Stefanie Eifler Kriminalität im Alltag
Stefanie Eifler
Kriminalität im Alltag Eine handlungstheoretische Analyse von...
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Stefanie Eifler Kriminalität im Alltag
Stefanie Eifler
Kriminalität im Alltag Eine handlungstheoretische Analyse von Gelegenheiten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15071-0
Danksagung Die vorliegende Studie ist im Rahmen einer mehrjährigen Forschungsarbeit entstanden, die mit Mitteln der Fritz Thyssen Stiftung gefördert wurde. Während meiner Arbeit an diesem Projekt habe ich viele hilfreiche Anregungen und Kommentare aus dem Kreis meiner Kollegen und Freunde erhalten. Allen, die sich in diesem Zusammenhang angesprochen wissen, sei an dieser Stelle sehr herzlich für ihre Unterstützung gedankt. Bielefeld, im Juli 2008
Stefanie Eifler
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
9
1.1 Gelegenheiten, die Diebe machen
10
1.2 Das Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärungen
14
1.3 Gliederung der Studie
20
2. Kriminalität im Alltag
21
2.1 Gelegenheiten zu kriminellem Handeln
24
2.1.1
Situationsbezogene Analyse kriminellen Handelns
24
2.1.2
Kriminelles Handeln als rationale Wahl
29
2.1.3
Schlussfolgerungen
35
2.2 Soziale Situation und kriminelles Handeln
36
2.2.1
Soziale Einstellungen zu kriminellem Handeln
36
2.2.2
Sozialer Status, soziale Beziehungen und Handlungskontrolle
40
2.2.3
Schlussfolgerungen
48
2.3 Kriminelles Handeln im Alltag als rationale Wahl?
49
2.3.1
Das Modell der Frame-Selektion und kriminelles Handeln
50
2.3.2
Schlussfolgerungen
53
2.4 Forschungsfragen und Variablenmodell der Untersuchung
55
2.5 Hypothesen
64
2.5.1
Soziale Situation und kriminelles Handeln
64
2.5.2
Kriminelles Handeln als rationale Wahl?
65
2.5.3
Soziale Situation, rationale Wahl und kriminelles Handeln
66
8
Inhaltsverzeichnis
3. Empirische Untersuchung
71
3.1 Methoden
71
3.1.1
Datenerhebung
73
3.1.2
Stichprobe
73
3.1.3
Operationalisierung
80
3.1.4
Datenanalyse
109
3.2 Ergebnisse
111
3.2.1
Soziale Situation und kriminelles Handeln
112
3.2.2
Rationale Wahl und kriminelles Handeln
126
3.2.3
Soziale Situation, rationale Wahl und kriminelles Handeln
132
3.3 Diskussion der Ergebnisse
192
3.3.1
Hauptergebnis der empirischen Untersuchung
195
3.3.2
Relevanz der Ergebnisse - Kriminalität im Alltag
196
4. Kritische Würdigung und Perspektiven
197
5. Literatur
201
Anhang
217
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
221
1. Einleitung »Opportunity Makes a Thief« (Francis Bacon)
»Gelegenheit macht Diebe« – So lautet ein Ausspruch, mit dem Francis Bacon in einem ›Letter of Advice‹ an den damaligen Earl of Essex bereits im Jahre 1598 eine allgemeine Lebenserfahrung in kurzer und prägnanter Form bündelte1. Wie sehr diese Formulierung die Routinen unseres Alltags geprägt hat, zeigt auch die Beobachtung, dass sie Bestandteil der von Karl Simrock erstmals 1846 herausgegebenen Sammlung von Redewendungen und Sprichwörtern ist (Simrock 1995/1846). Mit entsprechender Leichtigkeit lassen sich Anwendungen dieses Prinzips finden: Erlebnisse, bei denen eigene Habseligkeiten abhanden gekommen sind, weil man sie für einen Moment aus den Augen gelassen hat, sind den meisten Lesern sicherlich geläufig. Ebenso wird man eingestehen müssen, dass man selbst schon das ein oder andere Mal versucht war, fremdes Eigentum in einem unbeobachtet geglaubten Moment in den eigenen Besitz zu bringen. Jeder kann als Akteur in Situationen geraten, in denen er sich hin- und hergerissen fühlt zwischen der Möglichkeit, sich ungerechtfertigt Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen und der Möglichkeit, sich fair und ehrlich zu verhalten; etwa, wenn man Ware über den Versandhandel bezogen hat ohne eine Rechnung zu erhalten. Ganz allgemein sind solche Situationen gemeint, wenn wir von ›Gelegenheiten, die Diebe machen‹ sprechen. In der vorliegenden Studie werden diese Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung untersucht, wobei die Frage im Mittelpunkt steht, warum Akteure sich Vorteile auf Kosten anderer verschaffen, wenn sich ihnen die Möglichkeit dazu bietet. Aus soziologischer Perspektive gibt es verschiedene Antworten auf diese Frage: Eine Antwort beruht auf der Überlegung, dass Akteure angesichts einer Gelegenheit auf eingelebte Gewohnheiten zurückgreifen und dementsprechend handeln. Eine zweite Antwort geht von der Idee aus, dass Akteure sich angesichts einer Gelegenheit aufgrund vernünftiger Überlegungen Vorteile auf Kosten
1
Bacon, F. (1989): The Works of Francis Bacon. Collected and edited by James Spedding. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von Spedding, Ellis und Heath, London 1857-1874. Volume 9: The Letters and the Life of Francis Bacon (S. 99). Stuttgart: frommann-holzboog.
10
1. Einleitung
anderer verschaffen. Im Folgenden werden diese Antworten weiter ausgearbeitet und auf Gelegenheiten angewandt, die das Mitnehmen oder Behalten von Sachen ermöglichen, die Akteuren nicht gehören oder nicht zustehen.
1.1 Gelegenheiten, die Diebe machen In der ›Wirklichkeit unserer Alltagswelt‹ (Berger/Luckmann 1989/1969) spielen ›Gelegenheiten, die Diebe machen‹, vor der Kulisse unseres Wissens über die Spielregeln, nach denen sich das soziale Miteinander vollzieht. Dieses Wissen wird über Sozialisationsprozesse erworben und bezieht sich auf ›Konventionen‹, in deren Rahmen neben einer sozialen Bewertung von Aktivitäten verbindliche Anforderungen an das Handeln gestellt werden2. Über soziale Normen werden bestimmte Formen des Handelns als ›abweichend‹ definiert3: So gilt es als unfair, unehrlich oder ungerecht, sich Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen, und Verstöße gegen diese Normen können Konsequenzen in Form von sozialer Missbilligung nach sich ziehen. Konventionen stehen im Kontext des Rechts, das ebenfalls eine soziale Bewertung des Handelns beinhaltet und Anforderungen an das Handeln in bestimmten Situationen formuliert. Entsprechend umfassen Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches mit der Idee des Eigentums nicht nur die Unterscheidung zwischen eigenen und fremden Sachen, vielmehr setzt das Sachenrecht auch Regeln, nach denen fremde Sachen durch Kauf, Tausch oder Schenkung zu eigenen Sachen werden, und nach denen mit fremden Sachen zu verfahren ist, wenn sie in den eigenen Besitz gelangen4. Um das Eigentum an Dingen, die uns interessieren, zu erwerben, dürfen wir diese Dinge nicht stehlen oder unterschlagen, sondern müssen sie ausleihen, kaufen, tauschen oder uns schenken lassen. In der Absicht, das Eigentum als Rechtsgut unter einen besonderen Schutz zu stellen und gravierende Verstöße gegen die Eigentums-
2
Der Begriff der ›Konvention‹ wird im vorliegenden Zusammenhang im Anschluss an die Rechtssoziologie Max Webers (1990/1922) gebraucht. 3 Der Begriff des ›abweichenden Verhaltens‹ bezieht sich nach Cohen (1959) auf Aktivitäten, die mit allgemein geteilten Erwartungen konfligieren: »We define deviant behavior as behavior which violates institutionalized expectations - that is expectations which are shared and recognized as legitimate within a social system« (Cohen 1959: 462). 4 Köhler, H. (2007): BGB, allgemeiner Teil: ein Studienbuch (31., völlig neu bearb. Aufl.). München: Beck. Palandt, O. (2008): Bürgerliches Gesetzbuch: mit Einführungsgesetz (67., neu bearb. Aufl.). München: Beck.
1.1 Gelegenheiten, die Diebe machen
11
ordnung zu verhindern, bestehen ergänzend die Normen des Strafrechts5. Aktivitäten, die als ›sozialschädlich‹ bewertet werden, weil sie den Bestand sozialer Interaktion gefährden (Amelung 1972), werden im Rahmen von strafrechtlichen Normen als ›kriminell‹ eingeordnet und mit negativen Sanktionen in Form von Strafe belegt. Das Strafrecht beruht auf der Idee der ›Abschreckung‹, die im Rahmen der klassischen Schule der Kriminologie entstanden ist. Im Mittelpunkt der klassischen Schule der Kriminologie standen Fragen der gesellschaftlichen Reaktion auf kriminelles Handeln. Dabei wurden in der Tradition der Aufklärung vernunftbasierte Prinzipien der Sanktionierung kriminellen Handelns entwickelt (Beccaria 1988/1766, Bentham 1970/1789). Den ideengeschichtlichen Hintergrund dafür bildeten die schottische Moralphilosophie und die utilitaristische Sozialtheorie (Vanberg 1975): Hobbes’ Denkfigur des Gesellschaftsvertrages folgend sollten nur solche Aktivitäten als ›kriminell‹ bezeichnet und mit Sanktionen belegt werden, die gegen die Übereinkunft des Gesellschaftsvertrages verstoßen und den Bestand sozialer Ordnung gefährden. Ein wichtiges Prinzip der gesellschaftlichen Reaktion auf kriminelles Handeln bestand darin, die Bestrafung unabhängig von der Person des Rechtsbrechers zuzumessen und ihre Höhe der Schwere der Straftat anzupassen. Die Prinzipien der Sanktionierung kriminellen Handelns beruhen auf Überlegungen, die nicht die Person des Straftäters, sondern vielmehr die Merkmale kriminellen Handelns betreffen: In seiner zunächst anonym veröffentlichten Schrift »Über Verbrechen und Strafen« hat Beccaria (1988/1766) das aufklärerische Konzept des Individuums aufgegriffen und in eine utilitaristische Handlungstheorie eingebettet. Danach ist menschliches Handeln generell von der Tendenz bestimmt, Annehmlichkeiten (pleasure) zu erzielen und Unannehmlichkeiten (pain) zu vermeiden. Individuen verfügen über einen freien Willen und können diejenigen Aktivitäten wählen, die mit mehr angenehmen als unangenehmen Konsequenzen verbunden sind. Beccaria formulierte in diesem Zusammenhang die These, dass kriminelles Handeln im Vergleich zu konformem Handeln attraktiver ist, weil es mit vergleichsweise positiveren Konsequenzen einhergeht: Ein Betrug ermöglicht es im Vergleich zu einem Tausch, eine bestimmte Sache kostengünstig in den eigenen Besitz zu bringen. Um kriminelles Handeln zu verhindern, müssen den angenehmen Konsequenzen also unangenehme Folgen wie Strafe entgegengesetzt werden, die so intensiv sind, dass sie die angenehmen Konse5
Wessels, J./Beulke, W. (2004): Strafrecht. Allgemeiner Teil: Die Straftat und ihr Aufbau (37., neu bearb. Aufl.). Heidelberg: C. F. Müller. Tröndle, H./Fischer, T./Schwartz, O. (2008): Strafgesetzbuch und Nebengesetze (55. Aufl.). München: Beck.
12
1. Einleitung
quenzen, die aus kriminellem Handeln resultieren, gerade eben überwiegen. Nach Beccaria wird kriminelles Handeln umso eher unterlassen, je schwerer, sicherer und schneller negative Sanktionen in Form von Strafe folgen (Beccaria 1988/1766). Das Prinzip der ›Abschreckung‹ wird salient, wenn Akteure einen Ausschnitt ihrer alltäglichen Erfahrung als Gelegenheit erleben. Angesichts der Möglichkeit, sich durch kriminelles Handeln eigene Vorteile zu verschaffen, geraten sie in einen Interessenkonflikt6: Die Verfolgung eigener Interessen mag als attraktiv erscheinen, geschieht jedoch in dem Wissen, dass das Mitnehmen oder Behalten fremder Sachen gegen Regeln verstößt und möglicherweise zu sozialer Missbilligung führt oder mit einer Bestrafung verbunden ist. Sowohl im Alltagsverständnis als auch in kriminalsoziologischen Studien werden Gelegenheiten zu kriminellem Handeln im Hinblick auf das Risiko des Eintretens von negativen Konsequenzen als mehr oder weniger ›günstig‹ klassifiziert (vgl. Seipel/Eifler 2003). Gelegenheiten, in denen das Risiko einer Entdeckung sehr hoch ist, werden dabei als vergleichsweise ungünstig angesehen, während Gelegenheiten, in denen kaum Sanktionsrisiken bestehen, als vergleichsweise günstig gelten. Die Anreize für kriminelles Handeln werden angesichts einer ›ungünstigen Gelegenheit‹ in starkem Maße durch Sanktionsrisiken überschattet, weshalb Akteure einen starken Interessenkonflikt erleben. Dagegen bestehen angesichts einer ›günstigen Gelegenheit‹ kaum Hinderungsgründe, sich Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen. Im Alltagsverständnis wird kriminelles Handeln angesichts einer ›günstigen Gelegenheit‹ nicht nur erwartbar, vielmehr erscheint ein Verzicht auf eine materielle Bereicherung bei kaum vorhandenen Sanktionsrisiken manchen gar als unverständlich und die Bereicherung auf Kosten anderer als durchaus salonfähig: Der Verweis auf die ›günstige Gelegenheit‹ wird häufig als ›Entschuldigung‹ dafür angeführt und akzeptiert, dass Akteure manchmal nicht umhin können, Dinge zu nehmen oder zu behalten, die ihnen nicht gehören oder nicht zustehen7.
6
Die begriffliche Unterscheidung zwischen ›abweichendem‹ und ›kriminellem Handeln‹ wird im Folgenden aufgegeben; aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung wird verallgemeinernd von ›kriminellem Handeln‹ gesprochen. 7 Der Begriff der ›Entschuldigung‹ wird im Anschluss an Schönbach (1980) und Schlenker und Darby (1981) verwendet, die in ihrer Typologie von Rechenschaftsepisoden damit eine Strategie bezeichnen, bei der die Normwidrigkeit eines Handelns zwar eingestanden wird, die Übernahme der Verantwortung für dieses Handeln jedoch unter Verweis auf situative Umstände abgelehnt wird.
1.1 Gelegenheiten, die Diebe machen
13
Eine Reihe von Studien hat sich in diesem Zusammenhang mit normativen Aspekten der Alltagskriminalität beschäftigt. Ausgehend von der Beobachtung, dass Bürger und Bürgerinnen sich nicht nur zahlreich und regelmäßig auf Kosten des Sozialstaats bereichern, indem sie einer Schwarzarbeit nachgehen, Steuern hinterziehen oder durch falsche Angaben Leistungen erschleichen, sondern diese Aktivitäten auch für legitim halten (Lamnek et al. 2000), werden Veränderungen in der Akzeptanz von rechtlichen Normen konstatiert: Akteure orientieren sich infolge sozialer Prozesse, die mit den Begriffen der Individualisierung und Pluralisierung beschrieben werden, nicht mehr fraglos an institutionalisierten Normen, sondern stellen auch strafrechtliche Vorgaben zur Disposition und befinden über deren Befolgung im Eigeninteresse (Blinkert 1988, Lucke 2004, Lucke/Hasse 1998, Nunner-Winkler 1988). Blumberg (1989) hat die amerikanische Gegenwartsgesellschaft als eine ›Beutegesellschaft‹ beschrieben: Die im Rahmen von Märkten stattfindenden Tauschgeschäfte werden danach zunehmend als Möglichkeiten betrachtet, andere ohne Rücksicht auf soziale und/oder rechtliche Normen zu übervorteilen. Eine deutsch-britische Studie deutet an, dass das Prinzip des ›Beutemachens‹ vor allem in gesellschaftlichen Mittelschichten verbreitet ist (Karstedt/Farrall 2006). In Bezug auf den Bereich der Eigentumsnormen hat allerdings bereits Fetchenhauer (1998) gezeigt, dass es in erster Linie an verlässlichen Daten mangelt, mittels derer die normativen Aspekte der Alltagskriminalität einer empirischen Analyse unterzogen werden könnten. Darüber hinaus argumentiert er, dass die Zunahme krimineller Aktivitäten, die in der Polizeilichen Kriminalstatistik für Ladendiebstähle und Beförderungserschleichungen dokumentiert wird, einer Studie von Brusten und Hoppe (1986) zufolge nicht unbedingt auf veränderte Bindungen an soziale und/oder rechtliche Normen zurückgeführt werden muss, sondern alternativ auch durch die Veränderung von Gelegenheiten bzw. Gelegenheitsstrukturen im Zuge der Einführung von Selbstbedienungssystemen erklärt werden kann (vgl. Fetchenhauer 1998). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen bezieht sich die vorliegende Studie nicht auf die Analyse eines sozialen Wandels der Normorientierungen von Akteuren. Von Interesse sind vielmehr die sozialen Bedingungen, die dazu führen, dass Akteure angesichts einer Gelegenheit Sachen, die ihnen nicht gehören oder nicht zustehen, nehmen oder behalten. Klärungsbedürftig ist dabei zum einen, warum Akteure kriminell handeln, obwohl ihnen mehr oder weniger erhebliche Nachteile drohen, und zum anderen, warum Akteure von kriminellem Handeln absehen, obwohl sie kaum mit Nachteilen zu rechnen haben.
14
1. Einleitung
1.2 Das Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärungen In bisherigen Untersuchungen des kriminellen Handelns angesichts von Gelegenheiten wurde vor allem eine theoretische Perspektive präferiert: Diese besteht in der allgemeinen Annahme, dass Akteure angesichts einer Gelegenheit die möglichen Vor- und Nachteile kriminellen Handelns gegeneinander abwägen und auf dieser Grundlage eine vernünftige Entscheidung für oder gegen kriminelles Handeln treffen. Diese Antwort knüpft also unmittelbar an das Konzept der Abschreckung an. Sie steht im Kontext einer Forschungsrichtung, die in den 1970er Jahren die Ideen der klassischen Kriminologie aufgegriffen und wieder prominent gemacht hat. Im Rahmen dieser Forschungsrichtung werden Beziehungen zwischen staatlichem Strafen und dem Kriminalitätsaufkommen analysiert (Gibbs 1968, 1975; Tittle 1980). Einflüsse der Androhung negativer Sanktionen auf das Kriminalitätsaufkommen wurden untersucht, indem anhand offizieller Kriminalstatistiken Länder vergleichende Analysen der Kriminalitätsraten in Abhängigkeit vom Strafmaß vorgenommen wurden (general deterrence) oder indem das Kriminalitätsaufkommen im Anschluss an eine erfolgte negative Sanktionierung bestimmt wurde (specific deterrence). In diesem Zusammenhang wurde es als ein Beleg für die Abschreckungsidee aufgefasst, wenn negative Beziehungen zwischen dem Strafmaß oder zwischen erfolgter negativer Sanktionierung auftraten, auch wenn damit kein Nachweis erbracht wurde, dass die Androhung negativer Sanktionen zu einer Unterlassung kriminellen Handelns führt (Gibbs 1975, Tittle/Rowe 1974, Vanberg 1982). Die Abschreckungstheorie wurde außerdem angewandt, um Beziehungen zwischen der von Akteuren eingeschätzten Sicherheit, Schwere und Schnelligkeit des Eintretens negativer Sanktionen und kriminellem Handeln zu analysieren (Piliavin et al. 1986). Im Rahmen solcher mikrosoziologischen Analysen wurden die Beteiligung an kriminellen Aktivitäten über festgelegte Zeiträume hinweg und die Wahrscheinlichkeit der Entscheidung für eine kriminelle Handlungsoption angesichts einer Gelegenheit analysiert. Insbesondere letztere Perspektive wurde häufig gewählt, um die Bedingungen für kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten zu untersuchen. Die empirische Analyse dieser Perspektive führte allerdings zu sehr unterschiedlichen Befunden. So zeigte sich, dass Akteure weniger aufgrund der möglichen Strafe, sondern vor allem aufgrund anderer negativer Sanktionen wie sozialer Missbilligung oder einem schlechten Gewissen von kriminellem Handeln absehen (Grasmick/Green 1980). Andere Studien haben zu dem Ergebnis geführt,
1.2 Das Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärungen
15
dass kriminelles Handeln auch auf die damit verbundenen Vorteile zurückgeführt werden kann, die angesichts einer Gelegenheit in Form von materieller Bereicherung oder sozialer Anerkennung erwartet werden (Nagin/Paternoster 1993). Während diese Befunde grundsätzlich für die Idee sprechen, dass kriminelles Handeln angesichts einer Gelegenheit als das Resultat einer vernünftigen Entscheidung aufgefasst werden kann, sprechen andere Befunde eher für eine andere Idee: So zeigte sich, dass kriminelles Handeln in vielen Fällen weniger auf die erwartete Sicherheit und Schwere einer Strafe zurückgeführt werden kann als vielmehr auf die Orientierung der Akteure an rechtlichen Normen. Eine Reihe von Studien führte außerdem zu dem Ergebnis, dass die erwartete Sicherheit und Schwere einer Strafe nur dann kriminelles Handeln verhindert, wenn die Bindungen von Akteuren an rechtliche Normen dies nicht zu leisten vermögen (Burkett/Ward 1993, Grasmick/Green 1980). Diese Befunde sprechen eher für die Idee, dass Akteure angesichts vieler Gelegenheiten unhinterfragt rechtliche Normen befolgen und von kriminellen Aktivitäten absehen, nicht weil sie negative Sanktionen fürchten, sondern weil sie davon überzeugt sind, sich richtig zu verhalten. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen wurde von manchen Autoren gefragt, wie es zu erklären sei, dass die meisten Gelegenheiten zu kriminellem Handeln nicht genutzt werden (Brantingham/Brantingham 1993), und dass selbst angesichts der besten Gelegenheiten die meisten Akteure konform handeln (Karstedt/Greve 1996). Insbesondere erscheint es als unvernünftig und mit dem Prinzip der Abschreckung unvereinbar, wenn Akteure angesichts von ›günstigen Gelegenheiten‹ auf eigene Vorteile verzichten und in weitgehender Abwesenheit von Sanktionsrisiken rechtliche Normen befolgen. Im Anschluss an diese Überlegungen wurde die These vertreten, dass das Prinzip der Abschreckung einerseits und das Prinzip der Befolgung von sozialen und/oder rechtlichen Normen andererseits in Abhängigkeit von Merkmalen der Gelegenheit relevant werden (Fetchenhauer 1999, Seipel/Eifler 2003). Ausgehend von der HighCost-/Low-Cost-These (Kühnel/Bamberg 1998; Diekmann/Preisendörfer 1992, 1998; Preisendörfer 1999; Zintl 1989) wurden Gelegenheiten als mehr oder weniger ›günstig‹ im Sinne von ›kostenträchtig‹ klassifiziert. ›Ungünstige Gelegenheiten‹ können als Ereignisse beschrieben werden, in denen die Attraktivität kriminellen Handelns durch vergleichsweise hohe Entdeckungsrisiken überschattet ist. Es wird angenommen, dass Akteure sich angesichts solcher Ausschnitte ihrer Erfahrung auf der Grundlage vernünftiger Überlegungen für oder gegen kriminelles Handeln entscheiden. Demgegenüber können ›günstige Gele-
16
1. Einleitung
genheiten‹ als Ereignisse aufgefasst werden, in denen der Attraktivität kriminellen Handelns vergleichsweise geringe Sanktionsrisiken gegenüberstehen. Es wird angenommen, dass Akteure angesichts solcher Situationen keine Aufwendungen für vernünftige Überlegungen auf sich nehmen, so dass die Orientierung an sozialen und/oder rechtlichen Normen für das Handeln von Bedeutung ist. Mit diesem Konzept einer ›Interaktion von Person und Situation‹ (Magnusson 1981) kann allerdings nicht erklärt werden, warum kriminelles Handeln weniger durch das Risiko einer formellen Bestrafung als vielmehr durch das Risiko interner oder informeller Sanktionen verhindert wird. Die in bisherigen Studien vorgeschlagenen Antworten auf die Frage, warum sich Akteure angesichts einer Gelegenheit zu kriminellem Handeln Vorteile auf Kosten anderer verschaffen, sind also bislang unvollständig geblieben. Abbildung 1-1: Das Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärungen
Soziale Situation
Kollektives Explanandum
Logik der Aggregation
Logik der Situation
Akteur
Logik der Selektion
Handeln
Ein soziologisches Forschungsprogramm, das hier zu vollständigeren Konzeptualisierungen der sozialen Bedingungen kriminellen Handelns verhelfen kann, und das im Einklang mit dem Anspruch steht, eine soziologische Analyse solle »(…) soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären (…)« (Weber 1981/1922: 19), liegt mit dem von Coleman (1991) vorgeschlagenen und von Esser (1993, 1999) im deutschen Sprachraum vertretenen Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Er-
1.2 Das Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärungen
17
klärungen vor (vgl. Abb. 1-1). Dieses Modell legt den analytischen Primat auf die Ebene kollektiver Sachverhalte, und den theoretischen Primat auf die Ebene des sozialen Handelns. Eine soziologische Erklärung umfasst dem MakroMikro-Makro-Modell zufolge drei sequentiell aufeinander folgende Schritte: Zunächst erfolgt eine Rekonstruktion der sozialen Situation der Akteure (Logik der Situation), indem über die Formulierung von ›Brückenhypothesen‹ diejenigen sozialen Bedingungen angegeben werden, die auf der Mikroebene die Bedingungen des Handelns darstellen (Kelle/Lüdemann 1996, Lindenberg 1996). In einem weiteren Schritt wird eine allgemeine Handlungstheorie angewandt (Logik der Selektion). Ein abschließender Schritt umfasst die Anwendung einer Aggregationsregel, die soziales Handeln zu kollektiven Sachverhalten transformiert (Logik der Aggregation). Über diese drei Schritte wird die Beziehung zwischen der sozialen Situation und dem zu erklärenden kollektiven Sachverhalt hergestellt1. Die bisherigen Antworten auf die Frage, warum Akteure angesichts von Gelegenheiten im Rahmen alltäglicher Handlungsvollzüge kriminell handeln, beziehen sich innerhalb eines solchen Modells lediglich auf die Mikro-MikroVerbindung bzw. die Logik der Selektion. In Anwendungen des Makro-MikroMakro-Modells soziologischer Erklärungen auf kriminalsoziologische Fragestellungen (Eifler 2002, Lüdemann/Ohlemacher 2002) wurde im Anschluss an Clarke und Felson (1993) und Cornish (1993) vorgeschlagen, die Logik der Situation und die Logik der Selektion systematisch über Brückenhypothesen miteinander zu verbinden, die Mikrofundierung beruhte jedoch lediglich auf dem Typus des rationalen Handelns als ›Social Mechanism‹ (Hedström/Swedberg 1996, Hedström 2005, Mayntz 2004). Akteure, die einen Ausschnitt ihrer alltäglichen Erfahrung als Gelegenheit erleben, wissen, dass das Mitnehmen oder Behalten fremder Sachen gegen Regeln verstößt und möglicherweise zu sozialer Missbilligung führt oder mit einer Bestrafung verbunden ist. Mit dem Konzept des ›Reasoning Criminal‹ (Cornish/Clarke 1986) wird angenommen, 1
Das Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärungen geht ursprünglich auf Überlegungen von McClelland (1961) zurück, der im Anschluss an Weber (1993/1904) einen Zusammenhang zwischen der protestantischen Ethik und der Entwicklung kapitalistischer Wirtschaftssysteme beschrieben hat. McClelland (1961) hat eine Mikrofundierung dieses Zusammenhangs vorgenommen, in dem er Aspekte der protestantischen Ethik auf elterliche Erziehungspraktiken und die Entstehung kindlicher Leistungsbedürfnisse bezogen hat. Für die Mikroebene wurde im Anschluss an die Theorie der resultierenden Valenz (Lewin et al. 1944) die Theorie der Leistungsmotivation formuliert, die leistungsorientiertes Verhalten als das Resultat zweier gegenläufiger Tendenzen, nämlich dem Streben nach Erfolg und der Furcht vor Misserfolg, konzeptualisiert hat (Atkinson 1964).
18
1. Einleitung
dass Akteure absichtlich handeln und sich für oder gegen die Ausführung kriminellen Handelns entscheiden, weil sie auf der Grundlage einer Abwägung von Vor- und Nachteilen zu dem Schluss gekommen sind, dass kriminelles Handeln entweder als überwiegend vorteilhaft oder als überwiegend nachteilig einzuschätzen ist. Relevante Aspekte der sozialen Situation wurden dabei unter Rückgriff auf kriminalsoziologische Ansätze spezifiziert und auf die vernünftigen Überlegungen von Akteuren bezogen. Befunde, die negative Einflüsse einer Orientierung an rechtlichen Normen auf kriminelles Handeln angesichts ›günstiger Gelegenheiten‹ herausstellen, haben jedoch gezeigt, dass diese Konzeptualisierung zu kurz greift. In jüngerer Zeit wurden daher verschiedene Überlegungen vorgestellt, mittels derer diese Defizite überwunden werden können. Während der Ansatz von Wikström (2004, 2006) eine Ergänzung der Logik der Selektion um das Konzept der ›Routinen‹ vornimmt, stellt der Vorschlag von Eifler (2008a) die Analyse kriminellen Handelns angesichts von Gelegenheiten in den Bezugsrahmen der Frame-Selektions-Theorie (Esser 2001) bzw. des Modells der Frame-Selektion (Kroneberg 2005, 2007). Insbesondere das Modell der Frame-Selektion (Kroneberg 2005, 2007) erlaubt es, über die Annahme einer ›variablen Rationalität‹ auch routiniertes und normbezogenes Handeln als mögliche Formen sozialen Handelns auf der Ebene der Logik der Selektion in das Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärungen einzubeziehen und Verbindungen zwischen der Logik der Situation und der Logik der Selektion zu spezifizieren. Die bisherigen Beobachtungen, wonach a) kriminelles Handeln angesichts einer Gelegenheit eher wegen einer mangelnden Orientierung an rechtlichen Normen erfolgt als aufgrund der subjektiv erwarteten Bestrafung, b) eine Abschreckung durch Strafe keinen Einfluss hat, wenn starke Bindungen an rechtliche Normen vorliegen und c) kriminelles Handeln besser durch subjektiv erwartete informelle und interne Sanktionen erklärt wird als durch subjektiv erwartete formelle Sanktionen, erscheinen aus der Perspektive des Modells der Frame-Selektion (Kroneberg 2005, 2007) nicht mehr als Hinweise auf theoretische Inkonsistenzen und Unzulänglichkeiten, sondern als Spezialfälle, die innerhalb eines ›einigenden Bezugsrahmens‹ (Fararo 1989) analysierbar sind. Mit diesem theoretischen Instrumentarium können verschiedene, bislang konkurrierende Antworten auf die Frage, warum Akteure angesichts einer ›günstigen Gelegenheit‹, die sich ihnen im Rahmen alltäglicher Handlungsvollzüge bietet, kriminell handeln, untersucht werden: Angesichts einer ›günstigen Gelegenheit‹ beruht kriminelles Handeln der High-Cost-/LowCost-These zufolge nicht auf vernünftigen Überlegungen, sondern wird als
1.2 Das Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärungen
19
normbezogenes Handeln erklärt. Demgegenüber kann der Theorie rationaler Wahl zufolge kriminelles Handeln als das Resultat einer vernünftigen Entscheidung erklärt werden. Das Modell der Frame-Selektion ermöglicht es hier, zu differenzierteren Aussagen zu gelangen, indem die Frage, welche Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung genau als ›günstige Gelegenheiten‹ betrachtet werden, von der Frage, warum Akteure angesichts solcher Ereignisse kriminell handeln, analytisch getrennt wird. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Überlegung, dass Gelegenheiten zu kriminellem Handeln nicht als Sachverhalte aufgefasst werden, die aufgrund ihrer objektiv bestimmbaren Merkmale eigenständige Wirkungen auf das Handeln entfalten. Vielmehr knüpft eine Analyse kriminellen Handelns aus der Perspektive des Modells der Frame-Selektion (Kroneberg 2005, 2007) an die Überlegung an, dass eine soziologische Analyse die Bedeutung der Einstellung von Akteuren zu den Rahmenbedingungen des Handelns berücksichtigen muss, indem sie die ›Definition der Situation‹ (Thomas 1923) vor dem Hintergrund der ›sozialen Situation‹ (Thomas/Znanecki 1918) rekonstruiert. Zudem können innerhalb eines solchen Bezugsrahmens verschiedene Annahmen über Beziehungen zwischen einer Orientierung an sozialen und/oder rechtlichen Normen und kriminellem Handeln formuliert werden. Normorientierungen können dabei nicht nur im Sinne eines normbezogenen Handelns die Unterlassung kriminellen Handelns begünstigen, sondern auch die vernünftigen Überlegungen von Akteuren im Vorfeld ihrer Entscheidungen für kriminelles Handeln beeinflussen: So führt aus anomietheoretischer Sicht ein Auseinanderklaffen von kultureller und sozialer Struktur einer Gesellschaft zu einer überproportional starken Beteiligung unterer sozialer Schichten an kriminellen Aktivitäten (Merton 1938). Diskrepanzen zwischen kulturell vorgegebenen Zielen und sozialstrukturell verfügbaren legitimen Mitteln werden dabei der Makro-Ebene als Eigenschaften zugerechnet, die sich als soziale Realitäten für bestimmte gesellschaftliche Gruppen darstellen und eigenständige Wirkungen auf der Makro-Ebene entfalten. Werden anomietheoretische Ideen benutzt, um im Rahmen einer Logik der Situation Brückenhypothesen zu formulieren, so ergibt sich die Überlegung, dass die soziale Benachteiligung von Akteuren über eine Erhöhung der subjektiv erwarteten materiellen Anreize, die mit kriminellem Handeln verbunden sind (Frey/Opp 1979), zu einer Steigerung der Beteiligung an kriminellen Aktivitäten führt. Denkbar wäre allerdings auch, dass die soziale Benachteiligung von Akteuren in einer Schwächung der Bindung an soziale und/oder rechtliche Normen resultiert, die wiederum einer Beteiligung an kriminellen Aktivitäten förderlich ist.
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1. Einleitung
1.3 Gliederung der Studie Die vorliegende Studie verfolgt ausgehend von diesen Überlegungen das Ziel, einen ›einigenden Bezugsrahmen‹ (Fararo 1989) für die Analyse kriminellen Handelns angesichts von Gelegenheiten zu entwerfen (Kap. 2) und einer empirischen Analyse zu unterziehen (Kap. 3). In einem ersten Schritt der theoretischen Überlegungen ist zu klären, welche Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung von Akteuren als Gelegenheiten zu kriminellem Handeln aufgefasst werden (Kap. 2.1). Ein zweiter Schritt spezifiziert Verbindungen zwischen der sozialen Situation und kriminellem Handeln, in dem kriminalsoziologische Ansätze, die sich bislang auf isolierte Aspekte von Einflüssen der sozialen Situation auf Kriminalität und/oder kriminelles Handeln beziehen, aufgegriffen werden (Kap. 2.2). In einem dritten Schritt werden innerhalb eines Makro-Mikro-Makro-Modells soziologischer Erklärungen die Beziehungen zwischen sozialer Situation und kriminellem Handeln mit dem Modell der Frame-Selektion spezifiziert. Eine entscheidende Überlegung wird dabei darin bestehen, dass Bindungen an soziale und/oder rechtliche Normen ebenso zu einer unhinterfragten wie zu einer vernünftig begründeten Ausführung oder Unterlassung kriminellen Handelns führen können (Kap. 2.3). Verschiedene Möglichkeiten einer Verknüpfung zwischen Bindungen an soziale und/oder rechtliche Normen, vernünftigen Überlegungen und kriminellem Handeln angesichts einer ›günstigen Gelegenheit‹ werden in einem vierten Schritt formuliert (Kap. 2.4) und auf eine empirische Analyse hin präzisiert (Kap. 2.5). Die empirische Analyse der Forschungsfragen gliedert sich in die Beschreibung des methodischen Vorgehens (Kap. 3.1) und in die Prüfung der Untersuchungshypothesen (Kap. 3.2). Die Studie schließt mit einer Diskussion der Untersuchungsergebnisse (Kap. 3.3) und einer kritischen Würdigung der theoretischen und empirischen Analysen (Kap. 4).
2. Kriminalität im Alltag
›Gelegenheiten, die Diebe machen‹ sind bereits seit langem von kriminalsoziologischem Interesse. Im Rahmen bisheriger Analysen wurden sehr unterschiedliche Perspektiven auf Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung eingenommen, angesichts derer sich Akteure durch kriminelles Handeln Vorteile auf Kosten anderer verschaffen9. So fragen manche Studien nach den Bedingungen, unter denen Akteure sich selbst Möglichkeiten zu kriminellem Handeln verschaffen, unter denen sie also Gelegenheiten herstellen oder aufsuchen (Cornish/Clarke 1986). Ein frühes Beispiel für eine solche Studie stammt von Lemert (1967), der den Scheckbetrug als das Resultat der Bereitschaft, Risiken einzugehen, interpretiert hat. Die Idee der Risikobereitschaft bezieht sich dabei allerdings nicht auf Handlungen, sondern auf Situationen: »This concept refers to situations in which persons who are caught in a network of conflicting claims or values choose not deviant alternatives but rather behavioural situations which carry risks of deviation. Deviation then becomes merely one possible outcome of their actions, but is not inevitable« (Lemert 1967: 11). Im Unterschied dazu fragt die vorliegende Studie nach den Gründen dafür, dass Akteure angesichts einer Gelegenheit, die sich im Rahmen alltäglicher Handlungsvollzüge bietet, kriminell handeln. In diesem Zusammenhang ist es zunächst von Bedeutung, die besonderen Merkmale derjenigen Ausschnitten der alltäglichen Erfahrung zu beschreiben, die von Akteuren als Gelegenheiten zu kriminellem Handeln erlebt werden. Eine solche Fragestellung hat insbesondere die Studie von Katz (1988) verfolgt: Auf der Grundlage von qualitativen Interviews mit Ladendieben werden dort Gelegenheiten aus symbolisch-interaktionistischer Perspektive als Augenblicke der ›Versuchung‹ rekonstruiert, in denen Akteure angesichts eines attraktiven Gegenstandes, den sie nehmen wollen, aber nicht stehlen dürfen, einen inneren Widerstreit erleben (Katz 1988). Das Wissen über die normativen Anforderungen einer Gelegenheit ist also konstitutiv für die Definition der Situation durch die handelnden Akteure: Dem Reiz, der bestimmten Dingen innewohnt, stehen Verbote oder moralische Bedenken gegenüber. Katz (1988) zufolge können
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An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der Begriff des ›kriminellen Handelns‹ sich aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung auf Verstöße gegen soziale UND/ODER rechtliche Normen bezieht (vgl. Kap. 1).
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2. Kriminalität im Alltag
Gelegenheiten als Ereignisse beschrieben werden, die sich spontan eröffnen und keine besonderen Anforderungen an Akteure stellen, denen sie sich im Rahmen alltäglicher Lebensvollzüge bieten. In kriminalsoziologischen Ansätzen wurde das Konzept der ›Gelegenheit‹ demgegenüber zunächst im Rahmen der Anomietheorie Mertons (1938) thematisiert. Diese Theorie geht von der These aus, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen kulturell vorgegebene Leistungs- und Erfolgsziele verfolgen. Es wird angenommen, dass die Realisierung dieser Ziele auf kulturell akzeptierten Wegen geschieht und über eine soziale Struktur ermöglicht wird. Im Zuge der Verfolgung von Leistungs- und Erfolgszielen geraten aus anomietheoretischer Sicht vor allem ökonomisch benachteiligte Gruppen unter Druck (strain): Weil für diese Gruppen die sozialstrukturell verfügbaren Möglichkeiten des Statuserwerbs eingeschränkt sind, sind sie auf alternative Formen des Statuserwerbs verwiesen, die sie in Form illegaler Aktivitäten vorfinden. Gelegenheiten entstehen vor dem Hintergrund von ›Gelegenheitsstrukturen‹, innerhalb derer alternative Wege der Zielerreichung erlernt und beschritten werden können (Cloward 1959, Cloward/Ohlin 1960). Aus dieser Perspektive können Gelegenheiten zu kriminellem Handeln folglich nur von denen wahrgenommen und genutzt werden, die in kriminellen Aktivitäten eine Möglichkeit sehen, ihre soziale Lage zu verbessern, und die die Fähigkeit zur Ausführung kriminellen Handelns bereits erworben haben. Allerdings fand die Annahme, dass sich vor allem ökonomisch benachteiligte Gruppen an kriminellen Aktivitäten beteiligen, keine allgemeine empirische Unterstützung. Vielmehr konnte ein Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Kriminalität nur in offiziellen Statistiken beobachtet werden, nicht jedoch in Selbstberichten über Vorkommen und Häufigkeit kriminellen Handelns (vgl. zusammenfassend Albrecht/Howe 1992). Ausgehend von diesen Befunden haben sich ›kritische Kriminologen‹ im Anschluss an die programmatischen Arbeiten Fritz Sacks (1972, 1978) gegen die Auffassung gewandt, Kriminalität sei eine marginale, auf bestimmte soziale Kreise beschränkte Form sozialen Handelns. Vielmehr haben sie mit der Analyse der ›Kriminalität der Braven‹ (Roth 1991) oder der ›Abweichung der Angepaßten‹ (Frehsee 1991) auf die ›Ubiquität‹ von Kriminalität Bezug genommen und die Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen an illegalen Aktivitäten herausgestellt. In diesem Zusammenhang hat Heiland (1987) den Begriff der Massenkriminalität vorgeschlagen und »die illegale Handlung unter normalen Lebensvollzügen« (Heiland 1987: 278) in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Ge-
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legenheiten erscheinen aus dieser Perspektive als raum-zeitlich begrenzte Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung, die sich im Kontext wiederkehrender Aktivitäten spontan und ungeplant eröffnen: »Von ›Massenkriminalität‹ spricht man, wenn eine große Zahl von Gesellschaftsmitgliedern mit ihren Handlungen gegen spezifische Normen, die in der Regel als Strafnormen bestimmtes Handeln verbieten, häufig verstoßen; wenn diese Normbrüche über alle gesellschaftlichen Schichten streuen und sich nicht auf bestimmte Gruppen oder Subkulturen beschränken; wenn der angerichtete Schaden gering ist, die Summe der einzelnen Schäden volkswirtschaftlich bedenkliche Dimensionen annimmt; wenn die Problemwahrnehmung in Medien und Politik gleichermaßen hoch ist und wenn die Gesellschaftsmitglieder die illegalen Handlungen als normale Handlungsalternativen interpretieren und als unbedeutend im Sinne strafrechtlicher Konsequenzen bewerten. Nicht alle der hier genannten Definitionsmerkmale müssen vorliegen, um von Massenkriminalität zu sprechen. In der einschlägigen Literatur findet man auch dann eine entsprechende Verwendung, wenn nur auf ein Merkmal als Definitionselement Bezug genommen wird« (Heiland 1987: 278).
Während hier also eine normative Perspektive auf die Kriminalität im Alltag eingenommen wird, die in erster Linie Einstellungen von Akteuren zu Gelegenheiten im Sinne einer Akzeptanz von Normverstößen thematisiert, fragt die vorliegende Studie, durch welche Merkmale sich Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung auszeichnen, die von Akteuren im Zuge der Routinen ihres Alltags übereinstimmend als ›Augenblicke der Versuchung‹ wahrgenommen werden, und welche Gründe dazu führen, dass Akteure sich angesichts solcher Situationen Vorteile auf Kosten anderer verschaffen. Die Studie folgt damit dem Vorschlag von LaFree und Birkbeck (1991, Birkbeck/LaFree 1993), die seit einiger Zeit auf die Notwendigkeit einer situationsbezogenen Perspektive für die Analyse von kriminellem Handeln verweisen und für eine solche Perspektive drei Aufgabenbereiche formulieren: Eine situationsbezogene Analyse von kriminellem Handeln sollte diesen Autoren zufolge … (1) das Konzept der Situation spezifizieren, (2) das Zusammenwirken von Akteuren und Situationen analysieren, und (3) Beziehungen zwischen Situation und Handeln untersuchen. Dabei bezieht sich der Begriff der ›Situation‹ ähnlich wie bei Thomas (1923) und Thomas und Znanecki (1918) auf zwei Aspekte: Zum einen wird der Aspekt der subjektiven Definition der Situation angesprochen, zum anderen der soziale Hintergrund, vor dem Akteure Ausschnitte ihrer alltäglichen Erfahrung als Gelegenheiten definieren (LaFree/Birkbeck 1991, Birkbeck/LaFree 1993). Diese Unterscheidung findet sich bereits in frühen kriminalsoziologischen Ar-
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beiten: So hat schon Sutherland (1939) zwischen historischen Erklärungen einerseits und situationsbezogenen Erklärungen andererseits differenziert: Historische Erklärungen beschäftigen sich mit stabilen motivationalen Unterschieden zwischen ›Nicht-Kriminellen‹ und ›Kriminellen‹, situationsbezogene Erklärungen betrachten Beziehungen zwischen der Konstellation situativer Gegebenheiten und motivationalen Unterschieden zwischen Personen, die kriminell handeln, und Personen, die dies nicht tun (Gibbons 1971)10. Ausgehend von diesen Überlegungen beziehen sich die folgenden Ausführungen in einem ersten Schritt auf die Frage, durch welche Merkmale sich Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung, die als ›günstige Gelegenheiten‹ zu kriminellem Handeln bezeichnet werden, auszeichnen.
2.1 Gelegenheiten zu kriminellem Handeln Möglichkeiten zur Beantwortung dieser Frage finden sich in neueren kriminalsoziologischen Ansätzen, innerhalb derer Gelegenheiten als ›Ereignisse‹ betrachtet werden, die ähnlich wie Unfälle passieren, und die aus den Mustern der alltäglichen Lebensführung von Akteuren entstehen. Diese Ansätze erlauben es, die Gelegenheit zu kriminellem Handeln differenzierter zu beschreiben (Kap. 2.1.1), enthalten eine implizite Annahme über die Gründe für kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten (Kap. 2.1.2), lassen aber im Hinblick auf die Analyse von Einflüssen des sozialen Hintergrundes auf kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten einige Fragen offen (Kap. 2.1.3).
2.1.1 Situationsbezogene Analyse kriminellen Handelns Prominent wurde in diesem Zusammenhang neben einer Reihe von Ansätzen, die unter dem Begriff der ›Lifestyle‹-Ansätze zusammengefasst werden, vor allem der von Cohen und Felson vorgeschlagene ›Routine Activity Approach‹ (Cohen/Felson 1979, Sacco/Kennedy 2002). Als Ausgangspunkt des viktimologischen Routineaktivitätenansatzes diente die Beobachtung, dass sich die Entwicklung der Kriminalitätsraten in anderer Weise vollzog als dies aus der Sicht der Anomietheorie vorhergesagt worden wäre (Cohen/Felson 1979). Es zeigte 10 In neueren kriminalsoziologischen Ansätzen wird diese Unterscheidung auch mit den Begriffspaaren ›crime‹ und ›criminality‹ (Gottfredson/Hirschi 1990) bzw. ›event decisions‹ und ›involvement decisions‹ (Clarke/Felson 1993) getroffen.
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sich, dass das Kriminalitätsaufkommen in den USA während der Jahre 1947 bis 1974 mit steigendem Wohlstand nicht gesunken, sondern angestiegen war. Cohen und Felson (1979) formulieren die These, dass das Viktimisierungsrisiko ganzer Bevölkerungsgruppen mit den alltäglichen Mustern der Lebensführung innerhalb einer Bevölkerung zusammenhängt. Der Routineaktivitätenansatz bezieht sich dabei insbesondere auf ›predatory acts‹, die als »illegal acts in which ›someone definitely and intentionally takes or damages the person or property of another‹ (Glaser, 1971: 4)« (Cohen/Felson 1979: 589) definiert werden. Alltägliche Muster der Lebensführung werden mit dem Begriff der ›Routineaktivitäten‹ beschrieben, der »any recurrent and prevalent activities which provide for basic population and individual needs« (Cohen/Felson 1979: 593) wie beispielsweise die Ausübung eines Berufs, das Einkaufen von Lebensmitteln oder den Besuch von kulturellen Veranstaltungen bezeichnet. Diese wiederkehrenden Aktivitäten finden an verschiedenen Orten statt, nämlich »(…) (1) at home, (2) in jobs away from home, and (3) in other activities away from home« (Cohen/Felson 1979: 593). Möglichkeiten zu kriminellen Aktivitäten entstehen, wenn Akteure sich im Zuge ihrer Routineaktivitäten zufällig begegnen; eine ›Gelegenheit‹ wird in diesem Sinne als »(…) convergence in space and time of three minimal elements of direct-contact predatory violations: (1) motivated offenders, (2) suitable targets, and (3) the absence of capable guardians against a violation« (Cohen/Felson 1979: 589) betrachtet. Ändern sich solche Konstellationen mit den alltäglichen Mustern der Lebensführung, so ändern sich folglich auch die Gelegenheiten, die kriminelle Aktivitäten ermöglichen: »In particular, we shall argue that this shift in the structure of routine activities increases the probability that motivated offenders will converge in space and time with suitable targets in the absence of capable guardians (…)« (Cohen/Felson 1979: 593). Als maßgebliche Veränderungen im Hinblick auf den Anstieg der Viktimisierungsraten mit steigendem Wohlstand betrachten die Autoren des Routineaktivitätenansatzes Veränderungen im Erwerbsverhalten und im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen, insbesondere im Bereich des familiären Zusammenlebens. Im Mittelpunkt des Routineaktivitätenansatzes steht in diesem Zusammenhang aber nicht die Frage, wie Merkmale des sozialen Hintergrundes dazu führen, dass Akteure im Zuge ihrer alltäglichen Handlungsvollzüge zu (potentiellen) Tätern werden, sondern die Analyse von Gelegenheiten als raum-zeitlichen Ausschnitten der Erfahrung: »Without denying the importance of factors motivating offenders to engage in crime, we have focused specific attention upon violations themselves and the prerequisites for their occurence« (Cohen/Felson 1979: 605).
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2. Kriminalität im Alltag
Abbildung 2-1: Die Gelegenheit zu kriminellem Handeln Gelegenheit 1. Anwesenheit motivierter Täter 2. Abwesenheit fähiger Wächter 3. Verfügbarkeit geeigneter Zielobjekte (nach Cohen/Felson 1979: 589)
Gelegenheiten werden als Möglichkeiten zu kriminellem Handeln beschrieben, die aus der Verfügbarkeit attraktiver Güter bei gleichzeitiger Abwesenheit von Hinderungsgründen für kriminelle Aktivitäten resultieren (vgl. Abb. 2-1). Sie bestehen als Konstellationen außerhalb und unabhängig von Akteuren und können anhand ihrer objektiven bzw. objektivierbaren Eigenschaften als mehr oder weniger ›günstig‹ klassifiziert werden. Das Konzept der ›Gelegenheit‹ wird im Rahmen des Routineaktivitätenansatzes nur implizit mit handlungstheoretischen Überlegungen verbunden: Die Überlegung, dass insbesondere angesichts ›günstiger Gelegenheiten‹ mit kriminellen Aktivitäten gerechnet werden muss, wird vielmehr auf die Entwicklung von situationsbezogenen Strategien der Kriminalprävention angewandt (Clarke/Homel 1997). In diesem Zusammenhang sind Maßnahmen zur polizeilichen Überwachung des öffentlichen Raumes zu nennen, deren Ziel es ist, Gelegenheiten zu kriminellem Handeln durch eine Erhöhung des Entdeckungsrisikos zu verhindern (vgl. ausführlicher Eifler 2008b). Im Unterschied zum Routineaktivitätenansatz haben sich andere Studien mit einer Rekonstruktion von Gelegenheiten aus der Sicht von Akteuren beschäftigt. Dabei wurde gefragt, durch welche Merkmale sich diejenigen Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung auszeichnen, angesichts derer Akteure sich herausgefordert fühlen, sich durch kriminelles Handeln Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen, und welche Merkmale dazu führen, dass Gelegenheiten als mehr oder weniger ›günstig‹ erscheinen. Carroll (1978) hat einen psychologischen Ansatz entwickelt, der die Dimensionen beschreibt, anhand derer Akteure Möglichkeiten zu kriminellem Handeln als mehr oder weniger ›günstig‹ oder ›desirable‹ definieren. In seiner empirischen Untersuchung erhebt er Beurteilungen von Gelegenheiten, die sich auf vier Dimensionen beziehen (probability of a
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successful crime, amount of money, probability of capture, penalty if caught), um zu bestimmen, »(…) how people combine this information into a judgement of the desirability of the crime opportunity« (Carroll 1978: 1513). Es zeigt sich, dass Akteure, die Erfahrungen mit kriminellem Handeln haben, Gelegenheiten als vergleichsweise ›more desirable‹ beurteilen. Für die Beurteilung der Attraktivität einer Gelegenheit ist dabei der Wert des Gutes eher relevant als die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs, die Wahrscheinlichkeit des Misserfolgs oder die Schwere der Sanktion (Carroll 1978: 1516 f.). Der Autor hebt hervor, dass offenbar »(…) different subjects focus on different dimensions (…)« (Carroll 1978: 1518). Die Frage, welcher Aspekt einer Gelegenheit für die Definition der Situation jeweils für Akteure salient wird, wird eher vage beantwortet: »In either case, this general principle implies that persons considering crime opportunities may have different strategies, possibly based on simple comparisons of salient features of the situation: Some are drawn by money, some avoid certain types of risk, and so forth (…). What is salient to a particular subject may be a somewhat accidental aspect of (…) the subject’s past experience and present attentional state« (Carroll 1978: 1519). Darüber hinaus wurden Gelegenheiten zu kriminellem Handeln in mehreren, aufeinander aufbauenden Studien klassifiziert (Eifler 2000). Diese Studien wurden in der Absicht durchgeführt, Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung zu bestimmen, die von Akteuren übereinstimmend als ›günstige Gelegenheiten‹ zu kriminellem Handeln betrachtet werden. Im Anschluss an das von Magnusson (1971, 1974; Magnusson/Ekehammar 1973, 1975) vorgeschlagene psychophysische Verfahren zur Klassifikation von Angst auslösenden Situationen wurden zunächst Situationen gesammelt, in denen Akteure »in Versuchung geraten, etwas mitzunehmen, was (ihnen) (…) nicht gehört« (Eifler 2000: 5). Einer ›Response Analytical Method‹ (Ekehammar et al. 1975) folgend wurden diese Situationen von Probanden im Hinblick auf die Stärke der ausgelösten ›Versuchung‹ eingeschätzt. Das Ausmaß der Versuchung wurde dabei wie eine ›objektiv‹ messbare physikalische Dimension behandelt, wobei angenommen wurde, dass alle Akteure ein gemeinsames Verständnis der Dimension ›Versuchung‹ aufweisen. Als Ergebnis dieser Studien zeigte sich, dass Akteure übereinstimmend solche Ausschnitte ihrer alltäglichen Erfahrung als ›günstige Gelegenheiten‹ wahrnehmen, in denen sich relativ unspezifische Geldwerte oder Güter des alltäglichen Bedarfs zur Mitnahme oder zum Behalten anbieten, wie beispielsweise eine noch fast volle Telefonkarte in einer Telefonzelle oder ein auf der Straße gefundener Geldschein (vgl. Eifler 2000). Im Anschluss an diese Ergebnisse wurde untersucht, ob die im Rahmen des Routineaktivitätenansatzes beschriebenen ›objektiven‹ Merkmale von Gele-
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2. Kriminalität im Alltag
genheiten auch diejenigen sind, die für eine subjektive Beurteilung des Ausmaßes, in dem Gelegenheiten in Versuchung führen, eine kriminelle Handlung auszuführen, relevant sind. Gefragt wurde, ob der Wert eines Gegenstandes (suitable target) und das Entdeckungsrisiko (capable guardians) als objektivierbare Stimuluseigenschaften das Ausmaß bestimmen, in dem Gelegenheiten mehr oder weniger zu kriminellem Handeln herausfordern. Mit dem Verfahren der Conjoint-Analyse wurde die Attraktivität von Gelegenheiten bestimmt, wobei angenommen wurde, dass sich die Attraktivität einer Gelegenheit additiv aus dem Wert eines Gegenstandes und dem Entdeckungsrisiko zusammensetzt. Die Analyse einer Situation, in der ein Geldschein gefunden wird, führt zu dem Ergebnis, dass die Attraktivität dieser Gelegenheit nur vom Entdeckungsrisiko abhängt. Dagegen führt die Analyse einer Situation, in der eine Handtasche mitgenommen werden kann, zu dem Ergebnis, dass das Ausmaß der erlebten Versuchung sowohl mit steigendem Geldwert als auch mit sinkendem Entdeckungsrisiko ansteigt. Wie diese Ergebnisse verdeutlichen, sind die im Rahmen des Routineaktivitätenansatzes beschriebenen Merkmale von Gelegenheiten also auch diejenigen, die sich für die subjektive Beurteilung der Attraktivität von Gelegenheiten als relevant erweisen (Eifler/Kimmel 2003). ›Gelegenheiten, die Diebe machen‹ wurden als ›Augenblicke der Versuchung‹ beschrieben, als Interessenkonflikte, die daraus resultieren, dass Akteure sowohl die Möglichkeit sehen, sich eigene Vorteile zu verschaffen, als auch wissen, dass das Mitnehmen oder Behalten fremder Wertgegenstände gegen Regeln verstößt und möglicherweise zu sozialer Missbilligung oder zu formeller Bestrafung führt. Im vorliegenden Zusammenhang werden Gelegenheiten betrachtet, die ›in Versuchung führen, etwas mitzunehmen oder zu behalten, das einem nicht gehört oder nicht zusteht‹. In einem ersten Schritt wurden Merkmale von Gelegenheiten analysiert, die dazu führen, dass diese als mehr oder weniger ›günstig‹ beurteilt werden. Gelegenheiten gelten im Alltagsverständnis als umso günstiger, je höher die Chance ist, sich durch kriminelles Handeln unbemerkt Vorteile verschaffen zu können. In Übereinstimmung damit zeigen objektivierende Ansätze und Studien, die Gelegenheiten aus der Sicht der Akteure rekonstruieren, dass Gelegenheiten als raum-zeitliche Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung konzeptualisiert werden können, in denen fremde Geldwerte unauffällig mitgenommen oder behalten werden können. Die Höhe des Geldwertes ist dabei ebenso wichtig für die Attraktivität einer Gelegenheit wie die Möglichkeit, den Geldwert unentdeckt mitzunehmen oder zu behalten. Das Konzept der Gelegenheit korrespondiert also mit der Idee, dass Akteure angesichts einer
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Gelegenheit aufgrund einer vernünftigen Abwägung von Vor- und Nachteilen kriminell handeln: Je ›günstiger‹ eine Gelegenheit ist, desto weniger werden Akteure kriminelles Handeln aufgrund der damit möglicherweise verbundenen Nachteile unterlassen. Im Einklang mit dem Prinzip der Abschreckung erscheint kriminelles Handeln angesichts einer ›günstigen Gelegenheit‹ also als vernünftig und in diesem Sinne auch als erwartbar. Diese Ideen weisen vor allem deshalb ein hohes Maß an intuitiver Plausibilität auf, weil sie unseren alltäglichen Erfahrungen zu entsprechen scheinen. Wenngleich handlungstheoretische Konzepte im Rahmen des Routineaktivitätenansatzes nur implizit bleiben, sind diese Überlegungen eng mit Ansätzen verknüpft, die kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten als das Ergebnis einer rationalen Wahl erklären.
