch relevanten Literatur historischer Nachbardisziplinen hinweisen können und vor allem Typen von Studien ansprechen, also keineswegs eine thematisch extensive oder „ausgewogene“ Literaturübersicht bieten können.71 Nichtsdestotrotz haben 70
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Von daher ist heute mehr denn je aktuell, was einst C. Bryant (1993: 17; Herv. R.W.) betont hat: Ein „serious problem that will become graver over time is the fact that human-animal writings are beginning to proliferate at a significant rate. While a very positive trend from the standpoint of those in the field, a troubling aspect of this trend is the diversity of the literature. (...) It would appear that what is needed at this point is more concerned effort at synthesis, conceptual consolidation, theoretical integration, and the identification of particularly productive directions for future research (...).” Schon ein flüchtiger Blick in einschlägige (ältere) Bibliographien (z.B. Magel 1981, 1989; Manzo 1994; Anderson 1990ff.) zeigt, dass eine kommentierte Bibliographie sich zu einem recht umfangreichen Werk auswachsen würde.
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wir dabei unser Hauptaugenmerk auf Titel gerichtet, die im Hinblick auf unsere historisch-soziologischen Fallstudien (6. Kapitel) von besonderem Interesse sind. Unser Schwerpunkt liegt damit auf Arbeiten, die direkt (und zum Teil auch indirekt) für das Mensch-Tier-Verhältnis im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Bedeutung sind (in ethnologisch-volkskundlichen Zusammenhängen wird dieser Rahmen z.T. bis ins 20. Jahrhundert hinein zu erweitern sein). In der Geschichtswissenschaft ist der wissenschaftliche Forschungsstand zu Mensch-Tier-Sozialverhältnissen differenziert zu betrachten, je nachdem, welche Teildisziplinen, welche Epochen, welche spezifischen „Sachprobleme“, welche methodisch-theoretische Ansätze oder auch nationale Geschichtskulturen man herausgreift.72 Alles in allem gewinnt man den Eindruck, dass viele historische Arbeiten und Quelleneditionen, in denen Aspekte der Mensch-Tier-Verhältnisses behandelt werden, diese Aspekte eher en passant behandeln. Das überrascht auch nicht weiter, bedenkt man, dass Tiere über sehr lange Zeiträume hinweg die unterschiedlichsten Lebensbereiche der Menschen bevölker(te)n und in diesem Sinne beinahe omnipräsente Begleiter des Menschen genannt werden können. Dies betrifft nicht nur ländliche, sondern auch städtische Lebensmilieus: Ob im Brauchtum, im Wirtschaftsleben oder im Verkehrswesen, im Bereich der Jagd, in häuslichen Lebensbereichen (als Heim- oder Nutztiere, als Nahrungsmittel,73 als „Ungeziefer“, usw.), – die Anwesenheit von Tieren war bis weit in das 20. Jahrhundert hinein derart „natürlich“, selbstverständlich bzw. alltäglich, dass es vielleicht gerade deswegen lange Zeit nur recht wenige Historiker als lohnend erachtet haben, diesem Themenbereich vertiefende oder breiter angelegte vergleichende Untersuchungen zu widmen.74 Mit Blick auf die deutsche Geschichtswissenschaft sprach Paul Münch (1998a: 14) wohl auch deswegen vor einigen Jahren 72 73 74
Vgl. als älteren Überblick L. Bodson (1988) sowie die Literaturauswahl bei P. Dinzelbacher (2000: 617ff.), die diese Disparitäten abermals eindringlich illustrieren. Vgl. hierzu etwa die ernährungsgeschichtlichen Arbeiten von H. Teuteberg (1979) und H. Teuteberg/G. Wiegelmann (1972). Dementsprechend sind so „gediegene“ Untersuchungen wie die von R. Delort (1984), K. Thomas (1984) oder H. Ritvo (1987) eher selten anzutreffen. – Das schließt freilich nicht aus, dass man bei einzelnen Themenkreisen auf umfangreiche – oft auch ältere deutschsprachige – Arbeiten stoßen kann, vgl. etwa zur Jagd nicht nur M. Cartmill (1993), H. Hiller (2003), M. Knoll (2004) oder W. Rösener (1997; 2004), sondern z.B. auch K. Sälzle (1957), H. Eckardt (1976) sowie die einschlägigen Arbeiten von K. Lindner (z.B. 1974; 1978). Auch synoptisch angelegte Arbeiten zu übergreifenden Tierkategorien liegen vor, zu den Haus- bzw. domestizierten Nutztieren z.B. F. Zeuner (1968), N. Benecke (1994) oder A.-G. Haudricourt (1962). Zahlreiche Titel, die sich mit Einzelaspekten der Nutztierhaltung, des Viehhandels usw. auseinandersetzen, gibt es natürlich in der Agrar-, Technik- und Wirtschaftsgeschichte, vgl. z.B. C. Dalhede (1992), H. Wagner (1994) oder F. Huber (1988). Nicht zu übersehen ist allerdings, dass hier im Regelfall Mensch-Tier-Beziehungen kein Thema sui generis sind, sie werden insbesondere nicht als ein Thema historischer Grundlagenforschung begriffen.
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von einer anthropozentrisch orientierten Historiographie: „Sie (die deutsche Geschichtswissenschaft, R.W.) hat das Postulat, Menschen und Tiere als existentiell verbundene Teilhaber einer Lebenswelt wahrzunehmen, bislang nicht einmal ansatzweise erfüllt.“75 Vor allem im internationalen Rahmen ist freilich bemerkenswert, dass diese historiographische Anthropozentrik bzw. Tiervergessenheit seit den achtziger Jahren nicht mehr unangefochten das Feld behauptet.76 Dies liegt nicht zuletzt am Aufstieg jener Richtungen geschichtswissenschaftlicher Forschung, die man oftmals mit dem „linguistic“ oder „cultural turn“ assoziiert bzw. unter der Sammelbezeichnung der neuen Kulturgeschichte zusammenfasst. Vorbereitet vor allem durch die Mentalitätengeschichte haben Diskursplattformen wie Alltagsgeschichte, Mikrogeschichte oder historische Anthropologie77 einen Perspektivenwechsel unterstützt, von dem insbesondere Themenfelder wie „Alterität“ oder „Fremdheit“ profitiert haben (vgl. Raphael 2003: 230f.). Solche Verschiebungen im historiographischen Aufmerksamkeitshorizont haben sicher dazu beigetragen, dass in den letzten Jahren auch explizit „tierbezogene“ Untersuchungen im Mainstream des Faches den Beigeschmack randständiger Esoterik etwas eingebüßt haben, – jedenfalls deutet eine Reihe von historisch ausgerichteten Sammelbänden78 in diese Richtung. Zu denken ist zudem an Einzelstudien, die unter Heranziehung unterschiedlicher geisteswissenschaftlicher Methoden und Quellentypen einzelne Tierarten oder menschlich-tierliche „Mischformen“ behandeln.79 Hinzu treten Arbeiten, die Tiere im Kontext eines 75
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Dass es sich bei Mensch-Tier-Beziehungen um ein historisch noch kaum erschlossenes Themenfeld handelt, betonen auch A. Couret und F. Oge (1989a: 33) in ihren einleitenden Bemerkungen zu dem von ihnen edierten Tagungsband „Histoire et animal“. Die englischsprachige Geschichtswissenschaft unterscheidet sich hier – wie lange noch? – von der deutschsprachigen. Für die letzten Jahrzehnte konstatiert etwa H. Ritvo (2002: 404) „significant changes in the attitude of historians toward the study of animals. (…) Animals (or the relationships between human beings and other animals) have been attracting more frequent and sustained scholarly attention.” Vgl. dazu die Übersichten von G. Iggers (1993: 73ff.), U. Daniel (2001), L. Raphael (2003) oder W. Reinhard (2006: 20ff.). Vgl. A. Manning/J. Serpell (1994), B. Lizet/G. Ravis-Giordani (1995), A. Couret/E. Oge (1989), R. Durant (1993), P. Münch (1998), P. Dinzelbacher (2000), A. Craeger/W. Jordan (2002), zudem auch einige – natürlich vor allem ideengeschichtlich instruktive – literaturwissenschaftliche Textsammlungen, vgl. etwa J. Ham/M. Senior (1997) oder B. Jahn/O. Neudeck (2004). Vgl. z.B. Arbeiten zur Darstellung des Schweins in Kunst und Literatur des Mittelalters (Schouwink 1985), zur Kulturgeschichte der Ratte (Platen 1997), der Katze (Bobis 2001) oder des Hundes (z.B. Brackert/Kleffens 1989; Menache 1997). Das Pferd ist Thema der Studien von H. Meyer (1975b) und M. Baum (1991), vgl. speziell zum Pferd im Mittelalter B. Prévot (1994). – In einer vergleichenden Perspektive untersucht R. Merz (1978) unterschiedliche menschlich-tierliche „Mischgestalten“. Zum Werwolf z.B., der bereits von W. Hertz (1862) behandelt wurde, liegen Arbeiten von G. Milin (1993) und M. Rheinheimer (1994) vor. Zahl-
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rituellen Prozesses oder eines bestimmten institutionellen Handlungsarrangements untersuchen.80 Dies trifft auch auf Arbeiten zu, die den historischen Wandel von Naturbildern behandeln. Hier nimmt die Tierwelt allerdings vergleichsweise selten einen breiteren Raum ein.81 Insgesamt kann aber festgehalten werden, dass Mensch-Tier-Verhältnisse in der alten Geschichte wie auch in der Geschichte des Mittelalters vergleichsweise stark berücksichtigt werden.82
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reiche Aspekte der „menschlich-tierlichen Übergänge“ thematisieren auch neuere Arbeiten über „Monstren“ bzw. „Monstrositäten“, vgl. z.B. L. Daston/K. Park (2002: bes. 205ff.) oder Beiträge in M. Hagner (1995), für diesbezügliche mittelalterliche Diskurse U. Friedrich (2009). Beispiele bieten hier Arbeiten über zoologische Gärten und mittelalterliche bzw. frühneuzeitlichen Menagerien, etwa die Texte von K. Hauck (1963) (Tiergärten im Bereich deutscher Königspfalzen), C. Märtl (2004) (Tiere am Papsthof im 15. Jahrhundert) oder U. Giese (1962) (Geschichte der Wiener Menagerien). Die Geschichte der zoologischen Gärten im 19. und 20. Jahrhundert behandeln E. Baratay/E. Hardouin-Fugier (2000) sowie A. Rieke-Müller/L. Dittrich (1998) und L. Dittrich/D. v. Engelhardt/A. Rieke-Müller (2001). – Ein weiteres Beispiel für eine recht „gute“ Literaturlage liefern die sogenannten „Tierprozesse“ des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, vgl. hierzu bes. E. Evans (1906), K. v. Amira (1891), H. Berkenhoff (1937), J. Vartier (1970), M. Rousseau (1989), M. Pastoureau (1993), P. Dinzelbacher (2002) oder M. Fischer (2005) (vgl. zu E. Evans auch P. Beirne 1994). G. Lindemann (2001) diskutiert diese Thematik im Rahmen eines Ansatzes, der das gängige Apriori soziologischer Forschung, das nur Menschen als soziale Akteure gelten lässt, gründlich erschüttert. Vgl. als ältere Studie z.B. W. Ganzenmüller (1914). Hier sind natürlich auch Arbeiten zu nennen, die den langfristigen Wandel okzidentaler Natursemantiken und naturphilosophischer Konzepte behandeln, z.B. A. Lovejoy (1985), W. Lepenies 1978, C. Glacken (1967) oder R. Collingwood (2005); andere Arbeiten fokussieren epochen- bzw. milieuspezifische Naturauffassungen, z.B. G. Großklaus/H. Eichberg (1983), R. Sieferle (1989), R. Sieferle/H. Breuninger(1999) oder C. Geulen (2000). So gibt es in der alten Geschichte neben einigen Gesamtdarstellungen (z.B. Keller 1980a/b; Giebel 2003) Arbeiten, die die Mensch-Tier-Verhältnisse einzelner antiker Kulturen thematisieren, z.B. die der römischen Antike (Toynbee 1983) oder die des Alten Ägypten (z.B. Boessneck 1988; Houlihan 1996). Letzteres ist wohl keine Überraschung, denn für „keine andere antike Kultur besaß sie Beziehung zur Tierwelt eine ähnlich große Bedeutung wie für die ägyptische“ (Germond 2001: 7; vgl. als Überblick Brunner-Traut 1985). Ebenfalls in der alten Geschichte finden sich Arbeiten, die sich speziell auf Heimtierhaltung (Halliday 1922) oder eine besondere Tierart (Merlen 1971; Malek 1997) konzentrieren, ganz abgesehen von mehreren Monographien, die auch ethischen Aspekten der Mensch-Tier-Beziehung beträchtliche Aufmerksamkeit schenken, vgl. etwa die ideengeschichtliche Arbeit von U. Dierauer (1977) oder die wichtige Vegetarismus-Studie von J. Haussleiter (1935). Weiterführende Details und wertvolle Ergänzungen enthalten dabei altertumswissenschaftliche Abhandlungen, die einzelne Quellen oder Quellengruppen im diachronen Längsschnitt untersuchen und dabei Spezialaspekte der Mensch-Tier-Beziehung aufarbeiten, siehe z.B. G. Herrlingers (1930) Arbeit über Tierepikedien. Ausgezeichnete motiv- und ideengeschichtliche Monographien liegen auch zu den Zoologien und Tierkonzepten des Mittelalters und der frühen Neuzeit vor. Zu nennen ist hier natürlich zunächst die umfangreiche Literatur zum Themenfeld Physiologus/Bestiarien (vgl. zusammenfassend Schmidtke 1968: 51ff.: Weddige 1992: 71ff.). Daneben sind Arbeiten zu erwähnen, die tierspezifische Einstellungsmuster im Kontext von z.B. volksreligiösen Praktiken (z.B. Schmitt 1982) beleuchten. Nicht zu vergessen sind Untersuchungen, die tiersymbolische Motive im Umkreis der bildenden Kunst oder der Naturgeschichte behandeln – stellver-
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Historische Wandlungsprozesse im Mensch-Tier-Verhältnis kommen mitunter im Rahmen umwelthistorischer Themen zur Sprache,83 – aber selbst hier wird die „soziale Qualität der Beziehung zum Menschen“ oft gar nicht oder kaum problematisiert.84 Es kann dabei natürlich nicht darum gehen, humanimalische Sozialverhältnisse dort zu konstruieren, wo keine vorliegen oder allenfalls ansatzweise erkennbar sind (wie z.B. bei den „Kontakten“ zwischen Flöhen, Ratten und Menschen während der großen Pestepidemien des Mittelalters).85 Anders bei Fällen, in denen die soziale Qualität der Mensch-Tier-Beziehung ein irreduzibles Moment des jeweiligen Mensch-Tier-Verhältnisses ausmacht, etwa dann, wenn soziale Wechselwirkungen vorliegen, die auf der menschlichen Seite her an irgendwelchen tierethischen Normen orientiert sind. Die strikt umwelthistorische Perspektive kann hier leicht zu kurz greifen: So schenkt z.B. Raymond Dominicks Abhandlung über umweltschutzpolitische Projekte im deutschen Kaiserreich (Dominick 1986) zwar den Vogelschutzmaßnahmen recht große Aufmerksamkeit, die sozialen Deutungsfolien der korrespondierenden Tierschutzideen aber werden nur unzureichend beleuchtet, – im Vergleich etwa zu Lisa Mighettos (1991) Arbeit über die Anfänge der amerikanischen „wildlife protection“, der eine Verklammerung von umwelthistorischen und tierethischen Fragestellungen sehr viel überzeugender gelingt. Freilich, in jüngerer Zeit mehren sich Hinweise, dass gerade deutschsprachige historische Forschungen zum Mensch-Tier-Verhältnis den vielfältigen
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tretend seien genannt: F. Klingender (1971), C. Hicks (1993), W. von Blankenburg (1943), H. Jauss (1959; 1977), J. Salisbury (1994), schließlich M. Suutala (1990), die bereits in die frühe Neuzeit ausgreift. Viele dieser Untersuchungen können an ältere Untersuchungen (wie z.B. Kaufmann 1884) anschließen. Weitere Literaturhinweise enthalten die immer noch instruktiven Übersichten von P. Girkon (1967), H. Schade (1967), K. Knappe/U. Knappe (1967) oder W. von den Steinen (1964). Zum kulturellen Kontext und zur Ideengeschichte christlicher Naturund Tierkonzeptionen vgl. J. Passmore (1974) und D. Groh (2003), speziell zum biblischen Verständnis der Tiere Arbeiten wie die von W. Pangritz (1963), C. Hume (1980), M. Landmann (1959) oder J. Bernhart (1961). In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass Tiere in den letzten Jahren vermehrt auch in theologische Diskurse Eingang gefunden haben (z.B. Linzey 1987; Drewermann 1990; Linzey/Yamamoto 1998; Janowski 1999; Riede 2002; Kessler 2003; vgl. als Überblick Wils 1998). Vgl. z.B. Arbeiten von V. Fumagalli (1992) oder W. Abelshauser (1994), außerdem verschiedene Sammelbände, die B. Herrmann (mit)betreut hat (Herrmann 1993; Schubert/Herrmann 1994). In einer anderen, ebenfalls von Herrmann herausgegebenen Aufsatzsammlung finden sich Überlegungen von C. Becker (1989) über Nutztierhaltung, von G. Heine (1989: 122ff.) über die Rechtsstellung der Tiere im Mittelalter. – Überblicke zu historischen Forschungen zum Themenkomplex Natur/Umwelt geben U. Troitzsch (1981), G. Thüry (1993), H. Kühnel (1993), R.-P. Sieferle (1989; 1993) oder J. McNeill (2003). Vgl. etwa die Passagen zum Vogelschutz oder zur Bekämpfung von „Insektenschädlingen“ bei D. Blackbourn (2007: 219ff.). Vgl. zu einer derartigen Behandlung von Tieren in einem umwelthistorischen Problemzusammenhang z.B. G. Keil (1993).
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sozialen Aspekten dieses Verhältnisses stärker Rechnung tragen.86 Doch ändert dies – bislang – wenig am vorherrschenden Gesamtbild. Für sich gesehen nehmen Mensch-Tier-Beziehungen gerade in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft noch immer einen eher marginalen thematischen Stellenwert ein, vergleichbar vielleicht mit dem lange Zeit ja ebenfalls „stiefmütterlich“ behandelten Gegenstand Natur- und Umweltschutz (vgl. in diesem Sinne noch Wettengel 1993: 356). Schon angesichts der skizzierten Literaturlage ist es nicht weiter überraschend, dass eine historische Soziologie der Mensch-Tier-Beziehungen bisweilen nicht umhin kann, sich direkt an die Quellen zu wenden. Das liegt auch daran, dass sie in manchen Fällen historische Forschungsergebnisse nicht bruchlos adaptieren kann. Hier wird jeweils im Einzelfall zu entscheiden sein, ob die Risiken dieser Vorgehensweise (z.B. hinsichtlich des je angemessenen Standards historischer Quellenkritik) durch die Chancen möglicher Erkenntnisgewinne aufgewogen werden. Hinzu kommt, dass eine historisch-soziologische Erforschung humanimalischer Sozialitätsformen wohl erst dann wirklich empirisch genannt werden kann, wenn es ihr gelingt, eigene, alternative oder auch komplementäre, Zugänge zum historischen Quellenmaterial zu erkunden.87 Eine – im Vergleich zur Soziologie – überaus breite und ergiebige Literatur zu diversen Facetten humanimalischer Sozialverhältnisse liegt in der Volkskunde/Europäischen Ethnologie und der vergleichenden Symbolforschung vor.88 Wichtige Forschungserträge versammelt hier der „klassisch“ zu nennende, von Siegfried Becker und Andreas Bimmer edierte Sonderband „Mensch und Tier“ der „Hessischen Blätter für Volks- und Kulturforschung“ (Becker/Bimmer 1991). Gerade dieser Sammelband führt eindringlich vor Augen, dass auf dem 86 87
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Vgl. etwa die Arbeit von F. Schmoll (2004), der u.a. ausführlich auf Vogelschutzbestrebungen im Kaiserreich eingeht. So bemerkt R. Stichweh (1998: 70) zu Recht, dass „die eigene Befassung mit Quellen deshalb wichtig (ist), weil sie eine Art Wirklichkeitskontakt sichert, der dann ein stellvertretendes (vicarious) Lernen aus den parallel durchgeführten Forschungen anderer (vorzugsweise Historiker) erlaubt.“ Vgl. allein die Literaturhinweise in den einschlägigen Artikeln des Wörterbuchs des deutschen Aberglaubens (Bächtold-Stäubli 1927ff.) oder die Titel, die M. Lurker in einzelnen Tierartikeln seines „Wörterbuchs der Symbolik“ (Lurker 1991) anführt. Wichtige Literaturhinweise enthalten auch die Artikel, die im Rahmen der 1987 von M. Eliade (1987) edierten „Encyclopedia of Religion“ einzelne Tierarten behandeln. Eine reichhaltige Übersicht über den kulturwissenschaftlichen Literaturstand um die Jahrhundertwende gibt N. Thomas (1908). Die Literaturauswahl, die D. Chevallier/P. Notteghem (1988) zusammengestellt haben, konzentriert sich auf Titel, die vor allem für die regionalen Ethnozoologien Frankreichs aufschlussreich sind. Daneben gibt es zahlreiche Sammelbände, z.B. J. Frewein (1983), T. Ingold (1988), M. Svilar (1985), die in symbol- und kulturwissenschaftlicher Hinsicht wertvolle Beiträge enthalten. Nicht zu vergessen sind schließlich die dem Mensch-Tier-Verhältnis gewidmeten Studiumgenerale-Hefte der Tierärztlichen Hochschule Hannover (1984ff.).
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Gebiet der Mensch-Tier-Beziehungen eine enge Verzahnung von kultursoziologischen und volkskundlichen Forschungen sachlich oft dringend geboten ist. Die Kultursoziologie profitiert hier davon, dass VolkskundlerInnen immer wieder (scheinbar) „randständige“ Themen bearbeitet haben, Themen, denen auch der historiographische Mainstream lange Zeit zu wenig Beachtung geschenkt hat, – und die später im Zeichen von Alltagsgeschichte, historischer Volkskulturforschung, Mikrohistorie oder historischer Anthropologie89 (wieder-)entdeckt wurden. Alles in allem gilt aber für die (deutschsprachige) Historiographie, was sich auch für das Gros der Sozial- und Humanwissenschaften90 und – mit einigen Abstrichen! – auch für die (deutschsprachige) Volkskunde/Europäische Ethnologie feststellen lässt: Tiere sind insgesamt ein „eher randständiges“ Thema (vgl. in diesem Sinne z.B. Becker 2001: 205). Dort, wo Tiere vergleichsweise häufig oder explizit thematisiert wurden, wie z.B. in der Ethnozoologie oder der volkskundlichen Brauch- und Erzählforschung, spielen sie meist nur „eine sachbezogene Rolle am Rande des Interesses, selten wurde die soziale Qualität der Beziehung zum Menschen hinterfragt und dargestellt.“91 Besonders betrifft dies Arbeiten, die den Subjektstatus von Tieren in den Mittelpunkt rücken und darüber auch den Wandel der moralischen Dimension dieses Sozialverhältnisses beleuchten. Anders gesagt: Forschungsdefizite (oder positiv ausgedrückt: wenig erschlossene Forschungsfelder) zeichnen sich dort ab, wo Tiere in der Sozialbezie89
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Vgl. dazu auch W. Schulze (1994). – So überrascht es nicht, dass die Zeitschrift „Historische Anthropologie“ in den letzten Jahren mehrere Aufsätze zu tierbezogenen Themen publiziert hat, vgl. R. Johler (1997), S. Teuscher (1998), W. Aichinger (1999) oder D. Schmidt (2003). Vgl. für die Wirtschaftswissenschaft die Einschätzung von J. Frank (2002), für die Psychologie etwa die Bemerkungen von G. Melson (2002) und C. Raupp (2002), für die Politikwissenschaft das verhalten negative Resümee von R. Garner (2002), der dabei aber einräumt, dass dieses Urteil einzuschränken ist, wenn man den Politikbegriff weiter fasst und z.B. auch Studien zur Tierschutzbewegung oder rechtspolitische Arbeiten berücksichtigt. Daneben findet man in (englischsprachigen) Publikationen des Faches Geographie Arbeiten (z.B. Philo/Wolch 1998; Philo/Wilbert 2000; Emel/Willbert/Wolch 2002), die unter dem Etikett einer „animal geography“ firmieren und interessante Befunde vor allem zu den (sozial)räumlichen Bedingungskontexten humanimalischer Sozialverhältnisse beitragen. So S. Becker/A. Bimmer (1991: 7; Herv. von R.W.) in der Einleitung ihres Sammelbandes „Mensch und Tier“, – eine Einschätzung, die durch die Beiträge eines vor wenigen Jahren erschienenen volkskundlichen Schwerpunktheftes zum Thema Tier (Zeitschrift für Volkskunde, Jg. 99, Heft 1, 2003) im Wesentlichen bestätigt wird. Auch J. Buchner (1993: 7) merkt an, dass Tiere zwar „Teil von Kultur, aber – bis auf wenige Ausnahmen – kein Gegenstand von Kulturanalysen sind.“ H. Brackert/C. van Kleffens (1989: 10) bedauern, dass „dem bedeutsamen Bereich kulturgeschichtlicher Forschung, der sich auf das Zusammenleben von Mensch und Tier bezieht, bisher wenig Interesse entgegengebracht worden“ sei; es handele sich hier um einen Themenbereich, „der nicht nur ein weites, sondern geradezu ein unermessliches Feld“ darstelle.
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hung zum Menschen eine mehr oder minder (quasi)personale Position einnehmen, wo die humanimalische Beziehung stärker auf die „agierende“ Subjektivität des Tieres, auf seine subjektiven mentalen Leistungen (auf seine Empfindungen, seine Bedürfnisse, sein Wollen usw.) abstellt.92 Diese Sichtweise wird häufig bei Heimtieren nahegelegt, Tieren, die nicht aus wirtschaftlichen Nutzenerwägungen, sondern oftmals ihrer kommunikativen und/oder rein „rekreativen“ Qualitäten wegen gehalten werden. Obzwar der Schoß- oder Heimtierhaltung in kultur- oder alltagshistorischen Gesamtdarstellungen ein gewisser – wenngleich bescheidener – Stellenwert eingeräumt wird,93 sind hier Forschungslücken unübersehbar. Arbeiten, die hier die historischen Aspekte von Mensch-Tier-Beziehungen fokussieren, sind häufig epochenbezogen angelegt oder beschränken sich auf eine einzelne Tierart.94 Vergleichsweise rar sind schließlich Monographien zur Geschichte des Tierschutzes in Deutschland (sieht man vom einschlägigen juristischen und rechtshistorischen Schrifttum ab). Fragen der Tierethik bzw. des Tierschutzes werden zwar im Rahmen von Gesamtdarstellungen angesprochen (vgl. z.B. Nipperdey 1993b: 185) oder in Arbeiten angeschnitten, die sich auf inhaltlich verwandte Materien (wie Vegetarismus oder Lebensreformbewegung)95 beziehen. Doch sind kultur- oder sozialhistorische Arbeiten, die das Thema Tierschutz für 92
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Unter den Stimmen, die demgegenüber die unmittelbare Beziehungsebene von Mensch-TierVerhältnissen nicht vernachlässigen, sollen hier nur die Historiker A. Nitschke (1966; 1967; 1994) und K. Thomas (1984) genannt werden. Ein weiteres Beispiel ist die eben erwähnte Studie von H. Brackert/C. van Kleffens (1989). Die Autoren resümieren: „Es wurde uns im Verlauf der Arbeit jedoch zunehmend bewusst, dass kulturgeschichtliche Aussagen über den Hund nur möglich sind, wenn man sie auf die menschliche Kulturgeschichte bezieht, dass mit anderen Worten nicht ein Objektverhältnis, sondern eine Wechselbeziehung historisch zu ergründen war“ (Brackert/van Kleffens 1989: 10). Man nehme den von M. Perrot (1992) herausgegebenen vierten Band der „Geschichte des privaten Lebens“ zur Hand, der die Heimtierhaltung immerhin auf wenigen Seiten behandelt (ausführlich hingegen Digard 1990). Vgl. auch das Kapitel über die Geschichte der Heimtierhaltung bei J. Serpell (1990: 49), der sich aber ganz auf Großbritannien, bes. England, konzentriert; am Rande wird z.B. einmal die „echte Zuneigung Friedrichs des Großen zu seinen Hunden“ erwähnt (vgl. Serpell 1990: 59). Y. Tuans (1984) Monographie ist für die Geschichte der Mensch-Heimtier-Beziehung zwar einschlägig, aber sehr global angelegt. Die Heimtierhaltung in Deutschland wird nur marginal berücksichtigt. Vgl. für den Hund neben H. Brackert/C. van Kleffens (1989) auch W. Wippermann/D. Berentzen (1999) und H. Kaiser (1993), zudem die Arbeit J. Buchners zur Heimtierhaltung im Kaiserreich (Buchner 1991) oder das Kapitel „Luxushunde“ aus ihrer Dissertation (Buchner 1996: 97ff.). Ähnlich breit wie die Arbeit von J. Buchner (1996) ist K. Ketes (1994) Monographie zur Heimtierhaltung in Frankreich angelegt. Vgl. etwa W. Krabbe (1974), W. Sprondel (1986), H.-J. Teuteberg (1994). Die Arbeit von E. Barlösius (1997) über die deutsche Lebensreformbewegung im späten 19. Jahrhundert geht zwar ausführlich auf die Geschichte des Vegetarismus ein, spart die Querverbindungen zur zeitgenössischen Tierschutzbewegung aber leider aus.
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sich und explizit behandeln, immer noch relativ selten.96 Im Vergleich zum deutschsprachigen Raum ist die historische Erforschung des Tierschutzes in Frankreich gut entwickelt.97 Zum thematischen Umfeld dieser Studien gehört eine Quellenauswahl, die Luc Ferry und Claudine Germé (1994) zusammengestellt haben; sie erlaubt vor allem im Hinblick auf die frühneuzeitliche Tierseelendebatte98 und die Anfänge der Tierschutzidee einen schnellen Zugriff auf einige schwer zugängliche Texte. Für die britischen Inseln – und hier insbesondere für England – ist die Literaturlage noch günstiger: Keith Thomas (1984) gibt in seiner längst zum Standardwerk avancierten Studie eine gründliche Gesamtdarstellung des Mentalitätenwandels gegenüber Fauna und Flora zwischen 1500 und 1800. Es ist ein kaum zu unterschätzender Vorzug dieser Arbeit, dass sie den Querverbindungen zwischen den zeitgenössischen tierethischen Diskursen und den alltäglichen Einstellungen gegenüber Heim-, Nutz- und Wildtieren große Aufmerksamkeit schenkt. Den theriophilen Diskurs, der Dichtung und Denken des georgianischen England so nachhaltig geprägt hat, haben schon vor etlichen Jahrzehnten die Dissertationen von Dagobert de Levie (1947) und Dix Harwood (1928) nachgezeichnet. Narhar Gharpure (1935) gibt einen Überblick über den tierethisch motivierten Vegetarismus, der auch die Stuart-Zeit berücksichtigt. Für die unterschiedlichen Zoosemantiken und die Tierschutzbewegung der viktorianischen Ära sind die Arbeiten von Harriet Ritvo (1987; 1994), Brian Harrison (1973) und James Turner (1980) einschlägige Untersuchungen. Hilda Keans’ (1998) Arbeit behandelt die Entwicklung des britischen Tierschutzes im Kontext des soziokulturellen Wandels im 19. und 20. Jahrhundert, David Perkins (2003) fokussiert Tier96
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Zum Tierschutz im „dritten Reich“ liegen z.B. Arbeiten von A. Arluke/B. Sax (1992) und B. Sax (2000) vor. M. Zerbel (1993) gibt in einer vereinsgeschichtlichen Arbeit – ausgehend vom Münchner Tierschutzverein – einen Abriss des organisierten Tierschutzes im Kaiserreich. Doch ist eine so globale Behauptung, der „im 19. Jahrhundert sich ausbreitende Tierschutzgedanke, der seinen Ausdruck in der Gründung von Tierschutzvereinen fand,“ sei bisher von der Forschung „nicht thematisiert worden“ (Zerbel 1993: Umschlagtext der Rückseite; vgl. auch 13) sicherlich übertrieben. Sie übergeht nicht nur die reichhaltige einschlägige Literatur zur Geschichte des englischen Tierschutzes im 19. Jahrhundert, sie übersieht auch eine Reihe von Arbeiten, die die geistesgeschichtlichen Wurzeln und die Vorläufer und ersten Anfänge des organisierten Tierschutzes in Deutschland behandeln, vgl. dazu die Arbeiten von M. Scharfe (1968; 1984), D. Narr/R. Narr (1967) oder U. Hahn (1980). Daneben gibt es natürlich eine ganze Reihe von rechtshistorisch ausgerichteten Arbeiten, die Einzelaspekte und Kontextbedingungen der sozial- und kulturhistorischen Entwicklung des Tierschutzes erhellen, vgl. z.B. W. Eberstein (1999). Beispiele sind hier die Arbeiten von M. Agulhon (1981), V. Pelosse (1982), R. Zegger (1978), É. Baratay (1996), É. Pierre (1989). In diesem Zusammenhang ist auch auf den Sammelband zum Themenkreis „Tierseele“ zu verweisen, der vor einigen Jahren als 94. Band der Wolfenbütteler Forschungen erschienen ist, vgl. J.-L. Seban (2001).
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rechtsmotive im Spiegel der englischen Romantik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Daneben sind noch Arbeiten zum 18. und 19. Jahrhundert hervorzuheben, die Probleme des Tierschutzes oder der Tierquälerei im Rahmen von zeitgenössischen sozialen Konflikten (z.B. kollektiven Protestformen), Freizeitaktivitäten, „sports“ oder Brauchtum diskutieren.99 Last not least gibt es Arbeiten zur Geschichte der englischen Tierschutzbewegung, deren Autoren und Autorinnen diese Bewegung aktiv unterstützen oder mit ihr sympathisieren.100 Schließlich sei noch die Medizingeschichte erwähnt. Tierethische Fragestellungen drängen sich hier vor allem im Zusammenhang mit dem Themenkreis Vivisektion/Tierversuch auf. Die einschlägigen Untersuchungen, die hier für England, Deutschland oder die Schweiz vorliegen,101 sind freilich meist prononciert wissenschaftshistorisch angelegt, die gesellschaftlichen und (sub-)kulturellen Bedingungen der Vivisektionskontroversen werden soziologisch kaum ausgeleuchtet. Eine der Ausnahme ist hier die Arbeit von Coral Landsbury (1985), die in einer filigranen Fallstudie über die „Brown-dog-riots“ des Jahres 1907 symbolische Bezüge zu außerwissenschaftlichen Kontexten freilegen und damit bislang vernachlässigte Wechselbeziehungen zu anderen sozialen Bewegungen (Arbeiter- und Frauenbewegung) aufdecken konnte. Gerade zum Tierversuch gibt es natürlich zahlreiche – meist ausgesprochen „populärwissenschaftliche“ – Publikationen, die mitunter sehr dezidiert Pro- oder Kontra-Positionen vertreten.102 Obwohl wir die philosophiehistorische und zeitgenössische Tierethikdebatten nur am Rande ansprechen werden, bleibt doch abschließend anzumerken, 99
Z.B. B. Harrison (1967), R. Malcolmson (1979), C. Hole (1968), D. Itzkowitz (1977), J. Archer (1990: bes. 198ff.). 100 Vgl. E. Fairholme/W. Pain (1924), A. Moss (1961), C. Niven (1967), E. Turner (1965), außerdem G. Carson (1972), der die Geschichte des Tierschutzes in den Vereinigten Staaten behandelt. 101 Vgl. als ältere Untersuchungen die gründliche Arbeit von R. French (1975), für Deutschland die (allerdings stellenweise etwas apologetisch getönte) Untersuchung von H. Bretschneider (1962). Für den zeitgenössischen Diskussionszusammenhang ist auch die Arbeit von R. Neff (1989) über die Schweizer Bewegung im 19. Jahrhundert aufschlussreich. Eine gründliche Darstellung der Vivisektionsdebatten im 16. und 17. Jahrhundert präsentiert für England und Deutschland A.-H. Maehle (1992; 1994). Maehles medizinhistorische Habilitationsschrift bezieht zwar das theologische, philosophische, literatur- und rechtswissenschaftliche Umfeld der Kontroverse extensiv mit ein, doch werden Einordnung und Gewichtung mancher Einzelbefunde manchmal zu wenig mit den (auch zeitgenössischen) epistemologischen Voraussetzungen der tierexperimentellen Forschung konfrontiert, vgl. zu diesem Problemkomplex vor allem B. Rollin (1990), R. Ryder (1983) und A. Rowan (1984). Einen immer noch instruktiven Überblick über die historische Forschung zum Antivivisektionismus bietet ansonsten N. Rupke (1987). 102 Apologetisch z.B. L. Rogers (1937), vivisektionskritisch dagegen G. Ciaburri (1933) und E. Westacott (1949).
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dass in diesem Bereich seit den siebziger Jahren ein regelrechter Boom einschlägiger Publikationen zu beobachten ist, ein Boom, der hier und dort mit der Konjunktur von naturphilosophischen, umwelt- und bioethischen Themen (Stichwort Biotechnologien) konvergiert.103 Diese Diskurse können allenfalls dort berücksichtigt werden, wo sie thematisch unmittelbar relevant sind, wo z.B. einzelne Konzepte einer philosophiegeschichtlichen Klärung oder Präzisierung bedürfen. Im Regelfall werden diese Studien aber nur sehr selektiv herangezogen. Gleiches gilt für das Gros der Einzeluntersuchungen, die sich dem literaturgeschichtlichen Bereich der englisch- und deutschsprachigen „Tierdichtung“104 zuordnen lassen; solche Untersuchungen konnten nur punktuell berücksichtigt werden, allenfalls dann, wenn im engeren Sinne tierethische Aspekte berührt werden. Einschlägige Monographien freilich, die konzeptionell auf tierethische Problemstellungen zugeschnitten sind, werden von dieser Ausgrenzung nicht erfasst.105
1.3 Thema und Aufbau der Arbeit Mit Blick auf die internationale Forschungssituation muss die sozialtheoretische Aufarbeitung humanimalischer Sozialverhältnisse heute noch als unbefriedigend bezeichend werden. Jedenfalls ist kaum zu leugnen, dass auf diesem Gebiet immer noch erhebliche Forschungslücken klaffen. So mahnte z.B. Clifton Bryant (1993: 17) schon Anfang der neunziger Jahre an, dass die – bereits damals – vorliegenden Forschungserträge dringend eine „synthesis“, eine „conceptual consolidation“ und „theoretical integration“ erfordern. Jahre später hat sich an diesem Theoriedefizit wenig geändert. So attestierte vor wenigen Jahren Arluke (2002: 371) der einschlägigen soziologischen Mensch-Tier-Forschung nur einen „limited theoretical contribution. Our theoretical contributions habe been very modest to date (…).“ Es ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, einen kleinen Beitrag zum Abbau dieses Theoriedefizits zu leisten. Ziel ist die Entwicklung eines theoretischen Schemas, durch das typische Konstellationen und Veränderungen in humanimalischen Sozialverhältnissen systematisch erfasst werden können. Es handelt sich dabei nicht um eine Theorie im engeren, strengen Sinne, eher um ein konzeptionelles „Orientierungsschema“, das helfen kann, die Fülle der empirischen Be103 Vgl. dazu etwa die von G. Meggle u.a. (1992) zusammengestellten Literaturangaben. Demgegenüber sind Arbeiten, die versuchen, die lange vernachlässigten sozialphilosophischen Aspekte von Mensch-Tier-Beziehungen aufzuarbeiten, noch vergleichsweise selten anzutreffen, vgl. etwa einige Beiträge in H. P. Steeves (1999). 104 Hier im Sinne von G. von Wilpert (1989). 105 So etwa die Arbeiten von D. de Levie (1947) oder H. Schumacher (1977).
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funde zur humanimalischen Sozialität über vergleichsweise offene, variable Annahmen aufzuschlüsseln. Im Einzelnen interessieren uns dabei vor allem die unterschiedlichen Bezugskontexte, durch die typische Beziehungskonstellationen und –verläufe in sinnadäquater Hinsicht „wahrscheinlich“ werden. Dieses Vorhaben ist in vielerlei Hinsicht nur ein explorativer, weithin nur „erkundender“ Systematisierungsversuch. Was unseren Versuch aber vielleicht rechtfertigt, ist der Befund, dass u. W. bislang keine ausgearbeiteten Ansätze vorliegen, um unterschiedliche Systembezugsebenen humanimalischer Sozialität vergleichend-typisierend zu erfassen. Am Schluss der Arbeit wird der Versuch gemacht, dieses Konzeptualisierungsschema dann in einem historisch-soziologischen Bezugsrahmen zu erproben. Die in diesem Zusammenhang vorgenommene Rekonstruktion von tierfreundlichen Einstellungsmustern bzw. „theriophilen“ modernen Moralkonzepten, wie sie gerade im 18. Jahrhundert Gestalt annehmen, wird in historischer Hinsicht freilich nur bruchstückhaft sein können. Die diesbezüglichen Ausführungen beanspruchen jedenfalls nicht, die mittlerweile zum Teil breit gestreuten historischen Arbeiten zu diesem Themenkomplex umfassend – und schon gar nicht synoptisch-vergleichend – zu würdigen. Die vorliegende Arbeit will und kann also keine „grand theory“ der humanimalischer Sozialität in der Moderne formulieren, geschweige denn eine Rekonstruktion der verzweigten Spuren versuchen, die diese Thematik in der Soziologiegeschichte hinterlassen hat. Angepeilt wird vielmehr der Entwurf eines systematischen Bezugsschemas, das sich im Hinblick auf eine exemplarische Auswahl empirischer Befunde und multidisziplinär relevanter Forschungsansätze106 bewähren soll. Die konzeptionellen Vorentscheidungen, die damit verbunden sind, seien nun kurz skizziert: Erstens erscheint es schon angesichts der aktuellen Wandlungstendenzen der Mensch-Tier-Sozialverhältnisse und der „Realitätsreferenz“ soziologischer Forschung geboten, der moralischen Dimension dieses Verhältnisses besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Im Vergleich zu den von Heinz Meyer (1975a) und Gotthard Teutsch (1975) vor mehr als dreißig Jahren107 vorgelegten Abhandlungen setzt die vorliegende Arbeit aber nun in zweierlei Hinsicht andere Akzente. Gegenüber Heinz Meyers Phänomenologie der „Mensch-Tier-Biozönose“ bevorzugen wir (a) einen systemtheoretisch orientierten Ansatz, der außerdem 106 Die Klassifikation dieser Befunde ist natürlich ebenso mannigfaltig wie die wissenschaftlichen Disziplinen, die von den Sachproblemen des Mensch-Tier-Verhältnisses berührt werden: historische Quellenbefunde, Umfrageergebnisse, Eigentümlichkeiten des Ethogramms einer Tierart, juristische Normen, landwirtschaftliche Produktionstechniken und -daten usw. usf. 107 Für beide Arbeiten gilt natürlich zudem, dass sie neuere interaktionstheoretische Entwicklungen auf dem Gebiet der Mensch-Tier-Soziologie nicht berücksichtigen konnten.
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(b) insofern enger angelegt ist, als er die soziokulturellen Entstehungsbedingungen der „Moral“ dieses Verhältnisses eingehender beleuchtet. Gegenüber Arbeiten von Gotthard Teutsch (1975; 1987) sind ebenfalls zwei Abgrenzungen kenntlich zu machen: Zum einen (a) versuchen wir, die Mikroebene der unmittelbar fassbaren Mensch-Tier-Kontakte auf die übergreifenden soziokulturellen Bedingungskontexte zu beziehen, von denen sie – oftmals entscheidend – vorgeprägt werden. Vor allem aber (b) unterscheiden sich die verwendeten Moralkonzepte. Die vorliegende Arbeit benutzt ein soziologisches Moralkonzept, das in der Tradition von Emile Durkheim den „solidarischen“ – kollektiven wie sozialstrukturellen – Zuschnitt moralischer Orientierungen fokussiert. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken damit die Formen und Prozesse einer soziokulturellen Konstruktion (tier-)moralischer Orientierungen sowie die Gefühlsgrundlagen der betreffenden moralischen Normierungen.108 Im System der Verhaltensregeln und -bewertungen, die als Moral einer Sozialeinheit (z.B. einer Gruppe, einer Organisation, eines gesellschaftlichen Teilbereichs) institutionalisiert sind, durchdringen sich demnach soziale und kulturelle Funktionsbezüge. Einerseits ist dieses System mit einem gewissen Maß an sozialer Verbindlichkeit, „obligatorischer“ Autorität ausgestattet, andererseits führt dieses Regelsystem einen Horizont des – kulturell jeweils zu spezifizierenden – „Erstrebenswerten“ mit sich, korrespondiert es mit bestimmten verhaltensorientierenden Wertbezügen. Tiermoralische Fragen,109 wie sie im Rahmen der philosophisch oder theologisch begründeten Tierethiken reflektiert werden, kommen in der vorliegenden Arbeit allenfalls in der Perspektive eines soziologisch spezifizierten Moralkonzepts in den Blick. Dies schon deswegen, weil die theoretischen Systematisierungen und Begründungsfiguren (tier-)ethischer Ansätze manchmal nur schwach bzw. vielfach gebrochen mit den Moralen des alltäglichen Handelns korrespondieren.110 Z.B. kann ein tierbezogener Brauch im Bezugssystem einer universalistischen Tierrechtsethik als verwerflich (z.B. tier108 Vgl. dazu E. Durkheim (1976: 84ff.), T. Parsons (1990: 31f., 357f.) und M. Douglas (1982a; 1982b); vgl. zur generellen Ortsbestimmung einer Soziologie der Moral auch mehrere Beiträge in G. Lüschen (1998). 109 Die Ausdrücke „tiermoralisch“, „Tiermoral“ werden hier immer auf tierbezogene Orientierungen von Menschen bezogen, also im Sinne des Genitivus obiectivus verwendet. 110 Vgl. dazu auch N. Luhmann (1984: 318f.). Im Unterschied zu Luhmann, der den Ethikbegriff im Konzept einer expliziten „Reflexionstheorie“ der Moral verankert, sind für uns – trotz der angedeuteten Differenz von Moral und Ethik – die Grenzen hier durchlässiger. In allen lebensweltlichen Bereichen, in denen Personen, Gruppendiskurse, alltägliche Konversationen usw. den moralischen Sinn eines Handelns reflektieren (z.B. auch in Formen von Alltagsmaximen, sprichwörtlichen Redensarten, von (trivial)mythischen Leitbildern usw.), sind im Grunde schon kognitive Kontrollmechanismen gegeben, die ethische Verantwortung begründen können: Man legt (sich) Rechenschaft ab über moralische Prinzipien oder Maximen des eigenen Handelns.
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quälerisch) gelten, im Bezugssystem einer spezifischen, partikularistischen Gruppenmoral aber gleichzeitig Normen und Wertbezüge aktualisieren, die dem gleichen Geschehen das Signum eines moralisch gebilligten, „guten Handelns“ aufprägen und es insofern legitimieren können. Eine zweite, wichtige Vorentscheidung betrifft die Mensch-Tier-Differenz, eine für die abendländische anthropologische Tradition ebenso weitreichende wie vorurteilsbefrachtete Unterscheidung.111 Da der Ausdruck „Tier“ zoologisch wie verhaltenswissenschaftlich ein sehr verkürzendes Etikett, eine fast schon leere Abstraktion ist,112 werden hierzu folgende begriffliche Eingrenzungen vorgenommen. Wenn von „Tieren“ die Rede ist und keine weiteren Spezifizierungen beigefügt werden, sind generell erlebnis- oder empfindungsfähige Lebewesen angesprochen. Wenn wir von „Mensch-Tier-Interaktion“, „Mensch-TierBeziehung“ oder „humanimalischer Sozialität“ sprechen, dann haben wir in der Regel höhere Tiere im Auge, insbesondere Tiere, die „Muster biosozialer Interaktion“ (Tembrock 1987: 308f.) erkennen lassen. Hier kommen soziale Kompetenzen ins Spiel, die sich stammesgeschichtlich offenbar auf der Basis „komplementärer Partnerschaften“ zwischen Tierindividuen unterschiedlichen Geschlechts113 entwickelt haben. 111 N. Luhmann (1992: 74f.) bemerkt über diese Unterscheidung einmal: „Ganz allgemein soll diese Gleichung von Beobachten und Unterscheiden verdeutlichen, dass schon mit der Wahl einer Unterscheidung Festlegungen verbunden sind. So legt die alte Tradition, den Menschen vom Tier und damit auch das Tier vom Menschen zu unterscheiden, sowohl die Humanistik als auch die Zoologie auf bestimmte Orientierungen an Perfektionsbedingungen, an Defiziten, an Positionen in der Schöpfungsordnung usw. fest. So ist die Präferenz für Unterscheidungen, in denen der Beobachter sich selbst auf der besseren Seite placieren kann, ein besonders deutliches Beispiel für ein schwer zu entlarvendes Vorurteil. Insofern ist die Wahl einer Leitunterscheidung einerseits ein Indikator für die kognitive Kapazität des Beobachters, andererseits aber oft auch eine Versuchung zu Selbstaussagen. In jedem Falle also keine harmlose Angelegenheit.“ 112 So erinnert sich K. Lorenz (1977: 63): „Wenn jemand in Gegenwart meines Lehrers Oskar Heinroth in disjunktiven Begriffen von ‚dem Menschen und ‚dem Tiere sprach, pflegte dieser den Sprecher freundlich und geduldig zu unterbrechen, mit der Frage: ‚Entschuldigen Sie bitte, wenn Sie von dem Tiere reden, denken Sie dabei an eine Amöbe oder an einen Schimpansen?‘“ 113 Vgl. dazu G. Tembrock (1987: 212f., 304-306), der die komplementäre Partnerschaft typologisch der „Ähnlichkeitspartnerschaft“ gegenüberstellt: Hier beruht die wechselseitige Affinität zwischen Tierindividuen auf hoher genetischer Ähnlichkeit, wie insbesondere bei den eubiosozialen Insekten, die z.B. zwar komplexe Brutpflegeverhaltensmuster ausgebildet haben, die diversen biosozialen Verhaltensmuster aber folgen weit strikter den Differenzierungslinien der jeweiligen Morphotypen (bei Ameisen z.B. den sog. „Kasten“ der „Arbeiterinnen“ und „Soldaten“). Inwiefern die bei eubiosozialen Insekten zu beobachtenden Verhaltensweisen Lern- oder Denkprozesse eine Rolle spielen, muss hier unerörtert bleiben. Vgl. zur Diskussion dieser umstrittenen Fragen z.B. D. Griffin (1991: 143ff.), am Beispiel der Honigbiene z.B. M. Dawkins (1994: 122ff.) und J. L. Gould (2002).
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Es würde hier zu weit führen, die für diese Sozialkompetenzen relevanten Kriterien in ihrem komplexen Bedingungszusammenhang zu diskutieren, lediglich drei Kriterien sollen hier erwähnt werden. Es handelt sich hierbei um Kriterien, die offenbar vor allem bei Säugetieren und Vögeln häufig enge und stabile Verbindungen eingehen: (a) Das Vorhandensein von Brutpflegeverhaltensmustern (an Stelle von Verhaltensweisen einfacher Brutvorsorge oder bloßer Brutfürsorge), (b) ein in relativ hohem Maße durch Lernprozesse variierbares Verhalten der Tierindividuen, und (c) die Fähigkeit, dass sich Tiere untereinander individuell „kennen“.114 Damit gehen Verhaltensmuster einher, die auf nichtanonyme Orientierungsformen angewiesen sind und sich exemplarisch an den so genannten „individualisierten“ Tierverbänden115 aufweisen lassen (z.B. Verhaltensmuster, die auf eine Rangordnung schließen lassen; „Biotradition“ als Übernahme aufgabenspezifischer individueller Verhaltensvarianten). Diese Kriterien setzen nun keineswegs voraus, dass kognitive Leistungen von Tieren (z.B. Lern- und Gedächtnisleistungen) durchweg streng mit ihrer jeweiligen stammesgeschichtlichen „Organisationshöhe“ korrelieren müssen. So gibt z.B. Donald Griffin (1991: 162) zu bedenken, dass es trotz des enormen Größen- und Komplexitätsunterschieds zwischen den Zentralnervensystemen von Säugetieren und Insekten „vermessen“ sei hier eine „absolute Unterscheidung“ treffen zu wollen.116 In ethnozoologischer Hinsicht (d.h. hier: im Hinblick auf die soziokulturell konstruierten Tierbilder einer Gruppe oder Gesellschaft) richtet sich unser Interesse in erster Linie auf jene Tiere, mit denen unmittelbare (visuelle, akustische, taktile usw.) Kontakte oder Begegnungen üblich sind (wie z.B. bei der Arbeit mit Nutztieren, beim direkten Umgang mit Heimtieren, bei der Beobachtung vertrauter Wildtiere oder Vögel, beim Zoobesuch usw.).117 Ethologische Forschungser114 Vgl. zu diesem Punkt auch die erhellenden Ausführungen des (Zoo-)Semiotikers T. Sebeok (1979: 118), ergänzend H. Hediger (1984: 83ff.). 115 Vgl. zum ethologischen Konzept der „individualisierten Verbände“ im Einzelnen I. Eibl-Eibesfeldt (1987: 595ff.). 116 Es ist laut I. Eibl-Eibesfeldt (1987: 429) zwar zutreffend, dass „bei Wirbeltieren die Lernleistungen deutlich mit der Gehirngröße korrelieren“, doch wäre es irreführend, solche Zusammenhänge vorschnell zu verallgemeinern, vgl. dazu etwa seinen Vergleich der Lern- und Gedächtnisleistungen von Tintenfischen und einigen Wirbeltieren (Eibl-Eibesfeldt 1987: 428). Neuere Studien scheinen in die gleiche Richtung zu weisen, so resümierten kürzlich S. Watanabe und L. Huber (2006: 241): „Complex cognitive abilities evolved multiple times in distantly related species with vastly different brain structures in order to solve similar socioecological problems”. Festzustellen sei eine „convergence in cognitive behaviour despite divergence in the neuronal substrate.” 117 Die höheren (Wirbel-)Tieren und die Tiere des lebensweltlichen Nahbereichs sind natürlich auseinanderzuhalten: Man denke etwa an die Zierfische Im Gartenteich oder an die Ameisen in der Speisekammer. Ausgeschlossen werden damit freilich Fabeltiere wie das Einhorn, J. v. Goethes „Reineke Fuchs“, der„gestiefelte Kater“ des Märchens oder E.T.A. Hoffmanns „Kater
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gebnisse können dabei nur selektiv, in illustrativer Weise berücksichtigt werden. Wir beschränken uns hier einerseits auf grundlegende Literatur über wenige, relativ gut erforschte Haustiere oder auf Forschungen, die – insbesondere im Bereich der Primatologie – deswegen von prinzipiellem Interesse sind, weil sie einschlägige – auch fragwürdige – Annahmen der soziologisch relevanten Anthropologie tangieren. Was die interaktionstheoretische Relevanz ethologischer Forschungen angeht, so versuchen wir die Empfehlung Erving Goffmans (1974: 19f.) zu beherzigen, dass einige der dabei aufgedeckten Verhaltensmuster auch für die Soziologie inspirierend, ja „modellhaft“ sein können, vorausgesetzt, man vermeidet Fehlerquellen, die auf soziologischem Gebiet zu „naiven und unverantwortlichen Resultaten“ führen können. Vor dem Hintergrund dieser Vorüberlegungen kann unsere Themenstellung nun präzisiert werden: Das Arbeit versucht zu zeigen, wie Mensch-Tier-Sozialverhältnisse (Elemente, Formen und Prozesse humanimalischer Sozialität) nichtreduktionistisch, d.h. im Rahmen eines Mehrebenensystems konzipiert werden können. Im interspezifischen118 Sozialverhalten, so die These, überlagern sich demnach Wirkungsmechanismen, die sich nach mehreren, analytisch beschreibbaren Bezugsebenen aufschlüsseln lassen. Fokussiert man die Prozesse, die die Konstitution und das wechselseitige Ineinandergreifen dieser Verhaltensbezugsebenen steuern, dann zeigt sich, dass diese Ebenen letztlich als kommunikative Bezugskontexte behandelt und durch semiotische Verfahren näher aufgeschlüsselt werden können. Vorgeschlagen wird also eine systemtheoretisch inspirierte Mehrebenenkonzeption, die die konstitutiven körperlichen, psychischen und soziokulturellen Bezüge humanimalischer Sozialität berücksichtigen will. Man kann hier auch von einem mehrstufig zu denkenden „Einbettungsverhältnis“ humanimalischer Sozialität sprechen. Dieser Ansatz impliziert jedenfalls, dass Murr“: In all diesen Fällen handelt es sich um theriomorph paraphrasierte „Anthropo-logien“, um Metaphern, Fabeln, Legenden, Allegorien usf., die in wesentlichen Sinnbezügen vom lebendigen, konkreten Tier mehr oder weniger stark abstrahieren. Diese artifiziellen Tiere, „TierZeichen“ usw. sind allerdings insofern von Interesse, als sie natürlich das tatsächliche Verhalten „realen“ Tieren gegenüber beeinflussen (können). 118 Wie schon beim Ausdruck „Tier“, so bezieht sich das Adjektiv „interspezifisch“ im Folgenden nicht auf alle zoologisch abgrenzbaren Arten, Spezies. Wir verwenden es – wo nicht anders vermerkt – in der Regel nur zur Charakterisierung von Verhältnissen oder Beziehungen zwischen Menschen und solchen Tieren, für die im oben beschriebenen Sinne Muster biosozialer Interaktion bzw. „nichtanonyme geschlossene Biosozialeinheiten“ typisch sind (Tembrock 1987: 308f.). Dabei sind allgemein Kontakte und Beziehungen, die sich zwischen verschiedenen Arten beobachten lassen (z.B. jagendes Tier – Beutetier, Hund – Katze usw.) danach zu unterscheiden, ob sie für einen Beobachter eher als bloßer Zeichenzusammenhang bedeutsam sind (symbolisch, indexikalisch, signalhaft, emblematisch usw.), oder ob (und wie) sie darüber hinaus für involvierte Menschen direkt interaktionsrelevant werden: Man denke etwa an Jagdformen, bei denen Menschen gemeinsam mit Tieren (z.B. Hunden, Pferden) auf koordinierte Weise anderen Tieren (z.B. Füchsen) nachstellen.
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(1) interspezifische Interaktionsprozesse letztlich nicht losgelöst von ihren (2) meso- und (3) makrosozialen Kontext- und Konstitutionsbezügen zu betrachten sind. Der argumentative „Fluchtpunkt“ und in gewissem Sinne auch rote Faden dieser Untersuchung ist die Frage der sachlichen, zeitlichen und sozialen Variabilität tiermoralischer, insbesondere tierfreundlicher („theriophiler“) Verhaltensmuster bzw. –orientierungen. Hier wollen wir zeigen, dass ein Verständnis des modernen Theriophilismus ohne die systematische Einbeziehung des Mehrebenencharakters humanimalischer Sozialität unzureichend bleiben muss, – vor allem, wenn die Interaktionsebene interspezifischer Sozialverhältnisse marginalisiert bzw. „unterschätzt“ wird. Obwohl in den letzten Jahrzehnten wichtige Fortschritte auf dem Weg zur sozialwissenschaftlichen Konzeptualisierung interspezifischer Sozialität zu verzeichnen sind (so etwa von Seiten der – oft sozialpsychologisch orientierten – Interaktionsforschung), so sind die Beiträge der Soziologie als Fachwissenschaft – von einigen Ausnahmen abgesehen – bislang eher bescheiden ausgefallen. Ein weiteres, begrenztes Untersuchungsinteresse richtet sich auf Konzepte des soziokulturellen Wandels. Neben differenzierungstheoretischen Annahmen (vgl. als Übersicht Schimank 2007), die an mehreren Stellen unserer Argumentation eine zentrale Rolle spielen, werden insbesondere Norbert Elias’ (1976a/b) Thesen über die Zusammenhänge zwischen Sozio- und Psychogenese zivilisierter Trieb- und Affektstandards thematisiert, Thesen, die seit den achtziger Jahren in der historischen Soziologie und Geschichtswissenschaft zu manchen Kontroversen über die Leistungsfähigkeit dieses Ansatzes geführt haben.119 Dabei kann es natürlich nicht um eine ausführliche Diskussion der Zivilisationstheorie gehen, sondern um das weit bescheidenere Ziel, auf einem exemplarischen Feld – dem Feld tierschützerischer Orientierungsmuster und Praktiken – Möglichkeiten und Probleme dieses Ansatzes aufzuzeigen. Zu diesem Zweck werden wir im fünften Kapitel einen formalen Bezugsrahmen konzipieren, der es ermöglicht, die (u.a. von Elias etwas vernachlässigten) wechselseitigen Verzahnungen der Meso- und der Makroebene soziokultureller Wandlungsprozesse differenzierter zu erfassen. In inhaltlicher Hinsicht gilt unser Hauptaugenmerk hier den (im weiteren Sinne) tiermoralischen Orientierungen, die sich im 18. Jahrhundert im Rahmen unterschiedlicher soziokultureller Milieus (der höfischen Gesellschaft und des englischen Nonkonformismus) aufweisen lassen. Weitere wandlungstheoretische Ansätze werden in diesem 119 Vgl. z.B. die Beiträge in H. Kuzmics/I. Mörth (1991) bzw. in K.-S. Rehberg (1996) oder A. Treibel u.a. (2000), zur Einordnung von N. Elias im Feld der historisch-soziologischen Forschungsansätze vor allem D. Smith (1991) sowie W. Bühl (2003: bes. 125ff.). Eine ausführliche Darstellung der Elias-Duerr-Kontroverse gibt M. Hinz (2002).
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Kontext nur sporadisch oder am Rande anzusprechen sein, so etwa Zygmunt Baumans (1992; 1995) Überlegungen zur Skandalisierung von Ambivalenzen im Modernisierungsprozess. Aus der skizzierten Aufgabenstellung ergibt sich der weitere Aufbau der Arbeit: Im zweiten Kapitel werden zunächst die theorieimmanenten Hindernisse unter die Lupe genommen, die bislang die weitgehende „Exilierung“ der Tiere aus der Soziologie begünstigt haben (2.1). Der folgende Abschnitt (2.2) fragt dann, in welchem Sinne Mensch-Tier-Beziehungen von einer ambivalent zu nennenden „Fremdheit“ getragen werden, einer Fremdheit, für die eine Verschränkung von primär- und sekundärsozialen Tierbezügen typisch ist. Ob bzw. wie diese grundlegende Ambivalenz bislang von sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen bearbeitet wurde, diskutiert schließlich der letzte Abschnitt (2.3). Im dritten Kapitel wird versucht, das methodologische Terrain einer Soziologie der Mensch-Tier-Sozialverhältnisse näher zu sondieren. Dabei stehen zwei Problembereiche im Vordergrund: Ein erster Abschnitt (3.1) diskutiert sozialwissenschaftlich relevante Fragen und Fehlerquellen, die mit Aspekten einer Vermenschlichung bzw. Anthropomorphisierung der Tiere zu tun haben. Der nach Umfang und methodologischem Gewicht bedeutendere Abschnitt (3.2) wendet sich den theoretischen (insbesondere interaktionstheoretischen) Prinzipien zu, die für unsere Konzeption eines Mehrebenenansatzes humanimalischer Sozialität leitend sind. Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt hier den semiotischen Implikationen und Bedingungen humanimalischer Interaktions- und Kommunikationsprozesse (3.2.3). Im Anschluss daran wird das vierte Kapitel – unter kritischem Rückgriff auf Talcott Parsons (4.1) – die Konturen und Funktionsbedingungen der vier Bezugssysteme herausarbeiten, die für das Verständnis von humanimalischen Interaktionsprozessen von zentraler Bedeutung sind. Der konzeptionelle Leitfaden sind hier die Bezugskontexte des allgemeinen Aktionssystems, also Fragen, die mit interaktionsrelevanten Funktionen des Verhaltensorganismus (4.2.2), des Persönlichkeitssystems (4.2.3), des Sozialsystems (4.2.4) und des kulturellen Systems (4.2.5) zu tun haben. Das fünfte Kapitel fokussiert die – gewissermaßen „binnenmenschlichen“ – soziokulturellen Bedingungskontexte, die für die Ausprägungen tiermoralischer Orientierungs- und Verhaltensmuster maßgeblich sind. Hier stehen zunächst die kulturellen (5.2.), die zeitlichen (5.3) und die mesosozialen (5.4) Bezüge der Generalisierungsbedingungen tiermoralischer Muster zur Debatte. Entwickelt wird eine sozialstrukturelle Vierertypologie (5.4.4), die u.a. zwei Kriterien genügen soll: Einerseits soll sie unter den Bedingungen soziokultureller Interpenetration eine differenzierte Aufschlüsselung tiermoralischer Orientierungsniveaus
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(5.5) ermöglichen. Andererseits soll diese Typologie so angelegt sein, dass sie gegenüber makrosozialen Selektionskontexten „anschlussfähig“ ist und die Möglichkeit eröffnet, das Zusammenwirken der meso- und der makrosozialen Faktoren zu plausibilisieren. Von den makrosozialen Selektionsbedingungen wird angenommen, dass sie maßgeblich von den verschiedenen symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien geprägt werden (5.6). Zielpunkt des fünften Kapitels ist dann ein zusammenfassendes Orientierungsschema, das die zentralen meso- und makrosozialen Konstitutionsbezüge auf die wichtigsten humanimalischen Sozialitäts- und Moraltypen bezieht. Das sechste Kapitel enthält zwei historisch-soziologische Fallstudien, die in einer vergleichenden Perspektive die Zugriffsweise und die Leistungsfähigkeit des im fünften Kapitel skizzierten Mehrebenenansatzes erproben. Thematisch geht es dabei um die tiermoralischen Orientierungen in der frühneuzeitlichen höfischen Gesellschaft (6.1) und im englischen Nonkonformismus (6.2). Die Arbeit schließt mit einem knappen Resümee und einigen Überlegungen zum Verhältnis von Tiermoral und gesellschaftlichem Wandel (7).
2 Cartesianische Ordnung und tierliche Ambiguität
2.1 Die langen Schatten des Cartesianismus Womit hängt es nun zusammen, dass in der Soziologie Formen humanimalischer Sozialität bislang so vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit gefunden haben? Zunächst ist hier ein wichtiger Befund herauszustellen: Lange Zeit sprengte das Thema der Mensch-Tier-Sozialverhältnisse schon durch seinen „Naturbezug“ die prima vista „bewährten“ Grenzen des fachlichen Selbstverständnisses. Hier sind einmal jene Soziologen zu nennen, bei denen eine Beschäftigung mit „biologisch“ anmutenden Gegenständen auch dann die „Alarmglocken“ in Gang setzte, wenn es sich nicht um Rehabilitationsversuche eines anrüchigen (manchem auch politisch verdächtigen) biologischen Reduktionismus handelte. Zugunsten solcher Vorbehalte lassen sich gute und über weite Strecken stichhaltige soziologiehistorische Gründe anführen. Zu erwähnen sind hier insbesondere die Reifizierungen, die „geradlinigen“ Reduktionismen und die ideologisch dienstbaren Metaphern, die in der Frühzeit der Soziologie bio-soziologische Analogiebildungen in Verruf gebracht haben. Hier kamen oftmals „normative Naturbegriffe“ und Gesellschaftsbilder zum Einsatz, die, so Gerhard Vowinckel (1995: 19), „ihre Popularität weniger analytischer als politisch-moralischer Brauchbarkeit“ verdankten. Die Beispiele sind zahlreich. Sie reichen vom Mutualismus Pjotr Kropotkins bis zu frühen Entwürfen einer „Tiersoziologie“1, sie finden sich in organizistischen Konstruktionen, in sozialdarwinistischen Denkfiguren eines William Sumner sowie bei obskuren, rassensoziologisch orientierten „Sozialbiologen“.2 Aus allen diesen Ansätzen lassen sich „abschreckende Beispiele“ von direkten 1
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Neben älteren Ansätzen (z.B. Espinas 1879) ist hier vor allem die Tiersoziologie von F. Alverdes (1925) angesprochen. Alverdes versuchte, tierliches Sozialverhalten über Kategorien der zeitgenössischen Humansoziologie zu deuten und klassifizieren (z.B. Monogamie, Polygynie und Polyandrie, Vater- und Mutterfamilie, geschlossener Verband, organisierter und unorganisierter offener Verband usw.). Vgl. am Beispiel von A. Ploetz oder R. Goldscheid die Untersuchung von P. Weingart/J. Kroll/K. Bayertz (1992: 309ff.). Unter den Zeitgenossen hat Max Weber derartige Versuche, historisches Geschehen etwa auf „Rassequalitäten“ zurückzuführen oder „Gesellschaftstheorien auf naturwissenschaftlicher Grundlage“ zu entwickeln, dezidiert zurückgewiesen (vgl. z.B. Weber 1973: 208).
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Kapitel 2
und ungeprüften Analogisierungen zwischen tierlichem und menschlichem Verhalten anführen. Freilich: Die kritischen Abwehrreaktionen haben oft das „Kind mit dem Bade ausgeschüttet“ und jegliche Verbindung zwischen den biologischen Bedingungen des sozialen Handelns und diesem Handeln selbst überhaupt in Zweifel gezogen.3 Bisweilen werden gegen die Übernahme biologischer Befunde auch methodologische Bedenken ins Feld geführt, die sich bei näherem Hinsehen aber als eher „vorgeschobene“ Rezeptionsbarrieren entpuppen. Jedenfalls drängt sich dieser Eindruck dort auf, wo biologische Befunde mit methodenkritischen Vorbehalten konfrontiert werden, die man gegenüber anderen Disziplinen (wie Wirtschaftswissenschaft, Philosophie, Psychologie, Rechtswissenschaft z.B.) im Allgemeinen nicht so strikt oder stringent in Stellung bringt.4 Mit dieser Skepsis gegenüber den Biowissenschaften korrespondiert eine für den soziologischen Mainstream folgenreiche „Selbstbescheidung“. Mitunter werden Fragestellungen schon deswegen aus dem Horizont reputierlicher Forschung verdrängt, weil sie nur schlecht in das Korsett eingespielter basisbegrifflicher Dualismen – wie Natur/Kultur, Verhalten/Handeln, Kausalität/Sinn usw. – hineinpassen mögen (Benton 1991: bes. 9). Wie stark solche (sit venia verbo) „antibiologistischen“ Sensibilitäten heute (noch) fortwirken, kann man exemplarisch daraus ersehen, dass in jüngerer Zeit nicht allein Exponenten der Soziobiologie (wie Edward Wilson) dem Vorwurf biologistischer Verkürzungen ausgesetzt sind.5 Selbst Niklas Luhmann – den wohl niemand eines biologistischen Reduktionismus bezichtigen wird – ist wegen seiner (an (neuro-)biologische Forschungen anknüpfenden) Theorie autopoietischer Systeme mit ähnlichen Vorbehalten konfrontiert worden.6 Zu den Folgen dieser Rezeptionsbarrieren ist 3
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Das betrifft auch marxistisch orientierte Sozialwissenschaftler. So spricht G. Erler von einem „eigenartigen Bruch“ im „linken Menschenbild“: Der Körper werde als Teil der Naturgeschichte gesehen, das Bewusstsein aber zu einem davon „völlig losgelösten Gebilde“ erhoben. Erler (1985: 59): „Der Affe als Urahn ist zwar akzeptiert, doch in einer Art marxistischen Schöpfungslehre erfolgt dann ein qualitativer Sprung, der jede Bindung des heutigen Menschen und seiner Psyche an frühere Wurzeln – sei es im Tierreich, sei es in der Stammesgeschichte – kategorisch bestreitet.“ Ähnlich kritisch äußert sich gegenüber dem marxistischen Mainstream P. Dickens (1992: 56f.). In diesem Sinne schreibt H. Kliemt (1994: 17) im Kern zutreffend: „Auch die Neigung der Sozialwissenschafter, die Übertragung biologischer Erkenntnisse strengeren Kriterien zu unterwerfen als im Falle der Anwendung traditioneller sozialwissenschaftlicher Theorien üblich, ist unangemessen.“ Vgl. zu Einwänden gegen die Soziobiologie, die das „Schreckgespenst des Sozialdarwinismus“ aufleben lassen, im Einzelnen F. Wuketits (1990: 109ff.). Über den „ideologiekritischen Weckmechanismus“ bei „allem, was nach Biologie klingt“, bemerkt W. Reese-Schäfer (1992: 51f.), dass dieser Mechanismus häufig nicht rezeptionsverhindernd, sondern nur „rezeptionsverzögernd“ wirke, so dass soziologisch relevante Entwicklungen in den biologischen Disziplinen leider mit einem erheblichen „time lag“ zur Kenntnis genommen werden.
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freilich schon vor Jahren zu Recht angemerkt worden, dass sie besonders im Verhältnis zwischen Ethologie und Soziologie auf Seiten der letzteren zu einer gewissen „Horizontverengung“ geführt haben (Bühl 1974: 79f.). Eine wichtige konzeptionelle Schranke, die in weiten Bereichen der zeitgenössischen Soziologie einer differenzierten Thematisierung humanimalischer Sozialität im Wege steht, bilden epistemologische und anthropologische Grundannahmen, die man in einem erweiterten Sinne „cartesianisch“ nennen kann.7 Für cartesianisch geprägten Naturbegriff ist konstitutiv, dass er erkenntnistheoretisch auf dem „Alternativprinzip disjunkter Sphären“ von Innerlichkeit und äußerer Körperlichkeit (Grathoff 1989: 89) aufbaut. Dies tritt besonders deutlich zutage, wenn Körperliches mit Quantifizierbarkeit zusammengedacht wird. Dieser Erkenntnisstil erfasst Natur, wie Edmund Husserl (1954: §§ 8f.; 1977: § 4) gezeigt hat, durch objektivierende „Idealisierungen“, die in der Tradition der Galileischen Mathematisierung der Natur stehen: Natur erscheint als ein „mathematisches Universum“, das durch Aufbauprinzipien „ordine geometrico“ strukturiert wird, fundiert in zweifelsfreien Axiomen und zusammengehalten durch logisch zwingende Deduktionen. Ohne die außerordentliche methodologische Fruchtbarkeit des cartesianischen Zweifels in Frage zu stellen, hat die Phänomenologie Husserls wiederholt die mannigfaltigen Facetten der Lebensweltvergessenheit dieses Erkenntnisgestus aufgespürt und nachgezeichnet, wie sehr dieses Wissenschaftsideal als ein „verhängnisvolles Vorurteil die Jahrhunderte“ (Husserl 1977: 9) zu „bestimmen“ vermochte.8 Die cartesianische Attitüde fußt trotz verschiedener seelisch-körperlicher Vermittlungen, die sie einräumt, auf einer Zwei-Substanzen-Lehre, der – aus phänomenologischer Sicht – nicht zu Unrecht der „Bann eines dualistischen Vorurteils“ attestiert wurde, genauer: die letztliche Uneinlösbarkeit einer reinen Scheidung der beiden „Substanzen“ und die Unmöglichkeit einer radikalen Reduktion auf ein zweifelsfreies Cogito.9 Besonders Maurice Merleau-Ponty hat aufgewiesen, dass das cartesianische Cogito auf eine radikale Selbstvergewisserung abzielt und letztlich in eine „ewigkeitliche“ Deutung eines (scheinbar) selbsttransparenten Ich einmündet, – in die Idee eines „absoluten Bewusstseins“, das sich der Zeitlichkeit entzieht und keinen Zugang zum Anderen finden kann. Die Vereinsamung des Ich gipfelt in einer unio mystica mit Gott, einer heimli-
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Es kommt uns hier nicht darauf an, inwieweit diese Rezeption die ursprünglichen erkenntnisund naturphilosophischen Intentionen Rene Descartes’ philosophiehistorisch „richtig“ aufnimmt, sondern darum, in welcher Gestalt seine Vorgaben in die theoretischen und methodologischen Prämissen soziologischen Denkens Eingang gefunden haben. Vgl. ergänzend vor allem Husserls Ausführungen in der „Krisis“-Schrift (Husserl 1954). Vgl. dazu exemplarisch B. Waldenfels (1980: 29f. et passim), M. Merleau-Ponty (1974: 5f., 62ff., 421ff.).
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Kapitel 2
chen, kaum verbrämten Apotheose: „Letztlich lässt mich (..) das Cogito mit Gott koinzidieren“ (Merleau-Ponty 1974: 426).10 Mit diesem Ansatz korrespondieren Schwächen der cartesianischen Natursicht: Erwähnt seien hier die mechanistischen Tendenzen11 Descartes’, seine Neigung, biologische Sachverhalte mechanistischen Ordnungskriterien zu unterwerfen. So etwa, wenn Descartes mechanische Prinzipien per Analogie auf Tiere überträgt und sie als Körpermaschinen bezeichnet, die (vor allem aufgrund des ihnen gänzlich fehlenden Sprachvermögens) keineswegs nur „weniger“ Vernunft aufweisen als der Mensch, sondern „gar keine“. Natur erscheint als ein nach klaren und distinkten Denkprinzipien konstruierter Mechanismus. Tiere unterscheiden sich im Wesentlichen nicht von den von Menschenhand erzeugten „Automaten“ – als Geschöpfe Gottes sind sie allenfalls „unvergleichlich besser geordnet“.12 Descartes arbeitete einer Natursicht vor, die schließlich „die Natur geradezu für das Ergebnis der Naturwissenschaft, für ihr Methodenprodukt“ halten wird, wie Helmuth Plessner kritisch anmerkt. Vor allem, wenn sich dieses Naturbild als das „einzig mögliche“ begreift, wird einer Reifizierung der Naturphänomene Tür und Tor geöffnet, unter anderem mit der Konsequenz, „dass wir für die messfremden Eigenschaften der körperlichen Natur blind“ (Plessner 1975: 42) werden. 13 Daneben hat der cartesianische Dualismus dem Konstrukt einer „selbstverständlich“ und substantiell gegebenen Objektivität den Weg geebnet. Dass die Vorstellung einer reinen, d.h. von jeder „res cogitans“ gereinigten, abstrahierten „res extensa“ einer „unsoziologischen“ Erkenntnishaltung in die Hände spielt, darauf hat z.B. Norbert Elias hingewiesen. Elias (1991: 15f.) beklagt in diesem Zusammenhang eine Neigung zu naturwissenschaftlichen Reifizierungen von 10 11 12
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Vgl. zur „Falle der Klarheit“ im cartesianischen Cogito auch A. Glucksmann (1989: 174ff.). Vgl. z.B. R. Descartes (1979: 51), wo er die Identität der „Regeln der Mechanik“ und der „Gesetze der Natur“ herausstellt. R. Descartes (1979: 52-54). Vgl. zum Tierkonzept im mechanistischen Ansatz Descartes’ näher O. Mayr (1987: 82-87). Die Tatsache, dass Descartes Tieren emotionale „Passionen“ zuschreibt, ändert am Gesagten nichts Wesentliches. Denn zum einen werden diese „Emotionen“ – im Gegensatz zu den menschlichen Emotionen – als körperliche Substanz verstanden, zum anderen könnten sich die Tiere dieser „Emotionen“ nicht bewusst sein (vgl. dazu D. Perler 1995: 57-59). Anzufügen bleibt, dass Descartes’ Tierkonzept gerade beim Klerus nicht ohne Einfluss geblieben ist, wie É. Baratay (1995a: 251f.) hervorhebt: „A partir des années 1670 environ (1650-1690 suivant des différents aspects), l’animal connaît une veritable dégradation de son statut. Le succés progressif de la théorie cartésienne de l’animal-machine le réduit à l’état d’une simple mécanique sans âme, constituée de ressorts, rouages et fluides divers, totalement ravalée dans la matière. (...) Or, au même moment, le monde animal perd l’essentiel de son rôle religieux. Le bestiaire symbolique est fortement contesté, surtout dans les écrits.“ Vgl. auch die ausführlichere Diskussion in É. Baratay (1996: 86ff.). Auch im 20. Jahrhundert sind Konzepte des cartesianischen Mechanizismus keineswegs einflusslos, wie z.B. H. Hediger (1980) anhand von J. Monod aufweist.
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Sachverhalten, die in Wirklichkeit sozial konstituiert sind.14 Besonders mechanistisch geprägte Begriffe wie „Kraft“, „Ursache“ werden im Alltagsdenken zum schlechthin „Ungewordenen“ fixiert, zum unerkannten Ferment verdinglichender Pseudoerklärungen.15 Die soziale Konstruktion des Fremden z.B. bleibt dann undurchschaut, der Fremde wird auf eine sachliche Kategorie reduziert (beim Rassismus z.B. auf eine biologisch verklausulierte Reifizierung). Elias macht hier auf einen Punkt aufmerksam, für den besonders die philosophische Phänomenologie sensibilisieren kann: Der Begriff der „Natur“ bzw. des „Natürlichen“ eignet sich in besonderer Weise als Titel für Sachverhalte und Gegebenheiten, die mit ausgeprägten „Selbstverständlichkeits“-Konnotationen versehen sind, die „einfach da“ bzw. fraglos „vorhanden“ sind und uns nicht dazu veranlassen, weitere Fragen zu stellen (vgl. Husserl 1980a: §§ 27ff.). Auf der anderen Seite ist die soziologische Kritik reifizierender Naturkonzeptionen durchaus kein traditionsloses Unterfangen. So kann Karl Marx’ frühe Kritik an Ludwig Feuerbachs Konzept der menschlichen Natur als ein gewissermaßen „protofunktionalistischer“ Versuch gelesen werden, eine substantialistische Naturauffassung einer historisch-genetischen Kritik zu unterwerfen. Natur und Geschichte sollten nach Karl Marx und Friedrich Engels nicht als Gegensätze, nicht als „zwei voneinander getrennte ‚Dinge“ betrachtet werden. Ansonsten werde ignoriert, dass der Mensch doch „immer eine geschichtliche Natur und eine natürliche Geschichte vor sich habe“.16 Die Phänomenologie hat in unserem Jahrhundert diesen Gedanken präzisiert, ja radikalisiert, indem sie den Zusammenhang zwischen einer sozial geprägten Natur und einer keineswegs „naturentsetzten“ Kultur herausstreicht. Bernhard Waldenfels bemerkt in diesem Zusammenhang: „Kultiviertheit und Natürlichkeit sind sich ergänzende Totalaspekte. Alle Kultur bis in die sublimsten Gestalten hinein trägt in sich eine Unterschicht von Natur; wo wir 14
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Andere Soziologen formulieren eine vergleichbare Kritik als Zurückweisung einer „substantialistischen“ Epistemologie, so z.B. P. Bourdieu (1998: 15ff.), wenn er einer „naiv realistischen“ Wirklichkeitsdeutung die prinzipielle Relationalität des Realen entgegensetzt. Freilich ist N. Elias selbst nicht gegen reifizierende Tendenzen immun, wie seine oft undifferenzierte Rede vom „Tierischen“, „Animalischen“ im Menschen zeigt (Elias 1976a; 1976b). Eine derartige Ausdrucksweise ist schon insofern irreführend, als sie eine „Naturnähe“ derjenigen Kulturen suggeriert, die andere als die westlichen Zivilisationsstandards ausgebildet haben. Insofern ist der Verdacht des Ethnozentrismus gegenüber Elias nicht ganz unbegründet. Anton Blok hat Elias sogar in die Nähe des Rassismus gerückt. Dieser hatte in einem Beitrag auf einer Tagung über „Zivilisationstheorien und Zivilisationsprozesse“ davon gesprochen, dass Menschen in den nicht pazifizierten Gesellschaften Afrikas „wie wilde Tiere lebten“ (vgl. dazu N. Wilterdink (1984: 290)). K. Marx/F. Engels (1969: 43). Vgl. in diesem Sinne auch P. Bourdieu/J.-C. Chamboredon,/J.C. Passeron (1991: 19f.).
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Kapitel 2 schöpferisch tätig werden, wo wir ‚erzeugen, entfalten wir und setzen wir fort. Weil die Natur aber nur als solche Unterschicht fassbar ist, (...), ist die ‚bloße Natur nichts anderes als ein Abstraktionsprodukt (...). Alles Natürliche wird erlebt in einem bestimmten Sinn, sei es Hautfarbe, Rasse, eine leibliche Disposition oder Indisponiertheit. Die sozialen Eigenheiten, die wir den Dingen und uns selbst zumessen, gehören konkret betrachtet stets beiden Bereichen an, dem kulturellen und dem natürlichen“ (Waldenfels 1971: 340f.).17
Exemplarisch, fast schon überzeichnet, findet sich eine cartesianisch inspirierte Dichotomisierung von Geist und Natur dort, wo einer der beiden Verhaltensaspekte gegen den anderen methodologisch ausgespielt wird. So z.B. (a) beim frühen Behaviorismus (John Watson), wo dieser für eine Ausklammerung mentaler Zustände bei Mensch und Tier plädiert. Da wir darauf im dritten Kapitel gesondert eingehen, soll hier vor allem die zweite Variante dieses theoretischen Binarismus angesprochen werden. Gemeint sind diejenigen soziologischen Ansätze, die (b) den cartesianischen Dualismus nach der anderen, „mentalen“ Seite hin überziehen. Hier wird die explanatorische Reichweite der res cogitans (bzw. einiger ihrer Momente) zu Lasten der res extensa verabsolutiert. Das Handlungssubjekt kondensiert dann leicht zum reinen, verinnerlichten „(Selbst-)Bewusstsein“ oder zum souveränen Akteur, der „seine“ Handlung erst „modo futuri exacti“ vorentwirft und dann schrittweise – nach der Maxime „first things first“ – verwirklicht (vgl. exemplarisch Schütz 1971). In beiden Fällen kann das „Verhängnis“ eines „zweiwertigen“ Zugangs grob wie folgt umrissen werden: eine weitgehende konzeptionelle Dissoziation von Subjekt und Objekt, eine Entkoppelung, die das genuin Soziale dieses Verhältnisses – das beiderseits konstitutive Gewicht des „Mit-Subjektiven“ – oftmals eskamotiert. Einerseits fungiert das Subjekt als ein reines Subjekt, das auf ein „kognitivistisch“ verkürztes Konzept von Erkennen und/oder Handeln festgelegt wird, – meist idealisierend hypostasiert als ein „freies“ (unbedingtes) Denken, Wählen und Vorstellen, als planvolle oder rational durchkalkulierte Handlung.18 Auf der Gegenstandsseite hingegen wird auch das Mitsubjekt auf das Objekt hin gedacht,19 es wird „alles, was das Menschensubjekt anfasst, zum ‚Objekt (oder je17
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Mit Blick auf R. Descartes hat der späte M. Merleau-Ponty (1986: 219) die Absicht formuliert, der „Kritik an der reflexiven Unterscheidung zwischen der inneren Reihe (das ‚Subjektive das ‚Psychologische) und der Objektivität“ eine „Entfaltung unserer Beziehung zur Tierheit, unserer ‚Verwandtschaft (Heidegger)“ folgen zu lassen. Martin Heidegger (1975: 69) hatte 1947 im „Brief über den Humanismus“ geschrieben, das „Lebe-Wesen“ sei „am schwersten zu denken, weil es uns einerseits am nächsten verwandt und andererseits zugleich durch einen Abgrund von unserem ek-sistenten Wesen geschieden ist.“ Vgl. zu diesbezüglichen Problemen von „Rational-choice“- und „Exchange“-Ansätzen prägnant R. Collins (1981: 990ff.). Vgl. zu den Problemen einer zweiwertigen, auf Subjekt-Objekt-Dichotomisierungen aufbauenden, Logik grundlegend G. Günther (1961).
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denfalls zu einem vergegenständlichten oder seiner Authentizität beraubten Subjekt) – womit die Mitmenschlichkeit einerseits und die Verbundenheit alles Lebendigen andererseits verleugnet wird“ (Bühl 1982: 4) Letztlich bleiben beide Varianten in einem Verständnis von „Bewusstsein“ stecken, das im Grunde eine psychische „Substanz“ insinuiert. Dass die soziologische Tradition hier freilich auch andere Lösungen anbietet, zeigt bereits das Interaktionskonzept von George H. Mead (1974). Hier liegt schon früh ein Ansatz vor, der diese Disjunktion durch einen einheitlichen, „Geist“ und „Körpernatur“ überbrückenden Verhaltensbegriff zu unterlaufen sucht und mentale Erscheinungen „funktional“ bzw. „relational“ (Bourdieu 1998) behandelt, d.h. als Verhaltenspotentiale, als (in Grenzen) kontingente Verhaltensbereitschaften in einem wechselseitig sich bedingenden Organismus-Umwelt-Prozess. Nun können gerade die Schwächen einer cartesianisch geprägten Naturkonzeption dafür sensibilisieren, dass ein zu breit angelegter „Natur“-Begriff für Untersuchungen von Mensch-Tier-Sozialverhältnissen zu unspezifisch ist und alles in allem zu widersprüchlich und heterogen ausfällt. Wenn man so unterschiedliche „Gegenstände“ wie Gletscherspalten oder Kreidefelsen, Kammmuscheln20 oder Lipizanerpferde, Mischwälder oder Tulpenbeete unter den Oberbegriff „der“ „Natur“ subsumiert, dann handelt es sich nicht selten um eine Verlegenheitslösung einer Residualkategorie, in der alles untergebracht wird, was sich nicht (oder nur mit einem beträchtlichen Unbehagen) solchen Generalisierungen wie „intentionales Handeln“, „Kultur“ oder „Gesellschaft“ zurechnen lässt.21 Dass ein so amorphes Naturkonzept für Fragen humanimalischer Sozialität weithin unangemessen bzw. zu weitmaschig ist, wird auch in anderen Disziplinen, z.B. selbst von literaturwissenschaftlicher Seite, beanstandet. So hebt z.B. 20
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Auf andere Weise kann der Ansatz der Akteur-Netzwerk-Theorie (Belliger/Krieger 2006) die Besonderheiten humanimalischer Sozialverhältnisse verfehlen. Wenn unterschiedlichste Akteure (Menschen, Tiere, Pflanzen, Artefakte usw.) im Begriff der Assoziation oder des Kollektivs versammelt werden, dann wird damit zwar eine Abkehr von der modernen NaturGesellschafts-Asymmetrie vollzogen. Doch wird diese Asymmetrie sozusagen „durch die Hintertür“ teilweise zurückgenommen (und ins Anthropozentrische gewendet), wenn nur solche Akteure als vollwertige Mitglieder des Kollektivs zugelassen werden, die „Propositionen“ bilden, d.h. Verknüpfungen von menschlichen und nichtmenschlichen Wesen (vgl. dazu kritisch Kneer 2008: 296f.), z.B. kann kein „Löwe ohne seinen Massai“ (Latour 2001: 212) hier Vollmitglied werden. Stellvertretend für andere sei hier K. Mannheim (1980: 49) genannt, der im Kontext seiner Charakteristik des modernen Kulturbegriffs diese Naturauffassung auf den Punkt bringt: „Die Natur, die den Gegensatz also der modernen ‚Kultur, ihr Korrelat, ausmacht, ist etwas, das völlig sinnfrei, wertfrei, nur Substrat möglichen Sinnes ist. Sie enthält geradezu die Gesamtheit aller jener Bestimmungen, die dem Kulturellen nicht zukommen. Natur ist das vom Geistigen Undurchdringbare, Wertindifferente, dem geistig-historischen Werdegang nicht Unterworfene.“
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Mary Allen in einer Arbeit über Tiere in der amerikanischen Literatur hervor, es sei problematisch diesen Tieren ausschließlich figurative oder rein natursymbolisch-kontemplative Deutungsmuster überzustülpen, denn diese Deutungsschemata könnten der in den Texten dokumentierten Eigenart der Tiere, lebende Akteure zu sein, nicht gerecht werden. Im Lichte dieser Perspektive, die auch für die vorliegende Arbeit wegweisend ist, sind Tiere als „Natursubjekte“ z.B. klar von jenen „Rosen“ zu scheiden, die nach Georg Simmel (1983: 169ff.) die passive Gleichgültigkeit der Gegenstände gegenüber menschlichen „Ungleichheitsgefühlen“ versinnbildlichen können. Tiere, so Allen, „are, emphatically, distinct from mineral and plant aspects of nature, a term that for too long has been used in literary criticism as a general reference to the out-of-doors, as if there were no difference between a bird and the branch he sits on – between active and passive. These animals are alive“ (Allen 1983: 10f.; Herv. i. O.).“22
Mit Hilfe einer cartesianischen Naturauffassung wird im Umkreis der soziologischen Literatur schließlich nicht selten die Lehre von der Sonderstellung des „Mängelwesens“ Mensch verteidigt. Entscheidend ist auch hier die Ontologisierung des Tieres zu einem reinen Naturgegenstand, denn diese Ontologisierung erleichtert eine konzeptionelle Polarisierung, die den Mensch-TierVergleich einem zoologisch-anthropologischen Klassifikationsbinarismus einpasst. Diese Dichotomisierung wurde durch einen Zweig der philosophischen Anthropologie begünstigt, der vor allem mit dem Werk von Arnold Gehlen verknüpft ist. Gerade Gehlen hat das Trennende der menschlichen Besonderheiten herausgestrichen und damit ein soziologisches Mythologem begünstigt, das man knapp eine Verabsolutierung der menschlichen Sonderstellung nennen kann. Die Soziologie der letzten Jahrzehnte hat in weiten Teilen derartige biologischanthropologischen Annahmen als beinahe fraglos geltende Forschungsprämissen akzeptiert. Kaum rezipiert wurden Ansätze der biologischen und philosophischen Anthropologie,23 die zeigen, dass „Instinktverluste“ und „Mängelhaftigkeit“ des Menschen diesen keineswegs auf ein ätherisches „Geistwesen“ („Gespenst“?) verkürzt haben. Obschon die Annahme vom „natürlichen Mängelwesen“ Mensch schon seit längerer Zeit von zoologischer Seite zurückgewiesen oder doch mit
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In die gleiche Richtung argumentiert aus historischer Sicht E. Schubert (1994: 16ff.), wenn er zu Recht davor warnt, die mittelalterliche Auffassung von Tieren und Pflanzen einseitig im religiösen Zeichenwert, in der „Abfolge von Topoi, von Allegorien, von Symbolen“ aufzulösen und den Aspekt der unmittelbaren Naturwahrnehmung (Tierbeobachtung usw.) zu vernachlässigen. Für Deutschland sind hier z.B. die Arbeiten von R. Bilz (1973; 1974) zu nennen.
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starken Einschränkungen versehen wird,24 wurden entsprechende Korrekturen in der (deutschsprachigen) Soziologie bislang nur ausnahmsweise25 oder sehr zögernd,26 versehen mit mancherlei Vorbehalten und Kautelen, zur Kenntnis genommen. Pointiert drückt den Sachverhalt, um den es hier geht, einmal Gerhard Vowinckel (1995: 9) aus: „Für viele Soziologen steht unverändert fest, dass die soziale Natur des Menschen darin besteht, dass er keine hat.“ Es entspricht der intentional-voluntaristischen Grundausrichtung der philosophischen Anthropologie Gehlens, dass sie wesentlich auf einer komplementären Handlungskonzeption beruht: die Akzentuierung der konstitutiven Mängelhaftigkeit des Menschen wird mit einem „promethischen“ Wesen des Menschen zusammengedacht, d.h. mit der Fähigkeit des „animal agens“ zur intentional ausgreifenden und vorausschauenden Natur- und Weltgestaltung (Gehlen 1986; 1961: 46ff.). Welt erscheint bei Gehlen geradezu als der Inbegriff, als das „Korrelat des verfügenden Umgangs“ (Weiß 1971). „Weltanschauung“ wiederum verdichtet sich zu einer Art „Führungssystem“, das ganz auf die Zweckdienlichkeit für Möglichkeiten und Spielräume des Handelns abgestimmt wird.27 Die anthropologische Konstante der Plastizität erfährt hier im Grunde eine handlungstheoretische Überhöhung, d.h. es kommt zu einer „Hypertrophie des Handelns“, die schon Walter L. Bühl (1982: 159f.) nicht zu Unrecht an das Prometheus-Mythologem erinnert hat. Sicher: eine tendenzielle Hypertrophie des Handelns kann man schon bei älteren Konzepten, etwa bei Adam Ferguson,28 ausmachen, doch greift Gehlen 24
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Vgl. zum „Mythos vom ‚Mängelwesen“ besonders die Kritik von N. Bischof (1997: 512f.), C. Vogel (1986: bes. 65) oder kürzlich E. Voland (2007: 150ff.). Symptomatisch auch P. Leyhausens (1974) Distanzierung von Gehlens Konzeption des „Mängelwesens“. Nach wie vor bedenkenswert sind die kritischen Anmerkungen von K. Lorenz (1984: 176ff.) zu Gehlens Ansatz. Vgl. zur Auseinandersetzung mit der ethologisch überholten Position vom instinktreduzierten „Geistwesen“ Mensch auch V. Sommer (1994: bes. 116f.), aus soziologischer Sicht neben G. Vowinckel (1995: 8f.) besonders W. L. Bühls (1982: 157ff.) Kritik von Handlungskonzeptionen, die die biosozialen Grundlagen eines scheinbar „freien“ Entwurfshandelns aus dem Blick verlieren. Eine neuere Würdigung Gehlens nimmt G. Schmied (2007: 172ff.) vor. Vgl. zur Auseinandersetzung mit A. Gehlen zusammenfassend W. Bühl (1987: 35ff.). Vgl. als eine der wenigen Ausnahmen H. Esser (1993: 159f.). Vgl. hierzu aus phänomenologischer Sicht die Kritik L. Landgrebes (1957: 26), für den Gehlens Position symptomatisch ist für die „Sackgasse, in die der mit der Neuzeit einsetzende Prozess der Selbstbemächtigung des Menschen geradezu zwangsläufig führt“ (i. Orig. hervorgeh.). Bei A. Ferguson sind es die Formen generationsübergreifender kultureller Traditionen, die ihn zur scharfen Zurückweisung von Vorstellungen eines tierähnlichen Naturzustandes veranlassen. Der Mensch bleibt daher „in jeder Lage ein Mensch, und wir können über seine Natur nichts aus der Analogie zu anderen Tieren lernen“ (Ferguson 1988: 103). Für den Menschen sind nicht spezifische Instinkte charakteristisch, sondern allgemeinere instinktähnliche „Neigungen“ zur Selbsterhaltung und Geselligkeit, die sich im Gegensatz zu jeder einzelnen Tierart in sehr mannigfaltigen Formen verwirklichen können (vgl. Ferguson 1988. 109ff., 117ff.). Vgl. zu A. Ferguson auch F. Jonas (1976: 97f.).
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Kapitel 2
weit darüber hinaus. Symptomatisch ist hier Gehlens etwas selektive Rezeption älterer Ansätze, eine Rezeption, die letztlich auf eine entscheidende Hintergrundannahme seiner Anthropologie, die weitgehende Weltoffenheit des Menschen, zugeschnitten ist, so insbesondere Gehlens (1986: bes. 82ff.) Lektüre Johann Gottfried Herders. Für Gehlen, aber auch für die an ihn anschließende einflussreiche soziologische Rezeption, sind Herders Bemerkungen über das Mängelwesen Mensch, genauer: über den „ersten Freigelassenen der Schöpfung“29 sehr viel anschlussfähiger30 als jene, wo Herder den Menschen als „Thier der Erde“ bezeichnet und ihn in einer beinahe „protoevolutionistischen“ Perspektive in die Naturgeschichte einbindet: „Der Menschen ältere Brüder sind die Tiere. Ehe jene waren, waren diese: und auch in jedem einzelnen Lande fanden die Ankömmlinge des Menschengeschlechts die Gegend (...) schon besetzt. Jede Geschichte des Menschen also, die ihn außer diesem Verhältnis betrachtet, muß mangelhaft und einseitig werden“ (Herder 1989: 67, vgl. auch 968).
Vor allem denkt Herder – im Gegensatz zu Gehlens Betonung der Diskontinuitäten – das Mensch-Tier-Verhältnis noch im Rahmen einer Stufung, die graduelle Übergänge zwischen Mensch und Tier einschließt. Herder (1989: 104) will z.B. zeigen, „warum, je höher die Geschöpfe steigen, der unaufhaltbare Trieb sowie die irrtumfreie Fertigkeit abnehme“.31 So ist das dem Menschen nächste Wesen, der Affe, in einem gewissen Sinne instinktarm. Im Gegensatz etwa zum Biber, der seinen Bau ganz instinktiv errichtet, hat der „Affe (...) keinen determinierten Instinkt mehr: seine Denkungskraft steht dicht am Rande der Vernunft; am armen Ende der Nachahmung. Er ahmt alles nach und muß also zu tausend Kombinationen sinnlicher Ideen in seinem Gehirn geschickt sein, deren kein Tier fähig ist: denn weder der weise Elephant, noch der gelehrige Hund tut, was er zu tun vermag; er will sich vervollkommnen. Aber er kann nicht: die Tür ist zugeschlossen“ (Herder 1989: 116f., Herv. i. O.).
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J. G. Herder (1989: 145f.). Herv. von Herder. Bemerkenswert ist z.B. die folgende Stelle: „Das des Lernens fähige Geschöpf muss lernen, weil es weniger von Natur weiß: es muss sich üben, weil es weniger von Natur kann; es hat aber auch durch seine Fortrückung, durch die Verfeinerung und Verteilung seiner Kräfte neue Mittel der Wirksamkeit (...)“ (Herder 1989: 104). Vgl. zur Herder-Rezeption A. Gehlens im Einzelnen E. Pöhlmann (1970: 302ff.). Dort auch zahlreiche Hinweise zu antiken Ursprüngen zentraler Annahmen der „Mängelwesenlehre“. Vgl. zu Herders, an Jean Baptiste Robinet anknüpfendes Kontinuitätsargument auch die Passagen, in denen der Mensch als „Mittelgeschöpf“ charakterisiert wird (z.B. Herder 1989: 73). Vgl. zu Robinets „statischer“ Version der Kette der Wesen im Einzelnen A. Lovejoy (1985: 324ff.).
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Herder (an)erkennt Verhaltenskontinuitäten, die später von einer intentionalistischen Sonderstellungsanthropologie meist ignoriert bzw. als bloße „Anthropomorphismen“ verkannt wurden. Dies gilt besonders für den Bereich des emotionalen Verhaltens, wie das Beispiel der Scham zeigt. Für Herder ist es z.B. durchaus vorstellbar und plausibel, dass auch Affen zu echtem Schamempfinden fähig sind. Herder erwähnt etwa einen Bericht von einem „Affenweib“, das „Schamhaftigkeit“ besaß und sich „mit der Hand (bedeckte), wenn ein Fremder hinzutrat: sie seufzte, weinte und schien menschliche Handlungen zu verrichten“ (Herder 1989: 117; vgl. 149f.; Herder 1990: 261). Die soziologiegeschichtliche Wirkmacht dieses „promethischen“ Menschenbildes, das den Menschen dadurch über das Tierreich stellt, dass es ihm eine einzigartige Fähigkeit zu planendem, zweckorientiertem Handeln zuweist, dieses Grundmotiv lässt sich schon in der Frühzeit des soziologischen Denkens nachweisen. Man kann hier z.B. Karl Marx anführen, dessen Arbeitsbegriff in diesem Punkt keineswegs den (geradezu „idealistisch“ anmutenden) Vorstellungskreis der klassischen Ökonomie und mancher Frühsozialisten überschreitet. Arbeit ist für Marx ein exklusiv humanes Verhalten, weil und insoweit nur der Mensch das Arbeitsprodukt vorher „im Kopf“, als „Vorstellung“ und „Zweck“, vorentwirft.32 Der promethische Anspruch dieses Arbeitsbegriffs zeigt sich darüber hinaus in seiner utopischen, fast schon eschatologischen Ausrichtung, wenn man ein Grundmotiv des Marxschen Denkens mit in Betracht zieht: die Vorstellung einer im Sinne von Karl Löwith (1953) heilsgeschichtlichen Ablösung der „Herrschaft des Menschen über den Menschen“ durch die „Herrschaft des Menschen über die Natur“. Es ist dieser bereits im Frühsozialismus klar ausformulierte Heilsgedanke,33 der in der marxistischen Variante eines promethischen,
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So im ersten Band des „Kapital“ (Marx 1971: 148f.; Herv. R.W.): „Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war.“ Vgl. z.B. zu C. de Saint-Simon S. Moscovici (1982: bes. 490f.). Die utopische Literatur der Neuzeit ist übrigens ein reicher Fundus für diesbezügliche Zielvorstellungen. Als Beispiel sei hier nur die ikarische Utopie E. Cabets (1847) angeführt, in der die gesamte Tierwelt menschlichen Nützlichkeitserwägungen untergeordnet wird. In Ikarien sind z.B. die „gefährlichen“ Tiere wie Wildschwein oder Wolf längst ausgerottet, gegen „schädliche“ Vögel und Insekten werden regelmäßig ausgedehnte Ausmerzungsfeldzüge unternommen. Erwähnt wird eine „Hauptjagd, die sich über das ganze Gebiet des Freistaates erstreckte, und gegen einen Vogel gerichtet, der das Viertheil des Getreides auffraaß, und den man an demselben Tage gänzlich vertilgte“ (Cabet 1847: 143).
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Kapitel 2
voluntaristisch „verfügenden“ Weltverhältnisses34 anklingt, bisweilen überboten durch fast totalitär anmutende Auffassungen, die bei Auguste Comte sogar darauf hinauslaufen, dass „die Sachen, die hier verwaltet werden sollten, eben die Menschen selbst sein würden.“35 Den näheren Verästelungen der soziologischen Rezeption der anthropologischen „Sonderstellungsthesen“ kann hier nicht nachgegangen werden.36 Zur Veranschaulichung des Gesagten sei nur kurz Günter Dux’ Kritik an Helmuth Plessners Konzept der exzentrischen Positionalität angesprochen, eine Kritik, die einer allzu polarisierenden Gegenüberstellung von Mensch und Tier, von „Geist“ und „Natur“ Vorschub leisten kann. Plessner, so Dux (1994: 96), habe die exzentrische Positionalität zu Unrecht einem „naturalen Organisationsplan“ zugeschrieben, denn es entspreche einem „substanzlogischen Rest“ anzunehmen, „dass in der naturalen Ebene die Anlage schon derart ist, dass sie die Struktur der 34
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Im sogenannten „Anti-Dühring“ von F. Engels (1975a: 264) findet sich eine Textpassage, in der die „planmäßige bewusste Organisation“ der Produktion in der künftigen kommunistischen Gesellschaft als eine Art „Apotheose“ des Menschen erscheint, durch die eine endgültige Loslösung vom Tierreich erreicht wird. Mit dem Ende des „Kampfes ums Einzeldasein“ scheide der Mensch „endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche. Der Umkreis der die Menschen umgebenden Lebensbedingungen (...) tritt jetzt unter die Herrschaft und Kontrolle der Menschen, die nun zum ersten Male bewusste, wirkliche Herren der Natur (...) werden.“ So das Urteil von F. Jonas (1976: 271) über A. Comte, der die „positive Politik“ einmal wie folgt charakterisiert: „Die Verwaltung der Dinge tritt an die Stelle der Regierung der Menschen“ (Comte 1973: 110). Vgl. zum wissenschaftlichen und politischen Leitungsanspruch der Soziologie im positiven Zeitalter auch A. Comte (1974: 451ff., 500ff.). Andererseits darf freilich nicht übersehen werden, dass A. Comte im Zusammenhang mit seinen Ausführungen über die vergleichende Methode in Biologie und Soziologie Möglichkeiten einer Kooperation entdeckt, die alles andere als obsolet sind. So bemerkt A. Comte (1974: 107) hellsichtig: Der „Einfluss der theologischen und metaphysischen Philosophie (bewirkt) eine unverständige Verachtung für jede Zusammenstellung der menschlichen Gesellschaft mit denen der Tiere. Wenn aber die Soziologie erst von dem positiven Geist geleitet sein wird, wird man erkennen, wie nützlich der Vergleich des Menschen mit den Tieren ist und namentlich mit den höheren Säugetieren; insbesondere dann, wenn die Vergesellschaftung der Tiere (...) besser beobachtet sein wird.“ Inhaltlich finden sich dazu bei Comte natürlich noch grob simplifizierende Annahmen, so etwa, wenn er meint, der „anfängliche Zustand“ der Menschheit falle mit der Entwicklungsstufe zusammen, auf der die „höheren Tiere stehengeblieben“ seien (Comte 1974: 501), u.ä.m. Comte, der nicht müde wird, Descartes und Bacon als richtungsweisende Wegbereiter der positiven wissenschaftlichen Methode zu rühmen, distanziert sich wiederholt von Descartes’ mechanistischem „Irrtum“ des Tierautomatismus (vgl. z.B. Comte 1974: 370f., 497). Im Gegensatz etwa zum späteren reduktionistischen Behaviorismus sieht Comte das Tier keineswegs durch äußere Reize determiniert, sondern entdeckt hier eine „tierische Spontaneität“ innerer Antriebe – für ihn eine weiterer Beleg für die Abwegigkeit des „cartesianischen Automatismus“ (vgl. Canguilhem 1981: 218f.). Jüngere Beispiele ließen sich hier zuhauf anführen; vgl. z.B. H. Abels und H. Stengers (1989: 81) ironische Anmerkungen zum Begriff der „Sozialisation“, der im alltäglichen Sprachgebrauch bereits auf Hunde angewendet werde und damit „auf den Hund gekommen“ (!) sei.
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Geistigkeit in sich enthält.“ Hier erscheint die Natur letztlich völlig geistfrei (Dux schreibt: „geistentsetzt“). Menschliche Reflexivität wird zwar von der sensomotorischen Reflexivität des Handelns her konzipiert, dass diese „Prozessualität des Organismus“, die die „Einsicht in die Welt“ ermöglicht, aber eine „naturale Organisationsform“ zur Voraussetzung hat, verblasst in Dux’ Lesart zu einer „unergründlichen Substanz im Menschen“. Plessner sei hier einer Art substantialistischen Fixierung aufgesessen (Dux 1994: bes. 103ff., 114). Aus ethologischer Sicht hat schon früh Konrad Lorenz eine derartige, von Dux favorisierte Disjunktion in Zweifel gezogen. Lorenz argumentiert im Rahmen einer evolutionären Erkenntnistheorie, die Licht in die phylogenetische Entstehung und Anpassung der „zentralnervösen Weltbildapparatur“ des Menschen bringen möchte. Vergleiche mit Varianten tierlicher „Erkenntnisapparaturen“ sind in seiner Sicht nicht abwegiger als Vergleiche, die die biologische Evolutionstheorie vornimmt, wenn sie die Herkunft des Homo sapiens klären will. Aus dieser Sicht sind Mensch-Tier-Kontrastierungen, die analogisierende Vergleiche a limine als unstatthaft bzw. „anthropomorphisierend“ einstufen, nicht haltbar.37 Mensch-Tier-Vergleiche können insbesondere erst dann aussagekräftig sein, wenn auch auf der Tierseite hinreichend genau differenziert wird. So wäre – je nach dem besonderen Problemaspekt – z.B. auszuweisen, welche Tierart(en) im Einzelnen in Betracht kommen (vgl. nochmals Lorenz 1977: 63f.), und welche funktionalen Äquivalenz- und Substitutionskriterien auf dieser Grundlage überhaupt eine Vergleichbarkeit spezifischer Leistungen von Menschen und Tieren eröffnen können. Alles in allem lässt sich also festhalten: Eine allzu deutliche Betonung der „Sonderstellung“ des Menschen kann leicht den Blick verstellen für gegenläufige Befunde, etwa für die kontinuitätsstiftenden Implikationen der Herderschen Einsicht, dass Mensch und Tier in einem Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen, dass die Tiere, so Herder, die „älteren Brüder des Menschen“ sind. Letztlich scheint die Sonderstellungsanthropologie diese Verwandtschaft von Mensch und Tier in doppelter Hinsicht aus den Augen zu verlieren:
Von der menschlichen Seite her werden Sachverhalte unterbewertet oder gar ignoriert, die darauf hindeuten, dass es menschliche Verhaltensdispositionen gibt, die stark von der stammesgeschichtlichen, phylogenetischen
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Vgl. hierzu näher die Kritik von K. Lorenz (1977: 212f.) an Dux. Zugleich darf nicht übersehen werden, dass die Position von Lorenz auf Prämissen ruht, die nicht durchweg plausibel sind. Dies betrifft vor allem seinen instrumentalistisch verengten Vernunftbegriff und seine Tendenz, eine „durchgehende, für körperliche und geistige Strukturen analoge Gesetzmäßigkeit“ zu postulieren (Irrgang 1993: 16) – wobei Art und Grenzen dieses analogischen Verhältnisses aber zum Teil im Dunkeln bleiben.
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Kapitel 2 Erbschaft unseres Organismus vorgezeichnet werden. Rudolf Bilz spricht hier von Verhaltenbereitschaften, die man weithin „als animalischbiologisch determiniert ansehen muss“. Gerade Bilz’ vergleichende Forschungsarbeiten sensibilisieren dafür, dass wir in mancher Hinsicht „nicht die freien Ritter des Geistes sind, für die wir uns hielten“ (Bilz 1973: 11).38 Von der Tierseite marginalisiert die Sonderstellungsanthropologie den für unsere Themenstellung eminent wichtigen Sachverhalt, dass man deutlich zwischen der Instinktgebundenheit wild lebender Tierarten und der relativen „Instinktarmut“ domestizierter Tiere unterscheiden muss. Im Vergleich z.B. zu den Sinnesleistungen zahlreicher Wildformen sind es die „Abstumpfung“ (bzw. eine Entspezialisierung) und der Abbau mancher „feinerer Instinkte“, die – so Lorenz – die Haustiere in einigen Hinsichten dem Menschen annähern. Nicht „trotz diesen Verlusten, sondern gerade ihretwegen steht der Mensch über dem Tier. Der Abbau der Instinkte, der starren Geleise, in denen ein großer Teil tierischen Verhaltens verläuft, war die Voraussetzung für das Entstehen bestimmter, spezifisch menschlicher Freiheiten des Handelns. Auch beim Haustier bedingt der Zerfall etlicher angeborener Verhaltensweisen keine Verminderung der Fähigkeit zu einsichtigem Verhalten, sondern neue Grade der Freiheit.“39
Was folgt aus diesen Überlegungen? Es scheint, dass die (im Vergleich zum Tier) größere Offenheit bzw. Plastizität des menschlichen Verhaltens über dichotome Entgegensetzungen wie Geist/Natur, Instinkt/Lernen, Signal/Symbol usw. nur sehr inadäquat oder verkürzt zu erfassen ist. Die Differenz liegt weniger darin, dass Menschen beliebige Intentionen entwickeln und verfolgen können (und Tiere nicht), ebenso wenig darin, dass Menschen von genetischen Verhaltensdispositionen frei sind. Entscheidend scheint vielmehr zu sein, „dass die prinzipiell gleichen Verhaltenselemente wie bei den anderen Säuge- oder gar 38
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R. Bilz (1973: 15) zitiert in diesem Zusammenhang J. W. v. Goethes Bemerkung aus seinem „Entwurf in eine allgemeine Einleitung in die vergleichende Anatomie“: es gelte, von „unten herauf“ anzufangen, und „das einfachere Tier im zusammengesetzten Menschen endlich wieder zu entdecken.“ K. Lorenz (1994: 93; Herv. R.W). Im unmittelbaren Anschluss zitiert Lorenz dann zustimmend den Zoologen C. O. Whitman (1842-1910): „‚Diese Fehler des Instinktes sind nicht Intelligenz, aber sie sind die offene Tür, durch die der große Erzieher ‚Erfahrung Eintritt verlangt und alle Wunder des Intellektes vollbringt!“ Lorenz zeigt an anderen Stellen (Lorenz 1977: 186ff.; 1984: 239ff.), dass die Stagnation auf einem juvenilen Entwicklungsstadium („Neotenie“) eine wichtige Voraussetzung für das – meist spielerische – Neugierverhalten und die „Selbstexploration“ eines Lebewesens bildet. Auf die enge Beziehung zwischen Spiel und explorativen, ja innovativen Verhaltensweisen wurde schon oft hingewiesen, vgl. z.B. F. Buytendijk (1934) und J. Huizinga (1956), als Überblick D. Lancy (1980). Auf philosophischer Seite knüpft in der Neoteniefrage z.B. L. Kolakowski (1974: 141ff.) an K. Lorenz an.
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Wirbeltierarten umgruppiert, umorientiert, zu reicheren Verhaltenssequenzen ausgebaut, dass Elemente substituiert oder suspendiert werden können“ (Bühl 1982: 136). Aus dieser Sicht ist es dann z.B. ebenso unstatthaft zu sagen, der Mensch sei praktisch gänzlich instinktfrei und umweltdeterminiert, wie es umgekehrt problematisch wäre anzunehmen, das menschliche Verhalten sei durch Instinkte „determiniert“. Auch wenn heute eingeräumt werden muss, dass z.B. die Instinktlehre von K. Lorenz in mehreren Punkten der Kritik nicht standhält (vgl. Roth 2003: 53-63), so ist doch andererseits kaum daran zu zweifeln, dass es „biologisch gesehen (…) keine Sonderstellung des Menschen (gibt)“ (Roth 2003: 354). Menschliches Verhalten wird durch genetische und neurophysiologische Bedingungskomplexe offenbar auch „geformt“ und organisiert, nicht nur Bedingungen, die man etwas pauschal als „Umweltfaktoren“ zusammenfasst.40
2.2 Das „schlechthin Fremdartige“ der Tiere „Auch uns, wenn wir das Leben und Tun der Tiere betrachten, setzt ihr Instinkt, ihre zweckmäßige Tätigkeit, Unruhe, Beweglichkeit und Lebhaftigkeit in Verwunderung; denn sie sind höchst regsam und sehr gescheit für ihre Lebenszwecke und zugleich stumm und verschlossen. Man weiß nicht, was in diesen Bestien steckt, und kann ihnen nicht trauen. Ein schwarzer Kater mit seinen glühenden Augen und bald schleichender Bewegung, bald raschen Sprüngen galt sonst als die Gegenwart eines bösen Wesens, als ein unverstandenes, sich verschließendes Gespenst, dagegen der Hund, der Kanarienvogel als ein freundlich sympathisierendes Leben erscheint. Die Tiere sind in der Tat das Unbegreifliche; es kann sich ein Mensch nicht in eine Hundsnatur, soviel er sonst Ähnlichkeit mit ihm haben möchte, hineinphantasieren oder vorstellen, es bleibt ihm ein schlechthin Fremdartiges“ (Hegel 1970: 261; Herv. R.W.).41
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In diesem Sinne schon P. Corning (1974: 268). Beispielsweise bedeutet die Tatsache, dass eine Verhaltenssequenz wie ein Wutausbruch durch bestimmte soziokulturelle, biographische, situative usw. Gegebenheiten hervorgerufen und sinnhaft „gerahmt“ wird, keineswegs, dass die Verlaufsregie dieses Verhaltens vom biologisch angelegten, stammesgeschichtlich überkommenen Repertoire emotionaler Ausdrucksmöglichkeiten abgekoppelt ist, noch, dass der typische Spannungsbogen der Verhaltenssequenz beliebig modifiziert oder substituiert werden könnte (vgl. Corning 1974: 293f.). Was aber nicht ausschließt, dass ein bestimmtes Niveau der Affektkontrolle auch verhindern kann, dass eine derartige Eigendynamik überhaupt in Gang kommt. J. W. v. Goethe (1994: 79) formuliert einmal einen verwandten Gedanken: „Wenn sich in Tieren etwas Vernunftähnliches hervortut, so können wir uns von unserer Verwunderung nicht erholen: denn ob sie uns gleich so nahe stehen, so scheinen sie doch durch eine unendliche Kluft von uns getrennt und in das Reich der Notwendigkeit verwiesen.“
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Das „schlechthin Fremdartige“ der Tiere, das G. W. F. Hegel in diesem Abschnitt seiner „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ anspricht, hat ein Doppelgesicht: In „sonstiger“ Zeit wirkten Tiere oft dann fremdartig, wenn sie die Gegenwart eines „gespenstischen“ Wesens anzeigten, heute hingegen erleben wir Tiere eher dann als befremdlich, wenn uns der Kontrast zwischen ihrem zweckmäßigen Verhalten und ihrer stummen Verschlossenheit irgendwie „unbegreiflich“, schwer fassbar anmutet. In dieser Hinsicht können uns auch heute Hund, Katze oder Kanarienvogel als Lebewesen erscheinen, die eine faszinierende, ja irritierende Aura des „Fremdartigen“ umgibt.42 Die meisten dieser Tiere kennzeichnet eine eigentümliche Ambiguität oder Ambivalenz: Einesteils gehören sie zu unserer sozialen Nahwelt und wir wissen ziemlich genau, worin sie sich typischerweise von den „schädlichen“ oder wilden Tieren unterscheiden; andererseits sind sie „ganz anders“ als wir und uns „natürlich“ nicht gleichgestellt. Genauer betrachtet, sind sie uns schlechthin „fremde“ Lebewesen: Wesen, in denen uns das Unvertraute auf eine seltsam unmittelbare Weise begegnet. In einer soziologischen Perspektive ist zunächst generell festzustellen: ein Fremder gehört zwar einem Sozialzusammenhang an, doch dies als ein Vertreter des „Außerhalb“, des „Gegenüber“. In klassischer Weise hat Georg Simmel die inhärente Ambivalenz dieser besonderen Wechselwirkungsvarianten untersucht. Er kennzeichnet sie als „Synthesen aus Nähe und Ferne“ (Simmel 1958: 510) und arbeitet damit ein formales Charakteristikum heraus, das die Zwischenpositionen ganz unterschiedlicher „naher Fremder“ zusammenfasst: z.B. die Grenzlage des jüdischen Händlers, des mittelalterlichen Scholaren, des Asylanten, des „Ver-rückten“. In diesen Beispielen zeigt sich Fremdsein als eine „Differenzrelation“ (Bargatzky 1993: 219f.), die nicht abstrakt zu bestimmen ist, sondern relativ zu veränderbaren perspektivischen Zugangsweisen. Der Blickwinkel legt fest, wer wann wem als fremd erscheinen mag. So können selbst Verwandte des lebensweltlichen Nahbereiches Fremdheitskriterien erfüllen. Den Erwachsenen können z.B. die eigenen Kinder als Fremde oder „Wilde“ erscheinen, die „unordentliche“, abweichende, „unzivilisierte“ Verhaltensmuster an den Tag legen.43 In zahlreichen Kulturen ist es die ambivalente Einstufung „zwischen Natur und Kultur“, die den „fremden“ Status der Frau symbolisch legitimiert und verallgemeinert (Ortner 1993). Damit durchaus vereinbar ist die These, dass der Fremde im gewissen Sinne in uns selbst schlummert: das „Unheimliche“ des Fremden kann uns mit unserem eigenen – typischerweise unerkannten – Unbewussten konfrontieren (Kristeva1990). 42 43
Vgl. etwa die Befunde der Zeitschriftenauswertung von H. Herzog/S. Galvin (1992). Siehe dazu D. Richters (1987: 139ff.) Studie zur Genese bürgerlicher Kindheitsbilder, insbesondere die Ähnlichkeiten der Ambivalenzmuster gegenüber „wilden Kindern“ und „kindischen Wilden“.
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Dass uns der Fremde auch in Tiergestalt begegnen kann, das zeigen zunächst schon kulturwissenschaftliche Untersuchungen. In seiner literaturwissenschaftlichen Klassifizierung des Tierbuches unterscheidet z.B. Gerhard Haas einen Tiererzählungstyp, in dem das fremde Tier als das „Gegenüberstehende“ des Menschen, als Inbegriff des „verschlossenen Anderen“ charakterisiert wird (vgl. Haas 1984: 183f.). Dabei zeigt sich, dass eine eminent soziale Brisanz im Erblicktwerden durch dieses Andere liegt. Wenn uns dieser Blick eine andere, ferne, unbekannte Welt erahnen lässt,44 dann verweist die Unruhe, die diese Entdeckung in meine eigene, vertraute Welt hineintragen kann, auf ein Stück Selbstentzug, das ich einem Du, nicht aber einem leblosen Objekt zuschreiben werde. Von daher beschreibt der Blickwechsel Jean-Paul Sartres einen Intersubjektivitätsaspekt, der letztlich auch für humanimalische Begegnungen konstitutiv sein kann: „Das ‚Vom -Anderen-gesehen-werden ist die Wahrheit des ‚den-Anderen-Sehens“ (Sartre 1970: 343; Herv. Sartre). Falls ich in diesem Sinne auch vom Angeblicktwerden eines Tieres dezentriert, ja tendenziell transzendiert werden kann, dann gilt für derartige Situationen in gewisser Weise, was Sartre über den Blick des anderen Menschen sagt: „der Andere (ist) grundsätzlich der, der mich ansieht“ (Sartre 1970: 344; Herv. Sartre).45 Sicher: der Blick des anderen Tieres ist nicht der Blick des anderen Menschen, doch auch ihm wohnt eine „Transzendenz in statu nascendi“ inne, der wir vielleicht am ehesten habhaft werden können, wenn unser Blick den eines neugierigen Tieres kreuzt. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno (1980: 229) bemerken hierzu sehr schön: „In jedem Blick der Neugier eines Tieres dämmert eine neue Gestalt des Lebendigen, die aus der geprägten Art, der das individuelle Wesen angehört, hervorgehen könnte.“ Wenn man die Position des Fremden aus seinem relational bestimmten sozialen Wechselwirkungskontext heraus verstehen will,46 dann sollten sich auch 44
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G. Haas (1984: 184) führt Verse von Joachim Ringelnatz an, die dem Gemeinten vielleicht nahekommen: „Alle Tiere haben/ Augen aus einer uns unbekannten Welt“. Und später: „Das Tier schien mir durch die Seele zu schauen/ Und weiter und fernhin, doch wohin?/ – Himalaja – Himalaja -“. Ein anderer Zoobesucher, Rainer Maria Rilke, hingegen trifft auf ein Tier, dessen Blick keine interspezifische Intersubjektivität mehr zu stiften scheint. Dem „Panther“ (zit. nach Hamm 1987: 390) im Pariser Jardin des Plantes hat der erzwungene Weltentzug auch jenen Blick geraubt, der eine Begegnung ermöglichen könnte: „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe/ so müd geworden, dass er nichts mehr hält./ Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe/ und hinter tausend Stäben keine Welt.“ Vgl. zum Blickwechsel als der „unmittelbarste(n) und reinste(n) Wechselbeziehung“ auch G. Simmel (1958: 184), zudem weiter oben unsere einführenden Bemerkungen zum Kapitel „Spiegel und Fenster“. Der antisubstantialistische Duktus des Simmelschen Denkens favorisiert damit eine Sichtweise, „nach der Objekte und Individuen unter der Perspektive studiert werden, welche Beziehungen sie zueinander haben“ (Nedelmann 1984: 93). Wie B. Nedelmann zeigt, sind (neben der
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bestimmte Mensch-Tier-Kontakte als eine Variante solcher Wechselwirkungen begreifen lassen. Hier sind zunächst ganz unterschiedliche Ausgangspunkte denkbar. Man kann den Fortgang unmittelbarer Mensch-Tier-Kontakte unter dem Aspekt des Widerspruchs von Spontaneität und „eingeschliffenen“, habitualisierten Formen untersuchen, oder die Frage aufgreifen, ob die Verlaufsdynamik einer interspezifischen Begegnung von internen, zirkulär angelegten Verstärkermechanismen unterstützt wird. Ein möglicher „kognitionszentrierter“ Einwand, der derartige Überlegungen schon im Vorfeld abzublocken droht: die Differenz von Mensch und Tier sei schon wegen der unterschiedlichen Verhaltenscodierungen unüberbrückbar, insbesondere kommunizierten beide Seiten in ganz verschiedenen „Sprachen“, – ein Einwand, gegen den schon im 16. Jahrhundert Michel de Montaigne zu bedenken gab, es gehe uns mit fremden Ethnien („les Basques et les Troglodytes“) im Grunde nicht anders.47 Freilich: mit der Sprachbarriere, seit jeher ein fester Topos der MenschTier-Unterscheidung, stellen sich methodologische Probleme, die mit den interdisziplinären und in gewissem Sinne „grenzverwischenden“ Verweisungshorizonten interspezifischer Kommunikation zusammenhängen. Wir haben weiter oben schon das prekäre Verhältnis zur vergleichenden Ethologie angesprochen, die für zahlreiche Sozial- und Kulturwissenschaftler mit dem Medusenhaupt eines unausweichlichen Anthropomorphismus oder soziobiologischen Reduktionismus „versehen“ ist: Ein Blick hinüber bereitet Unbehagen, kann gefährlich sein bzw. das bewährte Kategorienbesteck unserer Interaktionstheorien biologistisch infizieren bzw. „verunreinigen“. Das Unbehagen, auf das wir hier anspielen, spüren wir z.B. bei Max Weber, der zur Möglichkeit, ob wir tierliches Verhalten überhaupt verstehen können, zwar anmerkt: Viele „Tiere ‚verstehen Befehl, Zorn, Liebe, Angriffsabsicht und reagieren darauf vielfach nicht ausschließlich mechanisch-instinktiv, sondern irgendwie auch bewusst sinnhaft und erfahrungsorientiert“ (Weber 1980: 7). Und der sich dann letztlich doch dafür entscheidet, das alles „völlig unerörtert“ zu lassen. Im Unterschied zu Max Webers Zurückhaltung bewegt sich Theodor Geigers Versuch von 1931, einige konzeptionelle Grundpfeiler einer Mensch-TierSoziologie zu skizzieren, sicherlich am Rande des soziologischen Mainstream. Im Lichte der gegenwärtigen Bemühungen um eine soziologische Konzeptuali-
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Relationalität) die „immanente Widersprüchlichkeit“ (Leben versus Form) und die „Zirkularität“ die beiden weiteren konstitutiven Komponenten des Simmelschen Wechselwirkungskonzepts. So schreibt M. Montaigne (1984: 206): „Der Mangel, der ein gegenseitiges Verständnis zwischen Tieren und Menschen verhindert, warum sollte er nicht ebensogut bei uns wie bei ihnen zu suchen sein? Es ist nicht gesagt, bei wem es liegt, dass wir einander nicht verstehen; denn wir verstehen sie auch nicht besser als sie uns (...) Es ist nicht zu verwundern, wenn wir sie nicht verstehen; bei den Basken und anderen fremden Völkern geht es uns ebenso (...).“
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sierung von Mensch-Tier-Interaktionen erscheint Geigers Vorstoß allerdings dort heuristisch, wo er die Zweideutigkeiten im intersubjektiven Fremdverstehen von Tieren zur Sprache bringt: Unsere Versuche, tierliches Verhalten im Rahmen der alltagsweltlich üblichen „Vermenschlichungen“ zu verstehen, zeitigen demnach Ambivalenzen, die sich deutlich von denen unterscheiden, die sich einstellen, wenn anthropomorphisierende Haltungen (so weit dies geht) neutralisiert und in gewissem Sinn einer phänomenologischen Epoché, einer „Einklammerung“ unterworfen werden. In diesem Fall handelt es sich um eine methodisch „kontrollierte“ Empathie, um den Versuch einer „einfühlenden Haltung“, die, so Geiger (1931: 306; Herv. Geiger), „das fremde Subjekt nicht aus uns, sondern aus ihm zu begreifen“ sucht. Die Erfahrung von Ambiguitäten des tierlichen Verhaltens stellt sich dann dort ein, wo wir das Verhalten in manchen Aspekten „von sich aus“ nicht verstehen können, wo „wir dem äußeren Verhalten keine bestimmten inneren Vorgänge mit Sicherheit zuzuordnen imstande sind“, – obschon wir merken, dass diese inneren Vorgänge sich „irgendwie“ an unserem eigenen Verhalten orientieren. Trotz dieser Einschränkung steht für Geiger aber außer Frage, dass sich eine Soziologie der Mensch-Tier-Beziehungen auch verstehender Verfahren bedienen sollte, – ohne sich damit gleich eo ipso einer abwegigen Vermenschlichung des Tieres ausliefern zu müssen. Die Tatsache, dass Mensch und Tier sich „einander gegenseitig als Du evident“ sind, impliziert natürlich die Möglichkeit eines „Missverstehens des tierischen Subjekts“, so z.B. bei den „beliebten Erzählungen von Beweisen ‚menschlichen Verstandes bei Hunden und dergleichen. Wenn der Hund ‚Verstand hat, woran ich nicht zweifle, so hat er ganz gewiss einen völlig anderen Verstand als Wir, d.h. die ‚Gesetze der Hundelogik sind nicht die unseren“ (Geiger 1931: 301). Wenn ein Tier denkt, bedeutet das sicher, dass es anders denkt – inwieweit der Hiatus „völlig anders“ allerdings zu relativieren ist, hängt freilich von Ähnlichkeiten ab, die u.a. mit der jeweiligen stammesgeschichtlichen Nähe zum Menschen zusammenhängen. Zugespitzt könnte man sagen: Ein Maikäfer denkt vermutlich nicht im selben Sinne „völlig anders wie wir“ als z.B. eine Katze oder ein Schimpanse. Vergleicht man Geigers Vorstoß mit den Bedenken Max Webers (auf die wir im dritten Kapitel noch eingehen werden), dann stellt sich das Problem: Darf soziologisches Fragen sich in diese grenzüberschreitende „Gefahrenzone“ vorwagen? Der Anthropomorphismus-Verdacht warnt uns ja: Tiere denken sicher nicht wie Menschen. Was aber wäre, wenn sie radikal anders ‚denken als wir? Sollten wir dieses ‚fremde Denken ausblenden, – bloß weil es sich vielleicht weit weniger eingemeinden lässt als das Denken eines menschlichen Fremden…? – Falls dies verneint wird, dann zeichnen sich Fragen ab, die letztlich um das Problem kreisen, ob (und wenn ja: wie) soziale Beziehungen zwischen Men-
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schen und Tieren überhaupt möglich sind. Wenn uns z.B. interessiert, ob das Spiel von Herr und Hund mit dem vergleichbar ist, was Niklas Luhmann (1984: 224) einen Interaktionsprozess mit „geordneter ausdifferenzierter Selektivität“ nennen würde, dann wird man die Frage kaum auszuklammern können, ob und wie hier Kommunikation auf Sinnstiftungsleistungen der beteiligten psychischen Systeme angewiesen ist. Nähert man sich den historisch und interkulturell überaus bunten Facetten humanimalischer Sozialität,48 so fällt auf, dass vor allem solche Tiere für „befremdende“ Nähe-Distanz-Synthesen disponiert sind, denen man „face-to-face“ begegnen kann. An Haustieren wie an gut vertrauten Wildtieren lässt sich beobachten, dass diese Tiere ähnlich wie wir geboren werden, dass sie Nahrung aufnehmen, sich bewegen, umherblicken, Laute von sich geben, sich fortpflanzen, sterben usw. Dies sind Sachverhalte, die (zumindest bei höheren Wirbeltieren) in der Regel spontan verstanden werden, auch wenn sie im Übrigen mit unterschiedlichen kulturellen Deutungen und Bewertungen ausgestattet werden.49 Andererseits zeigen Tiere Merkmale und Verhaltensweisen, die so „ganz anders“ erscheinen und die besonders (aber nicht nur) in modernen Gesellschaften ein gewisses Befremden hervorrufen, da sie in der Regel als schmutzig, abstoßend, Angst einflößend oder peinlich gelten (vor dem Hintergrund gegenwärtiger Zivilisationsstandards z.B. die öffentliche Defäkation oder Kopulation, aggressives Verhalten). Mit John Berger, auf den wir ja schon auf den ersten Seiten dieser Arbeit verwiesen haben, kann man also festhalten: „In their superficial anatomy, (...) in their habits, in their time, in their physical capacities, they (animals) differ from man. They are both like and unlike“ (Berger 1980: 2; Herv. R.W.). Betrachten wir die angedeuteten Facetten der tierlichen Mehrdeutigkeit näher, dann lassen sich zwei ineinandergreifende Bedeutungs- oder Aspektebenen50 48
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Vgl. als Überblick J. Serpell (1990), speziell zum Mittelalter A. Nitschke (1994); im Übrigen den Sammelband von A. Manning/J. Serpell (1994), hier besonders die Beiträge von T. Ingold und C. Schwabe. Z.B. ist für Wildbeuter, die nur über recht knappe oder unsichere Nahrungsressourcen verfügen, die Fähigkeit zur „anthropomorphisierenden“ Empathie, zum einfühlenden Perspektivenwechsel gegenüber dem Jagdwild, seinen Neigungen und Verhaltenseigentümlichkeiten, meist wichtiger als für den typischen Ackerbauern oder Viehzüchter. Man denke etwa an Vorstellungen von Eskimos über die Macht der „Herrin der Tiere“ und der umherirrenden Tierseelen, Vorstellungen, auf die z. T. entsprechend „umsichtige“ Jagdpraktiken abgestimmt sind (vgl. Sälzle 1965: 91-94; Serpell 1990: 175-78). Die Unterscheidung der beiden Ebenen soll ein Doppeltes ermöglichen: Zum einen kann diese begriffliche Differenzierung einen möglichen komparativen Bezugspunkt für die interkulturell unterschiedlichen „Fremdheitsverhältnisse“ in Mensch-Tier-Beziehungen abgeben. Zweitens können sie aber auch als Leitkriterien verstanden werden, um sozialanthropologische und soziologische Konzeptionen humanimalischer Sozialität zu klassifizieren.
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unterscheiden. Diese beiden analytischen Aspektebenen, die Hegel bereits in der eingangs zitierten Passage anspricht, sind für das Verständnis humanimalischer Sozialität von einer kaum zu überschätzenden, immensen Bedeutung. Sie bilden zusammen gewissermaßen die basale Strukturbedingung oder Koordinatenachse, die den Möglichkeitenbereich konkreter Formen humanimalischer Ambivalenzen absteckt. Einerseits ergänzen und verstärken sich diese Ebenen, andererseits können sie sich auch widersprechen und dadurch eine Quelle von kognitiven Mehrdeutigkeiten, emotionalen Spannungen und Irritationen bilden. Diese „strukturelle Ambivalenz“ humanimalischer Sozialität gründet im Zweiebenenaufbau unserer tierbezogenen Kommunikation: Menschen kommunizieren einerseits mit Tieren, andererseits kommunizieren sie über und durch Tiere miteinander. Tiere sind also nicht nur Zeichen für unsere zwischenmenschliche Kommunikation, sie produzieren und dechiffrieren auch selbst Zeichen.51 Anders ausgedrückt: Auf der einen Seite begegnen wir einem Tier in (abgestuften) Formen sozialer Unmittelbarkeit, andererseits wird das „Ereignis“ einer Mensch-Tier-„Begegnung“52 von vornherein durch eine Vielzahl von vorgängigen Deutungs- und Beziehungsmustern53 (z.B. durch tradierte ethnozoologische Typifikationen, institutionelle Vorgaben) überformt. Mit wenigen Strichen lassen sich diese tierbezogenen Intentionalitätsebenen54 nun wie folgt charakterisieren: 51
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Prinzipiell ist diese Doppelseitigkeit natürlich auch für zwischenmenschliche Interaktionen charakteristisch. Für G. H. Mead (1974) etwa lässt sich eine Zweierinteraktion im Grunde nicht auf Wechselwirkungen zwischen zwei „signifikanten anderen“ reduzieren. Beabsichtigt oder unbeabsichtigt ist mein Verhalten gegenüber dem anderen immer auf einen „generalisierten anderen“ mitbezogen, auf (tatsächlich oder nur imaginär) mit anwesende Dritte eines erweiterten Sozialkontextes (einer Eigen- oder Bezugsgruppe z.B.). In ähnlicher Weise betont G. Simmel (1958: bes. 75ff.), dass Sozialbeziehungen nicht auf direkte Ego-Alter-Beziehungen zu reduzieren sind, sondern gleichermaßen durch indirekte bzw. „symbolische“ Beziehungen gekennzeichnet sind, durch eine für Vergesellschaftungsprozesse grundlegende „Dreiheit“ der Sozialverhältnisse. Eine Wechselwirkung zwischen Ego und Alter teilt Dritten etwas mit, veranlasst Dritte zu etwas usw. Ein derartiger Fall kann z.B. vorliegen, wenn der andere etwa als Mittel im Kalkül erfolgsorientierten Handelns fungiert, wenn im Sinne von J. Habermas (1981a: 384f.) „strategisch“ gehandelt wird. Hier gebraucht in Anlehnung an sozialphänomenologische Überlegungen von P. Ricœur (1974a: 109ff.), der die Kategorie des „Nächsten“, dem ich in „kurzer“, unmittelbarer Intersubjektivität „begegne“, dialektisch auf den „Socius“ bezieht, den Sozialtypus der „langen“, institutionell vermittelten Rollenbeziehungen. Vgl. zur Abgrenzung von primären und sekundären, funktionsspezifisch geprägten Sozialbeziehungen W. L. Bühl (1982: 182ff.). Im Großen und Ganzen kann man die beiden Orientierungen als Endpunkte eines intentionalen Kontinuums auffassen, wie es von A. Schütz beschrieben wird. Es erstreckt sich zwischen einer auf intimer, unmittelbarer Kenntnis beruhenden „Du-Einstellung“ und einer anonymen Typisierung des anderen. In der Du-Einstellung wird das Tier als ein räumlich und zeitlich koexistierendes Du konstituiert. Ich habe das Tier „‚leibhaftig gegeben (..), und zwar, als es
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Kapitel 2
1. Über primäre Sozialintentionen erfassen wir ein Tier auf eine sozial unmittelbare Weise, als ein „Du“ in einer Face-to-face-Situation. In dieser „ursprünglichen“ Begegnung erscheint ein Tier als ein individuelles und interaktionsfähiges Mitsubjekt, das eigene Interessen oder Wünsche, einen eigenen Willen usw. besitzt. Obwohl wir um die Grenzen wissen, die dem Sprachverstehen der Tiere gesetzt sind, so hindert uns das nicht, uns in die mutmaßliche, „implizite“ Situationsdeutung unseres tierlichen Vis-a-vis „hineinzuphantasieren“, – vorausgesetzt eben, wir (an)erkennen es überhaupt als ein „Du“, mit dem man irgendwie kommunizieren kann. Theodor Geiger (1931) spricht hier davon, dass Du-evidente Begegnungen mit Tieren die Überwindung einer „Niveauspannung“ voraussetzen: Tiere werden wie Interaktionspartner behandelt, fast unabhängig davon, ob bzw. in welchem Umfang sie den sozialen Verhaltenserwartungen gerecht werden können. Bei interspezifisch zu koordinierenden Arbeitsprozessen etwa orientiert sich das Verhalten beider Akteure dann wechselseitig an einem „Partner“-Konstrukt, das (bis zu einem gewissen Grad oft auch auf der Tierseite) „Interessen“ bzw. „Verhaltenskompetenzen“ des anderen zu berücksichtigen hat. Besonders „reine“ oder intensive Formen intersubjektiver Tierbegegnung können beim menschlichen Gegenüber dann bisweilen Verwunderung, ja Faszination hervorrufen, vor allem, wenn das Tier in hohem Maße als ein besonderes, „individuelles“ Subjekt erlebt wird.55 Mit dem Terminus der Du-Evidenz greift Geiger einen Begriff auf, der in den zwanziger und dreißiger Jahren bereits diskursiv etabliert war. Im vorliegenden Argumentationszusammenhang von Face-to-face-Beziehungen zwischen Mensch und Tier sind hier vor allem die Du-Evidenz-Konzepte von Karl Bühler und Max Scheler56 von Bedeutung. In dieser Perspektive bedeutet Du-Evidenz,
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selbst, als dieses besondere Du, und seinen Leib als Ausdrucksfeld in der Fülle seiner Symptome“ (Schütz 1974: 227, Herv. Schütz). Das außeralltägliche Moment des Verwunderlichen, das sich hier einstellt, erinnert an Züge, mit denen M. Buber (1974) Ansätze der Du-Begegnung mit einem Tier ausstattet. Als Du kann uns das Tier in einem neuen, „überraschenden“, ja einzigartigen Licht begegnen, es dementiert dann tendenziell seine instrumentelle Verfügbarkeit, generelle Tiertypisierungen, die von vorgefertigten Begriffen und vorgefassten Meinungen bereitgestellt werden, erscheinen plötzlich zweifelhaft oder können außer Kraft gesetzt werden. Da wir weiter unten noch auf M. Schelers Konzept der Du-Evidenz eingehen werden, soll hier nur folgender Aspekt seiner Theorie der Fremdwahrnehmung zur Sprache kommen. Das Ausdrucksverstehen fasst Scheler wesentlich als einen unwillkürlich sinnstiftenden Vorgang, es kommt ohne die kognitiven Zwischenschritte von Analogieschlüssen aus und ist bei Menschen wie auch bei Tieren anzunehmen. M. Scheler (1973: 233) betont, „dass ‚Ausdruck sogar das Allererste ist, was der Mensch an außer ihm befindlichen Dasein erfasst, und dass er irgendwelche sinnliche Erscheinungen zunächst nur insofern und insoweit erfaßt, als sich seelische Ausdruckseinheiten in ihnen ‚darzustellen vermögen.“ Herv. v. Scheler. In ähnlicher Weise stellt dann später H. Schelsky (1950: 109) die Unmittelbarkeit des Erlebens der tierlichen Subjektivität heraus.
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dass das Gegenüber nicht als ein maschinenartiges Etwas, als Mechanismus mit relativ strikt vorhersagbarem, gleichförmigen und regelmäßigen „Verhalten“ perzipiert wird. Anders gewendet: Du-Evidenz wird mutatis mutandis dann begünstigt, wenn tierliches Verhalten „überraschende“, „unberechenbare“ und/oder „orientierte“ Momente aufweist. Positiv gewendet besagt dieses Kriterium, dass dem Gegenüber eine gewisse Verhaltensindeterminiertheit, eine „gedächtnisgestützte“ Eigeninitiative zugeschrieben wird. Dadurch kommt ein kontingentes, riskantes Unruhemoment in die humanimalische Interaktion hinein, was uns veranlasst, diesem anderen Wesen dann Züge einer personalen Einzigartigkeit, eines individuellen Willens zu verleihen. K. Bühler erläutert diesen Punkt einmal anhand der Differenz von „zwei verschiedenen Szenen“. Einmal spielt ein Kind mit einem „sensomotorisch“ reagierenden Roboter, das andere Mal mit einem Hund. Beiderseitige Reaktionen lassen sich in beiden Fällen beobachten, aber: „Allein das Zögern des Hundes beim Spiel und seine aufreizende Initiative, wenn eine Pause eintritt, samt den Wagnissen, die er sich erlaubt, haben keine echten Parallelen im Verhalten des Roboters als Partner. Es fehlt ihm Lust und Leid im Spiel und etwas wie eine rachsüchtige Gesinnung, anthropomorph gesagt“ (Bühler 1960: 59; Herv. Bühler).
2. Für sekundäre Sozialintentionen ist hingegen ein Konstruktionsmodus typisch, der die Bedeutung des Tieres an Sachverhalten unserer binnenmenschlichen soziokulturellen Verhältnisse festmacht. Für diese indirekte Ebene unserer tierbezogenen Orientierungen ist charakteristisch, dass das Tier als ein symbolischer Typus, als Träger von symbolischen (z.B. mythologischen, religiösen, alltagszoologischen, pekuniären, wissenschaftlichen usw.) Bedeutungen und Zuschreibungen in Erscheinung tritt. Solche sekundärsymbolischen Tierkonstrukte stellen das Tier in umfassendere Sinnbezüge und steuern so die unmittelbare Interaktion mit einem Tier in oft gravierender Weise. Das Tier erscheint dann sozusagen „kontrafaktisch“ in einem positiv bzw. negativ getönten Licht, unabhängig von seinem wirklichen, konkreten Verhalten (Hegels Interpretament vom „bösen Wesen“ eines schwarzen Katers, seinen „glühenden“ Augen und „schleichenden“ Bewegungen gehört hierher). Derartige Deutungsmuster drängen vor allem dann in den Vordergrund, wenn die Beziehung zum lebendigen Tier über institutionalisierte Symbolordnungen,57 etwa durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien58 und entsprechende Programmierungen, strukturiert werden 57 58
Man denke etwa an Heimtiere, die als Statussymbole eines „demonstrativen Konsums“ verwendet werden (vgl. Veblen 1986: 139f.; ähnlich Bourdieu 1982: 438f.). Vgl. zum Konzept symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien im Einzelnen N. Luhmann (1982: 21ff.) und T. Parsons (1980). Wir kommen am Ende des 5. Kapitels darauf zurück.
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Kapitel 2
(z.B. durch Sinnzuschreibungen, die sich im Horizont von Geld, Macht, Liebe oder Wahrheit bewegen). Eine symbolische Ausgestaltung des Tierbezugs kann aber auch stark „privatisiert“ sein und eine psychoanalytisch rekonstruierbare „Verschiebung“ meinen, bei der das Verhalten gegenüber einem Tier binnenmenschliche Beziehungsprobleme ausdrückt. Sigmund Freuds Deutung der Tierphobien gehören in diesen Zusammenhang. Pferde oder Hunde werden zu Verschiebungs- oder „Surrogatobjekten“, die ambivalente Gefühlseinstellungen eines Kindes, die z.B. „eigentlich“ dem Vater gelten, ganz oder teilweise auf sich ziehen können (vgl. Freud 1970: 142ff.). Bei elaborierten Formen des Tiersymbolismus lösen sich die Zeichenfunktionen schließlich gänzlich vom lebendigen Tier ab, sie verflüchtigen sich dann zu Tier-Zeichen, die höchstens einen arbiträren oder imaginären Bezug zum konkreten Tier erkennen lassen. So ist bei stilisierten Tierdarstellungen, in Tierbildern, Tiermetaphern59 usw., ein Tiersubjekt, das „eigene“ Zeichen setzt, gänzlich verschwunden. Das Tier ist nur noch eine Zeichenfolie für soziokulturelle Sinnzuschreibungen, ein losgelöstes „Artefakt“,60 dessen primärsoziale Tierbezüge so gut wie ausgetilgt sind. Für ein relativ hohes Maß an Du-Evidenz scheint nun kennzeichnend zu sein, dass Handelnde Tieren gegenüber die Haltung einer (mehr oder minder stark ausgeprägten) Reziprozität bzw. Irreziprozität subjektiver Perspektiven (Schütz 1971: 12-14) einnehmen. Hier ist natürlich zu differenzieren: In welcher Hinsicht und in welchem Ausmaß kommen im Verhältnis zum Tier eine Vertauschbarkeit der subjektiven Erlebnisperspektiven (z.B. kognitive, emotionale, sensuelle Fähigkeiten, Schmerzerleben usw.) und eine Kongruenz der Relevanzsysteme (z.B. Geschmackspräferenzen, Schmerzvermeidung usw.) zum Ausdruck? Eine schwach ausgeprägte Reziprozität der Perspektiven kann zwar die Neigung zur „Vermenschlichung“ des Tieres abschwächen, nicht notwendig aber die Sensibilisierung für die subjektive Du-Evidenz des Tieres. Der Unterschied zwischen den beiden sozialen Perzeptionsmustern lässt sich daran verdeutlichen, inwieweit es einem Heimtierbesitzer gelingt, sich an die artspezifische Umwelterfahrung seines Tieres heranzutasten und diese „fremden“ Eigenarten in seinem tierbezogenen Sozialverhalten zu berücksichtigen. Die Anerkennung einer mitunter recht weitreichenden Irreziprozität der subjektiven Perspektiven und Relevanzen muss hier somit keineswegs automatisch einen Schwund von Du-Evidenz implizieren. 59
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Vgl. zum unübersehbar reichen Spektrum dieser Tiersymbolismen das kulturhistorisch sehr instruktive „ABC der Tiere“ von R. Schenda (1995), speziell zur westlichen Gegenwartsgesellschaft S. Baker (1993). Vgl. zur Differenz von subjektivem Ausdruck und dem „vom Leib abgelösten Artefakt“ näher A. Schütz (1974: 162ff., 281f.).
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Herauszustreichen ist allerdings, dass sich die geschilderten Aspektebenen der humanimalischer Sozialität im Grunde nur analytisch unterscheiden lassen – zu eng und „unbemerkt“ sind die sekundären Sozialintentionen mit der primären Intentionalität intersubjektiver Tierbegegnung verwoben. Exemplarisch veranschaulichen dies die Tauben züchtenden Ruhrbergleute, die Hans-Georg Soeffner (1992: 131ff.) untersucht hat. Die primären Sozialintentionen der Taubenzüchter ihren Tieren gegenüber sind stark von Typisierungen und Relevanzen durchwirkt, die ihre eigenen Lebens- und Arbeitssituationen symbolisieren (z.B. hinsichtlich Disziplin und Leistungsbereitschaft). Ein weiteres Beispiel ist das „große Katzenmassaker“, das Robert Darnton (1989: 91ff.) analysiert hat. In den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts veranstalteten Pariser Druckergesellen unter den Katzen der Rue Saint-Séverin ein Gemetzel, bei dem sich wenigstens zwei Bedeutungsebenen unterscheiden lassen: auf der primärsozialen Ebene, d.h. gegenüber den Katzen selbst, standen offenbar tierquälerische Intentionen im Vordergrund, also die Freude an Gewalttaten gegen vergleichsweise wehr- oder machtlose Geschöpfe. Gleichzeitig, im binnenmenschlichen Kommunikationskontext, handelte es sich um einen „symbolischen Gewaltakt“ gegen die Herrschenden in der Druckerei, gegen den Meister – einen gehörnten Gatten – und seine Frau. Auf dieser Ebene wird besonders die Frau des Meisters angegriffen: Sie wird von den Druckergesellen sozusagen „in effigie“ hingerichtet, d.h. in Gestalt ihrer Lieblingskatze („la grise“). Charakteristisch für diesen Angriff auf die Herrschaft ist, dass er sich die Grauzone einer symbolischen Ambiguität zunutze macht, die die Meisterin zwar mit einer „läufigen Katze“ in Verbindung bringt, dies aber nur auf eine verdeckte, implizite Weise.61 Humanimalische Interaktionen setzen nun voraus, dass sich die von Schütz skizzierten sozialen Intentionalitätsmodi bis zu einem gewissen Grade auch auf der Tierseite annehmen lassen. Obschon die sich hier anschließenden Probleme erst weiter unten diskutiert werden, ist vor dem Hintergrund von Geigers Überlegungen anzunehmen, dass besonders die Fähigkeit zu einem einfachen, „ansatzweisen“ Perspektivenwechsel eine unverzichtbare Bedingung derartiger Interaktionsprozesse ist: Die Interaktionskompetenz eines Tieres scheint dann eng mit seinem gewissen „Gespür“ („Vermutungen“ im weiteren Sinne) für die Wünsche und „Absichten“ des anderen zusammenzuhängen. Wie wir im dritten und vierten Kapitel ausführen werden, deutet manches darauf hin, dass vor allem 61
R. Darnton (1989: 116): „Katzen als Symbole beschworen sowohl Sexualität wie Gewalttätigkeit herauf, eine Kombination, die sich vorzüglich für eine Attacke auf die Meisterin eignete. (...) Tatsächlich wirkte die Symbolik ja nur, wenn sie verschleiert blieb – ambivalent genug, um den Meister an der Nase herumzuführen, und gezielt genug, um die Meisterin auf das empfindlichste zu treffen.“ Zu ergänzen ist aber, dass Darnton die komischen Züge dieses Vorgangs – das Lachen der Lehrlinge – praktisch ganz ausblendet (so kritisch LaCapra 1988: 103).
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unter höheren Wirbeltieren die Fähigkeit, gewisse Konstruktionen über Erwartungen des Gegenübers „irgendwie“ auf das eigene Verhalten zu beziehen, ein Konstituens ihrer Soziabilität darstellt.62 Von der menschlichen Seite her lassen sich die unterschiedlichen verhaltensleitenden Orientierungsmuster, die in intentionaler Hinsicht in tierbezogenen Interaktionen wirksam sind, freilich noch etwas präzisieren. Dazu sollen ergänzend die „pattern variables“ von Talcott Parsons herangezogen werden.63 Parsons unterscheidet Orientierungsalternativen, die sich eher auf den Modus der Orientierung beziehen, von solchen Orientierungsalternativen, die auf Objektmodalitäten abzielen. Die Orientierungsprobleme im engeren Sinne behandeln die klassifikatorischen Kontinua Affektivität/affektive Neutralität, Selbst-/Kollektivorientierung und Diffusität/Spezifität. Objektmodalitäten thematisieren hingegen Bezüge, die durch die Extrema Zuschreibung/Leistung bzw. Partikularismus/Universalismus begrenzt werden. Im folgenden versuchen wir, knapp und bloß beispielhaft zu veranschaulichen, wie die „Mustervariablen“ tierbezogen angewendet werden können, wenn das Tier nicht nur als soziokultureller Typus, sondern auch als Interaktionspartner mit Du-Evidenz in den Blick kommt.
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Affektivität versus affektive Neutralität: Ist das Verhältnis zum Tier durch stark affektiv gefärbte Haltungen geprägt, die unmittelbar zu befriedigen sind, oder überwiegt eine affektiv neutrale Einstellung, die einen Bezug zu entfernteren Zielen erkennen läßt und einen weitgehenden Befriedigungsaufschub einschließt? Die Frage nach dem Ausmaß der kathektischen64 Orientierung ist z.B. dort wichtig, wo Emotionen gegenüber bestimmten Tier(art)en und ihrer zulässigen Behandlung ins Spiel kommen, wo das zivilisatorisch „richtige“ Maß einer angemessenen (Selbst)Kontrolle von Affekten und Gefühlslagen zu bestimmen ist. Zum anderen prägen Art und Ausmaß der Kathexis in einer gravierenden Weise den kontextuell relevanten, „motivierenden“ Sinnrahmen der unmittelbaren Mensch-Tier-Interaktion. Der Umfang der Selbst- bzw. Kollektivitätsorientierung gibt an, inwieweit im Verhältnis zu einem Tier die individuelle Bedürfnisbefriedigung den Bezugsrahmen des Handelns abgibt oder die Bedürfnisbefriedigung eines mehr Vgl. dazu ausführlicher V. Sommer (1994: bes. 109f.). Vgl. dazu T. Parsons/E. Shils (1962: 80ff.), ergänzend R. Münch (1988: 77ff.). Obwohl es deutliche Affinitäten zwischen Ausprägungen der „pattern variables“ und denen der primärbzw. sekundärsozialen Orientierungsformen gibt (z.B. werden universalistische und spezifische Muster oft eher von sekundärsozialen Orientierungsmustern unterstützt, partikularistische und Diffusitätsmerkmale eher von primärsozialen Mustern), so sind beide analytischen Kontinua doch analytisch streng zu trennen. In Anlehnung an T. Parsons (1976: 35) wird hier unter Kathexis allgemein ein objektbezogener Affektbezug verstanden, der für die motivationale Orientierung grundlegend ist.
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oder minder umfangreichen Kollektivs, etwa einer Gruppe, der der Handelnde angehört (oder die für ihn die maßgebliche Bezugsgruppe darstellt). Im Hinblick auf das Tier ist dabei oft wesentlich, inwieweit das individuelle Tier selbst im Horizont einer primärsozialen Du-Evidenz als ein Teil bzw. „Mitglied“ dieser Sozialeinheit typisiert wird. Auch die Unterscheidung Diffusität versus Spezifität bezieht sich auf den intentionalen Modus: Orientiert man sich an wenigen spezifischen Eigenschaften eines Tieres oder geht in die Beurteilung eine diffuse Vielfalt von miteinander kombinierten Eigenschaften und Dimensionen ein, die das Tier in seiner Besonderheit, als Individuelles erscheinen lassen? Wird das Tier als anonymes Exemplar einer bestimmten überindividuellen Klassifikation (z.B. einer zoologischen Spezies oder Gattung, oder einer volkszoologischen Kategorisierung wie „Nützling“ oder „Schädling“) behandelt oder als ein unverwechselbares Individuum, das solche anonymen Einordnungen unterläuft? Im Grunde handelt es sich um ein soziales Einstellungskontiuum, das sich zwischen maximaler „Du“-Intimität und „Sie“-Anonymität erstreckt (es ist für die Beurteilung eines tierquälerischen Verhaltens beispielsweise ein Unterschied, ob das Tier als quasipersonales Subjekt oder – wie häufig beim wissenschaftlichen Tierversuch – als anonymes Exemplar betrachtet wird).65 Leistungsbeurteilung versus Zuschreibung: Die Abgrenzung von leistungsorientierten und askriptiven Tiertypisierungen variiert zunächst mit den besonderen Relevanzfiltern der unterschiedlichen gesellschaftlichen Sinnbereiche.66 Ein Zoologe, der mit dem Ethogramm einer bestimmten Tierart (z.B. des Hundes) bestens vertraut ist, vermag z.B. noch dort Lernleistungen zu identifizieren, wo ein Laie (oder auch der Kollege aus der Mikrobiologie) dazu neigen mag, das Tierverhalten vom tierlichen „Sosein“ (z.B. von der Rasse eines Hundes, seinem individuellen Stammbaum, seinem artspezifischen Verhaltensrepertoire usw.) aus zu beurteilen. Umgekehrt kann ein Kynologe, der mit den familialen Verhältnissen „vor Ort“ nicht vertraut ist, kaum auf Anhieb feststellen, welche Verhaltensweisen z.B. des erwähnten A. Schütz (1971: 9) exemplifiziert die beiden lebensweltlichen Typisierungsrichtungen am Beispiel des „irischen Setters Rover“: „‚Im allgemeinen zeigt mein Irischer Setter Rover alle Charakteristika, die der Typ ‚Hund nach all meinen früheren Erfahrungen impliziert. Was jedoch gerade er mit anderen Hunden gemein hat, ist für mich belanglos. Ich erblicke in ihm meinen Freund und Begleiter Rover, der als solcher unter allen anderen Irischen Settern ausgezeichnet ist, mit denen er bestimmte typische Eigenarten der Erscheinung und des Verhaltens teilt. Ohne besonderen Anlass werde ich Rover nicht als Säugetier, als Lebewesen, als Gegenstand der Außenwelt betrachten, obgleich ich weiß, dass er all dies auch ist.“ Diese konstitutive Sinnbereichsabhängigkeit ist freilich ein Bestimmungsmoment, das im Grunde natürlich auch für die übrigen „pattern variables“ gilt.
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Kapitel 2 „irischen Setters Rover“ innerhalb der lebensweltliche Kontexte der Familie Schütz als „leistungsrelevant“ (und damit oftmals: als beeinflussbar) definiert sind und welche Verhaltensmuster dem Hund von „Natur“ bzw. „Geburt“ aus als „eigentümlich“ zugeschrieben werden. Andere Beispiele für eine stark sinnkontextuell bestimmte Klassifizierung von askriptiven und Leistungsmerkmalen gibt es im (volks-)religiösen Bereich, wo diese Unterscheidung in einschneidender Weise von der „eigentlichen“ tierlichen Subjektreferenz geprägt wird. Ein im mundanen Sinne „gewöhnliches“ Opfertier wird infolgedessen häufig eine etwas andere Behandlung erfahren als z.B. die „Hinrichtung“ oder „Austreibung“ eines „Dämons“ in Tiergestalt. Partikularismus versus Universalismus: Eine für die vorliegende Arbeit zentrale Fragestellung lautet hier: Welche Reichweite haben normative und Wertorientierungen gegenüber Tieren (z.B. „für oder gegen Tiere einzutreten“, Tiere zu schützen oder ihnen zu schaden)? Beziehen sie sich nur auf wenige Tiere/Tierarten, zu denen ein besonderes Verhältnis besteht (z.B. bestimmte Haustierarten) oder auf einen Umkreis von Tieren/Tierarten, die bestimmten universalisierbaren Kriterien genügen müssen? Eine extrem partikularistische Tierschutzauffassung vertritt z.B. ein Hundebesitzer, der sich nur dann gegen Tierversuche ausspricht, wenn Hunderassen dafür herangezogen werden, zu denen er als Halter eine Beziehung aufbauen konnte. Universalistische Tierschutzbestrebungen rekurrieren demgegenüber auf Kriterien, die genügend allgemein und egalitär angelegt sind, um solche partikularistischen Loyalitäten zu unterlaufen. Korrektes Verhalten Tieren gegenüber orientiert sich dann an vergleichsweise abstrakten Kriterien wie z.B. Leidensfähigkeit oder Schmerzempfindlichkeit: Der Universalismus tendiert hier zu einer Gleichstellung der Tiere bzw. Tierarten aus dem lebensweltlichen Nahbereich mit vergleichbaren Tier(art)en der „fernen“ Wildnis.
Kombiniert man die von den genannten „pattern variables“ zur Verfügung gestellten Kriterien, dann können normative und Wertorientierungen gegenüber Tieren für komparative Zwecke näher aufgeschlüsselt werden. Damit eröffnet sich die Chance, dass tierbezogene Orientierungen, die durch übergreifende binäre Schematismen wie Anthropzentrismus/Zoozentrismus mitunter zu undifferenziert oder pauschal behandelt werden, präziser erfasst werden können. Beispielsweise können Artenschützer und Sportjäger insofern eine ähnlich spezifische Handlungsorientierung einnehmen, als es ihnen nicht um das individuelle Tier, sondern um die Regulierung einer Tierpopulation geht (vgl. Cartmill 1993: 236). Diskrepanzen können dann aber dort auftreten, wo die Variable Affektivität ins Spiel kommt oder tierliche Verhaltensmuster zur Diskussion stehen, die Jäger
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– im Gegensatz zu ethologisch informierten Artenschützern – bestimmten askriptiven Kriterien zuordnen (z.B. als geschlechts- oder alterstypische Verhaltenseigenarten einstufen). Und die universalistische Orientierungsdimension kann z.B. dann zu Meinungsverschiedenheiten führen, wenn es um Jagdmethoden geht, die Jäger als effizient und unproblematisch einstufen, die von Tier- und Artenschützern aber unter pathozentrischen Aspekten als bedenklich oder grausam abgelehnt werden (wie z.B. bei der Verwendung von Fallen, die dem Tier lang anhaltende Schmerzen verursachen können). In welcher Weise haben nun sozial- und kulturwissenschaftliche Ansätze, die dem Tier einen maßgeblichen Stellenwert als Forschungsgegenstand einräumen, dem Pluralismus tierbezogener Orientierungsmuster Rechung getragen? Insbesondere: Wie konzeptualisieren diese Ansätze die skizzierte, grundlegend ambivalente Fremdheit, die eigentümliche „Doppelnatur“ der Tiere? Eine knappe Diskussion dieses Punktes erscheint schon deswegen unabdingbar, weil erst sie klären kann, welche theoretischen Forschungserträge als Anknüpfungspunkte für einen systemtheoretischen Ansatz überhaupt in Frage kommen.
2.3 Grenzen sozial- und kulturtheoretischer Zugänge Wendet man sich Ansätzen zu, die sich unter dem Dach von Soziologie, Sozialund Kulturanthropologie mit allgemeinen theoretischen Aspekten des MenschTier-Verhältnisses auseinandergesetzt haben, dann lässt sich vorab eine gewisse Bifurkation der theoretischen Zugänge konstatieren, eine Trennung, die für den weiteren Fortgang einer Soziologie der Mensch-Tier-Beziehung ein gravierendes Hemmnis darstellt. Grob zusammengefasst, lassen sich zwei theoretische Grundrichtungen unterscheiden. Eine Gruppe von Ansätzen konzentriert sich auf eine (oftmals hypostasierte) primärsoziale Beziehungsebene, die andere geht von der sekundärsozialen Bezugsebene aus und vernachlässigt dafür die tierliche Subjektreferenz sowie die Interaktionsdimension tiersymbolischer Zusammenhänge. Aus der jüngeren Vergangenheit lassen sich lediglich vereinzelte Soziologen nennen, die – wie T. Geiger – der ersten Richtung zuzurechnen sind, Soziologen, die also gerade die primärsozialen Aspekte von Mensch-Tier-Beziehungen fokussieren. So schreibt z.B. Leopold von Wiese: „Bei der Soziologie sollte unangefochten sein, dass, was zunächst ihre allgemeine Zusammengehörigkeit betrifft, sie die Lehre von der Einwirkung der Lebewesen aufeinander zur Aufgabe hat. Sie behandelt den Zusammenhang der lebendigen Geschöpfe. (Die oft recht hochmütige Verachtung des Tier- und Pflanzenlebens, deren sich die Autoren schuldig machen, die ‚sozial und ‚geistig gleichsetzen, beraubt sie einer wichtigen Erkenntnisquelle (...))“ (v. Wiese 1956: 626; Herv. i. O.).
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In Anlehnung an von Wiese, Geiger und Heini Hediger67 entwirft dann in den siebziger Jahren Gotthard Teutsch die Umrisse einer Soziologie, die explizit die primärsoziale „Beziehung der Lebewesen untereinander“ (Teutsch 1975: 16) fokussiert.68 Teutsch kommt sicherlich das Verdienst zu, den zentralen Stellenwert der Du-Evidenz für eine Soziologie interspezifischer Sozialbeziehungen herausgestellt bzw. wiederentdeckt zu haben.69 Nachdrücklich betont Teutsch z.B. die emotionale Komponente der Mensch-Tier-Interaktion sowie die herausragende Bedeutung, die dabei den zookommunikativen Aspekten zufällt (vgl. Teutsch 1993: bes. 70f.). Daneben hat Teutsch schon früh auf die positiven Rückkopplungseffekte aufmerksam gemacht, die eine komparativ verfahrende Soziologie primärsozialer Mensch-Tier-Beziehungen in Aussicht stellt.70 In jüngerer Zeit sind im Rahmen der Soziologie vor allem im Umfeld des symbolischen Interaktionismus und einer (sich selbst „heterodox“ verstehenden) Sozialphänomenologie (bzw. Ethnomethodologie) theoretische Anstrengungen unternommen worden, den Interaktionscharakter primärsozialer Mensch-TierBeziehungen genauer zu fassen. Exemplarische Exponenten dieser Richtung, die hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden können, sind Clinton Sanders und Arnold Arluke. Sie skizzieren in einem programmatischen Artikel ein Konzept interspezifischer Interaktion, das sich den nonverbalen Grundlagen intersubjektiver Situationsdefinition und wechselseitiger Perspektivenübernahmen zuwendet und einen Interaktionismus „beyond the conventional Meadian orientation“ in Aussicht stellt. Anvisiert wird ein Interaktionismus, der sich allerdings von einer 67
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H. Hediger, langjähriger Direktor des Züricher Zoos, zählt sicherlich zu den wissenschaftlichen Pionieren einer interdisziplinär offenen Erforschung primärsozialer Mensch-Tier-Beziehungen. In zahlreichen Publikationen liefert Hediger Belege für ein Leitmotiv, das eine zentrale Voraussetzung auch der vorliegenden Arbeit benennt: „Innerhalb gewisser Grenzen läßt sich tierliches Verhalten nicht nur objektiv beschreiben, sondern auch subjektiv verstehen“ (Hediger 1965: 83; Herv. R.W.), vgl. zur Würdigung Hedigers auch G. Raab (1993) und D. Griffin (1991: 16f., 25). T. Sebeok (1977a: ix) schreibt in der von ihm herausgegebenen Hediger-Festschrift: „His writings have been an inspiration to me from the beginning of my excursion into zoosemiotics, the more so since Hediger was the first student of animal behavior, in modern times, to appreciate the intimate relations of ethology and semiotics (...).“ Vgl. zur näheren Konzeptualisierung von primärsozialen Mensch-Tier-Beziehungen die Übersicht, die sich bei G. Teutsch (1975: 16ff.) findet. Da wir weiter unten ausführlich auf die damit verbundenen Sachfragen eingehen werden, verzichten wir hier auf die Diskussion der entsprechenden Probleme. Teutsch, der sich seit den achtziger Jahren verstärkt ethischen Problemen der Mensch-TierVerhältnisses zugewandt hat (vgl. z.B. Teutsch 1987), hat diese Fragestellung dann nur noch am Rande weiterverfolgt. G. Teutsch (1975: 30): „Die Soziologie der Lebewesen wird sich in einem ständigen Vergleichen der unter Lebewesen beobachtbaren Sozialbeziehungen weiter entwickeln. Dabei wird man artspezifische Unterschiede wie artübergreifende Gemeinsamkeiten feststellen, wodurch auch für die Humansoziologie neue Erkenntnisse möglich sind.“
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objektivistisch und substantialistisch verkürzten Auffassung des intentionalen Lebens („mind“) distanziert: „In contrast, examination of animal-human interactions leads to a far more social perspective on mind; it is reconceived as a product of interaction in which intimates are actively involved in contextualizing, identifying, understanding, and responding to the defined subjective experience of the nonverbal other“ (Sanders/Arluke 1993: 384).71
Im Hinblick auf das Thema der vorliegenden Arbeit ist es vor allem die dezidiert empathiezentrierte Ausrichtung dieses Konzepts interspezifischer Interaktion, die sozialtheoretische Anschlussmöglichkeiten für einen systemtheoretischen Ansatz eröffnet.72 Alles in allem wird hier ein mittlerer Weg zwischen zwei Positionen eingeschlagen, die im soziologischen Diskurs mitunter recht unvermittelt, quasi „soziocartesianisch“ gegenübergestellt werden: Einerseits werden die kommunikativen Restriktionen berücksichtigt, die daraus resultieren, dass nur eine, die menschliche Seite der Ego-Alter-Dyade auf ein sprachlich elaboriertes Selbstbewusstsein zurückgreifen kann. Andererseits wird aber eine behavioristisch-reduktionistische Verkürzung interspezifischer Interaktionen auf eine „geistlose“, kulturelle Einflüsse ausschließende Folge von (halb-)automatisch prozessierender Reiz-Reaktions-Sequenzen vermieden.73 Das Tier wird vielmehr als ein Interaktionspartner mit „spezifischen“, „fremden“ Besonderheiten (und Beschränkungen) betrachtet. Im Prinzip wird das Tier hier von derselben Grundannahme her verstanden, „that qualitative reseachers make when they investigate other alien (...)“ (Sanders/Arluke 1993: 384). Sanders und Arluke gehen in diesem Zusammenhang davon aus, dass die Erforschung von Mensch-TierInteraktionen auch innovative Rückwirkungen für die allgemeine soziologische Methodologie (z.B. hinsichtlich der teilnehmenden Beobachtung) zeitigen wird. Neben diesen Ansätzen sind mikrosoziologische Konzepte zu erwähnen, die die intentionalen Komponenten von Mensch-Tier-Interaktionen weitgehend ausklammern bzw. auszuklammern versuchen. So plädiert z.B. Walter Wallace dafür, den Soziologiebegriff hier nicht zu eng zu fassen: Soziologie untersucht demnach generell „social phenomena“. Eine soziale Erscheinung definiert er 71
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Als weitere exemplarische Arbeiten sind hier anzuführen: L. Wieder (1980), O. Myers (1996), J. Alger/St. Alger (1997), C. Wilson (1994) oder C. Sanders (2003). Vgl. zur zentralen Bedeutung, die eine kinästhetisch fundierte Empathie für die soziale Anschlussfähigkeit von MenschTier-Interaktionen hat, besonders den phänomenologischen Ansatz von K. Shapiro (1990). Auf der mikrosozialen Bezugsebene des allgemeinen Aktionssystems könnte z.B. T. Parsons’ Austauschmedium des Affekts herangezogen werden, um Integrationsleistungen interspezifischer Interaktionsprozesse zu beschreiben. – Wir kommen im vierten Kapitel darauf zurück. Vgl. zur Kritik derartiger Positionen auch B. Noske (1993: bes. 82ff.).
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dabei als „an interorganism behavior regularity – that is, as a nonrandom coincidence in time and/or space of two or more organisms’ behaviors“ (Wallace 1988: 31; Herv. Wallace). Sicherlich zu Recht betont Wallace in diesem Zusammenhang, dass es dieser verhaltenssoziologische Definitionsansatz erleichtert, soziologische und biosoziologische Problemstellungen aufeinander zu beziehen. Die Soziologie kann damit an solche Forschungen anschließen, die über den engeren Bereich humanen Verhaltens bzw. Handelns hinausgreifen. Wallace (1988: 32) nennt hier als Beispiele die Bereiche „human and pet social phenomena“, „human and laboratory-animal social phenomena“, und „human and animal-in-the-wild social phenomena“. Ein zu weit gefasster Verhaltensbegriff birgt freilich auch Gefahren, die gerade beim vorliegenden Thema niemals zu vernachlässigen sind: so die übereilte und unkontrollierte Analogisierung gesellschaftlicher und biologisch fundierter Verhaltensaspekte. Regelmäßig in primärsozialen Interaktionsprozessen feststellbare Verhaltensmuster werden dann kurzschlüssig auf Haltungen zurückgeführt, die unmittelbar stammesgeschichtliche Verhaltensbereitschaften artikulieren sollen. Eine gewisse Tendenz zu einem derartigen ethologischen „Reduktionismus nach unten“ lässt der Versuch von Desmond Morris (1970: 213ff.) erkennen, die relative Beliebtheit von Tieren aus ihrem jeweiligen „Menschenähnlichkeitsgrad“ herzuleiten.74 Fragwürdig erscheint uns hier die Annahme, diese Merkmale wirkten wie „Schlüsselreize“, die nicht nur den perzipierten Gesamteindruck, sondern auch die einstellungsrelevante Bewertung „automatisch“ festlegen könnten. Obwohl der Einfluss von unwillkürlich wirkenden Perzeptionsschemata damit keineswegs in Abrede gestellt werden soll,75 so kann Morris’ Argument, das eine sehr geradlinige, fast monokausale Verknüpfung von tierbezogener Einstellung und äußerer „Anthropo-Morphologie“ suggeriert, insgesamt wenig überzeugen. Sehr viel gravierender scheint der Einfluss von Faktoren zu sein, die einerseits von sozioökonomischen und ökologisch-geographischen Bedingungen abhängen,76 und die anderseits mit der kulturspezifischen Ausgestaltung ethnozoologischer Klassifikationsysteme zu tun haben.77 Nun ist auch für das hier vorgeschlagene Konzept primärsozialer Beziehungen der Ausgangsbegriff des Sozialverhaltens grundlegend, – allerdings sollte das nicht reduktionistisch missverstanden werden. Zwar fokussieren wir – anders 74
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Gemeint sind hier Merkmale wie Körperhaltung, Gesichts- oder Kopfform, Mienenspiel usw. Am Rande bezieht D. Morris auch Aspekte des Sozialverhaltens und der jeweiligen Motorik mit ein. Vgl. am Beispiel des „Kindchenschemas“ I. Eibl-Eibesfeldt (1995: 93ff.) oder St. Gould (1989: 89ff.). Vgl. dazu am Beispiel der „heiligen Kühe“ Indiens die klassische Darstellung von M. Harris (1989a: 11-32). Vgl. zum Ansatz des kulturellen Materialismus auch M. Harris (1989). Vgl. dazu die Bemerkungen zu M. Douglas und E. Leach weiter unten.
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als der Handlungsbegriff Max Webers78 – nicht das Sinnverständnis des handelnden Subjekts, insbesondere nicht die individuellen Motivlagen, die ein Handeln initiieren oder sogar steuern. Die Formen sozialer Wechselwirkung, auf die es hier ankommt,79 sind nicht mit der Summe der individuellen Motive gegeben, sondern eher über ein dem Handeln selbstverständlich vorausliegendes „Vorverständnis“ zu erschließen, das den Beteiligten die „Totalität der Situation“ sozusagen pragmatisch erschließt. Gemeint ist ein Horizont möglicher Handlungsund Verhaltensmuster, der hinter und neben den sie begleitenden psychischen Motiven, Befindlichkeiten usw. wirksam ist und der diese unter Umständen auch konterkarieren kann. In welchem Sinne daher eine Situation von den Handelnden als real bzw. „handhabbar“ definiert wird, ist also zunächst eher an den tatsächlichen Wechselwirkungsformen des Verhaltens abzulesen als an den vorentworfenen, begleitenden oder ex post (re-)konstruierten Motiven und Sinnzuschreibungen der Beteiligten. Ein kontrolliertes Sinnverstehen des Handelns wird damit nicht für obsolet erklärt, im Gegenteil. Der sinnverstehende Ansatz wird in gewissem Sinne sogar „verdoppelt“, da nunmehr auch implizite, oft latent bleibende Ebenen des Verhaltenssinns vom deutenden Verstehen (und funktionalen Erklären) zu erfassen sind. Vor allem im Hinblick auf die biosozialen Grundlagen des menschlichen und tierlichen Sozialverhaltens verspricht dieses sozusagen „ökumenische“ Konzept wohl am ehesten, der zeichenhaften Textstruktur von Verhaltensprozessen derart gerecht zu werden, dass die von Paul Ricœur eingeforderte „Dialektik von Verstehen und Erklären“80 auch bei humanimalischen Interaktionsprozessen in Gang gesetzt werden kann. Eben diese Dialektik erfordert es nun andererseits, dass sozialwissenschaftliche Untersuchungen interspezifischer Interaktionsprozesse die primärsoziale Seite dieser Beziehung nicht hypostasieren sollten. Wie ja schon Hegel anmerkt, ist die charakteristische Fremdartigkeit des Tieres das Resultat einer eigentümlichen Überlagerung beider Bezugsebenen: der primärsozialen, auf wechselseitiger Du-Evidenz beruhenden und der sekundärsozialen Beziehungsebene. In diesem Sinne sensibilisieren insbesondere ethnologische81 Untersuchungen für die mannigfachen Facetten der sekundärsozialen Ebene des Mensch-Tier-Verhältnisses sowie für die „sekundären“ Ambivalenzen, die durch Interferenzen unterschiedlicher tiersymbolischer Bezugskontexte entstehen. Zur Erforschung dieser (nur 78 79 80 81
Vgl. M. Weber (1980: 11ff.), zur Kritik vor allem W. L. Bühl (1972: bes. 17ff.). Vgl. zu G. Simmels Wechselwirkungskonzept in diesem Zusammenhang F. Tenbruck (1958: bes. 598f.). Vgl. P. Ricœur (1972: bes. 267ff.), zur methodologischen Fruchtbarkeit von Ricœurs Ansatz für eine „mixed method“ der Mensch-Tier-Interaktionsforschung K. Shapiro (1990: 185). Vgl. als Überblick die Arbeiten von E. Shanklin (1985) und R. Willis (1990).
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analytisch zu unterscheidenden) zweiten Ebene, auf der interspezifische Interaktionen (von der menschlichen Seite her) über soziokulturelle Typisierungs- und Klassifikationsordnungen mitkonstituiert werden, haben vor allem Ansätze aus dem Bereich der zeichentheoretisch orientierten Kultur- und Sozialanthropologie wegweisende Beiträge geliefert. Ein heuristisches Beispiel ist hier Clifford Geertz’ „dichte Beschreibung“ des balinesischen Hahnenkampfes (Geertz 1987: 202ff.). Geertz fällt zunächst eine eigenartige Ambivalenz auf, mit der balinesische Männer ihre Hähne häufig behandeln. Einerseits werden den Vögeln (vor allem im Umfeld des Kampfgeschehens) erhebliche Qualen zugemutet, andererseits sind Verhaltensmuster typisch, die den Enthusiasmus und die fast rührende Sorge der Männer für ihre Hähne ausdrücken. Geertz hält sich allerdings nicht lange auf dieser primärsozialen Ebene der Mensch-Tier-Beziehung auf, sein Hauptaugenmerk gilt dem soziokulturellen Sinnkontext des Hahnenkampfes, dessen symbolischer Mehrebenenaufbau zahlreiche Hinweise auf die soziokulturellen Konstruktionsprinzipien der balinesischen Gesellschaft enthält. Für den vorliegenden Diskussionszusammenhang ist vor allem wichtig, dass Geertz aufzeigt, wie abwegig es wäre, den Tiefensymbolismus dieses „deep play“ auf eine einzelne Sinnbezugsebene zu reduzieren (z.B. auf den mythologischen Hintergrund, auf die Ökonomie der riskierten Wetteinsätze, auf die durch die Kämpfe aktualisierten sozialen Solidaritäten unterschiedlicher Dörfer, korporativer oder verwandtschaftlicher Gruppen usw.). Geertz konzentriert sich auf die symbolimmanenten, die sozusagen „sekundären“ Ambivalenzen des Hahnenkampfgeschehens, um über sie die primärsozial faßbaren Ambivalenzen des Face-to-face-Verhaltens der Männer zu ihren Hähnen zu erhellen. So werden Hähne zwar als kämpferische, schöne, erfolgreiche usw. Tiersubjekte perzipiert, doch ihrer symbolischen Überdeterminierung wegen keineswegs als sozusagen „autonome“ Subjekte. Symptomatisch ist hier, dass die Subjektreferenz des Hahnes projektiv auf seinen Besitzer rückbezogen bleibt, auf den Mann, der sein „öffentliches Selbst symbolisch und metaphorisch durch das Medium seines Hahnes in die Arena bringt“ (Geertz 1987: 232). Es ist diese Identifikation mit dem Hahn, die die seltsam anmutende Ambivalenz von zärtlicher Zuwendung und Grausamkeit begründet. Im tierbezogenen Verhalten spiegelt sich nicht allein männlicher Narzißmus; es ist gleichzeitig Ausdrucksvehikel einer verdrängten Abscheu vor dem bedrohlich wie faszinierend empfundenen Bereich des „Animalischen“. Der animalische Bereich ist dabei selbst janusköpfig. Die mit unterschwelliger Attraktion verbundene Distanz gilt einmal den „animalischen“ Sexualimpulsen, zum anderen – und allgemein – einer Tier-
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welt, die (von Ausnahmen wie dem Hahn und einigen Haustieren abgesehen) oftmals mit „phobischer Grausamkeit“ behandelt wird (Geertz 1987: 212f.).82 Geertz’ Diskussion des balinesischen Hahnenkampfes sensibilisiert nicht nur für die symbolische Tiefenstruktur tierbezogener Ambiguitäten, sie zeigt auch, dass Ethnozoologien mitunter „besondere“, meist stark affektiv besetzte Tiere hervorheben (auf Bali z.B. den Hahn). Meist sind es Tiere mit derartigen „Sonderpositionen“, bei denen sich Hinweise auf die leitenden Ordnungsprinzipien der betreffenden Ethnozoologie verdichten. Ein Theorietopos, der einige der damit einhergehenden Probleme schon früh leitbegrifflich zu bündeln vermochte, ist hier der Begriff des Totemismus. Obwohl Claude Lévi-Strauss (1965) bereits vor Jahrzehnten den Totemismusbegriff seiner Unschärfen und ethnozentrischen Konnotationen wegen als „illusionäres“ Konstrukt kritisiert hat, ist die diesbezügliche Diskussion seither nicht verstummt. Im Gegenteil: seit den achtziger Jahren ist sogar von einem „veritable ‚totemic revival“ (Willis 1990a: 5) die Rede. Ein Grund hierfür ist sicher, dass der strukturalistische Ansatz von Lévi-Strauss die sekundärsozialen Symbolbezüge in den Naturkonstruktionen des „menschlichen Geistes“ tendenziell verabsolutiert hatte. Die primärsozial geprägte „Fremdartigkeit“ des lebendigen Tieres, der Facettenreichtum menschlicher Interaktionen mit diesen „subjektiven Naturobjekten“, war dabei etwas aus dem Gesichtsfeld geraten.83 Auch 82 83
Vgl. zur balinesischen Betonung der Mensch-Tier-Differenz auch M. Mead (1974: 144f.). In diesem Sinne fordert M. Douglas (1996:141) mit kritischem Seitenblick auf Lévi-Strauss (und mit einem unüberhörbar selbstkritischen Unterton) zurecht „minute attention (...) to how animals interact with humans and to the interests that humans persue when they chase or eat or tame animals or harness them to work.“ Lévi-Strauss’ eigener Ansatz einer Vermittlung der primärsozialen und symbolischen Tierbezugsebene kann hier (mit Blick auf die französische Gegenwartsgesellschaft) nicht recht überzeugen, fällt er doch außerdem etwas schematisch aus. Im System französischer Tierbenennungen, so Lévi-Strauss, sind Hunde wie Vieh integrierte Teile der menschlichen Gesellschaft, sie partizipieren an ihr „metonymisch“. Den Hunden wird – im Gegensatz zum Vieh – ein Subjektstatus zugestanden, freilich einer, der ihre untergeordnete Stellung unterstreicht. Hundenamen wie „Azur“, „Sultan“ oder „Fido“ z.B. bilden eine Reihe von „Bühnennamen“, die zwar Subjektivität ausdrücken, andererseits doch klar von der Reihe menschlicher Vornamen abgehoben sind. Auch das Vieh hat als „Teil unseres technischwirtschaftlichen Systems“ eine metonymische Beziehung zur menschlichen Gesellschaft, doch wird es – im Gegensatz zu den Hunden – klar als „Objekt“, als Sache (als „Stück Vieh“) betrachtet (Lévi-Strauss 1979: 239). Typisch sei hier eine beschreibende Namensgebung, die Eigentümlichkeiten der Farbe oder der Zeichnung des Fells, des Körperbaus oder des „Temperaments“ aufgreift (z.B. „Blanche“, „Douce“, „Rousset“). – Es scheint allerdings, dass im Heimtierbereich das primärsoziale Beziehungsmuster mitunter keineswegs so eindeutig oder ausschließlich auf ein „hündisches“ Unterordnungsverhältnis abzielt, wie es der (zudem etwas statisch anmutende) Schematismus von Lévi-Strauss nahelegt. Wenn man nämlich andere Heimtiere (z.B. Katzen, bestimmte Ziervögel) in die Betrachtung einbezieht, dann wird man ausgeprägte Formen einer lebensweltlichen „Personalisierung“ von Heimtieren nicht übersehen können, Personalisierungstendenzen, die die Reichweite eines derart antagonistischen Gefälles bei
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in anderer Hinsicht zeigte sich, dass manche Annahmen älterer Totemismuskonzeptionen nicht so „illusionär“ waren wie zunächst angenommen. So sensibilisieren diese Konzeptionen oftmals gerade für die Gefühls- und Affektseite ambivalenter Mensch-Tier-Verhältnisse, also für eine Erlebens- und Verhaltensdimension, die über die bloße Freilegung duallogischer Strukturmuster kaum (oder nur sehr rudimentär) zu erreichen ist. Das Gesagte läßt sich am Totemismusbegriff Emile Durkheims kurz erläutern. Typisch totemistisch ist demnach einmal (a) die Annahme einer Abstammungs- bzw. Verwandtschaftsbeziehung zwischen Angehörigen eines sozialen Kollektivs und (einer) bestimmten Tierart(en). Diese Verbundenheit wird oft mythologisch ausgeschmückt und beleuchtet häufig den Hintergrund der Entfremdung zwischen Tier und Mensch, etwa den Ursprung dieser Distanzierung, der z.B. einem Ursündenfall der Ahnen zugeschrieben wird.84 Solche Mythen können dann (b) Verbote legitimieren, die im Umgang mit den betreffenden Tieren zu beachten sind, z.B. rituelle Vorschriften oder außerrituelle Schutzbestimmungen, die ihren Verzehr, ihre Tötung oder eine Namensnennung verbieten (bzw. befristete Beschränkungen vorsehen).85 Durkheim, der den Totemismus erstrangig als Medium kollektiver Solidarisierung begreift, stellt die sekundärsoziale Symbolfunktion des Totemtieres in den Vordergrund: Das Totemtier „repräsentiert“ in gewissem Sinne die jeweilige Sozialeinheit (z.B. die Abstammungsgruppe, den Klan oder Unterklan). Es ist vorrangig dieser Gruppenbezug, der das Totemtier mit einem affektiv stark besetzten Symbolismus und einer Aura des Heiligen ausstattet.86 Im Totemtier verdichtet sich die Kollektivkraft der Gruppe, jene Macht, die gewissermaßen den sozialen und natürlichen Kosmos „zusammenhält“. Obwohl das Totemtier hier oft vergleichsweise leicht durch symbolische Äquivalente (eine Pflanze oder ein lebloses Naturobjekt) ersetzt werden kann, macht Durkheim wiederholt deutlich, dass direkte Face-to-
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„metonymischen“ Mensch-Tier-Verhältnissen insgesamt stark relativieren. Der Fairness halber muss aber hinzugefügt werden, dass Lévi-Strauss später seine diesbezügliche These etwas eingeschränkt hat, indem er konzedierte, dass die Engländer mit ihrem stärker personalisierten Benennungssystem „Einstellungen gegenüber diesen Haustieren (den Hunden, R.W.) zu erkennen geben, die nicht die unseren sind.“ (Lévi-Strauss 1985: 236). Vgl. zu diesen Problemen auch R. E. Wiedenmann (2008a). Z.B. führen die Mbuti-Pygmäen, Wildbeuter aus dem Urwald des heutigen Zaire, Jagd und Fleischgenuß auf eine Ursünde zurück, durch die einstmals der Tod in die Welt kam: ein Ahne hatte eine Antilope getötet und diese, um die Tat zu verbergen, gegessen (C. Turnbull 1993: 7). So betont Durkheim (1984: 178) an zentraler Stelle die Ungenießbarkeit der Totemtiere und -pflanzen: Die „profane Rolle der Pflanzen und selbst der Tiere ist im Allgemeinen, zur Nahrung zu dienen; das Heilige im Totemtier oder in der Totempflanze erkennt man daran, dass man sie nicht essen darf.“ Das Heilige zeigt sich hier vor allem als kollektive Gefühlsbeziehung: „Die Heiligkeit eines Dinges besteht (...) in dem kollektiven Gefühl, dessen Objekt es ist“ (Durkheim 1984: 553).
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face-Kontakte mit einem Totemtier spezifischen Normierungen unterliegen. Wenn z.B. australische Ureinwohner ein Totemtier töten, so legen sie ein geradezu „tierschützerisch“ anmutendes Verhalten an den Tag: „Man entschuldigt sich dessen wie eines Vergehens; man zeigt die Trauer, die man fühlt, den Widerwillen, den man empfindet, und man wendet die nötige Sorgfalt auf, damit das Tier so wenig wie möglich leidet.“87 Durkheims Totemismuskonzeption lässt freilich ein wichtiges Problem ungelöst: Weshalb werden in sozial stringent strukturierten Gesellschaften häufig gerade jene Tiere sakralisiert, die im betreffenden Weltbild eigentlich eine „anomale“ Sonderstellung einnehmen? Mary Douglas ist dieser Frage am Beispiel der zentralafrikanischen Lele nachgegangen. Sozialstruktur und Weltbild der Lele zeichneten sich dadurch aus, dass sie klare und trennscharfe Unterscheidungen bevorzugten und das zu vermeiden suchten, was man als mehrdeutige Mischformen umschreiben könnte. Die Lele verzehrten im Rahmen bestimmter Fruchtbarkeitszeremonien häufig das Fleisch des Pangolin, eines nachtaktiven Insektivoren aus der Familie der Schuppentiere.88 Der Pangolin ist ein Tier, das die Lele im außerrituellen Alltag bewusst zu meiden und zu schonen suchten – zu wundersam, ja gefährlich ist die Aura, die diesem Tier anhaftet. Die Lele glaubten allerdings, dass der Pangolin eine heilbringende Kraft hat, die „durch seinen Tod freigesetzt“ (Douglas 1988: 221) werden kann, weshalb sie von Zeit zu Zeit versuchen, diese segensreichen Wirkungen durch rituelle Schlachtungen für sich nutzbar zu machen. Douglas kann nun zeigen, dass der Pangolin von den Lele deswegen als ein erstaunliches „Wundertier“ typisiert wurde, weil er mehr als andere Tiere Züge eines ambigen, „unreinen“ Mischwesens hat. Der Pangolin ist sozusagen ein „Grenzgänger“ zwischen verschiedenen Seins- und Sinnbereichen des Lele-Kosmos, ein „marginal animal“ der Lele-Zoologie, der „problematisch“ ist, weil er in keine ihrer Tierkategorien so recht hineinpassen will. Um nur einige Punkte anzudeuten, wo die Zwischenstellung des Pangolin den Grenzziehungen der Fauna-Klassifikation der Lele widerspricht: Er hat zwar Schuppen wie die (als besonders fruchtbar geltenden) Fische, aber anders als diese klettert er auf Bäume; wie der Mensch – aber im Unterschied zu den „normalen“ Tieren – bringt er meist nur ein Junges zur Welt, er säugt sein Junges, obschon sein Äußeres dem einer Eier legenden Echse gleicht, usw.89 Eben wegen 87
88 89
E. Durkheim (1984: 183). Solche Restriktionen sind freilich keineswegs universell verbreitet; bei den afrikanischen Tallensi etwa, deren Beziehungen zur Tierwelt stark ritualisiert sind, erweisen die Clans, die die Katze als Totemtier führen, ihren Hauskatzen wenig Respekt (Fortes 1945: 141f.). Douglas (1996: 135) kennzeichnet die betreffende Schuppentierart näher als „tree pangolin“, deutsche Bezeichnung: Weißbauchschuppentier (lat. Manis tricuspis). Vgl. M. Douglas (1988: 218f.; 1975: 33ff.), ergänzend die Einwände von D. Sperber (1975).
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dieser Zwischenlage traute man dem Pangolin aber die Fähigkeit zu, zwischen unterschiedlichen Realitätsbereichen zu vermitteln, z.B. zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Welt, zwischen Wasser und Land, zwischen der menschlichen Sphäre und der „normalen“ Tierwelt. Im Anschluss u.a. an M. Douglas hat Edmund Leach in einer kulturvergleichenden Arbeit diesen Ansatz dann am Tierklassifikationssystem der englischen Gegenwartsgesellschaft erprobt.90 Sein Erkenntnisinteresse gilt der komparativen Herauspräparierung von Analogiebeziehungen, die sich zwischen Tierschimpfwörtern, obszönen Ausdrücken, Speisevorschriften und Heiratsregeln aufweisen lassen. Leach stützt sich dabei auf eine Tabutheorie, die die Funktionsweise soziokultureller Ambivalenzen bzw. Ambiguitäten91 erhellen kann. Seine leiten90
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Eine detaillierte Diskussion der Ansätze von M. Douglas und E. Leach hat K. Eder (1988: 143ff.) vorgelegt. K. Eder tendiert freilich dazu, Natur auf ein kulturelles Konstrukt, auf das Insgesamt „symbolischer Konstruktionen“ zu reduzieren. Dies ist insofern problematisch, als diese Konstruktion (fast) ausschließlich von der konstruierenden Subjektseite, nicht aber von den „gegenstands“-spezifischen Konstruktionsbedingungen her gedacht wird. Die Eigenschaften der „natürlichen Symbole“ werden nur im Verweisungszusammenhang eines soziokulturellen Symbolismus interpretiert, kaum hingegen im Zusammenhang ihrer materiell-ökologischen Bedingungen oder – wie beim Tier erforderlich – ihrer genuinen Subjektivität. Die soziale Konstruktion der Natur impliziert eine Symbolisierung der Natur, bei der die symbolischen Bezüge ausschließlich auf gesellschaftliche Sachverhalte oder Bedingungen gerichtet sind: „Die Natur ist nur (!) das ‚Bezeichnende. Das ‚Bezeichnete in den Symbolisierungen der Natur ist die Gesellschaft selbst. In der Symbolisierung der Natur legt die Gesellschaft die elementaren Regeln der Wahrnehmung und Erfahrung der Welt fest“ (Eder 1988: 61). Aus den schon oben angeführten Gründen ist es freilich sehr zweifelhaft, Kommunikationsprozesse auf intrahumane Kommunikation zu beschränken und das „humanimalische“ Kommunikationsbzw. Interaktionsgeschehen zwischen Mensch und Tier auszuklammern. Selbst die (im weiteren Sinne) strukturalistischen Ansätze von E. Leach oder M. Douglas, die dieser primärsozialen Dimension relativ wenig Aufmerksamkeit schenken, sind hier weit weniger restriktiv als Eder. Insbesondere ist die empirisch unhaltbare Auffassung zurückzuweisen, das „Naturobjekt“ Tier würde im Verlauf der okzidentalen Modernisierung aus der sozialen Ordnung der Schöpfungsgemeinschaft ausgeschlossen und pauschal der „Umwelt der menschlichen Sozialordnung“ zugeschlagen, mit der man dann „fürsorglich, ausbeuterisch oder aggressiv umgeht“ (Eder 1988: 172). Im Kern besagt diese These, der moderne, humanzentrierte Subjektbegriff habe die Tiere in den Bereich der sachlichen Natur verbannt. Schon die Arbeiten z.B. von K. Tester oder K. Thomas (wie auch unsere Fallstudien im sechsten Teil) zeigen freilich, dass dies besonders für moderne Heimtiere untypisch ist und es gerade ihr (freilich begrenzter) Subjektstatus ist, der sie (wie dann auch bestimmte Nutztiere) zum Gegenstand moderner Tierschutzanstrengungen qualifiziert. Die moderne Inthronisation des vernünftigen Subjekts, auf die Eder einseitig abstellt, ist nur eine – obschon sehr einflussreiche – Variante moderner Subjektivierungstendenzen (zumal man auch die frühneuzeitlichen Diskurse nicht übersehen sollte, die explizit die „Vernunft der Tiere“ zu ergründen und auszuweisen suchten; vgl. dazu die Beiträge, die von J. Winkler (1742) zusammengestellt wurden). Vgl. zu K. Eders Ansatz auch die Bemerkungen bei R. Wiedenmann (1993b). Im vorliegenden Zusammenhang verwenden wir Ambivalenz und Ambiguität synonym für doppel- oder mehrdeutige Sinnkonstrukte, unabhängig davon, wie stark der betreffende Ver-
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de Annahme schließt eng an M. Douglas an: In dem Maße, in dem eine Kultur ihre grundlegenden Unterscheidungen klar und unzweideutig trifft, wird sie Typisierungen bevorzugen, die fließende Übergänge und „unklare“ Mischformen dem Bewusstsein zu entziehen suchen oder wenigstens dadurch vor ihnen „warnen“, dass diese „Zwittergebilde“ als etwas „Unsauberes“ oder Bedrohliches erscheinen. Denn, so Leach (1975: 35), „taboo inhibits the recognition of those parts of the continuum which separate the things.“ Das Tabu ist in dieser Sicht beides: Quelle der Angst, aber auch Gegenstand einer eigenartigen Faszination. Leach prägnant: „whatever is taboo is a focus not only of special interest but also of anxiety. Whatever is taboo is sacred, valuable, important, powerful, dangerous, untouchable, filthy, unmentionable” (Leach 1975: 37f.)92
Unseres Erachtens kann die kulturwissenschaftliche Tragweite der hier von Leach herausgestellten Grundambivalenz des (Un-)Heiligen kaum überschätzt werden. Nur zwei Parallelbezüge seien angemerkt. Einmal: Das Tabu erinnert nicht zufällig an die von Rudolf Otto (1987) herausgestellte Zweideutigkeit des Numinosen, an die enge, immanente Verschränkung des „tremendum“ und des „fascinosum“. Zudem: Obschon sich Leach in dem erwähnten Aufsatz nicht auf Freud bezieht, so ist hier doch eine frappierende Konvergenz zwischen der psychoanalytischen und der strukturalistischen Tabuauffassung offensichtlich. Bereits vor Otto machte Sigmund Freud auf den in unserem Zusammenhang entscheidenden Punkt aufmerksam: In seinem Aufsatz „Das Tabu und die Ambivalenz der Gefühlsregungen“ rückt Freud den polynesischen Tabubegriff in die Nähe des lateinischen „sacer“ und des altgriechischen „hágos“. Für beide Ausdrücke sei die emotionssemantische Konnotation einer „heiligen Scheu“ charakteristisch: „Uns geht die Bedeutung des Tabu nach zwei entgegengesetzen Richtungen auseinander. Es heißt uns einerseits: heilig, geweiht, andererseits: unheimlich, gefährlich, verboten, unrein. Der Gegensatz von Tabu heißt im Polynesischen noa = gewöhnlich, allgemein zugänglich“ (Freud 1970: 25).93
92 93
weisungskontext mit – z.B. moralischen oder ästhetischen – Valenzen behaftet ist. Vgl. zum Ambivalenzkonzept im Übrigen die Beiträge in H. O. Luthe/R. E. Wiedenmann (1997). Vgl. zum symboltheoretischen Hintergrund dieser Konzeption des Heiligen eingehender E. Leach (1978: 45ff., 78ff.). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die phonetische und semantische Nachbarschaft von „hágos“ (fromme Scheu), „ágos“ (Befleckung, Frevel, Versündigung) und „hágios“ (im Sinne von heilig, ehrwürdig, rein) bzw. „hagnós“ (rein, unbefleckt, schuldlos) (vgl. Dodds 1970: 25; Grønbech 1967: 13f.).
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Leach zufolge werden manche Tiere deswegen tabuiert, also expliziten oder impliziten Verboten unterworfen, weil sie jenen mehrdeutigen Übergangszonen angehören, in denen sich Tierklassen überlappen, – Klassen, die man normalerweise möglichst klar voneinander abgrenzen sollte. Diese „unreinen“, anormalen und oft „unheimlichen“ Tiere kombinieren (wie z.B. der Pangolin) häufig Merkmale, die für die „eigentlichen“, die wilden Tiere typisch sind, mit Merkmalen, die (in der betreffenden Kultur) normalerweise dem menschlichen Bereich zugerechnet werden.94 Schematisch vereinfacht, handelt es sich dabei um folgendes Dreierschema (siehe Leach 1975: 45): Abbildung 1:
Die ambivalente Zwischenposition tabuierter Tiere
p man (not animal) tame (friendly)
both p and ~ p „man-animal“ („pets“) game (friendly/hostile)
~p not man (animal) wild (hostile)
Ein weniger grobes Klassifikationsraster erhält man, wenn die mittlere Sammelkategorie der „menschenähnlichen Tiere“ („man-animal“) weiter unterteilt wird. Leach verweist hier auf die strukturelle Parallelität des alimentären und des sexuell-sozialen Nähe-Distanz-Spektrums. Zur Veranschaulichung hier nun das vereinfachte Schema, das am Beispiel Englands die normativen Entsprechungen zwischen den wichtigsten Tierkategorien und Sexualpartnertypen idealtypisch auflistet (nach Leach 1975: 36f.; vgl. auch Oppitz 1975: 168f.): Abbildung 2: self self Verbot
Nähe-Distanz-Spektrum (Speise- und Sexualnormen) sister pet Ja
cousin livestock bedingt
neighbor „game“ bedingt
stranger wild animal (ja)
Nach diesem Schema erstreckt sich der Zwischenbereich des Tabuierten über die drei mittleren Mischkategorien. Als besonders „schmutzig“ werden z.B. sexuelle Verbindungen mit der stark inzestbesetzten Kategorie der „echten Schwestern“ betrachtet. Schwächer missbilligt werden Heiraten mit Cousinen ersten Grades. 94
Dieser Gedanke klingt bereits bei O. Höfler (1934: 37) an, wenn er über die „außermenschliche Menschenähnlichkeit“ von Pferd und Hund bemerkt: „gerade als die ‚zahmsten und klügsten Tiere sind meines Erachtens Roß und Hund in den Ruf der Dämonie gekommen. Eben weil sie ‚fast wie Menschen sind und doch einem inneren Gesetz gehorchen, das nicht das unsere und uns nicht ganz verstehbar ist.“ Vgl. zu den verschiedenen Bedingungen der Anthropmorphisierung des Pferdes näher M. Baum (1991: 98ff.).
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Im Bereich der ethnozoologischen Nahrungsklassifikation gilt analog: Auf der einen Seite sind „pets“ (Schoß- oder Heimtiere) nicht essbar, andererseits ferne Wildtiere, d.h. exotische Tiere, wie sie in unseren Breiten nicht oder meist nur in zoologischen Gärten zu sehen sind. Die beiden anderen Kategorien dienen als Nahrungsmittel, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen, ansonsten erregen sie eher Widerwillen, Ekel, gelten als „ungesund“ oder wenig bekömmlich. Bei den größeren Nutztieren („livestock“/„Vieh”) etwa ist die Essbarkeit häufig an Kastration gekoppelt, für Tiere in Wald und Flur (Wild, „game“) hingegen gilt: „They are edible in sexually intact form, but are killed only at set seasons of the year in accordance with set hunting rituals“ (Leach 1975: 44). Der skizzierte Zusammenhang lässt sich auch an „schmutzigen“ sprachlichen Wendungen demonstrieren, etwa an Beleidigungen, Flüchen oder an Ausdrücken, die sexuelle Tabus verletzen, weil sie als unflätig, vulgär oder gar als „unaussprechlich“ angesehen werden. Schon das Wort „game“ (Wild) illustriert dies. „Game“ meint nicht nur das Wild in Wald und Flur, sondern auch sexuelle Freizügigkeit, Laszivität.95 Für Leach ist es jedenfalls kein Zufall, dass nicht nur im Englischen oft gerade solche Tiere für verbale Obszönitäten und Schimpfwörter herangezogen werden, die den ethnozoologischen Mischzonen zuzurechnen sind.96 95 96
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Zweideutigkeit von „venery“ (Jagd, sexuelle Freizügigkeit). E. Leach (1975) führt hier Ausdrücke an, die oft ein- oder zweisilbig sind, wie z.B. „bitch“ (Hündin/Hure), „cock“ (Hahn/Penis), „ass“ bzw. „arse“ (Esel/Hinterteil), „quean“ (unfruchtbare Kuh/Prostituierte). Weitere derartige Beispiele finden sich bei F. Grose (1811). – Im Deutschen gibt es z.B. eine vulgärsprachliche Nebenbedeutung von „Hahn“ (für das männliche Glied, vgl. L. Röhrich 1994a: 620), im Mittelfränkischen den Katerkosenamen „Bember“ bzw. „Bemberle“ (Rosenfeld 1950: 96). Obwohl sich derartige Entsprechungen zu häufen scheinen, wenn Haustiernamen als Schimpfwörter Verwendung finden (Hund, Ochse usw.), so hat J. Halverson (1974: 510f.) doch zu Recht darauf hingewiesen, dass Leach die ambigen Valenzen exotischer Wildtiere (wie Affe, Schakal, Hyäne) praktisch ausblendet. Nicht zu übergehen sind in der Tat die zoologischen Aspekte der Ambivalenz fremder Tiere. Sie beziehen sich auf phylogenetische, morphologische, anatomische, ethologische usw. Eigenschaften des Tierorganismus, Eigenschaften, die in gewissem Sinne „von sich aus“ als menschenähnlich gedeutet werden. Wirbeltiere bewegen sich im Allgemeinen in einer geringeren Distanz zum Menschen als etwa das Gros der Insekten (abgesehen von Ausnahmen wie z.B. der Biene). Ethologisch können z.B. stimmliche Besonderheiten des Tieres eine Rolle spielen, wie bei Papageien oder Sittichen. Bei anderen Wildtieren können so deutliche anatomisch-morphologische Parallelen zutage treten, dass auf diese Weise eine Art „Halbmenschlichkeit“ des Tieres nahegelegt wird. Primaten sind hier exemplarisch, – das zwar in doppelter Hinsicht, wie D. Haraway (1995: 139) zu Recht resümiert: „Primaten sind in bestimmten historischen Auseinandersetzungen privilegierte Objekte, wenne s darum geht, sowohl den unmarkierten menschlichen Ort in der Natur zu benennen als auch die gleichermaßen unmarkierte Natur des memnschlichen gesellschaft zu beschreiben.“ Man denke etwa an Schimpansen oder Gorillas, die wegen ihres menschenartigen Äußeren und ihrer engen stammesgeschichtlichen Nachbarschaft zum Menschen
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Kapitel 2
Das Haustier Katze ist in dieser Hinsicht ein exemplarischer Fall: Die obszöne Zweideutigkeit der „pussy“ (Katze/weibliche Scham) findet im Deutschen z.B. im geläufigen Katzennamen „Muschi“ ihr Pendant, im Französischen stößt man bei „la chatte“, „le minet“ bzw. „la minette“ auf ähnliche Nebenbedeutungen, wie sie sich auch in einschlägigen Redensarten finden.97 Die besondere „Eignung“ der Lieblingskatze „la grise“ für die grausame Inszenierung der Pariser Druckergesellen zeigt sich nun in einem klareren Licht. Das erwähnte Katzen-Gemetzel kann nun in doppelter Hinsicht mit symbolischer Ambivalenz in Verbindung gebracht werden: (a) Das grausame Geschehen zeigt und verbirgt gleichzeitig, dass die Attacke binnenmenschlich gemeint war: Man schlägt die Katzen und trifft doch (auch) die Herrschaft. Außerdem ermöglichte das Katzenmassaker (b), durch die Beleidigung der Meisterin ihren Gatten zu treffen. Man konnte „zwei Fliegen mit einer Klappe“ schlagen, denn die ungestrafte Bloßstellung der Laszivität der untreuen Ehefrau implizierte die Verspottung des Meisters als Hahnrei: „Die Beleidigung war metonymisch. Indem die Arbeiter dem Lieblingstier der Meisterin Gewalt antun, vergewaltigen sie sie symbolisch. Das stellt zugleich die äußerste Beleidigung des Meisters dar.“ 98
97
98
als Tiersubjekte par excellence angesehen wurden; z.B. traute man ihnen bis weit in die frühe Neuzeit hinein zu, sie könnten mit Menschen Nachkommen zeugen. In seinen „Relationes Curiosae“ von 1683 berichtet etwa E. W. Happel (1990: 11-13) von einer „unnatürlichen Ehe“ zwischen einem Affen und einer „portugiesischen Frau“. Ein anderes, heimisches Wildtier, das offenbar u.a. seines äußeren Erscheinungsbildes (einer zeitweise aufrechten Körperhaltung usw.) wegen als menschenähnlich empfunden wurde, war der Braunbär. Noch im 16. Jahrhundert findet man die Auffassung, er könne sich mit Menschen fortpflanzen (Schenda 1995: 31f.). (Und nebenbei: Wer erinnert sich nicht an den Medienrummel, durch den 2006/2007 die Welt das Drama um den Braunbären „Bruno“ und die Kinderstube des Berliner Eisbären „Knut“ miterleben konnte?). – Solche und ähnliche Beispiele deuten darauf hin, dass neben einer taxonomischen Anomalie auch ein Mindestmaß an Du-Evidenz eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass einer Tierspezies die tabubesetzte „Betwixt-and-between“-Position einer „menschenähnlichen Fremdheit“ zugeschrieben wird. Lediglich erwähnt sei hier auch die Bedeutung des straußenähnlichen Kasuar für die Karam aus dem Hochland von Neuguinea (Bulmer 1967). Vgl. z.B. die sprichwörtliche Redensart: „Die Katze lässt das Mausen nicht“ (Röhrich 1994b: 821, vgl. auch 827). Vgl. für das Französische die Beispiele, die R. Darnton (1989: 112f.) zusammenstellt, zur symbolischen Assoziation von Katze und (weiblicher) Sexualität auch R. Delort (1984: 333, 336f.). R. Darnton (1989: 116f.). – Auf R. Chartiers (1985) Kritik, die Darnton u.a. eine essentialistische und statische Verkürzung der Tiersymbolik und ihrer Entwicklungszusammenhänge ankreidete, antwortete Darnton mit einem differenzierten symbolischen Schema, das nun eher die inhärenten Konfliktebenen akzentuiert und deutlicher das soziale Beziehungsmoment zwischen den „pet cats“ (bes. „la grise“) und den Druckerlehrlingen hervortreten lässt. Als ein wesentliches auslösendes Moment des Katzenmassakers wird nun deutlicher die „rivalry between the boys and the cats“ (Darnton 1986: 232) herausgestellt, die sich beide im liminalen Sozialraum des „Betwixt-and-between“ bewegen, also weder ganz dem häuslichen noch eindeutig dem außerhäuslichen Bereich (der Straße) zugehören. Vgl. zur Diskussion der Chartier-DarntonKontroverse J. Fernandez (1988); zur gegensätzlichen und dennoch komplementären Funkti-
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Trotzdem führt Leachs moderater Strukturalismus, der sich fast ausschließlich auf den ethnozoologischen Symbolkontext konzentriert, zu einigen Engführungen. Zum einen wird der Stellenwert der primärsozialen Mensch-TierBegegnung nur am Rande berücksichtigt, vor allem werden die Konsequenzen tierbezogener Du-Evidenz nur unzureichend in Rechnung gestellt. Ein Beispiel: Wenn wir uns schämen, ein Tier von beträchtlicher Größe zu töten (Leach 1975: 46f.), dann ist Größe im Grunde ein Merkmal, das normalerweise zwar DuEvidenz zweifellos begünstigt, für sich aber keineswegs begründen kann. Kleinere Heimtiere besitzen für ihre Bezugspersonen in aller Regel sehr viel mehr DuEvidenz als vergleichsweise große, aber anonym bleibende Wildtiere. Größe ist – für sich genommen – also (noch) kein entscheidendes Kriterium, dass wir ein Wildtier als konkretes Tierindividuum erleben, etwa im Zoo oder in jener „Quasiunmittelbarkeit“, mit der uns die Medien ihre Geschichten um „Bruno“, „Knut“ usw. präsentieren. Hier wie dort führen nicht selten ethologisch begründete Wahrnehmungsmuster dazu, dass wir unbekannte Wildtiere als Lebewesen auffassen, die zu töten uns spontan widerstrebt. So hängt die Abscheu, die Fernsehbilder über das Totknüppeln von Robbenbabies oder das Abschlachten von Delphinen hervorrufen, auch damit zusammen, dass wir uns bei den Jungrobben vom „Kindchenschema“, im anderen Fall vom „lächelnden Gesichtsausdruck“ der Delphine angesprochen fühlen. Weitreichender sind freilich Einwände, die den gesellschaftlichen Kontext ethnozoologischer Klassifikationskriterien betreffen. Vor allem im Hinblick auf Leachs Deutung der Speiseverbote drängt sich der Eindruck eines strukturalistischen „Idealismus“ auf, der die genuin soziokulturellen Bedingungskontexte überhöht. So insistiert besonders Marvin Harris auf den Funktionen, die Nahrungstabus im System der materiellen Reproduktion einer Gesellschaft erfüllen, etwa mit Blick auf demographische Entwicklungen, auf ökologische und ökonomisch-technische Bedingungen, schließlich auch im Hinblick auf die ethologisch-zoologischen Besonderheiten der betreffenden Tierarten. Den Verzicht auf das Verzehren von Pferdefleisch etwa kann man über weite Strecken der geschichtlichen Entwicklung nicht losgelöst von der (relativ kostengünstigen oder schwer ersetzbaren) Rolle des Pferdes als militärischer Faktor und Transportmittel betrachten, nicht unabhängig von seiner (im Vergleich zu Rind oder Schaf) ineffektiven Grasfutterverwertung usw. (Harris 1991: 89ff.; Meyer 1975b: 33ff.). Vor allem legt Leach seinem Tierschema Kriterien zugrunde, die für die Lebenswelten relativ einfacher, wenig differenzierter Gesellschaften typisch sind. In funktional differenzierten Gesellschaften ist die soziale Ordnungsleistung des Verwandtschaftssystems von weitaus geringerem Gewicht als die von Organionsweise von Metonymien und Metaphern in rituellen liminalen Transformationsprozessen auch R. Wiedenmann (1989).
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Kapitel 2
sationen und Institutionen, die auf nichtverwandtschaftlichen Zugehörigkeiten basieren. Außerdem: neben die alltägliche Umgangssprache treten in komplexen Gesellschaften „Spezialsprachen“, die in bestimmten Lebensbereichen eine ungleich wichtigere Orientierungsfunktion erfüllen. Zudem gibt es tierbezogene Verhaltenskontexte, die die Bedeutung von Speisetabus insgesamt relativieren. Die Unterscheidung essbar/nicht essbar erfasst zwar eine Nutzungsdimension, die auch heute von enormer Bedeutung ist, die aber im Verhältnis zu den Nutzungsweisen anderer Bereiche (wie Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Familie) doch zu relativieren ist. Die relativ homogene Tierklassifikation einfach strukturierter Gesellschaften verzweigt sich in funktional differenzierten Gesellschaften in eine Vielzahl relativ unabhängiger Ordnungssysteme, die untereinander nicht selten Unstimmigkeiten aufweisen. So gelingt es heute z.B. weder der Religion noch einem anderen Ordnungssystem (nicht einmal der Wissenschaft) zuverlässig, die verschiedenen gesellschaftlichen Ethnozoologien zu harmonisieren. Dieser Pluralismus der Ethnozoologien geht vielmehr mit Diskrepanzen, Paradoxien und Überlappungen einher, die der strukturellen Ambivalenz tierlicher Fremdheit ein spezifisch modernes Gepräge geben. Einen im Vergleich zu den bisher vorgestellten Arbeiten dezidiert wandlungsrelevanten Ansatz hat vor einigen Jahren Keith Tester (1992) vorgelegt. Testers Buch, das die statischen Momente der strukturalistischen Konzeption zu überwinden sucht, verdient schon deswegen besondere Aufmerksamkeit, weil hier der Versuch einer systematischen Synopse vorliegt, einer Zusammenschau, die speziell die Entstehung des modernen Tierschutzes im Lichte zentraler Konzeptionen der strukturalistischen Kulturanthropologie und historischen Kultursoziologie diskutiert. Methodologisch behandelt Tester die Genese des modernen Tierschutzes von einer konstruktivistischen Warte aus: Im Selbstverständnis der frühen Exponenten des englischen Tierschutzbewegung entdeckt er soziokulturelle Konstruktionen, die ihre sozialen Konstitutionsbedingungen nur unzureichend mitbedenken, – und insofern als ideologisch zu apostrophieren seien. Eine Leitthese seiner Arbeit fasst Tester (1992: 16) dahingehend zusammen „that animal rights is not concerned with animals at all; that, on the contrary, the idea says rather more about society and humans“ (Tester 1992: 16). Im Hinblick auf die historische Genese der Tierschutzidee schlagen bei Tester dort Differenzierungsgewinne zu Buche, wo er in enger Anlehnung an Michel Foucaults seriellen Konstruktivismus (Foucault 1976; 1980) dafür sensibilisiert, dass dieser Entstehungsprozess von einschneidenden semantischen Zäsuren und Diskontinuitäten geprägt wurde. Seine Kernthese ist hier, dass die Tierrechtsidee insofern als ein soziohistorisches Konstrukt der Moderne zu verstehen ist, als sie auf spezifisch modernen epistemologischen Ordnungsprinzipien beruht. Im Gegensatz zu den Tiersymbolismen der Renaissance und der Klassik habe erstmals
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die Moderne den Gedanken in den Mittelpunkt gerückt, „that humans and animals are similary living organic beings“ (Tester 1992: 87). Erst der modernen Episteme sei es gelungen, mit dem Konzept der Leidensfähigkeit eine grundlegende semantische Ähnlichkeitsbeziehung zu fixieren und daraus Rechte der (nun menschenähnlich erscheinenden) Tiere abzuleiten. Obschon Tester seine These durch eine ausführliche Darstellung wichtiger Entwicklungsetappen des modernen tierethischen Diskurses (von Jeremy Bentham bis Henry Salt) untermauern kann, so wirkt sein Entwicklungsschema doch insofern etwas gewaltsam, als er mentalitätsgeschichtlich divergierende Strömungen (z.B. aus dem Bereich religiöser Bewegungen), die das Abfolgeschema dieses tierdiskursiven Schemas in Frage stellen könnten, marginalisiert. Ein gravierendes Problem von Testers Ansatz tritt aber vor allem dort zutage, wo soziobiologische und ethologische Ansätze angesprochen werden. Testers Kritik kann hier über weite Strecken wenig überzeugen. So werden Konrad Lorenz’ Beschreibungen tierlichen Verhaltens recht pauschal mit dem Etikett des „anthropomorphism“ (Tester 1992: 23) abgetan, – obschon neuere vergleichende Forschungen über tierliche Bewusstseins- und Kommunikationsformen99 derartige Verdikte zusehends fragwürdiger erscheinen lassen. Bereits hier wird deutlich, welche Folgen Testers unzureichende Diskussion der semiotischen Aspekte direkter Mensch-Tier-Kontakte zeitigt: Fast durchweg neigt Tester dazu, die primärsoziale Kommunikationsebene im Mensch-Tier-Verhältnis auszublenden und dafür die rein diskursiven, sekundärsozialen Aspekte dieses Verhältnisses zu favorisieren, – fast so, als würden sich Tiere nur in binnenhumanen Symbol- und Klassifikationssystemen tummeln. Eine Begleiterscheinung dieses konzeptionellen Mankos ist, dass Tester durchweg mit einem etwas verkürzten, die humane Sonderstellung überstrapazierenden Sozialitätskonzept arbeitet. Ein Beispiel: Mit Blick auf einen Satz aus Ludwig Wittgensteins „Philosophischen Untersuchungen“ („Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen“ (Wittgenstein 1971: 260)) resümiert Tester, „that the world of the lion and the social are totally inconnected and, therefore, communication between them is impossible” (Tester 1992: 207).
Es sind vor allem die tendenziell solipsistischen Implikationen dieser Inkommunikabilitätsannahme, die Testers Arbeit für die Grundlegung einer Soziologie von Mensch-Tier-Beziehungen letztlich als ungeeignet erscheinen lassen.100 99 Vgl. z.B. D. Griffin (1991). Wir kommen im dritten und vierten Kapitel noch darauf zurück. 100 Hier ergeben sich Parallelen zu L. Martells (1994: 172-76) Kritik an Tester. Ein Manko der Position von Martell ist allerdings sein etwas undifferenzierter Naturbegriff, der leblose Natur-
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Tester schiebt einer soziologischen Erforschung interspezifischer Beziehungen von vornherein einen Riegel vor, – mit Argumenten freilich, die letztlich gerade im Bezugsrahmen eines konsequenten soziologischen Konstruktivismus anfechtbar sind. Wenn Interaktionsprozesse sich überhaupt als emergente soziale Ordnungsleistungen verstehen lassen, dann ist schwer nachzuvollziehen, dass die (im weiteren Sinne) sozialen Sinnkonstruktionen, die die Kontingenzspielräume dieses Geschehens kanalisieren, nur unilateral (d.h. hier: von der menschlichen Seite) erbracht werden können. Da bei Tester aber nicht einmal Ansätze für einen derartigen Begründungszusammenhang erkennbar sind, bleibt ein Satz wie die Einlassung, „that we (the humans, R.W.) are uniquely social and cultural“ (Tester 1992: 32), letztlich nur eine uneingelöste Beschwörungsformel. Abschließend lässt sich zusammenfassen: Der grundlegenden Ambiguität humanimalischer Sozialverhältnisse wird von kultursoziologisch relevanten Theorieansätzen nicht immer ausreichend Rechnung getragen.101 So tendieren dezidiert kulturanthropologische Zugänge zum Thema meist zu einem „Reduktionismus nach oben“, d.h. sie verlieren die konkreten humanimalischen Interaktionsprozesse aus dem Blick und fokussieren über Gebühr die kulturspezifischen „tiersymbolischen“ Kontexte, insbesondere die im weitesten Sinne ethnozoologischen, religiösen, diskursiven usw. Semantiken, die sich in gesellschaftlichen oder milieuspezifischen Tierbildern artikulieren. Die Einsicht, dass Tiere als Symbole „gut zum Denken“ (oder als Subsistenzressourcen „gut zum Essen“) sind, verdunkelt bisweilen Gewicht und Reichweite der primärsozialen Ebene von Mensch-Tier-Sozialerhältnissen, insbesondere den Sachverhalt, dass manche Tiere auch „gut zum Interagieren“ sind. Umgekehrt gibt es bei interaktionistisch grundierten Arbeiten zwar häufig eine starke Sensibilisierung für die nonverbale Dimension und Verlaufsdynamik von Mensch-Tier-Interaktionen, für ihre stammesgeschichtlichen und ethologischen Bezüge usw.. Doch kommt es hier aufgrund einer unzureichenden gesellschaftstheoretischen Einbettung dieser Befunde mitunter zu einem kurzschlüssigen „Reduktionismus nach unten“. Die soziokulturellen „Brechungen“, die besonderen kulturellen Deutungsmuster von prima facie „natürlichen“ Mensch-Tier-Kontakten bleiben meist unbeleuchtet oder implizit. Mensch-Tier-Interaktionen erschöpfen sich dann in einer interspezifischen Verhaltensdynamik, die im Extremfall auf das bloße Wirken biosozialer Universalien oder auf den wechselseitigen Abgleich von leerformelhaften „Bedürfnisbefriedigungen“ reduziert wird. Wenn wir dieses – in Grenzen – negative Resultat in eine für unser Thema konstruktive Arbeitsperspektive umformulieren, dann zeichnet sich eine Aufgaobjekte (wie Mineralien usw.) und Tiere, diese (paradox formuliert) „subjektiven Naturobjekte“, manchmal allzu forsch unter der amorphen Begriffsklammer „Natur“ zusammenfasst. 101 Vgl. zu weiteren Überlegungen R. Wiedenmann (1993b).
Cartesianische Ordnung und tierliche Ambiguität
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benstellung ab, die am ehesten wohl im Bezugsrahmen eines sozialtheoretischen Mehrebenenansatzes zu bewältigen ist. Gefordert ist ein Ansatz, dessen tragende begriffliche Variablen so aufeinander abzustimmen sind, dass sie die Konzeptualisierung eines doppelten „Brückenschlages“ in Aussicht stellen: 1.
2.
Humanimalische Interaktionen sollten derart erfasst werden können, dass die Verhaltensprozesse der primärsozialen Mikroebene wenigstens ansatzweise mit der intermediären Mesoebene (der auf Mitgliedschaft beruhenden Gruppen, Sozialorganisationen usw.) sowie mit der gesellschaftlichen Makroebene verknüpft bzw. vermittelt werden können. Die deskriptive Erfassung des primärsozialen interspezifischen Interaktionsverhaltens muss hinreichend „offen“ angelegt sein, damit durch eine Verbindung von verstehenden und erklärenden Verfahren eine wechselseitig kontrollierte, nichtreduktionistische Integration von biologisch-ethologischen und (kultur-)soziologischen Befunden möglich wird.
3 Zum Mehrebenenaufbau humanimalischer Sozialität
Im Folgenden werden die konzeptionellen und methodologischen Voraussetzungen einer systemtheoretischen Mehrebenenbeschreibung von Mensch-Tier-Kommunikationen behandelt. Unser Hauptaugenmerk gilt dabei den deskriptivkomparativen Möglichkeiten einer systemtheoretischen Analyse von Kommunikationsprozessen, an denen Menschen und Tiere „beteiligt“ sind und die die eigentlich soziale „Beziehungsqualität“ interspezifischer Verhaltenssequenzen begründen. Diese Sondierung bewegt sich freilich nur in einem explorativen Rahmen, diskutiert werden lediglich die konzeptionellen und methodologischen Eckpunkte eines arbeitsfähigen Konzepts humanimalischer Aktionssysteme. Das schließt freilich nicht aus, dass in thematischer Hinsicht erste Konturen der „topologischen Grundverhältnisse und dynamischen Bewegungen“ (Bühl 1990: 25; vgl. auch Bühl 1982: 55f.) humanimalischer Sozialität angedeutet werden können, insbesondere unterschiedliche „Verhaltenslogiken“ und -ebenen interspezifischer Interaktionen. Zunächst aber: Was bedeutet es, Kommunikationsakte, die für das Sozialverhalten von Lebewesen relevant sind, zu „systemisieren“, d. h. als Systeme zu behandeln? Vor allem: Welches Konzept von Kommunikation kommt dabei ins Spiel? Kommunikation im hier gemeinten Sinn setzt zunächst voraus, dass „mindestens zwei informationsverarbeitende Prozessoren vorhanden sind, die sich aufeinander und übereinander auf sich selbst beziehen“ (Luhmann 1984: 191). Es handelt sich dabei immer um Selektionsprozesse, die dadurch (a) Informationen verarbeiten, dass (b) über mehrere Prozessoren Selbstreferenz erzeugt und dabei (c) Zeit „verbraucht“ bzw. konstituiert wird. Niklas Luhmanns (1984: 195ff.; 1995: 113ff.) Trias von Information, Mitteilung und Verstehen thematisiert diese Einheit von sachlichen, sozialen und zeitlichen Kommunikationsbezügen als „Synthese“ von drei verschiedenen Selektionen: Information, hier verstanden als Grad der Wahlfreiheit bei der Selektion einer codierten Botschaft (Eco: 1985: 54f.; 1987: 70-73), muss sowohl mitgeteilt als auch (miss-)verstanden werden, damit von einem System selbstreferenzieller Kommunikation die Rede sein kann. Für Luhmann sichert die als rekursiver Selbstbezug gedachte
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Kapitel 3
Anschlussfähigkeit kommunikativer Akte das eigentlich „Soziale“ einer soziologischen Systemtheorie. Kommunikation, nicht Handlung, erweist sich als „unausweichlich soziale Operation“ (Luhmann 1995: 114; 1984: 191): Handlungen bzw. Interaktionen werden in sozialen Systemen erst über Kommunikation ermöglicht, Kommunikationen, nicht Handlungssequenzen, stiften letztlich „communicatio“, „Gemeinschaft“, Sozialität. Die basale Selbstreferenz dieses Kommunikationsprozesses schließt aber nicht aus, dass es sich dabei in zweifacher Hinsicht um „offene Prozesse“ (Bühl 2002: 287) handelt. Das meint zum einen Selektionsvorgänge, die nicht einfach vorfixierte Muster (z.B. Kommunikations- oder Wertmuster) reproduzieren, sondern einer „offenen Logik der Signifikanten“ (Eco: 1985: 162ff.) folgen und damit – etwa nach dem Beispiel der ästhetischen Botschaft (Eco 1985: 145ff.) – unerwartete Möglichkeiten bzw. Sinnvarianzen freisetzen. Zum anderen ist zu fragen, inwieweit die von Luhmann fokussierte selbstreferenzielle Geschlossenheit eines autopoietischen Kommunikationsprozesses von seiner fremdreferenziellen Offenheit losgelöst werden kann. Definiert man mit Luhmann (1984: 22) ein Kommunikationssystem über eine Innen-Außen-Differenz, dann sind die selbstreferenziellen Operationen, durch die sich das System von seiner Umwelt abgrenzt, zwar rekursiv miteinander vernetzt, doch so, dass die Geschlossenheit dieses kommunikativen Zusammenhanges gleichzeitig transzendiert, „überschritten“ wird. Dass Kommunikationen (oder Gedanken) untereinander rekursiv anschlussfähig sind, beantwortet ja noch nicht die – soziologisch oft ergiebigeren und interessanteren – Fragen nach dem qualifizierten „Wie“ dieser Anschlüsse und dem sinnhaften „Was“ eines rekursiven Kommunikationsprozesses. Dieser „Richtungssinn“ oder Pfad eines kommunikativen Prozesses kann über die von der autopoetischen1 Selbstreferenz nahe gelegte Verweisungsstruktur nicht hinreichend erhellt werden. Von daher bleibt zu prüfen, ob die diesbezüglichen Einwände, die Luhmanns Autopoiesis-Ansatz bei Kritikern wie z.B. Walter L. Bühl (2002: 347ff.) hervorgerufen hat2, auch für Mensch-Tier-Kommunikationen relevant sind. 1
2
So schreibt N. Luhmann (1986a: 645; Herv. v. L.) z.B. in einem Text zur Selbstreproduktion der Kunst explizit: „Autopoiesis heißt aber nur: dass überhaupt … (weiterhin Kunst möglich ist), und sagt nicht: wie … Auch formal gesehen ist Autopoiesis auf sehr verschiedene Weise möglich (…).“ Diese hier nur angedeuteten Probleme beziehen sich auf die konzeptionelle Reichweite und Stringenz der Begriffe, mit denen Luhmann den Problemen der Fremdreferenz und der „Umweltsensibilität“ sozialer Systeme zu Leibe rückt, zu nennen sind hier besonders die Begriffe „Resonanz(fähigkeit)“, „strukturelle Koppelung“ und „Interpenetration“, vgl. hierzu etwa die Einwände von H.-J. Giegel (1987). Prinzipielle Einwände gegen Luhmanns Ansatz haben sich vor allem an seiner Theorie gesellschaftlicher Differenzierung entzündet (vgl. insbes. Münch 1988: 476ff.; Knorr Cetina 1992; Wagner 1996; Schwinn 1998; Schimank 1998, sowie mehrere Beiträge in Merz-Benz/Wagner 2000). Siehe dazu auch den Exkurs unter 4.2.1.
Zum Mehrebenenaufbau humanimalischer Sozialität
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Sicher: man könnte Kommunikationssysteme mit Paul Watzlawick dadurch charakterisieren, dass sie aus „zwei oder mehreren Kommunikanten (bestehen), die die Natur ihrer Beziehung definieren.“3 Diese Definition Watzlawicks, die in einer Fußnote „andere Säugetiere“ übrigens explizit einbezieht, hat zwar den Vorzug, dass sie die Sozialdimension, die – gerade für Mensch-Tier-Kommunikationen so bedeutsame – selbstreferenzielle Sozialität kommunikativer Prozesse fokussiert. Sie erscheint aber insofern problematisch, als damit die Sachdimension dieser Prozesse – insbesondere die auf Umweltzustände verweisenden „Inhaltsaspekte“ – allzu leicht aus dem Blick geraten. Technische Artefakte – wie z.B. Fahrstühle – sind nicht bloß Instrumente, Bühnen oder Rahmenbedingungen von Kommunikationen oder Interaktionen, – in Artefakten materialisieren sich vielmehr „Skripte“,4 die bestimmte „Spielräume für menschliche Aktivitäten“ und Praktiken (Hirschauer 1999: 226) vorseligieren. Auch Kommunikationen, in die Menschen und Tiere involviert sind, sind auf derartige technische Konditionierungen durch Artefakte hin zu untersuchen, z.B. verändert schon ein einfacher Drahtzaun, der eine Schafherde umschließt, die soziale Interaktionen zwischen Schäferin, Schäferhund und Herde einschneidend (vgl. dazu Latour 2007: 133).5 Auch humanimalische Kommunikationen und Interaktionen sind also prinzipiell nicht ohne „Weltorientierung“ (Waldenfels 1980: 192f.) oder „Sachverhältnis“ (Waldenfels 1971: 134f.) zu haben, auch sie spielen sich letztlich nicht in einem immateriellen „Umweltvakuum“ (Bühl 2002: 269) ab.
3
4 5
P. Watzlawick/P. Beavin/J. Jackson (1985: 116; Herv. i. O.), vgl.. auch G. Bateson (1988: bes. 471f.). Der selbstreferenzielle Beziehungsaspekt wird dabei als Metakommunikation („Kommunikation über Kommunikation“) verstanden, die die Inhaltsaspekte der Kommunikation letztlich „bestimmt“ (Watzlawick/Beavin/Jackson 1985: 55f.). – Aus der Perspektive einer allgemeinen Systemtheorie hat schon frühzeitig L. v. Bertalanffy (1970: 37f.) auf die enge Affinität von Zeichenwissenschaft und Systemtheorie hingewiesen. Über die beiden „Angelpunkte“ einer „neuen Wissenschaft vom Menschen“ schreibt er: „Die Schlüsselbegriffe einer solchen neuen Psychologie sind, wie ich vorschlagen möchte, Symbolismus und System. Etwas präziser gesagt: wir haben zu definieren, was für menschliches Verhalten und menschliche Psychologie spezifisch ist; und dies ist möglich unter dem allgemeinen Begriff symbolischer Aktivitäten.“ Für unsere Zwecke greift das freilich noch zu kurz: Erforderlich ist nicht nur eine Einbeziehung der spezifisch tierlichen Verhaltensmuster, sondern auch der jeweils relevanten nichtsymbolischen Zeichenprozesse. Vgl. zum ANT-Begriff des Skripts zusammenfassend M. Akrich/B. Latour (2006: 400). Weitere Argumente dafür, dass Kommunikationsprozesse nicht auf ihre intersubjektiven Aspekte einzuengen sind, knüpft B. Latour an die Kategorie der „Interobjektivität“ (Latour 2001). Latours Kritik des hypertrophen Interaktionismus einer „Soziologie ohne Objekt“ wird bei ihm freilich von einer Mensch-Tier-Dichotomisierung flankiert, die in einigen Punkten – z.B. hinsichtlich des Kontrasts von „komplizierter Sozialität“ und „komplexer“ PavianSozialität (Latour 2001: 241f.; 2007: 338ff.) – etwas überzeichnet ist und von daher zu hinterfragen wäre.
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Kapitel 3
Nun finden sich auch im soziologischen Interaktionismus Kommunikationskonzepte, die – mindestens im Ansatz – darauf abzielen, nicht nur den sozial „vergemeinschaftenden“, sondern auch den Sach- bzw. Gegenstandsaspekt eines kommunikativen Zusammenhangs einzubeziehen. Der triadische Aufbau von George H. Meads Kommunikationsbegriff ist hier ein prominentes Beispiel. Kommunikation findet für Mead (1974: 253) dort statt, wo „one form communicates to the other an attitude which the other assumes toward a certain part of the environment that is of importance to them both“. Kommunikation impliziert hier Umweltbezüge – und zwar letztlich unabhängig davon, wie zweckgerichtet, absichtlich oder „bewusst“ diese Bezüge artikuliert bzw. verstanden werden. Was uns freilich von Meads Ansatz trennt: Wir wollen nicht von vornherein ausschließen, dass ausschließlich Menschen in der Lage sind, die beim anderen Individuum hervorgerufene Haltung auch sich selbst gegenüber einzunehmen.6 Anders als Mead annahm, ist generell davon auszugehen, dass die für die Genese eines Selbst entscheidende Selbstbezüglichkeit sich nicht allein am signifikanten Symbolismus der Sprache festmachen lässt, schon im präverbalen Bereich – den Bereichen der reflexiven Wahrnehmung7 oder der leiblichen Selbsterfahrung – finden sich selbstbezügliche und Sozialität stiftende Prozesse (Merleau-Ponty 1986: 176f., 320-323; Waldenfels 1980: 242ff.). Wie weiter unten deutlicher wird, avanciert damit vor allem die leibliche Verankerung, die „zwischenleibliche“ Ermöglichung kommunikativer Prozesse, zu einer Schlüsselfrage einer Theorie humanimalischer Sozialität. Vor dem Hintergrund dieser Annahmen ist kaum zu rechtfertigen, die dreigliedrige Grundstruktur kommunikativer Prozesse8 von vornherein nur für solche Kommunikationen zu reservieren, die von ausschließlich menschlichen Bewusstseinsleistungen – insbesondere sprachliche Leistungen – ermöglicht oder begleitet werden. Dieses erweiterte Konzept von Kommunikation korrespondiert mit einer entsprechenden Fassung des Sinnbegriffs. 6
7
8
So argumentiert aber bekanntlich G. H. Mead (1974: 254; Herv. R.W.): „In the human group, on the other hand, there is not only this kind of communication but also that in which the person who uses this gesture and so communicates assumes the attitude of the other individual as well as calling it out in the other.” Im Unterschied dazu werden Rollenübernahme und signifikanter Symbolismus hier als Variablen angesehen, die unter Umständen auch auf gewisse Tiere in bestimmten sozialen Interaktionen Anwendung finden können. Mit Blick auf das „Verhältnis von Menschen und Tieren“ erwähnt N. Luhmann (1998: 207) hier zu Recht das „Wahrnehmen des Wahrnehmens und insbesondere das Wahrnehmen des Wahrgenommenwerdens“. Zu bezweifeln ist freilich Luhmanns Auffassung, dass in diesem vorsprachlichen Bereich noch keine Metakommunikation – hier: keine auf Kommunikation bezogene Kommunikation (z.B. Empfangsbestätigung oder Wiederholung einer Mitteilung) – anzutreffen sei (vgl. dazu auch Abschnitt 3.2.3). Karl Bühlers (1982) Trias von Ausdruck, Darstellung und Appell zielt letztlich auf den gleichen semiotischen Grundsachverhalt.
Zum Mehrebenenaufbau humanimalischer Sozialität
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Im Unterschied zu bloßen Informationsübertragungen, die auch unter Ausschluss sinnhaft operierender Prozessoren möglich sind,9 hebt der hier verwendete Kommunikationsbegriff auf sinnhaft operierende Prozesse ab. Wie Luhmann betont: „Sinn lässt keine andere Wahl als zu wählen. Kommunikation greift aus dem je aktuellen Verweisungshorizont, den sie selbst erst konstituiert, etwas heraus und lässt anderes beiseite. Kommunikation ist Prozessieren von Selektion“ (Luhmann 1984: 194; Herv. L.).
Was besagt hier aber nun der Begriff „Sinn“? Sinn wird als Selektion bestimmt, die „in Form eines Überschusses von Verweisungen auf andere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns“ (Luhmann 1984: 93) in Erscheinung tritt. Das heuristische Potential dieses Sinnbegriffs kann sich im Fall humanimalischer Kommunikationen freilich erst dann entfalten, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Zum einen (1) sind die semiotischen Implikationen des Sinnbegriffs zu erwägen, zum anderen (2) spricht Manches dafür, die Sinnkategorie so zu erweitern, dass sie auch sinnhaftes Verhalten umfasst, – Verhalten, das durch Max Webers Kategorie der Handlung nicht abgedeckt wird. Gemeint sind sinnhafte Verhaltensselektionen, die „auf andere Möglichkeiten“ des Verhaltens verweisen und dabei nicht einer „subjektiv gemeinten“ Orientierung folgen. Erstens wird „Sinn“ hier verstanden als eine zeichenhaft konstituierte (und nur zeichenhaft „zugängliche“) „Relation“, – oder anders gesagt: „Sinn“ ist umgekehrt nie abzulösen von der „relationalen Natur des Zeichens“ (Eco 1977: 169). Sowohl Sinn wie Zeichen sind Variablen einer „Reihe von Relationen“ (Eco 1977: 169). Und es sind Zeichenbezüge, nicht abstrakte, „in der Luft hängende“, Sinnprätentionen, die die Relationen zwischen einem Gegebenen und seinem jeweiligen Bezugskontext bzw. „Bezugssystem“ (Bühl 2002: 241f.) stiften. Der locus classicus der hier angesprochenen Relationierung findet sich in Edmund Husserls Konstitutionsanalysen. Husserl (1977: 46-51) bezieht Bewusstseinserlebnisse auf ihre „korrelativen Horizonte“, „sinnleistende Intentionalität“ wird als konstitutiver Verweisungszusammenhang verstanden, über den aktuelles Erleben in ein „Feld“ ihrer „Potentialitäten“ eingebettet wird. Für soziologische Sinnanalysen erscheinen Husserls Konstitutionsanalysen vor allem dort wegweisend, wo die intentionalen Verweisungsrelationen in ihrer Zeichenhaftigkeit bzw. Symbolizität ernst genommen werden. Paul Ricœurs Hermeneutik des „langen Weges“ ist in dieser Hinsicht ein exemplarischer Ansatz, Lebenswelt über und durch die relationale Symbolizität ihrer Sinnarchitekturen zu 9
Vgl. etwa die bei U. Eco (1985: 47ff.; 1987: 57ff.) angeführten Beispiele von Informationsübertragungen zwischen Apparaten bzw. anorganischen Einheiten.
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Kapitel 3
interpretieren, eingedenk dessen, „dass die Symbole nur im Rahmen eines Ganzen, das ihre Bedeutungen begrenzt und artikuliert, symbolisieren können“ (Ricœur 1973: 79). Die Annahme der Zeichenhaftigkeit von Sinn konstituierenden Relationen ist im Übrigen durchaus mit anderen zentralen Kriterien des Sinnbegriffs kompatibel.10 Im Unterschied etwa zu Luhmanns11 Auffassung vermeidet der hier vorgeschlagene Ansatz Sinnverweisungsstruktur und Zeichenstruktur auseinander zu reißen: Mit Charles Peirce12 gehen wir vielmehr davon aus, dass nicht nur Kommunikations-, sondern auch Bewusstseinsakte („Erlebnisse“, „Gedanken“ usw.) notwendig zeichenhaft verfasst sind, und schon deswegen eine Lokalisierung von sinnhaften Operationen diesseits oder jenseits von Zeichenprozessen im Grunde irreführend ist. Im Einzelnen bedeutet dies, dass es oftmals nicht ausreicht, die abstrakte Selbstreferenz von Sinnbezügen durch die Unterscheidung einer sachlichen, zeitlichen und sozialen Sinndimension zu respezifizieren (Luhmann 1998: 44ff.; 1984: 95ff., 112ff.). Hinzu kommen müssen Sinnanalysen bzw. Interpretationsverfahren, die die entsprechenden Respezifizierungen auf die semiotischen Besonderheiten der korrespondierenden Zeichenprozesse beziehen bzw. daran überprüfen. Die methodologischen Instrumente, um relationale Sinnanalysen zeichenwissenschaftlich aufzurüsten, sind vor allem im Umkreis strukturalistischer Kulturanalysen13 entwickelt worden. Die entsprechenden Instrumente14 (und ihre methodologischen Grenzen) können hier nicht erörtert werden, doch 10 11
12
13 14
Siehe dazu die von W. L. Bühl (2002: 242ff.) angeführten Kriterien der Prozessualität, der Selektivität, der Kohärenz oder der Sozialität. Vgl. N. Luhmann (1984: 107), der seine Weigerung, „dass wir Sinn als Zeichen definieren“ damit begründet, dass Zeichen – im Unterschied zum Sinn – keinen Weltbezug und keine Selbstreferenz aufweisen. Beides ist allerdings fraglich: Semiotiker wie z.B. C. S. Peirce (1955: 100) können zeigen, dass die immanente Relationalität des Zeichens mit einer „Progressivität des Zeichenprozesses“ einhergeht und letztlich auf eine „unbegrenzten Semiose“ (Eco 1977: 162ff., 172f.) abzielt. Auch Selbstreferenz ist kein exklusives Merkmal von Sinnverweisungen: Man denke etwa an den „autoreflexiven“ Selbstbezug eines Zeichens, das auf die eigene „Form“, seine Ausdrucksseite bzw. Signifikantenebene, zurückweist, – von Eco (1987: 348351; 1985: 145ff.) exemplarisch aufgezeigt am Zeichenbezug ästhetischer Botschaften. Der Grundsatz von C. Peirce, dass alles Denken ein Denken in Zeichen ist, schließt natürlich auch Gefühle, Empfindungen oder bildhafte Vorstellungen ein. So betont Peirce (1955: 232), „that, whatever we think, we have present to the consciousness some feeling, image, conception, or other representation, which serves as a sign.“ Vgl. als einführenden Überblick E. Leach (1978). Als Beispiele für solche – oft dyadisch angelegten – Leitkonzepte sind anzuführen: Langue/Parole bzw. Ereignis/Struktur (Barthes 1983: 13ff.; Ricœur 1973: 101ff.), Botschaft/Code (Eco 1987: 197ff., 347ff.; 1985: 145f.), Denotation/Konnotation (Barthes 1983: 75ff.; Eco 1985: 67f.; 1987: 82ff.), Metonymie/Metapher bzw. Syntagma/Paradigma (Jakobson 1979: 192ff.; 1992: 427ff.; Lévi-Strauss 1971, 1979; Barthes 1983: 49ff.).
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deutet manches darauf hin, dass sie semiotische und hermeneutische Optionen eröffnen, die soziologisch noch keineswegs ausgeschöpft sind, – auch und gerade im Hinblick auf die vielfältigen Prozesse der Sinnbildung und –transformation, wie sie in Konstellationen der Mensch-Tier-Kommunikation auftreten. Zweitens spricht Manches dafür, die Sinnkategorie so zu erweitern, dass das Verhältnis von Aktualität und Potentialität aus der konzeptionellen Engführung der „subjektiv gemeinten“ Sinnorientierung des Handelnden herausgeführt wird. Es gilt also zu berücksichtigen, dass sinnhaftes (Sozial-)Verhalten auch dann vorliegen kann, wenn Verhaltensselektionen, die „auf andere Möglichkeiten“ des Verhaltens verweisen, keine „subjektiv gemeinten“ Orientierungen (z.B. Zwecksetzungen, Entwürfe, Entscheidungen, Wahlen usw.) entsprechen. Solche sinnhaften Verhaltensmuster zählen unserer Meinung nach zu den zentralen, niemals zu vernachlässigenden Voraussetzungen des Kommunikationsgeschehens sozialer Systeme. Von daher wird man – im Unterschied zu Luhmanns apodiktisch formulierter „Stoppregel“15 – nicht nur Bewusstseinsprozesse psychischer Systeme, sondern auch sinnhaft strukturierte Prozesse des leiblichen Verhaltens zu diesen Voraussetzungen rechnen müssen, – und zwar auch dann, wenn sie in Gedanken, Gefühlen oder Wahrnehmungen des psychischen Systems keine oder keine hinreichend „stimmigen“ Entsprechungen finden. Schon diese Vorüberlegungen legen die Schlussfolgerung nahe, dass wir eigentlich von einem Mehrebenenaufbau Sinn konstituierender Sozialität auszugehen haben: Die Selektivität selbstreferenzieller Kommunikation sozialer Systeme „hängt“ sozusagen nicht „in der Luft“, sie ruht auf sinnhaften Operationen, die nicht nur von psychischen, sondern auch und von leiblich-organismischen Systemen realisiert werden. Leibliches Verhalten ist nun insofern sinnhaftes Verhalten, als es ein „strukturiertes“ Verhalten eines Organismus ist, d.h. hier: ein Verhalten, das sich durch bestimmte „wiederholbare Momente“, durch Transponierbarkeit und eine bestimmte Rhythmik (Waldenfels 2000: 217f.; 1980: 237f.) auszeichnet und damit ein spezifisches Muster erkennen lässt. Wird eine bestimmte Verhaltensweise aktualisiert, dann ist das kein „atomisierter“, „frei schwebender“ Verhaltensakt, sondern einer, der gleichzeitig den Kontext des betreffenden Musters ins Spiel bringt. Die vom Verhalten vollzogene Selektion ist hier mit einem Überschuss von Verweisungen auf andere Verhaltensmöglichkeiten befrachtet, – was impli-
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In seinem Buch „Soziale Systeme“ betont Luhmann zu Beginn des 2. Kapitels („Sinn“), er werde das Thema Sinn ausschließlich im Hinblick auf psychische und soziale Systeme behandeln: „Andere Systemarten werden nicht mehr berücksichtigt“ (Luhmann 1984: 92).
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Kapitel 3
ziert, dass die Funktion eines Verhaltens letztlich erst in Relation zum Kontext dieser Möglichkeiten verständlich werden kann.16 Das Angeführte lässt sich an Bereichen illustrieren, in denen Verhaltensweisen bestimmten Gestaltprinzipien gehorchen, so etwa im Rahmen einer Bewegungsgestalt, die sich z.B. in einer bestimmten Typik der Gangart, des Schrittrhythmus, der Gestik der Armbewegungen, der Mimik ausdrückt. Die sinnstiftende Kompräsenz von Aktuellem und Potentiellem erscheint hier als FigurGrund-Differenz der Gestaltbildung (Waldenfels 2000: 67ff.; Merleau-Ponty 1976: 149ff.; 1974: § 16); letztere lässt sich auch an zahlreichen Beispielen aus den Bereichen der sinnlichen Wahrnehmung (visuell z.B. bei den Kippfiguren und „Täuschungsfiguren“) demonstrieren (Waldenfels 2000: 51ff.). Dass Verhalten und Wahrnehmung von Tieren ebenfalls von Gestaltprinzipien17 geprägt werden – mitunter auch von solchen, die denen des Menschen gleich oder sehr ähnlich sind18 –, dieser Befund ist für die wechselseitige Anschlussfähigkeit kommunikativer Akte und damit für die Sinnbildungs- und -transformationsprozesse in Mensch-Tier-Kommunikationen sicher von kaum zu überschätzender Tragweite. Dies schon deswegen, weil es im Lichte solcher Befunde kaum schwer fällt, die Sinnkategorie auch auf tierliche Organismen und psychische Systemen anzuwenden. Luhmanns Skepsis in dieser Frage, seine Neigung, Tieren allenfalls „Protosinn“ bzw. „sinnhafte Übergänge“ (Luhmann 2003: 234f.) zuzugestehen, kann hier nicht überzeugen, – sie ist aber – wie gleich zu zeigen sein wird – theorietechnisch insofern konsequent, als Luhmanns Kommunikationsbegriff Prozesse wechselseitiger (sinnhafter) Wahrnehmung ausgrenzt. Im Lichte der bisherigen Überlegungen ist es vielleicht nicht abwegig, mit Merleau-Ponty (1976: 176) von einem inkarnierten, „autochthonen Sinn“ des leiblichen Verhaltens zu sprechen. Leibliches Verhalten von Menschen und Tie16
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Schon von daher sollte deutlich werden, dass das hier verwendete Begriff des leiblich-organismischen Verhaltens kein Verhalten im Sinne eines kausalwissenschaftlichen Reduktionismus bzw. Determinismus meint, sondern eine funktionsanalytische Kategorie: Funktionen, schreibt Luhmann (1984: 405), „sind immer Gesichtspunkte des Vergleichs der realisierten mit anderen Möglichkeiten.“ Was im Einzelfall also als sinnhaft strukturiertes (Sozial-)Verhalten gelten kann (und was nicht), hängt vom jeweiligen Erkenntnisinteresse der funktionalen Analyse ab. In dieser Hinsicht sind auch Strukturen keine vorgefundenen Gebilde, Ganzheiten, „Beziehungsgeflechte“ oder dergleichen, sondern Variablen der funktionalen Analyse: Diese „benutzt Relationierungen mit dem Ziel, Vorhandenes als kontingent und Verschiedenartiges als vergleichbar zu erfassen“ (Luhmann 1984: 83). Vgl. dazu im Einzelnen z.B. die Überlegungen und Beispiele bei K. Bühler (1960), F. Buytendijk (1958: 54ff), B. Waldenfels (2000:49f.) oder M. Hauser (2001: 39ff.). Hauser spricht in diesem Zusammenhang z.B. von mentalen Werkzeugen, die Tiere befähigen, Gegenstände zu erkennen und ihr Verhalten zu antizipieren (z.B. die Kontinuität einer Bewegung zu erfassen). So betont etwa bereits F. Buytendijk (1955: 56) mit Blick auf die Wirbeltiere, dass „die Gestaltgesetze besonders der optischen Wahrnehmung der Tiere in gleicher Weise wie jener der Menschen zugrunde liegen.“
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ren ist kontingent, aber in den Grenzen eines Möglichkeitenbereichs, der mit dem zirkulären Bedingungsverhältnis zusammenhängt, das ein Verhalten in seine Umwelt bzw. Welt einbettet. Wenn man unter diesen Voraussetzung sagt, dass ein Verhalten einen Richtungssinn hat oder eine bestimmte Ordnung verkörpert, dann ist damit ein sinnhafter Bezug gemeint, der (a) einer aktiven Setzung des Bewusstseins vorausgeht und das Verhalten auf eine präreflexive, vorgängige Weise auf „seine“ – von ihm mit konstituierte – Situation intentional ausrichtet (Merleau-Ponty 1974: 165-169; Waldenfels 1976: XIIIf.; 1980: 41f.). Nicht aus den Augen zu verlieren ist dabei (b), dass leibliches Verhalten mit Blick auf seinen triadischen Zeichencharakter gleichzeitig sozialen Sinn aktualisiert, das erwähnte zirkuläre Bedingungsverhältnis also die jeweils korrespondierende soziale Situation bzw. Sozialwelt einschließt. Dass leiblichem Verhalten eine Richtung „zu den Anderen“ eigen ist, hat von sozialphänomenologischer Seite – im Anschluss an Merleau-Ponty (1974: bes. 185ff.) – vor allem Waldenfels (1980: 68ff., 189ff., 232ff.) prägnant herausgearbeitet. Leibliches Verhalten (z.B. Sexualverhalten) ist nicht nur auf eine vorgängige, „anonym“ wirkende Weise sinnhaft, es ist auch auf eine vorgängige, „autochthone“ Weise, als „Zwischenleiblichkeit“, mit intersubjektiven Sinnbezügen gesättigt. Die Zwischenleiblichkeit, die Tatsache, dass der „eigene Leib auf die Anderen bezogen ist“ (Waldenfels 2000: 240; 286f.), dass eigenleibliche und fremdleibliche Sphäre sozusagen „hinter unserem Rücken“ miteinander verflochten sind, dieser Befund bezeichnet wohl mehr als eine bloße, d.h. die Selbstreferenz nicht weiter tangierende Voraussetzung kommunikativer Prozesse. Nun verleihen die von solcher Zwischenleiblichkeit evozierten Sinnbezüge den sozialen Systemprozessen oftmals erst ihren charakteristischen Verlaufsbzw. Richtungssinn; zwischenleiblich fundierte Sinnbezüge können der kommunikativen Selbstreferenzialität solcher Prozesse eine bestimmte Selektions- bzw. Verlaufsordnung geradezu aufoktroyieren.19 Die vorstehenden Überlegungen legen den Schluss nahe, dass die Sinnbezüge der kommunikativen Prozesse sozialer Systeme auf mehreren Ebenen anzusiedeln und auf eine noch näher zu beschreibende Weise miteinander „verschränkt“ sind. Was sich freilich schon jetzt abzuzeichnen beginnt: Luhmannns Fassung eines triadisch angelegten Kommunikationsbegriffs – die Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen – lässt dem Mehrebenencharakter der skizzierten Sinnbezüge kommunikativer Prozesse wenig Raum. Dies liegt vor allem an Luhmanns Begriff der Mitteilung, den Luhmann für explizite, „be19
„Verständigungsprozesse“, schreibt Waldenfels (1980: 9) programmatisch, „reichen hinein in die anonyme Sphäre der Zwischenleiblichkeit, die der Scheidung in Eigenes und Fremdes voraus liegt und weder in einem ichzentrierten Sinnverstehen noch in einer generalisierenden Rollenübernahme ihr zureichendes Fundament findet.“
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Kapitel 3
wusst“ vollzogene Selektionen der Informationsdarstellung reserviert: Für Luhmann kann von Kommunikation erst dann die Rede sein, wenn vorausgesetzt wird, dass eine Information „sich nicht von selbst versteht und dass zu ihrer Mitteilung ein besonderer Entschluss erforderlich ist“ (Luhmann 1995: 115). Luhmann stellt klar, der Mitteilende müsse „sich selbst die Freiheit zusprechen, dies (eine Information mitzuteilen, R.W.) zu tun oder nicht zu tun“ (Luhmann 1984: 195). Im Unterschied zur wechselseitigen Wahrnehmung müsse bei der Kommunikation eine Mitteilung als „Handlung“ „zugerechnet“ werden. Außerdem sei erforderlich, dass die Unterscheidung von Information und Mitteilung selbst zur Anknüpfung weiterer Kommunikationen verwendet werde (Luhmann 1992: 38).20 Ein Kommunikationsbegriff, der „Mitteilung“ so eng an kommunikatives Handeln rückbindet, ist für eine soziologische Untersuchung von Mensch-TierKommunikationen und interspezifischen Interaktionen nur sehr begrenzt tauglich. Dies aber nicht etwa deswegen, weil Tieren eine „Entschluss“-Kompetenz bzw. „Freiheit“ für Mitteilungen (im Sinne Luhmanns) rundweg abzusprechen wäre, sondern vor allem deshalb, weil damit gerade die „vertikale“, tiefengegliederte Aufspannung der verschiedenen Sinndimensionen selbstreferenzieller Verhaltenprozesse (Bühl 1982: 78ff., 202ff.) ausgeblendet wird: Diese Sinndimensionen werden von Luhmann auf letztlich thematisierbare21 (oder gar explizit thematische) Aspekte der Mitteilungen (Botschaften) zurückgeführt. Die „archäologischen“, unthematischen Aspekte intersubjektiver Sinnprozesse werden zu Gunsten ihrer „teleologischen“ Aspekte marginalisiert.22 Im Schatten der Analyse verbleibt die oft nur latent gegebene, verdeckte Anschlussfähigkeit der besonders auf Zwischenleiblichkeit beruhenden, aber nichtsdestotrotz sinnhaften Momente kommunikativ gesteuerter Verhaltenssequenzen. Diese z.B. von der Ethologie (z.B. Eibl-Eibesfeldt 1987, 1995), der Soziobiologie (z.B. Voland 2000) oder Michel Foucault23 beschriebenen „präreflexiven“ Kommunikations- und 20
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Dem stehen freilich Formulierungen gegenüber, die eher auf einen uneinheitlichen Begriffsgebrauch hinweisen, indem sie die Mitteilung in die Nähe eines nicht intendierten, nicht frei gewählten, bloß wahrgenommenen Ausdrucksverhaltens rückt. Vgl. etwa die folgende Formulierung: „Ferner muss jemand ein Verhalten wählen, das diese Information mitteilt. Das kann absichtlich oder unabsichtlich geschehen.“ (Luhmann 1984: 195; Herv. R.W.), D.h. auf die von Ego und/oder Alter thematisierbaren Aspekte von Mitteilungen. Vgl. zur Korrelativität von archäologischen und teleologischen Aspekten sinnhafter Prozesse neben P. Ricœurs (1974) Freud-Lektüre programmatisch W. Bühl (1982: 337f., 2002: 257ff.). Man denke etwa an die durch einschlägige Techniken (wie „Übung“, „Abrichtung“ usw.) erworbenen, in „Fleisch und Blut“ übergegangenen Haltungs- und Bewegungsschemata des Soldaten-Leibkörpers frühneuzeitlicher Militärdisziplinierung (Foucault 1977: 192ff.). Derart „fabrizierte“ bzw. ausdifferenzierte Habitusvarianten zeigen, dass die von der jeweiligen Zwischenleiblichkeit begünstigten Muster keineswegs zu soziobiologisch bzw. ethologisch aufweisbaren Sinnbezügen verkürzt werden dürfen.
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Verhaltensmuster sind für das Verständnis der Prozessrichtung von Interaktionsdynamiken aber oft aussagekräftiger als die expliziten bzw. sprachlich thematisierbaren Sinnbezüge des kommunikativen Geschehens. Bevor im Folgenden Eckpfeiler einer systemtheoretischen Konzeptualisierung skizziert werden, die dem kommunikativen Mehrebenencharakter von Mensch-Tier-Beziehungen Rechung trägt, sind zunächst noch einige methodologische Probleme dieses Unterfangens zur Sprache zu bringen.
3.1 Methodologische Vorüberlegungen In methodologischer Hinsicht ist zunächst hervorzuheben, dass wir nicht von vornherein systemtheoretische Implikationen „übernehmen“ können, die – wie dies z.B. nicht selten bei Talcott Parsons der Fall ist – mehr oder minder explizite Hypothesen über empirisch aufweisbare Zusammenhänge enthalten. Das eigentliche Erkenntnisziel ist vielmehr, ein sozialtheoretisches Instrumentarium zu erkunden, das geeignet ist, den komplexen, auf den ersten Blick vielleicht diffus wirkenden „Möglichkeitenraum“ von Mensch-Tier-Beziehungen deskriptiv und klassifikatorisch erschließen zu können. Erst im Anschluss daran wird versucht, die hypothetischen Affinitäten und Zusammenhänge, die sich im Zuge dieser sondierenden Annäherung aufdrängen, an einzelnen Fallstudien exemplarisch zu plausibilisieren, aber nicht – im strengen Sinne – zu „testen“. Die Thematik tierschützerischer bzw. tiermoralischer Verhaltensorientierungen eignet sich dabei aus zwei Gründen als konzeptioneller „Ariadnefaden“: 1.
Der thematisch „ganzheitliche“ Zugang über das Medium tierschützerischer Moral24 erschließt die Bandbreite und den Facettenreichtum interspezifi-
24
In einem engeren Sinne kann Moral als ein gesellschaftliches Medium verstanden werden, dessen soziokulturelle Kontrollfunktion auf einer vergleichsweise „tiefen“ Verhaltensebene ansetzt; es reguliert, unter welchen Umständen einem Individuum Achtung oder Missachtung gebührt (vgl. dazu Luhmann 1978 und unsere modifizierenden Ausführungen weiter unten). Nicht angesprochen wird das Problem der Werturteile bzw. der wissenschaftlichen Werturteilsfreiheit. Dazu ist anzumerken, dass die vorliegende Arbeit versucht, pejorative Momente, die sich gerade in wissenschaftlichen und Alltagsdiskursen über Tiere leicht einstellen, möglichst zu vermeiden. So wird im Rahmen dieser Arbeit das Adjektiv „tierisch“ nur im Rahmen von Zitaten verwendet, sonst ziehen wir das neutralere, in Analogie zu „menschlich“ oder „pflanzlich“ gebildete Eigenschaftswort „tierlich“ vor. Wir schließen uns hier einem Vorschlag von H. Hediger an, um die abwertende Konnotation des Adjektivs „tierisch“ zu vermeiden: „Die Beleidigung, die darin [im Adjektiv ‚tierisch, R.W.] enthalten ist, hängt damit zusammen, dass man sehr oft das Verhalten eines Menschen, der eine Untat begangen hat, als tierisch bezeichnet. Gemeint ist damit aber nicht ein tierliches, sondern ein unmenschliches Verhalten, meist ein Verbrechen (…)“ (Hediger 1984: 323; vgl. auch Hediger 1980). Der Verfasser dieser Ar-
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2.
Kapitel 3 scher Beziehungen kultursoziologisch sehr viel besser als eine partikulare Perspektive, die sich z.B. mit einer isolierten Behandlung von Mensch-TierBeziehungen in einem bestimmten gesellschaftlichen Teilbereich begnügt. Der zweite Grund liegt in der enormen Bedeutung, die moralische Orientierungen und Prozesse der Moralisierung für die Tierschutz- und Tierrechtsbewegung besitzen.25 Eine Berücksichtigung der frühmodernen Anfänge dieser sozialen Bewegung drängt sich schon insofern auf, als damit Wandlungstendenzen thematisiert werden können, die sich hauptsächlich (aber keineswegs ausschließlich) auf der „Mesoebene“,26 „zwischen“ den unmittelbaren Mensch-Tier-Interaktionen und den gesamtgesellschaftlichen Strukturveränderungen ansiedeln lassen.
Methodologisch bedeutet diese konzeptionelle Selbstbescheidung, dass nicht eine bestimmte systemtheoretische Richtung – noch dazu in einer „orthodoxen“ Lesart – auf die Themenstellung „angewendet“ werden soll, so, als ließe sich ein Ansatz einfach „von außen“ dem Forschungsgegenstand überstülpen. Favorisiert wird demgegenüber eine Zugangsweise, die insofern pluralistisch oder „eklektizistisch“ angelegt ist, als sie eine möglichst widerspruchsfreie Verknüpfung von unterschiedlichen Ansätzen dort anstrebt, wo Sachfragen solche Transfers und Anschlüsse ermöglichen oder gar verlangen, – ungeachtet der verschiedenen Theoriesemantiken, in die die betreffenden Sachverhalte jeweils „verpackt“ sind. „Theoriepuristen“, die sich akribisch an eine strikt „authentische“ Exegese der einen oder anderen Theorieoption halten, werden derartigen theoretischen Hybridisierungen sicher mit Skepsis begegnen. Rechtfertigen lässt sich dieses Verfahren vielleicht aber mit der Erwartung, dass solche Kombinationen langfristig auch ein gewisses heuristisches Potential freisetzen können. Unsere Vorgehensweise wird nicht zuletzt durch das Thema selbst nahegelegt. Da es sich bei der Soziologie humanimalischer Sozialverhältnisse um ein noch vergleichsweise junges und wenig bearbeitetes Forschungsfeld handelt, so dürfte sich auch deswegen ein monodisziplinär ausgerichteter methodischer Rigorismus eher erkenntnishemmend auswirken; verlangt doch gerade die multiund interdisziplinäre Orientierung eine weitgehende Offenheit gegenüber komplementären und alternativen methodischen Zugriffsweisen. Die Soziologie von
25 26
beit ist der Meinung, dass die wissenschaftliche Forschung (auch die soziologische) aus einer primärethischen Verantwortung ihren Forschungsgegenständen gegenüber nicht entlassen werden kann. Diese „binnenmoralische“ Verantwortung des Wissenschaftlers erstreckt sich nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Tiere. Vgl. zur Einbeziehung der Tiere in die Binnenmoral der Wissenschaft auch W. Bühl (1995: 130). Vgl. zum grundlegenden Stellenwert von Moral für soziale Bewegungen z.B. K.-U. Hellmann (1996: 231ff.). Vgl. zu dieser sozialtheoretischen Mittelposition sozialer Bewegungen D. Rucht (1994: 80f.).
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Mensch-Tier-Beziehungen erfordert nicht selten eine vergleichende oder gar integrative Sicht von Problemaspekten und Gegenstandsebenen, die systematisch außerhalb der Soziologie (z.B. von der vergleichenden Ethologie oder der Semiotik)27 bearbeitet werden. Im Einzelnen sind es vor allem zwei Gesichtspunkte, die sich für diese forschungsstrategische Erweiterung des soziologischen Blicks anführen lassen: 1.
Wie bereits aufgezeigt besteht ein durchgehendes konzeptionelles Manko der diskutierten „tiersoziologischen“ Ansätze darin, dass hier keine befriedigende Verknüpfung der verschiedenen Analyseebenen und sozialen „Reichweiten“ gelingt, um tierbezogene Kommunikations- und Verhaltensprozesse differenzierter aufzuschlüsseln. Man kann dieses Manko auch auf das Mikro-Makro-Problem28 beziehen. Entweder liegt eine mikrosoziologische Verengung der Perspektive vor, bei der einseitig der Kontext des primärsozialen Verhaltens fokussiert wird (die unmittelbar situative Dimension des allgemeinen Handlungs- oder Verhaltenssystems). Hier geht es um den Interaktionsprozess „als solchen“, ohne dass die in diesem Verhaltensprozess mitpräsentierten sekundärsozialen Verweisungs- und Bedingungskontexte hinreichend in Rechnung gestellt werden. Oder es werden diese letzteren makrosozialen, insbesondere die gesellschaftlichen Bedingungskontexte und sekundärsozialen Rahmenbezüge der Mensch-TierBeziehungen verabsolutiert, so dass der besondere situative Ereignischarakter und die dynamischen, ja kontingenten Transzendenzen interspezifischer Interaktionen aus dem Blick geraten, – zugunsten von Zusammenhängen, die eine strukturell übergeordnete (und in diesem Sinne umweltliche) Ebene soziokultureller Kontrolle betreffen.29 Gesucht wird also ein Ansatz, der die
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Die Semiotik, wie sie hier verstanden wird, befasst sich „mit allem, was man als Zeichen betrachten kann. Ein Zeichen ist alles, was sich als signifizierender Vertreter für etwas anderes auffassen lässt“ (Eco 1987: 26). Eine Arbeitsdefinition von R. Münch und N. Smelser soll diese Unterscheidung kurz plausibilisieren. Münch und Smelser betrachten „the micro level as involving encounters and patterned interaction among individuals (which could include communication, exchange, cooperation, and conflict) and the macro level as referring to those structures in society (groups, organizations, institutions, and cultural productions) that are sustained (...) by mechanisms of social control and constitute both opportunities and constraints on individual behavior and interactions“ (Münch/Smelser 1987: 357). Aus dieser Sicht ist etwa die Einschätzung J. Turners (1991: 588), das „Macro Theorizing“ betreffe die „organization of larger populations of individuals“, zu ergänzen. Unser Konzept der Mikro-Makro-Verhältnisse lehnt sich demgegenüber eher an J. Alexander (1987: 290f) an, der betont, dass damit „analytical contrasts“ gemeint sind, „suggesting emergent levels within empirical units, not antagonistic empirical units themselves.“ Das impliziert einmal, dass im Grunde keine feste Ebenenzuweisung sinnvoll ist, was im einen Fall die Mikroebene bezeichnet, kann unter verändertem Blickwinkel einen Makrokontext beschreiben (vgl. Alexander
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29
122
2.
Kapitel 3 Fallgruben eines „Mikro-Makro-Hiatus“ vermeidet und eine konzeptionelle Integration dieser zwei bzw. drei30 Ebenen in Aussicht stellt. Das methodologische Postulat eines „multidimensionalen“ Theorieansatzes,31 das in jüngerer Zeit u.a. von Exponenten des Neofunktionalismus in die Diskussion gebracht wurde, kommt unserem Untersuchungsprogramm schon insofern entgegen, als es „idealistische“ wie auch „materialistische“ Reduktionismen auf irgendwelche „letzte“ Real- oder Idealfaktoren zu vermeiden sucht. Zudem stellt es eine methodologische Perspektivenverschiebung von einer strukturell-funktionalen zu einer funktional-strukturellen Zugangsweise in Aussicht (Luhmann 1972: 113f.). Dies bedeutet, dass die Selektivität struktureller Bedingungen erst im Rahmen eines funktionalistischen Ansatzes Sinn macht. Eine Reifizierung struktureller Bedingungen ist nach Möglichkeit ebenso zu vermeiden wie eine unbefragte Hinnahme fragwürdiger struktureller Homologien, – ein Punkt, den wir weiter unten noch am Beispiel von Talcott Parsons präzisieren werden.
Eine methodologische Minimalforderung an funktionale Analysen32 besteht demnach in einer vergleichenden Relationierung äquivalenter Möglichkeiten im Rahmen eines Systemkontextes, der außerdem möglichst „tiefengegliedert“ darzustellen ist. Insofern handelt es sich bei funktionalistischen Analysen um die Ergründung möglicher Bedingungszusammenhänge, die die Formulierung von kausalen Hypothesen erst ermöglichen bzw. vorbereiten. Zu Recht ist daher festgestellt worden, dass die funktionale Methode „letztlich“ eine vergleichende Methode ist.33 Der Funktionsbegriff ist auch deswegen unentbehrlich, weil „kein Begriff in Sicht (ist), der den Funktionsbegriff in seiner Eignung ersetzen könnte,
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1987: 291f.). Das Mikro-Makro-Problem kann aus dieser Sicht in ein System-Umwelt-Problem transformiert werden. Ein methodologischer Vorzug des Ansatzes von T. Parsons ist sicherlich, dass er z.B. durch die Rezeption psychoanalytischer Schlüsselkonzepte und durch einen intermediär angelegten Rollenbegriff den „Micro-Macro-Gap“ zu überbrücken sucht; andererseits können hier manche Lösungsansätze letztlich nicht überzeugen. So wird z.B. das Kontingenzmoment individuellen Handelns häufig den normativen und sozialisationsbedingten Erwartungsvorgaben der Situation geopfert (vgl. auch die Kritik von Alexander/Giesen 1987: 24f.). Weiter unten (Kapitel 5) wird deutlich werden, weshalb es zweckmäßig sein kann, humanimalische Sozialität auch im gesonderten Bezugsrahmen der Mesoebene zu untersuchen. Vgl. J. Alexander (1983: xx, 279) zum Stellenwert des „multidimensional“ im Gegensatz zum „one-dimensional thought“. Vgl. R. Merton (1995), zudem die Zusammenfassung der methodologischen Prinzipien des Funktionalismus bei W. Bühl (1982: 66f.). So programmatisch N. Luhmann (1984: 83): „Die funktionale Analyse benutzt Relationierungen mit dem Ziel, Vorhandenes als kontingent und Verschiedenartiges als vergleichbar zu erfassen. Sie bezieht Gegebenes, seien es Zustände, Ereignisse, auf Problemgesichtspunkte, und sucht verständlich und nachvollziehbar zu machen, dass das Problem so oder auch anders gelöst werden kann.“ „Leitfaden“ ist dabei die „Frage nach anderen Möglichkeiten“.
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lokale Praktiken auf die Einheit eines sozialen Systems zu beziehen“ (Kieserling 1999: 309). Mit Blick auf eine Theorie humanimalischer Sozialität impliziert funktionale Analyse nun eine methodologisch prekäre Gratwanderung „zwischen Handlungs- und Verhaltenskonzepten“. Wie sich in unserer Diskussion der vorliegenden konzeptionellen Zugänge bereits abgezeichnet hat, wird ein Begriffsschema, das insbesondere die emergenten Eigenschaften von Mensch-Tier-Interaktionen erfassen will, weder einen behavioristischen Verhaltensbegriff noch ein sinnintentionalistisch hypostasiertes Handlungskonzept einfach übernehmen und „anwenden“ können.
3.1.1 Zur „Anthropomorphologie“ verhaltenswissenschaftlicher Tierkonzepte Ein zentrales methodologisches Problem einer soziologischen Thematisierung humanimalischer Sozialverhältnisse betrifft den Fragenkreis der meist recht ungenau mit „Vermenschlichung“ oder „Anthropomorphisierung“ umschriebenen Tendenzen beim Verstehen tierlichen Verhaltens. Im Rahmen dieser Arbeit soll von Anthropomorphismus die Rede sein, wenn Tieren durch eine (mehr oder minder bewusst vollzogene) Analogisierung menschliche Eigenschaften zugeschrieben werden, insbesondere Erlebnisse oder psychische Ereignisse, die dem mentalen Bereich (Kognition, Gefühle, Motivation) zuzuordnen sind (Kennedy 1992: 9). Im Alltagsleben westlicher Gegenwartsgesellschaften sind Anthropomorphisierungen von Tieren überaus verbreitet. Sie dokumentieren sich insbesondere in den Vermenschlichungstendenzen, die in Verhaltensweisen und Einstellungen von Heimtierhaltern aufweisbar sind, die ihre Tiere als Du-evidente Lebewesen typisieren.34 Anthropomorphisierung, wie sie sich in der Namengebung der 34
Vgl. zum familialen Bezug z.B. die Befragung bei L. Stallones u.a. (1990), bei der mehr als 70% der Befragten die Frage nach der familialen Einbindung („To what extent do you feel that your pet is a part of your familiy?“) mit „quite a lot“ oder „very much“ beantworteten (k.A. unter 1%). 1990 ergab eine Untersuchung des amerikanischen Gallup-Instituts, dass immerhin 57% auf die Frage nach Gründen für ihre Heimtierhaltung angaben: „um jemand zu haben, mit dem man sprechen kann“ (Mehrfachnennungen). Immerhin 65% der Befragten gaben an, ihren Tieren etwas zu Weihnachten zu schenken (Mehrfachnennungen). Interessant ist, dass sich anthropomorphisierende Tendenzen möglicherweise bis in die visuelle Wahrnehmung hinein aufspüren lassen. Wie sonst wäre es zu deuten, dass bei derselben Befragung mehr als ein Drittel der Befragten (39%) die Frage bejahten, dass einige Hundebesitzer aus ihrem Bekanntenkreis ihren Hunden ähnlich sehen (nein: 58%, k.A. 3%) (Emnid 1990: 26f.)? Im Allgemeinen deuten Heimtierbesitzer die „responses of their pets – their facial expressions, sounds, and body movements – in human terms. Pet owners can go overboard in their anthropomorphism, assuming human qualities that extend well beyond provable evidence“, schreiben J. Jasper/D. Nelkin (1992: 19).
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Heimtiere ausdrücken kann, gehört ebenfalls hierher. Zudem, so James Serpell (2005: 127), ist es offenbar der Anthropomorphismus der Heimtierhalter (hier: „the ability (…) to contribute human social motivations to nonhumans“), „what ultimately enables people to benefit socially, emotionally, and physically form their relationship with companion animals.“ Daneben werden anthropomorphe Muster vor allem über die Massenmedien und die Freizeitindustrie reproduziert (vgl. Herzog/Galvin 1992: bes. 88f.). Hier wie dort sind in und neben TV-Serien und Tierfilmen à la Walt Disney imaginäre Tierfiguren und Tierartefakte (wie „Donald Duck“, „Mickey Mouse“, „King Kong“, Bewohner des „Planets der Affen“ usw.) an der Tagesordnung.35 Häufig kennzeichnet diese Tierfiktionen ein überaus kruder Anthropomorphismus, der aber auf die verbliebenen Enklaven der öffentlichen Präsentation lebendiger Tiere zurückwirkt und diese nicht selten zu dressierten Statisten einer klischeehaften „Natur“-Simulation degradiert.36 Nicht zu vergessen ist schließlich die Tierschutz- bzw. Tierrechtsbewegung, die bisweilen anthropomorphe Muster und einen „Therianthropismus“ einsetzt, um emotionale Betroffenheit für ihre Anliegen herzustellen.37 Symptomatisch für Anthropomorphisierungstendenzen ist schließlich ein entwicklungspsychologischer Befund, den Jean Piaget beschreibt: Piaget lokalisiert anthropomorphes Denken im Kontext des kindlichen Animismus; nicht nur Tiere, selbst leblose Dinge werden hier zunächst als „beseelt“ erlebt, als Wesen mit Willen, Empfinden, Motiven und moralischer Zurechenbarkeit.38 Beim typischen Verlauf der kognitiven Entwicklung wird dieser Anthropomorphismus überwunden, nur die Tiere (gelegentlich auch Pflanzen) werden mit dem Erreichen der letzten (vierten) Stufe der Ich-Umwelt-Differenzierung (d.h. in westlichen Gesellschaften mit ca. acht bis zwölf Jahren) weiterhin als bewusstseinsbegabte Wesen angesehen, die etwas „spüren“ können (vgl. Piaget 1997: 171f.). Von daher überrascht es nicht, dass noch im Erwachsenenalter, wenn Pflanzen meist der bewusstlosen Natur zugerechnet werden,39 Tiere (bes. Haus- und 35 36
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Siehe zu solchen Beispielen eines satirischen oder naiven Anthropomorphismus auch die Bemerkungen von F. de Waal (2002: 72-74). Vgl. zur „Industrie des Absolut Falschen“ in San Diego (und anderswo) U. Ecos (1988: 89ff.) Anmerkungen über Orkawale, die einen „square dance“ vorführen, und Grizzlys, die auf Kommando „winken“ können. Vgl. dazu die Analyse S. Bakers (1993: 223ff.). Unter „therianthropism“ versteht er (Baker 1993: 108) eine bildhafte Vermischung, Kombination von menschlichen und tierlichen Eigenschaften, wie sie z.B. häufig in politischen Karikaturen anzutreffen ist. Im Prinzip lassen sich animistische Haltungen wohl auch bei Tieren annehmen, z.B. bei einem Hund, der einen Gegenstand beißt, der nach ihm geworfen wurde (vgl. Piaget 1997: 210). 1977 gaben bei einer Allensbacher Umfrage immerhin 24% der Befragten an, dass auch Pflanzen eine „Seele“ hätten („glaube es nicht“: 63%, unentschieden: 13%). Bei der (tendenziell anthropomorphisierenden) Frage nach der Tierseele signalisierten 69% Zustimmung und 29% Ablehnung (unentschieden 2%). Die Frage lautete im Wortlaut: „Viele Menschen sagen ja,
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Heimtiere) sehr viel eher als erlebnisfähige Lebewesen wahrgenommen werden.40 Man kann Anthropomorphisierungen oder Personalisierungen von Dingen oder Naturgegenständen als Steigerungs- oder Spezialformen der sogenannten physiognomischen Wahrnehmung betrachten. Diese beruht darauf, dass Dinge, Umrisse, Bewegungen wie Einzelaspekte eines „beseelten“ leiblichen Ausdrucksverhaltens aufgefasst werden. Diese auch bei Erwachsenen aufweisbare Leistung kann als Vorform oder Teilfunktion einer animistischen Personifikation angesehen werden, denn sie setzt nicht unbedingt voraus, dass die Wahrnehmung einer einzelnen körperlichen Ausdrucksgeste auf der Identifikation eines personal verstandenen Lebewesens beruht. Ein solcher Fall liegt z.B. vor, wenn die Zeichnung einer unterbrochenen oder geknickten Linie nicht nur geometrisch gekrümmt, sondern affektiv als „gebrochen“, „geknickt“, „traurig“ wahrgenommen wird (Werner 1959: 48f.).41 Bei Erwachsenen sind physiognomische Wahrnehmungsweisen vermutlich am deutlichsten in Sinnbereichen wie der Kunst aufzuweisen,42 doch finden sie sich in abgemilderter Form auch im Alltag: Wenn wir das Gefühl haben, dass Gegenstände „freundlich“ oder „unfreundlich“ auf uns wirken, dann sind es in der Regel unsere eigenen Stimmungen und Gefühlslagen, die uns die Gegenstände zurückspiegeln. Besonders deutlich zeigt sich die Wirkungsweise der physiognomischen Wahrnehmung in Fällen, in denen eine anthropomorph gestimmte Naturerfahrung von einem ausgeprägt subjektzentrierten Erleben getragen wird.
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auch Tiere hätten eine Seele. Sie könnten Freud und Leid empfinden und könnten lachen und weinen. Finden Sie, das stimmt, oder kann man das nicht sagen?“) (Noelle-Neumann/Piel 1983: 124). 1959 war diese Frage schon einmal von 69% der Befragten zustimmend beantwortet worden (31% Ablehnung) (Noelle/Neumann 1965: 198). Vgl. dazu U. Gebhard (1994: 38ff.). Aufschlussreich ist der Befund, „dass sich Kinder derselben Altersstufe in Bezug auf das animistische Denken sehr stark voneinander unterscheiden können, während Erwachsene bisweilen Vorstellungen haben, die denen von Kindern ähneln“ (Gebhard 1994: 44). Dabei ist klar, dass nicht jede „Beseelungsannahme“ hinsichtlich anderer Lebewesen im Sinne eines kindlichen Anthropomorphismus gedeutet werden kann. In welchen Aspekten der „Animismus“ in „primitiven“ bzw. einfachen Gesellschaften Ähnlichkeiten mit dem ontogenetischen Animismus J. Piagets aufweist, kann hier nicht weiterverfolgt werden. Vgl. zu den Problemen der Universalität kognitiver Entwicklungsannahmen die Diskussionsbeiträge in T. Schöfthaler/D. Goldtschmidt (1984). H. Werner (1959: 50f.) betont, dass die physiognomische Wahrnehmung gegenüber der animistischen Personifikation das ursprüngliche Geschehen darstellt; diese ist (a) eine relativ extensiv entwickelte und (b) auf eine spezifisch „menschliche“ Gestalt ausgerichtete animistische Ausdruckswahrnehmung. Dies schließt nicht aus, dass die Gefühls- und Empfindungswerte selbst einfacher Gestalten keineswegs „natürlich“ vorgegeben sind, sondern kulturell konstituiert sind. Vgl. dazu die Diskussion zur Bedeutung verschiedener Linienführungen (wie Kurven, Zickzacklinie) bei M. Sahlins (1981: 270ff.). Vgl. zum „künstlerischen Ausdrucksmenschen“ W. Kandinsky H. Werner (1959: 47).
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Dann reagiert das Subjekt auf natürliche, unintendierte Gegebenheiten so, als handele es sich dabei um eine zielgerichtete Aktion, mit der das Subjekt „persönlich“ gemeint sei. So können Menschen, nicht nur Tiere, vom Gewitterdonner unmittelbar beeindruckt werden (sich sozusagen persönlich „angesprochen“ fühlen). In Extremfällen bewältigen sie ihr subjektzentriertes Angsterleben dann z.B. durch spontane Demutsgesten, sie verstecken sich, usw. (Bilz 1974: 9f.). Im Lichte methodologischer Standards moderner Wissenschaft erscheint der tierbezogene Anthropomorphismus als defizitär, fehlerhaft, – beruht er doch auf ungesicherten Deutungen, Projektionen oder Verschiebungen, die valide und intersubjektiv überprüfbare Untersuchungsergebnisse praktisch ausschließen. Wissenschaftshistorisch ist die Abwendung von Tier-Anthropomorphisierungen daher eng mit der Etablierung einer methodenkritischen experimentellen Psychologie verbunden, insbesondere mit dem Aufstieg des Behaviorismus. „Rechnende Pferde“ wie der „kluge Hans“, vor allem aber manche krassen Anthropomorphismen und Tiermythen, die noch im späten 19. Jahrhundert die gesellschaftlichen Ethnozoologien (bis weit hinein in die wissenschaftliche Zoologie) bevölkerten,43 bildeten den Hintergrund für die Entwicklung methodischer Stan43
Vgl. dazu H. Ritvo (1987: 15ff.). Als Beispiele für Texte, die damals weite Verbreitung gefunden haben, können Alfred E. Brehms „Illustriertes Thierleben“ (1864ff.) oder George Romanes’ „Animal Intelligence“ von 1882 angeführt werden; siehe zu Romanes F. Wuketits (1995: 42f., 52f.), zu Brehms’ Tierdarstellungen U. Hahn (1980: 63ff.) sowie R. Bogards (2007). In beiden Werken finden sich Beispiele für zum Teil recht drastische Anthropomorphisierungen, bei denen direkte Analogien zu menschlichen Sitten und „habits“ hergestellt werden. Als Beispiel soll hier nur Romanes’ Schilderung des Lebens der Ameisen herausgegriffen werden: Ameisen halten „slaves“, sie führen Kriege, in denen sie mitunter eine „great und needless cruelty“ an den Tag legen, sie praktizieren Bestattungszeremonien, die denen der Menschen ganz ähnlich sind, es gibt bei ihnen „play and leisure“, „domestic pets“ usw. (vgl. Romanes 1977: 68ff., 77f., 88-91). Romanes stützt sich bei diesen Deutungen u.a. auf L. Büchners „Geistesleben der Thiere“; wie bereits Büchner (1876) neigt Romanes dazu, zweckmäßig organisierte Verhaltensabläufe nicht selten mit planmäßigen Intentionen der Tiere in Verbindung zu bringen, – eine Projektion, der Kritiker wie L. Morgan (1894) mit dem Hinweis entgegentraten, derartiges Verhalten sei durch eine Folge von „trial and error“ zu erwerben und habe mit absichtsvoller Planung nichts zu tun. Ebenso hervorzustellen ist allerdings, dass die Bewegung zur Entanthropomorphisierung der Tierbetrachtung dann oftmals weit überzogen wurde (und wird): Ein tiefes Misstrauen gegenüber einer naiven, unbefangenen (d.h. von wissenschaftlichen Wahrnehmungs- und Erhebungsrastern kaum vorbelasteten) Naturbeobachtung und alltagsweltlichen „Tieranekdoten“ führte dazu, dass Verhaltensmuster, die später tatsächlich nachgewiesen wurden (z.B. Werkzeugverwendung bei Affen; Jungentransport auf den Armen der Eltern beim Biber), zunächst a limine als Vermenschlichungen verworfen wurden (vgl. Hediger 1980). Nimmt man hinzu, dass Romanes in mancher Hinsicht bereits manche Vorzüge einer „qualitativen“ Methodik der Tierverhaltensforschung klar herausstellt (z.B. Bedeutung von Feldbeobachtungen), so wird man B. Rollins (1990: 34) Auffassung zustimmen können, dass die wissenschaftliche Marginalisierung von Romanes auch von wissenschaftsinternen sozialen Schließungstendenzen getragen wurde, die T. Kuhn (1973) im Kontext der „normal science“ analysiert hat. Ein letzter Punkt betrifft sowohl die „Väter“ der oftmals naiven
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dards (z.B. experimenteller Kontrollkriterien), die weithin den nomothetisch orientierten Leitlinien der naturwissenschaftlichen Schrittmacherdisziplinen (der „more geometrico“ operierenden Physik und physikalischen Chemie) verpflichtet waren. Eine „introspektive“ oder „intuitive“ Verhaltensdeutung wird vor allem vom klassischen Behaviorismus vehement bekämpft, trägt sie doch die methodische Pandorabüchse einer „experimentellen Unbestimmtheit“ in die wissenschaftliche Vorgehensweise hinein (vgl. Bruder 1982: 20ff.). Die Grundhaltung dieser „modernen“, an erkenntnistheoretischen Eindeutigkeitskriterien orientierten „Psychologie ohne Bewusstsein“ beleuchtet schlaglichthaft ein Argument, das John B. Watson 1913 anführt, um die methodische Eignung von Tierexperimenten für humanpsychologische Fragestellungen zu verteidigen: Schließlich gebe jedermann zu, „dass das Verhalten von Tieren ohne Berufung auf das Bewusstsein erforscht werden kann“ (zit. nach Bruder 1982: 34). Nun ist J. Watsons Hinweis im wesentlichen Punkt durchaus stimmig, ja eigentlich höchst folgerichtig: die Fehlerquellen, die uns bei einer „introspektiven“ Berücksichtigung von tierlichen Bewusstseinszuständen begegnen, sind im Grunde von vergleichbarer Art wie beim menschlichen alter Ego: In beiden Fällen bleibt das subjektive Bewusstseinserlebnis, das ein äußeres Verhalten begleiten mag, in mancher Hinsicht uneindeutig, unklar und damit (nach Watsons Auffassung) wissenschaftlich prinzipiell unzugänglich.44 Denn in beiden Fällen könnte der Forscher versucht sein, die Leerstelle, die diese Uneindeutigkeit freigibt, durch selbstgestrickte anthropomorphe Mutmaßungen zu ergänzen bzw. aufzufüllen – die Folge wäre eine zirkuläre „introspektive“ Bewegung zwischen Forscher und seinem (imaginierten) Forschungsobjekt, die Watson von seinen ontologischen Grundannahmen her nicht zu akzeptieren bereit war. Schon weiter oben (Abschnitt 2.2) wurde angedeutet, dass von Max Weber das gleiche Grundproblem des Fremdverstehens auf sehr ähnliche Weise identifiziert, aber anders gelöst wurde. Webers Ausgangspunkt ist wie bei Watson die Einsicht in die Brüchigkeit und prinzipielle Inadäquanz des primärsozialen, unmittelbaren Fremdverstehens. Er vergleicht das Verstehen von Tieren mit dem von „Naturmenschen“ und stellt fest: „An sich ist das Maß unserer Einfühlbar-
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Anthropomorphismen als auch ihre Kritiker: Die im Rückblick bisweilen grotesk anmutenden Überzeichnungen erscheinen vielleicht in einem etwas milderen Licht, wenn die (bisweilen) ideologisch (sehr) aufgeheizte Atmosphäre in Rechnung gestellt wird, die bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein die Auseinandersetzung um den Darwinismus (und die Abstammung des Menschen) begleitet hat. Die erkenntnistheoretischen Grundprobleme des tierbezogenen Fremdverstehens, die diese methodologische Frage aufwirft (z.B. das Solipsismusdilemma), können hier nicht weiterverfolgt werden. Vgl. hierzu vor allem die Beiträge von H. Schmitz (1992) und T. Nagel (1974); zu Nagel kritisch T. Regan (1988: 66f.).
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keit bei dem Verhalten von ‚Naturmenschen nicht wesentlich größer“ (Weber 1980: 7). Freilich, die Mittel, „um den subjektiven Sachverhalt beim Tier festzustellen“, seien beim Tier unzureichend, allenfalls „sehr unzulänglicher Art“ – doch in manchen Fällen immerhin möglich. Das Verstehen eines fremden Tieres unterscheidet Weber zwar deutlich vom Verstehen eines fremden „Naturmenschen“, beide Formen werden aber doch nahe genug zusammengerückt, um sie als zwei Seiten einer Medaille, als zwei Varianten des selben Problems des Fremdverstehens zu identifizieren. Im Gegensatz zu Watson hält aber Weber am Konzept des subjektiven Sinns fest und ist aus dieser Grundentscheidung heraus nun gezwungen, sich auf den Zirkel des Verstehens einzulassen, den Watson eskamotieren zu können glaubte. Was Watson davon abhielt, in das „Karussell“ des Verstehens überhaupt einzusteigen, veranlasst Weber zur Anerkennung einer prinzipiell unvermeidlichen, in seinen Augen aber nicht unkontrollierbaren anthropomorphisierenden Analogiebildung beim Tierverstehen. Wo Verstehen ein „kontrollierbares Bild der Psyche“ sozialer Tiere liefern könnte, sei zwar kein Rückschluss auf menschliches Handeln zu erwarten, aber das Verstehen einer fremden Tierpsyche selber sei selbstverständlich an die spezifischen Möglichkeitsbedingungen menschlicher Analogiebildung rückgebunden: „mit menschlichen Analogien wird dort gearbeitet und muss dort gearbeitet werden“ (Weber 1980: 8; Herv. R.W). Sowohl Watson wie Weber ringen also mit einem Grundproblem des (auch tierbezogenen) Fremdverstehens. Dieses besteht darin, dass einem Beobachter die horizonthaften Möglichkeitsbedingungen seiner Beobachtung bzw. Unterscheidung aktuell unzugänglich sind oder allenfalls durch einen infiniten reflexiven Regress von immer neu zu beobachtenden Beobachtungen transparent werden könnten. Anders gesagt: Als psychische Bewusstseinssysteme sind Mensch und Tier notwendig über zirkuläre Selbstreferenzialität aufeinander bezogen, ihre wechselseitige Du-Evidenz gründet in einer Selbstreferenz, die die Umwelt letztlich „automorph“ konstituieren muss – dies impliziert schon der „transzendentale“, apriorische Charakter der leiblichen Organisation dessen, was MerleauPonty die „Mensur der Dinge“ nennt.45 Physiognomische Perzeptionsweisen, die sich bis in den Wortsymbolismus hinein aufweisen lassen (z.B. bei Körpermeta-
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Zur Erläuterung des leiblichen Apriori schreibt M. Merleau-Ponty (1974: 176): „Der Leib ist unser Mittel überhaupt, eine Welt zu haben.“ Z.B. setzt ein Bewusstsein des perzeptiv Verbundenen (z.B. eines Dinges, einer Wärmeempfindung) die „verbindenden“ Akte voraus, Wahrnehmungs- und Empfindungsakte, durch die der Leib die Gegenstände selbstkontaktiv konstituiert. Die Idee dieser offenen, keineswegs geschlossenen Selbstreferenz leiblicher Erfahrung kulminiert in der bündigen Formel, Gegenstandsbewusstsein und Selbstbewusstsein seien Synonyme (vgl. Merleau-Ponty 1974: 278).
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phern),46 können hier als Beispiele dienen. Schon hier deutet sich an, was M. Merleau-Ponty in seiner Phänomenologie der Leiblichkeit ebenso sublim wie vielschichtig herausgearbeitet hat: Letztlich ist alle Wahrnehmung insofern in einem selbstreferenziellen Sinne „physiognomisch“, als der Leib „jener seltsame Gegenstand (ist), der seine eigenen Teile als allgemeine Symbolik der Welt gebraucht“ (Merleau-Ponty 1974: 277). Auch von daher erscheint jeder Versuch, Konstituiertes von seinen Konstitutionsbedingungen abzukoppeln, vergeblich. Mehr noch: auch auf der Tierseite wird man einen prinzipiellen Zoomorphismus der subjektiven Umweltkonstitution voraussetzen müssen, etwas, das dem nahekommt, was man mit Jakob von Uexküll eine notwendige mentale Befangenheit im artspezifischen „Umwelttunnel“ nennen kann: Das Lebewesen bewegt sich in „einer vollkommenen Umwelt, in der die Funktionskreise sämtliche Objekte auf das eine Subjekt als Weltmittelpunkt beziehen, und sie dabei umgestalten wie weiches Wachs“ (v. Uexküll 1973: 323; vgl. auch 294f.). In dieser Perspektive wäre es illusionär, eine grundsätzliche „Entanthropomorphisierung“ unserer Tierauffassungen und -bilder, auch unseres Sprechens über Tiere, anzustreben.47 Auch das Humanum par excellence, die Sprache, kann diese Selbstreferenz nicht wirklich „heilen“, ist sie doch Ausdruck und Medium dieser Selbstreferenz, ja Demonstrationsfeld des unhintergehbar anthropomorphen Selbstbezugs unserer Welterfahrung.48 „Wenn 46
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Hervorzuheben sind hier vor allem die sprachlichen Spuren der genuin „anthropozentrischen“ Optik und Haptik, die dem kategorialen „Besteck“ unseres Erkennens zugrunde liegen („einsehen“, „be-greifen“, „er-fassen“ usw.). Vgl. zur lebensweltlichen Fundierung (natur-)wissenschaftlicher und erkenntnistheoretischer Begriffskonstrukte und „Idealisierungen“ programmatisch E. Husserl (1972: bes. § 10). Aus diesem Grunde ist die Rede vom „biozentrischen Denken“ ungenau, wie R. Spaemann/R. Löw (1991: 274; Herv. v. S./L.) unter der programmatischen Kapitelüberschrift „Das Misslingen der ‚Entanthropomorphisierung“ hervorheben: „Menschen können (...) nicht biozentrisch denken, denn indem wir biozentrisch denken, denken wir anthropozentrisch. Leben ist uns, wenn wir es nicht als bloße Modifikation des Anorganischen betrachten, zunächst in unserer Selbsterfahrung, im bewussten ‚Erleben gegeben und hieraus abstrahiert.“. Vgl. zur zirkulären und korrelativen Konstitution von Sprache und Wirklichkeit exemplarisch P. Winch (1974: bes. 21f., 25, 59f.). – Lediglich verwiesen sei in diesem Kontext auf den zentralen Stellenwert der Selbstreferenz der vokalen Geste für die Herausbildung des „self“ und der signifikanten Symbole (vgl. Mead 1974: bes. § 9). Die vokale Geste ermöglicht es, auf eigene Stimuli so zu reagieren, wie dies andere tun, und damit die Bedeutung einer Geste zu erfassen. Während für Mead die Gestenkonversation zwischen Hunden eine derartige Selbststimulation ausschließt, sieht er sie aber im Gesang von Vögeln exemplarisch verwirklicht. Dass Vögel dennoch kein „self“ ausbilden können, liegt u.a. daran, dass bei ihnen außerdem keine wechselseitigen Wahrnehmungskontrollen zwischen Seh- und Greifleistungen gegeben seien (Mead 1987: bes. 156f.), – eine Bedingung, die explorationsoffene „Nicht-Spezialisten“ unter den Säugetieren und Vögeln (wie Ratte, Rabe) und viele Säugetiere mit „Maki-Physiognomie“ (Ausstattung mit Greifhänden, Fähigkeit zu binokulärem Raumsehen) oftmals erfüllen (vgl. Lorenz 1995: 254, 259f.; 1977: 184ff.). Vgl. zur stammesgeschichtlichen Bedeutung des vorde-
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ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen“, – dieser Aphorismus Ludwig Wittgensteins (1971: 260) scheint auf diese uneinholbare Selbstreferenz der Sprache anzuspielen. In diesem Lichte sind Beschreibungen des Tierverhaltens, die z.B. auf Maschinen- oder Automatenmetaphern rekurrieren oder auf ein „neutrales“ Vokabular für leblose Gegenstände, letztlich nicht weniger anthropomorph als Aussagen, die mentale Zustände aufgreifen.49 Zudem kann mit Hubert Markl gefragt werden, inwieweit etwaige Zweifel daran, ob tierliche „Lebewesen organische Roboter, Automaten ohne jedes subjektiv-bewusste innere Erleben“ sind, sich überhaupt auf die Tierwelt beschränken lassen: „Wer diesen Standpunkt absoluter Skepsis (und des reinen Materialismus) einnehmen will, muss allerdings zugeben, dass sich seine Zweifel dann genauso wie auf die Tiere auch auf seine Mitmenschen beziehen müssen, denn auch sie tun uns ihre subjektive Erlebniswelt ausschließlich durch ihr Verhalten kund: auch sie können somit als organische Roboter aufgefasst werden“ (Markl 1986: 100f.).50
So plausibel dieser Einwand ist, so ist er doch keineswegs neu. Spätestens seit den Tierseelendebatten des 17. und 18. Jahrhunderts zählt er zum argumentativen Repertoire der Gegner mechanischer bzw. materialistischer Tierkonzepte. Ein Beispiel liefert hier Johann Heinrich Zedlers Universallexikon, das 1745 in einem Unterabschnitt des Artikels „Thier“ („Seelen der Thiere“) ein Gegenargument gegen diejenigen „Weltweisen“ anführt, die dem Tier eine Seele absprechen.51 Wer sich freilich dazu entschließt, die „Roboter“- oder Automatenhypothese für andere – Menschen wie Tiere – zurückzuweisen, sieht sich sogleich mit dem Problem konfrontiert, Art und Zusammenhang des mutmaßlichen „subjektiv-bewussten inneren Erlebens“ des anderen irgendwie – und sei dies noch so fragmentarisch – zu bestimmen, zu konstruieren. Nun ist es zweifellos ein kaum
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ren Relationsfeldes, das eine wechselseitig kontrollierende Abstimmung der visuellen Wahrnehmung und der haptischen Leistungen der vorderen Extremitäten ermöglicht, A. LeroiGourhan (1988: 49ff.). Bereits Ch. S. Peirce (1976: 350) begegnete Einwänden, die Verwendung von „anthropomorphen“ oder „natürlichen“ Begriffen sei generell „unwissenschaftlich“, mit dem Hinweis, dies sei ein „sehr schwacher Einwand“, der aus „Vorurteilen besteht, die auf viel zu engen Überlegungen gründen. ‚Anthropomorph sind wohl im Grunde genommen alle unsere Begriffe, sonst hätte man für die Worte, mit denen man sie ausdrückt, andere Wurzeln als die alten indogermanischen finden müssen.“ Vgl. zur wissenschaftlichen Legitimität eines begrenzten Anthropomorphismus auch F. Wuketits (1990: 47ff.). Die Leugner der Tierseele „würden gewiß nichts gründliches antworten können, wenn man sie fragen sollte, woher sie denn nun wüßten, dass die Menschen beseelte Geschöpfe wären? und woher diese Weltweisen andere überführen wollten, dass sie selbst Seelen hätten. Denn andere können mit eben dem Rechte, mit welchem sie den Thieren die Seelen absprechen, behaupten, dass sie selber nichts als Maschinen ohne Seelen sind“ (Zedler 1745: 1349).
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zu überschätzender Gewinn der phänomenologischen Intersubjektivitätstheorie von Edmund Husserl, dass sie den egologischen bzw. „anthropozentrischen“ Aspekt dieser Sinnkonstitution des anderen sowie ihre mannigfaltigen intentionalen Abstufungen hervorkehrt. So schreibt Husserl in den „Cartesianischen Meditationen“ zum „Problem der Tierheit und ihrer Stufenfolgen ‚höherer und niederer Tiere“: „In Bezug auf das Tier ist der Mensch, konstitutiv gesprochen, der Normalfall, wie ich selbst konstitutiv die Urnorm bin für alle Menschen; Tiere sind wesensmäßig konstituiert für mich als anomale ‚Abwandlungen meiner Menschlichkeit, möge sich dann auch bei ihnen wieder Normalität und Anomalität scheiden“ (Husserl 1977: 129).
Mit Blick auf das Anthropomorphismusproblem treten in dieser Textpassage zwei bemerkenswerte Einsichten zutage, Einsichten, die insbesondere von einer phänomenologisch orientierten Soziologie bislang leider nur unzureichend gewürdigt wurden:52 Einmal wird hier das Mensch-Tier-Verhältnis intersubjektivitätstheoretisch sehr eng mit dem Problem der Konstitution des anderen Menschen verknüpft. Die Konstitution „animalischer Gemeinschaften“ fällt mit der von „intersubjektiven Gemeinschaften“ in eins (vgl. Husserl 1980: 318). Zum anderen wird angenommen, dass die intentionalen Modifikationen, die es einem menschlichen Ego erlauben, die Konstitutionsprozesse eines tierlichen Alter zu rekonstruieren, den intentionalen Konstitutionsmöglichkeiten dieses (menschlichen) Ego verhaftet bleiben. Von daher scheint jeder Versuch, über die Rückbesinnung auf das eigene Cogito evidente Anhaltspunkte über das Bewusstseinsleben eines anderen herauszubekommen, notwendig einen anthropozentrischen Grundzug aufzuweisen. Husserl behandelt in diesem Zusammenhang die „Einfühlung“ geradezu als einen Königsweg des Fremdverstehens. Demnach ist es das leibliche Ausdrucksgehabe von Alter (hier: eines Tieres), das es Ego (hier: einem Menschen) ermöglicht, auf das seelische Erleben von Alter zu schließen (vgl. Husserl 1977: bes. § 54). Wenn mit Blick auf die Mensch-Tier-Beziehung nun zurecht eine gewisse „Einseitigkeit der Husserlschen Einfühlungstheorie“ angemerkt wurde (so Waldenfels 1971: 338), so liegt das vielleicht auch daran, dass in Husserls einschlägigen Ausführungen zwei Aspekte häufig nicht scharf (oder plakativ) genug voneinander unterschieden werden. Zum einen (a) geht es um den egologisch„anthropozentrischen“ Ausgangspunkt des Einfühlungsprozesses. Dieser impli52
Vgl. hierzu etwa T. Luckmanns (1980: 60-62) Kritik an Husserls Überlegungen zur tierbezogenen Einfühlung, die mit ihrer Zurückweisung des transzendentalistischen Ansatzes über das Ziel hinauszuschließen und das begrenzte Recht des egologischen Ansatzes ganz in Abrede zu stellen scheint.
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ziert zunächst nur, dass dem menschlichen Ego „fremde“ Erlebnisse wie z.B. freudige Erregung, „depressive“ Niedergeschlagenheit oder Schmerz nur dann verständlich sein können, wenn dieses Ego selbst vergleichbare psychische Erlebnisse kennt bzw. sich vergegenwärtigen kann. Nun ist dies zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung einer erfolgreichen „Einfühlung“, denn es ist ja nicht auszuschließen, dass ich (b) das äußerliche Ausdrucksgebaren von Alter mit Erlebnissen assoziiere, die mir zwar vertraut sind, die Alters Ausdrucksgebaren aber verfehlen, fehldeuten (das leibliche Gebaren des permanent „lächelnden“ Delphins wirkt auf mich z.B. freudig, fröhlich, obwohl er sich in Wirklichkeit elend oder traurig fühlen mag). Auch in dieser zweiten Variante wird das Tier über meiner Einfühlung als eine „Abwandlung meiner Menschlichkeit“ konstituiert, allerdings auf eine unzutreffende, irreführende Weise. Doch unabhängig davon, wie erfolgreich der „einfühlende“ Konstitutionsprozess verlaufen mag: Der – davon scharf zu unterscheidende – Sachverhalt, dass es meine (biographisch, kulturspezifisch, stammesgeschichtlich usw. bestimmten) Konstitutionsleistungen sind, die mir die Sinngestalt eines tierlichen Alter vergegenwärtigen, wird davon nicht berührt. Impliziert nun die Anerkennung dieses ebenso grundlegenden wie unausweichlichen Anthropomorphismus (eines „Anthropomorphismus ersten Grades“) die Annahme, dass der Zirkel einer anthropomorphen Selbstreferenz solipsistisch kurzgeschlossen ist, dass im Mensch-Tier-Verhältnis Entscheidungen über eine näherungsweise Adäquanz intersubjektiver Verstehensleistungen nicht begründet getroffen werden können? Kaum. Eher ist wohl davon auszugehen, dass mit dem Scheitern einer strikt transzendentalegologischen Fundierung von Intersubjektivität dem Du – auch dem Du-evidenten Tier – der mundane Status eines irreduzibel vorgegebenen alter Ego zuzusprechen ist. Um hier Alfred Schütz’ Kritik an Husserls transzendentalistischer Überspitzung der Konstitutionstheorie zu variieren: Unsere notwendig anthropozentrischen Versuche, die Sinnkonstitutionsprozesse eines tierlichen alter Ego zu rekonstruieren, stellen zwar eine approximative Auslegung und „Aufklärung der Sinnstruktur“ der fremden Konstitutionsleistungen in Aussicht, niemals aber eine transzendentalegologische Erschaffung, „Kreation“ des anderen.53 Max Scheler verweist in diesem Zusammenhang auf das entscheidende punctum saliens, das grundlegende Primat des anderen. Scheler setzt an der intersubjektivitätstheoretisch folgenreichen Voraussetzung an, dass das Selbsterleben im Fremderleben fundiert ist und nicht umgekehrt. Gegen die Analogieschlussthese, die unterstellt, wir würden von den Bedeutungen unserer eigenen Ausdrucksbewegungen aus auf die Ausdrucksbewegungen eines Du schließen, 53
Vgl. A. Schütz (1971a: 116ff.). Den Zusammenhang und die Etappen von Schütz’ Abkehr vom Transzendentalismus E. Husserls diskutiert im Einzelnen I. Srubar (1988: 256ff.).