2.1.2 Kriminelles Handeln als rationale Wahl Als Pendant zur Idee der Gelegenheit gilt die Figur des ›Reasoning Criminal‹, der eine kriminelle Handlung wählt, nachdem vernünftiges Überlegen ihn zu der Auffassung geführt hat, dass ein solches Handeln überwiegend mit Vorteilen verbunden ist (Cornish/Clarke 1986). Kriminelles Handeln wird in utilitaristischer Tradition als das Ergebnis einer ›Entscheidung‹ konzeptualisiert und entspringt wie jedes andere intentionale menschliche Handeln auch dem Bestreben nach Nutzenmaximierung (Cornish/Clarke 1986, vgl. Kap. 1). Empirische Analysen der Abschreckungsidee haben Beziehungen zwischen der von Akteuren eingeschätzten Sicherheit, Schwere und Schnelligkeit des Eintretens negativer Sanktionen und kriminellem Handeln betrachtet (Piliavin et al. 1986; vgl. sekundär Dahlbäck 1998, 2003). In diesem Zusammenhang wurde einerseits die These vertreten, dass sowohl die Sicherheit des Eintretens einer Strafe als auch die Schwere einer angekündigten Strafe eigenständige Effekte auf kriminelles Handeln haben (Carroll 1978). Andererseits wurde insbesondere von Tittle (1969) herausgestellt, dass „(…) severity acts as a deterrent only when there is high certainty of punishment“ (Tittle 1969: 417, Hervorh. im Orig.). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen haben Grasmick und Bryjak (1980) ein Modell entwickelt, das kriminelle Aktivitäten I auf zwei Haupteffekte (Sicherheit C, Schwere einer Bestrafung S) und einen Interaktionseffekt (mit der Eintrittswahrscheinlichkeit gewichtete Schwere einer Bestrafung CS) regrediert (Grasmick/Bryjak 1980: 483): I = a + b1C + b2S + b3CS.
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2. Kriminalität im Alltag
Unabhängig von kriminalsoziologischen Ansätzen, die mit dem Prinzip der Abschreckung argumentieren, wurde eine Theorie rationaler Wahl auch in einem wirtschaftswissenschaftlichen Zusammenhang auf die Analyse von Kriminalität übertragen. Die Kriminalitätstheorie Beckers (1968) erklärt kriminelles Handeln auf der Basis einer ökonomischen Theorie und wendet diese theoretischen Überlegungen an, um ein ›soziales Optimum‹ der Kriminalität zu definieren, bei dem die Kosten für die Bekämpfung der Kriminalität die durch Kriminalität verursachten Kosten nicht übersteigen (vgl. hierzu auch Mühlenfeld 1999). Die Erklärung kriminellen Handelns erfolgt auf der Grundlage eines Expected Utility-Modells, das mit von Neumann und Morgenstern (1944) von objektiv erwarteten Vorteilen (benefits) und Nachteilen (costs) kriminellen Handelns ausgeht. Der Nutzen kriminellen Handelns ergibt sich aus der Differenz zwischen den Vorteilen und den Nachteilen kriminellen Handelns, wobei sich die Wahrscheinlichkeit des Eintretens der Vorteile kriminellen Handelns als (1 – p) komplementär aus der Wahrscheinlichkeit des Eintretens der Nachteile kriminellen Handelns (p) ergibt (vgl. Becker 1968: 176 f.): (1) EU = (1 – p)B + p(B – C) (2) EU = B – pC Fetchenhauer (1998) hat dieses Modell auf die Analyse des Versicherungsbetrugs angewandt. Dabei hat er insbesondere untersucht, aus welchen Gründen Akteure alltägliche Ereignisse nutzen, um gegenüber ihrer Versicherung Schadensfälle zu fingieren, aus welchen Gründen sie also Gelegenheiten zu kriminellem Handeln herstellen. Den ökonomischen Ansatz von Becker (1968) hat er dabei ergänzt, indem er zum einen von subjektiven Erwartungen ausging und zum anderen die Komplementärwahrscheinlichkeit (1 – p) durch ›Effizienzerwartungen‹ (Bandura 1977, 1982), d. h. die Überzeugung von Akteuren, die positiven Konsequenzen kriminellen Handelns selbst herbeiführen zu können, ersetzt hat. Ausgehend von Studien, die zu dem Ergebnis geführt hatten, dass kriminelles Handeln besser durch die Orientierung an rechtlichen Normen als durch den ökonomischen Nutzen erklärt werden kann, und dass der ökonomische Nutzen nur dann kriminelles Handeln erklärt, wenn Akteure über eine Rechtfertigung für kriminelles Handeln verfügen, hat er verschiedene Antworten auf die Frage vorgestellt, unter welchen Bedingungen entweder die Orientierung an rechtlichen Normen oder der subjektiv erwartete Nutzen kriminelles Handeln begünstigen. Aus der Perspektive einer ökonomischen Kriminalitätstheorie ist Nutzen als Differenz zwischen materiellen Gewinnen durch kriminel-
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les Handeln und Schaden durch eine formelle Bestrafung konzeptualisiert. Kriminelles Handeln kann einem ›simultanen Modell‹ entsprechend auf den subjektiv erwarteten Nutzen zurückgehen, wenn die materiellen Anreize so stark sind, dass der subjektiv erwartete Nutzen sehr hoch wird und die Orientierung an rechtlichen Normen demgegenüber in den Hintergrund tritt. Ebenso ist denkbar, dass kriminelles Handeln auf den subjektiv erwarteten Nutzen zurückgeführt wird und die Orientierung an rechtlichen Normen der Handlungsentscheidung als ›Epiphänomen‹ begleitend angepasst wird. Schließlich kann die Orientierung an rechtlichen Normen wie ein ›Filter‹ wirken, indem sie zunächst kriminelles Handeln legitimiert und dann eine Abwägung zwischen subjektiv erwarteten positiven und negativen Handlungskonsequenzen veranlasst. Ein solches ›sequentielles Modell‹ der Beziehung zwischen der Orientierung an rechtlichen Normen, subjektiv erwartetem Nutzen und kriminellem Handeln wird im Anschluss an Trasler (1993) formuliert. Dabei wird angenommen, dass die Beziehung zwischen Nutzen und kriminellem Handeln im Sinne eines Moderatoreffekts durch die Bindung an rechtliche Normen beeinflusst wird (Fetchenhauer 1998: 140-157). Seine empirische Analyse des Versicherungsbetrugs führt (unter anderem) zu dem Ergebnis, dass kriminelles Handeln auf den subjektiv erwarteten Nutzen zurückgeführt werden kann, wenn Akteure den Versicherungsbetrug für legitimierbar halten, und spricht damit für das ›sequentielle Modell‹. Anstelle der ökonomischen Kriminalitätstheorie Beckers (1968) wurde in kriminalsoziologischen Arbeiten generell die von Savage (1954) vorgeschlagene ›Subjective Expected Utility-Theorie‹ (SEU-Theorie) angewandt. Diese Theorie geht von subjektiv erwarteten anstelle von objektivierten Handlungskonsequenzen aus und ist mit der Annahme einer ›bounded rationality‹ (Simon 1957) vereinbar (Cornish/Clarke 1986, Clarke/Felson 1993). Aus der Perspektive der SEU-Theorie wird soziales Handeln als Entscheidung konzeptualisiert, wobei eine Handlungsoption gewählt wird, wenn deren subjektiv erwartete Vorteile die subjektiv erwarteten Vorteile anderer Handlungsoptionen übersteigen. Akteure entscheiden sich für eine Handlungsoption vor dem Hintergrund eigener Präferenzen. Die Konsequenzen können im Kontext der Verfolgung eigener Interessen als mehr oder weniger dienlich erscheinen, mit anderen Worten mehr oder weniger Nutzen stiften. Die SEU-Theorie besagt, dass die Handlungskonsequenzen verschiedener Optionen im Hinblick auf vergleichbare Nutzenkomponenten miteinander verglichen werden. Entsprechende Anwendungen dieser Überlegungen führen zu Differentialmodellen, bei denen die subjektiv erwarteten Nutzenwerte zweier Handlungsoptionen im Sinne einer Differenzbildung
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verrechnet werden (vgl. beispielsweise Lüdemann 1997, Opp et al. 1984). Eine Entscheidung zwischen kriminellem und konformem Handeln kann allerdings nicht mit einem Differentialmodell abgebildet werden, da sich die relevanten Konsequenzen von kriminellem und konformem Handeln jeweils wechselseitig ausschließen: Eine Entscheidung für kriminelles Handeln wird als eine Entscheidung unter Risiko konzeptualisiert, deren Handlungsausgänge ungewiss sind11. Die Konsequenzen einer Entscheidung für kriminelles Handeln können nicht mit denen einer Entscheidung für konformes Handeln verglichen werden: Ein Akteur, der sich für eine konforme Handlungsoption entscheidet, verzichtet auf die Vorteile, die die Entscheidung für eine kriminelle Handlungsoption etwa in Form einer materiellen Bereicherung hätte. Er entgeht zugleich den Nachteilen einer kriminellen Handlungsoption, die möglicherweise dann eintreten, wenn das unrechtmäßige Tun entdeckt wird. Eine Analyse der Entscheidung für eine kriminelle Handlungsoption kann sich also auf die Analyse der Konsequenzen dieser Option beschränken. Dabei können positive Handlungskonsequenzen, die den subjektiv erwarteten Nutzen mehren, und negative Handlungskonsequenzen, die den subjektiv erwarteten Nutzen mindern, voneinander unterschieden werden. Kriminelles Handeln ist mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, je stärker die subjektiv erwarteten positiven Konsequenzen (pbiBi) die subjektiv erwarteten negativen Konsequenzen (pciCi) überwiegen, je stärker also der subjektiv erwartete Nutzen (piUi) insgesamt (1) den Wert Null übersteigt (2). Die hier gewählte Schreibweise weist darauf hin, dass sich pbi auf die subjektiv erwartete Wahrscheinlichkeit des Eintretens positiver Handlungskonsequenzen (und nicht auf die subjektiv erwartete Wahrscheinlichkeit, die Vorteile kriminellen Handelns selbst herbeiführen zu können im Sinne von Effizienzerwartungen) bezieht. (1) SEUkrim = piUi = pbiBi - pciCi) (2) SEUkrim > 0 Die Analyse kriminellen Handelns aus der Perspektive der SEU-Theorie bezog sich häufig auf Gelegenheiten zu kriminellem Handeln. Eine systematische Unterscheidung, ob diese Gelegenheiten sich bieten oder hergestellt werden, wurde zumeist nicht getroffen. In empirischen Untersuchungen finden sich im 11 Lattimore und Witte (1986) haben in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, kriminelle Handlungsentscheidungen mit der ›Prospect Theory‹ von Kahnemann und Tversky (1979) zu modellieren, was allerdings im vorliegenden Zusammenhang nicht ausgearbeitet werden soll.
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Wesentlichen vier verschiedene Operationalisierungen von Gelegenheiten: (1) Gelegenheiten wurden im Sinne der Häufigkeit der normrelevanten Situation betrachtet. Kerschke-Risch (1993) hat beispielsweise in einer Analyse der Daten des Allbus 1990 die Gemeindegröße als Maß für Gelegenheiten zur Begehung von Ladendiebstählen und Beförderungserschleichungen benutzt. (2) Gelegenheiten wurden anhand von Proxy-Variablen abgebildet, wobei die Anzahl delinquenter Freunde und Bekannter erfragt wurde (Grasmick et al. 1993a). (3) Eine andere Messung bestand darin, die Häufigkeit von Situationen zu erfragen, in denen kriminelles Handeln »possible to do easily«, »gratifying at the moment« und »without much chance that somebody who might do something about it would quickly find it out« ist (Grasmick et al. 1993b). (4) Eine Reihe von Studien hat außerdem Gelegenheiten hergestellt und das Handeln angesichts dieser Situationen beobachtet. Dabei wurden sowohl explorative Studien vorgenommen (Goldstone/Chim 1993) als auch nicht-teilnehmende strukturierte Beobachtungen von kriminellem Handeln auf der Grundlage experimenteller Designs: In der Arbeitsgruppe um Farrington wurden situative Einflüsse auf Diebstahlshandlungen mit der ›Lost-Letter Technique‹ im Rahmen von Feldexperimenten untersucht (Farrington/Knight 1979, 1980a, 1980b; Farrington/Kidd 1977; Simon/Gillen 1971). Da indirekte Operationalisierungen von Gelegenheiten es nicht erlauben, die Entscheidung für kriminelles Handeln bezogen auf den Ausschnitt der alltäglichen Erfahrung, der als Gelegenheit erlebt wird, zu analysieren, und da Feldexperimente es nicht ermöglichen, subjektive Wert-ErwartungsÜberlegungen zu berücksichtigen, wurde in den meisten Studien das Verfahren der Vignettentechnik zur Operationalisierung von Gelegenheiten angewandt. Dabei werden Probanden mit verbalen Präsentationen von hypothetischen Gelegenheiten zu kriminellem Handeln konfrontiert und um Auskünfte über ihr vermutliches Handeln angesichts der dargebotenen Situationen und über die subjektiv erwarteten positiven und negativen Konsequenzen kriminellen Handelns gebeten (vgl. Eifler 2007). Auch im Rahmen der Analyse der SEU-Theorie wurden Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens mit Einflüssen der Orientierung an rechtlichen Normen verglichen. Dabei zeigte sich häufig, dass die Orientierung an rechtlichen Normen stärker auf kriminelles Handeln wirkt als die erwartete Schwere einer Bestrafung (Piquero/Paternoster 1998, Strelan/Boeckman 2006, Tibbetts 1997a, 1997b). In Übereinstimmung mit dem oben skizzierten ›sequentiellen Modell‹ zeigte sich außerdem, dass die Orientierung an rechtlichen Normen mit der erwarteten Sanktionsschwere interagiert: Einflüsse der erwarteten Schwere einer
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Bestrafung zeigten sich in manchen Studien nur im Falle einer geringen Normbindung (Bachman et al. 1992, Burkett/Ward 1993, Paternoster/Simpson 1996, Wenzel 2004). Schließlich zeigte sich, dass die erwartete Schwere formeller Sanktionen über die Orientierung an rechtlichen Normen einerseits und über interne und informelle Sanktionen andererseits vermittelt auf kriminelles Handeln wirkt (Foglia 1997). Im Rahmen kriminalsoziologischer Studien auf der Basis der SEU-Theorie wurde anstelle eines ›engen‹ ökonomischen Nutzenbegriffs mit einem ›weiten‹ Nutzenbegriff gearbeitet (Opp 1999). Im Sinne eines ›weiten‹ Nutzenbegriffs wurden neben den subjektiv erwarteten Kosten einer Bestrafung auch nichtinstrumentelle Anreize wie informelle und interne negative Sanktionen einbezogen. Das Erleben sozialer Missbilligung im Anschluss an eine kriminelle Handlungsentscheidung wird als informelle negative Sanktion bezeichnet, Gefühle der Scham und der Verlegenheit gegenüber anderen können als interne negative Sanktionen betrachtet werden (Grasmick/Green 1980). Einflüsse dieser Kostenarten auf kriminelles Handeln wurden ausgehend von der Studie von Grasmick und Green (1980) in zahlreichen Untersuchungen empirisch analysiert. Diese Studien führten zu dem allgemeinen Ergebnis, dass Entscheidungen für kriminelles Handeln stärker von subjektiven Erwartungen informeller und interner negativer Sanktionen abhängt als von der subjektiv erwarteten Bestrafung (Grasmick/Bursik 1990, Grasmick et al. 1991, 1993a, Nagin/Paternoster 1993, 1994, Piquero/Tibbetts 1996, Tibbetts/Herz 1996). Vor allem Gefühle der Scham verhindern dabei kriminelles Handeln wirksamer als Gefühle der Verlegenheit (Cochran et al. 1999, Tibbetts 1997b). In anderen Studien wurden außerdem subjektiv erwartete positive Konsequenzen kriminellen Handelns berücksichtigt. Neben Einflüssen von materiellen Anreizen, die vor allem im Rahmen von Studien untersucht wurden, die auf einem ökonomischen Nutzenbegriff basierten, wurden dabei auch nicht-instrumentelle Anreize wie soziale Anerkennung und Gefühle von Aufregung und Abenteuer (thrill) als Prädiktoren berücksichtigt (Matsueda et al. 2006, Nagin/Paternoster 1993, Paternoster/Simpson 1996, Piquero/Tibbetts 1996, Tibbetts/Herz 1996). Verschiedene Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, dass Entscheidungen für kriminelles Handeln entweder ebenso stark wie (Nagin/Paternoster 1993) oder stärker als (Matsueda et al. 2006) durch subjektiv erwartete negative Konsequenzen durch subjektiv erwartete positive Konsequenzen determiniert werden.
2.1 Gelegenheiten zu kriminellem Handeln
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2.1.3 Schlussfolgerungen Theorien rationaler Wahl wurden häufig eingesetzt, um kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten zu analysieren12. Dabei wurden zwar theoriekonforme Ergebnisse erzielt, allerdings widersprechen auch zahlreiche Ergebnisse dem gewählten theoretischen Ansatz. So zeigen manche Studien, dass kriminelles Handeln durch die Orientierung an rechtlichen Normen besser erklärt wird als durch den subjektiv erwarteten Nutzen; andere Studien weisen darauf hin, dass kriminelles Handeln nur dann auf den subjektiv erwarteten Nutzen zurückgeführt werden kann, wenn die Orientierung an rechtlichen Normen gering ist, und dass kriminelles Handeln wirksamer durch subjektiv erwartete informelle und interne Sanktionen verhindert wird als durch subjektiv erwartete formelle Sanktionen. Im Hinblick auf die Frage, welches Erklärungsprinzip für die Analyse kriminellen Handelns angesichts von Gelegenheiten angemessen ist, können prinzipiell zwei Strategien verfolgt werden. Zum einen können Gelegenheiten zu kriminellem Handeln voneinander unterschieden werden, in denen entweder normbezogen oder rational gehandelt wird. Dabei lässt sich insbesondere die Beobachtung, dass kriminelles Handeln angesichts einer Gelegenheit in erster Linie auf Bindungen an rechtliche Normen zurückgeführt werden kann, auf die High-Cost-/Low-Cost-These beziehen. Dieser These zufolge wird in Situationen, in denen das Handeln nicht mit kostenträchtigen Konsequenzen verbunden ist, aufgrund von Einstellungen gehandelt, während in Situationen, in denen das Handeln mit kostenträchtigen Konsequenzen verbunden ist, das Prinzip der rationalen Wahl relevant ist. In diesem Zusammenhang müsste allerdings sicher gestellt sein, dass die untersuchten Gelegenheiten übereinstimmend als ›günstige Gelegenheiten‹ und damit als Low-Cost-Situationen erlebt werden (vgl. Kap. 1). Zum anderen können Akteure aufgrund ihres jeweiligen sozialen Hintergrundes angesichts von Gelegenheiten entweder normbezogen oder rational handeln. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang, dass Orientierungen an sozialen und/oder rechtlichen Normen als Bestandteile des sozialen Hintergrundes aufzufassen sind, vor dem Akteure Gelegenheiten zu kriminellem Handeln erleben. Diese können angesichts einer Gelegenheit so stark sein, dass sie unmittelbar zur Ausführung oder Unterlassung kriminellen Handelns führen, sie könnten aber auch die subjektiven Nutzenerwägungen von Akteuren strukturieren. Hier wäre es ergänzend zu einem ›sequentiellen Modell‹, wonach Bindun12 Auch die von Opp (1971) vorgeschlagene und von Diekmann (1980) erweiterte rechtssoziologische Theorie, die zwar nicht nach Gründen für kriminelles Handeln, sondern nach Gründen für die Befolgung von Gesetzen fragt, beruht auf einer Theorie rationaler Wahl.
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2. Kriminalität im Alltag
gen an rechtliche Normen und subjektive Nutzenerwägungen interagieren, möglich, Nutzenerwägungen auch als intervenierende Variable aufzufassen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist es die Aufgabe der folgenden Ausführungen, relevante Merkmale des sozialen Hintergrundes von Akteuren theoretisch zu spezifizieren.
2.2 Soziale Situation und kriminelles Handeln Für eine situationsbezogene Analyse der Frage, warum Akteure angesichts einer Gelegenheit kriminell handeln, ist die Überlegung zentral, dass die soziale Situation von Akteuren das Handeln angesichts von Ausschnitten der alltäglichen Erfahrung, die als Gelegenheiten kriminelles Handeln ermöglichen, bestimmen könnte. Theoretische Überlegungen, die die Art dieser Einflussbeziehungen zu formulieren erlauben, können auf der Grundlage von kriminalsoziologischen Ansätzen entwickelt werden, die sich als »Simple Theories« (Tittle 1995: 1) auf isolierte Einflüsse von Merkmalen der sozialen Situation auf Kriminalität und kriminelles Handeln beziehen. Einem Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärungen entsprechend lassen sich Ansätze, die auf einer Mikroebene Einflüsse von sozialen Einstellungen auf kriminelles Handeln spezifizieren (Kap. 2.2.1), von Ansätzen unterscheiden, die auf einer Makro-, Meso- und Mikroebene Einflüsse des sozialen Status, der sozialen Beziehungen und der Handlungskontrolle spezifizieren (Kap. 2.2.2).
2.2.1 Soziale Einstellungen zu kriminellem Handeln Mikrosoziologische Ansätze zur Erklärung von kriminellem Handeln erlauben es, Einflüsse der Orientierung an sozialen und/oder rechtlichen Normen auf kriminelles Handeln zu analysieren. Dabei haben Studien, die kriminelles Handeln aus der Perspektive einer Theorie rationaler Wahl untersucht haben, bislang lediglich Einstellungen betrachtet, die die Unterlassung kriminellen Handelns begünstigen. Indem mikrosoziologische Ansätze zusätzlich Einflüsse von Einstellungen, die kriminelles Handeln begünstigen, und Einflüsse von Einstellungen, die kriminelles Handeln rechtfertigen, zu spezifizieren erlauben, können Einflüsse der Orientierung an Normen auf kriminelles Handeln erheblich differenzierter analysiert werden.
2.2 Soziale Situation und kriminelles Handeln
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Orientierungen von Akteuren, die kriminelles Handeln verhindern, wurden im Rahmen kontrolltheoretischer Ansätze analysiert. Von anderen kriminalsoziologischen Perspektiven unterscheiden sich Kontrolltheorien durch ihre Ausgangsfrage: »In control theories, (this) question has never been adequately answered. The question remains, why do men obey the rules of society? Deviance is taken for granted; conformity must be explained« (Hirschi 1969: 10). In utilitaristischer Tradition gehen kontrolltheoretische Ansätze von der Überlegung aus, dass Akteure generell zu kriminellem Handeln motiviert sind, weil dieses im Unterschied zu konformen Optionen eine rasche Bedürfnisbefriedigung ermöglicht, und dass sie nur aufgrund von Regeln, die kriminelles Handeln als Unrecht definieren und mit negativen Sanktionen belegen, daran gehindert werden können, ihren Motivationen freien Lauf zu lassen. Im Rahmen kontrolltheoretischer Ansätze wird angenommen, dass diese Regeln Bestandteile eines Werteund Normenkonsens sind, zu dem Akteure mehr oder weniger starke Bindungen unterhalten: Sind diese Bindungen eher schwach ausgeprägt, so sind Akteure frei, kriminelle Optionen zu wählen. Während frühe kontrolltheoretische Ansätze mit dem Begriff der ›Containments‹ insbesondere die Fähigkeiten von Akteuren, Versuchungen zu kriminellem Handeln zu widerstehen, beschrieben haben (Reckless et al. 1957), haben spätere, einflussreichere kontrolltheoretische Ansätze insbesondere die Bindungen von Akteuren an den Werte- und Normenkonsens mit dem Begriff der ›sozialen Bande‹ beschrieben (Hirschi 1969). Nach Hirschi (1969) lassen sich vier Elemente des sozialen Bandes voneinander unterscheiden: Als das wichtigste Element gilt das ›Attachment‹, das im Unterschied zu einem entwicklungspsychologischen Sprachgebrauch das Ausmaß der Sensibilität von Akteuren für die Einstellungen anderer bezeichnet. Akteure, deren Bindung stark ist, legen Wert darauf, nicht das Missfallen von anderen, die kriminelles Handeln ablehnen, zu erregen. Ein weiteres Element des sozialen Bandes wird als ›Commitment‹ bezeichnet und meint das Ausmaß, in dem Akteure sich konventionellen Zielen verpflichtet haben. Wenn diese Verpflichtungen stark sind, etwa weil Akteure bereits intensiv in konventionelle Ziele investiert haben, werden sie diese Errungenschaften nicht durch kriminelles Handeln gefährden. Mit dem Element des ›Involvement‹ wird die zeitliche Einbindung von Akteuren in konventionelle Aktivitäten beschrieben. Akteuren, deren Tag mit solchen Aktivitäten ausgefüllt ist, bleiben keine Freiräume mehr für kriminelles Handeln. Als weiteres Element des sozialen Bandes gelten schließlich die ›Beliefs‹, also die Überzeugungen von Akteuren bezüglich der Legitimität der Sozial- und Rechtsordnung des Gemeinwesens. Sind diese Überzeugungen stark, so schützen sie aus kontrolltheoretischer Sicht wirkungsvoll
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vor kriminellem Handeln. Nach Hirschi (1969) werden soziale Bande im Rahmen von Sozialisationsprozessen erworben. Empirische Analysen des kontrolltheoretischen Ansatzes von Hirschi (1969) haben die Annahme von Einflüssen sozialer Bande auf kriminelles Handeln zwar vorläufig bestätigt, gemessen an der Stärke der statistischen Beziehungen waren diese Einflüsse allerdings nur mäßig für leichtere Formen kriminellen Handelns und nur gering für schwerwiegende Gesetzesverstöße (vgl. zusammenfassend Eifler 2002, Siegel 2006). Einstellungen, die kriminelles Handeln begünstigen, stehen im Mittelpunkt lerntheoretischer Ansätze. Soziale Lerntheorien im Bereich der Kriminalsoziologie gehen auf die Theorie der Differentiellen Assoziationen (Sutherland 1939) zurück und beschreiben diejenigen sozialen Prozesse, die den Erwerb kriminellen Handelns begünstigen. Die Prinzipien und Mechanismen des Lernens sind dabei nicht spezifisch für kriminelles Handeln. Das Konzept der ›Differentiellen Assoziationen‹ bezieht sich auf die Idee, dass Personen in soziale Umgebungen eingebunden sind, in denen sie kriminelles Handeln lernen. Es wird angenommen, dass sie im Rahmen sozialer Umgebungen ebenso mit konformen wie mit kriminellen Aktivitäten konfrontiert sind, und dass kriminelles Handeln vor allem dann gelernt wird, wenn der Kontakt zu kriminellen Verhaltensmustern überwiegt. Die frühe Version der Theorie der Differentiellen Assoziationen beruht auf der Überlegung, dass Personen aufgrund von normativen Konflikten zwischen verschiedenen Bezugsgruppen in soziale Umgebungen gelangen, in denen der Erwerb kriminellen Handelns begünstigt wird. Die Mechanismen und Prozesse des Lernens wurden in Weiterentwicklungen des Ansatzes spezifiziert. In der Theorie der Differentiellen Verstärkung (Burgess/Akers 1966) wurden soziale Lernprozesse in der Tradition behavioristischer Lerntheorien mit dem Konzept der ›operanten Konditionierung‹ (Skinner 1965) beschrieben. Es wird angenommen, dass kriminelles Handeln aufgrund der mit ihm verbundenen Konsequenzen konditioniert wird. Dabei bewirken positive Konsequenzen, dass das betreffende Verhalten häufiger gezeigt wird (positive Verstärkung). Analog führt das Ausbleiben negativer Konsequenzen dazu, dass die Häufigkeit kriminellen Handelns steigt (negative Verstärkung). Negative Konsequenzen ebenso wie das Ausbleiben positiver Konsequenzen senken demgegenüber die Häufigkeit kriminellen Handelns. Im Sinne der Theorie der Differentiellen Verstärkung sind soziale Umgebungen für den Erwerb kriminellen Handelns von Bedeutung, weil sie sowohl direkte als auch stellvertretende Erfahrungen mit kriminellem Handeln ermöglichen. In diesem Zusammenhang greifen Burgess und Akers (1966) auf sozial-kognitive Lerntheorien zurück und beschreiben mit dem Be-
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griff der ›Erwartung‹ eine zentrale Komponente im Lernprozess: Die direkte und stellvertretende Erfahrung mit kriminellem Handeln führt zu der Ausbildung von Erwartungen über die positiven und negativen Konsequenzen kriminellen Handelns. Dabei führen ›Erfolgserwartungen‹ ebenso wie ›Kompetenzerwartungen‹ mit großer Wahrscheinlichkeit dazu, dass kriminelles Handeln ausgeführt wird (Bandura 1962). Insbesondere aus der Perspektive Rotters (1954) folgt darüber hinaus die These, dass die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln von der Erwartung abhängt, dafür belohnt bzw. nicht bestraft zu werden. Nach Rotter (1954) resultiert kriminelles Handeln aus dessen ›Verhaltenspotential‹, das sich aus der Erwartung, für ein bestimmtes Handeln eine bestimmte Belohnung zu erhalten, und dem Wert, der dieser Belohnung beigemessen wird, ergibt. Mathematisch wird die Beziehung zwischen Verstärkungserwartung und Verstärkungswert als Produkt dargestellt: Kriminelles Handeln (H) wird über das Verhaltenspotential (VP) bestimmt, das als Produkt zwischen Verstärkungserwartung (E) und Verstärkungswert (V) definiert ist: H = VP (EÂV). In späteren Arbeiten hat Akers (1990) darauf hingewiesen, dass die im Rahmen der sozialen Lerntheorie kriminellen Handelns gewählte Erklärungsfigur prinzipiell mit den Annahmen von Theorien rationaler Wahl (vgl. Kap. 2.1) kompatibel ist. Burgess und Akers (1966) haben jedoch zunächst den Prozess, über den kriminelles Handeln gelernt wird, ausführlicher beschrieben und in diesem Zusammenhang die Konzepte ›Differentielle Assoziationen‹, ›Differentielle Verstärkung‹, ›Definitionen‹ und ›Imitation‹ spezifiziert: Danach wird angenommen, dass Personen in soziale Beziehungen eingebunden sind, die als Lernumgebungen fungieren, indem sie die Beobachtung der unterschiedlichsten, kriminellen ebenso wie konformen Aktivitäten ermöglichen. Wenn Personen in diesen Lernumgebungen zu einem überwiegenden Teil kriminellen Verhaltensmustern begegnen, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie selbst kriminelles Handeln ausführen (Differentielle Assoziationen). Im Rahmen von Lernumgebungen wird kriminelles Handeln belohnt oder bestraft (Differentielle Verstärkung), anhand von definierten Bewertungsmaßstäben beurteilt (Definitionen), und nachgeahmt (Imitation). Die Erfahrung, dass kriminelles Handeln nicht nur üblich, sondern auch mit positiven Konsequenzen verbunden ist, führt folglich dazu, dass Personen kriminellem Handeln zugeneigt sind. Die Theorie der Differentiellen Verstärkung (Burgess/Akers 1966) wurde auf die Analyse verschiedener Formen kriminellen Handelns angewandt, wobei sich das Konzept der Differentiellen Assoziationen als besonders erklärungskräftig erwiesen hat (vgl. zusammenfassend Eifler 2002, Siegel 2006).
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Während sich lerntheoretische Ansätze mit Einstellungen befassen, die kriminelles Handeln begünstigen, und kontrolltheoretische Ansätze im weitesten Sinne Haltungen in den Blick nehmen, die kriminelles Handeln verhindern, wird im Folgenden eine andere Überlegung aufgegriffen: Danach ist die Annahme, dass Akteure sich grundsätzlich gegen den Werte- und Normenkonsens stellen müssen, um für kriminelle Aktivitäten frei zu sein, nicht erforderlich. Vielmehr können Akteure sehr wohl von der Legitimität einer Sozial- und Rechtsordnung überzeugt sein, und zugleich über kognitive Strategien verfügen, mittels derer sie gelegentliche Normverstöße vor sich selbst und vor anderen rechtfertigen können. Diese Strategien, die von Sykes und Matza (1957) als ›Neutralisierungstechniken‹ bezeichnet wurden, ermöglichen es, den im Anschluss an Normverletzungen auftretenden Scham- und Schuldgefühlen entgegenzuwirken. Sykes und Matza (1957) haben verschiedene Neutralisierungstechniken voneinander unterschieden: Die Rechtfertigung kriminellen Handelns kann darin bestehen, die eigene Verantwortlichkeit zu leugnen (denial of responsibility), den angerichteten Schaden zu bestreiten (denial of injury), das Opfer für die Tat verantwortlich zu machen (denial of a victim), die Berechtigung von Instanzen sozialer Kontrolle zur Strafverfolgung anzuzweifeln (condemnation of condemners) und eine kriminelle Handlung in das Interesse übergeordneter Werte und Normen zu stellen (appeal to higher loyalities). Eine Reihe von Studien hat Zusammenhänge zwischen kriminellem Handeln und Neutralisierungstechniken untersucht: Es zeigte sich dabei, dass Akteure, die kriminell gehandelt haben, sich mit Strategien rechtfertigen, die der von Sykes und Matza (1957) vorgelegten Typologie von Neutralisierungstechniken entspricht. Dabei ist allerdings problematisch, dass die von der Theorie postulierte Richtung der Beziehung zwischen Neutralisierungstechniken und kriminellem Handeln umgekehrt wurde, indem Neutralisierungstechniken im Anschluss an kriminelles Handeln analysiert wurden (vgl. zusammenfassend Eifler 2002, Siegel 2006).
2.2.2 Sozialer Status, soziale Beziehungen und Handlungskontrolle Während mit mikrosoziologischen Ansätzen Einflüsse der Orientierung an sozialen und/oder rechtlichen Normen differenziert beschrieben werden können, eignen sich andere Ansätze, den sozialen Hintergrund zu beleuchten, vor dem Einstellungen zu kriminellem Handeln ebenso wie Kriminalität und kriminelles Handeln entstehen: Die Anomietheorie erlaubt es, Ursachen für kriminelles Handeln auf der Makroebene darzustellen, mit der Theorie sozialer Desorgani-
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sation können Einflüsse auf der Mesoebene beschrieben werden, und die moderne Fassung der Kontrolltheorie spezifiziert Einflüsse auf kriminelles Handeln auf der Mikroebene. Die Anomietheorie wurde ursprünglich von Merton (1938, 1957) formuliert, um zu erklären, warum insbesondere ökonomisch benachteiligte Gruppen ein erhöhtes Kriminalitätsaufkommen aufweisen. Merton (1938, 1957) betrachtete die amerikanische Gesellschaft seiner Zeit als durch die Idee des ›American Dream‹ geprägt, nach der das elementare Lebensziel darin besteht, Wohlstand und finanziellen Erfolg zu erreichen. Dieses Ziel ist ebenso wie die Wege, über die es verwirklicht werden kann, im Rahmen der kulturellen Struktur verankert und gilt für alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen als verbindlich: »(…) culturally defined goals, purposes and interests, held out as legitimate objectives for all or for diversely located members of the society (…). They are the things ›worth striving for‹« (Merton 1957: 132-133), und weiter: »(This) second element of the cultural structure defines, regulates and controls the acceptable modes of reaching out for these goals« (Merton 1957: 133). Im Rahmen einer sozialen Struktur bestehen verschiedene, als legitim angesehene Möglichkeiten, die kulturell vorgegebenen Ziele zu erreichen. Während allerdings die Ziele für alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen gelten, sind die sozialstrukturell verfügbaren Mittel ungleich verteilt. Kulturell vorgegebene Ziele und sozialstrukturell verfügbare Mittel können deckungsgleich sein oder auseinander fallen. Dabei bezeichnet Merton (1957) eine Situation der Diskrepanz zwischen kulturell vorgegebenen Zielen und sozialstrukturell verfügbaren Mitteln als ›Anomie‹: »(It) is (...) conceived as a breakdown in the cultural structure, occuring particularly when there is an acute disjunction between the cultural norms and goals and the socially structured capacities of members of the group to act in accord with them« (Merton 1957: 162). Sind kulturell vorgegebene Ziele und sozialstrukturell verfügbare Mittel deckungsgleich, so resultiert im Sinne der Anomietheorie Konformität, fallen kulturell vorgegebene Ziele und sozialstrukturell verfügbare Mittel auseinander, so führt dies aus anomietheoretischer Sicht zu verschiedenen, nicht konformen Anpassungsformen: »(…) some social structures exert a definite pressure upon certain persons in the society to engage in non-conforming rather than conforming conduct« (Merton 1957: 132, Hervorh. im Orig.). Da insbesondere ökonomisch benachteiligte Gruppen nicht in der Lage sind, Prestige und Ansehen auf den kulturell als legitim definierten Wegen zu erlangen, entsteht unter anomischen Bedingungen für diese Gruppen eine Situation, in der sie – sofern sie die kulturell vorgegebenen Ziele weiterhin als
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Richtlinien ihres Handelns ansehen - auf illegitime Wege der Zielerreichung ausweichen. Merton (1957) hat diesen Anpassungstyp als ›Innovation‹ bezeichnet und insbesondere mit Eigentumsdelikten, die von Angehörigen unterer sozialer Schichten begangen werden, in Verbindung gebracht. Die anomietheoretischen Überlegungen Mertons (1957) sind in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt worden. Eine Richtung hat die Merton’sche Idee eines Auseinanderfallens von kulturell vorgegebenen Zielen und sozialstrukturell verfügbaren Mitteln mikrosoziologisch gewendet und auf die Analyse von Diskrepanzen zwischen Aspirationen und Erwartungen von Akteuren bezogen. Merton (1964) selbst hat ein solches Erleben von Diskrepanzen zwischen Aspirationen und Erwartungen als ›Anomia‹ bezeichnet. Während kontrolltheoretische Perspektiven also von der Annahme einer konstanten Motivation zu kriminellem Handeln ausgehen, ist die Motivation von Akteuren zu kriminellem Handeln aus der Sicht anomietheoretischer Überlegungen variabel (Kornhauser 1978). Im Rahmen der General Strain Theory (Agnew 1985, 1992) wurde das Konzept einer Diskrepanz zwischen Aspirationen und Erwartungen ausgearbeitet, so dass kriminelles Handeln ähnlich wie im Rahmen stresstheoretischer Perspektiven (Lazarus 1966, Lazarus/Folkman 1984, Pearlin 1989) als eine mögliche Form der Anpassung an belastende soziale Rahmenbedingungen erscheint. Eine Situation der ökonomischen Benachteiligung führt also nicht unbedingt zu kriminellem Handeln, sondern kann aufgrund von CopingStrategien und sozialer Unterstützung auch konstruktiv gewendet werden. Diese Überlegung wird von Albrecht und Howe (1992) herangezogen, um die Beobachtung zu erklären, dass die von Merton postulierte Annahme einer Beziehung zwischen sozialer Benachteiligung und dem Kriminalitätsaufkommen im Allgemeinen keine oder nur schwache empirische Unterstützung erfahren hat. Eine andere Richtung der Weiterentwicklung von anomietheoretischen Überlegungen besteht darin, die Idee eines Auseinanderfallens von kulturell vorgegebenen Zielen und sozialstrukturell verfügbaren Mitteln in den Bezugsrahmen eines Makro-Mikro-Makro-Modells soziologischer Erklärungen zu stellen. In diesem Sinne hat Esser (2001: 483-490) die Überlegung formuliert, dass das Verhältnis zwischen kultureller und sozialer Struktur »(die) (…) Interessen und (…) Möglichkeiten (von Akteuren) objektiv bestimmt und damit eine strukturelle (…) Vorgabe für das Handeln (…) bildet« (Esser 2001: 483, Hervorh. im Orig.). Für sozial benachteiligte Gruppen ergibt sich Esser (2001) zufolge eine Situation, in der ein starkes Interesse an der Verfolgung kultureller Ziele mit illegitimen Mitteln besteht, weil die geringe Internalisierung von Normen die Tendenz befördert, illegitime Wege der Zielerreichung zu beschreiten. Bereits
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Opp (1974) hat demgegenüber eine handlungstheoretische Reformulierung der Anomietheorie vorgeschlagen, bei der er den Begriff der Ziele nicht auf kulturell vorgegebene Ziele beschränkt, sondern von »Zielen generell« ausgeht (Opp 1974: 124, Hervorh. im Orig.) und das Verhältnis zwischen legitimen regulierenden Normen einerseits und illegitimen Normen andererseits betrachtet (Opp 1974: 128-130). Kriminelles Handeln hängt allerdings nicht nur von der Intensität der Ziele von Akteuren und den legitimen und illegitimen regulierenden Normen ab, sondern im Sinne der Chancenstrukturtheorie (Cloward 1959) auch von den strukturell verfügbaren Möglichkeiten, legitime und/oder illegitime Optionen zu realisieren (Opp 1974: 131-133). Gemeinsamkeiten zwischen anomietheoretischen Überlegungen und der ökonomischen Kriminalitätstheorie Beckers (1968) haben Frey und Opp (1979) herausgearbeitet. Kriminelles Handeln wird danach als eine Option unter anderen vor dem Hintergrund von Präferenzen bzw. Zielen gewählt, wobei kriminelle Optionen angesichts von internalisierten Normen einerseits und ›objektiv‹ bestehenden Chancen bzw. Restriktionen andererseits einen jeweils geringeren bzw. höheren Nutzen stiften, was wiederum dazu führt, dass kriminelle Aktivitäten unterlassen oder ausgeführt werden. Verstöße gegen internalisierte Normen können aus ökonomischer Perspektive als Kostenfaktoren aufgefasst werden: »Wenn die (…) Internalisierung von Normen als relevant für das Auftreten abweichenden Verhaltens betrachtet werden (kann), dann können wir dies auch so ausdrücken: Von Bedeutung ist, inwieweit mit der Befolgung oder Nicht-Befolgung von Normen psychische oder von Dritten auferlegte Nutzen oder Kosten verbunden sind« (Frey/Opp 1979: 286, Hervorh. im Orig.). Die Theorie sozialer Desorganisation beschreibt die Relevanz sozialer Beziehungen für die Analyse von Kriminalität und kriminellem Handeln. Den Ausgangspunkt für diese Perspektive bildet die Chicago School der Soziologie: Im Anschluss an die von Park et al. (1925) entwickelte Concentric Zone Theory haben sich vor allem Shaw und McKay (1969/1942) mit den Einflüssen von strukturellen Merkmalen städtischer Wohnumgebungen auf das Kriminalitätsaufkommen beschäftigt. Eine besondere Rolle spielte in den frühen Arbeiten der Chicago School die Entdeckung der ›Transition Zone‹ einer expandierenden Stadt, in der es infolge intensiver Wandlungsprozesse zu einer Vielzahl sozialer Probleme, insbesondere zu einem Anstieg der Kriminalitätsraten kommt. Neben dieser strukturellen Erklärung für ein erhöhtes Kriminalitätsaufkommen haben Shaw und McKay (1969/1942) darüber hinaus im Rahmen ihrer Cultural Transmission Theory die sozialen Prozesse beschrieben, die kriminelles Han-
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deln begünstigen. Danach entsteht kriminelles Handeln – ähnlich wie in lerntheoretischen Ansätzen konzeptualisiert - aufgrund eines Kontakts zu kriminellen Verhaltensmustern in der sozialen Umgebung: »This contact means that the traditions of delinquency can be and are transmitted down through successive generations of boys, in much the same way that language and other social forms are transmitted« (Shaw/McKay 1942: 168). Die Theorie sozialer Desorganisation wurde als tautologisch betrachtet, weil das Konzept der sozialen Desorganisation nicht unabhängig von dem zu erklärenden Kriminalitätsaufkommen definiert wurde (Bursik 1988). Diese Kritik hat dazu geführt, dass Weiterentwicklungen des Ansatzes insbesondere strukturelle Merkmale der sozialen Beziehungen in sozial desorganisierten städtischen Wohnumgebungen in den Blick genommen haben. In diesem Zusammenhang haben Bursik und Grasmick »a systemic model that focuses on the regulatory capacities of relational networks that exist within and between neighbourhoods« (Bursik/Grasmick 1995: 107108) vorgeschlagen. Die Autoren formulieren die These, dass sich Netzwerke sozialer Beziehungen im Hinblick auf ihre Fähigkeit, informelle Kontrollen zu etablieren und kriminelles Handeln zu unterbinden, unterscheiden können. Bursik und Grasmick (1995) zufolge hängt diese Fähigkeit von verschiedenen Faktoren ab, nämlich von der Kontakthäufigkeit, der Verbindlichkeit, der Erreichbarkeit sowie der Reichweite, Größe und Dichte sozialer Netzwerke (Bursik/Grasmick 1995: 115-116). Die Autoren vermuten, dass große, gut erreichbare Netzwerke, die sich durch eine hohe Dichte, häufige Kontakte und intensive wechselseitige Verpflichtungen auszeichnen, die effektivsten informellen Kontrollen im Kreis ihrer Mitglieder etablieren können und folglich vergleichsweise niedrige Kriminalitätsraten aufweisen. In empirischen Untersuchungen konnte in diesem Zusammenhang wiederholt gezeigt werden, dass starke Bindungen an religiöse Gruppierungen das Ausmaß krimineller Aktivitäten reduzieren (Evans et al. 1995). Aktuelle Versionen der Kontrolltheorie setzen andere theoretische Schwerpunkte: Die General Theory of Crime (Gottfredson/Hirschi 1990) beansprucht, mit einem einzigen Konstrukt sämtliche Formen kriminellen Handelns erklären zu können. Auch diese Theorie steht in utilitaristischer Tradition und konzeptualisiert kriminelles Handeln als rationales Handeln, das ebenso wie andere Formen absichtsvollen Handelns dem Bemühen folgt, Schaden zu vermeiden und Nutzen zu erzielen. Im Unterschied zu anderen Formen absichtsvollen Handelns zeichnet sich kriminelles Handeln aber dadurch aus, dass es die kurzfristige Befriedigung von Bedürfnissen ermöglicht, jedoch mit dem Risiko langfristig
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negativer Konsequenzen verbunden ist. Es wird angenommen, dass Akteure sich in dem Ausmaß unterscheiden, in dem sie langfristig negative Folgen einer Handlung in die dem Handeln vorausgehenden Wert-Erwartungs-Überlegungen einbeziehen wollen oder können. Diese Neigung rechnen Gottfredson und Hirschi (1990) Akteuren als Eigenschaft zu und bezeichnen sie als ›Self-Control‹. Akteure, die diese Eigenschaft in geringem Maße aufweisen, zeichnen sich durch eine starke Hier- und Jetzt-Orientierung (impulsivity), eine geringe Sorgfalt, Persistenz und Verlässlichkeit (simple tasks), eine starke Abenteuerlust (risk-seeking), ein starkes Interesse an körperlicher Aktivität (physical activity), eine starke Selbstbezogenheit und Indifferenz gegenüber anderen (self-centered) und eine geringe Frustrationstoleranz (temper) aus. Sie orientieren sich an den Bedürfnissen des Augenblicks, nehmen kurzfristig positive Konsequenzen kriminellen Handelns stärker als dessen langfristig negative Konsequenzen in den Blick und handeln eher kriminell: »The impulsive or short-sighted person fails to consider the negative or painful consequences of his acts; the insensitive person has fewer negative consequences to consider; the less intelligent person also has fewer negative consequences to consider (has less to lose)« (Gottfredson/Hirschi 1990: 95). Zentrale Komponenten von Self-Control sind dieser Definition zufolge Impulsivität, Intelligenz und Egoismus. Seit ihrer Veröffentlichung ist die General Theory of Crime zum Gegenstand intensiver Diskussionen geworden und hat inzwischen zahlreiche empirische Forschungsaktivitäten angeregt. Dabei haben sich zwei verschiedene Lesarten der Theorie herausgebildet: Die erste Lesart sieht in der Eigenschaft Self-Control die einzige Ursache für kriminelles Handeln. Die zweite Lesart beruht auf der Idee, dass die Eigenschaft Self-Control nur in Verbindung mit Gelegenheiten zu kriminellem Handeln führt (vgl. Evans et al. 1997, Longshore/Turner 1998, Seipel 1999). Beide Lesarten der Theorie sahen sich jedoch mit dem Problem der Messung von Self-Control konfrontiert. Während sich eine Reihe von Studien allen Tautologievorwürfen zum Trotz (Akers 1991) der Auffassung von Hirschi und Gottfredson (1993) anschließt, die beste Messung von Self-Control sei abweichendes Verhalten zu einem früheren Zeitpunkt (vgl. Marcus 2003), beruht der überwiegende Teil aller Studien auf der von Grasmick et al. (1993b) entwickelten Self-Control-Skala, die an die Beschreibung von Akteuren mit einer geringen Merkmalsausprägung anschließt. Zwar haben beide Lesarten der Theorie empirische Unterstützung erfahren (vgl. die Meta-Analyse von Pratt/Cullen 2000), die Frage der Konzeptualisierung und Messung des zentralen Konstrukts Self-Control ist jedoch kontrovers geblieben und hat insbesondere in jüngerer Zeit Weiterentwicklungen des Ansatzes angeregt. Hier lassen sich gegenwärtig
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zwei Entwicklungsrichtungen voneinander unterscheiden: Eine Richtung greift die Idee auf, das Self-Control die Einschätzung der positiven und negativen Konsequenzen kriminellen Handelns beeinflusst und verbindet den Ansatz mit einer Theorie rationaler Wahl. Während die frühere Version der General Theory of Crime die langfristig negativen Konsequenzen kriminellen Handelns thematisiert hat, bezieht sich die gegenwärtige Diskussion im Anschluss an Hirschi (2004) auf alle negativen Konsequenzen: »(…) costs were viewed in the long term, (…) costs are now considered instantaneously« (Piquero/Bouffard 2007: 7). Auf diese Weise rückt der Moment einer kriminellen Handlungsentscheidung stärker in den Mittelpunkt des Interesses: »(…) self-control is now more contemporaneous, occuring at the instant of decision-making« (Piquero/Bouffard 2007: 7). In empirischen Untersuchungen haben sich verschiedene Einflüsse von Self-Control auf kriminelles Handeln in Verbindung mit einer Theorie rationaler Wahl darstellen lassen: Self-Control wirkt danach vermittelt über den subjektiv erwarteten Nutzen kriminellen Handelns (Nagin/Paternoster 1993) oder interagiert mit diesem. In sehr differenzierter Weise haben Piquero und Tibbetts (1996) Einflüsse von Self-Control und subjektiv erwartetem Nutzen untersucht. Sie zeigen, dass Einflüsse von Self-Control zum Teil über die Wahrnehmung der positiven und negativen Handlungskonsequenzen vermittelt sind, wobei Self-Control zwar den Schaden von Scham und den Nutzen der positiven Handlungskonsequenzen beeinflusst, nicht aber die abschreckende Wirkung von Strafe. Scham und positive Konsequenzen beeinflussen als Nutzenkomponenten sodann kriminelles Handeln. Der größere Teil des Effekts von Self-Control ist allerdings direkt und nicht vermittelt über die genannten Nutzenkomponenten. Die Studie von Tibbetts und Myers (1999) führte zu dem Ergebnis, dass der direkte Einfluss von Self-Control unter Kontrolle des subjektiv erwarteten Nutzens verschwindet. Dies betrifft insbesondere die Kostenkomponente Scham. In anderen Studien zeigte sich, dass Self-Control den abschreckenden Einfluss von Strafe moderiert: So führte die Studie von Nagin und Pogarsky (2001) zu dem Ergebnis, dass die Neigung zu unüberlegtem Handeln den Einfluss der Sanktionsschwere reduziert. Nagin und Paternoster fanden eine Interaktion zwischen Self-Control und den Kosten informeller Sanktionen. Die Autoren zeigten, dass mit sinkender Self-Control ein Verlust sozialer Beziehungen an Relevanz verliert: »(…) due to their greater investment in personal capital, individuals who are more future oriented and less self-centered are more deterred by the perceived risk of damage to that investment« (Nagin/Paternoster 1994: 600). Demgegenüber fanden andere Studien (Tittle/Botchkovar 2005, Wright et al. 2004), dass Einflüsse der Kosten von formellen oder informellen
2.2 Soziale Situation und kriminelles Handeln
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Sanktionen nur bei Akteuren mit geringer Self-Control bestehen. Bouffard (2002) fand einen Einfluss von Self-Control nur für emotionale Komponenten des Nutzens von kriminellem Handeln. Die Analyse von Piquero und Bouffard (2007) geht von der Überlegung aus, dass Self-Control sich als Einfluss aller negativen Konsequenzen einer Handlung darstellen lässt. Im Sinne einer Hilfskonstruktion haben die Autoren mit Hirschi und Gottfredson (1994, 2001) strafrechtliche Sanktionen als langfristig negativ bezeichnet (vgl. Piquero/Bouffard 2007: 17) und Einflüsse von negativen Konsequenzen auf kriminelles Handeln differenziert untersucht. Dabei zeigte sich, dass ein Index aller negativen Konsequenzen kriminelles Handeln beeinflusste, während ein Index der langfristig negativen Konsequenzen keinen Einfluss auf kriminelles Handeln hatte. Die Autoren schlussfolgern entsprechend: »This new, redefined self-control measure, then adds predictive utility over and above a strictly long-term costs conceptualization« (Piquero/Bouffard 2007: 18). Eine andere Richtung der Weiterentwicklung bezieht sich auf das Konzept Self-Control und führt ausgehend von der Theorie der Selbstregulation (Baumeister et al. 1994) eine Unterscheidung zwischen zwei Komponenten ein: Eine Komponente wird in Analogie zu Reckless’ Konzept der Containments als die Fähigkeit beschrieben, Versuchungen zu widerstehen, eine andere Komponente wird in Analogie zu Hirschi’s Konzept der sozialen Bande als die Motivation bezeichnet, angesichts von Gelegenheiten von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen: »We hope to facilitate integrative efforts by exploring the possibility that some people may have a strong capacity for self-control but may not always want to exercise it, while others may have weak self-control ability but have such a keen interest in controlling their deviant impulses that they end up conforming« (Tittle et al. 2004: 146). Während die Fähigkeitskomponente der bisherigen Beschreibung von Akteuren mit geringer Self-Control entspricht, umfasst die Motivationskomponente verschiedene Aspekte: Akteure mit einer hohen Bereitschaft, Self-Control auszuüben, sorgen sich um ihre Selbstachtung, ihr Ansehen und ihr gutes Gewissen (Tittle et al. 2004: 151-153). Die wenigen vorliegenden empirischen Befunde unterstützen diese Überlegungen (Cochran et al. 2006, Tittle et al. 2004). Allerdings ist die theoretische Zuordnung dieser Weiterentwicklung ambivalent: Sie lässt sich zum einen als Versuch lesen, verschiedene kontrolltheoretische Ansätze miteinander zu verknüpfen, da die Fähigkeitskomponente der bisherigen Eigenschaft Self-Control entspricht, während die Motivationskomponente inhaltliche Übereinstimmungen zu den bisherigen sozialen Banden Attachment, Commitment und Belief aufweist (Cochran et al. 2006). Insbesondere die Motivationskomponente lässt sich zum anderen aber auch im Sinne
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2. Kriminalität im Alltag
einer Theorie rationaler Wahl lesen, wobei die Fähigkeit zur Self-Control die Wert-Erwartungs-Überlegungen im Sinne der informellen und internen Kosten kriminellen Handelns beeinflussen würde. Letztere Interpretation würde dazu führen, dass sich die oben eingeführte Unterscheidung zwischen zwei aktuellen Entwicklungsrichtungen auflösen würde. Die Frage, welcher Lesart hier der Vorzug zu geben ist, ist allerdings vorläufig eine empirische. Da mit dem Konstrukt Self-Control eine Neigung von Akteuren beschrieben wird, die den Prozess der Handlungsentscheidung prägt, wird Self-Control im Folgenden als ›Handlungskontrolle‹ bezeichnet.