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bringt Scheler mehrere Gegenargumente vor, von denen hier lediglich die beiden wichtigsten anzuführen sind: (a) Einen „Glauben“ an „fremde seelische Existenzen“ gibt es „zweifellos auch bei Tieren, die sicher keine ‚Analogieschlüsse machen“ (Scheler 1973: 232). Der zweiter Einwand (b): Wir unterstellen auch bei solchen Tieren die „Existenz einer Beseelung“, deren „Ausdrucksbewegungen (und ‚Handlungen) den unserigen menschlichen in nichts gleichen, z.B. bei Fischen, Vögeln usw.“ (Scheler 1973: 234). Beide Überlegungen zielen darauf ab zu zeigen, dass eine wechselseitige, Intersubjektivität begründende DuEvidenz weder auf der menschlichen noch auf der tierlichen Seite als ein geschlossen-selbstreferenzielles Ausdrucksverstehen gedacht werden kann. Eben hierin liegt der bleibende Gewinn von Schelers Ansatz des Fremdverstehens für eine Sozialphänomenologie der Mensch-Tier-Beziehungen. Denn wenigstens in statu nascendi können wir bei zahlreichen höheren Wirbeltieren jene Grundkompetenz unterstellen, die Scheler wie folgt zusammenfasst: „‚Zunächst“, schreibt er, „lebt der Mensch mehr in den anderen als in sich selbst; mehr in der Gemeinschaft als in seinem Individuum. (...) Ein gefälltes Urteil, der Ausdruck einer Gemütsbewegung usw., wird hier nicht zunächst ‚verstanden und als die Äußerung eines fremden Ich erlebt, sondern es wird mit-vollzogen, ohne dass das ‚mit in diesem ‚Mitvollzug selbst zur phänomenalen Gegebenheit käme; das heißt aber: es wird je primär ‚als eigenes Urteil und ‚als eigene Gemütsbewegung erlebt“ (Scheler 1973: 241; Herv. Scheler).
Von diesem Primat des Fremderlebens her wird nun verständlich, weshalb wir weiter oben Befunde dafür anführen konnten, dass anthropomorphisierende Angleichungstendenzen im Laufe der menschlichen Psychoontogenese nicht einfach verschwinden, sondern lebenslang das spontane Gestalt- und Ganzheitserleben anderer54 (sowohl anderer Menschen wie auch irgendwelcher „menschenähnlicher“ Tiere) beeinflussen.55 In dieser Sicht sind Vermenschlichungstenden54
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In diese Richtung weist auch Merleau-Pontys Betonung einer fortdauernden Bedeutung von bereits „überwundenen“ Stufen der kognitiven Entwicklung. Mit kritischem Blick auf J. Piaget schreibt M. Merleau-Ponty (1974: 407): „(...) soll es für den Erwachsenen auch eine einzige intersubjektive Welt geben, (muss) das barbarische Denken des frühen Kindesalters als unentbehrlicher Erwerb auch dem des Erwachsenen zugrundeliegen bleiben.“ Man kann wohl mit H. Hediger (1980: 2320) davon ausgehen dass sich die projektive Angleichungstendenz, die sich als Anthropomorphisierung bzw. (bei Tieren) als Zoomorphisierung manifestiert, in „allen höheren Lebewesen stammesgeschichtlich tief verankert ist“. J. Kennedy (1992: z.B. 155) schreibt von unserem „in-built anthropomorphism“. Beim Menschen können die soziokulturellen Ausformungen dieser Verhaltensbereitschaft insofern sehr variabel ausfallen, als Vermenschlichungen ja auch auf identitätstypischen Selbstbildern beruhen. Von daher dürften „interdependenzbetonte“ Selbstkonzeptionen, wie sie vor allem in asiatischen Kuturen vorkommen, weniger individualbezogen ausfallen als westliche Anthropomorphisierungen, die
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zen im Erwachsenenalter also keineswegs notwendig regressiv oder ein dysfunktionales Relikt ontogenetisch überwundener Entwicklungsphasen. Sie verweisen (in ihren nicht-primitiven Ausdrucksformen) vielmehr auf zentrale soziale Interaktionskompetenzen, vor allem auf eine generalisierte intersubjektive Empathiefähigkeit und auf die Fähigkeit zum sozialen Perspektivenwechsel.56 Bedeutet das Gesagte eine indirekte Rehabilitierung von Pferden, die Quadratwurzeln ziehen können oder von Hunden, die mit ihren „Fremdsprachenkenntnissen“ brillieren? Oder weniger extrem: Steht die Wiederkehr eines „Oberflächlichkeitsanthropomorphismus“ („superficial anthropomorphism“) an,57 der bei Ähnlichkeiten im äußeren Ausdrucksverhalten von Mensch und Tier gleiche Bedeutungen hineinliest? Keineswegs. Sicherlich bleibt eine spontane und unreflektierte, unkontrollierte Anthropomorphisierung tierlichen Verhaltens eine der „hartnäckigsten Fehlerquellen“ (Hediger 1980: 2320) tierpsychologischer bzw. kognitiv-ethologischer Forschung. Auch im Kontext soziologischer Fragestellungen bleibt der Versuch, derartige Forschungsergebnisse „auf kurzem Wege“ mit menschlichen Verhaltensmustern zu analogisieren oder zu parallelisieren, nicht selten ein Indiz für projektive Spekulation. Von daher ist das methodologische „Sparsamkeitsprinzip“ von C. Lloyd Morgan (1894: 52f.) von unverminderter Aktualität. Mentale Leistungen von Tieren sind auf eine möglichst einfache Weise zu deuten, d.h. als Resultat von Leistungen, die auf einer möglichst niedrigen psychisch-mentalen Ebene anzusiedeln sind.58 Diese Zugangsweise schließt einen „Anthropomorphismus im engeren Sinne“ (einen „Anthropomorphismus zweiten Grades“) aber nur dort aus, wo beim Menschen vergleichbar „niedrige“ Erklärungsniveaus überhaupt nicht in Betracht kommen, – bei tierlichen Verhaltensprozessen hingegen, die grosso modo den stammesgeschichtlich begründeten Verhaltensbereitschaften des Menschen entsprechen,
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eher von einem unabhängigen, autonom gedachten Selbst ausgehen (vgl. zu den beiden Konzeptionen des Selbst Markus/Kitayama 1991). Umgekehrt können rigide Entanthropomorphisierungsanstrengungen nicht selten auf einen Mangel an diesen sozialen Kompetenzen hinweisen oder auf Übertragungsmechanismen des psychischen Apparates, die ein Stilllegen dieser Fähigkeiten bewirken. Exemplarisch ist in diesem Zusammenhang die Du-Angst, die nach G. Devereux (1984) ein komplementärer Zug des behavioristischen Bestrebens ist, den Forschungsgegenstand methodologisch zu entsubjektivieren (am extremsten vielleicht bei J. Watsons Ausklammerung von Bewusstseinsphänomenen). Vgl. dazu R. Lockwood (1989: 46f.). Ein Beispiel für diese irreführende Anthropomorphismusvariante ist das „Kussverhalten“ bestimmter Fische, wenn es als Ausdruck affektiver Zuwendung missverstanden wird. S. Coren (1997: 105f.) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Morgans Sparsamkeitsprinzip, eine Abwandlung von Wilhelm von Ockhams „Rasiermesser“ („pluralitas non est ponenda sine necessitate“), in der Folge von Psychologen häufig dahingehend fehlinterpretiert wurde, selbst höheren Tieren nonreaktive Bewusstseinsleistungen einfach abzusprechen.
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z.B. bei urszenischen Rollen oder biologischen Radikalen (Bilz 1973; 1974), wird die Anwendung des Morganschen Sparsamkeitsprinzips notwendig Anthropomorphisierung begünstigen. Es hieße demnach einen „Reduktionismus nach unten“ zu verabsolutieren, bliebe man beim Sparsamkeitsprinzip stehen. Denn es kommt, wie Hediger im Anschluss an Johan Bierens de Haan betont, grundsätzlich nicht „so sehr darauf an, tierliches Verhalten so sparsam wie möglich, sondern so richtig wie möglich zu erklären“ (Hediger 1980: 2321). Eine (sozial-)wissenschaftliche Erfassung von Tierverhaltensweisen könnte sich demnach nicht auf die „fraglose Basisannahme“ zurückziehen, Tiere könnten a priori keine dem Menschen vergleichbaren (mentalen) Verhaltensleistungen hervorbringen. Würde man von vornherein Fragestellungen und Untersuchungsgegenstände aus diesem Grund aus dem Horizont wissenschaftlichen Fragens ausschließen, so liefe das letztlich darauf hinaus, Mensch-Tier-Vergleiche auf eine nicht falsifizierbare petitio principii zu gründen. Schon die phylogenetisch begründete Verwandtschaft zwischen Mensch und höherem Tier, für die zahlreiche Befunde aus Mikrobiologie, Genetik, Serologie, Embryologie und der vergleichenden Anatomie sprechen (vgl. z.B. Vogel/Angermann 1992: 532f.), lässt es unwahrscheinlich erscheinen, dass gerade in Bereichen der (kognitiven) Ethologie keine Kontinuitäten oder Affinitäten zutage treten, die Elemente eines umsichtigen, gemäßigten „Anthropomorphismus zweiten Grades“ stützen könnten.59 Nicht zu verschweigen ist hier auch die inkonsistente, zum Teil direkt widersprüchliche Haltung von jenen strikten Anthropomorphismus-Gegnern in Wissenschaft und Forschung, die gleichzeitig aber keine grundsätzlichen Zweifel an der „human-analogen“ Übertragbarkeit von Tierversuchsergebnissen hegen.60 59
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Zu einem ähnlichen Resultat kommt R. Garner (1993: 35), der meint, „that anthropomorphism may not necessarily be false. The danger lies in assuming too readily that some animal attributes can be explained by reference to humans.“ G. Bateson (1987: 151; Herv. Bateson) spricht einmal davon, für einen Hund stelle sich eine „Aufgabe“, er unterscheide eine Aufgabenstellung, und Bateson rechtfertigt diese Wortwahl mit der Bemerkung: „Diese extrem anthropomorphe Ausdrucksweise ist (...) nicht weniger ‚objektiv als die Ad-hoc-Abstraktion ‚Unterscheidung.“ – R. Lockwood (1989: 51) unterscheidet verschiedene Varianten eines „constructive use of anthropomorphism“, der immer dann möglich und nützlich sei, wenn „we (..) have a good understanding of the animal’s ecological, evolutionary, and individual history.“ B. Rollin (1990: 26) schreibt in diesem Zusammenhang über die Schmerzforschung: „Either animals are experiencing pain (unpleasant subjective sensations) or they are not. If they are, and they are valid ‚models for human pain, that commits one to the presence of a human (or human-like) mental state in the animal, and renders one liable to the conviction of having committed the fallacy of anthropomorphism. If they are not, animals have nothing like experienced pain, in which case there is no point to such research, since one cannot model the human situation on it.“
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Fruchtbarer als eine (letztlich wohl illusionäre) Ausmerzung jeglichen Anthropomorphismus scheint ein methodologisch kontrollierter Umgang mit Vermenschlichungstendenzen zu sein, ein „kritischer Anthropomorphismus“.61 Dabei könnte ein multiperspektivischer Ansatz hilfreich sein, der reduktionistische und emergentistische Zugänge aufeinander bezieht und einen diesbezüglichen Konflikt der Interpretationen62 kultiviert. Ein methodologischer Gewinn dieses Wettbewerbs der Deutungsverfahren könnte sein, dass die unbewussten Vorannahmen und Implikationen rivalisierender Zugangsweisen aufgedeckt werden können.63 Gerade bei Fragen, die das ethologisch-soziologische Übergangsfeld betreffen, könnten dann z.B. Formen eines Methodenmix und der Triangulation eine holistische und validere Erfassung des Tierverhaltens ermöglichen. Dabei sind – im Anschluss an eine Unterscheidung von Norman Denzin (1978) – Triangulationsverfahren sowohl als Kombination unterschiedlicher Datenquellenquellen wie auch als theoretische und methodologische Tringulation denkbar.64 Ein kontrollierter und konstruktiver Umgang mit dem fortdauernden Einfluss unserer Anthropomorphismen erscheint zudem dann wahrscheinlicher, wenn Anstrengungen unternommen werden, die (vermutlich variablen) Grenzen einer jeweils „tolerierbaren Anthropomorphisierung“ im konkreten Fall genauer auszuloten. Dabei könnten folgende Kriterien hilfreich sein: 1.
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Erweiterung des Kontextbezugs: Ein einzelner Verhaltensprozess ist nicht nur auf seine engeren situativen Bedingungen (wie die besondere „Gestimmtheit“), sondern auch auf das emergente „Gesamtbild“ des tierlichen Verhaltens zu beziehen, d.h. einerseits auf den artspezifischen Verhaltenskatalog (das „Ethogramm“), andererseits auf die individuelle Eigenarten, die bei höheren Tieren z. T. erheblich differieren können (Buytendijk 1958: 11, 100f.). Eher qualitativ orientierte Methoden, wie z.B. die berühmte teilnehmende Langzeitbeobachtung von Jane Goodall (1991) unter freilebenden Schimpansen, sind sicher besonders geeignet diese kontextuellen Aspekte aufzudecken. Die heuristische oder explorative Verwendung eines „gemäßigten Anthropomorphismus“: Humananaloge Konzepte können als Idealtypen eingesetzt werden, die der Hypothesenfindung oder Prognoseerstellung dienen können. Zwei Beispiele: Über die heuristische Funktion von AnthropomorphiDer Ausdruck ist G. Burghardt (1985) entlehnt. Vgl. zu diesem Konflikt der Interpretationen P. Ricœurs (1974: 33ff.) Ansatz einer Korrektur der „Sammlung des Sinns“ durch die „Übung des Zweifels“ (und umgekehrt). In diese Richtung weist auch ein Vorschlag von J. Kennedy (1992: 157f.). Siehe zu Verfahren der Triangulation den Überblick von U. Flick (1995).
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sierungen schreiben etwa die Primatologen Dorothy Cheney und Robert Seyfarth (1990: 303): „Attributing motives and strategies is often the best way for an observer to predict what an individual is likely to do next“.65 In einem ganz ähnlichen Sinne streicht Frans de Waal (2002: 77f.) das verhaltenswissenschaftliche Innovationspotential eines „zoozentrischen Anthropomorphismus“ heraus: Charakteristisch für diesen sei der Versuch, in einer bestimmten Situation den Standpunkt bzw. die Perspektive des Tieres zu beziehen, um so zu überprüfbaren Ideen vorzustoßen. Ein Erfolgsbeispiel bietet in dieser Hinsicht z.B. die Schizophrenieforschung. Hier hat sich gezeigt, dass eine anthropomorphe Kontextualisierung bzw. Analogisierung tierlicher Verhaltensweisen mitunter sogar zu grundlegenden Einsichten in die Struktur und Pathologie zwischenmenschlicher Interaktionen führen kann.66 Von diesen methodologischen Überlegungen zu den Vorzügen und Grenzen einer „gemäßigten Anthropomorphologie“ tierlichen Verhaltens67 zu trennen sind freilich die mehr oder minder ausgeprägten Anthropomorphismen, mit denen das Alltagsbewusstsein Tieren begegnet, besonders Tieren, denen eine primärsoziale Du-Evidenz zukommt und die den „Status von biographiefähigen Akteuren besitzen.“68 Formen und Richtungen dieses lebensweltlichen Anthropomorphismus sind selbstverständlich ein unverzichtbarer Schlüssel zum kultursoziologischen Verständnis der Mischformen, die ethnozoologische Rahmenkonzepte und Mythen mit unmittelbaren Mensch-Tier-Beziehungsmustern eingehen können. Sie sagen vermutlich wenig darüber aus, wann und in welchem Umfang eine vermenschlichende Darstellungsweise tierlichen Verhaltens wissenschaftlich legitim ist. Allenfalls erinnern sie uns daran, dass in dem Maße, in dem wissenschaftliche Konzepte auf „normalen“, alltäglichen Sprechweisen und 65
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Vgl. zum Einsatz eines heuristischen Anthropomorphismus bei Lernexperimenten mit Ratten J. Serpell (1990: 174). Der Psychologe J. Garcia (1981: 151) schreibt über seine Lernexperimente mit Ratten: „I always use anthropomorphism and teleology to predict animal behavior because this works better than most learning theories.“ Zur Begründung verweist er auf das gemeinsame neurosensorische System von Mensch und Ratte und beruft sich auf die „convergent evolutionary forces“. So bemerkt G. Bateson (1987: 158; Herv. Bateson) einmal: „Von der Beobachtung des Spiels bei Flussottern ging ich dazu über, ähnliche Klassifizierungen des Verhaltens bei Menschen zu untersuchen und gelangte schließlich zu der Vorstellung, dass hier gewisse Krankheitssymptome, die auf die sogenannte Schizophrenie hinweisen, ebenfalls das Ergebnis einer falschen Behandlung der logischen Typisierung sind, was von uns als double bind bezeichnet wurde.“ Siehe zur neueren Diskussion mehrere Beiträge in L. Daston/G. Mitman (2005). In diesem Sinne schreibt J. Bergmann (1988: 307) zutreffend: „Haustiere altern zusammen mit uns, wir erfahren sie als Lebewesen, die einen Charakter entwickeln, die ihre Vorlieben und Abneigungen, ihre Erfolge und Misserfolge haben.“ Siehe auch J. Serpell (2005).
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ihren Regeln basieren,69 es umso schwieriger wird, indirekte Anthropomorphismen zu vermeiden. Von daher ist es auch nicht überraschend, dass Wissenschaftler, die in ihrem Berufsalltag jede Anthropomorphisierung eines Tieres zu vermeiden trachten, im direkten Umgang mit einem Tier häufig nicht so „sadistisch“ verfahren, wie dies manchmal Tierversuchsgegner behauptet haben.70 In aller Regel scheinen solche Wissenschaftler dem eigenen Heimtier gegenüber einem durchaus „normalen“ Anthropomorphismus zu zeigen (vgl. Rollin 1990: 27f.). Ein oftmals vernachlässigter Punkt: Anthropomorphe Tierauffassungen müssen in lebensweltlichen Kontexten natürlich keineswegs mit tierfreundlichen 69
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Vgl. P. Winch (1974: 78f.) zur hartnäckigen Irreduzierbarkeit anthropomorpher Redeweisen über Tiere. Winch betont, dass eine reduktiv-„objektive“ Redeweise, die möglichst präzise im quasi neutralen Rahmen räumlich-zeitlicher Bestimmungen bleibt, das „Sich-winden“ einer Schmerz empfindenden Katze gar nicht adäquat zu erfassen vermag: „Wer glaubte, das Studium der Bewegungsmechanik bei lebendigen Wesen könne auf den Begriff tierischen Lebens ein Licht werfen, wäre das Opfer eines begrifflichen Missverständnisses“ (Winch 1974: 96). Dies schließt nicht aus, dass entsprechend neurotische Charaktere von einschlägigen Versuchslaboratorien angezogen werden, vgl. etwa die Beispiele für tierexperimentelle Rohheiten, die G. Devereux (1984: 267ff.) anführt, zudem K. Menninger (1951). Inwieweit hier vielleicht I. Pawlow ein „theriophiles“ Gegenbeispiel abgeben könnte, ist überaus zweifelhaft. 1926 „entrüstet“ er sich nach eigenen Angaben auf einer Tagung über einen deutschen Kollegen (einen wissenschaftlichen Konkurrenten?), der 20 bis 30 Hunde verstümmelt hatte, um an diesen Invaliden Lokomotionsuntersuchungen durchzuführen. Pawlow (1955: 455): „Warum verstümmelst du die armen Hunde? Daraus geht keinerlei Nutzen hervor. (...) Eine große Anzahl von Menschen sieht das an sich selbst.“ Dabei war sein dienstlich-professionelles Tierbild von einem radikalen Materialismus geprägt, so sagt er über R. Descartes z.B. explizit (I. Pawlow 1955: 416f.): „Was (...) Descartes betrifft, so betrachtet er die Tiere als reine Maschinen. Dank dieser Tatsache haben wir von ihm den Begriff des Reflexes erhalten und darauf die ganze Analyse der Nerventätigkeit aufgebaut.“ Freilich: Pawlow selbst betont, den Versuchshunden bei Eingriffen eine „geeignete Narkose“ zu verabreichen, sie sorgsam zu pflegen usw. Doch klingt es allzu euphemistisch, wenn Pawlow (1955: 98) 1904 in seiner Ansprache zur Verleihung des Nobelpreises seinen „Maschinen“ „freudige“ Diensterfüllung zuschreibt: „Unsere gesund und munter aussehenden Tiere erfüllten ihren Laboratoriumsdienst mit einer wahren Freude, sie strebten dauernd aus ihren Käfigen ins Laboratorium und sprangen von selbst auf den Tisch, auf dem die Versuche und Beobachtungen an ihnen angestellt wurden.“ Es gibt berechtigte Zweifel an Pawlows Darstellung. Sein Schüler A. Samoilow bemerkt in seinen Erinnerungen einmal: „Über alles stellte er (Pawlow, R.W.) das Experiment mit dem unversehrten, nicht narkotisierten Tier, an einem Tier mit normalen Reaktionen auf jeden Reiz (...)“ (zit. nach Koschtojanz 1955: 11; Herv. v. R.W.). Bekannt ist zudem, dass bei den Tieren Experimentalneurosen auftraten, Hunde suchten sich den Versuchen zu widersetzen (vgl. die Analyse Merleau-Pontys 1976: 139). Vielleicht hatte I. Pawlow seine Meinung über das Narkotisieren von Versuchshunden geändert, vielleicht ging es Pawlow 1904 aber auch um eine öffentliche „Imagepflege“ der experimentellen Physiologie, die auch im Zarenreich nicht unumstritten war, gab es doch auch hier seit dem 19. Jahrhundert organisierte Tierschutzbestrebungen, die sich vor allem auf einige größere Städte (St. Petersburg, Moskau, Odessa, Riga z.B.) und mehrere Provinzstädtchen konzentriert haben. Der Brockhaus (1908: 838) nennt zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das russische Reich immerhin achtzig Haupt- und Nebenvereine.
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Haltungen oder Praktiken verknüpft sein (vgl. Hediger 1977: 1093f.). Im Gegenteil: besonders krasse oder krude Formen des Anthropomorphismus implizieren meist eine überzogene Personalisierung eines Tieres, was z.B. zur Folge haben kann, dass das Tier als Projektionsfläche von feindseligen, aggressiven Tendenzen herhalten muss.71 Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Verhaltensmöglichkeiten des Tieres überschätzt werden und das Tier für „Fehlverhalten“ „bestraft“ wird, das wesentlich durch die ethologische Unkenntnis des menschlichen Gegenüber hervorgerufen wurde. Zu erinnern ist schließlich an Tierzuchten, die systematisch Merkmale seligieren, die Anthropomorphisierungen begünstigen (z.B. Neoteniemerkmale), das Wohlbefinden des Tieres aber dauerhaft oder wesentlich beeinträchtigen (so z.B. bei Qualzuchten).72 Schließlich ein letzter Punkt, der ein weitreichendes Problem betrifft, das hier nur angeschnitten, nicht aber ausführlich diskutiert werden kann: Anthropomorphisierungen von Tieren verweisen indirekt auf Menschenbilder, Personenoder Subjektkonzepte einer Kultur (vgl. Stichweh 1994: 75f.). In dieser Perspektive weisen Personalisierungstendenzen von Menschen und Tieren meist wechselseitige, häufig auch gegenläufige anthropo-zoologische Parallelen auf, was sich besonders dort zeigt, wo schablonenhaft „kontrastierende Wesensurteile“ gefällt werden: Auf der einen Seite findet sich eine Schwarz-Weiß-Kontrastierung „Geistwesen Mensch“ – „Naturwesen Tier“, hier sträubt man sich gegen die „Anerkennung etwaiger fließender Übergänge“ zwischen Mensch und Tier (Hassenstein 1972: 90). Eine Reziprozität von Tier- und Menschenbildern drückt sich dabei keineswegs notwendig in einer abwertenden „Bestialisierung“ bestimmter Tiere aus. Das Tier kann auch zu einem quasi „authentischeren“, „besseren Menschen“ mit Vorbildcharakter idealisiert werden (quasi zum „guten Wilden auf vier Pfoten“). Zu Recht wurde hier festgestellt, dass mitunter in popularwissenschaftlichen Beiträgen zur Ethologie die Suche nach dem „natürlichen“ oder authentischen Menschsein die Tendenz begünstigt habe, die „Heilsgeschichte des Menschen (..) in die graue Vorzeit und in das Tierreich“ (Bühl 1974: 77; Herv. R. W.) zurückzuverlegen.
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In diesem Umkreis gehören z.B. manche Tierphobien. Vgl. etwa die bei S. Freud (1970: 146f.) mitgeteilte Geschichte vom kleinen Arpád, dessen Gefühlsambivalenz Hühnern gegenüber auf einer Verschiebung beruhte, d.h. eigentlich dem Vater galt. „Am liebsten“, so Freud, spielte Arpád „Hühnerschlachten“. Vgl. Deutscher Tierschutzbund (1991: 116f.). – Hierher gehören auch Fälle, die E. Lawrence (1986) als „neotenizing“ von Tieren beschreibt: sie charakterisiert damit eine extreme, vor allem in westlichen Gegenwartsgesellschaften anzutreffende Variante der Anthropomorphisierung, die dem Wunsch nach Kontrolle entspringt, genauer: dem Bestreben, sich die eigenen Autonomiewünsche und -träume über die Kontrastfolie eines unselbständigen, abhängigen Heimtieres bestätigen zu lassen.
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Diese „Heilsgeschichten“ zeichnen ganz unterschiedliche Bilder der frühesten Mensch-Tier-Beziehung. Beispiele für eine ursprüngliche, paradiesisch anmutende Harmonie finden sich z.B. in der Lebensreformbewegung des Kaiserreichs. Exponenten des Vegetarismus wie Robert Springer oder Gustav Schlickeysen vertraten z.B. die Auffassung, der Urmensch habe sich ausschließlich pflanzlich ernährt, er habe den Fleischverzehr instinktiv abgelehnt und daher keine Tiere gejagt (siehe Krabbe 1974: 71f.; Teuteberg 1994). Umgekehrt finden sich auch entsprechende quasimythische Projektionen über Jagd und Fleischkost. Die Jagdhypothese, wie sie im letzten Jahrhundert etwa von Raymond Dart vertreten wurde, erklärt die Jagd zu einem entscheidenden Movens der Anthropogenese: „hunting was what had turned apes or man-apes into people“, wie Matt Cartmill in seiner kritischen Rekonstruktion den „Killeraffenmythos“ bündig zusammenfasst.73
3.1.2 Exkurs: Methodische Probleme tierexperimenteller Forschung Wie bereits George H. Mead (1974: §§ 1, 2) gegen J. Watsons Reduktionismus anführt, gibt eine genaue Beschreibung des äußeren, beobachtbaren Verhaltens allenfalls den Möglichkeitenraum vor, in dem sich Deutungen über motivierende oder intervenierende mentale Variablen (etwa „attitudes“) bewegen können. Erst dieser Rekurs auf Haltungen und Verhaltensbereitschaften könne offenkundige Absurditäten vermeiden und dem Forschungsgeschehen Sinn verleihen (um z.B. typische Verhaltensbereitschaften herauszufinden, die sich zu individuellen oder generellen Mustern der Neigungen, des Verhaltensstils dieses Hundes oder von Hunden im Allgemeinen verdichten können). Zudem: Je ausgeprägter die Lernfähigkeiten eines Tieres sind, desto komplexer kann sein Verhaltensrepertoire sein, d.h. der Umfang der möglichen Verhaltensbereitschaften, die ein Tier im Verlauf seiner ontogenetischen Entwicklung erworben hat. Wenn keine Bedingungen vorgegeben sind, die den möglichen Verhaltensraum des Tieres „kontrollierend“ einschränken („standardisieren“), werden sich häufiger Kontingenzen einstellen, also überraschende, unerwartete Verhaltensweisen oder solche, deren Bedeutung vielleicht (vorerst) unklar ist. Dies ist nicht zuletzt dann der Fall, wenn Ansätze symbolisch ausgerichteter Verhaltensorganisation erkennbar sind. 73
M. Cartmill (1993: 9), vgl. zur Kritik an R. Dart auch L. Binford (1984: 28-57). In ähnlicher Weise hat übrigens schon der Marxismus die Fleischkost (neben der Arbeit) zu einem entscheidenden Movens der „Menschwerdung des Affen“ erklärt. In einem diesbezüglichen Artikel (verfasst vermutlich im Juni 1876), wendet sich F. Engels ausdrücklich gegen die „Herren Vegetarianer“ (sic!), die die günstige „Wirkung der Fleischnahrung auf das Gehirn“ ignorierten, überhaupt gelte als Richtschnur: „Und je mehr der werdende Mensch sich von der Pflanze entfernte, desto mehr erhob er sich auch über das Tier“ (Engels 1975: 449).
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Insofern ist Richard Alexander wohl beizupflichten, wenn er die evolutionäre Errungenschaft „selbstbewusster“ mentaler Prozesse mit einer inhärenten Unvorhersehbarkeit des Verhaltens in Zusammenhang bringt. Unvorhersehbarkeit impliziert hier z.B., dass die mentale Antizipation des Verhaltens anderer prinzipiell die Möglichkeit eröffnet anders als erwartet zu reagieren und das Gegenüber dadurch auszumanövrieren (vgl. Alexander 1987; Sommer 1994: 191ff.). Langfristige Freilandbeobachtungen, aber auch Zufalls- oder Gelegenheitsbeobachtungen (vgl. z.B. Lorenz 1991: 33ff. ), sind hier als Methoden zu nennen, die zu bahnbrechenden Forschungsergebnissen geführt haben. So benutzte etwa Jane Goodall (1991), die über Jahre hinweg freilebende Schimpansengruppen sozusagen „dicht“ beschrieben hat,74 gezielt anthropomorphe Beschreibungen, um die Parallelen zwischen dem Sinn menschlicher und tierlicher Verhaltensmustern hervorzuheben. Goodall rechtfertigt dies u.a. mit dem Hinweis auf die situativ-kontextuellen Ähnlichkeiten der betreffenden Interaktionen: Denn es „sind nicht nur die Posen und Bewegungen als solche, die den unseren ähnlich sind, sondern auch die Situationen, in denen es häufig zu ihnen kommt“ (Goodall 1991: 313; Herv. R.W.). Ganz im Gegensatz dazu tendieren tierbezogene Forschungen, die ängstlich jede Anthropomorphisierung ihrer „Fälle“ oder „Untersuchungsobjekte“ zu vermeiden suchen, eher zu standardisierten Erhebungstechniken und einer methodischen Hypostasierung von Experimenten, die die Tiere in künstlich arrangierte Situationen hineinstellen. Die Probleme, die sich hier auftun, sollen kurz angedeutet werden. Standardisierende Versuchsanordnungen wie z.B. das berühmte Rattenlabyrinth seligieren hier in mehrfacher Hinsicht: Sie seligieren die „inneren“ Verhaltensbereitschaften durch vorherige Konditionierung, die ja erst dann als erfolgreich gilt, wenn das Tier durch positive oder negative Verstärker gelernt hat, auf einen bestimmten Reiz hin (Aufleuchten eines Lämpchens) möglichst regelmäßig ein bestimmtes Verhalten zu zeigen (z.B. Betätigen eines Futterspenders).75 Hinzu kommt, dass Versuchsanordnungen die „äußeren“, direkt beobachtbaren Verhaltensmöglichkeiten streng begrenzen können (im Rattenlabyrinth etwa im Hinblick auf die Fortbewegungsmöglichkeiten des Versuchstieres). Schließlich 74 75
Siehe als knappe Übersicht zu J. Goodall W. Wickler (1995). Vgl. I. Vogt (1975: 124f.) am Beispiel von B. F. Skinners Methode des operanten Konditionierens. – Auf neuere Theorien des assoziativen Lernens bei Tieren und Menschen kann hier leider nicht eingegangen werden, doch scheint sich auf diesem Forschungsfeld immer mehr die Überzeugung Bahn zu brechen, dass Zeitvariablen für Prozesse konditionierten Lernens von zentraler Bedeutung sind. In diese Richtung deutet das Resümee, mit dem J. Pearce/M. Bouton (2001: 132) ihren einschlägigen Literaturbericht beschließen. Demnach zeichnet sich heute „a radically different theory” ab, „that assumes that the duration and rate of events, rather than the conditioning trial, is the psychological ‚primitive from which all conditioning phenomena are ultimately derived.“
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ist die selektive Erhebung und Auswertung der Daten durch den Forscher zu erwähnen, der ja nur ganz bestimmte Verhaltensreaktionen erfasst oder auswertet.76 Da derartige Erhebungssituationen Arrangements bilden, die forschungsrelevante „Fragestellungen“ in materialisierte Verhaltensmöglichkeiten „übersetzen“, so ist das erfasste Verhalten der Versuchstiere sozusagen die „Antwort“ auf eine experimentell verschlüsselte Fragestellung. In Anlehnung an die Terminologie Bruno Latours könnte man auch sagen, die „Befragung“ der Versuchstiere ist an das materiell-technische Arrangement des Labyrinths „delegiert“ worden (vgl. Latour 2002: 226-230). Versucht man die experimentelle Fragestellung nun so zu formulieren bzw. zu manipulieren, dass man eindeutige und wirklich vergleichbare bzw. wiederholbare Ergebnisse („Antworten“) erhält, dann wird dafür eine möglichst „vollständige Kontrolle aller unabhängigen Variablen unter Ausschluss aller störenden Einflüsse“ (Friedrichs 1977: 339) postuliert.77 Explizit verzichtet wird hier auf eine Untersuchung von lebensweltlich gerahmten Verhaltensmustern. Für lebensweltlich situierte Interaktionen ist z.B. charakteristisch, dass die Kontrolle der Interaktionsbedingungen nicht unilateral, sondern bi- oder multilateral erfolgt, die situative „Versuchsanordnung“ ist also hier eher disponibel bzw. ein Gegenstand von „Aushandlungsprozessen“.78 Der technische „Delegierte“ Labyrinth schnürt solche Aushandlungsprozesse ab, seine „Verhaltensmöglichkeiten“ sind gegenüber den Such- oder Fluchtimpulsen der Versuchsratte ebenso unnachgiebig, restriktiv und starr wie eine Betonschwelle, die uns in verkehrsberuhigten Zonen zum Langsamfahren zwingt. Die Asymmetrie derartiger Laborversuchsanordnungen zeigt sich auch darin, dass Regeln des bestätigenden oder des korrektiven Austausches (Goffman 1974: 97ff., 194ff.), wie er in lebensweltlichen Interaktionen zwischen Mensch und Tier vorkommt, hier weitgehend ausgehebelt sind. Das Design der Versuchsanordnung ist einem interaktiven „bargaining“ entzogen. Das gipfelt darin, dass dem Tier in der Situation einer „erzwungenen Anwesenheit“ eine zentrale Sanktionsmöglichkeit, die ultima ratio der Beendigung der Interaktion,
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Selbst beim Labyrinthversuch sind solche „irrelevanten“ Verhaltensaspekte nicht ganz auszumerzen: z.B. kann nur die Zeit pro Durchlauf als erhebungsrelevant definiert werden, nicht aber andere Verhaltensweisen, z.B. an welchen Abzweigungen eine Ratte wie oft und auf welche Weise geschnuppert hat usw. Vgl. zu den Kontrolldimensionen bei verhaltensbiologischen Laborexperimenten im Einzelnen G. Tembrock (1987: 37ff.). In B. F. Skinners Laborexperimenten z.B. sind die Belohnungs- und Bestrafungspotentiale recht einseitig verteilt. J. Turner (1991: 310f.) merkt an, dass die Versuchstiere „only indirect interact with Skinner through the apparatus of the laboratory and (..) have little ability to reward Skinner (except perhaps to confirm his principles)“.
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verwehrt ist. Dies ist freilich ein Merkmal, das an die Zwänge „totaler Institutionen“ (Goffman 1973: bes. 43f.) erinnert. In den Versuchsanordnungen (nicht nur) des klassischen Behaviorismus werden unbekannte mentale Zustände oder Verhaltensdispositionen des Versuchstieres in der Regel als irrelevant oder als mögliche „Störungsquellen“ eingestuft. Konsequente „Black-box“-Ansätze (wie der Behaviorismus John Watsons oder die Reflexologie Iwan Pawlows), die den mentalen Komplex dann gleich von den Forschungsprämissen her ausblenden, schaffen sich diese „Fehlerquellen“ aber nur scheinbar vom Hals. Vor allem kaschiert das diesen Ansätzen zu Grunde liegende Objektivitätsideal den tautologischen Zirkel von Fragestellung und Antwort (Ergebnis) im Forschungsprozess. Unbeachtet bleibt die Reflexivität der unhinterfragbaren Annahmen (Mehan/Wood 1976), an denen sich der Versuchsleiter orientiert, Annahmen die z.B. sein wissenschaftliches Vorverständnis oder auch den sozialtypischen Verhaltensstil der einzelnen Forschungspraktiken betreffen können.79 Auch die „Entscheidungsgeladenheit“ der Wissensfabrikation (Knorr-Cetina 1984) bleibt leicht undurchschaut; Ablauf und Ergebnis der Experimente erscheinen als rein deskriptive, nicht als soziale konstruierte Operationen. So tauchen die opportunistischen und „transepistemischen Komponenten“ der Laborarbeit in den publizierten Forschungsergebnissen meist nur verdeckt oder gar nicht mehr auf.80 Die erwähnte Ausblendung oder Marginalisierung mentaler Zustände und Verhaltensbereitschaften ist nun aber auch hinsichtlich des Versuchstieres eine Fehlerquelle, die einen sich selbst bestätigenden circulus vitiosus begünstigt. Lernexperimente, die von den mutmaßlichen Wahrnehmungs- und Bewusstseinsleistungen wie von den individual- und artspezifischen Verhaltensbereitschaften absehen, konfrontieren das Tier mit einem sozusagen „operativen Anthropomorphismus“, der weniger offensichtlich, aber dafür umso problematischer ist, da er sich direkt in der Anlage der Versuchsanordnung „objektiviert“: Diese zeichnet dem Tier dann Verhaltens- und Entscheidungsalternativen vor, die so komplex angelegt sind, dass sie zwar den methodologischen Relevanzen des experimentellen Procedere genügen, kaum aber die verhaltenstypischen Relevanzen des Versuchstieres berücksichtigen. Insofern liefern diese Versuchsanordnungen, wie W. Bühl (1974: 46) schreibt, „eher ein Abbild der menschli79
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Vgl. zu R. Rosenthals Beschreibung des „experimenter bias“ bei Versuchsleitern von Lernexperimenten an Ratten zusammenfassend J. Friedrichs (1977: 349f.); zum Problem tautologischer Erklärungen am Beispiel des Reduktionismus von G. C. Homans auch W. Bühl (1974: bes. 48, 54f.). Vgl. hierzu als Beispiel die transepistemischen Komponenten (wie Kosten, Haltungsprobleme und Diätfragen der Versuchstiere, Karriereplanung des Versuchsleiters usw.), die bei einer biochemischen Versuchsreihe zur Entscheidung für eine bestimmte Versuchstierart (hier: mongolische Wüstenmäuse statt Ratten) geführt haben (Knorr Cetina 1984: 164ff.).
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chen Intelligenz als des artspezifischen Verhaltens“ und der sie mit bedingenden tiertypischen Bewusstseinsprozesse.81 In diesen Zusammenhang gehört auch, dass die „Mitarbeit“ der Tiere an diesen Versuchen sehr häufig nur über sehr drastische, an Primärbedürfnissen ansetzende Motivationsmittel zu erreichen bzw. zu erzwingen ist. Das In-Aussicht-Stellen von Schmerzvermeidung oder Futter reduziert die Motivationsspielräume nicht nur höherer Tiere von vornherein auf die Motivationskoordinaten einer utilitaristischen Anthropologie (Unlustvermeidung bzw. Lustmaximierung z.B.), auf Motivationskoordinaten, die dann über Artgrenzen hinweg universalisiert und insofern anthropomorph reifiziert werden. Insgesamt scheinen Laborexperimente, die bei der Untersuchung lebender Organismen ganz bestimmte Kontrollbedingungen zu perfektionieren suchen, häufig eben dadurch ihren Untersuchungsgegenstand zu verfehlen. So wird eine methodische Verabsolutierung standardisierter Messverfahren häufig nur eine scheinbare „Objektivität“ verbürgen können. Georges Devereux spricht im Anschluss an Niels Bohr in diesem Zusammenhang zu Recht von einem „Abtötungsprinzip“.82 Eine zu weit getriebene experimentelle Untersuchung lebendiger Phänomene und Prozesse wirkt sich besonders insofern destruktiv aus, als die „störenden“ Einflüsse von Bedingungen und Beziehungen, die die emergente, ganzheitliche Eigenart der betreffenden Phänomene und Prozesse ausmachen (z.B. situative Bedingungen und Dynamiken), ausgeschaltet werden.
3.2 Prinzipien und Probleme einer systemtheoretischen Mehrebenenkonzeption Eine systemökologische Betrachtung humanimalischer Sozialität, die nicht hinter die methodologischen Standards (neo-)funktionalistischer Ansätze zurückfallen will, sollte zunächst sicherstellen, dass das Mensch-Tier-Sozialverhältnis nicht als ein substantialistisches Verhältnis fehlgedeutet wird. Im Folgenden gehen wir daher von einem systemökologischen Relationenkontext von Verhaltensaspekten aus, denen verschiedene Systemebenen bzw. -funktionen zuzuordnen sind. Tierliche und menschliche Verhaltensweisen sind in dieser Perspektive Bedingungsmomente, die den Aufbau sozialer Verhaltenssysteme ermöglichen.
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Schon H. Hediger (1980: 2321) mahnt an, „zu oft“ würden Tiere in „komplizierte Versuchsanordnungen gebracht, bevor wir ihr Normalverhalten einigermaßen kennen.“ G. Devereux (1984a: 19; Herv. v. D.) zu diesem Punkt: „Wenn ein Versuchstier auf ein ‚Präparat (...) reduziert ist, dann liefert das Experiment Informationen, die nur für das Präparat voll gültig sind; für den intakten Organismus sind sie nur teilweise gültig.“
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Wir werden derartige Systeme, soweit Tiere als Akteure involviert sind, vorrangig unter dem analytischen Blickwinkel von Interaktionssystemen fokussieren. Denn es sind zunächst Interaktionszusammenhänge, in denen und über die sich humanimalische Sozialität verwirklicht. Auch die Sinn- und Verhaltensaspekte, die sich den Bezugskontexten einer Organisation oder einer Gesellschaft zurechnen lassen, realisieren sich letztlich erst über dieses „Nadelöhr“ humanimalischer Interaktion. Dies darf aber nicht so missverstanden werden, dass sich die „überlegende“ Gesellschaft den Interaktionssystemen einfach „aufdrängt“, sondern es bedeutet, dass es die „Systemperspektive der Interaktion (ist), in der über das relative Gewicht der Gesellschaft entschieden wird“ (Kieserling 1999: 100). Im Lichte dieser Prämisse ist also niemals aus den Augen zu verlieren, dass auch humanimalische Interaktionssysteme bestimmte selektive Prozesse ausbilden, die darüber entscheiden, in welchem Ausmaß und auf welche Weise sie von höherstufige Systembezügen der Meso- und Makroebene mitbedingt werden.83
3.2.1 Interpenetration und Systemökologie Unter einem System wird im folgenden ein analytisches Konzept verstanden, das „relations of interdependence (..) within a complex of empirical phenomena“ (Parsons/Shils/Allport 1951a: 5) erfassen will, Relationen, die sich nicht auf Zufallsvarianzen reduzieren lassen. Auf eine Kurzformel gebracht, kann man Systeme als „Bereiche relativer Nichtzufälligkeit“ (Parsons 1976: 73) bezeichnen.84 Mit Talcott Parsons gehen wir von vier Funktionsaspekten oder Subsystemen des allgemeinen Handlungs- bzw. Aktionssystems aus (Verhaltensorganismus, Persönlichkeitssystem, Sozialsystem, Kultursystem). Im Gegensatz aber zu differenzierungstheoretischen Ansätzen, die (zu) dezidiert auf die Eigenständigkeit und Eigendynamik dieser Funktionsbereiche setzen,85 soll hier Parsons’ Funktionsschema so modifiziert werden, dass die „daneben“ und „dahinter“ wirksamen wechselseitigen Verflechtungsprozesse thematisierbar bleiben. Versucht wird 83
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So machen z.B. die Interaktionen, in die sich ein Polizeihund im Einsatz (etwa bei einer Demonstration) verstricken kann (mit seinem Polizeihundeführer, mit Demonstranten, Passanten, anderen Tieren usw.) ohne seine „Zwangsmitgliedschaft“ in der Organisation der Polizei keinen Sinn. Seine aktuelle Definition der Situation „im Einsatz“, seine habitualisierten Verhaltensmuster, sein Platz in der polizeilichen Befehlshierarchie, seine räumlich und zeitlich spezifizierte Einsatzbereitschaft, – alle diese (und weitere) Aspekte ergeben sich zwar wesentlich aus dieser Form von Organisationszugehörigkeit, sie werden aber dadurch nicht determiniert. Bei N. Luhmann (1984: 45ff.) ist von einer relativ zur Systemumwelt geringeren „Komplexität“ die Rede, die eine sogenannte „Punkt-für-Punkt-Übereinstimmung“ zwischen Ereignissen in System und Umwelt ausschließt und das System zu Selektionsstrategien zwingt. Vgl. zu den theoretischen und empirischen Problemen eines Differenzierungskonzepts, das als „explanatorischer Universalschlüssel“ fungiert, die Kritik von G. Wagner (1996).
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eine Parsons-Lektüre, die auf diese Weise gerade an die dynamischen Momente und Potentiale seiner Aktionstheorie anknüpfen will. Verhaltens- und Handlungsprozesse kommen in dieser Perspektive auch durch Konstellationen intersystemischer Interferenzen zustande: Sie können als Mechanismen einer gegenseitigen Durchdringung, einer Verflechtung oder funktionalen Überlappung von analytisch separierbaren Umweltbezugssystemen und ihrer Arbeitsweisen betrachtet werden. Das schließt nicht aus, sondern setzt vielmehr voraus, dass die zugrunde liegenden funktionalen Bezüge zunächst als solche herauszupräparieren und zu isolieren sind. Die empirischen Verhaltensprozesse realisieren in dieser Sicht dann Interpenetrationskonstellationen. In einem allgemeinen Sinne bedeutet das, dass es sich um Interrelationsprozesse zwischen Systemen handelt, die durch Faktoren wie den Grad der „Durchlässigkeit“ der betroffenen Systemgrenzen oder der Kompatibilität der Systembeiträge ermöglicht werden. Parsons’ Begriff der Interpenetration, der wechselseitigen Durchdringung, bietet hier eine nach wie vor heuristische methodologische Option, um die disparaten Subsysteme des Handelns bzw. Verhaltens in der Einzelfallanalyse zusammenzuführen und dem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen, dass es sich dabei realiter um ökologisch offene Systeme handelt. Auf der Ebene des allgemeinen Aktionssystems sind hier vor allem die Prozesse der Internalisierung und Institutionalisierung herauszustreichen, Prozesse, die natürlich auch in ihrer gegenläufigen Richtung (als Externalisierung bzw. Deinstitutionalisierung) zu lesen sind. Parsons charakterisiert diese beiden Interpenetrationsmodi, die Schlüsselprozesse nicht nur der Tierschutzentwicklung, sondern auch der primärsozialen MenschTier-Interaktionen erhellen können, wie folgt: „In analyzing the interrelations between the four subsystems of action – and between the systems and the environments of action – it is essential to keep in mind the phenomenon of interpenetration. Perhaps the best known case of interpenetration is the internalization of social objects and cultural norms into the personality of the individual. Learned content of experience, organized and stored in the memory apparatus of the organism, is another example, as it is institutionalization of normative components of cultural systems as constitutive structures of social systems“ (Parsons 1971: 5f.; Herv. v. P.).86
86
Im Rahmen der Parsons-Tradition in der Systemtheorie hat bislang vor allem R. Münch in zahlreichen Publikationen die Möglichkeiten eines interpenetrationsbezogenen Ansatzes entfaltet. Sein Institutionenkonzept zielt u.a. darauf ab zu zeigen, dass die Herausbildung von Institutionen eng mit der „Interpenetration unterschiedlicher Handlungssphären“ verwoben ist (Münch 1992: 9).
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Verfolgt man das Leitmotiv des Interpenetrationskonzepts weiter, dann lassen sich humanimalische Interaktionsprozesse generell nach zwei grundlegenden „Einbettungsbezügen“ differenzieren, je nachdem, ob es sich um die „vertikale“ oder die „horizontale“ Dimension des Verhaltensraumes handelt. Dabei unterstellen wir, dass Verhalten Handeln in grundsätzlich zweifacher Hinsicht impliziert: In der horizontalen Dimension geht es um die jeweils abzugrenzenden Konfigurationen der intersubjektiven und der weiter ausgreifenden Sozialverhaltensbezüge (z.B. um Gruppen und Netzwerke, um Organisationen wie Vereine, Verbände, Gebietskörperschaften, schließlich um Gesellschaften). Ihr steht die vertikale Dimension gegenüber, die Spannweite der Sinntransformationen, soweit sie dem persönlichen und dem leiblichen Bezugssystem (Person und Verhaltensorganismus) der beteiligten Akteure zugeordnet werden können. Im Wesentlichen handelt es sich hier um individuell auffindbare Zusammenhänge zwischen den genetischen (d.h. auch stammesgeschichtlich geprägten) Verhaltensdispositionen des artspezifischen Organismus und den durch Lernen erworbenen psychischen Funktionsbereichen der Persönlichkeit. Zur Vermeidung eines unangebrachten Anthropomorphismus sollte hier das oben erwähnte Sparsamkeitsprinzip angewandt werden und vor allem (aber nicht nur) tierliches Verhalten im Regelfall nicht von unterstellten Intentionen her verstanden werden. Programmatisch fasst Walter L. Bühl diese grundlegende Zweistrahligkeit der Verhaltensausrichtung so zusammen: „Verhalten impliziert Handeln, der subjektive Handlungssinn ergibt sich aus dem intersubjektiven Handlungssinn und dieser entsteht auf der Basis einer übersubjektiven (artspezifischen) Verhaltensordnung“ (Bühl 1982: 172; Herv. Bühl).
Für die Präzisierung und thematische Umsetzung dieses Grundsatzes sollen nun folgende Aufgabenstellungen weiterverfolgt werden:
Die Beziehungen der Verhaltensbezüge untereinander lassen sich systemökologisch beschreiben, d.h. in Kategorien von Interpenetrationsrelationen zwischen System und Systemumwelt oder als wechselseitige Durchdringung unterschiedlicher Ebenen eines Mehrebenensystems. Im Hinblick auf primärsoziale Mensch-Tier-Kontakte soll dies am Problemfokus der doppelten Kontingenz von interspezifischen Interaktionssystemen verdeutlicht werden. Die System-Umwelt-Relationen humanimalischer Interaktionen sollen als Kommunikationsvorgänge auf der Basis semiotisch beschreibbarer Zeichenprozesse gefasst werden.
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Bevor diese beiden Probleme in den folgenden Unterabschnitten expliziert werden, ist es zunächst sinnvoll, den konzeptionellen Rahmen eines systemökologischen Ansatzes abzustecken. In Anlehnung an Bühl (1990: 31ff.) lassen sich die Prinzipien eines derartigen Ansatzes in sechs Punkten programmatisch zusammenfassen: 1.
2.
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Es ist die Auffassung zurückzuweisen, dass Systemkontrollen von innen gesteuert und durchgehend hierarchisch aufgebaut sind. Abzulehnen ist also die Idee eines im Wesentlichen umweltinsensiblen Systems. Die Umkehrung der Blickrichtung zeigt sich darin, dass Prozesse, die man dem System selbst zuordnen kann, weitgehend auch von Umweltbedingungen und Funktionen mitbestimmt werden. Ein weiteres Moment tritt hinzu: Da ökologische Systeme kaum zentral kontrolliert werden, lassen sich kaum oder nur vorübergehend (bzw. im idealen Grenzfall) feste Zielzustände bzw. Kontrollrichtwerte fixieren. Im Hinblick auf humanimalische Interaktionssysteme impliziert dieser Grundsatz zum einen, dass solche Systeme auf Prozesse in den (jeweils zu konkretisierenden) umweltlichen Referenzsystemen hin zu betrachten sind. Schon die Stil- und Habituskomponenten tierbezogener Praktiken lassen sich dann oft nur analytisch von den soziokulturellen Strukturen lösen, in die sie eingebunden sind. Andererseits bedeutet ein Mangel an zentraler Kontrolle, dass derartige Interaktionsprozesse – besonders dann, wenn lernfähige Tiere involviert sind – immer auch ein Minimum an kontingenter Verlaufsoffenheit aufweisen. Für den Kontrollmechanismus ökologischer Systeme sind außerdem weitere indirekte Kontrollinstanzen in Rechnung zu stellen, Kontrollen, die durch begrenzende Faktoren ausgeübt werden.87 Diese Kontrollbedingungen der Systemumwelt manifestieren sich u.a. in Grenzwerten, die einerseits zwar von systeminternen Definitionen abhängen, andererseits von Vorgaben der jeweiligen (sozio-)ökologischen Nische bedingt sind.88 Im Hinblick auf Vgl. zu diesem Themenkomplex die Beiträge im Sammelband von B. Glaeser/P. TeheraniKrönner (1992). J. Schmid (1992) diskutiert anhand verschiedener systemökologischer Prozess- und Kontrolltypen, wie dieser im deutschen Sprachraum noch vergleichsweise junge interdisziplinäre Ansatz bei der Erforschung von Prozessen der Mensch-Umwelt-Interaktion (Humanökologie) bzw. der wechselseitigen Anpassung von Kulturen und ihren natürlichen Umwelten (Kulturökologie) einen vielversprechenden „Mittelweg“ aufzeigt, um sowohl „idealistische“ wie „materialistische Einseitigkeiten“ zu umgehen (Schmid 1992: 236). Ähnlich argumentiert D. Steiner (1992); er verbindet seine Zwei-Fronten-Kritik an „kulturdeterministischen“ und „umweltdeterministischen“ Ansätzen mit einer systemökologischen Entwicklungskonzeption, die Gegenstrategien zur „moralischen Inversion“ unseres Naturverhältnisses aufzeigen will. Ein Beispiel ist hier eine agrarindustrielle Tierhaltung, die im Horizont des Geldmediums zwar unter bestimmten soziokulturellen Bedingungen (z.B. agrarpolitische Subventionsprogramme,
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3.
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Mensch-Tier-Interaktionen sind hier z.B. die geographischen Verhältnisse, der Stand der Verkehrsverhältnisse und Produktionstechniken, die Organisationsformen von Märkten zu nennen. In einer gesellschaftstheoretisch zugespitzten Sicht sind dann insbesondere die seligierenden Wirkungen zu berücksichtigen, die die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien und entsprechende Programmierungen für humanimalische Interaktionssysteme entfalten können. Betrachtet man humanimalische Sozialverhältnisse als ökologische Systeme, dann ist weiterhin zu beachten, dass es sich hier um distribuierte oder disperse Systeme handelt, „in denen Kooperation und Kommunikation immer ungesichert, fragmentarisch und sporadisch, aber auch hinreichend offen und variabel bleibend, um auf externe und interne Parameter und Strukturveränderungen reagieren zu können“ (Bühl 1990: 36). Dies bedeutet, dass die internen Kooperations- und Kommunikationsprozesse humanimalischer Systeme stark variieren und auf wechselnde Umweltbedingungen unterschiedlich flexibel reagieren. Auf der menschlichen Seite sind hier vor allem ethnozoologische Typisierungen zu nennen, die z.B. vorgeben, wie „intelligent“ bzw. geeignet eine Tierart ist, um sie für bestimmte Arbeitsprozesse zu nutzen. Auf Seiten der Tiere sind es individuelle und artspezifische Merkmale wie körperliche Konstitution, Lernfähigkeit und die aufgabenspezifischen „Vorkenntnisse“, die hier ins Gewicht fallen. Ökologische Systeme sind schließlich lose oder variabel gekoppelte Systeme: Hier sind nur wenige Variablen stark und sehr viel mehr Variablen relativ schwach miteinander verbunden. Dies ermöglicht es, dass die verschiedenen Teilsysteme und Systemebenen relativ unabhängig voneinander (re-)agieren können, sie behaupten also eine erhöhte interne Autonomie. Auch bei Mensch-Tier-Beziehungsmustern können variable Systemkoppelungen vorliegen und zahlreiche Rückkoppelungen indirekt vermittelt sein (z.B. bei interspezifischen Interaktionssystemen, die beiderseits von biosemiotisch fundierten „Superisationen“ getragen werden).89 Die damit einhergehende Kontingenz des Systemverhaltens erweckt dabei nicht selten den Eindruck einer „unstrukturierten“ Zufälligkeit oder Indeterminiertheit. In Wirklichkeit ist es Bühl zufolge häufig aber eher so, „dass die Determination komplex und über mehrere Ebenen verteilt ist bzw. dass es im Bezug auf diese Ebenen oder Regulationsmechanismen erhebliche Substitutionsmögtiermoralisches Niveau der Konsumenten usw.) marktgerecht sein mag, in der Folge aber einschneidende Belastungen für ökologische Kreisläufe nach sich zieht (vgl. z.B. zu Belastungen des Wasserhaushalts, die im Raum Vechta durch Gülleüberschüsse der Massentierhaltung entstehen, Teherani-Krönner 1992a). Vgl. dazu Abschnitt 3.2.3.
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Kapitel 3 lichkeiten gibt. Die lose Koppelung bzw. der Wechsel der Koppelungen je nach lokalem Kontext und seinen funktionalen Erfordernissen oder seinen begrenzenden Bedingungen ermöglicht eine erhebliche Risikoverminderung in der Adaptation“ (Bühl 1990: 38). Ein Nebeneffekt des indirekten Rückkoppelungsmechanismus ist freilich die geringe Planbarkeit und Vorhersagbarkeit solcher Systemdynamiken. System-Umwelt-Beziehungen sind nicht nur als einfache Wechselwirkung zu konzipieren, sondern es ist zu beachten, dass derartige Wechselwirkungen gleichzeitig Transaktionen sind. Damit ist einmal gemeint, dass es zwischen einem selbstreferenziellen System und seiner Umwelt durchaus gewisse „Austauschbeziehungen“ gibt, die man nach ihrer sachlichen oder zeichenhaften Ausgestaltung näher qualifizieren kann. Andererseits sind Wechselwirkungen bzw. „Interaktionen“ auch insofern Transaktionen, als sie die beteiligten Akteure selbst oder einen bestimmten Systemkontext insgesamt verändern. Es handelt sich hierbei um Transaktionen, die die Aktionsmöglichkeiten des/der Akteurs/Akteure transformieren (vgl. Bühl 1990: 39). Dieses letzte Kriterium lässt sich an Mensch-Tier-Beziehungssystemen veranschaulichen, die eine besondere interspezifische „Beziehungsgeschichte“ herausbilden, um den menschlichen Interaktionspartner in wesentlichen persönlichen Verhaltensaspekten gezielt zu verändern. Ein Beispiel ist hier der Einsatz von Tieren im therapeutischen Bereich oder auch der tierliche „Erziehungshelfer“ in einem Resozialisierungsprogramm für Drogenabhängige oder Straftäter. Der Aufbau einer intensiven und Du-evidenten Tierbeziehung soll hier z.B. zu neuem Selbstvertrauen verhelfen, zu moralischem Verantwortungsbewusstsein, zu Hilfsbereitschaft usw. (Greiffenhagen 1993: bes. 199ff.). Im Hinblick auf die interne Kontrolle ökologischer Sozialsysteme ist hervorzuheben, dass Kontrollbeziehungen in der Regel nicht hierarchisch, sondern heterarchisch organisiert sind. Dies bedeutet, dass Kontrolle über mehrere, relativ unabhängige Entscheidungsinstanzen ausgeübt wird, durch Instanzen, die sich wechselseitig kontrollieren, indem sie zusammenarbeiten, die sich aber auch paralysieren oder gegeneinander arbeiten können. Heterarchische Kontrolle ist somit kein „harmonisches“ Integrationsvehikel, sondern von vornherein auf Konkurrenz und Konflikt angelegt,90 – ein W. L. Bühl (1982: 73) erläutert diesen Punkt wie folgt: „Selbst innerhalb eines (formal definierten) Entscheidungsträgers können Konflikte zwischen verschiedenen Zielen oder Erwartungen, zwischen bewussten und unbewussten Motivationen ausbrechen. Die Lebensfähigkeit eines solchen Systems liegt gerade im Konflikt, d. h. in der Bereitstellung von Organisationsund Entscheidungsalternativen und im Wechsel der Führung von einem Entscheidungszentrum zum anderen.“ Vgl. zum Heterarchieprinzip außerdem Bühl (1987: 68f.).
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Steuerungsmechanismus, der dafür aber sehr flexible Anpassungen an wechselnde Umweltanforderungen ermöglicht. Die „globale strukturelle Stabilität“ eines derartigen Systems beruht auf unterschiedlichen lokalen Teildynamiken, die „eine Menge von Ambivalenz und Vagheit“ mit sich bringen (Bühl 1995: 31). Eine heterarchische Steuerung humanimalischer Interaktionsprozessen kann im Rahmen einer Organisation z.B. dann vorliegen, wenn diese Prozesse simultan von unterschiedlichen Sinnrahmungen bzw. Leitsemantiken bestimmt werden und dadurch Ambivalenzen entstehen.91 Im Lichte dieser Überlegungen erscheint es sinnvoll, sich von einem starren Kontroll- und Steuerungsmodus, wie er von Parsons’ L-I-G-A-Hierarchie (Parsons 1976: bes. 171f.) nahegelegt wird, zu verabschieden. Denn die L-I-G-AKontrollhierarchie formuliert einen unwahrscheinlichen, außergewöhnlichen Kontrollmodus, schon deshalb, weil Parsons das strukturerhaltende „pattern“ in seiner allgemeinen Form mit relativ statischen Deutungen der betreffenden Steuerungsprogramme bzw. „Codes“ versieht (vgl. Parsons 1990: 26f., 30f.). Im Gegensatz dazu haben Semiotiker wie Umberto Eco oder Soziologen wie Edward Tiryakian schon früh darauf aufmerksam gemacht, dass (vor allem, aber nicht nur) im soziokulturellen Bereich Codes ständigen und zum Teil auch tiefgreifenden Wandlungsprozessen unterworfen sind. Diese Dynamik wird nicht nur durch die Konkurrenz multipler Codierungen, sondern auch von codeimmanenten subversiven „Verschiebungen“ in Gang gehalten. Im Ergebnis wird das semiotische Regelsystem selbst dadurch transformiert, so dass von einer strengen „RePräsentation“ des Codes keine Rede mehr sein kann (vgl. Eco 1985, 1987; Tiryakian 1975).92 Schon von daher scheidet eine „pattern maintenance“, die als „Einbahnstraße“ des kybernetischen Kontrollverlaufs, als Steuerungsvariable mit
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Ein Beispiel sind hier Tiere als in militärischen Kampfeinsätzen, zu denen Soldaten so enge persönliche Bindungen aufbauen, dass dadurch ihr effektiver Einsatz als tierliches „Kriegsgerät“ beeinträchtigt wird, vgl. dazu Gardiner (2006: bes. 94) am Beispiel britischer Meldehunde an der Westfront des 1. Weltkriegs. Siehe zur Dynamik der Differenzen erzeugenden Selbstreferenz von Zeichenprozessen vor allem J. Derrida (1976a: bes. 422ff.). Ein Beispiel: Rituale gelten oft noch als typisch „stabilisierende“ Bestandsverweser grundlegender kultureller Codierungen, deren „Rigidität“ ein charakteristisches „Coupieren aller Ansätze für reflexive Kommunikation“ einschließe, die Reflexivität ausschalten usw. (Luhmann 1984: 613). Daneben gibt es freilich auch rituelle Passagen, die den kulturellen Code, der sie ermöglicht, mittransformieren. So können Rituale, in denen z.B. metaphorische Sinntransformationsprozesse zur Entfaltung kommen, zu einem Movens soziokultureller Wandlungsprozesse werden (vgl. Wiedenmann 1991). Siehe zu einer Hermeneutik des Rituals auch die Untersuchungen von H.-G. Soeffner (1992).
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unidirektionalem Richtungssinn, konzipiert ist,93 für zahlreiche Kontrollprozesse in Mehrebenensystemen (mit konkurrierenden Codereferenzen) aus. Parsons’ Kontrollschema marginalisiert im Grunde andere oder „quer“ dazu verlaufende Code- und Kontrollreferenzen. Im Gegensatz zu einer starren kybernetischen Hierarchie mit einer fixierten obersten Kontrollebene sollte also grundsätzlich von heterarchisch organisierten und sich partiell durchdringenden Kontrollinstanzen ausgegangen werden. Von diesen Prämissen her zeigen sich die doppelte Kontingenz und kommunikative Verfassung humanimalischer Verhaltenssysteme in einem veränderten Licht. Dies ist nun knapp zu skizzieren.
3.2.2 Doppelte Kontingenz, Selbstreferenz und Interaktionsemergenz Doppelte Kontingenz beschreibt zunächst eine soziale Situation begrenzter Intransparenz: Mindestens zwei Akteure (Menschen, Tiere, psychische oder soziale Systeme usw.) interagieren unter Bedingungen, die es nicht erlauben, das Verhalten des anderen exakt vorherzusagen. Bezogen auf die wechselseitigen Erwartungen von Ego und Alter bedeutet dies, dass Erwartungen in zweifacher Hinsicht riskant sind: Sie sind dies im Hinblick (a) auf die Verhaltenserwartungen, die Ego an Alter adressiert, aber auch (b) mit Blick auf die Erwartungen, von denen Ego annimmt, dass sie Alter seinen eigenen Erwartungen gegenüber hegt (Erwartungserwartungen). Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Strafprozesse gegen Haustiere dokumentieren, dass diese doppelte Kontingenz – im Sinne dieser doppelten Erwartungskontingenz – eine gewisse Zeit lang auch im Kontakt mit höheren Tieren eine Rolle gespielt hat. Das betreffende Tier (z.B. ein Schwein, ein Hund) wurde dahingehend personalisiert, dass man annahm, es könne Adressat „echter“ Verhaltenserwartungen sein, und es könne überdies auch selbst derartige Erwartungen an Menschen adressieren. Symptomatisch für diese Rechtsauffassung ist, dass das betreffende Tier als „Verbrecher“ angesehen und ihm „ein verbrecherischer Wille zugeschrieben“ (Amira 1891: 553) wurde. Vermutlich wurde sogar angenommen, man könne andere Tiere durch die Bestrafung des Missetäters abschrecken!94 93
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Es gibt natürlich einschränkende Formulierungen von T. Parsons, die diese Kritik auf den ersten Blick als überzogen erscheinen lassen, vgl. etwa Parsons’ Vorbehalt, Kontrolle bedeute keineswegs „vollständige Beherrschung“ (Parsons 1990: 555). Doch wird man wohl festhalten können, dass man bei Parsons eine konkrete Umsetzung derartiger Relativierungen meist vermisst. Man denke etwa an Wendungen wie: „Die allgemeinen kulturellen Formen bilden also strukturell sehr stabil verankerte Systeme des Handelns (...)“ (Parsons 1975: 16; Herv. R. W.). Vgl. H. A. Berkenhoff (1937: 45), zum Zusammenhang von Tierprozessen und doppelter Kontingenz auch G. Lindemann (2001: 194f.).
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Man könnte nun geneigt sein, die Frage der doppelten Kontingenz in humanimalischen Interaktionen einfach als „obsolet“, „falsch gestellt“ oder schlicht „irrational“ abzutun. Dieser Versuchung wollen wir im Folgenden nicht nachgeben, wir wollen vielmehr das damit anvisierte Problem über eine kleine Perspektivenverschiebung erneut einkreisen: Doppelte Kontingenz, so könnte man die Fragestellung drehen, bezieht sich auf Situationen, in denen beiderseits Verhaltensweisen gezeigt werden, die „weder notwendig noch unmöglich“95 sind. Im Falle einer einfachen primärsozialen Mensch-Tier-Begegnung konstituiert ein interspezifischer Verhaltensprozess dadurch ein soziales System, d.h. einen Bereich relativ „nichtzufälligen“ (und in diesem Sinne: regelgeleiteten) wechselseitigen Verhaltens, dass er diese doppelte Kontingenz beiderseits durch „regelgerechte“ Selektionen bewältigt. Diese doppelte Selektion verlangt einmal (a), dass das Verhalten von Ego für Ego selbst psychisch hinreichend befriedigend, „motiviert“ sein muss. Gleichzeitig (b) soll Egos Verhalten so auf das Verhalten von Alter reagieren, dass es (im Hinblick auf einen minimalen gemeinsamen Standard zur Bewertung der offenstehenden Verhaltensmöglichkeiten) angemessen, d.h. anschluss- oder fortsetzungsfähig, ist (vgl. Parsons 1970: 36ff.).96 Wie kommen nun irgendwelche „Regeln“ in dieses „Kontingenz-PingPong“ sozialer Wechselwirkungen? Sicherlich nicht durch eine rein endogene Betrachtung des Interaktionsprozesses, die den systemökologischen Kontext marginalisiert. Doppelte Kontingenz impliziert zwar, dass sich die Akteure für einander bis zu einem gewissen Grad undurchsichtig und unberechenbar bleiben, doch operieren sie vielleicht nicht so geschlossen, wie dies der Ansatz von Luhmann vorsieht. Es scheint, dass Luhmann die erwarteten Verhaltensmöglichkei95 96
So N. Luhmanns (1984: 152) griffige Bestimmung von „kontingent“. Vgl. zur Diskussion der hier nur angedeuteten Problematik besonders N. Luhmanns (1984: 149-151) Kritik an Parsons’ Konzeption der doppelten Kontingenz. Luhmann schreibt, man könne auf die Annahme eines vorgegebenen Konsens’ oder eines „shared symbolic system“ verzichten, etwa, wenn man die Lösung des Problems im funktionalen Äquivalent der Zeitdimension des Interaktionssystems sucht. Wie weiter unten noch zu zeigen ist, sind beide Konzeptionen doppelter Kontingenz nur sehr bedingt zur Beschreibung von Mensch-Tier-Interaktionen geeignet: 1) Parsons beschränkt die erste Kontingenz auf die motivationalen Bezüge der Person: das Organismussystem kommt leider nur sehr verkürzt in den Blick. Parsons geht es hier im Wesentlichen um die genetische Ausstattung biologischer Arten oder umfangreicher Sozialkategorien (Geschlechtszugehörigkeit). Dabei kommt die handlungstheoretische Tragweite von gemeinsamen „biologischen Radikalen“ (Bilz 1973; 1974) nicht in den Blick, ebenso wenig z.B. die wechselseitige Selektion und Anpassung von Tierorganismen im Verlauf der Domestikation (Beispiel Tierzucht). Im Vergleich zu T. Parsons scheint N. Luhmann wohl dem Sachverhalt zu wenig Rechung zu tragen, dass für die Bewältigung doppelter Kontingenz zwar nicht immer ein (mehr oder minder expliziter) Konsens nötig ist, aber doch ein gemeinsames Zeichensystem, das dann auf eine implizite, verdeckte Weise durchaus Wertbezüge vorseligiert und so die Voraussetzung dafür liefert, dass Ego und Alter Beobachtung und Selbstbeobachtung überhaupt sinnvoll aufeinander beziehen können.
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Kapitel 3
ten und -erwartungen sehr (allzu?) eng mit der selbstreferenziellen Sinnzuschreibung von Ego bzw. Alter verkoppelt.97 Parsons’ Begriff der doppelten Kontingenz, der den Zusammenhang von Kommunikation und Wertbindung fokussiert,98 hat demgegenüber zwei methodologische Vorzüge: Zum einen (1) erleichtert es sein Interpenetrationsansatz, Mensch-Tier-Interaktionen auch über die exogenen Kontrollbedingungen zu erfassen. Außerdem (2) bietet Parsons’ Ansatz den Vorteil, dass er dem direkt beobachtbaren Kommunikationsverhalten und seinen semiotischen Implikationen ein vergleichsweise „starkes“ Evidenzrecht einräumt. So ist es auf der einen Seite kaum zu leugnen, dass es gerade die systemökologisch relevanten Bedingungen sind, die sich in der Selbstreferenzialität der Interaktion artikulieren: Kontrollbedingungen wie die Visibilität in der Interaktionssituation oder die räumlichen Verhältnisse, die Anwesenheit bzw. Abwesenheit ermöglichen. Schließlich sind Interpenetrationsbezüge zu erwähnen, die sich über die Motivationen der Akteure99 rekonstruieren lassen. Würde man nämlich an den selbstreferenziellen Unterstellungsleistungen von Ego und Alter ansetzen und sie (im Extremfall) unabhängig vom situativ konkretisierten Kommunikationsverhalten untersuchen wollen, so würde dies bei interspezifischen Interaktionen besonders auf der Tierseite unüberprüfbare Spekulationen heraufbeschwören. Methodisch ist zunächst also dort anzusetzen, wo interspezifische Interaktionen als Kommunikationsprozesse in Erscheinung treten, als Kommunikationsakte, die über ein (mehr oder minder anschlussfähiges) Wechselspiel von leiblich (visuell, akustisch, olfaktorisch, taktil usw.) wahrnehmbaren Ausdrucks97
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Die (begrenzte) Unsicherheit des Verhaltens wird hier durch eine selbstreferenzielle Konstruktion von „Realitätsindizes“ sozusagen „kompensatorisch“ aufgefangen. Im Ergebnis erzeugen die Interakteure „jedenfalls ausreichende Transparenz für den Verkehr miteinander. Sie erzeugen durch ihr bloßes Unterstellen Realitätsgewissheit, weil dies Unterstellen zu einem Unterstellen des Unterstellens bei alter Ego führt“ (Luhmann 1984: 156f.; Herv. v. L.). Bei strenger Selbstreferenz – ohne ein tertium comparationis dieses doppelten Unterstellens – bleibt aber letztlich unklar, wie dann Interaktionsprozesse, deren Unterstellungen intransparent bleiben oder sich verfehlen, kontrolliert werden. Nach T. Parsons/E. Shils u.a. (1951a: 16) „is a double contingency inherent in interaction. On the one hand, ego’s gratifications are contingent on his selection amoung available alternatives. But in turn, alter’s reaction will be contingent on ego’s selection and will result from a complementary selection on alter’s part. Because of this double contingency, communication, which is the precondition of cultural patterns, could not exist without both generalization form the particularity of specific situations (which are never identical for ego and alter) and stability of meaning which can only be assured by ‚conventions observed by both parties.“ In diesem Zusammenhang erwähnt T. Parsons (1980: 78) vor allem Lustmechanismen, die sich als kommunikativer Austausch zwischen Verhaltensorganismus und Person begreifen lassen. Welchen Objekten und Zuständen hierbei eine motivierende oder affektiv stimulierende Bedeutung zufällt, ist natürlich auch bei lernfähigen Tieren innerhalb gewisser Grenzen variabel.
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aktivitäten gesteuert werden. Diese Ausdrucksaktivitäten sind freilich nicht (oder erst zweitrangig) unter dem Aspekt des intendierten Ausdrucks zu betrachten, den sich ein Akteur selbst gibt, sondern als „Ausdruck, den er ausstrahlt“.100 Die Zeichengebung im Ausdrucksverhalten wird hier sozusagen in ihrer latenten Funktionalität betrachtet: Egos Verhalten entnimmt Alter Informationen, die etwas anderes bedeuten (können) als die Botschaft, die Ego mitzuteilen beabsichtigte (falls eine solche explizite Absicht überhaupt unterstellt werden kann). Im Lichte der hier favorisierten, an Goffman anschließenden „dezentrierenden Konzeption von Selbst und Sinn“ (Vester 1986: 96) spiegelt sich der Sinn einer Ausdrucksaktivität in erster Linie nicht in selbstreferenziellen Zuschreibungen eines quasi authentischen Selbst. Der Sinn einer Ausdrucksaktivität liegt vielmehr in ihren kontextuellen Bezügen zu den anderen Ausdrucksaktivitäten eines ganzheitlichen Interaktionsprozesses (z.B. einer rituellen Sequenz): Der Interaktionsprozess wird hier als ein situierter mehrschichtiger Zeichenprozess, als Semiose, verstanden.101 Interspezifische, humanimalische Kommunikation entzieht sich also z.B. einer Übertragungsmetaphorik, die suggeriert, Informationsgehalte würden vom Sender zum Empfänger „transportiert“. Die entscheidenden Selektionen werden einerseits vom Interaktionsprozess selbst geleistet (insbes. von den Regeln, Generalisierungen und Eigendynamiken seiner Dramaturgien und Inszenierungen), erst in zweiter Linie durch Selektionsleistungen, die aus separaten und individuellen Mitteilungs- und Verstehensintentionen herrühren. In leichter Abwandlung eines Wortes von Goffman102 kann diese Umkehrung auch so formuliert werden: Es geht bei doppelter Kontingenz letztlich nicht um Menschen, Tiere und ihre Situationen, sondern um die Situationen und ihre Menschen und Tiere. Schon Merleau-Ponty (1974: 452f.) entwickelt übrigens einen Begriff von „doppelter Kontingenz“, der nicht nur mit der Goffmanschen Grundintention, sondern auch mit einem interspezifisch anwendbaren Verhaltensbegriff vereinbar ist. Verhalten ist für Merleau-Ponty einerseits Ereignis, weil es (im Rahmen einer gegebenen Analyseebene) im Vergleich mit anderen – gleich oder ähnlich wahrscheinlichen – Verhaltensweisen lediglich zufällig ist. Eine Verhaltensakti100 Vgl. E. Goffman (1969: 6-8), zur semiotischen Lektüre Goffmans H.-G. Vester (1986: 96ff.). Vgl. zum kommunikativen Stellenwert von Ausdrucksaktivitäten generell E. Leach (1978: 17f.). 101 So ist es z.B. für das Ausdrucksverstehen des Miauens meiner Katze von sekundärer Bedeutung, welche Absicht, Willensäußerung man ihr vor oder während dieser vokalen Ausdrucksaktivität unterstellen möchte; der Sinn liegt vielmehr im interaktiven Fortgang selbst, hier: in ihrer Weigerung, auf meine Futterofferte einzugehen und stattdessen zur Tür zu eilen und dort ihre vokale Ausdrucksaktivität (vulgo: Miauen) zu wiederholen. 102 E. Goffman (1986: 9) in der Einleitung zu seinem Buch „Interaktionsrituale“: „Es geht hier also nicht um Menschen und ihre Situationen, sondern um Situationen und ihre Menschen.“
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Kapitel 3
vität ist andererseits nicht völlig undeterminiert: Sie ist „gebunden an“, bedingt durch eine Ordnung situativ möglicher Verhaltensalternativen, die jeweils gegen „unmögliche“ Alternativen abzugrenzen sind. Auch hier handelt sich dabei um situative Arrangements, die von mehr oder weniger andersartigen (Um-)Welten (wie Menschen, Lebewesen, physisch-materiellen Bedingungen, soziokulturellen Semantiken usw.) vorgeprägt werden. Auch das Verhalten höherer Tiere ist in dieser Sicht vom emergenten Sinnkontext der Situation, in dem es konstituiert wird, nicht ablösbar. Das tierliche Verhalten gewinnt seinen Sinn erst aus diesem Verhältnis zur Situation, wie etwa Frederik Buytendijk (1958: 14; Herv. Buyt.) unter Hinweis auf Jakob von Uexküll einmal herausstellt: „Ein Beobachter versteht das Verhalten immer nur aus der Situation.“ Dass diese ganzheitliche Herangehensweise mit einer systemökologischen Konzeptualisierung kompatibel ist, zeigt sich noch deutlicher, wenn einige semiotische Implikationen von Mensch-Tier-Kommunikationen beleuchtet werden.
3.2.3 Zur Semiotik humanimalischer Kommunikation Im Folgenden gehen wir davon aus, dass sich interspezifische Kommunikationssysteme als Zeichenprozesse verstehen lassen, in denen anthroposemiotische und zoosemiotische Verhaltensaspekte103 zu einem regelgeleiteten und insofern sinnvollen Zeichenprozess organisiert werden. Wie Thomas Sebeok feststellt, impliziert die sprachliche Rekonstruktion solcher interspezifischer Semiosen zwar zwangsläufig eine anthropomorphe Perspektive, doch besagt dies keineswegs, dass diese Semiosen über linguistische Modelle verbaler Zeichensysteme zutreffend zu erfassen sind. In polemischer Überspitzung (und explizit gegen Roland Barthes gewandt) apostrophiert Sebeok die „glottozentrische Haltung“, die die Semiotik als ein Teilgebiet der Linguistik betrachtet, als eine anthropozentrische Verkehrung des tatsächlichen Inklusionsverhältnisses. Diese Verkehrung bedeute, so Sebeok, „die gesamte vergleichende Semiotik über Bord zu werfen, indem man die belebte Welt in zwei ungleiche Klassen einteilt – sprachlos versus sprachbegabt – und dann das Zeichenverhalten von mehr als zwei Millionen existierender Tierarten über die semiotischen Grenzen hinausbefördert“ (Sebeok 1979: 80).
103 Als Zoosemiotik definiert T. Sebeok (1977: 1055) jene Disziplin, „within which the science of signs intersects with ethology, devoted to the scientific study of signaling behavior in and across animal species.“ Menschliches Ausdrucksverhalten umfasst demnach einerseits zoosemiotische Elemente, andererseits anthroposemiotische – insbesondere sprachliche – Ausdruckselemente.
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Im vorliegenden Kontext ist eine „Natur“ und „Kultur“ überwölbende Semiotik, die zur Erhellung interspezifischer Kommunikationsprozesse beitragen kann, freilich in eine systemtheoretische Rahmenkonzeption einzubinden. Humanimalische Interaktionssysteme lassen sich offensichtlich nur unzureichend als autopoietische Verhaltenssysteme oder über nur eine Verhaltenssystemebene konzipieren. Sie erschöpfen sich nicht in einem selbstreferenziellen Reproduktionsprozess, bei dem es letztlich nur um den Operationsmodus geht, darum, dass z.B. Bewusstsein nur an Bewusstsein, Kommunikation nur an Kommunikation, Sinn nur an Sinn, Verhalten nur an Verhalten anschließt. Selbstreferenz ist zwar die notwendige Form solcher systemkonstituierender Prozesse, – sie werden in ihren inhaltlichen Aspekten durch diese aber nicht hinreichend spezifiziert. In dieser Perspektive entpuppen sich dieselben systemkonstituierenden Prozesse auch als allopoietische Prozesse, die Umweltbezüge artikulieren und die sich in diesem Sinne als Austausch- oder Verknüpfungsvorgänge zwischen verschiedenen Systemtypen und -ebenen auffassen lassen. Damit ist eine Mehrebenenaufschichtung der Sinntransformation angesprochen, wie sie etwa von Heinz Günter Vester (1986) vorgeschlagen wurde: Sie erstreckt sich von der körperlich-somatischen Bezugsebene bis „hinauf“ zur gesellschaftlichen Systemebene und findet ihre strukturelle Parallele im Aufbau entsprechender semiotischer Ebenen, die sich durch unterschiedliche Codetypen voneinander absetzen lassen. Unter semiotischem Blickwinkel sind die Operationen, durch die ein System Selbstreferenz und Fremd- bzw. Außenreferenz miteinander verbindet, Zeichenprozesse. Für Zeichenprozesse oder Semiosen, wie sie in dieser Arbeit verstanden werden, ist diese doppelte Bezugsrichtung von ausschlaggebender Bedeutung, denn sie charakterisiert in statu nascendi das pragmatistische Zeichenkonzept, das für unsere Untersuchungszwecke besonders geeignet erscheint. Nach Charles S. Peirce ist ein Zeichen etwas, „which stands to somebody for something in some respect or capacity“ (Peirce 1955: 98/2.228).104 Max Bense (1969: 10) spricht von einer triadischen Zeichenrelation zwischen „Mittel“, „Objekt“ und „Interpretant“ (formal: Z = R (M, O, I)). Ein bestimmter (visueller, taktiler, olfaktorischer, akustischer usw.) Ausdrucksakt (Zeichen-„Mittel“) einer Katze (z.B. die Ausrichtung ihrer Ohrmuscheln) bezeichnet demnach ein „Objekt“ bzw. einen Sachverhalt (z.B. einen tatsächlichen subjektiven Gefühls- oder Bedürfniszustand des Tieres), aber in der 104 An anderer Stelle schreibt Charles S. Peirce (5.283: Herv. Peirce) über diese dreistellige Relationsstruktur des Zeichens: „Now a sign has, as such, three references: first, it is a sign to some thought which interprets it; second, it is a sign for some object to which in that thought it is equivalent; third, it is a sign, in some respect or quality, which brings it into connection with its objects.“
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Kapitel 3
Weise, dass diese „Bezeichnungsfunktion“ (M O) über ein „interpretierendes“ Zeichen (den „Interpretanten“, d.h. z.B. ein Wort, ein Gefühlszustand, eine Vorstellung usw.) hergestellt wird und erst so zur „Bedeutungsfunktion“ [(M O) I]105 avanciert. Die Bedeutungsfunktion im vorliegenden Fall: Die seitwärts-abwärts geklappten Ohrmuscheln der Katze106 deutet ihr Halter als Abwehrstimmung oder -bereitschaft des Tieres. Schon bei dieser einfachen Semiose zeichnen sich zwei idealtypische Grenzfälle ab: ein extremes Divergieren oder ein extremes Konvergieren von Bezeichnungs- und Bedeutungsfunktion: Wenn ein Zeichen etwas bedeutet, dann tut es dies in einer mehr weniger bestimmten Hinsicht – denn stünde es im Grenzfall für alles, so stünde es für nichts mehr.107 Der Katzenhalter würde dann z.B. die Ohrenstellung „als solche“ kaum bemerken oder andere mentale Zustände (wie Angriffsbereitschaft, Ohrenschmerzen usw.) damit assoziieren. Der andere – fiktive – Extremfall ist gegeben, wenn der Interpretant die Bezeichnungsfunktion mit vollständiger Adäquanz bezeichnen könnte: Der Halter würde in diesem Fall das Gemütsleben seiner Katze „so authentisch“ erfassen wie die Katze selbst. Eine zentrale Voraussetzung108 für eine weitgehende Konvergenz von Bezeichnungs- und Bedeutungsfunktion im semiotischen Prozess ist eine gewisse Symmetrie des En- und Decodierungsvorganges. Der Code, der den Wahrscheinlichkeitsbereich eingrenzt, in dem sich semiotische Kombinationsmöglichkeiten (einer Botschaft oder Nachricht, eines kommunikativen Ereignisses usw.) „normalerweise“ bewegen, muss der Bezeichnungs- und der Bedeutungsfunktion hinreichend angepasst sein. Ein solcher Code ist also ein „Regelsystem“, das „die Produktion und die Interpretation der Botschaft“ steuert (Eco 1985: 133). Hier: ein Regelsystem, das dafür sorgt, dass die Bedeutungen des Ausdrucksverhaltens im interspezifischen, humanimalischen Interaktionsprozess mehr oder weniger approximativ „eingekreist“ werden können. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass bestimmte Variablen (wie z.B. phylogenetische Nachbarschaft, ein hohes Maß an Lernfähigkeit, beiderseitige Neotenietendenzen oder Domestikationseffekte) im Allgemeinen begünstigen können, dass „jeder (..) die 105 Vgl. zum Konzept der Zeichenrelation M. Bense/E. Walther (1973: 120f.) und U. Eco (1977: 27f.). 106 Siehe P. Leyhausen (1982: 167) sowie eine analoge Anwendung der triadischen Zeichenrelation auf das Ausdrucksverhalten des Hundes bei M. Fleischer (1987: 64ff.). 107 Hier bliebe nur ein abstraktes, „leeres“ Absolutes, von dem G. Hegel (1973: 22) einmal sagt, es sei die Nacht, worin alle Kühe schwarz sind. 108 Die zweite Grundvoraussetzung für diese Konvergenz ist natürlich, dass einem Rezipienten das Repertoire der Zeichen-Mittel überhaupt zugänglich ist. Z.B. können Duftstoffe, die vom Menschen tatsächlich nicht wahrgenommen werden, nicht zum Zeichen-Mittel von Bedeutungen werden, die diese olfaktorischen Zeichen z.B. für die wechselseitige Identifizierung und Rangorientierung von Hunden besitzen (Fleischer 1987: 100ff., 153f.).
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wesentlichen Elemente des Kodes der anderen Seite kennenlernen, wenn nicht sogar vollständig beherrschen“ kann (Sebeok 1979: 88). Kompliziert wird das interspezifische Ausdrucksverstehen zusätzlich dadurch, dass in der Regel nicht nur ein Kommunikationskanal oder Code aktiviert wird, sondern mehrere gleichzeitig. Eine Botschaft ist dann die Resultante von komplexen – aber nicht unbedingt widerspruchsfreien – Verschlüsselungen optischer, auditiver, olfaktorischer oder taktiler Zeichen-Mittel. Wenn es gerechtfertigt ist, Max Benses (1969: 38) Begriff der „Superisation“, einen Modus geordneter Zeicheneinbettung,109 auf mehrfach codierte Kommunikationsprozesse anzuwenden, so kann ein solcher Zeichenverbund als ein konstitutives Element humanimalischer Interaktionssysteme angesehen werden. Wie Michael Fleischer am Beispiel des Ausdrucksverhaltens des Hundes hervorhebt, beruht die kommunikative Leistungsfähigkeit der Superisation u.a. auf der Begrenzung von Mehrdeutigkeiten im intraspezifischen Sozialverhalten (vgl. Fleischer 1987: 138). Demgegenüber ist für die Bildung von interspezifischen Interaktionssystemen eine sequenzielle Ego-Alter-Dynamik charakteristisch, die auf einer eingeschränkten Anschlussfähigkeit der Superzeichen der involvierten Arten beruht. „Missverständnisse“ und Mehrdeutigkeiten sind dabei nur innerhalb bestimmter Toleranzgrenzen zulässig, – ansonsten „entarten“ sie zu interspezifischen Kommunikationsbarrieren, die schließlich den Bestand des Interaktionssystems gefährden können. In welchem Umfang diese intersubjektive Anschlussfähigkeit hergestellt wird, hängt nun nicht zuletzt davon ab, in welchem Ausmaß die ethologischen Programme der unterschiedlichen Spezies die semiotischen Voraussetzungen für eine artübergreifende Kommunikation erfüllen können. Anders gefragt: Inwieweit sind die jeweiligen Codes miteinander kompatibel? Wichtig ist hier insbesondere, ob es sich (a) um phylogenetisch eng verwandte Arten handelt, oder ob (b) ihre Ausdruckszeichensysteme auf ähnliche Umweltbedingungen abgestimmt sind. In diesem Kontext unterscheidet Michael Fleischer am Beispiel des Hundes zwei wichtige Voraussetzungen für einen interspezifischen „Zeichenkonsens“: „Die Zeichensysteme (von Mensch und Hund, R.W.) sind zwar in ihrer Ausprägung verschieden, sie haben aber eine gemeinsame phylogenetische Entwicklung zur Grundlage, und zwar derart, dass das System des Hundes eine Vorstufe unseres Systems ist. (...) Der Hund ist ein domestiziertes Tier, hat also einen Teil (die letzten zehntausend Jahre) der Phylogenese mit uns vollzogen. Der Hund entwickelt sich ontogenetisch (im Normalfall) in einer Mensch-Hund-Gemeinschaft und hat – auf-
109 Mit dem Begriff Superisation ist hier die „Ganzheitsbildung“ von Zeichen oder Zeichenprozessen gemeint bzw. die ganzheitliche Wahrnehmung von „sinnraffenden“ Zeichengestalten (vgl. Bense/Walther 1973: 106f.).
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Kapitel 3 grund (a) seiner zeitlebens anhaltenden Lernfähigkeit und (b) der prinzipiell gegebenen Reversibilität des Lernens – die Fähigkeit und die Möglichkeit (falls wir sie ihm geben), unser Zeichenverhalten zu erlernen, sein Verhalten dahingehend zu modifizieren und es unserem – sowie sinnvoll – anzupassen“ (Fleischer 1993: 30).
In systemtheoretischer Hinsicht sind nun – wie oben schon angesprochen – die für humanimalische Interaktionen maßgeblichen Kontrollprozesse im Regelfalle als heterarchische Steuerungsmechanismen aufzufassen. Eine notwendige Voraussetzung dafür ist ein Mehrebenenaufbau von verhaltenssteuernden Codes, von phylogenetisch fundierten Regelsystemen der Informationsverarbeitung und Kommunikation. Diese Regelsysteme agieren wie relativ unabhängige Steuerungsinstanzen. Ivan Bystrina (1983) unterscheidet in diesem Sinne drei Codetypen, die sich auch als Bezugsebenen humanimalischer Interaktionssysteme auffassen lassen: 1.
2.
3.
Primäre oder hyposprachliche Codes bilden die phylogenetisch ältesten Regelsysteme. Sie steuern z.B. Informationsflüsse zwischen Vorfahren und Nachkommen (genetischer Code), intraorganismische Informationsflüsse (z.B. über hormonale Steuerung), schließlich den Informationsaustausch, den selektiv und „gestalthaft“ arbeitende Wahrnehmungscodes zwischen Organismus und Umwelt herstellen (z.B. Regelsysteme artspezifischer Sensitivität). Sekundäre oder „sprachliche“ Codes regeln Informations- und Kommunikationsprozesse zwischen Lebewesen, die ihr Verhalten durch Produktion und Rezeption von Zeichen wechselseitig aneinander ausrichten. Dazu zählen genetisch fixierte Signalstrukturen (z.B. Tarnfärbungen, Mimikry usw.), aber auch die „echte Kommunikation“ von Organismen, die Sozietäten bilden und ihren Umweltbezug stärker über die Referenzebene innerartlicher Kommunikation herstellen und dafür auf besondere Repertoires (Menge der möglichen oder „erlaubten“ Zeichenmuster) und Codes (Regelsysteme zur „Organisation“ dieser Zeichenmuster) zurückgreifen (wie z.B. die „Bienensprache“). Bei höheren Tieren gewinnen dabei Regelsysteme an Bedeutung, die auf Zeichen beruhen, die in stärkerem Maße „intendiert“ erscheinen (so z.B. bei den „Zeichenketten“ im Balzverhalten von Wirbeltieren). Bei intentionalen Zeichen ist laut Bystrina (1983: 9; Herv. i. Org.) „die (aktive) Produktion und Benutzung von echten Zeichen durch innere Zustände des aktiven Senders, durch sein aus dem Systeminneren motiviertes (wenngleich oft von außen ausgelöstes) Verhalten zumindest mitbedingt.“ Tertiäre oder hypersprachliche Codes sind besondere Regelsysteme, die sich der Zeichenkomplexe der zweiten, sprachlichen Ebene bedienen, um dann Texte zu bilden, die eine emergente, zweite Sinnstruktur aufschichten:
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Der ostentative, manifeste Sinn eines sprachlichen Zeichens dient dem Aufbau eines latenten, „uneigentlichen“ Sinns, der über eine zweite Beziehungsebene konstituiert wird. Die Semantik der im engeren Sinn kulturellen Gebilde (Mythen, Märchen, Poesie, Ideologien, Werbung, Kunst usw.) sind Schöpfungen, die durch diese tertiären, „metasprachlichen“ Codes organisiert werden. Exemplarisch veranschaulicht das Gemeinte Claude LéviStrauss’ Mythenanalyse, die „in“ bzw. „hinter“ einer diachronen Erzählung Mytheme, synchrone „Beziehungsbündel“, isoliert, die als konstitutive Einheiten einer zusätzlichen – hier: invariant gedachten – Sinnstruktur fungieren.110 Im Zusammenhang mit interspezifischen Mensch-Tier-Interaktionen ist dieses Schichtenmodell der Codes vor allem in zweierlei Hinsicht instruktiv: 1.
Diesem Modell zufolge „komplettiert sich Sinn durch Verkoppelung der Codes, durch den Durchlauf der Codeschichten“ (Vester 1986: 102). Dabei gibt es letztlich keinen einsinnig hierarchisierbaren Steuerungsverlauf der Sinnkontrolle. Bei Mensch und Tier stecken die Regelmechanismen der primären Codes zwar die Möglichkeitsbedingungen der sekundären Codes ab (z.B. ist das innerartliche, im weitesten Sinne „sprachliche“ Zeichenverhalten an die organismisch möglichen Wahrnehmungs- und Ausdrucksmodi gebunden). Umgekehrt können sprachliche Codes aber auch auf hyposprachliche Regelsysteme zurückwirken: ein Beispiel sind hier die auch im
110 Vgl. etwa seine Analyse des Ödipus-Mythos, der im Lichte des tertiären Codes als Bearbeitung eines doppelten Grundwiderspruchs der menschlichen Existenz erscheint: einerseits des Natur/Kultur-Gegensatzes (Autochtonieproblem), andererseits der Über- bzw. Unterbewertung von Sozialbeziehungen (Lévi-Strauss 1971: 226ff.). Ein anderes Beispiel ist der latente Sinn von Wunschvorstellungen der Traumsymbolik; er kann als das Ergebnis einer Traumarbeit des Unbewussten aufgefasst werden, die nicht nur auf primäre und sekundäre, sondern auch tertiäre Codierungen rekurriert (Ricœur 1974: 168ff.). Vor allem aber bedient sich die Poesie sprachlicher Zeichen, um eine nur indirekt zugängliche, metasprachliche Sinnebene aufzubauen. Wo Poesie z.B. von Tieren spricht, avancieren diese typischerweise zum Ausgangsterm einer mitgemeinten, zweiten Sinnebene. Das folgende Gedicht von Paul Klee handelt z.B. auf der sprachlichen Ebene von Tieren, Göttern, Menschen und Bergen; auf der metasprachlichen Ebene kann man es (in Anlehnung an R. Jakobsons Lektüre) als Versuch lesen, die Einsamkeit der menschlichen „Zwischenexistenz“ in Selbstvergewisserung umzumünzen (nach der Handschrift, abgedruckt in Jakobson 1976: 98): „Zwei Berge gibt es auf denen es hell ist und klar, den Berg der Tiere und / den Berg der Götter. Dazwischen aber liegt das dämmerige Tal des Menschen. / Wenn einer einmal nach oben sieht erfasst ihn ahnend eine unstillbare / Sehnsucht, ihn, der weiss, dass er nicht weiss nach ihnen die nicht wissen, / dass sie nicht wissen und nach ihnen, die wissen, dass sie wissen.“
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Kapitel 3 Tierreich vorkommenden „Meme“,111 Elemente aus einem „Pool“ kulturell definierter Verhaltensweisen, die z.B. die Reproduktionswahrscheinlichkeit von Genen beeinflussen können und sich damit auf die intergenerationale Selektion hyposprachlicher Codes des Verhaltensorganismus auswirken (hier z.B. auf Regelsysteme des sensorischen Bereichs, der hormonalen Steuerung usw.). Mensch-Tier-Interaktionen sind von einer grundlegenden Disparität der Code-Kompetenzen geprägt. Während artspezifische Unterschiede hinsichtlich der hyposprachlichen und sprachlichen Codes gewissermaßen den „Normalfall“ des interspezifischen Kontaktes zwischen Tieren beschreiben, sind die Kompetenzen, die sich auf die hypersprachlichen Codes elaborierter kultureller Texte beziehen, genuin menschlich. Wie ja schon das KleeGedicht in Fußnote 110 zeigt, vermag menschliches Sprechen durch die Etablierung einer zweiten semiotischen Bezugsebene, eines reflexiven Symbolismus, die semiotisch einfacheren Referenzbezüge der (im Sinne Ivan Bystrinas) „sprachlichen“ Zeichensysteme grundlegend zu transzendieren. Freilich sollten höheren Tieren deswegen nicht Ansätze zu hypersprachlichen Codierungen abgesprochen werden. Einfache kulturelle Leistungen, die auf lerngestützter Traditionsbildung beruhen, oder auch die Modulation von Sinnrahmen, lassen sich, wie weiter unten noch auszuführen ist, schon im Tierreich nachweisen.
Vermutlich lassen sich interspezifische Ähnlichkeiten sogar auf die Ebene inhaltlicher Sinngestalten ausmachen: Falls z.B. manche bildhaft aktualisierbaren Erlebnistendenzen, wie sie die Archetypen Carl G. Jungs einschließen, auch bei höheren Tieren auftreten,112 dann gibt es vielleicht so etwas wie urmythische Elementarvorstellungen, die auf einer kollektiv unbewussten Ebene zwischen 111 Nach R. Dawkins (1996) beruht kulturelle Tradierung auf Memen, gedächtnisfundierten Verhaltenselementen, die durch Imitation und Lernen weitergegeben werden und zusammen den Mempool einer abgrenzbaren Population bilden. Die Veränderung und Diffusion solcher Meme wird in Analogie zur Genetik als „kulturelle Mutation“ bezeichnet. Ein Beispiel aus dem Wirbeltierreich sind Veränderungen des Melodienaufbaus bei Singvögeln, die auf Nachahmung und Variation fremder Melodiendialekte zurückzuführen sind (vgl. Dawkins 1996: 305). Bei einer New Yorker Finkenart, deren Männchen viel „herumvagabundieren“ und die sich im „Melodienklau“ besonders geschickt anstellen, wurde festgestellt, dass es die Männchen mit einem besonders dialektreichen Gesang sind, die von den Weibchen bevorzugt werden (Lindauer 1990: 186). Siehe zu den sich hier anschließenden grundsätzlichen Fragen der „biologisch-kulturellen Ko-Evolution“ auch W. L. Bühl (1982: 34ff.). 112 In diese Richtung weist z.B. folgende Bemerkung C. G. Jungs (1975: 71): „Nichts hindert uns, anzunehmen, dass gewisse Archetypen schon bei den Tieren vorkommen, dass sie mithin in der Eigenart des lebendigen Systems überhaupt begründet sind und somit schlechthin Lebensausdruck sind (...).“
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den (gestalthaft operierenden) Wahrnehmungsbereitschaften der primären und sekundären Codes und den elaborierten Mythen des hypersprachlichen Bereichs sinntransformativ vermitteln. In die gleiche Richtung deuten Überlegungen von Rudolf Bilz, der Mythologeme annimmt, die sich nicht erst im Laufe der Anthropogenese herausgebildet haben, sondern phylogenetisch älter und dem „Primaten-Einmaleins“ zuzurechnen sind. Eine dieser „Ur-Überzeugungen“, die spontan einrastende Sinnkanalisierungen für Situationsdefinitionen bereitstellen, ist z.B. das Mythologem des „oben“, aufwärts liegenden Heils (bzw. Auswegs) (Bilz 1974: 290f.). Eine Hauptfunktion solcher ethologisch fundierten, „subjektdienlichen“ Mythologeme wäre dann darin zu sehen, dass sie „magische Zuordnungen“ herstellen können, die in emotional schwierigen Situationen geeignet sind, den subjektiven Erlebnishaushalt zu entlasten. Schon hier zeichnet sich eine entscheidende intentionale Bezugsebene humanimalischer Sozialsystembildung ab: der hohe Stellenwert der affektuellen und emotionalen Ebene der Interaktion. Wenn man von Fällen erzwungener Aufmerksamkeit absieht, dann veranlasst das Zeichenverhalten eines anwesenden alter Ego vor allem dann eine Modifikation des eigenen Verhaltens, wenn dieses andere Lebewesen nicht nur beiläufig „mitregistriert“ wird, sondern als „relevanter“ (z.B. potentiell „gefährlicher“, „attraktiver“ usw.) Alter thematisch wird, d.h. als Alter „Interesse“ weckt. Symptomatisch für die rituelle Eröffnung einer wechselseitig zentrierten Interaktion sind beim Menschen wie bei vielen Tieren semiotische Rang- und Kontextmarkierungen, wie sie sich im Grußverhalten113 ausdrücken. Das die Interaktion stiftende „Interesse“ ist nun, wie weiter unten noch gezeigt wird, schon beim Menschen nicht allein (oder sogar nicht primär) auf der Ebene der planmäßig-absichtsvollen oder prädikativ artikulierbaren Intentionen anzusiedeln, sondern auch auf der Ebene affektiver und emotionaler Intentionalität.114 „Interesse“ ist hier von Husserl her zu verstehen. Husserl charakterisiert damit einen Zuwendungsmodus, bei dem ein subjektiv positiv getöntes Gefühl mit einem eigentümlichen Richtungssinn ausgestattet wird. Die 113 „Es gibt übrigens“, schreibt E. Goffman (1974: 111) hellsichtig, „kaum ein besseres Argument für die Existenz einer gemeinsamen Basis von Tier- und Menschenuntersuchungen als das, das uns das Grußverhalten an die Hand gibt.“ 114 Schon weil Emotionen „fuzzy sets“ sind, „undeutliche Muster mit ausgefransten Rändern“ (Vester 1991: 34), verzichten wir im Folgenden auf den Versuch einer kasuistisch strengen Differenzierung von Affekt und Emotion. Beide werden als intentionale Varianten des Gefühllebens verstanden, wobei die affektive Seite mehr die Seite des aktuellen Erlebens und Ausdrucksverhaltens fokussiert, der Emotionsbegriff aber eher die reflexiv deutende oder typisierende Sinngebung des affektiven Lebens. Im Bezugskontext der triadischen Zeichenrelation werden Affekte also eher von der Bezeichnungsfunktion, Emotionen eher von der Bedeutungsfunktion anvisiert. Ein weiterer Grund: Da wir weiter unten T. Parsons’ Konzept des Affektmediums aufgreifen werden, das weite Bereiche von Emotionalität abdeckt, erscheint es im Interesse begrifflicher Klarheit angemessener, die Unterscheidung nur grob vorzunehmen.
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gerichtete Gefühlsintention geht immer mit (mehr oder weniger deutlich appräsentierten, „mitgemeinten“, im Extremfall: unbewussten) Erwartungsintentionen einher. Die Erfüllung solcher Erwartungsintentionen kann man mit Husserl (1972: 91-94) dann als „Befriedigung“ des Interesses bezeichnen, Kommunikationen unter Anwesenden, die dies ermöglichen, als „befriedigende“ Interaktionen. Gefühlsintentional fundierte Interessen, die Interaktionsprozesse initiieren und über das Ausdrucksverhalten ihren weiteren Verlauf maßgeblich steuern, lassen sich nicht nur bei Tieren aufweisen, sondern auch bei Menschen – oftmals gerade dann, wenn sie direkt mit Tieren kommunizieren, denen sie Du-Evidenz zuschreiben. Erving Goffman veranschaulicht das Gemeinte in seinen Ausführungen über die emotionsbefrachtete „Ausdruckssprache“, die Erwachsene westlicher Gesellschaften verwenden, wenn sie mit Kleinstkindern oder mit Tieren sprechen. Der Sprecher verwendet das „Mittel“ der Zeichenrelation (meist kurze Sätze, Aus- und Zurufe; Befehle, Interjektionen wie he!, ach!, los! usw.) hier oft primär emotionssemantisch, d.h. das Mittel artikuliert in seinem Objektbezug (als Bezeichnungsfunktion M O) eine emotionale Befindlichkeit des Sprechers, manchmal verbunden mit dem gezielten Versuch, beim Tier ein bestimmtes Verhalten auszulösen (z.B. sagt man einer Katze, die ihre Krallen gerade an einem Möbelstück schärfen möchte, in einem drohend-ärgerlichen Tonfall: „Lass das!“). Die für den emotionalen Sinn der Vokalisation besonders bedeutsame Intonation (Péter 1984: 248-52) wird dann nicht selten bewusst verstärkt bzw. hervorgehoben. Goffman schreibt: „Der Sprecher, der ja die Sprache beherrschen muss, scheint davon auszugehen, dass der Ausdrucksgehalt seiner Äußerung irgendwie vom Empfänger verstanden werde, wenn auch nicht wörtlich, d.h. wortschatzmäßig. (Mir scheint, das ist bei Kindern, jedenfalls aber bei Tieren oft eine vernünftige Vorstellung.) Der Sprecher bedient sich gewöhnlicher Sätze, weil das irgendwie die äußere Form ist, in der man mit dem Gefühl und der Reaktion am einfachsten umgehen kann“ (Goffman 1980: 566).
An dieser Stelle ist es freilich geboten, die triadische Zeichenrelation von Peirce durch das Organonmodell von Karl Bühler (1982: bes. 28f.) zu ergänzen. Bühler unterscheidet drei Leistungsbezüge des Zeichens: „Ausdruck“, „Appell“ und „Darstellung“. Die Darstellungsfunktion meint den Bezug des Zeichens im Hinblick auf „gemeinte“ Sachverhalte und Gegenstände, die Ausdrucksfunktion thematisiert das Verhältnis von Zeichen und Sender, die Appellfunktion die Zuordnung Zeichen/Empfänger, wobei Bühler den verhaltenssteuernden bzw. -auslösenden Aspekt im Auge hat. Das Zeichen wird also gedacht als Funktionseinheit von „Symbol“ (Darstellungsfunktion), „Symptom“ (Ausdrucksfunktion) und „Signal“ (Appellfunktion). Bühlers Organonmodell nimmt eine Grundunterscheidung in den Zeichenbegriff hinein, die eine in unserem Kontext wichtige
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Differenzierung ermöglicht. Der Objektbezug des Zeichen-Mittels (im Sinne von Peirce und Bense)115 kann sich nicht nur auf einen Zustand des Sprechers beziehen (auf den Ausdrucksbezug im Sinne Bühlers), sondern ebenso auf einen Sachverhalt oder Gegenstand, der von Ego und Alter unabhängig ist (Bühlers „Darstellung“). Bühlers Terminologie zufolge ist das von Goffman analysierte Sprechverhalten des menschlichen Interaktionspartners116 somit von einem Hervortreten der Ausdrucks- und Appellfunktion in der sprachlichen Zeichenverwendung geprägt, von einer Präponderanz, die zulasten der Darstellungsfunktion geht. In diesem Punkt gibt es eine gewisse Symmetrisierungstendenz in der Mensch-Tier-Kommunikation, denn unter Vögeln und Säugetieren lassen sich zahlreiche Beispiele finden, in denen die Tiere auf eine nonverbale Weise eine vergleichbare Verbindung von Ausdrucks- und Appellfunktion herstellen, um ihre Interessen in einer Interaktion zu artikulieren oder eine Interaktion überhaupt zu initiieren.117 115 Auf eine vergleichende Diskussion der Zeichentheorien von C. Peirce und K. Bühler muss hier verzichtet werden, vgl. zu den diesbezüglichen „Anschlussproblemen“ ausführlich B. Palek (1984). 116 Ein weiteres Beispiel: Ein Hundehalter ruft mit freudigem, drohendem, ärgerlichen usw. Unterton seinen Hund: „Rex, komm her!“ (vgl. Goffman 1980: 567). – Diese Symmetrisierungstendenz ist natürlich nur in performativer Hinsicht zu verstehen, nicht im Hinblick auf die Sprachkompetenz. So reserviert K. Bühler den Darstellungsaspekt für die menschliche Sprache (vgl. dazu Gerke 1993: bes. 418f.), eine Zuordnung, die letztlich wohl nicht zu halten ist (vgl. dazu das Beispiel in der nächsten Fußnote). 117 An dieser Stelle sei eine eigene Beobachtung angeführt. Bei unserem Airdale-Terrier „Kolja“ ist es bisweilen vorgekommen, dass er, wenn die Zeit zum Spazierengehen nahte, mit der Hundeleine im Maul ankam, sie unmittelbar vor der Bezugsperson deponierte und diese – „breit“ mit dem Schwanz wedelnd – fixierte. Das Schwanzwedeln bezeichnet hier offenbar ein bestimmtes Interesse (Bühlers Ausdrucksfunktion), nämlich die freudige Erregung über den zu erwartenden, in nächster Zukunft anstehenden Spaziergang, – und es ist außerdem ein typisches Element des Grußverhaltens des Hundes (vgl. z.B. Fleischer 1987: 128; Coren 1997: 144). Erwidere ich nun den Blick des Hundes und wende ich mich ihm z.B. zusätzlich durch eine Kopf- oder Körperbewegung zu, dann wird dadurch ein „zentierter“ Interaktionsprozess – Goffmans „encounter“ – initiiert, der nun so etwas wie eine Plattform für die „syntaktischen Beziehungen“ zwischen den Verhaltensbeiträgen der gleichzeitig anwesenden Akteure etabliert (vgl. auch Goffman 1986: 8). So wird in unserem Beispiel Bühlers Appellfunktion erst aus diesem Interaktionskontext ersichtlich: Kolja legt die Leine nicht irgendwo im Haus ab, sondern in unmittelbarer Nähe jener Person, die gewöhnlich mit dem Hund „Gassi geht“ (d.h. vor einer Person, die (a) gerade in seiner Reichweite ist und von der er (b) ein derartiges Verhalten erwartet), sein Blick und „seine“ Leine suchen eben diese Person und keine andere. Unabhängig davon, ob man das „absichtlich“ nennen möchte oder nicht: Im Kontext von Bühlers Organonmodell realisiert der Hund mittels der Hundeleine und seines Ausdrucksverhaltens zwei semiotisch unterscheidbare Bezüge, die zusammen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass beim Interaktionspartner (dem Menschen, der auf das Angebot zur zentrierten Interaktion eingeht) das „erwünschte“, als „befriedigend“ protendierte Verhalten ausgelöst wird. – Diese und ähnliche Beispiele zeigen übrigens, dass die von P. Watzlawick u.a. (1985: 63) im Anschluss an G. Bateson vertretene Auffassung, dass sich tierliches Ausdrucksverhalten nur auf die „analogen“
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An dieser Stelle muss allerdings eingeräumt werden, dass der in diesem eingeschränkten Sinne symmetrische Kommunikationsaspekt in zahlreichen interspezifischen Kontakten kaum oder gar nicht gegeben ist, z.B. dann, wenn das Verhalten von Haustieren in erster Linie als Ressource zwischenmenschlicher Kommunikation dient, z.B. als katalysatorische Ressource, um einen Themenwechsel zu initiieren (vgl. Bergmann 1988). Dieses symmetrische Moment fehlt auch dort, wo auf menschlicher Seite ein Zeichenverhalten vorherrscht, das so gut wie keine oder nur rudimentäre appellative Aspekte aufweist. In solchen Konstellationen wird die Subjektivität des Tieres marginalisiert oder ganz ausgeblendet. Das menschliche Verhalten operiert dann scheinbar ohne Du-evidenten Empfänger, das situative Interesse, das in emotionaler Hinsicht überaus engagiert sein mag, bewegt sich – dem Tier gegenüber – in einem rein sach- oder gegenstandsbezogenen Erwartungshorizont. Wie weiter unten noch gezeigt wird, greifen dann flankierend häufig Sinnrahmen und -modulationen, die für bestimmte Sozialtechniken charakteristisch sind und von den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien funktional differenzierter Gesellschaften keineswegs gleichmäßig unterstützt werden. Auch für humanimalische Interaktionen ist es typisch, dass Bedeutungen nicht unmittelbar-„natürlich“, gleichsam „nackt“ kommuniziert werden. Verhaltensweisen und Interessen treten auch hier letztlich als erlernte und sozial definierte Bedeutungen in Erscheinung. Nun setzt humanimalische Kommunikation sicher eine gewisse Konvergenz, „Überlappung“ der betreffenden Codes voraus, aber selbst im Umgang mit sehr vertrauten Heimtieren oder domestizierten Tieren sind hier semantische Missverständnisse bzw. „Teilmissverständnisse“ nicht ungewöhnlich. Gründe dafür gibt es auf der menschlichen wie auf der tierlichen Beziehungs-, nicht aber auf Inhaltsaspekte der interspezifischen Kommunikation beziehen könne, zu überdenken ist. Um das von P. Watzlawick u.a. angeführte Beispiel aufzugreifen: Es mag zutreffen, dass das Miauen einer sich anschmiegenden Katze oftmals „bedeuten“ mag: „Ich habe Durst!“ (Ausdruck) und/oder „Sei meine Mutter!“ (Appell), – und nicht: „Ich will Milch!“ (Darstellung). Im vorliegenden Beispiel macht es aber keinen Sinn, die Möglichkeit einer Darstellungsfunktion des tierlichen Kommunikationsverhaltens (im Sinne Bühlers) rundweg zu leugnen. Weshalb hätte der Hund sonst die „Ausgehleine“ herangebracht (und nicht etwa seinen Spielball oder ein Stöckchen), wenn er nicht den „ersehnten“ Spaziergang „im Sinn“ gehabt hat? Für die Ausführung eines analog geprägten Appells würde es genügen, wenn der Hund vor der Bezugsperson winselt oder bellt; vgl. dazu auch das Beispiel eines dürstenden Hundes, der sein „Herrchen“ gezielt zum Wasserhahn führt, das H. Hediger (1984: 49) im Anschluss an K. Lorenz anführt. In der kognitiven Ethologie wird heute (soweit ich sehe) die Darstellungsfunktion tierlichen Verhaltens prinzipiell kaum mehr bezweifelt, so schreiben etwa D. Cheney/R. Seyfarth (1994: 409; Herv. C./S.) zu diesem Punkt: „Früher hatte man die Möglichkeit von sich gewiesen, dass Affen, Menschenaffen oder überhaupt irgendwelche Tiere Kommunikation benutzen, um etwas über Dinge mitzuteilen. Heute gibt es allerdings klare Hinweise dafür, dass die Alarmrufe und Grunzer der Meerkatzen, ihre Wrrs und Chutters (ebenso wie viele Rufe anderer Arten), ebendiese Funktion haben.“
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Seite. Auch wer einem Hund oder einer Katze eine – wie immer zu spezifizierende – „symbolische“ Lern- und Deutungsfähigkeit zugesteht, wird wohl nicht leugnen, dass diese Tiere insbesondere ihren genuinen „Zoomorphismus“118 letztlich nicht durch Lernprozesse relativieren bzw. reflexiv kontrollieren können.119 Und umgekehrt kann man z.B. mit Paul Bouissac davon ausgehen, dass ein menschliches Gegenüber, dem das ethologische Programm des Tieres nicht vertraut ist, leicht dazu neigt, artspezifische Verhaltensweisen vermenschlichend misszuverstehen. Wenn die Katze ihr Gesicht an Hand oder Bein einer vertrauten Person reibt, werde dies in bestimmten Kulturen z.B. fälschlich als „Liebesgruß“, nicht als olfaktorisch relevantes Markierungsverhalten gedeutet (Bouissac 1993a: 12). Obschon dieses Verhalten im Einzelfall ja durchaus die Zuneigung der Katze ausdrücken mag, so ist eine sozusagen elementaristische Reduktion dieses Bewegungsvorgangs auf diese einzige Möglichkeit sicherlich problematisch. Dies auch deswegen, weil diese eine Bedeutung eine andere keineswegs ausschließen muss. Die verschiedenen Bedeutungen koexistieren sozusagen im situativen Kontext, konkurrieren in gewisser Weise um die jeweils relevante „Definitionen der Situation“. Die Situationsdefinitionen sind zwar mit soziokulturellen Bedeutungen gesättigt, sie gehen darin aber eben nicht auf. Auch andere Systemreferenzen artikulieren sich in diesem doppelt kontingenten Zeichenprozess, z.B. gewinnt hier das Markierungsverhalten seinen Sinn aus dem Bezug zu einem geschlechtlich qualifizierbaren Organismus. Hinzu kommt, dass nun gerade bei höheren Tieren auch in ethologischer Hinsicht einzelne Verhaltensmuster häufig offenbar nicht eindeutig bzw. „eindimensional“ zu deuten sind. Paul Leyhausen (1982: 212) zeigt z.B., dass der betreffende Bewegungsvorgang, der manchmal präziser als sogenanntes „Köpfchengeben“ der Katze zu klassifizieren ist, besonders im Werbungsverhalten auftritt und dann ein generelles Zeichen für eine „sympathetisch“ gestimmte Kontaktaufnahme bzw. Kontaktaufnahmebereitschaft darstellt (vgl. auch Bilz 1967: 50; ähnlich Bateson/Turner 1988: 236f.). Schließlich kann eine Behandlung der semiotischen Grundlagen interspezifischer Kommunikationssysteme kaum die Frage nach der Symbolizität tierlichen Ausdrucksverhaltens umgehen. Kann tierliches Verhalten überhaupt als „symbolisch“ eingestuft werden? Wenn ja, in welchem Sinn? Ohne diese Frage ausführlich erörtern zu können, werden wir einen „kleinsten gemeinsamen Nen118 In der vorliegenden Arbeit verstehen wir unter Zoomorphismus, wenn nichts anderes expliziert wird, die Tendenz von Tieren, sich zu Menschen wie gegenüber Artgenossen zu verhalten; in kognitiver und affektiver Hinsicht ist hier von einer Übertragung von „fraglos“ geltenden Haltungen oder Verhaltensbereitschaften auszugehen (vgl. Masson/McCarthy 1996: 82). 119 Im Gegensatz dazu können Menschen vergleichsweise erfolgreich versuchen ihren „Anthropomorphismus im engeren Sinne“ zurückzunehmen.
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ner“ für „symbolische“120 Aspekte tierlichen Verhaltens unterstellen, ein Minimalnenner, der heute vermutlich für viele Sozialwissenschaftler konsensfähig ist. Zahlreiche Tierarten sind (a) in der Lage, durch einfache Lernprozesse, wie sie bereits Iwan Pawlows Reflexologie der klassischen Konditionierung121 beschreibt, „willkürliche“ (so „in der Natur“ nicht vorkommende), konventionelle Verknüpfungen zwischen einem Zeichen (z.B. Klingelzeichen, phonetische, optische Zeichen) und einem Bezeichneten (z.B. Futterabgabe) herzustellen. Von einer gewissen Internalisierung kann hier dann die Rede sein, wenn dieses Wissen (b) so angewendet werden kann, dass die generelle Regel, die der Symbolbeziehung zugrunde liegt, zumindest ansatzweise auf andere Zeichenbezüge in relativ neuartigen Situationen übertragen und in diesem Sinne generalisiert wird. Es ist nun angesichts der vorliegenden tierpsychologischen und kognitivethologischen Forschungsergebnisse kaum mehr zu bezweifeln, dass vor allem (aber nicht nur) höhere Tierarten grundsätzlich über die Fähigkeit einer in diesem Sinne zeichengestützen, „analogisierenden“ Bedeutungsgeneralisierung verfügen.122 120 In dieser Hinsicht ist unser Symbolkonzept weiter gefasst als etwa dasjenige von T. Parsons. Mit U. Eco (1977: 60f.) verstehen wir darunter ein „willkürliches Zeichen“, „dessen Beziehung zum Gegenstand durch eine Regel festgelegt wird.“ Vgl. auch C. S. Peirce (1955: 102f.). Aber unabhängig davon, ob man beim Symbolbegriff eher den konventionellen oder den arbiträren Aspekt des Objektbezugs betont – in beiden Fällen „verwenden Tiere nachweislich Symbole“, wie T. Sebeok (1979: 85) feststellt (ein Beispiel aus der Insektenwelt ist hier der Schwänzeltanz der Biene, vgl. Tembrock 1987: 235f.). Dies schließt noch keine mental irgendwie „bewusste“ Selbstreferenz oder Reflexivität des Symbolismus ein – also noch nicht die Entfaltung eines sozusagen Distanz nehmenden „Spiels des Symbolismus mit sich selbst“, das dann die menschliche Sprache entfaltet (vgl. etwa zum phänomenologischen Konzept der Sprache als reflexiver Intentionalität Hülsmann 1964: 39ff., 143ff.). 121 Vgl. zusammenfassend I. Pawlow (1955: 96ff., 184ff.). Eine Kritik der elementaristischen und zirkulären Züge des Pawlowschen Determinismus nimmt M. Merleau-Ponty (1976: 61ff.) vor. Diese Kritik ist hier nicht zu explizieren; hingewiesen sei lediglich auf eine gravierende Insuffizienz des Konzepts des bedingten Reflexes, das, wie die Experimente selbst demonstrierten, den Anspruch, eine relativ „beständigen Reaktion“ zu bezeichnen, gar nicht einlösen kann: „Die Beobachtung an Tieren beweist (..) im Gegenteil, dass ihre Reaktionen variabel sind, dass sie sich aufspalten oder gar umkehren können“ (Merleau-Ponty 1976: 68). In einem ähnlichen Sinne betont R. Arnheim (1972: 159f.) den generalisierenden Aspekt der Reizwahrnehmung der Pawlowschen Hunde. – Pawlow selbst attackiert übrigens vehement zeitgenössische Versuche, Denkprozessen von Tieren auf die Spur zu kommen. W. Köhlers frühe Versuche zur Intelligenz von Schimpansen werden ebenso wie die gestaltpsychologischen Arbeiten K. Lewins oder K. Koffkas schroff abqualifiziert. Auf einem „Mittwochskolloquium“ von 1934 verkündet Pawlow z.B. apodiktisch, „dass Köhler ein passionierter Animist ist. Er kann sich einfach nicht damit abfinden, dass man diese Seele (des Affen, R.W.) in die Hände nehmen, sie im Laboratorium greifen kann“ (Pawlow 1955: 412). 122 Siehe dazu z.B. die zusammenfassenden Ausführungen von D. Griffin (1991: 170ff.), über (proto-)sprachliche Fähigkeiten bei Menschenaffen J. Hill (1978: 97ff.), zu Zählleistungen eines Graupapageien I. Pepperberg (1993; 2006) und M. Dawkins (1994: 143ff., bes. 167f.). Ein-
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Das „Verstehen“ und das korrekte Verwenden eines Symbols oder einer Symbolkombination bedeutet natürlich nicht, dass ein Tier während oder nach der Aktualisierung der gelernten Symbolbeziehung auch Struktur und Wirkungsweise des Codes, der dies ermöglicht, in irgendeiner Weise „verstehen“ muss. Man sollte nicht vergessen, dass dies auch für weite Bereiche des menschlichen Symbolgebrauchs (z.B. im Alltagsdenken, im Sprachgebrauch, im religiösen Bereich) typisch, selbst die „Ursprünge der Kultur“ hat man damit in Verbinwände und Vorbehalte gegen Pepperbergs Forschungen formulieren z.B. G. Tembrock (1993) und P. Bouissac (1993). Obgleich wir hier die weitverzweigte und methodologisch manchmal recht subtil geführte Diskussion um den Symbolgebrauch bei Tieren nicht nachzeichnen und sachlich ausreichend würdigen können, so zeichnet sich doch immer stärker ab, dass Stimmen, die insbesondere den einsichtsvollen Symbolgebrauch bei Menschenaffen (z.B. bei der berühmten Schimpansin „Washoe“, bei „Bruno“, „Lana“ oder „Kanzi“ (vgl. Hervey 1982; Fouts/Rigby 1977: 1040ff.; Falk 1996: 61ff.; Rumbaugh 1995) als Überinterpretation oder Wunschdenken unkritischer Versuchsleiter abtun und auf entsprechende Fehlerquellen (wie unbeabsichtigte Dressureffekte, den „Klugen-Hans-Fehler“, vermenschlichende Projektionen usw.) hinweisen (vgl. Sebeok/Umiker-Sebeok 1980; zusammenfassend Kennedy 1992: 40ff., 85ff.), – dass diese Stimmen in der Zwischenzeit in die Defensive geraten (vgl. als Überblicke z.B. Jolly 1991; Falk 1996: 61ff.; Hillix/Rumbaugh 2004). Auf der einen Seite lassen sich zwar Versuchsreihen anführen, bei denen die kritisierten Fehlerquellen zweifellos beträchtliche Verzerrungen, ja eine Entwertung der Ergebnisse bewirkt haben. Andererseits, so resümiert bereits D. Griffin (1991: 248), sind „doch so viele der beschriebenen Experimente unter so sorgfältiger Kontrolle durchgeführt worden, dass man diese Argumente gegen die sprach-ähnliche Verständigung, die Washoe und ihre Nachfolger erlernt hatten, mit gutem Grund ausschließen kann.“ Eine Übersicht über die möglichen Fehlerquellen bei der Erforschung tierlichen Bewusstseins gibt die abwägende Studie von M. Dawkins (1994: 105ff.). Alles in allem ist es heute aber wohl noch zu früh, um die möglichen Folgen der „enthusiastic rebirth of interest in animal cognition“ (Timberlake 1993: 696) für einen artübergreifend konzeptualisierbaren Verhaltens- und Kommunikationsbegriff hinreichend würdigen zu können. Freilich: schon heute ist festzuhalten, dass in der Diskussion, ob die empirischen Befunde zu den zoosemiotischen Leistungen von Menschenaffen unter „sprachlich“ oder „vorsprachlich“ zu rubrizieren sind, zwei problematische Engführungen auftreten. Einmal (1) scheint die semiotische Tragweite sprachunabhängiger kognitiver Leistungen oft vorschnell marginalisiert zu werden, vgl. dazu aber bereits Wygotskis (1977: 86f., 153f.) Betonung der sprachunabhängigen Bedeutung der „isolierten Abstraktion“ bei Tieren. In diesem Zusammenhang wurde kritisiert, dass sich Untersuchungen zu tierlichen Denkprozessen vorschnell oder allzu eng an nicht generalisierbaren Eigentümlichkeiten menschlichen Sprechverhaltens orientieren (Radner/Radner 1989: 159ff.). Zum andern (2) leidet die Diskussion z.T. an allzu differenten Sprachdefinitionen (so bereits Hervey 1982: 263f.). In dieser Hinsicht kann man z.B. T. Sebeoks (1979: 83) Auffassung, nur beim genetischen Code und beim Code der menschlichen Sprache handele es sich um echte Sprachen, die dem generativen Prinzip der „doppelten Artikulation“ genügen, mit einem Fragezeichen versehen (vgl. die Kritik an T. Sebeok von Bystrina 1983: 10). So ist vor allem T. Sebeoks Gleichsetzung des tierlichen Kommunikationscodes mit der Gesamtheit des zur Verfügung stehenden artspezifischen Nachrichtenrepertoires äußerst fragwürdig. Die regelgeleitete Konstruktion von zunächst nicht zur Verfügung stehenden Botschaftseinheiten ist im Prinzip in allen Fällen anzunehmen, in denen die tierliche Kommunikation Zeichen verwendet, die auf einer generalisierenden Analogiebildung oder Typisierung beruhen.
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dung gebracht (vgl. exemplarisch Eco 1977: 108-111). Magie etwa beruht weithin auf einem Nichterkennen des konventionellen Charakters einer Symbolbeziehung, zudem darauf, dass die vermuteten „notwendigen Beziehungen“ ganz fraglos auf ähnliche Zeichenrelationen übertragen und dann ebenfalls als notwendige Verknüpfungen aufgefasst werden. In rituellen Prozessen werden so z.B. nicht selten semiotische Zusammenhänge, die in Wirklichkeit rein metaphorischer Art sind, als Metonymien „missverstanden“ und behandelt (vgl. Wiedenmann 1989; 1991: 201ff.). Dennoch ist klar, dass den symbolischen Generalisierungsmöglichkeiten von Primaten oder auch domestizierten Tieren Grenzen gezogen sind, die sie vom humanen Symbolismus abheben. Hier soll und kann nicht versucht werden diese Grenzen zu bestimmen, lediglich einige einschlägige Meinungen seien kurz mit der gebotenen Vorsicht angeführt. Zum einen vertreten Primatologen die Auffassung, dass die Fähigkeit zu hypothetischen Generalisierungen selbst bei Menschenaffen wohl recht begrenzt ist. So sehen Dorothy Cheney und Robert Seyfarth (1994: 400) das Besondere der menschlichen Intelligenz gegenüber der anderer Primaten vor allem in unserer ausgeprägten „Fähigkeit, Wissen, das in einem bestimmten Kontext erworben wurde, auf neue und andere Kontexte auszuweiten.“ Zum anderen scheint die Fähigkeit zu reflexiven Formen symbolischer Generalisierung auch bei überaus intelligenten Tieren nicht oder allenfalls in statu nascendi vorzukommen. Ein Grund dafür mag sein, dass z.B. Schimpansen zwar die „Ziele und Motive anderer zu verstehen (scheinen)“ (Cheney/Seyfarth 1994: 337) und auf dieser Grundlage z.B. komplizierte Täuschungsmanöver durchführen können, dass sie die eigenen Bewusstseinszustände und Motive aber „für sich“ nicht thematisieren zu können.123 Erst wenn dies gelingt scheint Metakommunikation möglich zu sein, also Kommunikation, die eine situationsunabhängige Symbolisierung von Symbolen erlaubt (Bouissac 1993a: 15), – die es z.B. ermöglicht, komplexe Werkzeuge zu konstruieren oder Gefühle wie Hass, Trauer oder Freude als intentionale Gegebenheiten „sui generis“ zu erfahren und in Artefakten zu objektivieren (sie z.B. zu mythisieren, in Versen oder Skulpturen ausdrücken und sie dann anders und zeitversetzt erleben zu können).124 Solche elaborierten Formen reflexiver Distan123 In einem ähnliche Sinn meint M. Hauser (2001: 149): „Nur eine kleine Hand voll Tierarten verfügt jedoch über ein Instrument zur Wahrnehmung seiner selbst, ein Werkzeug, das das einzelne Tier in die Lage versetzt, sein eigenes Ich von allen anderen Existenzen der Welt zu unterscheiden. Innerhalb dieser kleinen Untergruppe von Tieren steht unsere Art womöglich dahingehend allein, als nur sie über die Fähigkeit verfügt zu verstehen, wie es ist, einen Sinn für das eigene Ich zu haben, unverwechselbare persönliche Geisteszustände zu durchleben und emotionale Erfahrungen zu machen.“ 124 Siehe zur konstitutiven Bedeutung der mythischen Dimension emotionaler Welterfahrung und -auffassung bereits R. Solomon (1978).
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zierung basieren offenbar auf der Fähigkeit zur kognitiv-sprachlichen Selbstthematisierung, einer Fähigkeit, die tierliche Formen des Selbstbewusstseins125 – trotz der hinreichend belegten einfachen Symbolisierungskompetenz – wohl nicht (oder nur in Ansätzen)126 erkennen lassen.127 Hier zeichnet sich eine Grenze symbolischer Kompetenzen der Tiere ab, die Konrad Lorenz einmal mit der unhintergehbaren „Objektgebundenheit“ der tierlichen Traditionsbildung in Zusammenhang gebracht hat.128 Diese Objektverhaftetheit ver- bzw. behindert bei vielen Tierarten die Freisetzung eines Symbolismus, der sich reflexiv auf sich selbst beziehen könnte. Verwehrt bleibt den Tieren damit jene unerhörte Leistungspotenzierung der kommunikativen Sinnverarbeitung (Luhmann 1984: 610ff.), jene selbstselektive Anwendung des Symbolismus auf sich selbst, die das menschliche Sprechen kennzeichnet.
125 Vgl. dazu die erfolgreichen Spiegelversuche, die mit bestimmten Primaten (Gallup 1982; 1991; zusammenfassend Gallup/Anderson/Shillito 2002) oder Delphinen (Marten/Psarakos 1994) durchgeführt wurden. In jüngster Zeit gibt es Hinweise, dass auch bei bestimmten Vogelarten erfolgreich verlaufende Spiegeltests auf einfache Selbstbewusstseinsformen schließen lassen. Elstern zeigen im Spiegeltext „selbstbezogenes Verhalten“, einige Versuchstiere konnten offenbar die Objektpermanenz-Aufgabe erfolgreich lösen (Nachvollziehen der Ortsveränderung eines Objekts, das zwischenzeitlich nicht zu sehen war), die Piaget der Stufe sechs des sensomotorischen Stadiums der kognitiven Entwicklung zuordnet (vgl. dazu Prior/Pollok/Güntürkün 2000 sowie Pollok/Prior/Güntürkün 2000). Die Elster zählt zur zoologischen Familie der Rabenvögel (corvidae), der auch die Gattung „Corvus“ (Raben und Krähen) zugerechnet wird. Über die Intelligenz von (Kolk-)Raben (Corvus corax) resümiert B. Heinrich: „Es scheint, dass Raben ein für Vögel ungewöhnliches Bewusstsein dessen haben, was sowohl die Konsequenzen ihrer eigenen Handlungen wie die voraussehbaren Handlungen ihrer Partner und Konkurrenten betrifft“ (Heinrich 1994: 128). Heinrichs jüngere Forschungen mit Raben stützen diese Einschätzung, sie zeigen z.B. „that the ravens’ behaviour in accessing meat on a string is not only a product of rapid learning but may involve some understanding of cause–effect relation between string, food and certain body parts” (Heinrich/Bugnyar 2005: 962). 126 Bei diesen Ansätzen eines reflexiven Symbolverständnisses ist vor allem an die „protosyntaktischen Kompetenzen“ zu denken, die S. Savage-Rumbaugh/R. Lewin (1995: 190ff.) an dem Bonobo „Kanzi“ beobachtet haben, Kompetenzen, die in der Zwischenzeit auch weitere Fachleute auf diesem Gebiet vorsichtig zu konzedieren scheinen (vgl. etwa Hauser 2001: 262). 127 Über das „Reich der Sprache“, den selbstreferenziellen Symbolismus par excellence, wird es dann möglich, den Weltbezug des Subjekts und den Subjektbezug der Welt als Selbstbezug des Sprechens zu verstehen (in diesem Sinne z.B. Maturana/Varela 1987: 225ff.). Diese Selbstreferenz ist freilich nicht hermetisch geschlossen, schon gar nicht bedeutet sie eine umfassende sprachliche Determinierung unserer Erfahrung. Wie M. Merleau-Ponty (1974: 460) zeigt, meldet sich „in“ und „hinter“ der selbstreferenziellen Evidenz des cartesianischen Cogito das schweigende Cogito einer leiblichen Intentionalität, die u.a. als Gefühl erfahrbar ist und sprachlichen Sinn erst ermöglicht: „Was man für das Denken des Denkens hält, ist ein reines Selbstgefühl, das noch nicht sich selber denkt und erst noch der Enthüllung bedarf. Dasjenige Bewusstsein, das Bedingung der Sprache ist, ist nur umgreifendes und unartikuliertes Erfassen der Welt (...).“ 128 Vgl. K. Lorenz (1977: 204f.), der hier mit H. Plessner (1975: 271) übereinstimmt.
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Trotzdem – dürfen wir deswegen Sprechen mit Denken identifizieren? Hier sind immerhin Zweifel angebracht, die sich aus der Einsicht speisen, dass sich unsere Sprachspiele nicht auf das sichere Hinterland, die reine Transparenz eines abstrakten Sprechens verlassen können, dass sie vielmehr das einschließen, was Ludwig Wittgenstein die Tätigkeiten einer „Lebensform“ nennt. Vielleicht sind es ähnliche Zweifel, die in einer diesbezüglichen Formulierung Wittgensteins anklingen: „Man sagt manchmal: die Tiere sprechen nicht, weil ihnen die geistigen Fähigkeiten fehlen. Und das heißt: ‚sie denken nicht, darum sprechen sie nicht. Aber: sie sprechen eben nicht“ (Wittgenstein 1971: 25; Herv. R. W.).
4 Humanimalische Interaktionssysteme
Die folgenden Überlegungen zu einer interspezifisch anwendbaren Systemkonzeption des Verhaltens orientieren sich – trotz mancher Vorbehalte – an Leitlinien und kategorialen Vorgaben des allgemeinen Aktionssystems von Talcott Parsons.1 Dieses konzeptionelle Orientierungsraster ist nun zunächst in groben Grundzügen so zu modifizieren, dass es (1) wichtigen Besonderheiten humanimalischer Sozialität Rechnung tragen kann. Darüber hinaus (2) wird versucht, auf dieser Grundlage einige zentrale Bezugspunkte einer systemtheoretisch inspirierten Analyse interspezifischer Interaktionen zu skizzieren. Wie im zweiten Kapitel skizziert wurde, sind vom Standpunkt einer nichtlinearen ökologischen Systemtheorie mehrere Grundannahmen und latente Implikationen von Parsons’ Systemtheorie nicht mehr zu halten, und es ist in dieser Hinsicht – wohl zu Recht – vorgeschlagen worden, dieser Ansatz sei „gründlich zu vergessen“ (Bühl 1990: 31). Andererseits sollten nicht jene Theorieelemente vorschnell verworfen werden, die sich in modifizierter Form auch für eine ökologische Systemtheorie als heuristische oder fruchtbare Anknüpfungspunkte herausstellen könnten. Neben dem „anschlussfähigen“ interpenetrationstheoretischen Erbe von Parsons sind es vor allem die von Jeffrey Alexander (1983: 45) als „theoretischer Ökumenismus“ apostrophierte Offenheit und die konzeptionelle Breite von Parsons’ Ansatz, die ihn gerade für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand als besonders geeignet erscheinen lassen. 1
Ein Grund dafür ist, dass T. Parsons dem Organismus als einem eigenen Verhaltenssystem theoriestrategisch einen systematischen Stellenwert einräumt (wenn dieser Anspruch auch letztlich nicht eingelöst wird). Von daher können wir Parsons-Interpretationen, die das Verhaltenssystem Organismus ausklammern, nicht folgen (vgl. etwa Peters 1993: 57ff.). In zahlreichen anderen Ansätzen – z.B. bei P. Bourdieu, A. Giddens, N. Elias oder J. Habermas (1981b: 209ff.) – wird der Organismus praktisch überhaupt nicht als eine eigene, stammesgeschichtlich begründete Instanz der Verhaltenssteuerung (an-)erkannt, meist kommt er nur als Agent oder Folie soziokultureller Codierungen in den Blick oder wird gar auf ein passives Körper-Substrat reduziert (vgl. die Übersicht bei Gugutzer 2004). Letzteres gilt etwa für P. Berger/T. Luckmann (1980: 191), die den Organismus als ein Residuum der „Animalität“ bzw. als „biologisches Substrat“ behandeln. Dieser Befund ist sicherlich auch ein Ausdruck der andauernden Vorbehalte und Rezeptionsschwellen, mit denen (besonders soziobiologische) Forschungsergebnisse zur (auch) biosozialen Verfasstheit des menschlichen Organismus bzw. Leibes (im Sinne von Merleau-Ponty 1974; 1976) zu rechnen haben (vgl. zur Bandbreite dieser Vorbehalte z.B. die Diskussion bei Richter 2005).
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Kapitel 4
4.1 Talcott Parsons’ Handlungssystem: Heuristik und Grenzen eines tiefengegliederten Theorieprogramms Im Folgenden ist zunächst ein komparatives Analyseinstrumentarium für Rahmenbedingungen zu skizzieren, die auf Art und Ablauf primärsozialer MenschTier-Beziehungen Einfluss nehmen. Zu klären sind also einige zentrale Voraussetzungen, die helfen können, Tiere aus systemtheoretischer Sicht als soziale Akteure und „Interaktionspartner“2 zu konzipieren. Wir beschränken uns dabei auf ein deskriptives Schema von Konstitutionsbedingungen des Verhaltens, über das menschliche und tierliche Verhaltensbeiträge in ihrer wechselseitigen Bezogenheit und Anschlussfähigkeit erfasst werden könnten. Trotz der schon weiter oben vorgetragenen Einwände3 lehnen wir uns dabei an Parsons’ Ansatz des allgemeinen Handlungssystems an, das aber so modifiziert wird, dass es – im Vergleich zu Parsons’ methodologischem Modernismus4 – den weitaus bescheideneren Ansprüchen eines (im Wesentlichen) nur deskriptiven Vergleichs- und Klassifikationsschemas genügen kann. Im Hinblick auf diese Aufgabenstellung sind methodologische Vorbehalte anzuführen, die mutatis mutandis für die vorliegende Arbeit insgesamt gelten. So bedingen die thematische Breite und der Facettenreichtum des Gegenstandes, dass oftmals nur skizzenhafte Beschreibungen oder tentative Problemaufrisse geliefert werden können, wo „eigentlich“ weiterführende Differenzierungen oder zusätzliche – illustrierende wie modifizierende – Exemplifizierungen wünschenswert wären. Eine weitere Einschränkung betrifft die Erörterung der systemtheoretischen Ebenen humanimalischer Sozialität: Die Theoriediskussion, insbesondere die umfangreiche Literatur zum „Parsonianismus“,5 konnte nur 2 3 4
5
So z.B. die Formulierung von S. Jensen (1976: 28), der diesen Begriff für unsere Zwecke zu breit anlegt, wenn er darunter auch „Gottheiten“ und „Wesen von anderen Sternen“ subsumiert. Vgl. ergänzend dazu die kritischen Bemerkungen in R. Wiedenmann (1991: 36-43). Trotz (und in mancher Hinsicht: wegen) der methodologischen Ambivalenzen in Parsons’ Werk ist dieser Modernismus z.B. in seiner zunehmenden Neigung zum „deductivism“ und in Versuchen einer Modellbildung zu erkennen, die den logischen Konsistenz- und Validitätskriterien der physikalischen Mechanik und der Mathematik genügen möchte (vgl. zusammenfassend Alexander 1983: 158f.). Orientierungsleitend ist der methodologische Fluchtpunkt einer allgemeinen Theorie der Ordnung des Handelns (vgl. F. Lechner 1991: bes. 178f.). In diesem Zusammenhang ist wohl auch Parsons’ Neigung zu sehen, eindeutige Bestimmungen nicht nur auf der begrifflichen Ebene anzustreben, sondern sie auch in die empirischen Phänomene hineinzulesen (vgl. z.B. sein frühes Rollenkonzept, Parsons 1994: 203). Vgl. zu den Korrespondenzen zwischen konzeptuellem Eindeutigkeitsstreben und modernen Ordnungsidealen grundlegend Z. Bauman (1995). Vgl. R. Münch (1988: 640ff.), zum Theoriestück des allgemeinen Handlungssystems die von H. Wenzel auf- und eingearbeiteten Titel (Wenzel 1991: 481-514), ansonsten – als Überblick – die im Sammelband von R. Robertson/B. Turner (1991) diskutierte Literatur.
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selektiv – in nur exemplarischer Auswahl berücksichtigt werden.6 In letzter Instanz sind es freilich sachlich-thematische Gründe, die für uns eine „pluralistische“, keine „monistische“ Parsons-Lektüre7 nahelegen. Exemplarisch soll dies nun knapp am Handlungsbegriff verdeutlicht werden. Konzediert man, dass ein Aktorbegriff, der offen lässt, ob es sich dabei um psychische Systeme handelt oder nicht,8 für den interspezifischen Vergleich von bewusstseinsfähigen Lebewesen meist zu breit angelegt ist, dann wird man zunächst nach einem Grund- und Ausgangsbegriff Ausschau halten, der den semiotischen, „zeichenhaften“ Bezügen des Handelns bzw. Verhaltens Rechnung trägt. Parsons’ Ansatz stellt hier ein prinzipiell anschlussfähiges Konzept zur Diskussion: „‚Handeln definiere ich als ein System des Verhaltens von lebenden Organismen, das auf der symbolischen Ebene durch Systeme von kulturellen Bedeutungen organisiert und somit kontrolliert wird. Das setzt generalisierte Codes voraus, die einzelnen Symbolen und deren Kombinationen, welche Information verkörpern und transportieren, Bedeutung verleihen. Denn für das Konzept des Symbols ist konstitutiv, dass seine Bedeutung nicht direkt aus seinen immanenten Eigenschaften abgelesen werden kann (...)“ (Parsons 1980a: 74; Herv. Parsons).9
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Die gleiche Einschränkung betrifft natürlich die sehr umfangreiche tierpsychologische bzw. ethologische Fachliteratur. In diesem Sinne resümiert F. Lechner (1991: 184) zutreffend: „While Parsonian action theory in principle provides good grounds for a ‚pluralistic approach to interpretation, Parsons’ own approach to interpretation was largely ‚monistic; thus (...) we have to go ‚beyond Parsons’ in interpretation.“ Vgl. auch J. Alexanders (1983: bes. 278ff.) Plädoyer für ein „multidimensional theorizing“, das einen revidierten Parsons als Brücke betrachtet für „the development of a more loosley defined, less sectarian (!) version of ‚functionalist theory“ (Alexander 1983: 287). So schreibt T. Parsons (1967: 194) einmal ausdrücklich: „In carrying out analysis at any level of the total action system, the concept ‚actor is extended to define not only individual personalities in roles but other types of acting units – collectivities, behavioral organisms, and cultural systems.“ Auf eine ausführliche Diskussion von Parsons’ Handlungskonzept muss hier verzichtet werden, angemerkt sei lediglich, dass die symbolischen Aspekte dieses werkstrategischen Schlüsselkonzepts (H. Wenzel 1991: 59f., 329ff.) gravierende semantische Umakzentuierungen und Schwankungen aufweisen, die u.a. damit zusammenhängen, dass Parsons’ Symbolbegriff semiotisch unausgearbeitet bleibt und z.B. die emergenten Eigenschaften nichtsprachlicher Symbolismen kaum in Betracht zieht. Vgl. z.B. die im Vergleich zum oben angeführten Zitat wesentlich enger gefasste Begriffsbestimmung: „‚Handlung meint (...) menschliches Verhalten, soweit es symbolisch ausgerichtet ist. Symbolsysteme sind als Codes – ähnlich sprachlichen Codes – organisiert (...). Der Handlungsbegriff setzt eine sprachliche Ebene der Symbolisierung (...) voraus“ (Parsons 1990: 20). An anderer Stelle wird das symbolische Konstituens der Handlung sogar auf die „sinnvollen Intentionen“ der handelnden Menschen zurückbezogen (vgl. Parsons 1975: 14).
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Obwohl, wie angedeutet, z.B. bei Primaten, bei bestimmten Haustieren oder Vögeln Situationen bekannt sind, in denen auch tierliches Verhalten über symbolisch codierte Bedeutungen gesteuert oder (wenigstens) mitbeeinflusst wird, so suggeriert diese Definition doch insofern einen allzu „humanzentrierten“ Handlungsbegriff, als sie nicht hinreichend klarstellt, inwiefern die „verhaltenskontrollierende“ Symbolbeziehung selbst vom Handelnden reflexiv zu durchschauen bzw. „bewusst“ zu kontrollieren ist. Vor allem aber ist in diesem Kontext zu beachten, dass Parsons allzu stark den handlungsrelevanten Symbolismus – das „shared symbolic system“ – fokussiert und damit den Stellenwert anderer, oft simultan verlaufender semiotischer Kontrollprozesse10 insgesamt unterbewertet (vgl. z.B. Parsons 1970: 10f.; 1976: 122). „True symbolization“, die sich in der Selbstreferenz der menschlichen Sprache realisiert, reserviert Parsons zwar letztlich zu Recht für menschliche Akteure. Gleichzeitig schüttet er aber „das Kind mit dem Bade aus“, wenn er damit die Möglichkeit eines elementaren tierlichen Symbolgebrauch und Perspektivenwechsels (vgl. Sommer 1994) von vornherein ausblendet.11 Jan Loubser hat Parsons’ Ansatz nun in einer für unsere Zwecke „funktionsgerechteren Weise“ verändert. Loubser formuliert einen Handlungsbegriff, der die wesentlichen analytischen Funktionsbereiche des symbolbezogenen „Handelns in einer Situation“ leistungsbezogen aufschlüsselt. Handeln definiert Loubser als „dasjenige symbolisch vermittelte Verhalten, das vom Handelnden in einer Situation ausgesandt wird, in der der Handelnde 1. Befriedigung motivationaler Bedürfnisse sucht, und zwar 2. durch die Erreichung bestimmter Zielzustände, 3. durch die Anwendung der unter gegebenen Bedingungen verfügbaren Mittel, 4. was der Steuerung durch normative Maßstäbe unterliegt“ (Loubser 1981: 331).
Ein entscheidender methodologischer Vorbehalt ist freilich schon hier anzubringen. Ein Handlungsbegriff, wie er von Loubser vorgeschlagen wird, sollte nicht mit intentionalistischen Verengungen und teleologischen Konnotationen belastet werden. D.h. für den vorliegenden Kontext interspezifisch anschlussfähigen Verhaltens: Der letztgültige, entscheidende konzeptionelle Bezugsrahmen des allgemeinen Verhaltenssystems ist eine Beobachterperspektive, die keine Vorentscheidung über die Frage trifft, inwieweit eine subjektive Orientierung an be-
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Gemeint sind hier mögliche „shared semiotic systems“, z.B. in Form interspezifisch verständlicher ikonischer oder indexikalischer Objektbezüge. Vgl. aber z.B. die mittlere Position M. Schelers (1978: 29, 33f.), der den höchstentwickelten Tieren eine symbolisch fundierte Traditionsbildung und „echte Intelligenzhandlungen“ zutraut.
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stimmten Zielzuständen den Akteuren selbst zugeschrieben werden kann.12 Damit fungieren die subjektiven Sinnintentionen der psychischen Systeme nicht als die entscheidenden Steuerungsparameter, sondern lediglich als notwendige Voraussetzungen und Bedingungen des Interaktionsverlaufs. Wie schon im Zusammenhang mit dem Problem der doppelten Kontingenz angeführt wurde, liegt das Hauptaugenmerk also auf dem latenten, unbeabsichtigten nicht auf dem manifesten Funktionszusammenhang (Merton 1995: 61) des Verhaltens. Wir sehen also zunächst ganz von der methodologisch schwierigen Frage ab, in welchem Umfang oder auf welche Art ein Mensch oder ein Tier vor oder nach dem Verhaltensvollzug sich das Erleben reflexiv sinnhaft vergegenwärtigt, inwieweit z.B. die Ausgangspunkte und die „eigentlich“ angesteuerten Ziele des eigenen Verhaltens „gewusst“ werden, inwieweit Ziele eines anderen Akteurs oder gar normative Regelmäßigkeiten des Interaktionsprozesses berücksichtigt werden. Unsere methodologische Absage an einen handlungstheoretisch „ungebrochenen“ Intentionalismus lässt freilich sozialwissenschaftliche „Konstruktionen zweiten Grades“13 dennoch zu, d.h. wir wollen nicht von vornherein ausschließen, dass Forscher solche Konstruktionen auch im Hinblick auf die Intentionen von Tieren – mehr oder minder approximativ! – entwickeln können. Von daher kann Parsons’ Einschätzung von 1966, wonach die „Sprachversuche mit anderen Arten (besonders den Primaten und den sog. ‚sprechenden Vögeln)“ pauschal als missglückt einzustufen seien (Parsons 1976: 122), angesichts jüngerer Forschungsergebnisse (bes. der kognitiven Ethologie)14 sicher keine geeignete Ausgangsbasis für eine systemtheoretische Konzeption von Mensch-Tier-Sozialverhältnissen abgeben. Die symboltheoretische Schlüsselstellung, ja Privilegierung der (menschlichen) Sprache ist nicht zuletzt ein Indiz für Parsons’ Tendenz, die 12
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Dies ist der Grund, weshalb wir hier nicht auf das eigentlich naheliegende „action“-Konzept zurückgreifen, das Parsons „for the analysis of the behavior of living organisms“ verwendet; denn es suggeriert einen derartigen Intentionalismus, und zwar insofern, als hier ausdrücklich eine Orientierung an „the attainment of ends of goals or other anticipated states of affairs“ unterstellt wird (Parsons/Shils 1951: 53; Herv. R.W.). Hier verwendet im Sinne von A. Schütz (1971: 7), dessen sozialphänomenologischer Ansatz auch in diesem Fall nur unter der methodologischen Prämisse einer objektiven Sinnzurechnung akzeptabel ist. W. L. Bühl hat diesen Dreh- und Angelpunkt einer verstehenden Soziologie vor Jahren bündig zusammengefasst. Seiner methodologischen Bedeutung wegen führen wir diesen Gedanken in extenso an: „Was der Soziologe ans Tageslicht heben kann, ist nicht der aktualiter gemeinte ‚subjektive Sinn, sondern nur der aufgrund einer bestimmten (wenn auch noch so rudimentären) ‚Theorie definierbare und objektivierbare Sinn. Und auch der Handelnde selbst ist unfähig, sich den ‚subjektiv gemeinten Sinn seines Handelns zu vergegenwärtigen, denn was ‚subjektiv gemeint werden kann, was artikuliert werden kann und was verdrängt werden muss, ist sozusagen eine Frage des ‚Publikums, vor dem das sich identifizierende oder distanzierende Handlungssubjekt steht“ (Bühl 1972: 17f.). Vgl. dazu auch die Anmerkungen weiter oben (Abschnitt 3.2.3).
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Tragfähigkeit der anthropologisch problematischen „Mängelwesenlehre“ überzustrapazieren15 – eine Tendenz, die exemplarisch verdeutlicht, dass die von Parsons entwickelten Analyseinstrumentarien nicht selten erst dann heuristisch oder gegenstandsadäquat umgesetzt werden können, wenn sie in „heterodoxer Manier“ von überholten oder sachlich verengenden Vorannahmen befreit werden. So betrachtet, ist Parsons selbst wohl der „fallacy of misplaced concreteness“ nicht entgangen.16 Ein Beispiel: Auf der Ebene des allgemeinen Handlungssystems wird „Intelligenz“ als generalisiertes Medium des Verhaltensorganismus explizit auf Funktionen des „kognitiven Kontextes“ festgelegt und fast ausschließlich der „Grundressource“ des Zentralnervensystems zugeordnet (Parsons 1990: 100) – jener organischen Funktionseinheit, die bei Parsons vor allem für Symbolizität, reduzierte Instinktführung und Plastizität des menschlichen Verhaltens steht. Dazu kommt noch die „Empfänglichkeit des Zentralnervensystems für die Bedürfnisse innerer Organe des Organismus für Triebe wie Sex, Hunger und Durst oder für Erregungen wie Furcht, Aggression und Angst (...)“ (Lidz 1981: 31). Eine derartige Konzeptualisierung des Verhaltensorganismus bleibt im Hinblick auf interspezifische Interaktionssysteme sicherlich zu abstrakt, denn sie verfehlt wesentliche organismische Grundlagen der tierlichen und menschlichen Verhaltenspotentiale. Gerade wenn man die genetisch und neurophysiologisch fassbaren Rahmenbedingungen des Verhaltens ins Auge fasst, besonders seine kortikal und subkortikal bedingte Transformativität und Modulierbarkeit (vgl. Bühl 1982: 102ff.), dann erscheint Parsons’ Konzept des Verhaltensorganismus wie eine „Black Box“, die den Zwecken einer interspezifischen Komparatistik kaum genügen kann. Im Lichte dieser Vorbehalte stimmt schon der Satz des frühen Parsons (1994: 63), beim „Organismus als Ganzem dienen alle Funktionen der Anpassung“, eher skeptisch. Der Organismus verbleibt hier letztlich noch im quasi „asozialen“ Warteraum der Sozialtheorie. Symptomatisch dafür ist Parsons’ Vermutung, man könne (abgesehen von 15
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Z.B. schreibt T. Parsons (1971: 2), der Mensch sei „differentiated from other species by his capacity to create, learn, and use symbolic systems (culture) in the forms of language and other media.“ Vgl. zu Parsons’ anthropologischen Annahmen im übrigen S. Jensen (1976: 21-23). In diesem Sinne äußern sich auch J. Loubser (1976: 3), der hier bei Parsons eine Neigung zur Reifizierung konstatiert, und J. Alexander (1983: 174ff.), der bei Parsons verschiedene Ebenen und Facetten einer „konflationären“ empirischen Überfrachtung analytischer Abstraktionen herausgearbeitet hat, – direkter gesagt: eine Konfundierung der Begriffsebenen. Dabei sollte man freilich den methodologischen Gewinn der leitenden postpositivistischen Einsicht Parsons’, die Theoriebedingtheit der Empirie, nicht aus den Augen verlieren. Zwar stellt J. Alexander (1983: 211) zutreffend fest: „his conflationary strategy (..) has forced Parsons to strech his conceptual vocabulary out of shape. His logic and conzeptualization are so often vague because he has tried to use the same concepts to reach a number of different levels of analysis.“ Andererseits ist H. Wenzel (1991: 342ff.) darin beizupflichten, dass eine Preisgabe dieser postpositivistischen Maxime in die Sackgasse eines reifizierten Empiriebegriffs einmünden kann.
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der Reproduktionsphysiologie) das „ganze physiologische Wissen ohne jeden spezifischen Bezug auf die Beziehungen zwischen den Organismen (..) formulieren“ (Parsons 1994: 66f.; Herv. Parsons). Das interaktionsrelevante Potential und der soziale Richtungssinn leiblicher Weltkonstitution und -erfahrung geraten damit aus dem Blickfeld.
4.2 Funktionsbezüge humanimalischer Interaktionsprozesse Verallgemeinert man nun den von Loubser skizzierten Handlungsbegriff in jene Richtung, die Parsons mit seinem Bezugsschema des allgemeinen Aktionssystems eingeschlagen hat, dann lassen sich zwei grundlegende Bezugsachsen benennen: (a) einmal die Zeitachse des Handelns, durch die frühere („instrumentelle“) und spätere („konsumatorische“) Bezugsphasen des Handelns unterschieden werden. Zum anderen (b) konstituiert jede Handlung durch die Außenabgrenzung gegenüber der Umwelt einen Handlungsbinnenbereich. Über Kreuz tabelliert, ergibt sich daraus das bekannte Vierfunktionenschema von intern und extern ausgerichteten Handlungsphasen (Anpassung, Zielerreichung, Integration, Strukturerhaltung).17 Im Bezugskontext des für Mensch-Tier-Kontakte maßgeblichen allgemeinen Aktionssystems lassen sich dann vier analytisch zu verstehende Funktionsbereiche voneinander abheben, vier Funktionsaspekte, die sich unterschiedlicher Medien bedienen, um die jeweils funktionsspezifischen Generalisierungs- und Selektionsleistungen zu erbringen (vgl. folgende Abb.). Abbildung 3:
Funktionsbezüge und Medien des allgemeinen Aktionssystems (nach T. Parsons)
Anpassung Verhaltensorganismus Medium: Intelligenz
Zielerreichung Persönlichkeit Medium: Performanzfähigkeit
Strukturerhaltung Kultursystem Medium: Definition der Situation
Integration Sozialsystem Medium: Affekt
Diese Funktionsbereiche, die sich als ein analytisches Schema der Bedingungskontexte von primärsozialen Mensch-Tier-Beziehungen lesen lassen, kann man als Selektionsprogramme begreifen (Jensen 1976: 30-32), die den Verhal17
Vgl. T. Parsons (1990: 23ff., 549ff.), ergänzend R. Münch (1988: 81ff.), zur werkgeschichtlichen Einordnung der Theorie des allgemeinen Handlungssystems H. Wenzel (1991: 22ff.).
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tensprozess über Steuerungsmedien lenken und dabei in komplementärer wie auch konkurrierender Weise ineinandergreifen. Diese zunächst abstrakten Referenzpunkte des Mensch-Tier-Interaktionsverhaltens sind nun in kritischer Anlehnung an T. Parsons knapp zu erläutern, vor allem aber den Vorgaben unserer Themenstellung entsprechend zu modifizieren. Wie bereits angedeutet, sind die erwähnten vier Funktionsbezüge des allgemeinen Verhaltenssystems nur in einem analytischen Sinne selbständige Subsysteme: Konkrete Verhaltensprozesse verwirklichen sich vielmehr als wechselseitige Durchdringung, Interpenetration von Funktionsbereichen, die sich damit als umweltoffene und systemökologisch eingebundene („eingebettete“) Systeme aufeinander beziehen. Interpenetration bedeutet hier, dass sich bestimmte Verhaltensbereiche nicht entlang einer „einspurigen Eigengesetzlichkeit“ entwickeln, sondern durch eine „je spezifische Kombination“ von gegensätzlichen Regelmechanismen (Münch 1994: 388). Am Beispiel von Sozialsystemen, in denen Menschen und Tiere als Interakteure fungieren, zeigt sich nun, dass die „Einflussoffenheit“ dieser Funktionssysteme bis zu einem gewissen Grad „transzendental“ verfasst ist, d.h. sie beruht auf einer Selbstreferenz, die jedem System den Möglichkeitenhorizont „seiner“ Umwelt vorzeichnet. Wie Niklas Luhmann schreibt: „Jedes selbstreferenzielle System hat nur den Umweltkontakt, den es sich selbst ermöglicht, und keine Umwelt ‚an sich“ (Luhmann (1984: 146). Erst im Lichte dieser Prämisse, so scheint es, sind die Interpenetrationsvarianten, die wir bei Parsons finden, vor der Gefahr einer ontologischen Reifizierung zu retten. 4.2.1 Exkurs: Selbstreferenzielle und fremdreferenzielle Systemprozesse18 Niklas Luhmanns Einsicht, dass selbstreferenzielle Systeme nur die Umweltkontakte haben, die sie sich selbst ermöglichen, dieses Leitmotiv19 seiner Theorie autopoietischer Systeme formuliert zweifelsfrei einen Sachverhalt, der nicht nur (a) für die verschiedenen Ebenen des allgemeinen Verhaltenssystems, sondern auch (b) für die Teilsysteme der modernen Gesellschaft grundlegend ist. Einige 18 19
Vgl. ergänzend zum Folgenden unsere kritischen Bemerkungen zu N. Luhmanns Kommunikationskonzept am Beginn des dritten Kapitels. Luhmann variiert denn auch diesen Grundgedanken in zahlreichen Umschreibungen und nach vielen Richtungen hin. Z.B. bestimmt er Selbstbeobachtung als „Einführung der System/Umwelt-Differenz in das System“ (Luhmann 1984: 63), indirekte bzw. mitlaufende Selbstreferenz, Umweltkontakt als Selbstkontakt, operative Selbstreproduktion bzw. Selbstkonditionierung, operative Rekursivität, Einführen/Anwenden von Unterscheidungen/Bezeichnungen in/auf Unterschiedenes/Bezeichnetes, als Re-entry usw. (vgl. z.B. Luhmann 1984: 59ff., 604; 1992: 23ff., 74ff.).
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der damit angesprochenen Sachverhalte werden in Form anderer diskursiver Idiome freilich schon vor einiger Zeit diskutiert. Ein erstes – akteurtheoretisch relevantes – Beispiel ist hier die „subjektbezogene“ Ökologie Jakob von Uexkülls (Uexküll/Kriszat 1956; vgl. auch Bilz 1969). Uexküll zeigt, wie sich „Umweltreferenz qua Selbstreferenz“ im Bezugsrahmen des Verhaltensorganismus von Menschen und Tieren realisiert. Demnach können weder Menschen noch Tiere zu einem Gegenstand „als solchem“ in Beziehung treten, sondern nur zu den für sie jeweils möglichen Bedeutungsträgern. Von ganz anderen Prämissen und Erkenntnisinteressen her avanciert Selbstreferenz (des Bewusstseins) in der transzendentalphilosophischen Tradition zu einem quasi „archimedischen Punkt“: Herauszustellen sind hier Edmund Husserls (z.B. 1977) Bemühungen um eine Letztevidenz egologischer Weltkonstitution aus dem „nunc stans“ innerer Zeitlichkeit, Analysen, die für das Verständnis psychisch-personaler Systeme bahnbrechende Einsichten zu Tage gefördert haben. Denkt man hingegen an die rekursiven Operationsmodi sozialer Systeme, dann wird man einräumen müssen, dass hier Substantielles von der Ethnomethodologie aufgedeckt wurde, – zu denken ist hier an die zirkulären Verweisungsschleifen, die die Reflexivität und die Indexikalität kollektiver Realitätskonstruktionen kennzeichnen (vgl. z.B. Mehan/Wood 1975; Garfinkel 1973). Und für die Ebene der kulturellen Systeme und ihrer Symbolismen/Zeichensysteme lassen sich hier schließlich die selbstreferenziellen Prozesse hermeneutischer Zirkularisierung (z.B. Ricœur 1974) oder Formen selbstreferenzieller Semiosen anführen (z.B. die offene „Autoreflexivität“ der mehrdeutigen ästhetischen Botschaft bei Eco 1985: 145ff.). Problematisch erscheint nun aber, wenn derartige Prozesse selbstreferenziellen Operierens mit einer Semantik autopoietischer „Geschlossenheit“ überfrachtet werden. Sicher trifft es zu, dass die Konstitution systemeigener Elemente autopoietisch über relationierende Operationen des Systems selbst „hergestellt“ (und damit ein substantialistischer Elementbegriff verabschiedet) wird. Wie steht es nun aber mit den reflexiven Relationen bzw. Operationen, die die prozessuale „Anschlussfähigkeit“ der dem System zugeschriebenen „Elementarereignisse“ verbürgen sollen (z.B. Luhmann 1984: 42f., 62f.)? Werden sie durch die strukturellen „Bedingungen der Möglichkeit“ des Systems in ihren Selektionen determiniert? In diesem Fall scheint die Rede von einer autopoietischen Geschlossenheit eines Systems tatsächlich klärend, denn es hieße, autopoietische Prozesse erschöpften sich darin, dass sich Elemente und Relationen des Systems in einem rein tautologischen Sinne selbstreferenziell organisieren (z.B.: Kommunikation „beobachtet“ Kommunikation, Wahrnehmung bezieht sich auf Wahrnehmung usw.). Dies freilich scheint Luhmann explizit dort auszuschließen, wo er mit dem Konzept der Kontingenz einen Türspalt öffnet für die riskan-
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te „Möglichkeit des Verfehlens der günstigsten Formung“ selbstreferenzieller Selektionen, – denn Luhmann (1984: 47) stellt klar: „Selektionszwang heißt Kontingenz, und Kontingenz heißt Risiko.“ Das Neue, Überraschende, das im Risiko eines „Verfehlens“ „günstig geformter“ Rekursivität lauert, kann in vielen Fällen als ein Manifestationsmodus der Systemumwelt aufgefasst werden, – sofern diese nicht ontologisch substantialisiert wird. Kontingenz wäre dann eine Chiffre für Ereignisse der Systemumwelt, wie sie in der rekursiven Selbstthematisierung des Systems fassbar werden.20 Konzediert man nun, dass mit dem Auftreten von in diesem Sinne kontingenten, „überraschenden“ oder irritierend „anderen“ Selektionen rekursiv geschaltete Umweltreferenzen ins Spiel kommen, dann wird man die rekursiven Relationierungen und die damit ermöglichte Einheitskonstitution von Systemprozessen gleichzeitig (bzw. komplementär) aus der Perspektive einer allopoietischen und offenen Selbstreferenz betrachten wollen.21 Aus diesem Blickwinkel kann es dann letztlich nicht überzeugen, wenn Luhmann andernorts (Luhmann 1986: bes. 62ff.) die operative Geschlossenheit gesellschaftlicher Kommunikationen gegen die „Umweltempfindlichkeit“ des Gesellschaftssystems in Stellung bringt, – und nicht ebenso nachdrücklich für diese. Walter L. Bühl hat in diesem Sinne wohl nicht zu Unrecht von einer „autopoietische(n) Metaphysik“ Luhmanns gesprochen, von einem unklaren Verhältnis zwischen systemischer Offenheit und Geschlossenheit. Bühl beanstandet z.B. die tautologische Zirkularität einer bloßen „Selbstgefährdung“ der modernen Gesellschaft: Bei Luhmann entfalle „(scheinbar) jeder Bedarf zu einer empirischen Bestimmung der System- wie der Interaktionsstruktur (...). Eine sinnvolle Bearbeitung ökologischer Gesellschaftsprobleme wird damit praktisch für unmöglich erklärt“ (Bühl 1987a: 232). In der Sache argumentiert hier Richard Münch ähnlich. Münch (1994: 410) stellt nicht in Frage, dass die Gesellschaft mit sich selbst kommuniziert, doch sei darüber nicht ihr „Austauschverhältnis mit der Natur“ aus dem Auge zu verlieren. Auch aus diesem Grund wirken Formulierungen bei Luhmann, die eine Identifizierung von Einheitsstiftung und Autopoiese selbstreferenzieller Systemprozesse suggerieren, ungenau und/oder missverständlich.22 Man gewinnt den Eindruck, die Hermetik selbstreferenzieller Prozesse reprodu-
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Das Gemeinte illustriert H. Schmitz’ (1993: 50f.) Konzept des Erschreckens: Ein kontingentes Bewusstseinsereignis, etwas Neues, das bei Tier und Mensch eine „plötzliche“ Selbstreferenz stiften kann. Vgl. zur Wechselseitigkeit von Autopoiesis und Allopoiesis näher W. L. Bühl (1987a). Vgl. z.B. den Satz: „Alles, was für ein autopoietisches System Einheit ist, ist durch das autopoietische System Einheit“ (Luhmann 1992: 332; Herv. v. L.).
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ziere sich über Einheiten, die sich der Selbstreferenz fortlaufend entziehen, da sie sozusagen nur „asymptotisch“ erreichbar sind.23 Als ein Fazit dieser nur kursorischen Zwischenbemerkungen ergibt sich, dass Luhmanns Verständnis autopoietischer Prozesse in zentralen Aspekten ergänzungs- bzw. korrekturbedürftig ist. Übrigens auch dort, wo diese Prozesse im Zusammenhang mit den Leistungsbezügen ausdifferenzierter gesellschaftlicher Funktionssysteme zur Diskussion stehen. Es ist wohl sicherlich überzogen und abwegig, Luhmanns Konzeption funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung als einen „Mythos“ abzutun (Münch 1991),24 aber zurück bleibt doch der Eindruck eines gravierenden Plausibilitätsdefizits. Wie es Uwe Schimank einmal mit Blick auf Luhmanns Konzeption gesellschaftlicher Teilsystemdifferenzierung zusammengefasst hat: „Für die Betrachtung einzelner Teilsysteme käme es darauf an, deren Ausdifferenzierung und weitere Evolution systematisch, und nicht bloß hier und da anekdotisch, aus solchen Zusammenhängen zwischen der selbstreferentiellen Geschlossenheit ihrer Operationen auf der einen und fremdreferentiellen Effekten und Erwartungen auf der anderen Seite zu erklären“ (Schimank 1998: 180: Herv. v. S.).
4.2.2 Das leibliche Apriori des Verhaltensorganismus: Biosoziale Möglichkeitsbedingungen interspezifischen Verhaltens Der Verhaltensorganismus ist jener Funktionsbereich, der sich auf die „hereditären Aspekte des Organismus, dessen anatomische Strukturen sowie die physiologischen Ablaufmuster“ (Parsons 1990: 22; 1976: 122) bezieht, der damit auch die leiblich-organische Grundlage der interaktionsrelevanten Wahrnehmungsund Verhaltensschemata einbezieht (soweit diese für eine biogenetisch abgrenzbare Population – z.B. eine Spezies – typisch sind). Das Austauschmedium Intelligenz bezeichnet nun die generalisierte Fähigkeit eines Verhaltensorganismus zu Anpassungsleistungen, die vor allem die „Implementierung kognitiver Werte durch Wissen“ (Parsons 1990: 100; vgl. Parsons 1970a: 63) ermöglichen. Wie 23
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Am Beispiel der Einheit transzendentaler Selbsterfahrung trifft E. Husserl (1977: 24) wohl den Kernpunkt dieser Differenz mit der Bemerkung, „dass Adäquation und Apodiktizität einer Evidenz nicht Hand in Hand gehen müssen“. Eine weiterführende Erörterung der systemtheoretischen Ontologisierung (und tentativen Reifizierung) von transzendentalphänomenologischen Denkfiguren bei Luhmann muss hier unterbleiben (vgl. dazu die Überlegungen bei Srubar 1989 sowie Nassehi 1992: 51ff.). So ist insbesondere nicht aus den Augen zu verlieren, dass die Rede von Interpenetrationsbezügen zwischen separaten gesellschaftlichen Teilsystemen erst auf der Grundlage sich vollziehender oder bereits vollzogener Ausdifferenzierungsprozesse Sinn macht.
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weiter oben schon angedeutet, ist dieser Intelligenzbegriff für die Analyse von Mensch-Tier-Beziehungen nur tauglich, wenn seine Kognitionszentrierung aufgegeben und der Wissensbegriff so breit gefasst wird, dass alle verhaltensrelevanten Aspekte des Körperwissens einbezogen werden. Damit sind insbesondere die „apriorischen“ artspezifischen Möglichkeitsbedingungen der leiblichen (Um-)Weltkonstitution (z.B. artspezifische Sensoriken, Denk- und Wahrnehmungsschemata)25 sowie „hereditäre“, stammesgeschichtliche Verhaltensmuster angesprochen, wie sie sich z.B. im Zusammenhang mit biologischen Radikalen oder bei angeborenen Auslösemechanismen (AAM) nachweisen lassen.26 Bei den durch Erfahrung modifizierten AAM (EAAM)27 handelt es sich hingegen um organismische Intelligenzleistungen, deren Generalisierungsleistung durch Lernen modifizierbar ist. Sie beschreiben insofern einen Interpenetrationsmodus zwischen Verhaltensorganismus und Persönlichkeitssystem. Wie angedeutet, definiert Parsons den Verhaltensorganismus als dasjenige Handlungssystem, das Anpassungsleistungen gegenüber dem physischen Milieu erbringt und das für die biologische Spezies Homo sapiens bzw. für kleinere menschliche Kollektive eine charakteristische genetische Ausstattung impliziert (Parsons 1975: 14f.). Gegenüber Parsons’ Ansatz sind im vorliegenden thematischen Zusammenhang zwei Modifikationen nötig. Erstens: Der wichtigste Grund, der es erforderlich macht, das Organismussystem als eigenes Verhaltenssystem systematisch einzubeziehen, liegt an dem Umstand, dass in der interspezifischen Kommunikation unterschiedliche „natürliche Leibaprioris“ und artspezifisch unterschiedliche Genotypen aufeinandertreffen. Sofern das Verhalten Egos von genetisch gesteuerten Verhaltens- und Ausdrucksschemata 25
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Hier gibt es eine deutliche Affinität zum kognitiven Strukturalismus von J. Piaget, dessen Adaptationskonzept ähnlich breit bzw. offen angelegt ist und überdies eine explizit komparative Forschungsperspektive eröffnet. Entscheidend ist, dass die biologischen Faktoren der kognitiven Entwicklung nicht reifiziert werden, sondern als ein (in Grenzen) flexibles „epigenetisches System“ aufgefasst werden, das mit anderen Faktoren (Faktoren der Handlungsäquilibration, der interindividuellen Koordination, der erzieherischen und kulturellen Vermittlung) interagiert, das gleichzeitig aber eine „gewisse Konstanz oder Gleichförmigkeit der Entwicklung unabhängig von den gesellschaftlichen Bedingungen“ gewährleistet (Piaget 1984: 62; vgl. auch 66f.). Vgl. K. Lorenz (1977: 75ff.), zudem R. Bilz (1973; 1974). Die Anerkennung einer partiellen stammesgeschichtlichen Fundierung menschlichen Sozialverhaltens bedeutet nicht, dass der Mensch auf eine Marionette seiner Gene, Instinkte, Triebe usw. reduziert wird, also „keineswegs, dass wir nur wie unfreie Automaten handeln, wohl aber, dass wir insbesondere im Bereich unseres sozialen Verhaltens nicht nach allen Richtungen gleich leicht zur Erziehung modifizierbar sind“ (Eibl-Eibesfeldt 1986: 82). Das Tier „lernt“ hier „im Laufe der Verhaltensontogenese in die AAMs hinein“, wie D. Franck (1979: 37) einmal schreibt.
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(mit)bestimmt wird, ist es für Alter, der mit einem anderen Ethogramm vertraut ist, oft nicht unmittelbar „verständlich“. Anders formuliert: Es ist für Alter z.B. nicht mehr als Zeichen für ein daraufhin folgendes Verhalten zu dechiffrieren.28 In der Terminologie George H. Meads kann man auch sagen, eine Geste ist in einem Interaktionszusammenhang insofern „sinnlos“, als sie bei Alter nicht mehr die passende, komplementäre Verhaltensreaktion hervorruft (Mead 1974: § 11). Zweitens aber ist Parsons’ Hauptaugenmerk auf die jeweils gemeinsamen organismischen Strukturen großer Kollektive (etwa auf den geschlechtlichen Bimorphismus) gerichtet und streng genommen etwas „abstrakt“. Es soll an dieser Stelle nur angemerkt werden, dass das Erbgut, der Genotypus, prinzipiell individuell spezifisch ist und es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass es auch in dieser individuellen Besonderheit (z.B. als besonderes „Begabungspotential“) in Verhaltensprozessen zum Tragen kommen kann. Prinzipiell hat freilich auch beim Organismus der „existentiell“ gelebte Umweltbezug für die Einordnung des Verhaltens einen herausragenden Stellenwert. Es handelt sich beim situativen Umweltbezug eines Verhaltens demnach letztlich um ein zirkuläres Figur-Grund-Verhältnis, wie es ähnlich vom hermeneutischen Zirkel her bekannt ist: um eine Verhältnisrelation zwischen Ereignis und Sinnkontext, von Intention und Horizont.29 Semiotisch besagt dies, dass Zeichenkundgabe wie -entschlüsselung eines Verhaltensorganismus von vornherein (um)weltbezogen und selbstbezogen erfolgt. Der Verhaltensorganismus agiert in dieser Sicht von vornherein „orientiert“, ausgestattet mit einem aktiv konstruierenden und seligierenden Richtungssinn, der dem Gegenstand etwas „Subjektives“ verleiht. Die semiotische Umweltlehre Jakob von Uexkülls hat in diesem Sinne den Zeichencharakter der Gegenstände herausgestellt, den Sachverhalt, dass menschliche und tierliche Subjekte den Gegenständen „aktiv“ je unterschiedliche Bedeutungen verleihen (vgl. Uexküll 1956: 105ff.). Programmatisch formuliert Uexküll: „Alle Wirklichkeit ist subjektive Erscheinung – dies muss die große grundlegende Erkenntnis auch der Biologie bilden“ (Uexküll 1973: 9; 28 29
Siehe zu den daraus entstehenden Missverständnissen zwischen unterschiedlichen Tierarten z.B. K. Lorenz (1994). Für die geisteswissenschaftliche Tradition ist hier exemplarisch W. Dilthey (1961: 136) zu nennen, der seine verstehende Methode dem Primat des „Ganzen“ des menschlichen „Seelenlebens“ unterstellt: „Der erlebte Zusammenhang ist hier (beim Seelenleben, R.W.) das erste, das Distinguieren der einzelnen Glieder desselben ist das Nachkommende.“ Es gibt eine ganzheitliche Wechselwirkung dieser „Lebenseinheit“ mit ihrer jeweiligen „äußeren Welt“, eine Wechselwirkung, bei dem die Lebenseinheit nicht dem „Spiel der Reize“ preisgegeben ist, sondern auch eine gewisse „Herrschaft über das Wirkliche“ ausüben kann (vgl. Dilthey 1961: 204). – Bei Husserl ist die Kontextualität von Sinn für den Intentionalitätsbegriff konstitutiv; so weist alle Intentionalität eine charakteristische Horizontstruktur auf, ein „Übersichhinaus-Meinen“ jedes „Gemeinten“ (vgl. z.B. Husserl 1977: § 20).
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Herv. v. U.).30 Auch F. Buytendijk argumentiert in diese Richtung, wenn er betont, dass Mensch und Tier existieren, dass beide mit einer „Subjektivität“ ausgestattet sind, die sie auf eine Umgebung hinorientiert, die „nicht nur Bedingung für die intraorganismischen Lebensvorgänge ist, sondern mit dem Tier oder dem Menschen, für sie und durch sie als Sinngefüge existiert“ (Buytendijk 1958: 18; Herv. v. B.). Die wesentliche Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier besteht aus dieser Sicht darin, dass sie mit ihrer Lebens(um)welt ein wechselseitiges Konstitutionsverhältnis eingehen, das jede schematische Subjekt-ObjektDichotomie unterläuft. Buytendijk betont, dass Welt und Umwelt „im Verhalten gebildet werden und dieses hervorrufen und bilden. Durch diese gegenseitige unlösbare Beziehung verstehen wir eine Verwandtschaft von Mensch und Tier, die wir in einem Begriff ausdrücken, nämlich in jenem der Subjektivität“ (Buytendijk 1958: 18; Herv. v. B.).31
Dieses Komplementärverhältnis von Organismus und Umwelt wurde auch von George H. Mead eingehend thematisiert: Mead zeigt, dass das Verhalten eines Organismus über ein vorwiegend kausal-reaktives Erklärungsschema nur unangemessen erfasst wird (so etwa bei J. Watsons Behaviorismus), weil das Verhalten des Organismus nicht einseitig oder passiv von Reizen seiner Umwelt geformt bzw. gesteuert wird. Schon bei Phänomenen wahrnehmender Aufmerksamkeit wird deutlich, dass der Organismus Umweltreize selektiv und „gewichtet“ rezipiert, um diese dadurch aktiv zu „seiner“ Umwelt zu „organisieren“ (Mead 1974: § 4). Ähnlich argumentiert heute der biogenetische Strukturalismus. Seine methodologische Fokussierung der organismischen Grundlagen von Verhaltensprozessen könnte die Blickverengung von Handlungskonzepten zu überwinden helfen, die den Aspekt der (im biologischen Sinne) interspezifischen Vergleichbarkeit der organismischen Verhaltensbedingungen und der mit ihnen korrespondierenden Umweltkonstellationen vernachlässigen. Ein wichtiger sozi30 31
Vgl. zur biosemiotischen Tragweite der Uexküllschen Umweltlehre die zusammenfassende Darstellung seines Sohnes Th. v. Uexküll (1981). Vgl. damit besonders M. Merleau-Pontys (1974: 489) Auffassung von der wechselseitigen Ausrichtung von menschlichem Subjekt und Lebenswelt, dem „Zur-Welt-Sein“ des Subjekts: „Die Welt ist unabtrennbar vom Subjekt, von einem Subjekt jedoch, das selbst nichts anderes ist als der Entwurf der Welt, und das Subjekt ist untrennbar von der Welt, doch von einer Welt, die es selbst entwirft.“ Entwurf ist hier nicht im Sinne einer bewussten Vorausplanens zu verstehen, sondern als ein „stumm“ und automatisch antizipierender Vorgriff auf eine (Um-)Weltganzheit. Für Merleau-Ponty ist die Tatsache, dass Tiere „nur“ oder eher eine umweltlich bezogene Subjektivität besitzen, kein Grund, ihnen ein intentional gerichtetes Existieren abzusprechen (vgl. zum Tier als „anderer Existenz“ mit einem fremden Bewusstsein M. MerleauPonty 1976: 142f.).
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altheoretischer Vorzug des biogenetischen Strukturalismus ist wohl darin zu sehen, dass der Umweltbezug des Organismus nach „gewusster Umwelt“ (Ec oder Umweltrepräsentation) und „operativer Umwelt“ (Eo: tatsächlich wirksame Umwelt) differenziert wird.32 Das eröffnet die Möglichkeit, die organismische Umweltanpassung in ihrer aktiven und selbstbezüglichen „Reflexivität“ in den Blick zu bekommen: Auch der Organismus bezieht sich also über ein „Bild von der Welt“ auf seine, wenn man so will: von ihm selbst hervorgebrachte Welt. In der Sache etwas sehr ähnliches beschreibt der biologische Konstruktivismus als „Zirkularität von Handlung und Erfahrung“: Die „Untrennbarkeit einer bestimmten Art zu sein von der Art, wie die Welt uns erscheint, sagt uns, dass jeder Akt des Erkennens eine Welt hervorbringt“ (Maturana/Varela 1987: 31; Herv. v. M./V.). In der Zoologie ist es die erwähnte Umweltlehre Jakob Uexkülls, die schon früh prinzipielle konstruktivistische Implikationen der Organismus-UmweltKomplementarität herausgearbeitet hat. Leitend ist die These, dass auch für Tiere „alle Wirklichkeit (..) subjektive Erscheinung“ ist, dass es gelte, den transzendentalistischen Ansatz Kants („Gegenstände (sind) Erscheinungen, die ihren Aufbau einem Subjekt verdanken“),33 in seiner Tragweite für die unterschiedlichen Tierarten und -subjekte weiterzuverfolgen. Die Komplementarität von Organismus und Umwelt wird dabei als ein ganzheitlicher Funktionskreis konzipiert, in dem eine je spezifische „Merkwelt“ (d.h. „alles, was ein Subjekt merkt“) in eine auf sie abgestimmte „Wirkwelt“ („alles, was es wirkt“) greift und umgekehrt.34 In diesem subjektorientierten Ansatz sind Tiere keine bloßen Mechanismen oder Automaten, die von physikalischen oder chemischen Einwirkungen hin- und hergelenkt werden, sondern „Tiersubjekte“, die – u.a. durch artspezifische Raum- und Zeitwahrnehmungsformen – „ihre“ je „eigene“ Umwelt aktiv konstituieren. Zugrunde liegt eine Auffassung des Reflexbogens, die mit G. H. Mead und M. Merleau-Ponty insofern konvergiert, als auch hier eine nichtdeterministische Beziehung zwischen Reiz und Reaktion angenommen 32
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C. Laughlin/J. McManus/E. d’Aquili (1979: 13) grenzen die beiden Umwelten wie folgt gegeneinander ab: „We would define the cognized environment of any higher organism as the totality of neural modes of space and time, while the operational environment would be that part of space and time that affects the organism’s survival in one way or another.“ Siehe J. v. Uexküll (1973: 9). Plastisch formuliert Uexküll (1973: 341) das konstruktivistische Grundmotiv, dass ein Gegenstandsbezug nur als subjektive Selbstreferenz möglich ist: „Die Sonne, die einen Mückenschwarm tanzen lässt, ist nicht die unsere, sondern eine Mückensonne, die ihr Dasein dem Mückenauge verdankt.“ J. v. Uexküll (1956: 22). Vgl. zu Uexküll auch die Bemerkungen von G. Agamben (2003: 49ff.) sowie den Überblick von P. Teherani-Krönner (1992), der eine nicht ganz unberechtigte Kritik an dem streckenweise allzu „harmonistischen Modell“ der Uexküllschen Ökologie formuliert.
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wird.35 Lebende Gebilde, selbst einfache Zellen, reagieren in dieser Sicht „subjektiv“ auf Einwirkungen ihrer Umgebung, d.h. sie antworten „nur auf Zeichen und – solange sie leben – nicht auf kausale Einwirkungen“ (v. Uexküll 1981: 242). Im Einzelnen geht v. Uexküll davon aus, dass Reize vom Tier selektiv rezipiert werden, als „Merkzeichen“, die dann zu bedeutsamen „Merkmalen“ organisiert werden können und eventuell Verhaltensimpulse auslösen, die wiederum auf spezifische Konfigurationen von „Wirkzeichen“ der Umwelt („Wirkmale“) gerichtet sind. Man kann auch sagen: Das Tiersubjekt „erteilt“ dem Umweltobjekt ein Merkmal wie auch ein Wirkmal (v. Uexküll 1956: 24-27). Uexküll resümiert seine Überlegungen dahingehend, „dass ein jedes Subjekt in einer Welt lebt, in der es nur subjektive Wirklichkeiten gibt und die Umwelten selbst nur subjektive Wirklichkeiten darstellen“ (v. Uexküll 1956: 93).36
Gemeinsam ist den erwähnten Ansätzen, dass das Verhalten eines Organismus keine bloß passive Vermittlungsinstanz oder eine rein „exekutive“ Funktion äußerer Umweltreize oder anderer Verhaltenssysteme (Person, Sozialsystem, Kultur) ist. Ebenso wenig kann der Verhaltensorganismus – wenigstens bei komplexer organisierten Lebewesen- mit einem Ensemble (genetisch) vorfixierter, lediglich situativ abrufbarer Verhaltensautomatismen gleichgesetzt werden. Im Verhaltensprozess spielt der Organismus daher nicht so sehr als äußeres „Körpervehikel“ eine Rolle. Er erschließt sich nicht wirklich über eine objektivistische Außenbetrachtung. Er ist kein „bloßes Ding unter Dingen“,37 ein im instru35
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37
Bei allen Unterschieden in Reichweite und Richtung der einzelnen Begründungen wird man diese gemeinsame Frontstellung kaum in Zweifel ziehen können. Vgl. etwa Merleau-Ponty (1976: 11ff.) über die „zirkuläre Kausalität“ zwischen Organismus und Umwelt und die vielfältigen „Schicksale“, die eine Reizerregung nehmen kann. G. H. Mead (1987: 123) wählt im Anschluss an J. Dewey einmal die prägnante Formulierung, ein äußerer Reiz sei keine Ursache für das, was wir beim Sehen, Hören, Riechen, Schmecken empfinden, sondern eine „Gelegenheit“ für derartige Empfindungen (vgl. zu Deweys Betonung des aktiven Charakters der Wahrnehmung zusammenfassend H. Joas 1980: 69f.). Bei der Frage, ob der Mensch Umwelt hat oder aber Welt, gehen die Auffassung von F. Buytendijk und J. v. Uexküll auseinander. Buytendijk (1958: 41) betont den Weltbezug des Menschen, v. Uexküll eher seinen Umweltbezug (vgl. Uexküll 1956: 94ff.). Vgl. zur terminologischen Differenz von Körper und Leib B. Waldenfels (1980: 36f.), der im Ausgang von M. Merleau-Pontys Phänomenologie existentieller Leiblichkeit zeigt, dass den Leib eine irreduzible Ambiguität auszeichnet, die ihn „diesseits der Alternative von Ding und Bewusstsein“ ansiedelt. Die leibliche Existenz wird hier in einem ursprünglichen Sinne als vorgängig „bei der Welt“ verstanden; der Leib ist ein „Medium der Welthabe“, das die Konstitution der Lebenswelt gleichzeitig in einer doppelten Beziehung ermöglicht: als Weltbezug des Ich („meine Welt“) und als Ich-Bezüglichkeit der Welt („meine Welt“).
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mentellen oder mechanischen Sinne passives, initiativloses „Körperding“, dessen Zustandsänderungen (im Erleben wie im beobachtbaren Verhalten) auf irgendwelche Einflüsse von außen (z.B. Einflüsse des „Geistes“ einer Person, der „materiellen Dinge“ usw.) zurückzuführen sind. Der Organismus fungiert hier vielmehr als ein „Leib“, den eine vorgängige Reflexivität auszeichnet: Ein sich wechselseitig erlebender und erlebter Körper, ein einzigartiges „subjektives Objekt“. In dieser konstruktivistischen Perspektive, die den Leib eben nicht rein autopoietisch von der Welt abkoppelt, können kreative und kontingente Potenzen des Verhaltenssystems Organismus in den Blick kommen, die bei Parsons eher ausgeblendet bleiben.38 Für Merleau-Ponty, der das organismische Verhaltenssystem qua Leib zum Thema macht, weist z.B. die Leibmotorik in Anlehnung an gestaltpsychologische Entdeckungen „unzweideutig (..) eine ursprüngliche Intentionalität“ auf. Das „Ich kann“ geht hier dem „Ich denke“ voran: Der Vollzug einer Handbewegung ist letztlich keine (vor)gedachte oder gar „geplante“ Bewegung, sondern der Vollzug einer leiblich habitualisierten „Orientierung auf die intersensorische Einheit einer ‚Welt hin“ (Merleau-Ponty 1974: 166).39 Es handelt sich hier also um einen leiblichen Orientierungsmodus, bei dem wir gewissermaßen schon „vorgreifend“ bei einem Ding, an unserem Ziel sind, noch bevor wir eine explizite Vorstellung vom betreffenden Bewegungsvollzug besitzen. Im Anschluss an Edmund Husserl spricht Maurice Merleau-Ponty hier von einer „uneigentlichen“ Intentionalität, die anonym, wie „von selbst“ fungiert, einer Intentionalität, der ich in gewisser Hinsicht passiv ausgesetzt bin, die aber 38
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Man denke etwa an das eindrucksvolle Beispiel des „Phantomgliedes“ bei Amputierten, eine aktive Imaginationsleistung, durch die sich der Leib die fehlende Extremität „zurückholt“ (vgl. Merleau-Ponty 1974: 100ff.). F. Buytendijk (1958: 13: Herv. v. B.) beschreibt diesen für eine soziologische Konzeption sinnhaften Verhaltens sehr grundlegenden Punkt einmal sehr anschaulich, weswegen wir die betreffende Passage ausführlich zitieren: „Wenn ich etwa die Treppe hinuntergehen will, so sehe ich in der Ausgangsposition die Stufenreihe sowie den an ihrem Ende anschließenden Flur, eventuell auch die Haustür. Ich gebe mir vom Gesehenen keine Rechenschaft, ich vergegenwärtige mir weder die Steilheit und Höhe der Treppe noch die Größe der Stufen, den Abstand zur Haustür. Ich bin mir nur – und zwar ziemlich unklar – meines Gerichtetseins auf die Straße bewusst, die ich durch das Hinabsteigen der Treppe, das Durchschreiten des Flures, das Öffnen der Haustür betreten kann. Dieses ‚Können, nicht etwa eine Vorstellung, ein Plan oder Gedanke, bestimmt mein Verhältnis zur Situation und mein Verhalten, das ich gedankenlos ausführe in einer unmittelbaren Verbindung des Gesehenen und des Tuns. Wie unmittelbar diese Verbindung auch sein mag, so dass ich – wie man es richtig kennzeichnet – ‚fast automatisch die mir vertraute Treppe hinuntergehe, ich bin dennoch kein Automat. Was ich sehe, ist Sinnvolles, und was ich tue, ist sinnvoll auf das Gesehene bezogen.“ Eine entsprechende intentionale Kompetenz konzediert F. Buytendijk auch Tieren, so etwa in seinem Hundebuch, wo er gegen I. Pawlows reflexologischen Ansatz die „vital phantasy“ der leiblich fungierenden Wahrnehmung des Hundes anführt (Buytendijk 1936: 173f.).
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andererseits für mich sinnstiftend ist. Mit Blick auf die Wahrnehmungserfahrung findet Merleau-Ponty hier die pointierte Wendung, „dass man in mir wahrnimmt, nicht, dass ich wahrnehme“ (Merleau-Ponty 1974: 253; Herv. M.-P.; vgl. auch Waldenfels 1980: 40ff.). Die Vorgängigkeit der fungierenden Intentionalität besagt, dass in ihr „die natürliche vorprädikative Einheit der Welt und unseres Lebens gründet, die deutlicher als in objektiver Erkenntnis erscheint in unserem Wünschen und Schätzen und in unserer Umwelt und die gleichsam den Grundtext liefert, den unser Erkennen in eine exakte Sprache zu übersetzen sucht“ (Merleau-Ponty 1974: 15, vgl. 474f.).
Formen der fungierenden Intentionalität sind für die Funktionsweisen unseres leiblichen Zur-Welt-Seins insofern charakteristisch, als sie unsere „Aktintentionalität“, unser thetisches Gegenstandsbewusstsein ermöglichen und dabei kennzeichnenderweise subjektiv unbemerkt (und in diesem Sinne: unbewusst) bleiben. Die Latenz besteht bei habitualisierten leiblichen Fertigkeiten, gestalthaften Wahrnehmungsprozessen, dem perspektivischen Sehen usw. immer darin, „dass, je besser ein Organismus etwas ‚weiß, er desto unauffälliger mit seinem Wissen umgeht“, wie Gregory Bateson schreibt.40 Im Hinblick auf interspezifische Interaktionen bedeutet das aber nicht eo ipso, dass die artspezifischen Umweltkonstitutionsweisen von Verhaltensorganismen durchweg inkompatibel bleiben müssten. So ist es z.B. bemerkenswert, dass mehrere Gestaltgesetze, die für die optische Wahrnehmung charakteristisch sind, in gleicher oder doch sehr ähnlicher Weise bei Mensch und manchen (Wirbel-)Tieren nachzuweisen sind. F. Buytendijk (1958: 54-61) erwähnt hier für die visuelle Wahrnehmung z.B. die Größenkonstanz und die Farb- und Formkonstanz.41 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass – artspezifisch natürlich abgewandelte – Formen einer fungierenden Leibintentionalität auch bei Tieren wirksam sind, dass also nicht nur Menschen, sondern auch höhere Tiere „von der Natur gleichsam mit angeborenen Vorurteilen ausgestattet“ wurden.42 Vor allem 40
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G. Bateson (1988: 190). M. Polanyi (1985: 19) hat den Grundmechanismus dieses „impliziten Wissens“ als eine Beziehung bezeichnet, bei der unsere „Aufmerksamkeit von etwas auf etwas anderes“ verschoben wird. Der Person thematisch wird diese Beziehung typischerweise erst bei einer Störung, wie etwa V. von Weizsäcker (1973: 254) betont hat: „Wir merken das Subjekt erst richtig, wenn es in der Krise zu verschwinden droht.“ Inwieweit J. v. Uexküll letztlich doch noch einem konzeptionellen Reiz-Reaktions-Schematismus verhaftet geblieben ist und die Gestaltaspekte der „Passungen“ von Merk- und Wirkmalen vernachlässigt hat, wie K. Bühler (1960) meint, muss hier offen bleiben. Bühler (1960: 27) selbst betont jedenfalls, es spreche „alles dafür, dass auch Tiere, wie Vögel und Bienen, gestalterfassende Wesen sind.“ So eine Formulierung, die der Zoologe H. Penzlin (1997: 33) gebraucht. Penzlin (1997: 33) betont, „dass auch sie (die Tiere, R.W.), zumindest die höheren Tiere, subjektive Erlebnisse
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im Hinblick auf höher organisierte Tiere gibt es hier offenbar Ähnlichkeiten und Parallelen im phylogenetisch fundierten Leistungsspektrum, die – wie weiter unten noch deutlicher wird – interspezifische Interaktionsprozesse ermöglichen sowie in ihrem weiteren Verlauf nicht unwesentlich beeinflussen können. Ebenso vorläufig wie programmatisch lässt sich das in die Formel kleiden: Intersubjektivität konstituiert sich zwischen Mensch und Tier über soziale Regelmechanismen, die auf den Wirkungs- und Ausdrucksmöglichkeiten interspezifischer Zwischenleiblichkeit beruhen.
4.2.3 Die performative Kompetenz des Persönlichkeitssystems Unter Persönlichkeit verstehen wir in Anlehnung an Parsons allgemein den „Komplex der durch Lernprozesse organisierten Verhaltenselemente“ (Parsons 1976: 131; Herv. v. P.). In einem analytischen Sinne meint Persönlichkeit also jenes Selektionsprogramm eines Verhaltensprozesses, das sich auf die individuell erlernten Verhaltensmuster bezieht, in etwa also jene erworbenen Wissensbestände und Kompetenzen, die im psychoanalytischen Sinne die Arbeitsweisen des psychischen Apparates charakterisieren (vgl. Freud 1971a: 9-11). Dieses Verhaltenssystem meint eine abgrenzbare psychische Einheit, die durch diese Lernprozesse eine gewisse individuelle Einmaligkeit besitzt (Parsons 1976: 123). Das generalisierte Medium, das die Leistungen dieses Verhaltenssystems miteinander verbindet und organisiert, nennt Parsons Performanzfähigkeit. Damit ist eine Kompetenz oder Ressource angesprochen, „die der Fähigkeit des Menschen, seine Ziele wirkungsvoll zu verfolgen“ (Parsons 1990: 109), zugrunde liegt. Diese Fähigkeit zur Zielverwirklichung wird expressis verbis nicht nur kognitiv verstanden, sie wird auch in Anspruch genommen, wenn das Persönlichkeitssystem z.B. ein im moralischen, affektiven oder „existentiellen“43 Sinne „zielorientiertes“ Verhalten zeigt. Um Parsons’ Bezugsrahmen des Persönlichkeitssystems dahingehend zu modifizieren, dass er (wenigstens partiell) auch auf Tiere angewandt werden kann, sind mehrere Punkte zu berücksichtigen: (1) Ein erster Punkt betrifft einen Subjektbegriff, der möglichst „vergleichstauglich“ zu wählen ist. Gesucht wird hier eine „persönlichkeitsbildende“ psychische Grundkompetenz, in der die Perzeptions- und Performanzkompetenzen von menschlichem und tierlichem Lernen
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haben, sich eine Wahrnehmungswelt aufbauen, die sich im Verlauf ihrer Evolution herausgebildet hat und in der sie sich orientieren. Sie kann der unseren ähnlich, sie kann aber auch ganz anders sein.“ Gemeint ist hier eine Verhaltensorientierung, in der „Grundlagen“ der persönlichen Ich-Identität ins Spiel kommen.
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konvergieren. Ein zweiter, damit zusammenhängender Punkt (2) betrifft das Problem des psychischen Apparats bei höheren Tieren. 1. Zunächst eine Überlegung zur terminologischen Zweckmäßigkeit der Verknüpfung von Performanzfähigkeit und individueller Zielverwirklichung: Obwohl sich auch das Verhalten von Tierindividuen so auslegen lässt, als seien sie objektiv auf Zielzustände („goals“) hin ausgerichtet, so können sich hier allzu leicht missverständliche, intentionalistisch oder mentalistisch gefärbte Konnotationen einstellen (z.B. eine Fehlinterpretation im Sinne eines „modernen“ instrumentellen Aktivismus, es gehe dabei meistens oder vorwiegend um subjektiv vorentworfenes, geplantes, abgewogenes usw. Handeln). Im Hinblick auf „Tierpersönlichkeiten“ sind hier wohl Formulierungen vorzuziehen, die die persönlichkeitstypische Verschränkung von individuellen Strukturen verhaltenssteuernder Motivationen und Objektbesetzungen „neutraler“ ausdrücken. Victor Lidz etwa „übersetzt“ Parsons’ Leitgedanken zum Persönlichkeitssystem dahingehend, dass er prinzipiell auch auf lernfähige Tierindividuen angewandt werden kann. Eine Persönlichkeit ist demnach ein „psychologisches System eines Individuums, das (..) Motivationen sowohl über Zeit als auch durch verschiedene Tätigkeitsbereiche zur Beschäftigung mit besonderen Handlungslinien organisiert.“44 Das Gesagte sensibilisiert außerdem dafür, dass sich bei der Frage, welche vergleichsfähigen Formen des Lernens Mensch und Tier gemeinsam haben und welche exklusiv sind, zwei „methodologische Fallgruben“ öffnen: Auf der einen Seite die Scylla eines gegenstandsfremden Anthropomorphismus, die sich darin zeigt, dass man eigentümlich menschliche Lernformen, die auf komplexen symbolischen Leistungen beruhen oder reflexiv angelegt sind, in tierliche Lernprozesse hineindeutet. Der Charybdis des „zoomorphen Irrtums“45 aber wird man erliegen, wenn die unterschiedlichen Lernformen auf den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ einer, vergleichsweise gut beobachtbaren Variante reduziert werden. In diesem Sinne könnte dann ein reflexologisches Lernkonzept, also der Lernmechanismus der klassischen oder instrumentellen Konditionierung zur generellen Deutungsfolie für ganz unterschiedliche Formen tierlicher und menschlicher Performanzfähigkeiten avancieren.
44 45
V. Lidz (1981: 24). Im Hinblick auf einen biosoziologisch verwendbaren Personbegriff ist das Wort „Handlungslinien“ natürlich als „Verhaltenslinien“ zu lesen. „Zoomorpher Irrtum“ wird hier im Sinne von L. von Bertalanffy (1970: 32ff.) verwendet, der damit das „rattomorphe“ Menschenbild des amerikanischen Behaviorismus aufs Korn nimmt: Die Einebnung der Mensch-Tier-Differenz durch Reduktion der menschlichen Verhaltenskompetenzen auf die ethologischen Besonderheiten ganz bestimmter Tierarten (wie z.B. Ratten, Tauben).
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Im Folgenden soll, aus Gründen, die bereits weiter oben dargelegt worden sind, ein anderer Weg eingeschlagen werden. Unterstellt wird, dass das Analyseinstrumentarium der phänomenologischen Intentionalitätskonzeption in den Grundzügen auch auf Mensch-Tier-Beziehungen anwendbar ist, genauer: auf die mentalen Konstitutionsleistungen höher organisierter Tiere. Ein wichtiges Motiv ist hier, dass ihr theoretischer Kern, die Appräsentationstheorie, als ein methodologisches Komplement semiotischer Prozessanalysen gedeutet werden kann. Spätestens seit dem Spätwerk von Alfred Schütz steht die prinzipielle (auch sozialtheoretische) Fruchtbarkeit einer derartigen Verbindung kaum mehr in Frage. Schütz weist auf, dass die Leistung intentionaler Appräsentation die allgemeine Form darstellt, in der sprachliche und nichtsprachliche, diskursive wie nichtdiskursiv präsentierte Zeichen- und Symbolverweisungen zustande kommen. In allen diesen Fällen, so Schütz, „wird ein Gegenstand, eine Gegebenheit oder ein Geschehnis nicht als es selbst erfahren, sondern als etwas, das für ein anderes Objekt steht, das dem erfahrenen Subjekt nicht unmittelbar gegeben ist. Das appräsentierende Glied ‚weckt oder ‚ruft das appräsentierte Glied ‚hervor“ (Schütz 1971: 342f.).46
Semiotisch gewendet, bedeutet Schütz’ Überlegung, dass das mögliche Zeichenund Symbolverhalten eines Subjekts sowohl in seinem Bezeichnungs- wie in seinem Bedeutungsaspekt relational konstituiert und strukturiert wird. Diese relationale Struktur subjektiver Erfahrung impliziert Sinnverweisungen, die sowohl in „intrasubjektiver“ wie „intersubjektiver“ Hinsicht auslegungsbedürftig sind. Solche „zweiseitigen“ Semiosen, in die ein Subjekt (als eine Einheit personaler und körperlich-organismischer Verhaltensaspekte) eingebunden ist, lassen sich also von den korrespondierenden intentionalen Konstitutionsprozessen letztlich nicht abkoppeln. Intentionalität meint dabei jenen „unentbehrliche(n) Ausgangs- und Grundbegriff“47 der Phänomenologie, der ein zweiseitiges Korrespondenzverhältnis der Gegenstandskonstitution anspricht, nämlich: „Bewusstsein-von-etwas“ zu sein.48 46 47
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Vgl. auch E. Husserl (1977: § 50). Bemerkenswert ist hier die Parallele zum symboltheoretischen Ansatz von G. H. Mead (1974: § 16). E. Husserl (1980a: 171). Husserl knüpft mit dem Begriff Intentionalität an seinen Lehrer Franz Brentano an, der damit ausdrückte, dass beim psychischen Erleben mehr oder minder deutlich, latent oder manifest, „in sich“ ein Objekt miterfasst werde, und dass zweitens die Art des psychischen Beziehens selbst (des Hassens, Phantasierens etc.) die Qualität des Objekts wesentlich mitbestimmt. „Allgemein gehört es zum Wesen jedes aktuellen cogito, Bewusstsein von etwas zu sein. In ihrer Weise ist aber (...) die modifizierte cogitatio ebenfalls Bewusstsein, und von demselben wie die entsprechende unmodifizierte. Die allgemeine Wesenseigenschaft des Bewusstseins bleibt also in der Modifikation des Bewusstseins erhalten. Alle Erlebnisse, die diese Wesenseigen-
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Es ist besonders für eine Soziologie der Mensch-Tier-Beziehungen bedeutsam, dass Husserl mit „Intentionalität“ ein Strukturprinzip psychischer Prozesse benennt, das nicht nur die „denkenden“ oder klaren und distinkten Bewusstseinsakte (wie reflektiertes Urteilen, „waches“ Denken, Aufmerken oder Entscheiden) umfasst. Als Cogitationes werden von Husserl vielmehr Bewusstseinserlebnisse bezeichnet, die auch Akte des Fühlens, Begehrens, Hassens, Wollens usw. einbeziehen.49 Eine Cogitatio läßt sich – direkt oder „objekthaft“ vermittelt – über ihren Ausdruckssinn erfassen; dieser erlaubt also Rückschlüsse auf ihren jeweiligen personalen, „geistigen Seinssinn“. Im Einzelnen unterscheidet hier Husserl drei Klassen geistiger, auf personale Leistungen zurückverweisender Ausdrucksträger: Kulturobjekte, Menschen und Tiere.50 Um Menschen und Tiere von Kulturobjekten abzugrenzen, fasst Husserl sie unter dem Begriff der „animalischen Realitäten“ zusammen. Animalische Realitäten sind Subjekte, denen wir „seelische Erlebnisse“ unterstellen können. Diesen „Animalien“ kommt ein „geistiger Seinssinn“ zu, der in entscheidender Weise von ihrer „Erfahrungsbeziehung zum Leibe“ (Husserl 1980: 103) abhängt. Die leibliche Erfahrung ermöglicht jenes intentionale Bewusstsein, das den geistigen Seinssinn stiftet, – das bei unbeseelten Kulturobjekten aber fehlt. Für den animalischen, die seelisch-leibliche Subjekte kennzeichnenden „geistigen Seinssinn“ ist ein kreatives Moment wichtig, das an einem Grundmodus intentionaler Sinnkonstitution, der Typisierungsleistung, verdeutlicht werden kann: Gegebenes
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schaften gemein haben, heißen auch ‚intentionale Erlebnisse (...)“ (Husserl 1980a: 64: Herv. v. H.). Vgl. z.B. E. Husserl (1977: 22, 14), der hier u.a. an R. Descartes (z.B. 1976: 23) anknüpft. Zudem können, wie z.B. P. Ricœur (1974) aufgewiesen hat, auch unbewusste psychische Prozesse wie die Primärvorgänge im Sinne S. Freuds, als intentionale Leistungen angesehen werden. In „Erfahrung und Urteil“ schreibt E. Husserl (1972: 55, Herv. v. H.) über den „geistigen Seinssinn“, an dem auch Tiere teilhaben, folgendes: „Alles Außerweltliche nehmen wir wahr als körperlich seiend in der raum-zeitlichen All-natur. Wo wir auf Tiere und Menschen stoßen und auf Kulturobjekte (Gebrauchsdinge, Kunstwerke und was immer), da haben wir nicht bloße Natur, sondern Ausdruck von geistigem Seinssinn; da werden wir über den Bereich des schlicht, sinnlich Erfahrbaren hinausgeführt. Die Wahrnehmung rein als sinnliche Wahrnehmung ist auf bloße Körperlichkeit gerichtet, schlicht geradehin. Ihr steht gegenüber die Wahrnehmung des durch Verstehen von Ausdruck allein Wahrnehmbaren, wie das Verstehen eines Werkzeuges (...). Beides setzt voraus eine sinnliche Wahrnehmung des den Ausdruck fundierenden Körperlichen und von da aus den Übergang in eine Reflexion, die also mittelbar oder unmittelbar ein Mitsein von menschlich Personalem (Ichlichem) oder ebenso tierischer Subjektivität zur Endgewissheit bringt und in dieser fundierten Weise ein Seiendes, das nicht bloß körperlich Daseiendes ist, sondern in eins damit und darauf bezogen Subjektives.“ Vgl. ergänzend auch E. Husserl (1972: 158).
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wird hier als ein individuelles Allgemeines konstituiert,51 als etwas, das über die Verweisung von wenigstens einer Ähnlichkeitsbeziehung zu einem Exemplar zu einem exemplarisch Allgemeinen seligiert wird. Diese intentionale Leistung lässt sich beim Menschen schon im Bereich der vorprädikativen oder rezeptiven Erfahrung, etwa im Feld der Sinneswahrnehmungen, aufzeigen. Bei Wirbeltieren (wie z.B. Fischen, Affen, Hunden, Katzen) sind vergleichbare (bes. visuelle) Ähnlichkeitswahrnehmungen experimentell nachgewiesen worden. Ein grundlegender Funktionsmechanismus ist in diesem Zusammenhang wohl das Prinzip der Transponierbarkeit in der Gestaltwahrnehmung.52 Zudem ist davon auszugehen, dass (wenigstens) höheren Tieren eine – in gewissen Grenzen variable – klassifizierende „Systematik“ zur Verfügung steht, um Umweltgegebenheiten unter bestimmten „Bedeutungskategorien“ zusammenzufassen.53 So gibt es seit längerer Zeit Hinweise, dass hier zum Teil echte – wenngleich meist anschaulich gebundene – Abstraktionsbildungen vorliegen, – bei Schimpansen kann man sogar ein relativ komplexes Begriffsverständnis und Ansätze eines (insbesondere passiven) Syntaxverständnisses annehmen.54 Insgesamt lässt sich dazu feststellen, dass zwischen menschlichen und 51
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Vgl. A. Schütz (1971: 8-10) und besonders E. Husserl (1972: § 83a; 399), der das Typische einmal charakterisiert als „Wiedererkanntes und doch Neues. Das als individuell Neues Erfahrene ist zunächst nach dem eigentlich Wahrgenommenen bekannt; es erinnert an Gleiches (bzw. Ähnliches). Das typisch Erfasste hat aber auch einen Horizont möglicher Erfahrung mit entsprechenden Bekanntheitsvorzeichnungen, also eine Typik der noch unerfahrenen, aber erwarteten Merkmale“. In der Transponierbarkeit der Gestalt tritt ein ebenso emergentes wie kontingenzträchtiges Organisationsprinzip des Verhaltens hervor. M. Merleau-Ponty (1976: 156) betont in diesem Zusammenhang zu Recht, dass sich die Gestalt mit ihrer zirkulären, selbstreferenziellen Kausalität nicht den linearen Kausalreihen der klassischen Physik „einverleiben“ lässt. Mit der Gestalt tritt ein „Prinzip der Diskontinuität auf, und damit sind die Bedingungen gegeben für eine Entwicklung in Sprüngen und Krisen, für ein Ereignis, eine Geschichte.“ H. Hediger (1965: 84ff.) spricht hier von „mindestens“ fünf grundlegenden Bedeutungskategorien: Feind, Beute, Symbiont, „ein Stück toter Umgebung“, Artgenosse. Wie weiter unten noch näher ausgeführt wird, lassen sich diese intentionalen Klassifikationsleistungen mit den „Rahmensetzungen“ im Sinne von E. Goffman vergleichen. Vgl. zu den symbolischen Fähigkeiten bei den Schimpansen „Sarah“ und „Washoe“ bereits instruktiv D. Ploog (1972: 157ff.). Die Diskussionen der Abstraktions- bzw. symbolischen Fähigkeiten von Primaten, die F. Buytendijk (1958: 67ff.) und M. Merleau-Ponty (1976: 129ff.) anführen, kommen freilich noch zu einem ablehnenden Resultat: Buytendijk will selbst höheren Tieren nur Vorstufen der Abstraktion zuerkennen, M. Merleau-Ponty schreibt, selbst W. Köhlers Schimpansen könnten an einem Objekt (oder am eigenen Leib) kein Invariantes festhalten, daher könne von einer symbolischen Kompetenz keine Rede sein. Diese Skepsis mag vor allem darin begründet sein, dass sich beide noch auf ältere, z.B. von W. Köhler und R. Yerkes durchgeführte Untersuchungen stützen mussten. Die entscheidenden, methodisch besser kontrollierten Forschungen, die z.B. von D. Ploog (1972) oder von R. Fouts/R. Rigby (1977) dargestellt werden, wurden erst später realisiert. Ein Beispiel: Indizien dafür, dass sich Schimpansen im Spiegel tatsächlich selbst sehen können (und nicht einen anderen Schimpan-
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nichtmenschlichen Primaten Unterschiede in den Generalisierungs- und Abstraktionsleistungen vor allem dort zutage treten, wo diese Leistungen in Medium selbst produzierter Lautäußerungen zu erbringen sind, – „in the realm of perception and cognition, however, continuities are more apparent“ (Cheney/Seyfarth 2008: 258; Herv. R.W.). In dieser Hinsicht kann heute als gesichert angesehen werden, dass vergleichbare Fähigkeiten der Generalisierung und des Schlussfolgerns auch einigen anderen höheren Tieren, wie etwa Hunden, zuerkannt werden müssen.55 Für den grundlegenden Intentionalitätsmodus aber bleibt festzuhalten: Jede unmittelbare Assoziation ist eine „Assoziation nach Ähnlichkeiten“, eine ursprüngliche Klassifikations- und Ordnungsleistung, die es ermöglicht, dass sich Ungleiches vom „Boden des Gemeinsamen“ abheben kann (Husserl 1972: § 16). Indem bereits die Wahrnehmung selbst abstrahiert, können Menschen und Tiere unter verschiedenen Bedingungen Gegenstände als gleiche identifizieren.56 Damit beschreibt Appräsentation eine zentrale Möglichkeitsbedingung von bewuss-
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sen „meinen“) und dabei Selbstbewusstsein verraten, solche Hinweise erscheinen F. Buytendijk (1958: 74) noch erstaunlich oder rätselhaft, obschon sie später durch Experimente von G. Gallup (1991 z.B.) erhärtet wurden. Hinsichtlich des passiven Sprachverständnisses von Affen schreibt D. Rumbaugh (1995: 722), seinen neueren Forschungen zufolge sei davon auszugehen, „that apes can come to understand even the syntax of human speech, at a level that compares favorably with that of a 2-1/2 year old child – if they are reared from shortly after birth in a language-structured environment.“ Und Rumbaugh (1995: 727) resümiert: „Research data clearly indicate that nonhuman primates, and notably the great apes, are competent in several, though not all, of the essential dimensions of language and other complex processes.“ Vgl. zu diesem Problemkomplex ergänzend auch die in Fußnote 122 (Kapitel 3) angeführte Literatur. So hat vor wenigen Jahren eine Forschungsgruppe des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie durch Experimente mit dem Bordercollie „Rico“ zeigen können, dass dieses Tier (appräsentative) Schlussfolgerungen ziehen konnte, wie sie bei Kleinkindern üblich sind: „Rico“ praktizierte „fast mapping“, d.h. er konnte nach dem Ausschlussprinzip zutreffende „Hypothesen“ darüber entwickeln, wie ihm unbekannte menschliche Worte bestimmten – ihm ebenfalls unbekannten – Objekten zuzuordnen waren (vgl. dazu Kaminski/Call/Fischer 2004). D. Haraway (2008: 372) kommentiert Ricos „fast mapping“ so: „And this news may have been more novel to scientists than to many agility trainers. Cayenne (Haraways Hund, R.W.) is not exceptional, and I have evidence that she reliably knows about 150 until 250 words or phrases in a great variety of circumstances (…).” K. Lorenz (1994: 97f.) führte schon vor Jahren empirische Hinweise dafür an, dass Hunde nicht nur einzelne Worte erfassen, sondern auch über ein einfaches (passives) Satzverständnis verfügen könnten. Vgl. K. Lorenz (1977: 149ff.) zum „pattern matching“ und zu unbewussten Schlussfolgerungen bei der tierlichen Gestaltwahrnehmung. So ist z.B. bereits das Transponierbarkeitsprinzip (z.B. das Wiederkennen einer Tonfolge oder Melodie in unterschiedlichen Tonarten oder auf verschiedenen Instrumenten) eine Abstraktionsleistung, die bei Singvögeln (anthropomorph gesprochen) zur „Alltagsroutine“ gehört. – Aus kultursemiotischer Sicht ähnelt die Lautwahrnehmung bei dieser Transponierung letztlich dem, was die strukturalistische Mythenanalyse als wechselseitige Transformation von „paradigmatischen“ Mustern und „syntagmatischen“ Ketten beschreibt (vgl. Lévi-Strauss 1971, 1978; zusammenfassend Leach 1978: 36-38).
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ter psychischer Erfahrung schlechthin, einer Erfahrung, die unterschiedlichsten ontologischen Vorannahmen (über Materie und Bewusstsein, Subjekt/Objekt usw.) nach Geltung und Genese vorangeht, gerade weil sie sich passiv, ohne Aufmerksamkeitszuwendung, vollzieht (vgl. Husserl 1977: § 39). Im Hinblick auf die zeitliche Struktur des Bewusstseinstromes ist diese ursprüngliche intentionale Ordnungsleistung einer „verähnlichenden Apperzeption“, als ein „Mitgegenwärtig-Machen“ untersucht worden (vgl. Husserl 1977: § 50). Die transzendentalphänomenologische Begründung der Universalität und Apodiktizität dieser – für den Zeichenbegriff grundlegenden – Appräsentation liegt demnach in einer „Urform“ passiver Genese, in der zeitlichen Struktur intentionaler Abläufe, die sukzessive und simultane Aspekte miteinander kombiniert. Gemeint ist die Überschichtung von Längs- und Querintentionalität, bei der das aktuell Neupräsentierte einen „Kometenschweif“ von Vergangenem und Erwartetem mitpräsentiert.57 Hier zeigt sich eine deutliche Parallele zu Apperzeptionsprozessen, die J. von Uexküll (freilich noch in Anlehnung an I. Kants Ansatz) für Tiersubjekte beschreibt. Sinnliche Wahrnehmungsakte sind demnach letztlich zeitliche Bildungsprozesse, durch die „verschiedene Qualitäten zu Einheiten verbunden“ werden (Uexküll 1973: 39; 70ff.). Einschränkend ist natürlich anzumerken, dass im Vergleich zum menschlichen Standardtempo die subjektive Merkzeit anderer Organismen, d.h. die Aufeinanderfolge der als elementar empfundenen „Momentzeichen“, artspezifisch variieren kann (z.B. lässt sich aus dem Verhalten erschließen, dass manche Fische Bewegungsvorgänge offenbar verlangsamt, wie unter „Zeitlupe“, wahrnehmen, gewisse Schnecken hingegen vergleichsweise beschleunigt, unter „Zeitraffung“) (vgl. Uexküll 1956: 46-48). Auch höherstufige Typisierungen (z.B. in Form sprachlich-prädikativer oder gar „rational“ kalkulierter intentionaler Willens- oder Urteilsakte) gründen in solchen zeitlich strukturierten Appräsentationen. Ihr Sinn lässt sich eigentlich erst im Rückgang auf die vorgängige, gewissermaßen passiv „fungierende“ Intentionalität klären, die bereits in den elementaren Funktionsweisen leiblicher Sensorik und Motorik am Werk ist. Bereits die unmittelbarste Empfindung ist kein rein punktueller, isolierter Eindruck, sondern entpuppt sich als Verhältnisre57
Die retentional-protentionale Zeitstruktur (Gegenwart, die in die Zukunft wie in die Vergangenheit ausgreift) ermöglicht eine relationale Fassung der Sinnkategorie, die die phänomenologische Intentionalitätskonzeption in eine enge Nachbarschaft zur Semiotik der JakobsonTradition bringt. Beide Ansätze konzipieren Sinn als Sinnprozess, beide setzen an der Kontextualität von Sinn an, genauer: an einer gestalttheoretisch verstandenen „Feldbedingtheit“ jeder sinnhaften Gegebenheit (vgl. zu dieser Parallele zwischen R. Jakobson und E. Husserl ausführlicher Holenstein 1976: 27f.). Das aktuell Gegenwärtige (z.B. die Vorderansicht eines Hauses, eines Würfels) verweist „automatisch“, „unwillkürlich“, „von sich aus“ usw. auf einen fraglosen „Horizont“ von Mitgegenwärtigem (die möglichen, erwartbaren „Rückseiten“), die den Sinn des unmittelbar Gegebenen wesentlich mitbestimmt.
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lation, wie sie in der Beziehung von Figur und Grund veranschaulicht wird: Jedes „Etwas“ der Wahrnehmung ist „im Umkreis von Anderem, stets ist es Teil eines ‚Feldes“ (Merleau-Ponty 1974: 22). Mit Blick auf unmittelbare MenschTier-Interaktionen ist in diesem Zusammenhang besonders die kinästhetische Empathie hervorzuheben, denn ihr kann in vielen Situationen eine Art Leitfunktion im wechselseitigen Perzeptionsprozess zukommen.58 Alles in allem lässt sich also festhalten, dass die Mechanismen einer intentionalen Appräsentation jenen psychischen Leistungen zugrunde liegen, die nach Husserl den „geistigen Seinssinn“ menschlicher und tierlicher Personalität ausmachen. Sofern diese Appräsentationsleistungen über gemeinsame oder ähnliche Gestaltprinzipien organisiert werden, ist anzunehmen, dass auch die Lern- und Performanzfähigkeiten der betreffenden Persönlichkeitssysteme in manchen Hinsichten Ähnlichkeiten bzw. Konvergenzen aufweisen. 2. Die Behandlung des zweiten Punktes, der Frage, inwieweit die psychischen Leistungen von Mensch und höher organisierten Tieren sich über ein vergleichstaugliches Konzept des psychischen Apparats beschreiben lassen, kann hier nur andeutungsweise erfolgen. Dass wir sie trotzdem ansprechen (müssen), liegt daran, dass erst die skizzierten personalen Strukturbedingungen darüber Auskunft geben können, ob von der Bezugsebene der psychischen Systeme her Mindestvoraussetzungen für die Bildung von Interaktionssystemen gegeben sind. Damit geht es gleichzeitig um eine weiterführende Konkretisierung unserer obigen intentionalitätstheoretischen Überlegungen zum „geistigen Seinssinn“ von menschlichem und tierlichem Verhalten. Zu prüfen ist insbesondere, inwieweit sich Sigmund Freuds Instanzen des psychischen Apparates (Freud 1971a: 53ff.), wenn sie in Anlehnung an Parsons (1980) als Funktionsbereiche des Persönlichkeitssystems aufgefasst werden, auch bei höher organisierten Tieren annehmen lassen. In diesem Kontext sind folgende Punkte zu berücksichtigen:
Die „Es“-Instanz ist demnach dasjenige Subsystem der Person, das die Anpassungsleistungen gegenüber dem Organismus, seinen Trieben und Bedürfnissen, zu erbringen hat. Bei höheren Wirbeltieren ist hier im Anschluss an P. Ricœurs Freud-Lektüre (Ricœur 1974) nicht nur der energetische Aspekt des Lustprinzips zu sehen, sondern es sind auch die über alle Arten des Lernens hergestellten „Sinnbezüge“ der Triebökonomie in Rechnung zu
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Vgl. zur kinästhetischen Empathie am Beispiel der Mensch-Hund-Interaktion K. Shapiro (1990: bes. 190-192). Kinästhetische Empathie wird hier verstanden als ein spontaner (wiewohl auf guter Vertrautheit mit dem anderen beruhender) „general access to the intended world of the other.“ Von zentraler Bedeutung ist, dass das intentionale Fremdverstehen nonverbaler Ausdrucksaktivitäten auf der „meaningful actual or virtual imitation or enactment of bodily moves“ beruht (Shapiro 1990: 191; vgl. auch Sanders 1999: 140ff.).
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stellen. Im Bereich des Sexualtriebs ist hier z.B. an den „Ersatz-Liebeskumpan“ zu denken, wenn Tiere (z.B. aufgrund von früher Prägung) gegenüber Individuen einer anderen Spezies die einschlägigen Verhaltensmuster (Werbung, Paarungsversuche) zeigen.59 Das vom Realitätsprinzip beherrschte „Ich“ steuert die Person im Hinblick auf Bedingungen, die von der Außenwelt (mehr oder weniger rigide) auferlegt werden, in erster Linie mit Blick auf Bedingungen, die mit sozialen Beziehungen und „Rollenverpflichtungen“ des Verhaltens zusammenhängen. Wir werden uns hier mit einer „minimalistischen“ Ich-Konzeption tierlicher Persönlichkeitssysteme begnügen, indem wir mit E. Goffman davon ausgehen, dass auch bei höher organisierten Tieren Akte bewusstseinsgesteuerter, „willentlicher“ Selbstbeherrschung anzunehmen sind, die die Anerkennung eines (primär sozial ausgerichteten) Realitätsprinzips erkennen lassen und die auf (hauptsächlich) gelernten sozialen „Regelkenntnissen“ beruhen. Am Beispiel des Territorialverhaltens charakterisiert Goffman diese elementare Fähigkeit auf eine Weise, die verdeutlicht, dass auch interspezifische Interaktionskompetenzen ein Mindestmaß an Selbstkontrolle voraussetzen: Mit Goffman (1974: 173; Herv. v. R.W.) wird ferner „die Fähigkeit zu intelligentem, selbstbeherrschtem Handeln unterstellt. Das Individuum vermag seine eigenen Ansprüche und die anderer zu beurteilen und bedient sich seiner Fähigkeit, um sein eigenes Verhalten so zu regulieren, dass Übertretungen auf ein Minimum reduziert werden. Natürlich haben auch Tiere diese Fähigkeit.“ Das „Über-Ich“ kann man mit T. Parsons als das integrative Subsystem der Persönlichkeit ansehen; es operiert entlang „persönlicher Wertorientierungen“, die dem Kultursystem verpflichtet sind und intrasubjektiv als Gewissen in Erscheinung treten. S. Freud selbst war offenbar der Auffassung, dass die Instanzen des psychischen Apparates (Es, Ich, Über-Ich) nicht nur beim Menschen, sondern auch bei höher entwickelten Tieren vorauszusetzen sind. Freud schreibt dazu: „Dies allgemeine Schema eines psychischen Apparates wird man auch für die höheren, dem Menschen seelisch ähnlichen Tiere gelten lassen. Ein Über-Ich ist überall dort anzunehmen, wo es wie beim Menschen eine längere Zeit kindlicher Abhängigkeit gegeben hat. Eine Scheidung von Ich und Es ist unvermeidlich anzunehmen. – Die Tierpsychologie hat die interessante Aufgabe, die sich hier ergibt, noch nicht in Angriff genommen“ (Freud 1971a: 11; Herv. R.W.). Von einem tierlichen (Proto-)Über-Ich wäre demnach vor allem bei brutpflegenden Arten auszugehen, die (wie dies bei zahlreichen Säugetierarten Vgl. J. v. Uexküll (1956: 82) sowie N. Bischof (1997: 206ff.). Siehe zum Bereich entsprechender interspezifischer Libidoorientierungen M. Dekkers (1994).
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Kapitel 4 der Fall ist) eine ausgedehnte Kindheit benötigen, um durch ältere Tiere bestimmte Fertigkeiten und kognitive Kompetenzen („Kenntnisse“, Fertigkeiten) zu erlernen. Hier wiederum kommen vor allem solche Säugetiere in Frage, die durch die Domestikation in ihrem Verhalten partiell juvenile Merkmale (wie Spiel-, Neugierverhalten) bewahrt haben und deren Lernvermögen andererseits durch ein entsprechendes menschliches Anforderungsprofil in Anspruch genommen wird. Der Haushund wird hier von manchen Autoren als Paradebeispiel für eine moralische Grundkompetenz ins Feld geführt.60 Die Frage, unter welchen Bedingungen sich Hinweise auf tatsächliche „moralische“ oder „moralanaloge“ Steuerungskomponenten derart verdichten, dass sie in der Art einer stabilen, nicht nur momentan wirksamen, Gewissensinstanz die Verhaltensbeiträge eines tierlichen Individuums ansatzweise integrieren können,61 – diese Frage kann pauschal wohl nicht beantwortet werden. Ein viertes Funktionssystem bezeichnet Parsons als „Identität“. Damit soll ausgedrückt werden, dass sich im biographischen Verlauf so etwas wie ein persönlicher „Code“ durchhält, ein eigentümliches „Bezugssystem“, „innerhalb dessen persönliche Bedeutungen konkret symbolisiert und ‚ausgedrückt, ‚ausagiert, ‚realisiert usw. werden können“ (Parsons 1980: 83).62 Auf dieses „Organisationsprinzip“ wird üblicherweise angespielt, wenn man den typischen Verhaltensstil einer Person im Auge hat, oder den Sachverhalt, jemand verhalte sich seinem „Charakter entsprechend“. Insofern ontogenetische Lernprozesse wesentlich zu individuell „charakteristischen“ Temperamenten, (Sozial-)Verhaltensstilen; Problemlösungstechniken, (Selbst-)Kontrollfähigkeiten, Vorlieben usw. beitragen, ist es sicherlich legitim, auch bei höheren Wirbeltieren (z.B. bei Primaten, vielen domestizierten Tieren) von einer individuellen Codierung des Persönlichkeitssystems zu sprechen.63 Im folgenden verzichten wir freilich auf den Ausdruck einer Am bekanntesten wohl K. Lorenz (1994: 112ff.) , der in seinem Hundebuch im Kapitel „Das Tier mit dem Gewissen“ Beispiele anführt, die bei sorgfältiger Lektüre vermutlich auch hartnäckige Anthropomorphismus-Skeptiker nachdenklich stimmen. R. Bilz (1974: 282) zufolge zeigen Haushunde wirkliche „Schuld-Angst“, wenn sie bei „Verbotenem“ „ertappt“ werden, doch nimmt er an, dass sich das Ausdrucksverhalten, das diese Angst signalisiert, hinreichend über bedingte Reflexe (im Sinne I. Pawlows) erklären läßt. Vgl. zur „Stärke“ „moralischer Überzeugungen“ bei Hunden in jüngerer Zeit E. M. Thomas (1996: bes. 82-84). Vgl. als Überblick die Diskussion bei F. Wuketits (1990: 91ff.). Parsons Begriff der Identität zeigt eine gewisse Nähe zu dem, was G. Simmel (1987: bes. 222ff.) die unvergleichbare, ganzheitliche „qualitative Einzigkeit“ der Person nennt, ein „Mehr“, das nicht in der Summe der soziokulturellen Bezüge, in die sie eingebunden ist, aufgelöst werden kann. Vgl. am Beispiel der Individualität der domestizierten Katze exemplarisch M. Mendl/R. Harcourt (1988) sowie E. Karsh/D. Turner (1988). Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Indi-
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tierbezogenen „Identität“, da wir diesen Terminus für ein neuartiges, genuin menschliches Kompetenzspektrum (wie z.B. reflexiver Symbolismus, entfaltetes Selbstbewusstsein, „Weltoffenheit“ und „Personalität“ im Sinne Max Schelers64) reservieren wollen. Insgesamt ist es also nicht inplausibel, auch bei entsprechenden tierlichen Persönlichkeitssystemen Funktionsbereiche zu unterstellen, deren Wirkungsmechanismen die Psychoanalyse mit den Instanzen des Es, Ich und Über-Ich beschrieben hat. Diese Instanzen des psychischen Apparats sollten freilich nicht zu unabhängigen Entitäten reifiziert, sondern als Bezugs- oder auch Phasenaspekte eines ganzheitlichen, interpretativ zugänglichen Verhaltens aufgefasst werden. Gerade das menschliche Verhalten Tieren gegenüber ist oftmals „überdeterminiert“; sein intentionaler Aufbau ist, wie Paul Ricœur (1974: 356) schreibt, „auf mehrere Strukturen bezogen und auf vielfachen Ebenen“ zu interpretieren.65 Dabei bietet
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vidualität einer Katze bildet sich zwar im Wechselspiel von Erbanlagen und Lernerfahrungen; doch ist die individuelle „Art und Weise, in der sich Erbanlagen ausdrücken“, wahrscheinlich vor allem von „früh im Leben angetroffenen Bedingungen abhängig.“ (D. Turner/P. Bateson 1988: 8). Es macht sicherlich den besonderen Reiz dieser Tiere aus, dass ihre Vorlieben und Verhaltensstile ebenso markant wie individualtypisch hervortreten. Vgl. dazu M. Scheler (1978: 38ff.). Unter den „Klassikern“ der modernen philosophischen Anthropologie widersteht vor allem Max Scheler der Versuchung, die Eigenart des Menschen zu einer überzogenen „Sonderstellungslehre“ zu hypostasieren, die Mensch und Tier dichotom kontrastiert, die Unterschiede als Gegensätze deutet und die mannigfachen, oft „schwierigen“ Grautöne einem klaren „Schwarz-Weiß-Schema“ einverleibt. So spricht M. Scheler (1978: 34, 36; Herv. Scheler) z.B. davon, dass es „irrig“ wäre, „dem Tier die Wahlhandlung abzusprechen“; mit Blick auf die Köhlerschen Affenversuche ist er davon überzeugt, dass „in einigen Fällen echte Intelligenzhandlungen vorliegen.“ Intelligenz impliziert hier „Antizipation, das Vorher-Haben eines neuen, nie erlebten Tatbestandes (pro-videntia, Klugheit, Schlauheit, List).“ Kennzeichnend ist die „Plötzlichkeit“ der Einsicht: „Schon im Ausdruck drückt sich diese Plötzlichkeit aus, z.B. im Aufleuchten des Auges des Tieres, was Wolfgang Köhler sehr plastisch als Ausdruck eines ‚Aha-Erlebnisses deutet“ (Scheler 1978: 33; Herv. v. Scheler). Vgl. demgegenüber H. Plessners (1975: 272ff.) Diskussion der Köhlerschen Intelligenzversuche: Obschon auch Plessner sehr nuanciert argumentiert, so stellt er das antizipatorische Moment dieses Einsichtsverhaltens doch zurück und betont dafür die unmittelbare, gegenwartszentrierte Anschauungsgebundenheit des Verhaltens, das Moment der unwillkürlichen „Gestalterfassung“. – Mittlerweile spricht manches dafür, dass die (mit Blick auf die Intelligenzleistung der Schimpansen) weitergehende Deutung von Scheler vorzuziehen ist. So berichtet insbesondere J. Goodall von Fällen einfacher Werkzeugherstellung, bei denen (anthropomorph gesagt) der „Zweck“ ihrer „Verwendung“ gar nicht im visuellen Wahrnehmungsfeld des Tieres liegt: „Oft präpariert einer der Schimpansen ein Werkzeug, das er an einem Termitenbau benutzen will, der mehrere hundert Meter entfernt und absolut nicht zu sehen ist“ (Goodall 1996: 31). Der Begriff der Überdeterminierung oder mehrfachen Determinierung ist hier vor dem Hintergrund der Freudschen Traumdeutung zu verstehen, wo er sich auf Traumelemente bezieht, die sich auf eine ganze Reihe von „Traumgedanken“ beziehen, die den „verschiedensten Bezirken“
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die hermeneutische Freud-Interpretation von Ricœur den methodologischen Vorzug, dass sie die doppelte, vertikale und horizontale Dimension dieser Sinnüberdeterminierung, ihre intra- und intersubjektiven Bezüge, als eine symbolische Textur, als eine symbolische Verweisungsstruktur von Intentionen konzeptualisiert. Die Interpretationsarbeit des psychischen Apparats setzt also an einer „intentionale(n) Struktur“ an, „die nicht im Verhältnis von Sinn und Sache besteht, sondern in einer Architektur des Sinns, in einem Verhältnis von Sinn und Sinn, von zweitem und erstem Sinn, ob es sich nun um ein Analogieverhältnis handelt oder nicht, ob der erste Sinn den zweiten verschleiert oder enthüllt.“ (Ricœur 1974: 10; im Orig. hervorgeh.). Diese hermeneutische Zugangsweise schließt eine systemtheoretische Perspektive keineswegs aus, im Gegenteil: Diese methodologische Verbindung stellt sogar in Aussicht, die Person als ein Mehrebenensystem zu verstehen: Ihre internen Sinntransformationsprozesse nicht isoliert zu betrachten sind, sondern bezogen auf die Funktionsweise der anderen Subsysteme des allgemeinen Verhaltenssystems (Organismus, Sozialsystem, Kultur). Von daher sind manche Verfahrensweisen einer Mehrebeneninterpretation nicht nur auf die menschlichen, sondern auch auf die tierlichen Akteure anzuwenden (z.B. sollte die Deutung von Verhaltensstörungen bei (Heim-)Tieren sich nicht nur auf eine Systembezugsebene beschränken, prinzipiell sind immer mehrere Ebenen in Betracht zu ziehen).66
4.2.4 Koordinaten interspezifischer Sozialsysteme In Anlehnung an T. Parsons verstehen wir unter einem Sozialsystem jenes Selektionsprogramm des Verhaltens, das sich auf die Integration von Verhaltensprozessen bezieht, Verhaltensprozessen, die hier auf unmittelbare Face-toface-Interaktionen bezogen werden. Die Akteure eines Sozialsystems erreichen demnach eine sequentielle Anschlussfähigkeit ihrer Verhaltensbeiträge durch
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angehören können und typischerweise einer symbolischen „Verdichtung“ und szenischen Dramatisierung unterzogen wurden (vgl. Freud 1971b: bes. 22-27). Z.B. muss erhöhte Aggressionsbereitschaft keineswegs auf genetische (Zucht-)Defekte des Verhaltensorganismus zurückzuführen sein, sie kann ätiologisch auch auf der Ebene des Persönlichkeitssystems angesiedelt sein (oder beides). Bei Rhesusaffen z.B. führt frühe Mutterentbehrung zu Störungen in der ontogenetischen Gefühlsentwicklung und mündet später nicht selten in eine erhöhte Aggressionsbereitschaft gegenüber Artgenossen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass das Trennungssyndrom bei Affenkindern den humanpsychologischen Phasenverlauf zeigte, der von J. Bowlby (1973) beschrieben wurde (Protest, resignative Verzweiflung, Gleichgültigkeit) (vgl. Schmalohr 1980: 139f., 151). Vgl. zu „Wohnungsneurosen“ von Kätzchen, die zu früh von ihrer Mutter getrennt wurden, P. Leyhausen (1996: 145f.).
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aneinander ausgerichtete Orientierungsleistungen, die darauf basieren, dass Ego das Verhalten von Alter als Prämisse des eigenen Verhaltens aufnimmt und vice versa (vgl. Parsons 1975: 17; 1976: 277f.; Luhmann 1984: 135-41, 217f.). Wie oben schon gezeigt wurde, erfordert die Bewältigung dieser doppelten Kontingenz eine hinreichend „sinnvolle“ Komplementarität von Verhaltenserwartungen, die durch zeichenhafte (z.B. symbolische)67 Generalisierungen (z.B. Typisierungen, Normalformen usw.) ermöglicht wird. Diese Generalisierungen korrespondieren mit sozialen Strukturierungsleistungen, die Parsons nach ihrer besonderen Ordnungsfunktion weiter spezifiziert (Rolle, Kollektive, Normen, Werte).68 Während für Sozialsysteme, in die Menschen und Tiere involviert sind, die letztgenannte Differenzierung allenfalls eine analytische Relevanz beanspruchen kann, lässt sich das generalisierte Medium Affekt, das auf dieser interaktiven Verhaltensebene als Integrationskatalysator fungiert, empirisch leichter verdeutlichen – vorausgesetzt, man konzediert, dass sich affektive und Gefühlszustände überhaupt aus dem Ausdrucksverhalten von Tieren „ablesen“ lassen.69 Im Hinblick auf die Wechselseitigkeit der Mensch-Tier-Interaktion ist auf der Ebene des allgemeinen Verhaltenssystems nun zunächst eine Verhaltensdimension näher zu beleuchten: der Stellenwert des Mediums der Affekte und der emotionalen Dimension von Mensch-Tier-Beziehungen.
4.2.4.1 Affektive und emotionale Aspekte interaktiver Realitätskonstruktion Eine wichtige binnenwissenschaftliche Bedingung für die sozialtheoretische Vernachlässigung von Mensch-Tier-Interaktionen ist sicherlich in einer breiten 67
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Im Unterschied zu N. Luhmann (1984: 137) bedeutet hier „zeichenhaft“, dass die semiotische Beziehungsform, die die Generalisierung der Verhaltenserwartungen „trägt“, gerade im Rahmen von strukturierten Mensch-Tier-Beziehungen nicht nur symbolisch, sondern auch indexikalisch oder ikonisch organisiert sein kann (vgl. zur Terminologie U. Eco 1977). „Generalisierung“ meint hier allgemein eine Selektion, die Möglichkeiten eröffnet und gleichzeitig einschränkt (Luhmann 1984: 140). T. Parsons (1967: 141; vgl. 1971: 7f.) unterscheidet hier vier „levels of generality“: (1) Individuals in roles are organized in form what we call (2) collectivities. Both roles and collectivities, however are subject to ordering and control by (3) norms that are differentiated according to the functions of these units and to their situations, and by (4) values that define the desirable type of system of relationships.“ Vgl. unter Bezug auf Ch. Darwins „The Expression of the Emotions in Man and Animals“ (zuerst 1872) den Überblick von D. Ploog (1987), zur Affektbindung vokaler Kommunikation M. Lindauer (1990: 186ff.), speziell zum Trauerverhalten M. Schleidt (1991: 11f.). Zahlreiche Befunde referiert – trotz einiger überzeichneter Verhaltensdeutungen – die thematisch weit ausgreifende Darstellung von J. Masson/S. McCarthy (1996).
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Tendenz der bisherigen Soziologie zu sehen, die systematische Bedeutung der Gefühlsaspekte des Sozialverhaltens zu unterschätzen (abgesehen von Ansätzen einer Emotionssoziologie, wie sie sich bei Klassikern wie G. Simmel, E. Durkheim oder M. Scheler finden lassen). Weithin wurde (bzw. wird z. T. noch heute) gegen die Beschäftigung mit dem Emotionalen jener „Irrationalismusverdacht“70 in Stellung gebracht, der heute bei manchen Sozialwissenschaftlern im Spiele sein mag, wenn sie mit der Idee einer Mensch-Tier-Interaktion konfrontiert werden. Schon in der mehrdeutigen Rede vom „Animalischen“ klingt ja nicht zufällig beides an: Einerseits die dunkle Seite der Triebe, Affekte und Emotionen beim Menschen, andererseits das „Tierische“, der Inbegriff der sub- oder vormenschlichen Sphäre. Schon Max Scheler sieht in diesem Kontext sehr klar, dass es nicht rationalistische Handlungskonzepte sein können, die das Sozialverhalten von Menschen und höheren Tieren vergleichbar machen. Hellsichtig identifiziert er den entscheidenden soziologischen Ansatzpunkt, der eine konzeptionelle Verknüpfung beider Bereiche ermöglichen könnte: „In allem Affektiven steht das Tier dem Menschen sogar noch viel näher als in Bezug auf Intelligenz. Geschenk, Hilfsbereitschaft, Versöhnung und ähnliches kann man bereits bei Tieren finden“ (Scheler 1978: 36; Herv. v. R.W.).
Die herkömmliche Ausblendung des „Tierischen“ (in der mehrfachen Bedeutung des Wortes) zeitigte beides: Einmal ein verbreitetes Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen von Interaktionskompetenzen höherer Tiere; andererseits führte diese Ausblendung bei herkömmlichen Interaktionskonzepten zu Engführungen, denn diese neigen dazu, Orientierungsleistung und Reichweite des emotionalen „Unterbaus“ zwischenmenschlicher Beziehungsformen generell zu marginalisieren. Selbst wo der Stellenwert von Emotionen für das Sozialverhalten systematisch berücksichtigt wurde, fehlte oftmals ein adäquates Verständnis der semantischen, respektive: protosemantischen Funktionen der Emotionen bei der sozialen Konstruktion der Realität.71 Eine in diesem Sinne „asoziale“ Schlagseite findet sich z.B. bei dezidiert „organismischen“ Ansätzen, die invariante „Instinkte“ oder körperliche
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So schon vor Jahren H.-G. Vester (1991: 12f.), der feststellte, „dass in der Soziologie bis vor kurzem das Thema Emotionen keine Rolle gespielt hat oder schlicht inexistent war.“ Siehe auch J. Gerhards (1988: 11ff:) zur diesbezüglichen „Abstinenz“ der Soziologie, speziell zu einer nun neuerdings an Luhmann anschließenden systemtheoretischen Konzeptualisierung von Gefühlen die Übersicht von D. Baecker (2004). Wie im Fall von C. Homans (z.B. 1981), der den rein „energetischen“, den Antriebsaspekt von Emotionen für das Verhalten wohl überbewertet.
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„Impulse“ reifizieren oder die Reichweite ihres Wirkungsradius über Gebühr erweitern.72 Für humanimalische Interaktionen ist freilich die von Max Scheler oder Emotionssoziologen wie Randall Collins herausgestellte emotionale Strukturierung sozialer Situationen (Collins 1975; 1981) sicher von besonderer Relevanz. Dies liegt einmal daran, weil Menschen alle grundlegenden Gefühle mit den höheren Wirbeltieren (insbes. Säugetieren) teilen,73 – ungeachtet der Tatsache, dass es „natürlich“ häufig keine (genauen) interspezifischen Entsprechungen zwischen den jeweiligen Ausdrucksverhaltensweisen und den „dahinter stehenden“ emotionalen Zuständen gibt (Plutchik 1986; 1980). Hier liegt sicherlich eine entscheidende Stärke des emotionssoziologischen Ansatzes von Collins, – im Vergleich etwa zu dem doch eher „thetisch-intentionalistischen“ Ansatz von Arlie Hochschild (1990), der (zu) stark Prozesse der bewussten „Emotionsarbeit“ fokussiert. Der hohe Stellenwert einer präreflexiven emotionalen Codierung von Situationen wird hier tendenziell vernachlässigt, zugunsten von Prozessen, die eine absichtlich-willentliche Veränderung von „unangemessenen“ emotionalen Zuständen zum Ziel haben. Für den hohen Stellenwert, den die „tacid dimension“ für die emotionale Ökonomie von Interaktionen bzw. von „beziehungsstiftenden“ Interaktionsketten hat, sensibilisieren nicht zuletzt Forschungen aus der ethnomethodologischen Tradition. So haben Ethnomethodologen immer wieder auf die „tacid assumptions“ aufmerksam gemacht, die in Interaktionen Routinen zur Kontingenzbewältigung bereitstellen.74 Die Abschätzung dessen, was in einer Situation als „natürlich“ oder fraglos geltend angesehen wird, als situativ angemessene Verhaltensnorm, ist kein rein kognitiver Prozess, der sich auf seine prädikativ gebunde72 73
74
In dieser Hinsicht wird man der einschlägigen Kritik von A. Hochschild (1990: 163ff.) zustimmen wollen. Vgl. mit Blick auf primäre und sekundäre Emotionen zusammenfassend E. Wilson (1998: 154f.), zudem H.-G. Vester (1991: 33) oder den psychoevolutionären Ansatz von R. Plutchik (1980). Welche Emotionen nun im Einzelnen als Primäremotionen anzusprechen sind, ist in der Emotionsforschung umstritten. Edward Wilson nennt hier z.B. in einem Interview mit D. Zimmer: Freude an der Bildung sozialer Beziehungen (die Bandbildung), die Freude am Essen, die Wut bei der Verletzung, die tief sitzenden Ängste vor Unbekannten“ (Zimmer 1981: 256). Im Folgenden werden wir – H.-G. Vester (1991) und W. L. Bühl (1982) folgend – dieser Tirade noch einen Komplex „Traurigkeit“ hinzufügen, der Verlustreaktionen begleitet und durch die Verhaltensforschung ausreichend belegt ist, vgl. z.B. J. Goodall (1991: 285ff.). Vgl. auch die Diskussion der neurobiologischen und stammesgeschichtlichen Voraussetzungen grundlegender Affekte und Emotionen bei G. Roth (2003: 265ff.). G. Roth (2003. 93; Herv. R.W.) betont z.B., dass die Zentren des limbischen Systems „bei allen Primaten, ja bei den meisten Säugetieren strukturell und funktional dieselben sind.“ Eine instruktive, evolutionstheoretisch orientierte Übersicht zur Affektkommunikation bei Menschen und höheren Tieren gibt P. Meyer (1993). Siehe am Beispiel indexikalischer Ausdrücke H. Garfinkel/H. Sacks (1970: 348ff.).
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nen Ausdrucksformen (wie sprachlich formulierte Urteile) reduzieren ließe. Sie ist vielmehr charakterisiert durch affektive und emotionale Intentionalitätsformen, durch Akte „intuitiver“ Gefühlseinschätzung und durch „stimmungsgetragene“ Sinngebung. Dies zeigen am besten die Struktur stützenden Verhaltensweisen par excellence, die Verhaltensroutinen. Weithin scheint nämlich auch für höhere Tiere zu gelten, was Randall Collins in Bezug auf Menschen herausgearbeitet hat: Diese „do not think of these routines as upholding property and authority, although an analytically minded outside observer could describe them as fitting the pattern. People follow routines because they feel natural or appropriate“ (Collins 1981: 997; Herv. R.W.).
Das Klassifizieren und interaktive Strukturieren sozialer Situationen werden in dieser Sicht also wesentlich emotional gesteuert, z.B. über das intentionale „Gefühl für“ Gruppenmitgliedschaft bzw. soziale Zusammengehörigkeit, über Gefühle „geschuldeter“ Dankbarkeit, über das Gespür für Vertrauenswürdigkeit, kollektiv gefühlter Zusammengehörigkeit75 usw. Bei stark habitualisierten Beziehungen zwischen Menschen und höheren Tieren, die ein hohes Maß an wechselseitiger Du-Evidenz aufweisen, lassen sich so durchaus emotionale Bindungsmuster aufweisen, „informelle Muster“, wie sie Georg Simmel (in humansoziologischer Perspektive) an Phänomenen wie „Dankbarkeit“ oder „Scham“ exemplifiziert hat (Simmel 1983: 140ff., 210ff.). Derartige soziale Beziehungen, die einen ephemeren Face-to-face-Kontakt überdauern, werden nicht nur emotional gestützt und vorstrukturiert; sie können ihrerseits Quelle einer emotionalen „Auf“- oder „Abrüstung“ der beteiligten Individuen sein. R. Collins: „Emotional energies are important results of interactions at any point in the ritual chain. Emotional solidarity (...) is the payoff that favorable conversational resources can produce for an individual“ (Collins 1981: 1001; vgl. auch Collins 1984: 387ff.). Affektiv begründete Assoziations- und Identifikationsbeziehungen, die durch Habitualisierung stabilisiert werden, kann man in Anlehnung an Parsons und Durkheim nun als einen möglichen „Brennpunkt“ humanimalischer Solidaritätsbeziehungen ansetzen (Parsons 1990: 115f.; 1970: 50f.). In diesem Sinne wäre davon auszugehen, dass eine symbolische Generalisierung affektiv geprägter Solidaritäten – etwa eine durch Typisierung stabilisierte, „positiv getönte“ Empathiebereitschaft – sich wenigstens bei brutpflegenden Wirbeltieren nachweisen lässt. 75
Siehe als klassische Darstellung der kollektivierenden Macht der Gefühle E. Durkheims Ausführungen im ersten Buch seiner „Teilung der sozialen Arbeit“ (Durkheim 1977).
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Im konkreten Fall ist dabei wohl häufig von einer wechselseitigen Verschränkung der sachlichen, zeitlichen und sozialen Dimension der Bedeutungsgeneralisierung auszugehen. Bei der sachlichen Generalisierung sind offenbar die artspezifisch recht unterschiedlichen Formen einer vorsprachlichen Kategorienbildung in Betracht zu ziehen, die Otto Koehler als „unbenanntes Denken“ bezeichnet hat: die Fähigkeit, „wortlose Vorstellungen und Begriffe zu bilden und Urteile zu fällen, die zu tatsachentreuem Gebrauche passen“ (Koehler 1974: 114).76 Derartige Forschungen zeigen, dass es bei Haus- und Wildtieren Lernvorgänge gibt, die in einem einfachen bzw. ursprünglichen Sinne Affekte mit symbolischen Verweisungsbezügen verknüpfen. Dabei kommt es einerseits zu einer affektiven Besetzung eines willkürlicharbiträren Zeichens (z.B. einer visuell wahrnehmbaren Gegebenheit, eines olfaktorischen, akustischen usw. Phänomens), andererseits kann diese gelernte Bedeutungsfunktion später in „analogisierender“ Weise auf „ähnliche“ Sachverhalte oder – bei sozialer Generalisierung – auf „ähnliche“ Individuen und Situationen übertragen werden. Bei Wirbeltiersozietäten, die Paarbindungen zwischen bestimmten Individuen sowie Rangordnungen ausgebildet haben, ist es z.B. unabdingbar, dass das eine Tier das andere Tier zu einem späteren Zeitpunkt als das „gleiche“ Tier wiedererkennt.77 Soziale Bindungen, die sich in erster Linie auf solche Gedächtnisleistungen gründen (und nicht etwa durch ad hoc wirkende visuelle, olfaktorische usw. Signale – z.B. „Nestgeruch“ – zu erklären sind), können als Typisierungen aufgefasst werden, die mit der Fähigkeit zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Generalisierung von interindividuellen Affektbesetzungen einhergehen (z.B. Furcht vor Ranghöheren, Ausdruck von Trauer/Niedergeschlagenheit bei Verlust eines affektiv positiv besetzten („geliebten“) Mitglieds der Sozialeinheit). 78 Wenn es sich um intensive, längerfristige oder habitualisierte Mensch-TierBeziehungen handelt, kommt es gegebenenfalls sogar zu einer zeichenhaften Objektivierung beziehungsrelevanter emotionaler Bedeutungen. Dabei handelt es sich um emotionale Konstruktionen, durch die Gesten oder Objekten eine intersubjektiv (weithin) geteilte Affektbedeutung willkürlich zugewiesen wird. Das sogenannte „Geschenk-Phänomen“, das Michael Fleischer von seinem Hund 76
77 78
Vgl. dazu zusammenfassend D. Franck (1979: 123ff.), ausführlich B. Rensch (1973). Eine eher sequentielle, an der Abfolge von Auslösung und Wirkung orientierte Form impliziten „Schlussfolgerns“ lassen Hauskatzen erkennen (Leyhausen 1996: 126ff.). Vgl. zu diesen „nichtanonymen geschlossenen Biosozialeinheiten“ G. Tembrock (1987: 309f.). Vgl. zu den sozialen Ordnungsfunktionen generalisierter Affekte und Gefühle exemplarisch J. Goodall (1991; 1996: 55ff.) oder F. de Waal (1991: 96ff.), der z.B. zeigt, dass beim Rangtransfer unter Rhesusaffen affektive „Respektsorientierungen“ sozial (verwandtschaftlich oder „freundschaftlich“) generalisiert werden können. Vgl. für entsprechende Vorgänge bei Pavianen die Schilderungen von S. Strum (1989: 69ff., 352ff.).
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mitteilt, ist hier ein Beispiel: Der Hund behandelt einen Knochen nicht mehr (nur) als „Gebrauchsgegenstand“ (an dem er z.B. nagen, mit dem er spielen kann usw.), sondern als eine Art Beziehungszeichen, mit dessen Hilfe der Hund „eine Nachricht (die Mitteilung von Freundschaft, Verbundenheit u. dgl.) (initiiert). Ist diese Nachricht verstanden und aufgenommen worden, verliert der Knochen nach einiger Zeit seinen Zeichencharakter (...)“ (Fleischer 1993: 28).79 Falls Fleischers Annahme zutrifft, dann wäre auch für Mensch-Tier-Beziehungen nicht grundsätzlich auszuschließen, „dass emotionale Bedeutungen genauso wenig im Rohzustand zum Ausdruck gebracht werden, wie Sinnesdaten unverarbeitet Eingang in das Wissen finden. Sie sind keine bloßen Ereignisse, sondern erlangen Bedeutungen, die dann eine symbolische Ordnung erfahren: auf kultureller Ebene in expressiven Symbolsystemen, auf personaler Ebene in Motivationssystemen, auf sozialer Ebene in Solidaritätsstrukturen“ (Parsons 1990: 116f.).
Sieht man diesen Vorschlag von Parsons im Kontext des bisher Gesagten, dann ist es nicht abwegig, für die Kontrollmechanismen mancher humanimalischer Interaktionssysteme eine Codierung von Emotionen anzunehmen. Dabei ist offenbar eine grundlegende Asymmetrie zu konstatieren. Während Emotionen auf der menschlichen Seite über tertiäre Codierungen (I. Bystrina) ein breites Spektrum multifunktionaler Bezüge abdecken können,80 kommen auf der Seite von selbst relativ interaktionskompetenten Tieren wohl vor allem zwei Grundfunktionen in Betracht: 1. Die durch einen beziehungsspezifischen Code begünstigten bzw. auslösbaren Funktionen, die mit einer Aktualisierung und Kontrolle von Affekten und Emotionen zusammenhängen. So kann z.B. ein bestimmtes vokales Zeichen oder eine Geste beim Tier Gefühle der Furcht oder der freudigen Erwartung hervorrufen, Reaktionen, die dann natürlich zur Kontrolle tierlichen Verhaltens eingesetzt werden können. 2. Zum anderen gibt es bei höheren Tieren ein Repertoire von situativ relativ variablen Ausdrucksaktivitäten, die für eine soziale Codierung besonders prädestiniert sind. Hier ist es besonders wahrscheinlich, dass ein Tier die „Emotionsbedeutung“ seiner Verhaltensaktivität über die (verstärkende) Reaktion (den „Erfolg“) erlernen kann, die beim menschlichen Gegenüber auftritt, wenn das Tier das entsprechende Verhalten zeigt. Die erlernte 79 80
Siehe auch Fleischer (1987: 163ff.), speziell zum zentralen Stellenwert der emotionalen Ebene in der Interaktion mit Hunden M. Fleischer (1987: 144ff.). Vgl. H.-G. Vester (1991: 94-96) grundlegend über die Codierung von Emotionen. Codes repräsentieren demnach nicht nur das kollektive Wissen über Emotionen, sie formen, aktualisieren und kontrollieren auch emotionales Erleben und Verhalten. Schließlich ist auch von einer irreduziblen Inkommensurabilität von Codierung und Emotion auszugehen, die eine eindeutige Codierung ausschließt.
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Bedeutungsfunktion eines affektiv besetzten Ausdrucksverhaltens kann dann in ähnlichen Situationen „angewendet“ werden. Ein Beispiel: Das Schnurren von Hauskatzen ist nicht allein ein Zeichen für eine sozial aufgeschlossene, „wohlwollende“ Stimmungslage der Katze. Im Interaktionskontext ist es wohl zutreffender als ein Beschwichtigungslaut („Mittel“) zu deuten, der von der Katze (auf eine unbeabsichtigte Weise) „eingesetzt“ werden kann, um ein „gewünschtes“ Verhalten eines Artgenossen oder Menschen (z.B. Fütterung) hervorzurufen oder zu beschleunigen.81 Ein weiterer Gesichtspunkt darf nicht übersehen werden: Bei vergleichsweise stabil integrierten Mensch-Tier-Beziehungen, die nicht auf direktem Zwang beruhen, wird der Solidaritätsaspekt wesentlich durch den wechselseitigen Ausdruck von Affekten und Gefühlen gestützt. Diese Ausdrucksaktivitäten können intersubjektiv insofern „adäquat“ verstanden werden, als sie sich zu anschlussfähigen humanimalischen Interaktionssystemen organisieren lassen. Hier sind zwei Punkte hervorzuheben: (1) Das Adäquanzkriterium bezieht sich auf der sozialen Systemebene natürlich nicht auf (die mehr oder weniger verbalisierten oder verbalisierungsfähigen) Absichten oder „Urteile“ der involvierten Interakteure. Selbst die bewusste Reflexion auf den eigenen oder fremden Bewusstseinszustand spielt häufig eine sehr untergeordnete Rolle. In solchen Fällen ermöglichen Emotionen interspezifische Kommunikationsprozesse, weil sie in Interaktionen als Informationsraffer fungieren, die so etwas wie ein mentales Stenogramm der Situation zur Verfügung stellen. Damit ermöglichen (2) Emotionen eine Realisierung von wechselseitigen Verhaltensselektionen, die eine Herausbildung komplementär anschlussfähiger und habitualisierbarer „Passformen“ interspezifischer Interaktion fördern können. Denn ganz allgemein, schreibt Heinz-Günter Vester, „sind Emotionen Verstärker für Verhaltensweisen, insofern Verhaltensweisen, die als angenehm empfunden werden, einen höheren Überlebenswert haben dürften als solche, die mit unangenehmen Empfindungen verbunden sind“ (Vester 1991: 46).
81
Vgl. zum Bedeutungsspektrum des Schnurrens als einem relativ „frei verwendbaren“ Ausdrucksverhalten bes. P. Leyhausen (1982: 251), zudem D. Morris (1992: 30f.). Da beobachtet wurde, dass auch kranke und verletzte Katzen schnurren, gehen diese Autoren davon aus, dass dieses Lautverhalten nicht immer subjektives Wohlbefinden ausdrückt. P. Bateson/D. Turner (1988 : 234) vergleichen das Schnurren mit dem Lächeln des Menschen, da es nicht nur Wohlbehagen oder Freude ausdrücken, sondern auch zur Beschwichtigung eines dominanten anderen dienen könne.
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4.2.4.2 Interaktionsfiguration und „biologisches Radikal“ Wie schon dargelegt, impliziert das Konzept einer Mensch-Tier-Interaktion bei den beteiligten Akteuren subjektive Minimalkompetenzen, die sie in die Lage versetzen, ihr Verhalten sozial zu orientieren, d.h. ihr Verhalten intentional und motivational „sinnhaft“ auf das Verhalten des Gegenübers einzustellen. Diese Fähigkeit ist besonders bei solchen Wirbeltieren anzunehmen, die im Bezugssystem des Verhaltensorganismus eine relativ enge phylogenetische Verwandtschaft mit dem Menschen auszeichnet, die insbesondere Ähnlichkeiten im verhaltensrelevanten „Artgedächtnis“ aufweisen. Begünstigend wirkt sich überdies ein hohes Niveau der Lernfähigkeit und Soziabilität aus, besonders bei höheren brutpflegenden Arten.82 Diese Arten können mindestens in der Phase des Aufzucht relativ dauerhafte soziale Lebensformen entwickeln (vgl. etwa viele Säugetier- oder Vogelarten).83 Vor allem brutpflegende Wirbeltiere84 verfügen offenbar über soziale Grundkompetenzen, d.h. über ein implizites Schema des Sozialverhaltens (z.B. hinsichtlich sozialer Ränge, der Territorialität, des Grußverhaltens, der „Dramaturgie“ von Drohung und Beschwichtigung, usw.). Das unterscheidet sich zwar mitunter stark von der entsprechenden Ausdrucks- und Aktionsformen des menschlichen Sozialverhaltens, es bietet aber dennoch die Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt stabilere humanimalische Interaktionssysteme bilden können.85 Gerade im Hinblick auf die methodisch-komparative Konzeptualisierung von Mensch-Tier-Beziehungen erscheint es sinnvoll zu sein, in diesem Zusammenhang soziale Beziehungsmuster ins Auge zu fassen, die dem situativen Interaktionsverhalten vorgelagert sind. Diese Muster interdependenter Verhaltens82 83
84
85
Vgl. zur Schlüsselbedeutung des Brutpflegeverhältnisses für die Herausbildung stabiler Sozialbeziehungen bei höheren Wirbeltieren I. Eibl-Eibesfeldt (1995: 232ff.). Siehe H. Markl (1986: 100). Diese ethologisch begründete Verwandtschaft der Verhaltensprogramme sagt allerdings nichts über die innere Komplexität der möglichen Verhaltensleistungen aus, die auch bei sogenannten „niederen“ Wirbellosen (z.B. bei der Honigbiene) oft erstaunlich hoch anzusetzen sind (vgl. zu Beispielen aus der Biokommunikation Lindauer 1990). Zu Recht macht wohl M. Dawkins (1994: 122f.) darauf aufmerksam, dass wir stammesgeschichtlich näherstehenden Tieren wie Hunden, Affen, Katzen usw. aufgrund einer meist stärkeren gefühlsmäßigen Verbundenheit und der relativ leichteren biosemiotischen Dechiffrierbarkeit ihres Verhaltens eher komplexere bzw. „intelligentere“ Leistungen zutrauen. Vgl. dazu G. Tembrock (1987: 304ff.), der im Einzelnen die Unterschiede anführt, die das hier angesprochene, unter Säugetieren und Vögeln verbreitete Brutpflegeverhalten vom Brutpflegeverhalten im Rahmen biosozialer „Ähnlichkeitspartnerschaften“ (z.B. bei Insekten) abhebt. Was natürlich nicht ausschließt, dass diese Interaktionssequenzen für beide Seiten sich über mehr oder weniger „missverständliche“ Verhaltensanschlüsse fortsetzen. Das wird dadurch begünstigt, dass Interaktionssysteme prinzipiell mit einem „ungefähren Modus des Verständigtseins“ arbeiten, dass sie außerdem eine „geringe Negierfähigkeit und eine geringe Rechenschaftspflicht“ besitzen (vgl. zusammenfassend Luhmann 1984: 561).
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weisen können den interspezifischen Interaktionsprozess generalisierend vorstrukturieren, d.h. sie „definieren“ in gewissem Sinne die soziale „Typik der Situation“ vor. Anders gesagt: Diese Muster „beziehen sich auf eine generelle ‚Rolle, ‚Position oder ‚Funktion“ (Bühl 1982: 183). Grundlegende soziale Beziehungsmuster, die in diesem Sinne eine humanimalische Interaktionssequenz in der Bindungsdimension sozial „kanalisieren“ können, sind insbesondere das Mutter-Kind-Muster und das „Führer-Gefolgsmann“-Muster. Ihre soziale Generalisierungsfunktion drückt sich darin aus, dass sie eine übersituative Geltungsdauer haben und gegenüber aktuellen Sinndeutungen relativ immun sind. Manche dieser Sozialbeziehungen sind sicherlich kein spezifisch menschliches Phänomen, sondern „ganz unverkennbar bis weit hinunter in der Wirbeltierreihe“ (Bühl 1982: 182) zu finden. Dem von Rudolf Bilz untersuchten Repertoire der „urszenischen Rollen“, „Ursituationen“ (Bilz 1973: 125ff.) und „biologischen Radikalen“, kommt für die „Sozialgrammatik“ interspezifischer Interaktionen sicherlich eine Schlüsselfunktion zu. Einerseits handelt es sich dabei um stammesgeschichtlich fundierte und insofern „a priori“ gegebene Verhaltensbereitschaften (Erlebnis-, Aktionsoder Reaktionsbereitschaften), die Menschen mit anderen Wirbeltier- oder Säugetierarten teilen. Zum anderen sind diese Verhaltenszwänge aber flexibel genug angelegt, um soziokulturell oder interspezifisch unterschiedlichen Situationserfordernissen entsprechend umgeformt (oder auch abgedrängt) zu werden. Biologische Radikale wie das „Anstoßnehmen“, das Setzen von „Wegmarken“, die „scheue“ Blickvermeidung, das (sozialräumlich wie im übertragenen Sinne zu verstehende) „Sich-breit-machen“ sind Beispiele für Verhaltensbereitschaften, deren Aktivierung häufig auch in interspezifischen Interaktionen garantieren, dass beide Seiten eine hinreichend kongruente soziale Situationsdefinition vornehmen können. Die wechselseitigen Verhaltensbeiträge können dann sequentiell so integriert werden, dass die Grenzen zwischen normenkonformen und abweichenden Verhaltensweisen intersubjektiv bestätigt werden (was natürlich nicht ausschließt, dass diese Grenzen „im Vollzug“ auch verschoben oder verletzt werden können). Wenn man nun unterstellt, dass sich Prozessverläufe von Mensch-TierKontakten nur unzureichend über ein intentionalistisch hypostasiertes Konzept doppelter Kontingenz erfassen lassen, dann bleibt die Frage, wie dies anders gelingen könnte. Unser Vorschlag ist, dass man versuchen sollte, humananimalisches Interaktionsverhalten ganzheitlich zu begreifen, d.h. zu schauen, wie sich die Interaktionselemente zu typischen Verhaltenssequenzen oder ausgedehnteren Verbundhandlungen („joint acts“) konfigurieren. Dieser Blick fokussiert also nicht einen Akteur, der als „Souverän“ „seine“ vorentworfene Handlung zu meistern sucht, sondern soziale Interaktionsfigurationen, die eine charakteristi-
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sche Prozessordnung, eine sequentielle Eigenlogik des kollektiven Verhaltens aufweisen. Entscheidend für den Sinn einer Verhaltenssequenz ist dabei nicht so sehr das Auftreten des einen oder anderen Verhaltenselements, sondern die Organisation, die prozessuale Anordnung von Verhaltenselementen (z.B. von einzelnen Unterwerfungs- oder Drohgesten, Beschwichtigungsgesten usw.),86 die in sehr ähnlicher Form in ganz unterschiedlich konfigurierten Interaktionen auftreten können.87 Interaktionsanalysen, wie sie besonders von Goffman durchgeführt wurden, bestätigen das besondere Gewicht derartiger Interaktionskonfigurationen in vielfältiger Weise. Exemplarisch ist hier der „korrektive Prozess“, der (trotz mannigfaltiger empirischer Übergangsformen und Modifikationen) eine typische Sequenz aufweist (Herausforderung, Angebot, Akzeptieren und Dank, vgl. Goffman 1986: 26ff.). Goffman ging es darum zu zeigen, dass die unterschiedlichen Formen der wechselseitigen „Verstrickung“ von Anwesenden Muster und Regelmäßigkeiten zeigen und dadurch eine „Interaktionsordnung“ etablieren. Und Goffman begriff diese Interaktionsordnung eben nicht als exklusiv „menschliche“ Ordnung, er erkannte vielmehr, dass es sich dabei in einigen (nicht allen!) zentralen Aspekten um eine artübergreifende, humanimalische Interaktionsordnung handelt. Genau diese Einsicht macht ihn für eine Theorie humanimalischer Interaktionsprozesse zum weitaus wichtigsten, „anschlussfähigsten“ soziologischen „Klassiker“. War es doch Goffman, der gerade in seinem Spätwerk wiederholt auf die „psychobiologischen“ Aspekte der Interaktionsordnung hingewiesen und betont hat, dass eine Anerkennung der diesbezüglichen Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Tieren nicht mit einem soziobiologischen Reduktionismus verwechselt werden dürfe: „Man beachte auch, dass die Interaktionsordnung die Menschen in Sphären ihres Daseins beschreibt, die bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit dem sozialen Leben anderer Gattungen aufweisen. Es wäre ebenso unklug, die Ähnlichkeiten zwischen menschlichen und tierische Begrüßungen herunterzuspielen wie etwa die Ursachen für Krieg in genetischen Veranlagungen zu suchen“ (Goffman 1994: 57f.; Herv. R.W.).
86 87
Bei Tieren handelt es sich dabei im Wesentlichen um Verhaltensereignisse aus dem artspezifischen Verhaltensrepertoire, dem Ethogramm (vgl. Tembrock 1987: 23). Der Interaktionssinn liegt in dieser Perspektive, wie Walter L. Bühl herausarbeitet, in der Konfiguration einer „typischen Sequenz, die mit einer charakteristischen Eröffnung beginnt und mit einem deutlichen Schluss endet, sich dazwischen aber in einer ‚logischen (der sich entwickelnden ‚Situation oder ‚Szene eben angemessenen Folge von Steigerung und Verdeutlichung, Wiederholung und Bestätigung, Fortsetzungskundgabe und Beendigungsangebot weiterbewegt“ (Bühl 1982: 137).
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Wenn man an diesen Gedanken Goffmans ernst nimmt, kommt man kaum umhin anzunehmen, dass sich die Grundtypen menschlicher Interaktionsfigurationen in einer ethologisch aufweisbaren „Nähe zu den elementaren Verhaltenssequenzen des Wirbeltierprogramms“ (Bühl 1982: 137) bewegen. Zu prüfen wäre dann, inwieweit sich die entsprechenden Interaktionssequenzen auch als Formen der „Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen“ begreifen lassen. Gemeint sind hier konfigurierte Wechselwirkungen, wie sie Georg Simmel beschrieben hat: In dieser Sicht könnten Verhaltenssequenzen z.B. zwischen Herrchen und Hund ohne irreführende Anthropomorphisierung als Wechselwirkungsformen der „Über- und Unterordnung“, des Konflikts (bzw. des „Streits“, der Aggression), der Konkurrenz oder der „Nachahmung“ (Simmel 1983: 47) beschrieben werden.88 Mögliche primärsoziale Ausrichtungsformen solcher Wechselwirkungsverhältnisse sollen nun näher beleuchtet werden. Selbstverständlich kann es sich dabei nur um eine ebenso grobe wie exemplarische Annäherung an ein Gebiet handeln, das wir in seinen biologisch-ethologischen Bezügen nur sehr knapp behandeln können.
4.2.4.3 Grundpolaritäten humanimalischen Sozialverhaltens Als allgemeiner Bezugsrahmen für artübergreifend relevante Interaktionskonfigurationen soll hier die Gliederung des menschlichen Verhaltensraumes dienen, die in ihren Grundpolaritäten mit dem der Primaten und zahlreicher höherer Wirbeltiere weitgehend konvergiert. Die wesentlichen Bewegungsrichtungen, die Interaktionssequenzen einschlagen können, orientieren sich demnach an den virtuellen End- oder Limespunkten von Angriff, Bindung, Kooperation und Rückzug (vgl. hierzu Bühl 1982: 88ff.). Die Verhaltenstopographie dieses Interaktionsraumes ergibt sich aus der Kombination zweier Achsen: (a) aus der Beziehungsqualität des Verhaltens (positiv oder negativ) und (b) aus einer Distanzachse, die angibt, ob die interindividuelle Distanz eher über soziale Internalisierung (Rückzug auf sich selbst) oder über Externalisierung (durch die Zwischen88
Wir folgen in dieser sozusagen „ganzheitlichen“ Sicht des Simmelschen Wechselwirkungskonzepts einer Deutung von F. Tenbruck, der schon früh die entscheidende Differenz zum Weberschen Handlungskonzept herausgestellt hat: „Es ist gar nicht so“, so Tenbruck (1958: 599; Herv. R.W.), „dass der Einzelne aus einer Gesamtheit theoretisch möglicher Handlungen souverän auswählt. Positiv bedeutet es, dass die für den Einzelnen gesetzten Vorverständnisse mit den Vorverständnissen der Mithandelnden allemal eine Figur bilden. (...) Soziale Handlung ist stets Glied einer schon bestehenden Beziehung, die für den Handelnden prinzipiell gar nicht disponibel ist.“ Hier ist eine Nähe zu Goffmans Idee der Interaktionsordnung kaum von der Hand zu weisen, – vorausgesetzt freilich, man konzediert den nicht zuletzt „psychobiologischen Charakter“ (Goffman 1994: 57) dieser wechselseitigen Indisponibilität.
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schaltung vermittelnder Akteure) hergestellt wird. In Anlehnung an Parsons’ Sozialsystemkonzept lassen sich diese beiden sozialen Verlaufskoordinaten auch als Koordinaten sozialer Integration lesen: Die wechselseitige Integration der Verhaltensbeiträge von Ego und Alter kann schwächer oder stärker ausfallen (Internalisierung/Externalisierung), sie kann außerdem eher auf „agonistischer“ bzw. „hedonistischer Kohäsion“ (Angriff/Bindung) beruhen.89 In diesem Kontext ist hervorzuheben, dass Interaktionsverhalten und individuelles Affekt- und Emotionserleben sich wechselseitig ermöglichen; Emotionen werden zwar sozial (mit-)konstituiert, andererseits sind sie selbst Möglichkeitsbedingung sozialen Verhaltens.90 Von daher überrascht es nicht, dass die Ordnung des von Bühl vorgestellten Verhaltensraums partiell bzw. mit „gewissen Winkelverschiebungen“ (Bühl 1982: 88) mit den virtuellen, „reinen“ Endpunkten der Affekte und Primäremotionen korrespondiert.91 Die Verhaltenskomponente Angriff/Aggression wird gefühlsmäßig im Allgemeinen im Bereich Ärger/Wut erlebt, Bindung als Freude/Wohlbehagen/Liebe, sozialer Rückzug korrespondiert eher mit Trauer- oder Angsterlebnissen.92 Die von Caroll Izard 89
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Unter agonistischer Kohäsion ist ein Primaten-Sozialmodell zu verstehen, für das Interaktionssequenzen typisch sind, die verstärkt an Drohungen, klaren Rangabstufung, Distanzhalten, „Leittierorientierung“ ausgerichtet sind. Hedonistische Kohäsion ist weniger dominanz- und rangorientiert, verstärkt finden sich direkte Körperkontakte und exploratives Neugierverhalten (vgl. Chance 1975; Bühl 1982: 92ff.). Bühl (1982: 93) zufolge ist das Sozialverhalten bei der hedonistischen Kohäsion „weniger auf Konfrontation (…) als vielmehr auf Kontakt“ angelegt. „Doch ist bei allen Primaten (…) festzustellen, dass je nach Situation beide Verhaltensweisen eingenommen werden können“ (Bühl 1982: 93; Herv. R.W.). Bei der Beurteilung solcher Primaten-Sozialmodelle sind freilich die möglichen ideologisch-sexistischen und reifizierenden Verkürzungen nicht aus den Augen zu verlieren. So kritisierte etwa die Pavianforscherin S. Strum entsprechende Tendenzen bei einigen führenden Primatologen der sechziger Jahre (siehe Strum 1989: 116ff.; vgl. zu patriarchalischen Deutungsmustern in der Primatenforschung dieser Zeit auch D. Haraway 1995: 123ff.). Strum konnte zeigen, dass das Sozialverhalten freilebende Paviane in ganz wesentlichen Punkten (z.B. im Hinblick auf die Dominanzhierarchie oder den Stellenwert aggressiver Verhaltensmuster) gar nicht dem Modell der agonistischen Kohäsion entsprach. Auch im Lichte dieser Kritik ist hier die Unterscheidung der Sozialmodelle idealtypisch zu verstehen, vor allem dürfen die einzelnen Modelle niemals mit einer bestimmten Primatenart identifiziert werden. – In vergleichender Perspektive behandelt H. Hendrichs (1987) die wechselseitige Bedingtheit von Abstoßung und Bindung als ein inhärentes Moment der sozialen Dynamik in Säugetierpopulationen. In diesem Sinne betont z.B. R. Masters (1979: 276; Herv. i. O.): „It is misleading to treat aggression, fear, and attachment solely as individual emotions or drives which ‚cause the corresponding social behaviors of violence, flight and bonding. There are complex and sometimes surprising relations between different kinds of emotion and behavior.“ Vgl. zur sachlichen Systematik und zu den Problemen einer terminologischen Abgrenzung von Basis- oder Primäremotionen vor allem die Erörterung von H.-G. Vester (1991: 29ff.), ergänzend auch die Diskussion bei G. Roth (2003: 292ff.). Nicht wenige der „archaischen“, stammesgeschichtlich begründeten Verhaltensbereitschaften treten bei Mensch und Tier in Bewegungsabläufen (bzw. deren Rudimenten) zutage, die eine
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(1977) angeführte Emotion der „acceptance“ kann in diesem Sinne vielleicht als ungefähre Umschreibung des „normalen“ Gefühlserlebens unter Bedingungen der „Kooperation“ verstanden werden. Auch hier zeigt sich, dass die primärsoziale Anschlussfähigkeit von interspezifischen Verhaltenssequenzen kaum hinreichend zu erfassen ist, wenn nur kognitiv-intentionale Zurechnungsprozesse in Betracht gezogen werden, nicht aber die wesentlich emotionale und affektive Grundierung der intersubjektiven Konstruktion der Interaktionsrealität. Vielmehr scheint die Konfigurierung von Interaktionssequenzen auf einer Form des wechselseitigen Interesses zu beruhen, die schon Parsons über das Medium des Affekts zu erfassen suchte. Der Funktionskern dieses Mediums ist mit Rudolf Bilz aber wohl präziser als ein emotionales „Partizipieren“ zu bestimmen: Akteure orientieren sich an situativen „Valenzen“,93 die von einer anonym wirkenden Leibintentionalität sozusagen „aufgespürt“ werden. Bilz beschreibt dieses emotionale Partizipieren oder Interesse anschaulich als ein „primordiale(s) autochtone(s) Fühlen, das gleichsam Struktur hat, indem es uns in bestimmter Weise innerhalb gewisser Zuordnungen zusammenbindet, oder (...) in Rollen und Gegenrollen uns szenisch-funktional zu einer Gemeinschaft zwingt. Wenn wir die Szene als Einheit des Lebens sehen, dann sind die Subjekte nur Partizipanten“ (Bilz 1969: 39). Die Abbildung 4 zeigt nun die Ausspannung der Sozialverhaltens nach Walter L. Bühl. Dieser (etwas vereinfachten) „Windrose“ des Verhaltens94 zufolge kann zwischen den Polen Angriffs- und Rückzugsverhalten das Drohverhalten lokalisiert werden, das im Unterschied zur „Konkurrenz“ (die aktives Wettbewerbsverhalten einschließt) eher „aus der Ferne“ erfolgt. Es deutet weniger auf einen bevorstehenden Angriff hin, sondern drückt eher eine gut „gewappnete“ Abwehrbereitschaft im Falle eines Angriffs aus (eine Art defensiv ausgerichtete „Abschreckung“). Dominanz und Status sind demgegenüber als Interaktionselemente zu verstehen, die zwischen Angriff und Kooperation liegen: Dominanz meint hier eine „durch Aggression erzwungene Kooperationsbereitschaft“ (Bühl 1982: 91), die beim Gegenüber „Unterwerfung“ bzw. Beschwichtigung bewirken kann oder gar die verbindlichere „Unterordnung“, die der positiven Bindung wegen Statusverzicht leistet.
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enge Verknüpfung von Gefühlsorientierung und sozialer Bedeutung herstellen. Die Angst, schreibt R. Bilz (1967: 53), „ist nicht nur Gefühl, sondern hat wie jedes Gefühl Gefälle und ist an eine Motorik gebunden. Timor est fuga, das lehrte schon Augustinus. Wem wie Davonlaufen zumute ist, der kann nicht zugleich coire.“ „Valenz“ wird hier verstanden als Anreizvermögen einer situativen Gegebenheit, das auf einer entsprechenden „Ansprechbarkeit in der Latenz des Leibes“ beruht (vgl. R. Bilz 1969: 70). Siehe zu dieser Abbildung W. L. Bühl (1982: 90); sie wird hier etwas modifiziert und vereinfacht wiedergegeben.
216 Abbildung 4:
Kapitel 4 Ausspannung des Sozialverhaltens (nach W. L. Bühl)
Im Gegensatz dazu bezeichnet das „Status“-orientierte Verhalten ein abgemildertes, kompromissbereites Rangstreben. Zwischen „Bindung“ und „Kooperation“ liegen „Familismus“ und „Koalition“. Letztere „meint eine ‚funktionale Koalition, also eine Interaktionsgemeinschaft, die auf einen bestimmten Zweck oder eine bestimmte Leistung ausgerichtet ist; ‚Familismus (...) meint dagegen eine Interaktionsgemeinschaft, die auf eine gemeinsame Herkunft (durch Abstammung und Verwandtschaft, oder auch durch zugeschriebene gemeinsame Kulturmerkmale) gegründet ist“ (Bühl 1982: 92). In diesen Zusammenhang gehört auch der nichtverwandtschaftliche Familismus („Freundschaften“ im weiteren Sinne), dem Lern- oder Habitualisierungsvorgänge zugrunde liegen. Hier handelt es sich um eine soziale Bindungsform, die grundsätzlich auch bei höheren Tieren vor-
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kommt und die ein zentrales Konstituens von humanimalischen Sozialbeziehungen bildet.95 Betrachtet man die skizzierten Koordinaten nun unter dem leitenden Gesichtspunkt humanimalischen Interaktionen, dann sind folgende Ergänzungen bzw. Modifikationen anzubringen: Richtung und Verlauf von Mensch-TierInteraktionen hängen einmal davon ab, inwieweit Ego und Alter Mimik und Körpergestik des Gegenüber situativ „richtig“, d.h. in ihrer jeweils artspezifischen Bedeutung einer Verhaltens- und Erlebnisbereitschaft erfassen, – insbesondere gilt dies für das Ausdrucksverstehen der affektiven und emotionalen „Partizipation“ des anderen. Soweit dieses Ausdrucksverstehen nicht hinreichend durch gemeinsame, stammesgeschichtlich fundierte biologische Radikale gestützt wird, sind es beiderseits zwei Faktoren, die Art und Ausmaß des gegenseitigen Ausdrucks(miss)verstehens beeinflussen: (a) Begünstigend wirkt sich sicherlich ein hohes Maß an phylogenetisch fundierter Lernfähigkeit aus, eine Kompetenz, die z.B. bei Säugetieren oder Vögeln im allgemeinen eher anzutreffen ist als bei vielen wirbellosen Tieren. Zweitens (b) spielen auf der menschlichen Seite die individuell erworbenen Erfahrungen, die Kenntnisse der fremden Verhaltensmuster eine ausschlaggebende Rolle. Wer z.B. mit dem Ausdrucksverhalten von Hauskatzen nicht gut vertraut ist, wird die nuancierten Abstufungen, die Mimik und Gestik im Zwischenbereich von „Angriff“, „Drohung“ und „Rückzug“ signalisieren,96 den entsprechenden emotionalen Intentionen und Verhaltensbereitschaften nicht richtig zuordnen können. Schließlich lässt sich der skizzierte Verhaltensraum97 auch als eine „Landkarte“ lesen, über die sich allgemeinere, soziokulturell habitualisierte Bezie95
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Vgl. für Primaten z.B. F. de Waal (1991; 2000). Für Katzen und Hunde z.B. sind innerartliche Bindungen auf nichtverwandtschaftlicher Basis nicht ungewöhnlich; vergleichbare interspezifische Langzeitbindungen beruhen häufig auf Prägungsvorgängen oder auf entsprechenden Lernprozessen in der „sensiblen Sozialisierungsphase“ (vgl. über derartige „Freundschaften“ von Katzen mit Individuen anderer Arten (Kaninchen, Ratten, Vögeln) den Überblick von Karsh/Turner 1988). Im Hinblick auf vergleichbare Mensch-Tier-Bindungen sind wohl K. Lorenz und seine Graugans „Martina“ das berühmteste Beispiel (Lorenz 1991a: 29ff.). Vgl. dazu die schematischen Abbildungen der Übersichten von P. Leyhausen (1982: 166f.). Das Gesagte gilt natürlich auch für andere Tiere wie z.B. den domestizierten Hund (Zimen 1992) oder die Graugans (Lorenz 1991: 220ff.). Obwohl W. Bühls (1982: 90) Darstellung des Verhaltensraums die menschliche Verhaltensordnung fokussiert und zur Illustration nur auf das Kommunikationsverhalten von Schimpansen zurückgreift, so kann diese „Ausspannung“ des Sozialverhaltens doch eine gewisse prinzipielle Geltung beanspruchen, die sich vermutlich nicht nur auf die Primaten beschränkt, sondern weit in den Bereich der Wirbeltiere (bes. der Säugetiere und Vögel) hineinreicht. Umfangreiches und differenziertes Belegmaterial dazu bietet vor allem das Werk von R. Bilz (1969; 1973; 1974). Vgl. etwa zum biologischen Radikal der Kontakt vermeidenden Rückzugs„Scheu“ Bilz (1973: 159ff.). Vgl. dazu auch I. Eibl-Eibesfeldt (1995: 237ff.), der die Ambivalenzen zwischenmenschlicher Zuwendung und Abkehr mit Hinweisen auf den stammesge-
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hungsmuster von Mensch-Tier-Konstellationen beschreiben lassen. Dies ist nun näher zu beleuchten.
4.2.4.4 „Wie Hund und Katz“: Zwei Beziehungstypen In gewisser Hinsicht strukturiert der von Bühl dargestellte Verhaltensraum Mensch-Tier-Beziehungen im Sinne eines Ordnungsschemas, das generelle Affinitäten oder „Wahlverwandtschaften“ darstellt, die sich zwischen bestimmten Tiertypen und den „zugehörigen“ oder komplementären gruppenspezifischen Sozialmodellen aufweisen lassen. Im Hinblick auf die artspezifische „Passform“ von domestizierten Tieren ist hier freilich eingangs eine wichtige prinzipielle Einschränkung anzubringen: In ethologischer Hinsicht weisen vor allem die domestizierten Wirbeltiere, um die es hier geht, durch einen gewissen Abbau instinktiver Verhaltensbereitschaften insgesamt eine meist größere potentielle Verhaltensvariabilität und -plastizität auf als vergleichbare Wildformen.98 Trotzdem ist anzunehmen, dass die Aktualisierung von Verhaltenspotentialen der Kooperation, der Unterwerfung usw. in vergleichbaren MenschTier-Situationen bei den verschiedenen Haustierarten nicht gleich wahrscheinlich ist – schon die Erfolge gezielter Zuchtanstrengungen stehen dem entgegen.99 Alles in allem sollte man aber die Bedeutung dieser artspezifischen Differenzen also nicht überschätzen. Auch für Pferde und Katzen gilt, was für Hunde wohl in
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schichtlichen Hintergrund darstellt. Selbstverständlich gibt es hinsichtlich der phylogenetischen Erbprogrammierung des Verhaltens unter den einzelnen Tierarten (wie z.T. auch zwischen einzelnen Unterarten und Tierrassen) gravierende Unterschiede, die dann zu unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten des Auftretens bzw. des jeweiligen Richtungsverlaufs des Interaktionsverhaltens führen (siehe z.B. den Verhaltensvergleich zwischen Wolf und Pudel bei Zimen 1992: 225ff.). Neben artspezifischen Unterschieden lassen sich aber auch individuelle belegen, die u.a. auf Lernen zurückzuführen sind (vgl. etwa zu entsprechenden Unterschieden der „Erregbarkeit“, „Furchtsamkeit“, „Zutraulichkeit“ und „Aggressivität“ bei domestizierten Katzen Mendl/Harcourt 1988: 63-66). Diese Ausführungen wollen natürlich nicht suggerieren, dass sich menschliches Sozialverhalten Tieren gegenüber auf diese grundlegende, nur primärsoziale Ebene reduzieren ließe. Hier wird das Sozialverhalten immer auch durch sekundäre Sozialbeziehungen, „sinnausgreifende“ Symbolismen, reflexive Bedeutungszuschreibungen usw. vermittelt und mitbestimmt (vgl. auch Bühl 1982: 91). Vgl. zu ethologischen Folgen der Domestikation besonders I. Eibl-Eibesfeldt (1987: 344ff.). Viele Haustiere wurden bzw. werden ja durch Kastration und gezielte Zucht gezähmt; die Zucht von Kampfhähnen aber will z.B. Aggressivität (Franck 1979: 138) forcieren. Weitere Beispiele gibt es zuhauf: Eine Katze eignet sich von der Intelligenz ihres Verhaltensorganismus her z.B. nicht im selben Ausmaß zu einem Helfer von Sehbehinderten als ein Blindenhund, Shetland-Ponys werden auch ihrer artspezifischen Intelligenz wegen nicht zu wild beißenden „Kampfmaschinen“ dressiert, Katzen eignen sich nicht für die Treibjagd, dafür besser zum Mäusefang usw..
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noch höherem Maße zutrifft: Eine gravierende Zunahme von individuellen und zuchtbedingten Verhaltensvariabilitäten (vgl. Mendl/Harcourt 1988: 56f.), die den Domestikationsprozess begleiten und im allgemeinen mit Formen fortdauernder juveniler Verhaltensplastizität (Neugier- und Spielverhaltensweisen, insbesondere Lernbereitschaft) verbunden sind. Im Hinblick auf das Zusammenspiel von Lernfähigkeit und aufgabenspezifischer Differenzierung kommt dem Haushund hier alles in allem eine besondere Bedeutung zu (vgl. Zimen 1992: 238f.). Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang die durch die Domestikation im Allgemeinen „gesteigerte soziale Verträglichkeit“ (Benecke 2001: 28) des Hundes. Betrachtet man nun trotz dieser Einschränkungen die Frage der Komplementarität von Sozialorganisationsform und des dazu „passenden“ tierlichen Verhaltensrepertoires, dann lassen sich grob zwei Varianten unterscheiden: (1) ein Sozialmodell auf der Grundlage agonistischer Kohäsion, bei der sich die grundlegenden sozialen Binnenorganisationsformen im Bereich oberhalb der Diagonale Dominanz/Status – Unterwerfung/Unterordnung konzentrieren. In interspezifischen Sozialsystemen dieser Art beeinflusst das Affektmedium die Konstruktionen der gemeinsamen sozialen Realität eher über Gefühlsgrundierungen und Stimmungen, die sich idealtypisch im Spannungsfeld von (drohender) Aggression und Angst bzw. Furcht ansiedeln lassen. Tiere, die sich dauerhaft in eine affektiv derart ausgerichtete Gruppenstruktur einfügen sollen, spielen in aller Regel den inferioren Part in Mensch-Tier-Verhältnissen: Für ein derartiges „Soziotop“ kommen am ehesten Tiere in Frage, die von ihrem ethologischen Verhaltensprogramm und ihren individuellen Lernfähigkeiten her leichter mit Unterordnung und dauerhaften und belastenden Formen kooperativer Gefolgschaft zurechtkommen. Gemeint sind also Tiere, die sich auch in „frustrierenden“ oder schwierigen Situationen nicht so leicht zurückziehen oder gar den menschlichen Kooperationspartner attackieren. Derartige Verhaltensmuster sind mutatis mutandis bei solchen Tieren wohl eher zu „kultivieren“, die von ihrer artspezifischen Verhaltensausstattung her einen relativ ausgeprägten „Sinn“ für Rangordnungen mitbringen, die außerdem in Konfliktsituationen mit „Bezugspersonen“ eher zu Rückzugs- oder Unterwerfungslösungen tendieren. Zwei domestizierte Tierarten, die diesen Bedingungen in den meisten Fällen genügen, sind – trotz der immensen zuchtbedingten Variabilitäten – das Pferd und der Hund.100 Für beide Tierarten ist die Orientierung an 100 Einschränkend ist hinzuzufügen, dass für die Bereitschaft zu aggressivem Verhalten selbstverständlich die individuellen, rassebedingten bzw. durch gezielte Züchtung seligierten Erbanlagen eine immense Rolle spielen können. Dobermänner, Rottweiler oder Bullterrier sind hier z.B. im Allgemeinen leichter reizbar als etwa Airdale-Terrier; aber auch hier gibt es regionale Unterschiede: Europäische Züchter begünstigen z.B. bei Rottweilern oder Dobermännern eher
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(mehr oder minder flexiblen) Rangordnungen ein zentrales Moment ihres innerartlichen Sozialverhaltens. Im Vergleich zum Hund neigt das „Fluchttier“ Pferd in Stresssituationen „durchschnittlich“ allerdings eher zu einem Unterordnungsund Rückzugsverhalten als zu einem aggressivem Verhalten.101 Hier stellt sich z.B. für hierarchisch gegliederte Sozialorganisationen, die dem Pferd auch in extremen Stresssituationen (z.B. Kampfsituationen) Gehorsam und Zuverlässigkeit abverlangen, ein eklatantes Disziplinierungsproblem. Im wilhelminischen Reich etwa wurde vom Kavalleristen erwartet, dass er in der Lage war „den Fluchtinstinkt des Pferdes zu unterdrücken und dem entgegengesetzt das Tier auf Gefahren hinzuwenden“ (Buchner 1996: 47). 102 Eine andere Bedingung agonistischer Kohäsion betrifft das Ausmaß, mit dem (b) aggressive Verhaltensimpulse aktiv und sozial koordiniert gegen „Außenstehende“ gerichtet werden können. Der Hund, das Tier mit der vielgerühmten „Herrentreue“ (Lorenz 1994: 15ff.),103 eignet sich im Vergleich zu Pferd oder Hauskatze hier sehr viel eher dazu, in vergleichbaren Situationen aggressive Verhaltensimpulse gezielt („auf Kommando“) gegen andere, „außenstehende“ Mendie aggressiven Verhaltensbereitschaften als die nordamerikanischen Züchter (Coren 1997: 260). Zweitens bedeutet die Unterordnungsbereitschaft eines Hundes natürlich nicht, dass er sich Fremden gegenüber, die er nicht zum „Eigenkollektiv“ rechnet, unterordnet. Schließlich ist das Verhalten eines Hundes oder Pferdes eine Resultante einer Beziehung, die sich aus der Beziehungsart zur menschlichen Bezugsperson ergibt. So gibt es Halter, denen wegen ihres Verhaltens von ansonsten vergleichsweise gehorsamen Hunden die Gefolgschaft verweigert wird, andererseits gibt es auch erfahrene Halter, die selbst von „schwierigen“, relativ „aggressiven“ Hunden als „Rudelleittiere“ akzeptiert werden. (Coren 1997: 274ff., 285f.). Bei all dem ist nie aus den Augen zu verlieren, dass es innerhalb einer Spezies bzw. Haustierrasse eine beträchtliche individuelle Verhaltensvarabilität geben kann. 101 Das ist natürlich eine menschliche Sichtweise. Die Palette der Drohgesten und aggressiven Gesten fällt (abgesehen von extremen Reaktionen wie Beißen, Huftritte usw.) beim Pferd oft so subtil aus (vgl. D. Morris 1996: 35f., 99), dass sie der menschliche Partner, sofern er sie überhaupt richtig deutet, nicht als gravierendes Droh- oder Zwangsmittel erleben muss. Vgl. zur Rangordnung bei Pferden auch B. Grzimek (1974: 62f.). Wie H. Meyer ausführt, tendiert das Pferd u.a. wegen seiner mangelhaften Ausstattung mit Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten bei Gefahr stammesgeschichtlich eher zu Bewegungssequenzen, die ihr Gravitationszentrum bei Fluchtreaktionen (hier: im Umfeld des „Rückzug“-Pols) haben (Meyer 1975b: 8f.). 102 Der „Mythos Kavallerie“ beruhte im ausgehenden 19. Jahrhundert auf einer (freilich weithin wohl idealisierten) Einheit von Ross und Reiter, die ihr öffentliches Prestige u.a. dem Umstand verdankte, dass die Selbstdisziplinierung des Kavalleristen und die Disziplinierung des Kriegspferdes sich hier wechselseitig bedingen und damit auch doppelt vorbildlich sind: Im Idealfall ist der Reiter seinem Ross ebenso „Vorbild“ wie umgekehrt (vgl. Buchner 1996: 46ff.). 103 E. Zimen (1992: 317) zufolge bewegt sich eine intakte Bindung des Hundes an den Menschen in den allermeisten Fällen zwischen strikter Unterdrückung und einem allzu zwanglosen „Laissez-faire“-Stil. Voraussetzung für eine feste Beziehung sind beiderseits akzeptierte Regeln, denn, so E. Zimen (1992: 318): „Im Unterschied zum Wolf (..) ist der Hund ein Leben lang bereit, eine untergeordnete Rolle in einem hierarchischen System zu akzeptieren. Ja, er sucht geradezu danach, der ‚Zweite zu sein, nicht der ‚Erste, aber auch nicht der ‚Letzte.“
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schen oder Tiere zu richten (z.B. im Kriegseinsatz oder auf der Jagd). Manche empirischen Befunde zur Sozialcharakteristik von (männlichen) Haustierhaltern unterstützen diese Deutung: So zeigten sich bei amerikanischen Pferdehaltern eher aggressive, dominanzbetonte, „maskuline“ Züge im Sinne des „Cowboy“Stereotyps. Ein ähnlicher Befund bezog sich auf Hundehalter: „Male dog owners were also notably aggressive and dominant“ (Kidd/Kelley/Kidd 1983: 727).104 Im Kontrast dazu zeigten Halter von bestimmten unkonventionellen Heimtieren (wie z.B. Schlangen, Spinnen) übrigens Charakteristika, die eher auf gewisse Rückzugs- und Vereinzelungstendenzen hindeuten.105 Für die meisten Katzenarten treffen die Kriterien (a) und (b) weniger oder nur unter sehr speziellen, relativ unwahrscheinlichen ökologischen Bedingungen zu. Zwar lassen sich Geparden auf kooperatives Jagdverhalten hin „abrichten“,106 nicht aber (oder höchstens in seltenen Ausnahmefällen) domestizierte Katzen. Diese Eigenart der verhaltensorganismischen „Intelligenz“ der Hauskatze mag mit dafür verantwortlich sein, dass sie uns im Vergleich zum Hund als ein relativ „unabhängig“ agierendes Tier erscheint. In mancher Hinsicht trügt dieser Eindruck freilich, wie neuere Forschungen zeigen, die bei bestimmten Hauskatzenpopulationen ein differenziertes, auch rangorientiertes Sozialverhalten nachge-
104 Vgl. auch A. Kidd/R. Kidd (1980). Diese Ergebnisse dürfen freilich nicht vorschnell dahingehend pauschaliert werden, als gebe es nur einen typischen Pferde-, einen typischen Hundeoder Katzenhalter usw. Schon K. Lorenz (1994: 44-46) unterscheidet z.B. sogenannte. „Sympathie-“ oder „Resonanzhunde“, die für den „ausgeglichenen“ und „selbstzufriedenen“ Hundefreund typisch sind, vom sog. ängstlichen (und/oder hyperaggressiven) „Komplementärhund“, dem sein Halter extreme Unterwerfung abverlangt, der „aufs Wort“ parieren muss, der wegen geringer „Vergehen“ gezüchtigt wird usw. In diesem Fall gibt es sicher eine Affinität zu einem autoritären Verhaltensstil, der in einem wechselseitigen „Resonanzverhältnis“ keineswegs gegeben sein muss. – Im Hinblick auf weiterführende Differenzierungen ist daher sicher sinnvoll, die etwa von M. Fleischer (1993: 34) vermuteten Affinitäten zwischen bestimmten Hunderassen und den soziokulturellen Milieus ihrer Halter zu untersuchen. Seiner Klassifizierung zufolge lassen sich z.B. „Kampfhunde“ (Mastino, Bullterrier, Pitbull) als „festes Kollektivsymbol“ dem Zuhälterbereich zuordnen, diverse „Mischlinge“ der „autonomen Szene“. Windhund und Dogge sind hier in eine Statussymbolik eingebunden, die man kultursoziologisch problemlos dem „Niveaumilieu“ im Sinne G. Schulzes (1992: 283ff.) zuweisen kann. Mit Blick auf ein anderes Milieu schreibt Schulze (1992: 301) selbst z.B.: „Ein Angehöriger des Integrationsniveaus (...) hält sich eher einen Foxterrier als einen afghanischen Hirtenhund“. 105 Die Halter von Schlangen werden als „unconventional, informal, changeable, relaxed, and somewhat inpredictable“ beschrieben, als „novelty-seeking and unable to tolerate routines“ (Kidd/Kelley/Kidd 1983: 727). 106 Vgl. etwa für das antike Rom die sog. „pantherae“, womit vermutlich Geparden gemeint waren (Toynbee 1983: 69ff.). Die Wahl des Geparden als „Jagdkatze“ hängt vielleicht damit zusammen, dass ihr Jagdverhalten in mancher Hinsicht dem von Meutejägern (z.B. Wolf, Hyänenhunde) ähnelt; ansonsten haben unter den Katzen nur die Löwen stabile Formen einer kooperativen Jagd ausgebildet (Leyhausen 1982: 126ff.).
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wiesen haben.107 Auch das Katzenverhaltensrepertoire schließt Drohung gegenüber dem Menschen, „Status“-Verhalten, Unterwerfung, spielerische Kooperation usw. ein. Doch liegt das Gravitationszentrum gewöhnlich doch eher bei Verhaltensmustern, die sich auf der Orientierungsachse Familismus/Bindung – Drohung/Rückzug einpendeln (jedenfalls Menschen gegenüber, die von der Katze zoomorph als zugehörige „Ingroup“-Wesen, als eine Art Bezugs-„Riesenkatze“108 wahrgenommen werden). Im Lichte derartiger Befunde ist es sicherlich abwegig anzunehmen, dass sich Hauskatzen im selben Umfang für vergleichbar komplexe interspezifische Kooperationsprozesse und Unterordnungsbeziehungen eignen könnten wie der domestizierte Hund. Das alternative Sozialmodell, das einem tendenziell „individualistischen“ Beziehungstyp auf der Basis wechselseitiger „Bindung“ am ehesten nahe kommen dürfte, sind Formen (b) hedonistischer Kohäsion. Hier sind vergleichsweise offene, auf Gunst- und Freundlichkeitserweisen basierende, kaum erzwingbare Kooperationsoptionen mit relativ „freien“ Rückzugsmöglichkeiten typisch. Im Hinblick auf das soziale Integrationsmedium Affekt verspricht hier eine gefühlsmäßige Interaktionsgrundierung bessere Erfolgschancen, die 107 Vgl. bes. G. Kerby/D. Macdonald (1988). – Trotzdem ist P. Leyhausen (1982: 201) wohl zuzustimmen, wenn er feststellt: Hauskatzen kennen nicht die klassische „Hackordnung“ z.B. des Hühnerhofes, die „jederzeit unbedingt eingehaltene Anerkennung bestimmter Vorrechte des Ranghöheren“. Dies schließt aber nicht aus, dass Hauskatzenpopulationen subtilere und flexiblere Rangbeziehungen etablieren können, die einem Beobachter, der die Sozialorganisation mit Formen ostentativer, einreihiger Rangordnung gleichsetzt, leicht entgehen. So äußert sich die Rangordnung z.B. zwischen Katzengeschwistern „nur in wenigen Punkten und fällt bei flüchtiger Beobachtung gar nicht auf, weil sie sich so gut einspielt, dass die Tiere scheinbar reibungslos und gleichberechtigt nebeneinander leben“ (Leyhausen 1982: 200). Ein Beispiel: Bei Rangeleien zwischen Katzengeschwistern ist der Angreifer nicht notwendig der Ranghöhere, noch ist es so, dass dieser immer als Sieger aus dem Kampf hervorgeht. In jüngerer Zeit haben mehrere Feldstudien hier differenzierte Erkenntnisse über die Stabilität und Dynamik von Rangunterschieden bei dauerhaft zusammenlebenden Populationen freilaufender Hauskatzen zutage gefördert, Ergebnisse, die Leyhausens Untersuchungen in wichtigen Punkten durchaus bestätigen (vgl. dazu auch die Arbeit von Liberg/Sandell 1988). Diese Einschränkung sollte aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass Katzen Herdentiere sind oder generell kooperativer als Hunde – diese Auffassung weist D. Morris (1992: 64) wohl zutreffend als „romantische Übertreibung“ zurück. Wesentliche Kontrollparameter, die Einfluss darauf nehmen, in welchem Ausmaß eine Population frei laufender Katzen zu stabileren Rangordnungsund Kooperationsformen tendiert, sind sicherlich Populationsdichte und systemökologische Bedingungen (z.B. Nahrungsangebot) (vgl. auch Leyhausen 1982: 5, 207f.). Alles in allem ist jedenfalls festzustellen, dass Hauskatzen eine „fast unübersehbare Vielfalt von Gesellschaftsformen“ entwickelt haben, ein Sachverhalt, der sie „in auffallenden Gegensatz zu den übrigen Haustieren“ bringt (Leyhausen 1996: 21). 108 So der Ausdruck von D. Morris (1992: 63). Vgl. zu den Kriterien, die generell eine zoomorphe Sicht des Menschen als tierlicher Artgenosse begünstigen, die interessanten Ausführungen von H. Hediger (1965: 92ff.).