2.2.3 Schlussfolgerungen Ansätze, die Einflüsse von Merkmalen der sozialen Situation auf kriminelles Handeln spezifiziert haben, wurden bislang kaum auf die Analyse des kriminellen Handelns angesichts von Gelegenheiten angewandt. Lediglich Einflüsse von negativen Einstellungen im Sinne einer Orientierung an rechtlichen Normen und Einflüsse von Handlungskontrolle wurden analysiert. Bisherige Untersuchungen der Bedingungen von kriminellem Handeln angesichts von Gelegenheiten haben kriminelles Handeln ausgehend von einer Theorie rationaler Wahl als überlegtes Handeln konzeptualisiert. Es zeigte sich, dass kriminelles Handeln nicht allein durch den subjektiv erwarteten instrumentellen Nutzen erklärt werden kann. Vielmehr zeigte sich, dass die Orientierung an rechtlichen Normen ein stärkerer Prädiktor für kriminelles Handeln ist als die subjektiv erwartete Bestrafung, dass sie über die subjektiv erwartete Bestrafung vermittelt zu kriminellem Handeln führt, oder dass sie mit der subjektiv erwarteten Bestrafung interagiert. Als ähnlich vielgestaltig haben sich die Beziehungen zwischen Handlungskontrolle, dem subjektiv erwarteten Nutzen und kriminellem Handeln erwiesen: Handlungskontrolle verhindert kriminelles Handeln, in dem sie den subjektiv erwarteten Nachteil durch Schamgefühle erhöht, Handlungskontrolle verändert ebenso die Beziehung zwischen dem subjektiv erwarteten Nutzen und kriminellem Handeln: So zeigte sich in manchen Studien entgegen der Erwartung, dass die Beziehung zwischen der subjektiv erwarteten Bestrafung und kriminellem Handeln bei Akteuren mit geringer Handlungskontrolle stärker ist. In bisherigen Studien kriminellen Handelns aus der Perspektive einer Theorie rationaler Wahl wurde außerdem deutlich, dass kriminelles Handeln weniger auf instrumentelle als vielmehr auf nicht-instrumentelle Anreize zurückgeführt werden kann. Ansätze, die andere Einflüsse von Merkmalen der sozialen Situation auf kriminel-
2.3 Kriminelles Handeln im Alltag als rationale Wahl?
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les Handeln spezifiziert haben, wurden bislang jedoch nicht auf die Analyse des kriminellen Handelns angesichts von Gelegenheiten bezogen. Die von Tittle (1995) als ›einfache Theorien‹ bezeichneten kriminalsoziologischen Ansätze können jedoch herangezogen werden, um Beziehungen zwischen der sozialen Situation, Orientierungen an sozialen und/oder rechtlichen Normen, dem subjektiv erwarteten Nutzen und kriminellem Handeln angesichts von Gelegenheiten genauer als in bisherigen Studien geschehen zu formulieren. Die Aufgabe der folgenden Ausführungen besteht darin, einen entsprechenden theoretischen Bezugsrahmen zu entwickeln.
2.3 Kriminelles Handeln im Alltag als rationale Wahl? In der Analyse der sozialen Bedingungen des kriminellen Handelns angesichts von Gelegenheiten können zwei Aspekte des Begriffs der ›Situation‹ voneinander unterschieden werden (vgl. Kap. 1): Der Begriff der Situation bezieht sich zum einen auf den Ausschnitt der alltäglichen Erfahrung, der von Akteuren als Gelegenheit erlebt wird (vgl. Kap. 2.1). Er bezieht sich außerdem auf den sozialen Hintergrund, vor dem Gelegenheiten als Ereignisse gesehen werden (vgl. Kap. 2.2). Situationen, die als ›günstige Gelegenheiten‹ zu kriminellem Handeln betrachtet werden, sind sowohl in einem ›objektiven‹ Sinne beschrieben auch in einem ›subjektiven‹ Sinne als Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung rekonstruiert worden. Akteure, die gefragt werden, angesichts welcher Gelegenheiten sie in Versuchung geführt werden, etwas zu nehmen oder zu behalten, das ihnen nicht gehört oder zusteht, nennen übereinstimmend Situationen, in denen Geld oder aber Objekte, die ähnlich wie Geld universal verwendbar sind, unbeobachtet bzw. unbemerkt mitgenommen oder behalten werden können (vgl. Kap. 2.1). Wenn die Ausführung oder Unterlassung kriminellen Handeln angesichts einer ›günstigen Gelegenheit‹ erklärt wird, in dem einerseits auf das Prinzip des normbezogenen Handelns und andererseits auf das Prinzip des rationalen Handelns Bezug genommen wird, verweist dies auf verschiedene Interpretationen der Situationen, die als ›günstige Gelegenheiten‹ bezeichnet werden. Werden solche Gelegenheiten ausgehend von der High-Cost-/Low-Cost-These als LowCost-Situationen gedeutet, so werden sie als Situationen betrachtet, in denen keine negativen Konsequenzen in Form von Strafe zu erwarten sind, in denen es also mit anderen Worten »um nichts geht« (Quandt/Ohr 2004: 683). Werden sie dagegen im Lichte der Abschreckungsidee gesehen, so werden sie als Situatio-
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nen betrachtet, in denen Akteure einen vergleichsweise geringen Interessenkonflikt erleben (vgl. Kap. 1). Unklar bleibt aufgrund der vorliegenden Ergebnisse, wie genau sich die soziale Situation von Akteuren mit diesen Interpretationen verbinden lässt. Beide Definitionen der Situation und beide Prinzipien der Erklärung können aber im Rahmen des Modells der Frame-Selektion (Kroneberg 2005, 2007) reformuliert und im Hinblick auf eine empirische Analyse ausgearbeitet werden. Ein entsprechender theoretischer Bezugsrahmen wird im Folgenden entwickelt.
2.3.1 Das Modell der Frame-Selektion und kriminelles Handeln Das Modell der Frame-Selektion (Kroneberg 2005, 2007) knüpft an Überlegungen der Frame-Selektions-Theorie (Esser 2001) an, die insbesondere von der Absicht geleitet war, die Weber’schen Idealtypen des zweckrationalen, wertrationalen, traditionalen und affektuellen Handelns (Weber 1990/1922) innerhalb des Makro-Mikro-Makro-Modells soziologischer Erklärungen analysierbar zu machen. Mit der Idee einer ›variablen Rationalität‹ wurden rationale ebenso wie normative Handlungskonzepte in den Bezugsrahmen der ›Coleman’schen Badewanne‹ gestellt (Esser 2001, Kroneberg 2005). Neuere Überlegungen beziehen sich insbesondere auf eine Integration des wertrationalen Idealtypus (Kroneberg 2007). Das Modell der Frame-Selektion nimmt eine analytische Trennung zwischen der Definition der Situation und dem Handeln vor, in dem es die Beziehung zwischen sozialer Situation und Handeln in drei Schritte zerlegt (vgl. Abb. 2-2): Ein erster Schritt bezieht sich auf die Definition der Situation, die durch den Akteur vorgenommen wird (Frame-Selektion). In einem zweiten Schritt werden innerhalb dieses Rahmens Handlungsmöglichkeiten eruiert (Skript-Selektion), von denen eine in einem dritten Schritt (HandlungsSelektion) realisiert wird (Kroneberg 2005). Eine zentrale Annahme des Modells der Frame-Selektion besteht im Anschluss an Esser (2001) darin, dass die einzelnen Selektionen in zwei Modi erfolgen können, nämlich entweder in einem reflektiert-kalkulierenden Modus (rc-Modus) oder in einem automatischspontanen Modus (as-Modus). Diese Unterscheidung geht auf sozialpsychologische Einstellungs-Verhaltens-Theorien zurück, die einen Modus der Verknüpfung von Einstellungen und Verhalten über einen Prozess der Intentionsbildung analog zur Theorie überlegten Verhaltens (Fishbein/Ajzen 1975) von einem Modus der unmittelbaren Verknüpfung von Einstellungen und Verhalten unterscheiden (Fazio 1990).
2.3 Kriminelles Handeln im Alltag als rationale Wahl?
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Die Idee des Framing beschreibt, dass Akteure im Moment des Handelns eine Definition der Situation vor dem Hintergrund sozialer Strukturen und Prozesse vornehmen. Esser (2003) beschreibt diesen Hintergrund als »(…) die Interessen der Akteure, die geltenden institutionellen Regeln und die kulturellen Rahmungen durch kollektiv geteilte Vorstellungen und Weltbilder (…)« (Esser 2003: 158). Ein Frame wird als ein gedankliches Modell betrachtet, das die Definition der Situation steuert: »Es sind kollektiv verbreitete, in den Gedächtnissen der Akteure verankerte kulturelle Muster, ›kollektive Repräsentationen‹ typischer Situationen, und die ›Werte‹ als generalisierbare kognitiv-emotionale Ordnungsschemata, die alles andere, die Zwecke und die Mittel, die Präferenzen und die Erwartungen, strukturieren.« (Esser 2003: 159, Hervorh. im Orig.). Es wird angenommen, dass Frames aufgrund von Zeichen in der Situation (cues) entweder in einem as-Modus oder einem rc-Modus aktiviert werden. Der Modus der Informationsverarbeitung hängt davon ab, wie gut die Zeichen in der Situation und vorhandene gedankliche Modelle zueinander passen. Während die Frame-Selektion im rc-Modus mit der SEU-Theorie modelliert werden kann, ergibt sich die Frame-Selektion im as-Modus aufgrund des Match mi, der als multiplikative Verknüpfung des Ausmaßes, in dem ein Frame mental verankert ist (ai), in dem Zeichen in der Situation auf den Frame hinweisen (oi), und in dem Frame und Zeichen mental verbunden sind (vi) dargestellt wird (vgl. Kroneberg 2007: 218). Die Selektion eines Frames führt im nächsten Schritt zu einer Aktivierung von möglichen Handlungsabläufen oder Skripten im Sinne »ganze(r) Bündel von mental gespeicherten Handlungssequenzen« (Esser 2003: 159). Der Begriff des Skripts wird kognitionspsychologischen Ansätzen entlehnt. Aus der Perspektive der Skripttheorie Abelsons (Abelson 1976, Schank/Abelson 1977) ist das Wissen über alltägliche Handlungsvollzüge in Form von Skripten kognitiv organisiert und verfügbar. Ein kognitives Skript wird als »(…) a coherent sequence of events expected by the individual, involving him either as a participant or as the observer« (Abelson 1976: 33) definiert, das aus ›Vignetten‹ besteht, die die »raw constituents of remembered episodes in the individual´s experience« (Abelson 1976: 34) bilden. Abelson bezeichnet ›Vignetten‹ als »(…) an encoding of an event of short duration, in general including both an image (often visual) of the perceived event and conceptual representation of the event« (Abelson 1976: 34). Skripte beziehen sich auf »(…) die auf die Situation bezogenen typischen Erwartungen (…) über die typische Wirksamkeit typischer Mittel« (Esser 2001: 263, Hervorh. im Orig.). Auch Skripte können entweder in einem as-Modus oder in einem rc-Modus aktiviert werden. Im as-Modus ist das
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2. Kriminalität im Alltag
Produkt aus der mentalen Zugänglichkeit (aj|i) und der mentalen Verankerung des Skripts (aj) im gegebenen Frame mi maßgeblich für die Aktivierung eines Skripts. Die Skript-Selektion im rc-Modus wird mit der SEU-Theorie dargestellt (vgl. Kroneberg 2007: 218). Ebenso wie die Skript-Selektion wird auch die sich anschließende HandlungsSelektion entweder in einem automatisch-spontanen Modus oder in einem reflektiert-kalkulierenden Modus vorgenommen. Die Handlungs-Selektion im asModus hängt von dem Ausmaß ab, in dem ein Skript das Handeln regelt (ak|j), das mit der Aktivierung eines Skripts innerhalb eines Frames multiplikativ verknüpft ist. Die Handlungs-Selektion im rc-Modus wird mit der SEU-Theorie modelliert (vgl. Kroneberg 2007: 219). Abbildung 2-2: Das Modell der Frame-Selektion13
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Die Darstellung orientiert sich an Kroneberg (2005: 348).
2.3 Kriminelles Handeln im Alltag als rationale Wahl?
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Jüngere Beiträge zur Frame-Selektions-Theorie bzw. zum Modell der FrameSelektion beziehen sich auf die Integration des wertrationalen Idealtyps (Esser 2003). Dabei hat Stachura (2006) die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen der Definition der Situation und dem Handeln herausgestellt und wertrationale Aspekte der Frame-Selektion beschrieben. Greve (2003) bezieht sich auf den Idealtyp des wertrationalen Handelns und betrachtet wertrationale Begründungen für Handlungsoptionen als Komponenten von Handlungsentscheidungen. Kroneberg (2007) unterscheidet in diesem Zusammenhang Frames, die einen unmittelbaren Bezug zu Wertorientierungen als ›Richtpunkten des Handelns‹ besitzen, und Frames, die diesen Bezug nicht aufweisen. Eine Frame-Selektion, die im reflektiert-kalkulierenden Modus eine Betrachtung von Wertorientierungen einschließt, findet statt, wenn eine Situation der Unsicherheit über die angesichts bestimmter Umstände relevanten Ziele gegeben ist. Wenn sich eine solche Unsicherheit auf die Geltung oder Passung von Werten bezieht, wird ein Prozess der »wertrationalen Definition der Situation« (Stachura 2006: 449) initiiert. Innerhalb eines Frames können also gleichzeitig konkurrierende Ziele und Wertbezüge gelten. Im automatisch-spontanen Modus ergibt sich die Wertorientierung unmittelbar aus dem match mi, im reflektiert-kalkulierenden Modus wird die Wertorientierung als Überzeugung herausgebildet, nämlich als »bewusst gebildete(r) Angemessenheitsglauben pi« (Kroneberg 2007: 225, Hervorh. im Orig.). Diese Überzeugung ergibt sich aus drei Komponenten, nämlich der Reflektion über Zeichen in der Situation (oi), über den Bezug zwischen Zeichen und Wertorientierungen (vi) und die Geltung der Wertbezüge (ai) (Kroneberg 2007: 227). Wenn eine Frame-Selektion aufgrund von Wertorientierungen vorgenommen wird, so resultieren daraus normative Anforderungen im Hinblick auf die Skript-Selektion und die Wahl einer bestimmten Handlungsoption (Kroneberg 2007: 230 ff.).
2.3.2 Schlussfolgerungen Während im Mittelpunkt bisheriger Analysen kriminellen Handelns aus der Perspektive der SEU-Theorie die Frage stand, warum angesichts von Gelegenheiten kriminell gehandelt wird, stellt das Modell der Frame-Selektion zunächst die Frage, aus welchen Gründen Akteure Ausschnitte ihrer alltäglichen Erfahrung als Gelegenheiten zu kriminellem Handeln definieren und die Möglichkeit sehen, sich durch kriminelles Handeln Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen. Erst im Anschluss daran wird untersucht, aus welchen Gründen Akteure
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2. Kriminalität im Alltag
kriminell handeln. Die oben aufgezeigten, bislang konkurrierenden Antworten auf die Frage, warum angesichts einer Gelegenheit kriminell gehandelt wird, können innerhalb dieses Bezugsrahmens analysiert und einer empirischen Analyse zugänglich gemacht werden: Im Anschluss an die Selektion des Frames Gelegenheit werden die Skripte kriminelles und konformes Handeln aktiviert, und es kann entweder in einem automatisch-spontanen Modus oder in einem reflektiert-kalkulierenden Modus gehandelt werden. Für die Frame-Selektion ist dabei die Überlegung maßgeblich, dass die Definition einer Situation als Gelegenheit das Wissen der Akteure einschließt, möglicherweise etwas zu tun, das gegen soziale und/oder rechtliche Normen verstößt. Die Unrechtmäßigkeit des Mitnehmens oder Behaltens von Wertgegenständen, die anderen gehören, wird erkannt und steht der Möglichkeit, sich materielle Vorteile zu verschaffen, gegenüber. In diesem Zusammenhang kann eine Definition der Situation als Gelegenheit entweder den Aspekt der Sanktionsrisiken oder den Aspekt konkurrierender Ziele betonen: Eine ›günstige Gelegenheit‹ kann entweder als Low-CostSituation interpretiert werden, in der Akteure aufgrund eines geringen Entdeckungsrisikos nichts zu verlieren haben (vgl. Kap. 1), oder als Interessenkonflikt, in dem verschiedene, einander widersprechende Ziele zugleich Bestandteil eines Frames werden (vgl. Kap. 2.1). Betrachtet man den Frame Gelegenheit als Interessenkonflikt, so lässt sich eine Gelegenheit analog zu Lewins Konzept des Appetenz-Aversions-Konflikts konzeptualisieren: »Ein Konflikt (…) ist psychologisch zu charakterisieren als eine Situation, in der gleichzeitig entgegengesetzt gerichtete, dabei aber annähernd gleich starke Kräfte auf das Individuum einwirken« (Lewin 1931: 11, Hervorh. im Orig.). Während die erste Lesart zu der Annahme führt, dass kriminelles Handeln aus der Perspektive der High-Cost/Low-Cost-These durch Orientierungen an sozialen und/oder rechtlichen Normen oder Persönlichkeitsmerkmale erklärt werden kann, führt die zweite Lesart zu der Annahme, dass das Erleben eines Zielkonflikts die Skript- und Handlungs-Selektion in konträre Richtungen lenkt und eine Entscheidung über die Ausführung oder Unterlassung kriminellen Handelns erfordert. Im Folgenden wird kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten aus der Perspektive des Modells der Frame-Selektion analysiert, wobei die Vorstellung, dass ein Ausschnitt der alltäglichen Erfahrung als ›günstige Gelegenheit‹ erlebt wird, vorausgesetzt wird. Wenngleich im Rahmen des Modells der FrameSelektion angenommen wird, dass auch in einem im as-Modus selegierten Frame die Skript- und Handlungs-Selektion im rc-Modus erfolgen kann und umgekehrt (Esser 2001, Kroneberg 2005), scheint für die Analyse kriminellen Han-
2.4 Forschungsfragen und Variablenmodell der Untersuchung
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delns die Annahme plausibler, dass Frame-, Skript- und Handlungs-Selektion in jeweils einem Modus erfolgen. Eine Frame-Selektion im as-Modus würde also auch eine Skript- und Handlungs-Selektion im as-Modus nach sich ziehen, und eine Frame-Selektion im rc-Modus würde bedeuten, dass auch die Skript- und Handlungs-Selektion als das Ergebnis vernünftiger Überlegungen konzeptualisiert werden können. Akteure, denen sich im Rahmen ihrer Routineaktivitäten eine ›günstige Gelegenheit‹ bietet, erleben diesen Ausschnitt ihrer alltäglichen Erfahrung als ein Ereignis, das den erwarteten Fortgang der Ereignisse unterbricht. Entweder verfügen Akteure angesichts dieses Ereignisses über Routinen und sehen sich eindeutigen normativen Anforderungen ausgesetzt, was dazu führt, dass sich die Schritte der Skript- und Handlungs-Selektion im automatisch-spontanen Modus anschließen, oder sie müssen angesichts dieses Ereignisses über das Erlebte und die möglichen Handlungsausgänge nachdenken, so dass die Schritte der Skript- und Handlungs-Selektion in einem reflektiertkalkulierenden Modus prozessiert werden.
2.4 Forschungsfragen und Variablenmodell der Untersuchung Auf der Grundlage von Analysen, die ›günstige Gelegenheiten‹ aus der Sicht von Akteuren rekonstruiert haben, werden für die vorliegende Studie zwei Situationen ausgewählt. Bei beiden Situationen handelt es sich um Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung, in denen Geld, das Akteuren nicht gehört und/oder nicht zusteht, unauffällig mitgenommen und/oder behalten werden kann (Kap. 2.1). Es handelt sich zum einen um die Situation der Fundunterschlagung und zum anderen um die Situation des Wechselgeldirrtums. In der Situation der Fundunterschlagung besteht aufgrund zivilrechtlicher Regelungen die Verpflichtung, den Fund anzuzeigen, die Fundsache aufzubewahren und sie ihrem rechtmäßigen Besitzer zukommen zu lassen. Als ›konformes Handeln‹ gilt es, wenn gefundenes Geld in Übereinstimmung mit diesen rechtlichen Normen zurückgegeben wird (Palandt 2008). Demgegenüber gilt es als ›kriminelles Handeln‹, wenn gefundenes Geld, sofern eine Grenze der Geringwertigkeit überschritten wird, behalten wird, da ein solches Handeln aufgrund strafrechtlicher Regelungen als ›kriminell‹ definiert und mit negativen Sanktionen belegt ist (Tröndle et al. 2008). In der Situation des Wechselgeldirrtums befinden sich Akteure nicht in einer Garantenfunktion und sind nicht verpflichtet, den Irrtum aufzuklären. Sie begehen keine Unterschlagung in einem strafrechtlichen Sinne, wenn sie den Irrtum unterhalten. Ein Verkäufer, der seinen Irrtum bemerkt, könnte aber einen
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Herausgabeanspruch begründen (Kindhäuser 2002, 2005a, 2005b; Wieling 2001). Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung wird im Folgenden aber dennoch von ›kriminellem Handeln‹ gesprochen, wenn Akteure irrtümlich erhaltenes Wechselgeld absichtlich einstecken und behalten, und von konformem Handeln, wenn sie den Irrtum aufklären. Beide Situationen zeichnen sich dadurch aus, dass Akteure für die erfolgreiche Ausführung der als ›kriminell‹ bezeichneten Formen sozialen Handelns keiner besonderen Fähigkeiten oder Fertigkeiten bedürfen. Den Ausgangspunkt der vorliegenden Studie bildet die Vorstellung, dass sowohl die Situation der Fundunterschlagung als auch die Situation des Wechselgeldirrtums als ›günstige Gelegenheiten‹ erlebt werden (vgl. Kap. 2.1). Aus der Perspektive des Modells der Frame-Selektion wird also vorausgesetzt, dass die Schritte der Frame- und Skript-Selektion bereits stattgefunden haben, so dass es in einem weiteren Schritt darum geht, die sozialen Bedingungen der HandlungsSelektion zu spezifizieren. Frame- und Skript-Selektion können – wie bereits argumentiert wurde – sowohl in einem automatisch-spontanen als auch in einem reflektiert-kalkulierenden Modus erfolgt sein. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann angenommen werden, dass Akteure angesichts einer ›günstigen Gelegenheit‹14 entweder in einem automatisch-spontanen oder in einem reflektiert-kalkulierenden Modus kriminell oder konform handeln. Wenn der Frame Gelegenheit im as-Modus aktiviert wurde, wird die Selektion des Skripts kriminelles Handeln umso wahrscheinlicher, je stärker es innerhalb des selegierten Frames mental zugänglich (aj|i) und verankert (aj) ist, und die HandlungsSelektion erfolgt anschließend im as-Modus, je stärker das aufgerufene Skript das Handeln steuert (ak|j). Eine automatisch-spontane Handlungs-Selektion könnte aus verschiedenen Gründen resultieren. Zum einen können Akteure aufgrund internalisierter Normen angesichts einer Gelegenheit kriminell oder konform handeln. Als Proxy für die Bindung an konventionelle soziale bzw. rechtliche Normen wurden in bisherigen Studien die Merkmale Alter, Geschlecht und Erfahrung mit kriminellem Handeln verwendet (Grasmick/Bursik 1990). Im Anschluss an Beobachtungen zu Vorkommen und Häufigkeit kriminellen Handelns wird vermutet, dass auch kriminelles Handeln angesichts einer Gelegenheit vom Alter, Geschlecht und von der Erfahrung abhängt. Die Wahrscheinlichkeit, dass angesichts einer 14 Im Folgenden wird der Einfachheit halber nur von ›Gelegenheiten‹ gesprochen, wobei stets ›günstige Gelegenheiten‹ gemeint sind.
2.4 Forschungsfragen und Variablenmodell der Untersuchung
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Gelegenheit kriminell gehandelt wird, reduziert sich mit steigendem Alter und bei Akteuren weiblichen Geschlechts, und erhöht sich, wenn Akteure bereits über Erfahrungen mit der Unterschlagung gefundener Geldscheine und der ungerechtfertigten Bereicherung in der Situation des Wechselgeldirrtums verfügen. Zum anderen können im Sinne der High-Cost-/Low-Cost-These Merkmale der sozialen Situation, wie sie im Rahmen kriminalsoziologischer Ansätze beschrieben wurden, dazu führen, dass Akteure angesichts einer Gelegenheit kriminell oder konform handeln (vgl. Kap. 2.2). Während in bisherigen Studien lediglich negative Einstellungen zu kriminellem Handeln im Sinne einer Bindung an rechtliche Normen als Prädiktor für kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten untersucht wurden, können Merkmale der sozialen Situation im Folgenden differenzierter beschrieben werden. Aus lerntheoretischen Ansätzen folgt die Überlegung, dass Akteure aufgrund von positiven Einstellungen zu kriminellem Handeln eine kriminelle Aktivität ausführen, und das Konzept der Neutralisierungstechniken besagt, dass Akteure sich mittels neutralisierender Einstellungen von der Verpflichtung befreien können, soziale und rechtliche Normen zu befolgen (vgl. Kap. 2.2.1). Außerdem kann anomietheoretischen Ansätzen zufolge soziale Benachteiligung mit einer Schwächung der Bindung an Konventionen verbunden sein und in diesem Sinne kriminelles Handeln begünstigen. Dabei ist zu vermuten, dass vor allem das Erleben von sozialer Benachteiligung handlungsrelevant wird. Aus der Perspektive der Theorie sozialer Desorganisation folgt die Überlegung, dass Akteure, deren Einbindung in konventionelle soziale Beziehungen gering ist, eher zu kriminellem Handeln neigen werden. Schließlich lässt sich aus der General Theory of Crime ableiten, dass die Fähigkeit zur Handlungskontrolle die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, mit der Akteure angesichts einer Gelegenheit kriminell handeln (vgl. Kap. 2.2.2). Allerdings könnte die Annahme, dass kriminelles Handeln in einem automatisch-spontanen Modus selegiert werden kann, im Widerspruch zu der Idee gesehen werden, dass es sich bei kriminellem Handeln per definitionem stets um absichtsvolles Handeln handelt (vgl. Kap. 1). Hier scheint jedoch die Überlegung plausibel, dass auch eingelebte Gewohnheiten ursprünglich einmal auf der Grundlage vernünftiger Überlegungen gebildet wurden und solange aufrecht erhalten werden, wie sie sich als Nutzen stiftend bewähren: »Even when performing routine behaviour individuals often explore what consequences their behaviour might have. (...) The decision underlying a habit is not revised until new behavioural consequences emerge. It may therefore only seem to an outside observer that behavioural consequences are not considered. But even if behaviours become a habit individuals may continually ›recalculate‹ to
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make sure that the behavioural consequences taken into account have not changed and, thus, that their habit is the best behavioural choice for them« (Friedrichs/Opp 2002: 403, Hervorh. im Orig.). Mit dieser Überlegung kann auch kriminelles Handeln, das in einem as-Modus selegiert wird, als absichtsvolles Handeln gedeutet werden. Die Idee einer automatisch-spontanen Selektion kriminellen Handelns wird in Abbildung 2-3 veranschaulicht. Abbildung 2-3: Soziale Situation und kriminelles Handeln
An einen im rc-Modus gewählten Frame schließt sich eine Skript- und Handlungs-Selektion im rc-Modus an. Die Aktivierung des Frames führt zur Aktivierung zweier Skripte, von denen ein Skript auf dem Unrechtsbewusstsein und der Meidung negativer Sanktionen (konformes Handeln), und ein anderes Skript dem Ziel der materiellen Bereicherung (kriminelles Handeln) verpflichtet ist. Die Handlungs-Selektion erfolgt im Sinne der SEU-Theorie als vernünftige Entscheidung. Der SEU-Theorie zufolge wird kriminelles Handeln umso wahrscheinlicher, je stärker der subjektiv erwartete Nutzen kriminellen Handelns den Wert Null übersteigt. Ausgehend von der Überlegung, dass die Ausführung kriminellen Handelns angesichts von Gelegenheiten nicht an besondere Fähigkeiten oder Fertigkeiten geknüpft ist, wird die Wahrscheinlichkeit des Eintretens positiver Handlungskonsequenzen hier nicht im Sinne von Effizienzerwartungen, sondern im Sinne der subjektiv wahrgenommenen Eintrittswahrscheinlichkeit konzeptualisiert (vgl. Kap. 2.1.2). Eine Entscheidung für kriminelles Handeln wird durch instrumentelle und nicht-instrumentelle Nutzenkomponenten
2.4 Forschungsfragen und Variablenmodell der Untersuchung
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bestimmt. Der Theorie sozialer Produktionsfunktionen (Lindenberg 1989) entsprechend orientieren sich Akteure an ihrem Bedürfnis nach sozialer Wertschätzung und physischem Wohlbefinden und bewerten den Nutzen, den die Folgen kriminellen Handelns im Hinblick auf die Befriedigung dieser Bedürfnisse stiften. Neben instrumentellen Anreizen wie materieller Bereicherung und formeller Bestrafung können also auch nicht-instrumentelle Anreize wie soziale Anerkennung, negative informelle Sanktionen in Form einer Entdeckung durch das Opfer und negative interne Sanktionen in Form eines schlechten Gewissens als relevante Nutzenkomponenten einbezogen werden. Im Einklang mit den Ergebnissen vorliegender Studien kann dabei vermutet werden, dass Entscheidungen für kriminelles Handeln insbesondere von informellen und internen Sanktionen und weniger von formellen Sanktionen abhängen (vgl. Kap. 2.1.2). Dabei lassen sich instrumentelle Komponenten wie die materielle Bereicherung und die formelle Bestrafung auf den Idealtyp des zweckrationalen Handelns beziehen, während sich nicht-instrumentelle Komponenten wie insbesondere der subjektiv erwartete Schaden durch ein schlechtes Gewissen dem Idealtyp des wertrationalen Handelns zuordnen lassen. Eine Unterlassung kriminellen Handelns, die sich auf die Überlegung gründet, den Schaden durch ein schlechtes Gewissen meiden zu wollen, lässt sich als ›wertrationale Begründung‹ im Rahmen einer Entscheidung zwischen konformem und kriminellem Handeln auffassen (vgl. Greve 2003: 645). Abbildung 2-4 veranschaulicht die Idee einer reflektiert-kalkulierenden Selektion kriminellen Handelns. Abbildung 2-4: Subjektiv erwarteter Nutzen und kriminelles Handeln
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2. Kriminalität im Alltag
Diesen Überlegungen zufolge ist kriminelles Handeln umso wahrscheinlicher, je höher der subjektiv erwartete Nutzen von materieller Bereicherung und sozialer Anerkennung ist, und je geringer der subjektiv erwartete Schaden durch ein schlechtes Gewissen, durch die Entdeckung durch andere und durch eine formelle Bestrafung ist. Allerdings sprechen nicht alle vorliegenden Studien für ein solches additives Zusammenwirken der einzelnen Nutzenkomponenten, bei dem sich die Effekte einzelner Nutzenkomponenten wechselseitig kompensieren können. Vielmehr könnte auch vermutet werden, dass Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens durch formelle Sanktionen über informelle und interne Sanktionen vermittelt werden (vgl. Kap. 2.1.2). An diese Konzeptualisierung lassen sich weitere Überlegungen anschließen, die Einflüsse der sozialen Situation auf kriminelles Handeln spezifizieren. Wenn der Frame Gelegenheit im as-Modus aktiviert wurde, können Einflüsse von Merkmalen der sozialen Situation über Einstellungen vermittelt sein (Mediatormodell, vgl. Abb. 2-5). Denkbar ist außerdem, dass Einflüsse von Einstellungen mit der sozialen Situation von Akteuren variieren (Moderatormodell, vgl. Abb. 2-5). Aus anomietheoretischer Sicht kann eine Situation der sozialen Benachteiligung negative Einstellungen zu kriminellem Handeln bzw. die Orientierung an rechtlichen Normen schwächen, neutralisierende Einstellungen zu kriminellem Handeln begünstigen und eine geringe Handlungskontrolle fördern. Aus der Perspektive der Theorie sozialer Desorganisation kann eine defizitäre Einbindung in konventionelle soziale Beziehungen positive Einstellungen zu kriminellem Handeln fördern und negative Einstellungen zu kriminellem Handeln schwächen. Schließlich kann die Fähigkeit zur Handlungskontrolle die Orientierung an sozialen und rechtlichen Normen beeinflussen: Je geringer die Handlungskontrolle ausgeprägt ist, desto schwächer sind negative Einstellungen zu kriminellem Handeln. Dem Mediatormodell zufolge führen positive, negative und neutralisierende Einstellungen sodann zu kriminellem Handeln. Im Anschluss an das bereits erläuterte sequentielle Modell (vgl. Kap. 2.1.2), wonach Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens durch eine formelle Bestrafung nur dann bestehen, wenn Akteure nicht durch Bindungen an rechtliche Normen an kriminellem Handeln gehindert werden, kann im Rahmen des Modells der Frame-Selektion auch die Annahme formuliert werden, dass Merkmale der sozialen Situation wie der soziale Status, die sozialen Beziehungen und die Handlungskontrolle mit Einstellungen zu kriminellem Handeln einerseits und dem subjektiv erwarteten Nutzen andererseits interagieren.
2.4 Forschungsfragen und Variablenmodell der Untersuchung
61
Abbildung 2-5: Soziale Situation, Einstellungen und kriminelles Handeln Mediatormodell
Moderatormodell
Danach bestimmt die soziale Situation von Akteuren darüber, ob angesichts einer günstigen Gelegenheit unhinterfragt auf der Grundlage von Einstellungen gehandelt wird, oder aber, ob angesichts einer günstigen Gelegenheit eine vernünftige Entscheidung getroffen wird. Die soziale Situation kann in diesem Sinne dazu führen, dass die normativen Anforderungen der Gelegenheit als
62
2. Kriminalität im Alltag
eindeutig erscheinen und damit eine Handlungs-Selektion im automatischspontanen Modus auf der Grundlage von Einstellungen zu kriminellem Handeln fraglos nach sich ziehen. Abbildung 2-6: Soziale Situation, subjektiv erwarteter Nutzen und kriminelles Handeln Mediatormodell
Moderatormodell
2.4 Forschungsfragen und Variablenmodell der Untersuchung
63
Wenn demgegenüber der Frame Gelegenheit im rc-Modus aktiviert wurde, können Merkmale der sozialen Situation die Handlungs-Selektion beeinflussen, in dem sie über instrumentelle und nicht-instrumentelle Nutzenkomponenten vermittelt wirken (Mediatormodell, vgl. Abb. 2-6). Außerdem kann die Überlegung formuliert werden, dass Einflüsse von instrumentellen und nichtinstrumentellen Anreizen mit der sozialen Situation von Akteuren interagieren (Moderatormodell, vgl. Abb. 2-6). Aus der Perspektive der Theorie der Differentiellen Assoziationen wird der subjektiv erwartete Nutzen von sozialer Anerkennung auf positive Einstellungen zu kriminellem Handeln zurückgeführt. Aus kontrolltheoretischer Sicht wird angenommen, dass Akteure, die sich in geringem Maße an die Befolgung von Gesetzen gebunden fühlen, in geringerem Maße Kosten in Form einer formellen Bestrafung oder interner Sanktionen erwarten. Neutralisierende Einstellungen zu kriminellem Handeln fördern einerseits das Interesse an materieller Bereicherung und schwächen andererseits das schlechte Gewissen. Aus anomietheoretischer Sicht ergibt sich im Anschluss an Frey und Opp (1979) und Esser (2001) die Vorhersage, dass eine Situation sozialer Benachteiligung zu einer Verringerung des wahrgenommenen Risikos einer formellen Bestrafung und zu einer Erhöhung des Nutzens einer materiellen Bereicherung führt. Aus der Theorie sozialer Desorganisation resultiert die Überlegung, dass Akteure, die im Rahmen ihrer sozialen Kontexte nur geringen oder keinen informellen Kontrollen ausgesetzt sind, einen geringeren Schaden durch informelle negative Sanktionen erwarten. Schließlich lässt sich aus den Studien von Nagin und Paternoster (1993), Tibbetts und Myers (1999) und Piquero und Tibbetts (1996) zur General Theory of Crime die Annahme ableiten, dass mit sinkender Handlungskontrolle der Nutzen positiver Handlungskonsequenzen steigt bzw. der Schaden durch negative Handlungskonsequenzen sinkt. Einem Mediatormodell zufolge führt der subjektiv erwartete Nutzen dann umso eher zu kriminellem Handeln, je stärker sein Wert den Wert Null übersteigt. Ausgehend von einem sequentiellen Modell (vgl. Kap. 2.1.2) kann die soziale Situation aber auch dazu führen, dass Akteure sich angesichts einer Gelegenheit zunächst die normativen Anforderungen vergegenwärtigen müssen und ihre Handlungs-Selektion somit in einem rc-Modus prozessieren. Für eine solche Überlegung sprechen Studien, in denen der Einfluss des subjektiv erwarteten Nachteils durch eine formelle Bestrafung bei Akteuren mit einer schwachen Bindung an rechtliche Normen und einer geringen Handlungskontrolle stärker ist (vgl. Kap. 2.1.2 und Kap. 2.2.2). Der rc-Modus wäre umso eher zu erwarten, je weniger die normativen Anforderungen, die eine Gelegenheit an das Handeln stellt, aufgrund der sozialen Situation der Akteure als auferlegt erscheinen.
64
2. Kriminalität im Alltag
2.5 Hypothesen Die Idee, dass sich kriminelles Handeln angesichts einer Gelegenheit mit dem Modell der Frame-Selektion als automatisch-spontane oder reflektiertkalkulierende Selektion vor dem Hintergrund der sozialen Situation von Akteuren verstehen und erklären lässt (vgl. Kap. 2.4), führt zu einer Reihe von empirisch überprüfbaren Aussagen, die im Folgenden spezifiziert werden.
2.5.1 Soziale Situation und kriminelles Handeln Aus der Perspektive des Modells der Frame-Selektion erfolgt kriminelles Handeln im automatisch-spontanen Modus, wenn der Frame ›Gelegenheit‹ aufgrund der sozialen Situation in starkem Maße auferlegt ist (vgl. Kap. 2.4, Abb. 2-3). Diese Überlegung führt zur ersten Untersuchungshypothese: Hypothese 1 Es wird angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der angesichts einer Gelegenheit kriminell gehandelt wird, … Hypothese 1.1 … mit steigendem Alter sinkt, bei Akteuren weiblichen Geschlechts geringer ist, und sich nach positiven Erfahrungen mit kriminellem Handeln erhöht; Hypothese 1.2 … steigt, je stärker das Ausmaß ist, in dem Akteure über positive Einstellungen zu kriminellem Handeln verfügen, wenn also kriminelle Handlungsmuster in der sozialen Umgebung überwiegen (Differentielle Assoziationen), wenn Akteure positive Reaktionen auf kriminelles Handeln antizipieren (Differentielle Verstärkung), und wenn Akteure kriminelles Handeln billigen (Definitionen); Hypothese 1.3 … sinkt, je stärker das Ausmaß ist, in dem Akteure über negative Einstellungen zu kriminellem Handeln verfügen, je stärker also Akteure an konventionelle Bezugsgruppen gebunden sind (Attachment), je stärker sie sich diesen Bezugs-
2.5 Hypothesen
65
gruppen gegenüber verpflichtet fühlen (Commitment), und je stärker die Überzeugung ist, sich an Gesetze halten zu müssen (Belief)15; Hypothese 1.4 … steigt, wenn Akteure über neutralisierende Einstellungen zu kriminellem Handeln verfügen, wenn sie also kriminelles Handeln rechtfertigen, in dem sie ihre Verantwortung (denial of responsibility), den entstandenen Schaden (denial of injury) und das Opfer (denial of a victim) leugnen; Hypothese 1.5 … steigt, je niedriger der soziale Status von Akteuren ist, je stärker insbesondere die erlebte soziale Benachteiligung ist; Hypothese 1.6 … steigt, je weniger Akteure in konventionelle soziale Beziehungen eingebunden sind, je weniger aktiv sie insbesondere in Vereinen und Kirche sind; Hypothese 1.7 … steigt, je niedriger die Handlungskontrolle von Akteuren ausgeprägt ist, je stärker also ihre Impulsivität ist, je geringer ihre Intelligenz ist, und je stärker ihr Egoismus ist.
2.5.2 Kriminelles Handeln als rationale Wahl? Kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten wird in einem reflektiertkalkulierenden Modus prozessiert, wenn es aufgrund einer geringeren Auferlegtheit des Frames ›Gelegenheit‹ erforderlich wird, konfligierende Ziele des Handelns gegeneinander abzuwägen (vgl. Kap. 2.4, Abb. 2-4). Diese Annahme wird im Rahmen der zweiten Untersuchungshypothese formuliert: Hypothese 2 Es wird angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der angesichts einer Gelegenheit kriminell gehandelt wird, …
15 Zwar wurde die Kontrolltheorie abweichenden Verhaltens in der Absicht formuliert, konformes Handeln zu erklären; die Theorie wird jedoch im vorliegenden Zusammenhang auf die Erklärung kriminellen Handelns bezogen (vgl. Kap. 2.2).
66
2. Kriminalität im Alltag
Hypothese 2.1 … steigt, je geringer der subjektiv erwartete Schaden durch formelle Sanktionen in Form von Strafe ist; Hypothese 2.2 … steigt, je geringer der subjektiv erwartete Schaden durch formelle Sanktionen in Form von Strafe und durch interne Sanktionen in Form eines schlechten Gewissens ist; Hypothese 2.3 … steigt, je höher der subjektiv erwartete Nutzen durch materielle Bereicherung und von informellen Sanktionen in Form von sozialer Anerkennung ist und je geringer der subjektiv erwartete Schaden durch interne Sanktionen in Form eines schlechten Gewissens, durch informelle Sanktionen aufgrund einer Entdeckung durch das Opfer und durch formelle Sanktionen in Form von Strafe ist.
2.5.3 Soziale Situation, rationale Wahl und kriminelles Handeln Aus der Perspektive des Modells der Frame-Selektion können Merkmale der sozialen Situation entweder zu einer Selektion kriminellen Handelns im automatisch-spontanen Modus oder zu einer Selektion kriminellen Handelns im reflektiert-kalkulierenden Modus führen. Wenn der Frame ›Gelegenheit‹ in starkem Maße auferlegt ist, können Merkmale der sozialen Situation sowohl über die Aktivierung von Einstellungen vermittelt auf kriminelles Handeln wirken als auch die Beziehung zwischen Einstellungen und kriminellem Handeln verändern (vgl. Kap. 2.4, Abb. 2-5). Ist demgegenüber die Auferlegtheit des Frames ›Gelegenheit‹ gering, können Merkmale der sozialen Situation sowohl über den subjektiv erwarteten Nutzen die Selektion kriminellen Handelns beeinflussen als auch die Beziehung zwischen subjektiv erwartetem Nutzen und kriminellem Handeln moderieren (vgl. Kap. 2.4, Abb. 2-6). Diese Überlegungen führen zur dritten Untersuchungshypothese. Hypothese 3 Die dritte Untersuchungshypothese bezieht sich auf Annahmen über die Selektion kriminellen Handelns im automatisch-spontanen Modus (Hypothese 3.1) und im reflektiert-kalkulierenden Modus (Hypothese 3.2).
2.5 Hypothesen
67
Hypothese 3.1 Die Annahme, dass kriminelles Handeln in einem automatisch-spontanen Modus selegiert wird, bezieht sich zum einen auf ein Mediatormodell (Hypothese 3.1.1), und zum anderen auf ein Moderatormodell (Hypothese 3.1.2). Hypothese 3.1.1 Es wird angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der angesichts einer Gelegenheit kriminell gehandelt wird, … Hypothese 3.1.1.1 … sinkt, je stärker Akteure über negative Einstellungen zu kriminellem Handeln verfügen. Einstellungen zu kriminellem Handeln sind umso eher negativ, je höher der soziale Status von Akteuren ist; Hypothese 3.1.1.2 … steigt, wenn Akteure auf kognitive Strategien der Rechtfertigung zurückgreifen können. Diese neutralisierenden Einstellungen sind umso eher vorhanden, je niedriger der soziale Status von Akteuren ist; Hypothese 3.1.1.3 … steigt, je geringer die Fähigkeit zur Handlungskontrolle ist. Je niedriger der soziale Status von Akteuren ist, desto geringer ist die Fähigkeit zur Handlungskontrolle ausgeprägt; Hypothese 3.1.1.4 … steigt, je stärker positive Einstellungen zu kriminellem Handeln sind. Je weniger Akteure in konventionelle soziale Beziehungen eingebunden sind, desto stärker sind positive Einstellungen zu kriminellem Handeln ausgeprägt; Hypothese 3.1.1.5 … sinkt, je mehr Akteure über negative Einstellungen zu kriminellem Handeln verfügen. Einstellungen zu kriminellem Handeln sind umso stärker negativ, je mehr Akteure in konventionelle soziale Beziehungen eingebunden sind; Hypothese 3.1.1.6 … steigt, je mehr Akteure über negative Einstellungen zu kriminellem Handeln verfügen. Einstellungen zu kriminellem Handeln sind umso stärker negativ, je mehr die Fähigkeit zur Handlungskontrolle ausgeprägt ist.
68
2. Kriminalität im Alltag
Hypothese 3.1.2 Es wird angenommen, … Hypothese 3.1.2.1 … dass der Einfluss von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln in der Gruppe der statushohen Befragten stärker ist als in der Gruppe der statusniedrigen Befragten; Hypothese 3.1.2.2 … dass der Einfluss von neutralisierenden Einstellungen auf kriminelles Handeln in der Gruppe der statushohen Befragten stärker ist als in der Gruppe der statusniedrigen Befragten; Hypothese 3.1.2.3 … dass der Einfluss von Handlungskontrolle auf kriminelles Handeln in der Gruppe der statushohen Befragten stärker ist als in der Gruppe der statusniedrigen Befragten; Hypothese 3.1.2.4 … dass der Einfluss von positiven Einstellungen auf kriminelles Handeln in der Gruppe der Befragten, die in starkem Maße in konventionelle soziale Beziehungen eingebunden sind, stärker ist; Hypothese 3.1.2.5 … dass der Einfluss von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln in der Gruppe der Befragten, die in starkem Maße in konventionelle soziale Beziehungen eingebunden sind, stärker ist; Hypothese 3.1.2.6 … dass der Einfluss von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln in der Gruppe der Befragten, deren Fähigkeit zur Handlungskontrolle stark ausgeprägt ist, stärker ist. Hypothese 3.2 Die Annahme, dass kriminelles Handeln in einem reflektiert-kalkulierenden Modus selegiert wird, bezieht sich zum einen auf die Überlegung, dass Merkmale der sozialen Situation über den subjektiv erwarteten Nutzen vermittelt zu kriminellem Handeln führen (Hypothese 3.2.1), und zum anderen auf die Überlegung, dass der Einfluss des subjektiv erwarteten Nutzens auf kriminelles Handeln mit Merkmalen der sozialen Situation variiert (Hypothese 3.2.2).
2.5 Hypothesen
69
Hypothese 3.2.1 Es wird angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der angesichts einer Gelegenheit ein gefundener Geldschein unterschlagen oder irrtümlich erhaltenes Wechselgeld behalten wird, steigt, je höher der subjektiv erwartete Nutzen von materieller Bereicherung und von informellen Sanktionen ist und je geringer der subjektiv erwartete Schaden durch interne Sanktionen, durch informelle Sanktionen und durch formelle Sanktionen ist. Hypothese 3.2.1.1 Der subjektiv erwartete Nutzen von informellen Sanktionen ist umso höher, und der subjektiv erwartete Schaden durch interne und informelle Sanktionen ist umso geringer, je stärker positive Einstellungen zu kriminellem Handeln ausgeprägt sind. Hypothese 3.2.1.2 Der subjektiv erwartete Schaden durch interne Sanktionen ist umso geringer, je weniger negative Einstellungen zu kriminellem Handeln ausgeprägt sind. Hypothese 3.2.1.3 Der subjektiv erwartete Nutzen von materieller Bereicherung ist höher, und der subjektiv erwartete Schaden durch interne Sanktionen ist geringer, wenn Akteure über kognitive Strategien der Rechtfertigung verfügen. Hypothese 3.2.1.4 Der subjektiv erwartete Nutzen von materieller Bereicherung und von informellen Sanktionen ist umso höher, und der subjektiv erwartete Schaden durch interne Sanktionen ist umso geringer, je niedriger der soziale Status von Akteuren ausgeprägt ist. Hypothese 3.2.1.5 Der subjektiv erwartete Nutzen von informellen Sanktionen ist umso höher, und der subjektiv erwartete Schaden durch interne und informelle Sanktionen ist umso geringer, je weniger Akteure in konventionelle soziale Beziehungen eingebunden sind. Hypothese 3.2.1.6 Der subjektiv erwartete Nutzen von materieller Bereicherung und von informellen Sanktionen ist umso höher, und der subjektiv erwartete Schaden durch interne Sanktionen ist umso geringer, je weniger die Fähigkeit zur Handlungskontrolle ausgeprägt ist.
70
2. Kriminalität im Alltag
Hypothese 3.2.2 Es wird angenommen, … Hypothese 3.2.2.1 … dass der Einfluss des subjektiv erwarteten Nutzens von informellen Sanktionen und des subjektiv erwarteten Schadens durch informelle Sanktionen in der Gruppe der Befragten, die in geringem Maße über positive Einstellungen zu kriminellem Handeln verfügen, stärker ist; Hypothese 3.2.2.2 … dass der Einfluss des subjektiv erwarteten Nutzens von materieller Bereicherung und informellen Sanktionen und des subjektiv erwarteten Schadens durch interne Sanktionen in der Gruppe der Befragten, die in geringem Maße über negative Einstellungen zu kriminellem Handeln verfügen, stärker ist; Hypothese 3.2.2.3 … dass der Einfluss des subjektiv erwarteten Nutzens von materieller Bereicherung und des subjektiv erwarteten Schadens durch interne Sanktionen in der Gruppe der Befragten, die nicht über kognitive Strategien der Rechtfertigung verfügen, stärker ist; Hypothese 3.2.2.4 … dass der Einfluss des subjektiv erwarteten Nutzens von materieller Bereicherung und informellen Sanktionen und des subjektiv erwarteten Schadens durch interne und informelle Sanktionen in der Gruppe der Befragten, deren sozialer Status niedrig ist, stärker ist; Hypothese 3.2.2.5 … dass der Einfluss des subjektiv erwarteten Nutzens von informellen Sanktionen und des subjektiv erwarteten Schadens durch interne und informelle Sanktionen in der Gruppe der Befragten, die nicht in konventionelle soziale Beziehungen eingebunden sind, stärker ist; Hypothese 3.2.2.6 … dass der Einfluss des subjektiv erwarteten Nutzens von materieller Bereicherung und informellen Sanktionen und des subjektiv erwarteten Schadens durch interne und informelle Sanktionen in der Gruppe der Befragten, deren Fähigkeit zur Handlungskontrolle gering ausgeprägt ist, stärker ist.
3. Empirische Untersuchung
Im Mittelpunkt dieser Studie steht kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten, angesichts von Situationen also, die es ermöglichen, sich im Rahmen alltäglicher Handlungsvollzüge Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen. Es wird vermutet, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der Akteure entweder unhinterfragt oder aufgrund von Überlegungen andere übervorteilen, ganz maßgeblich durch die soziale Situation der Akteure strukturiert ist. Nachdem in den vorhergehenden Teilen der Studie entsprechende theoretische Vorstellungen erörtert und Forschungsfragen formuliert wurden, widmen sich die nachfolgenden Ausführungen nun der empirischen Analyse der aus diesen Überlegungen abgeleiteten Untersuchungshypothesen (vgl. Kap. 2.5).