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eher von „freudig-attraktionsbetonten“ oder melancholischen Stimmungen reguliert wird als von Gefühlslagen, die von Drohung und Angst bestimmt werden. Der Einfluss des artspezifischen Intelligenz-Mediums der Systemebene Verhaltensorganismus darf freilich nicht dahingehend verabsolutiert werden, dass sich konkrete, milieutypische Sozialmodelle und Interaktionsmuster sozialer Mensch-Tier-Beziehungen von wertbezogenen kulturellen Deutungsmustern abkoppeln lassen. Schon das frühneuzeitliche Tierbuch von Conrad Gesner nennt die Katze vermenschlichend ein „schamhafftes, hoffärtiges“ Tier und betont, im Gegensatz zum Hund liebe die Katze ihre „Herberge“ mehr als ihren Herrn (vgl. Gesner 1669: 241). Ein Beispiel aus der Frühzeit der Soziologie liefert Thorstein Veblen, der dieses Motiv etwas variiert: Veblen erwähnt im Zusammenhang mit der sozialen Distinktionsfunktion von Schoß- und Heimtieren einmal den notorischen, ethologisch begründeten „Egalitarismus“ der Hauskatze, der sie bei den Oberklassen so unbeliebt mache: Die Katze „betrachtet nämlich die Menschen als gleichberechtigt, weiß nichts von Stand und Rang, dieser ehrwürdigen Grundlage aller Unterschiede des Wertes, der Ehre und des Ansehens (...)“ (Veblen 1986: 140f.).109 Einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Katzenbesitz und soziokulturellen Ordnungsvorstellungen, die dem Modell hedonistischer Kohäsion nahekommen, deuten auch Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Reinhold Bergler an. Er ermittelte ein „Psychogramm“ der Katze, das darauf schließen lässt, dass im Umgang mit Katzen Wertvorstellungen wie der „Dialog der Gefühle“, der „Unmittelbarkeit und Eigenwilligkeit“ eine hohen Stellenwert einnehmen: „Die Welt der ‚Cats entzieht sich menschlichen Wünschen nach Unterordnung, Abhängigkeit und Rationalität. Ihre Attraktivität ergibt sich aus der Überwindung des Gegensatzes von Intimität und Unabhängigkeit“ (Bergler 1989: 40f.).110 Wichtig ist in diesem Kontext, dass Katzenbesitzer ihren Tieren häufig Eigenschaften zuweisen, die sie sich (im Vergleich mit Nicht-Katzenbesitzern) in verstärktem Maße selbst als Merkmale oder wünschenswerte Ich-Ideale zu-
109 Im Grunde geht es beim „freiheitsliebenden“ Eigensinn der Katzen um ein partielles Vorurteil, das im Westen aber historisch tief verwurzelt ist, vgl. z.B. für England und Frankreich H. Ritvo (1987: 22f.) oder K. Kete (1994: 124ff.). Exemplarisch ist hier J.-J. Rousseaus Auffassung, die er im Gespräch mit J. Boswell (1996: 142) einmal so zusammenfasst: „Rousseau: ‚Mögen Sie Katzen? Boswell: ‚Nein. Rousseau: ‚Das habe ich mir gedacht. Es ist meine Charakterprobe. Die Menschen verraten bei dieser Frage meistens ihre despotischen Züge. Sie mögen Katzen nicht, weil Katzen freie Geschöpfe sind und sich nicht versklaven lassen. Einer Katze kann man nicht Befehle geben wie anderen Tieren.“ 110 Als positiv bewertete Eigenschaften des Katzenpsychogramms werden in diesem Kontext u.a. angeführt: Eigenwilligkeit, Unabhängigkeit, Zärtlichkeit, Erotik, Verspieltheit, Ursprünglichkeit, Eleganz, Beruhigung, Sauberkeit, Klugheit.
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schreiben (wie z.B. Sensibilität, Unabhängigkeit, Einfühlsamkeit, Kontaktfreude, Toleranz, Ausgeglichenheit) (vgl. Bergler 1989: 13, 102, 104f.). Falls unsere Überlegungen zutreffend sind, dann müssten sich die in mancher Hinsicht verschiedenen affektiven „Interaktionskulturen“ der MenschKatze- und Mensch-Hund-Beziehungen auch in unterschiedlichen sozialmilieutypischen Heimtiervorlieben niederschlagen. Eine Untersuchung von François Héran liefert in dieser Hinsicht Ergebnisse, die einen deutlichen Zusammenhang zwischen der entsprechenden Heimtierpräferenz des Tierhalters und seiner Position im sozialen Raum (im Sinne von Pierre Bourdieu 1982) herstellen.111 In Frankreich drückt die Wahl dieser Haustiere demnach zwei überaus verschiedene, Héran meint sogar: gegensätzliche Grundeinstellungen der Sozialwelt gegenüber aus. Bei Hundehaltern stehen durchschnittlich Autorität und Hierarchie höher im Kurs als bei Katzenhaltern, außerdem haben utilitäre Interessen (Schutz von Gütern und Personen) einen deutlich höheren Stellenwert. Anders bei Katzenhalter(innen)112 im urbanen Lebensmilieu: Hier ist die „réputation d’indépendance“ ihres Heimtieres ausschlaggebend, die meist ein (wenigstens anzustrebendes) Leitmotiv der eigenen Lebensführung beschreibt. „Au total, le chat réalise le tour de force des se faire entretenir tout en gardant sa liberté“ (Héran 1988: 329). Vor dem Hintergrund derartiger Befunde ist es nicht verwunderlich, dass Héran die Katze als ein kollektives „Totemtier“ des modernen Selbstverwirklichungsindividualismus apostrophiert. Dass Katzen, wie schon S. Freud anmerkt,113 ähnlich wie Kinder einen (manchmal nur unterschwellig perzipierten) Narzissmus ausdrücken, könnte (auch angesichts der bereits referierten Befunde) 111 Als ein wesentliches Ergebnis ergab sich folgende idealtypische Polarisierung: „Entre le pôle canin et le pôle félin, le champs de possesseurs d’animaux domestiques est fortement structuré par le rapport du capital culturel au capital économique. (...) Les deux espèces de capital, materiel et culturel, sont ‚comme chien et chat’: à la cynophilie très ‚cattophobe des professions dont le sort est lié à la sauvegarde d’un patrimoine économique (patrons du commerce et de l’artisanat, camionneurs) ou qui sont préposés à la défense de l’ordre (policiers, militaires, contremaîtres), s’oppose diamétralement la ‚cattophilie très cynophobe des intellectuels et des artistes, suivis en cela par les instituteurs, les travailleurs sociaux et les fonctionnaires, qu’ils soient employés ou cadres“ (Héran 1988: 326; Herv. Héran). 112 F. Héran zeigt übrigens, dass die sprichwörtliche und ethnozoologisch sehr facettenreiche Affinität von Weiblichkeit und Katze (vgl. bes. Howey 1991: 63ff., 74ff., 99ff.) keineswegs jeder empirischen Grundlage entbehrt. Unter den weiblichen Haushaltungsvorständen ist der durchschnittliche Katze-Hund-Quotient höher als in Haushalten, denen Männer vorstehen. Gegenüber 1982 haben übrigens (auch) in Frankreich Katzen ihren Anteil an der Heimtierhaltung vergrößern können; der absoluten Zahl nach haben sie die Hunde sogar überflügelt. Nach einem Bericht des französischen Landwirtschaftsministeriums gab es 1995 in Frankreich unter den Heimtieren 8,2 Millionen Katzen und 7,8 Millionen Hunde (Gruhier 1997: 6). 113 Der „Reiz des Kindes beruht“, so S. Freud (1981: 31), „zum guten Teil auf dessen Narzissmus, seiner Selbstgenügsamkeit und Unzugänglichkeit, ebenso der Reiz gewisser Tiere, die sich um uns nicht zu kümmern scheinen, wie der Katzen und großen Raubtiere (...)“.
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ein Hinweis darauf sein, dass narzisstisch getönte Charaktere womöglich überdurchschnittlich positiv auf dieses Heimtier ansprechen. Ob man die vergleichsweise stetige Zunahme der relativen Beliebtheit des Heimtiers Katze114 als einen Indikator für einen diesbezüglichen Wertwandel deuten kann, bleibt indes fraglich. Zum einen kann das psychoanalytische Narzissmuskonzept nur begrenzt mit dem narzisstischen Sozialcharakter parallelisiert werden – unabhängig davon, „auf welche Seite“ man sich in der verzweigten Narzissmusdiskussion schlagen will: Ob man den narzisstischen Sozialcharakter eher mit hedonistischer Selbstbezogenheit assoziieren mag oder doch eher mit einer Ich-Idealisierung, die unter forcierten sozialen Wandlungsbedingungen und „Außenlenkungszwängen“ eine gewisse biographische Kontinuität zu verbürgen scheint (vgl. dazu Lasch 1982). Schließlich sollte nicht übersehen werden, dass die konkrete Wahl eines geeigneten Heimtieres nicht allein von ethologischen „Passformen“, von ethnozoologischen Zuschreibungen oder individuellen Projektionen abhängt, sondern ebenso von Bedingungen wie den Wohnverhältnissen, der Haushaltsgröße, dem Urbanisierungsgrad der Wohngegend (Endenburg u.a. 1990) sowie von „praktischen“ Erwägungen, z.B. vom „hygienischen Standard“ einer Tierart. Dass die Katze hier im Allgemeinen besser abschneidet als etwa der Hund, hat sicherlich dazu beigetragen, dass sich mit der zunehmenden Verbreitung rigiderer Hygienekriterien im 19. Jahrhundert115 die „Reputation“ der Katze vor allem in den mittleren Sozialmilieus verbessern konnte.116
4.2.5 Das kulturelle Bezugssystem: Framing und Situationsdefinition Im Folgenden soll skizziert werden, in welchem Sinne interspezifische Interaktionssysteme Situationsdefinitionen voraussetzen, die man beiderseits – von der menschlichen wie der tierlichen Seite her – als Sinnrahmen verstehen kann, d.h. hier: als „Rahmen“, die eine (mehr oder weniger latente) Aktualisierung bestimmter „kulturelle“ Wertbezüge einschließen. Dieser Ansatz erfordert eine 114 Vgl. dazu E. Noelle-Neumann (1977: 179) in Verbindung mit Emnid (1986: 25f.). 115 Vgl. bes. zur distinktionsträchtigen Moralisierung von Sauberkeit in der zweiten Jahrhunderthälfte G. Vigarello (1988: 227ff.). 116 Vgl. für Frankreich K. Kete (1994: 132f.). Dem wirkte freilich die sexuelle Laszivität entgegen, die der Katze (auch aufgrund ihrer ambivalenten ethnozoologischen Stellung, vgl. Abschnitt 2.3) nachgesagt wurde (bzw. wird) – vermutlich auch ein Grund, weshalb die Katze bereits damals als das Heimtier der „ungebundenen“ Bohemiens und „eigenwilligen“ Intellektuellen angesehen wurde (vgl. Kete 1994: 123f.). Auch in der Untersuchung von F. Héran (1988: 328) nehmen Professoren und Künstler die Spitzenpositionen unter den „cattophilen“ Haushaltsvorständen ein.
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konzeptionelle Erweiterung des von Parsons entwickelten Konzepts des Kultursystems, eine Erweiterung, die sich in wesentlichen Zügen schon in unseren obigen Überlegungen zu den semiotisch-kommunikativen Aspekten von interspezifischen Interaktionssystemen abgezeichnet hat (bes. bei der Frage der Symbolizität und der Code-Struktur primärsozialer Mensch-Tier-Kommunikationen). So überrascht es auch nicht, wenn wir auch im Hinblick auf eine konzeptionelle Erweiterung des kulturellen Verhaltenssystems auf Forschungen zurückgreifen, die im Umfeld semiotisch inspirierter Ansätze beheimatet sind. Ein semiotisch akzentuierter Kulturbegriff hat sich in den letzten Jahrzehnten (innerhalb der Sozialwissenschaften) vor allem in der Sozial- und Kulturanthropologie als fruchtbar erwiesen.117 Um nur zwei Exponenten zu nennen: Clifford Geertz definiert Kultur im Anschluss an Max Weber als „ineinandergreifende Systeme auslegbarer Zeichen“ (Geertz 1987: 21, vgl. 9, 46). Marshall Sahlins (1981: 7, 10) zufolge integrieren Kulturen „bedeutungsvolle Ordnungen von Personen und Dingen“ in der Weise, die eine „Vernunft des Symbols“ erkennen lässt. Edmund Leach bringt einen Kerngedanken der „strukturalistischrationalistischen“ Anthropologie auf die ebenso griffige wie treffende Formel: „Kultur kommuniziert“ (Leach 1978: 8, 12-14).118 Demnach sind „sämtliche nichtverbale(n) Dimensionen einer Kultur – Kleidertrachten, Dorfanlagen, Bauweisen, Möbel, Lebensmittel, Kochkunst, Körpergesten und -posituren – so zu bestimmten ‚Muster tragenden Klassen organisiert (..), dass sie Träger codierter Informationen sind, ebenso wie die Laute, Wörter und Sätze einer Wortsprache“ (Leach 1978: 18).
Nimmt man den Vorschlag von Leach ernst, dass wir auch mittels „Körpergesten und -posituren“ kommunizieren, dann geht es im vorliegenden Zusammenhang auch darum, die somatisch-organismischen und biokommunikativen Aspekte des humanimalischen Ausdrucksverhaltens in das Kulturkonzept hineinzunehmen. Zu skizzieren sind also Umrisse eines Kulturbegriffs, der nicht „kulturalistisch“ verkürzt ist.
117 Einen Überblick über mittlerweile klassische Ansätze bietet J. Umiker-Sebeok (1977). 118 Vgl. auch C. Lévi-Strauss (1971), neben Franz Boas (vgl. Sahlins 1981: 99ff.) einer der „Väter“ der kommunikationstheoretischen Richtung in der Anthropologie; C. Lévi-Strauss wiederum wurde direkt von den sprachwissenschaftlichen und kultursemiotischen Arbeiten R. Jakobsons (1979) angeregt.
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4.2.5.1 Wider ein kulturalistisch halbiertes Kulturkonzept Unter dem Kultursystem versteht T. Parsons jenen „Aspekt von Handeln, der auf die spezifischen Merkmale von Symbolen und die Notwendigkeiten, aus ihnen stabile Systeme zu formen, gerichtet ist. Das Kultursystem gewinnt seine Ordnung durch Sinnzusammenhänge, die – soweit sie stabil sind – generalisierte Komplexe konstitutiver Symbolismen enthalten. Diese geben dem Handlungssystem seinen eigentlichen ‚Richtungssinn“ (Parsons 1976: 276).119 Die „symbolisch“ gegebenen Deutungsschemata des Kultursystems zielen semantisch auf eine „letzte Realität“, verpflichten also Akteure auf Hintergrundannahmen und Relevanzordnungen, die für bestimmte Realitätskonstruktionen grundlegend sind und die in diesem Sinne eine „wertbindende“ Funktion erfüllen (Parsons 1976: 128f.). Werte definiert Parsons dabei als „conceptions of the desirable, applied to various objects and standing at varying levels of generality“ (Parsons 1967: 147; Herv. v. P.).120 Das generalisierte Medium, das Parsons diesem kulturellen Funktionsbereich des Verhaltenssystems zuweist, ist die kulturtypische „Definition der Situation“. Situationsdefinitionen zeichnen sich durch eine partikularisierende Zuweisungsleistung aus: Sie verknüpfen spezifische Situationen mit relativ allgemeinen sinnstiftenden kulturellen Standards (bes. kognitiver, expressiver oder moralischer Art) (vgl. Parsons 1990: 356f.). Parsons’ Kulturkonzept kann hier nicht ausführlich diskutiert werden. Lediglich ein Vorbehalt, der auch im Hinblick auf den folgenden Hauptteil unverzichtbar ist, soll angesprochen werden. Bei Parsons gibt es eine Neigung zu einer „downwards conflation“, zur impliziten Unterstellung einer relativ problemlosen funktionalen Konsistenz zwischen kulturellen Werten, ihrer Institutionalisierung in Sozialsystemen sowie ihrer personalen Internalisierung im Sozialisationsprozess: Das zentrale Wertsystem erfreut sich bei diesen Interpenetrationsbezügen einer „unquestioned position of dominance“, wie Margaret Archer (1988: 35) anmerkt. Jeffrey Alexander argumentiert ähnlich. Er moniert, dass Parsons im
119 Andernorts verdeutlicht T. Parsons (1970: 327) die inhärent interpenetrationstheoretischen Bezüge seines Kulturkonzepts: „Culture (...) consists (...) in patterned or ordered systems of symbols which are objects of orientation of action, internalized components of the personalities of individual actors and institutionalized patterns of social systems.“ Das Kultursystem unterteilt Parsons dann weiter in folgende vier Funktionsbereiche: „empirical existential ideas“, „expressive symbol systems“, „evaluative patterns“ und „patterns of the grounding of meaning“ (vgl. Parsons 1967: 141f., 144f.). 120 Zur Differenz von „Wert“ und „Norm“ führt Parsons (1976: 80) aus: „Normen sind evaluative Aussagen über Verhalten. Werte sind evaluative Aussagen über Zustände. Normen regeln das ‚Tun, Werte regeln das ‚Sein.“
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Grunde nur das Modell kultureller Spezifizierung generalisierter Werte ausführt und andere Formen soziokultureller Beziehungen darüber vernachlässigt. So wird einmal das Modell kultureller „refraction“ ausgeblendet, bei dem konfligierende soziale Gruppen gegensätzliche Subkulturen entwickeln, obwohl die Werte im kulturellen System vergleichsweise allgemein und hoch integriert sind. Zudem verliert Parsons das Problem kultureller Versäulung („columnization“) aus den Augen. Dieser Fall liegt dann vor, wenn soziale Akteure ihre Konflikte nicht nur auf der Ebene des Sozialsystems austragen, sondern darüber auch gemeinsame Überzeugungen und Werte preisgeben (vgl. Alexander 1990). Alexanders Kritik ist kaum als gegenstandslos abzutun, denn derartige, für das Versäulungsmodell typische Wertkonflikte nehmen oft einen anderen Verlauf (und erfordern andere Konfliktlösungsstrategien) als etwa soziale Interessenkonflikte. Hier sind Mangelsituationen typisch, die knappe Güter betreffen, aber die übergreifende Wertbasis (relativ) unberührt lassen.121 Um einen erweiterten, semiotisch angelegten Kulturbegriff122 zu skizzieren, sind zunächst die zentralen Funktionsbezüge kultureller Leistungen zu identifizieren: Mit Jeffrey Alexander (1993: 217) gehen wir von „zwei fundamentalen Prozessen“ aus, in die Kultursysteme beständig eingebunden sind: „Realität zu konstruieren und zu bewerten.“ Im Sinne einer phänomenologisch inspirierten Zeichenkonzeption handelt es sich hier um Semiosen, durch die Sinnzusammenhänge semantisch auf eine (wenigstens situativ) letzte Realität hingeordnet, d.h. als „real“123 ausgewiesen werden. Kulturellen Realitäten haftet immer etwas „Mythisches“ an, denn sie geben, wie Leszek Kolakowski (1974: 15f.) zeigt, Wertbezüge vor, denen wir oft auch dann noch anhängen, wenn wir glauben, dass wir sie längst überwunden haben. In einem ähnlichen Sinne betrachtet der Soziologe Edward Tiryakian Kulturen: Er versteht Kultur als ein gegliedertes, mehrdimensionales Zeichengefüge, das gerade in seinen latenten, unbewusst oder nichtbewusst bleibenden Schichten die besonders wirksamen (und in die-
121 Zum Verhältnis von Interessen- und Wertkonflikt näher V. Aubert (1973). Nicht zuletzt in der Geschichte der Tierschutzbewegung lassen sich für beide Varianten Beispiele anführen (vgl. als Übersicht Jasper 1996). 122 Es handelt sich hier um einen nur grob umrissenen semiotischen Arbeitsbegriff von „Kultur“, der auf die thematischen Zwecke der vorliegenden Arbeit abgestimmt ist, aber natürlich nicht den zahlreichen Kulturkonzepten gerecht werden kann, die Symbol- oder Zeichenkonzepten einen strategischen Stellenwert im Theorieaufbau zuweisen. 123 Realitäten sind hier Einheiten des Sinns (vgl. Husserl 1980: §55), reflexive Leistungen im ethnomethologischen Sinne: Sie können sich nicht nur auf die letzten Realitäten von Parsons beziehen, sondern auch auf lebensweltliche Sinnbereiche/Lebensformen sowie auf Sinnsysteme, die von den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien (Luhmann) vorstrukturiert werden (dazu im nächsten Kapitel mehr).
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sem Sinne wirklichkeitsrelevanten) Grundorientierungen vorzeichnet. Demnach ist anzunehmen, dass „die Symbole in verschiedenen Tiefenschichten des intersubjektiven Bewusstseins/Unbewusstseins angesiedelt sind und dass sie eben kein geschlossenes System bilden. Je tiefer die Ebene, desto stärker auch das ‚psychische und das symbolische Gewicht der kulturellen Wirklichkeit, die selbstverständlich mit den Tiefenschichten der Person korrespondiert“ (Tiryakian 1975: 364f.).
Wenn man konzediert, dass diese Tiefenschichten auch die somatische Ebene der hyposprachlichen Codes einschließen, dann kann Kultur in einer ersten Annäherung als das Insgesamt von „Verhaltenskompetenzen“ verstanden werden, die „viable patterns-of-life in ecosystems“ bereitstellen, also systemökologisch operieren. Diese Kompetenzen bilden mit weiteren Verhaltensumwelten (der personalen, sozialen, organismischen, physikalischen Umwelt) wechselseitige Selektions- oder Begünstigungsverhältnisse (Keesing 1981: 60). Wie sich weiter oben (3.2.3.), im Kontext unserer Überlegungen zu semiotischen Aspekten interspezifischer Verhaltenssysteme, schon abgezeichnet hat, sollte Kultur auf der Ebene des allgemeinen Verhaltenssystems nicht auf die symbolische Zeichenebene eingeengt werden, insbesondere nicht auf den konventionellen Verknüpfungsmodus von Inhalts- und Ausdrucksaspekt. Dies aber schlägt Parsons vor, wenn er Kultur durch „generalisierte Komplexe konstitutiver Symbolismen“ kennzeichnet und nichtsymbolische Zeichensysteme den subhumanen Kommunikationsformen zuschlägt.124 Die Einbeziehung nichtsymbolischer Zeichentypen hingegen eignet sich für ein Kulturkonzept, das ausdrücklich offen angelegt ist und sich semiotisch nicht von vornherein auf eine bestimmte Zeichenebene festlegen lässt. Aus dieser Sicht sind es letztlich unterschiedliche Zeichenprozesse125 oder Semiosen, die für die kulturelle Dynamik 124 Vgl. dazu T. Parsons (1976: 128-130, 276; 1970: 10f.). Generell ist die Reservierung des Symbolismus für die menschliche Kultur im sozialwissenschaftlichen und anthropologischen Denken natürlich ein gängiges Distinktionskriterium gegenüber der Tierwelt. Vgl. z.B. A. Gehlen (1986: 46ff., 171ff., 214ff.) oder selbst noch F. Buytendijk (1958: 112). 125 Übrigens macht M. Sahlins (1981: 10) auf einen zentralen Vorzug eines prozessualen semiotischen Kulturkonzepts aufmerksam, wenn er herausstreicht, auch ethnologisch sei die SubjektObjekt-Trennung obsolet. Der starre Subjekt-Objekt-Dualismus würde, so Sahlins, „das Problem der Kultur auf die Termini der endemischen westlichen Antinomie zwischen einem weltlosen Subjekt und einem Objekt ohne Denken reduzieren: auf den unausrottbaren Gegensatz von Geist und Materie, zwischen deren Polen es der Philosophie zweitausendfünfhundert Jahre lang gelungen ist, die Grenze der Realität an jeder nur denkbaren Stelle überzeugend zu ziehen (...). Die Kultur der gleichen Problematik zu unterstellen heißt, bloß zu fragen, ob sie die ‚wirkliche Erfahrung des Subjekts oder seine ideellen Vorstellungen wiedergebe, während sie in Wahrheit die gesellschaftliche Bedingung der Möglichkeit beider ist.“ O. Baumhauer (1982) diagnostiziert in seinem Literaturbericht zum Thema Kulturwandel eine Entwicklung zu einem „Para-
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und die sie kennzeichnenden kommunikativen Prozesse ausschlaggebend sind. Walter L. Bühl betont in diesem Zusammenhang den vertikalen Mehrebenecharakter der Zeichenbezugsebenen, die kulturelle Transformationsprozesse prägen: Grundsätzlich reicht dieses Spektrum vom „fluktuierenden Symbolismus“ bis zum „genetisch fixierten Verhaltensprogramm“ (Bühl 1987: 72; vgl. auch 12). Schon in dieser vertikalen Hinsicht wird deutlich, dass Kultur letztlich nicht einfach ein semantischer Wissensvorrat ist, sondern ein semiotischer Rückkopplungs- und Transformationsprozess, der sich über alle Funktionsbereiche des allgemeinen Verhaltenssystems hinweg erstreckt.126 Es ist ein methodologischer Vorzug dieser Konzeption kultureller Systeme, dass sie es erlaubt, kulturellen Wandel auf Bedingungskontexte zu beziehen, die von biologischen Evolutionsprozessen mit beeinflusst werden. Bemerkenswert ist dabei einmal die diskursive Anschlussfähigkeit für ethologische Kulturkonzepte, zum anderen, dass die differentia specifica von Kultur an ihrer informationstechnologischen Arbeitsweise festgemacht wird. Die Herausarbeitung einer gemeinsamen verhaltenswissenschaftlichen Bezugsebene unterschiedlicher Prozessformen der Informationsgewinnung, -verarbeitung und -weitergabe erleichtert vor allem die Erfassung von komplexen Prozessen biologischkultureller Koevolution.127 Bereits John Bonner (1980) hat in diesem Sinne die Tradition von Sinn, die Weitergabe von Information durch Verhalten (d.h. durch „lehrendes“ und „lernendes“ Verhalten) als ein gemeinsames Charakteristikum kultureller Leistungen von Menschen und höheren Wirbeltieren herausgestellt.128 Ihre Verhaltensmuster sind demnach nicht einfach als „angeboren“ oder „erworben“ aufzufassen, sondern sind grundsätzlich zweigleisig angelegt. Sie beruhen demnach (1) einmal digma“, das Kultur als ein sich ständig transformierendes Kommunikationssystem konzipiert. Vgl. zur dynamisch-semiotischen Auffassung kultureller Prozesse auch H. O. Luthe 1992: 203ff.). 126 W. Bühl (1986: 127; Herv. v. B.) spezifiziert dieses Mehrebenensystem kultureller Transformationen als ein System, „dessen verschiedene Ebenen (wie z.B. kognitive, künstlerischexpressive, lebenspraktisch-instrumentelle, sozial-interaktive und affektiv-psychosomatische Ebene) nicht nur durch den Grad der Generalisierung, etwa von Information und Kontrolle, sondern tatsächlich durch unterschiedliche Organisationsmuster und Arbeitsweisen gekennzeichnet sind.“ 127 Vgl. zur biologisch-kulturellen Koevolution R. Dawkins (1996: 304ff.), W. Bühl (1982: 34ff.) und C. Vogel (1986). In einem sehr ähnlichen Sinne spricht E. Wilson (1998: 171) von einer „genetisch-kulturellen Koevolution“. 128 Ähnlich definiert z.B. R. Posner (1991: 39, vgl. auch 53f.) Kulturen als konventionell geregelte Zeichenprozesse von Organismen, die – im Gegensatz zur Vererbung über genetische Codes – auf Tradition beruhen, also durch „Lernen erworben und nach kreativer Veränderung an die nächste Generation weitergegeben werden.“ Sehr instruktiv diskutiert die Frage der Kulturfähigkeit nichtmenschlicher Primaten A. Paul (1999: 226ff.).
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auf biogenetischer Informationsübertragung, bei der das stammesgeschichtliche Erbe durch zweigeschlechtliche Fortpflanzung von Generation zu Generation weitergegeben und neu kombiniert wird. Gleichzeitig beruht die Weitergabe von Verhaltensmustern auf (2) tradigenetischer Informationsübertragung durch Lernen, einem Steuerungsmodus des Verhaltens, der in der Evolution der Organismen zunehmend wichtiger wurde. Das tradigenetische Potential ist (im Gegensatz zu rationalen, bewusst angenommenen und modifizierten Verhaltenspotentialen) im Grunde „weder geplant noch verstanden“, wie Christian Vogel ausführt: „Die Höherentwicklung von Lebewesen lässt sich geradezu charakterisieren als wachsende Fähigkeit, Informationen aus der Umwelt aufzunehmen, sie zu speichern, sie mit anderen Informationen zu kombinieren und so für die Zukunft nutzbar zu machen. Höher entwickelte Tiere lernen mehr und sind daher flexibler und anpassungsfähiger im Verhalten. Die individuell gesammelte Erfahrung wird im Gehirn gespeichert, sie kann dort auf individuelle Weise verarbeitet, kreativ variiert und schließlich über Lehr- und Lernvorgänge an andere Individuen weitergegeben werden. In einem geeigneten sozialen Feld können sich auf diese Weise Traditionen entwickeln, und Traditionsbildung ist ein entscheidender Pfeiler der Kulturentwicklung“ (Vogel 1986: 51).
In jüngster Zeit war es u.a. Frans de Waal (2002), der auf die Vorzüge eines erweiterten, gerade für humanimalische Vergleichszwecke besonders geeigneten Kulturbegriff129 hingewiesen hat. Die von de Waal, Vogel und Bonner vorgeschlagenen Kulturkonzepte tragen empirischen Befunden Rechnung, die in ihrer verhaltenswissenschaftlichen Tragweite von soziologischer Seite bislang kaum ausreichend gewürdigt werden. Dass höhere Wirbeltiere wohl zu einfachen, auf Überlieferung basierenden Kulturleistungen fähig sind, das zeigten (im Prinzip) bereits jene berühmten Makaken der japanischen Insel Koshima, die einfache Inventionen130 über Lernprozesse an andere Tiere zu „verbreiten“ und auch intergenerational zu tradieren wussten.131 Und last not least drückten diese Gewohn129 F. de Waal (2002: 36f.) selbst definiert Kultur als eine „Lebensweise, die von den Mitgliedern einer bestimmten Gruppe geteilt wird, aber nicht zwangsläufig auch mit den Mitgliedern anderer Gruppen derselben Spezies. Sie umfasst Kenntnisse, Gewohnheiten und Fertigkeiten einschließlich zugrundeliegender Tendenzen und Präferenzen, die aus der ständigen Begegnung mit anderen und dem Lernen von ihnen abgeleitet sind. Überall dort, wo systematische Unterschiede im Hinblick auf Kenntnisse, Gewohnheiten und Fertigkeiten zwischen Gruppen nicht durch genetische oder ökologische Faktoren erklärt werden können, sind sie vermutlich kulturell bedingt.“ 130 Z.B. wie Kartoffeln im Salzwasser zu waschen oder Spreu von Getreidekörnern zu trennen sind. 131 Siehe dazu zusammenfassend H. Maturana/F. Varela (1987: 217f.). Weitere Beispiele: Bei Wanderratten etwa gibt es ein kulturelles, auf symbolischer Zurechnung gegründetes Wissen
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heiten und Traditionen auch ganz bestimmte „Präferenzen“ (de Waal 2002: 36) aus, Bevorzugungen, die man mit einem Seitenblick auf Parsons auch implizite „conceptions of the desirable“ nennen könnte. Im Lichte derartiger Erkenntnisse könnte eine trennschärfere Abgrenzung von menschlicher und tierlicher Kultur dann so vorgenommen werden, als „nur noch“ die Fähigkeit zum Aufbau von sekundären, auf reflexiven Symbolismen gegründeten kulturellen Systemen als typisch menschlich angesehen wird. Reflexive Symbolismen erlauben es nämlich, symbolische Bezüge objektentbunden, in ihrer semiotisch selbstreferenziellen und in diesem Sinne: „reinen“ Zeichenhaftigkeit darzustellen (wie dies für die Ebene der hypersprachlichen Codes, wie der menschlichen Sprache, der Schrift, typisch ist). Erst diese Codes eröffnen die Freisetzung von Lernprozessen, wie sie für die sekundärsozialen und überpersönlichen Aspekte von Kultur charakteristisch sind, insbesondere ermöglichen sie „eigenlogische Tendenzen“ kultureller Objektivationen (wie z.B. bei langfristigen technischen Entwicklungen oder bei technisch komplizierten Artefakten). Diese komplexere Symbolisierungsebene liefert die Voraussetzungen für die Entwicklung einer „objektiven Kultur“, wie sie Georg Simmel versteht, die Voraussetzungen für ein „Aufhäufen und Konservieren der Bewusstseinsarbeit“ in kulturellen Vergegenständlichungen, ohne die eine gesellschaftliche Welt nicht möglich wäre (vgl. Simmel 1989 : bes. 627f.). Ein wichtiger Vorzug dieses hier nur grob skizzierten, breiter angelegten Kulturbegriffs ist, dass Kultur nicht nur einen „Vorrat möglicher Themen (...) für rasch verständliche Aufnahme“ „in“ Kommunikationsprozessen132 beschreibt. Die Einbeziehung mehrerer Code-Ebenen ermöglicht ein Kulturkonzept, das auch die Logik der Zeichenzusammenhänge zu berücksichtigen sucht, die „hinum die Gefährlichkeit bestimmter Gifte, das ebenfalls über mehrere Generationen tradiert wird. Junge Dohlen müssen von Alttieren lernen, dass eine Katze ein für sie „gefährliches“ Tier ist (Lorenz 1977: 202ff.). Im Lichte solcher Befunde kann auch der Vorschlag von B. Galef (1992: bes. 161f.), kulturelle Leistungen insgesamt als exklusiv menschlich anzusetzen, nicht recht überzeugen. Wenn Kultur einerseits abgrenzbares Lehrverhalten („teaching“) wie auch Nachahmung („imitation“) voraussetzt, dann ist beides (mindestens) für Primaten belegt (vgl. una pro multis Goodall 1996). Wenn die von B. Galef für den Kulturbegriff angemahnte absichtvolle „evidence of pedagogy“ freilich intentional überstrapaziert wird, so erhält man einen derart restringierten Kulturbegriff, dass dieser auch für weite Bereiche menschlicher Kultur unbrauchbar ist. 132 So N. Luhmann (1984: 224), der den Begriff der Semantik für jene Themen reserviert, die „eigens für Kommunikationszwecke aufbewahrt“ werden, im Grunde also „gepflegte“, vertextete Semantik meint. Dahinter steht – in Abgrenzung zu T. Parsons und im Gegensatz zu der hier bevorzugten Konzeption – der ausdrückliche Verzicht auf Kultur als ein eigenes, ausdifferenziertes Handlungssystem (vgl. Luhmann 1980: 16f.). J. Habermas (1981b: 209) sieht Kultur als „Wissensvorrat“, aus dem sich Kommunikationsteilnehmer „mit Interpretationen versorgen.“ – Vgl. zur Kritik restriktiver Kulturkonzepte und Gegenüberstellungen (wie z.B. Hochund Trivialkultur, dominante und Gegenkultur) W. Bühl (1987: 8ff.).
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ter“ den Themen wirksam sind und zum Vorschein kommen (können), wenn der Aspektreichtum ihrer situativen sozialen Definition, ihre konkrete „Performanz“, ins Zentrum gestellt wird. In dieser Sicht sind z.B. Mausefallen, anders als bei Niklas Luhmann (1984: 224), nicht erst dann kulturelle Gegenstände, wenn wir z.B. den Themen- und Relevanzenvorrat der einschlägigen Fallen(her)stellerliteratur kennen. Es sind dann eher die unhinterfragten Annahmen von Interesse, die für die Zeitgenossen vielleicht kein Thema sind, auf die uns aber Tierfallen mitunter selbst Hinweise geben können. In Artefakten wie Tierfallen, Jagd-, Schlachtgerätschaften, Tierspielzeug133 usw. objektivieren sich kulturelle Sinnverweisungen, die zur Frage zurückführen, wie primärsoziale Situationsdefinitionen überhaupt Kulturgegenstände und ihre praktischen Gebrauchsweisen ermöglichen.
4.2.5.2 Primärrahmen und Rahmungsprobleme In seiner „Rahmenanalyse“ zeigt Erving Goffman, dass wir Vorkommnisse, Ereignisse „in letzter Instanz“ sogenannten „Primärrahmen“ zuordnen. Primäre Rahmen sind Deutungsmuster, die eine Definition der Situation ermöglichen und Ereignisse zu sinnvollen Erfahrungen organisieren (Goffman 1980: 19). Primär sind diese Deutungsrahmen, weil die „Betroffenen (...) nicht auf eine vorhergehende oder ‚ursprüngliche Deutung zurückgreifen“ müssen (Goffman 1980: 31).134 Primärrahmen gewährleisten das Nichtthematisieren von Fraglosigkeiten, die man im jeweiligen situativen Kontext nicht zu bezweifeln pflegt; sie zu problematisieren würde als unnötig, unangemessen, sinnlos, abstrus usw. angesehen werden. Primäre Rahmen lassen sich mit „Stoppschildern“ vergleichen, die die Wahrnehmungsorientierungen und (Welt-)Auffassungen sozialer Einheiten dadurch strukturieren und definieren, dass sie gewisse Voraussetzungen, Grundannahmen kultureller Sinnkonstitution in ein „Reservat“ des Selbstverständlichen einschließen. Man kann sich auf diese „unheimliche“ Zone nur in 133 Im Bereich der volkskundlichen Familien- bzw. Sachkulturforschung zeigen z.B. die „Mücken“-, „Grillen-“ oder „Fliegenhäuser“, mit welchen Tieren Kinder noch vergleichsweise „skrupellos“ spielen durften, während eine vergleichsweise rohe Behandlung höherer Tiere (z.B. der Vögel) bereits mit Skepsis betrachtet wurde (vgl. dazu Stille 1989: 16ff.). 134 Ein primärer Rahmen fungiert also wie eine phänomenologische Epoché, die festlegt, was in einem gegebenen Fall wirklich ist. In der Sache geht es hier insbesondere um die (unter normalen Bedingungen) „unkorrigierbaren Theoreme über Realität“, die als Kriterien fungieren, um „andere Formen des Wissens zu beurteilen“ (Mehan/Wood 1976: 37). H. Garfinkel (1973: 193) spricht in einem sehr ähnlichen Sinne von konstitutiven Merkmalen des Alltagswissens, die zwar „gesehen“ werden, aber „unbeachtet“ bleiben, mit anderen Worten: Sie sind „handlungsleitend, ohne selbst zu Objekten der Aufmerksamkeit zu werden.“
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außeralltäglichen Situationen – wie z.B. bei rituellen Passagen135 – relativ „gefahrlos“ einlassen, – ansonsten stellen sich leicht „krisenhafte“ Brüche oder anomisch anmutende Desorganisationen der Handlungsorientierungen ein. In der westlichen Gegenwartskultur lassen sich zwei grundlegende primäre Rahmen unterscheiden, die in diesem Sinne eine grundlegende Orientierungsfunktionen erfüllen: den „natürlichen“ und den „sozialen“ Primärrahmen. „Natürliche Rahmen“, so Goffman, „identifizieren Ereignisse, die als nicht gerichtet, nicht orientiert, nicht belebt, ‚rein physikalisch gesehen werden; man führt sie vollständig auf ‚natürliche Ursachen zurück. Man sieht keinen Willen, keine Absicht als Ursache am Werke, keinen Handelnden, der ständig auf das Ergebnis Einfluss nimmt“ (Goffman 1980: 31; Herv. R.W.).
Innerhalb des natürlichen Rahmens werden subjektive und situative Verhaltensspielräume eines Tieres als begrenzt erfahren und bzw. oder durch „externe“, d.h. nichtintentionale Bedingungen erklärt (das Tier wird z.B. als „Tierautomat“ oder als behavioristischer Reflexmechanismus aufgefasst, vgl. Rollin 1990). Ausgearbeitete natürliche Rahmen finden sich in den Naturwissenschaften, z.B. in der physikalischen Mechanik oder in der Chemie. Im Unterschied dazu sind soziale Rahmen Deutungsschemata für Ereignisse, an denen „Wille, Ziel und steuerndes Eingreifen einer Intelligenz, eines ‚intelligenten Lebewesens, in erster Linie eines Menschen, beteiligt sind. Ein solches Wesen ist alles andere als unerbittlich; man kann ihm gut zureden, schmeicheln, trotzen, drohen“ (Goffman 1980: 32). Gegenüber Du-evidenten Tieren ist dieses „orientierte“ Verhalten typisch; es ist sozialen Beurteilungsmaßstäben (wie Aufrichtigkeit, Vertrauen, Kampf, Kooperation, Rückzug, Anhänglichkeit) zugänglich und stellt Absichten und Motive des anderen Wesens in Rechnung. In westlichen Gesellschaften neigen z.B. Heimtierbesitzer oder Dompteure136 sehr viel eher dazu, ihre Tiere in einem sozialen Primärrahmen wahrzunehmen als in einem natürlichen. Hervorzuheben ist nun, dass eine analoge Unterscheidung verhaltenssteuernder Rahmen sich auch aus dem Verhalten von Tieren erschließen lässt: Katzen verwenden z.B. verschiedene „Prüftechniken“ (wie Beschnuppern, Antippen), um ein noch lebendes Beutetier von einem toten zu unterscheiden, eine Blechspielzeugmaus von einer lebenden Maus, bei der man mit plötzlichen, überraschenden (sozusagen „kontingenten“) Verhaltensweisen (z.B. mit einer 135 Vgl. dazu näher V. Turner (1969), R. Wiedenmann (1989; 1991). 136 Vgl. etwa zum zentralen Stellenwert des „Vertrauensverhältnisses“ zwischen Mensch und „Tierpersönlichkeit“ (sic!) T. Althaus’ (1985) Ausführungen zur Tierdressur.
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Gegenattacke, einem Fluchtversuch) „rechnen“ muss.137 In der Sache weist auch Heini Hediger auf diesen Sachverhalt hin, wenn er – nicht zuletzt aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung als Zoodirektor – aufweist, dass höhere Wirbeltiere ihre Umwelt über eine „Art Systematik“, über sinnstiftende Klassifikationsraster wahrnehmen. Im Hinblick auf die Mensch-Tier-Beziehung dürfe man „wohl als gesichert annehmen, dass der Mensch für das Tier zum mindesten der Träger von fünf verschiedenen Bedeutungskategorien sein kann: d.h. er kann dem Tier bedeuten: Feind, Beute, Symbiont, ein Stück toter Umgebung oder ein Artgenosse“ (Hediger 1965: 95).138 Obschon eine saubere Grenzziehung zwischen diesen „Rahmen“ in vielen Bereichen moderner Gesellschaften eine recht weitreichende Orientierungsfunktion erfüllt, ist hier doch ein wichtiger Vorbehalt anzubringen: Das zeitgenössische Alltagsdenken arbeitet häufig mit Tierbildern, die sich irgendwo „zwischen“ diesen Rahmen bewegen, die in diesem Sinne also durchaus mehrdeutig oder unentschieden sind. Werden nämlich in derartigen Sinnkontexten Tiere klar und eindeutig dem einen oder anderen Rahmen zugeschlagen, dann sind schrille Irritationen die Folge, Desorientierungen, die z.B. Verbreitungsmedien nicht selten zu entsprechenden „Sensationsmeldungen“ veranlassen. Als Beispiel führt Goffman (1980: 38f.) die extreme Vermenschlichung von Tieren an, namentlich die „Pferde mit mathematischen Neigungen“. Eines der bekanntesten Beispiele für den zuletzt erwähnten Fall ist der „kluge Hans“ des Wilhelm von Osten, ein Pferd, das Anfang des Jahrhunderts in Berlin für erhebliches Aufsehen sorgte, weil es angeblich komplizierte arithmetische Aufgaben lösen konnte. Der „kluge Hans“ schien ein im Hinblick auf seine immensen, beinahe übermenschlichen kognitiven Fähigkeiten ein ausgesprochen
137 Vgl. zu diesen Beispielen P. Leyhausen (1982: 60f.; 1996: 72ff.). Beim beutegerichteten Unterscheidungsverhalten von Hauskatzen lassen sich Ausdrucks- und Bewegungsabläufe beobachten, die nahelegen, dass selbst erwachsenen Katzen bei der Primärrahmung (lebendiges/unlebendiges Essbares) „Fehler“ unterlaufen. Es sei gestattet, hier eine wiederholt gemachte Gelegenheitsbeobachtung mitzuteilen. Auf einen noch heißen Brocken Fleisch reagierten unsere beiden Katzen „Mia“ und „Melly“ anfangs regelmäßig ganz unterschiedlich. Wenn sich „Mia“ das Schnauzchen verbrannte, zog sie sich etwas zurück und verharrte ansonsten ohne erkennbare Reaktion einige Momente, um es dann mit dem (inzwischen etwas abgekühlten) Fleischstückchen nochmals zu versuchen. „Melly“ hingegen zeigte anfangs ein Verhalten, wie es P. Leyhausen angesichts kleinerer Beutetiere schildert, die (noch) nicht klar klassifiziert werden können: Annäherung in etwas geduckter Haltung und mehrfaches Antippen mit der Pfote, eventuell unterbrochen durch nochmaliges Beschnüffeln. 138 Dass Tiere auch in der Lage sind, solche Rahmungen zu „modulieren“, etwa spezifizierend abzuwandeln, zeigt Hediger (1965: 101ff.) anschaulich am Beispiel der Primär- und Sekundärbedeutungen, die für die tierliche Wahrnehmung eines PKW bestimmend sein können.
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ungewöhnliches Pferd zu sein.139 Was solche Tiere erstaunlich macht, ist, dass sie Konfusion in die Abgrenzung von üblichen, bewährten Rahmen oder Deutungsmustern tragen. Z.B. ist es für einen strikten „Cartesianer“, der Tiere im natürlichen Primärrahmen von rein kausal beschreibbaren, unorientierten res extensae perzipiert, extrem verwirrend, an Tieren Verhaltensweisen ausmachen, die an orientierte Intelligenzleistungen, an zweckgerichtete Kalkulationen, absichtsvolle Überlegungen usw. erinnern. Doch selbst für einen Beobachter, der höhere Tiere dem sozialen Primärrahmen eines motivierten, subjektiv orientierten Verhaltens zuordnet, sind solche „Phänomene“ überaus merkwürdig. Denn sie erschüttern die Grenzziehung zwischen höheren (menschlichen) und niedrigeren bzw. einfacheren (tierlichen) Formen orientierten Verhaltens. In dramatischen Fällen können Trennungsprobleme sogar Angst, ja Entsetzen hervorrufen.140 In sehr viel milderer Form stellt sich das Rahmungsproblem, wenn Tiere (wie z.B. bei Tierdressurvorführungen, Tierkunststücken usw.) gewöhnliche Alltagshandlungen ausführen, die (bezogen auf die jeweilige Kultur) als spezifisch menschlich gelten. Doch auch solche Vorführungen lenken, so Goffman, die Aufmerksamkeit fast zwingend auf die „in unserer Gesellschaft gezogene Trennungslinie zwischen Mensch und Tier“ – besonders dann, wenn die Inszenierung als solche (zunächst) nicht durchschaut wird.141 Rahmungsprobleme bei in diesem Sinne „außergewöhnlichen“ Tieren sind natürlich nicht nur eine zeitgenössische Erscheinung, doch wurden sie noch in der Frühneuzeit in weiten Bevölkerungskreisen wohl nicht so strikt gehandhabt wie heute.142 139 Wie O. Pfungst (1907) entdeckte, beruhten die außergewöhnlich anmutenden Fähigkeiten des „klugen“ Hans auf der visuellen Wahrnehmung von (für den Menschen) unmerklichen gestischen und mimischen Signalen anwesender Personen, denen das Tier die jeweilige Lösung, d.h. die „richtige“ Anzahl der gewünschten Hufschläge, direkt entnehmen konnte. Vgl. zur kommunikationstheoretischen Diskussion des Klugen-Hans-Phänomens P. Watzlawick (1977: 41ff.), ergänzend den frühen „Rehabilitierungsversuch“ von K. Krall (1912). 140 Ein gutes Beispiel ist hier der schaurige Eindruck, den der „redende Türke“ in E. T. A. Hoffmanns Erzählung „Die Automate“ hervorruft. Hier hat die „Verbindung des Menschen mit toten, das Menschliche in Bildung und Bewegung nachäffenden Figuren zu gleichem Tun und Treiben (...) etwas Drückendes, Unheimliches, ja Entsetzliches“ (Hoffmann 1975: 370; vgl. dazu auch Meyer 1990: 116). 141 Z.B. dann, „wenn ein Schimpanse auf der Straße größte Bestürzung auslöst, weil sein Betreuer ihm beigebracht hat, einen offenen Sportwagen zu steuern, und er selbst dabei scheinbar auf dem Nebensitz schläft“ (Goffman 1980: 41). Vgl. als deutsches Pendant dazu die „sagenhafte Geschichte“ vom „Schäferhund am Steuer“ (Brednich 1993: 123f.). 142 In einem Akzidenzdruck der „Wagnerschen Druckerei“ aus Ulm z.B. werden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vergleichbare „Wundertiere“ als öffentliche Attraktionen angepriesen. In einem derartigen Druck wird von einer Schaustellertruppe ein „kleines Engelländisches Pferd“ angekündigt, das in der „Rechenkunst“ bewandert“ ist, den Kalender lesen kann, daneben mehrere Fremdsprachen versteht, Würfel und Karten spielt und außerdem sogar noch Gedanken lesen kann. Derselbe Druck kündigt einen „Engelländischen Hund“ wie folgt an:
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Es gibt noch andere soziokulturelle Techniken, um mit solchen Inkonsistenzen zurechtzukommen: In weniger drastischen Fällen wird das Trennungsproblem, so Goffman (1980: 46), durch „Witzemachen“ bewältigt. Unter Hinweis auf Henri Bergson schreibt Goffman (1980: 50, 388), man lache beispielsweise dann, „weil eine Person uns wie eine Sache erscheint“, oder wenn unsere Gebärden und Bewegungen an einen „bloßen Automatismus“ erinnern. Der Witz ist hier ein Versuch, eine Sinninkongruenz darzustellen, die sich durch einen gleichzeitigen natürlichen und sozialen Rahmenbezug einstellt. Bei Tierwitzen gibt es dann zwei Möglichkeiten, die in unserem Bezugsrahmen besondere Beachtung verdienen: Entweder steht das Tier selbst als Lebewesen im Vordergrund, oder es fungiert in erster Linie als Symbol, als Fabeltier für Rahmenkonflikte, die eigentlich Menschen betreffen. Hier artikulieren sprechende Tiere, z.B. Papageien, dann Themen, von denen alle wissen, dass dies keine „Papageienthemen“ sind, sondern die zwischenmenschliche Sphäre fabulös travestieren. Der Papagei ist dann nur das Sprachrohr für (z.B. sexuell) Anstößiges, Peinliches, das sich indirekt leichter ausdrücken lässt (vgl. Röhrich 1980: 133f.). Im anderen Fall bringt der Witz eine mehr oder minder tabuierten Sachverhalt zur Sprache, der die Situation der Tiere als Lebewesen beleuchtet, z.B. moralische Konflikte, die das Tier als Tier betreffen, wie z.B. die Frage der Tötung oder grausamen Behandlung von Tieren.143 Nicht selten handelt es sich dabei um Witze, die einen Perspektivenwechsel vornehmen, durch den Menschen eine Position einnehmen, die üblicherweise Tiere innehaben. Charakteristisch für diese Inversionswitze ist, dass sie Selbstverständliches aus der Welt der Mensch-Tier-Tier-Beziehungen auf den Kopf stellen, indem sie etwa fraglos hingenommene Macht oder Abhängigkeitsverhältnisse umkehren.144 „Wird lesen, die auseinander gesetzten Buchstaben zusammentragen, den Namen eines jeden von den gegenwärtigen auf Deutsch, Französisch und Engelländisch angeben, in Ziffern und Buchstaben rechnen, und andere belustigende und verwunderungswürdige Künste machen“ (Schmitt 1987: 138, 141). 143 So etwa in einem Bildwitz, in dem ein Ferkel die Nahrungsaufnahme verweigert, weil es partout nicht groß und stark werden will: „Ich bin ja nicht lebensmüde!“ (L. Röhrich 1980: 134). Der Konflikt der beiden Deutungsrahmen – essen, um heranzuwachsen, dies mit dem Ziel, dann getötet zu werden – betrifft hier die Schweine, nicht die Befürchtungen, die die Menschen, die solche Witze erzählen oder hören, auf sich selbst beziehen. Allerdings ist auch hier eine andere Deutung nicht gänzlich auszuschließen; es liegt letztlich an der jeweiligen Sinntransformationsleistung des Witzrezipienten, ob ein derartiger Witz als eine unbewusst zoomorphe Version eines Kannibalenwitzes aufgefasst wird, bei dem es im Grunde um das Schlachten und Verzehren eines Mitmenschen (oder der eigenen Person) geht (vgl. Röhrich 1980: 144). 144 Hierher gehört der Witz von den beiden Ratten in einem Versuchskäfig (der sogenannten „Skinner Box“) (vgl. Röhrich 1980: 136; Watzlawick 1977: 72). Sagt die eine Ratte zur ande-
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4.2.5.3 Exkurs: Rahmenanalyse und Sozialphänomenologie multipler Sinnprovinzen Obwohl wir prinzipiell davon ausgehen, dass die (sozial-)phänomenologischen Konzeptionen der Intentionalität und Appräsentation durchaus mit dem Leitmotiv der Goffmanschen Rahmenanalyse zu vereinbaren sind, gibt es einige Gründe, die es im Hinblick auf die Mensch-Tier-Sozialverhältnisse nahelegen, die Grenzen dieser Kompatibilität kurz anzudeuten. Wie oben bereits angesprochen wurde, ähneln Goffmans Rahmen dem, was die Sozialphänomenologie unter dem Titel der „lebensweltlicher Sinnbereiche“ abhandelt: Sinnbereiche wie die Alltagswirklichkeit oder die unterschiedlichen „finite provinces of meaning“ (Traum, Theater/Film, Wissenschaft, Spiel, usw.) werden von Alfred Schütz (1971) durch sechs Kriterien voneinander abgegrenzt: durch einen vorherrschenden kognitiven Stil, durch charakteristische Formen der „spontanen“ Verhaltensweise, durch spezifischen Sozialitäts- und Selbsterfahrungsformen, schließlich durch eine spezifische Zeitperspektive und eine besondere Epoché. Die Epoché läßt sich als eine „Einklammerung“ verstehen, die regelt, welche Annahmen, Probleme unter den normalen Bedingungen des betreffenden Sinnbereichs eo ipso ausgeblendet, suspendiert werden.145 Für unsere Alltagswelt etwa ist die Einklammerung von Zweifeln charakteristisch, die die „tatsächliche“ Existenz der äußeren, in einem populärphysikalischen Sinne opaken Welt und ihrer Objekte betreffen. Wer die naturalistische Epoché dieser (relativ) „natürlichen Weltanschauung“ verletzt, der kann leicht als ver-rückt eingestuft werden, es sei denn, die Situation wird von den Beteiligten als ein Sinnbereich definiert, in dem eine andere Epoché gilt und solche Zweifel artikuliert werden dürfen (wie z.B. in wissenschaftlichen, religiösen oder künstlerischen Sinnbereichen).146 Sinnbereiche institutionalisieren damit Typisierungsregeln und Relevanzmuster, die die Möglichkeiten dessen fest- oder zumindest nahelegen, was an einem Sachverhalt „wichtig“ ist, was als wünschenswert gilt, welche Verhaltensweisen unter den und den Bedingungen „angemessen“ sind.
ren: „Ich habe es geschafft, den Versuchsleiter zu konditionieren. Jedes Mal, wenn ich die Barriere niederdrücke, lässt er ein Stück Futter herunterfallen.“ 145 R. Grathoff (1989: 49, 142ff.). Vgl. auch A. Schütz (1971), P. Berger/T. Luckmann (1980). Vgl. zur Kritik E. Goffman (1980: 11ff.), der vor allem die Kriterien der Abgrenzung und des Aufbaus der phänomenologischen Sinnprovinzen in Zweifel zieht. Vgl. zu den diesbezüglichen Differenzen zwischen Schütz und Goffman auch T. Eberle (1991: bes. 180ff.). 146 Philosophiegeschichtlich ist hier der methodische Zweifel R. Descartes’ (1976) das wohl prominenteste Beispiel, an das ja E. Husserl ausdrücklich anknüpft, sieht er hier doch eine „radikale Wendung vom naiven Objektivismus zum transzendentalen Subjektivismus“ (Husserl 1977: 6).
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Die Sach-, Wert- und Verhaltensordnung eines Sinnbereichs erfährt also eine sozusagen realitätsspezifische Codierung. Goffman bringt nun Einwände gegen die sozialphänomenologische Sinnprovinzenkonzeption vor, die im vorliegenden thematischen Kontext nicht zu übergehen sind: Erstens: Bei Schütz wird weder deutlich gemacht, wie viele Sinnbereiche sich gegeneinander abgrenzen lassen, noch, dass sich (fast) beliebig viele weitere Regeln nennen lassen, um einen derartigen Kriterienkatalog zusammenzustellen. Z.B. können Situationen, die nach Schütz der Alltagswirklichkeit eines hellwachen, durch körperliche Bewegungen „wirkenden“ Erwachsenen zuzuweisen sind, ein „geschichteter Abglanz“ (Goffman 1980: 604f.) eines Urbildes (einer mythischen, literarischen, künstlerischen usw. Vorlage) sein, dessen Realitätsstatus mit diesem allzu fixierten Schema nicht freigelegt werden kann. Solche Sinn transformierenden Vorlagen spielen in humanimalische Sozialverhältnisse z.B. dann hinein, wenn wir es mit vorgeblichen „Arbeitsprozessen“ zu tun haben, die von quasimythischen Stilisierungen geprägt werden, wie sie partiell für „Phantasiewelten“ (im Sinne Schütz’) typisch sind. Noch im 20. Jahrhundert bieten die kulturellen Stilisierungen z.B. der Imkerei147 hierfür ein ausgiebiges Anschauungsmaterial. Selbst wenn nun ein Primärrahmen vorliegt, der dem Handelnden verständlich macht, „was eigentlich vor sich geht“, so schließt das weitere, gleichzeitige Modulationen oder Unterkodierungen des Geschehens nicht aus: Einem Vorgang liegen dann mehrere, geschichtete Sinntransformationen oder Modulationen zugrunde.148 Beim Heimtier, das „wie“ ein Familienmitglied erlebt und behandelt wird, handelt es sich beispielsweise um eine Modulation („keying“), die eine soziale Primärrahmung – z.B. auf Basis eines zoologische Deutungsschemas – keineswegs einfach beseitigt, sondern nur zurückgedrängt oder überlagert.149 Ein Schützscher „Sprung“ in einen anderen Sinnbereich ist hier nicht erforderlich. Eine primäre Rahmung, die „von den Betreffenden so gesehen wird, dass sie nicht auf eine vorhergehende oder ursprüngliche Deutung zurückgreift“, ist mit
147 Vgl. zum Popularmythos des „Bienenvaters“ besonders S. Becker (1991). 148 E. Goffman (1980: 96) spricht hier auch von „Modulationen von Modulationen“, von Transformationen, die dem Rahmen und bisherigen Transformationen jeweils eine neue Schicht hinzufügen (vgl. auch Goffman 1980: 35f.). 149 Die Prozesse des „keying“ können natürlich in verschiedene Richtungen ausgreifen, das Heimtier kann z.B. auch eine Art „lebendiges Spielzeug“ darstellen. Wenn ein Heimtier zum Familienmitglied moduliert wird, bedarf das „keying“ dieses fremden Zwischenwesens freilich einer fortlaufenden Bestätigung und Ausarbeitung, denn „doubting audiences, some media accounts, the ever-present reality of the animal frame, and other ‚frame breaks always make the ‚pet something less than a family member“ (Hickrod/Schmitt 1982: 71).
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derartigen gleichzeitigen Modulationen also durchaus vereinbar (vgl. Goffman 1980: 31).150 Zweitens: Ein Einwand zum Intersubjektivitätsstatus der lebensweltlichen Sinnbereiche schließt sich hier an. Alfred Schütz unterscheidet zwar verschiedene thematische und Motivationsrelevanzen, von denen sich Interakteure leiten lassen. Doch werden die Probleme, die entstehen, wenn sich Akteure mit verschiedenen Sinnbereichszuordnungen begegnen, von seiner Lebensweltkonzeption nur unsystematisch berücksichtigt. Bei Schütz wird unterstellt, dass sich die Interakteure auf eine gemeinsame Definition des jeweils relevanten Sinnbereichs verständigen können (z.B. Alltagswirklichkeit, Wissenschaft, Spiel). Goffman hingegen setzt methodologisch an dem Sachverhalt an, dass eine Definition der Situation, die im alltagsweltlichen Sinnrahmen erfolgt, keineswegs ausschließt, dass gleichzeitig weitere Sinnmodulationen wirksam sind. Im Gegenteil: Die Definition der Situation resultiert geradezu aus dem Aufeinandertreffen divergierender „Aufschichtungen“ von mehreren Rahmen, die in einem gewissen Sinne gleichzeitig gelten. So haben nach Goffman (1980: 17) „die verschiedenen Beteiligten im allgemeinen ganz verschiedene Auffassungen davon, was vor sich gehe. In gewissem Sinne ist das, was für den Golfspieler Spiel ist, für den Balljungen Arbeit.“ Golfspieler, Golflehrer, Balljungen müssen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichen perspektivischen Akzentuierungen – die Motivationsrelevanzen und Erkenntnisstile beider Sinnbereiche mitberücksichtigen, die der Arbeit und die des Spiels. Z.B. muss der Golflehrer mit seinem Golfschüler „spielen“, aber immer mit dem beruflichen Relevanzschema „im Hinterkopf“, dass sein eigenes Spiel nicht spielerischer Selbstzweck ist, sondern Dienstleistung am Kunden. Er wird z.B. „Demonstrationen“ bestimmter Körperstellungen einschieben, um den Schüler einen genaueren Einblick in den Bewegungsablauf zu ermöglichen.151 Vergleichbares lässt sich auch von Mensch-TierInteraktionen behaupten. Bei Zirkusdressuren, bei denen Tiere vorwiegend über extrinsisch wirkende Belohnungen motiviert werden (z.B. über das Verabreichen besonders schmackhaften Futters), wird die Situation von den Tieren nicht unbedingt als „Spielsituation“ typisiert, obwohl die (oft schwer erarbeitete) Dressur
150 Beim späten Schütz wird diese Pluralität streng getrennter Realitäten allerdings durch Symbolbeziehungen, die Sinnverknüpfungen zwischen Alltagswirklichkeit und den Sinnprovinzen erlauben, zusehends „poröser“. 151 Vgl. zur Rahmenmodulation der „Demonstration“ eingehender E. Goffman (1980: 79-82).
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natürlich oft darauf angelegt ist, beim Zuschauer eben diesen Eindruck zu erwecken.152 Demnach wäre eine gemeinsame Definition der sozialen Situation und der ihr entsprechenden Realität nicht einfach als (vor)gegeben anzusetzen, sondern – soweit eine solche gemeinsame Definition überhaupt gelingt – auf die Differenz und die daraus entspringende Dynamik der jeweils eingebrachten Rahmungen zurückzuverfolgen. Bei Tierschutzfragen sind es mitunter solche differenten Rahmen, die eine intersubjektiv konsistente Definition der Situation erschweren, – so z.B. bei medizinisch-pharmazeutischen Tierversuchen, die häufig ganz kontroverse Rahmungen evozieren. Ein Beispiel sind hier Stellungnahmen, die die Vivisektion in erster Linie als einen „Ausdruck sadistischer Grausamkeit“ charakterisiert haben (so etwa Ciaburri 1933: 267ff.). Eine solche Einstufung mag im Sinnhorizont eines tierschützerischen Engagements verständlich sein, – die für die naturwissenschaftliche Experimentalsituation typische Epoché wurde dabei in der Regel aber eher verfehlt, ebenso der hier vorherrschende kognitive Stil, der eher durch eine affektneutrale, emotional „desinteressierte“ Einstellung gekennzeichnet ist. Z.B. wird dann ein tierlicher Organismus nicht als ein womöglich leidendes Lebewesen problematisiert, es wird vielmehr als ein „epistemisches Objekt“ (z.B. als Modell „Maus“) konfiguriert, das von dem „normalen“, alltagsweltlich „realen“ Lebewesen (die Maus im Garten) weitgehend abstrahiert (vgl. Amann 1994: bes. 29). Ein dritter Kritikpunkt betrifft nun die kulturelle Definition der Situation, wie sie in interspezifischen Interaktionskontexten vorgenommen wird. Diese Frage ist nun etwas ausführlicher zu beleuchten.
4.2.5.4 Situationsdefinition in Rahmungsprozessen humanimalischer Interaktion Auf der Ebene des allgemeinen Verhaltenssystems setzen, wie weiter oben schon ausgeführt, humanimalische Interaktionen „Definitionen der Situationen“ voraus (vgl. nochmals Parsons 1990: 356f.), die insofern „inhaltslos“ sind, als sie als generelles Medium fungieren, das in vielen ähnlichen Situationen und Interaktionen Verwendung findet. Gleichzeitig aber soll das Medium spezifisch genug angelegt sein, um konkrete Wertbezüge realisieren zu können, durch die sich eine Interaktionssituation in kognitiver, expressiver oder moralischer Hinsicht hinreichend partikularisieren lässt. Bei Mensch-Tier-Kontakten, bei denen der 152 Dies gilt freilich nur für Dressurübungen, die auf zirkusmäßige Höchstleistungen abzielen und das Tier stark beanspruchen, nicht für das „ausgleichende“ Spiel, das gegen die monotone Beschäftigungslosigkeit von Zootieren vorgeschlagen wurde (vgl. Hediger 1965: 156f.).
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Tierseite eine Situationsdefinition nicht einseitig aufoktroyiert wird, sind – so unsere Annahme – auch von Seiten des tierlichen Akteurs Leistungen erforderlich, die diese hinreichend gemeinsame Definition der Situation gewährleisten. In diesem Sinne müssen also z.B. höhere Wirbeltiere, mit denen der Aufbau einer interspezifischen Interaktion gelingen soll, auch hier minimale Kompetenzen mitbringen. Die Mindestkompatibilität in Mensch-Tier-Verhaltensprozessen berührt damit nicht nur die Systemebenen des Verhaltensorganismus, der Persönlichkeit und des Sozialsystems, sie müsste sich – wenigstens partiell – auch auf das kulturelle Verhaltensmedium erstrecken. Im Folgenden soll nun abrisshaft aufgezeigt werden, dass dieser Bedingung ein semiotisch und systemtheoretisch erweiterter Kulturbegriff dann genügen kann, wenn er auf die grundlegenden Typisierungsleistungen abstellt, die eine interaktive Konstruktion von Sinnkontexten bzw. -rahmen ermöglichen. Eine Voraussetzung ist hier, dass Tiere, die in diesem Sinne zu kulturellen Situationsdefinitionen in der Lage sind, zeitliche und sachbezogene Generalisierungsleistungen erbringen können (es ist ja wesentlich dieses Generalisierungskriterium, das es überhaupt rechtfertigt, von einer Inanspruchnahme eines kulturellen Interaktionsmediums zu sprechen). Um noch einmal zu verdeutlichen, welche Kompetenz hier angesprochen ist, eine Beschreibung des Sachverhalts, wie sie sich bei Merleau-Ponty findet. Mit Blick auf die tierliche Motorik beschreibt er diese Fähigkeit so: „Die Erfahrung besteht beim Organismus nicht in der Registrierung und Fixierung bestimmter wirklich ausgeführter Bewegungen: Sie bildet Fähigkeiten aus, d.h. ein allgemeines Vermögen, auf Situationen eines bestimmten Typs mit variablen Reaktionen zu antworten, die nur den Sinn gemeinsam haben. Die Reaktionen sind also keine Folge von Ereignissen, sie haben als solche eine ihnen ‚innewohnende Verständlichkeit. So verbinden sich Situation und Reaktion von innen her durch ihre gemeinsame Teilhabe an einer Struktur“ (Merleau-Ponty 1976: 148; Herv. R.W).153
Der von Merleau-Ponty angesprochene Sachverhalt kann ohne nennenswerte theoretische Reibungsverluste mit den Rahmenkonzeptionen von Bateson und Goffman154 verknüpft werden, – jedenfalls können diese den kulturellen Bezügen der direkten Interaktionen zwischen Menschen und Tieren wohl eher gerecht werden als Schütz’ Ansatz der multiplen Sinnbereiche. Schütz sieht zwar sehr 153 Schon aus diesem Grund ist übrigens die Auffassung, Tiere verfügten über keinen Zeitsinn und könnten u.a. deswegen keine protentionalen oder retentionalen Verallgemeinerungen vornehmen, zurückzuweisen (vgl. dazu am Beispiel von Primaten bereits Burton 1984: bes. 78). 154 Vgl. zum theoretischen Stellenwert von G. Batesons Ansatz für Goffmans Rahmenanalyse die Arbeit von R. Hettlage (1991), die auch Hinweise zu gestaltpsychologischen Aspekten des Rahmenkonzepts enthält.
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klar, dass wir uns in unserem lebensweltlichen Umgang mit Tieren von sehr unterschiedlichen Typisierungen leiten lassen, die sich nach Graden der Anonymisierung bzw. Intimisierung abstufen lassen (vgl. Schütz 1971: 9). Die Frage allerdings, wie höhere Tiere uns und die Situation typisieren, und ob dies für den Verlauf unserer Interaktion mit ihnen Auswirkungen hat, liegt außerhalb von Schütz’ Fragestellung. Im Anschluss an die Forschungen von Gregory Bateson und Konrad Lorenz konzipiert nun Goffman humanimalische Interaktionen als prinzipiell wechselseitige Rahmungsprozesse. So an einer theoretisch zentralen Stelle der Rahmenanalyse, bei der Einführung des Begriffs des Moduls („key“). Wie schon angemerkt, meint Modulation hier eine abgrenzbare und systematische Sinntransformation eines Geschehens, das bereits innerhalb eines „ernsten“, primären Rahmens (besonders eines sozialen Primärrahmens) sinnvoll ist. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert nun vor allem die Frage, inwieweit Tiere in der Lage sind, unterschiedliche, durch Zeichenbezüge unterscheidbare Sinnrahmen auseinanderzuhalten und diese im Verlauf von Interaktion zu wechseln. Eine für das Studium vergleichsweise zwangloser Mensch-Tier-Interaktionen besonders aufschlussreiche Rahmenmodulation ist hier das Spiel.155 Zunächst ist festzustellen, dass eine entscheidende Voraussetzung für interspezifisches Spielen gefühlsfundiert ist: Spielen braucht eine „dehostilisierte“ Atmosphäre der (im weiteren Sinne) angstfreien Entspanntheit, in der eine Stress erzeugende „Feindtönung“ fehlt.156 Das zweite Merkmal betrifft die (jedenfalls im Säugetierbereich) vergleichsweise „spontan“ zugängliche Verständlichkeit spielerischen Ausdrucksverhaltens. So stellt etwa Goffman fest, dass die Identifikation des Rahmen- bzw. Modulationsbezugs meist ganz unwillkürlich „richtig“ erfolge. Normalerweise sei es für einen geschulten Beobachter wie für einen Laien ohne weiteres zu erkennen, „dass es sich bei einem Stück Tierverhalten um Spiel handelt, das dazuhin in gewissem Sinne dem ähnelt, was man sich beim Menschen als Spiel vorstellt. Spiel ist ja 155 Kinder spiel(t)en z.B. „Räuber und Gendarm“, „Hochzeit“, „Cowboy und Indianer“ usw., bei hochentwickelten Säugetieren ist schon seit geraumer Zeit von einer regelrechten „Spielkultur“ die Rede (vgl. z.B. Burton 1957: 82ff., 110f.). Leyhausen (1996: 50) unterscheidet für die Hauskatze z.B. folgende Spielmuster: „Kampfspiele“, „Burgverteidigung“, „Verfolgungsspiel“, „Beutespiel mit Partner“. 156 Der Begriff Dehostilisierung wird hier im Sinne von R. Bilz (1974: 17ff.) verwendet. Eine Untersuchung über die für Mensch-Hund-Interaktionen typischen Spielelemente und –situationen zeigte, dass beiderseitige Vertrautheit im allgemeinen Spielverhalten begünstigt, bestimmte Spielelemente scheinen oftmals für diesen sozialen Binnenraum geradezu „reserviert“ zu werden (Mitchell/Thompson 1990: bes. 29f.). Derartige Befunde legen nahe, dass diese Tiere eine Grundmodulation des sozialen Rahmens vornehmen können, die der ähnelt, die Menschen vornehmen, wenn sie zwischen Eigengruppe und Fremdgruppe unterscheiden.
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Kapitel 4 möglich zwischen dem Menschen und vielen Tierarten, wovon man wenig Aufhebens zu machen pflegt, wenn es um unsere üblichen schmeichelhaften Auffassungen vom Unterschied zwischen Mensch und Tier geht“ (Goffman 1980: 53; Herv. v. G.).
In der Tat sind wesentliche Merkmale spielerischen Verhaltens (Abgrenzung der Spielsituation durch Zeichen wie Signale, Gesten; Wiederholung, Über- und Untertreibung von Verhaltenssequenzen; das Vermischen und Neuordnen von Verhaltenssequenzteilen; Rollen- oder Statusumkehrung) ebenso beim Menschen wie bei zahlreichen Brut pflegenden Wirbeltierarten anzutreffen.157 Für zahlreiche Säugetiere sind wechselnde Kombinationen von Spielelementen charakteristisch, die sich auch im Spielverhalten von Kindern oder Erwachsenen aufweisen lassen (z.B. theatralische Überzeichnung, Bluff, spielerische Drohung, Necken, vgl. Bateson 1988: 246). Schon diese Merkmale erleichtern also die Verständlichkeit und sequentielle Kompatibilität der intersubjektiv als sinnvoll erfahrbaren Spielelemente. Falls diese Parallelen nicht trügen, dann könnte sich – vor dem Hintergrund des grundlegenden Spielcharakters der Kultur – die These von kulturellen Leistungen von Tieren auch von den Spielverhaltensformen her untersuchen lassen.158 Herauszustellen ist in diesem Zusammenhang der typische „Als-ob“Charakter, das spezifisch „uneigentliche“ Moment der spielerischen Sinnmodulation. Dass damit ein zentrales Moment interspezifischen Spielverhaltens angesprochen ist, darauf hat vor Jahrzehnten schon Bateson (1988: 248) aufmerksam gemacht, wenn er zwei Charakteristika des Spiels hervorhebt: (a) Dass „die im Spiel ausgetauschten Mitteilungen oder Signale in gewissem Sinne unwahr oder nicht gemeint sind; und (b) dass das, was mit diesen Signalen bezeichnet wird, nicht existiert.“ Von Bateson wird der Rahmenbegriff dazu verwendet, um die metakommunikativen Prämissen der situativ jeweils „richtigen“ Art des Denkens zu charakterisieren. Der Rahmen fungiert dabei ebenso exklusiv wie inklusiv, er
157 Vgl. zu diesen Kriterien D. Lancy (1980: 472f.), R. Fagen (1987: 254). Die wichtigsten Merkmale finden sich auch in der Auflistung von E. Goffman (1980: 53-55). 158 J. Huizinga (1956: 9) beginnt seine Untersuchung „Homo ludens“ mit der Feststellung, dass die „menschliche Gesittung dem allgemeinen Begriff des Spiels kein wesentliches Kennzeichen hinzugefügt hat. Tiere spielen genau so wie Menschen. Alle Grundzüge des Spiels sind schon im Spiel der Tiere verwirklicht. Man braucht nur junge Hunde beim Spielen zu beobachten, um in ihrem munteren Balgen alle diese Züge zu erkennen. Sie laden einander durch eine Art von zeremoniellen Haltungen und Gebärden ein. Sie beobachten die Regel, dass man seinem Bruder nicht das Ohr durchbeißen soll. Sie stellen sich so, als ob sie fürchterlich böse wären. Und das Wichtigste ist: an alledem haben sie offensichtlich ungeheuer viel Vergnügen und Spaß.“
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schließt bestimmte Aspekte aus, andere ein.159 Im vorliegenden Zusammenhang ist Batesons Bedeutung vor allem darin zu sehen, dass er aufweisen konnte, dass Metakommunikation reflexive Formen von Intentionalität ermöglicht („Kommunikation über Kommunikation“, „Lernen zu lernen“ bzw. „Deuterolernen“), Formen, die schon auf der vormenschlichen und vorsprachlichen Ebene, so bei Säugetieren, auftreten. Beim Kampfspiel zweier junger Affen im Zoo handelt es sich, so Bateson, um eine „Interaktionsfolge“, die beiderseits eine Rahmensetzung („framing“) voraussetzt: Die Handlungseinheiten sind hier denen des Kampfes „zwar ähnlich, aber nicht gleich“. Für die beteiligten Äffchen ist das Geschehen ein „uneigentlicher Kampf“. Mit anderen Worten: Sie teilen sich auf einer gleichzeitig mitaktualisierten, zweiten Kommunikationsebene den situativ relevanten Rahmen („Dies ist ein Spiel“) mit.160 Bei Tieren mit hoher Interaktionskompetenz kann man hier oftmals sogar die Fähigkeit zu einem einfachen Perspektivenwechsel voraussetzen, die Fähigkeit, Vermutungen und Wünsche über die Vermutungen und Wünsche des anderen zu entwickeln und – darauf aufbauend – zu versuchen, den anderen zu täuschen (vgl. dazu Sommer 1994: 109f.).161 Wechselseitige Du-Evidenz vorausgesetzt, lässt sich der von Bateson beschriebene Als-ob-Charakter des Spiels auch bei interspezifischen Mensch-TierInteraktionen annehmen, etwa bei Interaktionen zwischen Delphin, Dresseur und Publikum (Bateson 1987: 154f.). In derartigen Interaktionen tritt eine weitere Eigentümlichkeit zahlreicher Mensch-Tier-Kommunikationen zutage, die sich als nicht weniger kulturrelevant erweist: die hypothetische Unterstellung, Prüfung und wechselseitige Abstimmung der Sinnkontexte. So merkt Bateson mit Blick auf die Mensch-Katze-Kommunikation an:
159 In dieser Hinsicht ist der Vergleich mit einem gewöhnlichen Bilderrahmen überaus treffend: „‚Achten Sie auf das, was innen, und nicht auf das, was außen ist“ (Bateson 1988: 254). 160 Vgl. G. Bateson (1988: 243f.), am Beispiel einer zwischen Hunden kommunizierten Definition einer Spielsituation C. Sanders (1999: 144ff.). Wie R. Grathoff (1989: 288) anmerkt, war es vor allem die sukzessive Arbeit in den „drei klassischen Randbereichen menschlicher Normalität seit Descartes (Wilde, Irre und Tiere)“, die Bateson dazu anregten, das symbolisch-interaktionistische Konzept der „Definition der Situation“ bzw. der Kontextdifferenzierung auf Bereiche natürlicher Kommunikation zu übertragen. 161 Hier ist freilich einzuräumen, dass sich zu diesem schwierigen Fragenkomplex in der Primatologie (noch) recht unterschiedliche Auffassungen finden; so ist etwa umstritten, inwiefern Affen zu „echten“, vorsätzlichen Täuschungshandlungen fähig sind, ob sie sich mentale Zustände eines Gegenüber als solche vergegenwärtigen und in planvoller Weise „einsetzen“ können (vgl. z.B. Cheney/Seyfarth 1994: 249ff.; Povinelli/Parks/Novak 1991; siehe zur Diskussion der Positionen und einschlägigen Literatur insbes. Hauser 2001: bes. 213ff.).
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Kapitel 4 „Die Kommunikation zwischen den Spezies ist immer eine Abfolge von Lernkontexten, in denen jede Spezies kontinuierlich berichtigt wird hinsichtlich der Natur jedes vorausgegangenen Kontexts“ (Bateson 1987: 149).
Die im weiteren Sinne kulturelle Situationsdefinition ist demnach keineswegs eine statische Angelegenheit: Die Wertbezüge eines besonderen Sinnkontextes162 (beim Hund z.B. Spiel, Jagd, Interaktion mit Vertrauten/Fremden, „ernster“ Kampf, Pflege der Jungen, „sexuelle“ Definition der Situation usw., sowie deren Sinnmodulationen), die sich als situationsspezifische Typisierungs- und Relevanzpräferenzen auffassen lassen, werden nicht ein für allemal oder einseitig festgesetzt, sie sind vielmehr Gegenstand fortlaufender impliziter, vorprädikativer Aushandlungsprozesse. Von daher ist es nicht überraschend, dass Sinnkontexte mitunter einseitig aufgekündigt werden oder plötzlich, zur Überraschung aller Interaktionsteilnehmer, „umkippen“ können.163 Doch fehlt noch ein wichtiger argumentativer Baustein, der gewissermaßen die „Gegenprobe“ liefert für die Leitthese dieses Abschnitts, dass Rahmensetzungsprozesse auch bei höher organisierten Tieren als kulturelle Situationsdefinitionen fungieren. Was tritt ein, wenn Rahmensetzungen unklar, verworren oder in ungewöhnlicher Weise „vermischt“ werden? Anders gefragt: Wie wirken im Tierreich jene „transkontextuellen“ Orientierungen, die nach Bateson für „double binds“ konstitutiv sind, für „double binds“, wie sie sich einerseits in der Genese schizophrener Syndrome aufweisen lassen, die andererseits aber auch in Entstehungszusammenhängen kultureller Kreativität anzutreffen sind? In der Tat zeigen Forschungen mit Delphinen und Hunden, dass Sinnkontext transzendierende oder sprengende Regelbrüche in beiderlei Hinsicht Wirkungen zeitigen, die mit denen vergleichbar sind, die auftreten, wenn Menschen dazu angehalten sind, komplexere Kontextstrukturen („Kontexte von Kontexten“) zu konstituieren. Gregory Bateson zeigt, dass die Dynamik des transkontextuellen Syndroms auch hier zwei divergierende Verlaufsformen aufweist. Nicht zuletzt verdeutlichen diese Verlaufsvarianten, wie eng (auch) bei tierlichen Interakteuren die soziale Situationsdefinition mit der kulturellen Sinnrahmung verknüpft ist. So resümiert Bateson,
162 Rahmensetzungen können natürlich auch von stammesgeschichtlichen Erlebnisbereitschaften, von Mythologemen bzw. Archetypen begünstigt oder gar sinnhaft vorstrukturiert werden (vgl. hierzu Bilz 1973; 1974). 163 Wenn z.B. eine Spielsequenz einseitig abgebrochen wird, die andere Seite aber zunächst noch signalisiert, dass sie weiterspielen möchte. – Kampfspiele mit Hunden oder Katzen können unter Umständen sehr schnell in ernste Auseinandersetzungen umschlagen bzw. echte Drohgebärden evozieren.
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„dass starker Schmerz und Fehlanpassung induziert werden können, wenn man ein Säugetier bezüglich seiner Regeln ins Unrecht setzt, in einer wichtigen Beziehung zu einem anderen Säugetier Sinn zu stiften. – Und dass zweitens, wenn es gelingt, diese Pathologie abzuwehren oder zu überstehen, die Gesamterfahrung Kreativität fördern kann“ (Bateson 1988: 361; Herv. v. B.).
Unserem Versuch, im Rahmen des allgemeinen Verhaltenssystems vier funktionale Aspektebenen interspezifischer Interaktionen herauszuarbeiten, sind zwei knappe Nachträge anzufügen. Der erste ist eher resümierend, der zweite als Ergänzung des Gesagten aufzufassen: Erstens: Im Hinblick auf den bedeutenden Stellenwert, den das Affektmedium, ja die gefühlsbezogene Intentionalität insgesamt, für „zwanglose“ Formen von Mensch-(Heim-)Tier-Interaktionen besitzt, verdienen die soziokulturellen Rahmenbedingungen der Codierung von Emotionen besondere Aufmerksamkeit. So ist es nicht auszuschließen, dass eine gesellschaftliche bzw. sozialmilieutypische Auf- oder Abwertung affektuell-emotionalen Erlebens und Ausdrucksverhaltens eine veränderte Sicht bestimmter Mensch-Tier-Beziehungen impliziert. In dieser Hinsicht ist zu prüfen, inwieweit z.B. mentalitätsgeschichtliche und medientypische Wandlungsprozesse, die den Stellenwert des „ordre du cœur“ im sozialen Leben fokussieren, zu einer veränderten Sicht primärsozialer MenschTier-Beziehungen beitragen und dabei theriophile Entwicklungsimpulse freisetzen. Zweitens: Als eventuelle primärsoziale Katalysatoren früher Tierschutzbestrebungen eignen sich nicht alle höheren Wirbeltierarten gleichermaßen. Hier könnten Primaten, obwohl sie mit uns zoologisch enger verwandt sind als die domestizierten Haustierarten, eine geringere Rolle gespielt haben als die letzteren, für die eine beinahe ubiquitäre lebensweltliche Präsenz typisch war bzw. ist. In dieser Hinsicht könnte insbesondere dem domestizierten Hund eine gewisse „Sonderstellung“ zukommen, die sich unter drei Aspekten zusammenfassen lässt:
Verhaltensethologisch zeigt der Hund einerseits eine relativ starke, auf ausgeprägten Lernfähigkeiten basierende Verhaltensplastizität. Andererseits ist für den Hund schon früh eine enorme Differenzierung typisch, die es ihm (mehr als z.B. der Katze oder Nutztieren wie dem Pferd oder dem Rind) ermöglicht hat, in den unterschiedlichsten lebensweltlichen Bereichen des Menschen nicht nur präsent, sondern auch „nützlich“, aufgabenorientiert einsetzbar zu sein (ein Beispiel ist hier die frühe höfische Hundehaltung).164
164 Anhand frühmittelalterlicher Quellenbefunde unterscheidet E. J. Greipl (1992) am bayerischen Herzogshof diverse Hundetypen: Einmal Hunde, die bei Tisch von ihrem Herrn gefüttert wur-
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Kapitel 4 Die enorme soziale Anpassungsfähigkeit des Hundes: Dies bedeutet, dass er sich sehr flexibel in unterschiedliche menschliche Sozialmodelle einfügen kann, dass er vor allem auch in solchen sozialen Strukturformen „zuhause“ ist, die von anderen Haustieren nicht so vielseitig, aktiv und (sit venia verbo) „kreativ“ angenommen werden. Im Mittelpunkt stehen hier wohl Strukturformen, die man im Großen und Ganzen dem Typus einer „agonistischen Kohäsion“ zuordnen kann. Hier ist zu vermuten, dass entsprechende Gruppen- oder Sozialmilieutypen (z.B. relativ hierarchisch und/oder „stark“ integrierte Sozialeinheiten) mit dem Hund einschlägige „Tugenden“ (z.B. „Folgsamkeit“, „Mut“ usw.) assoziieren und ihm auf dieser Basis dann eher positiv gegenüberstehen. Vor allem der enge symbolische Bezug des Hundes zur okzidentalen Treuesemantik ist in dieser Hinsicht aufschlussreich.165 Derartige Bezugskontexte könnten in der Konsequenz dann nicht nur kynophile, sondern in gewissem Umfang auch allgemein theriophile Haltungen unterstützen. Schließlich ist der Hund im Okzident kultursemantisch (mindestens) seit der Antike ein „fremdes Tier“ par excellence, er gilt als ein liminales „Schwellentier“, das zwischen Diesseits und Jenseits steht, das z.B. die Seelen der Verstorbenen geleitet, als Kerberos die Pforte der Unterwelt bewacht. In den Kulten des Asklepios wurden dem Hund heilende Kräfte zugeschrieben.166
den. Dabei handelte es sich wohl um besondere „Lieblingshunde“, wobei unklar ist, welcher Hundetyp im Einzelnen dafür in Frage kam. Vermutlich handelte es sich dabei nicht selten um einzelne Jagdhunde oder um Wachhunde („Hovavvart“), denn das Gros der „spezialisierten“ Jagdhunde, die dem Hof zur Verfügung stehen mussten, wurden oft bei Untertanen außerhalb des Hofes untergebracht und verpflegt. Als Jagdhundetypen führt Greipl (1992: 21) an: Leithunde („laitihunt“), Treibhunde („triphunt“) Spürhunde („qui in ligamen vestigium tenet, quod spurihunt dicunt“), Biberhund („piparhunt, qui sub terra venator“), schließlich besonders schnelle Hunde („canis veltricis“), die man bei der Hasenjagd einsetzte, und den Habichthund („hapuhhunt“), den man bei der kombinierten Treib- und Beizjagd verwendete. Nicht zu vergessen ist eine vermutlich besonders massige und kräftige Hunderasse, die bei der Jagd auf Wildschwein, Bär oder Wisent zum Zuge kam. 165 Symptomatisch ist hier der Satz, mit dem C. Gesner (1669: 212) in seinem „Thierbuch“ den Abschnitt „Von den Hunden“ beginnt: „Ein Hund (...) ist dem Menschen unter allen Thieren am getreuesten unnd dienstfertigsten, und zu mancherley Nutz und Gebrauch erschaffen (...)“ usw. In der europäischen Malerei des 14.-17. Jahrhunderts kommt diese Symbolik der Treue in mannigfaltiger Weise zum Ausdruck (vgl. z.B. Dittrich/Dittrich 2004: 226ff.). Siehe zum Zusammenhang von Sozialkohäsion und Treuesemantik auch R. Wiedenmann (2008). 166 Siehe auf der Grundlage von E. Leach (1975) z.B. O. Keller (1980a: 140f.), J. Toynbee (1983: 108f.), zusammenfassend M. Lurker (1991: 329f.). Vgl. zum mythologischen Hintergrund der Unreinheit des Hundes, seiner Ähnlichkeit mit dem Menschen, zu seiner Rolle in Schöpfungssagen und -legenden auch die Übersicht bei O. Dähnhardt (1907: 107ff.).
5 Tiermoralische Orientierungsmuster: Kontexte und Konstitutionsbedingungen
Nachdem im vierten Kapitel das allgemeine Verhaltenssystem der humanimalischen Interaktionsebene fokussiert wurde, sollen nun die soziokulturellen Konstitutionsebenen tiermoralischer Orientierungsmuster behandelt werden, – allerdings unter dem eingeschränkten Blickwinkel ihrer binnenmenschlichen gesellschaftlichen Konstruktion. Wir werden diesen Gedankengang in vier Schritten entwickeln: Zunächst werden wir bei der Darstellung des Begriffs der „Tiermoral“ den tierlichen Subjekt- bzw. Personenbezug moralischer Orientierungen in ihren sachlich-semantischen und zeitlichen Generalisierungsaspekten beleuchten. Hier geht es im Wesentlichen um Möglichkeiten kulturspezifischer Wertbezüge und um die zeitliche Geltung tiermoralischer Standards. In einem zweiten Schritt werden dann die sozialen Generalisierungsbedingungen dieser Muster beleuchtet, soweit sie sich aus der mikrosoziologischen Perspektive von relativ „kurzen“ und segmentär differenzierten Sozialstrukturen beschreiben lassen. Die sozialstrukturellen Dimensionen des „Gruppendrucks“ und der relativen „Offenheit“ (bzw. Geschlossenheit) eines Rollensystems sind die beiden Hauptbezugsachsen, die sich hier im Hinblick auf die normative Verallgemeinerungsfähigkeit ethnozoologischer und tiermoralischer Muster als besonders aussagekräftig erweisen. Die beiden analytischen Bezugsachsen erlauben die Konstruktion einer Vierertypologie mikrosozialer Strukturen, die sich auch als sozialökologische Bedingungskontexte tiermoralischer Orientierungsniveaus begreifen lassen. Im Anschluss daran werden wir uns den sozialen Makrokontexten tiermoralischer Muster zuwenden. Diese gesellschaftlichen Bedingungskontexte humanimalischer Interaktion lassen sich exemplarisch an den spezifischen Operationsweisen und Auswirkungen der symbolisch generalisierten Medien aufweisen.
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Kapitel 5
5.1 Tiermoralische Generalisierung und Achtungskommunikation Im Folgenden wird versucht, die moralische Bezugsebene humanimalischer Interaktion als ein analytisch unabhängiges, wenngleich niemals „autonomes“, soziokulturelles Verhaltenssystem zu beschreiben. Wir konzentrieren uns dabei auf die sekundärsozial begründeten, genuin menschlichen Bezüge der Moral dieser Interaktion, – eingedenk des Sachverhalts, dass daran nicht nur die menschliche Seite beteiligt ist, sondern natürlich auch personale, organismische und soziokulturelle Einflüsse, die sich auf die tierliche Seite der Interaktion zurückführen lassen. Unser Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass die Moral von konkreten Mensch-Tier-Interaktionen vor allem von der menschlichen Seite her nicht losgelöst von Kontexten gesellschaftlicher Kommunikation zu begreifen ist, nicht unabhängig von Kontexten, die maßgeblich „tertiär“ codiert sind und von denen die Tierseite praktisch ausgeschlossen ist. Obwohl wir diese Kommunikationsebene auch im vierten Kapitel berührt haben, so ging es uns dort doch im Wesentlichen um solche Aspekte primärsozialer Mensch-Tier-Interaktionen, die beiderseits vergleichbare Mindestkompetenzen der interspezifischen Kommunikation zur Voraussetzung hatten. Anders hier, im vierten Teil, wo wir die sekundärsozialen Aspekte tiermoralischer Orientierungsmuster im Auge haben. Hier fokussieren wir die typischen (symbolischen und reflexiv symbolischen) „Abstraktionsleistungen“,1 die für gesellschaftlich geprägte und vermittelte Kommunikationen kennzeichnend sind. Dabei handelt es sich freilich um Abstraktionsleistungen, die nicht zuletzt in binnenmenschlichen und interspezifischen Interaktionen laufend aktualisiert und reproduziert werden. Bei tiermoralisch relevanten Kommunikationen lassen sich drei Aspekte von Generalisierungs- und Respezifizierungsleistungen unterscheiden. Unser Ziel ist dabei die Konstruktion eines typologisch-deskriptiven Vergleichsschemas, das es erlaubt, unterschiedliche idealtypische Ausrichtungen und Niveaus tiermoralischer Muster zu beschreiben. Wir gehen dabei von der Voraussetzung aus, dass sich tiermoralische Muster zunächst über die sachliche Generalisierung der kulturell „sinnvollen“ Themen, Anlässe und „tiermoralisch relevanten“ Bezugskontexte konstituieren. Unterstellt man mit Niklas Luhmann (1978: 48), dass „Achtung der Grund der Moral“ ist, dann müssten hier symbolische Verallgemeinerungs- und Respezifikationsleistungen zu unterscheiden sein, die imstande sind, moralische Prozesse der Achtungskommunikation zu steuern. Gemeint ist hier eine kulturell „sinnstrukturierende“ Moralsymbolik,2 die in der Lage ist, die sachlichen Geltungsansprüche und -bereiche tiermoralischer Orien1 2
Vgl. zu den Bezügen zwischen Interaktions- und Gesellschaftssystem besonders N. Luhmann (1984: 574-79). Wir lehnen uns hier an N. Luhmann (1978: bes. 76f.) an.
Tiermoralische Orientierungsmuster
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tierungsmuster jeweils „sinnvoll“ zu seligieren. Die soziale Ebene der Generalisierung tiermoralischer Achtungskommunikation bezieht sich demgegenüber auf die sozialstrukturellen und interaktionstypischen Beziehungsmuster, die bestimmte Typen derartiger Achtungskommunikation begünstigen bzw. hemmen. Der zeitliche Aspekt dieser Generalisierungsleistung meint schließlich das Ausmaß, mit dem tiermoralisch „gute“ oder „schlechte“ Orientierungsmuster dauerhaft verankert und sozial synchronisiert werden können. In unserem Zusammenhang liegt hier der Aufmerksamkeitsfokus auf der zivilisationstheoretischen Fragestellung, inwieweit derartige Verhaltensmuster als Selbstzwänge internalisiert bzw. so habitualisiert werden, dass auf sie nicht nur gelegentlich und unter fremdkontrollierten Bedingungen zurückgegriffen werden kann. Permanente Geltung versprechen demgegenüber Kontrollmechanismen, die eine (möglichst lebenslange) Geltungsgeneralisierung über fest internalisierte Gewissenszwänge bewerkstelligen.
5.1.1 Moral als Achtungskommunikation Tiermoralische Handlungsmuster, die ja zunächst im Rahmen unterschiedlicher sinnbereichspezifischer Relevanzsysteme auftreten, lassen sich durch ein gemeinsames Charakteristikum beschreiben: Sie strukturieren oder steuern soziokulturell relevante Ereignisse über binäre Klassifikationen (gut/schlecht), die sich in (durchaus variablen) Dosierungen personenbezogener Achtung bzw. Missachtung niederschlagen. Moral kann dabei allgemein als ein Codierungsprozess verstanden werden, dessen „spezifische Funktion“ darin besteht „über Achtungsbedingungen Achtungskommunikation (…) zu steuern“ (Luhmann 1978: 51). Luhmann erläutert: „Alle Moral bezieht sich letztlich auf die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Menschen einander achten bzw. missachten. Mit Achtung (estime, esteem) soll eine generalisierte Anerkennung und Wertschätzung gemeint sein, mit der honoriert wird, dass ein anderer den Erwartungen entspricht, die man für eine Fortsetzung der sozialen Beziehung voraussetzen zu müssen scheint. Achtung wird personenbezogen zugeteilt, jeder kann sie für sich gewinnen und verlieren (...)“ (Luhmann 1984: 318f.).
Tierschutz als moralische Kategorie der Achtungskommunikation schließt nun zunächst keineswegs aus, dass er durch rechtsnormative Regeln und soziokulturelle Semantiken der „Tierliebe“ gestützt, unterminiert oder spezifiziert wird. Moralisch am Tierschutz sind allerdings Verhaltenserwartungen und -muster, die – im Unterschied zur Formulierung Luhmanns – nicht nur die Achtungszuteilung zwischen Menschen beeinflussen. Sie können im Prinzip auch Achtungsbezüge
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Kapitel 5
betreffen, die sich auf Persönlichkeitssysteme beziehen, wie sie im vierten Kapitel beschrieben wurden. Die Performanzfähigkeit dieser Persönlichkeitssysteme beruht einerseits auf der psychischen Selbstreferenz von Bewusstseinsprozessen, andererseits auf (situativ jeweils hinreichenden oder auch nur potentiell unterstellten) Interaktionskompetenzen (wie sie sich z.B. schon im Blickwechsel ankündigen oder ausdrücken können). „Achtung“ ist demnach ein generalisierter Anerkennungs- und Wertschätzungsmodus, der in intersubjektiven Beziehungen in unterschiedlicher Intensität zu- oder aberkannt werden kann und sie in dieser Hinsicht begründet: Interaktionen, die nicht gänzlich auf äußerem Zwang beruhen, setzen Persönlichkeitssysteme voraus, die sich wechselseitig in einer situativ hinreichenden Weise als interaktionsfähige Mit-Subjekte anerkennen. Die Zu- und Aberkennung solcher Achtungserweise kommt natürlich nicht nur in zwischenmenschlichen Interaktionen, sondern auch in humanimalischen Interaktionen vor. Gerade im Hinblick auf humanimalische Interaktionen muss freilich der wichtige Vorbehalt3 angefügt werden, dass die gesonderte Betrachtung der (im Wesentlichen) binnenmenschlichen Konstruktionsbedingungen tiermoralischer Muster eine bloß analytische Abstraktion ist. In Wirklichkeit werden intersubjektiv wirksame Formen der Zu- und Aberkennung von „Achtung“ natürlich laufend auch von Seiten der tierlichen Akteure vorgenommen. Der tierethische Diskurs zeigt nun exemplarisch den überragenden Stellenwert, der hier dem Tertium comparationis dieser Generalisierung – dem jeweils unterstellten Subjektivitätskonzept – bei der Begründung von Geltungsansprüchen zuwächst. Die humanistische Tradition z.B. formuliert moralische Ansprüche „im Namen des Menschen“, im Namen seiner „Würde“, seines Eigenwerts „zwischen Tier und Gott“.4 Tierethiker begründen den Geltungsanspruch tierschützerischer Normen mit der „Würde der Kreatur“ (vgl. Teutsch 1995). In allen diesen Fällen jedoch wirkt Moral als ein symbolisches Medium, das, wie Luhmann betont, auf die kommunikative Zuteilung von Achtung bzw. Missachtung spezialisiert ist: 3
4
Ein anderer, von W. Krohn (1998) eingebrachter Vorbehalt kann hier nicht näher diskutiert werden. Dieser bezieht sich auf die von Luhmann letztlich allzu restriktiv vorgenommene „Eingrenzung der Moral auf interpersonale Kommunikation“ (Krohn 1998: 314). Am Beispiel der Protestethik macht Krohn auf die Grenzen der von Luhmann behaupteten Entmoralisierung der gesellschaftlichen Funktionssysteme aufmerksam. Auch in der funktional differenzierten Gesellschaft hat moralischer Protest Chancen, „funktionsspezifische Transformationen in Institutionen zu erreichen“ (Krohn 1998: 334). Das ist auch im Hinblick auf die Geschichte der Tierrechtsbewegung ein plausibler Einwand. Vgl. für die Renaissancephilosophie exemplarisch G. Pico della Mirandola (1990), der dem Menschen eine Wahlmöglichkeit zwischen einer Entartung zum Tierischen und einem Aufstieg zum Göttlichen einräumt.
Tiermoralische Orientierungsmuster
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„Als Indikator für einen akzeptierbaren Einbau des Ego als Alter und als alter Ego in die Sichtweise und Selbstidentifikation eines Alter dient der Ausdruck von Achtung und die Kommunikation über Bedingungen wechselseitiger Achtung. Ego achtet Alter und zeigt ihm Achtung, wenn er sich selbst als Alter im Alter wiederfindet, wiedererkennt und akzeptieren kann (...) Das Gelingen perspektivisch integrierter Kommunikation wird durch Achtungserweis entgolten, das Misslingen durch Achtungsentzug bestraft, und all das in abstufbarer Dosierung“ (Luhmann 1978: 46f.) Herv . v. L.).5
Für das Verständnis moderner Tierschutzmoral ist die humanimalische Variante interpersoneller Achtungskommunikation von zentraler Bedeutung. Denn die für die modernen Tierschutzbestrebungen konstitutiven soziokulturellen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster lassen immer auch eine moralische Achtung des Tiersubjekts, seiner „subjektiven Belange“ erkennen. Im Hinblick auf die Fortsetzbarkeit und Anschlussfähigkeit von Interaktionsprozessen schließt „Achtung“ hier also durchaus ein Mindestmaß dessen ein, was im moralpsychologischen Diskurs als „Wohlwollen“ oder als „Fürsorge für das Wohl anderer“ bezeichnet wird.6 Tiere sind dann Adressaten von Wohlwollen, wenn ihnen gegenüber Verhaltensweisen als unmoralisch geächtet werden, die in den Deutungsrahmen der jeweiligen (Sub-)Kultur die Befindlichkeit des personalen Systems Tier nennenswert beeinträchtigen, die also z.B. als „quälerisch“ oder grausam etikettiert werden.7 Eine Voraussetzung dafür war historisch eine gewisse Erweiterung des Geltungsbereichs subjektbezogener Achtungsnormen. Um die Voraussetzungen dieser Expansion genauer fassen zu können, soll zunächst das semantische Konstrukt einer tierlichen Subjektivität näher betrachtet werden.
5 6
7
Vgl. zum wechselseitigen Zusammenhang von Selbstachtung und der Erfahrung, von anderen geachtet zu werden, E. Tugendhat (1986). W. Edelstein/G. Nunner-Winkler (1986: 14). Vgl. hier auch die Bemerkungen zur Bedeutung des Wohlwollens bzw. der „Benevolenz“ in späteren Arbeiten von L. Kohlberg (1996: 27f., 389ff.). Der § 1 des deutschen Tierschutzgesetzes (Fassung vom 18.8.86) bestimmt den Zweck des Gesetzes dahingehend, „Leben und Wohlbefinden“ des Tieres zu schützen. Diese Eingrenzung ist für eine historische Betrachtung des modernen Tierschutzes genau genommen zu eng, da der Schutz des tierischen Lebens erst später zum Befindlichkeitskriterium hinzukommt. So fehlt sie z.B. noch im § 360 des Reichsstrafgesetzbuches von 1910 (vgl. Salkowski 1911: 3ff.). Von „Tierquälerei“ ist im Folgenden – in Anlehnung an den juristischen Sprachgebrauch – dann die Rede, wenn einem Tier wiederholt oder länger anhaltende Schmerzen oder Leiden zugefügt werden (Morié 1984: 82f.; im selben Sinne bereits Salkowski 1911: 5).
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5.2 Kulturelle Bezüge der Generalisierung tiermoralischer Muster Wenn Geltungsansprüche (tier-)moralischer Normen und das „Gelingen perspektivisch integrierter Kommunikation“ auf der Achtung (mindestens) eines Mitsubjekts beruhen, dann lassen sich diese Geltungsansprüche letztlich nicht losgelöst vom kulturellen Begründungszusammenhang der jeweils „gemeinten“ Subjektivität betrachten. Im Hinblick auf die Subjektreferenz von theriophilen bzw. theriophoben Verhaltensmustern kann nun grundsätzlich gefragt werden: Zielt das Erweisen von (Miss-)Achtung vorwiegend auf die „natürliche Selbstreferenz der Person“ (vgl. Luhmann 1978: 48f.), etwa als Selbstachtung oder als „Selbstliebe“ des Tierschützers/Tierquälers, oder handelt es sich eher um eine Fremdreferenz, die den (Miss-)Achtungsprozess auf eine andere (z.B. jenseitige oder diesseitige) Subjektinstanz bezieht. Dies kann z.B. ein hinterweltlicher Gott oder Dämon sein, die Symbolisation eines mundanen Kollektivsubjekts (Totemtier) oder ein diesseitiges Personalitätssystem, ein „reales“ menschliches oder tierliches Subjekt. Interessant ist hier, welche sozusagen „subjekttheoretischen“ Klassifikationskriterien angesetzt werden, um z.B. universalistische bzw. partikularistische Geltungsansprüche zu begründen. Zudem wäre zu fragen: Welchen Ebenen subjektiver Intentionalität wird jeweils eine „Grenzen ziehende“ Relevanz zugeschrieben?
5.2.1 Zur Semantik tierlicher Subjektivität Den folgenden Überlegungen liegt die Vermutung zugrunde, dass es kaum sinnvoll ist, die Frage nach eventuellen „subjektiven Belangen“ von Tieren losgelöst von Konzepten menschlicher Subjektivität zu betrachten. Ob nun tierliche und menschliche Subjektivität einander angenähert oder scharf voneinander abgesetzt werden: In jedem Falle kommen im Mensch-Tier-Vergleich Subjektivitätskriterien zur Anwendung, die nicht zuletzt dem Menschenbild des jeweiligen Sinnbereichs verpflichtet sind und insofern ein bestimmtes Verständnis von Subjektivität oder Person8 mitartikulieren. Beim folgenden Versuch, verschiedene Facetten 8
Im Folgenden akzentuiert der Begriff des Subjekts bzw. der Subjektivität die selbstreferenziellen Aspekte der psychischen „Innenseite“ von Individuen (das individuelle Für-sich-Sein), nicht ihre sozialverhaltensrelevanten äußeren Bezugskontexte (das soziale In-Beziehung-Sein), die besser vom Begriff der Person abgedeckt werden. In diesem Sinne meint die Subjektivierung die Zuschreibung von subjekttypischen mentalen Selbstreferenzen (des Denkens, des Fühlens usw.). Personalisierung basiert hingegen auf Zuschreibungsprozessen, die eher auf relational bestimmte soziale Positionen oder Rollen von Subjekten abzielen, also wenigstens eine weitere Beobachterperspektive unterstellen. In der Sache klingt die Unterscheidung bei M. Mauss (1978: 245ff.) an, wenn er die Person als „moralische Tatsache“ von dem „psychologi-
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der sozialen Konstruktion tierlicher Subjektivität zu umreißen, geht es letztlich um eine grobe, exemplarische Klassifikation von vier möglichen Typisierungsrichtungen, die die tatsächliche Formensemantik der historisch aufweisbaren Subjektivitätskonzepte freilich nicht erfassen können. Betrachten wir zunächst den ontologischen Status des Tieres unter der Perspektive seiner Nähe bzw. Distanz zum jeweiligen, milieu- bzw. kulturspezifischen Deutungsschema menschlicher Subjektivität. In den Traditionen des christlich-abendländischen Denkens sind hier z.B. Tiertypisierungen zu nennen, die sich als Übergänge zwischen einer reinen Subjekt- und einer Objekt- oder Sachzuschreibung verstehen lassen. Z.B. können bestimmte Tiere einerseits den geltenden Personkonzepten angenähert werden, sie können im Deutungsrahmen einer anderen Leitmetaphorik – etwa einer mechanistischen Maschinenanalogie – aber auch als „bewusstlose“ Gegenstände definiert werden. Im Falle einer sozialen Rahmung häufen sich generelle Orientierungsstandards, die für Mensch und Tier gleichermaßen gelten; die Annäherung der moralischen Geltungsansprüche lässt hier eine Expansion jener Handlungsorientierungen erwarten, die für die als jeweils menschlich definierten Binnenbezüge charakteristisch sind. Im Fall einer natürlichen Primärrahmung beanspruchen solche „egalitären“ Orientierungsstandards im Allgemeinen keine derartige Generalisierbarkeit,9 vergleichbare Orientierungen sind allenfalls eine Ausnahme. Eine zweite Unterscheidungsebene betrifft die unterschiedlichen Möglichkeiten, um die mentalitätsrelevante „differentia specifica“, die ent-scheidende „psychologische“ Grenzziehung zwischen Tier- und Menschenwelt vorzunehmen, – je nachdem, welche mentalen Relevanzkriterien und welche psychologischen „Landkarten“ epistemologisch zur Anwendung kommen. Vor dem Hintergrund derartiger Mentalitätskonzepte können vergleichbare Subjektivitätskriterien nun eine ontologische Nähe oder eine entsprechende Distanz von menschlichen und tierlichen Wesen begründen. So lässt sich z.B. ein Spektrum von
9
schen Wesen“ der Person abhebt. Vgl. zur begrifflichen Tragweite der Subjekt-Person-Abgrenzung besonders N. Luhmann (1984: 125f., 155). In der abendländischen Tradition finden sich auch Konvergenzkonzepte menschlich-tierlicher Subjektivität, die sich an natürliche Rahmungen, z.B. an das Maschinenmodell anlehnen und von daher einen einheitlichen Subjektivitätsbegriff konstruieren; sie sind im Zusammenhang mit der historischen Genese tiermoralischer Muster letztlich aber vermutlich nur am Rande von Bedeutung. Ein Beispiel für diese Richtung ist P. Thiry d’Holbach, der in diesem Sinne Descartes kritisiert. Er wirft diesem einen unaufgelösten, inkonsequenten Dualismus vor, der bedinge, dass er mit der Schwierigkeit des Tierseelenproblems nicht fertig wurde: „Descartes glaubte sie (die Schwierigkeit, R.W.) dadurch beseitigt zu haben, dass er sagte, die Tiere hätten keine Seelen und seien reine Maschinen. Die Unsinnigkeit dieses Grundsatzes ist leicht einzusehen. Wer die Natur ohne Vorurteil betrachtet, wird leicht erkennen, dass es zwischen dem Menschen und dem Tier keinen anderen Unterschied gibt als den, der durch die Verschiedenartigkeit ihres Körperbaus bedingt ist“ (d’Holbach 1978: 143f.).
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mentalen Vergleichskriterien denken, das auf den Unterschied von prädikativen Aktintentionen und vorprädikativen, „fungierenden“ Intentionen“ abhebt.10 Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung genügt es, in grober Annäherung zwischen „kognitiven“ und „subkognitiven“ Formen psychischer Intentionalität zu unterscheiden. Jene fokussiert insbesondere die der „denkenden“ Beurteilung entspringenden, vorausplanenden und sprachlich artikulierten Intentionalitätsformen, dieser hingegen die affektiv-emotionalen, „triebimpulsiven“ oder auch stammesgeschichtlich fundierten Intentionalitätsformen. Je nachdem, inwieweit das entscheidende „Schlüsselkriterium“ nicht nur von der menschlichen, sondern letztlich auch von der Tierseite erfüllt wird, lassen sich dann verschiedene Grade einer kategorialen „Subjektivierung“ des Tieres unterscheiden. Als reine bzw. extreme Grenzfälle lassen sich die Zuordnungsrichtungen schematisch wie folgt anordnen: Abbildung 5:
Grenztypen kategorialer Tiersubjektivierung
Tiersubjektivierungsgrad
Dominanz prädikativer Intentionalitätskriterien
Dominanz vorprädikativer Intentionalitätskriterien
niedrig
Kognitive Diskontinuität
(Subkognitive Diskontinuität)
hoch
Kognitive Kontinuität
Subkognitive Kontinuität
1. Für Diskontinuitätskonzeptionen, die es ablehnen, Tiere einem genuin menschlich gefassten Subjektivitätskonzept einzuordnen, sind kognitive (Rationalitäts-)Kriterien typische Abgrenzungsmarker, so z.B. bei Thomas von Aquin wie auch in neuzeitlichen Naturrechtslehren, nicht zuletzt und in wohl klarster Ausformung bei Descartes und den an ihn anschließenden Konzepten der „Tiermaschine“. In Anlehnung an die aristotelische Stufenordnung der Seelen (vgl. Aristoteles 1968:180ff.) stellt Thomas von Aquin die unvergängliche, vernünftige Seele des Menschen (anima rationalis) der bloß gedächtnisbegabten und vergänglichen sensitiven Seele der Tiere (anima sensitiva) gegenüber. Der anima 10
Wie bereits im dritten Teil, so lehnen wir uns im Sprachgebrauch an die phänomenologische Intentionalitätslehre an. Zentral ist hier die „Unterscheidung zwischen der Intentionalität der Akte, der unserer Urteile und willentlichen Stellungnahmen (...) und der fungierenden Intentionalität, in der die natürliche vorprädikative Einheit der Welt und unseres Lebens gründet (...) und gleichsam den Grundtext liefert, den unser Erkennen in eine exakte Sprache zu übersetzen sucht“ (Merleau-Ponty 1974: 15; Herv. v. M.-P.). Sprachlich sinnvolle Urteile rekurrieren demnach auf vorprädikative Sinnstiftungsleistungen (der sinnlichen Wahrnehmungsweisen, der affektiven Intentionalität, der gedächtnishaften Imagination usw.). Auch das wissenschaftliche Bemühen um Evidenz ist in dieser Sicht „nur“ der Versuch, „das vorpädikativ Erschaute vollständig und in evidenter Anpassung auszudrücken“ (Husserl 1977: 15).
Tiermoralische Orientierungsmuster
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rationalis sind auch Inhalte zugänglich, die nicht durch die „natürlichen Einschätzungsmuster“ gebildet werden, die bei den Tieren die Synthese äußerer Sinneseindrücke ermöglichen. Sie hat auch Zugang zu Erkenntnissen, die durch die synthetische Leistung logischer Folgerungen gebildet werden und die spezifische Endlichkeit dieser Muster überschreiten können.11 Seine Vernunft und seine Hände, mit denen der Mensch „beliebig viele Instrumente beliebiger Wirkung“ herstellen kann, gehören für Thomas von Aquin zur naturgemäßen Ausstattung des Menschen. In einem gewissen Sinne wird der Mensch bereits als Mängelwesen verstanden, das weder über geeignete „natürliche Einschätzungsmuster“ verfügt „noch über bestimmte Hilfsmittel zur Verteidigung oder zur Bedeckung“ (Aquin 1990: 70). Diese – in der abendländischen Tradition überaus einflussreiche – kognitiv-rationalistische Variante des menschlich-tierlichen Subjektivitätsvergleichs hat in der Folge zahlreiche Differenzierungen und Abwandlungen erfahren, je nachdem, welche Schlüsselkriterien für das animal rationale bzw. seine charakteristische Vernunft(-fähigkeit) angesetzt wurden. Ihr beherrschender Einfluss wirkt z.B. in Subjektivitätskonzepten des deutschen Idealismus12 weiter, bis in die gegenwärtige Sprachphilosophie und die eingangs angesprochene „Sonderstellungsanthropologie“ hinein. Für die frühneuzeitliche Diskussion des Mensch-Tier-Verhältnisses ist hier vor allem die Naturrechtslehre zu erwähnen. Sowohl Samuel von Pufendorf wie auch Hugo Grotius (1950) sprachen Tieren den Status rechtsfähiger Subjekte ab. Beide stützen sich auf Argumente, die die Unfähigkeit von Tieren, vertragliche Verpflichtungen einzugehen, mit ihrem Mangel an vernünftiger Einsicht in Beziehung setzen (vgl. Juchem 1940; Maehle 1992: 124f.). So konzediert Hugo Grotius zwar auch Tieren einen Geselligkeitstrieb, der sich z.B. aus der Aufzucht der Jungtiere erschließen lässt, doch allein der Mensch besitze durch Sprache und Urteilskraft die Voraussetzungen für eine einsichtsvoll und friedlich geordnete Gemeinschaft mit seinesgleichen. Samuel von Pufendorf hingegen akzentuiert den Mensch-Tier-Gegensatz schärfer, wenn er das Andauern des natürlichen Kriegszustandes zwischen Mensch und Tier herausstellt (vgl. Pufendorf 1744: 11 12
T. von Aquin (1990: 71-73). Vgl. zu den Konturen und Grenzen der thomistischen Tierkonzeption näher J. Bernhart (1961: 99ff., 195ff.). Z.B. reserviert I. Kant reflexives Selbstbewusstsein und Urteilsfähigkeit für den menschlichen Bereich, doch hindert ihn das nicht einzuräumen, dass tierisches Verhalten sich bis zu einem gewissen Grade analog zu menschlichem begreifen lasse: „treu“ diene ein Hund seinem Herrn, anrührend sei, „wie sehr sie für ihre Jungen Sorge tragen“ (Menzer 1924: 302f.). G. W. F. Hegel betont die Selbstbezogenheit der „animalischen Subjektivität“, ergänzt freilich, dass diese im Gefühlsbereich steckenbleibe. Einerseits hat im Tier „das Licht sich selbst gefunden“, es ist „wahrhaft subjektive Einheit“, ein „Selbst, das für das Selbst ist“ (Hegel 1970a: 430f.), anderseits ist im Tier noch nicht die „reine, allgemeine Subjektivität“ erreicht, denn „sie denkt sich nicht, sie fühlt sich, schaut sich nur an.“
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509f.). Ähnliche Abgrenzungskonzepte findet man im englischen Naturrecht. Für Thomas Hobbes sind kognitive Kompetenzen wie Sprechen und Rechnen, aber auch die „Neugier“ nach den „Ursachen der Dinge zu forschen“ genuin menschlich (Hobbes 1978: 53).13 Ein Tier wie ein abgerichteter Hund, der dem Zuruf seines Herrn folgt, zeigt zwar „Spuren von Überlegung“ und einen gewissen Verstand. Doch kann dieser Tierverstand nur die Willensäußerung des anderen erfassen, nicht aber die Gedanken, Benennungen und Folgerungen, die hinter der Willenskundgabe stehen bzw. zu dieser geführt haben (Hobbes 1978: 20f.). Da Tiere insofern vernunftlose Lebewesen sind, kann ihr soziales Leben, z.B. die „Staatenbildung“ der Bienen, nicht mit dem der Menschen gleichgesetzt werden: So ist „die Eintracht unter jenen (den Staaten bildenden, R.W.) Tieren ein Werk der Natur, unter den Menschen aber ist sie ein Werk der Kunst und eine Folge der Verträge“ (Hobbes 1978: 154).14 Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die ethischen Implikationen, die Anhänger der These nicht selten aus der geistigen Exklusivität des Menschen ableiteten, Implikationen, die oftmals kaum Einschränkungen für die Nutzung und Beherrschung der Tierwelt erkennen ließen. Ein Beispiel für eine der13
14
Die Lautäußerung eines Tieres stellt Hobbes (1990: 89) dem menschlichen Wort gegenüber: Dieses wird willkürlich festgesetzt, jene hingegen ist ein „Signal“, das dem „Zwang ihrer Natur“ entspringt. Unsere Auswahl naturrechtlicher Tierkonzepte soll aber keineswegs suggerieren, als gebe es im Naturrechtsdenken der Frühneuzeit keine Ansätze, die nicht ausdrücklich gewisse Rechte der Tiere gegenüber den Menschen anerkennen würden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die 1722 in Altdorf gedruckte Abhandlung von S. J. Apin („Dissertatio ex iure naturae an liceat brutorum corpora mutilare et speciatim ob es recht sey dass man den Hunden die Ohren abschneide“). S. J. Apin (1693-1732), der zwischen 1722 und 1729 Professor für Logik und Metaphysik am Nürnberger Gymnasium war (vgl. Jöcher 1750a: 466f.), bekräftigt zwar die dem Menschen von Gott übertragene Herrschaft über die Tiere („dominium in bruta“, vgl. §§ 7ff.), macht aber doch recht einschneidende Einschränkungen geltend und hält mit seiner theriophilen Haltung auch nicht hinter dem Berg. So werden etwa die damals populären Tierkämpfe verurteilt, u.a. deswegen, weil die Tiere „contra naturam agere coguntur, quia in libertate constituta, nunquam hoc facerent. Huc pertinet das Ochsenhetzen, Fuchsprellen et quae sunt alia“ (Apin 1722: 10). Im § 23 fasst er seine Position dahingehend zusammen, dass es Sünde sei, ein Tier, das es zu erhalten gelte, ohne Not, lediglich aus Übermut („petulantia“) oder zur Belustigung („oblectatio“), in seiner körperlichen Unversehrtheit zu verletzen („Peccant igitur omnes illi contra brutorum conservationem, qui citra necessitatem et ex mera petulantia et oblectatione corpora brutorum laedunt, corrumpunt et destruunt“ (Apin 1722: 12)). Als Anhang seiner Abhandlung bringt Apin zur Bekräftigung seiner Position einen einschlägigen Auszug aus dem 24. Kapitel der „Unerkannten Sünden der Welt“ (1705ff.) („Wann man die Thiere ohne Noth und nur zur Lust martert und quälet“) des dem Pietismus nahestehenden Pfarrers Christian Gerber (1722: 28), der u.a. schreibt: „Wird ihnen (den Tieren, R.W.) nun ihre Todes-Quaal mit Fleiß zu unser Lust vermehret, wie solches in Wasser-Jagden, mit dem Hahnschlagen, und auf andere Weise von unbarmherzigen Gemüthern geschiehet, so sehe ich nicht, wie solches vor Gott verantwortlich sey.“ – Vgl. zur näheren Diskussion tiermoralischer Positionen im Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts A.-H. Maehle (1992: 103ff.).
Tiermoralische Orientierungsmuster
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artige Gedankenverbindung aus dem Umkreis naturrechtlichen Denkens: Mangelnde Vernunftfähigkeit zieht einen Mangel an subjektiver Freiheit nach sich, beide Defizite rechtfertigen den Ausschluss des betreffenden Wesens aus der moralischen Gemeinschaft. Unter den 1742 von Johann Heinrich Winkler (einem Leipziger Professor für alte Sprachen und Philosophie) herausgegebenen Beiträgen eines Symposiums über die Vernunftfähigkeit der Tiere findet sich der Beitrag eines Martin Pauli, der feststellt, er könne sich „unmöglich vorstellen, aus was für Gründen man einem einzigen Thiere eine Vernunft zueignen könne. Entweder der Satz ist falsch, dass wir Menschen das Recht besitzen, die Thiere nach unserem Gefallen umzubringen; oder wir müssen nothwendig behaupten, dass die Thiere unmöglich Vernunft haben können. Sind einige Thiere vernünftig: so haben wir über das Leben derselben keine Gewalt. Denn ein vernünftiges Tier kann nicht ohne Freyheit seyn“ (Pauli 1742: 19).
2. Die zweite Variante einer deutlichen Mensch-Tier-Grenzziehung ist im christlich-abendländischen Bereich letztlich nur als eine Randerscheinung zu erwähnen. Der Unterschied zum Tier wird über psychische Zustände begründet, die sich durch ein relativ niedriges Niveau der Bewusstseinskontrolle auszeichnen oder sich als „Hintergrund“ prädikativer Sinnkonstitution begreifen lassen (wie z.B. bei affektiv geprägten Erlebnisformen, Gefühlen, Triebimpulsen). Ekstatische Konvulsionen, Trancen, selbst sexuelle Aktivitäten können in diesem Sinne als exklusiv menschlich gedeutet werden, etwa dann, wenn sie als Form einer den Tieren unzugänglichen Transzendenzerfahrung verstanden werden. In solchen Fällen können sie als heilsmethodische Mittel einer „Selbstvervollkommnung“ fungieren, die Erlösung in Form eines orgiastischen Außer-sichseins15 oder einer „Selbstvergottung“ versprechen (Weber 1980: 324f.). In milderen Formen geht es um einen Zustand mystischer Erleuchtung, um eine „unio mystica“ im weiteren Sinne, die entweder eher als Gnade erfahren oder mehr über eine methodisch systematisierte Kontemplation zu erreichen ist. In beiden Fällen werden solche Zustände einem dezidiert menschlichen „Gefühlshabitus“ zugeschrieben, der meist nur einer „Minderheit spezifisch Qualifizierter“ zugänglich ist. In dieser Perspektive gelten Tiere als Wesen, die diesem Subjektivitätsideal von vornherein nicht entsprechen können. Sie kommen nicht als Empfänger der Gnadenspendung in Betracht oder sie ermangeln der kontemplativen Fähigkeiten, die das „Suchen eines ‚Ruhens im Göttlichen“ (Weber 1980: 330) aussichtsreich erscheinen lassen.
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Vgl. am Beispiel der Sekte der russsischen Chlysten des 17. und 18. Jahrhunderts W. Stark (1974: 57f.).
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Kapitel 5
3. Eine kognitionszentrierte Subjektivitätsauffassung kann aber auch dazu dienen, die Kontinuitäten zwischen Mensch und Tier nicht abzuschwächen, sondern sie hervorzuheben. Selbst Subjektivitätskonzepte, die die prädikative Intentionalitätsebene akzentuieren, sind so für eine „mentale Eingemeindung“ der Tiere, für ihre forcierte Subjektivierung herangezogen worden. Die von den unterschiedlichen „Animal-rationale“-Konzeptionen vorgebrachten Abgrenzungskriterien werden hier oft skeptisch relativiert. Für Michel de Montaigne, der in dieser Frage gewissermaßen ein Antipode des cartesianischen Konzepts der Tiermaschine darstellt,16 drückt sich in den kognitivistischen Abgrenzungsversuchen letztlich eine anthropozentrische Selbstanmaßung aus. „Leere Einbildung“, so Michel de Montaigne, führe den Menschen dazu, sich die Stellung Gottes anmaßen zu wollen und den Tieren, seinen „Mitbrüdern“, nur mindere Fähigkeiten zuzuschreiben.17 Derartige Diskurse, die eine gewisse kognitive 16
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Vgl. zu den unterschiedlichen Tierkonzeptionen von Descartes und Montaigne bes. M. Cartmill (1993: 92ff.), speziell zu Descartes auch P. Münch (1998b: 328ff.). Den geistesgeschichtlichen Hintergrund und die weitreichenden wissenschaftskonzeptionellen Implikationen dieser beiden gegensätzlichen geistigen „Bahnen der Moderne“ zeichnet St. Toulmin (1991) nach (kritisch dazu Brenner 1993). „Leere Einbildung“, schreibt M. de Montaigne (1984: 206), verleitet den Menschen, „sich Gott gleich zu achten, sich göttliche Qualitäten zuzuschreiben, sich eine Sonderstellung anzumaßen, getrennt von allen übrigen Geschöpfen, willkürlich zu bestimmen, was den Tieren, seinen Mitbrüdern und Gefährten, zugebilligt werden soll an Fähigkeiten und Kräften.“ In dieser Sicht ist dann der Unterschied zwischen einem „Idealmenschen und einem gewöhnlichen Menschen“ größer „als zwischen manchem Menschen und manchem Tier“ (Montaigne 1984: 137). A.-H. Maehles (1992: 114) Annahme, Montaigne habe in seinen „theriophilen“ Ausführungen eigentlich „satirische Absichten“ verfolgt und sie seien deswegen „als solche“ nicht ganz ernst zu nehmen, lässt sich aus den Texten selbst kaum herauslesen. Zum einen zeigen das direkt einige nichtsatirische Textstellen: Wenn M. de Montaigne z.B. auf den Zusammenhang von Tierquälerei und einem allgemeinen „Hang zur Grausamkeit“ hinweist, wenn er denen, die sein „Mitgefühl mit den Tieren (...) vielleicht komisch finden“, entgegenhält, „dass sogar die Theologie ihnen einen gewissen Schutz zubilligt“ (Montaigne 1984: 204f.). Im Übrigen: Weshalb sollte die „Apologie des Raimond Sebond“ (aus der die obige Passage entnommen ist), die offensichtlich darauf abzielt, menschliche „Anmaßungen“ der Lächerlichkeit preiszugeben, mit tierfreundlichen Intentionen unvereinbar sein? Es ist also keineswegs erstaunlich, dass Bewunderer wie Gegner Montaignes dessen Theriophilie nicht in Zweifel ziehen. Zwei Beispiele: P. Burke (1993: 23f., 79ff.) betont den Einfluss antiker Autoren wie Plutarch oder Xenophanes auf Montaignes Naturauffassung und seine „relativistische“ Neigung, Tiere allen Ernstes wie Angehörige einer fremden Kultur zu betrachten (und z.B. zu versuchen, die Perspektive seiner Katze einzunehmen). Auf der anderen Seite ist die Würzburger Dissertation von J. Gerdemann (1897: 78) zu nennen, der Montaignes Theriophilie gewissermaßen „ex negativo“ ernst nimmt, wenn er resümiert, dieser habe seinen „Zweck nicht erreicht, den Stolz der Menschen durch den Nachweis, dass das Tier dieselben Eigenschaften und Fähigkeiten besitzt wie der Mensch, zu brechen.“ – Ebenfalls im 16. Jahrhundert formuliert der päpstliche Nuntius am ungarischen Hof, Hieronymus Rorarius (1666), die Auffassung, viele Tiere zeichneten sich gegenüber dem Menschen nicht nur durch einen besseren Vernunftgebrauch, sondern vor allem durch größere Tugendhaftigkeit aus (vgl. dazu den Artikel „Rorarius“ des „Dictionnaire historique et criti-
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„Ebenbürtigkeit“ von Mensch und Tier aufzuweisen suchen, sind der Naturphilosophie und -theologie der Frühneuzeit keineswegs ein Einzellfall. Vor allem im Umkreis der natürlichen Theologie und der „physikotheologischen Bewegung“ des 18. Jahrhunderts tauchen ähnliche Argumente häufig dann auf, wenn es gilt, die zweckvolle, oft inhärent teleologisch ausgerichtete Ordnung der Natur als Beweis für die Weisheit und Allmacht des Schöpfergottes anzuführen. Dies implizierte, dass das „Buch der Natur“ als Quelle der Gotteserkenntnis entschieden aufgewertet wurde.18 Ein weiteres Indiz: Zu Beginn des 18. Jahrhunderts richtete sich das Staunen der naturphilosophisch Gebildeten nicht mehr so sehr auf die Aufsehen erregenden „Monstrositäten“ und Wundergeburten (die zweiköpfigen Kälber, siamesischen Zwillinge usw.), sondern eher auf die alltäglichen, unscheinbaren Geschöpfe Gottes, z.B. auf die Geometrie der Schneeflocken, die „Sorgfalt“ und den „Eifer“ der Ameisen, usw. Kurz, man bestaunte in der Natur den „Geist betäubenden Gott in all seiner Vollkommenheit“ (Daston/Park 2002: 379). Argumente, die in diesen diskursiven Zusammenhängen ausgearbeitet wurden, klingen auch in dem oben erwähnten Leipziger Symposium von Johann H. Winkler an. Hier finden sich einerseits Überlegungen, die die Tiere in einem engeren Sinne anthropomorphisieren,19 andererseits werden aber auch Beispiele für kognitive Fähigkeiten von Tieren angeführt (z.B. einfache Formen des Urteilens und Schließens), die heute von Tierspsychologen oder kognitiven Ethologen kaum mehr in Zweifel gezogen werden (etwa Werkzeuggebrauch oder Formen des oben erwähnten „unbenannten Denkens“). Der „Beschluss“, mit dem J. Winkler den Disput zusammenfasst, deutet darauf hin, dass auf dem Symposium die Verfechter einer gemäßigten kognitionszentrierten Kontinuitätsauffassung die Oberhand gewinnen konnten. Winkler findet sich schließlich in der Meinung,
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que“, in dem P. Bayle (1994) Argumente von Rorarius gegen den Cartesianismus ausspielt. Wie L. Rosenfield (1941: 123f.) herausstellt, sah Bayle im cartesianischen Tiermaschinenkonzept nicht zuletzt die Gefahr einer indirekten Legitimation von Grausamkeiten an Tieren). Vgl. zur Tierseelendebatte im frühneuzeitlichen Frankreich auch G. Boas (1933) und H. Hastings (1936). Wichtige Texte bzw. Textauszüge dieser Debatten finden sich in der Sammlung von L. Ferry/C. Germé (1994); zeitlich breiter angelegt ist die kleine Textsammlung von H.-P. Schütt (1990). Vgl dazu ausführlich C. Glacken (1967: 504ff.) sowie R. & D. Groh (1991: 50ff.). Physikotheologische Tendenzen lassen sich z.B. bei G.-L. L. de Buffon aufweisen. Über die Instinkte der Tiere schreibt er: „Mit diesen Fähigkeiten (…) erfüllen (sie) sowohl die Absichten der Natur, als den uns unbekannten Willen, den der Schöpfer bei ihrer Hervorbringung gehabt hat“ (Buffon 2008: 1080). Vgl. zu Buffon näher W. Lepenies (1978). So beweise z.B. die „Baukunst“ der Biene ihre geometrischen Kenntnisse, die Vorratshaltung der Tiere spreche für ihre planende Voraussicht usw.
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Kapitel 5 „daß einige Thiere zu finden sind, deren Seelen von dem Schöpfer eine gewisse Vernunft bekommen haben, vollkommen bestärket. (...) Wir sagen nicht, dass alle Thiere Vernunft haben: wir behaupten solches nur von einigen. Wir legen ihnen auch keine so vortreffliche Vernunft bey, als wir Menschen besitzen, wir rechnen sie nur unter diejenigen Geschöpfe, welche unter den vernünftigen von der niedrigsten Art sind“ (Winkler 1742: 91f.).20
4. Einen überaus prägenden Einfluss auf die Entwicklung der modernen Tierschutzidee konnten freilich solche Konzepte gewinnen, die den Subjektcharakter von Tieren primär nicht aus ihren mutmaßlichen hohen oder doch ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten ableiten, sondern dabei auf vorprädikative psychische Prozesse rekurrierten,21 z.B. auf das Wollen oder auf Erlebnis- und Wahrnehmungsmodi, die die Empfindungsfähigkeit für Schmerz oder Freude betreffen. Arthur Schopenhauer etwa räumt auf der kognitiven Ebene gravierende Differenzen zwischen Mensch und Tier ein (z.B. reflexives Selbstbewusstsein, Sprache, Zeit- und Todesbewusstsein usw.), doch entscheidend ist für ihn das grundlegende Bezugskriterium der „wesentlichen Einfachheit und Ursprünglichkeit“ des Willens (vgl. Schopenhauer 1991b: 240). Formelhaft komprimiert Schopenhauers seine Auffassung in dem Satz: „Das Thier empfindet und schaut an; der Mensch denkt überdies und weiß: beide wollen“ (Schopenhauer 1991a: 73, vgl. auch 187ff.; Herv. v. Sch.).22 Mit am deutlichsten zeigt sich der Stellenwert des Rekurs auf vorprädikative Subjektivitätsebenen andererseits in Vergleichskonzepten, wie sie im Umfeld des sensualistischen Empirismus23 und Utilitarismus entwickelt wurden, z.B. bei 20
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Im „Vorbericht“, wo Winkler den Gegenstand des Symposiums darstellt, bezieht er sich übrigens explizit auf die erwähnte Schrift von H. Rorarius (1666) und die Physikotheologen (namentlich auf William Derham, dessen „Physico-Theology“ 1713 in London erschienen war). Einige Indizien sprechen dafür, dass sich das semantische Gravitationszentrum der Debatten des Mensch-Tier-Verhältnisses im 18. Jahrhundert auf der Achse kognitive Diskontinuität/subkognitive Kontinuität lokalisieren lässt. Dazu „querliegende“ Positionen, wie sie von M. de Montaigne oder von Mystikern formuliert wurden, sind gegenüber diesen Konzepten, die von einem geistig-seelischen „Schichtenaufbau“ der Lebewesen ausgehen, von untergeordneter Bedeutung. Für die deutsche Philosophie des frühen 19. Jahrhundert ist neben A. Schopenhauer vor allem K. C. Krause als einer zu nennen, der in der Vernunftlosigkeit der Tiere kein Hindernis für ihre Rechtsfähigkeit ausmacht. Sein „Abriß des Systems der Philosophie des Rechts“ von 1828 fußt auf einem „Panentheismus“ („Allingottlehre“), der zumindest höheren Tieren die Anfangsstufe einer „freien Persönlichkeit“ (mit Gefühl, Wille und einem „Geist niederer Stufe“ (Verstand)) und damit eine eigene „Rechtswürdigkeit“ konzediert (vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Bregenzer 1891: 208ff., § 27). Siehe auch D. Humes (1976: 135ff.) empiristische Betonung der grundlegenden mentalen Bedeutung von Lernprozessen und Formen des Schließens, die auf einfachen Analogiebildungen beruhen und sich bei Mensch und Tier aufweisen lassen. Dieser Ansatz rechtfertigt es
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Jeremy Bentham. 1780 formuliert Bentham in seiner „Introduction to the Principles of Morals and Legislation“: „The French have already discovered that the blackness of the skin is no reason why a human being should be abandoned without redress to the caprice of a tormentor. It may come one day to be recognized, that the number of the legs, the villosity of the skin, or the termination of the os sacrum, are reasons equally insufficient for abandoning a sensitive being to the same fate. What else is it that should trace the insuperable line? Is it the faculty of reason, or, perhaps, the faculty of discourse? (...) the question is not, Can they reason? nor, Can they talk? but, Can they suffer?“ (Bentham 1989: 26; Herv. v. B.).24
Jacques Derrida hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Bentham mit der Frage „Can they suffer?“ eine Instanz des schlechthin Unbezweifelbaren ins Feld führt. Bentham konfrontiert seine Zeitgenossen und uns mit „dem Unbestreitbaren, dem, was man nicht abstreiten oder verleugnen, nicht von sich abtun kann“ (Derrida 2002: 200). Das schließt aber natürlich nicht aus, dass das besondere Gewicht der Leidensfrage für die moderne Tierschutzsemantik auch als ein Indiz für ein langfristiges Vorrücken der „Kultur der Analgetika“ gedeutet werden kann. Der Aufstieg der Kultur der Analgetika, so Leszek Kolakowski (1974: 106ff.), zeigt sich im Vordringen von Wertemustern, die uns nahelegen, Leiden und Schmerz als zutiefst menschenfeindlich, unerträglich und sinnlos zu fliehen. Die Abkehr vom Glauben an den Wert des Leidens korrespondiert im Großen und Ganzen mit einem „Schamhaftwerden“, einer Analgetisierung der Strafpraktiken: „Das physische Leiden, der Schmerz des Körpers selbst bilden nicht mehr die wesentlichen Elemente der Strafe. (...) man nimmt das Leben und vermeidet dabei jede Empfindung; man raubt alle Rechte, ohne leiden zu machen; man erlegt Strafen auf, die von jedem Schmerz frei sind“ (Foucault 1977: 18f.).25 Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht nicht überraschend, dass Bentham, der mit seinem „Panopticon“ ja ein Protagonist eines aufgeklärten bzw. „schamhaften“
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wohl, Humes’ Ansatz dem Bereich der subkognitiv orientierten Kontinuitätsansätze zuzuordnen. In der Tierrechtsdiskussion der letzten Jahrzehnte ist es vor allem Peter Singer, der die Subjektivitätsfrage beim Tier auf utilitaristische Aspekte reduziert. Sein Konzept des subjektiven Interesses, das letztlich nur die artübergreifende Fähigkeit zu Leid und Freude als ein vergleichstaugliches Kriterium interspezifischer Interessenabwägung gelten lässt, hat auch Kritik herausgefordert. Vgl. dazu einerseits T. Regan (1984: 226ff.), dem das utilitaristische SpeziesismusKonzept Singers letztlich halbherzig erscheint, andererseits M. Fox (1978), der Tierrechtskonzepte zunächst noch grundsätzlich in Frage gestellt hat. Zu kurz kommen bei M. Foucault allerdings die religiösen Bezüge des Körperkonzepts der „peinlichen“ Gerichtsbarkeit, vgl. dazu zusammenfassend vor allem W. Schild (1989).
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Strafvollzugs war (Foucault 1977: 251ff.), gerade die Frage der Leidensfähigkeit drangsalierter Tiere ins Zentrum rückte. Subjektivitätskonzepte, die in diesem Sinne vor allem die vorprädikativen mentalen Fähigkeiten von Mensch und Tier fokussieren, haben für die Genese des modernen Tierschutzes sicherlich einen kaum zu überschätzenden Stellenwert. Stellvertretend für andere sei hier einer der Protagonisten des britischen Tierschutzes, Lewis Gompertz angeführt, der 1824 die grundlegende subjektive Selbstbezüglichkeit des Bewusstseins, das „identical self“ als das zentrale gemeinsame Subjektivitätskriterium für Mensch und Tier ansetzt.26 Vor diesem Hintergrund ist es wohl gerechtfertigt, wenn wir im Hinblick auf den tiermoralischen Bereich den Begriff einer Subjektivierung der Tiere im Folgenden in erster Linie für jene vorprädikativen mentalen Fähigkeiten reservieren, die mit dem subjektiven Erleben der Tiere, insbesondere mit ihrem „Wohlbefinden“ und ihrer Leidensfähigkeit, zusammenhängen. Im Vordergrund stehen dabei psychische Zustände der Tiere, die sich auf ihre primären Bedürfnisse, ihre affektiven und emotionalen Zustände beziehen (Hunger, Durst, Schmerz, Lust, Angst, Wut, Niedergeschlagenheit, Freude usw.). Es sind diese vorprädikativen Subjektbezüge tiermoralischer Normen und Wertbezüge, die auch heute noch bei Tierschutz- und Tierrechtsbestrebungen im Vordergrund stehen, wenn von „Interessen“, „Belangen“ oder auch „Rechten“ der Tiere die Rede ist.27 Prozesse tiermoralischer Subjektivierung lassen sich nun nach zwei Seiten hin differenzieren: nach der inhaltlichen und nach der relationalen Seite. Einerseits geht es um inhaltlich bestimmte Verhaltenserwartungen (z.B. ein Tier nicht zu quälen, zu töten, zu verspeisen usw.), andererseits geht es um das Verhältnis dieser Norm zu einem Normenkanon, der für die binnenmenschliche Ethik eines sozialen Milieus oder einer „Eigengruppe“ konstitutiv ist (z.B. gibt es in einer Stadt, Organisation, Familie usw. die Verhaltenserwartung, dass ihre Mitglieder sich nicht gegenseitig quälen, töten oder verspeisen sollen usw.).28 Beide Aspek26
27 28
Für ein „identical self“ ist kennzeichnend, dass es sich durch alle Bewusstseinserlebnisse hindurch als von anderen unterschieden weiß. L. Gompertz (1992: 71): „It is (..) evident, that no man can distinguish the difference between the identity of two other men. But every man knows his own identity, though he knows no other; and is never in danger of mistaking himself for another person.“ Als weiteres Beispiel kann hier Charles Bonnet angeführt werden, der 1769 in seiner „La palingénésie philosophique“ die Auffassung vertrat, die Empfindungsfähigkeit der Tiere bilde die Grundlage dafür, dass das Verhalten ihnen gegenüber von moralischen Rücksichten geleitet sein müsse (vgl. Lovejoy 1985: 341ff.; Maehle 1992: 129). Vgl. z.B. den Tenor der Beiträge in R. Garner (1996). Das Verhältnis von humaner Binnenmoral und Tiermoral ist schon mit Blick auf die Situationen aufschlussreich, in denen konfligierende Normen- oder Wertbezüge eine Güterabwägung zwischen Belangen menschlicher und tierlicher Subjekte erforderlich machen (wie z.B. beim Tierversuch).
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te lassen sich aufeinander beziehen, wenn sie im Rahmen eines UniversalismusPartikularismus-Kontinuums angesiedelt werden, das das Verhältnis von Human- und Tierethik zusammenfassend beschreibt. Universalistisch ist der Geltungsanspruch tierethischer Normen und Werte dann insoweit, als sie „erweiternde“ Generalisierungen von vergleichbaren „subjektrelevanten“ Normen bzw. Werten der binnenhumanen Moral darstellen.29 Dieser Punkt ist nun näher auszuführen. Auch bei tiermoralischen Orientierungsmustern stellt sich prinzipiell die Frage, inwieweit sie jeweils Generalisierbarkeit und Anwendbarkeit miteinander kombinieren (Parsons 1980: 183ff.).30 Anders gefragt: Wie groß ist die ethnozoologische Reichweite subjektrelevanter Achtungsnormen? Welche Tiere werden in welchen situativen Kontexten als zugehörige Teile welcher menschlichen Sozialbereiche typisiert, und vor allem: Welche Normen und Wertmuster „können“, „sollen“ oder „müssen“ dann jeweils auf die betreffenden Tiere angewendet werden?31 Es geht hier im Kern um den Umfang der Lebewesen, die den jeweiligen tiermoralischen Geltungsansprüchen und den je hinreichenden Subjektivitätskriterien entsprechen. Beide Muster bedingen maßgeblich, wie weit die „moral community“ über das individuelle Ich bzw. die jeweilige Eigengruppe hinaus ausgedehnt wird.32 Unterschiedliche Kulturen und soziokulturelle Milieus weisen 29
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32
Vgl. dazu auch M. Shell (1986: 132; Herv. Shell), der die beiden Positionen ähnlich unterscheidet: „1) Animals are akin to humans; that is, animals are our brothers, hence are to be thought of and treated as if they were members of our species/tribe. In this view we are not the ‚keepers of animals but their equals. (...) 2) Animals are extraspecies and extratribal beings, and hence, like all essentially nonhuman things, animals are outside the ‚covenant.“ Prinzipiell muss freilich im Auge behalten werden, dass sowohl Partikularisierung wie Universalisierung nicht nur moralische Handlungsorientierungen beschreiben können, sondern auch kognitive oder appreziative Standards bezeichnen, die nach ihrer normativen und motivationalen Bedeutung für konkrete Handlungsorientierungen (Parsons/Shils 1951: 72ff., 162ff.) jeweils besonders zu gewichten sind. Hier ist keineswegs nur an Heimtiere wie den Hund zu denken, sondern auch an Du-evidente Tiere, die aufgrund bestimmter Analogien als menschenähnlich perzipiert werden. Vgl. mit Blick auf bürgerliche Milieus im 19. Jahrhundert z.B. die soziale „Vorbildlichkeit“ der „Lebensführung“ bestimmter Vogelarten O. Löfgren (1986). Ein Beispiel für eine religiös motivierte Universalisierung führt G. H. Mead an, als er im Kontext der „organisierenden Kapazität“ von weiteren und abstrakteren gesellschaftlichen Haltungen die Frage von emphatischen Haltungen gegenüber Tieren berührt: „One who can assist any individual whom he finds suffering may extend that universality far beyond man, and put it into the form of allowing no suffering to any sensuous being. The attitude is one which we take toward any other form that actually does, or conceivably may, appeal to us when in distress, or any being to which we can convey immediate satisfaction by our own acts. It finds its expression in a certain attitude of tenderness. It may be generalized in individuals far beyond one’s family. (...) The Christian saints represented that sort of society to which every individual could conceivably belong. The ideal received an expression in the religious conception of a world where all are to have absolutely identical interests“ (Mead 1974: 289f.).
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zwar partielle Überlappungen, aber keine Deckungsgleichheit dieser Geltungsbereiche auf. Hier sind z.B. nur wenige Tiere des lebensweltlichen Nahbereichs Adressaten tiermoralischer Normen, dort werden auch bestimmte Wildtiere oder „Tierschädlinge“ als schützenswerte Tiersubjekte aufgefasst, selbst wenn unmittelbare Face-to-face-Kontakte nur spärlich sind oder die Tiere ganz außerhalb der lebensweltlichen Reichweite sind. Tiere können in diesem Sinne in Quasigruppenmitglieder und „Tierfeinde“ dichotomisiert werden usw. Alles in allem wäre ein hohes Universalisierungsniveau mutatis mutandis dann anzunehmen, wenn relativ abstrakte subjektrelevante Wertmuster vorliegen, Wertmuster, die die Kluft zwischen Mensch und Tier relativieren und normativ so respezifizieren, dass sie auf sehr unterschiedliche lebensweltliche Sinnbereiche und symbolische Tierkonstruktionen anwendbar sind.33 Extreme Partikularisierung bedeutet dann umgekehrt, dass verschiedene Sinnprovinzen, Sozialeinheiten oder soziokulturelle Milieus auf jeweils besondere subjektrelevante Kriterien und partikulare Bewertungsstandards zurückgreifen. Im Hinblick auf die getroffenen Unterscheidungen lässt sich nun fragen, in welchen Aspekten Genese und Entwicklung der modernen Tierschutzmoral eine Tendenz zur Universalisierung subjektrelevanter Achtungsnormen erkennen lassen. Inwiefern orientiert sich die Bewertung menschlichen Verhaltens gegenüber Tieren an dem Grundsatz, dass für alle Wesen, die im Lichte bestimmter Merkmale gleich sind, bestimmte gleiche moralische Bewertungskriterien zu gelten haben? Zunehmende Universalisierung bedeutet in dieser Hinsicht, dass abstraktere Wertmuster vorliegen, die die Kluft zwischen menschlicher und tierlicher Subjektivität dadurch relativieren, dass sie generalisierbare und „vergleichstaugliche“ Wertbezüge formulieren. Manches spricht nun dafür, dass in tiermoralischen Begründungszusammenhängen Orientierungen an Gewicht gewinnen, die sich an das Prinzip personaler „Selbstzwecklichkeit“ anlehnen. Dieses Prinzip wird so verallgemeinert, dass es – in manchen Aspekten – auch auf bestimmte Tiere anzuwenden ist. „Selbstzwecklichkeit“ wird hier in Anlehnung an die Terminologie Immanuel Kants verwendet, der die Person als „Zweck an sich selbst“ bestimmt (Kant 1965: 50f.).34 Verpflichtungen gegenüber der „Selbstzwecklichkeit“ des Tieres sind 33
34
Klar ist, dass vorprädikative bzw. subkognitive Subjektivitätskriterien diese Bedingung eines „kleineren gemeinsamen Nenners“ eher erfüllen können als Kriterien, die an höheren kognitiven Leistungen ansetzen. Für I. Kant freilich fallen Tiere, da sie kein Selbstbewusstsein und keine Urteilsfähigkeit haben, nicht unter den Personbegriff. Daher gibt es ihnen gegenüber keine direkten Pflichten, nur indirekte, d.h. solche Pflichten, bei denen Tiere als Mittel dienen, um Pflichten gegenüber der Menschheit nachzukommen. So ist Grausamkeit gegen Tiere verwerflich, sofern sie Grausamkeit gegen Menschen begünstigt. Kant (1924: 302) argumentiert hier im Rahmen eines zweckrationalen Schemas: „Allein weil Tiere nur als Mittel da sind, indem sie sich ihrer selbst nicht
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dann für dezidiert „tierethische“ Orientierungen charakteristisch, bei „anthropozentrischen“ Orientierungen schwindet dieser personale Status in dem Maße, in dem das Tier als apersonales, „sachliches“ Mittel instrumentalisiert wird. Der „Sachcharakter“ eines Tieres ist dabei kaum losgelöst von seinen sekundärsozialen Bezügen zu betrachten, von der Definitionsmacht vorarrangierter Sinnkontexte, wie sie besonders von den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien (vgl. Luhmann 1984: 220ff.) gestiftet werden. Das Tier wird dann vorwiegend als ein z.B. ästhetisch, ökonomisch, wissenschaftlich oder religiös codierter „Gegenstand“ in Erscheinung treten. Schließlich dürfen die Grenzen einer begrifflichen Binarisierung von anthropozentrischem und ethischem Tierschutz nicht aus den Augen verloren werden. So weist diese Dichotomie Schwächen auf, die sie für soziologische Analysen unattraktiv macht. Zunächst verstellt diese Binarisierung leicht den Blick dafür, dass sich bereits in anthropozentrischen Tierschutzbestrebungen auf eine implizite Weise „ethische“ Züge andeuten, dort nämlich, wo die Voraussetzungen der „instrumentellen Adäquanz“ der Tiere berührt werden. Schon das Leitmotiv dieser Tierschutzvariante –„Tierschutz ist Menschenschutz“ – macht erst Sinn, wenn subjektrelevante Ähnlichkeiten von Mensch und Tier unterstellt werden, die eine derartige „instrumentelle“ Eignung von Tieren begründen können. Hier ist es vor allem die gemeinsame Empfindungs- und Leidensfähigkeit, die das Tier zu dem geeigneten pädagogischen „Übungswesen“ prädestiniert, um Selbstbeherrschung und Affektkontrolle gegenüber den Mitmenschen zu lernen. Zum anderen sind „menschliche Zwecke“ oder Interessen natürlich keine zeit- und ortlosen Abstrakta, sondern soziokulturelle Variablen, so dass sich der Soziologie schon von daher die Aufgabe stellt, Varianten und Typen der soziozentrischen Instrumentalisierung und Personalisierung der Tiere zu untersuchen. Von ausschlaggebender methodologischer Relevanz wären dann nicht „die“ menschlichen Interessen bezüglich „der Tiere“, sondern Interessen, die von bestimmten Gruppenstrukturen und Vergesellschaftungsformen vorstrukturiert werden. Es sind dann diese besonderen sozialen Muster, die immer auch besondere ethnozoologische Klassifikationen (z.B. „gute“ und „schlechte“, heilige und profane Tiere) und damit korrespondierende Praktiken begünstigen. bewusst sind, der Mensch aber der Zweck ist, wo ich nicht mehr fragen kann; ‚Warum ist der Mensch da?, welches bei den Tieren geschehen kann, so haben wir gegen die Tiere keine unmittelbaren Pflichten, sondern die Pflichten gegen die Tiere sind indirekte Pflichten gegen die Menschheit.“ Die Probleme dieser dezidiert anthropozentrischen Begründung des Tierschutzes diskutieren J. Passmore (1975: 201ff.) und T. Regan (1988: 174ff.). T. Regan (1988: 235ff.) macht gegenüber Kant geltend, auch ein Tierindividuum verfüge über einen „inherent value“, der es zum Mitglied der „moral community“ qualifiziere, allerdings nicht im Sinne einer aktiven und reflexiven „moral agency“, wohl aber als „moral patient“.
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Ein letzter Gesichtspunkt: Selbst „anthropozentrisch“ ausgerichtete Gruppen verwenden Tiere nicht en bloc als Mittel oder Zwecke. Vielfach lassen sich hier Zweck-Mittel-Verschiebungen und Zweck-Mittel-Umkehrungen beobachten,35 die eine starre und durchgängig anthropozentrische Wertehierarchie als eher unwahrscheinlich erscheinen lassen. Schon von daher erscheint eine funktionalistische Methodologie dem Problembereich angemessener. „Anthropozentrische“ Zwecksetzungen wären dann nicht abstrakt, sondern in ihrem spezifischen Setting, d.h. in der wechselseitigen Relationierung mit konkurrierenden Zielen bzw. Werten eines Sozialzusammenhangs zu untersuchen. Eine soziologische Perspektive, die sich für das breite „moralische“ Spektrum humanimalischer Sinnkontexte interessiert, könnte sich dann nicht damit begnügen, die humanimalischen Sozialverhältnisse von Gruppen oder gar Gesellschaften en bloc als „anthropozentrisch“ oder „speziesistisch“36 zu etikettieren. Man würde in tierbezogenes Verhalten dann vermutlich des Öfteren eine „Verengung des Wertehorizontes, eine partielle Neutralisierung der Wertimplikationen des Handelns“ (Luhmann 1977a: 46) hineindeuten. Damit würden nicht nur die soziokulturellen Misch- und Übergangsformen vernachlässigt, es ist auch nicht die Gefahr von der Hand zu weisen, dass damit manifeste Zwecke und latente Folgen tierbezogener Verhaltensmuster vermengt würden.
5.2.2 Kosmologische Deutungshorizonte tierlicher Subjektivität: Immanenz und Transzendenz Die obige Anmerkung, dass tiermoralische Orientierungsmuster im Grunde nicht unabhängig von den sie „tragenden“ lebensweltlichen Sinnbereichen betrachten werden können, soll nun am Beispiel religiös-kosmologischer Deutungskontexte kurz veranschaulicht werden. Tiermoralische Orientierungen lassen sich zunächst danach unterscheiden, in welche (religiösen, weltanschaulichen, biogra35
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Vgl. dazu N. Luhmann (1977a: 274; 33ff.): „Bei der Zweck/Mittel-Verschiebung wird (..) ein Mittel als Zweck behandelt, bei der Zweck/Mittel-Umkehrung darüber hinaus auch ein Zweck als Mittel.“ Dies besagt natürlich nicht, dass die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Pflichten Tieren gegenüber für sich genommen hinfällig würde, im Gegenteil: Eine funktionale Betrachtung sensibilisiert eher für die vielfältigen Abstufungen und Verschränkungen von normativen Verpflichtungen. Umfang und Facetten dieser Verpflichtungen lassen sich durch einen Wechsel des funktionalen Vergleichskontexts aufdecken. P. Singer, der wohl bekannteste Vertreter einer dezidiert utilitaristischen Tierrechtsbegründung, greift Mitte der siebziger Jahre den von R. Ryder (1975) geprägten Begriff des „speciesism“ auf, um damit (in Analogie zu Rassismus und Sexismus) „a prejudice or attitude of bias“ zu bezeichnen, das „in favor of the interests of members of one’s own species and against those of members of other species“ wirkt (Singer 1990: 6).