3.1 Methoden Für die situationsbezogene Analyse kriminellen Handelns wurden im vorliegenden Zusammenhang zunächst Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung ausgewählt, die übereinstimmend als ›günstige Gelegenheiten‹ betrachtet werden. Auf der Grundlage von Vorstudien (vgl. Kap. 2.1) wurden zwei solcher Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung für die vorliegende Untersuchung ausgewählt: eine Situation, in der sich einem Akteur die Möglichkeit bietet, einen gefundenen Geldschein unbemerkt zu behalten, und eine weitere Situation, in der ein Akteur die Gelegenheit erhält, bei einem Einkauf in einer Bäckerei irrtümlich erhaltenes Wechselgeld stillschweigend zu einzustecken (vgl. Kap. 2.4). Beide Situationen eröffnen sich im Zuge von Routinen des alltäglichen Lebens spontan und erfordern, dass Akteure sich in irgendeiner Weise zu ihnen verhalten. Am Beispiel dieser Situationen verfolgt die Studie die Frage, inwiefern kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten entweder als unhinterfragtes oder als überlegtes Handeln vor dem Hintergrund der sozialen Situation von Akteuren aufzufassen ist (vgl. Kap. 2.4). In bisherigen Studien wurden die sozialen Bedingungen kriminellen Handelns häufig mittels experimenteller Designs untersucht. Laborexperimente wurden jedoch vielfach kritisiert, weil sie im Vergleich zu alltäglichen Handlungsvoll-
72
3. Empirische Untersuchung
zügen ›künstliche‹ Situationen darstellen, eine geringe ›Realitätsnähe‹ aufweisen (mundane realism, Aronson/Carlsmith 1968) und vergleichsweise homogene Gruppen von Akteuren untersuchen. Feldexperimente können demgegenüber sicherlich realitätsnah gestaltet werden, weisen jedoch den Nachteil auf, dass keine Informationen über Einflüsse der sozialen Situation von Akteuren auf deren Handeln erhoben werden können. In der vorliegenden Studie sind Einflüsse der Merkmale von Gelegenheiten auf kriminelles Handeln allerdings nicht von Interesse. Vielmehr sollen an ›gleichen Gelegenheiten‹ - d. h. an übereinstimmend als ›günstig‹ definierten Gelegenheiten - Einflüsse ›unterschiedlicher‹ sozialer Situationen von Akteuren auf kriminelles Handeln untersucht werden. Daher wurden Techniken der Umfrageforschung gewählt, die die Analyse des kriminellen Handelns einer möglichst heterogenen Gruppe von Akteuren ermöglichen, und die ein möglichst hohes Maß an Vergleichbarkeit des Kontextes kriminellen Handelns erreichen können. Kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten wurde folglich nicht über Proxy-Variablen abgebildet, vielmehr wurden standardisierte Situationen mit dem Verfahren der Vignettentechnik modelliert (vgl. Kap. 2.1). Ein Vorteil von Vignetten im Vergleich zu anderen Erhebungstechniken wird darin gesehen, dass sie eine Annäherung an die alltäglichen Handlungsvollzüge von Akteuren ermöglichen und eine Standardisierung des Kontextes, vor dessen Hintergrund gehandelt wird, leisten. Zwar ist evident, dass mit der Vignettentechnik kein tatsächliches Handeln im Rahmen alltäglicher Handlungsvollzüge gemessen werden kann, verschiedene Studien deuten inzwischen aber darauf hin, dass Messungen von vermutlichem Handeln mit Vignetten als Annäherung an Messungen tatsächlichen Handelns aufgefasst werden können (vgl. Eifler 2007, 2008c). Die Vignettentechnik erfüllt damit verschiedene Anforderungen an ein Verfahren der Datenerhebung, die im Kontext der vorliegenden Studie relevant sind: Wenn angesichts eines einheitlichen Bezugsrahmens des Handelns Einflüsse von Merkmalen der sozialen Situation auf kriminelles Handeln in alltäglichen Handlungszusammenhängen untersucht werden sollen, so ermöglicht der Einsatz von Vignetten eine ›realitätsnahe‹ Abbildung von Gelegenheiten zu kriminellem Handeln. Außerdem kann mit der Vorgabe standardisierter Situationen prinzipiell ein hohes Maß an interner Validität erzielt werden. Schließlich gestattet es die Verwendung verbaler Vignetten im Rahmen schriftlicher Befragungen, Informationen über den subjektiv erwarteten Nutzen kriminellen Handelns, über Einstellungen zu kriminellem Handeln und über die soziale Situation an Stichproben der Allgemeinbevölkerung zu erheben. Im Folgenden wird ausgehend von diesen Vorüberlegungen nun die empirische Untersuchung beschrieben.
3.1 Methoden
73
3.1.1 Datenerhebung Die empirische Untersuchung wurde im Zeitraum von Juni 2001 bis Mai 2004 an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld durchgeführt und mit Mitteln der Fritz Thyssen Stiftung finanziert16. Die Studie wurde als postalische Befragung zu einem Erhebungszeitpunkt (Querschnittstudie) nach der von Dillman (1978) begründeten ›Total-Design-Method‹ durchgeführt. Als Erhebungszeitraum wurde die Zeitspanne zwischen dem 1. September und dem 30. November 2001 festgelegt. Die Studie umfasste in einem ersten Schritt ein Ankündigungsschreiben, in dem die Probanden um ihre Teilnahme an der Untersuchung gebeten wurden. Dabei wurde die Studie als »Umfrage ›Zwischenmenschliche Beziehungen‹« bezeichnet, in der es um die Frage gehe, »wie sich Beziehungen zwischen Menschen in der heutigen Zeit gestalten und wie sich Menschen im alltäglichen Miteinander verhalten«. Im Abstand von einer Woche erfolgte in einem zweiten Schritt der Versand des Fragebogens zusammen mit einem frankierten Rückumschlag. Der Fragebogen umfasste eine ausführliche schriftliche Instruktion, die die Probanden über den allgemeinen Hintergrund der Untersuchung informierte, Hinweise zur Bearbeitung der einzelnen Fragen gab, und nachdrücklich auf die Anonymität der Befragung und die anschließende Verwendung der Daten zu ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken hinwies. Auf dem Fragebogen war außerdem eine Telefonnummer angegeben, unter der die Befragten während des Erhebungszeitraums Auskünfte über die Studie einholen konnten. In je vierzehntägigem Abstand wurden in einem dritten und vierten Schritt zwei Erinnerungsschreiben an alle Probanden versandt.
3.1.2 Stichprobe Auf der Basis des Einwohnermelderegisters der Stadt Bielefeld wurde eine einfache Zufallsstichprobe (n=6125) gezogen. Als Grundgesamtheit wurden die im Meldewesen erfassten Bürgerinnen und Bürger, die zum Stichtag 1. August 2001 im Alter zwischen 18 und 65 Jahren waren (Geburtsjahrgänge 1936 bis 1983), ihren einzigen Wohnsitz in Bielefeld hatten und die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, bestimmt. Die Auswahlgesamtheit konnte nicht um Adressen von Anstaltsinsassen bereinigt werden. Neben den Adressen der ausgewählten 16 Projekt »Kriminelle Handlungen im Kontext von Routineaktivitäten«, Fritz Thyssen Stiftung: Geschäftszeichen 20.01.0.021
74
3. Empirische Untersuchung
Personen standen amtliche Daten zu Alter und Geschlecht zur Verfügung. Von den n=6125 Personen haben insgesamt n=2081 Personen der Bitte um Teilnahme an der Studie entsprochen und mit einem vollständig ausgefüllten Fragebogen geantwortet. Informationen über mögliche Gründe für entstandene Ausfälle, etwa durch ungültige Adressen, explizite Verweigerung oder durch NichtBefragbarkeit, können im vorliegenden Zusammenhang nicht differenziert dargestellt werden17. Ausschöpfung und Selektivität der realisierten Stichprobe (n=2081) werden daher nur in sehr grober Weise anhand des Alters und des Geschlechts der Befragten beurteilt. Tabelle 3-1: Ausschöpfung und Selektivität der Stichprobe18 Auswahl
Stichprobe
Ausschöpfung
Amtliche Statistik
fi
pi
fi
pi
pi
pi
18 – 20
344
.06
123
.06
.36
.05
21 – 39
2312
.37
753
.36
.33
.44
40 – 49
1446
24
476
.23
.33
.21
50 – 65
2023
.33
724
.35
.36
.30
Gesamt
6125
1.00
2076
1.00
.34
1.00
fi
pi
fi
pi
pi
pi
männlich
3011
.49
924
.44
.31
.51
weiblich
3114
.51
1155
.56
.37
.49
Gesamt
6125
1.00
2079
1.00
.34
1.00
Altersgruppen
Geschlecht
Aus Tabelle 3-1 geht hervor, dass die Ausschöpfung durchschnittlich 34% beträgt, sich in allen Altersgruppen als vergleichsweise ähnlich erweist und lediglich zwischen etwa 33% und 36% variiert. Geringfügige Unterschiede zeigen 17
vgl. ausführlicher zu den angedeuteten Problemen Albers (1997) und Schnell (1991) Hier und im Folgenden werden mit fi absolute Häufigkeiten und mit pi relative Häufigkeiten bezeichnet.
18
3.1 Methoden
75
sich aber im Hinblick auf das Geschlecht der Befragten: Frauen haben hier mit einer Ausschöpfung von 37% eine leicht höhere Teilnahmebereitschaft unter Beweis gestellt als Männer, deren Ausschöpfung 31% beträgt. Während die Altersverteilungen der einfachen Zufallsauswahl und der realisierten Stichprobe sehr ähnlich ausfallen, zeigt sich eine nennenswerte Abweichung für die Gruppe der 21- bis unter 40-jährigen Probanden von den Angaben der amtlichen Statistik: Diese Altersgruppe ist in der realisierten Stichprobe mit 36% gegenüber 43% leicht unterrepräsentiert. Infolge der höheren Ausschöpfung in der Gruppe der weiblichen Befragten sind Frauen in der realisierten Stichprobe mit 56% im Vergleich zur einfachen Zufallsauswahl ebenso wie im Vergleich zur amtlichen Statistik geringfügig überrepräsentiert. Gegenüber der Anwendung inferenzstatistischer Verfahren, deren Ergebnisse sich auf beide Geschlechter und alle Altersgruppen gleichermaßen beziehen sollen, bestehen folglich keine prinzipiellen Einwände. Da in der vorliegenden Studie konkurrierende Annahmen über Einflüsse des sozialen Status auf kriminelles Handeln geprüft werden sollen, ist außerdem sicher zu stellen, dass unterschiedliche Statusgruppen in der realisierten Stichprobe adäquat abgebildet werden konnten. Deshalb werden Angaben zum monatlichen Nettoeinkommen des Haushalts in der realisierten Stichprobe mit Daten des Allbus 2000 verglichen (vgl. Tab. 3-2)19. Die Analyse zeigt, dass in der realisierten Stichprobe n=1920 gültige Angaben zum monatlichen Nettoeinkommen und zur Haushaltsgröße vorliegen. Unabhängig von ihrer Größe verfügen alle Haushalte der realisierten Stichprobe über ein vergleichsweise höheres monatliches Nettoeinkommen als die Haushalte, die im Rahmen des Allbus 2000 befragt worden sind. Diese Beobachtung betrifft vor allem die mittleren und hohen Einkommensgruppen (4000–4999 DM, 5000–5999 DM) in 2- und 3Personen-Haushalten. Dagegen zeichnen sich die in der realisierten Stichprobe vertretenen 1-Personen-Haushalte dadurch aus, dass mittlere Einkommensgruppen (2500–2999 DM, 3000–3999 DM) mit 19% und 22% gegenüber 12% und 3% vergleichsweise stärker vertreten sind. Bezieher eines sehr hohen Haushaltseinkommens, d. h. eines Einkommens von mehr als 6000 DM, sind mit 28% gegenüber 3% in der Untersuchungsstichprobe erheblich stärker repräsentiert.
19 Da der Allbus 2000 dem Themenschwerpunkt »Sanktion und Abweichung« gewidmet war, wurde der PAPI-Teil dieser Studie hier zu Vergleichszwecken herangezogen (ZA Studie Nr. 3452).
76
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-2: Analyse der Einkommensverteilung* Haushaltsgröße 1
3
2
n
Allbus
fi
pi
fi
pi
fi
pi
fi
pi
999 DM
8
.09
17
.10
2
.22
77
.15
1000–1749 DM
27
.29
56
.32
47
.20
130
.26
1750–2499 DM
35
.38
48
.27
43
.18
126
.25
2500–2999 DM
11
.12
15
.08
26
.11
52
.10
3000–3999 DM
3
.03
18
.10
39
.17
60
.12
4000–4999 DM
5
.05
13
.07
13
.06
31
.06
5000–5999 DM
3
.03
5
.03
5
.02
13
.03
6000 DM
1
.01
6
.03
10
.04
17
.03
Gesamt
93
1.00
178
1.00
235
1.00
506
1.00
Stichprobe
fi
pi
fi
pi
fi
pi
fi
pi
999 DM
14
.04
4
.06
3
<.01
21
.01
1000–1749 DM
62
.17
12
.02
10
.01
85
.04
1750–2499 DM
83
.22
42
.06
20
.02
145
.08
2500–2999 DM
71
.19
37
.06
27
.03
135
.07
3000–3999 DM
83
.22
131
.20
129
.15
343
.18
4000–4999 DM
29
.08
134
.20
192
.22
355
.19
5000–5999 DM
16
.04
123
.19
165
.19
304
.16
6000 DM
14
.04
178
.27
341
.38
533
.28
372
1.00
661
1.00
887
1.00
1920
1.00
Gesamt
* monatliches Nettoeinkommen des Haushalts
3.1 Methoden
77
Ob diese Überrepräsentation mittlerer und hoher Einkommensgruppen auf eine selektive Teilnahme dieser Haushalte im Vergleich zu Haushalten mit geringem monatlichen Nettoeinkommen zurückzuführen ist, kann im vorliegenden Zusammenhang nicht sicher beurteilt werden, da keine Daten des monatlichen Nettoeinkommens für die Bevölkerung der Stadt Bielefeld verfügbar sind. Ein Vergleich mit den Daten des Mikrozensus (vgl. Statistisches Bundesamt 2001) führt jedoch zu ähnlichen Resultaten wie der hier vorgenommene, sehr grobe Vergleich mit den Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage des Jahres 2000. Die Befunde deuten also eher darauf hin, dass Personen aus privilegierten Haushalten eine höhere Teilnahmebereitschaft gezeigt haben. Ganz grundlegenden Zweifel an der adäquaten Abbildung von unterschiedlichen Statusgruppen in der realisierten Stichprobe ergeben sich daraus aber nicht. Die Prüfung der Untersuchungshypothesen und die Prüfung des Geltungsbereichs der Aussagen können entsprechend mit inferenzstatistischen Verfahren erfolgen. Im Folgenden wird die Untersuchungsstichprobe im Hinblick auf soziodemographische Merkmale und Merkmale der sozialen Position der Befragten charakterisiert und mit den Daten des Allbus 2000 verglichen. Aus Tabelle 3-3 geht hervor, dass die Verteilung des Geschlechts in der Untersuchungsstichprobe nur marginale Abweichungen von den Daten des Allbus 2000 aufweist. Das mittlere Alter der Befragten betrug zum Zeitpunkt der Erhebung etwa 42,8 Jahre, die Hälfte der Befragten war jünger als 43 Jahre. Aus Tabelle 3-3 geht weiter hervor, dass die Altersverteilung der realisierten Stichprobe mit der Stichprobe des Allbus 2000 vergleichbar ist. Auch für männliche und weibliche Befragte ergibt sich eine sehr ähnliche Altersstruktur. Tabelle 3-3 ist außerdem zu entnehmen, dass der überwiegende Teil der Probanden zum Zeitpunkt der Erhebung verheiratet war (n=1153 oder 56%). Im Vergleich zu den Daten des Allbus 2000 zeigt sich allerdings, dass der Anteil der Ledigen in der Untersuchungsstichprobe erhöht ist, während der Anteil der Verheirateten geringer ist. Darüber hinaus sind in dieser Untersuchung Personen mit mittleren und hohen Bildungsabschlüssen vergleichsweise stärker repräsentiert. Im Allbus 2000 sind demgegenüber Personen mit niedriger schulischer Bildung stärker vertreten. In der realisierten Stichprobe finden sich außerdem überwiegend Befragte, die mit einer abgeschlossenen Lehre eine eher niedrige berufliche Bildung erreicht haben, und die gegenwärtig als Angestellte einer beruflichen Beschäftigung nachgehen. Betrachtet man den relativ geringen Anteil Erwerbsloser in der Untersuchungsstichprobe, so scheint es sich hier um eine Auswahl von Männern und Frauen zu handeln, deren soziale und ökonomische Situation relativ gesichert ist.
78
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-3: Beschreibung der Stichprobe 1. Geschlecht Stichprobe (n=2081) Allbus 2000 2. Alter
männlich fi 924 310
pi .44 .47
männlich
weiblich fi 1155 356
pi .56 .54
n fi 2079 666
weiblich
pi 1.00 1.00 n
Stichprobe (n=2081) 18-29 Jahre 30-44 Jahre 45-65 Jahre
fi 179 316 429
pi .19 .34 .46
fi 223 442 487
pi .19 .38 .42
fi 402 758 916
pi .19 .37 .44
Gesamt
924
1.00
1152
1.00
2076
1.00
Allbus 2000 18-29 Jahre 30-44 Jahre 45-65 Jahre
fi 56 93 116
pi .21 .35 .44
fi 59 104 116
pi .21 .37 .42
fi 115 197 232
pi .21 .36 .43
Gesamt
256
1.00
279
1.00
544
1.00
3. Lebensform
männlich
weiblich
n
Stichprobe (n=2081) ledig, ohne Partnerschaft ledig, mit Partnerschaft verheiratet verwitwet/geschieden
fi 186 142 511 75
pi .20 .16 .56 .08
fi 137 208 642 160
pi .12 .18 .56 .14
fi 323 350 1153 235
pi .16 .17 .56 .11
Gesamt
914
1.00
1147
1.00
2061
1.00
Allbus 2000 ledig, ohne Partnerschaft ledig, mit Partnerschaft verheiratet verwitwet/geschieden
fi 40 34 211 25
pi .13 .11 .68 .08
fi 27 41 209 79
pi .08 .11 .59 .22
fi 67 75 420 104
pi .10 .11 .63 .16
Gesamt
310
1.00
356
1.00
666
1.00
79
3.1 Methoden Tabelle 3-3: Beschreibung der Stichprobe (Fortsetzung) 4. Schulische Bildung
männlich
weiblich
n
Stichprobe (n=2081) Volks-/Hauptschule Realschule, Fachabitur Abitur
fi 280 377 236
pi .31 .42 .26
fi 283 543 307
pi .25 .48 .27
fi 563 920 543
pi .28 .45 .27
Gesamt
893
1.00
1133
1.00
2026
1.00
Allbus 2000 Volks-/Hauptschule Realschule, Fachabitur Abitur
fi 122 123 54
pi .41 .41 .18
fi 160 123 53
pi .47 .37 .16
fi 282 246 107
pi .44 .39 .17
Gesamt
299
1.00
336
1.00
635
1.00
5. Berufliche Bildung
männlich
weiblich
n
Stichprobe (n=2081) Anlernzeit in Beruf Lehre Berufsfachschule Fachhochschule Hochschule
fi 40 516 131 131 114
pi .04 .55 .14 .14 .12
fi 69 622 179 125 134
pi .06 .55 .16 .11 .12
fi 109 1138 310 256 248
pi .05 .55 .15 .12 .12
Gesamt
932
1.00
1129
1.00
2061
1.00
Allbus 2000 Anlernzeit in Beruf Lehre Berufsfachschule Fachhochschule Hochschule
fi 11 176 74 23 31
pi .04 .56 .24 .07 .10
fi 17 169 53 7 22
pi .06 .63 .20 .03 .08
fi 28 345 127 30 53
pi .05 .59 .22 .05 .09
Gesamt
315
1.00
268
1.00
583
1.00
80
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-3: Beschreibung der Stichprobe (Fortsetzung) 6. Berufliche Position
männlich
weiblich
n
Stichprobe (n=2081) Erwerbslos Zivildienst/soziales Jahr Hausfrau/-mann Arbeiter/-in Angestellte/-r Beamter/Beamtin Selbstständige/-r
fi 50 5 9 141 295 79 108
pi .07 <.01 .01 .21 .43 .12 .16
fi 48 1 193 86 477 68 53
pi .05 <.01 .21 .09 .52 .07 .06
fi 98 6 202 227 772 147 161
pi .06 <.01 .13 .14 .48 .09 .10
Gesamt
687
1.00
926
1.00
1613
1.00
fi 25 2 2 80 64 17 22
pi .12 .01 .01 .38 .30 .08 .10
fi 18 0 60 24 89 9 9
pi .09 .00 .29 .12 .43 .04 .04
fi 43 2 62 104 153 26 31
pi .10 .01 .15 .25 .36 .06 .07
212
1.00
209
1.00
421
1.00
Allbus 200020 Erwerbslos Zivildienst/soziales Jahr Hausfrau/-mann Arbeiter/-in Angestellte/-r Beamter/Beamtin Selbstständige/-r Gesamt
3.1.3 Operationalisierung Kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten wurde in der vorliegenden Studie mit dem Verfahren der Vignettentechnik modelliert. Die Vignetten umfassten kurze, prägnante Schilderungen alltäglicher Situationen, in denen sich eine Gelegenheit zu kriminellem Handeln bietet; eine Vignette bezog sich dabei auf die Situation der Fundunterschlagung, eine weitere auf die Situation der ungerechtfertigten Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums. Die folgende Abbildung 3-1 zeigt die Vignetten im Wortlaut: 20
Die Analyse beruht auf den gültigen Angaben zu den Items V235 und V265 des Allbus 2000.
3.1 Methoden
81
Abbildung 3-1: Vignetten zur Modellierung von Gelegenheiten Fundunterschlagung (Situation 1) Sie gehen am Samstagmittag gegen 12 Uhr durch die Fußgängerzone Ihrer Stadt. Ganz unvermittelt bemerken Sie, dass einige Meter vor Ihnen einem gut gekleideten Mann, der einen Aktenkoffer bei sich trägt, ein Geldschein aus der Manteltasche fällt. Sie erkennen, dass es sich um einen Schein im Wert von 100 DM handelt. Der Mann scheint nichts zu bemerken, da er einfach weiter geht. Die übrigen Passanten scheinen ebenfalls nichts zu bemerken, da niemand Anstalten macht, die Banknote aufzuheben.
Ungerechtfertigte Bereicherung (Situation 2) Es ist Samstagvormittag. Sie haben gerade Ihren Stadtbummel beendet und wollen von unterwegs noch Brötchen für das anstehende Frühstück mitnehmen. Sie suchen eine Bäckerei auf, die auf Ihrem Weg liegt. Die Verkäuferin blickt ziemlich mürrisch drein. Es befinden sich außer Ihnen keine weiteren Kunden im Laden. Sie bestellen Brötchen im Wert von 7 DM und bezahlen mit einem Schein im Wert von 10 DM. Die Verkäuferin gibt Ihnen auf 100 DM heraus und scheint ihren Irrtum überhaupt nicht zu bemerken.
Diese Vignetten waren Teil eines standardisierten Fragebogens, der zusätzlich Items zur Erfassung des subjektiv erwarteten Nutzens kriminellen Handelns und Items zur Erfassung aller anderen, in dieser Studie relevanten Merkmale umfasste (vgl. Abb. 2-3 bis Abb. 2-6 in Kap. 2.4). In einer Vorstudie wurde dieses Erhebungsinstrument auf seine Anfälligkeit für sozial erwünschte Antworten mit Hilfe von Abweichungsinstruktionen untersucht. Dabei wurden Items ermittelt und eliminiert, die in hohem Maße sozial erwünschtes Antworten evozierten (Mummendey/Grau 2008).
82
3. Empirische Untersuchung
3.1.3.1 Messung kriminellen Handelns Beide Vignetten wurden mit der Instruktion, sich die jeweils beschriebene Situation genau vorzustellen, zur schriftlichen Beantwortung vorgelegt. Wie aus Abbildung 3-1 hervorgeht, waren die Vignetten dabei so konzipiert, dass die Probanden sich selbst in die beschriebene Situation hineinversetzen sollten. Im Anschluss an die Lektüre der Vignetten wurde das vermutliche Handeln der Probanden erfragt. Die Befragten wurden um eine Auskunft darüber gebeten, was sie selbst in einer Situation wie der geschilderten wahrscheinlich tun würden. Die folgende Abbildung 3-2 zeigt die entsprechenden Items im Wortlaut. Abbildung 3-2: Items zur Messung kriminellen Handelns Fundunterschlagung (Situation 1) Ich würde den Hundertmarkschein … 1. … aufheben und behalten. 2. … aufheben und der Person zurückgeben. 3. … liegen lassen und weitergehen.
Ungerechtfertigte Bereicherung (Situation 2) Ich würde … 1. … das Wechselgeld behalten. 2. … die Verkäuferin auf den Irrtum hinweisen.
Die Items waren so formuliert, dass die Situationen als vollständig angesehen werden können. Dies bedeutet, dass die im Fragebogen vorgegebenen Antwortmöglichkeiten sich gegenseitig ausschlossen, und dass über diese Antwortmöglichkeiten hinaus keine verdeckten Handlungsoptionen bestanden
83
3.1 Methoden
(Friedrichs et al. 1993). Darüber hinaus waren die Vignetten bereits als ›günstige Gelegenheiten‹ gerahmt, die sich im Zuge der Routinen des Alltags spontan eröffnen: Für die Gelegenheit zur Fundunterschlagung wurde durch die Gestaltung der Vignette sicher gestellt, dass der Geldschein tatsächlich gefunden wurde, und analog war auch die Vignette für die Gelegenheit zur ungerechtfertigten Bereicherung so formuliert, dass der Wechselgeldirrtum von den Akteuren eindeutig bemerkt wurde. In der Situation der Fundunterschlagung wurden ausgehend von diesen Überlegungen drei Handlungsoptionen formuliert: Konforme Optionen bestehen darin, den Verlierer des Geldscheins auf sein Missgeschick aufmerksam zu machen oder den Geldschein liegen zu lassen, ohne den Verlierer anzusprechen, und eine kriminelle Option besteht darin, den gefundenen Geldschein zu unterschlagen. In der Situation des Wechselgeldirrtums wurden zwei Handlungsoptionen vorgegeben: die Aufklärung des Wechselgeldirrtums, die als konforme Option gilt, und die Aufrechterhaltung des Wechselgeldirrtums, die als kriminelle Option bezeichnet wird (vgl. Kap. 2.4). Tabelle 3-4: Häufigkeiten kriminellen Handelns Fundunterschlagung (Situation1)
fi
pi
1819
.88
257
.12
2076
1.00
fi
pi
0: auf den Irrtum hinweisen (konform)
1699
.82
1: das Wechselgeld behalten (kriminell)
379
.18
2078
1.00
0: aufheben und zurückgeben (konform) 1: aufheben und behalten (kriminell) Gesamt Ungerechtfertigte Bereicherung (Situation 2)
Gesamt
Tabelle 3-4 informiert über die Häufigkeiten vermutlichen kriminellen Handelns in der Untersuchungsstichprobe. Für die Situation der Fundunterschlagung zeigt sich, dass n=257 bzw. 12,4% aller Probanden vermutlich die Gelegenheit nutzen würden, indem sie den Geldschein aufheben und behalten. Ein deutlich größerer
84
3. Empirische Untersuchung
Teil von Befragten hat demgegenüber angegeben, vermutlich die kriminelle Option in der Situation des Wechselgeldirrtums zu wählen, nämlich n=379 bzw. 18,2%. In beiden Situationen ist der Anteil fehlender Werte vernachlässigenswert gering (Situation 1: 0,2%, Situation 2: 0,1%). Für die nachfolgenden Datenanalysen wurden diese Angaben der Befragten so recodiert, dass kriminelles (Wert 1) von konformem Handeln (Wert 0) unterschieden werden konnte. Da sich zeigte, dass nur sehr wenige Probanden angesichts der Gelegenheit zur Fundunterschlagung den Geldschein liegen lassen und weitergehen würden (n=21 bzw. 1,0%), wurde diese Option der konformen Option zugerechnet. Eine zusätzliche Analyse der Häufigkeitsverteilungen führte zu dem Ergebnis, dass nur n=159 bzw. 7,8% aller Probanden beide Gelegenheiten nutzen würden, während mit n=1598 bzw. 77,1% mehr als drei Viertel aller Befragten vermutlich sowohl den Geldschein zurückgeben als auch den Wechselgeldirrtum aufklären würden (IJb=.43, vgl. Tab. 3-5). Angesichts einer Analyse kriminellen Handelns, die mit dem Verfahren der Vignettentechnik arbeitet und folglich nicht tatsächliches, sondern lediglich vermutliches Verhalten misst, muss die Validität der erhobenen Daten zunächst zurückhaltend bewertet werden. Prinzipiell wäre es in diesem Zusammenhang sinnvoll, nach der empirischen Validität der Daten zu fragen, was bedeuten würde, dass ein Vergleich der Häufigkeiten tatsächlichen und vermutlichen Handelns anzustreben wäre. Eine entsprechende Validierungsstudie wurde jedoch nicht durchgeführt. Tabelle 3-5: Kriminelles Handeln angesichts beider Gelegenheiten Situation 1 konform
kriminell
fi
pi
fi
pi
fi
pi
konform
1598
.77
98
.05
1696
.82
kriminell
218
.11
159
.07
377
.18
1816
.88
257
.12
2073
1.00
Situation 2
Gesamt
n
Neben dem vermutlichen Handeln wurden Erfahrungen der Probanden mit den in dieser Studie untersuchten Formen kriminellen Handelns erhoben. Die Befragten wurden gebeten, auf einer sechsstufigen Skala (0: noch nie, 1: 1-mal, 2:
85
3.1 Methoden
2- bis 5-mal, 3: 6- bis 10-mal, 4: 11- bis 20-mal, 5: mehr als 20-mal) die Häufigkeit anzugeben, mit der sie über die Lebensspanne gefundene Geldscheine unterschlagen und irrtümlich erhaltenes Wechselgeld behalten haben. Die entsprechenden Ergebnisse zeigt Tabelle 3-6. Tabelle 3-6: Häufigkeiten kriminellen Handelns über die Lebensspanne
Situation 1
Situation 2
0
1
2
3
4
5
n
fi pi
1339 .65
404 .19
286 .14
23 .01
7 <.01
3 <.01
2062 1.00
fi
1256
371
386
42
6
6
2067
pi
.61
.18
.19
.02
<.01
<.01
1.00
Die Angaben der Befragten wurden dichotomisiert, so dass Akteure, die keine Erfahrung mit kriminellem Handeln haben (Wert: 0), von Akteuren, die mindestens eine solche Erfahrung aufweisen (Wert: 1), voneinander unterschieden werden konnten. Eine Analyse der Korrelationen zwischen Erfahrung und vermutlichem Handeln führt zu dem Ergebnis, dass Befragte, die mindestens einen gefundenen Geldschein unterschlagen haben, auch angesichts einer erneuten Gelegenheit kriminell handeln würden (IJb=.31), und dass Befragte, die mindestens einmal irrtümlich erhaltenes Wechselgeld behalten haben, dies angesichts der in der Vignette geschilderten Gelegenheit erneut tun würden (IJb=.41). Zusätzlich zu dem vermutlichen Handeln der Befragten wurden Angaben zur Häufigkeit verschiedener Massendelikte über die Lebensspanne erhoben. Dabei handelte es sich um die Delikte Ladendiebstahl, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrausweis, Steuerbetrug und Autofahren unter Alkoholeinfluss (DUI), deren Häufigkeit analog im Allbus 2000 erfasst wurde (0: noch nie, 1: 1-mal, 2: 2- bis 5-mal, 3: 6- bis 10-mal, 4: 11- bis 20-mal, 5: mehr als 20-mal). Abbildung 3-3 zeigt die verwendeten Itemformulierungen. Die in beiden Studien ermittelten Häufigkeiten verschiedener Massendelikte können folglich einem systematischen Vergleich unterzogen werden. Wie die resultierenden Häufigkeitsverteilungen in Tabelle 3-7 zeigen, berichtet der überwiegende Teil aller Befragten in der Untersuchungsstichprobe, keine Erfahrungen mit Ladendiebstahl und Steuerbetrug gemacht zu haben.
86
3. Empirische Untersuchung
Abbildung 3-3: Items zur Messung der Häufigkeit von Massendelikten Ladendiebstahl In einem Geschäft schon einmal kleinere Artikel mitgenommen, ohne zu bezahlen. Beförderungserschleichung Öffentliche Verkehrsmittel benutzt, ohne einen gültigen Fahrschein zu besitzen. Steuerbetrug Falsche Angaben beim Lohnsteuerjahresausgleich oder bei der Steuererklärung gemacht. Autofahren unter Alkoholeinfluss Auto gefahren, obwohl ich die zulässige Promillegrenze mit Sicherheit überschritten hatte.
Mehr als die Hälfte aller Probanden gibt an, noch nie unter Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug gesteuert zu haben. Lediglich die Beförderungserschleichung erscheint aufgrund der Selbstberichte als ein Massendelikt, weil es knapp zwei Drittel aller Befragten mindestens einmal ausgeführt haben (vgl. Tab. 3-7). Im Vergleich zu den Daten des Allbus 2000 zeigt sich für alle Delikte in der Untersuchungsstichprobe eine größere Häufigkeit. Besonders deutlich ist dies für das Delikt der Beförderungserschleichung. Unklar ist allerdings, wie diese Befunde im Hinblick auf ihre empirische Validität zu bewerten sind, weil die Kriminalitätsbelastung der Non-Responder sowohl in dieser Studie als auch im Allbus 2000 unbekannt ist. Es kann vermutet werden, dass Personen, die an einer Befragung teilnehmen, eine geringere Kriminalitätsbelastung als Nicht-Teilnehmer aufweisen, so dass die selbstberichtete Häufigkeit von Massendelikten als ›konservative Schätzung‹ der tatsächlichen Kriminalitätsbelastung aufzufassen ist (vgl. hierzu auch Kerschke-Risch 1993). In beiden Studien treten in nur geringem Maße item-non-responses auf, so dass von insgesamt wenigen Befragten auszugehen ist, die wegen hoher Kriminalitätsbelastungen möglicherweise keine Auskünfte über die Häufigkeit, mit der sie Massendelikte ausgeführt haben, erteilt haben. Allerdings unterscheiden sich die Untersuchungsstichprobe und die Stichprobe des Allbus 2000 im Hinblick auf soziodemographische Merkmale, deren Einfluss auf die tatsächliche und selbstberichtete Kriminalitätsbelas-
87
3.1 Methoden
tung im vorliegenden Zusammenhang nicht abschließend geklärt werden kann. Die Frage, in welchem Maße die hier erhobenen Selbstberichte der Häufigkeiten von Massendelikten die tatsächliche Kriminalitätsbelastung unterschätzt haben, muss folglich unbeantwortet bleiben. Tabelle 3-7: Häufigkeiten von Massendelikten im Vergleich Ladendiebstahl
0
1
2
3
4
5
n
Stichprobe
fi pi
1531 .74
241 .12
195 .09
36 .02
20 .01
38 .02
2061 1.00
Allbus 2000
fi pi
566 .88
46 .07
24 .04
4 .01
2 <.01
0 .00
642 1.00
0
1
2
3
4
5
n
Schwarzfahren Stichprobe
fi pi
791 .38
340 .16
570 .28
136 .07
76 .04
151 .07
2064 1.00
Allbus 2000
fi pi
399 .62
94 .15
104 .16
29 .04
9 .01
9 .01
644 1.00
0
1
2
3
4
5
n
Steuerbetrug Stichprobe
fi pi
1521 .74
138 .07
286 .14
45 .02
35 .02
22 .01
2047 1.00
Allbus 2000
fi pi
555 .87
39 .06
33 .05
6 .01
3 <.01
3 <.01
639 1.00
0
1
2
3
4
5
n
DUI Stichprobe
fi pi
1118 .55
298 .15
424 .21
92 .04
52 .02
66 .03
2050 1.00
Allbus 2000
fi pi
475 .74
63 .10
69 .11
20 .03
5 .01
9 .01
641 1.00
88
3. Empirische Untersuchung
3.1.3.2 Messung des Nutzens kriminellen Handelns Der Nutzen kriminellen Handelns wurde gemessen, indem die subjektive Bewertung und die subjektive Einschätzung des Eintretens definierter Handlungskonsequenzen bezogen auf beide Formen kriminellen Handelns erfragt wurden. Die Probanden wurden aufgefordert, sich vorzustellen, sie hätten angesichts der in den Vignetten beschriebenen Gelegenheiten eine kriminelle Handlungsentscheidung getroffen und den gefundenen Geldschein behalten bzw. das irrtümlich erhaltene Wechselgeld an sich genommen. Ausgehend von den theoretischen Überlegungen wurden sowohl positive als auch negative Handlungskonsequenzen untersucht. Als positiv gelten die soziale Anerkennung für kriminelles Handeln durch Bezugspersonen oder –gruppen sowie die materielle Bereicherung durch kriminelles Handeln, als negativ gelten das schlechte Gewissen im Anschluss an eine kriminelle Handlungsentscheidung, die Entdeckung des kriminellen Handelns durch das Opfer und die formelle Strafverfolgung (vgl. Abb. 3-4). Abbildung 3-4: Konsequenzen kriminellen Handelns soziale Anerkennung Die meisten Personen, die mir wichtig sind, werden es in Ordnung finden, wenn ich den Hundertmarkschein aufhebe und behalte / wenn ich das gesamte Wechselgeld behalte. materielle Bereicherung Ich kann mir von dem Geld Dinge kaufen, die ich mir normalerweise nicht leisten kann. schlechtes Gewissen Ich werde ein schlechtes Gewissen haben. Entdeckung durch das Opfer Der Mann / Die Verkäuferin wird seinen / ihren Verlust bemerken und mich zur Rede stellen. Strafverfahren Mein Verhalten kann ein Strafverfahren nach sich ziehen.
89
3.1 Methoden
Die Möglichkeit eines Strafverfahrens wurde für beide Situationen erfragt, damit die Relevanz dieser Handlungskonsequenz unabhängig von der tatsächlichen Strafbarkeit des Handelns untersucht werden konnte (vgl. Kap. 2.4). Die Probanden wurden anhand fünfstufiger Ratingskalen um eine Einschätzung gebeten, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie das Eintreten vorgegebener Handlungskonsequenzen erwarten würden und in welchem Maße ihnen das Eintreten dieser Handlungskonsequenzen angenehm oder unangenehm wäre (0: sehr unwahrscheinlich bzw. sehr unangenehm, 1: eher unwahrscheinlich, eher unangenehm, 2: weder/noch, 3: eher wahrscheinlich bzw. eher angenehm, 4: sehr wahrscheinlich bzw. sehr angenehm). Da in dieser Studie ein systematischer Vergleich zwischen den Bedingungen von kriminellen Handlungsentscheidungen in beiden Situationen vorgenommen werden sollte, wurden die Items zur Erfassung von Erwartungen und Bewertungen positiver und negativer Konsequenzen für beide Situationen analog formuliert (vgl. Abb. 3-4). Tabelle 3-8: Erwartungen von Konsequenzen (Situation 1) 1
2
3
4
5
n
soziale Anerkennung
fi pi
582 .29
697 .34
278 .14
334 .16
134 .07
2025 1.00
materielle Bereicherung
fi pi
907 .45
426 .21
333 .17
210 .10
135 .07
2011 1.00
schlechtes Gewissen
fi pi
140 .07
140 .07
124 .06
491 .24
1166 .56
2061 1.00
Entdeckung Opfer
fi pi
531 .26
774 .39
313 .15
238 .12
155 .08
2011 1.00
Strafverfolgung
fi pi
536 .27
665 .33
342 .17
276 .14
194 .09
2013 1.00
Für beide Situationen wurden in einem ersten Schritt Häufigkeitsverteilungen und bivariate Korrelationen der Items zur Erfassung von Erwartungen und Bewertungen der vorgegebenen Konsequenzen krimineller Handlungsentschei-
90
3. Empirische Untersuchung
dungen bestimmt. Deskriptive Analysen der Items zur Erfassung von Erwartungen und Bewertungen der Konsequenzen einer Fundunterschlagung und einer ungerechtfertigten Bereicherung führten zu den in den Tabellen 3-8 bis 3-15 dargestellten Ergebnissen: Angesichts der Gelegenheit, einen gefundenen Geldschein zu unterschlagen, hält der überwiegende Teil der Befragten das Eintreten positiver Konsequenzen wie sozialer Anerkennung und materieller Bereicherung für unwahrscheinlich. Negative Konsequenzen wie das Eintreten eines schlechten Gewissens werden von mehr als der Hälfte aller Befragten für wahrscheinlich gehalten, die Entdeckung durch das Opfer ebenso wie die Strafverfolgung einer Fundunterschlagung halten die meisten der hier befragten Akteure dagegen für unwahrscheinlich (vgl. Tab. 3-8). Es zeigt sich, dass die Items zur Erfassung der Erwartung positiver und negativer Konsequenzen jeweils in erwarteter Richtung korreliert sind, wobei die Wahrscheinlichkeit sozialer Anerkennung und die Wahrscheinlichkeit eines schlechten Gewissens konträre Aspekte der Situationseinschätzung zu sein scheinen (vgl. Tab. 3-9). Tabelle 3-9: Bivariate Korrelationen der Items zur Messung von Erwartungen (Situation 1)21 1 1. soziale Anerkennung 2. materielle Bereicherung
2
3
1.000
--
4 --
5 --
--
.245
1.000
--
--
--
3. schlechtes Gewissen
-.364
-.126
1.000
--
--
4. Entdeckung Opfer
-.128
-.015
.118
1.000
--
5. Strafverfolgung
-.143
-.001
.149
.336
1.000
Die deskriptive Analyse der Bewertungen von positiven und negativen Konsequenzen einer Fundunterschlagung ergab das folgende Bild: Die positiven Konsequenzen soziale Anerkennung und materielle Bereicherung werden als relativ angenehm beurteilt, und die negativen Konsequenzen – das schlechte Gewissen, die Entdeckung durch das Opfer ebenso wie das Strafverfahren – werden von einem großen Teil der Befragten als sehr unangenehm bewertet (vgl. Tab. 3-10).
21
Hier und im Folgenden werden IJb–Koeffizienten berichtet.
91
3.1 Methoden Tabelle 3-10: Bewertungen von Konsequenzen (Situation 1) 1
2
3
4
5
n
soziale Anerkennung
fi pi
483 .24
671 .34
530 .26
241 .12
79 .04
2004 1.00
materielle Bereicherung
fi pi
417 .21
501 .25
639 .32
298 .15
137 .07
1992 1.00
schlechtes Gewissen
fi pi
976 .48
628 .31
262 .13
80 .04
81 .04
2072 1.00
Entdeckung Opfer
fi pi
1201 .60
518 .26
238 .12
19 .01
19 .01
1995 1.00
Strafverfolgung
fi pi
1255 .63
369 .19
327 .16
26 .01
20 .01
1997 1.00
Auch für die Items zur Erfassung der Bewertung positiver und negativer Konsequenzen einer Fundunterschlagung zeigt sich, dass jeweils die positiven und die negativen Konsequenzen in erwarteter Richtung korreliert sind. Die Bewertung eines schlechten Gewissens korreliert dabei deutlicher positiv mit der Entdeckung durch das Opfer und dem Strafverfahren als negativ mit der Bewertung sozialer Anerkennung (vgl. Tab. 3-11). Tabelle 3-11: Bivariate Korrelationen der Items zur Messung von Bewertungen (Situation 1) 1 1. soziale Anerkennung
2
3
4
5
1.000
--
--
--
--
.462
1.000
--
--
--
-.256
-.154
1.000
--
--
4. Entdeckung Opfer
-.201
-.143
.413
1.000
--
5. Strafverfolgung
-.112
-.077
.321
.501
1.000
2. materielle Bereicherung 3. schlechtes Gewissen
92
3. Empirische Untersuchung
In der Situation des Wechselgeldirrtums ergibt sich aufgrund der deskriptiven Analysen der Items zur Erfassung von Erwartungen und Bewertungen positiver und negativer Handlungskonsequenzen ein nur geringfügig anderes Bild: Mehr als die Hälfte aller Befragten erwartet eher nicht, für eine kriminelle Handlungsentscheidung soziale Anerkennung zu erhalten. Auch rechnet der überwiegende Teil der Probanden eher nicht damit, sich im Zuge eines Wechselgeldirrtums materiell bereichern zu können oder von der Justiz zur Rechenschaft gezogen zu werden. Eher wird ein schlechtes Gewissen antizipiert, wenn man den Irrtum nicht aufklärt, oder aber, dass die Verkäuferin ihren Fehler selbst bemerkt und zur Sprache bringt (vgl. Tab. 3-12). Werden die Zusammenhänge zwischen den Items bestimmt, so zeigt sich wieder, dass jeweils positive und negative Konsequenzen korreliert sind. Dabei ist allerdings die Erwartung eines schlechten Gewissens infolge einer kriminellen Handlungsentscheidung deutlich höher mit dem gegenläufigen Aspekt der sozialen Anerkennung korreliert als sie es mit der Entdeckung des Vorfalls durch das Opfer oder mit dem Strafverfahren ist. Die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung der ungerechtfertigten Bereicherung durch das Opfer ist mit der Wahrscheinlichkeit eines Strafverfahrens in mittlerem Maße korreliert (vgl. Tab. 3-13). Tabelle 3-12: Erwartungen von Konsequenzen (Situation 2) 1
2
3
4
5
n
soziale Anerkennung
fi pi
656 .32
702 .35
232 .11
320 .16
116 .06
2026 1.00
materielle Bereicherung
fi pi
673 .33
549 .27
438 .22
243 .12
112 .06
2015 1.00
schlechtes Gewissen
fi pi
113 .05
177 .09
166 .08
617 .30
972 .48
2045 1.00
Entdeckung Opfer
fi pi
149 .07
725 .36
364 .18
582 .29
187 .09
2007 1.00
Strafverfolgung
fi pi
522 .26
688 .34
451 .23
208 .10
139 .07
2008 1.00
93
3.1 Methoden
Tabelle 3-13: Bivariate Korrelationen der Items zur Messung von Erwartungen (Situation 2) 1 1. soziale Anerkennung
2
3
4
5
1.000
--
--
--
--
.289
1.000
--
--
--
-.422
-.197
1.000
--
--
4. Entdeckung Opfer
-.139
-.042
.187
1.000
--
5. Strafverfolgung
-.126
-.001
.177
.340
1.000
2. materielle Bereicherung 3. schlechtes Gewissen
Auch angesichts der Bewertung von Handlungskonsequenzen ähneln sich beide Situationen. Zwar wird die Möglichkeit einer materiellen Bereicherung durch das stillschweigende Einstecken des Wechselgeldes positiver gesehen, die negativen Konsequenzen einer Entscheidung für eine kriminelle Handlung werden jedoch von allen Befragten als ähnlich unangenehm beurteilt (vgl. Tab. 3-14). Tabelle 3-14: Bewertungen von Konsequenzen (Situation 2) 1
2
3
4
5
n
soziale Anerkennung
fi pi
479 .24
728 .37
485 .24
227 .11
74 .04
1993 1.00
materielle Bereicherung
fi pi
334 .17
495 .25
763 .39
292 .15
100 .05
1984 1.00
schlechtes Gewissen
fi pi
803 .40
694 .35
317 .16
98 .05
93 .05
2005 1.00
Entdeckung Opfer
fi pi
835 .42
751 .38
334 .17
33 .02
31 .02
1984 1.00
Strafverfolgung
fi pi
958 .48
486 .25
492 .25
22 .01
21 .01
1979 1.00
94
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-15: Bivariate Korrelationen der Items zur Messung von Bewertungen (Situation 2) 1 1. soziale Anerkennung
2
3
4
5
1.000
--
--
--
--
.439
1.000
--
--
--
-.260
-.150
1.000
--
--
4. Entdeckung Opfer
-.202
-.134
.439
1.000
--
5. Strafverfolgung
-.086
-.103
.326
.481
1.000
2. materielle Bereicherung 3. schlechtes Gewissen
Auch die Bewertungen der positiven und negativen Konsequenzen einer kriminellen Handlungsentscheidung sind korreliert, wobei sich sehr deutlich die Beziehung zwischen allen negativen Konsequenzen zeigt, während die negative Korrelation zwischen der Bewertung sozialer Anerkennung und der Bewertung eines schlechten Gewissens weniger deutlich hervortritt (vgl. Tab. 3-15). Um im Sinne der SEU-Theorie den subjektiv erwarteten Nutzen einer kriminellen Handlungsentscheidung zu untersuchen (vgl. Kap. 2.4), wurden die folgenden Variablentransformationen vorgenommen: Zunächst wurden die Items zur Erfassung der Wahrscheinlichkeit auf einen Wertebereich von 0 bis 1 bezogen, wobei den ursprünglichen Werten 1: 0.01, 2: 0.25, 3: 0.50, 4: 0.75 und 5: 0.99 zugeordnet wurden. Sodann wurden die Items zur Erfassung der Bewertung negativer Handlungskonsequenzen (schlechtes Gewissen, Entdeckung durch das Opfer, Strafverfahren) recodiert, so dass das Ausmaß der Unannehmlichkeit der Konsequenzen gemessen wurde. Schließlich wurden die Items zur Erfassung von Wahrscheinlichkeiten und Bewertungen für jede Handlungskonsequenz multipliziert, so dass Nutzenwerte für die soziale Anerkennung, die materielle Bereicherung, das schlechte Gewissen, die Entdeckung durch das Opfer und das Strafverfahren resultierten. 3.1.3.3 Messungen von Merkmalen der sozialen Situation Die in dieser Studie explizierten Modelle beziehen sich auf die Analyse der Beziehungen zwischen der ›sozialen Situation‹ von Akteuren und deren Handeln angesichts von Gelegenheiten. Dabei wurden Merkmale dieser sozialen Situation von Akteuren auf verschiedenen Ebenen der soziologischen Analyse
3.1 Methoden
95
spezifiziert: Die im Rahmen kontroll- und lerntheoretischer Überlegungen spezifizierten Merkmale der Einstellungen von Akteuren zu sozialen Beziehungen, zu sozialen und rechtlichen Normen und zu kriminellem Handeln wurden auf einer Mikroebene der Analyse angeordnet, die im Rahmen anomietheoretischer Überlegungen spezifizierten Merkmale des sozialen Status wurden auf einer Makroebene angesiedelt, die strukturellen Merkmale sozialer Beziehungen wurden auf einer Mesoebene verortet, und die Handlungskontrolle wurde auf einer Mikroebene angesiedelt (vgl. Kap. 2.2). Die aus den Modellen abgeleiteten Hypothesen beinhalten somit Annahmen über Beziehungen zwischen verschiedenen soziologischen Analyseebenen (vgl. Kap. 2.4 und Kap. 2.5). Daten zur Analyse der sozialen Situation von Akteuren wurden in der vorliegenden Studie allerdings lediglich auf der Grundlage von Beschreibungen der sozialen Situation durch die Befragten erhoben und empirisch analysiert. Eine von dieser Individualebene unabhängige Erhebung von Daten zur Analyse der sozialen Situation von Akteuren erfolgte nicht, da eine Verknüpfungen der Individualdaten mit kontextbezogenen Daten aus unabhängigen Quellen unter Verweis auf das Datenschutzgesetz (DSG 2000, BGB1 I Nr. 165/1999) nicht ermöglicht wurde. Im weiteren Verlauf der Studie wird die im Makro-Mikro-Makro-Modell getroffene Unterscheidung verschiedener Analyseebenen also in einem rein heuristischen Sinne beibehalten, so dass die nachfolgenden Ausführungen nunmehr die Erfassung von Merkmale der sozialen Situation von Akteuren entlang der sozialen Einstellungen (Mikroebene), von Merkmalen des sozialen Status (Makroebene), der sozialen Beziehungen (Mesoebene) und der Handlungskontrolle (Mikroebene) von Akteuren veranschaulichen.
Soziale Einstellungen Mikrosoziologische Perspektiven zur Analyse kriminellen Handelns legen eine Unterscheidung zwischen positiven, negativen und neutralisierenden Einstellungen zu kriminellem Handeln nahe (vgl. Kap. 2.2). Diese Überlegungen dienten als theoretische Grundlage für die im Folgenden beschriebenen Operationalisierungen. Die Theorie der Differentiellen Verstärkung spezifiziert mit den Konzepten der ›Differentiellen Assoziationen‹, der ›Differentiellen Verstärkung‹ und der ›Definitionen‹ positive Einstellungen zu kriminellem Handeln. Mit den in Abbildung 3-5 gezeigten Items wurden diese Aspekte sozialer Einstellungen erfasst.
96
3. Empirische Untersuchung
Das Item zur Messung der Handlungsmuster in der sozialen Umgebung von Akteuren wurde mit dichotomem Antwortformat vorgegeben (0: stimmt nicht, 1: stimmt). Antizipierte positive Reaktionen auf das eigene kriminelle Handeln und die eigene positive Beurteilung von gelegentlichen Gesetzesübertretungen wurden auf einer fünfstufigen Ratingskala (0: stimme überhaupt nicht zu, 1: stimme eher nicht zu, 2: weder/noch, 3: stimme eher zu, 4: stimme voll und ganz zu) erfasst. Höhere Werte repräsentieren also positivere Einstellungen zu kriminellem Handeln. Abbildung 3-5: Items zur Erfassung positiver Einstellungen Differentielle Assoziationen Die meisten Personen, die mir wichtig sind, haben schon einmal gegen das Gesetz verstoßen. Differentielle Verstärkung Wenn ich im Alltag schon mal kleinere Gesetze übertrete, werden die meisten Personen, die mir wichtig sind, das in Ordnung finden. Definitionen Wenn ich im Alltag schon mal kleinere Gesetze übertrete, finde ich das in Ordnung.
Die Analyse der Häufigkeitsverteilungen zeigt, dass die Probanden zu einem überwiegenden Teil aus sozialen Kontexten stammen, in denen es üblich zu sein scheint, kleinere Gesetzesübertretungen zu begehen, auch wenn der Teil der Befragten, in dessen Umfeld Bagatelldelikte eher nicht begangen werden, nicht unerheblich ist (vgl. Tab. 3-16). Demgegenüber werden positive Reaktionen auf eigene Gesetzesübertretungen eher nicht erwartet, und die Befragten selbst scheinen kleinere Gesetzesverstöße insgesamt eher nicht gut zu heißen. Der Median liegt in beiden Verteilungen im unteren Bereich der jeweils fünfstufigen Antwortskala (Skalenwert 1). Beide Verteilungen erweisen sich allerdings als bimodal (vgl. Tab. 3-17 und Tab. 3-18).
97
3.1 Methoden Tabelle 3-16: Item zur Erfassung Differentieller Assoziationen
Differentielle Assoziationen
fi pi
0
1
n
837 .42
1171 .58
2008 1.00
Tabelle 3-17: Item zur Erfassung Differentieller Verstärkung
Differentielle Verstärkung
fi pi
0
1
2
3
4
n
276 .14
752 .37
391 .19
571 .28
61 .03
2051 1.00
n
Tabelle 3-18: Item zur Erfassung von Definitionen
Definitionen
fi pi
0
1
2
3
4
317 .15
783 .38
341 .17
530 .26
84 .04
2055 1.00
Für das Item zur Erfassung der Definitionen zeigt sich, dass der überwiegende Teil aller Befragten die Auffassung vertritt, es sei nicht in Ordnung, gelegentlich kleinere Gesetzesübertretungen zu begehen (vgl. Tab. 3-18). Tabelle 3-19 zeigt, dass die Items zur Erfassung der positiven Einstellungen zu kriminellem Handeln hoch korrelieren. Tabelle 3-19: Bivariate Korrelationen der Items zur Messung positiver Einstellungen 1 1. Differentielle Assoziationen
2
3
1.000
--
--
2. Differentielle Verstärkung
.469
1.000
--
3. Definitionen
.438
.639
1.000
98
3. Empirische Untersuchung
Als Perspektive, die den Einfluss negativer Einstellungen auf kriminelles Handeln zu analysieren erlaubt, wurden kontrolltheoretische Überlegungen in diese Studie einbezogen. Zwar fragt die Kontrolltheorie nach den Bedingungen der Aufrechterhaltung konformer Aktivitäten, dennoch wurden Elemente des sozialen Bandes im vorliegenden Zusammenhang im Hinblick auf die Frage betrachtet, welche Rolle sie als Prädiktoren im Sinne negativer Einstellungen zu kriminellem Handeln spielen. Die Kontrolltheorie spezifiziert die Aspekte des ›Attachment‹, des ›Commitment‹ und des ›Belief‹, wobei die Bindung an andere und die Verpflichtung gegenüber anderen im vorliegenden Zusammenhang auf den Freundeskreis von Akteuren bezogen wurde. Abbildung 3-6 zeigt die zur Operationalisierung verwendeten Itemformulierungen. Abbildung 3-6: Items zur Erfassung negativer Einstellungen Attachment Ich finde es wichtig, bei Freunden und Bekannten gut angesehen zu sein. Commitment Wenn ich eine kleinere Gesetzesübertretung im Alltag begehe, könnte das mein Ansehen in meinem Freundeskreis ernsthaft gefährden. Belief An Gesetze muss man sich immer halten, egal, ob man mit ihnen einverstanden ist oder nicht.
Die Items zur Erfassung von Attachment, Commitment und Belief wurden mit jeweils fünfstufigen Ratingskalen zur Beantwortung vorgelegt. Für die Items zur Erfassung der Bindung an Freunde und zur Erfassung des Rechtsbewusstseins wurde das Ausmaß der Zustimmung gemessen (0: stimme voll und ganz zu, 1: stimme eher zu, 2: weder/noch, 3: stimme eher nicht zu, 4: stimme überhaupt nicht zu). Die Verpflichtung gegenüber Freunden wurde erfasst, in dem die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit erfragt wurde, das Ansehen in diesem sozialen Kreis zu verlieren (0: sehr wahrscheinlich, 1: wahrscheinlich, 2: weder/noch, 3: unwahrscheinlich, 4: sehr unwahrscheinlich). Im Hinblick auf die weitere Analyse wurden alle Items so codiert, dass höhere Skalenwerte geringe-
99
3.1 Methoden
re Ausprägungen von Attachment, Commitment und Belief repräsentieren. Die Häufigkeitsverteilungen in Tabelle 3-20 verdeutlichen, dass ein überwiegender Teil der Befragten sich stark an den Kreis der Freunde gebunden fühlt. Tabelle 3-20: Items zur Erfassung negativer Einstellungen 0
1
2
3
4
n
Attachment
fi pi
618 .30
1093 .53
258 .13
69 .03
14 .01
2052 1.00
Commitment
fi pi
127 .06
407 .20
385 .19
838 .41
296 .14
2053 1.00
Belief
fi pi
477 .23
964 .47
265 .13
289 .14
53 .03
2048 1.00
Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Freundeskreise angesichts krimineller Aktivitäten mit Missachtung reagieren, wird von den meisten Befragten für gering gehalten. Es zeigt sich, dass ein sehr großer Teil der Befragten ein hohes Rechtsbewusstsein aufweist (vgl. Tab. 3-20). In Tabelle 3-21 sind die bivariaten Korrelationen der Items zur Erfassung negativer Einstellungen abgebildet. Tabelle 3-21: Bivariate Korrelationen der Items zur Messung negativer Einstellungen 1 1. Attachment
2
3
1.000
--
--
2. Commitment
.098
1.000
--
3. Belief
.149
.246
1.000
Neutralisierende Einstellungen zu kriminellem Handeln beziehen sich auf die Möglichkeit, dass Akteure kriminelles Handeln rechtfertigen, obwohl ihnen bewusst ist, dass dieses als Unrecht zu bewerten ist. Drei Formen von neutrali-
100
3. Empirische Untersuchung
sierenden Einstellungen – ›denial of responsibility‹, ›denial of injury‹ und ›denial of a victim‹ – wurden in diese Studie einbezogen (vgl. Kap. 2.2). Die Items zur Erfassung von Neutralisierungstechniken wurden für beide Situationen analog formuliert und mit dichotomer Antwortmöglichkeit (0: stimme nicht zu, 1: stimme zu) dargeboten (vgl. Abb. 3-7). Abbildung 3-7: Items zur Erfassung neutralisierender Einstellungen Fundunterschlagung (Situation 1) Denial of Responsibility (Leugnung eigener Verantwortung) Einen zufällig gefundenen Geldschein kann man ruhig behalten, denn jede/r andere würde das Geld auch mitnehmen. Denial of Injury (Leugnung eines Schadens) Einen zufällig gefundenen Geldschein kann man ruhig behalten, weil es doch sowieso keiner merkt. Denial of a Victim (Leugnung eines Opfers) Einen zufällig gefundenen Geldschein kann man ruhig behalten, denn die Person, die ihn verloren hat, ist doch selbst schuld. Ungerechtfertigte Bereicherung (Situation 2) Denial of Responsibility (Leugnung eigener Verantwortung) Ich finde es grundsätzlich in Ordnung, Wechselgeld, auch wenn es zu viel ist, zu behalten, denn andere würden das doch auch machen. Denial of Injury (Leugnung eines Schadens) Ich finde es grundsätzlich in Ordnung, Wechselgeld, auch wenn es zu viel ist, zu behalten, denn bei dem hohen Umsatz wird das dem Geschäft schon nicht schaden. Denial of a Victim (Leugnung eines Opfers) Ich finde es grundsätzlich in Ordnung, Wechselgeld, auch wenn es zu viel ist, zu behalten, weil die Verkäuferin doch selbst schuld ist, wenn sie sich irrt.
101
3.1 Methoden
Tabelle 3-22: Items zur Messung neutralisierender Einstellungen (Situation 1) 0
1
n
fi
pi
fi
pi
fi
Leugnung Verantwortung
1213
.60
816
.40
2029
1.00
Leugnung Schaden
1461
.73
536
.27
1997
1.00
Leugnung Opfer
1642
.82
363
.18
2005
1.00
pi
Tabelle 3-23: Items zur Messung neutralisierender Einstellungen (Situation 2) 0
1
n
fi
pi
fi
pi
fi
pi
Leugnung Verantwortung
1635
.81
385
.19
2020
1.00
Leugnung Schaden
1655
.82
365
.18
2020
1.00
Leugnung Opfer
1779
.87
257
.13
2036
1.00
Die in den Tabellen 3-22 und 3-23 angegebenen Häufigkeitsverteilungen zeigen, dass die Aussagen zur Rechtfertigung kriminellen Handelns bei den Befragten überwiegend nicht auf Zustimmung stoßen. Die Anteile anlehnender Äußerungen varieren in der Situation der Fundunterschlagung über die einzelnen Items und sind in der Situation des Wechselgeldirrtums vergleichsweise ähnlich. In der Untersuchungsstichprobe stimmt ein Anteil von etwa 11% bzw. 6% aller Befragten allen Aussagen zur Neutralisierung einer Fundunterschlagung bzw. einer ungerechtfertigten Bereicherung zu. Demgegenüber lehnen etwa 54% bzw. 71% alle Aussagen ab. Betrachtet man die Anteile von Zustimmungen zu allen Statements für beide Situationen, so zeigt sich, dass nur etwa 3% der Befragten allen Aussagen zustimmen, während etwa 50% der Befragten
102
3. Empirische Untersuchung
sich allen Aussagen gegenüber ablehnend äußern (ohne Tabelle). Wie aus den Tabellen 3-24 und 3-25 hervorgeht, sind die Items zur Erfassung neutralisierender Einstellungen in beiden Situationen in erwarteter Richtung korreliert. Tabelle 3-24: Bivariate Korrelationen der Items zur Messung neutralisierender Einstellungen (Situation 1) 1 1. Leugnung Verantwortung
2
3
1.000
--
--
2. Leugnung Schaden
.573
1.000
--
3. Leugnung Opfer
.403
.431
1.000
Tabelle 3-25: Bivariate Korrelationen der Items zur Messung neutralisierender Einstellungen (Situation 2) 1 1. Leugnung Verantwortung
2
3
1.000
--
--
2. Leugnung Schaden
.386
1.000
--
3. Leugnung Opfer
.522
.396
1.000
Sozialer Status Ausgehend von anomietheoretischen Überlegungen wurde der soziale Status von Akteuren über verschiedene Merkmale der wirtschaftlichen und beruflichen Situation spezifiziert (vgl. Kap. 2.2). Um das Ausmaß zu bestimmen, in dem Akteure Chancen zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Wohlfahrt haben, wurden die Höhe des Einkommens, die wirtschaftliche Zufriedenheit und die schulische Bildung bestimmt (vgl. Abb. 3-8). Das Einkommen wurde als bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen oder Äquivalenzeinkommen des Haushalts erfasst. Die Probanden wurden gebeten, Angaben zur Höhe des monatlichen
3.1 Methoden
103
Nettoeinkommens ihres Haushalts zu machen22. Das bedarfsgewichtete ProKopf-Einkommen wurde gebildet, in dem die Angaben der Probanden zur Höhe ihres Einkommens und zur Haushaltsgröße den Regelsatzproportionen des Bundessozialhilfegesetzes (Fichtler 1999) entsprechend gewichtet wurden. Die Nennungen der Befragten zum monatlichen Nettoeinkommen ihres Haushalts umfassten einen Wertebereich von 400 bis 25.000 DM (M=4871, s=2750). Auf der Grundlage dieser Nennungen konnte für insgesamt 1915 Haushalte ein bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen mit einem Wertebereich von 179 bis 20.000 DM (M=2490, s=1533) berechnet werden. Anhand der Quartile der Häufigkeitsverteilung wurde das Item so kodiert, dass hohe Werte einen niedrigen sozialen Status abbilden. Abbildung 3-8: Merkmale des sozialen Status 1.
Einkommen
2.
wirtschaftliche Zufriedenheit
3.
schulische Bildung
Die Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage es eigenen Haushalts wurde mit dem folgenden Item erfasst: »Wie zufrieden sind Sie ganz persönlich alles in allem mit Ihrer wirtschaftlichen Situation?«, das mit einer fünfstufigen Ratingskala (0: sehr zufrieden, 1: zufrieden, 2: weder/noch, 3: unzufrieden, 4: sehr unzufrieden) zur Beantwortung vorgegeben wurde. Aus Tabelle 3-26 geht hervor, dass der überwiegende Teil aller Befragten sich unabhängig vom Geschlecht als sehr zufrieden oder zufrieden bezeichnet hat (n=1507 bzw. 73%), während sich ein vergleichsweise kleiner Teil aller Befragten als unzufrieden oder sehr unzufrieden beschrieben hat (n=265 bzw. 13%). Betrachtet man den Zusammenhang zwischen dem monatlichen Einkommen des Haushalts und der Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage (ȡ=-.34, p.05), so wird deutlich, dass eher diejenigen Personen Unzufriedenheiten berichtet haben, die ein geringeres Einkommen angegeben haben. 22 Zur Erfassung des Einkommens diente das folgende Item: »Wie hoch war im vergangenen Jahr 2000 das monatliche Nettoeinkommen Ihres Haushalts? Bitte geben Sie einen ungefähren Betrag an. (Gemeint ist hier die Gesamtheit der Einnahmen aller Mitglieder Ihres Haushalts, d.h. das Arbeitseinkommen nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben, inclusive der Einkünfte aus Rente, öffentlichen Zuschüssen, etc.)«
104
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-26: Item zur Erfassung der wirtschaftlichen Zufriedenheit
wirtschaftliche Zufriedenheit
fi pi
0
1
2
3
4
n
325 .16
1182 .57
288 .14
211 .10
54 .03
2060 1.00
Die schulische Bildung der Befragten wurde bereits in Tabelle 3-3 beschrieben. Den dort aufgeführten Schulabschlüssen wurde jeweils die Anzahl der Schuljahre, die von den Befragten absolviert wurden, zugewiesen. Es zeigte sich, dass die die Befragten im Mittel 10 Jahre die Schule besucht haben. Die Anzahl der Schuljahre reichte von 9 bis 13 und wurde auf einen Wertebereich von 0 bis 4 bezogen, wobei 0 eine hohe schulische Bildung und 4 eine niedrige schulische Bildung repräsentierte. Tabelle 3-27 zeigt die Interkorrelationen von Einkommen, wirtschaftlicher Zufriedenheit und schulischer Bildung. Tabelle 3-27: Bivariate Korrelationen der Items zur Messung des sozialen Status 1 1. Einkommen 2. wirtschaftliche Zufriedenheit 3. schulische Bildung
2
3
1.000
--
--
.271
1.000
--
-.107
-.081
1.000
Soziale Beziehungen Vor dem Hintergrund der Theorie sozialer Desorganisation wurde das Ausmaß der Einbindung in soziale Beziehungen, die konformes Handeln stützen, bestimmt. Dabei wurden das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer ehelichen bzw. partnerschaftlichen Beziehung und das Ausmaß der Aktivität in Vereinen und Kirche gemessen (vgl. Abb. 3-9). Das Vorhandensein oder NichtVorhandensein einer ehelichen bzw. partnerschaftlichen Beziehung wurde als dichotomes Merkmal erhoben (0: Vorhandensein, 1: Nicht-Vorhandensein), das
105
3.1 Methoden
Ausmaß der Aktivität in Vereinen und Kirche wurde auf vierstufigen Skalen abgebildet (3: Nicht-Vorliegen einer Mitgliedschaft, 2: passive Mitgliedschaft bzw. Zahlung von Kirchensteuern, 1: aktive Mitgliedschaft bzw. Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen nur zu besonderen Anlässen, 0: Funktionsträger bzw. regelmäßige Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen). Höhere Zahlenwerte repräsentieren also eine geringere Einbindung in soziale Beziehungen. Abbildung 3-9: Merkmale sozialer Beziehungen 1.
Ehe bzw. Partnerschaft
2.
Aktivität in Vereinen
3.
Aktivität in Kirche
Wie die Häufigkeitsverteilungen dieser Items zeigen, ist der überwiegende Teil der Befragten in eheliche oder partnerschaftliche Beziehungen eingebunden (vgl. Tab. 3-28). Etwa die Hälfte aller Befragten unterhält eine Vereinsmitgliedschaft, die sich hauptsächlich als regelmäßige Beitragszahlung oder als aktive Beteiligung am Vereinsleben gestaltet, und besucht regelmäßig oder zu besonderen Anlässen religiöse Veranstaltungen (vgl. Tab. 3-29 und Tab. 3-30). Tabelle 3-28: Häufigkeiten der Einbindung in Ehe bzw. Partnerschaft
0: Vorhandensein von Ehe/Partnerschaft 1: Nicht-Vorhandensein von Ehe/Partnerschaft Gesamt
fi
pi
1593
.78
461
.22
2054
1.00
Tabelle 3-29: Item zur Erfassung der Aktivität in Vereinen
Aktivität in Vereinen
fi pi
0
1
2
3
n
92 .05
362 .18
426 .22
1091 .55
1971 1.00
106
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-30: Item zur Erfassung der kirchlichen Aktivität
Aktivität in Kirche
fi pi
0
1
2
3
n
312 .15
830 .41
303 .15
575 .29
2020 1.00
Tabelle 3-31 zeigt die Interkorrelationen zwischen den Items zur Erfassung sozialer Beziehungen. Zwar sind die Zusammenhänge zwischen den Items eher schwach, jedoch hinsichtlich ihrer Richtung erwartungsgemäß. Tabelle 3-31: Bivariate Korrelationen der Items zur Messung sozialer Beziehungen 1
2
3
1. Ehe/Partnerschaft
1.000
--
--
2. Aktivität Verein
.004
1.000
--
3. Aktivität Kirche
.048
.086
1.000
Handlungskontrolle Das Konstrukt Handlungskontrolle umfasst Aspekte von Impulsivität, Intelligenz und Egoismus, die jeweils eigenständige Einflüsse auf kriminelles Handeln aufweisen können. Ausgehend von der Operationalisierung des Konstrukts SelfControl im Rahmen der Grasmick-Skala (Grasmick et al. 1993b) wurden in dieser Studie die Neigung zu unüberlegtem Handeln (impulsivity) die Bevorzugung einfacher Aufgaben (simple tasks) und die Selbstzentriertheit (selfcentered) als relevante Dimensionen von Handlungskontrolle aufgefasst (vgl. Kap. 2.2). Die Grasmick-Skala umfasst vier Items für jeden der sechs Bereiche von Self-Control, die im Sinne des Konstrukts ›Low Self-Control‹ gerichtet sind. In dieser Studie wurden im Unterschied dazu jeweils zwei Items im Sinne niedriger bzw. hoher Handlungskontrolle formuliert. Die Items, die ein hohes Ausmaß an Handlungskontrolle messen, sind markiert (-) (vgl. Abb. 3-10).
3.1 Methoden
107
Abbildung 3-10: Items zur Erfassung von Handlungskontrolle Impulsivity 1. Ich handle oft aus dem Moment heraus. 2. Ich plane normalerweise weit in die Zukunft. (-) 3. Ich mache mir mehr Gedanken über meine ferne als über meine nahe Zukunft. (-) 4. Ich tue oft das, was mir Spaß bringt, auch wenn dies in der Zukunft negative Auswirkungen haben könnte. Simple Tasks 1. Auch wenn ich es nicht schaffe, eine Aufgabe sofort zu bewältigen, halte ich für gewöhnlich durch. (-) 2. Ich mag Aufgaben, die so schwierig sind, dass sie mich an die Grenzen meiner Fähigkeiten bringen. (-) 3. Ich versuche häufig, schwierigen Aufgaben aus dem Weg zu gehen. 4. Dinge, die leicht zu bewältigen sind, machen mir am meisten Spaß. Self-Centered 1. Es fällt mir schwer, meinen Vorteil zu verfolgen, wenn andere dadurch einen Nachteil haben könnten. (-) 2. Es fällt mir im Allgemeinen leicht, mich in die Probleme anderer hineinzuversetzen. (-) 3. Wenn andere Leute sich über mich ärgern, ist das deren Problem. 4. Normalerweise versuche ich, Dinge zu bekommen, die ich haben will, auch wenn es andere dadurch schwerer haben.
Die Beantwortung der Items erfolgte auf vierstufigen Ratingskalen (1: stimme überhaupt nicht zu, 2: stimme nicht zu, 3: stimme zu, 4: stimme voll und ganz zu). Die Items, deren Häufigkeitsverteilungen in Tabelle 3-32 abgebildet sind, wurden einer dimensionalen Analyse unterzogen, die hier nicht ausführlich dokumentiert wird. Es zeigte sich, dass Handlungskontrolle kein eindimensionales Konstrukt darstellt. Vielmehr repräsentieren die Bereiche Impulsivity, Simple Tasks und Self-Centered im Einklang mit den theoretischen Überlegungen jeweils eigenständige Aspekte des Merkmals Handlungskontrolle.
108
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-32: Items zur Erfassung von Handlungskontrolle 1
2
3
4
n
Impulsivity (Cronbach’s Į = .39) 1
fi pi
88 .04
675 .33
1048 .51
237 .12
2048 1.00
2
fi pi
205 .10
826 .40
881 .43
145 .07
2057 1.00
3
fi pi
133 .06
542 .26
1115 .54
265 .13
2055 1.00
4
fi pi
341 .17
1171 .57
461 .22
82 .04
2055 1.00
Simple Tasks (Cronbach’s Į = .62) 1
fi pi
476 .23
1354 .66
210 .10
20 .01
2060 1.00
2
fi pi
234 .11
791 .38
885 .43
150 .07
2060 1.00
3
fi pi
245 .12
1124 .55
616 .30
74 .04
2059 1.00
4
fi pi
71 .03
823 .40
889 .43
270 .13
2053 1.00
Self-Centered (Cronbach’s Į = .43) 1
fi pi
594 .29
1002 .49
350 .17
104 .05
2050 1.00
2
fi pi
687 .33
1164 .56
169 .08
43 .02
2063 1.00
3
fi pi
255 .12
981 .48
561 .27
253 .12
2050 1.00
4
fi pi
725 .35
1083 .53
201 .10
50 .02
2059 1.00
109
3.1 Methoden
Ausgehend von den Ergebnissen der dimensionalen Analysen (Cronbach’s Į: vgl. Tab. 3-32; Interkorrelationen: vgl. Tab. 3-33) wurden Summenscores für Impulsivity, Simple Tasks und Self-Centered gebildet, deren Wertebereich auf den Bereich von 0 bis 12 bezogen wurde. Tabelle 3-33: Bivariate Korrelationen der Bereiche zur Messung von Handlungskontrolle 1 1. Impulsivity
2
3
1.000
--
--
2. Simple Tasks
.008
1.000
--
3. Self-Centered
.031
.086
1.000
3.1.4 Datenanalyse Die weitere empirische Analyse der Forschungsfragen erfolgte entlang der Untersuchungshypothesen (vgl. Kap. 2.5) in mehreren Schritten. Im Hinblick auf die Auswahl geeigneter Verfahren der Datenanalyse war eine Reihe von Überlegungen maßgeblich: Einflüsse von Merkmalen der sozialen Situation auf kriminelles Handeln wurden entlang eines Makro-Mikro-Makro-Modells soziologischer Erklärungen spezifiziert (vgl. Kap. 2.2). Dabei dienten Beschreibungen der sozialen Situation durch die befragten Akteure als Grundlage der empirischen Analyse (vgl. Kap. 3.1.3.3). Folglich scheidet die Anwendung des Verfahrens der Kontext- oder Mehrebenenanalyse aus, da lediglich Individuen, nicht aber soziale Kontexte als Analyseeinheit fungierten und Einflüsse von Merkmalen sozialer Situationen nicht unabhängig von Merkmalen individueller Akteure gemessen wurden (Snijders/Bosker 1999). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wurden die im Rahmen der ersten beiden Untersuchungshypothesen formulierten Annahmen über Einflüsse der sozialen Situation und der Wert-Erwartungs-Überlegungen auf kriminelles Handeln bzw. kriminelle Handlungsentscheidungen jeweils mittels multipler logistischer Regressionsanalysen untersucht (vgl. Long 2002). Innerhalb der Regressionsmodelle wurde die Relevanz der Prädiktoren anhand der Signifikanz
110
3. Empirische Untersuchung
der geschätzten Regressionsgewichte beurteilt; die Relevanz jedes einzelnen Regressionsmodells wurde anhand von Likelihood-Ratio-Tests erschlossen (Long 2002, Long/Freese 2006). Die Anpassung verschiedener Regressionsmodelle an die Daten wurde anhand des Bayes’schen Informationskriteriums BIC’ einer vergleichenden Bewertung unterzogen (Raftery 1995). Angesichts der Tatsache, dass einige Merkmale der sozialen Situation sowie Wert-ErwartungsÜberlegungen auf ordinalen Skalen erhoben wurden, und angesichts der Beobachtung, dass bei einigen Merkmalen Verteilungsschiefen und bimodale Verteilungsformen beobachtet wurden (vgl. Kap. 3.1.3), wurden diese logistischen Regressionsanalysen sowohl mit den ursprünglichen Variablen als auch mit Variablen, die zunächst optimal skaliert und/oder normalisiert worden waren, als Prädiktoren gerechnet. Da die Ergebnisse hierbei in wesentlichen Aspekten robust blieben, wurden die ursprünglichen Items verwendet. Die im Rahmen der dritten Untersuchungshypothese formulierten Annahmen bezogen sich auf Beziehungen zwischen Merkmalen der sozialen Situation von Akteuren, Einstellungen zu kriminellem Handeln und kriminellem Handeln. Grundsätzlich wurde dabei die Annahme eines Mediatoreffekts von der Annahme eines Moderatoreffekts unterschieden (vgl. Kap. 2.4). Die Annahme, dass Einflüsse von Merkmalen der sozialen Situation durch Einstellungen vermittelt werden, wurde mittels hierarchischer logistischer Regressionsanalysen untersucht. Dabei wurden jeweils Merkmale der sozialen Situation und Einstellungen zu kriminellem Handeln nacheinander als Prädiktoren in die logistische Regression aufgenommen, um zu analysieren, ob der Einfluss von Merkmalen der sozialen Situation auf kriminelles Handeln durch die Beziehung zwischen der sozialen Situation und Einstellungen zum einen und die Beziehung zwischen Einstellungen und kriminellem Handeln zum anderen kausal interpretierbar ist. Die Annahme eines Mediatoreffekts wird unterstützt, wenn Einflüsse der sozialen Situation auf kriminelles Handeln bei zusätzlicher Berücksichtung der Einflüsse von Einstellungen zu kriminellem Handeln verschwinden. Die Relevanz der hierarchisch geschachtelten Regressionsmodelle wurde in diesem Zusammenhang mittels Likelihood-Ratio-Tests bewertet, außerdem wurden nicht hierarchische Regressionsmodelle, also Modelle, die jeweils verschiedene Aspekte der sozialen Situation enthielten, mittels des Bayes’schen Informationskriteriums BIC’ beurteilt. Eine weitere, im Rahmen der dritten Untersuchungshypothese formulierte Annahme bezog sich auf die Idee, dass Einflüsse von Einstellungen auf kriminelles Handeln mit Merkmalen der sozialen Situation von Akteuren variieren können. Das Vorliegen eines solchen Moderatoreffekts wurde
3.2 Ergebnisse
111
analysiert, in dem die für die zweite Untersuchungshypothese spezifizierten logistischen Regressionsmodelle für Subgruppen der Stichprobe berechnet wurden. Diese Subgruppen wurden auf der Grundlage von Merkmalen der sozialen Situation der Akteure durch Mediansplits bei ordinalen Variablen oder einfache Trennung nach Kategorien im Falle dichotomer Variablen gebildet. Auf diese Weise konnte beispielsweise der Einfluss von neutralisierenden Einstellungen auf kriminelles Handeln für Akteure mit hohem oder niedrigem sozialen Status bestimmt werden. Unterschiede der Einflüsse von Einstellungen auf kriminelles Handeln wurden anhand eines Vergleichs der Regressionskoeffizienten zwischen den für die Subgruppen berechneten Modellen vorgenommen (Clogg et al. 1995, Brame et al. 1998). Die dritte Untersuchungshypothese bezog sich außerdem auf verschiedene Annahmen über Beziehungen zwischen Merkmalen der sozialen Situation und den einer Entscheidung für kriminelles Handeln vorausgehenden WertErwartungs-Überlegungen. Dabei wurden Mediatoreffekte einerseits – Merkmale der sozialen Situation beeinflussen vermittelt über Wert-ErwartungsÜberlegungen kriminelle Handlungsentscheidungen – und Moderatoreffekte andererseits – Einflüsse von Wert-Erwartungs-Überlegungen auf Entscheidungen für kriminelles Handeln variieren mit Merkmalen der sozialen Situation – überprüft. Die Verfahren der Datenanalyse entsprechen denen, die bereits für die Analyse von Mediator- und Moderatoreffekten in der Beziehung zwischen Merkmalen der sozialen Situation, Einstellungen und kriminellem Handeln beschrieben worden sind. Auf der Grundlage dieser Datenanalyen wird insgesamt eine Aussage darüber möglich sein, welche Modelle den Daten am besten angepasst sind und ob insbesondere Modelle, die Wert-Erwartungs-Überlegungen in der Analyse kriminellen Handelns berücksichtigen, einfacheren Modellen, die lediglich Einflüsse von Merkmalen der sozialen Situation spezifizieren, überlegen sind oder nicht. Im Anschluss an die Beschreibung des methodischen Vorgehens werden nun die Ergebnisse der empirischen Analyse der Forschungsfragen dargestellt.
3.2 Ergebnisse der Untersuchung In dieser Studie wurden verschiedene mögliche Antworten auf die Frage, warum Akteure angesichts von Gelegenheiten kriminell handeln, erarbeitet. Dabei wurde vermutet, dass Akteure sich vor dem Hintergrund ihrer sozialen Situation
112
3. Empirische Untersuchung
entweder unhinterfragt oder aufgrund von Überlegungen Vorteile auf Kosten anderer verschaffen, sofern sich im Rahmen alltäglicher Handlungsvollzüge die Möglichkeit dazu bietet. Im Folgenden werden die Ergebnisse der empirischen Analysen der Untersuchungshypothesen berichtet (vgl. Kap. 2.5).
3.2.1 Soziale Situation und kriminelles Handeln Die Idee, dass kriminelles Handeln vor dem Hintergrund der sozialen Situation von Akteuren in einem automatisch-spontanen Modus selegiert wird, bildete den Gegenstand der ersten Forschungsfrage. Insbesondere wurde angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der kriminell gehandelt wird, vom Alter, vom Geschlecht und von der Erfahrung der Befragten abhängt (Hypothese 1.1). Die logistische Regressionsanalyse führte zu dem in Tabelle 3-34 dargestellten Ergebnis. Es zeigt sich, dass alle Prädiktoren einen statistisch bedeutsamen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, mit der vermutlich kriminell gehandelt wird, haben. Beide Modelle weisen bereits eine relativ hohe Erklärungskraft auf (Situation 1: 15,7%, Situation 2: 24,4%). Die Regressionskonstante gibt dabei die logarithmierte Chance bzw. das logarithmierte Risiko an, dass eine 18-jährige Person männlichen Geschlechts ohne Erfahrung mit den dargebotenen Gelegenheiten kriminell handelt, die Regressionsgewichte geben den Betrag an, um den sich dieses logarithmierte Risiko jeweils ändert, wenn sich die unabhängige Variable um eine Einheit ändert. Aus Tabelle 3-34 geht hervor, dass das Risiko für eine Fundunterschlagung mit jedem Anstieg des Alters um eine Einheit bzw. ein Jahr um das 0.964-fache (e-.037) sinkt. Auch für weibliche Befragte ist das Risiko für eine Fundunterschlagung gegenüber männlichen Befragten verringert, und zwar um das 0.589-fache (e-.529). Haben Akteure mindestens eine Erfahrung mit der Situation der Fundunterschlagung, so steigt das Risiko für kriminelles Handeln um das 5.307-fache (e1.669). In Bezug auf die Situation des Wechselgeldirrtums führt die logistische Regression zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der vermutlich irrtümlich erhaltenes Wechselgeld behalten wird, vom Alter und von der Erfahrung der Befragten abhängt: Mit jedem Anstieg des Alters um ein Jahr sinkt das Risiko einer ungerechtfertigten Bereicherung um das 0.944-fache (e-.058). Ähnlich wie in Bezug auf die Situation der Fundunterschlagung zeigt sich auch hier, dass das Risiko für eine ungerechtfertigte Bereicherung besonders stark von der Erfahrung mit der Situation des Wechselgeldirrtums beeinflusst wird: Das Risiko für kriminelles Handeln steigt um etwa das Achtfache (e2.123), wenn Akteure über mindestens eine Erfahrung
113
3.2 Ergebnisse
mit der Situation des Wechselgeldirrtums verfügen. Männliche und weibliche Befragte unterscheiden sich nur tendenziell im Hinblick auf ihre Bereitschaft, den Irrtum aufrechtzuerhalten und das zu Unrecht erhaltene Wechselgeld nicht zurückzugeben (ȕ=-.236; vgl. Tab. 3-34). Tabelle 3-34: Logistische Regression kriminellen Handelns auf Alter, Geschlecht und Erfahrung23 Situation 1 (n = 2054)
Situation 2 (n = 2061)
ȕ
ȕ
Alter
-.037* (.006)
-.058* (.006)
Geschlecht
-.529* (.144)
-.236+ (.131)
Erfahrung
1.669* (.157)
2.123* (.148)
Konstante
-1.767* (.194)
-1.390* (.179)
McFadden’s R2
.157
.244
Log Likelihood
-649.418
-739.778
BIC’
-219.229
-455.776
Betrachtet man die Analyse der Einflüsse von Alter, Geschlecht und Erfahrung auf kriminelles Handeln in den Situationen der Fundunterschlagung und des Wechselgeldirrtums zusammenfassend, so zeigt sich, dass insbesondere positive Erfahrungen mit Fundunterschlagungen und ungerechtfertigten Bereicherungen dazu führen, dass Akteure vermutlich auch angesichts der in dieser Studie dar23 Hier und im Folgenden werden signifikante Ergebnisse mit * (p.05) und tendenziell bedeutsame Ergebnisse mit + (p.10) markiert. Angegeben sind unstandardisierte Regressionsgewichte ȕ und (in Klammern) Standardfehler.
114
3. Empirische Untersuchung
gebotenen Gelegenheiten kriminell handeln würden. Aus Tabelle 3-34 geht hervor, dass die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten für die Situation des Wechselgeldirrtums höher ist als für die Situation der Fundunterschlagung (Situation 1: BIC’=-219.229, Situation 2: BIC’=-455.776). Im Rahmen der ersten Forschungsfrage wurde weiterhin angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handelns steigt, wenn Akteure positive Einstellungen zu kriminellem Handeln hegen (Hypothese 1.2), wenn ihre Einstellungen zu kriminellem Handeln weniger negativ sind (Hypothese 1.3), oder wenn sie über neutralisierende Einstellungen verfügen, mittels derer sie kriminelles Handeln rechtfertigen können (Hypothese 1.4). Einflüsse von Einstellungen werden unter Kontrolle von Alter, Geschlecht und Erfahrung berechnet. In Tabelle 3-35 werden die Einflüsse von positiven Einstellungen auf kriminelles Handeln berichtet. Wegen der hohen Korrelation zwischen den Items zur Erfassung von Differentieller Verstärkung und Definitionen (IJb=.639, vgl. Tab. 3-19) werden lediglich Einflüsse von Differentiellen Assoziationen und Definitionen berechnet. Es zeigt sich, dass positive Einstellungen zu kriminellem Handeln die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins und die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums begünstigen. Hypothese 1.2 findet also empirische Unterstützung (vgl. Tab. 3-35). Likelihood-Ratio-Tests zwischen einfachen Modellen, die nur die Kontrollvariablen Alter, Geschlecht und Erfahrung umfassen, und Modellen, die um die Variablen zur Erfassung positiver Einstellungen ergänzt wurden, zeigen, dass die Modellanpassungen der erweiterten Modelle überlegen sind (Situation 1: Ȥ2diff=64.338, Ȥ2krit=5.991, df=2; Situation 2: Ȥ2diff=45.076, Ȥ2krit=5.991, df=2). In beiden Situationen erweist sich die Akzeptanz kriminellen Handelns als statistisch bedeutsamer Prädiktor: Die Risiken für eine Fundunterschlagung und eine ungerechtfertigte Bereicherung steigen um das 1.650-fache (e.501) bzw. um das 1.510-fache (e.421), wenn Akteure der Aussage zustimmen, dass sie Gesetzesübertretungen hin und wieder in Ordnung finden. Stärker als durch diese Überzeugung wird kriminelles Handeln allerdings in beiden Situationen durch die Erfahrung mit den hier dargebotenen Gelegenheiten bestimmt (Situation 1: ȕ=1.525, Situation 2: ȕ=1.998). Vergleicht man die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten für beide Situationen anhand des Bayes’schen Informationskriteriums BIC’, so ist das Modell für die Situation des Wechselgeldirrtums als überlegen zu bewerten (Situation 1: BIC’=-237.932, Situation 2: BIC’=-469.753).
115
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-35: Logistische Regression kriminellen Handelns auf positive Einstellungen Situation 1 (n = 1990)
Situation 2 (n = 1996)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.037* (.006)
-.030* (.006)
-.058* (.006)
-.054* (.006)
Geschlecht
-.515* (.146)
-.408* (.150)
-.229+ (.133)
-.131 (.136)
Erfahrung
1.687* (.160)
1.525* (.163)
2.133* (.150)
1.998* (.153)
Differentielle Assoziationen
.225 (.193)
-.028 (.165)
Definitionen
.501* (.077)
.412* (.069)
Konstante
-1.780* (.197)
-3.061* (.272)
-1.378* (.181)
-2.216* (.232)
McFadden’s R2
.159
.202
.247
.270
Log Likelihood
-631.031
-598.862
-721.853
-699.315
BIC’
-215.669
-264.814
-450.382
-480.260
Auch Hypothese 1.3, die Einflüsse von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln postuliert, wird mit den in Tabelle 3-36 dargestellten Ergebnissen gestützt. Likelihood-Ratio-Tests zwischen einfachen und erweiterten Modellen weisen auf eine Verbesserung der Modellanpassung durch die Einbeziehung der Variablen zur Erfassung negativer Einstellungen hin (Situation 1: Ȥ2diff=47.094, Ȥ2krit=7.851, df=3; Situation 2: Ȥ2diff=26.310, Ȥ2krit=7.851, df=3). Für beide Situationen zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln steigt, je weniger Akteure sich an konventionelle Bezugspersonen oder –gruppen gebunden fühlen und je weniger sie davon überzeugt sind, Gesetze unter allen Um-
116
3. Empirische Untersuchung
ständen befolgen zu müssen. In der Situation der Fundunterschlagung nur tendenziell und in der Situation des Wechselgeldirrtums gar nicht statistisch bedeutsam ist demgegenüber die Bindung von Akteuren an konventionelle Bezugspersonen oder –gruppen (vgl. Tab. 3-36). Tabelle 3-36: Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen Situation 1 (n = 2017)
Situation 2 (n = 2025)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.038* (.006)
-.032* (.006)
-.058* (.006)
-.055* (.006)
Geschlecht
-.522* (.146)
-.431* (.149)
-.259+ (.133)
-.196 (.135)
Erfahrung
1.648* (.158)
1.567* (.161)
2.153* (.151)
2.079* (.152)
Attachment
.149+ (.091)
.112 (.087)
Commitment
.218* (.078)
.151* (.067)
Belief
.332* (.070)
.228* (.065)
-1.749* (.195)
-3.077* (.312)
-1.412* (.182)
-2.279* (.270)
McFadden’s R2
.156
.188
.247
.260
Log Likelihood
-637.665
-614.118
-724.148
-710.993
BIC’
-213.443
-237.707
-451.586
-455.057
Konstante
3.2 Ergebnisse
117
Aus Tabelle 3-36 geht hervor, dass das Risiko für die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins stärker von der Überzeugung, Gesetze befolgen zu müssen (e.332=1.394) als von der Sorge um einen Ansehensverlust beeinflusst wird (e.218=1.243). Auch das Risiko, dass irrtümlich erhaltenes Wechselgeld behalten wird, steigt vor allem dann, wenn Akteure keine Beschädigung ihres Ansehens gegenüber anderen antizipieren (e.151=1.163), und wenn sie sich in nur geringem Maße an Gesetze gebunden fühlen (e.228=1.256). Nur in der Situation der Fundunterschlagung ist das Rechtsbewusstsein ähnlich bedeutsam wie die Erfahrung mit kriminellem Handeln, wie die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln, die durch das Regressionsmodell vorhergesagt wird, zeigt: Diese kann auf der Grundlage der logarithmierten Chancen berechnet werden (eb/1+eb). Das Regressionsmodell sagt für 18-jährige männliche Befragte ohne Erfahrung einen Anteil kriminellen Handelns von etwa 4% vorher, dieser Anteil erhöht sich auf 18%, wenn die Befragten mindestens eine positive Erfahrung mit der Situation der Fundunterschlagung haben, und auf 15%, wenn die Befragten in nur geringem Maße davon überzeugt sind, das Gesetz befolgen zu müssen, egal ob sie damit einverstanden sind oder nicht24. Ein Vergleich der Übereinstimmung zwischen Modellen und Daten zeigt, dass das Modell für die Situation des Wechselgeldirrtums dem Modell für die Situation der Fundunterschlagung vorgezogen werden sollte (Situation 1: BIC’=-237.707, Situation 2: BIC’=-455.057). Die in Hypothese 1.4 formulierte Annahme, wonach neutralisierende Einstellungen, mittels derer Akteure kriminelles Handeln rechtfertigen, die Wahrscheinlichkeit einer Fundunterschlagung oder einer ungerechtfertigten Bereicherung erhöhen, wird mit den in Tabelle 3-37 dargestellten Ergebnissen unterstützt. Für beide Situationen sind die um die Variablen zur Erfassung neutralisierender Einstellungen erweiterten Modelle den Daten besser angepasst als die einfachen Modelle (Situation 1: Ȥ2diff=195.602, Ȥ2krit=7.815, df=3; Ȥ2diff=305.964, Ȥ2krit=7.815, df=3). Kognitive Strategien der Rechtfertigung begünstigen die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins ebenso wie die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums. Aus Tabelle 3-37 geht hervor, dass das Risiko einer Fundunterschlagung steigt, wenn Akteure ihre Verantwortung abstreiten (e.866=2.377), wenn sie den entstandenen Schaden 24 Die Berechnung der Wahrscheinlichkeit kriminellen Handelns für die Gruppe der Befragten mit starkem Rechtsbewusstsein ergibt sich aus der Regressionskonstante, die die logarithmierte Chance bzw. das logarithmierte Risiko für kriminelles Handeln in der Gruppe der 18-jährigen Befragten männlichen Geschlechts ohne Erfahrung, mit hoher Bindung, hoher Verpflichtung und starkem Rechtsbewusstsein angibt: e-3.077/(1+e-3.077).
118
3. Empirische Untersuchung
leugnen (e.684=1.983), und wenn sie dem Opfer die Schuld für ihre kriminelle Handlungsentscheidung zuschreiben (e1.387=4.004). Es zeigt sich, dass insbesondere die Strategie der kognitiven Rechtfertigung, die die Schuld für kriminelles Handeln beim Opfer sucht, kriminelles Handeln besser vorhersagt als die Erfahrung mit der Situation der Fundunterschlagung: Die Erfahrung erhöht das Risiko für kriminelles Handeln lediglich um das 3.352-fache (e1.210, vgl. Tab. 3-37). Tabelle 3-37: Logistische Regression kriminellen Handelns auf neutralisierende Einstellungen Situation 1 (n = 1968)
Situation 2 (n = 1992)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.037* (.006)
-.032* (.006)
-.058* (.006)
-.044* (.006)
Geschlecht
-.481* (.147)
-.400* (.160)
-.251+ (.133)
-.299+ (.155)
Erfahrung
1.656* (.160)
1.210* (.175)
2.082* (.150)
1.694* (.170)
Leugnung Verantwortung
.866* (.210)
.971* (.182)
Leugnung Schaden
.684* (.184)
.878* (.173)
Leugnung Opfer
1.387* (.171)
1.875* (.204)
Konstante
-1.800* (.199)
-2.958* (.247)
-1.364* (.182)
-2.295* (.218)
McFadden’s R2
.153
.286
.241
.403
Log Likelihood
-622.866
-525.065
-717.010
-564.028
BIC’
-202.764
-375.611
-431.613
-714.786
3.2 Ergebnisse
119
Der Einfluss der Erfahrung verringert sich, wenn neben den Kontrollvariablen die Variablen zur Erfassung neutralisierender Einstellungen berücksichtigt werden, und der zur Messung der Erfahrung herangezogene Indikator korreliert mit allen Variablen zur Erfassung neutralisierender Einstellungen (Verantwortung: IJb=.363, Schaden: IJb=.251, Opfer: IJb=.214; vgl. Tab. A-2 im Anhang). Der Einfluss der Erfahrung auf die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins ist somit teilweise über kognitive Strategien der Rechtfertigung vermittelt. Tabelle 3-37 verdeutlicht, dass ein erhöhtes Risiko, irrtümlich erhaltenes Wechselgeld zu behalten, vor allem für Akteure besteht, die dem Opfer die Verantwortung für den Vorfall zuschreiben (e1.875=6.523), die ihre eigene Verantwortung bestreiten (e.971=2.642), und die den eingetretenen Schaden leugnen (e.878=2.407). Auch in der Situation des Wechselgeldirrtums wird kriminelles Handeln stärker durch die Strategie der Leugnung des Opfers als durch die Erfahrung mit ungerechtfertigten Bereicherungen beeinflusst: Das Risiko einer ungerechtfertigten Bereicherung steigt angesichts mindestens einer Erfahrung mit der Situation des Wechselgeldirrtums um etwa das Fünffache (e1.694=5.440), angesichts der Neutralisierung des Opfers aber um mehr als das Sechsfache (e1.875=6.523, vgl. Tab. 3-37). Auch hier scheint der Einfluss der Erfahrung über die kognitiven Strategien der Rechtfertigung vermittelt zu sein: Die Items zur Erfassung neutralisierender Einstellungen und der zur Messung der Erfahrung herangezogene Indikator sind korreliert (Leugnung Verantwortung: IJb=.262, Leugnung Schaden: IJb=.295, Leugnung Opfer: IJb=.279; vgl. Tab. A-2 im Anhang), und die Berücksichtigung der Variablen zur Erfassung neutralisierender Einstellungen führt zu einer Verringerung des Einflusses der Erfahrung. Betrachtet man die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten für beide Gelegenheiten, so ist das Modell für die Situation des Wechselgeldirrtums als überlegen anzusehen (Situation 1: BIC’=-375.611, Situation 2: BIC’=-714.786). Schließlich wurde im Rahmen der ersten Forschungsfrage angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der kriminell gehandelt wird, vom sozialen Status (Hypothese 1.5), von sozialen Beziehungen (Hypothese 1.6) und von der Handlungskontrolle der Akteure (Hypothese 1.7) abhängt. Wie aus Tabelle 3-38 hervorgeht, wird die Annahme, dass kriminelles Handeln auf Merkmale des sozialen Status zurückgeführt werden kann, unterstützt. Die Likelihood-RatioTests zeigen, dass die zusätzliche Berücksichtigung der Merkmale des sozialen Status zu statistisch bedeutsamen Modellverbesserungen beiträgt (Situation 1: Ȥ2diff=25.368, Ȥ2krit=7.815, df=3; Situation 2: Ȥ2diff=31.174, Ȥ2krit=7.815, df=3). Tabelle 3-38 verdeutlicht, dass kriminelles Handeln von der Zufriedenheit mit
120
3. Empirische Untersuchung
der wirtschaftlichen Lage und der schulischen Bildung der Akteure abhängt. Es zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Fundunterschlagung in der Gruppe der statushohen Befragten etwa 9% beträgt; diese steigt bei Akteuren, die sehr unzufrieden mit ihrer wirtschaftlichen Lage sind, auf etwa 18%, und bei Akteuren, die eine niedrige schulische Bildung aufweisen, auf etwa 19%. Tabelle 3-38: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den sozialen Status Situation 1 (n = 1833)
Situation 2 (n = 1840)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.037* (.006)
-.044* (.007)
-.057* (.006)
-.061* (.006)
Geschlecht
-.574* (.153)
-.571* (.155)
-.313* (.139)
-.303* (.141)
Erfahrung
1.595* (.164)
1.541* (.166)
2.143* (.158)
2.199* (.161)
Einkommen
.041 (.072)
-.000 (.066)
wirtschaftliche Zufriedenheit
.181* (.082)
.279* (.075)
schulische Bildung
.202* (.052)
.157* (.047)
Konstante
-1.684* (.206)
-2.266 (.255)
-1.355* (.194)
-2.012 (.241)
McFadden’s R2
.151
.169
.247
.265
Log Likelihood
-581.336
-568.652
-662.121
-646.534
BIC’
-183.816
-186.642
-411.366
-419.988
3.2 Ergebnisse
121
Auch die Wahrscheinlichkeit für eine ungerechtfertigte Bereicherung beträgt in der Referenzgruppe etwa 13% und steigt auf etwa 29% und 20%, wenn Akteure sehr unzufrieden mit ihrer wirtschaftlichen Lage sind und einen niedrigen Schulabschluss erworben haben. Während kriminelles Handeln in der Situation der Fundunterschlagung stärker vom Ausmaß der schulischen Bildung abhängt, erweist sich in der Situation des Wechselgeldirrtums die relative Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage als stärkerer Prädiktor. Vergleicht man die Einflüsse der Merkmale des sozialen Status mit denen der Kontrollvariablen, so zeigt sich, dass kriminelles Handeln angesichts der dargebotenen Gelegenheiten stärker von der Erfahrung der Akteure abhängt: Die Erfahrung erhöht die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln auf etwa 33% (Situation 1) oder 48% (Situation 2). Die für beide Modelle berichteten Informationskriterien BIC’ weisen darauf hin, dass das Modell zur Analyse der ungerechtfertigten Bereicherung den Daten besser angepasst ist als das Modell zur Analyse der Fundunterschlagung (Situation 1: BIC’=-188.901, Situation 2: BIC’=-426.557). Die Annahme, dass kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten von der Einbindung in konventionelle soziale Kontexte abhängt, wird durch die in Tabelle 3-39 dargestellten Ergebnisse gestützt. Es zeigt sich, dass die Erweiterung der einfachen Modelle um diesen Aspekt zu statistisch bedeutsamen Modellverbesserungen führt (Situation 1: Ȥ2diff=33.502, Ȥ2krit=7.815, df=3; Situation 2: Ȥ2diff=25.802, Ȥ2krit=7.815, df=3). Aus Tabelle 3-39 geht hervor, dass die Einbindung in eheliche oder partnerschaftliche Beziehungen keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit hat, mit der Akteure die dargebotenen Gelegenheiten zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Das Ausmaß des Engagements in Vereinen ist nur in der Situation der Fundunterschlagung tendenziell bedeutsam: Je geringer das Ausmaß ist, in dem Akteure Vereinsaktivitäten nachgehen, desto wahrscheinlicher ist tendenziell die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins (ȕ=.157). Dagegen zeigt sich, dass die Einbindung in religiöse Zusammenhänge wirkungsvoll vor der Versuchung, sich angesichts der dargebotenen Gelegenheiten auf Kosten anderer zu bereichern, schützt: Mit sinkender Einbindung von Akteuren in kirchliche Aktivitäten steigen die Risiken für kriminelles Handeln (Situation 1: ȕ=.384, Situation 2: ȕ=.307). Eine Analyse der Modellanpassung aufgrund des Bayes’schen Informationskriteriums BIC’ führt zu dem Ergebnis, dass das Modell für die Situation des Wechselgeldirrtums eine höhere Übereinstimmung zwischen Modell und Daten erzielt als das Modell, das für die Situation der Fundunterschlagung geschätzt wurde (Situation 1: BIC’=-209.100, Situation 2: BIC’=-415.934).
122
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-39: Logistische Regression kriminellen Handelns auf soziale Beziehungen Situation 1 (n = 1880)
Situation 2 (n = 1886)
ȕ
Ǻ
ȕ
ȕ
Alter
-.038* (.006)
-.035* (.006)
-.055* (.006)
-.055* (.006)
Geschlecht
-.511* (.150)
-.470* (.155)
-.227+ (.135)
-.204 (.139)
Erfahrung
1.631* (.163)
1.595* (.165)
2.093* (.152)
2.104* (.153)
Partnerschaft
-.045 (.175)
-.103 (.162)
Verein
.157+ (.087)
.115 (.077)
Kirche
.384* (.075)
.307* (.067)
Konstante
-1.729* (.202)
-2.864* (.333)
-1.383* (.185)
-2.184* (.295)
McFadden’s R2
.156
.179
.238
.252
Log Likelihood
-599.630
-583.104
-698.831
-685.930
BIC’
-198.666
-209.100
-412.759
-415.934
Die Annahme, dass Einflüsse der Handlungskontrolle von Akteuren auf kriminelles Handeln bestehen, wurde in Hypothese 1.7 formuliert. Sie wird durch die Ergebnisse der logistischen Regressionsanalysen, die in Tabelle 3-40 berichtet werden, unterstützt. Aufgrund von Likelihood-Ratio-Tests zeigt sich, dass die Erweiterung der einfachen Modelle um Aspekte der Handlungskontrolle zu einer statistisch bedeutsamen Verbesserung der Modellanpassungen beiträgt (Situation 1: Ȥ2diff=62.354, Ȥ2krit=7.815, df=3; Situation 2: Ȥ2diff=41.024,
123
3.2 Ergebnisse
Ȥ2krit=7.815, df=3). Insbesondere die Idee, dass Akteure, die es gewohnt sind, stets ihre eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen, angesichts der dargebotenen Gelegenheiten eher kriminell handeln, findet in dieser Studie empirische Unterstützung (vgl. Tab. 3-40). Tabelle 3-40: Logistische Regression kriminellen Handelns auf Handlungskontrolle Situation 1 (n = 1955)
Situation 2 (n = 1962)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.038* (.006)
-.036* (.006)
-.058* (.006)
-.056* (.006)
Geschlecht
-.502* (.148)
-.349* (.155)
-.198 (.134)
-.056 (.141)
Erfahrung
1.681* (.161)
1.615* (.163)
2.153* (.153)
2.123* (.155)
Impulsivity
.134* (.043)
.073+ (.040)
Simple Tasks
.072+ (.038)
.038 (.035)
Self-Centered
.272* (.042)
.223* (.039)
Konstante
-1.768* (.198)
-4.255* (.436)
-1.440* (.185)
-3.125* (.389)
McFadden’s R2
.158
.201
.246
.268
Log Likelihood
-617.668
-586.491
-706.034
-685.522
BIC’
-209.741
-249.361
-438.500
-456.779
124
3. Empirische Untersuchung
Mit jedem Anstieg der Selbstzentriertheit um eine Einheit steigen die Risiken, dass ein gefundener Geldschein unterschlagen oder irrtümlich erhaltenes Wechselgeld behalten wird, um den Faktor 1.312 (e.272) oder 1.250 (e.223). Für die Situation der Fundunterschlagung zeigt sich, dass Selbstzentriertheit einen deutlich stärkeren Einfluss auf kriminelles Handeln hat als Impulsivität: Das Risiko, einen gefundenen Geldschein zu behalten, steigt, je stärker Akteure zu unüberlegtem Handeln neigen (e.134=1.144). Aus Tabelle 3-40 geht hervor, dass sich der Einfluss des Geschlechts auf kriminelles Handeln in dem Modell, das um die Variablen zur Erfassung von Handlungskontrolle erweitert wurde, verringert. Die Korrelation zwischen Geschlecht und Selbstzentriertheit zeigt, dass Befragte männlichen Geschlechts sich im Vergleich zu Befragten weiblichen Geschlechts als selbstzentrierter beschrieben haben (IJb=-.189, vgl. Tab. A-1 im Anhang), so dass angenommen werden kann, dass der Einfluss des Geschlechts teilweise über die Selbstzentriertheit vermittelt wird. Im Vergleich zum Einfluss der Selbstzentriertheit ist der Einfluss der Erfahrung mit kriminellem Handeln untergeordnet: Akteure, die über mindestens eine Erfahrung mit der Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins verfügen, haben im Vergleich zu Akteuren, die eine solche Erfahrung nicht gemacht haben, ein um etwa das Fünffache erhöhtes Risiko (e1.615), kriminell zu handeln. Während sich die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handelns auf etwa 27% (gegenüber 5% in der Referenzgruppe) erhöht, wenn sich Akteure als maximal selbstzentriert beschreiben, führt die Erfahrung mit kriminellem Handeln lediglich zu einer Erhöhung dieser Wahrscheinlichkeit auf etwa 10%. Für die Situation des Wechselgeldirrtums zeigt sich zwar kein statistisch bedeutsamer Einfluss der Neigung zu unüberlegtem Handeln oder der Bevorzugung einfacher Aufgaben, die Selbstzentriertheit entfaltet aber auch hier einen stärkeren Einfluss auf die ungerechtfertigte Bereicherung als die Erfahrung mit kriminellem Handeln: Der Anteil derjenigen, die irrtümlich erhaltenes Wechselgeld stillschweigend einstecken, erhöht sich in der Gruppe der 18-jährigen männlichen Befragten von 4% auf 27%, wenn diese Akteure mindestens einmal zuvor in einer vergleichbaren Situation kriminell gehandelt haben, dagegen aber auf 39%, wenn diese Akteure sich als maximal selbstzentriert beschrieben haben. Betrachtet man anhand von Tabelle 3-40 für beide Situationen die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten, so zeigt sich, dass dem Regressionsmodell für die Situation des Wechselgeldirrtums angesichts der stärkeren Übereinstimmung der Vorzug zu geben ist (Situation 1: BIC’=-249.361, Situation 2: BIC’=-456.779).
3.2 Ergebnisse
125
Betrachtet man die Ergebnisse der empirischen Analysen der ersten Forschungsfrage zusammenfassend, so ergeben sich die folgenden Schlussfolgerungen: Die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln sinkt mit steigendem Alter, ist bei Akteuren weiblichen Geschlechts nur in der Situation der Fundunterschlagung geringer als bei Akteuren männlichen Geschlechts, und erhöht sich bei Vorliegen von positiven Erfahrungen mit einer Fundunterschlagung oder einer ungerechtfertigten Bereicherung (Hypothese 1.1). Alle Modelle, die Merkmale der sozialen Situation spezifizieren, sind – gemessen an den Werten von McFadden’s R2 und Likelihood-Ratio-Tests – erklärungskräftiger als Modelle, die nur die Kontrollvariablen Alter, Geschlecht und Erfahrung als Prädiktoren umfassen. Die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln steigt insbesondere, wenn Akteure gelegentliche Gesetzesübertretungen für akzeptabel halten (Hypothese 1.2), je stärker sie davon überzeugt sind, Gesetze nicht unter allen Umständen befolgen zu müssen (Hypothese 1.3), wenn sie die Schädigung eines Opfers leugnen (Hypothese 1.4), je unzufriedener sie mit ihrer wirtschaftlichen Lage sind (Hypothese 1.5), je stärker sie in kirchliche Aktivitäten eingebunden sind (Hypothese 1.6), und je stärker sie dazu neigen, eigene Interessen in den Mittelpunkt zu stellen (Hypothese 1.7). Die Analyse der Beziehungen zwischen den Kontrollvariablen und den Merkmalen der sozialen Situation führt zu dem Ergebnis, dass der Einfluss des Geschlechts in der Situation der Fundunterschlagung über die Selbstzentriertheit vermittelt ist, während in beiden Situationen Einflüsse der Erfahrung mit kriminellem Handeln über kognitive Strategien der Rechtfertigung vermittelt sind. Verschiedene Aspekte der sozialen Situation erweisen sich allerdings keineswegs als gleichermaßen relevante Prädiktoren für kriminelles Handeln: Betrachtet man die Erklärungskraft der Modelle (McFadden’s R2) oder die Übereinstimmung zwischen Modellen und Daten (BIC’), so wird deutlich, dass kriminelles Handeln am stärksten auf die kognitiven Strategien der Rechtfertigung (Situation 1: R2=.286, BIC’=-375.611; Situation 2: R2=.403, BIC’=-714.786) und am wenigsten auf Merkmale des sozialen Status (Situation 1: R2=.169, BIC’=-186.642) bzw. auf Merkmale sozialer Beziehungen (Situation 2: R2=.252, BIC’=-415.934) zurückgeführt werden kann. Die Modelle zur Analyse der Bedingungen einer ungerechtfertigten Bereicherung sind den Daten zwar stets besser angepasst als die Modelle zur Analyse der Bedingungen einer Fundunterschlagung, betrachtet man jedoch verschiedene Aspekte der sozialen Situation im Detail, so sind die Ergebnisse für beide Situationen recht ähnlich: Kriminelles Handeln wird vergleichsweise stärker dadurch erklärt, dass Akteure die Verantwortung dem Opfer zuschreiben und gewohnheitsmäßig ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen, als durch andere Merkmale der sozialen Situation oder dadurch, dass Akteure über Erfahrungen mit den dargebotenen Gelegenheiten verfügen.