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phischen usw.) Deutungshorizonte die sekundärsoziale „Weil“- und „Um-zu“Motivik (Schütz 1971: 24f.) des tierbezogenen Handelns hineingehört. Zu fragen ist hier also, von welchem Deutungszusammenhang her das Gemeinte für den Handelnden selbst sinnvoll ist. In dem Maße nun, in dem sich Motivik und Symbolik tierbezogener (Miss-)Achtungskommunkation aus Sinnquellen speisen, die die mit den gesellschaftlich „letzten, grundlegenden Sinnreduktionen“ verknüpft sind, kann die sachliche Geltung tiermoralischer Orientierungen unterschiedlich fundiert werden. Das Problem der sachlichen Geltung tiermoralischer Normen wird dabei meist eng mit der Frage nach der Personalität der Tiersubjekte verknüpft. Die ist schon deswegen der Fall, weil die grundlegenden religiösen bzw. weltanschaulichen Reduktionen in der Regel auch Festlegungen darüber enthalten, wer als Adressat von Kommunikationen überhaupt in Frage kommt bzw. sozial relevant ist. Anders gesagt: Mit der soziokulturellen Konstruktion von Personalität werden meist auch recht dezidiert die (und oft quer zur zoologischen Mensch-Tier-Differenz verlaufenden) „Grenzen moralisch bedeutsamer Sozialbeziehungen“ (vgl. Luckmann 1980: bes. 83f.) fixiert. Falls diese Überlegungen zutreffen, ist zu erwarten, dass die Frage nach der religiös-weltanschaulichen Fundierung von Personkonzepten für ein komparatives Verständnis tierbezogener Verhaltensmuster von weitreichender Bedeutung sein kann. Dabei kann man nun zwei grundlegende Varianten einer solchen kosmologischen Fundierung unterscheiden: Die Zuschreibung eines personalen Status an Tiere kann kosmologisch (a) diesseitig oder (b) hinterweltlich fundiert sein. Davon abgesehen kann diese Personalisierung selbst eher (a) stark oder eher (b) schwach ausfallen. Ein Blick auf einfach strukturierte Gesellschaften kann das Gesagte plausibilisieren. Typisch ist hier oft eine ausgesprochen „soziomorphe“ Kosmologie, die z.B. implizieren kann, dass auch bestimmten Tieren oder Pflanzen von sich aus intentionale Fähigkeiten und soziale Kompetenzen zugetraut werden. Solche Wesen werden dann neben den lebenden Menschen praktisch als kommunikativ erreichbare Gesellschaftsangehörige behandelt (vgl. Luhmann 1972a: 32-35). Tiere können hier also zunächst in einem recht diesseitigen, mundanen Sinne als Adressaten moralisch bedeutsamer Sozialbeziehungen betrachtet werden. Als solche sind sie „Ansprechpartner“, die innerhalb der Grenze der eigenen Sozialwelt angesiedelt werden. Dieser diesseitige Bezug kann sich z.B. auch so äußern, dass Tiere als Ahneninkarnationen klassifiziert und dementsprechend dem Sozialsystem eingegliedert werden.37 Die Konzepte „Subjekt“ oder „Person“ können hier also eine große „Offenheit für Zurechnungen“ aufweisen. Thomas Luckmann bemerkt zu derartigen, „quer“ verlaufenden Abgrenzungen der Sozialwelt:
37
Vgl. dazu R. Stichweh (1994: 94f.) mit Erläuterungen am Beispiel der westafrikanischen Tallensi.
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Kapitel 5 „Diese Grenze – das sei betont – trennt nicht zwischen ‚Mensch und ‚Tier in unserem Verständnis dieser Begriffe. Sie verläuft so, dass Sprecher einer Sprache, zum Beispiel Stammesangehörige und vielleicht besondere Tiere, mit denen rituelle Kommunikation hergestellt werden kann, zur Sozialwelt zählen, während alle anderen außerhalb bleiben“ (Luckmann 1980: 84f.).
Mit einer fortschreitenden „Entgesellschaftung der Welt“, in deren Verlauf manche Bereiche der natürlichen Welt der soziomorphen Weltsicht entzogen und in gewissem Sinne „entseelt“ werden können, kommt es vor, dass – insbesondere interaktionsfähige – Tiersubjekte häufiger im Rahmen einer „gesonderten religiös-symbolischen Wirklichkeit“ perzipiert werden. Derartige Tiere können dann als „Verkörperungen außer-gewöhnlicher Kräfte erfahren werden, als Repräsentationen eines transzendenten Bereiches in der Alltagswelt“ (Luckmann 1980: 86; Herv. v. L.). Die Personalität eines Tieres erhält hier also eine gewisse „hinterweltliche“ Akzentuierung. Im vorliegenden Zusammenhang soll an derartige Überlegungen angeknüpft werden: Soziokulturelle Deutungskontexte, die symbolische Bezüge zu einem mehr oder minder klar abgesonderten religiösen Sinnbereich, einer transzendenten „Hinterwelt“38 herstellen, sollen von solchen Deutungsrahmen abgesetzt werden, in denen Tiersubjekte letztlich als diesseitige, mundane Wesen behandelt werden. Hier können dann religionssoziologische Differenzierungen anschließen, die z.B. das Ausmaß der Kluft zwischen den beiden Realitätsebenen berücksichtigen. Oder die am Grad der „Systematisierung der Hinterwelt“ oder an den jeweils bevorzugten Heilsmethoden (z.B. mystische oder asketische, vgl. Schluchter 1991: 22ff.) ansetzen, die im Umgang mit solchen „in Wirklichkeit“ hinterweltlichen Tiersubjekten zu beachten sind. Die Frage ist dann aber auch hier, wie stark die Subjektivierung des Tieres ausfällt, wie weitreichend die intentionalen Fähigkeiten sind, die ihnen unterstellt werden. Kombiniert man in 38
In Anlehnung an W. Schluchters Weber-Interpretation verstehen wir dabei unter „Hinterwelt“ in einem allgemeinen Sinne eine zweite, andere Realität, die intentional wirksame Wesen oder Mächte beherbergt, die in die erste Realität direkt oder mittelbar einwirken können. In einem weiteren Sinne meint die Verdoppelung von Welt und Hinterwelt also die zentrale Konstitutionsbedingung des religiösen Handelns, das die Beziehungen zwischen Menschen und den Seelen, Göttern, Dämonen, übernatürlichen Mächten und deren Verkörperungsformen zum Gegenstand hat (vgl. Weber 1980: 247; Schluchter 1988: bes. 25-37). Die kosmologische Zuordnung der hinterweltlichen Mächte wiederum kann eher weltimmanent oder strikt transzendent erfolgen, je nach dem Grad der „ungreifbaren Nähe (oder Ferne, R.W.) zwischen mythischer und aktueller Welt“, wie diesen Punkt einmal R. Bellah (1973: 278) umschreibt. Die Vorstellung von einer individuell unsterblichen Tierseele z.B. lässt einen hinterweltlichen Bezug erkennen, der für sich gesehen fast nur für Tiererfahrungen im Rahmen aktueller Weltkontexte relevant ist. Ein Tier mit hinterweltlicher Subjektreferenz kann aber auch ein „Tierdämon“ sein, der sich der Tiergestalt „bedient“, um gewisse Ziele zu verfolgen, der eine dämonologische „Quasibiographie“ besitzt usw.
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diesem Sinne den Grad der Tiersubjektivierung mit der Dimension des kosmologischen Deutungskontextes, so erhält man folgende schematische Übersicht elementarer Tiertypisierungsvarianten: Abbildung 6:
Schema kosmologischer Tiertypisierung Kosmologischer Deutungshorizont
Tiersubjektivierung
Diesseitige Welt
Hinterwelt
schwach
Tier-„Objekt“ ohne nennenswerte Du-Evidenz
Tier als entsubjektiviertes symbolisches Medium transzendenzbezogener Kommunikation
stark
„entzaubertes“, profanes & Du-evidentes Tiersubjekt
„Tierdämon“, „Tierseele“, Tiere als Inkarnation von Göttern usw.
Die Unterscheidung der ersten Spalte – die Richtungen der Tiersubjektivierung in einem diesseitigen Welthorizont – deckt sich (in westlichen Gegenwartsgesellschaften) in etwa mit Erving Goffmans Unterscheidung von natürlichen und sozialen Primärrahmungen von Tieren, einer Unterscheidung, die wir bereits weiter oben (4.2.5.2) angesprochen haben. Die hinterweltlich ausgerichteten Sinnkontexte der zweiten Spalte modulieren hingegen Stärke und Ausrichtung der Tiersubjektivierung dahingehend, dass sozusagen eine dritte, „mystische“ Subjektreferenz ins Spiel kommen kann. Eine hinterweltlich gerahmte Entsubjektivierung der Tiere liegt vor, wenn sie als bloße, intentionslose Mittel benutzt werden, um mit Mächten der Hinterwelt zu kommunizieren. Hier ist eine zeichenhafte Mediatisierung der Tiere typisch. Ein Beispiel sind Opfertiere, die nur oder hauptsächlich ihres großen materiellen Wertes wegen den hinterweltlichen Mächten dargebracht werden. Das Gleiche kann von Orakeltieren gesagt werden, die wie physisch-mechanische Antwortgeneratoren benutzt werden und in dieser Funktion durch leblose Objekte ersetzt werden könnten. Aus diesem Grund müssen eigentlich auch viele Orakeltypen, die lebende Tiere benutzen, zu diesem Typ gezählt werden. So ist z.B. die prophetische Macht der mystischen „Seele“ („mbisimo“), an die sich die Zande im Rahmen ihres des Giftorakels „benge“ wenden, streng zu scheiden von den Hühnern, denen die giftige Substanz verabreicht wird und deren subjektive Qualitäten hier ebenso wenig „befragt“ werden
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Kapitel 5
sollen wie die des Reibbrettes beim „Reibbrettorakel“ der Zande (vgl. EvansPritchard 1987: 211ff.).39 Beim vierten Typ schließlich wird die tierliche Subjektivität selbst recht unmittelbar und weitgehend als Ausdrucksfeld einer hinterweltlichen Subjektkonstruktion perzipiert. Vielfältige Belege für eine in diesem Sinne hinterweltliche Subjektreferenz von Tieren lassen sich im Rahmen der Volkskunde und Rechtsgeschichte anführen, z.B. im Zusammenhang mit Berichten über die sogenannten Tierprozesse (vgl. Evans 1987; v. Amira 1891). Einige dieser Prozesse lassen manchmal klar erkennen, dass letztlich nicht dem profanen Tier der Prozess gemacht wird, sondern der „Verkörperung“ eines bösen Prinzips, etwa einem Dämon, der in ein Tier (z.B. einen Wolf, eine Katze) „hineingefahren“ ist.40 Ein markantes Beispiel ist hier der Fall des sogenannten „Ansbacher Werwolfs“ (vgl. dazu Schild 1989: 26f., 35). Im fränkischen Ansbach wurde 1685 ein Wolf hingerichtet, der angeblich mehrere Kinder angefallen hatte. Da man davon überzeugt war, dass der Wolf in Wirklichkeit der jüngst verstorbene, betrügerische und unbeliebte „Kastenmeister“ Michael Leicht sei, zog man ihm menschliche Kleider über, staffierte ihn mit einer Perücke aus und hängte ihn an einen Galgen. Eine damals auf Flugblättern verbreitete „Grabschrift“ auf den Ansbacher Wolf spricht diese doppelte Subjektreferenz, die Fusion der „Personalität“ von Dämon und Tier, klar an:41 „Ich, Wolf und Geist zugleich, tat stets die Menschen plagen, muss leiden und zulassen, dass man mir tut sagen: Sieh, verfluchter Geist, bist in den Wolf gefahren; hängst nun am Galgen hier, geziert mit Menschenhaaren“ (zit. nach Laufs 1985: 113).
Vergleichbare hinterweltliche Subjektreferenzen von Tieren zeigen rechtliche Vorstellungen, wie sie in Märchen oder Legenden überliefert wurden. Hier ist
39
40
41
Ein weiteres Beispiel, das eher diesem Typ zuzurechnen ist, berichtet M. Fortes (1966: 49) von den westafrikanischen Tallensi: Ein junger Hirte hatte ein Krokodil mit einem Pfeil getötet, später aber von einem Weissager erfahren, dass es sich bei dem Vorfall um die „Manifestation seiner Bestimmung“ gehandelt habe: „Seines Vaters Vater und Mutter hätten sich im Krokodil und im tötenden Pfeil kundgetan.“ So M. Weber (1980: 246f.). Von daher erscheint uns die Interpretation von J. Serpell (1990: 200f.), der die Tierstrafprozesse (fast?) ausschließlich mit diesseitig-profanen Anthropomorphisierungsmustern in Verbindung bringt (vgl. ähnlich Lindemann 2001), nur einem Teil der Prozessfälle gerecht zu werden. A. Laufs (1985: 113) stellt im Zusammenhang mit dem Werwolfglauben fest, dass „der Glaube an die reale Existenz von Geistern und Dämonen“ keineswegs auf die „ungebildete Masse des Volkes beschränkt“, sondern damals „allgemein auch unter Geistlichen und Gelehrten“ verbreitet war. Vgl. zur Werwolfthematik auch M. Rheinheimer (1994).
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der außerweltliche Deutungsbezug vielleicht besonders augenfällig.42 Aber auch in alltagsweltlichen Sinnkontexten der Volkskultur konnte die hinterweltliche Subjektreferenz von Tieren mehr oder minder deutlich ins Spiel kommen. So wurde z.B. die Katze mitunter als ein dämonisches „Hexentier“ angesehen, dessen Verstümmelung als ein apotropäisches Mittel gegen vielerlei Schadenszauber empfohlen wurde. Grausamkeiten gegen Katzen schienen z.B. besonders gerechtfertigt, wenn sich die Katze „in Wirklichkeit“ als eine Hexe entpuppte. Robert Darnton bemerkt mit Blick auf Frankreich: „Oftmals schlugen Bauern irgendwelche Katzen, die ihnen des Nachts über den Weg liefen, mit einem Knüppel nieder, um am nächsten Tag festzustellen, dass die blauen Flecken sich an Frauen zeigten, die als Hexen galten – so jedenfalls hieß es im Volksglauben“ (Darnton 1989: 109). Wie Darnton andeutet, war der Glaube an die Existenz von Tierdämonen oft eng mit Hexereivorstellungen verquickt. Offenbar konnten sich derartige Vorstellungskomplexe noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein relativ gut behaupten, besonders in ländlichen Gebieten, wenngleich regional unterschiedlich ausgeprägt. In einem bayerischen Physikatsbericht beispielsweise, den der für den Landgerichtsbezirk Wertingen (Bayer. Schwaben) zuständige Gerichtsarzt Thomas Götz 1861 verfasst hat, wird z.B. ausgeführt: „An Aberglauben fehlt es nicht. Man glaubt ans wilde Gjäg – es fährt der Teufel die Hexen durch die Luft; man glaubt, dass es in der Gemeinde, wo sich Jemand erhängt hat, im nächsten Jahre hageln werde; man glaubt, böse Leute können Krankheiten machen, solche Krankheiten können durch Gebete, Seegen entfernt werden (...)“ (zit. nach Pötzl 1988: 168).43
42
43
E. von Künßberg (1936: 27) zufolge ist es z.B. „besonders charakteristisch (..), dass die Grenzen zwischen Mensch und Tier, die Grenzen zwischen Menschen und Überirdischen verwischt sind oder doch überschritten werden können. Sowohl Tiere wie Dämonen werden menschlich dargestellt und nehmen daher auch an einem gewissen Rechtsleben teil. Tiere leben in staatlicher Ordnung, wählen sich einen König, halten einen Reichstag ab, der über den Landfrieden beschließt. Tiere und Dämonen schließen nicht nur unter sich Verträge, sondern auch mit Menschen, ja, sie gehen sogar Ehen mit Menschen ein.“ Vgl. über Tierverwandlungen in Märchen L. Röhrich (1953: 174ff.). Der für Schwabmünchen zuständige Landgerichtsarzt Jakob Lodter schließt seinen Physikatsbericht lapidar: „Zwei Hauptgewalten herrschen: Der Wille Gottes oder die Macht des Teufels“ (zit. nach Pötzl 1988. 80). Nicht zuletzt die Nutztiere gilt es vor Verhexung zu schützen, wie z.B. dem Bericht des Gögginger Gerichtsarztes Karl Immel zu entnehmen ist (Pötzl 1988: 72; ferner 97, 145). Auch Evans (1987: 8f.) stellt fest, dass sich Vorstellungen über die Besessenheit von kranken Haustieren vereinzelt noch bis in die jüngere Vergangenheit nachweisen lassen.
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Kapitel 5
Wenn es zutrifft, dass der Blick des gebildeten Gerichtsarztes nicht ganz unbefangen war,44 dann wird man die hier suggerierte Rückständigkeit der bäuerlichen Bevölkerung, ihre abergläubische Anfälligkeit sicher etwas einschränken müssen. Für diese Relativierung spricht auch ein pragmatischer Grundzug bäuerlicher Religiosität, die z.B. magisch-apotropäische Praktiken oft ganz nüchtern in den „Kreis alltäglichen Zweckhandelns“, etwa eines „Dämonenzwangs“ (Weber 1980: 245f., 257ff.), integriert. Hier sind letztlich wohl relativ „erfolgsorientierte“, wenngleich weithin magisch geprägte Handlungsorientierungen charakteristisch,45 obwohl vermutlich auch eine weithin selbstverständliche Anhänglichkeit an tradierte, eingelebte Gepflogenheiten eine Rolle gespielt haben mag. Dass in vergleichbaren Fällen eines magischen bäuerlichen Pragmatismus auch Haustieren mitunter unsägliche Qualen und Leiden zugemutet wurden, zeigen Praktiken wie die „Bauopfer“ oder das Lebendigbegraben von Tieren (z.B. bei Viehseuchen).46 Nicht zuletzt der Rückgang solcher Praktiken ist ein wichtiger Beleg, dass tiermoralische Orientierungsmuster im Verlauf des soziokulturellen Modernisierungsprozesses im Großen und Ganzen zunehmend zur Profanisierung oder Mundanisierung tendierten. Für die moderne Tierschutzsemantik ist ein immanent „diesseitiger“, und in diesem Sinne „eindeutiger“ Subjektbegriff kennzeichnend. Das Tiersubjekt hat einen mundanen ontologischen Status: Ein Pferd oder ein Hund ist ein Tier dieser Welt, die Frage, ob das Tier „in Wirklichkeit“ ein göttliches oder dämonisches Wesen einer religiösen Hinterwelt verkörpert oder nicht, spielt hier keine Rolle. Auch im Hinblick auf andere Aspekte der Tierschutzsemantik (wie Legitimationsgründe, Zwecksetzungen) ist festzustellen, dass die Bedeutung religiöser bzw. hinterweltlicher Deutungskontexte langfristig wohl nachgelassen hat, – obgleich diesbezügliche Rudimente auch heute keineswegs fehlen.47 Freilich: die Profanisierungsthese sollte nicht überstrapaziert werden. Auch hier gibt es Beispiele für die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, d.h. zeitgenössische Beispiele für explizit hinterweltlich geprägte Hexereivorstellungen, die mit Tierquälereien einher gehen. So kommt eine Untersuchung, die Eberhard Wagner in den sechziger Jahren in Franken durchgeführt hat, also noch vor dem Aufkommen der sogenannten „neuen Jugendreligi44 45
46 47
Vgl. zu arroganten Tendenzen bei Verfassern der Physikatsberichte W. Pötzl (1988: 180). Z.B. gibt man am Palmsonntag den Rindern geweihte Palmkätzchen zu fressen, um es vor möglichen Schäden zu schützen (Pötzl 1988: 134). Manchmal wurden auch beträchtliche Summen ausgegeben, um die Tiere vor „Schadenszauber“ zu bewahren (vgl. zu einem Fall von 1739 Beck 1993: 162f.). In derartigen Fällen mag ein ähnlich „magischer“ Pragmatismus vorliegen, wie ihn Beteiligte des Beutelsbacher „Farrenopfers“ erkennen lassen (vgl. Sabean 1990: 203ff.). Vgl. zum Beutelsbacher „Farrenopfer“ von 1796 auch J. Grimm (1968: 348). Z.B. bezieht sich der § 1 des deutschen Tierschutzgesetzes auf das „Mitgeschöpf“ Tier.
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onen und -kulte“, zu dem Ergebnis, dass der Hexenglaube im ländlichen Raum „auch heute noch sehr plötzlich aktuell werden“ kann.48
5.3 Zeitliche Generalisierung: Zur Internalisierung tiermoralischer Muster im Zivilisationsprozess Im „Prozess der Zivilisation“ kommt Norbert Elias einmal auf einen tierquälerischen Brauch aus dem Paris des 16. Jahrhunderts zu sprechen, der dort bisweilen am Vorabend des Johannistages ausgeübt wurde. Es handelt sich dabei um die Verbrennung mehrerer Katzen, um die „Inkarnation“ einer „durchs Auge befriedigten Grausamkeit“. Elias kommentiert: „Im Grunde war das gewiss kein schlimmeres Schauspiel als die Ketzerverbrennungen, als Foltern und öffentliche Hinrichtungen der verschiedensten Art. Es erscheint (...) nur deswegen als schlimmer, weil sich hier die Lust, Lebendiges zu quälen, so nackt, unverhüllt, zweckfrei, nämlich ohne eine Entschuldigung vor dem Verstand zeigt. Der Widerwille gegen solche Vergnügungen, der sich in uns beim bloßen Bericht von dieser Institution regt, (...) demonstriert dabei von neuem die geschichtliche Verwandlung des Affekthaushalts. (...) Vieles von dem, was ehemals Lust erregte, erregt heute Unlust. (...) So würde heute jemand als ‚anormal gelten, der seine Lust in der Weise des 16. Jahrhunderts etwa durch die Verbrennung von Katzen Befriedigung schaffen wollte, eben weil die normale Konditionierung des Menschen in unserer Zivilisation die Lust an einer solchen Aktion durch Angst, die als Selbstzwang angezüchtet wird, von der Äußerung zurückhält“ (Elias 1976a: 282).
Vergleichbar grausame Tiertötungen sind im frühneuzeitlichen Europa nicht nur zum Johannisfest,49 sondern auch zu anderen Terminen des Jahreskreisbrauch-
48
E. Wagner (1970: 346) berichtet von einem Bauernknecht „im mittleren Alter“, der eines morgens den Stall betrat und entdeckte, dass einem Pferd „Schwanz und Mähne geflochten waren.“ In der nächsten Nacht legte er sich auf die Lauer, bis ein Pferd begann, „zu schlagen, zu schwitzen und sich aufzubäumen.“ Der Knecht fährt fort: „Ich sprang aus meinem Versteck und schlug mit meiner Geißel auf den Gaul ein, so arg ich konnte. Gesehen habe ich niemand. Am nächsten Tage lag eine Bäuerin mit blutunterlaufenem Körper und verbundenem Kopf im Bett. Von nun an hatten die Pferde ihre Ruhe.“ In einem anderen Fall wird eine schwarze Katze, die im Pferdestall angetroffen wird, mit einer Peitsche „verdroschen“, denn „die Trude soll in der Katze gewesen sein“. Dass in derartigen Fällen (bewusste) tierquälerische Intentionen vermutlich kaum eine Rolle spielen, verdeutlicht ein ähnliches Beispiel aus der Ansbacher Gegend: „Eine Kuh ließ sich nicht mehr melken. Der Nachbar riet: Schlagt sie mit einem Stock immer auf den Kopf, die Kuh spürt es nicht, es trifft die Hexe“ (Wagner 1970: 346; Herv. R.W.).
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tums keine Seltenheit. Obwohl einerseits anzumerken ist, dass Elias der eigentümlichen symbolischen Logik dieses tierquälerischen Brauches kaum gerecht wird,50 so ist doch auch festzustellen, dass unsere Gefühls- und Affektstandards heute in vergleichbaren Situationen meist derart „sensibilisiert“ sind, dass so extreme Formen öffentlicher Tierquälerei bei den meisten Passanten spontane Reaktionen provozieren würden, die mit „Lustgefühlen“ oder Vergnügen nichts gemein haben. Nimmt man tierquälerisches Brauchtum zum Indikator, dann ist kaum von der Hand zu weisen, dass der „normale“ moderne Affekthaushalt über habitualisierte Selbstkontrollen verfügt, die im Allgemeinen tatsächlich „allseitiger, gleichmäßiger und stabiler“ (Elias 1976a: 313) wirken als zu Beginn der Frühneuzeit. Vormals verbreitete Spektakel wie „Ganswurf“, „Bullenhatz“ oder „Hahnenschlagen“ sind heute nicht nur gesetzlich untersagt,51 sie werden in weiten Teilen der Bevölkerung auch affektiv abgelehnt.52 Zudem ist das diesbezügliche Brauchtum mittlerweile in aller Regel derart modifiziert, dass die Leiden der Tiere in der Regel vermieden oder wesentlich verkürzt werden (z.B. durch Attrappenverwendung oder vorheriges Töten der Tiere). So teilt z.B. Erik De Vroede für Belgien mit, dass es seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bei Quälspielen wie dem „Ziehen“ oder „Werfen“ von Gänsen, Enten oder Hähnen üblich wurde, die Tiere vor Spielbeginn zu töten: „In nicht so ferner Vergangenheit war das Leiden der Tiere für die Spieler kein Grund zur Besorgnis, im Gegenteil, es war vielmehr ein wesentliches Spielelement“ (de Vroede 1991: 63).53 49 50
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53
Vgl. zu Frankreich allgemein A. van Gennep (1949: 1833ff.), zur Katzenverbrennung im Johannisfeuer bes. die zusammenfassende Darstellung bei A. v. Gennep (1949: 1855ff.). Vgl. dazu die Anmerkungen bei R. Wiedenmann (1996: 39f.) sowie K. Testers (1992: 68) Kritik, der anführt, dass die Katzenverbrennungen „might have had a far deeper social meaning than just the relatively free play of aggression.“ In der Bundesrepublik sind z.B. Tierkämpfe vom Tierschutzgesetz (§ 3, Nr. 6 u. 8, in der Fassung vom 18.10.1986) untersagt. Nach § 17, Nr. 1 Tierschutzgesetz ist grundsätzlich die Tötung eines Wirbeltieres „ohne vernünftigen Grund“ strafbar, ebenso, wenn einem Wirbeltier „a) aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder b) länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen und Leiden“ zugefügt werden (§ 17, Nr. 2.). Strafbar ist eine Tiertötung demnach z.B., wenn psychische Spannungen oder Affekte abreagiert werden, ebenso, wenn aus Langeweile, Lust, Laune, Un- und Übermut, Verärgerung, Rache, usw. getötet wird. „Rohheit“ liegt vor, wenn die Schmerz- oder Leidenszufügung einer gefühllosen, missachtenden Gesinnung entspringt (vgl. Morié 1984: 70, 80). Wenn derartiges dennoch stattfindet, sind meist erhebliches Aufsehen und Proteste die Folge, so etwa 1970 anlässlich des „Hahnenköpfens“ in Speck bei Düsseldorf (vgl. Teutsch 1987: 207). Illegale Veranstaltungen dieser Art weichen heute meist auf nichtöffentliche Räume aus (wie bei „Tieropfern“ okkulter, z.B. satanistischer, Sekten oder bei Hundekämpfen). Bemerkenswert ist freilich, dass öffentliche Tierquälereien in unseren Breiten am ehesten dann als weniger peinlich oder relativ „normal“ empfunden werden, wenn kaltblütige Wirbeltiere betroffen sind. So werden auch heute entsprechende Praktiken im Zusammenhang mit Fischerfesten oder Wettfischveranstaltungen vergleichsweise wenig geächtet. Ein Grund für den in der Tat „merkwürdigen“ Sachverhalt (Teutsch 1987: 128), dass Freizeitangler im Gegensatz zu
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Trotz wichtiger Einschränkungen und Modifikationen, die wir später gegen Elias’ Zivilisationsthese vorzubringen haben, lässt sich die von ihm beschriebene Zivilisierungstendenz im Hinblick auf unser Thema als zeitliche Generalisierung tierbezogener Achtungskommunikation verstehen. Die Verallgemeinerung bezieht sich hier auf das Ausmaß, mit der tiermoralische Orientierungsmuster durch Internalisierung und Habitualisierung54 Dauer und Kontinuität gewinnen können und damit auch sozial synchronisierbar werden. Zu fragen ist hier, inwieweit „zivilisiertere“ Verhaltensmuster so stabil habitualisiert sind, dass sie nicht nur unter außenkontrollierten Bedingungen, also bloß gelegentlich greifen – oder ob sie regelmäßig und zuverlässig wirken. Die ist dann zu erwarten, wenn internalisierte, auch unbewusst wirkende Zwänge eine relativ permanente Geltung sicherstellen. Etwas pauschal lässt sich feststellen: Die Selbstzwänge des eigenen Gewissens sorgen hier dafür, dass man Tieren gegenüber auch dann moralisch handelt, „wenn keiner zuschaut“. Die gesellschaftliche Generalisierung von internalisierten tiermoralischen Mustern korrespondiert mit einer normativen Synchronisierbarkeit tiermoralischer Verhaltensweisen: Wo derartige Muster als fraglose Selbstverständlichkeiten habitualisiert sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer sozialen Erwartbarkeit und Anschlussfähigkeit, d.h. es ist tendenziell seltener der Fall, dass Alter auf theriophile Handlungsangebote Egos nicht komplementär „richtig“ eingeht. Das Gesagte lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass der Interpenetrationsmodus der Internalisierung, der auf die Durchdringung kultureller und persönlichkeitsstrukturierender Muster abstellt, letztlich erst dann zeitlich generalisiert ist, wenn er flankierend vom Interpenetrationsmodus der Institutionalisierung entsprechender (Tierschutz-)Normen gestützt wird. Dies schließt freilich nicht aus, dass auch hier Internalisierungs- und Institutionalisierungsprozesse divergierende Verlaufsrichtungen einschlagen können. Elias’ Zivilisationstheorie fokussiert nun vor allem die Internalisierungsdimension der zeitlichen Generalisierung, kaum die rechtshistorischen oder „strafpraktischen“ Facetten des komplementären Institutionalisierungsprozesses, die z.B. Foucault (1977) beleuchtet hat. So thematisiert Elias die zeitlichen Im-
54
Sportschützen und Tontaubenschützen bei diesen schmerzempfindlichen Lebewesen nicht auf leblose Surrogate ausgewichen sind, mag nicht zuletzt mit der relativ geringen Du-Evidenz der kaltblütigen, „stummen“, ihrer äußeren Gestalt nach so „anderen“ Fische zusammenhängen. Nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes (1991: 186) fanden noch Ende der achtziger Jahre allein in der Bundesrepublik jährlich ca. 10000 (!) Wettfischveranstaltungen statt. Habitualisierung meint hier in einem umfassenden Sinne die Aneignung oder Genese einer strukturierenden „Ordnung“ personaler Verhaltenspotentiale. Sie bezieht sich also in etwa auf die (besonders in körpersymbolischer Hinsicht) weithin inkorporierten und vergleichsweise dauerhaften „Dispositionen“, die den „Habitus“ als ein generatives Prinzip charakterisieren (vgl. Bourdieu 1982: bes. 174f., 354).
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plikationen des Zivilisationsprozesses auch insofern, als er die „Ausbreitung des Zwangs zur Langsicht“ mit einem beschleunigten „Tempo“ des gesellschaftlichen Lebens in Zusammenhang bringt. In den Knotenpunkten weitreichender sozialer Interdependenzketten etabliert sich demnach ein soziales Zeitbewusstsein, das den komplexer werdenden Synchronisationserfordernissen und den Zwängen zur „ganz genauen Einteilung der Lebenszeit“ genügen muss. Die Rationalisierung sozialer Zeitstrukturen basiert hier auf erfolgreichen Internalisierungsprozessen. Zivilisierung tendiert „zu einer Ausschaltung aller Schwankungen im Verhalten und zu einem beständigen Selbstzwang“ (Elias 1976b: 338; Herv. R.W.). Bei Elias fungiert der soziale „Knotenpunkt“ der höfischen Gesellschaft als gesellschaftliches Movens und Funktionszentrum des Zivilisationsprozesses. Diesem Rationalisierungsmodell zufolge avanciert der Hof55 – eine Arena der Machtbalancen zwischen Fürst, Adel und Bürgertum – vor allem in der Frühneuzeit zu einem „Monopolinstitut“ der politischen Macht. Der Hof forciert und stabilisiert die innere Pazifizierung ebenso wie die Internalisierung vergleichsweise rigider und differenzierter Muster der Selbst- und Affektkontrolle (z.B. hinsichtlich der Gewaltbereitschaft und „Angriffslust“, der Sexualität, der stoffwechselbezogenen Verhaltenskontrollen, der Tischsitten usw.). Die figurationssoziologische Kernthese ist hier, dass dem Zivilisationsprozess letztlich eine Veränderung der sozialen Verflechtungen, sprich: eine durch soziale Differenzierung bewirkte Verlängerung der Interdependenzketten zugrunde liegt (vgl. Elias 1976b: 317).56 Die Verlängerung der sozialen Interdependenzketten und die „Herausbildung starker Gewaltmonopole“ (Elias 1976b: 394) begünstigen die Etablierung einer modernen Selbstzwangsapparatur, die in wesentlichen Punkten auf Sigmund Freuds Konzepte des psychischen Apparats und des „Über-Ichs“ rekurriert (vgl. Elias 1976b: 389ff.; zudem Bogner 1989: 17ff.).57 Die zeitliche Generalisierung auch tiermoralischer Achtungskommunikation kann damit auch als emotionsgesteuerte Kontrolle durch Scham- oder Peinlichkeitsempfindungen verstanden werden: Wir reagieren dann entweder auf eigenes Fehlverhalten Tieren gegenüber mit Ängsten und „Unlustgefühlen“ (Scham), oder wir finden es „peinlich“, wenn andere solches tun oder zulassen 55
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So stellt Elias (1979b: 394) ja heraus, dass man die den Zivilisationsprozess flankierende Rationalisierung nicht „allein mit bürgerlichen Funktionen in Zusammenhang“ bringen dürfe; er selbst habe im „Prozess der Zivilisation“, „um des Kontrastes willen, bestimmte Rationalisierungsvorgänge im Lager des Adels geschildert“. Es ist laut Elias also der „umfassende(n) Prozess der zunehmenden Differenzierung und Verlängerung aller Aktionsketten, der (..) für den ganzen Gang der abendländischen Geschichte eine so entscheidende Rolle spielt“ (Elias 1976b: 395). Die triebtheoretischen Inkonsistenzen des Ansatzes von Elias können an dieser Stelle nicht diskutiert werden, vgl. dazu näher S. Breuer (1992: 25ff.).
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(Elias 1976b: 397ff.). Die „große Linie“ dieser hier nur knapp skizzierten Transformation bringt Elias auf folgende Formel: „Mit der Differenzierung des gesellschaftlichen Gewebes wird auch die soziogene, psychische Selbstkontrollapparatur differenzierter, allseitiger und stabiler“ (Elias 1979: 320f.). Im Hinblick auf unsere beiden historisch-soziologischen Fallstudien im sechsten Kapitel ist es sicherlich ein konzeptioneller Vorzug von Elias’ Forschungsansatz, dass er die zeitliche Generalisierung tiermoralischer Handlungsmuster eng den mit den spezifisch soziogenetischen Wurzeln dieses Prozesses verknüpft. Um zu prüfen, in welchen Sozialmilieus der Frühneuzeit welche tiermoralischen Zivilisierungstendenzen auftreten, können wir uns freilich nicht von vornherein darauf festlegen, dass Genese und Diffusion tiermoralischer Muster dem von Elias nahegelegten Richtungsverlauf „von oben nach unten“ entsprechen. In Frageform lässt sich unsere Suchrichtung so einkreisen: Gibt es aus dem Bereich des tierbezogenen Handelns Hinweise dafür, dass die von Elias angesprochene Verwandlung des Affekthaushalts eventuell nicht (nur) vom Monopolinstitut des Hofes initiiert oder voranbetrieben wurde? Gibt es aus dem Bereich des tierbezogenen Handelns Hinweise darauf, dass die „Lust, Lebendiges zu quälen“ etwa in bürgerlichen Milieus vielleicht keineswegs stärker verbreitet war als an den Höfen dieser Zeit? Welche Rolle spielt bei der Internalisierung und Habitualisierung tiermoralischer Muster z.B. ein temporalisierter Gewissensbegriff, der auf einer „Selbstverdoppelung des Ich“ beruht und das Selbst auf einen „horizontalen“ Zukunftsbezug verpflichtet?58 Obwohl wir auf die inhaltlichen Aspekte diese Fragen erst im sechsten Kapitel näher eingehen werden, so ist freilich schon an dieser Stelle festzuhalten, dass die von Elias an kontinuierlichen Selbstzwängen festgemachte zeitliche Generalisierung von Verhaltensmustern weder von der sozialen noch von der sachlichen Generalisierungsdimension zu trennen ist. In diesem Licht, so ist kritisch anzumerken, stellen Verkürzungen oder Verlängerungen von Interdependenzketten sozialer Figurationen eben nur ein Bestimmungsmoment von Habitusformierungsprozessen dar. Die kulturellen Rahmen, die sachlich definieren, was jeweils als Gegenstand psycho- und soziogenetischer Kontrollmechanismen seligiert wird, sind (trotz der unbestrittenen Prägewirkung sozialer Beziehungsvariablen) kein bloßen Epiphänomene sozialer Figurationen und Prozesse.
58
Vgl. zu dieser Gewissensauffassung, die vor allem seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mehr und mehr an Einfluss gewinnt H. Kittsteiner (1995: bes. 274ff.). „Das Gewissen als handlungsleitende Instanz wird auf die Zukunft verpflichtet. Auf Gott war es vertikal ausgerichtet, mit der Verlagerung auf die Geschichte fällt es in die Horizontale des Fortschritts“ (Kittsteiner 1995: 405).
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5.4 Soziale Generalisierung mittlerer Reichweite: Sozialstrukturelle Kontexte tiermoralischer Muster So zutreffend die Einsicht sein mag, dass Natur- und Tierbilder gesellschaftlich oder soziokulturell geprägt sind („nature mirrors society“), dass menschliche Tiertypisierung gar nicht umhin kann (auch) Tiere zu „anthropomorphisieren“. Diese Behauptung abstrakt doch oder leerformelhaft, wenn nicht gezeigt werden kann, welche Tierauffassungsweisen und welche tiermoralischen Muster jeweils mit welchen soziokulturellen Bedingungskonstellationen „wahlverwandtschaftliche“ Affinitäten bilden. Kurz: Es wäre zu zeigen, welche „soziomorphen“ Bedingungen dabei maßgeblich sind. Zwar kann man humanimalische Sozialverhältnisse schon wegen der eingeschränkten Reziprozität der Erwartungen im strengen Sinne wohl nicht als „Rollenbeziehung“ beschreiben. Andererseits ist kaum zu bezweifeln, dass Akteure dazu neigen, die Typisierungen und Interaktionsmuster, die sie im Rahmen zwischenmenschlicher Interaktions- und Rollenbeziehungen gelernt bzw. „erprobt“ haben (z.B. Muster der Eltern-Kind-Interaktion) in gewissem Ausmaß auch auf ihre primärsozialen Kontakte mit (bestimmten) Tieren „anzuwenden“.59 Gerade in ihren sekundärsozialen Bezügen werden also Mensch-Tier-Interaktionen von sozialen Konstitutionsbedingungen getragen, die in sozial generalisierten Mustern und Sozialtypifikationen der (näheren oder weiteren, direkten oder indirekten) binnenmenschlichen Sozialzusammenhänge verwurzelt sind. Die Formen- und Strukturvariabilität dieser normativen und rollentheoretisch beschreibbaren Grundlagen einer sozialen Verallgemeinerung tiermoralischer Muster soll nun näher untersucht werden. Um die Aufgabenstellung etwas zu präzisieren: Wir gehen von der Überlegung aus, dass vor allem für vertikal und funktional differenzierte Gesellschaften ein gewisser Pluralismus derartiger „Wahlverwandtschaften“ kennzeichnend ist und dass es somit eine irreführende Engführung wäre, von „der“ universellen, alles überwölbenden oder gar homogenen Tierauffassung dieser oder jener (Gesamt-)Gesellschaft auszuge59
So bemerkt etwa G. H. Mead (1974: 290): „We are in social relationships with domestic animals, and our responses assume the identification of the animal with ourselves as much as ourselves with the animal, an assumption which has no ultimate justification. Our own fundamental attitude is a social relationship based on the self; so we treat the acts of domestic animals as if they had selves. We take their attitude, and our conduct in dealing with them implies that they take our attitude; we act as if the dog knew what we wanted. I need not add that our conduct which implies selves in domestic animals has no rational justification.“ Man wird allerdings einräumen müssen, dass Meads Ansatz einer vorwiegend sprachlich vermittelten Intersubjektivität ihn dazu verleitete, vorsprachliche Formen des Perspektivenwechsels, wie sie bei höheren Tieren vorkommen können, zu übersehen, vgl. hierzu die Kritik von J. und St. Alger (1997) an G. H. Meads noch allzu kognitionszentrierter Interaktionskonzeption.
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hen. Demgegenüber soll hier ein Vorgehen präferiert werden, das auf soziale Strukturkontexte „mittlerer Reichweite“ abgestimmt ist und dabei von der Voraussetzung ausgeht, dass humanimalische Beziehungsmuster sich jeweils an soziale bzw. soziokulturelle Strukturen60 anlehnen und diese in einem gewissen Sinne auch „reproduzieren“. Sozialstrukturen dieser „Mesoebene“ lassen sich an Organisationen und Gruppen veranschaulichen, die ihre soziale Grenzziehung über mehr oder weniger formalisierte Mitgliedschaftskriterien vornehmen (vgl. auch Luhmann 1984: 268f.). Die damit einhergehende Inklusion berechtigt dann zur Teilnahme an bestimmten Sozialprozessen des Binnenbereichs. Beispiele sind hier die Hierarchie einer Hofgesellschaft (Müller 1995: 35f.), der Lebenskreis des „ganzen Hauses“ (Roeck 1991: 14), eine mittelalterliche Stadt oder Ordensgemeinschaft (Borst 1983: 184ff., 153ff.), eine Gutsherrschaft oder Dorfgemeinde (Trossbach 1993: 6ff., 20ff.), oder auch die Korporation einer Universität (Stichweh 1991: 297ff.). Da vergleichbare Abgrenzungskriterien auch bei relativ „geschlossenen“ Sozialmilieus (z.B. bei religiösen Sekten, bei Außenseiter- oder Randgruppen) auftreten können (vgl. als Überblick Roeck 1993), ist jeweils zu prüfen, inwiefern das Sozialstrukturkonzept „mittlerer Reichweite“ auch hier Anwendung finden kann. In methodologischer Hinsicht ist herauszustellen, dass unser Versuch einer typologischen Beschreibung von sozialen Strukturvarianten die Umrisse eines komparativ anwendbaren Messinstrumentes skizzieren will. Dies impliziert, dass es sich dabei erstrangig um ein „sozialmorphologisch“ heuristisches Schema handelt, bei dem u.a. zu berücksichtigen ist, dass die beiden zentralen Sozialdimensionen (Gruppendruck und Rollenmuster) weitgehend unabhängig voneinander variieren können. Zudem will das idealtypologische Schema in vielen Aspekten nur eine hypothetische Sinnadäquanz der Zusammenhänge herstellen 60
Die Rede von „Sozialstrukturen“ wird hier analytisch und in einem sehr weiten Sinne verwendet (z.B. im Sinne einer sozialen Strukturierung, wie sie in Interaktionssequenzen zwischen Fremden vorkommt). Die drei Dimensionen der Sinnbezüge verhaltensrelevanter Orientierungsmuster (die sachlich-semantische, zeitliche und soziale Dimension) werden im konkreten Interaktionsverhalten immer simultan aktiviert. Dabei kann es sich auch um soziale Verhaltenssysteme handeln, deren soziale Steuerungsmechanismen (Normen, Rollendefinitionen, Interaktionsmuster usw.) so „schwach“ bzw. unklar konturiert sind, dass die intersubjektive Verhaltenssteuerung in relativ hohem Maße auf die Aktivierung oder „Findung“ von kulturell verfügbaren Wertbezügen (bzw. personaler Performanzfähigkeiten) angewiesen ist. Um anzudeuten, dass die Verhaltensprozesse eines Sozialsystems dann über einen derart „kompensatorischen“ Interpenetrationsbezug zum Kultursystem mitgesteuert werden, erscheint es sinnvoll, dass wir von soziokulturell geprägten Strukturen oder Verhaltensprozessen sprechen. Dieser Punkt ist schon deswegen wichtig, weil in den Frühphasen von Institutionalisierungsprozessen (z.B. von tiermoralischen Verhaltensstandards und Tierschutznormen) oftmals diese Konstellation vorherrscht.
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Kapitel 5
und keineswegs eine strenge Kausaladäquanz empirisch gesicherter Zusammenhänge suggerieren.61 Von daher kann besonders die Zuordnung von spezifischen tierbezogenen Orientierungsmustern zu einzelnen Sozialstrukturtypen und Kommunikationsmedien heute wenig mehr sein als eine „phänomenologische Formel“ im Sinne Georg Simmels: Sie sucht sinnvoll zusammengehörige, intentional plausible Regelmäßigkeiten idealtypisch auf den Begriff zu bringen.62 Ebenso wie bei der unten darzustellenden Grid-Group-Typologie von Mary Douglas, den „Strukturformen“ Hans Gesers (1983) oder den Sozialitätsformen von Alan Fiske (1992) handelt es sich um soziale Muster, deren „ganz tiefgelegener allgemeiner Zusammenhang sich in jedem einzelnen Fall als der Erfolg sehr mannigfaltiger (...) Ursachen darstellt“ (Simmel 1958: 532). Zudem können die Effekte sozialer Strukturvariablen auch von funktional äquivalenten Bedingungszusammenhängen hervorgerufen werden. Damit werden z.B. gruppeninterne Polarisierungen und Fraktionsbildungen nicht als notwendige Folge eines gesteigerten Kollektivzwangs verstanden, sondern als eine letztlich kontingente Alternative (Luhmann 1984: 47, 83f.) zu anderen Problemlösungen (wie z.B. einer stratifikatorischen Differenzierung oder einer Hierarchisierung). Umgekehrt können Fraktions- und Cliquenbildung natürlich auch durch andere Faktoren (mit)bedingt sein, z.B. durch ein quantitatives Wachstum der Sozialeinheit (etwa bei erhöhtem Bevölkerungsdruck) oder durch Unsicherheiten, die sich aus Umweltanpassungsproblemen ergeben können (z.B. bei Ressourcenverknappung, Naturkatastrophen usw.).
5.4.1 Grenzen des Grid-Group-Schemas Untersucht man tierbezogene Orientierungsmuster zunächst in dieser soziologischen „Mesoperspektive“ auf die sozialstrukturellen Kontexte hin, in die sie eingebettet sind und die sie in mancher Hinsicht widerspiegeln, dann bietet sich zunächst das Ordnungsschema Emile Durkheims an. Durkheim unterscheidet 61
62
Vgl. dazu M. Weber (1980: bes. 4f.). – Andererseits beziehen sich die Voraussetzungen unserer typologischen Überlegungen auf Arbeiten, die in vielen Bezügen auf empirisch nicht unzuverlässigen Forschungen aufbauen. Vgl. dazu z.B. A. Fiske (1991; 1992), M. Douglas (1982a; 1982b), last not least H. Geser (1983) und mehrere der dort vorgestellten Studien. Die Konstruktion solcher typischer Zusammenhänge wird also niemals die „ganze Fülle und Komplikation der historischen Wirklichkeit erschöpfen können“, wie G. Simmel (1958: 418) hervorhebt. Selbst im Alltag bilden wir „unsere Begriffe von den Dingen (...) so, dass die Erfahrung sie in dieser Reinheit und Absolutheit überhaupt nicht zeigen, sondern dass erst Abschwächung und Einschränkung durch entgegengesetzt gerichtete ihnen eine empirische Form geben kann“ (Simmel 1989: 197). Vgl. zur weitgehenden Antizipation einer „idealtypischen“ Begriffsbildung bei Simmel im Einzelnen F. Tenbruck (1958: bes. 608f.).
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zwei Beziehungsdimensionen, über die soziale Strukturen formal erfasst werden können. Auf der einen Seite geht es um die Frage, wie stark ein Handeln, ein Interaktionsprozess von jener „Kollektivkraft“ geprägt und bestimmt wird, von der Durkheim etwa in seiner Selbstmordstudie (Durkheim 1983: bes. 356ff.) schreibt, sie sei (im Unterschied zur subjektiven und materiellen Wirklichkeit) eine soziale „Realität sui generis“, eine Kollektivmacht, die dem Individuum aber als eine äußerliche und über ihm stehende Realität gegenübertrete. Sozialmorphologisch kann sich eine derartige Macht z.B. im jeweiligen „Zentralisierungsgrad“ einer Systemsteuerung ausdrücken, so in dem Grad, in dem die „Autonomie des Einzelnen oder dessen Subordination unter übergeordnete Steuerungsprinzipien als wünschbar“ (Geser 1983: 14) angesehen wird. Die zweite „klassische“ Sozialdimension, die Durkheim (1977) eingehend in seinem Buch über soziale Arbeitsteilung untersucht, betrifft die Frage der funktionalen Sozialdifferenzierung, das Problem, in welchem Ausmaß die jeweiligen, analytisch abzugrenzenden Grundelemente oder Akteure eines Sozialzusammenhangs (z.B. Rolleninhaber, Individuen, Gruppen, soziale Subsysteme usw.) (un-)ähnlich und zudem untereinander relational (un-)verbunden sind. Zunehmende Heterogenisierung und Individualisierung der Elemente korrespondiert hier mit einer zunehmenden Zahl verknüpfbarer Relationen, mit einer Konfiguration, die Georg Simmel abstrakter als eine zunehmende „Kreuzung der sozialen Kreise“ beschreibt.63 In Anknüpfung an die Arbeiten besonders von Basil Bernstein hat Mary Douglas dieses Durkheimsche Grundschema nun dahingehend modifiziert, dass sie die sozialen Beziehungsparameter (Gruppenbindung und arbeitsteilige Differenzierung) in zwei rollentheoretisch konzeptualisierbare Strukturdimensionen – „grid“ und „group“ – transformiert hat. Hierbei meint die Grid-Dimension die Beschaffenheit des Rollenklassifikationsgitters, also das Ausmaß, in dem ein Akteur situativ mit differenzierten und klar definierten Rollenmustern konfrontiert ist (Douglas 1982a: 57f.). Grob gesprochen handelt es sich hier um „the degree to which an individual’s life is circumscribed by externally imposed prescriptions“ (Thompson/Ellis/Wildavsky 1990: 5). Die Group-Dimension oder der Gruppendruck drückt hingegen das Ausmaß sozialer Kohäsion aus: Group beschreibt den Umfang des sozialen Zwangs bzw. Drucks, mit dem einem Gruppen- oder Organisationsmitglied bestimmte Verhaltenserwartungen zugemutet werden. Das Spektrum der verhaltenssteuernden Einflüsse der Gruppendruck-
63
G. Simmel (1958: 305ff., 531f.). Im Sinne der sozialmorphologischen Strukturtypologie von H. Geser (1983: 12) kann man hier von einem hohen Grad an sozialstruktureller Komplementarität sprechen, von einem Zusammenhang „systematisch ungleichartige(r), aber auf Grund symbiotischer Interdependenz wechselseitig aufeinander angewiesene(r) Subsysteme.“
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dimension umfasst, kurz gesagt, „the possible range from the lowest possible of associations to tightly knit, closed group“ (Douglas 1982a: 57). Durch die Kombination der beiden Strukturdimensionen ergibt sich ein Vierfelderschema sozialstruktureller Grundtypen, dessen komparative Tauglichkeit Mary Douglas an zahlreichen kulturwissenschaftlichen Gegenständen vorgestellt hat (vgl. bes. Douglas 1982a; 1982b; 1996). Für den Ansatz von Douglas ist nun von eminenter Bedeutung, dass unterschiedliche Sozialstrukturtypen mit komplementären kulturellen Mustern (insbes. mit kommunikativen Stilen, Weltanschauungstypen, Körpersymbolismen, Lebensstilen) verknüpft sind. Als knappe Übersicht lassen sich diese „Types of Cosmology“ und die damit korrespondierenden Naturkonstruktionsaxiome wie folgt zusammenfassen:64 Abbildung 7:
Typologie der Kosmologien (nach M. Douglas) Grid
Group
schwach
stark
schwach
stark
„Individualismus“: benign, unstructured cosmos; unmagical, weakly condensed symbols, personal religion; „nature robust“
„Isolationismus“: success-cosmology; syncretist, potential millenialism, private magic; „nature is unpredictable“.
„Egalitärer Enklavismus“: dual philosophy divided between warring forces of good end evil; irrational, dominated by witches using magical objects; „nature is fragile and pollution can be lethal“
„Hierarchismus“: complex regulative cosmos; combination of dangerous and benign elements; „nature is robust within limits“
Insgesamt sehr „schwach“ strukturierte Sozialeinheiten (linkes oberes Feld) neigen eher zu einem unklaren, „diffusen“ Symbolismus, der mit eine Hochbewertung des subjektiv unmittelbaren Erlebens und einer Abwertung „rationaler“ Bewusstseinskontrolle einhergeht. Die Natur gilt hier als belastbar und naturökologische Bedenken werden nicht sehr ernst genommen. Da hier spontaner Körperausdruck positiv bewertet wird, sind die körperbezogenen Kontrollen in der 64
Das Schema ist M. Douglas (1982a: 105) entnommen und durch Douglas (1996: 87ff.; 43f.) ergänzt (Präsentationsweise leicht gekürzt und verändert). Die verschiedenen Veränderungen, die Douglas im Lauf der Jahre am Grid-Group-Schema vorgenommen hat, können hier nicht diskutiert werden (siehe dazu Fardon 1999: 218ff.; Spickard 1989; Wiedenmann 1991: 122ff.)
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Regel eher lax oder unsystematisch (vgl. zusammenfassend Douglas 1982a: 73f.). Ethnozoologie und Tiermoral dieses Sozialstrukturtyps kennen kaum tierschützerische Rücksichten; im Bereich einfacher Gesellschaften können die afrikanischen Mbuti-Pygmäen diese Haltung veranschaulichen.65 Umgekehrt bei „stark“ strukturierten Sozialeinheiten (rechtes unteres Feld). Hier beherrscht ein sinnhaft „verdichteter“ und differenzierter Symbolismus das kommunikative Geschehen. Strikte Bewusstseins- und Körperkontrollen werden positiv bewertet, klar und stringent definierte Rollen bestimmen das Bild. Die Natur wird als ökonomische Ressource betrachtet, doch wird eine umsichtig geplante und (in Grenzen) schonende Erschließung angestrebt. Da die typische Ethnozoologie hier zu einem komplexen Klassifikationssystem tendiert, sind hier auch abgestufte tiermoralische Kategorien anzunehmen. Im Rahmen einfacher Stammesgesellschaften sind hier die im zweiten Kapitel (2.3) angesprochenen Lele oder auch die westafrikanischen Tallensi exemplarisch. Für die vorliegende Untersuchung ist bedeutsam, dass Mary Douglas die „Animal-welfare“-Orientierungen und verwandte Strömungen (wie z.B. den ethischen Vegetarismus) mit einem Hang zu einer idealisierten „gentleness“ in Zusammenhang bringt. Diese „gentleness“ trete z.B. auch in Gestalt der „sanften Medizin“ oder einer „holistischen“, psychosomatisch orientierten Körperauffassung in Erscheinung (Douglas 1996: 21ff.). Für diese Strömungen sei eine dualistische Kosmologie typisch, in der eine reine, unverfälschte Spiritualität zulasten des Materiellen bzw. Körperlichen stark aufgewertet werde. Kennzeichnend für diesen egalitären Enklavismus seien überhaupt ausgeprägte symbolische Polarisierungen, so etwa im moralischen Bereich („gut“ versus „böse“) oder im Hinblick auf Grenzbereiche („innen“ versus „außen“). Gegen diese Auffassung 65
Das Verhalten Tieren gegenüber scheint hier häufig geradezu „anomische“ Züge anzunehmen, teilweise finden sich tierquälerische Praktiken, die von Grausamkeit zeugen oder überhaupt die Fähigkeit zu einem empathischen Perspektivenwechsel vermissen lassen. So schreibt C. Turnbull, dass z.B. auf eine schonende Tötung des erjagten Wildes keine Rücksicht genommen wurde. Im Gegenteil: Turnbull berichtet, dass der Todeskampf des verletzten Tieres die Umstehenden direkt amüsiert habe (Turnbull 1993: 94f.). Selbst wenn hier eine nachvollziehbare Freude über einen glücklichen Jagderfolg zum Ausdruck kommt, so ändert dies kaum etwas am Gesamtbild einer oftmals höchst unzureichenden Empathiefähigkeit Tieren gegenüber. Selbst die wertvollen, für Jagdzwecke gehaltenen Hunde werden recht „mitleidlos“ behandelt. M. Singer (1978: 273f.) vertritt die These, dass die schlechte Behandlung der Jagdhunde und des Wildes als Abfuhr von Aggressionen zu verstehen sei, die aus den (für die Pygmäen sonst ungewohnten) engen Face-to-face-Beziehungen während bestimmter Jagdzeiten entstünden. Eine zweifelhafte These, wenn zutrifft, dass auch außerhalb der Jagdsaison die aggressiven Affekte offenbar kaum gezügelt wurden. Diesen Eindruck hatte vermutlich auch P. Schebesta, der bei den Mbuti-Pygmäen einen allgemeinen Hang zur Gewalttätigkeit bemerkt haben will. So wird ein Begleiter Schebestas in diesem Zusammenhang mit folgenden Worten zitiert: „Well, I thank God that we are not pygmies. I thank Him still more that we are not pygmy women, and even still more again that we are not pygmy dogs“ (Schebesta 1936: 153).
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lassen sich verschiedene Einwände anführen; nur wenige können hier knapp skizziert werden. Zum einen ist es zwar zutreffend, dass es insbesondere innerhalb der neuen Tierrechtsbewegungen ebenso sektenhafte wie militante Gruppen gibt, auf die Ideologie und Sozialstruktur des Typs der egalitären Enklavismus zutreffen.66 Andererseits gibt es zahlreiche ethnographische und kulturhistorische Hinweise darauf, dass tierschützerische Orientierungen auch von anderen Sozialstrukturtypen begünstigt werden, so dass die einseitige Zuordnung der „Animal welfare“-Orientierungen zum egalitären Enklavismus zumindest eine fragwürdige Engführung darstellt. Für diesen Befund spricht auch, dass Douglas’ Schema mit Blick auf das Tierschutzproblem keineswegs konsistent ist. So ist z.B. zu fragen, ob die (für die „personal religion“ typische) „subjektivistische“ Innerlichkeitsund Empathieorientierung des „Individualismus“-Feldes nicht ähnlich günstige Voraussetzungen für tierschützerische Orientierungen bieten kann. Nicht zuletzt zeigen ja Douglas’ eigene frühe Feldforschungen bei den „hierarchistisch“ organisierten Lele, dass dort bestimmten Tieren gegenüber (wie besonders gegenüber dem Pangolin) Verhaltensmuster gelten, die in manifester oder latenter Weise theriophile Funktionen erfüllen. Nun gibt es einerseits eine Reihe von prinzipiellen Erwägungen, die eine Umarbeitung und partielle Präzisierung dieses strukturtheoretischen Schemas nahelegen.67 Auf der anderen Seite erscheint es im Hinblick auf das vorliegende Thema lohnend den strukturtypologischen Ansatz von Douglas im Lichte konkurrierenden rollentheoretischer und strukturmorphologischer Entwürfe68 partiell „umzubauen“. Ein erstes sozialtheoretisches Manko der Strukturtypik von Douglas betrifft die letztlich geschlossene Systemkonzeption. Die vier Grundtypen der Sozialorganisation werden im Grunde als sozialstrukturelle Einheiten behandelt, deren Funktionsweise hinreichend „aus sich heraus“, unter Ausblendung der soziokulturellen Interpenetration (d.h. der wechselseitigen Durchdringung sozialstruktureller und kultureller Einflussfaktoren) konzipiert wird. Hier ist nun zu fragen, ob die schon früher angemerkte „soziologistische Tendenz“ der Grid-GroupAnalyse (die Tendenz, kulturelle Gegebenheiten auf sozialstrukturelle Bedingungen zu reduzieren) nicht eng mit dieser „geschlossenen“ Systemauffassung 66 67 68
Vgl. z.B. zur ALF („Animal Liberation Front“) J. Jasper/D. Nelkin (1992: 33ff.). Vgl. zu Vorzügen und Problemen dieses Ansatzes auch die Diskussion bei R. Wiedenmann (1991: 105-163). Zu nennen sind hier u.a. H. Geser (1983), R. K. Merton (1995). A. Fiske (1991; 1992), R. Turner (1976), L. Krappmann (1975) oder H. P. Dreitzel (1968). Partiell hilfreich sind auch die Modifikationen, die M. Thompson/R. Ellis/A. Wildavsky (1990) am Ansatz von M. Douglas vorgenommen haben.
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zusammenhängt. So kann dieser Ansatz offenbar nur unzureichend jene Fälle erfassen, in denen bestimmte soziokulturelle System-Umwelt-Konstellationen eine gewisse Eigendynamik kultureller Wandlungsprozesse freisetzen. Ein zweites Manko verallgemeinert und verschärft dieses Problem. Es betrifft den konstitutiven Aspekt der Grid-Dimension, die situationsspezifisch eher klare bzw. unklare Vorstrukturierung von Verhaltenserwartungen. Hier stellt sich eine Schwierigkeit in aller Schärfe dort, wo unterschiedliche Varianten eines schwachen Klassifikationsgitters in den Blick kommen. In rollentheoretischer Hinsicht handelt es sich hierbei darum, dass vor allem zwei Formen relativer normativer Unstrukturiertheit oder Entscheidungsoffenheit von Douglas vermengt werden: (a) Einmal unklare Verhaltenserwartungen, die mit einem vergleichsweise ungenau abgegrenzten, „deutungsoffenen“ und normativ diffusen Rollenprofil zusammenhängen, (b) andererseits schwach strukturierte Situationen, die aus inhärenten Ambiguitäten und Inkonsistenzen eines Rollensets oder Statussets (der Summe der Rollensets einer Person) resultieren (Merton 1995: 349ff.).69 In der Konsequenz vernachlässigt Douglas vor allem, dass sich Rollenambiguitäten, -inkonsistenzen oder -interferenzen ebenso wie Entdifferenzierungsprozesse auf das Leistungsprofil eines Sozialsystems keineswegs dysfunktional auswirken müssen.70 Alles in allem ergibt sich damit das Bild eines eher „konventionellen“,71 von deterministischen Tendenzen geprägten Rollenverständnisses von Douglas. Zudem dominiert eine letztlich geschlossene Konzeption sozialer Strukturen, die Interpenetrationsrelationen allzu stark vernachlässigt. So kommen Kontingenzen, Unbestimmtheiten und „Abweichungen“ meist nur als soziale Destrukturierungssymptome in den Blick,72 kaum wird der dreifachen „Rückseite“ dieser Prozesse genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Es sind häufig dieselben Verhaltenskon69
70
71 72
Eine wichtige Schwachstelle wurde in diesem Zusammenhang von B. Johnson (1987: 165f.) angemerkt. M. Douglas’ Ansatz, der sich auf die komparative Analyse der sozialen Mesoebene bzw. einfacher Gesellschaftssysteme konzentriert, könne kaum dem Befund Rechnung tragen, dass in den zeitgenössischen Industriegesellschaften multiple Gruppenmitgliedschaften an der Tagesordnung sind. Ein Problem sei hier, dass unklar bleibe, wie Personen, die unterschiedlichen Sozialorganisationen angehören, die verschiedenen komplementären Sinnrahmungsstile kognitiv miteinander vermitteln würden. Vgl. dazu näher R. Wiedenmann (1991: 156-58). Im Gegensatz zu Douglas unterstellt die interaktionistische Rollentheorie, dass „die Rollenpartner im jeweiligen Interaktionsprozess nicht nur die gerade aktuelle Rolle übernehmen, sondern zugleich verdeutlichen, welche weiteren Rollen sie noch innehaben oder früher innehatten“ (Krappmann 1976. 315). Vgl. zu den charakteristischen Merkmalen „konventioneller“ Rollentheorien L. Krappmann (1975: 100f.). Dies gilt vor allem für Douglas’ Charakteristik der sozial locker oder fluide strukturierten Netzwerke, Gruppen und Bewegungen usw. Für sie ist ein geringer Gruppendruck und gleichzeitig ein schwaches Rollenklassifikationsgitter typisch, vgl. M. Douglas (1982a: 19ff., 61ff.).
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tingenzen, durch die sich (a) die Entwicklungs- und Anpassungsoffenheit von flexiblen und dynamischen Sozialsystemen auszeichnet. Kontingenz als das risikoreiche „Auch-anders-möglich-sein-können“ (Luhmann 1984: 47) kann außerdem dafür sensibilisieren, dass hier (b) nicht selten Interpenetrationsprozesse wirksam sind, durch die soziale Systeme für Entwicklungen und Einflüsse von Kultursystemen und Persönlichkeitssystemen resonanzfähig und „offen“ bleiben. Diese beiden Punkte sind ihrer konzeptionellen Bedeutung wegen nun kurz auszuführen.
5.4.2 Zur Funktion des Kultursystems im Interpenetrationsbezug „schwach“ strukturierter Sozialsysteme Überaus schwach strukturierte, in M. Douglas Terminologie „individualistisch“ geprägte Sozialeinheiten lassen sich im Allgemeinen durch ein (im Verhältnis zu den anderen Strukturtypen) hohes Ausmaß an ökologischer Kontrolle73 charakterisieren. Unsere These ist nun, dass die Steuerung solcher Sozialeinheiten in besonders ausgeprägter Weise über Interpenetrationsmechanismen gelöst wird, die hier in ihrem soziokulturellen Aspekt (d.h. im Interpenetrationsbezug Kultursystem – Sozialsystem) beleuchtet werden sollen. Das Hauptaugenmerk gilt den allgemeinen Interpenetrationsbedingungen, die vor dem Hintergrund christlichabendländisch geprägter Gesellschaften einen vergleichsweise günstigen Nährboden für tierschützerische Orientierungen bilden könnten. Zunächst lässt sich die Gruppendruckachse als ein approximatives Maß für die System-Umwelt-Proportion von Kontrollfaktoren verstehen. Hoher Gruppendruck begünstigt zunächst eine Innen-Außen-Polarisierung, die ceteris paribus mit einer Erhöhung der internen Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten korrespondieren kann.74 Dies kann gleichzeitig aber eine Minderung der „Umweltsensibilität“ des Systems implizieren. Niedriger Gruppendruck hingegen mindert einerseits das Ausmaß der Sozialkohäsion, erhöht aber tendenziell die sozialökologische Umweltsensibilität des Sozialsystems. Anders gesagt: Persönliche Idiosynkrasien oder kulturell „abrufbare“ Sinnpotentiale können hier verstärkt Einfluss auf die sozialen Prozesse gewinnen. Bei Sozialeinheiten mit schwachem Gruppendruck kann es sich z.B. um lockere, fluide, vorübergehende oder unregelmäßige Treffen von „individuell“ orientierten Akteuren handeln, die 73
74
Wie weiter oben schon ausgeführt, entfaltet ein systemökologischer Ansatz die Perspektive eines „weitgehend von der Umwelt abhängigen und indirekt durch die Interaktion (im System und zwischen den Systemen) gesteuerten Systems“ (Bühl 1990: 31, vgl. auch 49f.). Z.B. können klare und eindeutige Mitgliedschaftszurechnungen das interne Kontrollniveau erhöhen (vgl. Merton 1995: 296).
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relativ heterogene Ziele oder Wertpräferenzen verfolgen. Es sind hier aber auch „Gruppierungen“ und Netzwerke75 denkbar, die in ihren Normen- und Wertvorstellungen weithin konvergieren und vielleicht sogar Ansätze einer „festeren“ Gruppenbildung erkennen lassen. In dieser allgemeinen Form treten schwach strukturierte Sozialgebilde häufig im Rahmen von Märkten oder von sozialen Bewegungen auf. Ein anderes Beispiel sind informelle Netzwerke, die auf Freundschaften oder Bekanntschaften basieren. Diese locker strukturierten, dezentral-segmentierten Sozialgebilde konstituieren sich entlang von Problemstellungen, die sich z.B. bei territorialen Nutzungsansprüchen, bestimmten Risiken oder gemeinsamen „Gesinnungen“ ergeben (vgl. Geser 1983: 31ff.). Im Hinblick auf die „Gesinnungen“ sind nun gerade die sozial fluktuierenden Netzwerke und „elastisch“ strukturierten Gruppierungen der Intellektuellen besonders zu beachten. Ihre Interaktionen zeigen weder eine ausgeprägte Rollendifferenzierung noch einen starken Gruppendruck,76 dafür unterliegen sie eher einem kulturellen Kontrollmodus. Im Gegensatz zum sozialnormativen Kontrolltyp, der stärker auf kollektiv verbindliche Normierungen setzt, die gegebenenfalls durch äußere Kontrollen sanktioniert werden können, geht es beim kulturwertorientierten Kontrollmodus77 eher um personell individualisierte und auf innere Kontrollmechanismen basierende Formen der Verhaltensstrukturierung. Gemeinsam sind diesen Intellektuellen oftmals bestimmte „Gesinnungselemente“. Damit sind relativ abstrakte und deutungsoffene Werthaltungen, „Überzeugungen“, Einstellungen gemeint (Geser 1983: 32f.). Relativ bedeutet hier: im Vergleich zu den eher spezifizierten und weniger „verhandlungsfähigen“ Wertbezügen stark strukturierter Organisationen des gesellschaftlichen Zentrums 75
76 77
Vgl. zum Konzept der „Gruppierung“, das sozialmorphologisch zwischen der (Mitgliedschaft implizierenden) Gruppe und der amorphen Masse anzusiedeln ist, O. Rammstedt (1978: 133f.). In diesem Zusammenhang werden mit dem Netzwerkbegriff Kontakt- und Beziehungsformen fokussiert, die oft weniger intensiv, indirekt und weiter verzweigt sind, und die daher auch eher Gruppengrenzen überbrücken (vgl. Schenk 1983: bes. 93f.). Vgl. zum genuinen Freiheits- und Selbständigkeitsmoment intellektueller Milieus z.B. die Analysen von R. Michels (1987: 189ff.). R. Merton (1995: 301) spricht in einem ähnliche Sinne von einer „kulturell induzierten sozialen Kohäsion“ aufgrund verinnerlichter gemeinsamer Normen und Werte.“ Ein Beispiel für den eher sozialnormativ gelenkten Typ ist D. Riesmans (1958) traditionsgeleiteter Sozialcharakter, den institutionelle Vorgaben von einer eigenverantwortlichen Normenfindung, von einer eigenen situationsbezogenen Respezifizierung allgemeiner kultureller Werte weitgehend „entlasten“. Ein anderes Beispiel sind Formen eines normativen Legalismus (z.B. als gesatztes Recht), für den die Legitimitätsgrundlage substanzieller „Gerechtigkeit“ Nebensache ist. Anders beim „kulturgestützen“ Kontrolltypus, der dem Handelnden eine relativ explizite und permanente Aktualisierung der Wertgrundlagen seines Handelns zumutet und ihm eine situativ spezifizierte Normenumsetzung bzw. -prüfung aufbürdet. Man denke z.B. an einen, dem Kreiselkompass seines Gewissens verpflichteten, „innengelenkten“ Puritaner, dem im Zweifelsfalle der „Geist“ der „Schrift“ heiliger sein mag als die von Menschen erlassenen Gesetze.
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(z.B. Wirtschaftsverbände oder Parteien; staatliche Gebietskörperschaften, militärische Einheiten usw.). Beispiele für Sozialzusammenhänge mit einer derart eher kulturell induzierten Sozialkohäsion sind: Intellektuellenzirkel bzw. Zirkel mit „viskoser Mitgliedschaft, informelle wissenschaftliche Netzwerke oder auch „inklusive“ soziale Bewegungen (Geser 1983: 47). Last not least sind hier auch die mehr oder minder lockeren Diskursgemeinschaften im Umkreis der Kaffeehäuser des 18. Jahrhunderts zu nennen.78 Auf einem hohen, modernen Niveau gesamtgesellschaftlicher Differenzierung treten bei diesen individualistisch geprägten Sozialformen vor allem drei charakteristische Eigenarten zutage, Eigentümlichkeiten, in denen sie sich von vergleichbar locker strukturierten Sozialkontexten einfacher Stammesgesellschaften (z.B. der erwähnten Mbuti-Pygmäen) unterscheiden. Erstens: Schwach strukturierte Netzwerke oder Gruppierungen, vor allem aber Intellektuellenzirkel können als Sinntransformations- und „Schnittstellen“ zwischen ausdifferenzierten gesellschaftlichen Sinnbereichen fungieren und damit synkretistische „Mischphänomene“ und Hybridisierungen initiieren bzw. kreieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn Intellektuelle recht heterogene individuelle Statussets sowie soziale Umwelten haben, für die relativ repressionsfreie, „zwanglose“ Austausch- und Koordinationsprozesse zwischen vielfältigen Rollenbezügen und diversifizierten soziokulturellen Perspektiven typisch sind.79 Soziokulturelle Überlappungszonen und soziale Marginalität scheinen in diesem
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K. Back/D. Polisar (1983) schreiben etwas enthusiastisch über die Kaffeehäuser im 18. Jahrhundert: „Cafés wurden Plätze der Legitimation sozialer Bewegungen, Kaffeehäuser wurden Nischen des Aktionismus. Ihre Atmosphäre lieferte die Stimmung einer irdischen Utopia: Rangunterschiede wurden ausgelöscht (...) Sie zogen neue Mitglieder an, die in die Diskussion mit einbezogen werden sollten.“ Diese Sicht wird freilich von anderen Arbeiten nicht geteilt. So thematisiert B. Cowan (2004) gegenläufige Tendenzen der damaligen englischen Kaffeehauskultur, z.B. die oligarchischen bzw. sozial exklusiven Prätentionen politischer Zirkel im Umkreis der Whigs. Damit wird natürlich die historische Bedeutung des Kaffeehauses für die frühe bürgerliche Öffentlichkeit, wie sie J. Habermas (1983) und R. Sennett (1983: 101ff.) herausgearbeitet haben, etwas relativiert. Dass ein hohes Maß an gesellschaftlicher Differenzierung dem „I“ ein größeres Potential an kreativer, nonkonformistischer Rollengestaltung abverlangt, betont auch G. H. Mead (1974: § 28). Vgl. zudem M. Rokeach (1960), L. Krappmann (1975: 154f.). Der Gedanke, dass insbesondere kulturelle Kreativität in einem balancierten „Mischungsverhältnis“ von Vereinheitlichung und Diversifikation gedeiht, könnte in zahlreichen Abwandlungen weiterverfolgt werden (vgl. z.B. Eliot 1961: 55ff., 75ff.; Robinson/Rundell 1993). In ontogenetischer Hinsicht ist es kennzeichnend, dass hochkreative Personen „in ihrer frühen Kindheit schon Zugang zu mehreren Rollenmodellen hatten, dass sie sozusagen verschiedene Sprachen (nicht nur im Sinne verbaler, sondern auch anderer ‚symbolischer Sprachen, z.B. der Musik oder Mathematik) sprechen lernten. Andererseits sind kreative Leistungen nur dort zu erwarten, wo eine gewisse Verpflichtung vorliegt, eine Synthese zu erreichen (...)“ (Bühl 1982: 156).
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Zusammenhang für die Herausbildung kreativer Potentiale einen besonders günstigen Nährboden abzugeben.80 Zweitens: Intellektuelle haben aufgrund ihres inkorporierten Kulturkapitals einen gewissermaßen „privilegierten“ Zugang zu unterschiedlichen Wissens- und Bildungstraditionen. Sie haben am ehesten Zugang zu kulturellen Ressourcen der Vergangenheit und damit die Möglichkeit, sozusagen „schlummernde“ innovative Potentiale zu reaktualisieren. Das erhöht gleichzeitig die Chance, sich von den gängigen, „üblichen“ Sinnhorizonten zeitgenössischer Lebenswelt zu distanzieren. Für die Geschichte des Tierschutzes sind hier z.B. Zirkel und Netzwerke zu nennen, wie sie in der Frühneuzeit unter Humanisten81 oder gebildeten Pietisten üblich waren. Es waren nicht zuletzt solche Diskursgemeinschaften, die durch die Erschließung und Verbreitung antiken Ideengutes auch theriophile Motive in das neuzeitliche Denken eingespeist haben. Obschon Karl Mannheims These einer „sozial frei schwebenden Intelligenz“ das Problem der Ideologieanfälligkeit letztlich nicht zufriedenstellend beantworten kann, so enthält sie für unseren Kontext doch den wichtigen Gedanken, dass eher die „entwurzelten“, in keinen festen Klassen- und Sozialorganisationen eingebundenen („bürgerlichen“) Intellektuellen die Chance haben, sich 80
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In der Vergangenheit waren dies Interferenzgebiete, wo, wie W. L. Bühl (1987: 166f.) schreibt „verschiedene Kulturen aufeinanderstießen, jedoch die kulturelle Kommunikation zwischen den verschiedenen Gruppen gewahrt blieb, wo durch keine ethnische, religiöse oder standesmäßige Diskriminierung der Zugang zu den jeweils bestimmenden kulturellen Medien und die Bildung einer kritischen Masse verhindert wurde. Dies gilt besonders für viele Stadtkulturen, insofern die Städte Zentrum und Begegnungsstätte unterschiedlicher Kulturen (...) sind; und es gilt selbst noch für Armutsgebiete und für ethnische und kulturelle Minderheiten (wie für die osteuropäischen Juden) (...).“ Der Einfluss antiker Schriftsteller auf theriophile Haltungen mancher Gelehrter der beginnenden Frühneuzeit kann wohl kaum überschätzt werden. M. de Montaigne (1984: 204) etwa schreibt im Zusammenhang mit einer Stelle aus den Briefen des Stoikers L. A. Seneca, in der dieser damals übliche Grausamkeiten verurteilt: „Naturen, die am Blut der Tiere ihre Freude haben, zeigen damit einen natürlichen Hang zur Grausamkeit. Nachdem man sich in Rom an das Schauspiel von Tiermorden gewöhnt hat, ging man über zu Menschenmorden und Gladiatorenspielen.“ Ähnliche Hinweise finden sich in Texten maßgeblicher Exponenten der Humanistenzirkel, z.B. bei T. Morus (1970: 74), der sich kritisch gegen die zeitgenössische Jagd wendet. Morus schreibt, das Schlachten sei immerhin anständiger, „weil dabei die Tiere viel mehr geschont und um der Notwendigkeit willen geschlachtet werden, während der Jäger beim Morden und Zerfleischen eines armen Tierchens nur sein Vergnügen sucht.“ Vgl. zum Mensch-Tier-Verhältnis bei T. Morus eingehender R. Wiedenmann (2002: 105-149). Zu erwähnen ist hier auch das Mitgefühl, das bisweilen bei D. Erasmus von Rotterdam anklingt, wenn er auf das Los der Tiere zu sprechen kommt (Erasmus von Rotterdam 1995a: 77-79; vgl. zur Jagdkritik auch 89-91). Obwohl die Jagdkritik im Rahmen der Hofkritik schon im hohen Mittelalter eine bedeutende Rolle spielt (vgl. zusammenfassend Bumke 1990: 583f.), so ist die bei manchen Humanisten aufflackernde Empathie gegenüber dem Leid von Tieren wohl nicht zuletzt durch die verstärkte Rezeption bzw. Wiederentdeckung einschlägiger antiker Texte (z.B. aus dem Umkreis der Neupythagoreer, wie etwa Texte Plutarchs) begünstigt worden.
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von den Semantiken der „herrschenden Ideen“ zu emanzipieren. Im Bildungsbürgertum, schreibt Mannheim, setzt sich verstärkt fort, was sich in Ansätzen bereits im humanistischen Gelehrtenmilieu der frühesten Neuzeit andeutet: Bildung eröffnet einen „geistigen Horizont“, der den Gelehrten im Hinblick auf die ihm zugänglichen Sinnhorizonte „mehrfach determiniert“ und ihn damit von den kulturspezifischen Bedingungen eines eingegrenzten Lebenskreises teilweise entbindet. Nicht zuletzt ist es diese synkretistische „Polyphonie“ kultureller Einflüsse, die die charakteristische Dynamik, die Elastizität und Kreativität dieser Variante „moderner Geistigkeit“ ermöglicht.82 Mannheims Überlegung kann die Funktion plausibilisieren, die intellektuelle Peripherien für Prozesse des Kulturwandels übernehmen können. Zum einen fehlen an der intellektuellen Peripherie oft die sozialorganisatorischen und „medientypischen“ Restriktionen, die in der intellektuellen Kultur des gesellschaftlichen Zentrums einen freien Wettbewerb der Ideen behindern können. Zum anderen ist es häufig diese Distanz zum kulturellen Zentrum, die es randständigen Intellektuellen ermöglicht, Probleme zu behandeln, die vom Zentrum aus gesehen „unnütz“, „unstatthaft“ oder gar als „gefährliche“ „Vermischung“ semantischer Sphären und Kontexte sind. Andererseits ist es aber auch diese Binnendifferenzierung in „orthodoxe“ und „heterodoxe“ intellektuelle Subkulturen, die den Aufbau einer höheren Binnenkomplexität des Kultursystems erlaubt, anders gesagt: Die (im Ganzen und langfristig gesehen) einer Kultur eine systemökologische Erweiterung ihrer Leistungs- und Anpassungspotentiale ermöglicht. Drittens: Auf einen weiteren Punkt, den eine „arbeitsfähige“ Sozialstrukturtypologie nicht übersehen sollte, macht Robert Merton aufmerksam: Die Tatsache, „dass sich die Menschen bei ihrer Verhaltens- und Urteilsbildung häufig auch an anderen Gruppen als der eigenen orientieren“ (Merton 1995: 225; Herv. Merton). Im kulturellen Kontrollmodus kann eine „Bezugsgruppe“ auch ein soziokulturelles Konstrukt bilden, das in der Zeitdimension variieren kann. Es muss sich also nicht um eine „real“ erfahrbare Bezugsgruppe der Gegenwart handeln, es kann sich auch um fiktive oder „imaginäre“ Bezugsgruppen handeln, die in einer fernen Vergangenheit angesiedelt werden (z.B. die Idealisierung der römischen res publica durch französische Jakobiner), oder aber um (mehr oder minder) utopische Visionen, die sich auf in eine mehr oder weniger ungewisse Zukunft beziehen (z.B. auf einen anzustrebenden National- oder Weltstaat, eine sozialistische Weltgemeinschaft, eine Gemeinschaft politisch mündiger Europäer, eine moralische Gemeinschaft aller Lebewesen). Von dieser Überlegung her kann auch die Bedeutung der von Intellektuellen artikulierten Ideale und Utopien für soziale Bewegungen beleuchtet werden. 82
K. Mannheim (1985: 135f., vgl. auch 92f.). Vgl. zur segmentär-dezentralisierten Soziallage der Intellektuellen auch H. Geser (1983: 46f.).
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Schwach strukturierte Sozialgebilde sind (wenigstens in ihren frühen Phasen) typisch für solche sozialen Bewegungen, die sich in differenzierten Gesellschaften als Gegenbewegungen zu Entwicklungen in den zentralen Gesellschaftssektoren formieren.83 Dabei handelt es sich in kultureller Hinsicht häufig um Bewegungen, in denen marginalisierte Intellektuelle eine führende Rolle spielen und eine „Bewegungs“-Semantik entwickeln, die häufig auf eine soziokulturelle Inversion der „herrschenden Verhältnisse“ und Ideen hinausläuft.84 Im Hinblick auf tiermoralisch relevante Orientierungen lassen sich im Rahmen sozialer Bewegungen und Revolten dabei zwei Grundformen der Auseinandersetzung unterscheiden: Eine, die eher „tiersymbolisch“ orientiert ist und Tiere in ihren sekundärsozialen Zeichenbezügen fokussiert. Einer zweiten Variante geht es eher um die primärsoziale Dimension humanimalischer Sozialität; hier stehen die subjektiven Belange der Du-evidenten Mitlebewesen im Zentrum. Im ersten Falle (a) können Tiere z.B. als „stellvertretende“ Repräsentanten oder „Komplizen“ der Herrschenden bekämpft werden. Exemplarisch ist hier das weiter oben schon behandelte „große Katzenmassaker“ von Robert Darnton (1989: 91ff.). In der zweiten (b) Variante werden z.B. die Tiersubjekte selbst als unterdrückte Leidensgenossen wahrgenommen, sie gelten als empfindungsfähige Subjekte, die im Zuge des sich anbahnenden Anbruchs der „neuen Zeit“ (mit) zu befreien sind.85 In Kulturen, die in ontologischer und ethischer Hinsicht z.B. eine scharfe Mensch-Tier-Trennung institutionalisiert haben, werden Gegenbewegungen eher zu einer (wenigstens partiellen) Infragestellung derartiger Dichotomien neigen. Die Tierbilder des christlich geprägten Okzidents sind z.B. in ihrem kulturellen Mainstream von Naturauffassungen geprägt, die weithin von sekundärsozialen Symbolismen und kognitivistisch akzentuierten Mensch-Tier-Distinktionen bestimmt werden. Von daher ist es nicht überraschend, dass Tierschutzbewegungen, die thematisch ja die moralischen Aspekte des Mensch-Tier-Verhältnisses fokussieren, gegen Naturkonzeptionen opponierten, die Max Scheler unter dem 83 84 85
Vgl. dazu ausführlich O. Rammstedt (1978: 130ff.), mit Blick auf die neuen sozialen Bewegungen D. Rucht (1994: 76f., 154). Zahlreiche Beispiele findet man hier unter revolutionären und millenaristischen Bewegungen (vgl. etwa Michels 1987, am Beispiel von T. Müntzer die Darstellung bei Goertz 1989). Ein Beispiel ist hier die 1795 von dem Pariser Zoologieprofessor Lacépède vertretene Auffassung, das Königtum habe die Menagerietiere nicht nur als Herrschaftssymbole mißbraucht und entwürdigt, sondern ihnen auch erhebliches Leid zugefügt, da es die Tiere „in Ketten“ gelegt habe. Lacépède spricht sich in diesem Zusammenhang für Maßnahmen aus, die heute unter der Rubrik „artgerechte Tierhaltung“ firmieren würden: „Comme la plûpart de ces animaux sont innocens et paisibles, qu’au lieu de les renfermer dans des loges étroites et mal-saines , ils puissent être, en quelque sorte, en liberté dans des enceintes plus ou moins étendues: que les images de la contrainte ou les apparences de l’esclavage soient éloignées le plus possible des yeux d’un peuple libre“ (Lacépède 1795: 454).
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Begriff der „Gleichnisnatur“ zusammengefasst hat. Damit ist eine Natur gemeint, die voll von „Gleichnissen für Verhältnisse und Beziehungen (ist), die eigentlich zwischen Mensch und Gott oder Mensch und Mensch bestehen“ (Scheler 1973: 98). Erst vor diesem Hintergrund konnten die theriophilen Neben- und Unterströmungen als kulturelle Innovationen Gestalt gewinnen. Obgleich Scheler wohl zu Unrecht diese Nebenströmungen in ihrer historischen Tragweite unterschätzt, so benennt er doch das Neuartige des sich hier anbahnenden Blickwechsels sehr treffend als das „Ipsissimum“ der franziskanischen Bewegung: Diese zielte, so Scheler (1977: 99), auf eine „Einsfühlung in den Kern der Kreaturen“, wollte deren „eigenen Ausdruckssinn“ erfassen.86 Im Rückblick zeichnet sich ab, dass das Sozialstrukturschema von Mary Douglas gewisse Insuffizienzen aufweist. Sie zeigen sich am deutlichsten dort, wo tiermoralische Muster des „individualistischen“ Strukturtyps (schwache Ausprägungen sowohl auf der Grid- wie auf der Group-Achse) zur Debatte stehen. Vieles spricht dafür, dass sich geradezu konträre tiermoralische Muster diesem Sozialstrukturtypus zuweisen lassen: Auf der einen Seite steht das „Naturerobust“-Muster, das mit weithin beinahe theriophoben Verhaltensorientierungen einhergeht (Beispiel Mbuti-Pygmäen), auf der anderen Seite finden wir hier deutlich theriophile Orientierungen (z.B. in der frühen franziskanischen Bewegung).
5.4.3 Zu einer sozialökologischen Konzeption sozialstruktureller Kontexte Das in den letzten beiden Abschnitten Dargelegte legt nahe, dass eine Sozialkontexttypologie der Mesoebene mögliche soziokulturelle Interpenetrationsbedingungen nicht aus den Augen verlieren darf, insbesondere dort, wo der Gruppendruck schwach ausgeprägt ist. Dabei verdienen solche „individualistisch“ geprägten Netzwerke und Gruppierungen besondere Aufmerksamkeit, für die (im Sinne von Douglas’ Ansatz) ein relativ undifferenziertes und diffuses Rollenmuster typisch ist. Vor dem Hintergrund der schon angesprochenen rollentheoretischen Schwächen dieses Ansatzes ist es naheliegend, die Grid-Achse durch ein rollenanalytisches Kontinuum zu ersetzen, über das variierende Interpenetrationsbezüge zu anderen Verhaltensbezugssystemen (insbes. zum Kultursystem und 86
Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass Scheler für entsprechende Nebentendenzen im Judentum offenbar kein Gespür hat. So schreibt er in diesem Zusammenhang etwa: Der Gedanke, dass man Kreaturen als „ganz selbstwertige Wesen“ betrachten könne, sei „das Neue, Überraschende, Seltsame, Antijüdische in der Haltung des Heiligen“ (Scheler 1973: 99; Herv. Scheler). Vgl. zum Tierverhältnis des Franz von Assisi auch H. Feld (1994: 215ff.).
Tiermoralische Orientierungsmuster
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zum Persönlichkeitssystem) adäquater erfasst werden können. Dabei lassen wir uns von der Annahme leiten, dass gerade beim besonders strukturschwachen individualistischen Typ diese Interpenetrationsbezüge so gravierend „durchschlagen“ können, dass ganz unterschiedliche „allopoietische“ Steuerungseffekte und sehr heterogene (tierbezogene) Verhaltensmuster die Folge sein können. Ein weiterer Punkt betrifft die konzeptionelle Verknüpfung der interspezifischen Interaktionsebene (des allgemeinen Verhaltensystems) mit der Mesoebene sozialer Strukturtypen. Hier sollte die Strukturtypologie gegenüber den Interaktionsmustern, wie sie im vierten Kapitel skizziert wurden, insofern anschlussfähig sein, als hier wenigstens tendenzielle Affinitätsbeziehungen aufzuweisen sind.
5.4.3.1 Offene und geschlossene Rollenmuster Soziale Situationen wie komplexere soziale Strukturen kann man daraufhin untersuchen, inwieweit rollenbezogene Verhaltenserwartungen von Rolleninhabern autonom gestaltet oder vergleichsweise heteronom aktualisiert bzw. „ausgeführt“ werden. Im Kern geht es hier also nicht um die Klarheit oder Diffusität vorgegebener Rollenerwartungen. Zur Debatte steht vielmehr die kreative (Performanz-)Fähigkeit von Persönlichkeitssystemen in sozialen Situationen, um die Fähigkeit mit rollenbezogenen Erwartungs- und Orientierungsmuster „konstruktiv“ und „kreativ“ umzugehen. Unabhängig davon, ob andere die Rollenerwartungen als klar oder unklar verstehen mögen, der Akteur selbst definiert „seine“ soziale Situation über Typisierungsleistungen, die nicht von seiner spezifischen biographischen Situation (besonders den internalisierten kulturellen Deutungsmustern) abgelöst werden können.87 Man kann diese „soziokonstruktivistischen“ Performanzleistungen des Persönlichkeitssystems auch mit einer Brücke vergleichen, über die Interpenetrationsbezüge aus anderen Verhaltenssystemen (Kultur, Verhaltensorganismus) „indirekt“ (d.h. persönlichkeitstypisch „gebrochen“) in soziale (Interaktions-)Systeme eingespeist werden können. Rollenmuster sind damit nicht nur sozial vorfabrizierte und „objektiv“ geltende, Zwang ausübende „soziologische Tatbestände“ (Durkheim 1965: 114). Ihre performative Realisie87
Vgl. zu diesen „Konstruktionen ersten Grades“ des Handelnden exemplarisch A. Schütz (1971: 6ff.) sowie ethnomethodologische Arbeiten, vgl. etwa H. Garfinkel (1976) oder H. Mehan,/H. Wood (1976). Die emergente Eigendynamik von Interaktionsprozessen und der Einfluss weiterer „impliziter“ verhaltenssteuernder Bedingungen (wie biologische Radikale usw.) werden damit in keiner Weise in Abrede gestellt oder minimiert. Wir verstehen zentrale sozialphänomenologische Thesen über lebensweltliche Typisierungen und Relevanzen also keineswegs so, als könnten sie nur im Rahmen von handlungstheoretischen Konzepten Verwendung finden, die derartige Interferenzen leider oft ausblenden.
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rung schließt immer ein gewisses „Unschärfemoment“ ein, das stärker oder schwächer ausfallen kann und dazu führt, dass ein Rollenmuster in einer eher „offenen“ bzw. eher „geschlossenen“ Variante realisiert wird. Diese Unterscheidung berührt zunächst jene Differenz in der „vorgegebenen“ Normenausstattung von Rollen, die schon Hans Peter Dreitzel mit dem Gegensatz von „Vollzugsnormen“ und „Gestaltungsnormen“ umschrieben hat. Vollzugsnormen lassen den „Ich-Leistungen nur einen sehr geringen Spielraum; es geht stattdessen um die gehorsame Einordnung in ein relativ dichtes Netz von Regeln.“ Anders hingegen bei den Gestaltungsnormen. Hier stehen die Rollen gestaltenden Ich-Leistungen im Vordergrund, „weil der individuelle Stil und die persönliche, möglicherweise neuartige Problemlösung gerade das sind, was die Rolle vorschreibt. Die Gestaltungsnormen verweisen auf die Realisierung von Werten, die ursprünglich internalisiert worden sind“ (Dreitzel 1968: 137f.).88 Obschon auch Merton mit dem gruppenspezifischen „Grad der erwarteten Konformität mit den Gruppennormen“ einen zentralen „Außenaspekt“ von Rollenmustern anspricht (vgl. Merton 1995: 303), so sind Grundmomente der von uns ins Auge gefassten typologischen Unterscheidung doch eher von dezidiert „interaktionistischen“ Rollenkonzepten ausgearbeitet worden. Zu nennen ist hier insbesondere Lothar Krappmanns (1975: 97-131) Gegenüberstellung des „traditionell“-konventionellen und des interaktionistischen Rollenkonzepts, eine Gegenüberstellung, die wesentliche Elemente der hier angesprochenen idealtypischen Rollenmuster zur Sprache bringt (vgl. Abbildung 8).89 Zu Recht betont Krappmann in seiner Kritik der konventionellen Rollentheorie, dass deren Erkenntnisinteresse auf Rollenstrukturen abziele, für die Normenkonformität charakteristisch sind. Diese Rollentheorie „soll das gleichartige Verhalten verschiedener Menschen in gleichen Positionen erklären“ (Krappmann 1976: 311). Sie verfehle den „Regelfall“ des Rollenhandelns, wie er in alltäglichen Interaktionen zutage tritt. Realiter sei etwa festzustellen, „dass die Rollenspieler auf unklare und inkonsistente Erwartungen stoßen, die sich zudem mit ihren Bedürfnisdispositionen keineswegs decken“ (Krappmann 1976: 314; im Orig. kursiv). Krappmann zufolge hat der Rollenspieler eine situationsspezifisch interpretierte Definition der Rollenerfordernisse vorzunehmen. Dabei müsse auch die spezifische Rollenvielfalt seines individuellen Statussets mitberücksichtigt werden. Die situative Performanz einer Rolle ist daher kein passives „role-taking“, 88
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Beispiele für Rollen, die in westlichen Gegenwartsgesellschaften von Vollzugsnormen dominiert werden, sind z.B. Patient, Kind, Soldat, Insasse oder Verkehrsteilnehmer. Als Beispiele für Rollen, die stärker von Gestaltungsnormen geprägt werden, führt Dreitzel (1968: 167) an: Ehemann, Liebhaber, charismatischer Führer, Künstler, Wissenschaftler, Politiker. Unsere Unterscheidung von offenen und geschlossenen Rollenmustern fokussiert hier nur die für uns zentralen Punkte der Darstellung L. Krappmanns (1976: 309ff.; 1975: 102ff.).
Tiermoralische Orientierungsmuster
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keine „authentische“ Umsetzung rollennormativ vorfabrizierter Erwartungen, sondern ein aktives „role making“, eine in hohem Maße kreative Gestaltungsleistung der betreffenden Person (vgl. Turner 1976). In dieser Sicht ermöglichen es also vor allem die involvierten „Ich-Identitäten“, dass in Interaktionen Rollen nicht nur „abgerufen“, sondern aktiv „erzeugt“ und umgeformt werden. Abbildung 8:
Geschlossenes und offenes Rollenmuster
Verhältnis von Rollennormen und individueller Normeninterpretation Situative Handlungsorientierung von Ego Konsens der Rollenpartner über gegenseitige Erwartungen Übereinstimmung von individuellen Bedürfnissen und institutionalisierten Werten & Normen Grundlage der strukturellen Stabilität des Rollensystems90
Geschlossenes Rollenmuster starke Kongruenz durch Eindeutigkeit
Offenes Rollenmuster
an der Singularität einer Rolle
schwache Kongruenz bzw. Inkongruenz durch Mehrdeutigkeit/Ambiguität an der Interferenz diverser Rollen
fraglos bzw. umfassend
tentativ bzw. partiell
umfassend
partiell
geringe Mikrovariabilität fest und stabil verkoppelter Rollen
hohe Mikrovariabilität flexibel verknüpfter Rollen
Freilich, so plausibel die interaktionistische Kritik zahlreicher Annahmen und Voraussetzungen der strukturfunktionalistischen Rollenkonzepte auch ist, sie 90
Dieser Punkt versucht eine systemtheoretische Formulierung der Frage, inwieweit die Stabilität von Institutionen auf einer situativ „automatischen“ Ausführung vorher internalisierter Rollennormen beruht (vgl. dazu Krappmann 1976: 311). Ist die Mikrovariabilität der situativen Rollengestaltungsspielräume gering („automatisch“), dann ist die Makrostabilität des Rollensystems insofern riskant, als sie eine – freilich passgenaue – Anpassung an nur eine sehr spezifische („nischenartige“) Systemumwelt erlaubt. Im Unterschied dazu liegt eine dynamische Stabilität, wie sie für Ökosysteme typisch ist, dann vor, wenn die Umweltanpassung des Systems durch einen hohen Grad von Mikrovariabilität relativ locker gekoppelter Elemente (hier: Einzelrollen) gegenüber neuen Bedingungen offen gehalten wird. D.h. auch die wechselseitige Komplementarität der verschiedenen Rollen eines Rollensystems bleibt vergleichsweise flexibel. Vgl. zu den systemtheoretischen Implikationen näher W. Bühl (1990: 45f., 53).
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kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass neben den vom Interaktionismus fokussierten offenen Rollensystemen auch solche vorkommen, die in manchen Hinsichten durchaus die Grundannahmen der sog. „konventionellen“ Rollentheorie (etwa der von T. Parsons) bestätigen können. Als Beispiele für solche „geschlossenen Rollensysteme“ können nicht nur die extremen Varianten „totaler Institutionen“ angeführt werden, sondern z.B. auch militärische oder bürokratische Sozialorganisationen. Robert Mertons (1995: 187ff.) Charakterisierung des Bürokraten z.B. führt Merkmale auf, die zeigen, dass dieser Persönlichkeitstypus fast optimal an sozialstrukturelle Milieus angepasst ist, die hohen Gruppendruck mit einer geschlossenen Rollenauffassung verbinden. Im Sinne des Ansatzes von Ralph Turner lassen sich in derartigen Bürokratien nur geringe Spielräume für ein kreatives „role making“ ausmachen, zu „formell“ ist dieses Rollensystem: „Das formelle Regulierungssystem schränkt den Rollengestaltungsprozess ein, indem es sein Repertoire begrenzt und die Rollengrenzen starr werden lässt“ (Turner 1976: 117). Im tierbezogenen Rollenspektrum unserer Gegenwartsgesellschaft lassen sich hier z.B. Amtstierärzte einordnen, die ihre dienstlichen Tierschutzpflichten strikt regelkonform wahrnehmen. Freilich: Gerade hier wird deutlich, dass Persönlichkeitstyp und sozialer Strukturtyp keineswegs kongruieren bzw. gut integriert sein müssen. Je nachdem, ob das tierethische Entwicklungsniveau der betreffenden Person höher oder niedriger ausfällt als der von den legalen Normen vorgegebene Rahmen, wird das resultierende Rollenhandeln dann entweder zu „erzwungener Konformität“ führen oder aber mit Selbstentfremdung einhergehen.91 Ein dazu komplementärer und grundlegender Baustein zur Charakterisierung von geschlossenen und offenen Rollensystemen schließt direkt an Basil Bernstein an. Bernstein untersuchte die kommunikativen Aspekte von Rollensystemen daraufhin, ob sie dem Handelnden (dem Sprecher) einen eher erweiterten oder reduzierten Bereich von Realisierungsalternativen rollenspezifischer Erwartungen zumuten.92 Bernstein will zeigen, „dass in einem Feld, wo das Rollensystem offen ist, eine Motivation herbeigeführt wird, Bedeutungen zu erforschen, aktiv zu suchen und auszuweiten; wo die Rolle geschlossen ist, wird nur eine geringe Motivation herbeigeführt, neue Bedeutungen zu erforschen und zu schaffen“ (Bernstein 1981: 209). Systemtheoretisch sind offene Rollensysteme also durch höhere Binnenkomplexität und -kontingenz gekennzeichnet. Für derartige Rollensysteme sind also sowohl die Chancen wie auch die Risiken höher, Verhaltenssequenzen zu seligieren, die das Umweltverhältnis „günstig“ bzw. „rich91 92
Vgl. hierzu und zu weiteren Formen der (Des-)Integration von Person und gesellschaftlicher Umwelt ausführlich R. Münch (1988: 415ff.). Vgl. B. Bernstein (1981: 207ff.). Im Folgenden stehen die typologisch relevanten Bezüge von Bernsteins Ansatz im Vordergrund, nicht das Für und Wider seiner empirischen Forschungen.
Tiermoralische Orientierungsmuster
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tig“ gestalten können. In kommunikativer Hinsicht ist es nun besonders der elaborierte Code,93 der zu Sprechweisen ermuntert, die dieser komplexeren Rollengestaltung adäquat sind. Wahrscheinlicher sind hier kreative Rollengestaltungen, die sich besser auf Überraschungen einstellen können, – freilich oftmals um den Preis einer relativ problematischen sozialen Sinnintegration sowie einer eher riskanten Anschlussfähigkeit der Verhaltensbeiträge. Im Hinblick auf die Interaktionskompetenzen eines Selbst (im Sinne des „self“ von G. H. Mead)94 sind es vor allem die dadurch geförderten Fähigkeiten 93
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Dies ist der Hauptgrund, weshalb der Ansatz von B. Bernstein besser geeignet ist, der soziokulturellen Offenheit und Flexibilität von elaborierten Codes bzw. personorientierten Kontrollmodi Geltung zu verschaffen als der Ansatz von M. Douglas. Bernstein lässt letztlich die konventionalistische Rollenauffassung hinter sich, die bei Douglas an sensiblen Punkten verhindert, dass Tragweite und Brisanz von Prozessen des „role-making“ ausreichend berücksichtigt werden. Im Hinblick auf eine Begünstigung tiermoralischer Orientierungsmuster sind wohl vor allem folgende Aspekte des elaborierten Codes von Bedeutung: Der elaborierte Code begünstigt nach B. Bernstein einmal (1) die Neigung zu symbolischer „Artikulation“ oder Explikation: Elaborierte Codes unterstützen die Freilegung impliziter Sinnkomplexität, während Sinnbezüge im „verdichteten Symbolismus“ des restringierten Codes eher latent, unexpliziert bleiben (Bernstein 1981: 264f.) (umgekehrt freilich die Gewichtung bei Douglas 1982a: 73f.; sie ordnet einer differenziert gegliederten Sozialstruktur ein verdichtetes, „magische“ Ritualismen evozierendes Symbolsystem zu). Diese Tendenz zum expliziten Symbolismus kann die kognitive Distanzierung von kulturellen Selbstverständlichkeiten erleichtern und Neugier freisetzen (Bernstein 1981: 127, 137). (2) Der elaborierte Code tendiert eher zu einer Universalisierung der Sinnbezüge, zur Befreiung aus partikularen Kontextabhängigkeiten: „Ein elaborierter Code ist universalistisch in Bezug auf seine Bedeutung insofern, als er allgemeine soziale Mittel und Ziele zusammenfasst“ (Bernstein 1981: 188; vgl. auch 265). (3) Ein elaborierter Code begünstigt die Reflexion eigener Intentionen und Gefühle und damit empathische Haltungen dem anderen gegenüber. Er fokussiert eher die „subjektiven Intentionen“ von Ego und Alter und erlaubt damit eine „erhöhte Sensibilität gegenüber eigener und fremder Motivation“ (Bernstein 1981: bes. 133-35). Dies wiederum hat Folgen für die Entwicklung des Moralbewusstseins, denn es erleichtere die „Ausbildung eines niedrigen Schwellenwertes für Schuldgefühle“ (Bernstein 1981: 126). (4) Der elaborierte Code fördert Prozesse der kognitiven und sozialen Individuierung, da er diejenigen symbolischen Ausdrucksformen positiv prämiert, die (syntaktisch und lexikalisch) schwieriger zu prognostizieren sind und die eine möglichst weitgehende „individuelle Qualifikation“, ein hohes Maß an unverwechselbarer symbolischer „Individualisierung“ erkennen lassen (Bernstein 1981: 133f.). (5) Elaborierte Codes begünstigen erweiterte Zeithorizonte der Handlungsorientierung, also die Orientierung an „entfernten Zielen“. Damit kann eine erhöhte Frustrationstoleranz und Entschlüsselungskompetenz gegenüber zunächst verwirrend erscheinenden Mehrdeutigkeiten einhergehen (vgl. Bernstein 1981: 121f., 209). Alles in allem kann man eine gewisse „Wahlverwandtschaft“ zwischen Formen eines komplexen Selbst und offenen Rollenmustern annehmen. Unter einem komplexen „self“ wird hier in der Tradition von G. H. Mead ein Selbst verstanden, das fähig ist, unterschiedliche Verhaltenserwartungen von verschiedenen „generalisierten anderen“ (a) zu erfassen und diese (b) auf eine „kreative“ Weise zu organisieren bzw. zu synthetisieren. Dieses Selbst verwirklicht in besonderem Maße jene intersubjektive Schlüsselkompetenz, auf die G. H. Mead immer wieder rekurriert: Die „einheitliche und doch auf die Verständigung mit stufenweise immer mehr Partnern hin offene und flexible Selbstbewertung und Handlungsorientierung“ (Joas 1980: 117).
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zum intersubjektiven Perspektivenwechsel, zur Empathie95 und zum kreativen Umgang mit Ambivalenzen,96 die bei offenen Rollenmustern ceteris paribus tiermoralische Orientierungen fördern können. Dies rührt auch daher, dass hier insgesamt universalistische Moralauffassungen wohl stärker stimuliert werden. Anders bei einem Selbst, das systemökologisch stärker auf das „Soziotop“ geschlossener Rollenmuster abgestimmt ist. Tierethische Haltungen, die direkte Pflichten gegenüber Tieren und ihrem subjektiven Erleben in den Mittelpunkt
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Allgemein gesagt, geht es hier also um die Fähigkeit des Selbst, eine Vielzahl von sozial oder kulturell vermittelten Perspektiven zu übernehmen und diese so miteinander in Beziehung zu setzen, dass hinreichend adäquate und „eigenständige“ Verallgemeinerungen, Universalisierungen möglich werden. Für komplexere Selbste impliziert dies einmal eine vergleichsweise große Reichweite des kulturell sinnadäquaten Fremdverstehens, gepaart mit eine relativ „breit“ angelegten Fähigkeit zum sozialen Perspektivenwechsel. Obwohl G. H. Mead zu Recht den sehr engen Zusammenhang der sozialen und „logischen“ Universalisierungskompetenz herausstreicht (vgl. bes. Mead 1974: §§ 12, 20), so partizipiert jedes Selbst an beiden Universalismusdimensionen doch in unterschiedlichen Abstufungen. Unter Empathie soll hier das Bemühen verstanden werden, die subjektive Perspektive von Alter (hier: eines Du-evidenten Tieres) einzunehmen. Gemeint ist nicht die kognitiv-normative Seite der jeweiligen (z.B. rollenspezifischen) Verhaltenserwartungen, sondern auch der Versuch eines motivationalen Verstehens und eines emotionalen Perspektivenwechsels (Mitfühlen). Die Gefühlsdimension der Empathie meint also mehr als bloß gemeinsames „Miteinanderfühlen“, sie ähnelt eher dem Begriff des Mitgefühls bei M. Scheler (1973: 24; Herv. v. S.): „Alles Mitgefühl enthält die Intention des Fühlens von Leid und Freude am Erlebnis des andern. Das Mitgefühl ist selbst als ‚Fühlen – nicht erst vermöge des ‚Urteils oder der Vorstellung, ‚dass der andere das Leid fühle – darauf ‚gerichtet; nicht nur angesichts des fremden Leids tritt es ein, sondern es ‚meint auch das fremde Leid und meint es als fühlende Funktion selbst.“ Ein kreativer Umgang mit sozialen Ambivalenzen meint hier die Fähigkeit zu einer sozial produktiven Auseinandersetzung mit sozialen Situationen, für die eine „relative Unschärfe der Rollenerwartungen“ (Dreitzel 1968: 348) charakteristisch ist. Der Mangel an Eindeutigkeit, wie er insbesondere in Kontakten mit Fremden (d.h. hier: fremden Tieren) in Erscheinung tritt, wird nicht als Angst einflößende „Unordnung“ bekämpft (vgl. dazu Bauman 1995), sondern als Chance zu einer kreativen Ausgestaltung oder Transformation der Situation verstanden. Zwei Grundtypen von sozialer Ambivalenz sind in diesem Zusammenhang zu unterscheiden: (a) zum einen die „soziologische Ambivalenz“ (Merton 1976: 3ff.) oder Normambivalenz, die sich dadurch auszeichnet, dass die Normadressaten gleichzeitig zwei gegensätzliche und gleichwertige, ambivalente Normen erfüllen sollen (Nedelmann 1997). Davon zu trennen ist (b) Ambivalenz als eine Interaktionsform, wie sie B. Nedelmann beschreibt: Hier führt die Lust am wechselseitigen Austausch ambivalenter Botschaften zu Spielformen von Interaktionen, in denen sich die Partner zirkulär stimulieren. Es kommt eine Eigendynamik in Gang, die auf einer „Steigerung des Wertes bzw. des Reizes der Form der Interaktion als solcher“ beruht (Nedelmann 1997). Mit Blick auf direkte Mensch-Tier-Beziehungen ist hier anzunehmen, dass kreativere Selbste – sofern sie den Tierkontakt als ein offen strukturiertes Interaktionssetting typisieren (können) – weniger dazu neigen, die Verhaltensambivalenzen, die in zahlreichen MenschTier-Kontakten auftreten, als störend oder verwirrend zu perzipieren. Selbste, die für geschlossene Rollensysteme typisch sind, tendieren hingegen mutatis mutandis eher zu „monovalenten“ Situationstypisierungen, die das Tierverhältnis im Rahmen eines – normativ weitgehend vorkonstruierten – Beziehungsmodells definieren.
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stellen, sind hier weniger wahrscheinlich, vor allem dann, wenn sie mit partikularistischen und askriptiven Modi tierbezogener Handlungsorientierungen einhergehen.97 Bei humanimalischen Interaktionen ist es hier wahrscheinlicher, dass lediglich wenige, „spezifische“ Bezugsaspekte gegenüber dem Tier thematisch relevant werden, Bezüge, die das Tier im Extremfall dem sekundärsozialen Konstrukt eines objekthaft generalisierten anderen annähern. Die menschliche Seite ist dann auf ein vergleichsweise fest normiertes, inflexibles Standardmuster des Verhaltens festgelegt, etwa auf die weitgehend anonymen „Typen des Handlungsablaufs“ (Schütz 1971: 28ff.). Im Falle offener Rollenmuster ist die Handlungsorientierung dem Tier gegenüber eher „diffus“, die Erwartung ist nicht auf wenige bestimmte Verhaltens- bzw. Reaktionsmuster des tierlichen Gegenüber fixiert. In diesem Fall ist das Verhaltensrepertoire des ganzen Tieres relevant, d.h. die Beziehung zum Tier ist hier eher „personen“- als „objektbezogen“, sie sucht eher auf den Facettenreichtum, die Komplexität des Tieres in seiner Duevidenten „Einzigartigkeit“ einzugehen. Doch ist in diesem Zusammenhang vor einer irreführenden Parallelisierung zu warnen: „Geschlossenes Rollenhandeln“ Tieren gegenüber bedeutet freilich keineswegs, dass es sich dabei um Verhaltensmuster handelt, die (in ihrer latenten Funktion) das Wohlbefinden des Tieres notwendig oder gar durchweg beeinträchtigen. So kann z.B. ein sehr wertvolles Tier, das von seinem Besitzer erstrangig als Statussymbol (und nicht als Tiergefährte) gehalten wird, auch im Rahmen eines „geschlossenen“ Rollenverständnisses gut verpflegt und veterinärmedizinisch bestens versorgt werden. Analoges lässt sich von offenen Rollenmustern feststellen: Wenn ein entsprechendes tiermoralisches und/oder ethologisches Problembewusstsein fehlt, kann eine individuelle bzw. „eigenmächtige“ Ausdeutung oder „Invention“ tierbezogener „Benimmregeln“ Konsequenzen haben, die das subjektive Wohlergehen des Tieres nachhaltig beeinträchtigen können. Tierquälerische Folgen von den schon (unter 3.1.1) angesprochenen, oft „gut gemeinten“ Anthropomorphisierungen wären hier ein krasses Beispiel. Alles in allem ist also festzuhalten, dass die Interpenetrationsbezüge, die auf der sozialen Mesoebene von offenen Rollenmustern begünstigt werden, sich letztlich janusköpfig darstellen. Wo die entsprechenden Bezugsniveaus der 97
Diese Zusammenhangsvermutung kann freilich nur unter dem wichtigen Vorbehalt formuliert werden, dass Art und Ausmaß der primärsozialen Mensch-Tier-Beziehungen der jeweiligen Vergleichspopulationen in etwa ähnlich sind. Eine kreative Person mit einem komplexen Selbst, die in einem offenen, individualistisch geprägten Rollensystem heimisch ist, aber (z.B. wegen einem biographischen Mangel an Gelegenheiten) nie die Möglichkeit hatte, nennenswerte direkte Erfahrungen mit Tieren zu sammeln, kann Tierschutzfragen ferner stehen als ein im Übrigen rigide und moralisch konventionell urteilender Tierhalter, der auf der F-Skala von Th. W. Adorno et al. (1950) hohe Autoritarismuswerte erzielen würde.
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Implementationen des kulturellen und des Persönlichkeitssystems unentwickelt, „niedrig“ sind (wie z.B. bei den erwähnten Mbuti-Pgymäen), dort kann tierbezogenes Verhalten im Rahmen offener Rollenmuster unter Umständen tierethisch „tiefer“ angesiedelt sein als im Rahmen eines „geschlossenen“ Rollenverhaltens, das (ohne nennenswerte Rollendistanz) den sozialorganisatorisch institutionalisierten Tierschutznormen folgt. In diesem Licht können im offenen Rollenmuster am ehesten dann tiermoralisch „entwickeltere“ Positionen Platz greifen, wenn die betreffenden Referenzsysteme des Interpenetrationsprozesses (Kultursystem, Persönlichkeitssystem) weitreichendere Orientierungsmuster anbieten als die im jeweiligen Sozialzusammenhang geltenden tierbezogenen Verhaltensnormen. Zusammenfassend lassen sich im Spektrum humanimalischer Sozialität nun vier idealtypische Grundtendenzen unterscheiden, je nachdem, ob die beiden Ebenen dieser Sozialität (die primärsoziale und die sekundärsozial-tiersymbolische Ebene) auf den Kontext eines geschlossenen oder eines offenen Rollenmusters bezogen werden. Hier ein schematischer Überblick: Abbildung 9:
Grundtendenzen humanimalischer Sozialität im Bezugskontext Rollenmuster Humanimalische Sozialitätsebenen
Rollenmuster
primärsoziale Ebene
sekundärsoziale Ebene
geschlossen
„Beziehungsvollzug“: starke normative Vorstrukturierung der Interaktion
Konsolidierung & Reproduktion der ethnozoologischen Klassifikationsordnung
offen
„Beziehungsgestaltung“: Perspektivenwechsel und Empathie
Permeabilität ethnozoologischer Klassifikationen
5.4.3.2 Gruppendruck Eine zweite analytische Bezugsachse sozialer Strukturen ist die Variable Gruppendruck. Allgemein kann man den Gruppendruck als ein Maß für die Kohäsion und insofern auch für die Kontinuität einer Sozialeinheit definieren. Genauer gesagt, meint der Gruppendruck zum einen (a) den Grad der Durchlässigkeit bzw. Undurchlässigkeit der sozialen Grenzen der jeweiligen Gruppe bzw. Sozialorganisation. Damit korrespondiert (b) eine Kontrollfunktion des Gruppen-
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drucks gegenüber mitgliedschafts- bzw. gruppenspezifischen Verhaltensmustern. In dieser Hinsicht zeigt die Gruppendruckvariable also an, wie stark bzw. schwach der Kontrolldruck ausfällt, um das einzelne Gruppenmitglied zur Erfüllung gewisser Verhaltenserwartungen zu veranlassen. Hoher Gruppendruck drückt sich z.B. in einer starken „corporate identity“ aus sowie in „recognisable signs of inclusion and exclusion“ (Douglas 1982a: 57). Obwohl starker Gruppendruck bei funktional differenzierten Sozialorganisationen und Großgruppen häufig mit einer Tendenz zur hierarchischen Zentralisierung einhergeht, dürfen beide Strukturdimensionen keinesfalls gleichgesetzt werden. Schließlich kann hoher Gruppendruck auch durch Mechanismen heterarchischer, ja dispersiv angelegter Kontrolle erzeugt werden.98 Das Ausmaß des Gruppendrucks gibt an, wie stark die (Sozial-)Welt eines Kollektivs kategorial und moralisch durch eine Innen-Außen-Polarisierung geprägt wird (z.B. „gute“ Eigengruppe versus „schlechte“ Fremdgruppe). Diese bisweilen „manichäistisch“ anmutende Dichotomisierung tendiert bei starkem Gruppendruck zu einer ausgeprägt dualistischen Tiersymbolik. Diese drückt nicht nur die charakteristische Innen-Außen-Dichotomie aus, sie bewirkt auch, dass diese soziale Polarisierung über die ethnozoologische Dimension reproduziert wird. Man könnte auch sagen: Die soziokulturelle Konstruktion der Tierwelt hat die Funktion, die Konstruktionsprinzipien der Sozialwelt in gewissem Sinne zu legitimieren und sie indirekt und weithin unbewusst als „natürlich“ – hier: als „der“ naturhaften Ordnung entsprechend – darzustellen. Derartige Ethnozoologien teilen ihre Fauna in der Regel in gute (z.B. nützliche oder menschenähnliche) und schlechte (z.B. schädliche oder menschenfeindliche, „bestialische“) Tiere auf.99 Zum einen sind solche „guten“ Tiere oft solche Lebewesen, 98
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Ein Beispiel ist hier die Matrix-Organisation, bei der Kontrollprozesse auf unterschiedliche, untereinander aber gleichberechtigte Funktionsdimensionen verteilt sind (vgl. als Übersicht Türk 1978: 99). Anschauliche Beispiele für solche polarisierenden Dichotomien finden sich in Schöpfungsmotiven des Volksglaubens. Demnach wurden bestimmte Tiere nicht von Gott, sondern vom Teufel geschaffen: „Gott schafft den Menschen, dem Teufel gelingt allein der Affe, Gott das Pferd, dem Teufel der Esel, Gott die Biene, dem Teufel die Bremse usw.“ (Peuckert 1987: 276). Ein weiteres Beispiel für diese polarisierende Tendenz sind Paare ähnlich erscheinender Tiere, die die Innen-Außen-Dichotomie augenfällig exemplifizieren können (z.B. Hauskatze/Luchs oder Hund/Wolf bzw. Hund/Fuchs). Z.B. verwendete die ländliche Volkskultur dort, wo ihr an einer euphemistischen oder verharmlosenden Bezeichnung gefährlicher Wildtiere gelegen war, Abwandlungen der Haustiernamen (z.B. „Holzhund“, der in Kärnten den Wolf, im Oberösterreichischen den Fuchs bezeichnen konnte (vgl. Riegler 1987: 883). In der Volkszoologie der Bretagne z.B. werden zahlreiche Tierarten in dieser Weise dichotomisiert: Mensch und Affe, Hund und Wolf/Fuchs, Huhn und Rabe, Fink und Sperling usw.: Jenes Wesen gilt als Werk Gottes, dieses hingegen als Werk des Teufels (Dähnhardt 1907: 164f.). Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Wendung „entre chien et loup“: Sie beschreibt einen „Zwischenzustand sich ausbreitender Unkenntlichkeit, der nicht ohne Gefahr ist“ (Waldenfels 1987: 203).
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die die Sozialeinheit bzw. ihr (politisches) Funktionszentrum auch symbolisch (z.B. emblematisch) repräsentieren. Ein zweites Abgrenzungskriterium ist vor allem vom „kulturellen Materialismus“ herausgestellt worden und spielt häufig in Gruppen eine bedeutende Rolle, die auf Natural- oder Subsistenzwirtschaft basieren: Die für den materiellen Reproduktionsprozess der Sozialeinheit besonders wichtigen Tiere werden dem positiv bewerteten Innenbereich zugerechnet, „Schädlinge“ und gefährliche Wildtiere dem sozialen Außenbereich.100 Die symbolische und die Reproduktionsfunktion lassen sich letztlich aber nicht aufeinander reduzieren. So ist es nicht überraschend, dass die einem Kollektiv zugehörigen Haustiere keineswegs durchweg der „positiven“ Fauna zugerechnet werden müssen,101 ebenso wenig wie die Wildtiere, die auch unter Bedingungen hohen Gruppendrucks in teils „gute“, teils „böse“ bzw. schädliche Tiere aufgeteilt werden können. Unabhängig von der Struktur des jeweiligen Rollenmusters tendieren die konsensstiftenden Kommunikationsmedien bei starkem Gruppendruck zu einem restringierten Code, der implizite Bedeutungen bevorzugt, einen eher appellativen und stereotypisierenden Duktus aufweist und die Normen- und Wertbasis affirmativ bekräftigt. Konsensfindung bei schwachem Gruppendruck begünstigt hingegen (bei hinreichender Offenheit des Rollenmusters) eine elaborierte Explikation, Darstellung und Begründung der Standpunkte, mithin auch der normativen und „werthaften“ Voraussetzungen von Ego und Alter.102 An sozialen Perspektivenwechsel und Empathiefähigkeit werden hier andere Anforderungen gestellt. So können sie flexibler bzw. „sensibler“ ausgeprägt sein, wenn „fremde“, sehr unterschiedliche Positionsinhaber mit divergierenden Projekt- und Situationsdefinitionen aufeinander stoßen und keine ausgleichenden Interaktionsroutinen zur Verfügung stehen. In primärsozialer Hinsicht, sofern das Tier als Du-evidentes Subjekt perzipiert wird, kommt es bei starkem Gruppendruck eher zu einer Abwandlung des gruppenspezifischen Personalitätskonzepts. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass die Ein- bzw. Unterordnung des Individuums unter das kollektive Ganze, die Gruppenziele und -zwecke, generell positiv bewertet wird. Im Gegensatz 100 Dabei kann der wirtschaftliche Nutzen auch ein indirekter sein. Er kann, bezogen auf die ökologischen und demographischen Bedingungen der Wirtschaftsweise gerade darin bestehen, dass ein Tier nicht in der andernorts vorherrschenden bzw. selbstverständlichen Weise genutzt wird. Ein bevorzugtes Beispiel von M. Harris (1989: 309ff.) ist hier die „heilige Kuh“ Indiens, die hier vor allem für die Zucht von Zugochsen für die Feldbestellung wichtig ist. 101 Im volkszoologischen Dualismus der Bretagne z.B. gilt Gott als Schöpfer von Kuh, Biene und Walfisch, der Teufel als Schöpfer von Ziege, Wespe und Haifisch usw. (Dähnhardt 1907: 164f.). 102 Vgl. H. Geser (1983: 99), der als Parameter der Sozialdisziplinierung den Zentralisierungsgrad anführt.
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dazu wird das Tierindividuum, dem (im Hinblick auf die jeweiligen Gruppenerfordernisse) undisziplinierte oder unangepasste Eigenschaften zugeschrieben werden, eher negativ eingestuft. Vor allem Tiere, die gruppenspezifisch definierten Untugenden exemplarisch (zu) verkörpern (scheinen), werden ins Negative vermenschlicht. Sie werden nicht selten mit Zügen des äußeren Feindes, des Fremdgruppenangehörigen versehen und dementsprechend bekämpft, verfolgt, „dämonisiert“ usw. Starker Gruppendruck begünstigt schließlich auch umgekehrt, dass der menschliche (Gruppen-)Feind zum „Tier“ oder „Untermenschen“ degradiert und dann durch entsprechende Tierbezeichnungen geschmäht wird.103 Auf der anderen Seite liefert gerade das primärsoziale Verhältnis vielerlei Belege für positive, hoch bewertete Selektionsmuster. Es werden eher solche Tiere geschätzt, die sich – dem jeweiligen gruppendienlichen Tugendkatalog entsprechend – sozio- oder „ethnozentrisch“ vermenschlichen lassen. Im Extremfall wird das Tier dann quasi als „Gruppenmitglied“ (z.B. als Familienmitglied) kooptiert. Der Haushund ist in diesem Sinne von einer exemplarischen Multifunktionalität: Schon seine ethologischen Verhaltensmuster kommen in vielerlei Hinsicht jenen Tugenden entgegen, die in Kollektiven mit starkem Gruppendruck geschätzt werden (insbes. „Treue“, „Gehorsam“, „Aufopferungsbereitschaft“) und oftmals eben deswegen tiermoralische Orientierungen begünstigen. Mit fast idealtypischer Prägnanz und nicht ohne groteske Überzeichnung charakterisiert Friedrich Theodor Vischer diesen Typus in seinem Roman „Auch Einer“. Die Hauptfigur des Romans, Albert Einhart, wird als ein Bezirkspolizeidirektor geschildert, dessen Tierliebe stark in Ordnungsvorstellungen wurzelt, wie sie für loyale Mitglieder einer Gruppe mit hohem Gruppendruck (und ausgeprägtem Rangbewusstsein) typisch sind: „Haarscharf war der Mann in der Ordnung des Dienstes, ein Minos und Rhadamant gegen rohe oder frivole Willkürexzesse, gegen alles, was nach Zuchtlosigkeit aussah, insbesondere richtete sich sein Eifer auch gegen die Tierquälerei, einen Zug von Rohheit, der in unserem Volke leider sehr stark ist und in dem er ein Hauptsymptom wachsender Verwilderung sah; seine Polizeimannschaft war streng angewiesen, diese Form der Barbarei scharf zu überwachen. Dabei ganz unpedantisch, nachsichtig, soweit irgend das Amt es erlaubte, gegen Ausschreitungen harmloser Art, hilfreich, höchst tätig in Pflege von Wohltätigkeitsanstalten, in Verbesserung der Gefängnisse, in Auftreibung von Mitteln zur sittlichen Rettung Bestrafter (...)“ (Vischer 1928: 260).
In primärsozialer Hinsicht ist es nun charakteristisch, dass Verhaltenserwartungen, die im zwischenmenschlichen Bereich einen hohen normativen Stellenwert 103 Ein berüchtigtes Beispiel ist hier die Analogisierung von Juden und Ratten in der nationalsozialistischen Propaganda.
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innehaben, nicht selten direkt auf die primärsoziale Tierbeziehungen übertragen werden: „Einmal aber hatte ihn ein Hund durch wiederholten Ungehorsam erzürnt. Er war sonst nur zu gut gegen Tiere, aber wo es Disziplin galt, verstand er auch da keinen Spaß und konnte sehr hart sein. In seinem Grimm packte er den Hund und schleuderte ihn aus dem Fenster.“104 Die tierbezogenen Orientierungsmuster dieser Habitusvariante lassen sich besonders augenfällig an solchen Organisationen exemplifizieren, die Hunde zu Mitgliedern der Eigengruppe „kooptieren“, um sie gegen einen äußeren Feind in Stellung zu bringen. Bei totalen Institutionen lassen sich Beispiele anführen, wo der Hund als „Kämpfer“ gegen einen „Feind“ eingesetzt wird, der gleichzeitig (semantisch, rechtlich usw.) entmenschlicht wird.105 T. Vischers „Fenstersturz“ exemplifiziert freilich drastisch, dass eine Übertragung gruppenspezifischer Moralprinzipien auf die „zugehörigen Tiere“ keinesfalls mit einer tierschützerischen Achtungsbeziehung gleichgesetzt werden darf, die ja die subjektiven Interessen des Tiersubjekts fokussieren müsste. Unter Bedingungen starken Gruppendrucks geht es in erster Linie um eine effektive Kontrolle menschlichen und tierlichen Verhaltens, um einen Kontrollmodus, der weithin auf Internalisierungsprozessen beruht, die das Gruppenmitglied – auch das tierliche! – auf das gruppenspezifische Zivilisationsniveau „hinzusozialisieren“ suchen (im Bereich der Körperkontrolle z.B. auf Reinlichkeit). Da, wie Mary Douglas aufgewiesen hat, Sozialeinheiten mit starkem Gruppendruck oftmals rigidere und „formalere“ Verhaltensstandards zeigen als solche
104 F. T. Vischer (1928: 261). Starker Gruppendruck begünstigt zudem, dass Tierbeziehungen moralisch unter dem „soziozentrischen“ Aspekt der indirekten Pflichten gegen die Gruppe bewertet werden. So auch bei Einhart, der unbedingt davon überzeugt ist, „dass frühe Tierquäler oft zu Mördern und in politischen Stürmen zu Blutmenschen werden“ (Vischer 1928: 263). – Wie vielfach bezeugt ist, war der Katzen- und Hundefreund Vischer selbst ein engagierter Anwalt der Tiere, z.B. teilt T. Klaiber (1920: 124) mit: „Durch sein ‚herrliches Wettern gegen Tierschinderei und Tierquälerei hätte er sich’s verdient, wie Gottfried Keller in seinem Glückwunsch zu Vischers achtzigstem Geburtstag schreibt, dass ihn einst eine große Schar erlöster Tiere ins Himmelreich begleite, so wie den lebenden Vischer immer sein Hund begleitet hatte.“ 105 Einen besonders extremen Fall einer derartigen Inversion des Mensch-Tier-Verhältnisses teilt aus dem KZ-Alltag W. Sofsky (1997: 373) mit: „In den Berichten aus Treblinka wird von einem riesigen Bernhardinermischling namens ‚Barry berichtet, der von seinem Herrn, dem Kommandanten Franz, mit dem Befehl: ‚Mensch, fass den Hund! auf Häftlinge gehetzt wurde und ihnen den Unterleib zerfleischte“ (Herv. v. R.W.). – Der Umstand, dass der Ausdruck „Hund“ hier als Beleidigung gemeint ist, ist mit der obigen These, dass Hunde hier meist zu den positiv bewerteten Ingroup-Tieren gezählt werden, durchaus vereinbar. Für die SS wie für das KZ-Regime war gleichzeitig eine stark hierarchische Differenzierung typisch. In solchen Sozialeinheiten ist eine negativ-pejorative Verwendung von Bezeichnungen, die sich auf subalterne oder periphere Untergruppen des Kollektivs beziehen, nicht unüblich.
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mit geringem Gruppendruck,106 können selbst Haustiere, die von ihrer ethologischen Voraussetzungen her sehr anpassungsfähig oder vergleichsweise „reinlich“ sind (z.B. Hund bzw. Katze), den relativ hohen Standards weniger genügen als den relativ „laxeren“ Verhaltensstandards, die in Gruppierungen mit weniger Gruppendruck (und einem oftmals offenen Rollenmuster) wahrscheinlicher sind. In Sozialeinheiten mit starkem Gruppendruck demonstrieren, reproduzieren primärsoziale Kontakte mit Heim- oder Haustieren also fortlaufend eine relativ strikte und weitreichende Mensch-Tier-Grenzziehung – eine Grenzziehung, die langfristig eine Aufwertung kognitivistischer Subjektivitätskonzepte und vernunftgesteuerter Selbstkontrolle zu begünstigen scheint. Douglas schreibt zu diesem Punkt: „Humans are mannerly. They observe polite conventions in their dealings with each other and hide themselves when performing their natural functions. Animals satisfy their natural appetites uncontrolled. They are regarded as the ‚brute beasts which have no understanding of the Anglican marriage service. This governing distinction between men and animals testifies to the superiority of mankind. It gives man a kind of moral licence to hunt and kill wild animals without shame or pity“ (Douglas 1975: 29, vgl. auch 45).
Schwacher Gruppendruck lässt dagegen erwarten, dass die (mehr oder minder differenzierte) tiersymbolische Klassifikation nicht (mehr) in dem Ausmaß gruppenspezifischen Ordnungskriterien folgt, sondern eher Relevanzmustern, die individuelle Präferenzen, Vorlieben wie Abneigungen, artikulieren oder nach situationsspezifisch sehr variablen Kriterien vorgenommen werden können. Da nach der oben angeführten Reinheitsregel von Douglas Sozialeinheiten mit schwachem Gruppendruck im Hinblick auf den Ausdruck von Affekten und „animalischen“ Körperfunktionen (mutatis mutandis) ein niedrigeres Kontrollniveau besitzen, ist es hier wahrscheinlicher, dass vergleichbares tierliches Ausdrucksverhalten in wichtigen Aspekten als weniger abstoßend und unangenehm wahrgenommen wird. Auf der primärsozialen Ebene hat das gegenüber Du-evidenten Tieren zur Folge, dass tierbezogene Vermenschlichungstendenzen den Mensch-
106 Zur Erläuterung dieser „Reinheitsregel“ der körperlichen Ausdruckskontrolle schreibt M. Douglas (1975: 213f.: Herv. v. D.): „To domesticate an animal means to teach it to bring organic processes under controll. To socialise a child means the same thing. There is a universal code for grading expressive forms. (...) Excretion, urination, vomiting, spitting, nail-paring, hair-losing, these are the processes which rank lowest. Other physiological processes which are not part of discourse should be controlled (...). The more important the social event, the greater the demand for bodiliy control, and the lower the threshold of tolerance of bodily processes, the more hierarchised the social system, the stronger the control demanded. Social distance measures itself by distance from organic process.“
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Tier-Gegensatz hier eher relativieren, da sie subkognitive, vorprädikative Subjektivitätsaspekte generell positiver bewerten. Bei schwachem Gruppendruck werden nicht nur relativ unkontrollierte Ausdrucksformen körperlicher Dissoziation (z.B. Rausch- oder Trancezustände) tendenziell günstiger bewertet, auch die subjektive „Innenseite“ des individuellen Erlebens (Douglas 1982a: bes. 74ff.) erfährt eine Aufwertung. So wird verständlich, dass hier tiermoralische Orientierungsmuster bevorzugt werden, die die interspezifische Achtungskommunikation vor allem an der Vermeidung von Leiden, an der Gewährleistung des subjektiven Wohlbefindens des Tieres messen. Schon hier muss freilich eine wichtige Einschränkung angebracht werden. Bei einem geschlossenen Rollenmuster, das humanimalische Beziehungen über restriktive Vollzugsnormen vordefiniert, wird meist ein Verhaltenskontrollniveau erwartet, das die in dieser Hinsicht tendenziell „befreienden“ (in anderer Sichtweise „anomischen“) Wirkungen eines schwachen Gruppendrucks weitgehend neutralisiert. Das Individuum, das hier auf „eigene Rechnung“ seine Ziele verfolgt, ist gezwungen, diese im Rahmen der Möglichkeiten eines relativ starren und „formalen“ normativen Regelwerks zu realisieren. Auch in primärsozialen Interaktionen mit Tieren zählen da die regelspezifisch auferlegten, formalen „Sachzwänge“ mehr als die situative Befindlichkeit von Alter, der hier eher für die eigenen Zwecke instrumentalisiert werden muss. Umgekehrt bei offenen Rollenmustern: Hier werden die „subjektorientierten“, auf Empathie und intersubjektiven Perspektivenwechsel abhebenden Verhaltenskompetenzen, die Basil Bernstein an der personorientierten Familie untersucht hat, viel eher und häufiger nachgefragt. Hier gilt, dass der „Bereich der Entscheidungen, Entscheidungsabänderungen und Beurteilungen eher eine Funktion der psychischen Qualitäten einer Person als eine Funktion des formalen Status ist“ (Bernstein 1983: 214).107 In symbolischer Hinsicht sind für die „individualistische“ Tierauffassung bei schwachem Gruppendruck zwei Grundvarianten charakteristisch: (1) Tierkonzepte gleichen eher unverbindlichen Angeboten, aus denen sich der Einzelne seiner (Interessen-)Lage entsprechend eine maßgeschneiderte „Individualzoologie“ zusammenbasteln kann (ohne negative Sanktionen einer Mitgliedschaftsgruppe fürchten zu müssen). Hier ist es bei günstigen Kommunikationsvoraussetzungen generell wahrscheinlicher, dass auf Tierkonzepte und -semantiken zurückgegriffen wird, die im Kultursystem „verfügbar“ sind. In Sozialeinheiten mit starkem Gruppendruck unterliegen solche alternativen Tierauffassungsweisen sehr viel eher symbolischen Restriktionen bzw. Ausschlussmechanismen.
107 Sachlich analog argumentiert hier H. Geser (1983: 49f.).
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Die zweite Variante (2) betrifft Tierbilder, die eine biographietypische Distanzierung von den ethnozoologischen Freund-Feind-Dichotomien zeitgenössischer Kollektive ausdrücken (oder diese doch relativieren). Das Zurücktreten des Einflusses, der Prägekraft einer gruppentypischen Ethnozoologie ist z.B. dann gegeben, wenn die durch (eine gruppentypische) Sozialisation internalisierte Abneigung gegen gewisse „schädliche“, „feindliche“ oder „gefährliche“ Tiere überwunden wird – z.B. durch längeren und näheren Kontakt mit den betreffenden Tieren. Ein Beispiel wäre hier ein Tierpfleger, der durch seine Arbeit im Zoo eine allgemein gefürchtete oder verachtete Tierart allmählich zu verstehen und schätzen lernt. Es kann freilich auch vorkommen, dass durch Gruppenwechsel oder mehrfache Gruppenmitgliedschaften die Grenzen gruppenspezifischer Ethnozoologien erkannt werden und sich im biographischen Verlauf dann eine eigene „synkretistische“ Individualzoologie herausbildet. In funktional differenzierten, modernen Gesellschaften sind es beispielsweise häufig Dichter, Künstler oder „freischaffende“ Intellektuelle, die aufgrund einer gewissen Distanz zu Kollektiven mit starkem Gruppendruck heterodoxe „Privatzoologien“ entwickeln. Sie weichen dann von den polarisierenden Ordnungskriterien dominierender gesellschaftlicher Gruppen ab oder kehren diese direkt um.108 Ein weiteres Beispiel sind (land-)wirtschaftliche Innovatoren, die die Nützlichkeit bislang verfemter Schädlinge entdecken oder andererseits Tiere nutzen, die in zeitgenössischen Sozialzusammenhängen (z.B. aus religiösen Gründen) tabuierenden Restriktionen (z.B. Speiseverboten) unterworfen sind. Falls es zutrifft, dass Kollektive mit geringem Gruppendruck im Allgemeinen weniger dazu neigen, die Tierwelt als eine sekundärsoziale Bestätigungsfolie vorgefundener Sozialweltkonstruktion einzusetzen, dann wäre unter diesem Aspekt zu erwarten, dass diese relativ unabhängigen, singularisierten oder „ungebundenen“ Individuen mutatis mutandis eher Zugang zu den primärsozialen Aspekten humanimalischer Sozialverhältnisse finden (vorausgesetzt freilich, sie greifen nicht aus anderen Gründen auf kulturelle Muster zurück, die diese Hinwendung erschweren). Dass es hier im Allgemeinen leichter gelingt, sich dem Tier vom primärsozialen Du-Erlebnis her zu öffnen, hat wohl auch damit zu tun, dass die Du-evidente Tierbeziehung bei sozial Marginalisierten, bei einsam oder isoliert Lebenden einen relativ höheren sozialen Stellenwert haben kann.109 In der 108 Als ein markantes Beispiel kann hier wohl Joseph Beuys angeführt werden, dessen Œuvre „durchdrungen (ist) von der Existenz der Tiere“ (Paust 2002: 154). Man denke etwa an die Symbolik des Hasen oder an seine New Yorker Aktion „Coyote. I like America and America likes me“ von 1974 (vgl. dazu Paust 2002). 109 Dies bezieht sich nicht nur auf Personengruppen wie Behinderte, Strafgefangene, chronisch Kranke oder auf Fälle von Alterseinsamkeit (vgl. Greiffenhagen 1993: 105ff., 165ff., 195ff.). In Betracht kommen auch solitäre Positionen vom entgegengesetzten Statusbereich, Positionen innerhalb der gesellschaftlichen Eliten, nicht zuletzt die „splendid isolation“ regierender Fürs-
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Konsequenz können Tierarten oder einzelne Verhaltenseigenarten des Tieres positiv bewertet werden, die in den „soziomorphisierenden“ Typisierungen eines ausgeprägten Gruppendrucks eher zur Diskreditierung beitragen. Das „individualistisch“ erscheinende, „eigenwillige“ Gebaren, das der Hauskatze nachgesagt wird, kann in diesem Sinne positiv „umgewertet“ werden. In extremen Fällen sozialer Desintegration oder Vereinzelung kann es sogar zu humanimalischen Beziehungen kommen, die im Lichte der geltenden gesellschaftlichen Toleranzen als außergewöhnlich und außeralltäglich eingestuft werden. Sozial marginalisierte oder periphere Existenzen (oft sogenannte „Sonderlinge“) wie auch die Viten von Heiligen und Eremiten110 liefern hier eindrucksvolle Illustrationen. In tiersymbolischer Hinsicht treten nicht selten anormale, häufig sogar direkte Inversionen der dominierenden ethnozoologischen Wertpräferenzen auf. Ansonsten „verachtete“, als ekelerregende „Schädlinge“ usw. eingestufte Tiere (wie Kröten, Schlangen, Ratten z.B.) werden nun hochgeschätzt und erfahren manchmal eine symbolische Universalisierung zu „Stellvertretern“ oder Chiffren der gesamten Tierwelt oder Natur. Theodor Storms „Amtschirurgus“ (verfasst 1870) verkörpert diesen Typus des zurückgezogen lebenden, auf andere etwas schrullig wirkenden Tierfreundes überaus lebensnah. Der Amtschirurg, ein Wundarzt, der zwar im öffentlichen Diensten stand, aber weitaus weniger Ansehen genoss als der akademisch ausgebildete Arzt, lebt zurückgezogen auf dem ungeheizten Dachboden des Rathauses. Mit ihm hausen dort zahlreiche Ratten, denen er sehr zugetan ist und die von ihm gefüttert werden. Wenn der Amtschirurg den „Marsch des alten Dessauer“ pfeift, eilen die Tierchen herbei, um von ihm den gewohnten „Obulus“ in Empfang zu nehmen. Eine Ratte mit lichtgrauem Fell ist die Favoritin des Amtschirurgen, sie hat sogar einen „Ehrenplatz“ auf der Lehne seiner Holzbank: „Sie kannten sich wohl, das fremde unheimliche Tier und der einsame alte Mann; sie blickten sich traulich in die Augen, als hätten sie in deren Tiefe den kleinen Punkt gefunden, der unterschiedslos für alle Kreatur aus dem Urquell des Lebens springt. Und jetzt nahm der Alte ein Krüstchen Brot zwischen seine Lippen, und sein Lieblingstier lief an ihm herauf, erfasste es mit den zierlichen Pfötchen und saß gleich wieder auf der zerbrochenen Bank, behaglich knuspernd und dann und wann einen ten. In diesem Zusammenhang betonen H. Brackert/C. van Kleffens (1989: 148) wohl zurecht die „Wärme“ und wohltuende „Anhänglichkeit“, die z.B. der Hund einem Fürsten vermitteln konnte: Der Fürst ist insofern ja oft einsam, als er „umgeben ist von Menschen, die ehrgeizig nach der Macht trachten, intrigant sind, unverlässlich, schmeichlerisch, heuchlerisch, unterwürfig. So bedarf der Fürst eines Freundes, der unbestechlich und treu, verlässlich und urteilssicher ist, den er jedoch nicht mehr unter den Menschen findet“. 110 Vgl. hierzu insbesondere die Legenden, die J. Bernhart (1937) zusammengestellt hat und die diesen Zusammenhang exemplarisch behandeln – unabhängig von der historischen „Tatsächlichkeit“ dieser Erzählungen.
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Blick auf seinen großen menschlichen Freund werfend, der lächelnd daneben stand“ (Storm 1988: 162f.).111
Zusammenfassend lassen sich im Spektrum humanimalischer Sozialität nun vier idealtypische Grundtendenzen unterscheiden, je nachdem, ob die beiden Ebenen dieser Sozialität (die primärsoziale und die sekundärsozial-tiersymbolische Ebene) auf den Kontext eines starken oder eines schwachen Gruppendrucks bezogen werden. Hier ein entsprechendes Schema: Abbildung 10: Grundtendenzen humanimalischer Sozialität im Bezugskontext Gruppendruck Humanimalische Sozialitätsebenen Gruppendruck
primärsoziale Ebene
sekundärsoziale Ebene
stark
Wertschätzung kognitiver Kontrollmechanismen
Betonung der Mensch-TierDifferenz & einer tiersymbolischen Innen-Außen-Polarität
schwach
Wertschätzung subkognitiv fundierter & spontaner Ausdrucksformen
Relativierung der Mensch-TierDifferenz & individueller „Zoosynkretismus“
5.4.4 Tiermoralische Orientierungsmuster der sozialen Mesoebene: Eine Typologie Kombiniert man nun die beiden skizzierten Sozialparameter „Rollenmuster“ und „Gruppendruck“, dann erhält man vier Sozialstrukturtypen der Mesoebene, die in einem idealtypischen Sinne112 zu bestimmten ethnozoologischen und primärsozialen Mensch-Tier-Beziehungsformen tendieren. Die Typologie möchte zunächst dem genuin soziologischen Anspruch Genüge leisten, dass sich Mensch-Tier111 H. Meyer (1990: 212f.) ist wohl beizupflichten, wenn er schreibt, dass das in dieser Novelle anklingende Motiv des Mitleids mit der tierlichen Kreatur z.T. vom tierethischen Universalismus Arthur Schopenhauers inspiriert ist. Mit kritischem Blick auf Kant hatte sich Schopenhauer ja sehr nachdrücklich gegen die Auffassung gewandt, wonach man „bloß zur Uebung (..) mit den Thieren Mitleid haben“ solle (Schopenhauer 1991c: 518). 112 Die folgende Typologie versucht eine möglichst sinnadäquate Darstellung von „messtüchtigen“ Merkmalskombinationen, die vor allem in ethnozoologischer und tiermoralischer Hinsicht keinen Anspruch auf empirisch gesicherte, wohl aber hypothetisch relevante Zusammenhänge erhebt. Die herangezogenen Beispiele haben von daher nicht nur einen illustrativen Zweck, sie sollen auch lohnende Suchrichtungen für weitere Forschungen andeuten.
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Kapitel 5
Sozialverhältnisse und ihre moralischen Aspekte „soziomorph“ differenzieren lassen, jenseits der abstrakten, aber die öffentliche Diskussion weithin beherrschenden Dichotomie Anthropozentrismus/Biozentrismus. Allerdings kann das Zusammenwirken des Gruppendrucks und des Rollenmusters nur sehr knapp und themenzentriert plausibilisiert werden. Das Schema ist lediglich ein Versuch, die von Basil Bernstein (1981), Mary Douglas (bes. 1982a; 1982b) oder Hans Geser (1983) vorgelegten systematischen Ansätze problembezogen – d.h. im Hinblick auf die sozialstrukturellen Kontexte tiermoralischer und ethnozoologischer Orientierungen – anzuwenden.113 Diese Typen, die hier im Wesentlichen vor dem Hintergrund der christlich-abendländischen Kultur gedeutet werden, lassen sich im Einzelnen nun wie folgt charakterisieren. 1. Der autonome Individualismus kombiniert ein offenes Rollenmuster mit einem geringen Gruppendruck. Lockere Künstlernetzwerke, wissenschaftliche Interaktionszirkel, literarische Zirkel, Kaffeehauskreise, relativ offene Salons, schwach organisierte Bürgerinitiativen und ähnliche Gruppierungen sind Beispiele für „Soziotope“, in denen autonom-individualistische Verhaltensorientierungen meist positiv bewertet werden oder als angemessen gelten. Vor dem Hintergrund eines komplexen Selbst können Mensch-Tier-Beziehungen hier gesellschaftlich unkonventionelle Formen annehmen, denen idiosynkratische, „unabhängige“, oft „heterodoxe“ bzw. „randständige“ Tierauffassungsweisen zugrunde liegen. Im kulturellen Bezugsrahmen westlicher Gesellschaften tendiert der autonome Individualismus (a) ethnozoologisch generell zu einer Relativierung der Mensch-Tier-Unterschiede. Mensch und Tier gelten als ähnlich oder wesensgleich, Unterschiede sind nur „äußerlich“ oder von marginaler Bedeutung. Auch Unterscheidungen in gute und schlechte, nützliche und schädliche Tiere sind schwächer und unscharf ausgeprägt oder werden als irrelevant erachtet, da das Tier von wenigen Ausnahmen abgesehen als gut gilt. Im interspezifischen Interaktionsverhalten (b) gebührt der Du-Evidenz des tierlichen Gegenüber besondere Beachtung. Man versucht ihm durch Perspektivenwechsel und Empathie gerecht zu werden. Ausgeprägt ist die Toleranz gegenüber spontanen, unerwarteten Verhaltensweisen des Tieres und seinen körperlichen Ausdrucksweisen. Das tiermoralische Orientierungmuster (c) tendiert zu einem Universalismus, der sich an Kriterien des subjektiven Erlebens ausrichtet.
113 Eine sozialtheoretische „Revision“ oder Synthese dieser Ansätze würde freilich eine gründliche Diskussion der rollen-, system- und kulturtheoretischen Implikationen dieser und vergleichbarer Ansätze (z.B. Dreitzel 1968; Krappmann 1975) und damit wohl eine selbständige Untersuchung erfordern.
Tiermoralische Orientierungsmuster
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Neben Jean-Jacques Rousseau114 kommt vor allem Michel de Montaigne diesem Typus nahe; man denke etwa an seine Vorbehalte gegen die „Anmaßung“ einer menschlichen Sonderstellung gegenüber den tierlichen „Mitbrüdern“ und seine theriophilen Ausführungen über das Mitgefühl mit den Tieren (Montaigne 1984: 205ff.). Theodor Storms oben zitierter „Amtschirurgus“ ähnelt diesem Typus ebenfalls. Gesellschaftlich dissoziierende soziale Bewegungen mit millenaristischer oder utopischer Ausrichtung kommen den Gruppierungen des autonomen Universalismus besonders nahe, solange sie sich nicht zu „verhärteten“, geschlossenen Sekten verkapseln und Bewegungsmomente „permanenter Liminalität“115 stabilisieren können. Ein Beispiel sind hier Teile der neuen Tierrechtsbewegung oder frühe theriophile Strömungen im Christentum. Für die letzteren ist der Versuch charakteristisch, das Tier wenigstens ansatzweise in die Hoffnung auf eine diesseitige und/oder jenseitige „Befreiung vom Leiden“ einzubeziehen. Das schließt nicht aus, dass das Verhältnis von menschlicher und tierlicher Erlösung bzw. Leidensüberwindung mitunter dezidiert theozentrisch gesehen wird, d.h. als Ausdruck des beiderseitigen Abhängigkeitsverhältnisses vom gemeinsamen Schöpfergott. Vergleichbare Orientierungen haben vermut114 Im zweiten „Discours“ nennt J. J. Rousseau das Mitleid die „Quelle aller menschlichen Tugenden“. Es werde umso stärker sein, je enger sich das Lebewesen, das dem Leiden zuschaut, sich mit dem leidenden Wesen verwandt fühlt“. Die Abkehr vom Naturzustand der einst vegetarisch lebenden Menschen habe dazu geführt, dass sich der „Mensch als Herr seiner Mitgeschöpfe“ fühlt und sich als „Geißel“ der Tiere entpuppt (Rousseau 1956: 85, 88). – In der „Nouvelle Héloise“ (1764) macht Julie Saint-Preux, der Bekassinen schießen möchte, Vorhaltungen, er solle sich „schämen, arme Vögel zu töten für nichts und wieder nichts.“ Bereits gefangene Fische wirft sie ins Wasser zurück mit der Begründung: „Es sind Tiere (...) die leiden, wir wollen sie befreien. Genießen wir ihre Freude mit, der Gefahr entronnen zu sein“ (Rousseau 1956: 116). Dass Rousseaus aus Du-Evidenz gespeiste Tierliebe Widersprüche birgt, zeigt eine Stelle in den „Confessions“. Rousseau schildert hier, wie der Junge Jean-Jacques intervenierte, wenn ihm der Tierfriede zwischen seinen Mitgeschöpfen gestört erschien: „Ich habe mich oft in Schweiß gesetzt, um im Laufe oder sonst ein Tier zu verfolgen, das ich ein anderes nur deshalb quälen sah, weil es sich als das stärkere fühlte“ (Rousseau 1956: 8). Vgl. zu Rousseaus „Deutung des Paradieszustandes als eines Naturzustandes“ R. Spaemann (1980: 68f.), zum Einsamkeitsmotiv im Denken und Leben Rousseaus J. Starobinski (1993: 56ff., 397ff.). 115 Vgl. am Beispiel der franziskanischen Bewegung V. Turner (1989: 136ff.). Liminalität meint hier einen „Schwellenzustand“, in dem kulturelle Fraglosigkeiten und die „stark strukturierten“ Normen- und Positionsmuster einer Gesellschaft (bzw. eines gesellschaftlichen Zentrums) „umgekehrt“, verkehrt oder außer Kraft gesetzt werden. Charakteristisch für liminale Zustände, wie sie auch für rituelle Passagen typisch sind, ist eine Communitas der Beteiligten, die auch Tiere einbeziehen kann. Turner zufolge ist die spontane Communitas eine Sozialbeziehungsform, in der sich wichtige primärsoziale Aspekte in vergleichsweise reiner Form darstellen. Turner (1989: 128f.) spricht in diesem Zusammenhang von einer „direkten, unmittelbaren und totalen Konfrontation menschlicher Identitäten“, von einer „Beziehung zwischen konkreten, historischen, idiosynkratischen Individuen. Diese Individuen sind nicht in Rollen oder Statuspositionen aufgeteilt, sondern stehen sich eher in der Art des Martin Buberschen ‚Ich und Du gegenüber.“
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lich schon bei den (bisweilen direkt „tiersubjektorientierten“) theriophilen Legenden über die irischen Mönche des 6./7. Jahrhunderts und bei Franz von Assisi und seiner Bewegung mit hereingespielt.116 Da dieser Sozialstrukturtypus normativ am flexibelsten bzw. labilsten ist, können Interpenetrationseinflüsse aus anderen Bezugssystemen des allgemeinen Verhaltenssystems (Verhaltensorganismus, vor allem aber Kultursystem und Persönlichkeitssystem) hier besonders gravierende Veränderungen der ethnozoologischen und tiermoralischen Muster bewirken. 2. Für den heteronomen Individualismus ist sowohl ein geschlossenes Rollenmuster als auch ein schwacher Gruppendruck kennzeichnend. Auf der einen Seite bewegt sich das Verhalten der Akteure im Bezugsrahmen individueller Interessen. Diese können aber nur über Rollenmuster realisiert werden, die kaum zur Disposition stehen und die Verhaltensräume insofern heteronom vornormieren, als Deutungs- und Entscheidungsalternativen weithin eingeschränkt sind. Daraus resultieren Verhaltensmuster, die auf Austauschprozesse abgestimmt sind und im normativen Bezugskontext des jeweiligen „Marktes“ (im weitesten Sinne) erfolgversprechend sind.117 Ethnozoologisch (a) dominieren instrumentalistische Grundhaltungen: Tierbezogenes Wissen dient als Mittel des individuellen Erfolgstrebens im regelkontrollierten Wettbewerb mit anderen. Wo es zweckmäßig ist, werden Tierbilder und -definitionen für Zwecke dieser instrumentellen Kontrolle umgedeutet oder modifiziert. Primärsoziales Verhalten gegenüber Tieren (b) orientiert sich an Kriterien eines „äquivalenten“ Austausches von Leistung und Gegenleistung, wobei die Sinnrahmung des Tausches aber stark von relativ starr vordefinierten Verhaltensmustern bestimmt wird. 116 Auf einen wichtigen Unterschied in der Interpretation dieses dreiseitigen Gott-Mensch-TierVerhältnisses macht A. Nitschke aufmerksam. Wenn die irischen Mönche des 6. und 7. Jahrhunderts die tierliche Mitkreatur gastfreundlich aufnehmen, versorgen, usw., dann deswegen, weil sie diese Erweiterung des Gebots der Nächstenliebe auf Tiere offenbar primär als eine Pflicht begreifen, die sie als „Werkzeuge“ Gottes diesen gegenüber einzulösen haben (Nitschke 1966: 80ff.): Im tierfreundlichen Akt handelt hier „Gott durch die Menschen hindurch“ (Nitschke 1966: 98). Im frühen Franziskanertum zeigt die „geschwisterliche Verbundenheit“ von Mensch und Tier demnach eine charakteristische Akzentverschiebung. Die tierfreundliche Haltung wird hier von Vorstellungen motiviert, die von einer vergleichsweise tiefen Kluft zwischen Gott und allen seinen Geschöpfen ausgehen. Der Christ steht hier so weit unter Gott, dass er sich dem Tiere quasi angleicht: „Je mehr der Mensch sich seiner Armseligkeit und Beschränktheit vor Gott bewusst wird, umso enger weiß er sich mit den Tieren verbunden“ (Nitschke 1966: 99; vgl. auch Hume 1980: 24ff.). Vgl. zur subjektorientierten Anthropomorphisierung der Tiere bei irischen Heiligen bes. H.-J. Falset (1960: 102ff., 241, 244), zu Franziskus’ Vorstellung einer Einheit aller Geschöpfe als „Vision einer versöhnten Welt“ auch L. Lehmann (1985: 97-99). 117 Dieser Strukturtyp ähnelt in manchen Zügen den Handlungsorientierungen, die H. Geser (1983: 104ff.) beschreibt, wenn individuelle Akteure ihre „Bedürfnisse“ und „Nutzenpräferenzen“ in einem dezentral-arbeitsteiligen Sozialzusammenhang zu realisieren suchen.