126
3. Empirische Untersuchung
3.2.2 Rationale Wahl und kriminelles Handeln Die Annahme, dass Akteure sich für kriminelles Handeln in einem reflektiertkalkulierenden Modus entscheiden, wurde im Rahmen der zweiten Untersuchungshypothese formuliert. Ausgehend von einem weiten Nutzenbegriff wurde erwartet, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der kriminell gehandelt wird, steigt, je geringer der subjektiv erwartete Schaden durch eine formelle Bestrafung ist (Hypothese 2.1), je geringer der subjektiv erwartete Schaden durch eine formelle Bestrafung und durch interne Sanktionen in Form eines schlechten Gewissens ist (Hypothese 2.2), und je höher sowohl der subjektiv erwartete Nutzen von materieller Bereicherung und von informellen Sanktionen in Form von sozialer Anerkennung als auch der subjektiv erwartete Schaden durch interne Sanktionen in Form eines schlechten Gewissens, durch informelle Sanktionen aufgrund einer Entdeckung durch das Opfer und durch eine formelle Bestrafung ist (Hypothese 2.3). Die logistischen Regressionsanalysen beziehen sich auf n=1924 (Situation 1, Tab. 3-41) und n=1931 (Situation 2, Tab. 3-42) Befragte. Es zeigt sich, dass kriminelles Handeln vom subjektiv erwarteten Schaden durch eine Strafverfolgung abhängt (Hypothese 2.1). Für beide Formen kriminellen Handelns sind die erweiterten Regressionsmodelle erklärungskräftiger als die Regressionsmodelle, die nur die Kontrollvariablen Alter, Geschlecht und Erfahrung umfassen (Situation 1: Ȥ2diff=43.340, Ȥ2krit=3.841, df=1; Situation 2: Ȥ2diff=27.604, Ȥ2krit=3.841, df=1). Jeder Anstieg des subjektiv erwarteten Schadens durch eine negative Sanktion in Form von Strafe verringert die Wahrscheinlichkeit einer Unterschlagung des gefundenen Geldscheins (ȕ=-.388) oder einer ungerechtfertigten Bereicherung (ȕ=-.311). Es wurde außerdem erwartet, dass neben dem Schaden, der aus einer formellen Bestrafung resultiert, auch der Schaden, der durch interne Sanktionen in Form eines schlechten Gewissens entsteht, handlungsrelevant ist (Hypothese 2.2). Aus Tabelle 3-41 geht hervor, dass diese Vermutung für die Situation der Fundunterschlagung empirische Unterstützung findet. Die Erweiterung des Regressionsmodells steigert dessen Erklärungskraft in statistisch bedeutsamem Maße (Situation 1: Ȥ2diff=207.510, Ȥ2krit=3.841, df=1). Es zeigt sich, dass der Einfluss einer internen Sanktion erheblich stärker ist als der einer formellen Sanktion: Die Erwartung eines Strafverfahrens verringert das Risiko für eine Fundunterschlagung um den Faktor 0.769 (e-.263), während die Erwartung eines schlechten Gewissens sogar zu einer Verringerung um den Faktor 0.496 (e-.701) führt. Es zeigt sich außerdem, dass der Effekt des Schadens durch ein Strafverfahren teilweise über den Schaden durch ein schlechtes Gewissen vermittelt wird: Beide Merkmale korrelieren in
127
3.2 Ergebnisse
erwarteter Richtung (r=.248, ohne Tabelle), so dass sich der Einfluss der Strafe bei zusätzlicher Berücksichtigung des schlechten Gewissens im erweiterten Regressionsmodell verringert (ȕ=-.388, ȕ=-.263; vgl. Tab. 3-41). Tabelle 3-41: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen (Situation 1) ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.038* (.006)
-.041* (.006)
-.039* (.007)
-.020* (.007)
Geschlecht
-.501* (.147)
-.431* (.150)
-.019 (.167)
-.205 (.189)
Erfahrung
1.607* (.159)
1.561* (.161)
1.419* (.174)
1.046* (.192)
soziale Anerkennung
.821* (.078)
materielle Bereicherung
.189* (.066)
schlechtes Gewissen
-.701* (.054)
Entdeckung durch Opfer
-.559* (.060) -.210* (.092)
Strafverfahren
-.388* (.064)
-.263* (.069)
-.130+ (.079)
-1.723* (.196)
-1.176 (.213)
-.287 (.249)
-1.655* (.334)
McFadden’s R2
.151
.180
.322
.439
Log Likelihood
-621.581
-599.911
-496.156
-410.833
BIC’
-197.527
-233.305
-433.252
-581.211
Konstante
128
3. Empirische Untersuchung
In der Situation der Fundunterschlagung wird der Effekt des Geschlechts offenbar vollständig über den subjektiv erwarteten Schaden durch ein schlechtes Gewissen vermittelt: Befragte weiblichen Geschlechts erwarten in stärkerem Maße Nachteile aufgrund eines schlechten Gewissens (r=.200, vgl. Tab. A-3 im Anhang), und der Einfluss des Geschlechts ist im erweiterten Regressionsmodell nicht länger statistisch bedeutsam (vgl. Tab. 3-41). Darüber hinaus wurden im Rahmen der zweiten Untersuchungshypothese Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens von sozialer Anerkennung und von materieller Bereicherung sowie Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens einer Entdeckung durch das Opfer spezifiziert (Hypothese 2.3). Die in Tabelle 3-41 dargestellten Ergebnisse sprechen grundsätzlich für die Annahme eines weiten Nutzenbegriffs. Die Erweiterung des Modells um die zusätzlichen Nutzenkomponenten führt zu einer Steigerung der Erklärungskraft (Situation 1: Ȥ2diff=170.646, Ȥ2krit=7.815, df=3). Im vollständigen Modell ist der Einfluss des Alters auf kriminelles Handeln geringfügig vermindert und – wie die entsprechenden Korrelationen in Tabelle A-3 im Anhang verdeutlichen – teilweise über den Nutzen von sozialer Anerkennung und von materieller Bereicherung vermittelt: Mit steigendem Alter sinkt der subjektiv erwartete Nutzen von sozialer Anerkennung (r=-.274) und von materieller Bereicherung (r=-.249). Der Einfluss der Erfahrung ist zwar im vollständigen Modell noch statistisch bedeutsam, wird aber zusätzlich offenbar auch durch das schlechte Gewissen vermittelt: Akteure, die über mindestens eine Erfahrung mit der Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins verfügen, erwarten einen höheren Nutzen durch soziale Anerkennung (r=.321) und durch materielle Bereicherung (r=.203), sowie außerdem einen höheren Schaden durch ein schlechtes Gewissen (r=-.197, vgl. Tab. A-3 im Anhang). Insgesamt zeigt sich in Tabelle 3-41, dass die Wahrscheinlichkeit, einen gefundenen Geldschein zu behalten, am stärksten auf den Nutzen von sozialer Anerkennung zurückgeführt werden kann (ȕ=.821). Dieser Einfluss ist stärker als der Effekt des Schadens durch ein schlechtes Gewissen (ȕ=-.559). In der Situation der Fundunterschlagung wird kriminelles Handeln am wenigsten durch den Nutzen von materieller Bereicherung und durch negative informelle Sanktionen beeinflusst (materielle Bereicherung: ȕ=.189, Entdeckung durch Opfer: ȕ=-.210). Im vollständigen Modell ist der Einfluss des subjektiv erwarteten Schadens durch formelle Sanktionen nur noch tendenziell bedeutsam (ȕ=-.130), da er durch den subjektiv erwarteten Schaden durch informelle Sanktionen vermittelt wird: Je stärker der subjektiv erwartete Schaden durch eine formelle Bestrafung ist, desto höher ist auch der Schaden, der aufgrund einer Entdeckung durch das Opfer droht (r=.401, ohne Tabelle).
129
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-42: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen (Situation 2) ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.058* (.006)
-.058* (.006)
-.054* (.006)
-.026* (.007)
Geschlecht
-.240+ (.134)
-.160 (.136)
.129 (.152)
.116 (.173)
Erfahrung
2.162* (.153)
2.105* (.154)
1.995* (.167)
1.739* (.184)
soziale Anerkennung
.881* (.080)
materielle Bereicherung
.248* (.071) -.727* (.055)
schlechtes Gewissen Entdeckung durch Opfer
-.335* (.087)
Strafverfahren Konstante
-.557* (.063)
-1.399* (.184)
-.311* (.062)
-.108 (.070)
.027 (.082)
-1.029* (.198)
.377* (.234)
-1.541* (.330)
McFadden’s R2
.247
.262
.379
.488
Log Likelihood
-704.942
-691.140
-581.809
-479.709
BIC’
-439.720
-459.757
-670.854
-852.356
Berechnet man für dieses Modell die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln, so zeigt sich, dass die Nutzenkomponente der sozialen Anerkennung und die Schadenskomponente des schlechten Gewissens für die Erklärung kriminellen Handelns bedeutsamer sind als die Erfahrung mit kriminellem Handeln:
130
3. Empirische Untersuchung
Während sich für das Konstantenmodell eine Wahrscheinlichkeit von 16% errechnen lässt, steigt diese bei Vorliegen von mindestens einer Erfahrung auf 35%, steigt bei hohem Nutzen von sozialer Anerkennung (Wert=3) demgegenüber auf 69%, und sinkt bei geringem Schaden durch ein schlechtes Gewissen (Wert=3) auf nur 3%. Aus Tabelle 3-42 geht hervor, dass auch für die Situation des Wechselgeldirrtums die Erweiterung des Regressionsmodells um die Komponente der internen Sanktion zu einer Verbesserung der Modellanpassung führt (Situation 2: Ȥ2diff=218.662, Ȥ2krit=3.841, df=1). Die Wahrscheinlichkeit, mit der sich Akteure angesichts eines Wechselgeldirrtums ungerechtfertigt bereichern, sinkt, je mehr der subjektiv erwartete Schaden durch ein schlechtes Gewissen steigt (e-.727=0.483). Allerdings zeigt sich hier, dass der Einfluss einer erwarteten formellen Sanktion vollständig über die interne Sanktion vermittelt ist: Akteure, die mit formellen Sanktionen rechnen, erwarten auch Nachteile durch ein schlechtes Gewissen (r=.214, ohne Tabelle), und der signifikante Effekt einer antizipierten Bestrafung verschwindet vollständig, wenn zusätzlich zur formellen Bestrafung das schlechte Gewissen als Schadenskomponente in die Analyse einbezogen wird (Hypothese 2.2). Auch in der Situation des Wechselgeldirrtums kann kriminelles Handeln nicht nur auf den subjektiv erwarteten Schaden durch formelle und interne Sanktionen zurückgeführt werden. Vielmehr ist die Wahrscheinlichkeit einer ungerechtfertigten Bereicherung vom subjektiv erwarteten Nutzen von sozialer Anerkennung und von materieller Bereicherung und außerdem vom subjektiv erwarteten Schaden durch informelle Sanktionen abhängig (Hypothese 2.3). Die Erweiterung des Modells um die zusätzlichen Nutzenkomponenten führt zu einer Verbesserung der Erklärungsleistung (Situation 2: Ȥ2diff=204.200, Ȥ2krit=7.815, df=3). Der Einfluss des Alters auf die ungerechtfertigte Bereicherung ist teilweise über die Nutzenkomponenten vermittelt: Im vollständigen Modell ist der Alterseffekt verringert, und mit steigendem Alter sinkt der Nutzen von sozialer Anerkennung (r=-.381) ebenso wie der Nutzen von materieller Bereicherung (r=-.278, vgl. Tab. A-4 im Anhang). Ähnlich wie in der Situation der Fundunterschlagung ist auch hier der Einfluss der Erfahrung im vollständigen Modell vermindert: Akteure, die über mindestens eine Erfahrung mit einer ungerechtfertigten Bereicherung in der Situation des Wechselgeldirrtums verfügen, erwarten eher Vorteile durch soziale Anerkennung (r=.352) und durch materielle Bereicherung (r=.177), aber auch eher Nachteile durch ein schlechtes Gewissen (r=-.254, vgl. Tab. A-4 im Anhang). Die Risiken für kriminelles Handeln steigen insbesondere mit dem subjektiv erwarteten Nutzen von sozialer Anerkennung (ȕ=.881), wobei der Einfluss dieser Nutzenkomponente stärker ist als der Einfluss des Schadens durch interne Sanktionen
3.2 Ergebnisse
131
(ȕ=-.557, vgl. Tab. 3-42). Auch für die Situation des Wechselgeldirrtums zeigt sich, dass der Nutzen von materieller Bereicherung und der Schaden durch informelle Sanktionen in eher geringem Maße handlungsrelevant werden: Die Wahrscheinlichkeit für eine ungerechtfertigte Bereicherung steigt mit dem subjektiv erwarteten Nutzen von materieller Bereicherung (ȕ=.248) und sinkt mit dem subjektiv erwarteten Schaden einer Entdeckung durch das Opfer (ȕ=-.335, vgl. Tab. 3-42). Wird für dieses Modell die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln berechnet, so zeigt sich, dass die Nutzenkomponente der sozialen Anerkennung und die Schadenskomponente des schlechten Gewissens für die Erklärung kriminellen Handelns bedeutsamer sind als die Erfahrung mit kriminellem Handeln: Während die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln im Konstantenmodell 18% beträgt, steigt diese Wahrscheinlichkeit angesichts von Erfahrung auf 54%, steigt bei hohem Nutzen von sozialer Anerkennung (Wert=3) auf 75%, und sinkt bei geringem Schaden durch ein schlechtes Gewissen (Wert=3) auf 4%. Betrachtet man die Übereinstimmungen zwischen Modellen und Daten, zeigt sich für beide Situationen, dass die Regressionsmodelle, die im Sinne eines weiten Nutzenbegriffs verschiedene Nutzenkomponenten als Prädiktoren für kriminelles Handeln einbeziehen, den Daten am besten angepasst sind (Situation 1: BIC’=-581.211, Situation 2: BIC’=-852.356). Eine Gesamtbetrachtung der empirischen Analysen der zweiten Untersuchungshypothese führt zu den folgenden Resultaten: Das Risiko für kriminelles Handeln sinkt, je stärker Akteure Nachteile aufgrund eines Strafverfahrens erwarten (Hypothese 2.1). In beiden Situationen ist kriminelles Handeln stärker als durch formelle Sanktionen durch interne Sanktionen beeinflusst (Hypothese 2.2). Es zeigt sich in beiden Situationen übereinstimmend, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der kriminell gehandelt wird, am stärksten vom subjektiv erwarteten Nutzen durch soziale Anerkennung abhängt (Hypothese 2.3). Für beide Situationen erzielt das vollständige Modell, das auf einem weiten Nutzenbegriff beruht, bessere Erklärungsleistungen – gemessen an den Werten von McFadden’s R2 und Likelihood-Ratio-Tests – im Vergleich zu Modellen, die lediglich Einflüsse formeller und interner Sanktionen spezifizieren. Im Hinblick auf Beziehungen zwischen den Kontrollvariablen und den Nutzenkomponenten zeigt sich, dass der Einfluss des Alters über den Nutzen von sozialer Anerkennung und von materieller Bereicherung vermittelt ist, und dass die Erfahrung mit kriminellem Handeln über den Schaden durch ein schlechtes Gewissen auf kriminelles Handeln wirkt. Auch die Analyse der zweiten Untersuchungshypothese zeigt, dass die Ergebnisse sich für beide Situationen im Detail sehr ähneln: Kriminelles
132
3. Empirische Untersuchung
Handeln angesichts der hier dargebotenen Gelegenheiten wird vergleichsweise stärker dadurch erklärt, dass Akteure Vorteile von sozialer Anerkennung erwarten als dadurch, dass sie mit Nachteilen von informellen, internen oder formellen Sanktionen rechnen. Im Vergleich zu Modellen, die von einer automatischspontanen Selektion kriminellen Handelns ausgehen, sind Modelle, die eine reflektiert-kalkulierende Selektion kriminellen Handelns abbilden, in beiden Situationen besser angepasst (Situation 1: R2=.439, BIC’=-581.211; Situation 2: R2=.488, BIC’=-852.356).
3.2.3 Soziale Situation, rationale Wahl und kriminelles Handeln Die dritte Forschungsfrage bezog sich auf die Idee, dass kriminelles Handeln vor dem Hintergrund der sozialen Situation von Akteuren entweder in einem automatisch-spontanen Modus (Hypothese 3.1) oder einem reflektiertkalkulierenden Modus (Hypothese 3.2) selegiert wird. Wenn eine HandlungsSelektion im automatisch-spontanen Modus erfolgt, wird der Einfluss von Merkmalen der sozialen Situation auf kriminelles Handeln über Einstellungen zu kriminellem Handeln vermittelt (Hypothese 3.1.1), oder aber der Einfluss von Einstellungen auf kriminelles Handeln variiert mit Merkmalen der sozialen Situation von Akteuren (Hypothese 3.1.2). Wenn eine Handlungs-Selektion im reflektiert-kalkulierenden Modus stattfindet, wird der Einfluss von Merkmalen der sozialen Situation über den subjektiv erwarteten Nutzen auf kriminelles Handeln vermittelt (Hypothese 3.2.1), oder aber der Einfluss des subjektiv erwarteten Nutzens auf kriminelles Handeln variiert mit Merkmalen der sozialen Situation (Hypothese 3.2.2). Im Rahmen von Hypothese 3.1.1 wurde die Annahme formuliert, dass der Einfluss des sozialen Status über negative Einstellungen (Hypothese 3.1.1.1), neutralisierende Einstellungen (Hypothese 3.1.1.2) und Handlungskontrolle (Hypothese 3.1.1.3) vermittelt ist. Die Tabellen 3-43 bis 3-45 zeigen für beide Situationen jeweils ein Modell, das neben den Kontrollvariablen die Merkmale des sozialen Status als Prädiktoren umfasst, sowie ein weiteres Modell, das um die Mediatorvariablen negative Einstellungen, neutralisierende Einstellungen und Handlungskontrolle ergänzt wurde. Wie aus Tabelle 3-43 hervorgeht, führt die Erweiterung des Modells um negative Einstellungen in beiden Situationen zu einer statistisch bedeutsamen Verbesserung der Erklärungsleistung (Situation 1: Ȥ2diff=45.260, Ȥ2krit=7.815, df=3; Situation 2: Ȥ2diff=23.272, Ȥ2krit=7.815, df=3).
3.2 Ergebnisse
133
In beiden Situationen bestehen Einflüsse der schulischen Bildung, die auch in den erweiterten Modellen erhalten bleiben. Mit jedem zusätzlichen Schuljahr steigt das Risiko für die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins oder für die ungerechtfertigte Bereicherung um den Faktor 1.297 (e.260) oder 1.229 (e.206). In der Situation der Fundunterschlagung ist der Einfluss der wirtschaftlichen Zufriedenheit auf kriminelles Handeln in dem Modell, das um Einflüsse von negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln erweitert wurde, nur noch tendenziell bedeutsam und wird teilweise über das Rechtsbewusstsein vermittelt: Je stärker die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage ist, desto weniger sind Akteure davon überzeugt, Gesetze befolgen zu müssen, auch wenn sie nicht mit ihnen einverstanden sind (IJb=.088, vgl. Tab. A-1 im Anhang), und desto eher handeln sie angesichts der dargebotenen Gelegenheit kriminell (ȕ=.351,vgl. Tab. 3-43). In der Situation des Wechselgeldirrtums bleibt der Einfluss der wirtschaftlichen Zufriedenheit auf kriminelles Handeln dagegen bestehen: Ein Anstieg der wirtschaftlichen Unzufriedenheit führt zu einem erhöhten Risiko für eine ungerechtfertigte Bereicherung (ȕ=.268, vgl. Tab. 3-43). Für Hypothese 3.1.1.1 findet sich also nur bedingt empirische Unterstützung: Die Ergebnisse sprechen überwiegend für die Annahme, dass kriminelles Handeln sowohl von Merkmalen des sozialen Status als auch von negativen Einstellungen abhängig ist. Nur für die Situation der Fundunterschlagung zeigt sich, dass der Einfluss von empfundener sozialer Benachteiligung über das Rechtsbewusstsein vermittelt zu kriminellem Handeln führt. Wie aus Tab. 3-43 hervorgeht, sind die Werte der BIC’-Koeffizienten in beiden Situationen höher als in den Modellen, die Einflüsse von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln spezifizieren (vgl. Tab. 3-36). Im Vergleich zu den Modellen, in denen nur Einflüsse des sozialen Status geschätzt wurden, ist die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten in der Situation der Fundunterschlagung höher und in der Situation des Wechselgeldirrtums annähernd identisch (vgl. Tab. 3-38). Tabelle 3-44 zeigt, dass die Erweiterung des Modells um neutralisierende Einstellungen in beiden Situationen mit Verbesserungen der Erklärungsleistungen verbunden ist (Situation 1: Ȥ2diff=157.306, Ȥ2krit=7.815, df=3; Situation 2: Ȥ2diff=235.994, Ȥ2krit=7.815, df=3). Im Rahmen der ersten Untersuchungshypothese wurde bereits berichtet, dass der Einfluss der Erfahrung mit kriminellem Handeln auf die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins und die ungerechtfertigte Bereicherung über kognitive Strategien der Rechtfertigung vermittelt ist (vgl. Tab. 3-37). Die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins wird wahrscheinlich, wenn Akteure kognitive Strategien der Rechtfertigung einsetzen
134
3. Empirische Untersuchung
können, mittels derer sie ihre Verantwortung (ȕ=.907), den angerichteten Schaden (ȕ=.742) und die Schädigung des Opfers (ȕ=1.217, vgl. Tab. 3-44) leugnen. Beide Merkmale des sozialen Status sind vollständig über neutralisierende Einstellungen vermittelt: Einflüsse der wirtschaftlichen Zufriedenheit und der schulischen Bildung bestehen in dem Modell, das um neutralisierende Einstellungen als Prädiktoren erweitert wurde, nicht mehr. Eine geringere wirtschaftliche Zufriedenheit geht vor allem mit der Leugnung der Verantwortung für kriminelles Handeln einher (IJb=.142, vgl. Tab. A-2 im Anhang), und eine niedrigere schulische Bildung befördert die Anwendung einer kognitiven Strategie der Rechtfertigung, die in der Leugnung des Opfers besteht (IJb=.107, vgl. Tab. A-2 im Anhang). Die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums hängt von kognitiven Strategien der Rechtfertigung ab, die es ermöglichen, die Verantwortung (ȕ=.912), den angerichteten Schaden (ȕ=.799) und die Schädigung des Opfers (ȕ=1.795, vgl. Tab. 3-44) zu leugnen. In der Situation des Wechselgeldirrtums ist der Einfluss der wirtschaftlichen Zufriedenheit teilweise und der Einfluss der schulischen Bildung vollständig über diese kognitiven Strategien der Rechtfertigung vermittelt: Es zeigt sich, dass der Einfluss der wirtschaftlichen Zufriedenheit auf eine ungerechtfertigte Bereicherung auch im erweiterten Modell statistisch bedeutsam bleibt. Das Risiko für kriminelles Handeln steigt (ȕ=.200), wenn die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage steigt (vgl. Tab. 3-44). Eine geringere wirtschaftliche Zufriedenheit trägt ebenso wie eine geringere schulische Bildung zur Leugnung der eigenen Verantwortung bei (wirtschaftliche Zufriedenheit: IJb=.142, schulische Bildung: IJb=.095; vgl. Tab. A-2 im Anhang). Insgesamt findet also die Annahme, dass Merkmale des sozialen Status über kognitive Strategien der Rechtfertigung vermittelt auf kriminelles Handeln wirken, empirische Unterstützung (Hypothese 3.1.1.2). Die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten ist zwar für beide Situationen besser als für das Modell, das lediglich Merkmale des sozialen Status spezifiziert (vgl. Tab. 3-38), aber schlechter im Vergleich zu dem Modell, das sich nur auf die Analyse der Einflüsse von neutralisierenden Einstellungen bezieht (vgl. Tab. 3-37). Aus Tabelle 3-45 geht hervor, dass sich die Erklärungsleistungen der Modelle, in denen Merkmale des sozialen Status als Prädiktoren spezifiziert werden, verbessern, wenn sie um Aspekte der Handlungskontrolle von Akteuren erweitert werden (Situation 1: Ȥ2diff=52.758, Ȥ2krit=7.815, df=3; Situation 2: Ȥ2diff=24.582, Ȥ2krit=7.815, df=3).
135
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-43: Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen und den sozialen Status Situation 1 (n = 1806)
Situation 2 (n = 1813)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.043* (.007)
-.039* (.007)
-.060* (.006)
-.058* (.006)
Geschlecht
-.565* (.156)
-.470* (.160)
-.316* (.142)
-.247+ (.145)
Erfahrung
1.514* (.166)
1.392* (.170)
2.211* (.163)
2.147* (.164)
Einkommen
.044 (.072)
.059 (.074)
.006 (.066)
.011 (.067)
wirtschaftliche Zufriedenheit
.186* (.083)
.144+ (.085)
.293* (.076)
.268* (.077)
schulische Bildung
.197* (.052)
.260* (.055)
.162* (.047)
.206* (.049)
Attachment
.120 (.097)
.057 (.093)
Commitment
.261* (.085)
.199* (.074)
Belief
.351* (.078)
.213* (.072)
Konstante
-2.264* (.256)
-3.750* (.377)
-2.070* (.244)
-3.039 (.377)
McFadden’s R2
.166
.199
.265
.278
Log Likelihood
-563.296
-540.666
-636.788
-625.152
BIC’
-178.567
-201.330
-413.693
-414.457
136
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-44: Logistische Regression kriminellen Handelns auf neutralisierende Einstellungen und den sozialen Status Situation 1 (n = 1765)
Situation 2 (n = 1785)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.042* (.007)
-.033* (.007)
-.061* (.006)
-.044* (.007)
Geschlecht
-.556* (.158)
-.492* (.171)
-.325* (.143)
-.361* (.164)
Erfahrung
1.552* (.169)
1.121* (.184)
2.146* (.162)
1.715* (.181)
Einkommen
.061 (.073)
.097 (.079)
.011 (.067)
-.073 (.076)
wirtschaftliche Zufriedenheit
.191* (.084)
.097 (.091)
.277* (.076)
.200* (.088)
schulische Bildung
.192* (.053)
.082 (.058)
.160* (.048)
.036 (.055)
Leugnung Verantwortung
.907* (.222)
.912* (.195)
Leugnung Schaden
.742* (.194)
.799* (.184)
Leugnung Opfer
1.217* (.186)
1.795* (.218)
Konstante
-2.334* (.261)
-3.248* (.305)
-1.997* (.245)
-2.438* (.278)
McFadden’s R2
.167
.287
.259
.398
Log Likelihood
-547.916
-469.263
-630.041
-512.044
BIC’
-175.134
-310.014
-395.033
-608.565
137
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-45: Logistische Regression kriminellen Handelns auf Handlungskontrolle und den sozialen Status Situation 1 (n = 1750)
Situation 2 (n = 1757)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.044* (.007)
-.040* (.007)
-.060* (.006)
-.058* (.006)
Geschlecht
-.560* (.158)
-.394* (.165)
-.272+ (.144)
-.131 (.150)
Erfahrung
1.553* (.169)
1.492* (.172)
2.205* (.165)
2.159* (.167)
Einkommen
.046 (.073)
.063 (.075)
-.009 (.067)
.003 (.068)
wirtschaftliche Zufriedenheit
.154+ (.084)
.104 (.088)
.271* (.077)
.254* (.079)
schulische Bildung
.202* (.053)
.135* (.056)
.156* (.048)
.122* (.050)
Impulsivität
.138* (.046)
.065 (.043)
Simple Tasks
.062 (.041)
.000 (.037)
Self-Centered
.277* (.045)
.193* (.042)
Konstante
-2.225* (.258)
-4.578* (.482)
-2.011* (.246)
-3.249* (.425)
McFadden’s R2
.169
.209
.263
.278
Log Likelihood
-546.521
-520.142
-621.874
-609.583
BIC’
-177.929
-208.283
-400.031
-402.198
138
3. Empirische Untersuchung
Dabei hatte die Analyse der ersten Untersuchungshypothese bereits zu dem Ergebnis geführt, dass die Einflüsse des Geschlechts auf beide Formen kriminellen Handelns über die Selbstzentriertheit vermittelt sind (vgl. Tab. 3-40). Wie Tabelle 3-45 zu entnehmen ist, reduziert sich in der Situation der Fundunterschlagung der Einfluss der schulischen Bildung von ȕ=.202 auf ȕ=.135 im erweiterten Modell. Es zeigt sich, dass eine geringere schulische Bildung mit einer stärkeren Selbstzentriertheit einhergeht (IJb=.095, vgl. Tab. A-1 im Anhang), was darauf hindeutet, dass der Einfluss der schulischen Bildung auf die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins teilweise über die Selbstzentriertheit vermittelt ist. In der Situation der Fundunterschlagung hängt kriminelles Handeln also sowohl von Merkmalen des sozialen Status als auch von Aspekten der Handlungskontrolle ab: Das Risiko für kriminelles Handeln steigt, je impulsiver (ȕ=.138) und je selbstzentrierter (ȕ=.277) Akteure sind und je geringer die schulische Bildung (ȕ=.135, vgl. Tab. 3-45) ist, die Akteure erworben haben. Auch in der Situation des Wechselgeldirrtums verringert sich der Einfluss der schulischen Bildung von ȕ=.156 auf ȕ=.122 im erweiterten Modell (vgl. Tab. 3-45), was darauf hinweist, dass er teilweise über die Selbstzentriertheit der Akteure vermittelt ist. Eine ungerechtfertigte Bereicherung wird wahrscheinlicher, je selbstzentrierter (ȕ=.193) Akteure sind und je kürzer ihre Schulzeit ausgefallen ist (ȕ=.122, vgl. Tab. 3-45). Das Behalten irrtümlich erhaltenen Wechselgeldes kann also sowohl auf Merkmale des sozialen Status als auch auf Aspekte der Handlungskontrolle zurückgeführt werden. Damit sprechen die in Tabelle 3-45 dargestellten Ergebnisse eher nicht für die Annahme, dass Merkmale des sozialen Status über Handlungskontrolle vermittelt sind (Hypothese 3.1.1.3). Die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten ist für die hier geschätzten Modelle (vgl. Tab. 3-45) geringer als für die Modelle, die nur Einflüsse der Handlungskontrolle von Akteuren spezifizieren (vgl. Tab. 3-40); sie ist für die Situation der Fundunterschlagung höher als für das Modell, das nur Einflüsse des sozialen Status analysiert (vgl. Tab. 3-38). Hypothese 3.1.2 beinhaltete die Annahme, dass Einflüsse von negativen Einstellungen (Hypothese 3.1.2.1), von neutralisierenden Einstellungen (Hypothese 3.1.2.2) und Aspekte von Handlungskontrolle (Hypothese 3.1.2.3) in Abhängigkeit von Merkmalen des sozialen Status von Akteuren variieren. Als Statusmerkmal wurde die schulische Bildung der Befragten betrachtet, da sich für dieses Merkmal direkte Einflüsse auf kriminelles Handeln gezeigt hatten. In den Tabellen 3-46 bis 3-51 ist für jede Situation ein Modell dargestellt, das Einflüsse von negativen Einstellungen, neutralisierenden Einstellungen und Handlungs-
139
3.2 Ergebnisse
kontrolle in Abhängigkeit von der schulischen Bildung der Akteure untersucht, wobei die für die Subgruppen geschätzten Regressionskoeffizienten anhand eines z-Tests auf Gleichheit getestet werden. Die Annahme, dass der Einfluss von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln in der Gruppe der statushohen Akteure stärker ausgeprägt ist als in der Gruppe der statusniedrigen Akteure, bildete den Gegenstand von Hypothese 3.1.2.1. Tabelle 3-46: Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 1) schulische Bildung hoch
niedrig
ȕ
ȕ
Alter
-.040 (.012)
-.038* (.007)
Geschlecht
-.397 (.240)
-.516* (.199)
Erfahrung
1.208* (.256)
1.746* (.216)
Attachment
.268+ (.144)
.060 (.124)
Commitment
.500* (.144)
.090* (.100)
2.34
Belief
.412* (.111)
.397* (.100)
0.10
-4.259* (.571)
-2.338* (.397)
Konstante McFadden’s R2
.195
.221
Log Likelihood
-300.268
-336.072
-76.632
-149.127
BIC’
z
1.61
140
3. Empirische Untersuchung
Aus Tabelle 3-46 geht hervor, dass sich kein Einfluss der Bindung an Freundeskreise auf kriminelles Handeln ergibt. Außerdem zeigt sich, dass unabhängig von der schulischen Bildung ein Einfluss des Rechtsbewusstseins auf die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins besteht. Je weniger Befragte der Auffassung sind, Gesetze befolgen zu müssen, desto eher würden sie angesichts der Gelegenheit zur Fundunterschlagung kriminell handeln (ȕ=.412, ȕ=.397; z=.10). Tabelle 3-47: Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 2) schulische Bildung hoch
niedrig
ȕ
ȕ
z
Alter
-.062* (.010)
-.057* (.008)
0.39
Geschlecht
-.141 (.195)
-.244 (.195)
Erfahrung
2.079* (.237)
2.208* (.208)
Attachment
.028 (.129)
.139 (.123)
Commitment
.198+ (.105)
.131 (.093)
Belief
.205* (.093)
.368* (.099)
-2.493* (.412)
-2.130* (.377)
Konstante McFadden’s R2
.236
.306
Log Likelihood
-334.121
-349.258
BIC’
-165.258
-265.479
0.41
1.20
3.2 Ergebnisse
141
Ein statistisch bedeutsamer Unterschied ergibt sich im Hinblick auf den Einfluss der Verpflichtung gegenüber Freundeskreisen (z=2.34): Hypothesenkonform zeigt sich, dass ein Anstieg des Commitments das Risiko für eine Fundunterschlagung in der Gruppe der Befragten mit hoher schulischer Bildung stärker erhöht als in der Gruppe der Befragten mit niedriger schulischer Bildung (ȕ=.500 gegenüber ȕ=.090; vgl. Tab. 3-46). Tabelle 3-47 ist zu entnehmen, dass kriminelles Handeln in keiner der untersuchten Statusgruppen von der Bindung an und der Verpflichtung gegenüber Freundeskreise(n) abhängt. Unabhängig von der schulischen Bildung zeigt sich ein Einfluss des Rechtsbewusstseins auf kriminelles Handeln: Mit steigendem Rechtsbewusstsein steigt in beiden Bildungsgruppen das Risiko dafür, dass irrtümlich erhaltenes Wechselgeld behalten wird (ȕ=.205, ȕ=.368; z=1.20). Die in den Tabellen 3-46 und 3-47 dargestellten Ergebnisse unterstützen die These, dass Einflüsse von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln in Abhängigkeit vom sozialen Status der Akteure bestehen, also eher nicht; ein vereinzelter, hypothesenkonformer Moderatoreffekt zeigt sich lediglich für die Situation der Fundunterschlagung. In Hypothese 3.1.2.2 wurde die Annahme formuliert, dass kriminelles Handeln in der Gruppe der statushohen Befragten vergleichsweise stärker von neutralisierenden Einstellungen abhängt. Tabelle 3-48 zeigt jedoch, dass neutralisierende Einstellungen unabhängig von der schulischen Bildung auf die Wahrscheinlichkeit einer Fundunterschlagung wirken. Lediglich die Strategie, die Verantwortung für kriminelles Handeln zu leugnen, beeinflusst die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins in der Gruppe der statusniedrigen Befragten hypothesenkonträr tendenziell stärker: Für Akteure, die eine geringe schulische Bildung erworben haben, steigt das Risiko, einen gefundenen Geldschein zu unterschlagen, um den Faktor 3.564 (e1.271), wenn kognitive Strategien der Rechtfertigung die Leugnung der eigenen Verantwortung ermöglichen. Da es sich hier allerdings um einen nur tendenziell bedeutsamen Unterschied handelt (ȕ=.537, ȕ=.1271; z=1.68), scheint die Schlussfolgerung, dass neutralisierende Einstellungen unabhängig von der schulischen Bildung auf kriminelles Handeln wirken, angemessen (vgl. Tab. 3-48). Aus Tabelle 3-49 geht hervor, dass die Wahrscheinlichkeit, irrtümlich erhaltenes Wechselgeld zu behalten, in beiden Statusgruppen gleichermaßen von kognitiven Strategien der Rechtfertigung abhängt. Je stärker die neutralisierenden Einstellungen von Akteuren ausgeprägt sind, desto wahrscheinlicher ist kriminelles Handeln, und zwar hypothesenkonträr unabhängig von der schulischen Bildung.
142
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-48: Logistische Regression kriminellen Handelns auf neutralisierende Einstellungen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 1) schulische Bildung hoch
niedrig
ȕ
ȕ
z
Alter
-.035* (.012)
-.032* (.008)
0.21
Geschlecht
-.487* (.250)
-.366+ (.217)
0.37
Erfahrung
1.125* (.273)
1.222* (.236)
0.27
Leugnung Verantwortung
.537+ (.300)
1.271* (.319)
1.68
Leugnung Schaden
.609* (.279)
.793* (.254)
0.49
Leugnung Opfer
1.588* (.271)
1.070* (.233)
1.45
Konstante
-2.821* (.367)
-3.039* (.379)
McFadden’s R2
.242
.326
Log Likelihood
-223.001
-281.656
BIC’
-101.554
-230.623
Hypothese 3.1.2.3 umfasste die Annahme, dass Aspekte der Handlungskontrolle in der Gruppe der statushohen Befragten stärkere Einflüsse auf kriminelles Handeln haben. Tabelle 3-50 verdeutlicht aber, dass die Wahrscheinlichkeit einer Fundunterschlagung unabhängig von der schulischen Bildung auf die Selbstzentriertheit der Befragten zurückgeführt werden kann (ȕ=.338, ȕ=.238; z=1.11).
143
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-49: Logistische Regression kriminellen Handelns auf neutralisierende Einstellungen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 2) schulische Bildung hoch
niedrig
ȕ
ȕ
z
Alter
-.044* (.012)
-.047* (.009)
0.20
Geschlecht
-.337 (.226)
-.296 (.221)
Erfahrung
1.722* (.259)
1.700* (.231)
0.06
Leugnung Verantwortung
1.157* (.272)
.814* (.255)
0.92
Leugnung Schaden
1.060* (.244)
.673* (.257)
1.09
Leugnung Opfer
1.840* (.320)
1.843* (.282)
0.01
Konstante
-2.449* (.324)
-2.025* (.311)
McFadden’s R2
.377
.421
Log Likelihood
-269.322
-284.219
BIC’
-285.335
-371.360
Hypothesenkonträr zeigt sich außerdem, dass ein Einfluss der Impulsivität auf kriminelles Handeln nur in der Gruppe der Befragten mit niedriger schulischer Bildung besteht (ȕ=.193, vgl. Tab. 3-50). Auch in der Situation des Wechselgeldirrtums wird – wie Tabelle 3-51 verdeutlicht – die ungerechtfertigte Bereicherung unabhängig von der schulischen Bildung der Akteure vom Ausmaß der Selbstzentriertheit beeinflusst (ȕ=.219, ȕ=.204; z=.19). Einflüsse der beiden
144
3. Empirische Untersuchung
anderen Aspekte von Handlungskontrolle – Impulsivity und Simple Tasks – lassen sich nicht beobachten. Insgesamt erscheint es angesichts des nur vereinzelt aufgetretenen (hypothesenkonträren) Moderatoreffekts, also als angemessen, die im Rahmen von Hypothese 3.1.2.3 formulierte Annahme zurückzuweisen und von statusunabhängigen Einflüssen der Handlungskontrolle, insbesondere der Selbstzentriertheit, auszugehen (vgl. Tab. 3-50 und Tab. 3-51). Tabelle 3-50: Logistische Regression kriminellen Handelns auf Handlungskontrolle in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 1) schulische Bildung hoch
niedrig
ȕ
ȕ
z
Alter
-.039* (.011)
-.040* (.008)
0.07
Geschlecht
-.246 (.246)
-.474* (.208)
Erfahrung
1.266* (.253)
1.847* (.222)
Impulsivity
.042 (.066)
.193* (.059)
Simple Tasks
.108+ (.063)
.044 (.051)
Self-Centered
.338* (.071)
.238* (.055)
-6.153* (1.104)
-5.995* (.985)
Konstante McFadden’s R2
.168
.243
Log Likelihood
-244.055
-317.104
-57.930
-162.184
BIC’
1.73
1.11
145
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-51: Logistische Regression kriminellen Handelns auf Handlungskontrolle in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 2) schulische Bildung hoch
niedrig
ȕ
ȕ
z
Alter
-.060* (.010)
-.058* (.008)
0.16
Geschlecht
-.017 (.205)
-.107 (.201)
Erfahrung
2.060* (.235)
2.241* (.214)
Impulsivity
.059 (.057)
.085 (.057)
Simple Tasks
.046 (.052)
-.002 (.050)
Self-Centered
.219* (.060)
.204* (.053)
-4.425* (.892)
-3.848* (.925)
Konstante McFadden’s R2
.237
.303
Log Likelihood
-326.380
-341.308
BIC’
-162.008
-255.595
0.57
0.19
Betrachtet man die Ergebnisse der empirischen Analysen der Hypothesen 3.1.1.1 bis 3.1.1.3 zusammenfassend, so sprechen diese überwiegend gegen die Annahme, dass Einflüsse des sozialen Status über negative und neutralisierende Einstellungen und Handlungskontrolle vermittelt sind. Vielmehr sprechen die Ergebnisse dafür, dass sowohl die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins als auch die ungerechtfertigte Bereicherung von Merkmalen des sozia-
146
3. Empirische Untersuchung
len Status einerseits und von negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln und Handlungskontrolle andererseits abhängen. Lediglich die schulische Bildung von Akteuren wirkt über neutralisierende Einstellungen vermittelt auf kriminelles Handeln. Die zur Beurteilung der Übereinstimmung zwischen Modellen und Daten herangezogenen BIC’-Koeffizienten weisen darauf hin, dass die Modelle, die zusätzlich zu Merkmalen des sozialen Status negative und neutralisierende Einstellungen und Handlungskontrolle als Prädiktoren spezifiziert haben (Tab. 3-43 bis 3-45), den Daten besser angepasst sind als die Modelle, die nur Merkmale des sozialen Status umfassen (vgl. Tab. 3-38). Auch die Vermutung, dass Einflüsse von negativen und neutralisierenden Einstellungen und von Handlungskontrolle auf kriminelles Handeln mit dem sozialen Status von Akteuren variieren (Hypothesen 3.1.2.1 bis 3.1.2.3), findet keine empirische Unterstützung. Die Ergebnisse weisen zu einem überwiegenden Teil darauf hin, dass Einflüsse von negativen und neutralisierenden Einstellungen zu kriminellem Handeln und Einflüsse von Handlungskontrolle auf kriminelles Handeln status- bzw. bildungsunabhängig sind. Ein hypothesenkonformer Moderatoreffekt zeigt sich ebenso wie hypothesenkonträre Moderatoreffekte in der Situation der Fundunterschlagung: Dort ist der Einfluss der Verpflichtung gegenüber Freunden hypothesenkonform stärker, wenn die schulische Bildung hoch ist, und Einflüsse der Leugnung von Verantwortung und der Neigung zu unüberlegtem Handeln sind hypothesenkonträr stärker, wenn die schulische Bildung niedrig ist. Hypothese 3.1.1 umfasste außerdem die Annahme, dass der Einfluss sozialer Beziehungen über positive Einstellungen (Hypothese 3.1.1.4) und negative Einstellungen (Hypothese 3.1.1.5) vermittelt ist. Die Ergebnisse der logistischen Regressionsanalysen werden in den Tabellen 3-52 und 3-53 dargestellt. Aus Tabelle 3-52 geht hervor, dass mit der Erweiterung des einfachen Modells um positive Einstellungen zu kriminellem Handeln in beiden Situationen eine signifikante Modellverbesserung einhergeht (Situation 1: Ȥ2diff=48.954, Ȥ2krit=5.991, df=2; Situation 2: Ȥ2diff=36.632, Ȥ2krit=5.991, df=2). In Bezug auf die Situation der Fundunterschlagung zeigt sich, dass kriminelles Handeln im erweiterten Modell auf das Ausmaß des kirchlichen Engagements (ȕ=.326) und auf positive Beurteilungen von Gesetzesübertretungen (ȕ=.476) zurückgeführt werden kann. Im Vergleich zum einfachen Modell ist der Einfluss der religiösen Einbindung im erweiterten Modell schwächer (ȕ=.389, ȕ=.326; vgl. Tab. 3-52) und wird teilweise über positive Einstellungen zu kriminellem Handeln vermittelt.
147
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-52: Logistische Regression kriminellen Handelns auf positive Einstellungen und soziale Beziehungen Situation 1 (n = 1834)
Situation 2 (n = 1840)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.036* (.006)
-.029* (.007)
-.056* (.006)
-.052* (.006)
Geschlecht
-.457* (.157)
-.368* (.161)
-.194 (.141)
-.112 (.143)
Erfahrung
1.629* (.168)
1.497* (.172)
2.121* (.156)
2.012* (.159)
Partnerschaft
.041 (.177)
.033 (.181)
-.099 (.162)
-.116 (.165)
Verein
.157+ (.088)
.123 (.090)
.116 (.078)
.099 (.079)
Kirche
.389* (.076)
.326* (.079)
.316* (.068)
.258* (.069)
Differentielle Assoziationen
.164 (.201)
-.073 (.170)
Definitionen
.476* (.081)
.396* (.072)
Konstante
-2.897* (.338)
-3.886* (.382)
-2.192* (.298)
-2.832* (.328)
McFadden’s R2
.183
.218
.256
.276
Log Likelihood
-566.017
-541.540
-670.352
-652.036
BIC’
-207.790
-241.715
-416.184
-437.780
148
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-53: Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen und soziale Beziehungen Situation 1 (n = 1853)
Situation 2 (n = 1859)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.036* (.006)
-.032* (.007)
-.054* (.006)
-.052* (.006)
Geschlecht
-.456* (.156)
-.382* (.159)
-.229+ (.141)
-.181 (.142)
Erfahrung
1.574* (.167)
1.495* (.169)
2.140* (.156)
2.069* (.158)
Partnerschaft
.062 (.176)
.038 (.179)
-.074 (.163)
-.098 (.165)
Verein
.137 (.087)
.129 (.088)
.135+ (.078)
.133+ (.079)
Kirche
.392* (.076)
.326* (.078)
.313* (.067)
.270* (.069)
Attachment
.093 (.097)
.068 (.090)
Commitment
.204* (.082)
.143* (.070)
Belief
.264* (.074)
.182* (.068)
Konstante
-2.825* (.335)
-3.776* (.408)
-2.288* (.300)
-2.928* (.356)
McFadden’s R2
.179
.199
.255
.264
Log Likelihood
-572.183
-558.028
-671.093
-662.764
BIC’
-204.363
-210.099
-413.998
-408.074
3.2 Ergebnisse
149
Je geringer das Ausmaß des kirchlichen Engagements, desto eher werden Gesetzesübertretungen gebilligt (IJb=.168, vgl. Tab. A-1 im Anhang), und desto wahrscheinlicher ist kriminelles Handeln (ȕ=.476, vgl. Tab. 3-52). Wie aus Tabelle 3-52 hervorgeht, ist das Ergebnis für die Situation des Wechselgeldirrtums sehr ähnlich: Es zeigt sich, dass auch die ungerechtfertigte Bereicherung wahrscheinlicher wird, je geringer das kirchliche Engagement von Akteuren ausgeprägt ist (ȕ=.258) und je stärker das Ausmaß der Zustimmung zu Gesetzesübertretungen ausfällt (ȕ=.396). Ein Vergleich zwischen dem einfachen und dem erweiterten Modell führt zu dem Ergebnis, dass der Einfluss des religiösen Engagements im erweiterten Modell vermindert ist (ȕ=.316, ȕ=.258; vgl. Tab. 3-52), so dass auch hier eine geringere kirchliche Aktivität teilweise direkt und teilweise über die Billigung von Gesetzesübertretungen (IJb=.168, vgl. Tab. A-1 im Anhang) die ungerechtfertigte Bereicherung wahrscheinlicher werden lässt. Die in Hypothese 3.1.1.4 formulierte Annahme, dass die Einbindung in soziale Beziehungen über positive Einstellungen zu kriminellem Handeln vermittelt auf kriminelles Handeln wirkt, findet also nur bedingt empirische Unterstützung. Vielmehr ist der Einfluss religiöser Bindungen nur teilweise über positive Einstellungen vermittelt und bleibt als Haupteffekt auch in den erweiterten Modellen bestehen. Dieses Ergebnis spricht eher für die Annahme, dass kriminelles Handeln angesichts der dargebotenen Gelegenheiten sowohl auf soziale Beziehungen als auch auf positive Einstellungen zu kriminellem Handeln zurückzuführen ist. Vergleicht man die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten, so weisen die in Tabelle 3-52 dargestellten BIC’-Koeffizienten auf eine schlechtere Übereinstimmung im Vergleich zu den Modellen, die nur Einflüsse sozialer Beziehungen spezifizieren, hin (vgl. Tab. 3-39), und sprechen für eine bessere Übereinstimmung im Vergleich zu den Modellen, in denen nur Einflüsse von positiven Einstellungen zu kriminellem Handeln analysiert wurden (vgl. Tab. 3-35). Hypothese 3.1.1.5 formulierte die Annahme, dass Einflüsse von Merkmalen sozialer Beziehungen auf kriminelles Handeln über negative Einstellungen zu kriminellem Handeln vermittelt sind. Tabelle 3-53 zeigt, dass auch die Erweiterung der einfachen Modelle um Merkmale negativer Einstellungen zu kriminellem Handeln zu verbesserten Erklärungsleistungen führt (Situation 1: Ȥ2diff=28.310, Ȥ2krit=5.991, df=2; Situation 2: Ȥ2diff=16.658, Ȥ2krit=5.991, df=2). Das Risiko für die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins steigt, je geringer die Einbindung in kirchliche Aktivitäten ist (ȕ=.392), je geringer die Verpflichtung gegenüber Freunden und Bekannten ist (ȕ=.204), und je geringer das Rechtsbewusstsein ist (ȕ=.264). Im erweiterten Modell verringert sich der
150
3. Empirische Untersuchung
Einfluss der religiösen Einbindung (ȕ=.392, ȕ=.326; vgl. Tab. 3-53) und ist teilweise über das Rechtsbewusstsein vermittelt: Es zeigt sich, dass ein geringeres kirchliches Engagement mit einem schwächeren Rechtsbewusstsein einhergeht (IJb=.118, vgl. Tab. A-1 im Anhang); je geringer also das Ausmaß ist, in dem sich Akteure kirchlich engagieren, desto geringer ist ihr Rechtsbewusstsein, und desto höher ist das Risiko, dass sie angesichts der dargebotenen Gelegenheit einen gefundenen Geldschein unterschlagen würden (ȕ=.264, vgl. Tab. 3-53). Dieses Ergebnis zeigt sich analog auch für die Situation des Wechselgeldirrtums: Aus Tabelle 3-53 geht hervor, dass irrtümlich erhaltenes Wechselgeld umso eher behalten wird, je geringer die Einbindung von Akteuren in religiöse Aktivitäten ist (ȕ=.270), je weniger sich Akteure gegenüber Freunden und Bekannten verpflichtet fühlen (ȕ=.143), und je geringer ihr Rechtsbewusstsein ist (ȕ=.182). Der Einfluss des religiösen Engagements ist auch in der Situation des Wechselgeldirrtums im erweiterten Modell vermindert (ȕ=.313, ȕ=.270; vgl. Tab. 3-53) und teilweise über das Rechtsbewusstsein vermittelt. Eine ungerechtfertigte Bereicherung wird wahrscheinlicher, wenn ein Fehlen religiöser Bindungen die Überzeugung, Gesetze nicht unbedingt befolgen zu müssen, begünstigt (ȕ=.182, vgl. Tab. 3-53). Die in Tabelle 3-53 dargestellten Ergebnisse sprechen also nur bedingt für das Vorliegen eines Mediatoreffekts (Hypothese 3.1.1.5), sondern eher für die Annahme, dass kriminelles Handeln sowohl auf Merkmale sozialer Beziehungen als auch auf negative Einstellungen zu kriminellem Handeln zurückzuführen ist. Die in Tabelle 3-53 berichteten BIC’Koeffizienten zeigen, dass die Modelle, in denen nur Einflüsse sozialer Beziehungen spezifiziert wurden, bereits eine ähnlich gute Übereinstimmung zwischen Modell und Daten erzielt haben, so dass die Erweiterung des einfachen Modells um negative Einstellungen zu kriminellem Handeln keine Verbesserung bewirkt (vgl. Tab. 3-36). Im Rahmen von Hypothese 3.1.2 wurde die Annahme formuliert, dass Einflüsse von positiven Einstellungen (Hypothese 3.1.2.4) und Einflüsse von negativen Einstellungen (Hypothese 3.1.2.5) von Merkmalen der sozialen Beziehungen der Akteure abhängig sind. Auch hier wurden Regressionskoeffizienten für Subgruppen der Stichprobe, die anhand des Ausmaßes der Aktivität in kirchlichen Zusammenhängen gebildet wurden, mittels z-Tests verglichen. Die Ergebnisse sind in den Tabellen 3-54 bis 3-57 dargestellt. Die Annahme, dass Einflüsse von positiven Einstellungen zu kriminellem Handeln auf die Fundunterschlagung und die ungerechtfertigte Bereicherung mit Merkmalen sozialer Beziehungen variieren (Hypothese 3.1.2.4), findet in keiner der beiden Situationen empi-
151
3.2 Ergebnisse
rische Unterstützung: Einflüsse von Differentiellen Assoziationen auf kriminelles Handeln bestehen in keiner der beiden Situationen. Außerdem zeigt sich, dass unabhängig vom Ausmaß der religiösen Aktivität sowohl die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins (ȕ=.509, ȕ=.481; z=.18) als auch die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums (ȕ=.406, ȕ=.475; z=.47) als Resultate von positiven Einstellungen zu Gesetzesübertretungen aufzufassen sind (vgl. Tab. 3-54 und Tab. 3-55). Tabelle 3-54: Logistische Regression kriminellen Handelns auf positive Einstellungen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 1) Aktivität Kirche hoch ȕ
niedrig ȕ
z 0.39
Alter
-.028* (.008)
-.033* (.010)
Geschlecht
-.393* (.196)
-.380 (.247)
Erfahrung
1.431* (.211)
1.647* (.269)
0.63
Differentielle Assoziationen
.353 (.257)
-.089 (.308)
1.10
Definitionen
.509* (.103)
.481* (.122)
0.18
-3.355* (.355)
-2.483* (.448)
Konstante McFadden’s R2
.189
.207
Log Likelihood
-360.724
-215.700
BIC’
-131.421
-80.761
152
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-55: Logistische Regression kriminellen Handelns auf positive Einstellungen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 2) Aktivität Kirche hoch ȕ
niedrig ȕ
z 0.08
Alter
-.054* (.007)
-.055* (.010)
Geschlecht
-.205 (.169)
.069 (.244)
Erfahrung
1.841* (.188)
2.387* (.279)
1.62
Differentielle Assoziationen
-.128 (.205)
.134 (.297)
0.73
Definitionen
.406* (.088)
.475* (.119)
0.47
-2.091* ( .284)
-2.573* (.438)
Konstante McFadden’s R2
.252
.316
Log Likelihood
-460.205
-213.127
BIC’
-274.273
-165.753
Im Rahmen von Hypothese 3.1.2.5 wurde angenommen, dass der Einfluss von negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln auf die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins und die ungerechtfertigte Bereicherung von der Einbindung in konventionelle Beziehungen abhängt. Die in den Tabellen 3-56 und 3-57 dargestellten Ergebnisse zeigen, dass diese Vermutung teilweise empirische Unterstützung findet. Einflüsse der Verpflichtung gegenüber Freunden und Bekannten bestehen nur in der Gruppe der Akteure, deren kirchliches Engagement stark ist: Für Akteure, die regelmäßig Gottesdienste und andere kirchliche Veranstaltungen besuchen, zeigt sich, dass das Risiko für eine Fundunterschla-
153
3.2 Ergebnisse
gung oder eine ungerechtfertigte Bereicherung steigt, je geringer das Ausmaß ist, in dem sich diese Akteure gegenüber konventionellen Bezugspersonen oder –gruppen verpflichtet fühlen (Situation 1: ȕ=.239, Situation 2: ȕ=.190; vgl. Tab. 3-56 und Tab. 3-57). Darüber hinaus ist in der Situation der Fundunterschlagung auch der Einfluss des Rechtsbewusstseins nur für Akteure bedeutsam, die stark in religiöse Aktivitäten eingebunden sind (ȕ=.437, vgl. Tab. 3-56). Tabelle 3-56: Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 1) Aktivität Kirche hoch ȕ
niedrig ȕ
z 0.70
Alter
-.029* (.008)
-.038* (.010)
Geschlecht
-.425* (.196)
-.376 (.243)
Erfahrung
1.512* (.210)
1.589* (.262)
Attachment
.039 (.134)
.206 (.129)
Commitment
.239* (.104)
.153 (.122)
Belief
.437* (.096)
.134 (.108)
-3.391* (.418)
-2.240* (.491)
Konstante McFadden’s R2
.180
.181
Log Likelihood
-365.824
-225.647
BIC’
-116.811
-61.584
0.23
154
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-57: Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 2) Aktivität Kirche hoch ȕ
niedrig ȕ
z 0.33
Alter
-.054* (.007)
-.058* (.010)
Geschlecht
-.307+ (.168)
.093 (.239)
Erfahrung
1.950* (.190)
2.374* (.271)
Attachment
-.002 (.116)
.205 (.137)
Commitment
.190* (.084)
.058 (.122)
Belief
.216* (.085)
.212* (.107)
-2.235* ( .341)
-2.145* (.474)
Konstante McFadden’s R2
.247
.286
Log Likelihood
-461.721
-224.789
BIC’
-259.556
-141.736
1.28
0.03
Wie allerdings aus Tabelle 3-57 hervorgeht, besteht in der Situation des Wechselgeldirrtums ein Einfluss des Rechtsbewusstseins unabhängig vom Ausmaß des kirchlichen Engagements (ȕ=.216, ȕ=.212; z=.03). Während sich also für die Situation der Fundunterschlagung eindeutig zeigen lässt, dass Einflüsse von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln stärker sind, wenn Akteure in einen konventionellen sozialen Kontext eingebunden sind, besteht ein solcher
3.2 Ergebnisse
155
Moderatoreffekt in der Situation des Wechselgeldirrtums nur für den Einfluss des Commitment auf die ungerechtfertigte Bereicherung. Zusammenfassend scheint angesichts dieser Ergebnisse aber die Schlussfolgerung angemessen, Hypothese 3.1.2.5 als (bedingt) empirisch unterstützt zu betrachten. Betrachtet man die Analysen der Hypothesen 3.1.1.4 und 3.1.1.5 insgesamt, so findet sich keine empirische Unterstützung für die Annahme, dass Einflüsse von Merkmalen sozialer Beziehungen auf kriminelles Handeln über positive und negative Einstellungen vermittelt sind. Vielmehr sprechen die Ergebnisse dafür, dass kriminelles Handeln sowohl von Merkmalen sozialer Beziehungen als auch von positiven und negativen Einstellungen abhängt. Die Übereinstimmung zwischen Modellen und Daten verweist darauf, dass die zusätzliche Berücksichtigung von positiven und negativen Einstellungen keine Vorteile im Vergleich zu einfachen Modellen, die nur Merkmale sozialer Beziehungen als Prädiktoren umfassen, mit sich bringt. Für die Annahme, dass Einflüsse von positiven und negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln mit der Einbindung in religiöse Aktivitäten variieren (Hypothesen 3.1.2.4 und 3.1.2.5), findet sich keine allgemeine Unterstützung. Vielmehr zeigt sich, dass Einflüsse von positiven Einstellungen auf kriminelles Handeln unabhängig vom Ausmaß der Einbindung in konventionelle soziale Beziehungen bestehen. Lediglich für die Situation der Fundunterschlagung ist der Einfluss von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln eindeutig und hypothesenkonform stärker, wenn Akteure in kirchlichen Kontexten aktiv sind. Die Überlegung, dass Einflüsse der Handlungskontrolle auf kriminelles Handeln über negative Einstellungen zu kriminellem Handeln vermittelt sind, bildete den Gegenstand von Hypothese 3.1.1.6. Aus Tabelle 3-58 geht hervor, dass die zusätzliche Berücksichtigung von negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln zu einer signifikanten Modellverbesserung führt (Situation 1: Ȥ2diff=42.582, Ȥ2krit=7.815, df=3; Situation 2: Ȥ2diff=20.926, Ȥ2krit=7.815, df=3). Es zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Fundunterschlagung steigt, je impulsiver (ȕ=.092) und selbstzentrierter (ȕ=.274) Akteure sind, je stärker sie sich gegenüber Freunden und Bekannten verpflichtet fühlen (ȕ=.226) und je stärker ihr Rechtsbewusstsein ausgeprägt ist (ȕ=.340, vgl. Tab. 3-58). Im erweiterten Modell ist der Einfluss der Impulsivität schwächer (ȕ=.132, ȕ=.092; vgl. Tab. 3-58) und ist teilweise über negative Einstellungen zu kriminellem Handeln vermittelt: Je stärker die Impulsivität, desto weniger fühlen sich Akteure gegenüber Freunden und Bekannten verpflichtet (IJb=.088, ohne Tabelle).
156
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-58: Logistische Regression kriminellen Handelns auf Handlungskontrolle und negative Einstellungen Situation 1 (n = 1931)
Situation 2 (n = 1938)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.036* (.006)
-.031* (.006)
-.055* (.006)
-.052* (.006)
Geschlecht
-.333* (.156)
-.237 (.159)
-.067 (.142)
-.005 (.144)
Erfahrung
1.597* (.164)
1.515* (.167)
2.150* (.157)
2.076* (.158)
Impulsivity
.132* (.043)
.092* (.044)
.075+ (.040)
.050 (.041)
Simple Tasks
.070+ (.078)
.089+ (.059)
.040 (.035)
.048 (.035)
Self-Centered
.270* (.042)
.274* (.043)
.230* (.040)
.231* (.041)
Attachment
.134 (.097)
.019 (.092)
Commitment
.226* (.082)
.133+ (.070)
Belief
.340* (.074)
.238* (.068)
Konstante
-6.114* (.692)
-7.259* (.752)
-4.593* (.627)
-5.169* (.657)
McFadden’s R2
.197
.227
.270
.281
Log Likelihood
-581.820
-560.529
-673.873
-663.410
BIC’
-240.692
-260.577
-452.508
-450.726
3.2 Ergebnisse
157
Der Einfluss der Selbstzentriertheit auf die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins bleibt im erweiterten Modell unverändert (ȕ=.270, ȕ=.274; vgl. Tab. 3-58) und wird folglich nicht durch negative Einstellungen zu kriminellem Handeln vermittelt. Für die Situation des Wechselgeldirrtums zeigt sich, dass eine ungerechtfertigte Bereicherung sowohl von der Selbstzentriertheit (ȕ=.231) als auch vom Rechtsbewusstsein (ȕ=.238) abhängt, so dass Hinweise auf Mediatoreffekte nicht vorliegen (vgl. Tab. 3-58). Die Ergebnisse der empirischen Analyse von Hypothese 3.1.1.6 sprechen gegen die Annahme von Mediatoreffekten und unterstützen eher die Vermutung, dass Einflüsse von Handlungskontrolle unabhängig von negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln auf die Fundunterschlagung und die ungerechtfertigte Bereicherung bestehen. Die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten ist für das in Tabelle 3-58 dargestellte Modell ähnlich gut wie für das Modell, das nur Aspekte von Handlungskontrolle als Prädiktoren spezifiziert (vgl. Tab. 3-40). In Hypothese 3.1.2.6 wurde die Annahme formuliert, dass der Einfluss von negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln auf die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins und die ungerechtfertigte Bereicherung mit der Handlungskontrolle variiert. Auch hier wurden systematische Vergleiche der Regressionskoeffizienten für Subgruppen der Stichprobe, die anhand des Merkmals Selbstzentriertheit gebildet wurden, mittels z-Tests vorgenommen. Die Ergebnisse dieser Analysen sind in den Tabellen 3-59 und 3-60 dargestellt. Für die Situation der Fundunterschlagung zeigt sich, der der Einfluss des Rechtsbewusstseins auf kriminelles Handeln entgegen der Erwartung unabhängig vom Ausmaß der Handlungskontrolle ist (ȕ=.300, ȕ=.403; z=.70). Hypothesenkonträr ist außerdem der Befund, dass Einflüsse der Bindung an (ȕ=.418) und der Verpflichtung gegenüber (ȕ=.256) konventionellen Bezugspersonen und –gruppen nur in der Gruppe der Akteure mit hoher Selbstzentriertheit bestehen (vgl. Tab. 3-59). Für die Situation des Wechselgeldirrtums ergibt sich demgegenüber ein widersprüchlicher Eindruck: Während die ungerechtfertigte Bereicherung nur in der Gruppe der Akteure mit hoher Handlungskontrolle hypothesenkonform vom Commitment abhängt (ȕ=.241), hängt sie in der Gruppe der Akteure mit hoher Selbstzentriertheit bzw. niedriger Handlungskontrolle hypothesenkonträr vom Rechtsbewusstsein ab (ȕ=.362, vgl. Tab. 3-60). Im Hinblick auf die in Hypothese 3.1.2.6 vermuteten Moderatoreffekte zeigen sich für die Situation der Fundunterschlagung also eindeutig hypothesenkonträre und für die Situation des Wechselgeldirrtums widersprüchliche Ergebnisse. Die Annahme, dass negative Einstellungen stärkere Einflüsse auf kriminelles Handeln haben, wenn die
158
3. Empirische Untersuchung
Handlungskontrolle von Akteuren stark ausgeprägt ist, findet in der vorliegenden Studie somit insgesamt keine empirische Unterstützung. Einflüsse von negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln stellen sich dabei nicht als unabhängig vom Ausmaß der Handlungskontrolle dar. Vielmehr zeigt sich hypothesenkonträr, dass Einflüsse von negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln stark sind, wenn die Handlungskontrolle von Akteuren niedrig ist. Tabelle 3-59: Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit von Handlungskontrolle (Situation 1) Self-Centered niedrig ȕ
hoch ȕ
z 1.33
Alter
-.023* (.009)
-.039* (.008)
Geschlecht
-.279 (.222)
-.184 (.221)
Erfahrung
1.719* (.245)
1.454* (.229)
0.79
Attachment
-.260+ (.151)
.418* (.131)
3.39
Commitment
.171 (.113)
.256* (.108)
Belief
.300* (.105)
.403* (.103)
-3.306* (.466)
-2.995* (.461)
Konstante McFadden’s R2
.161
.229
Log Likelihood
-300.036
-270.638
-72.104
-121.726
BIC’
0.70
159
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-60: Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit von Handlungskontrolle (Situation 2) Self-Centered niedrig
hoch
ȕ
ȕ
z 0.58
Alter
-.051* (.008)
-.058* (.009)
Geschlecht
-.205 (.186)
.264 (.216)
Erfahrung
2.030* (.209)
2.272* (.238)
Attachment
-.039 (.124)
.154 (.133)
Commitment
.241* (.091)
-.000 (.110)
Belief
.143 (.089)
.362* (.105)
-2.580* ( .380)
-1.977* (.404)
Konstante McFadden’s R2
.225
.319
Log Likelihood
-400.822
-274.630
BIC’
-189.923
-217.845
0.76
Einflüsse der sozialen Situation auf kriminelles Handeln, die der Idee einer reflektiert-kalkulierenden Handlungs-Selektion entsprechend über den subjektiv erwarteten Nutzen vermittelt sind, wurden im Rahmen von Hypothese 3.2.1 spezifiziert. Insbesondere wurde erwartet, dass Einflüsse von positiven Einstellungen (Hypothese 3.2.1.1), von negativen Einstellungen (Hypothese 3.2.1.2), von neutralisierenden Einstellungen (Hypothese 3.2.1.3), von Merkmalen des
160
3. Empirische Untersuchung
sozialen Status (Hypothese 3.2.1.4), von Merkmalen sozialer Beziehungen (Hypothese 3.2.1.5) und von Handlungskontrolle (Hypothese 3.2.1.6) die Entscheidung für eine Fundunterschlagung und eine ungerechtfertigte Bereicherung rahmen, in dem sie den subjektiv erwarteten Nutzen, der mit kriminellem Handeln erzielt werden kann, beeinflussen. Für beide Situationen wurden jeweils zwei Regressionsmodelle geschätzt: eines, das neben den Kontrollvariablen Alter, Geschlecht und Erfahrung die Merkmale der sozialen Situation als Prädiktoren umfasst, und ein weiteres, das zusätzlich die als kausal nachgeordnet betrachteten Aspekte des subjektiv erwarteten Nutzens kriminellen Handelns spezifiziert. Die Ergebnisse der Analysen werden in den Tabellen 3-61 bis 3-66 dargestellt. Da Einflüsse der Kontrollvariablen Alter, Geschlecht und Erfahrung auf kriminelles Handeln bereits im Rahmen der Analyse der zweiten Untersuchungshypothese berichtet wurden, werden sie hier nicht mehr gesondert aufgeführt, sondern lediglich noch einmal zusammenfassend skizziert: Die Analyse hatte zu dem Ergebnis geführt, dass der Einfluss des Alters auf kriminelles Handeln in beiden Situationen teilweise über den Nutzen von sozialer Anerkennung und den Nutzen von materieller Bereicherung vermittelt ist; außerdem hatte sich gezeigt, dass der Einfluss des Geschlechts auf kriminelles Handeln in der Situation der Fundunterschlagung vollständig über den subjektiv erwarteten Schaden durch ein schlechtes Gewissen vermittelt ist; und schließlich hatte die Analyse ergeben, dass der Einfluss der Erfahrung auf kriminelles Handeln in beiden Situationen teilweise über den Nutzen von sozialer Anerkennung, den Nutzen von materieller Bereicherung und den Schaden durch ein schlechtes Gewissen vermittelt ist (vgl. Kap. 3.2.2). Tabelle 3-61 ist zu entnehmen, dass die Erweiterung der Modelle, die Einflüsse von positiven Einstellungen zu Gesetzesübertretungen auf kriminelles Handeln betrachten, um die Variablen zur Erfassung des subjektiv erwarteten Nutzens in beiden Situationen zu einer statistisch bedeutsamen Verbesserung der Erklärungsleistung führt (Situation 1: Ȥ2diff=364.056, Ȥ2krit=11.07, df=5; Situation 2: Ȥ2diff=412.108, Ȥ2krit=11.07, df=5). Aus Tabelle 3-61 geht hervor, dass Einflüsse von positiven Einstellungen zu Gesetzesübertretungen in den erweiterten Modellen bestehen bleiben, allerdings geringer sind als in den einfachen Modellen (Situation 1: ȕ=.261, Situation 2: ȕ=.233). Insbesondere der subjektiv erwartete Nutzen von sozialer Anerkennung variiert in beiden Situationen hypothesenkonform mit positiven Einstellungen zu Gesetzesübertretungen: Je stärker Akteure
3.2 Ergebnisse
161
Gesetzesübertretungen befürworten, desto eher erwarten sie, sich durch die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins oder durch die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums Vorteile in Form von sozialer Anerkennung verschaffen zu können (Situation 1: r=.305, Situation 2: r=.276). Darüber hinaus zeigt sich, dass positive Einstellungen zu Gesetzesübertretungen mit dem subjektiv erwarteten Schaden durch interne und informelle Sanktionen korrelieren: Je stärker positiv die Einstellungen sind, die Akteure gegenüber Gesetzesübertretungen hegen, desto weniger rechnen sie damit, Nachteile in Form eines schlechten Gewissens (Situation 1: r=-.243, Situation 2: r=-.239) oder in Form einer Entdeckung durch das Opfer zu bekommen (Situation 1: r=-.113, Situation 2: r=-.114; vgl. Tab. A-3 und Tab. A-4 im Anhang). Somit ist also der Einfluss von positiven Einstellungen auf kriminelles Handeln teilweise über soziale Anerkennung, in geringerem Maße aber auch über interne und informelle negative Sanktionen vermittelt: Je mehr Akteure mit sozialer Anerkennung rechnen (Situation 1: ȕ=.801, Situation 2: ȕ=.882) und je mehr Unannehmlichkeiten Akteure aufgrund eines schlechten Gewissens (Situation 1: ȕ=-.538, Situation 2: ȕ=-.544) oder aufgrund einer Entdeckung durch das Opfer (Situation 1: ȕ=-.220, Situation 2: ȕ=-.335, vgl. Tab. 3-61) erwarten, desto eher unterschlagen sie vermutlich den gefundenen Geldschein oder behalten das irrtümlich erhaltene Wechselgeld. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Hypothese 3.2.1.1 zwar Unterstützung findet, sie sprechen aber auch für die Annahme, dass kriminelles Handeln sowohl von positiven Einstellungen zu kriminellem Handeln als auch von Wert-Erwartungs-Überlegungen abhängt. Betrachtet man die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten, so zeigt sich, dass diese für beide Situationen stärker ist (Situation 1: BIC’=-566.524, Situation 2: BIC’=-834.206) als für die Modelle, in denen nur Einflüsse von positiven Einstellungen zu kriminellem Handeln spezifiziert wurden (vgl. Tab. 3-35). Im Vergleich zu den Modellen, die ausgehend von einem weiten Nutzenbegriff Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens kriminellen Handelns spezifizieren, sind die hier geschätzten Modelle geringfügig unterlegen (vgl. Tab. 3-41 und Tab. 3-42). Aus Tabelle 3-62 geht hervor, dass die Einbeziehung von Aspekten des subjektiv erwarteten Nutzens zusätzlich zu negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln als Prädiktoren der Fundunterschlagung und der ungerechtfertigten Bereicherung zu statistisch bedeutsamen Verbesserungen der Erklärungsleistungen führt (Situation 1: Ȥ2diff=377.164, Ȥ2krit=11.07, df=5; Situation 2: Ȥ2diff=420.306, Ȥ2krit=11.07, df=5). Tabelle 3-62 zeigt, dass Einflüsse des Com-
162
3. Empirische Untersuchung
mitments auf kriminelles Handeln in beiden Situationen vollständig über den subjektiv erwarteten Nutzen kriminellen Handelns vermittelt sind: Je weniger Akteure an Gefühle der Verpflichtung gegenüber konventionellen Bezugsgruppen gebunden sind, desto stärker erwarten sie, dass ihnen die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins oder die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums zu sozialer Anerkennung verhilft (Situation 1: r=.212, Situation 2: r=.206). Einflüsse des Commitments auf kriminelles Handeln scheinen außerdem über den subjektiv erwarteten Schaden durch eine formelle Bestrafung vermittelt zu sein (Situation 1: r=-.239, Situation 2: r=-.236; vgl. Tab. A-3 und Tab. A-4 im Anhang), die ihrerseits in der Situation der Fundunterschlagung die Entdeckung durch das Opfer und in der Situation des Wechselgeldirrtums das schlechte Gewissen als relevante Kostenfaktoren erscheinen lassen und über diese ›Umwege‹ zu kriminellem Handeln führen (vgl. Tab. 3-41 und Tab. 3-42)25. Der Einfluss des Rechtsbewusstseins auf kriminelles Handeln wird in der Situation der Fundunterschlagung teilweise und in der Situation des Wechselgeldirrtums vollständig über den subjektiv erwarteten Nutzen von kriminellem Handeln vermittelt: Je geringer die Überzeugung ist, Gesetze befolgen zu müssen, desto eher wird vermutlich ein gefundener Geldschein unterschlagen (ȕ=.218, vgl. Tab. 3-62), und desto eher erwarten Akteure, Vorteile durch soziale Anerkennung erzielen zu können (r=.245; vgl. Tab. A-3 im Anhang), was wiederum die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins begünstigt (ȕ=.804, vgl. Tab. 3-62); je geringer des Rechtsbewusstsein ist, desto eher erwarten Akteure soziale Anerkennung für eine ungerechtfertigte Bereicherung (r=.199, vgl. Tab. A-4 im Anhang), und desto eher handeln sie vermutlich in der Situation des Wechselgeldirrtums kriminell (ȕ=.890, vgl. Tab. 3-62). In beiden Situationen deutet sich an, dass Einflüsse des Rechtsbewusstseins über die mit einer formellen Bestrafung verbundenen Nachteile vermittelt werden (Situation 1: r=-.202, Situation 2: -.204; vgl. Tab. A-3 und Tab. A-4 im Anhang), die erst die Entdeckung durch das Opfer bzw. das schlechte Gewissen als mögliche Kostenfaktoren aktualisieren und dann die Entscheidung für kriminelles Handeln beeinflussen (vgl. Tab. 3-41 und Tab. 3-42, Fußnote 24). Hypothese 3.2.1.2, wonach der Einfluss von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln insbesondere über negative interne Sanktionen vermittelt ist, findet also im vorliegenden Zusammenhang keine empirische Unterstützung. Vielmehr zeigt 25 Der hier angedeutete Wirkungszusammenhang stand nicht im Mittelpunkt von Hypothese 3.2.1. Die Interpretation wird jedoch durch die Ergebnisse ergänzender Regressionsanalysen unterstützt, die hier zwar nicht berichtet werden, interessierten Lesern aber von der Verfasserin selbstverständlich gern zur Verfügung gestellt werden.
3.2 Ergebnisse
163
sich, dass eine negative Haltung zu Gesetzesübertretungen kriminelles Handeln entweder über andere Nutzen- bzw. Schadenskomponenten oder aber direkt beeinflusst. Auch die in Tabelle 3-62 berichteten Modelle erzielen eine höhere Übereinstimmung zwischen Modell und Daten (Situation 1: BIC’=-557.109, Situation 2: BIC’=-818.753) als die Modelle, die Einflüsse von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln spezifizieren (vgl. Tab. 3-36). Sie erweisen sich als weniger gut angepasst im Vergleich zu den Modellen, die Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens auf kriminelles Handeln betrachten (vgl. Tab. 3-41 und Tab. 3-42). Tabelle 3-63 zeigt, dass die Erweiterung der Modelle, die Einflüsse von neutralisierenden Einstellungen auf kriminelles Handeln spezifizieren, um Aspekte des subjektiv erwarteten Nutzens kriminellen Handelns in beiden Situationen zu einer statistisch bedeutsamen Verbesserung der Erklärungskraft führt (Situation 1: Ȥ2diff=255.148, Ȥ2krit=11.07, df=5; Situation 2: Ȥ2diff=250.206, Ȥ2krit=11.07, df=5). Aus Tabelle 3-63 geht hervor, dass Beziehungen zwischen neutralisierenden Einstellungen und kriminellem Handeln einerseits als direkte Einflüsse und andererseits als indirekte Einflüsse, die über den subjektiv erwarteten Nutzen von kriminellem Handeln vermittelt sind, beschrieben werden können: Für beide Situationen zeigt sich, dass die Leugnung der eigenen Verantwortung (Situation 1: ȕ=.511, Situation 2: ȕ=.840), die Leugnung des angerichteten Schadens (Situation 1: ȕ=.388, Situation 2: ȕ=.593) und die Leugnung des Geschädigten (Situation 1: ȕ=.908, Situation 2: ȕ=1.323) dazu führen, dass sowohl die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins als auch die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums wahrscheinlicher werden. Die direkten Einflüsse von neutralisierenden Einstellungen auf kriminelles Handeln sind im erweiterten Modell allerdings vermindert. Zusammen mit der Beobachtung, dass kognitive Strategien der Rechtfertigung vor allem mit dem subjektiv erwarteten Nutzen von sozialer Anerkennung, aber auch mit dem subjektiv erwarteten Nutzen von materieller Bereicherung und dem subjektiv erwarteten Schaden durch ein schlechtes Gewissen variieren, deutet dies darauf hin, dass Einflüsse von neutralisierenden Einstellungen auf kriminelles Handeln teilweise über die genannten Nutzens- bzw. Schadenskomponenten vermittelt sind: Akteure, die ihre Verantwortung für kriminelles Handeln leugnen, rechnen eher mit Vorteilen in Form von sozialer Anerkennung (Situation 1: r=.363, Situation 2: r=.394), erwarten eher Vorteile in Form einer materiellen Bereicherung (Situation 1: r=.202, Situation 2: r=.238) und gehen eher nicht davon aus, wegen einer Entscheidung für kriminelles Handeln ein schlechtes Gewissen zu
164
3. Empirische Untersuchung
haben (Situation 1: r=-.258, Situation 2: r=-.259, vgl. Tab. A-3 und Tab. A-4 im Anhang). Für die beiden anderen kognitiven Strategien der Rechtfertigung zeigen sich übereinstimmende Beziehungsmuster (vgl. Tab. A-3 und Tab. A-4 im Anhang). Die These, dass neutralisierende Einstellungen indirekt über die Reduktion des subjektiv erwarteten Schadens durch ein schlechtes Gewissen auf kriminelles Handeln wirken, findet im vorliegenden Zusammenhang also Unterstützung (Hypothese 3.2.1.3); hypothesenkonträr zeigt sich aber, dass alle kognitiven Strategien der Rechtfertigung stärker als über interne negative Sanktionen über die antizipierten informellen positiven Sanktionen zu kriminellem Handeln führen. Betrachtet man die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten in Tabelle 3-63, so zeigt sich für die Situation der Fundunterschlagung, dass das hier geschätzte Modell dem Modell, das nur die Einflüsse von neutralisierenden Einstellungen umfasst, überlegen ist (vgl. Tab. 3-37), jedoch nur wenig besser als das Modell ist, das allein Aspekte des subjektiv erwarteten Nutzens kriminellen Handelns als Prädiktoren umfasst (vgl. Tab. 3-41). Für die Situation des Wechselgeldirrtums ist das Mediatormodell (vgl. Tab. 3-63) im Vergleich zu den im Rahmen der ersten und zweiten Untersuchungshypothese berichteten Modellen überlegen (vgl. Tab. 3-37 und Tab. 3-42) und erzielt die höchste Übereinstimmung zwischen Modell und Daten (Situation 1: BIC’=576.228, Situation 2: BIC’=-903.452). Die in Tabelle 3-64 dargestellten Ergebnisse weisen darauf hin, dass Modelle, die neben Merkmalen des sozialen Status auch Aspekte des subjektiv erwarteten Nutzens von kriminellem Handeln umfassen, in beiden Situationen bessere Erklärungsleistungen erzielen als einfache Modelle, die nur Merkmale des sozialen Status als Prädiktoren spezifizieren (Situation 1: Ȥ2diff=358.416, Ȥ2krit=11.07, df=5; Situation 2: Ȥ2diff=387.662, Ȥ2krit=11.07, df=5). Tabelle 3-64 ist außerdem zu entnehmen, dass die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins und die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums im erweiterten Modell indirekt vom Ausmaß der wirtschaftlichen Unzufriedenheit abhängen. Im Unterschied zum einfachen Modell ist im erweiterten Modell der Einfluss der wirtschaftlichen Zufriedenheit nicht mehr statistisch bedeutsam, und das Ausmaß der wirtschaftlichen Zufriedenheit korreliert in hypothesenkonformer Weise mit Aspekten des subjektiv erwarteten Nutzens von kriminellem Handeln: Je unzufriedener Akteure mit ihrer wirtschaftlichen Lage sind, desto eher erwarten sie in beiden Situationen vor allem Vorteile aufgrund einer materiellen Bereicherung (Situation 1: r=.346, Situation 2: r=.310, vgl. Tab. A-3 und Tab. A-4 im Anhang) und desto eher handeln sie vermutlich angesichts der
3.2 Ergebnisse
165
dargebotenen Gelegenheiten kriminell (Situation 1: ȕ=.211, Situation 2: ȕ=.222; vgl. Tab. 3-64). Kriminelles Handeln kann darüber hinaus in der Situation der Fundunterschlagung sowohl direkt als auch indirekt auf das Ausmaß der schulischen Bildung zurückgeführt werden. In der Situation des Wechselgeldirrtums bestehen demgegenüber nur indirekte Einflüsse der schulischen Bildung auf die ungerechtfertigte Bereicherung. Für die Situation der Fundunterschlagung zeigt sich, dass sich die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln mit steigender schulischer Bildung verringert (ȕ=.134), wobei der Einfluss gegenüber dem einfachen Modell vermindert ist (vgl. Tab. 3-64). Allerdings zeigen sich die erwarteten Einflüsse der schulischen Bildung auf Aspekte des subjektiv erwarteten Nutzens nicht. Vielmehr korreliert die schulische Bildung mit dem subjektiv erwarteten Schaden einer Entdeckung durch das Opfer: Je niedriger die schulische Bildung ist, desto höher scheint der Nachteil zu sein, wenn das Opfer der Fundunterschlagung den Vorfall bemerkt und den Akteur zur Rede stellt (r=.115, vgl. Tab. A-3 im Anhang). In der Situation des Wechselgeldirrtums ist der Einfluss der schulischen Bildung ebenfalls vermittelt, allerdings auch hier nicht über die theoretisch erwarteten Aspekte des subjektiv erwarteten Nutzens: Es zeigt sich vielmehr, dass eine geringere schulische Bildung mit der Erwartung stärkerer Nachteile aufgrund einer formellen Bestrafung einhergeht (r=.135, vgl. Tab. A-4 im Anhang), die ihrerseits in der Situation des Wechselgeldirrtums das Unbehagen vor einer Entdeckung des Vorfalls durch das Opfer zu erhöhen und die Wahrscheinlichkeit für eine ungerechtfertigte Bereicherung zu mindern scheinen (vgl. Tab. 3-42 und Fußnote 24). Die in Hypothese 3.2.1.4 formulierte Annahme, dass Einflüsse des sozialen Status vor allem über den subjektiv erwarteten Nutzen einer materiellen Bereicherung vermittelt sind, erfährt also für das Merkmal der wirtschaftlichen Zufriedenheit im vorliegenden Zusammenhang eindeutig empirische Unterstützung. Die darüber hinaus im Rahmen von Hypothese 3.2.1.4 erwarteten Einflüsse von Merkmalen des sozialen Status auf den subjektiv erwarteten Nutzen von sozialer Anerkennung oder den subjektiv erwarteten Schaden durch ein schlechtes Gewissen finden sich in dieser Studie jedoch nicht. Insgesamt weisen die hier geschätzten Modelle zwar eine höhere Übereinstimmung zwischen Modell und Daten auf (Situation 1: BIC’=-489.388, Situation 2: BIC’=-752.863) als die im Rahmen der ersten Untersuchungshypothese berichteten Modelle (vgl. Tab. 3-38), sie sind aber deutlich weniger geeignet zur Erklärung kriminellen Handelns als die im Rahmen der zweiten Untersuchungshypothese geschätzten Modelle, die ausschließlich Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens von kriminellem Handeln spezifizieren (vgl. Tab. 3-41 und Tab. 3-42).
166
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-61: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und positive Einstellungen Situation 1 (n = 1884)
Situation 2 (n = 1890)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.031* (.006)
-.017* (.008)
-.054* (.006)
-.024* (.007)
Geschlecht
-.363* (.152)
-.105 (.193)
-.126 (.138)
.178 (.176)
Erfahrung
1.446* (.165)
1.012* (.197)
2.023* (.157)
1.660* (.189)
Differentielle Assoziationen
.231 (.196)
-.028 (.241)
-.008 (.168)
-.069 (.207)
Definitionen
.491* (.078)
.261* (.097)
.399* (.070)
.233* (.089)
soziale Anerkennung
.801* (.081)
.882* (.082)
materielle Bereicherung
.163* (.068)
.228* (.072)
schlechtes Gewissen
-.538* (.061)
-.544* (.064)
Entdeckung Opfer
-.220* (.093)
-.335* (.087)
Strafverfahren
-.116 (.080)
.047 (.083)
Konstante
-2.990* (.273)
-2.234* (.392)
-2.215* (.237)
-2.002* (.378)
McFadden’s R2
.193
.446
.270
.494
Log Likelihood
-581.525
-399.497
-672.940
-466.886
BIC’
-240.174
-566.524
-459.820
-834.206
167
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-62: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und negative Einstellungen Situation 1 (n = 1903)
Situation 2 (n = 1915)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.032* (.006)
-.017* (.008)
-.055* (.006)
-.024* (.007)
Geschlecht
-.406* (.151)
-.146 (.192)
-.186 (.137)
.110 (.174)
Erfahrung
1.517* (.163)
1.003* (.194)
2.105* (.156)
1.742* (.187)
Attachment
.175+ (.093)
.067 (.114)
.131 (.088)
.102 (.108)
Commitment
.228* (.079)
.023 (.097)
.140* (.069)
-.011 (.088)
Belief
.332* (.071)
.218* (.087)
.219* (.066)
.113 (.084)
soziale Anerkennung
.804* (.080)
.890* (.082)
materielle Bereicherung
.182* (.067)
.229* (.071)
schlechtes Gewissen
-.550* (.061)
-.538* (.064)
Entdeckung Opfer
-.206* (.093)
-.326* (.088)
Strafverfahren
-.108 (.081)
.033 (.084)
Konstante
-3.109* (.195)
-2.181* (.453)
-2.275* (.277)
-1.883* (.429)
McFadden’s R2
.181
.442
.261
.488
Log Likelihood
-593.476
-404.894
-683.255
-473.102
BIC’
-217.700
-557.109
-436.233
-818.753
168
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-63: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und neutralisierende Einstellungen Situation 1 (n = 1870)
Situation 2 (n = 1897)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.033* (.006)
-.020* (.008)
-.044* (.007)
-.020* (.008)
Geschlecht
-.340* (.163)
-.176 (.197)
-.265+ (.158)
.084 (.185)
Erfahrung
1.184* (.177)
.882* (.204)
1.728* (.174)
1.440* (.198)
Leugnung Verantwortung
.860* (.213)
.511* (.243)
1.006* (.185)
.840* (.215)
Leugnung Schaden
.691* (.187)
.388+ (.217)
.846* (.177)
.593* (.207)
Leugnung Opfer
1.380* (.174)
.908* (.206)
1.873* (.208)
1.323* (.244)
soziale Anerkennung
.700* (.083)
.727* (.087)
materielle Bereicherung
.156* (.069)
.181* (.076)
schlechtes Gewissen
-.458* (.063)
-.479* (.067)
Entdeckung Opfer
-.216* (.095)
-.368* (.095)
Strafverfahren
-.133 (.082)
-.060 (.091)
Konstante
-2.919* (.249)
-2.342* (.371)
-1.873* (.208)
-1.874* (.369)
McFadden’s R2
.284
.464
.403
.540
Log Likelihood
-508.883
-381.309
-544.833
-419.730
BIC’
-358.750
-576.228
-690.986
-903.452
169
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-64: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und den sozialen Status Situation 1 (n = 1725)
Situation 2 (n = 1732)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.043* (.007)
-.026* (.008)
-.061* (.006)
-.029* (.008)
Geschlecht
-.556* (.157)
-.335+ (.199)
-.283* (.144)
.088 (.183)
Erfahrung
1.483* (.168)
1.024* (.203)
2.217* (.165)
1.738* (.197)
Einkommen
-.039 (.073)
.114 (.090)
-.004 (.067)
.012 (.084)
wirtschaftliche Zufriedenheit
.176* (.083)
.157 (.112)
.280* (.077)
.079 (.105)
schulische Bildung
.196* (.052)
.134* (.065)
.162* (.048)
.089 (.061)
soziale Anerkennung
.781* (.082)
.912* (.087)
materielle Bereicherung
.211* (.074)
.222* (.079)
schlechtes Gewissen
-.544* (.063)
-.541* (.066)
Entdeckung Opfer
-.203* (.095)
-.327* (.091)
Strafverfahren
-.170* (.083)
-.012 (.087)
Konstante
-2.202* (.256)
-1.622+ (.865)
-2.024* (.246)
-1.758* (.383)
McFadden’s R2
.162
.434
.264
.493
Log Likelihood
-551.914
-372.706
-622.742
-428.911
BIC’
-168.237
-489.388
-402.487
-752.863
170
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-65: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und soziale Beziehungen Situation 1 (n = 1773)
Situation 2 (n = 1777)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.038* (.007)
-.021* (.008)
-.056* (.006)
-.022* (.008)
Geschlecht
-.446* (.159)
-.154 (.203)
-.215 (.142)
-.194 (.182)
Erfahrung
1.532* (.168)
1.000* (.202)
2.143* (.159)
1.720* (.191)
Partnerschaft
-.031 (.179)
-.025 (.227)
-.128 (.164)
.026 (.207)
Verein
.172+ (.090)
.026 (.110)
.128+ (.079)
-.018 (.098)
Kirche
.393* (.077)
.182+ (.098)
.295* (.068)
.111 (.086)
soziale Anerkennung
.795* (.082)
.905* (.085)
materielle Bereicherung
.195* (.069)
.272* (.073)
schlechtes Gewissen
-.592* (.064)
-.559* (.065)
Entdeckung Opfer
-.166+ (.095)
-.344* (.089)
Strafverfahren
-.113 (.084)
.036 (.084)
Konstante
-2.855* (.340)
-1.992* (.473)
-2.197* (.301)
-1.805* (.449)
McFadden’s R2
.176
.450
.254
.491
Log Likelihood
-555.822
-371.286
-655.032
-446.390
BIC’
-192.577
-524.248
-399.930
-779.802
171
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-66: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und Handlungskontrolle Situation 1 (n = 1854)
Situation 2 (n = 1859)
ȕ
ȕ
ȕ
ȕ
Alter
-.038* (.006)
-.022* (.008)
-.055* (.006)
-.026* (.007)
Geschlecht
-.308* (.157)
-.179 (.194)
-.054 (.143)
.181 (.179)
Erfahrung
1.547* (.165)
1.035* (.195)
2.168* (.160)
1.768* (.189)
Impulsivity
.128* (.043)
.010 (.052)
.069+ (.041)
.001 (.051)
Simple Tasks
.072+ (.038)
.076 (.048)
.039 (.035)
.011 (.044)
Self-Centered
.278* (.043)
.108* (.054)
.228* (.040)
.104* (.051)
soziale Anerkennung
.811* (.080)
.889* (.082)
materielle Bereicherung
.198* (.068)
.218* (.073)
schlechtes Gewissen
-.519* (.064)
-.523* (.066)
Entdeckung Opfer
-.208* (.094)
-.324* (.088)
Strafverfahren
-.149+ (.080)
.012 (.084)
Konstante
-4.187* (.438)
-2.636* (.587)
-3.158* (.396)
-2.167* (.554)
McFadden’s R2
.195
.441
.271
.490
Log Likelihood
-569.221
-395.084
-657.642
-459.910
BIC’
-229.923
-540.571
-443.811
-801.638
172
3. Empirische Untersuchung
Die zusätzliche Berücksichtigung von Aspekten des subjektiv erwarteten Nutzens in Modellen, die Einflüsse der Einbindung in konventionelle Beziehungen auf kriminelles Handeln spezifizieren, führt – wie aus Tabelle 3-65 hervorgeht – zu signifikanten Modellverbesserungen (Situation 1: Ȥ2diff=369.072, Ȥ2krit=11.07, df=5; Situation 2: Ȥ2diff=417.284, Ȥ2krit=11.07, df=5). Für beide Situationen zeigt sich, dass der Einfluss der Einbindung in kirchliche Aktivitäten auf kriminelles Handeln im erweiterten Modell nicht mehr statistisch bedeutsam ist. Eine Betrachtung der bivariaten Korrelationen deutet darauf hin, dass dieser Einfluss über den subjektiv erwarteten Nutzen von sozialer Anerkennung vermittelt ist: Je geringer das Engagement im religiösen Bereich ausgeprägt ist, desto stärker rechnen Akteure offenbar damit, dass kriminelles Handeln in ihrem sozialen Umfeld gebilligt wird (Situation 1: r=.237, Situation 2: r=.190; vgl. Tab. A-3 und Tab. A-4 im Anhang). Diese Erwartung wiederum befördert die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins (ȕ=.795) oder die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums (ȕ=.905, vgl. Tab. 3-65). Der Einfluss kirchlicher Aktivitäten wird außerdem durch den subjektiv erwarteten Schaden durch ein schlechtes Gewissen aufgeklärt: Je weniger sich Akteure im Kontext einer Glaubensgemeinschaft engagieren, desto weniger rechnen sie damit, im Anschluss an kriminelles Handeln durch ein schlechtes Gewissen geplagt zu werden (Situation 1: r=-.166, Situation 2: r=-.185; vgl. Tab. A-3 und Tab. A-4 im Anhang), was wiederum die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins (ȕ=-.592) oder die Nichtaufklärung eines Wechselgeldirrtums begünstigt (ȕ=-.559, vgl. Tab. 3-65). Hypothese 3.2.1.5, wonach der Einfluss der Einbindung in konventionelle Beziehungen über den subjektiv erwarteten Nutzen durch informelle Sanktionen und den subjektiv erwarteten Schaden durch interne Sanktionen vermittelt ist, findet also prinzipiell empirische Unterstützung; der ebenfalls erwartete intervenierende Effekt des subjektiv erwarteten Schadens durch informelle negative Sanktionen zeigt sich im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht. Im Hinblick auf die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten zeigen die Tabellen 3-39 und 3-65, dass die zusätzliche Berücksichtigung des subjektiv erwarteten Nutzens zwar für die Analyse der Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins als vorteilhaft betrachtet werden kann (Situation 1: BIC’=-524.248, Situation 2: BIC’=-779.802), dass aber keines der Modelle im Vergleich zu Modellen, die ausschließlich Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens auf kriminelles Handeln spezifizieren, als überlegen erscheint (vgl. Tab. 3-41 und Tab. 3-42).
3.2 Ergebnisse
173
Tabelle 3-66 stellt die Ergebnisse der Analyse für Modelle dar, die zusätzlich zu Einflüssen von Handlungskontrolle Aspekte des subjektiv erwarteten Nutzens von kriminellem Handeln als Prädiktoren spezifizieren. Es zeigt sich, dass die Erweiterung der einfachen Modelle zu statistisch bedeutsamen Modellverbesserungen führt (Situation 1: Ȥ2diff=348.274, Ȥ2krit=11.07, df=5; Situation 2: Ȥ2diff=395.464, Ȥ2krit=11.07, df=5). Aus Tabelle 3-66 geht hervor, dass der Einfluss der Impulsivität nur in der Situation der Fundunterschlagung über den subjektiv erwarteten Nutzen kriminellen Handelns vermittelt ist: Je stärker die Neigung zu unüberlegtem Handeln ist, desto eher erwarten Akteure Vorteile aufgrund von sozialer Anerkennung (r=.140) und aufgrund von materieller Bereicherung (r=.101, vgl. Tab. A-3 im Anhang). Tabelle 3-66 ist außerdem zu entnehmen, dass die Beziehung zwischen Selbstzentriertheit und kriminellem Handeln in beiden Situationen sowohl direkt als auch indirekt ist: Je stärker Akteure gewohnheitsmäßig eigene Interessen in den Vordergrund stellen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie angesichts der dargebotenen Gelegenheiten kriminell handeln (Situation 1: ȕ=.108, Situation 2: ȕ=.104). Diese Haupteffekte sind im Vergleich zum einfachen Modell vermindert. Je stärker die Selbstzentriertheit von Akteuren ist, desto weniger rechnen sie damit, wegen kriminellen Handelns ein schlechtes Gewissen haben zu müssen (Situation 1: r=-.325, Situation 2: r=-.292), und desto eher würden sie vermutlich angesichts der dargebotenen Gelegenheiten kriminell handeln (Situation 1: ȕ=-.519, Situation 2: ȕ=-.523; vgl. Tab. 3-66). Je stärker Akteure sich an eigenen Interessen orientieren, desto eher erwarten sie außerdem Vorteile durch soziale Anerkennung (Situation 1: r=.198, Situation 2: r=.158; vgl. Tab. A-3 und Tab. A-4 im Anhang), und desto wahrscheinlicher wäre kriminelles Handeln (Situation 1: ȕ=.811, Situation 2: ȕ=.889; vgl. Tab. 3-66). Empirische Unterstützung für die Annahme, dass Einflüsse von Handlungskontrolle über Wert-Erwartungs-Überlegungen vermittelt sind (Hypothese 3.2.1.6), findet sich also bedingt: Es zeigt sich, dass die Selbstzentriertheit von Akteuren hypothesenkonform das schlechte Gewissen im Anschluss an kriminelles Handeln untergräbt und die Erwartung von Vorteilen durch soziale Anerkennung befördert, nicht aber das Interesse an materieller Bereicherung stärkt. Betrachtet man die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten, so zeigen die Tabellen 3-40 und 3-66, dass die Erweiterung der einfachen Modelle um Aspekte des subjektiv erwarteten Nutzens als vorteilhaft zu bewerten ist (Situation 1: BIC’=-540.571, Situation 2: BIC’=-801.638), dass aber dennoch die Modelle, die Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens auf kriminelles Handeln spezifizieren, geringfügig überlegen sind (vgl. Tab. 3-41 und Tab. 3-42).
174
3. Empirische Untersuchung
Im Rahmen von Hypothese 3.2.2 wurde die Annahme formuliert, dass Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens auf kriminelles Handeln mit positiven Einstellungen (Hypothese 3.2.2.1), negativen Einstellungen (Hypothese 3.2.2.2), neutralisierenden Einstellungen (Hypothese 3.2.2.3), sozialem Status (Hypothese 3.2.2.4), sozialen Beziehungen (Hypothese 3.2.2.5) und Handlungskontrolle (Hypothese 3.2.2.6) variieren. Um dieser Annahme nachzugehen, wurden Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens auf kriminelles Handeln in Subgruppen der Stichprobe, die anhand der Merkmale Definitionen, Rechtsbewusstsein, Leugnung der Verantwortung, schulische Bildung, Aktivität in kirchlichen Zusammenhängen und Selbstzentriertheit gebildet wurden, bestimmt und anhand von z-Tests der Regressionskoeffizienten verglichen. Die Ergebnisse dieser Analysen sind in den Tabellen 3-67 bis 3-78 dargestellt. Hypothese 3.2.2.1 beinhaltete die Annahme, dass Einflüsse des Nutzens von sozialer Anerkennung und Einflüsse des Schadens einer Entdeckung durch das Opfer stärker ausgeprägt sind, wenn Akteure in geringem Maße über positive Einstellungen zu kriminellem Handeln verfügen. Tabelle 3-67 zeigt, dass in der Situation der Fundunterschlagung hypothesenkonform Einflüsse des Schadens einer Entdeckung durch das Opfer in der Gruppe der Akteure besteht, deren positive Einstellung zu kriminellem Handeln gering ausgeprägt ist (ȕ=-.322). Auch der Einfluss des Nutzens einer materiellen Bereicherung ist nur in der Gruppe der Akteure, die keine eindeutig positive Einstellung zu kriminellem Handeln haben, vorhanden (ȕ=.337, vgl. Tab. 3-67). Es zeigt sich außerdem, dass ein Einfluss des Schadens durch eine formelle Bestrafung nur besteht, wenn Akteure eine eindeutig positive Einstellung zu kriminellem Handeln hegen (ȕ=-.217, vgl. Tab. 3-67). In der Situation des Wechselgeldirrtums sind Einflüsse von Wert-Erwartungs-Überlegungen auf kriminelles Handeln unabhängig von positiven Einstellungen zu kriminellem Handeln. In beiden Gruppen bestehen gleichermaßen Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens von informellen Sanktionen (ȕ=.875, ȕ=.899; z=.14) und des subjektiv erwarteten Schadens einer Entdeckung durch das Opfer (ȕ=-.388, ȕ=-.340; z=.26) auf kriminelles Handeln (vgl. Tab. 3-68). Die Ergebnisse unterstützen die in Hypothese 3.2.2.1 formulierte Annahme also nur für die Situation der Fundunterschlagung. Gegenstand von Hypothese 3.2.2.2 war die Annahme, dass Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens von materieller Bereicherung und von informellen Sanktionen sowie Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens durch interne Sanktionen vor allem in der Gruppe der Befragten bestehen, deren negative
3.2 Ergebnisse
175
Einstellungen zu kriminellem Handeln gering sind. Die Ergebnisse der Regressionsanalysen weisen darauf hin, dass Einflüsse des Nutzens von sozialer Anerkennung und Einflüsse des Schadens durch ein schlechtes Gewissen hypothesenkonträr unabhängig von der Ausprägung des Rechtsbewusstseins bestehen: In beiden Situationen ist kriminelles Handeln unabhängig von negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln wahrscheinlicher, je höher der subjektiv erwartete Nutzen von sozialer Anerkennung ist (Situation 1: ȕ=1.152, ȕ=.773; z=1.39; Situation 2: ȕ=.836, ȕ=.927; z=.43) und je geringer der subjektiv erwartete Schaden durch ein schlechtes Gewissen ist (Situation 1: ȕ=-.424, ȕ=-.579; z=.78; Situation 2: ȕ=-.345, ȕ=-.595; z=1.50). Im Einklang mit Hypothese 3.2.2.2 steht demgegenüber die Beobachtung, dass Einflüsse des Nutzens von materieller Bereicherung nur in der Gruppe der Befragten bestehen, deren Überzeugung, Gesetze befolgen zu müssen, gering ausgeprägt ist (Situation 1: ȕ=.206, vgl. Tab. 3-69; Situation 2: ȕ=.302, vgl. Tab. 3-70). Im Rahmen von Hypothese 3.2.2.3 wurde angenommen, dass Einflüsse des Nutzens einer materiellen Bereicherung und Einflüsse des Schadens durch ein schlechtes Gewissen nur in der Gruppe der Befragten bestehen, die nicht über kognitive Strategien der Rechtfertigung verfügen. Für die Situation der Fundunterschlagung zeigt sich hypothesenkonform, dass der Einfluss des Schadens durch ein schlechtes Gewissen vor allem dann die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins erklärt, wenn Akteure keine Möglichkeit haben, ihre Verantwortung zu leugnen (ȕ=-.869, ȕ=-.393; z=3.08; vgl. Tab. 3-71). In der Situation des Wechselgeldirrtums erweist sich demgegenüber der Einfluss des schlechten Gewissens auf die ungerechtfertigte Bereicherung als unabhängig von neutralisierenden Einstellungen (ȕ=-.567, ȕ=-.462; z=.76; vgl. Tab. 3-72). Hypothesenkonträr ist die Beobachtung, dass in beiden Situationen Einflüsse des Nutzens einer materiellen Bereicherung auf kriminelles Handeln nur dann bestehen, wenn Akteure kriminelles Handeln durch Leugnen ihrer Verantwortung neutralisieren können (Situation 1: ȕ=.177, vgl. Tab. 3-71; Situation 2: ȕ=.279, vgl.Tab. 3-72). Insgesamt zeigen sich eher hypothesenkonträre Befunde als Ergebnisse, die Hypothese 3.2.2.3 stützen würden. Hypothese 3.2.2.4 umfasste die Annahme, dass Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens von materieller Bereicherung und von sozialer Anerkennung sowie Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens durch interne und informelle Sanktionen in der Gruppe der Befragten, deren sozialer Status niedrig ist, stärker sind. Aus den Tabellen 3-73 und 3-74 geht hervor, dass Einflüsse des subjektiv
176
3. Empirische Untersuchung
erwarteten Nutzens von sozialer Anerkennung entgegen der Annahme unabhängig von der schulischen Bildung der Befragten sind (Situation 1: ȕ=.951, ȕ=.709; z=1.48; Situation 2: ȕ=.952, ȕ=.777; z=1.07). Hypothesenkonform ist jedoch die Beobachtung, dass der Nutzen einer materiellen Bereicherung in beiden Situationen nur in der Gruppe der Befragten mit niedriger schulischer Bildung besteht (Situation 1: ȕ=.279, vgl. Tab. 3-73; Situation 2: ȕ=.340, vgl. Tab. 3-74). Demgegenüber widerspricht der Befund, dass Einflüsse des Schadens durch interne Sanktionen in beiden Situationen unabhängig vom Ausmaß der schulischen Bildung bestehen, der in Hypothese 3.2.2.4 formulierten Annahme (Situation 1: ȕ=-.521, ȕ=-.588; z=.53; Situation 2: ȕ=-.601, ȕ=-.509; z=.72). Hypothesenkonform zeigt sich jedoch in der Situation der Fundunterschlagung, dass der Einfluss des subjektiv erwarteten Schadens einer Entdeckung durch das Opfer nur in der Gruppe der Befragten mit niedriger schulischer Bildung statistisch bedeutsam ist (ȕ=-.268, vgl. Tab. 3-73). In der Situation des Wechselgeldirrtums ist der Einfluss des Schadens durch informelle Sanktionen bildungsunabhängig (ȕ=-.341, ȕ=-.324; z=.10; vgl. Tab. 3-74). Insgesamt sprechen die Ergebnisse eher gegen Hypothese 3.2.2.4, auch wenn sich für die Situation der Fundunterschlagung neben zwei hypothesenkonträren auch zwei hypothesenkonforme Befunde ergeben haben. Die Annahme, dass Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens von informellen Sanktionen und Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens durch interne und informelle Sanktionen in der Gruppe der Befragten, die nicht in konventionelle soziale Beziehungen eingebunden sind, stärker sind, wurde im Rahmen von Hypothese 3.2.2.5 formuliert. Aus den Tabellen 3-75 und 3-76 geht hervor, dass Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens von sozialer Anerkennung in beiden Situationen unabhängig vom Ausmaß des Engagements in kirchlichen Zusammenhängen sind (Situation 1: ȕ=.867, ȕ=.724; z=.87; Situation 2: ȕ=.964, ȕ=.883; z=.45). Für die Situation der Fundunterschlagung wird deutlich, dass die Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens durch ein schlechtes Gewissen tendenziell stärker sind, wenn Befragte sich in nur geringem Maße an religiösen Aktivitäten beteiligen (ȕ=-.478, ȕ=-.696; z=1.66; vgl. Tab. 3-75). Ein solcher hypothesenkonformer Befund ergibt sich für die Situation des Wechselgeldirrtums nicht: Dort zeigt sich, dass der Einfluss des subjektiv erwarteten Schadens durch ein schlechtes Gewissen unabhängig vom Ausmaß der Beteiligung an kirchlichen Aktivitäten ist (ȕ=-.522, ȕ=-.741; z=1.51; vgl. Tab. 3-76). Außerdem ist den Tabellen 3-75 und 3-76 zu entnehmen, dass Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens durch informelle Sanktionen in der Situation der Fundun-
3.2 Ergebnisse
177
terschlagung nicht und in der Situation des Wechselgeldirrtums unabhängig von der Einbindung in konventionelle soziale Beziehungen sind (ȕ=-.357, ȕ=-.328; z=.15). Ferner zeigt sich für beide Situationen, dass der Nutzen einer materiellen Bereicherung entgegen der Erwartung nur in der Gruppe der Befragten, die in starkem Maße in konventionelle Aktivitäten involviert sind, einen statistisch bedeutsamen Einfluss auf kriminelles Handeln hat (Situation 1: ȕ=.274, vgl. Tab. 3-75; Situation 2: ȕ=.373, vgl. Tab. 3-76). Gegenstand von Hypothese 3.2.2.6 war die Annahme, dass Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens von materieller Bereicherung und von informellen Sanktionen und Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens durch interne und informelle Sanktionen in der Gruppe der Befragten, deren Fähigkeit zur Handlungskontrolle gering ausgeprägt ist, stärker sind. Wie aus den Tabellen 3-77 und 3-78 hervorgeht, sind Einflüsse von erwarteten Vorteilen durch soziale Anerkennung in beiden Situationen unabhängig vom Ausmaß der Selbstzentriertheit (Situation 1: ȕ=.883, ȕ=.783; z=.61; Situation 2: ȕ=.946, ȕ=.827; z=.71). Während sich in der Situation der Fundunterschlagung zeigt, dass ein Einfluss des Nutzens von materieller Bereicherung nur in der Gruppe der Befragten besteht, deren Selbstzentriertheit niedrig ist (ȕ=.252, vgl. Tab. 3-77), ergibt sich für die Situation des Wechselgeldirrtums hypothesenkonform, dass der subjektiv erwartete Nutzen von materieller Bereicherung nur dann besteht, wenn die Selbstzentriertheit hoch ist (ȕ=.392, vgl. Tab. 3-78). Hypothesenkonform ist außerdem die Beobachtung, dass der subjektiv erwartete Schaden durch ein schlechtes Gewissen die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins stärker beeinflusst, wenn die Selbstzentriertheit hoch ist (ȕ=-.373, ȕ=-.706; z=2.52; vgl. Tab. 3-77). Demgegenüber ist die ungerechtfertigte Bereicherung unabhängig von der Selbstzentriertheit von den erwarteten Nachteilen durch ein schlechtes Gewissen abhängig (ȕ=-.473, ȕ=-.588; z=.85; vgl. Tab. 3-78). Aus Tabelle 3-77 geht schließlich hervor, dass die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins im Einklang mit Hypothese 3.2.2.6 nur bei starker Selbstzentriertheit auf den subjektiv erwarteten Schaden durch informelle Sanktionen zurückgeführt werden kann (ȕ=-.357). In der Situation des Wechselgeldirrtums erweist sich der Einfluss erwarteter Nachteile aufgrund einer Entdeckung durch das Opfer als unabhängig von der Fähigkeit der Akteure zur Handlungskontrolle (ȕ=-.323, ȕ=-.368; z=.25; vgl. Tab. 3-78). Auch wenn sich für die Situation der Fundunterschlagung zwei Befunde ergeben, die der im Rahmen von Hypothese 3.2.2.6 formulierten Annahme entsprechen, so erweisen sich die Ergebnisse für beide Situationen insgesamt als überwiegend hypothesenkonträr.