Tiermoralische Orientierungsmuster
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Zum Beispiel erhält eine Katze nur solange Obdach und Pflege, solange sie einer festen Zweckbestimmung – etwa dem Mäusefang, ästhetischen Ansprüchen, der „Spielzeugfunktion“ für die Kinder usw. genügen kann. Tiermoralische Orientierungen (c) sind hier allenfalls in Ansätzen erkennbar, denn die ego- bzw. individualzentrierte „Tiermoral“ pendelt sich eher auf einem präkonventionellen Niveau ein.118 Die „tierschützerischen“ Maßnahmen beschränken sich im Wesentlichen auf die tierliche Leistungsfähigkeit in vorstrukturierten Wettbewerbssituationen. Vor allem die diesbezügliche Zweckmäßigkeit gibt vor, inwieweit das Wohlbefinden des Tiersubjektes berücksichtigt werden kann oder soll. Für diesen Typ sind Mensch-Tier-Verhältnisse exemplarisch, wie sie in vergleichsweise „reiner“ Form in Wettkämpfen- und Wettbewerben anzutreffen sind, in denen Individuen vor allem ihre eigenes ökonomisches und/oder symbolisches Kapital (bes. ihre Ehre, ihr persönlich zurechenbares Sozialimage) einsetzen. Dies kann z.B. im Rahmen von Pferde- oder Hunderennen der Fall sein, aber auch bei Tierkämpfen der Unter- oder Halbwelt (vgl. Darden/Worden 1996). Ein anderes Beispiel sind Tieropfer, durch die der Einzelne eigentlich einen „Tauschhandel“ mit hinterweltlichen Mächten („do ut des“) bezweckt.119 In manchen Zügen lässt sich das dem heteronomen Individualismus eigene Tierverhältnis an Clifford Geertz’ Schilderung des balinesischen Hahnenkampfs veranschaulichen. Die charakteristische Ambivalenz der Männer ihren Kampfhähnen gegenüber rührt hier wesentlich daher, dass binnenmenschliche Konkurrenzverhältnisse auf die Vögel projiziert werden: Denn „nur dem äußeren Anschein nach kämpfen da Hähne gegeneinander, in Wirklichkeit sind es die Männer“ (Geertz 1987: 209).
118 Das liegt vor allem daran, dass im interspezifischen Austauschprozess von Leistung und Gegenleistung meist ein grundlegendes Machtgefälle durchschlägt, das es dem heteronomen Individualisten oft ermöglicht, eigene Nutzenpräferenzen über Zwangsmaßnahmen durchzusetzen, – die insofern ein zynisch „gutes Geschäft“ sind, als dann für die Tierseite bisweilen nur noch die nötigsten Gegenleistungen erbracht werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die DuEvidenz des Tieres ganz zurücktritt und das Tier selbst auf eine Zeichenfunktion im binnenmenschlichen Austauschprozess reduziert wird. 119 Vgl. zu diesem Opfertyp, die letztlich auf dem Gegenseitigkeitsprinzip beruht, G. Schmied (1996: 39ff.). Vor allem in einfachen Gesellschaften ist der Adressat der Opfer(vor)leistung nicht selten ein Tiergeist (vgl. am Beispiel der Eskimos Mauss 1978: bes. 30f.; Jensen 1992: 224ff.). In diesen Umkreis gehören häufig auch Tierorakel, durch die die Erfolgsaussichten eines geplanten Projekts (Hausbau, Heirat usw.) erkundet werden sollen (vgl. am Beispiel der Zande Evans-Pritchard 1978: 182ff.).
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3. Im Kommunalismus120 verbinden sich starker Gruppendruck und ein offenes Rollenmuster. Charakteristisch ist hier eine vergleichsweise strikte Bifurkation des sozialen Kosmos in einen (gefährlichen, bedrohlichen oder gar „bösen“) Außenbereich und einen (guten, sicheren usw.) sozialen Innenraum, in dem das Gruppenmitglied sich geborgen, aber auch streng kontrolliert weiß. Mit dieser strikten „Grenzsicherung“ korrespondiert im Inneren eine weitgehende Offenheit des Rollenmusters, ein egalitäres Grundverständnis der Rollendefinitions- und soziokulturellen Deutungskompetenzen. Nichtanonyme Gruppen von grundsätzlich Gleichgestellten, die von einer ausgeprägten „corporate identity“ zusammengehalten werden, sind typisch egalitär-kollektivistische Sozialeinheiten.121 Ethnozoologisch (a) dominiert eine dichotomisierende Tendenz: Die der Gruppe zugehörigen Tiere (Haustiere, Heimtiere oder gruppensymbolisch positiv bewertete Wildtiere) werden als integrierte Teile der Gruppe aufgefasst und deutlich den „nutzlosen“, „gefährlichen“, „irrelevanten“ Tieren sowie dem „Ungeziefer“ gegenübergestellt. Das humanimalische Interaktionsverhalten (b) ist geprägt von hohen DuEvidenz- und Empathiewerten gegenüber den als „gruppenzugehörig“ definierten und positiv bewerteten Tieren (den „Ingroup-Tieren“ sozusagen). Der restlichen, „äußeren“ Tierwelt begegnet man eher mit Gleichgültigkeit oder aber mit einer Antipathie, die sich z.B. auch in negativen „Dämonisierungen“ mit hinter120 Der Begriff des Kommunalismus lehnt sich – trotz mancher inhaltlicher Unterschiede – an den sozialen Beziehungstypus des „communal sharing“ von A. P. Fiske (1992: 693ff.) an, den er einer „bounded group of people as equivalent and undifferentiated“ (Fiske 1992: 690) zuordnet. Im Unterschied zu Fiske (oder auch M. Douglas) scheuen wir uns aber, eine schwache funktionale Differenzierung der Rollen und Positionen allzu unvermittelt mit sozialen Egalitätskriterien (Gleichheit der Rechte, Erwartungen, Interessen usw. der Beziehungspartizipanten) zusammenzudenken. Obwohl eine kommunalistische Sozialeinheit in vielen Fällen funktional undifferenziert bzw. segmentär strukturiert sein mag, so ist hier doch nicht der sozial „objektiv“ vordefinierte Differenzierungsgrad ausschlaggebend, sondern der gemeinsame Bezug auf einen (die aktuellen Rollenbeziehungen fundierenden) fraglos geltenden Normen- und Wertehorizont. In dessen Kontext werden die unterschiedlichen Verhaltensbeiträge als „gleich“ legitim bzw. als „gleichwertig“ definiert. Im Gegensatz zum geschlossenen Rollenmuster, das diese Differenz weitgehend minimiert, wird beim offenen Rollenmuster dem Selbst eine kreative und verantwortliche Gestaltung der Spielräume zugemutet. 121 Im Einzelnen können das sein: Familien, Bruderschaften, Räuberbanden, Dorfgemeinden, Geheimbünde, religiöse Sekten, Vereine, usw., die ein starker solidarischer Zusammenhalt auf einer letztlich partnerschaftlichen Basis auszeichnet. Dass mehr oder weniger charismatische Führungspersönlichkeiten in solchen Gruppen großen Einfluss ausüben können, besagt nicht eo ipso, dass das Rollenmuster derart geschlossen ist, dass nunmehr Vollzugsnormen das Bild beherrschen und das Gruppenmitglied gruppenintern entmündigt wird. In dieser Hinsicht gibt es zwischen Organisationen mit starkem Gruppendruck gravierende Unterschiede. Man vergleiche etwa E. Hoffers (1965: bes. 51ff.) Darstellung der auf „blindem Gehorsam“ beruhenden „Massenbewegung“ mit dem offenen Rollenmuster, das offenbar für die Sozialstruktur der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ typisch war (siehe Gerhards 1983: bes. 352ff.).
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weltlicher Subjektreferenz ausdrücken kann. Wenn die Gruppe in sozialökologischer Hinsicht Stress erfährt122 oder/und Vollzugsnormen im Rollenmuster größeres Gewicht erhalten, tendiert sie eher zu Problemlösungen wie Säuberungsriten und „Hexenjagden“, in die dann auch Tiere (bzw. Tierdämonen) involviert sein können. Die tiermoralischen Muster (c) oszillieren zwischen universalistischen Orientierungen, die eher von offenen Rollenmustern unterstützt werden, und partikularistischen Orientierungen, die von Abgrenzungsbestrebungen begünstigt werden und dann eine „doppelte Tiermoral“ begründen können. Im letzteren Fall gelten für Tiere, die für die Gruppe als Mitglieder, Symbole und/oder als Leistungsträger wichtig sind, andere, aber nicht unbedingt „tierschützerische“ moralische Bewertungskriterien als für die restliche Fauna.123 Die Sozialstrukturform, die nicht zuletzt in ihren tierbezogenen Orientierungsmustern dem Typ des Kommunalismus nahekommt, ist die (relativ) separierte Kernfamilie des gehobenen Bürgertums, wie sie vor allem im Biedermeier Gestalt gewinnt. Die Ausdifferenzierung der familialen Privatsphäre als Lebensform einer „neuen Innerlichkeit“124 ermöglichte die Entwicklung eines soziokulturellen Milieus, das z.B. in Deutschland durch die Gefährtenehe, die „Moralisierung der Erziehung“ und die sich mehr und mehr durchsetzende „Idee einer spezifisch weiblichen Bildung“ gekennzeichnet ist (Nipperdey 1993a: 120ff.).125 Es entfaltet sich eine Kultur der Häuslichkeit, die – trotz Geschlechtsrollendifferenzierung und „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ (Hausen 1978) – auch
122 Die Auslöser können hier vielfältig sein, z.B. kommen Ressourcenverknappungen (etwa durch Naturkatastrophen oder demographische Entwicklungen wie Wanderungen) oder Konflikte mit anderen Sozialorganisationen in Frage. Vgl. zur symbolischen Dramatisierung von grenzüberschreitenden Eintritts- und Austrittsprozessen, wie sie z.B. in religiösen Sekten oder totalitären politischen Parteien anzutreffen sind, H. Geser (1983: 94f.). Ausführlich diskutiert das Problem M. Douglas (1982a: 107ff.). 123 Im Zusammenhang mit Vermenschlichungstendenzen kann das bedeuten, dass solche Tiere bis zu einem gewissen Grade als „persönlich verantwortlich“ gelten und für Verhaltensweisen „bestraft“ werden, die bei einem „Outgroup-Tier“ kaum negative „Sanktionen“ hervorrufen würden. Insbesondere für die Haustiere ist damit ihre (Be-)Achtung durch den Menschen oft keineswegs glücksverheißend. Wie Erasmus von Rotterdam (1995a: 77) im „Lob der Torheit“ schreibt: „Das Pferd hingegen, das der Art des Menschen nähersteht und darum bei ihm Quartier nahm, bekommt nun auch an den Nöten des Menschen seinen Teil.“ 124 R. Sieder (1987: 140ff.). Diese Ausdifferenzierung der familialen Lebenswelt setzt natürlich schon früher ein; vgl. zu dieser „Herauslösung aus der traditionellen Umwelt“ im Verlauf des 18. Jahrhunderts R. van Dülmen (1990: 230ff.). 125 Längerfristig wurde diese Entwicklung auch durch die Bildungsideale des „‚Innerlichkeitspathos der deutschen Säkularreligion“ und der „‚Persönlichkeitsidee der Klassik“ (Nipperdey 1993b: 384) unterstützt. In England werden vergleichbare Entwicklungen (wie die „Propagierung der Häuslichkeit“, die Moralisierung der Erziehungsaufgaben usw.) stark von religiösen Erneuerungsentwicklungen der Mittelklassen begünstigt (vgl. Hall 1992: bes. 63ff.).
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günstige Voraussetzungen für ein offenes Rollenverständnis bieten konnte.126 Insgesamt kann wohl angenommen werden, dass es nicht zuletzt diese Kultur familialer Innerlichkeit war, die einer von Empathie getragenen Universalisierung tiermoralischer Orientierungen den Weg geebnet hat.127 Sicher wird man die zahlreichen kitschig-trauten Tierszenen, die die familialen Interieurs der Holzschnitte von Ludwig Richter bevölkern, nicht als einfache, ungeschönte Wiedergabe der historischen Wirklichkeit nehmen dürfen. Doch ist andererseits zu bedenken, dass die „ungeheuere Popularität“ der Richterschen Idyllen ein Hinweis dafür ist, „wie sehr dies gemalte Ideal den Glücksvorstellungen der Menschen“ (Nipperdey 1993a: 122) entsprach, - und insofern auch ein „Stück Realität“ abbildete. In die gleiche Richtung weisen die beredten dichterischen Zuneigungsbezeugungen, die in dieser Zeit vierbeinigen Gefährten gewidmet werden.128 Nicht zuletzt waren es besonders städtisch geprägte bürgerliche Gruppen und Teile des Adels, die die ersten Tierschutzvereine129 gegründet und die frühen gesetzlichen Tierschutzbestimmungen verschiedener deutscher Länder nicht nur begrüßt, sondern auch (mit-)initiiert haben. Bemerkenswert ist, dass in einigen dieser Bestimmungen (besonders denen von Schwarzburg-Sondershausen 1840, 126 So sind es nicht zuletzt die Emanzipationsbestrebungen von Middle-Class-Frauen, die an die im 18. Jahrhundert popularisierten Ideale von „sensibility“ und „tenderness“ anknüpfen und eine Verbindung mit tierschützerischen Motiven herstellen. Für diese Aufgeschlossenheit mag mitverantwortlich sein, dass die bedrückende Lage abhängiger und misshandelter Tiere in manchen Aspekten als theriomorphe Variation der eigenen fraulichen Lebensmisere empfunden wurde. So machten frühe Protagonistinnen der Frauenbewegung wie z.B. Margaret Cavendish, Mary Wollstonecraft oder Frances Power Cobbe auf „the connection between men’s treatment of animals and their treatment of women“ (Barker-Benfield 1992: 232) aufmerksam. 127 Den Zusammenhang zwischen Theriophilie und bürgerlichem Frauenbild des beginnenden 19.Jahrhunderts betont z.B. A. Corbin (1992a: 493). 128 Ein Beispiel ist hier das Fragment „Zur Psychologie der Tiere“ vom Frühjahr 1845, in dem A. Stifter nicht nur seiner „Liebe zu diesen armen Stiefgeschwistern des Menschen“ Ausdruck verleiht, sondern – wichtiger noch – zeigt, dass eine (im engeren Sinne) anthropomorphe Tierwahrnehmung eine scharfe und feinfühlige Tierbeobachtung keineswegs von vornherein ausschließt, vgl. besonders A. Stifters (1972: 13f.) Schilderung des „Spiegelungserlebnisses seines Hundes „Muffi“ (über Stifters Tierbild näher Härtling 1985). – Ein anderes Beispiel ist H. Heine (1911: 264), der 1823/24 einem „Möpschen“ anvertraut: „Dass ich dich liebe, o Möpschen, / Das ist dir wohlbekannt / Wenn ich mit Zucker dich füttre, / So leckst du mir die Hand. / Du willst auch nur ein Hund sein, / Und willst nicht scheinen mehr; / All meine übrigen Freunde / Verstellen sich zu sehr.“ 129 Schon vor 1848 konstituieren sich in mehreren deutschen Ländern Tierschutzvereine, so z.B. 1842 der „Münchner Verein gegen Thierquälerei“ auf Initiative von Ignaz Perner. Die ersten 266 Mitglieder kamen „mehrheitlich aus gehobenen Gesellschaftsschichten“ (Zerbel 1993: 59). Eine ähnliche soziale Zusammensetzung kann für die Vereine in Stuttgart (gegründet 1837), Dresden und Nürnberg (beide seit 1839) angenommen werden (vgl. als Überblick auch Maehle 1994).
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Württemberg 1838, Hessen-Darmstadt 1847) bereits der Gedanke einer direkten Verpflichtung gegenüber dem Tier eine Rolle gespielt hat – und insofern „moderner“ ausfielen als die spätere Reichstierschutzgesetzgebung.130 Diese Gesetzgebung erinnert mit ihrer Fokussierung des indirekten, „anthropozentrischen“ Pflichtenkonzepts eher an den nun folgenden Strukturtyp. 4. Der hierarchische Kollektivismus ist gekennzeichnet durch hohen Gruppendruck und ein geschlossenes Rollenmuster. Das hohe Kontrollniveau bezieht sich hier nicht nur auf die Sicherung des Organisationsganzen und seiner Grenzen, es erfasst vor allem eine Binnenstruktur von Rollen, die an spezifische Leistungen geknüpft sind und eher extensional, über explizite Regelungen definiert sind. Hierarchisierung kann man in diesem Zusammenhang als eine Form der simplifizierenden Selbstbeobachtung des Sozialsystems betrachten, die aber eine wechselseitige Abstimmung beider Kontrollaufgaben erleichtert (Luhmann 1984: 38f., 462f.). Ethnozoologisch (a) dominiert ein Soziomorphismus, der die soziale Ordnung in der natürlichen Ordnung wiederfindet, – die Differenzierung der Tierwelt „spiegelt“ sozusagen die Differenzierung der Sozialwelt.131 Vorherrschend ist eine kognitivistische Betonung der Mensch-Tier-Differenz und eine 130 Vgl. hierzu R. von Hippel (1891: 2, 9, 12, 44). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass einzelne Gesetzesentwürfe dieser Zeit den direkten Pflichtenaspekt noch deutlicher anklingen lassen, z.B. der Entwurf eines „Criminalgesetzbuches für das Königreich Sachsen“ von 1821, der ganz umfassend gegen alle gerichtet ist, die „ein Thier bei irgend einer anderen Gelegenheit oder zu irgend einem Zwecke martern.“ (Zit. bei Abegg 1832: 637). J. Abegg (1832), der die Tierquälereifrage vor dem Hintergrund des römischen Rechts diskutiert, wendet sich in einer Fußnote gegen eine derart weite Fassung u.a. mit dem Argument, dies würde eine Strafbarkeit des wissenschaftlichen Tierversuchs implizieren (vgl. Abegg 1832: 637). Kritisch diskutiert die Voraussetzungen der sogenannten „Menschheitsinteressentheorie“ des indirekten Pflichtenkonzepts I. Bregenzer (1891: 342ff.) in seiner preisgekrönten „Thier-Ethik“. Wie Bregenzer (1891: 355f.) ausführt, ist der wahre, im Nachhinein aber z.T. verdeckte Hintergrund des modernen Tierschutzes überhaupt die Idee direkter Pflichten gegenüber dem personhaft aufgefassten Tier. „Bei seiner Entstehung (des modernen rechtlichen Tierschutzes, R.W.) ist die graue Theorie der verletzten Menschengefühle ganz und gar unbetheiligt; sie wurde nur ausgeheckt und zu Gevatter gebeten, um das Kind taufen und im System unterbringen, bezw. seine scheinbar bedenkliche Herkunft verdecken zu können.“ Diese direkt auf Tiere bezogenen, tierethischen Motive des modernen Tierschutzes werden in de Literatur nicht selten vernachlässigt, bisweilen ganz übersehen oder viel zu spät datiert (vgl. z.B. Caspar 1995). 131 Die ethnozoologischen und tiermoralischen Muster, wie sie im 19. Jahrhundert in den mittleren und oberen Schichten Englands oder Schwedens verbreitet sind, können den hierarchischkollektivistischen Typus in wichtigen Zügen verdeutlichen. So gab es hier offenbar starke Tendenzen, einerseits die Grenzziehung zwischen Haustieren und Wildtieren herauszustellen (Ritvo 1994: bes. 116), andererseits die moralischen Implikationen einer natürlichen Hierarchie zu betonen, wie O. Löfgren (1987: 79) zusammenfasst: „Out of the idea that some animals bring out the best in man grew new moral hierarchies in the nineteenth century. Some animals became nobler and better than others, mainly those with which people could identify and sympathize.“ Vgl. zur diesbezüglichen Hierarchisierung auch H. Ritvo (1987: 46ff.) und R. Jann (1994).
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durch Zwischenstufen untergliederte Zweiteilung der Fauna in positiv und negativ bewertete Tiere. Klassifikatorische „Zwitter“ gelten als gefährlich und werden tabuiert, doch werden ihre „numinosen Qualitäten“ auch praktisch genutzt (z.B. in Heilverfahren). Relativ stärkere Wertschätzung und emotionale Zuwendung erfahren Tierarten und Züchtungen, die sich leichter ein- oder unterordnen und für vielseitige praktische Zwecke verwendbar sind (neben dem Pferd ist hier vor allem der Hund zu nennen, der das Heimterritorium bewacht, mit auf die Jagd geht, „treuer Gefährte“ ist usw.) werden im Allgemeinen höher geschätzt als Tiere, die den jeweiligen verhaltensspezifischen Vorgaben weniger entsprechen. Das humanimalische Interaktionsverhalten (b) wird von den Anthropomorphismen beherrscht, die dem Tiersymbolismus der jeweiligen Ethnozoologie entspringen. Man versucht, die „animalischen“ Aspekte auch des Verhaltens der Ingroup-Tiere so weit als möglich zu „zivilisieren“. Dabei kommen eher „äußerlich“ wirksame Mittel (z.B. Rezeptwissen à la „Zuckerbrot und Peitsche“) zum Einsatz, die Beachtung der subjektiven Eigenbelangen der Tiere tritt demgegenüber zurück. Die tiermoralischen Orientierungen (c) betonen auf der einen Seite die indirekten Pflichten („Tierschutz ist Menschenschutz“),132 andererseits tendieren sie zu partikularistischen Restriktionen. In der höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts z.B. findet man häufig passionierte Jäger(innen), die gleichzeitig starke affektive Bindungen zu ihren Hunden bzw. Heimtieren entwickeln.133 Bei Maßnahmen, die dem Schutz von Leben und Gesundheit der Tiere bezwecken, spielt in stark strukturierten Sozialeinheiten der subjektive Erlebnisaspekt des Tieres meist eine untergeordnete Rolle, auch dann, wenn die Tiere z.B. im Rahmen von Natural- und Subsistenzwirtschaften hohe Wertschätzung genießen.134
132 Siehe dazu besonders H. Ritvo (1987: 130ff.). Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass sich der rechtlich institutionalisierte Tierschutz in seiner ersten Phase (bes. im Zusammenhang mit Tierkämpfen) den (dem Menschen nahestehenden) Haustieren zuwendet (z.B. Pferden, Hunden, Hähnen, Rindern), erst später bestimmten frei lebenden Vögeln und dem Wildtierschutz (vgl. für Großbritannien Harrison 1973: 787-792). Auch in Frankreich setzt der Tierschutz zunächst an den Haustieren (bes. dem Pferd) an (vgl. Agulhon 1981). 133 Über die am Hofe Ludwigs XIV. lebende Liselotte von der Pfalz z.B. schreibt der Herzog von Saint-Simon (1983: 308) in seinen Erinnerungen einmal knapp und bündig: „Sie mochte Hunde und Pferde gern und liebte leidenschaftlich die Jagd und das Theater.“ 134 Diesem Zusammenhang lassen sich wohl viele bäuerlich-volksreligiöse Brauchformen zuordnen, die um das Wohlergehen der Nutztiere kreisen (z.B. kirchliche Tiersegnungen, Georgiund Leonhardiritte, Votivgaben anlässlich der Gesundung eines Tieres, vgl. Lohmeier 1990).
Tiermoralische Orientierungsmuster
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Im außereuropäischen Bereich finden sich135 signifikante Züge des hierarchischen Kollektivismus z.B. bei den schon weiter oben erwähnten Lele. Die Lele belegen nicht nur den Pangolin mit bestimmten tabuierenden Restriktionen, auch andere, weniger „schrille“ Misch- oder Zwischenwesen unterliegen gewissen Tötungs- oder Speisetabus. So werden auch manche Haustiere (wie Hunde, Hühner und Ziegen) von den Lele als menschenähnliche und insofern anormale Tiere angesehen. Die Hühner, die die Lele-Frauen versorgen und allabendlich in ihre Hütten rufen, werden von der weiblichen Seite verschmäht; die Vorstellung, Hühnerfleisch zu essen, erzeugt hier Ekel (Douglas 1975: 15f.). Hunde hingegen werden, obgleich sie von den Lele beiderlei Geschlechts verschmäht werden, gemeinsam mit den Ziegen stärker mit der männlichen Seite assoziiert. Diese Klassifikationen sind auch emotional fundiert: „Man is defined by contrast with animal. By the same time, they cultivate a sensibility in regard to animals, which causes a man to mourn for his dog as he might mourn for a wife, to go away and hide if he has arranged for one of his goats to be slaughtered, and to express horror at the idea of eating ‚baby animals“ (Douglas 1975: 17). Zusammenfassend stellen sich die idealtypischen Affinitäten zwischen den skizzierten Sozialstrukturtypen und den Mustern tiermoralischer Orientierungen nun schematisch wie folgt dar: Abbildung 11: Typen tiermoralischer Orientierungsmuster der Mesoebene Grundausrichtung der Tiermoral Achtungsbezug
universalistisch
partikularistisch
direkt
Autonomer Individualismus
Kommunalismus
indirekt
Heteronomer Individualismus
Hierarchischer Kollektivismus
135 Wie bei den meisten anderen ethnographischen Darstellungen, auf die die vorliegende Arbeit Bezug nimmt, ist die verwendete Gegenwartsform als historisches Präsens zu lesen, – zu rasant und gravierend sind oftmals die Veränderungen, die viele dieser Lebenswelten in den vergangenen Jahrzehnten erfahren haben. Siehe z.B. die Eindrücke, die M. Douglas sammeln konnte, als sie 1988 nach langer Zeit den Lele einen Besuch abstattete (Douglas 1996: 137f.).
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Kapitel 5
5.5 Tiermoralische Orientierungsniveaus im Horizont soziokultureller Interpenetration Bei der oben abgebildeten Typologie tiermoralischer Orientierungsmuster der sozialen Mesoebene handelt es sich um ein analytisch-formales Schema, das von allen systemtheoretisch relevanten Interpenetrationsbezügen weitgehend abstrahiert. Genauer gesagt, das Schema unterstellt, dass die Interpenetrationsbeziehungen zwischen dem Sozialsystem (bzw. den hier favorisierten Variablen Rollenmuster/Gruppendruck) und seinen Umweltbezugssystemen (Verhaltensorganismus, „Selbst“ des Persönlichkeitssystems, Kultursystem) untereinander kongruente, widerspruchsfreie bzw. „reine“ Orientierungsmuster hervorbringen bzw. unterstützen. Der „tierethische“ Universalismus des autonomen Individualismus z.B. erfordert im Grunde ein komplexes Selbst, dessen Vereinzelung, Ablösung von der Herkunftsgruppe keine Hinwendung zu einem (im weitesten Sinne) „egozentrischen“ Individualismus impliziert, sondern Verhaltensorientierungen, die eine sozial erweiterte Perspektivenübernahme zur Grundlage haben. In moralischer Hinsicht orientiert sich die „Achtungskommunikation“ dann nicht an partikularen Kriterien, denen nur Menschen und Tiere eines spezifischen Sozialzusammenhanges genügen, sondern im Extremfall an einer „universal community“ im Sinne von George H. Mead (1974: § 28).136 In Anbetracht dieses Zusammenhangs scheint es daher unabdingbar zu sein, die unterschiedlichen moralischen 136 Im vorliegenden Zusammenhang ist vor allem auf jene Überlegungen Meads hinzuweisen, die eine enge Verbindung zwischen Kreativität und sozialer Universalisierung betonen. Mead charakterisiert das „I“ ja als jene Prozesskomponente des Selbst, das eine spontane, mehr oder weniger „eigenwillige“, manchmal unberechenbar-kontingente Auseinandersetzung mit den Erwartungen der „generalisierten anderen“ ermöglicht. In den gesellschaftlich konstruktiven Varianten zeigen die „abweichenden“ Konzepte und Verhaltensweisen, die sich in den originellen Synthesen „großer Persönlichkeiten“ (wie Buddha, Jesus, Sokrates) aufweisen lassen, keine destruktive Eliminierung der Werte- und Normenstruktur (wie dies für die „I“-Reaktionen des „Mob“ charakteristisch ist), sondern eine konstruktive Neuorganisation, die einer Erweiterung und verbesserten Integration der sozialen Beziehungen den Weg weist. Diese universalisierende Tendenz des „I“ äußert sich darin, dass bislang als sakrosankt geltende soziale Grenzen transzendiert werden, etwa in Form einer Liebesethik, die ihren universellen Anspruch dadurch demonstriert, dass sie den Zeitgenossen eine gewisse moralische Inversion zumutet: Auf eine (im Lichte der herkömmlichen Ethik) „überraschende“ Weise wird die Moralfähigkeit von „Nächsten“ vorgeführt, die bislang „unbemerkt“ im Abseits geblieben sind, z.B. von Fremden oder sozial verachteten Außenseitern. Prägnant wird dieses brüderlichkeitsethische Inversionsmotiv bei Matthäus 25, 40 formuliert: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Vermutlich sind ethisch universalisierende Innovationen, die konventionelle moralische Klassifikationsgrenzen verletzen, ohne die provozierende und „überraschende Entdeckung“ der jeweils „geringsten Brüder“ (und Schwestern) gar nicht vorstellbar (vgl. zu dieser „Ebene der Verwunderung“ bei der Entdeckung des Nächsten subtil Ricœur 1974b: 110ff.).
Tiermoralische Orientierungsmuster
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Orientierungen, die eine Person im Hinblick auf Tiere einnehmen kann, wenigstens abrissartig zu spezifizieren. In Anlehnung an Lawrence Kohlberg lassen sich drei moralische Orientierungslevels mit je zwei moralischen Orientierungsmustern unterscheiden. Diese Muster bezeichnen im vorliegenden Zusammenhang freilich weder eine zwingende Stufenabfolge noch eine kognitionspsychologische Eingrenzung auf die Formen moralischer Urteilsfähigkeit.137 Wir vereinfachen sie vielmehr zu idealtypischen Grundausrichtungen moralischer Orientierung, die z.B. keine kognitivaffektive Parallelität unterstellen. Konzediert wird also die Möglichkeit, dass moralische Urteilsfähigkeit und die affektiv-motivationalen Haltungen der betreffenden Person divergieren können. Vor allem lesen wir das Stufenschema Kohlbergs als ein Spektrum moralischer Orientierungen, von denen hier keineswegs behauptet wird, dass sie durchweg einer festen evolutionären Entwicklungslogik folgen. Doch davon abgesehen stellt Kohlbergs Ansatz konzeptionelle Vorzüge in Aussicht, die sich für unsere Themenstellung als besonders heuristisch erweisen: 1.
2.
3.
Wie Kohlberg selbst anmerkt, geht es bei dem Motivationsaspekt der Moralentwicklung um „fortschreitende Grade der Internalisierung moralischer Sanktionen“ (Kohlberg 1995: 27). Sie bietet damit die Möglichkeit, die modernisierungstheoretische Dichotomie von „Außenkontrolle“ und „Innenkontrolle“ ebenso zu spezifizieren wie die zivilisationstheoretische Gegenüberstellung von außenorientierter Fremdkontrolle und Über-Ich-gestützter Selbstkontrolle. In typologischer Hinsicht differenziert und rekombiniert Kohlbergs Typenkontinuum leitende Ordnungskriterien der Partikularismus-UniversalismusDichotomie. Kohlberg konzeptualisiert im Grunde eine Reihe von Zwischen- oder Übergangsformen, die sich zwischen zwei Grenzfällen ansiedeln lassen: Auf dem präkonventionellen Level der Moralorientierung finden wir den Pol einer partikularistischen Selbstorientierung, die Stufen des postkonventionellen Niveaus lassen sich hingegen als Varianten einer entfalteten universalistischen Kollektivorientierung verstehen. Last not least lassen sich die von Kohlberg beschriebenen moralischen Orientierungsstufen nicht nur individualpsychologisch, sondern auch als Typen
137 Vgl. z.B. J. Habermas (1976: 74ff.), der sich mit Blick auf Kohlbergs Moralstufenschema schon früh gegen eine „Beschränkung auf die kognitive Seite des kommunikativen Handelns“ und für die Einbeziehung motivational wirksamer Bedürfnisstrukturen ausspricht. Siehe auch G. Nunner-Winkler (1993), die die Grenzen der Piaget-Kohlbergschen Annahme aufweist, die kognitive Urteilsfähigkeit und die affektive Motivation ihrer Befolgung würden sich parallel entwickeln. Vgl. zur emotionalen Verankerung der Geltung moralischer Normen auch L. Montada (1993).
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Kapitel 5 moralischen Bewusstseins interpretieren, die unterschiedliche Affinitäten zu sozialen Strukturtypen und soziokulturellen Konstellationen erkennen lassen.138 Fasst man z.B. unsere obige Typologie ins Auge, dann ist einerseits zwar anzunehmen, dass sämtliche Moralstufen Kohlbergs in allen vier Sozialstrukturtypen vorkommen können, – allerdings in sehr unterschiedlich ausgeprägten Plausibilitäts- und Wahrscheinlichkeitsgraden.139 So kann man z.B. hypothetisch eine sinnhafte „Wahlverwandtschaft“ zwischen den konventionellen Formen des Moralbewusstseins und solchen Sozialstrukturtypen annehmen, für die hoher Gruppendruck typisch ist. Für beide ist die Loyalität gegenüber der Gruppe bzw. der Sozialorganisation und den damit verbundenen Rollenverpflichtungen konstitutiv.
Zunächst zeigen die präkonventionellen Moralbewusstseinsstadien insofern einen deutlich individualistischen Zuschnitt, als hier generell eine „egozentrische Bindung an die eigene Gratifikationsbalance“ (Habermas 1976: 77) im Vordergrund steht. Im ersten Stadium gibt es noch keine wirklich autonome Moralorientierung, im Vordergrund steht die unbefragte Hinnahme von Autorität. Gehorsam wird hier erstrangig durch eine Vermeidung von Bestrafung motiviert; Bestrafung droht von einer „mächtigen“ Strafinstanz, die sich auch in einer anonymen Macht (z.B. der Macht eines Tabus oder einer hinterweltlichen Instanz) manifestieren kann. Die Sanktionsinstanz wird als unerbittliche Autorität aufgefasst, der man fraglos gehorchen muss, um „Ärger zu vermeiden“. Sie wird noch nicht als Autorität anerkannt und noch nicht auf eine dahinter stehenden moralisch-normativen Ordnung bezogen. Ein Rollenmuster, das sich auf Perspektivenwechsel gründet, ist hier im Grunde noch nicht vorhanden (Colby/Kohlberg 1986: 154f.), der genuine Egozentrismus blockiert eine empathische Erfassung und Berücksichtigung der Intentionen und Interessen anderer. Ein Kind, das sich noch in diesem Stadium der Orientierung an Strafe und Gehorsam („punishment and obedience orientation“) befindet, hört nicht deshalb damit auf, die Hauskatze am Schwanz zu ziehen, weil es die diesbezügliche Ermahnung der Mutter („Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es spürt wie du den Schmerz!“) wirklich verstanden hat, sondern weil es Probleme mit der Mutter vermeiden will bzw. auf eine Belohnung für 138 Die Möglichkeit, moralische Orientierungen von Gruppen und Institutionen, ihre „Gerechtigkeitsstruktur“, herauszuarbeiten, räumt ja bereits Kohlberg selbst ein, wenn er am Beispiel von Gefängnissen unterschiedliche „moralische Atmosphären“ sozialer Umwelten unterscheidet (Colby/Kohlberg 1986: 157ff.; Kohlberg 1995: 223). 139 Vgl. zu diesem dritten Punkt L. Kohlberg (1995: 41ff.; 1981: 147ff., 409ff.), A. Colby/L. Kohlberg (1986); daneben haben wir hier auch die Kohlberg-Interpretation von J. Habermas (1976: 63ff.) herangezogen.
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seinen Gehorsam hofft. In diesem Stadium ist tierbezogenes Verhalten generell dann „gut“ bzw. „schlecht“, wenn die meist unmittelbaren Folgen des Verhaltens für die eigene Lustbilanz gut (zuträglich) oder schlecht (abträglich) sind. Soziale Normen (auch Tierschutznormen) werden noch nicht als soziale Normen erkannt, die Perspektiven mehrerer anderer berücksichtigen. Im Unterschied dazu steht beim Hedonismus der „instrumentellrelativistischen Orientierung“ (Stadium 2) normenkonformes Verhalten immer unter dem Vorzeichen eines Kosten-Nutzen-Kalküls. Unterschiedliche Interessen und Optionen werden dabei auf „faire“ Regeln eines „Do-ut-des-Marktes“ bezogen, auf dem unterschiedliche Angebote und Nachfragen erkannt und bewerten werden müssen. Gefragt ist also eine Kompetenz, die im Grunde auf das Austarieren von Verhandlungsspielräumen und Marktchancen abstellt und eher im Rahmen eines weniger geschlossenen Rollenmusters zu erwarten ist. Das „instrumentell-relativistische Orientierungsmuster“ dieses Stadiums nutzt die Regeln, die positive und negative Sanktionsmechanismen steuern, als Bedingungen, um eigene Erfolgschancen zu optimieren. Man hält sich z.B. an gesetzliche Auflagen zur artgerechten Tierhaltung, weil sich dadurch verbesserte Marketing- und Absatzchancen eröffnen (können). Werden diese Auflagen zu kostspielig, dann weicht der Eier- oder Milchproduzent auf einen anderen Markt aus. Die Behandlung der Tiere wird insofern als „fair“ empfunden, als sie jeweils die – möglichst guten – Haltungs- und Transportbedingungen bekommen, die im Rahmen der eignen Präferenzen und Interessen opportun sind. Eine tiermoralische Orientierung ist hier nur in Ansätzen erkennbar, etwa dann, wenn tierschützerische Belange im (instrumentellen) Sinne einer „Investition“ eine Optimierung des Gesamtsaldos versprechen. 2. Auf einem konventionellen Orientierungsniveau ist ein tierbezogenes Verhalten gut/schlecht, wenn es den Verhaltenserwartungen einer sozialen Mitgliedschafts- oder (partikularen) Bezugsgruppe des betreffenden Akteurs (z.B. Familie, Peers, Partei, Unternehmen, Nationalstaat usw.) ent- bzw. widerspricht. Bestimmten Tieren wird hier durch tierschützerische Rücksichten Achtung gezollt, weil sie dieser Sozialeinheit in einem metonymischen oder metaphorischen Sinne zugerechnet werden.140 Die Aufrechterhaltung der normativen und Wertordnung der Gruppe erhält einen Eigenwert, unabhängig von den möglicherweise negativen Konsequenzen für das einzelne Gruppenmitglied. Erwartet wird nicht mehr nur ein passiver Konformismus, sondern ein aktives Engagement für die Sozialordnung, ein zunehmend eigenverantwortlicher Umgang mit den nor140 Vgl. hierzu C. Lévi-Strauss (1979: 241f.). Metaphorisch meint hier, dass bestimmten Tieren (z.B. Vögeln) ein den menschlichen Sozialbeziehungen ähnliches Sozialmuster zugeschrieben wird, metonymisch, dass andere Tiere (z.B. hierzulande Hunde) „ohne eigenes soziales Leben einen Teil des unseren bilden“ (Lévi-Strauss 1979: 240).
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Kapitel 5
mativen Vorgaben. Bei der „Good-boy“-Orientierungsstufe stehen die „guten Absichten“ des tierbezogenen Verhaltens im Vordergrund. Tierschützerische Maßnahmen werden hier eher dann befolgt und begrüßt, wenn sie soziale Anerkennung versprechen. In humanimalischen Interaktionen werden sie eher durch unmittelbare Empathie ausgelöst;141 diese ist aber insofern „soziomorph“ geprägt, als man sich bei der Definition der Situation und der nötigen Maßnahmen eng an die Mehrheitsmeinung hält. Bei der „Law-and-order“-Orientierung läßt sich dann eine weitergehende Identifizierung mit der sozialen Autorität ausmachen: Die Aufgabe, Tierschutznormen um ihrer selbst willen zu beachten, wird nun als Gewissenspflicht erlebt und aus einem vergleichsweise offenen Rollenverständnis heraus umgesetzt. Zentraler Sanktionsmechanismus bei tierquälerischem Verhalten ist hier eine sozial induzierte „Scham“ bzw. der Anerkennungsentzug durch die jeweilige Bezugsgruppe. 3. Auf dem postkonventionellen oder prinzipienorientierten Orientierungsniveau gilt ein tierbezogenes Verhalten als gut bzw. schlecht, wenn es Verhaltenserwartungen entspricht, die sich aus der „Anerkennung allgemeiner moralischer Prinzipien“ (Colby/Kohlberg 1986: 144) herleiten lassen. Diese allgemeinen Prinzipien werden als die Grundlage der sozialen Normen (an-)erkannt. Kennzeichnend ist hier das „Bemühen, moralische Werte und Normen zu bestimmen, die unabhängig von der Autorität der Gruppen und Personen, die diese Prinzipien vertreten, und unabhängig von der eigenen Identifikation mit diesen Gruppen Gültigkeit besitzen“ (Kohlberg 1995: 52).
Kohlberg unterscheidet auf diesem Niveau eine „legalistische Sozialvertragsorientierung“ von einer „Orientierung an universellen ethischen Prinzipien“. Die erstere weiß um den Relativismus persönlicher Werte und Meinungen, anerkennt aber solche allgemeinen Individualrechte und Standards als verbindlich an, die von den Gesellschaftsmitgliedern geprüft und vereinbart worden sind. Soziale Nützlichkeitserwägungen legitimieren Veränderungen legaler Regelungen, wenn bestimmte Verfahrensregeln der Konsensherstellung beachtet werden. Bei der Orientierung an universellen ethischen Prinzipien wird das moralisch Richtige durch „Gewissensentscheidungen im Einklang mit selbst gewählten ethischen Prinzipien festgelegt, die sich darauf berufen, logisch umfassend, universell und in sich konsistent zu sein“ (Kohlberg 1995: 53). Abstrakte moralische Prinzipien (wie die „goldene Regel“ oder der kategorische Imperativ) dienen dazu, Würde 141 Vgl. zur generellen Bedeutung unmittelbarer Empathie auf der Stufe IV L. Kohlberg (1995: 28, 129).
Tiermoralische Orientierungsmuster
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und Gleichheit der Individuen zu gewährleisten. Dem Individuum wird generell ein Eigenwert – insbesondere eine personale Selbstzwecklichkeit im Sinne Kants – zuerkannt. Im Hinblick auf Tiere lässt sich die universalistische Grundorientierung dieses Niveaus dahingehend abwandeln, dass George H. Meads Prinzip des sozialen Perspektivenwechsels Achtung nun auch gegenüber dem Eigenwert142 solcher Tiere begründet, die nicht dem eigenen oder einem anderen partikularen Sozialzusammenhang zuzurechnen sind. Auf dem postkonventionellen Niveau sind es Tierrechtskonzepte, die für die Bemühungen stehen, die unterschiedlichen Geltungsansprüche menschlicher und tierlicher Belange in artübergreifender Weise zu harmonisieren. Eine Anlehnung an die kontraktualistische Sozialvertragskonzeption liegt vor, wenn die Kriterien, die eine allgemeine Einbeziehung von Tieren in die moralische Gemeinschaft begründen (z.B. Leidens- bzw. Empfindungsfähigkeit, artübergreifende Kommunizierbarkeit von Willensbekundungen) durch die kritische Prüfung und verfahrensgemäße Konsensfindung menschlicher Gesellschaftsmitglieder festgelegt und (gegebenenfalls) verändert werden können. Utilitaristische Leitvorstellungen spielen hier insoweit eine Rolle, als sich der Aus- und Abgleich von Menschen- und Tierrechten an Erwägungen wechselseitiger Nützlichkeit orientiert, an quasikontraktuellen Vorstellungen eines wechselseitigen Einverständnisses und einer Reziprozität von Leistung und Gegenleistung.143 Eine „weichere“, diskursethisch inspirierte Variante dieses Be142 So betont M. Scheler den Unterschied von „sentimentaler“ und echter Tierliebe: Bei der ersten dient das Tier als Folie „anthropopathischer“ Projektion. Echte Tierliebe aber richtet sich auf die „fremde Eigenart“, den Eigenwert des Tieres: „Darum ist z.B. auch Rohheit gegen Gebilde der organischen Natur, Tiere oder Pflanzen, nicht erst dadurch ‚schlecht, dass sie als Anzeichen ‚möglicher Rohheit gegen Menschen aufgefasst wird, sie ist vielmehr in sich selbst schlecht“ (Scheler 1973: 158). 143 Hierher gehört z.B. die von D. Morris (1970: 204f.) vorgebrachte Idee einer vertragsmäßigen interspezifischen Symbiose zum gegenseitigen Nutzen. Im Lichte dieser Vorstellung sollen z.B. Nutztiere, die uns mit ihrem Fleisch ihr Leben geben, zum Ausgleich dafür vorher ein weitgehend leidensfreies Leben unter artgerechten Haltungsbedingungen führen dürfen. Die ethologisch aufzuschlüsselnden Symptome ihres subjektiven Wohlbehagens werden dann als Zeichen eines gewissen Einverständnisses gedeutet, Verhaltensweisen der „Vertragsverweigerung“ (wie z.B. Ausbruchsversuche, Aggression, physischer Widerstand, psychopathische Deformationen usw.) werden als nonverbale Äußerungen der Ablehnung, der Verneinung angesehen. – Die Idee eines Kontrakts zwischen Mensch und Tier zur Begründung tierschützerischer Rücksichten ist freilich schon älter; sie taucht z.B. auch im Umkreis des frühneuzeitlichen Naturrechts auf. So plädiert J. Apin für die De-facto-Vertragstüchtigkeit eines impliziten Einverständnisses. Apin (1722: 18) ist davon überzeugt, „daß die Bestien einiges Recht von uns zu fordern haben, und dass wir hingegen ihnen einige Pflicht zu leisten schuldig sind. Nicht zwar als wenn sie ein pactum expressum mit uns gemacht hätten, sondern weil GOTT den Menschen gewisse Gesetze durch die Vernunfft vorgeschrieben hat, welche sie gegen die Bestien in acht
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gründungstyps (Jürgen Habermas) macht das für Tierschutzpflichten maßgebliche Universalitätskriterium an kommunikativen Kompetenzen fest, an Kompetenzen, die aber letztlich zu exklusiv auf die Voraussetzungen und Geltungsansprüche sprachlicher Kommunikation zugeschnitten sind.144 Von dieser Voraussetzung her ist nicht zu erkennen, wie im Rahmen dieser formalistischen Diskursethik ein konsequenter tierethischer Universalismus begründet werden könnte. Ein direktes Pflichtenkonzept würde z.B. Tiere als Teilnehmer von – in einem erweiterten Sinne – „praktischen“ Verständigungsprozessen einbeziehen müssen. Und dafür greift ein Verständigungsbegriff, der die „Einigung unter sprach- und handlungsfähigen Subjekten“ (Habermas 1981a: 386f.) fokussiert, wohl zu kurz. Gerade im Vergleich mit Max Schelers Ansatz einer materialen Wertethik (Scheler 1980) sind die Begründungsprobleme, mit denen hier strikt diskurstheoretisch angelegte Ethiken zu kämpfen haben, doch erheblich. Auf der Stufe eines entfalteten tierethischen Universalismus schließlich wird die Achtung gebietende „Selbstzwecklichkeit“ des Tieres weniger an spezifischen Eigenschaften, Funktionen, „tierlichen Einwilligungen“ und nützlichen Wirkungen (für Tier und Mensch) festgemacht, sondern durch das Prinzip eines unverfügbaren Eigenwertes, einer individuellen Würde des Tieres ergänzt oder sogar aufgehoben.145 Die Achtung der Menschenwürde und die Achtung der nehmen müssen. Gleichwie auch die Menschen, was die allgemeinen Pflichten betrifft, kein pactum expressum mit einander gemacht haben, welche sie aber dennoch in acht zu nehmen verbunden sind, ob sie gleich niemals einander gesehen, oder miteinander geredet haben, weil diese Regeln der Gerechtigkeit von GOTT in die Natur gelegt sind, welcher sie einem jeden vernünfftigen Menschen durch das Lichte des Verstandes zu erkennen giebet, und wer wider selbige handelt, handelt zugleich wider das Recht der Natur.“ 144 Vgl. zu den immanenten Grenzen einer diskursethischen Begründung von Pflichten Tieren gegenüber die Überlegungen von J. Habermas (1992: 219ff.). Habermas erwägt behutsam die Möglichkeiten einer derartigen Fundierung, kann sich dann aber auf der Grundlage seines kognitionszentrierten Ansatzes doch nur zu einem „moralanalogen“ Pflichtenkonzept durchringen, das auf das Prinzip gegenseitiger Anerkennung zu rekurrieren scheint. Demnach könnten unsere Pflichten gegen Tiere nur in dem Maße moralischen Ansprüchen genügen, als sie „in den Voraussetzungen kommunikativen Handelns ihre Basis haben. Freilich sind sie (die Pflichten gegen Tiere, R.W.) nur in dem Maße analog, wie die in der Interaktion bestehenden Asymmetrien einen Vergleich mit den zwischen Personen hergestellten Anerkennungsverhältnissen noch zulassen“ (Habermas 1992: 225). Es ist allerdings schwer einzusehen, weshalb die Möglichkeit „advokatorischer Diskurse“, die J. Habermas für sprachunfähige Menschen einräumt, nicht auch für Tiere in Betracht kommt (vgl. dazu Caspar 1995: 388f.). Vor allem aber verweist J. Habermas’ Position auf die Grenzen eines Kommunikationsbegriffs, der selbst im Hinblick auf interspezifische Beziehungen nicht vom Modell sprachlicher Diskurse ablassen will. Vgl. auch S. Benhabib (1992: 190, 213), deren Kritik hier zum gleichen Resultat kommt. 145 Z.B. wird beim sogenannten „Heinz-Dilemma“ die Frage, ob es erlaubt sei, nicht nur für die Ehefrau, sondern auch für den geliebten Hund das lebensrettende Medikament zu entwenden, auf einem postkonventionellen Moralniveau bejaht: Der „Mensch als ein ‚verwirklichtes Wesen sollte sich in einer verantwortlichen und schützenden Weise gegenüber allen Formen des
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Tierwürde werden nicht mehr als konkurrierende, im Nullsummenverfahren gegeneinander aufrechenbare, sondern als komplementäre ethische Postulate begriffen (vgl. Regan 1984; Spaemann 1984).146 Die Achtung der Würde des Tieres impliziert hier Respekt vor seinem Anderssein und Respekt vor den im Tier „natürlicherweise angelegten Möglichkeiten.“147 In dieser Sicht kann ein tiermoralischer Universalismus über ein „modernes“ Reziprozitätsprinzip letztlich nicht hinreichend begründet werden. Anders gesagt: In humanimalischen Sozialverhältnissen können universalistische Prinzipien letztlich weder auf Grundlage des Gegenseitigkeitspostulats noch in Form einer Symmetrisierung von Rechten und Pflichten Anwendung finden. Die Einseitigkeit bzw. „Eingleisigkeit“ moralischer Achtung gefährdet hier nicht mehr den Geltungsanspruch eines „brüderlichkeitsethisch“ begründeten Achtungsprinzips, einer Achtung, die nun praktisch auch die Forderung der Feindesliebe einschließt. Dieser tierethische Universalismus zeigt in seinen entwickelten, konsequenten Formen eine unverkennbare Affinität zu jener „kosmischen Perspektive“, die Kohlberg selbst einer 7. Stufe des Moralbewusstseins zuweist. Für diese Stufe charakteristisch ist u.a. das „Gefühl, Teil des Lebensganzen zu sein“ (Kohlberg 1995: 119). In Albert Schweitzers (Tier-)Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben148
Lebens verhalten“ (Vasudev 1986: 168). Mit Blick auf die historische Entwicklung tierethischer Niveaus ist hier für Deutschland besonders I. Bregenzer (1891: 355ff.) zu erwähnen. Bregenzer leitet seine Forderung nach einer subjektiven Rechtsfähigkeit der Tiere vor allem aus dem Persönlichkeitsprinzip her. Für den Englisch sprechenden Raum können z.B. die tierethischen Ideen von H. Salt (1980) einem postkonventionellen Niveau zugerechnet werden. 146 In diese Richtung weisen auch Befunde der Untersuchung von G. Block (2003) zur Moralorientierung von Anhängern der Tierrechtsbewegung. Block resümiert, seine Resultate „do not support the assumption that these individuals (believers in animal rights, R.W.) reserve their moral concern exclusively for animals. Concern for humans and concern for animals may not be mutually exclusive, as some critics of believers in animal rights have claimed” (Block 2003: 177). 147 In diesem Sinne äußert sich z.B. B. Sitter-Liver (1994: 86): „Wir billigen einem derart Geachteten Rechte zu, sprechen zunächst von seinem Recht auf Dasein, dann von jenem auf Sosein, schließlich vom Recht auf Entfaltung der in beiden natürlicherweise angelegten Möglichkeiten.“ Vgl. zur naturphilosophischen Tragweite teleologischer Aspekte der Tierwelt bes. R. Spaemann/R. Löw (1991). Der Gedanke einer natürlichen bzw. auf Gott verweisenden Finalität des tierlichen Lebens wird im 18. Jahrhundert z.B. explizit von S. Apin im Zusammenhang mit der Verurteilung tierquälerischer Missbräuche ins Feld geführt (vgl. Apin 1722: §§ 24f.). – Die tiermoralische Orientierung an den arteigenen Entfaltungsmöglichkeiten äußert sich z.B. in der weitestgehenden Bewahrung der körperlichen Integrität des Tieres, in der Ablehnung entwürdigender Formen der Tierhaltung, der Zurschaustellung, des Lächerlichmachens (vgl. Teutsch 1995: 43f.), am konsequentesten wohl im ethischen Vegetarismus, der am Tötungsverbot festhält, wo eine kontraktualistische Tiermoral noch „tiergerechte“ Schlachtungen erlaubt. 148 Gegen R. Descartes’ abstraktes und „willkürlich“ gewähltes Cogito wendet A. Schweitzer (1990: 330) ein, die Philosophie müsse von der „unmittelbarsten und umfassendsten Tatsache
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z.B. wird die in der christlichen Tradition aufweisbare Tendenz einer brüderlichkeitsethischen Verantwortung für das Mitgeschöpf Tier mit dem Prinzip der Agape verknüpft: Das Tier avanciert zum „Nächsten“.149 Das Tier wird hier Adressat einer Haltung der Liebe: Selbstachtung und Glück wollen nur noch als Spiegelung und Begleitmoment der Achtung und des Glücks des anderen erfahren werden.150 Von den Voraussetzungen seiner materialen Wertethik her kommt Max Scheler in diesem Punkt zu ähnlichen Resultaten wie Schweitzer. Auch Scheler geht es darum, das Verhältnis von Nächsten- und Gottesliebe schöpfungstheologisch aufzuheben. Für Scheler (1970: 19f.; Herv. v. S.) ist es „selbstverständlich, dass da, wo die Liebe zum Wesen Gottes gehört und aller religiöse Heilprozess nicht in menschlich-spontaner Tätigkeit, sondern in der göttlichen Liebe seinen Ausgangspunkt hat, die Liebe ‚zu Gott immer gleichzeitig ein Mitlieben der Menschen, ja aller Kreaturen mit Gott – ein Amare mundum in Deo – in sich einschließen muss.“ Franz von Assisi ist für Scheler der Kronzeuge für diese Haltung: Franziskus’ „Einsfühlung“ mit den nichtmenschlichen Kreaturen habe mit älteren antiken Traditionen einer „Entlebendigung“, „Vertotung“ und Beherrschung der Natur radikal gebrochen.151 des Bewusstseins ausgehen. Diese lautet: ‚Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ 149 So schreibt A. Schweitzer (1971: 165) ausdrücklich: „Also ist unser Nächster nicht nur der Mensch. Unsere Nächsten sind alle Wesen.“ Die Ermahnung von Matthäus 25, 40 z.B. bezieht sich dann auch auf Tiere: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ – Wenn man zugebe, „dass das Prinzip der Liebe auf alle Kreaturen auszudehnen sei, so erkennt man damit an, dass das Gebiet der Ethik grenzenlos sei“ (Schweitzer 1971: 140). Eine wichtige Differenz der Schweitzerschen Haltung gegenüber der „indischen Ethik“ gibt es dort, wo er an ihr einen quietistisch-passiven Zug ausmacht und anmerkt, ihr Verhältnis zur tierlichen Kreatur sei letztlich „unbefriedigend“, weil diese Ethik nicht auch das aktive, „mitleidvolle Helfen gebietet“ (Schweitzer 1991: 139). 150 Im Hinblick auf Tiere handelt es sich um eine Erfahrung, die bei L. Kohlberg (1995: 119) erst in der Beschreibung der 7. Stufe anklingt, von ihm aber allzu gefühlsbezogen beschrieben wird: Lösungen dieser Stufe implizieren „kontemplative Erfahrungen nicht-egoistischer und nicht-dualistischer Art. (...) Ihr Kern ist das Gefühl, Teil des Lebensganzen zu sein, und die Einnahme einer kosmischen – statt einer universell-humanistischen (Stufe 6) – Perspektive.“ Vgl. dazu auch Kohlbergs Darstellung des Agape-Motivs im religiösen Denken der Quäkerin Andrea Simpson (Kohlberg 1981: 347ff.). 151 Siehe dazu näher die schon weiter oben thematisierten Überlegungen M. Schelers (1973: 94) zur „franziskanischen Bewegung, in der das Bruderschaftsverhältnis des Menschen zu Pflanze, Tier, Wind wieder (..) zu erwachen beginnt“. Scheler (1973: 99; Herv. v. Sch.) betont, das Neue sei hier, „dass die Kreaturen auch im metaphysischen Nebeneinander (und nur mit Einschluss des Menschen) unmittelbar auf ihren Schöpfer und ‚Vater als für sich seiende und (im Verhältnis zum Menschen) auch als ganz selbstwertige Wesen bezogen werden“. Charakteristisch für die franziskanische Schöpfungserfahrung sei das Bild einer Natur als „lebendige Ganzheit“, Ausdrucksfeld des einen „gotthaften“ Lebensprinzips. „Gott ist nicht nur als Herr
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Insgesamt ist davon auszugehen, dass Kohlbergs Stufenschema auch für die Einordnung und Analyse tiermoralischer Orientierungen wertvolle Einsichten bietet. Einschränkend ist hinzuzufügen, dass die von Kohlberg verwendeten moralischen Dilemmata wohl z.T. nur bei solchen Tieren aussagekräftige Ergebnisse erwarten lassen, die von den Befragten überhaupt als „nahe stehend“, menschenähnlich wahrgenommen wurden, sei es nun in eher emotionaler (wie beim Haustier Hund)152 oder in phylogenetischer Hinsicht (wie beim Schimpansen) (vgl. Dunlap 1989: 256f.). Ein weiteres Problem: Kohlberg geht offenbar von einer weitgehenden Autonomie des moralischen Urteilens gegenüber den jeweiligen religiös-mythischen Sinnkontexten aus und traut der religiösen Dimension erst auf der 7. Stufe eine maßgebliche, mehr als nur kognitiv legitimatorische Unterstützungsfunktion zu (vgl. Kohlberg 1981: 369f.). Demgegenüber sollte nicht aus den Augen verloren werden, dass gerade bei weniger elaborierten tiermoralischen Orientierungen ein „mythischer“153 Sinnbezug auf eine (mundane oder hinterweltliche) „unbedingte“, absolute Instanz von häufig ausschlaggebender Relevanz ist. Hier wird das religiös fundierte „Gesamtdenken“ einer Person, ihre „natürliche Philosophie“ (Fetz/Oser 1986) oft ausschlaggebend dafür sein, wie moralische Dilemmata erlebt und welche Wertpräferenzen und Lösungsmöglichkeiten dann in Betracht gezogen werden. So ist die Moral von Mensch-TierBeziehungen z.B. nicht losgelöst von der „wirklichen“ Subjektreferenz des Tieres zu betrachten, nicht unabhängig von der quasi numinosen „Macht“, die das Tier verkörpert oder die „hinter“ ihm wirksam ist, etwa in der Vorstellung eines (gegebenenfalls strafenden) „Herrn der Tiere“ (vgl. Jensen 1992: 192ff.). Als Resümee dieser Ausführungen ist festzuhalten, dass die Ordnungskonzepte der unterschiedlichen Moralniveaus (insbesondere Tausch, Autorität, gruppenbezogene Loyalität, Vertrag und Konsens) auf anthropologischen, kosmologischen oder religiösen Vorannahmen fußen, die gerade in ihrem kulturellen Wertbezügen von den Strukturvorgaben des jeweiligen Sozialsystems divergieren können. Schon weiter oben, am Beispiel der Mbuti-Pygmäen wurde ja angemerkt, dass für eine derartige Kongruenz oder Parallelität ganz spezifische Konsund Schöpfer der untermenschlichen Natur erlebt und gedacht und nur dem Menschen (durch Christus hindurch) ‚Vater, sondern auch als gütiger Vater der Naturgebilde selbst, so dass diese (durch Christi Erlösung und Gnade hindurch) gleichfalls in ein Mitkindschaftsverhältnis zu ihm treten, das im Verhältnis zu uns Menschen dann natürlich ein Bruder- und Schwesterverhältnis sein muss“ (Scheler 1973: 100; Herv. v. Sch.). 152 Vgl. hierzu das Heinz-Dilemma, bei dem gefragt werden kann, ob Heinz das Medikament auch für ein todkrankes „Haustier, das Heinz liebt“, stehlen sollte (Kohlberg 1995: 496). 153 Das Mythische soll auch hier in dem erweiterten Sinne verstanden werden, in der Art, wie es L. Kolakowski (1974) für unterschiedliche Kulturbereiche herausgearbeitet hat: Sinnstiftung über Intentionen, die sich auf eine nichtempirische Realität beziehen, aber dem Empirischen ein „unbedingtes“ Deutungsschema vorgeben.
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tellationen von (z.B. gesellschaftsstrukturellen, biographietypischen usw.) Voraussetzungen gegeben sein müssen, die realiter nur ausnahmsweise zusammenfinden. Im Normalfall ist also eher von tendenziell inkongruenten, mehr oder minder stark divergierenden Interpenetrationseffekten auszugehen, davon, dass z.B. bestimmte sozialstrukturelle Muster zwar bestimmte kulturelle Muster begünstigen, aber eben nicht determinieren können.154 Die empirisch vorfindbaren tiermoralischen Orientierungs-- und Verhaltensmuster lassen sich in dieser Sicht prinzipiell als Resultate von Interpenetrationsprozessen auffassen. Diese Interpenetrationen werden oftmals spannungsreiche „Kompromisslösungen“ zeitigen und damit wesentlich Richtung und Dynamik der Veränderung tiermoralischer Muster beeinflussen. Ein Beispiel sind hier tiermoralisch universalistische Tendenzen im Rahmen einer hierarchischkollektivistisch strukturierten Sozialorganisation. Für den indischen Jainismus z.B. wird die universelle Reichweite des Tiertötungsverbots dadurch motiviert, dass das Tier als eine individuelle Verkörperung des als unverletzlich geltenden Lebens anerkannt wird (Vasudev 1986: 164ff.). Daneben wird hier auch das Prinzip der Schmerzvermeidung ausdrücklich auf alle empfindungsfähigen Lebewesen ausgedehnt (Vasudev 1986: 165). Mit einer modernen tierethischen Fokussierung des subjektiven Erlebens darf das freilich dennoch nicht verwechselt werden.155
5.6 Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien als makrosoziale Bezugskontexte humanimalischer Sozialität Mit dem Insistieren auf der Bedeutung soziokultureller Interpenetrationsbezüge für die Ausprägung tiermoralischer Orientierungen wird bereits ein Fragenkreis angeschnitten, der bislang allenfalls beiläufig zur Sprache kam, nun aber eingehender untersucht werden muss. Gemeint ist der Stellenwert, den makrosoziale, gesamtgesellschaftlich wirksame Selektionsmechanismen für die Ausformung von humanimalisch relevanten Orientierungs- und Verhaltensmustern besitzen. Im Einzelnen handelt es sich hier um die Wirkungsmechanismen der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien sowie um die Art und Weise, wie sich 154 Dies ist auch ein wichtiger Kritikpunkt von A. Fiske (1992: 715) am Ansatz von M. Thompson/ R. Ellis/A. Wildavsky (1990). 155 Einerseits schließt das strikte Tiertötungsverbot im Jainismus auch Kleinstlebewesen (kleine Insekten, Mikroben usw.) ein und in den Tierasylen der Jainas werden streunende, hungrige oder verletzte Tiere versorgt. Andererseits scheint es nicht selten Konstellationen zu geben, in denen die unbedingte Ehrfurcht vor allem beseelten Leben den Jainas eine Euthanasie selbst qualvoll dahinsiechender Tiere untersagt.
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diese Medien zu den skizzierten Sozialstrukturtypen der Mesoebene „verhalten“. Dabei ist insbesondere von Interesse, ob sich zwischen einzelnen Sozialstrukturtypen und Medien Affinitätsbeziehungen feststellen lassen. Gibt es „wahlverwandtschaftliche“ Zuordnungen, die sich z.B. darin zeigen könnten, dass sich die relativen Wirkungschancen der einzelnen Medien in bestimmten sozialstrukturellen Umgebungen erhöhen bzw. vermindern?
5.6.1 Funktionsaspekte symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien Soziale Systeme lassen sich einmal nach dem „Grad ihrer sozialen Differenzierung“ unterscheiden, d.h. nach der „Zahl der Statuspositionen und der Rollen, die (...) operationell unterschieden werden“ (Merton 1995: 300). Zwei Extreme sind denkbar: Alle Mitglieder haben bzw. unterstellen sich die gleiche Rolle bzw. den gleichen Status, oder aber: Jedem Mitglied wird eine unverwechselbar einmalige Rolle, ein unverwechselbar singulärer Status zugewiesen. Im ersten Fall handelt es sich um einen segmentär differenzierten Modus sozialer Strukturbildung, im letzteren Fall hingegen um den funktional differenzierten Modus von Strukturbildung. Wie Hans Geser im Anschluss an Emile Durkheim betont, basiert das segmentäre Strukturierungsprinzip auf der Ausbildung oder Aufrechterhaltung von expliziter Konsensualität, eines gemeinsamen Fundus kollektiv „präsenter“, internalisierter Werte und Normen. Der funktional differenzierte Strukturtyp hingegen fußt auf dem Komplementaritätsprinzip. Dieses lässt sich beschreiben als eine „wechselseitige Abhängigkeit im Hinblick auf die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse oder auf die Anstrebung eines qualitativ andersartigen, von keinem Teilnehmer allein zu erreichenden Gesamtziels“ (Geser 1983: 13).156 Komplementäre Beziehungen zwischen funktional ungleichartigen sozialen Positionen kann man zwar nach dem Grad unterscheiden, mit dem diese Beziehungen habitualisiert bzw. institutionalisiert sind. Andererseits ist es einleuchtend davon auszugehen, dass beim Vorliegen von Komplementaritätsbeziehungen – wenn sie sich nicht in statu nascendi oder im Zerfall befinden – den genuin konsensualen Elementen per se nur eine „Hilfsfunktion“ zukommt (Geser 1983: 118). Im Gegensatz zu segmentären Sozialstrukturen, die stärker auf kon156 Siehe auch E. Durkheim (1977). R. Merton (1995: 301) nimmt eine ähnliche Unterscheidung vor, wenn er eine „kulturell induzierte“ von einer „organisatorisch induzierten“ Sozialkohäsion abhebt: Die erste beruht auf den „von den Gruppenmitgliedern verinnerlichten gemeinsamen Normen und Werten“, die letztere kennzeichnet die „Verwirklichung von persönlichen Zielen wie auch Zielen der Gruppe durch die interdependenten Aktivitäten der anderen Gruppenmitglieder.“
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sensorientierte Beziehungen von Interakteuren angewiesen sind und ihre Sozialintegration vorrangig über soziale Perspektivenwechsel realisieren, wird das wechselseitige Fremdverstehen in komplementären Sozialbeziehungen in hohem Maß durch mitweltliche Typifikationen und vorgegebene Relevanzmuster „entlastet“. In diesen vergleichsweise „reinen Fällen“ wird die Integration der Verhaltensbeiträge dann kaum über Akte des Perspektivenwechsels hergestellt. Die Motivstruktur, die Gesinnungen oder Emotionen der beteiligten Selbste werden nicht oder kaum thematisiert.157 Die wechselseitige Anschlussfähigkeit und Integration arbeitsteiliger, interdependent spezialisierter Handlungen erfolgt dann vielmehr über zeitlich, sachlich und sozialnormativ fixierte Routinen, ohne dass die Beteiligten durch kommunikative Aushandlungsprozesse einen expliziten Konsens über die individuellen Motive oder den Gesamtzweck des gemeinsamen Verbundhandelns zu erzielen brauchen.158 Die Kommunikationsstruktur ist hier von vornherein hochselektiv angelegt:159 Sie bevorzugt den Modus mitweltlicher „Ihr-Beziehung“ im Sinne von Alfred Schütz (1974: § 37). Die Interaktion zwischen Ego und Alter orientiert sich an relativ abstrakten, invarianten und anonymisierten Personal- und Ablaufstypen, die ganz spezifische Verhaltenserwartungen (als „Postbeamter“, „Geldempfänger“ usw.) zuverlässig (im Modus des idealisierten „Immer wieder“) zusammenfassen (vgl. Schütz 1974: bes. 252ff.). Es ist vermutlich diese Kombination von Repetitivität, Anonymität, hoher „zuverlässiger“ Berechenbarkeit und Effektivität, die vor allem formal-bürokratischen Varianten arbeitsteilig-
157 Hier ist freilich anzumerken, dass bei H. Geser der letztlich idealtypische Zuschnitt des Gegensatzes von komplementären und segmentären Beziehungsstrukturen nicht hinreichend deutlich wird. Das tatsächliche arbeitsteilige Organisationshandeln ist manchmal sehr viel weniger „entlastet“ als es „von außen“ den Anschein haben mag. Sozialer Perspektivenwechsel und das Ausloten von Motivlagen sind hier besonders dann nicht obsolet, wenn es sich um Organisationen handelt, in denen „unterschiedliche Zwecksetzungen mit konfligierendem Charakter nebeneinander bestehen“ (Greca 1990: 54). 158 Wo Routinisierung und Spezialisierung sich wechselseitig verstärkende Prozesse sind, zeichnet sich (z.B. in der Berufswelt) häufig eine zunehmende „Bifurkation der Fähigkeiten“ und Ausbildungsniveaus ab (Blau 1979: 218f.), die dann eher mit einer expliziten Trennung der Zuständigkeitsbereiche einhergeht. 159 Vgl. zu dieser selektiven „Reduktion von Kommunikationsmöglichkeiten“ z.B. F. Hegner (1976: 244): „Hier wird im Rahmen eines Gefüges von Regeln (generalisierten und formalisierten Erwartungen) sowie eines damit verbundenen Systems regelhafter Handlungen festgelegt, welche Stelleninhaber auf welche Weise und zu welchen Zeitpunkten mit welchen anderen Stelleninhabern über welche Themen in welcher Form kommunizieren können.“ Nicht zu vergessen ist freilich, dass eine methodologisch unstatthafte Reifizierung derartiger „reiner“ Fälle durchaus irreführend wird, wie besonders die „Human-Relations-Schule“ vorgeführt hat (vgl. zur Diskussion Etzioni 1973: 56ff.).
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komplementärer Sozialbeziehungen den Vergleich mit einem maschinenartigen „Mechanismus“ eingetragen hat.160 Für die Zwecke der vorliegenden Studie bieten nun vor allem die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien (insbesondere Macht/Recht, Geld, Einfluss, Liebe, Wahrheit oder Religion) günstige Ansatzpunkte für die Untersuchung der Mechanismen, die in funktional differenzierten Gesellschaften das Zusammenspiel der mikrosoziologischen Interaktionsebene mit den Ebenen der Sozialorganisationen und gesellschaftlichen Subsysteme wesentlich steuern. Obwohl hier nicht die Kon- und Divergenzen der Medientheorien von Talcott Parsons und Niklas Luhmann zu diskutieren sind, so sind doch zwei Vorbemerkungen nötig. Zum einen: Im Sinne von Luhmann sprechen wir von Kommunikationsmedien, nicht von Tausch- oder Interaktionsmedien, um herauszustellen, dass wir das Medienkonzept breiter, umfassender ansetzen, als dies T. Parsons tut. Wir gehen nicht von Austauschhandlungen aus, sondern setzen bei Medienleistungen an, die sich in erster Linie auf die „erfolgreiche Abnahme von Kommunikationen“ beziehen (vgl. Luhmann 1975: 172; 1984: 191ff.). Das eigentlich sinnkonstitutive Moment der Kommunikation ist hier ein selektives Geschehen, eine „Wahl“, die aktuelle Sinnbezüge aus einem Verweisungshorizont mitgemeinter „Potentialitäten“ konstituiert, Potentialitäten, die die Selektion freilich selbst „weckt“ oder „vorzeichnet“.161 Aus dem zuletzt genannten Grund insistieren wir im Unterschied zu Luhmann allerdings auf der folgenreichen Prämisse von Parsons’ Medientheorie, die die Funktion der einzelnen Medien (anders als Luhmann) nicht vom Grundproblem einer symbolischen Generalisierung von Wertbezügen abkoppelt. Wie weiter unten noch deutlich wird, verweist diese Wertbindung von Medien nicht nur auf hochgeneralisierte Werte des Kultursystems oder des soziokulturellen Treuhandsystems, sondern auch auf medienspezifische Wertprinzipien. Anders formuliert: Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien lassen sich (auch) als Interpenetrationsmechanismen auffassen, die dadurch Kommunikations- und Austauschprozesse zwischen den Funktionsbereichen sozialer Systeme ermöglichen, dass sie eine wechselseitige Durchdringung von sozialer Systemebene und Kultursystem in Anspruch nehmen oder institutionalisieren.162 Wissenschaftliche 160 Vgl. z.B. die Kritik von L. Mumford (1977: 637ff.) am bürokratisch-technologischen „Supermechanismus“ der modernen „Megamaschine“ und am entsprechend „mechanisch“ funktionierenden „Organisationsmenschen“. 161 So die Wortwahl von E. Husserl (1977: § 19) in seiner Darstellung der „Aktualität und Potentialität des intentionalen Lebens“. Vgl. dazu auch Luhmann (1984: bes. 193f.). 162 Ein bilaterales Interpenetrationsverhältnis lässt sich natürlich nur analytisch konstatieren; realiter sind Interpenetrationen zwischen allen Funktionsbereichen des allgemeinen Handlungs- bzw. Verhaltenssystems (Organismus, Persönlichkeitssystem, Sozialsystem, Kultursystem) eine notwendige Vorbedingung (vgl. z.B. Parsons 1971: 5-7). So rekurriert eine Instituti-
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Wahrheit ist in differenzierten Gesellschaften z.B. ein Medium, das in Verbindung mit dem Machtmedium zur Rationalisierung und Generalisierung politischer Entscheidungen beitragen kann,163 doch basiert dieses Interpenetrationsverhältnis auf der Voraussetzung, dass ein Komplex der kognitiven Rationalität hinreichend weit institutionalisiert ist. „Kognitive Rationalität“ meint hier ein Wertmuster, das die kulturelle und die soziale Ebene interpenetrativ verknüpft und es ermöglicht, dass die Wertbezüge kognitiv-rationaler Symbolismen für Mitglieder wissenschaftsspezifischer Sozialorganisationen (Universität, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen usw.) normative Wirkungen entfalten.164 Im vorliegenden Kontext sind nun im Wesentlichen zwei zentrale Funktionen der Kommunikationsmedien herauszustellen. Erstens ist zu beachten, dass über die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien gesellschaftliche Leistungen und Funktionsbereiche sowohl differenziert wie integriert werden: Einerseits sind symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien „Spezialsprachen“, die die „Emission und Übertragung“ sinnvoller Botschaften/Leistungen zwischen Handelnden ermöglichen, andererseits sind sie „Codes“, die dadurch Sinn seligieren, dass sie in spezifischer Weise Möglichkeiten von sinnvollen Relationierungen zwischen „gemeinten“ Sachverhalten und bestimmten Symbolen bzw. Zeichen regeln (vgl. Parsons 1967: bes. 357f.). Die Medien dienen also, wie Luhmann (1984: 222) abstrakter formuliert, dazu, die Selektionen „der Kommunikation so zu konditionieren, dass sie zugleich als Motivationsmittel wirken“. Die Voraussetzung dafür, dass die symbolische Generalisierung eines Mediums vom Handelnden nicht nur erkannt, sondern in der Interaktion auch akzeptiert wird, bietet die Institutionalisierung eines medienbezogenen „inneren Vertrauens“. Dieser Vertrauenskredit stützt sich einerseits auf grundlegende allgemeine Wertbindungen, die sich z.B. in Normen darüber ausdrücken, wie ein legitimer bzw. illegitimer Umgang mit dem jeweiligen Medium auszusehen hat (z.B. können beim Geldverleih überhöhte Zinssätze, obwohl sie „am Markt“ durchsetzbar sind, moralisch bedenklich sein oder als „sittenwidrig“ untersagt onalisierung von ästhetischen Normen nicht nur auf einen kulturellen Symbolvorrat der ästhetisch möglichen Formen, Themen, Stile, Semantiken usw., auf die sich Schönheitsideale (affirmativ oder per negationem) beziehen lassen, sie setzen auch die Sozialisation ästhetischer Minimalkompetenzen voraus, um Personen in den Stand zu versetzen, entsprechende Unterscheidungen vornehmen zu können (vgl. Bourdieu 1982). 163 ... aber natürlich nicht muss! Vgl. etwa die „Politisierung der Wissenschaft“ in ihrem prekären Verhältnis zur Verwissenschaftlichung der Politik (Bühl 1974a: 259-71). 164 Siehe zum Komplex der kognitiven Rationalität als einem Ergebnis der Interpenetration zwischen dem Kultursystem und dem kulturellen Treuhandsystem T. Parsons (1990: bes. 55-58), zum Zusammenhang von Interpenetration und Differenzierung R. Münch (1988: 109ff.).
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werden).165 Andererseits nimmt dieses Vertrauen bei jedem Medium eine spezifische Gestalt an, je nachdem, welche institutionelle Ordnung das Medium stützt. Für die wichtigsten gesellschaftlichen Medien kann der letztgenannte Aspekt wie folgt aufgeschlüsselt werden:166
Geld als generalisiertes Medium für positive Anreize: Der Gebrauch dieses Mediums setzt auf allgemeine Konvertierbarkeit von Waren und Dienstleistungen. Die institutionelle Vertrauensgrundlage ist hier die Geltung einer Eigentumsordnung. Macht als generalisiertes Medium zur Aktivierung von Kooperationsverpflichtungen:167 Macht rekurriert auf eine allgemein verbindliche Akzeptanz von gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen. Um sich als generalisiertes Medium von der Verfügbarkeit unmittelbarer Zwangsmittel lösen zu können, bedarf Macht der Vertrauensvorleistung, dass Entscheidungen gefällt werden, die im Rahmen einer bestimmten Entscheidungs- und Verpflichtungsordnung („Herrschaftsordnung“) legitim sind. Einfluss als Medium, um über Prozesse der Meinungsbildung Solidarität zu erzeugen:168 Bei diesem Medium bezieht sich der eingeräumte Vertrauenskredit auf das Ansehen, die „Ehre“ oder die Reputation, auf Größen, deren jeweiliger Kurs- oder „Verkehrswert“ erst im Rahmen einer bestimmten Prestigeordnung ermittelt werden kann. „Commitments“ als Medium zur Aktivierung moralisch verpflichtender Wertbindungen: Als generalisiertes Medium setzen Wertbindungen die Zuversicht in eine Respezifizierbarkeit von Wertmustern voraus. Hier unterstützen flankierende moralische Sanktionen eine situative Umsetzbarkeit abstrakter Werte, die nicht nur heute für Ego, sondern auch morgen für Alter gewährleistet sein soll. Grundlage dieser generalisierten Geltung ist die Institutionalisierung der entsprechenden Wertordnung.
165 Vgl. T. Parsons (1967: 360, 366f.), sowie ergänzend S. Jensens (1980: 49f.) Ausführungen zum Stellenwert von grundlegenden Wertbindungen für die Funktionsweise der Medien. 166 Vgl. zu den folgenden Ausführungen T. Parsons (1980: bes. 193f.; 1967: 366f.). 167 T. Parsons (1980: 193f.; Herv. Parsons) schreibt: „Macht ist ein generalisiertes Medium zur Aktivierung von Verpflichtungen, im Rahmen von kollektiv bindenden Entscheidungen zu kooperieren, wobei mit der Verweigerung von Kooperation entsprechende Zwangssanktionen (...) verbunden sind.“ 168 Angesichts des von V. Lidz angemerkten diffusen Bedeutungsumfangs von T. Parsons’ „Persuasion“-Konzept scheinen uns Ausdrücke wie Meinungsbildung oder Überzeugungsarbeit die Sache besser zu treffen als die mitunter verwendete Übersetzung „Überreden“, die einen zu „manipulativen“ Beigeschmack hat. V. Lidz (1991: 115; Herv. R.W.) schreibt zu Recht: „influence should be related not simply to ability to persuade, but to a conception of the capacity for producing solidary social relationships in a society.“
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Makrosoziologisch ermöglicht die Institutionalisierung der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien die Ausdifferenzierung von gesellschaftlichen Teilbereichen, die sich handlungstheoretisch als symbolische Sinnbereiche oder Wertsphären darstellen, systemtheoretisch als funktionsspezifische Subsysteme: Geld zirkuliert in der Ökonomie, Macht im Politbereich, Einfluss in der gesellschaftlichen Gemeinschaft, Wertbindungen im soziokulturellen Treuhandsystem. Doch wäre es problematisch, den selbstreferenziellen Konstitutionsprozess dieser Funktionssysteme lediglich als autopoietisch geschlossene Prozesse zu begreifen. Die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien sind nicht nur subsystemspezifische Steuerungsmedien, sondern auch Zirkulationsmedien, die grenzüberschreitende Austauschprozesse ermöglichen und damit Interpenetrationsprozesse zwischen den gesellschaftlichen Subsystemen in Gang halten. Zirkulationsfähigkeit heißt in diesem Zusammenhang generell, dass Medien geeignet sind, „die Übertragung der Kontrolle von einer handelnden Einheit auf eine andere in irgendeiner Transaktionsform zu ermöglichen“ (Parsons 1980: 231, 115f.; vgl. Münch 1988: 126). Beim Medium Wahrheit z.B. kann eine Hypostasierung der symbolischen Selbstreferenz, die zulasten der sozialökologischen Einbettung wissenschaftlichen Handelns geht, leicht in einen überspitzten Konventionalismus münden.169 Zweitens: Über symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien werden Codes institutionalisiert, durch die in differenzierten Sozialsystemen auch unter recht unwahrscheinlichen Bedingungen eine „Komplementarität von Rollenerwartungen“ hergestellt werden kann (vgl. dazu Münch 1992: 136f.). Diese „Komplementaritätslücken“ (Richard Münch) schließen Medien durch Generalisierungen, die Respezifizierungen ebenso eröffnen wie erfordern. Die Generalisierungsleistung eines Mediums besteht hier darin, dass Verschiedenartiges durch symbolische Vereinheitlichung bzw. Gleichsetzung anschlussfähig wird. Ego und Alter können so mit deutlich weniger kommunikativem „Eigenaufwand“ zum Austausch komplementärer Leistungen bzw. Selektionen stimuliert werden.170 In sozialer Hinsicht wird eine Situationsdefinition dahingehend generalisiert, dass sich Ego und Alter als generelle, in bestimmten Hinsichten auswechselbare Typen (z.B. als Zahlender/Zahlungsempfänger, Liebende/Geliebter usw.) gegenübertreten, im Vertrauen darauf, dass ihre wechselseitigen, aber bloß abstrakt vortypisierten Erwartungen nicht ins Leere laufen und sie sich auf die interaktive Anschlussfähigkeit ihrer jeweiligen Handlungsbeiträge verlassen können. 169 In diese Richtung zielt die Kritik W. L. Bühls (1995: 21ff.) an N. Luhmanns (1992) Theorie autopoietischer Wissenschaft. 170 Vgl. N. Luhmann (1992: 185f.), dessen Generalisierungsbegriff sich hier offenbar eng an Parsons anlehnt.
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Zentrale akteurstheoretische Voraussetzungen für diese Anschließbarkeit liefern Idealisierungen wie die Reziprozität der Perspektiven oder die „Et-ceteraAnnahme“ (Schütz 1971: 12ff.; Cicourel 1975: 31ff.), – also „generalisierende“ Verfahren, um unter vagen, unbestimmten Sinnzurechnungsbedingungen die intersubjektive „Verzahnung“ von Kommunikationen und Handlungen zu gewährleisten. Dass durch generalisierende Medien ceteris paribus die Freiheitsgrade (und Risiken) der jeweiligen Interaktion zunehmen, zeigt sich aber auch in zeitlicher und sachlicher Hinsicht: Medien erlauben einen Austausch von symbolisch spezifizierten Leistungspotentialen, deren eigentlicher „Gebrauchswert“ zu variablen Zeitpunkten aktualisiert werden kann.171 Wie Parsons besonders im Hinblick auf Wertbindungen („commitments“) zeigen kann, verfügen Medien außerdem über eine charakteristische sachliche Flexibilität: Flexibilisierung erlaubt es, dass eine weitreichende Generalisierung des Wertbezugs Spezifizierungen eröffnet, die für eine Implementation der Werte in unterschiedliche Handlungssysteme erforderlich sind. So kann die „Spezifizierung eines allgemeinen Wertmusters wie ein Baum gesehen werden, der sich auf jeder Spezifikationsstufe weiter verzweigt“ (Parsons 1980: 192).172 Hier sind freilich Folgeprobleme anzudeuten, die dieser doppelte Leistungsbezug der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien aufwerfen kann: In zeitlicher, sachlicher oder sozialer Hinsicht sind dann Unverträglichkeiten, Inkonsistenzen, Konflikte, Risiken oder Ambivalenzen wahrscheinlich. Ein Beispiel sind hier Instabilitäten und Konflikte innerhalb eines Rollensets, die darauf zurückzuführen sind, dass ein ausdifferenziertes Bündel von Rollenbeziehungen den Akteur mit Erwartungen konfrontiert, die vom Flexibilisierungsspielraum des Kernprofils des Rollensets nicht mehr aufgefangen werden können (vgl. Merton 1995: bes. 351f.). Ein weiteres Beispiel sind interne Synchronisationsprobleme, die sich einstellen können, wenn ausdifferenzierte Handlungssequenzen Eigendynamiken mit emergenten Tempi (eigenen Rhythmen, Beschleunigungen, Verzögerungen usw.) entwickeln und eine stimmige Linearisierung nach dem Prinzip des „first things first“ kaum oder gar nicht mehr zulassen.173 In sachlicher Hinsicht können hier ambivalente Wirkungen angeführt werden, wie sie dem Medium Geld eigentümlich sind: Auf der einen Seite wirkt dieses Medium insofern generalisierend, als es die „Vertreibung der subjektiven Seelenhaftigkeit aus allem Äußerlichen“, die „Vergleichgültigung“ der Objekte 171 Vgl. anhand der Medien Geld und Macht T. Parsons (1967: 306ff.). 172 Mit Luhmann (z.B. 1982: 22) kann man auch sagen, dass diese Medien die Anschlussfähigkeit von Kommunikationen dadurch ermöglichen, dass sie ein „zugleich generelleres und spezielleres Kombinationsniveau von Selektion und Motivation“ herstellen. 173 Wie Zeit dann zum „Störfaktor“ werden kann, schildert z.B. am Medium Macht N. Luhmann (1988: 84f.).
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fördert. In seiner Gegenrichtung freilich eröffnet Geld Chancen zu einer individuellen Respezifizierung der inneren und äußeren Welt. Es eröffnet der „Innerlichkeit“ neue „Entwicklungschancen“ (und –risiken) und begünstigt eine individuelle „Auswahl des uns Zusagenden“ (vgl. Simmel 1989: bes. 652f.). Symbolisch generalisierte Medien operieren schließlich auf der Grundlage einer bemerkenswert „gegenläufige Vorstrukturierung“ sozialer Situationen: Einerseits (a) nehmen Medien zwar eine situativ respezifizierbare Generalisierung von Interaktionen und Kommunikationen vor, doch vollzieht sich (b) diese „entlastende“ Autonomisierung von den „konkreten Sachbezügen“ im Horizont von spezifischen Grundausrichtungen, die ein Medium auf ein bestimmtes Wertprinzip festlegen. „Commitments“ (Wertbindungen) orientieren sich in diesem Sinne an der Integrität des zugrundeliegenden Kulturmusters. Das Medium Einfluss ist auf sozial integrative Solidarität ausgerichtet, Macht auf eine (im weiteren Sinne) politisch effiziente Entscheidungsfähigkeit, Geld schließlich auf den Nutzen, der Befriedigungsmöglichkeiten zugeschrieben wird. Während nun Programmierungen Codes dadurch respezifizieren, dass sie Ereignisse jeweils dem positiven oder negativen Wert der binären Leitdifferenz (z.B. wahr/unwahr, haben/nicht haben) zuweisen (Luhmann 1998: 376ff.),174 fokussieren wir hier einen anderen, in Grenzen funktional äquivalenten Ordnungsmechanismus. Die verschiedenen Wertprinzipien der Steuerungsmedien erfordern jeweils geeignete normative Koordinationsstandards, d.h. Regeln für den „richtigen Umgang“ mit den Medien. Diese Standards unterscheiden sich wie folgt: Mit Blick auf die Integrität eines Kulturmusters sind (Austausch-)Leistungen so aufeinander abzustimmen, dass sie eine Konsistenz der Werte gewährleisten, Solidarität wird über sozialen Konsens hergestellt. Für effiziente Machtausübung ist Einwilligung das entscheidende Erfolgskriterium. Schließlich wird derjenige, der sich Zugang zum Nutzen von Gütern verschaffen möchte, darauf achten, dass er „flüssig“ ist. Schließlich lassen sich die generalisierten Medien auch dahingehend unterscheiden, auf welche Weise sie den situativen Kontext einer Ego-Alter-Interaktion strukturieren. Hier geht es nach Parsons darum, „whether ego attempts to work through potential control over the situation in which alter is placed and must act, or through an attempt to have an effect on alter’s intentions, independently of changes in his situation“ (Parsons 1967: 361; Herv. v. P.). Kombiniert man diese „Kanal“-Variable mit den (positiven bzw. negativen) Folgen bzw. 174 Als Beispiele für solche Programme oder „variable Konditionierungen“ (Luhmann 1998: 363) nennt Luhmann z.B. Theorien und Methoden für das Wahrheitsmedium oder Investitionsprogramme für das Geldmedium. „Für das Medium Liebe scheint die Erinnerung an eine gemeinsame Geschichte die entsprechende Funktion des Einschränkens der Möglichkeiten zu übernehmen (Luhmann 1998: 377).
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Sanktionen, die das Medium für Alter bereithält, dann erhält man vier idealtypische, motivational wirkende Grundoptionen von Ego, um die Interaktion mit Alter zu steuern. Die Aktualisierung von Wertbindung (1), Überzeugungsarbeit (2), Zwangsausübung durch Drohung (3), schließlich das Ins-Spiel-bringen von positiven Gratifikationen in Form von Anreizen (4). In einer schematischen Übersicht lassen sich die skizzierten Funktionsaspekte der generalisierten Medien nun synoptisch wie folgt zusammenfassen: Abbildung 12: Funktionsaspekte gesellschaftlicher Steuerungsmedien Wertbindungen („commitments“) „Vertrauensbasis“ der Generalisierung Institutionelle Grundlage
Respezifizierbarkeit Wertordnung
Einfluss Reputation als moralische Glaubwürdigkeit Prestigeordnung
Macht
Geld
Legitimität der Entscheidung
Konvertibilität
Herrschaftsordnung
Eigentumsordnung
Wertprinzip
Integrität eines Kulturmusters
Solidarität
Koordinationsstandard
Konsistenz
sozialer Konsens
„Kanal“ der Kontrolle
intentional
intentional
situational
situational
Appellative Aktualisierung von Wertbindungen (gestützt durch moralische Sanktionen) Soziokulturelles Treuhandsystem
Überzeugen (gestützt durch StatusPrestige)
Aktivierung von Kooperationsverpflichtungen (gestützt durch Zwang)
Anreiz (Angebot von Vorteilen)
Gesellschaftliche Gemeinschaft
Politischer Bereich
Ökonomie
Motivationale Steuerungsmittel Gesellschaftliches Funktionssystem
Effektivität als Entscheidungsfähigkeit Einwilligung als Akzeptanz von Entscheidungen
Nutzen Solvenz, Liquidität
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Im nächsten Schritt soll nun versucht werden, die in der obigen Übersicht175 (Abbildung 12) zusammengefassten gesellschaftlichen Steuerungsmedien zu den Sozialstrukturdimensionen der Rollenmuster und des Gruppendrucks in Beziehung setzen. Dafür sind zuvor zwei Punkte zu klären: (1) Wie unterscheiden sich diese Medien in ihrem „Gruppendruckbezug“? Und außerdem (2): Welche strukturellen Affinitäten ergeben sich mit Blick auf die Spezifizierung von Verhaltenserwartungen bei offenen bzw. geschlossenen Rollenmustern? Im Hinblick auf die Ausrichtung des Rollenmusters ist wohl die Variable des „Kontrollkanals“ entscheidend: Einfluss und Wertbindung sind die Medien, die in Interaktionen beim Schließen von Komplementaritätslücken in weitaus höherem Maße auf intentionale Deutungsprozesse rekurrieren, insbesondere auf das Freilegen bzw. Aushandeln von intentionalen Orientierungen. Im Vergleich damit sind Geld oder Macht für Deutungsdiskrepanzen sehr viel weniger anfälliger, setzen sie doch von vornherein auf einen Kontrollmodus, der an äußeren, situativen Bedingungen ansetzt und nicht am Gelingen/Misslingen des intersubjektiven Perspektivenwechsels und sprachlich vermittelter Konsensbildung.176 Demgegenüber bezieht sich die Gruppendruckdimension auf das Ausmaß, mit dem Ego-Alter-Interaktionen sich auf die Realisierung von Zuständen ausrichten lassen, die – im Hinblick auf den partikularen Rahmen eines gemeinsamen Gruppenbezug – als „konsumatorisch“ geteilte, beiderseits angestrebte Zielzustände gelten können.177 Hoher Gruppendruck wird dann eher von den Medien begünstigt, die partikularistisch ausgerichtet sind, also von Macht und Einfluss. Macht aktiviert die Kooperationsbereitschaft von Mitgliedseinheiten, um kollektiv bindende und zielgerichtete Entscheidungen zu realisieren. Das Integrationsmedium Einfluss hingegen zielt direkt auf die Herstellung von mehr oder weniger eng gezogenen, doch genuin gruppenpartikularen Solidaritäten, und zwar mit Hilfe des Rekurses auf Prestigeordnungen, die gruppenspezifische Reputationswerte aufeinander beziehen. Anders verhält es sich mit den Medien Wertbindung und Geld: Beide Medien operieren letztlich auf der Grundlage eines im Vergleich damit universalistischen Ordnungsschemas. Weder die Offerte positiver Anreize noch die Aktivierung von gemeinsamen Wertbindungen setzen notwendig voraus, das Ego und Alter auch gemeinsame, gruppenspezifische Ziel- oder Solidaritätsvorgaben teilen. Eine latente gemeinsame Wertordnung, die in der Interaktion aktiviert 175 Vgl. zu den Abbildungen 12 und 13 neben T. Parsons (1980: 68ff., 144ff., 193; 1990: 39ff., 563) auch R. Münch (1988: 125ff.). 176 Siehe zu diesem Problemkomplex auch die Analysen von J. Habermas (1981a: bes. 268ff.), zur Diskussion von Parsons’ Medientheorie Habermas (1981a: 384ff.). 177 Die folgenden Überlegungen knüpfen vor allem an T. Parsons (1980: 183ff.; 1990: 23ff.) an, vgl. ergänzend R. Münch (1988: 81ff.).
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werden kann, ist hier sozusagen nur instrumentell zu verstehen, als Mittel zum Zweck. Als ein generelles generatives Strukturschema sind „commitments“ ein Mittel, um Wertspezifizierungen bereitzustellen, die im Hinblick auf konkrete „konsumatorische“, selbstzweckliche Zielzustände der betreffenden Sozialeinheiten (z.B. besonderer Gruppen und Sozialmilieus) sinnvoll sind. Abbildung 13: Zeit-, Sach- und Sozialbezüge der Steuerungsmedien Dimension („Kanal“) sozialer Kontrolle Zeit- & Sachbezug instrumentelluniversell konsumatorischpartikular
intentional
situativ
Wertbindung
Geld
Einfluss
Macht
Selbstverständlich werden die skizzierten Funktionen nicht allein durch diese vier Kommunikationsmedien und ihre jeweiligen Codes wahrgenommen. So lassen sich neben Programmierungen auch komplementäre oder „gegenläufig strukturierte“ Nebencodes unterscheiden, die sich nach Luhmann (1975: 183) durch eine „größere Konkretheit und Kontextabhängigkeit bei geringerer Technizität und geringere gesellschaftliche Legitimationsfähigkeit“ auszeichnen. Innerhalb eines Mediums können sie als funktionale Alternativen des Hauptcodes zum Einsatz kommen, wenn dieser z.B. versagt oder ergänzt werden muss. In diesem Sinne wird z.B. Herrschaft durch die „informale Macht der Untergebenen über ihre Vorgesetzten“ ergänzt, das Geldsystem durch „so etwas wie ZigarettenWährung“. Luhmann interpretiert die Nebencodes als Option von Mediensystemen, um z.B. im Falle einer „Überlastung“ ein Mindestmaß an funktionaler Autonomie zu bewahren. Im Wissenschaftssystem z.B. fungiert Reputation in diesem Sinne als Substitut für den vorherrschenden Code Wahrheit. Der letzte Punkt verweist bereits auf diejenigen Medien, die sich als Modifikationen oder Ausdifferenzierungen der beschriebenen „Basismedien“ begreifen lassen. Im Hinblick auf den Wandel humanimalischer Sozialverhältnisse sind hier vor allem die Kommunikationsmedien der wissenschaftlichen Wahrheit und der Liebe von Interesse. Im Folgenden sollen nun kurz einige Wirkungen angedeutet werden, die diese beiden Medien sowie Geld und Macht auf die Gestaltung humanimalischer Sozialität ausüben.
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5.6.2 Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien als Codes und Selektionsraster tierbezogener Verhaltenskontexte Die bisherigen Ausführungen legen nahe, dass symbolische generalisierte Kommunikationsmedien in komplexeren Gesellschaften als makrosoziale Selektionsmuster aufgefasst werden können, die prägend oder „kanalisierend“ (auch) auf ethnozoologische und tiermoralische Orientierungs- und Verhaltensmuster einwirken.178 Demzufolge formen die Bezugskontexte, die vor allem durch die medienspezifischen Codes vorseligiert werden, gewissermaßen den „Richtungssinn“ der ethnozoologisch und tiermoralisch relevanten Muster. Diese Kontexte, die die Einflüsse der makrosozialen Ebene funktional differenzierter Gesellschaften präzisieren, interferieren im konkreten tierbezogenen Verhalten allerdings jeweils mit den beiden „tiefer“ angelegten Bezugsebenen des Mehrebenensystems humanimalischer Sozialität: Sie modulieren bzw. kanalisieren nicht nur Sinnrahmen und Verlaufsdynamik (a) humanimalischer Interaktionen. Sie wirken auch „innerhalb“ der beschriebenen (b) Sozialstrukturtypen, „vermitteln“ (unterstützen, erleichtern, „stören“, paralysieren usw.) in jeweils unterschiedlichen Wirkungsgraden die für diese Gruppierungen und Sozialorganisationen charakteristischen Ordnungsleistungen. In knapper Form lassen sich die medienspezifischen Selektionsmuster nun wie folgt umreißen (in Klammer fügen wir den jeweiligen sozialstrukturellen „Referenztypus“ der Mesoebene ein, gegenüber dem ceteris paribus häufig eine „wahlverwandtschaftliche“ Leistungskonvergenz wahrscheinlich ist): 1.
Kontexte der kulturellen Definition des Tierverhältnisses durch generell geltende Wertbindungen. Sie aktualisieren und rekurrieren auf Semantiken, die Sinnhorizonte des „Wünschbaren“ oder der „unbedingten Geltung“ abstecken (affiner Sozialstrukturtyp: autonomer Individualismus). Das Tier erscheint hier z.B. in Bezugskontexten des mythischen Wissens, der wissenschaftlichen Wahrheit oder der Kunst. Beispiele sind hier: Tieraspekte als Exemplifizierung eines mechanischen Automatismus, biochemischer Wir-
178 Selbstverständlich sind Wertbindung, Einfluss, Geld und Macht kommunikative Selektionsmechanismen, die auch in einfachen bzw. segmentär differenzierten (Stammes-)Gesellschaften institutionalisiert sind (vgl. dazu auch einige der weiter unten aufgeführten Beispiele). Anders als in primär funktional differenzierten Gesellschaften liegt dort aber keine an diese Medien anknüpfende Ausdifferenzierung von gesellschaftlichen Subsystemen vor, durch die sich ein Medium „durch selbstreferenziell begründete Differenzierungsschemata von der Umwelt unabhängig“ (Luhmann 1984: 264) machen könnte. Einschränkend ist freilich anzufügen, dass dieses „unabhängige“ Moment der Selbstreferenz auch in funktional differenzierten Gesellschaften nicht verabsolutiert werden sollte (siehe hierzu auch Abschnitt 4.2.1). Vgl. am Beispiel der Moralkommunikation W. Krohn (1999).
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kungszusammenhang, als E. T. A. Hoffmanns „Kater Murr“, als „Mitgeschöpf“ im Rahmen biblischer Kosmologie usw. Kontexte der Solidarisierung mit einem „personalisierten“ Tier, die auf Einfluss oder Liebe beruhen (affiner Sozialstrukturtyp: Kommunalismus). Das Tier fungiert hier als „achtenswertes“ Mitglied einer vorwiegend primärsozial fundierten Solidargemeinschaft. Im Vordergrund steht eine (klein-)gruppenbezogene „Reputation“, die in hohem Maße auf die integrierenden Wirkungen des Affektmediums (der Ebene des allgemeinen Verhaltensystems) rekurriert. Beispiele für diese medienspezifische Bezugsform finden sich bei bestimmten Formen der Heimtierhaltung, sie kann aber auch im Rahmen der bäuerlichen Nutztierhaltung eine gewisse Rolle spielen (solange eine Du-evidente Beziehungsform vorherrscht und sich der wirtschaftliche Nutzungsaspekt noch nicht verselbständigt hat).179 Kontexte einer instrumentalistischen Verwendung des Tieres im Rahmen geldwirtschaftlich orientierter Nutzenkalküle (affiner Sozialstrukturtyp: heteronomer Individualismus): Das Tier fungiert hier als sachlich konvertible Tauschwertgröße im Bezugsrahmen einer Markt- und Eigentumsordnung, die auf der Konkurrenz individueller Nutzen- und Erfolgsbestrebungen aufbaut. Im Lichte des Mediums Geld beruht die Rationalität wirtschaftlicher Entscheidungen wesentlich auf seiner spezifischen Generalisierungsfunktion. In qualitativer Hinsicht verhält sich Geld gegenüber der Sache, die
179 So zeigte eine emprische Untersuchung, die H. Inhetveen/M. Blasche (1983) in den siebziger Jahren durchgeführt haben, „dass bei den meisten Bäuerinnen (...) der ökonomisch-pragmatische Umgang mit den Tieren zumindest stark durchsetzt ist mit emotionalen Momenten, deren Intensität von der Ganzheitlichkeit und Dauer des Kontaktes und den, den Tieren zugeschriebenen besonderen Eigenarten und ‚kommunikativen‘ Fähigkeiten abhängt“ (Inhetveen/Blasche 1983: 170). Andere Hinweise liefern vergleichsweise „individualisierte“ sprachliche Ausdrucksformen Tieren gegenüber. Typisch sind hier Benennungen, die auf menschliche Vor- oder Kosenamen zurückgreifen. So setzten sich z.B. im 19. Jahrhundert bei Allgäuer Milchkühen Vornamen wie „Resi“, „Kuni“, „Gusti“, „Zenzi“, „Lisa“ durch (vgl. Wirth 1987: 770), bayerische Bauern nannten ihre Pferde „Hansi“ oder „Matz“ (Kurzform für Matthias). Wirth übertreibt wohl etwas romantisierend, wenn er schreibt, Rinder erhielten „durchweg Eigennamen, als ob es Menschenkinder wären.“ Auch im Amerikanischen wurden Milchkühe oft mit zweisilbigen weiblichen Namen („Bessie“, „Patty“, „Rena“) versehen (vgl. Sahlins 1981: 247). Wie U. Bentzien (1968) gezeigt hat, lassen sich bei Nutztieren menschliche Vornamen sogar bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen; so kam es im Mecklenburg mitunter vor, dass Pferde „Hans“ oder „Lieske“, Kühe „Hedwig“ oder „Silke“ gerufen wurden. Wenn in solchen Benennungen eine gewisse „emotionale Nähe“ zum Tier zum Ausdruck kommt (so Bausinger 1971: 180f.), dann können sie durchaus als ein Indiz für ein „zärtliches Einbeziehen dieser Tiere in den Kreis der menschlichen Familie“ (Rosenfeld 1950: 96) verstanden werden (vgl. dazu auch Wiedenmann 2008a). Für die heutige Situation darf man freilich nicht aus den Augen verlieren, dass, wie K. Jürgens (2002) zeigt, mit dem steigendem Rationalisierungsniveau der Nutztierhaltung eine Versachlichung der Mensch-Tier-Beziehung einhergeht, die sich auch im Sprachgebrauch der Tierhalter bzw. Tierhalterinnen niederschlägt.
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Kapitel 5 es quantifiziert, gänzlich indifferent („non olet“). Geld eignet sich daher als eine Ressource, die für ganz entgegengesetzte moralische und politische Werte eingesetzt werden kann – Luhmann spricht einmal von einer inhärenten Tendenz zur „Pervertierung natürlicher Moral“.180 Hier kommen einem die Wettbewerbsvorteile einer Massentierhaltung in den Sinn, die z.B. Legehennen in Drahtkäfigen festhält, die kaum die Fläche eines DIN-A4Blattes erreichen. Vergleichbares gilt für andere Formen agrarindustrieller Tierhaltung: In (fast) eindeutiger Ausschließlichkeit Rentabilitätsüberlegungen unterworfen, „mutieren“ hier Nutztiere wie Hühner, Schweine oder Rinder zu „sachlichen“ betriebswirtschaftlichen Rechnungsgrößen, zu Variablen einer nüchternen Kosten- und Ertragsfunktion.181 Herrschafts- und Machtkontexte, in denen Tiere Funktionen erfüllen, die mit einer „Übertragung und (..) Potenzierung der Reduktionsleistung individueller Entscheidungen“ (Luhmann 1972: 127) zusammenhängen, oder aber mit politischen Ordnungen, die derartige Entscheidungsübertragungen institutionalisieren (affiner Sozialstrukturtyp: hierarchischer Kollektivismus). Tiere sind hier in der Regel in symbolische Kontexte eingebunden, die die Effektivität oder „Vertrauensbasis“ des Machtmediums stützen (z.B. die Legitimität von politischen Institutionen (Herrschaftsordnungen) bzw. von entsprechenden Gegenbewegungen). Die diesbezüglichen Phänomene sind zahlreich und recht breit gestreut: In statu nascendi können sie schon in der Metapher vom Löwen als dem „starken“ aber „gerechten“ „König“ der Tiere ausgemacht werden. Markante Beispiele dazu finden sich in zoopolitischen Reflexionen über den „Bienenstaat“182 oder in der Bewunderung des familial „vorbildlichen“ Soziallebens von Vögeln. Ein weiteres Beispiel ist Verehrung eines Tieres, das als Wiederverkörperung eines hochgeachteten Ahnvaters gilt. Zu nennen sind zudem Kontexte, in denen Tiere als „Komplizen“ oder Statussymbole von Herrschenden definiert und dann zur Zielscheibe von Rebellionen und Protesten werden.183 Nicht zu vergessen sind
180 Vgl. N. Luhmann (1972: 224; vgl. zum Kontext auch 214f.). G. Simmel (1992: 186) schreibt, durch die Geldwirtschaft büße die „qualitative Seite der Objecte“ an „psychologischer Betonung“ ein. Daher „übersieht man gar zu oft, dass auch die Objecte des wirthschaftlichen Verkehres noch Seiten haben, die nicht in Geld ausdrückbar sind“. 181 Vgl. zu den oft unbeschreiblichen Zuständen der ganz alltäglichen „Tiervernutzung“ z.B. M. Karremann/K. Schnelting (1992) oder E. Kroth (2000); am Beispiel der Rinder J. Rifkin (1993: 118ff.). 182 Vgl. dazu E. Johach (2007: 224ff.) über den sozialen Vorbildcharakter der „souveränen Herrschaft des Bienenkönigs“, der z.B. die Arbeitsteilung im Bienenstock überwacht (so etwa bei Aelian). 183 Dieser Aspekt spielt beim „großen Katzenmassaker in der Rue Saint-Séverin“ (Darnton 1989: 91ff.) eine wichtige Rolle.
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schließlich jene Gelegenheiten, bei denen Tiere an zentraler Stelle in die Findung und öffentliche Plausibilisierung von politischen Entscheidungen involviert sind (wie manchmal im Orakelwesen).184 Anhand der Medien Liebe und Wissenschaft soll nun die Wirkungsweise dieser Medien exemplarisch erläutert werden. Die moderne Liebessemantik schließt als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium sehr eng an den Solidarität stiftenden und sozialintegrativ wirkenden „Einfluss“ an. Als Code kann Liebe als jenes Medium verstanden werden, das sich auf die Herausbildung und den Ausdruck von Gefühlen in Situationen intersubjektiver Intimität spezialisiert hat (Luhmann 1982: 23): „Für Gefühlsbedürfnisse werden Chancen zu konzentrierter Befriedigung bereitgehalten, die andere Systeme von entsprechenden Funktionen entlasten“ (Luhmann 2008: 69). Wenn Menschen zu einem Tier nicht nur affektive Bindungen aufbauen, sondern dieses auch weitgehend personalisieren, dann wird man auch die Möglichkeit einer speziellen „Tierliebessemantik“ einräumen dürfen. Gemeint sind hier semantische Formen und Regeln, die derartige Gefühle Tieren gegenüber kodieren und sie so (z.B. in Form von Gedichten und Geschichten) mitteilbar und „akzeptabel“ machen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die damit vorgezeichneten Sinnkontexte primärsozialer Tierbegegnung immer auch als Formen der Selbstbegegnung zu sehen sind.185 Da eine (mehr oder weniger ausgeprägte vermenschlichende) Personalisierung von Tieren in westlichen Gesellschaften in enger Wechselwirkung mit der Genese eines soziokulturellen Individualismus steht, lassen sich zwischen beiden Varianten von Intimitätskonstruktion deutliche Parallelen ausmachen. In zwischenmenschlichen Liebesbeziehungen wie in humanimalischen Liebesbeziehungen geht es zunächst um die Intensivierung des „personalen Moments“ in der Beziehung. Zunehmend bedeutsam werden „individuelle, einzigartige Eigenschaften der Person oder schließlich prinzipiell alle Eigenschaften einer individuellen Person“ (Luhmann 1982: 14). Formen einer „Personalisierung“ von Haus- und Heimtieren, wie sie sich seit dem 18. Jahrhundert vor allem in den Ober- und Mittelschichten abzeichnen, zeigen sich u.a. darin, dass man nun besonders Heimtiere verstärkt als empfindsame und „liebenswerte“ Mitlebewesen 184 Das Giftorakel der Zande, bei dem junge Hühner verwendet werden, wird u.a. bei folgenden Entscheidungslagen des Prinzen herangezogen: Bevor der Prinz Tribut annimmt, wenn der Prinz „die Unternehmungen des britischen Bezirksbevollmächtigten bestimmen will“, bevor der Prinz seinen Hof verlegt, bevor er Krieg führt, usw. (vgl. Evans-Pritchard 1978: 184). 185 J. Berger (1980: 12f.; Herv. v. B) schreibt in diesem Zusammenhang über die Heimtier-HalterBeziehung: „The pet completes him, offering responses to aspects of his character which would otherwise remain unconfirmed. He can be to the pet what he is not to anybody or anything else. Furthermore, the pet can be conditioned to react as though it, too, recognises this. The pet offers his owner a mirror to a part that is otherwise never reflected.“
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zu sehen lernt. Anders gesagt: Die Gefühle, die man Heimtieren entgegenbringt, geraten nun in den Gravitationsbereich einer sich entfaltenden literarischen Semantik der Tierliebe,186 die sich vor allem beim Heimtier Hund dem Ideal einer emphatisch empfunden, „innigen Freundschaft“ annähert.187 Am Ende des Jahrhunderts, 1790, schreibt z.B. Adolph von Knigge über zugespitzte Formen der hier angesprochenen „empfindsamen“ Theriophilie: „Habe ich diejenigen getadelt, die grausam gegen Tiere verfahren, so muss ich doch auch sagen, dass andere in die entgegengesetzte Übertreibung fallen, indem sie mit dem Viehe wie mit dem Menschen umgehen. Ich kenne Damen, die ihre Katze zärtlicher umarmen als ihre Ehegatten; junge Herrn, die ihren Pferden sorgsamer aufwarten als ihren Oheimen und Basen, und Männer, die gegen ihre Hunde mehr Zärtlichkeit, Schonung und Nachsicht beweisen als gegen ihre Freunde“ (Knigge 1977: 398).
Wie weiter oben, im Zusammenhang mit dem Sozialstrukturtyp des Kommunalismus schon angedeutet, wird die „Adoption“ des Heimtieres zum Freund und Gefährten sicherlich erheblich von der Ausformung einer bürgerlichen Privatsphäre begünstigt. So zeichnet sich im 18. Jahrhundert schon ab, was zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einem verbreiteten Ideal bürgerlich geprägter Schichten avanciert: Die Aufwertung des intimen Nahbereiches (bes. der Familie) zum Ort einer „natürlichen“ und aufrichtigen Kommunikationskultur, die der öffentlichen (bzw. höfischen) Welt des Scheins, der Rollenmaskerade, der Verstellung usw. entgegengesetzt wird.188 Heimtiere wie Hund oder Katze eignen
186 Vgl. für England die instruktive Übersicht des entsprechenden Kapitels („The Discovery of a New Literary World“) in der Monographie von D. Harwood (1928: 172ff.). 187 Vgl. zu dieser Annäherung von Liebe und Freundschaft N. Luhmann (1982: 102f.). Auf welche Weise nun auch Heimtiere nach Vorgaben der Liebes- und Freundschaftssemantik typisiert werden, spiegelt sich z.B. in Grabschriften wider. So dichtet Leopold F. G. von Göckingk sein „Klagelied eines Schiffbrüchigen auf einer wüsten Insel über den Tod seines Hundes“, das mit den Zeilen anhebt: „Jammer! Meinen Freund hab’ ich verloren, / Meinen einzigen auf dieser Welt!“ Vgl. auch Matthias Claudius („Als der Hund tot war“) oder Johann N. Götz in seiner „Grabschrift des Mimy, eines kleinen Windspieles“ (vgl. die Zusammenstellung bei Hamm 1987: 24f.). 188 Siehe zum wachsenden Sinnstiftungspotential und Prestige des häuslichen Lebens im England des frühen 19. Jahrhunderts C. Hall (1992); zum Aufstieg der „Ideologie der Intimität“ im politischen Leben R. Sennett (1983: 115ff., 293ff.). Das Verhältnis adeliger und bürgerlicher Lebensformen in dieser Zeit kann hier nicht beleuchtet werden. Sicherlich wird man bei den (im weiteren Sinne) privaten Lebensformen gravierende regionale und nationale Unterschiede einräumen müssen. Im Vergleich zu Preußen zeichnen sich etwa in England schon im Verlauf des 18. Jahrhunderts deutlichere Angleichungstendenzen ab, die sich z.B. in den beruflichen Tätigkeitsfeldern, im Heirats- und Freizeitverhalten, in den Nobilitierungsusancen und im Bildungswesen ausdrücken (vgl. Mosse 1988: bes. 293ff.). Vgl. zu den Distinktionsstrategien, die
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sich besonders gut für implizite Kommunikationsweisen, für Verständigungsweisen, die in hohem Maße auf „Vorwegnahme“ und „Schonverstandenhaben“ basieren.189 Vor diesem Hintergrund kann die Hinwendung zum Heimtier durch die ernüchternde Entdeckung einer zwischenmenschlichen „Inkommunikabilität“ gefördert werden. Wenn Aufrichtigkeit in Gefühlsdingen als fragil und gleichzeitig als problematisch erfahren wird (vgl. Luhmann 1982: 153ff.), dann wird das Heimtier eher zum geeigneten Adressaten, um die eigenen Gefühle auszudrücken, um Treue oder Aufrichtigkeit zu erleben. Die nonverbalen Aspekte des Gefühlsausdrucks vermitteln hier oftmals Glückserfahrungen eigener Art (McCulloch 1983), – manchmal gerade wegen des Fehlens der erotisch-sexuellen Komponente.190 Nun ein anderes Medium, die moderne Wissenschaft. Sie lässt sich in Anlehnung an ihre Selbstbeschreibung, wie sie von T. Parsons vorgenommen wird, als dasjenige Symbolsystem charakterisieren, das sich funktional auf den Anpassungsaspekt des Kultursystems spezialisiert hat, d.h. auf die kognitive Erfassung der Welt. Auf der Ebene des kulturellen Treuhandsystems sind es die Einrichtungen der akademischen Lehre und Forschung, die in modernen Gesellschaften den Kern des „Rationalitätssystems“ stellen, durch das der kognitive Kulturbereich normativ verbindlich institutionalisiert wird (vgl. Fararo 1981; Parsons 1990: 51ff.). Diese Ausdifferenzierung bedeutet zunächst eine begrenzte Verselbständigung des genuin wissenschaftlichen Normen- und Wertesystems. Dieses verpflichtet Wissenschaft auf Wahrheitssuche, – Wahrheit verstanden als „regulative Idee“, die kein „geschlossenes und hierarchisches System des Wissens“ meint, sondern „vielmehr die Offenheit und Entwicklungsfähigkeit des Wissens“ (Bühl 1995: 108).191 In universalistischer Hinsicht wird die kognitive Geltung wissenschaftlichen Wissens vor allem über die Wahrheitsfähigkeit von Sätzen normiert. Wissenschaftliche Aussagen sollen in dieser Perspektive mit es weiten Teilen des deutschen Adels ermöglichten, sein „symbolisches Kapital der Ehre“ im bewegten 19. Jahrhundert recht erfolgreich zu behaupten, die Thesen von R. Braun (1990). 189 Vgl. N. Luhmann (1982: 29), der in diesem Zusammenhang davon spricht, dass Liebe „Kommunikation unter weitgehendem Verzicht auf Kommunikation (zu) intensivieren“ vermag. 190 Formen nichtsexueller Zärtlichkeit und Nähe (wie Streicheln, Kraulen, „Knuddeln“ usw.) sind Ausdrucksformen von Intimität, die üblicherweise aus distanzierten Sozialkontakten verbannt sind und selbst in engsten persönlichen Beziehungen nicht immer hinreichend befriedigt werden können: „Aber Tiere darf jedermann liebkosen, ohne das Missverständnis einer erotischen Attraktion zu riskieren“ (Greiffenhagen 1993: 50). Vgl. zum breiten Spektrum der hier anzusiedelnden theriophilen Haltungen (von der schlichten „puppy love“ bis hin zur sublimen „spiritualization of love“ bei Samuel T. Coleridge) näher M. Shell (1986: 124f.). 191 In diesem Ziel konvergieren die Normen wissenschaftlicher Arbeit: die Norm des wissenschaftlichen Universalismus, die Norm des organisierten Skeptizismus, die Normen des sogenannten „Kommunismus“ und der „Desinteressiertheit“. Vgl. dazu im Einzelnen R. Merton (1985: 88-99), zur systemtheoretischen Einordnung auch T. Fararo (1981: 180-185).
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eindeutigen und klaren Begriffen hantieren und logisch konsistent sein.192 Weitere Kriterien, die hier nur zu erwähnen, aber nicht zu explizieren sind, beziehen sich z.B. auf die Validität, die Überprüfbarkeit und den Prognosewert wissenschaftlicher Erkenntnisse. Auch im Hinblick auf die Autonomie gegenüber anderen Kommunikationsmedien ist der normative Universalismus wissenschaftlicher Wahrheit von entscheidender Bedeutung, denn er erfordert idealiter, dass „Erlebnisselektionen relativ unabhängig von den moralischen, ja sogar von den sozialhierarchischen Qualifikationen der Kommunikanten“ (Luhmann 1975: 177) übertragen werden können. Die Ausdifferenzierung moderner Wissenschaft ist im Hinblick auf den historischen Wandel und eine gewisse „Vereindeutigung“ humanimalischer Sozialverhältnisse von sehr weitreichender Bedeutung. Schon von daher können auch hier nur wenige ausgewählte Punkte angeschnitten werden. Zunächst lässt sich sicher feststellen, dass Teile der modernen Wissenschaft in der Frühneuzeit maßgeblich dazu beigetragen haben, die sozialen Personifikationen der Ambivalenz – d.h. den Angst einflößenden „Fremden“ in seinen unterschiedlichen Varianten – Normierungen zu unterwerfen, die auf wissenschaftliche Eindeutigkeit und rationale Kontrolle abzielten. Ein Beispiel ist hier die Ausgrenzung der „Irren“ als eine Folge der Entdeckung, dass der Wahnsinnige eine beängstigende, zunehmend unerträglich erscheinende Zwischenexistenz vorführt. Vor allem im 18. Jahrhundert scheint sich hier ein gewisser Trend zu „klar(er)en Verhältnissen“ Bahn zu brechen. Die nun Ärgernis erregende „Mischexistenz“ wird z.B. dahingehend beseitigt, dass man den Wahnsinnigen zum Animalischen hin zu vereindeutigen sucht: „Wenn der Irre zum Tier geworden ist, erlischt jene Gegenwart des Tieres im Menschen, die das Ärgernis beim Wahnsinn ausmachte. Nicht das Tier ist zum Schweigen gekommen, sondern der Mensch selbst ist beseitigt worden“ (Foucault 1973: 146). In einem engen Zusammenhang damit steht die Homogenisierung menschentypischer Körperkonzepte, die sich z.B. im diskursiven „Verschwinden des Monstrums“ (Stichweh 1995: bes. 178f.) ausdrückt. Monstren, die eine eindeutige Mensch-Tier-Grenze zu „dementieren“ schienen, werden im 17. und 18. Jahrhundert eher in einem pejorativen Sinne als unnatürliche Mischexistenzen eingestuft, die sich von der volkskulturellen Prodigienbedeutung mehr und mehr absetzt. Sie unterliegen nun einem Naturalisierungsprozess, der ihre naturwissenschaftliche Eingemeindung den Weg ebnet: Man etikettiert Missbildungen 192 T. Parsons (1990: 86) betont explizit: „Logik ist der normative Bezug des kognitiven Codes, denn sie formuliert die symbolischen Voraussetzungen dafür, ob ein Satz Geltung beanspruchen darf und ob der Schluss von einem Teil eines Satzsystems auf einen anderen korrekt ist. Sie fordert Klarheit (Eindeutigkeit) der Begriffsbildung und Schlüsse, die festgelegten Regeln folgen.“ Vgl. zum wissenschaftlichen Universalismus auch W. Bühl (1974a: 107ff.).
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nun als körperliche Anomalien, „die den gleichen Naturgesetzen gehorchen wie die normale Entwicklung“ (Moscoso 1995: 72).193 Etwa zur gleichen Zeit kommt es im Bereich der sozialen Konstruktionen der Geschlechtsdifferenz zu einer „medizinischen Präzisierung der Geschlechterunterscheidung“, die zunehmend von einem „binären Gegensatz zwischen den Organen“ ausgeht (Hirschauer 1999: 74f.). Hermaphroditen werden nun „vom paradigmatischen Fall menschlicher Geschlechtlichkeit zum Hindernis der neuen Differenzbehauptung“ (Hirschauer 1999: 77; Herv. v. H.). Ein komplementäres Beispiel liefert die epistemologische Konstruktion der „fremden Rassen“. Auch hier wird der Fremde einem modernen „Richtigkeitsschematismus“ anvertraut. So zeigt Paul Münch in einem Beitrag zur Ausgrenzung des „fernen Fremden“ (1995: 95f.), dass die Genese der anthropologischen Rassensysteme des 18. Jahrhunderts, die „Erfindung der Hautfarben“, von einer rationalistischen „Klassifizierungswut“ getragen wird. Gleichzeitig lieferte der Farbige eine Projektionsfläche, um die vom „Zivilisationsprozess der Moderne verdrängten Eigenschaften“ (z.B. die „wilde Sexualität“ des „Negers“) zu thematisieren. Alle diese Entwicklungen sind sicher nicht unabhängig vom Prozess der Sozialdisziplinierung (Oestreich 1980) mit seinen Konformisierungsund Zentralisationstendenzen zu sehen. Sie lassen sich als Aspekte eines Prozesses begreifen, der in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen neue und verschärfte kategoriale Differenzen hervorbringt und mit korrespondierenden Praktiken kombiniert. Die cartesianisch inspirierte Mensch-Tier-Dichotomisierung und ihre Folgen fügen sich in dieses Bild nahtlos ein. Moderne Unterscheidungsarbeit ist von ihren historischen Wurzel wie von ihren Auswirkungen her kein unschuldiges Projekt, sie verknüpft Ausnutzung mit Ausgrenzung und Assimilation mit Ausmerzung.194 Die hier angesprochene Problematik wurde vor allem von Zygmunt Bauman ausführlich untersucht. Baumans These ist, dass diese und vergleichbare Prozesse als Momente einer zunehmenden und genuin modernen „Verein-
193 Wie mühsam sich dieses Verschwinden der Monstren vollzog, zeigen noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Texte wie Johann C. Lavaters „Physiognomische Fragmente“. Angesichts eines Mädchens, das stellenweise „Rehhaare“ und „schwammichte Auswüchse am Rücken“ aufwies, scheint ihm ein „Einfluss der Einbildungskraft“ doch „schlechterdings unläugbar“ (Lavater 1992: 291): Die Mutter hatte sich während der Schwangerschaft angeblich mit einer Nachbarin wegen eines Hirsches gezankt ...! 194 So impliziert Modernisierung nicht selten, dass Fremde, die sich nicht ab-, zu- oder ausrichten lassen, der „Ordnung“ wegen (im Extremfall) hingerichtet werden. Vgl. zum „modernen“ Zusammenhang von Wissenschaft, „rationaler Sozialordnung“ und Genozid Z. Bauman (1995: 57ff.), ausführlich seine „Dialektik der Ordnung“ (Bauman 1992).
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deutigung“ oder Ambivalenzauslöschung zu sehen sind.195 Bauman zufolge fixiert der moderne Blick Tiere wie auch bedrohlich fremde Menschen als „Objekte“, die durch „Herrschaft und Gesetzgebung“ zu kontrollieren und „nützlichen Zwecken“ zuzuführen sind: „Die Objekte können Flüsse sein, die sinnlos in die falsche Richtung fließen – dorthin ‚wo sie nicht gebraucht werden oder Pflanzen, die sich selbst an Orten aussäen, ‚wo sie die Harmonie stören; oder Tiere, die nicht genügend Eier legen oder nicht hinreichend große Euter entwickeln, ‚um nützlich zu sein; oder Kriminelle, Trunkenbolde und Geistesschwache, die zu nichts taugen, was einem Zweck gliche, und deshalb zu degenerierten ‚ehemaligen Menschen ‚re-naturalisiert werden“ (Bauman 1995: 57).196
In diesem Kontext dürfen auch die vor allem die seit dem 17. Jahrhundert an Bedeutung gewinnenden wissenschaftlichen Tierversuche nicht unerwähnt bleiben. Sie sind von Diskursen begleitet worden, die darauf hindeuten, dass Tiere nun eher als wissenschaftliche „Gegenstände“ betrachtet werden konnten, die man von (außerwissenschaftlichen) moralischen Erwägungen säuberlich abkoppelte. In extremen Fällen wird dann gar keine Erwägung mehr daran verschwendet, ob die erheblichen Leiden und Schmerzen, die dem Tier zugefügt werden, moralisch überhaupt zu rechtfertigen sind. Schon aus den Anfängen des wissenschaftlichen Tierversuchs lassen sich Beispiele für diese Haltung anführen. So etwa, wenn Tiere bei lebendigem Leibe und ohne Betäubung aufgeschnitten werden, begleitet allenfalls von einem „kurze(n) und spöttische(n) Abtun etwaiger moralischer Kritik“, wie Andreas-Holger Maehle (1992: 77) anmerkt.197 195 Z. Bauman (1995: 20f.) führt dazu aus: „Die typisch moderne Praxis, die Substanz moderner Politik, des modernen Intellekts, des modernen Lebens, ist die Anstrengung, Ambivalenz auszulöschen: eine Anstrengung, genau zu definieren – und alles zu unterdrücken und zu eliminieren, was nicht genau definiert werden konnte oder wollte.“ Siehe zu diesem Zusammenhang auch Bauman (1997). 196 Siehe zu den wissenschaftshistorischen und religiösen Wurzeln dieses Strebens nach Naturkontrolle (am Beispiel F. Bacons) auch C. Glacken (1967: 471ff.). Bei aller sachlichen Berechtigung der Baumanschen Würdigung des modernen „Krieges gegen die Ambivalenz“ dürfen doch nicht die gegenläufigen – wenngleich nicht dominierenden – Tendenzen vernachlässigt werden, Tendenzen, die diesen vom Cartesianismus unterstützten Prozess der versachlichenden Vereindeutigung der Tiere konterkarieren. Stellvertretend für dieses andere Gesicht des modernen Geistes sei hier lediglich die Naturauffassung J. W. v. Goethes erwähnt, der bis ins hohe Alter an einer holistischen und „theosophischen“ Sicht der Tierwelt festhält (vgl. dazu etwa J. P. Eckermann 1976: 502f.). Siehe als Einführung in die Naturauffassung Goethes E. Buchwald (1960), zur Idee einer ganzheitlichen Naturvorstellung bei Goethe und Herder besonders E. Buchwald (1960: 122). 197 Vgl. etwa jenes Bekenntnis, mit dem der Anatom Johann August Unzer 1746 einen Vivisektionsbericht einleitet: „Lassen Sie sich was erzählen. Ich habe neulich einen Hund lebendig aufgeschnitten, welche Mordthat ich Ihnen aus Liebe zur Verschwiegenheit gewiß nicht anver-
Tiermoralische Orientierungsmuster
353
Zusammenfassend können nun mehrere grundlegende, d.h. ethnozoologisch wie tiermoralisch relevante, Ausrichtungen und Ebenen humanimalischer Sozialität unterschieden werden. Die folgende Grafik bietet eine entsprechende Übersicht: Abbildung 14: Ebenen und Grundausrichtungen humanimalischer Sozialität
traue. Verklagen Sie mich bey wem Sie wollen: hören Sie nur was ich dabey bemercket“ (zit. nach Meahle 1992: 78). Vgl. zur Geschichte der Auseinandersetzungen um die Vivisektion in England auch R. French (1975).
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Kapitel 5
Die vorstehende Grafik198 enthält acht Rautenfelder. Die vier inneren Felder des Rautenschemas bezeichnen die Sozialstrukturtypen der Mesoebene. Hier können oftmals ethnozoologische Positionen eingeordnet werden, die typisch sind für Gesellschaften, die vorwiegend segmentär differenziert sind, also keine funktionale Subsystemstruktur aufweisen, wie sie für entfaltete moderne Gesellschaften kennzeichnend ist. In segmentär oder stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften ist die Ausdifferenzierung mediengestützter Subsysteme nicht oder erst in statu nascendi erkennbar. Die Institutionalisierung der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien (Geld, Macht, Wertbindung, Einfluss) ist hier noch nicht vollendet und sie sind daher auch noch nicht (oder nur ansatzweise) in vergleichsweise autonomen Funktionsbereichen verankert. Diesen funktional ausdifferenzierten Subsystemen sind die äußeren vier Rautenfelder zugeordnet (z.B. das Tier als Ware bei entfalteter Geldwirtschaft). Das entwicklungsgeschichtlich „späte“ Medium Liebe wird zusätzlich angeführt, um seinen besonderen Stellenwert für unsere Themenbearbeitung zu unterstreichen. Außerdem ist anzumerken, dass beim Medium Wertbindung nicht nur die wissenschaftliche Wahrheit mitgemeint ist (angedeutet im Beispiel des cartesianischen „Tierautomaten“), sondern auch die Kommunikationscodes, die von Religion und Kunst vorgegeben werden. Ethiken und die über sie formulierten moralischen Bewertungsmaßstäbe gehören zwar auch in diesen Zusammenhang, doch haben sie im vorliegenden Kontext eine gewisse Schlüsselbedeutung inne: Sie übernehmen im Rahmen des kulturellen Treuhandsystems Unterfunktionen, die sich auf Austausch- und Interpenetrationsprozesse mit dem integrativen Funktionsbereich und seinen Medien Einfluss und Liebe beziehen. Das analytisch-komparative Messinstrument, das diese Übersicht (notgedrungen) schematisch zusammenfasst, ist im Hinblick auf die frühneuzeitlichen Wandlungsprozesse und die Genese des modernen Tierschutzes mit einem zent198 Die Koordinaten bzw. idealtypischen Ausrichtungen lassen sich als auch als Modifikationen von Parsons’ AGIL-Schema lesen. Die Beispiele, die in den schattierten Kästchen eingefügt sind, haben lediglich illustrativen Stellenwert. Dass sich diese Fallbeispiele in der Regel sowohl über die Mesoebene (der inneren vier Felder) wie auch über die Makroebene (der äußeren vier Medien-Felder) erstrecken, soll andeuten, dass es sich realiter um Mehrebenenphänomene handelt, die (ansatzweise) auch in Gesellschaften vorkommen (können), die nicht primär funktional differenziert sind. Die Grenzlagen der Labels unterstreichen außerdem, dass sich die Kategorisierungen des Acht-Felder-Schemas meist nicht über „Entweder-oder-Zuordnungen“ erfassen lassen, sondern in sachlicher und zeitlicher Hinsicht Übergangsphänomene bezeichnen (insbes. frühneuzeitliche Übergangserscheinungen). So kommen z.B. in leitenden Mustern der frühneuzeitlichen höfischen Ethnozoologie, sofern sie die Bereiche Jagd und Tiergärten betreffen, noch stark stratifikatorisch geprägte Mechanismen der Herrschaftsorganisation zum Ausdruck. Die verwendeten Abkürzungen bedeuten im Einzelnen: GD+ (starker Gruppendruck), GD- (schwacher Gruppendruck), ORM (offenes Rollenmuster), GRM (geschlossenes Rollenmuster).
Tiermoralische Orientierungsmuster
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ralen Vorbehalt auszustatten. Dieser Vorbehalt betrifft die „Umstellung des Gesellschaftssystems auf primär funktionale Differenzierung“, die sich, so Niklas Luhmann (1992: 478f.), in dem „relativ kurzen historischen Zeitraum von nicht einmal zweihundert Jahren vom 17. bis zum 19. Jahrhundert“ zusammengedrängt. Schon von daher sind also Diskontinuitäten und Mischformen zu beachten, die mit den Prozessen der Herausbildung der einzelnen Medien und ihrer Subsysteme zusammenhängen. So erfolgt die entscheidende Phase der Ausbildung der modernen Liebesemantik z.B. später als die Genese moderner politischen Herrschaft, die in wichtigen Aspekten bereits in der Disziplinaranstalt des absolutistischen Staates institutionalisiert wird. Dies impliziert nicht nur eine sachliche, sondern vor allem eine temporalitätsspezifische Komplikation der Themenstellung der nun folgenden Fallstudien. Wenn unsere Fallstudien an der These ansetzen, dass sich auch tiermoralische Muster in dieser frühneuzeitlichen Übergangsepoche herausbilden, so ist schon von daher Umsicht geboten: Die historischen Gegebenheiten sollten nicht (allzu) gewaltsam in die „Prokrustesbetten“ dichotomer Unterscheidungen (wie z.B. traditional/modern) oder deskriptiv-analytischer Schemata gepresst werden. Mit Blick auf den Übergangscharakter der Epoche sind zudem milieuspezifische Ungleichzeitigkeiten zu bedenken. Auf diese Ungleichzeitigkeiten macht z.B. Norbert Elias (1976b: 342ff.) aufmerksam, wenn er die Diffusion zivilisatorischer Standards „von oben nach unten“ thematisiert. Im Hinblick auf die vorliegende Themenstellung ist also auch die Frage im Auge zu behalten: In welchem Umfang sind soziale Geltung und Institutionalisierung tiermoralischer Orientierungen tatsächlich mit der Stratifikation von Soziallagen verknüpft?
6 Milieuspezifische Tiermoralen der Frühneuzeit: Zwei Fallstudien
Im folgenden Kapitel1 soll nun versucht werden, die im letzten Kapitel dargelegten Wirkungsmechanismen der Meso- und Makroebene an zwei historischen Fallstudien exemplarisch darzustellen und zu plausibilisieren. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei dem Zusammenhang der zeitlichen, sachlichen und sozialen Generalisierungsaspekte tiermoralischer (Miss-)Achtungskommunikation. Im Mittelpunkt stehen also strukturell seligierende Bedingungskontexte, die einerseits mit der Wirkungsweise internalisierter Selbstzwänge zu tun haben, andererseits mit den kulturell-semantischen und (im weiteren Sinne) sozialstrukturellen Bedingungen. Wir werden im Folgenden freilich nicht die gesamte Frühneuzeit (15001800) berücksichtigen können, sondern uns im Wesentlichen auf das 18. Jahrhundert konzentrieren: Dabei werden „nur“ zwei, freilich recht unterschiedliche Sozialmilieus eingehender ins Auge gefasst: Einerseits die protestantischen nonkonformistischen2 Gruppen Englands, andererseits die soziokulturellen Milieus der „höfischen Gesellschaft“3 dieser Zeit.4 In erster Linie geht es uns dabei um 1 2
3
Siehe als ältere Varianten der folgenden Überlegungen R. Wiedenmann (1996; 2002: 67-104). Der Begriff Nonkonformismus bezeichnet hier nicht nur den frühen Dissent, der unter Elisabeth I. eine tiefgreifendere Reformation und „Reinigung“ des religiösen Lebens anstrebte (und sich deswegen gegen die Uniformitätsakte von 1559 aussprach), sondern auch jene spätpuritanische, laizistisch gefärbte religiöse Bewegung, die „eine generelle Verchristlichung des Alltagslebens und die Herstellung einer Gott wohlgefälligen Kirche und Gesellschaft“ (Haan/Niedhart 1993: 132) zu erreichen sucht. So können auch spätere, dem Umfeld der puritanischen Strömungen entspringende Gruppen – wie die Quäker – zum Nonkonformismus gerechnet werden, selbst noch der Methodismus des 18. Jahrhunderts (so z.B. P. Scott 1986). Der in der Soziologie vor allem seit N. Elias (1983) benutzte Ausdruck der höfischen „Gesellschaft“ ist hier natürlich nicht als soziologische Kategorie zu verstehen, sondern lediglich als eine eingebürgerte Ausdruckskonvention für einen Sozialorganisationstyp, der von dem Historiker R. A. Müller (1995: 3) wie folgt charakterisiert wird: „Der im Hochmittelalter an die Stelle der älteren Bezeichnungen palatium, aula und domus tretende Begriff curia bezeichnete zum einen den Hof (mhd. hof, afrz. cort, frz. cour, engl. court, ital. corte) als personale, hierarchisch strukturierte Einrichtung (Hofstaat, Hofgesellschaft), die in erster Linie der Versorgung (Haushalt) und dem Schutz der Herrscherfamilie diente, und zum anderen die administrative Institution resp. zentrale Landesverwaltung (Hofgericht/Hofkapelle) in der unmittelbaren Umgebung eines Regenten.“ Vgl. als verfassungsgeschichtlichen Abriss zu hofrelevanten Aspekten des
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Kapitel 6
einen relationierenden Vergleich: Überlegungen über die Stärke und Schwäche des Gruppendrucks, über die Intensität von medienspezifischen Selektionseffekten oder die Offenheit/Geschlossenheit von Rollenmustern sind nicht „rational skaliert“, sie beziehen sich nicht auf einen fiktiven absoluten, „überhistorischen“ Vergleichspunkt. Sie sind vielmehr immer relational zu verstehen, als Aussagen, die im Verhältnis zu anderen zeitgenössischen Sozialeinheiten und Medien getroffen werden. Die Fürstenhöfe und die nonkonformistischen Gruppen eignen sich nun vor allem aus zwei Gründen für unsere komparativen Zwecke: 1.
2.
4
5
Beide Sozialzusammenhänge lassen sich in einem ersten Vorgriff unterschiedlichen sozialstrukturellen „Gravitations“- und Interpenetrationsfeldern zuordnen. Zahlreiche nonkonformistische Gruppen weisen in der betreffenden Epoche mehr oder minder ausgeprägte sektenhafte Züge auf und zeigen besonders in dieser Hinsicht unverkennbar kommunalistische Züge. Das höfische Milieu hingegen weist oftmals ein ausgeprägtes „Hierarchiegefüge“ auf, das man als „streng reglementiertes, aber doch auch flexibles Sozialmodell“ (Müller 1995: 36, vgl. 32f.)5 bezeichnen kann. Hier gibt es die vielfältigen Zwänge eines relativ starken Gruppendrucks, eine weitreichende „Domestizierung des Adels“ und Rollenmuster, die in vielen Zügen dem Sozialstrukturtyp des hierarchischen Kollektivismus ähneln. Ein Vergleich der beiden Sozialstrukturtypen könnte sich außerdem in zivilisations- bzw. modernisierungstheoretischer Hinsicht lohnen: Wie wir im fünften Kapitel gezeigt haben, hat Elias’ Ansatz einer zeitlichen Generalisierung von Trieb- und Affektkontrollen sozialmorphologisch eine Verlängerung von Interdependenzketten zur Voraussetzung, die wesentlich vom Gewaltmonopolinstitut Hof initiiert und kontrolliert wird. Die innere Pazifizierung, die fürstlichen Machtbalancen zwischen Hofadel und Bürgertum, die „Zwänge zur Langsicht“ und zur Synchronisation funktional differenzierter Leistungsbereiche des frühmodernen Territorialstaates sind hier beispielhafte Aspekte einer figurationssoziologischen Erklärung. Wie angedeuAbsolutismus in den Territorien des alten Reiches zwischen 1648 und 1806 G. Oestreich (1960: §§ 104-109). In beiden Fällen ist die Betonung des Plurals ein historisches „Muss“, doch werden wir uns u.a. aus Gründen der argumentativen Transparenz vor allem bei den frühneuzeitlichen Höfen nicht auf Typisierungen einlassen, die im Rahmen einer „weiter ausholenden“ Untersuchung sicherlich Differenzierungsgewinne versprechen. Vgl. zu den Typologisierungsmöglichkeiten zusammenfassend R. A. Müller (1995: 99f.). Eine Diskussion des Forschungsstandes der historischen Hof-Forschung kann hier nicht geleistet werden. Vgl. zum alten Reich, auf das wir uns im Folgenden hauptsächlich beziehen, neben der grundlegenden Darstellung von R. A. Müller den knappen Überblick von A. Winterling (1996). Vgl. am Beispiel Brandenburg-Preußens R. Endres (1993: 26f.), zur „Verhöflichung der Krieger“ und zu den Zwänge bei Hofe z.B. N. Elias (1983: 340ff.; 1976b: 351ff.).
Milieuspezifische Tiermoralen der Frühneuzeit
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tet, wird diese Internalisierung von Elias am Beispiel des Pariser Johannisfeuers ja auch ausdrücklich auf den Bereich frühmoderner Tierquälereien bezogen. Schon die von Elias figurationssoziologisch begründete zivilisatorische „Schrittmacherrolle“ des Hofes fordert in dieser Hinsicht einen Vergleich mit den nonkonformistischen Gruppierungen heraus, die vergleichsweise „schwächer“ strukturiert sind. Mit diesen beiden thematischen Eingrenzungen verknüpfen sich folgende Thesen: 1.
2.
In zivilisationstheoretischer Hinsicht soll gezeigt werden, dass es zunächst nicht die höfische Gesellschaft ist, in der Tierquälereien „peinlich“ werden. Für die Höfe ist über weite Zeiträume eine gewisse „Doppelmoral“ kennzeichnend. Vorreiter des modernen Tierschutzes sind vielmehr Trägergruppen der protestantisch-nonkonformistisch geprägten Mittelschichten. Hier spielten Sekten mit offenen Rollenmustern und relativ „kurzen“ Aktionsketten eine Schlüsselrolle. Darüber hinaus wird aufgewiesen, dass das Pro und Kontra gegenüber Tierquälereien nicht ausschließlich von den jeweiligen „soziogenetischen Bedingungen“ (vom Differenzierungsgrad, von der Dichte der sozialen Beziehungen usw.) der jeweiligen Trägergruppen determiniert ist. Hinzu kommen vielmehr genuin kulturelle Faktoren, bes. religiöse Deutungsmuster, denen eine begrenzt eigenständige Wirkungsmacht zukommt. Die tiermoralischen Orientierungsmuster der nonkonformistischen Gruppen und des höfischen Milieus lassen sich als besondere Interpenetrationskonstellationen beschreiben, die auf unterschiedliche Weise die drei Ebenen des interspezifischen Mehrebenesystems in Anspruch nehmen und „kombinieren“. Für die Genese und Entfaltung der Tiermoral des nonkonformistischen Protestantismus ist von grundlegender Tragweite, dass seine frühen Ursprünge oftmals auf millenaristisch oder eschatologisch „bewegte“ Gruppierungen verweisen, Gruppierungen, die „heterodoxe“ Glaubensformen im Rahmen eines (zunächst noch) eher autonomen Individualismus entwickeln. Als beispielhaft für diese Richtung der nonkonformistischen Bewegung werden hier die Quäker herausgegriffen. Denn es ist bemerkenswert, was schon James Turner auffiel: „Early Quakers (as well as their descendants) seem to have been unusually sensitive to animal suffering“ (Turner 1980: 7). Diese Entsprechung zwischen religiösem Dissent und sozialer Marginalität differenziert sich mit der Zunahme des Gruppendrucks und verstärkten sozialen Schließungstendenzen. Im Verlauf dieses Prozesses konsolidiert sich die kommunalistische Sekte der Quäker, die in ihrem
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Kapitel 6 Medienbezug die mystischen und „brüderlichkeitsethischen“ Implikationen der religiösen Wertbindung entfalten und damit in mancher Hinsicht späteren „bürgerlichen Idealen“ ehelicher Liebe und häuslichen Glücks den Weg ebnen (vgl. Hall 1992; Levy 1988). Im Vordergrund steht bei den Quäkern eine universalistisch verstandene „tenderness“, die von einem direkten und subjektorientierten Pflichtenkonzept her verstanden wird und sich besonders auf die „Ingroup“-Tiere bzw. auf Haus- und Nutztiere konzentriert. Daneben gibt es freilich andere kommunalistisch geprägte Sekten, die eher Züge eines heteronomen Individualismus adaptieren und Handlungsstrategien betonen, die besser auf die individuelle Nutzenmaximierung unter Marktbedingungen abgestimmt ist.
Für die humanimalischen Sozialverhältnisse der höfischen Gesellschaft hingegen ist eine eigenartige Segmentierung der Orientierungen und Praktiken charakteristisch. Diese Segmentierung tendiert in wichtigen Aspekten sogar zu einer Polarisierung der ethnozoologischen und tiermoralischen Orientierungsmuster: Einmal gibt es die „Außenseite“ der macht- und statusdemonstrativen höfischen Jagd mit dem Fürsten als oberstem Jagdherrn. Diese „kriegerische“ Tierbeziehung wird konterkariert von einer „Innenseite“ lebensweltlicher Enklaven, in denen innige und vertraute Beziehungen zu Du-evidenten Schoß- und Heimtieren (besonders Hunden) an der Tagesordnung sind.
6.1 Die „doppelte Tiermoral“ frühmoderner Höfe: Empathie und symbolische Herrschaftsreproduktion im hierarchischen Kollektivismus Als grundlegend für das humanimalische Sozialverhältnis im höfischen Milieu des frühneuzeitlichen Absolutismus lässt sich zunächst feststellen, dass die Beziehungen zu zahmen oder wilden Tieren mehr als anderswo von solchen symbolischen Bezügen her gesteuert wird, die auf einer (Re-)Produktion der ständischen Ehre sowie auf einem kommunikativ wirksamen Einsatz des Mediums Macht beruht. Vor allem (aber nicht nur) an der Hofgesellschaft wird deutlich, dass in der Frühmoderne Ehre das „wichtigste Gut in einer Ökonomie ständischer Ränge“6 darstellt.
6
Gerade am Hof, so R. Stichweh (1991: 29; Herv. v. S.), wird deutlich, dass ehrbezogene Hierarchien ständischer Gesellschaften diskontinuierlich gegliedert sind: „Der Übergang von einem Rang zum anderen ist prinzipiell ein Diskontinuum. Das unterscheidet ständische Ordnungen von modernen Schichtungsordnungen (...).“
Milieuspezifische Tiermoralen der Frühneuzeit
361
Diese Ordnung der Ehre reproduziert bei Hofe Muster verdichteter strategischer Interaktion, die ihn dem Idealtypus eines hierarchischen Kollektivismus annähern. In Anlehnung an Rudolf Stichweh (1991) lässt sich diese soziale Beziehungsstruktur7 wie folgt präzisieren: 1.
2.
7 8
Der Hierarchieaspekt zeigt sich einmal (a) in einer permanenten Orientierung am Erleben des Fürsten. Eine realistisch kalkulierte Verwirklichung der eigenen, auf „Selbstliebe“ verankerten Zwecksetzungen ist nur erfolgreich, wenn diese zentripedale Orientierung Ausschließlichkeitscharakter annimmt. Spiegelbildlich dazu sind die Sozialbeziehungen zum Fürsten von einer grundlegenden (b) Irreziprozität geprägt: der Fürst erweist keine Gegenleistungen, er spendet Gnadenerweise. In diesen Aspekten ist das Rollenmuster weithin geschlossen: Die Hofleute sind zwar im Verkehr untereinander und in den (mehr oder minder) seltenen Kontakten mit dem Fürsten laufend zu einem umsichtigen Perspektivenwechsel angehalten,8 doch sind die Wirkungs- und Erfolgschancen strategischen Interagierens im Hinblick auf den Angelpunkt dieser Bemühungen – den Fürsten – letztlich immer hochriskant. Vor allem eröffnen sie keine Verhandlungsspielräume, die etwa dadurch freigesetzt würden, dass man die (in einem fiktiven Sinne) „zutreffend“ antizipierten Intentionen des Fürsten benutzt, um neue Situationsdefinitionen herzustellen bzw. „einzufordern“. Erhöhte Werte auf der Gruppendruckachse äußern sich in der Zeitdimension (a) als ein „Verzicht“ auf Zeitautonomie“. Der Hofmann muss „immer erreichbar sein, also lange warten können, und er muss im Falle eines Befehls ohne Verzug zu handeln imstande sein“ (Stichweh 1991: 73). Mitgliedschaft in der Hofgesellschaft ist ein prekäres Gut (Sozialkapital), das laufend durch vergleichsweise erfolgreiche Kontakte mit dem Fürsten „aufgefrischt“, erneuert werden muss. Gerade in dieser Hinsicht institutionalisiert das Hofzeremoniell freilich eine charakteristische „Knappheit der Zugangsmöglichkeiten“ und Erfolgschancen: „Die extrem hohe Selektivität des Erfolgs am Hof und die geringe Konstanz des Vertrauens des Herrschers erzeugen interpersonale Unruhe als eine ständige Begleiterscheinung“ (Stichweh 1991: 73). Vgl. zu diesen Kriterien näher R. Stichweh (1991: 72f.). Die Atmosphäre des Misstrauens, die diese strategische Interaktion auszeichnet, ist oft beschrieben worden. Sie zeigt sich nicht zuletzt in sprachlicher Tarnung, wie sie Liselotte von der Pfalz einmal in einem Brief anmerkt: „Von niemands, der bey hof ist, werdt Ihr viel mit façon reden hören; man piquiert sich bey hof, naturel zu sein. Die am allerfälschten sein, stellen sich, als wenn sie naturel weren, aber wie die Taschenspieler sagen: ‚Wer die Kunst kann, verrät den meister nicht. Ich bin es in der tat, also merke ich die falschen natürlichen gar bald ordinarie“ (Kiesel 1981: 225).
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Kapitel 6
In ethnozoologischer Hinsicht fällt zunächst auf, dass Höfe in besonderem Ausmaß Tiere beherbergen, die nicht aus wirtschaftlichen Nutzenerwägungen gehalten werden, z.B. Jagd- und Paradepferde, Schoß- und Jagdhunde, kostspielige „exotische“ Menagerietiere usw. Obgleich die Nutzung dieser Tiere also meist nichts (oder wenig) zur Wahrung oder Mehrung ökonomischer Kapitalien beiträgt, so ist ein Großteil davon doch ein wichtiger Aktivposten in der symbolischen Ökonomie der fürstlichen Ehre. Die höfische Nutzung dieser Tiere bewegt sich (in sekundärsozialer Hinsicht) im Rahmen einer sozialen Prestige- und Distinktionsfunktion, die Thorstein Veblen als „demonstrativen Konsum“ von müßiggängerischen „Oberklassen“ beschrieben hat. Veblen (1986: 139ff.) zufolge gelten in der Regel diejenigen Tiere als besonderes schön und „ehrenvoll“, die keinem „nützlichen Zweck“ dienen, wie etwa exotische Vögel, Hunde, Affen9 oder „schnelle Pferde“. In primärsozialer Hinsicht ist dabei wohl Veblens Beobachtung von Bedeutung, dass sich unter den vierbeinigen „Lieblingen der Oberklasse“ der Hund doch eher als die Katze für soziale Rangunterschiede sensibilisieren lasse.10 Es wäre allerdings irreführend, würde man dieses Zur-Schau-Stellen von Luxus nur dort vermuten, wo Tiere ganz dezidiert als Medium des „symbolischen Kapitals“ der Distinktion (Bourdieu 1985)11 fungieren (wie insbesondere bei den höfischen Menagerien, den Volieren mit ihren kostbaren exotischen Vögeln).12 Selbst da, wo man auf den ersten Blick nur leidenschaftliche Tierliebe vermuten könnte, dürfte dieses Moment in erheblichem Maße hereingespielt haben: Etwa dann, wenn Tiere mit luxuriösem Aufwand verwöhnt werden,13 wenn Jagdhunde oder Lieblingspferde auf Ölgemälden festgehalten14 oder ihnen Grabmonumente in den höfischen Parkanlagen errichtet werden. 9
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12 13 14
So berichtet D. Erasmus von Rotterdam (1995b: 429), dass an den Höfen seiner Zeit Affen gehalten wurden, auch um Gäste zu foppen. Man staffierte Affen wie Menschen aus, steckte sie gar in Purpur, um dadurch „ahnungslose und unerfahrene Leute“ zum Narren zu halten. Zu ergänzen ist hier freilich, dass die charakteristische Vielseitigkeit des Hundes als Jagdhund und Schoßhund, auf die wir am Schluss des dritten Teiles hingewiesen haben, sicher das Wohlwollen begünstigt hat, das Hunde im Vergleich zu anderen „Ingroup“-Tieren des Hofes (auch im Vergleich zu Pferden) genießen konnten. Ein interessanter Aspekt, der sozusagen die Zirkulationssphäre dieses symbolischen Kapitals berührt, der hier aber nicht weiterverfolgt werden kann, betrifft das Austauschsystem der Tierdonationen zwischen den Höfen. Für das 14. bis 16. Jahrhundert hat S. Teuscher (1998: 368) resümierend den „Zeichencharakter“ der höfischen „Praktiken des Verschenkens und des Einsatzes von Hunden bei der Jagd“ herausgestellt. Vgl. etwa zum Bestand der seinerzeit berühmten Menagerie des Prinzen Eugen die Darstellung von U. Giese (1962: 36ff.). Wenn sie z.B. „bessere“ Nahrung als die Bediensteten erhalten (vgl. Thomas 1984: 114-117). So gab z.B. Ludwig XIV. seinem Hofmaler Alexandre-F. Desportes den Auftrag, drei der besonders hochgeschätzten Jagdhunde zu portraitieren (Abb. bei Brackert/v. Kleffens 1989: 146).
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Neben diesem „demonstrativen Tiersymbolismus“ findet sich eine insgesamt vielleicht noch bedeutsamere, für stark strukturierte Sozialeinheiten aber ebenso typische ethnozoologische Besonderheit. Gemeint ist eine Bifurkation der höfischen Mensch-Tier-Verhältnisse, die besonders im Hinblick auf die primärsoziale Beziehungsdimension aufschlussreich ist. Auf der einen Seite erfahren Du-evident wahrgenommene Tiere bei Hofe oftmals eine sozial ausgesprochen „konstruktive“ Personalisierung. Oft werden sie in hohem Ausmaß vermenschlicht, sie erhalten mitunter sogar menschliche Namen und werden relativ luxuriös gehalten. Besonders Schoßtiere werden nicht selten als ausgesprochene „Ingroup“-Tiere perzipiert, die faktisch oft nach Kriterien eines konventionalistischen Moralniveaus umsorgt werden. Wie in bäuerlichen oder bürgerlichen Milieus kommt es natürlich auch beim höfischen Adel häufig vor, dass gegenüber einzelnen Du-evidenten Tieren des primärsozialen Nahbereichs vergleichsweise starke emotionale Bindungen und ein hohes Empathieniveau entwickelt werden.15 Das Leiden solcher nahestehenden Tiere wurde auch im höfischen Milieu als peinlich empfunden. Im scharfen Kontrast dazu gibt es auf der anderen Seite aber ein dezidiert „destruktives“, allem Anschein nach relativ empathiearmes Tierverhältnis bei Hofe – gegenüber Wildtieren nämlich, die als „Outgroup“-Tiere der äußeren, ungebändigten, „feindlichen“ Natur zugerechnet wurden. Die Beziehungen zu dieser Tierkategorie werden von der Jagd beherrscht: Die Jagd zielt nicht nur auf eine Tötung der Wildtiere ab, sie verwirklicht sich wesentlich über und durch eine symbolische „Dramaturgie“ dieser Tötungsvorgänge.16 Mit Nutztieren des im Sinne von Leach „mittleren“ Bereichs (Rinder, Schafe, Hühner, Schweine usw.), der für viele bäuerliche Tierbeziehungen charakteristisch sind, kommen die Hofleute demgegenüber nur ausnahmsweise in Berührung.17 Im Rückblick 15
16
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Nach Angaben des Herzogs von Saint-Simon (1977: 293) hatte Ludwig XIV., ein begeisterter Parforce-Jäger, zu mehreren seiner Lieblingshunde ein so inniges Verhältnis, dass er es sich nicht nehmen ließ, sie selbst zu füttern. Einem mindestens ebenso passionierten Jäger, dem wenig selbstbewussten, fast menschenscheuen Ludwig XVI., gelang es oftmals nicht einmal bei informellen Jagdgesellschaften, seine Schüchternheit gegenüber Außenstehenden abzulegen: „Auf der Jagd sprach er mit seinen Pikören (den mitreitenden Jägern, die die Hunde führten) und mit den Hunden (!), jedoch nicht mit seinen Gästen“ (Bluche 1989: 62f.). Vor dem Hintergrund dieser „Thanatozentrik“ der Jagd können begleitende Maßnahmen, die z.B. zur Pflege des „Wildprets“ getroffen werden, moralisch allenfalls dem zweiten Stadium des präkonventionellen Niveaus zugeordnet werden. Die primärsozialen Kontakte zum Wildtier lassen (von Seiten der Jagdgesellschaft) meist keine Beziehungsform erkennen, die das Wildtier zum Mitsubjekt qualifiziert. Das Melken von Kühen oder das Pflügen mit dem Ochsen sind kein Bestandteil der Alltagswelt der Angehörigen der höfischen Gesellschaft. Das schließt natürlich nicht aus, dass derartige Tätigkeiten in der Art einer rustikalen „Folklore“ „nachempfunden“ wurden, etwa im Rahmen bukolisch inspirierter Idyllen (vgl. etwa zum berühmten „Dorf der Königin“ MarieAntoinette, das im Park des Petit Trianon bei Versailles angelegt wurde, Bluche 1989: 88f.).
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Kapitel 6
auf das ethnozoologische Kontinuum von Edmund Leach erscheinen die humanimalischen Verhältnisse der höfischen Lebenswelt also vergleichsweise „polarisiert“: Sie sind kontrastreicher als diejenigen von Sozialmilieus, in denen die „Zwischenkategorie“ der Nutztiere im Vordergrund steht. Für die Untersuchung der Frage, inwiefern in der höfischen Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts Tierquälereien als peinlich bzw. als „lustvoll“ erlebt wurden, soll nun der „Außenbereich“ höfischer Ethnozoologie genauer untersucht werden: die Institution des höfischen Jagdwesens.18 In Städten und Residenzen des alten Reiches (z.B. in Berlin, Dresden, Frankfurt, Wien) waren damals mehrere „Jagdformen“ üblich, die zum Teil bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wichtige Posten im höfischen Veranstaltungskalender bildeten. Neben der Parforcejagd und verschiedenen Varianten des deutschen „Hauptjagens“ oder „eingestellten Jagens“ ist hier das unrühmliche Kapitel der euphemistisch als „Kampfjagden“ oder „Tierhatzen“ titulierten Tierkämpfe zu erwähnen. Alles in allem waren Tierkämpfe bei Hofe wohl keine Ausnahmeerscheinung, also z.B. keine idiosynkratische Vorliebe des einen oder anderen exaltierten fürstlichen „Nimrod“. Von England bis nach Italien erstreckt sich das frühneuzeitliche Verbreitungsgebiet dieser tierquälerischen Spektakel.19 Was die Datierung angeht, so scheinen sich Kampfjagden bereits im Verlauf des 16. Jahrhunderts an einigen Höfen des alten Reiches als beliebte „Zerstreuung“ fest etabliert zu haben.20. Es ist bezeichnend, dass es z.B. zu Beginn des 17. Jahrhunderts als unbedenklich angesehen wird, den kleinen Dauphin, den späteren Lud18
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Im Folgenden stehen also nicht die Jagdgewohnheiten „des Adels“ insgesamt zur Debatte, sondern relativ aufwendige Jagdformen, wie sie sich in der Regel nur bedeutendere Höfe leisten konnten. So konstatiert K. Lindner in seiner Besprechung von H. Eckardt (1976): „Der Unterschied zwischen dem pompösen Jagdbetrieb eines Landesfürsten und der bescheidenen jagdlichen Betätigung eines Landedelmannes war im 18. Jahrhundert viel größer als die Differenz zwischen der niedrigen Jagd des letzteren und dem Vergnügen eines auf den Vogelfang beschränkten Ackerbürgers“ (Lindner 1978: 78f.). Als exemplarisch soll an dieser Stelle nur der englische Königshof genannt werden: Als Prinz Ludwig von Baden im Januar 1694 bei William III. weilt, sieht die Festdramaturgie unter anderem vor: „bear’s baiting, bull’s sport, and cock fighting (..) for his diversion and recreation“ (Malcolmson 1973: 118). Vor William hatte sich bereits Elisabeth I. für die Bärenhatz, James I. für Hundekämpfe begeistert (vgl. Blunt 1976: 16). Von daher ist S. Oettermanns Auffassung, die Kampfjagden seien im frühen 17. Jahrhundert „plötzlich wieder in Mode“ gekommen, mit einem Fragezeichen zu versehen, insbesondere seine Vermutung, im alten Reich habe der Dresdner Hof 1609 und 1617 die Kampfjagden erstmals wieder aufleben lassen (vgl. Oettermann 1982: 28, 42). So unterhält z.B. der brandenburg-preußische Hof in Berlin schon im 16. Jahrhundert einen eigens für Tierkämpfe vorgesehenen Hetzgarten: Hier werden z.B. 1543 ein Bär und ein Wolf auf einen Auerochsen losgelassen (Klös 1994: 10). Im Übrigen ist anzunehmen, dass Kampfjagden nicht nur dort abgehalten wurden, wo für diesen Zweck spezielle „Hetzgärten“ vorhanden waren. So schreibt z.B. J. v. Rohr (1733: 870), die „fürstliche Lustbarkeit“ der „Kampff-Jagten“ würde in der Regel „auf dem Schloß-Platze, oder doch in einem mit Mauern verwahrten Hofe“ abgehalten.
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wig XIII., zum König in die salle du bal zu bringen und ihm dort einen Kampf zwischen Doggen, Bären und einem Stier zu zeigen (vgl. Ariès 1978: 130).21 Obschon Tierhetzen – in etwas abgewandelter Form – auch im städtisch-bürgerlichen Milieu vorgekommen sind, handelt es sich bei den typischen Kampfjagden um eine ausgesprochen höfische „Lustbarkeit“. In ihren architektonischen und herrschaftssymbolischen Bezügen wurden nicht selten die römischen „venationes“22 der Kaiserzeit nachgeahmt. Zedlers Universal-Lexicon schreibt über die Kampfjagden: „Kampf-Jagen ist eine an grosser Herren-Höfen gewöhnliche Lustbarkeit, da man entweder auf dem Schloß-Platze, oder in einem mit Mauern umfangenen oder verwahrten Hofe, oder in einem absonderlich hierzu angelegten Hetz-Garten, allerhand fremde oder einheimische wilde Thiere, (so zu solchem Ende zum Theil in Kasten zugeführet werden,) als Löwen, Bäre, wilde Schweine, weiße Adler- und BüffelOchsen, Pferde und Hirsche mit einanderkämpfen, und nach gehabter Lust entweder die wilden Thiere ein jedes wiederum in seinem Kasten eingefangen, und in sein Behältnüß zu verwahren führen lässet, oder aber solche durch der Herrschafft Kammer- und Leib-Hunde hetzet, (...) mit Fang-Eisen oder Hirsch-Fängern erleget, oder mit Bürsch-Büchsen todschiesset, welches gemeiniglich von der Herrschafft selbsten geschiehet, da denn bei solcher Verrichtung von den anwesenden HofJägern mit Wald- und Hifft-Hörnern tapffer dazu geblasen wird“ (Zedler 1737: 159).
Vergleichbare „Hetzgärten“, die auch von Hofleuten aufgesucht wurden,23 gab es z.B. in Berlin, Wien oder Nürnberg, wo der Rat 1628 ein eigenes Gebäude (das 21
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Mitunter kam es offenbar vor, dass der kleine Kronprinz das Johannisfeuer entzünden durfte. In diesem Zusammenhang ist ein Detail erwähnenswert, das der Leibarzt des Dauphin, Jean Héroard, unter dem Datum des 24.6.1604 in seinem Tagebuch festhält. Der kleine Louis möchte die Katzen, die dem Johannisfeuer übergeben werden, begnadigen: „Mené au Roy qui le mene a la Roine, obtient grace pour des chats que l’on vouloit mettre au buscher de la Sainct Jehan“ (Héroard 1989: 493). Vgl. I. Weiler (1988: 259f.). Wo sich diese Tierkämpfe dezidiert an antike Vorbilder anlehnen, haben vielleicht italienische Beispiele eine gewisse Vorbildfunktion übernommen. So hatten z.B. die Medici am 25. Juni 1514, im Zusammenhang mit der Festa zu Ehren des Florentiner Stadtheiligen Johannes Battista, eine großspurig inszenierte Kampfjagd veranstalten lassen, bei der Bären, Leoparden, Büffel und Hirsche ihr Leben lassen mussten. Nach der fast zwanzigjährigen Verbannung der Medici, die 1512 zu Ende gegangen war, sollten diese Kampfschauspiele mit ihren Anleihen am antiken Cäsarenpathos wohl dazu dienen, den Herrschaftsanspruch des Florentiner Geschlechts symbolisch zu unterstreichen (siehe v. Müller 1988: 161f.). Vgl. als Kontrast die Schilderung, die R. Davidsohn (1969: 294ff.) vom herkömmlichen Festablauf gibt. Auch die Architektur dieser Arenen deutet darauf hin, dass auch Hofleute diesem Treiben keineswegs ferngeblieben sind. J. Zedler (1735a): „In der Mitten eines solchen Amphitheatralischen Hetz- Fecht oder Kampff-Hauses, ist der Orchestra, oder Herren-Sietz, auf welchem die hohe Landes oder Stadt-Obrigkeit der Hetze bequem und sicher zusehen kann.“
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„Fechthaus“) errichten ließ, in dem nicht nur Tierkämpfe, sondern auch Veranstaltungen der städtischen Fechtschulen oder gastierender Schausteller abgehalten wurden (vgl. Reicke 1896: 750f.). Laut Zedlers „Universal-Lexicon“ von 1735 ist unter diesen Hetzgärten besonders der Berliner herauszustellen. Das mag nicht nur mit der ovalen, einer römischen Zirkusarena nachempfundenen Form der Anlage zusammenhängen, sondern auch mit dem Aufwand, mit dem hier so vergleichsweise ungewöhnliche Tiere wie Löwen, Tiger oder Eisbären beschafft und präsentiert wurden.24 Ein anderer, überregional bekannter Hetzgarten wird im 18. Jahrhundert in Wien betrieben. Auch im Wiener „Hatztheater“ wurden tierquälerische Darbietungen vom Publikum als „Belustigungen“ akzeptiert. Z.B. wurden „Bären, Wölfe, Pferde und Stiere aufeinander (gehetzt), bis der ganze Boden mit zerfleischten Kadavern bedeckt“ war (Alewyn 1959: 19). Als 1781 der Berliner Aufklärer Friedrich Nicolai das Wiener Hatztheater besucht, findet er diese Grausamkeiten „abscheulich“. Nicolai zeigt Mitleid mit den Tieren und klagt über das „Unmenschliche“ dieser Massaker: „Es ist ein unbeschreiblich eckelhafter und scheußliche(r) Anblick, die armen Thiere so quälen zu sehen“ (Nicolai 1784: 635; vgl. zum Kontext van Dülmen 1992: 162f.). Obwohl das aufklärerische „Wahrheitspathos“ der Nicolaischen Reisebeschreibungen bisweilen von einer gewissen Kreuzzugsmentalität gegen die „dunklen, großen Mächte“ der Finsternis getrübt wird (Schmidt-Biggemann 1988: 252f.), so wird man doch gleichzeitig einräumen müssen: Nicolais Entrüstung über die Wiener Tierhatzen artikulierte Empfindungen, die damals vor allem in bürgerlichen Kreisen und bei Adeligen, die mit der Aufklärung sympathisierten, nicht unpopulär waren. Als weitere, nach heutigen Begriffen grausam-makabre „Jagdform“ ist das sogenannte „Prellen“ anzuführen, das an deutschen Höfen im 17. Jahrhundert in Mode kommt. „Outgroup“-Tiere wie Dachse, Hasen, Wildkatzen, Wildschweine, vor allem aber Füchse werden durch Prellnetze so lange hochgeschleudert, bis
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J. Zedler (1735a) schreibt dazu: „In Teutschland behält der Berlinische Hetz-Garten vor allen den Preiß, theils weil der in Form des alten zu dergleichen Schauspielen bestimmten Römischen Amphitheatro (...) erbaut, theils auch, weil in demselbigen allerhand Arten wilder und grimmiger Thiere sonderlich aber grosse und starke Löwen, weisse und schwarze Bären, etliche Tyger, wilde Auer-Ochsen, und hauende Schweine aufgehalten werden.“ Als diese Zeilen erscheinen, wird der Berliner Hetzgarten, den Kurfürst Friedrich III. 1693 hatte errichten lassen, bereits rund zwanzig Jahren lang „zweckentfremdet“ genutzt. Schon kurz nach seinem Regierungsantritt (1713) hatte König Friedrich Wilhelm I. wohl vor allem aus Einsparungsgründen den Hetzgarten schließen lassen und dort 1717 eine Kadettenschule einquartiert (vgl. Klös 1994: 13f.). Freilich war auch Friedrich Wilhelm I. ein passionierter Jäger, der in seinen Jagdgärten bei Potsdam und Wusterhausen regelmäßig der Parforcejagd, der eingehegten Jagd auf Schwarzwild, der Jagd auf Rebhühner usw. nachging (vgl. Vehse 1993: 248ff.).
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sie nach mehrmaligem Aufprall verenden.25 Auf den Schlosshöfen und „Jagd“Plätzen wird nicht selten gezielt Sand aufgeschüttet, um den Tod der Tiere möglichst lange hinauszuzögern.26 Julius von Rohr gibt zu Beginn des 18. Jahrhunderts folgende Beschreibung des Fuchsprellens: „Die Dames und Cavaliers werden allezeit in einer bunten Reihe wechselsweise gestellet, und im Jagt-Habit eingekleidet, also daß eine jede Dame ihren Cavalier gegen über hat, der den Fuchß mit ihr mit denen hiezu gehörigen schmahlen PrellNetzen aufziehet, und prellet. (...) Auf Befehl der Hoch-Fürstlichen Herrschafften werden die Kästen der Füchse und Haasen zuerst geöffnet, daß alles durcheinander die Gassen durchpassieret. Die Cavaliers und Dames schicken mit vielfältigen Prellen, die Füchse und Haasen nach mancherley wunderlichen Figuren in die Lufft, daß die Herrschafft so wohl an den wunderlichen Capriolen der Thiere, als an den Umfallen und Stolpern der Cavaliers und Dames (...) ihr besonder Vergnügen finden. Die geprellten Thiere werden alle Reyhen-weise neben einander gelegt, und es wird bey dieser Lust eine angenehme Jagt-Music gehöret“ (v. Rohr 1733: 873f.).27
Vergegenwärtigt man sich schließlich noch die Exzesse beim „eingestellten deutschen Jagen“, bei dem mitunter innerhalb weniger Stunden Tausende von Tieren zusammengetrieben und niedergemacht werden,28 dann wird man Historiker, die
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Ein Zeitgenosse, Gabriel Ttzschimmern, schildert anlässlich eines Fuchsprellens in Dresden (1678), bei dem 108 Füchse und 20 Dachse ihr Leben lassen mussten, die Reaktionen des vorwiegend höfischen Publikums auf dieses grausame „Vergnügen“. Das Prellen sei so beliebt, weil diese „Fürst-Adeliche Lust jedermann so sehr begnüget, und solch frey sonderbar Gelächter zuwege bringet und causiret, denen Adel- und Fürstliche Personen, bevorab Dero Frauenzimmer, durch eben das Gelächter, die Brust hauptsächlich räumen und erleichtern, folglich der Gesundheit über die Maßen dienen“ (zit. nach Sälzle 1957: 126). In Dresden wurden noch 1751 bei einem Fuchsprellen insgesamt 1339 Tiere getötet, darunter 667 Füchse und 533 Hasen (Stahl 1979: 79). H. F. von Fleming schreibt in der 1719 erschienenen Ausgabe seines Buches „Der Vollkommene Teutsche Jäger“, das Sandaufschütten diene dazu, „damit die Kurtzweile desto länger dauern möge, und die Voltigier-Sprünge der Fuechse und Hasen desto vigoureuser, lebhaffter und oeffter gesehen werden; denn sonst würde die Lust bald zu Ende gehen, wenn die armen Tiergen in dem Herunterfallen den Kopff auf die Steine schluegen (...)“ (zitiert nach Stahl 1979: 79). Die Passage ist eine fast wörtliche Wiedergabe des betreffenden Textabschnittes, in dem Johann C. Lünig in seinem 1719/20 in Leipzig erschienenen „Theatrum ceremoniale historico politicum oder Historischer und politischer Schau-Platz aller Ceremonien“ das Fuchsprellen beschreibt (abgedruckt in Biehn o.J.: 275f.). Beim Hofjagdfest anlässlich des Geburtstages von Herzog Karl Eugen von Württemberg am 20.2.1763 wurden mehr als 5200 Wildtiere herbeigeschafft (Sälzle 1957: 122f). Das entspricht in etwa der Hälfte der damals für Württemberg üblichen durchschnittlichen Jahresmenge erlegter Tiere (Eckardt 1976: 67). Ludwig XVI. von Frankreich erlegte in den Jahren von 1774 bis 1787 189851 (!) Tiere der Kategorie Wild (nicht eingerechnet die in diesem Zeitraum auf Par-
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diesen „Ungeheuerlichkeiten“ Dekadenz attestieren,29 kaum als sentimentale „Empfindler“ abtun können. Dietrich Stahl ist sicher beizupflichten, wenn er schreibt, bei diesen sogenannten „Jagd“-Formen hätten „vielfach Grausamkeit und Tierquälerei lediglich der Belustigung und als grandioses Spectaculum“ (Stahl 1979: 73) gedient. Trotz einiger Einschränkungen wird man auch die Parforcejagd von diesem Verdikt nicht ausnehmen können. Auch diese kostenintensive und raumgreifende Jagdform, die sich am Versailler Hof großer Beliebtheit erfreute, im alten Reich hingegen weniger verbreitet war,30 inszenierte letztlich
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forcejagden getöteten 1275 Hirsche) (Bluche 1989: 60). Vgl. zu den „eingestellten Jagen“ und den „Wasserjagden“ auch die Schilderungen bei D. Stahl (1979: 72ff.). K. Sälzle (1957: 130) spricht hier sicher zu Recht von „Ausschreitungen“ und „Ungeheuerlichkeiten“, von Beispielen „schrankenloser Selbstherrlichkeit der hohen Fürstlichkeiten“, R. Alewyn (1959: 19) von der „Dekadenz des Barock“. Für den Jagdhistoriker K. Lindner (1978: 80f.) freilich sind die „widerwärtigen Exzesse wie Wasser- und Sprengjagd, die spektakulären Kampfjagden oder das tierquälerische Fuchsprellen“ eher „Schauspiele“, keine „wirkliche Jagd“, denn hier sei keine „Entkommenschance des Wildes“ gegeben. Zwar wird diese „Entkommenschance“ bei Jagden des landsässigen Adels, der z.B. nicht durch Hofämter in die Hofgesellschaft eingebunden war, größer gewesen sein, doch widerspricht das im Prinzip nicht H. Eckardts Auffassung, der ja die exklusiven und tierquälerischen Aspekte des „herrschaftlichen“ Jagens bei Hofe herausstellt. Das Grausame der Parforcejagd liegt nicht nur in der bis zur Erschöpfung des Tieres ausgedehnten Hetzjagd, auch der von der Hundemeute gestellte Hirsch wurde nicht rasch getötet: Jagdhelfer schleichen sich von hinten an das Tier heran und „coupiren“ ihm seine beiden Hinterläufe, so dass das „gehesste“ Tier hinten zusammenbricht. „Alsdann kan man den Herrn oder hohen Fürsten zum Fange hinan fuehren“, wie H. W. Döbel in seiner „Jaeger-Practica“ von 1754 schreibt. Döbels Darstellung wird bei D. Stahl (1979: 77f.) ausführlich zitiert und von ihm zutreffend als ein „Bild des Schreckens und Entsetzens“ kommentiert. Die Parforcejagd erforderte einen beträchtlichen personellen und materiellen Aufwand, zudem Folgekosten. die die finanziellen Möglichkeiten vieler kleinerer Höfe überschritten haben. So verfügen um 1720 im alten Reich z.B. nur rund zehn Höfe über spezielle Par-force-Jagdequipagen (Hobusch 1986: 148), darunter Hessen-Darmstadt. In der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt z.B., in der der Landgraf Ernst Ludwig 1708 die Parforcejagd eingeführt hatte, wurde sie von ihm bereits 1718 eingestellt. Schon nach einem Jahr häuften sich Klagen der Bauern, die sich u.a. auf die Jagdschäden, auf die übermäßige Ausdehnung jagdlicher Hilfsdienste und die oft rücksichtslose Behandlung durch das Forst- und Jagdpersonal beziehen. Ein dramatischer Anstieg von Auswanderungsanträgen und die Unterstützung von Geistlichen wie dem Großgerauer Pfarrer E. P. Zühl, der gegen die „Tyrannei der Jagdbedienten“ predigte, waren neben den unmittelbar finanziellen Lasten wohl die Hauptgründe für das abrupte Ende der Parforcejägerei des Landgrafen. Daneben mag auch eine Rolle gespielt haben, dass in der Landgrafschaft neben dem der Parforcejägerei zuträglichen ebenen Gelände des Darmstädter Raumes kaum landschaftlich geeignete Ersatzgebiete zur Verfügung standen (vgl. zur Parforcejagd Ernst Ludwigs ausführlich W. Diehl 1910: 38ff., 56ff.). – Andererseits gibt es im 18. Jahrhundert (auch) in Deutschland Stimmen aus eher kommunalistisch geprägten Sozialmilieus, die eine universalistisch akzentuierte Kritik an derartigen Jagdformen zum Ausdruck bringen. Das wohl bekannteste Beispiel ist in diesem Zusammenhang der dem Pietismus nahestehende Matthias Claudius, der in seinem „Schreiben eines parforcegejagten Hirschen an den Fürsten, der ihn parforcegejagt hatte“ einen Perspektivenwechsel vorschlägt und ganz dezidiert die subjektiven Leiden der Tiere fo-
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eine Tierquälerei als „Jagdvergnügen“. Woran lag es nun, dass in der höfischen Jagd-„Kultur“ des Barock kaum Indizien für tierschützerische Rücksichten auf das Wild erkennbar sind? Dass offenbar gerade tiermoralisch motivierte Parteinahmen für das Wild31 die große Ausnahme waren? Sicher gilt für viele Tierquälereien im Rahmen höfischer Feste, Spiele und Jagden, was Elias einmal über das Naturverhältnis Ludwigs XIV sagt. Hier sei ein „tyrannisches“ Moment unverkennbar, das den Herrschaftsanspruch eines absolutistischen Machtmonopolisten ausdrücke. Beispielhaft symbolisiere die Gartenarchitektur von Versailles diese „vollkommene Bändigung“ der Natur, die „absolute Übersehbarkeit“ und die harmonische „Ordnung des Gebändigten“ (Elias 1983: 338f.).32 Es kommt zu einer Ästhetisierung des Herrschaftsanspruchs. Die Pracht der Ordnung unterstreicht die Legitimität der königlichen Macht mit einem Absolutheitsanspruch, der auch Bäume, Sträucher oder Blumen zu Ausdrucksformen des Machtmediums werden lässt. Eine relativ „unordentliche“, unkontrolliert anmutende Parkgestaltung, wie sie später vor allem in England facettenreich variiert wird, wäre hier fehl am Platze. Selbst die „stumme Natur“ hat von der Majestät des „Sonnenkönigs“ Zeugnis abzulegen.33 In gewisser Weise handelt es sich hier also um eine „Naturalisierung“ der symbolischen
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kussiert. Der Hirsch führt Claudius (1968: 156f.) sozusagen die Feder, wenn er schreibt: „Durchlauchtigster Fürst, Gnädigster Fürst und Herr! – Ich habe heute die Gnade gehabt, von Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht parforcegejagt zu werden, bitte aber untertänigst, daß Sie gnädigst geruhen, mich künftig damit zu verschonen. Ew. Hochfürstl. Durchlaucht sollten nur einmal parforcegejagt sein, so würden sie meine Bitte nicht unbillig finden. Ich liege hier und mag meinen Kopf nicht aufheben, und das Blut läuft mir aus Maul und Nüstern. Wie können Ihr Durchlaucht es doch übers Herz bringen, ein armes unschuldiges Tier, das sich von Gras und Kräutern nährt, zu Tode zu jagen? Lassen Sie mich lieber totschießen, so bin ich kurz und gut davon.“ So schritt Kaiserin Maria Theresia im September 1756 bei einer Wasserjagd ein, als 800 zusammengetriebene Hirsche von der Jagdgesellschaft von geschmückten Schiffchen aus erlegt werden sollten. K. Sälzles (1957: 124) Schilderung dieses Geschehens basiert auf einem älteren Bericht: „Aber jetzt geschah etwas, was in der Jagdgeschichte dieser Zeiten als Kuriosität betrachtet werden darf: ‚Ihro Majestät, die Kaiserin nämlich, Dero mitlediges Herz nicht einmal, daß einem Tiere wehe geschehen, zusehen kann, haben nicht allein ersagtes Dardieren (...) nicht zugegeben, sondern auch weder selbsten auf das hohe Wild schießen, noch andern solches zu tun erlauben, und vielmehr haben wollen, daß man ihm die Freiheit schenken sollte.“ Der Kaiserin, so Sälzle, sei es in der Folge aber nicht gelungen, der „Mordgier der hohen Herrschaften“ weitere Beschränkungen aufzuerlegen. Im selben Sinne äußert sich D. Joyce (1991: 53), wenn er schreibt, Schloss und Garten sollten Ludwigs Auffassung von der Monarchie symbolisieren, „in der die Rolle des Adels vom Wohlwollen des Königs abhing.“ Vgl. zur natursymbolischen „accumulation of power“ in der Gartenarchitektur Ludwigs XIV. auch C. Mukerji (1994). Vgl. R. Alewyn (1959: 45), zum besonderen Ausschließlichkeitsanspruch der Sonnensymbolik im Falle Ludwigs XIV. P. Burke (1995: 235f.).
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Kapitalakkumulation des absolutistischen Fürsten. Nicht zuletzt sind es die höfischen „Dianenfeste“, die diesem Aspekt oft breiten Raum gewähren.34 Dass diese Natursymbolik dem Idealtypus des hierarchischen Kollektivismus derart nahekommt, hängt vor allem mit dem sich hier ausdrückenden Ordnungsbemühen zusammen, das Zygmunt Bauman (1995) als moderne „quest for order“ apostrophiert. Typisch ist der Versuch, „störende“ Ambivalenzen auszulöschen und die Natur einer möglichst „de-finitiven“ und klaren Klassifikation zu unterwerfen.35 Schon die beim hierarchischen Kollektivismus besonders strikte Grenzziehung zwischen der Natur „drinnen“ und der Natur „draußen“ dokumentiert diesen Drang nach Ordnung stiftenden Unterscheidungen. Hier gibt es den eingefriedeten Barockgarten mit seiner quasi rationalistisch kontrollierten Natur, dort die Kontrastfolie einer bedrohlich, „chaotisch“ anmutenden Natur: die Wildnis. 36 Wenn das höfische Jagdwesen nun tatsächlich in weiten Teilen als Ausdruck einer hierarchisch-kollektivistischen Ethnozoologie und Tier(un)moral aufzufassen ist, dann sind hier im sekundärsozialen Beziehungsaspekt zwei charakteristische Tendenzen zu erwarten: im sozialen Außenaspekt ein strenges 34
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Auch bei diesen in der Regel musikalisch umrahmten, der Göttin Diana zugeordneten Jagdfesten spielte das antikisierende Moment der Selbstglorifizierung eine nicht unbeträchtliche Rolle. Beispielhaft artikuliert sich auch die symbolische Naturbeherrschung in einem Dianenfest, das vermutlich im engeren Kontext der Krönungsfeierlichkeiten Ludwigs XV. ausgerichtet wurde. J. v. Rohr (1733: 869) berichtet darüber folgendes: Als der König im Wald bei Chantilly eintrifft, „traff er Dianam mit ihren Nymphen, in einer von Laubwerck gemachten Grotte an, die Ihrer Majestät bis an den Eingang der Grotte entgegen kam, und etwas absungen, worinnen sie Ihrer Majestät die Herrschaft über die Wälder abtraten, und an statt der Huldigung derselben ihrer Bogen und Köcher überreichte, da mittlerweile die um sie befindlichen Nymphen einen Tantz machten, und unter demselben dem König alle zur Jagd gehörigen Stücke überreichten.“ In ähnlicher Weise antizipiert den Herrschaftsaspekt rationalistischer Ordnungsleistung bereits G. Simmel (1989: 681f.): „Die symmetrische Anordnung ist (...) durchaus rationalistischen Wesens, sie erleichtert die Beherrschung des Vielen und der Vielen von einem Punkte aus. (...) Wenn Dinge und Menschen unter das Joch des Systems gebeugt – d.h. symmetrisch angeordnet – sind, so wird der Verstand am schnellsten mit ihnen fertig. Daher hat sowohl der Despotismus wie der Sozialismus besonders starke Neigungen zu symmetrischen Konstruktionen der Gesellschaft, beide, weil es sich für sie um eine starke Zentralisierung der letzteren handelt, um derentwillen die Individualität der Elemente, die Ungleichmäßigkeit ihrer Formen und Verhältnisse zur Symmetrie nivelliert werden muss.“ R. Sieferle (1986: 96) bemerkt zu diesem Punkt: „Die Wildnis, die nichtkultivierte, unverstandene Natur, stand auf der Gegenseite der Vernunft als ihr Feind, der unterjocht werden musste. Nichts lag ferner, als diese Wildnis zum ‚Naturschönen zu stilisieren oder als ‚natürliche Landschaft (...) rein ästhetisch zu goutieren.“ Sieferle betont wohl zurecht, dass dieser Kontrast von zeitgenössischen bürgerlichen Naturkonzepten kaum oder doch viel undramatischer ausgedrückt wurde. Wichtige Indizien liefert hier die vom Geist der Frühaufklärung beseelte Schäferdichtung dort, wo sie die Hybris der höfischen Naturbehandlung geißelt (vgl. Garber 1985), vgl. etwa Albrecht von Hallers Lyrik, die man als „Gegenbild“ zur „höfischen Funktionalisierung der Liebe“ verstehen kann (Garber 1985: 65).
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Abgrenzungsbemühen, das ja für einen starken Gruppendruck charakteristisch ist, im Innenaspekt, gegenüber dem Hofadel, hingegen ein symbolisch disziplinierendes Moment, das einer „unordentlichen“ bzw. latent subversiven Öffnung des binnenhöfischen Rollenmusters entgegenwirkt. Im Hinblick auf den Außenaspekt lässt sich feststellen, dass das Jagdmonopol eine überaus geeignete szenische Plattform zur Verfügung stellte, um „Anspruch und Anerkennung der adeligen Sonderstellung“ (Eckardt 1976: 272f.). zu unterstreichen. Vielleicht kann man das frühneuzeitliche Jagdregal mit Karl Sälzle (1957: 112) geradezu als ein „Kind des fürstlichen Willens und seiner Macht“ bezeichnen. Zunächst ermöglichte es auch in vergleichsweise friedlichen Zeiten, die Wirklichkeit bzw. Wirksamkeit der das fürstliche Machtmonopol stützenden Gewaltressourcen zu inszenieren.37 Wie Hans W. Eckardt (1976: 277f.) zeigt, avancierte die Jagdausübung zunehmend zu einer kriegerischen „Ersatzhandlung“, zu einem oft aufwendig durchgeführten Kriegsersatz.38 Im Artikel „Jagd“ des Zedlerschen „Universallexicons“ klingt dieser „kriegerische“ Aspekt deutlich an: Dort heißt es, durch die Jagd werde ein Land nicht nur „von schädlichen reissenden Thieren befreyet oder gesäubert“, sie diene auch dazu, dass „man auf solcher das Gewehr zu Pferde und zu Fusse fertig und geschickt zu gebrauchen“ (Zedler 1735: 151) lerne. Auch die Befriedungsfunktion des Gewaltmonopols wird angesprochen. Bei der Erörterung der Frage, weshalb die Jagd der „hohen Obrigkeit zugehöre“ und nicht den „Leuten ohne Unterschied“, wird unter anderem angeführt, diese könnten „auch wohl gar dabey sich auf verbotene Wege wenden, und das Gewehr, so sie bei dem Jagen nötig haben, zum Raub und Morde mißbrauchen, oder über der Verfolgung des Wildes unter einander in Zanck, Schlägerey und Todtschlag gerathen“ (Zedler 1735: 153). Mit Blick auf den sozialen Innenaspekt waren Jagdfeste, Prell- und „Hatz“Spektakel freilich auch dazu geeignet, die jeweiligen sozialen Beziehungskonstellationen innerhalb der höfischen Gesellschaft darzustellen und zu bekräftigen. Die ambivalente Stellung des Fürsten zwischen Adel und Bürgertum drückt 37
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Hier gibt es eine gewisse Parallele zu peinlichen Strafpraktiken, insbesondere zum „Fest der Martern“, wie es z.B. von M. Foucault (1977: 44ff.) geschildert wird. Mitunter ähneln die Praktiken dieser Machtmanifestationen direkt Tierschlachtungen; der Scharfrichter seziert den Delinquenten „Stück für Stück und heftet die Teile jeweils an (...) Eisenstangen, wie man es bei einem Tier macht“, wie ein Augenzeuge des frühen 18. Jahrhunderts einmal bemerkt (vgl. Foucault 1977: 68). Man darf hierbei nicht übersehen, dass besonders bei aufwendigen Varianten des „eingestellten Jagens“ nicht allein die höfische Jagdgesellschaft das „Publikum“ bildet. Zeuge des Geschehens sind auch Personen aus der einfachen Landbevölkerung, die das „Treiben“ en passant mitbekommen oder zu den unbeliebten Hilfsdiensten herangezogen wurden (z.B. zu Treiberdiensten). In extremen Fällen mussten dafür Tausende von Helfern mobilisiert werden. Für eine große Hofjagd, die König Friedrich Wilhelm I. von Preußen 1730 veranstaltete, wurden z.B. neben 600 Forstbeamten immerhin 4000 (!) Treiber aufgeboten (vgl. Hobusch 1986: 128).
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sich nicht nur darin aus, dass Fürst und Adel ihr gemeinsames Jagdmonopol gegenüber den Bürgern und Bauern demonstrierten. Der Fürst konnte den Rahmen eines Jagdfestes auch zur symbolischen Bekräftigung der Adelsdomestizierung benutzen, d.h. dahingehend modulieren, dass er dem höfischen Adel gegenüber auf eine mehr oder weniger „vergnügliche“ Weise seinen Herrschaftsanspruch in Erinnerung brachte. Dann wurde nicht selten gezielt die adelige „Jagdgesellschaft“ zur Zielscheibe von derben Späßen des fürstlichen Jagdherrn. Dieser „delectirt“ sich, so eine zeitgenössischer Bericht über ein „Fuchsprellen“, nämlich nicht nur an den „vielfältigen Lufft-Spruengen und Capriolen der Füchse und Hasen“, sondern auch am „Umfallen und Stolpern der Cavalliers und Dames, zumal, wenn die in heimlichen Kaesten verborgene Sauen unter sie gelassen werden, dabey den disponirten Reyhen und Gliedern eine ziemliche Confusion erwecket“.39 Ein Argument, das zur Erklärung der höfischen Tierquälereien im Barock häufig herangezogen wird, ist der „Geist des Cartesianismus“. Dietrich Stahl etwa vertritt die Auffassung, das Vordringen tierquälerischer Jagdpraktiken sei zwar auch ein Begleitmoment barocker „Lebens- und Sinnenfreude“, wichtiger sei allerdings die große „geistige Distanz zum Tier“ gewesen, das cartesische „Unverständnis für das Tier als empfindendes Lebewesen“ (Stahl 1979: 72f.). Demnach sind vor allem die für diese grausamen Inszenierungen letztlich Verantwortlichen – die Territorialherren als Jagdherren, die Inhaber der Repräsentationsämter der Hofjägerei und die Oberforstmeister40 – durch die cartesianische Doktrin „entlastet“ worden. Wer Tiere als Maschinen und „Automaten ohne Ver39
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So im „Vollkommenen Teuschten Jägers Anderer Haupt-Theil“ des H. von Flemming aus dem Jahre 1724 (zit. nach Stahl 1979: 79). In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass ein adeliger Jagdteilnehmer, der das Jägerlatein unzureichend beherrschte, d.h. „wider die bey der Jägerey eingeführte Kunst-Wörter verstößt“, darauf gefasst sein musste, unter dem schadenfrohen Anteilnahme der Umstehenden vom Jagdherrn selbst die büßenden „Pfunde“, d.h. Streiche, zu empfangen (v. Rohr 1733: 861; vgl. auch Becher 1755: 879). Salopp formuliert könnte man sagen, dass die Jagd dem Fürsten eine oftmals wohl nicht unwillkommene Gelegenheit bot, seinen „domestizierten“ Hofadel etwas „auf Trapp“ zu bringen. An einer Stelle legt von Rohr Kaiser Ferdinand II. eine Apologie der Jagd in den Mund, die in diese Richtung denken lässt: „Er (Ferdinand II.) sagte: Ein großer Herr müßte zu dem Ende bißweilen Jagten anstellen, damit er so vielen Mißiggängern, die sich an den Kayserlichen und Königlichen Höfen aufhielten, durch das Jagen etwas zu schaffen geben könte, daß sie nicht so närrisch thäten“ (v. Rohr 1733: 860). Ende des 18. Jahrhunderts zählten z.B. in der württembergischen Hofjägerei (1745 insgesamt 40 Personen) zu den hochdotierten Repräsentationsstellen, die mit Adeligen besetzt waren, Ämter wie der Obristjägermeister, der Landoberjägermeister, der Hofoberforstmeister. Zu den mittleren und niederen Jagdbediensteten zählten Pirsch- und Wildmeister, Meisterjäger, Jägerburschen usw. Dazu kam das Jagdpersonal der fünfzehn Oberforstämter draußen im Land, denen jeweils ein adeliger Oberforstmeister vorstand; vgl. dazu näher H. Eckardt (1976: 68f.) sowie die allgemeinen Ausführungen bei J. Becher (1755: 840ff.).
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stand und Vernunft“ begriff, konnte sich bei Grausamkeiten eher etwaiger Skrupel entledigen. Für diese Sichtweise sprechen Textpassagen, wie man sie z.B. in der zeitgenössischen Jagdliteratur findet, exemplarisch etwa im „Vollkommenen Teutschen Jäger“ von Hanns Friedrich von Fleming.41 So zutreffend diese Deutung in mancher Hinsicht sein mag, so ist sie doch aus zwei Gründen ungeeignet, die „Janusköpfigkeit“ der höfische Ethnozoologie und Tiermoral insgesamt zutreffend zu charakterisieren. Zum einen (a) dürfen die primärsozial dominierten Beziehungen nicht unterschätzt werden, die manche Hofleute offenbar zu ihren Du-evidenten Schoß- und Lieblingstieren entwickelt haben, zu vierbeinigen oder gefiederten Gefährten, deren unkomplizierte Zuwendung manchmal umso positiver empfunden werden konnte, je affektkontrollierter, förmlicher und auch „strategisch kalkulierter“ das höfische Rollenmuster war.42 Neben diesen kommunalistisch getönten Beziehungsenklaven relativieren freilich auch solche (b) Interpenetrationseffekte das Zerrbild eines „tierquälerischen Cartesianers bei Hofe“, die auf dezidiert nichtcartesianische Einflüsse aus dem Wertbindungsbereich hindeuten. Am Hofe Ludwigs XIV. ist es Elisabeth-Charlotte, die Herzogin von Orléans, die das Gesagte wohl beispielhaft illustrieren kann. In einem Brief beruft sich die „Liselotte von der Pfalz“ z.B. direkt auf Gottfried W. Leibniz, um die Personalisierung ihre Tierlieblinge gegenüber der cartesianischen „Maschinentheorie“ zu rechtfertigen. Am 20.4.1702 schreibt sie an die Kurfürstin von Hannover, Sophie, einen Brief, in dem sie dieser folgende Episode mitteilt: „Ich schenkte gestern mad. de Chasteautier einen schönen papagei, der blaudert unerhört. Ich wollte hören, was er sagen kann, ließ ihn ijn meine kammer; meine hunde waren jalous, und eine, so Mione heißt, wollt ihn anbellen; der papagei sagte als ‚donne la patte; ich wollte, daß E.L. hetten sehen können, wie verwundert Mione war, den vogel sprechen zu hören: sie hörte auf zu bellen, sah ihn stark an, hernach mich; wie er fortfuhr zu reden, erschrack die Mione wie ein mensch, lief davon und versteckte sich unter das lotterbett, da fing der papagei überlaut an zu lachen. Das machte mich an herr Leibniz gedenken, daß E.L. sagen, daß er souteniert, daß die tiere verstand haben, keine maschine sein, wie es Descartes hat behaupten wollen, und ihre seelen unsterblich sein. In jener welt werde ich mich sehr erfreuen, nicht al41
42
Siehe etwa folgende Einlassung bei H. F. v. Fleming (1724: 89): „Es sind die Thiere mit keiner Vernunfft begabet, und also kann man auch nicht von ihnen sagen, dass sie Gedanken hätten, oder dass sie durch den Klang, den sie von sich geben, einander ihres Herzens Meynungen offenbahrten. Dieses ist ein blosses Reservatum vor diejenigen vernünfftigen Geschöpfe, die dem Ebenbilde Gottes erschaffen sind.“ Wie N. Elias (1983: 353) betont, waren es die nicht selten als bedrückend empfundenen Begleitmomente der „hohen Kompliziertheit und Differenziertheit des Lebens bei Hofe“, die bei den Hofleuten die Sehnsucht nach dem pastoralen Idyll und eine gewisse „Idealisierung eines erträumten Landlebens“ begünstigt haben.
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Kapitel 6 lein verwandte und gute freunde wieder finden zu können, sondern auch alle meine Tierger (...)“ (Kiesel 1981: 144).
Diese Begebenheit macht deutlich, dass es wohl nicht nur die Hochachtung vor der wissenschaftlichen Autorität von Leibniz war, die Liselotte dazu bewogen hat anzunehmen, dass „die tiere verstand haben, keine maschine sein“. Mehrjährige unmittelbare Face-to-face-Beziehungen mit Du-evidenten Schoßtieren haben hier sicher eine Personalisierung begünstigt und damit wesentlich die Rezeption und die lebensweltliche „Anschlussfähigkeit“ von Leibniz’ Tierkonzept ermöglicht. Ein zweiter Brief, einige Tage später (am 7. Mai) abgefasst, enthält eine Passage, die hingegen den Stellenwert der ethnozoologischen Dichotomisierung von Du-evidenten Schoßtieren und jagdfähigen Wildtieren veranschaulicht. Diese Briefstelle beleuchtet zudem in recht charakteristischer Weise die gefühlsmäßige Dimension dieser Polarisierung: „Vergangenen Freitag führte mich der König in sein calesch auf die hirschjagd; ich hatte es hoch von nöten, denn ich hatte das herz noch greulich schwer, mein armes Miongen’ verloren zu haben. Es hat mich gestern noch recht geschmerzt (...); sie fehlt mir überall: im Bett, in der promenade (...); sie war allezeit bei mir und das schönste tiergen von der welt, ein kurz gesichtgen und große schöne augen voller feuer und verstand“ (Kiesel 1981: 145).43
Im Bereich des höfischen Lebens gibt es freilich vereinzelt auch Beispiele theriophiler Haltungen, die weit über die nahestehenden Schoßtiere hinausgreifen und insofern universalistische Ansätze erkennen lassen. Dabei kommt ein Aspekt ins 43
Vgl. über Liselottes Verhältnis zu ihren Spaniels auch A. Lebigre (1993: 296, 299). Die Jagdleidenschaft Liselottes lässt sich aus zahlreichen Stellen ihres Briefwechsels ersehen. In einem Brief vom 9.11.1709 (vgl. W. Holland 1871: 139) gibt es eine Passage, die andeutet, dass bei der Parforcejagd (im Gegensatz zum eingestellten Jagen) ein Risikomoment mitspielte, das dieser Jagdform wohl einen „sportlichen“ Touch bzw. Reiz verliehen hat: „Ist es möglich, daß Ihr, lieb Louisse, nie keine parforce-jagt gesehen habt? Ich habe gewiß mehr alß taußendt hirsch fangen sehen, habe auch manchen braffen fall im jagen gethan. In 26 mahl, daß ich gefallen bin, habe ich mir nur ein eintzig mahl wehe gethan, undt dazu rente ich damahl nicht, ich fundt aber einen stein unter den ellenbogen, der mir den arm verenckte.“ In diesem Zusammenhang ist auch eine Briefstelle aufschlussreich, in der sich die Herzogin von Orléans zum tierquälerischen Brauch des „Gänsereißens“ äußert. Das Gansreißen war damals auch in zahlreichen Städten des alten Reiches (wie Heidelberg, Ulm, Nürnberg, Köln, Berlin, Hamburg usw.) beliebt, häufig im Rahmen von „Schiffer-“ oder „Fischerstechen“ (vgl. z.B. Becker 1955). Liselotte von der Pfalz schreibt, der König sei von dem beim Pariser Schifferstechen üblichen Gansreißen sehr angetan; sie selbst hingegen mag ihren Widerwillen vor diesem grausamen Brauch nicht verbergen. Interessant ist nun, dass ihre Abneigung gegen das Gansreißen nicht mit dem blutigen Brauch als solchem zu tun hat, sondern eher mit der rohen Ausgestaltung dieses Quälspiels: „Daß stechen von den schiffern in hir auch brauchlich, der könig liebt es sehr. Zu Heydelberg reißen sie der gans nur den kopff mitt den händen ab, aber hier thun sie es mitt den zähnen; daß kommt mir eckelhafft vor.“ (Holland 1877: 231).
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Spiel, dem wir bislang im Kontext des hierarchischen Kollektivismus der höfischen Gesellschaft keine Aufmerksamkeit geschenkt haben, obwohl er bereits im ersten der von uns zitierten Briefe Liselottes anklingt. Dass theriophile Einstellungsmuster auch bei Hofe prinzipiell vor dem Hintergrund der jeweiligen religiösen Wertbindung zu sehen sind. Exemplarisch zeigt dies vielleicht Siegmund Christof Graf von Schrattenbach (1753–1771 Fürsterzbischof von Salzburg). Dieser für seine Zeit in mancher Hinsicht sicherlich untypische Kirchenfürst zeigte gegenüber Tieren ein Maß an Zuneigung und Fürsorge, das die an den damaligen Höfen übliche Liebe zu Schoßtieren so weit hinter sich lässt, dass er wohl nicht zuletzt deswegen von Zeitgenossen und Historikern als schrulliger Sonderling abqualifiziert wurde.44 Schrattenbach lag nicht nur das Wohlergehen seiner persönlichen Tierlieblinge – der „Muscherl“ gerufenen Katzen und der Lieblingshunde „Finetl“ und „Poli“ – am Herzen, er kümmerte sich auch etwas um die in Salzburg streunenden, herrenlosen Tiere. Gegen ein Futtergeld wurden die Tiere bei Salzburgern in Kost gegeben „mit der Weisung, den Hund wieder vorzuführen, wenn das Geld nicht mehr ausreiche“ (Widmann 1914: 157). Sein Wohltätigkeitssinn, der nicht nur diesen Tieren, sondern auch anderen „nahen Fremden“ (besonders Kindern und Behinderten (sog. „Fexen“)) zugute kam, wurde bei den Salzburgern bald sprichwörtlich. Über Schrattenbach reimten sie: „D’Kinder, d’Narren und d’Hund / Liebt unser Siegismund.“45 Offenbar wurzelte Schrattenbachs soziales Engagement46 in einer moralischen Grundhaltung, die wohl nicht nur in gefühlsmäßiger, empathischer Hinsicht einer postkonventionellen Form moralischen Verantwortungsbewusstseins nahekam. Dafür sprechen einige relativ „asketisch“ anmutende Charakterzüge, die den Salzburger Fürsterzbischof als einen insgesamt doch ungewöhnlichen Kirchenfürsten dieser Zeit erscheinen lassen. Da ist zum einen eine wohl subjektiv aufrichtige Frömmigkeit, die ihm bei Gegnern den Ruf der Bigotterie eingetragen hat, zum anderen ein Zug von Sittenstrenge, die auch die eigene Lebensführung nicht aussparte. Fast überflüssig anzufügen, dass er den an anderen Höfen so beliebten „Jagdvergnügen“ nichts abzugewinnen vermochte.47 Inwieweit 44 45 46
47
Vgl. z.B. die wenig schmeichelhafte Charakteristik von H. Widmann (1914: 448f.). F. Martin (1982: 224). G. Lohmeier (1990: 73) führt eine andere Version an: „Narren, Katzen und Hund / liebt unser Sigismund!“ So erließ er z.B. 1754 eine Almosenordnung, um die öffentliche Bettelei einzudämmen, im selben Jahr errichtete er ein Zucht- und Arbeitshaus, das kein gewöhnliches Gefangenenverwahrhaus, sondern Besserungsanstalt sein sollte. Auch gründete er ein Knaben- und Mädchenwaisenhaus und richtete daneben einen Fonds ein, der Knaben das Lehrgeld für ein Handwerk, den Mädchen eine Heiratsausstattung zur Verfügung stellte (vgl. Widmann 1914: 456f.; Martin 1982: 219f.; Lohmeier 1990: 76f.). F. Martin (1982: 225) schreibt über Schrattenbach: „Sein Privatleben war makellos, und während die rheinischen geistlichen Kurfürsten dieser Zeit von Mätressenwirtschaft nicht frei waren, trug Siegmund, wie sich Adolf Bühler ausdrückt, ‚Josefs Lilienstengel. Die Behauptung,
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zu Schrattenbachs Abneigung gegen die Jagd auch ältere hofkritische Argumente kirchlicher Moralisten48 beigetragen haben, konnte nicht ermittelt werden. Schließlich mehren sich etwa zum letzten Drittel des 18. Jahrhunderts hin auch in den höfischen und adligen Eliten Stimmen, die tierquälerische Spektakel wie dem „Kampfjagden“ oder die Katzenverbrennung im Johannisfeuer aus Gründen ablehnen, die nicht nur auf praktische49 oder sozial disziplinierende Erwägungen verweisen, sondern nun zusätzlich (in indirekter oder direkter Weise) tiermoralisch motiviert sind. Vor allem im Zuge der Aufklärung und mit dem Aufstieg einer von „sensibilité“, „sensibility“ bzw. „Empfindsamkeit“50 geprägten Gefühlssemantik werden nun Gesichtspunkte und Motivlagen diskursfähig, die dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen ersten Institutionalisierungsschub des Tierschutzes51 vorbereiten. Das Ende des Wiener Hatztheaters ist in dieser Hinsicht vielleicht nicht untypisch. Nachdem es 1796 abgebrannt war, weigerte
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49
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dass er ein Säufer gewesen wäre, (...) beruhte auf Böswilligkeit, er huldigte auch der Jagdleidenschaft nicht und spielte nicht hoch. Seiner Familie machte er keine Zuwendungen an Gütern, nur die Hochzeit seiner Nichte (...) richtete er aufs prächtigste aus.“ In der christlichen Tradition symbolisiert die Lilie u.a. geschlechtliche Reinheit bzw. Virginität (vgl. Kaster 1994: 214; Goody 1993: bes. 175, 178). Vgl. dazu R. A. Müller (1995: 4). Einen Überblick über die kirchlichen Turnier- und Stierkampfverbote vom 12. bis zum 16. Jahrhundert gibt F. Merzbacher (1963). Wenn Merzbachers Darstellung zutrifft, dann standen bei diesen Verboten nicht zuletzt die „Gefahren für das Seelenheil der Teilnehmer“ (Merzbacher 1963: 261) im Vordergrund, also Motive, die in tiermoralischer Hinsicht an ein indirektes Pflichtenkonzept denken lassen. Bei den vielerorts seit dem 16. Jahrhundert (oder schon früher) ergangenen Verboten des Johannisfeuers haben neben disziplinierenden Gesichtspunkten besonders in den Städten Brandschutzgründe von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt, vgl. z.B. für Nürnberg die bei J. Dünninger und H. Schopf (1971: bes. 92ff.) abgedruckten Quellentexte, ergänzend F. Bock (1959: 31). Vgl. zur Begrifflichkeit und den soziokulturellen Voraussetzungen dieser Termini besonders G. Sauder (1974: 1ff., 50ff.). In den Tierschutzbestrebungen dieser Zeit dominiert freilich weithin noch ein indirektes, meist partikularistisch angelegtes Pflichtenkonzept. Dies spiegelt sich z.B. in den (positiven) Antworten auf eine Preisfrage, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts das französische Institut National ausschreibt. Die Frage lautet, ob tierquälerisches Verhalten ein Gegenstand des öffentlichen Interesses sei und gesetzgeberische Maßnahmen erfordere. Die eingereichten Texte setzten sich zwar mit sehr unterschiedlichen Formen der zeitgenössischen Tierquälerei auseinander (z.B. im Schlachtwesen, bei Tierversuchen, bei kindlicher Tiermisshandlung, auf der Jagd usw.), doch tritt bei den meisten Befürwortern staatlicher Maßnahmen insofern das Tiersubjekt selbst in den Hintergrund, als vor allem die nachteiligen Folgen für den binnenmenschlichen Bereich herausgestellt werden (Gewalt gegen Tiere begünstige Gewalt gegen Menschen usw.). Insbesondere in Frankreich bleibt dies der Tenor der Debatten im 19. Jahrhundert. So konnte insbesondere M. Agulhon (1981: 109) in einer wichtigen Arbeit aufzeigen, „que la question des animaux au XIXème siècle appartenait pour une large part à la question de la violence, et que celle-ci était à son tour l’un des grands thèmes d’affrontement de conceptions du monde vivement opposées.“
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sich der Hof fortan Anträgen für eine Wiedererrichtung des Hatztheaters stattzugeben.52 Im Rückblick lässt sich festhalten, dass die angeführten Befunde zahlreiche Indizien für die These geliefert haben, dass die ethnozoologischen und tiermoralischen Orientierungen der höfischen Gesellschaft dem Idealtypus eines hierarchischen Kollektivismus nahekommen, der im gesellschaftlichen Differenzierungsbezug vor allem das Machtmedium unterstützt. In seinem Interpenetrationsbezug gegenüber dem Wertbindungsbereich ist dieser hierarchische Kollektivismus aber hinreichend flexibel und offen, um alternativen („noncartesianisch“ oder religiös begründeten) Tierkonzepten Raum zu gewähren. Abgesehen von lebensweltlichen Enklaven Du-evidenter Mensch-Tier-Beziehungen gibt es hier aber kaum Ansätze, die in tiermoralischer Hinsicht die von Norbert Elias herausgestellte zivilisatorische Mission des Hofes rechtfertigen könnten. Sofern der „Widerwille“ gegen Katzenverbrennungen beim Johannisfeuer und dergleichen ein brauchbarer Indikator für eine „geschichtliche Verwandlung des Affekthaushalts“ (Elias 1976b: 281f.) ist, dann kommt dem absolutistischen Hof hier sicherlich keine Vorreiterrolle zu. Gravierendere Zivilisationsimpulse scheinen hier von Gruppierungen und Sozialorganisationen auszugehen, deren Differenzierungs- und Interpenetrationsschwerpunkte in den oberen Feldern unseres Übersichtsschemas liegen, also dort, wo intentionale Kontrollmodi und deutlich offenere Rollenmuster anzusiedeln sind.
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U. Giese (1962: 45) bemerkt dazu: „Kaiser Franz erschien selbst auf der Brandstätte und soll zu seinem Adjutanten Kutschera gesagt haben: ‚Neu erbaut soll die Hetze nicht mehr werden, sie bot immer für mich ein Schauspiel, das mich anwiderte und von dem ich nie begriff, wie denn meine Wiener es mit Vergnügen sehen konnten.“ Auch in Regensburg, wo das dortige Hatztheater im Frühjahr 1784 durch einen starken Eisgang der Donau zerstört wurde, hat es der Hof unterlassen, die Anlage neu aufzubauen. Bereits 1777 war es hier zwischen dem Fürstlichen Hof und dem Magistrat der Reichsstadt des Hatztheaters wegen zu Unstimmigkeiten gekommen. E. Fendl (1988: 133f.) konstatiert in diesem Zusammenhang eine „kritische Haltung des Rates den Tierhetzen gegenüber“, die auch auf religiöse Gründe verweise.
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6.2 Religiöse Wertbindung und Liebessemantik. Tierethische Motive im kommunalistischen Milieu des nonkonformistischen Protestantismus 1824, als in London erstmals eine moderne landesweite Tierschutzorganisation – die S.P.C.A. („Society for the Prevention of Cruelty to Animals“) – gegründet wird,53 kann der englische Tierschutz bereits auf eine Vorgeschichte zurückblicken, die bis ins 16. Jahrhundert datiert. Besonders im Verlauf des 18. Jahrhunderts hatten Kritiker von Tierquälereien eine wachsende öffentliche Breitenwirkung für ihr Anliegen erzielen können. Um die Jahrhundertwende decken die Facetten dieser Kritik ein breites Spektrum ab. Einerseits nimmt sie tierquälerische Jagdformen des Hofes und des Adels aufs Korn,54 andererseits richtet sie sich gegen Grausamkeiten bei Volksfesten, volkstümlichen Bräuchen und Volksbelustigungen („popular recreations“),55 – hier insbesondere gegen die „blood sports“, z.B. gegen Stierkampf und Bullenhatz („bull-baiting“, „bull-running“), gegen das Hahnenwerfen („cock-throwing“), zum Teil auch gegen den verbreiteten Hahnenkampf („cock-fighting“). Auf lokaler Ebene wurden Tierquälereien, die solchen Kontexten zugeordnet werden konnten, schon früh und relativ scharf geahndet. Die feinen Unterschiede, die hier gemacht wurden, fördern dabei soziomorphe Projektionen zutage, die eine gewisse Affinität zu aktivistisch-individualistisch geprägten Sozialweltkonzeptionen verraten. Beide Punkte erläutert anschaulich eine Passage aus dem 1785 erschienenen Bericht des England-Reisenden Johann Wilhelm von Archenholtz: „Das andere Gesetz (...) ist wider diejenigen, die mit dem Vieh unbarmherzig umgehn. Da die Thiere sich leidend verhalten müßten, so ist es der Menschheit einer aufgeklärten Nation würdig, sie wider die Grausamkeit der Menschen zu schützen. Solche Anklagen geschehen weit öfter, als die vorerwähnten [Anklagen wegen Fluchens, R.W.], auch werden sie mit keiner Nachsicht behandelt. Die Geldstrafen sind 53
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Zuvor gab es freilich schon Gruppen, die auf lokaler Ebene tierschützerische Aktivitäten entfalteten (z.B. die 1809 in Liverpool gegründete „Society for the Suppression of Wanton Cruelty to Animals“), vgl. R. Malcolmson (1973: 172). Vgl. zur Kritik an der höfischen Jagd z.B. die Ausführungen des Vegetariers J. Ritson (1802: 88f.). J. Turner (1980: 18) über Ritson: Er „began as a Jacobite in the 1770s and ended as a Jacobin in the 1790s“. Vor allem diese doppelte Frontstellung trägt den Tierschützern schon früh einen „bürgerlichen“ Ruf ein. 1848 ist diese Assoziation noch derart lebendig, dass K. Marx und F. Engels (1946: 31f.) die „Abschaffer der Tierquälerei“ gemeinsam mit „Wohltätigkeitsorganisierern“, „Mäßigkeitsvereinsstiftern“ und philanthropischen Gefängnisreformern dem „konservativen“ oder „Bourgeoissozialismus“ zuordnen, jener Richtung, die lediglich „administrative Verbesserungen“ im Auge habe, das „Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit“ aber unangetastet lasse.
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fünf Schilling, zehn Schilling, auch mehr, nach dem Ausspruch der Magistratspersonen und Friedensrichter, die hierin nach Beschaffenheit der Umstände verfahren. Hieraus entsteht die gute Wirkung, daß man mit Thieren als wie mit vernünftigen Kreaturen umgeht. Die Sanftmuth, welche die Engländer gegen ihre Hunde und Pferde bezeigen, ist bekannt, und hat in diesem Gesetz ihren Ursprung. Das Hahnengefechte (...), das keiner Bestrafung unterworfen ist, scheint hier zwar ein Widerspruch zu seyn, der aber in den Augen der Engländer keiner ist, weil die Hähne keine leidenden Rollen spielen, sondern selbst um ihre Haut kämpfen“ (Archenholtz 1785: 259f.; Herv. R.W.).
Dieser individualistisch-„bürgerliche“ Eindruck verstärkt sich, wenn man betrachtet, auf welche Weise im 18. Jahrhundert das im fünften Kapitel beschriebene Kriterium einer mundanen Tiersubjektivität zu einem zentralen Deutungsrahmen tierschützerischer Bestrebungen avancieren konnte. Sieht man lediglich auf das Ende des Jahrhunderts, als sich Tierquälereikritiker wie John Lawrence (1796/98), John Oswald (1791) oder Jeremy Bentham (1989/1780) zu Wort melden, so gewinnt man den – etwas irreführenden – Eindruck, die hier artikulierten, recht „profan“ begründeten Forderungen nach Tierrechten seien lediglich das Echo auf die Ideen von 1789 oder auf Ideen, die von Jean-Jacques Rousseau oder der französischen Aufklärung herrühren.56 In Wirklichkeit weisen die ideengeschichtlichen Wurzeln des modernen Tierschutzes aber weit in die jüdischchristlichen Tradition zurück, vor allem in erlösungsreligiöse Kontexte, die den Geschöpfen Gottes eine Befreiung von ihren Leiden ankündigen.57 Im ausgehenden 18. Jahrhundert stößt man im theriophilen Diskurs Englands auf dezidiert erlösungsreligiöse Ansätze, die freilich ein recht modern anmutendes Junktim von Tiersubjektorientierung und Universalismus herstellen. Im Gegensatz zum Diesseitsbezug des utilitaristischen Glückskonzepts eines Jeremy Bentham sind es hier Sinnhorizonte einer religiösen Hinterwelt, die einen 56
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Diesen Eindruck suggeriert z.B. die oben (im fünften Kapitel) zitierte Passage aus J. Benthams (1989: 26) „Introduction to the Principles of Morals and Legislation“, wo er direkt auf Frankreich anspielt: „The French have already discovered (...)“ usw. Hier ist vor allem der Gegensatz zwischen dem alttestamentlich begründeten Herrschaftsauftrag des Menschen und seiner „Bruderschaft mit allen übrigen Mitkreaturen“ (Benz 1975: 376ff.; vgl. zudem Bernhart 1961: 57f.) herauszustellen. Als Erlösungsreligion, „welche ihren Anhängern die Befreiung vom Leiden in Aussicht“ stellt (Weber 1988: 540; Herv. Weber), entwickelt sie eine Theodizee des Leidens, die auf die Frage nach einer ethisch „sinnvollen“ Verteilung von Leid (und Glück) eine Antwort zu geben versucht. Den theriophilen Strömungen darunter ist die Tendenz gemeinsam, das Theodizeeproblem nicht ausschließlich auf den Menschen zu beziehen, sondern auch auf die tierliche Kreatur. Die Frage nach dem „unverdienten Leid“ der Tiere entzündet sich bereits an den einschlägigen Bibelstellen, im Buch „Genesis“ z.B. am „Wissen, dass das Töten von Lebewesen nicht richtig und d.h. nicht im ursprünglichen Willen des Schöpfers angelegt sein kann, obwohl es in der gegenwärtigen Welt notwendig ist“ (Westermann 1974: 225).
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empathischen und rücksichtsvollen Umgang mit dem Tiersubjekt als „Mitgeschöpf“ legitimieren. Exemplarisch ist hier die 1776 publizierte Monographie des englischen Theologen Humphrey Primatt. Wie Bentham insistiert Primatt auf der Schmerz- und Leidensfähigkeit von Mensch und Tier,58 doch begründet wird dieses tierethische Postulat, das eine Subjektivierung des Tieres voraussetzt, anders als bei J. Bentham über das Verhältnis von mundaner Diesseitigkeit und religiöser Hinterwelt: In Primatts Perspektive hat der Mensch dem Tier gegenüber Pflichten, die einer transzendent begründeten Brüderlichkeitsethik entspringen, d.h. sie resultieren daraus, dass beide „Geschöpfe Gottes“ sind. Beide sind „lebendige Seelen“, die ihre Existenz dem „Odem“ des Schöpfers verdanken (Primatt 1778: 59-63). Und es ist sicher kein Zufall, dass schon zwei Jahre nach der englischen Erstausgabe Primatts Text in Deutschland (Halle) herausgebracht wird, einem Land, in dem damals vor allem im Pietismus vergleichbare tierethische Vorstellungen artikuliert werden.59 Primatts Ansatz kann nun vor allem deswegen als ein Konvergenzpunkt der englischen theriophilen Theologie angesehen werden, weil er Leitvorstellungen aufgreift und kombiniert, die vordem von Evangelikalen, vor allem aber von Nonkonformisten entwickelt wurden, insbesondere von Exponenten des Puritanismus, des Methodismus und des Quäkertums. Die theologischen Gründe, weshalb gerade viele Puritaner und Quäker lange vor Primatt gegen tierquälerisches Brauchtum zu Feld zogen, sind vielschichtig (vgl. Thomas 1984: 155ff.; Harwood 1928: 140ff.). Vom Puritanismus des 17. Jahrhunderts her lassen sich zunächst zwei Orientierungen ausmachen, die theriophile Tendenzen begünstigten und die vom Quäkertum – in freilich modifizierter, zum Teil abgeschwächter Form – fortgeführt werden. Beide Orientierungsmuster lassen sich als Interpenetrationsbezüge auffassen, durch die religiöse Wertbindungen sowohl auf huma58
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„Erhabenheit des Ranges und des Standes befreyt ein Geschöpf von der Empfindlichkeit des Schmerzes so wenig, als Niedrigkeit das Gefühl desselben ihm weniger eindrücklich macht. Schmerz ist Schmerz, er mag Menschen oder Thieren zugefügt werden (...)“, schreibt Primatt (1778: 14.). Ein Beispiel ist hier der Leonberger Kaplan Adam Gottlieb Weigen, der 1711 eine Abhandlung mit dem Titel „De Jure Hominis in Creaturas oder Schrifftmäßige Erörterung des Rechts des Menschen über die Kreaturen” veröffentlichte, ein Text, der übrigens an mehreren Stellen sachkundig auf die englische Tierethikdiskussion dieser Zeit Bezug nimmt. Weigen betont zwar, dass Gott dem Menschen die Tiere zu seinem Gebrauch überlassen habe, er nennt aber auch klar die tierethischen Grenzen dieser Nutzung. Weigen (1711: 356) schreibt: „Aber gewiß/ was die Geschöpffe GOttes betrifft/ welche ein empfindliches Leben haben/ als das Vieh/ stehen die Schläge und den Tod nicht mit geringern Schmertzen und Unwillen aus als wir selbst/ und leben/ so gern als wir. Und können daher mit gleichem Recht/ Barmhertzigkeit und Gerechtigkeit fordern in dem/ wie wir mit ihnen umgehen/ als wir den Gebrauch und Dienst von ihnen.” Siehe zur besonderen Bedeutung des Pietismus für die Entwicklung des Tierschutzes auch die Arbeiten von M. Scharfe (1968; 1984) und D. Narr/R. Narr (1967).
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nimalische Sozialverhältnisse wie auch auf sozialstrukturelle Beziehungsmuster der (human-)sozialen Mesoebene einwirken. Gemeint sind (1) ein weltablehnender („weltverneinender“) Theozentrismus und (2) die Heilsmethodik der innerweltlichen Askese.60 1.
Für den Puritanismus ist einmal eine die Welt abwertende und theozentrische Grundhaltung typisch, eine strikte Trennung von Gott und Welt, die Betonung einer „unüberbrückbaren Kluft“ (Weber 1988: 93) zwischen dem Schöpfer und seinen Kreaturen. Beides wirkt hier zusammen: die Betonung der Überweltlichkeit des persönlichen Schöpfergottes und die Entwertung der Welt als kreatürlich und „Gefäß der Sünde“. Die Selbstbezogenheit des Menschen wird als sündige Abwendung von Gott gedeutet, exemplarisch vollzogen durch Adams Sündenfall, der die natürliche Ordnung in ihr Gegenteil verkehrt: Krankheiten, Grausamkeit und andere Übel sind die Folgen für die menschlichen und tierlichen Kreaturen. Weil die Leiden der Tiere ein symbolischer Ausdruck der menschlichen Erbsünde sind, können die von Menschen arrangierten Tierkämpfe nach puritanischer Auffassung nicht gerechtfertigt werden. Sie sind abzulehnen, weil der Mensch hier die symptomatischen Folgen seiner eigenen Sündhaftigkeit, seiner Abwendung von Gott reproduziert und sich damit indirekt an seiner Abwendung von Gott erfreut. Der Abfall von Gott sei aber kein Anlass zur Freude, sondern zu Scham und Trauer.61 Die Tierquälereien der „blood sports“ und „cruel recreations“ werden also nicht nur deswegen abgelehnt, weil Gott auch den Tieren selbst Schutz verheißt.62 Sie werden auch als Akt einer kreatürlichen
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Vgl. zu den Weberschen Konzepten W. Schluchter (1991: 62ff.). Auf Vorbehalte gegenüber Max Webers Puritanismuskonzeption, wie sie z.B. von H.-C. Schröder (1995) dargelegt wurden, kann hier nicht eingegangen werden. Vielleicht könnten aber einige der hier aufgeworfenen Probleme (z.B. die „‚Weber-These überhaupt zu fassen“, Schröder 1995: 462) in einem deutlicheren Licht erscheinen, wenn der ideengeschichtliche Hintergrund der Protestantismusthese stärker berücksichtigt würde. Vgl. zu dieser „Archäologie“ „verschütteter“ Vorläuferkonzepte P. Münch (1993). Vgl. etwa die Darstellung des Puritaners W. Perkins: „The antipathy and cruelty which one beast showeth to another is the fruit of our rebellion against God, and should rather move us to mourn than to rejoice“ (zit. nach Thomas 1984: 157). Mutwillige Tierquälerei ist mit Blasphemie vergleichbar, denn der Mensch, der die natürliche Schöpfung in dieser selbstbezogenen Weise missbraucht, beleidigt durch diesen (wiederholten) Akt des Ungehorsams den Schöpfergott. Der Sünder will nicht wahrhaben, „dass die Ordnung der Natur nichts anderes ist als der Gehorsam, der ihm (Gott, R.W.) von allen Teilen des Weltenbaus erwiesen wird, damit sein unumschränktes Walten überall erstrahlt“, wie J. Calvin (1941: 37) im Jesaja-Kommentar schreibt. So kommentiert J. Calvin (1919: 134) den Bund, den Gott mit Noah, mit dessen Nachkommen und mit „allem lebendigen Tier bei euch“ schließt (1. Moses, 9, 8-10) wie folgt: „Endlich verheißt er (Gott, R.W.) seine Güte auch den unvernünftigen Tieren, auch sie sollen in ihrem Le-
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2.
Kapitel 6 Selbstanmaßung von Menschen angesehen, die sich der „rational nüchternen Mitarbeit an den durch Gottes Schöpfung gesetzten sachlichen Zwecken“ (Weber 1980: 329) entziehen, d.h. insbesondere: Die sich der innerweltlichen Askese durch Berufsarbeit verweigern. Damit wird bereits der zweite Punkt tangiert. Trotz einer prinzipiellen Abwertung der „Welt des Kreatürlichen“ ist dem Puritaner die Welt als Verpflichtung auferlegt; Er muss sich in ihren Ordnungen seines Gnadenstandes durch das asketische Heilsmittel der Berufsarbeit zu versichern suchen. Das dem Menschen von Gott übertragene Herrschaftsmandat über die Schöpfung wird dabei ausdrücklich legitimiert, sofern die Erfolge einer berufsasketisch ausgerichteten Lebensführung den Gläubigen als ein erwähltes Werkzeug Gottes bestätigen (vgl. Weber 1988). Im Rahmen dieser „stewardship“ gegenüber der Schöpfung wird eine rationalen Kriterien genügende wirtschaftliche Nutzung der Tierwelt nicht nur erlaubt, sondern direkt gefordert (Clarke 1985).63 In diesem Kontext ist vielleicht der Hinweis Max Webers aufschlussreich, dass die Landwirtschaft von den Puritanern schon früh als ein „besonders wichtige(r), auch der Frömmigkeit besonders zuträgliche(r) Erwerbszweig“ (Weber 1988: 194) geschätzt wurde. Für Farmer und Yeomen bildeten Tiere häufig einen wesentlichen Teil ihres wirtschaftlichen Betriebskapitals. Allein aus Gründen einer rationalen Betriebsführung konnte daher eine umsichtige Behandlung der Nutztiere leicht zu einer verbindlichen Norm avancieren.64
Hinzu kommt, dass Puritanern und Quäkern schon aus Gründen der methodischrationalen Lebensführung Bräuche wie das Johannisfeuer äußerst suspekt er-
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ben unbewusst Gottes Schutz genießen.“ Entsprechende Ermahnungen finden sich freilich nicht nur im Calvinismus, sondern auch in anderen protestantischen Strömungen, etwa bei Predigern lutheranischer Provenienz wie H. Frey. Dieser schreibt in der „Vorrede“ zu seiner „Therobiblia“ von 1595: „Gleichwol finden wir auch inn der Schrifft gewisse Regel unnd Gebot Gottes / wie sich die Menschen gegen ihr arbeitendes Viehe mitleidend unnd barmhertzig halten sollen“ (Frey 1978: 6). Bereits J. Calvin (1919: 131) betont in diesem Sinne, dem Menschen gebühre die „Herrschaft über die andern Geschöpfe“, so dürfe er „mit freiem und ruhigen Gewissen (...) auch das Fleisch zu seiner Speise nehmen“ (Calvin 1919: 132). Denn der „Schöpfer hat uns die ganze Erde und die Luft als Vorratskammer zugewiesen.“ Beim Lutheraner H. Frey (1978: 5) lesen wir sogar, dass „alle Thier unnd Viehe zu des Menschen Glori (!) und Herrligkeit gemacht worden (sind).“ Ein indirektes Pflichtenkonzept, das vermutlich vor allem einem ökonomischen Nutzenkalkül verpflichtet war, stand wohl bei einer Rechtsnorm im Vordergrund, die von Puritaner 1641 in Massachusetts beschlossen wurde. In einem besonderen Paragraphen („Off the Bruite Creature“) des „Body of Liberties“ wurde festgelegt: „No man shall exercise any Tirrany or Crueltie towards any bruite Creature which are usuallie kept for man’s use.“ (zit. bei Carson 1972: 71). Vgl. dazu auch D. Harwood (1928: 62f.)
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scheinen mussten, – enthielten sie doch auch häufig Relikte magisch oder „popish“ anmutender Praktiken.65 Tierquälerische Rituale und Bräuche widersprachen berufsasketischen Maximen alltäglicher Lebensführung aber auch in anderen Hinsichten: Sie implizierten nicht nur Zeit- und Kapitalvergeudung, sie waren auch mit den dort üblichen, affektiv unbeherrschten Verhaltensweisen schwer zu vereinbaren. George Fox etwa wendet sich schon zu Beginn seines öffentlichen Wirkens gegen derartige Veranstaltungen. In seinem „Journal“ schreibt er: „Ich musste auftreten gegen ihre Feste und Gelage, Spiele, Späße und Belustigungen aller Art, durch die die Leute zur Eitelkeit und Liederlichkeit verleitet und von der Gottesfurcht abgebracht wurden“ (Fox 1908: 25).66 Schließlich darf eine wichtige Nebenwirkung der theozentrischen Grundorientierung von Puritanern und Quäkern nicht übersehen werden. Insgesamt entwertete der Theozentrismus sicherlich die kirchlich vermittelnden Zwischeninstanzen, die einer direkten Beziehung des Gläubigen zu seinem Gott im Wege stehen konnten. Von ihren calvinistischen Ursprüngen her erhalten Puritanismus und Quäkertum damit nicht nur einen hierarchiefeindlichen67 Impetus, sie bilden einen individualistischen Grundzug aus, der den Gruppendruck der Religionsgemeinschaft nur insoweit akzeptiert, als er mit dieser individuell verstandenen Theozentrik und einer arbeitsasketischen Vergewisserung der individuellen Erwählung vereinbar war. Nicht zuletzt der die calvinistische Tradition kennzeichnende „biblische Purismus“ konfrontiert den Einzelnen laufend mit Anforderungen, die „lehrgesetzliche Bibelautorität“ selbstverantwortlich zu deuten und in den verschiedensten Rollenbezügen der eigenen Lebensführung umzusetzen.68 Beide Momente – die individualistische Grundtendenz und die letztliche Eigenverantwortung für die methodische Ausrichtung der alltäglichen Lebensführung – begünstigen eher offene Rollenmuster.
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Vgl. K. Thomas (1991: 87f., 304ff.). Der puritanische Kreuzzug gegen die „cruel animal sports“ hatte während des Protektorats zu Verboten des Hahnenschlagens und der Hahnenkämpfe geführt (nicht zuletzt wegen der dabei ausgelebten Wettleidenschaft). Auf lokaler Ebene waren entsprechende Verbote schon früher durchgesetzt worden: 1653 wurde in Maidstone das „cock-throwing“ als grausam und unchristlich untersagt, 1596 in Chester das „bearbaiting“ mit einer analogen Begründung (Thomas 1984: 158). Ebenso exemplarisch für diese Kritik ist der von den radikalen Seekers zu den Quäkern gestoßene Thomas Taylor. W. Braithwaite (1921: 223f.) über Taylor: „Heathenish practices at Christmas, lotteries, cockpits, bowling alleys and playhouses, debauchery, fencing, bull and bear baiting, all came under his criticism.“ Vgl. M. Weber (1988: bes. 183). Generell betont diesen Punkt mit Blick auf den frühmodernen Protestantismus R. Bellah (1973: 292f.). Vgl. zum Bibelpurismus und zum calvinistischen Individualismus E. Troeltsch (1994: bes. 621-624), der mit Blick auf die „Bibel als Sittengesetz“ Parallelen zur Täuferbewegung ausmacht.
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Wie bei ähnlichen religiösen Gruppierungen sind im weiteren Verlauf Schließungstendenzen im Wertbindungsbezug (z.B. die Verbreitung von „Doktrinen“, die bereits fertig vorfabrizierte Antworten bereitstellen) oder in der Sozialdimension (sektenhafte Abschottung mit hohem Gruppendruck) zwei mögliche Optionen der Entwicklung. Eine weitere ist, dass sich durch das von Max Weber geschilderte „Absterben der religiösen Wurzeln“ die Gruppen- bzw. Gemeindebindungen lockern können und ökonomischer Erfolg im Bezugsrahmen des Geldmediums zum Selbstzweck eines versachlichten Weltverhältnisses wird.69 Für sich betrachtet, unterstützt diese Entwicklungsvariante puritanischer Gruppen bzw. Sekten im Hinblick auf das Rollenmuster eher Schließungstendenzen, besonders dann, wenn die „invisible hand“ der Marktchancen als heteronomes, unkontrollierbares Geschick erlebt wird. Wenn Tiere dann zusehends zur bloß sachlichen Ressource für ökonomische Erfolge werden, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass das biblische „Herrschaftsmotiv“ gegenüber dem Tier das Motiv der brüderlichkeitsethischen „Mitgeschöpflichkeit“ aushebelt. Bei den Quäkern sind derartige Interpenetrationsbezüge und Übergänge zwischen kommunalistisch und heteronom-individualistisch geprägten Beziehungsmustern historisch sicherlich ebenso anzutreffen. Auffällig ist dennoch, dass charakteristische religiöse Wertbindungen des Nonkonformismus weithin nicht so stark in Richtung eines heteronom-individualistischen Strukturmusters transformiert wurden, sondern von einem stärker kommunalistisch geprägten Sozialmilieu gestützt werden. Dies drückt sich darin aus, dass eine mystisch70 getönte Brüderlichkeitsethik die Selbstbezogenheit der berufsasketisch ausgerichteten Lebensführung überlagert und diese relativiert. Damit können sozial integrative, „solidarische“ Verhaltensorientierungen (gegenüber Mensch und Tier), wie sie von Medien Einfluss und Liebe unterstützt werden, beträchtlich an Bedeutung gewinnen. So wird vielleicht verständlich, weshalb etwa eine tierquälerische Überbeanspruchung von Nutztieren, die aus ökonomischen Rentabilitätsgründen sozusagen „geopfert“ wurden, aus der Sicht dieser „brüderlichkeitsethisch“ gemilderten Berufsaskese inakzeptabel war. Diese brüderlichkeitsethische Orientierung 69
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Dann kann verstärkt ein Grundzug des calvinistischen Individualismus zutage treten, den E. Troeltsch (1994: 623) wie folgt charakterisiert: Dieser habe „in der Ablehnung gefühlsmäßiger Expansion und in der Zurückstellung aller menschlichen Beziehungen hinter dem Gottvertrauen die Eigentümlichkeit, beim Herausgehen aus sich selbst sich stets auf sachliche Zusammenhänge und Zwecke zu richten.“ Vgl. auch M. Weber (1988: 197ff.). Dass die Quäker stärker als andere nonkonformistischen Gruppen neben der asketischen Grundorientierung einer mystisch gestimmten Frömmigkeit zuneigten, hängt sicherlich mit ihren Vorstellungen vom „light within“ zusammen. Das „light within“ qualifizierte die Kreatur zu einem potentiellen „Gefäß“ des göttlichen Geistes; nach ihrer „Wiedergeburt im Geiste“ glaubten viele Quäker „that they were one with God“ (Brauer 1987: 57).
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scheint gerade die Quäker zu kritischen und „tiersolidarischen“ Stellungnahmen veranlasst zu haben. Der Quäker John Woolman etwa beklagt das Los der „postboys“ und Pferde im Postkutschenverkehr, die zu Beginn der industriellen Revolution häufig gezwungen wurden, enorme Strecken in kürzester Zeit zurückzulegen. Es kam vor, dass Postjungen winters erfroren sind, für Pferde war es nicht ungewöhnlich „to be killed with hard driving“. Woolman: „in aiming to do business quick, and to gain wealth, the creation, at this day, doth loudly groan!“ (Woolman 1775: 231). Die diesbezüglichen Besonderheiten der tierethischen Orientierungen der Quäker sind nun näher zu beleuchten. Die beiden bislang skizzierten – im Kontext des weltablehnenden Theozentrismus und der innerweltlichen Askese hervortretenden – Bezüge nonkonformistischer Theriophilie zeichnen sich noch durch ein indirektes Pflichtenkonzept aus. Von ihrer idealtypischen „Um-zu“-Motivation (Schütz 1971) her wird eine rücksichtsvolle Behandlung der Tiere vorwiegend damit legitimiert, dass sie im sekundärsozialen Bezug als ein Mittel dient, um eigentlich „tierfremden“, menschlichen Zwecken zu genügen. Tierfreundliches Handeln hat letztlich die heilsmethodische Lebensführung der Akteure selbst, der Puritaner bzw. Quäker, im Auge, d.h. es geht um die Vergewisserung ihrer certitudo salutis, ihrer selbstbeherrschten Affektkontrolle, ihrer ökonomisch rationalen Betriebsführung. Daneben gibt es im nonkonformistischen Protestantismus aber früh einen zweiten, erlösungsreligiösen Motivstrang, der mit dem ersten zwar empirisch eng verwoben, analytisch aber davon zu trennen ist, weil er sich auf die Mitkreatur Tier selbst konzentriert. Diese zweite – nun vor allem bei den Quäkern hervortretende – Handlungsorientierung antizipiert insofern ein Leitmotiv der modernen Tierschutzidee, als sie eine deutliche Auf- und Neubewertung des kosmologischen Status des Tieres mit sich bringt: Religiös und ethisch thematisch werden Tiere hier nicht als bloße Naturobjekte oder als „Dämonen in Tierverkleidung“, sondern letztlich als empfindungsfähige Subjekte und diesseitige Geschöpfe angesehen. Diese Neigung zu einer „profanisierenden“ Subjektivierung ist mit der einer tendenziell eschatologischen Sicht der Tiere eng verknüpft. Tiere erhalten eine gewisse eigne Dignität dadurch, dass sie als Kreaturen Gottes nun eher unmittelbar in das christliche Heilsgeschehen einbezogen werden: Der Gedanke einer kommenden Erlösung vom Leiden wird insofern nun auf die tierliche Kreatur hin universalisiert. Diese beiden Blickverschiebungen interferieren mit dem indirekten Pflichtenkonzept und haben zur Folge, dass nun vor allem bestimmte Nutz- und Heimtiere einem (eher subkognitiv verstandenen) Subjektkonzept angenähert werden können. Bei aller sonstigen Inferiorität wird ihnen nun eine gewisse kreatürliche „Selbstzwecklichkeit“ zugeschrieben. Das Leiden der Tiere kann nun für sich
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gesehen zu einem ethischen Problem werden. Betrachten wir nun die beiden Aspekte der kreatürlichen Subjektivierung und der heilsgeschichtlichen Einbeziehung der Tiere näher. Erstens: Die Quäkersche Fokussierung der Mitgeschöpflichkeit des Tieres betont in besonderem Maße das subjektive Erleben, das Leiden der „poor sensitive creatures“. Dabei ist es die primärsozial wirksame Du-Evidenz des Tieres, die den „brüderlichkeitsorientierten“ Tierschutz wesentlich motiviert. Die universalistische Komponente dieser tierbezogenen „Brüderlichkeitsethik“ kommt dort zum Tragen, wo eine gewisse Annäherung (oder sogar Gleichstellung) von Mensch und Tier postuliert wird. Der Gedanke, dass nach dem Willen des Schöpfers auch die tierlichen „fellow-creatures“ des Menschen an der von Gott gespendeten „sweetness of life“ partizipieren sollten, findet bereits unter den frühen Quäkern erhebliche Resonanz. Ideengeschichtlich ist hier sicherlich der Einfluss des von Jakob Böhme inspirierten Thomas Tryon wirksam gewesen, dessen Schriften von den Quäkern offenbar sehr geschätzt wurden (Gharpure 1935: 102ff.). Dieser „Pythagoras des 17. Jahrhunderts“ propagierte einen religiös motivierten Vegetarismus, der ein grundsätzliches Tiertötungsverbot mit dem gemeinsamen Vaterschaftsverhältnis zum Schöpfer begründet: „It is a great and heinous evil against thy Father, to oppress, starve, or kill any creatures, they being all his children.“ Sie alle trügen, jedes auf seine Weise, das Bild Gottes in sich. Die Beziehung zum Tier solle sich, so Tryon, an Gottes väterlicher Liebe zum Menschen orientieren: „And as true Religion consists chiefly in imitating of our Creator; thou shalt therefore govern them in Love, Mercy and Equality, even as he governs the world“ (zit. nach Gharpure 1935: 104). Dem Beispiel Tryons, das unwillkürlich an die postkonventionelle Tiermoral eines autonomen Individualismus erinnert, kann ein späteres Beispiel einer sowohl tiersubjektivistisch wie universalistisch geprägten Tiermoral angefügt werden, das „Journal“ des Quäkers John Woolman. Woolman zufolge impliziert wirkliche Gottesliebe „tenderness towards all creatures made subject to us“, sie drücke sich in der Sorge aus, „that we do not lessen that sweetness of life, in the animal creation, which the great Creator intends for them under our government“ (Woolman 1775: 225; Herv. R.W.). John Woolman ist davon überzeugt, Gott wünsche, dass auch Tiere „true justice and goodness“ erwarten dürfen: Wahre Religion zeige sich in „an inward life, wherein the heart doth love and reverence God the Creator, and learns to exercise true justice and goodness, not only toward all men, but also toward the brute Creatures. That as the mind was moved, by an inward principle, to love God as an invisible, incomprehensible Being; by the same principle it was moved to love him in all his manifestations in the visible world. That, as by his breath, the flame of life was kindled in all animal sensible creatures, to say we love God as un-
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seen, and, at the same time exercise cruelty toward the least creature moving by his life, or by life derived from him, was a contradiction in itself“ (Woolman 1775: 8f.; Herv. v. R.W.).
Zweitens: Eine Tendenz zum tierethischen Universalismus tritt bei Quäkern wie Puritanern zudem dort hervor, wo eschatologisch-heilsgeschichtliche Motive anklingen. Gerade die heilsgeschichtliche Dimension verdeutlicht, dass bereits bei den frühen Quäkern das erlösungsreligiöse Postulat der „Liebe zum Leidenden“ von einem universalistischen Brüderlichkeitsethos getragen wurde, das nach zwei Seiten hin wirkte: Brüderlichkeitsethische Kriterien sollten nicht nur über „alle Schranken der sozialen Verbände“ (Weber 1988: 543f.) hinweg gelten, sie beginnen auch die natürlichen Artgrenzen zwischen Mensch und Tier zu relativieren. Einerseits gibt es bei den Quäkern eine starke Tendenz, universalistische Kriterien auch auf Menschengruppen auszuweiten, die von anderen zeitgenössischen Religionsgemeinschaften (z.T. auch vom älteren Puritanismus) eher vernachlässigt wurden: auf die indianischen Eingeborenen,71 auf Frauen, Sklaven, auf gesellschaftlich randständige Personenkreise wie Strafgefangene, „Wahnsinnige“ usw.72 Andererseits wird bei dieser Tendenz zu einer brüderlichkeitsethischen Universalisierung aber auch die Mensch-Tier-Grenze berührt. Beim Leiden der Tiere scheint sich das Problem des „unverdienten Leidens“ sogar zugespitzt zu haben, – waren es doch Menschen, nicht Tiere, die durch ihren Sündenfall die Kluft zwischen Gott und Schöpfung aufgerissen haben. Wenn diese Kluft dereinst überwunden ist, werde auch die tierliche Kreatur von ihrem Leiden erlöst.73 Vor diesem eschatologischen Hintergrund ist die bei Puritanern und Quäkern spürbare Tendenz zu sehen, die unkultivierte Natur zu einem „refuge from worldly corruption“ zu idealisieren. Die „wilderness“ wird manchmal mit dem ursprünglichen Zustand der Schöpfung verglichen oder wenigstens als ein geeig-
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Siehe für Pennsylvanien näher U. Bitterli (1992: 129ff.). Vgl. dazu J. Soderlund (1985), E. Danielowski (1921: 99f.), W. Braithwaite (1921: 554ff.). So finden sich schon bei J. Calvin Passagen, die insofern eine theriophile Universalisierung begünstigen konnten, als sie die menschliche Erbsünde (zumindest der psychologischen Wirkung nach) mit einem „indirekten“ Verschulden gegenüber den Tieren in Verbindung bringen. Im Kommentar zum Römerbrief schreibt Calvin (1960: 166), dass wir bedenken mögen, „wie schrecklich unsere Verdammnis sein muss, die wir verdient haben, wenn alle unschuldigen Kreaturen (...) die Strafe für unsere Sünden mittragen müssen.“ Obschon es Calvin ausdrücklich ablehnt, über so „vorwitzige Fragen“ zu spekulieren, wie die künftige Wiederherstellung der Schöpfung aussehen wird (ob z.B. alle Tiere „unsterblich sein sollen“), so zweifelt er doch nicht daran, dass dann auch die tierische Kreatur „frei“ sein und von Gott in einen „neuen Stand“ gesetzt werde.
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neter „place of religious insight“ geschätzt.74 Eine wichtige Voraussetzung für diese neue Sicht der natürlichen Schöpfung war die individuelle Verinnerlichung der eschatologischen Orientierung, die nun stark auf das eigene, persönliche Heilsgeschehen bezogen wird, auf das individuelle Erleben des göttlichen „light within“. Zwar glauben die Quäker an das endzeitliche Jüngste Gericht und die Auferstehung, „but the stress was on the resurrection and judgement within each Quaker“, wie Barry Reay resümiert.75 Bereits von den ersten Quäkern (z.B. von Edward Burrough) wird in diesem Zusammenhang der Gedanke formuliert, dass die innere Auferstehung eine neue Sicht auch der tierlichen Mitkreatur bedingen werde. Der Gläubige erkennt, dass auch Tiere in einem gewissen Sinne ein „inward light“ haben. Er bemüht sich daher um eine harmonisch-freundliche Beziehung zu ihnen, die sich der „paradiesischen“ Mensch-Tier-Beziehung vor dem Sündenfall annähern bzw. den Zustand einer wiederhergestellten Schöpfung antizipieren soll. So überrascht es keineswegs, dass ein ethisch motivierter Vegetarismus unter den Quäkern offenbar vergleichsweise stark verbreitet war (vgl. Ritson 1802: 190f.; Brinton 1972: 88f.). Vor allem dieser Kontext legt es nahe, Quäker-Deutungen des biblisch prophezeiten „Reich des Friedens“ nicht nur als Sinnbild einer weltfernen oder mythisch überhöhten Zukunftsvision zu verstehen, sondern auch als Ausdruck und Memento eines Wirklichkeitsideals, das der alltäglichen Lebensführung beeinflussen konnte. Einschlägige Thematisierungen des Friedensreichs zeigen, dass diese innerweltliche Leitbildfunktion wohl auch eine theriophile Orientierung anklingen lässt. Aus späterer Zeit liefern hierzu vor allem Arbeiten des pennsylvanischen Malers und Quäkers Edward Hicks (1780-1849) aufschlussreiche Bildzeugnisse. Hicks hat sein Lieblingsthema, das Friedensreich („peaceable kingdom“) aus der Verheißung des Propheten Jesaja,76 in zahlreichen Varianten 74
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Vgl. P. Carroll (1969: 2). Zum Teil handelt es sich hier freilich um Naturprojektionen, die scharf mit dem manchmal zügellosen Kampf gegen die „wilden Tiere“ kontrastieren, der besonders an der nordamerikanischen „frontier“ weithin alltäglich war, ein Naturverhältnis, das zweifelsfrei ein „paradoxes Element enthält, wie P. Caroll (1969: 3f.) anmerkt. Es gibt allerdings Hinweise, dass hier besonders die Quäker einen etwas „pazifizierenden“ Einfluss ausübten (vgl. Carson 1972: bes. 65f.). B. Reay (1984: 147). Noch in den fünfziger Jahren waren in der Quäkerbewegung messianische Strömungen bedeutend gewesen. Nach 1660/61 aber, „as Messianic hopes faded, (..) attitudes towards society and the state had to be defined. It seems to have been the approach of the restoration that decided Fox in favour of pacifism and non-participation in politics“ (Hill 1991: 252). „Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und jungen Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, daß ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und eine Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein ent-
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ausgeführt. Das Friedensreich wird von Hicks als ein neuer Garten Eden geschildert, als ein friedvolles Tierparadies, in dem sich Mensch und Tier (und auch die Tiere untereinander) kein Leid zufügen, wo sich Kinder mit wilden Tieren vertragen, wo der Wolf einträchtig beim Lamm und ein Panther friedlich bei einem Böcklein lagert. Obschon sicher ist, dass die Darstellungen des „Friedensreichs“ vom Maler selbst wohl vor allem allegorisch gemeint77 waren, so ist andererseits auch kaum daran zu zweifeln, dass die in diesen Bildern sich artikulierende Friedenssehnsucht auch eine „tiefe Verbundenheit mit der Natur“ (Stadler 1988: 13), bes. mit der Tierwelt, zum Ausdruck bringt. Vor diesem Hintergrund kann die Popularität von Hicks’ „Friedensreich“-Darstellungen als ein wichtiges Indiz für eine unter Quäkern vermutlich weit verbreitete Hoffnung angesehen werden: für die Erwartung nämlich, dass im kommenden neuen Jerusalem, das in Pennsylvanien Gestalt annehmen sollte, Frieden und Toleranz auch im Mensch-Tier-Verhältnis ihren Platz haben würden. Für die tiermoralischen Orientierungen von Quäkern und Puritanern ist von besonderer Bedeutung, dass die „Moralisierung“ von Mensch-Tier-Beziehungen tendenziell umfassend angelegt war, d.h. sie wurde nicht nur ausnahmsweise oder gelegentlich erwartet, sondern sie sollte die gesamte alltägliche Lebensführung des Gläubigen (Schluchter 1991: 26ff.) formen, durch die Ausrichtung auf einheitliche Werte „systematisch“ sein. Auch tierschützerische Motive avancierten damit zur persönlichen Gewissenssache: tierschützerische Maximen werden nicht so sehr über äußere Fremdzwänge, sondern in Form internalisierter Selbstzwänge durchgesetzt, die der individuellen Gewissensbildung höchste Priorität einräumen (Weber 1973: 392). Tiermoralische Orientierungen werden so in einen Internalisierungsprozess eingespeist, der einerseits einen „innengeleiteten“ Sozialcharakter (Riesman 1958) begünstigt, und der andererseits (und nicht zu-
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wöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter” (Jes. 11, 6-8). Vgl. zur Deutung dieser Stelle im Einzelnen die Analyse von B. Janowski (1999: 45ff.). Z.B. als eine Vision, die ein einträchtiges Miteinander von unterschiedlichen Völkern oder von gegensätzlichen Strömungen im Quäkertum versinnbildlichen sollte. Andere Deutungen sehen im Friedensreich eine allegorische Darstellung von divergierenden psychischen IchBestrebungen oder Temperamenten (vgl. Mather 1973). Sehr fraglich ist freilich, inwieweit diese latenten oder zeitgebundenen Anspielungen, die oft nur Hicks’ persönlichem Umfeld oder seiner Gemeinde geläufig waren, tatsächlich das Gros der Rezipienten erreichen bzw. ansprechen konnte. Von daher ist zu vermuten, dass die Breitenwirkung von Hicks’ „peaceable kingdom“ auch an den Literalsinn (bzw. eine sehr textnahe Deutung) der Jesaja-Weissagung anschließt (in diese Richtung geht auch die Interpretation von Mighetto 1991). Siehe zu Hicks’ Leben und Werk auch A. Ford (1985), zu den verschiedenen allegorischen und theologischen Implikationen seiner Eschatologie des „peaceable kingdom“ jetzt detailliert H. Lutterbach (2004).
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letzt deswegen) den Einzelnen für die flexiblen Deutungs- und Orientierungsleistungen eines offenen Rollenmusters qualifiziert. Ziel ist eine disziplinierte Lebensführung und eine Selbstkontrolle entlang relativ rigider Trieb- und Affektstandards, die „von innen“ heraus erstrebt und in ihrem Sinnbezug „erkannt“ sein wollen. Dieses Gewissen ist nun insoweit bereits „horizontal“ ausgerichtet (Kittsteiner 1995: 400ff.), als es das Handeln des Individuums verstärkt auf die Zukunft ausrichtet (einer Zukunft, die ja schon vom puritanischen Verständnis her als Handlungshorizont für die erhofften Zeichen persönlicher „Erwählung“ fungierte). Die Habitualisierung dieser Selbstkontrollen erfolgte nicht nur in den frühen Phasen der Sozialisation,78 sie erweiterte sich durch die autobiographisch angelegten „Journale“ (vgl. z.B. Brinton 1972; Danielowski 1921) zu einem lebenslangen Selbstbildungsprozess. Diese tagebuchartigen Aufzeichnungen, in denen sich die Quäker über den Fortgang ihrer religiösen Entwicklung und Charakterbildung Rechenschaft ablegten, sind ein zentrales Medium, durch das im Quäkertum die – für Zivilisierungsprozesse so wichtige – Selbstthematisierung (Hahn 1987) institutionalisiert wird. Bereits die frühen Quäker-Journale lassen in dieser Hinsicht eine deutliche Neigung zu tierschutzrelevanten Selbstreflexionen erkennen (Brinton 1972). Das Gesagte mag hinreichend verdeutlichen, dass wichtige Motive des modernen Tierschutzgedankens an tierethische Tendenzen im nonkonformistischen Protestantismus anknüpfen konnten.79 Damit die tiermoralischen Orientierungen von Nonkonformisten gesellschaftlich wirksam werden konnten, bedurfte es freilich bestimmter soziogenetischer Bedingungen und sozialer Diffusionsprozesse, die nun knapp skizziert werden sollen. Mit Blick auf die sozialen Trägergruppen bzw. die soziogenetischen Bedingungen der skizzierten protestantischen Tierethik sind zwei Punkte hervorzuheben: erstens das Vorherrschen der mittleren Soziallagen (Vann 1969a/b; Reay 1980) der sog. „middle classes“,80 und zweitens die Schlüsselbedeutung des Sozialorganisationstypus der Sekte. Als exemplarisch sollen auch hier die Quäker herausgegriffen werden.81 78
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Auch gegenüber wirbellosen Tieren wurden Quäker-Kinder zur Empathie ermahnt; sie sollten keiner Fliege etwas zuleide tun und die Leiden des Regenwurms am Angelhaken nicht unnötig verlängern (Frost 1973: 116). Vgl. auch das analoge Resümee von D. de Levie (1947: 48). G. Fox (1908: 83f.) nennt als Berufe der Quäker einmal in einer losen Aufzählung Krämer, Tuchhändler, Schneider, Schuster oder pauschal Handwerker. Vgl. zum Begriff der „middle class“, der sich freilich erst im ausgehenden 18. Jahrhundert im politischen Diskurs Großbritanniens durchsetzt, um die schwer abgrenzbaren Gruppen zwischen Adel und den „working classes“ zusammenzufassen, eingehend E. Hobsbawm (1988). Die Quäker können – trotz der schon angedeuteten Unterschiede – als ein gemeinsamer „Ableger“ der verschiedenen puritanischen Strömungen angesehen werden, sozusagen als eine Erneuerungsbewegung des englischen Puritanismus (Maclear 1950). Die Lehren vom göttlichen
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Seit den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts verstärkt sich in der Quäkerbewegung, die zunächst Züge eines autonomen Individualismus trägt, der Trend zu einer strikter normierten, eher sektenhaften Organisationsstruktur. Flankiert wird diese sozialstrukturelle Veränderung von Tendenzen, die auf eine gewisse Systematisierung der Glaubensinhalte hindeutet. Beide Tendenzen führen schließlich zu einer inneren Disziplinierung, zu einer weitreichenden Kontrolle und Reglementierung der alltäglichen Lebensführung bis in die privatesten Bereiche hinein. Zentral für diesen Prozess ist die Institutionalisierung der verschiedenen lokalen und überregionalen „Meetings“ (besonders der „Monthly“, „Quarterly“ und „Yearly Meetings“), Einrichtungen, die auch disziplinarische und administrative Aufgaben zu erfüllen hatten.82 Die „Monthly Meetings“ z.B. wurden nicht zuletzt deshalb ins Leben gerufen, damit, „die, welche einen unordentlichen und leichtsinnigen Wandel führten und nicht nach der Wahrheit lebten, ermahnt und zurechtgewiesen würden“ (Fox 1908: 189). Im Interesse der internen Konsensfindung und organisatorischen Konsolidierung (wohl auch wegen der „Imagepflege“ nach außen) wurde der individuelle Rekurs auf das „light within“ zunehmend auf eine Orientierung an verbindlicheren Quäker-Prinzipien verpflichtet. Solche theologischen Leitlinien hatte 1676 Robert Barclay in seiner „Apologie“ (Barclay 1776) exemplarisch dargelegt. Unter anderem dadurch hoffte man, den schwierigen Bedingungen der Restaurationsperiode und den Gefahren weiterer Aufsplitterungs- und Abspaltungstendenzen begegnen zu können. Wie z.B. die Veränderungen im Heiratsverhalten zeigen, ging es dabei oft um Maßnahmen, die neben einer internen Disziplinierung auch eine gewisse soziale Schließung des Quäkermilieus begünstigten (vgl. Lloyd 1979: 48ff.; Fox 1908: 192f.). „The later Quaker problem was to win agreement on objective standards of good and bad, lawful and sinful“, wie Christopher Hill (1991: 253) anmerkt.
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„light within everyman“ wie auch zahlreiche ethische Maximen der alltäglichen Lebensführung können wohl als Ausformung eines radikaleren Puritanismus angesehen werden (O’Malley 1982; Bronner 1978: 16). Nach den Restriktionen des Clarendon Code (1661ff.), die eine Restauration der anglikanischen Staatskirche mit einer weitgehenden Diskriminierung des Nonkonformismus verknüpften, traten in der Quäkerbewegung zusehens „sektenhafte“ Züge hervor, die es zusätzlich nahelegen, das Quäkertum und den älteren puritanischen Dissent typologisch zusammenzufassen (Vann 1969a: 201f.). Schließlich ist ein quantitativer Gesichtspunkt anzuführen, der die relative Bedeutung des Quäkertums für den Nonkonformismus unterstreicht. Wie Daten aus einigen Counties belegen, hatten die Quäker in den Jahrzehnten nach 1660 zunächst offenbar bedeutende Zuwächse zu verzeichnen; in den Counties Buckinghamshire, Norfolk und Norwich haben sich z.B. die Mitgliederzahlen zwischen 1662 und 1720 insgesamt mehr als verfünffacht (Vann 1969a: 93, 162). Siehe dazu näher H. Wellenreuther (1972: 15ff., 26ff.), A. Lloyd (1979: 68f.) und J. Frost (1973: 48ff.).
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Im Verlauf dieses sozialorganisatorischen Verfestigungs- bzw. Konsolidierungsprozesses verstärkten sich die Routinisierung und Veralltäglichung der anfänglichen charismatisch und millenaristisch geprägten „Bewegungsimpulse“ des Quäkertums (Bauman 1983: 137ff.). Es zeigten sich sektenhafte Züge, die bei anderen Gruppen des nonkonformistischen Lagers (z.B. den Baptisten) in ähnlicher Weise schon früher hervorgetreten waren. Im Rückgriff auf die oben dargestellten Sozialstrukturvariablen Rollenmuster und Gruppendruck kann dieser Sektentyp knapp wie folgt umrissen werden: 1) Das Rollenmuster tendiert, wie schon angedeutet, zu einem eher offenen Organisationsmodus; vor allem aber ist es (im Vergleich zur höfischen Gesellschaft) von einer egalitären Binnenorganisation geprägt. Trotz den sich herausbildenden administrativen Strukturen ist die Rollendifferenzierung zwischen den Gemeindemitgliedern nur schwach ausgeprägt. Hier treten Züge hervor, die Max Weber über das Kriterium der „Genossenschaftlichkeit“ oder „Brüderlichkeit“ beschrieben hat (vgl. Weber 1980: 724). Es bedeutet u.a., dass in der Sekte im Unterschied zur Kirche kein der Gleichheit widersprechender Unterschied zwischen Geistlichen und Laien zugelassen wird.83 Mit Blick auf diesen egalitären Zug überrascht es nicht, dass die Quäker Frauen ein Predigtrecht einräumten. Entscheidend ist allein, ob man „vom Geist oder von der Torheit erleuchtet ist.“84 Das Gleichheitsstreben führte außerdem zu Kleiderordnungen, die bis in Einzelheiten hinein regelten, wie „any vain fashion“ zu vermeiden sei. Die Quäker zeigen auch im sozialen Außenbezug eine egalitäre und in gewissem Sinne sogar „antiautoritäre“ Grundhaltung. So verweigerten sie sozial Höherstehenden die übliche Ehrerbietung, da sie es ablehnten den Hut zu ziehen (vgl. Fox 1908: 264; Lloyd 1979: 67). Auch vermieden sie förmliche Anredeformen: Sie duzten alle unterschiedslos mit „thou“, statt das förmlich-di83
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Diese „Undifferenziertheit unter den Mitgliedern der differenzierten Gruppe“ wird auch von G. Simmel (1983: 532) als ein Charakteristikum der Quäker-Gruppen angeführt. Vgl. zu unterschiedlichen Ausprägungen dieser egalitären Grundtendenz im Puritanismus des 17. Jahrhunderts H.-C. Schröder (1986: 86f.). Siehe dazu Voltaire (1992: 11), der in den zwanziger Jahren englische Quäker besucht. Die ersten vier Briefe seiner „Philosophischen Briefe“ schildern die „Society of Friends“ mit viel Sympathie. Vgl. auch B. Reay (1984: 162). Vgl. zu den Unterschieden, die hinsichtlich der Rolle der Frau zwischen Quäkern und Puritanern festzustellen sind, besonders die Studie von B. Levy (1988: 78ff.), die die Periode zwischen 1650 und 1750 herausgreift. Auch im Vergleich zur patriarchalischen Verhäuslichung der Frau im lutheranischen Protestantismus (vgl. Vinken 2007: 107ff.) treten in der damaligen sozialen Stellung der Quäker-Frau im Allgemeinen stärker egalitäre Aspekte hervor. Und es ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend, dass die Frauenpredigt lange ein Kritikpunkt der Quäker-Gegner war, so z.B. bei J. G. Hering (1756: Sp. 50gf.): Sie (die „Quacker“) „verwerfen die Kindertauffe wie auch das Studieren und alle Obrigkeit, erzeigen niemand eine besondere Ehrerbiethung, heissen jedermann du, schwereen nicht, lassen alle, auch die Weiber, in ihren Versammlungen reden.“
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stanziertere „you“ zu verwenden. Ihre Weigerung Eide abzulegen muss – jedenfalls von den sozialen Auswirkungen her – auch in diesem Kontext gesehen werden.85 Schließlich ist der Pazifismus der Quäker zu erwähnen. Generell begünstigte er sicherlich eine innere Distanzierung von Formen der Gewalt, wie sie auch gegenüber Tieren üblich waren. Andererseits neigen bzw. zwingen pazifistische Verhaltensorientierungen zum Ausweichen auf Konfliktlösungsstrategien, die auf Kommunikation, Verhandlungen, „Do-ut-des“-Strategien usw. beruhen und damit indirekt eher die intentionalen Kontrollmodi eines offenen Rollenmusters unterstützen. 2) Die Sozialstrukturdimension des Gruppendrucks wird bei den Quäkern – seit den sechziger Jahren – außerordentlich forciert. Die starke Sozialkohäsion wird zum einen durch eine distinkte Gruppengrenze stabilisiert, die eine gewisse Exklusivität der Mitgliedschaft sicherstellt. Typisch ist eine relativ strikte Abgrenzung zwischen den „Insidern“, d.h. den religiös Qualifizierten, und den Nichtsektenmitgliedern draußen. Max Weber nennt die Sektengemeinschaft einen „Ausleseapparat, der den Qualifizierten vom Nichtqualifizierten scheidet. Den Verkehr mit dem Verworfenen hat der Erwählte oder Qualifizierte – wenigstens bei reiner Ausprägung des Sektentypus – zu meiden“ (Weber 1980: 722). Diese Außenabgrenzung wird durch die Disziplin von äußeren und inneren Kontrollen gestützt, über die Instrumentarien der „Kirchenzucht“, aber auch durch habitualisierte individuelle „horizontal“ ausgerichtete Gewissenskontrollen. Die Kombination von Fremdzwängen und internalisierten Kontrollen macht es möglich, die Person in ihrer alltäglichen Lebensführung als ganzes zu erfassen. Weber stellt in diesem Sinne die charakteristische „Intensität der Sektenerziehung“ heraus: Wo der „tägliche Verkehr“ der sich persönlich Kennenden nicht nur eng und häufig ist, sondern auch die unterschiedlichsten Lebensbereiche betrifft, da ist der Zugriff bzw. Druck der Gemeinde auf den Einzelnen tendenziell allumfassend, da gelingt es eher, der Person bestimmte Qualitäten und Selbstzwänge „anzuzüchten“ (Weber 1980: 723). Die Sekten, die man in dieser Hinsicht zu Recht den „totalen Sozialformen“ zugerechnet hat (Berger 1973: 259), erlauben damit eine vergleichsweise klare Relationierung von spezifischen Ideen zu spezifischen sozialen Trägergruppen. M. Rainer Lepsius zu diesem Punkt: „Das Prinzip der Gemeindereligiosität und die Bildung von Sek85
Nicht zuletzt in diesem Kontext sind die Verfolgungen zu sehen, denen die Quäker ausgesetzt waren. Z.B. schreibt Georg W. Alberti 1750: „Ihre (der Quäker, R.W.) Weigerung, den Eid der Treue nach der gewöhnlichen Eidesformel und den Eid der Oberherrschaft (Supremacy) zu schweren, war alle Zeit eine furchtbare Quelle grosses Leidens. Und Sewel rechnet aus, daß seit der Wiederherstellung König Carl des anderen 12316 Quäker in Gefängnissen gesessen und ihrer Güter beraubet worden, und 320 in Gefängnissen gestorben“ (Alberti 1750: 11f.).
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Kapitel 6
ten als freie Zusammenschlüsse von ethisch gleich qualifizierten Personen ermöglicht eine Zuordnung von spezifischen Ideen auf spezifische Trägergruppen. Es sind die Sektenmitglieder selbst, die sich gegenseitig sozialisieren und sanktionieren, was sowohl die Gleichartigkeit wie die Verbindlichkeit der Verhaltensnorm der Trägergruppen sichert“ (Lepsius 1990: 35). Im sozialstrukturellen Außenaspekt fällt schließlich auf, dass die nonkonformistischen Sekten nicht oder nur recht schwach an jene „längeren Interdependenzketten“ (Elias 1976a/b) angegliedert sind, die etwa in Frankreich zur zivilisatorischen Schrittmacherfunktion des Hofes beitragen. In der revolutionären Periode der vierziger und fünfziger Jahre des 17. Jahrhunderts gibt es selbst auf dem Land, wo Teile der Gentry und die eher „großbäuerlichen“ „yeomen“ das Rückrad der puritanischen Bewegung bilden, kaum nennenswerte wirtschaftliche oder politische Beziehungen zum Hof.86 Nach 1660, in der Zeit der Verfolgung und im Zeichen eines erstarkten Parlaments, kommt es dann zu einer gewissen Veralltäglichung dieser sozusagen „zentrifugalen“ politischen Kultur.87 Bei einigen nonkonformistischen Gruppen kommt es sogar zu einer Art „splendid isolation“, so etwa, wenn sie wirtschaftlich so weit wie möglich „unter sich“ bleiben (Hill 1977: 156). Besondere Bildungseinrichtungen verstärken diesen Trend zu einer relativen Schließung des eigenen soziokulturellen Milieus. All dies vollzieht sich vor dem Hintergrund, dass im nachrevolutionären England (trotz der Gegentendenzen unter Charles II. und bes. unter James II.) eine deutliche Stärkung der Lokalgewalten88 zu beobachten ist, eine Dezentrierung der politischen Macht,89 die gerade auch vom Londoner Parlament nicht in Frage gestellt wird. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass die von Norbert Elias (1976b: 338) für 86 87
88
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Siehe dazu H. Haan/G. Niedhart (1993: 133f.), R. Lachmann (1989: bes. 159f.), M. Braddick (1991). Dieser Trend verläuft weder geradlinig noch ausnahmslos. Bei den Quäkern etwa ist William Penn zu nennen, der 1680 am Hof von Charles II. aktiv wird, um für sein „holy experiment“ Land im späteren Pennsylvanien zu erhalten – als Ausgleich für ältere Forderungen seines Vaters an die Krone (vgl. bereits die Mitteilung von Voltaire 1992: 17). Z.B. hatte die englische Revolution zentrale Instanzen wie die „Star Chamber“ oder (im kirchlichen Bereich) das kirchliche Kontrollorgan der „High Commission“ aufgelöst, Kontrollinstanzen, die auch in der Restaurationszeit nicht restituiert wurden. H.-C. Schröder (1986: 180): „Die gentry konnte in ihren counties ungehinderter schalten und walten als je zuvor.“ Ähnlich argumentiert C. Hill (1977: 111). J. Arditi (1994: bes. 188-190) zufolge liegt dem Zivilisierungsprozess des englischen Adels im 18. Jahrhunderts nicht das „principle of royal centrality“ zugrunde, sondern eine dezentrale „Group“-Struktur mit einer „multiplicity of relations“ und einer „multiplicity of focal points“. Auf die Kritik an den von Elias unterstellten Zusammenhängen zwischen höfischer Gewaltmonopolisierung bzw. Adelsdomestizierung, Pazifizierung und einer fortschreitenden „Über-IchBildung“ kann hier nur hingewiesen werden. Vgl. dazu H.-G. Vester (1995: 27ff.), für die deutschen Verhältnisse (am Bsp. der Hofhaltung des Kölner Kurfürsten) A. Winterling (1986) und die Diskussion bei R. A. Müller (1995: 94ff.).
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Frankreich herausgestellte Monopolisierung der Macht beim Hof, dem zentralen „Knotenpunkt vieler Aktionsketten“, auf Zivilisationsprozesse in der englischen Gesellschaft letztlich nicht anwendbar ist. Die untergeordnete Bedeutung des Hofes lässt sich nicht zuletzt an der im 18. Jahrhundert zu verzeichnenden Diffusion der Tierschutzidee aufzeigen, einer Diffusion, die hier nur sehr knapp, d.h. ohne die Verästelungen der sie begleitenden Sinntransformationen, angedeutet werden kann. Im Gegensatz zu den vierziger Jahren des 19. Jahrhundert, als das Königshaus, namentlich Queen Victoria persönlich, den Tierschutz öffentlich aufzuwerten und zu unterstützen beginnt, werden Tierschutzbestrebungen seit dem frühen 18. Jahrhunderts im wesentlich von protestantischen Nonkonformisten vorangetrieben. Später treten hier auch jene evangelikalen Kreise um William Wilberforce hervor, die sich für die Sklavenbefreiung engagieren (vgl. Turner 1980: 15ff.; Malcolmson 1973: 104ff.). Alles in allem ist die Ausbreitung der Tierschutzidee aber offenbar eng mit dem wachsenden Prestige und öffentlichen Einfluss nonkonformistisch orientierter Teile der „middle classes“ verknüpft.90 Eine relativ große Aufgeschlossenheit für Tierschutzbelange zeigten wohl insgesamt eher die gebildeten, vom urbanen Lebensstil geprägten Sozialmilieus, vor allem dann, wenn eine gewisse Affinität zum „Whiggismus“ vorlag. Dennoch ist hier ein Vorbehalt gegenüber allzu linearen Zurechnungen anzubringen: Die Haltung, die von Zeitgenossen als „tenderness“ und „compassion“ gegenüber der „brute creation“ paraphrasiert wird, weist Rezeptions- und Diffusionsverläufe auf, deren Interdependenzen, Brüche und Vermittlungen im Einzelnen wohl nur schwer zu rekonstruieren sind.91 Insgesamt ist die Ausbreitung theriophiler Orientierungen allerdings sicher eng mit jener weitreichenden mentalitätsgeschichtlichen „Kulturrevolution“ verknüpft, die im England des 18. Jahrhunderts die Semantik einer „culture of sensibility“ (Hattunen 1995) emporträgt92 90
91
92
Zielscheibe der Kritik an tierquälerischen Freizeitvergnügen sind z.B. häufig nicht nur Angehörige der unteren Sozialmilieus, sondern mehr oder weniger explizit auch die Gentry, die für derartige Veranstaltungen oft das Patronat übernahm. Z.B. sind hier auch Personen involviert, die erklärte Anglikaner sind oder politisch eher dem Umkreis der „Tories“ zuzuordnen sind. In tierschützerischem Sinne äußerte sich etwa Samuel Johnson, der Herausgeber des „Rambler“, vgl. zu seiner „fondness“ für Tiere und seiner Abneigung gegen die zeitgenössischen Tierversuche J. Boswell (1971: 197, 516). Die öffentliche Breitenwirkung derartige Stellungnahmen ist freilich nur schwer zu bestimmen. Jedenfalls beziehen sich noch im 19. Jahrhundert Tierschützer wiederholt auf S. Johnson, um ihrem Engagement Nachdruck zu verleihen, so z.B. T. Forster (1839: 53): „Doctor Johnson has written ably against the cruelty practised towards animals in surgical and other experiments.“ Eine wichtige geistesgeschichtliche Einflussgröße, die in diesem Kontext lediglich erwähnt werden soll, sind Wirkungen, die auf die Philosophie des „moral sense“ von A. A. C. Shaftesbury zurückgehen. Vor allem seine einfühlsame, sympathetische Sicht der Natur, seine Vorbehalte gegen eine ungezügelte Naturbeherrschung haben sicherlich indirekt die Rezeption von
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und die nicht nur die bürgerlichen „middle classes“, sondern auch Teile der adeligen „upper“ bzw. „landed classes“ für Tierschutzbelange sensibilisiert. Fragt man nun nach den direkten Einflüssen, durch die der Nonkonformismus Tierschutzbestrebungen gefördert hat, so fällt auf, dass tierschützerisch gesinnte Nonkonformisten in den Gemeinden und Gebieten, wo sie über politischen Einfluss verfügen, entsprechende Belange nicht nur seelsorgerisch oder „volkspädagogisch“, sondern auch durch administrative Maßnahmen unterstützen. So ist es z.B. interessant, dass in Pennsylvanien schon früh, zu einer Zeit, als die Quäker dort noch einen beträchtlichen politischen Einfluss ausüben konnten, mehrere Verordnungen (1682, 1700 und 1705) ergehen, um „riotous sports“ wie den Hahnenkampf zu unterdrücken (vgl. Powell 1993: 372). Später zählen die englischen Quäker zu den Kräften, die die Gesetzesinitiativen unterstützen, die im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts im Londoner Unterhaus eingebracht wurden (vgl. Niven 1967: 51, 66f.). Auf eine indirekte Weise ist es freilich John Wesleys Erneuerungsbewegung des Methodismus, der die tiermoralischen Orientierungen der Quäker und des älteren Dissent aufgreift und gerade in ländlichen Regionen verbreiten hilft. Ähnlich wie die Quäker relativiert Wesley die Mensch-Tier-Differenz. Die kreatürliche Eigenwürde der Tiere wird explizit dadurch herausgestellt, dass er ihnen eine Seele und ein „persönliches“ Fortleben im Jenseits zuspricht (Cartmill 1993: 98, 102f.). Hinsichtlich der Aufgeschlossenheit gegenüber Tierschutzbestrebungen beerbt der Methodismus den älteren Nonkonformismus insofern, als sich beide hier vom Mainstream des anglikanischen Klerus abheben: Letzterer tendiert bis weit ins 18. Jahrhundert hinein dazu, „die Frage des Vegetarismus und des Tierschutzes als ein Auflehnung gegen ihre Lehre“ (Gharpure 1935: 33f.) aufzufassen. Mit Blick auf den regionalen Diffusionsverlauf ist im Großen und Ganzen festzustellen, dass moderne tiermoralische Orientierungen zunächst eher in den tiermoralischen Orientierungen gefördert. Aber es gibt im Werk von Shaftesbury freilich auch Stellen, wo er sich direkt gegen tierquälerische Szenen wendet, zum Beispiel gegen Tierkämpfe, die als „heathenish“ verurteilt werden (Shaftesbury 1714: 256f.). – Darüber hinaus gibt es zahlreiche Hinweise, dass auch im 17. Jahrhundert nicht wenige Gebildete eine tiefe Abscheu insbesondere vor Tierkämpfen artikulierten, und sei es nur, dass sie sich in diesem Sinne ihrem Tagebuch anvertrauten. Zwei Beispiele: Samuel Pepys, in jungen Jahren ein Anhänger der puritanischen Bewegung, besucht am 14.8.1666 in London eine Bärenhatz. Er notiert: „(I) saw some good sport of the bull’s tossing of the dogs“, setzt dann aber hinzu: „but it is a very rude and nasty pleasure“ (Latham/Matthews 1972: 254f.). An der Stelle, an der C. Cotton’s „Complete Gamester“ von 1674 den Hahnenkampf als einen „sport (…) ful of delight and pleasure“ beschreibt, fügt Pepys am Rand hinzu: „and of Barbarity“ (vgl. Latham/Matthews 1974: 427). Ein Zeitgenosse und Mitbegründer der „Royal Society of London for the Improvement of Natural Knowledge”, John Evelyn, besucht im Juni 1670 den Londoner „Bear-Garden” und äußert sich entsetzt über die dort gezeigten Tierkämpfe, – „all these butcherly Sports, or rather barbarous cruelties“ sind in Evelyns Augen eine „rude and dirty passetime“ (Beer 1955: 549).
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Städten als in die ländlichen Regionen Fuß zu fassen scheinen. So geht besonders Keith Thomas davon aus, dass städtische, zu einer idyllisierenden Natursehnsucht neigende Lebensmilieus schon früh eine relativ größere Rezeptionsbereitschaft an den Tag legten: „It was in the sixteenth and seventeenth centuries that pets seemed to have really established themselves as a normal feature of the middle class household, especially in the towns, where animals were less likely to be functional necessities“ (Thomas 1984: 110). Freilich: Da Heimtiere im 18. Jahrhundert auch bei der ländlichen Gentry überaus beliebte Hausgenossen waren, haben primärsoziale Aspekte der Interaktionen93 mit diesen Du-evidenten „Fast-Familienmitgliedern“ sicherlich eine gewisse Subjektivierung der Tierlieblinge begünstigt. Im 18. Jahrhundert wird die Diffusion tiermoralischer Muster in der Gentry wie auch den „middle classes“ außerdem wesentlich von gruppenspezifischen Interessen getragen. Hier kommt es zu einer Interpenetration zwischen partikularistisch-konventionellen tiermoralischen Orientierungen und sekundärsozialen Tiersymbolismen, die Wirkungsmechanismen des Mediums Macht unterstützen. Hintergrund dieses Diffusionsaspektes ist ein soziales Feld, das von den erheblichen Konflikten belastet wird, die die Spätphasen der Einhegungen und die frühe Industrialisierung begleiten. Das Auftreten gegen Tierquälerei wird hier nicht selten zu einem symbolischen Vehikel einer sozialen Disziplinierung unterer Soziallagen. Das betrifft nicht nur London und die eher städtischen Regionen, sondern in besonderer Weise auch die ländlichen Gebiete, in denen sich allmählich weite Teile der Gentry von den „vulgären“ und „cruel animal sports“ distanzieren (vgl. Malcolmson 1973: 122f.). Grob gesagt, wird im „jagdfreudigen“ Gentry-Milieu der Tierschutzgedanke von einem indirekten und partikularistischen Pflichtenkonzept getragen. Tierschutz ist hier zunächst einmal Menschenschutz. Man befürchtet, Grausamkeiten gegen Tiere könnten Anlass oder „Übungsfeld“ für anomisches Verhalten („rioting“) sein und infolgedessen der Disziplinlosigkeit, der Gewaltbereitschaft, Grausamkeit usw. Vorschub leisten.94 Diese dezidiert „volkspädagogische“ Ausrichtung der Tierschutzidee klingt auch in der bekannten Kupferstichfolge „Four Stages of Cruelty“ (1751) von William Hogarth an. Die moralisch belehrende Szenenfolge, die weit über den Londoner Raum hinaus große Verbreitung findet, schildert die abschreckende Verbrecherkarriere eines Tom Nero (!). Tom beginnt 93
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So bemerkt z.B. K. Thomas (1984: 121) zum Einfluss des unmittelbaren und regelmäßigen Umgangs mit Heimtieren: „Observation of pets, coupled with experience of domestic animals, provided support for the view that pets could be rational, sensitive, and responsive.“ Forschungen zum Wandel tierbezogener Haltungen deuten übrigens darauf hin, dass emotional positiv getönte Einstellungsmuster nicht unwesentlich von entsprechenden Kindheitserfahrungen beeinflusst werden (vgl. Serpell/Paul 1994). Siehe zu den sozialen Unruhen und Konflikten dieser Zeit I. Gilmour (1992: 193ff.).
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in frühen Jahren als Tierquäler und endet dann als Erwachsener „folgerichtig“ als ein Raubmörder.95 In diesem Zusammenhang ist es dann auch nicht weiter überraschend, dass zeitgenössische Staatswissenschaftler die Befürchtung äußerten, dass insbesondere Tierquälereien, wie sie in Tierkämpfen gang und gäbe waren, „die Neigung der Nation zur Grausamkeit vermehren“ würden.96 Eine wichtige Rahmenbedingung, die seit dem frühen 18. Jahrhundert den Aufstieg einer „sensitive culture“ gegenüber dem Tier gefördert hat, ist schließlich die Entwicklung der Verbreitungsmedien und der dadurch begünstigten Herausbildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit (Habermas 1983a: 76ff.). In diesem Zusammenhang ist vor allem der hohe Stellenwert des Buchhandels und des Verlagswesens,97 der Clubs und vor allem der Kaffeehäuser hervorzuheben. Die Kaffeehäuser, die ja in wichtigen Zügen dem Typ der autonom-individualistischen Sozialorganisation nahekommen, sind als „kaum reglementierte Umschlagplätze von Meinungen“ (Münch 1992: 328; vgl. auch Back/Polisar 1983) auch für die Theriophilen aller Schattierungen wichtige Diskussions- und Wirkungsplattformen. Hier können im halböffentlichen Kreis auch neue Themen (wie Tierschutzfragen) zur Sprache kommen, Themen, die noch nicht Gegenstände eines „ernsthaften“, parlamentarischen politischen Diskurses sind, die andererseits aber doch schon derart bedeutsam sind, dass sie von zusehends weniger Zeitgenossen als bloß „abseitig“ oder „lachhaft“ abgetan werden. Wichtige Medien und kaum zu überschätzende Katalysatoren dieser Diffusion sind neben belletristischen Werken die literarischen und moralischen Zeitschriften, die in 95
96
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Später bekennt W. Hogarth, diese Drucke hätten „checked the diabolic spirit of barbarity to the brute creation, which, I am sorry to say, was once so prevalent in this country“ (zit. bei D. Jarrett 1992: 153). So schreibt Johann H. G. von Justi (1761: 381; Herv. R.W.) im § 303 seiner „Grundfeste zu der Macht und Glückseeligkeit der Staaten“: „Es gibt eine Art Ergetzlichkeiten, von welchen ich wünschte, dass sie bey keiner vernünftigen und gesitteten Nation statt fänden. Diese sind die Fechterspiele, die Thiergefechte, und dergleichen erschreckliche Schauspiele, wenn Menschen, oder Thiere mit einander streiten, um dadurch denen Zuschauern ein Vergnügen zu machen. Meines Erachtens ist kein Vergnügen barbarischer, als sich an dem Tode, oder Beschädigungen anderer Geschöpfe zu belustigen. Daher sind dergleichen Spiele selten unter einem Volke beliebt, das nicht schon einen Hang zur Grausamkeit hat; und diese Spiele können niemals eine andere Wirkung haben, als die Neigung der Nation zur Grausamkeit zu vermehren. (…) Unter allen Völkern sind ehedem die Römer, und heutiges Tages die Engelländer, desgleichen die Spanier, in Ansehung der Stiergefechte, diesen Spielen am meisten ergeben gewesen. Aber man wird dieselben von einer gewissen Neigung zur Grausamkeit nicht frey sprechen können. Es ist vergeblich, wenn man vorgiebt, dass dadurch ein Volk zu Muth nd Tapferkeit angefeuret werde. In der Unempfindlichkeit gegen das Leiden anderer Geschöpfe bestehet keine Tapferkeit.” Der Londoner Buchhändler und Quäker T. Sowle ist hier ein Beispiel; er publizierte nach dem Tode Tryons (1703) dessen autobiographische Manuskripte unter dem Titel „Some Memoirs of the Life of Mr. Thomas Tryon“.
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Kaffeehäusern und Clubs ausliegen und dort mehr Leser finden als ihre Auflagen vermuten lassen (Holmes/Szechi 1993: 193ff.). In diesen Texten melden sich nicht selten auch Stimmen zu Wort, die tiermoralische Ansichten artikulieren, die einem direkten Pflichtenkonzept und einem postkonventionell getönten tierethischen Universalismus entsprechen.98 Obzwar eine inhaltsanalytische Differenzierung tierschützerischer Statements noch aussteht, können wohl eher jene Periodika als meinungsbildend eingestuft werden, die den „whigs“ nahestehen bzw. deren Politik im allgemeinen doch etwas nachsichtiger kommentieren (wie der „Tatler“ bzw. der „Spectator“ von Richard Steele und Joseph Addison, seit den dreißiger Jahren über weite Strecken auch das „Gentleman’s Magazine“). Dabei geht es nicht nur um Tierquälereien im Zusammenhang mit den „cruel sports“, auch Mißhandlungen von Nutztieren, Tierversuche oder ethische Aspekte der Jagd oder des Vegetarismus werden erörtert. Flankiert wird dieses theriophile Räsonement durch Romane (wie z.B. Laurence Sternes „Tristam Shandy“), Essays und Poeme, die „tenderness“ und „sensibility“ auch gegenüber den „brute creatures“ in ein günstiges Licht rückten.99 Im intergenerationalen Zusammenhang hat wohl nicht zuletzt die Kinderliteratur wesentlich zur Diffusion der Tierschutzidee beigetragen, besonders jene Texte, die die ethischen Ideale der protestantischen „middle classes“ propagieren, nicht selten in ganz dezidierter Abgrenzung „to the attitudes of both the lower and the upper classes“ (Kramnick 1980: 220).100
98
So resümiert A. Scher (1993: 224: Herv. R.W.) mit Blick auf das „Gentleman’s Magazine“ der Jahre 1731 bis 1740: „Some (essayists, R.W.) condemn the cruelty for the sake of the animal, not necessarily for the sake of society or the threat it poses to the social order.“ 99 Vgl. D. Harwood (1928: 207ff., 260ff.). Ein Beispiel ist hier Henry Fiedlings „History of the Adventures of Joseph Andrews“. Fiedling, ein persönlicher Freund von Hogarth, schildert im dritten Buch dieses Romans, wie sein Held und dessen Freundin Fanny einmal in eine Hetzjagd auf einen Hasen geraten. Mit Tränen in den Augen beklagt Fanny diese Vorgänge als „barbarity“ und „extremest torture for diversion“ (Fiedling 1788: 77). 100 Ein Beispiel sind hier Werke von Sarah Trimmer (z.B. Trimmer 1786). Später, 1877, erscheint dann das vielleicht bekannteste Werke einer dezidiert tiermoralisch inspireirten Kinder- und Jugendliteratur: „Black Beauty“ der Quäkerin Anna Sewell.
7 Schlussbemerkung: Humanimalische Sozialität, Moral und gesellschaftlicher Wandel
Was besagen die beiden Fallstudien nun im Lichte der die im fünften Kapitel vorgestellten Annahmen über die Zusammenhänge zwischen Tiermoral, den sozialstrukturellen Bedingungen der Mesoebene und den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien? Wie lassen sich die Resultate in einer vergleichenden Perspektive zusammenfassen? Aufgrund des weithin explorativen Zuschnitts unserer Überlegungen ist der Beantwortung der Vorbehalt vorauszuschicken, dass es sich dabei um Ergebnisse handelt, die durch weitere Forschungen zu überprüfen bzw. näher zu differenzieren sind. 1. Mit Blick auf den Zusammenhang zwischen den sozialen und zeitlichen Voraussetzungen tiermoralischer Orientierungen zeigte sich, dass oftmals gerade Sozialeinheiten des kommunalistischen Typs (wie nonkonformistische Gruppen bzw. Sekten) günstige soziogenetische Bedingungen für eine dauerhafte Internalisierung und Institutionalisierung tiersubjektorientierter und (tendenziell) universalistischer Moralstandards bieten. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass in diesem soziokulturellen Milieu erfolgreich Selbstkontrollmechanismen stabilisiert werden konnten, die in wichtigen Punkten mit denen des „innen-gelenkten“ Sozialcharakters (Riesman 1958) konvergierten. Anders beim hierarchischen Kollektivismus, der am ehesten die sozialen Generalisierungsbedingungen des höfischen Milieus beschreibt. So zeigten vor allem die Jagdpraktiken, dass die höfische Gesellschaft ihre sozialen Grenzen über tierbezogene Verhaltensmuster reproduzierte, die moralisch im Großen und Ganzen einem konventionellen und polarisierenden Partikularismus entsprechen. Im Bereich der höfischen Jagd zeigte sich zudem, dass hier eine zeitliche Generalisierung, eine dauerhafte Internalisierung subjektbezogener Moralstandards1 gegenüber Wildtieren nicht stattgefunden hat. Freilich: Es gab im höfischen Binnenbereich auch lebensweltliche Enklaven, in denen empathisch geprägte Beziehungen zu hochgradig Duevidenten „Tierfreunden“ an der Tagesordnung waren.
1
Auch gegenüber den „repräsentativen“ Tieren, die man im Wesentlichen dem symbolischen Kapitalhaushalt des Fürsten zurechnen muss (z.B. kostbare und exquisite Menagerietiere), sind solche moralischen Orientierungen eher untypisch.
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Kapitel 7
2. Mit Bezug auf die sachliche Generalisierungsdimension schließlich legt ein Vergleich der beiden Milieus folgendes Resümee nahe: Die sachlichen Sinnbezüge tiermoralisch relevanter Situationsdefinitionen lassen sich nicht hinreichend über die soziogenetischen Rahmenbedingungen der jeweiligen sozialorganisatorischen Mesoebene erhellen. Selbst bei Sozialeinheiten mit starkem Gruppendruck (wie den Höfen und den kommunalistisch ausgerichteten nonkonformistischen Gruppen) kann das jeweils flankierende symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium diese Sinnrahmen allenfalls als „wahrscheinlich“ vorseligieren, aber keineswegs aufoktroyieren. Anders gesagt: Die „wahlverwandtschaftlichen“ Affinitäten zwischen Kommunalismus und den Medien Einfluss/Liebe bzw. zwischen dem hierarchischen Kollektivismus und dem Machtmedium „determinieren“ nicht die milieutypischen Muster humanimalischer Sozialität. Sowohl im höfischen Milieu wie bei den nonkonformistischen Gruppen wirken gleichzeitig Selektionsmuster, die auf – sachlich differente – Interpenetrationsbezüge mit dem Medium Wertbindung hindeuten. Im höfischen Milieu haben versachlichende (insbesondere cartesianisch geprägte) Tierkonzepte offenbar vergleichsweise größere Wirkungen entfalten können als in kommunalistischen Sozialkontexten. Interpenetrationskonstellationen, die für die Entstehung und Diffusion moderner Tierschutzbestrebungen „günstig“ gewesen wären, sind – trotz gelegentlicher Ausnahmen (z.B. Schrattenbach) – unter diesen Prämissen in der höfischen Gesellschaft kaum zu erwarten. Anders im kommunalistisch geprägten Nonkonformismus, der im Wertbindungsbezug seine alltägliche Lebensführung an erlösungsreligiösen Mustern ausrichtete. Hier scheinen vor allem die vergleichsweise offenen Rollenmuster dafür verantwortlich zu sein, dass die entsprechenden Interpenetrationsbezüge eine relativ stabile Institutionalisierung einer „brüderlichkeitsethisch“ eingefärbten Tiermoral bewirken konnten. Die Quäker waren in diesem Zusammenhang für die Genese eines im Ansatz postkonventionellen tierethischen Universalismus ein aufschlussreiches Beispiel. Trotzdem darf dieser Befund nicht über Gebühr verallgemeinert werden. So scheint vor allem die weitere Entwicklung der protestantischen Berufsaskese eine lebensweltliche Marginalisierung tierethischer „Mitgeschöpflichkeits“-Motive begünstigt zu haben. In solchen Fällen rückte der biblische „Herrschaftsaspekt“ gegenüber der Tierwelt in den Vordergrund. Die berufsasketische Lebensführung hat mit ihrer starken Orientierung am individuellen ökonomischen Erfolg langfristig wahrscheinlich Verhaltensmuster prämiert, die dem heteronomen Individualismus und den Wirkungsmechanismen des Geldmediums entsprochen haben. Hier gewinnen dann fast zwangsläufig Tendenzen einer kommerzialisierten Versachlichung humanimalischer Sozialverhältnisse an Gewicht. Die heute alltägliche, kapitalistische Tier-Vernutzung mit allen ihren skandalösen
Schlussbemerkung
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„Begleiterscheinungen“ wäre dann auch eine Facette jener gesellschaftlichen Entwicklung, in deren Verlauf „die religiöse Wurzel langsam abstarb und utilitaristischer Diesseitigkeit Platz machte“ (Weber 1973: 375). Bezieht man nun die Resultate des sechsten Kapitels auf Grundannahmen der Zivilisationstheorie, denn fällt das Resümee eher zwiespältig aus. Elias Thesen zu den Korrespondenzen zwischen sozio- und psychogenetischen Aspekten zivilisierten Verhaltens plausibilisieren wichtige Facetten der Entstehung und Stabilisierung der (vor allem) für die Formierungsphase der modernen Gesellschaft charakteristischen Selbstzwänge. Auf der anderen Seite deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass Sozialorganisationen des kommunalistischen Typus für tiermoralisch relevante Zivilisierungsprozesse oftmals günstigere soziokulturelle Voraussetzungen bieten als die höfische Gesellschaft. Auch und gerade Sozialeinheiten, für die – sozialökologisch betrachtet – nur relativ kurze soziale Interdependenzketten relevant sind, können hier eine gesellschaftliche Schrittmacherfunktion übernehmen. Aus dieser Sicht formuliert auch die von Elias herausgestellte Diffusion „zivilisierter“ Verhaltensmuster „von oben nach unten“, ausgehend von den „Spitzenschichten“ (Elias 1976b: bes. 338f.), nur eine von mehreren möglichen Richtungsverläufen. Eigentlich ist dieser Befund nicht sehr überraschend. Von ethnologischer Seite sind einfache Gesellschaften beschrieben worden, die sozialstrukturell vom „Lokalismus“ (Elias 1976b: 354f.) geprägt sind, aber dennoch in manchen Bereichen rigidere oder formalere Standards der „inneren“ Trieb- und Affektkontrolle aufweisen als sozial stärker differenzierte oder hierarchisierte Gesellschaften. Schon Marcel Mauss war der Auffassung, dass das Ausmaß, in dem das Körpergebaren und die emotionalen Reaktionen eher „brutal, unreflektiert, unbewusst oder im Gegenteil distanziert, von einem klaren Bewusstsein diktiert sind“ (Mauss 1978: 219), – dass dieses Ausmaß auch unter „sogenannten primitiven Gesellschaften“ stark variiert. Ein fortschrittlicher oder gar geradliniger geschichtlicher Richtungssinn sei nicht zu unterstellen.2 Damit erscheint schließlich auch das gegenseitige Verhältnis unterschiedlicher Zivilisationsaspekte in einem veränderten Licht: Es ist wohl nicht die Aus2
M. Mauss’ Bedenken gegenüber eurozentrischen oder unilinearen evolutionistischen Konstruktionen beleuchtet exemplarisch eine Bemerkung zum „Fehlen und Gebrauch des Messers“: „Einen großen Irrtum beging MacGee, der beobachtet zu haben glaubte, dass die Seri, die nichts vom Messer hielten, zu den primitivsten Menschen gehörten. Sie haben einfach kein Messer zum Essen, das ist alles!“ (Mauss 1978: 217). Manche der von H. P. Duerr (1988: bes. 165ff., 227ff.) gegen Elias angeführten Befunde lassen sich als partielle Bestätigung dieser Beobachtung lesen. Vgl. auch die Einwände von H. Flap/Y. Kuiper (1981: 297) gegen die These von Elias, dass zivilisiertes Verhalten bei „primitiven Völkern“ nur auf Fremdzwänge verweisen könne. M. Schloßberger (2000) macht im Anschluss an Duerr auf Schwächen der anthropologischen Voraussetzungen von Elias aufmerksam.
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nahme, sondern eher der Regelfall, dass verschiedene Dimensionen der Zivilisierung untereinander Ungleichzeitigkeiten und Inkonsistenzen aufweisen. Die im Hinblick auf die „geschichtliche Verwandlung des Affekthaushalts“ weniger zivilisierte Sinnprovinz der höfischen Jagd kontrastiert dann mit einem vergleichsweise hohen Zivilisationsniveau anderer höfischer Lebensbereiche (z.B. dem der Tischsitten, dem der „gedämpften“ allgemeinen „Angriffslust“ oder dem der Schoßtierhaltung). Die sozialtheoretische Leistungsfähigkeit historisch-soziologischer Forschungen kann sicherlich auch daran gemessen werden, inwiefern ihre Modellbildungen der Mehrdimensionalität solcher auf den ersten Blick „inkonsistent“ erscheinenden Fälle gerecht werden können. Eine weitere Überlegung bezieht sich auf das Wandlungspotential kultureller Orientierungen: Die soziokulturell geprägte Genese tiermoralischer Einstellungs- und Verhaltensmuster zeigt, dass bei Zivilisationsprozessen neben den von Elias allzu einseitig fokussierten soziogenetischen Bedingungen, (Prozessen der Verlängerung und Verdichtung sozialer Interdependenzen, der höfischen Machtmonopolisierung, des Königsmechanismus usw.) gerade genuin kulturelle Faktoren („Ideen“) in maßgeblicher Weise wirksam waren. Die skizzierten Wurzeln des modernen Tierschutzes legen jedenfalls nahe, dass religiösen Orientierungen ein relativ prägendes Eigengewicht zukommen kann, – vermutlich sogar im Sinne von „Weichenstellern“3 für institutionelle Veränderungen. Mit Blick auf die Quäker können z.B. Thesen, die die christliche Schöpfungslehre in einen zwingenden oder gar unilinearen Zusammenhang mit der modernen Ausbeutung der Natur bzw. der Tierwelt bringen,4 den tatsächlichen Zusammenhängen wohl nicht gerecht werden. Die dargestellten Befunde zur Genese des modernen Tierschutzes stützen schließlich einen Vorbehalt, den Alois Hahn (1984: 194ff.) gegenüber Elias’ Zivilisationstheorie formuliert hat. Demnach vernachlässigt Elias Formen einer religiös motivierten, „von innen nach außen“ dringenden Selbstdisziplinierung (bes. die autoreflexive Technik der Beichte). Aus dieser Sicht kann Max Webers Studie über die protestantische Ethik als eine eigenständige Zivilisationstheorie gelesen werden. Der Puritaner Max Webers erscheint dann „mindestens ebenso gefühlsbeherrscht, selbstkontrolliert, diszipliniert und zivilisiert wie der Höfling
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M. Weber (1973: 414). In einem ähnlichen Sinne betont auch F. Tenbruck (1979: 400), dass die „kulturelle Bedingtheit und Bedeutung des sozialen Geschehens“ niemals aus den Augen zu verlieren ist. Vgl. bes. L. White (1967), mit direktem Bezug auf Tiere auch J. Passmore (1974: bes. 184). Vgl. zur Kritik an Whites Position vor allem K. Thomas´ Monographie „Man and the Natural World“, die alles in allem die These stützt, dass „the Judaeo-Christian inheritance was deeply ambivalent“ (Thomas 1984: 24).
Schlussbemerkung
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Elias’, allerdings früher und aus anderen Motiven“ (Hahn 1984: 199).5 Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung stützen außerdem Hahns Auffassung, dass wir „sehr verschiedene Wurzeln“ des Zivilisationsprozesses ins Auge fassen und dabei auch die Rolle der „religiösen Motive und religiösen Überwachungsinstitutionen“ (Hahn 1984: 201) bedenken sollten. Seit dem 17. und 18. Jahrhundert hat der Ausdifferenzierungsprozess gesellschaftlicher Teilsysteme freilich (auch) die Mensch-Tier-Sozialverhältnisse gravierend verändert. Vergleicht man die humanimalischen Sozialitätsformen im Hinblick auf diese verschiedenen Funktionskontexte und ihre Medien (Geld, Liebe, Wahrheit, Macht usw.), dann kommt man nicht umhin, hier von einem langfristigen Trend zu einer Entkoppelung oder Dissoziation6 der entsprechenden Sozialitätsformen zu sprechen. Man kann diesen Prozess einer Ausdifferenzierung humanimalischer Sozialitätstypen auch als einen Prozess widersprüchlicher Vereindeutigung interpretieren. Als eine Vereindeutigung freilich, die im Lichte lebensweltlicher Moralstandards oft irritierend, „paradox“ oder auch „pervers“ erscheint. Auf der einen Seite z.B. werden Heimtiere oft hochgradig personalisiert wahrgenommen und verwöhnt, – auf der anderen Seite: Das Leiden der Versuchstiere, oder das Leiden der Nutztiere, die seit der „Industrialisierung des Schlachtens“ (Patterson 2004) in gigantischer Zahl ihr Leben lassen mussten, in Schlachthöfen, wie sie Upton Sinclair in „The Jungle“ schildert und die wie „Opferungsmaschinen ohne jegliches Opferritual“ (Macho 2002: 66) funktionieren. Freilich, es gibt Sozialtechniken, die die Grenzziehungen zwischen den ausdifferenzierten Tiertypisierungen stabilisieren und dadurch die irritierenden Wirkungen dieser Dissoziation reduzieren. Sie bewirken, dass Paradoxieerlebnisse und moralische Skrupel überwunden werden oder erst gar nicht aufkommen. Man kann diese Sozialtechniken auch als Abschottungstechniken verstehen, durch die soziale Systeme vor allzu irritierenden, dysfunktionalen Interpenetrationen mit psychischen Systemen „geschützt“ werden. Im Einzelnen kann man diese Techniken dann danach unterscheiden, ob sie die soziale, die zeitliche und/oder die sachliche Dimension dieser Abschottung bedienen. Im Anschluss an Zygmunt Baumann und Norbert Elias sind hier vor allem die Techniken der Adiaphorisierung (Kombination von Sozial- und Zeitdimensi5
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Nicht zuletzt von historischer Seite wird eine gewisse „Eindimensionalität“ von Elias’ Konzeption angemerkt, seine Tendenz, die zivilisatorischen Potentiale anderer Sozialeinheiten und Trägergruppen, wie z.B. der Klöster, Kirchen, der Sekten, des Verlags- und Fabrikwesens, aus dem Blick zu verlieren (vgl. R. van Dülmen 1993: bes. 370). P. Münch (1992: 299) betont z.B., der Zivilisierungsverlauf weise „mehrere Ebenen“ und „abweichende Zeitmaße“ auf; so habe Affektkontrolle in Korporationen mit „intensiver Kommunikation“ (z.B. in Zünften) schon „seit längerem eine wichtige Rolle“ gespielt. Vgl. dazu auch H. Meyer (1975: bes. 154).
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onbezug) und des „Unsichtbarwerdens des Peinlichen“ (Sachdimensionbezug) zu erwähnen. Adiaphorisierung meint einen Prozess, durch den soziale Organisationen eine Neutralisierung der moralischen Wertbindungen ihrer Mitglieder erzielen. Adiaphorisierung wird durch soziale Hierarchisierung und arbeitsteilige Aufgabenzerlegung ermöglicht. Dadurch entstehen schwer überschaubare Handlungsketten, die das Handeln des Einzelnen subjektiv fragmentieren. Die leitenden Zwecke und entfernteren Konsequenzen des Handlungszusammenhangs geraten aus dem Blick. D.h. sie können auch deswegen leichter ignoriert werden, weil der zeitliche Zusammenhang von Handlungsvoraussetzungen, Handlungen und Handlungsfolgen stark erweitert, zeitlich gestreckt wird. Auf die moralische Verantwortung des Einzelnen wirkt sich diese Kette von Vermittlungen entlastend aus. Er sieht sich als „Rädchen im großen Räderwerk“ und gewinnt so den Eindruck einer vielfachen sozialen Aufsplitterung der Verantwortung. Da „eigentlich“ jeder Beteiligte mitverantwortlich ist, kann man auch sagen, dass niemand mehr verantwortlich erscheint: „Der Einzelne trägt keine Verantwortung, um kausales Gewicht zu haben, ist der individuelle Beitrag zu klein oder zu partiell“ (Bauman 1992: 242). Auf die zweite Sozialtechnik macht Elias im Zusammenhang mit demWandel höfischer Tischsitten aufmerksam: Das „Unsichtbarwerden“ des Peinlichen“. Um die „Erinnerung daran, dass das Fleischgericht etwas mit einem getöteten Tier zu tun hat“, auszulöschen, wurden Zubereitung und Zerlegung des Tieres allmählich immer mehr „verdeckt“, versteckt, d.h. „hinter die Kulissen“ des höfischen Lebens (Elias 1976: 162f.) verbannt. Im Vordergrund steht hier eine Transformation in der Sachdimension. Heute sind es z.B. Labors und Schlachthäuser, die ohne diese Technik kaum vorstellbar sind. Ein anderes Beispiel sind die Fleischauslagen und Kühltruhen der Supermärkte. „Tierbezüge“ sind hier extrem anonymisiert, depersonalisiert. Ein einstmals individuelles Tier ist zu einem gesichtlosen Stück Fleisch geworden. Obgleich diese Sozialtechniken in der Sache seit geraumer Zeit beschrieben7 bzw. verwendet werden, so kommt ihnen in der funktional differenzierten Gegenwartsgesellschaft doch ein besonderes Gewicht zu. Dennoch sollte ihr Wirkungsgrad nicht überschätzt werden. In diesem Kontext ist nicht zuletzt die Tierrechtsbewegung der letzten Jahrzehnte zu verorten. In dieser Bewegung artikuliert sich eine „Protestmoral“, die die affektiven Potentiale psychischer Systeme in Form von „moralischen Gefühlen“ (Krohn 1999: 331) mobilisieren kann. Es ist kennzeichnend für diese Protestmoral, dass sie die institutionalisierten Bereichsethiken der gesellschaftlichen Teilsysteme (z.B. Wissenschaft, Wirt7
So z.B. in der „Utopia“ von T. Morus (1999), siehe zum Mensch-Tier-Verhältnis bei Morus auch R. Wiedenmann (2002).
Schlussbemerkung
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schaft) mit einer „vorgelagerten“, einer material-substanziellen („natürlichen“, unveräußerlichen“ usw.) Moral8 konfrontiert, um so Änderungen institutioneller Wertmuster zu bewirken. In welchem Umfang die Tierrechtsbewegung künftig diesbezügliche Veränderungen humanimalischer Sozialverhältnisse bewirken kann, bleibt abzuwarten. Unstrittig ist aber wohl, dass solche Proteste geeignet sein können, das gesellschaftliche „Immunsystem“ (Luhmann 1984: 548) für Fehlentwicklungen zu sensibilisieren. Wie es scheint, werden menschliche Selbstdefinitionen bis auf Weiteres auf den „Spiegel“ der Tiere angewiesen bleiben, – unabhängig davon, ob diese Selbstdefinitionen von einer institutionell spezifizierten oder von einer vorgelagerten, materialen Ethik in Dienst genommen werden. Dabei wird aber häufig etwas übersehen, auf das Luhmann einmal en passant hinweist. Es wird nicht daran gedacht, dass ein „Spiegel eine (in der Tradition allerdings selten explizit hervorgehobene) Eigenschaft (hat): Er führt dazu, dass man im Spiegel sich selbst und anderes, sich selbst im Kontext sieht“ (Luhmann 1992: 97; Herv. v. L.). Dieser Gedanke impliziert, dass uns der Blick auf die Tiere etwas über die Kontexte unserer Existenz verraten kann. Und doch kann dieser Blick vielleicht mehr leisten als reflexive Selbstkontextualisierung. Denn wer ein Tier anblickt, riskiert den Blick zurück, einen Blickwechsel. Claude Lévi-Strauss (1979a: 413) erinnert am Schluss seiner „Traurigen Tropen“ an die Möglichkeit und das Glück solcher Augenblicke: Ein „Blick – schwer von Geduld, Heiterkeit und gegenseitigem Verzeihen –, den ein unwillkürliches Einverständnis zuweilen auszutauschen gestattet mit einer Katze.“
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Siehe dazu die Darstellung bei W. Krohn (1999: 330), der hier am Beispiel der Tierrechtsbewegung die moralische Gegenposition eines „substanziellen Pathozentrismus“ anführt.
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