178
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-67: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von positiven Einstellungen (Situation 1) Definitionen
Alter
nein
ja
ȕ
ȕ
z
4.33e-06 (.014)
-.025* (.009)
Geschlecht
.223 (.339)
-.299 (.237)
Erfahrung
.887* (.348)
1.159* (.244)
0.64
soziale Anerkennung
.912* (.142)
.795* (.098)
0.68
materielle Bereicherung
.337* (.122)
.106 (.081)
schlechtes Gewissen
-.419* (.102)
-.628* (.079)
Entdeckung Opfer
-.322* (.166)
-.193+ (.111)
Strafverfahren
.061 (.131)
-.217* (.101)
-3.339* (.675)
-1.028* (.405)
Konstante McFadden’s R2
.354
.439
Log Likelihood
-142.240
-257.301
BIC’
- 100.434
-347.561
1.62
179
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-68: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von positiven Einstellungen (Situation 2) Definitionen nein
ja
ȕ
ȕ
z
Alter
-.045* (.013)
-.011 (.009)
Geschlecht
.355 (.297)
.021 (.218)
Erfahrung
1.327* (.288)
1.920* (.245)
1.57
soziale Anerkennung
.875* (.132)
.899* (.105)
0.14
materielle Bereicherung
.274* (.117)
.219* (.091)
0.37
schlechtes Gewissen
-.552* (.099)
-.561* (.084)
0.07
Entdeckung Opfer
-.388* (.141)
-.340* (.114)
0.26
Strafverfahren
.046 (.128)
-.053 (.111)
-1.289* (.557)
- 1.731* (.421)
Konstante McFadden’s R2
.452
.469
Log Likelihood
-180.482
-290.221
BIC’
-242.379
-457.326
180
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-69: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von negativen Einstellungen (Situation 1) Belief hoch
niedrig
ȕ
ȕ
Alter
-.017 (.021)
-.018* (.008)
Geschlecht
.026 (.573)
-.224 (.203)
Erfahrung
1.325* (.593)
.989* (.207)
0.54
soziale Anerkennung
1.152* (.259)
.773* (.084)
1.39
materielle Bereicherung
.089 (.194)
.206* (.071)
schlechtes Gewissen
-.424* (.187)
-.579* (.065)
Entdeckung Opfer
-.284 (.269)
-.118+ (.101)
Strafverfahren
-.522+ (.301)
-.078 (.085)
-2.859* (1.134)
-1.530* (.359)
Konstante McFadden’s R2
.526
.419
Log Likelihood
-45.156
-358.179
BIC’
-51.840
-458.359
z
0.78
181
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-70: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von negativen Einstellungen (Situation 2) Belief hoch
niedrig
ȕ
ȕ
Alter
-.031+ (.018)
-.022* (.008)
Geschlecht
.549 (.520)
.063 (.187)
Erfahrung
2.179* (.526)
1.690* (.203)
0.87
soziale Anerkennung
.836* (.191)
.927* (.092)
0.43
materielle Bereicherung
-.270 (.210)
.302* (.077)
schlechtes Gewissen
-.345* (.151)
-.595* (.071)
Entdeckung Opfer
-.387+ (.212)
-.307* (.097)
Strafverfahren
-.119 (.101)
.061 (.095)
-2.081* (.849)
-1.607* (.374)
Konstante McFadden’s R2
.451
.488
Log Likelihood
-65.225
-399.912
BIC’
-58.822
-703.817
z
1.50
182
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-71: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von neutralisierenden Einstellungen (Situation 1) Leugnung Verantwortung nein
ja
ȕ
ȕ
z
Alter
-.031* (.015)
-.015+ (.009)
Geschlecht
-.630 (.429)
-.118 (.217)
Erfahrung
.905* (.402)
.797* (.230)
0.23
soziale Anerkennung
.871* (.178)
.732* (.091)
0.70
materielle Bereicherung
.200 (.147)
.177* (.076)
schlechtes Gewissen
-.869* (.138)
-.393* (.070)
Entdeckung Opfer
-.365 (.232)
-.182+ (.101)
Strafverfahren
-.036 (.160)
-.163+ (.093)
-1.202+ (.628)
- 1.450* (.410)
Konstante McFadden’s R2
.463
.336
Log Likelihood
-101.571
-289.456
BIC’
- 118.751
- 239.363
3.08
183
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-72: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von neutralisierenden Einstellungen (Situation 2) Leugnung Verantwortung nein
ja
ȕ
ȕ
Alter
-.026* (.009)
-.025+ (.013)
Geschlecht
.043 (.223)
.200 (.308)
Erfahrung
1.503* (.234)
1.648* (.332)
0.36
soziale Anerkennung
.840* (.110)
.702* (.134)
0.80
materielle Bereicherung
.161+ (.092)
.279* (.121)
schlechtes Gewissen
-.567* (.081)
-.462* (.112)
Entdeckung Opfer
-.471* (.122)
-.251+ (.146)
Strafverfahren
.033 (.116)
-.139 (.133)
-1.390* (.418)
-.560 (.623)
Konstante McFadden’s R2
.426
.418
Log Likelihood
-295.083
-146.338
BIC’
-378.698
-162.900
z
0.76
184
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-73: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 1) schulische Bildung hoch ȕ
niedrig ȕ
z
Alter
-.025+ (.014)
-.020* (.010)
Geschlecht
-.379 (.293)
-.190 (.259)
Erfahrung
.661* (.294)
1.381* (.267)
1.81
soziale Anerkennung
.951* (.126)
.709* (.105)
1.48
materielle Bereicherung
.134 (.101)
.279* (.095)
schlechtes Gewissen
-.521* (.094)
-.588* (.083)
Entdeckung Opfer
-.134 (.149)
-.268* (.119)
Strafverfahren
-.045 (.118)
-.200+ (.111)
-1.873* (.512)
-1.415* (.473)
Konstante McFadden’s R2
.402
.479
Log Likelihood
-178.182
-214.650
BIC’
-185.721
-339.452
0.53
185
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-74: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 2) schulische Bildung hoch
niedrig
ȕ
ȕ
z
Alter
-.025* (.012)
-.030* (.010)
0.32
Geschlecht
.196 (.247)
.026 (.248)
Erfahrung
1.732* (.284)
1.831* (.251)
0.26
soziale Anerkennung
.952* (.120)
.777* (.111)
1.07
materielle Bereicherung
.155 (.102)
.340* (.105)
schlechtes Gewissen
-.601* (.095)
-.509* (.086)
0.72
Entdeckung Opfer
-.341* (.133)
-.324* (.115)
0.10
Strafverfahren
.114 (.121)
-.056 (.114)
-1.671* (.523)
-1.302* (.448)
Konstante McFadden’s R2
.475
.501
Log Likelihood
-226.720
-241.522
BIC’
-356.674
-429.018
186
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-75: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 1) Aktivität Kirche hoch
niedrig
ȕ
ȕ
Alter
-.012 (.010)
-.030* (.013)
Geschlecht
-.251 (.246)
-.089 (.314)
Erfahrung
.963* (.250)
1.167* (.320)
0.50
soziale Anerkennung
.867* (.102)
.724* (.128)
0.87
materielle Bereicherung
.274* (.089)
.058 (.106)
schlechtes Gewissen
-.478* (.078)
-.696* (.106)
Entdeckung Opfer
-.229+ (.122)
-.167 (.147)
Strafverfahren
-.147 (.107)
-.100 (.125)
-2.143* (.448)
-.900+ (.542)
Konstante McFadden’s R2
.421
.452
Log Likelihood
-250.301
-146.134
BIC’
-305.960
-191.075
z
1.66
0.29
187
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-76: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 2) Aktivität Kirche hoch
niedrig
ȕ
ȕ
z
Alter
-.024* (.009)
-.031* (.014)
0.42
Geschlecht
-.029 (.218)
.459 (.317)
Erfahrung
1.400* (.226)
2.455* (.363)
2.47
soziale Anerkennung
.964* (.102)
.883* (.149)
0.45
materielle Bereicherung
.373* (.090)
.053 (.126)
schlechtes Gewissen
-.522* (.078)
-.741* (.122)
1.51
Entdeckung Opfer
-.357* (.109)
-.328* (.157)
0.15
Strafverfahren
.112 (.101)
-.167 (.157)
-1.727* ( .407)
-1.122+ (.635)
Konstante McFadden’s R2
.481
.544
Log Likelihood
-312.242
-138.003
BIC’
-521.827
-278.732
188
3. Empirische Untersuchung
Tabelle 3-77: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von Handlungskontrolle (Situation 1) Self-Centered niedrig
hoch
ȕ
ȕ
Alter
-.001 (.012)
-.035* (.010)
Geschlecht
-.042 (.276)
-.289 (.288)
Erfahrung
1.175* (.282)
1.070* (.280)
0.26
soziale Anerkennung
.883* (.108)
.783* (.123)
0.61
materielle Bereicherung
.252* (.090)
.170 (.108)
schlechtes Gewissen
-.373* (.084)
-.706* (.102)
Entdeckung Opfer
-.089 (.117)
-.357* (.152)
Strafverfahren
-.091 (.107)
-.208+ (.123)
-3.280* (.556)
-.594 (.465)
Konstante McFadden’s R2
.394
.469
Log Likelihood
-212.652
-179.117
BIC’
-219.488
-263.885
z
2.52
189
3.2 Ergebnisse Tabelle 3-78: Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von Handlungskontrolle (Situation 2) Self-Centered niedrig
hoch
ȕ
ȕ
z
Alter
-.029* (.010)
-.022* (.011)
0.47
Geschlecht
.194 (.233)
.208 (.277)
Erfahrung
1.535* (.247)
2.102* (.290)
1.49
soziale Anerkennung
.946* (.106)
.827* (.130)
0.71
materielle Bereicherung
.110 (.091)
.392* (.121)
schlechtes Gewissen
-.473* (.080)
-.588* (.109)
0.85
Entdeckung Opfer
-.323* (.115)
-.368* (.136)
0.25
Strafverfahren
-.008 (.104)
.073 (.138)
-1.672* ( .457)
-1.689* (.506)
Konstante McFadden’s R2
.445
.526
Log Likelihood
-280.690
-185.896
BIC’
-393.048
-360.379
190
3. Empirische Untersuchung
Betrachtet man die Analysen der Hypothesen 3.2.1.1 bis 3.2.1.6 zusammenfassend, so zeigt sich, dass indirekte Einflüsse von positiven Einstellungen auf kriminelles Handeln über die in Hypothese 3.2.1.1 spezifizierten Nutzenkomponenten bestehen. Anders als im Rahmen von Hypothese 3.2.1.2 angenommen, sind Einflüsse von negativen Einstellungen auf kriminelles Handeln vor allem über den subjektiv erwarteten Nutzen sozialer Anerkennung vermittelt. Zwar findet sich Unterstützung für die Annahme, dass neutralisierende Einstellungen den subjektiv erwarteten Nutzen einer materiellen Bereicherung steigern und das schlechte Gewissen im Anschluss an kriminelles Handeln untergraben, stärker als über den Schaden durch ein schlechtes Gewissen wirken neutralisierende Einstellungen entgegen der in Hypothese 3.2.1.3 formulierten Annahme aber über den subjektiv erwarteten Nutzen von sozialer Anerkennung. Darüber hinaus erfährt die in Hypothese 3.2.1.4 formulierte Annahme, dass Einflüsse des sozialen Status vor allem über den subjektiv erwarteten Nutzen einer materiellen Bereicherung vermittelt sind, für das Statusmerkmal der wirtschaftlichen Zufriedenheit eindeutige empirische Unterstützung. Die in Hypothese 3.2.1.4 außerdem erwarteten Einflüsse von Statusmerkmalen auf den subjektiv erwarteten Nutzen von sozialer Anerkennung oder den subjektiv erwarteten Schaden durch ein schlechtes Gewissen finden sich im vorliegenden Zusammenhang nicht. Auch die im Rahmen von Hypothese 3.2.1.5 erwarteten Einflüsse von sozialen Beziehungen finden sich nur teilweise: Der Einfluss der Einbindung in kirchliche Aktivitäten ist zwar besonders über den subjektiv erwarteten Nutzen von sozialer Anerkennung und weniger auch über den subjektiv erwarteten Schaden durch ein schlechtes Gewissen vermittelt, das Ausmaß der kirchlichen Aktivität beeinflusst jedoch nicht den subjektiv erwarteten Schaden, der aus einer Entdeckung durch das Opfer resultiert. Für die in Hypothese 3.2.1.6 formulierte Annahme, wonach eine niedrige Handlungskontrolle vor allem das schlechte Gewissen mindert und die Erwartung von Vorteilen durch soziale Anerkennung befördert, findet sich in dieser Studie Unterstützung. Handlungskontrolle wirkt allerdings entgegen der Annahme nicht über eine Stärkung des Interesses an einer materiellen Bereicherung. Auffällig ist insgesamt die Relevanz der Nutzenkomponente der sozialen Anerkennung für kriminelles Handeln, die insbesondere auch als intervenierende Variable in der Beziehung zwischen negativen und neutralisierenden Einstellungen zu kriminellem Handeln auftritt. Es zeigt sich allerdings auch, dass manche Einstellungskomponenten, nämlich insbesondere die Billigung von Gesetzesübertretungen (Definitionen), das Rechtsbewusstsein (Belief) und die Selbstzentriertheit (Self-Centered) direkte Einflüsse auf kriminelles Handeln haben. Betrachtet man außerdem die Analysen der
3.2 Ergebnisse
191
Hypothesen 3.2.2.1 bis 3.2.2.6 insgesamt, so zeigen sich zwar hypothesenkonforme Ergebnisse, allerdings überwiegen Ergebnisse, die dafür sprechen, dass Einflüsse von Wert-Erwartungs-Überlegungen auf kriminelles Handeln von Merkmalen der sozialen Situation unabhängig sind. Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens von sozialer Anerkennung erweisen sich in beiden Situationen als unabhängig von den untersuchten Merkmalen der sozialen Situation. Für Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens durch ein schlechtes Gewissen zeigt sich, dass sie unabhängig von positiven und negativen Einstellungen zu kriminellem Handeln und vom sozialen Status sind. Hypothesenkonform zeigt sich insbesondere für die Situation der Fundunterschlagung, dass der subjektiv erwartete Schaden durch ein schlechtes Gewissen einen stärkeren Einfluss auf kriminelles Handeln hat, wenn neutralisierende Einstellungen keine Leugnung der Verantwortung ermöglichen (Hypothese 3.2.2.3), wenn sie nur wenig in konventionelle soziale Beziehungen eingebunden sind (Hypothese 3.2.2.5) und wenn sie in starkem Maße selbstzentriert sind (Hypothese 3.2.2.6). Auch Einflüsse des subjektiv erwarteten Nutzens von materieller Bereicherung erweisen sich teilweise als theoriekonform und teilweise als theoriekonträr: Der subjektiv erwartete Nutzen von materieller Bereicherung hat einen stärkeren Einfluss auf kriminelles Handeln, wenn positive und negative Einstellungen zu kriminellem Handeln gering ausgeprägt sind (Hypothese 3.2.2.1 und Hypothese 3.2.2.2) und wenn der soziale Status niedrig ist (Hypothese 3.2.2.4); demgegenüber hat der subjektiv erwartete Nutzen von materieller Bereicherung einen stärkeren Einfluss auf kriminelles Handeln, wenn Akteure über neutralisierende Einstellungen zu kriminellem Handeln verfügen (Hypothese 3.2.2.3) und wenn sie in starkem Maße in konventionelle soziale Beziehungen eingebunden sind (Hypothese 3.2.2.5). Auch für Einflüsse des subjektiv erwarteten Schadens einer Entdeckung durch das Opfer zeigen sich sowohl theoriekonforme als auch theoriekonträre Ergebnisse: Für die Situation der Fundunterschlagung ist der Einfluss informeller negativer Sanktionen stärker, wenn positive Einstellungen zu kriminellem Handeln gering ausgeprägt sind (Hypothese 3.2.2.1), wenn der soziale Status niedrig ist (Hypothese 3.2.2.4) und wenn die Selbstzentriertheit hoch ist (Hypothese 3.2.2.6). Für die Situation des Wechselgeldirrtums ist der Einfluss informeller negativer Sanktionen stärker, wenn negative und neutralisierende Einstellungen zu kriminellem Handeln gering ausgeprägt sind (Hypothese 3.2.2.2 und Hypothese 3.2.2.3); er erweist sich demgegenüber als unabhängig von positiven Einstellungen zu kriminellem Handeln, vom sozialen Status und von der Handlungskontrolle. Zwar treten hypothesenkonforme Befunde angesichts der überwiegend theoriekonträren Ergebnisse eher in den Hintergrund, sie
192
3. Empirische Untersuchung
deuten aber möglicherweise an, dass ein reflektiert-kalkulierender Modus der Handlungs-Selektion eine stärkere Rolle spielen könnte, wenn die soziale Situation angesichts der dargebotenen Gelegenheiten keine eindeutigen Verhaltensmaßstäbe nahe legt. Die hier vorliegenden Befunde erlauben allerdings noch keine eindeutige Aussage; vielmehr verweisen sie auf die Notwendigkeit weiterer theoretischer und empirischer Analysen. Von allen im Rahmen der dritten Untersuchungshypothese analysierten Modellen sind die Modelle, die Einflüsse von Merkmalen der sozialen Situation auf kriminelles Handeln im Sinne eines reflektiert-kalkulierenden Modus der Handlungs-Selektion formulieren, den Daten besser angepasst als Modelle, die Einflüsse von Merkmalen der sozialen Situation auf kriminelles Handeln im Sinne eines automatisch-spontanen Modus der Handlungs-Selektion spezifizieren. Insbesondere zeigt sich, dass kriminelles Handeln angesichts der dargebotenen Gelegenheiten am besten mit einem Modell erklärt werden kann, das Einflüsse von neutralisierenden Einstellungen im Sinne eines reflektiert-kalkulierenden Modus der Handlungs-Selektion spezifiziert (Hypothese 3.2.1.3): Wenn Akteure die Möglichkeit haben, kriminelles Handeln durch kognitive Strategien der Rechtfertigung zu neutralisieren, sinkt der subjektiv erwartete Schaden durch ein schlechtes Gewissen; außerdem steigen der subjektiv erwartete Nutzen von sozialer Anerkennung und von materieller Bereicherung. Ein aufgrund von Neutralisierungstechniken erhöhter Nutzen bzw. reduzierter Schaden begünstigt wiederum die Entscheidung für die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins oder die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums.
3.3 Diskussion der Ergebnisse Im Hinblick auf den theoretischen Bezugsrahmen der Studie können die Ergebnisse der empirischen Untersuchung nunmehr abschließend interpretiert werden. Die Frage, ob kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten durch Merkmale der sozialen Situation oder durch dem Handeln vorausgehende Nutzenerwägungen erklärt werden kann, ob es mit anderen Worten also in einem automatisch-spontanen Modus oder einem reflektiert-kalkulierenden Modus selegiert wird, kann auf der Grundlage der vorliegenden Ergebnisse eindeutig beantwortet werden. Es zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln nur zu einem geringen Teil von der Bindung an Konventionen abhängt, die in
3.3 Diskussion der Ergebnisse
193
der vorliegenden Studie über die Proxy-Variablen Alter, Geschlecht und Erfahrung abgebildet wurde. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein gefundener Geldschein unterschlagen oder irrtümlich erhaltenes Wechselgeld behalten wird, sinkt mit steigendem Alter und steigt, wenn bereits eine Erfahrung mit kriminellem Handeln angesichts der dargebotenen Gelegenheiten gemacht wurde. Die Ergebnisse der Studie sprechen zwar grundsätzlich nicht gegen die Überlegung, dass kriminelles Handeln in einem automatisch-spontanen Modus selegiert wird, sie sprechen aber deutlicher für die Überlegung, dass kriminelles Handeln in einem reflektiert-kalkulierenden Modus prozessiert wird: So zeigen die Analysen, dass die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln in beiden Gelegenheiten weniger von der erlebten sozialen Benachteiligung und von der Einbindung in konventionelle soziale Beziehungen als vielmehr von sozialen Einstellungen abhängt. Die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins und die ungerechtfertigte Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums werden wahrscheinlicher, je mehr Akteure kriminelles Handeln für akzeptabel halten und je weniger sie meinen, Gesetze befolgen zu müssen. Die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Handeln steigt aber vor allem, wenn neutralisierende Einstellungen die Nutzung der Gelegenheiten nahe legen und wenn Akteure generell dazu neigen, ihre eigenen Interessen über die Interessen anderer zu stellen (vgl. Kap. 3.2.1). Höhere Erklärungsleistungen erzielen Modelle, die von der Annahme ausgehen, dass kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten in einem reflektiert-kalkulierenden Modus selegiert wird. Es zeigt sich, dass der subjektiv erwartete Nutzen von kriminellem Handeln die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, mit der ein gefundener Geldschein unterschlagen und irrtümlich erhaltenes Wechselgeld behalten werden (vgl. Kap. 3.2.2). Dabei wird insbesondere deutlich, dass kriminelles Handeln von nicht-instrumentellen Nutzenkomponenten abhängt: Je mehr Vorteile Akteure sich von sozialer Anerkennung für kriminelles Handeln versprechen und je weniger sie damit rechnen, ein schlechtes Gewissen infolge kriminellen Handelns zu bekommen, desto eher werden sie vermutlich angesichts der dargebotenen Gelegenheiten kriminell handeln. Dieser Befund entspricht einer Reihe von Studien, die auf die Relevanz ›weicher‹ Anreize in der Analyse kriminellen Handelns verwiesen haben (vgl. insbesondere Grasmick/Green 1980, Grasmick/Bursik 1990). Es zeigt sich außerdem, dass Einflüsse einer formellen Bestrafung auf kriminelles Handeln vermutlich über nicht-instrumentelle Nutzenkomponenten vermittelt sind. In der Situation der Fundunterschlagung stärkt der subjektiv erwartete Schaden durch eine Bestrafung den subjektiv erwarteten Schaden durch ein schlechtes Gewissen, welcher sodann die Unterschlagung eines gefundenen Geldscheins unwahrscheinlicher
194
3. Empirische Untersuchung
werden lässt. In der Situation des Wechselgeldirrtums stärkt demgegenüber der subjektiv erwartete Schaden durch eine Bestrafung den subjektiv erwarteten Schaden, der entsteht, wenn das Opfer den Vorfall bemerkt und zur Sprache bringt. Je unangenehmer eine solche informelle negative Sanktion ist, desto eher verhindert sie kriminelles Handeln. Diese Befunde decken sich mit der Beobachtung anderer Studien, wonach eine Abschreckung durch Strafe über informelle Sanktionen vermittelt auf kriminelles Handeln wirkt (vgl. z. B. Foglia 1997). Außerdem wurde in dieser Studie untersucht, ob Merkmale der sozialen Situation im Sinne eines automatisch-spontanen Modus über Einstellungen zu kriminellem Handeln vermittelt zu kriminellem Handeln führen (Mediatormodell) bzw. die Beziehung zwischen Einstellungen zu kriminellem Handeln und kriminellem Handeln verändern (Moderatormodell), oder ob Merkmale der sozialen Situation im Sinne eines reflektiert-kalkulierenden Modus über Nutzenerwägungen vermittelt zu kriminellem Handeln führen (Mediatormodell) bzw. die Beziehung zwischen Nutzenerwägungen und kriminellem Handeln verändern (Moderatormodell). Dabei zeigte sich, dass Modelle, die von einer reflektiert-kalkulierenden Selektion kriminellen Handelns ausgehen, grundsätzlich eher empirische Unterstützung erfahren als Modelle, die eine HandlungsSelektion in einem automatisch-spontanen Modus postulieren (vgl. Kap. 3.2.3). Während frühere Studien zu dem Ergebnis führten, dass die Orientierung an rechtlichen Normen, die Handlungskontrolle und der subjektiv erwartete Schaden einer formellen Bestrafung im Sinne eines Moderatormodells zusammenwirken (vgl. Paternoster/Simpson 1996, Tittle/Botchkovar 2005), führt die vorliegende Studie zu dem Ergebnis, dass eher ein Mediatormodell der Einflüsse von Orientierungen an sozialen und/oder rechtlichen Normen auf kriminelles Handeln empirische Unterstützung findet: Einstellungen zu kriminellem Handeln beeinflussen Entscheidungen für kriminelles Handeln darüber, dass sie zunächst den subjektiv erwarteten Nutzen von kriminellem Handeln beeinflussen, welcher sodann die Entscheidung für oder gegen kriminelles Handeln strukturiert. Auffällig ist, dass die in dieser Studie spezifizierten Merkmale der sozialen Situation wie positive und negative Einstellungen zu kriminellem Handeln, die Einbindung in konventionelle Beziehungen und die Handlungskontrolle in erster Linie über den subjektiv erwarteten Nutzen informeller positiver Sanktionen in Form von sozialer Anerkennung vermittelt zu kriminellem Handeln führen. Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen vorhandener Studien, wonach die Orientierung an rechtlichen Normen ebenso wie die Handlungskontrolle über subjektive Nutzenerwägungen vermittelt zu kriminellem Handeln führen (Nagin/Paternoster 1993, Piquero/Tibbetts 1996, Tibbetts/Myers 1999). Dage-
3.3 Diskussion der Ergebnisse
195
gen finden sich in dieser Studie keine Hinweise auf das Vorliegen von Interaktionseffekten zwischen Einstellungen zu kriminellem Handeln und subjektiven Nutzenerwägungen. Die These, dass ein reflektiert-kalkulierender Modus der Handlungs-Selektion vor allem dann zum Tragen kommt, wenn die normativen Anforderungen einer Gelegenheit aufgrund der Orientierungen von Akteuren an sozialen und/oder rechtlichen Normen oder aufgrund der Ausprägung im Merkmal Handlungskontrolle nicht eindeutig hervortreten, findet also im vorliegenden Zusammenhang keine empirische Unterstützung. Das Hauptergebnis der Studie bezieht sich jedoch auf die Idee, dass Akteure sich vor allem dann für kriminelles Handeln entscheiden, wenn sie ihr Handeln vor sich selbst und vor anderen rechtfertigen können.
3.3.1 Hauptergebnis der empirischen Untersuchung Sowohl für die Situation der Fundunterschlagung als auch für die Situation des Wechselgeldirrtums werden die höchsten Erklärungsleistungen für ein Modell erzielt, das Beziehungen zwischen Neutralisierungstechniken, dem subjektiv erwarteten Nutzen und kriminellem Handeln spezifiziert (vgl. Kap. 3.2.3). Dabei zeigt sich, dass Akteure, die angesichts der dargebotenen Gelegenheiten ihre Verantwortung, den anzurichtenden Schaden und die mögliche Schädigung eines Opfers leugnen, mit höherer Wahrscheinlichkeit den gefundenen Geldschein unterschlagen oder das irrtümlich erhaltene Wechselgeld behalten. Es zeigt sich darüber hinaus, dass Einflüsse von kognitiven Strategien der Rechtfertigung in erster Linie über den subjektiv erwarteten Nutzen von positiven Sanktionen vermittelt sind: Akteure, die Neutralisierungstechniken anwenden können, rechnen eher mit sozialer Anerkennung für kriminelles Handeln und neigen deshalb stärker dazu, die dargebotenen Gelegenheiten zum eigenen Vorteil zu nutzen. Außerdem sind Einflüsse von Neutralisierungstechniken über den subjektiv erwarteten Nutzen von materieller Bereicherung und den subjektiv erwarteten Schaden eines schlechten Gewissens vermittelt: Akteure, die über kognitive Strategien der Rechtfertigung verfügen, rechnen eher damit, materielle Vorteile zu erzielen, aber weniger damit, ein schlechtes Gewissen zu haben und handeln daher eher kriminell. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten als rationales Handeln interpretiert werden kann. Dabei können idealtypisch zweckrationale und wertrationale Komponenten von Entscheidungen für kriminelles Handeln unterschieden werden: Neutralisierungstechniken fördern die zweckrationale Komponente, indem
196
3. Empirische Untersuchung
sie den subjektiv erwarteten Nutzen materieller Bereicherung erhöhen, und sie schwächen die wertrationale Komponente von Entscheidungen, indem sie den subjektiv erwarteten Schaden durch ein schlechtes Gewissen im Sinne einer wertrationalen Begründung für konformes Handeln mindern (vgl. Greve 2003). Die von Sykes und Matza (1957) formulierte These, dass Akteure, denen die normativen Anforderungen einer Situation gegenwärtig sind, sich ganz bewusst situativ von der Verpflichtung befreien können, diesen normativen Anforderungen entsprechend zu handeln, wird also im Rahmen der Analyse des kriminellen Handelns angesichts von Gelegenheiten unterstützt.
3.3.2 Relevanz der Ergebnisse Die Beobachtung, dass kriminelles Handeln vor allem mit einer Theorie rationaler Wahl erklärt werden kann, spricht für die Interpretation, dass es sich bei Gelegenheiten um Zielkonflikte handelt, um Ausschnitte der Erfahrung, angesichts derer ein innerer Widerstreit zwischen den normativen Anforderungen der Situation und konfligierenden Interessen eine ›wertrationale Definition der Situation‹ (Stachura 2006) erfordert. Der Befund, dass vor allem Neutralisierungstechniken für kriminelles Handeln maßgeblich sind, spricht dafür, dass Akteure angesichts der dargebotenen Gelegenheiten zunächst mögliche Bedenken im Hinblick auf kriminelles Handeln überwinden müssen, ehe sie dann auf der Grundlage vernünftiger Überlegungen eine Entscheidung für kriminelles Handeln treffen können. Auch Fetchenhauer (1998) konnte in seiner Analyse des Versicherungsbetrugs zeigen, dass Akteure, die einen Versicherungsbetrug moralisch rechtfertigen können, mit höherer Wahrscheinlichkeit ein alltägliches Ereignis nutzen, um auf dessen Grundlage einen fiktiven Schadensfall zu konstruieren. In ähnlicher Weise haben auch Morlok und Kölbl (1998) für die Befolgung von Normen im Straßenverkehr auf die Relevanz von Zweckmäßigkeitsüberlegungen hingewiesen. Demnach überlegen Akteure in normrelevanten Situationen zunächst, ob die Befolgung einer Norm sinnvoll ist oder nicht und entscheiden dann, ob sie sich der Norm entsprechend verhalten oder nicht. Schließlich führte auch die Studie von Greenberg (1993) zu dem Ergebnis, dass Delikte am Arbeitsplatz wie etwa das unerlaubte Mitnehmen von Büromaterial für den privaten Gebrauch dadurch begünstigt werden, dass Akteure ihr Handeln durch den Verweis auf erlebte Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz rechtfertigen können.
4. Kritische Würdigung und Perspektiven
Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stand die Frage, warum Akteure angesichts von Gelegenheiten, die sich im Rahmen alltäglicher Handlungsvollzüge bieten, kriminell handeln. Dabei wurden Gelegenheiten betrachtet, die sich auf Möglichkeiten beziehen, fremde Wertgegenstände ungerechtfertigt mitzunehmen oder zu behalten. Ausgehend von LaFree und Birkbeck (1991, Birkbeck/LaFree 1993) bestanden die Aufgaben der Analyse darin, das Konzept der Situation zu spezifizieren, das Zusammenwirken von Akteuren und Situationen analysieren, und Beziehungen zwischen Situation und Handeln untersuchen. Die bisherige Analyse des kriminellen Handelns angesichts von Gelegenheiten beruhte implizit auf zwei Interpretationen der Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung, die als Gelegenheiten bezeichnet werden. Diese Interpretationen sind mit unterschiedlichen Erklärungen für kriminelles Handeln verbunden. Gelegenheiten zu kriminellem Handeln wurden einer Interpretation zufolge als Situationen aufgefasst, in denen es »um nichts geht« (Quandt/Ohr 2004: 683), weil Akteure aufgrund geringer Entdeckungsrisiken keine Nachteile zu befürchten haben. Dies führte in Verbindung mit der High-Cost-/Low-Cost-These zu der Annahme, dass angesichts von Gelegenheiten auf der Grundlage von Einstellungen gehandelt wird. Eine andere Interpretation beruhte eher auf der Idee, dass Gelegenheiten als Zielkonflikte betrachtet werden können, in denen Akteure eine ›wertrationale Definition der Situation‹ (Stachura 2006) vornehmen müssen, weil die Möglichkeit, sich durch kriminelles Handeln Vorteile zu verschaffen, mit den normativen Anforderungen an das Handeln konfligiert. Das damit korrespondierende Erklärungsprinzip ist die Theorie rationaler Wahl, die davon ausgeht, dass Akteure angesichts von Gelegenheiten auf der Grundlage vernünftiger Überlegungen handeln. Auf der Grundlage des Modells der Frame-Selektion (Kroneberg 2005, 2007) wurden beide Interpretationen in einen integrativen Bezugsrahmen gestellt und einer vergleichenden Analyse unterzogen. Dieses Modell ermöglichte es, die Schritte der Definition eines Ausschnitts der alltäglichen Erfahrung als Gelegenheit und der Ausführung kriminellen oder konformen Handelns analytisch voneinander zu trennen und Einflüsse der sozialen Situation von Akteuren auf
198
4. Kritische Würdigung und Perspektiven
die Selektion kriminellen Handelns anhand von als ›günstig‹ erlebten Gelegenheiten zu untersuchen. Mit dem Verfahren der Conjoint-Analyse wurden Gelegenheiten ausgewählt, die von Akteuren übereinstimmend als ›günstige Gelegenheiten‹ klassifiziert wurden, nämlich eine Gelegenheit zur Fundunterschlagung und eine Gelegenheit zur ungerechtfertigten Bereicherung im Rahmen eines Wechselgeldirrtums. Anhand dieser Gelegenheiten wurde analysiert, ob kriminelles Handeln eher das Ergebnis einer Orientierung an sozialen und/oder rechtlichen Normen oder das Ergebnis von subjektiven Nutzenerwägungen ist, mit anderen Worten, ob kriminelles Handeln eher in einem automatischspontanen oder einem reflektiert-kalkulierenden Modus selegiert wird. Die Ergebnisse der Studie sprechen für die These, dass kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten als das Resultat einer Entscheidung aufzufassen ist, die in erster Linie auf nicht-instrumentellen Anreizen beruht und die vor allem dann erfolgt, wenn Akteure sich zuvor von der Verpflichtung, Normen zu befolgen, aufgrund von kognitiven Strategien der Rechtfertigung befreien konnten. Es zeigte sich außerdem, dass neben Neutralisierungstechniken auch positive und negative Einstellungen zu kriminellem Handeln, wie sie im Rahmen kontrollund lerntheoretischer Ansätze spezifiziert werden, Entscheidungen für kriminelles Handeln angesichts von Gelegenheiten beeinflussen. Andere Merkmale der sozialen Situation wie die soziale Benachteiligung und die Einbindung in soziale Beziehungen erwiesen sich als vergleichsweise schwache Prädiktoren auf der Ebene der Handlungs-Selektion. Auch wenn in bisherigen Studien Gelegenheiten in einem anderen Sinne als in dieser Studie untersucht wurden, entspricht dieses Ergebnis bereits vorliegenden Befunden: Entscheidungen für kriminelles Handeln werden vor allem dadurch begünstigt, dass Akteure ein solches Handeln für legitimierbar halten (vgl. Kap. 3.3). Ein eindeutiger Beleg gegen die High-Cost-/Low-Cost-These ist dies jedoch nicht. Gelegenheiten im hier verstandenen Sinne können möglicherweise nur mit Einschränkungen als Niedrigkostensituationen betrachtet werden. ›Günstige Gelegenheiten‹ wurden als Situationen konzeptualisiert, in denen kriminelles Handeln mit geringen Kosten in Form von negativen Sanktionen verbunden ist. Niedrigkostensituationen wurden jedoch im Anschluss an Kliemt (1986) vor allem als Situationen konzeptualisiert, in denen Akteure nicht nur nichts zu verlieren, sondern auch nichts zu gewinnen haben: »Genauer gefasst, liegt nach unserem Verständnis eine vollkommene Niedrigkostensituation dann vor, wenn die direkten Kosten und die Opportunitätskosten niedrig sind und wenn zudem das Nutzendifferential unbedeutend ist« (Quandt/Ohr 2004: 687, Hervorh. im
4. Kritische Würdigung und Perspektiven
199
Orig.). Die hier untersuchten Situationen der Fundunterschlagung und des Wechselgeldirrtums waren jedoch ›günstige Gelegenheiten‹ in dem Sinne, dass Akteure sich in den Besitz attraktiver Wertgegenstände bringen und damit zwar wenig verlieren, aber durchaus viel gewinnen konnten. Ein systematischer Vergleich von Gelegenheiten, in denen mehr oder weniger Vorteile erzielt werden können, wurde jedoch in der vorliegenden Studie nicht vorgenommen. Ob die Orientierung an sozialen und/oder rechtlichen Normen also angesichts von Gelegenheiten, in denen weniger wertvolle Gegenstände genommen oder behalten werden können, zu einer unhinterfragten Handlungs-Selektion führt, und nicht wie angesichts der Gelegenheiten, die in dieser Studie untersucht wurden, eine vernünftige Handlungs-Selektion anleitet, ist eine Fragestellung, die im Rahmen weiterer Studien bearbeitet werden sollte. Unabhängig von diesen Überlegungen scheint es aber in jedem Fall von grundlegender Bedeutung, die Frage, warum Akteure auf bestimmte Aspekte von Gelegenheiten mehr oder weniger als andere ›anspringen‹, systematischer als bisher geschehen zu bearbeiten. Die vorliegende Studie hat nämlich den Prozess der Frame-, Skript- und Handlungs-Selektion lediglich teilweise analysiert. Indem nur solche Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung untersucht wurden, die als ›günstige Gelegenheiten‹ betrachtet wurden, wurde der Schritt der FrameSelektion nicht eigens untersucht. Vielmehr wurde das Ausmaß, in dem beide Gelegenheiten auch von den in dieser Studie Befragten als ›günstige Gelegenheiten‹ wahrgenommen wurden, als Konstante vorausgesetzt und nicht als Variable kontrolliert. Damit erfolgte keine Analyse der Frage, vor welchem sozialen Hintergrund genau Gelegenheiten als Interessenkonflikte erlebt werden. Merkmale der sozialen Situation hätten jedoch auf jeweils verschiedenen Selektions-Stufen wirksam werden können. Das Ausmaß der sozialen Benachteiligung war möglicherweise deshalb ein eher schwacher Prädiktor für die Handlungs-Selektion, weil dieses Merkmal bereits den Schritt der Frame- und SkriptSelektion beeinflusst und das Ausmaß bestimmt hat, in dem Ausschnitte der alltäglichen Erfahrung als Zielkonflikte erlebt wurden. Demgegenüber könnte den Ergebnissen dieser Studie zufolge die Handlungs-Selektion eher durch soziale Einstellungen beeinflusst werden. Ob und inwiefern Merkmale der sozialen Situation differentiell auf die Phasen der Frame-, Skript- und HandlungsSelektion Einfluss nehmen, scheint klärungsbedürftig.
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Diskussionswürdig ist aber, wie die Frame-Selektion angesichts von Gelegenheiten, die sich im Rahmen alltäglicher Handlungsvollzüge bieten, konzeptualisiert werden sollte. Ob es in diesem Zusammenhang sinnvoll ist, von einer Frame-Selektion im automatisch-spontanen Modus auszugehen, scheint fraglich: Gelegenheiten, die sich im Rahmen alltäglicher Handlungsvollzüge spontan bieten, sind nämlich stets Augenblicke, in denen eine Routineaktivität dadurch unterbrochen wird, dass der erwartete Fortgang der Ereignisse durch etwas völlig Unvorhergesehenes gestört wird. Ausgehend von einer solchen Konzeptualisierung würde eine Gelegenheit folglich in jedem Fall ein (wertbezogenes) ReFraming, ein ›Umschalten‹ von der Routine in einen reflektiert-kalkulierenden Modus der Frame-, Skript- und Handlungs-Selektion initiieren. Mit der Idee, dass »Gelegenheiten, die Diebe machen«, in erster Linie als Interessenkonflikte erlebt werden, die eine Entscheidung für oder gegen kriminelles Handeln auf der Grundlage von zweck- und wertrationalen Begründungen erfordern, stehen diese Überlegungen im Einklang.
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Anhang
Im Folgenden werden bivariate Korrelationen zwischen den Variablen, die als Prädiktorvariablen, Mediatorvariablen und abhängige Variablen in die Regressionsanalysen einbezogen wurden, auf der Grundlage der Daten aller Befragten (n=2081) berichtet. Alle weiteren Erläuterungen zu den Tabellen A-1 bis A-4 finden sich im Text. Tabelle A-1: Prädiktoren und Mediatorvariablen (Hypothese 3.1.1.1, Hypothesen 3.1.1.3 bis 3.1.1.6) x1
x2
x3
x4
x5
x6
x7
x8
Alter
-.103
-.171
-.020
-.106
-.150
-.092
.013
-.025
Geschlecht
-.084
-.085
-.000
-.012
-.084
.062
.058
-.189
Erfahrung Sit. 1
.208
.206
.010
.094
.167
.059
.060
.099
Erfahrung Sit. 2
.195
.235
.028
.147
.184
.085
.059
.079
Einkommen
-.059
-.055
-.002
-.067
.019
.033
.099
.001
Zufriedenheit
.043
.059
.010
-.000
.088
.067
.065
.041
schulische Bildung
-.083
-.085
.017
-.114
-.009
-.001
.145
.095
Ehe/Partnerschaft
.031
.059
-.012
.026
.040
.057
.001
.004
Aktivität Vereine
-.018
.035
.006
.014
.052
.045
.090
.049
Aktivität Kirche
.102
.168
.038
.119
.118
.100
-.018
.109
218
Anhang
In Tabelle A-1 sind zeilenweise die Kontrollvariablen Alter, Geschlecht und Erfahrung (Situation 1: Fundunterschlagung, Situation 2: ungerechtfertigte Bereicherung), die Merkmale des sozialen Status und sozialer Beziehungen sowie spaltenweise positive (x1: Differentielle Assoziationen, x2: Definitionen) und negative Einstellungen (x3: Attachment, x4: Commitment, x5: Belief) und Handlungskontrolle (x6: Impulsivity, x7: Simple Tasks, x8: Self-Centered) aufgeführt. Die in Tabelle A-2 berichteten Koeffizienten beziehen sich zeilenweise auf die Kontrollvariablen und Merkmale des sozialen Status sowie spaltenweise auf Neutralisierungstechniken (x1: Leugnung Verantwortung, x2: Leugnung Schaden, x3: Leugnung Opfer). Bei den in den Tabellen A-1 und A-2 berichteten Korrelationen handelt es sich um Kendall’s IJb-Koeffizienten. Tabelle A-2: Prädiktoren und Mediatorvariablen (Hypothese 3.1.1.2) Fundunterschlagung
ungerechtfertigte Bereicherung
x1
x2
x3
x1
x2
x3
Alter
-.168
-.151
-.093
-.161
-.162
-.208
Geschlecht
-.019
-.049
-.062
-.002
.007
-.014
Erfahrung
.363
.251
.214
.262
.295
.279
Einkommen
.059
.024
.048
.052
.065
.059
Zufriedenheit
.125
.083
.094
.142
.108
.114
schulische Bildung
.020
.006
.107
.095
.040
.040
Die Tabellen A-3 und A-4 beziehen sich zeilenweise auf die Kontrollvariablen, auf Einstellungen zu kriminellem Handeln, auf Merkmale des sozialen Status und sozialer Beziehungen und Handlungskontrolle sowie spaltenweise auf kriminelles Handeln (y) und Nutzenkomponenten (x1: soziale Anerkennung, x2: materielle Bereicherung, x3: schlechtes Gewissen, x4: Entdeckung durch Opfer, x5: Strafverfahren). Die in den Tabellen A-3 und A-4 berichteten Korrelationen sind Pearson’s-r-Koeffizienten. Wegen der Verteilungscharakteristika (vgl. Kap. 3.1) wurden zu Vergleichszwecken auch Rangkorrelationen bestimmt; diese werden aufgrund der robusten Ergebnisse nicht berichtet.
219
Matrix der Interkorrelationen Tabelle A-3: Prädiktoren, Mediatorvariablen und abhängige Variable (Situation 1: Hypothese 3.2) y
x1
x2
x3
x4
x5
Alter
-.214
-.274
-.249
.102
.144
.048
Geschlecht
-.081
-.042
.093
.200
.047
.067
Erfahrung
.299
.321
.203
-.197
-.108
-.090
Diff. Assoziationen
.165
.240
.107
-.103
-.106
-.101
Definitionen
.256
.305
.177
-.243
-.113
-.149
Attachment
.062
.069
.024
-.104
-.089
-.114
Commitment
.143
.212
.116
-.096
-.175
-.239
Belief
.216
.245
.126
-.180
-.177
-.202
Leugnung Verantwortung
.316
.363
.202
-.258
-.103
-.124
Leugnung Schaden
.322
.321
.209
-.248
-.105
-.112
Leugnung Opfer
.383
.352
.159
-.278
-.072
-.074
Einkommen
.036
.032
.207
.004
.046
.054
Zufriedenheit
.124
.189
.346
-.077
-.020
.005
schulische Bildung
.060
.036
.009
-.077
.115
.081
Ehe/Partnerschaft
.077
.076
.074
-.030
-.043
.010
Aktivität Vereine
.060
.096
.107
-.048
.032
.018
Aktivität Kirche
.177
.237
.090
-.166
-.067
-.052
Impulsivity
.104
.140
.101
-.089
-.090
-.063
Simple Tasks
.071
.070
.114
-.059
.054
.020
Self-Centered
.203
.198
.047
-.325
-.079
-.056
220
Anhang
Tabelle A-4: Prädiktoren, Mediatorvariablen und abhängige Variable (Situation 2: Hypothese 3.2) y
x1
x2
x3
x4
x5
Alter
-.316
-.381
-.278
.184
.161
.106
Geschlecht
-.040
-.046
.080
.143
.036
.089
Erfahrung
.418
.352
.177
-.254
-.143
-.139
Diff. Assoziationen
.156
.181
.103
-.083
-.051
-.073
Definitionen
.274
.276
.176
-.239
-.114
-.174
Attachment
.049
.018
.018
-.126
-.099
-.086
Commitment
.154
.206
.100
-.089
-.158
-.236
Belief
.196
.199
.156
-.152
-.171
-.204
Leugnung Verantwortung
.439
.394
.238
-.259
-.092
-.032
Leugnung Schaden
.401
.343
.223
-.240
-.135
-.140
Leugnung Opfer
.541
.442
.250
-.334
-.138
-.059
Einkommen
.018
.021
.187
.011
.039
.087
Zufriedenheit
.136
.167
.310
-.118
-.006
.044
schulische Bildung
-.020
-.036
-.012
-.025
.097
.135
Ehe/Partnerschaft
.064
.059
.086
-.037
-.006
.016
Aktivität Vereine
.054
.077
.094
-.042
.003
.042
Aktivität Kirche
.152
.190
.075
-.185
-.089
-.102
Impulsivity
.098
.102
.087
-.078
-.089
-.057
Simple Tasks
.061
.063
.112
-.080
.022
.016
Self-Centered
.177
.158
.071
-.292
-.081
-.041
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Verzeichnis der Abbildungen 1. Einleitung Abb. 1-1 Das Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärungen
16
2. Kriminalität im Alltag Abb. 2-1 Die Gelegenheit zu kriminellem Handeln
26
Abb. 2-2 Das Modell der Frame-Selektion
52
Abb. 2-3 Soziale Situation und kriminelles Handeln
58
Abb. 2-4 Subjektiv erwarteter Nutzen und kriminelles Handeln
59
Abb. 2-5 Soziale Situation, Einstellungen und kriminelles Handeln
61
Abb. 2-6 Soziale Situation, subjektiv erwarteter Nutzen und kriminelles Handeln
62
3. Empirische Untersuchung Abb. 3-1 Vignetten zur Modellierung von Gelegenheiten
81
Abb. 3-2 Items zur Messung kriminellen Handelns
82
Abb. 3-3 Items zur Messung der Häufigkeit von Massendelikten
86
Abb. 3-4 Konsequenzen kriminellen Handelns
88
Abb. 3-5 Items zur Erfassung positiver Einstellungen
96
Abb. 3-6 Items zur Erfassung negativer Einstellungen
98
Abb. 3-7 Items zur Erfassung neutralisierender Einstellungen
100
Abb. 3-8 Merkmale des sozialen Status
103
Abb. 3-9 Merkmale sozialer Beziehungen
105
Abb. 3-10 Items zur Erfassung von Handlungskontrolle
107
222
Abbildungen und Tabellen
Verzeichnis der Tabellen 3. Empirische Untersuchung Tab. 3-1
Ausschöpfung und Selektivität der Stichprobe
74
Tab. 3-2
Analyse der Einkommensverteilung
76
Tab. 3-3
Beschreibung der Stichprobe
78
Tab. 3-4
Häufigkeiten kriminellen Handelns
83
Tab. 3-5
Kriminelles Handeln angesichts beider Gelegenheiten
84
Tab. 3-6
Häufigkeiten kriminellen Handelns über die Lebensspanne
85
Tab. 3-7
Häufigkeiten von Massendelikten im Vergleich
87
Tab. 3-8
Erwartungen von Konsequenzen (Situation 1)
89
Tab. 3-9
Bivariate Korrelationen der Items zur Messung von Erwartungen (Situation 1)
90
Tab. 3-10
Bewertungen von Konsequenzen (Situation 1)
91
Tab. 3-11
Bivariate Korrelationen der Items zur Messung von Bewertungen (Situation 1)
91
Tab. 3-12
Erwartungen von Konsequenzen (Situation 2)
92
Tab. 3-13
Bivariate Korrelationen der Items zur Messung von Erwartungen (Situation 2)
93
Tab. 3-14
Bewertungen von Konsequenzen (Situation 2)
93
Tab. 3-15
Bivariate Korrelationen der Items zur Messung von Bewertungen (Situation 2)
94
Tab. 3-16
Item zur Erfassung Differentieller Assoziationen
97
Tab. 3-17
Item zur Erfassung Differentieller Verstärkung
97
Tab. 3-18
Item zur Erfassung von Definitionen
97
Tab. 3-19
Bivariate Korrelationen der Items zur Messung positiver Einstellungen
97
Tab. 3-20
Items zur Erfassung negativer Einstellungen
99
Tab. 3-21
Bivariate Korrelationen der Items zur Messung negativer Einstellungen
99
Abbildungen und Tabellen Tab. 3-22
223
Items zur Messung neutralisierender Einstellungen (Situation 1)
101
Items zur Messung neutralisierender Einstellungen (Situation 2)
101
Bivariate Korrelationen der Items zur Messung neutralisierender Einstellungen (Situation 1)
102
Bivariate Korrelationen der Items zur Messung neutralisierender Einstellungen (Situation 2)
102
Tab. 3-26
Item zur Erfassung der wirtschaftlichen Zufriedenheit
104
Tab. 3-27
Bivariate Korrelationen der Items zur Messung des sozialen Status
104
Tab. 3-28
Häufigkeiten der Einbindung in Ehe bzw. Partnerschaft
105
Tab. 3-29
Item zur Erfassung der Aktivität in Vereinen
105
Tab. 3-30
Item zur Erfassung der kirchlichen Aktivität
106
Tab. 3-31
Bivariate Korrelationen der Items zur Messung sozialer Beziehungen
106
Tab. 3-32
Items zur Erfassung von Handlungskontrolle
108
Tab. 3-33
Bivariate Korrelationen der Bereiche zur Messung von Handlungskontrolle
109
Logistische Regression kriminellen Handelns auf Alter, Geschlecht und Erfahrung
113
Logistische Regression kriminellen Handelns auf positive Einstellungen
115
Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen
116
Logistische Regression kriminellen Handelns auf neutralisierende Einstellungen
118
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den sozialen Status
120
Tab. 3-23 Tab. 3-24 Tab. 3-25
Tab. 3-34 Tab. 3-35 Tab. 3-36 Tab. 3-37 Tab. 3-38 Tab. 3-39
Logistische Regression kriminellen Handelns auf soziale Beziehungen 122
224 Tab. 3-40 Tab. 3-41 Tab. 3-42 Tab. 3-43 Tab. 3-44 Tab. 3-45 Tab. 3-46
Tab. 3-47
Abbildungen und Tabellen Logistische Regression kriminellen Handelns auf Handlungskontrolle
123
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen (Situation 1)
127
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen (Situation 2)
129
Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen und den sozialen Status
135
Logistische Regression kriminellen Handelns auf neutralisierende Einstellungen und den sozialen Status
136
Logistische Regression kriminellen Handelns auf Handlungskontrolle und den sozialen Status
137
Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 1)
139
Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 2)
140
Tab. 3-48
Logistische Regression kriminellen Handelns auf neutralisierende Einstellungen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 1) 142
Tab. 3-49
Logistische Regression kriminellen Handelns auf neutralisierende Einstellungen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 2) 143
Tab. 3-50
Logistische Regression kriminellen Handelns auf Handlungs-kontrolle in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 1)
144
Logistische Regression kriminellen Handelns auf Handlungskontrolle in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 2)
145
Logistische Regression kriminellen Handelns auf positive Einstellungen und soziale Beziehungen
147
Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen und soziale Beziehungen
148
Tab. 3-51
Tab. 3-52 Tab. 3-53
Abbildungen und Tabellen Tab. 3-54
Tab. 3-55
Tab. 3-56
Tab. 3-57
Tab. 3-58 Tab. 3-59
Tab. 3-60
Tab. 3-61 Tab. 3-62 Tab. 3-63
Tab. 3-64 Tab. 3-65 Tab. 3-66
225
Logistische Regression kriminellen Handelns auf positive Einstellungen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 1)
151
Logistische Regression kriminellen Handelns auf positive Einstellungen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 2)
152
Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 1)
153
Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 2)
154
Logistische Regression kriminellen Handelns auf Handlungskontrolle und negative Einstellungen
156
Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit von Handlungskontrolle (Situation 1)
158
Logistische Regression kriminellen Handelns auf negative Einstellungen in Abhängigkeit von Handlungskontrolle (Situation 2)
159
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und positive Einstellungen
166
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und negative Einstellungen
167
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und neutralisierende Einstellungen
168
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und den sozialen Status
169
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und soziale Beziehungen
170
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen und Handlungskontrolle
171
226 Tab. 3-67
Tab. 3-68
Tab. 3-69
Tab. 3-70
Tab. 3-71
Tab. 3-72
Tab. 3-73
Tab. 3-74
Tab. 3-75
Tab. 3-76
Tab. 3-77
Abbildungen und Tabellen Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von positiven Einstellungen (Situation 1)
178
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von positiven Einstellungen (Situation 2)
179
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von negativen Einstellungen (Situation 1)
180
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von negativen Einstellungen (Situation 2)
181
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von neutralisierenden Einstellungen (Situation 1)
182
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von neutralisierenden Einstellungen (Situation 2)
183
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 1)
184
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit vom sozialen Status (Situation 2)
185
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 1)
186
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen (Situation 2)
187
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von Handlungskontrolle (Situation 1)
188
Abbildungen und Tabellen Tab. 3-78
227
Logistische Regression kriminellen Handelns auf den subjektiv erwarteten Nutzen in Abhängigkeit von Handlungskontrolle (Situation 2)
189
Prädiktoren und Mediatorvariablen (Hypothese 3.1.1.1, Hypothesen 3.1.1.3 bis 3.1.1.6)
217
Tab. A-2
Prädiktoren und Mediatorvariablen (Hypothese 3.1.1.2)
218
Tab. A-3
Prädiktoren, Mediatorvariablen und abhängige Variable (Situation 1: Hypothese 3.2)
219
Prädiktoren, Mediatorvariablen und abhängige Variable (Situation 2: Hypothese 3.2)
220
Anhang Tab. A-1
Tab. A-4